Zwischen Fortschritt und Verstrickung: Die biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962 340215885X, 9783402158852

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Zwischen Fortschritt und Verstrickung: Die biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962
 340215885X, 9783402158852

Table of contents :
Title
Inhalt
Vorwort
I. Einleitung
1. Struktur der Arbeit
2. Forschungsstand und Quellenlage
3. Methodischer Ansatz und erkenntnisleitende Fragestellungen
4. Die biologischen Wissenschaften zu Beginn des Untersuchungszeitraums
5. Die Biologie an der Universität Münster bis zu ihrer Aufspaltung in Zoologie und Botanik
II. Das Zoologische Institutder Westfälischen Wilhelms-Universität
1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Zoologischen Instituts bis 1922
2. Die Vertretung des Ordinariats durch Feuerborn 1922 bis 1927
3. Das Ordinariat von Ubisch 1927 bis 1935
4. Die Vertretung des Ordinariats durch Kosswig 1935 bis 1936
5. Das Ordinariat Weber 1936 bis 1940
6. Vertretung und Ordinariat Ries 1940 bis 1943
7. Die Vertretung des Ordinariats durch Fischer 1943 bis 1947
8. Das Ordinariat Rensch 1947 bis 1962 (1968)
9. Das Zoologische Institut nach 1962
III. Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität
1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Botanischen Instituts bis 1922
2. Das Ordinariat Benecke 1916 bis 1935
3. Das Ordinariat Mevius 1935 bis 1944/45
Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster
4. Das Interregnum 1944/45 bis 1948
5. Das Ordinariat Strugger 1948 bis 1962
IV. Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive
1. Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger
2. Wechselseitige Ressourcenmobilisierung statt Indienstnahme
3. Ideologische Kohärenz und instrumentelle Vernunft
4. „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnisse“
5. „Entnazifizierungen“
6. Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten
V. Fazit
VI. Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Benutzte Archive
Unpublizierte Examensarbeiten
Zeitgenössische Literatur
Sekundärliteratur
Zeitschriften
Internetquellen
Sonstige Quellen
Personenregister

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Die Geschichte der biologischen Institute der Universität Münster ist daher, bei all ihren Besonderheiten, keine Geschichte des Außergewöhnlichen. Bei ihrer Analyse wird deutlich, wie weit die Wurzeln der nationalsozialistischen Diktatur auch in den alltäglichen, unspektakulären Betrieb zweier relativ kleiner Institute an einer mittleren Provinzuniversität wie Münster reichten. Dr. Daniel Droste (geb. 1981) ist seit 2007 als Koordinator der Rektoratskommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte im 20. Jahrhundert tätig, die am Historischen Seminar der Universität Münster angesiedelt ist.

ISBN 978-3-402-15885-2

Zwischen Fortschritt und Verstrickung

Trotz dieser Kontinuitäten ist, wie an vielen weiteren deutschen Universitäten, auch in Münster für die Jahre zwischen 1933 und 1945 eine Orientierung an den Kernelementen der NS-Ideologie auszumachen. Sie eröffnete den Akteuren Aufstiegschancen, ermöglichte Prestigegewinn und führte vielfach zu Opportunismus, Verfolgung und Verstrickung. Nur wenige wollten sich dabei den Verlockungen des nationalsozialistischen Regimes entziehen. Diesen Vorgängen steht der unkritische Umgang der Universität mit nationalsozialistisch belasteten Mitarbeitern in der Zeit nach 1945 gegenüber. Dabei scheute sie nicht davor zurück, sogar hochrangigen SS-Tätern eine Reintegration in die Wissenschaftlergemeinschaft zu ermöglichen.

Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster

Daniel Droste

Zwischen Fortschritt und Verstrickung Droste

Zwischen 1922 und 1962 entwickelten sich die biologischen Institute der Universität Münster von Ordinarien im Stil des 19. Jahrhunderts zu arbeitsteiligen, spezialisierten Forschergemeinschaften im intensiven Austausch mit ihrer Umgebung. Obwohl sich die politischen Rahmenbedingungen dabei mehrmals änderten, zeigen sich über den gesamten Untersuchungszeitraum deutliche Kontinuitäten sowohl in den Forschungs- und Lehrinhalten wie auch im Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Beide nutzten sich wechselseitig als Ressourcen und profitierten voneinander.

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Die biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962

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Droste Zwischen Fortschritt und Verstrickung

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Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster Herausgegeben von Sabine Happ Band 6

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Zwischen Fortschritt und Verstrickung Die biologischen Institute der Universität Münster 1922 bis 1962 Daniel Droste

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Abbildung auf dem Titel: Das Botanische Institut nach 1914 (Aufnahme: Sammlung Prof. Dr. Rolf Wiermann, Münster)

Gedruckt mit Unterstützung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, des Fachbereichs Biologie der Universität Münster und des AStA der Universität Münster.

Impressum © 2012 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG ISBN 978-3-402-15885-2

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Inhalt Vorwort ................................................................................................................... 7

I. Einleitung 1.  Struktur der Arbeit ........................................................................................... 9 2.  Forschungsstand und Quellenlage .................................................................. 13 3.  Methodischer Ansatz und erkenntnisleitende Fragestellungen .................... 27 4. Die biologischen Wissenschaften zu Beginn des Untersuchungszeitraums  ................................................................................ 33 5. Die Biologie an der Universität Münster bis zu ihrer Aufspaltung in Zoologie und Botanik ........................................ 36

II. Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität 1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Zoologischen Instituts bis 1922 ................................................................ 41 2.  Die Vertretung des Ordinariats durch Feuerborn 1922 bis 1927 .................. 48 3.  Das Ordinariat von Ubisch 1927 bis 1935 ...................................................... 65 4.  Die Vertretung des Ordinariats durch Kosswig 1935 bis 1936 ..................... 88 5.  Das Ordinariat Weber 1936 bis 1940 ............................................................... 104 6.  Vertretung und Ordinariat Ries 1940 bis 1943 ............................................... 130 7.  Die Vertretung des Ordinariats durch Fischer 1943 bis 1947 ....................... 165 8.  Das Ordinariat Rensch 1947 bis 1962 (1968) .................................................. 195 9.  Das Zoologische Institut nach 1962 ................................................................ 232

III. Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität 1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Botanischen Instituts bis 1922 ................................................................... 237

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Inhalt

2. Das Ordinariat Benecke 1916 bis 1935 ..........................................................

238

3. Das Ordinariat Mevius 1935 bis 1944/45 ......................................................

265

Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster ..................................

282

4. Das Interregnum 1944/45 bis 1948 ................................................................

329

5. Das Ordinariat Strugger 1948 bis 1962 ..........................................................

344

6. Das Botanische Institut nach 1962 .................................................................

378

IV. Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive ............ 379 1. Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger ..................................

380

2. Wechselseitige Ressourcenmobilisierung statt Indienstnahme ....................

394

3. Ideologische Kohärenz und instrumentelle Vernunft ..................................

417

4. „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnisse“ .........

433

5. „Entnazifizierungen“ ......................................................................................

464

6. Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten .

486

V. Fazit ................................................................................................................. 493

VI. Anhang Abkürzungsverzeichnis ........................................................................................

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Benutzte Archive ...................................................................................................

506

Unpublizierte Examensarbeiten ..........................................................................

508

Zeitgenössische Literatur ......................................................................................

509

Sekundärliteratur ...................................................................................................

513

Zeitschriften ...........................................................................................................

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Internetquellen ......................................................................................................

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Sonstige Quellen ....................................................................................................

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Personenregister ....................................................................................................

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Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete und gekürzte Fassung meiner Dissertation, die am 16. Februar 2011 von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster angenommen wurde. Widmen möchte ich sie Franz-Josef Schulte. Ich bin vielen Menschen, die mich bei der Entstehung der Arbeit unterstützt haben, zu Dank verpflichtet. Meine Eltern haben mir durch jahrelange Unterstützung die Möglichkeit gegeben, das zu studieren, was mir Freude bereitet, und nicht das, was womöglich am meisten Nutzen einbringen würde. Dafür danke ich ihnen von ganzem Herzen. Mein Doktorvater Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer hat das Projekt im Juli 2007 angeregt und über die vergangenen Jahre mit Rat und Tat begleitet. Ich hoffe, das Vertrauen, welches er mir durch die weitgehende Eigenständigkeit bei der Ausgestaltung der Arbeit gewährte, nicht enttäuscht zu haben. Prof. Dr. Hans-Peter Kröner war nicht nur so freundlich, die Zweitkorrektur zu übernehmen, sondern mich darüber hinaus durch wertvolle Hinweise und kritische Durchsicht der die Medizinische Fakultät betreffenden Teile der Untersuchung zu unterstützen. Prof. Dr. Karl Müller und Prof. Dr. Rolf Wiermann haben die Entstehung der Arbeit als Fachberater für Zoologie bzw. Botanik begleitet und das Manuskript einer kritischen Prüfung unterzogen. Ihnen möchte ich für ihr Interesse und ihre Unterstützung sowie für hilfreiche Hinweise zu einzelnen Forschungsfeldern und Personen danken. Meinen Kollegen beim Forschungsprojekt zur Geschichte der Universität Müns­ter, Kathrin Baas, Sebastian Felz und Kristina Sievers, verdanke ich zahlreiche wertvolle Diskussionen über Methodik und Inhalte meiner Dissertation. Sie stellten mir nicht nur Ergebnisse ihrer noch laufenden Forschungsvorhaben zur Ver­fügung, sondern halfen darüber hinaus bei der kritischen Durchsicht des Manuskripts und gaben Hinweise auf wertvolle Quellenbestände und Querverbindungen zu anderen Aspekten der Münsterschen Universitätsgeschichte. Die freundschaftliche Atmosphäre, in der unsere gemeinsame Arbeit ablief, hat viel zum erfolgreichen Abschluss des Projektes beigetragen. Dr. Daniel Schmidt begleitete die Entstehung der Arbeit nicht nur mit Fachwissen und positiver Kritik, sondern bildete als Mentor der Friedrich-Ebert-Stiftung zudem einen permanenten Ansprechpartner und Motivator. Dr. Sabine Happ hat als Leiterin des Universitätsarchivs Münster die Entstehung der Arbeit gefördert und als Herausgeberin das Manuskript durchgesehen, korrigiert und verbessert. Sara-Marie Demiriz schließlich danke ich nicht nur für fachliche Kritik, sondern ebenso sehr für ihr offenes Ohr in schwierigen Zeiten, zahllose Gespräche mit viel zu vielen Latte Macchiatos und ihren unerschütterlichen Glauben daran, das am Ende doch irgendwie alles gut wird.

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Vorwort

Weiterhin danke ich den Mitarbeitern der Archive, die ich im Rahmen meiner Untersuchung persönlich besuchte oder die so freundlich waren, mir mit Auskünften und der Bereitstellung von Material weiterzuhelfen. Mein Dank gilt darüber hinaus auch den von mir befragten Zeitzeugen und Nachkommen Münsteraner Biologen, die mir überwiegend mit großer Offenheit und großem Vertrauen begegneten und private Dokumente zugänglich machten. Durch ein Graduiertenstipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung konnte ich mich voll und ganz auf meine Forschungen konzentrieren. Die Publikation der Arbeit wurde durch Druckkostenzuschüsse des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, des Fachbereichs Biologie der Universität Münster und des AStA der Universität Münster ermöglicht. Ein besonderer Dank gilt schließlich meinem „Schwiegeropa“ Werner Hähner, der die Entstehung der Arbeit von Beginn an mit großem Interesse begleitet und ihre Publikation durch einen äußerst großzügigen Zuschuss unterstützt hat. Der größte Dank gebührt jedoch meiner Frau Steffi. Ohne sie hätte ich weder mein Studium noch die Promotion bewältigen und mir dabei den Blick für das Wesentliche im Leben erhalten können. Beelen, im Juni 2012 Daniel Droste

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I. Einleitung 1.  Struktur der Arbeit „Am 11.12. starb Strugger. Ein begabter, liebenswürdiger, aber allzu ehrgeiziger und wissenschaftlich nicht immer ehrlicher Forscher fand mit 55 Jahren ein allzu frühes Ende. Sein steter Optimismus ließ ihn die letzten Wochen leichter tragen, als wir alle befürchten mussten. Er wurde in unendlich langem Zuge wie ein Fürst zu Grabe getragen.“1

Mit diesen knappen Sätzen kommentierte Bernhard Rensch, Ordinarius für Zoologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, am 26. Dezember 1961 in seinem Tagebuch den Tod seines langjährigen Kollegen und Ordinarius für Botanik, Siegfried Strugger. Strugger und Rensch hatten seit ihrer Berufung 1948 beziehungsweise 1947 die Geschicke ihrer Institute geleitet und sie nach den Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs nicht nur wieder aufgebaut, sondern auch in die nationale und internationale Spitzenforschung zurückgeführt. Fast 40 Jahre zuvor hatte der Leiter des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Otto Boelitz, den damaligen Ordinarius für Zoologie, Walter Stempell, beurlaubt und am 21. August 1922 ein Dienststrafverfahren gegen ihn eingeleitet. Dazu schrieb er dem Kurator der Westfälischen WilhelmsUniversität: „Stempell wird beschuldigt, im Jahre 1918 die Anstellung des Fräuleins Maria Clasing, mit der er, ungeachtet des Fortbestehens seiner Ehe, ein Liebesverhältnis unterhielt, als planmäßige Assistentin an dem ihm unterstellten Zoologischen Institut der Universität Münster veranlaßt und dieses Liebesverhältnis und die Beschäftigung des Fräuleins Clasing als Assistentin fortgesetzt zu haben, obwohl seine Beziehung zu Fräulein Clasing bekannt geworden und Anlaß zu Vorkommnissen gegeben hatte, die sein Ansehen schädigen mußten.“2

Mit Stempell trat am Zoologischen Institut die „alte Garde“ der klassischen Ordinarien ab, denen es noch gelungen war, ihr gesamtes Fachgebiet zu überschauen und zu lehren. Seine Beurlaubung markierte dementsprechend gleichsam den Auftakt der fachwissenschaftlichen Ausdifferenzierung der Zoologie in Münster. Diese zwei Vorgänge bilden die chronologischen Eckpfeiler der vorliegenden Untersuchung. In den zitierten Ereignissen spiegelt sich dabei bereits eine Auswahl derjenigen Kriterien wider, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden: unter anderem, aber nicht ausschließlich, personelle Fluktuationen in der Besetzung von Führungspositionen, fachwissenschaftliche Auseinandersetzungen und Entwicklungen, das Wechselverhältnis von Wissenschaft und Politik, persönliche Schicksale 1 2

Staatsbibliothek Berlin (SBB), Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, Tagebucheintrag (TBE) 26.12.1961. Universitätsarchiv Münster (UAMs), Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1, Preußischer Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (PrWM) an Universitätskurator, 21.8.1922.

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I. Einleitung

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der Institutsmitarbeiter, universitätsinterne Machtverhältnisse und ihre Ausprägung oder der wissenschaftliche Generationenwandel. Ihre Aufarbeitung soll am Ende dieser Arbeit die Sicht auf ein möglichst vollständiges und umfassendes Bild der Geschichte der Biologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erlauben. Die Wahl der Jahre 1922 und 1962 als chronologische Eckpunkte dieser Untersuchung mag dabei trotz ihrer Verknüpfung mit dem Schicksal prominenter Münsterscher Biologen auf den ersten Blick willkürlich erscheinen. Tatsächlich ist sie nicht unproblematisch, markieren die Daten doch deutliche Zäsuren in nur jeweils einem der in dieser Arbeit zu untersuchenden biologischen Institute. Bei der Ablösung des Zoologen Stempell war sein Kollege, der Ordinarius für Botanik Friedrich-Wilhelm Benecke, bereits sieben Jahre im Amt. Ähnliches gilt beim Tod Struggers. Dessen Kollege Bernhard Rensch blieb noch sechs weitere Jahre als Ordinarius für Zoologie tätig. Dennoch lässt sich die Wahl dreifach begründen: pragmatisch, ereignisgeschichtlich und fachwissenschaftlich-inhaltlich. So erschwert auf der einen Seite die Problematik der Quellenlage eine Ausdehnung des Untersuchungszeitraumes über die genannten Jahre hinaus. Vor 1922 existieren für die in dieser Arbeit gewählten Fragestellungen nur begrenzt aussagekräftige Quellen. Nach 1962 ergibt sich das Problem von Sperrfristen und teilweise noch lebenden Akteuren. Hinzu kommt, dass die biologischen Institute zwischen 1922 und 1962 den Wechsel von zwölf Ordinarien beziehungsweise stellvertretenden Ordinarien und fast 60 Assistenten3 und Lehrbeauftragten erlebten. Insbesondere nach 1962 stiegen die Zahl der Mitarbeiter und die Binnendifferenzierung der Fächer noch weiter an. Eine Einbeziehung all dieser Entwicklungen hätte im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden können. Auf der anderen Seite markiert ereignisgeschichtlich betrachtet die temporäre Berufung Feuerborns als Vertreter auf den Lehrstuhl für Zoologie am Anfang der Untersuchungsperiode den Beginn nicht nur der fachlichen Ausdifferenzierung der Zoologie, sondern nach Jahren der Stabilität auch den Beginn einer jahrelangen Phase der Unruhe am Institut. Der Tod Struggers hingegen läutete einen Generationswechsel am Botanischen Institut und das Ende einer Phase der Stabilität ein. Hinzu kommt, dass mit der Einrichtung eines Zoologischen Extraordinariats unter Karlheinz Bier im Sommer 1962 am Zoologischen Institut ebenfalls wichtige Strukturverschiebungen stattfanden, welche das Setzen eines Schnittes rechtfertigen. Außerdem wird es mit einer zeitlich weiten Umfassung der Jahre 1933 und 1945 möglich, Kontinuitäten und Brüche der Verhaltensweisen sowohl der Lehrstuhlinhaber als auch der Mitarbeiter4 gegenüber den wechselnden politischen Entscheidungsträgern und Rahmenbedingungen der von den Folgen des Ersten Welt3 4

Aus Gründen der Zweckmäßigkeit wird für diese Untersuchung im Regelfall nicht zwischen Verwaltern und Inhabern einer Assistentenstelle unterschieden. Ich verwende im Folgenden stellvertretend die männliche Form, da weibliche Mitarbeiter mit insgesamt nur fünf Assistentinnen und einer stellvertretenden Direktorin so gering vertreten waren, dass sie ohnehin eine besondere Erwähnung erfahren.

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1.  Struktur der Arbeit

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kriegs gezeichneten Demokratie von Weimar, der Diktatur des Nationalsozialismus und der gefestigten Struktur der Bundesrepublik besser zu kontextualisieren und zu bewerten. Die Entscheidung für die Wahl der Zäsurpunkte ist darüber hinaus, und dies stellt den dritten Grund dar, nicht allein aus ihrer Bedeutung für die einzelnen Institute zu verstehen. Vielmehr steht sie in engem Zusammenhang mit der Entscheidung zur generellen Strukturierung dieser Arbeit nicht entlang der üblichen politischen Zäsurmarken, sondern analog der Amtszeiten der jeweiligen Ordinarien. Dieser Einteilung liegt eine der Hauptthesen dieser Untersuchung zu Grunde, welche sich stark verkürzt dahingehend formulieren lässt, dass die einzelnen Lehrstuhlinhaber durch ihre prägende Wirkung auf Inhalte, Personal und Strukturen der jeweiligen Institute eine weit stärkere Abgeschlossenheit von Zeiträumen schufen, als dies beispielsweise durch die politischen Regimewechsel 1933 und 1945 geschah. Bedingt durch die Ordinariatswechseln verschoben sich nämlich auch die Forschungs- und Lehrschwerpunkte der Institute, da jeder Neuzugang in den Führungspositionen versuchte, seinem neuen Herrschaftsbereich den eigenen Stempel aufzudrücken und dem eigenen Spezialgebiet eine besondere Förderung zuteilwerden zu lassen. Zwischen diesen drei Teilbereichen, das heißt Institutionen und Personen der Universität, dem Wechselverhältnis zwischen ihnen und den beteiligten politischen Funktionsträger sowie dem Wissenschaftswandel, wird sich daher auch der erkenntnistheoretische Ansatz dieser Arbeit bewegen. Grundlage hierfür bildet dabei das Ressourcenmodell von Mitchell G. Ash. Im Anschluss an eine Skizzierung des aktuellen Forschungsstandes und eine Diskussion der zur Verfügung stehenden Quellen wird auf das Modell noch einmal ausführlich in einer Darlegung des methodischen Ansatzes und der erkenntnisleitenden Fragestellungen eingegangen werden. Darauf folgend wird mit einer knappen Beschreibung der allgemeinen Entwicklung der biologischen Wissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert und der Verortung ihrer Rolle an den deutschen Universitäten der 1920er-Jahre die Basis für den Hauptteil der Arbeit gelegt werden. Dieser Hauptteil setzt sich aus drei Teilabschnitten zusammen. In den ersten beiden Abschnitten wird, fachlich nach Zoologie und Botanik getrennt, unter Konzentration auf die Ereignis- und Strukturgeschichte der beiden Institute anhand der bereits erwähnten ordinariatsorientierten Chronologie die Entwicklung und Ausdifferenzierung der beiden Fächer dargestellt werden. Dieser Ansatz ist auch deshalb nötig, weil bislang keine Gesamtdarstellung der Entwicklung der beiden Institute vorliegt. Dabei werden ebenfalls die Beziehungen zu Nachbarwissenschaften wie der Medizin, der Pharmakognosie und der Erb- und Rassenkunde mit einbezogen. Die fachliche Trennung findet sich dabei trotz des gemeinsamen biologischen Hintergrundes aus zwei Gründen in der Struktur dieser Arbeit wieder. Zum einen hätte eine Vermengung beider Fächer der organisatorischen Eigenständigkeit der beiden Institute widersprochen, welche in den 40 Jahren des Untersuchungszeit-

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I. Einleitung

raumes nur sporadische Kontakte zueinander pflegten und wissenschaftlich nur in Ausnahmefällen miteinander kooperierten. Zum anderen hätte sie die Ordnung der Arbeit vor kaum zu überwindende Probleme gestellt, da es in den beiden Instituten zu keinen zeitgleichen Berufungen kam und deshalb die einzelnen prägenden Abschnitte der Ordinarien nicht nur die Zäsuren 1933 und 1945, sondern auch sich gegenseitig überlagerten. Der besonderen Dynamik, die sich aus diesen zeitlichen Überschneidungen ergibt, kann die hier gewählte Art und Weise der Strukturierung somit besser gerecht werden. Den dritten Teil, und damit den Abschluß der Untersuchung, bildet schließlich eine vergleichende Analyse der für beide Institute gemeinsamen Elemente abseits von Struktur- und Ereignisgeschichte. Darin soll der Frage nachgegangen werden, welche generellen Schlüsse sich aus der Untersuchung der beiden Institute für das Verhalten von Universitäten und ihren Angehörigen zwischen Demokratie und Diktatur ziehen lassen. Denn: Während sich die beiden Institute zwar weitgehend autonom entwickelten, so kam es doch in beiden zu ähnlichen V ­ erhaltensmustern der Professoren- und Assistentenschaft unter anderem in ihrem Umgang mit po­ litischen Wandlungsprozessen, im Einsatz von Ressourcen, in der Auswahl von ­Forschungsfeldern und in der Einbindung in regionale Netzwerke. Die Dominanz der Lehrstuhlinhaber in einer weitestgehend nach den Prinzipien einer Ordinarienuniversität funktionierenden Gemeinschaft, die Aufstiegswege von Nachwuchswissenschaftlern unter Ausnutzung wechselseitiger Ressourcenmobilisierung, aber auch der Ablauf von Vertreibung auf der einen und Entnazifizierung auf der anderen Seite bieten sich dabei für eine gemeinsame Analyse an. Der Blick auf die einzelnen Fächer und Forscher erfolgt dabei aus der Perspektive einer zeitgeschichtlich orientierten Universitätsgeschichtsschreibung. Fachwissenschaftliche Entwicklungen wie der Wandel von Forschungsschwerpunkten, -techniken und -theorien spielen zwar eine wichtige Rolle, dies jedoch als Mittel des bereits genannten erkenntnistheoretischen Ansatzes der wechselseitigen Ressourcenmobilisierung und nicht als Kernaspekt einer naturwissenschaftshistorisch ausgelegten Analyse. Eine detaillierte, fachimmanente Untersuchung der an der Universität Münster durchgeführten biologischen Forschungen im Untersuchungszeitraum ist, auch in Anbetracht der äußerst vielfältigen Forschungsschwerpunkte der Mitarbeiter, im Rahmen dieser Arbeit weder zu leisten noch würde sie, im Hinblick auf die noch auszuführenden Fragestellungen, zweckdienlich sein. Vielmehr soll der gewählte Ansatz es ermöglichen, den Wissenschaftswandel an den Münsterschen Instituten zu erfassen und sie und die an ihnen lehrenden und forschenden Wissenschaftler im nationalen Kontext zu verorten. Personenbezogene beziehungsweise sich auf münsterspezifische wissenschaftliche Untersuchungen beziehende Detailstudien stellen demnach weiter ein Desiderat dar und müssen zukünftigen Arbeiten überlassen bleiben.

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2.  Forschungsstand und Quellenlage

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2.  Forschungsstand und Quellenlage In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat die Erforschung der Geschichte der deutschen Universitäten im 20. Jahrhundert einen steten Aufschwung zu verzeichnen.5 Bis zu Beginn der 1990er-Jahre war dieses Themenfeld noch überwiegend im Rahmen von Chroniken, normalerweise veröffentlicht zu Universitätsfeiern und -jubiläen, bearbeitet worden. Dabei stand oft eine lediglich deskriptive Präsentation anstatt einer analytischen Reflexion der eigenen Geschichte im Vordergrund. Mit Beginn einer methodisch modernen Herangehensweise an das Thema zeigten sich aber bald die Defizite dieser oft exklusorischen, wenn nicht gar apologetischen Darstellungen. Besonders evident wurde dies im Umgang der Hochschulen mit ihrer Rolle im „Dritten Reich“. Hier beschränkten sich die Untersuchungen oftmals auf eine bloße Personengeschichte der einzelnen Fächer und konnten weder den vielschichtigen Entwicklungen innerhalb der Universitäten in Republik und Diktatur noch den komplexen Verknüpfungslinien zwischen universitärer und außeruniversitärer Forschung sowie Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gerecht werden. Eine Reihe von neuen exemplarischen Studien konnte diese Verkrustungen in einigen Fällen aufbrechen und ermöglichte es, wertvolle neue Erkenntnisse und Einsichten über das Verhalten von Professoren, Studenten und Verwaltung zu gewinnen.6 5

6

Vgl. hierzu vom Bruch, Rüdiger, Methoden und Schwerpunkte der neueren Universitätsgeschichtsforschung, in: Buchholz, Werner (Hg.), Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert (Pallas Athene 10), Stuttgart 2004, S. 9–26. Vgl. in Auswahl: Baumgarten, Marita, Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 121), Göttingen 1997; Nagel, Anne Christine (Hg.),  Die ­Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus. Dokumente zu ihrer Geschichte (Pallas Athene 1), Stuttgart 2000; Eberle, Henrik, Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, Halle  2002; Baumgart, Peter (Hg.), Die Universität Würzburg in den Krisen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Biographischsystematische Studien zu ihrer Geschichte zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Neubeginn 1945 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg 58), Würzburg 2002; Hoßfeld, Uwe/John, Jürgen/Lemuth, Oliver/Stutz, Rüdiger (Hg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln, Weimar, Wien 2003; Buchholz, Werner (Hg.), Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 2004; Jahr, Christoph/vom Bruch, Rüdiger (Hg.), unter Mitarbeit von Schaarschmidt, Rebecca, Die Berliner Universität in der NS-Zeit, 2 Bde., Wiesbaden 2005; von Hehl, Ulrich (Hg.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952 (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte A, 3), Leipzig 2005; Hollenberg, Günter/Schwersmann, Aloys (Hg.), Die Philipps-Universität Marburg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (Hessische Forschungen zu geschichtlichen Landes- und Volkskunde 45), Kassel 2006; Szöllösi-Janze, Margit (Hg.), Zwischen „Endsieg“ und Examen. Studieren an der Universität Köln 1943–1948. Brüche und Kontinui-

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I. Einleitung

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Hierzu bedienten sich die Arbeiten neuer Methoden, mit denen detaillierter als zuvor die Prozesse und Strukturen in der deutschen Universitätslandschaft analysiert werden konnten. Dabei wurde vor allem die enge Verflechtung von Wissenschaft, Politik und Wissenschaftswandel deutlich. Auf Basis dieser neuen Ansätze werden die Universitäten und ihre einzelnen Lehrstühle inzwischen nicht mehr als autonome Einrichtungen begriffen, sondern als Teile eines Netzwerks von Personen, Institutionen und Machtgefügen. Diese stehen in einem ständigen Aushandlungs- und Wandlungsprozess zueinander, welcher teils autonom, teils eng verknüpft mit dem sie umgebenden politischen System erfolgt. Über diese grundlegende Aussage hinaus haben die Untersuchungen der letzten Jahre noch eine Reihe von Thesen über spezifische Teilbereiche des Universitätskomplexes aufgestellt. Diese werden im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu überprüfen sein und die Untersuchung somit, neben den konkreten, auf die Universität Münster und ihre biologischen Institute bezogenen Fragestellungen, im Hintergrund begleiten. Profitieren konnte die Universitätsgeschichtsschreibung bei ihrer Neuausrichtung auch von einer Reihe umfangreicher neuer wissenschaftshistorischer Untersuchungen. Exemplarisch zu nennen ist hierbei die Publikationsreihe der Präsidentenkommission der Max-Planck-Gesellschaft zur Geschichte der KaiserWilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, welche ihre Arbeit 2005 abschließen konnte. Mitchell G. Ash kommt bezüglich der Bände zu folgendem Fazit: „Die eingangs kurz beschriebene Umwälzung grundlegender Kategorien, die sich als Konsens der Wissenschaftsgeschichte zum Nationalsozialismus seit den 1980er Jahren herauszubilden und seit den 1990er Jahren zu verfestigen begonnen hat – etwa das interaktive Verständnis von Wissenschaft und Politik als beiderseitige Ressourcenmobilisierung beziehungsweise als Geschäft zum gegenseitigen Nutzen, die aktive Selbstmobilisierung der Wissenschaftler und ihr Zugehen auf Instanzen des Nationalsozialismus bis hin zur Formulierung politischer Ziele durch Wissenschaftler oder Wissenschaftsmanager wie Meyer, die Infragestellung des vermeintlichen Dualismus zwischen angeblich reiner Grundlagen- und angewandter Forschung im Krieg –, hat in diesen Studien eine eindrucksvolle Bestätigung und Vertiefung, aber auch neue Akzentuierungen erfahren.“7

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täten, Nümbrecht 2007; Cornelißen, Christoph/Mish, Carsten (Hg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus (Mitteilungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte 86), Essen 2009; Dinckal, Noyan/Dipper, Christoph/Mares, Detlev (Hg.), Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im „Dritten Reich“, Darmstadt 2009; Wiesing, Urban/Brintzinger, Klaus-Rainer/Grün, Bernd/Junginger, Horst/Michl, Susanne (Hg.), Die Universität Tübingen im Nationalsozialismus (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 73), Tübingen 2010. Ash, Mitchell G., Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, in: N. T. M. 18 (2010), S. 79–118, hier: S. 113f.

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2.  Forschungsstand und Quellenlage

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All diese Punkte werden auch für die Untersuchung der biologischen Institute der Universität Münster eine wichtige Rolle spielen. Daneben gilt es, eine Reihe von Thesen zum Verhältnis von Politik und Universitäten zu überprüfen. Hierzu zählt beispielsweise Grüttners8 Urteil über die Wissenschaftspolitik des Nationalsozialismus, demzufolge es zwar einerseits kein tragfähiges Konzept für den Einsatz der Wissenschaften im NS-Staat, andererseits aber trotz der Polykratie durch die Machtübernahme 1933 tiefgreifende Veränderungen in der Wissenschaftslandschaft und ihren Institutionen gegeben habe. Die vielfältigen Träger einer Wissenschaftspolitik, zu denen er unter anderem das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM), den NS-Dozentenbund (NSDDB), den NS-Lehrerbund (NSLB) und die SS, aber nicht Hitler selbst, zählt, hätten durch Machtgerangel und gegenseitige Blockade die Schaffung einer einheitlichen Leitinstanz verhindert. Die Inhalte der Politik hätten sich zwar grundsätzlich an die Kernziele des Nationalsozialismus, das heißt die Abschaffung demokratischer Strukturen, die Ausschaltung der Juden etcetera, angelehnt. Aber auch hier sei das Vorgehen keinesfalls einheitlich gewesen und habe letztlich durch Rassenprinzip und Nützlichkeitspostulate zu Problemen für die Qualität von Forschung und Lehre geführt. Weiter konstatiert Grüttner, dass die genannte Pattsituation bei den Konzepten zu einer Austragung der Differenzen auf dem Feld der Personalpolitik geführt habe. Massive Anpassungszwänge und ein forcierter Generationenwechsel hätten die Forscher unter Druck gesetzt. Ab 1936 seien aber nach den politischen wieder qualitative Auswahlkriterien in den Vordergrund gerückt, nicht zuletzt aufgrund der Sorge der Machthaber um die Qualität der Forschung. Susanne Heim9 betont ihrerseits die intensive Verknüpfung von Theorie und Praxis während der NS-Zeit und beschreibt eine Kontinuität des wissenschaftlichen Alltags bei einer allmählichen Verschiebung von Forschungsschwerpunkten und Fragestellungen. Ihr zufolge müsse vor allem die institutionelle und persönliche Verflechtung von Wissenschaft und Politik in den Vordergrund der Analyse gestellt werden. Wichtig sei auch hier der Blick auf die Eigeninitiativen der Forscher. Es habe keine monolithische, von oben verordnete NS-Wissenschaft gegeben, sondern eine gewisse Freiheit und Autonomie in der Ausgestaltung von Methoden und Forschung. Auch deshalb sei Nachkriegsaussagen über innere Emigration und ein Überwintern im unpolitischen Abseits mit Vorsicht zu begegnen.

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9

Vgl. für das Folgende Grüttner, Michael, Wissenschaftspolitik im Nationalsozialismus, in: Kaufmann, Doris (Hg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung (Geschichte der KaiserWilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 1), Göttingen 2000, S. 557–585. Heim, Susanne, Vordenker der Vernichtung, in: Kaufmann 2000, S. 77–91.

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I. Einleitung

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Was die Gruppe der Hochschullehrer generell betrifft, kam Hellmut Seier10 schon 1988 zu dem Ergebnis, dass sie als Wertelite den Nationalsozialismus systemloyal überdauerte, „indem sie mit äußerlicher Verfügbarkeit, Stufen der Anpassung, punktueller und zeitweiliger Systemsympathie zugleich auch Vorbehalte, partielle Nichtanpassung, zuweilen getarnte oder verschwiegene Gegnerschaft verband und nichtsdestoweniger an der Ausbildung von elitärem Nachwuchs und an der Bereitstellung von führungswichtigem Wissen beteiligt blieb.“11

Besonders aktiv hätten sich vor allem die jüngeren Nachwuchswissenschaftler von niedrigem akademischem Rang für den Nationalsozialismus eingesetzt. Somit sei die Frage nach der Rolle der Politik beim Personalwechsel nach 1933 auch immer mit der Frage nach einem innerwissenschaftlichen Generationenkampf verbunden.12 Ähnlich bewerten dies auch Rüdiger Stutz und Uwe Hoßfeld: „Die Selbstindienstnahme von Hochschullehrern für außerwissenschaftliche Zwecksetzungen erfolgte nicht voraussetzungslos, sondern korrespondierte mit ihren professionellen Standes-, disziplinären Forschungs- und persönlichen Karriereinteressen. Sie beruhte zugleich auf ihren generationellen und biographischen Erfahrungsmustern.“13

Durch die Eingriffe der Nationalsozialisten habe sich aber am sozialen Habitus des Standes auch nach 1933 nicht viel geändert. Die Elitenrolle der Hochschullehrerschaft sei zwar reduziert, aber nicht abgeschafft worden. Insgesamt gesehen hätten die Säuberungsmaßnahmen des Regimes zwar die Rolle der deutschen Wissenschaft in der Welt reduziert. Von einer geistigen Enthauptung Deutschlands,14 deren Bild den Diskurs über die NS-Wissenschaftspolitik bis in die 1980er-Jahre prägte, könne jedoch keine Rede sein. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch neuere Untersuchungen zum wissenschaftlichen Verlust der deutschen Universitäten nach der Machtübernahme.15 10 11 12

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Seier, Hellmut, Die Hochschullehrer im Dritten Reich, in: Schwabe, Klaus (Hg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite 1815–1945 (Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit 17), Boppard a. Rh. 1988, S. 247–296. Ebd., S. 250. Grüttner, Michael, Machtergreifung als Generationskonflikt. Die Krise der Hochschulen und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: vom Bruch, Rüdiger/Kaderas, Brigitte (Hg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2002, S. 339– 353. Stutz, Rüdiger/Hoßfeld, Uwe, Jenaer Profilwandel: von der philosophischen zur rassisch und naturwissenschaftlich „ausgerichteten“ Universität in der NS-Zeit, in: Buchholz 2004, S. 217–270, hier: S. 220. Vgl. hierzu Pross, Helge, Die geistige Enthauptung Deutschlands: Verluste durch Emigration, in: Universitätstage 1966. Nationalsozialismus und die Deutsche Universität, Berlin 1966, S. 143–155. Vgl. zum Beispiel Grüttner, Michael/Kinas, Sven, Die Vertreibung von Wissenschaftlern aus den deutschen Universitäten 1933–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (55)

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2.  Forschungsstand und Quellenlage

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Wird der Blick schließlich auf die Gegebenheiten an den einzelnen Universitäten gerichtet, so betont beispielsweise Michael Hascher, dass bei der Betrachtung von Disziplingeschichten vor Ort insbesondere die lokalen Vernetzungen berücksichtigt werden müssten. Es seien die Verbindungen der Institute zur regionalen Wirtschaft, zu Nachbarhochschulen und zu außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der unmittelbaren und näheren Umgebung zu untersuchen.16 Inwiefern die hier nur knapp angerissenen allgemeinen Thesen auf die Münstersche Biologie zutreffen, wird im Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein. Neben dem Forschungsstand zur allgemeinen Universitätsgeschichte spielen für die vorliegende Untersuchung noch die bisherigen Arbeiten zur Biologie eine wichtige Rolle. Während zu Beginn der Revitalisierungsphase der aktuellen Universitätsgeschichtsschreibung die Betrachtung der biologischen Fächer im Rahmen von Sammelbänden noch im Hintergrund stand, hat sich dieses Bild in den vergangenen Jahren stark gewandelt. So ist inzwischen eine Reihe von Arbeiten zu den biologischen Instituten verschiedener deutscher Universitäten erschienen, an denen sich die vorliegende Untersuchung orientiert. Münster kann dabei exemplarisch für eine westdeutsche, mit starkem Kontakt zu den westlichen Nachbarländern stehende Hochschule stehen. Daneben können Universitäten aus Nord-, Mittel- und Süddeutschland als Vergleichsobjekte zur Situation in Münster herangezogen werden. Die in den einzelnen Untersuchungen erarbeiteten Ergebnisse lassen dabei zwar generelle Tendenzen, jedoch kein einheitliches Bild erkennen. So haben die Untersuchungen für eine der wichtigsten norddeutschen Universitäten, die als „Grenzlanduniversität“ von den Nationalsozialisten besonders geförderte Christian-Albrechts-Universität in Kiel, ein differenziertes, noch weiter zu erforschendes Bild der dort tätigen Wissenschaftler ergeben. Forscher wie der Anthropologe Hans Weinert, der Zoologe Friedrich Eggers und in geringerem Maße auch Adolf Remane, Direktor des Zoologischen Instituts, dienten sich durch wissenschaftliche Legitimierung in Forschung, Lehre und Publikationen, aber auch durch Mitgliedschaften in NS-Organisationen dem Regime an. Ebenso wird eine starke Vernetzung mit außeruniversitären Institutionen und nicht zuletzt der Wehrmacht deutlich, welche Forschungsvorhaben förderte und Gelder bereitstellte. Nach dem Krieg konnten die belasteten Wissenschaftler ihre Karrieren problemlos fortsetzen. Trotz dieser offenkundigen Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik stufen die Autoren der Arbeit die Verankerung nationalsozialistischer Ideologie in den Kieler Biowissenschaften vergleichsweise gering ein.17 Anders stellt sich das Bild für eine exemplarische mitteldeutsche Hochschule, die Universität Jena, dar.

16 17

2007, S. 123–186, oder Ash 2010. Hascher, Michael, Disziplingeschichte vor Ort. Eine Anmerkung und ein Plädoyer, in: vom Bruch/Kaderas 2002, S. 471–473. Hoßfeld, Uwe/Zachos, Frank E., Namhafte Vertreter der Kieler Biowissenschaften im Nationalsozialismus, in: Cornelißen/Mish 2009, S. 323–340.

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Hier hatte bereits seit 1930 die nationalsozialistische Politik und Ideologie besonders stark auf die biologischen Wissenschaften einwirken können.18 Gleichzeitig entwickelte sich die Universität in Folge der Wissenschaftspolitik des Reichsstatthalters Sauckel und seines Staatsrates Astel, jedoch jederzeit in enger Kooperation mit den beteiligten Forschern, im Verlauf des „Dritten Reiches“ auch ihrem Selbstbild nach zur „erste[n] rassen- und lebensgesetzlich ausgerichteten Hochschule Großdeutschlands“.19 Selbsterklärtes Ziel war es dabei, „die Universität Jena mehr und mehr zu einer wirklich nationalsozialistischen Hochschule“ zu machen, „eine neue, im Nationalsozialismus lebende Dozentenschaft“ aufzubauen und die Universität „zu einem nationalsozialistischen wissenschaftlichen Stützpunkt erster Ordnung“ umzugestalten.“20 Aufgrund dessen wurden alle Fakultäten, jedoch unter besonderer Betonung der Biowissenschaften, rassenkundlich involviert. Die Universität nahm dadurch im gesamtdeutschen Entwicklungsprozess der Etablierung und Popularisierung des Rassegedankens in der Wissenschaft, sowohl was Protagonisten als auch Institute und Forschungsschwerpunkte anbetraf, eine Sonderstellung und Vorreiterrolle ein. Hierbei sticht insbesondere die enge Verknüpfung von Wissenschaft und SS hervor, die sich auch in den vielfachen Doppelmitgliedschaften der beteiligten Forscher in der Partei und ihren Gliederungen widerspiegelte. Hinzu kam eine dezidiert nationalsozialistische Personalpolitik, die mit der schon 1930 durchgesetzten Berufung des so genannten „Rasse-Günther“, H. F. K. Günther, ihren Ausgangs- und Höhepunkt erlebte.21 Biologen wie Gerhard Heberer, Werner Zündorf und Heinz Brücher sowie die in wissenschaftlichen Grenzbereichen operierenden Ludwig Astel und Lothar Stengel-von Rutkowski stellten dabei die Hauptprotagonisten einer NS-nahen, Staat und Herrschaftssystem legitimierenden Wissenschaft dar. Die über 15 Jahre existierende wissenschaftspolitische Zusammenarbeit und Verflechtung von Universität und Gaupolitstellen ragte dabei exemplarisch aus der gesamtdeutschen Entwicklung heraus und ist eine Schablone, gegen die die Entwicklung in Münster abgeglichen werden muss. In ihrer Ausprägung zwischen Kiel und Jena ist schließlich die Entwicklung der biologischen Wissenschaften an der Universität Tübingen zu verorten, die hier stellvertretend für eine süddeutsche Hochschule stehen soll. Hier traten Verhaltensweisen zu Tage, die auch in Münster eine Rolle spielen sollten. So lässt sich einerseits stark politisierte Forschung belegen, die opportunistisch an den neuen Zeitgeist nach 1933 anknüpfte und von ihm zu profitieren suchte. Deutlichstes Beispiel dafür war der Botaniker Ernst Lehmann, der sich zum führenden Protagonisten einer „deutschen Biologie“ aufschwang, den von ihm gegründeten Deut18 19 20 21

Vgl. für das Folgende: Hoßfeld, Uwe, Von der Rassenkunde, Rassenhygiene und biologischen Erbstatistik zur Synthetischen Theorie der Evolution: Eine Skizze der Biowissenschaften, in: Hoßfeld/John/Lemuth/Stutz 2003, S. 519–574. Zitiert ebd., S. 550. Zitiert ebd., S. 555. Ebd., S. 551–552.

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schen Biologen-Verband zum Sprachrohr einer NS-Biologie ausbaute und versuchte, das NS-Regime wissenschaftlich zu legitimieren. Dem gegenüber stand sein zoologischer Kollege Jürgen Wilhelm Harms, der die Universität aufgrund seiner neo-lamarckistischen Ansichten 1938 verlassen musste. Der Botaniker Walter Zimmermann schließlich betrieb auf der einen Seite eine international angelegte, an modernen Entwicklungen der Vererbungslehre ausgerichtete Wissenschaft und legte 1938 einen umfassenden theoretischen Beitrag zur Etablierung der Synthetischen Theorie der Evolution vor. Auf der anderen Seite übernahm er, ohne je Mitglied einer NS-Organisation zu sein, das Vokabular der Nationalsozialisten, unterstützte ihre eugenischen Zwangsmaßnahmen und befürwortete die NS-Rassegesetze.22 Anders als in Jena gelang es der SS in Tübingen nicht, einen dominierenden Einfluss auf Berufungsverfahren zu erlangen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass von der SS geförderte Forscher, wie zum Beispiel Gerhard Heberer und Heinz Brücher, nach Jena wechselten, wo ihre Karrieren im Kontext dezidiert nationalsozialistisch begründeter Forschung zur vollen Entfaltung kamen.23 Dennoch entwickelte sich auch Tübingen, vor allem unter der organisatorischen Leitung des Anthropologen Wilhelm Gieseler, zu einem national anerkannten Zentrum rassenbiologischer Forschungen im Reich.24 Die Frage, wie sich die Universität Münster gegenüber den drei genannten Universitäten positionieren lässt, soll am Ende dieser Untersuchung noch einmal aufgegriffen werden. Neben den konkreten Einzelinstituten spielt aber auch der generelle Forschungsstand zur Biologie im Nationalsozialismus eine wichtige Rolle. Ute Deichmann hat in ihrer wegweisenden, stärker statistisch als geschichtswissenschaftlich ausgerichteten Studie zur Lage der Biologenschaft im „Dritten Reich“ eine Reihe von grundlegenden Erkenntnissen erarbeitet.25 Diese stützen sich vorrangig auf die Auswertung von Quellen zur Forschungsförderung und weisen einen starken Fokus auf die wissenschaftlichen Inhalte der zwischen 1933 und 1945 betriebenen Forschung auf. Deichmanns Ergebnisse können als wichtige Basiswerte für die reichsdeutsche Biologie genutzt werden, mit denen die Ergebnisse aus Münster verglichen werden sollen. Dadurch kann festgestellt werden, wie die biologischen Institute der Universität Münster, sowohl Inhalte als auch Struktur, Organisation und Förderung betreffend, in den nationalen Kontext einzuordnen sind. Eine für die vorliegende Untersuchung wichtige Erkenntnis Deichmanns ist beispielsweise, dass keiner der bis 1945 in Münster tätigen Forscher eine Spitzenstellung unter den deutschen Wissenschaftlern einnahm und besonders gefördert wurde. 22

23 24 25

Vgl. Potthast, Thomas/Hoßfeld, Uwe, Vererbungs- und Entwicklungslehren in Zoologie, Botanik und Rassenkunde/Rassenbiologie: Zentrale Forschungsfelder der Biologie an der Universität Tübingen im Nationalsozialismus, in: Wiesing/Brintzinger/Grün/Junginger/ Michl 2010, S. 435–482, hier: S. 441–460. Ebd., S. 476. Ebd., S. 470. Deichmann, Ute, Biologen unter Hitler. Porträt einer Wissenschaft im NS-Staat, überarb. u. erw. Aufl. Frankfurt a. M. 1995.

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Unter den 30 Biologen, die die meisten Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhielten, war mit Walter Mevius lediglich ein Münsterscher Professor vertreten.26 Darüber hinaus konnte Deichmann weitere grundlegende Daten erarbeiten. So waren 53,2 Prozent der Biologen (50,2 Prozent Zoologie, 57,0 Prozent Botanik) Mitglied der NSDAP, 20,9 Prozent der SA, und 5,2 Prozent der SS.27 Gleichzeitig belegt sie, dass eine Parteimitgliedschaft keinen nachweisbaren Vorteil für den Erhalt von Förderungsmitteln bedeutete.28 In Bezug auf die Berufungspolitik wird hingegen deutlich, dass eine NSDAP-Mitgliedschaft zwar keine Voraussetzung war, die Chancen auf eine Professur jedoch erhöhten. Auch nach 1933 blieben dabei aber in den meisten Fällen die Fakultäten, nicht die politisch Verantwortlichen, die entscheidende Instanz.29 Was die Förderung der biologischen Forschung insgesamt betraf, so ist zwischen 1932 und 1944 ein starker Anstieg der Mittel feststellbar.30 Am stärksten wurden dabei in der Botanik die Teilbereiche angewandte Botanik, Entwicklungsphysiologie und Genetik gefördert. Auch die Heilpflanzenforschung spielte eine wichtige Rolle, da sie in die ideologischen und praktischen Maßnahmen der NS-Medizin (zum Beispiel Neue Deutsche Heilkunde) integriert wurde. Bei der Zoologie lag der Schwerpunkt auf angewandter Zoologie, Genetik sowie Mutations- und Strahlungsforschung.31 Insgesamt kommt Deichmann zu dem Schluss, dass in Deutschland eine weitgehende Kontinuität biologischer Forschung über den Systembruch 1933 hinaus vorherrschte32 und bis 1945 der größte Teil in Grundlagenforschung bestand.33 Änne Bäumer stellt als Auftrag der Biologen im NS-Staat vor allem die Lehrerbildung an den Hochschulen in den Mittelpunkt.34 Deren Ziel sei die Schaffung eines „Volkserziehers“ und die Auswertung biologischer Kenntnisse für die nationalsozialistische Weltanschauung gewesen.35 Kennzeichnend für die Biologenzunft sei ein Verlust der materialistisch-kausalanalytischen Betrachtungsweise bei einem gleichzeitigen Aufstieg eines organisch-romantischen Denkens im Sinne des deutschen Monismus gewesen. Ganzheitliches Denken und „Organizismus“ seien in den Vordergrund gerückt und damit der Staats- und Kulturauffassung des Nationalsozialismus entgegengekommen. Dieser habe als allgemeingültig aufgefasste „Lebensgesetze“ als Grundlage jeder Gemeinschaft betrachtet, weswegen der Bio26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Ebd., S. 75, bzw. S. 81. Ebd., S. 225–227. Ebd., S. 62. Ebd., S. 232ff. So stiegen die DFG-Gelder für die Universitäten von 55.000 RM (1932) auf 265.000 RM (1944) an. Viel stärker profitierten jedoch die Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI), wo die Mittel von 5.000 RM (1932) auf 250.000 RM (1944) anwuchsen, vgl. ebd., S. 63. Ebd., S. 73–86. Ebd., S. 312. Ebd., S. 154. Bäumer, Änne (Hg.), NS-Biologie, Stuttgart 1990. Ebd., S. 190f.

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logie eine doppelte Aufgabe zugekommen sei: Aufklärung dieser Lebensgesetze und ihre Kommunikation an das Volk, um als Endziel den Aufbau einer neuen, biologisch begründeten nationalsozialistischen Gesellschaft zu verwirklichen.36 Mittel dazu sei der von Ernst Lehmann begründete Deutsche Biologen-Verband (DBV) gewesen, der nach seiner Gleichschaltung und späteren Umwandlung in den an das Ahnenerbe angegliederten Reichsbund für Biologie immer mehr unter NS-Einfluss gekommen sei und eng mit dem Regime kooperiert habe.37 Kristie Macrakis hingegen betonte bereits 1993, dass sich die Historiker zu lange auf Abstieg und Zerstörung der Wissenschaft im „Dritten Reich“ konzentriert hätten, da sie sich nicht hätten vorstellen können, dass es „normale“ Forschung ohne nationalsozialistischen Einfluss gegeben haben könnte. Ihr zufolge habe diese Forschung nicht nur überlebt, sondern sogar geblüht. Als Beispiele führt sie die KaiserWilhelm-Institute für Biochemie, Biologie, Zellforschung und Gehirnforschung an, an denen Spitzenwissenschaft auf internationalem Niveau, eng verknüpft mit den wissenschaftlichen Entwicklungen im Ausland, betrieben worden sei.38 Macrakis’ Ergebnisse konnten inzwischen durch die neueren Untersuchungen zur KaiserWilhelm-Gesellschaft (KWG) weitgehend bestätigt und ausgebaut werden.39 Stutz und Hoßfeld kommen, was die Autonomie der Forscher betrifft, zu einem ähnlichen Ergebnis: „In den geradezu ‚überressourceten‘ Fachgebieten der organischen wie anorganischen Naturwissenschaften konnten die im Reich verbliebenen, mehr oder weniger staatsloyalen Hochschullehrer aus eigenem Antrieb und mit Verve agieren, ohne sich auf die verpönte Parteiideologie einlassen zu müssen.“40

Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Biologen den Kontakt mit dem Regime vermieden. In Jena suchte beispielsweise der Zoologe Gerhard Heberer, ein Freund des späteren Münsterschen Ordinarius für Zoologie Bernhard Rensch, intensiven Kontakt zur SS. Unter Zusammenführung von Genetik, Anthropologie und prähistorischen Untersuchungen zur Rassenentwicklung in Mitteleuropa „bewies“ er die Überlegenheit einer „nordischen Rasse“.41 Sein Kollege Lothar Stengel-von Rutkowski, ausgestattet mit einem Lehrauftrag für Rassenhygiene, Kulturbiologie und rassenhygienische Philosophie, war ebenfalls in SS-Kreise eingebunden. Generell hätten gerade die Vertreter von noch nicht an den Hochschulen etablierten Fächern

36 37 38 39 40 41

Ebd., S. 113ff. Ebd., S. 139ff. Macrakis, Kristie, The survival of basic biological research in National Socialist Germany, in: Journal of the History of Biology 26 (1993), S. 519–543, hier: S. 519ff. Vgl. Gausemeier, Bernd, Natürliche Ordnung und politische Allianzen. Biologische und biochemische Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933–1945 (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 12), Göttingen 2005. Stutz/Hoßfeld 2004, S. 222. Ebd., S. 244.

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auf eine Einbindung in Großnetzwerke gedrungen.42 Im Falle Münsters wird dies besonders für die Pharmakognosie zu untersuchen sein. Insgesamt gesehen biete die Biologenschaft im Nationalsozialismus jedoch ein uneinheitliches Bild. So habe es eine große Bandbreite von Verstrickung bis Teilnahmslosigkeit gegeben. Auf der einen Seite hätten Biologen gestanden, die sich stark an der Synthese von biologischen und NS-Forschungen beteiligt hätten. Auf der anderen Seite habe es solche Fachvertreter gegeben, die die „Lingua Tertii Imperii“ nicht übernommen und die NS-Ideologie ignoriert hätten.43 Dabei könne beides aber auch bei demselben Autor auftauchen. Abhängig von Publikationsart, Verlag und Zeit hätten sich die Biologen einmal in die eine, einmal in die andere Richtung orientiert.44 Ebenso fehle eine einfache Korrelation von NS-Mitgliedschaft und inhaltlicher Anpassung. So hätten auch SS-Mitglieder ideologiefrei publiziert, während Nicht-Parteigenossen sich dem Regime angeglichen hätten.45 Auch der Einfluss der Politik auf die inhaltliche Ausrichtung der biologischen Forschung wird zwiespältig bewertet. So sei es den Nationalsozialisten zwar gelungen, den Rassegedanken zu einem zentralen Element der NS-Philosophie und Lehre an den Universitäten zu machen, wo er auch von einigen Biologen übernommen worden sei.46 Ebenso habe sich um den Führer des DBV, Ernst Lehmann, eine Strömung unter der Bezeichnung „Deutsche Biologie“ gebildet. Diese sei jedoch unkonkret und in einer Außenseiterposition verblieben und habe nur eine von vielen Varianten, zu denen auch anti-darwinistische und holistische Ausprägungen gehörten, dargestellt.47 Insgesamt seien die Versuche des Regimes, wissenschaftspolitischen und ideologischen Einfluss auf die Forschung, insbesondere die Evolutionsforschung, zu nehmen, gescheitert oder marginal geblieben. Hierfür hätte neben dem NS-typischen Kompetenzwirrwarr und dem Fehlen einer geschlossenen Wissenschaftskonzeption auch die alte Antipathie gegenüber Großbritannien gesorgt, weswegen sich die NS-Wissenschafts­propa­gandisten oft schwer taten, Darwins Werk zu vereinnahmen. Daher müssten die einzelnen Teilbereiche der Biologie und die Einzelforscher genau untersucht werden, um ihre jeweiligen Eigenheiten und ihre Anlehnung an die NS-Ideologie zu bewerten.48 Wie diese knappe Skizze zeigt, liegt inzwischen eine Reihe von grundlegenden Thesen sowohl für die deutsche Universitätsgeschichte als auch für die Geschichte 42 43 44 45 46 47 48

Ebd., S. 267. Hoßfeld, Uwe, Staatsbiologie, Rassenkunde und Moderne Synthese in Deutschland während der NS-Zeit, in: Brömer, Rainer/Hoßfeld, Uwe/Rupke, Nicolaas A. (Hg.), Evolutionsbiologie von Darwin bis heute, Berlin 2000, S. 249–305, hier: S. 257ff. Hoßfeld, Uwe/Junker, Thomas, Synthetische Theorie und „Deutsche Biologie“. Einführender Essay, in: Brömer/Hoßfeld/Rupke 2000, S. 231–248, hier: S. 236. Junker, Thomas, Synthetische Theorie, Eugenik und NS-Biologie, in: Brömer/Hoßfeld/ Rupke 2000, S. 307–360, hier: S. 346ff. Hoßfeld 2000, S. 249. Hoßfeld/Junker 2000, S. 233f. Hoßfeld 2000, S. 290ff.

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der Biologie in Deutschland vor. Aufgabe dieser Arbeit wird es daher auch sein, die genannten Elemente der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte zu einer für die Westfälische Wilhelms-Universität Münster fruchtbaren Synthese zu verbinden und auf die spezifische Situation der dortigen biologischen Institute anzuwenden. Hierzu ist es nötig, knapp darzustellen, welche lokalen Vorarbeiten bereits geleistet wurden. Im Juli 2007 wurde vom Rektorat der Westfälischen Wilhelms-Universität eine Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Universität im 20. Jahrhundert gebildet. Anlass dafür war eine Debatte um die bereits Jahrzehnte zurückliegende Benennung einer Straße nach dem langjährigen Ordinarius für Hygiene, Karl Wilhelm Jötten. Diese weitete sich rasch zu einer generellen Auseinandersetzung um die Rolle der Universität Münster im „Dritten Reich“ und ihrem Umgang mit der eigenen Vergangenheit aus.49 Schon vor 2007 hatte es einzelne Untersuchungen zu Teilbereichen der nationalsozialistischen Geschichte der Universität Münster gegeben. Diese waren jedoch unverbunden voneinander abgelaufen und nicht veröffentlicht worden.50 Außerdem schwankten sie bezogen auf methodischen Ansatz, Erkenntnisinteresse und Qualität stark. Nur wenige Themen waren bereits ausführlich und in einen größeren historischen Kontext eingebettet bearbeitet und publiziert worden, so zum Beispiel Untersuchungen über die Studentenschaft,51 die Germanistik,52 die Rassenhygiene,53 die Geschichtswissenschaft54 oder den Wiederaufbau der Universität nach 1945.55 49 50

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Die Debatte war durch einen Bericht der lokalen „Münstersche Zeitung“ ausgelöst worden, später griffen neben weiteren Printmedien unter anderem auch Spiegel Online und Zeit Online den Fall auf. Zu erwähnen sind hier eine Reihe unveröffentlichter Magister- und Staatsexamensarbeiten, unter anderem: Kess, Petra, Die Professorenschaft der Universität Münster zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“, Münster 1993; Untiedt, Frank, Die Fächer Anglistik und Romanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in der NS-Zeit, Münster 2003; Lohaus, Peter, Das Musikwissenschaftliche Seminar der Westfälischen WilhelmsUniversität in der NS-Zeit, Münster 2004; Wenker, Andrea, Die Entnazifizierung an der Universität Münster, Münster 2004; Greive, Barbara, Rituale in Universitätsfeiern. Das Beispiel Münster im 20. Jahrhundert, Münster 2006. Pöppinghege, Rainer, Absage an die Republik. Das politische Verhalten der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1918–1935 (Agenda Geschichte 4), Münster 1994. Pilger, Andreas, Germanistik an der Universität Münster. Von den Anfängen um 1800 bis in die Zeit der frühen Bundesrepublik (Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 3), Heidelberg 2004. Dicke, Jan Nikolas, Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939 (Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte 3), Berlin 2004. Fausser, Katja, Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Geschichte der Historischen Institute der Universität Münster 1933–1945 (Zeitgeschichte – Zeitverständnis 8), Münster 2000. Respondek, Peter, Besatzung – Entnazifizierung – Wiederaufbau. Die Universität Münster 1945–1952. Ein Beitrag zur Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen nach dem

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Detaillierte Arbeiten zur Sozialstruktur von Professoren- und Studentenschaft, zu weiteren wichtigen Instituten oder zur Universitätsverwaltung lagen nicht vor. Auch eine dem aktuellen Stand der Universitätsgeschichtsschreibung genügende Gesamtdarstellung fehlte.56 Damit wurde deutlich, dass die Universität Münster in diesem Bereich hinter den Forschungsleistungen anderer deutscher Universitäten weit zurückgefallen war. Aus dieser Tatsache ergibt sich eine generelle Notwendigkeit für die Beschäftigung mit dem vorliegenden Thema. Dieses Manko sollte die neugegründete Kommission daher ausgleichen. Fakultätsübergreifend arbeitend hat sie seitdem eine Reihe von Forschungsvorhaben initiiert und zum Teil abgeschlossen.57 Sie werden 2012 in einem Sammelband zur Geschichte der Universität Münster im 20. Jahrhundert münden. Erste Ergebnisse zeigen ein Bild, welches dem lange tradierten Mythos der Universität als „Bollwerk“ gegen den Nationalsozialismus widerspricht.58 Gleichzeitig wird eine enge 56

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Zweiten Weltkrieg auf dem Bildungssektor (Agenda Geschichte 6), Münster 1995. 1980 erschien ein Jubiläumsband zum 200-jährigen Bestehen der Universität Münster: Dollinger, Heinz (Hg.), Die Universität Münster 1780–1980, Münster 1980. Er muss nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich als überholt gelten. Der Nationalsozialismus wurde in den einzelnen Beiträgen, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. Als Begründung führte man angeblich nicht geöffnete Archive in der damaligen DDR an, wobei inzwischen klar ist, dass der Großteil der relevanten Akten auch damals bereits im Universitätsarchiv vorhanden war. Bereits abgeschlossen sind folgende Arbeiten (unveröffentlicht): Aulke, Julian, Das Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus, Münster 2008; Demiriz, Sara-Marie, Professor Dr. Johann Plenge und sein Verhältnis zur Universität Münster, Wissenschaft und Politik 1913–1935, Münster 2009; Drüding, Markus, Die institutionelle Philosophie im Zeitalter der Extreme. Das Philosophische Seminar der Universität Münster zwischen 1920–1945, Münster 2009; Förster, Nadine, Professor Dr.  Hans-Jürgen Seraphim (1899–1962). Ein Nationalökonom, Agrarwissenschaftler und Ostforscher zwischen Diktatur und Demokratie, Münster 2011. In der Bearbeitung befinden sich Dissertationen zum geographischen Institut, zu den Rechtswissenschaften und zu Rektorat und Kurator. Der Ursprung der Bollwerkthese lässt sich bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurückverfolgen und taucht erstmals in Rechtfertigungsschreiben der ehemaligen Rektoren Mevius und Siegmund auf, vgl. hierzu zum Beispiel: UAMs, Bestand 5, Nr. 697, Rektor an Mevius, 2.7.1945, oder Staatsarchiv Hamburg (StAHH), PA Mevius, IV 1368, Anlage zu Fragebogen, undatiert, ca. 1945. Danach setzte sie sich, analog zum Mythos des katholischen, gegen den Nationalsozialismus resistenten Münster, in der Öffentlichkeit fest und verschmolz teilweise mit ihm. Noch in der offiziellen Festschrift zum 200-jährigen Jubiläum der Universität bestimmte sie den Diskurs über die Geschichte der Universität Münster im „Dritten Reich“, exemplarisch bei Toellner, Richard, Medizin in Münster, in: Dollinger 1980, S. 285–307, hier: S. 289: „Aber es zeigte sich – und nicht erst in den Endzeiten des Krieges  –, daß rechtliches Denken und daß die aus münsterländischem Selbstbehauptungswillen und treuer Kirchlichkeit genährte, alteingesessene Skepsis gegen die Reichsregierung, ob nun protestantisch-preußisch oder nationalsozialistisch, ein wirksames Bollwerk gegen die bedingungslose und vorbehaltlose Hinnahme der neuen Herrschaft bildete.“ Auch Steveling übernahm noch 1999 diese Lesart, siehe: Steveling,

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2.  Forschungsstand und Quellenlage

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Vernetzung der Universität Münster mit der Region Westfalen deutlich. Die vorliegende Untersuchung ist in diesem Forschungskontext entstanden. Für die Münsterschen biologischen Institute und ihre Schnittbereiche mit Medizin, Pharmakognosie sowie Erb- und Rassenkunde liegen bislang gar keine umfassenden Untersuchungen vor. So gibt es für die beiden Fächer Zoologie und Botanik als einzig überlieferte, über kurze Stichpunkte hinausgehende Texte lediglich zwei Schriften aus den Jahren 1921 und 1922.59 Zwar existieren einzelne neuere Arbeiten zu Teilaspekten der biologischen Institute60 sowie zwei kurze, sich jedoch über die Zeit des Nationalsozialismus weitgehend ausschweigende Darstellungen im Jubiläumsband der Universität aus den 1980er-Jahren.61 Diese Versuche werden jedoch der Problemstellung dieser Untersuchung weder im inhaltlichen Querschnitt, im zeitlichen Längsschnitt noch einem modernen methodischen Ansatz nach gerecht. Diesem Desiderat wird durch die ereignis- und strukturgeschichtlich orientierten Teile dieser Untersuchung begegnet. Wie bereits angedeutet konnten durch Untersuchungen an anderen Hochschulen wichtige Erkenntnisse über die Rolle der universitären Biologie im Nationalsozialismus gewonnen werden. An ihnen orientieren sich auch die Fragestellungen dieser Arbeit. Deichmann hat in ihrer grundlegenden Untersuchung dargelegt, wie die Nationalsozialisten ihnen unerwünschte Biologen, teils unter tatkräftiger Mithilfe ihrer Kollegen, aus den Hochschulen entfernten und die Ränge mit ihnen konformen Wissenschaftlern füllten. Fälle wie diese sind für Münster bisher nicht endgültig aufgearbeitet. Gleiches gilt für die von ihr aufgezeigten Verknüpfungen von universitärer Forschung, Kaiser-Wilhelm-Instituten, DFG-Förderungen und dem Reichsforschungsrat, für die es in Münster bislang keine Untersuchungen gibt. Auch zur Rolle der Hochschullehrerschaft in personellen Netzwerken, deren Einfluss auf die Qualität der Forschung einerseits wie ihre Bedeutung als „Volkserzieher“ für die wissenschaftliche Legitimierung der NS-Ideologie andererseits von Bäumer am Beispiel Ernst Lehmann dargelegt wurde, fehlt bislang für die biologischen Institute der Westfälischen Wilhelms-Universität und ihre Dozentenschaft eine intensive Analyse. Schließlich gibt es auch noch viele offene Fragen bezüglich einer möglichen konkreten Verstrickung von Münsterschen Biologen in national-

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60 61

Lieselotte, Juristen in Münster. Ein Beitrag zur Geschichte der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Westf. (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 10), Münster 1999. Stempell, Walter, Hundert Jahre Zoologisches Institut in Münster, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster i. W., Münster 1921, S. 3–12, bzw. Tobler, Friedrich, Zur Geschichte des Botanischen Gartens und Unterrichts in Münster, in: Münsterland 9 (1922), S. 15–23. Zum Beispiel Wiermann, Rolf, Der Botanische Garten der Universität Münster. 200 Jahre Geschichte, Münster 2003. Latzko, Erwin, Geschichte der Botanik an der Universität Münster, in: Dollinger 1980, S. 463–466, sowie am selben Ort Rensch, Bernhard, Die Entwicklung der Zoologie an der Universität Münster, S. 467–470.

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sozialistische Verbrechen, wie sie von Rolf Gattermann und Volker Neumann62 für Mitarbeiter der Universität Halle bei der militärischen Auftragsforschung an Hinrichtungsopfern nachgewiesen wurde. Aus dieser zweiten Tatsache, das heißt den großen Wissenslücken, die für die Biologie in Münster im Vergleich zu anderen Universitäten und Forschungseinrichtungen bestehen, ergibt sich die spezielle Notwendigkeit einer Beschäftigung mit dem vorliegenden Thema. Im Gegensatz zu dem hier skizzierten Forschungsstand stellt sich die Quellenlage für eine Untersuchung der Geschichte der Biologie in Münster ausgesprochen günstig dar. So konnte für die vorliegende Arbeit aus umfangreichen, über ganz Deutschland verteilten Beständen geschöpft werden. Ein Großteil der Institutsakten der Zoologie, Botanik und Pharmakognosie, in Einzelfällen bis in das späte 19. Jahrhundert zurückgehend, hat den Krieg überstanden und wird im Universitätsarchiv Münster verwahrt. Hierbei konnte auch erstmals ein bislang nicht verzeichneter Zugang des Zoologischen Instituts im Umfang von mehreren Regalmetern genutzt werden. Auf diese Akten stützt sich die vorliegende Untersuchung hauptsächlich. Leider ist jedoch zu konstatieren, dass Quantität und Qualität der vorliegenden Quelle sowohl nach Disziplinen als auch nach Zeiträumen teilweise schwankt. So liegen für die Zeit bis 1927 die wenigsten Akten vor, während die Überlieferung für die Nachkriegszeit am besten ist. Gleichzeitig ist, nicht zuletzt durch die noch darzulegenden strukturellen wie personellen Eigenheiten bedingt, mehr Material zur Zoologie als zur Botanik überliefert. Diese Bedingungen spiegeln sich daher auch in Umfang und Detailreichtum der einzelnen Teile dieser Untersuchung wider. Neben den genannten Beständen werden im Universitätsarchiv Münster die zahlreich überlieferten Personalakten der Ordinarien und Mitarbeiter verwahrt. Außerdem konnte für die Arbeit eine Vielzahl von weiteren Sachakten aus den Beständen des Kurators, des Rektorats und der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen beziehungsweise ab 1948 Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät analysiert werden. In Bezug auf die wissenschaftliche Entwicklung der Institute, die an ihnen vertretenen Forschungsschwerpunkte und die Ausrichtung ihrer Mitarbeiter waren unter anderem Publikationen, Forschungsunterlagen, Inhalte von Lehrveranstaltungen, Dissertationen und Examensarbeiten von Bedeutung. Auch sie wurden größtenteils über das Universitätsarchiv sowie die Universitäts- und Landesbibliothek Münster erschlossen. Für die Aufarbeitung von organisatorischen und personellen Netzwerken, aber auch Finanzierungs- und Bausachen, erwiesen sich die Überlieferungen im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen (LAV NRW W) als hilfreich. Im Landesarchiv konnten neben den Entnazifizierungsakten der Belegschaft auch 62

Gattermann, Rolf/Neumann, Volker, Geschichte der Zoologie und der Zoologischen Sammlung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg von 1769 bis 1990 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. MathematischNaturwissenschaftliche Klasse 63,3), Stuttgart, Leipzig 2005.

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Berufungsakten einzelner Ordinarien sowie Vorgänge, welche den Ausbau der Institute in den 1950er- und 1960er- Jahren betreffen, eingesehen werden. Weitere Akten zu einzelnen Personen konnten in den Universitäts- beziehungsweise Hochschularchiven Braunschweig, Greifswald, Hannover, Tübingen, dem Archiv der Humboldt-Universität Berlin und dem die Akten der Universität Hamburg verwaltende Staatsarchiv Hamburg analysiert werden. Akten des REM, personenbezogene Informationen zu NSDAP- und Parteigliederungsmitgliedschaften sowie Überlieferungen einzelner Parteiorganisationen und Forschungseinrichtungen lagern im Bundesarchiv Berlin. Dort konnten ebenfalls Förderungsanträge für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und wichtige Einzelheiten zu Forschungsvorhaben an den einzelnen Instituten für die Zeit bis 1945 untersucht werden. Weitere Akten bis zur Gründung des REM, teilweise auch Gegenakten zu den Instituts­akten im Universitätsarchiv Münster, befinden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Ebenfalls in Berlin lagert in der dortigen Staatsbibliothek der Nachlass Bernhard Renschs. Insgesamt gesehen boten die zahlreichen Fundstellen genügend überliefertes Material, um eine aussagekräftige Basis für eine intensive Analyse der Geschichte der Biologie in Münster anhand von Ashs Ressourcenmodell und der mit ihm verknüpften Fragestellungen zu gewährleisten.

3.  Methodischer Ansatz und erkenntnisleitende Fragestellungen Wie bereits eingangs erwähnt liegt dem analytischen Ansatz dieser Untersuchung das von Mitchell G. Ash begründete Modell der reziproken Mobilisierbarkeit von Ressourcenensembles zu Grunde.63 In diesem wird versucht, Fragestellungen aus der allgemeinen Geschichtswissenschaft wie das Verhältnis von lang andauernden historischen Vorgängen (longue durée) zur politischen Ereignisgeschichte (histoire évenementale) auf die Wissenschaftsgeschichtsschreibung anzuwenden.64 Kernbegriffe des Modells sind die Aspekte Wissenschaft, Politik und Wissenschaftswandel. Hierbei wird axiomatisch angenommen, dass die Begriffe Wissenschaft und Politik nur schwer bis gar nicht voneinander zu trennen seien. Es werde demnach eine Begrifflichkeit benötigt, die sowohl die diskursive und rhetorische als auch die institutionelle Dimension von Wissenschaft in ihrem Verhältnis zueinander erfassen könne, um den Dualismus von gesellschaftlichem, politischem 63 64

Vgl. Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander, in: vom Bruch/Kaderas 2002, S. 32–51. Ash, Mitchell G., Wissenschaftswandlungen und politische Umbrüche im 20. Jahrhun­ dert – was hatten sie miteinander zu tun?, in: vom Bruch, Rüdiger/Gerhardt, Uta/Pawliczek, Aleksandra (Hg.), Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts (Wissenschaft, Politik und Gesellschaft 1), Stuttgart 2006, S. 19–38.

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und institutionellem Kontext und Inhalt zu durchbrechen. In der Wissenschaft, welche von Ash nicht als Reich abstrakter oder empirischer Wahrheit, sondern als Ensemble von Ideen beziehungsweise Theorien, Institutionen und den darin ausgeführten Forschungspraktiken definiert wird, kämen ebenso wie in der Politik Machtverhältnisse zum Vorschein. Während demnach die Politik Einfluss auf die Wissenschaft ausübe, stehe sie ebenso selbst unter dem Einfluss der Wissenschaft. Dies betreffe insbesondere die Übernahme wissenschaftlicher Termini in politische Diskurse, wie zum Beispiel im Sozialdarwinismus, die Verschränkung von Sozial-, Kultur-, Hochschulpolitik und Forschungsförderungsinstitutionen sowie die soziokulturelle Gestaltung von Milieus und Machtverhältnissen innerhalb von Institutionen, wie zum Beispiel dem REM oder einzelnen Universitätsinstituten. Ash wendet sich daher gegen eine trennende Analyse der beiden Bereiche. Dafür spreche, dass die Begriffe Wissenschaft und Politik selbst in Umbruchzeiten ständig neu kontrovers diskutiert oder umdefiniert würden und daher auch nach jedem Umbruch eine Neuverhandlung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik stattfinde. Wissenschaftswandel, als letzter Begriff der eingangs erwähnten Trias, bedeute daher auch, dass die Frage, was eigentlich als Wissenschaft zu gelten habe, zumindest streckenweise offen sei und man daher auch nicht von einem Kampf der Wissenschaft mit Anti-, Nicht- oder Pseudowissenschaft sprechen könne. Deshalb werde ein weiter Begriff des Wandels benötigt, um all diese Aspekte zu erfassen. Hierfür biete sich das Konzept der Um- und Neugestaltung von Ressourcenkonstellationen und -ensembles an, welches auf einer Erweiterung des Ressourcenbegriffs über das Finanzielle hinaus auf kognitiv-konzeptionelle, apparativinstitutionelle und rhetorische Ebenen beruht. Prinzipiell kann in diesem Modell alles Ressource werden, es ist jedoch keineswegs zu jeder Zeit alles Ressource – erst der praktische Kontext der jeweiligen Situation entscheidet über die Brauchbarkeit.65 Dabei muss natürlich vermieden werden, „vom Forscher bis zur Türklinke allem den gleichen Status im Geschehen zuzuerkennen“,66 um den Ansatz nicht ad absurdum zu führen. Ash hat zu diesem Zweck einige Vorschläge zur Typologie der Ressourcen vorgebracht, die auch für diese Arbeit übernommen werden sollen. Zum einen zählen hierzu die Wandlungen personeller Ressourcen. Darunter fallen Wandlungen sowohl in der Gesamtzahl als auch in der Verteilung von Forschern und Lehrenden infolge politischer beziehungsweise politisch verursachter Säuberungsmaßnahmen und die damit im Zusammenhang stehenden Kontinuitäten und Wandlungen wissenschaftlicher Karrieren. Bei der Untersuchung dieser Faktoren muss auch auf Status-, Orts- und Universitätswechsel sowie Unterbrechungen der Lehrtätigkeit eingegangen werden. Zum anderen lassen sich die Wandlungen institutioneller Konstellationen und die damit zusammenhängende Neuzusammensetzung von praktischen Fertigkeiten 65 66

Ash 2006, S. 21ff. Ebd., S. 26.

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und Forschungsstilen beobachten.67 Auf der institutionellen Ebene fallen hierunter neben Umgestaltungen und versuchten Änderungen der Leitung bestehender Institutionen auch Neugründungen von Institutionen und Verbänden. Hierzu zählen beispielsweise der Übergang von der Kaiser-Wilhelm- zur Max-Planck-Gesellschaft oder die Umbenennung des Instituts für Rassenhygiene der Universität Münster in das für Humangenetik. Auf der Ebene der Forschungspraxis lassen sich Neuansätze, Adaptierung, Umlenkung und Umgestaltung bestehender Ansätze infolge der jeweils neuen politischen Verhältnisse unter diesem Punkt subsummieren. Dabei muss genau analysiert werden, ob die Wandlungen top-down infolge allgemein- oder wissenschaftspolitischer Maßnahmen des jeweils neuen Regimes oder aus anderen Gründen erfolgen und ob die Entstehung neuer Forschungsstile und -praktiken tatsächlich in Verbindung mit oben genannten Wandlungen steht. Weder Kontinuität noch Wandel sind hierbei selbstverständlich, sondern beide sind erklärungsbedürftig. Ein dritter Bereich sind Neukonstruktionen beziehungsweise Neuzuordnungen von Wissenschaften, wobei es sich hierbei im Wesentlichen um die Mobilisierung rhetorischer Ressourcen handelt, das heißt um Versuche, verschiedene Wissenschaften im Sinne des jeweils neuen Regimes umzudeuten. Dabei unterscheidet Ash zwischen zwei verschiedenen Herangehensweisen: auf der einen Seite die der ideologischen Kohärenz, auf der anderen die der instrumentellen Vernunft. Diese beiden Aspekte werden im dritten Abschnitt des Hauptteils bei der Analyse des Verhaltens von Nachwuchsforschern und Ordinarien zwischen 1933 und 1945 eine wichtige Rolle spielen. Während bei der ideologischen Kohärenz eine bereits bestehende inhaltliche Affinität von Zielen und Methoden der jeweiligen Wissenschaft mit der vorherrschenden Weltanschauung ins Feld geführt wird, werden bei der instrumentellen Vernunft eigene, möglicherweise auch ideologisch fragwürdig erscheinende Forschungsansätze zur Verwirklichung politischer Ziele angeboten. Beide Strategien dürfen aber keineswegs als einander wesensfremd betrachtet werden. Objektivität von Wissenschaft im Rahmen der instrumentellen Vernunft kann sich durchaus als ideologisch befrachtete rhetorische Konstruktion herausstellen. Als letzten Bereich der Typologie führt Ash schließlich Reflexivität, das heißt die Nutzung der eigenen Biographie als Ressource für neue Fragestellungen und Forschungsprogramme, an.68 Hierunter fallen zum Beispiel Veränderungen des wissenschaftlichen Inhaltes und der beruflichen Praxis vertriebener und/oder emigrierter Forscher. Prominentestes Beispiel dafür ist die Mitwirkung deutscher Emigranten am US-amerikanischen Atomwaffenprogramm des Zweiten Weltkriegs. Aber auch ein „semantischer Umbau“ nach 1945, wie die Entfernung kompromittierender Passagen in Neuauflagen wissenschaftlicher Werke oder die zeitgemäße Umschreibung von Kapiteln, fallen in diesen Bereich. Hierbei ist jedoch zu fragen, 67 68

Ebd., S. 26ff. Ebd., S. 30.

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ob es sich nicht eher um ein Zeichen von Ausblendung als von Reflexivität handelt. Abschließend können noch explizit anti-reflexive Konstruktionen wie die Beschwörung angeblicher Auseinandersetzungen zwischen „guter“ Wissenschaft und „bösen“ Nationalsozialisten oder der Aufbau von Opferlegenden genannt werden. Die Vorteile des Ressourcenmodells gegenüber einer zu starren Trennung von Wissenschaft, Politik und Wissenschaftswandel liegen auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite sind Ressourcenensembles gegenseitig mobilisierbar. Wissenschaftler können politische Ressourcen für ihre eigenen Zwecke einsetzen, während gleichzeitig Politiker wissenschaftliche Ressourcen zur Voranbringung ihrer Agenda mobilisieren können. Außerdem sind sie politisch multivalent, das heißt mit verschiedenen politischen Systemen kombinierbar. Dies ermöglicht es dem Ansatz, über die Jahre 1933 und 1945 hinaus Kontinuitäten und Brüche in Form ihrer Fortsetzung beziehungsweise Um- und Neugestaltung zu verfolgen. Darüber hinaus können Wissenschaftler mithilfe dieses Instrumentariums nicht mehr nur als Opfer der jeweiligen Verhältnisse erfasst werden, sondern ihrem Elitenstatus entsprechend als bewusst, zum Teil selbstbewusst handelnde Subjekte, wobei jedoch die grundsätzliche Asymmetrie der Machtverteilung nicht aus den Augen verloren werden darf. Schließlich erlaubt es, aufgrund der Ähnlichkeit bestimmter Ressourcentypen „ein allzu rigides Auseinanderhalten von vermeintlich wissenschafts-‚externen‘ und wissenschafts-‚internen‘ Faktoren aufzuweichen“69 und befähigt dadurch den Untersuchenden, Wissenschaft und Politik nicht mehr nur als feste Blöcke, also gleichsam „Black Boxes“, für die jeweilige Gegenseite zu begreifen. Gleichzeitig gilt es, bei der Anwendung des Ressourcenmodells aber auch Fallstricke zu vermeiden. So droht die Gefahr, dass der Ressourcenbegriff zu beliebig benutzt und damit als präzises Analysewerkzeug untauglich wird. Wird alles zur Ressource und beruhen alle Handlungen auf Wechselseitigkeit, so geraten die nach wie vor bestehenden asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Wissenschaft und Politik aus dem Blick. Dies kann gleichzeitig dazu führen, dass gar keine Trennung von Wissenschaft und Politik mehr vorgenommen wird. Zwar ist eine Hauptthese dieser Untersuchung auch, dass die Grenzen zwischen den beiden Bereichen, insbesondere im Nationalsozialismus, mehr und mehr verschwimmen. Dennoch muss beachtet werden, dass erst die Zustimmung der Politik die Realisierung von wissenschaftlichen Zielvorgaben wie die „Ausmerzung“ unwerten Lebens, die Zwangssterilisation oder die „Aufnordung“ des deutschen Volkes ermöglichen, und nicht andersherum. Drittens schließlich kann durch eine zu starke Konzentration auf ein Geben und Nehmen zwischen den beiden Sphären die Selbstmobilisierung der Wissenschaftler, die aus den unterschiedlichsten Gründen zum Teil auch ohne konkrete Gegenleistung zur Legitimation des politischen Systems bereit waren, vernachlässigt werden. Zusammen mit seinem Analysemodell stellt Ash mehrere Thesen auf. Zum einen behauptet er, dass „echte, gute“ Wissenschaft nicht nur in Demokratien statt69

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findet. Als Beleg führt er die international anerkannte „Normalwissenschaft“ an, die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland betrieben worden sei. Zum anderen führt er aus, dass die Machthaber neuer politischer Regime nur selten darauf abzielen, Wissenschaftswandlungen durchzusetzen. An die Stelle einer Kausalität im Verhältnis von Wissenschaft und Politik setzt er „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnisse“.70 Aufgabe dieser Arbeit wird es daher auch sein, Ashs Thesen am Beispiel der biologischen Institute der Universität Münster zu überprüfen und sie gegebenenfalls zu veri- beziehungsweise falsifizieren. Auf Basis des hier dargelegten methodischen Ansatzes stellt sich deshalb für die Münstersche Biologie eine Reihe von Fragen. Der Schwerpunkt der Analyse wird dabei, vor allem aufgrund des bislang völligen Fehlens analoger Arbeiten, auf der Zeit zwischen 1933 und 1945 liegen. Im Rahmen des bereits beschriebenen Dreiecksverhältnisses von Wissenschaft, Politik und Wissenschaftswandel wird in den folgenden Kapiteln untersucht, wie die in den einzelnen Bereichen getroffenen Entscheidungen auf die jeweils anderen Bereiche einwirkten.71 Welche Auswirkungen hatte beispielsweise die NS-Herrschaft auf Form, Inhalt und Qualität von Lehre und Forschung und deren praktische Anwendung? ­Instrumentalisierten NS-Führungsgruppen und -stellen wissenschaftliche Untersu­ chungen und Experten für ihre Zwecke? Wurden bestimmte Forschungsfelder von der Politik besonders gefördert, und mit welcher Absicht geschah dies? Existierte gegenüber der Universität Münster überhaupt eine kohärente Wissenschaftspolitik? Welche Unterschiede oder Parallelen ergeben sich bei einem Blick auf ähnliche Prozesse in Weimar oder in der Bundesrepublik? Und nicht zuletzt: Wie rezipierten politische Entscheidungsträger eventuelle Einmischungs- und Mobilisierungsversuche seitens der Wissenschaftler. Gleichzeitig muss der Fokus darauf gerichtet werden, wie umgekehrt Wissenschaftler selbst mit Systemwechseln und neuen Herrschaftsstrukturen umgingen und gegebenenfalls davon profitierten. Wie nutzten sie die spezifischen politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, die die Weimarer Republik, das NS-System und die frühe Bundesrepublik boten, für ihre Forschung aus? Versuchten sie, den neuen Machthabern ihre Spezialgebiete nahe zu bringen und für die Politik interessant zu machen? Spielten sie bei Beratung der Politik und Ausformung politischer Entscheidungen eine Rolle, hatten sie Einfluss auf die Entscheidungsfindung und wurden sie selbst in der Ausführung aktiv? Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang die mögliche Funktion eines Multiplikators beziehungsweise Katalysators, welche die Universität und ihre Bediensteten im Rahmen von Verknüpfungsleistungen zwischen Universität, Wirtschaft, Politik und außeruniversitären Einrichtungen übernahmen. Ebenso muss die konkrete Zusammenarbeit zwischen Universität und Staat beziehungsweise Partei untersucht werden. Wie lief diese ab, welche Schattierungen 70 71

Ebd., S. 36. Vgl. auch für das Folgende: Kaufmann, Doris, Einleitung, in: Kaufmann 2000, S. 9–17.

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von Kooperation und Widerstand gab es, welche Transferverluste ergaben sich? Ebenso wichtig: Wie stellt sich die Situation in Münster im Kontext der allgemeinen Entwicklung der Biologie in Deutschland dar? Da für die Biologie an der Universität Münster bislang keine umfassenden Untersuchungen vorliegen, muss sich der Hauptteil der Untersuchung darüber hinaus, wie bereits erwähnt, auch mit einer organisations- beziehungsweise strukturgeschichtlichen Analyse der einzelnen Institute befassen. Auf-, Um-, und Ausbau können so erstmals dargestellt und mit parallelen Entwicklungen innerhalb der Universität und an anderen Universitäten verglichen werden. Dabei werden neben der Professorenschaft auch, anders als bei ähnlichen Untersuchungen, die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Lehrbeauftragten in die Untersuchung mit einbezogen. Dies ermöglicht es, die Rekrutierung von Nachwuchs, die Ausgestaltung von Forschungsinhalten und die vielfachen Querverbindungen zu universitären wie außeruniversitären Einrichtungen detaillierter aufzuzeigen, als dies bei einer bloßen Beschränkung auf die Ordinarien möglich wäre. Diese werden jedoch weiterhin im Vordergrund stehen. Auch das individuelle Verhalten der Belegschaft an wichtigen historischen Zäsurpunkten wie der „Machtergreifung“ 1933, der Umsetzung des „Gesetz[es] zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, dem Zweiten Weltkrieg und dem Zusammenbruch 1945 muss im Hinblick auf Handlungsspielraum und Verstrickung der Beteiligten analysiert werden. Welches Selbstverständnis hatten die Professoren, und wie sahen sie die Aufgabe ihres Fachs für Wissenschaft und Politik? Wie liefen (Selbst)Gleichschaltung und Restrukturierung in den politischen Umbruchphasen ab? Bestanden möglicherweise bereits vor 1933 zwischen Wissenschaft und Politik parallel laufende Vorstellungen und Ansichten, die eine Angleichung gefördert haben könnten? Ebenso müssen im Hinblick auf die Weimarer Zeit und die junge Bundesrepublik Kontinuitäten und Brüche in Denkmustern, Methoden, Fragestellungen und personellen Netzwerken untersucht werden. Daran schließt sich für die Zeit nach 1945 die Frage an, ob ein die Systembrüche transzendierendes Selbstverständnis die einzelnen Fächer kennzeichnete, und wie ihre Mitglieder nach 1945 mit der eigenen Vergangenheit umgingen. Mit dem beschriebenen methodischen Ansatz und der dargelegten breiten Palette an Fragen soll im Folgenden die Geschichte der Biologischen Institute der Universität Münster zwischen 1922 und 1962 untersucht werden. Ansatz und Fragen sollen als Schablone dafür dienen, die einzelnen Unterabschnitte der vorliegenden Arbeit nach einheitlichen Kriterien zu untersuchen und miteinander in Verbindung zu setzen, um Kontinuitäten und Brüche, Gemeinsamkeiten und Unterschiede systemübergreifend aufdecken und darstellen zu können. Die Geschichte zweier Institute eines Fachgebietes in einem eng definierten Zeitraum kann jedoch nicht ohne eine Einordnung in den größeren historischen wie fachwissenschaftlichen Kontext geschehen. Um dies zu gewährleisten, werden daher vorab die Hintergründe der Entwicklung der biologischen Wissenschaften

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4.  Die biologischen Wissenschaften zu Beginn des Untersuchungszeitraums   33 im 19. und frühen 20. Jahrhundert sowie ihr Status und ihre Rolle an den deutschen Universitäten zu Beginn des Untersuchungszeitraums knapp skizziert.

4. Die biologischen Wissenschaften zu Beginn des Untersuchungszeitraums   Der Ausdruck „Biologie“ als Bezeichnung für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der lebenden Natur wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast zeitgleich von Burdach, Treviranus und Lamarck in den Sprachgebrauch eingeführt.72 Zwar hatte schon Linnaeus den Begriff „biologi“ benutzt, und auch im 17. Jahrhundert ist die Verwendung von „biologia“ nachweisbar. Allerdings bezogen sich diese Bezeichnungen nicht auf das, was heute unter dem Begriff Biologie subsumiert wird. Linnaeus bezeichnete mit „biologi“ die Verfasser von Nachrufen und Biographien bedeutender Botaniker, und unter „biologia“ wurden Leichenpredigten und Abhandlungen zur Diätetik des individuellen menschlichen Lebens und zu seiner begrenzten Dauer verstanden.73 Selbst zu Beginn seiner neuen Verwendung um 1800 war die Begriffsbedeutung des Wortes aber, anders als heute, wo sie einen Sammelbegriff für eine Fülle von Einzelwissenschaften darstellt, lediglich die Kennzeichnung einer neuen, neben die althergebrachte beschreibende und ordnende Tier- und Pflanzenkunde tretenden Betrachtungsweise der Welt. Die Begriffsgeschichte ist somit von der Analyse der Disziplin und Wissenschaft Biologie zu trennen.74 An dieser Stelle soll letztere im Vordergrund stehen. Bereits vor dem 19. Jahrhundert hatte es eine intensive, teilweise auch methodisch koordinierte Beschäftigung mit der Natur gegeben. Einige der Traditionen konnten dabei bis auf die antiken Philosophen zurückgeführt werden. Inhalt der Naturphilosophie zu jener Zeit war zum einen die Systematik, zum anderen die 72

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74

Vgl. für das Folgende Baron, Walter, Die Entwicklung der Biologie im 19. Jahrhundert und ihre geistesgeschichtlichen Voraussetzungen, in: ders., Beiträge zur Methodik der Wissenschaftsgeschichte (Beiträge zur Geschichte der Wissenschaft und Technik 9), Wiesbaden 1967, S. 7–11; ebenso zu den konkurrierenden Biologiebegriffen des 19. Jahrhunderts Kanz, Kai Torsten, Von der biologia zur Biologie. Zur Begriffsentwicklung und Disziplingenese vom 17. bis zum 20. Jahrhundert, in: Hoßfeld, Uwe/Junker, Thomas (Hg.), Die Entstehung biologischer Disziplinen II. Beiträge zur 10. Jahrestagung der DGGTB in Berlin 2001, Berlin 2002, S. 9–30, hier: S. 22–24. Müller-Wille, Staffan, Ein Anfang ohne Ende. Das Archiv der Naturgeschichte und die Geburt der Biologie, in: van Dülmen, Richard/Rauschenbach, Sina (Hg.), Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft, Köln, Weimar, Wien 2004, S. 587–605, hier: S. 604. Kanz 2002, S. 9; Kanz geht unter Verweis auf Christoph Bernoullis „Physiologie oder Naturlehre des erwachsenen Menschen“ von 1804, in dem von einer „Physischen Biographie oder Entwicklungsgeschichte des Menschen“ die Rede ist, von einer etymologischen Verwandtschaft und Austauschbarkeit der Wörter Biologie und Biographie aus, vgl. ebd., S. 19.

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Naturgeschichte, unter welcher die Zusammenfassung alles Wissenswerten über unterschiedliche Einzelformen der Lebewesen verstanden wurde. Mittel hierzu waren die mikroskopische Anatomie und die Physiologie, welche von Anatomen und Physikern durchgeführt wurde. Dabei wurden auch die Mineralien im Sinne der Vorstellung Linaeus’ von den drei Naturreichen mit in die Betrachtungen einbezogen. Eine Kluft zwischen organischen und anorganischen Natur-„wissenschaften“ existierte also zunächst nicht. Ein weiteres wichtiges Kernstück der Naturphilosophie des 18. Jahrhunderts war die auf Aristoteles zurückgehende scala naturae, also die in aufsteigender Komplexität von den Steinen bis zu Gott angeordnete Hierarchie der Naturelemente. Sie war wiederum eng mit dem letzten Kernaspekt, der Vorstellung von der Zweckmäßigkeit der Schöpfung, verknüpft. Die Natur wurde demzufolge als unveränderliches und unvergängliches Schöpfungsprodukt angesehen. Aufgabe der Forschung war es, diese zu beschreiben und dadurch den göttlichen Schöpfungsplan aufzudecken. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts kam es auf dieser Basis zur Entwicklung einer auch an den Universitäten Einzug haltenden Disziplin „Naturgeschichte“. Ausgehend von Göttingen, wo 1755 erste Vorlesungen dazu gehalten wurden und 1763 ein erster Lehrstuhl entstand, etablierte sie sich an weiteren Universitäten des deutschen Sprachraumes.75 Im 19. Jahrhundert wurde dieses statische Weltbild zunehmend von neuen Vorstellungen verdrängt, und der Begriff der Entwicklung rückte in den Mittelpunkt der Beschäftigung der Forscher. Wichtig für die Entstehung der neuzeitlichen Biologie waren vor allem vier Aspekte. Zum einen war dies die Historisierung der Erd- und Lebenswissenschaften, welche sich zum Beispiel im Erkennen von Fossilien als Überreste ausgestorbener Arten manifestierte. Damit verknüpft war die Entdeckung der qualitativen Mannigfaltigkeit in der organischen Natur, das heißt die Typenlehre. Hinzu kam die Zellenlehre als Folge der Aufdeckung der inneren Vorgänge in der Zelle und deren Bedeutung für die mechanische Physiologie sowie die Ausweitung des Erkannten auf Stoffwechselvorgänge. Viertens schließlich begann die Ausbildung eines ökologischen Denkens und damit einer dynamischen Betrachtungsweise, welche die Natur als einen sich in einem labilen Gleichgewicht befindenden Komplex von Ökologismen begriff. Als die Biologie dadurch zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch begrifflich an die Stelle der Naturgeschichte trat, fand demnach keine bloße Ablösung ihrer Vorgängerin statt, sondern stattdessen eine Transformation, denn: Eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der modernen Biologie war, dass sich die Naturgeschichte selbst von einem bloßen „enzyklopädischen Unterfangen […] in eine wissenschaftliche Disziplin mit eigenen Institutionen verwandelte.“76 Damit wird auch verständlich, warum mit der Einführung des Wortes Biologie nicht gleichzeitig eine neue Disziplin, ein epochemachendes Experiment oder eine paradigmatische Theorie, wie es teilweise in den anderen naturwissenschaftlichen Forschungs75 76

Ebd., S. 20. Müller-Wille 2004, S. 604.

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4.  Die biologischen Wissenschaften zu Beginn des Untersuchungszeitraums   35 bereichen der Fall war, einherging.77 Lediglich eine Lösung von althergebrachten Vorstellungen war nötig, um voranzuschreiten. Generell gesprochen war das 19. Jahrhundert im Bereich der Naturwissenschaften auf der einen Seite von einem enormen Zuwachs an wissenschaftlichen Erkenntnissen und auf der anderen Seite von einem fortschreitenden Emanzipierungs- und Ausdifferenzierungsprozess geprägt.78 Dies galt selbstverständlich auch für die Biologie. Sie „etablierte sich […] als die umfassende „Wissenschaft vom Lebendigen“ inhaltlich und institutionell als autonome Disziplin im Kanon der Naturwissenschaften.“79 Dabei kam es jedoch zu einer Art umgekehrtem Ausdifferenzierungsprozess, entwickelte sich doch aus der Naturgeschichte nicht zunächst eine einheitliche Disziplin „Biologie“, sondern es erfolgte ohne Zwischenschritt eine direkte Aufspaltung in Botanik und Zoologie (einschließlich Mineralogie).80 Am Ende des Jahrhunderts war dieser Prozess weitgehend abgeschlossen, was sich auch in der Einrichtung von selbständigen, aus den medizinischen Fakultäten ausgegliederten Zoologischen und Botanischen Lehrstühlen an den deutschen Universitäten widerspiegelte, so zum Beispiel in Gießen 1850, Jena 1865, Kiel 1868 oder Heidelberg 1878. Die Gründungen korrespondierender Extraordinariate an der Akademie Münster fielen in dieselbe Zeit. Begleitet wurde die Institutionalisierung und Professionalisierung der Biologie dabei nicht nur von einem Anwachsen der Zahl der Fachvertreter, sondern auch von neuen, verbesserten Kommunikationsformen, wie beispielsweise wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Aber nicht nur institutionell, sondern auch methodisch wurden neue Wege beschritten. So ergänzte die Biologie ihre traditionell vergleichend-deskriptiv ausgerichtete Arbeitsweise durch neue Methoden und wandte sich, hierbei stärker in der Botanik als in der Zoologie, mehr und mehr dem Experiment als Werkzeug der wissenschaftlichen Erkenntnis zu. Als wichtigste Neuformulierungen beziehungsweise Neuentdeckungen der damaligen Zeit können die Evolutions- (hier vor allem Darwin und Wallace) sowie die Vererbungstheorie (Mendel) und ihre Wiederentdeckung gelten.81 An den Universitäten manifestierten sich diese Modernisierungsprozesse in einer weiteren Ausdifferenzierung der einzelnen Forschungsfelder: Physiologische Chemie, Entwicklungsmechanik, Entwicklungsphysiologie, Cytologie und andere Forschungsfelder wurden als selbständige Bereiche wahrgenommen. Die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln führte schließlich zur Genetik, welche 1906 77 78

79 80 81

Ebd., S. 605. Vgl. für das Folgende vor allem Penzlin, Heinz, Die theoretische und institutionelle Situation in der Biologie an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Jahn, Geschichte der Biologie. Theorien, Methoden, Institutionen, Kurzbiografien (Digitale Bibliothek 138), 2006, S. 1521–1532, hier: S. 1521. Penzlin 2006, S. 1522. Kanz 2002, S, 24. Vgl. hierzu Schulz, Jörg, Aspekte der Würdigung von Mendels Arbeit nach 1900, in: Jahn, Geschichte der Biologie, 2006, S. 1915–1927.

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als Begriff eingeführt wurde. Arbeitsgebiete wie die vergleichende Tierphysiologie, Neurophysiologie, Stoffwechselphysiologie, Hormonforschung und Sinnesphysiologie, deren Entwicklung ebenfalls in diesen Zeitraum fällt, sollten später auch in den Forschungen an den Münsterschen Instituten eine große Rolle spielen. Trotz dieser Ausdifferenzierungsprozesse waren die Wissenschaftler bestrebt, der sich entwickelnden Spezialisierung, mit der als Kehrseite nämlich auch gleichzeitig eine Entfremdung der einzelnen Bereiche voneinander einherging, durch die Betonung der Gemeinsamkeit der Beschäftigung mit dem Lebendigen entgegenzutreten. Im Zuge dessen bildet sich zwar das Bild einer „Allgemeinen Biologie“ heraus, dabei muss jedoch unklar bleiben muss, ob Biologie als umfassendes Fach überhaupt in der Lehre vertreten war.82 In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatten sich die einzelnen Bereiche schließlich bereits so weit spezialisiert und auseinanderentwickelt, dass die Zoologie und Botanik „alter Schule“, das heißt Lehrstühle, deren Inhaber noch den gesamten Bereich ihres Fachs überblicken und lehren konnten, unmöglich geworden waren. Neben die universitäre Forschung traten außerdem immer weiter an Einfluss und Fördergeldern gewinnende außeruniversitäre Einrichtungen wie die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Die Bildung von Netzwerken, die Verknüpfung von Forschern, aber auch die Konkurrenz untereinander nahm dadurch weiter zu. Dies sollte sich auch in den Entwicklungen an der Münsterschen Philosophischen Fakultät im Laufe der folgende Jahre mehr und mehr zeigen. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums stellte sich also ein differenziertes Bild der universitären Biologie im Deutschen Reich dar. Sie war geprägt von den hier beschriebenen Strukturen und Prozessen und in einer starken Umbruchphase begriffen. All diese Entwicklungen waren Ende des 19. Jahrhunderts auch an der Akademie Münster nicht spurlos vorbeigegangen. Um mit der Untersuchung der Zoologie und Botanik in der Zeit zwischen 1922 und 1962 beginnen zu können, muss daher zunächst auf Basis der hier skizzierten allgemeinen Lage der Biologie näher auf die speziellen Münsterschen Entwicklungen in den Jahren davor eingegangen werden.

5. Die Biologie an der Universität Münster bis zu ihrer Aufspaltung in Zoologie und Botanik Die Aktenlage für die Geschichte der biologischen Institute im 19. Jahrhundert ist, trotz einiger punktueller Überlieferungen, ausgesprochen dünn. Während Informationen zur Personalstruktur noch gelegentlich zu finden sind, lassen sich Analysen entsprechend der übergreifenden Fragestellungen dieser Arbeit aus dem vorhandenen Material kaum leisten. Glücklicherweise machte es sich der damalige Ordi82

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narius für Zoologie, Professor Walter Stempell, im Jahre 1912 zur Aufgabe, eine Festschrift zur Geschichte des Zoologischen Instituts zu verfassen.83 In diesem Zusammenhang ging er auch auf die Entwicklung und den Ausbau des gesamten naturwissenschaftlichen Unterrichts an der damaligen Akademie in Münster ein. 1921 gab Stempell seine Arbeit in leicht veränderter Form unter dem Titel „Hundert Jahre Zoologisches Institut in Münster“ neu heraus. Noch Bernhard Rensch stützte sich in einem undatierten, frühestens 1948 gehaltenen Vortrag über die Geschichte der Zoologie in Münster auf diese Ausführungen.84 Selbst für den bereits erwähnten Beitrag desselben Autors im Sammelband zur Geschichte der Universität Münster von 1980 scheint besagte Festschrift die Grundlage geliefert zu haben. Bis heute bildet sie die umfangreichste Schilderung über die Geschichte der Zoologie in Münster. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht ist das Werk zwar problematisch, da der Autor seine Quellen nicht offenlegt. Er geht jedoch in einem für die damalige Zeit durchaus modernen Ansatz über eine bloße Chronik hinaus und beschreibt neben den großen Männern des Instituts auch Forschungsinhalte und Organisationsstrukturen. Mangels anderen Quellenmaterials muss sich eine Beschreibung der Biologie zum Ende des 19. Jahrhunderts daher auf Stempells Aufsatz stützen. Als erster Professor, der neben allgemein naturwissenschaftlichen auch zoologische und botanische Vorlesungen anbot, lehrte demnach Franz Wernekinck von 1797 bis 1822 an der Akademie.85 Etwa zur gleichen Zeit, zwischen 1808 und 1818, hielt der Apotheker Dr.  Ferdinand Herold pharmazeutisch-botanische Vorlesungen ab.86 Wernekincks Nachfolger wurde 1821 Privatdozent Dr. G. M. Roedig, der als früherer Assistent am Zoologischen Museum Berlin nach Münster übersiedelte. Neben seiner biologischen Arbeit lehrte er noch an der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt und am Gymnasium Paulinum. Diese für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich breit gefächerte Tätigkeit entsprach nicht nur dem im 19. Jahrhundert noch vorzufindenden Typus des „Universalgelehrten“, sondern macht auch die noch nicht vollständig ausgeprägte Trennung der einzelnen Fachgebiete der Naturwissenschaften deutlich. Diese Verschränkung zeigte sich auch bei dem im gleichen Jahr gegründeten zoologischen Museum und dem Beginn des Aufbaus der zoologischen Sammlung. Sie entstand nicht nur in Kooperation zwischen Paulinum und Akademie, sondern enthielt auch mineralogische Objekte und wurde von der medizinisch-chirurgischen Lehranstalt mitbenutzt. Nach Roedigs frühem Tod 1829 übernahm der neu am Paulinum angestellte Lehrer Dr. F. C. Becks zunächst die Leitung des Museums und nach seiner Habilitation 1831 auch den zoologischen Unterricht an der Akademie. 1838 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt 83 84 85 86

Stempell, Walter, Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität (1821– 1912), in: Festschrift zur 84. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte, Münster in Westfalen 1912, S. 115–128. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 20, Vortragsmanuskript, undatiert, ca. 1948. Stempell 1912, S. 115. Tobler 1922, S. 22.

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und hielt nebenamtlich noch die Vorlesungen in Botanik und an der medizinischchirurgischen Lehranstalt ab.87 Da Becks aber, trotz seines weiterhin breit gefächerten Tätigkeitsgebietes, vornehmlich als Geologe und Paläontologe tätig war, baute er die Sammlung vor allem in diese Richtung hin aus. Als er am 7. Oktober 1847 verstarb, übernahm der damalige Privatdozent und spätere Ordinarius für Physik und Chemie, Dr. Johann Wilhelm Hittorf, für kurze Zeit die Betreuung der Sammlung. Am 11. Januar 1848 trat schließlich Privatdozent Dr. Anton Karsch endgültig Becks’ Nachfolge an. Er war gleichzeitig der erste Naturwissenschaftler, der nicht mehr in Personalunion am Paulinum lehrte.88 Mit der Anfang der 1850er-Jahre erfolgten Aufspaltung der Sammlung und der Abgabe eines kleinen Teils an das Paulinum ging nicht nur ein Umzug in das Collegium Societa Jesu (das alte Akademiegebäude), sondern auch eine Vergrößerung des Sammlungsumfangs einher.89 1858 wurde Karsch zum ordentlichen Professor ernannt. Zu diesem Zeitpunkt vertrat er neben der Zoologie noch die anderen beschreibenden Naturwissenschaften und praktizierte, vor allem aufgrund der geringen Bezahlung für seine Tätigkeiten, zusätzlich als Arzt.90 Von 1859 bis 1869 wurde er in der Lehre von Privatdozent Dr.  Bernard Altum unterstützt, der vor allem Ornithologie und Forstzoologie las. Er hatte unter anderem zu Brut- und Balzverhalten von Vögeln geforscht und deutete als Gegner der Darwinschen Evolutionstheorie das Zusammenspiel tierischer Funktionen als teleologischen Gottesbeweis. Als Professor für Forstzoologie wechselte er später an die Forstakademie in Eberswalde bei Berlin.91 Die eingangs beschriebene, zu dieser Zeit allgemein in Lehre und Forschung voranschreitende Aufspaltung und Spezialisierung der einzelnen biologischen Fächer machte indes auch vor Münster nicht halt. Dies zeigte sich beispielsweise in der 1862 erfolgten Abspaltung des mineralogisch-geologischen Teils der Sammlung und 1866 mit der Übernahme der anatomisch-anthropologischen Sammlung der bereits 1848 geschlossenen medizinisch-chirurgischen Lehranstalt.92 Mit Verzögerung folgten die Umstrukturierungen auch auf personeller Ebene. Nachdem sich Karsch 1871 von der Leitung des Museums entbinden ließ, folgte ihm der seit 1869 habilitierte Privatdozent der Zoologie Dr. Hermann Landois auf den Direktorenposten. 1873 zum außerordentlichen Professor ernannt, erhielt er schließlich 1876 das allein für die Zoologie neu geschaffene Extraordinariat. Es ist daher zweckmäßig, dieses Datum anstelle des Jahres 1821, den Amtsantritt Roedigs, als das eigentliche Gründungsjahr des Zoologischen Instituts zu sehen. Die Botanik hatte bereits einige Jahre zuvor, im Jahr 1867, ein eigenes Extraordinariat unter dem bereits seit 1860 an der Akademie über Anatomie und Physiologie sowie Entwicklungsgeschichte der 87 88 89 90 91 92

Stempell 1912, S. 115f. Stempell 1921, S. 3. Stempell 1912, S. 117. Stempell 1921, S. 7. Rensch 1980, S. 467. Stempell 1912, S. 118.

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Pflanzen lesenden Theodor Rudolf Nitschke erhalten.93 Damit war die sich bereits länger abzeichnende fachwissenschaftliche Spaltung der beiden Bereiche auch organisatorisch vollzogen. Wie in der Einleitung dargelegt soll im Folgenden die Geschichte der Biologie an der Universität Münster in drei Abschnitten beschrieben und analysiert werden. Trotz der autonomen Entwicklung der Institute werden dabei die Querverbindungen zwischen den Lehrstühlen nicht vernachlässigt. In einem ersten Abschnitt wird hierbei der Blick auf die Zoologie gerichtet. Einem knappen Abriss der Geschichte des Instituts vor 1922, welcher zum Verständnis der Ausgangsposition des Faches und der teils über Jahrzehnte bestehenden Kontinuitäten notwendig ist, folgen in einzelnen Unterabschnitten die (zum Teil stellvertretenden) Ordinariate Feuerborn, von Ubisch, Kosswig, Weber, Ries, Fischer und Rensch. Den Schluss des Abschnitts bildet ein kurzer Ausblick auf die Zeit nach dem Ende des Untersuchungszeitraumes.

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Tobler 1922, S. 23.

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II. Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität 1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Zoologischen Instituts bis 1922 Wie bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt, kann der Beginn der Tätigkeit Hermann Landois’ im Extraordinariat für Zoologie als eigentlicher Startpunkt eines eigenständigen Zoologischen Instituts an der Akademie Münster gewertet werden. Landois, der in Münster bis heute vor allem für die Gründung des Zoos (1875) und des Museums für Naturkunde (1891) bekannt ist,1 baute in den auf seine Berufung folgenden Jahren die Sammlung und das Vorlesungs- und Übungswesen weiter aus.2 Außerdem gab er eine Reihe halbpopulärer Lehr- und Schulbücher heraus. Wissenschaftlich arbeitete Landois vor allem über Tierstimmen, Spermatogenese, Entwicklungsgeschichte, Geschlechtsbestimmung, Ton- und Stimmapparate der Insekten und Eischalen der Vögel. Auch hier zeigte das breit gefächerte Forschungsgebiet, dass sich zwar eine Spezialisierung auf einzelne Fächer durchgesetzt hatte, innerhalb dieser Bereiche aber eine Vielzahl von Themen bearbeitet wurden. Über diese sollten die nachfolgenden Generationen von Forschern aufgrund der Fülle an Material bereits keinen Überblick mehr gewinnen können. Aufgrund seiner vielfachen Beschäftigungen, die neben der Förderung des heimatlichen Vogelschutzes sogar plattdeutsche Dichtung umfassten, konnte Landois seine Arbeitskraft der Zoologie jedoch nicht mit voller Kraft widmen. Hierunter litt seine Tätigkeit als Forscher und Lehrer, was dazu führte, dass das Zoologische Institut der Akademie nach anfänglich gutem Ausbau mit der gegen Ende des 19. Jahrhunderts rapide fortschreitenden Entwicklung und teilweisen Umbildung der zoologischen Wissenschaften nicht mehr schritthalten konnte.3 1880 wurde die Sammlung des Zoologischen Instituts in das Gebäude des früheren Appelationsgerichtes in der Pferdegasse 3 überführt, was neben verbesserten Aufstellungsmöglichkeiten auch mehr Platz und einen höheren Etat mit sich brachte. Die weitere Ausfächerung und erhöhte Arbeitsbelastung des Instituts spiegelte sich auch in der Schaffung einer Assistentenstelle am 1. April 1886 wider, die von Dr. Friedrich Westhoff übernommen wurde. An seiner Person zeigten sich auch die ersten Verknüpfungen der Münsterschen Zoologie mit außeruniversitären Stellen.4 1 2 3 4

Rensch 1980, S. 467. Stempell 1912, S. 119. Stempell 1921, S. 7. So war Westhoff Vorsteher der Westfälischen Gruppe der Deutschen Anthropologischen Gesellschaft, hatte enge Verbindungen zur zoologischen und botanischen Sektion des Westfälischen Provinzialvereins, zur Geographischen Gesellschaft Münster und zur Zoologischen Abendgesellschaft. 1896 gründete er den Baumberge-Verein. Mit seinen zahlrei-

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

Nach seinem Tod am 12. November 1896 wurde die Stelle mit Dr. Hermann Reeker besetzt, der dort bis 1905 verblieb. Im Januar desselben Jahres verstarb Landois. Bereits kurz zuvor war der bisherige außerordentliche Professor für Anatomie an der Universität Greifswald, Emil Ballowitz, mit dem Auftrag, das Gesamtgebiet der Zoologie und vergleichenden Anatomie zu lehren, als Direktor nach Münster versetzt worden.5 Einige Zeit zuvor, im Jahr 1902, war die Akademie wieder zur Universität erhoben worden und hatte 1907 den Namen des amtierenden deutschen Kaisers erhalten.6 Zu diesem Zeitpunkt existierte in Münster noch keine medizinische Fakultät. Die Universität wollte jedoch eine Ausbildung der Mediziner bis zum Physikum gewährleisten und zu diesem Zwecke eine medizinisch-propädeutische Abteilung mit einem Anatomischen Institut schaffen. Da sie aber von der Errichtung eines eigenständigen Instituts absehen wollte, wurde das Zoologische Institut 1906 mit der Anatomie zum Zoologisch-Anatomischen Apparat verschmolzen. Das neue Institut wurde mit der Sammlung in die alte Kürassierkaserne am Krummen Timpen 24/25 überführt. Gleichzeitig wurde Ballowitz zum ordentlichen Professor für Zoologie und Anatomie und Direktor des gleichlautenden neugeschaffenen Instituts ernannt, ein Titel, den die auf ihn folgenden Ordinarien bis 1945 beibehielten.7 Von nun an hielt er Vorlesungen über menschliche Anatomie und Entwicklungslehre sowie über allgemeine und spezielle Zoologie. Außerdem baute er die Sammlung aus und ordnete sie neu. Auch wenn die Hauptgebiete der aus dem Institut hervorgehenden wissenschaftlichen Arbeiten forthin Entwicklungsgeschichte und Histologie der Wirbeltiere waren, so erfolgte der forschungsinhaltliche Ausbau dem eigentlichen Fachgebiet des neuen Direktors entsprechend stark in Richtung Anatomie.8 Den steigenden Studentenzahlen wurde am 1. April 1906 mit der Versetzung Walter Stempells, vormals als Privatdozent der Zoologie ebenso wie Ballowitz in Greifswald tätig, nach Münster Rechnung getragen.9 Stempell erhielt vom Ober-

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chen wissenschaftlichen Veröffentlichungen galt er als einer der besten westfälischen Kenner der Tier- und Pflanzenwelt. Siehe: Literaturkommission für Westfalen (Hg.), Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren 1750 bis 1950, Onlineausgabe, Eintrag Westhoff, http://www.lwl.org/literaturkommission/alex/index.php?id=00000003&letter=W&layo ut=2&author_id=00000932, Zugriff: 2.6.2010. Stempell 1912, S. 119f. Ribhegge, Wilhelm, Geschichte der Universität Münster. Europa in Westfalen, Münster 1985, S. 131ff. Stempell 1921, S. 7. Stempell 1912, S. 121. Walter Stempell wurde am 16.8.1869 als Sohn eines Verlagsbuchhändlers in Berlin geboren und evangelisch getauft. Am 9.9.1893 legte er das Abitur am Königlichen Gymnasium zu Spandau ab und studierte im Anschluss von 1893 bis 1897 Medizin und Naturwissenschaften (speziell Zoologie). Am 4.3.1896 legte er die ärztliche Vorprüfung ab und wurde am 27.11.1897 mit magna cum laude aufgrund einer zoologischen Abhandlung an der Universität Berlin zum Dr. phil. promoviert. Von Dezember 1897 bis April 1898 führte er meeresbiologische Untersuchungen an der zoologischen Station Neapel durch, ehe er

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präsidenten der Provinz Westfalen am 26. Juli 1906 zunächst einen Lehrauftrag für „Allgemeine Zoologie und Grundzüge der Vergleichenden Anatomie und der Vergleichenden Physiologie mit besonderer Berücksichtigung des medizinischen Studiums“, ein sperriger Titel, mit dem noch einmal anschaulich die fachwissenschaftlich noch nicht vollständig vollzogene Trennung der einzelnen Forschungsbereiche demonstriert wurde.10 Bereits kurze Zeit später aber wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt und beauftragt, die Zoologie in ihrem gesamten Umfang durch Vorlesungen und Übungen zu vertreten.11 Eine Möglichkeit, seinem Auftrag nachzukommen, sah er jedoch nur dadurch gegeben, wenn die Zoologie wieder ein selbständiges Institut erhalten und etatrechtlich, wie an anderen Universitäten üblich, von der Anatomie getrennt würde. Als Begründung hierfür führte er vor allem die räumliche Unzulänglichkeit des Gebäudes sowie die fast vollständige Inanspruchnahme der Räumlichkeiten durch die Anatomie an.12 Hiermit offenbarte sich bereits im Jahr 1906 mit der allgegenwärtigen Raumnot eine Problematik, die alle Nachfolger Stempells bis zum Ende des Untersuchungszeitraums betreffen sollte. Ebenso sollte sie in den folgenden Jahrzehnten eine Vielzahl von Auseinandersetzungen mit übergeordneten Dienststellen, Ministerien und anderen politischen Entscheidungsträgern nach sich ziehen und dabei sowohl die finanziellen als auch die zeitlichen und die argumentativen Kräfte der zoologischen Ordinarien permanent in Anspruch nehmen. Neben der Belegung durch die Anatomie verschärften auch die wachsenden Studentenzahlen den Raummangel. Dies führte daher ab dem Wintersemester 1908/0913 zur Einrichtung weiterer Räume im ehemaligen Schillergymnasium, bis schließlich ab Juni 1909 der zoologische Unterricht weitestgehend in dieses eigentlich zum Abriss bestimmte Gebäude verlegt werden konnte.14 Dort sorgten jedoch die zumeist ungünstigen Unterbringungsmöglichkeiten für Misserfolge mit lebendem Tiermaterial. Dennoch gab es von hier ab kein Zurück in die alten Räumlichkeiten mehr. Von nun an besuchten ab dem Sommersemester 1909 153 beziehungsweise 142 Teilnehmer die beiden Vorlesungen über allgemeine Zoologie in der temporären Unterkunft. Ab dem Sommersemester des folgenden Jahres wurde auch das mikroskopisch-zoologische Praktikum im Gymnasium abgehalten und damit der Grundstock eines neuen Zoologischen Instituts, welches in der Gesamtheit der zu zoologischen Unterrichtszwecken dienenden Räume und ihrer Einrichtung fort-

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am 15.1.1898 die Vertretung des zweiten Assistenten am Zoologischen Institut der Universität Berlin übernahm. Am 1.11.1898 wurde er zum Assistenten am Zoologischen Institut der Universität Greifswald ernannt, wo er sich am 9.12.1899 habilitierte. Sechs Jahre später, am 30.8.1905, verlieh ihm die Universität den Titel eines Professors. Siehe: UAMs, Bestand 63, Nr. 179. UAMs, Bestand 63, Nr. 179. Stempell 1912, S. 122. Stempell 1921, S. 7. Stempell 1912, S. 122. Stempell 1921, S. 7.

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

an als Zoologischer Apparat bezeichnet wurde, gelegt. Trotz allem blieben mehrere Probleme bestehen, die sich später teilweise bis in die 1930er-Jahre hinzogen. Neben der bereits erwähnten Raumnot und einer schlecht ausgestatteten Institutsbibliothek war dies vor allem die schlechte finanzielle Basis, da der Apparat etatrechtlich gar nicht autonom existierte und von Sonderzuwendungen des Kurators abhängig blieb.15 Diese beliefen sich für die Jahre 1907 bis 1910 auf gerade einmal 6.027 Mark, was für den laufenden Betrieb und den Aufbau eines modernen Instituts bei weitem nicht ausreichte. Aus diesem Grund war Stempell dazu gezwungen, zur Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes dem Institut seine Privatsammlung zu überlassen und weitere Mittel wie Apparate, Objekte und Präparate aus eigenem Vermögen anzukaufen. Nach Stempells endgültigem Ausscheiden aus dem Institut Ende der 1920er-Jahre sollte diese Tatsache noch einmal zu schweren Verstimmungen und Auseinandersetzungen mit der Universitätsleitung führen. Seit der Berufung Stempells war auch der Vorlesungsbetrieb des Apparates neugestaltet und modernisiert worden. Neben fünfstündigen Vorlesungen über allgemeine beziehungsweise spezielle Zoologie, an der jeweils 100 bis 150 beziehungsweise 30 bis 40 Hörer teilnahmen, gab es Veranstaltungen über Urtiere, allgemeine Biologie, Gliedertiere, Tiergeographie, Parasiten des Menschen und vergleichende Anatomie der Wirbeltiere. Seit dem Sommersemester 1909 las Privatdozent Dr.  August Thienemann, der später Direktor der hydrobiologischen Anstalt der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Plön und Professor für Zoologie in Kiel werden sollte, Hydrobiologie, Insekten sowie Geschichte der Zoologie.16 Unterstützt wurde die Arbeit am Institut ab dem Wintersemester 1909/10 vom neuen Assistenten Dr. Heinrich Jacobfeuerborn. Bemerkenswert ist, dass eine für Hörer aller Fachbereiche geöffnete Veranstaltung zur modernen Abstammungslehre bereits vor 1912 bis zu 250 Teilnehmer anziehen konnte17 – dies unter Berücksichtigung dessen, dass die Lehre der Evolutionstheorie zu diesem Zeitpunkt noch einen obskuren Platz im Wissenschaftskanon einnahm und im katholischen Münster nicht unwidersprochen hingenommen wurde. Selbst Bernhard Rensch musste sich noch 50 Jahre später im Zusammenhang mit einem seiner Vorträge mit Protesten aus der Studentenschaft abmühen.18 Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der Höhrer sogar auf 600 im Wintersemester 1919/20 an.19 Neben den Vorlesungen wurden auch Veranstaltungstypen etabliert, die den Alltag am Zoologischen Institut für eine lange Zeit prägen sollten. Hierzu zählten das Anfängerpraktikum für Naturwissenschaftler und Mediziner, makroskopischund mikroskopisch-zoologische Praktika mit jeweils 33 beziehungsweise 28 teilnehmenden „Herren und Damen“ sowie auf die Ausbildung praktischer Fertigkei15 16 17 18 19

Stempell 1912, S. 122ff. Stempell 1921, S. 7ff. Stempell 1912, S. 124f. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 10.3.1959. Stempell 1921, S. 9.

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1.  Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte

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ten zukünftiger Oberlehrer abzielende zoologische Seminare für Fortgeschrittene. Die Zahl der an den Praktika zum „selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten“ teilnehmenden Studenten nahm dabei ständig zu. Ebenso gab es seit 1907 jedes Sommersemester 14-tägig stattfindende Exkursionen in die Umgebung Münsters sowie längere Exkursionen an die Nordsee, hier in Kooperation mit den Geographen. Hieran nahmen bis zu 86 Studierende, darunter auch einige Frauen, teil. Auch mit der lokalen Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt wurde eng zusammengearbeitet. Trotz des wissenschaftlich-inhaltlichen wie personellen Ausbaus der Zoologie blieb die Lage weiterhin schwierig und besserte sich erst 1911. Seit dem 1. April dieses Jahres erhielt der Apparat einen eigenen Etat von 1.500 Mark sowie einen einmaligen Zuschuss von 3.000 Mark, die umgehend dazu genutzt wurden, die Sammlung auszubauen sowie Instrumentarium anzukaufen. Zum gleichen Zeitpunkt bestimmte ein Vertrag zwischen der Unterrichtsverwaltung und der Stadt Münster die Trennung des Zoologischen vom Anatomischen Institut sowie die Verlagerung des erstgenannten in das zweite Obergeschoß eines neu zu errichtenden Institutsgebäudes.20 Ausgenommen davon blieb die zoologische Sammlung, welche in der Pferdegasse verblieb. Die dadurch resultierende räumliche Trennung von Forschenden und Forschungsobjekten zog scharfe Kritik Stempells nach sich und sollte auch Jahrzehnte später noch immer Probleme verursachen.21 Stempell hatte in den Augen der Universitätsleitung, nicht zuletzt auf seinem Spezialgebiet, den Mollusken und Protozoen, gute Arbeit geleistet. Daher wurde er am 21. Februar 1911 vom Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gegenüber dem Kurator als Besetzung für das zu errichtende Ordinariat für Zoologie vorgeschlagen. Die Fakultät war dermaßen von seinen Fähigkeiten überzeugt, dass sie darum bat, in diesem Fall von der Einreichung des üblichen Dreiervorschlages absehen zu dürfen und Stempell als einzigen Kandidaten aufzustellen.22 Dass ein solches Vorgehen der Universität ungewöhnlich war, zeigt die Tatsache, dass es sich danach, auch während der nationalsozialistischen Diktatur, für die Zoologie nicht wiederholen sollte. Am 30. Mai 1911 wurde Stempell zum ordentlichen Professor für Zoologie ernannt und ihm gleichzeitig das gleichnamige neugeschaffene etatmäßige Ordinariat übertragen. Am 29. November 1911 verfügte ein Ministerialerlass die endgültige etatrechtliche Trennung der beiden Institute und verlieh dem vormaligen Zoologischen Apparat den neuen Titel Zoologisches Institut. Außerdem wurde das Personal um eine planmäßige Assistenten-, eine Präparatoren- und eine Dienerstelle erweitert.23 Der endgültige Umzug in die neuen Räume in der Johannisstraße 11–17 erfolgte im Jahr 1913, wo mit Ausnahme eines Hörsaales das gesamte zweite Obergeschoß, 20 21 22 23

Stempell 1912, S. 124ff. Stempell 1921, S. 8. UAMs, Bestand 63, Nr. 179. Stempell 1921, S. 8.

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

vier Zimmer im Dachgeschoß, zwei Kellerräume sowie eine Dienerwohnung belegt werden konnten. Alle Arbeitsräume waren damals modernsten Ansprüchen entsprechend eingerichtet und unter anderem mit Aquarien und Tierbehältern für die Arbeit mit lebenden Exemplaren ausgestattet worden. Der Hörsaal erregte jedoch schon zu diesem Zeitpunkt aufgrund von Platzmangel Stempells Missfallen. Gleichzeitig wurden sowohl Unterrichtssammlung als auch Materialen erweitert und das Instrumentarium des Instituts ergänzt. Problematisch blieb, wie bereits erwähnt, der Verbleib einiger Exponate in der Pferdegasse sowie in der anatomischen Sammlung. Bei der Einrichtung des neuen Unterrichts- und Forschungsbetriebes war ein besonderer Wert auf die lange Zeit auch in Münster wenig beachtete Physiologie gelegt worden. Dies zeigte sich in den ab 1913 laut Stempell in Deutschland erstmals planmäßig abgehaltenen tierphysiologischen Übungen. Der übrige Unterrichtsbetrieb führte die ab 1906 eingeführten Veranstaltungsarten weiter fort. Anders als im Zweiten Weltkrieg erlebte das Institut zwischen 1914 und 1918 keine sachlichen Beschränkungen im Lehrbetrieb. Zwar ging die Zahl der Hörer stark zurück, und entsprechend den kriegsbedingten Erfordernissen wurde der Ausbildung der Mediziner stärkere Bedeutung beigemessen. Durch Stempells Tätigkeit als Bakteriologe beim heimatnahen Sanitätsamt VII A.-K. konnte jedoch die Fühlung zur Universität gehalten und ein Unterrichtsausfall vermieden werden. Dennoch blieb auch das Institut vom Kriegsgeschehen nicht unbeeinflusst. Auch hier starben Studierende, Assistenten und Praktikanten an der Front.24 Mit dem Ende der Kampfhandlungen strömten, wie auch an anderen reichsdeutschen Universitäten, eine große Anzahl von vormals zum Kriegsdienst eingezogenen Studenten an die Universität Münster zurück.25 Dieser Vorgang unterstützte den Wachstumstrend, der sich seit der wiedergewonnenen Selbständigkeit des Instituts gezeigt hatte, noch einmal deutlich. So erreichte die Anzahl der Hörer im Sommersemester 1919 einen neuen Höhepunkt, als 425 Studierende die Veranstaltungen der allgemeinen Zoologie belegten und 225 das makroskopische Praktikum besuchten. Wie zuvor wurde am Institut zu einer Vielzahl von Themen geforscht und veröffentlicht. In Auswahl sei an dieser Stelle auf Bereiche wie die Schalenbildung der Mollusken, Tiergesellschaften, Abstammungslehre, Systematik, aber auch Spezialgebiete wie Tierbilder der Mayahandschriften verwiesen. Stempell hatte das Institut, wie von ihm selbst gefordert, von einem hauptsächlich heimatkundlich arbeitenden Teilbereich der Anatomie zu einer vielseitigen Einrichtung entwickelt. Dies spiegelte auch die organisatorische Einteilung des Instituts wider. Neben der großen systematischen Sammlung bildeten vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte, vergleichende Physiologie und Biologie sowie eine gerade im Aufbau befindliche angewandte Zoologie mit einem Schwerpunkt auf Bienenkunde 24 25

Ebd., S. 8ff. Vgl. hierzu Pöppinghege 1994, S. 24.

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1.  Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte

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eigene Abteilungen.26 Dabei wurde auch mit dem inzwischen unter der Leitung Professor Beneckes stehenden Botanischen Institut kooperiert. Am Vorabend seiner Suspendierung hatte Stempell also die Weichen für eine moderne Entwicklung des Zoologischen Instituts durch eine organisatorische wie fachliche Neuordnung und die Anpassung des Institutsbetriebes an die Notwendigkeiten des Wissenschaftswandels gestellt. Ein menschlicher Fehltritt führte jedoch dazu, dass er vorzeitig seinen Posten räumen musste und nur noch indirekt an der weiteren Geschichte der Münsterschen Zoologie beteiligt war.27 Stempell ließ sich auf ein intimes Verhältnis mit einer Studentin ein, der er im Januar 1918 zunächst eine Anstellung als Demonstratorin, im Frühjahr 1919 dann als außerplanmäßige Assistentin und im Oktober 1920 schließlich als planmäßige Assistentin am Zoologischen Institut verschaffte. Dort machten Gerüchte über die Beziehung der beiden die Runde und schufen eine Atmosphäre des Misstrauens und der Verheimlichung. Im Verlaufe des Frühjahrs 1921 entschloss sich Stempell daher dazu, der Frau zu kündigen. Diese akzeptiert die Kündigung jedoch nicht und drohte stattdessen damit, die Geschichte öffentlich zu machen. Stempell zog schließlich einige seiner Kollegen ins Vertrauen, die ihrerseits umgehend beim Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vorstellig wurden. Dieses ließ die Frau im Dezember 1921 aus dem Institut entfernen. Die Affäre hatte Stempells ohnehin bereits angeschlagene Gesundheit (er litt seit Jahren an einer Blutkrankheit) weiter in Mitleidenschaft gezogen und ihn nervlich zerrüttet.28 Aufgrund der Tatsache, dass seine Autorität am Zoologischen Institut, wo das Verhältnis allgemein bekannt geworden war, vollends untergraben war, beurlaubte das Ministerium ihn Ende 1921 vorläufig. Am 27. Dezember 1921 wurde daraufhin Professor Jürgen Wilhelm Harms von der Universität Marburg für das laufende Wintersemester mit seiner Vertretung beauftragt.29 Dessen Gastspiel an der Universität blieb aber nur von kurzer Dauer. Harms ging bereits 1922 als Ordinarius nach Königsberg.30 An Harms Stelle beorderte das Wissenschaftsministerium am 24. April 1922 Heinrich Jakob Feuerborn,31 den ehe26 27 28 29 30

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Stempell 1921, S. 9ff. Vgl. ausführlich für das Folgende die Anklageschrift im Dienststrafverfahren gegen Stempell, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 adhib., S. 118–122. Ebd., S. 121. UAMs, Bestand 63, Nr. 179. 1925 wechselte Harms nach Tübingen, wo sich in den folgenden Jahren eine fruchtbare Arbeitsphase anschloss. Da er jedoch dezidiert neo-lamarckistische Ansichten vertrat, geriet er in Schwierigkeiten mit dem NS-Regime und wurde 1938 abgesetzt. Nach dem Krieg übernahm er 1946 das Prorektorat in Jena, verließ jedoch bereits 1949 aus politischen Gründen die DDR. Nach einem vergeblichen Versuch der Rückkehr nach Tübingen arbeitete er bis zu seinem Tod 1956 als Lehrbeauftragter für experimentelle Endokrinolo­gie in Marburg. Vgl. Potthast/Hoßfeld 2010, S. 435–482, hier: S. 441–442. Der Zoologe hatte seinen Namen inzwischen von Heinrich Jacobfeuerborn in Heinrich Jakob Feuerborn ändern lassen.

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maligen Assistenten Stempells, von seiner neuen Arbeitsstelle an der Universität Kiel nach Münster zurück. Dort beauftragte es ihn, im Sommersemester 1922 die Vertretung des nunmehr als „erkrankt“ bezeichneten Ordinarius in Vorlesungen und Übungen zu übernehmen und die Direktionsgeschäfte des Zoologischen Instituts zu führen.32 Am 21. August 1922 wurde schließlich auf Stempells eigenen Wunsch ein Disziplinarverfahren33 gegen ihn eingeleitet und seine Suspendierung aufrecht erhalten.34 Durch den Amtsantritt Feuerborns kehrte an der Spitze des Zoologischen Instituts zunächst wieder Ruhe ein. Auch auf Ebene der Assistenten wurde das Personal ausgetauscht. Bis 1938 arbeitete danach keine Frau mehr in wissenschaftlicher Tätigkeit am Institut. Die Taktik des Ministeriums, ehemalige Mitarbeiter in leitender Stellung zur Stabilisierung an das außer Kontrolle geratene Zoologische Institut zurückzubeordern, sollte sich in den Jahren 1935 (mit Kosswig) und 1945 (mit Rensch) noch mehrmals wiederholen. Bei keinem dieser Vorgänge erhob sich seitens der Universität Protest. Sie überließ dem politischen Entscheidungsträger die Initiative und fand sich mit den Konsequenzen ab. Feuerborn, durch seine frühere Tätigkeit am Institut intim mit dessen Struktur vertraut, sollte in Münster für die nächsten 13 Jahre, davon fünf als Ordinarius in Vertretung, eine wichtige Rolle spielen. Mit seiner Amtsübernahme beginnt der eigentliche Untersuchungszeitraum dieser Arbeit.

2.  Die Vertretung des Ordinariats durch Feuerborn 1922 bis 1927 Neben dem neuen Lehrstuhlinhaber Feuerborn35 waren 1922 noch drei weitere wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut angestellt: zwei planmäßige sowie ein außer32 33 34 35

UAMs, Bestand 4, Nr. 227. Grundlage hierfür war § 2,22ff. des Gesetzes betreffend die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten vom 21.7.1852. UAMs, Bestand 4, Nr. 231, PrWM an Universitätskurator, 21.8.1922. Heinrich Jakob Feuerborn wurde am 4.3.1883 als Sohn eines Bauern in Gütersloh geboren. Er besuchte das dortige Gymnasium und studierte im Anschluss von 1902 bis 1903 an der Universität Münster, 1903 bis 1904 an der Universität Berlin und 1904 bis 1908 wieder in Münster, wo er am 31.7.1908 promoviert wurde. Von 1906 bis 1908 war er als Assistent am Anatomischen und Zoologischen Institut der Universität Münster beschäftigt, wechselte in gleicher Stellung 1909 an den nunmehr Zoologischen Apparat und blieb auch nach dessen Umbenennung in Zoologisches Institut dort als (bis 1913 einziger) Assistent bis 1917 tätig. Ab 1914 leistete er Kriegsdienst, stieg bis zum Kompanieführer auf und erhielt das Eiserne Kreuz (EK) II sowie das Verwundetenabzeichen. Bevor er vertretungsweise nach Münster zurückkehrte, war er am 1.5.1920 als erster Assistent an das Zoologische Institut der Universität Kiel gewechselt und hatte sich dort am 29.7.1921 habilitiert. Seine Forschungsschwerpunkte hatte er nach eigenen Angaben auf Morphologie, Ontogenie, Phylogenie, Ökologie gelegt, trat während seiner Zeit in Münster aber vorrangig als Entomologe wissenschaftlich in Erscheinung. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 114; Humboldt-

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planmäßiger Assistent. Diese personelle Grundausstattung sollte für die nächsten Jahrzehnte unverändert bleiben.36 Eine der planmäßigen Assistentenstellen hatte zu Beginn der Amtszeit Feuerborns Joachim Evenius inne.37 Die andere planmäßige Assistentenstelle belegte seit dem 1. April 1922 Hans Krupp.38 Die dritte Stelle schließlich wurde von Hermann Rumphorst ausgefüllt.39 Er wurde am 1. April 1923 durch Otto Mar-

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Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin (UAB), PA Feuerborn, Bd. I; UAMs, Bestand 9, Nr. 523. Leider sind über die unter Feuerborn am Zoologischen Institut arbeitenden Assistenten nur bruchstückhaft Informationen überliefert. Dies liegt auf der einen Seite darin begründet, dass eine Vielzahl der sie betreffenden Personalakten als nicht überlieferungswürdig galt und nach einer gewissen Zeit vom Universitätsarchiv vernichtet wurde. Auf der anderen Seite mag die große personelle Fluktuation mit acht Assistenten, welche den fünf Jahren der Vertretung am Institut tätig waren, ebenso dazu beigetragen haben. Einige von ihnen verblieben nur eine so geringe Zeit an der Universität Münster, dass sich ihre Tätigkeiten kaum bis gar nicht in den überlieferten Akten niederschlugen. Ihr Einfluss auf die fachwissenschaftliche Ausrichtung des Instituts kann daher als gering eingeschätzt werden. Der Aufwand einer Nachforschung ihres weiteren beruflichen beziehungsweise akademischen Werdegangs hätte im Regelfall in keinem Verhältnis zum daraus möglicherweise erwachsenen Nutzen gestanden. Daher wurde über diesen Personenkreis nur dann weiter recherchiert, falls einer der Assistenten in späteren Jahren noch eine signifikante Rolle in Münster spielen sollte. Bei der Mehrheit war dies jedoch nicht der Fall, weswegen sich ihre Beschreibung an dieser Stelle auf das Nötigste beschränkt. Joachim Evenius wurde am 12.6.1896 in Lübeck geboren. Er war bereits seit dem 1.10.1921 als außerplanmäßiger Assistent beschäftigt worden und wechselte am 1.4.1922 auf die zweite planmäßige Assistentenstelle. Von dort gelangte er am 5.3.1923 auf die erste planmäßige Assistentenstelle. Am 7.3.1923 wurde er auf Basis seiner Dissertation „Beiträge zur Kenntnis des Darmkanals der Honigbiene“ promoviert. Evenius verblieb noch zwei weitere Jahre am Institut, ehe er die Chance ergriff, am 5.10.1925 an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin zu wechseln. Dort blieb er weiter im Bereich der Bienenforschung tätig und verfasste zahlreiche Schriften zu diesem Thema. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm er in Marburg den Vorsitz der Arbeitsgemeinschaft der Institute für Bienenforschung, den er bis Herbst 1969 beibehielt. Evenius blieb langjähriger Ehrenvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft. 1996 wurde ihm zu Ehren der Joachim-Evenius-Preis geschaffen, mit dem seither Nachwuchsforscher im Bereich der Bienenkunde bedacht werden. Siehe: Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, München 1992; UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Dienstvertrag Evenius; ebd.; Akte: Instituts-Akten im Geschäftsjahr 1922, Feuerborn an Dekan, 7.3.1923; Homepage der Arbeitsgemeinschaft der Institute für Bienenforschung, http://www.staff.uni-marburg.de/~ag-biene/dframeGE.html, Zugriff: 1.2.2010. Soweit nicht anders vermerkt, ist mit Dekan immer der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster gemeint. Krupp trat damit die Nachfolge von Stempells Assistent Koch an. Er verließ den Lehrstuhl am 30.9.1923. Über ihn sind keine weiteren Informationen überliefert. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Dienstvertrag Krupp, 1.4.1922. Rumphorst wurde am 25.5.1896 in Münster geboren und katholisch getauft. Von 1902 bis 1906 besuchte er die Domschule Münster und wechselte anschließend von 1906 bis 1915 auf das Gymnasium Paulinum. Im Ersten Weltkrieg wurde ihm 1917 das EK II verliehen.

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quart ersetzt.40 Ihm folgte am 1. Oktober 1923 Hans Goffart.41 Die hohe Fluktuation auf den Assistentenstellen am Zoologischen Institut der Universität Münster in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre spiegelte die unsichere berufliche Situation der biologischen Nachwuchswissenschaftler im ganzen Reich wider. Deutschland war noch immer von den Folgen des verlorenen Krieges gezeichnet. Politische Instabilität und Inflation schufen ein Klima, welches die Förderung der Hochschulen und der an ihnen arbeitenden Wissenschaftler auf der Prioritätenliste der politischen Entscheidungsträger zunächst nach hinten schob. Dies zeigte sich auch daran, dass die Münsterschen Assistenten in die Industrie oder an sichere universitätsexterne Forschungseinrichtungen wechselten, sobald sich ihnen die Gelegenheit dazu bot. Diese unsichere Lage blieb aber nicht nur auf die Mitarbeiter beschränkt. Auch der neue Direktor des Instituts war davon betroffen. So bot Feuerborns neue Stelle ihm keineswegs mehr Sicherheit als seinen zahlreichen Assistenten. Seine persönlichen Lebensumstände konnten sich schon allein aus dem Grund nicht festigen, dass er nicht etwa auf den Posten als Ordinarius berufen, sondern stattdessen sein Auftrag zur Vertretung Stempells jedes Semester

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Von 1919 bis 1923 studierte er an der Universität Münster und wurde dort 1923 promoviert. Daraufhin ging er, ebenso wie sein Kollege Evenius, an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin, wo er von 1923 bis 1924 verblieb. Seinen Forschungsschwerpunkt hatte er auf Fische und Fischereiwesen gelegt, was ihm zwischen 1931 und 1945 zu seiner Tätigkeit als Regierungsfischereirat und Leiter des staatlichen Fischereiamtes Stralsund verhalf. Während des Nationalsozialismus trat er in eine Vielzahl von Parteiorganisationen ein, so am 5.11.1933 in die Marine-SA-Reserve, wo er es 1938 zum, laut eigenen Angaben inaktiven, Scharführer brachte. 1934 wurde er Mitglied des Reichsdozentenbundes (RDozB) und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Ebenso trat er in den NS-Reichsbund für Leibesübungen (Seglerverein), in den Reichskolonialbund und schließlich am 1.5.1937 in die NSDAP ein. Für seine Beschäftigung nach dem Krieg liegen keine Informationen vor. Es ist jedoch anzunehmen, dass er in sein altes Berufsfeld zurückkehrte, da die Entnazifizierungsbehörden keine Bedenken gegen eine Wiederbetätigung als Fischereifachmann äußerten und ihn am 12.11.1946 in Kategorie V einstuften. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Rumphorst, NW 1039–R, Nr. 1897. Marquart wurde ab dem 1.4.1923 als außerplanmäßiger Assistent beschäftigt und übernahm am 1.10.1923 die Nachfolge Krupps als planmäßiger Assistent. Er verließ die Universität am 1.5.1925 und siedelte an die Landesanstalt für Fischerei in Berlin über. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Marquart an Feuerborn, 11.3.1925. Goffart wurde am 8.3.1900 in Düsseldorf geboren. Er wechselte am 1.5.1925 auf eine der planmäßigen Assistentenstellen und verließ das Institut kurz darauf am 31.7.1925, um seine Karriere an der Biologischen Reichsanstalt fortzusetzen. Dort wurde er auf Sonder-Privat-Dienstvertrag angestellt, arbeitete im Laboratorium für allgemeinen Pflanzenschutz und war Anfang 1933 als wissenschaftlicher Angestellter für Zoologie in der Zweigstelle der Anstalt in Kiel tätig. Nach dem Krieg wurde er 1949 Leiter des Instituts für Hackfruchtanbau der Biologischen Bundesanstalt. Goffart starb am 11.1.1965 in Münster. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Dienstvertrag Goffart; BAB, R 3602, Nr. 2013; BAB, R 3602, Nr. 2043; BAB, R 3602, Nr. 2199; Kürschner 1954; Kürschner 1970.

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aufs Neue verlängert wurde.42 Dies lag jedoch nicht in einer etwaigen Böswilligkeit der Universität begründet, sondern in den Umständen von Stempells Dienststrafverfahren. Trotz seines umfassenden Geständnisses wurde es ergebnisoffen geführt, und entgegen aller Erwartungen seitens des Rektorats lag eine milde Strafe und dadurch eine Wiedereinstellung des Zoologen durchaus im Bereich des Möglichen. Da sich das Verfahren schließlich bis 1926 hinzog, konnte somit die Fakultät lange Zeit keinen endgültigen Nachfolger berufen. Diese Situation belastete den stellvertretenden Direktor merklich. Um Feuerborn weiteren Pendelverkehr zwischen seiner Familie in Kiel und seiner Arbeitsstätte zu ersparen, zog das Ministerium in der Folge alle Register, um ihn trotz wachsenden Unmuts in Münster zu halten. Neben der Fortsetzung der Zahlung seiner Assistentenbezüge durch sein altes Kieler Institut erhielt er am 11. September 1923 in Münster zusätzliche Geldmittel seitens der Universität. Darüber hinaus wurden ihm zwei Räume im Dachgeschoß des Zoologischen Instituts provisorisch als Wohnung zur Verfügung gestellt.43 Zu diesem Zeitpunkt war das Institut, trotz schlechter finanzieller Lage, gegenüber den Vorjahren im Aufschwung begriffen. Der Besuch der Übungen und Vorlesungen war um 30 Prozent gestiegen: für Allgemeine Zoologie waren 154, für Tiergeographie 23, Spezielle Zoologie 86 und das Tierphysiologische Praktikum 37  Teilnehmer gemeldet. Die Beteiligung an Exkursionen und ornithologischen Führungen bezeichnete Feuerborn als gut, und durch den Erwerb von Insektensammlungen der Erben Osthaus konnte das Untersuchungs- und Lehrmaterial des Instituts erweitert werden. Im Sommersemester 1923 und dem Wintersemester 1923/24 wurden sechs Dissertationen fertiggestellt und sieben wissenschaftliche Schriften veröffentlicht.44 Gleichzeitig wurde deutlich, dass einige der Probleme, die das Institut teilweise schon seit Jahren plagten, weiterhin Bestand hatten. Neben der Unterbringung der zoologischen Sammlung war eines davon die unzureichende Raumsituation im Institutsgebäude. Sie wiederum übte einen negativen Einfluss auf die Lehr- und Forschungssituation der Zoologie als Ganzes aus. Seit dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten im Jahr 1913 hatten sich sowohl die technischen Ansprüche an das Fach als auch die baulichen Notwendigkeiten für dessen zeitgemäße Ausübung stark verändert. Hinzu kamen die weiter anwachsenden Studentenzahlen. Mit der geplanten Einrichtung einer Medizinischen Fakultät an der Universität Münster, die schließlich 1925 erfolgen sollte, stand ein weiterer Anstieg der zu betreuenden Studenten im Raum. Daher forderte Feuerborn bereits im Sommer 1923 auf lange 42 So am 5.4.1923, am 11.9.1923 und am 28.4.1924, siehe UAMs, Bestand 4, Nr. 227. 43 Ebd. 44 Dazu gehörten Stempells „Elemente der Tierphysiologie“, Evenius’ „Neuere Forschungen über die Verdauungsfermente der Bienen“ sowie Feuerborns „Die Larven der Psychodiden oder Schmetterlingsmücken“. Damit zeigten sich auch die Schwerpunktforschungsgebiete der Institutsmitarbeiter, die sie teilweise bis zum Ende ihrer Karriere beibehalten sollten. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten 1923, Bericht Feuerborns über die Zeit vom 1.3.1923–31.3.1924, undatiert.

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Frist einen Institutsneubau. Zwar sei kurzfristig eine Entspannung der Situation durch die Zuteilung weiterer Räume möglich. Dennoch müsse auch in Verbindung mit der noch immer ungeklärten Frage der Unterbringung der zoologischen Sammlung eine Gesamtlösung der Raumproblematik angestrebt werden. Die Sammlung war noch immer über dem Zahnärztlichen Institut untergebracht und damit zu weit entfernt. Feuerborn bezeichnete die allgemeine Situation darum als völlig unzureichend.45 Pläne der Universitätsleitung, das Institut in die Räumlichkeiten der Anatomie umziehen zu lassen, wurden vom Direktor aufgrund der schlechten Ausstattung des beabsichtigen Gebäudes abgelehnt.46 Daraufhin wurde die Angelegenheit von der Universitätsleitung auf Eis gelegt und musste weiter einer Lösung harren. In den folgenden Jahren verschlechterte sich die Situation dadurch weiter und wurde quasi zu einem Markenzeichen des Zoologischen Instituts. Tatsächlich konnte erst 30 Jahre später mit dem Umzug in den Institutsneubau unter Rensch ein Schlussstrich unter die Problematik gesetzt werden. Während das Institut demnach zu Beginn der Amtszeit Feuerborns mit einer Reihe von verschleppten Problemen zu kämpfen hatte, lassen sich auf der anderen Seite auch erste moderne Entwicklungen feststellen, welche im späteren Verlauf der Institutsgeschichte noch eine große Rolle spielen sollten. So wurden beispielsweise bereits in den frühen 1920er-Jahren durch die Anbindung von regelmäßigen Gastdozenten an das Institut die Grundsteine für eine außeruniversitäre Vernetzung der Zoologie gelegt. Sie sollte zum Teil bis zum Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit Bestand haben. Schon unter Stempell hatte Hans Helmut Wundsch regelmäßig Vorlesungen zu fischereiwissenschaftlichen Themen abgehalten. 1917 war er in Nachfolge des ehemaligen Privatdozenten am Zoologischen Institut, August Thienemann, zum Leiter der Biologischen Abteilung für Fischerei der Landwirtschaftlichen Versuchsstation Münster ernannt und 1919 Oberfischmeister für die Provinz Westfalen geworden. In dieser Tätigkeit setzte er seinen Unterricht am Institut auch in den folgenden Jahren weiter fort und sorgte so für eine enge Verzahnung von Universität und Provinzialverband. 1925 wechselte Wundsch als Ordinarius an die Landwirtschaftliche Hochschule Berlin.47 Seine Nachfolger in Münster, Conrad Lehmann und OttoKarl Trahms, sollten die Verbindung zum Zoologischen Institut mit zeitweiliger Unterbrechung auch in den folgenden Jahrzehnten aufrecht erhalten. 45 46 47

Ebd., Feuerborn an Kurator, 2.8.1923. Ebd., Akte: Institutsakten 1924, Feuerborn an Dekan, 31.7.1924. Gleichzeitig wurde er Direktor der Preußischen Landesanstalt für Fischerei in Friedrichshagen. Später fiel er den Säuberungsmaßnahmen der Nationalsozialisten zum Opfer, als er sich weigerte, seine „jüdisch versippte“ Frau zu verlassen. Siehe: Schäperclaus, Wilhelm, H. H. Wundsch, in: Hydrobiologia 13 (1959), S. 300–304, hier: S. 300f., sowie Klemm, Volker, Agrarwissenschaften während der Jahre des „Dritten Reiches“, in: HumboldtUniversität Berlin (Hg.), Rolle und Verantwortung der Agrarwissenschaften in der internationalen Entwicklung, Berlin 2000, S. 10–18, hier: S. 12.

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Neben Wundsch war auch Stempells ehemaliger Assistent Albert Koch, der nach seinem Abschied vom Institut die Leitung der Westfälischen Versuchs- und Lehranstalt für Bienenkunde in Münster übernommen hatte, weiter mit regelmäßigen Veranstaltungen an seiner alten Wirkungsstätte vertreten. Das Preußische Wissenschaftsministerium gewährte der Anstalt Anfang 1923 eine Beihilfe von 20.000 Mark unter der Voraussetzung, dass die Einrichtung den Studierenden des Zoologischen Instituts zur Verfügung stehe.48 Damit begann eine lange Phase der Kooperation und personellen Verflechtung mit den biologischen Instituten der Universität Münster. Sein Nachfolger Franz Becker setzte die Zusammenarbeit fort, und noch 1967 sollte der Leiter der Anstalt, Professor Hermann Heddergott, gleichzeitig einen Lehrauftrag am Botanischen Institut der Universität inne haben.49 Somit war die Lage am Zoologischen Institut Mitte der 1920er-Jahre von einer eigentümlichen Balance aus Unsicherheit, Tradition und Fortschritt geprägt. Während seine Mitarbeiter ihr Heil in Scharen außerhalb der Universität Münster suchten, sah Institutsleiter Feuerborn indes die Instabilität auch als Chance an, endlich auf der Karriereleiter den entscheidenden Schritt nach oben vollziehen zu können. Mit inzwischen 40 Jahren hatte er das Durchschnittsalter eines Assistenten weit überschritten und war dennoch beruflich nicht vorangekommen. Seit 1906 war er derselben Statusebene, das heißt derjenigen der Nicht-Professoren, verhaftet geblieben. In der Vertretung Stempells und der Möglichkeit einer unbefristeten Übernahme des Lehrstuhls sah er seine womöglich letzte Chance, an den prestigeträchtigen und vor allem finanziell sicheren Posten eines Ordinarius zu gelangen. Daher wandte er sich ab 1924 mit mehreren Briefen an die Universitätsleitung, in denen er seine Situation schilderte und sie bat, beim Ministerium auf eine baldige Entscheidung bezüglich seiner beruflichen Zukunft zu drängen. Seine Hauptargumente waren dabei, dass die Unsicherheit bezüglich der Institutsleitung sich negativ auf Forschung und Lehre auswirke.50 Eine unmittelbare Reaktion der Universität ist aus den Akten nicht ersichtlich. Ein internes Schreiben zeigt jedoch, dass man seitens des Ministeriums nicht langfristig mit Feuerborn plante. Am 25. Februar 1925 teilte das Wissenschaftsministerium dem Kurator mit, dass das Urteil des Disziplinarhofes für die nichtrichterlichen Beamten gegen Stempell zwar noch nicht rechtskräftig sei, er nicht mit einer weiteren Wahrnehmung der Vertretung durch Feuerborn rechnen solle.51 Der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät hingegen konnte sich dem Drängen des stellvertretenden Ordinarius offenbar nicht komplett 48 49 50 51

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Instituts-Akten im Geschäftsjahr 1922, Nachricht des Kurators, 8.3.1923. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 7.12.1951. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 18.9.1924, sowie Feuerborn an Dekan, 17.2.1925. Ebd., PrWM an Kurator, 25.2.1925.

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verschließen. Am 4. März 1925 antwortete er Feuerborn, dass die Fakultät seinen Einsatz für das Institut würdige und ihm dankbar für die Vertretung sei. Er selbst könne daher Feuerborns Wunsch nicht im Wege stehen und würde den Wissenschaftsminister um eine Verlängerung der Vertretung bitten. Gleichzeitig machte er aber deutlich, dass die Fakultät eine Verlängerung der Situation weder für zweckmäßig hielt noch als günstig für Feuerborn erachtete. Offensichtlich verstand der Dekan genau, welche Absichten der Zoologe hegte. Daher machte er eines noch einmal sehr deutlich: der Vorgang präjudiziere nichts für eine spätere Verwendung und Anstellung des Zoologen am Institut.52 Zehn Tage später, am 14. März 1925, meldete der Dekan den Vorgang pflichtgemäß an Kurator und Ministerium. Erneut schränkte er ein, dass die Fakultät zwar andere Vorstellungen zur weiteren Besetzung des Postens habe, aber keinen Grund sähe, Feuerborns Bitte abzuschlagen. Gleichzeitig lehne sie jede Verantwortung für etwaige Konsequenzen, die durch eine weitere Belassung des Privatdozenten in dieser Stellung entstehen könnten, ab.53 Die Befürchtungen des Dekans waren, wie sich spätestens 1933 zeigen sollte, vollkommen berechtigt, denn Feuerborn tat genau das, was die Fakultät explizit ausgeschlossen hatte: er interpretierte die weitere Verwendung als Weichenstellung zu einer vollständigen Übernahme des Ordinariats. Die Konflikte zwischen ihm und seinem künftigen Vorgesetzten Leopold von Ubisch waren im Kern also bereits 1925 angelegt. Die personellen Unsicherheiten blieben indes nicht allein auf den stellvertretenden Ordinarius beschränkt. Der verlorene Krieg und seine Folgen hatten das Wirtschaftssystem des Deutschen Reiches zerrüttet und in die Inflation geführt.54 Die Krise hatte auch vor dem Bildungssystem nicht haltgemacht, und so sah sich der neue Institutsleiter, neben generellen finanziellen Einschnitten, permanent mit der möglichen Streichung von Assistentenstellen konfrontiert. Zwischen 1923 und 1925 konnte sich Feuerborn dieser Pläne jedoch erfolgreich erwehren. Dabei wusste er das Ministerium vor allem dadurch zu überzeugen, indem er die Assistenten als essentiell wichtig für die Aufrechterhaltung der Qualität von Forschung und Lehre am Institut darstellte.55 Der Institutsbetrieb entsprach zu diesem Zeitpunkt weitestgehend dem der Vorkriegszeit. Auch wenn die Anzahl der Hörer in den Vorlesungen teilweise viel höher lag, waren bei einer Gesamtzahl von 2.001 Studenten an der Universität Münster im Wintersemester 1924/25 insgesamt nur 13 davon (neun männliche, vier 52 53 54 55

Ebd., Dekan an Feuerborn, 4.3.1925. Ebd., Dekan an Kurator und PrWM, 14.4.1925. Vgl. hierzu unter anderem Wehler, Hans-Ulrich, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 4: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914– 1949, München 2003. UAMs, Bestand 9, Nr. 522, Feuerborn an Kurator, 29.1.1923; UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten 1923, Feuerborn an Kurator, 30.7.1923; UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 9.2.1924; UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 10.1.1925.

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weibliche) für Biologie eingeschrieben. Damit rangierte Münster sowohl was die Gesamtzahl als auch den Bereich Biologie betraf am unteren Ende der preußischen Hochschulen (zum Vergleich: Marburg 1.569 Studenten, davon 26 Biologie; Berlin 7.311, davon 83 Biologie).56 Neben der Furcht vor einer Stellenkürzung war die teils mangelhafte materielle Ausstattung des Instituts zu jener Zeit eine weitere große Sorge des Lehrstuhlleiters. So entsprächen Unterrichtsmittel und -sammlung nicht modernen Standards, und die Sparsamkeit zwinge dazu, Bestände durch eigenes Sammeln aufzustocken.57 Feuerborn zufolge gefährdete sie sogar die Aufrechterhaltung eines geregelten Lehrbetriebes.58 Die mangelnde finanzielle Unterstützung, besonders greifbar in der fast jährlichen Überschreitung des Institutsetats,59 entwickelte sich in der Folgezeit zu einem immer wiederkehrenden Problem für die Ordinarien der Zoologie.60 Darunter musste auch die Kontaktpflege der Institutsmitarbeiter leiden. So beantragten sowohl Feuerborn61 als auch sein Assistent Joachim Evenius62 im Mai 1925 beim Kurator einen Zuschuss zu den Fahrtkosten zum Zoologen-Tag der Deutschen Zoologischen Gesellschaft vom 2. bis 4. Juni 1925 in Jena. Evenius’ Antrag wurde mangels verfügbarer Mittel abgelehnt; Feuerborn erhielt lediglich 55 Reichsmark. Dass die Probleme des Instituts zu dieser Zeit jedoch nicht allein aus der unsicheren Personallage und der unzureichenden finanziellen Ausstattung resultierten, sondern auch direkt mit der Person des stellvertretenden Ordinarius zusammenhingen, macht ein Vorgang aus dem Jahr 1925 deutlich. Die Sorge der verantwortlichen Stellen um die fachwissenschaftlichen Inhalte und die Qualität der Lehrkräfte am Institut veranlasste sie zu einer ungewöhnlichen Kritik an Feuerborns Publikationstätigkeit. Dabei ging es zum einen um die geringe Zahl der Veröffentlichungen des stellvertretenden Direktors. In der Tat hatte er, abgesehen von seiner Dissertation, seit 1908 nur insgesamt 17 Schriften publiziert, was für einen Wissenschaftler, der sich Hoffnungen auf die Übertragung eines Ordinariats machte, eine außergewöhnlich geringe Zahl darstellte.63 Zum anderen zielte der Kurator auf eine Forschungskontroverse ab, welche Feuerborn durch die Veröffentlichung einer neuartigen Theorie über den Bau des Insektenthorax’ ausgelöst hatte. Diese war von mehreren Zoologen, unter anderem auch vom späteren Münsterschen Ordinarius Hermann Weber, bereits 1923 auf das Heftigste angegriffen worden. Feuerborn 56 57 58 59 60 61 62 63

Statistik der Landesuniversitäten und Hochschulen Preußens für das Wintersemester 1924/25, in: UAMs, Bestand 4, Nr. 1169. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 10.1.1925. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten 1924, Feuerborn an unbekannt, 9.12.1924. Zum Beispiel ebd., PrWM an Kurator, 12.11.1923. Vgl. die vielen Schreiben Feuerborns zu diesem Thema in: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten im Geschäftsjahr 1922. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 12.5.1925. Ebd., Evenius an Kurator, 11.5.1925. Vgl. hierzu beispielsweise von Ubisch, Kosswig oder Rensch, die in ähnlichen Karrierestadien bereits weitaus mehr Publikationen vorweisen konnten.

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hingegen sah sich durch das Schreiben in seiner wissenschaftlichen Ehre angegriffen und reagierte gekränkt. Dem Vorwurf der mangelnden Qualität setzte er entgegen, dass das Preußische Wissenschaftsministerium die Absicht habe, ihn nach Beendigung seiner Tätigkeit in Münster und der Rückkehr nach Kiel zum nicht beamteten außerordentlichen (nichtbeamteten außerordentlichen) Professor zu ernennen  – und dies trotz des ihm anhaftenden „literarischen Schönheitsfehlers“.64 Außerdem glaube er, seine Theorie durch Vorlage neuer Ausführungen begründet und die Angriffe darauf erfolgreich zurückgewiesen zu haben.65 Bezüglich des bisherigen Umfangs seiner literarischen Produktion hatte der Zoologe jedoch eine andere Erklärung parat. So läge dieser Umstand darin begründet, dass er bislang einfach keine Zeit gefunden habe, mehr zu veröffentlichen. Während seiner Zeit als Assistent in Münster ab 1906 habe er seine gesamte Arbeitskraft in die Neueinrichtung des Instituts investiert und nebenher nur Zeit für seine Dissertation gefunden. Bis Kriegsbeginn sei die Situation unverändert geblieben, und da er ab 1914 permanent im Felde gestanden habe, habe er wieder keine Zeit gehabt. Erst in Kiel habe ihm die Tätigkeit als erster Assistent etwas Luft verschafft, und da er kurz darauf bereits unter Zurücklassung seines gesamten Materials nach Münster beordert worden sei und dort wieder seine gesamte Kraft in Leitung und Ausbau des Instituts gesteckt habe, sei ihm wieder keine Zeit geblieben.66 Feuerborn machte also auch in diesen Fällen nicht sich selbst, sondern seine Umgebung für eventuelle Missstände verantwortlich. Auch in späteren Auseinandersetzungen sollte der Zoologe dieses Argumentationsmuster weiter verfolgen. Einen unmittelbaren Einfluss auf die Situation am Institut hatte die Auseinandersetzung zunächst nicht. Die folgenden Monate brachten dann auch vorerst nicht die vorhergesehene Rückberufung Feuerborns nach Kiel, sondern einen kompletten Austausch der Assistenten. Sowohl Evenius als auch Marquart und Goffart verließen das Institut, um ihre Karrieren außeruniversitär fortzusetzen. Feuerborn führte diesen Verlust in einem Schreiben an den Kurator vom 25. Januar 1926 erneut auf die weiterhin bestehende Unsicherheit über die zukünftige Leitung des Instituts zurück. Zur gleichen Zeit konnte er zum wiederholten Male Versuche abwehren, die dritte Assistentenstelle des Instituts zu streichen.67 Für die nächsten zwei Jahre stabilisierte sich danach auf Assistentenebene die Personalsituation. Die erste Stelle wurde zum Wintersemester 1925/26 mit Hein64 65

66 67

UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 2.8.1925. Vgl. Feuerborn, Heinrich Jakob, Das Labialsegment, die Gliederung des Thorax und die Stigmenverteilung der Insekten in neuer Beleuchtung, in: Zoologischer Anzeiger 54 (1922), S. 49–61 bzw. S. 97–111; zu seinen Kritikern unter anderem Martini, Erich, Bemerkungen zu Feuerborns neuer Theorie über den Thoraxbau der Insekten, in: Zoologischer Anzeiger 55 (1923), S. 176–190, und Weber, Hermann, Zur Gliederung des Insektenthorax. Kritische Bemerkungen zu H. J. Feuerborns neuer Thoraxhypothese, in: Zoologischer Anzeiger 57 (1923), S. 97–124. UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 2.8.1925. Ebd., Feuerborn an Kurator, 25.1.1926.

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rich Kemper besetzt. Er verblieb bis zum Ende des Sommersemesters 1927 auf diesem Posten und wechselte dann an die Preußische Landesanstalt für Boden-, Wasser und Lufthygiene.68 Die zweite Stelle übernahm im selben Semester Fritz Peus. Er verließ das Institut 1927 in dieselbe Richtung. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte er im Zusammenhang mit der Berufung Bernhard Renschs nach Münster noch einmal eine Rolle spielen.69 Die Stelle des außerplanmäßigen Assistenten 68

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Kemper wurde am am 24.2.1902 in Füchtorf geboren. 1943 war er für das Ministerium für die besetzten Ostgebiete, Einsatzstab Einsatzleiter Rosenberg, in Ratibor tätig. Nach dem Krieg habilitierte sich Kemper 1949 an der FU Berlin und wurde dort 1953 zum Honorarprofessor ernannt. Außerdem wurde er Abteilungsleiter beim Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene des Bundesgesundheitsamtes. Kemper starb am 2.11.1969 in Berlin. Siehe: Kürschner 1976; UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Feuerborn an Kurator, 17.7.1925; BAB, NS 30, NS 30/123, Bl. 6; Kürschner 1966; Kürschner 1976. Fritz Peus wurde am 22.4.1904 als Sohn eines Regierungsassessors in Siegen geboren. Nachdem er 1923 das Abitur am Gymnasium Paulinum in Münster abgelegt hatte, studierte er von 1923 bis 1927 Zoologie, Botanik und Physik in Münster und Rostock und wurde auf Basis einer Arbeit über „Beiträge zur Kenntnis der Tierwelt nordwestdeutscher Hochmoore“ am 15.12.1927 promoviert. Im Hinblick auf seine Hauptforschungsbiete hatte sich Peus bereits auf Flöhe und Zweiflügler spezialisiert, aber auch in der Ornithologie, Systematik und Ökologie gearbeitet. Er verließ das Institut 1927 in Richtung Preußische Landesanstalt für Boden-, Wasser und Lufthygiene. Da er auch nach dem Zweiten Weltkrieg im Zusammenhang mit der Berufung Bernhard Renschs nach Münster noch einmal eine Rolle spiele sollte, sei hier noch auf seine weitere Karriere nach seinem Weggang aus Münster hingewiesen. Peus arbeitete auch in den 1930er-Jahren weiter bei der Preußischen Landesanstalt für Boden-, Wasser und Lufthygiene und wurde dort 1939 Abteilungsleiter und Professor. 1942 wechselte er an das Tropenmedizinische Institut der Militärärztlichen Akademie Berlin, wo er bis Kriegsende verblieb. Politisch war Peus während des Nationalsozialismus umfassend aktiv. 1934 trat er in den RDozB ein, 1936 in die NSV, 1939 in das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und 1940 in den Reichsluftschutzbund (RLSB). Im selben Jahr wurde er Mitglied der NSDAP. Seine Arbeit als Zoologe brachte ihm 1942 für das Buch „Die Fiebermücken des Mittelmeergebietes“ das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern II. Klasse ein. Später erhielt er noch das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern I. Klasse für beratende Tätigkeit in der Malariabekämpfung. Nach 1945 ging Peus an das Institut für Kleintierzucht Celle, war aber ab Januar 1946 am späteren Landesmuseum für Naturkunde in Münster als wissenschaftlicher Assistent beschäftigt, wo sich seine Wege erneut mit dem Zoologischen Institut kreuzten. Im Juni 1947 wurde er zum Leiter der Dipteren-Abteilung am Zoologischen Museum Berlin berufen und an gleicher Stelle 1949 Kustos der Dipteren- und Siphonapteren-Abteilung. 1959 wurde er Direktor des Museums und Professor an der Humboldt-Universität Berlin, 1962 Professor an der FU Berlin und dort 1966 Direktor des Instituts für angewandte Zoologie. 1969 wurde er emeritiert. Peus starb am 17.11.1979 in Berlin. Peus war es auch, der von allen Mitarbeitern der Biologischen Institute der Universität Münster in seinem Entnazifizierungsverfahren die außergewöhnlichste Geschichte über seine politischen Aktivitäten im „Dritten Reich“ vorbrachte. Er behauptete, seit September 1943 in die Attentatspläne auf Hitler eingeweiht gewesen zu sein, da er mit den Verschwörern verkehrt hätte. Ob der Ausschuss ihm dies glaubte, ist unklar. Zumindest wurde er am 30.1.1950 in Kategorie V eingestuft. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Kurator an Feuerborn, 30.9.1925;

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übernahm am 1. Mai 1925 Theodor Schräder. Er ging 1927 an die Landesanstalt für Fischerei.70 Während 1925 das Personal am Institut also gänzlich neu aufgestellt wurde, verblieb Feuerborn nach wie vor in einem karrieretechnischen Schwebezustand. Im Frühjahr 1926 stand aber schließlich auch er an einem beruflichen Scheideweg. Grund hierfür waren aber erneut nicht seine eigenen Tätigkeiten, sondern wiederum äußere, von ihm nicht steuerbare Entwicklungen. Nach vier Jahren der Abwesenheit hatte nämlich die Universität Kiel seine alte Assistentenstelle anderweitig besetzt, und Feuerborn war dadurch rein rechtlich nicht mehr als Angestellter tätig. Aus diesem Grund beantragte er am 1. März 1926 beim Kurator, ihm auch für das kommende Sommersemester die Vertretung des Ordinariats zu übertragen. Im Unterschied zu den Vorjahren müsse er aber von nun an als Assistent am Zoologischen Institut der Universität Münster angestellt werden. Gleichzeitig solle er aber von der Assistententätigkeit entbunden werden, um seine Pflichten als Direktor erfüllen und die beiden anderen planmäßigen Assistentenstellen behalten zu können. Eine Finanzierung dieses Vorhaben müsse aber, wohl aufgrund der finanziellen Lage des Instituts und aus verwaltungstechnischen Gründen, aus dem Zentralfonds erfolgen. Da die Berufung Stempells gegen das Urteil des Disziplinargerichts weiterhin in der Schwebe hing, reichte der Kurator die Bitte beim Wissenschaftsministerium ein, wo ihr entsprochen wurde.71 Damit war Feuerborn seinem Ziel, eine feste Position in Münster zu erreichen, wieder einen Schritt näher gekommen. Weitere Unterstützung erhielt er inzwischen auch durch seine Studenten. Am 2. Februar 1926 wandte sich die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fachschaft mit der Bitte an die Fakultät, ihn auch als neuen Ordinarius zu bestätigen und diesen Wunsch an höhere Stelle weiterzuleiten.72 Die Studentenschaft bildete damit eine neue Ressource, welche der Entomologe geschickt zu mobilisieren wusste und auch bei späteren Auseinandersetzungen ins Feld zu führen wissen sollte. Generell kann für die letzten zwei Amtsjahre Feuerborns von einer Stabilisierung der Situation gesprochen werden. Weniger positiv ausgedrückt kann sie jedoch auch als Abschluss einer Phase der Stagnation gelten. Dafür sprechen auch die Begleitumstände, in denen sich das Institut Mitte 1926 befand. Organisatorisch hatte Feuerborns seit 1925 nur wenige Dinge verändert. Neben der Erweiterung des Bibliotheksbestandes, dem Ankauf von drei Laboratoriumsmikroskopen und

70 71 72

UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1; Berger, Martin, Die Insektensammlungen im Westfälischen Museum für Naturkunde Münster und ihre Sammler, Münster 2001, S. 82ff.; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Peus, NW 1038, 5294. Schräder wurde am 6.6.1904 geboren. Am 1.12.1932 trat er in die NSDAP ein. Weiteres ist zu ihm nicht überliefert. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1913ff., Kurator an Feuerborn, 18.4.1925; BAB, ehemals Berlin Document Center (BDC), 31XX/Q0028. UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Kurator an PrWM, 6.3.1926. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fachschaft an Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 2.2.1926.

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dem Umzug der Schausammlung ins Dachgeschoß gehörte hierzu hauptsächlich die Bearbeitung einer 1923 über eine Erbschaft an die Zoologie gelangte Insektensammlung. Die bereits unter Stempell eingeführten Exkursionen wurden weiterhin durchgeführt, während die Zahl der die Vorlesungen besuchenden Studenten auf insgesamt 380 stieg.73 Auch im folgenden Jahr wurde das langsame Tempo beibe­ halten. Wieder wurden lediglich einige Mikroskope angeschafft, die Insektensammlung bearbeitet und Exkursionen, diesmal unter anderem nach Tirol, durchgeführt. Wissenschaftlich entwickelte sich das Institut nicht weiter. Einzig die Studentenzahl stieg weiter an.74 Dieser Befund wird auch durch einen Blick auf die Forschungsund Lehrinhalte des Instituts gestützt. Deren Wandel schlägt sich für gewöhnlich in mehreren Quellenarten nieder. Zum einen sind dies Vorlesungsprotokolle; solche sind aber für die Zeit vor 1945 für die Zoologie nicht überliefert. Des Weiteren lassen sich anhand der wissenschaftlichen Veröffentlichungen beteiligter Professoren und Assistenten Schwerpunkte und Tendenzen erkennen. Auch in diesem Bereich ist, zumindest was die Vertretungszeit Feuerborns angeht, die Quellenlage ebenso schlecht. Wie bereits erwähnt hinterließen die nur kurzzeitig am Institut beschäftigten Assistenten so gut wie keine Spuren. Feuerborn selbst veröffentlichte bis zu seiner Ablösung an der Spitze des Instituts insgesamt nur eine sehr geringe Anzahl von Beiträgen, und davon noch einmal nur einen Bruchteil in der Zeit zwischen 1922 und 1927. Was sich davon auswerten ließ, beschäftigte sich mit Entomologie und Limnologie, wobei der in der Fachwissenschaft stark angegriffene Beitrag zum Bau des Insektenthorax das prominenteste, gleichzeitig aber auch im Hinblick auf die schlechte Qualität aussagekräftigste Beispiel darstellt. Daher muss sich die fachwissenschaftliche Analyse des Feuerborn’schen „Ordinariats“ auf eine Auswertung der Vorlesungsverzeichnisse sowie der Themen der zwischen 1922 und 1927 eingereichten Dissertationen beschränken. Insgesamt wurden im oben genannten Zeitraum elf Doktorarbeiten von Feuerborn alleine betreut und geprüft. Verglichen mit den in der gleichen Zeit in der Botanik eingereichten Arbeiten (zehn)75 lässt die Anzahl nicht auf Außergewöhnliches schließen. Thematisch beschäftigten sie sich mit Feuerborns Spezialgebieten, nämlich entweder Gewässertieren76 oder Insekten, hierbei insbesondere den Psychodidae.77 Einzig herausstechende Arbeit ist diejenige von Heinrich Josef Krämer, der mit „Über die Wirkung von ausgeflocktem Eisenhydroxyd auf die Ufer- und 73 74 75 76 77

Chronik der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 1925/26, S. 69ff. Chronik 1926/27, S. 64. Vgl. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel die Dissertation von Wilhelm Schäperclaus „Untersuchungen über den Stoffwechsel, insbesondere die Atmung niederer Wassertiere“, vom 22.2.1924, bewertet mit sehr gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel „Das larvale Muskelsystem und die Entwicklung der imaginalen Flugmuskulatur von Psychoda alternata Say“ von Lina Dirkes vom 12.7.1928, bewertet mit gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1.

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Bodenfauna der fliessenden [sic!] Gewässer“ einen Ansatz des noch jungen Teilgebiets der Ökologie, welches sich zur damaligen Zeit ausdifferenzierte,78 wählte und am 2. April 1925 mit sehr gut bewertet wurde.79 Innovative Themen oder Impulse lassen sich, mit oben genannter Ausnahme, nicht erkennen. Feuerborn konnte zwar den Prüfungsinhalten seinen Stempel aufdrücken, beschränkte sich bei der Anleitung seiner Schüler aber auf das, was ihm vertraut war, und brachte die Arbeit am Institut inhaltlich nicht voran. Ähnlich sah es bei den Vorlesungsinhalten aus, denn auch sie blieben über den gesamten Zeitraum weitgehend konstant. Kernveranstaltungen waren die Lesungen „Allgemeine Zoologie“ sowie „Spezielle Zoologie“ I und II, die jeweils turnusmäßig angeboten wurden. Erstere wandte sich neben Zoologen auch an andere Naturwissenschaftler, Mediziner und Landwirte und beschäftigte sich mit vergleichender Anatomie und Physiologie, Entwicklungsgeschichte und Biologie. Spezielle Zoologie II behandelte die Themen Urtiere, Schwämme, Nesseltiere, Würmer, Stachelhäuter und branchiate Gliedertiere, und Spezielle Zoologie II tracheate Gliedertiere, Weichtiere, Weichtierähnliche, Manteltiere und Wirbeltiere.80 Daneben traten ebenso regelmäßig die makro- beziehungsweise mikroskopischen Praktika, Anleitungen zu selbständigem wissenschaftlichen Arbeiten sowie, in den Sommersemestern, Exkursionen. Jeweils abwechselnd in den Winter- und Sommersemestern wurden das Zoologische Seminar und das Zoologische Laboratorium abgehalten. Hierbei wechselte man sich mit dem Botanischen Institut ab, hielt Vorträge und Literaturbesprechungen und bot Museums- und Sammlungstechnik und Bestimmungsübungen. Die unter Stempell bereits 1913 als damalige Innovation eingeführten tierphysiologischen Vorlesungen und Praktika wurden auch unter Feuerborn beibehalten und richteten sich, ebenso wie die Allgemeine Zoologie, auch an Studenten aus den Nachbardisziplinen. Zwei Schwerpunkte der Lehre, die indes durch externe Lehrbeauftragte betreut wurden, boten die Fischereibiologie und die Bienenzucht. Innovationen ließen sich jedoch unter den angebotenen Veranstaltungen schwerlich finden. Traten sie doch einmal auf, wie beispielsweise der „Kursus über angewandte Biologie (für Landwirte, Biologen und landwirtschaftlich interessierte Hörer aller Fakultäten)“ im Sommersemester 1922 oder „Die angewandte Biologie im modernen Wirtschaftsleben“ im Wintersemester 1922/23, kamen sie von externen Mitarbeitern und hielten sich nur für ein Semester. Mit voranschreitender Zeit schrumpfte die Zahl der Veranstaltungen zusammen und reduzierte sich zunehmend auf die bereits erwähnten Kernaspekte. Der Modernisierungsschwung, der unter Stempell noch Inhalte und Struktur der Forschung und Lehre vorangetrieben 78 79 80

Leps, Günther, Ökologie und Ökosystemforschung, in: Jahn, Geschichte der Biologie, 2006, S. 2160–2230. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 1922– 1927.

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hatte, verebbte unter der Leitung Feuerborns. Anstatt das Institut zu reformieren, ließ er es in die Beliebigkeit fallen und koppelte es dadurch von der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung ab. Einzig mit dem Themengebiet Heimatkunde konnte er Akzente setzen.81 Bezeichnend bleibt jedoch, dass Feuerborn selbst mit diesem Forschungsfeld hinter den Stand der Institutsentwicklung zu Zeiten Stempells zurückfiel. Dieser hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg klar gemacht: „Wenn echte westfälische Heimatliebe und treue Heimatforschung die Hauptstärke der alten Münsteraner Zoologen war, so wird die Aufgabe der neuen Generation sein, den Blick über die Grenzpfähle der Heimat hinaus in größere Weiten zu richten. Nur wenn sie dessen eingedenk bleiben, wird das neue Institut sich würdig seinen Schwesteranstalten an anderen Universitäten einreihen und so schließlich auch der engeren Heimat zur Ehre gereichen.“82

Ein Thema, mit dem sich die Münsterschen Zoologen in den 1920er-Jahren definitiv nicht beschäftigten (und dies ist im Hinblick auf Feuerborns spätere Konver­ tierung zum Experten für Rassenkunde interessant), war Vererbungslehre und Rassenhygiene. Als im Frühjahr 1925 der Bearbeiter der Abteilungen „Erblichkeitslehre und Variationserscheinungen“ und „Rassenunterschiede des Menschen, Anthropologie“ einer Düsseldorfer Ausstellung für „Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“ beim Zoologischen Institut anfragte, ob man sich beteiligen wolle,83 musste Feuerborn antworten, dass man dies leider nicht könne, da man zu den Themen nicht forsche.84 Betrachtet man also sowohl wissenschaftliche Veröffentlichungen, Themen der Qualifikationsarbeiten und Lehrinhalte nebeneinander, lässt sich der Eindruck einer Stagnation des Zoologischen Instituts nicht von der Hand weisen. Damit bestätigt dieser Eindruck das Bild, das sowohl Universitätsleitung als auch Ministerium für die Zeit von 1922 bis 1927 gewonnen hatten. Dies sollte daher nicht zuletzt entscheidend dafür sein, Feuerborn bei der Suche nach einem neuen Ordinarius nicht zu berücksichtigen. Ein knappes halbes Jahr nach Feuerborns Etappensieg auf dem Weg zum Ordinariat, den er durch die erneute Verlängerung seiner Vertretung errungen zu haben glaubte, kam nach langer Zeit der Unsicherheit endlich Bewegung in die Causa Stempell und damit auch in die Frage nach einer abschließenden Besetzung des Lehrstuhls. Während der Ordinarius in spe vom 20. bis zum 30. September 1926 auf dem Naturforscher- und Ärztetag in Düsseldorf weilte und sich in Münster von seinem Assistenten Schräder vertreten ließ,85 teilte das Preußische Wissenschaftsministerium dem Kurator mit, dass das Preußische Staatsministerium die Berufung 81 82 83 84 85

Vgl. Kapitel 8.3. Stempell 1912, S. 128. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten 1925, 1.4.1925–31.3.1926, Bearbeiter an Feuerborn, 18.4.1925. Ebd., Feuerborn an Bearbeiter, 22.4.1925. UAMs, Bestand 9, Nr. 807, Feuerborn an Kurator, 10.9.1926.

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Stempells gegen seine Entlassung aus dem Dienst endgültig zurückgewiesen habe. Da damit der Weg für eine Neubesetzung des Lehrstuhls für Zoologie frei sei, bat er um die Einreichung des üblichen Dreiervorschlags für die Nachfolge Stempells.86 Eine Woche später konnte der Kurator die Neuigkeiten dem Rektor und dem Senat bekanntgeben.87 Noch einmal zwei Wochen später übersandte das Ministerium den Beschluss des Staatsministeriums nebst 12-seitiger Urteilsbegründung nach Münster.88 Die Fakultät machte sich daraufhin wie erbeten ans Werk. Am 29. Oktober 1926 tagte sie erstmals zum Thema der Neubesetzung. Am 10. Dezember 1926 wurden die namentlichen Vorschläge für die Nachfolge besprochen und die Vorschlagsliste beschlossen.89 Bereits am folgenden Tag konnte der Dekan die Liste beim Ministerium einreichen. Wie sich in den Kommentaren der Universitätsleitung schon Anfang 1925 angedeutet hatte, fehlte auf ihr der Name Heinrich Jakob Feuerborn. Stattdessen fanden sich fünf andere Zoologen auf der Liste wieder. An die erste Stelle setzte die Fakultät Max Hartmann, den Direktor des KWI für Biologie in Berlin-Dahlem. An zweiter Stelle rangierte Leopold von Ubisch, außerordentlicher Professor an der Universität Würzburg. Den dritten Platz teilten sich Berthold Klatt (Hamburg), Ernst Matthes (Breslau) und Paul Schulze (Rostock). Wie allgemein üblich folgten der Liste wissenschaftliche Kurzbiographien, in denen neben den Leistungen vor allem die Forschungsschwerpunkte der einzelnen vorgeschlagenen Wissenschaftler zusammengefasst wurden. Sie bieten einen guten Indikator dafür, welche zukünftige Richtung sich die Fakultät für ein Institut vorstellte, welche Themenbereiche man als wichtig betrachtete und worauf man bei einem Forscher Wert legte. Im Falle Hartmanns machte die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät interessanterweise keinen Hehl aus ihrer Bewunderung für den Zoologen und verzichtete ganz auf eine Schilderung seines Werdegangs. Ihr zufolge erübrige es sich, Hartmanns wissenschaftliche Verdienste darzulegen, da er sehr erfolgreich die gesamte Biologie behandle.90 Rückblickend betrachtet stellt sich bei einer derartigen Vorgehensweise der Universität die Frage, ob sie eine Berufung Hartmanns nach Westfalen überhaupt ernsthaft erwartete oder ob seine Platzierung auf dem ersten Listenplatz nicht eher symbolische Gründe hatte. Alles in allem war ein Wechsel des international hoch angesehenen Forschers von einem Posten wie dem im KWI an eine Universität wie Münster eher unwahrscheinlich. Dies war auch den Beteiligten bewusst. 86 87 88 89 90

GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 adhib., PrWM an Kurator, 23.9.1926. UAMs, Bestand 4, Nr. 231. UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1, PrWM and Kurator, 23.10.1926. UAMs, Bestand 62, GB 11, Bd. 3, Einladungen zur Fakultätssitzung vom 29.10.1926 bzw. 10.12.1926. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, Bd. XVI, Dekan an PrWM, 11.12.1926.

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Im Falle von Ubischs sah die Beurteilung bereits anders aus. Als Schüler von August Weismann, Theodor Boveri und des späteren (1935) Nobelpreisträgers Hans Spemann91 hatte er bereits Erfahrungen durch Vertretungen der Ordinariate für Zoologie in Würzburg (Sommersemester 1925) und Erlangen (Sommersemester 1926) gesammelt. Wissenschaftlich hatte er sich vor allem mit Entwicklungsgeschichte (hauptsächlich bei Seeigeln), Entwicklungsphysiologie (hauptsächlich bei Amphibien, Echiniden und Lumbricoiden) sowie Tiergeographie befasst. Mehrfache Aufenthalte an ausländischen zoologischen Stationen versprachen im Falle seiner Berufung eine bessere internationale Vernetzung des Instituts. Ebenso ausführlich wurde auch auf die Drittplatzierten eingegangen. Klatt hatte zum Einfluss der Gesamtgröße auf das Schädelbild, dem Domestikationsproblem, Erblichkeitserscheinungen bei Schwammspinnen und dem Einfluss der Ernährung auf Bau und Entwicklung der Amphibien geforscht. Matthes war Morphologe und hatte zu vergleichender Anatomie, später zur Sinnesphysiologie gearbeitet. Schulze hatte sich auf Süßwasserpolypen, Schwämme und tierische Skelettsubstanzen konzentriert. Vergleicht man die Forschungsgebiete der potentiellen Kandidaten mit den Bereichen, die Feuerborn seit 1922 abgedeckt hatte, fällt auf, dass die Fakultät Forscher favorisierte, die vorrangig zu anderen Themen gearbeitet hatten. Dies unterstrich nochmals, wie wenig Aussichten Feuerborn auf die Stelle jemals hatte. Dass dessen Ablösung dringend geboten war, machte der Dekan am Ende des Schreibens damit deutlich, dass er noch einmal auf die besondere Situation in Münster aufmerksam machte und nach fünfjähriger Vakanz des Lehrstuhls um eine beschleunigte Wiederbesetzung bat.92 Der Fakultät war indessen bewusst, dass sie Feuerborn auf irgendeine Art und Weise kompensieren musste, wollte sie nicht seine Brüskierung und damit eine erneute Krise am Zoologischen Institut heraufbeschwören. Die deutliche Absage an ihn versuchte die Fakultät daher mit einem anderen Vorstoß abzumildern. Am selben Tag, an dem er die Vorschlagsliste einreichte, richtete der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ein paralleles Schreiben an den Preußischen Wissenschaftsminister. In diesem bat er darum, Feuerborn in Anbetracht der bevorstehenden Neubesetzung des Zoologischen Ordinariats als Dank für seine aufopferungsvolle Arbeit für das Institut eine planmäßige Anstellung als Abteilungsvorsteher oder Kustos zu verleihen und ihn zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor zu ernennen. Er habe sich das vollste Vertrauen der Fachschaft erworben, und besonders seine heimatkundlichen Wanderungen seien sehr beliebt. Dem Brief fügte der Dekan eine Veröffentlichungsliste bei, deren noch immer nicht sehr umfangreiche Zahl von 17 wissenschaftlichen Beiträgen fast aus91 92

Penzlin, Heinz, Die Entwicklungsbiologie, in: Jahn, Geschichte der Biologie, 2006, S. 1559–1630, hier: S. 1584. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 Bd. XVI, Dekan an PrWM, 11.12.1926.

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

schließlich Arbeiten zu Insekten (und hier den Psychodiden) umfasste und damit indirekt die Vorwürfe, die gegen Feuerborn in Bezug auf seine literarische Tätigkeit erhoben worden waren, bestätigte.93 So hoffte man, den Entomologen zufrieden zu stellen und ihm ein sicheres Auskommen zu ermöglichen. Diesem Ansinnen war jedoch kein Erfolg beschieden. Der Kurator befürwortete zwar die Vorschläge, machte aber klar, dass die Besetzung einer Kustos- beziehungsweise Abteilungsvorsteherstelle mit Feuerborn nicht möglich sei, da eine solche im Staatshaushalt nicht vorgesehen war. Eine Ernennung zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor sei jedoch durchführbar.94 Sowohl die Aktivitäten der Fakultät in den Fragen der Absicherung Stempells als auch der Weiterbeschäftigung Feuerborns lassen einen aufschlussreichen Blick auf das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Universitätsgemeinschaft der Universität Münster der 1920er-Jahre zu. Trotz Verfehlungen auf der einen beziehungsweise wissenschaftlicher Makel auf der anderen Seite ließ man die Mitglieder der Gemeinschaft nicht im Stich. Aus einer Kosten-Nutzen-Abwägung heraus lässt sich ein solches Verhalten nicht erklären; besonders Feuerborn war mit seinen inzwischen 44 Jahren und seinem mehr als mageren wissenschaftlichen Profil eher zu einer Belastung als zu einer Bereicherung für das Zoologische Institut geworden. Dennoch hielt die Universität zu ihm. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied des Umgangs miteinander im Vergleich zu der Zeit nach 1933. Mit der Einreichung der Vorschlagsliste waren für Feuerborn demnach die letzten Monate an der Spitze des Zoologischen Instituts angebrochen. Eine seiner letzten dokumentierten Amtshandlungen bestand darin, wie in den Jahren zuvor, den Absichten, die dritten Assistentenstelle zu streichen, mit erneuten Verweisen auf die hohe Arbeitsbelastung (unter anderem durch die Betreuung von zehn Doktoranden verursacht), die wachsenden Studentenzahlen und die Gefahr einer wissenschaftlichen Verflachung erfolgreich entgegenzutreten.95 Am 3. März 1927 wurden die Berufungsvereinbarungen zwischen der Universität und dem Zweitplatzierten der Vorschlagsliste, Leopold von Ubisch, festgelegt. Von Ubisch war bereit, den Lehrstuhl bei einem Grundgehalt von 581,50 Reichsmark pro Monat zum 1. April 1927 zu übernehmen. Das Zoologische Institut sollte zu Beginn des Rechnungsjahres 1927 2.000  RM zusätzlich zur Ergänzung der apparativen Ausstattung erhalten sowie darüber hinaus zum gleichen Zeitpunkt und im Jahr darauf jeweils 3.500 Reichsmark zur Beschaffung neuer Mikroskope.96 Am 17. März 1927 wurde er auf den Lehrstuhl für Zoologie der Universität Münster berufen97 und bereits am 27.  März 1927 zum Mitglied des neu eingerichteten Prüfungsausschusses für

93 Ebd. 94 Ebd., Kurator an PrWM, 15.12.1926. 95 UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Feuerborn an Kurator, 22.1.1927. 96 GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 Bd. XVI. 97 UAMs, Bestand 9, Nr, 976, Kurator an PrWM, 13.4.1927.

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Landwirte ernannt.98 Wie geplant trat er zum 1. April 192799 seinen Dienst als neuer Ordinarius an. Am 6. Mai 1927 wurde er offiziell in der Sitzung des Senats durch den Rektor als ordentlicher Professor eingeführt und vereidigt100 und bereits vier Tage später vom Wissenschaftsministerium ins wissenschaftliche Prüfungsamt berufen.101

3.  Das Ordinariat von Ubisch 1927 bis 1935 Mit von Ubisch kam im Sommersemester 1927 nach Jahren der Flaute wieder frischer Wind in das Institut.102 Mit dem Antritt seiner neuen Stelle hatte der Ordinarius aber nicht nur die prestigeträchtige Stelle an der Spitze des Instituts, sondern auch dessen Probleme übernommen. Eines davon war die noch immer schwelende Auseinandersetzung zwischen der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und Walter Stempell. Stempell hatte, wie bereits dargelegt, in der Aufbauphase vor dem Ersten Weltkrieg nicht 98 99 100 101 102

UAMs, Bestand 9, Nr. 995, PrWM an Kurator, 26.3.1927. Chronik 1927/28, S. 93ff. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Urkunde. UAMs, Bestand 9, Nr. 976, PrWM an von Ubisch, 10.5.1927. Leopold von Ubisch wurde am 4.3.1886 in Swinemünde als Sohn des Majors a. D., Geheimen Rates und Direktors des Königlichen Zeughauses in Berlin, Edgar von Ubisch, geboren und evangelisch getauft. Er besuchte das Humanistische Gymnasium Berlin-Lichterfelde, welches er 1904 mit dem Abitur abschloss. Im Anschluss daran studierte er in Heidelberg, Münster und Berlin Jura und wurde am 23.7.1908 in Heidelberg zum Dr. jur. promoviert. Vielseitig begabt, wechselte er daraufhin das Fachgebiet und studierte in Freiburg, Rostock und Würzburg Naturwissenschaften, was zu seiner zweiten Promotion auf Basis einer Untersuchung zu Seeigeln, diesmal zum Dr. phil., am 12.7.1912 in Würzburg führte. Ab dem 1.5.1912 arbeitete er an gleicher Stelle als Assistent. Sein weiteres wissenschaftliches Vorkommen wurde durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, in dem er vom 2.8.1914 bis zum 30.11.1918 im Feldartillerie-Regiment 239 als Frontoffizier diente. Am 5.10.1914 erhielt er das EK II, am 7.8.1918 das EK I. Kurz zuvor, am 20.6.1918, war er zum Oberleutnant befördert worden. Nach Kriegsende war der national-konservative von Ubisch während der Dauer ihres Bestehens Mitglied der Bayrischen Einwohnerwehr. Trotz dieses militärischen Zwischenspiels fand der Zoologe rasch wieder zu seiner Arbeit zurück und konnte sich bereits am 21.2.1919 in Würzburg habilitieren. Am 6.3.1924 wurde er dort zum a. o. Professor ernannt. Es folgten Vertretungen der zoologischen Ordinariate in Würzburg (Sommersemester 1925) und Erlangen (Sommersemester 1926), bevor er zum 1.4.1927 auf den Lehrstuhl nach Münster berufen wurde. Als Spezialgebiet hatte sich von Ubisch auf die Entwicklungsgeschichte und Entwicklungsphysiologie konzentriert. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 218; Behnke, Heinrich/Kosswig, Curt (Hg.), Leopold von Ubisch. Ansprachen und Vorträge gehalten bei der Gedächtnisfeier der Math.-Naturw. Fakultät der Universität Münster am 25.2.1966 (Schriften der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster 60), Münster 1966, S. 16; GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, Bd. XVI; Chronik 1927/28, S. 93ff.

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nur erhebliche eigene Mittel in das Zoologischen Instituts investiert, sondern auch Teile seiner eigenen Privatsammlung sowie weitere Gegenstände und Materialien mit eingebracht. Nachdem er aufgrund seines Disziplinarverfahrens seinen Posten verloren hatte, forderte er nun von der Universität Münster eine Entschädigung für seine Aufwendungen. Die Verhandlungen, die er darüber ab dem 10. Januar 1927 mit der Fakultät führte, sollten sich schließlich noch neun Jahre hinziehen.103 Was seine Stellung innerhalb der Universitätsgemeinschaft betraf, entwickelte sich die Situation für Stempell hingegen positiver. Bereits 1921 hatte er in der Auseinandersetzung mit seiner damaligen Assistentin Unterstützung unter seinen Kollegen gefunden, und der Dekan hatte sich persönlich beim Preußischen Wissenschaftsministerium gegen den Ausschluss des Zoologen aus der universitären Gemeinschaft gewehrt. Nun trat auch noch der einflussreiche Ordinarius für Organisationslehre und Soziologie, Johann Plenge, für ihn ein.104 Am 14. März 1928 wandte er sich mit einem Schreiben an den Wissenschaftsminister und bat für Stempell und dessen Frau um finanzielle Unterstützung. Tatsächlich erhielt dieser kurz darauf eine „einmalige Beihilfe[n] für wissenschaftliche Zwecke.“105 Plenge ließ jedoch nicht locker und schrieb bereits einen Monat später an den Ministerialdirektor Richter im Wissenschaftsministerium, um sich auch in der Frage der Honorarprofessur für seinen Kollegen zu verwenden.106 Am 25. Oktober 1929 trugen die Bemühungen der verschiedenen Stellen dann endlich Früchte, und Stempell wurde zum Honorarprofessor ernannt.107 Die universitäre Solidargemeinschaft hatte ihn nicht fallen lassen.108 103 104 105 106 107 108

UAMs, Bestand 9, Nr. 519. Zur Person Plenges, seines Instituts und der Rolle an der Universität Münster vgl. Demiriz 2009. UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 Bd. XVI, Plenge an Richter, 11.4.1928. UAMs, Bestand 63, Nr. 179, PrWM an Stempell, 25.10.1929. Die Bemühungen der Fakultät um die Verleihung einer Honorarprofessur an Stempell hatten bereits kurz nach seiner endgültigen Verurteilung begonnen. Bereits am 23.11.1926 wandte sich der Dekan mit einem Bittschreiben an das Preußische Wissenschaftsministerium. Durch das Berufungsurteil sei Stempell zwar eine erhebliche Abmilderung seiner Strafe zugestanden worden: Trotz der strafweisen Entlassung aus dem Dienst wurde ihm in Berücksichtigung seiner wissenschaftlichen Verdienste und der finanziellen Opfer, die er bei der Einrichtung des Zoologischen Instituts in Münster gebracht hatte, eine lebenslange Unterstützung in Höhe von 9/10 des Ruhegehaltsbetrages gewährt. Dennoch versuchte die Fakultät, sich für eine Verbesserung seiner Lage einzusetzen. Durch die Entlassung verlöre der Zoologe nicht nur die Leitung des Instituts und damit die Lehrtätigkeit, was laut Dekan als Folge seines Vergehens verstanden werden konnte. Darüber hinaus würde er ganz aus der Gemeinschaft der Universität ausgeschlossen. Die Fakultät äußerte daher den Wunsch, dass Stempell die Möglichkeit geschaffen werde, seine wissenschaftlichen Arbeiten fortzusetzen. Dies könne aber nur geschehen, wenn ihm die Zugehörigkeit zur Universität erhalten bliebe, und dies wiederum sei nur durch eine Honorarprofessur möglich. Zwar verkenne die Fakultät nicht, dass eine solche Ernennung so kurz nach einem

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Neben der Causa Stempell entwickelte sich jedoch noch eine zweite Problematik für von Ubisch, die sich im Nachhinein als weitaus gravierender herausstellen sollte. Sie ergab sich aus der noch immer ungeklärten Frage der weiteren Beschäftigung Feuerborns. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Ordinarius bestand daher darin, sich in Berlin für seinen Vorgänger und jetzigen Assistenten einzusetzen. Am 30. Mai 1927 richtete er eine schriftliche Eingabe an das Wissenschaftsministerium und schilderte die Situation. Nach fünf Jahren der Vertretung sei Feuerborn nun wieder erster Assistent. Damit sei eine für ihn peinliche Lage gegenüber den Studenten entstanden, da er nun für einen jüngeren Vorgesetzten Assistentendienste leisten müsse, was einen auf Dauer für alle beteiligten Seiten unhaltbaren Zustand darstelle. Da die Regierung versichert habe, sich gegenüber Feuerborn erkenntlich zeigen zu wollen, wäre es angebracht, für ihn entweder eine neue, bessere Stelle, zum Beispiel an einem Museum, zu finden, oder aber einen dritten Assistenten einzustellen, Feuerborn von der Assistententätigkeit zu befreien und ihn mit einem Lehrauftrag zu betrauen. In Zukunft könne er dann vielleicht eine Abteilungsvorsteherstelle übernehmen. Von Ubisch selbst stimme jeder Förderung Feuerborns freudig zu, wenn das Institut einen weiteren Assistenten erhielte.109 Der Ordinarius bemühte sich demnach, seinem Assistenten den Übergang so erträglich wie möglich zu gestalten. Kurze Zeit später wurde Feuerborn dann, wie schon länger vom Dekan vorgeschlagen, zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt.110 Unterstützung erhielt der Entomologe nun auch für eine bereits seit einiger Zeit zusammen mit seinen Kollegen Thienemann und Ruttner geplante längere Forschungsreise nach Java und Sumatra. Am 9. September 1927 gewährte ihm das Wissenschaftsministerium Urlaub unter Fortbewährung seiner Dienstbezüge sowie die Einstellung einer wissenschaftlichen Hilfskraft zu seiner Vertretung.111 Nur einen Tag später wurde ihm darüber hinaus ein Lehrauftrag für

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Disziplinarverfahren verfrüht wäre. Sie mache aber bereits jetzt schon darauf aufmerksam, um vom Preußischen Wissenschaftsministerium eine grundsätzliche Stellungnahme herbeizuführen, damit dem durch das Urteil schwer getroffenen Stempell Hoffnung für die Zukunft gemacht werden könne. Der ehemalige Ordinarius sei der eigentliche Vater der Zoologie in Münster und habe durch sein unermüdliches Arbeiten, seine großen Opfer und die Beisteuerung seiner Privatsammlung das Institut erst auf die heutige Höhe geführt. Eine Ernennung sei auch eine verdiente Anerkennung seiner wissenschaftlichen Forschung und seiner Verdienste um die Universität Münster. Das Ministerium hingegen wollte nachvollziehbarerweise eine derartige Entscheidung nicht sofort treffen. Zumindest aber schrieb es am 13.12.1926 zurück, dass Stempell weiterhin berechtigt sei, den Titel „Professor“ zu führen. Siehe: UAMs, Bestand 63, Nr. 179, Witwe Stempell an Dekan, 28.6.1938; ebd., Dekan an PrWM, 23.11.1926; UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1, PrWM an Kurator, 13.12.1926. UAMs, Bestand 62, B III 9a, von Ubisch an PrWM, 30.5.1927. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, PrWM an Feuerborn, 4.7.1927. Ebd., HA Rep 76, Kultusministerium, Va 10641, PrWM an Kurator, 9.9.1927.

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Landesfauna übertragen.112 Damit war seine Stellung vorerst gesichert, was ihm auch einen Auszug aus seiner provisorischen Wohnung im Dachgeschoß des Instituts ermöglichte.113 Am 20. Juli 1928 schließlich trat Feuerborn die Reise in den Fernen Osten an und verabschiedete sich damit für zwölf Monate vom Zoologischen Institut.114 Seine Vertretung für diese Zeit übernahm Helmut Beyer.115 Neben der Besetzung der ersten Assistentenstelle mit Feuerborn hatte sich durch die Berufung von Ubischs auch die restliche personelle Situation am Institut verändert. Analog zu dessen fachlicher Neuausrichtung durch den neuen Lehrstuhlinhaber sorgte dieser auch auf Assistentenebene für einen klaren Schnitt. Sowohl Kemper als auch Peus und Schräder verließen die Universität Münster und wurden durch Curt Kosswig116 sowie Friedrich Krüger117 ersetzt. 112 113 114 115

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117

UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, PrWM an Feuerborn, 10.9.1927. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 31.3.1928. Chronik 1927/28, S. 93ff. Beyer wurde am 3.3.1905 in Hannover geboren. Nach dem Abitur am Schlaun-Gymnasium in Münster 1925 studierte er an der Universität Münster und übernahm die erwähnte Vertretungsstelle als wissenschaftliche Hilfskraft. Auf seine Person wird später noch einmal eingegangen werden. Siehe: Chronik 1928/29, S. 108ff.; Berger 2001, S. 32f. Kosswig wurde am 30.10.1903 als Sohn eines Geheimen Oberfinanzrats und Vortragenden Rats im Finanzministerium in Berlin-Köpenick geboren. Bereits während seiner Schulzeit wurde er im rechten Spektrum politisch aktiv. So war er bis 1919 Mitglied im Landesvorstand des Landesverbandes Großberlin des Deutschnationalen Jugendbundes, danach wechselte er bis 1921 in den Reichsverbandsvorstand, wo er als jugendlicher Vorsitzender fungierte. 1920 war er überdies in den Kapp-Putsch verwickelt. Im Anschluss legte Kosswig seine Ämter jedoch nieder, um sich auf seine schulische Ausbildung zu konzentrieren. Nach dem Besuch der Hohenzollernschule in Berlin-Schöneberg legte er Ostern 1922 die Reifeprüfung ab und studierte im Anschluss Philosophie und Naturwissenschaften an der Universität Berlin. Im Wintersemester 1924/25 begann Kosswig seine Doktorarbeit am Institut für Vererbungsforschung in Dahlem und arbeitete dort seit dem 1.5.1926 als vertretungsweiser Verwalter einer Assistentenstelle. Am 1.5.1927 wurde er Verwalter einer außerplanmäßigen Assistentenstelle in Münster und schließlich am 1.10.1927 als planmäßiger Assistent angestellt. Kurz darauf wurde er mit einer bei Erwin Baur eingereichten Dissertation „Über die Vererbung und Bildung von Pigment bei Kaninchenrassen“ am 14.12.1927 promoviert. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 523, von Ubisch an Kurator, 28.4.1927; Staatsarchiv Hamburg (StAHH), PA Kosswig, IV 1812, Bd. 1, Lebenslauf, 19.1.1933; ebd., Nerger an Kosswig, 17.10.1919; ebd., von Trotha an Kosswig, 14.12.1921; UAMs, Bestand 5, Nr. 225; Harten, Hans-Christian/Neirich, Uwe/ Schwerendt, Matthias, Rassenhygiene als Erziehungsideologie des Dritten Reichs. Biobibliographisches Handbuch (Edition Bildung und Wissenschaft 10), Berlin 2006, S. 417; Kosswig, Curt, Über die Vererbung und Bildung von Pigment bei Kaninchenrassen, in: Zeitschrift für induktive Abstammungs- und Vererbungslehre 45 (1927), S. 368–401. Krüger wurde am 18.8.1902 in Siegen geboren. Sein Vater war Oberingenieur a. D. Er besuchte das Realgymnasium Duisburg und studierte von 1921 bis 1924 an der Universität Heidelberg. Am 24.11.1924 wurde Krüger promoviert und wechselte an die Universität München, wo er von 1924 bis 1925 angestellt blieb. Von 1925 bis 1926 arbeitete er an der Universität Kiel und von 1926 bis 1927 an der Universität Freiburg, wo er am 6.3.1926 das erste Chemische Vorbereitungsexamen ablegte. Ab dem 1.10.1927 besetzte er die Stel-

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Abseits personeller Fragen hatte von Ubisch aber auch noch eine dritte Problematik von seinem Vorgänger geerbt, die sich teilweise bereits seit 1906 hinzog: die schlechte finanzielle Ausstattung des Instituts. Am 28. Juli 1927 wandte er sich mit einem Bericht über die finanzielle Lage an den Kurator. Bei seinem Amtsantritt hatte von Ubisch ein in verschiedener Hinsicht unzulänglich ausgestattetes Institut vorgefunden. Jahre der Vernachlässigung unter Feuerborns Leitung hatten sich vor allem in veralteten Lupen, Mikroskopen und Lehrbüchern niedergeschlagen, so dass viele Gerätschaften und Unterrichtsmittel neu angeschafft werden mussten. Dies waren aber nicht die einzigen Probleme. So seien laut von Ubisch die Räumlichkeiten nicht ausreichend, und vor allem die Tatsache, dass die Bibliothek noch immer auf dem Dachboden über der Anatomie untergebracht war, sei nicht akzeptabel.118 Von Ubischs Klagen führten daraufhin zeitnah zu ersten Erfolgen. Im August 1927 erhielt das Institut eine außerordentliche Bereitstellung von 1.200 RM,119 und im Dezember wurde der Etat um 2.000 RM auf 10.000 RM zum Sommersemester 1928 angehoben.120 Zusätzlich gelang es ihm, trotz Reorganisation des Instituts und der Erhöhung der Studentenzahl, durch Sparsamkeit die laufenden Kosten zu senken.121 Es macht aus zwei Gründen Sinn, an dieser Stelle ausführlicher auf diese Schriftwechsel zwischen Politik und Wissenschaft einzugehen. Zum einen machen sie deutlich, wie kritisch es um die Lage des Instituts zum Zeitpunkt des Ordinariatswechsels bestellt war. Zum anderen zeigen sie, welche Argumentationsmuster von Ubisch in seinem Umgang mit den universitären Verwaltungsspitzen und den politischen Entscheidungsträgern im Preußischen Wissenschaftsministerium nutze. So wich er nicht vom eingeschlagenen Weg seiner Vorgänger Stempell und Feuerborn ab. Der Trumpf, den auch er mit Erfolg ausspielen konnte, war weiterhin die Sorge der vorgesetzten Stellen um die wissenschaftliche Qualität von Lehre und Forschung. Sobald dieser vorgebracht wurde, reagierten beide Stellen für gewöhnlich positiv und erfüllten den Ordinarien ihre Wünsche. Ende April 1928 erhielt von Ubisch einen einmaligen Zuschuss von 3.500 RM zur Beschaffung von Mikroskopen,122 und kurz darauf bewilligte das Ministerium zur Deckung der Überschreitung des sächlichen Ausgabenfonds des Zoologischen

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le des außerplanmäßigen Assistenten am Zoologischen Institut und legte am 10.1.1928 sein zweites Chemisches Vorbereitungsexamen in Münster ab. Von Ubisch hatte ihn vor allem aufgrund seiner wichtigen Arbeiten über Trichocysten an die Universität Münster geholt. Seine weiteren besonderen Forschungsgebiete umfassten Protozoen, Mikroskopische Technik sowie vergleichende Physiologie des Stoffwechsels der Tiere. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 709, Personalblatt, undatiert, nach 1946; UAMs, Best 92, Nr. 4, Bd. 1. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 28.7.1927. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Kurator, Universität, Behörden, andere Institute, Kurator an von Ubisch, 3.8.1927. Ebd., Kurator an von Ubisch, 3.12.1927. Ebd., Akte: 1928 Kurator [unleserlich], von Ubisch an Kurator, 28.1.1928. Ebd., PrWM an Kurator, 19.4.1928.

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Instituts im Rechnungsjahr 1927 weitere 1.480 RM.123 Ein knappes Jahr nach seiner ersten Denkschrift richtete sich der Ordinarius im Juni 1928 erneut mit einem längeren Brief an den Kurator.124 Ausführlich legte er erneut die räumlichen Unzulänglichkeiten des Instituts dar und forderte den Bau eines neuen, modernen Institutsgebäudes. Wieder bezog er sich auf die drohende Gefahr für die wissenschaftliche Qualität, da unter den aktuell bestehenden Verhältnissen den Studenten kein erstklassiger Unterricht geboten werden und das Zoologische Institut nicht in Wettbewerb mit anderen Universitäten treten könne. Mit 174 Hörern im Sommersemester 1927 und 184 Hörern im Wintersemester 1927/28 sei die Situation derart katastrophal, dass Studenten teilweise aufgrund von Überfüllung nicht mehr in den Hörsaal gelangen könnten oder stehen müssten. Diese Probleme wögen umso schwerer, da Stempell sie bereits 1918 vorgebracht habe. Erstmals zeigte sich auch der bissige Sarkasmus von Ubischs, der sich noch zu einem seiner Markenzeichen entwickeln sollte.125 Seiner Ansicht nach zeichne sich das Zoologische Institut nämlich gegenüber vergleichbaren Einrichtungen anderer Universitäten dadurch aus, dass alle Räume für Aquarien, Terrarien, Tierhaltung und Sammlung fehlen würden.126 Diesem Hilferuf folgten weitere, und zwar in immer rascherer Abfolge. Im November 1928 klagte von Ubisch beim Dekan, dass er die Bedürfnisse des Zoologischen Instituts nicht ausreichend beachtet fühle und eine Vorzugsbehandlung der medizinischen Institute, unter anderem der Anatomie, sehe. Das Fehlen eines eigenen Unterrichtsgebäudes für das Institut sei wohl einzigartig in Deutschland. Nachdrücklich bat er um Einsatz für das Institut.127 Einen Monat später wies er den Kurator auf dieses Schreiben hin und merkte an, dass seither die Situation noch schlechter geworden sei. Im laufenden Semester besuchten etwa 200 Hörer die Vorlesung, obwohl der Hörsaal nur 146 Plätze habe. Das Praktikum musste nach Aufnahme von 53 Studenten trotz des Protestes zahlreicher weiterer Bewerber, die dadurch ein ganzes Studienjahr verlieren würden, geschlossen werden.128 Wie schwierig es ist, für diesen Zeitraum einen realistischen Blick über Ausstattung und Frequenz des Instituts zu gewinnen, zeigt der Blick in ein weiteres Schreiben von Ubischs vom 7. Mai 1928. Hier setzt er die Frequenzziffern für das Wintersemester 1927/28 bei etwa 80 Doktoranden und Praktikanten an, welche zusammen mit den restlichen Vorlesungsbesuchern cirka 480 Personen umfassen würden. Für das Sommersemester 1928 benannte er etwa 60 Doktoranden und Praktikanten sowie 370 Vorlesungsbesucher. Gleichzeitig betonte er im Hinblick auf die schwierige finanzielle Lage, dass man keine Unterstützung durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft erhalten habe und neben den etatmäßigen Mitteln über 123 124 125 126 127 128

Ebd., Kurator an von Ubisch, 25.4.1928. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 11.6.1928. Behnke/Kosswig 1966, S. 19. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 11.6.1928. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, von Ubisch an Dekan, 6.11.1928 Ebd., von Ubisch an Kurator, 18.12.1928.

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keine weiteren Einnahmequellen verfüge.129 Ob sich die Diskrepanz in den Zahlen aus der Unterscheidung zwischen Hauptfach- und Nebenfachstudenten, falschen Werten oder einer unterschiedlichen Zählweise ableitet, ist im Nachhinein nicht mehr zu klären. Sie legt jedoch nahe, die Angaben in diesen Zeiträumen mit Vorsicht zu genießen. Von Ubischs Eingaben zeigten zwar im Gegensatz zum Vorjahr Wirkung, aber weder rasch noch ausreichend genug. Auch wenn die Räume des Instituts ab dem März 1929 durch begrenzte Umbaumaßnahmen, für die das Wissenschaftsministerium die Kosten übernahm, vergrößert wurden, so wurde damit nicht das Kernproblem angegangen und die Ursachen der Misere beseitigt.130 Daher fand sich auch von Ubisch mit der Reaktion der Universität nicht ab. Am 24. Oktober 1929 richtete er eine weitere umfangreiche Denkschrift an Rektor und Kurator, in der er sowohl die Probleme ungeschminkt aufzählte als auch Verbesserungen e­ inforderte.131 Eine Woche darauf übersandte der Ordinarius eine weitere Mängelliste des Instituts. Unter anderem sei der Hörsaal unzureichend, und man habe nur einen Praktikumsraum, was dazu führe, dass nur wenige Studenten aufgenommen werden könnten und solche von auswärts gar nicht erst nach Münster kämen. Durch den Platzmangel herrsche aufgrund des fehlenden Chemikalienraumes Feuergefahr, und auch die nicht mögliche Tierzucht fand erneute Erwähnung. Die Sammlung sei noch immer größtenteils über der Zahnklinik untergebracht, für den Unterricht nicht nutzbar und verkomme darüber hinaus langsam. Außerdem liege das Institut an einer stark benutzten Verkehrsstraße, wodurch es beim Mikroskopieren zu häufigen Störungen käme.132 Zwei Wochen später wiederholte von Ubisch seine Forderungen gegenüber dem Kurator und zeichnete ein noch düstereres Bild der Lage. Sein Fazit der Situation war vernichtend: „In Summe ganz unhaltbare und für die Universität beschämende 129 130 131

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Ebd., Akte: 1928 Kurator [unleserlich], von Ubisch an Kurator, 7.5.1928. UAMs, Bestand 4, Nr. 1237, Kurator an Rektor, 26.3.1929. So führe der Raummangel zu Missständen und Gefahren für einen ganzen Flügel der Universität und schädige Forschung und Lehre. Eine Abstellung sei dringend nötig, bis zu einem späteren Zeitpunkt ein neues Zoologisches Institut gebaut werden würde. Bis dahin müssten neue Räumlichkeiten, darunter Hörsäle und Räume für Praktika, für die wachsende Zahl der Studenten geschaffen werden, da ansonsten die Abhaltung eines geregelten Unterrichts unmöglich sei. Der durch fehlende Lagermöglichkeiten für Präparate entstandenen Brandgefahr müsse durch die Einrichtung eines Chemikalienraumes sowie der Verlegung der Warmwasseraquarien begegnet werden. Ebenso müsse ein geeigneter Raum für Tierzüchtung errichtet werden, da die jetzige Situation seiner Meinung nach „ein schlechter Witz“ sei. Deshalb forderte von Ubisch die Aufstellung eines Tierhauses, welches in die Erde des Universitätshofs versenkt und an den Keller angeschlossen werden sollte. Skizzen dafür legte er dem Schreiben bei. Insgesamt war es in einem sehr dringlichen Tonfall gehalten und machte deutlich, dass die Situation untragbar und der Universität Münster nicht würdig war. Siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 1238, von Ubisch an Kurator und Rektor, 24.10.1929 und UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 11.11.1929. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, Mängelliste, 29.10.1928.

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Zustände.“133 Dabei mahnte er an, dass die schlechte Lage nur zum Teil auf den Anwachs der Studentenzahlen zurückzuführen sei, sondern vielmehr darauf, dass die Zoologie ursprünglich mit der Botanik, später mit der Anatomie vereinigt gewesen und bei den Trennungen stets zu kurz gekommen sei. Nach seinem Amtsantritt habe er einen modernen Lehrplan einrichten wollen. Die Räume seien dafür aber nicht geeignet.134 Bereits eine weitere Woche danach musste er sich mit dem nächsten Problem an den Kurator wenden – der Etat des Instituts war aufgebraucht. Deshalb bat er um die Freigabe von dessen gesperrten 5,5 Prozent. Obwohl der jetzige Etat erst 1927 aufgestellt worden sei, habe ihn die Entwicklung des Instituts bereits jetzt weit überholt. So sei einerseits die Frequenz der Studenten angestiegen, und andererseits belaste die Inangriffnahme einer größeren Anzahl von entwicklungsphysiologischen und vererbungstheoretischen Arbeiten und die damit einhergehende erhebliche Vermehrung der Instrumente und Aquarien die Institutsreserven.135 Wolle die Universität also ein modernes Institut, so müsse sie ihre Finanzierungspläne überdenken. Bei seinen Vorgesetzten stieß der Ordinarius mit seinen Klagen zwar keineswegs auf taube Ohren, dies bedeutete jedoch nicht, dass unmittelbar Abhilfe geschaffen wurde. Stattdessen schob man die Verantwortung eine Entscheidungsebene höher. So teilte der Rektor dem Kurator zum Beispiel zwar am 23. November 1929 mit, dass er von Ubisch unterstütze, tat aber selbst nichts, sondern bat ihn stattdessen um nachhaltiges Eintreten beim Minister für die Bewilligung der gestellten Anträge.136 Selbst wenn eine mögliche Linderung des Problems in der eigenen Entscheidungsbefugnis lag, sträubte man sich, eigenständig zu handeln. So lehnte der Rektor den Vorschlag des Kurators, die Dienstwohnung des Hausinspekteurs einzuziehen und dem Zoologischen Institut zuzuschlagen,137 aufgrund nicht näher ausgeführter Bedenken ab.138 Inzwischen waren die Verhältnisse dermaßen ausgeartet, dass sich sogar die Studenten der Naturwissenschaft in einer Kollektiveingabe an den Rektor wandten und sich über die mangelhaften Raumverhältnisse beklagten. Von Ubisch, dem die Eingabe daraufhin zur Stellungnahme vorgelegt wurde, konnte die einzelnen Punkte nur bestätigen: Überfüllung, erschwerter Lehrbetrieb und schlechte Luft in den Unterrichtsräumen.139 Da aber immer noch keine zufriedenstellende Reaktion folgte, musste er sich am 19. Februar 1930 erneut schriftlich äußern. Als wohl einziges Universitätsinstitut in Deutschland oder den anderen „Kulturstaaten“ könne die Zoologie in Münster keine Versuchstiere halten und auch ihre 133 134 135 136 137 138 139

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 11.11.1929. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, von Ubisch an Kurator, 11.11.1928. Ebd., Akte: 1929 Kurator, Universität, Behörden, von Ubisch an Kurator, 19.11.1929. UAMs, Bestand 4, Nr. 1238, Rektor an Kurator, 23.11.1929. Ebd., Kurator an Rektor, 15.12.1929. Ebd., Rektor an Kurator, 21.12.1929. Ebd., Aktennotiz des Rektors, 2.12.1929.

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Sammlungen nicht nutzen.140 Zu Anfang des Semesters habe er darum gebeten, dass Vorarbeiten für einen Neubau in Angriff genommen würden und die Raumsituation dadurch verbessert werden möge, dem Institut Räume zu überlassen und eine Tierzuchtbaracke aufzustellen. Der einzige Erfolg seiner Schreiben sei jedoch die Ankündigung einer Besichtigung des Instituts gewesen, die nie stattgefunden habe und sich weiter hinauszögere. Die Situation in Münster sei einzigartig schlecht in Deutschland, der Universität und Preußens unwürdig, schädige den Ruf der Universität Münster und führe dazu, dass die Studenten ihr fern blieben.141 Zwischenzeitlich wandte sich von Ubisch, von der Universitätsleitung enttäuscht, sogar direkt an den Ministerialdirektor Richter im Wissenschaftsministerium, doch auch von dort kam keine zufriedenstellende Antwort zurück.142 Nach Jahren des Drängens zeigten die Schreiben aber endlich Wirkung. Am 7. Oktober 1930 konnte sich der Ordinarius beim Kurator für dessen Entgegenkommen und die Genehmigung zur Errichtung eines Tierhauses bedanken143 Dies nützte jedoch langfristig nicht viel, da das Ministerium den Bau am 29. März 1932 ablehnte.144 Die Freude währte darüber hinaus auch deshalb nur kurz, weil sich die verantwortlichen Stellen für die anderen Probleme des Instituts nicht zu interessieren schienen. Pläne für einen Neubau des Institutsgebäudes wurden zwar wohlwollen entgegengenommen, jedoch nicht in letzter Konsequenz weiterverfolgt. Neben der Beschäftigung mit diesen zwar eng mit Forschung und Lehre verknüpften, im Kern aber doch organisatorischen Problemen, lag vor von Ubisch noch immer die Aufgabe, das Institut auch wissenschaftlich nach den Jahren der Stagnation unter Feuerborn wieder mit Leben zu erfüllen und den Anschluss an die Forschungsentwicklung wiederherzustellen. Daher schritt er bereits kurz nach seiner Amtsübernahme zu einer Reorganisation des Instituts und des wissenschaftlichen Unterrichts. So konnten unter seiner Führung die Sammlungen neu geordnet und endlich auch die noch aus der Zeit der Personalunion zwischen Zoologie und Anatomie bestehende Wirbellosenkollektion durch leihweise Übernahme eingegliedert werden.145 Auf der Forschungsreise Feuerborns gesammelte Materialien sowie von von Ubisch in Norwegen gewonnene Stücke ergänzten diese zusätzlich.146 Der Bibliotheksraum wurde vergrößert, eine Reihe von Zeitschriften neu angeschafft, der Kurssaal neu eingerichtet und im Hörsaal eine rollbare Wandtafel installiert. Auch das Instrumentarium, unter Feuerborn völlig veraltet, wurde durch Neuanschaffungen ergänzt.147 Im Laufe der Zeit wurde dann auch, wie bereits er140 141 142 143 144 145 146 147

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 19.2.1930. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, von Ubisch an Kurator, 19.2.1930. Ebd., von Ubisch an Ministerialdirektor Richter im PrWM, 2.6.1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 7.10.1930. Ebd., von Ubisch an Kurator, 4.4.1932. Chronik 1927/28, S. 93ff. Chronik 1929/30, S. 87ff. Chronik 1927/28, S. 93ff.

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wähnt, der Hörsaal durch Einbeziehung des Kartenraumes erweitert und Aquarien eingebaut.148 Auch die inhaltliche Neuausrichtung des Instituts ließ von Ubischs Handschrift erkennen. Ein erster Schritt war der Austritt des Instituts aus der Deutschen Gesellschaft für Entomologie im September 1928.149 Auch der Lehrplan änderte sich. So reduzierte von Ubisch die Zahl der kleinen Praktika und bot stattdessen wenige größere Praktika an, um den Studenten die Gelegenheit zu geben, mehr selbständig zu arbeiten. Außerdem führte er ein einsemestriges halbtägiges Praktikum für alle Naturwissenschaftler ein und trennte ab dem Sommersemester 1928 die Veranstaltungen erstmals zwischen Naturwissenschaftlern, Landwirten und Medizinern, um intensiver auf die Bedürfnisse der einzelnen Studiengänge eingehen zu können.150 Auch den Vorlesungen wurde mit von Ubischs Spezialgebiet, der Entwicklungsphysiologie, ein weiterer Schwerpunkt hinzugefügt. Die vormaligen, im Wechsel gelesenen Veranstaltungen „Spezielle Zoologie I & II“ wurden durch „Wirbeltiere und allgemeine Zoologie“ und „Wirbellose und allgemeine Zoologie“ ersetzt. Laboratorium und Seminar wurden nun nicht mehr abwechselnd im Sommer- beziehungsweise Wintersmester angeboten, sondern jedes Semester parallel. In den zwei Semestern, in denen sich Feuerborn auf seiner Forschungsreise in Asien befand, schulterte von Ubisch den Unterricht komplett allein, was bis zu sieben mehrstündige Veranstaltungen pro Woche bedeutete. Nach Feuerborns Rückkehr und der Hinzuziehung Kosswigs, des Oberfischmeisters der Provinz Westfalen Conrad Lehmann151 und des zum Honorarprofessor ernannten Stempells konnte das Angebot zeitweilig auf 16 Veranstaltungen (im Wintersemester 1930/31) ausgeweitet 148 Ebd. 149 UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1928 Private, Austrittserklärung des Zoologischen Instituts, 5.9.1928. 150 Chronik 1927/28, S. 93ff. 151 Conrad Lehmann, am 16.8.1898 als Sohn eines Schlossers in Berlin geboren, besuchte von 1904 bis 1911 die 241. Gemeindeschule Berlin, von 1911 bis 1915 die Bismarck (VIII) Realschule Berlin und von 1915 bis 1918 die Königstädtische Oberrealschule Berlin. Von 1918 bis 1922 hatte er an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin studiert und war am 19.12.1921 in Zoologie promoviert worden. 1922 bis 1923 war er an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin angestellt und wechselte von 1922 bis 1923 als Volontärassistent an die Preußische Versuchsanstalt für Fischerei in Berlin-Friedrichshagen. Anschließend war er von 1923 bis 1925 als wissenschaftlicher Assistent an der preußischen Landesanstalt für Fischerei tätig, bevor er am 1.4.1925 zum Leiter des Fischereibiologischen Instituts der Landesbauernschaft Westfalen, gelegen in Münster, und gleichzeitig in Nachfolge Wundschs zum staatlichen Oberfischmeister der Provinz Westfalen und Landwirtschaftskammerrat ernannt wurde. Daraufhin suchte er, wie sein Vorgänger, Anschluss an die Universität Münster. Nach seiner dortigen Habilitation am 1.3.1929 auf Basis seiner Schrift „Die Wirkung der Flachröstabwässer auf die Tierwelt unserer Gewässer“ und seiner Antrittsvorlesung am 30.4.1929 beschloss die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät am 3.5.1929, ihm die venia legendi für Zoologie zu erteilen, und versah ihn mit einem Lehrauftrag für Fischerei. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 120, Bd. 2; Chronik 1928/29, S. 108ff.; UAMs, Bestand 5, Nr. 120, Bd. 1, Dekan an Rektor, 8.5.1929.

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werden. Dies ermöglichte es den Studenten, aus einem so breit gefächerten Themenspektrum wie Insektenkunde, Hydrobiologie, Geschlechtsbestimmung, Sinnesphysiologie, Bestimmungsübungen für Heimatfauna oder menschlichen und tierischen Parasiten zu wählen. Darüber hinaus wurden weiterhin Exkursionen durchgeführt, welche auf weiter entfernt liegende Gebiete (Helgoland, Wilhelmshaven, Bremen) ausgedehnt152 und auch für Hörer anderer Fakultäten als ornithologische Führungen durch den Schlossgarten angeboten wurden.153 Eine parallele Entwicklung lässt sich auch bei den am Zoologischen Institut durchgeführten Doktorarbeiten erkennen. Auch wenn weiterhin, wie in den Jahren unter Feuerborns Leitung, einige Arbeiten zu dessen Spezialgebiet Entomologie abgeschlossen wurde, so fallen diese in die erste Zeit des von Ubisch’schen Ordinariats und waren daher vor seiner Ankunft begonnen worden. Dies wird dadurch unterstrichen, dass neben von Ubisch auch Feuerborn in den Akten als betreuender Dozent geführt wurde. Nach Abschluss dieser letzten Dissertationen verschob sich der Inhalt jedoch in Richtung der Forschungsschwerpunkte des neuen Ordinarius, was zahlreiche Arbeiten zu Seeigeln154 und Entwicklungsgeschichte155 belegen. Von Ubischs Einfluss zeigte sich auch bei der Auswahl der Preisaufgabe, die die Zoologie neben den anderen Instituten jährlich zur Lösung stellte. So ging es 1929 um „Die biologische Bedeutung des Groß- und Kleinkerns von Paramäzium [heute: Paramecium, DD]“156 und 1933 um „Die Embryonalentwicklung von Ophryotrocha“.157 Auch die Veröffentlichungen der Mitarbeiter des Instituts legen von einem umfassenden Forschungsinteresse Zeugnis ab. Schon in seiner Zeit vor Münster hatte von Ubisch Fachaufsätze über Entwicklungsmechanik und Tiergeographie veröffentlicht.158 Als Ordinarius beschränkte er sich später auf Entwicklungsphysiologie.159 Sein Assistent Kosswig griff mit Beiträgen zur Drosophilagenetik in die öf152 153 154 155 156 157 158

159

Chronik 1929/30, S. 87ff. Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1930, Wintersemester 1930/31. Zum Beispiel die von Wilhelm Marx, „Zum Problem der Determination der Bilateralität im Seeigelkeim“, am 9.12.1931 mit cum laude bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel von Wilhelm Erdmann, „Über das Selbstdifferenzierungsvermögen von Amphibienkeimteilen bekannter prospektiver Bedeutung im Explantat“, am 24.7.1931 mit genügend bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 1078, Preisaufgabe Zoologie, 30.7.1929. Ebd., Preisaufgabe Zoologie, 18.7.1933. Vgl. von Ubisch, Leopold, Über die Harmonie des tierischen Entwicklungsgeschehens, in: Die Naturwissenschaften 10 (1922), S. 271–278, bzw. ders., Stimmen die Erkenntnisse der Aalforschung mit Wegeners Theorie der Kontinentalverschiebung überein?, in: Die Naturwissenschaften 12 (1924), S. 345–348. Vgl. von Ubisch, Leopold, Keimblattchimären, in: Die Naturwissenschaften. Wochenschrift für die Fortschritte der reinen und der angewandten Naturwissenschaft 21 (1933), S. 325–329.

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fentliche Diskussion ein.160 Der Institutsdirektor beschränkte sich jedoch nicht nur auf theoretische Wortmeldungen. Zur gleichen Zeit versuchte er, auch über die eigenen Fachgrenzen hinaus Kontakt zur Entwicklung der Forschung zu halten und neue Trends nicht an der Universität Münster vorbeiziehen zu lassen. Ein Beispiel hierfür ist sein Einsatz für die Etablierung der Genetik am Zoologischen Institut, deren Entwicklung er, hierbei dem Interesse seines Lehrers Boveri folgend,161 genau beobachtete. Kosswig, Schüler des führenden deutschen Experten auf diesem Gebiet, Erwin Baur, arbeitete am Institut fast ausschließlich über Vererbung.162 Zusammen mit seinem Kollegen Benecke unterstützte von Ubisch daher auch Forderungen der Gesellschaft zur Förderung deutscher Pflanzenzucht nach eigenständigen Instituten für theoretisch-experimentelle Genetik.163 Zusätzlich zu der Förderung neuer wissenschaftlicher Entwicklungen war von Ubisch auch bestrebt, hochkarätige auswärtige Forscher zu begleitenden Vorträgen an der Universität Münster zu gewinnen. Dazu machte er sich seiner alten Netzwerke aus der Würzburger Zeit zunutze. Am 17. Oktober 1929 regte er beim Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an, den Ordinarius für Zoologie der Universität Bern, Fritz Baltzer, einzuladen.164 Dieser war, ebenso wie von Ubisch, ein Schüler Boveris gewesen.165 Die Fakultät gab grünes Licht, und so referierte Baltzer am 26. Februar 1930 „Über die Zusammenarbeit des Plasmas mit artfremdem Kernmaterial in der tierischen Entwicklung“ im Rahmen einer Sitzung der Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.166 Auch den späteren Nobelpreisträger167 und Ordinarius für Zoologie der Universität München, Karl von Frisch, konnte er für einen Vortrag über „Sinnesphysiologie und Sprache der Bienen“ am 21. Mai 1931 gewinnen.168 Der Kooperationswille des Ordinarius beschränkte sich aber nicht nur auf außeruniversitäre Partner.169 Auch zu seinen Kollegen und Nachbarinstituten versuchte er, Kontakte zu knüpfen. So setzte er sich zusammen mit Benecke und den Lehrstühlen für Geographie und Geologie der Universität Münster für die Errich-

160 161 162 163 164 165 166 167 168 169

Vgl. Kosswig, Curt, Die experimentelle Erzeugung von Mutationen, in: Die Naturwissenschaften 18 (1930), S. 561–565. Penzlin 2006, S. 1623. UAMs, Bestand 9, Nr. 218, von Ubisch an Kurator, 18.5.1929. Ebd. sowie UAMs, Bestand 9, Nr. 318, Benecke an Kurator, 17.5.1929. UAMs, Best 62, Z 1, von Ubisch an Dekan, 17.10.1929. Penzlin 2006, S. 1559. UAMs, Best 62, Z 1, von Ubisch an Dekan, 30.1.1930. Jahn, Ilse/Sucker, Ulrich, Die Herausbildung der Verhaltensbiologie, in: Jahn, Geschichte der Biologie, 2006, S. 2081–2159, hier: S. 2158. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, von Ubisch an Dekan, 16.5.1931. Vgl. die Einbeziehung Lehmanns und Beckers.

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tung einer biologischen Station auf Norderney ein170 und veranstaltete vom 1. bis zum 11. September 1929 zusammen mit der Gesellschaft zur Förderung der Klimaforschung im Nordseegebiet, Abteilung Norderney, einen interdisziplinären Ferienkurs auf der Nordseeinsel.171 Neben dem Ausbruch aus der wissenschaftlichen Stagnation entwickelte sich unter seiner Leitung auch die studentische Auslastung des Instituts positiv. Was die Anzahl der Studierenden betrifft, lässt sich, zumindest für die Zeit zwischen 1927 und 1931, ein Trend nach oben ausmachen. Für das Sommersemester 1927 wurden 85 Doktoranden und Praktikanten sowie etwa 200 Hörer der Vorlesungen angegeben. Die Zahlen stiegen in der Folgezeit leicht an, fielen dann jedoch wieder, um danach wieder anzusteigen und im Wintersemester 1930/31 mit 823 Studierenden zu explodieren.172 Dennoch sind die in den Quellen vorliegenden Angaben nicht wirklich aussagekräftig.173 Als einzig sichere Aussage lässt sich daher nur ableiten, dass in einem Sommersemester weniger Studierende am Institut hörten und arbeiteten als in einem Wintersemester. Zeitweilig schien es daher, dass die Krise, welche Mitte der 1920er-Jahre den Lehrbetrieb stark beeinträchtigt hatte, zumindest abgefedert worden war. Am 15. September 1929 kehrte auch Feuerborn mit reichen Erkenntnissen aus Java zurück.174 Dann verschlechterten sich die äußeren Umstände jedoch drastisch. Einen Monat nach Feuerborns Rückkehr nach Münster begann die Weltwirtschaftskrise. Ihre Folgen wurden zeitverzögert auch am Zoologischen Institut spürbar. Hatte das Budget zwischen 1928 und 1930 noch 10.200 RM betragen, wurde es in der Folge stark gekürzt.175 Bereits Mitte 1930 reichten die Mittel nicht mehr aus, und von Ubisch musste beim Kurator um Zuschüsse für den Kauf von Mikroskopen bitten.176 Im November musste der Ordinarius sogar um die Genehmigung zur Überschreitung des Etats für das Rechnungsjahr 1930/31 nachsuchen. Als Gründe hierfür nannte er den Fortgang der wissenschaftlichen Arbeiten, die hohe Kursfrequenz und die Präparierung der von Feuerborn aus Java mitgebrachten Sammlung. 170 171 172 173

174 175 176

UAMs, Bestand 9, Nr. 541, von Ubisch und Benecke an Kurator, 2.7.1928, und ebd., von Ubisch und Benecke an Kurator, 30.7.1928. UAMs, Bestand 9, Nr. 541. Chronik 1927/28, S. 93ff., Chronik 1928/29 S. 108ff., Chronik 1929/30, S. 87ff., sowie Chronik 1930/31, S. 96f. Die Zahlen zu den das Institut besuchenden Studierenden, die sich in den Quellen finden, lassen für die Zeit vor 1945 keinen wirklich Rückschluss auf die tatsächliche Auslastung des Instituts zu. Zum einen konnte nirgends eine Erklärung für die Zählweise gefunden werden, das heißt wie sich die Zahlen zusammensetzen, was die Studierenden als Studienfach angegeben haben usw., zum anderen schwanken die Angaben teilweise derart stark, dass davon ausgegangen werden muss, dass die Zählweise im Laufe der Zeit verändert wurde. Anders ist ein Sprung von 13 Männern und Frauen im Jahr 1924/25 auf 823 (Wintersemester 1930/31) nicht zu erklären. Chronik 1928/29, S. 108ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 1233, Staatshaushaltsplan 1928–1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 26.6.1930.

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Hauptgrund sei aber: Der Etat, der 1927 festgesetzt wurde, sei nicht mehr ausreichend und gefährde einen geregelten Lehr- und Forschungsbetrieb.177 Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten konnten Anfang der 1930er-Jahre keine neuen Instrumente mehr angeschafft werden, und durch den zusätzlichen Wegfall staatlicher Zuschüsse gab es 1931/32 auch nur noch eine einzelne kurze Exkursion. Trotz Sparsamkeit und Drückung der Kosten, so von Ubisch im Mai 1931 an den Kurator, sei das Institut seit 1927 unterfinanziert, und dringend benötigte Investitionen wie die Anstellung einer Schreibkraft, die das wissenschaftliche Personal entlasten können, seien nicht möglich.178 Die wissenschaftliche Tätigkeit wurde in steigendem Maße durch das Fehlen vieler Einrichtungen, die für ein Zoologisches Institut unerlässlich waren, behindert.179 Von Ubisch musste improvisieren, um dieser schwierigen Situation Herr zu werden. So nutzte er Netzwerke zu außeruniversitären Einrichtungen wie dem Münsterschen Zoo, von denen das Institut die Kadaver gestorbener Tiere erhielt und dadurch die anatomische Sammlung unter geringem Kostenaufwand durch exotische Exponate aufzustocken vermochte.180 Dabei reaktivierte er auch die alte Verbindung zum Anatomischen Institut, mit dem man bei der Anschaffung eines neuen Mazerationsapparates181 kooperierte.182 Ein Bericht des Ordinarius vom Februar 1932 angesichts von Plänen, den Etat weiter zu verringern, belegt, wie angespannt die Lage am Institut zu dieser Zeit aussah. Seit 1928/29 habe man bei einem Sachetat von 10.000 RM wirkliche Ausgaben zwischen 12.000 und 15.000 RM gehabt. Durch den Anstieg der Dozentenzahl und die außerordentliche Erweiterung des Lehrbetriebes seien auch die Bedürfnisse an Lehrmaterial gestiegen, welche durch die wachsende Anzahl der Studenten (von 298 im Sommersemester 1927 auf 719 im Wintersemester 1931/32) noch verschärft würden. Die dadurch nötig gewordenen Einsparungen hätten bereits die Substanz des Instituts und die Qualität der Lehre und Forschung angegriffen, da durch die Nichtanschaffung von Anschauungsmaterial, Zeitschriften und neuer Literatur eine Schädigung der Ausbildung eingetreten und das Institut hinter das Ausland zurückgefallen sei. Daher dürfe auch trotz schlechter Finanzlage des Staates eine Herabsetzung des Etats nicht in Erwägung gezogen werden, da das Institut ohnehin nie genug Geld gehabt habe.183 Die Staatskrise schlug trotz dieser Versuche dennoch voll auf das Institut durch. Einen Monat nach von Ubischs Schreiben wurde der Etat auf 8.900 RM gekürzt.184 Fünf Monate später folgte eine weitere Kürzung 177 178 179 180 181 182 183 184

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1931, Antrag, undatiert, wahrscheinlich 15.11.1930. Ebd., von Ubisch an Kurator, 6.5.1931. Chronik 1931/32, S. 99 UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 21.6.1932. Ein Gerät zur Ablösung des Fleisches von Skeletten. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 16.7.1932. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1931, von Ubisch an Kurator, 11.2.1932. Ebd., Kurator an von Ubisch, 14.3.1932.

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um 380 RM.185 Damit rang das Zoologische Institut in der Spätphase der Weimarer Republik im wahrsten Sinne des Wortes um seine Existenz als arbeits- und qualitativ konkurrenzfähige Forschungseinrichtung. Dass die Zoologie trotz dieser schwerwiegenden Probleme überhaupt einen vertretbaren Forschungsbetrieb aufrecht erhalten konnte, lag nicht zuletzt an der Qualität des dort beschäftigten wissenschaftlichen Personals und einem kooperativen Verhältnis zu den politischen Entscheidungsträgern. Grundlegende Meinungsverschiedenheiten oder exzessive politische Einmischungsversuche, sowohl was Personalpolitik als auch Forschungsinhalte betraf, sind bis 1933 zwischen den Wissenschaftlern und der Politik am Institut nicht zu verzeichnen. Zwar gab es, wie auch bereits mehrmals dargelegt wurde, immer wieder Verhandlungen über Budgetfragen sowie andere Meinungsverschiedenheiten. Diese wurden aber in einem zivilen Tonfall ausgetragen, und keine der Seiten versuchte, der anderen über ihre Kompetenzen und das eingespielte, auf dem Humboldt’schen Prinzip beruhende Gleichgewicht hinausgehend ihren Willen aufzuzwingen. Vorsichtige Fühlungnahme, wie beispielsweise des Zentrums im Rahmen der Regelung der Nachfolge Stempells, bildete im politischen Lager das Maximum dessen, was man sich erlaubte, und sobald man auf Widerstand stieß, ließ man seine Bemühungen fallen. Auf der anderen Seite nutzten die Wissenschaftler die ihnen gegebenen Möglichkeiten, Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu nehmen, zwar durchaus aus. Hierbei ist jedoch festzuhalten, dass sie dies nur dann taten, wenn sie eine Bedrohung für die Qualität von Forschung und Lehre witterten oder den Einfluss der Universitäten auf die wissenschaftliche Ausbildung des Forschernachwuchses in Gefahr sahen. Auch innerhalb des Instituts scheint es bis 1933 zu keinen Auseinandersetzungen gekommen zu sein, zumindest sind für solche Vorgänge keine Quellen überliefert. Innerhalb des Gesamtkomplexes der Universität genoss der Ordinarius hohes Ansehen. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass von Ubisch 1930 als Festredner auf der Reichsgründungsfeier auftrat und dort seinem Stolz auf das Vergangene, aber auch seiner Sorge um die nationale Einheit Ausdruck geben konnte.186 Der Reserveoffizier mit dem von Mensuren gezeichneten Gesicht war vollständig in sein akademisches Umfeld integriert und wurde von seinen Kollegen geachtet.187 Neben der Etablierung neuer Forschungs- und Lehrschwerpunkte stand das Institut unter von Ubisch, im Gegensatz zur starken Fluktuation in den Jahren zuvor, auch personalpolitisch im Zeichen der Kontinuität. Dass der Ordinarius keinen Grund sah, dies zu ändern, bewiesen 1929 seine Anträge beim Kurator, sowohl Feuerborns als auch Kosswigs Vertrag um jeweils zwei Jahre zu verlängern. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass sich bei ersterem, trotz der weggefallenen Belastung durch die Führung des Instituts, für die Jahre von 1927 bis 185 186 187

Ebd., Kurator an von Ubisch, 13.8.1932. Behnke/Kosswig 1966, S. 18. Ebd., S. 9.

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1929 nur drei Publikationen188 angesammelt hatten und er damit, entgegen seiner vorhergehenden Beteuerungen, seinen „literarischen Schönheitsfehler“ nicht hatte wettmachen können. Kosswig hingegen, neben seiner Arbeit als Assistent auch noch mit seiner Habilitation beschäftigt, hatte im gleichen Zeitraum sechs Schriften veröffentlichen können.189 Die Verlängerung wiederholte sich auch nach Ablauf der nächsten zwei Jahre. In seinem erneuten Antrag für Kosswig am 30. September 1931 ging von Ubisch nochmals auf die unpraktische Raumsituation des Instituts bei gleichzeitiger starker Frequenz ein. Dann lobte er seinen Assistenten, der sowohl als Lehrer wie auch als Forscher Vorzügliches leiste und ein sehr wesentliches Mitglied des Instituts sei. Seine Tätigkeit sei ganz besonders deshalb von Bedeutung, weil er allein das wichtige Sondergebiet der Vererbungslehre vertrete und sich dort einen guten wissenschaftlichen Namen gemacht habe. Die beigefügte Veröffentlichungsliste, deren Schriften sich hauptsächlich mit vererbungswissenschaftlichen Themen beschäftigten, zeigte, dass Kosswig auch publikationstechnisch auf diesem Gebiet produktiv tätig geblieben war.190 Von Ubischs Versuche, die Genetik am Institut zu etablieren, hatten also Erfolg gehabt. Neben Kosswig vergaß er aber auch Feuerborn nicht, dessen Anstellung ebenfalls verlängert wurde. Als am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, war seitens der Wissenschaftler nicht abzusehen, dass der politische Machtwechsel überhaupt Auswirkungen auf das Institut haben würde. Zunächst änderte sich, wie schon bei den vorherigen Wechseln der Präsidialkabinette, nichts. Die umfassende Machtübernahme der Nationalsozialisten in den folgenden Monaten sollte die Situation jedoch auf einer neuen Ebene dramatisch verändern und Verwerfungen innerhalb des Instituts zum Vorschein bringen, die bereits seit 1927 latent vorhanden gewesen waren. Mit der Regierungsübernahme der NSDAP, der sich anschließenden Ausschaltung oppositioneller Kräfte und der Festigung der Macht durch die Nationalsozialisten begann nicht nur die Umstrukturierung der parlamentarischen Demokratie von Weimar in einen Führerstaat,191 sondern es deuteten sich, bedingt durch die zahlreichen nun erlassenen neuen Gesetze, auch Veränderungen in der Hochschulpolitik an. Ein wichtiger Schritt hierzu war die Neuausrichtung der Kultusministerien. Wie in vielen anderen Ländern wurden auch im Preußischen Wissenschaftsministerium die leitenden Beamte entlassen und die Schlüsselpositionen mit Nationalsozialisten besetzt. An der Spitze des Ministeriums stand fortan der Gymnasiallehrer Bernhard Rust. Er sollte ein Jahr später als Reichserziehungsminister auch die Leitung des neuen Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung übernehmen, welches am 1. Mai 1934 durch Verschmelzung der einzelnen Länderminis188 189 190 191

UAMs, Bestand 9, Nr. 523, von Ubisch an Kurator, 14.9.1929. Ebd., von Ubisch an Kurator, 2.12.1929. Ebd., von Ubisch an Kurator, 30.9.1931. Vgl. hierzu Thamer, Hans-Ulrich, Der Nationalsozialismus, Stuttgart 2002, S. 177ff.

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terien mit dem Preußischen Wissenschaftsministerium gegründet wurde.192 Einen Monat später wurde auch die Notgemeinschaft gleichgeschaltet. Rust entließ deren Präsidenten Friedrich Schmidt-Ott und setzte den Nobelpreisträger und Mitbegründer der antisemitischen „Deutschen Physik“, Johannes Stark, an die Spitze der Forschungsförderungsgesellschaft. In den folgenden Jahren wurden REM und DFG (so der neue Name der Notgemeinschaft ab 1937) in NS-typischer Weise durch Personalüberschneidungen eng miteinander verknüpft. Gleichzeitig wurden Verbindungen zur SS geschaffen. So übernahm der REM-Referent und SS-Sturmbannführer Rudolf Mentzel 1936 Starks Posten. Gleichzeitig zeigte sich ab 1937 ein weiteres Charaktermerkmal des Regimes, die Polykratie, in der Schaffung des organisatorisch von der DFG abhängigen Reichsforschungsrates.193 Somit schlugen sich markante Wesensmerkmale des Nationalsozialismus auch in der Struktur der hochschulpolitischen Institutionen nieder. Auf die Machtübernahme im Preußischen Wissenschaftsministerium folgte im Frühjahr 1933 zunächst eine personelle „Säuberung“ der Hochschulen und Universitäten.194 Eines der wichtigsten Werkzeuge des neuen Regimes stellte hierbei das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG) vom 7. April 1933195 dar, mit dem nicht nur politisch missliebige, sondern auch jüdische und anderweitig von den Nationalsozialisten als untragbar angesehene Personen aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden konnten. Auch am Zoologischen Institut wurden die Auswirkungen der nun einsetzenden antisemitischen Politik spürbar. Hierzu zählten insbesondere die Bemühungen des Regimes, Juden aus verantwortlichen Positionen innerhalb der Universität und aus dem Bildungsweg junger Deutscher auszuschalten. So geriet nun auch von Ubisch aufgrund seiner jüdischen Mutter in den Fokus der neuen Machthaber. Wie wenig planvoll diese Politik zu Beginn des „Dritten Reiches“ jedoch noch verfolgt wurde, zeigt die Tatsache, dass das Preußische Wissenschaftsministerium in unregelmäßigen Abständen immer wieder neue Informationen zu verschiedenen Teilgebieten der „Säuberungspolitik“ anforderte, anstatt eine Gesamtaufstellung der zu Entlassenden zu erbitten. So bat das Ministerium Mitte Mai den Kurator, eine Liste mit Professoren zu übersenden, die den Paragraphen 3 und 4 des BBG unterlagen. Hierbei handelte es sich um politisch unzuverlässige Beamte beziehungsweise solche, die „nicht arischer Abstammung“ waren.196 Dabei sollten auf 192

193 194 195 196

vom Brocke, Bernhard, Kultusministerien und Wissenschaftsverwaltungen in Deutschland und Österreich: Systembrüche und Kontinuitäten 1918/19–1933/38–1945/56, in: vom Bruch/Kaderas 2002, S. 193–214, hier: S. 198; vgl. für eine Bewertung der Rolle Rusts und der Polykratie der NS-Wissenschaftsverwaltung ebd. Vgl. Deichmann 1995, S. 56ff. Vgl. hierzu: Grüttner, Michael, Verlust an wissenschaftlicher Substanz: Universität und Wissenschaftler in der nationalsozialistischen Diktatur, in: Informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945 67 (2008), S. 4–8. Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 175–177. Vgl. ebd.

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der einen Seite diejenigen aufgezählt werden, die im Sommersemester 1933 ihre venia legendi nicht mehr ausübten, auf der anderen Seite diejenigen, die zwar unter die genannten Paragraphen fielen, aber dennoch Vorlesungen hielten.197 Im Zoologischen Institut war davon nur der Ordinarius betroffen.198 Als Frontkämpfer war von Ubisch zwar zunächst durch die Ausnahmeregelungen des Gesetzes vor beruflichen Konsequenzen geschützt.199 Das Wissenschaftsministerium ließ aber nicht locker und verlangte kurz darauf aufgrund angeblich unvollständiger Antworten vom Botaniker Alfred Heilbronn und den beiden Zoologen Kosswig und von Ubisch weitere Angaben.200 Letzterer musste detaillierte Aussagen zu seinem Frontdienst machen.201 Im Anschluss daran blieb er, zumindest von offizieller Seite, zunächst unbehelligt. Im folgenden Jahr setzen sich die Anfragen fort. Anfang März 1934 ersuchte das Wissenschaftsministerium den Kurator um eine Liste mit den Namen von „Nichtariern“, die in den Referendarprüfungsausschüssen tätig seien.202 Bereits zwei Tage später wurden die gewünschten Angaben nach Berlin geschickt, darunter auch der Name des zoologischen Ordinarius.203 Unmittelbare Konsequenzen ergaben sich daraus nicht, da das Ministerium vorerst nur bestrebt war, einen Überblick zu gewinnen. Vier Monate später dann die nächste Liste: das Ministerium wollte wissen, ob, und wenn ja, welche „Nichtarier“ noch in Prüfungskommissionen tätig seien.204 Wiederum kam für das Zoologische Institut nur von Ubisch in Frage, der sowohl in den Ausschüssen für die Vorprüfung für praktische Landwirte, für die Vorprüfung für Diplomlandwirte und dem für die Ärztliche Vorprüfung Mitglied war.205 Auch hier ließen Konsequenzen noch auf sich warten. Verwaltungstechnisch hingegen wurden dem Ordinarius in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Herrschaft von der Universität keine Schwierigkeiten gemacht. Seitens des Kurators liefen Auszahlungen an Demonstratoren sowie Baugenehmigungen, unter anderem für den bereits 1932 beantragten Mazerationsraum, von den neuen politischen Umständen unbeeinflusst weiter, und auch Gelder für

197 198 199

200 201 202 203 204 205

UAMs, Bestand 9, Nr. 863, PrWM an Kurator, 11.5.1933. Ebd., Kurator an PrWM, 23.5.1933. So lautete § 3, Abs. 2 des BBG: „Abs. 1 gilt nicht für Beamte, die bereits seit dem 1.8.1914 Beamte gewesen sind oder die im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft haben oder deren Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen sind. Weitere Ausnahmen können der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister oder die obersten Landesbehörden für Beamte im Ausland zulassen.“ UAMs, Bestand 9, Nr. 863, PrWM an Kurator, 14.6.1933. Ebd., PrWM an Kurator, 28.8.1933. Ebd., PrWM an Kurator, 5.3.1934. Ebd., Kurator an PrWM, 7.3.1934. UAMs, Bestand 9, Nr. 976, PrWM an von Kurator, 11.7.1934. Ebd., Kurator an PrWM, 14.7.1934.

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Anschaffungen von Geräten wurden ihm weiterhin problemlos genehmigt.206 Auch auf höherer Ebene sabotierte man ihn nicht. Selbst der Bau des Tierhauses, noch 1932 abgelehnt, erhielt nun die Zustimmung des Wissenschaftsministeriums.207 Das Zoologische Institut als Ganzes konnte nach Jahren der finanziellen Schwierigkeiten und der räumlichen Stagnation nun zumindest einige Schritte nach vorne machen. Insgesamt konnten im akademischen Jahr 1932/33 drei größere Exkursionen durchgeführt werden. Aus der Zusammenarbeit mit dem Anatomischen Institut beim Mazerationsapparat ergab sich die Möglichkeit der Vergrößerung der Skelettsammlung. Zusammen mit dem Rest der Zoologischen Sammlung konnte diese nun auch von der Erweiterung des Platzangebotes durch die Übernahme zweier Räume profitieren. Zusätzlich dienten diese zur Schaffung weiterer dringend benötigter Arbeitsplätze. Auch der veraltete Projektionsapparat konnte durch Entgegenkommen des Ministeriums ersetzt werden. Ebenso stieg der wissenschaftliche Output des Instituts auf 30 veröffentlichte Arbeiten. Die Studierendenzahlen indes fielen weiter: im Wintersemester 1932/33 waren 769, im Sommersemester 1933 461 Studierende am Institut eingeschrieben.208 Was die Forschungsinhalte betraf, so spiegelte sich die veränderte politische Situation auch hier zunächst nicht wider. Die Dissertationsthemen der Doktoranden bewegten sich weiter im Rahmen dessen, was auch vor der Machtergreifung bearbeitet worden war: Entwicklungsphysiologie, Hydrobiologie und einige genetische Arbeiten. Auch die Preisaufgabe der Zoologie des Jahres 1933 blieb klassisch: „Die Embryonalentwicklung von Ophryotrocha.“209 Gleiche gilt für die am Institut angebotenen Veranstaltungen, die ebenso die Tradition der Vorsemester weiterführten und, zumindest was ihre Titel angeht, kein Einsickern nationalsozialistischer Propaganda zeigten. Von Ubisch lehrte weiterhin Allgemeine Zoologie, Feuerborn Heimatkunde und Nervensysteme von Wirbellosen und Wirbeltieren, Kosswig Geschlechtsbestimmung und Vererbungswissenschaft (diese zusammen mit seinem Kollegen Heilbronn vom Botanischen Institut) und Lehmann Hydrobiologie.210 Auch die Einladung auswärtiger Forscher orientierte sich an Kompetenz anstatt am Parteibuch. So gelang es von Ubisch, mit Alfred Kühn, dem späteren Direktor des Max-Planck-Instituts für Biologie, einen der führenden deutschen Zoologen für einen Vortrag an der Universität Münster zu gewinnen. In seinem Vorschlag an den Dekan stellte der Ordinarius vor allem Kühns enge Verbindung zwischen Entwicklungsgeschichte, Entwicklungsphysiologie und Vererbungslehre in den Vordergrund, eine Kombination, die später unter dem Namen „Synthetische Theorie“211 großen 206 207 208 209 210 211

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, diverse Schreiben. Ebd., Vermerk des PrWM, 15.12.1933. Chronik 1932/33, S. 111f. UAMs, Bestand 4, Nr. 1078, Preisaufgabe Zoologie, 18.7.1933. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1933. Vgl. zur Synthetischen Theorie Engels, Eve-Marie/Junker, Thomas/Weingarten (Hg.), Die Entstehung der synthetischen Theorie. Beiträge zur Geschichte der Evolutionsbiolo-

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Einfluss gewinnen sollte und zu Beginn der 1930er-Jahre noch in den Kinderschuhen steckte.212 Damit bewies er erneut ein Gespür für moderne Forschungsrichtungen und gleichzeitig seinen Willen, diese in Münster bekannt zu machen. Kühn sprach schließlich am 12. Juli 1934 über „Physiologie der Vererbung und Artveränderung“.213 In der Anfangsphase der Diktatur veröffentlichte Zeitschriftenbeiträge der Wissenschaftler am Zoologischen Institut wichen ebenfalls wenig von ihren früheren Werken ab, so zum Beispiel von Ubischs entwicklungsphysiologischer Aufsatz über Keimblattchimären.214 Dies ist jedoch nicht weiter verwunderlich. Mit Ausnahme Kosswigs hatte keiner der Münsterschen Zoologen bis zu diesem Zeitpunkt zu Themen gearbeitet, die in der nationalsozialistischen Ideologie verankert waren oder zu deren Legitimierung eine Rolle spielten. Die Anpassungsbereitschaft der Mitarbeiter beschränkte sich vorerst auf den Beitritt zu verschiedenen NS-Organisationen. Wissenschaftlich legte man eine abwartende Haltung an den Tag oder hielt sich ganz einfach von politischen Themen, wie bisher, fern. Der deutliche Bruch, als der das Jahr 1933 in der Rückschau oft erscheint, fand am Zoologischen Institut demnach zunächst nicht statt. Anders als in der wissenschaftlichen Ausrichtung ergaben sich zu Beginn des neuen Sommersemesters aber auf der Personalseite mehrere Veränderungen am Institut. Diese hatten jedoch keinerlei Verbindungen zu den geänderten politischen Verhältnissen. Kosswig verließ das Institut mit Unterstützung seines Ordinarius, um an der Technischen Hochschule Braunschweig eine planmäßige außerordentliche Professur für Allgemeine Biologie und Zoologie zu übernehmen.215 Seine Stelle als planmäßiger Assistent wurde nach seinem Weggang ab dem 1. April 1933 von Wilhelm Nümann übernommen. Bereits nach einem Monat verließ dieser aber aus nicht aktenkundlichen Gründen das Institut bereits wieder.216 Nümann wurde am

212 213 214 215

216

gie in Deutschland 1930–1950 (Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 2), Berlin 1999. UAMs, Bestand 62, Z 1, von Ubisch an Dekan, 24.11.1933. Ebd., Kühn an Universität, 30.6.1934. von Ubisch 1933. Siehe zu Kosswigs weiterer Karriere: Droste, Daniel, Vom SS-Schulungsleiter zum Emigranten. Die Karriere des Zoologen Curt Kosswig und die Rolle der Biologie als Stütze des NS-Staates, in: Annals of the History and Philosophy of Biology (2012) [in Vorbereitung]. Zu Nümann sind in den Quellen leider nur wenige Details zu finden. Er wurde am 10.10.1906 in Burgsteinfurt geboren. Sehr bedürftigen Verhältnissen entstammend, war er Schüler von Ubischs geworden und hatte diesem bei dessen Versuchen an den Zoologischen Stationen Neapel und Herdla Hilfe geleistet. Für einige Zeit hatte er dabei den Posten eines Demonstrators am Institut inne. Danach war er promoviert worden und hatte ebenso die Staatsprüfung für das höhere Lehramt abgelegt. Nach seinem temporären Weggang kehrte er ab dem 1.5.1934 als in einem Privatdienstvertrag bei Feuerborn stehende Hilfskraft wieder nach Münster zurück. Kurz darauf verließ das Institut erneut und arbeitete von 1935 bis 1937 als Assistent am Institut für Seenforschung in Langenargen. 1938 ging er an das Institut für Meeresbiologie in Rovigno, wo er bis 1943 verblieb. Nach

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1. Mai 1933 durch Helmut Beyer ersetzt, der, wie bereits erwähnt, Feuerborn während dessen Forschungsreise 1928/29 nach Südostasien kurzzeitig vertreten hatte.217 Am selben Tag, an dem er seinen Posten am Zoologischen Institut antrat, wurde er mit der Nummer 2466788 Mitglied der NSDAP. Ebenso trat er in den RLSB, die NSV und 1934 in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein.218 Auch seine Zeit am Zoologischen Institut währte nur jedoch kurz. Bereits am 1. Oktober 1933 verließ er es, um eine Stelle als Assistent am Naturkundemuseum in Münster anzutreten. Auf dieser verblieb er bis 1945.219 Damit setzte Beyer die traditionelle Vernetzung der Biologie an der Universität Münster und des Museums als einer von mehreren an beiden Institutionen tätigen Mitarbeitern fort.220

217

218 219 220

dem Krieg kehrte er 1947 nach Langenargen zurück und übernahm die kommissarische Leitung des Instituts für Seenforschung. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1935, Kurator an von Ubisch, 26.7.1932; UAB, PA Feuerborn, Bd. IV; Kürschner 1950; Chronik 1932/33, S. 111f. Beyer war in der Zwischenzeit 1932 promoviert worden. Wissenschaftlich beschäftigte er sich hauptsächlich mit heimatkundlichen und den Naturschutz betreffenden Themen, so der Tierwelt Westfalens, Käfern, Vögeln und Insekten. Diese Schwerpunkte spiegelten sich auch in seinen Veröffentlichungen wider, von denen bis auf seine Dissertation alle zwischen 1932 und 1958 erschienenen 18 Stück in der Zeitschrift „Natur und Heimat“ gedruckt wurden, für die er gleichzeitig ab 1934 zusammen mit Feuerborn verantwortlich zeichnete Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Beyer, NW1039–B, 3134, Fragebogen, 2.3.1948; Berger 2001, S. 32f. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Beyer, NW1039–B, 3134, Fragebogen, 2.3.1948. Berger 2001, S. 32f. Beyers weitere Karriere im „Dritten Reich“ verlief äußerst positiv. Dazu beigetragen haben mag auch seine offene Anbiederung an das Regime, die sich unter anderem in seinem Übertritt zur „Gottgläubigkeit“ manifestierte, da er sich „aufgrund darwinistischer Anschauungen von [der] Kirche gelöst“ habe. Ab dem 15.11.1934 war er, neben seiner eigentlichen Stelle am Museum, als Gaustellenleiter für Naturschutz und, bis zu seiner Einberufung 1941, als Berater des Landrates in Naturschutzangelegenheiten in Eigenschaft des staatlichen Beauftragten für Naturschutz tätig. Aufgrund seiner hochrangigen Tätigkeit für den NS-Staat wurde Beyer nach Kriegsende automatisch verhaftet und in ein Internierungslager verbracht. Provisorisch in Kategorie III eingestuft, wurde er am 11.1.1947 entlassen. Wie in ähnlichen Fällen üblich wurde seine Kategorisierung in einem zweiten Entnazifizierungsverfahren am 31.7.1948 in Kategorie IV ohne Vermögenssperre herabgestuft. Die geschah nicht zuletzt aufgrund eines Gutachten seines ehemaligen Vorgesetzten und inzwischen neuen Ordinarius für Zoologie, Bernhard Rensch, welches ihm bescheinigte, seine Beziehungen zur Partei zur Förderung von Naturschutzbestrebungen genutzt zu haben. Damit stand einer Rückkehr zu wissenschaftlicher Arbeit nichts im Wege. Folgerichtig erhielt er wieder eine Anstellung am Naturkundemuseum Münster und war von 1961 bis 1973 als Leiter von dessen Außenstelle, der Biologischen Station „Heiliges Meer“ in Recke, tätig. Am 8.9.1989 verstarb der laut Rensch „charakterlose, ewig schwätzende und geheimnisvoll tuende ehedem so rücksichtslose Nazi“ Beyer in Hannover. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Beyer, NW1039–B, 3134, Fragebogen, 2.3.1948; ebd., Beyer an Entnazifizierungsausschuss Kreis Münster-Land, 2.3.1948; ebd., Einreihungsbescheid, 31.7.1948; ebd., Gutachten Rensch, 29.2.1948.

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Die Lücke, die er Ende 1933 auf dem Posten eines der planmäßigen Assistenten hinterließ, wurde durch Friedrich Krüger geschlossen. Dieser hatte bereits seit 1927 als außerplanmäßiger Assistent am Institut gearbeitet und war nach einem einjährigen Forschungsaufenthalt in Utrecht nach Münster zurückgekehrt. Auch er folgte dem Zeitgeist und trat am 23. November 1933 der SA bei, wo er zum Rottenführer aufstieg. Ebenso wurde er Mitglied im RLSB221 und der NSV.222 Als einzige Konstante neben dem Ordinarius verblieb demnach lediglich der noch immer als Assistent tätige Feuerborn. Inzwischen 50 Jahre alt war es ihm noch immer nicht gelungen, sich wissenschaftlich so weit zu profilieren, um für einen höheren Posten in Frage zu kommen. In der Machtübernahme der Nationalsozialisten sah er nun seine letzte Chance, aus seiner unbefriedigenden Stellung auszubrechen und doch noch das Ordinariat am Institut zu übernehmen. Diese Chance wollte er mit aller Kraft nutzen. Eine Analyse dieser Vorgänge im Hinblick auf die unterschiedlichen Strategien der Ressourcenmobilisierung der beteiligten Personen wird im dritten Teil dieser Untersuchung unternommen. Hier ist daher nur anzumerken, dass Feuerborn nach der Machtübernahme ein inner- wie außeruniversitäres Netzwerk von NS-Unterstützern in Verwaltung, Partei, Bürgertum und Studentenschaft aufbaute und mit dessen Hilfe einen hemmungslosen Kampf zur Vernichtung der beruflichen Existenz von Ubischs entfesselte. Trotz der sich daraus entwickelnden unhaltbaren Umstände versuchte von Ubisch weiter, die Alltagsgeschäfte des Instituts aufrecht zu erhalten. Da die inzwischen zur permanenten Gefahr für die Arbeit in der Zoologie gewordene Raumnot weiterhin bestand, bemühte er sich beispielsweise, eine neue Unterkunft für das Institut zu finden, und besichtigte dafür unter anderem das Studentenhaus am Aasee, um es bezüglich seiner eventuellen Eignung zu prüfen. Offenbar ergaben sich hier durchaus Möglichkeiten, denn der Kurator konnte Ende Mai 1934 dem Ministerialrat Emil Breuer in Berlin mitteilen, dass von Ubisch eine eventuelle Verwendung des Hauses als ideale Lösung bezeichnet hätte.223 Anträge von Ubischs, den Hörsaal 18, ebenso wie bereits 1930 gefordert, dem Zoologischen Institut zuzuschlagen, wurden hingegen abgelehnt, auch wenn es zu anderweitigen Raumtäuschen kam.224 Eine außerordentliche Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten und des Lehrbetriebes wurde im Frühjahr 1934 durch die Inbetriebnahme des neuen Aquarienhauses möglich. Auch die Anschaffung eines modernen Polarisationsmikroskopes fällt in diese Zeit.225 Ebenso war der Ordinarius bemüht, die außeruniversitären Kontakte des Instituts nicht einschlafen zulassen. Zusammen mit seinem Kollegen Benecke

221 222 223 224 225

UAMs, Bestand 9, Nr. 1359. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–B737. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Kurator an Breuer, 28.5.1934. UAMs, Bestand 4, Nr. 1238, Rektor an Kurator, 27.1.1934. Chronik 1933/35, S. 157f.

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setze er sich für eine weitere Benutzung der Biologischen Anstalt auf Helgoland ein.226 Auf der Personalseite kam es in der Zwischenzeit nur zu geringen Fluktuationen. Der außerplanmäßige Assistent Hans Peters227 wechselte für die Zeit vom 1. April 1934 bis zum 30. September 1934 an die Universität Bern und wurde währenddessen von Heinrich Altrogge vertreten. Nach Peters’ Rückkehr verließ dieser die Universität Münster in Richtung Braunschweig, um als Assistent bei Kosswig zu arbeiten. Währenddessen stieg die Frequenz des Instituts, wie in den Jahren zuvor, weiter an. Waren im Wintersemester 1934/35 noch 500 Studierende eingeschrieben, so waren es ein Jahr später bereits 567. Auch der wissenschaftliche Output wuchs: Zwischen dem Wintersemester 1933/34 und dem Wintersemester 1934/35 wurden 20 wissenschaftliche Arbeiten am Institut veröffentlicht.228 Im Oktober 1935 hatte sich die Lage von Ubischs jedoch durch die permanenten Angriffe Feuerborns an allen Fronten stark verdüstert. Der Druck im Institut war immer stärker gewachsen, seine Kollegen fielen ihm in den Rücken und die Universitätsleitung arbeitete auf seine Entfernung hin. Inzwischen hatte sich auch die rechtliche Situation des Ordinarius durch den Erlass des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 katastrophal verschlimmert, durch welches alle, die nicht „deutschen oder artverwandten Blutes“ waren, zu „Reichsbürgern“ und damit Bürgern zweiter Klasse gemacht wurden.229 Sich auf eine Übergangsbestimmung beziehend, die für Hochschullehrer bis zum 31. Dezember 1935 die vorzeitige Emeritierung auf Antrag gestattete, legten ihm nun Rektor und Kurator nahe, auf diese Art und Weise auszuscheiden, da er sonst aufgrund der Nürnberger Gesetze zwangsweise entfernt werden würde.230 Von Ubisch sah keinen anderen Ausweg mehr, als sich dem Druck zu beugen, und beantragte am 12. Oktober 1935 gezwungenermaßen seine Emeritierung.231 Am 30. Oktober entsprach das REM diesem Antrag und beurlaubte den Zoologen bis zur Erteilung der Genehmigung durch Hitler mit sofortiger Wirkung.232 Den Ordinarius hielt nun nichts mehr in Münster. Ende Novem226 227

228 229 230 231 232

UAMs, Bestand 4, Nr. 302, von Ubisch und Benecke an Kurator, 13.7.1934. Hans Peters wurde am 4.6.1908 in Berlin geboren. 1927 erhielt er sein Reifezeugnis und studierte danach in Kiel und Münster Naturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Zoologie. Am 18.1.1932 wurde er in Kiel promoviert. Ab dem Wintersemester 1931/32 war er als Volontär-Assistent am Zoologischen Institut der Universtität Münster angestellt. Das Sommersemester 1934 verbrachte er an der Universität Bern und kehrte danach als außerplanmäßiger Assistent nach Münster zurück. Siehe: BAB, ehemals BDC, A 50; Chronik 1933/35, S. 157. Ebd., S. 157f. Vgl. Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935, Reichsgesetzblatt I, S. 1146. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Stellungnahme Kratzers zum Wiedergutmachungsverfahren von Ubisch, 9.3.1953. UAMs, Bestand 4, Nr. 237, REM an von Ubisch und Kurator, 26.11.1935. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, Kurator an Dekan, 31.10.1935.

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ber wandte er sich ein letztes Mal an das REM und teilte diesem mit, dass er das Angebot erhalten habe, am Museum in Bergen, einem mit einem KWI zu vergleichenden Institut, meeresbiologische Forschungen auszuführen. Es sei dem REM bekannt, dass er nicht leichten Herzens ins Ausland gehe und in den vorhergehenden Jahren wiederholt Angebote diesbezüglich ausgeschlagen habe. Nachdem aber auch der mit Zustimmung des REM erfolgte Versuch, für ihn an einem deutschen Forschungsinstitut eine würdige Existenz zu schaffen, fehlgeschlagen sei, glaube er, der deutschen Wissenschaft am besten dienen zu können, indem er die Einladung annehme. Schon Anfang Dezember wolle er seine Arbeit dort möglichst aufnehmen.233 Ebenso wollte er seinen Wohnsitz dorthin verlegen.234 Rektor Karl Hugelmann, der seine Ziele damit erreicht hatte, befürwortete die Bitte wärmstens.235 Der Kurator seinerseits setzte sich für eine schnelle Genehmigung des Aufenthalts außerhalb des Reiches ein.236 Beide waren offensichtlich froh, von Ubisch los zu sein. Einige Tage später erreichte diesen schließlich seine Entpflichtungsurkunde, mit der er Ende November von allen amtlichen Pflichten entbunden wurde: „Ich spreche Ihnen für Ihre akademische Wirksamkeit und die dem Reich geleisteten treuen Dienste meine Anerkennung und meinen Dank aus. Berlin, den 26. November 1935 Der Führer und Reichskanzler Gez. Adolf Hitler“237

Seinem Kollegen Adolf Kratzer vertraute von Ubisch später an, wie bitter er den Widerspruch empfand, dass ihm einerseits in der Emeritierungsurkunde der Dank des „Führers“ ausgesprochen wurde, andererseits aber diese erzwungene Emeritierung auf Verordnungen desselben „Führers“ zurückging.238 Verbittert und zutiefst verletzt verließ er Ende 1935 Münster in Richtung Norwegen, der Heimat seiner Frau.239 Damit war nach acht Jahren das Ordinariat von Ubisch am Zoologischen Institut der Universität Münster beendet. Feuerborn hatte sein erstes Ziel erreicht. 

4.  Die Vertretung des Ordinariats durch Kosswig 1935 bis 1936 Mit demselben Schreiben, mit dem von Ubisch seine Entpflichtungsurkunde übersandt worden war, hatte das REM die Universität ersucht, Ersatzvorschläge in der 233 234 235 236 237 238 239

UAMs, Bestand 4, Nr. 237, von Ubisch an REM, 22.11.1935. Ebd., Kurator an Rektor, 29.11.1935. Ebd., von Ubisch an REM, 22.11.1935. Ebd., Kurator an Rektor, 29.11.1935. UAMs, Bestand 4, Nr. 237, REM an von Ubisch und Kurator, 26.11.1935. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Stellungnahme Kratzers zum Wiedergutmachungsverfahren von Ubisch, 9.3.1953. Behnke/Kosswig 1966, S. 20.

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4.  Die Vertretung des Ordinariats durch Kosswig 1935 bis 1936

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üblichen Dreizahl für dessen Nachfolge in Münster vorzulegen.240 Dort schien nach dem unfreiwilligen Abtritt seines Widersachers nun die Stunde Feuerborns geschlagen zu haben. Nach jahrelangem Kampf war er seinem zweiten Ziel, den Lehrstuhl am Zoologischen Institut einzunehmen, zum Greifen nahe gekommen. Trotz seiner zahlreichen Unterstützer in Politik und Wissenschaft hatte sich jedoch kein Automatismus im Besetzungsverfahren eingestellt. Die mehrfachen Vorwürfe von Ubischs, Feuerborn sei qualitativ nicht für den Posten eines Ordinarius geeignet, hatten Spuren hinterlassen.241 Daher hatte die Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät bereits unmittelbar nach dem Antrag des ehemaligen Ordinarius auf vorzeitige Emeritierung begonnen, mögliche Kandidaten begutachten zu lassen. Dazu zählte auch Feuerborn. Der Ordinarius für Botanik, Walter Mevius, hatte im Auftrag der Fakultät mehr als 20 Gutachten von zoologischen Ordinarien anderer deutscher Universitäten angefordert.242 Darin waren diese gebeten worden, Feuerborns Arbeit wissenschaftlich zu bewerten und seine Tauglichkeit für das Ordinariat an der Universität Münster zu kommentieren. Die Ergebnisse der im Laufe des Oktobers und Novembers eintreffenden Briefe fielen für den Heimatschützer aber geradezu katastrophal aus. Ein Gutachter aus Kiel beispielsweise konnte sich nicht für Feuerborn einsetzen, da dieser wenig produktiv sei und nur belanglose Kleinigkeiten veröffentlicht habe. Für ein Ordinariat sei er nicht geeignet, auch schon deshalb, weil er zu alt sei.243 Ein Gutachter aus Greifswald hielt ihn ebenso ungeeignet.244 Erich Martini von der Universität Hamburg, der Feuerborns Thesen über den Bau des Insektenthorax schon 1923 scharf angegriffen hatte, kam in seinem Gutachten darauf zurück und wies auf die Unhaltbarkeit der damaligen Theorie und ihre Ablehnung in der Fachwelt hin.245 Ebenso sprach sich Otto Koehler von der Universität Königsberg gegen Feuerborn aus. Dieser sei kein Erbkundler, und wenn er Nachfolger von Ubischs werde, so sei dies ein Rückschritt und auch dem Nachwuchs gegenüber unfair.246 Auch Alfred Kühn wünschte Feuerborn zwar eine ihn sicherstellende Versorgung, hielt ihn jedoch nicht für ein Ordinariat geeignet. Als Alternative brachte er Hermann Weber, zu jener Zeit an der Universität Danzig tätig, ins Gespräch. Ihn, der in der Morphologie, der Bewegungsphysiologie sowie der Ökologie von Mollusken und Insekten profiliert war, hielt er für einen rastlosen und gediegenen Arbeiter, von dem noch viel zu erwarten sei.247 Besonders negativ drückte sich schließlich Max Hartmann, Direktor des KWI für Biologie, aus. Er riet dringend von Feuer240 241 242 243 244 245 246 247

UAMs, Bestand 4, Nr. 237, REM an von Ubisch und Kurator, 26.11.1935. Vgl. hierzu Kapitel IV. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Mevius an Dekan, 22.1.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Gutachten Kiel, 16.10.1935. Ebd., Gutachten Greifswald, 17.10.1935. Ebd., Gutachten Martini, 27.10.1935. Ebd., Gutachten Koehler, 10.11.1935. Ebd., Gutachten Kühn, 16.11.1935.

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born ab. Dieser sei ein Morphologe und Ökologe „alten Stils“,248 stehe neuen experimentellen Fragestellungen (darunter auch der Vererbung, bei der sich Feuerborn besonders zu profilieren verstanden hatte) fern und habe lediglich Arbeiten über Insekten auf dem Niveau „mittelmäßiger Doktorarbeiten“ veröffentlicht.249 Ähnlich lauteten alle weiteren Gutachten. Einzig Feuerborns alter Weggefährte Thienemann meldete sich positiv zu Wort. Ohne konkret auf Feuerborns Qualifikationen einzugehen, hielt er ihn für den Posten als am besten geeignet. Der Grund dafür, und hier wiederholte er seine Vorwürfe aus einem vorherigen Gutachten, läge darin, dass die Fakultät jetzt die Möglichkeit habe, das wieder gutzumachen, was sie 1927 gegenüber Feuerborn gesündigt habe. So hätte er schon damals das Ordinariat bekommen sollen, „aber die damals noch mehr als heute gewaltigen Zoologiepäpste haben verhindert, dass ein Mann, der außerhalb der ‚offiziellen‘ Richtung steht, berufen wird.“250 Während sich also auf fachwissenschaftlicher Seite die Waage zusehends zu Ungunsten Feuerborns neigte, begann auch seine Unterstützung an der Universität zu bröckeln. So hatte sich Mitte Oktober der einflussreiche Ordinarius für Botanik, überzeugte Nationalsozialist und zukünftige Rektor, Walter Mevius, in die Auseinandersetzung eingeschaltet. In einem Schreiben an das REM bezeichnete er die Situation am Zoologischen Institut als „ekelhaft“251 und sprach von einem tiefen Riss, der durch die Einrichtung ginge. Zwar hatte auch er entschieden die Entfernung von Ubischs gefordert: „Es ist selbstverständlich, dass v. Ubisch als Halbjude, obwohl er für Deutschland gekämpft hat, Lehrer der Biologie an einer deutschen Hochschule nicht bleiben kann.“252 248 Ebd., Gutachten Hartmann, 19.10.1935. 249 Ebd. 250 Ebd., Gutachten Thienemann, 17.10.1935. 251 BAB, R 4901, Nr. 14893, Mevius an REM, 20.10.1935. 252 Ebd.; interessanterweise stellt Mevius fünf Jahre später in einem Schriftwechsel mit dem Oberfinanzpräsidenten die Situation anders dar. Von Ubisch sei freiwillig gegangen, da er erkannt habe, dass ihm als Halbjuden eine ersprießliche Tätigkeit in Deutschland nicht mehr möglich sei. Das REM habe ihm die Erlaubnis zur Übersiedlung ins Ausland gegeben, der Zoologe gehöre der Universität Münster auch heute noch als Emeritus an und erhalte aus der Universitätskasse seine vollen Bezüge. Sollte er seinen Wohnsitz nach Deutschland zurückverlegen, würde er auch wieder im Vorlesungsverzeichnis geführt. Er gehöre ohne Frage zu den besten deutschen Forschern auf dem Gebiet der Entwicklungsphysiologie, es bestehe auch in Zukunft großes Interesse, dass seine Arbeiten in deutschen Zeitschriften erschienen, und dafür sei es unbedingt erforderlich, dass man seinem Antrag auf Überlassung ihm zuständiger Literatur stattgegeben würde. Abschließend wies er noch auf von Ubischs Kriegsverdienste und Ehrungen hin. Warum er, der selbst aktiv die Entfernung rassisch Verfolgter Kollegen aus dem Vorlesungsverzeichnis betrieb, sich so für den auch unter seiner Mitwirkung entfernten ehemaligen Kollegen einsetzte, ist unbekannt. Ebenso unverständlich bleibt, wieso er wissentlich falsche Angaben, beispielsweise über die Zahlung der Bezüge an von Ubisch, machte (tatsächlich erhielt der Zoologe seine Bezüge auf ein deutsches Konto überwiesen, welches nur zur Verwendung im

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Auf der anderen Seite hatte er jedoch auch keine Sympathien für Feuerborn übrig. Dieser müsse ebenfalls gehen, da er außeruniversitäre Kreise in den Kampf hineingezogen habe. Als Nachfolger für den zoologischen Lehrstuhl sei er für Mevius erledigt, einmal durch seine Taten, aber auch durch die Fachgutachten. Als für ihn wichtigsten Grund gegen eine Weiterbeschäftigung Feuerborns führte Mevius jedoch ein Argument an, das besonders auf das bestimmende Milieu Münsters zu jener Zeit abzielte und auch bei anderen Fragen der Personalpolitik später noch eine Rolle für den Botaniker spielen sollte: Feuerborn war katholisch und bis zur Machtübernahme 1933 Alter Herr einer katholischen Verbindung gewesen. Heute sei er zwar Nationalsozialist, aber Feuerborns Frau sei tief im Katholizismus verwurzelt und flüstere ihrem Mann ein. Deshalb müsse Feuerborn an eine Universität in einer evangelischen Gegend versetzt werden, wo man ihm einen Lehrauftrag verschaffen sollte. Denn: „Man darf keine Katholiken nach Münster bringen. Nur alte Zentrumsfeinde gehören hier her.“253 Eine solche Entscheidung könne auch ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung der Universtität im nationalsozialistischen Sinne sein, denn: „Die Verhältnisse an der Universität sind noch lange nicht normal. Die vielen neuen Pgs., die ich alle noch in einem ganz anderen politischen Lager vor mir sehe, bringen sich vor Nationalsozialismus um, wenn sie sich dabei auch sehr oft gegenseitig schlecht machen müssen.“254

Neben der versuchten Einflussnahme auf das REM suchte Mevius auch im persönlichen Kontakt mit Feuerborn, diesen davon zu überzeugen, seinen Kampf um das Ordinariat aufzugeben. Am 5. November traf er sich mit ihm zu einem Gespräch, in dessen Verlauf er ihn eindringlich bat, nach Braunschweig zu fahren und dort gute Arbeit zu leisten. Außerdem bat er ihn zum wiederholten Male, sich in der Angelegenheit der Nachfolge von Ubischs nicht an Kreise außerhalb der Universität zu wenden und auch seine Frau, seine Freunde und seine Schüler nicht dazu zu veranlassen.255 Feuerborn ließ sich davon aber nicht beeindrucken. In der Meinung, dass Mevius ein wichtiger Entscheidungsträger in den kommenden Berufungsverhandlungen sein würde, versuchte er, ihn für sich zu gewinnen. Offenbar der negativen Gutachten über seine Person gewahr geworden, legte er dem Botaniker deshalb am Tag nach dem Gespräch dar, dass die Berufung eines Hochschullehrers nicht nur von der gutachterlichen Beurteilung durch Fachkollegen abhängig sein dürfe, sondern es müsse „im Sinne einer nationalsozialistischen Ganzheitsbetrachtung“256 Inland nutzbar war, siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 798, Antwort des Kurators auf Anfrage des REM vom 23.6.1936); vgl. hierzu: UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Rektor an Kurator, 12.11.1940. 253 BAB, R 4901, Nr. 14893, Mevius an REM, 20.10.1935. 254 Ebd. 255 UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Mevius an Dekan, 22.1.1936. 256 UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Feuerborn an Mevius, 6.11.1935.

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auch der Charakter und die Frage, wo jemand seiner Aufgabe am besten dienen kann, entschieden werden. Feuerborns Platz sei dort, wo sein Einsatz als Wissenschaftler und Erzieher für eine neue Weltanschauung am notwendigsten sei – an der Universität. Als Nationalsozialist werde er daher nicht aufgeben, sondern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln um die Anerkennung seines Schaffens und seiner Ziele kämpfen und diesen Kampf auch bis nach ganz oben tragen. Der Brief schloss mit einer unverhohlenen Drohung, denn: Dies würde er auch auf die Gefahr hin tun, dass es dabei notwendig sein könnte, schonungslos über die gesamten Vorgänge in Münster, die ihn betreffen, zu berichten.257 Mit den geschilderten Vorgängen war einer unmittelbaren Besetzung des Postens mit Feuerborn zunächst ein Riegel vorgeschoben. Um die nötige Zeit für ein ordnungsgemäßes Berufungsverfahren zu gewinnen, war daher eine Vertretung für den nunmehr vakanten Lehrstuhl nötig geworden. Gleichzeitig musste die Spannung am Zoologischen Institut, die durch von Ubischs Weggang noch lange nicht aufgelöst war, entschärft werden. Zu diesem Zweck entschied sich die Universitätsleitung, den drei Jahre zuvor nach Braunschweig gewechselten ehemaligen Assistenten von Ubischs, Curt Kosswig, übergangsweise für das Wintersemester 1935/36 nach Münster zurückzuholen.258 In einer Art Professorentausch sollte währenddessen Feuerborn die Vertretung von Kosswigs Stelle in Braunschweig übernehmen. Diesem Wunsch entsprach das REM. Folgerichtig wurde Feuerborn am 7. November 1935 an die Technische Hochschule (TH) Braunschweig beordert,259 und Kosswig einen Tag später an die Universität Münster.260 Kosswig war in Braunschweig innerhalb der SS immer weiter unter Druck geraten und hatte seine Posten dort verloren. Hierbei war nicht unerheblich gewesen, dass er sich von Ubisch gegenüber in dessen Auseinandersetzung mit Feuerborn loyal verhalten hatte.261 257 Ebd. 258 UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, Kurator an Dekan, 31.10.1935. 259 UAMs, Bestand 5, Nr. 59, Bd. 1, Rektor Universität Münster an Rektor Universität Frankfurt, 28.5.1935. 260 UAMs, Bestand 4, Nr. 227, REM an Kosswig, 8.11.1935. 261 Gleiches galt für seine Beziehung zu Breider und Altrogge, die, ehemals am Zoologischen Institut der Universität Münster tätig, inzwischen an Kosswigs Institut gewechselt waren. Beide waren von Seiten der Dozentenschaft der TH Braunschweig scharf angegriffen und als Zentrumsanhänger denunziert worden. Breider hatte man sogar vorgeworfen, als „fanatischer Zentrumsmann“ nach der Machtübernahme auf Betreiben von Ubischs als Reaktion auf einen NS-Vortrag über Rassenmischung und -entmischung einen Gegenvortrag gehalten zu haben, um den Nationalsozialismus ins Lächerliche zu ziehen. Auch er habe sich im Kampf Feuerborn gegen von Ubisch ganz auf die Seite des „Halbjuden“ geschlagen, womit er sowohl politisch als auch als Träger der NS-Wissenschaft unhaltbar geworden wäre. Siehe: BAB, R 4901, Nr. 14893, Dozentenschaft TH Braunschweig an Deutsche Dozentenschaft, 18.11.1935; ebd., Bericht der Dozentenschaft der TH Braunschweig über Breider, 7.10.1935.

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Die Personalsituation am Zoologischen Institut änderte sich nach Kosswigs Rückkehr nur geringfügig. Lehmann hatte weiterhin einen Lehrauftrag inne, Peters blieb außerplanmäßiger Assistent, und eine der beiden Assistentenstellen wurde von Krüger ausgefüllt. Einzig die durch Feuerborn freigewordene zweite Assistentenstelle wurde neu, und zwar kommissarisch, mit Seyfried Jentsch besetzt.262 Mit dem Wechsel einer in die Auseinandersetzung um von Ubisch verwickelten Person wie Kosswig sowie der Belassung der Mehrzahl der Beschäftigten am Zoologischen Institut war eine rasche Befriedung des Lehrstuhls aber unwahrscheinlich geworden. Der Kampf um das Ordinariat sollte sich in der Folge daher auch, mit anderen Protagonisten und unter anderen Vorzeichen, weiter ausweiten. Die Umquartierung Feuerborns nach Braunschweig, dazu gedacht, ihn zunächst aus dem unmittelbaren Geschehen auszuschalten und die Situation in Münster zu beruhigen, verfehlte ihre Wirkung. Der Zoologe griff nämlich auf sein umfangreiches Netzwerk aus Schülern und dabei erneut federführend auf Wilhelm Jung zurück, um zunächst diese an seiner Statt den Kampf fortführen zu lassen. Ziel war dabei die Delegitimierung und Denunziation von Ubischs, die Hervorhebung der fachwissenschaftlichen Kompetenzen Feuerborns und die Propagierung von dessen 262

Jentsch, evangelischer Konfession, wurde am 6.2.1912 in Bremen als Sohn eines Oberstudiendirektors geboren. Er besuchte von 1921 bis 1930 das Realgymnasium zu Bremen und legte dort Ostern 1930 sein Abitur ab. Im Anschluss studierte er ab dem Sommersemester 1930 Naturwissenschaften (Zoologie, Botanik, Geographie und Chemie) in Tübingen und ab dem Wintersemester 1930/31 in Göttingen (mit dem zusätzlichen Fach Völkerkunde). Am 17.4.1935 legte er seine mündliche Doktorprüfung in Zoologie, Botanik und Völkerkunde ab und wurde mit einer Dissertation zum Thema „Die Chromosomen des Wellensittichs (Melopsittacus undulatus Sh.), untersucht in somatischen Geweben und in der Spermatogenese, nebst einigen Bemerkungen über Kernfragmention im Amnion“ promoviert. Nach der Machtübernahme hatte sich Jentsch rasch den Nationalsozialisten angeschlossen und war am 6.7.1933 sowohl der NSDAP als auch der SA beigetreten. Diese überwies ihn im September 1935 als Unterführer an die Hitlerjugend (HJ), wo er in der Gefolgschaft S/13 diente. Ebenso trat er der NSV bei. Auch in der Studentenführung war er während seiner Studienzeit aktiv gewesen. Zwischen Promotion und Arbeitsbeginn an der Universität Münster war Jentsch von April bis Dezember 1935 als Angestellter des NSD-Ärztebundes Assistent beim Deutschen Biologen-Verband tätig. Dort hatte er die Aufgabe, die biologischen Abteilung der Ausstellung „Ewiges Volk“ der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte beziehungsweise des NSD-Ärztebundes in Dresden 1936 einzurichten. Zwar wurde die Ausstellung letztendlich abgesagt, so dass über seine Arbeit dort keine gesicherten Erkenntnisse überliefert sind. Eine gleichnamige Wanderausstellung des Deutschen Hygiene-Museums und des Hauptamts für Volksgesundheit der NSDAP, die ab 1937 ebenfalls unter anderem in Dresden stattfand, zeigt jedoch eine eindeutig nationalsozialistisch-rassenhygienische Ausrichtung, so dass davon ausgegangen werden kann, dass Jentsch keine Skrupel hatte, sich in diesem Themenbereich zu engagieren. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3229, Bd. 1, Vermerk; ebd., Lebenslauf, 2.12.1935; ebd., Weber an Rektor, 30.8.1938; ebd., Lebenslauf, 23.3.1939; BAB, ehemals BDC, F 177; Frey, Manuel, Prävention und Propaganda. Gesundheitsaufklärung im Deutschen Hygiene-Museum zwischen 1933 und 1939, in: Ärzteblatt Sachsen 16 (2005), S. 160–162.

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Wert für den Nationalsozialismus.263 Ebenso setzten sich erneut Gaupersonalamt und Landeshauptmann für den Morphologen ein.264 Mevius sah in der neuerlichen Agitation Feuerborns seine Befürchtung bestätigt, dass der Assistent nicht gewillt war, die Sache ruhen zu lassen. Er versuchte nun, den Zoologen auf einem anderen Weg von seinem Tun abzuhalten, und wandte sich an Jung. Da er der Meinung war, dass dieser einen großen Einfluss auf Feuerborn habe, erklärte er ihm in einem Gespräch die Lage der Dinge. Die Behauptung, dass der Zoologe aufgrund seiner NS-Tätigkeit nur wenig Forschung habe treiben können, wies er mit dem Hinweis darauf zurück, dass Feuerborn bis 1933 gar kein Nationalsozialist gewesen sei, sondern immer Hilfe in einem anderen Lager [dem politischen Katholizismus, DD] gesucht habe. Außerdem sei er heute über 50 Jahre alt und hätte vor 1933 genügend Zeit für Forschungen gehabt. Er bat deshalb Jung darum, auf Feuerborn einzuwirken, sich in Braunschweig zu bewähren, und seine Agitation, auch außerhalb der Universität, einzustellen.265 Hiermit war ihm jedoch kein Erfolg beschieden. Die Tatsache, dass sein ehemaliger Assistent und gleichzeitig der Hauptverantwortliche für sein erzwungenes Abtreten nicht den erwünschten Direktorenposten erhalten hatte, war in der Zwischenzeit auch bis zu von Ubisch durchgedrungen. Offensichtlich darüber erfreut, hatte sich von Ubisch zu einer Bemerkung darüber hinreißen lassen, die wiederum zu Feuerborn zurückgetragen wurde. Damit begann der nächste Akt des Kampfes. Anstatt nämlich abzuwarten, wie die Dinge sich entwickeln würden, wandte sich Feuerborn nun mit einem Schreiben an den Leiter der Dozentenschaft, den Mediziner Hermann Walter. In der Folge entwickelte sich 263

264 265

Vgl. hierzu den Brandbrief Jungs „Einige Darlegungen zum Falle Feuerborn von Wilhelm Jung“ in: UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, undatiert, nach 8.11.1935. Eine Analyse des Pamphlets offenbart drei Aspekte, die für das Verständnis der weiteren Entwicklung am Zoologischen Institut wichtig sind. Zum einen ist dies die völlige, letztendlich nur unter den Bedingungen des Nationalsozialismus mögliche Verrohung der Sitten am Institut, die sowohl durch die Wahl der Methoden Feuerborns, durch die Instrumentalisierung seiner Schüler zur Befriedigung seiner eigenen Machtgelüste als auch die Tatsache, dass einfache Studenten unbeschadet gegen langjährige Ordinarien hetzen konnten, deutlich wird. Zum zweiten wird klar, dass die gezielte Ressourcenmobilisierung Feuerborns keine spontane, einmalige Angelegenheit war, sondern sich als kalkulierte Taktik offenbarte, die über Monate hinweg beständig und zielorientiert durchexerziert wurde. Drittens schließlich zeigt die Wahl der Argumente ein Gedankengebäude des Assistenten, welches völlig den Bezug zur Realität verloren hatte. Weder hatte Feuerborn die Kritik an seiner wissenschaftlichen Untätigkeit angenommen, noch hatte er das Verhaltensmuster abgelegt, immer andere Personen für sein eigenes Versagen verantwortlich zu machen. Nicht er war wissenschaftlich höchstens zweitklassig, sondern die Fachwelt missverstand ihn. Auch sah er sich als Opfer, nicht als Auslöser einer Affäre, in der er, nicht von Ubisch, der Hauptprotagonist war. Diese verdrehte Wahrnehmung sollte in der Folge zu einer völligen Entfremdung von den meisten seiner Sympathisanten führen. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Gutachten des Dozentenführers über Feuerborn, 25.11.1935. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Mevius an Dekan, 22.1.1936.

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ein mehr und mehr unüberschaubar werdender Briefwechselstreit, in den immer mehr Personen hineingezogen wurden, und der Feuerborn fast seine völlige Unterstützung kosten sollte. So beschuldigte er nämlich seinen ehemaligen Vorgesetzten Stempell, Kosswig sowie die Assistenten Peters, Krüger und Altrogge, an der Schadenfreude von Ubischs zu partizipieren, und warf ihnen vor, im Institut einen Händlergeist zu verbreiten. Damit nicht genug, fuhr er fort: „Habe ich Recht gehabt oder nicht, einen Kampf aufzunehmen gegen den Geist, der sich von Neuem breit zu machen versucht? […] Ich bin aus altem westfälischem Bauerngeschlecht, dem von jeher Ehre über Geschäft gegangen ist, und lasse mit dem, was mir heilig ist, nicht Schindluder treiben.“266

Von Ubisch fühle sich offenbar gestützt und scheine damit zu rechnen, für einen Deutschen nicht satisfaktionsfähig zu sein. „Es gibt noch andere Wege, Genugtuung zu erlangen, wenn Selbsthilfe nötig ist.“267 Mit seinen Anspielungen auf den jüdisch konnotierten Händlergeist, die Konspiration der Mitarbeiter mit von Ubisch und dem Vorwurf, dessen zersetzerische Arbeit am Institut weiterzutreiben, hatte er schwere Vorwürfe gegen die fünf genannten Zoologen erhoben, die diese in ernsthafte Schwierigkeiten bringen konnten. Walter war sich der Brisanz des Briefes sofort bewusst. Nur einen Tag später leitete er ihn an den Rektor weiter.268 Auch die Beschuldigten wurden von ihm vom Inhalt des Schreibens in Kenntnis gesetzt. Parallel zu der sich anbahnenden Eskalation der Streitereien war in der Zwischenzeit der formale Prozess zur Neubesetzung des Lehrstuhls vorangeschritten. Am 6. Dezember kam die Fakultät zu einer Sitzung zusammen, um über die Nachfolge von Ubischs zu beraten und die vom REM zwei Wochen zuvor angeforderte Vorschlagsliste für das zoologische Ordinariat anzufertigen. Bereits am Tag darauf übersandte der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät die Liste durch die Hände von Rektor und Kurator an das REM. Wie schon fast auf den Tag genau neun Jahre zuvor auf der Liste für die Nachfolge Stempells fehlte Feuerborns Name erneut. Stattdessen fanden sich dort sechs andere Zoologen wieder. Platz eins teilten sich Otto Koehler, Ordinarius für Zoologie und Direktor des gleichnamigen Museums an der Universität Königsberg, und Wilhelm Josef Schmidt, Ordinarius für Zoologie der Universität Gießen. Auf Platz zwei rangierten Karl Henke, Privatdozent der Universität Göttingen und Assistent am KWI für Biologie in Berlin-Dahlem sowie Friedrich Seidel, nichtbeamteter außerordentlicher Professor an der Universität Königsberg. Auf Platz drei schließlich lagen Hermann Giersberg, nichtbeamteter außerordentlicher Professor an der Universität Breslau, sowie die aktuelle Lehrstuhlvertretung in Münster, Curt Kosswig. 266 UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Feuerborn an Walter, 27.11.1935. 267 Ebd. 268 UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Walter an Rektor, 27.11.1935.

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Wie auch bei den anderen Vorschlagslisten lohnt es sich, einen Blick auf die Kurzgutachten zu richten, die sich mit den Fachgebieten und Qualitäten der Kandidaten beschäftigten, da auch sie wieder einen Indikator dafür boten, in welche Richtung die Fakultät das Institut entwickelt sehen wollte und worauf sie Wert legte. Koehler zum Beispiel wurde als auf allen Gebieten der Zoologie erfahrener, reformorientierter Forscher bezeichnet, der seinen Hauptschwerpunkt aber auf Genetik und vor allem menschliche Erblehre gelegt hatte. Schmidt hingegen war vor allem mit Arbeiten über Amphibien, die Haut von Reptilien sowie Mikroskopie vertraut. Auch bei Henke erregte dessen Versatilität in genetischen, entwicklungs- und reizphysiologischen Fragen die Aufmerksamkeit der Fakultät. Ebenso sprach die praktische Anwendbarkeit seiner Forschung für ihn.269 Seidel wurde als bester Entwicklungsphysiologe seiner Generation gelobt, Geisberg als vielseitiger, mit einem Schwerpunkt auf Physiologie und Entwicklungsgeschichte gerichteter Forscher, und schließlich Kosswig als Genetiker, dessen Arbeit aber auch über sein Fachgebiet hinaus und vor allem für die Evolutionsforschung wichtig seien. Bis auf Schmidt arbeiteten also alle Kandidaten auf Forschungsgebieten, die mit denen von Ubischs identisch waren oder diesen stark ähnelten. Die Fakultät strebte demnach keinen Wechsel der Forschungsinhalte an, sondern setzte auf Kontinuität. Gleichzeitig wollte man das Institut weiter modernisieren. Abschließend äußerte sich der Dekan noch zu der Frage, ob Feuerborn für die Übernahme des Ordinariats geeignet wäre. Allein diese Tatsache zeigt, wie stark der inner- und außeruniversitäre Druck, den der Zoologe durch seine Mobilisierungsmaßnahmen hatte aufbauen können, inzwischen geworden war. Nach Prüfung der Lage hätte sich jedoch ergeben, dass seine Nennung auf der Vorschlagsliste den wissenschaftlichen Leistungen nach nicht hätte verantwortet werden können. Die Fakultät betone aber ausdrücklich, dass Feuerborn ein engagierter Lehrer sei und einen Kreis tüchtiger Studenten für die Biologie habe begeistern und außeruniversitäre Kreise für die Biologie habe gewinnen können. Seine besondere Arbeit gelte der Heimatbiologie, und er habe diese in enger und hochgeschätzter Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Provinzialverwaltung nachhaltig zu fördern gewusst.270 Mit diesem Zugeständnis war die Fakultät offensichtlich bemüht, die zu erwartende Kritik der Parteidienststellen abzufangen. Was die universitäre Selbstverwaltung anging, war sie jedoch vor dem Druck fachfremder Kreise nicht eingeknickt. Ähnlich äußerte sich auch Rektor Hugelmann in einer ausführlichen Erklärung an das REM in Berlin. Diesem legte er den Bericht des Dekans Jost Trier über den 269

„Sehr ergebnisreich sind seine Untersuchungen über die Vererbung der myotomischen Dystrophie [eine Muskelerkrankung, die unter anderem zu verminderter Lebenserwartung führt, DD] beim Menschen, die wohl bald auch für die erbärztliche Praxis bedeutsam werden.“ UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Vorschlagsliste der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät für die Nachfolge von Ubisch, 7.12.1935. 270 Ebd.

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Stand der Dinge betreffend die Nachfolge von Ubischs vor. Zunächst schilderte er sein Dilemma. Feuerborn und von Ubisch seien zu einem Gegenstand heftiger Kämpfe geworden. Die NS-Studentenschaft sähe in Feuerborn den Bannerträger einer an der NS-Weltanschauung ausgerichteten biologischen Lehrtätigkeit. Landeshauptmann Karl-Friedrich Kolbow lege größten Wert auf Feuerborns landeskundliche Arbeiten, und gleiches gelte auch für den Gau Westfalen-Nord, der insbesondere auf die fast unentbehrliche Tätigkeit des Zoologen beim Gauschulungsamt hingewiesen habe. Hugelmann sei von all diesen Stellen auf das Dringlichste gebeten worden, dahin zu wirken, dass Feuerborn in Münster bleibe. Dies habe er dem Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät und dem Referenten in der Fakultät, Mevius, auch mitgeteilt, gleichzeitig aber auch den intervenierenden Stellen gegenüber erklärt, dass er keinen Druck auf die Fakultät auszuüben vermag, da diese in erster Linie nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten urteile. Da er ein völlig anderes Fach vertrete, sei es ihm unmöglich, das nun vorliegende Fakultätsgutachten dahingehend zu beurteilen, ob diesen Tatsachen Rechnung getragen wurde. Er halte es aber auch für seine Pflicht, auch für Feuerborn positive Gutachten vorzulegen – dies auch trotz der Tatsache, dass dem Dekan mehr als 20 ungünstige Bewertungen des Zoologen zugegangen seien, die er dem Schreiben, ebenso wie den Brief Kolbows und seine Antwort darauf sowie einen Brief der Gauleitung und den Brief Feuerborns an Walter, beilege. Abschließend um einen Kompromiss bemüht, räumte Hugelmann zwar ein, dass es nach dem einstimmigen Fakultätsgutachten, für das auch der besonders entschiedene Nationalsozialist Johannes Hielscher, Ordinarius für Philosophie,271 gestimmt hatte, nur schwer möglich sein möge, Feuerborn zum Nachfolger von Ubischs zu machen. Er bitte aber dringend darum, diesem aufgrund seiner außerordentlichen Verdienste um den Durchbruch der NS-Anschauung in Westfalen wenigstens woanders eine gesicherte Lebensstellung im akademischen Lehrbetrieb zuzuweisen. Nur so könne er wissenschaftlich wieder besser werden, und nur dann würden sich führende NS-Kreise im Gau Westfalen-Nord mit dem Weggang Feuerborns halbwegs abfinden.272 Ungefähr zur selben Zeit war, abseits der offiziellen Vorschläge und der feuerbornzentrierten Auseinandersetzungen, ein weiterer Name für den Zoologischen Lehrstuhl ins Gespräch gebracht worden. Von wem der Vorstoß, Hermann Weber, zu jener Zeit an der Universität Danzig tätig und bereits im Rahmen der Gutachten über Feuerborn von Alfred Kühn positiv erwähnt, für die Nachfolge von Ubischs in Betracht zu ziehen, ausging, ist aus den Quellen nicht mehr rekonstruierbar. In einem Brief der Deutschen Dozentenschaft an das REM vom 11. Dezember 1935 ging diese auf eine nicht überlieferte Anfrage des Ministeriums ein, warum Weber nicht auf die Vorschlagsliste der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät gesetzt worden war, und beantwortete dies damit, dass man dort seine Berufung 271 272

Vgl zu Hielscher: Drüding 2009, S. 43 sowie S. 94. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Hugelmann an REM, 12.12.1935.

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für aussichtslos gehalten habe. Es erscheint also plausibel anzunehmen, dass das REM die treibende Kraft hinter dieser Angelegenheit war, vor allem, wenn man die Entschiedenheit bedenkt, mit der es die Sache in der Folge weiter vorantrieb. Aber auch an der Universität gab es offensichtlich Kräfte, die Weber an das Zoologische Institut holen wollten, namentlich der bereits als aktiver Part der Besetzungsangelegenheit mitwirkende Mevius. Die Dozentenschaft gab an, dass Mevius sehr für die Kandidatur Webers sei und sie „durchzudrücken“273 werden wisse. Alles, was man für ein Urteil der Fakultät zu Weber benötige wäre, sei, sie anzuschreiben und Weber vorzuschlagen.274 Dieser Anstoß genügte offenbar bereits, denn ab dem 13. Dezember trafen in Münster zahlreiche Zusatzgutachten über Weber ein. Fachlich hatte sich der Zoologe auf die Entomologie spezialisiert und sich dort einen sehr guten Ruf erworben, arbeitete aber auch in anderen Bereichen wie der Morphologie des Insektenthorax (wo er pikanterweise, wie bereits erwähnt, eine Feuerborns Ansicht über dessen Aufbau diametral gegenüberstehende Meinung vertrat), Mollusken und Schädlingsbekämpfung. Der Grundtenor der Gutachten war, dass Weber zwar gut und fleißig, aber nicht überragend sei und qualitativ in etwa in der Mitte zwischen den anderen, bereits auf der Vorschlagsliste stehenden Kandidaten einzuordnen war. Für einen Forstzoologischen Lehrstuhl, wie zum Beispiel den in Freiburg, den er Ende 1935 vertretungsweise innehatte, sei er besser geeignet als für einen allgemein Zoologischen, da seine Arbeitsweise hierfür zu einseitig sei. Mit Sicherheit wäre er jedoch für Münster nicht die beste Lösung.275 Rein fachliche Erwägungen hatten für die Besetzungspolitik des REM aber im Allgemeinen und im Fall der Stabilisierung des Zoologischen Instituts in Münster im Speziellen nicht immer ausschlaggebende Bedeutung. Auch die politische Zuverlässigkeit spielte eine große Rolle, und hier hatte Weber in Berlin punkten können. Von 1919 bis 1921 war er insgesamt sechs Monate als Zeitfreiwilliger der Reichswehr und Mitglied der Organisation Escherich (Orgesch)276 bei den Unruhen in Süddeutschland, im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland sowie bei Kämpfen gegen Polen in Oberschlesien eingesetzt worden. Er verblieb Mitglied dieser paramilitärischen rechtsextremen Gruppe bis 1923, also über ihre offizielle Auflösung hinaus. Nach der Machtergreifung stellte er sich rasch den Nationalsozialisten zur Verfügung. Am 15. April Parteianwärter geworden,277 wurde er am 1. Mai 1933 mit der Mitgliedsnummer 2845143 in die NSDAP aufgenommen. Zwei Monate später wurde er Mitglied Nr. 114477 im NSLB.278 Ebenfalls 1933 wurde er Mitglied des 273

BAB, R 4901, Nr. 14893, Deutsche Dozentenschaft, Gebietsführung Rheinland-Westfalen an REM, 11.12.1935. 274 Ebd. 275 UAMs, Bestand 4, Nr. 237, diverse Gutachten über Weber, ab 13.12.1935. 276 Vgl. zur Organisation Escherich: Könnenmann, Erwin, Organisation Escherich (Orgesch) 1920–1921, in: Lexikon zur Parteiengeschichte, Bd. 3, Köln 1985, S. 555–563. 277 Universitätsarchiv Tübingen (UAT), 126/741, Militärfragebogen, 14.4.1948. 278 BAB, ehemals BDC, MF C0088.

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RLSB und der NSV,279 1934 des NSDDB. In Danzig war er von 1933 bis 1935 als Leiter der Danziger Deutschen Studentenschaft und von 1934 bis 1935 als Hochschulgruppenleiter des NSDDB tätig. Im Sommer 1935 leitete er die Dozentenakademie in Tännich.280 Mit Weber verfügte das REM also über einen Kandidaten, der nicht nur Organisationstalent, sondern auch Treue zur Bewegung bewiesen hatte. Mit ihm hoffte man, die Lage in Münster stabilisieren zu können. Dass man sich in der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät einer solchen Entscheidung gegenüber nicht völlig verschließen würde, deutete auch Dozentenschaftsführer Walter bereits am 20. Dezember 1935 bei einem Besuch im Ministerium an.281 Dennoch ging innerhalb der Fakultät die Auseinandersetzung zunächst weiter. Gegenüber Mevius, der sich inzwischen zu einem der schärfsten Kritiker Feuerborns außerhalb der Zoologie entwickelt hatte, positionierte sich dabei vor allem der Philosoph Hielscher, welcher zu Feuerborns Unterstützung sogar das Fakultätsgeheimnis verletzte und dem Landeshauptmann Kolbow Interna aus Fakultätssitzungen offenbarte.282 Mevius stellte daraufhin klar, dass noch nie zuvor so viele Gutachten über einen Kandidaten angefordert worden waren (24), von denen 23 negativ gewesen sein. Die Berufungskommission habe eine Verantwortung zu tragen und könne Feuerborn nicht einfach aus Gutmütigkeit auf die Vorschlagsliste setzen, da er ganz klar ungeeignet sei.283 Damit war eine erneute Verkomplizierung der Lage eingetreten, denn die Bruchlinien der Auseinandersetzung um Feuerborn liefen nun nicht mehr nur entlang der Grenze außeruniversitär-inneruniversitär, sondern darüber hinaus auch mitten durch die nationalsozialistische Hochschullehrerschaft. Mit Hielscher war jemand in den Konflikt eingetreten, der 1934 explizit auf Bestreben der NSDAP „in Anbetracht der Notwendigkeit dem Nationalsozialismus an der Universität Münster eine feste Position zu schaffen“284 ins Amt gehievt worden war und aufgrund von „Zurücksetzung […] infolge seiner nationalsozialistischen Einstellung“285 während der Weimarer Republik die besondere Unterstützung der Hochschulkommission der Partei genoss. Auch die Gauleitung hatte vollstes Vertrauen in ihn, galt er ihr doch als „alter, begeisterter Nationalsozialist und streng zuverlässiger Parteigenosse.“286 Durch sein Vorgehen stellte sich Hielscher damit demonstrativ gegen den aktiven Nationalsozialisten Mevius. Den Rektor konnte er jedoch nicht mehr überzeugen. Hugelmann riet in einem weiteren Schreiben an das REM nach wie vor von einer 279 280 281 282

UAT, 126/741. UAMs, Bestand 5, Nr. 3652. BAB, R 4901, Nr. 14893, Aktenvermerk des REM, 20.12.1935. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Entwurf des Protokolls für die Fakultätssitzung vom 13.12.1935, in: Dekan an Kurator, 17.1.1936. 283 Ebd. 284 GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3, Bd. 17, Hochschulkommission der NSDAP an REM, 19.10.1934. 285 Ebd. 286 Ebd., Vermerk der Gauleitung Westfalen-Nord, 28.9.1934.

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Besetzung des Ordinariats mit Feuerborn ab. Gleichzeitig bat er aber zur Entspannung der Atmosphäre und zur Sicherung der Ruhe im Zoologischen Institut um eine rasche Entscheidung über die Neubesetzung und die weitere Verwendung Feuerborns.287 In Berlin hingegen sah man die Angelegenheit offensichtlich bereits als erledigt an. In einem Antwortschreiben am 8. Januar 1936 ging man auf die Person Feuerborn gar nicht mehr ein.288 Dieses Vorgehen des Ministeriums lag nahe, hatte man doch mit Weber bereits einen passenden Kandidaten für den Lehrstuhl gefunden. Deshalb teilte das REM der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät am 10. Januar mit, dass ihm Weber als geeigneter Kandidat für die Nachfolge von Ubischs genannt worden war, und bat um eine Stellungnahme diesbezüglich.289 Parallel zu den geschilderten Entwicklungen hatte sich am Zoologischen Institut seit Ende November 1935 eine weitere folgenschwere Situation entwickelt, die durch den bereits erwähnten Brief Feuerborns an Dozentenschaftsführer Walter ausgelöst worden war. Walter hatte, wie geschildert, neben dem Rektor auch die von Feuerborn der „Partizipation“ beschuldigten Personen über die Vorwürfe ihnen gegenüber informiert. Von dieser Seite prasselten nun ab dem 11. Dezember die erbosten Antwortschreiben auf den Assistenten nieder, in der die Angegriffenen sich zu Wehr setzten und Belege für die ihrer Meinung nach ehrenrührigen Vorwürfe Feuerborns forderten. Die sich anschließende briefliche Auseinandersetzung, die sich bis weit in das Jahr 1936 hinzog und an der neben Feuerborn und Kosswig unter anderem auch Dozentenschaftsführer Walter, Rektor Hugelmann, Dekan Trier, der ehemalige Ordinarius Stempell, die Assistenten Peters, Altrogge und Krüger, die Schüler Feuerborns Kriegsmann und Jung, der neue Ordinarius Weber sowie das REM beteiligt waren, sind von Heiber detailliert beschrieben worden und müssen daher an dieser Stelle nicht noch einmal rekapituliert werden.290 Festzuhalten bleibt, dass Feuerborn mit seinem Versuch, sein Eintreten für eine NS-Biologie und seine Verdienste für die Bewegung dazu zu nutzen, nicht nur das Ordinariat in Münster zu erhalten, sondern auch auf der Parteischiene seine Kollegen zu diskreditieren, völlig fehlschlug. Vor allem sein Bemühen, die Auseinandersetzung als prototypischen Kampf des Ariers gegen den Juden darzustellen,291 brachte keinen Erfolg. Als die angegriffenen Kollegen Belege für Feuerborns Behauptungen forderten, konnte er diese nicht beibringen. Stattdessen versuchte er sich herauszureden und griff in diesem Zusammenhang auch noch Walter scharf an, von dem er offensichtlich erwartet hat287 288 289 290 291

UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Hugelmann an REM, 2.1.1936. Ebd., REM an Kurator, 8.1.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 236, REM an Dekan, 10.1.1936. Heiber, Helmut, Universität unterm Hakenkreuz, Bd. 2: Die Kapitulation der hohen Schulen: das Jahr 1933 und seine Themen, Teilbd. 1, München 1992, S. 707–715. Vgl. hierzu BAB, ehemals BDC, C 172, Feuerborn an Winckler (Hochschulamt der NSDAP), 9.10.1936.

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te, dass dieser, wiederum aufgrund von Feuerborns Parteitätigkeiten, alle Vorsicht über Bord werfen und ihn vorbehaltlos unterstützen würde. Der Dozentenschaftsführer hütete sich jedoch davor, sich in den Fall einzumischen, und forderte beim REM bereits am 20. Dezember 1935, dass Feuerborn nicht mehr nach Münster zurückkehren dürfe, da dies eine untragbare Belastung für die Fakultät darstellen würde.292 Der unter Druck geratene Assistent verwickelte sich nun immer weiter in Widersprüche und entfachte Streit mit immer mehr Stellen, so dass er am Ende, abgesehen von Kolbow, der für ihn jedoch auch nichts mehr ausrichten konnte, völlig ohne Unterstützung dastand. Schließlich wurde er vom REM erst nach Freiburg und dann nach Berlin beordert, wo seine Karriere mit dem Zusammenbruch 1945 endete.293 Unter dem Aspekt der Ressourcenmobilisierung betrachtet, zeigte sich in der Auseinandersetzung, dass selbst Parteiverdienste und hochrangige Fürsprecher auf der einen Seite wissenschaftliche Drittklassigkeit und charakterliche Fehltritte auf der anderen Seite nicht ausgleichen konnten. Auch innerhalb der nationalsozialistischen Hochschule herrschte ein gewisser Pluralismus an Meinungen und Fraktionen, der das nach außen postulierte Bild einer unter der einheitlichen Führung des Rektors stehenden NS-Institution als oberflächlich entlarvte. Wenn es, wie im hier geschilderten Fall, allen Beteiligten gelang, sich als Nationalsozialisten zu positionieren, konnte niemand von ihnen mehr diese Tatsache als Ressource einsetzen. Daher liefen in solchen Fällen die Auseinandersetzungen durchaus entlang derselben Linien ab, wie sie es auch in der Weimarer Republik getan hatten. An der Universität Münster war die Frage der Nachfolge von Ubischs, welche eigentlich der Kernpunkt der gesamten Auseinandersetzung gewesen war, inzwischen durch die vielfachen persönlichen Streitereien mehr und mehr aus dem Fokus geraten. Im Januar 1936 musste sich die Fakultät nun mit der Anfrage des REM bezüglich Hermann Webers auseinandersetzen. Hatte sie bislang noch vermocht, Einmischungen von außen abzuwehren und die akademische Selbstverwaltung und Rekrutierungspraxis zu wahren, drängte Berlin nun deutlich spürbar auf eine rasche Entscheidung. Daher sah sich die Fakultät zum Handeln gezwungen. In seiner Antwort an das REM erklärte der Dekan am 20. Januar 1936 zunächst, warum Weber es am 7. Dezember 1935 nicht auf die Vorschlagsliste geschafft hatte. Zum einen hätte dies mit seiner entomologischen Ausrichtung zu tun gehabt, aufgrund derer er von führenden Zoologen nur für die Übernahme einer forstzoologischen Professur für geeignet gehalten werde. Außerdem sei der Fakultät bekannt geworden, dass Weber vertretungsweise die Leitung des Forstzoologischen Instituts der Universität Freiburg übernommen hatte, und man habe daher geglaubt, er sei bereits für dessen endgültige Leitung in Aussicht genommen worden, weshalb ein Vorschlag für Münster zwecklos gewesen wäre. Zum anderen sei Weber durch 292 293

BAB, R 4901, Nr. 14893, Aktenvermerk des REM, 20.12.1935. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel IV, Abschnitt 3.

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eine Kriegsverletzung schwerhörig, was man als hinderlich für einen großen Lehrbetrieb angesehen hätte. Dieses Problem sei aber mittlerweile ausgeräumt. In der nun folgenden Stellungnahme rekapitulierte der Dekan kurz den wissenschaftlichen Werdegang des Zoologen. Er bezeichnete ihn als besonders erfolgreichen Schüler des Tübinger Zoologen Friedrich Blochmann, der dessen meisterhafte morphologische Methodik souverän beherrsche, zeichnerisch und präparatorisch sehr begabt sei und aufgrund seiner entomologischen Arbeiten hoch geschätzt werde. Sein 1933 veröffentlichtes „Lehrbuch der Entomologie“294 sei eine bewundernswerte Leistung und habe internationalen Ruf erlangt. Zwar bestehe die Gefahr, dass er allein als Entomologe angesehen würde; seine morphologischen und reizphysiologischen Arbeiten über Schnecken, Muscheln, Seepferdchen sowie über Pflanzenkrankheiten verrieten aber einen vielseitigen Forscher. Darüber hinaus zeige seine bisherige Lehrtätigkeit in Danzig, dass er das gesamte Gebiet der Zoologie vertreten könne. Schließlich noch sei er bei seinen Schülern beliebt und seinen Kollegen geschätzt. Daher ergänze die Fakultät ihre Vorschlagsliste und setze Weber an die dritte Stelle neben Kosswig und Giersberg.295 Auch Rektor Hugelmann schloss sich der Meinung seines Dekans an.296 In der Stellungnahme wird deutlich, wie angestrengt die Fakultät bemüht war, eine Balance zwischen Eigenständigkeit einerseits und dem Eingehen auf die Wünsche der Politik andererseits zu halten. Zwar hatte man den Druck des REM zur Kenntnis genommen. Mit der Einordnung am Ende der Liste machte man jedoch klar, dass man Weber im Grunde genommen nicht in Münster haben wollte. Mit dem Zugeständnis der Aufnahme in die Liste war man jedoch, anders noch als bei Feuerborn, vor der Macht des Staates eingeknickt. Zwar war Weber, im Gegensatz zu diesem, wissenschaftlich nicht bedeutungslos, er passte jedoch mit seinen Arbeitsbereichen, die denen des geschassten Assistenten ähnelten, überhaupt nicht in die Pläne, die man für das Zoologische Institut ursprünglich aufgestellt hatte. Weder konnte er die Arbeiten von Ubischs fortführen, noch, beispielsweise auf dem Gebiet der Genetik, neue Disziplinen etablieren. Dies alles war für das REM jedoch belanglos. Hier war man bestrebt, zum einen den unseligen Kampf um das zoologische Ordinariat zu beenden und zum anderen durch die Besetzung des Postens mit einem überzeugten Nationalsozialisten für Ruhe und Stabilität zu sorgen. Weber, dessen charakterliche und weltanschauliche Haltung ihn für Münster besonders geeignet erschienen ließ, war dafür der richtige Mann.297 Anfang März 1936 führte man daher die nächste Professorenrotation durch. Kosswig kehrte zum Sommersemester 1936 nach Braunschweig zurück, Weber wurde, obwohl vom Reichsamtsleiter des NSDDB für das Rektorat in Freiburg 294 295 296 297

Weber, Hermann, Lehrbuch der Entomologie, Jena 1933. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Dekan an REM, 20.1.1936. Ebd., Rektor an REM, 27.1.1936. GStA PK, Rep. 90 A, Nr. 1772, Eignungsbericht zu Weber, 23.3.1936, in: REM an Preußischen Ministerpräsidenten, 4.5.1936.

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vorgeschlagen,298 vertretungsweise299 nach Münster beordert, und seinen Posten in Freiburg erhielt am selben Tag300 Feuerborn, der damit erneut quer durch das Reich geschoben wurde und sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden musste. Ende Mai 1936 wurde das Provisorium schließlich zementiert301 und Weber zum 1. April 1936 zum ordentlichen Professor und Ordinarius für Zoologie an der Universität Münster ernannt.302 Damit war der Kampf um das Münstersche Ordinariat durch die Politik beendet worden. Während sich all die hier geschilderten Auseinandersetzungen abspielten, lief die tagtägliche Lehr- und Forschungsarbeit des Zoologischen Instituts unter der Leitung Kosswigs so gut es ging weiter. Was die wissenschaftliche Entwicklung während dieser Zeit betrifft, so ist festzuhalten, dass sich deren Inhalte in der kurzen Zeit des Zoologen am Institut nicht von denen unter von Ubisch unterschieden. An Dissertationen, die ohnehin eine längere Vorlaufzeit hatten und deren Themen daher von der aktuellen Situation unbeeinflusst blieben, wurden zwei, darunter eine „Zur Ernährungsbiologie der Bergbachfauna“ unter Conrad Lehmann, fertiggestellt.303 Was die Vorlesungs- und Seminarthemen betraf, blieb auch hier ein Umschwung aus, da auch sie noch vor der Ablösung von Ubischs festgesetzt worden waren. Auch hier orientierten sich die Themen an denen der Vorsemester. So wurden Zoologische Praktika für Naturwissenschaftler und Mediziner getrennt angeboten, Lehmann füllte weiter den Bereich Hydrobiologie aus, Stempell lehrte zu Parasiten, und Feuerborn konnte bis zu seiner Ablösung seinem Willen zur nationalsozialistischen Durchdringung der Lehre mit einem Seminar mit dem Titel „Die biologischen Grundlagen des Nationalsozialismus“ Ausdruck verleihen.304 Die Skelettsammlung des Instituts konnte um ein vollständiges Elefantenskelett aufgestockt werden, und nach 353 Studierenden im Sommersemester 1935 nahmen im Wintersemester 1935/36 204 an den verschiedenen Veranstaltungen teil.305 Erst mit dem Amtsantritt Webers sollten sich, im Rahmen von dessen unterschiedlichen Spezialgebieten, auch die Inhalte am Zoologischen Institut in eine andere Richtung entwickeln. Zuvorderst rückte mit ihm aber nach dem „Halbjuden“ von Ubisch und dem schwankenden SS-Forscher Kosswig ein überzeugter Nationalsozialist in das Zoologische Institut ein.

298 Ebd. 299 UAMs, Bestand 4, Nr. 227, REM an Weber, 4.3.1936. 300 UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, REM an Feuerborn, 4.3.1936. 301 GStA PK, Rep. 90 A, Nr. 1772, REM an Preußischen Ministerpräsidenten, 4.5.1936. 302 UAMs, Bestand 5, Nr. 3652, Lebenslauf Weber. 303 Vgl. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. 304 Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1935/36. 305 Chronik 1935/36, S. 131f.

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5.  Das Ordinariat Weber 1936 bis 1940 An seiner neuen Arbeitsstelle sah sich Weber306 vor die Aufgabe gestellt, die Situation am Zoologischen Institut zu stabilisieren und die persönlichen Auseinandersetzungen der dortigen Beschäftigten ein für allemal zu bereinigen. Dies stellte sich jedoch zunächst, trotz des Weggangs Feuerborns, als schwierig heraus, da dessen Schüler, die schon jahrelang seinen Unterstützerkreis gebildet hatten, in seinem Auftrag die Zwistigkeiten weiterführen zu gedachten. So erreichte Weber, kurz nachdem er seine neue Stelle übernommen hatte, bereits am 23. April 1936 ein Schreiben Kriegsmanns, in dem sich dieser bei ihm über Jentsch beschwerte und ein Gespräch mit dem neuen Ordinarius erbat.307 Ganz offensichtlich versuchte Kriegsmann, Weber auf Seiten Feuerborns in die Auseinandersetzung hineinzuziehen. Mit diesem forschen Schritt hatte sich der Feuerbornschüler aber völlig verkalkuliert. Weber war keineswegs gewillt, sich in die Streitereien im Institut verwickeln zu lassen, und sandte bereits vier Tage später ein geharnischtes Antwortschreiben an den jungen Studenten zurück. Weber bedauere es, dass Kriegsmann diese alte Angelegenheit nicht ruhen lassen könne, dass er den Frieden im Institut störe, zusammen mit seinen Gesinnungsgenossen Spitzelmethoden anwende und das Vertrauen zwischen Studenten und Dozenten untergrabe. Daher ersuche er ihn, bis zur endgültigen Entscheidung durch die zuständigen Instanzen das Institut zu räumen und seinen Schlüssel zurückzugeben. Eine persönliche Rücksprache zu diesem Thema sei nicht erwünscht. Kopien dieses Schreibens gingen an den Rektor, 306

307

Hermann Weber wurde am 27.11.1899 als Sohn des Regierungsrates Hermann Weber sen. in Bretten geboren und evangelisch getauft. Nach seinem Abitur am Reformierten RealGymnasium in Stuttgart 1917 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und diente vom 1.9.1917 bis zum 15.2.1919 in der kaiserlichen Armee. Dabei wurden ihm das Frontkreuz und der Schlesische Adler 2. Klasse verliehen. Im Anschluss an seine Dienstzeit war er von 1919 bis 1921 sechs Monate als Zeitfreiwilliger der Reichswehr und der Organisation Escherich eingesetzt und nahm, wie bereits erwähnt, an Kämpfen in Süddeutschland, im Ruhrgebiet, in Mitteldeutschland und in Oberschlesien teil. Von 1919 bis 1922 studierte Weber Naturwissenschaften an der TH Stuttgart und der Universität Tübingen, wo er im Frühjahr 1922 zum Dr. rer. nat. promoviert wurde. Ebenfalls 1922 legte er das erste Staatsexamen für das höhere Lehramt ab, dem ein Jahr später das zweite Staatsexamen folgte. Zunächst eine Laufbahn abseits der Universität wählend, arbeitete Weber ab 1923 als Studienassessor im höheren Schuldienst Württembergs und Preußens, bis er 1926 als apl. Professor an das Institut für Pflanzenkrankheiten der Universität Bonn berufen wurde. Hier habilitierte er sich 1928 und verblieb noch zwei weitere Jahre in seiner Stellung, bis er 1930 als n. b. a.o. Professor mit einem Lehrauftrag für Zoologie an die TH Danzig wechselte. 1935 übernahm er als letzte Station vor Münster die Vertretung des Forstwissenschaftlichen Lehrstuhls der Universität Freiburg. Siehe: UAT, 126/741, Militärfragebogen, 14.4.1948; UAT, 201/1030; UAMs, Bestand 9, Nr. 862; UAMs, Bestand 62, Nr. 187; UAMs, Bestand 5, Nr. 3652; StAHH, Personalakte Kosswig, IV 1812, Bd. 1; BAB, ehemals BDC, MF C0088; BAB, ehemals BDC, A 0046; BAB, ehemals BDC, G 0141. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Kriegsmann an Weber, 23.4.1936.

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den Leiter der Studentenschaft, den Leiter der Dozentenschaft sowie den Gaudozentenbundsführer.308 Damit hatte Weber klargemacht, dass ab sofort ein neuer Wind im Institut wehte. Hierbei war ihm auch die Unterstützung des Dekans gewiss. Dieser leitete am 28. April den gesamten Vorgang an den Rektor weiter, wobei er sich der Stellungnahme des Zoologen voll anschloss. Gleichzeitig bat er den Rektor, Weber bei seinem Versuch, Ordnung im Zoologischen Institut zu schaffen, nachdrücklich zu unterstützen.309 Wie angekündigt, kontaktierte Weber auch Rektor Hugelmann und übersandte ihm am selben Tag sowohl Kriegsmanns Anklageschrift als auch seine Antwort darauf. Da er den Fall nicht entscheiden könne, gebe er ihn an den Rektor ab. In seinem Schreiben kündigte Weber an, von nun an im Institut mit allen Mitteln Ordnung herzustellen, nachdem er lange genug Geduld gezeigt habe. Zunächst entferne er, beginnend mit dem 28. April 1936, alle Benutzer, die nicht der Disziplinargewalt der Universität unterstünden, aus dem Institut. Für die Zukunft werde er gegen jeden Studenten, der den Arbeitsfrieden störe und Misstrauen säe, ein Disziplinarverfahren beantragen.310 Kurz darauf meldete sich auch Kriegsmann wieder zu Wort. Anstatt jedoch einen apologetischen Tonfall anzuschlagen, setzte der Student auf Konfrontation. Einerseits bedauere er zwar, dass durch Webers Weiterleitungen die Sache einen offiziellen Charakter angenommen habe, den er nicht gewollt habe. Andererseits setzte er sich gegen die Vorwürfe Webers zur Wehr, vor allem die der „Gesinnungsgenossen“ und „Bespitzelungen“, und forderte den Ordinarius auf, diese zurückzunehmen.311 Damit hatte er sich aber endgültig im Ton vergriffen. Wie schon Feuerborn durch seinen Brief an Walter leitete er damit den Verlust jeglicher Unterstützung an der Universität ein. Weber reagierte scharf auf die fortgesetzte Agitation des Studenten. In einem Schreiben an den Kurator machte er Kriegsmann dafür verantwortlich, dass der Fall nun offiziell geworden sei. Den Praktikanten (worunter auch dieser fiel) habe er einmal klar machen müssen, wohin die Verhältnisse gediehen waren. In allen direkt oder indirekt Feuerborn betreffenden Fragen bliebe ihm jetzt nur noch der offizielle Weg. Seine Assistenten fühlten sich ständig überwacht und das Vertrauen im Institut werde untergraben. Daher werde er keine weiteren Briefe Kriegsmanns annehmen. Dieser habe sich außerdem durch seine Schreiben die Erlaubnis der weiteren Arbeit am Institut verwirkt.312 Ein weiteres Schreiben schickte er an den Dekan mit der Bitte um Weiterleitung an den Rektor. Darin bat er, dass in Angelegenheiten, die das Zoologische Insti308 309 310 311 312

Ebd., Weber an Kriegsmann, 27.4.1936. Ebd., Dekan an Rektor, 28.4.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Weber an Rektor, 28.4.1936. Ebd., Kriegsmann an Weber, 5.5.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 520, Weber an Kurator, 7.5.1936.

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tut beträfen, Studenten ohne seine Anwesenheit oder die Möglichkeit zur Äußerung nicht mehr empfangen werden. Hier erwähnte er auch erstmals offen, dass das REM ihn mit einer speziellen Agenda in Münster platziert hatte, und kündigte einen Kurswechsel an: „Es entspricht nicht meinen vom Ministerium empfangenen Instruktionen, dass ich tatenlos zusehe, wenn die alte Geschichte mit neuen Namen ihren Fortgang nimmt. Ich kann die Ordnung im Institut nicht herstellen, wenn die Studenten den Eindruck gewinnen, dass sie jeweils die nächsthöhere Dienststelle gegen mich ausspielen können. Mit Nachgiebigkeit und Vermittlung ist in der Angelegenheit nichts mehr auszurichten. Härte und Rücksichtslosigkeit sind jetzt die einzigen Mittel, wenn der Staat nicht den letzten Rest von Autorität einbüßen will.“313

Einen Tag später meldete sich der Dekan beim Rektor und übermittelte ihm das Schreiben Webers. Er bat ihn nochmals um völlige Unterstützung des Ordinarius bei der Aufräumaktion, da Nachgiebigkeit und Vermittlungsversuche am Zoologischen Institut zurzeit nicht angebracht seien.314 Für zwei Monate herrschte Ruhe am Zoologischen Institut. Als freundliche Geste erlaubten Weber und der Kurator Feuerborns Schülerin Maria Schmidt sogar, weiterhin am Institut die Süßwasserpolypen Feuerborns zu betreuen.315 Die Ruhe war jedoch trügerisch, denn für Kriegsmann war die Angelegenheit noch längst nicht abgeschlossen. Mitte Juli hatte er offenbar neuen Mut gefasst und versuchte nun, erneut gegen Weber vorzugehen. Dazu wollte er sich wieder des Rektorats bedienen. Am 12. Juli schrieb er an Hugelmann, dass er Abschriften von Briefen Webers habe, die Beleidigungen gegen ihn und andere Personen erhielten. Um den Weg über die Staatsanwaltschaft oder eine Privatklage zu vermeiden, strebe er ein anderes Schiedsverfahren an.316 Damit zog er sich aber nur den erneuten Zorn des Rektors zu. Dieser wies die Drohung mit der Staatsanwaltschaft als ungehörig zurück und stellte fest, dass die Sachlage keine Basis für eine Vermittlung zuließe und Weber bereits durch seinen Brief an Kriegsmann alles ausgeräumt habe.317 Dieser zeigte sich jedoch uneinsichtig. Eine Woche später teilte er mit, dass er, da nun nach 14 Tagen weder Antwort noch Empfangsbestätigung auf sein Schreiben eingegangen sei, auf Vermittlung und Schlichtung verzichte.318 Der Rektor hatte inzwischen aber offensichtlich alle Geduld verloren und antwortete selbst gar nicht mehr auf die Angriffe. Am 30. Juli teilte der UniversitätsInspektor nur noch lapidar mit, dass eine Antwort bereits am 23. Juli übermittelt 313 314 315 316 317 318

UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, Weber an Dekan, 7.5.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Dekan an Rektor, 8.5.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 520, Feuerborn an Kurator, 18.5.1936, sowie Kurator an Feuerborn, 22.5.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Kriegsmann an Rektor, 12.7.1936. Ebd., Rektor an Kriegsmann, 28.7.1936. Ebd., Kriegsmann an Rektor, 27.7.1936.

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worden war.319 Auch Weber setzte nun zu den letzten Säuberungsaktionen an. Anfang August ließ er das Zimmer, das Maria Schmidt für die Fischzuchten Feuerborns genutzt hatte, räumen. Gegenüber dem Kurator bemerkte er, dass er sich in der ersten Zeit seines Aufenthaltes in Münster so wenig wie möglich um Feuerborns Doktoranden und Hilfskräfte gekümmert habe. So habe er auch nur den entfernten Anschein einer Überwachung vermeiden und ihnen keinen Grund habe geben wollen, ihn in der üblichen Weise zu verdächtigen. Nachdem er inzwischen aber die noch vorhandenen Feuerbornschüler aus dem Institut entfernt habe, habe er Schmidt kaum noch dort gesehen, weshalb ihm die weitere Überlassung eines Raumes nicht nötig erscheine.320 Das letzte Wort in der Angelegenheit Kriegsmann behielt sich schließlich der Kurator vor, an den der Rektor den Vorfall inzwischen abgegeben hatte. Er teilte Kriegsmann am 20. August mit, dass er keine Veranlassung dazu sehe, das Vorgehen Webers gegen den Studenten zu beanstanden.321 Damit war der Fall abgeschlossen. Rechtliche Schritte des Feuerbornschülers sowie weitere Briefwechsel sind nicht überliefert. Das Machtwort des Kurators kann demnach als Schlussstrich unter die Affäre Feuerborn angesehen werden. Somit hatte Weber seine Hauptaufgabe, die Stabilisierung des Zoologischen Instituts, erreicht. Durch sein entschlossenes Vorgehen hatte er bei seinen neuen Vorgesetzten sogar so viel Eindruck hinterlassen, dass Dekan Trier, der zum Ende des Sommersemesters 1936 aufgrund zu hohen Arbeitsaufwandes seinen Posten niederlegen wollte, ihn beim Rektor als idealen Nachfolger vorschlug. Zum einen sei er „vom Parteistandpunkt aus in der hervorragendsten Weise qualifiziert“322 und zum anderen bereits in Freiburg vom REM für den Posten des Rektors vorgesehen worden. Weber jedoch lehnte die ihm angetragene Ehre ab. Gegenüber dem Rektor äußerte er, dass er zwei Jahre benötigen würde, um das Zoologische Institut vollständig in Ordnung zu bringen, und dass er währenddessen ungern andere größere Aufgaben übernehmen wolle.323 Eine Neuorganisation des Personals gehörte dabei offensichtlich nicht zu Webers Zielen. Sowohl Jentsch als auch Krüger und Peters verblieben bis auf weiteres auf ihren Assistentenstellen. Einzig der Lehrbeauftragte Lehmann verließ das Institut, jedoch nicht aus negativen Gründen, sondern aufgrund eines Karriereaufstieges. Am 12. Mai 1936 wurde er auf vorherige Anregung Dekan Triers324 vom REM zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt und an die Universität Königsberg versetzt.325 319 320 321 322 323 324 325

Ebd., Universitäts-Inspektor an Kriegsmann, 30.7.1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 523, Weber an Kurator, 7.8.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 238, Kurator an Kriegsmann, 20.8.1936. UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Dekan an Rektor, 7.6.1936. Ebd., Rektor an REM, 19.6.1936. UAMs, Bestand 5, Nr. 120, Bd. 1, Dekan an REM, 13.2.1936. Dort übernahm er ab dem Sommersemester 1937 die Leitung des Fischereiinstituts nebst der angeschlossenen Seefischereistation Neukuhren und der Versuchsteichwirtschaft Per-

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Damit waren 1936 noch immer nur vier wissenschaftliche Mitarbeiter inklusive Ordinarius am Institut beschäftigt. Zwar arbeitete auch Stempell als Honorarprofessor noch an zoologischen Themen, war lose mit dem Institut assoziiert326 und hielt eine Veranstaltung pro Semester ab, in das Tagesgeschäft war er aber nicht mehr involviert. Vergleicht man daher auf Basis dieser Daten sowohl die personelle als auch inhaltliche Ausstattung des Zoologischen Instituts mit anderen Universitäten und Technischen Hochschulen zur Mitte der 1930er-Jahre, so fällt ein deutliches Missverhältnis zwischen dieser und den Studentenzahlen auf. Zwar ging die Anzahl der Besucher der Vorlesungen im Schnitt leicht zurück (im Wintersemester 1936/37 zählte die Statistik 242, im Sommersemester 1937 124 Studenten). Damit lag die Universität Münster jedoch im Normalbereich des Reiches, hatte sie doch, was die biologischen Kernfächer betraf (und nur diese wurden in Münster gelehrt), nicht weniger Besucher als andere Universitäten wie Berlin, Breslau oder Bonn. Sowohl größere als auch kleinere Universitäten und Technischen Hochschulen hatten jedoch ihren Fächerkanon ausgeweitet und dementsprechend weitaus mehr Dozentenstellen geschaffen, so zum Beispiel in den Bereichen Milchwirtschaft, Tierzuchtkunde, Rassenbiologie oder Hydrobiologie. Damit konnten sie interessierten Studenten ein breiteres Angebot im Grenzbereich zwischen Biologie und Landwirtschaft anbieten und dadurch eine weit höhere Zahl an Besuchern binden.327 Münster hatte in diesem Bereich wenig anzubieten. Versuche aus den 1920er-Jahren, Landwirtschaft als eigenes Fach anzubieten, waren nie wirklich gefördert und daher, trotz der Blut-und-Boden-Propaganda, von den Nationalsozialisten im Jahr 1935 wieder eingestellt worden.328 Weber hätte diesem Trend durch die Einführung neuer Forschungsrichtungen oder die Stärkung vormaliger Münsterscher Schwerpunkte, zum Beispiel die Entwicklungsphysiologie, entgegenwirken können. Diese zählte aber nicht zu seinen

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teltnicken. Gleichzeitig wurde er kommissarischer Oberfischmeister der Provinz Ostpreußen. An seiner neuen Wirkstätte beschäftigte er sich in der Folgezeit vor allem mit Forellenfütterungs-, Karpfen- und Tierbestandsversuchen und erhielt dafür regelmäßig Beiträge um die 5.000 RM von der DFG. Auch nach dem Krieg engagierte sich Lehmann weiter für die Ertragssteigerung der Ostseefischerei. Er verblieb in der SBZ und wurde am 10.9.1945 Vorsteher der Abteilung für landwirtschaftliche Forschung und Berufsbildung in der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, wo er sich unter anderem für die Errichtung eines Fischereiinstituts an der Universität Greifswald einsetzte. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 120, Bd. 1, REM an Lehmann, 12.5.1936; ebd., REM an Lehmann, 24.4.1937; BAB, R 73, Nr. 12623; Kowalczuk, Ilko-Sascha, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Berlin 2003, S. 206f. So mussten sich beispielsweise im Frühjahr 1936 Mevius und Kosswig in Gutachten dazu äußern, ob Stempell weiterhin 11 mg Radium aus Staatseigentum zur Erforschung der Organismenstrahlung überlassen bleiben sollte; beide Forscher bewerteten die Arbeit Stempells positiv und sprachen sich dafür aus, vgl.: UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1, REM an Kurator, 10.2.1936, sowie Kosswig an REM, 2.3.1936. BAB, R 4901, Nr. 12866, Statistiken zu Besuchern biologischer Vorlesungen. UAMs, Bestand 9, Nr. 995, Erlass des REM, 25.6.1935.

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Fachgebieten. Stattdessen griff Weber auf die gänzlich unrevolutionäre Morphologie zurück,329 was sich vor allem bei den Themen der unter seiner Leitung begonnenen Dissertationen330 widerspiegelte. Mit seinem Amtsantritt war daher keine Weiterentwicklung der Lehre, wie es sie unter von Ubischs gegeben hatte, verbunden. Stattdessen markierte er vielmehr einen Rückschritt zur Stagnation, wie sie schon unter Feuerborn das Institut geprägt hatte. Die Pläne der Fakultät, die in ihren ursprünglichen Besetzungsvorschlägen noch Genetiker und Entwicklungsphysiologen präferiert hatten, wurden damit durch die politische Wirklichkeit konterkariert. Während der neue Ordinarius den Lehrbetrieb des Institut demnach, wie noch zu zeigen sein wird, in die Beliebigkeit abdriften ließ, stieß er mit seinen eigenen Forschungen jedoch in junge und propagandistisch ausnutzbare Gebiete vor. Hierzu zählte vor allen Dingen die Ökologie, der Weber den Großteil seines wissenschaftlichen Outputs der späten 1930er-Jahre widmen sollte. Bereits vor seiner Übersiedlung nach Münster hatte er begonnen, hierfür Mittel bei der DFG zu requirieren. Am 17. Februar 1936 hatte Weber ein Forschungsstipendium für einen Studienassessor Franke zum Thema „Die Verdauungs- und Spinntätigkeit der Copeognathen“ beantragt. Als Begründung führte er unter anderem die Wichtigkeit der Arbeit im Rahmen der Ökologie einheimischer Tiere an. Am 3. April 1936 erhielt er schließlich 1.400 RM Beihilfe für eine Untersuchung über „Ökologie und Ernährungsbiologie der Copeognathen und Mallophagen“. In das Projekt wurde nach Webers Wechsel an die Universität Münster auch Jentsch mit aufgenommen, der dazu am 15. Dezember 1936 einen dreiseitigen Aufsatz über „Ovoviviparie bei einer einheimischen Copeognathenart“ im Zoologischen Anzeiger veröffentlichen konnte.331 Auch im folgenden Jahr blieb Weber dem Thema treu, wenn auch in verringertem Maße. Da die Arbeit durch den unglücklichen Todesfall eines der beiden Bearbeiter nicht rechtzeitig fertig gestellt werden konnte und nun allein bei Jentsch lag, musste er nochmals um eine Mittelbewilligung ersuchen. Diese wurde ihm gewährt. Gleichzeitig beantragte er Gelder für zwei weitere Forschungsvorhaben, die wieder in seinen klassischen Themenfeldern lagen: Entomologie und Morphologie.332 Das erste der beiden Vorhaben beschäftigte sich mit einem für die Autarkiebestrebungen des Regimes im Bereich der Nahrungsmittelversorgung äußerst wichtigen Problem, nämlich der Schädlingsbekämpfung. Im Frühjahr 1937 hatte 329 330

331 332

Vgl. zur morphologischen Forschung im NS Deichmann 1995, S. 123ff. Vgl. hierzu zum Beispiel die Dissertation von Hermann Heddergott zum Thema „Kopf und Vorderdarm von Panorpa communis L.“, vom 10.12.1938, bewertet mit sehr gut, oder die von Heribert Röber, „Morphologie des Kopfes und des Vorderdarmes der Larve und Imago von Sialia flavilafera“, vom 29.7.1941, bewertet mit sehr gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2; sowohl Heddergott als auch Röber sollten später an der Universität Münster tätig sein. Jentsch, Seyfried, Ovoviviparie bei einer einheimischen Copeognathenart, in: Zoologischer Anzeiger 116 (1936), S. 287–289. BAB, R 73, Nr. 15531, Weber an DFG, 6.5.1937.

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sich in der Region um Meppen eine, wie Weber es bezeichnete, „Blattwespenkalamität“ mit über 1.000 Hektar Kahlfraß ausgebreitet. Sie bot beste Untersuchungsmöglichkeiten für eine organische Bekämpfungsmethode, den Einsatz der parasitären Schlupfwespe Tetracampe diprioni. Hierzu wollte Weber zusammen mit seinem Kollegen Karl Schedl vom Forstzoologischen Institut der Universität Hannover die Abhängigkeit des Parasiten von den Witterungsverhältnissen laboratoriumsmäßig erfassen. Dies sollte eine Freilandprognose ermöglichen, um vorauszusagen, ob eine teure direkte Bekämpfung der Wespe nötig sei oder der Parasit dies erledigen könne. Gleichzeitig könnten die Morphologie und die Lebensweise des Parasiten aufgeklärt werden, da sie bislang kaum erforscht worden seien. Hierfür beantragte der Zoologe einen Zuschuss von 1.540 RM zum Ankauf von Material und der Einstellung eines Studenten. Mit dem zweiten Projekt wollte Weber seine eigenen Arbeiten über die Morphologie und die Entwicklung von Drosophila fortsetzen, da weder Ontogenie noch Bau des erwachsenen Tieres bislang genau bekannt seien. Als Entomologe bezeichnete er sich dafür als bestens geeignet. Ziel der Arbeiten sei eine Monographie zum Thema. Konkret wolle er, um eine möglichst genaue Kenntnis der Lagerungsverhältnisse der inneren Organe der Fliege zu gewinnen, die Plattenrekonstruktionsmethode anwenden. Dafür benötige er ein besonders exaktes Mikrotom für Serienschnitte, eine Schnittstrecke, Einrichtungen für das Walzen von Wachs sowie Wachs selbst. Die Gesamtkosten bezifferte er auf 1.800 RM. Die DFG forderte daraufhin bei Alfred Kühn sowie beim Direktor der Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft eine Stellungnahme zu den Anträgen an. Kühn befürwortete den Antrag wärmstens, vor allem deshalb, weil Deutschland in der Drosophilaforschung wenig bedeutsam sei und so an Profil gewinnen könne. Auch sei Webers Ansatz unbedingt notwendig, da „als eigenartige Folge amerikanischer Arbeitsweise […] die Erforschung des feineren Baues und der Entwicklung dieses Insekts sehr vernachlässigt“333 worden sei. Auch von der Reichsanstalt erhielt Weber Zustimmung. Als anerkannter Entomologe sei er für die gewünschte Bearbeitung gut geeignet, und außerdem seien seine geldlichen Forderungen sehr bescheiden.334 Daraufhin erhielt der Zoologe am 1. November 1937 2.000 RM für seine Forschungen. Interessant ist, dass Weber bei seinen Anträgen streng wissenschaftlich argumentierte und, anders als beispielsweise Feuerborn, seinen Einsatz für die Bewegung nicht ins Spiel zu bringen versuchte. Hier zeigte sich, dass ein wissenschaftlicher Ruf auch ohne Mobilisierung von Parteiressourcen den Ausschlag geben konnte. Neben seinen entomologisch ausgerichteten Projekten publizierte Weber auch zu seinem neuen Forschungsschwerpunkt, der Ökologie. Hier machte er sich da-

333 334

Ebd., Kühn an DFG, 31.5.1937. Ebd., Direktor der Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft an DFG, 31.5.1937.

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ran, die Umweltlehre335 des baltendeutschen Zoologen Jakob von Uexkülls kritisch zu hinterfragen und deren Modifizierung zu fordern. Die explizit nationalsozialistische Begründung für die Überlegungen, die er in seinen Beiträgen vorbrachte, sowie seine daraus abgeleiteten Forderungen, die auf die Errichtung eines NSTerrorstaates abzielten, werden im dritten Teil dieser Untersuchung einer näheren Analyse unterzogen. An dieser Stelle soll daher lediglich allgemein auf die unpolitischen Bestandteile des Weber’schen Gedankengebäudes eingegangen werden. Jakob von Uexküll336 hatte ab den frühen 1920er-Jahren eine Umwelttheorie aufgebaut, die eine Alternative zu dem „mechanizistischen“337 Konzept des Behaviorismus wie auch zu der anthropomorphen Tierpsychologie bildete und eine Sonderstellung zwischen vergleichender sinnesphysiologischer Verhaltensforschung und Ökologie einnahm. Kern seiner Überlegungen war, dass das Lebewesen die Umwelt formt und nicht umgekehrt, eine Sichtweise, die ihn in Gegensatz zur darwinistischen Auffassung der Evolution sowie zur in Entstehung begriffenen Synthetischen Theorie stellte.338 So nahm er zwar gewissermaßen das Konzept der ökologischen Nische vorweg, fasste die Einfassung eines Lebewesens in seine Umwelt aber nicht als Ausdruck evolutionärer Entwicklung auf, sondern als Ausdruck umfassender Planmäßigkeit.339 Genau gegen diese Kernaspekte richtete sich auch Webers Kritik.340 Auslöser war die Propagierung dieses Umweltkonzeptes durch den von Uexküll-Schüler Friedrich Brock in dessen Habilitationsschrift über die Nahrungsaufnahme der Wellhornschnecke.341 Unabhängig vom Inhalt der Ausführungen ist an Webers Beitrag auffallend, wie stark auch in der Biologie eine Militarisierung der Sprache inzwischen Fuß gefasst hatte. So stelle laut Weber die Arbeit Brocks „eine neuausgebaute vorgeschobene Stellung dar, von der aus ihr Verfasser die gegnerischen Linien mit sprengkräftigen Geschossen zu treffen und zu erschüttern gedenkt.“342 Gleichermaßen ist von Kampf, Angriffen, der feindlichen Front und anderen militärischen Begriffen die Rede. Da ohne wissenschaftlich-analytischen Nutzen, kann die Anwendung eines solchen Stils durchaus im Hinblick auf eine Anbiederung an eine sich gleichfalls militarisierende Gesellschaft verstanden werden. 335 336 337 338 339 340 341 342

Vgl. hierzu Franck, Dierk, Auswirkungen der Uexküllschen Umweltlehre auf die modern Verhaltensbiologie, in: Folia Baeriana VII (1999), S. 81–91. Vgl. zur Person Uexkülls die Kurzbiographie von Ilse Jahn in: Jahn, Geschichte der Biologie, 2006, S. 4721. Jahn/Sucker 2006, S. 2111. Ebd., S. 2112. Ebd., S. 2113. Weber, Hermann, Zur neueren Entwicklung der Umweltlehre J. v. Uexkülls, in: Die Naturwissenschaften 25 (1937), S. 97–104. Brock, Friedrich, Suche, Aufnahme und enzymatische Spaltung der Nahrung durch die Wellhornschnecke Buccinum undatum L. Grundlegung einer ganzheitlichen Deutung der Vorgänge im Beute- und Verdauungsfeld, Kiel 1936. Weber 1937, S. 97.

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Weber interpretierte die grundlegenden Aspekte der bisherigen Umweltlehre wie folgt: Erstens gäbe es das Axiom des Plans als Gegenpol zu einer rein summativen Forschung. Der Organismus funktioniere demnach im Sinne der Ganzheitlichkeit, wobei sich der Ansatz gegen die Entwicklungslehre und die vergleichende Anatomie richte. Zweitens betrachte von Uexküll die Umwelt als subjektiv („Alles Wirklichkeit ist subjektive Erscheinung“,343 von Uexküll), was zu einer Streichung der wirklichen Welt führe, da die Umwelt nur das sei, was das Tier auch Wahrnehmen könne. Gleichermaßen schleppe das Tier die Umwelt, die Teil seiner Umgebung sei, wie „ein festes, fensterloses Gehäuse“344 mit sich herum. Drittens schließlich unterscheide von Uexküll zwischen einer technischen Biologie (die sich mit der Entwicklung des Organismus beschäftige) und einer mechanischen Biologie (die sich mit allem beschäftige, was sich abspiele, wenn das Körpergefüge ausgebildet sei). In seiner Kritik räumte er mit dem dritten Punkt als erstes auf: Sowohl von Uexküll als auch Brock kritisierten eine biologische Vorgehensweise, die in der Forschung schon längst überholt sei. Zum ersten Punkt bemerkte er, dass das Axiom des Planes die Forschungsergebnisse einer Untersuchung bereits vorgeben würde, da man am Ende das finde, was man finden wolle. Der Hauptkritikpunkt war jedoch die Definition der Umwelt als subjektiv. Dem hielt Weber entgegen, dass es viele Faktoren gäbe, die auf ein Tier einwirkten, obwohl es sie nicht wahrnehmen könne, zum Beispiel UV-Licht. Diese fielen aus dem Umweltbegriff völlig heraus. Ebenso verhindere eine solche Sichtweise die Anwendbarkeit des Begriffes auf Pflanzen. Als Folgerung forderte der Ordinarius daher, dass der Umweltbegriff stark modifiziert werden müsse, um sinnvoll bleiben zu können, denn würde man ihn zu Ende denken, müsse letztendlich jede Zelle als Einzelsubjekt mit eigener Umwelt aufgefasst werden. Hier schlug er den Bogen zur konkreten Arbeit Brocks mit dem Hinweis auf den Nahrungsbrocken, der, sobald verschlungen, aus der Umwelt der Schnecke verschwinden würde. Die Annahme einer Planmäßigkeit beschränke die Forschung, verneine Darwin sowie das Phänomen des Aussterbens und die Verbreitungsgrenzen von Arten und Massenwechsel. Anders als in vorherigen Beiträgen fanden sich in Webers Aufsatz keinerlei Anklänge an nationalsozialistische Themen oder eine Vermischung von Wissenschaft und Politik. Auch seine weiteren DFG-Projekte zeigten keine Verknüpfung der beiden Bereiche. Weber forschte weiter zu ökologischen Themen und erhielt 1938 Sachbeihilfen in Höhe von 2.000 RM zur Durchführung von Untersuchungen über die „Ökologie der Copeognathen und Mallophagen; Maulbrütende Fische“.345 Auch im darauffolgenden Jahr blieb die finanzielle Unterstützung nicht aus. Diesmal waren es 1.500 RM; die Themen blieben dieselben, außer dass noch Forschungen über 343 344 345

Zitiert ebd. Ebd., S. 99. BAB, R 73, Nr. 15531, DFG an Weber, 17.5.1938.

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Drosophila hinzutraten.346 Die Förderung war offensichtlich so reichlich, dass es Weber nicht gelang, bis zu seinem Weggang nach Wien alle Gelder aufzubrauchen; Ende 1940 waren auf seinem Konto noch 279,50 RM verfügbar, die zur Löschung freigegeben wurden.347 Interpretiert man die von Weber in seinen verschiedenen Aufsätzen gemachten Aussagen348 als richtungsweisend sowohl für seinen Forschungsansatz als auch für die Verknüpfung von Wissenschaft und Politik, stellt sich zwangsläufig die Frage, wie viel von diesen Thesen sich in der täglichen Praxis am Zoologischen Institut der Universität Münster niederschlug. Hinweise hierauf können die Vorlesungsverzeichnisse liefern, wenngleich die Titel der Veranstaltungen nicht zwingend etwas über den Inhalt derselben auszusagen vermögen. Umso überraschender ist daher, in Anbetracht der unbestreitbaren Politisierung der Biologie durch den Ordinarius, das völlige Fehlen explizit nationalsozialistisch ausgerichteter Seminare in seiner Amtszeit. Weber übernahm wie erwähnt zu Beginn des Sommersemesters 1936 die Leitung des Zoologischen Instituts. Es ist jedoch unklar, welche Veranstaltungen in diesem Semester von welchen Dozenten tatsächlich erteilt wurden. Das Vorlesungsverzeichnis, vor dem Weggang von Ubischs und Feuerborns in Druck gegeben und nicht in einer korrigierten Fassung überliefert, zeichnete noch immer den alten Ordinarius und seinen Assistenten für das Gros der Seminare verantwortlich.349 Es ist möglich, dass Weber die Themen zunächst übernommen haben könnte, vor allem auch, um nicht den Studierenden zu schaden. Inhaltlich unterschieden sich die Veranstaltungen kaum von denen des Sommersemesters 1935. Lediglich Lehmann variierte seine hydrobiologischen Seminare und las nun über die Gewässer Norddeutschlands sowie Fischzucht und Teichwirtschaft, behielt den Rest der Themen aber bei. Erst mit dem Wintersemester 1936/37 änderten sich die Dozenten. Dabei fällt vor allem auf, dass die Zahl der angebotenen Veranstaltungen stark zurückging. Im Wintersemester 1935/36 hatte von Ubisch selbst sieben Veranstaltungen alleine angekündigt, ebenso wie Feuerborn. Dazu kamen noch fünf durch Lehmann und eine durch Stempell, also insgesamt 20 Seminare. Der Weggang der beiden sowie die Versetzung Lehmanns hatten jedoch tiefe Lücken gerissen. Im Wintersemester 1936/37 war die Zahl der Seminare und Vorlesungen auf acht zusammengeschrumpft.350 346 347 348 349 350

Ebd., DFG an Weber, 28.4.1939. Ebd., Aktenvermerk Dr. Krüger (DFG), 2.12.1940. Vgl. hierzu Kapitel IV, Abschnitt 3. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1936. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1936/37; zwar werden im Vorlesungsverzeichnis noch Veranstaltungen Lehmanns aufgeführt, es ist jedoch durch seine Versetzung nach Königsberg davon auszugehen, dass er diese nicht mehr abhielt und die Nennung, ähnlich wie bei von Ubisch und Feuerborn im Sommersemester 1936, dem frühen Drucktermin des Verzeichnisses geschuldet war.

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Hiervon entfielen vier auf Weber. Neben „Allgemeine Zoologie für Naturwissenschaftler“, „Allgemeine Zoologie und vergleichende Anatomie (für Mediziner)“, „Zoologisches Seminar (für Fortgeschrittene)“ und „Anleitung zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten“ traten noch das „Zoologische Praktikum“ und das „Zoologische Laboratorium“, die er zusammen mit Krüger anbot. Der Assistent selbst las noch „Vergleichende Physiologie tierischen Stoffwechsels“, und Stempell gab seine allwinterliche Vorlesung über Parasiten. Hydrobiologische Themen fehlten völlig, ebenso Heimatkunde oder Ornithologie. Der neue Ordinarius brachte keine eigenen Themen in den Vorlesungsbetrieb ein. Einzig Krüger konnte mit seiner Vorlesung Neuland betreten. Von einer Schwerpunktverschiebung, wie noch beim Ordinariatswechsel 1927, kann also nicht die Rede sein. Der Wechsel zu Weber war stattdessen ein schwerer Schlag für das Lehrangebot des Zoologischen Instituts. Dieser Problematik war sich offensichtlich auch der neue Ordinarius nur zu bewusst. Ende Februar 1937, also nach Vorlesungsende des Wintersemesters, wandte er sich auf dem Dienstweg an das REM. In seinem Schreiben beklagte er, dass durch den Weggang Lehmanns eine empfindliche Lücke im Vorlesungsbetrieb entstanden sei, da dieser die Bereiche Hydrobiologie, Tiergeographie und Bestimmungsübungen abgedeckt hatte. Um diese Lücke auszufüllen, regte er an, den neuen Direktor des Landesmuseums für Naturkunde in Münster, Bernhard Rensch, Systematik und Tiergeographie am Institut lehren lassen zu mögen, und bat, diesen bis auf weiteres mit den genannten Aufgaben zu betrauen. Über die fachliche Eignung Renschs könne kein Zweifel bestehen, denn er sei auf diesen Gebieten einer der besten Fachleute Deutschlands.351 Das REM sah die Sache jedoch anders. Mitte April wurde der Antrag Webers mit der Begründung abgelehnt, dass das Semester bereits angefangen habe. Außerdem sei Rensch noch nicht habilitiert. Nach Abschluss des Verfahrens sei man aber bereit, die Bitte erneut zu prüfen.352 Somit blieb auch im Sommersemester 1937 das Lehrangebot mit erneut acht Veranstaltungen bescheiden.353 Wieder gelang es Weber nicht, eigene Impulse zu setzen. Er kopierte lediglich die Seminare, die auch schon unter von Ubisch immer im Sommer angeboten worden waren: „Wirbellose“, „Anleitung zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten“, „Zoologisches Seminar für Fortgeschrittene“ und „Zoologisches Praktikum für Mediziner“. Mit Krüger zusammen veranstaltete er erneut ein „Zoologisches Praktikum für Naturwissenschaftler“ sowie ein „Zoologisches Laboratorium“. Auch Stempell wiederholte seine „Grundprobleme der Biologie“. Neues gab es wieder nur bei Assistent Krüger, der über „Vergleichende Nerven- und Muskel-Physiologie der Tiere“ las. Das darauf folgende Wintersemester 1937/38 bot exakt dasselbe Bild, außer dass Weber nun mit Insektenkunde zum ersten Mal aus seinem eigenen Fachgebiet las, damit aber kein neues Thema eta351 352 353

UAMs, Bestand 8, Nr.10787, Bd. 1, Weber an REM, 24.2.1937. Ebd., REM an Weber, 14.4.1937. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1937.

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blierte, da diese Vorlesung auch bereits unter Feuerborn angeboten worden war.354 Hatte der Ordinarius noch 1936 gegenüber seinen Vorgesetzten angekündigt, er benötige zwei Jahre, um seine Aufgabe, das Institut von den Resten der Affäre Feuerborn zu säubern, zu erfüllen, so hätte nun die Zeit kommen müssen, in der sich auch die Themenschwerpunkte hätten ändern und das unbefriedigende Angebot sich hätte bessern müssen. Dies war aber nicht der Fall. Die wissenschaftliche Stagnation war nun unübersehbar und setzte sich im folgenden Sommersemester 1938 weiter fort. Wieder war es allein Krüger, der mit „Entwicklungsphysiologie der Tiere“ aus der Reihe fiel, damit aber gleichzeitig auch zu einem Thema zurückfand, das eigentlich von Ubischs Forschungsschwerpunkt gewesen war. Lediglich der Hinweis auf von „N.N.“ zu lesende „Bestimmungsübungen“ (womit nur Rensch gemeint sein konnte) wies in eine möglicherweise abwechslungsreichere Zukunft.355 Rensch war es auch, welcher im darauffolgenden Wintersemester 1938/39 nach fast dreijähriger Abwesenheit des Themas vom Lehrplan mit „Grundzüge der Abstammungslehre“ erstmals wieder eine evolutionsbiologische Veranstaltung anbot. Während Weber weiter keine Neuerungen einbrachte, ging Krüger neben einer weiteren Vorlesung zur Entwicklungsphysiologie (hier des Wirbeltierkeimes) mit „Histologischen Übungen“ erneut in eine frische Richtung.356 Verzichten mussten die Studierenden im Übrigen fortan auf die inzwischen zum regelmäßigen Angebot des Zoologischen Instituts gehörenden Seminare Walter Stempells. Der vormalige Ordinarius und langjährige Honorarprofessor war am 18. Juni 1938 im Alter von 69 Jahren verstorben.357 Das letzte Semester in der Friedenszeit des „Dritten Reiches“, das Sommer­ semester 1939, sah erneut nur marginale Änderungen. Der Wegfall der Stempellschen Vorlesung wurde durch vermehrten Einsatz Krügers und Renschs ausgeglichen, die zusammen die unter Feuerborn so beliebten „Ornithologischen Exkursionen“ wieder aufnahmen sowie jeweils einzeln „Bestimmungsübungen zu Wirbeltieren und Mollusken“, „Einführung in die Ornithologie“ (beides Rensch) beziehungsweise „Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Tiere“ (Krüger) lasen. Weber hingegen brachte keine neuen Themen ein.358 Das Wintersemester 1939 schließlich stellte den bislang absoluten Tiefpunkt in punkto Seminarangebot dar. Lediglich sieben Veranstaltungen wurden den Studierenden zur Auswahl gegeben. Wieder bewiesen Rensch („Tiergeographie“) und Krüger („Vergleichende Physiologie der Sinnesorgane“) ihre Innovationskraft, und quasi mit seinen letzten wissenschaftlichen Münsterschen Atemzügen gelang es auch Weber mit „Die Ökologie der Tiere und ihre Anwendung“ das Thema, zu dem er in den Jahren zuvor so intensiv veröffent-

354 355 356 357 358

Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1937/38. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1938. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1938/39. UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1939.

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licht hatte, auch an die Universität Münster zu bringen.359 Dies war gleichzeitig auch seine letzte Veranstaltung am Zoologischen Institut. Mitten im Vorlesungsbetrieb erhielt er im Januar 1940 einen Ruf nach Wien, den er umgehend annahm.360 Nach nicht einmal vier Jahren war die Ära Weber an der Universität Münster damit auch bereits wieder beendet. Was die Lehrinhalte betrifft, hatten die Jahre zwischen 1936 und 1940 demnach keine Modernisierung und Ausfächerung mit sich gebracht. Ähnliche Beständigkeit hatte sich auch im Bezug auf die Personalpolitik gezeigt. Alle Assistenten blieben, zumindest bis Kriegsbeginn, auf ihren Positionen. Die bedeutendste Entscheidung Webers während seiner Zeit in Münster war damit die Etablierung Bernhard Renschs, des Mannes, der ohne Zweifel die folgenden 30 Jahre am Zoologischen Institut zunächst bereichern und später prägen sollte.361 Dabei spielten wieder auch politische Umstände eine Rolle. Die Machtübernahme des Nationalsozialismus hatte auch den sich selbst als unpolitisch verstehenden Rensch Mitglied in verschiedenen NS-Organisationen werden lassen. Zunächst in der NS-Beamtenarbeitsgemeinschaft, anschließend vom 1.  April 1933 bis 31. Dezember 1934 im Reichsbund der Deutschen Beamten und nach dessen Gleichschaltung in der NS-Dozentenschaft organisiert, trat 359 360 361

Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1939/40. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1. Zu Bernhard Rensch ist bereits eine umfangreiche Literatur, darunter eine Autobiographie, erschienen, die sich neben seiner Forschung auch mit seiner Naturphilosphie beschäftigt. Im Rahmen dieser Untersuchung ist es deshalb ratsam, auf verschiedene Aspekte seines Werdeganges, wenn sie nicht unmittelbar in Beziehung zum Untersuchungsgegenstand stehen, weniger intensiv einzugehen. Für weiterführende Informationen siehe unter anderem: Rensch, Bernhard, Lebensweg eines Biologen in einem turbulenten Jahrhundert, Stuttgart unter anderem 1979; Dücker, Gerti (Hg.), Bernhard Rensch: Biologe und Philosoph, Münster 1997; Ruschmeier, Ilona, Das Philosophische Werk Bernhard Renschs, Münster 1998; Dücker, Gerti (Hg.), 100 Jahre Bernhard Rensch. Biologe, Philosoph, Künstler (Worte – Werke – Utopien. Thesen und Texte Münsterscher Gelehrter 16), Münster 2000. Bernhard Rensch wurde am 21.1.1900 in Thale geboren. Der Sohn des evangelischen Postsekretärs Carl Rensch besuchte zunächst bis 1906 die Gehobene Bürgerschule Strassfurt, danach bis 1912 die Oberrealschule und Vorschule Dessau und schließlich bis 1917 das Reform-Real-Gymnasium Halle/Saale, wo er auch das Abitur ablegte. Im Anschluss daran diente er im Ersten Weltkrieg als Offizier beim 137. InfanterieRegiment und wurde 1920 als Leutnant d. R. aus dem Dienst entlassen. Rensch entschied sich für ein naturwissenschaftliches Studium in Halle/Saale und wurde an derselben Universität bereits 1922 promoviert. 1923 bis 1924 war er ebenfalls dort als Assistent am Institut für Pflanzenbau tätig, ehe er in die Reichshauptstadt weiterzog und dort von 1925 bis 1937 als Assistent und Abteilungsverwalter am Zoologischen Museum der Universität Berlin arbeitete. Während seiner Zeit dort leitete er von Februar bis September 1927 eine deutsche Expedition zu den kleinen Sunda-Inseln (eine Inselgruppe im Indonesischen Archipel) und wurde am 19.6.1928 außerordentliches Mitglied der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 10787, Bd. 1; SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Urkunde, 19.6.1928.

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er der NSV (1. Oktober 1935), dem RLSB (4. Februar 1936), dem NSLB (September 1936),362 dem Reichskolonialbund363 sowie dem NSDDB364 bei, vermied jedoch eine Mitgliedschaft in der NSDAP, der SA oder der SS. Laut eigenen Angaben war dies auch der Grund, weshalb er 1937 seinen Posten am Berliner Museum verlor. Da er nicht Mitglied der NSDAP gewesen sei, eine jüdische Doktorandin beschäftigt habe sowie Schwiegersohn des im Sommer 1933 in den Ruhestand versetzten Oberpräsidenten der Mark Brandenburg, Adolf Maier, war, seien ihm seit 1934 Schwierigkeiten am Museum bereitet worden, die dazu geführt hätten, dass er seine Stellung dort im Februar 1937 verloren habe.365 Die Akten machen zwar deutlich, dass ein nicht unerheblicher Druck auf den Zoologen ausgeübt wurde, um ihn zu politischem Wohlverhalten zu bewegen. Dennoch begründete Rensch den Vorgang anderswo auch unterschiedlich.366 Ob Renschs Anstellung in Berlin daher tatsächlich dem Nationalsozialismus zum Opfer fiel, muss ungeklärt bleiben.367 Fest steht, dass er in diesem Jahr nach Münster wechselte, wo er den Posten des Direktors des Provinzialmuseums für Naturkunde erhielt. Dort hatten die Nationalsozialisten den Amtsinhaber Hermann Reichling wegen gewisser „Auffälligkeiten“ (mit denen offenbar Frauengeschichten und Zecherei gemeint waren), offiziell aber wegen herabsetzender Äußerungen über Goebbels und Göring, aus dem Amt entfernt.368 Nach einem kurzen, aber wenig erfolgreichen Zwischenspiel des Nationalsozialisten Paul Graebner, Schwiegersohn des Gründers der NSDAP-Ortsgruppe Münster, wurde Rensch mit der Aufgabe betraut. Einer der Gründe für die Wahl des Zoologen mag gewesen sein, dass man ihn, da er enge Verbindung mit Kreisen der menschlichen Rassenforschung gewonnen habe, in der Lage sah, in Anlehnung 362 363 364 365 366

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UAMs, Bestand 5, Nr. 10787, Bd. 1, Fragebogen, 22.3.1937. BAB, R 4901, Nr. 13168. Ebd., Nr. 13283. UAMs, Bestand 5, Nr. 10787, Bd. 1, Lebenslauf, 12.7.1945. So äußerte Rensch: „Abfällige Bemerkungen über politische Maßnahmen, meine Weigerung, in eine Parteiformation einzutreten, eine Museumsausstellung, in der ich unter anderem auch die politisch unerwünschte lamarckistische Auffassung erläuterte, führten zu einer ‚vorsorglichen‘ Kündigung meiner Stelle. Diese wurde zwar wieder zurückgenommen, als ich nach strafweiser Absolvierung eines ‚Dozentenlagers‘ wieder als politisch tragbar galt“; Rensch gab an, er sei dann freiwillig nach Münster gegangen, wo ihm Landeshauptmann Kolbow Schutz gegenüber dem gegen Rensch protestierenden Gauleiter versprochen habe; aus: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, „Notizen zur Biographie“, undatiert. Vgl. hierzu auch Potthast, Thomas, „Rassenkreise“ und die Bedeutung des „Lebensraums“. Zur Tier-Rassenforschung in der Evolutionsbiologie, in: Schmuhl, Hans-Walter (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933 (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 4), Göttingen 2003, S. 275–308, hier: S. 300, Fn. 74. Oberkrome, Willi, „Deutsche Heimat“. Nationale Konzeption und regionale Praxis von Naturschutz, Landschaftsgestaltung und Kulturpolitik in Westfalen-Lippe und Thüringen (1900–1960), Paderborn 2004, S. 211f.

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an das Naturkundemuseum eine Abteilung für Rassenforschung und Rassenpflege aufzubauen. Außerdem seien seine Kontakt in die Niederlande von Vorteil. Die Übernahme des Direktorenpostens konnte auch nicht durch eine Denunziation des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP-Gauleitung Groß-Berlin (wohl zurückgehend auf Renschs Konkurrenten Hecht) verhindert werden, da Landeshauptmann Kolbow zusammen mit Mevius zugunsten Renschs intervenierte und die Einstellung zum 22. Februar 1937 perfekt machte.369 In Münster stieg Rensch rasch auf: Hermann Göring in seiner Funktion als Reichsforstmeister machte ihn am 11. Juni 1937 zum Beauftragten für Naturschutz im Bereiche der Provinz Westfalen,370 eine Woche später ernannte ihn der Regierungspräsident zum Mitglied der Naturschutzstelle.371 Feuerborn übertrug ihm (gezwungenermaßen) bei seinem Weggang die Leitung des Bundes „Natur und Heimat“, womit Rensch auch die Oberaufsicht auf die gleichnamige Zeitschrift erhielt.372 Dieser Führungswechsel schlug sich auch in den Inhalten wieder. Nach Renschs Amtsantritt verschwanden ideologisch ausgerichtete und den Nationalsozialismus legitimierende Beiträge aus der Zeitschrift, die sich unter seiner Führung von einem politischen Propagandablatt zu einem reinen wissenschaftlichen Publikationsorgan entwickelte. Wissenschaftlich ging es, auch dank der Unterstützung der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, weiter aufwärts. So bat der Dekan Anfang April 1937 beim REM darum, auf Renschs Habilitationsverfahren die Ausnahmebestimmung des § 4 Ziffer 4 der Reichshabilitationsordnung anzuwenden und ihm ohne Vorlage einer besonderen Habilitationsschrift zu weiteren Habilitationsleistungen zuzulassen. So zeige das Publikationsverzeichnis des Zoologen (welches zu diesem Zeitpunkt bereits 89 Arbeiten, darunter fünf Bücher, umfasste), dass die Voraussetzungen dafür in ganz besonderem Maße erfüllt seien.373 Dem stimmte das REM zu, so dass Rensch seine Arbeit über die Geschichte des Sundabogens einreichen konnte, welche von allen Gutachtern hoch gelobt wurde.374 In diesem Rahmen betonte auch Weber noch einmal, dass es im Interesse einer regen Zusammenarbeit zwischen dem Provinzialmuseum und den biologischen Universitätsinstituten höchst erwünscht sei, dass der Direktor des Museums durch Habilitation beziehungsweise Dozentur mit der Universität verbunden würde und damit die durch Lehmanns Weggang entstandene Lücke im Vorlesungsbetrieb schließen helfen könne. Am 22. Juli 1937 hielt Rensch seine wissenschaftliche Aussprache zum Thema „Ökologische Sonderheiten tropischer Lebensräume“ und erhielt dafür von den 369 370 371 372 373 374

Ditt, Karl, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbandes Westfalen 1923–1945 (Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volksforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe 26), Münster 1988, S. 33. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Reichsforstmeister an Rensch, 11.6.1937. Ebd., Regierungspräsident (RP) an Rensch, 19.6.1937. Ditt 1988, S. 334. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Dekan an REM, 5.4.1937. UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Gutachten zur Habilitationsschrift, undatiert.

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Anwesenden Professoren Mevius, Weber, Dörries, Niemeier und Scholz erstklassige Beurteilungen.375 Bereits einen Monat später, am 24. August 1937, folgte seine Habilitationsurkunde.376 Seiner Ernennung zum Dozenten und damit der Erteilung der Lehrbefugnis standen somit nur noch der Dozentenlehrgang im Lager Tännich sowie die öffentliche Lehrprobe entgegen. Ersteren leistete der Zoologe vom 4. bis 30. Oktober 1937 ab.377 Die Beurteilung durch die Lagerleitung fiel unspektakulär aus. „Weltanschauliche Haltung und Betätigung: politisch wenig interessiert. […] Eine besondere Einstellung zum Nat.[ional]-Soz.[ialismus] ist nicht zu erkennen, jedoch kann eine verlässlich positive Einstellung zum Staat bei ihm mit Sicherheit angenommen werden. Er ist kein Kämpfer, sondern ein gewissenhafter Bewahrer.“378 Alles in allem wurde er als korrekt, kameradschaftlich und diensteifrig charakterisiert, womit auch diese Hürde genommen war. Seine Lehrprobe am 4. Februar 1938 war danach nur noch eine Formalität. Sein Vortrag zum Thema „Neuere Probleme der Fortpflanzungsbiologie der Vögel“379 erhielt erneut exzellente Beurteilungen, so dass Rektor Mevius am 18. Februar 1938 darum bat, ihm die Dozentur für Zoologie zu verleihen und ihn zugleich der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zuzuweisen.380 Auch organisatorisch knüpfte der Zoologe weitere Fäden. Am 7. März 1938 wurde er in den Ausschuss der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft gewählt,381 am 3. Januar 1940 zum Mitglied des Vorstandes des Zoologischen Gartens Münster.382 Dennoch musste er auch Rückschläge einstecken. Obwohl an erster Stelle auf der Berufungsliste für das zweite Ordinariat für Zoologie und den Posten des Direktors des Museums der Universität Berlin, wurde er, eigenen Angabe zufolge aufgrund seiner fehlenden Parteimitgliedschaft, 1938 nicht dorthin berufen.383 Auswirkungen auf seinen weiteren wissenschaftlichen Aufstieg hatte dies aber nicht. Am 11. September 1939 wurde der Zoologe auf vorherigen Antrag des Dekans, welcher ihn schon zu diesem Zeitpunkt als einen der führenden Tiergeographen und Systematiker Europas bezeichnete,384 vom REM zum Dozenten ernannt.385 Somit hatte sich Rensch innerhalb von zweieinhalb Jahren eine hervorragende Ausgangsposition verschafft und bildete eine wichtige Klammer zwischen inner- und 375 376 377 378

UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Vermerk zum Habilitationsverfahren, 22.7.1937. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Habilitationsurkunde, 24.8.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 816, REM an Kurator, 13.11.1937. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Allgemeine Beurteilung Renschs aus Dozentenlager Tännich, 30.10.1937. 379 Ebd., Bewertung der Lehrprobe, 18.2.1938. 380 Ebd. 381 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Deutsche Ornithologische Gesellschaft an Rensch, 8.3.1938. 382 Ebd., Zoologischer Garten Münster an Rensch, 27.12.1939. 383 UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Akademische Laufbahn, undatiert, nach 1945. 384 Ebd., Dekan an REM, 10.7.1939. 385 UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, REM an Rensch, 11.9.1939.

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außeruniversitärer Zoologie. Dem Wechsel an der Spitze des Zoologischen Instituts konnte er daher ohne Sorgen entgegenblicken. Neben Rensch hatten sich auch die anderen Mitarbeiter des Zoologischen Instituts wissenschaftlich weiter qualifiziert. Friedrich Krüger hatte sich bereits am 4. Juli 1935, noch unter von Ubisch, von dem er stets gefördert worden war, habilitiert386 und war am 25. Juli 1937 zum Dozenten für Zoologie ernannt worden.387 Auf sein Habilitationsverfahren wird exemplarisch noch einmal im Rahmen seiner Entnazifizierung eingegangen werden. Kurz darauf wurde sein Vertrag von Weber um zwei weitere Jahre verlängert.388 Am 26. September 1939 erhielt er eine Diätendozentur. Krüger beschäftigte sich während Webers Amtszeit vor allem mit Tierphysiologie, musste sich jedoch mit der unzureichenden technischen Ausstattung des Instituts für dieses Spezialgebiet abmühen. So hatte man seiner Ansicht nach dieses Thema seit 1927 vernachlässigt,389 in Wirklichkeit war es aber, nach einer kurzen Blütephase unter Stempell, bereits in der Vertretungszeit Feuerborns wieder in den Hintergrund gerückt. Zwar erhielt Krüger Mitte 1939 von der DFG noch einmal 200 RM „zur Konstruktion eines Apparates zur Durchführung von Mikrogasanalysen“,390 ein halbes Jahr später wurde seine Forschung aber als nicht kriegswichtig eingestuft und der Restbetrag auf seinem Konto gelöscht.391 Auch Seyfried Jentsch, der in einem von Webers Ökologie-Projekten mitarbeitete, konnte am Institut verbleiben. Bereits am 30. August 1938,392 dann noch einmal am 23. März 1939393 beantragte Weber beim Rektor die Verlängerung seiner Assistentenstelle. Der Nachwuchszoologe habe sich als Assistent bewährt und sei fleißig und arbeitswillig. Seine wissenschaftlichen Leistungen hätten sich seit 1937 sichtlich gehoben, und es sei zu erwarten, dass er in Zukunft selbständig weiterarbeiten könne. Da seine Rede- und Lehrbegabung jedoch noch unausgebildet und „wohl nicht über Durchschnitt“394 sei, hielt es der Ordinarius für angebracht, Jentsch weitere Gelegenheit zur Bewährung zu geben. Wissenschaftlich hatte sich der junge Zoologe auf die Erforschung der Psocoidea, einer winzigen Insektenart, spezialisiert und war damit seinem Ordinarius auf dessen Forschungsgebiet Entomologie gefolgt. Vier seiner bis 1939 fertiggestellten Arbeiten beschäftigten sich mit diesem Thema, die anderen beiden waren seine bereits erwähnte Dissertation über Wellensittich-Chromosomen sowie das genannte DFG-Projekt zur Ovoviviparie einheimischer Copeognathen. 386 UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 1, Dekan an Krüger, 4.7.1935. 387 Ebd., REM an Krüger, 25.7.1936. 388 UAMs, Bestand 10, Nr. 3797, Weber an REM, 26.8.1397. 389 UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Krüger an Kurator, 1.6.1937. 390 BAB, R 73, Nr. 12440, DFG an Krüger, 12.6.1939. 391 Ebd., DFG an Krüger, 22.1.1940. 392 UAMs, Bestand 10, Nr. 3229, Bd. 1, Weber an Rektor, 30.8.1938. 393 Ebd., Weber an Rektor, 23.3.1939. 394 Ebd.

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Weniger harmonisch verlief die wissenschaftliche Karriere des dritten Assistenten, Hans Peters. Politisch hatte sich Peters kaum betätigt, erst 1938 wurde er Mitglied der NSV.395 Ob in dieser Haltung seine Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten Weber sowie dem Rektor Mevius begründet lagen, ist aus den Akten nicht zu ermitteln. Fest steht, dass beide in ungewohnter Schärfe gegen eine Erteilung der Lehrbefugnis für den Nachwuchszoologen mobil machten und sie letztendlich verhinderten. Die Miteinbeziehung politisch-ideologischer Gesichtspunkte in die Beurteilung einer wissenschaftlichen Arbeit wird im dritten Teil dieser Untersuchung näher analysiert. Personell gab es also während der gesamten Zeit von Webers Ordinariat, mit Ausnahme der Anbindung Renschs, keine von ihm initiierten Veränderungen. Auch organisatorisch scheint das Institut gleichmäßig weitergelaufen zu sein. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Weber an den internen Arbeitsabläufen etwas modifiziert hätte oder sich, wie beispielsweise von Ubisch, für einen Ausbau der Zoologie oder ihre bessere Vernetzung mit anderen Instituten eingesetzt hätte. Zwar konnte im Oktober 1936 nach jahrelangem Tauziehen die Privatsammlung Stempells für insgesamt 895 RM von der Universität aufgekauft werden, damit fand aber nur ein Vorgang seinen Abschluss, der bereits unter von Ubisch verhandelt worden war und an dem Weber, wenn überhaupt, nur geringen Anteil hatte.396 Gleichermaßen uninteressiert zeigte er sich zwei Jahre später am Schicksal von Stempells Witwe, die sich eine Woche nach dem Tod des Honorarprofessors am 26. Juni 1938 mit einer Bitte um laufende Unterstützung an den Dekan der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät wandte. Zwar wurde ihr schließlich sowohl ein Sterbegeld als auch, auf dem Gnadenwege, ein Unterhaltszuschuss zugewiesen,397 die jedoch erst, als sie, der Perversität des nationalsozialistischen Systems angemessen, ihre arische Abstammung hatte nachweisen398 und ein politisches Gutachten der NSDAP hatte vorlegen müssen.399 Auch die institutsinternen Probleme, mit den sich der Ordinarius abplagen musste, waren keineswegs neu. Da die Umbaupläne von Ubischs durch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 ein abruptes Ende gefunden hatten, war auch die Raumnot am Institut nicht geringer geworden. Wie alle seine Vorgänger wandte sich daher auch Weber an die zuständigen Stellen, um sich über die Verhältnisse zu beschweren. Auch seine Argumentation war noch immer dieselbe wie seit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg: Die Qualität von Lehre und Forschung war in Gefahr. So klagte er Anfang 1939 dem Rektor über die unhaltbaren räumlichen Verhältnisse, die Überfüllung der Arbeitsräume und den fehlenden Stauraum für Sammlungen und Schautafeln. Bestimmte Arbeitsrichtungen, wie die Ökologie, 395 396 397 398 399

BAB, ehemals BDC, A 50. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Kurator an Weber, 13.10.1936. UAMs, Bestand 63, Nr. 179, Kurator an Dekan, 13.9.1938. Ebd., Kurator an Dekan, 12.8.1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 3784, Bd. 1, Kurator an NSDAP, 2.7.1938.

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könnten trotz ihrer praktischen Bedeutung mangels eines Gartenraumes nicht gepflegt werden.400 Eine Antwort darauf ist, genauso wie mögliche weitere Versuche Webers, nicht überliefert. Auch die weitere Kommunikation des Ordinarius mit seinen übergeordneten Stellen ist, verglichen mit der Schreibtätigkeit seiner Vorgänger, rar gesät. Anfang Juli 1937 kommentierte er die Frage nach im Inventar fehlenden Gegenständen damit, dass dies auch darin begründet sei, dass es früher zwei feindliche Parteien im Institut gegeben habe und diese sich in „Großzügigkeit“ den Studenten und Doktoranden gegenüber gegenseitig überboten hätten.401 Zwei Jahre später begründete er einen Antrag auf einen Zuschuss zur Anschaffung von Geräten damit, dass es bei zurzeit elf Doktoranden an Mikroskopen fehle. Wieder argumentierte er mit Qualitätsfragen: Das Institut sei, verglichen mit anderen Universitäten, nie besonders gut ausgestattet gewesen. Insgesamt werde hauptsächlich morphologisch gearbeitet, und die von ihm gepflegte Forschungsrichtung übe eine starke Anziehungskraft bis ins Ausland aus – gerade deshalb müsse er mit dem wirklich Notwendigsten ausgestattet sein.402 Das REM genehmigte daraufhin 2.500 RM.403 Längerfristige oder umfassende Versuche, das Institut zu modernisieren, lassen sich daraus aber nicht ableiten. Wie stellte sich nun die politische Situation am Institut in den Jahren zwischen 1936 und 1940 dar? Das REM hatte Weber 1936 nicht zuletzt aufgrund seiner Regimetreue nach Münster geschickt, und auch seine politischen Karriere und seinen wissenschaftlichen Aussagen nach konnte der Zoologe als überzeugter Nationalsozialist gelten. Hinweise, dass die politischen Ansichten des Ordinarius auch auf die alltägliche Arbeit am Institut abfärbten, sind selten, aber vorhanden. So gab beispielsweise Assistent Krüger nach dem Krieg an, nur als Zugeständnis an Weber 1940 mit der Mitgliedsnummer 7482922 in die NSDAP eingetreten zu sein.404 Zeitgenössische Quellen gibt es zu einem Vorfall vom Dezember 1937, der zwei Angehörige des Instituts als Protagonisten hatte. Einen Tag vor Heiligabend teilte Weber dem Rektor mit, dass der Doktorand Röber Meldung über den Doktoranden Heddergott wegen bedenklicher politischer Äußerungen gemacht habe. So habe Heddergott gesagt, nur in Russland sei noch freies wissenschaftliches Arbeiten möglich. Allerdings sei die UdSSR nicht jedermanns Sache, da man sich dort mit einigem abfinden müsse. Heddergotts Bruder sei von einem deutschen Kriegsschiff desertiert und jetzt US-Bürger: „ihm könne keiner mehr“.405 Außerdem bezichtigte Röber seinen Kommilitonen wiederholter Sympathieäußerungen über das rote (das heißt 400 401 402 403 404 405

UAMs, Bestand 4, Nr. 1238, Weber an Rektor, 8.2.1939. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Weber an Kurator, 9.7.1937. Ebd., Weber an REM, 7.2.1939. Ebd., REM an Weber, 13.3.1939. UAMs, Bestand 9, Nr. 1359. UAMs, Bestand 4, Nr. 687, Weber an Rektor, 23.12.1937.

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republikanische) Spanien sowie anfangs tastende marxistische Propagandaversuche, die aber bald wegen ersichtlicher Erfolglosigkeit eingestellt worden seien. Ebenso habe er Weber Äußerungen untergeschoben, zum Beispiel, dass dieser gar kein Nationalsozialist sei. Vor kurzem habe er aber gegenüber einem anderen Doktoranden zugegeben, dass es dem Ordinarius mit dem Nationalsozialismus wohl doch ernst sei.406 Heddergotts Äußerungen verblieben nicht beim Rektor, sondern wurden von diesem an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Dennoch hatte der junge Zoologe Glück: auf dem Dokument findet sich eine rot unterstrichene Schreibmaschinennotiz mit den Worten: „Auf Wunsch des Sicherheitsdienstes ist nichts zu veranlassen.“407 Es ist jedoch unklar, ob der Vorfall wirklich ohne Konsequenzen blieb. Nach dem Krieg äußerte Heddergott Rensch gegenüber, die Denunziation Röbers habe zu seiner Relegation von der Universität geführt.408 Belege dafür sind in den Akten nicht zu finden. Unabhängig vom Ausgang zeigt dieser Fall jedoch zweierlei: Weber galt den nationalsozialistischen Studenten als vertrauenswürdig genug, um ihm Denunziationen anzutragen, und er duldete eine Atmosphäre an seinem Institut, die der während der Affäre Feuerborn nicht unähnlich war. Nicht zuletzt leitete er den Bericht auch noch unkommentiert weiter und zeigte damit wenig Skrupel, einem seiner Doktoranden schwere politische Probleme zu bereiten. War der Ordinarius in rein politischen Fragen also durchaus bereit, die Nazifizierung seines Instituts zu fördern, zog er eine Grenze, sobald sich die Politik mit konkreten wissenschaftlichen Fragen vermengte. Wie auch Mevius war er nicht geneigt, Personalpolitik auf Basis von politischen Gefälligkeiten zu unterstützen. Als Ende 1939 die Berufung Webers nach Wien immer konkretere Formen annahm und sich die Frage eines Nachfolgers stellte, versuchte offenbar die Gauleitung Westfalen-Nord, den Kieler außerplanmäßiger Professor und NS-Dozentenbundführer Friedrich Eggers für Münster in Stellung zu bringen. Mevius schrieb daher am 12. Dezember 1939 an seinen Zoologenkollegen und bat ihn um eine Stellungnahme zu Eggers und die Mithilfe dabei, dem Gauleiter über diesen einmal „reinen Wein“409 einzuschenken. Offenbar vermutete der Rektor ähnliche Probleme wie bei der Nachfolge von Ubischs, als sich mehrere außeruniversitäre Stellen in den Berufungsvorgang eingemischt hatten. Bereits damals hatte sich Mevius, zumindest zunächst, aufgrund des Selbstverwaltungsanspruches der Fakultät gegen solche Versuche gewehrt. Weber reagierte umgehend. Bereits einen Tag später erhielt der Rektor einen ausführlichen Bericht, in dem Weber Eggers als aus fachlich-wissenschaftlichen Gründen nicht für die Übernahme eines Ordinariats geeignet bezeichnete. Vorsichtig lavierend bemühte er sich jedoch zu betonen, dass die mangelnde Eignung nicht durch politische oder persönliche Eigenschaften bedingt sei. Vielmehr sehe 406 Ebd., Weber an Rektor, 23.12.1937. 407 Ebd. 408 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 12.5.1946. 409 UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Mevius an Weber, 12.12.1939.

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Eggers seine eigenen Grenzen und damit seine mangelnde Eignung nicht ein. Bei Rückfragen bei sämtlichen Fachordinarien bezüglich der eigenen Nachfolge hätte sich niemand für Eggers eingesetzt. Darunter waren auch solche Biologen, die als Nationalsozialisten ebenso wertvoll wie Eggers seien, weshalb politische Gesichtspunkte bei der einmütigen Ablehnung keine Rolle gespielt haben könnten.410 Wie wichtig also die Vermeidung des Anscheins politischer Gründe für die Ablehnung eines Kollegen selbst bei einem nationalsozialistisch profilierten Mann wie Weber war, wird dadurch eindeutig klar. Rektor Mevius war mit dieser Antwort mehr als zufrieden. Noch am selben Tag setzte er ein Schreiben an den Gaupersonalamtsleiter der Gauleitung WestfalenNord auf. Anders als Weber wurde er bei seinen Äußerungen deutlicher. Eggers versuche, so Mevius, seit geraumer Zeit über alle möglichen Kreise auf eine beamtete Professur zu kommen, so auch auf Webers. Daher habe er den Zoologen, der wahrscheinlich nach Wien ginge, gebeten, Gutachten einzuholen, damit der Fakultätsausschuss über die Nachfolge beraten könne. Um aber nicht in den wohlbegründeten Verdacht zu kommen, selbst Machtspiele zu treiben und Weber für sich einzuspannen, musste der Rektor sein Vorgehen politisch absichern. Er habe Weber deshalb ausgewählt, weil dieser „einer der überzeugtesten Nationalsozialisten unserer Universität“411 und Vorsitzender des Ehrengerichtes des NSDDB im Gau Westfalen-Nord sei. Ergebnis sei, wie bereits bekannt, die wissenschaftliche Untauglichkeit Eggers. Außerdem sei er für den Posten zu alt. Politische Gründe für die Ablehnung gäbe es keine, und in ihrer Beurteilung des Kielers (farblos, gequält, gehemmt, langweilig)412 seien sich Nationalsozialisten wie Nicht-Nationalsozialisten einig gewesen. Daher bitte Mevius um Verständnis dafür, dass Eggers nicht auf die Berufungsliste gesetzt würde. Im Anschluss daran machte der Rektor noch seinem allgemeinen Unmut über die seiner Meinung nach weiter ausufernde Praxis nicht beteiligter Stellen in Berufungsfragen Luft. Ganz konkret kritisierte er seinen Kollegen Professor Hanns Löhr von der Inneren Medizin, der sich in fachfremde Berufungsangelegenheiten einmische, sowie nicht näher bezeichnete maßgebende Persönlichkeiten des NSDDB, bei denen „die persönlichen Beziehungen in Berufungsangelegenheiten fast ausschließlich allein bestimmend“413 seien. Ginge es so weiter wie in den letzten Jahren werde das Niveau der Deutschen Universitäten weiter stark sinken. Augenscheinlich hinterließ die koordinierte Aktion der beiden Biologen Eindruck beim Gauleiter. Einmischungsversuche zugunsten Eggers sind für die Zeit nach Webers Weggang nicht nachweisbar. Auch ein ähnlicher Versuch universitätsexterner Kreise (in diesem Fall des Direktors der Ländlichen Zentralkasse), Anfang 1940 einen weitere Parteigenossen namens Groll am Zoologischen Institut 410 411 412 413

Ebd., Weber an Mevius, 13.12.1939. Ebd., Mevius an Gaupersonalamtsleiter Gau Westfalen-Nord, 13.12.1939. Ebd., Rektor an Kurator, 4.5.1940. Ebd., Mevius an Gaupersonalamtsleiter Gau Westfalen-Nord, 13.12.1939.

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unterzubringen, wurde von Mevius mit vergleichbaren Argumenten (zu alt, seit 17 Jahren nicht mehr wissenschaftlich tätig) abgeblockt.414 Direkte politische Einflussnahme auf Unterricht und Organisation des Instituts ist daher, abgesehen von besagten versuchten Personalmaßnahmen, für Webers Ordinariat nicht zu verzeichnen. Ganz im Gegenteil holte das REM sogar Meinungen der einzelnen Fachvertreter ein, wenn es um politische Entscheidungen ging. So schaltete sich das Dekanat der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät 1937 in die Diskussionen um die Ausarbeitung einer neuen Prüfungsordnung für das wissenschaftliche Lehramt ein. Man bat in Absprache mit den Fachvertretern darum, dass die Lehramtsstudenten für Zoologie und Botanik sich Kenntnisse in der Geologie aneignen sollten, um den aktuellen Anforderungen, das heißt der Beschäftigung mit Rohstofflagern, Bodennutzung und Heimatkunde, gerecht zu werden. Wer zum Beispiel Biologie als Grundfach wählte, sollte demnach eine geologische Übung nachweisen können.415 Auch in außenpolitischen Belangen war die Meinung der Forscher gefragt. Als sich im November 1939 im Schlepptau der gemeinsamen Zerstückelung Polens die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR zu verbessern begannen, spielte auch das REM mit dem Gedanken, die offiziell gekappten wissenschaftlichen Kontakte der beiden Staaten zu reaktivieren. Am 30. November 1939 sandte das Ministerium daher ein Rundschreiben an die Universitäten, gab an, dass es in letzter Zeit vermehrt Anfragen von Wissenschaftlern nach Wiederaufnahme der Beziehungen mit der Sowjetunion gegeben habe, und bat die einzelnen Fachbereiche um Mitteilung, wie sie dazu stünden.416 Weber reagierte ausgesprochen positiv. Bis zum von der Führung angeordneten Abbruch habe er in (stets unpolitischem) Austausch mit einigen sowjetischen Forschern, insbesondere Entomologen und Forst- beziehungsweise Landwirtschaftszoologen, gestanden. Eine Wiederaufnahme des wissenschaftlichen Tauschverkehrs zur Beschaffung wichtiger Literatur sei seiner Meinung nach nur zu begrüßen.417 Auch hier hatte also die Qualität von Lehre und Forschung Vorrang vor eventuellen ideologischen Hemmnissen. Gleiches galt auch in anderen Bereichen, so zum Beispiel bei den an der Universität regelmäßig veranstalteten traditionsreichen Preisaufgaben des Instituts. Während in der Medizinischen Fakultät Themen wie „Die psychiatrische und rassenhygienische Bedeutung der Selbsttötung im Raum Westfalen im Verhältnis zu anderen deutschen Gauen“418 (1936) oder „Über die Beziehungen der Augenfarbe zu normalen und krankhaften Körpermerkmalen“419 (1938) vorkamen, blieb Weber 414 415 416 417 418 419

UAMs, Bestand 4, Nr. 1238, Rektor an Kurator, 8.2.1940. UAMs, Bestand 9, Nr 976, Dekan an REM. UAMs, Bestand 4, Nr. 304, Rundschreiben des REM, 30.11.1939. Ebd., Weber an REM, 9.12.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 1077, Preisaufgabe der Medizinischen Fakultät, gestellt von Professor Kehrer, 27.6.1936. Ebd., Preisaufgabe der Medizinischen Fakultät, gestellt von Professor Marchesani, 21.7.1938.

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auch dort streng ideologiefrei und verknüpfte die Aufgabe stattdessen mit seinen eigenen Forschungen: „Die Morphologie des Skelettmuskelsystem der Imago von Drosophila melanogaster ist unter Berücksichtigung flügelloser und stummelflügliger Mutanten und unter Einebziehung [sic!] anderer Drosophilaarten als Grundlage für genetische Untersuchungen zu behandeln, eine brauchbare Terminologie ist auszuarbeiten.“420

Ende 1939 hatte Weber also die vom REM in ihn gesteckten Erwartungen zufriedenstellend erfüllt. Die internen Streitereien des Zoologischen Instituts waren beendet und Störenfriede wie die Feuerborn-Clique ausgeschaltet. Es war eine stabile nationalsozialistische Atmosphäre eingekehrt, ohne dass eine opportunistisch-aktivistische Politisierung der Lehre und Forschung, wie noch von Feuerborn versucht, notwendig war. Auseinandersetzungen um Detailfragen, regelmäßige Forderungen nach besserer Förderung und Meinungsverschiedenheiten mit den vorgesetzten Stellen, wie sie unter dem rührigen Ordinarius von Ubisch noch regelmäßig vorgekommen waren, waren auf ein Mindestmaß reduziert worden. Kurzum: es herrschte Ruhe. Dass diese Ruhe einherging mit einer wissenschaftlichen wie organisatorischen Stagnation des Instituts schien niemanden zu stören. Anstatt die Münstersche Zoologie voranzubringen und neue Studenten anzulocken, hatte sich der Ordinarius auf seine eigene Karriere konzentriert und dort nicht nur seine ökologischen Forschungen eng mit der Politik verknüpft, sondern auch seine alten Fachgebiete weiter vertieft. 1938 wurde er dafür zum Ehrenmitglied der Royal Entomological Society in London ernannt.421 Ebenso stieg er im selben Jahr in den Vorstand des Deutschen Biologenverbandes und der Deutschen Zoologischen Gesellschaft422 auf. Auch didaktisch konnte er auf sich aufmerksam machen. Ein Hinweis darauf ist die Rezension Hases über Webers „Grundriß der Insektenkunde“,423 welches 1938 erschien und äußerst positiv bewertet wurde.424 Bei derart moderner wie offensichtlich fachwissenschaftlich hochwertiger Qualität der Arbeit Webers stellt sich die Frage, wieso davon wenig bis nichts auf das Institut abfärbte und dort Assistenten wie Krüger oder externe Dozenten wie Rensch für innovative Ansätze verantwortlich zeichnen mussten. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass der Zoologe Münster von vornherein nur als Zwischenstation seiner Karriere und die Säuberung des Instituts nur als Sprungbrett zu höheren Aufgaben ange420 421 422 423 424

Ebd., Preisaufgabe der Zoologie, 1939/40. UAT, 126/741, Personalbogen, undatiert, 1950er-Jahre. Ebd., Personalfragebogen, 4.5.1951. Weber, Hermann, Grundriß der Insektenkunde, Jena 1938. So bezeichnete der Rezensent das Werk als hervorragend zusammengestellt, von hohem didaktischem Wert und von kaum zu übertreffender Eindringlichkeit. Es berühre morphologische, physiologische, ökologische und praktische Fragen der Insektenkunde und sei jedem, der sich mit Entomologie beschäftige, aufs Dringlichste empfohlen. Ahrens, Willi, Rezension über Webers „Grundriß der Insektenkunde“, in: Der Biologe 8 (1939), S. 67.

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sehen hatte. Die weitere Entwicklung seiner Laufbahn lässt einen Schluss in diese Richtung auf jeden Fall zu. Webers nächste wissenschaftliche Station, das Ordinariat für Zoologie an der Universität Wien, sollte nämlich nicht der letzte Schritt auf seiner Karriereleiter sein. Bereits nach einem Jahr brach er dort seine Zelte wieder ab. Zuvor war er zum Korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften425 ernannt worden. 1941 ging Weber als Direktor an das Zoologische Institut der neugegründeten Reichsuniversität Straßburg.426 Offensichtlich hatte er sich durch seine Tätigkeiten im Sinne des Regimes für einen Posten an dieser nationalsozialistischen Kaderuniversität ausreichend qualifiziert.427 In Straßburg entwickelte Weber in zwei Richtungen eine emsige Arbeitstätigkeit. Beide waren eng mit seiner Stellung als Führer des inzwischen zum Reichsbund für Biologie (RFB) umbenannten Deutschen Biologenverbandes verknüpft und stellten ihn an die Schnittstelle von Politik und Wissenschaft. Auf der einen Seite handelte es sich dabei um die Erarbeitung einer neuen Studienordnung für Lehramtsstudenten der Biologie. Dieser Vorgang ist im Rahmen der Untersuchung von Ressourcenmobilisierung besonders interessant, da hier das Zusammenspiel von REM und verschiedenen Wissenschaftlern bei der Erarbeitung von Richtlinien, die in beider Sphären eindringen, analysiert werden kann. Auch er wird im dritten Teil behandelt. Eine ähnliche Kooperation zeigte sich auch bei dem zweiten Feld, auf dem Weber während seiner Zeit in Straßburg aktiv wurde: der SS. Kontakte zur Schutzstaffel hatte es bereits ab 1939 in Münster gegeben, da ab spätesten Juli dieses Jahres ein Dr. Herbert Krull, Reservist der Waffen-SS, mit einem Stipendium zur Förderung des Deutschen Hochschullehrernachwuchses am

425 426 427

UAT, 126/741, Personalbogen, undatiert, 1950er-Jahre. Ebd., Personalfragebogen, 4.5.1951. Die deutschsprachige beziehungsweise ins Deutsche übersetzte Forschung zu den drei Reichsuniversitäten ist bislang nicht sehr umfangreich. Vgl. hierzu unter anderem Langewiesche, Dieter (Hg.), Universitäten im nationalsozialistisch beherrschten Europa (Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Wissenschaft 23, Heft 4) Göttingen 1997; Wróblewska, Teresa, Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg als Modelle nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebieten, Torun 2000; Glettler, Monika/Míšková, Alena, Prager Professoren 1938–1948. Zwischen Wissenschaft und Politik, Essen 2001; Lemberg, Hans (Hg.), Universitäten in nationaler Konkurrenz. Zur Geschichte der Prager Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert. Vorträge zweier Tagungen der Historischen Kommission für die böhmischen Länder (vormals: Sudetenländer) 1996 und 1997 (Veröffentlichungen des Colloquium Carolinum 86), München 2003; Kostlán, Antonín (Hg.), Wissenschaft in den böhmischen Ländern 1939–1945 (Práce z dejin vedy 9), Prag 2004; Hausmann, Frank Rutger, Wissenschaftsplanung und Wissenschaftslenkung an der Reichsuniversität Straßburg, in: Dinckal, Noyan/Dipper Christoph/Mares, Detlef, Selbstmobilisierung der Wissenschaft. Technische Hochschulen im „Dritten Reich“, Darmstadt 2010, S. 187–230.

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

Zoologischen Institut arbeitete.428 Krull, zu dem keine weiteren Akten vorhanden und über den keine Informationen zu seinem weiteren Schicksal bekannt sind, verblieb bis mindestens Januar 1942 in Münster.429 Die Kooperation Webers hatte jedoch eine andere Vorgeschichte. Anfang 1939 war der Deutsche Biologenverband an die Forschungsgemeinschaft „Das Ahnenerbe“430 der SS angegliedert und damit der direkten Aufsicht des Reichsführers-SS Heinrich Himmler unterstellt worden. Gleichzeitig war innerhalb der Stiftung eine neue Forschungsstätte für Biologie eingerichtet worden. Am 5. Mai 1939 wurde auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung die Neuordnung des Deutschen Biologenverbandes unter dem Namen „Reichsbund für Biologie“ beschlossen.431 Damit war die deutsche Biologenschaft noch enger als zuvor mit der Organisationsstruktur des Regimes verknüpft und konnte ihr erklärtes Ziel, die biologische Durchdringung der Gesellschaft, die Unterstützung der NS-Rassenkunde und die wissenschaftliche Legitimierung des NS-Staates, gestärkt fortsetzen.432 Drei Jahre später wurde dieser Anspruch auch an dem Namen des Bundes deutlich: Ab dem 4. März 1942 trug er den Untertitel „Reichsverband für lebensgesetzliche Wissenschaft, Erziehung und Führung“.433 Am 18. Februar 1944 wurde Weber, parallel zu seiner Tätigkeit als Führer des RFB, vom amtierenden Geschäftsführer, SS-Standartenführer Wolfram Sievers, zum Leiter der Lehr- und Forschungsstätte für Biologie im „Ahnenerbe“ ernannt.434 Damit war er Referent für alle biologischen Fragen im „Ahnenerbe“, überwachte Forschungsaufträge, deren Durchführung Himmler besonders wünschte, und konnte von sich aus Aufträge beantragen.435 Kurz darauf erhielt er eine Bescheinigung zur Vorlage bei der NSDAP, in der seine Tätigkeit als Parteidienst bezeichnet wurde, so dass er nicht zu anderen Parteiarbeiten herangezogen werden solle.436 Außerdem war er als Herausgeber der „Biologia generalis“, des wissenschaftlichen Organs des RFB, tätig.437 Weber nutze die neuen Vollmachten rasch, um bereits in Münster begonnene Forschungen auch unter den erschwerten Bedingungen des Krieges weiterzutreiben. Am 31. Juli 1944 beantragte er bei der SS die Erteilung eines Forschungsauf428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: mit Wasserschaden, ohne Aufschrift, rosa Einband, Mitteilung an das Secrétariat Général du Congres International de Zoologie über am Institut tätige Zoologen, 10.7.1939. Ebd., Ries an Kurator, 15.1.1942. Vgl. hierzu Kater, Michael H., Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945. Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches (Studien zur Zeitgeschichte 6), München 2006. Gissing, Judith, Rassenhygiene und Schule im Dritten Reich, Münster 2003, S. 42. BAB, NS 21, Nr. 824a. Gissing 2003, S. 44. Vgl. zu den biologischen Forschungen des „Ahnenerbes“ Deichmann 1995, S. 199ff. BAB, ehemals BDC, G0141, Aktenvermerk Sievers, 18.2.1944. Ebd., Bescheinigung, 22.2.1944. Ebd., Sievers an Weber, 18.7.1944.

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5.  Das Ordinariat Weber 1936 bis 1940

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trages mit dem Thema „Die Ökologie der Mallophagen und anderer Tierläuse im Hinblick auf ihre Morphologie, Systematik und Bekämpfung“ und dessen Einreihung in die zweithöchste Dringlichkeitsstufe SS. Seine Begründung: Die Forschung sei teils unmittelbar, teils mittelbar kriegswichtig, und da die Arbeit bereits fortgeschritten sei, müsse sie abgeschlossen werden.438 Eine Antwort hierauf ist nicht überliefert. Vier Monate später bedachte ihn Sievers mit einer erneuten Kompetenzausweitung. Am 23. November, dem Tag der Befreiung Straßburgs, wurde Weber mit der Führung von geheimen Kommando-, geheimen Reichs- und Geheimsachen für allen in seinen Geschäftsbereich fallenden Schriftverkehr beauftragt.439 Ob diese Nachricht den Zoologen noch erreichte, ist fraglich, ebenso wie jene vom 29. November 1944, in der die Verlegung seines Forschungsinstituts in das Quedlinburger Schloss angeordnet wurde.440 Zwei Wochen später teilte sein Kollege Edgar Knapp vom inzwischen nach Tübingen ausgelagerten Institut für Vererbungswissenschaft der Universität Straßburg dem „Ahnenerbe“ mit, dass damit gerechnet werden müsse, dass Weber Straßburg nicht mehr habe verlassen können. Am Meldekopf der Universität sei nichts über seinen Verbleib bekannt.441 Weber war also gegen Ende des „Dritten Reiches“ zu einem der führenden Biologen des Reiches aufgestiegen. Dazu hatte er sich nicht nur von Beginn an dem Regime in vielfacher Hinsicht organisatorisch zur Verfügung gestellt, sondern auch seine Forschung eng mit der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten verknüpft, sie legitimiert und gefördert. Eigentlich hätte damit seine Karriere mit dem Untergang seines idealen völkisch-biologischen Staates ebenso ein Ende finden müssen. Dies war aber nicht der Fall. Stattdessen gelang es Weber, sich mit Kategorie IV „entnazifizieren“ zu lassen und als Professor an der Universität Tübingen in die wissenschaftliche Gemeinschaft zurückzukehren. 1956 starb er dort im Alter von 57 Jahren als hochangesehener Forscher.442 In Münster hatte sich Ende 1939, wie bereits erwähnt, angedeutet, dass Weber einen Ruf auf den Lehrstuhl für Zoologie an der Universität Wien annehmen würde. Am 1. Dezember 1939 wurde daraufhin Rektor Walter Mevius aktiv und wandte sich mit einem Schreiben an den Direktor des Instituts für Landwirtschaftliche Zoologie der Universität Berlin, Hanns von Lengerken. Er bat ihn, ihm seine Meinung über eine Reihe von Namen, die auf einer vorläufigen Berufungsliste standen, mitzuteilen: Konrad Herter, Fritz Süffert (beide Berlin), Wilhelm Ludwig (Halle), Wulf Emmo Ankel (Darmstadt), Gottwalt Christian Hirsch (Utrecht) sowie Erich Ries (Leipzig).443 Offensichtlich war, wie auch bereits 1927 und 1935, geplant, eine 438 439 440 441 442 443

Ebd., Weber an SS, 31.7.1944. Ebd., Ahnenerbe an Weber, 23.11.1944. Ebd., SS an Oberbürgermeister Quedlinburg. Ebd., Knapp an Ahnenerbe, 13.12.1944. UAT, 201/1030, Todesanzeige. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Mevius an von Lengerken, 1.12.1939.

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II.  Das Zoologische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

Reihe von Gutachten einzuholen und die für Münster am besten passenden Kandidaten eingehend zu prüfen. Anfang Januar 1940 zwang Weber durch seinen eiligen Weggang nach Wien, mitten in der Vorlesungszeit, die Fakultät jedoch zur Eile. Deshalb beantragte Dekan Kratzer am 8. Januar 1940 beim REM, den Leipziger Assistenten Ries bis auf weiteres mit der Vertretung Webers zu beauftragen. Der Nachwuchszoologe habe sich durch mehrere wertvolle wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet und erscheine daher für den Posten geeignet. Der Dekan machte jedoch klar, dass damit keinesfalls vollendete Tatsachen geschaffen werden würden. Zu stark wirkte wohl noch immer die Erinnerung an den ebenfalls als temporäre Vertretung gestarteten Feuerborn: „Ich schlage mit Absicht für die Vertretung einen jüngeren Herrn vor, damit durch die Beauftragung keine Vorentscheidung über die endgültige Besetzung getroffen wird.“444

In Leipzig selbst ahnte man von diesem Schritt nichts. Noch am 12. Januar 1940 beantragte der dortige Direktor des Zoologischen Instituts die Verlängerung von Ries’ Assistentenstelle.445 Eine Woche später hatte das REM jedoch zugunsten Münsters entschieden. Am 19. Januar 1940 ersuchte das Ministerium den Zoologen, mit sofortiger Wirkung die Professur Webers an der Universität Münster vertretungsweise zu übernehmen und in das laufende Trimester einzusteigen.446 Ries folgte der Bitte und begann am 23. Januar 1940 seine Arbeit in Münster.447

6.  Vertretung und Ordinariat Ries 1940 bis 1943 Mit Ries448 übernahm der bis dato jüngste Ordinarius für Zoologie die Leitung des Instituts. Neben Rensch sind für ihn als einzigem in dieser Untersuchung bear444 445 446 447 448

UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Dekan an REM, 8.1.1940. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Direktor des Zoologischen Instituts Leipzig an REM, 12.1.1940. Ebd., REM an Ries, 19.1.1940. Ebd., Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Erich Ries wurde am 4.3.1908 in Westerstede als Sohn des Zeitungsverlegers Eberhard Ries geboren und evangelisch getauft. Von 1914 bis 1918 besuchte er die Volksschule Westerstede und von 1918 bis 1926 das ebenfalls dort gelegene Realgymnasium, an dem er Ostern 1926 das Reifezeugnis erhielt. Von 1926 bis 1930 studierte er Zoologie, Botanik, Physiologie, Anthropologie, Chemie und Physik in Göttingen und Breslau, wo er am 28.5.1930 aufgrund einer Dissertation zur vergleichenden Darstellung der symbiontischen Einrichtungen von Läusen und Mallophagen mit summa cum laude promoviert wurde. Von Juni 1930 bis April 1931 war Ries als Vertreter des ersten Assistenten am Zoologischen Institut der Universität Breslau tätig und arbeitete danach von 1931 bis 1932 als Gast und Volontärassistent bei Gottwalt Christian Hirsch am Institut für vergleichende Physiologie der Universität Utrecht. Im Januar 1933 siedelte er an das Zoologische Institut der Universität Köln über, wo er ab dem Sommersemester 1933 Vorlesungen und Übungen abhielt. Am 18.12.1933 habilitierte er sich an gleicher Stelle als jüngster Privat-

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6.  Vertretung und Ordinariat Ries 1940 bis 1943

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beitetem Wissenschaftler detaillierte Informationen über seine religiösen Ansichten überliefert. Dies ist im Rahmen der vorliegenden Untersuchung insofern interessant, da von der Universitätsleitung während des Nationalsozialismus mehrfach betont wurde, wie negativ man Berufungen von Katholiken an die Universität Münster gegenüber stand. Ries trat 1937 aus der Kirche aus und bezeichnete sich fortan als „gottgläubig“.449 So schrieb er in einem Brief an seinen Schwiegervater: „Es ist in meinen Augen Gotteslästerung, (ich bin selbst wirklich zutiefst gottgläubig), wenn irgendeine kirchliche Anschauung den lieben Gott zu einem Tyrannen stempelt, der nur eine Form des Gottesdienstes [und] eine Möglichkeit des Seligwerdens zuläßt. Es gibt vielerlei Möglichkeiten, zu Gott zu gelangen, wenn der gute Wille da ist.“

Seine eigene Weltanschauung bezeichnete er als biologisch begründet: Er sei sich „der Verpflichtung als Glied in einer Kette bewusst [und] glaube unbedingt an – nennt es meinethalben ‚Das Blut‘.“ Die christlichen Konfessionen lehnte er ab: „Die Katholische Religion halte ich für eine Irrlehre, die unendlich viel Leid gebracht hat [und] die deutsche Entwicklung um viele Jahrhunderte zurückwarf. Ich lehne für mich persönlich auch alle anderen Formen des christlichen Glaubens ab.“450

Insbesondere lehnte er eine Erziehung seiner Kinder im katholischen Sinne ab. Stattdessen wollte er ihnen die Wahl ihres Glaubens selbst überlassen: „3. will ich in Übereinstimmung mit [seiner Ehefrau, DD] Maria, dass die Kinder selbst wählen sollen, was sie für sich für das Richtigste halten. Wir werden sie in einem bewusst toleranten Sinne erziehen. Sie müssen für sich, wenn sie die nötige Reife erreicht haben werden, entscheiden.“451

449 450 451

dozent Deutschlands mit einer Schrift „Über die Histophysiologie des Mäusepankreas nach Lebendbeobachtungen, Vitalfärbung und Stufenuntersuchung“ und übernahm im Anschluss dort eine Dozentur. Bereits im folgenden Jahr wechselte er jedoch auf Wunsch seines ehemaligen Lehrers Professor Paul Buchner an die Universität Leipzig, wo dieser das Ordinariat für Zoologie übernommen hatte. Hier blieb Ries bis zu seiner Abordnung nach Münster als Assistent und Dozent am Zoologischen Institut tätig. 1934 wurde er nach Leipzig umhabilitiert. Am 20.3.1939 wurde er „Sonderführer (z)“ bei der Militärärztlichen Akademie in Berlin. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941; ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Abteilung Universität Leipzig an Dekan der Philosophischen Fakultät Universität Greifswald, 2.10.1937; ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Leipzig an REM, 27.1.1939; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Ries, NW 1039–R, Nr. 419; Nachlass Erich Ries, Lebenslauf Ries, undatiert. Der Nachlass Ries befindet sich im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries. Buchner, Paul, Erich Ries zum Gedächtnis, in: Ries, Erich, Rätsel des Lebens. Plaudereien aus Tier- und Menschenwelt, Westerstede 1949, S. 9–23, hier: S. 14. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Nachlass Erich Ries, Ries an Frau Schuler [seine Schwiegermutter, DD.], 26.11.1940. Ebd., Ries an Herrn Schuler [sein Schwiegervater, DD.], 20.11.1940.

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Die Gottgläubigkeit des Zoologen hatten also nichts mit dem Konzept der Gottgläubigkeit zu tun, welches von Teilen der NS-Bewegung und insbesondere der SS propagiert wurde. Lassen sich Ries’ religiöse Ansichten daher aus den Quellen noch gut rekonstruieren, so stellt sich seine politische Einordnung schwieriger dar. Dort schwankte er zwischen Mitläufertum und Mitarbeit. Noch 1937 gehörte er der NSDAP nicht an, war jedoch bereits am 1. Dezember 1936 der NSV452 und zu in den Akten nicht erwähnten Zeitpunkten dem NSLB und dem NSDDB beigetreten. Ebenso war er Ortsgemeinschaftsleiter des DRK.453 Ein Gutachten der Dozentenschaft der Universität Leipzig konstatierte: „Wohl steht er auf dem Boden der Partei, doch ist er politisch indifferent.“454 Nach 1937 änderte sich jedoch sein Verhalten. Im Dezember 1937 wurde Ries Parteianwärter455 und schließlich, unter Rückdatierung auf den 1. Mai 1937, mit der Nummer 5804450456 NSDAP-Mitglied. Ebenso ernannte ihn der Dozentenführer der Universität Leipzig zum Vertrauensmann im Zoologischen Institut. Ein weiteres Gutachten der Dozentenschaft der Universität Leipzig vom 7. Februar 1938 spiegelt die Ambivalenz seines Verhaltens bis zu dieser Richtungsänderung wider: „Obwohl Ries stets politisch eine etwas indifferente Haltung an den Tag legte, auch bisher keiner Gliederung der Partei angehört hat, ebenso in keiner Weise den Willen zu politischer Mitarbeit zeigte, ist er jetzt doch Parteianwärter geworden. Über seine politische Einstellung vor der Machtergreifung ist nichts bekannt. Er hat nach 1933 keinerlei Anlaß gegeben, aus dem zu schließen wäre, dass er nicht auf dem Boden der Partei steht. Er geht ganz in seiner Wissenschaft auf und nimmt sich deshalb für Beschäftigung mit politischen Dingen keine Zeit. In Anbetracht der zweifellos vorhandenen wissenschaftlichen Fähigkeiten und Leistungen erkläre ich mich trotz gewisser Bedenken in politischer Hinsicht mit der Verlängerung der Dienstzeit als planmässiger [sic!] Assistent einverstanden.457

In Münster sollte sich die politische Betätigung des Zoologen weiter steigern. Dort stieg Ries zum stellvertretenden Dozentenführer und Leiter der Abteilung für Organisation und Personal im NSDDB auf.458 Möglicherweise haben die Gutachten 1937 und 1938 und damit verbundene Anregungen der Universitätsführung in Leipzig, sich politisch im Hinblick auf die weitere Karriere etwas mehr zu betätigen, diese Verhaltensänderung ausgelöst. Das zeitliche Zusammenfallen der Gutachten mit Ries’ Eintritt in und Betätigung für NS-Organisationen weisen auf eine solche Motivation zumindest hin. Anders als sein Vorgänger Weber kann Ries jedoch nicht als überzeugter Nationalsozialist und Aktivist bezeichnet werden. Ebenso wie in 452 453 454 455 456 457 458

UAMs, Bestand 9, Nr. 1359. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Ebd., Dozentenschaft Universität Leipzig an Dekan der Philosophischen Fakultät, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Abteilung Universität Leipzig, 29.9.1937. Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Universität Leipzig an REM, 27.1.1939. Ebd., Direktor des Zoologischen Instituts Universität Leipzig an REM, 12.1.1940. Ebd., Dozentenschaft Universität Leipzig an Rektor Leipzig, 7.2.1938. Ebd., NSDAP an Kurator, 19.7.1941.

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6.  Vertretung und Ordinariat Ries 1940 bis 1943

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seiner politischen Ausrichtung unterschied sich der neue stellvertretende Ordinarius darüber hinaus auch in seinen Forschungsinteressen von seinem Vorgänger. Hier hatte sich Ries seit seiner Dissertation auf experimentelle Zellforschung und Histophysiologie spezialisiert, dabei cytologische Studien über die Eibildung der Läuse und Mallophagen durchgeführt und experimentelle Symbioseforschung betrieben. Auch in Utrecht hatte er sich der Histophysiologie gewidmet und nach seiner Rückkehr nach Deutschland zur Gewebezüchtung und zur Zellforschung gearbeitet. Ab 1937 hatte er sich dabei auf frühembrionale Sonderungsprozesse konzentriert und dabei neuartige Fragestellungen und Methoden entwickelt. Neben seinem Spezialgebiet hatte er aber seit 1933 an der Universität Leipzig auch über Zellen- und Vererbungslehre, allgemeine Biologie, Stoffwechselphysiologie und Entomologie gelesen459 und veröffentlicht.460 Ebenso war er mit Entwicklungsphysiologie vertraut461 und hatte in diesem Bereich unter anderem zur Muskeldifferenzierung in Eizellen der Seescheide gearbeitet.462 Ähnliche Vielseitigkeit bewiesen seine weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen. 1935 publizierte er zum Beispiel „Über den Sinn der erblichen Insektensymbiose“,463 1937 über „Entwicklungs- und Differenzierungsperioden der Zelle“,464 wobei er Kritik an einer ausschließlich morphologischen Betrachtung von Entwicklungsvorgängen äußerte, und 1939 über „Die Bedeutung spezifischer Mitosegifte für allgemeinere biologische Probleme“,465 womit er in die damals hochaktuelle und stark geförderte Krebsforschung vorstieß.466 Anders als sein Vorgänger vermischte Ries in keinem seiner Werke Wissenschaft und Politik. Aufsätze wie Monographien waren von einem streng wissenschaftlichen, analytisch scharfen Stil geprägt. Ein Beispiel hierfür ist sein Aufsatz über „Wege und Aufgaben der Histophysiologie“,467 der 1937 in „Der Biologe“ veröffentlicht wurde. In diesem Aufsatz versuchte der Zoologe, sein noch in den Anfangsstadien steckendes Fachgebiet einerseits zu umreißen, andererseits aber auch bereits Ziele für eine zukünftige Forschung aufzustellen. Kenntnisreich skizzierte er Forschungsstand und -probleme, forderte die Synthese verschiedener Fachrich-

459 460 461 462 463 464 465 466 467

Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Universität Leipzig an REM, 27.1.1939. Nachlass Erich Ries, Publikationsliste Ries, undatiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Ebd., Personalblatt Ries, Bericht über eine Forschungsreise nach Norwegen vom 22.8.1938 bis 15.9.1938, 20.10.1938. Ries, Erich, Über den Sinn der erblichen Insektensymbiose, in: Die Naturwissenschaften 44 (1935), S. 744–749. Ries, Erich, Entwicklungs- und Differenzierungsperiode der Zelle, in: Die Naturwissenschaften 16 (1937), S. 241–249. Ries, Erich, Die Bedeutung spezifischer Mitosegifte für allgemeinere biologische Probleme, in: Die Naturwissenschaften 30 (1939), S. 505–515. Vgl. zur Krebsforschung im NS: Deichmann 1995, S. 126ff. Ries, Erich, Wege und Aufgaben der Histophysiologie, in: Der Biologe 6 (1937), S. 42–49.

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tungen und versuchte, für sein Spezialgebiet zu werben. Schon hier wurden die Bereiche sichtbar, mit denen er sich später in Münster am meisten beschäftigen sollte. Neben seinen kürzeren Beiträgen wurden auch Ries’ Monographien von der Fachwelt wohlwollend aufgenommen. Werner Jacobs von der Universität München beurteilte seinen 1938 erschienenen „Grundriß der Histophysiologie“ äußerst positiv und wies gleichzeitig darauf hin, wie erfahren Ries in diesem noch jungen Fachgebiet sei, wie viele Probleme aber auch noch gelöst werden müssten.468 Ein Jahr später erhielt seine „Allgemeine Gewebelehre“ beste Noten von Franz Schwanitz,469 und auch Hermann Weber empfahl das Werk seines Nachfolgers vor allem aufgrund seiner gelungenen Verbindung morphologischer und physiologischer Betrachtungsweisen.470 Insgesamt veröffentlichte Ries bis zu seinem frühen Tod die hohe Zahl von 49 Beiträgen und Monographien.471 Damit vereinte der zukünftige Münstersche Ordinarius nicht nur Themengebiete auf sich, mit denen er an von Ubisch oder Weber hätte anknüpfen können, sondern barg auch die Möglichkeit, das Zoologische Institut der Universität Münster in völlig neue Richtungen und gleichzeitig an die Spitze der aktuellen Forschung zu führen. Außerdem hatte Ries bereits mehrmals an der Zoologischen Station Neapel, an der bereits von Ubisch geforscht hatte und zu der der Kontakt unter Weber weitgehend abgebrochen war, sowie an der Biologischen Station Herdla bei Bergen, die ebenfalls eng mit dem Namen von Ubisch verknüpft war, gearbeitet. Eine internationale Vernetzung der Universität war also auch zu erwarten. In Ries vereinten sich demnach wissenschaftliche Kompetenz, glänzende Zukunftsaussichten und politische Zuverlässigkeit. Das Interesse der Universität an dem Nachwuchsforscher war also mehr als berechtigt. Nach seiner Ankunft in Münster Ende Januar 1940 fand Ries ein Zoologisches Institut vor, das sich vor große Probleme gestellt sah. Hauptgrund hierfür war der am 1. September 1939 entfesselte Zweite Weltkrieg. Hatte Weber noch auf fast alle seine Mitarbeiter zurückgreifen können, änderte sich diese Lage nun dramatisch.472 Ries selbst blieb vorerst von der Einberufung 468 469 470 471 472

Jacobs, Werner, Rezension über Ries, Erich, Grundriß der Histophysiologie, in: Der Biologe 9 (1940), S. 164. Schwanitz, Franz, Rezension über Ries, Erich, Allgemeine Gewebelehre, in: Der Biologe 9 (1940), S. 98. Weber, Hermann, Rezension über Ries, Erich, Allgemeine Gewebelehre, in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 5 (1939), S. 238. Nachlass Erich Ries, Publikationsliste Ries, undatiert. Mit dem Kriegsbeginn, den Einberufungen verschiedener Mitarbeiter sowie deren Ersetzung durch Verwalter ging leider eine Unübersichtlichkeit in der Aktenführung des Zoologischen Instituts einher. Teilweise wurden Personen als Assistenten geführt, die im eigentlichen Sinne nur Verwalter einer Stelle waren. Gleichzeitig blieben die Einberufenen weiterhin Assistenten am Institut, wurden aber nicht immer so benannt. Dadurch, gepaart mit dem offensichtlichen Verlust von Aktenbeständen, lässt sich nicht immer genau rekonstruieren, welche Personen wann in welcher Stellung tätig waren beziehungsweise wann sie das Institut verließen. In einem Fall wird sogar eine „Assistentin“ erstmals mit

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verschont, ab dem 20. September 1939 wurde er lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit als Sonderführer für die Militärärztliche Akademie zur Fleckfieberbekämpfung herangezogen.473 Hier konnte er seine Erfahrungen in der Erforschung von Läusen einsetzen.474 Anders erging es seinen Mitarbeitern. Als erster war Rensch als Leutnant der Reserve am 5. September 1939 vom Wehrbezirkskommando darüber informiert worden, sich zur sofortigen Verfügung halten zu müssen.475 1940 rückte er als Oberleutnant bei der 227. Infanterie-Division ein, wo er bis 1942 verbleiben sollte.476 Laut Vorlesungsverzeichnis konnte er seine Veranstaltungen weiterhin anbieten; inwiefern dies auch der Praxis entsprach, ist rückwirkend nicht mehr überprüfbar, aber unwahrscheinlich. Ähnlich wie ihm erging es auch Hans Peters. Er wurde ebenfalls Anfang 1940 eingezogen.477 Anders als Rensch kehrte er danach aber nicht mehr an die Universität Münster zurück.478

473 474 475 476 477 478

ihrem Abgang aus ihrer Stelle erwähnt, taucht aber sonst in keinerlei Unterlagen auf. Die folgenden Ausführungen sind daher als bestmögliche Interpretation der Personallage zu sehen. Einige Ungereimtheiten konnten leider nicht vollständig ausgeräumt werden. BAB, R 4901, Nr. 13283, Karteikarte Ries. UAMs, Bestand 4, Nr. 706, Forschungsaufträge des Zoologischen Institut, 6.11.1943. UAMs, Bestand 62, Z 4, Bd. 1, Dekan an Kurator, 5.9.1939. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Rensch, NW 1039–R, Nr. 594. UAMs, Bestand 9, Nr. 324. Da sich seine Wege jedoch erneut mit dem Institut kreuzten, soll hier kurz auf seinen weiteren Werdegang eingegangen werden soll. Peters geplante Aufnahme in die NSDAP wurde 1940 durch seinen Militärdienst durchkreuzt. Dennoch scheint er sich zu einem engagierten Nationalsozialisten entwickelt zu haben. So begann sich im Laufe des Jahres 1942 die Universität Straßburg, an der, wie erwähnt, ironischerweise inzwischen der Mann das zoologische Ordinariat inne hatte, der mit seiner negativen Bewertung noch 1939 die Erteilung der Lehrbefugnis an Peters verhindert hatte, für ihn zu interessieren. Am 1.9.1942 übersandte der NSDDB ein Gutachten über den Nachwuchszoologen an den Rektor der Universität Straßburg, in dem diesem attestiert wurde, dass keine charakterlichen oder politischen Bedenken gegen die Übertragung einer Assistentenstelle und einer Dozentur bestünden und die früheren Vorwürfe wegen politischer Gleichgültigkeit, womit nur diejenigen Webers gemeint sein konnten, nicht mehr zuträfen. Peters sei heute ein „einsatzfreudiger, wertvoller Soldat und Nationalsozialist“. Auch Weber hatte seine Meinung über den vormals noch als „Scholastiker“ beschimpften Assistenten komplett revidiert. Eine Probevorlesung Peters zum Thema „Individuum und Sozietät im Tierreich“, in der dieser vom Protozoenindividuum aufsteigend bis zum Ameisenstaat auf stammesgeschichtliche, psychologische und allgemeine Probleme einging, wurde von ihm als inhaltlich einwandfrei, gut durchdacht und klar gegliedert bewertet, womit er Peters eine positive Bescheinigung zur Eignung als Dozent gab. Ob dieser Umschwung mit dem offensichtlichen Wechsels von Peters Forschungsinhalten in eine mehr an Webers Vorstellungen angelehnte Richtung zusammenhing, ist den Akten leider nicht zu entnehmen. Bedenkt man jedoch Webers Ziele eines gestrafften, an seinen inhaltlichen Vorstellungen ausgerichteten Instituts, liegt ein solcher Schluss zumindest nahe. Auch der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg, der ehemalige Münstersche Geograph Georg Niemeier, beurteilte die Probevorlesung ähnlich positiv. Peters habe sich seinen Worten nach in den letzten Jahren, wohl aufgrund der Wehrmacht, gut entwickelt.

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Der zu diesem Zeitpunkt mit einem Beinschuss schwer verwundet in einem Lazarett liegende Leutnant der Reserve konnte sich in der Folge ebenso über ein positives Votum des Rektors sowie der Fakultät freuen, die einen Antrag auf Erteilung einer Dozentur beim REM beschloss. Am 18.11.1943 wurde dem Zoologen schließlich die Lehrbefugnis erteilt, und er wurde der naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Straßburg zugeteilt. Ab dem 1.3.1944 wurde Peters dort als Assistent geführt und schied damit aus dem Zoologischen Institut der Universität Münster aus. Kurz darauf übernahm er, damit erneut von einer Intervention Webers profitierend, eine Diätendozentenstelle und verblieb bis zur Auflösung der Reichsuniversität in Straßburg. Wie eine Vielzahl seiner dortigen Kollegen, unter ihnen auch Weber, verschlug es Peters nach Kriegsende nach Tübingen, wo er im Herbst 1945 ohne Besoldung und ohne eine Möglichkeit der Anstellung am Zoologischen Institut der weiteren Dinge harrte. Daraufhin versuchte er, seine alte Stelle in Münster wiederzuerlangen. Am 14.9.1945 wandte er sich an den Kurator und bat, bezugnehmend auf eine vorhergegangene Unterredung mit Prorektor Adolf Kratzer und der stellvertretenden Direktorin des Zoologischen Instituts, Professor Ilse Fischer, ihm diese erneut zu übertragen. Dabei wies er explizit darauf hin, dass er nie Mitglied der NSDAP gewesen war – die vorgesehene Aufnahme in die Partei verschwieg er wohlweislich. Fischer war der Möglichkeit, Peters zu gewinnen, nicht abgeneigt, waren doch qualifizierte Zoologen, noch dazu solche, die mit den Münsterschen Verhältnissen vertraut waren, in der teilweise zerstörten Universität hoch willkommen. Daher bat sie am 24.10.1945 den Kurator, Peters seine noch nicht wiederbesetzte alte Stelle kommissarisch bis zum 1.12.1945 zu übertragen. Dabei machte sie auch darauf aufmerksam, dass er Kriegsversehrter sei und ihm außerdem während seiner Zeit in Münster aus politischen Gründen Schwierigkeiten gemacht worden seien, weshalb er erst spät eine Lehrbefugnis erhalten habe. Dass Peters diese politischen Schwierigkeiten durch seine späte Bekehrung zum Nationalsozialismus wettgemacht hatte, war der Professorin natürlich nicht bekannt – ein wichtiger Hinweis darauf, dass auch bei der Erforschung politisch benachteiligter Forscher im „Dritten Reich“ immer die gesamte Biographie in den Blick genommen werden muss, um nicht zu vorschnellen Urteilen zu kommen. Fischers Bitte fand sowohl die Unterstützung des Dekans als auch des Kurators, welcher Peters am 8.11.1945 den obligatorischen politischen Fragebogen mit der Bitte um Ausfüllung und umgehende Zurücksendung in doppelter Ausführung zukommen ließ. Zu diesem Zeitpunkt war dem Zoologen aber bereits die Stelle als stellvertretender Direktor des Zoologischen Instituts der Universität Tübingen angeboten worden, weshalb er sein Gesuch um eine Assistentenstelle an der Universität Münster zurückzog. Seine Bewerbung um eine Diätendozentur hielt er jedoch aufrecht. Im April 1946 zog er auch diesen Antrag zurück, als er eine gleichartige Stelle in Tübingen erhielt. Dort war er am Wiederaufbau des Zoologischen Instituts beteiligt und stieg im weiteren Verlauf seiner Karriere zum Professor auf. Peters beschäftigte sich auch in den folgenden Jahren hauptsächlich mit Verhaltensforschung und blieb dabei seinen Untersuchungsobjekten, Fischen und Spinnen, treu. 1961 besuchte Peters erstmals Israel und arbeitete an der Universität von Tel-Aviv. Auch hier setzte der ehemals „einsatzfreudige[r], wertvolle[r] Soldat und Nationalsozialist“ die Tatsache, dass die Einberufung zur Wehrmacht seine geplante Aufnahme in die NSDAP verhindert hatte, erneut ein, um sich Sympathien in seinem nun jüdischen Umfeld zu erarbeiten. Peters avancierte in der Folgezeit zu einem international anerkannten Forscher. Am 13.12.1996 verstarb er im Alter von 88 Jahren. Siehe: BAB, ehemals BDC, A 50, NS-Dozentenbund an Rektor Universität Straßburg, 1.9.1942; ebd., Bericht Webers über Probevorlesung Peters, 14.7.1943; ebd., Bericht Niemeiers über Probevorlesung Peters, 6.9.1943; ebd., Gutachten des Rektors der Univer-

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Neben der unsicheren Personalsituation auf Mitarbeiterebene lag hier noch immer die endgültige Besetzung des Direktorenpostens in der Schwebe, da Ries, wie erwähnt, zunächst nur für ein Trimester als Vertretung an die Universität Münster entsandt worden war. Die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät hatte am 7. März die endgültige Vorschlagsliste für die Wiederbesetzung von Webers Posten beim REM eingereicht. Bis auf Süffert enthielt diese alle Namen, zu denen Mevius bereits im Dezember 1939 Erkundigungen eingeholt hatte. Die endgültige Reihenfolge stellte sich wie folgt dar: Auf Platz eins fanden sich Gottwalt Hirsch und Wilhelm Ludwig, auf Platz zwei Ries, und auf Platz drei Wulf Emmo Ankel und Konrad Herter.479 Da das REM für gewöhnlich den Vorgaben der Fakultäten folgte und in diesem Fall auch keine Einmischungsversuche seitens der Politik in den Akten nachweisbar sind, hätte sich im Normalfall also entweder Hirsch oder Ludwig durchgesetzt. Dies wurde aber nun durch zwei Vorgänge verhindert. Zum einen mischte sich, wie schon bei der Berufung Webers, erneut Rektor Mevius in die Angelegenheit ein. Zum anderen eliminierte Hirsch sich durch sein Vorgehen selbst von der Liste. Am 28. März 1940 legte Mevius seine Stellungnahme zur Vorschlagsliste der Fakultät vor. Abweichend vom Votum seiner Kollegen gab er an, dass aufgrund ihrer Arbeitsrichtung in erster Linie Hirsch und Ries für den Posten in Frage kämen. Den an erster Stelle genannten Ludwig hingegen schaltete Mevius aus. Dabei verknüpfte er geschickt die zu diesem Zeitpunkt bereits über mehrere Jahre laufenden Bemühungen der Universität um einen eigenen Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene mit der Sorge um die Qualität von Forschung und Lehre. So schrieb Mevius, dass bei der großen Bedeutung der Vererbungsbiologie, Rassenkunde und Rassenhygiene für die Ausbildung der Ärzte und der Biologielehrer an den höheren Schulen in den nächsten Jahren nämlich unbedingt eine beamtete Professur für Erbbiologie und Rassenhygiene an der Universität Münster eingerichtet werden müsse. Dabei sei es nebensächlich, ob dies an der Medizinischen oder der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät geschähe. Mehrere kleine Universitäten hätten bereits einen solchen Lehrstuhl, und es sei nicht tragbar, dass die Universität Münster, an der eine Vielzahl von Medizinern und Biologen studierten, in dieser Hinsicht hinter ihnen zurückstünde. Ludwig aber sei in erster

479

sität Straßburg über Peters, 8.10.1943; ebd., Protokoll der Fakultätssitzung über Frage der Dozentur Peters, 8.7.1943; BAB, R 4901, Nr. 14477, Weber an REM, 16.5.1944; ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Universität Straßburg an Rektor Straßburg, 22.1.1944; BAB, R 4901, Nr. 14477, Weber an REM, 16.5.1944; UAMs, Bestand 9, Nr. 324; UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Fischer an Kurator, 24.10.1945; ebd., Peters an Kurator, 14.9.1945; ebd., Dekan an Kurator, 26.10.1945; ebd., Kurator an Peters, 8.11.1945; ebd., Peters an Kurator, 21.11.1945; ebd., Peters an Kurator, 6.4.1946; UAMs, Bestand 10, Nr. 328; Fishelson, Lev, Professor Hans Peters  – a life remembered, in: Environmental Biology of Fishes 50 (1997), S. 353–355; Kürschner 2001. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Vorschlagsliste der Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 7.3.1940.

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Linie Vererbungsforscher und käme für eine erbbiologische Professur in Betracht. Würde man ihm nun die Professur für Zoologie geben, käme er früher oder später mit dem zukünftigen Professor für Rassenhygiene in Konflikt. Im Falle einer Nichterrichtung des gewünschten Lehrstuhles sei es aber nach Mevius Erfahrungen als Biologe unmöglich, neben den Aufgaben von Zoologie und vergleichender Anatomie auch noch Erbbiologie und Rassenhygiene andererseits zu bewältigen  – Ludwig wäre also quasi überqualifiziert und würde durch seine eigenen Forschungsneigungen die Qualität des Instituts gefährden. So oder so käme er also nicht in Betracht.480 Hatte der Rektor mit diesem Votum also den Weg für Ries bereits geebnet, kam ihm unfreiwilligerweise dessen Konkurrent Hirsch durch eigenes unbedachtes Vorgehen zu Hilfe. Dieser hatte nämlich in Holland „Schritte persönlicher Art“481 gegen Ries unternommen; ganz konkret hatte er sich an den SD in den Niederlanden gewandt und versucht, mit erfundenen Beschuldigungen gegen Ries dessen Berufung unmöglich zu machen.482 Damit war er für Mevius, der schon in vorhergehenden Berufungsverfahren äußerst allergisch auf Einmischungsversuche außeruniversitärer Kräfte und die Mobilisierungsbemühungen von Nachwuchswissenschaftlern, Parteistellen zu ihrem eigene Fortkommen einzuschalten, reagiert hatte, als möglicher Kandidat nicht tragbar. Ein weiterer Grund, der für Ries sprach, war außerdem die Tatsache, dass er, wie bereits erwähnt, 1937 aus der katholischen Kirche ausgetreten war.483 Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Mevius dem Zoologen mitgeteilt, dass in Münster „auf keinen Fall ein Katholik auf einen naturwissenschaftlichen Lehrstuhl kommen würde, weil in Münster die Spannungen so gross [sic!] wie nirgends sonst seien.“484 Der junge Wissenschaftler war somit die perfekte Wahl. Zunächst verlängerte das REM seine Vertretung in Münster auch für das zweite Trimester 1940.485 Kurz darauf wurde er, auf einen Vorschlag des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig vom 27. Januar 1939 zurückgehend,486 am 18. Mai 1940 zum nichtbeamteten außerplanmäßigen Professor in Leipzig ernannt.487 Dies hatte aber keinen Einfluss auf den weiteren Lauf der Dinge. Am 11. September 1940 teilte das REM dem Universitätskurator mit, dass man Ries für die Berufung auf den Lehrstuhl für Zoologie in Münster in Aussicht genommen habe und um die Vorlage der für die Ernennung zum ordentlichen Professor benötigten Unterlagen ersuche.488 480 481 482 483 484 485 486 487 488

Ebd., Stellungnahme Mevius, 28.3.1940. Ebd., Nr. 707, Dekan an REM, 18.1.1945. UAMs, Bestand 62, B III 9b, Mevius an „Theo“ (Nachname und Stellung unbekannt), 28.12.1944. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Personalblatt Ries, undatiert, ca. 1941. Nachlass Erich Ries, Ries an Herrn Schuler [sein Schwiegervater, DD.], 20.11.1940. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, REM an Ries, 19.4.1940. Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Universität Leipzig an REM, 27.1.1939. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Ries, NW 1039–R, Nr. 419. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, REM an Kurator, 11.9.1940.

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Im November 1940 reiste Ries zu Berufungsverhandlungen nach Berlin und vereinbarte mit Max Demmel, Mitarbeiter im REM, vorbehaltlich der Genehmigung durch das Ministerium zum 1. Januar 1941 das Zoologische Ordinariat zu übernehmen.489 Am 14. Februar 1941 erfolgte schließlich seine rückwirkende Ernennung.490 Aus dem Provisorium war eine Konstante geworden. Während diese Personalfrage also geklärt wurde, blieb die Situation in anderen Bereichen stark im Fluss. Der Ausfall Renschs wurde, soweit aus den Akten ersichtlich, nicht durch die Einstellung einer Ersatzkraft kompensiert. Peters’ Stelle als Assistent wurde wahrscheinlich von cand. phil. Luise Söfner übernommen. Eine genaue Aussage hierzu ist nicht möglich, da zum einen Söfner bis April 1940 in den Akten nirgendwo aufgetaucht war und ihre einzige Erwähnung damit zusammenhing, dass Ries am 30. April 1940 die Übertragung ihrer Assistentenstelle zum 15. Mai 1940 an Heribert Röber beantragte,491 und zum anderen nicht explizit erwähnt wird, wessen Stelle sie ausgefüllt hatte. Das Vorlesungsverzeichnis des zweiten Trimesters 1940 führt sie lediglich als Verwalterin einer Assistentenstelle.492 Wie auch immer ihre Stellung war, Söfner war seit 1921 die erste Frau am Zoologischen Institut, die eine wissenschaftliche Position ausfüllte, auch wenn es nur für einige Monate war. Über ihr weiteres Schicksal nach 1940 ist nichts bekannt. An ihre Stelle trat, wie erwähnt, Heribert Röber.493 Er hatte am Zoologischen Institut studiert und unter Weber zum Thema „Morphologie des Kopfes und des 489 490 491 492 493

Ebd., Vereinbarung zwischen Ries und Demmel, 7.11.1940. BAB, R 4901, Nr. 14893, REM an Ries, 14.2.1941. UAMs, Bestand 10, Nr. 5911, Ries an Kurator, 30.4.1940. Vorlesungsverzeichnis 2. Trimester 1940, S. 43. Röber wurde am 5. Februar 1909 in Hötensleben als Sohn eines Konrektors geboren und katholisch getauft. Von 1915 bis 1920 besuchte er die Katholische Vorschule Hötensleben, im Anschluss von 1920 bis 1930 die Oberrealschule Schöningen, wo er Ostern 1930 das Abitur ablegte. Vom Sommersemester 1930 bis Wintersemester 1934/35 folgte ein Studium an den Universitäten München und Münster. Am 21.6.1933 legte er die Prüfung zum Mittelschullehrer ab. Diesen Beruf übte er von 1935 bis 1940 aus, bildete sich aber neben dem Unterricht weiter und wurde am 2.6.1939 promoviert (dieses Datum widerspricht der von der Fakultät geführten Liste aller Promotionen, in der für Röber der 29.7.1941 angegeben ist). Seit dieser Zeit war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zoologischen Institut beschäftigt. Von 1925 bis zu dessen Auflösung 1935 war er Mitglied des katholischen Jugendbundes Neu-Deutschland gewesen, aber schon im September 1934 auch der SA beigetreten, in der er bis zu seinem Austritt im Mai 1940 verblieb. Ebenso war er von April 1934 bis April 1935 Mitglied des NSDStB und verwaltete dort zeitweise das Amt für Wissenschaft. Auch dem NSLB (März 1935 – Mai 1940) und der NSV (1935 – April 1943) trat er bei. Für die NSV war er zeitweise als Blockwalter tätig. Am 1.5.1937 (wahrscheinlich ebenfalls eine Rückdatierung) wurde Röber schließlich Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnummer 4566363), ein Jahr später des Reichskolonialbundes (bis 1940). In der Partei verblieb er aber laut eigenen Angaben nur bis 1943, da er einer Variante nach wegen „Interessenlosigkeit“, einer anderen nach wegen nicht gezahlter Beiträge entlassen wurde. Beides sind Nachkriegsbehauptungen, teils aus Entnazifizierungsverfahren, und daher mit Vorsicht zu bewerten. Ein zeitgenössisches Gutachten der NSDAP spricht

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Vorderdarmes der Larve und Imago von Sialia flavilafera“ promoviert.494 Neben seiner sehr gut bewerteten Dissertation war er bislang vor allem mit der Denunziation seines Mitdoktoranden Heddergott im Jahre 1937 in Erscheinung getreten. Mit seinem Spezialgebiet Orthopteren und Neuropteren Westfalens495 trat er nun neben Jentsch und Krüger. Auch diese Personalkonstellation wurde aber alsbald von den Kriegsereignissen überholt. Nur einen Monat nach Röbers Einstellung wurde Seyfried Jentsch am 1.  Juni 1940 zum Wehrdienst eingezogen.496 Vom Dienst an der Waffe sollte der Zoologe nicht mehr an die Universität Münster zurückkehren. Zum Adjutanten und Leutnant aufgestiegen und mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet, fiel Jentsch als Offizier der 306. Infanterie-Division am 23. August 1944 bei Comrath am Pruth in Bessarabien. Posthum wurde er am 19. Mai 1948 als Kategorie V entnazifiziert.497 Hierfür war vor allem seine Witwe verantwortlich, die die verantwortlichen Stellen davon überzeugen konnte, dass er aus der SA ausgetreten und der HJ nur beigetreten sei, „um auf musikalischem Gebiet als Cellist wirken zu können“.498 In Wirklichkeit war er von der SA als Unterführer an die HJ überwiesen worden.499 Nach seiner Einberufung war Jentsch wahrscheinlich durch Reinartz ersetzt worden; wie auch bei Söfner ergeben sich bei dieser Person erhebliche Quellenprobleme, so dass nicht einmal Vorname oder Geschlecht bekannt sind. Auch weitere Informationen sind nicht verfügbar. Somit war von der ursprünglichen Besetzung des Instituts nur Krüger übrig geblieben. Dieser war, wie bereits erwähnt, im Februar 1940 NSDAP-Mitglied geworden, womit er laut eigenen Nachkriegsaussagen ein Zugeständnis an Weber machen wollte. Betrachtet man Krügers Vorgeschichte, vor allem seinen Einsatz für seinen unter Druck geratenen Vorgesetzten von Ubisch sowie seine Probleme mit dem NSDStB, erscheint eine solche Interpretation zunächst plausibel. Gegen

494 495 496 497 498 499

eine andere Sprache: „sowohl politisch als auch weltanschaulich und charakterlich gut.“ Auch die Tatsache, dass er von Gauleitung und Reichstudentenführung für die Dauer des Krieges zum Gaustudentenführer ernannt worden war, belegt, dass er sich sehr wohl für nationalsozialistische Belange einsetzte und dazu auch bereit war, Führungspositionen in Parteigliederungen zu übernehmen. Siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 630; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Röber, NW 1039–R, Nr. 583; UAMs, Bestand 10, Nr. 5911, Ries an Kurator, 30.4.1940; ebd., NSDAP an Kurator, 27.3.1941; UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 10.12.1941; vgl. zu den Aufgaben und der Stellung eines Blockwalters: Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP (Hg.), Organisationsbuch der NSDAP, 3. Aufl. München 1937, S. 108f. Röber, Heribert, „Morphologie des Kopfes und des Vorderdarmes der Larve und Imago von Sialia flavilafera“, vom 29.7.1941, bewertet mit sehr gut, in: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Berger 2001, S. 94f. UAMs, Bestand 10, Nr. 3229, Bd. 1, Frau Jentsch an Kurator, 3.5.1946. Ebd., Entnazifizierungsbescheid Jentsch, 19.5.1948. Ebd., Frau Jentsch an Kurator, 25.4.1948. Ebd., Lebenslauf, 2.12.1939.

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die These einer pro-forma Mitgliedschaft spricht jedoch, dass der Assistent nach Kriegsbeginn aus der Kirche austrat, Mitglied des NSDDB wurde500 sowie von 1940 bis 1941 (vertretungsweise für einen eingezogenen Parteigenossen) das Amt eines Blockleiters501 in der NSDAP übernahm.502 Auch ein Gutachten Ries’ zeichnet ein anderes Bild des Dozenten: „Weltanschaulich steht er voll und ganz auf dem Boden des Nationalsozialismus und lebt auch mit seiner Familie ganz in völkischem Geiste.“503 Wie wirkten sich nun diese massiven Personalveränderungen des Jahres 1940 auf den Lehrplan aus? Das zweite Trimester 1940 zeigte sich mit nur neun Veranstaltungen ähnlich bescheiden wie die Jahre unter Weber.504 Ries übernahm das Standardseminar zur Allgemeinen Zoologie und die Anleitung zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten, drückte dem Angebot aber bereits seinen Stempel auf, indem er (zusammen mit Krüger) bei den Zoologischen Übungen die Histologie einführte. Krüger las, neben dem Kolloquium zusammen mit Rensch und Ries, noch „Vergleichende Physiologie der Sinnesorgane“ und blieb damit seinem Spezialgebiet treu, während Rensch ein Seminar zu seinem Fachgebiet „Tiergeographie und Oekologie“ anbot und Bestimmungsübungen abhielt. Selbst im folgenden Trimester gelang es noch nicht, das Angebot auszubauen,505 auch wenn Ries inzwischen beim Kurator die Erteilung von Arbeitsurlaub für Rensch beantragt hatte, um den Vorlesungsbetrieb zumindest minimal aufrecht erhalten zu können.506 Neben der Allgemeinen Zoologie, dem Laboratorium, den Anleitungen und dem gemeinsam mit den Assistenten veranstalteten Kolloquium führte Ries allerdings mit den Zootomischen Übungen ein Thema am Institut wieder ein, welches im ursprünglichen Namen des Instituts bereits vor dem Ersten Weltkrieg verankert, danach jedoch immer mehr in den Hintergrund gerückt war. Krüger las weiter zu verschiedenen Themen der Tierund Stoffwechselphysiologie, Rensch zu „Neuere[n] Erkenntnisse[n] der Wirbeltierbiologie“. Auch wenn also ein grundlegender inhaltlicher Umbau des Instituts ausblieb und unter den Kriegsbedingungen auch schwierig zu gestalten war, versuchte der neue Ordinarius doch zumindest, im Gegensatz zu seinem Vorgänger, seinen eigenen Forschungshintergrund mit einzubinden. Was Ries’ eigene Forschungen betraf, hatte auch dort der Krieg einschränkend gewirkt. Bis 1940 hatte er mehrmals Fördergelder von der DFG erhalten, unter

500 501 502 503 504 505 506

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–B737. Vgl. zu den Aufgaben und der Stellung eines Blockleiters: Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP 1937, S. 100–106. UAMs, Bestand 5, Nr. 709. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Ries, 10.12.1941. Vgl. Vorlesungsverzeichnis 2. Trimester 1940, S. 77f. Vgl. ebd., S. 81f. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 16.10.1940.

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anderem für seine Forschungsreisen nach Neapel507 und Bergen.508 Noch im Juni 1939 hatte man ihm 500 RM für Untersuchungen über „die Histophysiologie der Bauchspeicheldrüsenzelle; die Bedeutung der Sonderungserscheinungen in Eizellen für die Determination der Keimbezirke; Untersuchungen zum Problem des Zelltodes“509 bewilligt. Ende Januar 1940 wurden die Gelder jedoch, da die Projekte als nicht kriegswichtig eingestuft wurden, wieder gelöscht.510 Es sollte bis zum Herbst 1941 dauern, ehe dem Zoologen neue Mittel zugestanden wurden. Die 2.000 RM, die ihm am 9. Oktober 1941 bewilligt wurden, hatte er sich durch geschickte Argumentation erarbeitet. Am 21. August 1941 hatte Ries einen Antrag auf Fördermittel für verschiedene Forschungen zur Entwicklungs- und Zellphysiologie mit Hilfe von Film- beziehungsweise Zeitrafferaufnahmen gestellt.511 Bei der Auswahl der Themen zeigte sich die ganze Vielseitigkeit des Histophysiologen: „Der Vorgang der Besamung von Pomatoceros, insbesondere die Reaktion zwischen Ei und Samenzelle“; „Die Sonderungsprozesse in den Eizellen verschiedener Mollusken und Würmer, zum Beispiel Aplysia und Tubifex“; „Die Verteilung von Fremdstoffen im Körper nach Aufnahme durch den Darm oder die Haut auf Grund von Versuchen mit Fluorescenzfarbstoffen“; „Die Analyse des Absterbevorganges der Zelle mit Hilfe des Films und fluorescenzmikroskopischer Differentialdiagnose lebender und toter Zellen“ sowie „Die Analyse der Vermehrung der Zellorgane und ihre Verteilung während der Mitose“. Vielfältig wie die Themen war auch die Begründung Ries’. Zum einen appellierte er an Effizienzwünsche der DFG und versprach Synergieeffekte: einige der Themen seien nicht nur für die Biologie, sondern auch für die Medizin relevant. Des Weiteren wies er auf die Möglichkeit einer Kostenersparnis hin: Die Arbeit könne in Kooperation mit der Reichsanstalt für Film und Bild durchgeführt werden, die ihrerseits Labore, Apparate und Personal stellen würde  – eine Forschung an der Universität würde ein Vielfaches kosten. Drittens führte er den Gedanken der wissenschaftlichen Vernetzung mit anderen Experten ins Feld: Die Untersuchungen könnten in Gemeinschaftsarbeit mit Ilse Fischer (der späteren Assistentin Ries’ und Professorin am Zoologischen Institut der Universität Münster) durchgeführt werden, da sich Methoden und Laboratoriumsanforderungen glichen. Zu guter Letzt führte er zu jedem Thema eine ausführliche Erklärung von Fragestellung und Forschungsziel auf (in diesem Rahmen verwies er auf die Arbeiten zur Fluoreszenzmikroskopie des späteren Ordinarius für Botanik der Universität Münster, Siegfried

507 508 509 510 511

BAB, R 73, Nr. 13981, Ries an DFG, 23.5.1938. Ebd., Ries an DFG, 20.10.1938. Ebd., DFG an Ries, 12.6.1939. Ebd., DFG an Ries, 30.1.1940. BAB, R 73, Nr. 13981, Ries an DFG, 21.8.1941.

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Strugger). Dem konnte sich die DFG letztendlich nicht verschließen und bewilligte den erbetenen Betrag.512 Erfahrungen mit der Erstellung wissenschaftlicher Filme hatte Ries bereits vorher gewonnen. Während seiner Zeit an der Zoologischen Station Neapel hatte er der Kulturfilmabteilung der UFA (Universum Film AG) Ratschläge über Aufzucht und Haltung von Meerestieren gegeben. Diese Kontakte zahlten sich Ende 1940 auch für die Universität Münster aus, als sich die UFA nunmehr an Ries wandte und ihn bat, für den ersten farbigen Mikrofilm der Kulturfilmabteilung geeignete Objekte vorzuschlagen sowie gelegentlich Material zu übersenden. Die Bitte Ries um Genehmigung513 beschied der Rektor, wie nicht anders zu erwarten, positiv, und auch das REM gab seine Zustimmung.514 Für das Jahr 1940 sind keine weiteren Umstrukturierungen, Personalveränderungen oder anderweitige Vernetzungen am Zoologischen Institut überliefert. Da Ries bis Ende des Jahres nicht absehen konnte, inwiefern seine weitere berufliche Zukunft tatsächlich in Münster lag, ist diese Zurückhaltung in Organisationsfragen nicht weiter verwunderlich. Mit seiner endgültigen Berufung im Januar 1941 sollte sich dies, auch im Zusammenspiel mit weiteren kriegsbedingten Ereignissen, jedoch verändern. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Ordinarius war die Reaktivierung der unter Weber eingeschlafenen internationalen Kontakte des Instituts. Wie bereits erwähnt, hatte Ries bereits an mehreren ausländischen Forschungsstationen gearbeitet, neben Neapel und Herdla auch in Palma de Mallorca.515 Anknüpfungspunkt hierzu sollte nun das Deutsch-Italienische Institut für Meeresbiologie zu Rovigno im damals noch zu Italien gehörenden Istrien sein. Am 20. Januar 1941 bat Ries beim REM um die Genehmigung einer Reise vom 21. März bis 30. April 1941 dorthin. Die Begründung hierfür war zweigeteilt. Auf der einen Seite wollte er das Institut erkunden und Material für laufende Kurse am Zoologischen Institut kaufen. Da die Materialbeschaffung zurzeit sehr schwierig und kaum noch Kursmaterial in Münster vorhanden sei, wurde hier also wieder mit der Qualität von Lehre und Forschung argumentiert. Auf der anderen Seite wollte er mit dem Direktor des Zoologischen Instituts der Universität Mailand nähere Vereinbarungen über nach Kriegsende abzuhaltende Ferienkurse für Studenten treffen. Hier war also zum einen die bessere Vernetzung der Universität, zum anderen aber auch die politische Freundschaft mit Italien Ziel.516 Die Kombination der beiden Argumentationsstrategien zeigte offensichtlich Wirkung, denn das REM genehmigte die Reise – allerdings so spät, dass sie abgesagt werden musste.517 512 513 514 515 516 517

Ebd., DFG an Ries, 9.10.1941. UAMs, Bestand 4, Nr. 241, Ries an Rektor, 23.11.1940. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, REM an Kurator, 28.12.1940. Nachlass Erich Ries, Lebenslauf Ries, undatiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Ries an REM, 20.1.1941. Ebd., 5.4.1941.

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Ries ließ sich hierdurch aber nicht von seinen Plänen abbringen und startete einen erneuten Versuch. Am 4. April wandte er sich wieder an das REM und bat, die Reise im Oktober nachholen zu dürfen. Hierbei kam er, nach einer Schilderung der aus der Verspätung erwachsenen Folgen, erneut auf seine Pläne für deutschitalienische Ferienkurse zurück, die er inzwischen weiter ausdifferenziert hatte. Zum einen sollten die Kurse fortgeschrittenen Zoologen Einblick in die Tierwelt des Mittelmeeres und Möglichkeiten zur Arbeit mit in Deutschland nicht vorkommenden Tieren geben. Über die Aussage, dass besonders das Erlebnis der südlichen Landschaft, der Kultur und des mediterranen Lebens Eindruck auf die Nachwuchsforscher machen würde, leitete er danach aber zu seiner politischen Mobilisierungsstrategie über: ein Ferienkurs würde den jungen Biologen die Gelegenheit bieten, die andere „Artung“ des befreundeten Italiens kennen und würdigen zu lernen: „Erfahrung, Verständnis und Takt im Verkehr mit anderen Völkern kann kaum durch kurze Einzel- oder Gemeinschaftsreisen in das fremde Land erworben werden, sondern erfordert den unmittelbaren Kontakt von Mensch zu Mensch. So würden derartige Gemeinschaftskurse mit deutschen und italienischen Studenten zweifellos ihren kleinen Beitrag zur Freundschaft beider Völker leisten können, wenn man nur von vornherein der Gefahr gegenseitiger Überheblichkeit zu begegnen weiß.“518

Ries bot dem REM also quasi eine wissenschaftliche Völkerverständigung unter faschistischen Vorzeichen an, ein Vorhaben, das sowohl dem außenpolitischen Interesse des Reiches entsprach als auch einen Nutzen für die deutsche Forschung mit sich bringen würde. Diese Aussicht verfehlte auch im zweiten Anlauf ihre Wirkung in Berlin nicht, und das REM teilte mit, dass man grundsätzlich gegen Ries’ Pläne nichts einzuwenden habe. Da eine Durchführung aber vor Beendigung des Krieges nicht möglich scheine, sollten die Pläne erst einmal zurückgestellt werden.519 Ries ließ sich aber auch hiervon nicht beeindrucken und blieb hartnäckig. Am 16. Juni schrieb er erneut nach Berlin und änderte seine Mobilisierungsstrategie. Nun sollte die Reise in erster Linie dazu dienen, Material zu sammeln, das zur Fortführung laufender Kurse in Münster dringend benötigt würde und zurzeit kaum noch zu beschaffen sei. Daher bitte er nochmals um Genehmigung. Am 21. August 1941 wurde die Reise schließlich genehmigt.520 Was die Lehrveranstaltungen des Instituts anbetraf, so hatte sich deren Zahl im ersten (und einzigen) Trimester des Jahres 1941 nicht vermehrt. Dennoch war eine gewisse Vielfalt der Themengebiete erhalten geblieben. So las Ries mit Krüger über „Grundzüge der Gewebelehre und Entwicklungsgeschichte“, Krüger über „Entwicklungsgeschichte und Entwicklungsmechanik“ und Rensch über die „Oekologie der Tiere“.521 Im folgenden Sommersemester blieb es ebenfalls bei neun Seminaren. Neu hinzu kam ein „Insektenkurs“, Krüger blieb seinem Forschungs518 519 520 521

UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Ries an REM, 4.4.1941. Ebd., REM an Kurator, 31.5.1941. Ebd., Bd. 1, Ries an REM, 16.6.1941. Vorlesungsverzeichnis Trimester 1941, S. 79f.

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schwerpunkt mit zwei Veranstaltungen zur Tierphysiologie treu, und Rensch las über seinen zukünftigen Schwerpunkt „Abstammungslehre“. In der Zwischenzeit hatte sich die Personalsituation am Institut weiter verschärft. Am 12. Mai 1941 war mit Krüger der letzte der ursprünglichen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingezogen worden.522 Gleichzeitig deutete sich das erste Mal an, dass auch der Ordinarius vor einer Einberufung nicht gefeit sein könnte: seine Unabkömmlich-Stellung (uk) wurde zunächst nur bis zum 30. September 1941 verlängert.523 Ries musste also umdisponieren. Ende Juli 1941 wandte er sich an das REM und schilderte die Sachlage: Durch die Einberufungen würden nunmehr bestimmte Arbeitsgebiete am Institut wegfallen. Anstatt aber Abstriche zu machen, wollte der Ordinarius den Ausfall durch eine Themenerweiterung ausgleichen. Daher bat er um die Genehmigung, dass Röber in Ries’ Auftrag eine Vorlesung mit dem Thema „Insektenbiologie, mit besonderer Berücksichtigung der angewandten Entomologie“ halten dürfe. Schädlingsbekämpfung habe bislang im Lehrangebot gefehlt, sei aber wichtig, da der Bedarf an dafür ausgebildeten Fachbiologen in Zukunft noch größer werden würde und das Thema auch bei der Nachwuchsförderung nicht vernachlässigt werden dürfe. Röber sei hierfür der richtige Mann, da er erfahren, kenntnisreich und pädagogisch geschult sei.524 Eine Antwort des REM ist nicht überliefert. Die Veranstaltung wurde aber offensichtlich genehmigt, auch wenn sie nicht in den Vorlesungsverzeichnissen aufgeführt wurde. Am 17. Dezember 1941 teilte Ries dem REM mit, dass die Vorlesung dreistündig laufe und er darum bitte, dass Röber auch im Sommersemester 1942 eine vierstündige Vorlesung zum Thema „Spezielle Zoologie“ anbieten dürfe.525 Trotz dieser Schwierigkeiten gelang es Ries, die Zahl der Seminare im folgenden Wintersemester 1941/42 um eines auf zehn zu steigern, auch wenn die Themen faktisch (bis auf die Ausnahme einer Übung, in der der Ordinarius Zootomie und Mikroskopie anbot) gleich blieben.526 Gleichzeitig blieb der Zoologe nun permanent von einer möglichen Einziehung zur Wehrmacht bedroht. Am 24. September 1941 wurde seine uk-Stellung nur für weitere drei Monate verlängert.527 Am 24. November schrieb der Dekan an den Kurator und bat um eine erneute Verlängerung, da Ries zurzeit der einzige Dozent der Zoologie an der Universität Münster sei.528 Mit dem Argument, dass Ries’ Vorlesungen notwendig für die Ausbildung der zum Studium abkommandierten Mediziner und die Lehramtskandidaten und damit kriegswichtig sei, gelang es ihm, eine erneute dreimonatige Verlängerung zu erreichen.529 Auch Röber geriet nun in den Fokus der Wehrmacht. Ries versuchte, ihn mit allen 522 523 524 525 526 527 528 529

UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Krüger an Dekan, 10.5.1941. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Kurator an Dekan, 2.7.1941. UAMs, Bestand 10, Nr. 5911, Ries an REM, 26.7.1941. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an REM, 17.12.1941. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1941/42. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Kurator an Dekan, 24.9.1941. Ebd., Dekan an Kurator, 24.11.1941. Ebd., Kurator an Dekan, 22.12.1941.

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Mitteln am Institut zu halten. Anfang Dezember beantragte er die Verlängerung von Röbers uk-Stellung und vermischte zu diesem Zweck wissenschaftliche mit politischen Argumenten. Zum einen sei Röber der einzig noch verbliebene ausgebildete wissenschaftliche Mitarbeiter, und sein Weggang würde zu einem Abbruch von Kursen und einer starken Beeinträchtigung der Arbeit führen. Zum anderen sei er von der Gauleitung und der Reichsstudentenführung zum Gaustudentenführer im Kriege bestellt worden und habe sich inzwischen in das Amt eingearbeitet.530 Es gelang dem Ordinarius dadurch, die Einberufung um ein weiteres halbes Jahr hinauszuzögern. Die Kriegsumstände zwangen den Zoologen in der Folge, immer mehr zu improvisieren. So wurde die Zoologische Sammlung, die in ihrer langen Geschichte bereits einige Male hatte umziehen müssen, Anfang März 1941 in den ehemaligen Fahrradkeller im Krummen Timpen 24 verlagert, was ihre Nutzung für den Unterricht nun vollends unmöglich machte.531 Aber auch was die Mitarbeiter betraf, musste der Ordinarius handeln. Um die Personalverluste auszugleichen, begann Ries daher, sich nach fähigem Nachwuchs außerhalb traditioneller Rekrutierungspools umzusehen. Durch den Mangel an ausgebildeten Wissenschaftlern erhielten nun auch junge Studenten die Möglichkeit, Aufgabenbereiche zu übernehmen, die ihnen vor dem Krieg noch verschlossen gewesen waren. Am 15. Oktober 1941 wandte sich der Ordinarius an den Kurator und bat, eine dieser Nachwuchskräfte, die erst ein Jahr zuvor erstmals eingeschriebene Angela Nolte, zur Wissenschaftlichen Hilfskraft zu ernennen.532 Der Kurator entsprach der Bitte, und Nolte, der sich diese Arbeit im weiteren Verlauf noch ausführlich widmen wird, begann am 1. November 1941 ihre Karriere an der Universität Münster. Letztlich sollte diese, mit kurzer Unterbrechung, 46 Jahre dauern.533 Neben Neueinstellungen versäumte es der Ordinarius aber auch nicht, die Verbindung von Parteiorganisationen und Institut zu stärken. Am 3. November 1941 beantragte er für Röber die Anlegung eines eigenen Telefonanschlusses in seinem Arbeitszimmer, da der Assistent in seiner amtlichen Funktion für den NSDStB regen Telefonverkehr führe.534 530 531 532 533

534

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 10.12.1941. Ebd., Kurator an Ries, 25.3.1941. UAMs, Bestand 9, Nr. 10014, Ries an Kurator, 15.10.1941. Angela Nolte wurde am 6.3.1922 in Wambeln als Tochter eines Lehrers geboren und katholisch getauft. Von 1928 bis 1932 besuchte sie die Volksschule Wambeln und wechselte im Anschluss auf die Oberschule für Mädchen der Ursulinen in Werl, wo sie 1939 ihre Reifeprüfung ablegte. 1940 begann sie ihr Studium an der Universität Münster. Im selben Jahr wurde sie Mitglied des NSDStB und der Deutschen Studentenschaft. Bereits 1936 war sie dem BDM beigetreten. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Personalbogen, 24.11.1956; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Nolte, NW 1100 BG.33, Nr. 154, Fragebogen, 13.4.1946. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 3.11.1941.

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Auch zu den in der Wehrmacht dienenden Mitarbeitern hielt der Ordinarius weiter Kontakt und versuchte, deren Bindung an das Institut aufrecht zu erhalten. Ein halbes Jahr nach Krügers Einberufung begannen beispielsweise die ersten Versuche, den Dozenten, wie auch später mit derselben Absicht Rensch, zum außerplanmäßigen Professor ernennen zu lassen. Dazu wurden Gutachten verschiedener Professoren gesammelt, die sich allesamt positiv über den Tierphysiologen äußerten. Wilhelm Goetsch (Breslau) lobte seine sehr guten Arbeiten, seine chemischen und technischen Kenntnisse und seine „ungemein anständige Gesinnung“.535 Buddenhoff (Halle) verwies besonders auf Krügers Arbeiten über Trichocysten,536 und sein ehemaliger Vorgesetzter Weber (Straßburg) bemerkte zwar, dass Krüger leider etwas einseitig sowie charakterlich etwas zu weich und nachgiebig sei, aber dennoch außerordentlich gewissenhaft, exakt, pflichttreu, fleißig und genau und damit für eine außerplanmäßige Professur auf jeden Fall geeignet.537 Ries selbst versuchte, neben der fachlichen Eignung auch noch an den Antisemitismus des Regimes zu appelieren: „Daß er die eigene Meinung zu vertreten weiß, hat die Bekämpfung der mit großem Nachdruck verfochtenen und wohl falschen Anschauungen des derzeitigen538 jüdischen Ordinarius für Zoologie an der Universität Köln, Professor Dr. Bresslau, der zudem dem eigenen Institutsdirektor, Professor Dr. v. Ubisch, nahestand, bewiesen.“539

Auch unter Verweis auf den Kriegsdienst Krügers beantragte der Ordinarius daher die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor. Dem schlossen sich kurz darauf auch der Dozentenbundsführer Hans Dörries540 und der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an.541 Ein knappes Jahr später wurde Krüger schließlich die Ernennungsurkunde ausgestellt.542 Nicht die Personalebene betreffende Umstrukturierungen beziehungsweise Ausbaumaßnahmen sind für diese Zeit am Zoologischen Institut nicht überliefert. Vielmehr geben die Akten Zeugnis davon, wie versucht wurde, unter den Zwängen der Kriegsbewirtschaftung den Betrieb so gut wie möglich aufrecht zu erhalten. Materialanschaffungen, wie beispielsweise die einer neuen Zentrifuge, gab es nur, falls das vorhandene Instrumentarium aufgrund von Verschleißerscheinungen aus-

535 536 537 538

539 540 541 542

UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Goetsch, 1.12.1941. Ebd., Gutachten Buddenhoff, 9.12.1941. Ebd., Gutachten Weber, 18.11.1941. Warum Ries den Ausdruck „derzeitig“ verwendet, ist unverständlich. Ludwig Bresslau war 1933 von den Nationalsozialisten vertrieben worden und am 9.5.1935 in Sao Paolo, Brasilien, verstorben, siehe: Liebmann, Hans, Bresslau, Ernst, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 600. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Ries, 10.12.1941. Ebd., Kommentar Dörries’ zum Antrag, 18.12.1941. Ebd., Dekan an REM, 7.2.1942. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, REM an Krüger, 14.8.1942.

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getauscht werden musste.543 Man versuchte, mit dem, was man hatte, zu arbeiten beziehungsweise zu improvisieren, wie die Konstruktionsversuche neuer Apparaturen durch Krüger oder Ries’ Reisepläne nach Italien zeigen. Im Jahr 1942 schlug die Krise schließlich auch voll auf das Lehrangebot durch. Im Sommersemester wurden nur noch acht Veranstaltungen angeboten  – sieben von Ries alleine, eine („Spezielle Zoologie“) von ihm zusammen mit Röber. Themen wie Physiologie oder Abstammungslehre mussten die Studenten vergeblich suchen. Zwar versuchte der Ordinarius mit einer Vorlesung für Hörer aller Fachbereiche, „Aus der Lehre vom Leben“, etwas Neues zu bieten, außer einer Übung zur Gewebelehre blieb das Angebot aber nur Standard.544 Dieser Misere versuchte Ries nun durch eine Reihe von Personalentscheidungen entgegenzutreten. Verschärfend wirkte sich noch zusätzlich aus, dass seine uk-Stellung am 23. März 1942 letztmalig bis zum 30. Juni 1942 verlängert wurde.545 Zunächst stellte er die weitergehende Anstellung von Nolte, der inzwischen auch von der NSDAP-Kreisleitung Münster-Warendorf ein positives politisches Gutachten ausgestellt worden war,546 sicher, indem er erfolgreich argumentierte, dass sie als einzige am Institut verbliebene wissenschaftliche Hilfe unentbehrlich sei.547 Ihr Vertrag sollte letztendlich mehrmals bis zum 31. März 1944 verlängert werden.548 Außerdem versuchte Ries, auch im nichtwissenschaftlichen Bereich durch Aufstockung der Mitarbeiter das Institut zu stabilisieren. Am 6. Januar 1942 bat er den Kurator um die Einstellung einer technischen Assistentin. Seine Argumentationsstrategie auch hier: strikt wissenschaftlich. Gleichzeitig gibt der Antrag einen Blick auf die schwierige Lage des Instituts im dritten Kriegswinter preis. Aufgrund der Hörerzahlen sei es nämlich, abgesehen von Berlin und München, den größten deutschen Zoologischen Instituten gleichzusetzen. Dem Ausbau seiner Einrichtungen nach sei es hingegen nur mit kleineren und kleinsten Instituten zu vergleichen.549 Diese Diskrepanz, unter der bereits seine Vorgänger hatten leiden müssen, war also seit von Ubischs Ordinariat nicht beseitigt worden. Ries forderte daher den dringenden Ausbau des Instituts. Es fehle ganz besonders dringlich an einer einigermaßen neuzeitlichen Sammlung mikroskopischer Präparate (auch dies ein über die Jahrzehnte verschlepptes Problem), was den Lehr- und Forschungsbetrieb beeinträchtige. Unter seinen Vorgängern habe das Institut im Wesentlichen beschreibend morphologisch gearbeitet, und die Umstellung auf zellbiologische 543 544 545 546 547 548 549

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Ries an Kurator, 3.11.1941. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1942. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Kurator an Ries, 23.3.1942 UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, NSDAP Kreisleitung Münster-Warendorf an Kurator, 5.1.1942. Ebd., Ries an Kurator, 21.3.1942. Ebd., Kurator an Direktor des Zoologischen Instituts, 30.8.1943. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 6.1.1942.

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Untersuchungen bringe eine Fülle von Mehrarbeit mit sich. Andere Institute hätten dafür eine oder gar mehrere technische Assistentinnen. Die Anstellung einer solchen würde auch die wissenschaftlichen Assistenten entlasten, die dadurch endlich wieder mehr forschen könnten.550 Reaktionen auf den Antrag sind jedoch nicht überliefert, und eine Einstellung fand ebenfalls nicht statt. Als einen dritten Schritt zog Ries schließlich in Betracht, ausländische Forscher als Ersatz für eingezogene Assistenten anzustellen. Ende März 1942 hatte sich das REM in einem Rundschreiben an die Verwaltungsspitzen der Universitäten gewandt und darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestünde, mit Hilfe des „Deutschen Studienwerkes für Ausländer“ wissenschaftliche Assistenten aus dem Ausland als Ersatz für eingezogenen Deutsche für die Arbeit an deutschen Universitäten heranzuziehen.551 Ries war von dieser Perspektive äußerst angetan, vor allem auch angesichts der Tatsache, dass Röber zum 15. April 1942 einberufen werden sollte und damit der letzte verbliebene Assistent das Institut verlassen würde.552 Daher schreib er am 11. April 1942 dem Rektor, dass er großes Interesse daran habe, möglichst bald einen Zoologen mit abgeschlossenem Studium auf Basis dieses Programms einzustellen. Bezüglich der Nationalität hatte sich der Ordinarius bereits festgelegt: „Niederländer u. Flamen sind unbedingt zu bevorzugen.“553 Genau genommen hatte er sogar bereits einen speziellen Kandidaten im Auge, denn während seiner Zeit in Utrecht und an der Zoologischen Station in Neapel hatte er Dr. P. B. van Weel aus Bilthoven/Niederlande kennengelernt und angeleitet. Diesen wollte er nun als Aushilfsassistenten nach Münster holen. Für seine wissenschaftliche und charakterliche Eignung und für die „absolut positive Einstellung zu Deutschland“ könne er „jede Garantie übernehmen.“554Aus der Anstellung wurde jedoch nichts. Wahrscheinlich als Reaktion darauf versuchte der Ordinarius nun, auf den einzig anderen übriggebliebenen Pool potentieller Assistenten zurückzugreifen, der neben Ausländern aus befreundeten Staaten noch bestand, aber ungleich weniger umfangreich war: weibliche Biologen. 1921 war mit Maria Clasing die letzte wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zoologischen Institut ausgeschieden. 19 Jahre lang war das Institut eine reine Männerdomäne, bis diese Phase durch die Anstellung Söfners, wenn auch nur als Vertretung und für kurze Zeit, unterbrochen wurde. Ihr folgte ein Jahr später Nolte, und Mitte 1942 sollte mit Ilse Fischer die dritte Frau unter dem Ordinariat Ries das wissenschaftliche Personal des Instituts verstärken.

550 Ebd. 551 UAMs, Bestand 9, Nr.806, Rundschreiben des REM, 25.3.1942. 552 Röber diente später bei den Fallschirmjägern, unter anderem in Verdun, siehe Nachlass Maria Ries, Fischer an Frau Ries, 2.9.1944. Der Nachlass Maria Ries befindet sich im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries. 553 UAMs, Bestand 9, Nr. 806, Ries an Rektor, 11.4.1942. 554 Ebd.

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Fischer555 hatte Ries während der gemeinsamen Zeit am Zoologischen Institut der Universität Leipzig kennengelernt und war seitdem mit ihm und seiner Frau in Kontakt geblieben. Mitte 1942 versuchte Ries nun, die verantwortlichen Stellen davon zu überzeugen, Fischer an die Universität Münster zu holen. In einem Gutachten führte er dazu eine Reihe von unterschiedlichen Argumenten ins Feld. Zum einen sei Fischer die einzige Frau gewesen, die sich bei ihrem gemeinsamen Leipziger Ordinarius Johannes Meisenheimer habe durchsetzen können. Ihre 1942 veröffentlichte Habilitationsschrift556 sei entgegen ihren Wünschen für kriegswichtig erklärt worden, sie arbeite systematisch und von einem tiefen biologischen Verständnis getragen, und ihre Arbeitsrichtung entspreche nicht zuletzt der seinen. Käme sie an 555

556

Ilse Fischer wurde am 9.6.1905 in Magdeburg als Tochter eines Postinspektors geboren und evangelisch getauft. Nachdem sie dort zunächst von 1913 bis 1915 eine Privatschule besucht hatte, wechselte sie 1915 an die Höhere Mädchenschule mit Studienanstalt in Leipzig (von 1923 bis 1933 nach dem dort bis zu seinem Tod lehrenden Reformpädagogen Hugo Gaudig benannt), wo sie Ostern 1926 die Reifeprüfung ablegte. Von 1926 bis 1932 studierte sie an der Universität Leipzig Botanik, Zoologie und Chemie und wurde 1932 mit einer Arbeit über den Jahreszyklus des Urodeleneierstockes promoviert. Von 1932 bis 1934 arbeitete Fischer mit einem Stipendium der DFG als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zoologischen Institut der Universität Leipzig. Hier knüpfte sie auch erste Kontakte zu Ries, mit dem sie ein Jahr später eine gemeinsame Arbeit über die Pankreaszelle des Hühnchens veröffentlichte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Zoologin neben ihrem Dissertationsthema hauptsächlich mit der Keimbahn der Amphibien, der Cytologie der Pigmentbildung, dem Wachstum des Zellkerns und gewebezüchterischen Untersuchungen beschäftigt. 1935 ging Fischer mit einem Stipendium der Goldman-Stiftung London an das pathologische Institut der Charité Berlin, wo sie ausschließlich gewebezüchterischen Fragen, insbesondere Untersuchungen der Histologie des Irisepitels in vitro, nachging. Im darauffolgenden Jahr wechselte sie mit einem erneuten Stipendium der DFG an das KWI für Biologie in Berlin-Dahlem, wo sie weiter zur Gewebezüchtung von Wirbellosen, aber auch zum Wachstum und der Differenzierung frühembryonaler Gewebeexplantate von Amphibienkeimen forschte. Ab 1939 beschäftigte sie sich zusätzlich im Zusammenhang mit genetischen und entwicklungsphysiologischen Fragestellungen mit der Untersuchung von Insekten-Imaginalscheiben und Kulturversuchen mit Insektengewebe. Ab Dezember desselben Jahres war sie zeitweise am Ungarischen Biologischen Forschungsinstitut in Tihany am Balaton tätig. Von dort aus schlug sie Ries vor, die Bearbeitung eines Mitosefilmes für die Filmstelle für den wissenschaftlichen Unterricht zu übernehmen. 1940 habilitierte sie sich mit einer Schrift mit dem Titel „Grundriß der Gewebezüchtung“ an der Universität Leipzig und war damit die erste Naturwissenschaftlerin, der dies dort gelang. Dabei mußte sie mit Neid und Mißgunst ihrer männlichen Kollegen zurechtkommen. 1941 wechselte Fischer erneut ihren Arbeitsplatz und wurde Referentin bei der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Fischer, NW 1038, Nr. 21, Fragebogen; UAMs, Bestand 8, Nr. 8738, Bd. 1, Lebenslauf, undatiert, ca. 1939; ebd., Gutachten über Habilitationsschrift Fischer, 30.1.1940; UAMs, Bestand 207, Nr. 186, Personalblatt, undatiert, ca. 1942; UAMs, Bestand 92, Nr. 68, Veröffentlichungsliste, undatiert, ca. 1948; Nachlass Maria Ries, Fischer an Ries, 28.12.1939; ebd., Fischer an Frau Ries, 25.10.1939; Nagelschmidt, Ilse, 100 Jahre Frauenstudium an der Alma Mater Lipsiensis, Leipzig 2008, S. 271. Fischer, Ilse, Grundriß der Gewebezüchtung, Leipzig 1942.

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die Universität Münster, so könne sie experimentelle und zellphysiologische Untersuchungen durchführen und wäre eine unschätzbare Hilfe am Institut. Daher habe er ihr vorgeschlagen, sich um eine Dozentur in Münster zu bewerben.557 Die Universität stand diesem Ansinnen positiv gegenüber. So stellte der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Hermann Senftleben, in einem Gutachten fest, dass Fischer durch ihre Filme an der Reichsanstalt sowohl wissenschaftlich als auch technisch innovativ arbeite und über sie auch menschlich nur Positives bekannt sei. Daher liege es im Interesse der Fakultät, wenn die Zoologin ihr beiträte.558 Danach ging alle sehr schnell. Bereits vom 22. bis 24. Juli 1942 hielt Fischer eine öffentliche Lehrprobe in Form einer Vorlesung über „Die Gewebezüchtung als biologische Methode“559 ab, welche von der Universitätsführung äußerst positiv aufgenommen wurde.560 Nur einen Monat später verlieh das REM Fischer die Lehrbefugnis für Zoologie.561 Der Antrag des Rektors auf Gewährung von Diäten562 wurde ebenfalls von allen Seiten positiv beschieden. Dekan Senftleben nahm erneut zustimmend Stellung,563 und der Gaudozentenführer bezeichnete Fischer in seinem Gutachten als wissenschaftlich ausgezeichnet, charakterlich ernst und anständig, selbstlos und von unbedingter Hingabe an ihre Arbeit. Gleichzeitig erhob er keine politischen Bedenken, denn: „Sie bietet Gewähr, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt.“564 Ende Oktober genehmigte daraufhin das REM die Diätendozentur565 und ernannte die Zoologen zum 1. November 1942 zur Dozentin an der Universität Münster.566

557 558 559 560

561 562 563 564 565 566

UAMs, Bestand 92, Nr. 68, Gutachten Ries über Fischer, undatiert, ca. 1942. UAMs, Bestand 8, Nr. 8738, Bd. 1, Gutachten Senftleben, undatiert. UAMs, Bestand 4, Nr. 224, Dekan an Rektor, 20.7.1942. Der Rektor beschrieb die zukünftige Assistentin als aus eigener Forschererfahrung äußerst kompetent auf dem Gebiet der Gewebezüchtung und stellte klar, dass ihre Untersu­ chungen nicht allein für die Zoologen von Bedeutung seien, sondern auch für Anatomen, ­Physiologen, Pharmakologen, Botaniker und Pflanzenzüchter. Die Gewebezüchtung sei von allergrößter Bedeutung, würde aber leider in Deutschland nur von sehr wenigen Biologen betrieben. Mit der Anstellung Fischers könnte man also in Münster einen Schwerpunkt dieser Forschung einrichten. Daher bitte er das REM darum, ihr eine Lehrbefugnis für Zoologie zu geben und sie der Universität Münster zuzuweisen. Zum Schluss räumte er noch potentielle Bedenken des Ministeriums aus dem Weg, indem er klarstellte, dass die zu Wehrmacht einberufenen Assistenten durch Fischers Anstellung nicht benachteiligt würden, da ihr Arbeitsgebiet von dem, was diese lehrten, völlig verschieden sei. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 8738, Bd. 1, Rektor an REM, 13.8.1942. Ebd., REM an Fischer. Ebd., Rektor an REM, 15.10.1942. Ebd., Stellungnahme des Dekan, 9.10.1942. Ebd., Gaudozentenführer an Rektor, 14.10.1942. Ebd., REM an Fischer, 29.10.1942. BAB, R 73, Nr. 11015, Fischer an Reichsforschungsrat (RFR), 25.11.1942.

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Bemerkenswert ist, dass Fischer alle geschilderten Karriereschritte meistern und nicht unerhebliche Fördergelder von staatlicher Seite verbuchen konnte, ohne sich in das nationalsozialistische Regime zu verstricken oder sich ihm wissenschaftlich anzubiedern. Zwar war sie am 1. Januar 1934 der DAF und am 1. März 1934 dem Opferring beigetreten; Mitglied der NSDAP, einer ihrer Gliederungen oder ihrer angeschlossenen Verbände wurde sie jedoch nie. Ebenso wenig fanden sich in ihren wissenschaftlichen Arbeiten irgendwie geartete Anklänge an die NS-Ideologie. Fischer gelangte durch Kompetenz und harte Arbeit in ihre Positionen, was ihr als Frau in einer fast ausschließlich von Männern dominierten Fachrichtung umso schwieriger gemacht wurde. Ihre Laufbahn kann daher auch als Gegenbeispiel zu denen vieler ihrer männlichen Kollegen gelten, die sich nach dem Krieg oftmals apologetisch auf Druck und Zwang beriefen, wenn sie opportunistisches Verhalten zur Karriereförderung schönzureden versuchten. Was ihre wissenschaftliche Arbeit betraf, machte Fischer in Münster nahtlos dort weiter, wo sie vorher in der Reichsanstalt aufgehört hatte, und konnte sogar mehr Zeit für ihre Forschungen nutzen als noch in Berlin.567 Wie bereits erwähnt hatte sie seit 1936 Fördermittel der DFG bezogen. Im Januar 1940 hatte sie mit Zeitrafferaufnahmen von verschiedenen Zelltypen aus Gewebekulturen für die Beobachtung von Chromosomen begonnen. Ende 1940 waren ihr dazu, inzwischen unter dem Titel „Ueber die Mechanik der Mitose und ihre Auswertung in genetischer Hinsicht“,568 2.670 RM bewilligt worden.569 Mitte Mai 1942 beantragte sie weitere 5.500  RM zur Fortführung ihrer Arbeit und rechtfertigte dies mit dem bisher erlangten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.570 Die DFG bewilligte problemlos.571 Kurz nach ihrem Wechsel an die Universität Münster beantragte die Histophysiologin die temporäre leihweise Bereitstellung verschiedener Geräte zur Weiterführung ihrer Arbeiten, da das Zoologische Institut zwar bereit sei, die Instrumente anzuschaffen, die Lieferzeit zurzeit jedoch 12 bis 24 Monate betrage.572 Auch hier kein Widerspruch oder Nachhaken; man überwies ihr sogar weitere 500 RM zur Bezahlung einer technischen Hilfskraft.573 Gleichzeitig wurde Fischer erlaubt, ihr bisheriges Labor weiter zu nutzen.574 Unterstützung erhielt sie dabei von ihrem neuen Vorgesetzten. Ende November 1942 wandte sich Ries selbst an den Reichsforschungsrat (RFR), um für zusätzliche Fördermittel für die neue Dozentin einzutreten. Dabei offenbarte er auch die Zukunftspläne, die er für das Zoologische Institut entwickelt hatte. Bereits jetzt sei 567 568 569 570 571 572 573 574

Ebd., Fischer an RFR, 25.11.1942. Ebd., Fischer an DFG, 30.9.1941. Ebd., DFG an Fischer, 2.12.1940. Ebd., Fischer an RFR, 12.5.1942; interessanterweise wies sie hier auch auf die Lebendfärbungen mit Acridinorange durch den späteren Ordinarius für Botanik, Strugger, hin. BAB, R 73, Nr. 11015, DFG an Fischer, 9.6.1942. Ebd., Fischer an DFG, 22.11.1942. Ebd., DFG an Fischer, 4.12.1942. Ebd., Fischer an RFR, 25.11.1942.

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Fischer in Münster eine besondere Abteilung eingerichtet worden. Es bestehe die Absicht, diese zu einer selbständigen Forschungsstätte für Zellbiologie auszubauen. Zu den Aufgaben dieser Einrichtung sollten insbesondere die Untersuchung der Mechanik der Mitose und ihre Auswertung in genetischer Hinsicht, das Problem der Zell-Determination vor allem im Hinblick auf seine Bedeutung für die Entstehung bösartigen Wachstums und genphysiologische Fragestellungen zählen. Außerdem sollten bereits in Leipzig begonnene Untersuchungen über autonome Lebenszyklen von (vor allem Pankreas-) Zellen weitergeführt werden. Geschickt verknüpfte der Ordinarius also eigene Forschungen mit Fischers Ansätzen und versuchte so, den verantwortlichen Stellen den Sinn einer weiteren Finanzierung darzustellen. Gleichzeitig wollte er den Vorstoß zur Modernisierung des Zoologischen Instituts nutzen, denn: Da unter seinen Vorgängern vor allem morphologisch-anatomisch gearbeitet worden sei, stünden die Einrichtungsgegenstände für experimentelles Arbeiten Teilweise nicht zur Verfügung.575 Diese Strategie hatte Erfolg, denn in der Folgezeit stellte die DFG dem Institut eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung.576 Etwa zeitgleich mit den ersten Versuchen Ries’, Fischer nach Münster zu holen, wurde er auch in Bezug auf Renschs weitere Rolle am Zoologischen Institut aktiv. Bereits im Januar 1942 hatte er für den im Felde stehenden Dozenten eine uk-Stellung beantragt. Dabei argumentierte er erneut mit der Qualität von Lehre und Forschung: Rensch sei besonders wichtig für die Ausbildung der Studenten in der angewandten Biologie, und in den vorherigen zwei Semestern hätten durch seine Einberufung Veranstaltungen ausfallen müssen.577 Als Rensch dann kurz darauf tatsächlich (allerdings aufgrund gesundheitlicher Gründe) aus dem Dienst entlassen wurde, witterte Ries seine Chance. In der Hoffnung, ihn noch stärker an das Institut zu binden, beantragte der Ordinarius, wie schon bei Krüger, die vorzeitige Ernennung des Zoologen zum außerplanmäßigen Professor. Dabei fand er nur lobende Worte über die wissenschaftlichen Qualitäten seines Dozenten, die durch von ihm beigefügte Gutachten vom ehemaligen Münsterschen Ordinarius Weber, Renschs Freund Gerhard Heberer (Jena) und Hans-Jürgen Stammer (Erlangen) nur bestätigt wurden. Neben Renschs wissenschaftlicher Eignung wurden vor allem dessen gesamtes Auftreten sowie seine politische Zuverlässigkeit gelobt: „R.[ensch] ist als Mensch von vornehmer Gesinnung u. Haltung. Hervorzuheben sind seine ausgeprägten Interessen für künstlerische Belange sowie sein sehr gepflegtes repräsentatives Auftreten. Als Beauftragter für den Natur- und Heimatschutz in der Provinz Westfalen, als Offizier des Weltkriegs u. als Teilnehmer am Feldzuge im Westen u. im Osten im Range eines Hauptmannes, steht R.[ensch] auf dem Boden des Nationalsozialismus. Als

575 576 577

Ebd., Ries an RFR, 26.11.1942. Ebd., DFG an Fischer, 23.9.1944. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Ries an Kurator, 9.1.1942.

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engerer Mitarbeiter geniesst [sic!] er das volle Vertrauen des SA-Oberführers und Landeshauptmanns für Westfalen, Dr. Kolbow.“578

Diesen Worten schloss sich einen Monat später auch der Dekan an, als er beim REM die gewünschte Ernennung erbat. Voll des Lobes wies er insbesondere auf Renschs Einfluss in Europa sowie die Tatsache hin, dass er sich vom Lamarckisten zum Selektionisten gewandelt habe.579 Tatsächlich hatte bei Rensch, nachdem er zunächst Mitte der 1920er-Jahre bei der Ausarbeitung seiner These der „Rassenkreise“ eine neolamarckistische580 Position eingenommen581 und auch bis 1934 weiter vertreten hatte, in den folgenden Jahren ein Wandel in Richtung Neodarwinismus eingesetzt, der etwa 1939 abgeschlossen war.582 Mit der Aussage des Dekans sollte offensichtlich hervorgehoben werden, dass seine Ansichten nicht mit den vorherrschenden Maximen der NS-Rassenideologien kollidierte.583 Ähnlich äußerte sich auch der Gutachter des Dozentenbundes: „In politischer Beziehung wurden ihm [Rensch] seinerzeit erhebliche Vorwürfe gemacht, die aus seiner Zeit in Berlin stammen und die sich auf seine rassenkundlichen Arbeiten beziehen. Danach habe er an die Möglichkeit einer Rassenbildung durch Umwelteinflüsse geglaubt. Er hat sich dadurch in Widerspruch zu der nationalsozialistischen Rassenlehre gesetzt. Die Vorwürfe werden jedoch in neuerer Zeit von sachverständigen, zuverlässigen Nationalsozialisten nicht aufrecht erhalten.“584

Ob Renschs Umschwung wissenschaftliche oder politische Gründe hatte, muss letztendlich offen bleiben.585 Neuere Forschungen zeigen zudem, dass seine naturphilosophischen Überlegungen eine wichtige Rolle bei seiner Neuausrichtung 578 579 580

581 582 583 584

585

UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Ries an unbekannt, 11.6.1942. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Dekan an REM, 20.7.1942. Dieser Vorwurf wurde ihm auch von wissenschaftlicher, nicht nur von politischer Seite gemacht, so etwa 1935 von Karl Beurlen in seiner Rezension (in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 1 [1935/36], S. 128) über Rensch, Bernhard, Zoologische Systematik und Artbildungsproblem, in: Zoologischer Anzeiger 6 (1933), S. 19–83: es sei ein lehrreiches Beispiel dafür, „wie an sich richtige Erkenntnisse und Vorstellungen unter dem Einfluß bestimmter Grundanschauungen umgedeutet und in ein bestimmtes Weltbild eingeordnet werden.“ Ob sich Beurlen der Ironie seiner Aussage im zeitgenössischen Kontext bewusst war, ist unbekannt. Potthast 2003, S. 290. Ebd., S. 293. Zu seiner Berliner Zeit hatte Rensch nach eigenen Angaben bereits einmal Probleme wegen „lamarckistischer“ Ansichten bekommen. Zitiert bei Potthast 2003, S. 302; Potthast vermutet hinter dem „sachverständigen, zuverlässigen Nationalsozialisten“ Renschs Freund und SS-Mitglied Heberer. Diese Interpretation macht in Anbetracht der anderen Gelegenheiten, bei denen Heberer für Rensch Partei ergriff, durchaus Sinn. Vgl. hierzu ausführlich Junker, Thomas, Wandte sich Bernhard Rensch in den Jahren 1934–38 aus politischen Gründen vom Lamarckismus ab?, in: Hoßfeld, Uwe/Brömer, Rainer (Hg.), Darwinismus und/als Ideologie (Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 6), Berlin 2001, S. 287–311.

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spielten.586 Zwar sind in seinen Schriften auch Anknüpfungsversuche an NS-Gedankengut belegbar; so stellte Rensch in seinen beiden einzigen Publikationen, in denen er auf die von ihm als biologisches Faktum angesehenen Menschenrassen einging, eine ‚„Überlegenheit nordischer Völker (im weiteren Sinne)“ als Resultat härterer Selektion durch das Klima, aber auch ‚[d]ie enge Verknüpfung von „Blut und Boden“, die uns heute so geläufig geworden ist, [und die] auch für die zukünftige Menschheitsgeschichte von entscheidender Bedeutung sein [wird]‘“, fest.587 Diese Aussagen stellten ohne Zweifel eine Verbeugung vor dem Regime dar. Sie im Kontext seines Gesamtwerkes als ideologische Kohärenz mit dem Nationalsozialismus zu deuten, wäre aber, selbst unter Miteinbeziehung anderer von Rensch vertretener NS-affiner Meinungen wie der Notwenigkeit der Eugenik, eine Fehlinterpretation. Stattdessen können solche Aussagen als Versuche gedeutet werden, Ressourcen zu mobilisieren, um eigene Chancen zu verbessern. Dies wird auch dadurch unterstützt, dass Rensch in keiner seiner überlieferten Vorlesungen, egal bei welchen Themen, versuchte, Lehrinhalte mit NS-Ideologie zu verknüpfen.588 „Von vorauseilendem Gehorsam ist bei ihm nichts zu spüren, sondern nur vom Versuch, so wenig wie möglich nachzugeben, ohne zugleich seine berufliche Laufbahn und Existenz zu gefährden.“589 Im vorliegenden Fall hatte die Argumentation von Dekan und NS-Dozentenbund Erfolg. Das REM folgte, wie so oft, den Bitten von Wissenschaftlern und Universitätsleitung und ernannte Rensch am 13. März 1943 zum außerplanmäßigen Professor.590 Während diese Personal- und damit auch Qualitätssicherungsmaßnahme also planmäßig verlief, hatte sich auch für Ries selbst die Situation vorerst entspannt. Vom Adjutanten an der Militärärztlichen Akademie Berlin, bei der er als Sonderführer tätig war, erhielt er im Juni 1942 Bescheid, dass er einstweilen an der Universität verbleiben könne und nicht mit seiner Einberufung zu rechnen sei.591 Die Entspannung in der Personalsituation schlug sich jedoch nicht sofort im Lehrangebot nieder. Mit nur sieben Veranstaltungen war dieses im Wintersemes586 587 588

589 590 591

Vgl. hierzu Levit, Georgy S./Simunek, Michal/Hoßfeld, Uwe, Psychoontogeny and psychophylogeny: Bernhard Rensch’s (1900–1990) selectionist turn through the prism of panpsychistic identism, in: Theory in Biosciences 127 (2008), S. 297–322. Potthast 2003, S. 301f. Im Nachlass Renschs sind, und damit für den einzigen der in dieser Untersuchung behandelten Forscher, eine Reihe von Vorlesungsmanuskripten beziehungsweise Karteikarten von den 1940er- bis in die 1960er-Jahre überliefert, auf denen er sich Zeichnungen sowie Lehrinhalte notiert hatte. Diese könnten für weitere Forschungen zur universitären Biologie von großem Interesse sein. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurden sie nicht fachwissenschaftlich-inhaltlich, sondern lediglich auf Anknüpfungspunkte zur NS-Ideologie hin ausgewertet, siehe dazu: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 222 und 23. Junker 2001, S. 305. UAMs, Bestand 92, Nr. 103, REM an Kurator, 13.3.1943. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, unbekannt an Kurator, 15.6.1942.

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ter 1942/43 ein erneuter Tiefpunkt. Von Vorteil war, dass der von der Wehrmacht freigestellte Rensch mit der Übernahme der „Speziellen Zoologie“ und der „Bestimmungsübungen (Wirbeltiere und Mollusken)“ den Ordinarius entlasten konnte. Inhaltlich blieb es jedoch bescheiden, denn nur die absoluten Basisthemen wie Allgemeine Zoologie, ein Kolloquium, das Praktikum, Anleitungen sowie Exkursionen wurden angeboten.592 Frischer Wind kam erst im folgenden Sommersemester auf, als auch Fischer voll in die Lehre einsteigen konnte. Die Seminarzahl stieg wieder auf zehn an. Rensch reaktivierte seine Abstammungslehre und führte die Bestimmungsübungen mit Wirbellosen fort, Ries las weiterhin die Basisthemen, und Fischer bot ein Tierphysiologisches Praktikum (und damit Krügers altes Thema) sowie „Die Grundlagen der allgemeinen Biologie“ an.593 Der Aufschwung blieb jedoch nur von kurzer Dauer. Verantwortlich dafür war einmal mehr die verschärfte Kriegslage, die dazu führte, dass nach langer uk-Stellung mit Ries die Hauptstütze des Unterrichts am Zoologischen Institut zur Wehrmacht eingezogen wurde. Bereits am 22. April 1943 teilte der Ordinarius dem Kurator mit, dass er zu Ostern mit seiner Einberufung rechne. Er bat darum, Fischer die Vollmacht zur Leitung des Instituts zu übertragen. Rensch habe sich bereit erklärt, die Hauptvorlesung zu übernehmen, die restlichen Veranstaltungen würden zwischen ihm und Fischer aufgeteilt.594 Am 15. Mai war es dann schließlich soweit. In seinem letzten Amtsakt übergab Ries die Vorlesung „Allgemeine Zoologie für Mediziner“ an Rensch und die „Spezielle Zoologie“ an Fischer.595 Dann rückte der Ordinarius ein. Die folgenden Monate verbrachte Ries hauptsächlich bei der Truppenausbildung im Grenadier-Ersatz-Batallion 203 in Berlin-Spandau.596 Während dieser Zeit gelang es ihm, den Kontakt zur Universität Münster weiter aufrecht erhalten. Mehrmals konnte er im Rahmen von kurzen Urlauben, teils zu Prüfungen,597 teils wegen Bombenschäden am Zoologischen Institut und an seiner Wohnung,598 nach Münster zurückkehren. Anfang September 1943 hielt sich Ries zudem zeitweise in seiner Heimat Westerstede und in Sigmaringen auf, wo er auf die Abkommandierung zu weiteren Übungen wartete.599 Der überlieferte Briefverkehr mit seinem Verleger Gustav Fischer (Jena) zeugt davon, dass der Zoologe auch während seines Dienstes weiter an mehreren Manuskripten seiner Monographien, insbesondere an „Die Biologie der Zelle“ und 592 593 594 595 596 597 598 599

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1942/43, S. 39f. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1943, S. 77. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Ries an Kurator, 22.4.1943. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Ries an Dekan, 12.5.1943. Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, Deutsche Dienststelle (WASt) an Ursula Schütz, geb. Ries, 25.8.2010. Nachlass Erich Ries, Ries an Gustav Fischer, 2.8.1943. Ebd., Ries an Gustav Fischer, 15.6.1943. Ebd., Ries an Gustav Fischer, 2.9.1943.

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„Lebensprobleme im Wandel der Zeit“,600 arbeitete. So konnte er „infolge der unerwarteten Musse [sic!], die [ihm] das Militär für [seine] eigenen Arbeiten“601 lasse, den Text bis in den Herbst 1943 korrigieren. Bei der Arbeit an den Manuskripten half ihm neben seiner Assistentin Fischer auch seine Frau, die inzwischen mit der gemeinsamen kleinen Tochter aufgrund der Bombenschäden an der Wohnung von Münster nach Sigmaringen hatte ausweichen müssen.602 Anfang November 1943 hielt sich Ries das letzte Mal in Münster auf, wo er sich unter anderem mit dem Anatomieprofessor Hellmut Becher über Abbildungen für sein Manuskript der „Lebensprobleme“ austauschte.603 Dann rückte seine Abkommandierung an die Front immer näher. Wie bereits erwähnt, war Ries seit März 1939 als Sonderführer (z)604 für die Militärärztliche Akademie Berlin im Rahmen der Fleckfieberbekämpfung tätig gewesen. Diese Stellung sollte nun für den weiteren Verlauf entscheidend sein. Am 26. Oktober 1942 bestimmte das Oberkommando des Heeres, dass es die Länge des Krieges erforderlich mache, „daß den Sonderführern, soweit es ihr besonderer Einsatz irgend erlaube, eine militärische Grundausbildung gegeben oder die bereits früher erhaltene Ausbildung so gefördert werde, daß ihre Beförderung zu militärischen Diensträngen möglich sei.“

Außerdem wurde bestimmt, dass Sonderführer ohne militärische Grundausbildung zur Durchführung dieser Ausbildung auf die Dauer von zwei Monaten zum Ersatzheer zu kommandieren seien.605 Dieser Fall trat nun auch bei Ries ein. Bereits Anfang August 1943 teilte er seinem Verleger mit, dass er „einige Übungen sowie einen zweimonatigen Fronteinsatz erledigen [müsse], da man mich vom Sonderführer zum Leutnant umkrempeln will.“606 Pläne für die Zeit danach hatte man ihm auch schon mitgeteilt: „Es ist vorgesehen, mich dann weiter an der Militär-ärztlichen Akademie zu verwenden, und ich habe die leise Hoffnung, dann mich auch wieder mehr um das Institut bekümmern zu können – d. h. soweit es dann noch vorhanden ist.“607 600 601 602 603 604

Ebd., Ries an Gustav Fischer, 2.8.1943. Ebd., Ries an Gustav Fischer, 22.9.1943. Ebd., Ries an Gustav Fischer, 26.9.1943. Ebd., Ries an Gustav Fischer, 8.11.1943. „Für bestimmte Arbeitsgebiete, die besondere Fachkenntnisse erforderten, wurden während des Krieges Personen ohne oder nur mit geringer militärischer Ausbildung auf Grund ihrer zivilen Fachkenntnisse und führenden Stellungen außerhalb der Wehrmacht als ‚Sonderführer‘ in Offiziersstellen der Stellengruppen Z bis B eingesetzt. Sie wurden wie jeder Wehrpflichtige zum aktiven Wehrdienst einberufen und waren damit Soldaten im Sinne des Wehrgesetzes.“ Siehe: Absolon, Rudolf, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. V: 1. September 1939 bis 18. Dezember 1941, Boppard a. Rh. 1988, S. 183. 605 Absolon, Rudolf, Die Wehrmacht im Dritten Reich. Bd. VI: 19. Dezember 1941 – 9. Mai 1945, Boppard a. Rh. 1995, S. 417. 606 Nachlass Erich Ries, Ries an Gustav Fischer, 2.8.1943. 607 Ebd.

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Ende 1943 war dieser Zeitpunkt dann gekommen. Am 26. November des Jahres schrieb Ries an seinen Verleger: „Ich muss ja nach wie vor damit rechnen, eingezogen zu werden.“ Es gab jedoch, wie schon 1941 und 1942, weiterhin Versuche der Universität Münster, ihren Ordinarius erneut uk stellen zu lassen. So bemerkte der Zoologe im selben Brief: „Allerdings hat der neue Rektor der Univ. Münster, der Pathologe [&] Oberfeldarzt Prof. Siegmund vor, mich bei der Mil. Ärztl. Akademie für Untersuchungen über den Zelltod bei Erfrierung anzufordern. Bei diesen Untersuchungen könnte ich in Münster bleiben.“608

Herbert Siegmund, der im Herbst 1943 das Rektorat von Mevius übernommen hatte, hatte als Pathologe bei der 17. Armee an der Ostfront gedient und dabei unter anderem 1941 an der Exhumierung von NKWD-Opfern in Lemberg mitgewirkt.609 1942 hatte er an der Fachtagung „Seenot“ in Nürnberg teilgenommen, auf der unter anderem über die Kälteversuche Sigmund Raschers im KZ Dachau referiert wurde.610 Im selben Jahr beantragte er bei der DFG Gelder für Untersuchungen zur Unterernährung und zum Kälteproblem an russischen Kriegsgefangenen.611 Es ist wahrscheinlich, dass Siegmund Ries für eine Teilnahme an diesen Untersuchungen nach Münster zurückholen wollte. Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen. Die Gründe hierfür sind aus den Quellen nicht mehr rekonstruierbar. So ist es denkbar, dass die Zeit zwischen Ende November und Anfang Dezember zu kurz war, einen Antrag bei der DFG auf Abstellung Ries’ und seine uk-Stellung bei der Wehrmacht einzureichen beziehungsweise durchzubringen. Innerhalb der Familie Ries setzte sich in der Nachkriegszeit hingegen eine andere Version durch. So habe es ein geheimes Treffen zwischen Ries und Siegmund in Berlin gegeben, bei dem es der Ordinarius abgelehnt habe, an Menschenversuchen in Konzentrationslagern teilzunehmen. Daraufhin sei er an die Ostfront strafversetzt worden, um ihn zu liquidieren. Einen quellenmäßigen Beleg für diese Variante gibt es jedoch nicht. Auch sprechen mehrere Quellenbelege dagegen. So liefen die Forschungen Siegmunds offiziell über DFG-Gelder – eine Geheimhaltung wäre demnach unnötig gewesen. Im Übrigen sollten die Untersuchungen an Siegmunds Institut in Münster, nicht in einem Lager, durchgeführt werden. Zudem sprechen die lange Vorgeschichte der uk-Stellungen, die einschlägigen militärischen Vorgaben sowie die eigenen Aussagen Ries’ über seine Tätigkeit und Pflicht als Sonderführer gegen eine kurzfristige, außergewöhnliche Abkommandierung. Darüber hinaus rückte Ries in ein normales Bataillon ein  – im Falle einer angeordneten Liquidierung wäre die Abkommandierung zu einem der sogenannten „Bewährungsbataillone“ zu erwarten gewesen. 608 Ebd. 609 Landesarchiv Schleswig-Holstein, Abt. 476, Nr. 165. 610 Klee 2005, S. 583. 611 BAB, R 73, Nr. 14761, Antrag Si 7/26/11: Untersuchungen über die pathologisch-anatomischen Grundlagen der Unterernährung und der Kälteeinwirkung mit Bezug auf das Erfrierungsproblem, 4.11.1942.

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Außerdem äußerte er noch am 11. Dezember 1943, unmittelbar nach seiner Abkommandierung an die Front, in einem Brief an seine Frau, dass die Militärärztliche Akademie positiv zu den Plänen Siegmunds in Münster eingestellt sei. Diese Aussage macht jedoch nur dann Sinn, wenn auch Ries die Pläne weiter verfolgen wollte.612 Dennoch würde man es sich zu leicht machen, die Erzählung einfach als nachträglichen Versuch der Sinnstiftung eines als sinnlos begriffenen Todes oder als Familienmythos abzutun, wie er in vielen anderen Fällen festzustellen ist. Zeitzeugenaussagen zufolge habe Ries seine Ablehnung der Versuche seiner Frau nicht mitgeteilt, da er Sippenhaft für sie und seine Tochter fürchtete, und sich deshalb nur seiner Schwester anvertraut.613 Ebenso geben Zeitzeugen unabhängig voneinander an, dass es sich bei den besagten Versuchen um Kälte- beziehungsweise Menschenversuche gehandelt habe.614 Es ist aber auszuschließen, dass ihnen die Arbeit Siegmunds für die DFG bekannt war. Details wie diese deuten darauf hin, dass die Variante trotz der offensichtlichen Verfälschungen (KZ) und Fehlinterpretationen (Liquidierung) auf einem wahren Kern beruhen könnte. Es erscheint daher durchaus denkbar, dass Ries die Teilnahme an Siegmunds Versuchen aus ethischen Gründen ablehnte, obwohl ihm bewusst war, dass er dadurch den Gang an die Front in Kauf nahm. Letzten Endes wird diese Frage aber nicht mehr zu klären sein. Fest steht, dass Ries am 8. Dezember 1943 von Spandau nach Potsdam überwiesen615 und wahrscheinlich ab dem 13. Dezember 1943 an die Ostfront transportiert wurde.616 Ab dem 3. Januar 1944 wurde zur 3. Kompanie des Grenadier-ErsatzBattailons 178 der 76. Infanterie-Division abkommandiert, welche im Einsatzraum Kriwoi-Rog in der Ukraine operierte.617 Diese erzwungene Abwesenheit von Münster scheint offenbar Rensch zum Anlass genommen zu haben, die Situation auszunutzen und gegen Ries vorzugehen. Was genau geschah, ist nicht mehr rekonstruierbar: Fischer schrieb in einem Brief vom 18. Juni 1944 lediglich, dass sie der Fakultät gegenüber im Rahmen der Nachfolgesuche darauf hingewiesen habe, wie Rensch sich gegenüber Ries verhalten habe, als er eingezogen worden sei.618 Der Vorgang scheint jedoch so schwerwiegend gewesen zu sein, dass er selbst an Renschs späterer Stelle in Prag noch nachwirkte. So schrieb der mit Ries befreundete Prager Anatom Gerhard Geißler nach Renschs Wechsel dorthin an Ries’ Frau: „Durch den Krach, den er mit Ihrem Mann in Münster gehabt hat, geht er mir geflissentlich aus dem Weg.“619 Später dann: 612 613 614 615 616 617 618 619

Nachlass Maria Ries, Erich Ries an Maria Ries, 11.12.1943. Gespräch des Autors mit Frau Dr. Marlies Bösenberg, 22.11.2010. Gespräch des Autors mit Frau Dr.  Marlies Bösenberg, 22.11.2010, und mit Herrn Dr. Eberhard Ries, 10.12.2010. Nachlass Maria Ries, Kriegstagebuch von Frau Maria Ries, Eintrag „Weihnachten 1943“. Ebd., Erich Ries an Maria Ries, 11.12.1943. Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, Deutsche Dienststelle (WASt) an Ursula Schütz, geb. Ries, 25.8.2010. Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 18.6.1944. Ebd., Geißler an Maria Ries, 12.2.1944.

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„Dass ich zu Rensch nichts sage, ist selbstverständlich. Außerdem scheint er mich geradezu mit Ihrem Mann zu identifizieren; er geht mir so offensichtlich aus dem Wege, dass ich von mir aus natürlich auch jede Begegnung vermeide.“620

Es ist davon auszugehen, dass diese Auseinandersetzung ein Grund für das spätere gespannte Verhältnis zwischen Fischer und Rensch war. Für die Zeit vom 7. Dezember 1943 bis zum 16. Januar 1944 sind eine Reihe von Feldpostbriefen, die Ries an seine Frau sandte, überliefert. Sie geben Aufschluss darüber, wie sich die Hoffnungen des Zoologen auf eine Rückkehr zu seiner Familie mehr und mehr auflösten. Am 7. Dezember teilte er mit, dass sich seine Frau an Mevius wenden solle, falls ihm etwas zustoße, da dieser alle Pensionsfragen im Kopf habe wie ein Fachmann.621 Am 11. Dezember 1943 nannte er „für alle Fälle“622 einige Wissenschaftler, darunter seinen Freund Manfred Aschner, die mit dem von ihm zurückgelassenen Material weiterarbeiten könnten und sich um seine Frau und ihre Tochter kümmern würden. Gleichzeitig schrieb er jedoch auch: „Bedenke immer, dass ich das Schicksal von Millionen teile [und] zudem die Erwartung habe, in 8 Wochen zurück zu kommen.“ Je mehr die Zeit aber voranschritt, desto pessimistischer sah er seine Chancen, lebend von der Front, an der er teilweise nur wenige hundert Meter vom Feind entfernt lag, zurückzukehren.623 Insbesondere die Gedanken an seine Familie quälten ihn: „Der Gedanke an mein eigenes Ende wäre süss, wenn er zu trennen wäre von den Gedanken an Euch. Mir selbst wäre es dann eine wahre Erlösung aus Unerbittlichkeiten, die mir manchmal fast zu schwer für mich erscheinen.“624

Am Ende sollten sich Ries’ Befürchtungen bewahrheiten. Zu seiner Familie kehrte er nicht mehr zurück. Am 29. Februar 1944 wurde der Zoologe, am letzten Tag seines Fronteinsatzes,625 bei einem Gefecht in der Nähe von Parfirowka getötet.626 Ein testamentarischer Brief, der zusammen mit den Feldpostbriefen überliefert wurde, gibt Einblicke darin, welchen Dingen der Biologe Zeit seines Lebens die größte Bedeutung zugemessen hatte: „Der Höhepunkt meines Lebens aber war die Zeit im vorigen Jahr in Sigmaringen. Wir und [Tochter, DD] Ursula, das unbeschwerte [und] glückliche Schaffen an meinem Buche – dies alles zusammen war die letzte Erfüllung in meinem Leben. Damit gab mir das Leben alles, was es zu vergeben hat – tiefes Glück [und] Erfolg in Ehe [und] Beruf, letztes Lebensgefühl als Vater [und] Gatte.“627 620 Ebd., Geißler an Maria Ries, 21.4.1944. 621 Ebd., Erich Ries an Maria Ries, 7.12.1943. 622 Ebd., Erich Ries an Maria Ries, 11.12.1943. 623 Nachlass Maria Ries, Erich Ries an Maria Ries, 16.1.1944. 624 Ebd. 625 UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Frau Ries an Dekan, 2.5.1944. 626 UAMs, Bestand 10, Nr. 12537, Bd. 1, Wehrmacht an Frau Ries, 18.4.1944. 627 Nachlass Maria Ries, testamentarischer Brief, undatiert.

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Als Ries’ Tod bekannt wurde, reagierten seine Kollegen geschockt. Am 14. Mai 1944 notierte selbst Rensch in seinem Tagebuch: „Es ist eine besondere Tragik, dass dieser ausgesprochen militärfeindliche junge Zoologe sein Leben für das ‚Neue Deutschland‘ lassen musste.“628 Neben Ries’ Familie wurde jedoch am Stärksten seine Assistentin Fischer getroffen. Zahlreiche Briefe an Ries’ Frau belegen die tiefe Trauer der Zoologin. Mit dem Tod des Ordinarius war eine bleibende Veränderung im Verhalten Fischers feststellbar. Sie zog sich von ihrer Umgebung zurück, verfiel in depressive Phasen und klammerte sich an ihre Arbeit an Ries’ Manuskripten. Insbesondere die Einsamkeit machte ihr zu schaffen.629 Es ist davon auszugehen, dass ihre späteren gesundheitlichen Probleme hier ihren Anfang nahmen. Durch seinen plötzlichen Tod war Ries mitten aus seiner Forschung gerissen worden. Wie bereits geschildert, hatte er noch während seines Kriegsdienstes an mehreren Manuskripten gearbeitet. Hierzu zählte neben „Die Biologie der Zelle“ und „Lebensprobleme im Wandel der Zeit“ auch eine Sammlung populärwissenschaftlicher Aufsätze mit dem Titel „Rätsel des Lebens“, welche Ries unter dem Pseudonym „Hein Brakenhoff“ hatte veröffentlichen wollen.630 Nach Kriegsende beabsichtigte Ries’ Witwe nun, die Schriften publizieren zu lassen, nicht zuletzt um ihre katastrophale wirtschaftliche Lage zu mildern. Eine Voraussetzung hierfür war jedoch eine posthume Entnazifizierung des Zoologen.631 Dies war einer der Gründe632 dafür, dass sich Frau Ries an eine Reihe von ausländischen, teils jüdischen Kollegen und Freunden ihres Mannes wandte, zu denen dieser auch während der NS-Zeit weiter Kontakt gehalten hatte. Am 12. Januar 1947 übersandte sie die gesammelten Unterlagen an den Dekan der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät. Hierzu bemerkte sie: „Dass mein Mann nie überzeugter Nationalsozialist oder gar aktives Mitglied der Partei war, geht aus den beigefügten Gutachten ausländischer, z. T. jüdischer Kollegen – deren Zahl ich übrigens leicht vergrößern könnte – klar hervor.“633 628 629 630 631 632

633

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 14.5.1944. Nachlass Maria Ries, diverse Briefe Fischer an Frau Ries, 1944ff. Brief von Franz-Josef Schütz an den Autor, 5.12.2010. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Frau Ries an Dekan, 12.1.1947. Eine wichtige Rolle spielte dabei auch die Tatsache, dass die Auszahlung von Pensionen im direkten Zusammenhang mit der Entnazifizierungskategorie stand. Frau Ries befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer ökonomisch wie gesundheitlich existenzbedrohender Lage. Die Wohnung in Münster war zerstört, die wenigen geretteten persönlichen Gegenstände und Möbel nicht erreichbar. Außerdem war sie an Tuberkulose erkrankt und hielt sich mit ihrer ebenfalls infizierten Tochter in einem Krankenhaus in Stuttgart beziehungsweise einem Sanatorium in Schömberg auf (siehe Brief von Franz-Josef Schütz an den Autor, 5.12.2010). Außerdem hatte der OP der Provinz Westfalen Mitte Februar 1946. die Zahlungen an die ausgebombte Witwe mit der Begründung eingestellt, dass sie ihren Wohnsitz außerhalb der Provinz Westfalen genommen habe (siehe Nachlass Maria Ries, OP an Frau Ries, 13.2.1946). UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Frau Ries an Dekan, 12.1.1947.

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Die Schreiben schienen ihr Recht zu geben. Von der Hebrew University Jerusalem, Experimental Pathology, äußerte sich Leonid Doljanski mit den Worten: „Through my personal acquaintance with Dr. Ries I know that his political views were strongly anti-nazi.“634 Ähnlich auch sein Kollege vom Department of Hygiene, Manfred Aschner: „Erich Ries was well known to me and I have proofs [sic!] that till the end he was opposed to Nazism.“635 Franz Schrader vom Department of Zoology an der Columbia University in New York schrieb positiv über Ries’ wissenschaftliche Kompetenz636 und stellte fest: „Ries war also keineswegs ein Befürworter der nationalsozialistischen Bewegung“.637 Auch Ernst Matthes, der aus politischen Gründen an das Museu e Laboratorio Zoologica Coimbra/Portugal gegangen war, gab an, dass Ries als einer der wenigen Kollegen auch nach Matthes’ zwangsweiser Versetzung in den Ruhestand 1937 noch den Kontakt zu ihm aufrecht gehalten habe.638 Schließlich äußerte sich noch der Niederländer van Weel, den Ries 1942 unter der Beteuerung, dieser sei streng pro-deutsch, als Aushilfsassistenten an die Universität Münster hatte holen wollen, mit den Worten: „Personally a definitive opponent to the Hitler-regime an Nazism.“639 Hinzu kamen noch weitere Aussagen. Somit hatte sich eine ganze Reihe renommierter und der Unterstützung des Nationalsozialismus unverdächtiger Wissenschaftler für den Zoologen eingesetzt. Diesen Schreiben stand jedoch Ries’ Eintritt in die NSDAP 1937 sowie die Übernahme verschiedener Ämter im NSDDB gegenüber. Auch dass er, beispielsweise, in einem Gutachten über seinen Kollegen Koch dessen „in allen Belangen nationalsozialistisch empfindende Persönlichkeit“ schätzte und sich auch über Krügers NS-Lebenswandel positiv äußerte, macht eine Einordnung des Zoologen nicht einfacher.640 Ries war definitv kein NS-Aktivist, und weder in seinen wissenschaftlichen Werken noch in seiner privaten Korrespondenz spielte die Politik eine Rolle. Bis zum Ende blieb er ein Wissenschaftler, der völlig in seiner Forschung aufging. Dennoch waren es letztlich aber gerade auch „unpolitische“ Professoren wie er, die dem Nationalsozialismus durch ihr Mitwirken in NS-Organisationen und die Übernahme von NS-Posten an den Universitäten Legitimation, insbesondere in ihrer Vorbildfunktion für junge Studenten, verliehen. 634 635 636 637 638 639 640

Ebd., Statement Doljanski, 29.11.1946. Ebd., Statement Aschner, 15.11.1946. So sei er einer der ersten gewesen, der sich neue die Arbeitsweise der Zusammenarbeit zwischen Biochemie und Physikochemie mit cytologischer und histologischer Analyse zu Diensten gemacht habe. UAMs, Bestand 63, Nr. 185, Statement Schrader, 30.10.1947. Zitat im Original unterstrichen Ebd., Statement Matthes, 10.10.1946. Ebd., Statement Weel, 20.8.1946. „a definitive opponent“ im Original unterstrichen. UAMs, Bestand 92, B III 9b, Gutachten Ries, undatiert.

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Der Sichtungsausschuss der Universität urteilte schließlich am 26. November 1947, dass der Zoologe nur Mitläufer und dem Nationalsozialismus nicht innerlich ergeben gewesen sei. Frau Ries könne ihre gesetzliche Pension erhalten.641 Im endgültigen Bescheid der Spruchkammer wurde Ries am 16. März 1948 in Kategorie IV ohne Vermögensbeschränkung eingereiht.642 In der Folge konnten dann auch seine Manuskripte veröffentlicht werden. 1949 erschien „Rätsel des Lebens. Plaudereien aus Tier- und Menschenwelt“643 mit einem Vorwort von Ries’ ehemaligem akademischen Lehrer Paul Buchner. 1953 folgte „Die Biologie der Zelle“,644 welche von Ries’ Freund und Kollegen Manfred Gersch überarbeitet, ergänzt und herausgegeben wurde. „Lebensprobleme im Wandel der Zeit“ hingegen blieb unvollendet und wurde nicht veröffentlicht.645 Gerade die Abruptheit seines Endes macht es schwierig, zu einem eindeutigen Fazit über das Ordinariats Ries zu gelangen. Mit Ries hatte die Universität Münster einen mit großem wissenschaftlichem Potential ausgestatteten Zoologen nach Münster holen können. Das Vertrauen, dass die Universität dem zum Zeitpunkt seiner Berufung gerade erst 32-jährigen Wissenschaftler schenkte, zahlte dieser durch eine Revitalisierung des Institutsbetriebes zurück. Die Stagnation, die das Institut unter Webers Leitung erfasst hatte, wich unter Ries’ Führung einer Neuausrichtung der Lehre und Forschung. Trotz widrigster Umstände in Form von Kriegsbeschränkungen und Personalmangel gelang es ihm, auf Basis einer immensen Arbeitsleistung mit der Histologie ein für Münster neuartiges Forschungsgebiet zu etablieren und sich national wie international einen Namen zu machen. Ries’ wegweisende Forschungsansätze und moderne Schwerpunkte, wie beispielsweise die Krebsforschung, standen gerade erst am Anfang und hatten ihr Potential erst im Ansatz demonstrieren können. Neben dem positiven forschungsimmanenten Fazit zeichneten sich auch in anderen, unter Weber vernachlässigten Bereichen vielversprechende Entwicklungen ab. Die verkümmerten internationalen Kontakte wurden neu belebt und in die Niederlande und nach Italien ausgeweitet. Ähnlich positiv sah es im Bereich der Einwerbung von finanziellen Ressourcen aus, wo Ries zusammen mit Fischer teils umfangreiche Unterstützung durch die DFG mobilisieren konnte. All dies gelang ihm, auch hier wieder im Gegensatz zu Weber, unter völligem Verzicht auf die Verknüpfung ihrer Forschungen mit NS-Ideologie oder Modethemen. Im Vergleich zu Weber fällt zudem auch im Hinblick auf das Verhältnis von Wissenschaft und Politik eine Reihe von deutlichen Veränderungen ins Auge. Ideo641 642 643 644 645

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Ries, NW 1039–R, Nr. 419, Sichtungsausschuss der Universität Münster, 26.11.1947. Ebd., Einreihungsbescheid, 16.3.1948. Ries, Erich, Rätsel des Lebens. Plaudereien aus Tier- und Menschenwelt, Westerstede 1949. Ries, Erich, Biologie der Zelle, Leipzig 1953. Brief von Franz-Josef Schütz an den Autor, 5.12.2010.

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logisierung und Nazifizierung des Instituts, welche der Entomologe entschieden vorangetrieben hatte, wurden unter Ries nicht fortgesetzt. Zwar verstand es der Histologe geschickt, falls notwendig an Aspekte des Regimes zu appellieren, um das Institut zu fördern. Eine wissenschaftliche Legitimation des Regimes oder eine einheitliche NS-Ausrichtung des Institutes fanden jedoch nicht statt. Hatte Weber seine Assistenten, zum Teil aus politischen Gründen, noch angegriffen und ihre Karriere aktiv behindert, setzte Ries auf die Förderung des „Nachwuchses“, selbst wenn er, wie Rensch, sogar älter war als der Ordinarius oder, wie Fischer, eine Frau. Diesen positiven standen jedoch auch negative Aspekte gegenüber. Die stark schwankende Zahl der Lehrveranstaltungen hinterlässt, wenn als Indikator für die Betreuungsqualität der Studenten genommen, zwar teils einen positiveren Eindruck als im Ordinariat Weber, stellte sich streckenweise dennoch als katastrophal dar. Auch ein Blick auf die Dissertationen am Institut von 1940 bis 1945 offenbart ein zwiespältiges Bild. Zwar steigerte sich die Zahl im Vergleich zu 1936 bis 1940 von sieben auf elf, von diesen war Ries aber nur an fünf Verfahren als betreuender Doktorvater beteiligt, während die restlichen neun Arbeiten von Weber angeleitet wurden.646 Daher schlug sich die Schwerpunktänderung des Instituts hier, anders als in der Lehre, auch überhaupt nicht nieder: Die Arbeiten waren zum überwiegenden Teil morphologisch, einzelne auch ökologisch beziehungsweise entwicklungsphysiologisch orientiert. Diese Problematik war aber nicht der Arbeit des Ordinarius geschuldet, sondern hatte ihren Ursprung in den immer stärkeren Einwirkungen des Krieges auf das Institutsleben. Naturgemäß war dies ein Problem, mit dem sich Weber nicht hatte befassen müssen. Gemessen an den Schwierigkeiten, mit denen sich Ries konfrontiert sah, muss das Angebot daher als das zur damaligen Zeit bestmögliche angesehen werden. Ries konnte demnach das Institut aufgrund der geringen Zeit und der Kriegsverhältnisse nur bedingt und in Teilbereichen neu ausrichten. Sein früher Tod beendete daher nicht nur eine aufstrebende Karriere, sondern auch die Möglichkeit für das Zoologische Institut, aus dem Schatten einer Provinz­ universität hinauszutreten und sich an die nationale Spitzenforschung zu setzen. Unter Ries’ Nachfolgern sollten seine Forschungsbereiche zwar weiter gepflegt werden, gerieten jedoch aus dem Fokus und wurden, spätestens ab 1947, durch Renschs Interessen ersetzt. Erst Ries’ Tod ermöglichte diesem letztendlich, seine lange und erfolgreiche Karriere in Münster zu entfalten und das Institut, wenn auch in anderen Forschungsbereichen, zu einer herausragenden Adresse in Deutschland und der Welt zu machen. Darüber, wie sich das Institut unter einem Ordinarius Ries in der Nachkriegszeit entwickelt hätte, kann letztlich keine Aussage getroffen und nur spekuliert werden. Gemessen an den Leistungen, die er unter den schwierigen Bedingungen seiner nur dreijährigen Amtszeit bis zu seinem Tod erbrachte, 646

Teilweise waren beide Professoren an der gleichen Arbeit beteiligt, daher ergibt sich aus neun und fünf nicht die Gesamtsumme elf.

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kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sie dem Aufstieg unter Rensch nicht nachgestanden hätte.

7.  Die Vertretung des Ordinariats durch Fischer 1943 bis 1947 Mit der Einziehung des Ordinarius musste demnach Fischer ab Mai 1943 zunächst den Posten der stellvertretenden Direktorin des Zoologischen Instituts ausfüllen, eine Aufgabe, die sie zur ersten Frau an der Spitze eines Instituts der Universität Münster machte und auch reichsweit außergewöhnlich blieb. Es ist unwahrscheinlich, dass man Fischer dieses Amt übertragen hätte, wenn nicht die Kriegsverhältnisse die Verantwortlichen dazu gezwungen hätten. Wissenschaftlich stand das Zoologische Institut im auf Ries’ Einberufung folgenden Wintersemester am vorläufigen Tiefpunkt seiner bislang 67-jährigen Geschichte. Der Ordinarius, alle drei Assistenten und einer der drei Dozenten standen im Felde. Der zweite Dozent leitete hauptberuflich das Provinzialmuseum für Naturkunde und konnte daher nicht seine ganze Kraft für die Lehre aufbringen. Mit Fischer schließlich war zwar eine erfahrene Forscherin an die Spitze gerückt, die jedoch neben ihren Lehraufgaben noch den umfangreichen Verwaltungsaufgaben eines aufgrund des Krieges stark eingeschränkten Instituts gegenüberstand und von der man zusätzlich erwartete, ihre Forschungen nicht zu vernachlässigen. Das Lehrangebot im Wintersemester 1943/44 sah mit nur fünf Veranstaltungen dementsprechend katastrophal aus. Offiziell zeichnete Ries noch für zwei Seminare verantwortlich (Allgemeine Zoologie für Naturwissenschaftler, Anleitungen zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten). Ob er sie tatsächlich abhielt, ist fraglich. Rensch las Ökologie der Tiere, Fischer vergleichende Entwicklungsgeschichte. Zu dritt bot man das Kolloquium an.647 Lag man schon wissenschaftlich am Boden, auch wenn Fischer versuchte, wenigstens teilweise neue Forschungen anzustoßen und mit Untersuchungen über die Vererbung von Alterserscheinungen bei Drosophila begann,648 so traf nun auch noch der Krieg das Institut im wahrsten Sinne des Wortes schwer. Am 10. Oktober 1943 flog die britische Luftwaffe ihren ersten Tagangriff auf Münster. War das Institut bei vorhergehenden Angriffen noch unbeschadet davongekommen, erlitt es nun einen Volltreffer einer großkalibrigen Sprengbombe. Ries’ gesamtes Material, darunter Sonderdrucke, Präparate, Diapositive, unveröffentlichte Manuskripte und Kolleghefte, wurden, ebenso wie der Kurssaal, zerstört.649 Auch das kleine Laboratorium, das Vorzimmer der Bibliothek, das Hausmeisterzimmer, das Zimmer des Direktors und die Dunkelkammern wurden total vernichtet. Als zerstört mussten 647 648 649

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1943/44, S. 78f. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Schriftwechsel 1943/44, Fischer an Wirtschaftsamt Münster, 30.5.1943. Nachlass Erich Ries, Ries an Gustav Fischer, 18.10.1943.

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das Präparatorzimmer sowie Krügers Laboratorium gelten.650 Ebenso ging fast das gesamte Tiermaterial für Praktika und Kurse verloren.651 Zwar blieben die übrigen Räume weitgehend intakt, und der Betrieb konnte in begrenztem Umfang weitergeführt werden, dennoch mussten die Veranstaltungen in das Botanische Institut ausgelagert werden,652 wo der dortige Ordinarius Mevius Räume zur Verfügung stellte.653 Die Aufräumarbeiten sollten bis in das Frühjahr 1944 dauern.654 Strukturelle Änderungen oder wissenschaftliche Impulse sind für das Jahr 1943 nicht überliefert. Es wurde erneut versucht, dem Personalproblem durch die Einstellung von Nachwuchskräften zu begegnen. Wahrscheinlich zum Wintersemester 1943/44 wurde mit Helga Meckenstock erneut eine Studentin als Verwalterin einer Assistentenstelle als Ersatz für die Einberufenen angestellt, ein weiterer Hinwies darauf, dass der Rekrutierungspool für männliche Biologen erschöpft war. Wie schon bei Söfner sind für Meckenstock keinerlei Unterlagen überliefert. Klar ist nur, dass sie zum 31. März 1944 wieder aus ihrer Stelle ausschied. Sie sollte durch zwei andere weibliche Hilfskräfte ersetzt werden.655 Ob die ausgefallene Arbeitsleistung dadurch ausgeglichen werden konnte, ist fraglich. Gegen Ende des Sommersemesters sollte sich schließlich noch verschärfend auswirken, dass man trotz der kritischen Lage am Institut an anderer Stelle einen Blick auf den inzwischen zur Hauptstütze des Betriebes gewordenen Rensch geworfen hatte. An der Deutschen Karls-Universität Prag (DKU) hatte der amtierende Ordinarius für Zoologie Emanuel Trojan einen Emeritierungsantrag eingereicht. Die Naturwissenschaftliche Fakultät der Reichsuniversität hatte in der Folge eine Vorschlagsliste zur Neubesetzung des Lehrstuhls aufgestellt, an dessen Spitze der Name Rensch stand. Ihm folgten auf Platz zwei der außerplanmäßige Professor Erich Reisinger (zu dieser Zeit bei der Wehrmacht) und auf Platz drei die außerplanmäßigen Professoren Anton Koch (Danzig) sowie Wilhelm Marinelli (ebenfalls Wehrmacht). Die Fakultät machte in ihrem Begleitschreiben aber deutlich, dass sie Rensch als einzigen für den Posten für geeignet halte. So sollte der Nachfolger Trojans die systematische Zoologie in allen Bereichen gleichmäßig vertreten und besondere Fähigkeiten zum Ausbau eines Instituts auf neuzeitliche Verhältnisse verfügen. Rensch werde den Wünschen der Fakultät am meisten gerecht und wirke zudem auf den Gebieten der Tiergeographie und der Abstammungslehre führend. Daher bitte man das REM, ihn nach Prag zu berufen.656 650 651 652 653 654 655 656

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1944, Direktor des Zoologischen Instituts an Kurator, 14.10.1943. Ebd., Akte: Schriftwechsel 1943/44, Fischer an Betriebsluftschutzleiter der Universität Münster, 29.3.1944. UAMs, Bestand 62, Z 4, Bd. 2, Dekan an Rektor, 12.11.1943. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: 1944, Direktor des Zoologischen Instituts an Kurator, 14.10.1943. Ebd., Akte: Schriftwechsel 1943/44, Fischer an Kurator, 7.3.1944. Ebd., Fischer an Kurator, 21.3.1944. BAB, R 4901, Nr. 13168, Dekan Naturwissenschaftliche Fakultät Prag an REM, 5.8.1943.

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Einen Monat später informierte man auch die Universität Münster über die Pläne. In seinem Schreiben vom 14. September 1943 teilte der Kurator in Prag dem Kurator in Münster die nötigen Einzelheiten mit und bat gleichzeitig um kurzfristige Überlassung der Personalakten Renschs zur Einsichtnahme. Die Universität kooperierte und schickte diese am 28. September 1943 an die DKU.657 Danach blieb der Vorgang zunächst liegen, sodass der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der DKU am 12. November 1943 das REM dringend darum bat, einen Vertreter nach Prag zu schicken, um den zoologischen Unterricht aufrecht erhalten zu können.658 Wieder passierte zwei Monate lang nichts. Mitte Januar 1944 beauftragte das Ministerium schließlich Rensch mit der Vertretung des freigewordenen Lehrstuhls.659 Rensch selbst wurde von dem Ersuchen offenbar völlig überrascht.660 Dennoch reiste er umgehend nach Prag und trat dort am 17. Januar 1944 seinen Dienst an.661 Bereits am 30. Januar 1944 hielt er seine erste Vorlesung an der neuen Arbeitsstätte.662 Das Zoologische Institut der Universität Münster hatte somit einen weiteren wichtigen Mitarbeiter verloren. Welche Auswirkungen der Personalwechsel auf das Lehrangebot des Sommersemesters 1944 in Münster hatten, ist trotz der überlieferten Vorlesungsverzeichnisse nicht feststellbar. Sie müssen jedoch einschneidend gewesen sein. Auf dem Papier schien sich die Situation zwar, verglichen mit dem Vorsemester, wieder zum Positiven gewandelt zu haben, denn theoretisch standen zehn Seminare zur Auswahl. Die Mehrzahl davon kann jedoch nicht stattgefunden haben. Ries, der für fünf Veranstaltungen verantwortlich zeichnete, war gefallen. Rensch, mit drei Veranstaltungen gelistet, war in Prag. Lediglich Fischer, die „Allgemeine und vergleichende Histologie“ sowie ein „Tierphysiologisches Praktikum“ angekündigt hatte, war noch vor Ort.663 Ob im Sommer 1944 daher noch ein regelmäßiger Vorlesungsbetrieb stattfand und wie die Arbeit am Institut mit der noch vorhandenen Minimalbesetzung aufrecht erhalten wurde, ist aus den Akten kaum noch zu rekonstruieren. Verwaltungsschriftgut für diesen Zeitraum ist so gut wie nicht vorhanden. Dass die Universitätsbürokratie weiterarbeitete, ist jedoch unstrittig. Dies zeigen die Bemühungen um einen Nachfolger für Ries. Nachdem dessen Tod an der Universität bekannt geworden war, begann innerhalb der Fakultät die Suche nach einem Nachfolger für den Histologen. Zunächst wurde Fischer kommissarisch mit der Leitung des Instituts betraut. Zu Anfang der Überlegungen scheint sogar geplant gewesen zu sein, sie als Nachfolgerin für Ries 657 UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Kurator Prag an Kurator Universität Münster, 14.9.1943. 658 BAB, R 4901, Nr. 13168, Dekan Naturwissenschaftliche Fakultät Prag an REM, 12.11.1943. 659 Ebd., REM an Rensch, 11.1.1944. 660 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 16.1.1944 661 BAB, R 31, PA Rensch (DKU), Nr. 637, Kurator der Deutschen Wissenschaftlichen Hochschulen Prag an Deutsche Hochschulkasse in Prag, 1.2.1944. 662 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 30.1.1944. 663 Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1944, S. 55.

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zu berufen. So teilte sie am 10. Mai 1944 seiner Witwe in einem Brief mit, dass Rektor Siegmund sie für diese Stelle ausgewählt habe. Fischer war von dieser Absicht erfreut, hoffte sie doch, dadurch Ries’ Arbeiten fortführen zu können. Falls eine Ernennung zur ordentlichen Professorin jedoch Schwierigkeiten bereiten würde, so sollte ihr nach dem Willen des Rektors ein Extraordinariat für Zoologie verliehen und das Ordinariat mit einem Anthropologen besetzt werden. Dies könnte aber nur geschehen, falls es vermieden werden könne, dass die Frage der Nachfolge viel diskutiert würde. Außerdem dürften vor allem auswärtige Zoologen keine weiteren Vorschläge machen. Fischer selbst machte sich über ihre Chancen auf den Lehrstuhl jedoch keine Illusionen: „Das heißt, ich vermute ja, dass sie [die Vorschläge, DD] doch kommen; denn es wird wohl niemand an mich denken, weil eben so selten Ordinariate an Frauen vergeben worden sind!“664 Für den Fall, dass sie nicht ernannt werden würde, hatte Fischer sich zum Ziel gesetzt, zumindest eine Berufung Renschs zu verhindern. Bereits im genannten Gespräch mit Siegmund versuchte sie, ihn „um Erichs willen“665 als Nachfolger zu desavouieren. Diese Strategie verfolgte sie auch in den Monaten danach weiter. Es scheint daher, dass sich in der Auseinandersetzung zwischen Fischer und Rensch, welche noch bis in die 1960er-Jahre andauern sollte, mehrere ausschlaggebende Faktoren miteinander vermischten und für das angespannte Verhältnis der beiden sorgten. Zum einen kann sie als Nachfolgekampf zweier Zoologen gedeutet werden. Sowohl Fischer als auch Rensch wollten Ries’ Erbe antreten und hielten sich selbst für die beste Wahl für das Ordinariat. Ein weiterer Faktor waren Altersunterschied und Geschlecht. Rensch hatte bis zu seinem Weggang nach Prag unter einem acht Jahre jüngeren Ordinarius arbeiten müssen. Fischer war ebenfalls jünger als er, und zudem eine Frau. Es ist anzunehmen, dass er sich nicht erneut unterordnen wollte. Ein letzter, nicht zu vernachlässigender Punkt schließlich war das enge Verhältnis zwischen Fischer und Ries. Aus einer Reihe von Briefen der Zoologin an Ries’ Frau lässt sich herauslesen, wie sehr sie an ihrem Vorgesetzten gehangen und ihn verehrt hatte. Renschs Vorgehen gegen Ries hatte auch Fischer verletzt, weswegen in der Auseinandersetzung auch Loyalität und angegriffene Ehre eine Rolle spielten. Lange konnte sich Fischer jedoch nicht im Rennen um die Nachfolge halten. Bereits kurze Zeit nach dem Treffen zwischen Siegmund und Fischer war der Name der Zoologin wieder von der Liste möglicher Kandidaten verschwunden. Welche Gründe hierfür ausschlaggebend waren, ist aus den Quellen nicht zu ersehen. An dem Vorgang beteiligt war jedoch auch Ries’ Witwe, die an mehrere Zoologen, unter anderem den Wiener Wolfgang von Buddenbrock-Hettersdorf und den Ordinarius in Breslau, Wilhelm Goetsch, schrieb und ihnen Erich Reisinger als Nachfolger nahe legte. Diese setzten sich daraufhin umfassend für den Zoologen ein.666 664 Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 10.5.1944. 665 Ebd. 666 Ebd.

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7.  Die Vertretung des Ordinariats durch Fischer 1943 bis 1947

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In den folgenden Wochen wandte sich der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät mit der Bitte um Nennung von geeigneten Kandidaten für das Zoologische Ordinariat an eine Reihe von auswärtigen Professoren. Am 25. Mai 1944 schrieb er auch an Goetsch und bat um Vorschläge. Dabei wies er darauf hin, dass man keinen rein systematisch eingestellten Zoologen, wie es ja auch Ries nicht gewesen sei, wünsche.667 Eine Woche später übersandte Goetsch seine Vorschlagsliste und fügte hinzu, dass seiner Meinung nach ein reiner Museums-Systematiker nicht in Betracht käme.668 Ob dies eine Anspielung auf Rensch war, ist unklar, aber denkbar. Am 14. Juni 1944 äußerte sich auch der ehemalige Ordinarius Weber. Auf seiner Liste stand jedoch Rensch an erster Stelle. Über ihn äußerte sich der Ökologe sehr positiv, schränkte aber ein, dass er wegfalle, sollte er endgültig nach Prag gehen.669 Am 17. Juni 1944 traf sich die Fakultät dann zu einer ersten Besprechung. Neben Reisinger kamen zu diesem Zeitpunkt noch Hermann Giersberg (Frankfurt), Wulf Emmo Ankel (TH Darmstadt), Hans-Jürgen Stammer (Erlangen), Werner Jacobs (München), Anton Koch (Breslau), erneut Gottwalt Christian Hirsch (Utrecht) sowie Rensch in Betracht. Für diesen setzte sich während der Sitzung als einziger der scheidende Ordinarius für Botanik und ehemalige Rektor Mevius ein. Er bezeichnete Rensch als „größten und erfolgreichsten Biologen Deutschlands […], der berufen [sei], die deutsche Zoologie zu führen“. Darüber hinaus sei er„einer der bedeutendsten Genetiker der Gegenwart nicht nur Deutschlands[,] sondern überhaupt.“670 Dem widersprach nun Fischer deutlich, die anmerkte, dass ihr keine genetischen Untersuchungen Renschs bekannt seien, worauf Mevius, der auch auf Nachfrage keine Arbeiten Renschs zu diesem Thema nennen konnte, offenbar die Fassung verlor und Fischer niederschrie. Es entwickelte sich eine hitzige Debatte, an deren Ende sich Fischer jedoch durchsetzte und Rensch gestrichen wurde.671 Zwei Tage später entschied sich der Dekan dann zu einem für Münster präzedenzlosen Schritt. Er kontaktierte eigenmächtig Giersberg, teilte ihm mit, dass dieser der Favorit für Ries’ Nachfolge sei, und fragte an, ob er Interesse an einem Wechsel nach Münster hätte.672 Zu diesem Zeitpunkt lag allerdings noch keine Vorschlagsliste der Fakultät vor. Was den Dekan daher zu diesem Vorpreschen animierte, muss ungeklärt bleiben. Eine Woche später lehnte Giersberg jedoch ab.673 Damit war die Fakultät wieder am Anfang angelangt. Es sollte weitere zwei Monate dauern, bis eine endgültige Vorschlagsliste erstellt sein sollte. Sie basierte offensichtlich auf der Besprechung vom 17. Juni, denn auf 667 UAMs, Bestand 62, B III 9b, Dekan an Goetsch, 25.5.1944. 668 Ebd., Goetsch an Dekan, 31.5.1944. 669 Ebd., Weber an Dekan, 14.6.1944. 670 Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 18.6.1944. 671 Ebd. 672 UAMs, Bestand 62, B III 9b, Dekan an Giersberg, 19.6.1944. 673 Ebd., Giersberg an Dekan, 26.6.1944.

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ihr fehlte der Name Rensch. Allerdings wurde auch Reisinger nicht mehr erwähnt. Stattdessen fand sich an erster Stelle der bereits 1940 im Rahmen der Suche nach einem Nachfolger für Weber gehandelte Ankel wieder, gefolgt von Stammer sowie, auf Platz drei, Jacobs und Koch. Der Dekan machte in seinem Begleitschreiben deutlich, dass die Fakultät die Liste unter dem Gesichtspunkt aufgestellt habe, einen Zoologen zu berufen, der neben hervorragender wissenschaftlicher Leistung und Unterrichtserfahrung großes Organisationstalent besäße, da das Institut zum Teil von Luftangriffen zerstört sei und eine Hauptaufgabe des künftigen Ordina­ rius darin bestehen würde, es wiederaufzubauen. Dafür hielte man Ankel am besten geeignet.674 Auch Rektor Siegmund favorisierte inzwischen den Darmstädter Zoologen. In seinem Begleitschreiben vom 16. August 1944 machte er deutlich, dass die Situation in Münster noch immer durch die Zerstörungen des Luftangriffes vom 10.  Oktober 1943 gekennzeichnet sei. Eine restlose Instandsetzung der beschädigten Institute noch während des Krieges sei ausgeschlossen und der Ersatz der zerstörten Teile der Sammlungen und Laboratoriumseinrichtungen für die nächste Zeit nicht möglich. Für den Wiederaufbau sei daher eine besonders tatkräftige und organisatorisch befähigte Persönlichkeit nötig, die sich in den vorhandenen primitiven Verhältnissen zu Recht finden könnte. Von den auf der Liste genannten Zoologen sei dazu Ankel besonders geeignet. Er habe sein Organisationstalent bereits in Darmstadt unter Beweis gestellt und zudem an beiden Weltkriegen teilgenommen. Fall dieser nicht kommen könne, so möge man den an zweiter Stelle genannten Stammer schicken.675 Danach blieb der Berufungsvorgang vorerst in der Schwebe. Das REM versuchte nun offenbar, wie schon 1936 im Falle Webers, Einfluss auf die Liste zu nehmen, indem man erneut Hirsch ins Gespräch brachte. Darauf lassen zwei Schreiben der verantwortlichen Stellen der Universität um den Jahreswechsel 1944/45 schließen. Aber sowohl Mevius676 als auch der Dekan lehnten Hirsch wegen dessen Denunziation von Ries beim SD in Utrecht zum zweiten Male ab.677 Daraufhin zog sich das Verfahren weiter hin und war auch am 24. März 1945 noch nicht abgeschlossen, als sich der Rektor letztmalig zu diesem Vorgang schriftlich äußerte.678 Eine Woche später wurde Münster von alliierten Truppen eingenommen. Damit wurde auch der Berufungsvorgang vorerst unterbrochen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Betrieb am Institut durch den immer stärker auf das Reichsgebiet zurückschlagenden Krieg mehr und mehr beeinträchtigt worden. Dies zeigte sich in den unterschiedlichsten Bereichen. Zum einen mussten immer mehr Unterrichtsmaterialien ausgelagert werden, um sie vor der Gefahr der Zerstö674 675 676 677 678

UAMs, Bestand 9, Nr. 324, Dekan an REM, 11.8.1944. Ebd., Rektor an REM, 16.8.1944. UAMs, Bestand 62, B III 9b, Mevius an „Theo“ (Nachname und Stellung unbekannt), 28.12.1944. UAMs, Bestand 4, Nr. 707, Dekan an REM, 18.1.1945. Ebd., Aktennotiz des Rektors, 24.3.1945.

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rung durch Luftangriffe zu schützen. Im Juni 1944 ordnete Fischer die Unterbringung der wichtigsten Bücher der Bibliothek außerhalb Münsters im Schloss Nordkirchen an.679 Im August wurden Teile der wertvollen wissenschaftlichen Apparate nach Tilbeck ausgelagert.680 Gleichzeitig stellte das Institut dem bei einem Luftangriff vom 12. September 1944 komplett vernichteten Untersuchungsamt der Landesbauernschaft Westfalen Laborräume zur Verfügung.681 Zum anderen musste es wichtige Instrumente, die ihm von der DFG zur Verfügung gestellt worden waren, wieder abgeben, da sie dringend vom Reichsführer-SS benötigt wurden.682 Außerdem mussten die Institutsräume auch bei weiteren Angriffen Schaden nehmen. Im Oktober 1944 wurde die Zoologie mitsamt ihrer verbliebenen Bücher in noch zur Verfügung stehende Räume der medizinischen Institute und Kliniken verlagert.683 Auch dies blieb jedoch nur ein Provisorium, denn in den darauffolgenden Monaten sollte das Institut im Rahmen der weitreichenden Evakuierung der Universität zusammen mit anderen naturwissenschaftlichen Instituten nach Holzminden verlegt werden.684 Dieser Plan zerschlug sich jedoch. Fischer musste zu den Medizinerprüfungen nach Bad Salzuflen und zu den Biologieprüfungen nach Bad Driburg fahren.685 Geregelter Vorlesungsbetrieb war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Dies bestätigt auch das letzte Vorlesungsverzeichnis der Universität Münster, bevor sie ihren Lehrbetrieb einstellte. Für die Zoologie waren im Wintersemester 1944/45 lediglich fünf Veranstaltungen aufgeführt. Vier davon (Allgemeine Zoologie für Naturwissenschaftler, Zoologische Anfängerübungen für Naturwissenschaftler, Anleitungen zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten, Zoologisches Kolloquium) wurden von Fischer angekündigt. Auch Rensch war mit einem Seminar zur Abstammungslehre vertreten, wobei aufgrund seiner Abwesenheit unwahrscheinlich ist, dass er es auch tatsächlich abhielt.686 Dennoch lag die Forschung nicht vollständig am Boden. Noch Mitte August 1944 bewilligte die DFG Fischer auf Antrag des Generalkommissars des „Führers“ für das Sanitäts- und Gesundheitswesen für ihre in Verbindung mit dem Ordinarius für Hygiene, Karl Wilhelm Jötten, durchzuführende „Untersuchungen über Wirkung von gewerblichen Staubarten auf Zellen in Gewebekulturen“ eine Sachbeihilfe von 10.000 RM.687 Selbst Promotionen wurden noch angenommen, so dass am 29. August 1944 Liselotte Wolf ihr Studium mit einer Dissertation zum Thema 679 680 681 682 683 684 685 686 687

UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Institutsschriftwechsel 44, 1945–1946, Fischer an „Natura“-Buchhandlung Berlin, 20.6.1944. Ebd., Fischer an Wirtschaftsamt Münster. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Fischer an Kurator, 16.9.1944. BAB, R 73, Nr. 11015, DFG an Fischer, 23.9.1944. BAB, R 4901, Nr. 14889, Rektor an REM, Statusbericht über Lage der Universität Münster nach Luftangriffen vom 12.9., 30.9. und 5.10.1944, 15.10.1944. Ebd., Rektor an REM, Lagebericht, 14.2.1945. Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 9.11.1945. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1944/45, S. 56. BAB, R 73, Nr. 11015, DFG an Fischer, 17.8.1944.

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„Untersuchungen über die Kopf- und Thoraxmuskulatur und das Nervensystem der Kleiderlaus“ mit der Note gut abschloss.688 Verglichen mit den Vorjahren war aber auch dies nur noch ein Schatten des ursprünglichen wissenschaftlichen Outputs des Instituts. Fischer konnte letztlich nur versuchen, die unter Ries begonnene Neuausrichtung des Instituts zu bewahren. Eigene Impulse konnte sie, vor allem durch die Kriegsumstände, nicht setzen. Diesem nicht abgeschlossenen Prozess setzte schließlich zudem der Kriegsverlauf mit der Befreiung Münsters am 2. April 1945 ein Ende. Die amerikanischen und britischen Truppen, die Münster gegen 18 Uhr dieses Ostermontages besetzten, fanden nicht nur eine fast völlig zerstörte Stadt, sondern auch eine faktisch nicht mehr existente Universität vor. Von ehemals 39 größeren Gebäuden waren lediglich vier erhalten oder leicht beschädigt, 13 total zerstört und 22 so stark betroffen, dass sie vorerst nicht genutzt werden konnten.689 Einen wirklichen Vorlesungsbetrieb hatte bis dahin nur die Medizinische Fakultät in Bad Salzuflen aufrechterhalten können. Als Lehrinstitution hatte die Universität Münster aufgehört zu funktionieren. Eine formelle Anweisung zur Schließung der Universität wurde daher von der Besatzungsmacht nicht gegeben. Der letzte NS-Rektor, Siegmund, blieb bis zur Wahl seines Nachfolgers Georg Schreiber im Amt.690 Kurator Beyer hatte die Stadt jedoch vor ihrer Einnahme verlassen. Daher ernannte das Oberpräsidium Ende Juni 1945 rückwirkend zum Beginn des Monats Clemens Steinbicker zum neuen Leiter der staatlichen Universitätsverwaltung.691 Auf Seiten der britischen Besatzungsmacht war man stark daran interessiert, den Universitätsbetrieb so schnell wie möglich wieder in Gang zu bringen. Deshalb entfalteten sich im Zusammenspiel mit der noch vorhandenen Professorenschaft und den lokalen Behörden im Sommer des Jahres 1945 emsige Aktivitäten, welche bereits am 3. November des Jahres zur feierlichen Wiedereröffnung der nunmehr Westfälische Landesuniversität genannten Universität Münster führten.692 Die Lage des Zoologischen Instituts kurz vor der Wiedereröffnung sah zwar schlecht, aber nicht hoffnungslos aus. Zwar waren die Räumlichkeiten zum großen Teil zerstört, man hatte jedoch einen Großteil der Materialien retten und nach Tilbeck auslagern können. Die britische Militärregierung schlug in ihrem „Report on the State of the University of Münster and Proposals for its Re-opening“ eine Unterbringung in einem Neubau vor.693 Zunächst bezog man jedoch im August 1945 einige freie Räume in der Kinderklinik.694 Hier blieb die Situation vorerst an688 689 690 691 692 693 694

UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Respondek 1995, S. 33. Ebd., S. 40. Ebd., S. 44. Ebd., S. 71ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 724, Report on the State of the University of Münster and Proposals for its Re-opening, undatiert. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Fischer an Kurator, 29.8.1945.

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gespannt. Es war weder Wasser, Strom noch Brennmaterial vorhanden, und es gab keine Heizung und keine Kanalisation.695 Mit der Kapitulation waren auch einige der Dozenten, die den Krieg entweder als Soldat oder auf einem anderen Posten verbracht hatten, nach Münster zurückgekehrt. Rensch hatte seinen Arbeitsplatz in Prag im Zuge der Auflösung der Universität verlassen müssen und sich zurück nach Westfalen begeben. Am 12. Juli 1945 traf er in Münster ein und teilte dies noch am selben Tag dem Kurator mit.696 Anscheinend setzte er dort seine Angriffe gegen Ries, die 1943 ihren Anfang genommen hatten, fort. So schrieb Fischer am 9. November 1945 an Ries’ Witwe: „Rensch ist auch schon sehr lange wieder im Lande. Als er wiederkam hat er einige sehr merkwürdige Vorwürfe gegen Erich [Ries] erhoben. Ich bin ihm jedoch gleich entsprechend scharf entgegen getreten.“697 Worum es dabei ging, wurde allerdings auch jetzt nicht deutlich. Zusammen mit Rensch kehrte auch Nolte nach Münster zurück. Sie war inzwischen am 14. März 1944 auf Basis ihrer Dissertation zu „Untersuchungen über basophile Plasmastrukturen“698 promoviert worden und hatte auf Renschs Bitte ab dem 1. November 1944 in Prag gearbeitet. Auch in der alten Heimat nahm der Zoologe sie wieder unter seine wissenschaftliche Obhut. Gemeinsam mit Fischer machte sich Rensch nun daran, das Zoologische Institut wieder aufzubauen. Dabei stellten sich den beiden Zoologen drei umfangreiche Problemfelder entgegen, die eng miteinander verknüpft waren. Zum einen musste das Institut im eigentlichen Sinne wieder aufgebaut werden, da es durch den Krieg starken Schaden genommen hatte. Als Zweites musste die wissenschaftliche Forschungs- und Lehrtätigkeit reaktiviert werden. Drittens schließlich galt es, die Personalsituation zu ordnen. All dies musste unter den neuen Bedingungen einer Besatzungsmacht, den Vorzeichen der Entnazifizierung und finanziell schlechter Ausstattung geschehen. Die personelle Lage des Zoologischen Instituts in den ersten Friedensmonaten des Jahres 1945 stellte sich katastrophal dar. Ries und Jentsch waren gefallen. Röber und Krüger befanden sich noch bei der Wehrmacht, zu Reinartz’ Verbleib war nichts bekannt, Nolte war soeben erst aus Prag zurückgekehrt und an der Universität Münster gar nicht mehr angestellt. Gleiches galt für Rensch, dessen vertragliche Situation unklar war. In der Verwaltung betrachtete man Fischer als einzige Vertreterin der Zoologie an der Universität und plante mit ihr auch für die nähere Zukunft. So teilte der Kurator dem Wohnungsamt Münster Anfang Juli 1945 mit, dass ihre dauernde Mitarbeit, auch in politischer Hinsicht, gesichert sei.699 695 696 697 698 699

Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 9.11.1945. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Rensch an Kurator, 12.7.1945. Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 9.11.1945. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2, Dissertation Nolte zu „Untersuchungen über basophile Plasmastrukturen“, am 17.3.1944 mit „gut“ bewertet. UAMs, Bestand 207, Nr. 186, Kurator an Wohnungsamt Münster, 7.7.1945.

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Wenn damit auch für die nähere Zukunft die Leitung des Instituts klar geregelt war, so begannen schon kurz nach dem Zusammenbruch die Planungen für eine endgültige Besetzung des Ordinariats, in denen Fischer keine Rolle spielen sollte. Eigentlich hatte sich die Fakultät bereits im August 1944 auf Ankel als Nachfolger für Ries festgelegt. Durch das Kriegsende und die neue politische Lage war die Berufung aber ausgesetzt worden. Ende Juli meldete sich der Darmstädter Professor nun beim Rektor und bat um eine Klärung der Angelegenheit. So teilte er einerseits mit, dass er bei einer eventuellen Berufung zusagen würde, bat gleichzeitig aber darum, ihm mitzuteilen, ob mit einer solchen in absehbarer Zeit überhaupt zu rechnen sei.700 An der Universität hatte man sich jedoch in der Zwischenzeit, unter nicht unerheblichem Druck der britischen Besatzungsmacht, eines anderen Zoologen erinnert, den man nun auf dem Direktorenposten zu sehen wünschte: Leopold von Ubisch. Als Verfolgter des NS-Regimes sollte er nun rehabilitiert werden. Wie wenig selbstverständlich diese Vorgehensweise war, zeigt sich darin, dass sich die Rektorenkonferenz erst Anfang Dezember 1945, lange nachdem belastete Professoren an die Universitäten zurückgekehrt waren, verpflichtete, Emigranten zurückzuholen.701 Von Ubisch hatte die Jahre nach seiner Vertreibung durch die Nationalsozialisten in Norwegen verbracht. Dort hatte er seine wissenschaftlichen Arbeiten an verschiedenen biologischen Stationen fortsetzen können. Aber auch in seiner neuen Heimat holten ihn die Schrecken des „Dritten Reiches“ ein. Als die Wehrmacht 1940 in das skandinavische Land einfiel, weigerte sich der Zoologe, mit den Besatzern zu kollaborieren. Daraufhin verschlechterte sich seine persönliche Situation immer mehr. Zunächst wurde sein Radio konfisziert, später nahm man ihm den Pass ab und stellte ihn unter Aufsicht der Gestapo.702 1943 wurde einer seiner Söhne zusammen mit Osloer Studenten in ein Konzentrationslager verbracht. Am 11.  September 1944 wurde schließlich auch von Ubisch selbst verhaftet und verblieb bis zur Befreiung Norwegens in Gestapohaft.703 Am 16. August 1945 wandte sich der Prorektor und ehemalige Kollege von ­Ubischs in der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Adolf Kratzer, in einem Brief an den Zoologen. So sei es Kratzer eine besondere Freude, im Namen der Universität anzufragen, ob er bereit sei, auf seine frühere Stelle zurückzukehren. 700 701

702 703

UAMs, Bestand 4, Nr. 713, Ankel an Rektor, 29.7.1945. Mit besonderem Eifer kam man dieser Verpflichtung offensichtlich nicht nach. Noch im März 1946 teilte der Rektor in einem Rundschreiben den Dekanen mit, dass die Kontrollkommission äußersten Wert darauf lege, sämtliche emigrierten Professoren und Dozenten zurückzurufen, und mit Bitterkeit bemerke, dass den entsprechenden Anordnungen nicht Folge geleistet werde. Selbst danach tat sich in diese Richtung kaum etwas. Von den emigrierten Biologen kehrten nur vier an deutsche Universitäten zurück. Siehe: UAMs, Bestand 62, Nr. 3, Schreiben der Militärregierung, 6.12.1945; ebd., Bestand 4, Nr. 717, Rektor an Dekane, 2.3.1946; Deichmann 1995, S. 51. Behnke/Kosswig 1966, S. 20. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2.

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Zwar sei das Zoologische Institut praktisch zerstört und am alten Ort nicht wiederherstellbar, seine Einrichtung sei jedoch im wesentlich erhalten geblieben. Auch das alte Haus von Ubischs in der Waldeyerstraße sei nur unwesentlich beschädigt und in vollem Umfang bewohnbar. Kratzer schloss den Brief mit Grüßen an Frau und Kinder und den Worten „in alter Freundschaft“.704 Kein Wort der Entschuldigung für das an von Ubisch begangene Unrecht, ebenso keine Erwähnung der Umstände, die zu seiner Entfernung geführt hatten. Für einen unbedarften Beobachter hätte es scheinen können, also solle der Zoologe wieder eine Stelle übernehmen, die ihm durch einen simplen Verwaltungsfehler genommen worden war. Auch die Unverfrorenheit, mit der man seitens der Verwaltung die „große Freude“ der Universität in den Vordergrund stellte, der Institution, die nicht nur nichts gegen die Entfernung getan, sondern diese tatkräftig gefördert hatte, musste auf den Adressaten wie Hohn wirken. Offenbar war sich selbst das Rektorat nicht mehr sicher, warum von Ubisch die Universität Münster eigentlich hatte verlassen müssen. Im Begleitschreiben an die Militärregierung, die man um Weiterleitung des Briefes an von Ubisch bat, hieß es, dieser sei 1935 aufgrund der „Nürnberger Gesetze“ von den amtlichen Pflichten entbunden worden.705 Dass man ihn bereits vor der Anwendung der Gesetze zum Rücktritt gezwungen hatte, erwähnte man nicht. 1939 hatte man seinen erzwungenen Weggang auch in den Akten noch ganz offen als „1935 entlassen“706 (und nicht emeritiert) bezeichnet. Der Kontaktversuch des Rektorats blieb vorerst unbeantwortet. Dafür war die schlechte Kommunikationslage ins Ausland im Sommer 1945 verantwortlich. Anfang 1946 sollte man einen weiteren Versuch starten. Zunächst musste man jedoch Ankel hinhalten. Am 28. August teilte der Rektor diesem die Anfrage an von Ubisch mit. Von dessen Antwort hinge es nun ab, wie Ankels Chancen stünden. Bis dahin sei es nicht möglich, etwa Entscheidendes mitzuteilen.707 Der Darmstädter zeigte ob dieser Informationen Größe. Eine Wiederberufung von Ubischs halte er für eine gerechte Wiedergutmachung, wenn man die Art und Weise bedenke, in der man ihn entfernt hatte. Im Falle einer Zusage des ehemaligen Ordinarius würde er mit Freuden zurücktreten. Gleichzeitig bat er, auf dem Laufenden gehalten zu werden.708 Einen Tag nach dem Brief an Ankel verfügte der Kurator, dass die PhilosophischNaturwissenschaftliche Fakultät eine neue Vorschlagsliste für die Nachfolge Ries’ vorbereiten solle.709 Damit war das Rennen um das Ordinariat neu eröffnet. An die-

704 705 706 707 708 709

Ebd., Kratzer an von Ubisch, 16.8.1945. Ebd., Rektor an Militärregierung (Militärregierung), 18.8.1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Antwort der Universität Münster auf Anfrage der NSDAP, Amt Schrifttumspflege, nach rassischer Abstammung von Ubischs, 26.9.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 461, Rektor an Ankel, 28.8.1945. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, Ankel an Kratzer, 20.9.1945. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Verfügung des Kurators, 29.8.1945.

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sem sollte sich in der Folge auch Rensch wieder beteiligen. Zunächst musste dieser sich jedoch mit anderen Schwierigkeiten auseinandersetzen. Parallel zu Renschs Rückkehr aus Prag war nämlich auch der ehemalige, von den Nationalsozialisten aus dem Amt entfernte Hermann Reichling zurückgekehrt und hatte Ansprüche auf seinen alten Posten angemeldet. Der Oberpräsident der Provinz Westfalen hatte ihn daraufhin wieder als Direktor des Naturkundemuseums eingesetzt, was zwangsläufig zu Problemen mit Rensch führen musste, der die Stelle offiziell noch inne hatte.710 Der Zoologe hatte den Plan entwickelt, sich die Stelle mit Reichling zu teilen und wusste sich dabei der Unterstützung des Landeshauptmanns, der Kulturpflege und der Personalabteilung sicher. Reichling aber, gestützt durch den Oberpräsidenten, weigerte sich.711 Trotz Verhandlungen kam es bis Oktober 1945 zu keiner Einigung.712 Mitte Dezember 1945 folgte der nächste Rückschlag: Der Oberpräsident übertrug Reichling ebenfalls wieder den Posten des Beauftragten für Naturschutz der Provinz Westfalen, den Rensch vom 11. Juni 1937 an innegehabt hatte.713 Damit war Rensch vorerst ohne Anstellung, und auch am Zoologischen Institut kam es zu Reibereien mit Fischer, nachdem der ehemalige Ordinarius für Botanik, Mevius (inzwischen in Hamburg tätig), Rensch mitgeteilt hatte, dass Ries auf Betreiben Fischers gegen Rensch gearbeitet habe.714 Mevius hatte mit Fischer offensichtlich noch eine Rechnung wegen ihrer Torpedierung seiner Nachfolgepläne für Ries offen. Zusammen mit Renschs Angriffen gegen Ries vor dessen Einberufung und Fischers daraus bedingtem „Stellvertreterkrieg“ gegen Rensch sorgte dies für eine vergiftete Atmosphäre zwischen den Biologen. Verkompliziert wurde die Personalsituation nun weiter dadurch, dass, durch das Kriegsende entwurzelt, ab dem Sommer 1945 eine Reihe ehemaliger Münsterscher Biologen in die Domstadt zurückkehrten und versuchten, alte Stellen zurückzuerhalten. Der erste von ihnen war Helmut Beyer. Der ehemalige Assistent und spätere Mitarbeiter im Naturkundemuseum hatte sich nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht seines ehemaligen Arbeitgebers besonnen. Aufgrund seiner hochrangigen Tätigkeit für den Nationalsozialismus hatte Reichling ihn jedoch sofort beurlauben lassen, und auch Rensch hatte kein Interesse daran, den ihm verhassten Nationalsozialisten zur Hilfe zu eilen. Kurz darauf wurde Beyer verhaftet und in ein Internierungslager verbracht. Er sollte erst 1961 wieder eine Rolle für die Münstersche Zoologie spielen. Dem einen ehemaligen Assistenten folgte mit Hans Peters kurz darauf der nächste. Seine Versuche waren, wie bereits geschildert, von mehr Erfolg gekrönt, fand er doch sowohl die Unterstützung Fischers als auch die der Universitätsleitung. Seine

710 711 712 713 714

UAMs, Bestand 4, Nr. 713, Landeshauptmann Salzmann an Kurator, 20.9.1945. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 21.7.1945. Ebd., TBE 2.10.1945. Ebd., Kasten 26, Oberpräsident (OP) Westfalen an Rensch, 12.12.1945. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 15.7.1945 und 21.7.1945.

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Wiederanstellung kam allein dadurch nicht zustande, dass er ihr einen lukrativeren Posten in Tübingen vorzog. Ganz andere Probleme ergaben sich für Friedrich Krüger, als dieser von seinem Posten als Chemieassistent bei der Marine in Norwegen nach Münster zurückkehrte. Über ihn entschied die Militärregierung am 13. September 1945, dass er, wohl aufgrund seiner Tätigkeiten als Blockleiter, nicht weiter beschäftigt werden dürfe.715 Am 20. Oktober ordnete sie die Entlassung offiziell an, welche Krüger am 30. Oktober vom Oberpräsidenten mitgeteilt wurde. Sein weiteres Schicksal wird im dritten Teil dieser Untersuchung beschrieben. Um der Personalproblematik Herr zu werden, wurde deshalb am 1. September 1945 vorläufig bis zum 31. März 1946, längstens aber bis zur Rückkehr Röbers oder Jentschs (die Nachricht über seinen Tod war noch nicht bis zur Universität vorgedrungen) aus dem Wehrdienst, Arnold Voigt als Assistent eingestellt.716 Voigt sollte für drei Monate als einziger Assistent am Institut tätig sein. Am 1. Dezember trat schließlich der von der Wehrmacht heimgekehrte, ehemalige Gaustudentenführer Röber seinen alten Posten wieder an.717 Zuvor hatte er für die britische Besatzungsmacht als Dolmetscher gearbeitet.718 Voigt blieb dennoch weiter im Amt und ersetzte damit effektiv den gefallenen Jentsch. Ende September 1945 hatte sich noch immer keine Klarheit über die weitere Entwicklung an der Spitze des Zoologischen Instituts ergeben. Von Ubisch hatte sich auf die Anfrage der Universität noch nicht gemeldet. Nun witterten Rensch und sein Unterstützer, der neue Landeshauptmann Bernhard Salzmann, die Chance, den Zoologen auf den Direktorenposten zu hieven. Aus diesem Grund wandte sich Salzmann am 20. September 1945 an den Kurator. In seinem Brief bat der Landeshauptmann darum, Rensch, der selbst wünsche, an eine westdeutsche Universität berufen zu werden, eine Professur an der Universität Münster zu verleihen. Damit könne die Problematik, die sich durch die Wiedereinsetzung Reichlings beim Naturkundemuseum ergeben hatte, ausgeräumt 715 716

717 718

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–3737, Work Sheet der Militärregierung, 13.9.1945. Voigt, am 7.8.1910 in Göttingen geboren und evangelisch getauft, hatte von 1916 bis 1920 die Vorschule Göttingen und im Anschluss daran von 1920 bis 1929 das dortige Gymnasium besucht. Von 1929 bis 1938 hatte er an den Universitäten Münster, Freiburg, Göttingen und Köln studiert und war am 18.10.1938 promoviert worden. Ab 1939 hatte er einen Mittelschullehrerlehrgang an der Pädagogischen Akademie Lünen absolviert und war noch im selben Jahr zur Wehrmacht eingezogen worden. Dort hatte er das Verwundetenabzeichen und die Ostmedaille erhalten. Mitglied der NSDAP war er nicht gewesen; Mitgliedschaften sind lediglich für die DAF (1943–1945), die NSV (1936–1939) und die Deutschen Studentenschaft (Mai 1938 – November 1938) belegt. Aufgrund dessen wurde er am 14.10.1949 als Kategorie V entnazifiziert. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1945/46, Kurator an Fischer, 13.11.1945; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Voigt, NW 1038, Nr. 3112, Entnazifizierungsbescheid, 14.10.1949. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Röber, NW 1039–R, Nr. 583, Fragebogen, 15.7.1946. Nachlass Maria Ries, Fischer an Frau Ries, 9.11.1945.

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werden. Daher wäre eine Berufung Renschs auch ein Gefallen der Universität für die Provinzialverwaltung.719 Am selben Tag wandte sich Salzmann mit einer Abschrift des Briefes auch an den Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Auch ihn bat er, sich für eine Berufung Renschs einzusetzen.720 Interessant ist, welche Argumentation die Seite der Politik bei diesem Einmischungsversuch in die akademische Selbstverwaltung, ähnlich wie in den vorhergehenden Fällen, einzusetzen versuchte. Wenn auch unter geänderten Vorzeichen, so sollte auch diesmal eine politische Notwendigkeit die Universität von der gewünschten Richtung überzeugen. Allerdings war diesmal der Fall viel konkreter, als es die allgemeine Stützung des Regimes und politische Ausrichtung des Instituts noch 1935/1936 gewesen war. Dennoch waren die Untertöne zwischen den Zeilen nicht zu übersehen: kooperierte die Universität, stünde die Provinzialverwaltung in ihrer Schuld. Seitens der Universitätsleitung war man jedoch nicht bereit, sich auf dieses Spiel einzulassen. Am 25. September teilte der Kurator dem Landeshauptmann mit, dass das Ordinariat vorerst unbesetzt bliebe, bis man entsprechende Nachricht von von Ubisch erhalten habe. Der Zoologe wurde in diesem Schreiben im Übrigen als aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen bezeichnet  – offensichtlich war man also bereits vier Monate nach Ende des NS-Regimes der „Lingua Tertii Imperii“ nicht mehr vollauf mächtig. Sobald sich die Sachlage ändere, würde man Salzmann informieren.721 Einmal in Gang gesetzt, verstummte die Diskussion zu diesem Thema aber auch innerhalb der Universität nicht mehr. Am 4. November 1945 wandte sich der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät mit einem Schreiben an den Rektor, in dem er nochmals betonte, dass die Fakultät nicht in der Lage sei, auf den Wunsch Renschs, die freie Professur für Zoologie zu erhalten, einzugehen, solange man nichts Endgültiges über den Verbleib von Ubischs erfahren habe. Durch die ausbleibende Antwort war man sich inzwischen nicht einmal mehr sicher, ob der ehemalige Ordinarius überhaupt noch lebte. Falls von Ubisch absage, würde eine neue Liste erstellt werden, und da die Fakultät Rensch mittlerweile nicht mehr so wohlgesonnen sei, wie sie es eindeutig früher gewesen war, bestehe auch keine Sicherheit, dass nur sein Name auf die Liste gesetzt würde. Andererseits sehe man ein, dass den aus dem Osten geflüchteten Kollegen stark entgegengekommen werden müsse. Daher wolle man vorerst nur versuchen, für Rensch eine Honorarprofessur zu beantragen.722 Für das Jahr 1945 sollte sich die Personalsituation nicht weiter verändern. Rensch saß weiterhin zwischen den Stühlen. Ende des Jahres erhielt er jedoch das erste einer Reihe von prestigeträchtigen Angeboten außerhalb Münsters. Am 28. Dezem-

719 720 721 722

UAMs, Bestand 4, Nr. 713, Salzmann an Kurator, 20.9.1945. Ebd., Salzmann an Dekan, 20.9.1945. BAB, R 4901, Nr. 13168, Kurator an Salzmann, 25.9.1945. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Dekan an Rektor, 4.11.1945.

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ber 1945 bot man ihm den Posten des Direktors am Staatlichen Museum für Naturkunde in Dresden an.723 Rensch lehnte jedoch ab. Im Frühjahr 1946 hatten sich am Institut dann bereits weitere Änderungen im Personalstamm ergeben. Die hohe Fluktuation der Mitarbeiter, aber auch die unklaren Absichten der Institutsleitung, führten dazu, dass sich die Verhältnisse immer mehr in Richtung Chaos entwickelten. Zum einen kehrte Angela Nolte an das Zoologische Institut zurück. Zuvor hatte sie als Alternative versucht, den Weg als Lehrerin einzuschlagen und dafür sowohl vom Entnazifizierungsausschuss als auch von der Militärregierung grünes Licht bekommen.724 Auch Rensch selbst, der inzwischen als Honorarprofessor725 mit dem Institut verknüpft worden war, hatte mittlerweile ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen, welches bereits am 10. Oktober 1945 vorläufig mit einer Unbedenklichkeitserklärung abgeschlossen worden war.726 1946 folgte die, zumindest in diesem Fall berechtigte, Einstufung in Kategorie V.727 Offenbar hatte aber auch der spätere Ordinarius in seinem Fragebogen einige Mitgliedschaften verschwiegen. So fehlten darin Angaben über NSLB und NSV, welche er 1937 noch gemacht hatte.728 Am 21. März stellte Rensch beim Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät einen Antrag auf Einstellung einer Wissenschaftlichen Hilfskraft und schlug dafür die junge Nachwuchszoologin Nolte vor. Als Argumente führte er an, dass sie bereits unter Ries am Institut gearbeitet hatte und Renschs eigene Assistenten in Prag gewesen war.729 Der Dekan befürwortete daraufhin diesen Schritt,730 und Nolte wurde zum 1. April 1946 angestellt.731 Zum anderen kam es zu Problemen zwischen Fischer und Voigt. Die Gründe dafür sind unklar. Am 2. März 1946 schrieb die stellvertretende Direktorin an den Assistenten: „Bisher hatte ich die Absicht, Ihren am 31.3.1946 ablaufenden Dienstvertrag zu verlängern. Ich bedauere es sehr, dass Sie es durch Ihr Vorgehen gestern mir unmöglich gemacht haben, dies zu tun.“732

Kurz darauf hatte sie es sich aber bereits wieder anders überlegt. Am 22. März bat sie den Kurator um eine Verlängerung des Vertrages bis zum 30. Juni 1946.733 723 724 725 726 727 728 729 730 731 732 733

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 28.12.1945. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Nolte, NW 1100 BG.33, Br. 154, 20.6.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Dekan an Kurator, 2.4.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 722, Vermerk vom 10.10.1945. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Rensch, NW 1039-R, Nr. 594. UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Fragebogen der Militärregierung, 24.12.1945. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Rensch an Dekan, 21.3.1946; hierzu im Widerspruch steht ein Tagebucheintrag Rensch, in dem er behauptet, der Dekan, und nicht er selbst, habe Nolte vorgeschlagen, vgl: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 7.4.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Dekan an Kurator, 2.4.1946. Ebd., Rensch an Kurator, 21.9.1946. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1945/46, Fischer an Voigt, 2.3.1946. Ebd., Fischer an Kurator, 22.3.1946.

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Voigt hatte aber offensichtlich kein Interesse an einer weiteren Zusammenarbeit. Mitte Mai teilte er dem Kurator mit, das Institut zum Ende des Monats verlassen zu wollen. Der Kurator erlaubte ihm dies am 18. Mai 1946, und Voigt wechselte an das Zoologische Institut der Universität Freiburg.734 Etwa zur gleichen Zeit, als sich die Probleme mit Voigt entwickelten, folgte der nächste Rückschlag. Röber, der Ende 1945 von der Wehrmacht zurückgekehrt war und am 1. Dezember 1945735 seinen alten Posten als Assistent neben Voigt übernommen hatte, wurde am 8. März 1946 aufgrund einer Verfügung der Militärregierung vom Oberpräsidenten entlassen.736 Somit drohte dem Institut die Gefahr, ohne Assistenten da zustehen. Fischer beantragte deshalb am 16. April beim Kurator, eine der freien Stellen mit Wilhelmine Fink zu besetzen.737 Damit waren die Personalrotationen aber noch nicht beendet, denn Mitte Mai entsann sich ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter seiner alten Wirkungsstätte und nahm Kontakt nach Münster auf: Hans Breider. Am 4. Mai 1946 wandte er sich an Fischer und bat um ihre Hilfe. So könne er nicht mehr nach Müncheberg zurückkehren. Die Verhältnisse lägen bei ihm besonders ungünstig, weswegen er sich nach Verdienstmöglichkeiten umsehen müsse und, da die Arbeit an einem Zoologischen Institut ihm besonders liege, auf eine Wiedereinstellung auf seinem alten Posten hoffe.738 Breiders Kontaktversuche fielen jedoch in eine ungünstige Zeit. Ende April hatte Fischer den Physiker Kratzer gebeten, für einige Tage die Rolle ihrer Vertretung als stellvertretende Direktorin zu übernehmen. Dann reiste sie in die Sowjetische Besatzungzone (SBZ), um sich um ihre Mutter zu kümmern.739 Anstatt jedoch nur einige Tage fortzubleiben, verlängerte sich ihre Abwesenheit vom Institut immer weiter. Während sich dies einerseits katastrophal auf die Ordnung am Institut auswirkte, bescherte es Rensch auf der anderen Seite eine weitere Möglichkeit, sich dem Ordinariat zu nähern. Der Zoologe hatte inzwischen im neuen Dekan Heinrich Behnke einen einflussreichen Förderer gefunden. Bereits Anfang 1946 hatte dieser sich dafür eingesetzt, 734 735 736 737

738 739

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Voigt, NW 1038, Nr. 3112. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Röber, NW 1039–R, Nr. 583. UAMs, Bestand 9, Nr. 911, OP an Röber. Fink, geboren am 30.6.1894 in Mönchengladbach, hatte nach ihrer Schulzeit eine Ausbildung zur Technischen Assistentin absolviert und danach Arbeit am Anatomischen Institut der Universität Marburg gefunden. Ab 1938 hatte sie ein Studium der Naturwissenschaften (insbesondere Zoologie und Chemie) angeschlossen und war am 16.12.1940 in Marburg promoviert worden. 1941 war sie an die Universität Münster gewechselt und dort als Assistentin am Anatomischen Institut tätig gewesen. Sie wechselte nun zum 1.6.1946 an das Zoologische Institut. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1945/46, Fischer an Kurator, 19.4.1946; UAMs, Bestand 10, Nr. 1826, Lebenslauf, 10.12.1948; UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Kurator an Dekan, 18.7.1946. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Breider an Fischer, 4.5.1946 Ebd., Kratzer an Kurator, 1.8.1946

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dass der Honorarprofessor im Falle einer Absage von Ubischs auf den ersten Platz der neuen Vorschlagsliste kommen würde. Außerdem hatte er beim Kurator beantragt, den Posten des stellvertretenden Direktors von Fischer an Rensch zu übertragen.740 Am 2. Mai schrieb er nun an den Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Prüfungsausschusses beim Oberpräsidenten und bat, Rensch mit sofortiger Wirkung als Prüfungsmitglied für Zoologie aufzunehmen. Der Grund: „Ich höre von allen Seiten, dass Prof. Rensch wesentlich mehr als Fräulein Dr. Fischer für die Prüfungen in Frage kommt.“741 Am 28. Mai 1946 rückte der Zoologe einen weiteren Schritt in Richtung Ordinariat: Der Rektor beauftragte ihn für die Dauer der Abwesenheit Fischers mit der Aufgabe, für den Unterricht der Zoologie Sorge zu tragen.742 Zwei Wochen später war wieder Behnke an der Reihe. Er bat den Kurator, Rensch zum stellvertretenden Direktor zu ernennen, da eine Vertretung für Fischer gefunden werden müsse. Dabei motivierte ihn hauptsächlich die Sorge um das wissenschaftliche Ansehen des Instituts. Rensch habe nämlich eine überragende wissenschaftliche Bedeutung, und es bestehe die Sorge, dass er anderswo berufen würde. Da er sich in Münster bereits stark zurückgesetzt fühle, könne man ihn so leicht verlieren.743 Diese Sorge des Dekans war mehr als berechtigt. Anfang Mai 1946 hatte der Jenaer Zoologe Jürgen Wilhelm Harms, von 1921 bis 1922 selbst stellvertretender Ordinarius in Münster, Rensch eine Stelle als Konservator am Phyletischen Museum der dortigen Universität angeboten.744 Diesem Angebot folgte am 6. Juni der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Kiel, der ihn bat mitzuteilen, ob er eine eventuelle Berufung auf das dortige zoologische Ordinariat annehmen würde.745 Rensch schlug jedoch alle Angebote aus, da er einerseits weiterhin auf einen Ruf nach Münster spekulierte und andererseits Vorbehalte gegen eine Arbeit in der SBZ hatte.746 Inmitten der Probleme kam auch die Universitätsleitung mit ihren Kontaktversuchen zu von Ubisch nicht weiter voran. Ende Februar hatte man die Militärregierung erneut gebeten, einen Brief an den Zoologen (der mittlerweile als 1935 „nach Norwegen ausgewandert“ bezeichnet wurde) weiterzuleiten. Wieder erhielt man keine Antwort.747 Während man sich also einerseits weiter um den Emigranten bemühte, versuchte man gleichzeitig, Rensch nicht zu vergraulen. Behnke hielt weiter Kontakt und teilte ihm beispielsweise Ende Juni 1946 mit, dass die jetzige Situation mit Recht beklagenswert sei. Niemand habe voraussehen können, dass sich die Ver740 741 742 743 744 745 746 747

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Dekan an Rensch, 20.1.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Dekan an Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Prüfungsausschusses beim OP, 2.5.1946. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Bewerbungen um Immatrikulationen; Rektor 1944–1946; Dekan 1946; Kurator 1945–1946, Verfügung des Rektors, 28.5.1946. BAB, R 4901, Nr. 13168, Dekan an Kurator, 17.6.1946. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Rensch an Harms, 9.5.1946. Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Kiel an Rensch, 6.6.1946. Ebd., Rensch an Harms, 12.5.1946. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, Rektor an Militärregierung, 28.2.1946.

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handlungen mit von Ubisch so lange hinziehen würden. Gleichzeitig machte er dem Zoologen aber auch Mut. So halte er es für wahrscheinlich, dass die Fakultät, sollte von Ubisch absagen, Rensch an hervorgehobener Stelle auf die Vorschlagsliste für das Ordinariat setzen würde.748 Gleichzeitig verschlechterte sich aber auch die Beziehung zwischen Rensch und Fischer weiter. Der Zoologe hatte seine Vorgesetzte nämlich wiederholt im Verdacht, Stimmung gegen ihn zu machen.749 Dieser Verdacht war durchaus begründet, denn Fischer versuchte weiterhin, eine Berufung ihres Kollegen zu verhindern.750 Im Verlauf des Sommers 1946 hatte die Universität Münster somit mehrere Feuer am Zoologischen Institut zugleich zu löschen. Die Situation hatte sich inzwischen auch in der Forschergemeinschaft herumgesprochen. Am 1. Juli bot sich beispielsweise Gottwalt Christian Hirsch (dem wohl nicht bewusst war, dass die Universität ihn bereits 1940 und 1944 wegen seiner Denunziation Ries’ beim SD in Holland nicht in Betracht gezogen hatte) der Universität als neuen Ordinarius an.751 Wenig überraschend ging die Universität nicht auf das Angebot ein. Mitte Juli spitzte sich die Führungskrise immer weiter zu. Fischer war noch immer abwesend. Auch die Politik schaltete sich nun in die Problematik ein. Der Oberpräsident Westfalens schrieb Dekan und Rektor, dass es nicht anginge, dass die ordentliche Professur für Zoologie noch immer unbesetzt sei. Er bitte daher bis zum 1. September um Vorschläge für die Wiederbesetzung.752 Auch die Universitätsstellen machten weiter Druck. Erneut intervenierte Behnke beim Prorektor Kratzer. Er beschrieb die chaotischen Zustände am Institut und die Unruhe bei den Studenten. Die Unfähigkeit Fischers, einem größeren Lehrbetrieb vorzustehen, könne nun nicht mehr übersehen werden. Deshalb habe er dem Kurator vorgeschlagen, Rensch zum stellvertretenden Direktor zu ernennen. Dieser sei jedoch nicht darauf eingegangen, da Kratzer selbst diesen Posten innehabe. Nochmals bat er, Rensch einzusetzen.753 Einen Tag darauf bereits der nächste Brief: Die Verhältnisse seien immer unhaltbarer, das Institut restlos verwaist und die Angestellten ohne Aufsicht. Obwohl man sich nun geeinigt habe, dass Rensch die Leitung übernehmen solle, wolle der Kurator vor dem 1. September keinen Wechsel vornehmen. Daher bat Behnke Kratzer eindringlich, sich über die Situation genau zu erkundigen und dem Kurator Vortrag zu halten.754 Kratzer folgte den Bitten seines Kollegen, wandte sich Anfang August an den Kurator und kündigte an, dass er die stellvertretende Leitung des Zoologischen Instituts nicht länger behalten könne. Fischer, die mit ihrer kranken Mutter an der

748 749 750 751 752 753 754

UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Dekan an Rensch, 20.6.1946. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 12.5.1946. Nachlass Maria Ries, Fischer an Maria Ries, 20.2.1946. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Hirsch an Universität Münster, 1.7.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, OP an Dekan und Rektor, 6.7.1946. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Dekan an Prorektor, 11.7.1946. Ebd., Dekan an Prorektor, 12.7.1946.

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Zonengrenze feststecke, müsse durch Rensch ersetzt werden. Daher bitte er darum, diesen damit zu beauftragen.755 Eine Woche später schaltete sich auch das Botanische Institut in die Diskussion ein. Der stellvertretende Direktor des Institut, Eduard Schratz, teilte Behnke mit, dass Rensch stark für den Lehrstuhl in Kiel vorgesehen sei und sich auch eine Universität in der Russischen Zone [es handelte sich um die Universität Halle, DD] um ihn bemühe. Rensch habe trotz seiner Qualität und seiner völligen Unbelastetheit weder eine befriedigende Stellung in Münster erhalten, noch werde er ernsthaft für den Lehrstuhl in Betracht gezogen. Daher werde er wohl den Ruf nach Kiel annehmen. Falls von Ubisch auf sein altes Ordinariat verzichte, würde es sehr merkwürdig erscheinen, falls Rensch von einer anderen Universität berufen würde, ohne das die eigene Fakultät Anstrengungen gemacht hätte, ihn zu halten.756 Neben der Personalie Rensch lief auch die Besetzung der Assistentenstelle weiter. Durch Fischers Abwesenheit war Breider mit seinem Versuch, an der Universität Münster wieder Fuß zu fassen, nicht vorangekommen. Aber auch für ihn setzte sich Behnke ein. Da die Stelle frei sei, müsse die Universität ihn anstellen. Gleichzeitig bat er nochmals, Rensch zur Verwaltung des Zoologischen Instituts heranzuziehen.757 Dieser hatte den Posten in der Zwischenzeit quasi schon übernommen. So schaltete er sich in die Wiederherstellung von Arbeitsmöglichkeiten am Institut ein und kündigte für das Wintersemester 1946/47 bereits pro forma die Vorlesungen an, die eigentlich Fischer übernehmen müsse. Gleichzeitig schränkte er ein, bei einer Rückkehr Fischer lediglich seine eigenen Spezialvorlesungen zu halten.758 Auf dem Höhepunkt der Krise und der Unklarheiten759 meldete sich nun endlich auch von Ubisch aus Norwegen. Behnke hatte Ende Juli 1946 einen letzten Versuch zur Kontaktaufnahme unternommen und dem ehemaligen Ordinarius noch einmal geschrieben, dass die Universität ihn gerne zurück in Münster sähe. Gleichzeitig hatte er ihm aber auch eine Frist gesetzt, denn falls er bis zum 1. September des Jahres nicht zurückgekehrt sei, müsste die Fakultät neue Vorschläge zur Wiederbesetzung des Direktorenpostens vorlegen. Daher bitte er ihn, sich zu entscheiden.760 Am 3. August 1946 äußerte sich der alte Ordinarius nun zu den Kontaktversuchen der Universität. Zunächst teilte er mit, dass er, da Behnke in seiner Eigenschaft als Dekan schreibe, annehme, dass das Schreiben als offizielle Aufforderung, nach Münster zurückzukehren, auffassen könne. Auf Behnkes Bitte, sich zu entscheiden, könne er nur erwidern, dass er bislang noch gar nicht offiziell gefragt worden sei 755 756 757 758 759 760

Ebd., Dekan an Kurator, 1.8.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 103, Schratz an Dekan, 8.8.1946. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Dekan an Fischer, 10.6.1946, und ebd., Dekan an Prorektor, 2.8.1946. Ebd., Rensch an Dekan, 20.7.1946. Rensch hatte inzwischen ein weiteres Angebot, diesmal zur Übernahme der Leitung einer kleinen ehemaligen KWI-Forschungsstation in Krefeld erhalten. Siehe: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Steusloff an Rensch, 1.8.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Dekan an von Ubisch, 22.7.1946.

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(die vorherigen Briefe hätten nur allgemeine Formulierungen enthalten) und die aufgetretene Verzögerung daher nicht an ihm liege. Im Prinzip sei er keineswegs abgeneigt, wieder eine Professur in Deutschland zu übernehmen. Aus Norwegen sei es aber nicht möglich, sich ein klares Bild über sowohl die materiellen als auch ideologischen Grundlagen einer ersprießlichen Zusammenarbeit zu machen. Was er konkret damit meinte, führte er im nächsten Satz aus: „Mein grösstes [sic!] Bedenken ist, dass gerade meiner Person aus den Ihnen bekannten Gründen von Seiten eines Teils der Studenten Abneigung und Misstrauen entgegengebracht werden würde, die ein vertrauensvolles Zusammenarbeiten unmöglich machen würden.“761

Damit gab er den gleichen Zweifeln und Sorgen Ausdruck, die auch seinen ebenfalls emigrierten Kollegen Leo Brauner, um den zur selben Zeit das Botanische Institut der Universität Münster warb, umtrieben: Der von den Nationalsozialisten verfolgte „Halbjude“ fürchtete, die Studentenschaft könnte ihm den Vorwurf machen, den auch schon der Schriftsteller Frank Thieß an die Adresse Thomas Manns gerichtet hatte: die Emigranten hätten „aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie“762 zugeschaut und sich aus der Verantwortung gestohlen. Dennoch wolle er gerne vor Ort die Lage sondieren. Daher bat er Behnke, bei der Militärregierung eine Ein- und Ausreiseerlaubnis zu erwirken.763 Damit zerschlug sich eine rasche Klärung der Situation. Erschwerend kam hinzu, dass Behnke von Ubischs Erklärungen nicht verstand. Am 19. August wandte er sich hilfesuchend mit einer Bitte um Erläuterung an Kratzer, den er gleichzeitig darum bat, mit der Militärregierung zwecks Reisegenehmigung zu verhandeln.764 Einige Tage zuvor hatte er schon den Kurator im Groben über von Ubischs Antwort informiert. Im selben Schreiben hatte er aber auch erwähnt, dass die Kommission für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls inzwischen zusammengetreten sei und bis zum 1. Oktober Vorschläge vorlegen würde. Ebenso wies er nochmals darauf hin, dass man hoffe, Rensch, der an mehreren Stellen auf Vorschlagslisten stehen solle, nicht für das kommende Wintersemester zu verlieren.765 Kratzer, wohl in Aussicht auf ein Ende der ungeliebten Stellvertreterrolle, handelte umgehend und beantragte schon am 21. August eine Reisegenehmigung für von Ubisch. Die Angelegenheit blieb jedoch für einige Wochen bei der Militärregierung liegen und verzögerte den Ablauf weiter. Gegenüber Behnke äußerte er Ende September außerdem, wie er den Brief von Ubischs interpretiere: der Zoologe warte noch immer auf eine Anfrage einer amtlichen Stelle, da er davon ausginge, dass

761 762 763 764 765

Ebd., von Ubisch an Dekan, 3.8.1946. Kurzke, Hermann, Thomas Mann. Epoche – Werk – Wirkung, 3. Aufl. München 1997, S. 267. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, von Ubisch an Dekan, 3.8.1946. Ebd., Dekan an Kratzer, 19.8.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Dekan an Kurator, 15.8.1946.

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Berufungen nicht durch Rektor oder Dekan, sondern durch eine Regierungsstelle rechtskräftig ausgesprochen würden.766 Bedingt durch die noch immer bestehende Kommunikationsprobleme und die enorme Arbeitsbelastung, unter der die Militärverwaltung nach wie vor stand, verzögerte sich die Erteilung einer Reiseerlaubnis an von Ubisch immer weiter. Auch war noch immer keine offizielle Anfrage bezüglich der Berufung nach Norwegen abgesandt worden. Behnke, der von Ubisch in den höchsten Tönen lobte, setzte sich zwar nochmals für den ehemals Verfolgten ein,767 und kurz darauf lagen die Reisegenehmigungen schließlich auch in Oslo vor.768 Zu diesem Zeitpunkt war der Zoologe aber bereits zu einem weitreichenden Entschluss gekommen. Am 7. Oktober teilte er Behnke, dass er auf den Lehrstuhl in Münster verzichte. Auf der einen Seite führte er die Schwierigkeiten bei der Ausstellungen der Reiseunterlagen an, auf der anderen Seite seien inzwischen aber auch neue Aufgaben in Norwegen an ihn herangetreten, denen er sich nicht verweigern wolle. Der Entschluss, nicht zurückzukehren, sei ihm nicht leicht gefallen. Ausdrücklich dankte er Behnke und seinen ehemaligen Kollegen für ihr Wohlwollen und wünschte der Universität Münster einen schnellen und glücklichen Wiederaufbau.769 Wenn auch der Verzicht von Ubischs zumindest in diesem Punkt für Klarheit sorgte, waren die organisatorischen Probleme am Institut damit noch lange nicht gelöst. Im September war nach viermonatiger Abwesenheit Fischer wieder in Münster eingetroffen. Sie fand dort einen Dekan vor, der trotz ihrer Rückkehr entschlossen war, ihren Posten mit Rensch zu besetzen. Am 19. September bat er zum wiederholten Male den Kurator, den Honorarprofessor nun endlich zum stellvertretenden Direktor zu machen. Er sei Fischer an Erfahrung und Erfolg weit überlegen, und auch die Sympathien der Studenten würden eindeutig ihm gehören. Man müsse jederzeit mit einer Berufung Renschs nach außerhalb rechnen. Die Fakultät werde ihn, falls von Ubisch absage, auf die Liste setzen. Auf jeden Fall solle eine Verärgerung des Zoologen vermieden werden.770 Dennoch ließ der Kurator die Angelegenheit weiter in der Schwebe. Es ist anzunehmen, dass er davon absehen wollte, so kurz vor einer endgültigen Neuberufung noch einmal die Organisationsstrukturen des Zoologischen Instituts zu verändern. Während man also hier weiter an einer Entscheidung arbeitete, wurden zeitgleich die Personalprobleme auf der Assistentenebene geordnet. Zunächst kehrte Krüger am 9. September 1946 wieder an das Institut zurück. Dann wurde Noltes Vertrag auf Antrag Renschs, der sie zur Vorbereitung des gro-

766 767 768 769 770

UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, Kratzer an Dekan, 26.9.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Dekan an Kurator, 1.10.1946. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, Militärregierung an Rektor, 9.10.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 132, von Ubisch an Dekan, 7.10.1946. UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 2, Dekan an Kurator, 19.9.1946.

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ßen Praktikums benötigte, verlängert.771 Ebenso gelang es Röber und Breider, sich „entnazifizieren“ zu lassen.772 Damit war die Assistenten- und Dozentenebene am Zoologischen Institut wieder vollständig besetzt. Neben der unbelasteten Fink taten dort nun ein ehemaliger Schulungsleiter der SS und zwei ehemalige Blockleiter ihren Dienst. Als nächstes sollte die Besetzung des Ordinariats geklärt werden. Hier war weiterhin Rensch im Rennen. Der Zoologe hatte jedoch in der Zwischenzeit ein weiteres lukratives Angebot erhalten. Am 21. Oktober 1946 hatte der Kurator der Universität Halle ihm mitgeteilt, dass die dortige Naturwissenschaftliche Fakultät beim Präsidenten der Provinz Sachsen beantragt habe, Rensch auf den Lehrstuhl für Zoologie zu berufen. Nun bitte er um eine Stellungnahme diesbezüglich.773 Rensch, dem bereits seit längerem bewusst geworden war, dass man ihm in Münster eine gewisse Kühle entgegenbrachte,774 spielte nach der langen Wartezeit und den mehrfach ausgeschlagenen anderen Angeboten inzwischen mit dem Gedanken, den Ruf anzunehmen. Dennoch hoffte er weiter auf eine Berufung nach Münster, wo er inzwischen in Erfahrung gebracht hatte, dass er auf dem zweiten Platz der Vorschlagsliste stehe.775 Gerüchte über den Ruf in die SBZ waren auch an die Studentenschaft durchgedrungen. Sie wandte sich am 13. November mit einem Schreiben, das von mehr als 50 Personen unterzeichnet war, an die Verwaltung und bat, den Evolutionsbiologen in Münster zu behalten.776 Das Zögern der Universität Münster konnte dadurch aber nicht beeinflusst werden. Daher war auch Renschs Geduld mit der Universität kurz darauf an ihr Ende gelangt. Er teilte der Universität Halle mit, dass er bereit sei, das dortige Zoologische Institut zu übernehmen,777 und begann, Russisch zu lernen.778 Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, wie schnell die Informationen darüber an die Universitätsleitung durchdrangen. Irgendwie geartete Reaktionen seitens des Kurators oder des Rektors sind nicht überliefert. Stattdessen ging das Berufungsverfahren weiter seinen geregelten Gang, während die Universität in Halle ihrerseits weiter ihr eigenes Verfahren zum Abschluss brachte. Da sich dieses aber noch einige Monate hinzog, liefen die beiden Vorgänge eine Zeitlang parallel. Die zögerliche Haltung der Universität Münster, aber auch die mögliche Rangliste der Kandidaten, war in der Zwischenzeit sogar bis an die Spitze der Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) in Düsseldorf vorgedrungen. Ungeduldig 771 772 773 774 775 776 777 778

UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Rensch an Kurator, 21.9.1946. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Röber, NW 1037–A–REG, Nr. 12373, und UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Personal 1945/46, vorläufige Bescheinigung des Entnazifizierungsausschusses des Kreises Lippstadt für Breider, 11.10.1946. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Kurator Halle an Rensch, 21.10.1946. Ebd., Kasten 27, TBE Rensch, 7.4.1946. Ebd., Kasten 1, Rensch an Koller, 2.11.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Bittschreiben der Studentenschaft, 13.11.1946. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Kurator Halle an Rensch, 16.11.1946. Ebd., Kasten 27, TBE 31.12.1946.

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bat Ministerpräsident Rudolf Amelunxen am 16. Dezember 1946 beim Kultusministerium um die Vorlage des Dreiervorschlages. Gleichzeitig deutete er an, dass er den Wünschen der Universität keine Steine in den Weg legen wollte: „In Münster scheint man allgemein in den massgebenen [sic!] Kreisen Köhler [sic!] haben zu wollen, der, wie mir gesagt wurde, an der Spitze der Fakultätsliste steht.“779

Mitte Dezember dann hatte die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät ihre Beratungen schließlich abgeschlossen und präsentierte die endgültige Vorschlagsliste zur Besetzung des zoologischen Ordinariats. Für viele überraschend hatte sie Rensch trotz der Gefahr des Weggangs keinen Spitzenplatz eingeräumt. Stattdessen musste er sich Platz zwei mit dem außerplanmäßigen Professor Wilhelm Ludwig, kurioserweise von der Universität Halle, teilen. Auf Platz eins rangierte der vormalige Ordinarius in Königsberg, Otto Koehler. Anhand der üblichen Kurzbeschreibungen der drei Kandidaten lässt sich erneut ableiten, in welche Richtung die Fakultät das Zoologische Institut entwickelt sehen wollte. Koehler, ältester und profiliertester der drei Männer, hatte sich zunächst mit Entwicklungsgeschichte, Entwicklungs-, Reiz- und Sinnesphysiologie beschäftigt, dann vererbungswissenschaftliche Fragestellungen mit einbezogen und war schließlich zum Experten für Verhaltensforschung (welche zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Namen Tierpsychologie firmierte) geworden. Die Fakultät urteilte über ihn: „Er gilt als der z. Zt. bedeutendste Vertreter dieses Gebietes in Deutschland“. Ludwig hatte ebenso im Bereich Entwicklungsphysiologie gearbeitet, sich aber auch mit Lichtorientierung und Bewegungsphysiologie befasst sowie zu Populationslehre, Evolution und Genetik gearbeitet. Bei Rensch wurden, neben der Genetik und der Evolutionsforschung, vor allem seine vergleichend-anatomische Arbeit, seine Schriften zu Klimaregeln sowie jene zur Tiergeographie hervorgehoben.780 Alle drei hatten demnach Gemeinsamkeiten, jedoch auch explizite Fachgebiete, die zuvor an der Universität Münster noch nicht in den Vordergrund gestellt worden waren. Es fällt auf, dass sich die Fakultät bei ihrer Auswahl auf Personen beschränkt hatte, die von Ubischs Stil viel näher standen als dem Webers oder gar Ries’. Nach dem Zwischenspiel von Entomologie/Ökologie und Histologie wollte man also zur alten Stärke des Zoologischen Instituts zurück. Interessanter als der Inhalt der Vorschlagsliste ist jedoch das Begleitschreiben des Rektors, welches er am 18. Dezember 1946 an die Liste anfügte. Wie schon Mevius in den Fällen vor Rensch versuchte nun auch der neue Amtsinhaber Georg Schreiber, Einfluss auf das Berufungsverfahren zu nehmen. Seine Zusätze konterkarierten geradezu die Listenpositionen der Kandidaten. So führte er aus, dass er das Augenmerk des Ministeriums besonders auf Rensch lenken wolle. Argumentativ griff er aber, anders als sein Vorgänger, nicht auf die Qualität von Forschung und 779 780

LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Ministerpräsident NRW an Kultusministerium, 16.12.1946. Ebd., Dekan an Kultusministerium auf Dienstweg, 13.12.1946.

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Lehre oder politische Notwendigkeiten zurück, sondern mobilisierte den Druck, der ob der schwierigen wirtschaftlichen wie organisatorischen Verhältnisse noch immer auf der Landesverwaltung lastete, da er hoffte, durch das Anbieten einer schnellen, effektiven Lösung zu einer Berufung Renschs beitragen zu können. Für diesen spreche nämlich, und damit hob er diesen Faktor über Forschungsinhalte und Qualität des Lehrenden hinaus, dass er die Münsterschen Verhältnisse kenne und mit den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus des Zoologischen Instituts bereits vertraut sei. So könne „er mit der Bewältigung der sehr schwierigen Aufgaben, die die nächste Zeit für den Direktor des Zoologischen Instituts unserer Universität mit sich bringt, eher fertig werden […] als ein Herr von auswärts, der nach hierher berufen werden könnte.“781 Auch der Kurator fügte der Liste und dem Kommentar des Rektors am 7. Januar 1947 noch einen eigenen Brief hinzu. So führte er aus, dass Koehler dem Vernehmen nach inzwischen nach Freiburg berufen worden sei. Daher spreche er sich für Rensch aus.782 Damit waren die Vorschlagsunterlagen in der zweiten Januarwoche 1947 komplett und wurden an das Kultusministerium weitergeleitet. Am 15. Januar konnte es dem wartenden Ministerpräsidenten die Vorschlagsliste schließlich vorlegen.783 Dieser schien sich persönlich für den Fall zu interessieren, war von den unterschiedlichen Ansichten an der Universität und den Einmischungsversuchen von Rektor und Kurator aber offensichtlich leicht irritiert. Mitte Februar äußerte er gegenüber dem Kultusministerium, dass man bisher die gute Praxis gehabt habe, vom ersten Nominierungsplatz nur aus zwingenden Gründen abzuweichen. Ob solche in Münster eventuell vorlägen, wisse er aber nicht. Dennoch zeigte er keine Anzeichen, sich den Wünschen der Universität Münster entgegenstellen zu wollen. Falls die Fakultät die Nominierung Koehlers zurückziehe, habe man keine Bedenken, Rensch zu ernennen.784 Damit stand einer Berufung Renschs, zumindest prinzipiell, nichts mehr im Wege. Dennoch sollte es noch einige Monate dauern, bis alle Formalitäten offiziell und endgültig geklärt waren. Rensch war über die Verzögerung, die unter anderem auch durch Probleme bei der Ausstellung seines Passes für die SBZ aufgetreten waren, nicht unglücklich, erlaubte sie ihm doch, weiter in Bezug auf Münster abzuwarten.785 Wie der Zufall es wollte, richteten sowohl der Kurator der Universität Halle als auch das Kultusministerium NRW am 19. März 1947 jeweils ein Schreiben an Rensch. Während der Vorgang in Halle damit faktisch abgeschlossen wurde,786 lei781 782 783 784 785 786

Ebd., Rektor an Kultusministerium, 18.12.1946. Ebd., Kurator an Kultusministerium, 7.1.1946. Ebd., Kultusministerium an Ministerpräsident, 15.1.1947. Ebd., Ministerpräsident an Kultusministerium, 16.2.1947. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 8.3.1947. Der Kurator teilte Rensch mit, dass das Wissenschaftsministerium Sachsen-Anhalts ihn zum 1.4.1947 auf den Lehrstuhl für Zoologie berufen habe und bat ihn, mitzuteilen, wann mit seinem Eintreffen zu rechnen sei. Siehe: ebd., Kasten 26, Kurator Halle an Rensch, 19.3.1947.

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tete das Kultusministerium mit seiner Anfrage, ob Rensch bereit sei, eine mögliche Berufung nach Münster anzunehmen, den dortigen Prozess erst ein. Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren laut einem Vermerk drei Dinge gewesen: Zum einen Renschs geringe Belastung im Nationalsozialismus (vor allem die fehlende Parteimitgliedschaft), die Tatsache, dass er faktisch bereits das Zoologische Institut unter schwierigsten Bedingungen verwalte, und drittens schließlich die Gefahr eines Weggangs nach Halle.787 Endgültig war diese Entscheidung aber auch jetzt noch nicht. Anders ist es nicht zu erklären, dass man sich noch das Urteil des Bonner Ordinarius für Zoologie August Reichensperger einholte. Als dieser aber Rensch als den788 Mann für Münster bezeichnete, waren im Kultusministerium auch die letzten Zweifel beseitigt.789 Für Rensch hatten sich also das lange Warten, die Unsicherheit und das Ausschlagen zahlreicher lukrativer Angebote790 am Ende bezahlt gemacht. Am 17. April 1947 teilte er dem Kurator der Universität Halle mit, dass er nun doch nicht den ihm angetragenen Lehrstuhl übernehmen werde. Als Grund gab er an, dass dies lediglich auf die Erschwernisse der Zonengrenze für den Kontakt mit Verwandten etcetera zurückzuführen sei und keine generelle Abneigung gegen die SBZ bedeute. Von Münster erwähnte er nichts.791 Am 2. Mai teilte er schließlich dem Kultusministerium NRW seine Bereitschaft mit, das zoologische Ordinariat an der Universität Münster zu übernehmen.792 In den folgenden Monaten liefen nun sowohl auf Seiten der Politik als auch auf Seiten der akademischen Selbstverwaltung intern alle Fäden auf einen Abschluss hin zu. Besondere Eile legte die Universität aber auch jetzt nicht an den Tag. So schrieb Rensch Anfang Juni 1947 an seinen auf Java weilenden Kollegen und Freund Gottfried Koller, der ebenfalls (am Institut für Tierphysiologie) in Prag gelehrt hatte: „Die Fakultät betrachtet dies als einen vollendeten Ruf. Ich rief zurück. Es erfolgte aber noch kein Echo.“793

Mitte Juli erklärte sich das Kultusministerium mit dem Vorschlag des Dekans der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät einverstanden, Rensch zum 1.  August bis zur endgültigen Ernennung die volle Vertretung einschließlich des 787 788 789 790 791 792 793

LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Kultusministerium an Rensch, 19.3.1947. „den“ im Original unterstrichen. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Vermerk für Kultusministerium, 15.4.1947. Inzwischen hatte man ihm auch noch eine Vertretung in Erlangen angeboten. Siehe: ebd., Rensch an Kultusministerium, 2.5.1947. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Rensch an Kurator Halle, 14.5.1947, darin bezugnehmend auf nicht überlieferten Brief vom 14.5.1947. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Rensch an Kultusministerium, 2.5.1947. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 1, Rensch an Koller, 3.6.1947.

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Direktorats des Zoologischen Instituts zu übertragen.794 Auch das Finanzministerium stimmte am 30. August 1947 einer Berufung Renschs zu. Anfang September trat der Kurator in Berufungsverhandlungen mit Rensch ein. Dort tauchten Themen auf, die, und daran lässt sich erkennen, welche Kontinuitätslinien sich über Jahrzehnte durch die Geschichte des Zoologischen Instituts zogen, bereits unter von Ubisch Ende der 1920er-Jahre eine Rolle gespielt hatten, nun aber unter den Vorzeichen der Kriegszerstörungen eine völlig neue Dringlichkeit erhielten. So konstatierte Rensch, dass das Institut völlig unzureichend untergebracht sei. Daher bitte er darum, dass diesem durch Zuweisung einer Baracke an das Botanische Institut die in der Kinderklinik freiwerdenden Räume zugewiesen würden. Dies sei auch deshalb wichtig, da die bislang von der Provinzialverwaltung bereitgestellten Räume im Naturkundemuseum in Zukunft wegfielen und darunter die Forschung zu leiden hätte.795 Auf diese untragbare Raumsituation hatte der Zoologe bereits im Juni 1947 in einer Denkschrift hingewiesen und langfristig den Bau eines neuen Gebäudes gefordert.796 Um die Berufung nicht in letzter Sekunde noch durch eine Intervention des Kabinetts, dem Berufungsvorgänge vorgelegt werden mussten, in Gefahr kommen zu lassen, bereitete das Kultusministerium NRW außerdem noch ein Dossier an, dass die wichtigsten Punkte, die für Rensch sprachen, noch einmal zusammenfasste. Dabei machte sich die Politik vollständig die Argumente der Wissenschaft zu Eigen.797 Zwei Wochen später intervenierte das Kultusministerium sogar beim Rektor und bat, Rensch seine Raumwünsche zu erfüllen.798 Anfang Oktober 1947 schließlich war der Berufungsvorgang abgeschlossen. Rückwirkend zum 1. August des Jahres ernannte das Kultusministerium Rensch zum ordentlichen Professor für Zoologie an der Universität Münster.799 Mit dieser Entscheidung sollte gleichzeitig die Phase der Instabilität und des organisatorischen Durcheinanders ein Ende haben. Für die nächsten 18 Jahre war Rensch nun allein für die weitere Entwicklung des Zoologischen Institut verantwortlich. Das Jahr 1947 hatte bis zu diesem Zeitpunkt auch noch auf anderen Ebenen Veränderungen gebracht. Am offensichtlichsten war hierbei die sukzessive Ausschaltung Fischers aus ihrer Position als stellvertretende Leiterin des Instituts zu bemer794 795 796 797

798 799

UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Kultusministerium an Kurator, 18.7.1947. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Kurator an Kultusministerium, 9.9.1947. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Denkschrift Rensch, 27.6.1946. Koehler habe einen Ruf nach Freiburg angenommen, Reichensperger hielte viel von Rensch, Rektor und Studentenschaft setzten sich für ihn ein, er baue das Institut ohnehin bereits auf (Fischers Beitrag hierzu fiel dabei komplett unter den Tisch), man brauche jemanden, der die Verhältnisse in Münster kenne, und Rensch sei nie Parteigenosse gewesen. Siehe: LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Ergänzende Bemerkungen zur Kabinettsvorlage der Ernennung von Professor Rensch, 15.9.1947. Ebd., Kultusministerium an Rektor, 26.9.1947. UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Kultusministerium an Rensch, 2.10.1947.

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ken. Dekan Behnke hatte wiederholt in zahlreichen Schreiben gegenüber Rensch und der Universitätsleitung deutlich gemacht, dass er Fischer für überfordert hielt und ihren Posten an Rensch übertragen sehen wollte. Auch der Prorektor hatte sich dieser Linie angeschlossen. Daher war es nicht verwunderlich, dass, standen wichtige Entscheidungen an, immer öfter direkt mit Rensch kommuniziert und Fischer außer Acht gelassen wurde.800 Im April 1947 wurde den Verantwortlichen offenbar das erste Mal klar, dass Fischer bis zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei Ausgleich für ihre als stellvertretende Direktorin seit 1943 erbrachte Arbeitsleistung erhalten hatte. Für die vier Jahre Dienst schlug der Kurator dem Kultusministerium eine einmalige Ausgleichszahlung von 3.000 RM, das heißt 750 RM pro Jahr, vor. War dieser Betrag bereits nicht gerade großzügig gewählt, so wird die Benachteiligung der weiblichen Professorin besonders deutlich, wenn man ihm die Summe entgegenhält, die Hans Söding, seit 1945 stellvertretender Direktor am Botanischen Institut, erhalten sollte. Für ihn waren 2.500 RM, also 1.250 RM pro Jahr, vorgesehen.801 Einen Monat später wurden beide Summen unverändert bewilligt.802 Zu jenem Zeitpunkt war die Gesamtlage des Instituts noch immer nicht zufriedenstellend. Die Unterbringungsverhältnisse waren weiterhin schlecht, und für den Wiederaufbau der Sammlungen wurden vier bis fünf Jahre veranschlagt.803 Auch die Personalsituation kam nicht zur Ruhe, da sich weitere Wechsel vollzogen. Anfang April verließ Breider nach einem kurzen Zwischenspiel das Institut in Richtung französische Besatzungszone.804 Als Ersatz für ihn wurde Nolte zum 1. April von 800

801 802 803 804

Ein Beispiel hierfür ist eine Bausitzung, die im Januar 1947 stattfand. Neben den stellvertretenden Direktoren unter anderem der Botanik wurde hierzu Rensch, nicht Fischer, eingeladen, um Auskunft über den Raumbedarf des Zoologischen Instituts zu geben. Siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 717, Prorektor an Rensch, 6.1.1947. UAMs, Bestand 9, Nr. 806, Kurator an Kultusministerium, 22.4.1947. Ebd., Kultusministerium an Kurator, 13.5.1947. UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Rechnungsrevisor an Kurator. 11.3.1947. Laut Akten wollte er dort die Leitung eines Schädlingsbekämpfungsinstituts übernehmen. Tatsächlich leitete er in der Folge von 1948 bis 1950 die Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey in Rheinhessen. Danach siedelte er nach Bayern über und war dort zunächst für die Hauptstelle Rebenzüchtung der Bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim (Franken) tätig war. 1952 wurde Abteilungsdirektor und war schließlich von 1959 bis 1973 der leitende Direktor des Instituts. 1970 sollte sein Name noch einmal in den Akten der Universität Münster auftauchen. Im Dezember dieses Jahres meldete sich das Bayrische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten bei der Universität und teilte mit, dass Breider einen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt habe, da ihm in 1936 in Braunschweig nach seiner Habilitation keine Lehrbefugnis erteilt worden sei. Wie das Verfahren, wenn es denn in Gang gesetzt wurde, ausging, ist unbekannt. Akten hierzu sind nicht überliefert. Breider starb am 22.11.2000 in Würzburg. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 1083, Bayrisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten an Universität Münster, 7.12.1970; Bauer, Otmar, Die Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey, in: Kreisverwaltung Alzey-Worms (Hg.), Heimatjahrbuch des Landkreises Alzey-Worms 28 (1993), S. 41–45, hier: S. 42; Email von Rose Hain, Personalstelle

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der Wissenschaftlichen Hilfskraft zur Assistentin aufgewertet.805 Zunächst wurde ihr Vertrag jedoch nur bis zum 30. September 1947 terminiert und gleichzeitig festgehalten, dass er ebenso enden würde, sobald Jentsch vom Wehrdienst zurückkam.806 Jentschs Tod war damit auf makabre Weise letztendlich Noltes Vorteil. Ohne ihn hätte sie kaum Chancen auf ihren Posten gehabt. Auch von Seiten der Militärregierung erhielt sie nun grünes Licht. Am 31. Oktober 1947 wurde sie als „entlastet“ entnazifiziert.807 Damit waren auch die Personalverhältnisse auf dieser Ebene vorerst geordnet. Standen bis hierher die organisatorischen und personalpolitischen Aspekte der unmittelbaren Nachkriegszeit im Fokus, so soll abschließend noch ein Blick auf die forschungsimmanente Entwicklung nach dem Ende des angeblich so stark auf biologischen Grundsätzen fußenden „Dritten Reiches“ geworfen werden. Denn trotz Zusammenbruchs und Zerstörung hatte das Zoologische Institut bereits unmittelbar nach Wiedereröffnung der Universität den Lehrbetrieb wieder aufgenommen – und dabei nahtlos an die Themen der nationalsozialistischen Zeit angeknüpft. Das letzte Kriegssemester hatte mit insgesamt fünf Veranstaltungen, von denen unbekannt ist, wie viele von ihnen überhaupt noch stattfanden, nur noch ein Minimalprogramm zoologischer Lehre anbieten können. Das Vorlesungsverzeichnis des ersten Friedenssemesters im Winter 1945/46, überliefert als einfache, per Schreibmaschine abgetippte Sammlung von Seiten, offenbarte nun das ganze Ausmaß der Probleme. Für die gesamte Biologie (das heißt zu diesem Zeitpunkt Zoologie, Botanik und Pharmakognosie) wurden lediglich zwei Seminare angeboten. Dasjenige des Zoologischen Instituts, eingetragen unter dem Namen „Allgemeine Zoologie“, hielt Fischer ab.808 Für das zweite Halbjahr 1945 sind in den Akten keine Verweise auf eventuell laufende Forschungsprojekte oder anderweitige Betätigungen der Assistenten und Professoren überliefert. Erst das Jahr 1946 brachte in diesem Bereich wieder etwas Entspannung. Zunächst konnte das Institut im Januar seinen ausgelagerten Bücherbestand vom Schloss Nordkirchen zurück nach Münster transportieren.809 Diesen musste sie jedoch in der Folge aufgrund einer Verfügung von als NS-Schriftgut eingestuften Titeln säubern. Offenbar wurden im Institut als solches nur die Zeitschrift „Der Biologe“, die von Bauer, Fischer und Lenz herausgegebene „Menschliche Erblichkeitslehre“ sowie Scheidts „Allgemeine Rassenkunde“ angesehen. Ob diese geringe Zahl von aussortierten Schriften die tatsächliche Durch-

805 806 807 808 809

der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, an Autor, 27.11.2009, im Besitz des Autors; Kürschner 2003. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Fischer an Kurator, 5.4.1947. Ebd., Dienstvertrag, 26.4.1947. Ebd., Entlastungszeugnis der Militärregierung, 31.10.1947. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1945/46, unnummeriert. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Institutsschriftwechsel 44, 1945–1946, Aktenvermerk, 19.1.1946.

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setzung des Bücherbestandes mit NS-Literatur widerspiegelt, ist unbekannt.810 Viel Schriftgut mag zur damaligen Zeit, anders als vielleicht heute, nicht diesem Bereich zugeordnet worden sein. Andererseits würde eine geringe Belastung des Bestandes zu den größtenteils neutral formulierten Veranstaltungstiteln der Vorjahre passen. Für das folgende Sommersemester 1946 ist eine erhebliche Ausweitung des Lehrangebotes zu verzeichnen: Fischer und Rensch boten nunmehr zehn Veranstaltungen an. Dabei orientierten sie sich an dem, was auch vor dem Zusammenbruch bereits am Institut gelehrt worden war. Fischer las unter anderem über die Biologie der Zelle sowie experimentelle Zellforschung und blieb somit ihrem Spezialgebiet Histophysiologie verbunden. In Abwesenheit Krügers übernahm sie auch dessen alte Veranstaltung zur Tierphysiologie. Auch Rensch blieb vertrauten Themen treu: er las über Ökologie und Tiergeographie (diese Veranstaltung hatte 48 Hörer), Wirbellose (126 Hörer) und gab ein vergleichend-anatomisches Praktikum (30 Hörer).811 Erstmals wurden auch wieder Lehrausflüge angeboten. Ein scharfer inhaltlicher Schnitt zu der Zeit vor dem Mai 1945 ist also nicht feststellbar.812 Neben dem ausgeweiteten Vorlesungsplan begann man langsam, auch außeruniversitäre Kontakte zu revitalisieren oder neu aufzubauen. Die Verbindung zum Naturkundemuseum blieb, wenn auch unter negativen Vorzeichen bedingt durch die Auseinandersetzung zwischen Rensch und Reichling, erhalten. Auch über die Stadtgrenzen hinaus blieb Rensch, hauptsächlich durch Vortragsreisen, aktiv. So sprach er unter anderem am 27. September 1946 in Lingen (Ems).813 Die Themen seiner Vorträge waren dabei breit gefächert: Neben „Sinne und Umwelt der Tiere“ und „Das Werden eines Lebewesens (Experimentelle Ergebnisse)“ zeigte er auch Bilder von seiner Sunda-Reise von 1927.814 Ebenso wurden Verbindungen zu anderen Organisationen geknüpft. So wurde der Zoologe im August des Jahres zum Beisitzer im Vorstand des naturhistorischen Vereins des Rheinlandes und Westfalens gewählt.815 Für das Sommersemester 1946 sind erstmals auch wieder Statistiken überliefert, die die Anzahl von Biologiestudenten an der Universität Münster belegen. So hatten sich 149 Studenten für das Fach eingeschrieben, was bei einer Gesamtstudentenzahl der Universität von 2.688 Personen einen Prozentsatz von 5,5 Prozent ausmachte. Bezogen auf die Naturwissenschaften stellte die Biologie 29,1 Prozent.816 Zum Vergleich: an der Universität Tübingen waren bei einer Gesamtzahl von 2.619 810 811 812 813 814 815 816

Ebd., Akte: Bewerbungen um Immatrikulationen; Rektor 1944–1946; Dekan 1946; Kurator 1945–1946, Fischer an Kurator, 26.4.1946. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 10.6.1946. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1946, S. 19. UAMs, Bestand 4, Nr. 638, Stadtverwaltung Lingen (Ems) an Professor Beckmann, 27.9.1946. Ebd., Vortragswerk der Universität Münster 1946/Oktober. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Brief vom 18.8.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 753, Struktur der Studentenschaft Sommersemester 1946.

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Studenten nur 77 Biologen immatrikuliert.817 Laut einer weiteren Statistik betrug die Gesamtzahl der Biologiestudenten an acht weiteren Universitäten der britischen Zone im Sommersemester 1946 gerade einmal 147.818 Während in den folgenden Semestern bis zur Amtsübernahme des neuen Ordinarius die Zahl der Gesamtstudenten weiter anwuchs (Wintersemester 1946/47: 3.328; Sommersemester 1947: 3.483), sank die Zahl der Biologen wieder auf 120 ab. Auch ihr Anteil an den Naturwissenschaftlern fiel auf 20 Prozent.819 Insgesamt gesehen schien Münster jedoch, was die Zahl der Nachwuchsbiologen betraf, mit an der Spitze zu stehen. Die Zahl der Vorlesungen blieb auch im Wintersemester 1946/47 konstant. Wieder teilten sich Fischer und Rensch die Aufgaben. Von den Assistenten wurde niemand herangezogen. Thematisch blieb man der Linie des Vorjahres treu und griff sogar mit einer Veranstaltung zum Thema „Die Parasiten des Menschen“ (Rensch) auf Bereiche zurück, die vormals Stempell gelesen hatte. Auffällig ist, dass mehrere Seminare doppelt vorkamen. So gab es jeweils zwei Große Zoologische Praktika, zwei Anleitungen zu wissenschaftlichen Arbeiten und zwei Kolloquien. In allen Fällen übernahm Rensch die Veranstaltung für Anfänger und Fischer die für Fortgeschrittene. Dazu las die stellvertretende Direktorin noch „Biologie der Zelle“ und „Vergleichende Entwicklungsgeschichte“.820 Ob diese Zweiteilung einem institutsinternen Konkurrenzkampf entsprang oder einfach nur eingerichtet wurde, um besser auf die Bedürfnisse der Studenten einzugehen, ist nicht ersichtlich. Im Sommersemester 1947 wurde die Anzahl der Seminare schließlich auf 14 ausgebaut. Dies war hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass mit Krüger nunmehr ein dritter Dozent in den Lehrbetrieb zurückkehrte. Neben einer „Anleitung zu selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten“ las er dabei, wie bereits im „Dritten Reich“, zu seinen Spezialgebieten Tierphysiologie und Stoffwechsel. Fischer blieb weiterhin bei histophysiologischen Themen, las aber auch Genetik, während Rensch unter anderem die Hauptvorlesung zu „Wirbeltieren“ (mit etwa 130 Hörern)821 übernahm.822 Es hatte sich also eine nach Spezialgebieten unterteilte Arbeitsteilung zwischen den Dozenten etabliert, die sich in nichts von der Situation vor dem Zusammenbrauch des Nationalsozialismus unterschied. Wenn auch, 817 818

819

820 821 822

Ebd., Statistik des Sommersemester 1946 der Universität Tübingen, undatiert. Dies bezog sich auf die Universitäten Göttingen, Kiel, Düsseldorf, Hannover, Aachen, Braunschweig und Claustahl, siehe: ebd., Statistik der Universitäten der britischen Zone, 5.12.1947; aufgrund der nicht offengelegten Zählungskriterien sind diese Zahlen nur bedingt zum Vergleich mit anderen Statistiken heranziehbar. Ebd., Struktur der Studentenschaft Wintersemester 1946/47 beziehungsweise Sommersemester 1947; wie bereits in früheren Statistiken wird nicht aufgeschlüsselt, wie genau Studenten der Biologie definiert werden. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl sowohl Botanik als auch Zoologie und Pharmakognosie einschloss; wie sich das Ganze jedoch nach Haupt- und Nebenfächern aufschlüsselte, ist nicht bekannt. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1946/47, S. 27. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 2.6.1947. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1947, S. 42.

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und das muss immer beachtet werden, aus den Titeln der Veranstaltungen nicht zwangsläufig auf deren Inhalt und Ausformung geschlossen werden kann, so fällt die starke wissenschaftliche wie auch personelle Kontinuität über den politischen Systemwechsel hinaus dennoch auf und weist auf gefestigte, unabhängige Strukturen hin, die sich im Laufe der Jahre am Zoologischen Institut herausgebildet hatten. Neben dem Anstieg der Veranstaltungen zeigte sich darüber hinaus auch eine wissenschaftliche Belebung der Dissertationsprojekte. Mitte 1947 forschten bereits wieder elf Doktoranden am Institut.823 Zur ersten Promotion kam es aber erst nach der Amtsübernahme des neuen Ordinarius: Am 13. Dezember 1947 wurde Walter Partmann auf Basis seiner Arbeit zu „Untersuchungen über die komplexe Ausbildung von Körpergrößenänderungen bei Dipteren“ das Doktordiplom verliehen.824

8.  Das Ordinariat Rensch 1947 bis 1962 (1968) Mitte Juli 1947 wurde Bernhard Rensch zunächst vorläufig, Anfang Oktober 1947 dann endgültig rückwirkend zum 1. August des Jahres das Ordinariat für Zoologie an der Universität Münster übertragen. Seine Vorgängerin Fischer wurde am 14. August offiziell durch den Kurator von der Leitung des Instituts entbunden. Gleichzeitig übermittelte er ihr seinen Dank für die geleistete Arbeit.825 Damit war Fischer vorerst kaltgestellt. Die Universitätsverwaltung hatte also ihr Ziel erreicht. Mit dem neuen Ordinarius zog in den auf seine Berufung folgenden Monaten auch neues Personal am Institut ein. Als erstes machte Rensch seinen langjährigen Schützling Nolte am 1. September endgültig zur planmäßigen Assistentin.826 Sie sollte, auf wechselnden Stellen, bis 1987 am Zoologischen Institut verbleiben.827 In den folgenden Monaten wurden dann auch die beiden anderen Assistentenstellen neu besetzt. Zum einen kehrte Wilhelmine Fink wieder an das Anatomische Institut der Universität Münster zurück.828 Ihre Stelle übernahm ab dem 1. September 1947 auf Renschs Antrag hin Karl-Wilhelm Harde.829 823 824 825 826 827 828 829

UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 1, Denkschrift Rensch, 27.6.1946. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2, Dissertation Walter Partmann zu „Untersuchungen über die Komplexe Ausbildung von Körpergrößenänderungen bei Dipteren“ vom 13.12.1947, bewertet mit „sehr gut“. UAMs, Bestand 92, Nr. 68, Kurator an Fischer, 14.8.1947. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Personalbogen, 24.11.1956. Vgl. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014. UAMs, Bestand 10, Nr. 1826. Karl-Wilhelm Harde wurde am 1.1.1922 in Lohne geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule in Bad Sassendorf von 1928 bis 1932 wechselte er auf das Archigymnasium in Soest, wo er 1940 seine Reifeprüfung ablegte. Von 1936 bis 1938 war er in der HJ tätig, am Ende im Rang eines Kameradschaftsführers. Nach eigenen Angaben wurde er 1938 aufgrund kirchlicher Differenzen mit seinem Bannführer seines Postens enthoben und nicht, wie andere Kameraden, in die NSDAP aufgenommen. Im Anschluss

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Auf der anderen Assistentenstelle war zunächst noch Röber tätig. Dieser entschied jedoch zu kündigen, um sich dem Museumsdienst zu widmen. Möglicherweise hatten hier auch Probleme mit Rensch eine Rolle gespielt, der sich gegen die Erteilung einer Dozentur für den Assistenten gesperrt hatte.830 Am 15. November 1947 genehmigte der Kurator die Aufhebung des Vertrages, und der Assistent wechselte an das Landesmuseum für Naturkunde in Münster. Dort übernahm er die Schriftleitung von „Natur und Heimat“, der Zeitschrift, die Feuerborn gegründet und danach Rensch geführt hatte.831 Damit blieb er also dem Zoologischen Institut aufs Engste verbunden. Nach dem Tod des Direktors des Museums, Reichling, übernahm Röber 1948 auch dessen Amt als Landesbeauftragter für Naturschutz (ebenfalls vormals von Rensch innegehabt).832 An Röbers Stelle wurde mit Hans Steiner ein weiterer Nachwuchszoologe eingestellt.833 Er übernahm zum 1. Dezem-

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an seine Schulzeit tat Harde von April 1940 bis August 1940 Dienst im Reichsarbeitsdienst. Danach schrieb er sich zum Studium ein und wurde Mitglied des NSDStB, wurde aber bereits 1941 zum Wehrdienst einberufen und verblieb dort bis Kriegsende. Während des Krieges erhielt er das EK II und das Flakkampfabzeichen. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 2513, Rensch an Kurator, 16.9.1947; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Harde, NW 1039–H, Nr. 844, Fragebogen, 1.8.1947. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 8.3.1947. Berger 2001, S. 94f. 1949 verließ Röber Münster und fand eine Anstellung als Realschullehrer in Borghorst. Ab 1966 war er wieder in seiner alten Heimat tätig, diesmal in Münster-Hiltrup. 1974 wurde er pensioniert. Siehe: Leh, Almut, Zwischen Heimatschutz und Umweltbewegung. Die Professionalisierung des Naturschutzes in Nordrhein-Westfalen 1945–1975 (Geschichte des Natur- und Umweltschutzes 1), Frankfurt 2006, S. 58f.; Berger 2001, S. 94f. Hans Steiner wurde am 11.4.1921 in Kornwestheim als Sohn eines Schuhfabrikarbeiters geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule Kornwestheim von 1927 bis 1931 wechselte er auf die Oberrealschule Ludwigsburg, wo er von 1931 bis 1939 verblieb und seine Reifeprüfung ablegte. Vom 1.4.1939 bis zum 30.12.1939 leistete er seine Dienstpflicht beim Reichsarbeitsdienst (RAD) ab. Dort erhielt er das WestwallEhrenzeichen. Im folgenden Jahr schrieb er sich an der TH Stuttgart ein, konnte dort aber nur zwei Trimester studieren, da er bereits am 20.6.1941 zum Wehrdienst einberufen wurde. Während eines Studienurlaubes war ihm jedoch die Belegung des Wintersemesters 1943/44 möglich. Im Kriegsdienst erhielt Steiner 1942 die Deutsch-Italienische Erinnerungsmedaille und 1944 das Infanterie-Sturmabzeichen. Gegen Ende des Krieges geriet er in US-Kriegsgefangenschaft, aus der er am 12.6.1945 entlassen wurde. Nach seiner Rückkehr nahm er noch im Wintersemester 1945/46 sein Studium der Naturwissenschaften mit dem Hauptfach Zoologie an der Universität Münster wieder auf. Politisch war er von 1934 bis 1939 in der HJ, zuletzt als Kameradschaftsführer, tätig gewesen. Seit dem 1.9.1939 war er NSDAP-Anwärter. Offenbar wurde er auch in die Partei aufgenommen, denn in seinem Entnazifizierungsverfahren brachte er eine Bescheinigung des Bürgermeisters von Kornwestheim bei, in der dieser aussagte, Steiner sei ohne sein Wissen von der HJ in die Partei überführt worden. Warum ausgerechnet eine Nicht-Parteistelle eine solche Bescheinigung ausstellte, muss ungeklärt bleiben. Ihre Aussagekraft ist, unabhängig davon, in Anbetracht neuerer Forschungen zur Aufnahmepraxis der NSDAP als äußerst unglaubwürdig einzuschätzen. Nichtdestotrotz übernahm der Sichtungsausschuss der

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ber 1947, vorerst bis zum 31. März 1948 befristet, die dritte Assistentenstelle.834 Zuvor war er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut tätig und dabei vor allem für die Neuordnung der Apparaturen und Chemikalien zuständig gewesen.835 Wie bei Harde war die Stellenübernahme vorläufig nur als Verwaltung geplant. Die Tatsache, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht promoviert worden war, weist einerseits auf sein großes Talent, andererseits aber auch auf den Mangel an erfolgversprechenden Nachwuchszoologen hin. Insgesamt hatte sich das gesamte Team des Lehrstuhls deutlich verjüngt. Keiner der Assistenten war älter als 26 Jahre. Rensch setzte also auf den Nachwuchs, um das Institut aus den unmittelbaren Nachkriegsproblemen herauszuführen. Zum Jahreswechsel waren daher die Weichen in Richtung Zukunft gestellt  – eine Zukunft jedoch, die eine eigentümliche Abwicklung der nationalsozialistischen Vergangenheit mit einschloss. Verfolgt man den Umgang mit den Beschäftigten, so stellt man fest, dass viel dafür getan wurde, durch Krieg und Zusammenbruch benachteiligte Forscher zu reintegrieren. Krüger und Röber, beides ehemalige Blockwalter beziehungsweise Blockleiter, waren beide zunächst von der Militärregierung entlassen und dann wieder eingestellt worden. Rensch und Nolte, die aufgrund des Zusammenbruchs der DKU Prag beide unter dem Vermerk „Vertriebene“ firmierten, hatten eine neue Anstellung gefunden. Breider, ehemals Schulungsleiter der SS, wurde ebenso wieder aufgenommen wie Harde und Steiner, die, wenn auch nur auf unterster Ebene, Führungsaufgaben in der HJ übernommen hatten. Rassisch, politisch oder religiös Verfolgte waren aber, obwohl sich das Innenministerium für deren Einstellung generell stark machte, nicht berücksichtigt worden. Ende Januar 1948 musste Rensch auf eine diesbezügliche Anfrage aus Düsseldorf mit einer Fehlanzeige antworten.836 Insgesamt war man sich in dieser Zeit einer Mitwirkung an NS-Unrecht offenbar gar nicht wirklich bewusst. Als die Westdeutsche Hochschulkonferenz im Mai 1950 eine Anfrage an alle Universitäten richtete, welche zwischen 1933 und 1945 vertriebenen Hochschullehrer zurückberufen worden sein, antwortete der der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät: „Von der Math.-Naturw. Fakultät ist kein Mitglied er Fakultät in den Jahren 1933–45 vertrieben worden. Lediglich ein Assistent Prof. Dr. Alfred Heilbronn (allgem. Botanik) hat

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Universität Münster die Aussage kritiklos und bezeichnete Steiner als unbelastet. Auch der Entnazifizierungsausschuss schlug schließlich eine Einstufung in Kategorie V vor. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Steiner, NW 1039–ST, Nr. 323, Fragebogen, 4.4.1948; ebd., Bescheinigung des Bürgermeisters von Kornwestheim, 26.4.1946; ebd., Sichtungsausschuss der Universität Münster, 12.4.1948; ebd., Case Summary, 15.6.1948; UAMs, Bestand 10, Nr. 6707, Lebenslauf, 29.11.1947; Benz, Wolfgang (Hg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt a. M. 2009. UAMs, Bestand 10, Nr. 6707, Dienstvertrag, 24.1.1948. Ebd., Rensch an Kurator, 3.9.1947. UAMs, Bestand 9, Nr. 858, Rensch an Kurator, 31.1.1948.

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freiwillig 1933 die Universität Münster verlassen und wurde als Ordinarius in Istambul [sic!] berufen. Diese Stelle hat er noch heute inne.“837

Mit den Realitäten an der Universität Münster hatte diese Aussage nichts gemein. Priorität hatten andere, nämlich die Hochschullehrer, die unter der Rubrik „vertrieben“ firmierten. Über sie führte man detaillierte Listen, und sie stellte man bevorzugt ein, während NS-Opfer oft leer ausgingen. Sicherlich, von Ubisch hatte als prominentes Opfer des Nationalsozialismus eine Rückkehr auf seinen alten Posten abgelehnt, dies aber nicht zuletzt unter dem bedrückenden Gefühl, in Deutschland gerade wegen seiner Emigration nicht willkommen zu sein. Anderen, durchaus vorhandenen qualifizierten ehemals Verfolgten gelang es jedoch nicht, in das akademische Milieu der Universität Münster einzudringen. Ausschlaggebend waren also nicht unmittelbar die Handlungen einer Person in der Vergangenheit, sondern die Kontinuität von Netzwerken, in die sie eingebunden war. Im Juni 1947 trafen zum ersten Mal Rensch und sein zukünftiger Kollege auf dem Direktorenposten des Botanischen Instituts, Siegfried Strugger, aufeinander. Für die gesamte Zeit von 1922 bis 1947 sind nur äußerst wenige Hinweise auf Kooperation, aber auch auf die generelle Beziehung zwischen den beiden biologischen Instituten überliefert. Dies sollte sich zwar in den folgenden Jahren, zumindest teilweise, ändern, die Ausgangsbedingungen für eine positive Zusammenarbeit gestalteten sich aber denkbar schlecht. Renschs Eindruck von Strugger war nämlich äußerst kritisch. Insbesondere fiel ihm Struggers angeblich übermäßig großes Ego unangenehm auf. So Rensch: „Strugger weiß etwas, er wird gewiss in Münster eine große ‚Schule‘ aufmachen, aber ich werde mich kaum mit ihm anfreunden.“838

Damit waren die Claims zwischen den beiden Professoren abgesteckt. Bis zu Struggers Tod 1962 sollte Rensch ihm mit Abneigung gegenüberstehen. Dies belegen eine Vielzahl ähnlicher Äußerungen in Renschs privaten Aufzeichnungen.839 Die personellen Änderungen des Wintersemesters 1947/48 wirkten sich auf den Lehrplan nur bedingt aus. Neben den Standardveranstaltungen las Fischer, die als Dozentin mit dem Institut verbunden blieb, weiterhin Zell- und Entwicklungs837 838 839

UAMs, Bestand 4, Nr. 572, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Westdeutsche Rektorenkonferenz, 10.8.1950. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 29.6.1947. Vgl. für das Folgende SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch. „Leider erweist er sich immer wieder als ehrgeizig und etwas Schaumschläger [sic!].“ [1.7.1949]; „Ein unverständlich eitler Opportunist.“ [15.5.1952]; „Strugger lehnte nach endlosen Verhandlungen München ab und ich muss weiterhin mit dem opportunistischen und ehrgeizigen Schauspieler auskommen.“ [4.11.1954]; über einen Vortrag Struggers über Chloroplasten, den dieser in Düsseldorf gehalten hatte: „Schamlose, allen imponierende Schaumschlägerei.“ [5.3.1955].

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physiologie, während Krüger Nervenphysiologie und Entwicklungsgeschichte der Wirbellosen anbot. Die Hauptvorlesung „Wirbellose“ (60 Hörer) wurde nun von Rensch übernommen, der überdies erstmals wieder eine Veranstaltung zum Thema „Abstammungslehre“ (etwa 100 Hörer) abhielt, welches an der Universität Münster in den Jahren zuvor mehr und mehr in der Versenkung verschwunden war.840 Diese zeitweilige Schwerpunktverlagerung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass der Zoologe im selben Jahr sein bis dato wichtigstes Werk „Neuere Probleme der Abstammungslehre“841 veröffentlichte, an dem er bereits in der Prager Zeit zu arbeiten begonnen hatte. Es verankerte ihn endgültig in der internationalen Spitzengruppe der Evolutionsbiologen und machte ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der „Synthetischen Theorie“.842 Gleichzeitig machte Rensch damit das Zoologische Institut in der Welt bekannt. Das folgende Sommersemester 1948 brachte in diesem Hinblick jedoch keine Kontinuität. Abstammungslehre verschwand wieder vom Lehrplan. Ob dafür Probleme, die sich aus dem Zusammentreffen dieses Themas mit dem katholischen Milieu der Bischofsstadt Münster ergeben haben könnten, verantwortlich waren, muss zumindest für diesen Zeitraum ungeklärt bleiben. Erst später finden sich in den Quellen Belege für diesbezügliche Auseinandersetzungen. Stattdessen blieben die Lehrenden weiterhin ihren alten Themen treu. Innovationen waren nicht zu finden.843 Auffallend ist, wie stark inzwischen die Medizinstudenten mit dem Lehrangebot des Zoologischen Instituts verbunden waren. Von 80 Hörern der Wirbeltiervorlesung Renschs waren die Hälfte Mediziner.844 In anderen Bereichen der Institutsarbeit wurden die unter Rensch begonnenen Neuerungen hingegen energisch vorangetrieben. So versuchte der Ordinarius, durch die Hinzuziehung neuer Lehrbeauftragter das Themenspektrum der am Institut gelehrten Forschungsfelder weiter auszubauen und ließ damit eine Strategie von Ubischs wieder aufleben. Der letzte Lehrbeauftragte, Lehmann, hatte im selben Jahr (1935) wie der alte Ordinarius das Institut verlassen und war durch niemanden ersetzt worden. Gleichzeitig versuchte Rensch, neben rein auf Forschung ausgerichteter Wissenschaft auch die anwendungsorientierte Zoologie am Institut zu stärken. 840 841 842

843 844

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1947/48, S. 44. Rensch, Bernhard, Neuere Probleme der Abstammungslehre. Die transspezifische Evolution, Stuttgart 1947. Als „Synthetische Theorie“ wird die sich zwischen 1930 und 1950 in den USA und Großbritannien, der UdSSR und Deutschland im Prozess der „evolutionären Synthese“ herausbildende Kombination von Genetik, Selektionstheorie, Paläontologie und Systematik zu einer gradualistischen, selektionistsichen Evolutionstheorie, welche die Transformation und die Aufspaltung von Arten sowie die Mikro- und Makroevolution erklären kann, bezeichnet, siehe: Hoßfeld/Junker 2000, S. 232. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1948, S. 47. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 1.5.1948.

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Den Anfang machte dabei Albert Erhardt. Am 3. Februar 1948 bat der Dekan beim Kultusministerium, diesem einen unbesoldeten Lehrauftrag für Parasitologie und angewandte Zoologie (mit Ausschluss der Fischereibiologie und der Phytopathologie) zu übertragen. Auch Erhardt galt als „Vertriebener“, was sich als weiteres Mosaiksteinchen in die auf Reintegration ausgerichtete Anstellungsstrategie am Institut einfügte.845 Erhardts parasitologische Spezialvorlesungen waren sowohl für die vorklinischen Mediziner als auch für diejenigen Biologen, die sich mit dem Gedanken trugen, eine Anstellung in der Industrie zu suchen, besonders nützlich.846 Sein Lehrauftrag wurde in der Folge in jedem weiteren Semester bis 1967 verlängert.847 Während Erhardt mit seinem Themenschwerpunkt also einerseits an frühere Tätigkeitsfelder Stempells anknüpfte, aber nicht in einer direkten personellen Kontinuität zu diesem stand, war der Fall bei der zweiten Neuanstellung eines Lehrbeauftragten anders gelagert. Hier nahm Otto-Karl Trahms im Wintersemester 1948/49 seinen Dienst an der Universität Münster auf.848 Er war in ähnlicher Tätigkeit wie zuvor Lehmann als Landesfischereisachverständiger und gleichzeitiger 845

846 847 848

Erhardt wurde am 7.5.1904 in Rostock als Sohn eines Geheimen Hofrats und ordentlichen öffentlichen Professors der Philosophie an der Universität Rostock geboren und evangelisch getauft. Nach seinem Abitur 1924 studierte er von 1924 bis 1928 Zoologie und wurde am 17.7.1928 promoviert. Von 1929 bis 1930 war er als Assistent am Zoologischen Institut der Universität Königsberg tätig und wechselte im Anschluss in gleicher Stellung an das dortige Pharmakologische Institut, wo er bis 1933 verblieb. In diesem Jahr ging er als Assistent an das Zoologische Institut der Universität Rostock. 1935 erfolgte seine Habilitation, 1937 seine Ernennung zum Dozenten. 1939 verließ er seine Stelle, um als Stipendiatsassistent und Dozent für Parasitologie und Zoologie am Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg zu arbeiten. Von dort führte ihn sein Weg 1941 in die besetzten Ostgebiete und an die Reichsuniversität Posen, wo er 1944, verantwortlich für Zoologie und tierische Parasitologie, zum Diätendozenten ernannt wurde. Während des Krieges, in dem er auch als Parasitologe für die Wehrmacht tätig war, erhielt er das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwerter. In Folge des Zusammenbruchs 1945 musste Erhardt seine Stelle verlassen und kehrte nach Heidelberg zurück, wo er von 1945 bis 1946 als Mitarbeiter an der Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft in Heidelberg-Wiesloch angestellt war. 1946 siedelte er schließlich nach Ostwestfalen über und übernahm die Leitung der parasitologischen Abteilung der ASTA-Werke in Brackwede. 1948 kam in ihm der Wunsch auf, wieder wissenschaftlich tätig zu werden, weshalb er sich um einen Lehrauftrag an der Universität Münster bewarb. Sowohl Dekan als auch Rektor setzten sich für ihn ein. Dem konnte auch Erhardts Einstufung in die Entnazifizierungskategorie IV ohne Vermögenssperre keinen Abbruch tun. Im März 1948 wurde seine Einstellung als unbesoldeter Lehrbeauftragter bestätigt. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 308; UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an Kultusministerium, 3.2.1948; ebd., Dekan an Kultusministerium, 3.2.1948; ebd., Notiz des Rektors, 5.2.1948; UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors,3.1948. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an Kultusministerium, 3.2.1948, und Notiz des Rektors, 5.2.1948. UAMs, Bestand 5, Nr. 308. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, Oktober – Dezember1948.

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Referent für Fischereiwesen im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW tätig.849 Mit ihm trat also neben Erhardt ein weiterer anwendungsbiologisch orientierter Zoologe an das Institut. Personaltechnisch war die Zoologie an der Universität Münster demnach bereits kurz nach dem Amtsantritt Renschs umfassend und thematisch breit gefächert aufgestellt. Mit einer Ausnahme sollte das Team für die nächsten acht Jahre unver849

Otto-Karl Trahms wurde am 12.1.1911 in Hamm/Westfalen als Sohn eines Bezirksschornsteinfegermeisters geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der evangelischen Volksschule Hamm wechselte er 1921 auf die dortige städtische Oberrealschule, wo er 1930 die Reifeprüfung ablegte. Er entschied sich für ein Studium der Zoologie, Botanik, Vererbungswissenschaft, Chemie und Physik, welches er von 1930 bis 1931 an der Universität Münster und von 1931 bis 1936 an der Universität Greifswald absolvierte. Am 4.2.1936 erfolgte seine Promotion, der kurz darauf vom 1.4.1936 bis zum 31.7.1936 eine Tätigkeit als Volontärassistent an der Preußischen Landesanstalt für Fischerei in BerlinFriedrichshagen folgte. Ab dem 1.8.1936 erhielt Trahms ein DFG-Stipendium, mit dem er bis zum 30.3.1940 als Assistent für Hydrobiologie an der Biologischen Forschungsanstalt Hiddensee der Universität Greifswald tätig war. Von dort wechselte er am 1.4.1940 als erster Assistent an die Reichsanstalt für Fischerei (Zentralinstitut) in Berlin-Friedrichshagen und übernahm vorübergehend die Leitung des Instituts für Netz- und Materialforschung in Lötzen (Ostpreußen). Ab Oktober 1941 hatte Trahms dann die Leitung des Instituts für fischereiliche Abwasserkunde in Münster und der Lehr- und Versuchsanstalt für Forellenzucht in Albaum inne. Zum 1.5.1942 holte auch ihn der Krieg in Form einer Einberufung als Sanitätsgefreiter ein. Die Zeit vom 3.5.1945 bis zum 15.6.1945 verbrachte er in englischer Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung übernahm Trahms die Leitung des ehemaligen Instituts der Reichsanstalt für Fischerei in Westfalen sowie der Fischereiverwaltung Westfalen. Zum 1.5.1947 wurde er schließlich zum Landesfischereisachverständigen und gleichzeitig zum Referenten für Fischereiwesen im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW ernannt. Politisch war Trahms nur wenig in Erscheinung getreten. Neben seiner Mitgliedschaft im Allgemeinen Deutschen Burschenbund war er im Mai 1933 der SA beigetreten, aus der er aber bereits am 22.2.1935 aufgrund eines Herzmuskelleidens ehrenhaft entlassen wurde. Aus diesen Gründen war er auch am 7.7.1947 von der Militärregierung entlastet worden. Wissenschaftlich hatte er ab 1936 dreizehn Publikationen vorzuweisen, die sich allesamt mit Fischen oder Gewässern befassten. Anknüpfungsversuche an nationalsozialistische Ideologie oder NS-affine Themen waren dabei nicht erkennbar. Aufgrund seines DFG-Stipendiums hatte Trahms mehrfach Gelder dieser Forschungsförderungseinrichtung erhalten und Forschungsvorhaben mit ihr koordiniert. 1936/37 führte er in ihrem Auftrag Untersuchungen zum Nährstoffgehalt von Gewässern auf Hiddensee und Rügen durch. 1939 bewilligte ihm die DFG 180  RM für weitere produktionsbiologische Untersuchungen in den Rügenschen Binnengewässern, und 1942 erhielt er 1.500 RM für Untersuchungen „über den Einfluss der Art der Fütterung auf das Wachstum von Forellen im ersten Jahr“ sowie „zur Feststellung der Ursache der lipoiden Leberdegeneration bei Regenbogenforellen“. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 37, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 8.9.1948; ebd., Entlastungszeugnis der Militärregierung, 7.7.1947; ebd., Publikationsliste, undatiert, vermutlich 1948; BAB, R 73, Nr. 15240, Personalfragebogen, 3.5.1936; ebd., Trahms an DFG, 13.2.1937; ebd., DFG an Trahms, 23.2.1939; ebd., DFG an Trahms, 13.5.1942.

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ändert bleiben, was zum ersten Mal nach langer Zeit wieder für Kontinuität und Stabilität am Institut sorgte. Auf Basis dieses Fundaments war daher in der Folge eine gleichzeitige thematische Ausweitung bei einer dezidierten Spezialisierung der einzelnen Forscher möglich. Neben diesen Aspekten blieben auch weiterhin der Ausbau von Netzwerken und die Verbindung zu außeruniversitären Einrichtungen und Forschern ein wichtiges Anliegen des neuen Ordinarius. So führte er seine Vortragsreisen fort850 und hielt regen Briefkontakt unter anderem zu Kosswig, von Ubisch, von Verschuer (dem späteren Ordinarius für das inzwischen in Humangenetik umbenannte Fach Rassenkunde) und dem ehemaligen Ordinarius Weber.851 Außerdem baute er, trotz seiner persönlichen Abneigung gegen Strugger, auch die Kooperation mit dem Botanischen Institut, mit dem ab 1948 gemeinsame Kolloquien veranstaltet wurden, aus. Die Themen waren dabei auf Zoologie und Botanik verteilt und enthielten beispielsweise Ausführungen zu „Das Domestikationsproblem“, „Zytodynamik der Befruchtung und Furchung von Seeigeln“ oder „Die Bedeutung der ökologischen Rassen für die Artbildung im Tierreich“.852 Hier klangen bereits Fragestellungen an, die in den folgenden Jahren am Institut eine wichtige Rolle spielen sollten – Verhaltenskunde, Entwicklungsphysiologie und Vererbung. Ebenso nutzte Rensch die Gelegenheit, an internationalen Symposien teilzunehmen und erste, später wichtige Kontakte zu knüpfen.853 Auch in die Bestrebungen der Universität, einen Lehrstuhl am Schnittpunkt von Biologie und Medizin zu errichten, war er eingebunden. Sie führten schließlich 1951854 zur Berufung Otmar Freiherr von Verschuers an die Spitze des Instituts für Humangenetik.855 Ein Blick auf die Studentenzahlen des Jahres 1948 lässt erahnen, dass trotz partieller Fortschritte noch immer strukturelle Probleme den weiteren Wiederaufstieg des Instituts behinderten. So war die Zahl der Hauptfachbiologen weiter auf 80 bis 100 gesunken.856 Weiterhin war man räumlich auf fünf kleine Zimmer in der Kin850 851 852 853 854 855

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Unter anderem bei den Chemischen Werken Hüls in Marl, vgl. UAMs, Bestand 4, Nr. 638, Vermerk vom 17.3.1948. Vgl. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kästen 2 und 3, diverse Briefwechsel. Vgl. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Unterricht, Unterordner: Kolloquien. Ebd., Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dez. 1956, Rensch an Rektor, 27.7.1948. LAV NRW R, Berufungsakte von Verschuer, NW 172, Nr. 697, Ernennungsurkunde, 17.3.1951. Vgl. zur Errichtung des rassekundlichen Lehrstuhls Droste, Daniel, Politik, Wissenschaft und Region. Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster im Dritten Reich, in: Westfälische Forschungen 60 (2010), S. 193–220, sowie Kröner, Hans-Peter, „Die Fakultät hat in politisch schwierigen Situationen Charakter bewiesen“: der „Lehrstuhl für Erbbiologie und Rassenhygiene“ und die Berufung Otmar Freiherr von Verschuers in Münster, in: Thamer, Hans-Ulrich/Droste, Daniel/Happ, Sabine (Hg.), Die Universität Münster im Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Brüche 1920 bis 1960 (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster 5), Münster 2012 (im Druck). Es wird hierbei angenommen, dass die Statistiken für das Jahr 1947 auch die Zahl der Hauptfachbiologen beschrieben. Rensch selbst war sich der Problematik der Statistik

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derklinik angewiesen, wozu noch zwei Räume im Landesmuseum für Naturkunde traten. Diese waren jedoch permanent von einer Schließung bedroht, womit die Unterbringung nur als notdürftig bezeichnet werden konnte. Trotz der Schwierigkeiten hatte man aber 1947 bereits wieder zehn Staatsexamina und eine Promotion durchführen können.857 Während demnach an vielen Stellen Veränderungen im Gange waren und sich Probleme auftaten, konnte zumindest ein Thema, die causa von Ubisch, nach langen Jahren abgeschlossen werden. Im Frühsommer 1948 nämlich hatte ihn die Universität wieder als Professor emeritus in das Vorlesungsverzeichnis aufgenommen und sandte ihm fortan wieder die Mitteilungen der Universität zu. Von Ubisch wandte sich daraufhin am 11. Juni 1948 an den Rektor und sprach ihm gegenüber seine Genugtuung über die neuen Veränderungen aus. Er fühle sich der Universität Münster nach wie vor in Dankbarkeit verbunden, auch wenn es ihm die Verhältnisse leider unmöglich machen würden zurückzukehren.858 Der Rektor dankte ihm daraufhin für sein Schreiben und gab kund: „Wir haben es allseits bedauert, daß Ihnen eine Rückkehr nach Münster nicht möglich war.“859 Bis zu einer endgültigen Aufarbeitung seiner Vertreibung sollte es hingegen noch einige Jahre dauern.860

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deutlich bewusst. So führte er aus, dass über die Zahl der Hauptfachbiologen keine ausreichenden Unterlagen vorlägen, da nur diejenigen erfasst wurden, die bereits an einem Praktikum teilgenommen hatten. Er ging daher von den genannten 80 bis 100 Studenten aus, vgl. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dez. 1956, Rensch an Rektor, 26.5.1948. Ebd., Rensch an Rektor, 26.5.1948. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, von Ubisch an Rektor, 11.6.1948. Ebd., Rektor an von Ubisch, 19.6.1948. 1953 stellte der ehemalige Ordinarius einen Antrag auf Wiedergutmachung für das unter den Nationalsozialisten erlittene Unrecht. An der Universität Münster, an der teilweise noch dieselben Personen in den Positionen tätig waren, die sie bereits 1935 inne gehabt hatten, war man sich indessen gar nicht mehr sicher, ob es sich bei der vorzeitigen „Emeritierung (auf eigenen Antrag)“ überhaupt um eine Verfolgungsmaßnahme gehandelt hatte. Daher wandte sich der Kurator an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät mit der Bitte um Vorlage eventuell dazu vorhandener Akten. Eine Woche darauf kam von dort aber eine überraschende Nachricht: In den Akten der Fakultät seien keine Unterlagen aus der Zeit vor 1946 über von Ubisch vorhanden – eine Aussage, die natürlich keinesfalls der Realität entsprach. Welche Gründe man für diese Angabe hatte, ist unklar. Möglicherweise hatte man nicht sorgfältig nachgesehen, möglicherweise gar nicht, und vielleicht hatte man auch bewusst gelogen, um die Beteiligung der Universitätsspitze an der Vertreibung des Zoologen zu verschweigen. Welche Gründe es auch immer hatte, die Klärung der Frage musste sich in der Folge auf auch von von Ubisch genannte Zeugen verlassen, deren Statements in den Wochen danach beim Kurator eintrafen. Dies waren Kratzer, Trier und Behnke. Die Professoren rekapitulierten nun noch einmal, welche Vorfälle sich 1935 abgespielt hatten, und schilderten dabei, von kleineren Ungenauigkeiten abgesehen, genau die Motivation der Beteiligten und die Verwicklung der verantwortlichen Stellen. Daraufhin befürwortete der Kurator in einem Schreiben an das Kultusministerium den Antrag von Ubischs, und am 19.1.1955 entsprach das Kultusministerium NRW dem Antrag des Zoologen und bescheinigte ihm, dass seine Entpflichtung zwar

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Während sich personelle Situation und Vernetzung des Instituts also weiter festigten, konnte man auch wissenschaftlich-inhaltlich neue Türen aufstoßen. So feierte eine Forschungsrichtung in der zweiten Hälfte des Jahres 1948 ihren Auftakt, die bis zur Emeritierung Renschs einen wichtigen Schwerpunkte der Arbeit am Zoologischen Institut bilden sollten: die Verhaltensforschung. Mit ihr hatte sich zwar in den 1930er-Jahre bereits ein Assistent (Peters) in seinen Arbeiten befasst hatte, sie war aber nie zu einem größeren Forschungsthema am Institut geworden. Für seine Vorlesung zu „Instinkt und Handlung“ konnte Rensch bereits im Wintersemester 1948/49 etwa 100 Hörer interessieren.861 Daneben begann man in der Folgezeit mit der Dressur von Mäusen, aber auch Zahnkarpfen, Haushühnern und später sogar Elefanten.862 Ging man hierbei für die Universität Münster neue Wege, besann man sich an anderer Stelle aber auch auf alte Stärken des Instituts. So baute man weiter auf die Erfahrungen im Bereich der Histologie, welche unter Ries Hauptforschungsbereich gewesen war und dessen Protagonistin Fischer nach wie in Münster verweilte. Rensch koppelte jedoch die Histologie mit seinen Ansätzen zur Hirnforschung und ließ unter anderem Versuche zur Transposition von Froschaugen und die Untersuchung von Spezialzellen durchführen. Ebenso begannen erste Untersuchungen des Ordinarius zur Ästhetik mit Affen, aber weiterhin auch klassische Drosophila-Studien oder Versuche zur Sinnesphysiologie.863 Ein Blick in das Vorlesungsverzeichnis des Wintersemesters 1948/49864 offenbart, dass, trotz aller Tradition, die Diversifizierung der Lehre konsequent vorangetrieben wurde. Neben den Standardthemen der einzelnen Dozenten (Fischer: Histologie, Krüger: Tierphysiologie) wagten sich diese auch in neue Bereiche, zum Beispiel Fischer mit einer Veranstaltung zur Indeterminiertheit und Kausalität in der Biologie. Daneben war nun auch Erhardt mit einer Einführung in die Landwirtschaftliche Zoologie vertreten. Zu ihm gesellte sich, als weiteres Beispiel sowohl für äußerlich gesehen auf eigenen Antrag erfolgt sei, jedoch allein aus rassischen Gründen durchgesetzt worden war und damit eine nationalsozialistische Unterdrückungsmaßnahme darstelle. Damit wurden ihm die Endbezüge eines ordentlichen Professors zugesprochen. In den Jahren danach hielt die Universität Münster den Kontakt zu ihrem ehemaligen Ordinarius unter anderem in Form von Geburtstagswünschen aufrecht. Als er schließlich am 26.7.1965 in Norwegen verstarb, ehrte die Universität den Zoologen mit einer Gedenkveranstaltung in der Aula, bei der Behnke und von Ubischs alter Freund Kosswig die Gedenkreden hielten. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Kurator an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 17.3.1953; ebd., Prodekan der Mathematisch-Naturwissen­schaft­lichen Fakultät an Kurator, 23.3.1953; ebd., Wiedergutmachungsbescheid, Kultusministerium NRW an von Ubisch, 19.1.1955; UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 13.5.1955; UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 2, von Ubisch an Rektor, 5.3.1956 bzw. 7.3.1961; Behnke und Kosswig, von Ubisch. 861 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Wintersemester 1948/49 (undatiert). 862 Ebd., Kasten 20, Vortragsmanuskript, undatiert. 863 Ebd. 864 Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1948/49, S. 53f.

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die von Rensch und Strugger angestrebte Kooperation von Zoologie und Botanik als auch für die Vernetzung mit außeruniversitären Stellen, der ehemaligen BotanikAssistent Horst Engel, der nach Kriegsende nach Münster zurückgekehrt war und eine Anstellung am Naturkundemuseum gefunden hatte. Er hielt ein Seminar zur Mikrobiologie ab. Zu einem Hauptaspekt der Lehre entwickelte sich die Zoologie für Mediziner. Hier musste Rensch 200 Studenten betreuen. Damit hatte das Seminar mehr Besucher als seine anderen Veranstaltungen zusammen.865 Kontinuität und Stabilität setzten sich zunächst auch 1949 weiter fort. Die Verträge der Assistenten wurden verlängert, da Rensch langfristig mit ihnen plante.866 Gleiches galt für Erhardt, dessen Vorlesungen außerordentlich stark besucht wurden und dessen Mithilfe bei der Ausbildung der Mediziner unerlässlich geworden war. Sein Lehrauftrag wurde im April 1949 sogar unbefristet verlängert.867 Zu Beginn des Jahres erhielt schließlich auch Fischer den verspäteten Lohn für ihre Verdienste um den Wiederaufbau des Instituts. Am 3. Februar beantragte die Fakultät beim Kultusministerium NRW, Fischer zur außerplanmäßigen Professorin zu ernennen. Zur Begründung führte der Dekan an, dass das Zoologische Institut „ihr die mühevollen ersten Arbeiten zu seiner Wiedereinrichtung“868 verdanke. Treibende Kraft hinter dieser Entscheidung war nach eigenen Angaben Rensch gewesen, der in seinem Tagebuch aber auch festhielt, dass er diesbezüglich einige Bedenken gehabt hatte – seine Beziehung zu Fischer war, wie geschildert, bislang nicht problemlos gewesen und sollte sich auch in der Folge nicht verbessern.869 Bereits zwei Monate später trugen die Bemühungen der Fakultät Früchte. Am 30. April 1949 wurde Fischer durch das Kultusministerium zur außerplanmäßigen Professorin ernannt.870 Ende des Jahres wurde die personelle Kontinuität jedoch kurz durchbrochen. Hans Steiner, der sich seit seiner Anstellung einen festen Platz am Institut erarbeitet und vor allem bei Rensch einen äußerst positiven Eindruck hinterlassen hatte, sah sich im Herbst 1949 aus persönlichen Gründen gezwungen, eine Stelle in Süddeutschland zu suchen. Rensch schrieb ihm zu diesem Zweck ein ausführliches Gutachten, in dem er detailliert die gute Arbeit des Assistenten lobte. Steiner hatte seine Dissertation über die sinnesphysiologische Bindung von Hochmoorlibellen mit „sehr gut“ abgeschlossen und war vor allem mit seiner Fähigkeit, selbständig komplizierte technische Apparaturen zu entwickeln und für eigene Fragestellungen erfolgreich einzusetzen, aufgefallen. Da er sich immer auch mit Entomologie befasst hatte, hielt ihn der Ordinarius für sehr geeignet, eine neue Aufgabe im Bereich 865 866 867 868 869 870

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Wintersemester 1948/49 (undatiert). UAMs, Bestand 10, Nr. 6707, Rensch an Kurator, 22.3.1949. UAMs, Bestand 10, Nr. 3780, Kultusministerium NRW an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 24.4.1949. UAMs, Bestand 207, Nr. 186, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 10.2.1949. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 26.2.1949. UAMs, Bestand 207, Nr. 186, Kultusministerium NRW an Fischer, 30.4.1949.

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der Schädlingsbekämpfung zu übernehmen. Aus den Zeilen des Gutachtens wird deutlich, dass Rensch den Weggang des jungen Forschers bedauerte, hatte er ihm doch gute Aussichten auf ein berufliches Fortkommen am Institut prognostiziert. Steiner kündigte schließlich Ende November des Jahres und wechselte an das Pflanzenschutzamt in Stuttgart.871 Er setzte seine wissenschaftliche Karriere erfolgreich fort und stieg bis zum Regierungsbiologiedirektor auf.872 Nachfolger Steiners wurde zum 1. Januar 1950 Rudolf Altevogt.873 Ähnlich wie bei Nolte sollte damit eine wissenschaftliche Karriere an der Universität Münster beginnen, die letztendlich fast 40 Jahre dauerte. Altevogt war von Steiner selbst für den Posten vorgeschlagen worden.874 Unmittelbar nach dessen Kündigung hatte sich der Ordinarius deswegen an den Kurator gewandt, um Altevogt trotz der bestehenden Anstellungssperre875 als neuen Assistenten engagieren zu können. Ausschlaggebend waren seine technischen und physikalischen Kenntnisse gewesen, welche für die Verwaltung der physiologischen Apparaturen, für die Steiner zuständig gewesen war, unerlässlich waren. Dies war auch der Grund, warum laut Rensch bereits vor der Erlangung des Doktorgrades eine Beauftragung des jungen Forschers gerechtfertigt sei.876 Die weitere Entwicklung Altevogts sollte Renschs Ansichten in den kommenden Jahren voll bestätigen. Während die wissenschaftliche wie personelle Situation des Instituts also als gut gelten konnte, war gleiches von der Infrastruktur nicht zu behaupten. Zwar zog man im Mai 1949 in neue Räume ein, die generelle Lage blieb jedoch weiterhin 871 872 873

UAMs, Bestand 10, Nr. 6707, Gutachten Rensch, 8.9.1949. Ebd., LBV Baden-Württemberg an Kanzler der Universität Münster, 8.2.1984. Rudolf Altevogt wurde am 22.1.1924 in Ladbergen in Westfalen als siebtes von acht Kindern eines Landwirtes geboren und evangelisch getauft. Von 1930 bis 1937 besuchte er die Volksschule Ladbergen, ehe er 1937 auf die Staatliche Graf Adolf-Oberschule für Jungen in Tecklenburg wechselte. Dort legte er 1942 seine Reifeprüfung ab. Seine höhere Schulausbildung hatte er nach eigenen Worten gegen verschiedene Probleme durchfechten müssen. So seien die abgelegene Lage seines Elternhauses, die geringen finanziellen Mittel seiner Familie und nicht zuletzt die Bedenken seines Vaters gegen das Erstreben eines geistigen Berufes hinderlich gewesen. Im direkten Anschluss an sein Abitur wurde er am 1.4.1942 zum Wehrdienst eingezogen. Es folgte bis 1944 eine Ausbildung zum MarineIng.-Offizier der Reserve in Kiel und an Bord auf See. Altevogt geriet in US-Kriegsgefangenschaft und wurde erst am 30.4.1946 entlassen. Er kehrte ins Münsterland zurück und studierte von 1946 bis 1950 Zoologie, Botanik, Physik und Englisch an Universität Münster. Seit dem Sommersemester 1948 war er als Wissenschaftliche Hilfskraft am Zoologischen Institut angestellt gewesen. Noch vor seiner Promotion mit summa cum laude am 27.4.1950 übernahm er also die Stelle eines planmäßigen Assistenten. Politisch war er während des „Dritten Reiches“, abgesehen von der üblichen Mitgliedschaft in der HJ, nicht involviert gewesen. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Lebenslauf, 8.4.1948; ebd., Lebenslauf, 25.1.1963. 874 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 3.12.1949. 875 Ebd. 876 UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Rensch an Kurator, 1.12.1949.

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mehr als unbefriedigend.877 Nach wie vor lag das alte Institut teilweise in Trümmern. Drängend wie nie zuvor stellte sich daher die Frage nach einem Neubau der zoologischen Räumlichkeiten. Die letzten Pläne hierzu, Anfang der 1930er-Jahre mit viel Elan vom damaligen Ordinarius von Ubisch vorangetrieben, waren mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten abrupt gestoppt worden. Mitte des Jahres 1949 machte sich nun Rensch daran, den Planungen878 (aber nicht konkret den alten Plänen von Ubischs) neues Leben einzuhauchen und begann Verhandlungen mit dem Kurator und den staatlichen Stellen bezüglich eines Neubaus an der Promenade.879 Diese entwickelten sich zunächst erfolgreich, so dass Anfang Dezember des Jahres der Grundstücksankauf für das neue Gebäude sichergestellt werden konnte.880 Mitte Dezember 1952 konnte der Hauptteil des neuen Instituts an den Ordinarius und sein Team übergeben und ein Teileinzug durchgeführt werden.881 Im Mai des darauffolgenden Jahres wurden der neue Hörsaal, der Sammlungs- und der Vorbereitungsraum fertiggestellt, womit nun der gesamte Betrieb des Instituts im neuen Gebäude stattfand.882 Damit war nach über 40-jährigem Ringen eine adäquate, moderne und räumlich nicht länger unzureichende Heimat für das Zoologische Institut gefunden. Endgültig abgeschlossen wurde der Neubau jedoch erst 1960.883 Der Beginn der 1950er-Jahre brachte demnach eine Stabilisierung der wissenschaftlichen, personellen wie räumlichen Lage am Zoologischen Institut. Neben der Verbindung mit der Provinzialverwaltung und dem Naturkundemuseum trieb Rensch die Einbettung des Zoologischen Instituts auch in anderen Bereichen weiter voran. Eine seiner Stärken war es bereits während seiner Zeit als Lehrbeauftragter und auch später in Prag gewesen, Netzwerke zu schaffen und Kontakte zu einer Vielzahl von Fachkollegen zu halten. Der umfangreiche Nachlass an Briefen, den der Zoologe hinterlassen hat, legt Zeugnis davon ab. Gleiches gilt für seine Vortragstätigkeit, mit der er nicht nur sich, sondern auch das Zoologische Institut in der Fachwelt bekannt machte. Beides setzte Rensch in den 1950erJahren weiter fort und kombinierte es, als eine weitere Verfeinerung, mit einer verstärkten Einbeziehung der Presse. Die Öffnung seines Lehrstuhls für Journalisten 877 878

879 880 881 882 883

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 29.5.1949. Auf eine ausführliche und detaillierte Übersicht des Neubaus wird an dieser Stelle, im Gegensatz zur Beschreibung der Planungen unter von Ubisch, verzichtet. Dies liegt daran, dass, anders als für die Pläne der 1930er-Jahre, in den Akten keine im Hinblick auf Ressourcenmobilisierung und Argumentationsstrategien relevanten Informationen überliefert sind. Die Aussagekraft und der Nutzen einer Diskussion von Bestuhlungsplänen und Risszeichnungen im Rahmen dieser Arbeit sind als gering anzusehen. Umfangreiches Material hierzu ist im Bedarfsfall in mehreren Ordnern im unverzeichneten Zugang 19/2005 im Universitätsarchiv Münster zu finden. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 1.7.1949. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll der Fakultätssitzung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 2.12.1949. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 15.12.1952. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 3/1953. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE12.1960, Rückblick auf 1960.

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war eine durchaus neue Art, mit der Rensch für die Arbeit des Instituts warb. Ein erster Schritt hierzu war die beginnende Einbeziehung der lokalen Zeitungen in den Institutsbetrieb. Schon die Abreise zur großen Indienreise des Institutsteams wurde von ihnen mit ausführlichen Artikeln, teilweise mit Fotografien, begleitet. Nach der Rückkehr aus Asien gab Rensch den „Westfälischen Nachrichten“ sogar ein Interview über seine Versuche mit Arbeitselefanten.884 Später wurde über die tierpsychologischen Versuche, vor allem die Dressuren, in Zeitungsartikeln berichtet.885 Ebenso fand eine Besichtigung des Instituts durch die Presse statt.886 Weitere ähnliche Aktionen folgten in den nächsten Jahren. Renschs Aufenthalt in Indien sollte nicht die einzige Forschungsreise von Institutsangehörigen in den 1950er-Jahren sein. Bedingt durch die fortschreitende Einbettung der Bundesrepublik in das internationale System, den außenpolitischen Aufbau von Kontakten, aber auch durch die wieder mehr als zuvor zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel seitens der Politik für derartige Unternehmungen entfaltete sich eine rege Reisetätigkeit des Ordinarius und seiner Assistenten in so unterschiedliche Regionen wie Australien,887 Indien,888 Nordafrika889 und die USA.890 Insbesondere Rensch war gerngesehener Redner im In- und Ausland. Dabei sprach er vor allem über evolutionswissenschaftliche Themen.891 884

UAMs, Bestand 8, Nr. 10787, Bd. 2, Zeitungsausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 2.3.1954. 885 UAMs, Bestand 9, Nr.  1942, Zeitungsausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 2.12.1954. 886 UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dez. 1956, Rensch an Rektor, 19.11.1954. 887 UAMs, Bestand 4, Nr. 34 gen. (alt), Rensch an Kultusministerium NRW, 20.12.1950. 888 UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Altevogt an Kultusministerium NRW, 28.9.1955. 889 Ebd., Bescheinigung des Kultusministerium NRW, 29.7.1952. 890 Hier ist besonders Fischers Arbeitsaufenthalt von 1950 bis 1952 in Chicago und Denver zu erwähnen. Siehe: die ausführlichen Briefwechsel in: UAMs, Bestand 207, Nr. 186, und Bestand 8, Nr. 8738, Bd. 1; UAMs, Bestand 4, Nr. 34 gen. (alt), Rensch an Kultusministerium NRW, 20.12.1950. 891 Ein Merkmal dieser Vorträge war Rensch häufige Betonung der Notwendigkeit von eugenischen Maßnahmen. In einer um 1956 gehaltenen Rede beschrieb er die zu starke Vermehrung des Menschen und machte mangelnde Selektion, aber auch Mutation und Inzuchtgefahr, für die Zunahme von Erbkrankheiten verantwortlich. Beratende Eugenik könnte dieser Entwicklung entgegenwirken. Ähnlich äußerte er sich auch 1968 in einem Vortrag über „Mensch und Gesellschaft unter dem Aspekt der neuen Entwicklung der Biologie.“ Selbst Forderungen nach Zwangssterilisationen wurden später, unter anderem in seinem Werk „Homo sapiens – vom Tier zum Halbgott“, erhoben. Wenn auch diese Aussagen, was ihre Radikalität und ihre zu Grunde liegende Ideologie betraf, nichts mit den Ausführungen Webers aus den 1930er-Jahren gemein hatten, so zeigen sie doch die noch immer bestehende Faszination der Biologen für diese Themen sowie den Anspruch der Biologie, als gesellschaftspolitisch relevanter Forschungszweig ernst genommen zu werden. Ab 1960/61 änderten sich aber auch hier, ähnlich wie bei seinen Veröffentlichungen, die Themen, und die Evolution wurde mehr und mehr von Renschs Beschäf-

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Doch nicht nur Rensch und seine Assistenten weilten zu Vorträgen abseits der Universität Münster. Der Ordinarius war ebenso darum bemüht, eine weitere Tradition von Ubischs, nämlich Gastvorträge auswärtiger Forscher in Münster, wiederzubeleben. Dem kamen die Verbindungen zugute, die Rensch auf seinen zahlreichen Reisen geknüpft hatte. Sein langjähriger Freund Heberer, der inzwischen an der Universität Göttingen arbeitete, sprach am 11. Januar 1950 über „Neueste Funde zur Abstammungsgeschichte des Menschen“.892 Ein halbes Jahr später, am 11. Dezember 1950, holte Rensch mit John Burdon Sanderson Haldane einen seiner Mitstreiter auf dem Gebiet der Synthetischen Theorie nach Münster, wo dieser über „Genetik u. Biochemie“ referierte.893 Am 13. Mai 1954 hielt der Honorary Director of the Zoological Museum of the Bombay Natural History Society einen Vortrag über „The Breeding Biology of some Indian Weaver Finches (Ploseidae)“ ab.894 In den Jahren darauf folgten weitere, teilweise als Spitzenforscher von Weltruf zu bezeichnende Gäste. Am 3. Juni 1957 referierte Julian Huxley auf Anregung Renschs in Münster.895 Im Juni 1958 sollte mit Ernst Mayr ein weiterer Vertreter der Synthetischen Theorie eingeladen werden.896 Höhepunkt der Bemühungen Rensch war jedoch die Tagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft vom 18. bis 23. Mai 1959 in Münster, bei der er als einer von zwei Tagungsleitern fungierte. Hier versammelte er noch einmal eine ganze Reihe von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern der Zoologie an der Universität Münster: Am 19. Mai sprach Kosswig über „Genetische Analyse stammesgeschichtlicher Einheiten“ und von Ubisch über „Phylogenetische Veränderungen der Amnionbildung bei Seeigeln“. Es folgten am 20. Mai Krüger mit „Zur Wirkungsweise des Hämoglobins. Versuche an Arenicola“ sowie

892 893 894 895 896

tigung mit der Naturphilosophie ersetzt. Als Beispiele sollen an dieser Stelle nur knapp seine Vorträge über „Der Mensch im Kosmos“ im Rahmen des „Forum Academicum“ des Südtiroler Kulturinstituts in Bozen Ende Februar 1961, über „Die Beschränkung der menschlichen Freiheit“ auf Einladung der Académie Internationale de Philosophie des Sciences Anfang April auf einem Symposium über „Die biologischen Voraussetzungen der Freiheit“ sowie über „Evolution de la Mémoire et des Conceptions“ auf einer der wissenschaftlichen Kultur und dem Humanismus gewidmeten Konferenz in Brüssel im September 1961 dienen. Siehe: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 20; UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: Januar 1957 – Mai 1961, Nolte an Pressestelle des Rektorats, 20.10.1959; ebd., Nolte an Pressestelle des Rektorats, 3.1.1961; ebd., Nolte an Pressestelle des Rektorats, 23.3.1961; ebd., Nolte an Pressestelle, 31.7.1961; Junker 2000, S. 331; Ruschmeier 1998. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Unterricht, Unterordner: Kolloquien, Einladung der Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft, Naturwissenschaftliche Abteilung, Münster (Westfalen), undatiert, wahrscheinlich Ende 1949. Ebd., Vermerk, 11.12.1950. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 5/1954. UAMs, Bestand 4, Nr. 449, Huxley an Rektor, 29.3.1957. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: Januar 1957 – Mai 1961, Rensch an Rektor, 8.5.1958.

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Goffart über „Die Kutikular-Struktur des Hinterendes bei der Gattung Heterodera (Nematoda) als Artcharakteristikum“ und schließlich am 21. Mai Nolte über „Elektronenmikroskopische Untersuchungen der fingerförmigen Drüse von Helix pornatia L.“897 Die Inhalte der einzelnen Vorträge korrespondierten also nicht nur mit den jeweiligen Forschungsfeldern der Referenten, sondern waren auch in einen engen Bezug zur Forschungsarbeit am Zoologischen Institut gesetzt. Zusätzlich zu der starken Beteiligung auswärtiger Forscher am Vorlesungsbetrieb gelang es Rensch auch, hochrangige Wissenschaftler für Ehrenwürden der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ins Gespräch zu bringen. 1953 erhielt Konrad Lorenz diesen Titel.898 1958 folgte dem Verhaltensforscher ein weiterer Fachkollege, dessen Arbeitsrichtung eng mit der des Ordinarius verbunden war: Theodosius Dobzhansky, auch er, wie Mayr und Rensch, ein Vertreter der Synthetischen Theorie. Ihm wurde im Rahmen der von Rensch organisierten Darwinfeier am 27. August 1958 der Dr. rer nat. h. c. verliehen. Gewürdigt wurde die besondere Bedeutung seiner Arbeit im Bereich der Mutationsforschung, der Populationsgenetik und der Artbildung für die Entwicklung der Theorie der Evolution sowie die Bedeutung seiner Werke über Genetik und Evoution für die gesamte biologische Wissenschaft überhaupt.899 Rensch energisches Vorantreiben der Evolutionsforschung am Institut und die positive Resonanz seitens der Universität, die sich in einer solchen Ehrung und auch in der Ermöglichung der zahlreichen Gastvorträge zeigte, wird dem Ordinarius, der sich an anderer Stelle mit den evolutionsfeindlichen katholischen Kreisen Münsters herumplagen musste, eine besondere Befriedigung gewesen sein. Neben der Verleihung von Würden und der Einladung zu Vorträgen öffnete man das Institut schließlich auch längerfristig für ausländische Forscher. So war von März bis September 1961 ein Professor J. King aus den USA als Gast am Institut tätig.900 In der Gesamtschau gesehen ergibt sich also für die 1950er-Jahre das Bild einer weitverzweigten, auf verschiedenen Ebenen angesiedelten Netzwerkbildung und Ressourcenmobilisierung durch den Ordinarius. An Renschs Kontaktpflege fallen neben ihrem großen Umfang dabei zwei Aspekte besonders auf. Zum einen war dies die hohe Zahl von ehemaligen und zukünftigen Münsterschen Kollegen, mit denen er in Verbindung stand. Schon während des Krieges hatte er sich mit Weber und von Verschuer ausgetauscht, wobei zwar fachliche Fragen (zum Beispiel kritische Besprechungen von Renschs Büchern) im Vordergrund standen, aber auch Privates zur Sprache kam.901 Diese Kontakte wurden bis in die 1960er-Jahre hi897 898 899 900 901

Ebd., Umschlag: Reste der Unterlagen der Tagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (DZG) vom 18.–23.5.59, Einladung zur 53. Jahresversammlung der DZG in Münster vom 18.-23.5.59 UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 2/1953. UAMs, Bestand 4, Nr. 172, Verleihungsvermerk. UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Rensch an Kurator, 10.4.1961. So bedankte sich von Verschuer 1965 bei Rensch „trotz unserer Verschiedenheit in grundlegenden Fragen unseres Lebens“ für eine dennoch vorhandene persönliche Harmonie

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nein weiter gepflegt. Nach dem Krieg kamen noch ähnliche Verbindungen mit von Ubisch (der sogar zu den Renschs zu Besuch kam), Kosswig, Ponsold, Peters und Breider hinzu. Auf der anderen Seite ist offensichtlich, dass Rensch keinerlei Kontaktscheu gegenüber ehemaligen hochrangigen Nationalsozialisten beziehungsweise solchen Wissenschaftlern hatte, die in NS-Verbrechen verstrickt gewesen waren.902 Prominente Namen waren beispielsweise die beiden hochrangigen Leiter im SS-Rasse und Siedlungshauptamt Lothar Stengel-von Rutkowski, mit dem Rensch noch in den 1960er-Jahren in Briefkontakt über eine mögliche Mitwirkung an dessen Zeitschrift „Wirklichkeit und Wahrheit“ stand,903 und Bruno K. Schultz, der in Prag mit Rensch gelehrt hatte und diese Verbindung auch nach dem Zusammenbruch nicht abreißen ließ. Gleiches gilt für SS-Forscher wie Heberer, mit dem Rensch eine lange gemeinsame Geschichte verband. Renschs gute Kontakte in das NS-Milieu waren es auch, die in den 1950er-Jahren bei Schultz’ Integration in die Universität eine wichtige Rolle spielten. In diesen außergewöhnlichen und auf alten Netzwerken beruhenden Vorgang waren zudem die botanische Ordinarius Strugger sowie weitere führende Persönlichkeiten der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, der Medizinischen Fakultät und der Universitätsleitung eingebunden.904 Neben diesen Kontakten wirkt besonders verstörend, dass Rensch in seinen privaten Aufzeichnungen dazu tendierte, jüdische Kollegen auch über 1945 hinaus nach rassischen Kriterien einzuordnen. So urteilte er über von Ubisch, der ihn 1949 besuchte: „Frisch, ungeheuer [unleserlich] und doch ein wenig jüdisch. Sonst aber ganz sympathisch.“905 Als 1955 der Zoologe Götz und seine Frau in Münster weilten, kommentierte er: „Dieser saloppe Jude mag uns auch jetzt nicht sympathisch werden.“906 Eine Aufzählung von Gästen eines Essens im Senckenberg-Museum in Frankfurt a. M., an der auch die 1939 in die USA geflohene Paläoneurologin Tilly Edinger teilnahm, enthielt: „Frl. Dr. Edinger. (jüdisch, älter)“,907 und auch auf Konferenzen behielt er offenbar ganz genau im Auge, wer in welche Kategorie einzuordnen war: „Flechtheim (Berliner Jude)“.908 Ähnliche Charakterisierungen nach

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und Freundschaft. Siehe: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 1, von Verschuer an Rensch, 18.1.1965. Vgl. Droste 2010. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 3, Briefwechsel zwischen Rensch und Stengel-von Rutkowski. Vgl. hierzu ausführlich Droste, Daniel, „Unterbringungsberechtigt gemäß Artikel 131 GG“ – NS-Täter, ihre wissenschaftliche Reintegration und die Kontinuität nationalsozialistischer Netzwerke an der Universität Münster Münster, in: Thamer/Droste/Happ 2012 [in Vorbereitung]. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 1.8.1949. Ebd., TBE 30.7.1955. Ebd., TBE 18.6.1958. Ebd., TBE 29.8.1956.

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anderen „Merkmalen“ finden sich in seinen Aufzeichnungen nicht. Woher Renschs besondere Vorliebe für die Beibehaltung von NS-Terminologie kam, ist unklar. Neben der Kontaktpflege, oder vielmehr als integraler Teil derselben, gelang es Rensch auch, durch die Mitwirkung in verschiedenen Organisationen und die Übernahme hochrangiger Posten das Zoologische Institut weiter mit der weltweiten Scientific Community zu vernetzen. Ebenso wurden ihm selbst prestigeträchtige Ehrungen verliehen. Bereits am 9. Oktober 1950 war er in das Editorial Board der Zeitschrift „Evolution“ gewählt worden.909 Es folgten zahlreiche weitere Tätigkeiten und Titel.910 Die Vernetzung des Ordinarius belegt nicht nur die wissenschaftliche Achtung, die ihm von der Fachwelt im In- und Ausland entgegengebracht wurde, sondern spiegelt auch die Bandbreite seiner Forschungen wider. Diese zeigte sich auch in der Entwicklung der Forschung und Lehre am Zoologischen Institut der 1950er-Jahre. Einen der Schwerpunkte legte der Ordinarius, wie bereits erwähnt, auf die Tierpsychologie. Erste Vorlesungen zu diesem Thema wurden bereits 1948 abgehalten, und Rensch baute diese in den Folgejahren weiter aus. Im Wintersemester 1950/51 folgte eine gleichlautende Veranstaltung,911 welche auch von der Studentenschaft gut angenommen wurde und 80 Hörer912 anziehen konnte. Im Semester darauf gab es ein verhaltenskundliches Kolloquium.913 Im Wintersemester 1953/54 hielt Rensch, das Thema nochmals ausweitend, ein Seminar mit dem Titel „Bewußtseinserscheinungen, Nervensystem u. Sinnesorgane. Eine biologische und naturphilosophische Analyse“914 ab und deutete hier erneut seine spätere Beschäftigung mit philosophischen Fragestellungen an. Flankiert wurde die Veranstaltung von Noltes Seminar „Allgemeine Zoologie für Psychologen“,915 909 910

911 912 913 914 915

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26, Colbert (American Museum of Natural History) an Rensch, 9.10.1950. So unter anderem 1953 die Wahl zum Vorsitzenden der DZG, 1953 die Ernennung zum Panelmitglied der Bundesrepublik Deutschland für die UNESCO in der Arbeitsgruppe Animal Ecology of the Arid Zone (in der auch sein ehemaliger Kollege Weber saß), 1956 die Aufnahme als Mitglied der National Geographic Society und die Aufnahme als ausländisches Mitglied der Linnean Society of London, 1957 die Verleihung des Dr. phil. h. c. der Universität Uppsala. 1959 erhielt er zudem den Posten als DFG-Gutachter für Zoologie. Von 1955 bis 1961 war Rensch Mitglied des Exekutivkomitees der International Union of Biological Science (IUBS), 1958 erhielt er die Darwin-Wallace-Medaille der Linnean Society in London, und 1961 wurde er, für ihn überraschend, zum korrespondierenden Mitglied der American Society of Zoologists sowie zum Vizepräsidenten der „Sektion für allgemeine Zoologie“ der IUBS gewählt. Schließlich wurde ihm auch noch die DarwinPlakette der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina verliehen. Siehe: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 26; ebd., Kasten 27, TBE 24.1.1961; UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: Januar 1957 – Mai 1961, Nolte an Pressestelle des Rektorats, 31.7.1961. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1950/51, S. 88. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 3.12.1950. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1951, S. 91. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1953/54, S. 109. Ebd., S. 110.

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und im darauf folgenden Sommersemester 1954 bot Konrad Lorenz auf Einladung Renschs eine Veranstaltung unter dem Titel „Einführung in die vergleichende Verhaltensforschung“916 an. Bis über das Ende des Untersuchungszeitraums hinaus sollte das Thema mit wechselnden Referenten und unterschiedlicher Gewichtung fast permanent im Vorlesungsbetrieb des Instituts präsent sein. Wie so oft bedingten sich Lehrbetrieb und Forschungsthemen gegenseitig, so dass es nicht verwundert, dass in den 1950er-Jahren auch eine Vielzahl tierpsychologischer Themen den Forschungsbetrieb der Institutsmitarbeiter prägte. Zusammen mit seinem Assistenten Harde führte Rensch 1951 Versuche an Riesen- und Zwergkaninchen durch.917 Am Ende desselben Jahres begann Altevogt mit der Dressur von Elefanten, um Erkenntnisse zur Aufnahmekapazität dieser Tiere für visuelle Aufgaben zu erzielen.918 Zu Beginn des Jahres 1952 folgten weitere Dressuren von Mäusen und Fischen.919 Später nahm man noch Affen hinzu, so dass sowohl eine große Bandbreite unterschiedlicher Tierarten als auch Untersuchungsfelder bearbeitet werden konnten.920 Ein großer Vorteil für diese Art von Forschung war durch die Präsenz des Zoos in Münster gegeben. Ende 1954 schlossen daher Zoologisches Institut und Zoologischer Garten einen Vertrag zur Einrichtung einer tierpsychologischen Forschungsstelle ab, um die Beziehungen zu formalisieren.921 Die Universität zahlte dem Zoo anschließend bis 1960 pro Jahr 1.000 DM, damit die wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts und Doktoranden gelegentlich Untersuchungen an den Zootieren durchführen konnte.922 Ab 1954 beschäftigten sich auch die Forschungen Altevogts mit verhaltenskundlichen Themen, wobei dabei weiterhin die Sinnesphysiologie eine wichtige Rolle spielte. Begonnen hatte seine Beschäftigung mit diesem Thema auf der großen Indien-Forschungsreise des Instituts, zu der Rensch mit Nolte, Harde und Altevogt am 10. Februar 1953, wie bereits erwähnt, unter großem Presseecho aufgebrochen war.923 Der Ordinarius und sein Team hatten das Land über mehrere Monate durchreist und unter anderem Gedächtnisversuche an Arbeitselefanten durchgeführt.924 Altevogt hatte sich auf die Winkerkrabbe spezialisiert und kehrte zwei Jahre später, im April 1955, noch einmal alleine nach Vorderindien zurück, um insbesondere

916 917 918 919 920 921 922 923 924

Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1954, S. 117. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 3.2.1951 Ebd., TBE 23.12.1951. Ebd., TBE 1.1.–10.2.1952. Ebd., 1.2.1957; für eine ausführliche Beschreibung der Versuche siehe Dücker 2000, S. 65ff. UAMs, Bestand 9, Nr. 1942, Vertrag, 1.10.1954. UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Zoologisches Institut, Rensch an Kurator, 14.7.1960. UAMs, Bestand 9, Nr. 1492, Rensch an Kurator, 9.2.1953. Für eine ausführliche Beschreibung der Reise siehe UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dezember 1956, Rensch an Kultusministerium, 24.6.1953, sowie Rensch 1979, S. 159ff.

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diese Untersuchungen zu vervollständigen.925 In den Jahren darauf dehnte er seine Forschungen auf die einzige in Europa vorkommende Winkerkrabbe, Uca tangeri, aus. Im Sommer 1957 reiste er dazu, von Rensch befürwortet, nach Südspanien. In der Balz- und Fortpflanzungssaison zwischen Juni und Juli führte er dort Beobachtungen und kinematographische Analysen des damals noch unbekannten Winkund Kopulationsverhaltens dieser Art durch.926 Eng mit verhaltenskundlichen Fragestellungen waren unter Rensch zu dieser Zeit auch immer sinnes- und nervenphysiologische Aspekte verknüpft. Parallel zu den genannten Arbeiten fanden daher auch weiterhin Transplantationsversuche und histologische Untersuchungen statt. Über mehrere Jahre hinweg wurden Amphibien Augen auf verschiedene Körperstellen transplantiert, Reizversuche am spinalen Frosch927 und elektrophysiologische Versuche an freigelegten Froschhirnen bei einäugiger Belichtung durchgeführt.928 Eingebettet war dies in Forschungen Renschs zur Erregung der Mittelhirnhemisphären,929 welche bereits im Januar 1955 erste Erfolge zeigten und eine Zusammenarbeit der Hemisphären bestätigten.930 Auch diese Arbeiten wurden mit korrespondierenden Lehrveranstaltungen wie zum Beispiel dem Spezialkolleg „Zentralnervöse Leistungen“ mit 65 Hörern im Wintersemester 1954/55 flankiert.931 In den Bereich der Hirnforschung bewegten sich unter der Anleitung des Ordinarius auch seine Assistenten. Nolte verfasste zu diesem Thema ihre Habilitationsschrift, und Harde beschäftigte sich vorzugsweise mit der Aufhellung der Wachstumsgradienten einzelner Hirnpartien bei Säugetieren.932 Zu diesem Zweck begann man auch, das Institut mit modernster Technik auszustatten. So beantragte Nolte am 26. März 1955 die Anschaffung einer „Elektronenrechenmaschine“, also eines frühen Computers, um zu überprüfen, ob sich Renschs Vorstellungen über das Hirngeschehen an einem nicht lebenden System kopieren lassen könnten.933 Neben der Verhaltenskunde blieb aber nach wie vor die Evolution ein weiterer Kernforschungsbereich Renschs. Hierzu veröffentlichte er die Mehrzahl seiner Schriften zu dieser Zeit,934 bevor er in den 1960er-Jahren immer stärker in den na925 926 927 928 929 930 931 932 933 934

Ebd., Rensch an Pressestelle der Universität Münster, 13.4.1955. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Altevogt an Kurator, 7.6.1957. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 1.1.–10.2.1952. Ebd., TBE 29.11.1954. Ebd., TBE 4.11.1954. Ebd., TBE 20.1.1955. Ebd., TBE 29.11.1954. UAMs, Bestand 10, Nr. 2513, Rensch an Kurator, 17.8.1954. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947 – Dezember 1958, Nolte an unbekannt, 26.3.1955. So zum Beispiel Rensch, Bernhard, Biologische Gefügegesetzlichkeit, in: Joachim JungiusGesellschaft der Wissenschaften e. V. (Hg.), Das Problem der Gesetzlichkeit, Hamburg 1949, S. 117–137; ders., The Laws of Evolution, in: Tax, S. (ed.), Evolution after Darwin, Vol. I, Chicago unter anderem 1960, S. 95–116; ders., Die Evolutionsgesetze der Organismen in naturphilosophischer Sicht, in: Philosophia Naturalis, 6 (1961), S. 288–326.

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turphilosophischen Bereich umschwenkte. Dieser Schwerpunkt spiegelte sich auch in den Lehrveranstaltungen wider. In jedem Semester zwischen 1950 und 1962 wurden Veranstaltungen zur Abstammungslehre, zur Genetik oder zur Entwicklungsgeschichte und -mechanik von ihm oder seinen Mitarbeitern, die teilweise auch selbst zu diesem Thema arbeiteten, angeboten. Werden generell die Lehrveranstaltungen der 1950er-Jahre einer näheren Betrachtung unterzogen, so offenbart sich, neben der Bestätigung der Schwerpunktthese für Tierpsychologie und Evolutionsforschung, ein interessantes Verhältnis von Tradition und Fortschritt, teilweise sogar in Kombination miteinander. Wie schon für die 1940er-Jahre festgestellt, hielten sowohl der Ordinarius als auch seine Mitarbeiter an ihren Spezialthemen fest. Grob gesagt war weiterhin Krüger für den Bereich Tierphysiologie und Fischer für die Histologie zuständig. Ergänzung fanden sie nun langsam durch die Heranführung der neu hinzugekommenen Assistenten an diese Forschungsbereiche. So übernahm Nolte während des USA-Aufenthaltes Fischers zwischen 1950 und 1952 deren histologische Seminare und blieb auch nach der Rückkehr der Professorin weiter in diesem Bereich tätig. Als sich Fischer ab dem Wintersemester 1956/57 schließlich mehr und mehr auf Genetik und Cytologie beschränkte, übernahm Nolte diese Aufgabe schließlich ganz.935 Somit blieb das Erbe Erich Ries’ über seine beiden Kolleginnen auch fast 20 Jahre nach seinem frühzeitigen Tod weiter am Zoologischen Institut erhalten. Eine ähnliche Übergabe des Staffelstabes fand auch bei dem traditionsreichsten Gebiet des Instituts, der Tierphysiologie, statt.936 Als Krüger 1956 die Universität Münster in Richtung Hamburg/Helgoland verließ, übernahm Altevogt, der, neben seinen Studien zur Verhaltensforschung, weiterhin der Physiologie verbunden geblieben war, dessen Lehrveranstaltungen und Forschungsgebiet. Somit fand in beiden Bereichen Mitte der 1950er-Jahre nicht nur ein Personal, sondern auch ein Generationenwechsel statt. Neben diesen Entwicklungen war das Lehrprogramm der 1950er-Jahre vor allem durch eine stetige Ausdifferenzierung geprägt. Nicht nur stieg die Zahl der pro ­Semester angebotenen Veranstaltungen von Jahr zu Jahr an (Wintersemester 1950/51: 15, Wintersemester 1954/55: 17, Wintersemester 1958/59: 22), auch die Themenvielfalt wurde breiter. Neben die klassischen Seminare wie Wirbellose, Tierphysiologie oder Bestimmungsübungen traten beispielsweise Biophysik, Statistik in der Biologie, Genetik und, erstmals seit Weber, Entomologie. Dabei bewiesen vor allem die jüngeren Assistenten ihre fachliche Vielfalt. Eine weitere Auswahl erhielten die Studenten durch die Angebote der Lehrbeauftragten Trahms und Erhardt, die in ihren jeweiligen Fachgebieten Fischereiwissenschaft beziehungsweise Parasitologie eine Vielzahl unterschiedliche Seminare abhielten und hier vor allem den Aspekt der angewandten Biologie mit Schnittstellen zur Agrarwissenschaft und Tierzucht mit einbezogen. Auch was die interinstitutionelle Zusammenarbeit betraf, 935 936

Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse ab Wintersemester 1956/57. Seine Geschichte reichte bis 1913 und Walter Stempell zurück.

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schlug Rensch weiterhin, trotz vielfach belegter Abneigung gegen seinen Kollegen Strugger, den Weg der Kooperation mit dem Botanischen Institut ein. Regelmäßig hielt der Botaniker Heddergott, den Rensch persönlich beim Dekan anforderte, Vorlesungen zur Schädlingsbekämpfung ab.937 Später wurde er auf Renschs Bitte938 hin zum Honorarprofessor in der Zoologie ernannt.939 Eine Besonderheit im Vorlesungsbetrieb war ab 1959 die Rückkehr des inzwischen 69-jährigen Hans Kappert an die Universität. Kappert, von 1914 bis 1920 unter Correns Assistent am Botanischen Garten, hielt seit dem Sommersemester zusammen mit Fischer Vorlesungen zur Genetik ab.940 Das Bild einer sich immer mehr spezifizierenden und verästelnden Wissenschaftslandschaft am Zoologischen Institut wird auch durch die Entwicklung bei den Dissertationen gestützt. Zwischen 1949 und 1962 wurden 76 Promotionsverfahren durchgeführt – von 1922 bis 1948 waren es lediglich 58 gewesen.941 Die Themen der Arbeiten spiegelten dabei die Lehr- und Forschungstätigkeiten des Instituts wider. So finden sich über das gesamte Jahrzehnt verteilt Untersuchungen zur Tierpsychologie,942 zur Hirnforschung,943 zur Tierphysiologie,944 zur Ökologie,945 zur Genetik946 oder zur Evolutionsforschung.947 Der Schwerpunkt lag aber auch hier auf Verhaltenskunde und im weitesten Sinne Hirnforschung. Der inhaltliche Wandel am Zoologischen Institut vollzog sich demnach zu Beginn der 1950er-Jahre und fiel mit einem räumlichen Ausbau, einer technischen Verfeinerung, einem per937 938 939 940 941 942

943

944 945 946 947

UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947  – Dezember 1958, Rensch an Dekan, 8.7.1952. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 10.3.1959. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 13.5.1959. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1959, S. 152. Vgl. UAMs, Bestand 94, Übersicht der Dissertationen seit Bestehen der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät, bzw. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1 und 2. Reetz, Waltraut, Unterschiedliches visuelles Lernvermögen von Ratten und Mäusen, 29.11.1955; Giebel, Heinz-Detlef, Visuelles Lernvermögen bei Einhufern, 30.7.1957; Saxena, Anjali, Lernkapazität, Gedächtnis und Transpositionsvermögen bei Forellen, 20.6.1959. Schulz, Christel, Die relative Größe cytoarchitektonischer Einheiten im Gehirn der weißen Ratte, weißen Maus und Zwergmaus, 24.1.1951; Rose, Friedrich, Allometrische Änderungen bei der Ontogenese und Phylogenese des Eidechsengehirns, 26.1.1956; Lucht, Elisabeth, Das postembryonale Wachstum von Hirnteilen bei Apis Mellifica L. und Myrmeleon Europaeus L., 13.1.1961. Winkel, Käthe, Vergleichende Untersuchungen einiger physiologischer Konstanten bei Vögeln aus verschiedenen Klimazonen, 5.1.1951. Stein, Wolfgang, Biocönologische Untersuchungen über den Einfluß verstärkter Vogelansiedlung auf die Insektenfauna eines Eichen-Hainbuchen-Waldes, 26.1.1957. Ritter, Horst, Zur Morphologie und Genetik normaler mesodermaler Irisstrukturen, 9.11.1957. Schütte, Friedrich, Untersuchungen über die Populationsdynamik des Eichenwicklers [Tortrix viridana L.], 21.1.1955.

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sonellen Generationenwechsel wie auch dem Anstieg der Studentenzahlen zusammen.948 Speziell für diesen gibt es in den Akten nach dem Krieg erstmals aussagekräftigere Zahlen als für die Zeit davor. Im Wintersemester 1946/47 hatte die Zahl der Studenten an der Universität Münster mit 3.328 nach dem Anstieg der Vorkriegszeit einen deutlichen Tiefstand erreicht. Sie sollte sich in den folgenden Jahren stetig erhöhen und bis zum Ende des Untersuchungszeitraums im Jahr 1962 auf 13.012 Studenten ansteigen.949 Damit markieren die 1950er-Jahre auch auf der Makroebene der Universität den Übergang von der Universität mittlerer Größe zur Massenuniversität. Die Wachstumsraten für die Biologie (eine Aufgliederung nach einzelnen Fachgebieten wie Zoologie und Botanik fand nicht statt) liefen dazu aber nicht parallel, sondern wellenförmig. Dennoch lassen sich auch auf Basis dieser begrenzten Daten einige generelle Aussagen treffen. Zum einen ist festzustellen, dass die Anzahl der Biologiestudenten, den gesamten Zeitraum von 1946 bis 1962 betrachtet, um etwa ein Drittel anstieg. Waren im Wintersemester 1946/47 insgesamt 198 Hauptfachstudenten eingeschrieben, so standen dem im Wintersemester 1960/61 300 gegenüber (für die folgenden Semester wurde die Zählweise verändert, so dass ein Vergleich nur schwer möglich ist: im Sommersemester 1962 waren nach der neuen Zählweise nur noch 201 Hauptstudienfachler eingeschrieben). Stieg die Zahl also effektiv an, so sank im Gegensatz dazu das relative Verhältnis der Biologen bezogen auf die Gesamtstudentenzahl deutlich (von 5,9 Prozent im Wintersemester 1946/47 auf 2,8 Prozent im Wintersemester 1960/61). Ebenso ist zu beobachten, dass das Wachstum Schwankungen unterworfen war. Nach 198 (Wintersemester 1946/47) fiel die Zahl auf 111 (Sommersemester 1949) ab, stieg dann in den folgenden Semestern wieder an und pendelte sich bis 1954 bei cirka 170 ein, um daraufhin auf etwa 150 abzufallen (1955–1957) und schließlich danach auf 300 zu klettern. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Schwankungen mit der spezifischen Situation am Zoologischen Institut zusammenhingen. Genaue Gründe für diese Zahlen konnten im Rahmen dieser Untersuchung aber nicht isoliert werden. Eine andere Entwicklung ist jedoch deutlicher mit der allgemeinen Entwicklung der bundesdeutschen Gesellschaft zu korrelieren: Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Studenten. In den ersten Semestern nach Wiedereröffnung der Universität lässt sich ein deutlicher Frauenüberschuss unter den Biologen feststellen. So stellten sie bis zum Sommersemester 1950 zwischen 58 und 61 Prozent der Studierenden. Mit dem Wintersemester 1950/51 kippt dieser Trend jedoch, um sich in der Folgezeit in das totale Gegenteil zu verkehren. Ist die Verteilung zu diesem Zeitpunkt 50 zu 50, so beträgt sie im Sommersemester 1952 bereits 57 Prozent Männer, im Wintersemester 1955/56 65 Prozent, und im Wintersemester 1960/61 schließlich 73 Prozent. Der 948 949

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Rensch an Kurator, 22.8.1950. Vgl. für die folgenden Zahlen UAMs, Bestand 51, E 13, Bd. 1, Übersicht über die Struktur der Studentenschaft, hier: Biologie.

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unter Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegsbedingungen angewachsene Frauenanteil fiel also mit der Rückkehr der männlichen Bevölkerung aus Armee und Kriegsgefangenschaft, der Stabilisierung der Gesellschaft und der Wiederverfestigung traditioneller Rollenbilder in den 1950er-Jahren steil ab. Ein weiterer Punkt, für den jedoch nur eine sehr geringe Zahlenbasis vorhanden ist, betraf die berufliche Ausrichtung der Biologiestudenten. In den 1920er-, 1930erund 1940er-Jahren waren an den biologischen Instituten der Universität Münster hauptsächlich Lehrer ausgebildet worden, und auch die bereits genannten Aussagen Webers und Renschs zur Nachwuchsrekrutierung des Fachs stützen diesen Befund. Die Jahre 1959 bis 1961, für die aufgeschlüsselte Zahlen vorliegen, bestätigen diese Aussagen und damit gleichzeitig einen weiteren Kontinuitätsfaktor über die Systemgrenzen hinweg, denn: auch in dieser Zeit waren zwischen 68 und 74 Prozent der eingeschriebenen Biologiestudenten Lehramtskandidaten. Die hier genannten Faktoren stehen in einer engen Beziehung zueinander und zur Gesamtentwicklung des Instituts in dieser Zeit. Ohne Anstieg der Studentenzahlen keine überzeugenden Argumente für den Wunsch nach räumlicher Vergrößerung, ohne technische Verfeinerung keine Ausdifferenzierung der Forschungsfelder, und ohne Generationenwechsel keine wissenschaftlichen Neuentwicklungen. Wichtig hierbei ist, dass diese wechselseitige Beeinflussung der Aspekte zu jedem Zeitpunkt wissenschaftsintern blieb. Einflüsse von außerhalb, das heißt von Seiten der Politik, sind nicht festzumachen. Weder gab es Themenvorgaben noch Einmischungsversuche in der Personalentscheidungen am Institut. Wie auch bereits unter seinen Vorgängern bestimmten, von Fischers Arbeiten abgesehen, die Forschungsinteressen des Ordinarius die Schwerpunkte der Arbeit am Institut. Dieser auf mehreren Ebenen stattfindende Wandel bedingte auch die Pläne des Ordinarius zu einer größeren, auf Konkurrenzfähigkeit ausgerichteten Neustrukturierung des Zoologischen Instituts. Mit ihr wollte er versuchen, die bereits genannten Entwicklungen zu kanalisieren und das Institut konkurrenzfähig zu erhalten. Rensch Befürchtung war es, dass die Zoologie in Münster hinter ihren Schwesterinstituten an den anderen deutschen Universitäten zurückfallen könnte. Darüber hinaus hatte er durch seine zahlreichen Kontakte zu ausländischen Forschungseinrichtungen ein klares Bild darüber, mit welchen Mitteln die zoologische Forschung beispielsweise in den USA gefördert wurde. Daher verwundert es nicht, dass Renschs Argumentationsmotiv in Schriftwechseln mit seinen vorgesetzten Stellen in der Folge regelmäßig die Sorge um die Qualität von Forschung und Lehre blieb. Dabei versuchte er einerseits nicht nur, die bestehenden Strukturen am Institut zu erhalten und durch dezidierte Nachwuchsförderung zu verbessern, sondern andererseits unter Hinweis auf den nationalen und internationalen Kontext den Boden für einen personellen wie finanziellen Ausbau seines Lehrstuhls zu schaffen. Damit reagierte er nicht zuletzt auf die bereits in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre einsetzende weitere Ausdifferenzierung des Fachs, welche an anderen

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Universitäten bereits zu einem Umdenken und der Neuschaffung von Stellen geführt hatten. Renschs Schriftwechsel mit den universitären Entscheidungsträgern lassen daher einen Rückschluss darauf zu, wie das Münstersche Institut in Bezug auf die personelle, finanzielle und organisatorische Lage im nationalen Kontext der 1950erJahre einzuordnen war. So reichte er Anfang November 1956 eine Eingabe beim Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ein, in der er seine Gedanken zum Stand der Zoologie an der Universität Münster darlegte. Demnach umfasse die aktuelle Zoologie eine Reihe von Spezialfächern, darunter Cytologie und Histologie, vergleichende Anatomie, Genetik, Evolutionsforschung und andere (insgesamt zählte der Ordinarius mehr als zehn Bereiche auf). An kleinen ausländischen Universitäten stünden zur Vertretung dieser weitgehend selbständigen Sonderdisziplinen für gewöhnlich zwei bis vier Ordinarien mit insgesamt sechs bis zwölf Dozenten zur Verfügung. Auch an deutschen Universitäten sei die Ausstattung vielerorts besser als in Münster: Westberlin und Hamburg hätten drei Ordinariate, Tübingen und Freiburg jeweils zwei, mit insgesamt jeweils zwölf Lehrkräften. In Münster hingegen sei in absehbarer Zeit nicht mit einem zweiten Lehrstuhl zu rechnen. Deswegen sei Rensch seit Jahren darum bemüht, die Stelle eines Kustos einzurichten – bislang ohne Erfolg. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit der Beibehaltung der durch Krügers Abschied freigewordenen Diätendozentur. Verlöre das Institut diese, so würde es im Lehr- und Forschungsbetrieb merklich hinter andere Universitäten zurückfallen.950 Ein halbes Jahr später brachte Rensch dem Dekan gegenüber nochmals zum Ausdruck, dass in der Zoologie in den letzten Jahren eine Aufspaltung in eine Reihe von Teildisziplinen stattgefunden hätte, die soweit selbständig geworden seien, dass für jede von ihnen an der einen oder anderen Universität ein eigener Lehrstuhl existiere. Münster hingegen gehöre zu den personell am schlechtesten bedachten Zoologischen Instituten in Deutschland. Während hier für die Vorlesungen nur vier Personen und zwei Lehrbeauftragte zur Verfügung stünden, seien es beispielsweise in Hamburg 13. Die Belastung des Ordinarius sei inzwischen so hoch, dass ihm für eigene Forschungen kaum noch Zeit bliebe und diese beklagenswerter Weise fast nur noch von Doktoranden und Assistenten betrieben würde. Hinzu käme noch, dass heutzutage ein Lehrstuhlinhaber das gesamte Gebiet der Zoologie gar nicht mehr überblicken könne. Deshalb empfehle er, ein Extraordinariat für vergleichende Anatomie und Entwicklungsphysiologie in die Planung mit aufzunehmen.951 Im Juni 1957 setzte der Ordinarius seine Denkschriftenserie fort, als er seinen Lehrstuhl zu den notleidenden Instituten der Universität zählte. Die Ausstattung der Zoologie dürfe nicht mit den Geisteswissenschaftlichen Instituten verglichen werden, sondern mit den Mitteln, die den Zoologen in anderen Ländern zur Ver950 951

UAMs, Bestand 91, Nr. 83, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 6.11.1956. Ebd., Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 11.7.1957.

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fügung stünden. In Schweden, Dänemark, der Schweiz oder Großbritannien seien diese nämlich ganz erheblich besser ausgestattet.952 Ende Februar 1958 merkte Rensch in einem Entwurf des Dekans über die bauliche Lage der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät an, dass am (eigentlich neu errichteten) Institut Staatsexamenskandidaten und Gäste nicht frei arbeiten, nur wenige Doktoranden aufgenommen und Arbeiten der Assistenten nicht durchgeführt werden könnten. Ebenso sei, und dieser Punkt hatte sich inzwischen zu einem über mehrere Generationen mitgeschleppten Problem und quasi-Markenzeichen des Instituts entwickelt, die Sammlung teilweise unverwendbar, da sie aus Platzmangel auf einem Spitzboden verstaut sei.953 Dabei war Rensch trotz der von ihm in düsteren Farben gemalten Lage in den Vorjahren mit seinen Bemühungen um eine bessere Ausstattung und Finanzierung des Instituts immer sehr erfolgreich gewesen. Dies betraf sowohl Forschungsreisen954 als auch Personalmittel.955 Auch Anträge auf Sondermittel, die aufgrund der inzwischen adäquateren finanziellen Ausstattung des Instituts jedoch weitaus we-

952 953 954

955

UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947  – Dezember 1958, Rensch an Dekan, 13.6.1957. Ebd., Entwurf des Dekans zur baulichen Lage der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 13.2.1958, mit Neufassung des Punktes zum Zoologischen Institut durch Rensch vom 25.2.1958. Mitte August 1952 hatte er beim Kultusministerium NRW einen Antrag auf Beurlaubung sowie Unterstützung der bereits erwähnten Forschungsreise nach Vorderindien für sich sowie Harde, Nolte und Altevogt gestellt – und damit fast für das gesamte Institut. Er begründete dies betont eng verknüpft mit der aktuellen Situation am Institut. So könne durch die Reise im Krieg zerstörtes Demonstrationsmaterial ergänzt werden. Außerdem könne man in den vergangenen Jahren gewonnene Resultate zu Klima und Artbildung und tierphysiologische Fragen (Hirnleistung und Körpergröße, Auslösemechanismen für Instinkthandlungen, morphologische Frage zur Hirnstruktur) ergänzen und fortführen. Ebenso sei durch eine Materialsammlung die Vorbereitung späterer Dissertationen möglich. Rensch war damit erfolgreich, und man brach am 10.2.1953 auf. Siehe: LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Rensch an Kultusministerium, 15.8.1952; UAMs, Bestand 9, Nr. 1942, Rensch an Kurator, 9.2.1953. 1955 versuchte Rensch, das Ministerium zur Errichtung einer Kustodenstelle am Institut zu bewegen, die er mit Krüger besetzt sehen wollte. Erneut stand die Lehre im Mittelpunkt seiner Argumentation. So sei es für diese unerlässlich, dass ein Zoologisches Institut über umfangreiche Sammlungen auf dem Gebiet der vergleichenden Anatomie, der Systematik, der Histologie und der angewandten Biologie verfüge und dazu noch über Projektoren, Hilfsmittel usw. In Münster habe dies inzwischen einen solchen Umfang angenommen, dass die Verwaltungsarbeit vom Direktor allein nicht mehr bewältigt werden könne. Daher benötige er eine Kustodenstelle – bei finanziellen Schwierigkeiten könne dafür eine Diätendozentenstelle umgewandelt werden. Wenn auch Krüger die Universität Münster kurz darauf verließ, so wurde die gewünschte Stelle genehmigt und später von Nolte übernommen. Siehe: UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dezember 1956, Rensch an Kultusministerium, 26.7.1955.

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niger häufig als noch unter seinen Vorgängern nötig waren, waren erfolgreich.956 Immer wurden die Wünsche mit der Notwendigkeit für Lehre und Forschung begründet. Insgesamt gesehen agierte Rensch also äußerst erfolgreich und konnte sich der Unterstützung durch die universitären wie politischen Entscheidungsträger sicher sein. Ende der 1950er-Jahre war das Institut daher trotz der geringen personellen Ausstattung zu einer vorher nie dagewesenen Größe angewachsen. Eine Übersicht über die damalige Situation, aber auch Hinweise auf weitere Pläne des Ordinarius zu jener Zeit, bietet die Antwort Renschs auf eine Anfrage des Wissenschaftsrates der Bundesrepublik Deutschland vom 6. November 1958. Zum einen legte er hier seine Aussichten auf die weitere Entwicklung des Fachs dar, zum anderen nannte er detaillierte Zahlen zur Institutsstruktur. So erwartete Rensch bis 1963 eine Erhöhung der Studentenzahlen um etwa 20 % und hielt für die Biologie eine Zahl von insgesamt 200 Hauptfachstudierenden für angemessen. Im Sommersemester 1958 gab es am Institut 18 Doktorandenarbeitsplätze, 20 Arbeitsplätze im ganztägigen Praktikum und 60 für kleinere Praktika. 18 Doktoranden, 14 bis 20 ständige Praktikanten und zwei bis drei Examenskandidaten würden diese belegen. Die Nutzfläche des Instituts betrug 1.350 Quadratmeter, wovon etwa 90 Quadratmeter für Werkstätten und Verwaltungsräume benutzt wurden, und die Institutsbibliothek umfasste 4.500 Bände. Dennoch erschien Rensch die Anzahl der Arbeitsplätze unzureichend, und eine Verdopplung schien ihm angebracht. Ebenso regte er eine Erhöhung der laufenden Sachmittel um 8.000 bis 10.000 DM an sowie einen Zuschuss von 30.000 DM zur Ergänzung der apparativen Ausstattung des Instituts und der Bibliothek an.957 1961 gelang es dem Ordinarius schließlich, eine Erhöhung des laufenden Etats von 20.900 auf 30.000 DM zu erreichen.958 956

957 958

So erhielt Rensch im Mai 1956 zusätzliches Geld zur Beschaffung von Unterrichtsmitteln sowie im November 1957 zum Erwerb eine Mikro-Manipulators. Anfang 1958 wurden ihm 2.000 DM, die durch den erstmaligen Betrieb des physiologischen Kurses mit voller apparativer Ausrüstung entstanden waren, zusätzlich zugesprochen. Im März 1960 erhielt er Mittel zur Beschaffung zweier Stereomikroskope im Wert von 6.000 DM. Um mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten, versuchte der Ordinarius dabei auch, verschiedene Fördertöpfe zu mobilisieren: mal war es die Fördergesellschaft der Universität Münster, mal das Dekanat, mal die DFG, bei der das Zoologische und das Botanische Institut bei der Anschaffung eines Elektronenmikroskops eng kooperierten. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 1942, Rensch an Kurator, 29.5.1956; ebd., Nolte an Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhlems-Universität zu Münster, 30.11.1957; UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Rensch an Kurator, 3.2.1958; UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: von Januar 1959, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 16.3.1960; ebd., Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dez. 1956, Rensch an Rektor, Strugger an Rensch, 20.5.1952, sowie Rensch an Strugger, 30.5.1952. UAMs, 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947 – Dezember 58, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 6.11.1958. UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Kurator an Rensch, 31.1.1961.

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Bei allen genannten, und auch bei weiteren, hier nicht aufgezählten Mobilisierungsversuchen fällt auf, dass immer nur mit wissenschaftlichen, nie mit politischen Notwendigkeiten argumentiert wurde. Zwar erscheint dies auf den ersten Blick nicht weiter verwunderlich, gab es doch in der Bundesrepublik keine biologistische Staatsdoktrin mehr. Dennoch wurden auch Ressourcen wie Prestigegewinn für das Land NRW, für die Universität Münster oder der Kalte Krieg, anders als beispielsweise bei den Medizinern oder in anderen Fachbereichen, nicht angeführt.959 Auch Möglichkeiten wie die Verbesserung internationaler Beziehungen durch Reisen und Vorträge, die bei derartigen Aktionen sicherlich immer im Hintergrund eine Rolle spielte, wurden nicht offen artikuliert. Man beschränkte sich auf das fachliche und war damit erfolgreich. Die Jahre unter der Leitung Renschs waren demnach in allen Bereichen von einer Mischung aus Umbruch und Kontinuität geprägt. Letztere zeigte sich vor allem an der stabilen Personalsituation. Nie zuvor in der Geschichte des Zoologischen Instituts war ein Direktor so lange im Amt geblieben wie Rensch, und diese Stabilität an der Spitze übertrug sich auch auf die Mitarbeiterebene, wo sich teilweise jahrzehntelange Kontinuitäten und Karrieren in Münster entwickelten. Dennoch verließen unter seiner Leitung auch einige altgediente Mitarbeiter das Institut. Fluchtpunkt dieser Entwicklungen war das Doppeljahr 1956/57, welches in dreifacher Weise Bedeutung erlangte. Zum einen markierte es das Münstersche Karriereende zweier lange Zeit am Institut beschäftigter Forscher, zum anderen aber auch den weiteren Aufstieg der jungen Assistentengeneration. Schließlich bildete es noch den Startpunkt für die wissenschaftliche Karriere einer weiteren Gruppe von Nachwuchzoologen, die in den Folgejahrzehnten wiederum langjährige Laufbahnen an der Universität Münster einschlagen sollten. Mit einem Blick auf diese Karrieren soll damit abschließend das letzte Untersuchungsfeld für die Zeit zwischen 1947 und 1962 in den Fokus genommen werden. Am Beispiel der Assistenten kann gezeigt werden, wie prägend die Forschungsinteressen des Ordinarius auf die wissenschaftliche Arbeit des Nachwuchses wirkten und wie beides zusammen die wissenschaftliche Ausrichtung des Instituts definierte. Die längste Laufbahn am Institut hatte zu diesem Zeitpunkt Krüger vorzuweisen. Er war bereits 1927 durch von Ubisch nach Münster geholt worden. Nach seiner kurzen Suspendierung durch die alliierten Besatzungsmächte hatte er 1946 seine alte Stelle als Diätendozent wieder aufgenommen und füllte diese auch bis in die Mitte der 1950er-Jahre aus. Zu seinen Hauptaufgaben und Hauptforschungsgebieten zählte nach wie vor, wie auch schon an anderer Stelle erwähnt, die Tierphysiologie. Daneben beteiligte er sich aber auch an anderen am Institut an Bedeutung

959

Hier versuchte man beispielsweise, prominente Wissenschaftler aus anderen Bundesländern und der DDR abzuwerben beziehungsweise durch ihre Anstellung dem Ostblock wissenschaftliches Potential zu verneinen.

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gewinnenden Untersuchungsfeldern. So führte er im Frühjahr 1950 mit Mitteln der DFG Versuche über die Orientierung von Fischen im Raum durch.960 Wie seine Kollegen versuchte auch Krüger, sich durch Reisen und Vorträge am wissenschaftlichen Leben zu beteiligen. 1951, 1954 und 1955 nahm er an den Tagungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft teil und hielt dort Vorträge, zuletzt über „Hämoglobinvorkommen bei Wirbellosen“.961 Auch an der Zoologischen Station Neapel arbeitete er, bezuschusst vom Kultusministerium NRW, zu Beginn des Jahres 1955 an weiteren Forschungen. Im Rahmen des Ausbaus des Zoologischen Instituts war er im selben Jahr von Rensch für die neu einzurichtende Stelle eines Kustos ausersehen worden. Im Sommer 1955 eröffnete sich für ihn aber eine Karrieremöglichkeit abseits von Münster. Bei der Bundesforschungsanstalt für Fischerei (Biologische Anstalt Helgoland, Kopfstation Hamburg) sollte zum Frühjahr 1956 der Posten eines Oberregierungsrates als Leiter der physiologischen Abteilung neu besetzt werden. Rensch stand dieser Möglichkeit ausgesprochen positiv gegenüber und förderte Krügers Bewerbung.962 Am 24. Oktober 1956 wurde er schließlich in seine neue Stelle eingewiesen.963 Einen knappen Monat vorher, am 11. September 1956, hatte er seinen Abschiedsbesuch im Zoologischen Institut gemacht und seine Diätendozentur zur Verfügung gestellt.964 Nach fast 30 Jahren und fünf Ordinariaten verließ damit der dienstälteste Mitarbeiter des Instituts die Domstadt. Ein weiterer Mitarbeiter, dessen Karriere sich schließlich abseits der Universität Münster positiv weiter entwickelte, war Harde. Seit 1951 hatte er als Assistent bei verschiedenen Vorlesungen und Übungen mitgewirkt sowie eigenständig einzelne Übungsstunden und Lehrausflüge durchgeführt. Seine Arbeitsgebiete waren die Cytoarchitektonik der Hirnrinde bei Säugetieren, Allometrie­verhältnisse bei Insekten und tierpsychologische Versuche gewesen. Rensch rechnete ihm gute Chancen für eine Laufbahn als Hochschullehrer aus.965 Während Fischers Aufenthalt in den USA hatte er von 1951 bis 1952 ersatzweise deren Großes Praktikum abgehalten966 und stets zu Renschs Zufriedenheit gearbeitet.967 Im Sommer 1956968 bot sich ihm schließlich die Gelegenheit, als Abteilungsleiter an das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart zu wechseln. Auch wenn Rensch somit innerhalb kürzester Zeit einen weiteren Mitarbeiter ziehen lassen musste, befürwortete er Hardes Antrag auf Entlassung zum 1. November des Jahres, da die Übernahme des Postens 960 961 962 963 964 965 966 967 968

UAMs, Bestand 10, Nr. 3797, Krüger an Kurator, 12.4.1950. Ebd., Krüger an Kurator, 1.8.1951; 16.5.1954; 19.5.1955. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dezember 1956, Gutachten Rensch, 27.7.1955. UAMs, Bestand 10, Nr. 3797, Krüger an Kurator, 29.10.1950. UAMs, Bestand 92, Nr. 197, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Rektor, 18.9.1956. UAMs, Bestand 10, Nr. 2513, Rensch an Kurator, 8.2.1951. Ebd., Rektor an Kultusministerium, 24.4.1951; 9.5.1952. Ebd., Rensch an Kurator, 17.8.1954. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 1.7.1956.

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eine große Gelegenheit für den Assistenten darstelle.969 Alles verlief wie geplant, und Harde übernahm die Leitung der Entomologischen Abteilung des Museums.970 Der Zoologe verblieb für den Rest seiner Laufbahn in Süddeutschland. Am 15. Oktober 1982 verstarb er im Alter von 60 Jahren.971 Neben Harde hatte nach ihrer Rückkehr aus den USA auch Fischer weiterhin am Institut gearbeitet und unterrichtet. Wie bereits erwähnt, hatte sie ab dem Wintersemester 1956/57 ihren Lehrschwerpunkt immer weiter Richtung Cytologie und Genetik verschoben, während Nolte Fischers altes Themengebiet, die Histologie, langsam übernahm. Die gesundheitlichen wie stressbedingten Probleme, die bereits ihren USA-Aufenthalt überschattet und sie zur Unterbrechung ihrer Arbeiten gezwungen hatten, beeinträchtigten die Zoologin offenbar auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland weiter. Dennoch hielt sie ihr Lehrangebot weiterhin aufrecht und deckte mit ihren Vorlesungen einen wichtigen Teil des Institutsbetriebes ab. Ab 1963 überstiegen jedoch die Anforderungen die Kräfte der erst 58-jährigen Zoologin, und sie hielt, zunächst vorübergehend, keine Veranstaltungen mehr ab.972 Im Dezember 1964 schließlich bat sie den Kurator um eine Pensionierung zum Sommer 1965, da sie gesundheitlich nicht mehr in der Lage sei, ihren Vorlesungsverpflichtungen nachzukommen.973 Der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät befürwortete den Antrag und schlug eine Versetzung in den Ruhestand zum 9. Juni 1965, Fischers 60. Geburtstag, vor.974 Tatsächlich sollte es jedoch noch zwei weitere Jahre dauern, ehe sich die Zoologin zur Ruhe setzen konnte, denn es entwickelte sich ein unwürdiges Hin und Her von Gutachten und Gegengutachten verschiedener Mediziner, unter anderem des Chefs der Nervenklinik der Universität Münster, um die Frage, ob Fischer noch dienstfähig sei und bis zum offiziellen Entpflichtungsalter ihre Arbeit fortsetzen müsse. Letztlich setzte sich jedoch der Dekan für die Pensionierung ein und durch, so dass das Kultusministerium die Histologin mit Ablauf des Junis 1966 in den Ruhestand versetzen konnte.975 Als erste Frau hatte Fischer sich 1940 in Leipzig habilitieren können,976 und als erste Frau hatte sie die Leitung des Zoologischen Instituts der Universität Münster übernommen. Ihre hervorragende wissenschaftliche Qualifikation sowie ihre große Erfahrung hatten dennoch den „Makel“, Zoologin statt Zoologe zu sein, nicht ausgleichen können. Eine ihrem Können angemessene Karriere blieb ihr nach dem Krieg versperrt, und ihr aufopferungsvoller Einsatz für das Zoologische Institut nach dem Tode Ries’ und ihre leitende Rolle beim Wiederaufbau der Münsterschen 969 970 971 972 973 974 975 976

UAMs, Bestand 10, Nr. 2513, Harde an Kurator, 9.10.1956. Ebd., TH Stuttgart an Universität Münster, 12.2.1957. Kürschner 1980. UAMs, Bestand 8, Nr. 8738, Bd. 1, Dekan an Kurator, 18.12.1964. Ebd., Fischer an Kurator, 18.12.1964. Ebd., Dekan an Kurator, 18.12.1964. Ebd., Kurator an Kultusministerium, 20.1.1966. Nagelschmidt 2008, S. 271.

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Zoologie nach 1945 wurden von keiner Seite jemals angemessen gewürdigt. Am 9. März 1977 starb Fischer im Alter von 72 Jahren in Münster. Ab 1956 fiel es also den anderen Nachwuchsforschern am Institut zu, die entstandenen Lücken im Mitarbeiterstab zu füllen. Die Forscherin, die sich bis dato ohne Zweifel der größten Förderung durch den Ordinarius erfreuen konnte, war Nolte. Rensch hatte sie schon 1944 als wissenschaftliche Hilfskraft mit nach Prag genommen und auch nach dem Zusammenbruch wieder an der Universität Münster unterzubringen vermocht. Auch privat war man eng verbunden. Nolte war oft bei den Renschs zu Gast, und selbst Weihachten wurde gemeinsam gefeiert.977 Sie sollte in den 1950er-Jahren den größten Karrieresprung hinlegen. Bereits 1951 hatte Rensch die gerade 29-jährige zum Hochschullehrernachwuchs gezählt und, voll des Lobes, eine Verlängerung ihrer Dienstzeit beantragt. Vor allem ihre Beherrschung schwieriger Operationsmethoden und moderner Technik, wie dem Elektronenstrahloszillograph, wurde von ihm hervorgehoben.978 Zu diesem Zeitpunkt hielt Nolte schon seit einem Semester in Vertretung Fischers deren Histologische Übungen ab.979 In den Jahren darauf sollte sie fast den gesamten Komplex der Histologie von der Professorin übernehmen. Ein Jahr später, am 7. November 1952, legte Nolte dem Dekanat der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät ihr Werk „Die Abhängigkeit der Proportionierung und Cytoarchitektonik des Gehirns von der Körpergröße von Urodelen“ mit der Bitte vor, es als Habilitationsschrift anzuerkennen und den Habilitationsvorgang für Zoologie einzuleiten.980 Die Untersuchung war aufs Engste in die Forschungsschwerpunkte am Institut, das heißt solche zum Verständnis der Höherentwicklung im Tierreich, welche allgemein mit einer Komplikation des Hirns verbunden war, eingebunden und erhielt von den Gutachtern, darunter Rensch und Strugger, viel Lob.981 977 978 979 980 981

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 31.12.1953. UAMs, Bestand 8, Nr. 10014, Rensch an Kultusministerium, 8.2.1951. Ebd., Rektor an Kultusministerium, 28.11.1950. UAMs, Bestand 92, Nr. 197, Nolte an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 7.11.1952. Für ihre Untersuchung hatte sich die Zoologin eine Reihe verschieden großer Amphibien ausgewählt. Deren ausreichende Einfachheit für eine vollständige histologische und zum Teil auch cytologische Analyse, verbunden mit der Prüfung der ersten Vorstufen der Hirnrindenbildung, war hierbei ausschlaggebend gewesen. Im Laufe ihrer langjährigen Arbeit habe Nolte nun Regelhaftigkeiten von Hirnvergrößerungen, Differenzen in der Cytoarchitektonik von Vorder- und Mittelhirn und die stammesgeschichtliche Bedeutung von Allometrien belegen können. Erkenntnisse ihrer Untersuchung seien weiter die erhebliche Verminderung der Faserbündel bei gleichbleibender Anzahl der zugehörigen Ganglienzellen der Retina sowie, entgegen vorheriger Ansicht, die Wahrscheinlichmachung des dorsalen Vorderhirngebietes als neopallialem Vorläufer. Beides sei wichtig für das Verständnis der Entstehung der Hirnrinde bei höheren Wirbeltieren. Nolte sei der Nachweis einer ontogenetischen wie phylogenetischen positiven Allometrie der funktionsärmeren Area dorsalis gelungen. Damit sei verständlich gemacht worden, wie ganz allgemein Hirndifferenzierungen gewissermaßen erst sekundär mit einer zusätzlichen

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Noltes Habilitationsprozess setze sich in der Folge ohne Probleme fort. Am 12. Dezember 1952 erklärte sich die Fakultät mit ihrer Habilitation einverstanden,982 und am 9. Januar 1953 hielt sie ihre Habilitationsvorlesung mit dem Titel „Die Transplantation von Augenanlagen und Augen bei Wirbeltieren“,983 einem weiteren Forschungsthema des Instituts, ab. Bereits eine Woche später, am 16. Januar 1953, wurde ihr die venia legendi für Zoologie verliehen.984 Am 8. Juni 1953 folgte ihre Antrittsvorlesung „Die Lokalisation der Funktionen im Gehirn von Säugetieren“.985 In den nächsten drei Jahren arbeitete die Assistentin vornehmlich auf den Gebieten der vergleichenden Histologie, der Entwicklungsmechanik, der Systematik und Ökologie.986 1956 eröffneten sich ihr dann, bedingt durch zwei unterschiedliche Entwicklungen, die Chance für einen weiteren Aufstieg. Auf der einen Seite profitierte sie davon, dass Rensch weiterhin bemüht war, das Institut im Rahmen seiner Neuausrichtungspläne personell zu erweitern. Auf der anderen Seite wurde durch das Ausscheiden Krügers die Diätendozentur frei, die nun an die Zoologin übertragen wurde.987 In den folgenden zwei Jahren arbeitete die Zoologin weiter in ihren bisherigen Schwerpunktgebieten, sammelte aber auch Erfahrung in der Tierpsychologie, wo sie unter anderem mit Totenkopfäffchen experimentierte.988 Im Sommer 1958 gelang es Rensch dann schließlich, nach langen Bemühungen auch die Einrichtung der gewünschten Kustodenstelle sicherzustellen989 und am 6. Oktober 1958 mit Nolte zu besetzen.990 Selbst danach kehrte aber keine Ruhe in der Karriere der Zoologin ein, denn es ging weiter aufwärts. Am 17. Dezember 1959 wurde Nolte zur außerplanmäßigen Professorin ernannt.991 Zweieinhalb Jahre später folgte am 29. Juni 1962 die Ernennung zur Wissenschaftlichen Rätin,992 und erneute fünf Jahre später die zur Wissen-

982 983 984 985 986 987 988 989 990 991 992

Funktion gefüllt werden können. Rensch bewertete die Studie seiner Schülerin als von großer Bedeutung für entwicklungsgeschichtliche Experimente an Urodelen. Gleichzeitig betonte er, dass die Weiterführung ihrer Arbeiten von Nolte beabsichtigt sei. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 197, Gutachten Rensch, 10.11.1952; ebd., Gutachten Strugger, 1.12.1952; ebd., Gutachten Lotzke, 3.12.1952; ebd., Gutachten Micheel, 6.12.1952. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 12.12.1952. UAMs, Bestand 91, Nr. 22. Ebd., Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 16.1.1953. Ebd., 8.6.1953. UAMs, Bestand 91, Nr. 83, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 6.11.1956. Ebd., Ernennungsurkunde Nolte, 28.1.1957. UAMs, Bestand 92, Nr. 197, Beschreibung der Tätigkeiten Noltes, undatiert, ca. 1958. UAMs, Bestand 9, Nr. 1953, Kurator an Rensch, 4.7.1958. UAMs, Bestand 91, Nr. 83, Ernennungsurkunde, 6.10.1958. Ebd., Ernennungsurkunde, 17.12.1959. Ebd., Ernennungsurkunde, 29.9.1962.

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schaftlichen Abteilungsvorsteherin und Professorin.993 Nolte blieb auch nach dem Ende des Untersuchungszeitraums weiterhin in leitender Funktion in der Zoologie tätig und wurde zum 1. Januar 1980 in die Rechtstellung einer Professorin als Beamtin auf Lebenszeit (C4) überführt.994 Am 1. April 1987 schließlich wurde sie nach über 40-jähriger erfolgreicher Tätigkeit am Zoologischen Institut der Universität Münster in den Ruhestand versetzt.995 Wie neben ihr nur Rensch hatte sie das Institut über seine Höhen und Tiefen und über Krieg und Frieden hinweg verfolgen und prägen können. Am 11. März 2001, fünf Tage nach ihrem 79. Geburtstag, verstarb Nolte in Münster.996 Ein weiterer Mitarbeiter, der neben Nolte weit über das Ende des Untersuchungszeitraums am Institut verbleiben sollte, war der andere Assistent, Altevogt. Ende 1952 hatte war er auf Renschs Wunsch vom Verwalter zum planmäßigen Inhaber der Assistentenstelle ernannt worden und hatte seitdem vorrangig bei der ­Verwaltung und Neukonstruktion der physiologischen Apparaturen, bei der Verwaltung der Bibliothek sowie der Vorbereitung und Durchführung verschiedener Praktika mitgewirkt.997 In den Jahren darauf war er, wie bereits erwähnt, vor a­ llem im Bereich der Tierphysiologie, aber auch der Verhaltensforschung, insbesondere der Winkerkrabben, tätig und reiste zu diesem Zweck mehrfach nach Indien und Afrika. Am 20. Juli 1956 wurde Altevogt zur Habilitation zugelassen998 und ­erhielt bereits eine Woche später999 nach einer Vorlesung zum Thema „Neuere Untersu­ chungen über den Sehvorgang im Komplexauge der Gliederfüssler“ die v­ enia legendi.1000 Nach dem Weggang Krügers übernahm er dessen Funktionen und Veranstaltungen.1001 Auch international konnte sich der Forscher einen guten Ruf erarbeiten und wurde 1957 zu einer dreimonatigen Gastprofessur nach Indien eingeladen.1002 Als schließlich 1958 Nolte zur Kustodin ernannt und ihre Diätendozentur frei wurde, beantragte Rensch deren Übertragung auf Altevogt. Nach Ansicht des Ordinarius habe er sich durch eine größere Zahl von Publikationen (gegen Ende des Untersuchungszeitraums 34 Stück)1003 in Sinnesphysiologie, Tierpsychologie und Ökologie einen Namen gemacht und gehöre zum besten Nachwuchs der Zoolo993 994 995 996 997 998 999 1000 1001 1002 1003

Ebd., Ernennungsurkunde, 21.6.1967. Ebd., Rektor an Nolte, 19.12.1979. Ebd., Vermerk, 24.1.1987. Ebd., Mitteilung über Sterbefall, 19.3.2001. Nicht in den Akten vermerkt, jedoch durch die Aussage ehemaliger Mitarbeiter überliefert, ist die Tatsache, dass sich Nolte das Leben nahm. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Rensch an Kurator, 25.11.1952. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokolle der Fakultätssitzungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 20.7.1956. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Personalbogen, 25.1.1963. UAMs, Bestand 91, Nr. 22. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Rensch an Kurator, 18.3.1958. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 8–9/1957. UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Personalbogen, 25.1.1963.

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gie. Den Lehrbetrieb in der Physiologie vertrete er vollständig selbst und sei damit eigentlich nur noch nominell Assistent. Seine Ernennung zum Diätendozenten sei insbesondere deshalb wichtig, da die Zoologie in Münster nur unzureichend mit Lehrkräften ausgestattet sei  – die meisten Universitäten hätten mehr Stellen zur Verfügung. Angesichts der Vielfältigkeit der Teilgebiete und der vielen Studenten müsse die Zahl der Wissenschaftler am Institut erhalten bleiben.1004 Am 31. Dezember 1958 wurde Altevogt zum Dozenten ernannt.1005 Im Jahr darauf übersetzte er Renschs Hauptwerk „Neuere Probleme der Abstammungslehre“ ins Englische.1006 Er verblieb auch nach 1962 weiter am Institut und setzte seine Karriere erfolgreich fort. Am 4. Juli 1963 wurde er zum Wissenschaftlichen Rat ernannt.1007 Es folgte am 1. Oktober 1964 die Änderung zum Wissenschaftlichen Rat und Professor1008 und am 20. September 1966 die Ernennung zum Wissenschaftlichen Abteilungsvorsteher und Professor.1009 Der Zoologe reiste weiterhin zu mehreren Forschungsaufenthalten nach Indien und veröffentlichte zahlreiche Bücher. Zum 1. Januar 1980 wurde er, wie seine Kollegin Nolte, in die Rechtstellung einer C4-Professur überführt.1010 Zusammen mit ihr trat er schließlich auch am 1. April 1987 nach fast 40-jähriger Tätigkeit für die Münstersche Zoologie in den Ruhestand.1011 Altevogt lebt heute in Münster. Damit waren durch den Weggang Hardes und die Beförderungen Noltes und Altevogts 1956/57 alle Assistentenstellen am Institut freigeworden. Wie schon kurz nach seiner Amtsübernahme setzte der Ordinarius auch jetzt auf junge Forscher und besetzte die Stellen mit drei Nachwuchswissenschaftlern, die er allesamt aus dem Kreis seiner Schüler rekrutierte: Gertrud Dücker,1012 Dieter Botsch1013 und Jür1004 UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: Januar 1957 – Mai 1961, Rensch an Rektor, 17.10.1958. 1005 UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Ernennungsurkunde, 31.12.1958. 1006 Ebd., Personalbogen, 25.1.1963. 1007 Ebd., Ernennungsurkunde, 4.7.1963. 1008 Ebd., Kurator an Altevogt, 26.8.1964. 1009 Ebd., Ernennungsurkunde, 29.9.1966. 1010 UAMs, Bestand 91, Nr. 83, Rektor an Altevogt, 19.12.1979. 1011 UAMs, Bestand 8, Nr. 9948, Kanzler an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 16.2.1987. 1012 Die Stelle der ersten Assistentin erhielt zum 1.2.1957 Gertrud Dücker. Rensch schlug sie am 14.2. dem Kurator als Nachfolgerin Noltes vor. Gertrud Dücker wurde am 9.2.1928 in Coesfeld als Tochter des Fabrikanten Bernhard Dücker geboren und katholisch getauft. Nach dem Besuch der Grundschule Coesfeld von 1934 bis 1938 wechselte sie auf das Städtische Gymnasium am selben Ort, wo sie bis 1944 verblieb. 1946 ging Dücker an die Marien-Oberschule Warendorf, wo sie Ostern 1949 ihr Reifezeugnis erhielt. Im Wintersemester 1950/51 begann sie ein Studium der Zoologie, Botanik und Chemie an der Universität Münster, welches sie am 7.12.1956 mit ihrer Promotion auf Basis einer Arbeit über „Untersuchungen über das Farb- und Helligkeitssehen und Instinkte einiger Viverriden und Hauskatzen“ mit magna cum laude abschloss. Während ihrer Zeit als Assistentin wirkte sie bei Ordnungs- und Verwaltungsaufgaben des Instituts mit und half bei den Praktika. Ihren Forschungsschwerpunkt legte Dücker auf sinnes- und tierpsychologische

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gen Reinert.1031014 Keiner von ihnen sollte bis zum Ende des Untersuchungszeitraums Arbeiten. Dies schlug sich auch in ihren Publikationen wieder, welche sich hauptsächlich mit dem Verhalten von Säugetieren beschäftigten. Nach dem Ende des Untersuchungszeitraums entfaltete die Zoologin eine langjährige erfolgreiche Laufbahn in Münster. Zum 30.10.1962 trat sie die Nachfolge Noltes als Kustodin an. Drei Jahre später habilitierte sie sich auf Basis einer Arbeit über „Untersuchungen über geometrisch-optische Täuschungen bei Wirbeltieren“. Im folgenden Jahr stieg sie zur Oberkustodin auf. 1970 wurde Dücker zur Wissenschaftlichen Rätin und Professorin ernannt. Im selben Jahr übernahm sie die Leitung der neugegründeten Abteilung für Verhaltensforschung am Zoologischen Institut. Ab dem 1.1.1987 führte Dücker den Titel „Universitätsprofessorin“. Zum 1.3.1993 wurde sie schließlich nach 36 Jahren an der Universität Münster pensioniert. Dücker lebt heute in Münster. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 8, Nr. 12488. 1013 Die zweite Assistentenstelle wurde von Rensch mit Dieter Botsch besetzt. Hierbei kam dem Ordinarius zugute, dass das Bundesministerium für Atomfragen (der Vorläufer des heutigen Bundesministeriums für Bildung und Forschung) dem Land NRW 1957 zur Förderung gesamtdeutscher Aufgaben der Hochschulen Mittel für die Einrichtung zusätzlicher Assistentenstellen bewilligte. Mit diesem Geld konnte der neue Mitarbeiter finanziert werden. Dieter Botsch wurde am 7.12.1929 in Lübeck geboren. Nach dem Besuch der dortigen Volksschule Klosterhof von 1936 bis 1940 wechselte er auf die Oberschule zum Dom, wo er am 28.2.1950 sein Reifezeugnis erhielt. Botsch nahm daraufhin ein Studium der Biologie, Chemie und evangelischen Theologie in Heidelberg auf. 1952 wechselte er an die TH Karlsruhe und 1954 an die Universität Münster, wo er am 2.5.1955 die Prüfung für das Höhere Lehramt ablegte. Zum 1.7.1957 übernahm er seine neue Stelle am Zoologischen Institut. Am 12.11.1959 wurde er auf Basis einer Arbeit über „Dressurund Transpositionsversuche bei Karauschen (Carassius, Teleost.) nach partieller Exstirpation des Tectum opticum“ mit magna cum laude promoviert. Neben experimenteller Tierpsychologie legte Botsch seinen Forschungsschwerpunkt noch auf die Didaktik des Biologieunterrichts. In seinen Publikationen befasste er sich hauptsächlich mit Fischen. Zu seinen Aufgaben am Institut gehörte die Betreuung der Bibliothek. Kurz nach dem Ende des Untersuchungszeitraums wurde Botsch zum Dozenten an der Pädagogischen Hochschule Westfalen-Lippe, Abteilung Münster, ernannt und erhielt dort einen Lehrstuhl für Didaktik der Biologie. Ende 1965 wurde er zum ordentlichen Professor berufen. Botsch verstarb am 17.11.1973 im Alter von nur 44 Jahren in Münster. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 148, Nr. 91, Bd. 1 und 2. 1014 Der dritte der von Rensch neu eingestellten Mitarbeiter war Jürgen Reinert. Er füllte die Lücke, die durch den Wechsel Hardes nach Stuttgart entstanden war. Jürgen Reinert wurde am 24.4.1930 in Münster als Sohn des Bankangestellten Wilhelm Reinert geboren und evangelisch getauft. Er besuchte von 1936 bis 1940 die Volksschule und im Anschluss das Humanistische Schillergymnasium Münster. Am 24.2.1950 legte er seine Reifeprüfung ab. Im Anschluss studierte er Zoologie, Botanik, Physiologische Chemie und Chemie an der Universität Münster und wurde am 17.12.1956 mit einer Arbeit über „Akustische Dressurversuche an einem indischen Elefanten“ promoviert. Zum 1.1.1957 trat er seine neue Stelle als Assistent an. Reinert führte in der Folgezeit die Aufgaben seines Vorgängers weiter und wirkte an Kursen, Exkursionen und der Verwaltung des Instituts mit. Sein Forschungsschwerpunkt lag, wie auch der seiner Kollegen, auf Verhaltensforschung und Dressurversuchen. Der Assistent hinterließ einen positiven Eindruck bei seinem Vorgesetzten, welcher ihn bereits ein Jahr nach seiner Anstellung zum akademischen Nachwuchs zählte und dementsprechend förderte. Reinert habilitierte sich daraufhin am

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mit eigenen Lehrveranstaltungen in den Institutsbetrieb eingreifen. Hinzu kommt, dass sie bis zum 1962 keinen Schriftverkehr in den Aktenbeständen des Zoologischen Instituts hinterließen. Da auch ihre Lehr- und Forschungskarrieren erst nach 1962 zur vollen Blüte kamen, werden ihre Laufbahnen hier daher nur knapp skizziert. Die externen Lehrbeauftragten rechtfertigen hingegen eine ausführlichere Betrachtung, da sie wichtige Bereiche des Lehrbetriebes aufrecht erhielten und für langjährige Kontinuitäten sorgten. In den 1950er-Jahren waren zwei von ihnen am Institut tätig: zum einen der Fischereifachmann Trahms, zum anderen der Parasitologe Erhardt. Trahms hatte 1948 die De-facto-Nachfolge Lehmanns übernommen. In den folgenden Jahren, in denen er hauptberuflich als Landesfischereisachverständiger und gleichzeitig Referent für Fischereiwesen im Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW tätig war, hatte er im Rahmen seines unbesoldeten Lehrauftrags zwischen einer und drei Vorlesungen pro Semester zu fischereikundlichen Themen (hier insbesondere zur Fischzucht) und dem Lebensraum Wasser abgehalten. Dabei hatte er vor allem an der Schnittstelle von experimenteller zu angewandter Biologie arbeiten und den Studenten, von denen eine Vielzahl, neben dem Übergang als Lehrer an die Schulen, als Berater in die Industrie wechselten, wichtige Erkenntnisse vermitteln können. Größere inhaltliche Schwankungen hatte es dabei, folgt man den sich immer wiederholenden Veranstaltungstiteln, nicht gegeben. Im Herbst 1959 jedoch kam es zu einem Vorfall unbekannter Art, der den Oberregierungsrat dazu bewog, beim Kultusministerium NRW um sofortige Entbindung von seinem Lehrauftrag nachzusuchen. Leider ist den Akten nicht zu entnehmen, was genau passiert war, denn, so Rensch am 7. September 1959 an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät: „Die Begründung dieses Entschlusses eignet sich nur für eine mündliche Besprechung.“1015 Unbeschadet dessen bat der Ordinarius darum, Trahms für seine fast elfjährige Tätigkeit am Institut den Dank der Fakultät auszusprechen, was auch zwei Wochen später geschah.1016 Am 8.  September 1959 entband das Kultusministerium NRW den Fischereifachmann von seinen Pflichten. 19.6.1963 mit einer Schrift über „Takt- und Rhythmusunterscheidung bei Dohlen“ und erhielt die venia legendi für Zoologie. Zwei Jahre darauf wurde er zum Oberassistenten, 1969 schließlich zum Dozenten befördert. Bereits ein Jahr später erfolgte die Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat und Professor. Danach setzte sich seine Karriere analog zu der seiner Kollegen fort. 1980 wurde Reinert Professor, 1987 Universitätsprofessor. Am 1.8.1995 trat er schließlich nach 38 Dienstjahren in den Ruhestand. Der Zoologe lebt heute in Münster. Vgl. hierzu UAMs, Bestand 8, Nr. 41182, Bd. 2, sowie UAMs, Bestand 92, Nr. 192. 1015 UAMs, Bestand 92, Nr. 37, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 7.9.1959. 1016 Ebd., Vermerk, 22.9.1959.

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Im selben Jahr wie Trahms war auch der andere Lehrbeauftragte, Erhardt, hauptamtlich bei den ASTA-Werken in Brackwede beschäftigt, an das Institut angegliedert worden. Auch er hielt in den folgenden Semestern jeweils ein bis zwei Vorlesungen zur tierischen und menschlichen Parasitologie. Anfang 1957 beantragte der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, ihn zum Honorarprofessor für tierische Parasitologie zu ernennen. Eine besondere Begründung für diesen Schritt nannte er nicht und fügte lediglich hinzu, dass dadurch keine Änderung der finanziellen Aufwendung eintreten würde.1017 Der Parasitologe hatte zu diesem Zeitpunkt eine umfangreiche Publikationsliste von fast 80 Werken vorzuweisen, so dass in Bezug auf seine wissenschaftliche Qualifikation keine Zweifel bestanden.1018 Schon einen Monat später, am 11. April 1957, wurde ihm daraufhin besagte Ehrenwürde verliehen.1019 Als 1959 kurzzeitig seitens des Kultusministeriums NRW diskutiert wurde, den Lehrauftrag auslaufen zu lassen, machte Rensch deutlich, wie wichtig Erhardt für die Aufrechterhaltung des Lehrbetriebes inzwischen geworden war: „Angesichts der unterrichtsmäßig leider verhältnismäßig schwach besetzten Zoologie in Münster, der außerordentlich hohen Studentenzahlen und der Bedeutung des von Herrn Prof. Dr. Erhardt vertretenen Gebietes wäre es geradezu verhängnisvoll, wenn seine Tätigkeit hier zum Erliegen käme.“1020

Daher bat er im Einvernehmen mit der Fakultät, auch im Hinblick auf die Geringfügigkeit der finanziellen Beträge, von Maßnahmen abzusehen.1021 Der Parasitologe konnte seine Arbeit daraufhin weiterführen. In den folgenden Jahren wurde er aber immer mehr aus Krankheitsgründen in seinen Tätigkeiten eingeschränkt. So musste er seine Vorlesungen im Sommersemester 1963 auf ärztliches Anraten ausfallen lassen1022 und konnte sie lediglich im Wintersemester 1963/64 fortsetzen.1023 Trotz dieser Schwierigkeiten wurde sein Lehrauftrag am 27. September 1965 bis zum Sommersemester 1967 verlängert.1024 Erhardt kehrte jedoch nicht mehr an die Universität Münster zurück. Er verstarb am 11. März 1969 im Alter von 65 Jahren.1025 Somit war es Rensch demnach gelungen, über die Jahre hinweg den Umfang des Mitarbeiterstabes an seinem Institut zu erhalten und für personelle wie wissenschaftliche Kontinuität bei gleichzeitiger Ausprägung eines deutlichen Forschungs1017 UAMs, Bestand 5, Nr. 308, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium, 9.3.1957. 1018 UAMs, Bestand 10, Nr. 3780, Personalbogen, undatiert, nach 1956. 1019 UAMs, Bestand 5, Nr. 308, Personalbogen, undatiert, nach 1957. 1020 Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium, 22.6.1959. 1021 Ebd. 1022 UAMs, Bestand 10, Nr. 3780, Erhardt an Universitätskasse, 9.4.1963. 1023 Ebd., diverse Schriftstücke. 1024 UAMs, Bestand 5, Nr. 308, Kultusministerium an Rektor, 27.9.1965. 1025 Ebd., Todesanzeige der Universität Münster, 21.3.1969.

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profils der Münsterschen Zoologie zu sorgen. Damit war das Institut für die kommenden Jahre, welche durch eine weitere Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes geprägt sein sollten, gut gerüstet. Mit der Betrachtung dieser weiteren strukturellen Entwicklungen am Zoologischen Institut, die eng mit dem von Rensch betriebenen Ausbau verknüpft waren, gelangt die Analyse der Entwicklung des Zoologischen Instituts mit dem Jahr 1961 schließlich an das Ende des Untersuchungszeitraums. Gleichzeitig bietet sie, wie auch die Einbeziehung der Vorgeschichte des Instituts vor 1922 zu Beginn der Arbeit, die Möglichkeit der Kontextualisierung sowie der Beschreibung von Kontinuitäten, da die Weiterentwicklung, anders als beim Botanischen Institut, 1962 keinen scharfen Schnitt erlebte. Damit bildet sie den Abschluss der Untersuchung des Zoologischen Instituts.

9.  Das Zoologische Institut nach 1962 Bereits in den späten 1950er-Jahren hatte Rensch versucht, die Einrichtung eines Extraordinariats für Zoologie zu erreichen. Diese Bemühungen setzten sich auch zu Beginn der 1960er-Jahre fort. Im Februar 1960 gelang es ihm, ein Extraordinariat für vergleichende Anatomie und Entwicklungsphysiologie auf der fakultätsinternen Liste für neu zu errichtende Institute auf die dritte von sechs Stellen setzen zu lassen.1026 Rensch musste sich aber weiter gedulden. Ein Jahr später, am 11. Januar 1961, teilte er dem Dekan erneut die Personalwünsche des Instituts mit. Neben zwei wissenschaftliche Ratsstellen (für Nolte und Altevogt) erwähnte er erneut ein Extraordinariat, inzwischen für Vergleichende Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Da der Raum im Institut beschränkt sei, solle der neue Lehrstuhlinhaber zunächst als Abteilungsleiter eingesetzt werden.1027 Am 20. Februar folgte der nächste Antrag.1028 Mitte des Jahres wurde die Angelegenheit dann konkreter. Die Fakultät bildete eine Kommission zur Besetzung des Postens, und Rensch begann, Listenvorschläge einzuholen.1029 Kurz darauf schlug Rensch bereits weitere Möglichkeiten eines Ausbaus der Zoologie vor: so meldete er Ansprüche auf das Chemische Institut für zukünftige Zoophysiologen an und regte die Errichtung eines Instituts für die Geschichte der Biologie an.1030 Es sollte jedoch bis nach 1962 dauern, ehe sich die Pläne in die Tat umsetzen ließen. Diese Zeit nach dem Ende des Untersuchungszeitraums war vor allem durch die Fortsetzung der Ausdifferenzierung sowohl der Forschungsinhalte als auch der fachlichen Struktur der Zoologie an der Universität Münster geprägt. Damit durch1026 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 7.2.1960. 1027 UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: von Januar 1959, Rensch an Dekan, 11.1.1961. 1028 Ebd., Rensch an Dekan, 20.2.1961. 1029 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 21.5.1961. 1030 Ebd., TBE 13.8.1961.

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lief das Fach eine ähnliche Entwicklung, wie sie auch in der Botanik, aber auch in anderen naturwissenschaftlichen wie nicht-naturwissenschaftlichen Fachgebieten zur damaligen Zeit zu beobachten war. Die Planungen hierfür wurden zentral von der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät koordiniert. Eine tabellarische Übersicht1031 über die beabsichtigte Weiterentwicklung der Fakultät von 1962 zeigt, in welche Richtung sie sich entwickeln sollte. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass Renschs jahrelange Bemühungen um einen adäquaten personellen Ausbau seines Fachgebietes, den er immer schon auch unter Hinweis auf die Globalentwicklung der biologischen Wissenschaften angemahnt hatte, letztlich erfolgreich waren. Für die Zoologie waren zu diesem Zeitpunkt zwei Ordinariate beziehungsweise Extraordinariate,1032 eine Wissenschaftliche Ratsstelle und zwei Diätendozenturen vorgesehen. Bis 1964 sollte eine Ratsstelle hinzukommen, nach 1964 dann noch ein weiteres Ordinariat beziehungsweise Extraordinariat. Auch insgesamt gesehen sollte die personelle Besetzung der biologischen Institute stark ausgebaut werden. Auf Seiten der Botanik, die für 1962 strukturell genauso angesetzt wurde wie die Zoologie, wurde bis 1964 eine Erhöhung um zwei Diätendozenturen und für die Zeit nach 1964 ein weiteres Ordinariat beziehungsweise Extraordinariat geplant. Auch die Pharmazeutische Botanik, 1960 bereits zu einem Extraordinariat aufgewertet, sollte eine weitere Dozentur erhalten. Ebenso sollte ein Ordinariat beziehungsweise Extraordinariat für Allgemeine Biologie und Genetik1033 sowie Mikrobiologie errichtet werden. Anfang März 1962 war es dann schließlich soweit. Die Planungen für ein neu zu schaffendes Extraordinariat konkretisierten sich, und die Fakultät setzte Karlheinz Bier1034 an die erste Stelle ihrer Berufungsliste. Biers Forschungsschwerpunk1031 UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rundschreiben des Dekans 1947–1968/Fakultät 1947– 1968; Unterordner: Juni 1947 – Juli 1963, Tabellarische Übersicht, undatiert, Anfang 1962. 1032 Die Tabelle unterscheidet nicht zwischen den beiden Formen, sondern fasst sie unter „Lehrstühle“ zusammen. 1033 Planungen für einen solchen Lehrstuhl reichen bis ins Jahr 1952 zurück, vgl. hierzu den Schriftverkehr zwischen Max-Planck-Gesellschaft, Kultusministerium und Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in: UAMs, Bestand 91, Nr. 215. 1034 Bier, geboren am 22.2.1925 in Coswig bei Dresden und evangelisch getauft, hatte von 1935 bis 1943 das Realgymnasium Radebeul besucht. Während dieser Zeit war er im Jungvolk der HJ organisiert und dort vom September 1942 bis zum März 1943 Jungzugführer gewesen. Vom 15.4.1943 bis zum 15.7.1943 leistete Bier seinen Dienst beim RAD ab, ehe er am 25.8.1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde. Dort diente er in der Sturmartillerie und wurde noch am 17.1.1945 zum Leutnant der Reserve befördert. Am 8.2.1946 kehrte Bier aus der Armee zurück. Danach studierte er von 1946 bis 1949 und bestand 1949 das Staatsexamen für das höhere Lehramt. Am 28.5.1952 folgte seine Promotion. Seine Dissertation hatte Bier bei dem Würzburger Entomologen und Ameisenexperten Karl Gösswald über „Fertilität und Kastendetermination bei Ameisen“ geschrieben. Vom 1.4.1952 bis zum 28.2.1953 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zoologischen Institut der dortigen Universität beschäftigt, ehe er vom 1.3.1953 bis zum 30.9.1953 ein Forschungsstipendium der DFG erhielt. Ab dem 1.10.1953 war Bier als Oberassistent, ab dem 1.5.1959 als Pri-

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te waren neben Ameisen vor allem Histochemie und das Grenzgebiet zwischen Cytologie, Biochemie und Genetik. Laut Rensch könne er vor allem durch Vorlesungen zur Entwicklungsphysiologie die Lehre und Forschung auf diesem sehr wichtigen Gebiet, welches in Münster derzeit nicht vertreten werde, ergänzen.1035 Damit schloss sich mit Bier nach fast 30 Jahren wieder der Kreis zu von Ubisch, der dieses Fachgebiet in den 1920er-Jahren an der Universität Münster etabliert und bis zu seiner Vertreibung gelehrt hatte. Gleichzeitig war der junge Zoologe mit seiner Vielseitigkeit der ideale Kandidat für eine weitere Ausdifferenzierung des Forschungsspektrums am Institut. Ähnlich wie bei Renschs anderen bisherigen Personalwünschen verlief auch in diesem Fall alles wie geplant, und Bier wurde am 9. Juli 1962 zum außerplanmäßigen Professor ernannt und nach Münster berufen.1036 Als er bereits drei Jahre später, im März 1965, einen Ruf auf den Lehrstuhl für Zoologie an der Medizinischen Akademie Düsseldorf erhielt,1037 setzte sich Rensch aktiv dafür ein, den Zoologen in Münster zu halten. Der Preis hierfür war, dass Bier Ende desselben Jahres zum ordentlichen Professor und Mitdirektor des Zoologischen Instituts ernannt wurde.1038 Erstmals in der Geschichte der Münsterschen Zoologie hatte das Institut somit eine Doppelspitze: ein weiterer Beleg für die stärkere Ausdifferenzierung des Fachs und die wachsenden Aufgaben am Lehrstuhl. Gleiches gilt auch für die weiter steigenden Studentenzahlen, die damit den Trend aus den 1950er-Jahre fortsetzten. Schon 1959 war zum Beispiel das Medizinerkolleg völlig überfüllt gewesen: „217 Plätze, 170 Stühle, 50–60 stehen, 30–40 müssen wir [sic!] gehen.“1039 1967 konnten die Studenten aufgrund ihrer großen Anzahl teilweise nicht mehr in den Veranstaltungen untergebracht werden und wurden weggeschickt. Diese negative Entwicklung bildete ein weiteres Argument für die Verantwortlichen, eine Verstärkung des akademischen Mittelbaus zu fordern, um die „sich anbahnende[n] katastrophale[n] Verhältnisse abwenden zu können.“1040 Ebenfalls 1967 stellte sich schließlich auch die Frage einer Nachfolge für Rensch. Der Ordinarius plante nach fast 20 Jahren an der Spitze des Lehrstuhls und fast 30 Jahren Dienst in Münster in den Ruhestand zu treten. Im Juli des Jahres reichte

1035 1036 1037 1038 1039 1040

vatdozent tätig. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 859, B1, Meldebogen, 26.6.1951; UAMs, Bestand 92, Nr. 57, Personalbogen, 2.3.1962; ebd., Berufungsvorschlag Extraordinariat Zoologie, 7.3.1962. UAMs, Bestand 92, Nr. 57, Berufungsvorschlag Extraordinariat Zoologie, 7.3.1962. Ebd., Ernennungsurkunde, 9.7.1962. Ebd., Bier an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 31.3.1965. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium, 19.11.1965, sowie Ernennungsurkunde, 7.12.1965. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 3.5.1959. UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Unterricht; Unterordner: Unterrichts- und Hörsaalprobleme, 24.10.1967.

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die Fakultät daher eine Vorschlagsliste für seine Nachfolge ein.1041 Ein Jahr später, am 1. April 1968, wurde der Zoologe schließlich emeritiert.1042 Der prägende Einfluss, den Rensch in den Jahren seiner Tätigkeit als Dozent, Museumsdirektor und Ordinarius in Münster hinterlassen hatte, blieb auch nach seinem Dienstende spürbar. Seit 1980 ehrt ihn der Fachbereich Biologie der Universität Münster mit einer in jedem Sommersemester stattfindenden „Bernhard-Rensch-Vorlesung“, zu der seither hochrangige Wissenschaftler, die auf mit Renschs Arbeitsgebieten verknüpften Forschungsfeldern tätig sind, referieren. Wie aktuell Renschs Arbeiten auch heute noch sind, zeigt nicht zuletzt das Thema der Vorlesung von 2010. Dort referierte Professor Günter Wagner (Yale Universität, New Haven, USA) unter dem Titel „Neuere Probleme der Abstammungslehre (Rensch 1947) im Zeitalter der Genomik“ über Renschs wohl bedeutendstes wissenschaftliches Werk aus seiner Prager Zeit.1043 Rensch blieb bis zu seinem Tod am 4. April 1990 wissenschaftlich und publizistisch aktiv. Ein Jahr nach Renschs Emeritierung, am 26. Juli 1969, kam sein Mitdirektor Bier bei einem Segelunfall in Finnland ums Leben.1044 Damit hatte die Münstersche Zoologie innerhalb von nur 15 Monaten ihre führenden Köpfe verloren. Dieser Zeitpunkt kann daher, ähnlich dem Jahr 1962 für die Botanik, als bis dato tiefster personeller Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte des Instituts gelten. Welche Auswirkungen dies jedoch für die weitere Entwicklung des Fachs an der Universität Münster hatte, wie sich das Verhältnis von Wissenschaft und Politik, die Ressourcenmobilisierung und der forschungsimmanente Wandel sowie mögliche Kontinuität in den Jahren darauf fortsetzten, kann aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt denen des Datenschutzes, kein Gegenstand dieser Untersuchung sein. Die Jahre 1922 bis 1962 bildeten, wie gezeigt werden konnte, einen entscheidenden Zeitraum, sowohl in der Entwicklung der Zoologie der Universität Münster als auch der Biologie allgemein. Die Zeit danach muss Gegenstand zukünftiger Forschungen werden.

1041 Ebd., Ordner: Unterricht; Unterordner: Lehrstühle/Wissenschaftliche Räte/Abteilungsvorsteher, Vorschlagsliste, 13.7.1967. 1042 Rensch 1979, S. 234. 1043 http://ieb.uni-muenster.de/rensch, Zugriff: 22.6.2010. 1044 UAMs, Bestand 92, Nr. 57, Prodekan an Kultusministerium, 5.8.1969.

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III. Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität 1. Struktur, Mitarbeiter und Forschungsinhalte des Botanischen Instituts bis 1922 Ende der 1860er-Jahre hatte sich, wie am Ende von Kapitel I., Abschnitt 5 dargelegt, die Botanik der Akademie mit der Schaffung eines Extraordinariats auch organisatorisch von der Zoologie abgespalten. Mit einer Summe von 500 Talern ausgestattet, übernahm Theodor Rudolf Nitschke neben diesem Posten auch gleichzeitig die Leitung des Botanischen Gartens. Diese Doppelfunktion, für die ihm 1873 eine Extra-Besoldung von 300 Talern gewährt wurde, sollten seine Nachfolger an der Spitze des Botanischen Instituts auch 100 Jahre später noch innehaben. Nitschke war 1860 als erster neuzeitlicher und allgemeiner Botaniker nach Münster gewechselt. Er kann als erster Vertreter der Mikroskopie an der Akademie bezeichnet werden, eine Arbeitstechnik, deren Einsatz er förderte und für die er auch die Zoologen gewinnen konnte. Dies spiegelte sich in seinen Vorlesungen wider, die unter anderem Titel wie „Über mikroskopische Tiere und Pflanzen“ oder „Praktische Übungen in Mikroskopie“ trugen. 1875 wurde das Extraordinariat, nachdem dies noch 1872 von der Akademie abgelehnt worden war, in ein Ordinariat umgewandelt.1 Nitschke behielt die Leitung bis 1883.2 Mit der Berufung seines Nachfolgers Oskar Brefeld setzt Latzko die eigentliche Gründung des Botanischen Instituts an, welches, nachdem es zunächst in einem gemieteten Gebäude in der Badestraße untergebracht worden war, 1896/97 in ein neu errichtetes Gebäude an der Südseite des Botanischen Gartens einzog.3 Brefeld, Sohn eines Apothekers aus Telgte, hatte bei Robert Wilhelm Bunsen in Chemie promoviert und danach bei Senckenberg in Halle Botanik studiert. Er legte den Schwerpunkt seiner Forschungs- und Lehrtätigkeiten vor allem auf das damals noch junge Gebiet der Mykologie. 1891 wurde er nach Breslau berufen. Sein Nachfolger wurde Wilhelm Zopf. Zopf, der unter anderem die botanische Sammlung weiter ausbaute und den chemischen Unterricht vorantrieb, befasste sich in seinen wissenschaftlichen Arbeiten hauptsächlich mit Kryptogamen und hier speziell mit Phycomyceten und Monadinen. Bereits 1909 verstarb er im Alter von 63 Jahren, woraufhin Carl Erich Correns als sein Nachfolger nach Münster berufen wurde.

1 Tobler 1922, S. 23. 2 Latzko 1980, S. 464. 3 http://www.uni-muenster.de/Biologie.Botanik/institut/geschichte/index.html, Zugriff: 16.8.2010.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

Correns, der sich als Forscher vor allem durch die Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln und intensive Tätigkeiten auf dem Gebiet der Vererbungsforschung hervortat, ließ große Flächen des Botanischen Gartens zu diesem Zwecke neu bepflanzen. Im zweiten Jahr seiner Amtszeit tagte erstmals die Deutsche Botanische Gesellschaft in Münster. Seine Lehrtätigkeit an der inzwischen zur Universität erhobenen Akademie war indes nur von kurzer Dauer. Bereits 1914 wechselte er als Direktor an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie.4 Ab dem Wintersemester 1914/15 übernahm daher Alfred Heilbronn, zu jenem Zeitpunkt planmäßiger Assistent am Institut, bis zum Amtsantritt eines Nachfolgers für Correns die Vertretung des Ordinariats.5

2.  Das Ordinariat Benecke 1916 bis 1935 Der neue Lehrstuhlinhaber Friedrich-Wilhelm Benecke6 wurde schließlich zum 1. April 1916 berufen. Mit ihm begann am Botanischen Institut eine neue Phase der Stabilität, welche die nächsten 30 Jahre lang die botanische Forschung und Lehre in Münster bestimmen sollte. Zu Beginn des Sommersemesters 1922, der gemeinsamen chronologischen Anfangszäsur dieser Untersuchung, war Benecke demnach bereits sechs Jahre im Amt und hatte sich mit einer Vielzahl von Arbeitsgebieten, darunter Pflanzengeographie und Mikrobiologie, beschäftigt. Die personelle, organisatorische und fachwissenschaftliche Situation des Botanischen Instituts zu 4 5 6

Latzko 1980, S. 464f. UAMs, Bestand 5, Nr. 77, Kurator an Heilbronn, 23.10.1919. Friedrich-Wilhelm Benecke wurde am 23.9.1868 als Sohn des Universitätsprofessors Ernst Wilhelm Benecke in Heidelberg geboren. Er begann ein naturwissenschaftliches Studium in Straßburg, welches er nach Ableistung des Wehrdienstes in Zürich und Berlin fortsetze. Im Februar 1892 wurde er in Jena bei Erich Stahl mit einer Dissertation über die physiologische Anatomie der Nebenzellen der Sukkulenten promoviert. Vom 1.10.1892 bis zum 31.3.1894 arbeitete Benecke als planmäßiger Assistent am Botanischen Institut der Universität Leipzig. Im Anschluss daran wechselte er in gleicher Position nach Straßburg, wo sich am 13.7.1896 habilitierte. Benecke ging daraufhin 1899 als Assistent an die Universität Kiel und wurde dort 1906 Abteilungsvorsteher des Botanischen Gartens. Am 16.3.1909 wurde er als außerordentlicher Professor nach Bonn berufen und wechselte von dort 1911 in gleicher Stellung nach Berlin, wo er ab 1914 als etatmäßiger Professor an der landwirtschaftlichen Hochschule tätig war. Obwohl Benecke von August 1914 bis November 1916 Kriegsdienst in Ostpreußen, Polen, Litauen und Lettland leistete, wurde er am 21.10.1915 zum 1.4.1916 als ordentlicher Professor auf den Lehrstuhl für Botanik nach Münster berufen. Siehe: Sackmann, Werner, Biographische und Bibliographische Materialien zur Geschichte der Mikrobiologie und zur bakteriologischen Nomenklatur, Frankfurt a. M. 1985, S. 31; UAMs, Bestand 63, Nr. 174, Minister der geistlichen und UnterrichtsAngelegenheiten an Benecke, 21.10.1915; UAMs, Bestand 10, Nr. 738, Bd. 1, Erklärung Beneckes über Kriegsdienstverwendung, 26.11.1925; ebd., Personalbogen, undatiert, nach 1925; ebd., Universitäts-Rentamt Leipzig an Benecke, 5.8.1926; ebd., Zeitungsbericht in „Münsterscher Anzeiger“, 23.9.1938.

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diesem Zeitpunkt stellte sich wie folgt dar. Neben dem Ordinarius waren am Botanischen Institut und Botanischen Garten7 zwei Assistenten sowie ein Abteilungsvorsteher beschäftigt. Die erste Assistentenstelle hatte der bereits erwähnte Alfred Heilbronn inne.8 Die zweite Assistentenstelle war mit Walter Mevius besetzt.9 Als Abteilungsvorsteher war schließlich Emil Hannig tätig.10 7

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Der Übersichtlichkeit halber wird anstelle dieses Doppelbegriffes im Folgenden lediglich „Botanisches Institut“ verwendet. Ähnliches gilt für die beiden Assistentenstellen, von denen bis 1933 eine dem Institut, die andere dem Garten zugeordnet war. Sie werden unter demselben Oberbegriff subsumiert. Heilbronn wurde am 28.5.1885 in Fürth/Bayern als Sohn eines jüdischen Kaufmannes geboren. 1904 legte er sein Abitur am Realgymnasium Nürnberg ab. Danach studierte er ein Semester an der königlich-technischen Hochschule München, eher er an die Universität München wechselte, wo er neun Semester lang naturwissenschaftliche Studien betrieb. Am 17.12.1909 folgte seine Promotion am selben Ort. Heilbronn ging daraufhin als Volontärassistent an das Physiologische Institut der Tierärztlichen Hochschule Berlin, wechselte aber bereits im selben Jahr an das Ozeanographische Institut in Monaco. Von dort kehrte er schon 1911 nach Berlin zurück und betrieb dort am Pflanzenphysiologischen Institut der Universität und am Botanischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Plasma- und Reizphysiologie. Auf Einladung Correns wechselte er nach Münster, wo er am 15.7.1913 planmäßiger Assistent wurde. Nur einen Monat später, am 1.8.1913, habilitierte er sich. Sechs Jahre später, am 10.8.1919, wurde Heilbronn zum Professor ernannt. Politisch war der Botaniker linksliberal orientiert. Von Beginn bis Ende ihres Bestehens war er Mitglied der DDP. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, Personalbogen, undatiert; ebd., Lebenslauf, 27.6.1913; ebd., Personalbogen, undatiert; UAMs, Bestand 92, Nr. 25, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 20.3.1961; GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 22, Bd. 1. Mevius wurde am 3.5.1893 als Sohn eines preußischen Studiendirektors in Holzwickede geboren. Er besuchte die Realgymnasien in Bielefeld und Lüdenscheid, wo er 1913 sein Abitur ablegte. Danach begann er ein Studium der Naturwissenschaften in Göttingen, Berlin und Münster. Im Ersten Weltkrieg leistete er von 1914 bis 1918 als Sanitätssoldat Dienst. Nach dem Krieg kehrte Mevius nach Münster zurück, wo er am 1.5.1920 eine Stelle als Hilfsassistent am Botanischen Institut übernahm. Am 1.9.1920 wechselte er zunächst als Verwalter, ab dem 2.11.1920 dann als planmäßiger Inhaber auf die Stelle des zweiten Assistenten. Am 30.11.1920 wurde er in Münster promoviert. Siehe: StAHH, PA Mevius, IV 1368, Personalbogen, undatiert; UAMs, Bestand 63, Nr. 181, Dekan an PrWM,11.1929; UAMs, Bestand 9, Nr. 321. Hannig wurde am 27.9.1872 als Sohn eines Maschineningenieurs in Montigny bei Metz geboren. Nach seinem Abitur am 21.7.1892 am Lyceum Straßburg nahm er ein Studium auf, welches er am 17.7.1897 mit seiner Promotion in Straßburg abschloss. Am 17.7.1898 erwarb er das Oberlehrer-Zeugnis und habilitierte sich drei Jahre später am 12.7.1901 ebenfalls in Straßburg. Am selben Ort wurde ihm zum Sommersemester 1914 eine Professur verliehen. Im Ersten Weltkrieg erhielt er am 2.9.1915 das EK II. Am Kriegsende diente er in der Flakgruppe 3 und wurde als Leutnant der Landwehr II entlassen. Als deutscher Beamter wurde er 1918 von den Franzosen suspendiert und aus Straßburg ausgewiesen. Zum 20.4.1922 übernahm Hannig seine neue Stelle als Abteilungsvorsteher am Botanischen Institut der Universität Münster, wo er seinen Vorgänger Friedrich Tobler ersetzte. Einen Monat später, am 16.5.1922, wurde er zum persönlichen Ordinarius ernannt. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Lebenslauf, undatiert, ca. 1898; UAMs, Bestand 10,

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Im Vergleich zum Zoologischen Institut war die Botanik zu Beginn des Untersuchungszeitraums personell somit etwas besser ausgestattet. Daraus erklärt sich auch, im Unterschied zum Schwesterinstitut, das Fehlen externer Lehrbeauftragter. Neben dem Ordinarius boten bis auf Mevius, der zu dieser Zeit noch nicht in die Lehre eingebunden war, alle Beschäftigten Seminare an. Im ersten Semester, welches für diese Untersuchung herangezogen wird, das heißt dem Sommersemester 1922, belief sich deren Umfang auf 14 Veranstaltungen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte sich eine Arbeitsteilung etabliert, die auch für die nächsten Jahre beibehalten werden sollte. Zum einen ist charakteristisch, dass mehrere Seminare gemeinsam angeboten wurden. Mikroskopisch-Botanische Übungen, das Botanische Laboratorium, die Anleitung zu wissenschaftlichen Arbeiten und die Praktika wurden von Benecke und Heilbronn, zumeist auch zusätzlich von Hannig betreut. Zum anderen deckte jeder der drei Dozenten ein Forschungsgebiet ab, auf das er sich spezialisiert hatte. Benecke hielt als Ordinarius die allgemeinen Veranstaltungen ab, ergänzt um Spezialthemen wie Ernährungsphysiologe („Untersuchung von landwirtschaftlich wichtigen Bakterien und Pilzen“). Hannig las über Pflanzensystematik und Blütenpflanzen, aber vor allem über ein Themengebiet, welches hauptsächlich ab den späten 1930er-Jahren noch eine äußerst wichtige Rolle an der Universität Münster spielen sollte: die Pharmakognosie. Heilbronn hingegen konzentrierte sich auf ein damals noch recht junges Gebiet, die Vererbungslehre, und war damit seinen Kollegen in der Zoologie, welche dieses Thema erst später und, bis zur Anstellung Kosswigs, nicht regelmäßig anbieten sollten, voraus.11 Vor 1920 war er sogar der einzige Dozent an der gesamten Universität Münster gewesen, der zu diesem Thema gelesen hatte.12 Heilbronns Versuche, dieses Thema mit sozialen Fragestellungen zu verbinden, führten im selben Jahr jedoch zu Unstimmigkeiten innerhalb der Fakultät und wurden von der Universitätsleitung gestoppt.13 Eine nachteilige Wirkung

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Nr. 2482, Bd. 1, Personalblatt, undatiert, nach 1922; ebd., Entlassungsbescheinigung, 12.11.1918; ebd., PrWM an Hannig, 20.4.1922; ebd., PrWM an Hannig, 16.5.1922. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1922. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Briefwechsel zwischen Heilbronn, Dekan, Benecke, PrWM, Juli 1920 – Juni 1921. Für das Sommersemester 1920 hatte der Botaniker eine Vorlesung unter dem Titel „Biologische Fragestellungen der Soziologie“ angekündigt, unter anderem auch deshalb, um Heinrich Ernst Zieglers Werk „Die Vererbungslehre in der Biologie und in der Soziologie“, welches er als konservativ-antisozial bezeichnete, etwas entgegenzusetzen. Obwohl kein Einspruch seitens der Fakultät erfolgte, strich der Dekan einen Abend vor Drucklegung des Vorlesungsverzeichnisses die Veranstaltung, ohne offiziell mit Heilbronn Kontakt aufzunehmen. Lediglich Benecke hatte dem Dozenten zuvor inoffiziell die Bedenken einiger Fakultätsmitglieder mitgeteilt, nach denen Heilbronns venia für Botanik durch solch’ ein Thema überschritten würde. Da er dies jedoch nicht als offizielles Veto der Fakultät angesehen hatte, danach kein Einspruch mehr kam und er bereits im Wintersemester zuvor über Rassen- und Gesellschaftsbiologie gelesen hatte, war er davon ausgegangen, dass alles in Ordnung sei. Heilbronn protestierte daraufhin gegen diese Behandlung.

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auf die Karriere Heilbronns oder die Atmosphäre am Botanischen Institut hatte diese Episode jedoch nicht. Inhaltlich und personell war die Münstersche Botanik zu Beginn des Untersuchungszeitraums somit gut gerüstet. Zum Wintersemester 1923/24 sollte diese Basis durch eine weitere Einstellung noch einmal verstärkt werden. Ende Mai 1923 schlug der Dekan beim Wissenschaftsministerium in Berlin vor, Heilbronn aufgrund seiner langjährigen fruchtbaren Tätigkeit für die Universität von den Assistenzpflichten zu befreien und ihm einen besoldeten Lehrauftrag zu erteilen. Benecke wünsche sich seit langem einen Lehrauftrag für pflanzliche Vererbungslehre, und da Heilbronn auf diesem Gebiet bereits langjährige Lehrerfahrung habe, möge man ihm einen solchen zum 1. Oktober 1923 verleihen.14 Unterstützung erhielt der Dekan dabei vom Kurator. Dieser bat sogar noch um eine möglichst hohe Bemessung der Besoldung, da Heilbronn derzeit in schwierigen

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Zum einen stellte er die Befugnis des Dekans in Frage, ohne Rücksprache zum Mittel einer Streichung greifen zu dürfen. Zum anderen wollte er wissen, ob es im Interesse der Studenten sei, grundlegende Fragen der biologischen Soziologie (hierzu zählte er die Bedeutung der Gattenwahl, die Vererbung der geistigen und künstlerischen Eigenschaften und ihre Verteilung auf die verschiedenen sozialen Schichten, die Erblichkeit asozialer Eigenschaften und die „Selektionswirkung“ des Krieges) an einer Universität wissenschaftlich zu behandeln. In die Diskussion griff nun neben dem Dekan noch der Kurator ein. Zunächst nannte man als Grund für das Vorgehen (das heißt den inoffiziellen Einsatz Beneckes), dass man dadurch Heilbronns Gefühle habe schonen wollen. Weiter führte man aus, dass der Dekan hätte handeln dürfen und müssen, da der Dozent seine venia überschritten hätte. Bezüglich der inhaltlichen Frage stellte man sich schließlich auf folgenden Standpunkt: „Nach Ansicht der Fachvertreter der Botanik, Zoologie und Physiologie sind die wissenschaftlichen Forschungen soziologischen Charakters auf diesen Gebieten noch nicht weit genug vorgeschritten, um aus ihnen wirklich wissenschaftlich gegründete Folgerungen auf die Fragen der menschlichen Soziologie ziehen zu können.“ Außerdem böten Heilbronns wissenschaftliche Arbeiten nicht die Gewähr dafür, dass er über die nötigen Kenntnisse zur wissenschaftlichen Behandlung dieses Themas verfüge. Damit war ein biologischer Ansatz zur Bearbeitung sozialer Fragestellungen an der Universität Münster von Seiten der Universitätsleitung gestoppt worden. Wie fadenscheinig die Argumente, die man gegen Heilbronn anführte, tatsächlich waren, zeigte sich bereits ein Jahr später, als der Abteilungsvorsteher im Anatomischen Institut Eugen Kurz, welcher nicht zuletzt wegen seiner rassistischen Ansichten ab 1925 von der NSDAP-Gauleitung als guter Redner geführt werden sollte, eine Vorlesung über Rassenkunde abhielt. Hier hatte man offensichtlich keinerlei Bedenken, dass eine venia überschritten wurde oder Kompetenzmangel vorlag. Siehe: GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Briefwechsel zwischen Heilbronn, Dekan, Benecke, PrWM, Juli 1920 – Juni 1921; Ziegler, Heinrich Ernst, Die Vererbungslehre in der Biologie und in der Soziologie. Ein Lehrbuch der naturwissenschaftlichen Vererbungslehre und ihrer Anwendungen auf den Gebieten der Medizin, der Genealogie und der Politik, Jena 1918; GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Dekan an PrWM, 14.10.1920; Dicke 2004, S. 17. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 6, Bd. III, Dekan an PrWM, 22.5.1923.

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wirtschaftlichen Verhältnissen sei. Gleichzeitig beantragte er eine Verlängerung von Heilbronns Assistentenvertrag bis zum 30. September des Jahres.15 In Berlin stand man der Anfrage positiv gegenüber. Zunächst verlängerte man die Assistentenstelle, stellte den Lehrauftrag aber vorerst nur in Aussicht.16 Kurz darauf wurde er schließlich zum gewünschten Termin erteilt und mit einer gleitenden Vergütung von inflationsbedingten 6.678.000.000 Mark pro Monat versehen.17 Als Nachfolger auf Heilbronns Assistentenstelle schlug Ordinarius Benecke den zweiten Assistenten Mevius vor. Dessen Stelle wiederum sollte zum 1. Oktober 1923 mit Hans Söding besetzt werden.18 Zum Wintersemester 1923/24 wurde somit die Botanik nach den Wünschen Beneckes umstrukturiert. Einen Monat später sollte sich die Investition in Mevius bereits auszahlen, als der Assistent gleich zwei Untersuchungen als Habilitationsschriften einreichte: „Beiträge zur Physiologie ‚kalkfeindlicher’ Gewächse“ sowie „Beiträge zur Reizphysiologie von Drosera rotundifola“.19 Beide Schriften wurden von den Gutachtern Benecke und Hannig positiv beurteilt.20 Bereits einen Monat später konnte Mevius seine Habilitationsvorlesung zum Thema „Die chromatische 15 16 17 18

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Ebd., Kurator an PrWM, 9.6.1923. Ebd., PrWM an Kurator, 6.7.1923. UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, PrWM an Heilbronn, 29.9.1923. Hans Söding wurde am 1.6.1898 in Papenburg an der Ems als Sohn eines Oberlehrers geboren und katholisch getauft. Von 1908 bis 1917 besuchte er das Gymnasium zu Andernach, wo er auch sein Abitur ablegte. Danach studierte er Botanik, Zoologie, Mathematik, Physik und Chemie in Bonn, Tübingen und Hamburg. Am 10.3.1923 folgte seine Promotion mit einer Arbeit zu „Anatomie der Wurzel-, Stengel- und Rübenbildung von Oelraps und Steckrübe (Brassica napus L. var. oleifera D. C und var. Napobrassica (L.) Reichb.) mit einem Versuch zur praktischen Unterscheidung ihrer jugendlichen Pflanzen und damit des Saatgutes“ in Hamburg. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Benecke an Kurator, 20.9.1923; ebd., Lebenslauf, undatiert, ca. 1923. UAMs, Bestand 63, Nr. 181, Gutachten Benecke und Hannig, 20.11.1923. In ihrem Gutachten zu den Arbeiten gingen Benecke und Hannig zunächst auf die Dissertation des Assistenten ein, da dieser sich schon dort mit den nunmehr untersuchten Themen beschäftigt hatte. So hatte Mevius bereits 1921 zu dem in pflanzengeographischer Beziehung wichtigen Problem der Kalkfeindlichkeit gewisser Pflanzen, zum Beispiel der Torfmoose, geforscht und war wie vor ihm schon Hermann Paul (München) zu dem Ergebnis gekommen, dass keine spezifische Giftwirkung des Calciums vorliege, sondern nur eine starke Empfindlichkeit gegen die alkalische Reaktion des Mediums. In der Deutung dieses Ergebnisses herrschte jedoch Uneinigkeit zwischen den beiden Botanikern. Während Paul davon ausging, dass die alkalische Reaktion deshalb schädlich sei, weil die von den Pflanzen im Stoffwechsel gebildete Säure dadurch geschädigt würde, lehnte Mevius diese Erklärung ab und nahm stattdessen an, dass eine spezifisch hohe Empfindlichkeit der Torfmoose gegenüber OH-Ionen vorliege. Mevius Erklärung war daraufhin von Camill Montfort (Bonn) angezweifelt worden, weswegen der Assistent neue Untersuchungen als Habilitationsleistung durchführte. Mit ihnen konnte er nunmehr zeigen, dass seine Erklärung richtig war. UAMs, Bestand 63, Nr. 181, Gutachten Benecke und Hannig, 20.11.1923.

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Adaption bei blaugrünen Algen“ halten. Einen weiteren Monat später, am 19. Januar 1924, folgte seine Antrittsvorlesung über die „Bedeutung der Bakterien für den Umsatz des Schwefels und Stickstoffs in der Natur“.21 Dem Thema Ernährungsphysiologie sollte im Laufe seiner weiteren Karriere noch eine wichtige Rolle zukommen. Zunächst beschäftigte sich Mevius aber hauptsächlich mit der experimentellen Lösung pflanzenphysiologischer Probleme.22 Vergleicht man die Lage am Botanischen Institut zu jener Zeit mit derjenigen am Zoologischen Schwesterinstitut, so fällt ein grundlegender Unterschied in der Personalsituation auf. Während in der Zoologie der stellvertretende Ordinarius Feuerborn durch die nur kurzfristigen Verlängerungen seiner Beschäftigung nicht nur selbst in einer unsicheren Situation lebte, musste er zudem nahezu permanent mit dem Ministerium um den Erhalt seiner dritten Assistentenstelle kämpfen. Zusätzlich wurde die Stabilität des Instituts durch die zahlreichen Wechsel auf der Assistentenebene beeinträchtigt. Ruhe kehrte daher am Institut nicht ein. In der Botanik hingegen, wo die Studentenfrequenz sogar noch etwas unterhalb derer der Zoologie lag,23 wurde eine zusätzliche neue Stelle geschaffen, und Ordinarius wie engste Mitarbeiter bildeten eine über ein Jahrzehnt bestehende Einheit. Was die finanzielle Ausstattung des Instituts betraf, so liegen für den Zeitraum bis 1925 keine in den Akten überlieferten Zahlen vor. Erst für das Rechnungsjahr 1926 lassen sich hierzu Angaben finden. Diese weisen darauf hin, dass man, wie auch bei den Zoologen, mit einer permanenten Unterfinanzierung arbeiten musste. So wurde Anfang 1925 sogar darüber diskutiert, beide Institute aus Kostengründen während der Ferienzeit zu schließen. Die Direktoren lehnten eine solche Maßnahme jedoch ab, da sie präzedenzlos sei und darüber hinaus ohnehin keinen Nutzen bringen würde.24 Bemerkenswert ähnlich war bei ihrem Umgang mit den Geldgebern auch die Argumentationsstrategie, welche die beiden Institutsdirektoren einsetzten, um eine bessere finanzielle Ausstattung zu erreichen: die Qualität von Lehre und Forschung. So teilte Benecke dem Kurator am 30. November 1925 mit, dass der Geld- und daraus folgende Mikroskopmangel sowohl Lehre als auch Forschung beeinträchtigen würden. Daher bat er um einen Zuschuss.25 Eine Woche darauf ergänzte er, dass derzeit etwa 125 Hörer und Praktikanten am Institut seien, die Lehr- und Forschungsmaterial aus dem Botanischen Garten bezögen. Außerdem müssten noch elf Doktoranden betreut werden. Für Institut und Garten stünden für besagtes 21 22 23 24 25

UAMs, Bestand 9, Nr. 320. UAMs, Bestand 9, Nr. 319, Dekan an PrWM, 8.3.1924. Benecke teilte Ende November 1923 mit, dass an den verschiedenen Kursen des Instituts etwa 145 Studenten der Biologie, Landwirtschaft, Medizin und Pharmazie teilnahmen. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Benecke an Kurator, 30.11.1923. UAMs, Bestand 4, Nr. 1237, Briefwechsel zwischen PrWM, Zoologischem Institut und Botanischem Institut, Januar 1925. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Benecke an Kurator, 30.11.1925.

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Rechnungsjahr zusammen 10.100 RM zur Verfügung.26 Damit war man zwar immer noch in einer besseren Lage als das Zoologische Institut, für welches für 1925 zwar konkrete Zahlen fehlen, im Wintersemester 1927/28 aber lediglich 8.000 RM bereit gestellt wurden.27 Dennoch fühlte sich Benecke schlecht ausgestattet. Preußische botanische Anstalten mit ähnlicher Größe wie Münster, zum Beispiel Bonn, Halle-Wittenberg oder Marburg, erhielten zwischen 14.160 und 14.850 RM, weshalb er um eine Erhöhung des Etats auf 14.000 RM bat.28 Die Entscheidungsträger ließen sich aber nicht gänzlich überzeugen. Zwar gewährte man den Zuschuss, eine permanente Mittelerhöhung fand jedoch nicht statt.29 Auch für die Zeit nach 1925 liegen zahlreiche ähnliche Anfragen des Ordinarius vor, weshalb anzunehmen ist, dass sich die Lage nicht zum Besseren wandelte. Insgesamt gesehen war das Institut zu jener Zeit jedoch nicht in einer existentiellen Krise gefangen. Die Zahl der Mitarbeiter war gleich geblieben, die der Studenten stark angestiegen und lag nun auf einer Höhe mit der Botanik an den Universitäten Kiel, Marburg, Bonn und Halle.30 Dabei war jedoch die Anzahl der Landwirtschaftsstudenten erheblich zurückgegangen. Die durch den Ersten Weltkrieg entstandenen Lücken an Apparaten und Material konnten dank Sonderbewilligungen größtenteils wieder aufgefüllt werden. Inhaltlich beschäftigten sich die Mitarbeiter in ihren Forschungsarbeiten mit Ernährungs- und Reizphysiologie der höheren Pflanzen, Pflanzenanatomie, Bakteriologie, Mykologie, Systematik (hier insbesondere Serodiagnostik) und Pflanzengeographie.31 Diese Forschungsthemen fanden sich auch in der Lehre wieder. Die Zahl der angebotenen Veranstaltungen schwankte dabei zwischen den Sommer- und Wintersemestern 1922 und 1927 und lag zwischen minimal neun (Wintersemester 1922/23) und maximal 16 (Sommersemester 1924), wobei immer mehr Seminare im Sommer als im Winter angeboten wurden. Regelmäßig gelesen wurde Allgemeine (im Winter) beziehungsweise Spezielle (im Sommer) Botanik (hier richtete man sich an Naturwissenschaftler, Pharmazeuten, Mediziner und Landwirte), ein mikroskopisch-botanisches Praktikum, das botanische Laboratorium, die Anleitung zu wissenschaftlichen Arbeiten sowie im Wechsel ein Botanisches Seminar (im Winter) beziehungsweise eine Botanische Exkursion (im Sommer). Ebenso regelmäßig bot Hannig seine Seminare „Pharmakognosie und mikroskopische Drogenuntersuchungen“ (im Winter zu Wurzel, Rhizom und Stängel, im Sommer zu Blättern und Blüten) sowie „Untersuchung von Drogenpulvern“ an. Heilbronn begann im Sommersemester 1923 mit der regelmäßigen Abhaltung von 26 27 28 29 30 31

Ebd., Benecke an Kurator, 8.12.1925. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Kurator, Universität, Behörden, andere Institute, Kurator an von Ubisch, 3.12.1927. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Benecke an Kurator, 8.12.1925. Ebd., Kurator an Benecke, 31.12.1925. UAMs, Bestand 9, Nr. 530, Benecke an Kurator, 8.1.1926. Chronik 1925/26, Bericht zum Botanischen Institut, S. 68f.

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vererbungswissenschaftlichen Seminaren. Diese bot er teilweise als Einführung für Biologen und Landwirte, teilweise als für alle Hörer geöffnete allgemeine Besprechung des Themas (wie im Sommersemester 1924 mit „Die Hauptergebnisse der Erblichkeitsforschung“) an und ergänzte dies mit Vorlesungen zur Pflanzenzüchtung. Hinzu kamen, jedoch nicht regelmäßig, Bestimmungsübungen von Kryptogamen und Blütenpflanzen sowie gelegentliche Kurse im Umgang mit Sterilmethoden für Studenten der Pharmazie. Ab dem Sommersemester 1924 war schließlich auch Mevius mit einer Veranstaltung (zunächst „Anatomie und Physiologie der Pflanzenzelle“) vertreten und deckte in der Folge abwechselnd Ernährungsphysiologie und Bakteriologie beziehungsweise Mykologie ab.32 Dass, den ursprünglichen Neigungen des Ordinarius folgend, die Ernährungsphysiologie am Institut immer mehr an Bedeutung gewann, spiegelte sich auch in der Preisaufgabe der Botanik des Jahres 1928 wider: „Es werden weitere kritische Experimente über die Brauchbarkeit der Blasenzählmethode bei der Untersuchung der Kohlensäureassimilation der Pflanzen verlangt.“33 Ebenso breit gefächert wie die Themen der Lehre waren auch die Untersuchungsfelder der in diesem Zeitraum angenommen Dissertationen, wobei auffällt, dass keine der insgesamt zehn Schriften sich mit Vererbungslehre befasste. Stattdessen untersuchte man Algen,34 Bakterien35 oder ernährungsphysiologische Fragestellungen.36 Für die Einbindung des Instituts in außeruniversitäre Netzwerke ist, im Gegensatz zum Zoologischen Institut, für diese Zeit wenig Material in den Akten zu finden. Man kooperierte, wie auch die Kollegen in der Johannisstraße, mit der Zoologischen Station in Neapel und dem Internationalen Biologischen Institut „Angelo Rosso“ auf dem Col d’Olen.37 Weitere Kontakte haben möglicherweise stattgefunden, lassen sich aber nicht nachweisen. Den Angaben des Ordinarius in der Chronik der Universität folgend kann die Zeit zwischen 1925 und 1927 demnach als weitgehend ruhig bezeichnet werden. Die begonnenen Forschungen wurden fortgesetzt, der Unterricht in üblicher Weise weiter erteilt, und es kam zu keinen nennenswerten Veränderungen.38 Das Jahr 1927 brachte schließlich nach dieser Periode der Ruhe einige Wechsel des Personals mit sich. Söding, dessen Stelle zunächst bis zum Ende des Sommersemesters 1927 ver32 33 34 35 36 37 38

Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1922/23ff. UAMs, Bestand 4, Nr. 1078, Preisaufgabe Botanik, 28.7.1928. „Abhängigkeit der Entwicklung des Volvox aureus von äusseren Bedingungen“ von Franziska Knocke, am 8.7.1924 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. „Azotobakter-Studien“ von Ludwig Niemeyer, am 26.9.1924 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. „Untersuchungen über Spaltöffnungsbewegungen, Transpiration und Stärkespeicherung bei Impatiens parviflora in ihrer Abhängigkeit von den Standortfaktoren“ von Antonie Haken, am 24.9.1926 mit cum laude bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 303, PrWM an Kurator, 11.9.1924, bzw. PrWM an Hochschulen, 8.12.1914. Chronik 1926/27, Bericht zum Botanischen Institut, S. 63.

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längert worden war,39 ging am 16. November des Jahres für seine Habilitation an die TH Dresden, wo er eine Assistentenstelle übernahm. Als seine Vertretung schlug Benecke Max Roberg, einen seiner Studenten, vor.40 Er übernahm zunächst vom 16. November 1927 bis 31. März 1928 die Verwaltung von Södings Stelle.41 Kurz vorher, am 1. Oktober 1927, war mit Horst Engel ein weiterer Nachwuchsforscher als Verstärkung der Mitarbeiterschar ans Institut gestoßen. Er wurde jedoch nicht als weiterer Assistent angestellt, sondern aus Mitteln der Notgemeinschaft als Stipendiat bezahlt.42 Für ihn ist als einer der wenigen Fälle dieser Zeit am Institut auch eine politische Betätigung nachweisbar. So war er ab 1925 Mitglied des völkischen Jugendbundes „Adler und Falken“.43 Etwa zur selben Zeit, in der der beschriebene Zuwachs des Personals zu verzeichnen war, erfuhr das Institut auch eine Ausweitung seiner Kompetenzen. In Ermangelung einer eigenen landwirtschaftlichen Fakultät waren ab dem 1. April 1927 auf Anweisung des Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten landwirtschaftliche Vorprüfungen in Münster möglich geworden.44 Benecke und der neue Ordinarius für Zoologie, von Ubisch, wurden in den Prüfungsausschuss für 39 40 41

42

43 44

UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Kurator an Söding, 6.9.1925. Ebd., Benecke an Kurator, 27.10.1927. Max Roberg wurde am 20.10.1900 in Greven in Westfalen als Sohn eines Sanitätsrats geboren und katholisch getauft. Im Ersten Weltkrieg hatte er vom 20.6.1918 bis zum 20.12.1918 Dienst beim Feld-Artillerie Regiment 22 geleistet. Nach seiner Reifeprüfung am 10.5.1920 am Städtischen Gymnasium Münster absolvierte er bis 1923 eine Ausbildung als Apotheker und schloss dieser vom Sommersemester 1923 bis zum Wintersemester 1924/25 ein Studium der Pharmazie an der Universität Münster an. Am 30.4.1925 legte er das Pharmazeutische Staatsexamen ab und begann danach mit seiner Promotionsarbeit „Über die Wirkung von Eisen-, Zink- und Kupfersalzen auf Aspargillen“, hatte die Prüfung zum Zeitpunkt der Einstellung aber noch nicht abgelegt. Diese folgte am 5.4.1928 und wurde lediglich mit „ausreichend“ benotet. 1927 erhielt er seine Approbation als Apotheker. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Dienstvertrag Roberg, 31.10.1927; ebd., Lebenslauf Roberg, 10.11.1927; UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Horst Engel wurde am 15.7.1901 in Tilsit/Memel als Sohn eines Schneidermeisters geboren und evangelisch getauft. Die Familie siedelte nach Münster über, wo er von 1908 bis 1912 die Volksschule und anschließend bis 1921 die Städtische Oberrealschule besuchte. Von 1921 bis 1927 studierte Engel Botanik, Chemie, Physik und Geologie an der Universität Münster. Am 21.2.1924 legte er sein erstes, am 24.4.1925 sein zweites Verbandsexamen ab, ebenso am 12.3.1926 die erste und am 14.11.1927 die zweite Prüfung für Nahrungsmittelchemiker. Zuvor war er am 2.6.1927 promoviert worden. Die Durchführung der Doktorarbeit war an der landwirtschaftlichen Versuchsstation Münster erfolgt. Während seines Stipendiums beschäftigte er sich vorrangig mit Stoffwechselphysiologischen Studien an höheren und niederen Pflanzen, insbesondere autotrophen Bakterien. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 88, Personalbogen, undatiert, ca. 1936; StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Personalbogen, undatiert, nach 1945; ebd., Lebenslauf, 1.4.1948. UAMs, Bestand 10, Nr. 88, Personalbogen, undatiert, ca. 1936. UAMs, Bestand 9, Nr. 995, Rundschreiben des Ministers für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, 16.4.1927.

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Landwirte aufgenommen.45 Daneben war der Ordinarius zusammen mit Hannig noch im Prüfungsausschuss für Botanik vertreten.46 Das Wachstum des Instituts schlug sich jedoch nicht in einer besseren Ausstattung seitens des Ministeriums nieder. Offenbar verschlechterte sich die finanzielle Situation des Botanischen Instituts im Laufe des Jahres 1927.47 Laut Benecke war eine Fortführung der wissenschaftlichen Forschungen im gewohnten Umfang nur durch die Unterstützung der Notgemeinschaft möglich.48 Dies zeigte sich unter anderem darin, dass sie dem Institut für die Prüfung der Beeinflussung des Wachstums, der Kohlensäureassimilation sowie des Frucht- und Samenansatzes verschiedener Pflanzen durch die Eigenart des Bodens ein kleines transportables Vegetationshaus als persönliche Leihgabe zur Verfügung stellte, bis aus staatlichen Mitteln eine permanentes errichtet werden könne.49 Gleichzeitig mussten die Studenten und Praktikanten, deren Zahl inzwischen auf 45 angestiegen war, an teilweise 40 Jahren alten Mikroskopen arbeiten und waren darüber hinaus einer sich kontinuierlich verschlechternden Raumsituation ausgesetzt,50 welche sich durch die Anmeldung von immer mehr Praktikanten in den Jahren darauf noch weiter verschärfte.51 Somit kämpfte man also mit ähnlichen Problemen wie die Zoologie, wo von Ubisch einen Großteil seiner Energie in die Bewältigung dieser Schwierigkeiten investieren musste. Einem Antrag Beneckes auf eine bauliche Erweiterung der Botanik wurde jedoch nicht statt gegeben.52 Die stetig weiter steigenden Studentenzahlen führten schließlich dazu, dass der Ordinarius beim Kurator zu Beginn des Sommersemesters 1929 um die Bewilligung einer weiteren Assistentenstelle bat.53 Überraschenderweise wurde ihm diese tatsächlich zum 1. Mai 1929 gewährt und mit August Arnold besetzt.54 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54

Ebd., PrWM an Benecke, von Ubisch, 26.3.1927. UAMs, Bestand 9, Nr. 976, PrWM an Hannig, Benecke, 7.5.1927. Für diesen Zeitraum liegen leider erneut keine Zahlen vor, so dass nur aus anderen Aussagen Beneckes darauf geschlossen werden kann. Chronik 1927/28, Bericht zum Botanischen Institut, S. 92f. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Schreiben, 1.4.1927. Ebd., Benecke an Kurator, 1.5.1928 sowie Benecke an Kurator, 29.4.1928. Ebd., Benecke an Kurator, 22.4.1929. Ebd., Benecke an Kurator, 29.4.1928. UAMs, Bestand 4, Nr. 532, Benecke an Kurator, 22.4.1929. Arnold wurde am 10.5.1903 in Rauxel geboren und katholisch getauft. Von 1909 bis 1913 besuchte er die Volksschule Castrop und danach bis 1923 das Reform-Realgymnasium Castrop, wo er sein Abitur ablegte. Im Anschluss studierte er von 1923 bis 1925 an der Universität Gießen, wechselte dann für ein Jahr an die Universität München, um sein Studium schließlich ab 1926 an der Universität Münster weiter zu führen. Nach 1929 wurde seine Anstellung immer weiter verlängert. In seinen Begründungsschreiben für die diesbezüglichen Anträge führte Benecke regelmäßig die Bedrohung der Qualität von Lehre und Forschung durch die hohe Anzahl an Neuanmeldungen und den Personalmangel, welcher bereits zur Zurückstellung wichtiger Aufgaben wie der Bearbeitung der botanischen Sammlung oder dem Zeichnen von Wandtafel geführt hatte, an. Siehe: UAMs, Bestand 4,

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Somit waren 1929 neben dem Lehrstuhlinhaber kurzzeitig sechs weitere wissenschaftliche Mitarbeiter am Botanischen Institut beschäftigt, was für die damalige Zeit eine außergewöhnlich hohe Zahl darstellte und für die Wichtigkeit, die der Arbeit Beneckes durch das Wissenschaftsministerium zugemessen wurde, sprach. Zum Wintersemester 1929/30 änderte sich die Lage aber bereits wieder. Engel wechselte zum 1. Oktober 1929 als planmäßiger Assistent an das Institut für Pflanzenernährungslehre und Bodenbiologie der Universität Berlin.55 Er sollte jedoch später ans Institut zurückkehren. Zu Beginn der 1930er-Jahre war die Situation am Botanischen Institut der Universität Münster demnach zwiespältig zu beurteilen. Zum einen war man personell, sowohl was Quantität als auch Qualität der Belegschaft betraf, gut gerüstet und konnte eine langjährige Stabilität aufweisen. Das Institut erhielt Unterstützung der inzwischen in DFG umbenannten Notgemeinschaft, lag, was die Forschungsthemen der Mitarbeiter betraf, am Puls der Zeit und konnte ein ausgewogenes Lehrprogramm vorweisen. Zum anderen belasteten hohe Studentenzahlen,56 ein zu geringer Etat57 sowie, wie in der Zoologie, Raummangel58 die Arbeit der Wissenschaftler. Diese Situation sollte sich auch in der Folgezeit nicht substantiell ändern. Diese Regelmäßigkeit im Betrieb spiegelte sich auch in den Berichten des Botanischen Instituts in den Jahreschroniken wider, welche die Universität weiterhin veröffentlichte. Während beispielsweise für die Zoologie ausführlich über die Lage am Institut, die Hörerzahlen und die Forschungsthemen berichtet wurde, beschränkte sich Benecke teilweise auf bloßes, fast wörtliches Wiederholen der Vorjahresberichte. So auch 1929/30  – seine Aussage: alles wie im Jahr zuvor.59 Auch das Jahr 1930 sollte keine großen strukturellen Umwälzungen am Institut hervorbringen. Dennoch wurden in ihm wichtige Weichen für die spätere Entwicklung gestellt. Eine davon war die Beförderung Mevius’. Am 2. Dezember 1929 beantragte der Dekan beim Preußischen Wissenschaftsministerium die Ernennung des Assistenten zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor. In seinem Schreiben hob er die besondere Befähigung Mevius’ zur Bearbeitung von stoffwechselphysiologischen Problemen an Pflanzen hervor. Alljährlich habe er tüchtige biochemische Arbeiten über den Mineralstoffwechsel und den Stickstoffhaushalt der Pflanzen veröffentlicht, sei ein geschickter Experimentator und habe Anerkennung auch bei den Vertretern der Nachbarwissenschaften, wie zum Beispiel der Agrikulturchemie, gewonnen. Während seine Veröffentlichungen hauptsächlich auf dem Gebiet der

55 56 57 58 59

Nr. 532, Benecke an Kurator, 8.7.1929; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Arnold, NW 1062, Nr. 44, Fragebogen, 25.7.1947. StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Personalbogen, undatiert, nach 1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 532, Benecke an Kurator, 30.7.1930. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Benecke an Kurator, 30.4.1930. Chronik 1928/29, Bericht zum Botanischen Institut, S. 107. Chronik 1929/30, Bericht zum Botanischen Institut, S. 187.

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Ernährungsphysiologie lägen, so schließe seine Dozententätigkeit aber auch Physiologie und Morphologie, Systematik, Pharmakognosie und landwirtschaftliche Botanik mit ein. Zudem sei Mevius ein anregender Lehrer. Auch auswärtige Gelehrte wie der Ordinarius für Botanik der Universität Tübingen, Ernst Lehmann, hielten ihn für einen der aussichtsreichsten jungen Botaniker.60 Am 25. Mai 1930 erhob das Wissenschaftsministerium den Ernährungsphysiologen dann in seinen neuen akademischen Rang.61 Damit war Mevius einer möglichen Berufung auf einen eigenen Lehrstuhl einen großen Schritt näher gekommen. Währenddessen verschärfte sich die finanzielle Situation des Instituts, analog zur schweren Wirtschaftskrise, in der sich Deutschland befand, immer weiter. Am Ende des Jahres musste der Ordinarius beim Ministerium schließlich einen Antrag auf Genehmigung der Überschreitung des Etats für das Rechnungsjahr 1930 stellen. Die Reserven des Instituts waren restlos aufgebraucht. In seinem Schreiben machte Benecke aus seiner Frustration über die aktuelle Lage keinen Hehl. So gab er an, bereits seit Jahren Anträge auf Erhöhung des Etats gestellt zu haben, da mit den vorhandenen geringen Mitteln die Aufrechterhaltung eines geregelten Institutsbetriebes unmöglich sei. Trotz steigender Kosten und steigender Studentenzahlen seien sie aber nie bewilligt worden. Im Rechnungsjahr 1930 hätten 606 Studenten an verschiedenen Praktika teilgenommen (1928: 477; 1929: 545). Diese Übungen könne man nicht einfach ausfallen lassen, da die Teilnahme daran für Biologen, Pharmazeuten und weitere Studiengänge in den Prüfungsordnungen vor­ ausgesetzt würde. Deshalb müsse er für dieses Jahr um die Freigabe der gesperrten 10 Prozent der planmäßigen Mittel in Höhe von 700 RM sowie eine Überschreitung des Etats um 1.300 RM bitten.62 Drei Tage später musste sich der Ordinarius mit einem weiteren Antrag an den Kurator richten. Diesmal ging es um die außerplanmäßige Assistentenstelle. Sie sei Beneckes Ausführungen zufolge auch im Jahr 1931 von Nöten, da das Institut nur zwei Assistenten habe und die anfallende Arbeit sonst nicht erledigt werden könne. Daher bitte er darum, Arnold, welcher bislang gute Arbeit geleistet habe, die Stelle weiterhin zu übertragen. Kurator Peters befürwortet den Antrag und leitete ihn nach Berlin weiter.63 Obwohl beide Anträge mit nicht unerheblichen Kosten verbunden waren, hatte Benecke mit beiden von ihnen, zumindest teilweise, Erfolg. Zum einen wurde Arnolds Stelle verlängert,64 und zum anderen gewährte das Wissenschaftsministerium am 8. Januar 1931 die Überschreitung des Etats um 1.200 RM. Eine Freigabe der gesperrten Mittel wurde jedoch nicht genehmigt, und selbst die 1.200 RM wurden nur unter der Bedingung herausgegeben, dass sie im nächsten Jahr wieder eingespart

60 61 62 63 64

UAMs, Bestand 62, B V 6, Dekan an PrWM, 2.12.1929. UAMs, Bestand 63, Nr. 181, PrWM an Mevius, 24.5.1930. BAB, R 4901, Nr. 14280, Benecke an PrWM, 27.12.1930. Ebd., Benecke an Kurator, 30.12.1930. UAMs, Bestand 4, Nr. 832, PrWM an Benecke, 16.1.1931.

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werden müssten.65 Am 12. Januar 1931 bedankte sich Benecke für die Bewilligung, machte jedoch deutlich, dass die Summe trotz größter Sparsamkeit nicht ausreiche, denn die Begleichung von Stromkosten oder der Kauf von Büchern und Zeitschriften sei damit nicht möglich. Außerdem könne er jetzt schon ankündigen, dass er die 1.200 RM im kommenden Jahr nicht werde einsparen können. Daher bat er um eine einmalige Bereitstellung von 800 RM.66 Eine Antwort auf dieses Schreiben ist nicht überliefert. Anders zwei Monate später. Hier bat Benecke um die Bereitstellung von 1.200 RM, um einen Projektionsapparat für den Kurssaal des Instituts anzuschaffen, damit dieser als Hörsaal benutzt werden könne. Dies sei dringend nötig, da sich zurzeit vier Dozenten einen Hörsaal teilen müssten.67 Der Hinweis auf die Gefährdung der Qualität von Lehre und Forschung führte diesmal zum Erfolg. Am 31. März 1931 gewährte das Ministerium die Gelder.68 Das Jahr 1931 führte also die Trends der Vorjahre weiter fort. Auf Seiten des Personals herrschte weiterhin Stabilität. Roberg, der inzwischen erste Veröffentlichungen über Stoffwechselphysiologie und den Einfluß verschiedener Salze auf Aspergillus69 vorweisen konnte, wurde auf Antrag des Ordinarius bis 1932 in seiner Stelle belassen.70 Auch Mevius’ Vertrag wurde für die nächsten zwei Jahre verlängert,71 und Arnold konnte sein Promotionsverfahren am 30. April 1931 abschließen.72 Was die Studentenfrequenz anbetraf, so stieg diese weiter. Im Sommersemester 1931 waren etwa 120 von ihnen für die Übungen zur Pflanzenbestimmung angemeldet, und etwa 60 besuchten den pflanzenphysiologischen Kurs.73 Inhaltlich hielt man am Kurs der Vorjahre fest. Schwerpunkte der Forschung waren weiterhin Ernährungs- und Reizphysiologie, Ökologie, Pflanzengeographie, Mykologie, Bakteriologie und Vererbungslehre.74 Ebenso manifestierte sich der bewährte Kurs im Lehrangebot und in den am Institut verfassten Dissertationen. Erneut ist auffällig, dass sich keine von ihnen mit Vererbungslehre befasste. Stattdessen dominierten mykologische Arbeiten,75 ernährungsphysiologische Un65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

BAB, R 4901, Nr. 14280, PrWM an Benecke, 8.1.1931. Ebd., Benecke an PrWM, 11.2.1931. Ebd., Vermerk des PrWM, 3.1931. Ebd., PrWM an Benecke, 31.3.1931. Roberg, Max, Über die Wirkung von Eisen-, Zink- und Kupfersalzen auf Aspergillus, in: Zentralblatt für Bakteriologie II (1928), S. 74, 333, sowie ders., Weitere Untersuchungen über die Bedeutung des Zinks für Aspergillus niger, in: ebd. (1931), S. 84, 196. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Benecke an Kurator, 9.2.1931. BAB, R 4901, Nr. 14280, Benecke an Kurator, 14.2.1931. Dissertation: „Der Verlauf der Assimilation von Helodea canadensis unter konstanten Aussenbedingungen“, bewertet mit sehr gut, UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. BAB, R 4901, Nr. 14280, Benecke an Kurator, 18.5.1931. Chronik 1931/32, Bericht zum Botanischen Institut, S. 97ff. Zum Beispiel „Untersuchungen über Nitritbakterien“ von Johann Heubult, am 1.10.1929 mit gut bewertet oder „Untersuchungen über die Variabilität der Aktinomyceten“ von Erna Tempel, am 23.2.1931 mit genügend bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1.

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tersuchungen76 oder solche zum Stofftransport innerhalb der Pflanze.77 Dennoch waren darunter auch immer wieder einzelne Arbeiten, die sich nicht in diese Gruppen einordnen ließen, wie zum Beispiel die Untersuchung „Über primäre und sekundäre Kälteresistenz bei Bohnensippen“ von Hans Wartenberg.78 Vergleicht man die Vorlesungsverzeichnisse der Jahre 1927 bis 1931 mit denen davor, so fällt auf, dass auch hier wenig von den traditionell angebotenen Veranstaltungen abgewichen wurde. Die bereits zu Beginn des Kapitels genannten Standardvorlesungen wurden weiterhin von denselben Dozenten gelesen und punktuell um Seminare zur Pflanzengeographie und zur Ökologie (Hannig) oder zu Pflanzenkrankheiten und angewandter Botanik (Heilbronn) ergänzt. Außerdem spaltete man die Praktika in unterschiedliche Veranstaltungen für Naturwissenschaftler und Mediziner auf. Lediglich Mevius, der inzwischen regelmäßig mindestens eine Veranstaltung pro Semester anbot, brachte mit vom Schema abweichenden Seminaren wie zum Beispiel „Tropische und subtropische Pflanzen der Weltwirtschaft“ im Wintersemester 1929/30 oder „Blütenökologie mit Demonstrationen“ im Sommersemester 1930 etwas frischen Wind in den Vorlesungsplan. Hauptsächlich konzentrierte er sich aber nun auch in der Lehre auf pflanzliche Ernährungsphysiologie.79 Da die Inhalte der einzelnen Veranstaltungen, beispielsweise in Form von Vorlesungsmanuskripten, nicht überliefert sind, ist es nicht möglich, zu beurteilen, inwiefern sie sich im Laufe der teilweise fast zehn Jahre, in denen sie unter dem gleichen Namen angeboten wurden, verändert haben.80 Lediglich über den Umweg einer Budgetanfrage sind einige Details über den Ablauf einzelner Veranstaltungen erhalten geblieben. Im Herbst 1928 wurde Benecke von einer nicht näher benannten Stelle dazu aufgefordert, sich zu der Frage zu äußern, ob die Vorlesungen Hannigs über Pflanzengeographie, Heilbronns über Erblichkeitslehre und Mevius’ über Mikrobiologie zu Vorlesungen „mit erhöhtem Aufwand“ zu zählen seien. Der Ordinarius bejahte diese Frage in seinem Antwortschreiben an den Kurator Ende November 1928 und führte als Begründung eine Schilderung des Ablaufs der Veranstaltungen an.

76 77

78 79 80

Zum Beispiel „Vergleichende Untersuchungen über die Bestimmung des Gehaltes von Böden an Pflanzennährstoffen“ von Paul Lohmann, am 31.1.1931 mit ausreichend bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Zum Beispiel „Beiträge zur Frage nach der Durchlässigkeit von Endodermiszellen“ von Otto Hosbach, am 8.5.1928 mit sehr gut bewertet oder „Untersuchungen über Plasmolyse und Deplasmolyse in Abhängigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration“ von Alexander Kaczmarek, am 13.5.1929 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Am 12.5.1929 mit gut bewertet, UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. Vgl. die Vorlesungsverzeichnisse 1927–1931. Es ist davon auszugehen, dass der Kontinuität in den Veranstaltungstiteln eine Modifikation der Veranstaltungsinhalte analog zu wissenschaftlichen Neuentdeckungen gegenüberstand. Dies gilt auch für die späteren Jahre.

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So würden in der Pflanzengeographie eine große Anzahl von Pflanzen, teils lebend, teils als Herbarexemplare, vorgeführt. Ebenso würde eine große Anzahl von Vegetationsbildern und Diapositiven sowie Arealkarten gezeigt. In der Erblichkeitslehre präsentiere man umfangreiches Anschauungsmaterial, darunter viele Lichtbilder und Wandtafeln, die zum Teil von den Vortragenden selbst hergestellt beziehungsweise ausgesucht worden seien. In der Mikrobiologie schließlich seien die Mikroorganismen, die vorgeführt würden, von den Vortragenden auf selbst hergestellten Nährböden gezüchtet worden. Neben der Demonstration mikroskopischer Präparate führe man ernährungsphysiologische Versuche vor sowie zeige und erläutere viele bakteriologische Apparaturen.81 Es ist davon auszugehen, dass die Dozenten ihre Lehrinhalte entsprechend der sich über die Jahre ändernden Forschungslage anpassten. Daher hieße es auch vorschnell zu urteilen, lediglich auf Basis der Vorlesungstitel von einer Zeit der Stagnation am Institut zu sprechen. Vielmehr wird darin die Dominanz eines langjährigen Ordinarius deutlich, der der Botanik in Münster eine charakteristische Prägung verliehen hatte. Während von Ubisch, welcher jedoch auch 18 Jahre jünger als Benecke war, im Zoologischen Institut auf Fortschritt drängte und den Vorlesungsbetrieb nach der Stagnationsphase unter Feuerborn neu organisierte, hatte sich Benecke längst ein Institut nach seinen Vorstellungen geschaffen. Die Reputation, welche sich der Botaniker im Laufe seiner Karriere inzwischen erworben hatte, wird auch an zwei weiteren Vorgängen des Jahres 1931 deutlich. So fand unter seiner Ägide als Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft vom 26. bis 29. Mai 1931 eine gemeinsame Tagung der Gesellschaft, der Freien Vereinigung für Pflanzengeographie und Systematik sowie der Vereinigung für angewandte Botanik statt, zu deren Eröffnungssitzung im Auditorium Maximum der Universität er auch den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen einlud.82 Auf der Tagung hielten mehrere Wissenschaftler Vorträge, welche direkte oder indirekte Verbindungen zur Biologie an der Universität Münster hatten. Die Schwester des Ordinarius für Zoologie, Gertha von Ubisch von der Universität Heidelberg, sprach über „Wachstumsmessungen mit einem neuen Auxanometer“. Siegfried Strugger, der zu jener Zeit in Greifswald arbeitete und nach dem Zweiten Weltkrieg Ordinarius für Botanik in Münster werden sollte, stellte seine Ergebnisse „Zur Analyse der Vitalfärbung pflanzlicher Zellen mit Erythrosin“ vor. Leo Brauner, der als jüdischer Emigrant nach 1945 für den Posten, den schließlich Strugger übernahm, in die engere Wahl gezogen wurde, präsentierte eine „Vorführung einer neuen automatischen Transpirationswaage“, und Eduard Schratz, später von 1932 bis 1968 in Münster und damals noch in Berlin tätig, sprach über „Die Beziehungen zwischen Blattstruktur und Transpiration“.83 81 82 83

UAMs, Bestand 63, Nr. 174, Benecke an Kurator, 25.11.1928. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 5528, Benecke an OP, 15.5.1931. Ebd., Programm der Botaniker-Tagung in Münster i. W., Pfingsten 1931.

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Außerdem wurde Benecke im Sommer des Jahres zum stellvertretenden Vertrauensmann der DFG gewählt.84 Somit endete das Jahr 1931, trotz der mannigfachen Schwierigkeiten, nicht gänzlich negativ. Auch in seinem jährlichen Bericht kam Benecke auf die positiven Aspekte des Jahres zu sprechen. Dringend benötigte Apparate hätten durch besondere Bewilligungen des Kurators angeschafft werden können, und auch die Stelle des außerplanmäßigen Assistenten war erhalten geblieben. Dennoch blieb mit der allgegenwärtigen Raumnot ein großes Problem, bedingt durch die Ablehnung des Preußischen Wissenschaftsministeriums zur Bereitstellung von Mitteln für eine bauliche Erweiterung des Instituts, bestehen.85 Das letzte Jahr der Weimarer Republik am Botanischen Institut begann zunächst unspektakulär und unterschied sich in nichts von seinen Vorgängern. Robergs Stelle wurde bis zum 31. März 1933 verlängert,86 und Anfang März 1932 lehnte das Wissenschaftsministerium nach 1928, 1929, 1930 und 1931 zum fünften Mal in Folge Anträge auf die Einstellung von Mitteln zur baulichen Erweiterung des Botanischen Instituts ab.87 Im Sommer des Jahres zeichnete sich jedoch ein weiterer Personalwechsel am Institut ab. Am 5. Juli 1932 wurde Mevius vom Minister zum ordentlichen Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin ernannt. Zum 1. Oktober 1932 übernahm er dort den Lehrstuhl für Botanik.88 Somit war auch eine Reorganisation der Assistentenstellen notwendig geworden. Wie bereits 1923, als Mevius intern Hannig ersetzte, rückte nun Roberg auf die erste Assistentenstelle auf. Als sein Nachfolger wurde von Benecke einer seiner ehemaligen Schüler, Eduard Schratz,89 84 85 86 87 88 89

UAMs, Bestand 4, Nr. 1336, Schreiben Beneckes, 1.8.1931. Chronik 1930/31, Bericht zum Botanischen Institut, S. 96. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Benecke an Kurator, 31.3.1933. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Schreiben des PrWM, 5.3.1932. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Kurator an Dekan, 24.7.1932. Eduard Schratz wurde am 17.5.1901 in Salzbergen als Sohn eines Rektors geboren und katholisch getauft. Nach der Erlangung des Reifezeugnisses am Gymnasium Dyonisianum in Rheine in Westfalen Ostern 1920 studierte er in Münster Naturwissenschaften und wurde am 24.5.1924 auf Grundlage einer Schrift über „Vergleichende Untersuchungen an uni- und bivalenten Laubmoosen nebst einem Anhang: Studien über die Natur der bisquitförmigen Stadien der Chloroplasten“ mit magna cum laude promoviert. 1925 bis 1928 arbeitete er als planmäßiger Assistent am KWI für Biologie Berlin-Dahlem, ehe er für zwei Jahre in die USA ging. Von Juni 1928 bis zum November 1929 war er dort als Stipendiat der Rockefeller-Foundation, New York, anschließend des Carnegie Institution of Washington am Desert Laboratory der Carnegie Institution in Tucson, Arizona, tätig. Von November 1929 bis August 1930 setzte er als Honorary Fellow der John Hopkins University in Baltimore seine Arbeiten am dortigen Pflanzenphysiologischen Institut fort. Danach kehrte Schratz nach Deutschland zurück und forschte von 1931 bis 1932 als DFG-Stipendiat am KWI Berlin-Dahlem. Zum 1.10.1932 übernahm er seinen neuen Posten in Münster. Bis dahin hatte er schon eine Reihe von Veröffentlichungen vorzuweisen, die sich mit den verschiedensten Themen beschäftigten. Hierzu zählten unter anderem Geschlechterverteilung, Wasserhaushalt, Transpiration oder chemische Reaktionen in Pflanzen. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, undatierter Personalbogen, nach 1950 sowie undatierter Lebenslauf, nach 1931; ebd., Kurator an Schratz, 4.8.1932; ebd.,

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vorgeschlagen.90 Bereits wenige Monate später konnte sich Schratz mit einer Arbeit über „Beiträge zur Biologie der Halophyten“ habilitieren.91 Spiegelte das Thema dabei zwar die bisherigen Forschungsschwerpunkte des Assistenten wider, so lag es doch, folgt man der Beurteilung des Gutachters Benecke, nicht zwingend auf der Höhe der damaligen Forschung. Halophyten waren seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mit besonderer Vorliebe bearbeitet worden, und es hatte dazu auch am Botanischen Institut Untersuchungen der natürlichen Standorte und Kulturversuche gegeben. Dabei hatte man mit Erfolg die Eigenarten der Organisation und Lebensweise dieser auf stark salzhaltigen Böden vorkommenden Pflanzen ergründet und mit der Biologie der Glykophyten92 verglichen. Schratz’ Arbeit sei laut Benecke aber dennoch sehr tüchtig und von bleibendem wissenschaftlichem Wert. Sein großes Verdienst sei es, dass er dem Halophytenproblem trotz dessen häufiger Bearbeitung neue Seiten abgewonnen habe. Seine Abhandlung werde der Halophytenforschung neue Impulse geben.93 Weitere Änderungen am Institut lassen sich für das Jahr 1932 nicht nachzeichnen. Auch Benecke ging in seinem Jahresbericht nur noch darauf ein, dass Sonderbewilligungen des Kurators erneut eine Aufstockung der Apparaturen ermöglicht hätten.94 Anders hingegen der Bereich der Vernetzung des Instituts mit außeruniversitären Stellen. Hier lässt sich nachweisen, dass Benecke im Sommer des Jahres einen Vortrag Friedrich Wents, Direktor des Botanischen Gartens zu Utrecht, in Münster anregte,95 welcher schließlich am 13. Januar 1933 über Pflanzliche Wuchsstoffe sprach.96 Ebenso war er zusammen mit von Ubisch in die Diskussion mit dem Preußischen Wissenschaftsministerium um die Frage einer Abstellung von Personal an die lymnologische Station der Hydrobiologischen Vereinigung in Haus Bey eingebunden. Wie auch sein Kollege in der Zoologie lobte er zwar die wissenschaftlichen und pädagogischen Tätigkeiten der Station und bezeichnete ihre Erhaltung als wünschenswert, eine Abgabe von Assistenten dorthin sei jedoch aus dienstlichen

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Schriftenverzeichnis, undatiert, nach 1938; UAMs, Bestand 92, Nr. 114, undatierter Lebenslauf, nach 1932; UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Benecke an Kurator, 2.8.1932. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schratz, NW 1039–SCH, Nr. 174, Fragebogen, 15.2.1947. Glykophyten sind Pflanzen, die Salzböden meiden. Hauptziel von Schratz’ Untersuchung sei es gewesen, den Einfluss zweier auf die Pflanzenwelt in gleicher Richtung wirkender Faktoren, zum einen der Erhöhung der Bodenlösung, zum anderen der Anwesenheit von Natriumchlorid, durch geeignete Versuche zu trennen. Dies habe er durch eine Analyse des Einflusses auf Keimung, Entwicklung von Spross und Wurzel sowie Wasserhaushalt durchgeführt. Als Ergebnis bestätige Schratz durch seine Versuche einerseits vorhandenes Wissen und habe andererseits in Bezug auf den Wasserhaushalt eine Erhöhung der Produktivität der Transpiration durch Natriumchlorid entdeckt, welcher er große Bedeutung beimesse. Insgesamt bewertete der Ordinarius die Arbeit positiv, UAMs, Bestand 92, Nr. 114, Gutachten Benecke, 25.1.1933. Chronik 1931/32, Bericht zum Botanischen Institut, S. 97ff. UAMs, Bestand 62, Z 1, Benecke an Dekan, 17.8.1932. Ebd., Dekan an Rektor und Kurator, 5.12.1932.

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Gründen ganz ausgeschlossen.97 Neben Benecke lehnte auch von Ubisch eine Bewilligung von Geldern ab.98 Am 30. Januar 1933 änderten sich dann die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland. Hindenburg ernannte Hitler zum Reichskanzler. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zog jedoch zunächst keine unmittelbaren Folgen am Botanischen Institut nach sich. Die nächsten drei Monate lief der Betrieb wie gehabt weiter. Ende April fand die antisemitische Politik der neuen Machthaber aber auch in der Botanik ihr erstes und vorerst einziges Opfer. Alfred Heilbronn galt, obwohl er in den 1920er-Jahren zum Protestantismus konvertiert war,99 den Nationalsozialisten auch weiterhin als Jude. Dies machte ihn zur Zielscheibe des Regimes. Ende April 1933 wurde ihm zunächst bis auf weiteres untersagt, Vorlesungen oder Übungen anzuzeigen.100 Dies war jedoch nur der Beginn der Verfolgung. Am 30. April telegraphierte das Preußische Wissenschaftsministerium aus Berlin nach Münster, dass der Abteilungsvorsteher bis zur endgültigen Entscheidung durch das BBG mit sofortiger Wirkung zu beurlauben sei. Dies gelte auch für jedwede Tätigkeit, die er in Verbindung mit seiner Universitätsstellung ausübe.101 Noch am selben Tag leitete der Kurator die Anweisung an den Rektor weiter.102 Eine Woche später bestätigte das Ministerium die Inhalte des Telegramms, wies aber an, dass Heilbronn vorerst seine Lehrauftragsvergütung weiter erhalte.103 Am 11. Mai forderte man schließlich eine Liste all derjenigen Professoren an, die § 3 und § 4 des BBG unterlägen und die im Sommersemester 1933 ihre venia legendi nicht ausübten. Ebenso bat man um Mitteilung derjenigen, die unter die Ausnahmeregelungen des Gesetzes fielen und weiterhin lasen.104 Für die biologischen Institute der Universität Münster betraf dies lediglich Heilbronn und von Ubisch.105 Der Botaniker war durch die unklare Formulierung der Anweisungen jedoch in Zweifel darüber geraten, was sie genau bedeute. Daher wandte er sich am 13. Mai 1933 an seinen Vorgesetzten. Da die Formulierung „für jede in Verbindung mit seiner Universitätsstellung stehende Tätigkeit“ nicht genau erkennen ließe, ob seine eigene wissenschaftliche Arbeit am Botanischen Institut damit auch gemeint sei, würde er sich freuen, wenn Benecke diese Frage klären könnte. Seine am Institut gezüchteten Kulturen seien durch langjährige Arbeit gewonnenes wissenschaftliches Material, und besonders die experimentell erzeugten Mutanten bedürften im 97 98 99 100 101 102 103 104 105

UAMs, Bestand 9, Nr. 805, Benecke an PrWM, 8.11.1932. Ebd., von Ubisch an Kurator, 1.2.1933. Bozay, Kemal, Exil Türkei. Ein Forschungsbeitrag zur deutschsprachigen Emigration in der Türkei (1933–1945), Münster 2001, S. 110. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Dekan an Kurator, 29.4.1933. Ebd., PrWM an Kurator, 30.4.1933. UAMs, Bestand 4, Nr. 227, Kurator an Rektor, 30.4.1933. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, PrWM an Kurator, 6.5.1933. Ebd., PrWM an Kurator, 11.5.1933. Ebd., Kurator an PrWM, 23.5.1933.

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jetzigen Stadium regelmäßiger Überwachung. Da von der Erhaltung des Materials seine eigene wissenschaftliche Zukunft sehr wesentlich abhinge, nehme er an, dass Benecke verstehe, welche Bedeutung die Möglichkeit, bis zur Klärung weiter im Institut arbeiten zu können, für Heilbronn habe.106 Nach 20-jähriger erfolgreicher Tätigkeit am Institut war der Botaniker durch die Säuberungspolitik der Nationalsozialisten demnach zum Bittsteller herabgedrückt worden. Benecke, der sich selbst außerstande sah, eine Entscheidung über die Frage zu treffen, wandte sich am 15. Mai an den Kurator und bat wiederum diesen, eine Klärung beim Wissenschaftsministerium herbeizuführen. Eine Intervention zugunsten seines langjährigen Kollegen enthielt seine Anfrage nicht. Zumindest bezeugte er jedoch den wissenschaftlichen Wert der Kulturen. Über den wissenschaftlichen Wert Heilbronns schwieg er sich aus.107 Am 18. Mai 1933 leitete der Kurator die Anfrage an das Wissenschaftsministerium weiter und erlaubte sich dabei, bereits jetzt dem „Führer“ entgegen zu arbeiten, indem er anfügte: „Selbstverständlich wird der Direktor des Instituts Vorsorge treffen, dass keinerlei Berührung des Professors Heilbronn mit den im Institut verkehrenden Studenten stattfindet.“108

Nach drei Wochen des Wartens erlaubte das Ministerium Heilbronn schließlich am 6. Juni 1933, seine wissenschaftlichen Arbeiten so lange fortzusetzen, bis über seine venia legendi endgültig entscheiden sei.109 Zehn Tage später teilte der Kurator diese Entscheidung Benecke mit, fügte jedoch hinzu, dass dieser dafür Sorge zu tragen habe, „daß dem Institut Unannehmlichkeiten nicht erwachsen“.110 Für Heilbronn bedeuteten die folgenden Monate nicht nur eine Demütigung (er wurde mehrere Male verhaftet111 und von der Gestapo vorgeladen)112 sondern auch ein Hin- und Hergerissensein zwischen der Hoffnung auf Wiedereinstellung an der Universität Münster und der Erkenntnis, dass eine Zukunft an einer deutschen Universität für ihn unmöglich geworden war. Hilfe seitens des Instituts für ihn ist in den Akten nicht überliefert. Stattdessen war es der Niederländer Professor Friedrich Went, welcher einige Monate zuvor einen Vortrag an der Universität Münster gehalten hatte, der ihm nun einen Gastplatz an seinem Institut an der Universität Utrecht anbot. Trotz seiner Beurlaubung setzte der pflichtbewusste Heilbronn den Kurator darüber in Kenntnis, dass er dieses Angebot gerne annehmen wolle, um weiter am Epinastie-Problem forschen zu können. Sobald seine Beurlaubung 106 107 108 109 110 111 112

Ebd., Heilbronn an Benecke, 13.5.1933. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Benecke an Kurator, 15.3.1933. BAB, R 4901, Nr. 14280, Kurator an PrWM, 18.5.1933. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, PrWM an Kurator, 6.6.1933. Ebd., Kurator an Benecke, 16.6.1933. Bozay 2001, S. 111. Leimkugel, Frank/Müller-Jahncke, Wolf-Dieter, Vertriebene Pharmazie. Wissenstransfer durch deutsche und österreichisch-ungarische Apotheker nach 1933 (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie e. V. N. F. 61), Stuttgart 1999, S. 123.

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aber im erhofften Sinn der Wiedereinstellung geregelt sein sollte, würde er natürlich wieder nach Münster zurückkehren.113 Dazu solle es aber nicht kommen. Am 14. September 1933 entzog das Preußische Wissenschaftsministerium dem Botaniker auf Basis des § 3 BBG die Lehrbefugnis.114 Zwar legte er am 23. September 1933 Widerspruch gegen den Beschluss ein und verwies darauf, dass er am 1. August 1914 bereits in Staatsdiensten gestanden hätte und daher unter die Ausnahmeregelungen des § 3 Absatz 2 BBG fiele. Das Ministerium reagierte darauf zunächst jedoch nicht, sondern sollte ihm erst Ende Januar 1934 mitteilen, dass er zu jenem Zeitpunkt kein planmäßiger Beamter im Sinne des BBG gewesen sei und seinem Einspruch damit nicht stattgegeben werden könne. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Heilbronn aber bereits in der Türkei, in die er nach einem kurzen Zwischenstopp in der Schweiz emigriert war115 und wo er am 15. Oktober 1933 an der Universität Istanbul den Lehrstuhl für Pharmabotanik und Genetik übernommen hatte.116 Aufgrund der Tatsache, dass er mit einer „arischen“ Frau verheiratet war, hatte er einen ordentlichen Umzug aus Münster organisieren können. Sein erst 1930 errichtetes Haus war danach enteignet und an Parteiangehörige vermietet worden. 1934 holte er schließlich auch seine Familie in die Türkei.117 In Istanbul übernahm Heilbronn zusammen mit Leo Brauner, einem ebenfalls emigrierten deutschen Juden, die Leitung des Botanischen Instituts, welches er nach westlichem Standard neu auf- und ausbaute. Neben den Biologie- unterrichtete er dort auch die Pharmaziestudenten und bot Veranstaltungen für Zahnmediziner, Mediziner und Forstwirtschaftler an.118 Einige Jahre später gelang es ihm, auch seinen Freund und ehemaligen Münsterschen Kollegen Kosswig in die Türkei zu holen. Beide hielten engen Kontakt zu anderen deutschen Emigranten. Heilbronns Kinder konnten in der neuen Heimat ungestört studieren. Als seine Frau früh verstarb, heiratete er 1948 seine Assistentin Mephare Basarman und wurde türkischer Staatsbürger.119 Anfang der 1950er-Jahre stellte der Botaniker einen Antrag auf Wiedergutmachung bei den deutschen Behörden.120 Ebenso beantragte er bei seiner alten Fakultät, als ordentlicher Professor in den Ruhestand versetzt zu werden. Mitte November 1952 bat daraufhin der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät den amtierenden Ordinarius für Botanik, Strugger, um ein Gutachten darüber, 113 UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Heilbronn an Kurator, 4.8.1933. 114 UAMs, Bestand 5, Nr. 77, PrWM an Heilbronn, 14.9.1933. 115 Möckelmann, Reiner (Hg.), Diskussionsabend im Deutschen Generalkonsulat am 08.06.2006 zum Thema „Exil und Gesundheitswesen: Deutsche Mediziner in der Türkei ab 1933“, Istanbul 2006, S. 23. 116 UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, PrWM an Heilbronn, Wiedergutmachungsbescheid des Kultusministeriums NRW, 3.5.1953. 117 Bozay 2001, S. 111. 118 Leimkugel 1999, S. 124. 119 Bozay 2001, S. 112. 120 UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, Kurator an Kultusministerium NRW.

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ob Heilbronn in Deutschland zum Ordinarius berufen worden wäre, wenn man ihn 1933 nicht entlassen hätte.121 Strugger, der Heilbronns Arbeiten kannte, machte in seinem Gutachten klar, dass er keinen Zweifel daran habe, dass der vertriebene Botaniker unter normalen Umständen einen Lehrstuhl erhalten hätte.122 Am 13. November 1953 beschloss die Fakultät deshalb einstimmig, Heilbronn künftig als emeritierten ordentlichen Professor im Vorlesungsverzeichnis aufzuführen, und zwar nach dem Datum seiner Ernennung zum ordentlichen Professor in Istanbul.123 Bereits ein halbes Jahr zuvor, im Mai 1953 und damit fast genau 30 Jahre nach seiner Entfernung aus der Universität, waren ihm vom Kultusministerium NRW mit Wirkung zum 1. April 1951 die Emeritenbezüge, welche er erhalten hätte, wenn er als ordentlicher Professor auf einen Lehrstuhl berufen und mit Erreichen der Altersgrenze von seinen amtlichen Pflichten entbunden worden wäre, zugesprochen worden. Für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 wurde ihm eine Entschädigung in Höhe der sich nach denselben Bedingungen ergebenden Jahresbezüge gezahlt.124 Im Zuge der Wiedergutmachung erhielt er schließlich auch sein altes Haus zurück.125 1955 wurde Heilbronn in Istanbul pensioniert. Kurz darauf nahm er die deutsche Staatsbürgerschaft wieder an.126 Im November desselben Jahres kündigte er gegenüber Strugger an, zum Sommersemester 1956 nach Münster zurückkehren zu wollen und bat darum, in bescheidenem Umfang ein Kolleg über Vererbungslehre am Botanischen Institut abzuhalten.127 Dies wurde ihm gewährt, und er nahm als Emeritus seine Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der Genetik wieder auf.128 Heilbronn lehrte danach noch einige Jahre in Münster. Nach langer Krankheit129 starb er schließlich am 17. März 1961 im Alter von 76 Jahren.130 In seinem Nachruf bezeichnete Strugger ihn als hervorragenden Vertreter der alten Botaniker-Generation, der mit grundlegenden Untersuchungen über die Viskosität des Protoplasmas eine neue, geniale Methode zur Viskositätsmessung am lebenden Protoplasma entwickelt habe. Ebenso habe er wichtige Arbeiten über die Lichtorientierung der Pflanzen, über Entwicklungsphysiologie und vor allem cytologische und genetische Studien an Farnen durchgeführt. Heilbronn könne als Begründer der modernen botanischen Wissenschaft in der Türkei bezeichnet werden, und wohl kaum ein türki121 122 123 124 125 126 127 128 129 130

UAMs, Bestand 92, Nr. 25, Dekan an Strugger, 10.11.1952. Ebd., Gutachten Strugger, 29.11.1952. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Rektor, 19.11.1953. UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, PrWM an Heilbronn, Wiedergutmachungsbescheid des Kultusministeriums NRW, 3.5.1953. Bozay 2001, S. 113. Ebd., S. 112. UAMs, Bestand 92, Nr. 25, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 22.11.1955. UAMs, Bestand 92, Nr. 25. Bozay 2001, S. 113. UAMs, Bestand 10, Nr. 9690, Todesanzeige, 17.3.1961.

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scher Naturwissenschaftler oder Arzt sei nicht durch seine Schule gegangen. Über die Gründe für Heilbronns Emigration machte er wenig Aufhebens und sprach nur davon, dass dieser im „schwerwiegenden Schicksalsjahr“ 1933 seine „Wahlheimat“ Münster habe verlassen müssen.131 Auch die Todesanzeige der Universität Müsnter hielt sich bedeckt und vermerkte lediglich: „Im Jahre 1934 siedelte er unter dem Zwang der Verhältnisse nach Istanbul über“.132 Es sollte bis zum Jahr 2000 dauern, ehe sich die Universität durch eine Entscheidung des Senats öffentlich für seine Vertreibung entschuldigte und die Entlassung als nichtig bezeichnete.133 Neben der Amtsenthebung Heilbronns kam es im Frühjahr 1933 noch zu einem weiteren Personalwechsel am Botanischen Institut. Dieser hatte jedoch nichts mit dem politischen Systemwechsel zu tun. Der außerplanmäßige Assistent Arnold verließ Münster zum 1. April 1933 in Richtung Braunschweig, wo er eine Anstellung an der dortigen TH fand. Er wurde durch August Kelle ersetzt.134 Ähnlich wie am Zoologischen Institut bemühten sich im Windschatten der Machtübernahme auch die Assistenten am Botanischen Institut, Einlass in die NSDAP oder eine ihrer Gliederungen zu finden. Roberg trat der Partei am 26. Juli 1933 rückwirkend zum 1. Mai 1933 bei und erhielt die Mitgliedsnummer 2488707.135 Zwei Monate später, am 26. Juli 1933, wurde er Mitglied der SA, wo er im Laufe der Zeit zum Oberscharführer im Reitersturm 1/66 (Münster) in der Dienststellung eines Truppführers aufstieg.136 Später folgte noch der NSLB,137 NSV (1935) und später im Krieg der NSDDB (1942).138 Auch Kelle trat im November 1933 der SA bei und stieg zum Oberscharführer auf (er verblieb dort bis 1939, als er eingezogen wurde). Einen Monat später ging er in die Reichsdozentenschaft139 (bis März 1934), 1934 wurde er Mitglied der NSV (Mitgliedsnummer 2296706, ebenfalls bis zu seiner Einberufung) und im April desselben Jahres auch des NSLB (bis Dezember 1938). Bis 131 132 133

134

135 136 137 138 139

UAMs, Bestand 92, Nr. 25, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 20.3.1961. Ebd., Todesanzeige der Universität Münster, 18.3.1961. Rektor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (Hg.), Jahresbericht 2000, Erklärung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu Maßnahmen der Universität während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, http://www.uni-muenster.de/ Rektorat/jb00/JB00G.HTM, Zugriff: 3.11.2011. August Kelle wurde am 23.12.1904 in Bad Oeynhausen geboren und evangelisch getauft. Von 1911 bis 1919 war er Schüler der Volkschule Bad Oeynhausen und legte am 4.5.1925 seine erste Lehrerprüfung ab. Von 1925 bis 1927 besuchte er daraufhin das Realgymnasium Lichterfelde, wo er am 15.10.1927 sein Abitur bestand. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Kelle, NW 1068–ED, Nr. 694, Fragebogen, 27.7.1947. BAB, ehemals BDC, O 0218. UAMs, Bestand 5, Nr. 172. BAB, ehemals BDC, O 0218. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Roberg, NW 1099, Nr. 13038, Fragebogen. Es ist unklar, ob Kelle hier Reichsdozentenschaft oder NSDozB meint, da er in seinem Entnazifizierungsbogen von letzterem spricht.

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1933 war er Mitglied der Gewerkschaft preußischer Junglehrer gewesen.140 Schratz wurde 1933 Mitglied des NSLB (Mitgliedsnummer 247563). 1934 folgte der Beitritt zum RLSB (Mitgliedskarte 3044, er blieb dort bis 1936 Propagandaredner), 1935 zur NSV (Mitgliedsnummer 5027930)141 und schließlich 1937 zur NSDAP (Mitgliedsnummer 5836239).142 1939 folgte der Reichskolonialbund, am 1. August 1940 der NSDDB, 1941 die Deutsche Jägerschaft und zu einem undatierten Zeitpunkt die Reichsdozentenschaft.143 Während also im Frühjahr 1933 das neue Regime durch seine Politik innerhalb der Biologenschaft der Universität Münster wissenschaftliche Karrieren zerstörte, und während sich die Mehrzahl der Mitarbeiter den neuen Gegebenheiten anpassten, liefen davon unbeeindruckt die Tagesgeschäfte am Botanischen Institut weiter wie zuvor. Am 16. Mai 1933 hielt der frisch habilitierte Schratz seine Antrittsvorlesung zum Thema „Der Lichtgenuß der Pflanzen“,144 und mit Beschluss der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vom selben Tag wurde ihm die venia legendi verliehen.145 Für den Rest des Jahres 1933 vermerkte der Ordinarius keine weiteren Veränderungen. Die wissenschaftlichen Arbeiten wurden wie bisher fortgeführt.146 Kontinuitäten zeigten sich auch in der weiter bestehenden schlechten finanziellen Lage des Instituts. Im Februar des Jahres 1934 beantragte Benecke, wie bereits 1930, aufgrund von Mittelknappheit beim Preußischen Wissenschaftsministerium die Freigabe der gesperrten 10 Prozent Dotationen des Instituts.147 Einige Tage später wurde ihm diese gewährt.148 Kurz darauf kam es noch zu weiteren personellen Veränderungen. Kelle verließ das Institut und wurde zum 1. April wieder durch Arnold ersetzt, welcher kurzzeitig aus Braunschweig nach Münster zurückkehrte.149 Er verließ das Institut aber bereits nach nur sieben Monaten wieder, um zum 1.  November 1934 an den Lehrstuhl seines ehemaligen Mitassistenten Mevius an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin überzusiedeln.150 Seinen Posten über140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Kelle, NW 1068–ED, Nr. 694. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Schratz an Kurator, 14.7.1938. UAMs, Bestand 9, Nr. 1359, Ergänzungsfragebogen zur Personalakte, Juni – Oktober 1941. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schratz, NW 1039–SCH, Nr. 174, Fragebogen, 15.2.1947. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, undatiert. UAMs, Bestand 92, Nr. 114. Chronik 1932/33, Bericht zum Botanischen Institut, S. 110f. BAB, R 4901, Nr. 14280, Benecke an PrWM, 27.2.1934. Ebd., PrWM an Benecke, 2.3.1934. Ebd., Kurator an PrWM, 20.3.1934. Dort sollte er auch politisch stärker aktiv werden. 1935 wurde er Mitglied der Reichsdozentenschaft (bis 1940), 1938 trat er der NSV bei und übernahm dort ein Jahr später das Amt eines Blockwalters. 1940 wurde er schließlich Mitglied der NSDAP. Am 21.11.1944 konnte sich Arnold mit einer Schrift über „Die Bedeutung der Chlorionen für die Pflanze, insbesondere ihre physiologische Wirksamkeit. Eine monographische Studie mit Ausbli-

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nahm daraufhin Otto Krebber.151 Punktuell verstärkte sich nun, wie zur selben Zeit generell an den deutschen Universitäten bemerkbar, auch der Zugriff der Politik auf die Mitarbeiter des Instituts. Schratz wie Roberg mussten an mehrwöchigen Dozentenlagern teilnehmen.152 Politisch motivierte Einflussversuche der Partei oder anderer Stellen auf wissenschaftliche Inhalte oder personelle Entscheidungen am Institut lassen sich jedoch, wie in den Jahren zuvor, nicht belegen. Stattdessen lief der Institutsbetrieb wie gewohnt weiter. Beneckes Jahresbericht unterschied sich nicht von seinen vorherigen Beiträgen: die wissenschaftliche Arbeit sei wie üblich abgelaufen, und Neuanschaffungen von Instrumenten und Mobiliar seien durch Sonderbewilligungen des Kurators möglich gewesen.153 Auch der Beginn des Jahres 1935 unterschied sich kaum von den Jahren zuvor. Aufgrund der umfangreichen Arbeit am Institut bat Benecke am 23. Januar des Jahres um eine erneute Verlängerung der Mittel für die außerplanmäßige Assistentenstelle.154 Auch die Bitte um die Freigabe gesperrter Dotationen, in diesem Falle von 3 Prozent, wiederholte sich155 und wurde genehmigt.156 Trotz dieses eher traditionellen Beginns sollte das Jahr 1935 aber eine wichtige Zäsur der Geschichte des Botanischen Instituts der Universität Münster bilden, und zwar viel bedeutender als der Regimewechsel des Jahres 1933. Inzwischen war Benecke nämlich bereits 19 Jahre Lehrstuhlinhaber in Münster. Gleichzeitig sollte er im September des Jahres seinen 67. Geburtstag feiern, womit sich er dem Ende seiner Tätigkeit als ordentlicher Professor näherte. Dadurch begann in den ersten Monaten des Jahres die Suche nach einem Nachfolger für den Botaniker. Am 15. März 1935 rief der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät für den 20. März eine Kommission ein, welche die Angelegenheit der Nachfolge Beneckes beraten sollte. Ihr gehörten neben Benecke selbst die Professoren Hannig, von Ubisch, Feuerborn, Kaufmann, Kratzer und Ernst an. Ergebnis der Beratungen war eine Vorschlagsliste, die auf Platz eins den ehemaligen Assistenten am Institut, Walter Mevius, setzte. Auf Platz zwei folgten Heinrich Walter (Stutt-

151 152 153 154 155 156

cken auf das Halophytenproblem“ habilitieren, um noch kurz vor dem Zusammenbruch des Reiches 1945 eine Dozentur zu übernehmen. Nach dem Krieg fand er Anstellung bei der Fleischwarenfabrik Wiltmann in Versmold. Trotz seiner Tätigkeiten für Partei und Gliederungen wurde er als Kategorie V entnazifiziert. Siehe: BAB, ehemals BDC, PA Arnold, DS 800/A0002; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Arnold, NW 1062, Nr. 44, Fragebogen, 25.7.1947; UAB, NS-Dozentenschaft, Nr. ZD I/26, Kasten 2, Arnold, August. Krebber wurde am 1.11.1907 geboren. Weiteres über ihn ist in den Akten nicht überliefert. Siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 253, Kurator an Schratz, 19.9.1934. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Bescheinigung der SA, 5.5.1934, sowie UAMs, Bestand 9, Nr. 814, Vermerk. Chronik 1934/35, Bericht zum Botanischen Institut, S. 156. UAMs, Bestand 4, Nr. 532, Benecke an Kurator, 23.1.1935. BAB, R 4901, Nr. 14280, Kurator an PrWM, 9.2.1935. Ebd., PrWM an Kurator, 5.4.1935.

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gart) und Karl Wetzel (Leipzig), auf Platz drei Fritz Theodor Overbeck (Frankfurt a. M.) und Theodor Schmucker (Göttingen).157 Zwei Tage später leitete der Dekan die Vorschläge nebst Kommentaren an das REM weiter. Wie auch in den anderen Neuberufungsfällen lassen die Ausführungen der Fakultät Rückschlüsse darauf zu, in welche Richtung man die Inhalte des Instituts in Zukunft entwickelt sehen wollte. Tatsächlich war man nämlich bestrebt, den aktuellen Kurs fortzuführen. Einleitend führte der Dekan aus, dass Benecke zum Ende des Wintersemesters 1934/35 von den amtlichen Pflichten entbunden worden sei. Mit seinem Ordinariat sei die Verpflichtung verbunden, das Gesamtgebiet der Botanik in Übungen und Vorlesungen zu vertreten und gleichzeitig als Direktor des Botanischen Instituts und Gartens zu fungieren. Die Fakultät habe daher bei den Ersatzvorschlägen daran gedacht, solche Botaniker zu nennen, welche nicht nur als Lehrer und Forscher, sondern auch zur Leitung der genannten Einrichtungen geeignet seien. Da ferner das Institut, zum Teil dank Zuwendungen der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, gut mit Apparaten und Schriften insbesondere für ernährungsphysiologische Untersuchungen ausgestattet sei, solle auch jemand mit diesem Spezialgebiet berufen werden. Nachfolgend referierte man die wissenschaftlichen Werdegänge der Kandidaten. Für Mevius fand man besonders lobende Worte. So sei er tüchtig und bei den Studenten beliebt, habe schon auf den meisten botanischen Gebieten mit Erfolg gearbeitet und sich als Forscher besonders ernährungsphysiologischen Fragen zugewandt. Dazu gehörten Arbeiten über die Abhängigkeit der Pflanzenwelt von den Eigenschaften des Bodens, über den Stickstoff-Stoffwechsel der Pflanzen (was wichtig für die Landwirtschaft sei), die Kohlensäureassimilation, aber auch reizund entwicklungsphysiologische Fragen. In Berlin habe er großes Organisationstalent durch die Modernisierung des dortigen stark veralteten Instituts bewiesen. Darüber hinaus habe man ihm gegenüber keine charakterlichen oder politischen Bedenken.158 Der Kurator, der das Schreiben fünf Tage später nach Berlin weiterleitete, betonte ebenfalls, dass er Mevius, der durch seine frühere Tätigkeit in Münster bekannt sei, für besonders geeignet halte.159 Eine Reihe von Gutachten über ihn bestätigte dieses positive Bild. Botaniker unter anderem aus Heidelberg, Bonn und Köln bezeichneten ihn als hervorragenden, gewissenhaften, förderungswürdigen jungen Wissenschaftler, der sich vor allem auf seinem Spezialgebiet einen guten Ruf erworben und eine Berufung zum ordentlichen Professor verdient habe. Eine wichtige Rolle spielten dabei auch die ausgewiesene Regimetreue des Botanikers und sein möglicher Nutzen für eine politische Durchdringung der Universität Münster. So urteilte sein damaliger Arbeitgeber, das Institut für landwirtschaftliche Botanik der Universität Berlin: 157 158 159

UAMs, Bestand 62, Nr. B III 8 a, Vorschlagsliste. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Dekan an REM, 22.3.1935. Ebd., Kurator an REM, 27.3.1935.

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„Im Übrigen ist es besonders wertvoll, daß er aus eigener langjähriger Erfahrung die Schwierigkeiten kennt, die einer nachhaltigen Durchsetzung des Nationalsozialismus an der Universität Münster entgegenstehen.“160

Bevor man aber in Berlin eine langfristige Entscheidung treffen konnte, musste zunächst der Betrieb für das kommende Sommersemester gesichert werden. Aus diesem Grund beauftragte das REM Benecke am 2. April 1935 damit, als Vertreter seiner selbst die Professur bis zum Eintreffen seines Nachfolgers zu verwalten.161 Alsbald nahm man aber auch Verhandlungen mit Mevius auf, um die Details seines Wechsels nach Münster zu klären. Am 12. April 1935 wurden die Pläne schließlich konkretisiert. So wurde dem zukünftigen Ordinarius zugesagt, dass sich das REM für eine Erhöhung des Etats des Botanischen Instituts um 2.500 RM einsetzen wolle. Dasselbe wolle man für die Einrichtung der Stelle einer technischen Assistentin tun. Außerdem werde das Ministerium 1937, nachdem Hannig aus Altersgründen würde ausgeschieden sein, die Einrichtung einer weiteren planmäßigen Assistentenstelle beantragen. Eine weitere Vereinbarung schließlich hatte ganz konkrete Folgen für einen anderen Mitarbeiter am Institut. Mevius wollte seinen Assistenten Engel, der bereits von 1927 bis 1929 an der Universität Münster tätig gewesen und damals nach Berlin gegangen war, mit nach Münster bringen. Darum bat er um eine Entlassung Robergs zum 31. Dezember 1935.162 Dieser entsprach man schließlich Anfang Juli 1935 und kündigte dem Assistenten zum 31. März 1936.163 Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass Mevius entscheidend in die berufliche Zukunft Robergs eingriff. Die Entlassung Robergs ist insbesondere deshalb so ungewöhnlich, da sich die Arbeitsgebiete von ihm und Mevius perfekt ergänzten. Besonders bitter für den Assistenten war die Tatsache, dass er sich zur selben Zeit mitten in seinem Habilitationsverfahren befand.164 160 161 162 163 164

BAB, ehemals BDC, A 0046, Eignungsbericht, undatiert, in: Mevius an REM, 19.6.1935. UAMs, Bestand 5, Nr. 174, Dekan an Benecke, 2.4.1935. BAB, R 4901, Nr. 14280, Berufungsvereinbarung Mevius, 12.4.1935. Ebd., Kurator an Roberg, 3.7.1935. Roberg, ebenso wie Mevius auf Stoffwechselphysiologie spezialisiert, hatte mit einer Studie unter dem Titel „Beiträge zur Biologie von Azotobacter“ seine Habilitationsschrift eingereicht und auf deren Basis seine Ernennung zum Privatdozenten beantragt. Seit 1928 konnte er acht Veröffentlichungen vorweisen, die sich mit Algen, Stoffwechselphysiologie, pflanzlicher Ernährungsphysiologie und Mikrobiologie befassten. Ein Gutachten Beneckes über die Tätigkeit des Assistenten am Institut und dessen wissenschaftliche Arbeit fiel äußerst positiv aus. So schrieb der Ordinarius, dass er Roberg sehr schätze, er fleißig und tatkräftig sei und tüchtige Arbeit leiste. Daher unterstütze er dessen Wunsch nach einer Habilitation für Botanik und Pharmakognosie und sei zuversichtlich, dass er ein guter Privatdozent werde. Am 16.4.1935 berichtete der Dekan dem Rektor über Robergs Vortrag sowie die anschließende wissenschaftliche Aussprache über „Die Wirkungen geringer Stoffmengen auf die Lebenserscheinungen der Pflanzen“ vom 10. April. So sei dieser auf dem angesprochenen Gebiet „recht gut beschlagen“ und habe die gestellten Fragen „gewandt und mit wissenschaftlichem Verständnis zu beantworten“ gewusst. Daher bitte der Dekan den Rektor, Bericht beim Minister zu erstatten und die Erlaubnis einzuholen,

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Ende Mai 1935 berief das REM Mevius zum 1. Juli 1935 auf den ordentlichen Lehrstuhl für Botanik der Universität Münster.165 Planmäßig legte Benecke einen Tag vorher sein Amt wegen Erreichens der Altersgrenze nieder.166 Nach fast 20-jähriger Tätigkeit war damit die Ära Benecke am Botanischen Institut zu Ende gegangen. Während dieser Zeit hatte Benecke eine besondere Veranlagung für die chemischen Probleme der Botanik gezeigt. Insbesondere die Erforschung des Mineralstoffwechsels sowie der Bakteriologie war dabei zu seinem Hauptarbeitsfeld geworden. Benecke registrierte einen der ersten Fälle von Farbmutation bei Mikroorganismen (farblose Nitzschia-Formen) und erbrachte als erster den Nachweis, dass auch im Meer stickstoffbindende Bakterien am Werke seien. Auf Basis der zu seiner Zeit neuen Klebs’schen Fortpflanzungsphysiologie hatte er die Frage der Zygotenbildung bei Algen geklärt und auch bei der Erforschung der CO2-Assimilation und der Pflanzenwelt der Dünen Pionierarbeit geleistet. Eine Vielzahl von breitgefächerten Publikationen, auf hohem Niveau verfassten Unterrichtswerken und von ihm angeregten ertragreichen Dissertationen, unter anderem zur Stoffwechselphysiologie, Ökologie, Pflanzengeographie und angewandter Bakteriologie und Düngelehre, bewiesen seine Vielseitigkeit. Nicht zuletzt zählte er zu den ganz wenigen Botanikern in Deutschland, welche sich noch einen Überblick über die wichtigsten Teilgebiete der Botanik hatten verschaffen können.167 Aus der Öffentlichkeit verschwand der langjährige Lehrstuhlinhaber nach seinem Abschied zunächst nicht. Zu seinem 70. Geburtstag am 23. September 1938 wurde der Botaniker, welcher zeitlebens nie der NSDAP, wohl aber NSV, Reichskolonialbund, RLSB, DRK und Volksbund für das Deutschtum im Ausland beitrat,168 mit einem ausführlichen Artikel im Münsterschen Anzeiger geehrt.169 Am 1. November desselben Jahres erhielt er das Treudienst-Ehrenzeichen 1. Stufe,170 und am 23. September 1943 auf Betreiben Mevius’ die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft.171

165 166 167 168 169 170 171

Robergs Habilitation für Botanik aussprechen zu können. Rektor Hugelmann paraphrasierte in seinem Schreiben an das REM einen Monat später die Aussagen des Dekans und stellte den gewünschten Antrag. Einen weiteren Monat später genehmigte das REM diesen schließlich. Da man jedoch mit der Reichshabilitationsordnung vom 13.12.1934 eine Trennung von Habilitation und Erteilung der venia legendi durchgeführt hatte, musste Roberg zwei Jahre später einen weiteren Antrag, diesmal auf Erteilung einer Dozentur, stellen. Dieser wird Kapitel 8.4 dieser Untersuchung besprochen. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 172, diverse Dokumente; UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Dekan an Rektor, 16.4.1935; ebd., Rektor an REM, 18.5.1935 UAMs, Bestand 63, Nr. 181, REM an Mevius, 24.5.1935. Chronik 1935/36, Bericht zum Botanischen Institut, S. 129f. UAMs, Bestand 10, Nr. 738, Bd. 1, Rektor an REM, 2.6.1943. UAMs, Bestand 9, Nr. 1359, Ergänzungsfragebogen zur PA, Juni – Oktober 1941. UAMs, Bestand 10, Nr. 738, Bd. 1, Zeitungsausschnitt, 23.9.1938. Ebd., Vermerk, 1.11.1938. Ebd., REM an Kurator, 10.9.1943.

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Mit dem weiterem Voranschreiten des Krieges wurden die öffentlichen Aktivitäten Beneckes schließlich weniger. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg und wurde am 27. Dezember 1945 entnazifiziert.172 Am 7. Februar 1946 verstarb Benecke im Alter von 77 Jahren in Münster.173

3.  Das Ordinariat Mevius 1935 bis 1944/45 Mit Mevius übernahm 1935 jemand den botanischen Lehrstuhl, der diesen in den gewohnten wissenschaftlichen Bahnen weiterzuführen gedachte. Seine Berufung nach Münster sollte nach den vielen Jahren unter Beneckes Leitung, in denen eine strukturelle wie wissenschaftlich-inhaltliche Regelmäßigkeit den Betrieb bestimmt hatte, eine Reihe von Veränderungen in der Art, wie das Botanische Institut geleitet wurde, herbeiführen. Hierzu zählte nicht zuletzt eine fortschreitende Politisierung, welche es unter Benecke, der sich mit solchen Dingen nie beschäftigt hatte, nicht gegeben hatte. Paradoxerweise bürgte die Anstellung Mevius’, der selbst zwölf Jahre lang eben diese Regelmäßigkeit auch mit ausgemacht hatte, jedoch auch für eine Kontinuität, die beispielsweise am zoologischen Schwesterinstitut, an dem mit den verschiedenen Ordinarien auch die Forschungsinhalte nach 1935 in rascher Folge wechselten, fehlte. Dies wird vor allem an den angebotenen Lehrveranstaltungen deutlich. Seit 1931 hatten sich in der Struktur der Veranstaltungen keine grundlegenden Änderungen ergeben. Lediglich in einigen Bereichen war es zu Modifikationen gekommen. So wirkte an dem von Heilbronn angebotenen Kolloquium zu Vererbungsfragen ab dem Sommersemester 1931 der Assistent am Zoologischen Institut und spätere enge Freund des Botanikers, Curt Kosswig, mit. Seit demselben Semester war auch Mevius, bis zu seinem Weggang 1932, an mehr Seminaren beteiligt, zum Beispiel an den verschiedenen Praktika oder an Hannigs Bestimmungsübungen. Im Wintersemester 1932/33 hielten Heilbronn und Kosswig zusammen ein Seminar „Ausgewählte Kapitel aus der vergleichenden Physiologie von Tier und Pflanze“ ab. Dies war ein seltenes Beispiel für eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Botanischen und dem Zoologischen Institut, die aber weniger auf einem Strategiewechsel der beiden Institutsdirektoren als auf dem guten persönlichen Verhältnis Heilbronns und Kosswigs beruhte.174 Der Regimewechsel zum Sommersemester 1933 hatte daher auch, abgesehen davon, dass man mit dem „Juden“ Heilbronn auch dessen Seminare zur Erblichkeitslehre ausschaltete, keinerlei erkennbaren Einfluss auf das Lehrangebot am Institut. An die Stelle Heilbronns trat nahtlos Schratz, der zum Wintersemester 1933/34 172 173 174

UAMs, Bestand 4, Nr. 722. UAMs, Bestand 10, Nr. 738, Bd. 1, Sterbeurkunde, 7.3.1946. Bis zum Zweiten Weltkrieg sind Belege für eine Kooperation der beiden Institute rar, und auch danach entwickelte sich nur eine punktuelle Zusammenarbeit.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

zunächst „Zytologisches Praktikum, mit Besprechung der neuesten Ergebnisse der Zellkernforschung“175 und dann zum Sommersemester 1934 auch den Veranstaltungstiteln nach mit einem Seminar zur Bestimmung von Kryptogamen und einem zur Speziellen Erblichkeitslehre die Aufgaben des vertriebenen Dozenten übernahm.176 Schratz profitierte somit, wenn auch ohne eigenes Zutun, direkt von einer nationalsozialistischen Unrechtsmaßnahme. Als schließlich zum Wintersemester 1935/36 Mevius als neuer Ordinarius antrat, nahm dieser lediglich Beneckes Rolle im Vorlesungsverzeichnis ein, während Titel und Inhalte der Veranstaltungen gleich blieben. Nur mit einem Seminar über „Ausgewählte Kapitel aus der Ernährungsphysiologie der Pflanzen I. Assimilation des Kohlen- und Stickstoffs“177 vermochte er von seinem Vorgänger abweichende Akzente zu setzen, nahm damit aber letztlich nur ein Thema wieder auf, welches er bereits vor seinem Weggang aus Münster am Institut unterrichtet hatte. Das gleiche Bild zeigte sich auch im Sommersemester 1936, welches sich inhaltlich nicht von den Vorjahren unterschied, und setzte sich auch in den folgenden Semestern fort. Ein entscheidender Schnitt sollte erst mit der internen Reorganisation des Instituts im Jahr 1937 folgen. Bis dahin bestimmte eine Kontinuität die Inhalte des Instituts, die für einen Ordinariatswechsel zwar untypisch war, aber durch die spezifische Situation am Botanischen Institut erklärt werden kann. Mevius, als Student und Assistent über zwölf Jahre von seinem akademischen Lehrer Benecke geprägt, war diesem, was die Forschungsthemen betraf, einfach viel zu ähnlich, als dass sich daraus ein Wandel der Inhalte hätte ergeben können. Mevius war noch immer derart den alten Strukturen am Institut verhaftet, dass das Ordinariat Benecke über dessen Weggang hinweg faktisch weiterbestand. Dies wird auch dadurch weiter belegt, dass der alte Lehrstuhlinhaber ein Arbeitszimmer im Institut zugewiesen bekam, in dem er seine ernährungsphysiologischen Arbeiten im wissenschaftlichen Einklang mit den restlichen Mitarbeitern als Emeritus weiterführen konnte.178 Dieser Befund wird auch durch die Themen der Dissertationen, welche über beide Wechsel 1933 und 1935 hinweg am Institut eingereicht wurden, gestützt. Wie zuvor waren auch hier hauptsächlich Ernährungsphysiologie und Bakteriologie vertreten.179 Nach seiner Amtsübernahme betreute Mevius zunächst keine Dissertationen, so dass zum einen Hannig (mit mehreren Arbeiten über Pflanzengeographie von 1936 bis 1938, ein Thema, welches seit den 1920er-Jahren am Institut gelehrt wurde) und auch noch Benecke (erneut 1938 zur Bakteriologie) diese Aufgabe 175 176 177 178 179

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1934. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1935/36. UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Vermerk, 13.8.1935. Zum Beispiel „Die Assimilation des Luftstickstoffs durch einige Bakterien“ von Mathilde Christiane Schröder, am 1.2.1932 mit cum laude bewertet, „Beiträge zur Kenntnis der Symbiose von Azolla und Anabaena“ von Anna Huneke, am 20.6.1933 mit gut bewertet, oder „Über atypische Zellformen bei Bacillus amylobacter“ von Wilhelm Burksteeg, am 8.3.1935 mit magna cum laude bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1.

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übernahmen. Als Mevius dann schließlich ab 1938 voll in die Betreuung einstieg, blieb es weiterhin hauptsächlich bei der Stoffwechselphysiologie.180 Diese Schwerpunktsetzung bedeutete jedoch nicht, dass andere Themen keinen Platz am Institut fanden. Auch Ökologie181 oder Reizphysiologie182 waren vertreten. Die Kontinuitätsthese lässt sich durch die Heranziehung weiterer Quellen stützen. So erhärten die Themen der Forschungsvorhaben, welche die einzelnen Institutsmitglieder unter Zuhilfenahme von DFG-Fördermitteln in jenem Zeitraum durchführten, die oben genannten Beobachtungen. Auch diese umfassten hauptsächlich Ernährungsphysiologie,183 unter anderem „Stoffwechselphysiologie nitrifizierende Bakterien“, „Einfluß der Mineralsalzdüngung auf bakterielle Zersetzung des Humusvorrates im Boden“, „Untersuchungen über die Bestimmung des C:N Verhältnisses im Ackerboden“, „Untersuchungen über Einfluß des Lichtes bei CO2 Mangel auf grüne Pflanzen“ und weitere Stoffwechselforschungen.184 Nicht alle Untersuchungen wurden aber finanziert. Mevius musste auch Misserfolge hinnehmen. Aus einem Ende 1935 gestellten Antrag auf 5.000 RM Beihilfe, geteilt in 2.400 RM für einen planmäßigen Assistenten und 2.600 RM für Sachausgaben, erhielt er lediglich letztere.185 180

181 182 183 184

185

Zum Beispiel „Der Einfluß mineralischer Düngung auf den Ertrag und die Zusammensetzung des Kornes der Sommerweizenpflanze“ von Walther Baumeister, am 1.3.1939 mit sehr gut bewertet, oder „Beiträge zur Physiologie nitrifizierender Bakterien“ von Heinrich Bömeke, am 10.1.1940 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. „Die Pflanzengesellschaften des Meßtischblattes Lengerich in Westfalen (Teutoburger Wald)“ von Richard Büker, am 4.2.1939 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. „Lichterkennung und Wirkstoffe in ihrer Bedeutung für die Bewurzelung von Commelinaceenstecklingen“ von Wilhelm Dormüller, am 14.5.1938 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. BAB, R 73, Nr. 13117, DFG an Mevius, 10.3.1934, sowie Mevius an DFG, 3.3.1934. Ebd., Mevius an DFG, 11.4.1935; ebd., DFG an Mevius, 30.8.1935; ebd., Mevius an DFG, undatiert; ebd., Vermerk, 15.10.1936 (hier ist eine Fehldatierung der Quelle möglich, so dass es auch der 15.10.1935 sein könnte, DD); ebd., DFG an Mevius, 21.10.1936 (hier ist eine Fehldatierung der Quelle möglich, so dass es auch der 21.10.1935 sein könnte, DD). Vier Forschungsvorhaben, 1. „Stoffwechselphysiologie verschiedener Kulturpflanzen. Einfluß von Ca, Mg, K auf den Bau, den N- und C-Haushalt der Getreidefrüchte“, 2. „Beziehungen zwischen Wasserhaushalt u. Nährstoffaufnahme“, 3. „Beziehung zwischen Bodenreaktion u. Wuchs der Kulturpflanzen u. wichtigsten Garten- u. Feldunkräu­ter“, 4. „Arbeiten über Nitrifikation im Boden und N-bindende Bodenbakterien“, alle im Bereich der Ernährungsphysiologie angesiedelt und unter anderem verschränkt mit Schratz’ Arbeiten, sollten im Rahmen des Forschungsdienstes (zuvor Reichsarbeitsgemeinschaft der Landbauwissenschaft) ablaufen. Die Reichsarbeitsgemeinschaft leitete den Antrag befürwortend an die DFG weiter, erklärte ausführlich die einzelnen Punkte und begründete die Notwendigkeit der Arbeiten mit dem Hinweis auf deren Nutzen für die Dürrefrage und die Landwirtschaft. Während der fachliche Teil des Antrags somit gut begründet war, verknüpfte ihn Mevius aber mit dem Versuch, einen weiteren seiner ehemaligen Berliner Assistenten, Dr. Skallau, nach Münster zu holen. So stellte er ihn als den für die Untersuchungen geeignetsten Bearbeiter dar und wollte eine Stelle als planmäßigen Assistenten

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Wie prägend Beneckes und Mevius’ Forschungschwerpunkte dabei auch auf Mitarbeiter waren, die nicht mehr unter ihrer Anleitung arbeiteten, zeigt das Beispiel Arnold. Auch nachdem Mevius Berlin verlassen hatte, führte dieser gemeinsame Arbeiten über den Stoffwechsel kochsalzspeichernder Pflanzen, über den Einfluss von Mineralsalzen auf die Ausbildung sukkulenter Strukturen bei Strandpflanzen und über den Einfluss des Ionenantagonismus auf die Permeabilität der Protoplasmagrenzschichten, weiter. Inhaltlich hatten die beiden Ex-Münsteraner, überspitzt gesagt, ihr Institut in Berlin demnach praktisch zu einer Außenstelle von Beneckes Institut gemacht.186 Auch in den folgenden Jahren blieb der Assistent ähnlichen Themen treu und konnte weiter auf die Unterstützung seines ehemaligen Vorgesetzten zählen.187 Mevius führte also, gegebenenfalls auch durch seine Assistenten, bestehende Forschungsrichtungen fort und sorgte damit für Kontinuität. Der Einfluss des neuen Ordinarius ist daher nicht in den Forschungsinhalten am Institut zu greifen. Vielmehr bemühte sich Mevius unmittelbar nach seiner Amtsübernahme, die Probleme, die das Botanische Institut seit langem plagten, offensiv anzugehen und den Schwung, den er durch seinen Wechsel nach Münster erhalten hatte, auszunutzen. Im Zuge seiner Berufungsverhandlungen hatte ihm das REM Unterstützung bei der Anstellung einer Technischen Assistentin, bei der Erhöhung des Institutsetats sowie bei der Umwandlung der Stelle Hannigs in ein Extraordinariat für Pharmakognosie zugesagt. Diese Zusagen wollte er nun einfordern. Am 24. Oktober 1935 beantragte der Ordinarius daher beim Ministerium, dass das Kürzel kw, das heißt künftig wegfallend, welches seit langem die Abteilungs-

186 187

an der Universität Münster einrichten lassen. Die DFG bat daraufhin das Pflanzenphysiologische Institut in Berlin-Dahlem sowie das Botanische Institut der Universität Heidelberg um Stellungnahmen. Beide Antworten fielen gemischt aus. Heidelberg befürwortete zwar die Unterstützung, da die Untersuchungen eine besondere Förderung verdienten. Man konnte sich aber nicht der Auffassung anschließen, dass Skallau als einziger für die Arbeit geeignet sei. Daher solle sich Mevius in Münster jemanden aus seinem Schülerkreis dafür aussuchen. Kurt Noack aus Berlin-Dahlem, ebenfalls Stoffwechselphysiologe wie Mevius, kritisierte hingegen den Arbeitsplan Mevius als nicht präzise genug, da eigentlich nur Grundprobleme und Allgemeingut der Agrikulturchemie und Physiologie angesprochen würden. Einziger konkreter, neuer Punkt sei lediglich die Verwendung des Hafers. Er begrüßte aber Mevius’ Ansatz der spektographischen Methode, da diese bislang in Deutschland, im Gegensatz zu beispielsweise Japan, nur wenig benutzt würde. Dies könne zu einer Einübung und Verbesserung des Verfahrens führen. Die DFG folgte schließlich den Gutachtern und bewilligte die 2.600 RM für Sachausgaben, verweigerte jedoch das Geld für die Assistentenstelle. Siehe: BAB, R 73, Nr. 13117, Arbeitsplan, 3.12.1935; ebd., Reichsarbeitsgemeinschaft für Landwirtschaft an DFG, 13.3.1936; ebd., DFG an Pflanzenphysiologisches Institut Berlin-Dahlem, Botanisches Institut Universität Heidelberg, 22.5.1936 bzw. 6.6.1936; ebd., Botanisches Institut der Universität Heidelberg an DFG, 10.6.1936. BAB, R 73, Nr. 10099, Arnold an DFG, 8.8.1935. Ebd., Mevius an DFG, 2.4.1937.

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vorsteherstelle Hannigs am Institut schmückte, gestrichen und die Stelle in ein Extraordinariat für Pharmakognosie umgewandelt werden solle, sobald Hannig entpflichtet sei. Mevius begründete seinen Vorstoß mit dem gestiegenen Anteil des pharmazeutischen Unterrichts am Botanischen Institut, vor allem durch die geänderte Prüfungsordnung für Apotheker. Außerdem sei eine Aufwertung dieses Forschungsbereichs nötig, da die deutsche Pharmakognosie seit 20 Jahren in den Rückstand geraten sei. Schließlich ergänzte er noch, dass er unter Arbeitsüberlastung leide, und zählte als Beleg die Masse an Veranstaltungen auf, die er zu erteilen hatte.188 In Berlin ließ man sich davon jedoch nicht beeindrucken. Auch eine nochmalige Bitte des Dekans im Jahr darauf führte zu keinem Erfolg.189 Schließlich wurde der Antrag am 29. Juni 1937 endgültig abgelehnt.190 Ähnlich verfuhr man auch mit den beiden anderen Berufungszusagen.191 Damit war Mevius in allen drei Fällen gescheitert. Trotz dieser Rückschläge ließ sich der Ordinarius aber nicht entmutigen und entwickelte anderweitige Aktivitäten. Eine davon, welche seinem Vorgänger lange verwehrt geblieben war, war der Umbau des Botanischen Instituts. Das Dach wurde neu beschiefert, neue Räume wurden geschaffen und ausgestattet, und das REM ermöglichte durch eine größere Sonderbewilligung die Neuanschaffung von Apparaturen. Ebenso wurden die Bestände des Instituts entrümpelt und im Zuge dessen die Flechten- und Pilzsammlung an das Botanische Museum in Berlin abgegeben.192 Handlungsbedarf für den neuen Lehrstuhlinhaber entstand neben diesen Tätigkeiten aber auch in Bezug auf seine Assistenten. Hier stellte sich für jeden von ihnen eine unterschiedliche Situation dar. In einem Bericht an den Dekan vom 14. November 1935 fasste Mevius sie zusammen. Als ersten nannte er Roberg. Dieser hatte inzwischen zwölf wissenschaftliche Veröffentlichungen vorzuweisen. Zum 31. März 1936 würde er jedoch ausscheiden, um sich eine besondere Ausbildung in wissenschaftlicher Pharmakognosie an einem pharmakognostischen Institut zu verschaffen. Krebber, der zweite Assistent, habe hingegen keine Absichten, sich einer akademischen Laufbahn zu widmen. Er werde ausscheiden, sobald sich ihm die Möglichkeit böte, eine Verwendung im Schuldienst oder der angewandten Botanik zu finden. Schratz schließlich, mit inzwischen ebenfalls einer Reihe von Publikationen (14  Stück), konnte den Worten Mevius’ nach als das Sorgenkind des Ordinarius bezeichnet werden. Der Assistent, welcher noch im Frühjahr gegenüber dem Kurator geäußert hatte, entschlossen zu sein, hauptberuflich in der Hochschullaufbahn

188 189 190 191 192

UAMs, Bestand 9, Nr. 530, Mevius an REM, 24.10.1935. Ebd., Dekan an REM, 4.12.1936. Ebd., REM an Mevius, 29.6.1937. BAB, R 4901, Nr. 14280, REM an Mevius, 20.12.1935, bzw. REM an Mevius, 23.12.1935. Chronik 1935/36, Bericht zum Botanischen Institut, S. 129f.

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zu bleiben,193 sei zwar sehr beliebt bei seinen Schülern. Aber obwohl er eine eifrige wissenschaftliche Tätigkeit an den Tag lege und manch wertvolle Beobachtung gemacht habe, lasse sich noch nicht entscheiden, ob ihm eine erfolgreiche Laufbahn beschieden sei.194 In den folgenden Monaten sollte sich daher die Personalsituation am Botanischen Institut schrittweise ändern. Zunächst ging Roberg zum 30. April 1936 mit einem Stipendium nach Innsbruck.195 Er wurde, wie von Mevius geplant, durch Engel ersetzt, welcher seinen neuen Job bereits am 1. April 1936 angetreten hatte.196 Auch er war in der Zwischenzeit politisch aktiv geworden und von 1933 bis 1934 Mitglied der NSBO Berlin Dahlem gewesen.197 Ebenso war er im April 1933 der DAF beigetreten. 1937 sollte der Eintritt in die NSV, am 1. Dezember 1939 in die NSDAP und am 1. Januar 1942 in den NSDDB folgen.198 Kurz vor seinem Wechsel nach Münster, am 21. Februar 1936, hatte er sich für allgemeine Botanik einschließlich Pflanzenernährungslehre und Mikrobiologie habilitiert.199 In der Folge sollte er vor allem über Nitritbakterien und Bodendüngung publizieren.200 Damit orientierten sich seine Forschungsinteressen an denen seines Vorgesetzten. Neben Engels Karriere befand sich auch die von Schratz im Aufwind. Er begann zusammen mit Mevius den Aufbau eines Freilandquartieres im Botanischen Garten, auf dem zur Unterstützung der Vorlesungen Schüler und Studenten die Vererbungsgesetze an Pflanzen demonstriert werden sollten. Laut Mevius war, infolge der großen Bedeutung der Vererbungslehre und der Züchtungsforschung, die Anlage nicht nur für Schüler und Studenten interessant, sondern auch für die Besucher des Gartens von Bedeutung. Während das KWI für Biologie und das KWI für Züchtungsforschung die Samen bereitstellten, sollte Schratz diese sichten und zusammenstellen. Zu diesem Zweck reiste er Anfang 1936 auch nach Berlin.201 Schratz verschaffte sich durch die Übernahme von derartigen Aufgaben im Laufe des Jahres 1936 eine immer bessere Ausgangsposition am Institut. Folgerichtig wurde im August 1936 ein Antrag auf Verlängerung seines Vertrages gestellt. Mevius führte diesmal zur Begründung auch nicht mehr nur rein wissenschaftliche Argumente ins Feld. So habe sich der Assistent nicht nur als Forscher und Lehrer durchaus bewährt, seine Untersuchungen an Halophyten mit Erfolg fortgesetzt und seine Lehrtätigkeit auf den in Münster bislang nicht vertretenen Bereich der Vegetationskunde ausgedehnt.202 Wichtig sei auch, dass Schratz inzwischen Mit193 194 195 196 197 198 199 200 201 202

UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Schratz an Kurator, 12.3.1935. UAMs, Bestand 91, Nr. 211, Mevius an Dekan, 14.11.1935. Chronik 1935/36, Bericht zum Botanischen Institut, S. 129f. StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Personalbogen, undatiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 88, Personalbogen, undatiert, ca. 1936. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039–E, Nr. 214, Fragebogen. UAMs, Bestand 10, Nr. 88, Personalbogen, undatiert, ca. 1936. StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Publikationsliste, undatiert, ca. 1948. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 20.1.1936. Ebd., Kurator an REM, 27.8.1936.

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glied der Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung (RfH) geworden war.203 Mevius betonte durch seine Eintragung von Schratz’ Mitgliedschaft in der RfH in der Spalte „Mitglied in SA oder sonstiger Organisation der NSDAP“ des Verlängerungsantrages deren stark politischen Auftrag. Außerdem war Mevius, anders als noch ein Jahr zuvor, inzwischen auch davon überzeugt, dass sein Assistent später für einen Lehrstuhl in Frage käme.204 Inwieweit Schratz’ enge Mitarbeit in Mevius’ Arbeitskreis205 und sein Einsatz für die RfH zu diesem Meinungsumschwung beigetragen haben, muss offen bleiben. Es ist jedoch anzunehmen, dass sie nicht folgenlos geblieben waren. Dieser neuen Argumentation wollte sich auch das REM 203

204 205

Die RfH war am 16.4.1935 von Reichsärzteführer Gerhard Wagner als Einheitsorganisation für die vorher in mehreren Verbänden zusammengeschlossenen Arzneipflanzenanbauer in Weimar gegründet worden. Organisatorisch unterstand sie dem Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP. Kernziele der RfH war zum einen die autarke Versorgung der deutschen Bevölkerung mit qualitativ hochwertigen Heilpflanzen, zum anderen die wissenschaftliche Begleitung und Lenkung des Heilpflanzenanbaus sowie die Kartierung des Reichsgebietes und die anschließende Sammlung von Material. Mit Kriegsbeginn sollte die Bedeutung der Organisation weiter wachsen. Ende 1939 erfolgte eine erste durch sie organisierte, einheitlich geregelte reichsweite Heilpflanzensammlung. Dazu zog sie die Schulen, aber auch die HJ und den BDM heran. Im gesamten Zweiten Weltkrieg wurden die Sammlungen fortgesetzt und schließlich auch auf die besetzten Gebiete Europas ausgedehnt. Die Leitung der Sammlungsaktionen oblag dabei dem inzwischen zum Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der RfH aufgestiegenen Schratz, der Fragebögen in das gesamte Reich aussandte und das Botanische Institut der Universität Münster zum Zentrum der Heilpflanzenkartierung und -sammlung machte. Intensiv wurde dabei mit der NSDAP, von der Gauleitung abwärts bis in die Ortsgruppen, kooperiert. Ab 1941 war die RfH zusätzlich noch eng mit dem Winterhilfswerk verknüpft, für dessen alljährlich stattfindende Straßensammlungen sie Arzneipflanzenabzeichen herstellte, welche die Bevölkerung als de facto Spendenquittung erwerben konnte. Ihre eigene Arbeit sah die RfH, vor allem durch die Versorgung der Wehrmacht mit Heilpflanzen, als kriegsentscheidend an. Gleichzeitig konnte durch Deviseneinsparung Geld für andere kriegswichtige Ausgaben freigemacht werden. Nicht zuletzt wurde durch die RfH auch die Jugend in die Kriegsanstrengungen eingebunden: „Die deutsche Jugend hat nun eine schöne, bedeutsame Aufgabe, jene Jugend, die darauf brennt, dem Vaterlande in dieser Zeit mit allen Kräften helfen zu können. Ihr wurde hier ein herrliches Betätigungsfeld erschlossen, auf dem sie den deutschen Sieg miterringen kann.“ Siehe: Schlick, Caroline, Apotheken im totalitären Staat. Apothekenalltag in Deutschland von 1937 bis 1945, Stuttgart 2008, S. 341ff.; dies./Friedrich, Christoph, Sehnsucht nach Heilpflanzen, in: Pharmazeutische Zeitung 152 (2007), S. 2781–2783; Herrliche Aufgabe für Deutschlands Jugend. Kräutersammeln hilft Devisen spare – Umfangreiche Vorbereitungen in Münster, in: Münstersche Zeitung, 17.3.1940. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Mevius an Kurator, 14.8.1936. Mevius hatte, wie noch erläutert werden wird, im Jahre 1936 im Auftrag Konrads Meyers den Arbeitskreis „Landwirtschaftliche Botanik“ in dessen Forschungsdienst ins Leben gerufen und dessen Führung übernommen. Dabei hatte er auch Schratz in die Arbeit der Organisation eingebunden.

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nicht verschließen, und Schratz’ Stelle wurde am 29. September 1936 um zwei Jahre verlängert.206 Auf Assistentenebene war das Institut also weiterhin gut ausgestattet. Was die anderweitige Verbesserung der Ausstattung der Botanik betraf, handelte sich der Ordinarius jedoch, wie schon 1935, wieder lediglich Abfuhren ein. Auf einen erneuten Antrag zur Anstellung einer technischen Assistentin erhielt er abermals eine Absage.207 Ähnlich verhielt es sich mit dem ebenfalls zum zweiten Mal gestellten Antrag des Botanikers auf Erhöhung des Etats um ca. 2.500 RM.208 Während Mevius also auf der organisatorischen Ebene vorerst glücklos blieb, konnte er dagegen die Vernetzung des Botanischen Instituts durch seine Berufung in Schlüsselpositionen an der Schnittstelle von biologischer Forschung und NS-Politik vorantreiben. 1935 war die bereits erwähnte „Reichsarbeitsgemeinschaft der Landbauwissenschaft“, welche einige Zeit später unter dem Namen „Forschungsdienst“ firmierte, als zentralistische wissenschaftsorganisatorische Institution der Agrarwissenschaft ins Leben gerufen worden.209 Ziel der Neugründung war die Gleichschaltung dieses Forschungszweiges gewesen. Zum Reichsbeauftragten der neuen Organisation wurde der Staatssekretär im Reichsernährungsministerium Herbert Backe ernannt. Obmann wurde Konrad Meyer, der spätere Architekt des Generalplans Ost. Dieser sollte sein Amt „im Sinne nationalsozialistischer Wirtschaftsgestaltung führen“,210 womit die Vermischung wissenschaftlicher und politischer Ziele besonders deutlich wurde. Zu den Aufgaben des Forschungsdienstes zählten neben der zentralen Planung und Kontrolle der agrarwissenschaftlichen Forschung in Deutschland die Koordination der Gemeinschaftsarbeit und die Bereitstellung von Forschungsmitteln. Die Führungsstellen des Dienstes wurden mit regimetreuen Wissenschaftlern besetzt. Ähnliches galt auch für die Leitung der cirka 120 Arbeitskreise, die den Unterbau der Organisation bildeten.211 Hier hatte Mevius im Jahre 1936 im Auftrag Meyers den Arbeitskreis „Landwirtschaftliche Botanik“ ins Leben gerufen und dessen Führung übernommen. Eben diese Position sollte er ein Jahr später bei dem erneuten und nunmehr dritten Versuch, das REM zur Bereitstellung von Mitteln für eine technische Assistentin am Institut zu bewegen, als Ressource einsetzen. Am 1. Juni 1937 schrieb der Ordinarius an das Ministerium und wiederholte zunächst seine Argumentation aus den Vorjahren. Dieses Mal ergänzte er jedoch, dass Pflanzenernährung, -physiologie und Vererbungslehre in der heutigen Zeit nicht mehr nur einen theoretisch206 BAB, R 4901, Nr. 14280, REM an Mevius, 23.9.1936. 207 Ebd., 18.1.1937. 208 Ebd. 209 Vgl. zum Forschungsdienst Klemm, Volker, Agrarwissenschaften im „Dritten Reich“. Aufstieg oder Sturz? (1933–1945), Berlin 1994, S. 46–53. 210 Ebd., S. 47. 211 Klemm 1994, S. 14f.

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wissenschaftlichen Wert hätten, sondern das Fundament für die angewandte Botanik (wozu er Düngelehre, Züchtung, Ackerbau etcetera zählte) bilden würden. Der Forschungsdienst sei genau aus diesem Grund dazu ins Leben gerufen worden, um der deutschen Landwirtschaft das Rüstzeug für die „Erzeugungsschlacht“212 und den zweiten Vierjahresplan zu geben. In diesem Kontext seien ihm und seinen Mitarbeitern Forschungsarbeiten für den praktischen Pflanzenanbau übertragen worden. Hiermit war Schratz gemeint, der 1936 seine Arbeiten im Auftrag Mevius’ im Rahmen von dessen Arbeitskreis durchgeführt hatte.213 Darüber hinaus sei Mevius, neben der erwähnten Gründung seines Arbeitskreises, von Meyer noch zum Vertrauensmann für Botanik ernannt worden. Dies stelle eine große Zusatzbelastung dar. Solle sein Antrag auf die Assistentin daher erneut abgelehnt werden, müsse er seine Mitarbeit beim Forschungsdienst und für den Vierjahresplan aufgeben.214 Dieses Mal zog Mevius’ Argumentation. Am 2. Februar 1938 wurde der Antrag genehmigt.215 Sein Einsatz für das Regime hatte sich für das Botanische Institut der Universität Münster ausgezahlt. Somit bietet dieser Vorgang ein gutes Beispiel für das Konzept von Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander. Während das Regime von der Arbeit der Wissenschaftler für seine eigenen politischen Zwecke profitierte, gewannen die Forscher ihrerseits Fördermittel, Forschungsthemen und nicht zuletzt Prestige als wichtige Stützen des Staates. Neben der engeren Verknüpfung der Mitarbeiter des Instituts mit außeruniversitären, an nationalsozialistischer Politik ausgerichteten Stellen sollte das Jahr 1936 eine weitere wichtige strukturelle Veränderung am Institut einleiten, die ebenfalls eng mit der Blut und Boden-Ideologie des Regimes verbunden war. Nach Jahren der Ruhe geriet nämlich ein weiterer Botaniker ins Fadenkreuz der Machthaber. Am 30. November des Jahres wandte sich der Kurator mit einem Schreiben an den Rektor. Auf Veranlassung des REM wolle er nachfragen, ob der Abteilungsleiter am Institut, Hannig, im Dienst bleiben oder nach § 6 des BBG in den Ruhestand versetzt werden solle. Dieser Paragraph bestand lediglich aus zwei Sätzen und stellte de facto eine Generalklausel dar: „Zur Vereinfachung der Verwaltung können Beamte in den Ruhestand versetzt werden, auch wenn sie noch nicht dienstunfähig sind. Wenn Beamte aus diesem Grunde in den Ruhestand versetzt werden, so dürfen ihre Stellen nicht wieder besetzt werden.“

Was war geschehen, dass Hannig, der inzwischen 64 Jahre alt war und seit 14 Jahren in Münster ein persönliches Ordinariat inne hatte, plötzlich gefährdet war? Der sich anschließende Schriftwechsel der Universitätsleitung mit dem Ministerium 212

213 214 215

Das vorrangige Ziel der Erzeugungsschlacht, deren Konzept 1934 von Herbert Backe entwickelt wurde, war die Herstellung der Unabhängig des Deutschen Reiches von Nahrungsmittelimporten vor allem im Hinblick auf einen bevorstehenden Krieg, siehe hierzu: Schmitz-Berning, Cornelia, Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2000, S. 210–212. BAB, R 73, Nr. 14512, Schratz an DFG, 19.1.1937. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 1.6.1937. Ebd., REM an Mevius, 2.2.1938.

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gibt darüber Klarheit. Hannig war nach Diktion der Nationalsozialisten „jüdisch versippt“, da er mit einer Jüdin verheiratet war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte dies offenbar noch kein Problem dargestellt. Die Gründe für den plötzlichen Aktionismus müssen daher unklar bleiben. Am 11. Dezember 1936 antwortete Rektor Hugelmann auf die Anfrage des Kurators. Sein Verhalten im Fall Hannig beweist einmal mehr, dass pauschale Urteile über die Einflussnahme der NS-Herrschaft auf die universitäre Selbstverwaltung unmöglich sind. Gleichzeitig wird, im Vergleich mit dem Verhalten seines Nachfolgers, deutlich, wie breit der Handlungsspielraum der Entscheidungsträger auf Seiten der Wissenschaft im Rahmen von Verfolgungsmaßnahmen tatsächlich war, und dass generelle Nachkriegsverweise auf eine dem Befehlsnotstand vergleichbare Situation, unter der man an solchen Aktionen habe teilnehmen müssen, falsch sind. Der Rektor sprach sich nämlich gegen eine Entlassung Hannigs aus. In Absprache mit dem Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Kratzer, bat er dringend darum, von einem Vorgehen nach § 6 BBG abzusehen. Hierzu führte er zwei Gründe an. Zum einen sei der Abteilungsleiter ohnehin am 1. August 1937 zu entpflichten. Zum anderen sei er durch seine Ehe mit einer Jüdin bereits schon genügend gestraft: „Prof. Hannigs Loyalität ist zweifellos. Er hat s. Zeit seine Ehe sicher unter dem Einfluss der damals fast allgemeingültigen Auffassung geschlossen und leidet schwer unter der dadurch gegebenen Lage.“216

Außerdem wüssten er und seine Frau, wie sie sich dem neuen Regime gegenüber angemessen zu verhalten hätten. So vermeide Frau Hannig taktvoll jedes Hervortreten. Hinzu kämen noch weitere Belastungen. So müsse er seine Söhne, „bei denen, wie mir erzählt wird, die vom Vater übermittelte nordische Erbmasse in auffallender Weise überwiegt“,217 unter schwersten Opfern aufgrund von NS-Bestimmungen im Ausland erziehen lassen. Ein Vorgehen nach § 6 BBG wäre gerade mit Rücksicht darauf und aufgrund dessen, dass er nur das Gehalt eines außerordentlichen Professors bezöge, eine unabsehbare Katastrophe und würde ihn seelisch zugrunde gehen lassen. „Da es sich, wie gesagt, nicht einmal um 1 Jahr handelt, glaube ich das Abwarten dieser kurzen Zeit vertreten zu können und zu müssen.“218

In seiner Stellungnahme an das REM schloss sich der Kurator den Ausführungen des Rektors voll und ganz an: „Der mit der Versetzung in den Ruhestand jüdisch versippter Beamter beabsichtigte Zweck wird also im vorliegenden Fall in aller Kürze erreicht, ohne den § 6 des BBG anzuwenden.“219 216 UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Rektor an Kurator, 11.12.1936. 217 Ebd. 218 Ebd. 219 Ebd., Kurator an REM, 5.2.1937.

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Im Übrigen habe der Leiter der Dozentenschaft an der Universität Münster Hannig als „wirklich anständigen Charakter bezeichnet“.220 Und tatsächlich hatte die Universitätsleitung mit ihrer Argumentation Erfolg. Am 26. Juni 1937 wurde Hannig regulär vom REM mit Erreichen der Altersgrenze zum 1. Oktober 1937 von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden.221 Hannig kam in diesem Fall eine Kombination aus verschiedenen Faktoren zu Gute. Zum einen war er „Arier“, zum anderen innerhalb der Hochschullehrerschaft beliebt. Nicht zuletzt sprach für ihn sein hohes Alter. Es wäre daher auch verfehlt, diese Angelegenheit als irgendwie gearteten Widerstand gegen das NS-Regime zu missdeuten. Ganz im Gegenteil ging die Universitätsführung mit dem Ziel der Nationalsozialisten, die Universität Münster von allem Jüdischen zu säubern, d’accord. Lediglich der Weg, auf dem man zu diesem Ziel kam, war verhandelbar. Dass Hannigs Entpflichtung auch von der Universität selbst in diesen Kontext eingeordnet wurde, belegt ein Schriftstück vom 15. Februar 1937. Diese „Nachweisung über am 1. April 1933 im Dienst befindliche Hochschullehrer und Assistenten jüdischer Abstammung und aufgrund des BBGs ausgeschiedene Arier“ listet neben von Ubisch (mit dem Vermerk „Vierteljude“) und Heilbronn (mit dem Vermerk „Volljude“) auch Hannig (mit dem Vermerk „Ehefrau Volljüdin“) auf.222 Der Handlungsspielraum der Universität Münster, genauer seine unterschiedliche Ausgestaltung, sollte sich auch im weiteren Umgang der Universität mit Hannig in den folgenden Jahren deutlich zeigen. Denn auch über seine Emeritierung hinaus blieb der Botaniker abhängig von Entscheidungen der Universität. Im April 1938 zum Beispiel stellte er einen Antrag beim Rektor (inzwischen war sein ehemaliger Vorgesetzter Mevius in diesen Posten aufgestiegen), um die Erlaubnis zu erhalten, vom 17. bis zum 30. Juli 1938 an einem Kursus für Alpenbotanik in Davos/Schweiz teilzunehmen. Seine Begründung war zugleich wissenschaftlich wie regionalpolitisch gestellt. So sei für die Provinz Westfalen eine vollständige pflanzensoziologische Kartierung der Vegetation im Rahmen der Raumforschung geplant, für dessen Leitung Hannigs Schüler Richard Büker in Aussicht genommen sei. Dieser solle die Arbeit in Verbindung mit dem Botanischen Institut durchführen. Um eine sachgemäße Durchführung zu gewährleisten, müssten neueste Methoden von den in dieser Hinsicht führenden Schweizern erlernt werden, weswegen also auch Büker einen Antrag auf Zulassung stellen werde. Gleichzeitig bat Hannig um die Freigabe von 220 Schweizer Franken zur Deckung der Kosten.223 Mevius teilte daraufhin dem Kurator mit, dass er, genau wie der Leiter der Dozentenschaft, trotz der „jüdischen Versippung“ Hannigs keine Bedenken habe und den Antrag befürworte. Der Botaniker sei rein wissenschaftlich orientiert und wer220 221 222 223

UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1. Ebd., REM an Hannig, 29.6.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 863, Vermerk, 15.2.1937. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Hannig an Rektor, 11.4.1938.

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de sonst in keinster Weise hervortreten.224 Einen ähnlichen Inhalt hatte auch sein diesbezügliches Schreiben an das REM vier Tage später. Mit ihm überreichte er die genannten Anträge und fügte hinzu, dass besagte Kartierung der Provinz im Auftrag der Gesellschaft für Raumforschung225 vom Botanischen Institut zusammen mit dem Naturkundemuseum durchgeführt würde. Auch über Büker wusste er nur Positives zu berichten. Gegen ihn gebe es in politischer Hinsicht keine Bedenken, er sei schon vor 1933 in der HJ gewesen, war lange Zeit Fachschaftsleiter für Biologie in der Studentenführung und sei vor einigen Wochen promoviert worden.226 Eine Antwort auf dieses Schreiben ist nicht überliefert. Auch in der Folgezeit konnte Hannig auf die Unterstützung der Universität Münster zählen. Hierzu ein weiteres Beispiel: Ende 1938 entschloss er sich, in die Niederlande überzusiedeln, da seine Frau dort Verwandte hatte und auch seine Söhne dort studierten. Offenbar war der Druck, den die antisemitische Politik des Regimes aufgebaut hatte, zu groß geworden. Am 20. Dezember des Jahres beantragte er daher beim REM die Erlaubnis, seine Wohnung für längere Zeit dorthin verlegen zu dürfen.227 Der Rektor, über dessen Schreibtisch die Bitte auf dem Dienstweg gehen musste, befürwortete den Antrag und begründete ihn, wie schon Anträge zuvor, mit dem Verhalten der Familie und ihrem schweren Schicksal. Nicht nur hätten die Franzosen den Botaniker 1918 innerhalb von 24 Stunden aus Straßburg vertrieben, auch seien zwei Brüder von Frau Hannig als Frontkämpfer gefallen.228 Kurz darauf genehmigte dann auch das REM den Antrag, legte aber fest, dass die Bezüge Hannigs von nun an auf ein Sonderkonto, welches nichts anderes als ein Sperrkonto war, auf das nur mit Genehmigung zugegriffen werden konnte, überwiesen würden.229 Bis hierhin hatte die Universität ihren Angehörigen also unterstützt. Auch das REM hatte stets positiv auf Anfragen reagiert. Selbst im Krieg setzte sich dieses Verhalten fort. Als Hannig im Dezember 1939 die Mitgliedschaft in der HolländischBotanischen Gesellschaft angeboten wurde, bat der Rektor beim REM darum, Hannig die Erlaubnis zu erteilen, das Angebot anzunehmen, da die Gesellschaft rein fachwissenschaftlich ausgerichtet sei und ihr seit ihrer Gründung Reichsdeutsche angehört hätten.230 Das Ministerium folgte der Bitte und erteilte eine Genehmigung.231 Als Hannig schließlich darum bat, die Wohnerlaubnis in den Niederlan224 225 226 227 228 229 230 231

Ebd., Rektor an Kurator, 22.4.1938. Es ist anzunehmen, dass Mevius hiermit die Münstersche Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung unter der Leitung des Ordinarius für Geographie, Hans Dörries, meinte. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Rektor an REM, 26.4.1938. Ebd., Hannig an REM, 20.12.1938. Ebd., Kommentar Mevius, 22.12.1938. Ebd., REM an Kurator, 15.2.1939. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Rektor an REM, 13.12.1939. Ebd., REM an Hannig, 17.1.1940.

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den über den 31. März 1941 hinaus zu verlängern,232 beschied das REM auch diese Anfrage positiv und verlängerte die Erlaubnis in der Folgezeit auch turnusmäßig.233 In diese Routine der Großzügigkeit ragte jedoch wie ein Keil ein Vorgang aus dem Frühjahr 1939, der erneut die Unvorhersehbarkeit universitären Handelns und, vor allen Dingen, die zwei Gesichter des Walter Mevius illustriert. Setzte er nämlich, solange die Sachlage unpolitisch war, auf Zugeständnisse, so zeigte sich andererseits sein Antisemitismus, sobald politische Bereiche tangiert wurden. Am 19. April 1939 teilte Mevius dem Kurator mit, dass Hannig nach Amsterdam übersiedle. Damit würden gewisse Fragen aufgeworfen, da es einen Erlass vom 6. August 1937 gäbe, nachdem entpflichtete „jüdisch versippte“ Hochschullehrer nicht mehr im Personal- und Vorlesungsverzeichnis einer Universität geführt werden dürften. Hannig hätte ihn nun gebeten, dennoch weiter geführt zu werden, da er ein Zimmer in Münster behalte, um wissenschaftliche Arbeiten durchzuführen. Nach Mevius Ansicht sei dies aber aus zwei Gründen unmöglich. So wäre Hannig wahrscheinlich schon vor seiner Emeritierung aufgrund von § 6 BBG in den Ruhestand versetzt worden und hätte danach nicht mehr im Vorlesungsverzeichnis geführt werden dürfen. Jetzt, wo er ins Ausland ginge, könne er auf keinen Fall mehr geführt werden. Außerdem müssten ihm, falls er weiter im Vorlesungsverzeichnis geführt würde, von Seiten der staatlichen akademischen Verwaltung alle für die Dozenten bestimmten Verordnungen zugestellt werden. Da er aber in den Niederlanden stets mit der jüdischen Sippe seiner Frau zusammen sei, bestehe die Gefahr, dass diese von internen Angelegenheiten der Universität etwas erfahren könnte, dessen Kenntnis im Ausland unerwünscht, wenn nicht sogar gefährlich wäre. Daher bitte er darum, ihn (also Mevius) anzuweisen, Hannig nicht mehr im Verzeichnis zu führen und anzuordnen, dass diesem keine der genannten Verordnungen mehr zugestellt würden.234 Der Vorgang ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Zum einen zeigt er die Grenzen auf, an die die Solidargemeinschaft der Universität stieß, sobald einem ihrer Mitglieder ein wie auch immer gearteter Makel, und sei es nur eine jüdische Ehefrau, anhaftete. Die traditionellen Rechte eines Emeritus reichten auch im Falle eines „Ariers“ nur soweit, bis sie mit dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zusammenstießen. Zum anderen belegt der Vorgang ein antisemitisches Weltbild Mevius’, in dem „der Jude“, völlig losgelöst von der individuellen Person, qua „Rasse“ Teil einer internationalen Verschwörung war, die den Deutschen Schaden zufügen wolle und die es, und sei es durch die Einbehaltung von belanglosen Universitätsverordnungen, zu bekämpfen galt. Der Botaniker hätte genauso gut eine gegenteilige Entscheidung treffen könnten – wie er es Jahre zuvor getan hatte, als er die „jüdische Versippung“ Hannigs als unerheblich einstufte. Warum er es inzwischen nicht mehr tat, und dies ohne Zwang, muss offen bleiben. 232 233 234

Ebd., Rektor an REM, 28.12.1940. Ebd., REM an Hannig, 23.1.19471. Ebd., Bd. 1, Rektor an Kurator, 19.4.1939.

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Abschließend soll an dieser Stelle noch kurz das weitere Schicksal Hannigs dargestellt werden. Der Botaniker und seine Frau überlebten Krieg und Holocaust in den Niederlanden. Als nach 1945 der neue Kurator die Belange der Universität Münster ordnete, teilte er der Reichsbankstelle Münster mit, dass Hannig 1937 aus politischen Gründen emeritiert worden war235  – eine Aussage, die zwar sachlich nicht völlig richtig war, aber den Motivationen der damaligen Machthabern und auch der Universität entsprach. Durch einen Erlass der Militärregierung, welcher die Zahlung von Bezügen an im Ausland lebende deutsche Beamte untersagte, geriet die Universität jedoch in die peinliche Situation, einem Opfer des Nationalsozialismus seine ihm zustehenden Gelder nicht auszahlen zu können.236 Daher fragte der Kurator Anfang 1948 bei Hannig an, ob ihm eine Rückkehr nach Deutschland zumutbar erscheine.237 Die Antwort des Botanikers vom 17. März 1948 offenbarte schließlich die ganze Tragödie, zu der sich die Verfolgung der Nationalsozialisten für die Familie Hannig auch in den Niederlanden entwickelt hatte. Zunächst führte er aus, dass er inzwischen 76 Jahre alt sei und schon deshalb nicht mehr zurückkehren könne. Dann offenbarte er, dass sein jüngster Sohn 1943 wegen Hilfeleistung für Juden und andere bedrohte Personen in Schutzhaft genommen und in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert worden sei. Ende Januar 1945 sei er mit anderen Häftlingen vom Lager Gleiwitz II in Richtung Bergen-Belsen transportiert worden, wobei die Gefangenen während der 14-tägigen Reise weder Wasser noch Nahrung erhalten hätten. An den Folgen dieser Behandlung sei sein Sohn gestorben. Er und seine Frau wollten sich aus diesem Grund für die wenigen ihnen noch verbleibenden Jahre nicht mehr von der Familie des übrig gebliebenen älteren Sohnes trennen.238 Kurator und Rektor bemühten sich daraufhin weiter darum, die Zahlungen an Hannig zu ermöglichen.239 In die Verhandlungen schaltete sich überraschenderweise auch Mevius ein, welcher inzwischen einen Lehrstuhl in Hamburg übernommen und mit dem Hannig in seiner Not Kontakt aufgenommen hatte. In der ihm eigenen Art, in der er schon die Vertreibung von Ubischs im Nachhinein in einem anderen Licht darzustellen versucht hatte, griff der ehemalige NS-Rektor nun die neuen politischen Verantwortlichen scharf an und versuchte gleichzeitig, sein Handeln gegenüber Hannig als besonders ehrenhaft darzustellen. So sei dieser damals, obwohl „jüdisch versippt“, bis zur Erreichung der Altersgrenze am Lehrstuhl verblieben und dann emeritiert, nicht pensioniert worden.240 Ebenso sei er nicht als Emigrant ins Ausland gegangen und habe als Emeritus am Institut weitergearbeitet. Da sei235 236 237 238 239 240

UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 1, Kurator an Reichsbankstelle Münster, 7.10.1945. Ebd., Kurator an Militärregierung, 20.11.1945. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 2, Kurator an Hannig, 28.2.1948. Ebd., Hannig an Kurator, 17.3.1948. UAMs, Bestand 5, Nr. 300, Rektor an Kurator, 22.10.1948, sowie Kurator an Rektor, 8.11.1948. „emeritiert“ und „pensioniert“ im Original unterstrichen.

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ne Kinder nicht hätten in Deutschland studieren können und die Gefahr bestand, dass seine Frau „bei Verschärfung des antisemitischen Kurses“241 verhaftet werden würde, habe er auf Antrag der Universität 1939 vom REM die Erlaubnis erhalten, nach Amsterdam überzusiedeln – es klang ganz so, als habe die Universität Hannig durch ihre Intervention gerettet. Die größte Realitätsverdrehung hob sich der ehemalige Ordinarius aber für den Schluss seines Briefes auf: „Der nationalsozialistische Staat bewilligt dem Prof. Hannig, obwohl er mit einer Nichtarierin verheiratet ist, seine Übersiedlung nach Amsterdam, unter Fortzahlung seiner vollen Bezüge. Der heutige Staat, der es als seine vornehmste Aufgabe betrachtet, Ungerechtigkeiten, die aus politischen beziehungsweise rassischen Gründen vom früheren Staat begangen worden sind, wiedergutzumachen, stellt die Zahlung der Bezüge […] ein.“242

Dass es die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten war, die Hannig und seine Familie erst in die Niederlande trieb und dann zur Ermordung seines Sohn führte, dass seine Bezüge auf ein Sperrkonto gezahlt wurden und ihm nicht frei zur Verfügung standen, und dass nicht zuletzt Mevius selbst als Handlanger des Regimes dessen antisemitische Politik ausführte und in Einzelfällen verschärfte – all dies spielte keine Rolle. Mevius’ verschobene Wahrnehmung sollte sich auch in anderen Verfolgungsfällen der Universität Münster, die an späterer Stelle besprochen werden, noch zeigen. Anfang 1949 hatten sich die Zahlungsschwierigkeiten schließlich gelöst, und Hannig erhielt wieder Bezüge.243 Der Botaniker konnte danach noch einige Jahre mit seiner Familie verbringen. Er verstarb am 5. September 1955 in Amsterdam. Wie schon im Falle Heilbronns verlor die Universität Münster in Hannigs Todesanzeige kein Wort über seine Verfolgung.244 Auch hier sollte es bis zur Senatsentscheidung des Jahres 2000 dauern, ehe man sich dazu äußerte. Wie bereits erwähnt, deuteten sich mit der Frage nach dem Status Hannigs und seiner näher heranrückenden Emeritierung in den späten 1930er-Jahren Überlegungen zur personellen Neuorganisation am Botanischen Institut an. Das Jahr 1937 sollte daher nicht nur eine Umstrukturierung auf dieser Ebene mit sich bringen, sondern auch in Bezug auf die Forschungsinhalte der Mitarbeiter Weichen bis in die 1960er-Jahre stellen. Zunächst spiegelte die Entwicklung des Jahres 1937 aber die Vorjahre wider. Ernährungsphysiologische Untersuchungen machten weiterhin die Hauptarbeit am Institut aus.245 In anderen Bereichen gab es hingegen Veränderungen. Die allgegenwärtige Raumnot wurde durch kleinere Ausbauten gelindert,246 und auch bei der Finanzierung des Instituts deuteten sich positive Entwicklungen an. Wie bereits erwähnt genehmigte man Mevius Geld für eine technische Assisten241 242 243 244 245 246

UAMs, Bestand 5, Nr. 300, Mevius an Rektor, 6.12.1948. Ebd., Mevius an Rektor, 6.12.1948. UAMs, Bestand 10, Nr. 2482, Bd. 2, Kultusministerium NRW an Kurator, 23.3.1949. UAMs, Bestand 5, Nr. 300, Todesanzeige der Universität Münster, 8.9.1955. BAB, R 4901, Nr. 14280, Vermerk, 12.1.1937. Ebd., Vermerk, 6.2.1937.

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tin. Ebenso hatte sein Kampf um eine Erhöhung des Institutsetats endlich, wenn auch nur teilweise, Erfolg, denn am 2. Februar 1938, am selben Tag, an dem die Assistentin gestattet wurde, genehmigte das REM eine Erhöhung der Mittel um 1.000 RM.247 Auch wenn dafür in den Akten keine Belege zu finden sind, so ist es plausibel, anzunehmen, dass dieser Umschwung in der Praxis des REM mit einer weiteren Postenübernahme des Ordinarius zu tun hatte. Am 24. März 1937 wurde der Jurist Hugelmann auf eigenen Antrag zum 31. März des Jahres vom Amt des Rektors der Universität Münster entbunden. Gleichzeitig wurde Mevius zum 1. April 1937 zu seinem Nachfolger ernannt.248 Damit war er, rein nominell, zum „Führer“ der Universität Münster aufgestiegen.249 Um in diese Position gelangen zu können, hatte sich der Botaniker politisch profilieren müssen. Schon 1933 war er dem NSLB beigetreten. Ebenso war er mit der Mitgliedsnummer 106483 Förderndes Mitglied der SS geworden.250 1937, parallel zu seiner Ernennung, vervielfachten sich seine Aktivitäten. Mevius trat der NSDAP (1. Mai 1937, Mitgliedsnummer 4565102), dem NSDDB und der NS-Studentenkampfhilfe bei.251 Später im Jahr wurde er zur Teilnahme an der Kulturtagung des Reichsparteitages der NSDAP eingeladen.252 Seine Rolle als Rektor sollte es dem Ordinarius in der Folgezeit gestatten, von zwei verschiedenen Posten aus Einfluss vor allem auf die personelle Entwicklung des Botanischen Instituts zu nehmen. Sein erstes Betätigungsfeld war hierbei die Personalie Roberg. Ihn ließ der Botaniker aus politischen Gründen von der Universität Münster nach Breslau versetzen.253 247 248 249

250 251 252 253

BAB, R 4901, Nr. 14280, REM an Mevius, 2.2.1938. BAB, ehemals BDC, A 0046, REM an Hugelmann, 24.3.1937, bzw. REM an Mevius, 24.3.1937. Eine ausführliche und detaillierte Auseinandersetzung mit der Rolle Mevius’ als Rektor der Universität Münster ist im Rahmen dieser Arbeit aus Platzgründen nicht möglich. Daher wird darauf nur punktuell, insbesondere wenn sich seine diesbezüglichen Aufgaben mit seiner Arbeit als Ordinarius überschneiden, eingegangen werden. Zurzeit arbeitet Kristina Sievers im Rahmen ihres Dissertationsprojektes am Historischen Seminar der Universität Münster zur Rolle der Kuratoren und Rektoren der Universität Münster von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik. Offene Fragen werden dort ihre Beantwortung finden. Er trat dort, ebenso wie bei der Studentenkampfhilfe, 1939 wieder aus. Siehe: BAB, ehemals BDC, A 0046. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Personalbogen, undatiert, nach 1939. Ebd., Kurator an Universitätskasse, 4.9.1937. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel IV. Über Robergs weitere Karriere ist wenig bekannt. 1944 wurde er als Oberfeldapotheker zum Wehrdienst eingezogen. Er überlebte den Krieg und wurde trotz seiner vielfachen NS-Mitgliedschaften 1948 in Kategorie IV ohne Vermögenssperre, nach Beibringung eines „Persilscheins“ des ehemaligen Gärtners am Botanischen Institut schließlich sogar in Kategorie V eingestuft. Dazu beigetragen hatte nicht zuletzt Robergs Aussage, er habe mit Familie Hannig verkehrt. Die Tatsache, dass er aus politischen Gründen aus Münster wegversetzt worden war, blieb ihm unbekannt. Siehe: LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Roberg, NW 1099, Nr. 13038, Fragebogen.

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3.  Das Ordinariat Mevius 1935 bis 1944/45

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Damit hatte der für den Bereich Pharmakognosie bestqualifizierte Mitarbeiter das Institut auf Bestreben des Ordinarius (in seiner Rolle als Rektor) verlassen. Rein fachlich ist dieser Vorgang nicht nachzuvollziehen. Erst in Kombination mit einer weiteren Personalentscheidung Mevius’ bietet sich eine Erklärung für diese Entwicklung an. Mit Schratz hatte der Botaniker nämlich einen anderen Kandidaten für die Übernahme der Pharmakognosie in Stellung gebracht. Schratz hatte sich, wie bereits erwähnt, 1936 der RfH angeschlossen, interessanterweise ohne sich vorher in seinen Forschungsarbeiten oder seinen Lehrinhalten mit dem Thema Pharmakognosie beschäftigt zu haben. Zu Beginn des Jahres 1937 hatte sich seine Stellung diesbezüglich noch weiter verbessert: Von der Gauleitung war ihm die Organisation des Anbaus der deutschen Heilpflanzen übertragen worden.254 Diese Vernetzung kam auch unmittelbar dem Botanischen Institut zu Gute. Als im Februar 1937 das REM, ohne Zweifel im Hinblick auf eine verstärkte Autarkiepolitik in einem kommenden kriegerischen Konflikt, verfügte, dass die Botanischen Gärten der deutschen Universitäten ihre Nutzpflanzensortimente erweitern sollten, konnte Mevius diesen Umstand als Ressource einsetzen. So befürwortete der Ordinarius diese Entscheidung und regte eine Erweiterung des Gartens auf ein Gelände zwischen Westring und Hittorfstraße255 an. Dies sei aus mehreren Gründen wünschenswert. Zum einen sei so die Schaffung des von den Pharmakologen geforderten Heilpflanzengartens möglich, welcher aufgrund der gestiegenen Bedeutung der heutigen deutschen Heilpflanzenkunde und der dadurch möglichen Deviseneinsparungen im Rahmen der Autarkiebestrebungen nötig sei. Zum anderen sei für Schratz’ Tätigkeiten für die Gauleitung ein solcher Garten, auch als Schulungsort, notwendig.256 Somit sollte der Garten eine weitere Klammer zwischen Universität und außeruniversitären Institutionen darstellen. Als Hannig schließlich zum 1. Oktober 1937 emeritiert wurde und damit das Themenfeld Pharmakognosie, welches dieser seit seiner Berufung nach Münster 1922 betreut hatte, zum Wintersemester 1937/38 frei wurde, konnte mit Schratz ein Wissenschaftler mit besten Verbindungen zur Politik, zu außeruniversitären Einrichtungen und gleichzeitig als Protegé des Ordinarius für Botanik in diese Lücke gesetzt werden. Ab dem 1. November 1937 übernahm er Hannigs alte Lehrveranstaltungen sowie die Ausbildung der Studierenden in Pharmazie und Pharmakognosie und wurde dafür vollständig von seinen Pflichten als Assistent entbunden.257 Sein eigentliches Lehrgebiet, die Vererbungskunde, welche er von Heilbronn über254 255 256 257

LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kommentar Mevius zur Verfügung des REM zur Erweiterung der Nutzpflanzensortimente der Botanischen Gärten vom 17.2.1937, 16.3.1937. Hier befindet sich heute die Pharmazeutische Biologie der Universität Münster. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kommentar Mevius zur Verfügung des REM zur Erweiterung der Nutzpflanzensortimente der Botanischen Gärten vom 17.2.1937, 16.3.1937. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Mevius an REM, 17.1.1938.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

nommen hatte, behielt er noch bis zum Sommersemester 1938 bei, danach wurde es von einem neuen Mitarbeiter wahrgenommen.258 Hatte er 1933 von der Ausschaltung Heilbronns profitiert, war es nun die Emeritierung Hannigs sowie die von Mevius betriebene Versetzung Robergs, die ihm die Tür öffnete. Schratz’ Karriere an der Universität Münster sollte schließlich bis 1968 dauern. Der Botaniker kann als wichtigster Protagonist der Pharmakognosie in Münster bezeichnet werden. In den 30 Jahren seiner diesbezüglichen Tätigkeit baute er nicht nur ein eigenständiges Institut auf, sondern prägte Forschungs- und Lehrinhalte sowie die Repräsentation des Fachgebietes nach außen. In Schratz’ Laufbahn finden sich dabei viele Elemente wieder, die ihm Rahmen dieser Arbeit für die Biologie in Münster untersucht werden: eine intensive welchselseitige Ressourcenmobilisierung von Wissenschaft und Politik, die Einbindung in universitätsexterne Netzwerke, Aufstiegsprozesse von Nachwuchsforschern im Nationalsozialismus, Verstrickung in NS-Verbrechen, Merkmale von ideologischer Kohärenz und instrumenteller Vernunft sowie eine selbst betriebene Legendenbildung nach dem Krieg. Obwohl diese Elemente schwerpunktmäßig im dritten Teil dieser Untersuchung behandelt werden, rechtfertigt das Beispiel Schratz einen zusammenhängenden Narrativ. Daher soll seine Laufbahn und damit gleichzeitig die Geschichte der Pharmakognosie in Münster in Form eines Exkurses dargestellt werden. Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster Die Geschichte der Pharmakognosie259 in Münster reicht bis in das späte 19. Jahrhundert zurück. Bereits 1881 wurden unter Anton Karsch erste Vorlesungen zu Gift- und Arzneigewächsen abgehalten. Auch unter seinen Nachfolgern Oskar Brefeld und Wilhelm Zopf wurden pharmakognostische Veranstaltungen angeboten, wobei Ausrichtung und organisatorische Zuordnung zwischen Botanik, Pharmazie und Chemie wechselten. Seit der Neugründung der Universität im Jahre 1902 wurde der Unterricht dann verstärkt ausgebaut. So gab es ab 1906 regelmäßige „Mikroskopische oder allgemeine Untersuchungen von Drogen und Drogenpulvern“260 und ein Kolleg „Pharmakognosie“. Hierfür waren zunehmend die Assistenten am Botanischen Institut, unter ihnen Friedrich Bitter und Alfred Heilbronn, und der damalige Abteilungsvorsteher Friedrich Tobler zuständig.261 Nach dem Ende des 258 259

Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1937/38 und Sommersemester 1938. Im Folgenden werden die Begriffe Pharmakognosie und Pharmazeutische Botanik als Synonyme füreinander benutzt, obwohl es rein fachlich gesehen Unterschiede zwischen den beiden gibt. Dies liegt darin begründet, dass auch die beteiligten Personen im zeitgenössischen Schriftgut keine Unterscheidung zwischen beiden machten. 260 Weiling, Franz, Die Entwicklung der Pharmakognosie an der Westfälischen WilhelmsUniversität zu Münster, in: Deutsche Apotheker-Zeitung 106 (1968), S. 1798–1804, hier: S. 1802. 261 Ebd.

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Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster

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Ersten Weltkriegs wurde dann 1919 ein erster Antrag auf Umwandlung der Abteilungsvorsteherstelle in eine etatmäßige außerordentliche Professur, auf der sich Tobler vor allem der Pharmakognosie widmen sollte, beim Wissenschaftsministerium gestellt. Diese Pläne verliefen jedoch im Sande. Toblers Nachfolger Emil Hannig übernahm schließlich neben der Stelle seines Vorgängers 1922 auch dessen Lehrveranstaltungen, so dass es eine ungebrochene Kontinuität pharmakognostischer Forschung und Lehre bis in die späten 1930er-Jahre gab. 1937 übernahm dann, wie dargestellt, Schratz den entsprechenden Lehrauftrag. Dass diese Entwicklung keinem Zufall entsprang, sondern von Mevius langfristig gesteuert worden war, lässt sich anhand eines Vorgangs aus dem Jahr 1936 belegen, der bereits kurz erwähnt wurde. Schon ein Jahr zuvor hatte Mevius die alten Pläne zur Schaffung eines Extraordinariats für Pharmakognosie im Rahmen seiner Berufungsverhandlungen wieder aufleben lassen. Dieser Vorstoß wurde jedoch abgelehnt. 1936 wandte sich der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät dann erneut mit einem Antrag, den er fast wortwörtlich von Mevius übernommen hatte, an das REM.262 Wie im Jahr zuvor führte er eine Reihe fachwissenschaftlicher Gründe für die Notwendigkeit eines Extraordinariats an. So verlange die neue Prüfungsordnung für Apotheker vom 8. Dezember 1934 unter anderem einen erheblichen Ausbau der pharmakognostischen Ausbildung. Vom Direktor allein sei diese aber nicht zu leisten. Daneben traten nun aber auch explizit politische Gründe.263 So unterstreiche nämlich die Tatsache, dass der Vertreter der Pharmakognosie in Münster Arzneipflanzenanbau und -züchtung im Gau Westfalen zu organisieren und überwachen habe, die Wichtigkeit des Antrags. Hiermit meinte Mevius bereits zu diesem Zeitpunkt also eindeutig Schratz, und nicht etwa den offiziell noch mit Pharmakognosie befassten Hannig oder den von Mevius noch hinauszudrängenden, fachlich besser qualifizierten Roberg. Die Entwicklungen des Jahres 1937 nahmen daher bereits 1935 ihren Ausgang. Zunächst erhielt die Universität jedoch über mehrere Monate keine Antwort aus Berlin. Ende Juni 1937 hakte Mevius daher noch einmal beim zuständigen Regierungsrat im REM nach, wie es um die Anfrage stünde.264 Kurz darauf dann die ernüchternde Replik: man könne aus Erwägungen grundsätzlicher Art einer Streichung des „kw“ nicht zustimmen.265 Mevius ließ jedoch nicht locker. Bereits einen Monat später versuchte er in einem anderen Zusammenhang erneut Werbung für seine Pläne zu machen. Anknüpfungspunkt hierfür waren Versuche innerhalb der pharmazeutischen Chemie, nicht nur die chemischen Teile der Prüfungsordnung, sondern auch die physikalischen, pharmakognostischen und sterilisationstechnischen Bereiche am 262 263 264 265

UAMs, Bestand 62, D 21, Mevius an Dekan, 3.12.1936. Vgl. für das Folgende: UAMs, Bestand 62, D 21, Dekan an REM, 4.12.1936. BAB, R 4901, Nr. 14893, Mevius an Albersmann, 21.6.1937. UAMs, Bestand 62, D 21, REM an Kurator, Dekan, 29.6.1937.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

eigenen Institut durchzuführen. Mevius’ Ansicht nach widerspreche dies dem Sinn eines Hochschulstudiums und lasse den Ausbildungsgang der Apotheker Gefahr laufen, zu einem Fachhochschulstudium zu werden. Falls dies von den Apothekern so gewollt würde, dann sollten sie die Universität auch verlassen. Da aber erst einige Jahre zuvor ein sechssemestriges Studium eingeführt worden sei, könne dies wohl kaum der Fall sein. Mevius nach sollte die Ausbildung der Studenten in einem bestimmten Fach bei demjenigen Professor erfolgen, der dieses Fach beziehungsweise Fachgebiet in Lehre und Forschung vertrete. Die Pharmakognosie zum Beispiel baue auf der Allgemeinen Botanik auf und habe sich mit lebenden Arznei- und Drogenpflanzen zu befassen. Auf keinen Fall gehöre sie an ein pharmazeutischchemisches Institut, sondern, falls kein eigenes Institut für Pharmakognosie vorhanden sei, an eine besondere Abteilung des Botanischen Instituts, wie es ja auch aktuell an den meisten Hochschulen Deutschlands üblich sei.266 Neben der Relevanz für die Bestrebungen Mevius’ macht diese Auseinandersetzung in einem größeren Kontext erneut auch die Mechanismen deutlich, mit denen innerhalb der Biologie auf die Diversifizierung des Forschungsgebietes und den drohenden Verlust der Möglichkeit zur inhaltlich-fachlichen Diskursbestimmung reagiert wurde: durch hartnäckige Beanspruchung von traditionell der eigenen Domäne zugerechneten Forschungszweigen gegenüber den Bestrebungen der Nachbardisziplinen. Ähnliches konnte im Rahmen dieser Untersuchung für den Bereich der Medizin (1932) und die Diskussionen um die Ausarbeitung einer neuen Prüfungsordnung für das wissenschaftliche Lehramt (1937) festgestellt werden.267 Interessant ist hierbei, dass sich die Argumentation beziehungsweise Ressourcenmobilisierung unabhängig vom jeweils herrschenden politischen System darstellte. Man argumentierte rein wissenschaftlich und begründete die Ansprüche mit der eigenen fachlichen Kompetenz. Politische Aspekte spielten keine Rolle. Die Tatsache, dass es bereits ein halbes Jahr nach der eigentlichen Absage an die Errichtung einer eigenen pharmakognostischen Abteilung am Botanischen Institut der Universität Münster zu einer Umkehrung des Kurses in Berlin kam, wirkt daher zunächst verwunderlich, erscheint bei genauerem Hinsehen jedoch durchaus plausibel. So ist anzunehmen, dass der Meinungswechsel durch Entwicklungen in der Pharmazie beeinflusst worden war. Für diese hatte das REM nämlich, auf Anregung zweier Braunschweiger Hochschullehrer und mit Unterstützung der nationalsozialistischen „Arbeitsgemeinschaft deutscher Apotheker“,268 eine Neuorganisation des pharmazeutischen Universitätsbetriebes beschlossen. Basierend auf der neuen Prüfungsordnung für Apotheker von 1934 sollte die Pharmazie an den Universitäten ausgebaut und ex266 267 268

UAMs, Bestand 4, Nr. 515, Mevius an REM, 20.7.1937. Vgl. hierzu Kapitel IV. Vgl. hierzu Schröder, Gerald, NS-Pharmazie. Gleichschaltung des deutschen Apothekerwesens im Dritten Reich. Ursachen, Voraussetzungen, Theorien und Entwicklungen, Stuttgart 1988, S. 83ff.

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Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster

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plizit auch die Ausbildung in Pharmakognosie vertieft werden. Gleichzeitig sollte die Ausbildung der benötigten Zahl von Apothekern angeglichen werden. Hier rechnete man mit 350 Apothekern pro Jahr, also bei einem dreijährigen Studium mit 1.050 Studenten an den deutschen Universitäten. Hinzu käme noch externer Bedarf, so dass die Kapazitäten auf 1.700 Studenten pro Jahr ausgerichtet werden sollten.269 Am 14. Februar 1938 ordnete das REM daher in einem Erlass einen Ausbau der pharmazeutischen Institute, eine Aufstockung des Personals und eine stärkere Förderung des Fachs an. Außerdem bestimmte man, dass ab dem 1. Oktober 1938 ein Studium in diesem Bereich nur noch an denjenigen Hochschulen möglich sein solle, an denen ein solches Institut bestünde. Gleichzeitig ordnete man die Schließung von zehn Instituten an, um die 1.700 Studienplätze auf besser auszustattende und zu fördernde Institut zu konzentrieren. Zu diesen zählte auch dasjenige in Münster.270 Nun wirkte es positiv, dass Mevius in seinem Werben um die Errichtung eines Extraordinariats für Pharmakognosie bereits seit 1935 derselben Argumentationslinie wie später das REM in seinem Erlass gefolgt war, also den Anforderungen durch die neue Prüfungsordnung für Apotheker zu entsprechen. Zwei Wochen vor dem Erlass wandte sich das REM, ohne Zweifel koordiniert mit den oben genannten Bestrebungen, unter Bezugnahme auf die Anträge Mevius’ mit einem Schreiben an den Kurator und den Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Darin teilte es mit, dass in Aussicht genommen sei, zur Errichtung einer außerordentlichen Professur für Pharmakognosie einen Betrag in den Entwurf für den nächstjährigen Staatshaushaltsplan zu stellen.271 Bereits einen Monat später ersuchte das Ministerium um den üblichen Dreiervorschlag für die Besetzung.272 Dekan Kratzer berief daraufhin eine Kommission, bestehend aus Mevius, Hans Paul Kaufmann (Pharmazie und Chemische Technologie), Hermann Senftleben (Physik), Hermann Weber (Zoologie), Georg Niemeier (Geographie) sowie, beratend, Benecke ein,273 welche am 27. April 1938 zusammenkam.274 Was folgte, kann als Beispiel für politisches wie fachwissenschaftliches Strippenziehen und erneut für die Verquickung der Interessen des Rektoramtes und des Ordinariats für Botanik in der Person Mevius’ stehen. Am Ende des Berufungsprozesses stand nämlich keineswegs der fachlich am besten geeignete Kandidat für den Posten fest, sondern 269

Ueberall, Sieglinde/Oelschläger, Herbert, Die Pharmazie an der Universität Frankfurt am Main im Wandel der Zeiten (1914–2004) (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse 2006, 1), Mainz 2006, S. 71. 270 UAMs, Bestand 4, Nr. 515, Erlass des REM, 14.2.1938. 271 UAMs, Bestand 62, D 21, REM an Kurator, Dekan, 27.1.1938. 272 Ebd., REM an Kurator, Dekan, 23.2.1938. 273 Ebd., Dekan an Beteiligte, 7.3.1938. 274 Ebd.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

derjenige, der sich durch politische Schachzüge außeruniversitärer Stellen und die Protektion seines Vorgesetzten am besten positioniert hatte. Bereits bevor die Kommission überhaupt zusammentreten konnte, hatte Mevius nämlich bereits Schritte in Richtung einer Berufung Schratz’ eingeleitet. In einem Schreiben an das REM vom 4. März 1938, in dem er eigentlich auf die Anforderung des Dreiervorschlags antwortete, merkte Mevius an, dass er aufgrund der Verzögerung durch die Ferien gezwungen sei, einige Vorlesungen auch im Sommersemester 1938 durch seinen Assistenten Schratz abhalten zu lassen. Dadurch sei dieser wiederum so beschäftigt, dass ein außerplanmäßiger Assistent eingestellt werden müsse, bis die außerordentliche Professur für Pharmakognosie besetzt sei. Quasi en passant dann die Aussage: Im Übrigen schlage die Fakultät Schratz für diesen Posten vor. Auch der Kurator befürworte diese Vorgehensweise.275 Wie Mevius zu dieser Behauptung kam, ist unbekannt. Ihre Äußerung gegenüber dem REM war jedoch heikel, überging er doch damit die Fakultätskommission völlig und gab darüber hinaus deren Meinung, wie noch zu zeigen sein wird, nicht wahrheitsgetreu wieder. Einige Tage später begann Mevius dann damit, eine Reihe von Schreiben an verschiedene deutsche Universitäten zu versenden.276 Darin teilte er mit, dass es ihm gelungen sei, für die kw-Stelle277 Hannigs ab dem 1. April 1938 ein beamtetes Extraordinariat für Pharmazeutische Botanik zu erhalten. Deshalb bat er darum, ihm Gutachten über dafür in Frage kommende Wissenschaftler, unter ihnen auch Schratz, zukommen zu lassen. So schrieb er dem Rektor der Universität Würzburg am 22. April 1938, dass man für das Extraordinariat jemanden suche, der bereits einige Jahre Pharmakognosie gelehrt habe und über Forschungserfahrung in diesem Bereich verfüge. Unter anderem sei beabsichtigt, den dortigen Professor Ulrich Weber vorzuschlagen, weshalb Mevius um die baldmögliche Zusendung eines Gutachtens über politische Haltung und Erfolge als Hochschullehrer und Forscher [in dieser Reihenfolge, DD] zukommen zu lassen. Ebenso sei eine kurze Charakterisierung des Menschen Weber erwünscht.278 Ein im Wortlaut gleicher Brief ging an den Rektor der Universität Göttingen bezüglich Professor Franz Firbas.279 Persönlicher gehalten war schließlich sein Schreiben an seinen ehemaligen Berliner Kollegen Kurt Noack vom dortigen Institut für Pflanzensoziologie. Zunächst teilte er ihm mit, dass bislang Otto Moritz (Kiel), Franz Firbas (Göttingen) und Max Roberg (Breslau) für den Posten in Auswahl gebracht worden seien. Er selbst werde aber Schratz vorschlagen, da dieser mit großem Erfolg in den Gauen Westfalen-Nord, Westfalen-Süd und Weser-Ems den Anbau von Heilpflanzen und das 275 276 277

UAMs, Bestand 9, Nr. 322, Mevius an REM, 4.3.1938. BAB, R 4901, Nr. 14893, diverse, ab 9.3.1938. Als „kw“, das heißt „künftig wegfallend“, wurden diejenigen Stellen bezeichnet, die nach Ausscheiden des Stelleninhabers nicht neu besetzt werden sollten. 278 UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Mevius an Rektor Universität Würzburg, 22.4.1938. 279 Ebd.

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Sammeln wildwachsender Arzneipflanzen durchgeführt habe und gleichzeitig vom Reichsapothekerführer zur Oberaufsicht über den Anbau der Arzneipflanzen der Deutschen Apothekerschaft in Binz auf Rügen beauftragt worden sei. Von Seiten dieser Organisation werde auch alles dafür getan, dass Schratz das Extraordinariat erhalte. Abschließend bat er Noack um Gutachten für alle Kandidaten und regte ein Treffen der beiden in Berlin an.280 Bereits hier spielte die Vernetzung des Assistenten also eine tragende Rolle in der Argumentation. Dieser Hinweis Mevius’ auf eine außeruniversitäre und dezidiert politische Unterstützung Schratz’ war keineswegs aus der Luft gegriffen. Am 21. März 1938 wandte sich die Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung an das REM und bat darum, eine Berufung Schratz’ auf den Lehrstuhl für Pharmakognosie in Münster zu unterstützen.281 Kurz darauf intervenierte mit dem Reichsdozentenbundführer eine weitere einflussreiche Stelle zu seinen Gunsten beim Ministerium. Gleiches galt für Reichsapothekerführer Albert Schmierer, der sich ebenso für eine Berufung des Assistenten aussprach.282 Während dessen holte Mevius weitere Gutachten, unter anderem über Ernst Schreiber (Göttingen)283 und über Robert Fischer (Innsbruck),284 ein. Inzwischen waren auch die ersten Antworten der befragten Professoren eingetroffen – und diese fielen keineswegs positiv für Mevius’ eigenen Favoriten aus. Bruno Huber, Ordinarius für Forstbotanik an der TH Dresden, bezeichnete beispielsweise Weber, Moritz und Roberg als besser geeignet, das Extraordinariat zu übernehmen. Schratz hingegen sei eher weniger geeignet, auch deshalb, weil er nicht innovativ sei und darüber hinaus andere jüngere Kollegen besser qualifiziert seien.285 Auch Friedrich Oehlkers, Ordinarius für Botanik an der Universität Freiburg, bevorzugte Weber, Moritz und Roberg und bezeichnete Schratz als jemanden, der nur hinter den Genannten anzusetzen sei.286 Mevius sammelte in der Folgezeit weiter Gutachten, und nach mehrmaliger Mahnung durch das REM287 und knapp drei Monate nach Anforderung des Vorschlags konnte der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät dem REM schließlich seine Dreierliste vorlegen. Einleitend erklärte er, welche Motive für die Auswahl der Kandidaten handlungsleitend gewesen seien. So sei man bei der Ausarbeitung davon ausgegangen, dass der neue Professor zum einen die Studenten der Pharmazie in die Pharmakognosie einführen, aber auch selbst forschen müsse. Außerdem müsse er sich 280 281 282 283 284 285 286 287

Ebd., Mevius an Noack, 22.4.1938. BAB, R 4901, Nr. 14893, RfH an REM, 21.3.1938. Ebd., Reichsdozentenbundführer an REM, 13.4.1938. UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Mevius an Dieterle, Institut für Pharmazie der Universität Frankfurt, 5.5.1938 sowie Mevius an Rektor Universität Frankfurt, 5.5.1938. Ebd., Mevius an Rektor Universität Innsbruck, 5.5.1938. BAB, R 4901, Nr. 14893, Huber an Mevius, 30.3.1938. Ebd., Oehlkers an Mevius, 16.3.1938. UAMs, Bestand 62, D 21, REM an Kurator, 9.5.1938.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

dem Anbau und der Züchtung von Arzneipflanzen widmen und mithelfen, dass in Deutschland vorkommende Arzneipflanzen der Volksgesundheit erschlossen werden. Zuletzt sollte der neue Professor noch Apotheker sein oder sich zumindest mit der Verarbeitung von Drogen in Apotheken vertraut machen.288 Da das zu errichtende Extraordinariat das erste seiner Art an einer deutschen Hochschule sein werde, seien keine Vorschläge von Wissenschaftlern möglich gewesen, die in allen Bereichen bewährt seien, sondern stattdessen Vorschläge solcher Forscher, die punktuell qualifiziert seien, aber dennoch die Gewähr dafür böten, den Lehrstuhl auszufüllen. Deshalb sei die Fakultät auch nicht in der Lage, eine Liste nach Rangordnung einzureichen. Stattdessen ordnete man alphabetisch: Firbas, Fischer, Moritz, Roberg, Schratz, Schreiber.289 Damit hatte die Fakultät die Entscheidung über die Auswahl des Kandidaten an das REM abgegeben. Dies ist deshalb interessant, weil auch während des Nationalsozialismus im Regelfall den alten Entscheidungsprozessen und -institutionen weiterhin ausschlaggebendes Gewicht bei der Auswahl der Bewerber zukam. Hätte die Fakultät einen Kandidaten favorisiert, wie zum Beispiel 1935 bei der Berufung Mevius’ oder 1940 bei der Berufung Ries’ in der Zoologie, so hätte sich das Ministerium kaum dagegen ausgesprochen, ihn zu berufen. Offensichtlich hatte sich in der Berufungskommission Mevius in seiner Rolle als Ordinarius nicht gegenüber seinen Kollegen durchsetzen können oder wollen. Mevius in seiner Eigenschaft als Rektor konnte dies aber. Da die Fakultät also kein konkretes Votum abgegeben hatte, kam im neuen System der „Führeruniversität“ ihm als Rektor die entscheidende Bedeutung bei der Übermittlung der Vorschläge zu. Auch er hätte sich, der Tradition entsprechend und wie in anderen Fällen (Ries, Mevius, Weber) auch so gehandhabt, dem Votum der Fakultät anschließen und die Dreierliste unverändert weiterleiten können. Mevius hatte jedoch seine eigene Agenda. Er wollte Schratz auf dem Posten des neuen Extraordinarius sehen. Daher tat er mit seinem Kommentar zur Vorschlagsliste nun alles dafür, ihn als einzig sinnvollen Bewerber darzustellen. Seine Stellungnahme zur Liste, welche er am 17. Juni 1938 an das REM sandte, begann daher auch mit einem entscheidenden und, objektiv auf Basis der vorliegenden Gutachten und den Aussagen der Fakultät betrachtet, überraschenden Satz: in erster Linie komme Schratz für den Posten in Frage. Die Gründe, die der Rektor anschließend für diese Entscheidung anführte, zeigen einmal mehr, dass in diesem Falle nicht die beste Qualifikation, sondern die beste Vernetzung entscheidend war. So habe Schratz in den drei Gauen Westfalen-Nord, Westfalen-Süd und Weser-Ems zusammen mit der RfH bereits umfangreiche Arbeiten durchgeführt. Eine ähnlich 288 289

Vergleicht man die Anforderungen der Fakultät mit den Qualifikationen der Wissenschaftler, so fällt auf, dass von allen Kandidaten der Ex-Münsteraner Roberg am besten zu ihnen passte. UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Vorschlagsliste der Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 3.6.1938.

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Exkurs: Pharmakognosie an der Universität Münster

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enge Kooperation gebe es mit der Reichsstelle für Wirtschaftsausbau (Amt für den Vierjahresplan), den zuständigen Ämtern für Volksgesundheit der NSDAP (dessen Gauamtsleiter für Westfalen-Nord, Franz Vonnegut, nicht umsonst als Referenz für Schratz angegeben wurde), dem Reichsapothekerführer, dem Landeshauptmann der Provinz Westfalen und SA-Obersturmbannführer Kolbow, dem NLSB und zahlreichen Ärzten. Allein durch Schratz’ Organisationsgabe und Einsatzbereitschaft seien in den genannten Gauen die bisherigen Leistungen erbracht worden. Wegen seiner Erfolge auf diesem Gebiet sei Schratz vom Reichsapothekerführer auch die Oberaufsicht über die Arzneipflanzenanbauversuche der Deutschen Apothekerschaft auf Rügen übertragen worden. Keiner der anderen Kandidaten könne die genannten Aufgaben durchführen. Hinzu käme noch, dass Schratz’ außeruniversitäre Tätigkeiten für das Ansehen der Universität Münster von großer Bedeutung seien. So habe er zahlreiche, bisher den Hochschulen und der Wissenschaft ablehnend gegenüber stehende Stellen davon überzeugt, dass man zur Erfüllung bestimmter Ziele des Vierjahresplanes auf die Mitarbeit der Hochschullehrer angewiesen sei. Außerdem hätten alle Stellen, und hier verschwieg der Botaniker wissentlich die negativen Gutachten seiner Fachkollegen und manipulierte dadurch das Verfahren, nur Positives über Schratz ausgesagt.290 Ein Blick auf das ebenfalls angefügte Gutachten des Dekans der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät bestätigt die These, dass man mit aller Macht versuchte, einen im Vergleich zu seinen Mitbewerbern weniger geeigneten Kandidaten durch Weichzeichnung der Fakten ins Amt zu hieven. So war auch dem Dekan etwas aufgefallen, was unter normalen Umständen ein Ausschlussargument sein musste: Schratz hatte sich, anders als seine Konkurrenten und insbesondere Roberg, in keiner seiner bisherigen Veröffentlichungen mit dem Thema Pharmakognosie beschäftigt. Diesen Makel wischte der Dekan aber mit dem Kommentar zur Seite, dass trotzdem aufgrund der bisherigen Leistungen des Assistenten angenommen werden könne, dass er einen Lehrstuhl für Pharmazeutische Botanik voll und ganz ausfüllen könne. Warum, begründete er nicht. Der Dekan erwähnte lediglich ebenfalls die gute außeruniversitäre Vernetzung Schratz’ und gab an, dass dessen Unterrichtstätigkeit seit 1933 eine außerordentlich vielseitige mit eingehender Widmung der Vererbungslehre und der Pharmakognosie gewesen sei. Auch diese Aussage war bestenfalls beschönigend, hatte Schratz die Pharmakognosie von Hannig doch erst ein knappes halbes Jahr zuvor übernommen und, was seine Vielseitigkeit betraf, neben der Vererbungslehre fast ausschließlich Bestimmungsübungen angeboten.291 Nachdem Mevius also seinen Assistenten als perfekten Kandidaten für eine Verknüpfung von Wissenschaft, Politik und außeruniversitären Institutionen und als eine Ressource gegenüber der NSDAP angepriesen hatte, musste er nur noch die anderen Kandidaten ungeeignet erscheinen lassen. Die Taktiken, die er dabei anwandte, waren so vielfältig wie teilweise skurril. Zum einen verschwieg er alle 290 291

Ebd., Stellungnahme Mevius zur Vorschlagsliste, 17.6.1938. Ebd., Gutachten Dekan (Kratzer), undatiert.

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positiven Gutachten über Schratz’ Mitbewerber. Zum anderen fügte er bei jedem Einzelkommentar einen Punkt hinzu, der gegen den jeweiligen Wissenschaftler sprach. So sei beispielsweise Fischer Pharmakognost österreichischer Prägung, das heißt stark medizinisch und kaum botanisch orientiert, und außerdem würde er als „Süddeutscher“ mit Westfalen, Emsländern und Oldenburgern nicht zurechtkommen. Auch die anderen Kandidaten wurden von ihm verworfen.292 Nach diesen Ausführungen konnte für das REM nur noch Schratz in Frage kommen. Und tatsächlich: Am 23. September 1938 teilte das REM dem Kurator mit, dass man beabsichtige, Schratz zu berufen.293 Einige Tage zuvor hatte der Assistent den Ruf auf seinen neuen Posten angenommen.294 Die Agitation des Rektors und die politische Vernetzung seines Assistenten hatten sich ausgezahlt. Der Entscheidung des REM waren Anfang September 1938 Berufungsverhandlungen mit dem Assistenten vorangegangen. In diesen hatte der Extraordinarius in spe bereits Sondermittel zur Vervollständigung des pharmazeutisch-botanischen Teils der Institutsbibliothek und der pharmakognostischen Sammlung des Botanischen Instituts ausgehandelt.295 Am 24. März 1939 ernannte das Ministerium Schratz schließlich zum außerordentlichen Professor und Abteilungsleiter am Botanischen Institut.296 Gleichzeitig wurde er mit Wirkung zum 1. Januar 1939 in seine neue Stelle eingewiesen.297 Eine Woche später wurde er verpflichtet, Pharmazeutische Botanik in Übungen und Vorlesungen zu vertreten, und erhielt die neu eingerichtete Professur für Pharmakognosie.298 Kurz zuvor hatte die neu erlassene Studienordnung für Pharmazie einen starken Fokus auf botanische und pharmakognostische Themen festgeschrieben299 und damit die Grundlage für eine umfangreiche Arbeit an der neuen Abteilung innerhalb der nächsten Jahre gelegt. Betrachtet man den Berufungsvorgang Schratz also unter dem Aspekt der Ressourcenmobilisierung, so wird klar, dass eindeutig eine gegenseitige Indienstnahme von Wissenschaft und Politik stattfand und beide Seiten aus dieser Kooperation Vorteile zogen. Mevius gelang es, durch seine Autorität als Rektor seinen Protegé 292

293 294 295 296 297 298 299

Firbas bezeichnete er beispielsweise zwar als zurzeit einen der besten Pflanzengeographen und -soziologen. Deshalb gehöre dieser aber auch auf einen Lehrstuhl mit Leitung eines botanischen Gartens und nicht an eine Abteilung für Pharmakognosie. Moritz sollte seine Arbeit in Kiel fortsetzen und besser dort einen Lehrstuhl erhalten. Schreiber habe noch nicht genügend Unterrichtserfahrung. Bei Roberg, den er ein Jahr zuvor selbst noch aus Münster fortgedrängt hatte, führte er an, dass dieser nicht an seine alte Universität zurückkehren sollte und begründete dies mit der Stellungnahme des Dozentenbundführers Walther bezüglich Robergs Verankerung im katholischen Milieu. Siehe hierzu: UAMs, Bestand 4, Nr. 239, Stellungnahme Mevius zur Vorschlagsliste, 17.6.1938. BAB, R 4901, Nr. 14893, REM an Kurator, 23.9.1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Notiz des Kurators, 21.9.1938. BAB, R 4901, Nr. 14280, Schratz an Mevius, 12.9.1938. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, REM an Schratz, 24.3.1939. BAB, R 4901, Nr. 14893, REM an Schratz, 24.3.1939. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Kurator an Dekan, 31.3.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 515, Erlass des REM, 14.3.1939.

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auf den gewünschten Posten zu setzen. Schratz hatte sich durch Indienstnahme für das Regime einen Karriereaufstieg erkauft, und die politischen Entscheidungsträger hatten einen systemtreuen, „äußerst befähigten und arbeitswilligen Mann“300 auf einen wichtigen Posten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik gesetzt. Für das Jahr 1939 sind in den Akten keine weiteren Informationen über Schratz’ Tätigkeiten an der Universität Münster überliefert. Die Vorlesungsverzeichnisse für das Sommersemester 1939 und das Wintersemester 1939/40 zeigen, dass er die Themen der Vorsemester beibehielt und somit zumindest auf dieser Seite kein Bruch stattfand, sondern der seit dem Abgang Hannigs 1937 eingeschlagene Pfad weitergeführt wurde. Außeruniversitär betätigte sich der Extraordinarius durch die Betreuung des Versuchsfeldes für Heilpflanzenanbau der Deutschen Apothekerschaft in Binz auf Rügen, welches 1938 auf Anregung des Reichsapothekerführers und RfHLeiters Albert Schmierer angelegt worden war.301 Die Ziele der Anlage, nämlich die Züchtung von Pflanzen mit einer möglichst gleichbleibend hohen Konzentration an Wirkstoffen, sollten durch Untersuchung der Einflüsse von Klima, Düngung, Bodenbeschaffenheit und Trocknung sowie Zeit und Art der Ernte erreicht werden.302 Damit konnte Schratz die Hauptforschungsgebiete am Botanischen Institut direkt anwenden. 1941 wurde die Verbindung zwischen der Universität Münster und der RfH noch einmal verstärkt, als Schratz im Auftrag Schmierers das Versuchsfeld von Binz nach Münster verlegte und hinter dem Schloss große Heilpflanzenversuchsgärten anlegte. Zur Bearbeitung der Gärten wurden neben Apothekerpraktikanten auch Biologiestudenten eingesetzt.303 In ähnlichen Bahnen setzten sich Forschung und außeruniversitäre Arbeit auch im Trimester des Jahres 1940 fort.304 Dieses Ergebnis wird auch durch die Forschungsvorhaben gestützt, für die sich der Extraordinarius finanzielle Unterstützung durch die DFG sichern konnte. Ende März 1940 erhielt er 2.000 RM für eine Untersuchung zu „Ursachen der Gehaltsschwankungen bei Heilpflanzen“.305 Die Ziele, die mit seinen Forschungen verbunden waren, standen weiterhin klar im Zeichen der Autarkiepolitik und hatten inzwischen durch den Zweiten Weltkrieg er-

300 301 302 303 304 305

Schlick 2008, S. 342. Schratz, Eduard, Das Versuchsfeld der Deutschen Apothekerschaft für Arzneipflanzenanbau und Arzneipflanzenzüchtung, in: Die deutsche Heilpflanze 8 (1941), S. 119–124, hier: S. 119. Schlick 2008, S. 365. Ebd., S. 365f. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Sommersemester 1939, Wintersemester 1939/40 und Trimester 1940. BAB, R 73, Nr. 14512, DFG an Schratz, 27.3.1940.

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höhte Bedeutung gewonnen.306 Insgesamt förderte die DFG Schratz bis in das Jahr 1944 mit über 13.000 RM.307 Dass die Arbeiten Schratz’ dabei unmittelbar für die Kriegsanstrengungen genutzt wurden, belegen zwei Beispiele aus dem Jahr 1940. Zum einen bezeichnete der Kurator die Forschungen der Abteilung für Pharmakognosie im Zusammenhang mit den bereits seit 1936 andauernden Auseinandersetzungen der Universität mit dem Regierungspräsidenten um einen Ausbau des Botanischen Gartens und dessen Verlegung als kriegswichtig. Dabei führte er gerade ihre Bedeutung für die Zeit nach dem Sieg Deutschlands als Argument für besagten Ausbau an.308 Zum anderen wurde Schratz Ende Oktober des Jahres für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse ohne Schwerter vorgeschlagen. Zur Begründung führte man an, dass er seit September 1939 im Sonderauftrag des Reichswirtschaftsministers für die Reichsstelle für Wirtschaftsausbau eine Kartierung der wichtigsten Heilpflanzen im Großdeutschen Raum begonnen habe, um dem im Krieg entstandenen Mangel an Heilpflanzen abzuhelfen. Außerdem habe er in den seiner Verantwortung als Gausachbearbeiter der RfH unterstehenden Gauen selbst Heilpflanzensammelaktionen mit Hilfe der Schulen und der HJ durchgeführt und mit Beginn des Krieges die Leitung der Abteilung „Heilpflanzenkunde“ der Reichsgeschäftsstelle der RfH Berlin übernommen.309 Etwas über ein Jahr später, am 30. Januar 1942, dem neunten Jahrestag der Machtübernahme, wurde ihm der Orden schließlich verliehen.310 Der Bedeutung seiner Forschungsarbeiten wurde weiterhin dadurch Rechnung getragen, dass der Extraordinarius, anders als eine Vielzahl seiner Kollegen, ab dem 3. Juni 1940 „uk“ gestellt wurde. Zunächst bis Ende desselben Jahres befristet, wurde die Stellung schließlich am 17. Januar 1941 bis auf weiteres gewährt.311 Einen positiven Effekt hatte die Unabkömmlichkeit Schratz’ auch auf den neu am Botanischen Institut angestellten Assistenten Walter Baumeister. Dieser führte zu jener Zeit im Auftrag der Reichsarbeitsgemeinschaft für Landwirtschaftswissenschaft eine Untersuchung über die „Abhängigkeit des N-Haushaltes der Getreidearten vom Zeitpunkt und der Zusammensetzung der Düngung“ durch.312 Als Mevius im November 1940 eine Verlängerung von Baumeisters uk-Stellung beantragte, argumentierte er explizit mit der kriegswichtigen Arbeit der pharmazeutisch-botani306

307 308 309 310 311 312

So führte Schratz in seinem Ende November des Jahres gestellten Fortsetzungsantrag aus, dass zur Förderung des Anbaus heimischer Heilpflanzen der Erhalt von Rassen mit sowohl hohem Massenertrag als auch hohem Wirkungsgehalt nötig sei. Zwar sei der erreichbare Gehalt genetisch bedingt, aber durch Umwelteinflüsse veränderbar. Die Klärung der genetisch bedingten Schwankungsbreite und des Umwelteinflusses sei daher wichtig für Zucht und Anbau. Siehe: BAB, R 73, Nr. 14512, Schratz an DFG, 22.11.1940. Ebd., DFG an Schratz, 23.4.1942, 30.4.1943 und 18.5.1944. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kurator an RP, 25.10.1940. UAMs, Bestand 4, Nr. 167, Vorschlagsliste, ca. 26.10.1940. UAMs, Bestand 207, Nr. 513, Personalblatt, 13.2.1947. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Notiz des Kurators, 1.2.1941. BAB, Bestand 26 R III, Nr. 8, Karteikarte Baumeister.

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schen Abteilung, die von den politischen Entscheidungsträgern neben der Sammlung nun auch zur Züchtung von Heilpflanzen herangezogen worden sei. Da die Heilpflanzenbeschaffung für das deutsche Volk von allergrößter Wichtigkeit und Baumeister aufgrund seiner Gärtnerausbildung für die Unterstützung Schratz’ perfekt geeignet sei, wäre es wichtig, dass er nicht eingezogen würde.313 Daraufhin gewährte ihm das Wehrbezirkskommando vorerst einen Aufschub bis zum 31. März 1941.314 Während Münsters andere Zoologen und Botaniker demnach in den Krieg zogen und fielen, forschten die Pharmakognosten weiter an der Heimatfront für den „Endsieg“. Dabei beließ es Schratz aber nicht bei bloßen Züchtungsversuchen oder Laborexperimenten. Ihn drängte der Wunsch, sich aktiv an den Kriegsanstrengungen zu beteiligen. Aus eigenem Antrieb, ohne Druck und ohne Vorgaben von oben schaltete er sich daher Ende 1941 in den Russlandfeldzug ein. Am 28. Oktober 1941 wandte sich Schratz mit einem Schreiben an die Fachgruppe „Koloniale Pharmazie“ der DFG. Laut Schratz habe die Sowjetunion in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Anstrengungen unternommen, in den klimatisch bevorzugten Gegenden der Nord- und Ostküste des Schwarzen Meeres, am Nordhang des Kaukasus und anderswo tropische Heilpflanzenarten zu akklimatisieren. Von mehreren sehr wichtigen Arten seien dabei bereits lohnende Großkulturen angelegt worden. Durch die politische und militärische Lage, die sich durch die Eroberungen der Wehrmacht im Osten ergeben habe, stellten sich für die deutsche pharmakognostische Forschung daher nun zwei Aufgaben. Zum einen müsse die sich hierauf erstreckende, meist schwer zugängliche Literatur gesammelt und ausgewertet werden, um die Möglichkeiten eines erweiterten Anbaus zu beurteilen. Zum anderen müssten die notwendigen Schritte unternommen werden, die in deutschen Besitz gelangenden Anbauten und Kulturen wie auch eventuelles Versuchsmaterial zu erhalten und möglichst sofort weiter zu führen. Schratz schlug der DFG demnach nicht nur den Raub von Arbeitsmaterial und Forschungsergebnissen, sondern auch die Plünderung von Forschungseinrichtungen und den Raub von Pflanzen vor. Einen Verantwortlichen für diese Aufgaben hatte der Extraordinarius auch bereits im Auge – sich selbst: „Da Antragsteller [Schratz, DD] für das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete bereits die Fragen der Heilpflanzenbeschaffung bearbeitet, können alle sich ergebenden notwendigen Schritte durch die Stellen der Zivilverwaltung sofort eingeleitet werden.“315

Die notwendigen Unterlagen, mit denen derartige Aktionen durchgeführt werden könnten, hoffe er bis zum Frühjahr 1942 bereitstellen zu können, falls ihm vom 1. Dezember 1941 bis 31. März 1942 pro Monat 225 RM für eine Wissenschaftliche

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BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 19.11.1940. Ebd., REM an Kurator, 16.1.1941. BAB, R 73, Nr. 14512, Schratz an DFG, 28.10.1941.

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Hilfskraft zur Verfügung gestellt würden.316 Die DFG reagierte positiv auf dieses Maß an Eigeninitiative und bewilligte, im Einvernehmen mit dem Kolonialpolitischen Amt der NSDAP, bereits zwei Wochen später 900 RM.317 Weitere Dokumente belegen, dass Schratz Tätigkeiten nicht im Planungsstadium verblieben. 1943, auf dem Höhepunkt des Krieges im Osten, reiste er im Auftrag von Rosenbergs Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete fünf Wochen durch die Ukraine und sichtete russische Arzneipflanzenkulturen.318 Unterlagen darüber, was Schratz genau in der Ukraine tat und wo er tätig wurde, sind nicht überliefert, da ein Großteil der Bestände des Rosenberg-Ministeriums verloren gegangen ist. Dasjenige, was erhalten blieb, zeigt aber den Kontext, in dem Schratz agierte.319 Schon lange hatte es Expeditionen deutscher Wissenschaftler in teils entlegene Gebiete der Erde gegeben, um Wildpflanzen für ihre Forschung zu sammeln. Während des „Dritten Reiches“ entwickelten diese Aktionen jedoch einen mehr und mehr militärischen oder paramilitärischen Charakter. Wissenschaft und Politik kooperierten und nutzten sich gegenseitig als Ressource. Wehrmacht und SS stellten Transportkapazitäten und Eskorte, die Forscher erhielten teilweise militärische Ränge, und auch die Gebiete der Sammlungen änderten sich: vom Spanischen Bürgerkrieg über das besetzte Abessinien bis in die, ab dem Zweiten Weltkrieg, besetzten Gebiete Europas.320 Nun änderten sich auch die Ziele der Expeditionen. Zu einem wichtigen Schlagwort der Organisatoren wurde die „Ernährungsfreiheit“ des deutschen Volkes. Spätestens ab 1941, mit den Expeditionen Hans Stubbes321 auf dem Balkan und in Griechenland, änderte sich auch die Vorgehensweise. Hier folgten die Forscher teilweise unmittelbar der kämpfenden Truppe in erst kurze Zeit zuvor eroberte Gebiete, und neben die Sammlung trat nun auch, vorerst noch in Einzelfällen, der Raub von Sortimenten.322 Mit dem Überfall auf die Sowjetunion sollte sich aber auch hier die Vorgehensweise noch einmal radikalisieren. Wie für das polykratische System der NS-Herrschaft typisch gab es auch im Bereich der Forschungsexpeditionen eine Ämterrivalität. Für die nunmehr unter deutsche Herrschaft fallenden Gebiete der UdSSR fühlte sich das neue Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter Alfred Rosenberg zuständig, für das auch Schratz tätig war. Rosenbergs „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR) 316 Ebd. 317 Ebd., DFG an Schratz, 12.11.1941. 318 LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schratz, NW 1039–SCH, Nr. 174, Fragebogen, 15.2.1947. 319 Vgl. hierfür insbesondere, aber nicht ausschließlich, die Bestände BAB, NS 30, NS 30/90 und NS 30/91. 320 Flitner, Michael, Sammler, Räuber und Gelehrte. Die politischen Interessen an pflanzengenetischen Ressourcen 1895–1995, Frankfurt a. M., New York, 1995, S. 113. 321 Stubbe war wissenschaftlicher Mitarbeiter am KWI für Biologie und ab 1943 Direktor des KWI für Kulturpflanzenforschung. 322 Flitner 1995, S. 106.

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hatte bereits im Westfeldzug eine wichtige Rolle bei der Plünderung von Kulturgütern eingenommen, insbesondere solchen, die zuvor jüdischen Besitzern gehört hatten. Im Osten gerieten dann ab 1941 auch Forschungsinstitute in den Fokus des ERR. Er wurde nun zum Dreh- und Angelpunkt der Ausplünderung des Ostens.323 Der Wehrmacht folgend, in Kooperation mit den KWI, dem RFR, anderen Dienststellen und der SS, zog der „Sonderstab Wissenschaft“ des ERR eine Schneise des Raubes durch die westlichen Gebiete der Sowjetunion. Forschungsinstitute wurden beschlagnahmt, noch vorhandene Mitarbeiter festgesetzt und zur Mitarbeit gezwungen. Daran beteiligt waren alle Wissenschaftsfelder, darunter auch die Biologie. Im Bereich der Botanik legte man ein besonderes Augenmerk auf die Institute der Vavilov-Organisation.324 Immer dabei: Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter der Botanischen Institute der deutschen Universitäten, unter ihnen auch Schratz. Diese katalogisierten und inventarisierten Bestände und Ausstattung der eroberten Einrichtungen – zu einem verbrecherischen Zweck: Sorten, Muster und Sammlungen wurden zusammen mit Geräten sowie Literatur und Forschungsergebnissen geraubt und nach Deutschland verbracht. Dort wurde das Raubgut weiter bearbeitet und eingesetzt: an den KWI, den Universitäten, aber auch an den Forschungseinrichtungen der SS wie beispielsweise der landwirtschaftlichen Versuchsstation im KZ Auschwitz.325 Die Wissenschaft profitierte somit direkt von der NS-Kriegs- und Vernichtungspolitik. Das ganze Ausmaß der Raubzüge ist heute nicht mehr zu rekonstruieren, genauso wenig wie Details zu Schratz’ Auftrag. Legt man jedoch die in seinem Antrag aufgeführten Planungen sowie die genannten Erkenntnisse, die über ähnliche Aktionen326 zu jener Zeit vorliegen, zu Grunde, so ist davon auszugehen, dass er seine Raubplanungen verwirklichte. Diese These wird noch dadurch gestützt, dass der Extraordinarius eigenhändig Mentha piperita, also Pfefferminze, aus seinem Aufenthalt in der Ukraine mit nach Münster brachte. Für Schratz waren diese Proben sehr wichtig, weswegen er sie gut behütete.327 Ob Schratz diese Pflanzen sammelte 323 324 325 326

327

Ebd., S. 116. Ebd., S. 115; Nikolai Ivanowitsch Vavilov war einer der international hochangesehensten sowjetischen Pflanzengenetiker und Begründer der Theorie der geographischen Genzentren der Kulturpflanzen. Ebd., S. 119. So raubte der am KWI für Züchtungsforschung in Müncheberg beschäftigte Botaniker Heinz Brücher umfangreiches Material für das botanische Sammelkommando der SS aus russischen Forschungseinrichtungen in den besetzten Gebieten, unter anderem auch in der Ukraine, vgl.: Hoßfeld, Uwe, Das Botanische Sammelkommando der SS nach Rußland 1943 oder: Ein Botaniker auf Abwegen, in: Geus, Armin/Junker, Thomas/Rheinberger, Hans-Jörg/Riedl-Dorn, Christa/Weingarten, Michael (Hg.), Repräsentationsformen in den biologischen Wissenschaften. Beiträge zur 5. Jahrestagung der DGGTB in Wien 1996 und zur 7. Jahrestagung in Neubrug a. d. Donau 1998, Berlin 1998 (Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie 3), S. 291–312. Interview des Autors mit Herrn Theo Ludewig, 9.4.2010. Ludewig war von Schratz 1962 als Gärtnermeister mit der Aufsicht über die Pflanzungen am Institut für Pharmakognosie

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oder raubte, ist im Nachhinein jedoch nicht mehr feststellbar. Es ist daher nicht nachweisbar, ob auch in Münster Raubgut für botanische Forschungen verwendet wurde. Insbesondere im Hinblick auf die gegenseitige Nutzung von Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander ist der genannte Vorgang aufschlussreich. Mit Schratz nutzte als ein sowohl im wissenschaftlichen wie auch im außeruniversitärpolitischen Bereich bestens vernetzter Forscher seine Reputation sowie die Aussicht auf zu erwartende Forschungsergebnisse als Ressource, um eine Förderung seiner Arbeit durch hochrangige politische Entscheidungsträger zu erhalten. Dabei stellte er seine Arbeitsleistung explizit in den Dienst der NS-Politik, was ihn für die Nationalsozialisten besonders attraktiv machte. Die Politik, auf der anderen Seite, profitierte vom wissenschaftlichen Know-how des Pharmakognosten und konnte es als Ressource zur Verwirklichung ihrer Ziele einsetzen, ohne Druck auszuüben oder sich um die Einzelheiten kümmern zu müssen: eine perfekte Symbiose. Bemerkenswert ist auch, mit welcher Skrupellosigkeit sich Schratz der Expansionspolitik der Nationalsozialisten zur Verfügung stellte. Der Extraordinarius initiierte den Kontakt, nicht die Politik, und er war es auch, der auf den Nutzen einer Kooperation für beide Seiten hinwies. Wie seine Kollegen in der Medizin, der Geographie und in anderen kriegsrelevanten Wissenschaftszweigen nutzte er die Möglichkeiten aus, die sich durch das entgrenzte System des Nationalsozialismus und dem damit verbundenen Niederreißen moralischer und rechtlicher Schranken ergaben, um seine wissenschaftliche Arbeit auf Kosten anderer voranzutreiben. Im selben Jahr, in dem sich Schratz also für die Ausplünderung der besetzten Ostgebiete anbot, stieg er auch innerhalb der RfH weiter auf und wurde dort zum Stellvertreter Schmierers ernannt.328 Parallel dazu wurden auch die Heilpflanzensammlungen der RfH auf die besetzten Gebiete, darunter auch die Ukraine, ausgeweitet – ob dies mit Schratz’ dortigen Aktivitäten zusammenhing, muss ungeklärt bleiben. Ebenso erhielt der Extraordinarius 1941 die „Ehrengabe der Deutschen Apothekerschaft“,329 eine vom Reichsapothekerführer gestiftete und lediglich 218‑mal verliehene Auszeichnung für Männer und Frauen, die sich besonders um den Apothekerstand verdient gemacht hatten.330 In den folgenden Jahren setzte Schratz seine in die Kriegsforschung eingebetteten Arbeiten weiter fort. So dehnte er neben seinem Griff nach Osten seine Tätigkeiten auch auf den besetzten Westen Europas aus. Als im April 1942 im Auftrag des Generalkommissars für die besetzten Niederlande dort eine Außenstelle der RfH gegründet wurde, legte die Organisation fest, dass der Aufbau der Dependance

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eingestellt worden. Ihm gegenüber hatte der Extraordinarius vom Ursprung der Pfefferminzpflanzen berichtet und ihre Bedeutung herausgestellt. Schlick 2008, S. 342. Ebd., S. 465. Ebd., S. 62f.

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in enger Fühlungnahme mit Schratz zu geschehen habe.331 Ebenso sorgte er dafür, dass seine Abteilung weiter Aufträge der Wehrmacht erhielt. So liefen im Auftrag des Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches und Präsidenten des Reichsforschungsrates, Hermann Göring, 1943 am Botanischen Institut unter dem Kennwort „Arzneipflanzenversorgung“ mit der Wehrmachtsauftragsnummer „S 4891–5124 (0423/8) III/43“ Forschungen zu diesem Themenbereich, welche mit 3.000 RM gefördert wurden.332 Während sich Schratz also außeruniversitär stark engagierte, verblieb sein Lehrpensum an der Universität Münster auf Vorkriegsniveau. Bedingt durch die Einziehung einer Reihe von Assistenten war er ab 1941 eine Zeitlang der einzige Botaniker neben Mevius, der noch Vorlesungen und Seminare an der Universität anbot. Eine Ausweitung der angebotenen Veranstaltungen erfolgte aber nur punktuell. Bis zum Zusammenbruch sollte er durchgehend lediglich pharmakognstische Seminare anbieten. In einigen Semestern kam eine Veranstaltung zur Erblichkeitslehre oder zu Tropenpflanzen hinzu.333 Auch was die Betreuung von Dissertationen betraf, tat er sich nicht durch besonderen Umfang hervor. Für die Zeit zwischen seiner Amtsübernahme und Kriegsende sind lediglich drei Promotionsprojekte überliefert, bei denen er als betreuender Dozent agierte. Während zwei davon ein explizit pharmakognostisches Thema bearbeiteten und eng mit Schratz eigenen DFG-Forschungen verknüpft waren,334 bewegte sich die dritte im allgemeinbotanischen Bereich.335 Die Tatsache, dass alle drei Dissertationen von Frauen verfasst wurden, deutet an, dass sich auch in Schratz Zuständigkeitsbereich die Geschlechterquote kriegsbedingt verschoben hatte. Vor 1940 hatten bei den botanischen Doktorarbeiten die männlichen Verfasser stark überwogen.336 Aufgrund seiner guten Vernetzung blieb Schratz bis Kriegsende uk-gestellt.337 Zusammen mit dem Rest des Botanischen Instituts wurde er jedoch am 15. November 1944 aus Münster verlegt338 und nach Emsdetten evakuiert, wo man Räume in einer Gastwirtschaft und einer Schule bezog. Dort verblieb man, bis die Stadt am 331 332 333 334

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Gründung der RfH-Außenstelle „Niederlande“, in: Die deutsche Heilpflanze 8 (1942), S. 67. UAMs, Bestand 4, Nr. 706, Forschungsaufträge des Botanischen Instituts, 6.11.1943. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Trimester 1941 – Wintersemester 1944/45. „Über die Ursachen der Schwankungen im Alkoholgehalt bei Datura stramonium“ von Elisabeth Sandfort, am 26.4.1940 mit sehr gut bewertet, sowie „Über den Einfluß mineralischer Düngung auf Wachstum und Ölgehalt von Mentha piperita“ von Paula Wiemann, am 3.11.1944 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. „Die Assimilation einiger Frühjahrs- und Sommerpflanzen im Verlaufe der Vegetationsperiode“ von Margret Spaning, am 30.6.1941 mit sehr gut bewertet, siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Vgl. UAMs, Bestand 92, Nr. 114, Kurator an Dekan, 17.2.1944 sowie Reichsverteidigungskommissar für den Reichsverteidigungsbezirk Westfalen-Nord an Kurator, 13.5.1944. BAB, R 4901, Nr. 14280, Vermerk, 1.2.1945.

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31. März 1945 besetzt wurde und die Räume beschlagnahmt wurden.339 Während um ihn herum das „Dritte Reich“ in Trümmer fiel, sollte sich vorher jedoch noch eine weitere Möglichkeit zum personellen Aufstieg für den Botaniker ergeben. Und wieder sollte er dabei, so war es zumindest geplant, von der Ausschaltung eines Kollegen profitieren. Ende 1943 nämlich war sein Vorgesetzter Mevius durch die Verstrickung in eine Bestechungsaffäre als Rektor der Universität Münster und Ordinarius für Botanik untragbar geworden.340 Zum 1. April 1944 wurde er daher als Vertretungsprofessor an die Universität Hamburg abgeschoben, blieb vorläufig jedoch funktionsmäßig Direktor in Münster.341 Damit setzte aber auch die Suche nach einem Nachfolger ein, die mit der endgültigen Berufung Mevius’ nach Hamburg zum 1. März 1945 immer akuter wurde.342 Bereits am 2. März 1945 hatte sich der Leiter des Gaupersonalamts des Gaus Westfalen-Nord, Beyer, der in Personalunion auch Universitätskurator war, an den Gauhauptamtsleiter gewandt und Schratz für die Nachfolge Mevius’ ins Gespräch gebracht. Der Gauhauptamtsleiter hielt daraufhin Rücksprache mit dem Rektor.343 Dieser wiederum wandte sich am 8. März mit einem Schreiben an Beyer, diesmal in dessen Funktion als Kurator, und teilte ihm mit, dass die Ernennung Mevius’ in Hamburg noch nicht erfolgt sei344 und sich die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Münster daher noch nicht offiziell zu dessen Nachfolge äußern könne. Vertraulich könne er ihm aber mitteilen, dass von ihm [dem Rektor, DD] inaugurierte Bestrebungen im Gange seien, einen ordentlichen Lehrstuhl für Angewandte Botanik an der Universität zu schaffen und die Allgemeine Biologie durch ein Extraordinariat vertreten zu lassen. Dieser Schritt sei nicht nur wegen der großen praktischen Bedeutung der angewandten Botanik nötig, sondern auch deshalb, weil entsprechend der neuen Studienordnung für Mediziner Allgemeine Biologie an die Stelle von Botanik treten und diese von einem neu als Ersatz für den gefallenen Zoologen Ries an die Universität Münster zu berufenen Zoologen gelehrt werden könne. Für den neu eingerichteten Lehrstuhl käme Schratz in Frage. Dieser habe sich durch den tatkräftigen Einsatz zur Beseitigung von Bombenschäden große Sympathien erworben. Außerdem hatte sich erneut der Reichsapothekerführer für ihn eingesetzt. Der Rektor könne aber keine Gewähr dafür bieten, dass die Fakultät, der zunächst wissenschaftliche Belange am Herzen lägen und die 339 340 341 342 343 344

UAMs, Bestand 9, Nr. 528, Schratz an Kurator, 28.12.1945. Vgl. Kapitel 7.3. StAHH, PA Mevius, IV 1390. UAMs, Bestand 63, Nr. 181. UAMs, Bestand 4, Nr. 707, Gauhauptamtsleiter Westfalen-Nord an Gaupersonalamtsleiter Westfalen-Nord, 11.3.1945. Tatsächlich war sie bereits am 3.3. erfolgt, traf jedoch aufgrund der Kriegswirren erst am 18.3. in Münster ein, siehe StAHH, PA Mevius, IV 1368, Mevius an Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten, 31.7.1945.

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allein die Vorschlagsliste vorbereite, „unseren Wünschen“,345 das heißt einer Berufung Schratz’ auf das Ordinariat, Rechnung tragen werde. Drei Tage später wandte sich der Gauhauptamtsleiter erneut an Beyer, diesmal wieder in dessen Funktion als Gaupersonalamtsleiter. Der Gauhauptamtsleiter rekapitulierte fast wörtlich den Brief des Rektors an den Kurator, was darauf schließen lässt, dass das Schreiben Inhalt des bereits erwähnten Gespräches der beiden gewesen war. Durch die Einrichtung des Lehrstuhls für Angewandte Botanik wäre es möglich, Schratz auf die Vorschlagsliste zu setzen, und er sei zuversichtlich, dass es dem Rektor sicherlich gelingen würde, ihn an erster Stelle zu platzieren und somit (und hier benutzte er denselben Terminus wie der Rektor) „unseren Wünschen“ zu entsprechen.346 Damit bahnte sich eine Wiederholung der Vorgänge aus dem Jahr 1938/39 an, als Schratz schon einmal als Kandidat eines Netzwerks von Wissenschaft, Politik und außeruniversitären Institutionen in einen Posten eingesetzt worden war. Erneut spielten die gegenseitigen Vorteile, die die Beteiligten aus einer Amtsübernahme Schratz’ gezogen hätten, eine wichtige Rolle. Dieses Mal führten die Pläne jedoch nicht zum Erfolg. Der Zusammenbruch des NS-System, die Besetzung Münsters und die quasi-Schließung der Universität machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Zwar tauchte der Name Schratz auch im Berufungsverfahren für die Neubesetzung des botanischen Lehrstuhles nach 1945 wieder auf. Durch den Wegbruch seiner NS-Beziehungen war er jedoch, auch aufgrund seiner gegenüber den anderen Kandidaten weniger guten wissenschaftlichen Qualifikation („hinter Bünning, Firbas und Schumacher erst mit Abstand zu nennen“, „die einzige wissenschaftlich gute Arbeit hat er in Pasadena gemacht“),347 chancenlos. Wie für viele seiner Kollegen bedeutete das Ende des alten Regimes aber auch für Schratz keineswegs das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere. Ganz im Gegenteil konnte er diese, völlig unbeeinflusst von seiner Verstrickung in das NS-System, in ähnlichen Positionen wie vor 1945 fortsetzen. Dazu musste er aber zunächst das Ausmaß seiner Zusammenarbeit mit den NS-Machthabern gegenüber den neuen politischen Entscheidungsträgern herunterspielen. Hier war er nämlich vor allem aufgrund seiner leitenden Stellung in der RfH aufgefallen. So hatte der neue Oberpräsident der Provinz Westfalen Anfang Oktober 1945 angewiesen, dass mit sofortiger Wirkung keine Zahlungen aus dem Guthaben der RfH an Schratz mehr überwiesen werden durften. Dies begründete er damit, dass die RfH eine Unterabteilung der NSDAP und deren Kreisbeauftragte dem345 346 347

UAMs, Bestand 4, Nr. 707, Rektor an Kurator, 8.3.1945. Ebd., Gauhauptamtsleiter Westfalen-Nord an Gaupersonalamtsleiter Westfalen-Nord, 11.3.1945. UAMs, Bestand 62, B III 8c, diverse Gutachten, Kurzinformationen und persönliche Meinungen von Referenten über die für das Ordinariat für Botanik in Frage kommenden Kandidaten, undatiert, ca. 1945–1947.

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entsprechend Mitglieder der NSDAP und deren Amtswalter gewesen seien. Aus diesen Gründen sei eine Fortsetzung der RfH nicht in Frage gekommen. Schratz sei Parteimitglied gewesen und hätte daher nicht mit der weiteren Organisation von deren Angelegenheiten beauftragt werden können, solange nicht über seinen endgültigen Verbleib an der Universität entschieden sei. Einzelaufgaben der RfH, wie das Sammeln von Heilpflanzen, würden bis auf weiteres von jemand anderem, der nicht Parteimitglied gewesen sei, durchgeführt.348 Damit lag der Oberpräsident, von kleineren Ungenauigkeiten abgesehen (so bezeichnete er die RfH als Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenbeschaffung Westfalen), bemerkenswert nah an der organisatorischen Realität der RfH und den Tätigkeiten Schratz’. Durch die Intervention des Oberpräsidenten drohten dem Botaniker nun negative Konsequenzen für seine weitere Karriere. Daher machte er sich umgehend daran, für sich selbst die Legende eines unpolitischen, unabhängigen Wissenschaftlers zu entwerfen. Dabei schreckte er nicht davor zurück, Fakten zu verdrehen und bewusste Falschaussagen zu tätigen. Am 10. Oktober 1945 wandte er sich mit einem längeren Schreiben an den Oberpräsidenten und griff diesen scharf an. Einleitend gab er seinem Unmut darüber Ausdruck, dass dieser weiterhin falsche Behauptungen aufstelle, obwohl Schratz diese bereits zwei Mal mündlich richtig gestellt habe. So habe es niemals eine Arbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde Westfalen gegeben, sondern nur die RfH, die zudem keine Unterabteilung der NSDAP, sondern ein eingetragener Verein mit dem Ziel der Förderung der wissenschaftlichen Heilpflanzenkunde und Beschaffung von Qualitätsdrogen gewesen sei. In ihrer Arbeit sei sie völlig unabhängig gewesen und habe lediglich, wie alle derartigen Vereine und Vereinigungen, der Aufsicht des Staatssekretärs und Reichsgesundheitsführers unterlegen.349 Dass die RfH vom Reichsärzteführer Wagner selbst gegründet und dem Amt für Volksgesundheit der NSDAP untergeordnet war, verschwieg Schratz. Ebenso wenig ging er auf die damit zwangsläufig einhergehende Verschränkung mit dem NS-Regime ein. Stattdessen behauptete er, dass weder bei der Ernennung von Sachbearbeitern noch bei der Aufnahme von Mitgliedern eine Parteimitgliedschaft eine Rolle gespielt habe. Er selbst sei drei Jahre Sachbearbeiter gewesen, bevor er Parteigenosse geworden sei. Außerdem habe es auch Nicht-Parteigenossen als Kreissachbearbeiter gegeben. Wenn die RfH eine Unterabteilung der NSDAP gewesen sei, wäre dies wohl kaum möglich gewesen.350 Dass es hingegen auch in anderen Gliederungen der Partei, selbst der SA und der SS, Nicht-Parteimitglieder gegeben hatte, war ein weiteres Detail, dem Schratz keine Beachtung schenkte. Auch seine weiteren Ausführungen waren wenig überzeugend. Die RfH habe nicht im Organisationsbuch der NSDAP gestanden, und ihre Beauftragten seien keine Amtsträger der Partei gewesen. Hier log Schratz eindeutig in Bezug auf seine Person, hatte er sich doch selbst noch 1941 348 UAMs, Bestand 207, Nr. 513, OP an Volksbank Warendorf, 5.10.1945. 349 Ebd., Schratz an OP, 10.10.1945. 350 Ebd.

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in einem Fragebogen als Amtsleiter der NSDAP seit 1936, also dem Jahr, in dem er der RfH beigetreten war, bezeichnet.351 Wenn nicht falsch, so doch für die Beurteilung der RfH letztlich irrelevant sind auch seine weiteren Aussagen. So seien die Geldmittel der RfH nicht von der Partei, sondern vom Reichswirtschaftsministerium geflossen. Ebenso habe sie keine eigenständige Finanzstruktur gehabt.352 Ähnliches galt aber auch für andere NSDAPEinrichtungen, wie beispielsweise das Kolonialpolitische Amt. Zuletzt gab Schratz noch an, dass die Aufträge der RfH vom Reichsamt für Wirtschaftsausbau und die Anordnungen zur Durchführung von Sammlungen an Schulen vom REM und somit immer von staatlichen Stellen gekommen seien. Die Tatsache, dass die RfH mit ihren Befugnissen über HJ und BDM auch auf explizite Parteiorganisationen zurückgreifen konnte, erwähnte er nicht. Abschließend noch: der Briefkopf der RfH habe kein Hakenkreuz erhalten. Außerdem habe man kein Dienstsiegel besessen. Damit war für Schratz die völlige Unabhängigkeit der RfH bewiesen. Obwohl die Sachlage also klar sei, verbreite der Oberpräsident weiterhin falsche Aussagen als offizielle Stellungnahmen, die Betroffene wie Schratz in ihrer Stellung gefährdeten. Daher erwarte er, dass der Oberpräsident bei allen von ihm dahingehend falsch informierten Stellen Richtigstellungen abgebe und ihn selbst darüber informiere.353 Offenbar war dem Botaniker der Habitus des Befehlsgebers gegenüber staatlichen Stellen noch nicht abhanden gekommen. Am selben Tag, an dem er dem Oberpräsidenten seine Version der Dinge darlegte, informierte Schratz auch den Vorsitzenden des Informationsausschusses an der Universität, zuständig für eine „Entnazifizierung“ des Lehrkörpers, über den Schriftwechsel. Damit wollte er nach eigener Aussage den seit einiger Zeit von „gewissen Personen“,354 womit despektierlich nur der Oberpräsident gemeint sein konnte, bewusst aufgestellten falschen Behauptungen entgegentreten. Verfolgt man den weiteren Verlauf der Karriere des Botanikers, so kann nur von einem vollen Erfolg seiner Legendenbildung gesprochen werden. Zunächst wurde er im Oktober 1945 durch Verfügung der Militärregierung in seinem Amt als Hochschullehrer und als Leiter der Abteilung Pharmazeutische Botanik am Botanischen Institut bestätigt.355 Anfang Mai 1946 beantragte dann der neue Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Behnke, beim Kurator, Schratz zum stellvertretenden Direktor des Instituts für Pharmazeutische und Chemische Technologie zu ernennen. Der bisherige Direktor Kaufmann sei zwar durch die Militärregierung im Amt bestätigt, dies aber nur für Forschungsarbeiten. Da der Unterricht jedoch im großen Umfang wieder einsetze, müsse ein Leiter zur Betreuung der Studenten vorhanden sein. Bei dem großen Ansehen 351 UAMs, Bestand 9, Nr. 1359, Ergänzungsfragebogen zur PA, Juni – Oktober 1941. 352 UAMs, Bestand 207, Nr. 513, Schratz an OP, 10.10.1945. 353 Ebd. 354 Ebd. 355 UAMs, Bestand 9, Nr. 911, Bescheinigung, 12.11.1947.

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Kaufmanns müsse dies jemand sein, der in jovialer Weise seine Tätigkeit gegenüber diesem abgrenzen könne. Schratz sei dafür geeignet, weil er schon immer einen gesonderten Unterricht für Pharmazeuten abgehalten habe.356 Drei Wochen später wurde der Botaniker vom Oberpräsidenten in sein neues Amt eingewiesen.357 Gleichzeitig übernahm er während der Vakanz des botanischen Lehrstuhls den Unterricht der Mediziner in Botanik.358 Aber nicht nur inner-, sondern auch außeruniversitär kam es zu keinem Bruch in Schratz’ Tätigkeiten. Anfang März 1946 teilte die Apothekerkammer Westfalen dem Rektor mit, dass der Oberpräsident Schratz mit der Leitung und Betreuung einer Arbeitsgemeinschaft für Arzneipflanzenkunde und Arzneipflanzenbeschaffung betraut habe.359 Wahrscheinlich war damit die Ernennung Schratz zum Leiter der Landesstelle für Arzneipflanzen e. V. gemeint, in deren Rahmen er 1950 7.500 DM Forschungsbeihilfen vom Wirtschaftsministerium des Landes NRW einwerben und enge Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie herstellen konnte.360 Gleichzeitig gab die Apothekerkammer ihrer Freude darüber Ausdruck, dass in dieser wichtigen Frage die Mitarbeit der Universität in der Person von Schratz zur Verfügung stehe.361 Im Rahmen dieser Aufgabe konnte der Botaniker dann auch eine weitere seiner Tätigkeiten vor 1945 fortsetzen. Am 23. Januar 1947 wandte sich die Apothekerkammer Westfalen-Lippe als Antwort auf eine Nachfrage der Universität an den Kurator und teilte mit, dass sie an der Weiterführung des auch vor 1945 von Schratz geleiteten Arzneipflanzenversuchsfeldes der früheren RfH interessiert sei, diese aber nicht bezuschussen könne.362 Schratz wandte sich daraufhin ebenfalls an den Kurator. Als er zum Leiter der Abteilung für pharmazeutische Botanik ernannt worden sei, habe es zu seinen Aufgaben gehört, die nötigen Voraussetzungen für wissenschaftliche Arbeiten auf diesem Gebiet zu beschaffen. Daher habe er 1941 mit der Anlage des Versuchsfeldes begonnen. Da damals keine etatmäßigen Mittel vorhanden gewesen seien, habe die Deutsche Apothekerschaft die Trägerschaft des Feldes übernommen und es bis Kriegsende mit jährlich 10.000 RM finanziert. Kosten für einmalige größere Anschaffungen, zum Beispiel ein Gewächshaus, habe das Reichsamt für Wirtschaftsausbau, Kosten für bestimmte wissenschaftliche Untersuchungen der Reichsforschungsrat übernommen. Aktuell würde das Feld über eine Stelle aus dem Botanischen Garten sowie seit Herbst 1946 durch 1.500  RM der Fördergesellschaft der Universität Münster getragen. Alles andere würde über Schratz’ Privatvermögen finanziert. Nun bat er darum, dass die Universität das Feld übernehme und es der Abteilung für Pharmazeutische Botanik anglie356 357 358 359 360 361 362

UAMs, Bestand 92, Nr. 114, Dekan an Kurator, 7.5.1946. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, OP Westfalen an Schratz, 28.5.1946. UAMs, Bestand 207, Nr. 513, Rektor an Schratz, 21.7.1948. Ebd., Apothekerkammer Westfalen an Rektor, 9.3.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 541, Schratz an Kurator, 5.9.1950. UAMs, Bestand 207, Nr. 513, Apothekerkammer Westfalen an Rektor, 9.3.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 541, Apothekerkammer Westfalen-Lippe an Kurator, 23.1.1947.

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dere, da es einen unzweifelhaften Wert für Forschung und Lehre besäße.363 Auch hier war er erfolgreich: Einige Monate später übernahm die Universität zusammen mit der Stadt Münster den Pachtvertrag, und der Garten wurde weiter ausgebaut.364 Ähnlich positiv wie hierbei lief es für den Pharmakognosten auch in seinem Entnazifizierungsverfahren. Obwohl er sowohl im Zusammenhang mit dem Besetzungsverfahren für den vakanten Lehrstuhl für Botanik als auch vom Sichtungsausschuss der Universität in Gutachten als Parteigenosse und aktiver Nationalsozialist365 sowie als mit guten Beziehungen zur NSDAP ausgestattet und von ihr gefördert366 eingestuft wurde, wurde er am 4. Dezember 1947 lediglich aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft von 1937 bis 1945 in Kategorie IV ohne Vermögenssperre, das heißt als Mitläufer, eingereiht.367 Damit stand einer Fortsetzung von Schratz’ Universitätskarriere nichts mehr im Wege. Eine ähnliche Kontinuität bestimmte auch die Lehrveranstaltungen des Extraordinarius über den Systembruch 1945 hinweg. Im Wintersemester 1945/46 war er einer von nur drei Biologen, die mit „Pflanzenphysiologie“ weiterhin Vorlesungen abhielten. Ab dem Sommersemester 1946 waren seine Veranstaltungen dann entsprechend seiner Stellvertreterrolle unter „Pharmazie“ gelistet, und er griff mit „Systematik der Pflanzen mit besonderer Berücksichtigung der Arzneipflanzen“ sowie „Mikroskopische Übungen“ Themen von vor 1945 wieder auf. Ab dem Wintersemester 1946/47 lehnten sich die Seminare auch vom Titel wieder an ihre Vorgänger an: „Untersuchungen von Drogenpulvern“, „Pharmakognostisches Praktikum“ und „Pharmakognostisches Kolloquium“. Von diesem Zeitpunkt an sollten sie, mit gelegentlichen, ebenfalls auf Vorkriegsvorlesungen beruhenden Ergänzungsveranstaltungen zur Systematik von Arzneipflanzen oder zur Bestimmung von Blütenpflanzen, bis zum Beginn der 1950er-Jahre unverändert bleiben.368 Mit dem Wintersemester 1949/50 erreichte am Botanischen Institut, dem die Abteilung für Pharmazeutische Botanik noch immer organisatorisch untergeordnet war, die Zahl der insgesamt angebotenen Lehrveranstaltungen einen ersten Höhepunkt. Nach der Berufung des neuen Ordinarius Strugger war es diesem mit einer Kombination aus bereits vor oder während des Krieges eingestellten, aus dem Krieg zurückkehrenden und ab 1949 neu ans Institut hinzukommenden Mitarbeitern und Lehrbeauftragten gelungen, eine große Bandbreite von Themengebieten in das Lehrprogramm aufzunehmen und den Studenten zur Verfügung zu stellen. Hiervon profitierte auch Schratz, der sich nun intensiver seinem eigentlichen Spe363 364 365 366 367 368

Ebd., Schratz an Kurator, 3.3.1947. Ebd., Vermerk, Juli 1947. UAMs, Bestand 62, B III 8c, diverse Gutachten, Kurzinformationen und persönliche Meinungen von Referenten über die für das Ordinariat für Botanik in Frage kommenden Kandidaten, undatiert, ca. 1945–1947. UAMs, Bestand 4, Nr. 630, Gutachten des Sichtungsausschusses über Schratz, 19.5.1947. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Einreihungsbescheid, 4.12.1947. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse Wintersemester 1945/46 bis Wintersemester 1950/51.

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zialgebiet widmen und hier auch die Zahl der von ihm selbst angebotenen Veranstaltungen ausbauen konnte. Zu den inzwischen schon als traditionell zu bezeichnenden Seminaren, die er seit 1939 und teilweise schon davor abgehalten hatte, trat nun eine Reihe von neuen Veranstaltungen hinzu. Arzneipflanzenkurse für Mediziner, Wirtschaftsgeographie der Drogen- und Nutzpflanzen, Untersuchungen von Nahrungs- und Genussmitteln oder Teeanalyse waren nur einige der Themen, die in den folgenden Semestern in den Vorlesungsverzeichnissen auftauchten.369 Hieraus entwickelte sich in Kombination mit seinen älteren Vorlesungen ein neues Lehrangebot. Regelmäßig hielt Schratz nun pro Semester sechs bis acht Seminare ab, also mehr als doppelt so viele wie zuvor. Der Anstieg der Studentenzahlen machte es zum Teil sogar nötig, dieselbe Veranstaltung nach Semesterzahl der Studenten gestaffelt mehrmals zu lesen.370 Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums sollten Umfang und Inhalt des Lehrangebots weitgehend unverändert bleiben. Neben einem Ausbau der Veranstaltungen stieg auch die Zahl der betreuten Dissertationen an. Zwischen 1948 und 1962 agierte Schratz 15-mal als Doktorvater und kooperierte dabei teilweise mit seinem zoologischen Kollegen Rensch.371 Ab dem 29. Mai 1952 konnte er seine Doktoranden dann auch explizit im Fach Pharmakognosie betreuen. Entsprechend ihrer wachsenden Bedeutung innerhalb des Fächerkanons der Universität wurde diese nämlich an jenem Tag als prüfbares Haupt- oder Nebenfach in die Promotionsordnung der Universität aufgenommen.372 Dieser Prestigegewinn der Pharmazeutischen Botanik im Kontext der sich immer weiter ausdifferenzierenden biologischen Wissenschaften sollte sich auch in einem gleichfalls wachsenden Selbstbewusstsein der Abteilung widerspiegeln. Ende 1952 beantragten Strugger und Schratz die organisatorische Verselbständigung der Pharmakognosie innerhalb des Botanischen Instituts. Unterstützung erhielten diese Bemühungen durch den Kurator.373 Auch der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, der sich davon erhoffte, einen ganz anderen Kreis an Studenten als denjenigen der reinen und angewandten Botanik erfassen zu können, schloss sich dem Antrag an.374 Zum Sommersemester 1953 genehmigte das Kultusministerium NRW daraufhin die Errichtung einer selbständigen Abteilung für Pharmazeutische Botanik im Botanischen Institut. Mit ihrer Leitung wurde Schratz betraut.375 Durch diesen Schritt unterstützt entwickelten sich in der Folge sowohl Lehrtätigkeit als auch Hörerzahl der Abteilung stetig weiter. Zum Wintersemester 369 370 371

Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1949/50ff. Zum Beispiel im Sommersemester 1955 die Pharmakognostischen Übungen. Vgl. UAMs, Bestand 94, Übersicht über die Dissertationen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät sowie UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. 372 UAMs, Bestand 9, Nr.  1372, Kurator an Kultusministerium Schleswig-Holstein, 25.9.1954. 373 UAMs, Bestand 62, D 21, Kurator an Dekan, 3.12.1952. 374 Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 22.12.1952. 375 Ebd., Kurator an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 9.7.1953.

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1956/57 erhielt Schratz außerdem mit Ferdinand Amelunxen einen eigenen Assistenten.376 Damit ergaben sich jedoch neue Probleme. Anders als die Zoologen, die zur selben Zeit durch einen Institutsneubau die allgegenwärtige Raumnot überwinden konnten, arbeiteten die Botaniker nämlich noch immer in ihrem alten Gebäude, welches für einen Institutsbetrieb ohne eigene pharmakognostische Abteilung ausgestattet war. Über kurz oder lang stellte sich also die Frage, wie mit dieser Problematik umzugehen sei. Im Mai 1954 beschlossen Strugger und Schratz daher, nach der organisatorischen Eigenständigkeit auch die räumliche Loslösung der Abteilung aus dem Botanischen Institut zu beantragten: die Neuerrichtung eines eigenen Instituts für Schratz.377 Hierfür konnten sich die beiden Botaniker auch die Unterstützung Kaufmanns sichern.378 Welche außerordentliche Wichtigkeit Strugger den Plänen beimaß, lässt sich aus ihrer Einbeziehung in einen weiteren Vorgang ersehen. Als er 1954, nachdem er einen Ruf nach München erhalten hatte, Bleibeverhandlungen mit dem Kultusministerium NRW führte, ließ Strugger eine Zusage des Ministeriums, sich für die Herausnahme der Abteilung aus dem Botanischen Institut und die Errichtung eines eigenständigen Instituts für Pharmazeutische Botanik einzusetzen, explizit als Unterpunkt in seine Berufungsvereinbarungen aufnehmen.379 Trotz dieser Zusage legte die Universität den Vorgang jedoch erst einmal auf Eis. Die nächsten Jahre mussten die Forscher also mit den beschränkten Möglichkeiten des botanischen Institutsgebäudes weiterarbeiten. 1957 hatte sich die Situation aber soweit zugespitzt, dass Strugger und Schratz einen erneuten Antrag in Düsseldorf stellten. Bei einer Gesamtanzahl von 700 Studierenden pro Semester entfielen inzwischen allein 300 auf die Pharmakognosie. Im Hinblick darauf sei eine Lösung des Problems „wirklich dringend“.380 Außerdem könnte das Botanische Institut durch einen Auszug der Abteilung aus dem Dachgeschoss durch die dort freiwerdenden Räume entlastet werden und die schon seit Jahren benötigte Abteilung für Vegetationskunde und Systematik einrichten. In einem Begleitschreiben sprachen sich auch Universitätsleitung und Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät mit Nachdruck für eine Bewilligung des Antrags aus. Insbesondere die stark steigenden Studentenzahlen ließen außergewöhnliche Maßnahmen notwendig erscheinen.381

376

UAMs, Bestand 10, Nr. 3647, Kurator Öttingen an Kurator der Universität Münster, 13.2.1967; Amelunxen wechselte 1967 als Abteilungsleiter und Professor an die Universität Göttingen. 377 UAMs, Bestand 62, D 21, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 28.5.1954. 378 Ebd., Kaufmann an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 28.5.1954. 379 UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kurator an Kultusministerium NRW, 21.9.1954. 380 UAMs, Bestand 62, D 21, Strugger und Schratz an Kultusministerium NRW, 5.8.1957. 381 Ebd., unbekannt (vermutlich Kurator) an Kultusministerium NRW, 5.8.1957.

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Zwar verzögerte sich die Angelegenheit danach, sehr zum Unwillen Struggers und Schratz’,382 noch mehrmals. Anfang Februar 1960 konnte Strugger dem Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät aber schließlich mitteilen, dass der Bau des Instituts fast abgeschlossen und der Umzug Schratz’ in die dortigen Räume für den Herbst geplant sei. Mit der endgültigen räumlichen Trennung sollte nach dem Willen des Ordinarius aber nunmehr auch die endgültige organisatorische Trennung zwischen Pharmakognosie und Botanik herbeigeführt werden. Dementsprechend beantragte Strugger, die Abteilung zu einem selbständigen Institut für Pharmakognosie umzuwandeln und Schratz zum Institutsdirektor zu ernennen. Dazu müsste die Fakultät lediglich einen entsprechenden Beschluss fassen und mit der Bitte um Genehmigung an das Kultusministerium weitersenden.383 Bereits zwei Wochen später leitete der Dekan die notwendigen Schritte in die Wege. Zur Begründung führte er an, dass die Abteilung bereits seit vielen Jahren mit eigenem Personal und eigenem Sachetat bestünde, dass das Fach Pharmakognosie sich in Lehre und Forschung so stark entwickelt habe, dass die Fakultät es bereits 1952 als Promotionsfach eingeführt habe, und der Neubau nunmehr fast abgeschlossen sei. „Die Umwandlung in ein selbständiges Institut ergibt sich daher aus der Bedeutung des Fachs und seiner sinnvollen Eingliederung in die Universität.“384

Dem wollte auch das Kultusministerium NRW nicht widersprechen und genehmigte den Antrag bereits am 9. März 1960.385 Ein Jahr später konnte der Umzug in das neue Gebäude abgeschlossen werden.386 Dieses war direkt neben dem ursprünglichen Versuchsfeld der RfH errichtet worden, welches inzwischen auf 14 Morgen angewachsen und mehrfach ausgebaut worden war. Am 11. Juli 1961 fand in Anwesenheit des Kurators, einiger Beamter aus den beteiligten NRW-Ministerien und zahlreicher Pressevertreter die Übergabe des für die damalige Zeit mit der neuesten Technik ausgestatteten Neubaus an Schratz statt. Nun waren alle Konflikte und Schwierigkeiten vergessen: Der Kurator lobte Schratz für seine jahrelange Arbeit und seine Verdienste um die Pharmakognosie an der Universität Münster, und Schratz dankte den beteiligten Stellen für „die gute Zusammenarbeit und die stete Berücksichtigung aller seiner Wünsche und Vorschläge.“387 Einige Tage später fand dann eine Einweihungsfeier im engsten akademischen Rahmen statt. Neben einer Reihe von Professoren waren dort auch der Vorsitzende der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (Landesgruppe 382 383 384 385 386 387

Vgl. hierzu ebd., Strugger an Rektor, 9.4.1959, und Schratz an Rektor, 9.4.1959. Ebd., Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 3.2.1960. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium, 16.2.1960. Ebd., Kultusministerium an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 9.6.1960. UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 2, Zeitungsausschnitt aus „Münstersche Zeitung“, 15.5.1971. Einweihung des Instituts für Pharmakognosie der Universität Münster, Sonderdruck aus Deutsche Apotheker-Zeitung, 101 (1961), S. 951–953, hier: S. 951.

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Westfalen-Lippe), der Präsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe sowie der Vorsitzende des Apothekervereins Westfalen-Lippe anwesend388 – ein weiteres Beispiel für die weiterhin gute Vernetzung des Extraordinarius. Schratz’ gute Kontakte sorgten auch dafür, dass sich der Karriereaufstieg des Pharmakognosten auch außeruniversitär weiter fortsetzte. Besonders in der Deutschen Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) spielte er eine tragende Rolle. Bereits 1953 war er dort zum Vizepräsidenten gewählt worden. Diesen Posten sollte er bis 1957 innehaben. 1960 wurde er dann Präsident der Gesellschaft.389 Ebenso war er von 1953 bis 1977 als Schriftleiter des Organs der GA, der Zeitschrift „Planta Medica“, tätig und konnte hier die Erfahrungen, die er als Sachbearbeiter für „Die deutsche Heilpflanze“,390 dem Zentralorgan der RfH, bis 1945 hatte sammeln können, erneut einbringen.391 Nachdem er 1965 als Präsident der GA ausschied, wurde er zum Vorsitzenden der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft, Gruppe Westfalen-Lippe, gewählt.392 1963 erfolgte schließlich die Krönung der wissenschaftlichen Karriere des Pharmakognosten. Am 18. März wurde Schratz zum ordentlichen Professor ernannt, womit gleichzeitig auch das Extraordinariat für Pharmazeutische Botanik in ein Ordinariat umgewandelt wurde.393 Diese Umwandlung fiel in einen Zeitraum, in dem auch die Zoologie an der Universität Münster weiter aufgespalten wurde. Fünf Jahre später, am 1. September 1968, wurde Schratz nach 36 Dienstjahren in Münster emeritiert.394 Er verstarb am 9. April 1977.395 Innerhalb der Universität, aber noch vielmehr im außeruniversitären Bereich, wird ihm noch immer ein ehrendes Andenken gewahrt. Bis heute ist Schratz der einzige Ehrenpräsident der GA.396 Die Karriere Eduard Schratz’ während des „Dritten Reichs“ und in der Nachkriegszeit kann als exemplarisch für den Aufstieg einer Vielzahl von Nachwuchswissenschaftlern in den 1930er- und 1940er-Jahren angesehen werden. In einem Prozess wechselseitiger Ressourcenmobilisierung gelang es ihnen, sich dem NSRegime als wichtiger Partner in einer Beziehung aus Wissenschaft und Politik anzubieten, aus der beide Seiten ihre Vorteile zogen. Junge Forscher wie Schratz setzten ihre Nützlichkeit für das Regime ein, um ihre Karrieren zu befördern und sich wis388 Ebd. 389 Sprecher, Ewald, Caesar, Wolfgang (Hg.), Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung. 50 Years 1953–2003. A Jubilee Edition, Stuttgart 2003, S. 138. 390 LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schratz, NW 1039–SCH, Nr. 174, Fragebogen, 15.2.1947. 391 Sprecher 2003, S. 139. 392 UAMs, Bestand 207, Institut für Pharmakognosie an Rektor, 1.12.1965. 393 UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 2, Kultusministerium NRW an Schratz, 18.3.1963. 394 Ebd., Kultusministerium NRW an Rektor, 1.9.1968. 395 UAMs, Bestand 10, Nr. 3811, Bd. 1, Sterbeurkunde, 12.4.1977. 396 Sprecher 2003, S. 137; die GA wurde inzwischen in „GA – Society for Medicinal Plant and Natural Product Research/GA – Gesellschaft für Arzneipflanzen- und NaturstoffForschung (e. V.)“ umbenannt.

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senschaftlich zu profilieren. Dadurch wurden auch sie zu stabilisierenden Faktoren für ein verbrecherisches System. An jedem Scheideweg seiner Karriere profitierte Schratz dabei direkt oder indirekt von den Unrechtstaten des NS-Regimes. 1933 übernahm er, ohne eigenes Zutun, die Aufgaben des wegen seiner jüdischen Abstammung von der Universität vertriebenen Heilbronn. 1937 konnte er den wegen seiner angeblichen katholischen Verstrickungen ausgeschalteten Roberg ausstechen. 1938 gelangte Schratz lediglich aufgrund seiner intensiven politischen Vernetzung mit NS-Stellen trotz geringerer Qualifikation auf den Posten des Extraordinarius, und selbst 1945 noch sollte er durch ein erneutes Ränkespiel zwischen Rektorat und Gauleitung zum Ordinarius für Botanik werden. Hierbei konnte er sich bis zum Schluss der Protektion Mevius’ sicher sein. Wissenschaftlich passte er sich während seiner Karriere mehrfach den äußeren Umständen an. 1933 wechselte er erst zur Vererbungslehre und 1937 dann zur Pharmakognosie. Dennoch erreichte er zeitgenössischen Gutachten zu Folge dabei niemals dasjenige wissenschaftliche Niveau, welches den Fortschritten seiner politisch abgesicherten Laufbahn entsprochen hätte. Nach 1945 gelang es Schratz dann, für sich selbst die Legende eines unpolitischen und unbelasteten Wissenschaftlers zu entwerfen und seine Karriere nahtlos fortzusetzen. Nicht zuletzt profitierte er von einer unzureichenden „Entnazifizierung“ der Universität Münster und seinen weiter bestehenden guten außeruniversitären Kontakten. Dabei ist in seinen eigenen Schriften zu keinem Zeitpunkt eine kritische Reflexion seiner eigenen Karriere erkennbar. Stattdessen stritt Schratz jegliche Schuld und Verstrickung ab und schreckte auch nicht davor zurück, Fakten zu verdrehen und Falschaussagen zu tätigen. Schratz’ Karriere muss demnach kritisch bewertet werden. Er verstand es, die Möglichkeiten, die sich ihm durch die äußeren Umstände des Nationalsozialismus boten, geschickt auszunutzen und zögerte an den entscheidenden Punkten nicht, sich aus eigenem Antrieb dem Regime anzubieten und es zu unterstützen. Ohne den Nationalsozialismus ist sein Aufstieg daher nicht erklärbar. Auch wenn dies wenig über seine späteren Verdienste um die Pharmakognosie in Münster und sein wissenschaftliches Gesamtwerk aussagt, so waren beide doch ohne diesen Hintergrund nicht möglich und sollten bei einer Gesamtbewertung seiner wissenschaftlichen Biographie daher nicht vernachlässigt werden. Nach diesem Exkurs kehrt die Untersuchung in den Herbst des Jahres 1937 zurück. Mit der Übernahme von Hannigs Lehrveranstaltungen durch Schratz am 1.  November 1937 und der Entbindung des künftigen Extraordinarius von seinen Pflichten als Assistent musste Mevius einen neuen Mitarbeiter finden, der Schratz’ alte Aufgabengebiete übernehmen konnte. Seine Wahl fiel dabei auf Wilhelm Dorfmüller, seines Zeichens Doktorand am Botanischen Institut.397 397

Wilhelm Dorfmüller wurde am 11.4.1913 in Dinklage als Sohn eines Tierarztes geboren und katholisch getauft. Nach dem Besuch der katholischen Volksschule Vechta von 1919

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Zum 1. November 1937 trat Dorfmüller die Stelle eines zweiten außerplanmäßigen Assistenten an.398 Mit den Personalverschiebungen ging, analog ähnlicher Veränderungen in den Vorjahren, auch eine Aufgabenverschiebung im Bereich der Lehre einher. Zum Wintersemester 1937/38 übernahm Schratz, wie ausführlich dargestellt, die Lehraufgaben Hannigs in Pharmakognosie. Schratz’ bisherige Themen (Pflanzenbestimmung, Pflanzengeographie, Kolonialbotanik und Sterilisationskurse) wurden von nun an vom anderen Assistenten, Engel, übernommen.399 Inhaltlich blieb also in der Gesamtschau vorerst alles beim Alten. Ähnlich sah es auch in Bezug auf die Forschung aus. Mevius wurde weiter für Themen wie „Pflanzenbau“, „Stoffwechselphysiologie der Pflanzen“ und Untersuchungen über die Mineralstoffabgabe der Blätter und den Mangan- und Borstoffwechsel der Pflanzen400 mit mehreren tausend RM durch die DFG gefördert.401 Offenbar machte sich aber bereits nach einem halben Jahr die Doppelbelastung, die der Ordinarius durch das Rektorenamt tragen musste, negativ bemerkbar. Am 11. November teilte der Kurator dem REM mit, dass Mevius aus diesem Grund Dozenten zur Vorlesungstätigkeit heranziehen und seine eigene Lehrtätigkeit einschränken müsse.402 Mit dem letzten Friedensjahr 1938 hielten dann in beschränktem Maße weitere Veränderungen am Botanischen Institut Einzug. Zum einen richtete Engel zusammen mit dem Assistenten am Institut für Hygiene, Reploh, eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Titel „Einführung in die Bakteriologie und Hygiene mit praktischen Übungen für Biologen, Pharmazeuten und Nahrungsmittelchemiker“ ein.403 Während damit einerseits die langjährige fächerübergreifende Ausrichtung

398 399 400 401 402

403

bis 1923 und des Staatlichen Humanistischen Gymnasiums Vechta von 1923 bis 1932 studierte er 1932 zunächst Medizin an der Universität Wien, dann 1933 Biologie, Chemie und Physik in Innsbruck. Im selben Jahr wechselte er an die Universität Münster, wo er bis zum Abschluss seines Studiums mit einer Dissertation zum Thema „Lichterkennung und Wirkstoffe in ihrer Bedeutung für die Bewurzelung von Commelinaceenstecklingen“, für die er am 14.5.1938 die Note sehr gut erhielt, verblieb. Politisch hatte sich der Assistent wie die Mehrheit seiner Kollegen einer Vielzahl von NS-Organisationen angeschlossen. Am 1.5.1933 war er mit der Mitgliedsnummer 3060670 der NSDAP und im selben Monat auch der SA beigetreten. Es folgten NSDStB, NSDDB, Reichsdozentenschaft und im4.1938 die NSV. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 1495, Lebenslauf, 1937; ebd., Mevius an Kurator, 21.12.1937; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Dorfmüller, NW 1013–II/ED, Nr. 949, Fragebogen; UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. UAMs, Bestand 10, Nr. 1495, Mevius an Kurator, 21.12.1937. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1937/38–SS 1938. BAB, R 73, Nr. 19117, Mevius an DFG, 24.8.1937. BAB, R 73, Nr. 13118, DFG an Mevius, 8.6.1937. So habe er auf das Angebot der Bearbeitung eines Werkes „Der Mineralstoffhaushalt der Pflanzen“ verzichten und die Mitarbeit am „Handbuch der Pflanzenphysiologie“ sowie die Sachbearbeitung des Filmes „Nahrungsaufnahme und Assimilation der Pflanzen“ infolge dienstlicher Überlastung ablehnen müssen.Siehe: BAB, ehemals BDC, A 0046, Kurator an REM, 11.11.1937. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1938/39.

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von Teilbereichen der biologischen Lehre, wie sie auch am Zoologischen Institut Tradition hatte, fortgesetzt wurde, so markierte sie mit der expliziten Einbeziehung eines nicht am Institut angestellten Dozenten eines der wenigen Beispiele der Kooperation der Botanik mit einem anderen Institut der Universität Münster. Das Seminar wurde in den folgenden Semestern fortgesetzt und sollte erst mit Kriegsausbruch wieder eingestellt werden. Zum anderen vollzog sich ein weiterer Wechsel auf personeller Ebene. Otto Krebber, der diesen Schritt bereits länger angekündigt hatte, trat zum 1. April 1938 in den Schuldienst zurück. Seine Stelle übernahm zunächst auf zwei Jahre befristet Dorfmüller, womit die erst ein Jahr zuvor eingerichtete zweite außerplanmäßige Assistentenstelle wieder wegfiel.404 Somit zeigte sich das Botanische Institut auch Ende der 1930er-Jahre weiterhin von Kontinuität geprägt. Dennoch hatten die größeren Entwicklungen innerhalb der Hochschulbiologie auch vor den Toren der Universität Münster nicht halt gemacht. Im Teil dieser Arbeit, der sich mit dem Zoologischen Institut befasst, wurde bereits gezeigt, dass um das Jahr 1938 herum viele junge Biologen in die Industrie abwanderten. Ebenso zog der auf die Rüstungsindustrie gestützte Wirtschaftsaufschwung eine Mehrheit der Schulabgänger in andere, stärker anwendungsorientierte Studienfächer. Viele Professoren sahen darin eine Krise der Universitätsbiologie heraufziehen. Hinzu kam, dass sich die nach der Machtübernahme kurzfristig in Bewegung geratenen Strukturen innerhalb der Universitäten wieder verfestigt hatten, so dass von den Reformansätzen der frühen NS-Zeit wenig übrig geblieben war. Auch wenn hiervon an der Universität Münster insgesamt noch wenig zu spüren war (die Studentenzahlen stiegen an, die Zahl der Promotionen blieb gleich, und auch die Forschungsinhalte änderten sich nur wenig), war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis auch Mevius in seiner Doppeleigenschaft als Botaniker und Rektor mit diesen Klagen konfrontiert wurde. Im Sommer des Jahres wandte sich sein Kollege Georg Tischler vom Botanischen Institut der Universität Kiel an ihn, da er der „einzige Biologe [sei], der gerade Rektor ist“ und nicht zu den „Saturierten“ gehöre.405 Deshalb wolle er Mevius gegenüber das Nachwuchsproblem der jungen Biologen und die Verbitterung der Assistenten zum Ausdruck bringen. So lauteten die Vorwürfe, dass die Ordinarien saturiert seien und nichts für den Nachwuchs täten. Für die außerplanmäßigen Assistenten gelte, dass die vom REM gewünschte Verheiratung nahezu unmöglich sei, da die Beihilfen unzulänglich seien, man zu lange in den außerplanmäßigen Stellen verbleiben müsse und es kaum Aufstiegsmöglichkeiten gäbe. Bei den planmäßigen Assistenten sei das Anfangsgehalt zu niedrig, im außeruniversitären Bereich werde viel besser gezahlt, und der Lebensstandard sei der Stellung selten würdig. Außerdem würden sich die freien Berufe über die Akademiker lustig machen. In einigen Jahren würde man daher Mühe haben, gute biologische Assistenten zu finden, da Ungewissheit und Aussichtslosigkeit den Beruf bestimmten. Tischler schränkte 404 405

UAMs, Bestand 10, Nr. 1495, Mevius an Kurator, 29.3.1938. UAMs, Bestand 4, Nr. 253, Tischler an Mevius, 24.7.1938.

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zwar ein, dass sicherlich einiges hiervon übertrieben sei, man solle aber auch nicht zu optimistisch in die Zukunft blicken, da immer weniger Studenten Biologie wählten und Veranstaltungen daher leer blieben. Deshalb bitte er Mevius darum, auf der anstehenden Rektorenkonferenz dahingehend etwas zur Sprache zu bringen.406 Mevius hingegen zeigte sich in seiner Antwort erstaunt über die Klagen, stellte sich die Situation in Münster doch nicht so düster dar wie von Tischler beschrieben. So zählte er als Beispiel die finanzielle Situation und staatliche Förderungsmaßnahmen für die Assistenten auf. Dennoch sagte Mevius zu, das Thema anzusprechen.407 Diese Episode zeigt, dass die Frage, ob die Politik mit ihren Parolen von der Biologie als Grundlage des Nationalsozialismus also tatsächlich etwas für das Fachgebiet tat oder lediglich Propaganda betrieb, daher auch ob der unterschiedlichen Wahrnehmungen selbst innerhalb der Ordinarienschaft nicht eindeutig zu beantworten ist. Außerdem variierte die Situation von Universität zu Universität und von Gau zu Gau, lag es doch häufig gerade an Interesse und Durchsetzungskraft lokaler und regionaler NS-Größen, welche Bereiche an den Hochschulen gefördert wurden und welche nicht. Ähnliche Unklarheiten bleiben auch in anderen Bereichen. Betrachtet man ganz allgemein das Verhältnis von Politik und Wissenschaft Ende der 1930er-Jahre, so scheint es zunächst, als habe das NS-Regime durch eine Reihe von Entscheidungen stärker in die Eigenständigkeit der Wissenschaft eingreifen wollen. So verbot es beispielsweise im Juni 1938 in Absprache mit dem Auswärtigen Amt vorläufig den Beitritt Deutschlands zur Internationalen Biologischen Union, da diese in Verbindungen zum Völkerbund stehe.408 Infolge dessen wurde auch die Teilnahme von Deutschen an Kongressen der Organisation untersagt. Damit wurde jedoch nur eine schon bestehende ad-hoc Politik kodifiziert, hatte doch das REM zum Beispiel bereits 1937 Söding, der in Paris auf einer Tagung der IUBS einen Vortrag über Pflanzenhormone hatte halten wollen, dies mit dem Hinweise auf Völkerbundverbindungen untersagt.409 Auch 1935 beim 12. Internationalen Zoologenkongress hatte das Ministerium bis auf die unterste personelle Ebene in die Delegationsorganisation eingegriffen.410 Diese Eingriffe hatten jedoch nichts mit den wissenschaftlichen Aussagen der beteiligten Forscher zu tun, sondern wurden nur vorgenommen, wenn diese sich „deutschfeindlich“ betätigten, d. h. Partei für Juden ergriffen oder gegen die NS-Rassenlehre vorgingen. Ähnliche Scheinverschärfungen gab es auch bei der Regelung von Berufungsverfahren. Am 14. Mai 1938 teilte das REM den Universitäten mit, dass dafür von nun an einheitliche Vorgaben gelten würden. Diese sahen vor, dass zunächst ein Fakultätsausschuss einen Berufungsvorschlag in Form der üblichen Dreierliste unter 406 Ebd. 407 Ebd., Mevius an Tischler, 25.7.1938. 408 BAB, R 4901, Nr. 3059, REM an KWI für Biologie, 30.6.1938. 409 StAHH, PA Söding, IV 1452, REM an Söding, 30.9.1937. 410 BAB, R 4901, Nr. 3032.

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Hinzuziehung des örtlichen NSDDB-Führers zu erarbeiten habe. Dann sollte der Dekan den Vorschlag dem Rektor vorlegen, welcher nach Anhörung dazu Stellung zu nehmen und ihn dann an das REM weiterzuleiten habe. Schließlich sollte der NSDDB-Führer eine Abschrift des Vorschlages der Fakultät sowie die Stellungnahme des Rektors an den Stellvertreter des Führers übermitteln.411 Abgesehen von der nun offiziell bestimmten Einbeziehung Heß’ zementierte diese Verfügung aber lediglich die ohnehin schon bestehende traditionelle Praxis innerhalb der Universitäten, denen bis auf Einzelfälle auch der Systembruch 1933 und die Umstrukturierung zur „Führeruniversität“ nichts hatte anhaben können. Daher ist die Anordnung als Arrangement des Regimes mit den Universitäten, nicht als Oktroyierung seines Willens zu werten. Dies wird auch anhand der wissenschaftsinternen Diskussionen deutlich, die im Vorfeld der Entscheidung Ende 1937 auf der Rektorenkonferenz in Marburg stattgefunden hatte. Dort hatten die Universitäten zum einen betont, dass der Dreiervorschlag weiterhin wichtig sei und die Meinung der Fakultät gehört werden müsse. Auf der anderen Seite seien aber Dekan, NSDDB-Führer und Rektor entscheidend. Auch in Bezug auf die Einmischung von außen und die Mobilisierung hochschulexterner Stellen durch Bewerber hatte man sich Autonomie vorbehalten. Zwar müssten die Universitäten auf politische Konstellationen Rücksicht nehmen, sie sollten jedoch ein unabhängiges Urteil, das am Kriterium der wissenschaftlichen Qualität ausgerichtet sein müsse, abgeben. Wie wenig dieser Standpunkt, der auf den ersten Blick wie eine Abwehrhaltung gegen das Regime erscheinen könnte, mit den Forderungen der NS-Machthaber in Widerspruch stand, machte ausgerechnet Mevius in einem Redebeitrag deutlich. So beklagte er zwar einerseits, dass in letzter Zeit vor allem jüngere Kollegen in der Medizinischen Fakultät alle möglichen Parteistellen für sich zu mobilisieren versuchen würden. Sein Gegenmittel war jedoch eine noch engere Kooperation mit der NSDAP: So sollten sich die Gauleiter mit den Rektoren in Verbindung setzen, damit „diese Schweinereien ausgerottet werden“412 und damit den jungen Leuten, die eine Stelle haben wollten, gesagt werde: „es kommt einzig und allein darauf an, dass ihr an der Universität etwas leistet, dass ihr überzeugte Nationalsozialisten seid, dann braucht ihr nicht über Hintertreppen so etwas versuchen! [Beifall]“413

Während also die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Politik zu diesem Zeitpunkt als harmonisch einzustufen sind, zumindest aber von grundlegenden Konflikten keine Rede sein konnte, belegt ein anderes Beispiel, welche Auswirkungen das Zusammenwirken von NS-Regime und deutschen Universitäten auf die

411 Ebd., Rundschreiben des REM, 14.5.1938. 412 BAB, R 4901, Nr. 13856, Niederschrift der Rektorenkonferenz in Marburg vom 15.12.1937. 413 Ebd.

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Beziehungen der deutschen Wissenschaft zu ihren internationalen Kollegen haben konnte. Am 29. November 1938 wandte sich der Direktor des Laboratoriums für Pflanzensoziologische Forschung der Niederländischen Landwirtschaft, Anton Hendrik Blaauw, an Mevius in dessen Eigenschaft als Ordinarius. In 20 Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit habe er die Arbeiten seines Instituts an 40 deutsche Hochschulen gesendet, wie es in der freien Wissenschaft üblich sei. Nun habe man in Deutschland den jüdischen Studenten sogar den Zutritt zu den Universitäten untersagt und diese für einen Teil der Mitmenschen damit in jeder Beziehung gesperrt. Dies sei in der freien Wissenschaft nicht üblich. Unter solchen Umständen seien ihm daher eine weitere Zusammenarbeit und ein weiterer Austausch nicht möglich. Abschließend ging er noch auf die Leistungen gerade jüdische Deutscher für die Biologie ein: „Wir können die große Bedeutung von Sachs, Pfeffer, Strasburger, Pringsheim und anderen Deutsch-Jüdischen Botanikern für die botanische Wissenschaft nicht vergessen.“414

Mevius’ Antwort eine Woche später zeugt davon, wie weit das antisemitische Denken bereits in der Lebenswelt des Botanikers verankert war, wie wenig ihn der Abbruch der Beziehungen tangierte und worauf er seine Prioritäten legte. So rekapitulierte er zwar die Aussagen Blaauws, ging auf die Einstellung der Zusammenarbeit aber gar nicht ein. Stattdessen verwahrte er sich auf das Schärfste dagegen, Pfeffer und Sachs hätten jüdische Vorfahren, und außerdem sei Strasburger lediglich Halbjude und stamme mütterlicherseits von deutschen Vorfahren ab.415 Der Gedanke, dass Juden etwas Positives in seinem Fachgebiet geleistet haben sollten, widerte ihn offensichtlich zutiefst an. Hatte sich also schon das Jahr 1938 nur wenig von seinen Vorgängern unterschieden, so stand auch das Jahr 1939 in weiten Teilen im Zeichen der Kontinuität. Noch immer hatte das Botanische Institut eine unzureichende finanzielle Ausstattung zu beklagen.416 Dies konnte aber dadurch ausgeglichen werden, dass weiterhin umfangreiche Finanzmittel der DFG in die ernährungsphysiologischen Forschungen des Ordinarius flossen.417 Außerdem stellte der Reichsforschungsrat Gelder der DFG für ein Stipendium zur Einstellung einer wissenschaftlichen Hilfskraft zur Verfügung,418 mit denen ab dem 1. April 1939 Heinrich Bömeke für die nächsten 414 415 416 417

418

UAMs, Bestand 4, Nr. 1034, Blaauw an Mevius, 22.11.1938. Ebd., Mevius an Blaauw, 28.11.1938. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 18.2.1939. So wurden dessen Arbeiten über „Einfluss von Kalium, Calcium, Magnesium und Stickstoff auf Kohlehydrat und N-Stoffwechsel der Getreidefrüchte“, „Wirkung von Spurenelementen auf Wild- und Kulturformen der gleichen Pflanze“ und „Einfluss von Industriegase auf das Blatt“ mit insgesamt 4.400 RM gefördert. Siehe: BAB, R 73, Nr. 13119, DFG an Mevius, 6.3.1939. UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Mevius an Kurator, 29.3.1939.

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zwei Jahre am Institut angestellt wurde.419 Blieb also, was Ausstattung und inhaltliche Ausrichtung betraf, alles beim Alten, so kam es auf der Personalebene zu einem weiteren, für die Zukunft prägenden Wechsel. Mit der Berufung Schratz’ zum Extraordinarius wurde es zum 1. April 1939 nötig, einen neuen Assistenten einzustellen. Die Wahl fiel hierbei auf Walter Baumeister. Er sollte bis in die 1960er-Jahre eine wichtige Rolle am Institut spielen.420 Ebenfalls 1939 erfolgte eine weitere Personalveränderung am Institut, deren Ablauf jedoch aus den Akten nicht mehr rekonstruierbar ist. Richard Büker, der, wie bereits dargestellt, ein Schüler Hannigs gewesen und 1938 für eine im Zusammenhang mit der Hochschularbeitsgemeinschaft für Raumforschung durchzuführende pflanzensoziologische Kartierung der Vegetation in der Provinz Westfalen vorgesehen war, wurde im Sommer 1939 vom Reichsforstmeister beim REM für eine pflanzensoziologische Kartierung der deutschen Wälder in Vorschlag gebracht. In seinem diesbezüglichen Schreiben421 bezeichnete Göring ihn als Assistenten am Botanischen Institut, wobei unklar bleiben muss, welchen Posten er tatsächlich einnahm, war doch die erste Assistentenstelle zu jenem Zeitpunkt mit Engel, die zweite mit Baumeister und die außerplanmäßige Stelle mit Dorfmüller besetzt. Möglicherweise war also die zweite außerplanmäßige Stelle doch bestehen geblieben, wobei aber in diesem Falle unklar bleibt, wieso nach Kriegsbeginn die durch Engels Wechsel in eine Diätendozentur freigewordene erste Assistentenstelle erst 1941 wieder besetzt wurde. Unabhängig von seiner tatsächlichen Stellung am Institut bot die Möglichkeit, für Görings Behörde tätig zu werden, Büker eine einmalige Chance. Der Reichsforstmeister bat um seine zweijährige Beurlaubung und fügte hinzu,

419 420

421

UAMs, Bestand 10, Nr. 991. Walter Baumeister wurde am 7.7.1912 in Herne geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der dortigen Oberrealschule von 1923 bis 1932 absolvierte er vom 15.3.1932 bis zum 14.3.1934 eine Gärtnerlehre in der Stadtgärtnerei Wanne-Eickel. Im Anschluss daran nahm er ein Studium in Gartenbau, Botanik, Zoologie und Chemie in Berlin, Bonn, Erlangen, Marburg und Münster auf, welches er mit einer von Mevius betreuten Dissertation zum Thema „Der Einfluß mineralischer Düngung auf den Ertrag und die Zusammensetzung des Kornes der Sommerweizenpflanze“ am 1.3.1939 mit der Note sehr gut abschloss. Politisch hatte sich der neue Assistent zu diesem Zeitpunkt bereits umfangreich betätigt. Vom 1.5.1934 bis zum 13.3.1935 war er SA-Anwärter gewesen, dann jedoch wegen Krankheit ausgeschieden. Am 1.9.1934 war er der DAF und im selben Jahr der Deutschen Studentenschaft beigetreten. Zum Sommersemester 1936 wurde er NSDStBAnwärter. Ein Jahr später, am 1.5.1937, trat er mit der Mitgliedsnummer 4876554 der NSDAP bei. Dort beließ er es nicht bei einer einfachen Mitgliedschaft. Zunächst wurde er stellvertretender, ab dem 1.12.1939 dann vollwertiger Blockleiter. Ebenso trat er im selben Jahr der NSV und dem RLSB bei. Siehe: UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Baumeister, NW 1038, Nr. 707, Fragebogen; UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Fragebogen, 4.4.1938; ebd., Antrag auf Anstellung Baumeisters als Assistent, 1.4.1939; ebd., Vermerk, undatiert, nach 3.6.1941. BAB, R 4901, Nr. 14280, Reichsforstmeister an REM, 21.7.1939.

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dass seine Gewinnung im Reichsinteresse läge.422 Während die Anfrage von den beteiligten Stellen bearbeitet wurde, sollte sich jedoch die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs einer weiteren Entwicklung der Angelegenheit in den Weg stellen. Wenn auch das Botanische Institut zunächst geöffnet blieb, hatte der Überfall auf Polen doch auch hier Veränderungen zur Folge. Mit Dorfmüller423 und Büker424 wurden zwei der drei vorhandenen Assistenten eingezogen. Für Büker war dies doppelt tragisch, hatten sich die Pläne des Reichsforstmeisters für ihn doch inzwischen dahingehend konkretisiert, dass er als Leiter der zu errichtenden Arbeitsstelle für Vegetationskartierung beim Forsteinrichtungsamt in Allenstein in Aussicht genommen worden war.425 Mevius hatte daraufhin bei Göring unter dem Hinweis darauf, dass dies seine weitere Ausbildung als Hochschullehrer hemmen würde, interveniert, damit eine Amtsübernahme verhindert426 und dadurch, wenn auch unabsichtlich, den Weg für Bükers Einziehung geebnet. Beide Assistenten sollten nicht mehr aus dem Felde zurückkehren. Büker fiel bereits am 16. September 1941427 in der Nähe von Kiew.428 Dorfmüller, dem im Verlauf des Krieges die Ostmedaille und das Kriegsverdienstkreuz verliehen wurden, brachte es bis 1944 zum Leutnant der Stabs-Kompanie des Grenadier-Regiments 439. Im Verlauf der Operation Bagration, der großen sowjetischen Sommeroffensive 1944, welche zum Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte führte,429 fiel er am 24. Juni 1944 im Kessel von Bobriusk (Weißrussland).430 Seiner Frau gelang es nach Kriegsende, ihn in seinem Entnazifizierungsverfahren in Abwesenheit in Kategorie IV ohne Vermögenssperre einordnen zu lassen.431 Während also ein Teil der Belegschaft in den Krieg zog, verbesserte sich für einen anderen Mitarbeiter die berufliche Lage. Engel wechselte zum 1. Oktober 1939 von seiner Stellung als Assistent in eine Diätendozentur.432 Zwei Monate später trat er der NSDAP bei.433 Damit waren nunmehr alle am Institut tätigen Wissenschaftler Parteimitglieder. Durch die interne Verschiebung konnte der Personalmangel am 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432 433

Ebd., Reichsforstmeister an REM, 21.7.1939. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Dorfmüller, NW1013-II/ED Nr. 949. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 23.11.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 253, REM an Rektor. BAB, R 4901, Nr. 14280, Mevius an REM, 23.11.1939. Amtsblatt der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 4 (1941), Heft 9, Titelblatt, Vermerk. UAMs, Bestand 10, Nr. 1111, Gutachten Mevius über öffentliche Lehrprobe Budde, 8.8.1942. Frieser, Karl-Heinz, Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 8: Die Ostfront 1943/44. Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten, München 2007, S. 547ff. UAMs, Bestand 10, Nr. 1495, OKH an Frau Dorfmüller, 23.12.1944; da Ermittlungen seitens der Wehrmacht über sein Schicksal keine Klarheit erbracht hätten, galt Dorfmüller seit diesem Datum offiziell als vermisst. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Dorfmüller, NW1013-II/ED Nr. 949. UAMs, Bestand 10, Nr. 88. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039-E, 214.

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Institut aber vorerst nur kaschiert, nicht ausgeglichen werden: Die außerplanmäßige Assistentenstelle wurde gar nicht mehr besetzt, die erste Assistentenstelle erst wieder ab 1941. Obwohl der Krieg also auf Personalseite zu Einschränkungen führte, öffnete kurioser Weise ausgerechnet der Hitler-Stalin-Pakt für die Biologie ein bislang verschlossenes wissenschaftliches Fenster neu. Wie schon im Teil zur Zoologie erwähnt, hatte sich nach Abschluss des Paktes eine Reihe von Forschern an das REM gewandt und um eine Wiederaufnahme der wissenschaftlichen Beziehungen zur UdSSR gebeten, welche aus politischen Gründen vom NS-Regime einige Jahre zuvor untersagt worden waren. Insbesondere für die Botanik war dies interessant, hatten doch sowjetische Pflanzenzüchter in den vergangenen Jahrzehnten eine Spitzenstellung in der Welt eingenommen. Dementsprechend positiv fiel auch die Reaktion Mevius’ auf die Anfrage des REM Ende November 1939 aus, wie er zu einem solchen Schritt stünde. Wie sein Kollege Weber in der Zoologie befürwortete er eine Wiederaufnahme. Die Russen hätten ihm zufolge hervorragende Pflanzensoziologen, Zytologen und allgemeine Bakteriologen hervorgebracht, und seit Jahrzehnten habe ein intensiver geistiger Austausch zwischen deutschen und russischen Botanikern bestanden. Mevius selbst habe bis 1934 Kontakt zu Prianischnikov (pflanzliche Ernährungslehre), Uspenski und Smirnow (Stoffwechselphysiologie) sowie Maximov (Ökologie) gehabt. Gleichzeitig betonte er, niemals politische Belange angesprochen zu haben.434 Auch wenn es noch einige Zeit bis zu einer Entscheidung dauern sollte, verhallten die Meinungen der Biologen nicht ungehört. Am 21. Oktober 1940 verkündete das REM, dass die wissenschaftlichen Beziehungen zur UdSSR wieder aufgenommen werden würden.435 Auch auf andere Bereiche der Forschung hatte der Krieg zunächst keinen nega­ tiven Einfluss. Der RFR finanzierte weiterhin ernährungsphysiologische Untersu­ chungen Mevius’.436 Auch Engel erhielt Fördergelder der DFG,437 unter anderem für eine Arbeit über „Das Verhalten der Blätter bei Benetzung durch Niederschläge“, mit der die Existenz kutikulärer Exkretion im Sinne von Arens widerlegt werden konnte.438 Zusammen mit Büker, der offensichtlich auch im Feld weiter arbeitete, konnte er bereits seit 1938 laufende „Pflanzensoziologische und ökologische Untersuchungen der Emsweiden und -wiesen im Münsterland“439 weiterführen. Diese Arbeit ist insofern außergewöhnlich für das Botanische Institut, als sie über das eigentliche Kernthema des Lehrstuhls, Pflanzenernährungslehre, hinaus ging und es 434 435 436

UAMs, Bestand 4, Nr. 304, Mevius an Dekan, 20.12.1939. UAMs, Bestand 4, Nr. 1031, Rundschreiben des REM, 21.10.1940. Über „Einfluss von Kalium, Stickstoff u. Bor auf Kohlehydrat-, Fett- und Stickstoffwechsel der grünen Pflanze“ und „Atmungsvorgänge und Widerstandsfähigkeit gegen Austrocknung, Aushungerung usw. bei nitrifizierenden Bakterien“. Siehe: BAB, R 73, Nr. 13117, Mevius an DFG, 2.9.1940. 437 BAB, R 73, Nr. 10906, DFG an Engel, 2.5.1941. 438 Ebd., Engel an DFG, 23.11.1940. 439 Ebd.

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mit pflanzensoziologischen Fragestellungen kombinierte.440 Wie anhand der Förderungsanträge zu belegen ist, gab es für die Wissenschaftler zu diesem Zeitpunkt, als der Krieg positiv für das Deutsche Reich zu verlaufen schien, keinen Grund, bei der Einwerbung von Mitteln oder der Darstellung der Notwendigkeit von Forschungsvorhaben dem Regime gegenüber opportunistisch aufzutreten. Man forschte weiter wie zuvor. Erst später im Kriegsverlauf sollte sich dies ändern. Auch auf die Lehre am Institut hatte der Krieg, zumindest was Umfang und Inhalte der Veranstaltungen betraf, überhaupt keinen Einfluss. Keiner der dozierenden Mitarbeiter musste ins Feld. Somit blieb die Zahl der Seminare bei zehn bis zwölf pro Semester auf einem ähnlich hohen Niveau wie vor 1939. Erst der Wechsel Engels nach Danzig sollte zum Sommersemester 1941 eine Reduktion auf acht Veranstaltungen mit sich bringen. Mit der Einbeziehung seines Nachfolgers in den Lehrbetrieb stieg die Zahl aber wieder auf den Vorkriegsstand an und sollte dort bis Kriegsende verbleiben.441 Auch inhaltlich gab es keine Verschiebungen. Einzig Engel hatte bis zu seinem Weggang mit Mykologie und Mikrobiologie einige neuartige Veranstaltungen abgehalten, nach 1941 teilten sich die Dozenten aber wie vor dem Krieg die traditionellen Seminare untereinander auf.442 Während einerseits also Kontinuität vorherrschte, brachte der Krieg andere Vorhaben am Institut nach jahrelangem Hin und Her schließlich zum Erliegen. Seit Mevius’ Amtsübernahme hatte es Auseinandersetzungen zwischen Universität, Oberpräsident und REM um eine Verlegung des Botanischen Instituts und Garten beziehungsweise einen Ausbau desselben gegeben. 1938 hatte Mevius unter Hinweis auf das neue Extraordinariat für Pharmakognosie und dessen Bedeutung für die deutsche Heilkunde, aber auch auf seine eigene Arbeit im Rahmen der Reichsarbeitsgemeinschaft für Landbauwissenschaft und deren Wichtigkeit für den Vierjahresplan, einen Ausbau des Gartens voranzutreiben gesucht.443 Einer Verlegung hatte er sich immer entgegengestemmt. Ende Januar 1940 teilte dann auch das REM dem Oberpräsident mit, dass kriegsbedingt eine Weiterverfolgung der Verlegungspläne nicht möglich sei.444 Mevius nutzte daraufhin seine Chance, stattdessen das Institut 440

441

442 443 444

Da die Ems in den Jahren davor in größerem Umfang reguliert und eingeebnet worden war, sollten die dadurch aufgetretenen Änderungen in den Ertragsleistungen der Wiesenund Weidengräsern untersucht werden. Deshalb müsse laut Engel für spätere Maßnahmen die Pflanzensoziologie mit befragt werden, da auf Dauer erhebliche Rückwirkungen auf die Vegetationsverhältnisse erwartet würden und Fehlmaßnahmen vermieden werden sollten.Siehe ebd. Inwiefern die Aussagen der Vorlesungsverzeichnisse ab dem Sommersemester 1944, in dem Mevius nach Hamburg beordert und von seinen Assistenten vertreten wurde, die Realität am Institut widerspiegeln, ist zweifelhaft. Es muss davon ausgegangen werden, dass Teile der Veranstaltungen, die unter seinem Namen gelistet wurden, nicht mehr stattfanden. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Sommersemester 1939 bis Wintersemester 1944/45. LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Mevius an REM, 26.7.1938. Ebd., REM an OP, 20.1.1940.

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weiter auszubauen. Dies wiederum stieß auf scharfe Gegenwehr des Provinzialkonservators, der dadurch seine Pläne einer Verlegung gefährdet sah und beim Regierungspräsidenten (RP) protestierte.445 Der RP intervenierte daraufhin beim Kurator und bat darum, dass Mevius weitreichende Baumaßnahmen unterlasse und sich mit einem Behelfsbau zufrieden gebe.446 Dieser wiederum gab an, dass von weitreichenden Maßnahmen keine Rede sein könne und der Erweiterungsbau hauptsächlich für die kriegswichtigen Arbeiten Schratz’ benötigt würde. Daher bat er den Oberpräsidenten und Gauleiter Meyer um eine Entscheidung.447 Diese wurde aber offenbar während des Krieges nicht mehr herbeigeführt, so dass die Angelegenheit kriegsbedingt versandete. Weitere Akten zu diesem Thema sind nicht überliefert. Es zeigt jedoch, dass auch die Kriegsumstände zu keinem Ende der Kompetenzstreitigkeiten zwischen Universität und politischen Entscheidungsträgern führten. Ein letztes Beispiel für Kontinuität aus dem Jahr 1940 belegt schließlich, dass auch der offensive Antisemitismus, der über die Jahre verteilt bei Mevius’ immer wieder anzutreffen war, inzwischen zu einer Konstante seines Handelns geworden war. Am 2. August 1940 wandte er sich in seiner Eigenschaft als Rektor im Rahmen der Wiederbesetzung des Ordinariats für vergleichende Sprachwissenschaft und Slavische Philologie an das REM. Zu diesem Zeitpunkt war das Berufungsverfahren seitens der Universität offenbar bereits fast abgeschlossen. Aufgrund neuer Informationen sah sich Mevius jedoch zur Intervention gezwungen. So habe er inzwischen leider erfahren, dass der an erster Stelle der Vorschlagsliste genannte Professor Hans Krahe zwei jüdische Urgroßmütter habe. Auch wenn das Beamtengesetz eine Berufung auf den Lehrstuhl deshalb nicht ausschließe, so müsse er als Biologe betonen, dass zwei jüdische Urgroßelternteile in erbbiologischer Hinsicht einem jüdischen Großelternteil entsprächen. Krahe müsse also in erbbiologischer Hinsicht als Mischling zweiten Grades angesprochen werden. Aus diesem Grund sei es ihm nicht möglich, seine Berufung zu befürworten. Hinzu käme noch, dass sich Krahe nicht für den NS-Staat einsetze. Daher bat er das REM darum, ihn nicht zu berufen.448 Dieser Vorgang ist insofern bemerkenswert, als er ein weiteres Licht auf den Entscheidungsspielraum, den Wissenschaftler wie Universitätsleitung im Umgang mit den NS-Behörden hatten, wirft. Niemand zwang Mevius zu seinem Vorgehen, selbst die antisemitische Gesetzgebung sah für diesen Fall keinen Handlungsbedarf vor. Explizit aus seiner Tätigkeit als Biologe heraus begründete und verschärfte er die Diskriminierungspolitik des Regimes und torpedierte die Berufungschancen eines Mannes, der ihm nicht einmal bekannt war. Damit ging Mevius aus eigenem Antrieb weit über das hinaus, was von ihm verlangt wurde, und machte sich selbsttätig zum Komplizen des NS-Regimes. 445 446 447 448

Ebd., Provinzialkonservator an RP, 7.10.1940. Ebd., RP an Kurator, 11.10.1940. Ebd., Kurator an RP, 25.10.1940. UAMs, Bestand 4, Nr. 240, Mevius an REM, 2.8.1940.

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Während das folgende Jahr 1941, wie bereits angedeutet, Lehre und Forschung betreffend weiter durch Kontinuität ausgezeichnet war, sollten sich auf Personalseite eine Reihe von Änderungen vollziehen. So wurde Baumeister, nach mehrmaliger uk-Stellung, am 3. Juni 1941 als Marine-Regierungsrat der Reserve zum Kriegsdienst eingezogen.449 Zu seinem Vorteil wurde er jedoch nicht an die Front geschickt, sondern dem Versuchs- und Forschungsinstitut der Kriegsmarine in Hannover zugeteilt, wo er in der Folgezeit im Auftrag des Oberkommandos der Marine kriegswichtige Forschungsarbeiten durchführte. Sein Arbeitsgebiet war hierbei die Frischhaltung von Obst, Gemüse und Kartoffeln und die Erforschung deren physiologischer Veränderung bei der Lagerung, wozu er Untersuchungen über den „Einfluß von Klima und Boden auf die physiologischen Prozesse in der Kartoffelknolle während der Lagerung unter verschiedenen äußeren Bedingungen“ sowie die „Entwicklung chemischer Überzüge zur besseren Haltbarmachung von Zitronen und Apfelsinen“ anstellte.450 Diese wissenschaftliche Stellung erlaubte es ihm ebenfalls, seine vorherigen ernährungsphysiologischen Arbeiten weiterzuführen und zu einer Habilitationsschrift auszubauen. Dabei untersuchte er den Einfluss steigender Zugabe von Bor auf die Photosynthese und Atmung höherer Wasserpflanzen. Sowohl der Dekan451 als auch Mevius bewerteten die Arbeit sehr positiv, hob sie sich doch von der umfangreichen Literatur zu diesem Thema dadurch ab, dass sie bestimmte physiologische Prozesse in den Blick nahm und dadurch eine Forschungslücke schloss.452 Am 8. Dezember 1942 konnte Baumeister sich daraufhin habilitieren.453 Bis zur Erteilung der venia legendi sollten jedoch noch zwei Jahre vergehen. Im Juli 1944 konnte der Botaniker schließlich auch diese Hürde nach einer Lehrprobe über „Mineralstoffe und Pflanzenwachstum“454 nehmen. Erneut waren die Gutachten, diesmal auch des Dozentenschaftsleiters, der noch einmal explizit auf Baumeisters Tätigkeit als Blockleiter bis zu seiner Einberufung hinwies, positiv.455 Am 5. Oktober 1944 wurde ihm zusammen mit der Ernennung zum Dozenten die Lehrbefugnis erteilt, und Baumeister wurde der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zugewiesen.456 Gegen Kriegsende wurde der Botaniker schließlich aber offenbar doch noch an die Front geschickt. Baumeister geriet in Frankreich in amerikanische Kriegsgefangenschaft457 und wurde erst im April 1946 entlassen.458 Danach kehrte er nach Münster zurück. 449 450 451 452 453 454 455 456 457 458

UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Personalbogen, 21.12.1960. BAB, R 26 III. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Gutachten Senftleben, undatiert. Ebd., Gutachten Mevius, 16.5.1942. Ebd., Personalbogen, 21.12.1960. Ebd., Einladung zur öffentlichen Lehrprobe, 27.6.1944. Ebd., Gutachten Dozentenschaftsleiter, 18.7.1944. Ebd., REM an Baumeister. Ebd., Frau Baumeister an Kurator, 12.12.1945. Ebd., Personalbogen, 21.12.1960.

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Neben diesem Abgang kam es 1941 aber noch zu weiteren Änderungen am Institut. So gelang es Mevius, als Ersatz für die eingezogenen Dorfmüller und Büker den bereits seit 1939 als DFG-Stipendiaten am Institut beschäftigten Bömeke als Verwalter einer Assistentenstelle zu verpflichten. Zum 1. April 1941 wurde er bis auf weiteres, längstens aber für die Dauer des Krieges, eingestellt.459 Neben Bömeke konnte sich auch Engel weiter auf der Karriereleiter nach oben arbeiten. Nach nur einem Jahr als Diätendozent wurde er am 1. Januar 1941 als Diätendozent und Direktor des Botanischen Instituts an die TH Danzig abgeordnet. Am 1. April 1941 wurde er schließlich endgültig dorthin versetzt, mit einem Extraordinariat versehen und verblieb bis Kriegsende in Danzig.460 Im Anschluss 459

460

Heinrich Bömeke wurde am 15.6.1907 in Meppen (Ems) als Sohn eines Malermeisters geboren und katholisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule Biene von 1913 bis 1918 und des Gymnasiums Meppen von 1928 bis 1932 hatte er an der Universität Münster studiert und war am 10.1.1940 mit der Arbeit „Beiträge zur Physiologie nitrifizierender Bakterien“ mit der Note sehr gut promoviert worden. Von 1933 bis 1938 war er Mitglied der Deutschen Studentenschaft gewesen, 1939 der NSV und 1940 dem RLSB beigetreten, wo er ab 1941 als Luftschutzwart tätig war. Nach dem Tod Bükers im Herbst 1941 beantragte Mevius Mitte November des Jahres beim Kurator, Bömeke die freigewordene Stelle ohne Einschränkung zu übertragen. Sein Schreiben offenbart gleichzeitig, wie schlecht es um die allgemeine Personalsituation der Biologen am Ende des zweiten Kriegsjahres inzwischen bestellt war. So habe kein zurzeit bei der Wehrmacht stehender Anwärter für die Stelle zur Verfügung gestanden, ebenso wenig ein auswärtiger Assistent, der Soldat sei oder gewesen war. Der Mangel an Biologen mit abgeschlossener Hochschulausbildung sei derart groß, dass man nach dem Krieg nicht genug Kandidaten haben werde, um für alle Stellen geeignete Bewerber zu finden. Zum 1.1.1942 wurde Bömeke schließlich in seinen neuen Posten eingewiesen. Siehe: BAB, R 73, Nr. 13118, Hilfskraftvertrag, undatiert, ca. 1940; UAMs, Bestand 10, Nr. 991, Fragebogen, 22.3.1941; ebd., Mevius an Kurator, 14.11.1941; ebd., Ernennungsurkunde, 1.1.1941; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Bömeke, NW 1038, Nr. 3704, Fragebogen; UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Dort sollte er in den folgenden Jahren im Rahmen des neugeschaffenen Vollstudiums für Biologen den botanischen Unterricht und das Botanische Institut entsprechend ausgestalten. Sein beruflicher Aufstieg wurde von einer intensiveren Mitarbeit in der NSDAP und ihren Gliederungen begleitet. Am 1.1.1943 trat er dem NSDDB bei, ab dem Winter desselben Jahres war er als Blockhelfer für die Partei tätig. Ideologischen Niederschlag in seinen Arbeiten fand diese Tätigkeit jedoch nicht. Weiterhin erhielt er von der DFG Unterstützung für Forschungsarbeiten über nitrifizierende Bakterien, dehnte seine Forschungen aber auch auf die Wasseraufnahme und -abgabe von Pflanzen aus. Bis Kriegsende veröffentlichte er etwa 24 Schriften, hauptsächlich auf dem Gebiet der pflanzlichen Ernährungslehre. Diese standen unter deutlichem Einfluss seines Lehrers Mevius und beschäftigten sich mit Nitritbakterien, Kohlensäureassimilation und Düngemitteln. Mitte Dezember 1944 wurde Engel zum Wehrdienst einberufen, jedoch bereits Ende Januar 1945 wieder entlassen und vom Reichsforschungsrat zunächst mit Arbeiten auf dem Gebiet der Penicillinforschung beauftragt. Danach schickte ihn der RFR nach Saalfeld in Thüringen, wo er bis Juli 1945 an der Errichtung des mikrobiologischen Forschungslaboratoriums der Thüringischen „Zellwolle“ sowie über die mikrobielle Ausnutzung der Sulfitablauge der Zellstofffabriken arbeitete. Im Anschluss daran kehrte er, wie viele seiner Kollegen, wieder nach Münster zurück. Siehe: StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Perso-

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daran kehrte er, wie noch gezeigt werden wird, wie viele seiner Kollegen wieder nach Münster zurück. Als Nachfolger für Engel hatte Mevius im Mai 1941 einen seiner ehemaligen Assistentenkollegen aus Münster in den Blick genommen: Hans Söding. Er hatte das Botanische Institut 1927 in Richtung Dresden verlassen, um sich dort zu habilitieren. Am 21. Mai 1941 beantragte Mevius in seiner Eigenschaft als Rektor die Einstellung Södings beim REM. Als Grund hierfür gab er an, dass er durch das Rektorat so sehr in Anspruch genommen sei, dass Engel ihn bislang durch die Übernahme eines Teils seiner Veranstaltungen hätte entlasten müssen. Durch dessen Fortgang ergäben sich nun Schwierigkeiten im botanischen Unterricht. Schratz sei als Abteilungsleiter ausgelastet und durch seine außeruniversitären Tätigkeiten zusätzlich beansprucht. Ein weiterer Dozent sei nicht vorhanden. Von drei Assistenten seien zwei bei der Wehrmacht und keiner habilitiert. Daher bitte er um die Versetzung eines Dozenten von einer anderen Universität nach Münster. Söding habe auf Anfrage mitgeteilt, dass er gerne an die Universität Münster übersiedeln würde, falls er dort eine Stelle als Diätendozent erhielte. Da die Diätendozentenstelle Engels noch nicht neu besetzt sei, bitte er deshalb darum, sie Söding zum 1. August 1941 zu übertragen.461 Am 15. August wies das REM Söding im Einvernehmen mit dem Rektor der TH Dresden als außerplanmäßiger Professor der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster zu und bewilligte ihm Diäten.462 Söding hatte sich in Dresden umfangreich wissenschaftlich fortgebildet und sich insbesondere mit Wachstum und Hormonen der Pflanzen befasst. Damit war er mit einem Thema befasst, welches zum damaligen Zeitpunkt äußerst innovativ und darüber hinaus in Münster noch niemals bearbeitet worden war. Neben seiner Tätigkeit als Dozent hatte Söding außerdem über 30 Publikationen verfaßt.463 Aber

461 462 463

nalbogen, undatiert, nach 1945; ebd., Lebenslauf, 1.4.1948; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039–E, Nr. 137, Fragebogen; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039–E, 214, Fragebogen, 12.2.1946; BAB, R 73, Nr. 10906, DFG an Engel, 21.4.1943; ebd., DFG an Engel, 15.4.1944. StAHH, PA Söding, IV 1452, Mevius an REM, 21.5.1941. Ebd., REM an Söding, 15.8.1941. Nach seinem Wechsel an die TH Dresden war Söding dort Assistent und später Oberassistent geworden. Am 7.5.1928 hatte er sich mit einer von den Gutachtern äußerst positiv bewerteten Schrift über „Untersuchungen an Aspergillus niger über das Mitscherlichsche Wirkungsgesetz der Wachstumsfaktoren“, welche noch deutlich die Handschrift seines Lehrers Benecke trug, habilitiert. In seiner Probevorlesung über „Ökologische Probleme des Baumes“ und seiner Antrittsvorlesung über „Hormone im Pflanzenreich“ hatte er aber bereits wissenschaftliche Vielseitigkeit und weitere Forschungsfelder angedeutet. Zwischen 1933 und 1934 verfasste Söding eine Art Denkschrift mit dem Titel „Meine Zukunftsaufgaben“. Sie bietet einen seltenen Einblick in Selbsteinschätzung und Ziele eines jungen Botanikers. In dem Dokument führte Söding aus, dass er sich seit zehn Jahren mit der Hormonforschung beschäftige und die Bedeutung der Hormone für die Entwicklung der Pflanzen ebenso hoch einschätze wie beim Tier. Von der tiefen Kenntnis dieses For-

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nicht nur wissenschaftlich legte der Botaniker eine umfangreiche Tätigkeit an den Tag. Auch politisch wurde er aktiv. Ein Gutachten der NSDAP, das im Rahmen der Versetzung eingeholt wurde, bestätigte ihm einen deutlichen positiven Wandel, nachdem er vor der Machtübernahme noch eine politisch neutrale Einstellung gezeigt habe. So sei er ein einwandfreier Mitarbeiter, zeige eine gute Gebefreundlichkeit, ein Allgemeinverhalten ohne Tadel, einen vorbildlichen Leumund und Charakter sowie politische Zuverlässigkeit.464 Und tatsächlich hatte sich der Botaniker in den 14 Jahren seiner Abwesenheit aus Münster eng mit den verschiedensten NS-Organisationen vernetzt. Nach dem Systemwechsel 1933 drängte es Söding in eine Vielzahl von NSOrganisationen. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP scheiterte vorerst an gesundheitlichen Gründen. Die Partei stand ihm dennoch wohlgesonnen gegenüber. Ein Gutachten von 1938 beschreibt ihn zwar als politisch uninteressiert, da er offensichtlich ein Mensch sei, der in seiner Wissenschaft vollkommen aufgehe. Er sei aber zweifellos vaterländisch eingestellt, hilfsbereit, kameradschaftlich, opferbereit und politisch zuverlässig.465 Der Assistent drängte aber weiter darauf, diese Zuverlässigkeit auch unter Beweis zu stellen. Am 1. Oktober 1939466 übernahm er den Posten eines Blockwalters der NSV in Dresden-Plauen467 und hielt in dieser Eigenschaft Vorträge in einer

464 465 466 467

schungsfeldes erwarte er ein Verständnis für die Entwicklung der Pflanze und eine große Bereicherung für die allgemeine Botanik und Biologie überhaupt. So nahm er an, dass die zu erzielenden Ergebnisse praktische Bedeutung für die Gärtnerei, vielleicht auch für die Landwirtschaft haben würden. Sich selbst hatte er hohe Ziele gesteckt. Da ihn die reine Forschertätigkeit nicht befriedige, bereite er sich durch Vorlesungen. Übungen und Exkursionen auf eine spätere umfangreiche Lehrtätigkeit vor. Aus Zeitgründen habe er sich darüber hinaus bislang nur wenig populärwissenschaftlich betätigt. Beim großen Interesse der Öffentlichkeit an naturwissenschaftlichen Themen und dessen üblem Missbrauch durch manche Schreiber halte er es aber für seine Pflicht, soweit es die Zeit zulasse auch auf diesem Gebiet tätig zu sein. In den Folgejahren blieb Söding seinen selbstgesteckten Zielen dann auch treu und verfasste über 30 Publikationen, die sich fast ausschließlich mit Pflanzenwachstum und Wachstumshormonen beschäftigten. Was die Lehre betraf, so hielt er zunächst Seminare in Pflanzenphysiologie, später auch in Systematik und Pflanzengeographie ab. 1934 wurde Söding zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor, 1940 zum außerordentlichen Professor ernannt. Siehe: StAHH, PA Söding, IV 1452, Versicherung Söding über wissenschaftliche Tätigkeit nach Abschluss des Hochschulstudiums, undatiert; ebd., Gutachten Tobler, 22.4.1928, sowie Gutachten Drude, 22.4.1928; ebd., Einladung, 2.5.1928 und 13.1.1930; ebd., „Meine Zukunftsaufgaben“, undatiert, zwischen 1933 und 1934; ebd., Schriftenverzeichnis, undatiert, nach 1938; ebd., Versicherung Söding über wissenschaftliche Tätigkeit nach Abschluss des Hochschulstudiums, un­datiert. Ebd., politisches Gutachten der NSDAP, 19.8.1941; ebd., Personalblatt, undatiert. Ebd., politisches Gutachten der NSDAP für die TH Dresden, 29.9.1938. Ebd., Söding an Botanisches Institut der TH Dresden, 13.10.1939. Ebd., politisches Gutachten der NSDAP, 19.8.1941.

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Volksbildungsstätte.468 Bis zu seinem Weggang nach Münster sollte er in dieser Position verbleiben.469 Dass diese Tätigkeit nicht den örtlichen Zwängen oder äußeren Umständen geschuldet war, wird dadurch belegt, dass sich Söding auch in Münster für vergleichbare Posten anbot und ab November 1942 das Amt eines Blockleiters der NSDAP übernahm.470 Am 1. Januar 1940 war er mit der Mitgliedsnummer 7936193 in die Partei aufgenommen werden.471 Im selben Jahr wurde er noch Mitglied des NSDDB.472 Neben der Mitgliedschaft in den genannten acht NS-Organisationen kamen noch mindestens 14 weitere in überwiegend wissenschaftlichen Zusammenschlüssen hinzu.473 Mit Söding stieß ein Experte auf einem an der Universität Münster niemals behandelten, innovativen Forschungsgebiet zum Mitarbeiterkreis des Botanischen Instituts. Statt dadurch aber das Themenspektrum der angebotenen Veranstaltungen auszuweiten, wurde er fast ausschließlich zur Unterstützung der bereits bestehenden Seminare herangezogen. Lediglich im Wintersemester 1943/44474 und im Wintersemester 1944/45475 las er selbständig über Entwicklungs- beziehungsweise Reizphysiologie der Pflanzen. Brachte das Jahr 1941 also mehrere Neuerungen auf der personellen Ebene, so sollte sich, im Gleichschritt mit der Außenpolitik des Reiches, auch die wissenschaftliche Vernetzung des Botanischen Instituts Richtung Osten orientieren. Hierbei spielte Mevius eine führende Rolle, indem er eine enge Verbindung zu den Botanikern der Universität Sofia knüpfte. Die Akten geben keinen Hinweis darauf, warum sich Mevius ausgerechnet mit Bulgarien verbunden fühlte und ab Ende 1941 die Beziehungen dorthin durch mehrere Unternehmungen zu stärken suchte. Es muss daher offen bleiben, welche Motivation ihn dazu antrieb, hatten sich seine Bestrebungen als Rektor doch von jeher auf einen Ausbau der Beziehungen der Universität Münster zu den Niederlanden konzentriert.476 Noch im Mai 1941 war unter Mevius’ Leitung in Münster eine Filiale der Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft (DFA)477 gegründet worden. Daran beteiligt waren neben der Universität noch die Stadt, die NSDAP sowie die Provinzialverwaltung. Aufgabe der DFA sollte die Neuausrichtung der 468 469 470 471 472 473 474 475 476 477

Ebd., Söding an Botanisches Institut der TH Dresden, 13.10.1939. Ebd., Ergänzungsfragebogen zur PA, 16.1.1942. Ebd., Söding an Kurator, 30.12.1942. Ebd., Personalblatt, 18.8.1937, Ergänzung der NSDAP-Mitgliedschaft. Ebd., Ergänzungsfragebogen zur PA, 16.1.1942. Vgl. für eine vollständige Liste ebd. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1943/44. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1944/45. Vgl. hierzu Droste 2010. Vgl. hierzu Dietz, Burkhard/Gabel, Helmut/Tiedau, Ulrich (Hg.), Griff nach dem Westen. Die „Westforschung“ der völkisch-nationalen Wissenschaften zum nordwesteuropäischen Raum (1919–1960) (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 6), 2 Bde., Münster 2003.

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Niederlande im Sinne der geplanten europäischen Neuordnung der Nationalsozialisten sein.478 Parallel hierzu richtete Mevius seinen Blick nun auf den östlichen Verbündeten des Reiches. Im Herbst 1941 begann er mit der Organisation eines Deutschlandaufenthaltes seines Kollegen Stroyanoff, seines Zeichens Direktor des Botanischen Gartens und Professor für systematische Botanik an der Universität Sofia. Am 4. November 1941 genehmigte das REM einen einwöchigen Studienaufenthalt mit Gastvortrag Stroyanoffs in Münster für das Sommersemester 1942.479 Einige Tage später lud Mevius den Professor offiziell ein,480 welcher einen Monat später auch zusagte und seine Ankunft für die erste Julihälfte 1942 ankündigte.481 Ebenfalls Anfang November 1941 genehmigte das REM Mevius eine Vortragsreise nach Bulgarien, belegte diese aber mit einer Reihe von Auflagen, die die Einschränkungen, unter denen derartige Auslandsaufenthalte standen, deutlich machten. So war vor Reiseantritt ein Besuch der NSDAP/AO in Berlin erwünscht, zur Veröffentlichung in der Presse seien nähere Angaben über die Reise, eventuelle Vorträge etcetera an die Pressestelle des REM zu richten, und spätestens vier Wochen nach seiner Rückkehr habe Mevius einen Bericht über den Verlauf der Reise abzugeben.482 Bis zum Antritt seiner Reise sollte es aber noch einige Monate dauern. Vom 19. bis 29. Mai 1942 reiste Mevius schließlich auf Einladung des Rektors der Universität Sofia durch Bulgarien. Die Reise ist ein gutes Beispiel für die Verquickung politischer und wissenschaftlicher Ziele. So inspizierte er einerseits biologische und landwirtschaftliche Universitäts- und Schuleinrichtungen, hielt Vorträge über Heilpflanzen- und Bodenkunde und besuchte Sehenswürdigkeiten. Wie hoch die Angelegenheit aber auch diplomatisch angesiedelt war, zeigt andererseits die Tatsache, dass Mevius neben dem NSDAP-Landesgruppenleiter Josef Drechsel auch den bulgarischen König zum Gespräch traf. In seinem Bericht war Mevius voll des Lobes über die Qualität der Forschung und der Forschungseinrichtungen, über die Forscher und über das bulgarische Volk, dessen Unterstützung „für den Kampf des großdeutschen Reiches“ und Glauben an den „Endsieg“ er hervorhob.483 Im Zusammenhang mit dieser Reise wurde der Ordinarius zum korrespondierenden Mitglied der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Abteilung der bulgarischen Akademie der Wissenschaften ernannt.484 Außerdem erhielt er das bulgarische Großoffizierskreuz.485 Bereits einen Monat nach Mevius’ Rückkehr besuchte Stroyanoff auf seiner Deutschlandreise vom 14. bis 20. Juli 1942 Münster und hielt dort einen Vortrag 478 479 480 481 482 483 484 485

Ditt 1988, S. 190. UAMs, Bestand 4, Nr. 304, REM an Rektor, 4.11.1941. Ebd., Rektor an Stroyanoff, 8.11.1941. Ebd., Stroyanoff an Rektor, 10.12.1941. StAHH, PA Mevius, IV 1368, REM an Kurator, 11.11.1941. BAB, R 73, Nr. 13118, Bericht Mevius über Reise durch Bulgarien, 3.6.1942. UAMs, Bestand 4, NR. 304, Mevius an Stroyanoff, 7.7.1942. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Personalbogen, 5.10.1945.

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über die „Vegetationsdecke Bulgariens“.486 Wie stark auch hier Politik und Wissenschaft miteinander verknüpft waren, wird daran deutlich, dass Mevius für Stroyanoff ein Abendessen mit Vertretern von Partei und Staat organisierte. Sichtlich beeindruckt reiste der Professor nach Bulgarien zurück.487 Auch danach hielt Mevius die Verbindung zwischen den Instituten weiter aufrecht. Am 31. Juli 1942 beantragte er beim REM, den Landwirtschaftsbotaniker Christov, Arbeitsgebiet Zytogenetik und ebenfalls Universität Sofia, für einen Gastvortrag im Wintersemester 1942/43 nach Münster einladen zu dürfen. Dieser sei mit einer „Halbdeutschen“ verheiratet und dem Reich gegenüber sympathisch eingestellt.488 Das Ministerium genehmigte die Bitte, und Mevius lud den Forscher am 7. September nach Münster ein.489 Während die „Außenpolitik“ des Instituts also fruchtbare Ergebnisse brachte, sollte sich auch die personelle Ausstattung der Botanik zunächst weiter verbessern. Im Unterschied zum Zoologischen Institut, an dem seit jeher spezielle Themengebiete wie die Fischereiwissenschaft oder die Bienenkunde durch Lehrbeauftragte abgedeckt worden waren, hatte das Botanische Institut immer genügend fest angestellte Mitarbeiter besessen, um nicht auf externe Lehrkräfte angewiesen zu sein. Durch den Krieg hatte sich dies aber geändert. Hier sah der Ordinarius nun eine Möglichkeit, die kriegsbedingte Unterbesetzung auszugleichen. Der Anstoß hierzu kam aber diesmal von außerhalb. Im Herbst 1941 wandte sich Hermann Budde490 486 487 488 489 490

UAMs, Bestand 4, NR. 304, Mevius an Harder (Göttingen), 15.7.1942. Ebd., Mevius an REM, 1.8.1942. Ebd., Mevius an REM, 31.7.1942. Ebd., Mevius an Christov, 7.9.1942. Budde wurde am 24.11.1890 in Lettmecke als 13. Kind des Volksschullehrers Theodor Budde geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule Lettmecke 1896 bis 1904, der Präparandie Laasphe 1905 bis 1908 und des Präparandenseminars Hilchenbach 1909 bis 1911 legte er Ostern 1911 seine erste Lehrerprüfung ab. Vom 1.7.1911 bis 31.3.1920 war er zunächst als Schulamtsbewerber, seit 1912 als Volksschullehrer an verschiedenen Schulen tätig. Von Februar 1915 bis Dezember 1915 diente er als Soldat, zuletzt in einem Infanterie-Ersatz-Bataillon in Straßburg. Im Dezember 1918 geriet Budde in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst im März 1918 entlassen wurde. Von April 1920 bis April 1924 war er vom Schuldient beurlaubt und nutzte diese Zeit zu einem Studium der Naturwissenschaften in Jena und Kiel. Am 19.7.1923 wurde er dort auf Basis einer mit sehr gut bewerteten Dissertation zum Thema „Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Blattes auf Grund volumetrischer Messungen“ promoviert. Budde legte die Mittelschullehrerprüfung und die Prüfung für das höhere Lehramt ab und war in den folgenden Jahren als Lehrer an verschiedenen Schulen tätig. Nach anfänglich kommissarischer Tätigkeit wurde Budde am 1.10.1934 planmäßiger Dozent für Vererbungslehre, Rassenkunde, Biologie und Methodik des Naturkundeunterrichts an der Hochschule für Lehrerbildung Dortmund, wo er mit Erlass vom 20.6.1937 zum Professor ernannt wurde. Neben seiner Arbeit bildete er sich weiter fort und wurde am 18.7.1941 auf Grundlage einer Schrift über „Die benthale Algenflora, die Entwicklungsgeschichte der Gewässer und die Seetypen im Naturschutzgebiet ‚Heiliges Meer‘“ in Kiel habilitiert. Siehe: Hesse,

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mit der Bitte um Übertragung einer Dozentur an die Universität Münster.491 Nach einem langwierigen Besetzungsverfahren wurde er schließlich am 2. Oktober 1942 zum Dozenten ernannt492 und erhielt einen Lehrauftrag für Limnologie, Pflanzensoziologie, Pflanzengeographie und botanische Systematik.493 Ab dem Wintersemester 1943/44 bot er jeweils eine Vorlesung pro Semester an, die sich unter wechselnden Akzenten immer mit Pflanzengeographie beschäftigte.494 Diese punktuelle Verstärkung der in der Lehre tätigen Mitarbeiter war angesichts anderer Entwicklungen des Jahres 1942 dringend nötig geworden. Zwar war es nicht der Krieg, der Mevius weiter in Schwierigkeiten brachte, dennoch schien es so, als wollten die verantwortlichen Stellen das Institut nicht zur Ruhe kommen lassen. Am 14. April 1942 beauftragte nämlich das REM den gerade erst nach Münster zurückgekehrten Söding für das Sommersemester mit der Vertretung des Lehrstuhls für Botanik an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim.495 Damit wurde erneut eine Lücke in den Vorlesungsbetrieb gerissen. Kehrte der Botaniker auch zum Wintersemester 1942/43 nach Münster zurück, so kündigte sich kurz darauf schon der nächste Eingriff an: Söding sollte eine Vertretung in Hamburg übernehmen. Diesmal aber intervenierte der Ordinarius beim REM und argumentierte mit Södings kriegswichtigen Forschungen für das Reichsernährungsministerium auf dem Gebiet des Kartoffelanbaus.496 Mit seiner geschickten Argumentation, nicht zuletzt durch seinen Verweis auf einen der Kernaspekte der Autarkiepolitik des Regimes, hatte der Ordinarius schließlich Erfolg. Söding blieb in Münster. Neben diesem Erfolg gelang es Mevius auch, einen weiteren Ersatzmann für seine eingezogenen Mitarbeiter zu finden und somit zumindest nominell das Botanische Institut wieder auf den Vorkriegsstand zu bringen. Ab dem 10. November 1942 übernahm Josef Lanfer, ein am 19. September 1915 in Coesfeld geborener Apotheker, für die Dauer des Krieges die Verwaltung einer Assistentenstelle. Auch bei dieser Einstellung blieb Mevius seiner politischen Linie treu: Lanfer war seit dem 1. April 1941 mit der Nr. 8736623 NSDAP-Mitglied.497 Während also auf der einen Seite kriegsbedingt eine hohe personelle Fluktuation vorherrschte, blieb demgegenüber die wissenschaftliche Ausrichtung des Instituts stabil. Auch 1942 bewilligte die DFG weiterhin Gelder für Mevius’ Forschungen.

491 492 493 494 495 496 497

Alexander, Die Professoren und Dozenten der preußischen Pädagogischen Akademien (1926–1933) und Hochschulen für Lehrerbildung (1933–1941), Weinheim 1995, S. 209f. UAMs, Bestand 10, Nr. 1111, Stellungnahme Ries, 16.12.1941. Ebd., REM an Kurator, 2.10.1942. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1039–B, Nr. 1092. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1943/44 bis Wintersemester 1944/45. StAHH, PA Söding, IV 1452, REM an Söding, 14.4.1942. Ebd., Rektor an REM, 15.12.1942. Der neue Mann hinterließ keine Spuren in der Lehre. Über die genannten spärlichen Informationen hinaus ist nur noch bekannt, dass er nach dem Krieg die akademische Laufbahn verließ und später Vertrauensapotheker beim Krankenkassenverband Mönchengladbach wurde. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 4331, 11/1942; ebd., Lanfer an Kurator, 27.4.1957.

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Zusammen mit Dorfmüller und Baumeister führte er Untersuchungen über den „Einfluß von Kalium, Stickstoff und Bor auf Kohlehydrat-, Fett- und Stickstoffwechsel der Pflanzen“ durch, welche sowohl mit seiner Arbeit zur Steigerung des Ertrages von Getreide als auch Baumeisters Habilitationsschrift verknüpft waren.498 Auch in den folgenden Jahren sollte die DFG die Projekte weiter fördern. Die wissenschaftliche Kontinuität setzte sich somit auch im Jahr 1943 fort. So forschten zum Beispiel Mevius und Bömeke weiterhin zusammen an ihrem seit 1939 laufenden Projekt „Physiologie nitrifizierender Bakterien“. Für diese Untersuchung ist einer der wenigen detaillierten Berichte499 an die DFG überliefert. Er belegt eine völlig ideologiefreie und gleichzeitig nicht auf kurzfristige Anwendbarkeit gerichtete Forschung der beiden Botaniker, die zudem auch keine offensichtliche militärische Verwendungsmöglichkeit bot. Mevius schloss seinen Fortsetzungsantrag für das Jahr 1944 daher auch mit der äußerst unspezifischen Begründung, eine Erweiterung der Kenntnisse in diesem Bereich sei „aus volkswirtschaftlichen Gründen von allergrößten Nutzen“.500 Bis in den späten Kriegsverlauf hinein war derartig freie Forschung also weiter möglich. Noch im Mai 1944 sollte er hierfür 1.500 RM von der DFG erhalten.501 Anwendungsorientierter ausgerichtet waren hingegen die Wehrmachtsforschungsaufträge, die durch andere Stellen an das Botanische Institut erteilt wurden. Hierbei spiegelten die Bezeichnungen und Nebentitel der Auftraggeber die auch in die Forschungsförderung eingezogene Polykratie des NS-Staates wider. Im Auftrag des Beauftragten für den Vierjahresplan (Der Generalbevollmächtigte für Sonderaufgaben in der chemischen Erzeugung) forschte man unter dem Kennwort „Forschungsauftrag“ und der Wehrmachtsauftragsnummer SS 4090–0138 an einem unbekannten Thema und erhielt dafür 3.000  RM. Für den Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches (Präsident des Reichsforschungsrates) arbeitete man unter den Kennwörtern „Physiologie nitrifizierende Bakterien“, „Hormonstoffwechsel“ und „Wirkstoffbehandlung“, wobei hierbei die Fördermittel aus dem Topf des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft flossen und zusammen 8.700  RM betrugen.502 Wie in den Jahren zuvor wurde die mangelnde finanzielle Ausstattung des Instituts also durch eine große Summe an Drittmitteln ausgeglichen. Hatte man daher bis zu diesem Zeitpunkt auch trotz der Einschränkungen, die der Zweiten Weltkrieg mit sich gebracht hatte, einen Großteil an Normalität wahren und sowohl Forschung als auch Lehre weitgehend aufrecht erhalten können, so sollte die Realität des Krieges Mitte 1943 schließlich doch noch für große Verwerfungen am Botanischen Institut sorgen. Nach mit kurzer Unterbrechung 23 Jahren 498 499 500 501 502

BAB, R 73, Nr. 13118, Mevius an DFG, 12.1.1942. Ebd., Bericht Mevius für das Jahr 1943. Ebd., Mevius an DFG, ca. April 1944. Ebd., DFG an Mevius, 15.5.1944. UAMs, Bestand 4, Nr. 706, Forschungsaufträge, 6.11.1943.

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Tätigkeit an der Universität Münster fand nämlich die Dienstzeit Mevius’ ein vorzeitiges, unerwartetes Ende. Der Grund hierfür waren aber keine weiteren Einberufungen zur Wehrmacht oder alliierte Bomben, sondern etwas völlig Anderes: ein 18-pfündiger Schinken.503 Die sogenannte „Schinkenaffäre“ war es, welche Mevius 1943 zunächst seinen Posten als Rektor und schließlich auch seinen Lehrstuhl kostete und aufgrund derer ihm in Münster bis zum heutigen Tage der Name „Schinken-Mevius“ nachhängt. Sie ist bereits Anfang der 1990er-Jahre von Heiber ausführlich beschrieben worden, weshalb es an dieser Stelle ausreicht, nur auf ihre wichtigsten Aspekte einzugehen.504 Seinen aktenkundlichen Anfang nahm der Vorgang Mitte Juli 1943 mit einer Notiz des Universitätskurators und gleichzeitigen Leiters des Gaupersonalamts Westfalen-Nord, Curt Beyer. Hierin hielt dieser fest, dass er am 26. Mai 1943 erfahren habe, dass Mevius in ein Sondergerichtsverfahren gegen einen Zahnarzt und früheren Studenten der Universität Münster, Franz Baxmann, aus Paderborn verwickelt sei. Dieser habe sich schwerer Verbrechen gegen die Kriegsgesetze schuldig gemacht. Mevius habe in seiner dienstlichen Eigenschaft als Rektor Baxmann, allerdings „ohne sein Vorleben zu kennen“,505 gefördert und später durch seine Frau von diesem Fleisch entgegengenommen. Am 10. Juli 1943 wurde Beyer daraufhin zu einer Besprechung beim stellvertretenden Gauleiter bestellt, an der auch der Gaustabsamtsleiter und Oberstaatsanwalt Wetzmüller teilnahmen.506 Bereits in der Zusammensetzung der Gruppe wird deutlich, wie eng universitäre, staatliche und parteiliche Stellen in dieser Angelegenheit zusammenarbeiteten. In der Besprechung wurde auf Vorschlag des Oberstaatsanwaltes eine Stellungnahme der Gauleitung dahingehend abgegeben, dass „Mevius als Rektor nicht mehr tragbar sei und auch von Münster versetzt werden müsse […] [,] daß man aber in Ansehung seiner langjährigen Verdienste und im Interesse der Ruhe an der Universität und mit Rücksicht auf die schwierige Lage in Münster, das Verfahren durch einen Zahlungsbefehl abschließen wolle.“507 Auf ein Dienststrafverfahren wurde verzichtet.508

503

Zum Gewicht des Schinkens siehe UAMs, Bestand 10, Nr. 10417, Bericht über die sogenannte „Schinkenaffäre“, Juli 1943. 504 Vgl. Heiber 1992, S. 543–553. Die äußerst ausführlichen Akten zur gesamten Affäre sind im Universitätsarchiv Münster vorhanden, siehe UAMs, Bestand 10, Nr. 10417. Auf eine Rekapitulation der Affäre wird, wie erwähnt, auch aus Platzgründen, letztlich aber auch aus mangelnder Relevanz für die Fragestellungen dieser Arbeit, verzichtet. Kristina Sievers wird sich in Ihrer Dissertation ebenfalls diesem Thema widmen. 505 UAMs, Bestand 10, Nr. 10417, Aktennotiz Beyer, 13.7.1943; diese Aussage Beyers ist äußerst zweifelhaft, belegen die restlichen vorhandenen Dokumente doch, dass Mevius bezüglich Baxmann Akteneinsicht bei der Universität genommen hatte und genaue Informationen über dessen Werdegang hätte haben müssen. 506 Ebd. 507 Ebd. 508 BAB, ehemals BDC, A 0046, REM an Reichsjustizminister, 1.9.1943.

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In den folgenden Monaten bemühten sich Universität, Justiz und Partei in enger Abstimmung miteinander, Mevius mit möglichst wenig Aufsehen aus Münster zu entfernen. Schließlich gelang es ihnen, ihn gegen den Willen der dortigen Universität509 zum 1. April 1944 vorläufig510 und zum 1. März 1945 endgültig nach Hamburg versetzen zu lassen.511 Dort konnte er nach dem Krieg seine Karriere äußerst erfolgreich und vor allem unbeeinflußt von seiner NS-Verstrickung fortsetzen. Noch anzumerken ist, dass er dort seinen ehemaligen Kollegen, welche nach 1945 wegen ihrer NS-Vergangenheit Probleme an der Universität Münster bekamen, Unterschlupf bot und sie mit Stellen versah.512

4.  Das Interregnum 1944/45 bis 1948 Mit Mevius’ Weggang aus Münster im Frühjahr 1944 übernahm Söding als stellvertretender Direktor de facto die Amtsgeschäfte seines ehemaligen Vorgesetzten, auch wenn der ehemalige Ordinarius bis März 1945 und dann wieder ab Juli 1945 zumindest offiziell dem Institut weiterhin vorstand.513 Bis Kriegsende sollte Söding am Institut jedoch nicht mehr viel bewegen können. Einflüsse auf Forschung und Lehre unter seiner Leitung sind nicht nachweisbar. Für 1944 ist lediglich noch die Habilitation Bömekes mit einer Schrift zu einem für das Botanische Institut der Universität Münster typischen Thema, „Über den Stoffwechsel der Salpeterbakterien“, überliefert.514 Am 15. November 1944 wurde das Institut in die Ausweichstelle Emsdetten ausgelagert.515 Ein Teil der Ausstattung wurde nach Göttingen gebracht.516 Hierhin wich offenbar auch Söding mit aus, der dort von März bis ­April 1945 noch im Volkssturm diente.517 Zwar ging auch in den Evakuierungsorten der Betrieb eingeschränkt weiter – so konnte Söding noch Ende Februar 1945 vom RFR 509

510 511 512 513

514 515 516 517

StAHH, PA Mevius, IV 1368, Becker an Schrewe (Schulverwaltung), 22.4.1944; StAHH, PA Mevius, IV 1368, Vorschlagsliste der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg, 5.11.1943; StAHH, PA Mevius, IV 1368, Staatsverwaltung Hamburg, Schul- und Hochschulabteilung, Hochschulwesen an Verwaltung für Kunstund Kulturangelegenheiten, 2.5.1944. StAHH, PA Mevius, IV 1390, REM an Mevius, 25.2.1944. StAHH, PA Mevius, IV 1368, REM an Mevius, 3.3.1945. Vgl. Kapitel 8.5. Die tatsächlichen Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt sind unklar, da auch die Akten widersprüchliche Angaben machen. Während der Rektor am 2.7.1945 Mevius noch mit der vorläufigen Leitung beauftragt hatte, schrieb er am 22.8.1945 dem Kurator, dass das Botanische Institut zurzeit keinen Direktor habe, siehe UAMs, Bestand 62, Nr. 85, Rektor an Kurator, 22.8.1945. UAMs, Bestand 10, Nr. 991, Dekan an REM, 19.8.1944. BAB, R 4901, Nr. 14280, Vermerk, 1.2.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 724, Report on the State of the University of Münster and proposals for its Re-Opening, undatiert. StAHH, PA Söding, IV 1452.

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eine Sachbeihilfe in Höhe von 10.000 RM sicherstellen, und das Institut erhielt auch Gelder vom Reichsernährungsministerium.518 Kurz darauf war aber auch hier der Krieg beendet. Am 31. März 1945 wurde Emsdetten besetzt, und die Räume des Instituts wurden von den Alliierten beschlagnahmt.519 Der Krieg hatte bis dahin am Institut unterschiedlich starke Spuren hinterlassen. Auf der einen Seite hatte man personelle Verluste hinnehmen müssen. Mit Dorfmüller und Büker waren zwei der drei Assistenten an der Front gefallen. Gleichzeitig hatte man mit Mevius (bis 1943), Schratz und Söding aber die Hauptstützen des Instituts in Münster halten und die Lücken in der Assistentenschaft durch Vertreter ausgleichen können. Mit dem Aufstieg der Pharmakognosie war sogar eine Expansion und Einflussvermehrung der Münsterschen Botanik verbunden. Was Forschung und Lehre anbetraf, hatte der Krieg schließlich fast gar keine Spuren hinterlassen. Das Institutsgebäude hingegen war zu 80 Prozent zerstört.520 Ähnlich sah es bei Ausstattung und Materialien aus, während die Bibliothek des Instituts weitgehend hatte gerettet werden können.521 Somit stellte sich auch für die Botanik die Aufgabe des Wiederaufbaus unter schwierigen äußeren Bedingungen. Dieser Wiederaufbau sollte sich in den folgenden Jahren bis zur Berufung des neuen Ordinarius weitestgehend mit der alten Lehrstuhlbesetzung vollziehen. Ein Schnitt gegenüber der Zeit vor dem 8. Mai 1945 fand nicht statt. Stattdessen dominierte auch hier die Kontinuität. Bömeke, dessen Stelle als Assistent verlängert wurde,522 und Schratz, der weiter der Pharmakognosie vorstand, wurden bereits am 10. Oktober entnazifiziert.523 Söding wurde eine Woche später von der Militärregierung im Amt bestätigt.524 Einziges neues Gesicht am Institut war der neue Assistent Franz Weiling, der im Dezember 1945 als wissenschaftlicher Assistent bei Schratz eingestellt wurde.525 518 519 520 521 522 523 524 525

BAB, R 4901, Nr. 14280, Söding an Kurator, 20.2.1945. Ebd., Schratz an Kurator, 28.12.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 730, Übersicht über durch den Luftkrieg entstandene Schäden an der Universität Münster, undatiert. UAMs, Bestand 4, Nr. 724, Report on the State of the University of Münster and proposals for its Re-Opening, undatiert. UAMs, Bestand 10, Nr. 991, Söding an Kurator, 30.11.1945. UAMs, Bestand 4, Nr. 722, Liste der entnazifizierten Beschäftigten. StAHH, PA Söding, IV 1452, Rektor an Söding, 16.10.1945. Franz Weiling wurde am 20.9.1909 in Dülmen/Westfalen geboren und katholisch getauft. Von 1915 bis 1919 besuchte er die Volksschule und anschließend von 1919 bis 1928 das Gymnasium Dülmen. Nach seinem Abitur trat Weiling in den Franziskanerorden ein und siedelte nach Brasilien über, wo er bis 1935 die Philosophisch-Theologische Hochschule Olinda-Bahia besuchte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland nahm er ein Studium der Biologie, Physik und Mathematik auf, welches er am 29.2.1940 mit seiner Promotion abschloss. Während seines Studiums war er von 1936 bis 1937 Mitglied der Deutschen Studentenschaft gewesen. Weiling verließ den Franziskanerorden 1940 und wurde ein Jahr später zum Kriegsdienst einberufen. Am 1.9.1942 wurde ihm das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse mit Schwertern verliehen. Nach Kriegsende siedelte er nach Münster über. Siehe:

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Söding und Schratz waren es auch, die im Wintersemester 1945/46 gemeinsam mit „Pflanzensoziologie“ neben der Zoologin Ilse Fischer eine von nur insgesamt zwei biologischen Veranstaltungen der Universität anboten.526 Bis zum Wintersemester 1946/47 sollten sie allein alle Seminare, inzwischen bereits wieder sechs Stück, bestreiten. Deren Titel unterschieden sich in nichts von dem, was vor 1945 und auch schon vor 1933 am Institut gelehrt worden war. Lediglich die Pharmakog­ nosie war kurzzeitig von der Botanik in die Pharmazie verschoben worden. Auch hier lehrte Schratz aber dasselbe wie zuvor.527 Damit konnte die Münstersche Botanik ihren Betrieb nahezu nahtlos wieder aufnahmen. Lediglich bei zwei Mitarbeitern, nämlich Budde und Engel, kam es im Zuge der Entnazifizierung der Universität zu temporären Karriereunterbrechungen. Mit Ausnahme dieser beiden Fälle verlief die Entnazifizierung bei den anderen Mitarbeitern des Botanischen Instituts vollkommen problemlos.528 Dem neuen beziehungsweise alten Kollegenkreis stellte sich nunmehr die Aufgabe, neben der wissenschaftlichen Wiederbelebung auch die Personalstrukturen am Institut neu zu definieren. Vorläufig übernahm Söding weiterhin den Posten des stellvertretenden Direktors, ohne jedoch einen offiziellen Auftrag dazu erhalten zu haben.529 Mevius hatte sich zwar vor seiner endgültigen Übersiedlung nach Hamburg weiter in Münster aufgehalten.530 In den Institutsablauf hatte aber nicht weiter eingegriffen. Daher stellte sich nun auch die Frage nach einem Nachfolger für den alten Ordinarius. Neben Schratz, dessen Chancen jedoch mit dem Zusammenbruch seiner NSNetzwerke drastisch gesunken waren, bemühte sich offenbar auch Söding darum, das Erbe seines ehemaligen Vorgesetzten anzutreten. Diesen Plänen machte jedoch eine Grundsatzentscheidung des Oberpräsidenten einen Strich durch die Rechnung. Dieser hatte sich zu Weihnachten 1945 bei der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät erkundigt, wie es um die noch im Amt befindlichen Parteigenossen stehe. Am Botanischen Institut waren zu diesem Zeitpunkt fast alle wissenschaftlich Beschäftigten von diesem Makel betroffen. Aufgrund dessen musste die

526 527 528 529 530

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Weiling, NW 1049, Nr. 51677, Fragebogen; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Weiling, NW 1039–W, Nr. 93, Fragebogen, 20.2.1947; Weiling, Franz, J. G. Mendel hat in der Darstellung seiner Erbsenversuche nicht gelogen, in: Biologie in unserer Zeit 419 (1995), S 49–53, hier: Kurzvita des Autors, S. 53. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1945/46. Vgl. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1946/47. Vgl. Kapitel IV, Abschnitt 5. Noch im Mai 1946 teilte er dem Kurator mit, dass ein schriftlicher Auftrag hierüber fehle. Erst im Juni 1946 wurde dieser vom Kurator beim OP beantragt, siehe: UAMs, Bestand 9., Nr. 325, Aktenvermerk Kurator, 29.5.1946, bzw. Kurator an OP, 11.6.1946. So hatte unter anderem er die gerettete Bibliothek des Instituts in seinem Privathaus untergestellt und seinen ehemaligen Kollegen geöffnet. Dazu hatte er aber auch ein Schild mit der Aufschrift „Botanisches Institut“ am Haus angebracht, was der Dekan daraufhin monierte. Im Sommer 1946 wurde die Bibliothek schließlich in die Kinderklinik verbracht, siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Mevius an Kurator, 6.9.1946.

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Fakultät hinnehmen, vorläufig keine Parteigenossen auf Vorschlagslisten setzen zu können. Am 15. März 1946 teilte der Dekan Söding mit, dass daher auch er von einer Nachfolge Mevius’ ausgeschlossen sei. Ebenso wie Schratz und Engel sei er aus diesem Grund bereits zu Beginn der Beratungen von der Kandidatenliste gestrichen worden.531 Der Dekan verstehe Södings Kummer und dankte ihm dafür, dass er in so friedfertiger Weise zur Aufstellung der Listen Stellung genommen habe. Die Fakultät erkenne jederzeit seine fruchtbare Lehrtätigkeit und erfolgreiche Forscherarbeit an und bitte ihn ausdrücklich, sich wegen der Nominierung nicht den Mut nehmen zu lassen und Vertrauen zur Fakultät und insbesondere zum Dekan selbst zu behalten.532 Das Schreiben machte dadurch mehr als deutlich, dass die Fakultät dem harten Kurs gegenüber ehemaligen NSDAP-Mitgliedern lediglich aufgrund von Anweisungen von oben, nicht aus eigener Einsicht folgte. Da die drei lokalen Kandidaten aufgrund ihrer Verstrickung in das NS-Regime also wegfielen, musste sich die Fakultät nach anderweitigem Ersatz umsehen. Ebenso wie sie zur Nichtberücksichtigung alter Parteigenossen verpflichtet wurde, war sie im Falle von Neuberufungen von den neuen politischen Entscheidungsträgern dazu angehalten worden, als Wiedergutmachung in erster Linie vertriebene oder unter den Nationalsozialisten anderweitig benachteiligte Professoren zu bevorzugen.533 Daher machte man sich nun auf die Suche nach einem Personenkreis, den man wenige Jahre zuvor noch mit aller Härte aus der Universität entfernt hatte: Juden. Als erstes rückte offenbar der ehemalige Münsteraner Heilbronn ins Interesse der Universität. Am 10. Januar 1946 teilte der Dekan dem Rektor mit, dass er der Fakultät sehr genehm wäre und damit zu rechnen sei, dass er auf der Liste für die Nachfolge Mevius’ an dritter Stelle komme.534 Diese Pläne zerschlugen sich jedoch, da Heilbronn 1946 noch nicht die Absicht hatte, nach Deutschland zurückzukehren. Stattdessen wurde der Fakultät der ebenfalls in Istanbul tätige vertriebene Leo Brauner vorgeschlagen, der gerne wieder eine Tätigkeit in seiner alten Heimat übernehmen wollte.535 Heilbronn und Brauner hatten seit 1933 gemeinsam den botanischen Unterricht und das Botanische Institut der Universität Istanbul aufgebaut. Am 7. März 1946 tagte erstmals die Berufungskommission, die die neuen Kandidaten aussuchen sollte. Ihr gehörten neben Behnke noch die Professoren Kratzer, 531

532 533 534 535

Auch wenn ihre Namen in dem Schreiben nicht explizit genannt werden, so ist den relevanten Unterlagen von ihnen die Rede, so dass davon auszugehen ist, dass sie gemeint waren. Siehe: UAMs, Bestand 62, B III 8c, diverse Gutachten, Kurzinformationen und persönliche Meinungen von Referenten über die für das Ordinariat für Botanik in Frage kommenden Kandidaten, undatiert, ca. 1945–1947. Ebd., Dekan an Söding, 15.3.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 755, Militärregierung an Rektor, 20.3.1946. UAMs, Bestand 62, Nr. 3, Dekan an Rektor, 10.1.1946. UAMs, Bestand 62, B III 8c, Rektor TH Braunschweig an Rektor Universität Münster, 16.3.1946.

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Micheel und Fischer an.536 Am 18. März 1946 legte der Dekan dem Rektor die erste Fassung der Vorschlagsliste für die Wiederbesetzung des ordentlichen Lehrstuhls für Botanik an der Universität Münster vor. Auf Platz eins rangierte Leo Brauner vom Institut für allgemeine Botanik der Universität Istanbul. Auf Platz zwei folgte Walter Schumacher, zweiter Ordinarius für Botanik an der Universität Bonn, auf drei Siegfried Strugger, Direktor des Botanischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Auf Rang vier setzte man schließlich Wilhelm Troll, ehemals Ordinarius für Botanik an der Universität Halle. Troll war zum damaligen Zeitpunkt als Gymnasialdirektor in Kirchheimbolanden tätig, da er nach seine Deportation in den Westen im Rahmen des sogenannten Abderhaldentransports nicht mehr nach Halle hatte zurückkehren können.537 Aus praktischen Gründen hatte man ausgewählte Aspekte der politischen Vergangenheit der Kandidaten direkt neben ihre wissenschaftlichen Kurzvitae gesetzt: Brauner sei „jüdischer Abstammung“, Schumacher seit 1942 im NS-Dozentenbund, Strugger von 1934 bis 1937 in der SA und Troll Mitglied des NS-Altherrenbundes. Was die Forschungsgebiete der Professoren anging, so unterschieden sie sich stark von dem, was seit Benecke in Münster Schwerpunkt gewesen war. Brauner hatte vor allem Lichtwachstumsreaktionen von Pflanzen und die Bedeutung des Lichts für zellphysiologische Vorgänge untersucht. Schumacher hatte über die Lokalisation der Stoffwanderung in Pflanzen, die Mechanik des Stofftransportes und den Stoffaustausch zwischen Wirt und Parasit gearbeitet. Am Ausführlichsten schließlich äußerte man sich zu Strugger. Dieser hatte mit Hilfe von Farbstoffen bahnbrechende Erkenntnisse über den Wassertransport im pflanzlichen Gewebe außerhalb der dafür differenzierten Leitungsbahnen gewinnen können. Außerdem hatte er sich mit Protoplasmaphysiologie (Stoffaufnahme und -speicherung), Strahlenempfindlichkeit von Zellen, Lebendfärbung von Chromosomen über einen längeren Zeitraum ohne Zellschädigung und fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen zur Analyse von Absterbevorgängen in der Zelle beschäftigt. Zu Troll äußerte man sich nicht.538 Knapp drei Wochen später legte die Fakultät dann eine zweite Version der Vorschlagsliste vor. Inzwischen hatte man auf Wunsch Behnkes Troll gestrichen sowie Schumacher und Strugger gemeinsam an Platz zwei gesetzt.539 Am 23. April leitete der Rektor die Listen an den Oberpräsidenten weiter. Dazu merkte er an, dass es 536 537 538 539

Ebd., Dekan an Beteiligte, 6.3.1946. http://www.catalogus-professorum-halensis.de/trollwilhelm.html, Zugriff: 22.4.2010. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an OP, 18.3.1946. Behnke begründete den Wegfall Trolls damit, dass dieser zwar eine markante Forscherpersönlichkeit und ein bedeutender Lehrer sei, aber eine so einseitige Richtung seines engeren Fachbereichs vertrete und der Entwicklung der modernen Biologie so ablehnend gegenüber stünde, dass er besser an eine Universität berufen werden solle, an der noch ein zweiter Ordinarius für Botanik lehre. In Münster sei sonst die Gefahr einer sehr einseitigen und keineswegs dem Stande der Wissenschaft entsprechenden Ausrichtung der Botanik zu befürchten. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an OP, 4.4.1946.

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den Absichten der Militärregierung entsprechen würde, wenn man den Emigranten Brauner beriefe. Sollte dieser ablehnen, so schlug Rektor Schreiber entgegen den Ansichten des Dekans eine Berufung Trolls vor, da man in den letzten Monaten von verschiedener Stelle gehört habe, dass er eine hervorragende Persönlichkeit sei und entgegen erster Bedenken doch gut nach Münster passen würde.540 Ende Mai hatte sich der Oberpräsident schließlich entschieden: Er wollte Brauner berufen. Dazu wandte er sich an die Militärregierung, um zum einen den Kontakt nach Istanbul herzustellen, und zum anderen anzufragen, ob die Besatzungsmacht einer Berufung zustimmen würde.541 Bereits drei Tage später teilte die Militärregierung dem Oberpräsidenten die Adresse Brauners mit und legte die weitere Bearbeitung des Falles in die Hände des Rektors.542 Am 24. Juni 1946 teilte man dem Oberpräsidenten dann mit, dass Brauner bereit sei, nach Deutschland zurückzukehren, zurzeit jedoch seitens der Militärregierung noch keine Entscheidung darüber getroffen werden könne, ob er ihr politisch genehm sei. Diese Angelegenheit werde im Rahmen des Wiedereinbürgerungsverfahrens abgewickelt und könne sich sowohl als einfach als auch als kompliziert erweisen.543 Wie im ähnlich gelagerten Fall von Ubisch, den das Zoologische Institut aus der Emigration zurückberufen wollte, entwickelt sich in der Folge ein langwieriges Hin und Her. Schon am 7. Juni 1946 hatte Behnke, wie auch mit den anderen Kandidaten, Kontakt mit Brauner aufgenommen, ihm mitgeteilt, dass er auf der Berufungsliste stehe und angefragt, ob er bereit sei, in Verhandlungen zu treten. Die Lage der Botanik in Münster beschönigte er dabei nicht: Das Institut sei zum größten Teil zerstört, die Verhältnisse sehr primitiv, die Studenten aber interessiert und der Unterricht bereits wieder im Gange.544 Erst über einen Monat später traf die Antwort des Botanikers in Münster ein. In ihr spiegelten sich die gleichen Unsicherheiten und Zweifel, die auch von Ubisch zur gleichen Zeit beschäftigt hatten. Zunächst dankte Brauner für Behnkes Brief. Dann erklärte er, dass ihn die Anfrage vor eine folgenschwere Entscheidung stelle. Könne er als jüdischer Emigrant nach 13 Jahren in der Fremde noch erwarten, bei den heutigen Studenten Vertrauen 540

541 542 543 544

In einem auf denselben Tag datierten Schreiben an den Generalreferenten Kultus bei der Provinzialregierung, Schulrat Brockmann, der ebenso wie Schreiber Mitglied der Zentrumspartei war, führte der Rektor diese Überlegungen weiter aus. Zwar riet er auch hier, an erster Stelle Brauner zu nehmen, da dieser Emigrant sei. Ob er jedoch zusage, sei eine andere Frage. Lehne er ab, so riet Schreiber dazu, Troll zu nehmen, da er bei näheren Erkundigungen in Hochschulkreisen festgestellt habe, dass das Urteil über ihn weit günstiger laute als Dekan Behnke mitgeteilt habe. Troll habe völlig neue, frisch lebendige Fragestellungen und wäre eine Bereicherung für Münster. Siehe: UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Rektor an OP, 23.4.1946; ebd., Rektor an Brockmann, 23.4.1946; Vgl. zu Brockmann: Vogel, Alois, 60 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen. Das Land und seine Abgeordneten, Düsseldorf 2006, S. 2004. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, OP an Militärregierung, 20.5.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 714, Militärregierung an OP, 23.5.1946. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Militärregierung an OP, 24.6.1946. UAMs, Bestand 62, B III 8c, Dekan an Brauner, 7.6.1946.

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und Resonanz zu finden, oder würde er nur als Fremder empfunden werden, dem man sein physisches Wohlergehen im Exil nicht gerne nachsehe? Würde ihm die Jugend von vornherein mit einem Wall feindseligen Misstrauens begegnen? Trotzdem zeigte er sich sehr interessiert an der Lage des Botanischen Instituts. Da er im Moment heimatlos sei und deshalb keinen gültigen Pass besitze, fragte er schließlich noch nach der Möglichkeit, einen solchen durch die Militärregierung zu erhalten.545 Damit deutet sich auch schon dasjenige Problem an, an dem die Berufung letzten Endes scheitern sollte. Erneut einen Monat später übersandte Behnke seine Antwort in die Türkei. Er glaube nicht, dass Brauner von den Studenten mit Misstrauen empfangen werden würde. Ganz im Gegenteil würden die Opfer der Rassegesetze allgemein von jedermann gut behandelt: „Der Antisemitismus ist vorläufig tot und auch die hartnäckigen Anhänger nationalsozialistischer Ideen, [sic!] wollen davon jetzt nichts wissen. Diese Angelegenheit ist ihnen viel zu peinlich. Jeder sieht ein, dass zum mindesten in dieser Frage zu weit gegangen ist [sic!].“546

Judenverfolgung und Holocaust waren also zur Peinlichkeit geworden, an die man nicht erinnert werden wollte. Wenn schon der Rest des Nationalsozialismus nicht völlig schlecht war, so doch zumindest dieser Aspekt. Behnke führte aber weiter aus, dass man noch nicht sagen könne, wie lange diese Einstellung währen würde, da das Gesicht der jüngsten Generation noch nicht erkennbar sei. Es sei jedoch anzunehmen, dass ein intransigenter Nationalismus nicht alle seine früheren Merkmale übernehmen werde, um das Odium des „törichten Hitlerismus“547 zu vermeiden. Abschließend gab er dem potentiellen Ordinarius noch einen knappen Überblick über die aktuelle Lage der Botanik in Münster. So wolle die Fakultät den Lehrstuhl gerne bis zum 1. April 1947 wiederbesetzen. Zurzeit besuchten 50 bis 100 Hörer die Vorlesungen. Das Botanische Institut sei zerstört, in der Orangerie sei jedoch ein behelfsmäßiger Hörsaal eingerichtet, und man sei mit intensiven Wiederaufbauarbeiten beschäftigt. Brauner selbst würde in der Stadt als Opfer des Faschismus bevorzugt Wohnraum erhalten. Alles Weitere müsse Behnke mit der Militärregierung klären.548 Wieder verging ein weiterer Monat bis zu Antwort Brauners, Zeit, die letztlich sowohl ihm als auch der Universität fehlen sollte. Sein Schreiben offenbart, welchen Schwierigkeiten die aus Deutschland vertriebenen Forscher ausgesetzt waren, falls sie in ihre Heimat zurückkehren wollten. So sei ein Amtsantritt bis zum 1. April 1947 kaum möglich, da einerseits die Umzugslogistik nach Münster sowie andererseits die Abwicklung seines eigenen Instituts in Istanbul, die Versorgung seiner 545 Ebd., Brauner an Dekan, 17.7.1946. 546 Ebd., Dekan an Brauner, 16.8.1946. 547 Ebd. 548 Ebd.

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Doktoranden und die Regelung seiner Nachfolge in der Zeit nicht zu schaffen sei. Ein Sonderkapitel sei weiterhin die Erteilung einer Reiseerlaubnis durch die britischen Behörden, die selbst bei Rückberufungen auf besonderen Wunsch der britischen Regierung viele Monate dauere. Deshalb wäre es am zweckmäßigsten, wenn er vor einer endgültigen Entscheidung nach Münster kommen würde, um vor Ort einen Eindruck der Lage zu gewinnen und Gespräche zu führen. Solch’ eine Reise, vielleicht verbunden mit Gastvorträgen, wäre etwa Mitte Juni 1947 möglich, falls die britischen Behörden mitspielten. Das alles mache allerdings nur Sinn, falls die Universität so lange warten könne.549 Die Universität Münster war offensichtlich gewillt, die Angelegenheit trotz dieser Schwierigkeiten weiter zu verfolgen. Sie deutete aber an, dass ihre Geduld nicht ewig währen würde. Mitte Januar 1947 schrieb der Universitäts-ErziehungsOffizier550 an die Militärregierung und teilte mit, dass Brauner noch immer gewillt sei, zur Übernahme des Lehrstuhls nach Münster zurückzukehren. Die Universität wäre sehr dankbar, wenn die Angelegenheit beschleunigt und eine kurze Mitteilung über die voraussichtliche Dauer gemacht werden könnte. Es sei aber offenbar nicht im Interesse der Universität, dass der Zustand eines unbesetzten Ordinariats unbegrenzte Zeit andauere.551 Etwa zum gleichen Zeitpunkt wurde auch klar, dass die Verfahrensabläufe innerhalb der Universität noch nicht eingespielt waren, denn: Am 20. Januar schrieb der Kurator an Brauner und teilte ihm nochmals die lang bekannte Tatsache mit, dass er zur Berufung vorgeschlagen sei und bat um Antwort, ob er den Ruf annehme.552 Brauner reagierte darauf mit Überraschung und übersandte dem Kurator den letzten Brief Behnkes.553 Inzwischen war die Deadline der Fakultät immer näher gerückt. Zwar bat der Universitäts-Erziehungs-Offizier bei der Militärregierung Anfang März noch einmal um eine Beschleunigung des Verfahrens,554 es wurde jedoch immer klarer, dass ein weiteres Hinausschieben der Besetzung des Lehrstuhls unmöglich geworden war. Hinzu kam, dass am 10. März Söding zum Ende des Semesters gekündigt hatte, um eine Stelle in Hamburg an Mevius’ neuem Institut anzutreten.555 Zum 1. Mai 1947 sollte er dort schließlich die Stelle eines Wissenschaftlichen Rates erhalten.556 Damit wurde die Frage eines Nachfolgers akut, so dass sich die Fakultät zum Handeln gezwungen sah. Am 21. April sandte der Dekan eine erneute Berufungsliste an das Kultusministerium NRW. Er bat, nicht mehr in weitere Verhandlungen mit Brauner einzutreten, da von der Fakultät mit ihm geführte Vorverhandlungen er549 UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Brauner an Dekan, 26.9.1946. 550 Vgl. zur Rolle des Universitätsoffiziers ausführlich: Respondek 1995, S. 97ff. 551 UAMs, Bestand 9, Nr.  325, Universitäts-Erziehungs-Offizier an Militärregierung, 14.1.1947. 552 Ebd., Kurator an Brauner, 20.1.1947. 553 Ebd., Brauner an Kurator, 27.2.1947. 554 Ebd., Universitäts-Erziehungs-Offizier an Militärregierung, 5.3.1947. 555 UAMs, Bestand 5, Nr. 686, Söding an Dekan, 10.3.1947. 556 StAHH, PA Söding, IV 1452, Söding an Schulverwaltung HH, 19.5.1947.

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geben hätten, dass sie keinen Erfolg versprächen „oder doch die außerordentlich dringliche Besetzung des Lehrstuhls untragbar verzögern“557 würden. Der vorher an zweiter Stelle genannte Schuhmacher habe inzwischen ein Ordinariat in Bonn angetreten und dürfte daher nicht mehr geneigt sein, nach Münster zu kommen. Strugger hingegen, obwohl inzwischen planmäßiger Extraordinarius in Hannover, sei grundsätzlich bereit, einen Ruf nach Münster anzunehmen. Er stelle jedoch als Bedingung eine baldige Wiedereinrichtung eines Laboratoriums im Botanischen Garten. Dies werde vom Hochbauamt zurzeit bereits geprüft. Deshalb bitte die Fakultät darum, an Struggers Kandidatur festzuhalten.558 Eine Woche später vermerkte auch der Kurator, dass die Universität nicht länger auf die Besetzung verzichten könne und bat darum, Strugger zu berufen.559 Damit war wie im Falle von Ubischs die Berufung eines aus rassistischen Gründen vertriebenen Biologieprofessors nach Münster an äußeren Umständen gescheitert. Es macht an dieser Stelle Sinn, noch einmal auf die grundlegende Diskrepanz zwischen der Reintegration belasteter ehemaliger Hochschullehrer und der Reintegration nationalsozialistisch verfolgter Professoren hinzuweisen. Beide firmierten oftmals unter der Bezeichnung „Vertriebene“, ihre Lage unterschied sich jedoch deutlich. Die erste Gruppe konnte aufgrund der Kontinuität von Netzwerken, aber auch aufgrund ihrer deutschen Staatsbürgerschaft, im Regelfall ohne Probleme in alte Stellungen wiedereinrücken beziehungsweise neue Positionen an ihrer alten Universität übernehmen. Die Gruppe der Verfolgten hingegen, oftmals durch die Nationalsozialisten ihrer Staatsbürgerschaft beraubt, musste sich durch die Verwaltungswege der Besatzungsmächte kämpfen, langwierige Verhandlungen mit der Universität führen und Misstrauen und Ablehnung durch die Studentenschaft fürchten. Während auch die Universität im ersten Fall nichts unversucht ließ, durch Gutachten, „Persilscheine“ und persönliche Intervention die Lage der Kollegen zu verbessern, setzte sie sich zwar auch im zweiten Fall für eine Rückberufung ein, dies jedoch nur auf Anordnung höherer Stellen und mit deutlich geringerem Einsatz. Somit wirkte der lange Atem des Nationalsozialismus auch zwischen 1945 und 1948 an den biologischen Instituten der Universität Münster weiter. Dies wird auch in den Akten deutlich. Am 31. Dezember 1947 bat der Innenminister NRW beim Kurator um Mitteilung über nach dem Mai 1945 eingestellte rassisch, politisch oder religiös Verfolgte.560 Beide Institute mussten Fehlanzeige melden.561 Nachdem also Strugger als einziger Kandidat für das botanische Ordinariat übrig geblieben war, betrieb die Fakultät seine Berufung mit aller Energie weiter. Am 22. März hatte er der Universität mitgeteilt, dass er grundsätzlich bereit sei, einen

557 UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an Kultusministerium NRW, 21.4.1947. 558 Ebd. 559 UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Vermerk des Kurators, 27.4.1947. 560 UAMs, Bestand 9, Nr. 858, Innenminister NRW an Kurator, 31.12.1947. 561 Ebd., Bericht Schratz, 29.1.1948 bzw. Bericht Rensch, 31.1.1948.

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Ruf nach Münster anzunehmen.562 Daraufhin lud ihn die Fakultät zu einer Besichtigungsreise ein, auf deren Basis der Botaniker Anfang April eine Reihe von Bedingungen für seine Amtsübernahme stellte. So müsse das Botanische Institut ausgebaut werden, da in seiner jetzigen Form kein Betrieb möglich sei. Außerdem müsse ihm eine Wohnung bereitgestellt werden, wobei er nicht vergaß, darauf hinzuweisen, dass die Stadt Hannover ihm eine Vierzimmerwohnung zur Verfügung stelle. Ebenso müsse die freie Diätendozentur mit einem tüchtigen Dozenten besetzt werden, damit dieser zusammen mit Schratz den Betrieb wieder aufbauen könne. Schließlich teilte er noch mit, dass eine vorläufige Übernahme des Postens bis zu einer endgültigen Berufung für ihn nicht gut tragbar sei.563 Strugger wollte als Ordinarius kommen oder gar nicht. Die hohen Ansprüche des Botanikers sollten sich auch in der Folgezeit noch als hinderlich für eine rasche Übernahme des Lehrstuhls herausstellen und den Vorgang immer weiter hinauszögern. Trotzdem machte sich Strugger auch ohne offizielle Berufung rasch ans organisatorische Werk. Was die Personalpolitik betraf, arbeitete sich der Hannoversche Extraordinarius schnell in die Münsterschen Verhältnisse ein. So freute er sich, dass es gelungen war, Engel eine Stelle am Naturkundemuseum zu verschaffen. Auf seiner Vorschlagsliste für die Wiederbesetzung von Södings Diätendozentur stand dieser dann auch neben dem ehemaligen Straßburger Karl Mägdefrau und dem ExMünsteraner Arnold. Letzterer war bei Kriegsende aus Berlin geflüchtet, hatte Anstellung bei der Fleischfabrik Wiltmann in Versmold gefunden und wieder Kontakt mit seiner ehemaligen Universität aufgenommen.564 Am 11. April bewarb er sich um die Nachfolge Södings und erzielte darüber offenbar auch Einkunft mit Strugger.565 Sein Entnazifizierungsverfahren zögerte sich jedoch so lange hinaus, dass er für den Posten nicht mehr in Frage kam.566 Die letztendliche Besetzung der Diätendozentur ist ein weiteres interessantes Beispiel dafür, wie die Universität Münster Ende der 1940er-Jahre bei der Anstellung neuer Mitarbeiter vorging und welche Faktoren dabei ihre Entscheidung beeinflusste. Deshalb ist es aufschlussreich, an dieser Stelle auch kurz auf solche Personen einzugehen, die eine Stelle letztendlich nicht übernahmen. Als sich herauskristallisierte, dass Arnold nicht nach Münster kommen würde, setzte sich Strugger mit aller Macht für eine Berufung Mägdefraus ein. In einem Gutachten vom 27. Juni 1948 bezeichnete er ihn als führenden Mann auf dem Gebiet der Phytopaläontologie und ausgezeichneten Geologen.567 Auf Basis dieser Einschätzung beschloss die Fakultät am selben Tag, Mägdefrau die Stelle Södings zu 562 UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Strugger an Dekan, 22.3.1947. 563 Ebd., Strugger an Dekan, 8.4.1947. 564 LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Arnold, NW 1062, Nr. 44, Case Summary, 25.10.1947. 565 UAMs, Bestand 62, B III 8 b, Arnold an Dekan, 11.4.1947, bzw. Arnold an Dekan, 8.6.1947. 566 Ebd.b, Dekan an Arnold, 30.8.1947. 567 Ebd., Gutachten Strugger, 27.6.1947.

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übertragen und teilte ihm eine Woche später mit, dass sie alles tun würde, was in ihren Kräften läge, um seinen wissenschaftlichen und persönlichen Wünschen zu entsprechen.568 Dies ist deshalb bemerkenswert, weil Mägdefrau, was eine Kooperation mit den Nationalsozialisten betraf, kein unbeschriebenes Blatt war. Er war bereits am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten. Diesem Schritt folgte 1936 der NSDDB, 1938 die Deutsche Glaubensbewegung, im selben Jahr der Reichskolonialbund und 1942 die NSV. 1942 war er darüber hinaus als außerplanmäßiger Professor für Botanik an die NS-Kaderuniversität Straßburg berufen worden.569 Auf Grundlage dieser Fakten hatte ihn die Spruchkammer Dinkelsbühl am 12. Februar 1947 in Kategorie IV eingeordnet und ihm eine Sühneleistung von 300 RM auferlegt.570 Dies bremste aber keineswegs den Enthusiasmus der verantwortlichen Stellen an der Universität Münster. Am 1. Oktober 1947 beantragte man offiziell beim Kultusministerium NRW eine Übertragung der Diätendozentur an ihn. Die Einstufung in Kategorie IV wurde vom Rektor, der dringend um die Einstellung des Botanikers bat und sie warm befürwortete, mit der Begründung hinweggewischt, dass auch andere Universitäten an Mägdefrau interessiert seien.571 Ganz offensichtlich spielten politische Bedenken keine Rolle, wenn es um das Prestige der Universität und die Sicherung der Qualität von Lehre und Forschung ging. Zusätzliche Relevanz erhielt der Vorgang dadurch, dass sich fast zeitgleich Zeit auch der unter Mevius aufgrund seiner angeblichen katholischen Kontakte aus Münster entfernte Roberg, nunmehr aus Breslau vertrieben, beim Kultusministerium NRW meldete und um seine Berücksichtigung bat, falls an der Universität Vakanzen bestünden.572 Er spielte für die Universität Münster aber keine Rolle mehr. Am 12. Januar 1948 übertrug das Kultusministerium NRW Mägdefrau die Stelle.573 Wie es der Zufall wollte, bemühte sich neben der Universität Münster auch ihr ehemaliger Rektor Mevius in Hamburg um Mägdefrau. Hier lehnte die Hochschulabteilung eine Einstellung jedoch aufgrund der Einstufung in Kategorie IV ab.574 Die Stelle dort wurde schließlich mit Engel besetzt. In Münster hingegen wurde der Fall Mägdefraus bereits als abgeschlossen betrachtet. Am 12. Februar 1948 drückte der Dozent seine Freude über die Berufung aus und dankte dem Kurator und Strugger für ihren Einsatz. Bereits zum Sommersemester 1948 sollte er seine Vorlesungen aufnehmen.575 Dann nahm die Angelegenheit jedoch eine unerwartete Wendung. Das Forstbotanische Institut in München bot ihm eine Stelle als Regie568 569 570 571 572 573 574 575

Ebd., Dekan an Mägdefrau, 6.7.1947. Ebd., Entnazifizierungsfragebogen Mägdefrau, 8.1.1948. Ebd., Spruchkammerbeschluss, 12.2.1947. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan an Kultusministerium NRW, 1.10.1947. UAMs, Bestand 62, B III 8c, Kultusministerium NRW an Dekan, 15.10.1947. Ebd., Kultusministerium NRW an Mägdefrau, 12.1.1948. StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, Mevius an Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 7.4.1948. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Mägdefrau an Kurator, 12.2.1948.

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rungsrat 1. Klasse an,576 woraufhin Mägdefrau Münster absagte und nach Bayern wechselte.577 Anstatt nun aber einen unbelasteten Kandidaten einzustellen, entschied sich die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, mit Otto-Christian Schmidt ein weiteres langjähriges NSDAP-Mitglied in ihre Reihen aufzunehmen. Schmidt sollte die Lücke in der Ausbildung der Lehramtskandidaten, die durch das Fehlen systematischer und pflanzengeographischer Lehrveranstaltungen aufgetreten war, füllen.578 Am 12. Februar 1949 wurde er mit der Wahrnehmung der Diätendozentenstelle beauftragt,579 welche er am 18. Juli 1949 antrat.580 Gleichzeitig erhielt er einen Lehrauftrag für Pflanzensystematik, Pflanzengeographie und botanische Hydrobiologie.581 Konnte das Institut also auf der Professorenebene gemäß der Anweisung des Oberpräsidenten keine ehemaligen Parteigenossen einstellen, so resultiere daraus keineswegs eine moralisch begründete generelle Nichtberücksichtigung dieses Personenkreises. Auf Assistentenebene stelle auch eine langjährige Mitarbeit in NSOrganisationen kein Hindernis dar. Während sich diese Personalfrage demnach letztendlich positiv entwickelte, war die causa Strugger Anfang 1947 noch immer nicht geklärt. Dies hielt den Botaniker aber nicht davon ab, weiter seine Übersiedlung nach Münster vorzubereiten. So begann er trotz der noch nicht abgeschlossenen Berufung bereits mit der Planung des Wiederaufbaus des Botanischen Instituts, organisierte Apparaturen582 und er576 577 578

579 580 581 582

StAHH, PA Engel, IV 3082, Mevius an Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Hamburg, 7.4.1948. UAMs, Bestand 9, Nr. 325, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 15.7.1948. Otto-Christian Schmidt wurde am 24.6.1900 in Berlin geboren und evangelisch getauft. Nachdem er 1918 sein Reifezeugnis am Helmholtz-Real-Gymnasium in Berlin-Schöneberg erhalten hatte, studierte er von 1919 bis 1922 Naturwissenschaften (Biologie [insbe­ sondere Botanik], Geographie und Chemie) an der Universität Berlin, wo er 1922 promoviert wurde. Von 1922 bis 1923 war er als außerplanmäßiger Assistent am Botanischen Garten und Museum in Berlin-Dahlem beschäftigte, ab 1924 an gleicher Stelle als planmäßiger Assistent. Er habilitierte sich 1931, stieg 1938 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor und 1939 zum außerplanmäßigen Professor in Berlin auf. 1942 erweiterte er seine venia auf Pharmakognosie. Ab 1946 war er als planmäßiger Assistent am Institut für Pflanzenzüchtung und Bodenbiologie der Universität Berlin tätig. Sein besonderes Forschungsgebiet waren Untersuchungen an Meeresalgen, Systematik und Pflanzengeographie. Schmidt hatte sich am 1.7.1937 der NSDAP angeschlossen. Ebenso war er Mitglied im NSDDB, dem RLSB und ab 1941 der NSV. Siehe: UAMs, Bestand 62, B III 8 b, Strugger an Dekan, 1.6.1948; UAMs, Bestand 5, Nr. 755, Personalbogen, undatiert, ca. 1949; LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Schmidt, NW 1038, Nr. 425. UAMs, Bestand 5, Nr. 755, Kultusministerium NRW an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 12.2.1949. Ebd., Ernennungsurkunde, 18.7.1949. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 10.6.1948. UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Strugger an Dekan, 19.7.1947.

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klärte sich mit der Aufstellung einer von Schratz angeregten583 Baracke einverstanden.584 Die Arbeit machte offenbar derart große Fortschritte, dass Strugger Ende September mitteilte, der Dekan könne beim Minister melden, dass er den Lehrstuhl übernehmen wolle. Die Ernennung solle aber früh genug betrieben werden, damit nicht die peinliche Lage einer längeren vertretungsweisen Übernahme entstünde.585 Vorher mussten aber noch weitere Formalitäten geklärt werden. Strugger weigerte sich weiterhin, Vorlesungen aufzunehmen, bevor ihm nicht eine Wohnung zugeteilt werde. Ebenso wies er nochmals ausdrücklich daraufhin, dass er allergrößten Wert darauf lege, als ernannter Ordinarius in Münster anzutreten. „Eine längere Verzögerung der Angelegenheit wäre mir nicht angenehm.“586 Da er jedoch noch keinen Kategorisierungsbescheid besaß, traf genau dies ein.587 Daraufhin entschloss sich die Universität zu einem ungewöhnlichen Schritt. Statt des Bescheides legte sie ihrem Antrag auf Ernennung Struggers an das Kultusministerium NRW eine Kopie seiner Austrittsbescheinigung aus der SA sowie seinen politischen Fragebogen bei. Dann bat sie, aufgrund dieser Unterlagen zu prüfen, ob in diesem Fall „in Anbetracht der ungewöhnlich geringen Belastung“588 und der Bestätigung Struggers durch die Militärregierung in Hannover eine Berufung auch ohne die üblichen Dokumente möglich sei. Strugger wolle seine Lehrtätigkeit in Münster erst aufnehmen, wenn die Ernennung zum Ordinarius ausgesprochen sei, und es läge der Fakultät viel daran, ihn möglichst bald in aller Form ernannt zu sehen. Andernfalls müsse man für die Zwischenzeit einen Vertreter suchen, was aber schwierig sei.589 Die Angelegenheit zog sich jedoch weiter hin, und Strugger blieb in Hannover. Die Vorlesungen des Ordinarius in spe in Münster übernahm auf dessen eigenen Wunsch im Wintersemester 1947/48 vorerst Engel.590 Ende Dezember 1947 bekräftigte Strugger nochmals seine Weigerung, vorläufig nach Münster zu kommen, da er seine Ernennung bis zum Sommersemester 1948 erwarte.591 Am 12. Januar 1948 lag dann auch der Einreihungsbescheid vor: Kategorie V.592 Mitte Januar wurden die Berufungsverhandlungen schließlich zu einem für beide Seiten befriedigenden Abschluss gebracht.593 Dennoch ging es nicht voran. Wieder verging wertvolle Zeit. Anfang April 1948 beauftragte der Kurator Strugger schließlich vorbehaltlich der Berufung durch das Kultusministerium NRW mit der Wahrnehmung des ordentli583 UAMs, Bestand 62, Nr. B III 8c, Schratz an Kurator, 7.7.1947. 584 UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Strugger an Dekan, 8.9.1947. 585 Ebd., Nr. 28, Strugger an Dekan, 29.9.1947. 586 Ebd., Strugger an Dekan, 27.10.1947. 587 UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Strugger an Rektor, 30.10.1947. 588 Ebd., Dekan und Rektor an Kultusministerium NRW, 31.10.1947. 589 Ebd. 590 UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Strugger an Dekan, 30.10.1947. 591 UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Strugger an Kurator, 27.12.1947. 592 Ebd., Entnazifizierungs-Hauptausschuss Münster an Universität Münster, 12.1.1947. 593 UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Dekan, 14.2.1948.

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chen Lehrstuhls für Botanik an der Universität Münster zum 1. April 1948.594 Am selben Tag entband er den nach Södings Weggang zum stellvertretenen Direktor ernannten Schratz von dieser Aufgabe.595 Damit war die Angelegenheit aber noch immer nicht beendet, denn Strugger erwies sich weiter als sperrig. Zwar übernahm er zum genannten Zeitpunkt seinen Posten, beschwerte sich aber bereits Ende April bei der Universitätsspitze darüber, dass er, obwohl ihm ausdrücklich eine Berufung zum 1. April zugesagt worden sei, nun schon drei Wochen in unernannter Stellung seinen Dienst tun würde. Dies sei eine unhaltbare Rechtslage, und er bitte daher nochmals um beschleunigte Ernennung.596 Offenbar drohte Strugger seinem neuen Arbeitgeber schon zu diesem Zeitpunkt damit, die Universität wieder zu verlassen, falls sie seinen Forderungen nicht nachkommen würde. In einem Brief an das Kultusministerium NRW teilte der Dekan jedenfalls genau dies mit und beschwerte sich darüber, dass in NRW generell die Berufungen aufgrund der nötigen Zustimmung des Kabinetts sehr lange dauern würden und dadurch Spitzenforscher verstimmt seien und abwanderten. Daher fordere er, dass die Ernennungen unmittelbar nach den Berufungsverhandlungen zu erfolgen hätten.597 Der Rektor griff in seinem Begleitschreiben sogar zu noch schärferen Tönen. So seien die Sicherungsmaßnahmen bei Berufungen, auch im Vergleich mit anderen Bundesländern, zu hoch und erinnerten „an die Einrichtungen eines Polizeistaates“.598 Das Verfahren schade der Entwicklung der Hochschulen und führe über kurz oder lang zur Zerstörung ihrer Leistungsfähigkeit. Damit rückten die Verwaltungsspitzen der Universität die junge Bundesrepublik in diesem Punkt nicht nur in die Nähe des NS-Staates, sondern gaben auch deutlich zum Ausdruck, wie sie die Versuche, den Nationalsozialismus aus den Universitäten fernzuhalten, einschätzten: Als unzulässige, überflüssige Drangsalierungsmaßnahme der Politik gegenüber der akademischen Selbstverwaltung. Ähnliche Töne hatte man gegenüber den Nationalsozialisten aus Münster nie vernommen. Anfang Mai drohte Strugger dem Kurator gegenüber dann auch offen mit Abwanderung. So schwebten verschiedene Verhandlungen mit dem In- und Ausland, und falls er nicht umgehend berufen würde, so würde er diese auch nicht abbrechen. Der bedeutendste und verlockendste Ruf käme aus den USA, „wo im Vergleich zu unseren Aufwendungen den Forschern, namentlich den Naturwissenschaftlern, ungeahnte Mittel zur Verfügung“599 stünden. Es wird deutlich, wie der Botaniker sich selbst und seine Fähigkeiten als Ressource im Verhandlungspoker sowohl gegenüber der Universität als auch der Politik einsetzte. Ein ähnliches Verhalten hatte 594 595 596 597 598 599

UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kurator an Strugger, 6.4.1948. Ebd., Kurator an Schratz, 6.4.1948. Ebd., Strugger an Dekan und Kurator, 23.4.1948. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 30.4.1948. Ebd., Rektor an Kultusministerium NRW, 7.5.1948. Ebd., Kurator an Kultusministerium NRW, 10.5.1948.

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4.  Das Interregnum 1944/45 bis 1948

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es, bezogen auf die Biologie, an der Universität Münster noch nicht gegeben. Strugger trieb die Universitätsverwaltung mit seinen Forderungen faktisch vor sich her. Selbst was die Berechnung seiner Bezüge betraf, konnte er sich durchsetzen. So sei er sehr enttäuscht über den Modus, nach dem sein Dienstalter als Grundlage für die Bezüge berechnet werde. Daher wolle er, dass seine Diätendozentur in Hannover voll angerechnet werde. Der Dekan bat den Kurator daraufhin, sich beim Kultusministerium für diese Regelung einzusetzen, denn die Fakultät müsse alles tun, dass sich Strugger in Münster wohlfühle: „Er hat einen so glänzenden wissenschaftlichen Namen, dass mit seiner erneuten Berufung nach auswärts gerechnet werden muss.“600 Schließlich wurde eine Vorwegnahme von drei Dienstalterstufen in die Berechnung mit einbezogen.601 Der Druck von Universität und Strugger wirkte schließlich. Am 24. Mai 1948 verlieh das Kabinett dem Botaniker mit Wirkung zum 1. Mai 1948602 die Stelle eines ordentlichen Professors für Botanik.603 Damit war die Personalproblematik, die die Botanik seit dem Weggang Mevius’ geplagt hatte, gelöst. Bevor sich die Untersuchung im Folgenden dem Ordinariat Strugger zuwendet, soll zuvor aber noch kurz auf die inhaltliche Entwicklung des Instituts während des Interregnums eingegangen werden. Wie bereits erwähnt hatte sich der Übergang des Instituts von der Kriegs- in die Nachkriegszeit unter einer deutlichen Kontinuität im Personalbereich abgespielt. Dies spiegelte sich auch in der Ausrichtung des Lehrplans für die ersten Nachkriegssemester wider. Söding und Schratz hatten den Lehrbetrieb ab dem Sommersemester 1946 unter Rückgriff auf dieselben Seminare, die auch schon vor 1945 und teils bereits vor 1933 angeboten worden waren, wieder aufgebaut. Mit dem Sommersemester 1947 und Södings Weggang nach Hamburg übernahm Baumeister, ein weiteres bekanntes Gesicht am Institut, dessen Aufgaben in der Lehre. Im folgenden Wintersemester trat Engel hinzu, welcher Strugger vertrat. Mit dem Sommersemester 1948 übernahm dann der neue Ordinarius den Hauptlehrbetrieb, zunächst aber ohne eigene Akzente zu setzen. Neben ihm trat auch Budde seinen Dienst wieder an, womit das Veranstaltungsangebot nunmehr auch auf Limnologie und Pflanzengeographie ausgeweitet wurde.604 Mit sechs Dozenten und 16 Seminaren hatte das Botanische Institut damit einen so hohen Stand erreicht wie nie zuvor. Dissertationen wurden in dem Zeitraum von 1945 bis 1947 jedoch nicht abgeschlossen. Mit dem Wintersemester 1948/49 sollte Strugger damit beginnen, der inhaltlichen Ausrichtung des Instituts mehr und mehr seinen Stempel aufzudrücken.605 600 601 602 603 604 605

Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 19.8.1948. Ebd., Kurator an Kultusministerium NRW, 23.10.1949. Ende November wurde die Ernennung, vermutlich auf Druck Struggers, zum 1.4.1948 zurückdatiert, siehe: ebd., Kultusministerium an Strugger, 30.11.1948. Ebd., Kultusministerium NRW an Strugger, 23.8.1948. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 10.6.1948. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse 1945–1949.

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5.  Das Ordinariat Strugger 1948 bis 1962 Die Forschungsfelder des neuen Ordinarius606 waren äußerst umfangreich und unterschieden sich zum Teil deutlich von denen seiner Vorgänger auf dem Lehrstuhl. Neben experimenteller Zellforschung und Physiologie der Wasserbewegung zählten hierzu Physiologie der Photosynthese, Bakteriologie, Bodenbakteriologie, Wachstumsphysiologie und mikroskopische Methoden (Phasenkontrastmikroskopie und Fluoreszenzmikroskopie).607 Zum Zeitpunkt seiner Berufung nach Münster hatte er bereits 63 Publikationen vorzuweisen. Als sein eigentliches Kernarbeitsfeld konnte dabei die Vitalfärbung pflanzlicher Zellen gelten. Damit wich er zwar auf der einen Seite vom bisher am Institut betriebenen Gebiet der Ernährungsphysiologie ab, besaß auf der anderen Seite aber auch genug Expertise, um die Tradition der Universität Münster auf diesem Forschungsfeld nicht verfallen zu lassen. Schon 1931 hatte Strugger erstmals zum Thema Vitalfärbung publiziert, wobei er damals noch mit Erythrosin als Farbstoff arbeitete. Ab 1936 veröffentlichte er dann fast ausschließlich zu diesem Thema. 1938 setzte er erstmals Fluoreszenz­ mikroskopie ein, und 1940 benutzte er für seine Experimente zum ersten Mal Akridinorange als Farbstoff, welches in den folgenden Jahren zu seinen bevorzugten Werkzeugen zählen sollte. Ebenfalls 1940 gelang ihm erstmals die Vitalfärbung von Chromosomen.608 Unterstützung für seine Untersuchungen hatte der Botaniker dabei auch von der DFG erhalten. 1938 finanzierte sie seine Forschungen zur „Mechanik der Stoffaufnahme durch die lebende Pflanzenzelle“ mit 2.000  RM.609 1939 bewilligte sie 1.000 RM für „die Stoffaufnahme und Stoffwanderung bei Pflanzen“, ein Projekt, welches 1940 vom RFR als kriegswichtig eingestuft wurde610 und bis 1942 insge606

607 608 609 610

Siegfried Strugger wurde am 9.4.1904 als Sohn eines Fachlehrers und späteren Professors an der Lehrebildungsanstalt Klagenfurt in Völkermarkt in Österreich geboren und katholisch getauft. Von 1916 bis 1924 besuchte er das Realgymnasium Klagenfurt, wo er auch sein Abitur ablegte. Von 1924 bis 1929 studierte er Biologie, Chemie, Physik, Mineralogie, Geologie und Philosophie an der Universität Graz, wo er 1928 auch promoviert wurde. Nach seinem Studienabschluss zog es Strugger nach Deutschland. Vom 1.5.1929 bis zum 1.3.1930 war er als Assistent am Botanischen Institut der Universität Gießen beschäftigt, ehe er in gleicher Stellung an die Universität Greifswald wechselte. Dort habilitierte er sich 1933 für das Fach „Allgemeine Botanik“. 1935 ging Strugger als Oberassistent an die Universität Jena und erhielt einen Lehrauftrag für Zellphysiologie. 1939 wurde er, als letzte Station vor Münster, apl. Professor und Direktor des Botanischen Instituts an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 28, biographische Daten, undatiert, ca. 1962; UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Personalblatt, undatiert, nach 1948; Universitätsarchiv Greifswald (UAG), PA Strugger, UAG PA 1873, Personalbogen, undatiert, vor 1933. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Personalblatt, undatiert, nach 1948. UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Publikationsverzeichnis Strugger, undatiert, ca. 1947. BAB, R 73, Nr. 15049, DFG an Strugger, 18.5.1938. Ebd., DFG an Firma Rotha-Werke, Aachen, 27.11.1940.

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samt weitere 3.200 RM erhielt.611 Im Rahmen dieser Untersuchungen gelang Strugger durch seine fluoreszenzmikroskopisch-histochemische Methode nicht nur der Nachweis, dass mineralische Salze über die Wurzeln ihren Weg durch die Zellmembranen nehmen, sondern ebenso die experimentelle Bestätigung der 1877 von Pfeffer geforderten Plasmagrenzhaut pflanzlicher Protoplasten. Zusätzlich fand er als Nebenergebnis eine Methode, durch den Einsatz von Akridinorange tote von lebenden Zellen an ihrer unterschiedlichen Leuchtfarbe zu unterscheiden.612 Dieses Verfahren sollte in der Folge eine wichtige Bedeutung für die Biologie und die Medizin, zum Beispiel zur Untersuchung der Wirkung von Heilmitteln am lebenden Organismus, erlangen. Ebenso sollte es in der Strahlenbiologie und der Krebsforschung eine Rolle spielen.613 Ein unmittelbarer Nutzen seiner Forschung wurde von Strugger außerdem für die praktische Landwirtschaft in Aussicht gestellt.614 Anklänge an NS-Themen sind in seinen Arbeiten nicht zu erkennen. Zum Zeitpunkt seines Wechsels nach Münster war Strugger bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Im Februar 1944 hatte er den Leibniz-Preis erhalten.615 1948 war er Ehrenbürger der TH Hannover geworden, in Jena war ihm für seine wissenschaftlichen Verdienste die Bronzene Medaille der dortigen NaturwissenschaftlichMedizinischen Gesellschaft verliehen worden, und der Naturwissenschaftliche Verein für Kärnten zählte ihn zu seinen korrespondierenden Mitgliedern. Nach seiner Übersiedlung an die Universität Münster wurde er zum Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landtags NRW ernannt.616 Mit Strugger übernahm demnach jemand das Amt des Ordinarius, der bereits in jungen Jahren eine eindrucksvolle Vita vorzuweisen hatte. Die Situation des Botanischen Instituts hatte sich bei Struggers Amtsantritt Mitte 1948 weiter verbessert. Etwa 150 Studenten, darunter 100 Frauen, waren eingeschrieben. Was die Geschlechterverteilung betraf, ähnelte das Institut also der Münsterschen Zoologie zur selben Zeit. 1947 hatten zehn Staatsexamina und zwei Promotionen617 abgeschlossen werden können, und die Einrichtung des Instituts war wesentlich vervollständigt worden. Damit wurde die Botanik an der Universität Münster langsam wieder arbeitsfähig. Auch war der Ersatzbau für das zerstörte Hauptgebäude, in der Folgezeit als Baracke bezeichnet, im Rohbau fertiggestellt, so dass mit einem baldigen Einzug der Mitarbeiter gerechnet werden konnte.618 611 612 613 614 615 616 617 618

Ebd., DFG an Strugger 16.3.1940, 2.3.1941 und 22.4.1942. BAB, R 73, Nr. 15049, Strugger an DFG, 11.12.1940. Vgl. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Fluoreszierendes Geheimnis. Tod und Leben unter dem Mikroskop, in: Die Welt, 17.4.1948. BAB, R 73, Nr. 15049, Strugger an DFG, 11.12.1940. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Strugger, NW 1039, Nr. 151, Fragebogen. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Personalblatt, undatiert, nach 1948. Der endgültige Abschluss der Promotionsverfahren fiel in das Frühjahr 1948, weshalb sie hier erst für dieses Jahr gezählt werden, vgl. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. UAMs, Bestand 4, Nr. 753, Strugger an Rektor, 9.6.1948.

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Der neue Ordinarius machte sich mit Schwung ans Werk und setzte seine Arbeit am Institut mit derselben Energie fort, die ihn schon vor seiner Berufung ausgezeichnet hatte. Zum einen übernahm er die Plätze Södings und Schratz’ im Prüfungsausschuss für Lebensmittelchemiker.619 Zum anderen warb er Gelder für den Ausbau der Räumlichkeiten des Instituts ein,620 ließ den Lehrauftrag für Budde verlängern621 und nahm gemeinsam mit seinem Kollegen Rensch aus der Zoologie eine alte Tradition wieder auf, öffentliche Vorträge zu biologischen Themen anzubieten. Angelehnt an seine Forschungsschwerpunkte referierte er im Wintersemester 1948/49 „Über das Altern und Tod im Pflanzenreich“ und „Protoplasma und Zelle“, aber auch über „Das Problem der Entstehung der Arten“.622 Außerdem sorgte er für personelle Verstärkung. Im Juli 1948 nahm er Ernst Perner, zunächst als Ostflüchtling, am Institut auf. Perner, am 26. Oktober 1914 in Königsberg geboren,623 war vor Struggers Wechsel nach Münster dessen Doktorand an der Tierärztlichen Hochschule Hannover gewesen und folgte nun seinem akademischen Lehrer.624 Hier übernahm er die Stelle des außerplanmäßigen Assistenten von Franz Weiling.625 Dieser war 1947 an das Institut für Landwirtschaftliche Botanik der Universität Bonn gewechselt.626 Die Aktenüberlieferung für die folgenden fünf Jahre ist für das Botanische Institut leider ausgesprochen dünn. Daher können, was die Struktur und Wiederaufbaupolitik des Instituts angeht, lediglich die Hauptlinien der Entwicklung aufgezeigt werden. Fest steht, dass sich 1949 der emsige Betrieb weiter fortsetzte. Im März des Jahres zog das Institut aus den bis dahin benutzten Räumen in der Kinderklinik aus und siedelte in die nunmehr fertiggestellte Baracke über.627 Im Juni begann dann der 619 620 621 622 623 624

625 626

627

UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 5.5.1948, bzw. UAMs, Bestand 4, Nr. 551, OP an Kurator, 13.8.1948. So knapp 10.000 DM für die Fertigstellung des Hörsaals in der Baracke, siehe: Blatt 46/77, Strugger an Kurator, 30.11.1948. UAMs, Bestand 4, Nr. 417, Kultusministerium NRW an Rektor, 19.8.1948. UAMs, Bestand 4, Nr. 638, Liste mit Vorträgen der Universität Münster im Wintersemester 1948/49. Kürschner 1976. Läuchli, André, Das Botanische Institut. Botanik in Forschung und Lehre an der Tierärztlichen Hochschule Hannover im Wandel der Zeit, in: Lochmann, Ernst-Heinrich, 200 Jahre Tierärztliche Hochschule Hannover 1778–1978. Darstellung der geschichtlichen Entwicklung und der heutigen Bedeutung der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Hannover 1978, S. 49–53, hier: S. 49. UAMs, Bestand 9, Nr. 533, Strugger an Kurator, 2.7.1948, bzw. unbekannt an Kultusministerium, 17.7.1948. In den folgenden Jahren sollte sich Weilings Karriere dort weiter positiv entwickeln. Er habilitierte sich 1949, stieg 1957 zum außerplanmäßigen Professor auf und wurde 1963 Wissenschaftlicher Rat und Professor. Gleichzeitig wurde sein Lehrauftrag auf Botanik und Biometrie erweitert. 1974 wurde er emeritiert. Weiling starb am 27.6.1999 in Bonn. Siehe: Kürschner 2001. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 28.2.1949.

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Wiederaufbau des Botanischen Instituts.628 Für seine Fertigstellung wurden vom Kurator ab Mai 1950 inklusive der Inneneinrichtung etwa 480.000 DM angesetzt, womit die Botanik etwa ein Drittel unter den Kosten des Zoologischen Neubaus lag.629 Im Mai 1952 war der Bau weitgehend abgeschlossen, so dass Strugger den Fokus der Anstrengungen auf die Wiederaufstockung der zerstörten Sammlungen und der Einrichtung der Institutsbibliothek richten konnte.630 Neben dem organisatorischen Wiederaufbau begann Strugger ebenso damit, vernachlässigte Kontakte ins Ausland neu zu knüpfen. So reiste er von Anfang August bis Ende Oktober 1949 auf Einladung der US-Armee nach Fort Knox und war dort als Gast an einem Forschungslaboratorium tätig.631 Dieser Reise schlossen sich die Teilnahme am internationalen Kongress für Mikrobiologie in Rio de Janeiro632 sowie mehrere Vorträge vor der Naturforschenden Gesellschaft Zürich und Bern und der Schweizerischen Botanischen Gesellschaft an.633 Auch Schratz und Baumeister reisten zu Exkursionen nach Österreich.634 1953 folgte dann eine Spanienreise des Ordinarius.635 Forschungsreisen wie diese waren aber nicht das 628

629 630 631 632 633 634 635

Ebd., Ausschnitt aus „Westfälischer Kurier“, 13.5.1949; vgl. hierzu auch Niemer, Jörg, Vom Domplatz zum Schloss. Die Baugeschichte der Universität Münster von der Gründung bis zum Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg (Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster 3), Münster 2010, S. 188ff. Ebd., Aktenvermerk des Kurators, 21.2.1950. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 22.5.1952. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Kurator, 10.8.1949. UAMs, Bestand 4, Nr. 670, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 8.5.1950. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 26.5.1950. UAMs, Bestand 4, Nr. 34 gen. (alt), Übersicht über von Dozenten durchgeführte Auslandsreisen, 28.12.1951. Sie kann aufgrund ihrer Aussagekraft über das Selbstverständnis Struggers als Ordinarius, aber auch als Grund für die Meinung seines Kollegen Renschs, der Botaniker sei ein „unverständlich eitler Opportunist“, als Beispiel dienen. Gleichzeitig zeigt sie, wie die Politik die Wissenschaft gelegentlich hofierte. Vom 3. bis 26.10.1953 war Strugger auf Einladung des spanischen Wissenschaftsrates durch das südeuropäische Land gereist, hatte Vorträge gehalten und Universitäten und Institute besucht. Seinen eigenen Angaben zufolge hatte er dabei nicht nur die wissenschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Spanien gefördert, sondern auch persönliche Beziehungen zu wichtigen Kontaktpersonen herstellen können. Auch der Nutzen für die Universität Münster sei hoch gewesen. So habe er zum einen von der Universität Madrid ein Herbarium mit seltenen Pflanzen als Geschenk erhalten. Zum anderen habe der spanische Wissenschaftsrat entschieden, in Zukunft den wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Gebiet der experimentellen Zellforschung und der Pflanzenphysiologie in Münster heranbilden zu lassen. Die Reise hatte indes aber auch Schattenseiten gehabt, die für einen Mann von Struggers Reputation nicht akzeptabel gewesen zu sein scheinen. So beschwerte sich der Ordinarius darüber, dass der deutsche Botschafter in Spanien ihn trotz vorheriger Anmeldung nicht empfangen habe und er nur bis zum Kulturattaché vorgelassen worden sei. „Ich habe den Eindruck gewonnen, dass von der deutschen Botschaft in Madrid ein deutscher Universitätsprofessor, der in offizieller Kulturmission in Spanien eingeladen ist, offenbar noch nicht vom deutschen Gesandten

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einzige Mittel, mit dem er, analog zum Vorgehen Renschs, das Botanische Institut in der nationalen wie internationalen Wissenschaftsgemeinschaft zu vernetzen suchte. Im Juni 1950 arbeitete er mit Studenten an der Biologischen Station Helgoland,636 und im April 1952 hielt er einen Vortrag über „Die Organisation der lebendigen Substanz“ vor dem Westfälischen Industrieklub zu Dortmund.637 Außerdem folgten weitere Vorträge, wie beispielsweise über „Die Erforschung des Wasser- und Nährsalztransportes im Pflanzenkörper mit Hilfe der fluoreszenzmikroskopischen Kinematographie“.638 Dabei nutzte Strugger, wie auch sein Kollege Rensch, mehr und mehr die Möglichkeit, durch Einbeziehung der Massenmedien die Arbeit des Instituts auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Insbesondere die lokalen Münsterschen Zeitungen spielten dabei eine wichtige Rolle. Sie wurden zu einer neuen Ressource im Umgang der Wissenschaft mit der Politik. Anfang März 1952 erschien beispielsweise ein Artikel in der „Münsterschen Zeitung“, in der Strugger darüber klagte, dass die Professoren eine, vor allem im Vergleich zu den USA, hohe Arbeitsbelastung hätten und zu viele Studenten betreuen müssten. Außerdem seien die Karrieren von Akademikern sehr risikobehaftet. Deshalb forderte er mehr Geld vom Staat für die Einrichtung von Nachwuchsstellen, denn: „Je mehr Assistenten

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persönlich empfangen wird. Vielleicht empfängt man erst vom Minister aufwärts.“ Über diese Behandlung beschwerte sich Strugger daher nach seiner Rückkehr beim Rektor. Anstatt nun aber die kleinliche Klage eines beleidigten Professors einfach hinzunehmen und abzuheften, sah sich der Rektor dazu berufen, die Angelegenheit tatsächlich weiterzuverfolgen. Mitte November 1953 wandte er sich an das Kultusministerium NRW und teilte mit, dass er die Weigerung des Botschafters, Strugger zu empfangen, außerordentlich bedauere. Auch halte er es für erforderlich, dass deutsche Wissenschaftler so behandelt werden, wie es dem Ansehen der deutschen Wissenschaft im Ausland entspräche. Daher bat er das Ministerium darum, wegen des Vorfalls einmal beim Auswärtigen Amt nachzufragen. Das Kultusministerium selbst verfolgte die Sache schließlich Mitte Januar 1954 weiter und beschwerte sich beim Auswärtigen Amt über die Behandlung Struggers. Außerdem bat es darum, ähnliche Fälle in Zukunft anders zu handhaben. Im März kam dann die Antwort des Auswärtigen Amtes: Strugger sei vom Kulturreferenten empfangen worden und habe eine Einladung zur Eröffnung der deutschen Buchausstellung erhalten. Die Verstimmung könne nur darauf beruhen, dass der Botschafter ihn nicht persönlich empfangen habe. Aufgrund von Arbeitsüberlastung sei der Empfang deutscher Besucher durch diesen aber oft nicht möglich. Das Kultusministerium NRW wiederum bedauerte den Vorfall, und der Rektor war froh, seinem anspruchsvollen Ordinarius Genüge getan zu haben: „Damit haben wir das uns Mögliche getan, um diese leidige Angelegenheit in Ordnung zu bringen.“ Struggers Ehre war also wiederhergestellt. Siehe: SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 15.5.1952; UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Bericht Struggers über seine Spanienreise 1953, undatiert; ebd., Rektor an Kultusministerium NRW, 17.11.1953; ebd., Kultusministerium an AA, 12.1.1954; UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Kultusministerium NRW an Rektor, 12.3.1954; ebd., Rektor an Strugger, 15.3.1954. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 26.5.1950. Ebd., Westfälischer Industrieklub zu Dortmund an Strugger, 13.3.1952. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Ausschnitt aus „Münstersche Zeitung“, undatiert, ca. 1952.

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und Diätendozenten die Universitäten und Hochschulen haben, umso weiter können die Professoren die Amplitude ihrer Forschung ausdehnen“.639 Auch in den folgenden Jahren gebrauchte der Ordinarius dieses Instrumentarium weiter und gab mehrere Interviews. Im Oktober 1953 brachte die „Münstersche Zeitung“ einen Artikel über Struggers Labor, seine Arbeit unter dem Fluoreszenzmikroskop, die Verfeinerung seines Verfahrens sowie dessen Anwendung bei der Untersuchungen von lebenden Bodenbakterien. Strugger vergaß nicht, dem Landeshauptmann Salzmann für dessen freundliche Unterstützung bei der Errichtung des Laboratoriums zu danken. Es sei erfreulich, dass die Landesverwaltung Interesse an der Arbeit des Instituts zeige. Gleichzeitig betonte er aber, dass das Labor nun seinen Zweck erfüllt habe und von der Forschung getrennt werden müsse, denn Universitäten hätten nur Grundlagenforschung zu betreiben. Sie hätten die Methodik entwickelt, nun müsse die Praxis handeln. „Wissenschaft kann niemals zweckgerichtet sein. Sie ist nur auf Erkenntnis ausgerichtet“.640 Während er also einerseits auch der Politik bei entsprechendem Verhalten gute Publicity bescherte, so versuchte er, das Bild eines unabhängigen Naturwissenschaftlers zu verbreiten. Ab 1952 wurden schließlich auch wieder Gastforscher am Institut aufgenommen und Gastredner zu Vorträgen eingeladen. In einer Abkehr von der Institutspolitik unter Mevius, und ohne Zweifel unter Einfluss der neuen Westbindung der jungen Bundesrepublik, richtete sich auch die Instituts-„Außenpolitik“ neu aus. Der in den 1940er-Jahren gepflegte Kontakt nach Bulgarien riss ab. Stattdessen wandte man sich den neuen Verbündeten zu. Den Auftakt dazu machte Herbert B. Currier, Assistant Professor of Botany der Agricultural Experiment Station am College of Agriculture der University of California, welcher im Sommer 1952 nach Münster kam. Er beschäftigte sich mit Zellphysiologie und passte somit zur neuen Ausrichtung, die Strugger seinem Institut geben wollte.641 Strugger stellte dem Amerikaner Arbeitsräume am Institut zur Verfügung und sicherte ihm die Unterstützung der hiesigen Forscher.642 Currier folgten im selben Jahr Ernst Pringsheim aus Cambridge, der einen Vortrag über „Eisenorganismen“643 hielt, sowie Max Hartmann aus Tübingen, der über „Neuere Ergebnisse der Genetik und ihre allgemeine biologische und philosophische Bedeutung“ referierte.644 1953 sprach schließlich noch Albert Frey-Wyssling, der Direktor des Pflanzenphysiologischen Instituts der Universität Zürich und laut Strugger der erste Fachmann auf dem Gebiet der submikroskopischen Strukturforschung, über „Aufbau und Wachstum der pflanzlichen Zellwände im Elektronenmikroskop“.645 An der Auswahl der Wissenschaftler und 639 640 641 642 643 644 645

Ebd., Ausschnitt aus „Münstersche Zeitung“, 6.3.1952. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Ausschnitt aus „Münstersche Zeitung“, 3.10.1953. UAMs, Bestand 4, Nr. 670, Currier an Strugger, 16.4.1952. Ebd., Strugger an Currier, 22.4.1952. Ebd., Vermerk, 15.7.1952. Ebd., Vermerk, 4.7.1952. UAMs, Bestand 4, Nr. 670, Strugger an Rektor, 5.1.1953.

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ihrer Themen wird erneut die inhaltliche Kursänderung des Instituts unter dem neuen Ordinarius deutlich. Wenn auch das traditionelle Forschungsfeld, die Ernährungsphysiologie, nicht völlig verwaiste, so richtete es sich mehr und mehr auf Struggers Fachgebiet, die Erforschung pflanzlicher Strukturen und des Stofftransports, aus. Aber auch für Strugger persönlich entwickelte sich die Tätigkeit in Münster weiter positiv. So setzte das Kultusministerium NRW sein Besoldungsdienstalter unter Vorwegnahme von fünf Dienstaltersstufen rückwirkend zum 1. November 1949 auf den 1. Mai 1938 fest.646 Wie schon am Entgegenkommen der Fakultät während des Berufungsprozesses kann hieran abgelesen werden, wie wertvoll die Politik seinen Dienst an der Universität Münster einschätzte. Sein hohes Ansehen sowohl innerhalb der Fachwelt als auch unter der Münsterschen Professorenschaft spiegelte auch die Übernahme mehrerer Ämter wider. 1949/50 wurde Strugger Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. 1951/52 wurde er zum Rektor der Universität Münster gewählt und diente ihr im Anschluß daran bis 1954 als Prorektor.647 Außerdem übernahm er 1951 den Posten des Vertrauensmanns der DFG in Münster.648 Der Botaniker zahlte dieses Vertrauen jedoch auch mit tatkräftigem Einsatz zurück. So bemühte er sich beispielsweise intensiv um ein Feld, welches sich an der Universität Münster nie wirklich hatte festigen können: das landwirtschaftliche Studium. Mitte Februar legte er einen „Plan zur Errichtung einer Abteilung für bakteriologische Grundlagenforschung am Botanischen Institut der Universität Münster“ vor.649 Dabei machte er sich die lange Tradition der Erforschung der pflanzlichen Ernährungsphysiologie unter seinen Vorgängern Benecke und Mevius zu Nutze.650 646 647 648 649 650

UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kultusministerium NRW an Kurator, 27.1.1950. UAMS, Bestand 92, Nr. 28, biographische Daten Struggers, undatiert. UAMs, Bestand 62, Nr. 187, Personelle Zusammensetzung der Organe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stand 1.12.1951. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Plan Struggers, 17.2.1950. So habe das Botanische Institut seit Jahren neue Forschungsmethoden entwickelt, um Bodenbakterien und ihre Biologie einer gründlichen wissenschaftlichen Neubearbeitung zu unterziehen. Gleichzeitig wies er auch auf die interdisziplinäre Anwendbarkeit dieser Forschung hin, seien die Methoden doch auch für die medizinische Bakteriologie von Nutzen. Einige der Methoden, die vom Botanischen Institut entwickelt worden seien, würden bereits in Europa und Übersee genutzt. Aufgrund der bisherigen Arbeiten bestehe daher der dringende Wunsch, die gemachten Erfahrungen weiter auszubauen und sie der Landwirtschaft und der Medizin zu Gute kommen zu lassen. In einer eigenen Forschungsabteilung könnte man den Einfluss der Bodenbearbeitung, der Mineraldünger und der Bewässerung auf das Bakterienleben im Boden studieren. Ebenso sei geplant, Bonitätskarten der westfälischen Kulturflächen zu erstellen. Außerdem biete die Einrichtung einer bakteriologischen Abteilung die Möglichkeit der Ausbildung in der Mikrobiologie, einem Teilgebiet der Biologie, welches Anfang der 1950 gerade erst damit begann, an den Universitäten institutionalisiert zu werden. Abschließend wies Strugger noch auf den po-

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Unterstützung für seine Pläne hatte sich der Ordinarius in Düsseldorf gesichert. Dem Kurator konnte er mitteilen, dass das Kultusministerium NRW die Einrichtung einer Forschungsabteilung für landwirtschaftliche Mikrobiologie etatmäßig vorgesehen habe. Außerdem sei es der ausdrückliche Wunsch der Kultusministerin, dass am Botanischen Institut weiter zum Nutzen der Landwirtschaft gearbeitet werde. Im Zusammenhang mit den Aufgaben, welche das Institut auch für die Errichtung eines landwirtschaftlichen Studiums übernehmen könnte, wäre daher ein beschleunigter Wiederaufbau der Botanik zu wünschen. Strugger bat den Kurator, darauf hinzuwirken.651 Diesen ließen die Pläne des Botanikers nicht unbeeindruckt. Mitte März übernahm er die Ausführungen Struggers fast wortwörtlich in einem Brief an das Kultusministerium NRW und bat auf ihrer Grundlage um die nächste Baurate in Höhe von 185.000 DM für das Institutsgebäude.652 Das neue Interesse an agrarwissenschaftlicher Arbeit fügte sich somit nahtlos in die umfassenden Pläne Struggers zur Neuausrichtung des Instituts ein. Diese Neuausrichtung war dabei eng mit den Hauptforschungsgebieten Struggers verbunden. Hier legte er insbesondere Wert auf eine experimentelle Institutsarbeit.653 Anfang der 1950er-Jahre beschäftigten sich seine Mitarbeiter hauptsächlich mit Forschungsarbeiten zur Strukturanalyse pflanzlicher Zellen, wie beispielsweise der Chloroplastenerforschung. Mussten zu diesem Zweck Gelder für die Anschaffung neuer Geräte, wie zum Beispiel Mikroskopen, eingeworben werden, argumentierte Strugger, wie seine Vorgänger und die Kollegen in der Zoologie, mit der Qualität von Lehre und Forschung.654 Auch „Forschungen auf dem Gebiet der Chloroplasten und Chondriosomen [heute als Mitochondrien bezeichnet, DD]“ wurden unter Rückgriff auf dieselbe Argumentation mit hohen Geldsummen gefördert.655 Die Chiffre „im Interesse der Wissenschaft“656 wurde zu einem häufig genutzten Werkzeug des Forschers. Die inhaltliche Schwerpunktverlagerung, welche zwar einerseits das Gebiet der pflanzlichen Ernährungsphysiologie nicht komplett hinter sich ließ, andererseits aber deutlich Struggers Handschrift trug, zeigte sich auch in den am Institut eingereichten Dissertationen sowie dem Lehrangebot. In den ersten Jahren nach Struggers Amtsübernahme waren unter den Dissertationsthemen auch noch solche vertreten, die zur älteren ernährungsphysiologischen Ausrichtung des Instituts

651 652 653 654 655 656

tentiellen Nutzen für ein möglicherweise einzurichtendes landwirtschaftliches Studium hin. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Plan Struggers, 17.2.1950. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 21.2.1950. Ebd., Kurator an Kultusministerium NRW, 13.3.1950. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 2.8.1950. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 20.11.1950. Aus Haushaltsmitteln des Kultusministerium NRW erhielt Strugger dafür im Juli 1953 8.000 DM, siehe: UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Kultusministerium an Strugger, 23.7.1953. UAMs, Bestand 9, Nr. 529, Strugger an Kurator, 11.1.1950.

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zählten.657 Schon bald zeigte sich aber eine deutliche Schwerpunktverschiebung. Es folgten Arbeiten wie „Studien zur experimentellen Pathologie der Chloroplasten“, „Färbungsanalytische Untersuchungen zur Lage des isoelektrischen Punktes der Zellbestandsteile in wachsenden Zellen und Geweben“,  „Untersuchungen über Entwicklung und Struktur der Moosplastiden“, „Untersuchungen über die Chloroplastenstruktur und ihre Entwicklung bei Agapanthus umbellatus“ oder „Experimentelle Untersuchungen an Chloroplasten höherer Pflanzen“.658 Weiterhin waren zwar auch pflanzengeographische659 und ernährungsphysiologische660 Einzelarbeiten vertreten, die überwiegende Mehrheit der Themen kam aber aus dem Bereich der Zellstrukturanalyse und Fluoreszenzmikroskopie. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich auch bei den angebotenen Lehrveranstaltungen. Strugger legte großen Wert auf eine mikroskopische und mikrobiologische Ausbildung der Studentenschaft. Neben der Allgemeinen Biologie war er zunächst für Systematik und entwicklungsgeschichtliche Praktika zuständig. Gleichzeitig gelang es ihm, durch die strategische Aufteilung seiner Mitarbeiter eine umfassende Synthese der verschiedensten Forschungsgebiete an seinem Institut zu gewährleisten. Baumeister deckte Stoffwechsel- und Entwicklungsphysiologie ab, Schratz das umfangreiche Feld der Pharmakognosie, Schmidt übernahm Teile der Systematik von Strugger und lehrte Pflanzengeographie, und Budde las Limnologie und Pflanzensoziologie. Ebenso begann man, ab dem Wintersemester 1950/51 kurzzeitig gemeinsame Kolloquien mit dem Zoologischen Institut abzuhalten. Insgesamt war neben der breiteren Aufstellung auch eine deutliche Vermehrung der angebotenen Veranstaltungen erkennbar. Im Sommersemester 1950 erreichte sie mit 22 Stück einen vorläufigen Höhepunkt und konnte dieses Niveau auch in den folgenden Jahren beibehalten.661 Somit wird klar, dass es dem neuen Ordinarius gelang, die alten Stärken der Münsterschen Botanik mit seinen neuen, modernen Ansätzen und Forschungsfeldern zu verbinden. 657

Ernst Perner wurde zum Beispiel am 6.7.1949 mit einer Arbeit über „Studien über die Aufnahme und Speicherung sulfosaurer Fluorchrome durch lebende Pflanzenzellen und Gewebe“ promoviert, Gabriele Baumeister am 23.9.1950 mit ihrer Studie über „Wuchsund Hemmstoffe in der Knolle und im Kraut gesunder und abbaukranker Kartoffelpflanzen“. An beiden Arbeiten war Strugger jedoch nicht als Doktorvater beteiligt, siehe: UAMs, Bestand 94, Übersicht der Dissertationen seit Bestehen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. 658 Ebd. 659 Zum Beispiel „Wald-, Trocken- und Halbtrockenrasengesellschaften des nordöstlichen Sauerlandes und seiner Randgebiete“ oder „Das Venner Moor bei Münster, seine Entstehung und Entwicklung. Eine pollenanalytische und stratigraphische Untersuchung mit Berücksichtigung der Siedlungsgeschichte“. 660 Zum Beispiel „Beiträge zum Bor-Problem“ oder „Über den Einfluß des Stickstoffs auf den Stoffwechsel der Sommerweizenpflanze unter besonderer Berücksichtigung der Photosynthese, der Atmung und der Pigmentausbildung“. 661 Vgl. Vorlesungsverzeichnis 1948–1953.

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Während die organisatorischen Anstrengungen und die inhaltliche Ausrichtung der Frühphase des Ordinariats Strugger demnach weitgehend klar aus den Akten rekonstruierbar sind, lässt die personelle Struktur hingegen einige Fragen offen. So scheint es, dass für die Zeit zwischen Bömekes Weggang im Oktober 1949662 und dem Jahr 1952 die Stelle des ersten Assistenten nicht besetzt war. In den Akten werden zwar die Namen Bartels und Steinhoff mit dem Vermerk „vertretungsweise“ erwähnt, welche Aufgaben sie genau erfüllten, muss jedoch genauso ungeklärt bleiben, wie weitere Informationen über die beiden Personen.663 Die Stelle des zweiten Assistenten füllte zunächst Baumeister aus. Er wurde auf Antrag der Fakultät vom 22. Mai 1950664 zum Ende des Jahres zum außerplanmäßigen Professor berufen.665 Gleichzeitig wurde seine Beschäftigung am Institut auf Antrag Struggers, der nur Positives über Baumeisters Leistungen als Forscher und Lehrer zu berichten wusste und seine Wichtigkeit für das Institut betonte, bis 1953 verlängert.666 Als der für Pflanzengeographie und -systematik zuständige Diätendozent Schmidt am 24. August 1951 im Alter von nur 51 Jahren in Münster verstarb667 und damit dessen Planstelle frei wurde, schlug die Fakultät Baumeister als seinen Nachfolger vor.668 Strugger begründete dies in seinem Antrag vom 30. November 1951 mit wissenschaftlichen Notwendigkeiten. So sei die Fachausbildung der Studenten in Systematischer Botanik und Pflanzengeographie unbedingt erforderlich. Hinzu käme, dass sich die Zahl der Biologiestudenten so wesentlich vermehrt habe, dass es ihm selbst unmöglich geworden sei, neben der allgemeinen Botanik und der Pflanzenphysiologie auch noch Pflanzensystematik zu lehren. Außerdem sei Strugger durch das Amt des Rektors zusätzlich belastet. Baumeister sei ein erfolgreicher, erfahrener und „entschieden lehrstuhlreifer“ Dozent.669 Wie so oft spielte also die Qualität von Lehre und Forschung eine entscheidende Rolle in der Argumentationsführung der Wissenschaftler. Am 4. April 1952 genehmigte das Kultusministerium NRW die Übertragung der Dozentur an Baumeister.670 Seine Stelle als Assistent sollte zunächst unbesetzt bleiben. Neben der Umbesetzung Baumeisters baute Strugger auch andere Bereiche des Instituts personell weiter aus. Dabei kooperierte er gelegentlich auch mit seinem 662 663 664 665 666 667 668 669 670

Er verließ das Institut, wie bereits erwähnt, in Richtung Hamburg und blieb dort bis 1972 als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig, siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 991, Bömeke an Kurator, 11.10.1949, bzw. Bömeke an Kurator, 11.10.1972. UAMs, Bestand 8, Nr. 13797, Bd. 1, Strugger an Kurator, 22.2.1954. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 22.5.1950. Ebd., Personalbogen, 21.12.1960. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 23.5.1950 sowie Kultusministerium an Kurator, 13.11.1950. Kürschner 1954. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 16.11.1951. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Strugger an Kultusministerium NRW, 30.11.1951. Ebd., Kultusministerium NRW an Kurator, 4.4.1952.

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Kollegen Rensch. Gemeinsam reichten die beiden Lehrstuhlinhaber Mitte Dezember 1951 einen Antrag beim Kultusministerium NRW ein, mit dem sie um die Erteilung eines unbesoldeten Lehrauftrags für Pflanzenschutz an Hermann Heddergott baten.671 Mit ihm konnten Strugger und Rensch dem Kultusministerium NRW einen in langjähriger praktischer Arbeit geschulten und international erfahrenen Mann vorschlagen. Die Begründung für den Antrag lieferten dabei erneut ausschließlich wissenschaftliche Notwendigkeiten der beteiligten Institute. Studenten, die keine Prüfung für das höhere Lehramt ablegten, gingen laut den beiden Professoren vornehmlich in die angewandte Biologie. Daher sollte die damit verbundenen Wissensgebiete in den Vorlesungen und Übungen der Institute behandelt werden. Aus diesem Grund habe man bereits Lehraufträge für Parasitologie und Fischereibiologie eingerichtet. Das Hauptgebiet der angewandten Biologie, die Schädlingsbekämpfung, werde aber noch nicht unterrichtet. Eine Korrektur dieses Zustands sei daher dringend notwendig, auch in Anbetracht von dessen Nutzen für die Landwirtschaft.672 Das Kultusministerium NRW ließ sich von den Argumenten überzeugen und genehmigte den Lehrauftrag am 5. Februar 1952.673 1953/54 sollten schließlich auch die Assistentenstellen des Botanischen Instituts wieder besetzt werden. Wie einige Jah671

672 673

Heddergott wurde am 30.6.1913 in Dortmund geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Grundschule und des Hindenburg-Gymnasiums Dortmund legte er 1932 sein Abitur mit Auszeichnung ab. Von 1932 bis 1938 studierte er Zoologie, Botanik, Chemie, Mineralogie und Physik an der Universität Münster, wo er am 25.5.1938 mit einer Arbeit über „Kopf und Vorderdarm von Panorpa communis L.“ bei Hermann Weber promoviert wurde. Am 20.6.1938 wurde er als Sachbearbeiter für Pflanzenschutz bei der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe eingestellt und stieg am 1.1.1939 zum Referenten auf. Im Auftrag des Pflanzenschutzamtes der Landesbauernschaft war er ab 1939 für die Organisation des Kartoffelkäfer-Abwehrdienstes im Sauerland, ökologische Untersuchungen von einheimischen Schädlingen und praktischen Vorratsschutz zuständig. Während des Zweiten Weltkriegs leistete Heddergott vom 4.4.1940 bis Kriegsende Dienst, zuletzt als Fliegerhauptingenieur. Danach übernahm er die Leitung der Bezirksstelle für Pflanzenschutz in Meschede, wechselte aber bereits 1946 als Referent zurück an das Pflanzenschutzamt der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe, wo er zugleich ständiger Vertreter des Institutsdirektors wurde. Am 1.7.1950 wurde er zum Landwirtschaftsrat befördert. Im selben Jahr reiste Heddergott im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für vier Monate zum Studium neuer Arbeitsmethoden in die USA. Zum Zeitpunkt des Antrags der beiden Ordinarien befand er sich im Auftrag der Vereinten Nationen für mehrere Monate in Jugoslawien. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 9976, Personalbogen, 8.1.1952; ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 13.12.1951; ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 13.12.1951. UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 2. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 13.12.1951. Ebd., Kultusministerium NRW an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 5.2.1952.

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re zuvor am Zoologischen Institut vollzog sich damit auch hier ein Generationenwechsel. Den Anfang machte am 1. Mai 1953 Hans Kaja, der die Stelle des ersten Assistenten übernahm. Er hatte vorher bereits als Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut gearbeitet.674 Die andere Assistentenstelle wurde ein Jahr später mit einem ähnlich jungen Botaniker wie Kaja besetzt. Am 1. März 1954 übernahm Herbert Hagedorn diesen Posten.675 Es macht Sinn, die zwei Assistenten als Teil einer neuen Generation am Institut zu bezeichnen, obwohl es einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Männern gab: Hagedorn hatte den Zweiten Weltkrieg noch als Soldat erlebt, Kaja 674

675

Kaja wurde am 21.1.1927 in Niederweisel als Sohn des Ingenieurs und Technischen Direktors der Siegerländer Kupferwerke, Dr.  Paul Kaja, geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule Essen wechselte er 1938 auf das dortige HelmholtzGymnasium, wo er 1946 sein Abitur ablegte. Zwei Jahre zuvor, am 20.4.1944, war er mit nur 17 Jahren als Mitglied Nr. 9869348 der NSDAP beigetreten. 1947 begann er ein Studium der Botanik, Zoologie, Chemie und Geographie an der Universität Münster, welches er am 27.4.1953 mit einer Dissertation zum Thema „Untersuchungen über Entwicklung und Struktur der Moosplastiden“ abschloss. Darin deutet sich bereits sein späteres besonderes Forschungsgebiet an: Licht- und elektronenmikroskopische Zellforschung. Daneben beschäftigte sich Kaja noch mit Pflanzlicher Systematik und Stammesgeschichte. Diese dem Arbeitsgebiet Struggers zuträgliche Schwerpunktsetzung, welche in erster Linie ausschlaggebend für seine Anstellung gewesen sein dürfte, spiegelte sich danach auch in seinen Publikationen wider. Sie befassten sich neben einigen Arbeiten zu Naturschutz und Landschaftspflege zum Großteil mit Aufbau und Struktur von Plastiden, Chromatophoren und Leukoplasten, auch unter Zuhilfenahme der Elektronenmikroskopie. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 22.5.1952; UAMs, Bestand 207, Nr. 267, Personalbogen, undatiert, nach 1959; UAMs, Bestand 92, Nr. 196, Kaja an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 12.2.1959; BAB, ehemals BDC, 3200/J0068; UAMs, Bestand 94, Übersicht der Dissertationen seit Bestehen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Hagedorn wurde am 26.3.1922 als Sohn eines Elektroingenieurs in Osnabrück geboren und evangelisch getauft. Nach dem Besuch der Volksschule Osnabrück wechselte er 1932 auf die dortige Mösermittelschule. Von 1938 bis 1939 war er als Eleve und Praktikant tätig. Von 1939 bis 1940 besuchte Hagedorn die Bauschule für Wasserwirtschaft und Kulturtechnik in Suderburg mit dem Studienziel Diplom-Ingenieur für Kulturtechnik. Am 1.3.1942 wurde er zum Wehrdienst eingezogen und geriet 1944 als Leutnant in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Diese nutzte er, um von 1944 bis 1945 die Lagerschule Mexia in den USA zu besuchen und dort sein Übergangskurs-Abitur abzulegen. Im Anschluss besuchte er von 1945 bis 1946 die Naturwissenschaftliche Lageruniversität Dermott in den USA. Am 1.3.1946 wurde Hagedorn offiziell aus dem Wehrdienst entlassen. Nach dem Abschluss am Ratsgymnasium Osnabrück nahm er schließlich 1947 ein Studium der Botanik, Zoologie, Chemie und Physik an der Universität Münster auf, das er am 8.2.1954 mit seiner Promotion auf Basis der Dissertation „Beiträge zur Zytologie und Morphologie der Actinomyceten“ abschloss. Seine Hauptforschungsgebiete ähnelten denen Kajas. Auch er beschäftigte sich mit Mikrobiologie, insbesondere der Fluoreszenz- und Elektronenmikroskopie von Mikroorganismen. Hinzu kamen Ökologie und Physiologie der niederen Pflanzen, speziell der Wuchsstoffe. Siehe: UAMs, Bestand 94, Übersicht der Dissertationen seit Bestehen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen.

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nicht. Dennoch erlauben ihr Alter, damit ihre gemeinsame Sozialisation im Nationalsozialismus, aber vor allem ihre wissenschaftliche Ausrichtung auf Struggers Hauptforschungsgebiete und damit ihre Abgrenzung hin zu den anderen, bereits wissenschaftlich gefestigten, am Institut arbeitenden Wissenschaftler, sie analog zu ihren jungen Kollegen im Zoologischen Institut als Einheit zu begreifen. Neben den beiden planmäßigen Assistenten konnte sich auch Perner weiter qualifizieren. Weiterhin als außerplanmäßiger Assistent tätig wurde ihm am 26. Februar 1954 die venia legendi für Allgemeine Botanik verliehen, nachdem er die Fakultät mit einer Vorlesung zum Thema „Die Probleme der pflanzlichen Gewebe- und Organkultur“676 von seinen Qualitäten hatte überzeugen können.677 Ab 1954 besserte sich auch die Aktenlage für das Botanische Institut wieder. Sie belegt eine Weiterführung des eingeschlagenen Kurses. Die mit dem Tod Buddes am 18. Juli 1954678 entstandene Lücke im Bereich der Pflanzengeographie wurde durch Ernst Burrichter ausgeglichen. Als ehemaliger Doktorand Buddes übernahm er ab dem 1. Januar 1955 die Lehrveranstaltungen in Pflanzengeographie im Rahmen eines unbesoldeten Lehrauftrags für „Vegetations- und Florenkunde von Nordwestdeutschland“.679 Zuvor hatte er einen Forschungsauftrag der Provinz Westfalen über fluoreszenzmikroskopische Methodik zur quantitativen Bestimmung von Bodenbakterien und über die Ökologie der Bodenbakterien in Naturund Kulturböden inne gehabt – quasi eine Manifestation der unter Strugger betriebenen Synthese dieser beiden Forschungsrichtungen am Botanischen Institut.680 In seinen Publikationen beschäftigte er sich vorrangig mit Pflanzengeographie, aber auch mit Düngung und Ernährungsphysiologie.681 Mit seiner speziellen akademischen Vorbildung war Burrichter eine Idealbesetzung für die Nachfolge seines Doktorvaters.682 Neben einer zielgerichteten Personalpolitik trieb Strugger auch die Vernetzung des Instituts mit dem Ausland weiter voran. Am 2. Februar 1954 wurde er zum 676 677 678 679

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UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 29.1.1954. Ebd., Protokoll vom 26.2.1954. UAMs, Bestand 5, Nr. 296, Frau Budde an Universität Münster, 19.7.1954. Ernst Burrichter wurde am 7.6.1921 als Sohn des Landwirts Karl Burrichter in Andervenne geboren. Von 1932 bis 1935 besuchte er die Städtische Höhere Lehranstalt für Jungen zu Freren in Hannover, ehe er auf das Gymnasium Georgianum in Lingen wechselte. Dort legte er Ostern 1940 sein Abitur ab. Im Oktober desselben Jahres wurde Burrichter zum Kriegsdienst eingezogen. Er geriet in Gefangenschaft, wurde aber bereits im Juni 1945 entlassen. Danach nahm er ein Studium der Botanik, Zoologie und Geographie an der Universität Münster auf. Am 31.3.1952 wurde er auf Basis einer bei Budde verfassten Arbeit über „Wald und Halbtrockenrasen des Messtischblattes Iburg, Teutoburger Wald“ promoviert. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 184, Bd. 1, Lebenslauf, 25.11.1954; ebd., Publikationsverzeichnis, 25.11.1954. Ebd., Lebenslauf, 25.11.1954. Ebd., Publikationsverzeichnis, 25.11.1954. Ebd., Strugger an Dekan, 30.11.1954.

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Ehrenrat des spanischen staatlichen Forschungsrats ernannt.683 Das Kultusministerium betonte in seinem Gratulationsschreiben ausdrücklich, dass dies auch dem kulturellen Ansehen des Landes diene und somit eine politische Bedeutung habe.684 Auch seine Reisen setzte der Ordinarius fort. Vom 2. bis 14. Juli 1954 vertrat er beispielsweise die Universität auf dem internationalen Botanikerkongress in Paris.685 Nicht alles lief jedoch immer reibungslos ab. So beantragte Strugger Ende Januar 1954 beim Kultusministerium NRW die Bezuschussung einer Forschungsreise nach Brasilien, auf die er eingeladen worden war. Da er die Reisekosten von 4.000 DM unmöglich alleine aufbringen könne, bitte er darum, dass das Kultusministerium NRW die Summe übernehme. Zur Begründung appellierte er zum einen an das Prestigebedürfnis der Politik, zum anderen an deren Interesse an eine qualitativ hochwertigen Arbeit des Botanischen Instituts: „Die Reise würde für die Repräsentation unseres Landes in wissenschaftlicher Hinsicht und im besonderen für meine eigene Weiterbildung sowie für die Sammlung von Lehrmaterial auch sicherlich bedeutungsvoll sein.“

Das Ministerium biss jedoch nicht direkt an. Daraufhin bat der Rektor die Fördergesellschaft darum, als Geldgeber einzuspringen, da Strugger ein besonders hervorragender Gelehrter sei, dessen Ansehen den Ruf der Universität Münster erheblich gehoben habe. Seine Unterstützung, und damit das Knüpfen von Verbindungen zu ausländischen Gelehrten und Universitäten, sei eine besonders lohnende Aufgabe für die Fördergesellschaft. Außerdem übernahm er noch Struggers Verweis auf eine angeblich schlechte Reiselage von Forschern zwischen 1933 und 1945.686 Bevor die Fördergesellschaft jedoch auf die Anfrage reagieren konnte, hatte sich an anderer Stelle eine neue Sachlage ergeben, die einen deutlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Instituts haben sollte. Strugger wurde an die Universität München berufen. Schon während seiner ursprünglichen Berufungsverhandlungen mit der Universität Ende der 1940er-Jahre hatte Strugger wiederholt auf lukrative Angebote anderer Universitäten verwiesen, um sich eine bessere Ausgangsposition im Verhandlungspoker mit der Fakultät und dem Kultusministerium NRW zu verschaffen. Bereits damals hatte sich dies für den Ordinarius, unter anderem in Form von höherer Besoldung, ausgezahlt. 1952 war dann ein Ruf aus Kiel an Strugger ergangen. Der Botaniker hatte ihn aber abgelehnt und war dafür reich belohnt worden: Das Kultusministerium NRW bewilligte ihm vom 1. Dezember 1951 an ein Sondergehalt der Besoldungsgruppe H1b in Höhe von 13.600  DM pro Jahr, zuzüglich 20 Prozent Teuerungszulage sowie eine Erhöhung der Kolleggeldgarantie auf 5.000 DM pro Jahr.687 683 684 685 686 687

UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Strugger an Kurator, 22.2.1954. Ebd., Kultusministerium an Strugger, 2.4.1954. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 30.3.1954. Ebd., Rektor an Fördergesellschaft der Universität Münster, 3.6.1954. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kultusministerium NRW an Strugger, 11.2.1952.

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Der Ruf an die prestigeträchtige Universität München bewog Strugger zunächst dazu, auf eine weitere Finanzierung seiner Brasilienreise durch die Universität Münster zu verzichten. Am 9. Juni 1954 teilte er dem Rektor mit, dass dies sonst seine Entschlussfreiheit während der zurzeit laufenden Berufungsverhandlungen mit dem Kultusministerium Bayern stören würde. Er vergaß jedoch nicht, sich für das Wohlwollen der Universität zu bedanken.688 Zuvor hatte er dem Rektor die Zusicherung gegeben, sich nicht für einen Weggang zu entscheiden, bevor er nicht mit dem Kultusministerium NRW verhandelt habe.689 Noch während der Verhandlungen erhöhte sich der Wert des Ordinarius weiter. Er wurde zum Vorsitzenden der Sektion Naturforscher des Verbandes deutscher Naturforscher und Ärzte sowie zum ersten Vorsitzenden des Verbandes deutscher Biologen gewählt.690 Im September lagen dem Kurator dann die konkreten Bedingungen vor, zu denen Strugger bereit war, in Münster zu bleiben. Sie offenbaren erneut seinen selbstbewußten Umgang mit den politischen wie wissenschaftlichen Entscheidungsträgern. Neben einer weiteren Erhöhung seiner Besoldung691 stand für den Ordinarius in seinen Verhandlungen vor allem der weitere Ausbau des Instituts und die Verbesserung von dessen Ausstattung im Mittelpunkt. So sollten neue Angestellte eingenstellt werden. Zusätzlich forderte er die Beibehaltung der Diätendozentur, die Einrichtung einer Kustodenstelle sowie die eines Extraordinariats für Systematische Botanik, Pflanzengeographie und Phyto-Paläontologie. Außerdem sollte dem Institut ein Etat von 13.000 DM jährlich zugesichert werden, dazu noch 5.000 DM jährlich für den Botanischen Garten. Darüber hinaus wünschte er 3.000 DM jährlich zur freien Verfügung für eigene Forschungsbedürfnisse. Im Kern der Forderungen stand jedoch die bereits im Exkurs zur Pharmakognosie geschilderte bauliche Ausgliederung der gleichnamigen Abteilung unter Schratz. Des Weiteren erbat Strugger einen zusätzlichen Versuchsgarten sowie die Übertragung der Verwaltung des Schlossgartens an die Universität. Außerdem sollten noch eine Reihe von Bauvorhaben und Ausbesserungen am Institut umgesetzt werden.692 Vergleicht man Struggers Vorstellungen mit den Realitäten, unter denen seine Vorgänger Benecke und Mevius stets am Rande des finanziellen Kollapses gearbeitet hatten, so wird

688 689 690 691

UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 9.6.1954. UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kurator an Kultusministerium, 9.6.1954. UAMS, Bestand 4, Nr. 563, September 1954. Strugger verlangte dieselbe Höhe an Gehalt, die auch die Universität München zu zahlen bereit war: Im ersten Jahr 1.800  DM, ab dem zweiten Jahr 2.800  DM ruhegehaltsfähige Zulage sowie 10.000  DM Kolleggeldgarantie pro Jahr. Auf 1.800  DM, die man ihm in München zusätzlich als Direktor des Botanischen Gartens zu zahlen bereit war, verzichtete er. Genaue Details zu den Gehaltsverhandlungen sind in einem handschriftlichen Schreiben des Kurators an den Ministerialdirigenten Dr. von Heppe fixiert, welches leider nicht in den Akten überliefert ist, siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Entwurf der Berufungswünsche Struggers, in: Kurator an Kultusministerium NRW, 21.9.1954. 692 Ebd.

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deutlich, wie positiv sich die Situation des Botanischen Instituts seither verändert hatte. Insgesamt waren die Forderungen des Ordinarius zwar nicht überzogen, aber dennoch umfassend und nicht zuletzt mit hohen finanziellen Kosten verbunden. Auf Seiten des Kurators, aber auch des Kultusministeriums NRW, regte sich kein Widerstand dagegen. Man war mit den Bedingungen einverstanden und bereit, sie zu erfüllen, um den Botaniker in Münster zu halten. Weitere Verhandlungen oder Gegenforderungen der Politik sind nicht überliefert. Bereits einen Monat später war die Angelegenheit zur beiderseitigen Zufriedenheit geklärt. Der Kurator sagte Strugger zu, dass seine Bedingungen erfüllt würden, und der Botaniker sagte in München ab.693 Die Zusagen des Kultusministeriums NRW bildeten in der Folge die wichtigste Begründung bei Anfragen Struggers an die Politik. Damit hatte der Ordinarius durch sein wissenschaftliches Renommee und sein Verhandlungsgeschick der Botanik in Münster eine gute Ausgangsposition für ihre weitere Entwicklung verschafft. Bereits kurze Zeit nach Abschluss der Verhandlungen begann die Universität Münster damit, die ersten Vereinbarungen umzusetzen. Ende November 1954 wurde eine Kommission einberufen, um über Struktur und Aufbau des Extraordinariats für Systematische Botanik, Pflanzengeographie und Phylogenetik zu beraten. Mitte Dezember wurde von der Fakultät festgelegt, dass dem Institut die Diätendozentur erhalten bleiben solle. Auch im folgenden Jahr wurde die Umsetzung der vereinbarten Beschlüsse weiter fortgesetzt. Ende März beantragte Strugger beim Dekan unter Hinweis auf seine Berufungsverhandlungen die Besetzung der zugesagten Kustodenstelle mit Baumeister.694 Zum 1. Juni 1955 übernahm dieser schließlich den Posten.695 Damit war er innerhalb von nur fünf Jahren vom Assistenten zum Kustos aufgestiegen. In der Folge sollte er sich weiter vorrangig mit dem Gebiet der pflanzlichen Ernährungsphysiologie beschäftigen.696 Sein Nachfolger für die Diätendozentur wurde einige Monate später Perner. Noch im Mai 1955 hatte Strugger die Verlängerung von dessen Assistentenstelle beantragt und dies mit einer sehr positiven Einschätzung von Perners 693 694 695 696

UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Strugger an Rektor, 23.10.1954. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Strugger an Kultusministerium NRW, 22.3.1955. Ebd., Kultusministerium NRW an Baumeister, 13.8.1955. So erhielt Baumeister Ende Dezember 1954 Fördermittel in Höhe von 4.000  DM zur Durchführung von „Untersuchungen über die Bedeutung von Zink und Fluor für das Pflanzenwachstum im Hinblick auf die menschliche Ernährung“ beziehungsweise zur Einstellung einer wissenschaftlichen Hilfskraft vom Ministerium für Wirtschaft und Verkehr NRW, siehe: UAMs, Bestand 207, Nr. 395, Ministerium für Wirtschaft und Verkehr NRW an Baumeister, 23.12.1954. Vgl. auch sein Publikationsverzeichnis, das um 1962 49 Veröffentlichungen umfasste, die sich bis auf wenige Ausnahmen alle mit Ernährungsphysiologie und hierbei vor allem mit Mineralstoffernährung und Düngemittelforschung befassten. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass Beneckes und Mevius’ Schwerpunkte unter Baumeister bis in die 1960er-Jahre am Institut weiter vertreten wurden, siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Publikationsverzeichnis, undatiert, nach 1962.

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weiterer wissenschaftlicher Laufbahn begründet. Inzwischen hatte der Botaniker zwölf Veröffentlichungen vorzuweisen, darunter wichtige und in der internationalen Fachwelt anerkannte Forschungsarbeiten. Diese trugen deutliche Züge seines akademischen Lehrers und umfassten zellphysiologische und cytologische Untersuchungen, Arbeiten zur Vitalfärbung, zur Sphärosomenuntersuchung und zur Fluoreszenzmikroskopie.697 Zum 1. November 1955 wies das Kultusministerium NRW ihn in Baumeisters alte Stelle ein.698 Durch diesen Personalwechsel musste Ersatz für die bislang von Perner ausgefüllte dritte Assistentenstelle gefunden werden. Strugger entschloss sich dabei zu einem für das Institut ungewöhnlichen Vorgang. Da in den Augen des Ordinarius bester Nachwuchs vorhanden sei, beantragte er beim Kurator, die Stelle zu teilen. Die eine Hälfte der Stelle wurde daraufhin zum 1. Oktober 1955 mit einem indischen Gastwissenschaftler, Siri Krishan Kamra, besetzt. Ihm sollte dadurch die Möglichkeit gegeben werden, die deutschen Universitäten kennenzulernen.699 Die 697 698 699

UAMs, Bestand 5, Nr. 348, Strugger an Kultusministerium NRW, 24.5.1955. Ebd., Kurator an Rektor, 3.12.1955. Siri Krishan Kamra wurde am 12.10.1932 in Montgomery in Pakistan geboren. Nach der Grundschule Montgomery (1937–1942) besuchte er die D. A. V. High School am selben Ort, welche er im August 1947 aufgrund der Teilung der einstigen britischen Kolonie in Indien und Pakistan verlassen musste. Kamra siedelte nach Delhi über, wo er im Oktober 1948 ein Studium am Hindu College aufnahm. Im April 1950 legte er seine medizinische Vorprüfung an der University of Delhi ab und studierte danach Botanik. 1952 erhielt er seinen Bachelor, 1954 seinen Master of Science. Im Anschluss arbeitete er von September 1954 bis Dezember 1954 als Assistent am Central Rice Research-Institute in Cuttack und vom 3.1.1955 bis 30.9.1955 als Assistent der Botany Division of the Indian Agricultural Research Institute in Neu Delhi. Da Kamra in Deutschland promovieren wollte, wandte er sich im Verlauf des Jahres 1955 an Strugger. Dieser sah die Anfrage als Chance, dem Botanischen Institut internationales Flair zu verleihen. Am 12.8.1955 wandte er sich mit einem Schreiben an das Kultusministerium NRW. Kamra könne zwar die Reise nach Deutschland, nicht aber seine dortigen Lebensunterhaltskosten selbst bezahlen. Daher bat er das Kultusministerium, an das Auswärtige Amt heranzutreten, um ein Stipendium für den Inder zu erwirken. Strugger begründete dies mit dem Prestigegewinn, der daraus erzielt werden könne. So würden die meisten Inder den Abschluss ihrer wissenschaftlichen Ausbildung in Frankreich oder Großbritannien anstreben, weshalb es ihm als erfreuliches Zeichen erscheine, dass sie sich nunmehr auch für deutsche Universitäten interessierten. Würde man Strugger mit dem Stipendium entgegenkommen, so wäre er im Interesse des Ansehens der Universität Münster sehr zu Dank verpflichtet. Das Kultusministerium NRW stimmte Strugger daraufhin diesbezüglich zwar zu, lehnte ein Stipendium aus Zuständigkeitsgründen jedoch ab. Stattdessen solle der Ordinarius einen Antrag bei der Alexander von Humboldt-Stiftung stellen. Strugger hingegen stellte Kamra, wie bereits erwähnt, als Assistenten ein. Der Inder blieb bis zum 31.3.1956 auf diesem Posten. Ein Jahr darauf ersuchte Strugger erneut um ein Stipendium, dieses Mal beim Kurator. Kamra schrieb inzwischen unter Anleitung des Lehrbeauftragten Helmut Eifrig seine Dissertation über „Keimungsphysiologische Untersuchungen über die Einwirkung des absoluten Alkohols auf Samen einiger Kulturpflanzen“ in der Samenprüfstelle der LWK WestfalenLippe. Dieses Mal argumentierte der Ordinarius mit dem Nutzen für die deutsche For-

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andere Hälfte besetzte Strugger mit seinem Schüler Helmut Burghardt.700 Während also vor allem der Ausbau der Personalausstattung des Instituts zügig voranschritt, stockte die Ausführung der anderen Berufungszusagen merklich. Auf die Verzögerungen in Bezug auf die Pharmakognosie ist bereits an anderer Stelle hingewiesen worden. Aber auch das zugesagte Extraordinariat ließ weiter auf sich warten. Ende Juni 1955 wies Strugger merklich verstimmt auf diesen Umstand hin. Dabei rekurrierte er vor allem auf seine Arbeitsüberlastung sowie die Notwendigkeit einer gründlichen Ausbildung der zukünftigen Studienräte. Deshalb bat er darum, das Extraordinariat noch im Rechnungsjahr 1956 zu gewähren, „damit unsere Unterrichtsaufgaben in Zukunft besser bewältigt werden können.“701 Auch der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät setzte sich daraufhin nochmals beim Kultusministerium NRW für die Erledigung ein,702 und im Juli 1955 beschloss die Fakultät, einen Antrag auf Errichtung des Extraordinariats beim Ministerium zu stellen.703 Dennoch sollte es doch noch einige Jahre dauern, bis die Zusagen tatsächlich erfüllt werden sollten. Auch was die außeruniversitäre Vernetzung des Instituts betraf, war Strugger weiterhin um einen Ausbau bemüht. Im April 1955 reiste er für drei Wochen zu Gastvorträgen in sein Heimatland Österreich,704 daneben übernahm er redaktionelle Aufgaben für eine nicht näher benannte, in Leipzig erscheinende Zeitschrift über Probleme der Biologie705 und wurde im November des Jahres zum stellver-

700

701 702 703 704 705

schung, die aus den Arbeiten entstehen würde. Zwar lehnte das vom Kurator benachrichtigte Kultusministerium NRW erneut ab, da Ausländer generell keine Förderbeihilfen erhielten. Man genehmigte Strugger jedoch eine Forschungsbeihilfe in Höhe eines Jahresstipendiums, um Kamra zu bezahlen. Danach enden die Akten. Das weitere Schicksal des Inders ist unbekannt. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3364, Strugger an Kultusministerium NRW, 12.8.1955; ebd., Kultusministerium NRW an Strugger, 19.9.1955; ebd., Strugger an Kurator, 31.1.1956; ebd., Strugger an Kurator, 6.3.1957; ebd., Kultusministerium NRW an Strugger, 26.3.1957. Helmut Burghardt wurde am 26.5.1926 in Sonderhausen als Sohn des Bergwerksdirektors Friedrich Burghardt geboren. Von 1937 bis 1944 besuchte er die Bismarck-Oberschule Bochum. Im Februar 1944 wurde er von der Wehrmacht eingezogen und geriet im späteren Kriegsverlauf in Gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr erhielt er 1946 sein Reifezeugnis. Burghardt nahm zum Wintersemester 1946/47 ein Studium der Zoologie, Botanik, Mathematik, Chemie und Physik an der Universität Münster auf. Am 17.12.1954 wurde er auf Basis einer Arbeit über „Beiträge zum Eisen-Mangan-Antagonismus der Pflanzen“, welche er bei Baumeister angefertigt hatte, mit cum laude promoviert. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 1146, Lebenslauf, undatiert; ebd., Promotionsurkunde, 17.12.1954. UAMs, Bestand 91, Nr. 81, Strugger an Kultusministerium NRW, 21.6.1955. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 22.6.1955. UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 20.7.1955. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 31.3.1955. Für diese Mitarbeit an einer DDR-Publikation musste er sich die Erlaubnis des Kultusministerium einholen, siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Kurator an Strugger, 4.1.1955.

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tretenden Vorsitzenden des Deutschen Hochschullehrerverbands gewählt.706 Auch 1956 war er mehrere Wochen in der Alpenrepublik unterwegs.707 Im März und April 1957 hielt er Gastvorlesungen in Wien, Graz und Istanbul, letztere über das neue Spezialthema der Münsterschen Botanik, die elektronenmikroskopische Erforschung der Pflanzenzelle.708 Außerdem wurde Strugger zum Ehrenmitglied der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien ernannt.709 Im Sommer 1958 nahm er auf Einladung Brasiliens am 150-jährigen Jubiläum des Botanischen Gartens der Universität von Rio de Janeiro teil.710 Im selben Jahr sprach er auf dem Deutschen Botanikerkongress, der Naturforscherversammlung in Wiesbaden und in Erlangen und Wien.711 1959 kehrte er nach Spanien zurück, wo er vom 21. März bis 8. April Gastvorlesungen in Madrid hielt.712 Eng verknüpft damit waren auch die Ehrungen, die Strugger im Rahmen dieser Reisen erhielt. Sie belegten nicht nur seine herausragende Stellung innerhalb der Wissenschaftlergemeinschaft, sondern mehrten auch das Ansehen der Universität Münster. So erhielt er 1959 vom spanischen Forschungsrat die Medaille für Verdienste um die spanische Wissenschaft.713 Schon zuvor hatte er eine seiner bereits eindrucksvollen Vita eine Reihe weiterer Ehrungen hinzufügen können. 1956 war er zum Ehrenmitglied des Naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark ernannt worden, 1957 zum korrespondierenden Mitglied der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und im selben Jahr zum Ehrenmitglied des Vorstandes des Verbandes Deutscher Biologen.714 1958 wurde er in den Vorstand der International Society for Cellbiology berufen,715 ein Jahr später folgte die Aufnahme als Ehrenmitglied des Naturwissenschaftlichen Vereins für Kärnten.716 Hinzu kamen eine Vielzahl weiterer Kooperationen und Mitgliedschaften. So war Strugger Mitglied des wissenschaftlichen Rates der Kernforschungsanstalt Jülich, von Arbeitskreisen der Deutschen Atomkommission, des Kuratoriums des Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln-Vogelsang, des wissenschaftlichen Beirates des Instituts für den wissenschaftlichen Film Göt706 707 708 709

710 711 712 713 714 715 716

UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 21.11.1955. Ebd., Strugger an Rektor, 4.4.1956. Ebd., Strugger an Rektor, 7.2.1957. Hinzu kam die Teilnahme am Internationalen Hochschullehrerkongress in München, an einem internationalen Kongress für Elektronenmikroskopie in Stockholm, der Besuch der Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hamburg sowie die Leitung der Tagung des Verbandes Deutscher Biologen, ebenfalls in Hamburg. Siehe: UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Juni 1956; UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 21.8.1956. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 29.5.1957. Ebd., Strugger an Rektor, 1.9.1958, 24.9.1958, bzw. 14.10.1958. Ebd., Strugger an Rektor, 18.3.1959. Ebd., Strugger an Rektor, 24.4.1959. UAMs, Bestand 92, Nr. 28, biographische Daten, undatiert. UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Strugger an Rektor, 4.6.1958. UAMs, Bestand 92, Nr. 28, biographische Daten, undatiert.

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tingen und langjähriger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Höhere Schule in der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte.717 Gleichzeitig stand er dem Institut für Biologie der Kernforschungsanlage Jülich vor.718 Im Juni 1961 schließlich ehrte ihn die Medizinische Fakultät der Universität Münster mit dem Ehrendoktortitel. Sie würdigte damit seine richtungsweisenden und grundlegenden wissenschaftlichen Arbeiten, die für viele Gebiete der Medizin von Bedeutung geworden seien. Besonders hervorgehoben wurde dabei die Anwendung der Fluoreszenzmikroskopie als experimentelle dynamische Methode, insbesondere Struggers Einführung der Akridinorange als dabei anwendbares Färbungsmittel.719 Des Weiteren nutzte er auch weiterhin die lokale Presse, um ein positives Bild des Instituts in die Öffentlichkeit zu tragen. So berichteten die „Westfälischen Nachrichten“ in ihrem Artikel zu Struggers 50. Geburtstag nicht nur über die Forschung an seinem Lehrstuhl, sondern auch darüber, dass der Ordinarius ursprünglich Musiker hatte werden wollen.720 Hatte es zuvor noch einige Fluktuationen in der Personalbesetzung des Botanischen Instituts gegeben, so stabilisierten sich nun auch hier 1956 die Strukturen. Das bereits zu diesem Zeitpunkt gut ausgestattete Lehrstuhlteam wurde zum Sommersemester weiter verstärkt. Heilbronn kehrte über 20 Jahre nach seiner Flucht wieder an das Botanische Institut zurück und übernahm einige vererbungswissenschaftliche Vorlesungen. Einige Monate später wurde dann auch der anwendungsorientierte, durch externe Lehrbeauftragte betreute Teil des Seminarangebots weiter verstärkt. Neben die Schädlingsbekämpfung unter Heddergott rückte mit einem weiteren ehemaligen NSDAP-Mitglied, Helmut Eifrig, die Samenkunde und -kontrolle.721

717 Ebd. 718 UAMs, Bestand 10, Nr. 3503, Strugger an Kurator, 16.6.1961. 719 UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Urkunde, 28.2.1961. 720 Ebd., Ausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 9.4.1956. 721 Helmut Eifrig wurden am 24.4.1911 in Rassberg als Sohn eines Rektors geboren. Von 1917 bis 1922 besuchte er die Mittelschule, von 1922 bis 1931 die Oberrealschule in Zeitz. Danach studierte er Naturwissenschaften (Biologie und Chemie als Hauptfächer, Physik als Nebenfach) in Jena und wurde 1936 promoviert. Im Jahr darauf übernahm er eine Stelle im Pflanzenschutzdienst und war in der Rübenblattwanzenbekämpfung in SachsenAnhalt und im Kartoffelkäferabwehrdienst am Niederrhein tätig. Im März 1938 legte er das Staatsexamen für das höhere Lehramt ab. Von April 1938 bis März 1939 war Eifrig als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter am Staatsinstitut für Angewandte Botanik in Hamburg in der Abteilung Samenkontrolle tätig. 1939 wechselte er nach Westfalen, wo er eine Anstellung bei der Samenprüfstelle der Landesbauernschaft fand. 1940 wurde er zum Wehrdient einberufen und geriet im späteren Kriegsverlauf in Gefangenschaft, konnte jedoch im April 1948 seine alte wissenschaftliche Tätigkeit wieder aufnehmen. Ab dem 1.4.1949 leitete er die nun selbständige Samenprüfstelle. Bereits am 1.5.1933 war Eifrig mit der Mitgliedsnummer 2903648 der NSDAP beigetreten. Siehe: UAMS, Bestand 10, Nr. 1618, Lebenslauf, 14.5.1954; BAB, ehemals BDC, 31XX/D0076.

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Eifrigs Forschungsgebiete umfassten Herkunftsbestimmung, keimphysiologische Probleme, Echtheitsbestimmung sowie die Erkennung von Gattung, Art oder Varietät solcher Sämereien, die mittels morphologischer oder anatomischer Merkmale nicht unterschieden oder erkannt werden konnten. Ab 1937 hatte er zehn wissenschaftliche Publikationen vorzuweisen, die sich allesamt mit den oben genannten Themen befassten.722 Mit seinem Spezialwissen stellte der Botaniker eine passende Ergänzung für den Lehrplan des Instituts dar.723 Mit Eifrigs Beauftragung hatte sich schließlich, mit Ausnahme des späteren Wechsels von Perner zu Resch, im Jahr 1956 auch diejenige Konstellation an Mitarbeitern am Botanischen Institut herausgebildet, welche bis zum Ende des Untersuchungszeitraums Einfluss auf die wissenschaftliche Ausgestaltung des Instituts haben sollte. Zwar kam es auf der Stelle des dritten Assistenten noch zu Umbesetzungen, von diesen Mitarbeitern hinterließ jedoch niemand mehr Schriftverkehr in den Akten des Instituts oder griff in die Lehrveranstaltungen ein. Wie schon in den Jahren zuvor waren personelle und inhaltliche Ausrichtung eng miteinander verknüpft. Die Stabilität im ersten Bereich übertrug sich somit auch auf die Lehrund Forschungsinhalte, die in der Folgezeit am Institut vertreten waren. Es macht daher Sinn, analog zum Vorgehen in dem Teil dieser Untersuchung, welcher das Zoologische Institut behandelt, die Jahre von 1956 bis zu Struggers Tod anhand von Hauptuntersuchungsfeldern anstatt chronologisch zu analysieren. Im Folgenden wird der Blick dabei zunächst auf die wissenschaftliche Entwicklung gerichtet. Im Bereich der Lehrinhalte wird deutlich, dass Strugger den Weg, den er mit dem Ausbau der Zahl der angebotenen Veranstaltungen, der Einbeziehung externer Kräfte und der Synthese traditioneller wie neuer Untersuchungsfelder seit seiner Berufung eingeschlagen hatte, konsequent weiter führte. Besonderen Wert legte er dabei weiterhin auf die starke Betonung der mikroskopischen Ausbildung der 722 723

UAMs, Bestand 10, Nr. 1618, Lebenslauf, 14.5.1954. Ähnlich argumentierte auch der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät in seinem Antrag an das Kultusministerium NRW Ende August 1956. Er bat um eine zunächst auf zwei Jahre befristete Erteilung eines unbesoldeten Lehrauftrags an den Samenprüfer. Zur Begründung führte er an, dass ein großer Teil der Biologen nach dem Studienabschluss eine Anstellung in landwirtschaftlichen Instituten fänden und es daher wünschenswert sei, dass die Ausbildung dieser Studenten mit Rücksicht auf die praktischen Berufe in der Landwirtschaft verbessert würden. Wesentliche Aufgabe dieser Institute sei die Samenkunde und -kontrolle. Eifrig habe auf diesem Gebiet auch international Anerkennung gefunden. Hinzu komme sein Verdienst, die Samenprüfstelle der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe modernisiert zu haben. Er entspreche sowohl fachlich als auch wissenschaftlich den Anforderungen des Lehrauftrags und habe bereits im Rahmen des physiologischen Praktikums am Botanischen Institut in den vorherigen Semestern Strugger Hilfestellung geleistet und sich bewährt. Das Kultusministerium NRW gab dem Antrag am 3.9.1956 statt. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 1618, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 31.8.1956; ebd., Kultusministerium NRW an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 3.9.1956.

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Studenten. Ihr widmeten sich spezielle Seminare unter Perner. Daneben lehrte der Diätendozent ein weiteres wichtiges Feld: Systematik und Entwicklungsgeschichte. Nach seinem Weggang nach Hannover übernahm Resch Perners Aufgaben. Die Neueinstellung garantierte somit Kontinuität. Bemerkenswert ist auch der interdisziplinäre Ansatz, den Strugger in Bezug auf neue wissenschaftliche Methoden verfolgte. So kooperierte er auf einem für die gesamte Forschung am Institut wichtigen Feld, dem der Elektronenmikroskopie, aufs Engste mit dem Ordinarius für Experimentalphysik, Ernst Kappler, und dem Direktor des Instituts für medizinische Physik, Gerhard Pfefferkorn, mit denen er gemeinsame Veranstaltungen anbot. Daneben fällt insbesondere das breite Themenspektrum der Lehrveranstaltungen auf. Ihre Zahl schwankte zwischen 1956 und 1962 mit 17 bis 25 Seminaren je Semester auf hohem Niveau und deckte neben den Standardvorlesungen weiterhin Ernährungsphysiologie, Pharmakognosie, Pflanzengeographie, Bestimmungsübungen und weitere, je nach Semester variierende Themen, teilweise in Kooperation mit Medizinern und Geographen, ab. Hinzu kam mit Heilbronns Rückkehr das sonst vor allem in der Zoologie vertretene Gebiet der Genetik. Später ergänzten mit Kaja und Hagedorn auch die beiden Assistenten den Lehrbetrieb. Kaja konzentrierte sich dabei vor allem auf unterstützende Lehrtätigkeiten und Botanik für Mediziner, während Hagedorn sein Spezialgebiet der Mikrobiologie vertrat. Während sich daher den Vorlesungen nach Kontinuität wie Neuerung die Waage hielten, zeigen die am Institut eingereichten Dissertationen sehr viel stärker die Handschrift des Ordinarius. Zwar gab es auch hier, wie zuvor, Einzelarbeiten zu ernährungsphysiologischen Themen.724 Diese wurden jedoch von Baumeister betreut und bildeten die Ausnahme. Spätestens ab 1956 dominierten eindeutig Untersuchungen zur Feinstruktur der Zellen und solche, bei denen die Mikroskopie im Vordergrund stand. Als repräsentative Beispiele seien an dieser Stelle lediglich „­Fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen über die Aufnahme und Speicherung von Irisblau und Rhodamin 6G Extra“, „Untersuchungen zur Struktur und Funktionsfähigkeit der Chloroplasten mit Hilfe der lichtabhängigen V ­ akuolisation der Plastiden in Nikotinlösung“ oder „Licht- und elektronenoptische Untersu­ chungen über den Einfluß von Streptomycin auf Sinapis alba mit einem Beitrag zur elektronenoptischen Feinstruktur des Interphasenkerns“ genannt.725 Der Wechsel an der Spitze des Instituts hatte sich demnach nicht vorrangig in der Lehre, sondern in der Forschung niedergeschlagen. Hier ist ein eindeutiger Bruch mit der Ära Benecke/Mevius erkennbar. Die auf Strugger zurückzuführende deutliche Schwerpunktverlagerung ist auch bei der Betrachtung der weiteren Karrieren der am Insti724

Zum Beispiel „Beiträge zur Einwirkung organisch-chemischer Substanzen auf die Lagerfähigkeit von Kartoffelknollen“ oder „Beiträge zum Problem der Ersetzbarkeit des Kaliums durch das Natrium im Nährmedium höherer Pflanzen“, in: UAMs, Bestand 94, Übersicht über die Dissertationen der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. 725 Ebd.

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tut angestellten Mitarbeiter, insbesondere bei den jungen Assistenten, zu erkennen. Ihr wissenschaftlicher Werdegang wurde, wie bereits erwähnt, deutlich von ihrem Vorgesetzten geprägt. Der erste Assistent, Kaja, hatte durch seine elektronenmikroskopischen Arbeiten bereits wenige Jahre nach seiner Anstellung am Institut Anerkennung in der internationalen Fachwelt gefunden. Ende Oktober 1956 beantragte Strugger die Verlängerung seiner Dienstzeit über die üblichen vier Jahre hinaus. Dabei sparte er nicht mit Lob für seinen Mitarbeiter. Kajas Dissertation habe als Standardwerk Eingang in die Weltliteratur gefunden, und auch seine weiteren Publikationen seien nicht nur umfangreich, sondern auch von hoher Qualität gewesen. Strugger prognostizierte dem Nachwuchswissenschaftlicher eine weitere positive Entwicklung und hatte ihn deshalb dazu aufgefordert, innerhalb der nächsten zwei Jahre eine größere Arbeit zur Habilitation in Angriff zu nehmen. Damit habe Kaja bereits begonnen und sich zu diesem Zweck eine für Deutschland völlig neue Technik der elektronenmikroskopischen Analyse angeeignet, um die Pteridophyten systematisch-zytologisch mit Hilfe von licht- und elektronenmikroskopischen Methoden zu bearbeiten. Der Erfolg der Arbeit sei bereits jetzt abzusehen, und die hervorragenden Leistungen gäben die Berechtigung für eine Vertragsverlängerung. Auch methodisch, didaktisch und charakterlich sei Kaja äußerst positiv zu beurteilen.726 Seine Anstellung wurde daraufhin verlängert.727 Als zwei Jahre später die nächste Verlängerung anstand, hatte sich die positive Beurteilung Struggers nicht geändert. Kaja sei ein vorbildlicher Assistent, habe sich weiterentwickelt, einen guten Ruf erarbeitet, weiter gut veröffentlicht und seine Habilitationsschrift inzwischen fertiggestellt. Zweifellos werde er bald die venia legendi verliehen bekommen.728 Kaja sollte seinen Vorgesetzten nicht enttäuschen. Am 12. Februar 1959 beantragte er beim Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät die Zulassung zur Habilitation mit dem erstrebten Lehrgebiet Allgemeine Botanik. Grundlage dafür bildete seine Schrift über „Licht- und elektronenmikroskopische Untersuchungen zur Cytologie der Archegoniaten“.729 Mit seiner Arbeit konnte er neue Einblicke in ein bislang vernachlässigtes Forschungsfeld geben. In seinem Gutachten war Strugger voll des Lobes über seinen Mitarbeiter.730 Auch die beiden 726 727 728 729 730

UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 26.10.1956. Ebd., Kultusministerium NRW an Kurator, 29.11.1956. Ebd., Strugger an Kultusministerium NRW, 4.11.1958. UAMs, Bestand 92, Nr. 196, Kaja an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 12.2.1959. So führte er aus, dass in der Literatur der vergangenen 20 Jahre insbesondere die Plastiden der Samenpflanzen im Hinblick auf die Ontogenese und die Feinstruktur im Vordergrund gestanden hätten. Arbeiten über die Archegoniaten seien hingegen nur sehr vereinzelt angestrengt worden. Die Kenntnisse der Botanik über die Plastiden und ihre Entwicklung bei den Pteridophyten bezeichnete er als völlig unzureichend oder gar ganz fehlend. Dies sei bedauernswert und in außergewöhnlichen technischen Schwierigkeiten bei der Bearbeitung des Gewebsmaterials begründet. Kaja habe nun mit großem technischem

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weiteren Gutachter lobten die Arbeit in den höchsten Tönen. Schratz bezeichnete sie ohne Zweifel als maßgebliche Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet,731 und auch Rensch äußerste sich sehr positiv.732 Daraufhin wurde Kaja am 24. Juni 1959 die venia legendi für Botanik verliehen.733 Am 28. November 1959 hielt er seine Antrittsvorlesung über „Tagesperiodische Bewegungen der Pflanzen und ihre Bedeutung für das Studium der endogenen Tagesrhythmik“.734 Auch danach entwickelte sich die Karriere des Botanikers positiv weiter. Zunächst wurde seine Assistentenstelle erneut verlängert, denn so Strugger: „Seine Entwicklung als Hochschullehrer und Forscher ist in jeder Hinsicht als ausgezeichnet zu bezeichnen.“735 Der Ordinarius hatte jedoch noch weitere Pläne. Ende Juni 1960 beantragte er parallel zueinander eine Kustodenstelle736 beziehungsweise eine Diätendozentur737 für Kaja. Grundlage für diesen zweigleisigen Vorstoß war die Tatsache, dass das Strugger 1954 versprochene Extraordinariat noch immer nicht eingerichtet worden war. Dem wollte er nun durch eine Übergangslösung Abhilfe schaffen. Dem Kultusministerium NRW gegenüber verwies Strugger zum wiederholten Male738 auf die ihm gegenüber gemachten Zusagen während seiner Bleibeverhandlungen. Überraschenderweise räumte er jedoch ein, dass das Extraordinariat beim augenblicklichen Mangel an Systematikern gar nicht befriedigend zu besetzen sein dürfte. Daher habe er interimsweise Kaja damit beauftragt, diese Sparte am Institut zu vertreten. Dieser könne aber aufgrund seiner Pflichten als Assistent seine

731 732 733 734 735 736 737 738

Geschick und aufgrund sehr sorgfältiger Überlegungen den Versuch unternommen, in einer groß angelegten Analyse diese Schwierigkeiten zu überwinden. So habe er die jüngsten Gewebspartien der Farne so präparieren können, dass sie einer licht- und schließlich elektronenmikroskopischen Analyse zugänglich wurden. Dies habe einen Einblick in die Struktur und die Entwicklungsgeschichte der Farnchloroplasten ermöglicht, „welcher in solcher Qualität und in dieser Fülle bisher in der wissenschaftlichen Botanik nicht erreicht wurde.“ Kaja habe sich dabei in zweifacher Weise Verdienste erworben. Einerseits habe er durch seine Arbeit bisher bekannte Ergebnisse beziehungsweise spekulative Annahmen bestätigt. Andererseits habe er auf bisher unbearbeitetem Gebiet völlig neue Erkenntnisse gewonnen und wichtige Grundlagen für weitere Untersuchungen geschaffen. Die Arbeit sei sehr sorgfältig durchgeführt und werde einen bleibenden Wert in der Geschichte der Chloroplasten behalten. Abschließend fügte der Ordinarius noch hinzu, dass Kaja keineswegs ein Spezialist, sondern auf dem gesamten Gebiet der Botanik kenntnisreich sei. Siehe: UAMs, Bestand 92, Nr. 196, Gutachten Strugger, 9.3.1959. Ebd., Gutachten Schratz, 5.5.1959. Ebd., Gutachten Rensch, 8.5.1959. Ebd., Urkunde, 24.6.1959. Ebd., Vermerk, 28.11.1959. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 1, Strugger an Kurator, 25.10.1960. UAMs, Bestand 91, Nr. 81, Strugger an Kultusministerium NRW, 25.6.1960. Ebd., Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 25.6.1960. Bereits 1955 und 1957 hatte sich der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät vergeblich an das Kultusministerium NRW gewandt, um die Berufungszusagen Struggers umsetzen zu lassen, vgl. UAMs, Bestand 91, Nr. 81, Dekan der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 22.6.1955 sowie 19.7.1957.

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Lehrtätigkeit auf diesem Gebiet nicht so entfalten, wie es das Botanische Institut wünsche. Deshalb bitte er darum, Kaja eine Kustodenstelle zu bewilligen. Damit wäre nicht nur die Qualität von Forschung und Lehre sichergestellt, sondern auch die leidige Frage nach dem Extraordinariat vorerst ausreichend gelöst. Ein richtiger außerplanmäßiger Lehrstuhl könne dann später eingerichtet werden.739 Sein am selben Tag an den Dekan gerichtetes Schreiben bat diesen indes darum, eine Diätendozentur für Kaja einzurichten. Er sei Experte für Kryptogamensystematik, und Strugger wolle ihn im Rahmen seiner Lehrtätigkeit in das Gebiet der systematischen Botanik hineinwachsen lassen. Dies geschehe auch im Hinblick auf die spätere Besetzung des Extraordinariats. Der Ordinarius begründete seinen Antrag damit, dass das Botanische Institut neben den Biologen auch Mediziner und Pharmazeuten ausbilde und dafür nur über eine einzige Diätendozentur verfüge. Die Gewährung einer zweiten Stelle sei bei dieser Arbeitsbelastung angemessen. Außerdem sei sie eine akzeptable Interimslösung bis zur Bewilligung des 1954 versprochenen Extraordinariats.740 In beiden Schreiben spielten also Arbeitsüberlastung und die Sicherung der Lehrqualität eine Rolle. Während Strugger dem Kultusministerium jedoch einen vorläufigen Ausweg aus den 1954 gemachten Zusagen anbot, deutete er gegenüber dem Dekan die Chance an, das zukünftige Extraordinariat intern zu besetzen und damit den eigenen Nachwuchs zu fördern. Seine Bemühungen zeitigten schon kurz darauf Erfolg. Bereits einen Monat nach seiner Anfrage wandte sich das Kultusministerium NRW an den Kurator und teilte mit, dass es keine Bedenken habe, Kaja die Stelle zu geben. Da jedoch erst 1962 die Schaffung einer Kustodenstelle möglich sei, könne er bis dahin die Stelle eines Wissenschaftlichen Rates übernehmen.741 Noch am selben Tag schlug der Kurator daraufhin dem Rektor vor, den derzeitigen Kustos Baumeister zum Wissenschaftlichen Rat zu ernennen und Kaja in die Kustodenstelle einzuweisen.742 Letztlich entschied man sich aber dafür, stattdessen eine neue Dozentenstelle zu schaffen, in die Kaja schließlich auf Vorschlag des Senats am 16. Februar 1961 eingewiesen wurde.743 Ausschlaggebend dafür war einmal mehr Kajas exzellenter wissenschaftlicher Ruf und der Wille zur Nachwuchsförderung: „Es ist nicht daran zu zweifeln, daß Dr. Kaja in wissenschaftlicher Hinsicht in wenigen Jahren die volle Berufungsreife erlangen wird.“744 Der Botaniker verblieb bis zum Ende des Untersuchungszeitraums in seiner neuen Stelle. Nach Struggers Tod sollte er die hochgesteckten Hoffnungen seines Vorgesetzten vollkommen erfüllen. Kaja legte weiterhin eine umfassende Publikations- und Unterrichtstätigkeit an den Tag. Besonderes Augenmerk richtete er 739 740 741 742 743 744

Ebd., Strugger an Kultusministerium NRW, 25.6.1960. Ebd., Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 25.6.1960. Ebd., Kultusministerium NRW an Kurator, 22.7.1960. Ebd., Kurator an Rektor, 22.7.1960. Ebd., Ernennungsurkunde, 16.2.1961. Ebd., Rektor an Kultusministerium, 30.12.1960.

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dabei auf das Feld der elektronenmikroskopischen Forschung. Schon zuvor war er für die Einrichtung des elektronenmikroskopischen Laboratoriums am Botanischen Institut verantwortlich gewesen. Daher beschäftigten sich auch seine späteren Arbeiten vorzugsweise mit Fragen der Feinstruktur pflanzlicher Zellen.745 Hierbei zählte er zu den ersten Anwendern dieses Werkzeugs bei der Erforschung pflanzlicher Systeme.746 Außerdem lehrte er weiterhin umfassend im Bereich der Pflanzensystematik.747 Am 21. Juli 1966 wurde Kaja zum außerplanmäßigen Professor ernannt.748 Ein Jahr später folgte der Aufstieg zum Wissenschaftlichen Rat und Professor749 und seine Verpflichtung auf die Gebiete Pflanzensystematik und Entwicklungsgeschichte.750 1968 wurden ihm das Amt eines Wissenschaftlichen Abteilungsvorstehers und Professors sowie die Leitung der neu eingerichteten Abteilung für Cytologie und Entwicklungsgeschichte übertragen.751 Vom Sommersemester 1969 bis zum Sommersemester 1970 hatte er schließlich die vertretungsweise Leitung des Botanischen Instituts inne.752 Vom Wintersemester 1975/76 bis zum Wintersemester 1976/77 sollte er erneut in dieser Funktion tätig sein.753 Zum 1. Januar 1980 wurde er, wie seine Kollegen Altevogt, Nolte und Hagedorn, in die Rechtsstellung eines Professors auf Lebenszeit übergeleitet.754 Ab dem 1. Januar 1987 führte er die Bezeichnung „Universitätsprofessor“.755 Der Botaniker trat schließlich zum 1. März 1992 in den Ruhestand.756 Kaja verstarb am 7. September 1996 im Alter von 69 Jahren in Münster.757 Einen ähnlichen Karriereweg, jedoch mit einer anderen Schwerpunktsetzung, sollte auch der zweite Assistent, Hagedorn, weiterverfolgen. Auch er hatte sich, wie Kaja, auf elektronenmikroskopische Arbeiten spezialisiert, dabei aber den Fokus auf die Mikrobiologie gelegt. Dabei gelang ihm unter anderem erstmals der Nachweis echter Mitochondrien in der Hefe. Gerade im Bereich der Mikrobiologie herrschte Mitte der 1950er-Jahre ein Nachwuchsmangel in Deutschland, weswegen Strugger bewusst die Energien seines Mitarbeiters in diese Richtung hin kanalisierte. So setzte er ihn zum einen ab 1957 vornehmlich im mikrobiologischen Sektor der Unterrichts- und Forschungstätigkeit des Botanischen Instituts ein. Zum ande745 746 747 748 749 750 751 752 753 754 755 756 757

UAMs, Bestand 92, Nr. 196, Lebenslauf, 13.12.1965. Ebd., Pressemitteilung der Universität Münster zu Tod Kajas, 12.9.1996. Ebd., Lebenslauf, 13.12.1965. UAMs, Bestand 91, Nr. 81, Ernennungsurkunde, 21.7.1966. Ebd., Ernennungsurkunde, 30.6.1967. Ebd., Kultusministerium NRW an Kaja, 30.6.1967. Ebd., Kultusministerium NRW an Kaja, 9.2.1968. Ebd., Kultusministerium NRW an Kaja, 25.3.1968, bzw. Kanzler der Universität Münster an Kaja, 4.9.1970. UAMs, Bestand 8, Nr. 11647, Bd. 2, Wissenschaftsminister NRW an Universität Münster, 29.10.1975, bzw. 4.10.1976. Ebd., Kanzler der Universität Münster an Dekan FB 18 (Biologie), 5.2.1982. Ebd., Kanzler der Universität Münster an Kaja, 12.3.1987. Ebd., Wissenschaftsminister NRW an Kaja, 23.12.1961. UAMs, Bestand 91, Nr. 81, Todesanzeige, undatiert.

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ren wollte er alles daran setzen, ihm einen Weg zur Habilitation in diesem Bereich zu ebnen. Strugger sah sich eigenen Angaben zufolge in der Pflicht, den Nachwuchsaufbau der Mikrobiologie in Deutschland zu fördern. Gleichzeitig ging er jedoch davon aus, dass sich Hagedorn nicht in Münster für dieses Gebiet werde habilitieren können. Daher wollte er ihn zunächst noch einige Zeit an der Universität Münster behalten, damit er sich gut vorbereiten könne.758 Aus diesem Grund wurde Hagedorns Assistentenstelle mehrmals verlängert. Anfang der 1960er-Jahre hatte sich der Botaniker wissenschaftlich soweit entwickelt, dass er das Gesamtgebiet der Mikrobiologie, insbesondere der Bakteriologie und Mykologie, am Botanischen Institut betreute. Auch was seine Publikationstätigkeit anging, erhielt er nur Lob seitens seines Ordinarius, der ihn als europaweit anerkannten Mikrobiologen bezeichnete.759 Am 28. Juli 1961 wurde ihm, nachdem er die Fakultät mit einem Vortrag über „Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Bodenmikrobiologie unter besonderer Berücksichtigung der pflanzlichen Organismen“760 hatte überzeugen können, die venia legendi für Allgemeine Botanik unter besonderer Berücksichtigung der Mikrobiologie verliehen.761 Strugger beließ ihn danach weiter auf der Assistentenstelle, bis eine Diätendozentur für ihn zur Verfügung stehen sollte.762 Auf diesem Posten verblieb Hagedorn auch über den Tod des Ordinarius hinaus. Am 23. September 1963 wurde ihm schließlich eine Diätendozentur übertragen.763 In der Folge erklomm der Mikrobiologe die Karriereleiter über dieselben Sprossen wie sein Kollege Kaja. Am 30. September 1967 wurde er zum außerplanmäßigen Professor ernannt.764 Ein halbes Jahr später folgte die Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat und Professor,765 erneute zwei Jahre später diejenige zum Wissenschaftlichen Abteilungsvorsteher und Professor.766 Gleichzeitig übernahm Hagedorn die neu eingerichtete Abteilung für Ökologie und Physiologie der niederen Pflanzen.767 Wie seinen bereits genannten Kollegen wurde auch ihm zum 1. Januar 1980 die Amtsbezeichnung „Professor“, sieben Jahre später die als „Universitätsprofessor“ verliehen.768 Zum 1. April 1987 trat Hagedorn in den Ruhestand.769 Auch nach sei-

758 759 760 761 762 763 764 765 766 767 768 769

UAMs, Bestand 8, Nr. 13797, Bd. 1, Strugger an Kurator, 14.12.1957. Ebd., Strugger an Kurator, 16.2.1960. UAMs, Bestand 91, Nr. 22. UAMs, Bestand 8, Nr. 13797, Bd. 1, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 1.8.1961. Ebd., Strugger an Kultusministerium NRW, 7.11.1961. Ebd., Ernennungsurkunde, 23.9.1963. UAMs, Bestand 8, Nr. 13797, Bd. 2, Ernennungsurkunde, 30.9.1967. Ebd., Ernennungsurkunde, 7.5.1968. Ebd., Ernennungsurkunde, 25.5.1970. Ebd., Ernennungsurkunde, 25.5.1970. Ebd., Vermerk, 1.1.1980, bzw. 1.1.1987. Ebd., Wissenschaftsminister NRW an Hagedorn, 24.1.1987.

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ner Pensionierung behielt er seinen Lehrauftrag für Mikrobiologie für Mediziner bis 1990 bei.770 Hagedorn verstarb am 1. März 2003 in Münster.771 Abschließend sollen noch die Karrieren der weiteren Lehrstuhlmitarbeiter in den Vordergrund gerückt und analysiert werden. Schratz’ Rolle wurde bereits im Exkurs zur Pharmakognosie erläutert. Ebenso ist auf Heilbronn bereits an anderer Stelle eingegangen worden. Neben ihnen war aber noch eine Reihe weiterer Mitarbeiter, teilweise nur für eine kurze Zeit, am Institut beschäftigt. Auch wenn sie oft keinen Einfluss mehr auf die strukturelle wie forschungsimmanente Entwicklung des Instituts nahmen, so wäre eine Darstellung der Institutsgeschichte ohne ihre Berücksichtigung unvollständig. Darüber hinaus lassen ihr Werdegang, ihre wissenschaftliche Ausrichtung und die Umstände ihrer Einstellung weitere Rückschlüsse auf die Entwicklung des Instituts in den letzten Jahren unter Struggers Leitung zu. Auf der dritten Assistentenstelle wechselten in den Jahren bis zum Ende des Untersuchungszeitraums mehrfach die Mitarbeiter. Burghardt, erst Ende 1955 eingestellt, ging bereits zum 1. Februar 1956 an die Biologische Bundesanstalt Braunschweig. Strugger besetzte daraufhin bis zum 31. März 1956 die gesamte Stelle mit Kamra.772 Nach dessen Ausscheiden übernahm zum 1. August 1958 Lothar Schmidt den Posten.773 Das Botanische Institut war zu diesem Zeitpunkt mit etwa 800 Studenten völlig überfüllt, so dass Struggers Mitarbeiter zur Betreuung nicht mehr ausreichten und selbst Doktoranden ehrenamtlich zur Mitarbeit in Praktika eingesetzt wurden.774 Da dem Ordinarius Gelder aus Atomforschungsmitteln775 zur Verfügung gestellt wurden, konnte er Schmidt zum 1. August 1958 als Assistenten einstellen.776 Zum 1. Oktober 1959 wechselte Schmidt dann kurzfristig auf eine Planstelle als Assistent

770 771 772 773

774 775 776

Ebd., Dekan an Rektor, 19.11.1987. Rektor der Universität Münster (Hg.), Jahresbericht 2003, Ehrentafel. UAMs, Bestand 10, Nr. 1146, Strugger an Kurator, 31.1.1956. Schmidt wurde am 6.5.1927 in Wiesbaden als Sohn des Studienassessors Johann Karl Schmidt geboren. Nach dem Besuch der Volksschule Ochtrup von 1933 bis 1937 wechselte er auf die Mittelschule Borghorst. 1941 ging Schmidt auf die Graf-Arnold-Oberschule für Jungen in Burgsteinfurt und wurde 1943 zum Arbeitsdienst und danach zur Wehrmacht eingezogen. Er geriet im April 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde aber bereits im Mai 1945 als Jugendlicher entlassen. Danach absolvierte er eine landwirtschaftliche Ausbildung und bestand im März 1948 die Landwirtschaftliche Gehilfenprüfung. 1949 nahm er zunächst in Gießen ein Studium der Landwirtschaft auf, wechselte aber schon ein Jahr später nach Münster, wo er sich für Biologie und Chemie immatrikulierte. Am 20.2.1957 wurde er auf Basis der bei Baumeister angefertigten Dissertation „Beiträge zum Problem der Ersetzbarkeit des Kaliums durch das Natrium im Nähmedium höherer Pflanzen“ promoviert. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 6208, Promotionsurkunde, 20.2.1957; ebd., Lebenslauf, 22.5.1958. Ebd., Strugger an Kurator, 14.5.1958. Ebd., Strugger an Kurator, 11.9.1958. Ebd., Dienstvertrag, 2.10.1958.

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an das Botanische Institut der TH Aachen.777 Von dort kehrte er jedoch bereits nach drei Monaten wieder zurück und arbeitete ab dem 1. Januar 1960 wieder an der Universität Münster.778 Zum 1. Januar 1961 wechselte er schließlich an die Kernforschungsanlage Jülich.779 Als Ersatz für Schmidt hatte Strugger bereits zum 1. September Hartmut Kern eingestellt.780 Dieser jedoch lediglich zwei Jahre am Institut. Am 1. September 1961 übernahm er eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am ebenfalls von Strugger geleiteten Institut für Biologie der Kernforschungsanlage Jülich.781 Neben den genannten Mitarbeitern war weiterhin Perner am Institut beschäftigt. Er hatte, wie bereits erwähnt, Ende 1955 eine Diätendozentur erhalten. Auch seine Karriere an der Universität Münster war jedoch nur noch von kurzer Dauer. Am 1. Juli 1958 erhielt er einen Ruf an den außerordentlichen Lehrstuhl für Botanik der Tierärztlichen Hochschule Hannover.782 Anfang September des Jahres beantragte er die Beurlaubung von seinen Dienstverpflichtungen, um seine Aufgaben frühzeitig übernehmen zu können. Sowohl Strugger als auch der Rektor befürworteten beziehungsweise genehmigten seinen Antrag.783 Perner verließ daraufhin Münster und übernahm in Hannover den Posten des Direktors des Botanischen Instituts.784 777 778 779 780

781

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Ebd., Strugger an Kurator, 19.9.1959. Ebd., Rektor Aachen an Kurator der Universität Münster, 26.1.1960, bzw. Strugger an Kurator, 14.12.1959. UAMs, Bestand 10, Nr. 6208, Baumeister an Kurator, 12.12.1960. Kern wurde am 6.2.1929 in Reußendorf in Niederschlesien als Sohn des Volksschullehrers Emanuel Kern geboren. Von 1939 bis 1944 besuchte er die Bergland-Oberschule Waldenburg, ehe er zu Schanzarbeiten und schließlich zum Volkssturm einberufen wurde. 1946 wurde er mit seiner Familie nach Westdeutschland ausgewiesen. Von 1946 bis 1950 besuchte Kern daraufhin die Helmholtz-Oberschule in Bielefeld, wo er im März 1950 seine Reifeprüfung ablegte. Danach studierte er Botanik, Zoologie und Chemie an der Universität Münster. Am 25.7.1956 wurde Kern auf Basis einer Arbeit „Über das Vorkommen von Nucleinsäuren in isolierten Chloroplasten“ mit magna cum laude promoviert. Ab August desselben Jahres war er dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-PlanckInstitut für Züchtungsforschung in Köln-Vogelsang beschäftigt. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3503, Lebenslauf, undatiert; UAMs, Bestand 10, Nr. 3503, Promotionsurkunde, 25.7.1956; ebd., Lebenslauf, undatiert. 1966 habilitierte sich Kern an der TU Hannover und stieg dort 1974 zum außerplanmäßigen Professor auf. 1981 war er Professor am Institut für Biotechnologie in Jülich. Er lebt heute in Jülich. Siehe: UAMs, Bestand 10, Nr. 3503, Kern an Kurator, 16.6.1961; ebd., Kern an Kurator, 23.3.1981; Kürschner 1992. UAMs, Bestand 5, Nr. 348, Perner an Kultusministerium, 10.9.1958. Ebd., Perner an Kultusministerium, Perner an Kultusministerium NRW, 10.9.1958. Als das Institut vier Jahre später zum Ordinariat umgewandelt wurde, stieg er zum ordentlichen Professor auf. In der Folgezeit konnte Perner seine unter Strugger gewonnenen Erfahrungen gewinnbringend beim Ausbau seines Instituts einsetzen, und in seinen Arbeitsschwerpunkten war auch weiterhin die Handschrift seines Lehrers deutlich zu erkennen. So schaffte er in Hannover moderne Elektronenmikroskope an und gründete eine fachübergreifende Arbeitsgemeinschaft für Elektronenmikroskopie. In seiner wissenschaftlichen Arbeit kombinierte Perner die Strukturforschung mit stoffwechselphysio-

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Um die Lücke, die durch seinen Weggang entstand, zu füllen, wurde mit Armin Resch ein neuer Dozent am Institut eingestellt. Mit seinen Forschungsschwerpunkten Cytologie, Zellkernforschung und Entwicklungsgeschichte konnte Resch die Aufgaben seines Vorgängers problemlos übernehmen.785 Bis zum Ende des Untersuchungszeitraums bot er daher die Seminare an, die auch schon Perner geleitet hatte.786 Auch hier setzte Strugger also auf Kontinuität. Anfang 1964 wechselte Resch als Wissenschaftlicher Rat an das Botanische Institut der TH Darmstadt.787 Er starb am 10. Oktober 1970 am selben Ort.788 Pläne, das Botanische Institut zu verlassen, hatte neben Perner auch Kustos Baumeister. Ihm bot sich 1957 die Möglichkeit, eine lukrative Stelle in der Industrie zu übernehmen. Mitte August des Jahres lag dem Botaniker ein unterschriftsreifer Vertrag mit der Ruhr-Stickstoff-Aktiengesellschaft, einem großen Düngemittelproduzenten, vor. Hier hätte der Ernährungsphysiologe seine lange wissenschaftliche Erfahrung auf diesem Forschungsfeld zur praktischen Anwendung bringen können. Baumeister sollte zum 1. August 1958 Aufbau und Leitung der Versuchsstation „Hanninghof“ übernehmen, wobei seine hauptamtliche Lehrtätigkeit an der Universität Münster deshalb kurzfristig zum Ende des Sommersemesters 1958 abgewickelt worden wäre. Dennoch hätte ihm die Fakultät auch danach noch die Möglichkeit gegeben, im beschränkten Umfang von ein bis zwei Stunden Vorlesungen zu halten.789 Aus nicht in den Akten überlieferten Gründen zerschlugen sich diese Pläne aber. Baumeister verblieb am Botanischen Institut. Ende September 1960 beantragte Strugger beim Dekan, ihm eine Wissenschaftliche Ratsstelle zu übertragen. Dieses Mal argumentierte der Ordinarius zwar auch mit der wissenschaftlichen Qualität seines Kustos: so habe Baumeister durch die Publikation mehrerer Fachbücher auf dem Gebiet der Mineralsalzernährung der Pflanzen auch international Anerkennung gefunden. Der Hauptgrund war jedoch ein anderer: Struggers angeschlagener Gesundheitszustand.790 Es ist anzunehmen, dass die Krebserkrankung, die ihn später das Leben kosten sollte, in diesem Zeitraum erstmals auftrat. So belegen weitere Akten, dass der Ordinarius in der zweiten Jahreshälfte 1960 eine längere Zeit dienstunfähig war. Da Baumeister die einzige Kustodenstelle des Instituts inne

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logisch-biochemischen Methoden und konnte so unter anderem neue Erkenntnisse über den Photosyntheseapparat gewinnen. Anfang der 1970er-Jahre wurde er Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft und organisierte 1972 die Botaniker-Tagung in Hannover. Perner starb am 26.10.1974 nach schwerer Krankheit in Hannover. Siehe: UAMs, Bestand 5, Nr. 348, Perner an Kultusministerium, 12.12.1958; Läuchli 1978; Kürschner 1976. UAMs, Bestand 5, Nr. 345, Personalbogen, undatiert. Vgl. Vorlesungsverzeichnisse 1959–1962. UAMs, Bestand 10, Nr. 1146, Resch an Kurator, 24.1.1964. Kürschner 1980. UAMs, Bestand 92, Nr. 176, Vertrag, 19.8.1957. Ebd., Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 28.9.1960.

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habe, Strugger ihn jedoch wie einen Wissenschaftlichen Rat behandeln müsse und er ihm deshalb nur wenig bei der Arbeit helfen könne, solle seine Stelle an eine jüngere Kraft (Kaja) übertragen und Baumeister befördert werden.791 Am 10. Januar 1961 beantragte daraufhin der Rektor beim Kultusministerium NRW die Besetzung einer neuen Planstelle mit Baumeister.792 Am 18. April des Jahres wurde der Botaniker schließlich rückwirkend zum 18. Januar 1961 zum Wissenschaftlichen Rat ernannt. Auch Baumeister blieb über den Tod Struggers hinaus in Münster tätig. Am 7. Mai 1964 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.793 Als kurze Zeit später der außerordentliche Lehrstuhl für Botanik in „Extraordinariat für Angewandte Botanik“ umbenannt wurde, rückte er zu dessen Inhaber auf.794 1968 wurde das Extraordinariat schließlich in ein eigenes Institut umstrukturiert und Baumeister als dessen Direktor und Ordinarius berufen.795 Der Ernährungsphysiologe wurde schließlich 1980 emeritiert, blieb jedoch auch danach vorerst als seine eigene Vertretung im Amt.796 Baumeister starb am 25. August 1982.797 Neben den fest angestellten Mitarbeitern blieben auch die externen Lehrbeauftragten bis zum Ende des Untersuchungszeitraums am Botanischen Institut tätig. Eifrig stieg nach 1956 noch zum Oberlandwirtschaftsrat auf.798 Sein Lehrauftrag wurde mehrmals verlängert, so dass er bis über das Ende des Untersuchungszeitraums hinaus am Institut verblieb.799 Ähnlich verfuhr die Fakultät mit Heddergott.800 Auch Burrichter blieb dem Institut noch eine längere Zeit erhalten. Am 791

UAMs, Bestand 91, Nr. 52, Strugger an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 14.11.1960. 792 UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Rektor an Kultusministerium NRW, 10.1.1961. 793 UAMs, Bestand 92, Nr. 176, Ernennungsurkunde, 7.5.1964. 794 Ebd., Kultusministerium NRW an Rektor, 29.6.1964, bzw. Vermerk, 9.6.1964. 795 Ebd., Ernennungsurkunde, 18.3.1968 796 UAMs, Bestand 207, Nr. 365, Zeitungsausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 4.8.1980, bzw. 7.7.1982. 797 Ebd., Todesanzeige, 26.8.1982. 798 UAMS, Bestand 10, Nr. 1618, Kultusministerium NRW an Kurator, 3.6.1960. 799 Ebd., diverse Verlängerungsschreiben. 800 Seine Vorlesungen wurden in den Jahren nach seiner erstmaligen Anstellung gut besucht. Ebenso betreute er mehrere Doktoranden und veröffentlichte weitere wissenschaftliche Arbeiten. Daneben war er weiterhin als Regierungsberater im Ausland tätig, so 1956 in Ägypten und 1958 im Sudan. Aufgrund seiner wichtigen Arbeit für das Institut beantragte der Dekan Anfang Juni 1959 Heddergotts Ernennung zum Honorarprofessor. Durch diesen Schritt, so der Dekan, wäre das wichtige Gebiet der Phytopathologie am Institut derart vertreten, dass davon abgesehen werden könne, die Errichtung eines entsprechenden Extraordinariats anzustreben. Am 10.7.1959 wurde Heddergott daraufhin zum Honorarprofessor ernannt. Im selben Jahr wurde er zum Oberlandwirtschaftsrat befördert. Der Schädlingsexperte blieb danach an der Universität Münster, stieg aber auch außerhalb der Universität weiter auf. 1964 übernahm er die Leitung des Pflanzenschutzamts der Landwirtschaftskammer Westfalen-Lippe, 1967 zusätzlich die Leitung der Anstalt für Bienenzucht. 1969 wurde sein unbesoldeter in einen besoldeten zweistündigen Lehrauftrag umgewandelt, ein Jahr später wurde er zum Landwirtschaftsdirektor befördert. Heddergott

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21.  Juni 1961 wurde er als Nachfolger Baumeisters zum Kustos ernannt.801 Der Pflanzengeograph blieb auch in den Jahren danach seinem Spezialgebiet treu und habilitierte sich im Juli 1969 auf Basis einer Arbeit über „Das Zwillbrocker Venn, Westmünsterland, in moor- und vegetationskundlicher Sicht“802 für Geobotanik.803 Am 14. Oktober 1970 wurde er zum Studienprofessor ernannt.804 Burrichter verstarb am 9. November 2003.805 Betrachtet man die Personalentwicklung während des Ordinariats Strugger daher abschließend in der Gesamtschau, so ist sie von der gleichen Synthese von Kontinuität und Neuanfang geprägt, die auch die forschungsimmanente Entwicklung des Botanischen Instituts zwischen 1948 und 1962 ausmachten. Auf der einen Seite blieben langjährige Mitarbeiter wie Schratz und Baumeister am Lehrstuhl angestellt. Sie sorgten dafür, dass bereits über Jahrzehnte am Institut etablierte Bereiche wie die Pharmakognosie und die pflanzliche Ernährungsphysiologie auch weiterhin in Forschung und Lehre vertreten waren, obwohl sich die Schwerpunkte des aktuellen Ordinarius gegenüber seinen Vorgängern verschoben hatten. Ebenso standen sie, zusammen mit Budde, für eine über den Systembruch 1945 hinausgehende Kontinuität von aktiven Nationalsozialisten am Institut, deren Karrieren durch das Ende des „Dritten Reiches“ nicht nur nicht unterbrochen worden waren, sondern nach Kriegsende erst zur vollen Blüte kamen. Diesen Forschern stand auf der anderen Seite eine neue Generation von Botanikern gegenüber, die zwar ihre Kindheit und Jugend in der Diktatur verbracht, ihr Studium jedoch erst nach dem Krieg abgeschlossen hatten. Kaja, Hagedorn und Perner wurden wissenschaftlich erst unter Strugger sozialisiert und richteten ihre Forschungsinhalte folglich an denen ihres akademischen Lehrers aus. Sie standen für den Neuanfang am Institut: neue Untersuchungsfelder, neue Methoden, moderne Werkzeuge. Strugger verstand es dabei geschickt, diese beiden Entwicklungsstränge miteinander zu kombinieren, noch vorhandene Lücken zusätzlich mit externen Lehrbeauftragten zu ergänzen und dem Institut damit eine Vielseitigkeit in Inhalten wie Ansätzen zu verleihen, die es in den Jahrzehnten davor nicht besessen hatte. Struggers bleibendes Verdienst ist es, der Münsterschen Botanik durch Evo-

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blieb schließlich bis 1978 am Botanischen Institut tätig. Im selben Jahr wurde er auch bei der Landwirtschaftskammer pensioniert. Der Schädlingsexperte verstarb am 19.8.2002 im Alter von 89 Jahren. Siehe: UAMs, Bestand 8, Nr. 9976, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 3.6.1959; ebd., Ernennungsurkunde, 10.7.1959; ebd., Kurator an Quästor der Universität Münster, 24.7.1959; ebd., Kurator an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 26.3.1969; ebd., Vermerk, 2.10.1970; Nachruf auf Heddergott, in: Gesunde Pflanzen 55 (2003), S. 52. UAMs, Bestand 92, Nr. 184, Bd. 1, Kurator an Dekan, 3.7.1961. Ebd., Gutachten Baumeisters über Burrichters Habilitationsschrift, 2.4.1969. Ebd., Habilitationsurkunde, 9.7.1969. Ebd., Kanzler an Dekan, 30.10.1970. Pott, Richard, Allgemeine Geobotanik. Biogeosysteme und Biodiversität, Berlin, Heidelberg New York 2005, Widmung.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

lution, nicht Revolution, in den 1950er-Jahren eine gute Ausgangsposition für die in den 1960er-Jahren einsetzende rasche inhaltlich Differenzierung und strukturelle Ausweitung des Fachs verschafft zu haben. Ein abschließender Blick auf die strukturelle Entwicklung des Botanischen Instituts in den späten 1950er und frühen 1960er-Jahren offenbart, dass Strugger die Früchte seiner Anstrengungen um den Ausbau des Fachs nicht mehr selbst ernten konnte. Im Januar 1961 beantragte die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät sowohl für die Zoologie als auch für die Botanik weitere Extraordinariate.806 Ende Juli hielt man fest, dass eine Erweiterung des Botanischen Instituts dringend notwendig sei. Für die Zukunft formulierte man daher mehrere Fernziele. So sollte ein eigenes Institut für Mikrobiologie eingerichtet werden, danach zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt ein Institut für Pflanzenphysiologie. Ebenso wollte man die Genetik verselbständigen. Hierbei war jedoch noch nicht klar, ob ein entsprechendes Institut eine zoologische oder eine botanische Ausrichtung erhalten sollte.807 Einige Monate später konkretisierte die Fakultät dann die Planungen. Für den Haushaltsplan für 1962808 wurde das Extraordinariat für Botanik, für denjenigen für 1963809 das Extraordinariat für Mikrobiologie beantragt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Gesundheitszustand Struggers jedoch schon sehr weit verschlechtert. Sein Kollege Rensch, der ihm Anfang Dezember einen Krankenbesuch abstattete, notierte in seinem Tagebuch: „Strugger besucht. Hoffnungslos. Metastasen in der Schulter, entstellt. Aber immer noch recht optimistisch. (Aber wenige Tage später gab er wohl alle Hoffnungen auf). Grausames, langsames Abwürgen.“810

Kurz darauf, am 11. Dezember 1961, starb Strugger im Alter von nur 55 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung.811 Der Ordinarius wurde unter großer Anteilnahme der Universitätsmitglieder und im Beisein zahlreicher Trauergäste beerdigt.812 Seine herausragende Stellung in der Forschergemeinschaft spiegelte sich über seinen Tod hinaus in den Ehrerweisungen, die ihm von vielen Seiten zukamen, wider. So betonten die „Westfälischen Nachrichten“ in einem Artikel vor allem sein hohes Ansehen in der internationalen Gelehrtenwelt, seine großen Erfolge in der Fluoreszenzmikroskopie (die differenzierte Anfärbung pflanzlicher Zellen wurde nach ihm als Strugger-Effekt benannt)813 und seine Gewandtheit bei der Wissens806 807 808 809 810 811 812 813

UAMs, Bestand 91, Nr. 22, Protokoll vom 25.1.1961. Ebd., Protokoll vom 21.7.1961. Ebd., Protokoll vom 10.11.1962. Ebd., Protokoll vom 24.11.1961. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 3.12.1961. Ebd., TBE 26.12.1961. UAMs, Bestand 10, Nr.  3822, Zeitungsausschnitt aus „Münsterischer Anzeiger“, 16.12.1961. UAMs, Bestand 92, Nr. 28, Trauerrede des Dekans Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, undatiert.

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vermittlung an Laien.814 Die Universität Münster nannte in ihrer Traueranzeige seine führenden Tätigkeiten im Hochschulverband, der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW und der DFG. Außerdem unterstrich sie, dass er über sein engeres Fachgebiet hinaus die deutsche Wissenschaft allgemein gefördert habe.815 Auch in seiner österreichischen Heimat wurde ihm gedacht. Der Gemeinderat seines Geburtsorts Völkermarkt hielt am 30. Juni 1962 eine feierliche Gedenksitzung zu seinen Ehren ab und beschloss, unter anderem eine Straße nach Strugger zu benennen, eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus anzubringen und ein Stipendium in seinem Namen einzurichten.816 Wie weit Struggers Arbeiten aber über seinen Tod tatsächlich weiterwirkten, macht eine Pressenotiz anlässlich seines 30. Todestages vom 11. November 1991 deutlich. Sie führte aus, dass Strugger wesentliche Grundlagen für die moderne Zellphysiologie und Zellbiologie mit geschaffen habe. Seine Entwicklung einer Reihe von optischen Methoden habe für die Zell- und Gewebephysiologie große Bedeutung gewonnen und wirke bis in die 1990er-Jahre nach, denn: „Gerade die von ihm entschieden mitentwickelte Fluoreszenzmikroskopie erfährt in neuester Zeit in Verbindung mit moderner Computer- und Lasertechnik einen großen Aufschwung und ist aus der Zellphysiologie nicht mehr wegzudenken.“817

Nur wenige Nachrufe gingen dabei auch auf seine wissenschaftlichen Irrtümer ein. So hatte er in den Anfangstagen der Elektronenmikroskopie in Münster voreilig die Ribosomen für Schnittbilder schraubiger Gebilde, der hypothetischen „Cytonemata“, gehalten. Langfristige Folgen für seinen Ruf oder die Wissenschaft im Allgemeinen hatte dieser Fehler jedoch nicht gehabt.818 Mit Strugger verlor das Botanische Institut somit nicht nur einen geschickten Organisator und einen Wissenschaftler von internationalem Ruf, sondern auch jemanden, der die Münstersche Botanik nach dem Zweiten Weltkrieg durch seine Aktivitäten wieder mit der westlichen Forschergemeinschaft vernetzt hatte. Da sein Tod demnach eine tiefe Lücke im Institut riss, waren die Verantwortlichen umgehend darum bemüht, für Stabilität zu sorgen.

814 UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Zeitungsausschnitt aus „Westfälische Nachrichten“, 13.12.1961. 815 Ebd., Todesanzeige der Universität Münster, 12.12.1961. 816 UAMs, Bestand 207, Nr. 574, Bürgermeister von Völkermarkt an Rektor, 20.7.1962. 817 Ebd., Pressenotiz, 11.11.1991. 818 Höfer, Karl, Siegfried Strugger, in: Verhandlungen der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien, Sonderdruck aus Band 101 und 102 (1962), S. 7–9.

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III.  Das Botanische Institut der Westfälischen Wilhelms-Universität

6.  Das Botanische Institut nach 1962 Mit Struggers Tod übernahm der inzwischen 23 Jahre am Institut beschäftigte Baumeister im Dezember 1961 vorläufig die Amtsgeschäfte des Direktors. Um Kontinuität zu gewährleisten, beantragte der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät am 13. Januar 1962 beim Kultusministerium NRW, ihn auch für den Rest des laufenden Wintersemesters als Vertretung des Lehrstuhls zu belassen.819 Das Ministerium entsprach der Bitte und beauftragte Baumeister damit, bis zur Neubesetzung des Lehrstuhls im Amt zu bleiben.820 Die Planungen hierzu liefen aber nicht so reibungslos ab wie gewünscht. Zwar gabe es im Juli 1962 Verhandlungen mit dem Marbuger Botaniker Horst Drawert,821 diese zerschlugen sich jedoch, so dass die Vertretung durch Baumeister schließlich mehrmals bis zum Juli 1963 verlängert werden musste.822 Mit der Berufung von Struggers Nachfolger Hans Reznik wurde 1963 schließlich auch der bereits begonnene Generationenwechsel am Institut auf höchster Ebene abgeschlossen. Hans Reznik, geboren am 17. November 1922 in Iglau (Tschechoslowakei), hatte sich 1956 in Heidelberg habilitiert und 1960 eine Dozentur erhalten. 1961 war er außerplanmäßiger Professor, ein Jahr später Professor Associate in Grenoble geworden. Mit seinen Forschungsschwerpunkten Stoffwechselphysiologie der Pflanzen, Biochemie der Sekundärstoffe und Chemotaxonomie823 verband er wie Strugger die Traditionen des Münsterschen Botanischen Instituts mit moderner Methodik. Unter seiner Leitung erlebte die Botanik, wie schon ihre Schwesterdisziplin Zoologie unter Rensch und Bier, in den Jahren nach Struggers Tod eine weitere Ausdifferenzierung und Spezialisierung. Das Personal, das unter Strugger und teils schon unter Mevius angestellt worden war, prägte diese Entwicklung auch in den 1960er-, teilweise sogar bis in die 1970er-Jahre entscheidend mit. Somit ist auch für das Botanische Institut eine Mischung aus Kontinuität und Fortschritt festzuhalten, welche seit den 1920er-Jahren ein Merkmal der Biologie in Münster insgesamt gewesen war. Eine Analyse dessen, wie sich die weitere Ausgestaltung von Ressourcenensembles, der Personalausstattung der Botanik und der organisatorischen Struktur des Institut in den Jahren nach Strugger entwickelte, wird aber auch hier, wie schon in der Zoologie, aus denselben Gründen Aufgabe zukünftiger Forschung sein müssen.

819 820 821 822 823

UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 13.1.1962. Ebd., Kultusministerium an Rektor, 21.2.1962. Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium NRW, 20.7.1962. UAMs, Bestand 92, Nr. 176, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kurator, 12.7.1963. Kürschner 1966.

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive Ein auf den ersten Blick überraschendes Merkmal der Geschichte der biologischen Institute der Universität Münster zwischen den 1920er- und 1960er-Jahren ist die sehr geringe wechselseitige Beeinflussung und Zusammenarbeit zwischen ­Zoologie und Botanik. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, die zudem besser durch freundschaftliche Beziehungen zwischen den beteiligten Forschern als durch fachliche Notwendigkeiten zu erklären sind, entwickelten sich die beiden Institute weitestge­ hend autonom voneinander und agierten auch gegenüber den universitären wie po­ litischen Entscheidungsträgern nur selten in Absprache miteinander. Obwohl ihre Geschichte durch ähnliche Problematiken wie zum Beispiel die Finanz- und Raumnot gekennzeichnet waren, nutzten die Ordinarien die Möglichkeiten gebündelter Kräfte nur selten, und wenn sie dies taten, so normalerweise in über die Universität hinausgehenden Initiativen auf nationaler Ebene und nicht im universitären Alltag. Es ist anzunehmen, dass diese Autonomie neben den generellen Verfahrensabläufen innerhalb einer autoritär geprägten Ordinarienuniversität zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf die zu Beginn der Untersuchung erwähnte ungewöhnliche Entstehungsgeschichte der modernen universitären Biologie zurückzuführen ist. Diese hatte sich Ende des 19. Jahrhunderts ohne Zwischenschritte in einem umgekehrtem Ausdifferenzierungsprozess direkt in Zoologie und Botanik aufgespalten und Bemühungen zur Etablierung einer „Allgemeinen Biologie“ ins Leere laufen lassen. Trotz dieses auffälligen Mangels an Kooperation werden bei näherer Betrachtung der Entwicklung der beiden Institute nicht nur strukturelle Ähnlichkeiten in den Institutionen, sondern auch wiederkehrende Verhaltensmuster und gemeinsame Elemente bei den Karrieren der Wissenschaftler, dem Wechselverhältnis zwischen ihnen und den beteiligten politischen Funktionsträger sowie dem Wissenschaftswandel deutlich. Sie weisen auf tieferliegende, die Fächergrenzen überschreitende gemeinsame Kontinuitätslinien im Verhalten von Wissenschaftlern und Politikern zwischen Diktatur und Demokratie hin. Erste Vergleiche mit anderen Universitätsinstituten deuten darüber hinaus darauf hin, dass Ähnliches auch für die nichtbiologischen Fächer konstatiert werden kann.1 Eines der Merkmale, die dabei deutlich werden, ist die individuelle Verantwortung zahlreicher Münsterscher Biologen für die Unterstützung und Legitimierung des NS-Systems. Anders als nach dem Krieg regelmäßig behauptet waren es nicht die äußeren Umstände, die die jeweiligen Protagonisten zu ihren Taten trieben. Stattdessen fällten sie als selbständig handelnde Akteure ihre eigenen Entscheidungen, welche sie zu Unterstützern und Nutznießern der Unrechtstaten und Verbrechen des Regimes werden ließen. 1

Weitere Ergebnisse hierzu wird der für 2012 geplante Sammelband zur Aufarbeitung der Geschichte der Universität Münster im 20. Jahrhundert liefern: Thamer/Droste/Happ 2012 (in Vorbereitung).

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive

Der letzte Abschnitt dieser Arbeit stellt daher die Analyse der für beide Institute gemeinsamen Elemente abseits von Struktur- und Ereignisgeschichte in den Mittelpunkt. Nach thematischen Gesichtspunkten geordnet werden sie in einem diachronen Ansatz vorgestellt und verglichen. Werkzeug hierzu ist Ashs Modell der wechselseitigen Ressourcenmobilisierung. Damit soll abschließend eine gemeinsame Klammer für die beiden biologischen Institute der Universität Münster gefunden werden.

1.  Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger Wie bereits in den Abschnitten dieser Untersuchung deutlich wurde, die sich vorrangig mit der Struktur- und Ereignisgeschichte der biologischen Institute befasst, stellten direkte Eingriffe der politischen Entscheidungsträger in die Ausgestaltung des universitären Betriebes Ausnahmefälle dar. Eklatantestes Beispiel ist hierbei sicherlich die „Säuberung“ der deutschen Universitäten ab dem Frühjahr 1933 durch das BBG, der Juden und politisch missliebige Professoren zum Opfer fielen. Sie ist jedoch im Kontext einer generellen Abrechnung der Nationalsozialisten mit ihren Gegnern in der gesamten staatlichen Verwaltung und in staatlichen Einrichtungen zu sehen und war daher nicht explizit auf die Hochschulen gerichtet. Über diesen Vorgang hinausgehende direkte Einflussnahme durch die Politik, sei es im Hinblick auf Forschungsschwerpunkte oder Personalentscheidungen, sind davor und danach nur vereinzelt festzustellen. An prominentester Stelle ist hierbei die Installation Webers als Ordinarius für Zoologie 1936 zu nennen, wobei betont werden muss, dass diese zwar auf Anregung des REM hin, jedoch keineswegs ohne Unterstützung oder gar gegen den Willen der Universität erfolgte. Von einer „Generallinie“2 der NS-Politik, die die Biologen einzuhalten hatten, oder wirksamen ideologisch motivierten Eingriffen in die Wissenschaftsfreiheit, wie es nach dem Krieg in oftmals apologetischer Stoßrichtung postuliert wurde, ist demnach in Münster nichts zu bemerken. Stattdessen finden sich sowohl in der Weimarer Republik wie auch im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik Einmischungsversuche, welche im Normalfall wirkungslos blieben und am Beharren der Universität auf akademische Selbstbestimmung abprallten. Sie werden im Folgenden dargestellt und miteinander in Beziehung gesetzt. Ein erstes Beispiel hierfür sind die Bemühungen Feuerborns, während der 1920er-Jahre eine Umwandlung seiner Vertretungsstelle in ein Ordinariat zu erreichen. Während zwar aus den Quellen offensichtlich wird, dass Feuerborn, trotz aller Sympathie, innerhalb der Führungsriege der Universität keinen Zuspruch für seine hochgesteckten beruflichen Absichten fand, war er dennoch nicht gänzlich ohne 2

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1037–BVI, Nr. 1625, Urteil, 12.3.1948.

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1.  Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger

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Unterstützung geblieben. In der lokalen Politik hatte er durch seine heimatkundlichen Tätigkeiten prominente Förderer gefunden, und die Entwicklungen am Zoologischen Institut und die bevorstehende Neubesetzung 1927 waren dem Oberbürgermeister von Münster, Georg Sperlich (Zentrum), nicht verborgen geblieben. Am 11. Dezember 1926 nahm er mit seinem Parteifreund Aloys Lammers Kontakt auf. Lammers war seit 1921 Leiter der Hochschulabteilung im Preußischen Wissenschaftsministerium und seit 1925 dort Staatssekretär.3 In seinem Brief wies Sperlich darauf hin, dass er Lammers schon bei dessen Besichtigung der neuen Kliniken in Münster darum gebeten hatte, Feuerborn bei der Neubesetzung des Ordinariats zu unterstützen. Da diese nun anstünde, bitte er ihn nochmals darum, seinen Einfluss für ihn geltend zu machen, da Feuerborn nun bereits schon seit vier Jahren den Lehrstuhl vertreten habe und seine Übergehung als unbillig empfinden würde.4 Eine Antwort des Staatssekretärs ist in den Akten nicht überliefert. So muss offen bleiben, ob er sich der Bitte verschloss oder versuchte, von politischer Seite in den Berufungsprozess einzugreifen. Nachdem Feuerborn schließlich im Rennen um das Ordinariat gescheitert war, kam es im Frühjahr 1927 nochmals zu einer versuchten politischen Einflussnahme. Albert Lauscher, Mitglied des preußischen Landtages (Zentrum) und Professor für Theologie an der Universität Bonn,5 hatte offenbar heftige Kritik an der Berufungspraxis der Fakultät geübt, gegen die sich im Gegenzug der Dekan entschieden verwahrt und die Nichtberücksichtigung Feuerborns mit ungünstigen Aussagen über dessen wissenschaftliche Qualifikation begründet hatte. Lauscher ruderte daraufhin zurück und gab nur noch seiner Verwunderung Ausdruck, dass bei der Besetzung von drei zoologischen Ordinarien in Preußen nicht ein einziger Katholik vorgeschlagen worden sei.6 Einen Einfluss auf das weitere Geschehen hatte aber auch diese Episode nicht. Deutlich wird also, dass auch in der Weimarer Demokratie politische Einflussnahmen auf hochschulinterne Vorgänge der Universität Münster vorkamen, wenngleich ihnen auch die letzte Konsequenz fehlte. Die Universität behielt sich das letzte Wort vor. Gleichzeitig zeigt sich, insbesondere auf die spätere Mobilisierung von NS-Ressourcen durch Feuerborn, dass der Zoologe keinerlei Probleme damit hatte, sich zunächst dem katholischen Lager anzubiedern, nur um 1933 schlagartig seine alten Kontakte abzubrechen und zu den Nationalsozialisten überzulaufen. Seine neuen Unterstützer sollten dann auch 1935 zu seinen Gunsten in der Auseinandersetzung um die Nachfolge von Ubischs intervenieren, als Feuerborn Ge3 4 5 6

Kurzbiographie zu Lammers, Aloys, in: ›Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik‹ online; URL: http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919–1933/0011/adr/­ adrhl/ kap1_5/para2_12.html, Zugriff: 27.4.2009. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 Bd. XVI, Oberbürgermeister von Münster an Lammers, 11.12.1926. Kurzbiographie zu Lauscher, s. Fn. 1962. GStA PK, I. HA Rep 76 Va, Sektion 13, Titel IV, Nr. 3 Bd. XVI, Lauscher an Dekan, 15.3.1927.

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive

fahr lief, zum zweiten Mal nicht für den Lehrstuhl berücksichtigt zu werden. So wandte sich am 7. Dezember 1935 Landeshauptmanns Kolbow an den Universitätskurator, um zugunsten Feuerborns zu intervenieren. Obwohl zu spät, um auf den Vorschlagsprozess noch Einfluss zu nehmen, war der Landeshauptmann dennoch bemüht, sich auf Seiten Feuerborns in die Auseinandersetzung einzuschalten. Er gab an, die Vorgänge um Feuerborn schon länger mit Sorge zu verfolgen. Als mehrfacher Amtsträger könne er es jedoch nicht bei einer einfachen Beurteilung des Zoologen belassen; er müsse den Zoologen von drei verschiedenen Seiten her bewerten. In seiner ersten Rolle als Gauinspekteur müsse er Feuerborn aus weltanschaulicher Sicht beurteilen. Hier verglich er Feuerborns Situation mit der von H. F. K. Günther,7 der sich ebenfalls ähnlichen Angriffen ausgesetzt gesehen habe, aber als Pädagoge brilliert und sich um das Volk verdient gemacht habe. In seiner zweiten Rolle als Landeshauptmann müsse er Feuerborns große Leistungen für die Provinzialverwaltung beachten, und als Leiter des Westfälischen Heimatbundes schließlich, in dem Feuerborn die Fachstelle „Natur und Heimat“ in ganz hervorragender Weise geleitet habe, müsse er zwar eingestehen, dass die wissenschaftliche Leistung des Zoologen eher unproduktiv sei, dies aber nur, weil er sich ganz und gar seinen Schülern, der Arbeit für den Gau und der Verbreitung des Naturschutzgedankens in der Bevölkerung widme. Mit dieser Art von Lehrtätigkeit würde Feuerborn von den Nationalsozialsten geradezu als Musterbeispiel angesehen. Insgesamt gesehen würden Gauleitung und Partei einen Weggang Feuerborns als großen Verlust nicht nur für die Universität, sondern auch für die Provinzialverwaltung und den Westfälischen Heimatbund empfinden. Dennoch läge es ihm fern, in die wissenschaftliche Selbstverwaltung eingreifen zu wollen. Mit Dekan Trier und Dozentenschaftsführer Walter habe er aber schon gesprochen.8 Interessant an diesen Beeinflussungsversuchen ist weniger die Argumentation, die Kolbow einsetzte, sondern vielmehr, dass er in seinem Brief eindeutig Bezug auf Interna der vorangegangenen Fakultätssitzung nahm, also Informationen, zu denen er eigentlich keinen Zugang gehabt haben dürfte. Wie sich später herausstellen sollte, hatte der Philosophieprofessor Johannes Hielscher das Fakultätsgeheimnis gebrochen und Interna an Kolbow weitergegeben.9 Somit ist selbst in diesem Zusammenhang eine enge Kooperation von Wissenschaft und Politik festzustellen, ohne die externe Einmischungsversuche kaum hätten zustande kommen können. Der Dekan reagierte am 12. Dezember 1935 mit einem Schreiben an den Landeshauptmann, welches von vorsichtigem Lavieren zwischen Verteidigung der Universität und Verbeugung vor der Macht des Regimes geprägt war. Zunächst dankte er Kolbow für dessen Brief, aber ganz besonders dafür, dass er erklärt habe, die 7 8 9

Vgl. zu Günther unter anderem Klee 2005, S. 208f. UAMs, Bestand 9, Nr. 1440, Gauleitung Westfalen-Nord an Kurator, 7.12.1935. Ebd., Entwurf des Protokolls für die Fakultätssitzung vom 13.12.1935, in: Dekan an Kurator, 17.1.1936.

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1.  Einflussnahme durch politische Entscheidungsträger

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Selbstverwaltung der reinen Wissenschaft an der Universität Münster nicht beeinflussen zu wollen. Dann erklärte er, dass er es verstehe, dass Kolbow kompetenten Stellen über die Tätigkeiten Feuerborns Mitteilung mache, und zeigte sich dankbar für die große Förderung der Forschungsarbeit der Universität durch die unter seiner Führung stehende Provinzialverwaltung. Die Beobachtungen Kolbows werde er dem REM in seinem Lagebericht zur Kenntnis bringen.10 Die Bemühungen des Dekans, sich nach allen Seiten abzusichern, waren also nicht zu übersehen. Dennoch machte er damit deutlich, dass die Fakultät sich von der Politik nicht beeinflussen lassen würde. Am Ende sollte Kolbow mit seinen Bemühungen schließlich dann auch scheitern, denn weder erhielt Feuerborn den Posten noch konnte er in Westfalen gehalten werden. Festzuhalten bleibt, dass es ihm trotz seines vielfältigen Unterstützerkreises in der akademischen Universitätsleitung, der Studentenschaft, der Bürgerschaft Münsters und der regionalen Politik nicht gelang, einen Automatismus in Sachen Nachfolge von Ubischs herzustellen. Kennzeichnend für die bis hier dargestellten Einmischungsversuche ist ihre Verortung im lokalen beziehungsweise regionalen Milieu Münsters und Westfalens. Wenn damit auch per se nichts über die Wirksamkeit derartiger Versuche ausgesagt werden kann, so fällt auf, dass sich die universitäre Selbstverwaltung größeren Problemen gegenübersah, sobald sich überregionale politische Stellen in akademische Angelegenheiten einschalteten. Ein Beispiel hierfür ist die Berufung Renschs nach Prag 1944. Nachdem Rensch Mitte Januar 1944 zunächst vertretungsweise den Prager Lehrstuhl übernommen hatte und für ihn von der DKU auch als endgültiger Kandidat vorgesehen war, kam es seitens der politischen Verantwortungsträger in den folgenden Wochen zu verwirrenden Meinungsunterschieden. Am 6. April notierte Rensch in seinem Tagebuch, dass ihm der Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der DKU mitgeteilt habe, in Berlin (womit nur das REM gemeint sein konnte) sei Einspruch gegen seine Berufung wegen schlechter politischer Haltung 1933 eingelegt worden. Der Zoologe bat dort daraufhin um eine Besprechung, erhielt jedoch keine Antwort.11 Am selben Tag ging jedoch bei der Abteilung I des Deutschen Staatsministers für Böhmen und Mähren ein Gutachten der NSDAP ein, in dem Rensch nicht nur politische Unbedenklichkeit bescheinigt wurde („hat während seines Aufenthaltes in Münster in politischer Hinsicht zu Klagen keinen Anlaß gegeben“),12 sondern auch hervorgehoben wurde, dass er nicht nur Mitglied mehrerer NS-Organisationen sei, sondern vom Gaudozentenbund auch in fachlicher Hinsicht günstig beurteilt würde.13 Offensichtlich wogen die Bedenken aber schwerer, denn kurz darauf schalteten sich, ob unabhängig voneinander oder durch 10 11 12

Ebd., Dekan an Kolbow, 12.12.1935. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 6.4.1944. BAB, R 4901, Nr. 13168, NSDAP an Deutschen Staatsminister für Böhmen und Mähren, Abt. I. 13 Ebd.

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive

Rensch angeregt, ist aus den Quellen nicht mehr zu ermitteln, zwei mächtige Fürsprecher für den Evolutionsbiologen ein: zum einen sein ehemaliger Vorgesetzter, Ordinarius in Straßburg und Führer des RFB, Hermann Weber, zum anderen der Ordinarius für Rassenbiologie an der DKU und gleichzeitige hochrangige SS-Führer im Rasse- und Siedlungshauptamt, Bruno K. Schultz. Weber hatte auch nach seinem Weggang aus Münster weiter Kontakt zu seinem ehemaligen Dozenten gehalten. Hierbei ging es sowohl um wissenschaftliche wie auch private Angelegenheiten.14 Er wandte sich am 17. April 1944 im Rahmen seines Schriftwechsels mit dem REM bezüglich der Neuausrichtung des Biologiestudiums der Problematik zu. So teilte er dem Ministerium mit, er habe erfahren, dass sich gegen Rensch Widerspruch wegen angeblich unzulänglichem früherem politischem Verhalten rege. Er kenne Rensch jedoch aus Münster sehr genau und habe ihn selbst für das Ordinariat in Prag vorgeschlagen. Daher bitte er darum, ihm die Gelegenheit zu einer gutachterlichen Äußerung zu geben, bevor man Verdächtigungen irgendwelcher Art Gehör schenke. Rensch habe sich auch im laufenden Krieg wieder bereitwillig an die Front gemeldet und sich dort bewährt. Daher: „Es wäre unrecht, wenn man die ohnehin unbegründeten Vorwürfe nun nochmals hervorholen würde.“15 Einen Monat später wies er in einem weiteren Schreiben nochmals auf seine Ansichten hin.16 Eine Woche nach Webers erstem Brief äußerte sich auch Schultz in einem Schreiben an den Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät der DKU. Er teilte mit, dass er von Heberer17 erfahren habe, dass die Berufung des Zoologen auf Schwierigkeiten stoße. Heberers Mitteilung habe er entnommen, dass die Ablehnung vom REM ausgehe. Gegen diese Haltung müsse entschieden vorgegangen werden. Eine entsprechende Aufklärung der REM-Mitarbeiter Max Demmel, Dr. Wilhelm Führer und des Ministerialdirektors Rudolf Menzel müsste die Angelegenheit aber im günstigen Sinne wenden. Eine Nichtberufung Renschs würde Schultz ausgesprochen bedauern, weil dadurch der DKU ein bedeutender Zoologe entgehen würde, der das Fach zu bedeutender Höhe zu bringen in der Lage wäre. Schultz, der zum Zeitpunkt seiner Intervention an einem Lehrgang für germanische Offiziere an der SS-Junkerschule Bad Tölz teilnahm, bedauerte außerdem, dass er seine Stellungnah14 15 16 17

Zum Beispiel SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 2, Weber an Rensch, 23.4.1942. BAB, R 4901, Nr. 14477, Weber an REM, 17.4.1944. Ebd., Weber an REM, 16.5.1944. Heberer war zum einen Rasse- und Siedlungshauptamts- und SS-Kamerad Schultz’, hatte zum anderen aber auch schon eng mit Rensch zusammengearbeitet. Er war mit ihm gemeinsam 1927 auf dessen Sunda-Expedition gewesen und hatte sich bereits im Rahmen von dessen Ernennung zum außerplanmäßigen Professor 1943 mit einem positiven Gutachten zu Wort gemeldet hatte. Rensch dankte ihm seine Freundschaft 1948 mit einem „Persilschein“, siehe SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 18.9.1948; zur Person Heberers siehe Hoßfeld, Uwe, Gerhard Heberer (1901–1973). Sein Beitrag zur Biologie im 20. Jahrhundert (Jahrbuch für geschichte und Theorie der Biologie. SupplementBand 1), Berlin 1997.

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me schriftlich habe abgeben müssen. So hätte er sich für eventuelle Rücksprachen und Verhandlungen persönlich zur Verfügung gestellt, wenn es ihm der Lehrgang erlaubt hätte.18 An seinem Verhalten wird deutlich, welche hohe Bedeutung inzwischen auch hohe SS-Kreise Rensch zumaßen. Der Prager Dekan wandte sich daraufhin direkt an das REM, erhielt aber von dort die Antwort, dass über die von den beiden Ordinarien angesprochenen Schwierigkeiten nichts bekannt sei. Demmel notierte für die Akten: „R.[ensch] ist ein sehr guter Zoologe und paßt seiner Arbeitsrichtung nach gut nach Prag.“19 Auch die überlieferten Schriftstücke des internen Vorgangs zur Berufung Renschs belegen, dass diese von dem Referenten befürwortet wurde. Folgerichtig fragte das REM am 21. August bei Rensch an, ob er bereit sei, den Ruf nach Prag anzunehmen.20 Die Tatsache, dass sich der parteilose Rensch hierbei unter anderem gegen Erich Reisinger, der seit dem 1. Mai 1933 der NSDAP21 angehörte, durchzusetzen vermochte, zeigt einmal mehr, dass im Zweifelsfall die wissenschaftliche Kompetenz Vorrang vor politischen Mitgliedschaften hatte. Rensch bejahte den Ruf umgehend.22 Am 9. September 1944 notierte er aber in seinem Tagebuch: „Von Berlin keine weitere Nachricht. Es wird anscheinend nicht mehr klappen, denn der Krieg geht mit Riesenschritten weiter“.23 Zwei Wochen später erhielt er vom REM das Berufungsprotokoll und sandte es mit den ausgehandelten Vereinbarungen für die Ernennung zurück.24 Dennoch geriet der Vorgang wieder ins Stocken, denn nun wurde er an die Parteikanzlei weitergeleitet, wo sich Martin Bormann inzwischen die endgültige Entscheidung über Berufungen vorbehielt.25 Hier blieb die Angelegenheit kriegsbedingt vorerst unbearbeitet. Am 28. Februar 1945, kurz vor der Schließung der DKU, gab schließlich auch die Parteikanzlei grünes Licht für die Berufung.26 Die Kriegsverhältnisse verhinderten jedoch eine Ausführung. Noch am 21. März waren die Informationen nicht zu Rensch vorgedrungen.27 Die Nachkriegsaussage Renschs, seine endgültige Übernahme des Ordinariats in Prag sei an politischen Bedenken gescheitert, ist also nicht richtig, auch wenn es möglich ist, dass ihm dies als zeitgenössischem Beobachter so schien. Ganz im Gegenteil bescheinigten ihm sowohl REM als auch Parteikanzlei politische Unbedenklichkeit. Die Gründe für das nicht zu Ende gebrachte Verfahren sind allein in der Kriegslage und dem Zusammenbruch des Reiches zu finden. 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

BAB, R 4901, Nr. 13168, Schultz an Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät Prag, 27.4.1944. Ebd., Aktennotiz Demmels im REM, 24.5.1944. Ebd., REM an Rensch, 21.8.1944. Ebd., NSDAP an Deutschen Staatsminister von Böhmen und Mähren, Abt. I, 12.5.1944. Ebd., Rensch an REM, 22.9.1944. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 9.9.1944. BAB, R 4901, Nr. 13168, Rensch an REM, 22.9.1944. Ebd., REM an Bormann, 25.10.1944. Ebd., Parteikanzlei der NSDAP an REM, 28.2.1945. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 21.3.1945.

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Dieser Zusammenbruch sorgte allerdings nicht dafür, dass damit auch Einmischungsversuche der Politik in universitäre Angelegenheiten aufhörten. Festzustellen ist allerdings, dass sich diese, analog zu einer Reföderalisierung der Wissenschaftspolitik, wieder auf die lokale beziehungsweise regionale Ebene zurückverlagerten. Ein Beispiel dafür, wie seitens der Politik versucht wurde, Netzwerke und Verbindungen zwischen universitären und außeruniversitären Stellen zu schaffen und das Zoologische Institut in die Institutionen des Landes NRW einzubetten, ist dabei die Anstellung des Fischereiexperten Otto-Karl Trahms am Zoologischen Institut. Der frühere Lehrbeauftragte Conrad Lehmann, der bis zu seinem Weggang 1935 Oberfischmeister der Provinz Westfalen gewesen war, hatte eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Universität und Politik ausgefüllt. Dies sollte nicht zuletzt bei den noch zu beschreibenden Versuchen von Ubischs, im Jahr 1930 einen Neubau des Zoologischen Instituts durchzusetzen und dazu die enge Zusammenarbeit zwischen Lehmann und dem Institut zur Unterstützung seiner Argumentation zu nutzen, deutlich werden. Mit Lehmanns Versetzung nach Königsberg war diese Verbindung abgebrochen. 1948 sah die Politik die Zeit gekommen, die traditionelle Anbindung des Amtes des Oberfischmeisters an das Zoologische Institut zu erneuern. Am 6. Februar 1948 wandte sich der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes NRW über das Kultusministerium an den Rektor, nahm Bezug auf die Zusammenarbeit in der Vergangenheit und bat, dem derzeitigen Landesfischereisachverständigen und gleichzeitigen Referenten für Fischereiwesen im Ministerium, also Trahms, einen Lehrauftrag für Fischereibiologie zu erteilen.28 Offenbar hatte es jedoch auf Seiten der Politik Abstimmungsprobleme gegeben. Fast parallel zur Anfrage des Ministers wandte sich der Leiter der Landesanstalt für Fischerei, Hans-Werner Denzer, ebenfalls an die Universität Münster und bat um denselben Lehrauftrag. Sowohl Kurator, Rektor als auch Rensch wünschten zwar eine Erteilung, machten eine Entscheidung aber von einer persönlichen Beurteilung der Bewerber durch den Ordinarius abhängig. Favorit der Universität war zunächst Denzer, dem der Rektor unter anderem eine bessere wissenschaftliche Vorbildung attestierte.29 Der fakultätsinterne Entscheidungsprozess spiegelte in diesem Fall auch die wichtige Rolle Renschs wider, der eine Beschleunigung der Angelegenheit wünschte und sich letztendlich auch durchsetzen konnte. Der Ordinarius unterstützte, anders als der Rektor, eine Anstellung Trahms, da er die Schwerpunkte des Fischereibiologen für die Ausbildung zukünftiger Lehrer und Fachzoologen für wichtig erachtete, er durch seine langjährige Erfahrung besonders geeignet sei und vor allem sein Fachgebiet die Vorlesungen der übrigen Dozenten gut ergänzen würde.30 Bereits am 10. Juni 1948 setzte sich die Fakultät in einer Sitzung mit dem Thema auseinander, ohne zu einem endgültigen Ergebnis zu 28 29 30

UAMs, Bestand 9, Nr. 330, Kultusministerium an Rektor, 6.2.1948. Ebd., Rektor an Kultusministerium, 9.4.1948. UAMs, Bestand 92, Nr. 37, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 8.9.1948.

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gelangen. Zu einer weiteren Beratung sollte es aber, auch durch den Druck Renschs, nicht kommen, da die Mitglieder der engeren Fakultät ihre Zustimmung zur Bitte auf Erteilung des Lehrauftrags auf Anfrage des Dekans schließlich nicht durch Abstimmung, sondern durch per Unterschrift geleisteter Akklamation kundtaten. Dies war ein ungewöhnlicher Vorgang, der nur durch die besondere Eile des Ganzen erklärt werden kann.31 Den Wünschen des Ordinarius kam in diesem Fall noch entgegen, dass Denzer, dem eine Stelle in Bonn in Aussicht gestellt worden war, seine Bewerbung zurück zog. Am 7. Oktober 1948 wandte sich daher der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an das Kultusministerium und bat um eine Erteilung des Lehrauftrags an Trahms.32 Wenig überraschend wurde der Bitte kurz darauf am 8. November 194833 entsprochen, und Trahms nahm noch im Wintersemester 1948/49 seinen Dienst als unbesoldeter Lehrbeauftragter an der Universität Münster auf.34 Auch hier trat demnach keineswegs ein Automatismus ein; stattdessen dominierte eine wechselseitige Kooperation von Wissenschaft und Politik. Diese war, wie noch zu zeigen sein wird, unter allen drei Systemen auch die wirksamste Methode, für beide Seiten zu einem zufriedenstellenden Ergebnis zu kommen, sollten sich doch einseitige Forderungen durch die Politik kaum durchsetzen lassen. Ein letztes Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung zwischen Universität und Land NRW um die Leitung des Landesmuseums für Naturkunde in Münster. Hier bestand nämlich, wie im Abschnitt über das Ordinariat Rensch bereits angedeutet wurde, Ende der 1940er-Jahre nach wie vor ein Spannungsverhältnis zwischen Zoologischem Institut und dem Museum. Dieses beruhte hauptsächlich auf der gemeinsamen Vergangenheit von Rensch und Museumsdirektor Hermann Reichling. Jahrzehntelang hatte es eine enge und fruchtbare Verbindung zwischen diesen beiden Institutionen gegeben. Diese hatte nach Kriegsende aber stark darunter gelitten, dass beide Zoologen Anspruch auf den Direktorenposten erhoben hatten und von unterschiedlichen Stellen in der Politik, das heißt Oberpräsident und Landeshauptmann, unterstützt worden waren. Reichling hatte sich am Ende durchsetzen können. Im Frühling 1948 trat jedoch eine neue Situation ein, denn völlig unerwartet verstarb der Museumsdirektor am 6. Mai im Alter von nur 57 Jahren.35 Daher sollte der Posten nun erneut an Rensch übergehen. Hierbei regte sich jedoch energischer Widerspruch in der Politik, der zu einer ersten großen Kontroverse um den neuen Ordinarius führte. 31 32 33 34 35

Ebd., Rundschreiben des Dekans an die Mitglieder der engeren Fakultät, 24.9.1948. UAMs, Bestand 9, Nr. 330, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Kultusministerium, 7.10.1948. UAMs, Bestand 4, Nr. 417. UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, Oktober bis Dezember 1948. Ditt, Karl, Natur wird Kulturgut. Das Provinzialmuseum für Naturkunde in Münster 1892 bis 1945, in: Hendricks, Alfred (Hg.), 1892–1992. Festschrift 100 Jahre Westfälisches Museum für Naturkunde (Abhandlungen aus dem Westfälischen Museum für Naturkunde. Beiheft 54), Münster 1992, S. 5–50, hier: S. 34.

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Landeshauptmann Salzmann, der Rensch bereits 1945 bei seinen Bemühungen um die Übernahme des Direktorats am Museum unterstützt und sich dabei auch gegen den Oberpräsidenten der Provinz Westfalen positioniert hatte, beauftragte den Ordinarius unmittelbar nach Reichlings Tod zum 1. Juni 194836 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Direktors des Naturkundemuseums.37 Zur endgültigen Bestätigung bedurfte es jedoch der Zustimmung des Kultusministeriums NRW, da der Posten ein genehmigungspflichtiges Nebenamt für den Leiter des Zoologischen Instituts darstellte. Seitens der Universitätsleitung fand Rensch hierfür vollste Unterstützung. Da es im Interesse der Universität sei, wenn beide Stellen in Personalunion miteinander verbunden seien, bat der Rektor Anfang Juni um die Zustimmung des Ministeriums.38 Eine Woche später schloss sich ihm auch der Kurator an.39 An anderer Stelle beurteilte man die Lage jedoch nicht so positiv. Am 5. Juli 1948 intervenierte der Geschäftsführer des Westfälischen Heimatbundes, Wilhelm Schulte, beim Ministerialrat Josef Busley im Kultusministerium NRW. Schulte, schon im „Dritten Reich“ Geschäftsführer des Heimatbunde und an seiner nationalsozialistischen Ausrichtung beteiligt,40 war bestrebt, Renschs Rückkehr auf dessen alten Posten zu verhindern. Er plädierte dafür, Rensch hinter den Kulissen und verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit abzusägen. Wenn er persönlich einen Hinweis geben dürfte, „wie man die ganze Frage R. am schnellsten aus der Welt schafft, so wäre dieser, zu erwirken, dass das Gesuch des Rektors der Universität um Genehmigung der nebenamtlichen Verwaltung des Museums durch Herrn R. nicht erteilt wird. Auf diese Weise erführe niemand in der Öffentlichkeit von der Sache.“41

Gründe für seine Angriffe auf den Ordinarius nannte er nicht, bezog sich jedoch in seinem Schreiben auf eine vorherige Besprechung mit Busley, deren Inhalt aber nicht überliefert ist. Seine Eingabe verfehlte ihre Wirkung auf den Ministerialrat nicht. Nur einen Tag später, am 6. Juli 1948, lässt sich ein Aktenvermerk der Abteilung III K nachweisen, der zur Vorlage für die Hochschulreferentin im Kultusministerium NRW, Angèle Auburtin, vorgesehen war. Darin sprach sich Busley gegen 36 37 38 39 40

41

SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 30.5.1948. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Rektor an Kultusministerium NRW, 10.6.1948. Ebd., Rektor an Kultusministerium NRW, 10.6.1948. Ebd., Vermerk des Kurators, 17.6.1948. So gab Schulte am 1.5.1933 die Meinung des Heimatbundvorstandes wieder, als er in einem Rundschreiben mitteilte: „Der Westfälische Heimatbund hat es nicht nötig ‚umzuschalten‘, weil seine Arbeit stets im Sinne des neuen Reiches gewesen ist. Wer daran zweifelt, hat sich um die deutscheste aller deutschen Angelegenheiten, die Heimatbewegung, nicht gekümmert.“ Zitiert bei Ditt, Karl, Die westfälische Heimatbewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Nationalismus und Regionalismus, in: Heimatpflege in Westfalen 14 (2001), S. 2–11, hier: S. 8. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Schulte an Busley, 5.7.1948.

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eine Verquickung beider Ämter aus. Demnach habe anscheinend der Landeshauptmann die Absicht, Rensch die Stelle des Direktors hauptamtlich neben seiner ordentlichen Professur zu übertragen, falls das Kultusministerium NRW dies genehmige. Laut Busley sprächen jedoch zwei Gründe gegen ein solches Vorgehen. Zum einen würde eine Personalunion die Interessen des Landesmuseums und seiner besonderen landeskundlichen Aufgaben schädigen (warum dies der Fall sei, erklärte Busley nicht), zum anderen müsse man Rücksicht auf die immer geringer werdenden Möglichkeiten für den heranwachsenden wissenschaftlichen Nachwuchs nehmen, eine entsprechende Betätigung zu finden. Außerdem, und hier führte der Ministerialrat erstmals inhaltliche Gründe an, lägen ihm von wissenschaftlichen Stellen „sehr geharnischte Angriffe gegen die Museumspolitik“ Renschs vor „und es steht ausser [sic!] Zweifel, dass diese in Kürze Anlass öffentlicher Kritik sein wird.“42 Welcher Art diese Vorwürfe waren, blieb unerwähnt. Es ist anzunehmen, dass sich Busley hierbei auf Schulte bezog. Rensch selbst, dem die internen Auseinandersetzungen zu Ohren gekommen waren, bezeichnete in seinen Tagebuchaufzeichnungen sein Eintreten für die Abstammungslehre als Stein des Anstoßes43 und vermutete ein religiös motiviertes Komplott gegen seine Person: „Dr.  Busley auf Betreiben Dr. Rensings! Die stark katholischen Kreise […]“44 In Anbetracht der Intervention Schultes und späterer Auseinandersetzungen mit dem katholischen Milieu Münsters scheinen diese Vermutungen nicht ganz abwegig, zumal in den Akten auch die dezidiert religiös motivierte Intervention einer weiteren, vormals am Zoologischen Institut der Universität Münster beschäftigten Person belegt ist: Fritz Peus, der 1945 nach Münster zurückgekehrt und zwischenzeitlich als Assistent am Naturkundemuseum tätig war, bevor er 1947 als Leiter der Dipteren-Abteilung an das Zoologische Museum Berlin wechselte.45 Er verfasste 1948 eine gegen Rensch gerichtete Denkschrift zur Frage der Besetzung des Direktorenpostens, in welcher er einen Angriff auf die Abstammungslehre zu seinem Hauptinhalt machte. Rensch, der vorher noch freundlichen Umgang mit dem Fachkollegen gepflegt hatte und ihn als „gute[n] Systematiker, anständige[n] Kerl, aber uns in seiner Interessensphäre zu eng und damit fern“46 bezeichnet hatte, war dadurch völlig vor den Kopf gestoßen und kommentierte: „Wieder einmal eine menschliche Enttäuschung und ein Verrat an der Wissenschaft.“47 Peus distanzierte sich zwar später von seinen negativen Formulierungen über Rensch, nach dem er die neue, von Rensch geleitete Ausgestaltung des Museums selbst gesehen hatte,48 besuchte ihn, um, Renschs Wortlaut nach, 42 43 44 45 46 47 48

Ebd., Aktenvermerk der Abteilung III K (Dr. Busley), 6.7.1948. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 27.6.1948. Ebd., TBE 30.8.1948. Berger, Insektensammlungen, S. 82ff. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 2.6.1947. Ebd., TBE 31.12.1948. Ebd., Kasten 2, undatierter Entwurf eines Briefes von Peus an das Kultusministerium NRW.

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Abbitte zu leisten49 und versuchte sogar 1961, den Ordinarius dazu zu bewegen, ihm eine k. w.-Professur in Münster zu verschaffen.50 Die Anschuldigungen standen aber erst einmal im Raum und boten Renschs Gegnern Munition. Wenn auch eine planmäßige katholische Verschwörung gegen Rensch unwahrscheinlich erscheint, so manifestierte sich dennoch eine gegen seine Forschungsinhalte gerichtete Stimmung im katholischen Milieu der Domstadt, welche auch in den folgenden Jahren noch für Auseinandersetzungen sorgen sollte. So setzten beispielsweise katholische Studenten noch 1959 parallel zu Renschs Vorlesung über die „Sonderstellung des Menschen“ eine „Gegenvorlesung“ mit ähnlichem Thema im „kath. Sinne“ an.51 Einen entscheidenden Einfluss hatten diese Kreise im Sommer 1948 aber nicht. In den folgenden Wochen veränderte sich die Lage nämlich, zumindest was die eigentlichen Entscheidungsträger betraf, zugunsten des Ordinarius. Während die Universität weiterhin das Vorhaben stützte und sich der Kurator Ende Juli 1948 mit einem zweiten Brief an das Kultusministerium NRW wandte, in dem er mehrere Gründe für die Beauftragung Renschs ausführte,52 bat auch Hochschulreferentin Auburtin, Rensch wenigstens kommissarisch im Amt zu belassen.53 Daraufhin überdachte auch Busley seine anfängliche Entscheidung. Dazu beigetragen hatte nicht zuletzt ein persönliches Gespräch mit Rensch, welcher am 1. September 1948 gleich zweimal an verschiedener Stelle im Kultusministerium NRW vorsprach. Seine Argumentation war in beiden Fällen dieselbe: So sei sein Verbleib am Museum vom Universitätsstandpunkt aus unbedingt erforderlich, da das Zoologische Institut sonst keinen Raum für ihn selbst, seine Assistenten und die Doktoranden zur Verfügung habe. Zumindest bis zur Fertigstellung der Baracke für das Botanische Institut müsse die Personalunion demnach aufrecht erhalten bleiben. Im Übrigen sei das Museum ohnehin seit 1937 nach seinen Plänen eingerichtet worden, und seine Hauptaufgabe bestünde zurzeit darin, dieses, und hier erlaubte sich Rensch eine Spitze gegen seinen Vorgänger Reichling, nachdem es seit 1945 völlig verkommen sei, wieder aufzubauen.54 Diesen Argumenten, nicht zuletzt der Sorge um die Qualität von Lehre und Forschung, konnte sich auch der Ministerialrat nicht ver49 50 51 52

Ebd., Kasten 27, TBE 9.3.1958. Rensch kommentierte dies mit „wofür ich ihn kaum brauchen kann“, ebd., TBE 1.11.1961. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 10.3.1959. So schrieb der Kurator, dass der Ordinarius durch die Tätigkeit als Direktor verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen und seine Arbeit an der Universität nicht behindert werde. Bei den Aufgaben handele es sich außerdem um die Wiedereinrichtung des ohnehin zwischen 1937 und 1945 von ihm geleiteten Museums, die im Wesentlichen nach seinen eigenen früheren Plänen erfolge und zurzeit nur langsam voranschreite. Eine Naturschutztätigkeit, gleichbedeutend mit starker Inanspruchnahme, habe Rensch nicht übernommen. Für seine Dienste erhalte er zudem monatlich lediglich 100 DM von der Provinzialverwaltung; vgl. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Kurator an Kultusministerium NRW, 22.7.1948. 53 Ebd., Vermerk beim Kultusministerium NRW, 2.9.1948. 54 Ebd.

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schließen. Er schloss sich nun der Meinung an, Rensch zunächst auf seinem Posten zu belassen. Dennoch machte er zwei Einschränkungen geltend: Zum einen die ausdrückliche Vereinbarung, dass die Personalunion nicht länger als fünf Jahre dauern würde, zum anderen die Verpflichtung, Belange des Landesmuseums nicht mit denen des Zoologischen Instituts zu verquicken, vor allem in Fragen der Berufung und der Heranziehung von Assistenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern.55 Ende September 1948 schaltete sich schließlich auch noch Landesrat Franz Schulte-Broich zugunsten Renschs in die Angelegenheit ein.56 Ihm folgte mit regelmäßigen Nachfragen der Landeshauptmann mit der Bitte um Bestätigung Renschs als Direktor. Im November 1948 war es dann soweit. Das Kultusministerium NRW genehmigte die Nebenbeschäftigung Renschs, vorläufig aber nur für ein Jahr. Ebenso blieb die Frage einer Personalunion von Ordinariat und Direktorat davon unberührt.57 Bis zur endgültigen Klärung der Problematik sollten noch einige Jahre vergehen. Ursprünglich also nur als Übergangsmaßnahme vorgesehen und so auch von den politischen Entscheidungsträgern im Kultusministerium NRW gewünscht, hatte Landeshauptmann Salzmann nämlich bereits früh versucht, die in Düsseldorf gewonnenen Zusagen so weit wie möglich auszureizen und schon im Frühjahr 1949 eine Verlängerung der Beauftragung bis 1954 beantragt. Dem schloss sich auch das Rektorat der Universität Münster an. So sei die Zusammenarbeit zwischen Universität und Museum gerade für die Ausbildung des Lehrernachwuchses besonders wünschenswert, und Renschs Doppelfunktion könne für die Sicherstellung dieser Qualität ganz besonders Sorge tragen. Die Bedenken der Politik, durch die Personalunion bliebe ein akademischer Posten unbenutzt, versuchte man bereits vorsorglich zu entkräften, indem man darauf hinwies, dass aus dem nicht benutzten Direktorengehalt ein Hilfsassistent bezahlt würde. So drehte man die Argumentation des Kultusministerium NRW einfach um und machte sie sich selbst zu Nutze, denn gerade durch die bestehende Situation sei erst eine wirksame Unterstützung für einen Nachwuchswissenschaftler möglich, der sonst, aufgrund des großen Mangels an Assistentenstellen, keine Beschäftigung gefunden hätte.58 Das Kultusministerium NRW konnte auf diese geschickte Argumentation mit nichts weiter als der Wiederholung alter Ansichten reagieren. So bliebe man bei der grundsätzlichen Einstellung, dass auf Dauer Ordinariat und Direktorat voneinander getrennt bleiben sollten, und setze weiter voraus, dass eine scharfe Aufgabentrennung trotz der Personalunion gewährleistet bleiben müsse. Bis zum 31. März 1952 erkläre man sich jedoch mit der von Salzmann vorgeschlagenen Übergangslösung einverstanden.59

55 56 57 58 59

Ebd., Aktenvermerk der Abteilung III K (Busley), 2.9.1948. Ebd., Aktenvermerk der Abteilung III K (Busley), 22.9.1948. Ebd., Kultusministerium NRW an Rektor und Kurator, 25.11.1948. Ebd., Rektor an Kultusministerium NRW, 11.4.1949. Ebd., Kultusministerium NRW an Salzmann, 7.6.1949.

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Das Spiel, bei dem auf der einen Seite der Provinzialverband eine langfristige Betrauung Renschs beantragte und das Kultusministerium NRW, sich den Argumenten nicht verschließend, aber auch seine eigenen Absichten klarmachend, immer nur kurzzeitige Verlängerungen genehmigte, sollte sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Vier Monate vor Ablauf des Vertrages und ein knappes halbes Jahr nach der Wiedereröffnung des Museums,60 Anfang November 1951, wandte sich Salzmann wieder an das Kultusministerium NRW und beantragte die Verlängerung von Renschs Beauftragung um weitere drei Jahre. Sowohl die Universität als auch Rensch selbst legten größten Wert auf eine Fortsetzung seiner Arbeit – und da das Ganze bislang so vorbildlich funktioniert habe, sehe man keinen Grund, davon abzuweichen.61 In Düsseldorf sah aber der skeptische Busley ebenso keinen Grund, von seinem eigenen Weg abzuweichen. Zwar befürwortete er eine Verlängerung, aber wieder nur für ein Jahr.62 Mitte Dezember wurde der Vertrag folgerichtig nur bis zum 31. März 1953 verlängert.63 Ende Juli wiederholte sich der Austausch erneut. Diesmal trat jedoch ein weiterer Spieler auf den Plan. Zunächst entwickelte sich alles wie gehabt. Salzmann lobte Renschs Arbeit und äußerte den Wunsch, dass diese auch von demjenigen und unter den Grundsätzen zu Ende geführt werde, unter denen sie begonnen worden war. Da aber mit einem Abschluss des Wiederaufbaus nicht vor Mitte 1957 zu rechnen sei und eine Verlängerung um jeweils ein Jahr nicht zweckmäßig erscheine, bat man, Rensch bis dahin weiter im Dienst zu lassen. Auch die Universität wurde abermals als Ressource herangezogen: Ein Gutachten des Rektors (zu diesem Zeitpunkt der Ordinarius für Botanik, Strugger) lobte Rensch als weltweit anerkannten Fachmann und unterstützte den Wunsch des Landeshauptmanns.64 Bevor jedoch das Kultusministerium eine Entscheidung treffen konnte, schaltete sich der Landtagsabgeordnete Heinrich Wolf (CDU) in die Angelegenheit ein. Wolf, selbst promovierter Zoologe und ehemals Abteilungsdirektor, Kustos und 2. Direktor des Zoologischen Forschungsinstituts und Museums Koenig in Bonn,65 wandte sich Ende Juli 1952 an Busley und insistierte, dass es an der Zeit sei, die Besetzung des Direktorenpostens endgültig zu regeln. So werde allseits daran Anstoß genommen, dass Rensch den Posten so lange inne halte, da infolge dessen viele dringliche Arbeiten für das Museum liegen blieben, weil Rensch als Ordinarius an seine eigenen Forschungen denke und dafür voll eingesetzt sei. Er bat Busley festzustellen, bis wann Rensch als Direktor belassen werde, und um umgehende Nachricht. 60 61

UAMs, Bestand 4, Nr. 563, Mitteilungen des Rektors, 3–4/1951. LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Salzmann an Kultusministerium NRW, 5.11.1951. 62 Ebd., Vermerk Busley, 16.11.1951. 63 Ebd., Kultusministerium NRW an Salzmann, 19.12.1951. 64 Ebd., Salzmann an Kultusministerium NRW, 25.7.1952. 65 http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/Abgeordnete/Ehemalige_Abgeordnete/details.jsp?k=00969, Zugriff: 30.12.2009.

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Offensichtlich hatte sich Wolf zusammen mit dem Direktor des Museums Koe­ nig, Professor Karl von Jordans, bereits früher an das Kultusministerium NRW gewandt, um Rensch entfernen zu lassen. Rensch hatte davon Kenntnis erlangt und die beiden Herren schriftlich kontaktiert, um auf die Unzulässigkeit ihres Verhaltens hinzuweisen. Wolf, über die undichte Stelle im Ministerium sichtlich ungehalten, forderte daher auch noch, dass sich derartiges in Zukunft nicht wiederholen möge.66 Gründe dafür, warum die beiden Zoologen ihren Kollegen entfernt sehen wollten, sind in den Akten nicht überliefert. Persönliche Kontakte zwischen den Beteiligten, die ihrer Auseinandersetzung vorangingen und die einen eventuellen Streit erklären könnten, ebenso wenig. Es muss daher offen bleiben, ob die Angelegenheit politischen oder wissenschaftlichen Ursprungs war. Wolfs Bestrebungen war jedoch kein Erfolg beschieden, denn seinem Netzwerk stand auf der Gegenseite das von Rensch gegenüber. Zunächst informierte Oberregierungsrätin Auburtin den Universitätskurator über den Vorfall. Dieser bat sie, die Angelegenheit vorerst in der Schwebe zu lassen und wandte sich seinerseits am 22.  August 1952 an den Landtagsabgeordneten (eine Kopie des Schreibens ging wieder an Auburtin). In seinem Brief versuchte er, Wolf davon zu überzeugen, von seinen Anstrengungen Abstand zu nehmen. So sei Rensch darum bemüht, das Museum nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch den Studenten nutzbar zu machen, was eine Organisation nach seinen Plänen voraussetze. Der Zoologe habe außerdem keinerlei finanzielle Interessen an der Aufgabe, da er nach Steuern lediglich 40 DM pro Monat für seine Tätigkeit erhalte. Im Übrigen wäre eine Abberufung Renschs nicht nur für diesen schmerzlich, sondern könnte auch im In- und Ausland den Eindruck erwecken, man billige dessen wissenschaftliche Anschauungen nicht – womit ein Schaden für das Land entstehen könnte. Zum Abschluss lud der Kurator Wolf noch zu einem persönlichen Gespräch ein, um die Problematik zu klären.67 Danach intervenierte Wolf zwar noch einmal bei Busley, konnte sich aber nicht durchsetzen.68 Statt Rensch zu entfernen, wurde seine Anstellung Anfang Februar noch einmal um zwei weitere Jahre bis zum 31. März 1955 verlängert.69 Als Rensch schließlich abtrat, tat er dies aus eigenem Antrieb. Am 31. Dezember 1954 reichte er sein Abschiedsgesuch als Museumsdirektor ein, blieb jedoch auf Wunsch des Landes noch einige Zeit im Amt.70 Im Januar 1956 wurde er schließlich in einer festlichen Zeremonie verabschiedet.71 66 67 68 69 70 71

LAV NRW R, Berufungsakte Rensch, NW 172, Nr. 631, Aktenvermerk des Abteilungsleiters Abt. III K, 30.7.1952. Ebd., Kurator an Auburtin, 22.8.1952. Ebd., 11.11.1952. Ebd., Kultusministerium NRW an Kurator, 2.1.1953. SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE 31.12.1954. Ebd., TBE 18.1.1956.

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Auch bei diesem Vorgang konnte die Politik demnach mit direkter Intervention keinen messbaren Einfluss ausüben. Derartige Versuche lösten bei Wissenschaftlern wie Universität für gewöhnlich eine Abwehrreaktion aus, die sich aus dem Beharren auf akademische Selbstverwaltung speiste. Deshalb waren vor allem diejenigen Maßnahmen am erfolgreichsten, welche auf Wechselseitigkeit beruhten.

2.  Wechselseitige Ressourcenmobilisierung statt Indienstnahme Im Laufe des Untersuchungszeitraumes lässt sich der Aufbau von Strukturen und Netzwerken in der deutschen Biologie nachzeichnen, in welche auch die Münsterschen Institute und ihre Protagonisten eingebunden waren. Ähnliches gilt für die Diskussionen, die zu teils weitreichenden Entscheidungen über die inhaltliche Ausgestaltung des gesamten Biologie- und Medizinstudiums führten. Versucht man nun, die Prozesse zu analysieren, welche diesen Entwicklungen zu Grunde liegen, so wird rasch deutlich, dass diese mit einem Erklärungsmodell, welches Wissenschaft und Politik als autonom handelnde Sphären begreift, nicht adäquat erfasst werden können. Gleichzeitig wird erkennbar, dass es ebenso wenig hilfreich ist, davon auszugehen, dass eine Seite eine permanente Dominanz über die andere innehatte und Entscheidungsprozesse jeweils nur in eine Richtung hin abliefen. Begreift man die genannten Prozesse jedoch als situativ bedingte wechselseitige Ressourcenmobilisierung der beteiligten Stellen und verfolgt einen Ansatz, der die Kooperation und Kompromissbereitschaft von Wissenschaft und Politik anstatt einer bloßen Indienstnahme in den Blick nimmt, so wird es nicht nur möglich, die genannten Prozesse nachzuvollziehen, sondern es wird ebenso deutlich, dass diese weitestgehend unabhängig vom jeweiligen politischen System abliefen. Im Folgenden soll dies anhand der Diskussionen über Studienordnungen und Lehrinhalte auf der einen und den Aufbau Forschungsstrukturen auf der anderen Seite dargestellt werden. Ein erstes Beispiel aus der Weimarer Republik hierfür war der an der Universität Münster unter anderem von Benecke und Feuerborn 1930 unterstützte Widerstand der Hochschulen gegen Pläne des Ministeriums, die Diplomhauptprüfung mit dem Doktordiplom gleichzusetzen und damit dessen Besitz als zwingende Voraussetzung für eine Assistentenstelle aufzuweichen.72 Ähnliches ereignete sich 1932, als das Reichsministerium des Inneren in einer Verordnung über die Veränderung der Prüfungsordnung für Mediziner entschied, dass an einer Universität mit einem Lehrauftrag für Biologie die Vorlesungen und Prüfungen in Zoologie und Botanik in Absprache mit dem Reichsinnenministerium und den obersten Landesbehörden durch solche der Biologie ersetzt werden könnten. Daraufhin entwarf der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn eine Denkschrift für das Preu72

UAMs, Bestand 4, Nr. 253, Benecke an Rektor, 13.9.1930, bzw. Feuerborn an Rektor, 22.9.1930.

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ßische Wissenschaftsministerium und das Reichsministerium des Inneren, in der er diese Pläne scharf angriff. In dem Schreiben führte er die Kritik und Befürchtungen der Biologen bezüglich einer solchen Regelung auf, nämlich dass dadurch Zoologie und Botanik aus dem Unterricht für Medizinstudenten ausgeschaltet, Entscheidungen über die Köpfe der Biologen hinweg getroffen und mit Nicht-Biologen besetzte Biologielehrstühle geschaffen werden würden. Zoologie und Botanik seien wichtig für die Allgemeinbildung der Mediziner, und man befürchtete für den Fall, dass nicht mehr Fachvertreter aus Lehre und Forschung die Übungen übernähmen, eine Gefahr des Verkommens der medizinischen Ausbildung zu einer Fachschulausbildung. Biologie wurde als Wissenschaftskomplex aus Zoologie, Botanik, menschlicher Anatomie und menschlicher Physiologie begriffen, von denen Zoologie und Botanik die wichtigsten Bestandteile seien. Eine Einführung besonderer Lehraufträge für Biologie durch Nicht-Botaniker und Nicht-Zoologen würden dieses umfassende Verständnis der Mediziner für biologische Grundlagen schädigen. Daher forderte man einerseits, dass die Ausbildung den zuständigen Fachvertretern nicht entzogen werden dürfe, sowie andererseits, alle zuständigen Kreise auch außerhalb der Medizinischen Fakultäten zu hören. Hierbei schimmerte auch die Angst durch, Biologie als spezielles Lehrfach könnte den Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultäten quasi entrissen und den medizinischen Fakultäten angegliedert werden. Dort sei aber nur ein kümmerliches Dasein möglich, denn bereits die Zusammenfassung von Zoologie und Botanik in einer Prüfung zeuge von der Verkennung der Bedeutung beider Disziplinen für die Ausbildung der Ärzte. Fange man jetzt damit an, könnten in Zukunft auch in anderen Bereichen spezielle Lehraufträge an NichtFachvertreter vergeben werden, was zu Folge hätte, dass die Universitäten zu Fachschulen degradiert, ihre Eigenart verlieren würden und die Gefahr der Einseitigkeit in Ausbildung und Lebensauffassung bestünde.73 Die Forscher interpretierten demnach den Vorstoß des Ministeriums als Angriff auf die Universität und ihre akademische Selbstverwaltung und reagierten dementsprechend scharf. Zwei Wochen später schloss sich auch die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Münster der Denkschrift vollkommen an und bat den Kurator um Eingabe derselben beim Wissenschaftsministerium. Sie fügte den Argumenten noch hinzu, dass es bei dem großen Umfang von Zoologie und Botanik keinen Wissenschaftler gäbe, der eine einwandfreie Biologievorlesung halten könne und eine solche, je nach Neigung des Lehrenden, entweder über Zoologie oder Botanik sein würde. Damit aber sei einer Ausbildung der Mediziner nicht genüge getan.74 In der Folge sah sich die Politik einem wachsenden Widerstand der organisierten Biologenschaft ausgesetzt. Am 4. August 1932 übersandte der Tübinger Ordinarius für Botanik, Ernst Lehmann, in seiner Funktion als Repräsentant des Deutschen 73 74

UAMs, Bestand 62, A I 4, Denkschrift des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn, 15.7.1932. Ebd., Dekan an Kurator, 31.7.1932.

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Biologenverbandes der Fakultät eine weitere Denkschrift, in der er die Argumente seines Kollegen aus Bonn noch einmal unterstrich: Verflachung des Unterrichts und der Qualität der Ausbildung der Ärzte, Einflussverlust der Biologen, Gefährdung des Weltrufes deutscher Ärzte. Am Ende zitierte er Richard Goldschmidt, den Direktor des KWI, mit den Worten: „Es würde wohl niemals ein Nicht-Physiker wagen, die Grundlagen der modernen Atomphysik als falsch oder unsicher hinzustellen […]. Anders bei der Vererbungslehre. Hier hält jeder, der in seinem Fach Gelegenheit hat, sich mit dem Organismus zu beschäftigen, sich befähigt, über die ihm nur oberflächlich bekannten Ergebnisse der Vererbungslehre zu urteilen“.75

Auch die Deutsche Botanische Gesellschaft und die Deutsche Zoologische Gesellschaft schlossen sich den Ausführungen Lehmanns an.76 Die Pläne des Ministeriums wurden daraufhin vorerst nicht weiter verfolgt. Während die Biologen und die Ausgestaltung ihrer Lehre in diesem medizinischen Zusammenhang zwar auch direkt betroffen waren, so ging es aber letztendlich nicht um den Kern ihrer eigenen Studiengänge. Jedoch sollte auch dieser in Form der Lehrerausbildung einige Jahre später ins Zentrum der Diskussion rücken. Wie schon 1932 ging der Impuls erneut von Seiten der Politik aus. Bezeichnenderweise war es aber die Wissenschaft, welche die Ausbildung eng an die nationalsozialistische Ideologie anbinden wollte. Diskussionen darüber, wie eine Neustrukturierung des Lehramtsstudiengangs für Biologen bewerkstelligt werden könnte, hatte es, angeregt vom ehemaligen Münsterschen Assistenten und in der Zwischenzeit an die TH Dresden gewechselten Botaniker Friedrich Tobler, bereits 1925 gegeben. Diese waren jedoch vom damaligen Sächsischen Ministerium für Volksbildung abgeblockt worden.77 1934 hatte der Deutsche Biologenverband unter Lehmann einen erneuten, ebenfalls weitgehend ignorierten Entwurf vorgelegt.78 1936 dann wurde das Thema von Ministerialrat Professor Meyer im REM erneut aufgenommen, der sich mit einer Bitte um Ausarbeitung an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin wandte. Dieser sandte ausführliche Vorschläge, unter anderem vom Direktor des Zoologischen Instituts, Paul Deegener, an das REM zurück. Der Dekan selbst schlug in seiner Anregung vor, den wissenschaftlichen Unterricht in Zukunft in zwei Schichten abzuhalten, wobei in der ersten die „nicht gerade zum Forschen geborene[n] künftige[n] Lehrer“79 und in der zweiten diejenigen, 75 76 77 78 79

UAMs, Bestand 62, B III 8 a, Lehmann an Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, 4.8.1932. Ebd., Stellungnahme der Deutschen Botanischen Gesellschaft und der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, 19.7.1932. BAB, R 4901. Nr. 813, Tobler an REM, 27.4.1941. Vgl. hierzu BAB, R 4901, Nr. 14477. BAB, R 4901, Nr. 813, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Berlin an REM, 16.6.1936.

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die die erste Stufe mit merklichem Erfolg abgeschlossen hätten, ausgebildet werden sollten. Außerdem sollten die angehenden Lehrer anhand der sie umgebenden Natur praktisch und biologisch zu denken lernen. In eine ähnliche Richtung zielte der Vorschlag Deegeners. Er stellte seinen Anregungen ein Zitat des Gründers des NSLB und ehemaligen bayrischen NS-Kulturministers, Hans Schemm, voran: „Anschauung in jeder Form ist die Grundlage aller Erkenntnis.“80 Im Gleichklang damit forderte er eine Schwerpunktverlagerung weg von der Theorie hin zur Praxis, das heißt Lehrausflüge, Freilandstudium und -prüfungen, Lagerleben und praktische Laboratoriumsarbeit, aber auch die eingehende Beschäftigung mit Rassenkunde, Erblehre und Eugenik. Erst die Arbeit in der Natur führe zu Kameradschaft, und Ziel der Neuausrichtung solle eine Abkehr von „verhängnisvolle[m] Verbalismus und tote[m] Buchwissen“ und eine Hinwendung zur Natur als Grundlage von Lehre und Erleben sein.81 Sein Kollege Professor Solger ging in seinem Vorschlag sogar noch weiter. Er forderte keine allzu starren Vorgaben, da sie die Studenten nur einengen würden. Stattdessen sollte man freie, selbständige Studenten fördern und diese zu eigenständigen Arbeiten anleiten. Außerdem sollten nicht Biologielehrer, sondern Lehrer, die auf Grundlage biologischen Wissens und Verständnisses die deutsche Jugend erziehen könnten, ausgebildet werden. Diese müssten eine biologisch betonte Erziehung in allen Bereichen betreiben und der Jugend die „Gesetze des Lebens und Bedeutung des Raumes“82 aufzeigen. Auch er forderte die Biologie als Gegengewicht zum „Philologentum“. Abschließend gab der Dekan noch ein Votum der gesamten Fakultät weiter. In diesem wurde eine enge Verknüpfung von Biologie, Physik und Chemie gefordert und die Hauptaufgabe der Lehrer darin gesehen, unter anderem Abstammungsund Vererbungslehre samt deren Folgerungen für die Volkswirtschaft und die Volksgesundheit weiterzugeben. Generell wünschte man, anders als Solger, straffere Vorgaben, obligatorische Vorlesungen in verschiedenen Bereichen, sowie die gründliche Beschäftigung mit der heimischen Fauna und Flora. Überlegungen zur Zusammenlegung von Zoologie und Botanik zur Allgemeinen Biologie wies man scharf zurück.83 Speziell hier hatten ja auch die Münsterschen Professoren schon 1932 auf ähnliche Pläne des Reichsinnenministeriums ablehnend reagiert. Vergleicht man die Reaktionen des Jahres 1936 mit denen von 1932, so fällt auf, dass die vormals so bestimmenden Faktoren wie die Verteidigung der akademischen Selbstverwaltung oder die Sicherung der Qualität von Lehre und Forschung keine Rolle mehr spielten. Stattdessen dominierten Anpassung, die Übernahme nationalsozialistischer Ideologeme sowie eine theoriefeindliche Sichtweise. All dies geschah 80 Zitiert ebd., Deegener an REM, 8.6.1936. 81 Ebd. 82 Ebd., Solger an REM, 9.6.1936. 83 Ebd., Statement der Fakultät.

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darüber hinaus völlig ohne Druck seitens der Politik. Von einem oktroyierten Paradigmenwandel kann demnach kaum die Rede sein. Nach 1936 verliefen die Bemühungen, wie so viele Reformversuche der nationalsozialistischen Machthaber, weitestgehend im Sande. Zwar gab es noch, wie weiter oben erwähnt, Rundschreiben des REM zu diesem Thema, zu einem Ergebnis kam man aber nicht. Erst 1941 kam das Problem erneut auf die Tagesordnung. Diesmal ging die Initiative vom Reichsstudentenführer aus, der sich mit einem Entwurf zur Neuregelung des kompletten, nicht mehr nur des lehramtlichen, Studiums der Biologie an das Ministerium wandte. Laut Reichsstudentenführer sei eine Neuregelung deshalb nötig geworden, da die Anforderungen an Lehrer einerseits und Forscher andererseits inzwischen stark divergierten. Daher plädierte er für eine Zweiteilung des Fachs in die „lehrende Biologie“ und die „forschende Biologie“.84 Bei ersterer sei durch die Umgestaltung der Lehrpläne mit ihrer stärkeren Betonung der Anthropologie und der Rassenhygiene die Diskrepanz zwischen dem, was die Universität lehre, und dem, was die Lehrer brauchten, immer größer geworden.85 Daher müsse die rassenhygienische Ausbildung der Lehrer auf Kosten der generellen Zoologie und Botanik erweitert werden, da vieles davon ohnehin nur „totes Wissen“ darstelle. Außerdem müsse eine stärkere Betonung der Praxis und des Anschauungsunterrichts Einzug erhalten. Bezüglich des zweiten Teilbereichs offenbarte der Vorschlag nichts Konkretes. Da die spätere Tätigkeit des „Forschers“ weitläufiger sei, sei kein klarer einheitlicher Studienplan möglich. Als Ziel der Veränderungen nannte der Reichsstudentenführer ein zunächst zweisemestriges gemeinsames Studium aller Biologen, danach die Spezialisierung entweder auf die Schülerbildung oder Teilbereiche der Forschung (beispielsweise Genetik) sowie die Einführung eines Diploms für die „Forscher“ und dadurch die erstmalige Einführung eines vom Lehrberuf unabhängigen Biologiestudiums. Insgesamt sollte sich die neue Studienordnung an diejenige der Geologen anlehnen. Das REM leitete den Entwurf daraufhin an Tobler weiter. Dieser begrüßte die Ausführungen im Allgemeinen und lobte vor allem, dass nun endlich der Beruf des Biologen ernstgenommen würde. Interessant ist besonders seine Einschätzung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik in diesem Punkt. Hier zeichnete er ein harmonisches Bild der Diskussion: es gäbe keine von oben gegen den Willen der Biologen aufgepfropften Entscheidungen und Veränderungen, sondern in durchaus intensivem Dialog mit der Politik erörterte und modifizierte Gedankenspiele. Frühere Initiativen von Seiten der Wissenschaft seien von der Politik aufgegriffen worden, denn letztendlich sei die Politik auf das Fachwissen der Forscher angewiesen und detaillierte Ausarbeitungen seien nur im Zusammenspiel mit den Experten 84 85

Vgl. auch für das folgende BAB, R 4901, Nr. 813, Reichsstudentenführer an REM, 8.4.1941. Vgl. hierzu Bäumer-Schleinkofer, Änne, NS-Biologie und Schule, Frankfurt a. M., Berlin, Bern 1992.

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möglich.86 Eine nach dem Krieg von Biologen oftmals dargestellte Vergewaltigung der Wissenschaft durch die Politik ist in diesen Zeilen nirgends zu entdecken. Vielmehr scheint es, dass die Schärfe, die ähnliche Diskussionen noch vor 1933 bestimmt hatte, verflogen war und sich die Wissenschaft dem politischen Mainstream in einer Art vorauseilendem Gehorsam anpasste. Auch nach diesem Vorstoß verschwand das Projekt jedoch zunächst wieder in den Schubladen des REM. Fast ein Jahr nach dem Briefwechsel teilte das Ministerium dem RSF mit, dass die Neuordnung vorerst auf unbestimmte Zeit verschoben sei.87 In den einzelnen Instituten an den deutschen Universitäten wurden aber weiterhin Überlegungen zu diesem Thema angestellt. So baten die Mikrobiologischen Institute der Universitäten Göttingen und Karlsruhe im Juni 1943 in einer Denkschrift um die Berücksichtigung ihres Spezialgebietes in einem künftigen Examen für Diplom-Biologen und begründeten dies mit dem Rückstand Deutschlands hinter den USA.88 Unterstützung erhielten sie hierbei durch die Fachgliederung „Landbauwissenschaft und allgemeine Biologie“ im Reichsforschungsrat.89 Hinzu kamen offenbar noch weitere Vorstöße anderer, nichtpolitischer Stellen. Im September 1943 wurde daher der ehemalige Münstersche Ordinarius Weber in seiner Eigenschaft als Führer des RFB in die Diskussion mit einbezogen. Das REM übersandte ihm sämtlichen Schriftverkehr zum Thema und bat ihn um eine Stellungnahme dazu, ob er eine Neuordnung generell für nötig halte und, falls ja, ob sie umgehend durchgeführt werden müsste. Damit war nun auch die nominelle Spitze der deutschen Biologie involviert.90 Unabhängig vom REM hatte sich auch bereits der RSF an Weber gewandt, so dass sich der Zoologe bereits intensive Gedanken gemacht hatte, als der Brief des Ministeriums bei ihm eintraf. Weber selbst sympathisierte mit den Vorschlägen des RSF und betonte, dass er die Einführung einer Diplomprüfung für Biologie für nötig halte, da inzwischen alle naturwissenschaftlichen Fächer eine solche Möglichkeit böten. Dann bot er an, im Auftrag des REM eine Umfrage bei den Fachkollegen und Arbeitgebern für Biologie durchzuführen und eine Muster-Studienordnung, angelehnt an die Geologie, zu versenden, um in einem ersten Schritt Vorschläge zu sammeln und im Anschluss in einem zweiten Entwurf Verbesserungen und Ideen des RSF einzuarbeiten. Das Ergebnis daraus sollte dann als Grundlage für Diskussionen im REM dienen.91 Das REM zeigte sich mit diesem Vorschlag einverstanden und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Angelegenheit beschleunigt und erfolgreich vom Ministerium 86 BAB, R 4901, Nr. 813, Tobler an REM, 27.4.1941. 87 Ebd. 88 Ebd., Denkschrift der Mikrobiologischen Institute der Universitäten Göttingen und Karlsruhe, Juni 1943. 89 Ebd., Reichsforschungsrat, Fachgliederung „Landbauwissenschaft und allgemeine Biologie“, an REM, 20.7.1943. 90 BAB, R 4901, Nr. 813, REM an Weber, 21.9.1943. 91 Ebd., Weber an REM, 23.9.1943.

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weiterbetrieben werden könne, sobald die Unterlagen Webers vorliegen würden.92 Erneut war die Politik also weit davon entfernt, der Wissenschaft ihre Vorstellungen zu diktieren. Stattdessen setzte man auf deren Expertise und auf Kooperation. Nachdem das REM grünes Licht gegeben hatte, machte sich Weber ans Werk, schrieb reichsweit seine Kollegen an und erbat deren Kommentare. Zwischen Ende 1943 und Anfang 1944 traf daraufhin eine Vielzahl von Stellungnahmen der im biologischen Bereich tätigen Professoren beim Führer des RFB ein. Eine detaillierte Auswertung der einzelnen Antworten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, weshalb hier nur die generellen Inhalte referiert werden können. Die Meinungen der Biologen zur Einführung einer neuen Studienordnung waren, wie nicht anders zu erwarten, unterschiedlich und schwankten zwischen begeisterter Bejahung und völliger Ablehnung der Vorschläge. Hierbei wurde vor allem auf die Gefahr des Absinkens des Fachs hingewiesen („Schmalspurbiologen“) und gleichzeitig die Angst vor einer „Spezialistenausbildung“ anstelle von unabhängigen Forschern artikuliert. Allen gemein war die Kritik an einer geplanten Zusammenlegung von Zoologie und Botanik. Ebenso sprachen mehrere Forscher von einem teils katastrophalen Nachwuchsrückgang, obwohl doch noch nie zuvor so viel von der Bedeutung der Biologie für die Allgemeinheit die Rede gewesen war und sei. Während also das Argument Qualität erneut ins Feld geführt wurde, machten die Antworten deutlich, dass von der Propaganda des Regimes wenig positive Effekte, zumindest was die Beliebtheit unter den Studenten anging, auf die universitäre Biologie ausgingen.93 Mitte Januar 1944 bat das REM Weber um ein Update zum derzeitigen Stand seiner Arbeiten.94 Der Straßburger Ordinarius schilderte daraufhin die breitgefächerte Reaktion seiner Kollegen und schlug eine Besprechung im Ministerium vor.95 Knappe drei Wochen später bat wiederum das REM um eine Ausarbeitung von Studien- und Prüfungsordnung und die Übersendung der Antworten der Fachvertreter. Auf deren Basis solle der Entwurf überprüft und zum Gegenstand einer Besprechung mit den Biologen und dem RSF gemacht werden.96 Weber gehorchte97 und brachte einen Monat später nach einem Personalwechsel im REM auch den neuen Referenten Demmel auf den neuesten Stand.98 Danach blieb der Vorgang erneut liegen. Im August erkundigte sich der Zoologe ein letztes Mal, ob sein Entwurf inzwischen bearbeitet worden sei, und drängte gleichzeitig zu Eile, da die Prüfungsordnung in Anbetracht der heimkehrenden Studenten noch vor Kriegsende fertiggestellt werden müsse.99 Eine Antwort aus Berlin erreichte den Ordinarius 92 93 94 95 96 97 98 99

Ebd., REM an Weber, 26.10.1943. Vgl. hierzu die diversen Stellungnahmen in BAB, R 4901, Nr. 14477. Ebd., REM an Weber, 13.1.1944. Ebd., Weber an REM, 14.1.1944. Ebd., REM an Weber, 8.2.1944. Ebd., Weber an REM, 17.4.1944. Ebd., Weber an REM, 16.5.1944. Ebd., Weber an REM, 21.8.1944.

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nicht mehr. Drei Monate später wurde Straßburg von französischen Truppen befreit und Weber interniert. Auch wenn der gesamte Vorgang, wahrscheinlich aufgrund der Kriegslage, nicht zum Abschluss gebracht werden konnte, zeigt er doch einige charakteristische Merkmale für den Umgang zwischen Politik und biologischer Wissenschaft im „Dritten Reich“. Beide waren sich dessen bewusst, dass sie auf die jeweils andere Seite angewiesen waren. Ebenso gab es keine klare Trennung der beiden Sphären mehr, saßen doch an den verantwortlichen Stellen im Ministerium oft Wissenschaftler, und hatten sich die Angehörige der Universität, wie beispielsweise Weber, durch ihre umfangreiche Betätigung für das Regime, ihre Ämter sowie ihre Neuausrichtung wissenschaftlicher Konzepte politisiert. Man setzte auf Kooperation; kam es zu gegenteiligen Auffassungen, so mobilisierte man zwar Ressourcen wie Fachwissen und die Sorge der Politik vor dem Absinken der Qualität der Wissenschaft, eine erstarrte Blockbildung war aber nicht zu entdecken. Auch bestand ein verbissenes Beharren auf Werten wie der akademischen Selbstverwaltung, wie es größtenteils noch vor 1933 artikuliert wurde, kaum noch, vor allem auch deshalb, weil die Politik nicht diktierte, sondern den Forschern die Gelegenheit gab mitzubestimmen. Auch hier gab es demnach keine Indienstnahme von oben, sondern ein produktives Miteinander. Niederlage und Zerstörung unterbrachen ab 1945 vorerst weitere Planungen und Diskussionen zur Reorganisation des Biologiestudiums. Dennoch kehrte das Thema außergewöhnlich rasch wieder auf die Tagesordnung zurück. Bereits 1948 wandte sich die Politik erneut an einen Münsterschen Ordinarius, in diesem Falle Rensch, um dessen Meinung bezüglich der Einführung eines biologischen Diplomstudienganges einzuholen. Am 10. März 1948 schrieb Rensch daraufhin an den Rektor und wog das Für und Wider einer Einführung ab. Für einen solchen Schritt spreche die Notwendigkeit eines Abschlussexamens für all diejenigen, die nicht in den Schuldienst gehen wollten. Bislang sei es üblich gewesen, die Promotion als einen solchen Abschluss gelten zu lassen. Bereits hier brachte er aber Widerspruch an. Da die Anfertigung einer Dissertationsschrift durchschnittlich vier Semester dauere und zumeist eine besonders qualifizierte Arbeit Voraussetzung für die Anstellung an einem biologischen Fachinstitut sei, könne seines Erachtens nach weiter wie bisher verfahren werden. Außerdem würde auch nach eventueller Einführung eines Diplomexamens die Qualität der Dissertation der Maßstab für eine wissenschaftliche Beurteilung bleiben. Gegen die Einführung spreche weiter, dass erfahrungsgemäß ein großer Prozentsatz der Biologie-Studenten später eine rein wissenschaftliche Karriere anstreben würde und ein Diplom daher den Eindruck erwecken könnte, es handele sich dabei um eine normale berufliche Laufbahn. Dies sei aber keineswegs der Fall, denn, alle Arbeitsmöglichkeiten in angewandter und reiner Biologie zusammen gezählt, gebe es einen Bedarf für ein bis zwei Studenten pro Universität. Ein Diplom könnte daher falsche Erwartungen und Hoffnungen wecken. Zusätzlich dazu

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bestünde die Gefahr einer Ungleichbehandlung der Examina durch die einzelnen Universitäten, je nachdem welche besonderen Lehrstühle gerade vorhanden wären. Dadurch drohe die Gefahr des Absinkens des Niveaus des Studiums auf das von Landwirtschaftlichen und Technischen Hochschulen. Daher müsse Rensch die Einführung des Diplomstudiengangs Biologie ablehnen.100 Vergleicht man die Argumentation Renschs mit den Aussagen, die während des Krieges von Weber gesammelt worden waren, so ist auffällig, dass sich die Argumentation der Wissenschaft nicht verändert hatte. Wie auch unter dem Nationalsozialismus war die Qualität von Lehre und Forschung das wichtigste Argument geblieben. Ebenso fällt auf, dass auch das Vorgehen der Politik keine Veränderung durchlaufen hatte. Man setzte auf Kooperation, sah die Wissenschaft als Partner an und legte Wert auf ihre Aussagen. Auch außerhalb des universitären Rahmens wird deutlich, dass sich die Wissenschaft weiterhin der Politik als Partner anbot, um in einer gemeinsamen Diskussion zu für beide Seiten akzeptablen Regelungen zu kommen. Dies zeigen beispielsweise die Bemühungen Struggers um eine Reform des Oberstufenunterrichts Ende der 1950er-Jahre, welche gleichzeitig wiederum eng mit der Ausgestaltung des Lehramtsstudiums verknüpft waren. Das besondere Interesse des Ordinarius hatte schon längere Zeit der Schulpolitik gegolten. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft „Deutsche Höhere Schule in der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“ referierte er deshalb 1956 wie auch 1957 über das Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Schulbildung. In seiner Rede auf der 99. Versammlung der Gesellschaft in Hamburg vom 23. bis 26. September 1956 ging er dabei ausführlich auf „Die Einheit im Bildungsplan der höheren Schulen, Naturwissenschaften und allgemeine Bildung“ ein.101 Kernforderung Struggers war der Ausbau der naturwissenschaftlichen Unterrichts, insbesondere der Biologie, in der Oberstufe. Seine Argumentationsstrategie war dabei zweigeteilt. So betonte er die enge Beziehung von naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Forschung, welche beide aufeinander angewiesen seien und nicht ohne den anderen existieren könnten: „Da jede Wissenschaft auf der Erkenntnis beruht, so kann eine Aufteilung der Wissenschaftsgebiete nur die Objekte der Erkenntnis und die Methoden der Erkenntnis betreffen. Die im vorigen Jahrhundert so konsequent entwickelte Zweiteilung der Wissenschaften in Geistes- und Naturwissenschaften ist daher im Grunde genommen nur eine sehr künstliche Entwicklung. […] Es ist daher die Folgerung zu ziehen, dass ohne eine allgemeine naturwis-

100 101

UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Rektor, Unterordner: bis Dez. 1956, Rensch an Rektor, Rensch an Rektor, 10.3.1948. Vgl. für das folgende Strugger, Siegfried, Die Einheit im Bildungsplan der höheren Schulen, Naturwissenschaften und allgemeine Bildung, in: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 45 (1958), S. 3–8.

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senschaftliche Grundbildung ein Verständnis der historischen Entwicklung der Menschheit, auch vom Standpunkt des Geisteswissenschaftlers aus gesehen, nicht mehr möglich ist.“102

Auf diese Grundannahme gestützt beklagte Strugger die Stundenreduzierung der Naturwissenschaften in der Oberstufe zugunsten der Geisteswissenschaften. Dieses Ungleichgewicht habe nun dramatische Folgen – nicht nur für die Schüler, sondern auch für NRW, Deutschland und die Welt. So mache es die neue Prüfungsordnung für das Höhere Lehramt für das Land NRW vom 26. Juni 1952 den zukünftigen Lehrern durch eine unsinnige Aufteilung in Kurz- und Langfächer unmöglich, eine sinnvolle Kombination von Fächern im Hinblick auf ihr Studium zu wählen. Hieraus leitete er ernste Folgen für die bundesdeutsche Politik der Zukunft ab, denn: „Die Folge davon ist, daß in Zukunft der Nachwuchs an naturwissenschaftlichen Lehrkräften im Lande Nordrhein-Westfalen nicht mehr fließen wird und wir schließlich in einem der bedeutendsten Länder der Bundesrepublik einen Nachwuchsmangel an qualifizierten Lehrkräften haben werden“.103

Dies wiederum, und hier setzte Struggers zweite Argumentationslinie an, hätte weitreichende Folgen für die Stellung Deutschlands in der Welt. Denn so Strugger: „Die Chemie spielt heute im öffentlichen Leben unserer Nation eine große Rolle. Die molekulare Chemie ist eine Weltmacht geworden, und die Atomchemie wird die Weltmacht von morgen sein. Beide Entwicklungsgebiete der Chemie sind Faktoren, welche die Geschichte der Menschheit augenblicklich bestimmen.“104

Strugger sprach aus Erfahrung, war er doch neben seinem Ordinariat an der Universität Münster noch Leiter des Instituts für Biologie an der Kernforschungsanlage Jülich.105 Seiner Meinung nach müsse die Politik durch eine richtige Weichenstellung im Bereich der Bildungspolitik für eine gleichberechtigte Kooperation von Natur- und Geisteswissenschaften sorgen. Ansonsten sei nicht nur die Zukunft Deutschlands, sondern auch die führende Stellung Europas in der Welt gefährdet. Strugger teilte zur Illustration die Welt in bildungsgeographische Zonen auf, welche je unterschiedliche Betonungen auf die Wissenschaftszweige legten. Dabei holten besonders Länder in solchen Zonen, welche die Naturwissenschaften stärker berücksichtigten, immer weiter auf. Europa müsse deshalb gegensteuern – und Struggers Vorschlägen folgen: „Möge das richtige Maß in der Verteilung des wirksamen Unterrichts im Sinne einer umfassenden und nicht spezialisierten Bildung für unsere höheren Schulen gefunden werden. Eine diesbezügliche verständnisvolle Zusammenarbeit der Geisteswissenschaftler mit den 102 103 104 105

Ebd., S. 4. Ebd., S. 6. Strugger 1958, S. 5. Es wäre an dieser Stelle äußerst interessant gewesen, mehr über die Tätigkeiten Struggers in Jülich vorstellen zu können. Leider sind laut Aussage der dortigen Mitarbeiter keine Akten über diesen Zeitraum mehr verfügbar.

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Naturwissenschaftlern wird in Zukunft zum Segen unseres Volkes gereichen. Wir haben in diesem Sinne geradezu eine europäische Aufgabe zu erfüllen. Europa ist im Hinblick auf die Wissenschaft der traditionsreichste Kontinent der Erde. Geistig gesehen ist dieser so kleine Kontinent eine starke und hochaktive Zusammenballung bedeutender Kräfte. Daran konnten weder der erste noch der zweite Weltkrieg noch der übertriebene Nationalismus etwas ändern.“106

Selbst die USA, laut Strugger „heute die Weltzentrale für eine wissenschaftliche Aktivität aller Art“,107 beneideten die Europäer um ihre reine, nicht auf Nützlichkeit zielende Forschung. „Dieses schöne Zeugnis soll uns in dieser Zeit stärken und soll uns überzeugen, daß Europa auch in Zukunft noch eine wichtige Mission in der Welt zu erfüllen hat. Alle großen Gedanken sind beinahe in seinem Schoße geboren worden. Es hängt auch von unseren höheren Schulen und ihrer Entwicklung in Zukunft das Schicksal und die Weltwirksamkeit Europas ab. Möge Europa so stark sein, damit die Erziehung, die Wissenschaft, die Künste und die höchste Einsicht der Staatsmänner imstande sind, das geistige Gleichgewicht der Menschheit zu erhalten. Das ist eine echte Mission, für die wir als Europäer leben und arbeiten wollen, damit nicht tierische Barbarei die Welt verwüsten kann.“108

Strugger ging also davon aus, dass ein Ausbau des Biologieunterrichts in der Oberstufe von zwei auf vier Stunden zur Rettung der Welt vor der Barbarei beitragen würde. Die in einem anderen Zusammenhang von Rensch geäußerte Meinung über Struggers Vorträge: „Schamlose, allen imponierende Schaumschlägerei“,109 war also möglicherweise durchaus berechtigt. Auf einer sachlichen Ebene wird jedoch deutlich, wozu Strugger die deutsche Botanik einsetzen wollte: Zum einen als Ressource zur Wiedereingliederung Deutschlands in die europäische Völkergemeinschaft, zum anderen als Ressource zur Förderung des Staates selbst. Somit kann der Vortrag als Appell an die Politik gedeutet werden, diese Ressource nicht brachliegen zu lassen. Diese Gedanken beschäftigten Strugger auch später noch weiter. Im folgenden Jahr hielt er auf der 100. Versammlung der Gesellschaft die Einleitungs- und Schlussansprache der Schultagung.110 Die Tagung selbst stellte eine Schaltzentrale für die Verbindung von Ministerien, Gymnasien und Hochschulen dar. Auch hier äußerte sich Strugger ähnlich wie 1956. So gefährde das Absinken des wissenschaftlichen Niveaus der Gymnasien die wissenschaftlich-technische Entwicklung der deutschen Nation. Erneut forderte er die Herstellung eines besseren Gleichgewichts zwischen natur- und geisteswissenschaftlichem Unterricht. Dazu kamen 106 Strugger 1958, S. 8. 107 Ebd. 108 Ebd. 109 SBB, Nachlass 126 (B. Rensch), Kasten 27, TBE Rensch, 5.3.1955. 110 Vgl. für das Folgende Strugger, Siegfried, Einleitungs- bzw. Schlußansprache, in: Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte 46 (1959), S. 121 bzw. S. 132–133.

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noch weitere Forderungen. So müsse der Überfüllung der Gymnasien durch einen Ausbau der Mittelschulen begegnet werden, die Einführung der Fünf-Tagewoche für Gymnasien sei indiskutabel, und die Lehramtsprüfungsordnung müsse dahingehend geändert werden, dass eine sinnvolle Kombination von Hauptfächern möglich sei. Ein Drei-Fächer-Studium lehnte Strugger ab. Außerdem müsse der wissenschaftliche Charakter der Ausbildung der Studienräte im Vordergrund bleiben, denn übertriebener „Pädagogismus“ sei schädlich für die zukünftige Entwicklung der Gymnasien. Abschließend zog er wieder weitreichende Schlussfolgerungen. So hingen von der Aufwärtsentwicklung der Gymnasien die wissenschaftliche Geltung und der zukünftige Lebensstandard des deutschen Volkes ab. Neben dem Punkt der inhaltlichen Ausgestaltung von Lehre und Forschung gab es noch weitere Schnittstellen von Politik und Wissenschaft, die sich insbesondere in den Fragen des Aufbaus von Strukturen und Institutionen und des Einflusses der Wissenschaftler auf diese Einrichtungen offenbarten. Da diese im Normalfall entweder finanziell von politischen Entscheidungsträgern abhängig oder mit einem expliziten forschungspolitischen Auftrag versehen waren, lässt sich hieran auch die Problematik der versuchten gegenseitigen Einflussnahme aufzeigen. Auf der anderen Seite wird aber auch ebenso deutlich, wie explizit sich die Wissenschaftler gegebenenfalls in den Dienst der Politik stellten, um ihre Forschungen zu fördern. Prägnantestes Beispiel hierfür ist sicherlich die Tätigkeit Schratz’ für die RfH und das Ministerium für die besetzten Ostgebiete, die im Exkurs zur Pharmakognosie ausführlich beschrieben wurden. In eine ähnliche Richtung zielte Mevius mit seiner Mitarbeit im Forschungsdienst, auf die ebenfalls bereits eingegangen wurde. Auch Kosswig und Breider, die ihre Expertise als Vererbungsforscher der SS als Rassegutachter zur Verfügung stellten, lassen sich hierunter mit Einschränkungen subsumieren. Dass diese Vorgänge jedoch nicht immer mit einer Kompromittierung einhergingen, sondern auch zum wechselseitigen Vorteil von Wissenschaft und Politik ausgestaltet werden sollten, zeigt das Beispiel der Versuche von Ubischs, Anfang der 1930er-Jahre eine zoologische Arbeitsgemeinschaft an der Universität Münster zu begründen. Nachdem frühere Pläne des Ordinarius, die Politik für einen Neubau des Zoologischen Instituts zu gewinnen, gescheitert waren, sicherte er sich 1930 die Unterstützung seiner mit eigenen Lehraufträgen an der Universität beschäftigten Kollegen Lehmann, Oberfischmeister der Provinz Westfalen, und Becker, Leiter der Versuchsanstalt für Bienenkunde der Provinz Westfalen, und brachte damit erstmals außeruniversitäre, genauer gesagt provinziale Interessen mit ins Spiel, denn: beide Forscher standen staatlichen Einrichtungen vor beziehungsweise waren für die Provinz tätig. Insbesondere mit Lehmann trat jemand in die Auseinandersetzungen ein, der nicht nur aus erster Hand die Probleme am Institut erlebt hatte, sondern durch seine Stellung als Oberfischmeister über nicht unerheblichen Einfluss bei den politischen Entscheidungsträgern der Provinz verfügte und auch gute Beziehungen ins Wissenschaftsministerium hatte.

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Die Kampagne des Ordinarius ist ein Musterbeispiel für die Mobilisierung rhetorischer Ressourcen durch die Wissenschaft und legt gleichzeitig Zeugnis über die Argumentationskunst von Ubischs ab, der versuchte, gleich mehrere Probleme auf einen Schlag zu lösen und eine Win-Win-Situation Politik wie Wissenschaft zu schaffen. Mit der Bitte beginnend, vom Wissenschaftsministerium eine amtliche Mitteilung über die unhaltbaren Zustände am Zoologischen Institut zu erwirken, schilderte er in einem ersten Schreiben zunächst, dass es gelungen sei, an der Universität Münster den zoologischen Unterricht in einer Vielseitigkeit auszugestalten, die nur an ganz wenigen anderen deutschen Universitäten der Fall sei. So würde die Physiologie durch Stempell und Krüger, die Landesfauna durch Feuerborn, die Vererbungslehre durch Kosswig, die Fischerei durch Lehmann, die Bienenkunde durch Becker und die allgemeine Zoologie und Entwicklungsphysiologie durch ihn selbst vertreten. Dieser Vielfalt, die sich darüber hinaus noch durch die enge Vernetzung mit regionalen außeruniversitären Einrichtungen wie der Versuchsanstalt für Bienenkunde der Provinz Westfalen und des Fischereibiologischen Instituts der Landesbauernschaft Westfalen auszeichne, drohe jedoch Gefahr. So müssten, sollte sich die Lage nicht ändern, Lehmann und Becker, die nicht der Universität, sondern der Provinz unterständen, aufgrund ihrer schlechten Unterbringung am Institut an einen anderen Ort umgesiedelt werden. Dies würde nicht nur die gute Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Institutionen beschädigen, sondern ein solcher Verlust wäre umso schmerzlicher für die an der Universität Münster studierenden Vorexamens-Landwirte, deren Aufnahme in den Kreis der prüfbaren Fächer gerade erst drei Jahre zurückläge. Daher müsse es das Bestreben der zuständigen Stellen sein, diese Institute unter voller Wahrung ihrer Selbständigkeit zu einer Arbeitsgemeinschaft mit dem Zoologischen Institut zusammenzuführen, idealerweise durch den räumlichen Anschluss an einen Institutsneubau. Da ein solcher aber nicht von heute auf morgen entstehen könne, sollte man den Instituten bereits jetzt das Gelände, auf dem der Neubau entstehen solle, zur Verfügung stellen, damit sie sich dort einrichten könnten und eine Abwanderung vermieden würde. Dies wiederum wäre aber nur möglich, wenn ein Neubau an der betreffenden Stelle bereits amtlich zugesichert werden würde.111 Durch das von dem Zoologen vorgeschlagene Vorgehen könnten alle Seiten nur gewinnen: Das Ministerium erhielte und förderte ein hervorragend aufgestelltes und gut vernetztes Institut, die Universität erhielte ein neues Gebäude und könnte einen noch jungen Studiengang (Landwirtschaft) sowohl personell als auch inhaltlich stützen, die Provinz gäbe ihren Mitarbeitern die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten an den Forschernachwuchs weiterzugeben, und das Zoologische Institut könnte seine Raumnot lösen und die Qualität von Lehre und Forschung erhalten und steigern. Die Anstrengungen von Ubischs zeigten aber wieder keine einschneidende Wirkung. Zwar war die Antwort des Ministeriums auf den Vorstoß verhalten positiv: Man habe die Absicht, diesbezüglich mit dem Finanzministerium in Verbindung zu 111

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, von Ubisch an Kurator, 20.11.1930.

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treten. Dennoch wollte man keine eigene Initiative entwickeln. Daher bat man von Ubisch um die Ausarbeitung eines Planes innerhalb von drei Monaten.112 Von Ubisch machte sich daraufhin ans Werk und beauftragte einen Privatarchitekten, erste Entwürfe anzufertigen. Am 18. Februar 1932 wurden diese über den Kurator an das Ministerium geleitet.113 Beim Regierungspräsidium war man über das Vorgehen des Ordinarius aber wenig erfreut, da man darin einen Eingriff in die eigenen Kompetenzen sah. Am 12. März 1931 schrieb der Kurator an von Ubisch, dass der Regierungspräsident die Einschaltung eines Privatarchitekten als schädlich für die staatliche Hochbauverwaltung sehe, da er leichter „blenden“ und die staatliche Seite in einem schlechten Licht erscheinen lassen könne. Dieser Meinung schloss sich auch der Kurator an: eine Beteiligung von nichtstaatlichen Stellen sei nur auf besondere Anweisung des Wissenschaftsministerium zulässig.114 Im Juli 1931 reiste dann eine Abordnung der Medizinischen Fakultät zu einem Ministeriumsbesuch nach Berlin, um die Aufstellung eines Bauplanes für verschiedene medizinische Institute besprechen. Von Ubisch versuchte nun, sich an diese Reise anzuhängen, indem er Mitte Juli dem Kurator einen weiteren Brief schrieb. So habe er von der besagten Reise der Mediziner gehört und nehme an, dass auch der Bau des Zoologischen Instituts zu Sprache kommen werde. Daher wolle er hierzu einige Gedanken anbringen. Natürlich sei er als Direktor nicht unparteiisch, er sehe aber das Institut als wichtiges Organ im Körper der Universität an. Das bisherige Entgegenkommen von Ministerium und Kurator bei der Prüfung der Frage des Neubaus beruhe laut von Ubisch auf vier Punkten. Zum einen sei allgemein anerkannt, dass das jetzige Zoologische Institut räumlich ungenügend und nach Beschaffenheit der Räume ungeeignet sei. Zum zweiten würde die Zusammenlegung des Zoologischen mit den landwirtschaftlichen Instituten der Universität Münster eine biologische Arbeitsgemeinschaft entstehen, die an anderen Universitäten des Reiches nicht möglich sei. Drittens berge die jetzige Unterbringung des Instituts schwere Gefahren für die über und unter ihm untergebrachten Bibliotheken anderer Disziplinen, und viertens schließlich seien durch einen Neubau zwei Ziele auf einmal zu erreichen: so erhielte die Universität das ihr fehlende Institut, und mehrere Hörsäle und Seminarräume, nach denen in der Universität großes Bedürfnis herrsche, würden frei.115 Der Ordinarius kombinierte also geschickt sein Argument der Qualität von Lehre und Forschung mit, und das kommentierte er in seinem Schreiben auch selbst so, objektiven Universitätsinteressen. Aus diesen Gründen bat er den Kurator um Unterstützung in Berlin. Seine Bemühungen verliefen jedoch vorerst im Sande. Auch 1932 hatte sich die Raumnot am Institut noch nicht grundlegend verbessert. Der letzte Kommentar 112 113 114 115

Ebd., PrWM an Kurator, 11.12.1930. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, Übersicht von Ubischs über bisherige Gespräche, undatiert, ca. 1931. Ebd., Kurator an von Ubisch, 12.3.1931. Ebd., von Ubisch an Kurator, 13.7.1931.

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des Ministeriums hierzu lag bereits ein Jahr zurück, ohne dass Bewegung in die Sache gekommen war. Dies versuchte von Ubisch nun zu ändern, indem er weitere politische Stellen in die Diskussion einschaltete. Am 31. Dezember 1932 sprach er deswegen beim Oberpräsidenten der Provinz Westfalen vor, um über den Ausbau des Zoologischen Instituts zu verhandeln. Dabei hob er die unwürdige Unterbringung des Instituts hervor und äußerte den Wunsch, es mit dem Institut für Landwirtschaft, in dem Bienenzucht und Fischerei gelehrt wurden, zusammenzufügen. Zu diesem Zweck hatte er bereits einen Bauplatz zwischen Hittorfstraße und Roxelerstraße inspiziert und bat nun um Interesse von Staat, Provinz, Stadt und Landwirtschaftskammer für seine Pläne. Der Oberpräsident musste den Ordinarius jedoch enttäuschen: Ein Neubau sei zurzeit nicht möglich. Dennoch wies er von Ubisch nicht vollständig ab. Um die Chancen für die Zukunft zu verbessern, könnte es nützlich sein, einen Anschauungsunterricht für Vertreter der vier genannten Behörden durchzuführen und dazu eine Besichtigung der drei Institut vorzunehmen. Er wies zu diesem Zweck Oberregierungsrat Mayer an, mit von Ubisch Rücksprache zu halten und einen Termin zu vereinbaren.116 Von diesem Rückschlag nicht entmutigt verlagerte der Zoologe seine Bemühungen nun auf besagten Regierungsrat und ließ ihm einige Tage später eine ausführliche Denkschrift bezüglich der baulichen Zusammenlegung der drei Institute zukommen. Argumentativ ging er darin wie schon zwei Jahre zuvor in seinem Schreiben an den Kurator vor. Besonders günstige Umstände würden in Münster die Herstellung einer Arbeitsgemeinschaft von praktischer und wissenschaftlicher Zoologie und damit eine aussichtsreiche gegenseitige Förderung erlauben. Danach zählte er erneut die Vielseitigkeit des Unterrichts an der Universität Münster auf und ging besonders auf das Landwirtschaftliche Institut ein, an dem Lehmann und Becker tätig waren und das von den Studenten umfassend genutzt würde. Sei die Zusammenarbeit bereits jetzt gut, so würde die räumliche Zusammenfassung der drei Institute eine noch viel engere gegenseitige Beziehung ermöglichen. Die Praktiker (das heißt die Landwirte) könnten von den wissenschaftlichen Einrichtungen des Zoologischen Instituts lernen, während die Studenten ihrerseits von den Erfahrungen der Praktiker profitieren könnten. Außerdem könnte durch die gemeinsame Nutzung der Bibliothek, der Hörsäle und der Praktikumsräume eine Anhebung der Unterrichtsqualität erreicht werden. Zusätzlich zum offensichtlichen Nutzen konnte von Ubisch auch noch personelle Unterstützung für sein Vorhaben ins Feld führen. Neben den beiden Institutsdirektoren hatte sich auch der Direktor der Landwirtschaftskammer Westfalen für die Pläne ausgesprochen. Danach ging von Ubisch noch einmal auf das bereits fortgeschrittene Stadium der Planungen ein. Im Anschluss an die Aufforderung des Ministeriums zur Einreichung von Plänen aus dem Jahr 1930 hatte er zusammen mit dem Bauamt der Universität ein Bauprogramm erstellt und Pläne und Modelle nach Berlin geschickt. Ebenso sei ein au116

LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, OP 5602, Vermerk des Oberpräsidenten vom 23.12.1932.

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ßerordentlich geeignetes Gelände zwischen Hittorfstraße und Kliniken im Norden Münsters bereits als Bauland reserviert worden. Insgesamt beliefen sich die Kosten für das Vorhaben auf etwa 250.000 RM. Zum Abschluss appellierte der Ordinarius noch einmal an den Beamten, den Ankündigungen der Politik in Bezug auf die Förderung der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlicher Forschung und Praxis auch einmal Taten folgen zu lassen. Würden nämlich die Pläne verwirklicht, so erhielten Münster und die Provinz Westfalen Einrichtungen, wie sie einzigartig in Deutschland seien, und es würde über die genannte erstrebenswerte Fühlungnahme und Kooperation nicht nur „geschwatzt“, sondern auch einmal etwas getan.117 Auch im Wissenschaftsministerium war die Angelegenheit noch nicht völlig untergegangen. Am 13. Januar 1933 schrieb der Kurator an einen namentlich nicht benannten Ministerialrat, dass die Notwendigkeit eines Neubaus der Zoologie bereits am 11. Dezember 1930 vom Ministerium grundsätzlich anerkannt worden sei und mit einem Neubau der Anatomie kombiniert werden solle.118 Drei Wochen später schließlich übermittelte der Architekt Theodor Suhnel aus Mülheim einen Kostenvoranschlag für den Neubau an von Ubisch und gab an, dass der Senat sich hinter sein Projekt gestellt habe und er hoffe, dass nunmehr Verhandlungen mit der Stadtverwaltung folgen würden. Insgesamt setzte er die Gesamtkosten des Vorhabens inklusive Bauplatz auf etwa 450.000 RM an.119 Anders als zuvor hatte die Verwaltung dieses Mal indes keine Zeit mehr, die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben. Von den politischen Ereignissen der folgenden Monate überrollt, gerieten die Pläne völlig aus dem Blick und wurden nicht mehr aufgenommen. Die Zoologie musste weiterhin mit ihren Räumlichkeiten vorlieb nehmen. Erst die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sollten zwölf Jahre später Überlegungen zu einem Institutsneubau erneut auf die Tagesordnung der Politik bringen. Wenn die Planungen daher auch nicht zum Abschluss gebracht werden konnten, wird an den Argumenten der beteiligten Stellen deutlich, wie versucht wurde, unter Rückgriff auf wechselseitige Ressorucenmobilisierung zu einem Kompromiss zu gelangen. Für die Zeit des Nationalsozialismus sind keine weiteren Versuche überliefert sind, Strukturen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik zu schaffen. Neue Entwicklungen spielten sich daher erst in der Nachkriegszeit ab. Hierbei kam es dann auch zu Versuchen der Einflussnahme der Wissenschaft auf die Politik. Dies wird vor allem in den Diskussionen um die Schaffung von Institutionen der Forschungspolitik deutlich, die ab den 1950er-Jahren Fahrt aufnahmen und an denen die biologischen Ordinarien der Universität Münster intensiv beteiligt waren. Ein Beispiel hierfür sind die ab 1956 einsetzenden Pläne zur Errichtung eines deutschen Forschungsrates. Erste Initiativen, ein derartiges Gremium zu schaffen, lassen sich bis in den Sommer 1956 zurückverfolgen, als es erste diesbezügliche Kontakte zwischen der 117 118 119

Ebd., von Ubisch an Oberregierungsrat Mayer zu Halfern, 28.12.1932. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsneubau, Kurator an Ministerialrat, 13.1.1933. Ebd., Suhnel an von Ubisch, 31.1.1933.

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DFG, der SPD und weiteren Politikern gab.120 Gründe für derartige Überlegungen waren unter anderem die insgesamt geringe Fördersumme für wissenschaftliche Forschung, der Kalte Krieg und die geringe Anzahl an ausgebildeten Ingenieuren in der Bundesrepublik.121 Im Dezember 1956 regte Carlo Schmid auf einer Tagung hochrangiger SPD-Abgeordneter an, einen deutschen Forschungsrat einzurichten.122 Deutlich geprägt durch die damalige Debatte um die Kernspaltung und ihre Gefahren plädierte er zwar einerseits für eine freie Wissenschaft, sprach sich andererseits aber auch für die Notwendigkeit verantwortungsethischen Handelns seitens des Staates aus, um den Missbrauch gefährlicher Technologien zu verhindern beziehungsweise in ungefährliche Richtungen zu lenken. Während auf der einen Seite die Wissenschaftler wertfrei forschen sollten, sei auf der anderen Seite die Regierung mit einem solchen Auftrag überfordert, und die Wirtschaft sei zu vielen Verlockungen ausgesetzt, um die benötigten moralischen Schranken einzuhalten. Daher müsse ein Gremium geschaffen werden, bestehend „aus einigen dreißig unabhängigen Frauen und Männern […], die niemand anderem verantwortlich sind als ihrem Gewissen, und die sowohl die Fähigkeit haben, die Tragweite wissenschaftlicher Erkenntnisse, als auch die Wahrscheinlichkeit der Art ihrer Auswirkung auf den Menschen, auf die Gesellschaft, auf den Staat zu erkennen – sowohl auf dem Gebiet des Materiellen, als auch auf dem Gebiet des Moralischen, des Geistigen.“123

Ein solcher Rat solle weder anordnen noch Forschungsaufträge verteilen, sondern laufend untersuchen und politikberatend wirken. Ebenso solle er keine Gelder zur Verfügung stellen. Stattdessen sei er als Instrument zur Stärkung von Demokratie und Moral gedacht. In der Folge entwickelten sich Verhandlungen zwischen den einzelnen beteiligten Stellen, bei denen intensiv um Konzept, Ausrichtung und Besetzung des Gremiums gerungen wurden.124 Auf Seiten der Wissenschaft weckten Ideen wie diese, auch wenn sie vom Ansatz her völlig anders waren, Erinnerungen an den Reichsforschungsrat unter den Nationalsozialisten sowie, entgegen aller Beteuerungen, Sorge vor einer Einmischung in ihre Souveränität. Am 5. September 1957 wurde das inzwischen „Wissenschaftsrat“ getaufte Gremium schließlich von Bund und Ländern gegründet. Zu seinen Aufgaben zählte (und zählt weiterhin), Bundesregierung und Länderregierungen zu beraten sowie „Empfehlungen zur inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Wissenschaft, der Forschung und des Hochschulbereichs zu erarbeiten sowie zur Sicherung der internationa120

Röhl, Hans Christian, Der Wissenschaftsrat. Kooperation zwischen Wissenschaft, Bund und Ländern und ihre rechtlichen Determinanten, Baden-Baden 1994, S. 3. 121 Ebd., S. 2. 122 Vgl. für das folgende Schmid, Carlo, Ein deutscher Forschungsrat, in: Die ZEIT, Nr. 50, 13.12.1956. 123 Ebd. 124 Vgl. zur weiteren Entstehungsgeschichte des Rates Röhl 1994, S. 4ff.

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len Konkurrenzfähigkeit der Wissenschaft in Deutschland im nationalen und europäischen Wissenschaftssystem beizutragen.“125

Dabei gab er „Empfehlungen und Stellungnahmen im Wesentlichen zu zwei Aufgabenfeldern der Wissenschaftspolitik ab, nämlich zu den wissenschaftlichen Institutionen (Universitäten, Fachhochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen), insbesondere zu ihrer Struktur und Leistungsfähigkeit, Entwicklung und Finanzierung“ und zu „übergreifenden Fragen des Wissenschaftssystems, zu ausgewählten Strukturaspekten von Forschung und Lehre sowie zur Planung, Bewertung und Steuerung einzelner Bereiche und Fachgebiete.“126

An der Universität war es vor allem Rensch, der Auftrag und Struktur des Gremiums kritisch gegenüberstand. Am 31. Oktober 1957 wandte er sich deshalb an den Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. So habe er aus der Presse über die bevorstehende Konstituierung des Rates erfahren. Er sei der Meinung, dass die Forscher selbst zur Wahl der Vertreter sowie eventuell auch zu dem zu bearbeitenden Aufgabenkreis des Rates Stellung nehmen sollten. Daher regte er für die nächste Fakultätssitzung eine Diskussion dieser Frage an, damit man eventuell einen Vorstoß beim Kultusministerium NRW oder bei der Rektorenkonferenz starten könne.127 Danach blieb der Zoologe aber nicht untätig, sondern erarbeitete einen Entwurf für ein Schreiben an die Mitglieder des Wissenschaftsrates. Der Dekan legte es schließlich am 25. November des Jahres den Mitgliedern der Fakultät vor und versandte es ebenso als Rundschreiben an alle westdeutschen Universitäten und Hochschulen mit der Bitte um Unterstützung. In diesem Entwurf formulierte der Ordinarius seine Bedenken, aber auch seine Vorschläge, noch einmal deutlicher. Zunächst merkte er erneut an, dass die Presse melde, es sei ein Wissenschaftsrat für die Bundesrepublik Deutschland gegründet worden, dem die Förderung und Koordinierung, aber auch eine gewisse Lenkung der wissenschaftlichen Forschung durch Beratung über die Verteilung der finanziellen Mittel und durch Schwerpunktbildung im Forschungsprogramm obliegen soll. Der Hinweis auf die Quelle seiner Informationen war nicht nebensächlich, sondern leitete zum nächsten Punkt über: es sei für viele Forscher eine Überraschung, dass sie in keiner Weise zur Beratung über personelle Zusammensetzung oder Aufgabenkreis des Rates herangezogen worden seien. Eine stärkere Einschaltung der Wissenschaftler, die man durch Rundfragen bei den Fakultäten leicht hätte erzielen können, erscheine wünschenswert, weil dadurch alle Forschungszweige gebührende Berücksichtigung erfahren könnte. Vor allem würde aber durch einen solchen Schritt, und hier setzte er zum wichtigsten Argument an, die Gefahr einer Einengung der wissenschaftlichen Frei125 http://www.wissenschaftsrat.de/Aufgaben/aufg_org.htm, Zugriff: 25.1.2010. 126 Ebd. 127 UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: Mai 1947  – Dezember 1958, Rensch an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, 31.10.1957.

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heit infolge einer zu weit gehenden Lenkung der Forschung und einer zu großen Abhängigkeit von Einflüssen der Wirtschaft und Politik wesentlich vermindert werden. Früher habe Freiheit und Autonomie der Forschung deren hohes Niveau bedingt – die Gefahren einer Beschränkung dürften daher nicht unterschätzt werden. Im derzeitigen Wissenschaftsrat seien aber lediglich 16 von 39 Mitgliedern durch die wissenschaftliche Gemeinschaft (DFG, Max-Planck-Gesellschaft und Rektorenkonferenz) vorgeschlagen. „Die Fakultäten als die Repräsentanten der an den Universitäten und Hochschulen arbeitenden zahlreichen Forscher sind nicht befragt worden.“128 Durch die Rektorenkonferenz seien sie, da diese jährlich wechselten, nicht ausreichend vertreten, und einige Disziplinen, wie zum Beispiel die Biologie, hätten überhaupt keinen Vertreter im Rat. Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Münster rege daher an, in Zukunft die Fakultäten bei den Funktionen des Wissenschaftsrates einzuschalten. Dies könne beispielsweise durch die Beteiligung bei Vorschlägen über künftige Berufungen oder die Zusendung der Tätigkeitsberichte des Rates an die Fakultäten und eine jährliche Möglichkeit, Anregungen und Kritik zu üben, geschehen.129 In seinen Worten wird deutlich, wo Renschs Hauptprobleme mit dem neuen Gremium lagen. Zum einen der leichte Unmut darüber, dass die Politik die Wissenschaft bei ihren Planungen nicht berücksichtigt habe, obwohl diese viel besser wissen müsse, womit sich der Rat beschäftigen sollte. Zum anderen die Absicht, stärkeren Einfluss auf die Entscheidungen des Rates zu gewinnen, da man sich in seiner Autonomie bedroht sah. Der Entwurf stellt dabei eine interessante Variante der Ressourcenmobilisieurng da. So bot die Wissenschaft der Politik ihre Einbeziehung als Gewinn für deren eigentliche Absichten an, die Wissenschaft in einem gewissen Grad zu lenken, um letztlich über das Ausmaß der Lenkung selbst mitentscheiden zu können  – ein gutes Beispiel für die intensive Verschränkung beider Sphären. Mitte Januar 1958 entwickelte der Rektor auf Basis von Renschs Ausführungen schließlich einen deutlich gekürzten Entwurf, der jedoch den Passus, der sich mit der Berufung der Ratsmitglieder befasste, komplett strich130 – ein Hinweis darauf, dass der Wille zu einer solch weitreichenden Einmischung seitens der Politik nicht toleriert worden wäre. Inwiefern die Ausführungen des Zoologen letztlich Einfluss auf die Arbeit des Rates nehmen konnten, ist den Quellen nicht zu entnehmen. In den folgenden Jahren wandte sich der Rat im Vorfeld wichtiger Entscheidungen aber auch an die Fakultäten, um deren Expertise einzuholen. Rensch nutzte diese Gelegenheiten, um seine Sichtweise darzulegen und zu versuchen, Einfluss auf den politischen Prozess zu nehmen. So holte der Rat im November 1960 die Meinungen der Profes128

Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an Mitglieder der Fakultät, 25.11.1957. Zitat im Original unterstrichen. 129 Ebd. 130 Ebd., 16.1.1958.

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sorenschaft zur Frage der Neugründung von Universitäten ein. Rensch sprach sich explizit dagegen aus und begründete dies damit, dass an den bereits bestehenden Universitäten die Arbeitsgebiete der Ordinarien bereits zu umfassend seien. In der Zoologie müsse ein Lehrstuhlinhaber oft noch das Gesamtgebiet seines Fachs vertreten, während in anderen Ländern (zum Beispiel in Schweden oder in den USA) drei bis sechs zoologische Lehrstühle vorhanden seien. Deutschland hinke also der internationalen Entwicklung bereits hinterher, und Neugründungen würden das Problem eher noch verschlimmern. Der Einrichtung neuer Technischer Hochschulen stand er aber positiv gegenüber.131 Aber auch abseits der Arbeit des Rates verfolgte der Ordinarius die politischen Entwicklungen aufmerksam. Als im Oktober desselben Jahres die Konferenz der Kultusminister empfahl, in der Oberstufe der Gymnasien den Unterricht in Biologie, Chemie und Geographie abzuschaffen, schrieb er dem Dekan, dass es seines Erachtens die Pflicht der Professoren sei, dagegen Stellung zu nehmen und zunächst beim Kultusministerium NRW um eine Revision dieses Standpunktes zu ersuchen. Daher bat er, die Frage als Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Fakultätssitzung zu setzen.132 In diesem Punkt ging er auch weitgehend mit seinem Kollegen Strugger vom Botanischen Institut konform. Tatsächliche Folgen dieser Interventionen sind aus den Quellen nicht zu rekonstruieren. Wichtiger als konkrete Ergebnisse der Vorstöße sind im Hinblick auf die Kernfragestellung dieser Arbeit aber die dahinter stehenden Absichten des Ordinarius. Sie belegen ein weiteres Axiom des Ressourcenansatzes, nämlich den, dass das Verhältnis von Wissenschaft und Politik permanent neu austariert und verhandelt wird, unabhängig vom Charakter des jeweiligen Systems. Explizite Einmischungs- und Mobilisierungsversuche, wie sie hier kurz geschildert wurden, bildeten in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren jedoch die Ausnahme. Von einer Dominanz der einen über die andere Seite ist in keinem Fall zu sprechen – ähnlich wie in der Weimarer Zeit oder, bis auf wenige Ausnahmen, im Nationalsozialismus. Neben Rensch setzte auch sein Kollege Strugger seinen weitreichenden Einfluss ein, um sich in die Wissenschaftspolitik der 1950er-Jahre einzuschalten. Seine Anstrengungen konzentrierten sich jedoch nicht auf den Forschungsrat, sondern blieben auf NRW fixiert. Die Forschungsförderungspolitik des Landes NRW war in den ersten Nachkriegsjahren vor allem durch die Nachwirkungen des Gesetzes Nr. 25 des alliierten Kontrollrates vom 29. April 1946 geprägt gewesen.133 Es hatte insbesondere jegliche Forschung, die rein oder wesentlich militärischer Natur war, 131 132 133

UAMs, Zugang 19/2005, Ordner: Dekan, Unterordner: von Januar 1959, Rensch an Dekan, 14.11.1960. Ebd., Rensch an Dekan, 28.10.1960. Vgl. hierzu Brautmeier, Jürgen, Forschungspolitik in Nordrhein-Westfalen 1945–1961 (Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte NordrheinWestfalens 10), Düsseldorf 1983, S. 21ff.

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verboten. Ebenso wurde durch das Gesetz eine in der Realität nicht durchzuhaltende strenge Trennung zwischen Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung hergestellt, welche je nach Zusammenhang frei beziehungsweise mit Einschränkungen belegt wurde. Dadurch hatte sich auf deutscher Seite die Notwendigkeit ergeben, sich einer umfassenden britischen Kontrolle der Forschung zu beugen, was zu Problemen auch der universitären Forschung führte. Dementsprechend flexibel musste daher auch die Forschungsförderungspolitik angepasst werden, um auf dem schmalen Grad zwischen erlaubt und verboten balancieren zu können. Von Beginn an waren die Überlegungen der beteiligten Stellen darauf ausgerichtet, zu diesem Zweck die Bindung zwischen Wissenschaft und Politik in Form gemeinsamer Gremien zu stärken. Erste, auch vom Rektor der Universität Münster, Georg Schreiber, geförderte Pläne, einen Landesforschungsrat unter Beteiligung von Politik und Universitäten zu errichten, scheiterten 1947 jedoch am Veto der britischen Besatzungsmacht. Auch darauf folgende Pläne, eine auf Länderebene organisierte Ersatzinstitution zur DFG zu gründen, verliefen nicht zuletzt aufgrund der raschen Wiederbegründung der Notgemeinschaft im Sande.134 In der Folgezeit entwickelte sich schließlich ein Nebeneinander von Forschungsföderungsmaßnahmen der einzelnen Ministerien, darunter des Kultus-, des Wirtschafts- und des Verkehrsministeriums. Dabei verloren die Universitäten mehr und mehr an Einfluss. Erst der Eintritt Leo Brandts in die Forschungspolitik sollte dieser eine neue Kohärenz und Stoßkraft verleihen. Brandt, SPD-Mitglied und seit 1949 für den CDU-Ministerpräsidenten Arnold im Verkehrsministerium NRW tätig, hatte im Zweiten Weltkrieg an führender Stelle in der Rüstungsforschung mitgewirkt und als Leiter der Entwicklungsgruppe Funkmess entscheidenden Anteil an der Entwicklung eines deutschen Radarsystems gehabt. Durch seine enge Einbindung in die Speer’sche Rüstungsorganisation hatte er daher bereits früh den Nutzen einer zwischen Wissenschaft und Politik koordinierten Forschungsförderung erkannt.135 Schon 1950 hatte er deshalb eine Reihe von Wissenschaftlern zu gemeinsamen Gesprächen mit Vertretern der Landesregierung eingeladen, um eine bestmögliche Vernetzung der beiden Sphären herzustellen. Die Gründung der „Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen“ am 19. Mai 1950 leitete dann einen grundlegenden Wandel in der Forschungspolitik NRWs ein. Mit einer Hinwendung zur Grundlagenforschung und mit umfangreichen finanziellen Mitteln ausgestattet avancierte sie unter der Geschäftsführung Brandts zu einem Bindeglied von Wirtschaft, Staat und 134 135

Ebd., S. 59. Vgl. für das folgende Budrass, Lutz, „Ein Lehrstuhl für die Geschichte der Zukunft“. Zur Gründung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum, in: Kwiatkowski, Iris/Oberweis, Michael (Hg.), Recht, Religion, Gesellschaft und Kultur im Wandel der Geschichte. Ferculum de cibis spiritualibus. Festschrift für Dieter Scheler (Studien zur Geschichtsforschung des Mittelalters 23), Hamburg 2008, S. 483–508.

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Wissenschaft. Vorbild dieser Organisation waren nicht zuletzt Speers Bemühungen um eine Koordinierung der deutschen Rüstungswirtschaft und ähnliche Zusammenschlüsse während der NS-Zeit gewesen. Die Mitglieder der AG, 45 in der naturwissenschaftlich-technischen, 35 in der 1952 gegründeten geisteswissenschaftlichen Klasse, trafen sich in der Folge monatlich zu Kolloquien mit Vorträgen und Aussprachen. Auch Strugger wurde Mitglied der Arbeitsgemeinschaft.136 1952 legte die Arbeitsgemeinschaft eine mit „Aufgaben deutscher Forschung auf dem Gebiet der Natur-, Ingenieur- und Gesellschaftswissenschaften“137 betitelte Zusammenstellung von Aufsätzen vor. In diesen wurden die dringlichsten Forschungsaufgaben der verschiedenen Fachgebiete kurz zusammengefasst. In den folgenden Jahren sollten sie das Programm der Organisation bilden. Strugger war dabei für die Biologie verantwortlich und hatte in knappster Weise die einzelnen Forschungsfelder, die seiner Meinung nach besonders gefördert werden müssten, aufgezählt. Hierzu gehörte neben der Ernährungsphysiologie, der Vegetationskunde und der Agrarforschung auch die von ihm in seinem Institut besonders beachtete Mikrobiologie.138 Fünf Jahre später publizierte die AG eine zweite Auflage ihrer Vorhaben,139 die ungleich umfangreicher erschien und für die Biologie nun zwischen Botanik, Zoologie und Anthropologie unterschied. Für alle drei Teile zeichneten Münsterschen Professoren verantwortlich: Neben Strugger traten nämlich noch Rensch und von Verschuer. Strugger hatte in seinem Teil die bereits 1952 angeführten Felder übernommen, ausgebaut und um Genetik ergänzt. Außerdem betonte er inzwischen auch die Zellforschung. Was die angewandte Botanik betraf, so rückte er Schädlingsbekämpfung und Pflanzenkrankheiten in den Vordergrund.140 Rensch wies in seinem Beitrag neben der Cyto- und Histologie vor allem auf Verhaltenskunde, Sinnesphysiologie und Hormonforschung hin.141 Betrachtet man die von den Ordinarien als besonders forschungsförderungswürdig bezeichneten Themengebiete näher, so fallen unschwer deutliche Parallelen zu den an den Münsterschen Instituten besonders gepflegten Schwerpunkten auf. Die Biologen nutzten also ihren Einfluss in Düsseldorf, um ein positives Klima für ihre eigene Arbeit zu schaffen. Brandt, der in der Folge umfangreiche Mittel in die Gründung neuer Forschungsinstitute investierte, konnte sich auf der anderen Seite durch die Einbeziehung der Wissenschaftler deren Unterstützung für seine Vorhaben sichern. Insbesondere die Netzwerkarbeit der beteiligten Personen sollte sich also zum beiderseitigen Nutzen auszahlen. Strugger und Brandt kooperierten auch an anderer Stelle, so zum Beispiel durch die gemein136 137 138 139 140 141

UAMs, Bestand 10, Nr. 3822, Personalblatt, undatiert. Brandt, Leo (Hg.), Aufgaben deutscher Forschung auf dem Gebiet der Natur-, Ingenieurund Gesellschaftswissenschaften, Köln, Opladen 1952. Vgl. Strugger, Siegfried, Biologie, in: Brandt, Aufgaben, 1952, S. 186–188. Brandt, Leo (Hg.), Aufgaben deutscher Forschung, Köln, Opladen 1957. Vgl. Strugger, Siegfried, Botanik, in: Brandt, Aufgaben, 1957, S. 209–215. Vgl. Rensch, Bernhard, Zoologie, in: Brandt, Aufgaben, 1957, S. 215–220.

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same Herausgabe des Protokolls der Sondersitzung der Arbeitsgemeinschaft vom 20. März 1957 unter dem Titel „Wissenschaft in Not“.142 In seinem dortigen Beitrag „Entwicklung der Naturwissenschaften und die Frage des ständigen Etats der Institute“143 wies der Botaniker eindringlich auf die seiner Meinung nach vorherrschende Unterbesetzung und Unterfinanzierung der Universitätsinstitute und die Verantwortung der Politik für eine umfassende Forschungsförderung hin. Gleichzeitig machte er auf die Wirksamkeit der Biologie als Ressource für den Wiederaufbau Deutschlands und ihre Bedeutung für den Erhalt eines zivilisierten Staates aufmerksam.144 Unterstützung erhielt er dabei nicht zuletzt durch Brandt. Ein weiterer deutlicher Beleg für die Wirksamkeit dieser Netzwerke war auch die Einbeziehung Struggers in eines von Brandts ambitioniertesten Projekten, die Gründung des Kernforschungszentrums Jülich.145 Hier übernahm Strugger die Leitung des Instituts für Biologie und sorgte in der Folge seinerseits dafür, dass eine Reihe von Münsterschen Botanikern aus seinem Universitätsinstitut dort angestellt wurde. Die Quellen zeigen demnach bei Strugger noch deutlicher als bei seinem Kollegen Rensch, dass er sich gezielt und unter Ausnutzung seiner Stellung als Ordinarius in die Wissenschaftspolitik der 1950er-Jahre einzuschalten versuchte. Dabei gelang es ihm, Teil wichtiger Netzwerke zu werden und dadurch auch die Stellung seines Instituts zu stärken. Konkreten, einzelfallbezogenen Einfluss auf politische Entscheidungen oder beispielsweise eine gezielte Förderung der Münsterschen Botanik konnte er dadurch, soweit überliefert, jedoch nicht erreichen. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich sowohl Wissenschaft wie auch Politik ihrer Ressourcen bewusst waren und diese auch einzusetzen wussten. Bei all dem waren sie aber darauf bedacht, sich nicht zu weit über das eigene Territorium hinauszuwagen. Erfolgreiche Versuche, auf der jeweils anderen Seite gegen deren Willen grundlegend Politik beziehungsweise Forschung umzugestalten, lassen sich nicht nachweisen. Stattdessen dominierten Kompromisse und, insbesondere auf Seiten der Wissenschaft, aus eigenem Antrieb erfolgte Mitarbeit. Während des Nationalsozialismus manifestierte sich diese auch auf ideologische Art und Weise und wurde damit Stütze eines verbrecherischen Systems.

142

Brandt, Leo/Scheuner, Ulrich/Flegler, Eugen/Strugger, Siegfried (Hg.), Wissenschaft in Not (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Sonderheft), Köln, Opladen 1957. 143 Strugger, Siegfried, Entwicklung der Naturwissenschaften und die Frage des ständigen Etats der Institute, in: Brandt/Scheuner/Flegler/Strugger 1957, S. 27–32. 144 Ebd. 145 Vgl. zur Kernforschungsanlage Jülich generell Brautmeier 1983, S. 172ff.

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3.  Ideologische Kohärenz und instrumentelle Vernunft

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3.  Ideologische Kohärenz und instrumentelle Vernunft Ein wirksames Werkzeug zur Analyse des Verhaltens von Wissenschaftlern in diktatorischen Systemen sind die von Ash im Rahmen des Ressourcenmodells aufgestellten Kategorien von ideologischer Kohärenz und instrumenteller Vernunft.146 Während bei der ideologischen Kohärenz eine bereits bestehende inhaltliche Affinität von Zielen und Methoden der jeweiligen Wissenschaft mit der vorherrschenden Weltanschauung ins Feld geführt wird, werden bei der instrumentellen Vernunft eigene, möglicherweise auch ideologisch fragwürdig erscheinende oder unpolitische Forschungsansätze zur Verwirklichung politischer Ziele angeboten. Diese beiden Kategorien erlauben es, bei Anknüpfungsversuchen der Wissenschaftler an das Regime die ihrem Verhalten zu Grunde liegende Strategie zu erfassen und machen dadurch Vergleiche zwischen einzelnen Forschern, aber auch zwischen Forschergruppen möglich. Damit können sie beispielsweise dabei helfen, die Frage danach zu beantworten, ob sich Nachwuchswissenschaftler möglicherweise anders gegenüber den Nationalsozialisten verhielten als etablierte Ordinarien oder ob sich Zoologen in ihrem Verhalten von Botanikern unterschieden. Ein für Münster besonders deutliches Beispiel für ideologische Kohärenz ist dabei der Zoologieordinarius Hermann Weber. Weber hatte sich, wie bereits dargelegt, schon unmittelbar nach der Machtübernahme den Nationalsozialisten zur Verfügung gestellt. Dazu gehörte auch eine dezidiert politische Auffassung der universitären Biologie. So hatte er unter anderem in Danzig vor der dortigen Deutschen Studentenschaft bei einem Schulungslehrgang zum Thema „Lage und Aufgabe der Biologie in der deutschen Gegenwart“ referiert.147 Sein Vortrag wurde als so bedeutsam angesehen, dass er in der „Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft“ abgedruckt wurde.148 Webers Worte ließen keinen Zweifel an seiner Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Regime, gaben gleichzeitig aber auch einen Eindruck davon, wie der Ordinarius Wissenschaft definierte und er sie im neuen Staat einzusetzen hoffte.

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Vgl. hierzu Kapitel 3. Weber, Hermann, Lage und Aufgabe der Biologie in der deutschen Gegenwart, in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 1 (1935), S. 95–106. Die Zeitschrift, die sich zunächst nach ihrer Gründung 1935 eine gewisse Unabhängigkeit bewahren konnte, wurde 1937 zum Organ der Reichsfachgruppe Naturwissenschaft der Reichsstudentenführung und wechselte 1939 in den Ahnenerbe-Stiftung Verlag, womit gleichzeitig eine verstärkte Politisierung der Beiträge einherging. Dennoch behielten diese oftmals eine wissenschaftliche Solidität bei und boten Raum für den Austausch konträrer Meinungen  – natürlich nur, solange sie sich innerhalb des nationalsozialistischen Weltbildes bewegten, welches aber teilweise gegensätzliche Strömungen umfasste und daher breit definiert werden muss. Weber veröffentlichte hier zahlreiche Aufsätze. Vgl. zur Einordnung der Zeitschrift: Hoßfeld, Uwe, Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Nachkriegszeit, Stuttgart 2005, S. 329ff.

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Grundgedanke seiner Ausführungen war, dass sich in neuerer Zeit ein inflationärer, populistischer Gebrauch des Wortes „biologisch“ als „Reklameschild“ für allerlei unseriöse Dinge etabliert habe. Zur selben Zeit würde auch der Versuch unternommen, Biologie zur Grundlage von Philosophie, Weltanschauung und politischer Haltung zu machen, mit dem Grundzug der Abkehr vom Materialismus. Dies sei jedoch nicht nur auf Deutschland beschränkt, sondern ein internationaler Vorgang. Diesem müsse sich der Fachwissenschaftler entgegenstellen. Als nächstes führte er an, dass die NS-Weltanschauung biologisch begründbar sei. Um dies zu verstehen, müsse aber erst geklärt werden, was eigentlich Biologie sei. Laut Weber sei sie die Lehre vom Leben. Eingereiht in den weiten Kontext wissenschaftlichen Denkens sei ihre Aufgabe die Klärung, aber nicht die Erklärung der Erscheinungen des Lebens. Als Teil der Naturwissenschaften nehme sie eine Mittlerstellung zwischen Physik, Chemie, Anatomie, Psychologie, Ökologie, Nationalökonomie, Geographie und Geschichte ein. Eng verbunden mit der biologischen Begründbarkeit des Nationalsozialismus sei die Verknüpfung von Biologie und Deutschtum. Zwar sei der Stoff der Biologie international, die Forschungsart aber nicht: „Der Mensch ist verwurzelt in seiner Rasse, seinem Volkstum, seiner Nationalität und seinem Heimatboden und er kann das auch nicht verleugnen, wenn er wissenschaftlich produziert.“149

Seiner Meinung nach habe die Naturwissenschaft ihren weltweiten Siegeszug nur deshalb antreten können, weil sie eine „nordisch-germanische Naturwissenschaft“150 sei. Zur Aufgabe der Biologie im neuen Staat hatte Weber konkrete Vorstellungen entwickelt. Wie viele Forscher fühlte auch er sich offenbar von Forderungen einiger Gruppen in der NSDAP nach einer „Entwissenschaftlichung“ der Universitäten unter Rechtfertigungsdruck gesetzt.151 Daher versuchte er, eine Balance zwischen Freiheit der Wissenschaft und politischen Nutzbarkeitserwägungen zu finden. So müsse zwar die Biologie in den Dienst der Volksgemeinschaft treten. Dies bedeute aber nicht, dass nur noch solche Dinge erforscht werden dürften, die einen Zweck für die Gemeinschaft versprächen. Eine solche Forderung ließe nämlich außer Acht, dass die meisten großen Erkenntnisse nicht auf Wegen gewonnen worden seien, die von vornherein auf ein Ziel hingewiesen hätten. Ein prominentes Beispiel hierfür seien die Forschungen Mendels (zweckfrei) und ihre Bedeutung für die Eugenik (gemeinschaftsdienlich). Daher müsse der Trieb der reinen Erkenntnis erhalten bleiben, damit die Wurzeln der Wissenschaft nicht verdorrten  – das Resultat der reinen Erkenntnis müsse aber in direkte Beziehung zum Menschen treten, damit es nicht wertlos bliebe.

149 Weber 1935, S. 100. 150 Ebd. 151 Vgl. hierzu Grüttner 2000, insbesondere S. 574ff.

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Was genau die Biologie zum Gedankengut der Volksgemeinschaft beisteuern solle, war Inhalt des letzten Abschnitts seiner Ausführungen. So könne sie zur Zügelung individualistischer Bestrebungen innerhalb der Gemeinschaft und individualistischer Triebe im Einzelmenschen eingesetzt werden. Hierzu könne die BlattBaum-Analogie (der Einzelne als Blatt am Baum des Volkes) sowie die Erkenntnis der eigenen Rolle in der Erbbahn (der Einzelne als ein Glied in der Abfolge von Generationen) dienen, denn: erst das „Schicksal der zu einer völkischen Gemeinschaft verbundenen Rassenteile“152 gebe dem Einzelschicksal Sinn, und die biologische Erkenntnis weise dem Einzelnen die Stellung im Ganzen zu. Gleichzeitig gebe die Biologie „dem berechtigten Drang der Persönlichkeit nach Betätigung im Sinne ihrer Anlagen das ihm zukommende und gerade dem ganz deutschen Menschen unentbehrliche Maß an Freiheit“,153 das für die gewünschte NS-Volksgemeinschaft, die weder „Amerikanismus noch […] Kollektivismus“154 sein dürfe, nötig sei. In einem abschließenden Statement fasste der Zoologe seine Gedanken noch einmal zusammen: „Denn wenn die Organismen und die Lebensgemeinschaften, mit denen die Biologie zu tun hat, Ganzheiten darstellen, die mehr sind als die Summe ihrer Teile, so ist auch die Volksgemeinschaft, wie wir sie sehen, so ist die Nation mehr als ein Kollektiv, mehr als die Summe der Einzelmenschen, die sie zusammensetzen. Biologie lehrt den, der überhaupt lernen will, für das Leben in der Gemeinschaft ganzheitlich, organisch zu denken, sie ist daher auch, was man heute von der Wissenschaft überhaupt fordert, im höchsten, im durchaus neuen Sinn politische Wissenschaft, DD].“155

Damit hatte Weber seine Position klar abgesteckt. Auf der einen Seite propagierte er eine Freiheit der Forschung, auf der anderen stellte er diese voll und ganz in den Dienst des Aufbaus eines nationalsozialistischen Staates. Damit war er der idealtypische Forscher im neuen Deutschland. In den folgenden Jahren sollte er seine Überlegungen noch weiter konkretisieren. Dabei lag ihm viel daran, in seinen Veröffentlichungen vor allem seine zweite Forderung, hervorzuheben: die praktische Anwendbarkeit der Forschungsergebnisse zum Wohle der Volksgemeinschaft. Unschwer lässt sich hier das auch von den Nationalsozialisten immer wieder geforderte Bekenntnis zur „Tat“ erkennen. Daneben widmete er sich aber zusätzlich noch dem Kampf gegen ein von ihm empfundenes Eindringen der Religion in die Wissenschaft. 1936 wurde eine Rezension des Ordinarius in der „Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft“ veröffentlicht, die sich mit dem Buch „Stilgesetzliche Morphologie“ von Bernhard Steiner befasste. Seinem eigentlichen Text stellte Weber längere

152 Ebd., S. 103. 153 Ebd., S. 104. 154 Ebd. 155 Ebd., S. 106. „politische Wissenschaft“ im Original kursiv.

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Zitate aus Houston Stewart Chamberlains „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“156 sowie aus dem Aufsatz „Der Einbruch des Katholizismus in die Wissenschaft“157 des damaligen SS-Oberscharführers, späteren Mitglieds des Stabes der Einsatzgruppe IV in Polen und Leiters des Referats III C 4 des Reichssicherheitshauptamtes, Walter von Kielpinski,158 voran. Bereits diese Auswahl verdeutlichte, in welcher ideologischen Gesellschaft sich Weber verortete. Der Zoologe griff Steiner scharf an und warf ihm vor, dass er die Abstammungslehre ablehne und auf dem Standpunkt dessen stünde, was in der heutigen Biologie als „Intelligent Design“ beziehungsweise Kreationismus bezeichnet wird.159 Gleichzeitig fordere Steiner die Rückkehr zu einer „biologisch aufgebauten Lehre des Aristoteles und der Hochscholastik“160 und benutze den Holismus, Neovitalismus und die idealistische Typologie, also alles Ansätze, die zu jener Zeit auch innerhalb des Nationalsozialismus intensiv diskutiert wurden, für den Einbruch des Dogmas in die Naturwissenschaft. Außerdem sei er Vertreter der auf Häckel zurückgehenden idealistischen Morphologie und kenne oder beachte neuere Forschungsergebnisse nicht. Webers Hauptaugenmerk galt demnach dem von ihm wahrgenommenen Versuch der religiösen Unterwanderung der Naturwissenschaft, ein Thema, das ihn auch noch in weiteren Aufsätzen beschäftigen sollte. Diese habe sich ihm zufolge nach 700 Jahren geistigem Freiheitskampf aus der Umklammerung der Hochscholastik gelöst, deren „Naturerkenntnisse“ [Anführungszeichen im Original, DD] man sich vor 700 Jahren „aus den Fingern“161 gesogen habe. Der Dank für diese Befreiung müsse dem Nationalsozialismus gelten, denn erst das politische Geschehen der letzten Jahre habe die deutsche Seele aufgelockert und für eine neue Saat empfänglich gemacht. Dieses Ereignis sei „uns zu groß, als dass die von ihm herrührende Aufgeschlossenheit dazu benutzt wird, unter Aufwendung des wissenschaftlichen Apparats und gleichzeitig unter Verächtlichmachung der Naturwissenschaft alte Dogmen als ewige Vernunftwahrheiten in aufnahmebereite Seelen zu senken.“162

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Chamberlain, Houston Stewart, Die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts, 2 Bde., München 1899. 157 Kielpinski, Walter, Der Einbruch des Katholizismus in die Wissenschaft, in: Volk im Werden 5 (1937), S. 12–28. 158 Vgl. hierzu Wildt, Michael, Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichsicherheitshauptamtes, Hamburg 2003. 159 Vgl. zu diesem Thema Schrader, Christopher, Darwins Werk und Gottes Beitrag. Evolutionstheorie und Intelligent Design, Stuttgart 2007. 160 Weber, Hermann, Theoretische Biologie und Scholastik (=Rezension über Steiner, Bernhard, Stilgesetzliche Morphologie, Leipzig 1936), in: Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft 3 (1938), S. 85–88, hier: S. 86. 161 Ebd., S. 88. 162 Ebd.

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3.  Ideologische Kohärenz und instrumentelle Vernunft

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Dabei ging es Weber gar nicht um eine völlige Ablehnung der Religion oder der Schaffung einer Religion der Wissenschaft. Was er anstrebte, war eine klare Trennung der metaphysischen von den naturwissenschaftlichen Bereichen. „Das Leben des Forschers nordischer Prägung vollzieht sich in der Spannung zwischen diesen beiden Polen, zwischen dem Drang, die Grenzen des Unerforschlichen hinauszurücken, soweit immer es möglich ist, und dem Bewusstsein, damit nicht bis ins letzte Vorzudringen.“163

Hierzu pries er nochmals die Werke Chamberlains und von Kielpinskis. Letztlich wiederholte er damit, was er bereits in seinem Danziger Vortrag mit der Forderung nach Klärung, nicht Erklärung angeschnitten hatte. Die scharfe Kritik Webers am Katholizismus muss insbesondere deshalb hervorgehoben werden, da sie zu den Versuchen passt, ein Gegengewicht zu dem insbesondere von Gauleitung und REM als Bedrohung wahrgenommenen katholischen Milieu Münsters aufzubauen. Weber setzte seine nationalsozialistische Linie auch in den Jahren darauf aggressiv fort. Hatte der Ordinarius, wie im Kapitel zur seiner Tätigkeit an der Universität Münster erwähnt, 1937 seine Kritik am von Uexküllschen Umweltbegriff noch ideologiefrei begründet, sollte sich dies in seinem nächsten Beitrag zu diesem Thema in „Die Naturwissenschaften“ bereits anders darstellen. In „Zur Fassung und Gliederung eines allgemeinen biologischen Umweltbe­ griffes“164 von 1939 entwickelte er einen komplexen Umweltbegriff, der sich im Gegensatz zu dem durch von Uexküll propagierten Ansatz auf die gesamte Biologie einschließlich des Menschen anwenden ließe. Hierzu gehörten die Definierung einer Ideal- und einer Realumwelt, die Benennung von Umgebung und Minimalumwelt sowie die Abgrenzung des Begriffes des „Organismus“.165 An diesem Punkt setzte Weber auch den Schnittpunkt zur nationalsozialistischen Ideologie an, ohne diese jedoch explizit zu erwähnen, indem er die Anwendung des neuen Umweltbegriffes auf verschiedenen Stufen des Individuums einforderte. Hierzu zählte er, in absteigender Einteilung: Rasse, Population, Individuum, Entwicklungsstadium, menschliche Person. Auch wenn konkrete politische Forderungen sowie die direkte Einbeziehung von NS-Ideologie in diesem Aufsatz fehlten, so fällt doch der häufige Hinweis auf den starken Einfluss der Rasse auf Eigenschaften und Verhalten der Menschen auf. Diese Zurückhaltung lag jedoch weniger in den Ansichten Webers begründet, sondern war, wie der Vergleich mit einem im selben Jahr erschienenen Beitrag in der Zeitschrift „Der Biologe“ zeigt, der Veröffentlichungspublikation geschuldet. „Die Naturwissenschaften“, 1913 gegründet und Ende der 1930er-Jahre eine der bedeutendsten internationalen Fachzeitschriften, pflegte eine hohes wissenschaftliches Niveau und wäre für solcherlei Anklänge nicht empfänglich gewe163 Ebd. 164 Vgl. für das folgende Weber, Hermann, Zur Fassung und Gliederung eines allgemeinen biologischen Umweltbegriffes, in: Die Naturwissenschaften 27 (1939), S. 633–644. 165 Vgl. hierzu Webers Ausführungen aus demselben Jahr in „Der Biologe“ (siehe unten).

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sen. Anders sah es bei Lehmanns „Der Biologe“166 aus. Hier konnte Weber seinen Vorstellungen freien Lauf lassen. Sein Artikel „Der Umweltbegriff der Biologie und seine Anwendung“167 von 1939 stellte daher keine radikale Ausnahme dar, sondern bewegt sich innerhalb etablierter Bahnen der Zeitschrift. Der Aufsatz Webers ist aus zweierlei Gründen interessant. Zum einen besteht er aus zwei deutlich voneinander abgrenzbaren Teilen, in dem der erste der theoretischen Begriffsbildung und der zweite der praktischen Anwendung dieser Begrifflichkeit im völkischen Staat dient. Zum anderen stellt er eine hervorragende Primärquelle dar, die es erlaubt, tief in das politische Denken des Münsterschen Ordinarius zu blicken. Der Beitrag beginnt mit der Feststellung, dass eine Bestimmung des Begriffes „Umwelt“ wegen seiner zentralen Stellung in Wissenschaft und Weltanschauung dringend nötig sei. Die bislang einzige wissenschaftliche Definition des Begriffes durch von Uexküll wurde von Weber, wie schon bekannt, abgelehnt. Gründe hierfür seien, dass dieser nur das Individuum, nicht aber Gemeinschaften, Stämme und Rassen betrachte, die Umwelt als subjektive Erscheinung darstelle und damit die objektive Welt streiche. Außerdem sei der Begriff nicht auf Pflanzen anwendbar. Daraus schlussfolgerte der Zoologe, dass eine neue Definition von Nöten sei, die einerseits auch auf den Menschen angewendet werden und andererseits, und hier liegt der Kernpunkt des Aufsatzes, in der Praxis nutzbar gemacht werden könne. Weber definierte Umwelt daher wie folgt und ging damit über die Schaffung begrifflicher Voraussetzungen, die er in der Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft noch als Ziel ausgegeben hatte, deutlich hinaus:

166

167

„Der Biologe“ war 1931 vom Tübinger Ordinarius für Botanik Ernst Lehmann als Verbandsblatt des im selben Jahr gegründeten Deutschen Biologenverbandes (DBV) eingerichtet worden. Die Zeitschrift erschien im Münchner J. F. Lehmanns Verlag, einem medizinischen Fachverlag mit starker Ausrichtung auf völkische und rassenhygienische Themen, der im „Dritten Reich“ zu einem der wichtigsten Publikationshäuser der NSBewegung wurde. Als der regimetreue DBV am 1.12.1934 in den NSLB eingegliedert wurde, avancierte „Der Biologe“ zum offiziellen Sprachrohr des Sachgebietes Biologie im NSLB. So äußerte Lehmann 1934: „Ich habe keine besondere Erklärung über die Stellung des D. B. V. zum neuen Reich abgegeben. Mir erschien das unnötig. Der Verband ist vom Augenblick seiner Gründung im Jahre 1931 im Sinne des neuen Reiches tätig gewesen und hat schon damals die Zustimmung erster Führer unseres heutigen Reiches zu seiner Arbeit gefunden. Ich nenne nur die Namen des derzeitigen Herrn Reichsministers Dr. Frick und des Herrn Ministers Göring. So hat der Verband heute nur nötig, seine Arbeit in gleichem Sinne fortzuführen.“ Das Blatt war zwar stark auf den Biologieunterricht und die Lehrerschaft ausgerichtet, bot aber auch anderen Wissenschaftlern Platz für Aufsätze. Diese waren im Regelfall stark an die NS-Ideologie angelehnt und propagierten eine Synthese von Biologie und Nationalsozialismus. Siehe Gissing, Judith, Rassenhygiene und Schule im Dritten Reich, Münster 2003, S. 27ff. (Zitat S. 31). Weber, Hermann, Der Umweltbegriff der Biologie und seine Anwendung, in: Der Biologe 8 (1939), S. 245–261.

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„Unter Umwelt soll in der Biologie die im ganzen Komplex einer Umgebung enthaltene Gesamtheit der Bedingungen verstanden werden, die einem bestimmten Organismus gestatten, sich kraft seiner spezifischen Organisation zu halten, d. h. die ihm in einem zeitlich bestimmt abgegrenzten Abschnitt seiner Entwicklung innewohnenden Möglichkeiten der Lebensäußerungen (mit Einschluß der Fortpflanzung) in einem die individuelle Sterblichkeit wenigstens ausgleichenden Maß zu entfalten.“168

Im Anschluss daran erläuterte der Ordinarius seinen Begriff in Abgrenzung zu von Uexküll vornehmlich auf Basis von Beispielen aus dem Tierreich, erwähnte aber häufig die Ausmerzung minderwertigen Erbgutes sowie den Begriff der Rasse. Sein Hauptaugenmerk legte er dabei auf die Diskreditierung der Anwendung des Umweltbegriffes in Bezug auf Individuen. Über die Einflechtung der Theorie der Rassekreise seines Münsterschen Kollegen Bernhard Rensch am Beispiel der Kohlmeise leitete er dann schließlich zur Problematik der Rassenmischung und damit in den Teil seines Beitrages, der sich mit der praktischen Anwendung des Umweltbegriffes beschäftigen sollte, über. Auffallend ist, dass der Übergang äußerst angestrengt, fast erzwungen wirkt, als wäre der theoretische Unterbau lediglich Alibi für die nun folgenden Ausführungen. Ab diesem Punkt handelt der Aufsatz fast ausschließlich von den Auswirkungen des vorher geschriebenen auf den Umgang mit Menschenrassen. Hierbei zielte er speziell auf die in der damaligen Forschung postulierten angeblich im deutschen Volk vermischten „deutschen“ Rassen (nordisch, ostisch, fälisch). Webers Hauptargumente diesbezüglich hätten aus jedem beliebigen nationalsozialistischen Rassepamphlet stammen können. So bezeichnete er die Rassenmischung als negativen Vorgang, der vermieden werden müsse. Dies sei darin begründet, dass die diversen Rassen unterschiedliche Wertigkeiten besäßen. Daraus folgernd forderte er eine qualitative Bevölkerungspolitik, denn bei den Kulturvölkern ohne Rassengesetzgebung werde die natürliche positive Auslese von einer kulturbedingten Gegenauslese verdrängt. Als Beispiel führte er den Ersten Weltkrieg an, in dem die tüchtigere (das heißt nordische) Rasse höhere Verluste gehabt habe, wenn ein Kulturvolk (wie das Deutsche) aus mehreren Rassen bestünde. Die habe zu einer Gegenauslese der weniger tüchtigen Rasse geführt. Wie verbreitet dieser Gedanke im Nationalsozialismus war, sollte sechs Jahre später Hitler selbst zeigen, der in seinen letzten Tagen im Bunker äußerte: „Was nach diesem Kampf übrigbleibt, sind ohnehin nur die Minderwertigen, denn die Guten sind gefallen.“169 Laut Weber habe der Mensch das Ausleseverfahren der Natur weitestgehend ausgeschaltet. Die Schuld dafür sei beim Liberalismus zu finden. Der Mensch könne sich aber nicht von Auslese und Ausmerzung trennen, denn sonst passiere das, was in Deutschland zu beobachten sei: die Zunahme von Erbkrankheiten, die Zu168 169

Ebd., S. 247. Zitiert bei Schmidt, Rainer F., Der Zweite Weltkrieg. Die Zerstörung Europas, Berlin 2008, S. 173.

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nahme von Verbrechertum, und die Zunahme sonstiger erblicher Minderwertigkeiten. Daher müsse gehandelt werden: „Der Geburtenschwund und die bedenkenlos gestattete Mischung verschiedener Rassen mit all ihren oben auseinandergesetzten üblen Folgen sind Beweis genug dafür, wohin man mit der ‚Bindungslosigkeit‘ des menschlichen Geisteslebens kommt. Eine Umkehr auf diesem Weg ist nur möglich, wenn man sich der nach wie vor bestehenden lebensgesetzlichen Bindungen wieder voll bewusst wird und den durch die Kultur unvermeidlich herbeigeführten Ausfall der natürlichen Auslese und Ausmerzung durch gesetzgeberische Maßnahmen zu ersetzen sucht. Biologische Erkenntnisse haben dazu den Grund gelegt, sie bleiben, wie Erkenntnisse überhaupt, wertlos ohne den Willen, sie in der gegebenen völkischen Wirklichkeit zu nützen. […] es wäre aber nicht der Mühe wert, Wissenschaft zu treiben, wenn die aus ihr strömenden Erkenntnisse nicht zuletzt normativen Charakter trügen, wenn sie nicht als Grundlage und Ausgangspunkt für das Handeln, für die willensmäßige Einstellung zu der uns gegebenen Wirklichkeit dienten. Zum Handeln uns gegeben ist aber die völkische Wirklichkeit, auf sie muss also auch das Ziel der Wissenschaft bezogen werden.“170

Auf dieser „gegebenen Wirklichkeit“ und seinem neudefinierten Umweltbegriff aufbauend legte Weber anschließend dar, wie seiner Meinung nach die neue völkische Gemeinschaft des „Dritten Reiches“ auf wissenschaftlich-biologischer Grundlage zu strukturieren sei. Zunächst müsse man davon abkommen, den einzelnen Menschen als Individuum zu betrachten. Stattdessen sei er als Glied seiner Rasse zu begreifen. Dann müsse unter Beachtung des „Weberschen“ Umweltbegriffes jede Person an den für sie richtigen Platz (das heißt in Webers Überlegungen der Beruf) in der Volksgemeinschaft gestellt werden, um dem Volksganzen zu dienen. Diese Eignung wiederum beruhe auf der Erbwertigkeit und der rassischen Basis. Daraus folgere auch, dass eine rassisch weniger taugliche Person, sollte sie oberflächlich gesehen auch zu einem Beruf passen, nicht zwangsläufig auch dort eingesetzt würde. Stattdessen müsse im Zweifelsfall der vorhandene Beruf modifiziert werden müsse, um zum rassisch hochwertigen und förderungswürdigen zu passen, den der Staat an einer bestimmten Position eingesetzt sehen will. Die Umwelt werde also den rassischen Gegebenheiten angepasst und nicht umgekehrt. Zum Schluss des Beitrages fasste Weber seine Thesen zum Aufbau eines biologisch begründeten völkisch-nationalen Staates noch einmal zusammen. Dieser müsse eine gesetzlich legitimierte Ausmerzungspolitik gegenüber als minderwertig definiertem Leben durchführen, Rassenmischung verbieten, die freie Berufswahl einschränken, lediglich als rassisch hochwertig definierte Menschen fördern und sowohl Liberalismus als auch Individualismus bekämpfen. Nur dann könne er erfolgreich sein und im Wettbewerb der Völker bestehen. Es fällt nicht schwer, in dieser Beschreibung die Lebenswirklichkeit des nationalsozialistischen Deutschlands des Jahres 1939 wiederzuerkennen. Der Münstersche Ordinarius unterstützte das „Dritte Reich“ also nicht nur, sondern sah in seiner Terrorherrschaft auch seinen Idealstaat verwirklicht. 170

Weber, Umweltbegriff, 1939, S. 259.

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Vergleicht man die beiden im selben Jahr veröffentlichten Aufsätze, fällt natürlich ihre stark unterschiedliche Deutlichkeit nationalsozialistischen Gedankengutes auf. Dies weist aber keineswegs auf einen plötzlichen Stimmungsumschwung Webers hin, sondern liegt, wie bereits dargestellt, in den unterschiedlichen Publikationsorganen begründet. Es ist daher unerlässlich, bei der Frage der Untersuchung politischer Ansichten und Mobilisierungsstrategien von Wissenschaftlern immer auch diesen Faktor mit einzubeziehen. In der Folgezeit veröffentlichte Weber noch zwei weitere Beiträge zur Definition des Umweltbegriffes. 1941 war erneut „Die Naturwissenschaften“ Publikationsorgan. Wie bereits 1939 war der Ton des Aufsatzes gemäßigter und wissenschaftlicher gehalten. Unter dem Titel „Zum gegenwärtigen Stand der Allgemeinen Ökologie mit besonderer Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen den Sinnesreaktionen und den andersartigen Umweltbeziehungen“171 definierte er die Ökologie als „Wissenschaft von den Beziehungen der Lebewesen zu ihrer Umgebung“ beziehungsweise als „Umweltforschung“, welche ein weites Gebiet sei, das in viele Teilbereiche der Biologie hineingreife und sich vielfältiger Methoden bediene, womit sie zum Beispiel für die geforderte und benötigte Synthese biologischer Teilgebiete werde. Innerhalb der Ökologie herrschten laut Weber zwei Gruppen vor: Zum einen die Ganzheitstheoretiker „strenger Observanz“, die dem Vitalismus beziehungsweise Neo-Vitalismus anhingen, Ganzheit als Axiom ihrer Forschung sähen, einen scholastischen „ordo“-Gedanken verfolgten und davon ausgingen, dass der Natur ein naturwissenschaftlich nicht greifbarer Plan beziehungsweise ein außerhalb ihr liegender Gestaltungswille zugrunde liege. Diesen Ansichten widersprach Weber strengstens. Dem gegenüber stünde die Gruppe der „Andersgläubigen“, die sich wiederum in drei Untergruppen teile: die bewussten Mechanisten (wobei diese Richtung in Europa und von Ariern nicht mehr betrieben würde), die an der amerikanischen Forschung geschulten praktischen Mechanisten und die Wissenschaftler, die die Ganzheit zwar als Forschungsziel betrachteten, sich aber so wenig wie möglich durch Axiome blockieren lassen wollten. Hier ordnete sich auch der Ordinarius, zusammen mit seinen Kollegen Erich Martini (Hamburg) und Ludwig von Bertalanffy (Wien), ein. Im Folgenden rekapitulierte Weber die schon aus seinen anderen Aufsätzen bekannten Argumente gegen von Uexküll, stellte seine eigene Umweltdefinition vor und artikulierte erneut seinen scharfen Widerspruch gegenüber der kirchlichen Wissenschaft. Dabei betonte er die arische beziehungsweise nordische Wissenschaft, die er in Auseinandersetzung mit der Scholastik in einen „Freiheitskampf 171

Weber, Hermann, Zum gegenwärtigen Stand der Allgemeinen Ökologie mit besonderer Berücksichtigung der Zusammenhänge zwischen den Sinnesreaktionen und den andersartigen Umweltbeziehungen, in: Die Naturwissenschaften 29 (1941), S. 756–763.

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des nordischen Geistes“172 verwickelt sah. Offenere und praxistaugliche Anklänge an die NS-Ideologie fehlten jedoch. Anders ein Jahr später: am 28. Januar 1942, inzwischen zum Ordinarius in Straßburg aufgestiegen, hielt Weber einen Vortrag auf der ersten Vollversammlung des Lehrkörpers der Reichsuniversität. Auch dieser Vortrag wurde in „Der Biologe“ abgedruckt.173 Wenn auch seine Aussagen insgesamt weniger radikal erscheinen, kann daraus nicht auf eine Abschwächung seiner rassenhygienischen und eliminatorischen Ansichten ausgegangen werde, bezog er sich doch gleich zu Beginn explizit auf seinen Aufsatz aus dem Jahr 1939 und baute darauf auf. In dieselbe Richtung zielte auch sein Einleitungssatz: Organismus und Umwelt seien für die Biologie nichts Anderes als Blut und Boden für die Politik. Der Vortrag bestand zu einem großen Teil aus der Wiederholung bereits bekannter Ansichten. Einen Großteil seiner Redezeit widmete er rein wissenschaftlichen Fragen. Einer scharfen Kritik an der idealistisch-typologischen Morphologie folgte eine Forderung nach der Synthese unterschiedlicher Forschungsrichtungen, so der morphologisch-zytologischen mit der experimentellen Züchtungsforschung und der Entwicklungsphysiologie mit der Vererbungswissenschaft. Damit bewegte er sich wissenschaftstheoretisch auf der Höhe der Zeit, versuchte sich doch die Synthetische Theorie genau an diesen Problemstellungen. Seine Angriffe auf den Einbruch religiösen Denkens in die Wissenschaft wurden in einer strengen Zurückwiesung des Kreationismus erneut aufgenommen. Diesem stellte er eine strikt wissenschaftliche Vorgehensweise gegenüber: „Mit anderen Worten, es scheint mir richtiger zu sein, sich von den Dingen leiten zu lassen, die man findet, als die Dinge zu finden, von denen man sich leiten lässt.“174

Wie er diese Gefahr der a priori Wissenschaft jedoch mit früheren eigenen Aussagen wie: „Der Mensch ist verwurzelt in seiner Rasse, seinem Volkstum, seiner Nationalität und seinem Heimatboden und er kann das auch nicht verleugnen, wenn er wissenschaftlich produziert“175

in Einklang zu bringen gedachte, blieb sein Geheimnis. Auf dieses Paradoxon ging er mit keinem Wort ein. Neben diesen wissenschaftstheoretischen Überlegungen blieb der Kampf für einen nationalsozialistischen Staat jedoch weiterhin seine oberste Priorität. So erneuerte Weber seine Kritik am Liberalismus, der die als „Vererbung“ gegebene Lebenswirklichkeit übersähe und den Menschen aus diesem Kontext herausnähme. Wie bereits 1939 propagierte er, dass diese Verfehlungen nur 172 173 174 175

Ebd., S. 757. Weber, Hermann, Organismus und Umwelt. Vortrag, gehalten auf der ersten Vollversammlung des Lehrkörpers der Reichsuniversität Straßburg, 28.1.1942, in: Der Biologe 11 (1942), S. 57–68. Ebd., S. 58. Weber 1935, S. 100.

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durch die Rückbesinnung auf Ausmerzung und Auslese korrigiert werden könnten. Ob Weber sich dessen bewusst war, wie konkret seine Parteigenossen diese Ansichten in den Krankenhäusern des Reiches und den Todesfabriken des Ostens bereits umgesetzt hatten, muss ungeklärt bleiben. Neben den theoretischen Legitimationsleistungen Webers lässt sich auch das Verhalten Heinrich Feuerborns unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als ideologische Kohärenz begreifen. Er hatte, wie bereits gezeigt wurde, während der 1920er-Jahre zunächst die Unterstützung katholischer Kreise in Münster gewonnen, welche zu seinen Gunsten in das Besetzungsverfahren für das zoologische Ordinariat 1926/27 zu intervenieren versucht hatten. Von diesem Milieu trennte sich der Opportunist nach 1933 wohlweislich. Stattdessen griff er auf eine andere Ressource zurück, welche er ebenfalls bereits bei seinen Bemühungen um eine Übertragung des Lehrstuhls eingesetzt hatte: den unter seiner Ägide erfolgten Ausbau der Heimatkunde und -forschung am Institut.176 Anfang Februar 1934 bat er den Kurator um Gewährleistung von Geldern für die Finanzierung einer persönlichen Hilfskraft, da ihm dies aus eigenen Mitteln nicht möglich sei. Die Begründung für den Antrag ist ein Musterbeispiel für das Konzept der ideologischen Kohärenz. Laut Feuerborn habe der Durchbruch des Nationalsozialismus die Biologie vor neue und größere Aufgaben gestellt. Er selbst habe versucht, dieser Tatsache nach zwei Seiten hin Rechnung zu tragen. Auf der einen Seite habe er seine Vorlesungen nach der erbwissenschaftlichen und rassekundlichen Richtung hin ausgedehnt. Als Vorstandsmitglied der hiesigen Gesellschaft für Rassenhygiene habe er Vorträge über allgemeine Rassenkunde und andere verwandte Themen gehalten. Ebenso wies er auf die Gründung der Biologenschaft zur Erforschung der Rassefrage an der Universität Münster hin. Auf der anderen Seite habe er auch seine Tätigkeiten auf dem Gebiet der Heimatkunde ausgedehnt, indem er weiterhin Vorträge abgehalten, die Organisation von naturkundlicher Heimatforschung, Heimatlehre und Heimaterziehung für die gesamte Provinz übernommen sowie die Schriftleitung der Zeitschrift „Natur und Heimat“ angetreten hätte.177 Die Heimatkunde hatte sich in den 1920er-Jahren zu einem Steckenpferd Feuerborns entwickelt, welchem er viel Energie gewidmet hatte. Dabei war er stets darum bemüht gewesen, eine Verbindung von universitärer Lehre, Heimatbewegung und Politik herzustellen. In einem Vortrag über „Heimatschutz, Heimatforschung, Heimaterziehung mit besonderem Hinblick auf den heimatkundlichen Unterricht“ von 1924 wurde dies besonders deutlich. Feuerborn nach müsse die Heimatkunde auf einer Kenntnis der Heimatnatur aufbauen. Zuständig dafür seien die Biologen. Die Heimat müsse zum Symbol der Vaterlandsliebe werden, und der Heimatgedanken sei der Hauptfaktor für den seelischen Wiederaufbau des Volksganzen. Daher sei die Heimatlehre auch in der Schule als ethische Grundlage der Heimatliebe 176 177

UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 10.1.1925. UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, Feuerborn an Kurator, 4.2.1934.

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wichtig. Sie müsse nicht Disziplin, sondern Prinzip des Unterrichts sein, und auch die Universität müsse noch mehr als bisher in ihren Dienst treten.178 Nutzte der Zoologe solche Gedanken Mitte der 1920er-Jahre noch als Ressource zur Stärkung der universitären Biologie, so war er damit nach 1933 überaus anschlussfähig an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Im Kampf gegen seinen Vorgesetzten von Ubisch versuchte er daher, ein NS-Netzwerk im Bereich der Heimatkunde zu schaffen und seinen Einfluss über die Universität hinaus auch auf das Provinzialmuseum für Naturkunde auszudehnen. Dort war seit dem 1. Oktober 1933 der ehemalige Assistent am Zoologischen Institut, Helmut Beyer, tätig. Dieser war ebenso wie Feuerborn aktiv in die Heimatkunde und den Naturschutz involviert. Er hatte sich, auch hier ebenso wie Feuerborn, zum überzeugten Nationalsozialsten entwickelt und unterstützte das Regime mit Rat und Tat. Die beiden Zoologen hoben nun besagte naturkundliche Zeitschrift aus der Taufe, die in den folgenden Jahren das Zentrum nationalsozialistischer Agitation der Münsterschen Biologen bilden sollte. Unter der Leitung Feuerborns und der Kassenführung Beyers, herausgegeben vom Bund Natur und Heimat der Gaue Westfalen-Nord und Süd im Westfälischen Heimatbund, erschien ab dem 1. Januar 1934179 „Natur und Heimat. Blätter für den Naturschutz und alle Gebiete der Naturkunde. Zugleich amtliches Nachrichtenblatt für Naturschutz in der Provinz Westfalen“.180 Bereits im Namen wurden die vielfältigen Verknüpfungen der beteiligten Stellen sichtbar. In welche politische Richtung die Zeitschrift zielte, machte der Hauptautor Feuerborn bereits im Leitartikel der ersten Ausgabe mehr als deutlich. Die dort stattfindende Propaganda kann als flankierende Maßnahme zu seiner auch an der Universität Münster auf den Nationalsozialismus ausgerichteten Verlagerung der Forschungsinhalte angesehen werden. Feuerborn überschrieb den Artikel mit den programmatischen Worten „Unser Wille, unsere Aufgabe, unser Wunsch“.181 Im Beitrag selber stellte er die enge und organische Verzahnung von Heimatkunde und nationalsozialistischer Ideologie in den Vordergrund. So sei der körperlichen und seelischen Gesundung des deutschen Volkes durch den Nationalsozialismus Richtung gegeben durch das Ziel des „Führers“: die Wiederherstellung der Volksgemeinschaft aus der Gemeinschaft von Blut und Boden. Ein Weg dorthin sei die Wiederherstellung der Verwurzelung in der Scholle und die Pflege eines echten deutschen Heimatgefühls. Dies müsse ausgehen vom Boden der Heimat. Die Abhängigkeit vom Boden zeige sich in der Tier und Pflanzenwelt. Diese sei gefährdet durch die Moderne, welche menschenvernichtende Städte-Ungeheuer und eine öde Kultursteppe geschaffen habe. Ziel des Bundes sei daher die Förde178 179 180 181

UAMs, Zugang 19/2005, Akte: Institutsakten 1924, Vortrag Feuerborn, undatiert. Ditt 1992, S. 339. Natur und Heimat 1 (1934). Feuerborn, Heinrich Jakob, Unser Wille, unsere Aufgabe, unser Wunsch, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 1–3.

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rung der Vertrautheit mit der Natur der Heimat, und der Weg dorthin läge in einer Erforschung eben dieser Natur, der Vertiefung der Naturerkenntnis und ihrem Schutz. Letztes Ziel bliebe die Förderung der Heimatverbundenheit und Heimatliebe als des Urquells der Volkskraft. Die neue Zeitschrift selbst solle Mittel dazu sein und alle Zweige der Naturkunde pflegen, wozu Feuerborn neben Boden- und Landschaftskunde die Pflanzen- und Tierwelt, den Naturschutz, angewandte Naturwissenschaft aller Art sowie deren Beziehungen zur Ur- und Vorgeschichte sowie zur Rassenlehre zählte. Durch „Natur und Heimat“ solle die Verbundenheit all dieser Aspekte zum Ausdruck gebracht werden. Abschließend fasste er die Arbeit des Bundes noch einmal in pompöser Weise zusammen: „zum Segen für unsere Heimat, zum Besten für unser Volk, zur Verwirklichung der Ziele unseres Führers und Volkskanzlers Adolf Hitler!“.182 Damit waren Zweck und Ziele klar abgesteckt. Neben diesem Aufsatz veröffentlichte Feuerborn in der ersten Ausgabe noch drei weitere Beiträge und demonstrierte damit deutlich seinen Anspruch auf thematische wie auch ideologische Dominanz der Zeitschrift. Die Artikel orientierten sich sowohl inhaltlich als auch argumentativ an seinem Leitartikel. In „Naturschutz aus dem Nationalsozialismus“ bestätigte er noch einmal, dass die Arbeit der Zeitschrift der nationalsozialistischen Weltanschauung diene: „Nationalsozialistische Weltanschauung ist die Erkenntnis der biologischen Voraussetzungen für den gesunden Bestand und die glückliche Zukunft unseres deutschen Volkes! Auf den Boden dieser ‚Welt‘-anschauung hat sich jeder Deutsche mit beiden Füßen zu stellen.“183

Der Naturschutz sei wichtiger Teil dieser Weltanschauung und staatspolitische Notwendigkeit als „Rettung vor dem drohenden Civilisationstod.“184 In „Heimatschutz, Heimaterziehung, Heimatforschung“185 bezeichnete er die Arbeit des Bundes als durch den Nationalsozialismus geförderte Fortsetzung der Arbeit der alten Heimatbewegung und konstruierte so eine Kontinuitätslinie, die im neuen Regime die Bestrebungen einer jahrzehntealten Bewegung erfüllt sah. Gleichzeitig griff er nochmals scharf Kapitalismus, Materialismus und Verstädterung als Feinde der Naturverbundenheit der Deutschen an und forderte, wie auch in seinem letzten Artikel „Naturkunde und Schule“,186 eine Heimaterziehung von der Volksschule bis zur Universität. Dass er sich selbst für diese Aufgabe an der Universität Münster am qualifiziertesten hielt, war inzwischen mehr als deutlich geworden. Trotz dieser eindeutig weltanschaulich ausgerichteten Stoßrichtung versuchte die Zeitschrift, auch Publikationsorgan für rein wissenschaftliche, nicht durch natio182 183 184 185 186

Ebd., S. 3. Feuerborn, Heinrich Jakob, Naturschutz aus dem Nationalsozialismus, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 25–27, hier: S. 25. Natur und Heimat 1 (1934), S. 25. Feuerborn, Heinrich Jakob, Heimatschutz, Heimaterziehung, Heimatforschung, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 49–52. Feuerborn, Heinrich Jakob, Naturkunde und Schule, in: Natur und Heimat 1 (1934), S. 74–78.

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nalsozialistisch-biologistische Ideologie gefärbte Fachaufsätze zu sein. Hierbei fällt vor allem auf, dass zu Beginn fast ausschließlich aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter des Zoologischen Instituts, wie Beyer und Peus, Veröffentlichungen unterbringen konnten. Die Bedeutung von „Natur und Heimat“ als Netzwerk-Knotenpunkt zwischen staatlichen Trägern des Naturschutzes, Vereinen, Universität, Partei und Provinz, beispielsweise durch Veröffentlichungen des Landeshauptmanns der Provinz Westfalen und engen Verbündeten Feuerborns, Karl Friedrich Kolbow,187 darf also nicht unterschätzt werden. Dies wurde auch in späteren Heften von Feuerborn selbst explizit hervorgehoben,188 der offenbar eine Bündelung unter seiner Kontrolle als Herausgeber anstrebte und für eine Zeitlang wohl auch realisieren konnte. Gleichzeitig nutzte er die Zeitschrift nicht nur, um selbst Verbindungen zu knüpfen, sondern auch, um ihm nahestehenden Schülern Publikationsmöglichkeiten zu verschaffen. So konnte 1936189 Wilhelm Jung zwei Artikel unterbringen, und 1937190 Kriegsmann. Beide waren als Schüler und Unterstützer Feuerborns direkt in dessen Auseinandersetzungen mit von Ubisch verwickelt. Erst mit Feuerborns erzwungenem Weggang aus Münster und der Übernahme der Herausgeberschaft durch Rensch 1937 entwickelte sich die Zeitschrift von einem Propagandablatt zu einem ernstzunehmenden wissenschaftlichen Publikationsorgan. Wie die hier genannten Beispiele zeigen, waren die Protagonisten der ideologischen Kohärenz in Münster vorrangig unter den Zoologen zu finden. Auf Seiten der Botaniker hingegen bediente man sich überwiegend Vorgehensweisen, die sich unter dem Begriff der instrumentellen Vernunft subsumieren lassen. Ein Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung des Ordinarius für Botanik Mevius mit dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen um die Verlegung des Botanischen Gartens und seine Neuorganisation zwischen 1934 und 1936. In einer Denkschrift für den Oberpräsidenten, in der sich Mevius auf seit 1934 bestehende Bemühungen des Provinzialkonservators bezog, den Botanischen Garten (und damit auch das Botanische Institut) zu verlegen,191 versuchte er, Kritik, welche mit der oben genannten Gartenanlage in Verbindung stand, unter Rückgriff auf NS-Konzepte abzuwehren. 187 188 189 190 191

Vgl. zur Person Kolbows Dröge, Martin (Hg.), Die Tagebücher Karl Friedrich Kolbows (1899–1945) (Forschungen zur Regionalgeschichte 63), Paderborn 2009. Vgl. Natur und Heimat 2 (1935), S. 23ff. Vgl. Jung, Wilhelm, Was sind uns die Hochmoore?, sowie ders., Über ein Massenauftreten des Goldafters (Euproctis chrysorrhoea L.), in: Natur und Heimat 3 (1936), S. 4–6 bzw. S. 104–106. Vgl. Kriegsmann, F., Das „freie Wasser“ unserer Seen! Ein Beitrag zur Seentypenlehre, in: Natur und Heimat 4 (1937), S. 1–5. Seit April 1934 hatten sich vom Provinzialkonservator ausgehende Pläne entwickelt, den Botanischen Garten aus dem Schlossgarten hinaus zu verlegen. Ziel sollte es sein, ihm seine ursprüngliche, würdige Gestalt wieder zu geben. Der Konservator hatte aber beim Entwurf seiner Pläne die universitäre Realität völlig außen vor gelassen, waren doch Garten und Institut intensiv miteinander verbunden. Dies machte dann auch der Kurator in einem Schreiben an den Oberpräsidenten vom 4.12.1934 deutlich, als er zum einen darauf hinwies, dass eine Verlegung des Gartens ohne Institut nicht möglich sei, und es zum

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Zunächst hielt Mevius fest, dass das Botanische Institut nach dem Neubau der Gewächshäuser seinen Zweck voll und ganz erfüllen könne. Es werde, was die Inneneinrichtung und den baulichen Zustand betreffe, nur von fünf anderen Botanischen Instituten in Deutschland übertroffen. Daher gebe es auch keinen Grund für einen Ab- oder Neubau. Die Kritik von Staatsseite an Auffüllungsarbeiten im Botanischen Garten, die zur Anlegung des Freilandquartiers nötig waren, wies er entschieden zurück: „Die Bedeutung der Vererbungswissenschaft als Grundlage für die Lehre von Blut und Boden und weiter der Pflanzenzüchtung für die Sicherung der Ernährung des deutschen Volkes durch die eigene Scholle verlangen von mir, dass besondere Pflanzenquartiere geschaffen werden, in denen die Vererbungsgesetze und die Entstehung der wichtigsten deutschen Kulturpflanzen aus den Wildpflanzen gezeigt werden.“192

Die Aufschüttung des dafür benötigten Geländes sei daher notwendig. Ebenso entschieden wandte er sich gegen eine Verlegung des Gartens. Eine solche, und der damit verbundene Neuwuchs der Pflanzen, würden 20 Jahre dauern. Bis dahin müsse der bestehende Garten weiter ausgebaut werden. Außerdem wies er auf die positiven Wirkungen des bestehenden Gartens hin, da von Seiten des Provinzialkonservators immer nur auf negatives hingewiesen würde: Ein Teil der Bevölkerung Münsters lerne „die deutschen Pflanzen lieben und dadurch den Sinn der Naturschutzbewegung verstehen, noch andere lernen biologisch zu denken und werden erst dadurch instand gesetzt, den Sinn zahlreicher Maßnahmen des nationalsozialistischen Deutschlands zu erfassen und zu würdigen. Es ist ausgeschlossen, dass ein Barockgarten imstande ist, soviel ideelle Werte zu schaffen.“193

Hieran wird deutlich, wie Mevius versuchte, eine ursprünglich völlig unpolitische Angelegenheit wie die Organisation eines Gartens als Werkzeug zur Legitimation des NS-Regimes anzupreisen. Gleichzeitig wird bestätigt, dass die von Ash aufgestellten Kategorien, wie einleitend dargestellt, keineswegs als einander wesensfremd betrachtet werden dürfen. Objektivität von Wissenschaft im Rahmen der instrumentellen Vernunft kann sich durchaus als ideologisch befrachtete rhetorische Konstruktion herausstellen. Über sein Verhalten in der Diskussion um die Verlegung des Gartens hinaus gibt es weitere Situationen, in denen sich Mevius im Ringen um Anerkennung, aber auch zur Föderung der eigenen Forschung dem Mittel der instrumentellen Vernunft anderen dringendere Baumaßnahmen an der Universität gäbe. Dieser Meinung schloss sich auch das REM an, welches eine Woche später klar machte, dass eine alsbaldige Verlegung nicht in Frage käme. Für die Zukunft schloss man eine solche aber nicht aus. Die Angelegenheit sollte daraufhin für die nächsten Jahre ruhen, bis sich Mevius wieder damit beschäftigte. Siehe: LAV NRW W, Bestand Oberpräsidium, Nr. 7966, Kurator an OP, 4.12.1934; ebd., REM an Kurator, 10.12.1934. 192 Ebd., Denkschrift Mevius, 10.4.1936. 193 Ebd.

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bediente. So ist beispielsweise auch seine umfangreiche Arbeit für den Forschungsdienst, auf die bereits im Abschnitt zu seinem Ordinariat eingegangen wurde, in diesem Sinne zu werten. Hierbei stellte der Botaniker seine ernährungsphysiologischen Forschungen in den Dienst der nationalsozialistischen „Erzeugungsschlacht“ und der „Ernährungsfreiheit“ des deutschen Volkes. Neben Mevius lassen sich vor allem im Handeln seines Schülers Schratz Elemente instrumenteller Vernunft identifizieren. Da sie im Exkurs zur Pharmakognosie ausführlich behandelt wurden, sollen sie an dieser Stelle nur noch einmal kurz erwähnt werden. Hierzu zählt Schratz’ leitende Tätigkeit für die RfH, welche das ursprünglich unpolitische Sammeln von Heilpflanzen in den Kontext nationalsozialistischer Eroberungs- und Ausbeutungspolitik und den „Endsieg“ stellte. Den Höhepunkt bildete schließlich Schratz’ Angebot an die DFG, seine Fähigkeiten zur Plünderung sowjetischer Forschungseinrichtungen einzusetzen, um eine wechselseitige Nutzenmaximierung zu erreichen. Mit gewissen Einschränkungen lassen sich unter dieser Kategorie schließlich noch die Forschungen der Assistenten Baumeister und Peus subsumieren, obwohl sie im militärischen und weniger im ideologischen Bereich zu verorten sind. Da die Wehrmacht aber letztendlich Instrument nationalsozialistischer Eroberungs- und Vernichtungspolitik war, sind die Trennlinien hier möglicherweise nicht so scharf zu ziehen, wie sie zunächst erscheinen. Baumeisters Untersuchungen im Auftrag der Reichsarbeitsgemeinschaft für Landwirtschaftswissenschaft wurden dabei als kriegswichtig eingestuft. Gleiches gilt für seinen späteren Dienst an der Versuchsund Forschungsinstitut der Kriegsmarine in Hannover, wo er im Auftrag des Oberkommandos der Marine über die Frischhaltung von Obst, Gemüse und Kartoffeln und die Erforschung deren physiologischer Veränderung bei der Lagerung forschte. Ähnliches ist für Peus zu konstatieren. Seine Arbeit als Zoologe brachte ihm 1942 für das Buch „Die Fiebermücken des Mittelmeergebietes“ das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern II. Klasse ein. Später erhielt er noch das Kriegsverdienstkreuz mit Schwertern I. Klasse für beratende Tätigkeit in der Malariabekämpfung. Insgesamt gesehen lässt sich demnach für Münster festhalten, dass sich, was die Ressourcen der ideologischen Kohärenz und der instrumentellen Vernunft betrifft, keine Unterschiede zwischen Ordinarien und Nachwuchswissenschaftlern erkennen lassen. Beide nutzten diese Ressourcen, um ihre Karrieren zu fördern und sich an das Regime anzubiedern. Unterschieden werden muss jedoch, dass der daraus gewonnenen Einfluss sich bei den Nachwuchsforschern lediglich auf ihre eigene Karriere beschränkte, während die Ordinarien, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, zusätzlich Macht über ihre Untergebenen ausübten. Abschließend bleibt zu konstatieren, dass an der Universität Münster die Zoologen zu einer ideologischen Anpassung an das NS-Regime, einhergehend mit einer nationalsozialistischen Neuinterpretation ihrer Forschungen, tendierten, während die Botaniker in vorgeblich unpolitischen Bereichen agierten. Dies mag darin begründet liegen, dass sich der Vulgärbiologismus und Sozialdarwinismus der NS-

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Ideologie leichter auf die Tier- als die Pflanzenwelt übertragen ließ und gleichzeitig aus dieser seine Inspiration zog. Ein Vergleich mit den biologischen Instituten andere Universitäten könnte zeigen, ob sich diese Aussage verallgemeinern lässt oder Episode bleibt.

4.  „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnisse“ In seinem Modell der wechselseitigen Ressourcenmobilisierung setzt Ash „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnisse“194 an die Stelle einer Kausalität im Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Damit ist unter anderem gemeint, dass eine Veränderung im politischen System nicht automatisch zu einer Verhaltensänderung der in diesem System agierenden Wissenschaftler führen muss. Stattdessen ergaben sich beispielsweise durch die neuen Spielregeln einer Diktatur neue Ressourcen für die Forscher, welche diese ausnutzen oder aber auch unbeachtet lassen können. Ein markantes Beispiel hierfür ist der auch an den biologische Instituten der Universität Münster massenhaft erfolgte Eintritt in die NSDAP oder eine ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände. Ebenso konnte das Ende der Diktatur vormals mobilisierbare Ressourcen zum Erliegen bringen. Dies war beispielsweise bei Schratz der Fall, der, noch im März 1945 durch seine NS-Netzwerke kurz vor der Übernahme des Ordinariats stehend, nach dem Zusammenbruch des Regimes aber aufgrund seiner politischen Belastung keinerlei Chancen mehr auf den Lehrstuhl hatte. Während des Nationalsozialismus konnten die Forscher über bloße Mitgliedschaften hinaus aber auch den Antisemitismus oder andere Kernelemente der NSIdeologie ausnutzen, um ihre eigene Situation zu verbessern. Insbesondere die Nachwuchswissenschaftler machten sich dies in ihrem Kampf um beruflichen Aufstieg, wissenschaftliche Profilierung und Ausschaltung von Konkurrenten zu Nutze. Für die Zoologie und Botanik in Münster können hierfür die Verhaltensweisen Struggers und Feuerborns als Beispiele angeführt werden. Struggers Karriere bis zu seinem Amtsantritt in Münster 1948 hatte sich zum größten Teil unter der NS-Herrschaft abgespielt hatte, und da Strugger dort als Österreicher (und damit bis 1938 als Ausländer) in einer besonderen Lage gewesen war, lohnt es sich, näher auf sein Verhalten während dieser Zeit einzugehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Ressourcenmobilisierung des Botanikers von Bedeutung. Sowohl vor als auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Strugger an der Universität Greifswald beschäftigt. Ein direkter Einfluss auf seine Karriere scheint durch die Vorgänge Anfang 1933 zunächst nicht stattgefunden zu haben. Einige Zeit später, im Sommer 1933 und damit während der Hochphase 194

Ash 2006, S. 36.

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der hektisch-aktionistischen Etablierung des Nationalsozialismus an den deutschen Universitäten, beantragte er beim Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald seine Habilitation. Als Grundlage sollte seine Schrift „Beiträge zu Physiologie des Wachstums“ dienen.195 Als Ausländer sah sich Strugger hierbei hohen Hürden ausgesetzt, musste er doch eine Sondergenehmigung für das Verfahren beantragen.196 Umso wichtiger waren deshalb die Gutachten, die er für den Antrag benötigte. Die fachwissenschaftliche Bewertung seiner Arbeit fiel dabei hervorragend aus.197 Daneben ist an dem Gutachten aber vor allem die politische Einschätzung des Botanikers interessant. So bezeichnete der Gutachter Strugger als „rein arischer Abstammung und von einwandfrei nationaler Gesinnung“.198 „Herr Strugger besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, doch glaubt die Kommission, dass dies keinen Hinderungsgrund für die Habilitation darstellt; es steht fest, dass er sich ebenso wie sein Vater in Österreich trotz der bekannten Schwierigkeiten für den Nationalsozialismus eingesetzt hat.“199

Mit einem solchen Gutachten war es für den Botaniker praktisch unmöglich geworden, in Österreich noch einmal in ein Amt an einer Hochschule zu gelangen. Damit war das berufliche Schicksal Struggers an den Nationalsozialismus gebunden. In Deutschland hingegen profitierte er natürlich von einer solchen Aussage. Am 14. Juli 1933 beantragte der Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald eine Sondergenehmigung zur Zulassung zum Habilitationsverfahren beim Preußischen Wissenschaftsministerium. Dabei betonte er nochmals, dass sich die Verantwortlichen „in jeder Weise versichert [haben], dass die Kandidaten den An-

195

UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Aktenvermerk des Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald, 26.6.1933. 196 Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an PrWM, 14.7.1933. 197 Seit seiner Dissertation habe Strugger die moderne Protoplasmaforschung in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt und bereits 15 Publikationen, mehrheitlich zu diesem Thema, verfasst. Darunter hätten besonders seine Arbeiten über die kolloidchemische Deutung der Kernstrukturen und ihre Veränderungen in der Fachwelt Beachtung gefunden. Die vorliegende Habilitationsschrift sei dem Gutachter zufolge ein weiterer wichtiger Beitrag in diesem Bereich, da sie einen neuen Ansatz des Studiums des Streckungswachstums pflanzlicher Organe biete. Der Vergleich von mikroskopisch sichtbaren Vorgängen im Protoplasma mit parallel verlaufenden Wachstumserscheinungen ergebe plasmaphysiologische Unterschiede zwischen Zellen beim Streckungswachstum und solchen, die sich nicht im Streckungswachstum befänden. Daraus leite Strugger eine plasmaphysiologisch begründete, auf kolloidchemische Veränderungen desselben beruhende Theorie des Streckungswachstums ab. Insgesamt sei die Schrift eine sehr gute Arbeit, zeige Struggers Vielseitigkeit und seine Eignung für die akademische Laufbahn. Siehe: ebd., Gutachten über Habilitationsschrift Strugger, undatiert. 198 Ebd. 199 Ebd.

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forderungen nationaler Zuverlässigkeit genügen.“200 Strugger musste sogar einen Fragebogen zum BBG ausfüllen. Das Engagement zahlte sich rasch aus. Bereits zwei Wochen später konnte er seine öffentliche Vorlesung unter dem Titel „Die Wasserstoffionenkonzentration des Bodens und ihre Bedeutung für Theorie und Praxis“ abhalten.201 Weitere zwei Wochen später konnte der Dekan dem Kurator mitteilen, dass Strugger vorbehaltlich der Genehmigung durch das Wissenschaftsministerium zur Habilitation zugelassen sei.202 Das Verfahren lief danach weiter seinen normalen Gang, stieß jedoch bald auf weitere, durch seine österreichische Staatsangehörigkeit bedingte Probleme. Das Ministerium hatte nämlich kurz zuvor beschlossen, dass als Bedingung für die Habilitation ein mehrmonatiger Dienst in einem Wehrsport- oder Arbeitslager nachgewiesen werden musste.203 Strugger habe im Sommer versucht, in ein solches Lager aufgenommen zu werden, sei jedoch abgewiesen worden und habe deshalb diese Bedingung für eine Habilitation noch nicht erfüllen können. Er sei aber jederzeit im Rahmen seiner Möglichkeiten bereit, in ein Lager einzutreten, und stelle sich vollständig zur Verfügung.204 Auch bei dieser Schwierigkeit sollte sich seine nationalsozialistische Ausrichtung als hilfreich erweisen. Am 20. Oktober 1933 wandte er sich mit einem „Gesuch betreffs der Erlangung der Lehrerlaubnis“ an den Dekan. Aufgrund seiner expliziten Anbiederung an das Regime soll es an dieser Stelle ausführlich zitiert werden: „Ich bitte Seine Spektabilität ergebenst auf die betreffende Anfrage hin folgende Erklärungen entgegenzunehmen. Als Sohn meiner urdeutschen Kärntnerheimat habe ich von Jugend an reichlich Gelegenheit gehabt durch das Miterleben eines heldenhaften Kampfes um die deutsche Südgrenze meine Verbundenheit mit der grossen [sic!] deutschen Volksgemeinschaft heranzubilden und innerlich zu befestigen. Eine weitere Vertiefung dieser Volksverbundenheit konnte ich noch dadurch erlangen, dass ich als Alpenländer nunmehr bereits das 5. Jahr beruflich in Norddeutschland tätig bin. Für diese Verbundenheit bin ich zu jeder Zeit auch durch die Tat eingetreten. Ich war vom Jahre 1922–1925 aktives Mitglied des nationalen Kärntner Heimatschutzes und habe mit der Waffe in der Hand anlässlich der Wahlunruhen im Jahre 1923 gegen marxistisch-kommunistische Horden gekämpft. Im Herbst 1930 habe ich im Rahmen der pommerschen geographischen Gesellschaft anlässlich der 10. Wiederkehr des Jahrestages der siegreichen Volksabstimmung in Kärnten in Greifswald, Stralsund, Kolberg und Wolgast Vorträge über die nationalpolitische Entwicklung und über die Freiheitskämpfe in Kärnten mit viel Erfolg gehalten.“205

200

UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an PrWM, 14.7.1933. 201 UAG, PA Strugger, UAG PA 1873, Einladung zur öffentlichen Vorlesung. 202 UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an Kurator Greifswald, 1.8.1933. 203 UAMs, Bestand 9, Nr. 812, PrWM an Kuratoren der preußischen Universitäten, 8.10.1933. 204 UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Strugger an Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald, 20.10.1933. 205 Ebd.

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Geschickt knüpfte Strugger also an eine Reihe von nationalsozialistischen Schlüsselkonzepten an: Lebensraum, Volksgemeinschaft, Tat, Kampf, Antikommunismus. Kern seiner Aussage: er sei schon lange vor 1933 im Sinne des Nationalsozialismus aktiv gewesen. Struggers Ressourcenmobilisierung zeigte schon rasch Erfolg, denn erneut legte der Verwaltungsapparat ein hohes Tempo an den Tag. Bereits am 22. Oktober leitete der Dekan die Habilitationsunterlagen an das Wissenschaftsministerium weiter und bat gleichzeitig für Strugger um eine vorläufige Genehmigung zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen. Auch der Direktor des Botanischen Instituts und die Philosophische Fakultät befürworteten dies.206 Ähnlich äußerte sich der Kurator in seinem Begleitschreiben. Er teilte mit, dass Strugger ohnehin bereits vorbehaltlich späterer Genehmigung durch das Ministerium das für die Habilitation notwendige Kolloquium durchgeführt habe. Daher bitte er, den wissenschaftlichen Teil der Habilitation schon jetzt zu beenden und die Aufnahme von Vorlesungen zu gestatten. Strugger sei lediglich aufzuerlegen, bis zum 1. Mai 1934 seinen Wehrsport- oder Arbeitslagerdienst abzuleisten.207 Kurz darauf verstärkte Strugger seine Bindung an das NS-Regime weiter. Zum 1. November 1933 trat er der SA bei.208 Mitte Dezember 1933 entsprach das Wissenschaftsministerium dem Antrag des Dekans und genehmigte Strugger die Abhaltung der Vorlesung „Einführung in die experimentelle Physiologie der Pflanzenzelle“. Darüber hinaus trug es ihm auf, seinen Lagerdienst abzuleisten.209 Strugger kam dem bereits wenige Wochen später nach und verbrachte die Zeit vom 7. Januar bis 10. März 1934 beim ersten Dozentenlehrgang an der Geländesportschule des Reichs-SA-Hochschulamtes in Zossen. Außerdem nahm er vom 9. bis 21. April am ersten Kursus der Dozentenakademie in Kitzeberg bei Kiel teil. Schon zwischen den beiden Kursen beantragte der Dekan erneut, Struggers Habilitationsverfahren abschließen zu können.210 Ende Mai genehmigte das inzwischen zum REM umstrukturierte Ministerium dies schließlich211 und verlieh Strugger rückwirkend zum Tag seiner öffentlichen Vorlesung, dem 28. Juli 1933, die venia legendi für Allgemeine Botanik.212 Strugger hatte also in diesem komplizierten Prozess seine nationalsozialistische Zuverlässigkeit als Ressource gegenüber den politischen Entscheidungsträgern einsetzen können. Es ist nicht anzunehmen, dass ihm die Habilitation ohne diese Mobilisierungsleistung gestattet worden wäre. Mit der Erteilung der Lehrbefugnis war die Nützlichkeit seines politischen Opportunismus’ aber noch nicht erschöpft. 206 207 208 209 210 211 212

UAG, PA Strugger, UAG PA 1873, Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an PrWM, 22.10.1933. Ebd., Kurator Greifswald an PrWM, 25.10.1933. Ebd., Personalbogen, 4.1.1935. Ebd., PrWM an Strugger, 9.12.1933. Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an PrWM, 3.4.1934. Ebd., Erlass des REM, 25.5.1934. UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an Strugger, 2.6.1934.

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Kurz darauf sollte er ihn in einem anderen Zusammenhang erneut als Ressource einsetzen. Das Geld, welches Strugger mit seiner Arbeit verdiente, reichte nämlich offenbar nicht aus, um seine Familie zu ernähren. Auch hatte er eigenen Angaben zufolge seit 1932 keine wissenschaftlichen Bücher mehr kaufen und keine Mitgliedsbeiträge bei der Deutschen Botanischen Gesellschaft mehr bezahlen können. Deshalb beantragte er bereits unmittelbar nach seiner Habilitation ein Stipendium. Wieder betonte er das nationalsozialistische Engagement seiner Familie. So könnten ihm seine in Österreich lebenden Eltern keine Unterstützung leisten, denn: „ausserdem [sic!] [sind sie] wegen ihrer nationalsozialistischen Gesinnung in ihrer Existenz bedroht, so dass für meine Eltern das Schlimmste in der nächsten Zeit zu befürchten ist.“213 Unterstützung erhielt der Botaniker von seinen Vorgesetzten. Der Dekan gab an, dass die schlechte finanzielle Lage sowohl die Widerstandskraft als auch die Arbeitsfreude des Botanikers beeinträchtigten.214 Der Direktor des Botanischen Instituts, Paul Metzner, stellte ihm ein gutes Zeugnis aus und bemerkte, Strugger gehöre zu den besten des wissenschaftlichen Nachwuchses.215 Auch der Kurator äußerte sich befürwortend.216 Entscheidend war aber auch hier die positive Beurteilung der politischen Stellen. So schrieb der Führer der Dozentenschaft Greifswald: „Dr. Strugger wird von uns politisch wie menschlich als absolut zuverlässig angesehen. Dasselbe berichtete mir der hiesige Führer des SA-Hochschulamtes“.217 Am 9. November 1934 bewilligte das REM dem Botaniker daraufhin ein monatliches Stipendium von 100 RM.218 Ob diese politische Zuverlässigkeit in Kombination mit seiner wissenschaftlichen Begabung der Grund für seinen Arbeitsplatzwechsel nur ein Jahr später war, ist den Akten nicht zu entnehmen. Fest steht, dass Strugger zum Wintersemester 1935/36 nach Jena ging. Die dortige Universität hatte im „Dritten Reich“ einen Profilwandel weg von einer philosophischen und hin zu einer rassisch und naturwissenschaftlich ausgerichteten Hochschule vollzogen.219 Durch eine zielgerichtete Berufungspolitik war es dazu gekommen, dass in einer für Deutschland einmaligen akademischen und wissenschaftlich-politischen Konstellation vier Professoren in Forschung und Lehre das gemeinsame Feld der Rassenkunde und Rassenhygiene im engeren Sinn ver-

213 214 215 216 217 218 219

Ebd., Erklärung Struggers zu seiner Finanzlage, 25.8.1934. Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an REM, 16.10.1934. Ebd., Metzner an Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald, 16.10.1934 Ebd., Kurator Greifswald an REM, 23.10.1934. Ebd., Führer der Dozentenschaft Greifswald an Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald, 17.10.1934. Ebd., REM an Kurator Greifswald, 9.11.1934. Vgl. hierzu Stutz/Hoßfeld 2004.

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traten.220 Als „Rassen-Quadriga“221 waren sie eng in die NS-Wissenschaftsideologie eingebunden, und im weiteren Verlauf des „Dritten Reiches“ sollte es zu einer engen Verbindung der Hochschule mit der SS kommen.222 Jena pflegte das Bild einer NS-Musteruniversität und stellte die dort betriebene wissenschaftliche Forschung explizit in den Dienst des Regimes.223 Zum 15. Oktober 1935 übernahm Strugger am dortigen Botanischen Institut den Posten des 1. Assistenten.224 Da er beabsichtigte, sich an seine neue Fakultät umzuhabilitieren, forderte der Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Jena Mitte Oktober neben der Habilitationsakte auch die Gutachten über Struggers politische Einstellung und seine Charaktereigenschaften an.225 Sein Kollege in Greifswald wusste daraufhin nur Gutes über den Botaniker zu berichten: „Strugger ist sich seines Deutschtums stark bewußt, sodass nationale Zuverlässigkeit für ihn von jeher etwas Selbstverständliches gewesen ist. Der Umbruch brachte für ihn keinerlei innere Schwierigkeiten, sodass er sich gern und mit Erfolg dem S.A-Dienst widmete. Struggers Vater wurde in Österreich als nationalsozialistisch verdächtig seines Amtes entsetzt.“226

Mit einem derartigen Hintergrund stellte die Umhabilitation kein Problem dar und wurde am 18. November 1935 durchgeführt.227 Betrachtet man die hier dargestellten Vorgänge in der Gesamtschau, so werden Parallelen zwischen der Zeit vor und der nach 1945 deutlich. Struggers Virtuosität im Einsatz seiner Qualifikationen als Ressource im Umgang mit akademischen wie politischen Entscheidungsträgern, welche er nach 1945 in Münster an den Tag legte, fand ihre Entsprechung im Einsatz seiner nationalsozialistischen Einstellung als Ressource zur Förderung seiner Karriere vor 1945. Gleichzeitig wird klar, dass die Universität 1948 einen, eigenen Angaben zufolge, langjährigen und überzeugten Nationalsozialisten an das Botanische Institut berief. Struggers Behauptung im Rahmen seines Entnazifizierungsverfahrens, er sei durch eine Kollektivaktion des Assistentenvereins der Universität Greifswald quasi en passant in die SA hineingeschliddert und 1938, da er mit ihren weltanschaulichen Prinzipien und Methoden 220

Hierzu zählten H. F. K. Günther (Philologe und Publizist), Karl Astel (Rassenhygieniker), Victor Franz (Zoomorphologe) und Gerhard Heberer (Zoologe und Anthropologe), siehe: ebd., S. 219. 221 Ebd. 222 So erhielt Lothar Stengel-von Rutkowski 1940 eine Dozentur und einen Lehrauftrag für Rassenhygiene, Kulturbiologie und rassenhygienische Philosophie; außerdem hielten Astel und Heberer Vorträge im KZ Buchenwald, siehe: Ebd., S. 250ff. 223 Vgl. hierzu: Hoßfeld/John/Lemuth/Stutz 2003. 224 UAG, Phil/Math.-Nat. Habil 3 b, Strugger an Kurator Greifswald, 5.10.1935. 225 Ebd., Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Jena an Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald, 16.10.1935. 226 Ebd., Dekan der Philosophischen Fakultät Greifswald an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Jena, 18.10.1935. 227 Ebd., Kurator Greifswald an Rektor, Dekan der Philosophischen Fakultät, Universitätskasse, Führer der Dozentenschaft Greifswald, 26.11.1935.

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nicht einverstanden gewesen sei, wieder ausgetreten, wirkt daher völlig unglaubwürdig.228 Mit seiner Berufung umging die Universität Münster zwar nicht dem Buchstaben, aber doch dem Geiste nach die Vorgaben des Oberpräsidenten, keine ehemaligen Nationalsozialisten einzustellen. Die Vorgaben griffen lediglich aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft Struggers in der NSDAP in seinem Fall nicht. Dass Struggers politischer Hintergrund in Anbetracht seines Status als Ausländer außergewöhnlich war, war den Entscheidungsträgern dabei keineswegs entgangen. Die Gutachter der für das Ordinariat in Frage kommenden Kandidaten hatten die Tatsache, dass er trotz österreichischer Staatsbürgerschaft von 1933 bis 1938 in der SA tätig war, explizit herausgestellt.229 Ebenso wenig hatte die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät seine Mitgliedschaften im NSDDB, der NSV und der Reichsdozentenschaft übersehen.230 Trotzdem entschied sie sich, nicht zuletzt aufgrund seines hervorragenden und für moderne Methoden stehenden wissenschaftlichen Rufes, für den Österreicher. Ein weiteres Mal musste ethisches Handeln der Qualität von Lehre und Forschung den Vortritt lassen. Strugger konnte demnach erfolgreich die neuen Machtverhältnisse im Reich ausnutzen und damit seine Karriere fördern. Neben seiner nationalsozialistischen Betätigung spielte hierfür aber auch seine wissenschaftliche Qualifikation eine wichtige Rolle. Feuerborn hingegen sollte mit seinem aggressiven Opportunismus, trotz einer ungleich stärkeren nationalsozialistischen Agitation, letztendlich im Kampf um das zoologische Ordinariat scheitern. Das, was sich nach 1933 zur Affäre Feuerborn ausweiten sollte, begann jedoch zunächst unauffällig und, im Vergleich zu anderen Universitätsangestellten, wenig außergewöhnlich. Wie eine Vielzahl seiner Kollegen trat Feuerborn Anfang Mai mit der Mitgliedsnummer 2162906 der NSDAP bei.231 Ebenso wurde er Mitglied der NSV und im Juli 1933 des NSLB.232 Damit waren mit Ausnahme des Ordinarius alle wissenschaftlichen Mitarbeiter des Zoologischen Instituts entweder Parteimitglied oder in einer ihrer Gliederungen aktiv. Die Stimmung am Institut hatte sich durch diese Entwicklung gegenüber dem durch die antisemitischen Maßnahmen des Regimes unter Druck geratenen von Ubisch deutlich verschärft. Wo genau der Auslöser der sich anbahnenden Krise lag, ist auch nach intensivem Aktenstudium nicht genau festzustellen. Es ist offensichtlich, dass eine Grundspan228 229 230

231 232

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Strugger, NW 1039, Nr. 151, Fragebogen. UAMs, Bestand 62, B III 8c, diverse Gutachten, Kurzinformationen und persönliche Meinungen von Referenten über die für das Ordinariat für Botanik in Frage kommenden Kandidaten, undatiert, ca. 1945–1947. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Strugger, NW 1039, Nr. 151, Fragebogen, bzw. UAMs, Bestand 62, B III 8c, diverse Gutachten, Kurzinformationen und persönliche Meinungen von Referenten über die für das Ordinariat für Botanik in Frage kommenden Kandidaten, undatiert, ca. 1945–1947. BAB, ehemals BDC, C 172. UAB, PA Feuerborn, Bd. I.

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nung zwischen den beiden Zoologen seit der Berufung von Ubischs im Jahre 1927 auf den Posten, den sich eigentlich Feuerborn erhofft hatte, bestanden hatte. Erste aktenkundige Anzeichen einer Verschlechterung des Verhältnisses zeigten sich indes erst in dem Mitte 1933 nötig gewordenen Verlängerungsantrag für Feuerborns Assistentenstelle. Hatte der Ordinarius in den Jahren zuvor noch über Feuerborns unzureichende wissenschaftliche Betätigung und seine offensichtliche Stagnation hinweggesehen, war nun der Zeitpunkt gekommen, an dem seine Geduld ein Ende hatte. Am 24. Juli 1933 stellte er beim Kurator den Antrag auf Verlängerung um zwei Jahre. Oberflächlich gesehen sollte also alles beim Alten bleiben. Inhaltlich war der Antrag aber eine Bitte um anderweitige Verwendung Feuerborns. Zwar begann von Ubisch sein Schreiben mit der Feststellung, dass Feuerborn als langjähriger Assistent und Dozent zweifellos alle Kenntnisse und Erfahrungen für seine Stelle besäße. Dennoch läge eine Verlängerung der Anstellung nicht im dringenden Interesse des Instituts. Laut von Ubisch sollten Assistentenstellen Durchgangsstellen für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sein, Feuerborn hingegen war schon seit langen Jahren Dozent. Durch seine Vorlesungstätigkeit könne er sich nicht in dem Maße auf die Institutsarbeit konzentrieren wie jüngere Assistenten. Außerdem sollten im Sinne einer einheitlichen Leitung des Instituts die Assistenten vom Direktor in bestimmte Richtungen dirigiert werden können. Bei einer gereiften Persönlichkeit wie Feuerborn sei dies aber kaum möglich, und außerdem könne er dies als Verletzung seines Ehrgefühls ansehen. Aufgrund seines Alters und seiner eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit sei er dem Assistentenstadium entwachsen. Daher sollte er durch eine selbständige Anstellung an einer Universität oder einem Museum auf eigene Füße gestellt werden. Dass von Ubisch nun trotzdem den Antrag auf Verlängerung stelle, geschehe nur aus Rücksicht auf die wirtschaftliche Existenz des Assistenten.233 Es ist unklar, ob die Äußerungen von Ubischs Feuerborn bekannt wurden. Fest steht aber, dass ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zwischen den zwei Männern nicht mehr bestand. Auch wenn von Ubisch sich für einen Karriereschub seines Assistenten einbrachte, ist dies nicht mit dem Einsatz, den er zum Beispiel für Kosswig leistete, zu vergleichen. Feuerborn hingegen scheint in der zweiten Jahreshälfte 1933 klar geworden zu sein, dass nur eine enge Verzahnung seiner Arbeit mit den nationalsozialistischen Entscheidungsträgern und ihrer Ideologie dazu führen konnte, ihn aus seiner ungünstigen Situation herauszuführen. Ein erster Schritt dazu war die Gründung einer Biologenschaft im Sommersemester 1933, deren Ziel die Behandlung von Rassenproblemen sein sollte.234 Im Wintersemester 1933/34 folgte die Ankündigung einer Veranstaltung mit dem Titel „Abstammungslehre, mit besonderer Berücksichtigung des Rasse- und Artbildungsproblems“.235 Mit dieser Vorlesung betrat er zwar nicht komplettes wissenschaftliches Neuland, hatte er doch bereits im Winter233 234 235

UAMs, Bestand 9, Nr. 523, von Ubisch an Kurator, 24.7.1933. UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, Feuerborn an Kurator, 4.2.1934. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1933/34.

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semester 1927/28 und im Wintersemester 1931/32 eine ähnliche Veranstaltung zur Einführung in die Dezendenzlehre für Hörer aller Fakultäten abgehalten.236 Wissenschaftlich hatte er sich jedoch selbst in seinen spärlichen Veröffentlichungen und auch in den anderen von ihm angebotenen Seminaren überhaupt nicht speziell mit dieser Thematik beschäftigt, und die Verknüpfung mit Rasse und Artbildung zeigte deutlich, in welche Richtung das Thema ausgelegt werden sollte. Aber auch abseits der Lehre versuchte Feuerborn, seine Stellung an der Universität Münster weiter zu verbessern. Auf der einen Seite übermittelte er dem Dekan Anton Baumstark, selbst aktiver Nationalsozialist und sehr um eine Säuberung der Universität von Mitarbeitern, die dem Regime suspekt waren, bemüht,237 den Wunsch, dass sein Lehrauftrag, der sich auf Landesfauna beschränkte, auf das Gebiet der Rassenkunde und Erblehre erweitert werde.238 Hält man sich erneut vor Augen, dass Feuerborn zu diesem Thema vor 1933 niemals gearbeitet, geschweige denn veröffentlicht hatte, wird mehr als deutlich, welche Taktik er anzuwenden trachtete. Auf der anderen Seite versuchte er, seine neugefundene Bestimmung auch organisatorisch durch die bereits erwähnte Beantragung von Geldern für die Finanzierung einer persönlichen Hilfskraft abzusichern. Wie zu erwarten stieß das Gesuch Feuerborns bei seinem Vorgesetzten von Ubisch, der ein halbes Jahr zuvor noch versucht hatte, ihn vom Institut wegbefördern zu lassen, auf energischen Widerstand. Bereits vier Tage nach dem Antrag teilte er dem Kurator mit, dass er es nicht unterstützen könne. Als Begründung führte er drei verschiedene Argumente an. Erstens hatte er Feuerborn bei seinem Amtsantritt 1927 von dessen Assistentenpflichten befreit, damit sich dieser stärker seinen eigenen wissenschaftlichen Forschungen widmen können (was, wie ein kurzer Blick auf die Veröffentlichungsliste zeigen konnte, zu keiner Verbesserung geführt hatte) und nicht, um seinen privaten Vergnügen nachzugehen. Dadurch sei es zu einer stärkeren Belastung der anderen Assistenten gekommen. Wenn schon eine weitere Hilfskraft am Institut angestellt werde, müsse sie jene entlasten, aber nicht Feuerborn. Zweitens wäre es für eine einheitliche Leitung des Instituts untragbar, wenn ein staatlich angestellter Assistent eine staatlich angestellte Hilfskraft erhielte, über die der Institutsdirektor kein Verfügungsrecht habe. Drittens schließlich möge man prüfen, ob die von Feuerborn dargelegten Tätigkeiten mit den Pflichten eines Assistenten überhaupt noch vereinbar wären, da Heimat- und Rassenkunde die Arbeitsleistung eines einzelnen überspannen würden. Es wäre daher im Interesse Feuerborns und des Instituts, wenn er seiner dienstlichen Pflichten entbunden würde, damit er sich ganz seinem gewählten Arbeitsgebiet widmen könne. Dadurch könne man auch einen neuen, jungen Assistenten einstellen, der die anderen beiden ent236 237 238

Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1927/28, 1931/32. So hatte sich Baumstark als Kopf einer „Gleichschaltungskommission“ einen Namen im Kampf gegen tatsächliche und vermeintliche Regimegegner an der Universität Münster gemacht, vgl. Pilger 2004, S. 264. UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Dekan an Kurator, 22.3.1934.

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lasten würde. Daher solle man überlegen (und hier wiederholte er seinen Vorschlag vom Jahr zuvor), ob man Feuerborn nicht durch einen entsprechend honorierten Lehrauftrag oder die Versetzung an ein anderes Institut oder Museum existenzfähig machen könnte.239 Zum wiederholten Male versuchte von Ubisch also, einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss auszuhandeln. Anders als in den Jahren zuvor wirkten sich jedoch jetzt die veränderten politischen Rahmenbedingungen auf die Überlegungen der politischen wie wissenschaftlichen Entscheidungsträger aus. Diese richteten sich nun gegen den amtierenden Ordinarius. Zunächst ignorierte das Preußische Wissenschaftsministerium die Eingabe von Ubischs und genehmigte Feuerborn eine Beihilfe zur Anstellung einer Hilfskraft.240 Damit hatte sich Feuerborns Strategie der Anbiederung an die Nationalsozialisten erstmals ausgezahlt. Bei dieser Ausschaltung des Ordinarius blieb es jedoch nicht. Bereits eine knappe Woche später sandte der Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät auf dem Dienstweg ein Schreiben an das Wissenschaftsministerium, in dem er, die Anregungen von Ubischs völlig konterkarierend, um die Beförderung Feuerborns zum Abteilungsleiter bat, um ihm einen größeren Spielraum für die eigene Arbeitsrichtung zu verschaffen. Er begründete dies sowohl mit der Hemmung von dessen wissenschaftlicher Laufbahn durch Kriegsdienst und Vertretungstätigkeit als auch durch dessen Arbeit auf dem für die NS-Weltanschauung wichtigen Gebiet der Heimatkunde.241 Auch wenn das REM im September 1934 aus budgetrechtlichen Gründen die Schaffung einer Abteilungsleiterstelle ablehnte, spricht die Vehemenz, mit der hier seitens der Universitätsspitzen gegen die Wünsche des Lehrstuhlinhabers agiert wurde, Bände.242 Am selben Tag wandte sich der Dekan auch an den Rektor, Hubert Naendrup, ebenfalls überzeugter Nationalsozialist und um eine neue, regimetreue Ausrichtung der Universität bemüht.243 In seinem Schreiben wies Baumstark nochmals darauf hin, wie wichtig es ihm erscheine, dass für Feuerborn, den der NS-Sache so treu ergebenen Parteigenossen, etwas geschähe. Er habe sich vor allem auf dem für den neuen Staat so wichtigen Gebiet der Vererbungslehre und Rassenbiologie verdient gemacht. Zurückkommend auf Feuerborns Wunsch einer Erweiterung von dessen Lehrauftrag befürwortete er einen solchen Schritt uneingeschränkt, befürchtete jedoch, dass er auf Widerstände bei von Ubisch stoßen könnte. Daher sollten in jedem Fall vor der Einbringung eines solchen Antrags auswärtige Autoritäten Gutachten darüber verfassen, um Feuerborn Rückendeckung zu geben. Dessen Betätigung für die Heimatkunde habe ihm in Bezug auf die Beurteilung seiner Lehrtätigkeit durch andere Ordinarien der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät nämlich

239 240 241 242 243

UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, von Ubisch an Kurator, 8.2.1934. Ebd., PrWM an Feuerborn, 19.3.1934. Ebd., Dekan an PrWM, 27.3.1934. Ebd., Feuerborn an Kurator, 10.5.1934. Vgl. hierzu Droste 2010.

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eher geschadet als genützt. Genau dieser Bereich verdiene aber vom Standpunkt des heutigen Deutschlands allerhöchste Anerkennung.244 Die Mobilisierungsbemühungen des Dekans zeigten umgehend Wirkung. Bereits einen Tag später schaltete sich Naendrup mit einem Brief an den Kurator in den Schriftverkehr ein. Naendrup unterstütze den Antrag auf Bereitstellung einer Hilfskraft aufs Wärmste, vor allem wegen Feuerborns Einsatz für den NS-Heimatschutz.245 Damit hatte Feuerborn alle drei wichtigen Entscheidungsträger an der Universität, Dekan, Rektor und Kurator, auf seiner Seite. Am 22. April 1933 bedankte er sich direkt beim Kurator für dessen Unterstützung bei der Anstellung der Wissenschaftlichen Hilfskraft.246 Am 10. Mai 1934 konnte er mitteilen, dass er den ehemaligen Assistenten Wilhelm Nühmann für die Stelle gewonnen und vorerst für ein Halbjahr eingestellt hatte.247 Dass dieser nicht von Ubisch, sondern Feuerborn direkt unterstellt war, teilte der Kurator dem inzwischen zum REM umstrukturierten Preußischen Wissenschaftsministerium zwei Tage darauf mit.248 Im Verlaufe des Sommers 1934 verschärften sich die Spannungen zwischen Feuerborn und von Ubisch weiter. Kurze Zeit nachdem das REM Feuerborn seine private Hilfskraft genehmigt hatte, waren die Verhältnisse bereits derart schlecht, dass der Dekan den Rektor um einen Termin für eine Unterredung über die Verhältnisse im Zoologischen Institut bat.249 Zu diesem Zeitpunkt griffen auch die Studenten erstmals in die Auseinandersetzung ein. Damit wurde eine Kette von Ereignissen ins Rollen gebracht, die schließlich erst 1936 abgeschlossen werden konnte. Ende Mai 1934 richtete Feuerborns Schüler und Vertrauter Wilhelm Jung, Mitglied des NSDStB und „fanatischer Nazi“,250 über den Rektor eine Eingabe an das REM, in der er von Ubisch einer gegen den Standpunkt der NSDAP in der „Arierfrage“ gerichteten und den Studenten gegenüber zum Ausdruck gebrachten Haltung bezichtigte. Dies wöge umso schwerer, da von Ubisch „Nichtarier“ sei.251 Zur gleichen Zeit wandte sich der Student Eberhard Platz mit einem Brief an die Gauleitung und informierte sie über die Aktion. Ob die beiden von Feuerborn, der mittlerweile eine Gefolgschaft unter den Studierenden um sich gesammelt hatte, angestiftet worden waren, muss mangels Belegen in den Akten offen bleiben. Schnell zog die Angelegenheit, wie von den Studenten beabsichtigt, auch außer­ universitäre Kreise. Am 14. Juni 1934 schrieb der Gaugeschäftsführer der NSDAP an den Rektor, übersandte den Brief Platz’ und bat ihn um eine Stellungnahme bezüglich von Ubisch. Rektor Naendrup reagierte prompt und sandte eine solche als 244 UAMs, Bestand 5, Nr. 59, Bd. 1, Dekan an Rektor, 27.3.1934. 245 UAB, PA Feuerborn, Bd. IV, Rektor an Kurator, 28.3.1934. 246 Ebd., Feuerborn an Kurator, 22.4.1934. 247 Ebd., Feuerborn an Kurator, 10.5.1934. 248 Ebd., Kurator an REM, 10.5.1934. 249 UAMs, Bestand 4, Nr. 89, Dekan an Rektor, 8.6.1934. 250 UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934. 251 Ebd.

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„erledigt“ umgehend zurück.252 Für von Ubisch war die Angelegenheit damit aber noch nicht abgeschlossen. Er fühlte sich persönlich und als Ordinarius angegriffen und bezeichnete die Aussagen Jungs als unwahr und den Studenten als Lügner, woraufhin dieser von Ubisch nicht mehr grüßte. Der Ordinarius hingegen forderte nach eigener Aussage das Nicht-Grüßen Jungs geradezu heraus, indem er sich im Institut demonstrativ neben diesen stellte oder wartete, bis er an ihm vorbeigehen musste.253 Von Ubisch wandte sich nun mit der Forderung, disziplinarisch gegen Jung einzuschreiten, an die Universitätsleitung. Das Rektorat aber stellte sich gegen ihn. Zunächst lehnte der stellvertretende Rektor Anton Eitel ein Vorgehen der Universität gegen Jung ab, da er lieber entschärfend tätig werden wollte. Dieser Meinung schloss sich dann auch Naendrup an. Dabei bemühte er sich nicht einmal, verwaltungstechnische Gründe gegen die berechtigte Forderung von Ubischs anzuführen, sondern argumentierte bezeichnend nationalsozialistisch: an allem sei der „Halbjude“ selbst schuld. So seien von Ubischs provokative Art, sein „Nichtariertum“, seinen Gegensatz zu Feuerborn, die Stellungnahme der NSDAP gegen Nichtarier sowie die Zugehörigkeit Jungs zum NSDStB die wesentlichen Gründe für den Konflikt zwischen dem Studenten und dem Ordinarius gewesen. Daher könne er auch auf keine Unterstützung durch die Universitätsleitung hoffen. Von Ubisch habe die veränderte Situation, die sich im Dritten Reich entwickelt habe, noch gar nicht begriffen, weil er „den Ostelbischen Junker herauszubeissen sucht und gar kein Gefühl dafür hat, auf welch unsicherem Boden er damit als Nichtarier heute steht“.254 Damit hatte sich Feuerborns Hinwendung zum Regime und sein Engagement für den Nationalsozialismus bereits ein zweites Mal ausgezahlt, und er hatte seinem Vorgesetzten einen weiteren Schlag versetzen können. Die Situation indes war damit nicht bereinigt. Ganz im Gegenteil; Ende August folgte eine zweite Eingabe von Studenten um Jung gegen von Ubisch, woraufhin dieser vom Universitätsrichter vernommen wurde.255 In der Folgezeit rückte Feuerborn seinem Ziel, seinen Chef mehr und mehr zu verdrängen, auch ohne eigene Bemühungen immer näher und profitierte dabei von dem sich verschärfenden antisemitischen Kurs des Regimes. Am 3. September 1934 ordnete das REM an, dass Nichtarier von nun an nicht mehr zur Mitarbeit in Prüfungsausschüssen herangezogen werden dürften.256 Der Kurator folgte den Anweisungen umgehend,257 und von Ubisch musste dementsprechend seine Stühle 252

UAMs, Bestand 4, Nr. 1034, Gaugeschäftsführer der NSDAP an Rektor, 14.6.1934; die Antwort Naendrups ist leider nicht überliefert. 253 UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934. 254 Ebd. 255 UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Jung an Kurator, 13.11.1934. 256 UAMs, Bestand 9, Nr. 976, REM an Kurator, 3.9.1934. 257 Ebd., Rundschreiben des Kurators, 8.9.1934.

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im Prüfungsamt für Zoologie sowie in den Ausschüssen für die Vorprüfung für praktische Landwirte, für die Vorprüfung für Diplomlandwirte und dem für die Ärztliche Vorprüfung räumen und wurde überall von Feuerborn ersetzt.258 Damit war seine Bewegungsfreiheit weiter eingeschränkt worden. Auch Jung hielt seine demonstrative Missachtung des Institutsleiters weiterhin aufrecht. Nach einer Aussprache erst mit Feuerborn (den er offenbar als Mentor von Jung ansah) und danach mit Jung selbst untersagte ihm von Ubisch daraufhin um den 24. Oktober 1934 das Betreten des Zoologischen Instituts.259 Dadurch spitzte sich auch die Situation zwischen von Ubisch und Feuerborn weiter zu. Der Assistent mißachtete nämlich das Hausverbot und brachte Jung eigenmächtig in das Institut zurück, vorgeblich aus dem Grund, damit dieser Feuerborns laufende Experimente überwachen könne.260 Als es dort schließlich zur Konfrontation mit dem Ordinarius kam, weigerte sich der Student, das Institut zu verlassen und gab an, sich lediglich Feuerborn gegenüber verantwortlich zu fühlen.261 Damit war der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung erreicht. Unmittelbar im Anschluss muss es zu einem erneuten Gespräch zwischen Jung und von Ubisch gekommen sein. Ebenso muss es einen Kontakt zwischen dem Kurator und Jung gegeben haben, denn dieser teilte von Ubisch mit, dass Jung ihm versprochen habe, von nun an den Ordinarius wieder zu grüßen, worauf von Ubisch das Institutsverbot aufhob.262 Auf den ersten Blick mag die geschilderte Auseinandersetzung wie eine überflüssige und amüsante Anekdote wirken, ein lächerliches und gleichzeitig ungleiches Kräftemessen zwischen einem Studenten und einem Ordinarius. Betrachtet man sie jedoch genauer, so illustriert sie, wie radikal sich die Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt an der Universität Münster und innerhalb des Zoologischen Instituts durch die nationalsozialistische Machtübernahme verändert hatten. Vor 1933 wäre ein derartiges Benehmen eines Studenten im Kontext einer straff hierarchisierten Ordinarienuniversität, wie es die Universität Münster zu diesem Zeitpunkt zweifellos war, undenkbar gewesen. Die Tatsache, dass Jung sein Vorgehen ohne Bestrafung bis zum Ende durchhalten konnte und dass sich die verantwortlichen Universitätsstellen gegen von Ubisch positionierten, ist nur vor dem Hintergrund der sich verschiebenden Machtverhältnisse und der antisemitischen Entrechtung, welcher der Ordinarius mehr und mehr zum Opfer fiel, denkbar. Von Ubischs Versuche, seine Autorität zu wahren, müssen daher auch im Kontext der gegen ihn gerichteten Angriffe und seiner schleichender Herausdrängung aus dem Universitätsbetrieb gesehen werde. Die These Ashs von den „Ermöglichungs- beziehungsweise 258

Vgl. unter anderem UAMs, Bestand 9, Nr 976, Nachweisung für das Rechnungsjahr 1934/35; UAMs, Bestand 9, Nr. 995, REM an Kurator, 4.10.1934. 259 UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Feuerborn an Kurator, 6.11.1934. 260 Ebd. 261 Ebd., von Ubisch an Kurator, 7.11.1934. 262 Ebd., von Ubisch an Kurator, 9.11.1934.

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Verunmög­lichungsverhältnissen“,263 die der Regimewechsel mit sich brachte, wird hier eindrucksvoll bestätigt. War dieser Konflikt damit offenbar ausgeräumt, so sollten die wahren Schwierigkeiten jedoch erst noch beginnen. Hierbei spielte wieder die Studentenschaft eine führende Rolle. Nur wenige Tage nach der Auseinandersetzung im Institut startete sie ihre nächste, gegen den Ordinarius gerichtete Aktion. Der Vorgang selbst, der zur endgültigen Eskalation der Situation führen sollte, trägt dabei einen gewissen Anachronismus in sich, da in ihm Elemente der Mobilisierung zum Tragen kamen, die, verglichen mit anderen Universitäten, an der Universität Münster über ein Jahr verspätet einsetzten. So hatten sich die Studierenden nämlich vor allem im Frühjahr 1933 in den Kampf um die Ordinariate eingebracht und waren im Zuge der Beendigung der nationalsozialistischen „Revolution“ im Sommer 1934 weitestgehend als eigener Machtfaktor ausgeschaltet worden.264 Gleiches galt normalerweise auch für die Beteiligung der Riege der Assistentenschaft.265 Auch hier kann Feuerborns Griff nach der Institutsführung also als verzögert angesetzt werden. Nichtsdestotrotz nutzten beide Akteure eine Vorlesung von Ubischs am 9. November 1934, um zum Fanal auf den unter Druck geratenen Zoologen zu blasen. Ob die Aktion mit Absicht auf den von der NSDAP als Feiertag der Bewegung instrumentalisierten Jahrestag des Hitlerputsches von 1923 gelegt wurde, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Der Ablauf der Veranstaltung hingegen ist detailliert überliefert. Im Wintersemester 1934/35 bot von Ubisch ein Seminar zur Vererbungslehre an. Pikanterweise hatte auch Feuerborn eine Veranstaltung mit dem Titel „Entwicklungslehre und Vererbungslehre als Grundlagen biologischen Denkens“266 angekündigt und war damit nicht nur in direkte Konkurrenz zu von Ubisch getreten, sondern versuchte auch, der Lehre einen dezidiert nationalsozialistischen Anstrich zu geben. Dies war ihm wieder nur durch seine NS-Kontakte möglich gewesen, weil der Dekan Anton Baumstark, „der die nationalsozialistischen Belange mit besonderer Berufung zu vertreten für sich in Anspruch nahm, keinerlei Einwand dagegen erhoben hatte.“267 An besagtem 9. November hatte sich nun eine große Anzahl von nicht am Zoologischen Institut eingeschriebenen Studenten im Vorlesungssaal versammelt, um auf von Ubisch zu warten. Nachdem dieser den Raum betreten hatte, begannen die Studenten, angeführt vom stellvertretenden Studentenführer Fritz Erfurth,268 dem 263 264 265 266 267 268

Ash 2006, S. 36. Vgl. Grüttner, Michael, Studenten im Dritten Reich, Paderborn 1995. Vgl. Grüttner, Michael, Machtergreifung als Generationenkonflikt. Die Krise der Hochschulen und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: vom Bruch/Kaderas 2002, S. 339– 353. Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 1934/35. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934. Erfurth war Student der Germanistik, wurde später bei Karl Schulte-Kemminghausen promoviert und machte im Zweiten Weltkrieg Karriere als Leiter der Hauptabteilung Kultur und Propaganda bei Reichskommissar Seyß-Inquart in Den Haag, siehe: Ladema-

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Leiter der Philologenschaft Franz Kujaw, dem Vertreter des Hauptamtes I Otto Cromber und dem Leiter der biologischen Arbeitsgemeinschaft Eugen Fritz, die Veranstaltung systematisch mit „Scharren und Trampeln“269 zu stören. Von Ubisch schrieb zwar daraufhin an die Tafel „Ich war im Krieg und bin anderen Radau gewöhnt“,270 eine Fortführung des Unterrichts war jedoch unmöglich geworden. Sein Assistent Krüger informierte den Rektor über den Vorfall, der die Veranstaltung schließen ließ und dem Kurator Bericht erstattete. Im Anschluss wurde ein Zeuge, der Student und Demonstrator am Zoologischen Institut Mühlmann, befragt, der nicht nur die Begebenheiten schilderte, sondern auch klar machte, dass die Zoologiestudenten über den Krach empört waren, da er nicht von ihnen ausgegangen war.271 Die Empörung der Zoologen war es auch, die Wilhelm Jung einige Tage nach der Aktion zu einem erneuten Brief an die Universitätsleitung bewegte. Dieses Mal war der Kurator der Adressat. In seiner teils sehr ausschweifenden Eingabe rekapitulierte der Student, dass aufgrund seines Schreibens von Ende August von Ubisch dem Universitätsrichter gegenüber hatte Rechenschaft ablegen müssen. Daraufhin hätten dessen Mitarbeiter Krüger, Altrogge, Peters und Mühlmann am 11. September 1934 im Lokal Biedermeier in Münster eine Vertrauenskundgebung für den Ordinarius abgehalten, zu der etwa 40 Personen erschienen seien. Dabei sei auch eine von ihnen verfasste Aufklärungsschrift verlesen und Unterschriften zur Unterstützung des Zoologen gesammelt worden. Eben dieses Schriftstück habe Mühlmann am 13. November als Reaktion auf die Störung der Vorlesung im Übungssaal vor den Laboranten verlesen. Damit war der Zorn Jungs geweckt worden. Er verwahrte sich dem Kurator gegenüber gegen eine Verknüpfung der Eingabe mit der Störung vom 9. November und gegen die Nutzung des Zoologischen Instituts und des Lehrbetriebes zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über ihren „aus ehrlichstem nationalsozialistischem Pflichtgefühl heraus unternommenen Schritt“272 gegen von Ubisch. Sollte dies nicht geschehen, bat er darum, die Öffentlichkeit durch eine Eingabe zu informieren und seine „Kameraden vor Wiederholung derartig unritterlicher Kampfmethoden zu schützen.“273 In seiner eigenen Logik hatte Jung gegen die Nutzung des Zoologischen Instituts und des Lehrbetriebes für seinen Kampf zur Zerstörung von von Ubischs Karriere nichts einzuwenden. Ebenso hielt er antisemitische Hetze offencher, Horst, Eine „Deutsch-Niederländische Symphonie.“ Funktion und Grenzen zwischenstaatlicher Organisationen in den deutsch-niederländischen Beziehungen von der Weimarer Republik bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges, in: Dietz/Gabel/Tiedau 2003, S. 539–567, hier: S. 548. 269 UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Universitäts-Oberinspektor an Universitätsrat Wentrup, 9.11.1934. 270 Ebd. 271 Ebd. 272 UAMs, Bestand 9, Nr. 519, Jung an Kurator, 13.11.1934. 273 Ebd.

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sichtlich für ritterlich. Der Ordinarius hingegen handelte, auf die Aktion seiner Mitarbeiter hingewiesen, ganz den Vorschriften entsprechend: Er vernahm Krüger und Mühlmann, missbilligte ihre zweckfremde Nutzung des Laboratoriums und untersagte ihnen die Wiederholung ähnlicher Vorgänge.274 Einen knappen Monat später konnte der Rektor dem REM schließlich über die Ergebnisse des von ihm angestrebten Ermittlungsverfahrens Bericht erstatten. Anstatt jedoch seinen Kollegen zu stützen, nutzte Naendrup den Vorfall, um mit von Ubisch abrechnen zu können. Zunächst ging Naendrup auf die Auseinandersetzung zwischen Jung und dem Ordinarius ein, wobei er bereits hier den Studenten gegenüber dem Lehrstuhlinhaber verteidigte. Dann fuhr er mit der Schilderung der Veranstaltungsstörung fort. Anstatt jedoch unparteiisch Bericht zu erstatten, zeigte bereits sein erster Satz, in welche Richtung seine Argumentation führen sollte: „Aber um dieselbe Zeit [9. November 1934, DD] entsprang aus dem Nichtariertum des Herrn v. Ubisch ein neuer Zwischenfall.“275 Wieder war also der „Halbjude“ an seinem eigenen Unglück schuld. Naendrups Ermittlungen nach sei die Störung der Vererbungslehrevorlesung durch größtenteils fachfremde Studenten geschehen, wobei die Aktion anscheinend vom stellvertretenden Studentenschaftsführer Erfurth in die Wege geleitet und angeführt worden sei. Darüber hinaus seien auch noch andere Mitglieder der Studentenschaftsführung mit beteiligt gewesen, die zum Teil erst kurze Zeit Parteigenossen gewesen seien. Aufgrund der Natur der Aktion wäre nun ein disziplinarisches Eingreifen gegen die Störer in Betracht gekommen. Dazu sah der Rektor aber, da die Störung offenbar von der offiziellen Führung der Studentenschaft ausgegangen war, keine Möglichkeit, ohne die Belange der NSDAP zu verletzen. Mit dieser Ansicht ging er laut eigener Aussage auch mit der Gauleitung d’accord. Andererseits sei die eigentliche Hörerschaft von Ubischs über die Vorlesung empört gewesen, und auch die Mehrheit der Gesamtstudentenschaft habe ähnlich reagiert. Daher sei es aus Gründen der Universitätspolitik, insbesondere, um nicht den Nationalsozialismus innerhalb der Hochschule an Boden verlieren zu lassen, nötig, gegen die Aktion Stellung zu nehmen. Darüber hinaus sei ein Journalist aus den USA, der die Vorlesung besucht hatte, um sich ein Bild von den deutschen Universitätsverhältnissen zu machen, Zeuge des Vorfalls geworden, wodurch eine Gefahr für das Bild Deutschlands in den USA entstanden sei. Deshalb habe der Rektor auch am 14. November 1934 bei der feierlichen Immatrikulation eine Rede gehalten, in der er derartigen Aktionismus einiger Studierender, der über die Vorgaben der Regierung und die notwendigen „Säuberungen“ hinausgehe, als unnationalsozialistisch und als im Gegensatz zum wahren Nationalsozialismus stehend angriff.

274 275

Ebd., von Ubisch an Kurator, 16.11.1934. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934.

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An der Reaktion Naendrups sind mehrere Aspekte bemerkenswert. Einmal ist dies die Widerstandslosigkeit, mit der der „Führer der Universität“276 den Eingriff der Partei in den von ihm geleiteten Universitätsbetrieb erlaubte. Als zweites fällt auf, dass er seine Reaktion als notwendige Universitätsinnenpolitik zur Festigung der Stellung des Nationalsozialismus an der Universität darstellte. Drittens schließlich gab er an, dass seine Reaktion nur deshalb öffentlich geschehe, um auf der einen Seite die Ehre Deutschlands im Ausland zu verteidigen und auf der anderen Seite den wahren Nationalsozialismus vor den Wildwüchsen studentischen Aktionismus’ zu schützen. Der Rektor reklamierte damit mehrere wichtige Argumente für sich: den Kampf für die Bewegung, den Kampf für Deutschland, und die bedingungslose Kooperationsbereitschaft mit dem Regime. Bezeichnenderweise fand der der Aktion zum Opfer gefallene von Ubisch in Naendrups Erwägungen keinen Platz. Ganz im Gegenteil, der Rektor kam mit der Gauleitung überein, dass der Zoologe seine Vorlesung über Vererbungslehre gänzlich fallen zu lassen habe. Im Gegenzug solle die Gauleitung Naendrup darin unterstützen, dass von Ubischs andere Vorlesungen nicht gestört würden. Der Ordinarius habe die Veranstaltung auch bereits gestoppt, und es sei zu keinen weiteren Vorfällen gekommen. Damit sei die Situation zwar einstweilen beruhigt, es blieben aber laut Rektor noch drei weitere Gefahren für den Frieden des Zoologischen Instituts und der Universität. Zum einen sei die Studentenführung, die die ganze Angelegenheit durch ihre nicht abgesprochene Aktion ins Rollen gebracht habe, unfähig und müsse abgelöst werden. Zum anderen sei der Gegensatz zwischen von Ubisch und Feuerborn problematisch. Seit der Berufung von Ubischs 1927 habe sich ein sehr gespanntes Verhältnis entwickelt, da durch sie Feuerborn der Aufstieg in die vorher von ihm verwaltete Professur versperrt worden sei. Dieser Konflikt habe wohl auch die Auseinandersetzung zwischen von Ubisch und Jung beeinflusst, welche wiederum nicht nur zeitlich, sondern auch ursächlich der Störungsaktion vom 9. November nahestehe. Damit ging also auch der Rektor davon aus, dass Feuerborn im Hintergrund an den Angriffen auf von Ubisch beteiligt war. Um die Problematik aufzulösen, gäbe es nur einen Weg: einer der beiden müsse gehen. Wer dies sein sollte, machte Naendrup in seinem dritten Punkt deutlich: Die Gefahr für den Frieden sei nämlich in der Person von Ubischs zu finden. Dies sei unter anderem in der vom Ordinarius „immer wieder mit einem gewissen arroganten junkerhaften Auftreten und Tone den Studenten gegenüber zum Ausdruck gebrachten Auflehnung gegen sein Nichtariertum“277 begründet, weswegen sich die in der NS-Propaganda aktiven Studenten zwar die „Voll-Nichtarier“ und Professoren Hermann Freund und Aurel von Szily gefallen lassen würden, nicht 276 277

Vgl hierzu Seier, Helmut, Der Rektor als Führer. Zur Hochschulpolitik des Reichserziehungsministeriums 1934–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 12 (1964), S. 105– 146. UAMs, Bestand 5, Nr. 218, Bd. 1, Rektor an REM, 4.12.1934.

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aber den „Halb-Nichtarier“ von Ubisch. Andererseits sei besorgniserregend, dass von Ubisch gerade seines Namens, seiner Eigenschaft als Frontkämpfer und seiner Tätigkeit als Forscher und Lehrer wegen von vielen, vielleicht sogar der Mehrzahl der Studenten, und insbesondere seit der Störungsaktion, als Märtyrer angesehen würde und sich eine entsprechende Gemeinde um ihn sammle. Deshalb konstatierte Naendrup, er sei „daher der Meinung, dass Herr v. Ubisch möglichst bald durch Versetzung von hier entfernt werden sollte“278 – und zwar am besten an ein Forschungsinstitut ohne Kontakt zu Studenten. Sollte dies nicht möglich sein, müsse Feuerborn anderweitig untergebracht werden. Abschließend merkte der Rektor noch an, dass Erfurth die Störaktion gar nicht hätte einleiten müssen, um sein Ziel zu erreichen. Hätte er sich zuerst an Naendrup gewandt, so hätte dieser sofort von Ubisch veranlasst, die Vorlesung fallen zu lassen. Warum der Rektor hingegen nicht bereits bei der Zusammenstellung des Vorlesungsverzeichnisses dementsprechende Schritte eingeleitet hatte, blieb unbeantwortet. Die Aktionen der Gruppe um Feuerborn waren also mehr als erfolgreich gewesen. Nicht nur musste von Ubisch auf weitere, ihm als Ordinarius zustehende Rechte verzichten, sondern auch der Rektor drängte nun auf seine völlige Ausschaltung aus dem Universitätsbetrieb. Das REM leitete jedoch zunächst keine weiteren Schritte ein. Am selben Tag, an dem auch Naendrup seinen Bericht absandte, erhielt von Ubisch Post aus Berlin. Das Ministerium hatte die Ende Mai von Jung erhobenen Vorwürfe untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass sie keinen Anlass zu dienstlichen Maßnahmen geben würden. Man erwartete jedoch, dass der Zoologe künftig in Fragen der vom NS-Staat als richtig erkannten und angewandten Rassegesetzgebung ein unbedingt loyales Verhalten zeige. Insbesondere ermahnte man ihn, sich in Äußerungen gegenüber den Studenten zurückzuhalten und keinen Anlass zu „berechtigtem Unwillen“ zu geben. Dazu gehöre auch, Vorlesungen über Vererbungslehre zu unterlassen.279 Damit blieb das REM weit hinter dem zurück, was sich die Anti-von-­Ubisch-Fraktion erhofft hatte. Der Ordinarius verhehlte daher auch in seiner Antwort, die er über den Dekan an das REM weiterleiten ließ, seine Genugtuung über das Schreiben nicht. Außerdem hielte er es für selbstverständlich, sich gegenüber der nationalen Regierung loyal zu verhalten und keinen Anlass zu begründetem Unwillen zu geben. Was die Mahnung betreffe, er solle Vorlesungen über Vererbungslehre unterlassen, so nehme er an, dass damit menschliche Rassenlehre gemeint sei. Dies sei kein Problem, da er dies ohnehin noch nie gelesen habe und die Erregung der Studenten daher auf falschen Voraussetzungen beruht habe. Auch hielte er es für tragbar, um Zwischenfälle zu vermeiden, in Zukunft davon abzusehen, besondere Vererbungsvorlesungen anzukündigen, obwohl dies zu seinem Fachgebiet gehöre. Um Missverständnisse zu vermeiden, müsse er jedoch betonen, dass es unvermeidbar sei, bei biologischen Fachvorlesungen auf Vererbungs278 Ebd. 279 Ebd., REM an von Ubisch, 4.12.1934.

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fragen einzugehen. „Weltanschauliche oder Rassenprobleme werden dabei nicht berührt.“280 Dieser Schriftwechsel stellt den ersten belegbaren direkten Eingriff der nationalsozialistischen politischen Entscheidungsträger in die Forschungsinhalte am Zoologischen Institut dar. Wie intensiv die Universitätsleitung zu dieser Zeit die Professorenschaft auf ihre Regimekonformität hin analysierte, wird durch eine wahrscheinlich281 aus dem Jahr 1935 stammende Liste deutlich, die in den Sachakten des Rektors überliefert ist. Neben einige Mitgliedern anderer Fakultäten taucht hier wieder von Ubisch (er wird dort als ein durch Kriegsteilnehmerklausel geschützter, innerlich stärkst reaktionärer halbseitiger Nichtarier bezeichnet), aber auch sein Kollege und Vorgänger Stempell auf. Interessant ist, dass Stempell zwar als „im Sinne des Marxismus im höchsten Grade politisch unzuverlässig“ bezeichnet wird, es ihm aber dennoch gestattet wurde, im Sommersemester 1934 eine Veranstaltung zum Thema „Biologie und Nationalsozialistische Weltanschauung (an der Hand ausgewählter Kapitel)“ anzubieten, und sein Eintrag mit einem „hier ist nichts geschehen“ gekennzeichnet ist.282 Ihm war es offenbar gelungen, sich durch Anpassung an das Regime zu bewähren. Wenn also auch von Ubisch mit dem Schreiben des REM Ende Dezember 1934 einen Etappensieg verbuchen konnte, so war damit die Gefahr für seine Stellung an der Universität Münster nicht gebannt. Nach und nach hatten sich in den Geplänkeln der vorhergehenden Monate die Fronten im Kampf um das zoologische Ordinariat deutlicher herauskristallisiert. Auf der einen Seite stand Feuerborn mit seiner Riege kämpferischer NS-Studenten, erpicht darauf, die von ihm als Übergehung empfundene Nichtberücksichtigung von 1927 wettzumachen und seinen Chef von der Spitze des Lehrstuhls zu verdrängen. Auch beim REM stand man ihm wohlwollend gegenüber. Ihm beigesellt hatte sich der Rektor, der, um eine nationalsozialistische Säuberung der Universität bemüht, ebenfalls auf eine Ablösung von Ubischs hinwirkte. Über die Grenzen der Universität hinaus war es Feuerborn gelungen, sich durch seine emsige Tätigkeit im Heimat- und Naturschutz auch auf politischer Ebene mit dem Landeshauptmann Kolbow einen einflussreichen Verbündeten zu sichern, der immer wieder zu seinen Gunsten zu intervenieren versuchte. Gleichermaßen gute Kontakte hatte er auch zur Gauleitung der NSDAP geknüpft. Damit war er in der Lage, im Bedarfsfall eine Vielzahl von Ressourcen mobilisieren und bündeln zu können, um sie gegen seinen Widersacher ins Feld zu führen. Dessen Unterstützerkreis war mehr und mehr geschrumpft. Durch die antisemitische Politik der Nationalsozialisten hatte von Ubisch eine Reihe von Posten 280 281

282

Ebd., von Ubisch an REM, 22.12.1934. Eine Datierung auf 1935 ist plausibel, da die Liste einerseits auf die Untersagung vererbungswissenschaftlicher Vorlesungen von Ubischs Ende 1934 eingeht, gleichzeitig aber noch auf seinen Schutz gemäß § 3 Abs. 2 BBG hinweist, der durch das Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 obsolet wurde. UAMs, Bestand 4, Nr. 717, undatierte Liste von Professoren mit politischer Beurteilung.

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aufgeben und direkte Eingriffe in seine Lehrfreiheit hinnehmen müssen. Mit der Unterstellung einer Privathilfskaft an Feuerborn war sein Zugriff auf das Zoologische Institut eingeschränkt worden. Zwar hatte ihm das REM teilweise den Rücken gestärkt und seine wissenschaftlichen Qualitäten anerkannt, sich andererseits aber schon im Februar 1935 auf den Standpunkt gestellt, dass von Ubisch nicht zu halten sei, „weil taktlos und eben darin jüdisch“.283 An der Universität waren ihm nur seine übrigen Assistenten als loyale Angestellte geblieben. Hinzu kamen noch sein ehemaliger Schüler Kosswig und dessen Assistenten Breider und Altrogge, die jedoch in Braunschweig tätig waren und damit zur unmittelbaren Unterstützung zunächst ausfielen. Auch die Sympathien, die er in der nicht organisierten Studentenschaft genoss, hatten im Zweifelsfall gegenüber der zwar geschmälerten, aber nicht gänzlich marginalisierten Macht des NSDStB wenig auszurichten. Somit schienen im Frühjahr 1935 die Kräfte klar verteilt, als die Auseinandersetzung begann, sich auf ihren Höhepunkt zuzubewegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Feuerborn durch tatkräftige Arbeit für die NSDAP weiter unentbehrlich zu machen versucht. Vom Gauschulungsamt war er zum Beauftragten für Vererbungsfragen ernannt und als Redner für Rassefragen zugelassen worden. Vom 9. bis zum 13. April 1935 nahm er als Spezialist für Erbgesetze als Referent an einem Rassekursus des Gausachbearbeiters für Rassefragen Westfalen-Nord in Münster Teil. In seinem Vortrag dort blieb er seiner bisherigen Linie treu: Er führte in die Vererbungsgesetze ein und wies nach, dass sie göttlichen Ursprungs seien und deshalb genaue Beachtung erforderten. Die Gesetze des NSStaates seien unbedingt notwendig zur Erhaltung des Volkes, und Gegner dieser Gesetze müssten belehrt und bekämpft werden.284 Ob dieser Vortrag ausschlaggebend für die in denselben Zeitraum fallende Entscheidung von Ubischs war, den Arbeitsvertrag mit Feuerborn nicht weiter zu verlängern, ist aus den Akten nicht ersichtlich. Fakt ist, dass, nachdem er bereits 1933 Bedenken gegen eine Weiterbeschäftigung des inzwischen 52-Jährigen angemeldet hatte, der Ordinarius, auch unter dem Eindruck der Vorfälle des Jahres 1934, einen Schlussstrich unter die gemeinsame Arbeit zog und seinem Assistenten zum 1. Oktober 1935 kündigte.285 Damit ließ sich Feuerborn aber nicht abspeisen und ging in die Offensive, da er die Absicht hatte, hauptberuflich in der Hochschullaufbahn zu bleiben.286 Hierzu mobilisierte er nun die Ressourcen, die er sich in den Jahren zuvor stetig aufgebaut hatte. Dazu zählten der Führer der Dozentenschaft Walter, Landeshaupt283 284

285 286

UAMs, Bestand 92, Nr. 132, Stellungnahme Triers zum Wiedergutmachungsverfahren von Ubisch, 4.3.1953. Kuropka, Joachim (Bearb.), Meldungen aus Münster 1924–1944. Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster, Münster 1992, S. 353–354. UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Dozentenschaft an Rektor, 29.9.1935. UAMs, Bestand 5, Nr. 114, Feuerborn an Kurator, 10.4.1935.

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mann Kolbow,287 der studentische Pool der Feuerborn’schen Unterstützer (so ging zwischen dem 15. und 17. April 1935 eine Vielzahl von „spontan erfolgte[n] Zuschriften von Studenten an den Führer der Studentenschaft“288 bei der Universitätsleitung ein, die alle positiv gegenüber Feuerborn und negativ gegenüber von Ubisch ausgerichtet waren), Feuerborns wissenschaftliche Weggefährten um Thienemann (welche positive Gutachten zu seiner wissenschaftlichen Leistung abgaben)289 sowie Teile des lokalen Bildungsbürgertums.290 Die Aktionen verfehlten ihre Wirkung auf die Universitätsführung nicht. Am 23. April 1935 wandte sich der neue Rektor, der von den NS-Machthabern gegen den Willen291 der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät an die Universität Münster versetzte Rechtshistoriker und österreichische Nationalsozialist, Karl Gottfried Hugelmann, an das REM und übersandte die Akten den Konflikt der beiden Zoologen betreffend. Feuerborn habe sich bei ihm über die Nichtverlängerung seiner Assistenzzeit beklagt und ihn gebeten, Beschwerde beim Reichserziehungsminister vorzulegen. Dazu habe Hugelmann auch Äußerungen des Dekans und von Ubischs eingeholt. Zunächst äußerte sich Hugelmann zur rechtlichen Seite. Er selbst als Rektor teile die Ansicht des Dekans, dass, solange von Ubisch Direktor des Zoologischen Instituts sei, er auch das Recht haben müsse, über die Verlängerung der Verträge mit den Assistenten zu entscheiden. Auf der anderen Seite müsse er aber auch sagen, dass nach von ihm eingeholten Erkundigungen das Urteil von Ubischs über die wissenschaftliche Qualitäten Feuerborns von anderen Fachgenossen nicht durchweg geteilt würde. Gleichzeitig seien aber die Vorwürfe von Ubischs gegen Feuerborn so schwer, dass die bereits von Kolbow angesprochene Untersuchung eingeleitet werden müsse. Dennoch machte der Rektor deutlich, welchen Weg er in der Angelegenheit einzuschlagen gedenke. So hob er besonders hervor, dass sich Feuerborn als Nationalsozialist betätigt und sich als Leiter des Bundes Natur und Heimat, als Schriftleiter der gleichnamigen Zeitschrift und als Leiter der Fachstelle im Westfälischen Heimatbund große Verdienste erworben habe. Darauf habe ihn Landeshauptmann Kolbow noch einmal besonders aufmerksam gemacht. Auf den Brief seines Vorgängers Naendrup vom 4. Dezember 1934 verweisend schlug er daher die Entfernung von Ubischs von der Universität Münster vor, um den inneruniversitären Frieden zu wahren. Gleichzeitig betonte er jedoch die hohe wissenschaftliche Bedeutung des Zoologen und seine Verdienste um sein Vaterland an der Front. Deshalb bitte er, dass bei einer möglichen Versetzung von Ubischs dieser keine moralische capitis deminutio und keine finanzielle Beschädigung erleide.292 287 UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Kolbow an Walter, 17.4.1935. 288 Ebd. 289 Ebd., Gutachten Thienemann, 22.5.1935. 290 Ebd., Schreiben Poelmann, 11.5.1935. 291 Vgl. hierzu Steveling 1999, S. 413ff. 292 UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Hugelmann an REM, 23.4.1935.

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Somit hatte sich also bereits der zweite Rektor für eine Entfernung des Ordinarius von der Universität Münster eingesetzt. Damit aber nicht genug, entschied sich doch der ausgeschiedene Naendrup in seiner Rede zum Rektoratswechsel vom 11. Mai 1935, noch einmal gegen von Ubisch nachzutreten.293 Naendrup war dabei um seinen eigenen Ruf bemüht, da er durch seine Attacken gegen die in die Veranstaltungsstörung vom 9. November 1934 verwickelten NS-Studenten in seiner Rede vom 14. November 1934 unter Druck geraten war. Dadurch war er in Verdacht geraten, seinem halbjüdischen Kollegen zur Hilfe geeilt zu sein, und er beeilte sich nun klarzustellen, dass er sich nur dem äußeren Anschein nach, den er nunmehr zerstören wolle, für von Ubisch eingesetzt habe. Der Zoologe habe sich gegen ein Grundprinzip des Nationalsozialismus aufgelehnt und dadurch ein Verfahren gegen sich herausgefordert, dass zu jenem Zeitpunkt bereits in die Wege geleitet worden war. Dann habe eine „von stürmischem Kämpfergeist erfüllte Gruppe von Studenten“294 die Sache in die eigenen Hände genommen, ohne sich mit dem Rektor abzusprechen, und nur diese quasi Nichteinhaltung des Dienstweges sei der alleinige Grund dafür gewesen, dass er ein Disziplinarverfahren gegen sie habe einleiten müssen.295 Mit diesen Aussagen Naendrups war der Ruf von Ubischs weiter zerstört. Der Konflikt schwelte also weiter. Von Ubisch versuchte jedoch, sich davon nicht in seiner Arbeit behindern zu lassen, und trat mit Erlaubnis des REM im Juni 1935 eine Forschungsreise zur biologischen Station Herdla bei Bergen in Norwegen an, um dort als Gast verschiedene meeresbiologische Arbeiten fortzusetzen.296 Zwischenzeitlich wurde auf seinen Antrag die Beschäftigung Krügers um zwei weitere Jahre verlängert.297 Gleiches galt für den außerplanmäßigen Assistenten Peters.298 Mit der Rückkehr des Ordinarius nach Münster bewegte sich Ende September schließlich die Auseinandersetzung mit Feuerborn auf ihren Höhepunkt zu. Dort hatte sich am 29. September 1935 nochmals die Dozentenschaft mit einem Schreiben an den Rektor gewandt. Einen Tag vor dem Auslaufen von Feuerborns Vertrag machte sie dringend auf dessen missliche Lage aufmerksam. Zurzeit gäbe es zwar schwebende Verhandlungen über eine Berufung des Assistenten auf eine andere Stelle (hiermit konnte nur Frankfurt gemeint sein),299 da eine solche aber noch nicht erfolgt sei, bestünde ab dem 1. Oktober 1935 keine Existenzsicherung mehr 293

Durch die Oktroyierung Hugelmanns war an der Universität die skurrile Situation entstanden, dass der neue Rektor den alten bereits im Amt abgelöst hatte, obwohl die offizielle Amtsübernahme noch gar nicht stattgefunden hatte. 294 UAMs, Bestand 4, Nr. 237, von Ubisch an Hugelmann, 15.5.1935. 295 Ebd. 296 Ebd., Kurator an Rektor, 18.6.1935. 297 UAMs, Bestand 62, D 6, Bd. 1, Kurator an Dekan, 8.8.1935. 298 Ebd., Kurator an Dekan, 4.10.1935. 299 Vgl hierzu UAMs, Bestand 5, Nr. 59, Bd. 1, Rektor Universität Frankfurt an Rektor Universität Münster, 23.5.1935, und Rektor Universität Münster an Rektor Universität Frankfurt, 28.5.1935.

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für ihn. Da dieser Zustand für Feuerborn unerträglich und auch den Interessen der Universität abträglich sei, bitte man den Rektor um eine schleunige Regelung und die Veranlassung, dass entweder die Existenz Feuerborns sichergestellt, seine Berufungsangelegenheit beschleunigt oder seine Assistenten-Stelle vorläufig verlängert werde.300 Der inzwischen zum Prorektor avancierte Naendrup leitete das Schreiben umgehend an das REM weiter und befürwortete eine vorläufige Verlängerung der Stelle. Damit handelte er erneut ausdrücklich gegen den Willen von Ubischs. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, nochmals als Nationalsozialist für Feuerborn Partei zu ergreifen und die Auseinandersetzung der zwei Forscher in den größeren Kampf des Nationalsozialismus um die Befreiung Deutschlands vom Joch des Judentums zu stellen. Hierzu zog er alle Register der Blut-und-Boden-Ideologie, vermengt mit einer Prise Antiakademikertum: „In seiner [Feuerborns, DD] Angelegenheit ist eine geradezu katastrophale Lage eingetreten. Diese bedeutet bis jetzt den Sieg des Nichtariers über den Arier und Parteigenossen, des landschaftsfremden abstrakten Theoretikers über den so dringend notwendigen landschaftsverbundenen Zoologen praktischer Richtung, des gerade bei dem nationalsozialistisch denkenden Teile der Studentenschaft und Dozentenschaft höchst unbeliebten Dozenten über den gerade in diesem Kreise ausserordentlich [sic!] beliebten Lehrer. Hinzu kommt, das [sic!] der Sieg des Nichtariers noch im Gefolge hat eine schlimme finanzielle und wissenschaftliche Notlage Professor Feuerborns und eine arge Schädigung seiner Doktoranden.“301

Einen Monat später beugte sich von Ubisch, wie bereits geschildert, dem Druck der Universität und bat um seine Emeritierung. Feuerborn hatte sein Ziel, zumindest vorläufig, erreicht. Seine völlige Niederlage im Kampf um das Zoologische Institut einige Monate später besiegelte aber nach 14 Jahren Tätigkeit auch das endgültige Ende der Ära Feuerborn an der Universität Münster. Seine weitere Karriere nach dem erzwungenen Abgang aus der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät setzte sich daher abseits von Münster fort. Im Frühjahr 1936 wurde Feuerborn von Braunschweig nach Freiburg beordert. Dort verblieb er nicht lange und wurde zum 1.  November 1936 als Abteilungsvorsteher an das Zoologische Institut der Universität Berlin geschickt.302 Auch in der Reichshauptstadt blieb der Zoologe seinen nationalsozialistischen Überzeugungen treu und zementierte sie, unter anderem durch seine Mitarbeit im Rassenpolitischen Amt der NSDAP und am 14. Dezember 1937 durch seinen Austritt aus der Katholischen Kirche.303 Wie ernst es ihm mit diesem Entschluss war, bezeugt auch ein Schreiben vom 16. Dezember 1937, in dem er, vom REM auf die Möglichkeit einer Berufung nach Freiburg/Schweiz hingewiesen, antwortete, dass er dafür nicht in Frage käme, da man dorthin nur Ka300 301 302 303

UAMs, Bestand 4, Nr. 237, Dozentenschaft an Rektor, 29.9.1935. Ebd., Naendrup an REM, 30.9.1935. UAB, PA Feuerborn, Bd. I, REM an Feuerborn, 29.10.1936. Ebd., Feuerborn an Kurator Universität Berlin, 22.12.1938.

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tholiken berufen würde. Er selbst stehe aber seit mehr als 20 Jahren außerhalb jeder kirchlich-dogmatischen Bindung und habe in den letzten Jahren als Amtswalter der NSDAP auch öffentlich eine Weltanschauung vertreten, die rein auf naturwissenschaftlichen Kenntnissen beruhe.304 Auch auf der wissenschaftlich-produktiven Seite hatte der Fortgang aus Münster nicht die von Hugelmann erhoffte stimulierende Wirkung auf Feuerborn. Für die Zeit vom Sommersemester 1936 bis zum Kriegsende sind nur zwei Fachaufsätze überliefert, wovon sich der erste mit „Versuche[n] über die Wirkung von WirbeltierHormonen (im engeren und weiteren Sinne) auf den Süßwasseranneliden Lycastis“ beschäftigte, ein Thema, das der Zoologe jedoch nicht selbst erforscht, sondern einer Dissertation seiner Schülerin Maria Schmidt entliehen hatte.305 Der zweite Aufsatz, veröffentlicht 1938 in „Die Naturwissenschaften“, beschäftigte sich unter dem Titel „Die ‚Ganzheit‘ lebender Systeme“ mit biologisch-theoretischen Überlegungen zu den Begriffen „Ganzes“ und „Ganzheit“ am Beispiel des Individuums.306 Damit bewegte sich Feuerborn in den noch jungen Bereich der Ökologie, zu dem er vorher kaum bis gar nicht geforscht hatte. Der Aufsatz, eine Zurückweisung der modernen vitalistischen, holistischen und organismischen Ganzheitsbiologie (unter anderem deshalb, weil sie die Ergebnisse der Genetik nicht richtig berücksichtigen würde), versuchte sich an der Konstruktion eines neuen Umweltbegriffes und fischte damit erstaunlicherweise in Gewässern, die zeitgleich auch Hermann Weber in Münster neu zu definieren versuchte. Feuerborn kam, wenn auch weitaus unkonkreter und pompöser („Die ‚Ganzheit‘ des lebenden Systems ist die spezifische Ordnung der spezifisch gearteten stofflichen und energetischen Teile des Systems.“)307 zu ähnlichen Ergebnissen wie sein Kollege. Indem er seine Gedanken vom Individuum auf das gesamte Volk übertrug, stellte er fest, dass Maßnahmen, die ergriffen werden, um die „‚Artung‘ eines Volksganzen zu bestmöglichem Gewähr der ‚Ordnung‘ zu erheben […] auf den Erkenntnissen der Vererbungsforschung“308 beruhen müssten, um ein organisches Ganzes zu schaffen. Damit lieferte er letztlich eine objektivwissenschaftliche Legitimierung der rassischen Grundlagen des NS-Staates. Auch an seiner neuen Wirkungsstätte versuchte Feuerborn weiterhin, seine geringe wissenschaftliche Produktion mit den aus früheren Schriften bekannten Ausreden zu rechtfertigen. Seine langjährige Vertretungstätigkeit in Münster und 304 305

306 307 308

Ebd., PA Feuerborn, Bd. III, Feuerborn an REM, 16.12.1937. Vgl. hierzu die Dissertation von Maria Schmidt „Die Wirkung einiger Wirbeltierhormone (im engeren und weiteren Sinne) auf den Süßwasserpolycharten Lycastis ranauensis Feuerborn“ vom 9.10.1935, bewertet mit summa cum laude; das Tier war indessen von Feuerborn entdeckt worden, vgl. hierzu: Feuerborn, Heinrich Jakob, Eine Rhizocephale und zwei Polychaeten aus dem Süßwasser von Java und Sumatra. Verhandlungen der Internationale Vereinigung für theoretische Limnologie, Stuttgart 1932, Nr. 5, S. 618–660. Feuerborn, Heinrich Jakob, Die „Ganzheit“ lebender Systeme, in: Die Naturwissenschaften 26 (1938), S. 761–771. Ebd., S. 765. Ebd., S. 769f.

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der Kampf um das dortige Ordinariat hätten ihm keine eigene Arbeit ermöglicht. Durch seine eigenen dringlichen Aufgaben in weltanschaulicher Schulungstätigkeit und Heimatschutz seit 1933 habe er außerdem kaum Zeit für eigene Forschungen gehabt. Seine dreimalige Versetzung habe seine wissenschaftliche Arbeit völlig lahmgelegt, und an seiner neuen Stelle in Berlin habe er so viele Verwaltungsaufgaben zu erledigen, dass er zu nichts komme. Nun wolle er seine Forschungen aber endlich fortführen.309 Hatte er mit diesen vorgeschobenen Argumenten drei Jahre zuvor in Münster noch die Unterstützung von Rektor und Dekan gefunden und eine eigene Hilfskraft erhalten, so stellte sich die Situation nun anders dar. Die DFG-Gutachter Adolf Remane vom Zoologischen Institut der Universität Kiel sowie Walther Horn, Direktor des Deutschen Entomologischen Instituts, fällten im Rahmen eines Förderungsantrages ein vernichtendes Urteil über den Morphologen. So glaubte Remane, dass Feuerborn, bezogen auf seinen bisherigen wissenschaftlichen Lebenslauf, eher nicht in der Lage sei, die gestellten Probleme bis zu einer wissenschaftlichen Publikation durchzuarbeiten. Andererseits wiesen sie auf die Tatsache hin, dass Feuerborns Situation in Berlin sich in Bezug auf die Verwaltungsarbeit nicht von anderen Wissenschaftlern unterscheide.310 Horn ging sogar so weit, die mögliche Gewährung einer finanziellen Unterstützung davon abhängig zu machen, dass Feuerborn seine außerwissenschaftlichen, das heißt propagandistischen Tätigkeiten, ganz aufgebe, um sich nur seiner Arbeit zu widmen.311 Einen wirklichen Aufstieg konnte Feuerborn daher, trotz aller Förderung, auch in Berlin nicht vollbringen. Dies mag auch darin begründet gewesen sein, dass sein Vorgesetzter Friedrich Seidel, der Leiter des Zoologischen Instituts, ihm in verschiedenen Gutachten zwar bescheinigte, bemüht, seinen Aufgaben aber nicht voll gewachsen zu sein.312 Als Seidel im August 1939 als Offizier zur Wehrmacht einrückte, wurde Feuerborn zwar am 30. September 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Gleichzeitig wurde ihm aber wieder nur die vertretungsweise Leitung des Zoologischen Instituts übertragen, womit er karrieretechnisch wieder dort stand, wo er bereits 17 Jahre zuvor in Münster gewesen war.313 Tatsächlich sollten die Umstände des Zweiten Weltkriegs aber noch ein letztes Mal, wenn auch nur für einen kurzen Moment, die Tür zum dortigen Ordinariat einen Spalt weit öffnen. Als der Münstersche Lehrstuhlinhaber Erich Ries am 29. Februar 1944 an der Ostfront fiel, erbat der Gaupersonalamtsleiter Westfalen-Nord beim Universitätskurator eine Stellungnahme zur Vorlage beim Gauleiter, wie die 309 310 311 312 313

BAB, R 73, Nr. 10974, Feuerborn an DFG, 26.2.1937. Ebd., Remane an DFG, 24.3.1937. Ebd., Horn an DFG, 19.4.1937. UAB, PA Feuerborn, Bd. III, diverse Gutachten Seidel. Richter, Stefan, Die Lehrsammlung des Zoologischen Instituts der Berliner Universität – ihre Geschichte und ihre Bedeutung, http://www2.hu-berlin.de/biologie/zoologie/Lehrsammlung.htm#_ftn1, Zugriff: 17.8.2009.

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Universität zu einer möglichen Berufung Feuerborns stehe.314 Der Kurator konsultierte zusammen mit dem örtlichen Dozentenbundsführer Dörries die Akten und kam zu dem Ergebnis, dass eine Rückholung Feuerborns aufgrund seiner Fehltritte in Münster nicht gewünscht war. Offiziell lautete die Auskunft der Universität, dass eine Wiederberufung aufgrund seines Alters und aus rein fachlichen Erwägungen nicht in Frage käme. Außerdem sei die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät kriegsbedingt geschlossen.315 Offensichtlich waren dies aber nur Ausreden, um Feuerborn von der Universität fernzuhalten, denn fast zeitgleich reichte die Fakultät beim REM eine der üblichen Vorschlagslisten für die Neubesetzung der zoologischen Ordinariats ein, auf der sein Name, wenig verwunderlich, zum nunmehr dritten Male fehlte.316 So verblieb Feuerborn in der Reichshauptstadt, wo er das Ende des Krieges miterlebte. Im März 1945 wurde der Zoologe im Rahmen der Kämpfe um Berlin noch zur Stadtwacht eingezogen.317 Am 29. Dezember 1945 schließlich wurde er im Rahmen der Maßnahmen zur Entlassung ehemaliger NSDAP-Mitglieder mit sofortiger Wirkung gekündigt.318 Dies bedeutete auch Feuerborns endgültiges Karriereaus. Zwar veröffentlichte er noch einige wenige Schriften,319 fand aber an keiner Universität mehr eine Anstellung. Horn hatte bereits 1937 in einem Gutachten für die DFG über Feuerborn geschrieben: „Aus manchen seiner Ausführungen könnte man vielleicht in etwa zu der Anschauung geführt werden, dass er möglicherweise dadurch nicht ganz schuldlos an manchen bitteren Lebenserfahrungen gewesen ist, dass er in einem, nun sagen wir einmal, gar zu grossen [sic!] Bestätigungsdrange zu viel auf einmal und vor allem auf zu vielen Gebieten (nicht nur Wissenschaft, sondern auch Weltanschauung, Propaganda u. s. w.) hat leisten wollen.“320

Dies war noch milde ausgedrückt. Als Opfer seiner eigenen Ambitionen scheiterte Feuerborn letztlich an dem Missverhältnis zwischen eigenem Ehrgeiz und wissenschaftlichem Talent, zwischen beschönigtem Selbstbild und objektiver Beurteilung Außenstehender und nicht zuletzt an seiner Fehleinschätzung, durch opportunistische Anpassung an den Nationalsozialismus seine Kontrahenten überspielen und zu Ruhm und Ehre gelangen zu können. Bis ins hohe Alter sollte es ihm nicht gelingen, sein eigenes Leben selbstkritisch zu reflektieren. Selbst kurz vor seinem Tode sah er sich noch immer als missverstandenen Forscher, dessen Werk aus Missgunst nicht gewürdigt worden und der von einer Schar von Feinden um 314 315 316 317 318 319 320

UAMs, Bestand 5, Nr. 114, Kurator an Gaudozentenbundsführer, 22.9.1944. Ebd., Kurator an Gaupersonalamtsleiter, 24.11.1944. UAMs, Bestand 9, Nr. 324, Dekan an REM, 11.8.1944. UAB, Bd. I, Rektor Berlin an Kurator Berlin, 16.3.1945. Ebd., Rektor Berlin an Feuerborn, 29.12.1945. So zum Beispiel 1960 einen Nachruf auf seinen langjährigen Freund und Kollegen Thienemann sowie ein Buch über „Biologische Grundlagen der Kybernetik“, Trier 1970. BAB, R 73, Nr. 10974, Horn an DFG, 19.4.1937. „grossen Bestätigungsdrange […] hat leisten wollen“ im Original unterstrichen.

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die berechtigten Pfründe seiner Arbeit gebracht worden sei.321 Am 14. November 1979 verstarb Heinrich Jakob Feuerborn in Westberlin. Weder seinen Traum eines eigenen Ordinariats noch den einer „judenreinen“ deutschen Wissenschaft hatte er verwirklicht sehen können. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten ermöglichte demnach Nachwuchswissenschaftlern wie Strugger und Feuerborn, durch Anbiederung an das System ihre Aufstiegschancen zu verbessern. Gleichzeitig konnten die neuen Umstände aber auch zur Gefahr für junge Wissenschaftler werden, obwohl sie sich dem Regime weitgehend angepaßt hatten. Dies war vor allem dann möglich, wenn sie den wissenschaftlichen Überzeugungen oder personellen Plänen ihrer Vorgesetzten im Weg standen. Gemäß den neuen „Ermöglichungsverhältnissen“ nutzten diese dann explizit politische Mittel, um ihre Assistenten aus dem Weg zu räumen. In Münster sind hierbei die Fälle Weber/Peters (Zoologie) und Mevius/Roberg (Botanik) relevant. Hans Peters hatte am 10. Mai 1939 seine Habilitationsschrift unter dem Titel „Probleme des Kreuzspinnen-Netzes“ den Prüfern Weber, Kabitz, Mevius, Niemeier, Kratzer und Behnke vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits 13 Schriften veröffentlicht, zehn davon über Kreuzspinnen (über Fanghandlungen, Netzbau etcetera) und drei über die Brutpflege von Fischen.322 Seinen Forschungsschwerpunkt hatte er auf Sinnesphysiologie und Tierpsychologie (insbesondere der Spinnen) gelegt.323 Das Verfahren selbst verlief zunächst problemlos. Am 19. Juni 1939 teilte der Dekan dem REM die durchgeführte Habilitation mit. Seinem Schreiben beigefügt waren aber ein Kommentar des Rektors Mevius, gleichzeitig Ordinarius für Botanik, sowie ein Kommentar Webers und ein ausführliches Gutachten der prüfenden Professoren. Durch die in der Reichshabilitationsordnung verfügte Trennung von Habilitation und Erteilung der venia legendi hatte sich die Politik bereits 1934 ein weiteres Kontrollinstrument zur Ausschaltung unerwünschter Wissenschaftler geschaffen.324 Dieses versuchten die Direktoren der beiden biologischen Institute nun dem REM Peters gegenüber zur Anwendung nahezulegen. Beide fielen in ihren Briefen auf das Gehässigste über den jungen Zoologen her. Den Anfang machte der Rektor. Wenn seine Aussage auch kurz blieb, ließ sie doch in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Mevius hielt Peters als Dozenten schlichtweg für ungeeignet, da dieser nicht nur egoistisch, sondern darüber hinaus auch noch arbeitsfaul sei. Dieser Typ des Hochschullehrers habe an einer 321 322 323 324

Vgl. hierzu den auf Feuerborns eigenen Angaben beruhenden, völlig realitätsverdrehenden Würdigungsbeitrag mit dem Titel: Zum 90. Geburtstag von Professor Dr. H. J. Feuerborn, in: Gütersloher Beiträge zur Heimat- und Landeskunde 26 (1972), S. 584–587. BAB, ehemals BDC, A 50, Publikationsverzeichnis Peters, undatiert, ca. 1939. BAB, ehemals BDC, I 0454. Vgl. hierzu Weitzel, Jürgen, Rechtsstrukturen und Zielsetzungen der nationalsozialistischen Hochschul- und Wissenschaftsverwaltung, in: Burkard, Dominik/Weiß, Wolfgang (Hg.), Katholische Theologie im Nationalsozialismus. Institutionen und Strukturen, Bd. 1: Institutionen und Strukturen, Würzburg 2007, S. 39–54.

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nationalsozialistischen Universität keine Berechtigung mehr. Daher lehnte er die Erteilung der Dozentur ab.325 Noch ausführlicher äußerte sich der Zoologe Weber. Bereits seine Bewertung der Habilitationsschrift war nicht uneingeschränkt positiv gewesen. Peters hatte seine Arbeit in drei Teile eingeteilt. Zunächst hatte er eine Untersuchung der geometrischen Verhältnisse des Kreuzspinnennetzes durchgeführt und dabei bestimmte Zahlenverhältnisse aufgedeckt. Darauf aufbauend hatte er dann versucht, den Nachweis zu erbringen, dass die harmonische Bildung des Netzes auf den genannten Zahlenverhältnissen beruhe und sich dadurch ein allgemeingültiges Gestaltungsgesetz offenbare. Abschließend besprach er das Netz als „Gestaltsganzheit“ in Abgrenzung dieses Begriffes von einer „Funktionsganzheit“. Seine Schlussfolgerung: Im Gegensatz zu den Fanghandlungen, die er als Folge von Reflexen ansah, beruhe der Netzbau auf einem Plan vom Ganzen.326 Damit bewegte sich Peters bereits gefährlich nah an religiösen Gedankengängen, die Weber schon in seiner Kritik an von Uexkülls Umweltbegriff scharf attackiert hatte. Der Ordinarius bezeichnete folgerichtige diese Überlegungen, im Gegensatz zum wohlbegründeten und Peters damit zur Habilitation befähigenden experimentellen Teil der Arbeit, als zu theoretisierend und von der Zoologie wegführend. Sein Kollege, der Philosoph Willy Kabitz, kritisierte ebenfalls einige Schlussfolgerungen und vor allem den ungeklärten Ganzheitsbegriff, der für ihn nicht ausführlich genug begründet war. Der Mathematiker Heinrich Behnke schließlich äußerte essentielle Kritik an der mathematischen Vorgehensweise und empfahl zunächst eine Rückgabe der Arbeit zur Umarbeitung. Ein späteres Gutachten attestierte Peters dann, dass er die Fehler ausgebessert habe. Trotz der Kritik sah sich keiner der Professoren dazu bewegt, Peters die Habilitation zu verweigern. Den Schritt zur Erteilung einer Dozentur wollte der zoologische Ordinarius aber dennoch verhindern. In seinem Kommentar erklärte er daher eine solche für Peters an der Universität Münster für unerwünscht. Als Grund dafür führte er vier Punkte auf, die sich deutlich voneinander unterschieden. Zum einen argumentierte der Ordinarius mit der Qualität von Lehre und Forschung. Am Zoologischen Institut seien die systematische Zoologie, die Tiergeographie und die vergleichende Physiologie durch die beiden Dozenten Rensch und Krüger abgedeckt. Weber selbst lehre Morphologie und Ökologie. Daher benötige man vielleicht noch Genetik und Entwicklungsphysiologie. Da Peters aber auf einem nicht scharf abgegrenzten Gebiet zwischen Physiologie, Psychologie und Morphologie aktiv sei, passe sein Arbeitsgebiet nicht in den Lehrplan.327 Hält man diesen Ausführungen das katastrophale Lehrangebot am Institut zu dieser Zeit entgegen, so stellt sich die dringende Frage, wieso der Direktor der Möglichkeit einer Erweiterung der Veranstaltungsthemen so ablehnend gegenüberstand. In sich 325 326 327

BAB, ehemals BDC, A 50, Mevius an REM, 29.6.1939. Ebd., Gutachten Weber über Habilitationsschrift Peters. Ebd., Weber an REM, 26.6.1939.

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schlüssig war die Ablehnung keinesfalls. Die Antwort darauf ist in Webers zweitem Punkt zu finden. Hier schloss sich nämlich der Kreis zu Webers in seinen Aufsätzen so dezidiert artikulierten wissenschaftlichen Axiomen und seinen kirchenfeindlichen Bestrebungen. Peters theoretische Haltung stehe in schroffem Gegensatz zu Webers Auffassungen, insbesondere was die Morphologie beträfe. Bei einer Anstellung des Nachwuchsforschers könne er es nicht verhindern, dass aus seinem Institut Arbeiten hervorgehen würden, deren ganze Richtung er missbilligen müsse. Gleiches gälte für eine mögliche Indoktrination der Studenten, die in Münster ohnehin schon unter dem Einfluss der Kirche stünden, denn Peters Arbeiten gingen in diese von Weber in seinen Aufsätzen als „scholastisch“ bezeichnete Richtung. Zwar müsse der junge Zoologe nicht zwangsläufig unter Kircheneinfluss stehen, er erkenne aber die durchaus reale politische Bedeutung der Meinungsverschiedenheiten, die ihn von seinem Ordinarius trennten, nicht.328 Webers tatsächliche Absicht, und hier konnte er wohl am meisten auf Unterstützung durch Berlin hoffen, lag also in einem stromlinienförmig an seinen eigenen Ansichten ausgerichteten, dem Nationalsozialismus angepassten biologischen Unterricht. Abweichende Meinungen wollte er nicht dulden. Die letzten beiden Punkte auf Webers Liste der Ablehnungsgründe wirkten daher nur noch aufgesetzt. So bezeichnete auch er Peters als egozentrisch, arbeitsfaul und andere für sich arbeiten lassend. Außerdem habe er keine Redegabe329  – ein Punkt, der bei seinem Assistenten Jentsch hingegen noch kein Problem dargestellt hatte. Auch für die Zukunft stellte er Peters keine gute Prognose aus. Der Zoologe würde nach Webers Ansicht ein isoliert lebender, seine Mitarbeiter ausnutzender Wissenschaftler werden. Diese Art von Mensch sollte aber, und hier wiederholte er die Meinung seines Kollegen Mevius, der Vergangenheit angehören. Abschließend kleidete er seine harsche Kritik noch in Fürsorglichkeit. So habe er Peters angeboten, im folgenden Jahr 1940 am Institut noch eine Arbeit zu verfassen, um zu beweisen, dass er auch auf anderen Gebieten Fähigkeiten habe. Gleichzeitig wollte er ihm damit Gelegenheit geben, seine militärische Dienstpflicht abzuleisten „und damit vielleicht doch noch den Anschluß an die Zeit und ihre Pflichten zu finden.“330 Peters hatte aber offenbar kein Interesse an Webers NS-Indoktrination. Stattdessen wollte er sich, zum Unmut seines Vorgesetzten, um eine Stelle beim KWI für Biologie bewerben. Aus diesen Plänen wurde jedoch vorerst nichts. Die geballte Kritik der beiden Ordinarien verfehlte ihre Wirkung beim REM in Berlin nicht, und folgerichtig Peters erhielt keine Dozentur und musste weiter als außerplanmäßiger Assistent tätig bleiben. 328 Ebd. 329 Ebd. 330 UAMs, Bestand 10, Nr. 328, Stellungnahme Weber, 26.6.1939.

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In der Botanik unter Mevius stellte sich die Situation zwar etwas anders dar, führte letztlich aber zu ähnlichen Folgen. Der Assistent Roberg hatte sich, wie geschildert, bereits im Jahre 1935 habilitiert, aber ebenfalls durch die Trennung von Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis noch keine Dozentur erhalten. Die Zwischenzeit hatte er genutzt, sich in Innsbruck fortzubilden und auf Pharmakognosie zu spezialisieren. Damit hätte er eigentlich eine hervorragende Ausgangsposition in Münster haben müssen, hatte Mevius doch bereits 1935 proaktiv eine Umwandlung der Stelle Hannigs in ein Extraordinariat für Pharmakognosie nach dessen Ausscheiden 1937 beantragt und dies mit der wachsenden Relevanz dieses Forschungsfeldes begründet. Auch Benecke hatte Roberg in diese Richtung hin unterstützt. Zunächst sah daher auch alles danach aus, dass sich seine Karriere in diese Richtung weiter entwickeln sollte. Im April 1937 stellte der Assistent einen Antrag auf Übertragung einer entsprechenden Dozentur. Dekan Kratzer bat daraufhin den Rektor, beim REM dafür einzutreten, dass Roberg seinem Antrag entsprechend eine solche für Allgemeine Botanik und Pharmakognosie unter Einschluss der Mikrobiologie erhalte.331 Der Assistent selbst wandte sich am 29. April 1937 an das REM und bat, im Falle der Erteilung einer Dozentur nach Münster, Breslau oder an eine andere Universität überwiesen zu werden, an der er die Ausbildung der Pharmazeuten in Pharmakognosie übernehmen könne. Breslau sei möglich, da dort durch den Tod des außerordentlicher Professor Alexander von Lingelsheim eine passende Stelle freigeworden sei. Sinnvoller, und auch von ihm präferiert, sei jedoch Münster, da er dort als Assistent gearbeitet und unterrichtet habe und sich aufgrund seiner Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen für eine Dozentur besonders geeignet hielt.332 Einen Tag später, am 30. April 1937, leitete der Rektor das Schreiben des Dekans zur Stellungnahme an den Leiter der Dozentenschaft, den Mediziner Walter, weiter.333 Zwei Wochen darauf, am 15. Mai 1937, lag dessen handschriftliche Antwort vor. Walter äußerte sich positiv über Robergs Vortrag und schloss sich dem Antrag des Dekans an. Dem fügte er jedoch einen weiteren Absatz hinzu, welcher ob seiner Wichtigkeit rot markiert wurde: „Wegen seiner Verankerung im katholischen Milieu Münsters wäre allerdings die Frage zu prüfen, ob Roberg nicht an eine weniger zentrumlich eingestellte Umgebung als gerade Münster (Westf.) versetzt werden sollte.“334

Damit wolle Walter zwar nichts gegen die politische Haltung Robergs gesagt haben, die er gar nicht gut genug kenne, um sie beurteilen zu können. „Die Tatsache aber, daß er ganz aus kathol. Kreisen Münsters hervorging, ist nicht zu bestreiten.“335 331 UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Dekan an Rektor, 26.4.1937. 332 Ebd., Roberg an REM, 29.4.1937. 333 Ebd., Rektor an Leiter der Dozentenschaft, 30.4.1937. 334 Ebd., Stellungnahme Walter, 15.5.1937. 335 Ebd.

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Damit lag die Entscheidung über die weitere berufliche Zukunft des jungen Botanikers nun bei Mevius. Als Assistent und später als Ordinarius hatte er acht Jahre lang mit Roberg zusammengearbeitet. Gleichzeitig passte dessen Qualifikation genau zu den Plänen, die Mevius für die weitere Entwicklung des Botanischen Instituts geschmiedet hatte. Auf Basis der positiven Stellungnahmen sowohl des Dekans als auch des Leiters der Dozentenschaft wäre es ihm ein Leichtes gewesen, im Rahmen seines Handlungsspielraumes die unspezifischen Katholizismus-Andeutungen als vernachlässigbar einzustufen. Stattdessen entschloss sich der Botaniker jedoch, die Karriere Robergs an der Universität Münster, gegen dessen expliziten Wunsch, zu beenden. In seinem Schreiben an das REM vom 21. Mai 1937 schloss er sich daher sowohl den Ausführungen des Dekans als auch des Dozentenschaftsführers an. Einleitend lobte er zwar den Einsatz Robergs für das Botanische Institut. Seinen Antrag, an die Universität Münster überwiesen zu werden, könne er aber nicht unterstützen. Die Begründung dafür war explizit politisch. So habe Roberg seine ganze Jugend-, Studien- und langjährige Assistentenzeit in Münster verbracht. Er sei bei einer KV-Verbindung336 aktiv gewesen und habe auch später als alter Herr „mit ganz besonderer Begeisterung und Hingabe die Bestrebungen seines alten Bundes unterstützt.“337 Dieser ständige Aufenthalt in Münster habe zu einem reichlich einseitigen Blickpunkt Robergs geführt. Im Interesse seiner weiteren Entwicklung als Hochschullehrer sei es deshalb unbedingt erforderlich, ihn in eine ganz fremde Umgebung zu setzen. Daher bitte er darum, ihn der Universität Breslau als Nachfolger des verstorbenen Professors von Lingelsheim zuzuteilen, bei gleichzeitiger Bewilligung einer höheren Lehrauftragsvergütung.338 So wie sich das REM beispielsweise im Rahmen von Berufungsverfahren im Regelfall den Vorschlägen der Universitäten anschloss, so reagierte es auch hier und folgte den Ausführungen des Rektors. Am 9. November 1937 verlieh man Roberg eine Dozentur für Allgemeine und Pharmazeutische Botanik einschließlich Mikrobiologie und wies ihn zwar der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Münster zu,339 beauftragte ihn aber am selben Tag widerruflich für das Wintersemester 1937/38 damit, in Breslau Vorlesungen und, wenn nötig, Übungen in Pharmakognosie zu halten.340 Zum erzwungenen Abschied aus Münster versetzte Mevius seinem langjährigen Kollegen noch einen weiteren Schlag. Roberg hatte sich um ein Nachwuchsstipendium beworben, weshalb sich der Beauftragte für die Nachwuchsförderung der Dozentenschaft, Georg Niemeier, mit Nachfragen an den Rektor gewandt hatte.341 Dieser teilte ihm jedoch kurz und knapp mit, dass Roberg in Breslau 250 RM pro Monat erhalte, noch Kolleggelder erwarten könne 336 KV: Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine. 337 UAMs, Bestand 9, Nr. 537, Rektor an REM, 21.5.1937. 338 Ebd. 339 Ebd., Kurator an Dekan, Leiter der Dozentenschaft, Rektor, 9.11.1937. 340 Ebd., Kurator an Dekan, Rektor, 9.11.1937. 341 Ebd., Niemeier an Rektor, 3.11.1937.

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und als unverheirateter Mann mit dieser Summe auskommen müsse. „Es ist also sein Stipendiengesuch hinfällig geworden.“342 Zum Sommersemester 1938 wurde Roberg vom REM schließlich permanent damit betraut, Pharmakognosie in Breslau zu lehren.343 Damit war eine Rückkehr nach Münster vorerst ausgeschlossen. Die Fälle Peters und Roberg zeigen also, wie sich „Verunmöglichungsverhältnisse“ auch zuungusten eigentlich regimetreuer Forscher auswirken und Karrieren behindern konnten. Es wäre jedoch verfehlt, diese Schicksale mit den Verfolgungsmaßnahmen, zum Beispiel gegen Juden wie von Ubisch oder Heilbronn, gleichzusetzen. Anders als diese hatten die Assistenten nämlich immer die Möglichkeit, sich durch Anpasung an das Regime zu bewähren. Peters’ Entwicklung zum zuverlässigen Nationalsozialisten und seine spätere Tätigkeit an der Reichsuniversität Straßburg sind ein deutlicher Beweis dafür.

5. „Entnazifizierungen“ Wie in vielen Gesellschaftsbereichen, so lässt sich auch an der Universität Münster die Geschichte der Entnazifizierungen als eine Geschichte der verpassten Chancen charakterisieren. Dies wurde bereits in früheren Untersuchungen herausgearbeitet und überzeugend dargestellt.344 Auch an den biologischen Instituten gingen die britische Besatzungsmacht und später die deutschen Ausschüsse äußerst behutsam mit ehemaligen Nationalsozialisten um, so dass, mit Ausnahme Feuerborns, alle von ihnen wieder an deutsche Universitäten zurückkehren konnten. Dabei gab es keine Unterschiede zwischen Botanikern und Zoologen, Ordinarien und Assistenten. Über die teils skurrilen Entlastungsstrategien der Beschuldigten und den mangelnden Aufklärungswillen der Untersuchenden könnte ein eigenes kleines Buch geschrieben werden. Aus Platzgründen kann an dieser Stelle jedoch nur auf einige exemplarische Fälle eingegangen werden. An der Universität Münster war für die Entnazifizierung der Mitarbeiter ein Sichtungsausschuss eingerichtet worden.345 Dieser Ausschuss, dem es zur Aufgabe gemacht worden war, alle Universitätsbeschäftigten, seien sie Putzfrau oder Ordinarius, auf ihre Rolle im Nationalsozialismus hin zu überprüfen, bestand aus drei Professoren: Max Meinertz (Katholische Theologie), Hans Erich Stier (Historisches Seminar), Arthur Wegener (Rechtswissenschaft)346. Er machte sich nun daran, aufgrund der Aussagen der Betroffenen und unter Rückgriff auf eigenes Erleben kurze „Gutachten“ zu erstellen, in denen die Beschäftigten charakterisiert 342 343 344 345 346

Ebd., Rektor an Niemeier, 9.11.1937. Ebd., Kurator an Dekan, Rektor, 7.4.1938. Vgl. hierzu beispielsweise Respondek 1995 und Ribhegge 1985. Vgl. zum Sichtungsausschuss: Respondek 1995, S. 211ff. Wegener wurde bereits Ende Juni 1946 durch den Juristen Rudolf Johns abgelöst, siehe Respondek 1995, S. 212, Fn. 52.

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und auf ihre Tauglichkeit zur Weiterbeschäftigung bewertet werden sollten. Gibt schon die Zusammensetzung des Sichtungsausschusses Grund zur Annahme, dass eine objektive und kritische Beurteilung der Betroffenen kaum zu erwarten war, so wird dies durch die Inhalte der „Gutachten“ vollkommen bestätigt. Folgte man den Aussagen des Ausschusses, so hatte es an der gesamten Universität nicht einen einzigen mit Vorsatz handelnden Nationalsozialisten gegeben. Stattdessen hatten dort bestenfalls Mitläufer, im Normalfall aber innere Widerstandskämpfer ihren Dienst getan. Nie waren sie selbst für ihr Handeln verantwortlich; dieses war immer den Umständen geschuldet. Als beispielhaft kann hier das Urteil über Erich Knapp, den höchstrangigen SS-Arzt in Westfalen gelten, über den die drei Ausschussmitglieder ausführten: „Er war offensichtlich ein ausgesprochener Anhänger des Nazismus und hat sich für ihn eingesetzt. Allerdings handelte er nicht aus böser Absicht, sondern aus einem verstiegenen Idealismus heraus. Als Arzt muß er sehr tüchtig und gewissenhaft gewesen sein.“347

In diesem Sinne müssen auch die weiteren Aussagen des Ausschusses interpretiert werden. Sie können deshalb nicht als Quelle für das tatsächliche Verhalten der Belegschaft genutzt werden, sondern vielmehr als Widerspiegelung eines apologetischen, unkritischen und sich aus der Verantwortung stehlenden Zeitgeistes. Ein exemplarischer Fall dafür ist das Entnazifizierungsverfahren Friedrich Krügers. Ihn entließ die Militärregierung Ende Oktober 1945. Gegen diese Entscheidung legte er am 25. November 1945 Einspruch ein.348 Daraufhin entwickelte sich ein Verfahren, das sich bis Ende 1949 hinziehen sollte. Es soll hier aus mehreren Gründen beispielhaft angeführt werden. Auf der einen Seite ist der Fall Krügers nicht mit einem schwarz-weiß Schema abzuurteilen; dafür hatte sein Verhalten im Nationalsozialismus zu viele Facetten. Auf der anderen Seite sind für ihn entsprechende Belege in den Akten überliefert, die mit seinen Aussagen vor dem Entnazifizierungsausschuss abgeglichen werden können und ein Bild darauf werfen, wie unter Druck geratene Wissenschaftler alltägliche Vorgänge zu ihrer Entlastung umzudeuten versuchten. Anfang Januar 1946 schilderte Krüger seine Rolle im Nationalsozialismus in einem schriftlichen Bericht für das Entnazifizierungsverfahren. Wie alle Mitglieder der Dozentenschaft sei er im November 1933 zwangsweise in die SA eingegliedert worden. Bereits dies war die erste unwahre Behauptung, denn solche Zwangsmaßnahmen hatte es nie gegeben. Dem stand bereits einige Zeilen später ein Widerspruch gegenüber, als er Furcht um seine Stellung und die wirtschaftliche Lage seiner Familie als ausschlaggebend für den SA-Eintritt anführte. Diesen habe er außerdem nur nach vorheriger Absprache mit von Ubisch durchgeführt, der ihm dazu sein Placet gegeben habe. Parteigenosse sei er jedoch nicht geworden, weil er weder 347 348

UAMs, Bestand 4, Nr. 630, Sichtungsausschussgutachten über Erich Knapp. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–3737, Einspruch Krügers, 25.11.1945.

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Ziele noch Methoden der Bewegung gebilligt habe. Politisch uninteressiert, sei er eher Gegner des Nationalsozialismus gewesen. Aus diesen Gründen habe er auch ab 1934 von Ubisch beigestanden, als die Angriffe auf ihn begannen. Beeindruckt durch die wirtschaftlichen Scheinerfolge der Partei und ihre sozialen Bestrebungen habe er aber schließlich dem neuen Ordinarius Weber als Zugeständnis 1936 mitgeteilt, er wolle in die Partei eintreten. 1940 sei er dann Anwärter geworden (tatsächlich wurde er im Februar 1940 bereits Mitglied). Im selben Jahr habe er auch als stellvertretender Zellenleiter agiert (hier verwechselte Krüger die Termini, er meinte Blockleiter). In Wirklichkeit habe er jedoch nie Vorteile aus der Mitgliedschaft gezogen. Ganz im Gegenteil habe er sogar Nachteile erfahren müssen, da sein Einsatz für von Ubisch die Erteilung der Lehrbefugnis an ihn um zwei Jahre verzögert habe. Daher sei er nicht NS-Komplize, sondern NS-Opfer.349 Um seinen Argumenten Nachdruck zu verleihen, holte Krüger eine Vielzahl von sogenannten „Persilscheinen“ ein, die seine These stützen sollten. Sie zeichneten, ganz nach Wunsch des Belasteten, das Bild eines unpolitischen Mannes. Kontrastiert man dies mit der zeitgenössischen Aussage Ries’, Krüger stehe „voll und ganz auf dem Boden des Nationalsozialismus und leb[e] auch mit seiner Familie ganz in völkischem Geiste“,350 bleiben zumindest Widersprüchlichkeiten offen. Ungeachtet dessen blieb der Zoologe auch in weiteren Aussagen seiner Linie treu. Mitte Juni beteuerte er erneut, er sei nur auf äußeren Druck der SA beigetreten, „was sein aus rassischen Gründen beanstandeter Lehrer Professor v. Ubisch billigte.“351 In einem Ergänzungsfragebogen352 führte er dieses Argument weiter, als er seine Beteiligung an der zusammen mit Altrogge, Peters und Mühlmann organisierten Solidaritätsveranstaltung im „Biedermeier“ vom November 1934 hervorhob. Krügers Rolle in diesem Zusammenhang ist unstrittig und wird durch weitere Akten gestützt; ebenso belegt ist, dass er sich durch sein Verhalten keine Freunde bei der damals bestehenden Anti-von Ubisch-Fraktion um Feuerborn machte. Außerdem kann es ihm nur hoch angerechnet werden, sich für seinen unter Beschuss geratenen Vorgesetzten eingesetzt zu haben. Dennoch: Die Gründe für Krügers Handeln sind nicht, wie er es nach dem Krieg darzustellen versuchte, von Ubischs „Halbjudentum“ oder einem Widerstandsdenken gegen den Nationalsozialismus geschuldet. Stattdessen war es gegen die Angriffe einer aggressiv auftretenden, sich einer Schmierenkampagne bedienenden Clique gerichtet, die den Mann zu Fall bringen wollte, der seine Karriere immer gefördert hatte und zu dem er ein enges Verhältnis aufgebaut hatte. Daher muss Krüger als Teil der Fraktion um Kosswig begriffen und sein Verhalten auch in diesem Rahmen interpretiert werden.

349 350 351 352

UAMs, Bestand 5, Nr. 709, Schreiben Krügers, 3.11.1946. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Ries, 10.12.1941. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–3737, Sichtungsausschuss, 21.6.1946. Ebd., Sichtungsausschuss, 13.6.1946.

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Während die Nachteile, die dem Zoologen durch sein Verhalten entstanden sein sollten, bereits durch diese Einordnung auf Probleme mit der später radikal ausgeschalteten und dadurch völlig machtlosen Feuerborn-Fraktion reduziert werden können, lässt sich sein mehrfacher Versuch, sich im Hinblick auf seinen angeblich aus politischen Gründen verschleppten Habilitationsvorgang und nie erhaltenen Lehrstuhl als NS-Opfer darzustellen, anhand vollständig überlieferter Quellen noch eindeutiger widerlegen. Der Vorgang soll hier deshalb detailliert beschrieben werden, auch, weil er ein Beispiel für den Fortbestand traditioneller akademischer Selbstverwaltung unter den Vorzeichen des Nationalsozialismus darstellt. Im November 1934 äußerte Krüger gegenüber von Ubisch erstmals den Wunsch, sich zu habilitieren. Der damalige Ordinarius fertigte daraufhin ein Gutachten über seinen Assistenten an. In diesem fand er nur lobende Worte. Krüger sei fleißig und könne eine umfangreiche, vielseitige wissenschaftliche Produktion vorweisen. Ihn als feinen und charakterfesten Menschen bezeichnend sei von Ubisch davon überzeugt, dass Krüger einmal ein erfolgreicher und wertvoller Dozent sein werde. Daher befürworte er dessen Bitte auf Zulassung zur Habilitation aufs wärmste.353 Zur gleichen Zeit schickte Krüger einen Lebenslauf an den Dekan der PhilosophischNaturwissenschaftlichen Fakultät und fügte die Bitte an, ihm aufgrund seiner bisherigen wissenschaftlichen Leitungen die venia legendi für Zoologie und vergleichende Anatomie zu erteilen.354 Zwei Wochen später übersandte der Dekan auf dem Dienstweg die Bitte um Genehmigung zur Zulassung Krügers zu Habilitationsleistungen an das REM.355 Offensichtlich gab es jedoch formale Probleme mit dem Antrag. So übersandte Krüger am 23. Januar ein erneutes Gesuch um Zulassung zur Habilitation aufgrund seiner Schrift „Das Dunkelfeldbild der Trichocysten der Ciliaten“ und bat darum, die verspätete Einlieferung zu entschuldigen, da er davon ausgegangen war, die Ende November an den Lebenslauf angefügte Bitte sei ausreichend gewesen.356 Für die erste Verzögerung im Ablauf war also Krüger selbst verantwortlich. Am selben Tag, an dem Krüger seine erneute Bitte vortrug, schlug von Ubisch dem Dekan bereits die Zusammensetzung der zu bildenden Habilitationskommission vor. Ihr sollten der Botaniker Benecke, der Physiker Kratzer, von Ubisch selbst und Feuerborn als Vertreter der Nichtordinarien angehören.357 Dekan Trier war damit einverstanden und berief die Kommission bereits einen Tag später.358 Unmittelbar im Anschluss daran trafen auch bereits die Beurteilungen der Habilitationsschrift ein. Von Ubisch bezeichnete in seinem Gutachten vom 24. Januar 1935 die Arbeit als „Glanzstück mikroskopischer Technik“, welche das Forschungsgebiet 353 354 355 356 357 358

UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 1, Gutachten von Ubisch, 27.11.1934. Ebd., Lebenslauf Krüger, 26.11.1934. Ebd., Dekan an REM, 12.12.1934. Ebd., Krüger an Dekan, 23.1.1935. Ebd., von Ubisch an Dekan, 23.1.1935. Ebd., Vermerk Dekan, 24.1.1935.

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nach vorne bringe. Deshalb empfahl er die Annahme der Schrift.359 Zwei Tage später schloss sich ihm Benecke an.360 Dem folgten am 4. Februar Feuerborn,361 der, hätte er Krüger tatsächlich schaden und das Verfahren verschleppen wollen, zu diesem Zeitpunkt die beste Möglichkeit dazu gehabt hätte, und am 6. Februar Kratzer, der gleichzeitig die Zulassung des Zoologen zum Kolloquium vorschlug.362 Der Vorgang wurde nun an die Fakultät weitergeleitet, wo er weiter bearbeitet wurde. Am 5. April schließlich wurde Krügers Werk als Habilitationsschrift angenommen.363 Einen Tag später lud Trier Krüger zur nach § 5 der RHO vorgesehenen wissenschaftlichen Aussprache zum 17. April 1935, 16:00 Uhr c. t. (cum tempore), in das Fakultätszimmer ein. Krüger solle die Aussprache mit einem Vortrag über die „Bedeutung des Lebens ohne Sauerstoff im Tierreich“ eröffnen.364 Krüger schlug sich offensichtlich gut, denn in seinem Bericht an den Rektor lobte der Dekan die Kenntnisse des Zoologen, die Art seines Vortrages und seine Zurückhaltung in höchstem Maße. Gleichzeitig bat er um Weiterleitung des Berichts an das REM, so dass die Fakultät Krüger nach Zustimmung der Landesunterrichtsverwaltung die Habilitation aussprechen könne.365 Erneut wurde der Vorgang also bearbeitet, was weitere zwei Monate normale Bearbeitungszeit in Anspruch nahm. Ende Juni ermächtigte das REM in einem Brief an Kurator, Rektor und Dekan die Fakultät, Krüger die Habilitation auszusprechen.366 Am 4. Juli 1935 teilte der Dekan dies Krüger mit.367 Das Habilitationsverfahren hatte also knappe sieben Monate gedauert. Von einer Verschleppung oder Verzögerung, vor allen Dingen einer politisch motivierten, kann also keine Rede sein. Aufgrund der mit der Reichshabilitationsordnung festgelegten Trennung von Habilitation und Erteilung der Lehrbefugnis war Krüger aber noch nicht am Ziel seiner Bemühungen angelangt. Er ließ jedoch fünf Monate verstreichen, ehe er sich am 1. Dezember 1935 mit dem Gesuch um Erteilung einer Dozentur an den Dekan wandte. Dieser befürwortete die Bitte und leitete sie an das REM weiter.368 Hier verblieb sie erneut drei Monate im verwaltungstechnischen Schwebezustand, ehe sich das Ministerium am 20. März 1936 mit der Bitte an Krüger wandte, drei Themen für die öffentliche Lehrprobe vorzuschlagen.369 Da das Schreiben auf dem Dienstweg über die Universitätsverwaltung lief, erreichte es Krüger erst am 2. April. Der Zoologe ließ erneut 18 Tage verstreichen, bevor er sich beim Dekan melde359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369

Ebd., Gutachten von Ubisch, 24.1.1935. Ebd., Gutachten Benecke 26.1.1935. Ebd., Gutachten Feuerborn, 4.2.1935. Ebd., Gutachten Kratzer, 6.2.1935. Ebd., Vermerk des Dekans, 5.4.1935. Ebd., Dekan an Krüger, 6.4.1935. Ebd., Dekan an Rektor, undatiert. Ebd., REM an Kurator, Rektor, Dekan, 22.6.1935. Ebd., Dekan an Krüger, 4.7.1935. Ebd., Dekan an REM, 11.12.1935. Ebd., REM an Krüger, 20.3.1936.

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te. Auf Anregung Webers schlug er unter anderem die Abhaltung eines praktischen zoologischen Kurses vor.370 Zwei Wochen später ergänzte er noch um das Thema „Einfache histologische Präparate beim Frosch“.371 Der Dekan wählte dieses Thema schließlich aus und teilte Krüger am 11. Mai mit, dass er eine Stunde Vorlesung und zwei Stunden Praxis abhalten solle.372 Zwölf Tage später setzte er die Lehrprobe für den 8. und 9. Juni 1936 an.373 Auch in dieser bewährte sich der Zoologe. In seinem Bericht an den Rektor vom 30. Juni 1936 äußerte der Dekan, dass die Leistungen in vollem Maße den Anforderungen entsprochen hätten, dass Krüger ein beachtliches didaktische Talent besäße und dass die Lehrprobe den vorzüglichen Eindruck, den die Fakultät bereits im Habilitationsverfahren gewonnen hätte, bestätigt habe. Das Urteil des Fakultätsausschusses sei einstimmig positiv.374 Der Rektor leitete den Bericht an das REM weiter, und dieses verlieh Krüger am 25. Juli 1936 die Dozentur für Zoologie und wies ihn der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät zu.375 Zu keinem Zeitpunkt lassen sich in den Akten Hinweise auf bewusste Verzögerungen, politische Einflussnahme oder anderweitige Unstimmigkeiten in Krügers Habilitationsverfahren feststellen. Ebenso reibungslos verlief auch drei Jahre später seine Ernennung zum Dozenten neuer Ordnung.376 Diese Interpretation wird auch durch die zeitgenössische Einschätzung des zoologischen Ordinarius Ries gestützt, der 1941 in einem Gutachten über Krüger äußerte: „Dass Dr. Krüger erst verhältnismäßig spät zur Dozentur kam, ist in erster Linie den damaligen schwierigen Personalverhältnissen und dem Wechsel in der Leitung am Zool. Institut in Münster zuzuschreiben. In seiner zurückhaltenden, stillen Art vermochte sich Krüger damals nicht immer so durchzusetzen, wie dies vielleicht für ihn selbst wünschenswert gewesen wäre.“377

Die These von einer beruflichen Benachteiligung ist somit haltlos. Gleichzeitig belegt der Vorgang, dass zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens, abgesehen von der endgültigen Erlaubnis durch das REM, die Fakultät Herr der Entscheidungen war und die traditionellen Abläufe, wie sie vor der Reichshabilitationsordnung bestanden hatten, nicht verändert worden waren.378 Der Rektor, in der Reichshabilitationsordnung als Führer der Universität für die Beurteilung der Kandidaten vorge370 371 372 373 374 375 376 377 378

Ebd., Krüger an Dekan, 20.4.1936. Ebd., Krüger an Dekan, 5.5.1936. Ebd., Dekan an Krüger, 11.5.1936. Ebd., Dekan an Krüger, 23.5.1936. Ebd., Dekan an Rektor, 30.6.1936 Ebd., REM an Krüger, 25.7.1936. Vgl. dazu die Schreiben in UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 1, ab 28.3.1939. UAMs, Bestand 92, Nr. 4, Bd. 2, Gutachten Ries, 10.12.1941. Vgl. hierzu Paletschek, Sylvia, Zur Geschichte der Habilitation an der Universität Tübingen im 19. und 20. Jahrhundert. Das Beispiel der Wirtschaftswissenschaftlichen (ehemals Staatswirtschaftlichen/Staatswissenschaftlichen) Fakultät, in: Marcon, Helmut/Strecker, Heinrich/Randecker, Günter (Hg.), 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Leben und Werk der Professoren. Die Wirt-

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sehen, wurde an der Universität Münster nur pro forma informiert. Die eigentliche Macht lag weiterhin in den Händen des Dekans. Krügers Entnazifizierungsverfahren war mit diesem Statement aber noch nicht beendet. Zu diesem Zeitpunkt schaltete sich nun auch der Sichtungsausschuss der Universität in die Angelegenheit ein. Völlig Krügers Argumentation folgend stellte es fest, dass er äußerem Druck nachgebend unter Billigung von Ubischs in die SA eingetreten war. 1940 dann „konnte [er] sich dem Verlangen nicht entziehen, für einige Monate den Blockleiter zu vertreten.“379 Klar sei, dass Krüger durch sein Eintreten für von Ubisch deutlich gemacht habe, dass er die Absichten der Partei nicht teilte. Deshalb sei er, und hier nutzte der Ausschuss eine Formulierung, die in ähnlichen Gutachten noch oft auftauchen sollte, unpolitisch und gänzlich wissenschaftlich gewesen.380 Hier wurden also Zusammenhänge konstruiert, die durch nichts zu belegen waren. Hatte Krüger also von der Universität Münster grünes Licht für eine Weiterbeschäftigung bekommen, fehlte nun nur noch die Entscheidung eines deutschen Entnazifizierungsausschusses. Diese kam am 20. August 1946.381 Auch wenn sie noch nicht endgültig war, genügte sie der Universität, um ihn am 9. September 1946 wieder einzustellen.382 Die Einreihung in eine Kategorie stand jedoch noch immer aus. Um dort ein möglichst positives Ergebnis zu erreichen, bemühte sich Krüger um weitere „Persilscheine“, und am 9. Juni 1948 gelang ihm der große Wurf: Von Ubisch selbst führte über seinen ehemaligen Assistenten aus, er habe sich aktiv und unter Gefahr für seine eigene Stellung für ihn eingesetzt.383 Folgerichtig wurde Krüger am 8. November 1949 endgültig in Kategorie V, das heißt „entlastet“, eingestuft. Damit galt der ehemalige Blockleiter und SA-Rottenführer nicht einmal mehr als Mitläufer. Ähnlich gut wie bei Krüger lassen sich auch beim botanischen Assistenten August Keller Aussagen aus dem Entnazifizierungsverfahren durch überlieferte Quellen überprüfen. Hierzu ist ein kurzer Rückblick in das Jahr 1933 nötig. Nur ein knappes halbes Jahr nach seiner Versetzung nach Münster deutete sich bereits im November 1933 an, dass Kelle in den Schuldienst einberufen werden sollte.384 Drei Monate später, am 31. Januar 1934, intervenierte der Kurator beim Wissenschaftsministerium und bat, die Versetzung Kelles noch herauszuschieben.385 Am selben Tage wurde der Assistent auf Basis seiner Dissertation zum Thema „Zur schaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 1364–1389, hier: S. 1386ff. 379 UAMs, Bestand 4, Nr. 630, Sichtungsausschussgutachten über Krüger, 21.6.1946. 380 Ebd. 381 UAMs, Bestand 4, Nr. 722, Entscheidung zu Krüger, 20.8.1946. 382 UAMs, Bestand 5, Nr. 709. 383 LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Krüger, NWO 1038–3737, „Persilschein“ von Ubischs über Krüger, 9.6.1948. 384 UAMs, Bestand 4, Nr. 532, Kelle an PrWM, 6.11.1933. 385 Ebd., Kurator an PrWM, 31.1.1934.

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Physiologie der Nebenzellen des Spaltöffnungsapparates“ mit magna cum laude promoviert.386 Der Kurator hatte jedoch keinen Erfolg. Am 8. März wurde sein Antrag abgelehnt.387 Daraufhin bat er darum, dass Arnold, welcher Kelles Stelle vorher inne gehabt hatte, diesen zum 1. April 1934 wieder ersetzten solle.388 Kelle wurde daraufhin an eine einklassige Grundschule in Allenstein in Ostpreußen versetzt,389 und der Wechsel wurde wie geplant vollzogen. Doch warum musste Kelle gehen? Die zeitgenössischen Quellen geben darüber keinen Aufschluss. Nach dem Krieg präsentierte Kelle, der nach seinem Weggang aus Münster 1937 Mitglied der NSDAP wurde, zum Hauptmann der Wehrmacht aufstieg und das EK I (20. Juni 1940), EK II (22. März 1942), das Infanterie-Sturmabzeichen (11. April 1942) und das Silberne Verwundetenabzeichen (24. Dezember 1942) erhielt, seine eigene Version der Geschehnisse.390 Demnach habe er seine Stelle an der Universität Münster verloren, weil er die Amtsenthebungen Heilbronns und von Ubischs kritisiert hätte. Bezüglich seiner Mitgliedschaften führte er an, dass der NSDDB Pflicht für Assistenten gewesen sei, er sich dem Druck zum SA-Beitritt aus Angst um seine Stellung nicht habe entziehen können und er schließlich ohne sein Wissen aus der SA in die NSDAP überführt worden sei. Während des Krieges habe er einen Lehrauftrag für Rassenkunde, den ein NS-Führungsoffizier an ihn herangetragen hätte, abgelehnt, und nach dem Krieg sei er als Mitherausgeber der demokratischen Kriegsgefangenenzeitung „Unser Weg“ tätig gewesen. Als Beweis für seine antinationalsozialistische Haltung fügte Kelle seinem Entnazifizierungsbogen eine Reihe von sogenannten „Persilscheinen“ bei. So erklärte ein vormals in einem Konzentrationslager inhaftierter Jude, dass die Familie Kelle immer hilfsbereit und Kelle selbst ein Vorbild für die Jugend gewesen sei. Ein Lagerpfarrer aus dem alliierten Kriegsgefangenenlager, in dem Kelle interniert worden war, sagte aus, dass er sich gegen NS-Gefangene betätigt, großes Vertrauen der Lagerleitung genossen und als Dozent gewirkt habe. Selbst ein US-Offizier aus dem Lager setzte sich für ihn ein. Die „Persilscheine“ zeichneten das Bild eines Mannes, der eine offen christliche Einstellung gezeigt, den Antisemitismus verurteilt, Beziehungen zu Juden gepflegt und in der SA lediglich Dienst nach Vorschrift getan hätte. Dennoch ergeben sich in seiner Geschichte einige Ungereimtheiten. So kann Kelle zum einen für einen Protest gegen die Amtsenthebung von Ubischs gar nicht im November 1933, als seine Versetzung zum ersten Mal in den Akten zu Sprache kam, bestraft worden sein, da diese tatsächlich erst im Jahr 1935 stattfand. Für einen Protest gegen Heilbronns Entlassung lassen sich ebenfalls keine Belege finden. Im Falle von Ubischs, wo sich tatsächlich Assistenten öffentlich für ihn einsetzten, wurde der Vorgang detailliert und mit der Nennung von Namen 386 387 388 389 390

UAMs, Bestand 62, GB 5, Bd. 1. UAMs, Bestand 4, Nr. 532, PrWM an Kurator, 8.3.1934. BAB, R 4901, Nr. 14280, Kurator an PrWM, 20.3.1934. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Kelle, NW 1068–ED, Nr. 694, Fragebogen. Vgl. für das folgende LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Kelle, NW 1068–ED, Nr. 694.

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in den Akten aufgeführt und von der Universität untersucht. Gleiches wäre also für den Fall Heilbronn anzunehmen. Kelles Name taucht aber weder hier noch dort auf. Hinzu kommt: Eine Mitgliedschaft im NSDDB war, wenn sicherlich auch Druck auf die Hochschullehrer ausgeübt wurde, niemals Pflicht, und Dienst nach Vorschrift sowie die Ablehnung eines Lehrauftrags lassen sich kaum belegen, aber leicht behaupten. Eine glatte Lüge schließlich ist Kelles Behauptung, ohne sein Wissen von der SA in die NSDAP überführt worden zu sein. Glücklicherweise ist in seinem Fall der von ihm eigenhändig unterschriebene Aufnahmeantrag mit der Mitgliedsnummer 3957652 vom 25. Mai 1937, befürwortet vom Ortsgruppenleiter, erhalten geblieben.391 Ebenso spricht seine weitere Karriere gegen das Bild eines NS-Gegners. Nach Zwischenstationen als Volksschul- und Mittelschullehrer in Allenstein und Köslin war Kelle ab 1938 nämlich wieder als Dozent, inzwischen an der Hochschule für Lehrerbildung in Oldenburg, tätig und dort für erziehungswissenschaftliche Aspekte der Rassenhygiene und Rassenpolitik zuständig.392 Diesen Posten hatte er auf ausdrückliche Empfehlung Mevius’, inzwischen zum Rektor aufgestiegen, erhalten, der ihn am 7. Juni 1937 seinem Kollegen Professor Schwarz wärmstens empfohlen hatte.393 Es ist nicht anzunehmen, dass der Nationalsozialist Mevius einen offenen Regimekritiker förderte. Auch die Aussagekraft der „Persilscheine“ kann als sehr gering einschätzen kann, da der Hauptteil der darin enthaltenen Aussagen sich auf das Verhalten Kelles nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes bezog. Zu diesem Zeitpunkt war es natürlich gefahrlos möglich, regimekritisch zu sein. Daher muss unklar bleiben, warum Kelle wirklich gehen musste. Ein politischer Grund ist aber eher unwahrscheinlich. Für die Spruchkammer reichten die Aussagen Kelles jedoch aus. Er wurde am 2. Juli 1947 in Kategorie V eingestuft.394 Auch weitere in der Partei aktive Biologen wurden äußerst milde beurteilt. Der ehemaliger Blockleiter Söding konnte eine Reihe von „Persilscheinen“ der üblichen Netzwerkhelfer (unter anderem Kratzer, Tobler, Bömeke) vorweisen, die ihn als religiösen Menschen, der den Nationalsozialismus immer innerlich abgelehnt habe und der Partei nur beigetreten sei, um beruflich vorwärts zu kommen, bezeichneten.395 Dabei gelang es ihm sogar, sich als Opfer von NS-Personalpolitik darstellen zu lassen, habe er doch den Lehrstuhl in Hohenheim, den er vertreten hatte, nur deshalb nicht erhalten, weil ein Nationalsozialist eingesetzt worden sei.396 „Auch das politische Leben beurteilte er nach sittlichen Grundsätzen und verurteilte des391 392 393 394

BAB, Kartei NSDAP-Aufnahmeanträge, Anträge 51, Antrag Kelle, 25.5.1937. Harten/Neirich/Schwerendt 2006, S. 27. UAMs, Bestand 4, Nr. 224, Mevius an Schwarz, 7.6.1937. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Kelle, NW 1068–ED, Nr. 694, Einreihungsbescheid, 28.7.1947. 395 StAHH, PA Söding, IV 1452, diverse Persilscheine. 396 Ebd., Persilschein des Rektors der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim, 10.4.1946.

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halb aufs schärfste die Tötung der Irren und ähnliche Maßnahmen.“397 Auch seine Tätigkeiten als Blockleiter konnte er hinwegentschuldigen. So sei er vom Ortsgruppenleiter auf den Posten gezwungen worden, sei nie amtlich ernannt worden und habe lediglich Parteibeiträge kassiert. Auch habe er keine Uniform getragen, nie bei parteiamtlichen Veranstaltungen mitgewirkt, nicht an Parteitagungen, Lagern oder Schulungskursen teilgenommen. Ebenso wenig habe er Gutachten über Personen abgegeben, und auch generell habe er keine politische Tätigkeit geleistet.398 Mit der Realität, in der sich Söding den Nationalsozialisten mehrmals angedient und selbst Schulungen abgehalten hatte sowie Mitglied in zahlreichen Organisationen gewesen war, hatte diese Selbsteinschätzung nichts gemein. Dies war jedoch für den weiteren Verlauf unerheblich. Der Entnazifizierungsausschuss der Militärregierung in Hamburg entlastete Söding schließlich.399 Schon Mitte Juli 1946 saß er wieder als Prüfer für Botanik im Prüfungsausschuss der Philosophisch-Naturwissen­schaftlichen Fakultät400 und Ende August in den Prüfungsausschüssen für Apotheker401 und Lebensmittelchemiker.402 Auch Södings Blockleiter-Kollege Baumeister, der am 25. April 1946 aus USKriegsgefangen­schaft nach Münster zurückkehrte und sich zum Dienst meldete, hatte nichts zu befürchten.403 Maßgeblichen Anteil daran hatte nicht zuletzt Söding, der sich Ende Juni 1946 an den Sichtungsausschuss der Universität wandte und um eine beschleunigte Erledigung des Falles bat. Gründe hierfür seien die Personalknappheit am Botanischen Institut sowie die Notwendigkeit, laufende Forschungsarbeiten zur Ertragssteigerung von Nutzpflanzen und zum Anbau von Heilpflanzen nicht unterbrechen zu lassen. Außerdem werde Baumeister für die Lehre benötigt.404 Auch hier hatte das Argument der Qualität von Lehre und Forschung also nichts von seiner Zugkraft verloren. Nur eine Woche nach Södings Mahnung erstellte der Sichtungsausschuss ein apologetisches Gutachten, in dem Baumeister als für die Wiedereinsetzung als Dozent geeignet bezeichnet wurde, da er nur im äußerlichen Sinne Mitläufer gewesen sei.405 „Ausschließlich auf äußeren Druck hin“406 sei er für kurze Zeit Mitglied der SA und des NSDStB gewesen. Die397 398 399 400 401 402 403 404 405 406

Ebd., Aussage von Helene Lemm, einer Bekannten Södings, 26.7.1946. UAMs, Bestand 5, Nr. 686, Erklärung Södings, undatiert, nach 1945. StAHH, PA Söding, IV 1452, Beschluss des Entnazifizierungsauschusses Hamburg, 25.9.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 551, Vorsitzender des wissenschaftlichen Prüfungsamtes an Rektor, 15.7.1946. Ebd., OP an Kurator, 24.8.1946. Ebd., OP an Kurator, 23.8.1946. UAMs, Bestand 8, Nr. 8752, Bd. 1, Söding an Kurator, 26.4.1946. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Baumeister, NW 1038, Nr. 707, Söding an Sichtungsausschuss der Universität Münster, 30.6.1946. Ebd., Gutachten des Sichtungsausschusses der Universität Münster, 8.7.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 630, Gutachten des Sichtungsausschusses der Universität Münster, 8.7.1946.

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ser positiven Beurteilung schloss sich schließlich auch der Entnazifizierungsausschuss an und reihte Baumeister in die Kategorie V ein.407 Ganz besonders unverfroren zeigte sich auch der Lehrbeauftragte Hermann Budde. Eigenen Angaben zufolge, und dies betonte er während des Nationalsozialismus mehrfach und deutlich, war er schon am 22. Oktober 1932 der NSDAP beigetreten, hatte seine Mitgliedskarte (Nr. 1482712)408 jedoch erst am 1. März 1933 erhalten.409 Offensichtlich war er darum bemüht gewesen, in Verhandlungen mit der Universität seinen Status als „Alter Kämpfer“ herauszustellen. 1933 war Budde in die SA eingetreten und zum Truppführer aufgestiegen. Es folgten Mitgliedschaften im NSLB (1933–1936), im RLSB (1935) und im NSDDB (1936–1942).410 Budde wurde zunächst am 5. September 1945 von der Militärregierung entlassen.411 Gegen diese Behandlung setzte er sich aber nun mit der gleichen Vehemenz zur Wehr, mit der er zuvor um seinen Posten gestritten hatte, und legte Einspruch gegen die Entlassung ein. Seine Argumentation war dabei typisch für viele andere Wissenschaftler, auch an der Universität Münster. So sei er nur nomineller Parteigenosse aus Liebe zum Vaterland gewesen, habe nur reine Wissenschaft betrieben und dem Nationalsozialismus innerlich ablehnend gegenüber gestanden.412 Aus Idealismus sei er den Versprechungen der Partei gefolgt, habe sich dann aber von ihr gelöst. Seinen durchaus ungewöhnlich hohen SA-Posten führte er darauf zurück, dass derartige Beförderungen in der SA-Reserve Standard gewesen seien. Er selbst sei nie aktiv gewesen. Zum Beleg seiner Legende führte er eine ganze Reihe von „Persilscheinen“ an.413 Diese hinterließen bei den deutschen Stellen offenbar einen nachhaltigen Eindruck, denn der Lehrbeauftragte hatte mit seiner Apologetik Erfolg. Am 12. Dezember 1946 wurde er von einem deutschen Ausschuss entnazifiziert.414 Ein Jahr darauf, am 12. März 1948, stufte ihn der Entnazifizierungs-Berufungsausschuss II in Dortmund in die Kategorie V, also entlastet, ein. In seiner Urteilsbegründung feierte der Ausschuss den „Alten Kämpfer“ geradezu überschwänglich als Gegner des Nationalsozialismus. Neben der Behandlung der Assistenten und Lehrbeauftragten stellte schließlich die Entnazifizierung der beiden Ordinarien, welche sich am intensivsten für den Nationalsozialismus an den biologischen Instituten der Universität Münster eingesetzt hatten, ein besonders eklatantes Beispiel für das Versagen der Ausschüsse wie der Universitäten in den ersten Jahren nach 1945 dar. Es macht es deutlich, wie 407 408 409 410 411 412 413 414

LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Baumeister, NW 1038, Nr. 707, Einreihungsbescheid, 12.7.1949. UAMs, Bestand 10, Nr. 1111, politisches Führungszeugnis der NSDAP, 28.8.1942. Ebd., Personalbogen, undatiert, ca. 1942. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1039–B, Nr. 1092, case summary, 21.8.1948. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1039–B, Nr. 1092. UAMs, Bestand 10, Nr. 1111, Budde an Kurator, 20.15.1945. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1039–B, Nr. 1092. UAMs, Bestand 4, Nr. 722, Liste der entnazifizierten Beschäftigten.

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wenig man fachintern an einer Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert war und wie erneut die Qualität von Forschung und Lehre über eine Selbstreflexion der eigenen Verstrickung in das NS-Regime gestellt wurde. Die Rede ist von Weber und Mevius. Wie bereits erwähnt war Weber nach der Befreiung Straßburgs durch alliierte Truppen zivilinterniert worden. Von Herbst 1944 bis Herbst 1945 verblieb er in Haft, an die sich ein Klinikaufenthalt bis 1947 anschloss.415 Ab 1947 arbeitete er aber bereits wieder als Biologe, und zwar als Gast am Zoologischen Institut der Universität Tübingen. 1948 sollte ihn jedoch seine Vergangenheit als engagierter Nationalsozialist einholen. Weber musste sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Einer drohenden negativen Kategorisierung konnte er nur durch Verschweigen beziehungsweise falsche Angaben im Entnazifizierungsfragebogen entgehen. Und genau das tat Weber auch. So gab er neben seiner Mitgliedschaft in einer Stuttgarter Studentenverbindung und dem NS-Altherrenbund von 1936 bis 1944 zwar auch seine NSDAP-Mitgliedschaft zu, führte als Grund aber den „damals (1933) ehrliche[n] Glaube[n] an ein friedliches Wiederhochkommen Deutschlands und eine Abminderung der Klassengegensätze“416 an. Der NS-Dozentenschaft sei er als Zwangsmitglied eingegliedert worden. Dies passte natürlich nicht mit seiner Tätigkeit als Leiter der Danziger Deutschen Studentenschaft von 1933 bis 1935 und als Hochschulgruppenleiter des NSDDB von 1934 bis 1935 zusammen, ebenso wenig wie mit seiner Leitung der Dozentenakademie in Tännich im Sommer 1935 und seinem Vorsitz des Ehrengerichtes des NSDDB im Gau Westfalen-Nord, was wohl auch der Grund dafür war, dass er diese Informationen verschwieg. Gleiches galt für seine Mitgliedschaft im NSDDB und dem NSLB und erst recht seine leitende Tätigkeit für das SS-„Ahnenerbe“, welche in seinen Ausführungen mit keinem Wort erwähnt wurden. Ebenso weichgespült wurde sein politisches Verhalten nach dem 5. März 1933: Weber gab an, bis 1938 Versammlungen im „bei Beamten üblichen Rahmen“417 und nach 1938 gar nicht mehr besucht zu haben. Kein Wort von seiner in verschiedenen Fachzeitschriften aggressiv geforderten Errichtung eines auf Ausmerzung Minderwertiger aufgebauten völkisch-biologischen Staates, kein Wort von seiner Nazifizierung des Zoologischen Instituts der Universität Münster. Stattdessen: Heischen um Mitleid ob seiner 1944 komplett verlustig gegangenen persönlichen Dokumente. Trotz oder gerade wegen seiner Lügen hatte Weber mit seinem Vorgehen Erfolg. Am 4. Oktober 1948 wurde er mit einem Spruchkammerbeschluß der IX. Staatskammer für die politische Säuberung Württembergs (Aktenzeichen 15/KB/1949) als Mitläufer ohne Maßnahmen und damit in Kategorie IV eingereiht.418 Damit 415 UAT, 126/741, Personalfragebogen, 4.2.1952. 416 Ebd., Militärfragebogen, 14.4.1948. 417 Ebd. 418 UAT, 126/741, Personalfragebogen, 4.2.1952.

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stand einer weiteren Beschäftigung an der Universität Tübingen nichts im Wege, und von deren Seite wurden alle Versuche unternommen, Weber fest an sich zu binden. Schon am 12. Januar war über den Umweg über Webers Ehefrau erstmals über eine Beschäftigung des Zoologen diskutiert worden. Der Dekan der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen wandte sich schriftlich an einen Oberregierungsrat Lambacher im Kultusministerium und teilte mit, dass Webers Frau beantragt habe, im Schuldienst Süd-Württembergs übernommen zu werden. In diesem Zusammenhang wies der Dekan auch auf Hermann Weber, „eine[n] unserer bedeutendsten Zoologen“419 hin, der zurzeit erkrankt und als ehemaliger Straßburger Professor zudem ohne Pension sei. Dann kam er zum eigentlichen Grund seines Schreibens: Die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät habe großes Interesse an dem Zoologen und bitte daher um die Einstellung seiner Frau.420 In den folgenden Jahren wurde der Vorgang daraufhin weiter forciert. Am 23. Juni 1950 teilte der Dekan der dortigen Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät dem Rektor mit, die Fakultät beantrage aufgrund eines einstimmigen Beschlusses vom 22. Juni 1950 die Ernennung Webers zum Honorarprofessor. Die Gründe hierfür seien in Webers herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zu suchen. So sei er ein Forscher von hohem Rang und internationaler Anerkennung, bei dessen Arbeiten immer funktionelle Gesichtspunkte im Vordergrund gestanden hätten und er geradezu als Begründer einer neuen, sehr fruchtbaren funktionsmorphologischen Arbeitsrichtung bezeichnet werden müsse. Seine Bücher seien weltweit anerkannt und führend, und seine Untersuchungen zeugten von einer beherrschenden Synthese von Entwicklungsgeschichte, Entwicklungsphysiologie und Ökologie. Außerdem sei er bereits längere Zeit als Gast am Zoologischen Institut tätig.421 Soviel Überzeugungskraft zeigte Wirkung, und am 5. Oktober 1950 wurde Weber zum Honorarprofessor ernannt.422 Damit war zwar eine Angliederung an die Fakultät erreicht, diese war damit aber noch nicht zufriedengestellt. Im Verlauf des Jahres 1951 deutete der amtierende Ordinarius für Zoologie, Alfred Kühn, ehemals Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biologie, an, dass er sein Amt niederlegen wolle, um sich ganz der Leitung des Max-Planck-Instituts für Zoologie widmen zu können. Kühn hatte bereits 1935 Weber für Münster empfohlen und ihn als einen der vielversprechendsten deutschen Nachwuchszoologen bezeichnet. Folgerichtig tauchte der Name des Zoologen auch in den Diskussionen um die Nachfolge Kühns auf – zunächst aber nicht auf der Berufungsliste der Fa419

UAT, 201/1030, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Tübingen an Oberregierungsrat Lambacher, 12.1.1948. 420 Ebd. 421 UAT, 126/741, Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Tübingen an Rektor Tübingen, 23.6.1950. 422 Ebd., Bestallungsurkunde, 5.10.1950.

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kultät. Diese stellte ihn am 19. Februar 1951 nicht neben die anderen Kandidaten, begründete diesen Schritt aber explizit damit, dass die Liste nur unter der Voraussetzung aufgestellt worden war, dass man Weber anderweitig am Zoologischen Institut halten würde.423 Offenbar gab es auch Widerstand seitens des Rektors. Dieser führte aber nicht die Vergangenheit Webers in Felde, sondern Argumente, die auch schon 1935 in Münster eine Rolle gespielt hatten: Webers Schwerhörigkeit und, neuerdings, ein Herzleiden.424 Inzwischen hatte der Zoologe weiter an seiner Karriere gearbeitet, denn am 23. April 1951 war er als erster Deutscher zum korrespondierenden Mitglied der Zoological Society of India gewählt worden.425 In den folgenden Wochen entwickelte die Fakultät eine emsige Tätigkeit, um Weber als Nachfolger Kühns zu installieren und setzte sich trotz einiger Schwierigkeiten letztendlich unter Rückgriff auf Artikel 131 des Grundgesetzes und das sich darauf beziehende „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ vom 10. April 1951,426 welches Weber als vertriebenem Hochschullehrer Sonderrechte zugestand, durch. Am 1. Oktober 1951 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt,427 ehe er schließlich im März 1952 die Nachfolge Kühns als Direktor des Zoologischen Instituts der Universität Tübingen antrat.428 Trotz hochrangiger Arbeit für das NS-Regime, trotz Kriegsverlusten und trotz explizit nationalsozialistisch ausgerichteter Forschung hatte sich Weber also wieder an die Spitze eines deutschen Universitätsinstitutes hocharbeiten können. Damit war seine Nachkriegskarriere aber noch nicht abgeschlossen. So wurde er Ende 1951 in den Fachausschuss für Biologie der DFG429 berufen, und auch in internationalen Organisationen konnte er erneut Fuß fassen. Im Dezember 1953 erreichte ihn ein Schreiben des Department of Natural Sciences der UNESCO, in welchem ihm im Auftrag des Generaldirektors mitgeteilt wurde, dass die deutsche Bundesregierung ihn zum Mitglied eines von der UNESCO aufzustellenden Expertengremiums zum Thema „Tierökologie der Trockenzone“ bestimmt habe.430 Dieser Ehre folgte drei Jahre später die Ernennung zum Ehrenmitglied der Zoologisch-Botanischen Gesellschaft in Wien.431 Damit war Weber wieder in hohen Gremien internationaler Spitzenforschung vertreten. Zu seinen vormals so 423 424 425 426 427 428 429 430 431

UAT, 201/1030, Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Tübingen an Kultusministerium Baden-Württemberg, Berufungsliste, 19.2.1951. Ebd., Rektor Tübingen an Kultusministerium Baden-Württemberg, 1.6.1951. Ebd., Weber an Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät Tübingen, 22.5.1951. Bundesgesetzblatt S. 307 UAT, 126/741, Personalfragebogen, 4.2.1952. UAT, 201/1030, Pressenotiz zu Kühns Niederlegung der Direktion des Zoologischen Instituts, 26.3.1952. UAMs, Bestand 62, Nr. 187, Personelle Zusammensetzung der Organe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Stand 1.12.1951. UAT, 126/741, UNESCO an Weber, 11.12.1953. Ebd., Weber an Rektor Tübingen, 25.6.1956.

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vehement vertretenen Themen wie der völkischen Neuordnung der deutschen Gesellschaft veröffentlichte er, wenig verwunderlich, nicht mehr. Stattdessen widmete er sich Untersuchungsgegenständen wie den Darmtracheenschläuchen der Elefantenlaus.432 Mit seinen neuen Tätigkeitsfeldern konnte sich der Zoologe jedoch nicht lange beschäftigen. Am 18. November 1956 verstarb er „nach langer Krankheit und doch unerwartet“ in Tübingen.433 50 Jahre nach seinem Tod veranstaltete das Zoologische Institut der Universität Tübingen im Jahr 2006 ein Gedenksymposium zu Webers Ehren. Die zu diesem Anlass erschienene Festschrift erwähnt Webers nationalsozialistische Tätigkeiten und seine biologistischen Veröffentlichungen mit keinem Wort.434 Ähnlich positiv wie bei Weber entwickelte sich auch die Nachkriegskarriere seines Kollegen Mevius. Nachdem er 1943 in Münster hatte abdanken müssen, war er nach Hamburg geschickt worden, wo er am 24. April 1944 seinen Dienst als Stellvertretender Direktor antrat.435 Im Januar 1945 fanden die Berufungsverhandlungen statt,436 und am 3. März 1945 betraute das REM Mevius schließlich mit der Nachfolge Hans Winklers und übertrug ihm zum 1. März des Jahres das Ordinariat für allgemeine Botanik an der Universität Hamburg.437 Damit endete auch offiziell seine Dienstzeit in Münster. Seine Tätigkeiten als Rektor der Universität Münster sollten ihn aber auch an seiner neuen Wirkungsstätte weiter verfolgen. Das Schreiben des REM an Mevius, mit dem ihm die Übertragung des Lehrstuhls mitgeteilt wurde, war wegen der generell schlechten Nachrichtenverbindungen in der Endphase des Krieges erst am 18. März 1945 in Münster eingetroffen. Aufgrund der Kriegslage und der anschließenden Besetzung Münsters durch alliierte Truppen konnte der Ordinarius seinen Posten in Hamburg daher erst am 21. Juli 1945 antreten.438 Zwischen Berufung und Antritt fielen demnach die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht und der Zusammenbruch Deutschlands. Damit ergab sich auch für die Universität ein neuer Handlungsspielraum, denn: Durch die veränderten Machtverhältnisse wäre es durchaus möglich gewesen, Mevius’ Abschiebung nach Hamburg rückgängig zu machen. Stattdessen entschloss man sich jedoch zu einem anderen Vorgehen. Mit dem Ende des NS-Regimes setzte nämlich alsbald auch an der Universität Münster eine bemerkenswerte und teils skurrile Legendenbildung ein, an der sich neben den Professoren und Assistenten auch die Universitätsleitung beteiligte. Hier 432 433 434 435 436 437 438

Weber, Hermann, Die Darmtracheenschläuche der Elefantenlaus, ein für die Insekten neues Organ, in: Die Naturwissenschaften 31 (1953), S. 42. UAT, 201/1030, Todesanzeige. Wenk, Peter, Biographisches zu Hermann Weber (21.11.1899–18.11.1956), in: Entomologia Generalis 31/2 (2008), S. 109–112. UAMs, Bestand 63, Nr. 181, Mevius an Dekan, 21.4.1944. BAB, R 4901, Nr. 13253, Entwürfe für Berufungsvereinbarungen, 12.1.1945. StAHH, PA Mevius, IV 1368, REM an Mevius, 3.3.1945. Ebd., Mevius an Verwaltung für Kunst- und Kulturangelegenheiten, 31.7.1945.

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hatte die Militärregierung Rektor Siegmund vorerst im Amt belassen, um ein Mindestmaß an Stabilität und einen zügigen Wiederaufbau des Universitätsbetriebes zu gewährleisten. Er wandte sich nun am 2. Juli 1945 mit einem Schreiben an Mevius. Betrachtet man dessen Inhalt und vergleicht ihn mit den Schriftwechseln, die Mevius’ Strafversetzung nach Hamburg noch wenige Monate zuvor vorangegangen waren, so offenbart er eine Art Parallelrealität, dessen Aufbau sich die Beteiligten offenbar zur Aufgabe gemacht hatten. Denn von dem, was Mevius’ Arbeit an der Universität Münster während der NS-Zeit ausgemacht hatte, war in diesem Schriftstück nichts mehr zu lesen. Zunächst dankte der Rektor Mevius und sprach ihm seine Glückwünsche zur Berufung nach Hamburg aus. Dann bat er ihn, bis zur endgültigen Klärung seiner Nachfolge die Leitung des Botanischen Instituts beizubehalten. Die Universität war also bestrebt, den Botaniker nicht mehr nach Münster zurückkommen zu lassen. Liest man den Brief zu Ende, so stellt sich jedoch die Frage, warum man in Münster so dachte, ließen die Verantwortlichen mit Mevius doch ganz offensichtlich einen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime ziehen: „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass ganz einmütig die Auffassung vertreten und zum Ausdruck gebracht wird, daß Ihre Tätigkeit als Rektor unter besonderer Berücksichtigung der schwierigen Verhältnisse in Münster ganz besonders erfolgreich gewesen ist und daß es Ihnen vor allem gelungen ist, zahlreiche Versuche, von Parteiinstanzen Einfluß auf die Besetzung von Lehrstühlen zu gewinnen und die Tätigkeit der beiden theologischen Fakultäten an unserer Universität lahmzulegen, abzuwehren. Sie haben damit wesentlich dazu beigetragen, den wissenschaftlichen Geist unser Hochschule zu erhalten. […] Ich stehe auch heute noch zu meinen Worten, die ich gelegentlich der Amtsübernahme am 18. Dezember 1943 Ihnen gegenüber schuldig zu sein glaubte.“439

Damit war Mevius zu einem Verteidiger der akademischen Unabhängigkeit geadelt. Zwar war es richtig, dass Mevius gelegentlich gegen Einmischungsversuche außeruniversitärer Stellen gewettert hatte. Dies hatte er aber nur dann getan, wenn sie nicht in seinem Interesse lagen, und auch niemals aus dem Grunde, weil er den Nationalsozialismus aus der Universität forthalten wollte. Mit dem wirklichen Verhalten des Mannes, der selbst Berufungsverfahren manipuliert und eine enge Verknüpfung zwischen Partei und Universität angestrebt und durchgesetzt hatte, hatte das vom Rektor gemalte Bild nichts zu tun. Dies war aber unerheblich, denn Mevius erkannte die Chance, die sich durch eine solche Vorlage seitens seines alten Arbeitgebers bot. Er ergriff sie mit beiden Händen und begann unmittelbar nach seiner endgültigen Ernennung in Hamburg im September 1945440 damit, sich daraus eine Legende zu zimmern, die ihn als Opfer, nicht als willigen Helfer der NS-Politik darstellen sollte. Eine erste Fassung seiner neueren Vita findet sich als Anlage zu einem Fragebogen, den der Botaniker gegenüber seiner neuen Universität ausfüllen musste. Zu439 440

UAMs, Bestand 5, Nr. 697, Rektor an Mevius, 2.7.1945. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Ernennungsurkunde, 21.9.1945.

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nächst versuchte er, seine außeruniversitären Forschungsverflechtungen zu relativieren. Zwar sei er als Stoffwechselphysiologe in die Arbeitsgemeinschaft „Arbeit und Ernährung“ der Reichsarbeitskammer berufen worden, dort habe er aber keine Forschungsaufträge erhalten und nie an den Sitzungen teilgenommen.441 Über seine leitende Tätigkeit im Forschungsdienst verlor er kein Wort. Gleiches galt für seine Tätigkeit als Leiter des Fachkreises Tier- und Pflanzenbiologie in der Reichsgruppe Naturwissenschaft der Dozenten­führung.442 Eine einzige Apologetik zeigte sich dann in der Beschreibung seiner Tätigkeit als Rektor. So sei ihm dieser Posten auf Vorschlag des Rektors und des Senats übertragen worden, obwohl er nicht Parteigenosse gewesen sei. Grund dafür sei seine Tätigkeit als Vorsitzender der Nichtordinarienvereinigung im Senat und seine dortige intensive Verwaltungsarbeit gewesen. Das Amt habe er nur übernommen, um der Universität zu helfen und den Einfluss radikaler Studentenkreise zurückzudrängen. Der Bestand der Universität Münster sei aufgrund deren katholischen Charakters durch Schließungsabsichten des Reichsdozentenführers und der Reichsstudentenführung gefährdet gewesen. Aus demselben Grund habe das REM auch eine Höchstzahl für Studenten festgelegt und der Universität das landwirtschaftliche Studium genommen. Als Protestant habe er besser für den Bestand einer katholisch geprägten Universität Münster kämpfen und gegen die permanenten Angriffe auf die Universität vorgehen können. Außerdem habe er sein Amt als Gegenpol zum inkompetenten Kurator Beyer ausgeübt, der sich immer wieder erfolglos in die akademischen Angelegenheiten habe einzumischen versucht. Obwohl in zahlreichen Fällen Gauleiter und Reichsleitung des Dozentenbundes Einfluss auf Listen zu nehmen versucht hätten, habe die Universität unter Mevius niemals nachgegeben. Die Vorschläge für Berufungen seien rein wissenschaftlich erfolgt, und er habe sich die Berufung von Personen erkämpft, die vom Reichsdozentenführer abgelehnt worden seien. Im Juli 1937 habe dann der Gauleiter eine Aufnahme Mevius’ in die NSDAP vorgeschlagen, gegen die er keine Einwände erhoben habe. Danach habe er aber weiterhin nur das Wohl der Universität im Blick gehabt, und es habe zahlreiche Zusammenstöße mit der Partei gegeben. Grund dafür sei auch gewesen, dass er sich oft für Katholiken und Juden eingesetzt und dadurch Schwierigkeiten bekommen habe. Schließlich sei er als Rektor für die Gauleitung untragbar geworden. Daher habe man die „Schinkenaffäre“, deren anhängiges Verfahren zudem durch ein Gutachten des Landesernährungsamtes hätte eingestellt werden müssen, dazu genutzt, ihn abzusetzen. Abschließend habe die Gauleitung noch verhindert, dass einer seine Mitarbeiter sein Nachfolger werden würde.443 In einer zweiten Fassung seiner Erzählung schmückte Mevius seinen Opfermythos sogar noch weiter aus: 441 442 443

Ebd., Anlage zu Fragebogen, ca. 1945. UAMs, Zugang 19/2005, Akte: ohne Aufschrift, weißer Einband, Dienststellenplan der örtlichen Dozentenführung an der Universität Münster, undatiert, ca. 1942. StAHH, PA Mevius, IV 1368, Anlage zu Fragebogen, ca. 1945.

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„Im Jahre 1943 häuften sich die Auseinandersetzungen mit der Gauleitung, bis ich das Rektorat niederlegte.“444 „Wie sehr ich aber selbst in der Folgezeit von den zuständigen Parteistellen abgelehnt wurde, zeigte sich, als mich die Universität Hamburg für die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für allgemeine Botanik vorschlug. Um dies zu hintertreiben, wurde die NSDDoz.Bundführung bei der Hochschulverwaltung (Senatssyndikus Dr. Schrewe) und beim derzeitigen Rektor (Pro. Dr. Kesser) vorstellig.“445

Es ist an dieser Stelle müßig, auf die einzelnen Punkte, die Mevius zu seiner Selbstdarstellung anführte, einzugehen, da viele davon bereits in dieser Untersuchung angesprochen wurden. Wichtig ist, dass keiner davon stimmte. Teilweise waren sie frei erfunden, teilweise war sogar das Gegenteil der Fall. So war schließlich also selbst aus der vom REM der Universität Hamburg aufgezwungenen Versetzung ein Akt der Verfolgung gegenüber Mevius und seinem neuen Arbeitgeber geworden. Der Ordinarius hatte sich durch seine Erzählung demnach de facto eine neue Identität zugelegt. Dazu nutzte er geschickt Versatzstücke, die nicht nur in Münster (die Universität Münster als katholisches Bollwerk gegen den Nationalsozialismus),446 sondern generell in der Wissenschaftslandschaft (die Vergewaltigung der Wissenschaft durch die Politik) populär werden und lange Zeit das öffentliche Bild der Universitäten im Nachkriegsdeutschland prägen sollten. Während der NS-Zeit hatte man die Sachlage aber noch völlig anders bewertet. So hieß es 1940 in einer offiziellen Parteischrift zum zehnjährigen Jubiläum des Gaus Westfalen-Nord über die Universität: „Unter starker persönlicher Einschaltung des Gauleiters und Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, Dr. Alfred Meyer, wurde eine aktive Personalpolitik betrieben, die zum Ziel hatte, die Lehrstühle immer mit wissenschaftlich hochstehenden, aber auch weltanschaulich gefestigten Dozenten zu besetzte. […] Mit dem Rektor Mevius war ein aktiver Nationalsozialist als Führer der akademischen Verwaltung in die Universität eingezogen, der die Entwicklung der Universität auf allen ihren Gebieten aus eigener Anschauung schon weit vor der Machtergreifung kennengelernt hatte. Der Kurator konnte in engster Zusammenarbeit mit ihm alle Fragen der staatlichen Verwaltung und einer in nationalsozialistischem Sinne geführten Personalpolitik lösen, während er selbst in der Führung der wissenschaftlichen Weiterentwicklung und des Ausbaues sowie in der Behandlung des akademischen Nachwuchses alle Probleme in dem gleichen Sinne und mit großer Aktivität in Angriff nahm. […] Die Tage sind längst vorbei, an denen man von einem ‚schwarzen Münster‘ sprechen konnte. Münster darf heute Reichsleiter Alfred Rosenberg zu seinen Ehrenbürgern rechnen. Die Universität hat mit der Entwicklung der Gau- und Provinzialhaupstadt durchaus Schritt gehalten.“447 444 Ebd., Anlage zu Fragebogen, 2. Fassung, undatiert, ca. 1945. 445 Ebd. 446 Vgl. Fn. 58. 447 Schröder, Arno (Bearb.), Mit der Partei vorwärts! Zehn Jahre Gau Westfalen-Nord, Detmold 1940, S. 284ff.

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Der Schutzschild, den sich Mevius mit seinen Verdrehungen aufbaute, sollte sich in der Folge als bitter nötig herausstellen. Schon einige Monate nach seiner Amtsübernahme in Hamburg holte ihn seine Vergangenheit nämlich auch an seiner neuen Wirkstätte ein. Am 2. Januar 1946 wandte sich der Freiburger Ordinarius für Botanik, Friedrich Oehlkers, mit einem Schreiben an den neuen Dekan der Philosophisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, Heinrich Behnke. Anders als für Mevius war für Oelkehrs die NS-Zeit eine Zeit des Leidens gewesen. Seine jüdische Frau hatte er nur mit Mühe vor dem Abtransport in die Vernichtungslager retten können, und sein Sohn hatte sich aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten das Leben genommen. Er selbst war in die innere Emigration gegangen.448 Oehlkers hatte nun erfahren, dass Mevius nach Hamburg berufen worden war und dort unangefochten sei. Dies konnte er nicht akzeptieren: „Ich muß nun sagen, daß, wenn das, was Sie mir früher von den Heldentaten des Herrn Mevius in Münster während seines Rektorats mitteilten, auch nur annähernd aktenmäßig festliegt, es unerträglich wäre, wenn in der amerikanischen Zone ein Mann wie Schwemmler, der ein wahres Lämmchen demgegenüber ist, mit seinen 6 Kindern herausgesetzt ist und nun jeden Tag zwangsweise Holzhacken muß! Ich muß dazu sagen, daß ich wirklich nicht Lust habe, in anderen Fällen den Denunzianten zu machen, aber hinsichtlich Mevius meine ich doch, daß die Universität Münster einschreiten und die entsprechenden Akten nach Hamburg schicken sollte. Dann sollen sich die Hamburger Kollegen einmal überlegen, ob es möglich ist, einen solchen Mann noch weiter als Kollegen anzuerkennen.“449

Es ist unklar, ob dieser Brief Aktivitäten auslöste. Zwei Monate später wandte sich jedenfalls die Universität Hamburg mit einer offiziellen Anfrage an die Universität Münster, woraufhin der Rektor den Vorsitzenden des Münsterschen Informationausschusses anwies, eingehende Informationen über Mevius einzuholen, um sie den Kollegen zukommen lassen zu können – wobei er explizit betonte, die Recherche müsse eingehender als bereits früher geschehen.450 Besondere Eile schien man an der Universität Müsnter jedoch nicht an den Tag zu legen. Ende März und Mitte April mahnte die Universität Hamburg zwei Mal, man möge ihr doch endlich die Unterlagen zukommen lassen.451 Was aus der Sache wurde, ist nicht überliefert. Einige Zeit später verkomplizierte sich die Situation schließlich weiter, da sich nun auch politische Stellen in die Angelegenheit einmischten, denn: Ende Juni 1946 wandte sich der SPD-Unterbezirk Münster an die SPD Hamburg. In ihrem Schreiben nahmen die Sozialdemokraten kein Blatt vor den Mund. 448 449 450 451

Vgl. hierzu Sander, Klaus, Persönliches Leid und ständige Not. Leben und Überleben von Friedrich Oehlkers und seiner jüdischen Frau in Freiburg 1933–1945, in: Freiburger Universitätsblätter 129 (1995), S. 73–80. UAMs, Bestand 5, Nr. 697, Oehlkers an Behnke, 2.1.1946. UAMs, Bestand 4, Nr. 643, Rektor an Vorsitzenden des Informationsausschusses, 6.3.1946. Ebd., Vorsitzender des Informationsausschusses an Rektor, 25.3.1946, bzw. Rektor an Vorsitzenden des Informationsausschusses, 17.4.1946.

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So habe Mevius bereits 1932 im Völkischen Beobachter einen Aufruf der deutschen Studenten und Dozenten mit unterschrieben, in dem zur Wahl der NSDAP aufgerufen wurde. Ein Jahr später sei er daraufhin Ordinarius an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin geworden. Während seiner Zeit als Rektor in Münster habe er sich als „toller Nazi“ gebärdet und aufs Engste mit Gauleiter Meyer, Oberbürgermeister Hillebrand, dem „Naziprofessor“ Zahnarzt Müller und NS-Stadträten verkehrt. Mevius habe erklärt, dafür zu sorgen, dass die Universität Münster zu einer NS-Musteruniversität werden würde, und Professoren beeinflusst, in die Partei einzutreten. 1944 habe er dann zusammen mit einem Studenten schwarz geschlachtet. Während man den Studenten zum Tode verurteilt habe, sei Mevius mit einer Geldstrafe von 1.000  RM davongekommen. Nun stelle er seine Versetzung nach Hamburg als Verfolgung dar, obwohl man ihn eigentlich hätte aufhängen müssen: „Es ist unverständlich, daß dieser ekelhafte Nazischweinehund in Hamburg wieder auf alle Viere gefallen ist.“452 Abschließend wies man noch auf die Tochter des aus Münster deportierten und in Theresienstadt ermordeten Münsterschen Althistorikers Friedrich Münzer, Margarete Böcker, sowie den vormaligen Professor für Augenheilkunde an der Universität Münster und jetzigen Ordinarius in Hamburg, Oswald Marchesani, als Zeugen hin.453 Auch wenn deutlich wird, dass die Genossen in Münster bei einigen Angaben (so erhielt Mevius seinen Lehrstuhl in Berlin bereits 1932, also ohne Einfluss der NSDAP; auch die Schwarzschlachtung war so nicht abgelaufen) falsch lagen und einen polemischen Ton anschlugen, hatten sie Mevius’ Vernetzungen und die Essenz seiner Tätigkeit doch zutreffend erfasst. Zwei Wochen später überreichte die Hamburger SPD den Brief dem für den Wiederaufbau der Hamburger Universität zuständigen Bildungssenator Heinrich Landahl (SPD) mit der Bitte um Kenntnisnahme, weitere Veranlassung und Antwort.454 Dieser kümmerte sich um die Angelegenheit und leitete die Informationen an die zuständigen Stellen weiter. Ebenso sorgte er dafür, dass der Universität die Aussage der Tochter Münzers zugestellt wurde, welche diese gegenüber der SPD gemacht und ihm zugesandt hatte: Mevius habe ihr 1942 trotz Bitten jegliche Hilfe verweigert, keinerlei Unterstützung durch die Universität zukommen lassen und nach dem Zusammenbruch die Geschichte umgedreht, um sich selbst zum Opfer zu stilisieren.455 Letztendlich wogen die Vorwürfe schwer genug, um die Universität Hamburg zu Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu veranlassen. Aufgrund der Arbeit des Ausschusses nahm der Rektor der Universität schließlich Anfang September 1946 Stellung zu dem Brief. Zunächst widersprach er den Anschuldigungen bezüglich der Schwarzschlachtung. Auf Basis der Akten stehe fest, dass sich der Vorgang anders abgespielt habe, und mehrere offizielle Stellen hätten Untersuchungen durchgeführt, die zu dem Er452 StAHH, PA Mevius, IV 1390, SPD Unterbezirk Münster an SPD Hamburg, 29.6.1946. 453 Ebd. 454 StAHH, PA Mevius, IV 1390, SPD Hamburg an Landahl, 16.7.1946. 455 Ebd., Böcker an Landahl, 21.8.1946.

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gebnis gekommen seien, dass Mevius sich korrekt verhalten habe. Bei seiner Berufung 1944 habe auch die Universität Hamburg die Sachlage noch einmal geprüft: „Er hat den Ruf nach Hamburg unter besonders günstigen Bedingungen erhalten.“456 Dies entsprach natürlich auch nicht den Tatsachen, hatte das REM Mevius der Universität doch gegen ihren Willen aufgezwungen. Auch die Vorwürfe wegen Mevius’ Haltung im Fall Münzer stünden laut Rektor in völligem Widerspruch zu dem, was Mevius über den Vorgang sage. Weitere Vorwürfe, die ein Dr.  Börger gegen den Botaniker erhoben habe, würden noch geprüft. Einzige Frage bliebe, ob die sehr schonende Behandlung Mevius’ durch die Behörden nicht ein eindeutiger Beweis für seine guten Beziehungen zu einflussreichen NS-Persönlichkeiten seien, da dies doch eher ungewöhnlich sei.457 Zwei Wochen nach dem Statement befragten die Hamburger dann den ehemaligen Assistenten am Botanischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin, Börger. Er war dort tätig gewesen, als Mevius 1932 das Amt übernommen hatte. Zunächst habe Mevius dem Nationalsozialismus skeptisch gegenübergestanden. Nach dem Besuch eines als aktivem Nazi bekannten Verwandten habe sich dies jedoch geändert und zu einer kompletten Kursänderung geführt. So habe Mevius politische Diskussionen und Werbung für den Nationalsozialismus in den Unterricht hineingetragen, sich dem bekannten Zoologen und Nationalsozialisten Professor von Lengerken angenähert und Kontakt mit dem NSDDB aufgenommen. Schließlich sei er trotz vorheriger Ablehnung am 1. Mai 1933 auf einmal an der Spitze des Festzuges marschiert.458 Es muss unklar bleiben, wie viel von den Aussagen Börgers tatsächlich der Wahrheit entsprach und wie viel möglicherweise eine persönliche Abrechnung mit einem ehemaligen Vorgesetzten war. Auch der Ausschuss stufte sie später als unerheblich, unergründlich und unglaubwürdig ein. Gleiches galt hingegen auch für die Aussagen der Tochter Münzers, Mevius habe sich 1942 nicht ausreichend bemüht, ihren Vater vor der Deportation nach Theresienstadt zu schützen. Sie wurden auf Basis einer Aussage von Mevius’ ehemaliger Sekretärin Vera Padberg zurückgewiesen, die den Vorgang aus eigener Erfahrung kenne und angab, Mevius habe sich beim Kurator, in Berlin und bei der Gestapo Münster vergeblich um die Rettung des Historikers bemüht und sich dafür noch eine Anzeige wegen Begünstigung eines Juden durch die Gestapo beim Reichssicherheitsamt [sic!] als „Judengenosse“ eingehandelt – ein Ablauf, der in keinen Akten belegt ist, nicht zu Mevius’ restlichem Verhalten passt und daher höchst unwahrscheinlich erscheint. Dennoch bemerkte der Rektor: „Die Angelegenheit kann als zugunsten von Professor Mevius erledigt gelten.“459 456 Ebd., Rektor Hamburg an Schulverwaltung Hamburg, 3.9.1946. 457 Ebd. 458 Ebd., Protokoll der Zeugenvernehmung Börger, undatiert. 459 StAHH, PA Mevius, IV 1390, Rektor Hamburg an Senator Landahl, 27.11.1946.

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Das abschließende Fazit des Rektors kam daher auch einer völligen Absolution des Botanikers gleich. Mevius habe die Vorwürfe präzise zu widerlegen versucht und zahlreiche Beweise für praktisches Verhalten gegenüber Juden, der Theologie und der Kirche in Münster vorgelegt, die in schroffem Widerspruch zur NS-Gesinnung stünden. Er habe mutig die Interessen der Wissenschaft und der Universität vertreten, auch wenn Kompromisse mit der Partei während seines Rektorats unvermeidlich gewesen wären. Außerdem seien die Vorwürfe der guten Beziehungen Mevius’ zu NS-Größen nie schriftlich belegt worden. Zwar werde sich das ­Advisory Board der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät sobald wie möglich mit einer neuen Prüfung der politischen Vergangenheit des Ordinarius befassen, der Rektor erwarte aber keine von der vorliegenden Untersuchung wesentlich abweichenden Ergebnisse.460 Die anschließenden Untersuchungen zogen sich schließlich noch bis 1948 hin. Nach mehrmaligem Nachfragen erhielt die SPD Hamburg erst am 1. September 1948 das endgültige Ergebnis: Mevius war von einem vom Staatskommissar eingesetzten Sonderausschuss für entlastet erklärt und in Kategorie V eingestuft worden.461 Damit war die Realität endgültig auf den Kopf gestellt. Der Botaniker konnte seine Karriere in Hamburg äußerst erfolgreich und vor allem ungestört fortsetzen. Zunächst begann er aber damit, seine ehemaligen Münsterschen Assistenten um sich zu scharen. Am 1. Mai 1947 wechselte Hans Söding von Münster nach Hamburg und wurde zum Wissenschaftlichen Rat ernannt.462 Ein Jahr später, am 1. August 1948, übernahm Horst Engel, den die Militärregierung in Münster der Universität verwiesen463 und der danach Unterschlupf als botanischer Assistent am Naturkundemuseum gefunden hatte,464 eine Stelle als außerplanmäßiger Professor an Mevius’ Institut.465 Im Oktober 1949 folgte schließlich noch Heinrich Bömeke als wissenschaftlicher Assistent an die unmittelbar westlich der Hamburger Stadtgrenze gelegene und über ihren Leiter, Professor Ernst-Ludwig Loewel, mit der Universität verknüpfte Obstbauversuchsanstalt in Jork.466 In den nächsten Jahren konnte Mevius auch außerhalb der Universität Hamburg weiter Fuß fassen und war in mehreren wichtigen Gremien vertreten. 1956 war er Vertreter der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät im Senat der Universität Hamburg. Ebenso war er als Mitglied im Arbeitskreis für Raumforschung in Bonn,467 im Hochschulbeirat, im Forschungsrat der Stadt Hamburg 460 Ebd. 461 Ebd., Rektor Hamburg an SPD Hamburg, 1.9.1948. 462 StAHH, PA Söding, IV 1452, Söding an Schulverwaltung Hamburg, 19.5.1947. 463 UAMs, Bestand 4, Nr. 722, Liste der entnazifizierten Beschäftigten. 464 LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Engel, NW 1039–E, Nr. 137, Fragebogen. 465 StAHH, PA Engel, Nr. IV 3082, formlose Übersicht über Engels akademischen Werdegang, undatiert, nach 1953. 466 UAMs, Bestand 10, Nr. 991. 467 StAHH, PA Mevius, IV 1390, Personalbogen, Ehrenämter, undatiert.

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und als Hamburger Vertreter der Lehrstuhlinhaber im Hochschulverband tätig.468 1959/60 wurde er als Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät wiedergewählt. Seine alten Münsterschen Kollegen vergaß er auch weiterhin nicht. Beim Prozess gegen den Münsterschen Mediziner und ehemaligen Lagerarzt in Auschwitz, Johann Paul Kremer, sagte er als Entlastungszeuge für den SS-Obersturmbannführer aus.469 Zum 30. September 1961 wurde Mevius emeritiert, blieb jedoch als sein eigener Vertreter vorläufig im Amt.470 Am 1. Oktober 1964 ging er schließlich nach 32 Jahren als Professor in den Ruhestand.471 Der Botaniker starb am 18. Februar 1975 in Hamburg.472

6. Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten „Das war für ihn in seiner Eigenschaft als Biologe sehr schwer, denn gerade von den Biologen verlangte der Nationalsozialismus die Einhaltung der von ihm festgelegten ‚Generallinie‘, insbesondere in Bezug auf Vererbungsfrage und alles, was mit ihnen zusammenhängt (Rasse, Sterilisation, Euthanasie usw.).“473

Aussagen wie diese, welche aus der Urteilsbegründung des Entnazifizierungsasuschusses im Verfahren gegen den bereits erwähnten „Alten Kämpfer“ Budde stammt, finden sich in ähnliche Form auch in vielen Selbstzeugnissen andere Biologen wieder, wenn es um die Beschreibung ihrer Forschungen während der NS-Zeit geht. Die Argumentation mit einer generellen inhaltlichen Vorgabe durch die politi­ schen Stellen, an die man sich hätte halten müssen, erwies sich in der Nachkriegszeit als äußerst erfolgreich. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen fragte niemand nach, was damit eigentlich gemeint sei, zum anderen hatte es niemals eine einheitliche NS-Biologieauffassung gegeben, weshalb sich die Forscher im Zweifelsfall auf ein breites Spektrum an Aussagen berufen konnten. Damit konnte sich jeder Wissenschaftler jederzeit eine passende oppositionelle Forschungsvita zimmern und so seine Zugehörigkeit zur „reinen Wissenschaft“ demonstrieren. Verfolgt man aber den Wandel von Forschungsinhalten sowohl über die Fächergrenzen als auch über die Systemwechsel hinweg, so wird deutlich, dass es derartige eindeutige Vorgaben seitens der Politik nicht gegeben hatte. Stattdessen existierte eine Reihe von von der Politik unabhängigen gemeinsamen Faktoren, die diesen Wandel beeinflussten. Diese wiesen im Regelfall eine jahrzehntelange Kontinuität 468 469 470 471 472 473

StAHH, PA Mevius, IV 1368, Zeitungsausschnitt aus „Die Welt“, 12.1.1956. StAHH, PA Mevius, IV 1390, Gottkandt an Rektor Hamburg, 3.12.1960. Ebd., Schulbehörde Hamburg an Mevius, 28.7.1961. Ebd., Senat Hamburg an Mevius, 2.9.1964. Kürschner 1976. LAV NRW R, Entnazifizierungsakte Budde, NW 1037–BVI, Nr. 1625, Urteil, 12.3.1948.

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6.  Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten 487 und Stabilität auf. Dabei waren sie eng mit einer der Hauptthesen dieser Untersuchung verknüpft: der Dominanz der Ordinarien. Bereits in der Einleitung dieser Arbeit wurde diese These dahingehend formuliert, dass die einzelnen Lehrstuhlinhaber durch ihre prägende Wirkung eine weit stärkere Abgeschlossenheit von Zeiträumen schufen, als dies beispielsweise durch die politischen Regimewechsel 1933 und 1945 geschah. Dies lässt sich sowohl für die Zoologie wie auch für die Botanik an drei Themenbereichen belegen: den genannten Inhalten von Forschung und Lehre, dem Personal und den Strukturen an den jeweiligen Instituten sowie der wissenschaftlichen Orientierung der jungen Assistenten. Der erste Punkt lässt sich am besten in graphischer Form darlegen: 1911

1927

1922

(Stempell)

Feuerborn

Kaiserreich

Weimarer Republik

Tierphysiologie

Entomologie

1916

von Koswig Ubisch i.V.

Weber

Ries

1947

Fischer i.V.

Rensch

Nationalsozialismus Entwicklungsphysiologie

1944

Nationalsozialismus

Ernährungsphysiologie/Pharmakognose

Besatzungszeit/ Bundesrepublik

Entomologie / Ökologie

Mevius Weimarer Republik

1940 1943

1936

1935

Benecke Kaiserreich

1935

Evolutions-/ Verhaltensforschung

Histologie

1947

Söding i.V.

1948

Schratz i.V.

Strugger

Besatzung/ Bundesrepublik Fluoreszenzmikroskopie/ Mikrobiologie

Vergleicht man die an den Instituten dominierenden Forschungsthemen mit den Amtszeiten der Ordinarien, so fällt eine starke Überschneidung auf. Wechselten die Lehrstuhlinhaber, so wechselten auch die Schwerpunkte. Dies wird besonders am Zoologischen Institut mit seiner hohen Personalfluktuation deutlich. Ausnahmen stellten lediglich die Fälle dar, in denen ein Lehrstuhl nur in Vertretung übernommen wurde. In diesem Fall wurden die Forschungsinhalte beibehalten. Keiner der Wechsel lässt sich hingegen mit einem politischen Regimewechsel in Zusammenhang bringen. Gleichzeitig lässt sich ein weiteres Merkmal der Dominanz erkennen: der starke Einfluss der akademischen Lehrer auf ihre Schüler. So blieb im Botanischen Institut von Benecke an über seinen Schüler Mevius die Ernährungsphysiolo-

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive

gie weiter im Mittelpunkt, welche erst mit dem Amtsantritt Struggers an Bedeutung verlor. Bereits auf Makroebene wird also erkennbar, dass der Forschungswandel von externen politischen Einflüssen unbeeindruckt blieb. Ein Blick auf die Mikroebene der Lehrinhalte bestätigt diese Annahme. Auch wenn, mit der Ausnahme Renschs, keine Vorlesungsmanuskripte und damit keine konkreten Vorlesungsinhalte überliefert sind, so lassen die Titel der Veranstaltungen klare Kontinuitätslinien erkennen. Sie zeigen zwar, dass beispielsweise der Machtergreifung vereinzelte nationalsozialistisch konnotierte Veranstaltungen folgten. Diese waren jedoch die absolute Ausnahme, blieben eng mit den Mobilisierungsstrategien von NS-Opportunisten wie Feuerborn verknüpft und können daher nicht als repräsentativ für die Institute gewertet werden. Stattdessen dominierte auch hier, wie bereits in der Besprechungen der Lehrinhalte in den einzelnen Ordinariatskapiteln beschrieben, die Kontinuität. Fast durchgehend wurden dieselben Veranstaltungen, gehalten von denselben Dozenten, angeboten. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel an den Vorlesungsverzeichnissen für die Wintersemester 1932/33 und 1935/36.474 Dies schließt zwar einen inhaltlichen Modernisierungsprozess, in dem über die Jahre die neuesten Forschungsergebnisse in die Veranstaltungen eingebaut wurden, nicht aus – dieser ist sogar anzunehmen. Ebenso wird deutlich, dass alte Themen nicht einfach verschwanden, solange die alten Dozenten weiter am Institut tätig waren. Umbrüche ergaben sich jedoch nur, wenn ein neuer Ordinarius neue Forschungsinteressen am Institut etablierte. Flankiert werden diese Ergebnisse durch die Auswertung der unter den jeweiligen Ordinarien an den Instituten abgeschlossenen Dissertationen. Da die Professoren häufig durch ihre Doktoranden forschten, spiegeln sich die Forschungsinteressen darin deutlich wider. Der Entomologe Feuerborn vergab Themen wie „Morphogenetische Untersuchung des Tracheensystems von Psychoda Phalaenoides“ oder „Das larvale Muskelsystem und die Entwicklung der imaginalen Flugmuskulatur von Psychoda alternata Say“. Von Ubisch, dessen Schwerpunkt auf der Entwicklungsphysiologie lag, ließ über „Verlagerungsversuche zur Untersuchung der prospektiven Potenz der Blastomeren des Ectinidenkeimes“ oder „Zum Problem der Determination der Bilateralität im Seeigelkeim“ arbeiten. Der Morphologe und Entomologe Weber prüfte über „Kopf und Vorderdarm von Panorpa communis L.“ oder „Morphologie des Kopfes und des Vorderdarmes der Larve und Imago von Sialia flavilafera“, während der Histologe Ries „Das Verhalten der Zellstrukturen während der Spermatogenese bei Insekten“ oder „Der Kopf von Trimenopan Jenningsi Kellog und Paine (Mallophaga), eine morphologische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Nervensystems und der Drüsen“ untersuchen ließ. Rensch schließlich, mit seinem Interesse sowohl an Evolutionsbiologie als auch an Verhaltensforschung, vergab Themen wie „Akustische Dres474

Vgl. die entsprechenden Vorlesungsverzeichnisse. Im Falle der Botanik wurde hier lediglich der Name Mevius gegen Benecke getauscht, und Schratz übernahm die Veranstaltung des entlassenen Heilbronn.

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6.  Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten 489 surversuche an einem Indischen Elefanten“, „Vergleichende Untersuchungen einiger physiologischer Konstanten bei Vögeln aus verschiedenen Klimazonen“ und „Sinnesphysiologische Untersuchungen zum Orientierungsverhalten von Acanthoscelides obtectus Say. (Col., Bruchidae)“. Ein ähnliches Bild ergibt sich auch auf Seite der Botaniker. Der Ernährungsphysiologe Benecke ließ „Untersuchungen über Plasmolyse und Deplasmolyse in Abhängigkeit von der Wasserstoffionenkonzentration“ oder „Vergleichende Untersuchungen über die Bestimmung des Gehaltes von Böden an Pflanzennährstoffen“ anfertigen. In eine ähnliche Richtung gingen die bei seinem Schüler und Nachfolger Mevius eingereichten Dissertationen, die sich unter anderem mit „Der Einfluß mineralischer Düngung auf den Ertrag und die Zusammensetzung des Kornes der Sommerweizenpflanze“ oder „Zur Frage der Kationenwirkung auf die lebende Pflanzenzelle“ beschäftigten. Schratz’ Forschungsschwerpunkt Pharmakognosie wird an Arbeiten „Über den Einfluß mineralischer Düngung auf Wachstum und Ölgehalt von Mentha piperita“ oder durch „Beiträge zur Gehaltsbestimmung der Anthrachinonderivate im Wurzelsystem von Rheum palmatum L.“ deutlich. Strugger schließlich ließ „Untersuchungen über die Chloroplastenstruktur und ihre Entwicklung bei Agapanthus umbellatus“ und „Fluoreszenzmikroskopische Untersuchungen über die Aufnahme und Speicherung von Irisblau und Rhodamin 6G Extra“ durchführen, demnach Themen, die sich deutlich von seinen Vorgängern unterschieden. Auch hier lassen sich also politisch motiverte Schwerpunktänderungen nicht erkennen. Neben den Inhalten von Forschung und Lehre dominierten die Ordinarien auch die Personalstrukturen der Institute über die Systemwechsel hinweg. Abgesehen von den wenigen Ausnahmen der durch das BBG bedingten Entlassungen bestimmten sie autonom über Einstellung und Entlassung der Assistenten und sorgten durch ihre, wiederum eng mit ihren jeweiligen Forschungsschwerpunkten koordinierte, Personalpolitik für Kontinuität. Daher bedeuteten vorrangig die Ordinariatswechsel, nicht die Systemwechsel, einen Personalwechsel. Die Umbrüche der Jahre 1933 und 1945 sind daher durch die über sie hinweg bestehenden Ordinariate auf Personalseite von einer deutlichen Stabilität geprägt. Insbesondere nach 1945 sorgten die Lehrstuhlinhaber dann dafür, dass von der Entnazifizierung betroffene Mitarbeiter am Institut verbleiben beziehungsweise dorthin zurückkehren konnten. Mevius nahm eine Reihe von Assistenten dann schließlich sogar mit an seinen neuen Dienstort Hamburg. Ein letzter Punkt, in dem sich die Dominanz über Jahrzehnte hinweg wiederfindet, ist schließlich die wissenschaftliche Ausrichtung der Assistenten. Betrachtet man die in dieser Untersuchung bereits dargelegten Forschungsschwerpunkte der Nachwuchswissenschaftler, so wird deutlich, wie stark sie von ihren jeweiligen akademischen Lehrern geprägt waren. An dieser Stelle sollen daher nur einige Hinweise genügen. So folge Mevius seinem Lehrer Benecke auf dem Gebiet der Ernährungsphysiologie und baute es am Botanischen Institut stark aus. Mevius wiederum

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IV.  Die biologischen Institute in vergleichender Perspektive

prägte seinen Protegé Schratz, der nicht zuletzt aufgrund der Personalpolitik seines Vorgesetzten die Pharmakognosie vorantrieb. Die jungen Wissenschaftler Kaja und Hagedorn wurden stark durch die Anleitung ihres Lehrers Strugger geprägt und folgten ihm mit ihren Forschungen zur Mikrobiologie und Fluoreszenzmikroskopie. In der Zoologie lassen sich starke Kontinuitätslinien vom Histologen Ries zu seinen Schülerinnnen Fischer und Nolte ziehen, die dieses Themengebiet auch nach dem frühen Tod des Ordinarius noch über Jahrzehnte am Institut am Leben erhielten. Rensch schließlich beinflusste unter anderem die verhaltenskundlichen Arbeiten von Altevogt und Dücker, welche diese zum Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Karrieren machten. Ein Top-Down-Modell, welches die politische Umgebung insbesondere für den Wechsel hin zu politisch konnotierten Forschungsinhalten verantwortlich macht, findet demnach keinen Beleg in den tatsächlichen Wandlungsprozessen an den Instituten. Darüber hinaus bringt es noch weitere Probleme mit sich. Zum einen werden dadurch die Wissenschaftler als Opfer der Politik dargestellt, ein Bild, das nicht mit den Beispielen wechselseitiger Ressorucenmobilisierung übereinstimmt, die in dieser Untersuchung identifiziert werden konnten. Zum andere kann eine Vielzahl von Verhaltensweisen und Änderungen in den Forschungsrichtungen, die sich über die Jahrzehnte an den Instituten finden lassen, dadurch nicht erklärt werden. Denn: Nicht die Politik, sondern eine Reihe anderer Faktoren war für diese Entwicklung ausschlaggebend. Betrachtet man die Inhalte auf Institutsebene, so wird deutlich, dass weiterhin die Philosophisch-Naturwissenschaftliche Fakultät die generelle Ausrichtung der Institute vorgab. Dies wurde im Rahmen der Untersuchung anhand der Dreierlisten für die Berufungsverfahren belegt, die einen Blick auf die wissenschaftlichen Pläne der Universität Münster erlaubten. Die politischen Entscheidungsträger folgten im Regelfall den Vorschlägen der Wissenschaftler und versuchten nur in Ausnahmefällen zu intervenieren. Diese Ausnahmen wurden jedoch nicht von einer generellen inhaltlichen Steuerungsabsicht der Politik bestimmt, sondern waren durch akuten Handlungsdruck bedingt. 1936 musste dem Chaos am Zoologischen Institut durch die Berufung Webers ein rasches Ende gesetzt werden. Welche Themen der Wissenschaftler vertrat, war dabei zweitrangig: ausschlaggebend war seine politische Zuverlässigkeit sowie sein Organisationstalent. Eine ähnliche Situation ergab sich 1940 mit Ries, der den plötzlich nach Wien gegangenen Weber ersetzen musste, und 1947, als sich die Pläne zur Berufung von Ubischs zerschlugen und man gleichzeitig Rensch nicht verlieren wollte. Auch die Berufung Struggers, bedingt durch die Absage Brauners und die Nichtverfügbarkeit der anderen Listenkandidaten, fällt in diese Kategorie. Ein politischer Plan ist hinter diesen Vorgängen nicht zu erkennen. Gleiches gilt, wenn der Blick auf die Ebene der einzelnen Forscher gerichtet wird. Die Abhängigkeit der Spezialgebiete von den akademischen Lehrern wurde bereits weiter oben beschrieben. Andere Gründe für den Wandel von Schwerpunkten waren berufliche Aufstiegschancen durch zweckorientierte Entscheidungen. So

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6.  Die Dominanz der Ordinarien und der Wandel von Forschungsinhalten 491 wechselte Schratz von der Halophytenforschung erst zur Vererbungslehre, um die Rolle des ausgeschalteten Heilbronn zu übernehmen, nur um wenige Jahre später die Pharmakognosie zu übernehmen, als dort Hannig und Roberg wegfielen. Bei anderen Forschern, wie beispielsweise Rensch, ist eine quasi evolutionäre wissenschaftliche Entwicklung auszumachen, die eng mit dem Wandel persönlicher Interessen zusammenhing. Die Ornithologie brachte ihn in Kontakt mit der Evolutionslehre. Hier wandelte er sich vom Lamarckisten zum Darwinisten, und seine philosophischen Überlegungen führten ihn schließlich zur Verhaltenskunde. Die politischen Umstände mögen diesen Wandel zwar tangiert haben – im Fall Schratz wäre er ohne die Ausschaltung seiner Konkurrenten gar nicht möglich gewesen. Auslöser für den Wandel waren sie jedoch nicht. Aus diesen Überlegungen ergibt sich demnach die Schlußfolgerung, dass die Politik kein ausschlaggebender Faktor für den inhaltlichen Wandel der Institute oder der Wissenschaftler war. Es wäre jedoch völlig falsch, daraus im Umkehrschluss eine Unabhängigkeit der Forscher von der Politik und dadurch eine erneute Trennung der beiden Sphären abzuleiten. Es war nämlich eben nicht der Fall, dass die Biologen äußerlich unbeeindruckt von den politischen Umwälzungen weiterarbeiteten und eine reine Wissenschaft bewahrten. Wie im Rahmen dieser Untersuchung gezeigt werden konnte, gab es neben einer ganzen Reihe von wissenschaftlichten und organisatorischen Verflechtungen umfassende persönliche Verstrickungen in das NS-Regime und seine Verbrechen. Wenn diese, wie gezeigt wurde, jedoch nicht durch die politische Seite induziert wurde, so unterstreicht dies auf der anderen Seite klar und deutlich die persönliche Verantwortung der Forscher für ihr Handeln, das aus eigenem Antrieb und mit klaren Absichten und nicht als erzwungene Einhaltung einer imaginären Generallinie erfolgte. Der Fortbestand von „Normalforschung“ und die Nazifizierung von Instituten und Wissenschaftlern schlossen sich in keinster Weise aus.

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V. Fazit

Zwischen 1922 und 1962 durchliefen die biologischen Institute der Universität Münster eine entscheidende Phase in ihrer Entwicklung. Noch unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatten Ordinarien im Stil des 19. Jahrhunderts die Forschungsinhalte, Strukturen und außeruniversitären Vernetzungen der beiden Fächer geprägt. 40 Jahre später hatte sich dieses Bild stark gewandelt. Zwar waren noch immer die Lehrstuhlinhaber diejenigen Personen geblieben, die die inhaltliche Ausprägung der Institute bestimmten und sie mit ihrem eigenen Stil nach außen repräsentierten. Die kontinuierliche Verästelung von Zoologie und Botanik in eine Fülle von Einzelgebieten, der Wandel des politischen wie gesellschaftlichen Umfeldes, aber auch die gewachsenen Möglichkeiten, die der technische Fortschritt auf allen Gebieten der Wissenschaft mit sich brachte, hatten inzwischen jedoch aus autoritären Instituten arbeitsteilige, spezialisierte Forschergemeinschaften im intensiven Austausch mit ihrer Umgebung werden lassen. Die Entwicklung der beiden Fächer wies dabei sowohl Gemeinsamkeiten als auch deutliche Unterschiede auf. Sowohl für die Zoologie wie auch für die Botanik in Münster konnte mit der vorliegenden Untersuchung gezeigt werden, dass die Zeitabschnitte der einzelnen Ordinariate, und nicht die politischen Systembrüche, die grundlegenden Aspekte der Institutsarbeit bestimmten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen herrschten über die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und den Zusammenbruch 1945 hinweg Kontinuitäten in personeller, forschungsimmanenter und ressourcenmobilisierender Hinsicht vor. Selbstverständlich sorgten auch die Errichtung der Diktatur und ihr katastrophales Ende für veränderte Bedingungen an den Instituten. Von größerer Bedeutung für die Münstersche Biologie waren aber die Zäsuren von 1935 und 1944. Markiert erstere sowohl den Abschied Beneckes als auch die Vertreibung von Ubischs, so steht letztere für den Tod Ries’ und die Absetzung Mevius’. Trotz dieser Brüche blieben jedoch die Kontinuitäten dominierend. Dies zeigt sich auch am Beispiel des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik. Versuche der politischen Einflussnahme auf Forschungsinhalte, wie sie von Seiten der NSDAP oder der SS beispielsweise in Jena nachweisbar sind, lassen sich für Münster nicht belegen. Stattdessen prägten langjährige Forschungsschwerpunkte, wie zum Beispiel die Ernährungsphysiologie in der Botanik oder die Entwicklungsphysiologie in der Zoologie, das Bild. Gab es im Nationalsozialismus Annäherungen der Wissenschaft an die Politik, so ging dies, wie die Fälle Feuerborn, Weber, Mevius und Schratz zeigen, von den Forschern selbst, nicht von den Machthabern, aus. Eine Vergewaltigung der biologischen Wissenschaft durch die Politik hat es in Münster nicht gegeben. Das Verhältnis der beiden Sphären basierte stattdessen auf wechselseitiger Mobilisierung und Durchdringung. Wissenschaft wie Politik nutzten sich gegenseitig als Ressourcen und profitierten voneinander. Tatsächlich sollten

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V. Fazit

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erst die Ordinarien der Nachkriegszeit, Rensch und Strugger, aktiv versuchen, sich in die Politik einzumischen. Ihre Agitationsfelder blieben dabei jedoch immer der Wissenschaft verbunden: auf der einen Seite die Schulpolitik bei Strugger, auf der anderen die Forschungsförderungspolitik bei Rensch. Der wichtigste Bruch des NS-Regimes gegenüber der Zeit vor 1933 und der nach 1945 lag daher auch nicht in einer Änderung des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik, sondern darin, welche neuen Möglichkeiten sich den Akteuren durch den Wegfall aller moralischer Schranken für den Umgang miteinander eröffneten. Vor allem die Ereignisse der Frühphase des Regimes, welche auch an der Universität Münster von Denunziation, Anbiederung und persönlichen Abrechnungen geprägt war, stützen die These Ashs von den „Ermöglichungs- beziehungsweise Verunmöglichungsverhältnissen“,1 die der Regimewechsel mit sich brachte. Assistenten versuchten, ihre Vorgesetzten zu vertreiben, „Arier“ bliesen zum Angriff gegen „Juden“, und die Studentenschaft träumte von größerem Einfluss und einer neuen Art von NS-Universität. Für einen kurzen Zeitraum schien es, als könne der Schwung der Machtübernahme zu revolutionären Veränderungen führen. Keiner der Beteiligten, der sich gegen seine Kollegen stellte, musste dabei zwangsläufig so handeln, wie er es schließlich tat. Der Nationalsozialismus bot einigen von ihnen lediglich die Gelegenheit dazu, auf vorher nicht mögliche Weise ihre Karrieren zu befördern oder an Einfluss zu gewinnen. Dasselbe gilt auch für die Einbindung der Wissenschaftler in eine Vielzahl von politisch-wissenschaftlichen Netzwerken, welche oftmals zur eigenen Karriereförderung eingesetzt wurden. Zwar gab es auch vor 1933 und nach 1945 ähnliche Verhaltensweisen, teils mit langjährigen Kontinuitäten, und auch im heutigen Universitätsalltag spielen gute Verbindungen zu Industrie und Politik weiterhin eine wichtige Rolle. Der Unterschied gegenüber den Protagonisten der NS-Zeit ist jedoch, dass diese nicht einfach nur mit einem beliebigen Förderer zusammenarbeiteten, sondern sich wissentlich einem verbrecherischen Regime andienten und dessen menschenverachtende Ziele teilten beziehungsweise unterstützten. Die Geschichte dieser Vorgänge ist daher auch in Münster in erster Linie eine Geschichte des moralisch-ethischen Versagens der intellektuellen Elite Deutschlands. Hierein liegt auch die individuelle Verantwortung der beteiligten Forscher für ihr Handeln begründet. Eine ähnliche Entwicklung wie diejenige, welche die Kontinuitäten in den Forschungsinhalten prägte, lässt sich auch für die Personalpolitik belegen. Politischen Druck von außerhalb, bestimmte Personen anderen gegenüber zu bevorzugen, gab es sowohl in Weimar wie auch dem „Dritten Reich“ und der Bundesrepublik. Die Universität Münster setzte dem aber zu jeder Zeit ihr Recht auf akademische Selbstverwaltung entgegen. Auch wenn beispielsweise der Fall Weber zeigt, dass es ein starkes Interesse des REM daran gab, konsequente Nationalsozialisten in Führungspositionen zu sehen, so gelang dies immer nur in Kooperation mit universitären Entscheidungsträgern und nie gegen deren Willen. Hatten fanatische Na1

Ash 2006, S. 36.

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V. Fazit

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tionalsozialisten wie Feuerborn ihren Kredit bei ihren Standesgenossen verspielt, konnte ihnen auch keine außeruniversitäre politische Unterstützung mehr helfen. Gleichermaßen konnten unpolitische Forscher wie Fischer oder Rensch auch ohne Anbiederung an das System Karriere machen und in Führungspositionen aufsteigen. Die weitgehende Nazifizierung der Münsterschen Forscher, jedoch nicht der Forschung, welche sich in vielfältigen Mitgliedschaften und Tätigkeiten für das Regime niederschlug, resultierte nicht aus Zwang, sondern aus einer Mischung aus Überzeugung, Opportunismus und Mitläufertum. Die Universität wurde nicht von den Nationalsozialisten erobert. Sie öffnete ihnen bereitwillig die Tore. Wenn demnach also auf wichtigen Feldern ein weitestgehend reibungsloser Wechsel zwischen den einzelnen politischen Systemen die Regel war, so dürfen trotz ihrer geringen Zahl aber auch die Fälle nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen nicht negiert werden. So traf es zu Beginn zunächst die offensichtlichen Feinde der neuen Machthaber. Heilbronn, von Ubisch und potentiell auch Hannig wurden Opfer der antisemitischen Politik des NS-Regimes, unter aktiver Beteiligung der universitären Verwaltungsspitzen und der Fakultätsmitglieder. Sie mussten aus Deutschland fliehen und verloren neben ihrer Stellung, ihrem gesellschaftlichen Stand und ihrer Heimat teils auch Familienangehörige an den Terror des NS-Regimes. Auf einer weniger drastischen, aber dennoch nicht zu vernachlässigenden Ebene konnte es aber auch Mitläufer des Regimes selbst treffen. Roberg musste Münster, ohne dass ihm dies bewusst wurde, aufgrund seiner Einbindung in das katholische Milieu auf Betreiben seines eigenen Vorgesetzten Mevius verlassen. Peters wurde seine Dozentur durch Weber zunächst auch unter Hinweis auf eine mangelnde Anbindung an den NS-Zeitgeist verweigert. Wenn die Folgen für die beiden Nachwuchsbiologen auch letztendlich nicht existenzbedrohend oder von Dauer waren, so zeigen sie doch, welches Klima zu jener Zeit an den biologischen Instituten der Universität herrschte. Für die überwiegende Mehrzahl der Forscher blieb der Systemwechsel 1933 jedoch folgenlos. Diesen Vorgängen steht daher auch der unkritische Umgang der Universität mit nationalsozialistisch belasteten Mitarbeitern nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ zwischen 1945 und 1948 gegenüber. Fast alle von ihnen konnten ohne Unterbrechung weiterarbeiten oder an ihr altes Institut zurückkehren. Wurden doch einige Biologen zunächst von der Militärregierung entlassen, so gelang es, mit Ausnahme Feuerborns, allen von ihnen, innerhalb kürzester Zeit wieder an der Universität Münster oder einer mit ihr verknüpften Institution Fuß zu fassen. Während ehemals Verfolgte teils gar nicht, teils erst nach langwierigen Prozessen und unter politischem Druck der Besatzungsmächte an ihre alten Fakultäten zurückfanden, setzte sich die Universität, beispielsweise in Form des Sichtungsausschusses, mit ungleich größerer Motivation für ihre belasteten Kollegen ein. Dabei scheute die Universität auch nicht davor zurück, ehemaligen Blockleitern, langjährigen aktiven NSDAP-Mitgliedern und sogar hochrangigen SS-Tätern wie Bruno K. Schultz eine Reintegration in die Wissenschaftlergemeinschaft zu ermöglichen.

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Dabei wird auch für Münster deutlich, dass über die individuellen Rechtfertigungsund Entlastungsversuche der einzelnen Forscher ein gemeinsamer, sich nach 1945 entwickelnder Diskurs erkennbar wird: Die angebliche Unmöglichkeit, sich einer von der Politik vorgegebenen Generallinie in Bezug auf biologische Forschung, die einen Kernaspekt der NS-Ideologie dargestellt habe, zu entziehen. Hinzu kommt die Konstruktion einer angeblichen Dichotomie von Wissenschaft und Politik, wie sie auch in anderen Forschungsfeldern zu beobachten ist. Eine kritische Aufarbeitung der eigenen Verstrickung in NS-Unrecht und der eigenen Rolle als stützender Faktor des Regimes ließ daher, auch unter Verweis auf dieses Konstrukt, Jahrzehnte, in manchen Fällen sogar bis heute auf sich warten. Ein letzter Punkt schließlich, in dem sich beide Institute stark ähneln, ist die Art und Weise der Ressourcenmobilisierung von Wissenschaft und Politik. Hier zieht sich ein deutlicher roter Faden von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik. Versuche, die eigene Lage durch Rückgriff auf politische Ressourcen zu verbessern, stellen für die Institute die absolute Ausnahme dar. Stattdessen dominierte über Jahrzehnte hinweg eine Argumentationsstrategie, die in den vorhergehenden Kapiteln unter dem Sammelbegriff „Qualität von Lehre und Forschung“ subsummiert wurde. Zwar wurde sie im Laufe der Zeit modifiziert und je nach Gegebenheit durch weitere Ressourcen ergänzt. Letztendlich war sie jedoch so erfolgreich darin, Gelder und Unterstützung zu mobilisieren beziehungsweise Einmischungsversuche von außen in die universitäre oder institutsinterne Selbstverwaltung abzuwehren, dass für die Forscher kein Grund bestand, einmal eingeschlagene Pfade wieder zu verlassen. Die Politik, auf der anderen Seite, argumentierte selbst bei offensichtlich politisch motivierten Einmischungsversuchen wie der Berufung Webers offiziell mit dem Wohl des Instituts und unternahm große Anstrengungen, zu einer Kooperation mit der Fakultät zu gelangen. Auch in anderen Fällen, wie zum Beispiel der Erarbeitung von neuen Studiengängen, war man um ein Miteinander bemüht. Die Politik schätzte die Expertise der Wissenschaft und versuchte nicht, sie zu erzwingen. Stattdessen offerierte sie den Forschern Teilhabe am Aufbau eines neuen Staates und ein Mitspracherecht in der Wissenschaftsorganisation. Beides nahmen die Professoren engagiert an. Damit wird auch deutlich, wo der Gewinn der Politik in diesem wechselseitigen Verhältnis lag. Zum einen profitierte man von der Mitarbeit der Biologen auf ganz praktische Weise. Sie entwickelten neue Getreidesorten und Anbaumethoden und züchteten neue Tierarten zur Ertragssteigerung, entwarfen neue technische Apparaturen, organisierten Heilpflanzensammlungen, planten Ausplünderungsaktionen in den besetzten Gebieten oder bekämpften Läuse und Malariamücken bei der Wehrmacht. Zum anderen legitimierten und stützten sie das Regime durch die Übernahme politischer Ämter wie das des Blockleiters, sorgten als Autoritätspersonen für eine nationalsozialistische Indoktrination der Studentenschaft oder richteten als Rektoren die Universitäten nach NS-Prinzipien neu aus. Im Ausland agierten sie als geachtete Repräsentanten des Staates und seiner Ideologie und nutz-

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ten ihre guten Verbindungen zur Propaganda für den Endsieg und den Aufbau wissenschaftlicher Netzwerke. Sie verfassten Legitimationsschriften einer rassistischen Gesellschaftsordnung, verteidigten auf wissenschaftlicher Basis Gesetze wie dasjenige „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, versuchten, durch Institutsgärten dem Volk den Blut-und-Boden-Gedanken nahe zu bringen und berieten das Regime in zahlreichen Fragen. All dies geschah freiwillig und ohne Zwang. Neben diesen vielfachen Gemeinsamkeiten in ihrer Entwicklung unterschieden sich die beiden Institute in anderen Bereichen aber auch deutlich voneinander. Personelle Struktur wie Forschungsinhalte am Zoologischen Institut waren von 1922 bis 1947 viel stärkeren Veränderungen unterworfen, als dies in der Botanik der Fall war. So war die Vertretungszeit Feuerborns von einer starken Fluktuation auf der Assistentenebene, aber auch einer inhaltlichen und organisatorischen Stagnation geprägt. Die Berufung von Ubischs brachte nach 1927 nicht nur einen Ausbau der Lehr- und Forschungsinhalte, eine Modernisierung der Institutsausstattung und eine umfassende Einbindung in außeruniversitäre Netzwerke, sondern auch eine Stabilisierung der Personalstruktur und die Rekrutierung aussichtsreicher Nachwuchskräften. Von Ubischs Ausschaltung leitete eine erneute Stagnationsphase unter Weber ein, der seine Zeit in Münster vorrangig zur Nazifizierung des Instituts, der inhaltlichen Legitimation eines rassistischen Terrorstaates und damit der Vorbereitung auf größere Aufgaben, zuletzt in Straßburg und für den RFB beziehungsweise die SS, nutzte. Ries, der zunächst als Notbehelf nach Münster geschickt wurde, konnte in der kurzen, von den Kriegsumständen geprägten Zeit, während der er am Institut tätig war, die von ihm vertretenen neuen Forschungsgebiete lediglich im Ansatz verankern. Er hielt den Forschungsbetrieb unter widrigsten Bedingungen am Leben, aber seine Pläne, die Münstersche Zoologie zu modernisieren und umzustrukturieren, wurden durch seinen frühen Tod an der Ostfront gestoppt. Fischer schließlich konnte unter großem Einsatz und unter schlechten Bedingungen nur noch versuchen zu bewahren anstatt auszubauen. Erst mit Rensch sollte erneut Stabilität am Institut Einzug erhalten. Er baute das Institut wieder auf und später aus, etablierte eine Reihe neuer, moderner Forschungsrichtungen, betrieb gezielte Nachwuchsförderung, führte das Institut in die nationale wie internationale Spitzenforschung und machte durch sein großes Renommee den Namen Münsters in der wissenschaftlichen Welt bekannt. Wie bereits eingangs erwähnt, fielen dabei die Zeitabschnitte der einzelnen Ordinariate mit der Ausprägung spezifischer Forschungsfelder am Institut zusammen, unabhängig von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen. Der Wechsel von der Entomologie zur Entwicklungsphysiologie, zurück zur Entomologie/Ökologie, dann zur Histologie und schließlich zu Evolutions-, Verhaltens- und Hirnforschung blieb an Personen gekoppelt. Zwar wurde er letztlich durch die Berufungsvorschläge der Fakultäten mit gesteuert. Diese grobe Richtungsvorgabe blieb damit aber immer wissenschaftsimmanent und nicht politisch motiviert. Während der einzelnen Ordinariate sind keine von außen induzierten Schwerpunktverschie-

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bungen nachweisbar. Die Forschungsinteressen der Ordinarien bestimmten die Forschungsaufgaben der nachwachsenden Assistenten, die inhaltliche Ausprägung der Lehrveranstaltungen und die Themen der Dissertationen. Gleichermaßen fiel der Großteil der externen Forschungsförderung, beispielsweise durch die DFG, in diese Schwerpunktbereiche. Dies bedeutet aber nicht, dass andere Themen keinen Platz am Zoologischen Institut fanden. Ganz im Gegenteil wurden durch die älteren, oft unter mehreren Ordinarien arbeitenden Assistenten, Dozenten und Lehrbeauftragte inhaltliche Kontinuitätslinien begründet, die teilweise Jahrzehnte überspannten. Sie verhalfen dem Institut, vor allem ab 1947, zu einer breiten inhaltlichen Auffächerung analog der voranschreitenden Diversifizierung des Fachgebietes. Gegenüber den zeitweilig chaotischen Verhältnissen in der Zoologie stellten sich die Verhältnisse in der Münsterschen Botanik vergleichsweise harmonisch dar. Hier prägten langjährige, teils jahrzehntelange personelle wie inhaltliche Kontinuitäten das Erscheinungsbild des Instituts. Benecke hatte sein Ordinariat 19 Jahre lang inne und legte nicht nur den Grundstein für die stark ernährungsphysiologische, sondern auch für die pharmakognostische Ausrichtung der Forschungsarbeiten. Ihm folgte mit Mevius sein langjähriger Schüler und Assistent, der zum einen die Inhalte seines Vorgängers übernahm und sie zum anderen durch die Errichtung der Abteilung für Pharmakognosie verfeinerte und ausbaute. Nach Mevius gelangte schließlich Strugger nach Münster, der die Inhalte und Themen auf sein Fachgebiet Fluoreszenzmikroskopie und Mikrobiologie hin neu ausrichtete, darüber aber die alten Forschungsfelder nicht vergaß. Wie schon in der Zoologie sorgten auch in der Botanik die teils über 30 Jahre am Institut beschäftigten Dozenten und Assistenten für die Bewahrung der alten Schwerpunkte, darunter vor allem Schratz und Baumeister. Strugger gelang durch ihre Einbindung daher noch mehr als Rensch eine Synthese aus modernen Fragestellungen und traditionellen Arbeitsgebieten, welche das Institut zum Zeitpunkt seines frühen Todes gut aufgestellt für die Herausforderungen der 1960er-Jahre hinterließ. Wie sind diese Ergebnisse und die spezifische Situation in Münster schließlich im Hinblick auf die in den Eingangskapiteln aufgestellten übergreifenden Fragestellungen in den nationalen Kontext und den bisherigen Forschungsstand einzuordnen? Vergleicht man die Entwicklungen an der Universität Münster mit denen in Kiel, Tübingen und Jena, so treten teils deutliche Unterschiede zu Tage. Eine von außen gesteuerte, fakultätsübergreifende wissenschaftliche Neuausrichtung der Universität anhand von NS-Vorgaben geschah nicht. Die Pläne bezüglich einer Grenzlanduniversität zeigten zwar Ansätze in diese Richtung, gingen aber, anders als beispielsweise die Umbaupläne in Jena, von der Universität Münster selbst aus und blieben unvollendet. Auch der forcierte Ausbau rassenkundlicher Forschung und Lehre, wie in Jena und Tübingen, wurde in Münster nicht verwirklicht. Genausowenig gelang es der SS oder einer vergleichbaren NS-Organisation, die Universität zu ihrem Stützpunkt zu machen, wie zum Beispiel in Prag. Ebenso fehlten national

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bedeutsame und einflussreiche Protagonisten, wie zum Beispiel Lehmann, Heberer oder Zimmermann. Gleichzeitig ergeben sich aber auch viele Gemeinsamkeiten. Ähnlich wie für Kiel lassen sich mannigfache außeruniversitäre Vernetzungen nachweisen, welche die Universität Münster eng mit regionalen Institutionen wie dem Provinzialverband, dem Naturkundemuseum, der RfH oder auch der Heimatbewegung verknüpften. Gleichzeitig ist eine der Situation in Tübingen ähnliche Koexistenz von dezidiert biologistischen Wissenschaftlern und ideologiefreier, international eingebundener Wissenschaft zu verzeichnen. Schließlich lassen sich durch die Querverbindung Gauleitung/Rektorat Parallelen zum Einfluß von NS-Organisationen wie in Jena ziehen. Auch für die Biologie in Münster ist dabei eine Orientierung der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik an den Kernelementen der NS-Ideologie auszumachen. Juden und weitere „Feindgruppen“ wurden ausgeschaltet, die Universität nach dem Führerprinzip neu ausgerichtet und ein Netz der Beeinflussung durch NSDDB, NSDStB und weitere Organisationen über die Institute ausgeworfen. Daraus resultierende Probleme für die Qualität von Forschung und Lehre, ein forcierter Generationenwechsel oder eine Überbetonung politischer gegenüber qualitativer Auswahlkriterien sind jedoch nicht nachweisbar. Stattdessen herrschte eine weitestgehende Autonomie in der Ausgestaltung von Methoden und Forschung vor, und die Eigeninitiative der Forscher blieb bei der Definition des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik entscheidend. Dabei wurde, vor allem im Bereich der Ernährungsphysiologie der Pflanzen und der Heilpflanzensammlung, eine intensive Verknüpfung von Theorie und Praxis angestrebt, die sich auch in den mannigfachen institutionellen und persönlichen Verflechtungen von Wissenschaft und Politik widerspiegelte. Die Hochschullehrerschaft selbst stellte sich dem Nationalsozialismus wenn nicht immer zur Verfügung, so doch niemals entgegen. Kam es zu Kämpfen innerhalb der Institute, so liefen sie nach den auch an anderen Universitäten beobachtbaren Schemata ab: wissenschaftlicher Nachwuchs gegen eingesessene Ordinarien, politischer Fanatismus gegen traditionell-unpolitisches Rollenverständnis. Interessant ist dabei die fast völlige Ruhe in der Botanik, die einerseits durch Beneckes langjährige Autorität, sein hohes Alter, aber auch das Fehlen von Angriffspunkten und die personelle Stabilität am Institut erklärt werden kann. Anders das Bild in der Zoologie, wo jedoch die Rolle Feuerborns als Sonderfall zu bezeichnen ist. Der Assistent war insofern untypisch, als dass er älter als der Mann war, den er verdrängen wollte. Andererseits verhielt er sich typisch für eine Reihe von Assistenten, die sich übergangen fühlte und nun die Chance zum Karriereaufstieg sah. Die Art seines Scheiterns wiederum kann erneut als untypisch gelten, da er trotz anfänglichen Wohlwollens seitens der Entscheidungsträger, fanatischen Opportunismus’ und politischer Unterstützung letztendlich unterging. Er ist damit ein außergewöhnliches Beispiel dafür, wohin eine Vermischung von Politik und Wissenschaft führen konnte.

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Charakteristisch für die Universität Münster blieb bei all dem ihre Verankerung in einer stark vom katholischen Milieu geprägten Stadt. Dies führte zu einer Reihe von gegen den Katholizismus gerichteten außer- wie inneruniversitären Versuchen, den Nationalsozialismus verstärkt an ihr zu verankern. Beispiele hierfür sind die Entwicklungen um die Errichtung des Lehrstuhls für Rassenhygiene2 und die Personalpolitik Mevius’. Hieraus jedoch eine Bestätigung für die These von der Universität als Bollwerk gegen den Nationalsozialismus ableiten zu wollen, wäre mehr als verfehlt. Ganz im Gegenteil konnten oder wollten auch die Protagonisten des katholischen Milieus eine Nazifizierung der Universität, die Teilnahme von Studenten und Professoren an Tiefpunkten der intellektuellen Geschichte Deutschlands wie der Bücherverbrennung 1933 oder die Verfolgung Andersdenkender nicht verhindern. Vielmehr waren die Verwaltungsspitzen der Universität um eine intensive Verzahnung mit den politischen Akteuren bemüht, eine Anstrengung, die auch auf Parteiseite wohlwollend wahrgenommen und gefördert wurde. Vergleicht man schließlich die Entwicklungen in Münster mit den von Deichmann erarbeiteten Ergebnissen, so lassen sich weitreichende Parallelen, aber auch deutliche Abweichungen feststellen. Auch wenn Prozentzahlen zu den Mitgliedschaften von Wissenschaftlern in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen zurückhaltend zu bewerten sind, da sie keinen direkten Aufschluss über das tatsächliche Verhältnis des Einzelnen zum System geben können, soll an dieser Stelle doch auf einige Werte hingewiesen werden. So liegt der Prozentsatz an NSDAP-Mitglieder unter den Münsterschen Botanikern, die zwischen 1922 und 1962 an der Universität Münster tätig waren, mit 53,3 Prozent auf den ersten Blick etwas unter dem Durchschnittswert (57,0 Prozent), den Deichmann errechnet hat. Zieht man jedoch lediglich die zwischen 1933 und 1945 am Institut tätigen Mitarbeiter heran, so schnellt dieser Wert auf 81,3 Prozent hoch. Bei den Zoologen wiederum liegt der Wert mit 31,6 Prozent (1922–1962) beziehungsweise 42,9 Prozent (1933–1945) unter dem Durchschnitt, wobei hier für eine Reihe von Personen aufgrund nicht rekonstruierbarer biographischer Daten keine Aussage getroffen werden konnte und sie demnach als Nicht-Parteimitglieder gewertet wurden. Insgesamt waren 42,4 Prozent (1922–1962) beziehungsweise 63,3 Prozent (1933–1945) der Biologen in Münster Mitglieder der NSDAP. Damit weichen die Institute zwar nicht völlig von dem üblichen Schema ab. Der hohe Organisationsgrad der Botaniker ist jedoch als außergewöhnlich zu bezeichnen. Hinzu kommt die hohe Zahl von Blockleitern unter den Institutsmitarbeitern. Diese Zahlen schlugen sich jedoch nicht zwangsläufig in der Nazifizierung von Forschungsthemen nieder. Einbrüche einer auf Ganzheitlichkeit zielenden, stark ideologisierten Forschung, die sich zu einer Legitimierung des NS-Systems bereitfand oder den Rassegedanken zum Kern ihrer Arbeit machte, lassen sich für Kosswig, Breider, Feuerborn und Weber nachweisen. Hier fand demnach eine Neukonstruktionen beziehungswei2

Vgl. Droste 2010.

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se Neuzuordnungen von Wissenschaften im Sinne Ashs statt. Während erstere ihr wissenschaftliches Know-How zunächst der SS zur praktischen Anwendung zur Verfügung stellten, wandten sie sich am Ende wieder vom Regime ab. Anders die letztgenannten Zoologen. Beide versuchten, das Regime durch eine Reihe von Publikationen bis zu seinem Untergang biologisch-wissenschaftlich zu legitimieren. Mit ihrem Weggang aus Münster änderte sich die Situation an den Instituten jedoch wieder. Die Zeitschrift „Natur und Heimat“ wandelte sich unter Renschs Leitung vom NS-Kampfblatt zu einer regulären heimatkundlichen Fachzeitschrift, und weder Ries noch Fischer griffen Webers Agitationen auf. Lehmanns „Deutsche Biologie“ konnte sich demnach nicht in Münster verankern. Eine von der Fakultät oder der Universitätsleitung geförderte oder gesteuerte Fixierung auf eine „kämpferische Wissenschaft“ oder eine umfassen geplante und von der Politik mit geförderte nationalsozialistische Umstrukturierung und Neuausrichtung der Universität, wie sie für Jena nachgewiesen wurde, gab es in Münster nicht. Wie wenig dies jedoch über die Verstrickung der Institute mit dem Regime aussagt, zeigt die intensive Vernetzung insbesondere der Botanik und der Pharmakognosie durch Mevius und Schratz, die leitende Positionen in regimenahen, in zentralen Punkten für Vierjahresplan und Krieg wichtigen Organisationen übernahmen. Zoologie wie Botanik wurden durch personelle Verbindungen und strategische strukturelle Entscheidungen eng mit außeruniversitären Institutionen des westfälischen Umlandes verknüpft. Diese Vernetzungsprozesse nahmen teilweise schon in der Weimarer Zeit ihren Anfang und setzten sich nach dem Krieg fast nahtlos fort. Sie sind damit als Teil des generellen Modernisierungs- und Ausdifferenzierungprozesses der biologischen Wissenschaften zu betrachten. Dabei konnte sich die Universität jederzeit des Wohlwollens der politischen Entscheidungsträger in Gauleitung und Provinzialverwaltung sicher sein. Sowohl Gauleiter Meyer als auch Gauamtsleiter/Kurator Beyer und Landeshauptmann Kolbow mischten sich direkt und wiederholt, jedoch immer in Kooperation und nie in Konfrontation mit universitären Stellen, in Entscheidungsprozesse ein. Ähnliche Funktionen übernahmen nach dem Krieg Auburtin und Salzmann. Es kann somit von einer jahrzehntelangen engen und fruchtbaren Kooperation zwischen Wissenschaft und Politik gesprochen werden. Gemessen an der Menge der von der DFG bis 1945 erhaltenen Fördergelder können die Mitarbeiter der beiden Institute nicht zur Spitze der deutschen biologischen Forschung gerechnet. Gleiches gilt für die Relevanz ihrer Arbeiten im nationalen wissenschaftlichen Diskurs.3 Ironischerweise waren es gerade zwei Münstersche Emigranten, Heilbronn und Kosswig, die zu bedeutenden und ein ganzes nationales Forschungsfeld prägenden Professoren wurden, auch wenn dies das türkische, nicht das deutsche, war. Die an den Instituten betriebenen Forschungsschwerpunkte lagen in den Gebieten pflanzliche Ernährungsphysiologie, Entwicklungsphysiologe und Heilpflanzenkunde auf der Höhe der damaligen Zeit. Mit dem kurzen 3

Vgl. die Auswertung des Science Citation Index bei Deichmann 1995, S. 65ff.

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Zwischenspiel der Histologie bewegte man sich zwischen 1940 und 1943 mit Ries sogar an der Spitze von Neuerungen. Wichtige Gebiete wie die Mutations- und Strahlungsforschung oder die Genetik wurden dagegen jedoch gar nicht oder nur peripher betrieben. Der Rassenkunde enthielt man sich, mit Ausnahme von Feuerborns frühen Vorlesungen, ganz und überließ das Feld den Kollegen aus der Medizinischen Fakultät. Die Biologie in Münster trat daher im nationalen Kontext nicht durch eine außergewöhnliche Stellung hervor. Deichmanns Befund einer über die Systembrüche bestehenden Kontinuität der Themen bei einer bis in die Kriegsjahre hinein vorherrschenden Betonung der Grundlagenforschung ist, wie bereits dargestellt, auch für Münster zuzustimmen. Erst in der Nachkriegszeit konnte die Universität Münster mit Strugger und Rensch zwei führende, national wie international anerkannte Experten auf ihren jeweiligen Fachgebieten an die Universität binden. Vor allem Rensch wurde zu einem Prestigeobjekt und Aushängeschild der Münsterschen Biologie und ist es bis heute geblieben. Die Geschichte der biologischen Institute der Universität Münster ist daher, bei all ihren Besonderheiten, keine Geschichte des Außergewöhnlichen. Vielmehr spiegelt sie Struktur, Forschung, Lehre und Verhältnis zur Außenwelt einer durchschnittlich großen, durchschnittlich finanzierten und, zumindest bis 1947, auf einem durchschnittlichen wissenschaftlichen Niveau operierenden Forschergemeinschaft wider. Diese Eigenschaften machen es jedoch möglich, die Rolle der Zoologie und Botanik in Münster quasi als Basiswert für die Untersuchung der Entwicklungen an anderen biologischen Instituten weiterer deutscher Universitäten heranzuziehen. Gleichzeitig wird dadurch deutlich, wie weit die Wurzeln der nationalsozialistischen Diktatur auch in den alltäglichen, unspektakulären Betrieb zweier relativ kleiner Institute an einer mittleren Provinzuniversität wie Münster reichten. Die Leichtigkeit, mit der sich eine verbrecherische Weltanschauung auch hier an den Orten, an denen sich die geistige Elite des Landes versammelte, festsetzen konnte, bleibt damit nach wie vor bemerkenswert.

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VI. Anhang Abkürzungsverzeichnis a. D. AG ao. apl. AStA BAB BBG Bd. BDC BDM bes. Bl. bzw. cand. CDU DAF DBV DDP DDR ders. DFA DFG d. h. dies. Diss. DKU DM DRK DNVP Dr. des. Dr. phil. Dr. rer. nat. DVP

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außer Dienst Aktiengesellschaft außerordentliche/r außerplanmäßige/r Allgemeiner Studierenden-Ausschuss Bundesarchiv Berlin Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Band Berlin Document Center Bund Deutscher Mädel besonders Blatt beziehungsweise Candidatus Christlich-Demokratische Union Deutsche Arbeitsfront Deutscher Biologen-Verband Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft Deutsche Forschungsgemeinschaft das heißt dieselbe Dissertation Deutsche Karls-Universität Deutsche Mark Deutsches Rote Kreuz Deutschnationale Volkspartei Doctor designatus Doctor philosophiae Doctor rerum naturalium Deutsche Volkspartei

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504 DZG ebd. EK ERR Fn. FU GA geb. gest. Gestapo GStA PK h. c. Hg. HJ IfZ IUBS KWG KWI KZ LAV NRW R LAV NRW W LWL-Archivamt n.b.a.o. NKWD NS NSDAP NSDAP/AO NSDDB NSKK NSDStB NSLB NSV o. o. J. o. O. OP Orgesch

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VI. Anhang Deutsche Zoologische Gesellschaft ebenda Eisernes Kreuz Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg Fußnote Freie Universität Deutsche Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung geboren gestorben Geheime Staatspolizei Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin honoris causae Herausgeber Hitlerjugend Institut für Zeitgeschichte München International Union of Biological Science Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Kaiser-Wilhelm-Institut Konzentrationslager Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Rheinland Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Westfalen LWL-Archivamt für Westfalen Münster nichtbeamteter außerordentlicher Volkskommissariat für innere Angelegenheiten Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, AuslandsOrganisation Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund Nationalsozialistischer Kraftfahrerkorps Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ordentliche/r ohne Jahr ohne Ort Oberpräsident Organisation Escherich

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Abkürzungsverzeichnis PA Pg. Prof. RAD RDozB REM RFB RfH RFR RM RP S. SA SBB SBZ SD Sp. SPD SS StAHH StAMs TBE TH UAB UAG UAL UAMs UAR UdSSR UFA uk vgl. WWU z. B.

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Personalakte Parteigenosse Professor/in Reichsarbeitsdienst Reichsdozentenbund Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung Reichsbund für Biologie Reichsarbeitsgemeinschaft für Heilpflanzenkunde und Heilpflanzenbeschaffung Reichsforschungsrat Reichsmark Regierungspräsident Seite Sturmabteilung der NSDAP Staatsbibliothek Berlin Sowjetische Besatzungszone Sicherheitsdienst der SS Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel der NSDAP Staatsarchiv Hamburg Stadtarchiv Münster Tagebucheintrag Technische Hochschule Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin Universitätsarchiv Greifswald Universitätsarchiv Leipzig Universitätsarchiv Münster Universitätsarchiv Rostock Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Universum Film AG unabkömmlich vergleiche Westfälische Wilhelms-Universität zum Beispiel

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VI. Anhang

Benutzte Archive Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsarchiv zu Berlin NS-Dozentenschaft, Nr. ZD I/26 Personalakte Feuerborn Universitätsarchiv Braunschweig B 7 K:22 B7 F:3 (Bd. 1) A I:226T.2 Universitätsarchiv Greifswald PA 1873 Phil/Math.-Nat. Habil 3 b Universitätsarchiv Münster Bestand 4 Bestand 5 Bestand 8 Bestand 9 Bestand 10 Bestand 62 Bestand 63 Bestand 51 Bestand 91 Bestand 92 Bestand 207 Zugang 19/2005 (Institut für Zoologie) Universitätsarchiv Tübingen 126/741 201/1030 Bundesarchiv Berlin R 21 R 26 III R 31 R 169 R 3602

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Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen

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R 4901 NS 12 NS 15 NS 21 NS 38 NS 30 Unterlagen des ehemaligen BDC Bundesarchiv Koblenz R 73 Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland Bestand NW 172 Bestand NW 1002–MED Bestand NW 1013–II/ED Bestand NW 1037–A–REG Bestand NW 1037–BVI Bestand NW 1038 Bestand NW 1039 Bestand NW 1039–B Bestand NW 1039–E Bestand NW 1039–H Bestand NW 1039–K Bestand NW 1039–P Bestand NW 1039–R Bestand NW 1039–SCH Bestand NW 1039–ST Bestand NW 1039–W Bestand NW 1049 Bestand NW 1062 Bestand NW 1068–ED Bestand NW 1099 Bestand NW 1100 BG.33 Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen Bestand Oberpräsidium Landesarchiv Schleswig-Holstein Abt. 476, Nr. 165

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VI. Anhang

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Bestand HA Rep. 76 Bestand HA Rep. 90 A Staatsarchiv Hamburg IV 1812, Bd. 1 IV 1812, Bd. 2 IV 1368 IV 3082 IV 1390 IV 1452 Staatsbibliothek Berlin Nachlaß 126 (B. Rensch)

Unpublizierte Examensarbeiten Aulke, Julian, Das Institut für gerichtliche und soziale Medizin an der Universität Münster in der Zeit des Nationalsozialismus, Münster 2008. Demiriz, Sara-Marie, Professor Dr. Johann Plenge und sein Verhältnis zur Universität Münster, Wissenschaft und Politik 1913–1935, Münster 2009. Drüding, Markus, Die institutionelle Philosophie im Zeitalter der Extreme. Das Philosophische Seminar der Universität Münster zwischen 1920–1945, Münster 2009. Förster, Nadine, Professor Dr. Hans-Jürgen Seraphim (1899–1962). Ein Nationalökonom, Agrarwissenschaftler und Ostforscher zwischen Diktatur und Demokratie, Münster 2011. Greive, Barbara, Rituale in Universitätsfeiern. Das Beispiel Münster im 20. Jahrhundert, Münster 2006. Kess, Petra, Die Professorenschaft der Universität Münster zwischen Kaiserreich und „Drittem Reich“, Münster 1993. Lohaus, Peter, Das Musikwissenschaftliche Seminar der Westfälischen WilhelmsUniversität in der NS-Zeit, Münster 2004. Untiedt, Frank, Die Fächer Anglistik und Romanistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in der NS-Zeit, Münster 2003. Wenker, Andrea, Die Entnazifizierung an der Universität Münster, Münster 2004.

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Zeitgenössische Literatur

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VI. Anhang

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Zeitschriften Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft Die Naturwissenschaften Der Biologe Natur und Heimat. Blätter für den Naturschutz und alle Gebiete der Naturkunde. Zugleich amtliches Nachrichtenblatt für Naturschutz in der Provinz Westfalen Niedersächsischer Erzieher

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Sonstige Quellen

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Sonstige Quellen E-Mail von Rose Hain, Personalstelle der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, an Autor, 27.11.2009, im Besitz des Autors. Schriftwechsel zwischen Professor Hans-Peter Kröner, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Münster, und dem Autor. Schriftwechsel zwischen Professor Dierk Franck, Institut für Zoologie der Universität Hamburg, und dem Autor. Schriftwechsel zwischen Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries, und dem Autor. Interview des Autors mit Herrn Theo Ludewig, 9.4.2010. Gespräch des Autors mit Frau Ursula Schütz, geb. Ries, 16.11.2010. Gespräch des Autors mit Frau Dr. Marlies Bösenberg, 22.11.2010. Gespräch des Autors mit Herrn Dr. Eberhard Ries, 10.12.2010. Nachlass Erich Ries, im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries. Nachlass Maria Ries, im Privatbesitz von Franz-Josef und Ursula Schütz, geb. Ries.

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VI. Anhang

Personenregister Altevogt, Rudolf  206, 208, 213–215, 220, 227, 228, 232, 369, 490 Altrogge, Heinrich  87, 92, 95, 100, 447, 452, 466 Altum, Bernard  38 Amelunxen, Ferdinand  305 Amelunxen, Rudolf  187 Ankel, Wulf Emmo  129, 137, 169, 170, 174, 175 Arens, K.  316 Arnold, August  247–250, 259–261, 268, 338, 471 Arnold, Karl  414 Aschner, Manfred  160, 162 Astel, Karl  18, 438 Astel, Ludwig  18 Auburtin, Angèle  388, 390, 393, 501 Backe, Herbert  272, 273 Ballowitz, Emil  42 Baltzer, Fritz  76 Bartels, Botaniker  353 Basarman, Mephare  257 Bauer, Erwin  192 Baumeister, Gabriele  351 Baumeister, Walter  267, 292, 293, 314, 319, 327, 343, 347, 352, 353, 359, 360, 361, 365, 368, 371–375, 377, 378, 432, 473, 474 Baumstark, Anton  441, 442, 446 Baxmann, Franz  328 Becher, Hellmut  157 Becker, Franz  53, 76, 329, 405, 406, 408 Becks, F. C.  37, 38 Behnke, Heinrich  180–185, 191, 203, 204, 301, 332–336, 459, 460, 482 Benecke, Ernst-Wilhelm  238 Benecke, Friedrich-Wilhelm  5, 10, 47, 76, 77, 87, 238–268, 285, 321, 333, 350, 358, 359, 365, 394, 462, 467, 468, 487–489, 493, 498, 499 Bertalanffy, Ludwig von  425 Beyer, Curt  172, 298, 299, 328, 480, 501 Beyer, Helmut  68, 85, 176, 428, 430 Bier, Karlheinz  10, 233–235, 278 Bitter, Friedrich  263 Blaauw, Anton Hendrik  313 Blochmann, Friedrich  102

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Böcker, Margarete  483 Boelitz, Otto  9 Bömeke, Heinrich  267, 313, 320, 327, 239, 330, 353, 472, 485 Börger, Zoologe  484 Bormann, Martin  385 Botsch, Dieter  228, 229 Boveri, Theodor  63, 76 Brandt, Leo  414–416 Brauner, Leo  184, 252, 257, 332–336, 490 Brefeld, Oskar  237, 282 Breider, Hans  92, 180, 183, 186, 191, 197, 211, 405, 452, 501 Bresslau, Ludwig  147 Breuer, Emil  86 Brock, Friedrich  111, 112 Brockmann, Johannes  334 Brücher, Heinz  18, 19, 295 Buchner, Paul  131, 163 Budde, Hermann  315, 325, 331, 343, 346, 352, 356, 375, 380, 474, 486 Buddenbrock-Hettersdorf, Wolfgang von 168 Buddenhoff, (Halle) 147 Büker, Richard  267, 276, 314–316, 320, 330 Bunsen, Robert Wilhelm  237 Burdach, Friedrich  33 Burghardt, Friedrich  361 Burghardt, Helmut  361, 371 Burrichter, Ernst  356, 374, 375 Burrichter, Karl  356 Busley, Josef  388–392 Chamberlain, Houston Stewart  420, 421 Christov, bulgarischer Botaniker  325 Clasing, Maria  9, 149 Correns, Carl Erich  216, 237–239 Cromber, Otto  447 Currier, Herbert B.  349 Deegener, Paul  396, 397 Demmel, Max  139, 384, 385, 400 Denzer, Hans-Werner  386, 387 Dobzhansky, Theodosius  210 Dörries, Hans  119, 147, 276, 458 Doljanski, Leonid  162

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Personenregister Dorfmüller, Wilhelm  308–310, 314, 315, 320, 327, 330 Drawert, Horst  378 Drechsel, Josef  324 Dücker, Bernhard  228 Dücker, Gerti  228, 229, 490 Edinger, Tilly  211 Eggers, Friedrich  17, 123, 124 Eifrig, Helmut  360, 363, 364, 374 Eitel, Anton  444 Engel, Horst  205, 2246, 248, 263, 270, 309, 314–317, 320, 321, 331, 332, 338, 341, 343, 385 Erfurth, Fritz  446, 448, 450 Erhardt, Albert  200, 201, 204, 205, 215, 230–232 Evenius, Joachim  49–51, 55, 56 Fink, Wilhelmine  180, 186, 195 Firbas, Franz  286, 288, 290, 299 Fischer, Gustav  156, 157, 165 Fischer, Ilse  5, 39, 136, 137, 142, 149, 150–153, 156, 157, 159–161, 163–195, 198, 204, 205, 208, 215, 216, 223–225, 331, 332, 487, 489, 495, 497, 501 Fischer, Robert  287, 288, 290 Flechtheim, Zoologe  211 Freund, Hermann  449 Frey-Wyssling, Albert  349 Frisch, Karl von  76 Fritz, Eugen  447 Führer, Wilhelm  384 Geißler, Gerhard  159 Gersch, Manfred  163 Giersberg, Hermann  95, 102, 169 Gieseler, Wilhelm  19 Goetsch, Wilhelm  147, 168, 169 Goffart, Hans  50, 56, 210 Goldschmidt, Richard  396 Göring, Hermann  117, 118, 297, 314, 315, 422 Götz, Zoologe  211 Graebner, Paul  117 Groll, Biologe  124 Günther, H. F. K.  18, 282, 438 Hagedorn, Herbert  355, 365, 369–371, 375, 490

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Haldane, John Burdon Sanderson  209 Hannig, Emil  239, 240, 242, 244, 247, 251, 253, 261, 263, 265, 266, 268, 269, 273–283, 286, 289, 291, 308, 309, 314, 462, 491, 495 Harde, Karl-Wilhelm  195–197, 213, 214, 220, 223, 224, 228, 230, 325 Harms, Jürgen W.  19, 47, 181 Hartmann, Max  62, 89, 90, 349 Heberer, Gerhard  18, 19, 21, 153, 154, 209, 211, 384, 438, 499 Heddergott, Hermann  53, 109, 122, 123, 140, 216, 353, 354, 363, 374, 375 Heilbronn, Alfred  82, 83, 197, 238–242, 244, 251, 255–259, 265, 275, 279, 281, 282, 308, 332, 363, 365, 371, 471, 472, 487, 490, 495, 501 Henke, Hans von  358 Henke, Karl  95, 96 Herold, Ferdinand  37 Herter, Konrad  129, 137 Hielscher, Johannes  97, 99, 382 Hillebrand, Albert  483 Himmler, Heinrich  128 Hirsch, Gottwalt Christian  129, 130, 137, 138, 169, 170, 182 Hitler, Adolf  15, 19, 57, 80, 87, 255, 423, 429 Hittorf, Johann Wilhelm  38 Horn, Walther  457, 458 Huber, Bruno  287 Hugelmann, Karl Gottfried  88, 96, 97, 99, 100, 102, 105, 106, 264, 274, 280, 453, 454, 456 Huxley, Julian  209 Jacobfeuerborn, Heinrich (nach Namensänderung: Feuerborn, Heinrich Jakob) 5, 10, 39, 44, 47–64, 67–69, 73–75, 77, 79, 80, 83–107, 109, 110, 113, 115, 118, 120, 123, 126, 130, 196, 243, 252, 261, 380–383, 394, 406, 427–430, 433, 439–446, 449–459, 464, 466–468, 487, 488, 493, 495, 497, 499, 501, 502 Jacobs, Werner  134, 169, 170 Jentsch, Seyfried  93, 104, 107, 109, 120, 140, 173, 177, 192, 461 Jötten , Karl Wilhelm  23, 171 Johns, Rudolf  464 Jordans, Karl von  393 Jung, Wilhelm  93, 94, 100, 443–445, 447–450

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VI. Anhang

Kabitz, Willy  459, 460 Kaja, Hans  355, 365–370, 374, 375, 490 Kaja, Paul  355 Kamra, Siri Krishan  360, 361, 371 Kappert, Hans  216 Kappler, Ernst  365 Karsch, Anton  38, 282 Kaufmann, Hans Paul  261, 285, 301, 302, 305 Kelle, August  259, 260, 470–472 Kemper, Heinrich  57, 68 Kern, Emanuel  372 Kern, Hartmut  372 Kielpinski, Walter von  420, 421 King, J.  210 Klatt, Berthold  62, 63 Knapp, Edgar  129 Knapp, Erich  465 Koch, Albert  49, 53, 162 Koch, Anton  166, 169, 170 Koehler, Otto  89, 95, 96, 187, 188, 190 Kolbow, Karl Friedrich  97, 99, 101, 117, 118, 154, 289, 382, 383, 430, 451, 453, 501 Koller, Gottfried  186, 189 Kosswig, Curt  38, 48, 55, 68, 74–76, 79, 80, 82–84, 87–103, 108, 202, 204, 209, 211, 240, 257, 265, 405, 406, 440, 452, 466, 487, 500, 501 Krahe, Hans  318 Krämer, Heinrich Josef  59 Kratzer, Adolf  87, 88, 130, 136, 174, 175, 180, 182, 184, 185, 203, 261, 274, 285, 289, 332, 459, 462, 467, 468, 472 Krebber, Otto  261, 269, 310 Kremer, Johann Paul  486 Kriegsmann, F.  100, 104–106, 430 Krüger, Friedrich  68, 69, 86, 92, 95, 100, 107, 114, 115, 120, 122, 126, 140, 141, 144, 145, 147, 148, 153, 156, 162, 166, 173, 177, 185, 193, 194, 197, 204, 209, 215, 219, 220, 222, 223, 236, 227, 406, 447, 448, 454, 460, 469–470 Krüger, DFG  113 Krull, Herbert  127, 128 Krupp, Hans  49, 50 Kühn, Alfred  83, 84, 89, 97, 110, 476, 477 Kujaw, Franz  447

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Lamarck, Jean-Baptiste de  33 Lammers, Aloys  381 Landahl, Heinrich  483, 484 Landois, Hermann  38, 41, 42 Lanfer, Josef  326 Lauscher, Albert  381 Lehmann, Conrad  52, 74, 76, 83, 92, 103, 107, 113, 114, 199, 200, 230, 386, 405, 406 Lehmann, Ernst  18, 21, 22, 25, 52, 249, 395, 396, 422, 499, 501 Lengerken, Hanns von  129, 484 Lenz, Fritz  192 Lingelsheim, Alexander von  462, 463 Linnaeus (von Linné, Carl) 33 Löhr, Hanns  124 Loewel, Ernst-Ludwig  485 Lorenz, Konrad  210, 213 Ludwig, Wilhelm  129, 137, 187 Mägdefrau, Karl  338–340 Maier, Adolf  117 Mann, Thomas  184 Marchesani, Oswald  125, 483 Marinelli, Wilhelm  166 Marquart, Otto  50, 56 Martini, Erich  89, 425 Matthes, Ernst  62, 63, 162 Maximov, Botaniker  316 Mayr, Ernst  209, 210 Meckenstock, Helga  166 Meinertz, Max  464 Meisenheimer, Johannes  150 Mendel, Gregor  35, 418 Mentzel, Rudolf  81 Mevius, Walter  5, 20, 24, 89–91, 94, 97–99, 108, 118, 119, 121, 123–125, 129, 137, 138, 158, 160, 166, 169, 170, 176, 187, 239, 240, 242, 243, 245, 248–251, 253, 260–293, 297, 298, 308–332, 336, 339, 340, 343, 349, 350, 358, 359, 365, 378, 405, 430–432, 459–463, 472, 475, 478–489, 493, 498, 500, 501 Meyer, Alfred  318, 481, 483, 501 Meyer, Konrad  271–273 Meyer, Ministerialrat  396 Moritz, Otto  286–288, 290 Müller, Rudolf  483 Münzer, Friedrich  483, 484

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Personenregister Naendrup, Hubert  442–444, 448–450, 453–455 Niemeier, Georg  119, 135, 136, 285, 459, 463, 464 Nitschke, Theodor Rudolf  39, 237 Noack, Kurt  268, 286, 287 Nolte, Angela  146, 148, 149, 173, 185, 191, 192, 195, 197, 206, 209, 210, 212–215, 220, 221, 224–229, 232, 369, 490 Nümann, Wilhelm  84 Oehlkers, Friedrich  287, 482 Overbeck, Fritz Theodor  262 Padberg, Vera  484 Perner, Ernst  346, 352, 356, 359, 360, 364, 372, 373, 375 Peters, Franz  249 Peters, Hans  87, 92, 95, 100, 107, 121, 135–137, 139, 176, 204, 211, 447, 454, 459–461, 464, 466, 495 Peus, Fritz  57, 68, 389, 430, 432 Pfefferkorn, Gerhard  365 Plenge, Johann  24, 66 Ponsold, Albert  211 Prianischnikov, Botaniker  316 Pringsheim, Ernst  313, 349 Reeker, Hermann  42 Reichensperger, August  189, 190 Reichling, Hermann  117, 176, 177, 193, 196, 387, 388, 390 Reinartz, Assistent oder Assistentin am Zoologischen Institut  140, 173 Reinert, Jürgen  229 Reinert, Wilhelm  229, 230 Reisinger, Erich  166, 168–170, 385 Remane, Adolf  17, 457 Rensch, Bernhard  5, 9, 10, 21, 37–39, 44, 48, 52, 55, 57, 85, 114–120, 126, 130, 135, 141, 144, 145, 147, 153–156, 160, 164–171, 173, 176–191, 193–235, 304, 337, 346, 348, 354, 367, 376, 378, 383–393, 401, 402, 404, 411–413, 415, 416, 423, 430, 460, 487–491, 494, 495, 497, 498, 502, 508 Rensch, Carl  116 Resch, Armin  364, 365, 373 Reznik, Hans  378 Ries, Eberhard  130

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Ries, Erich  5, 39, 128–165, 167–177, 179, 182, 187, 204, 215, 224, 288, 298, 326, 457, 466, 469, 487–490, 493, 497, 501, 502 Roberg, Max  246, 250, 253, 259, 261, 263, 264, 269, 270, 280, 283, 286–290, 308, 339, 459, 462–464, 491, 495 Röber, Otto Heribert  109, 122, 139, 140, 145, 146, 148, 149, 173, 177, 180, 186, 196, 197 Roedig, G. M.  37 Rosenberg, Alfred  294, 481 Rumphorst, Hermann  49, 50 Rust, Bernhard  80, 81 Ruttner, Franz  67 Salzmann, Bernhard  176–178, 349, 388, 391, 392, 501 Sauckel, Fritz  18 Schedl, Karl  110 Schemm, Hans  397 Schmid, Carlo  410 Schmidt, Johann Karl  371 Schmidt, Lothar  371, 372 Schmidt, Maria  106, 107, 456 Schmidt, Otto-Christian  340, 352, 353 Schmidt, Wilhelm Josef  95, 96 Schmidt-Ott, Friedrich  81 Schmierer, Albert  287, 291 Schmucker, Theodor  262 Scholz, Heinrich  119 Schrader, Franz  162 Schräder, Theodor  58, 61, 68 Schratz, Eduard  183, 252–254, 260, 261, 265–267, 269–273, 281–283, 286–309, 314, 318, 321, 330–332, 337, 338, 341–343, 347, 352, 358, 367, 371, 375, 405, 432, 433, 487–491, 493, 498, 501 Schreiber, Ernst  287, 288, 290, 322 Schreiber, Georg  172, 187, 334, 414 Schulte, Wilhelm  388, 389 Schulte-Broich, Franz  391 Schulte-Kemminghausen, Franz  446 Schultz, Bruno K.  211, 384, 385, 495 Schulze, Paul  62, 63 Schumacher, Walter  299, 333 Schwanitz, Franz  134 Seidel, Friedrich  95, 96, 457 Senckenberg, Johann Christian  237 Senftleben, Hermann  151, 285, 319

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VI. Anhang

Siegmund, Herbert  24, 158, 168, 170, 172, 479 Sievers, Wolfram  128, 129 Smirnov, Botaniker  316 Söding, Hans  191, 242, 245, 311, 321–323, 326, 329–332, 336, 472, 473, 485, 487 Söfner, Luise  139, 140, 166 Solger, Professor für Biologie  397 Speer, Albert  414, 415 Spemann, Hans  63 Sperlich, Georg  381 Stammer, Hans-Jürgen  153, 169, 170 Stark, Johannes  81 Steinbicker, Clemens  172 Steiner, Bernhard  419, 420 Steiner, Hans  196, 197, 205, 206 Steinhoff, Dieter  353 Stempell, Walter  42–46, 48, 50, 51, 53, 58, 60, 62, 66, 67, 69, 70, 74, 79, 95, 100, 103, 108, 113–115, 120, 121, 194, 200, 215, 406, 451, 487 Stengel-von Rutkowski, Lothar  18, 21, 211, 438 Stier, Hans Erich  464 Stroyanoff, bulgarischer Botaniker  324, 325 Strugger, Siegfried  6, 9, 10, 143, 152, 198, 202, 205, 211, 216, 221, 225, 226, 239, 252, 257–259, 303–306, 333, 337–378, 392, 402–405, 413, 415, 416, 433–439, 459, 487–490, 494, 498, 502 Stubbe, Hans  294 Szily, Aurel von  449 Süffert, Fritz  129, 137 Thienemann, August  44, 52, 67, 90, 453, 458 Thieß, Frank  184 Tischler, Georg  310, 311 Tobler, Friedrich  239, 282, 283, 322, 396, 398, 472 Trahms, Otto-Karl  52, 200, 201, 215, 230, 231, 386, 387 Treviranus, Gottfried Reinhold  33 Trier, Jost  96, 100, 107, 203, 382, 467, 468 Trojan, Emanuel  166 Troll, Wilhelm  333, 334 Ubisch, Edgar von  65 Ubisch, Leopold von  5, 39, 54, 55, 62–103, 109, 113–115, 120, 121, 123, 126, 134, 140,

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147, 148, 174, 175, 177, 178, 181–185, 187, 190, 198, 199, 202–204, 207, 209, 211, 222, 234, 244, 246, 247, 252, 254, 255, 261, 275, 278, 334, 337, 381, 383, 386, 405–409, 428, 430, 439–455, 464, 468, 470, 471, 487, 488, 490, 493, 495, 497 Uexküll, Jakob von  111, 112, 421–423, 425, 460 Uspenski, Botaniker  316 Vavilov, Nikolai Ivanowitsch  295 Verschuer, Otmar von  202, 210, 211, 415 Voigt, Arnold  177, 179, 180 Vonnegut, Franz  289 Wagner, Günter  235 Wallace, Alfred Russel  35 Walter, Heinrich  261 Walter, Hermann  94, 95, 97, 99, 100, 105, 382, 452, 453, 462 Weber, Hermann  5, 39, 55, 89, 93, 97–130, 132, 134–137, 139–141, 143, 147, 153, 163, 164, 169, 170, 187, 202, 208, 210, 212, 215, 218, 285–288, 316, 354, 380, 399–402, 417–427, 456, 459–461, 469, 475–478, 488, 490, 493–497, 501 Weber, Hermann sen.  104 Weber, Ulrich  286 Weel, P. B. van  149, 162 Wegener, Arthur  464 Weiling, Franz  346 Weinert, Hans  17 Weismann, August  63 Went, Friedrich  254, 256 Wentrup, Franz Arnold  447 Wernekinck, Franz  37 Westhoff, Friedrich Wetzel, Karl  262 Wetzmüller, Oberstaatsanwalt in Hamm  328 Winkler, Hans  478 Wolf, Heinrich  392, 393 Wolf, Liselotte  171 Wundsch, Hans Helmut  52, 53, 74 Zimmermann, Walter  19, 499 Zopf, Wilhelm  237, 282 Zündorf , Werner  18

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