Perlen vor die Säue: noch mehr populäre Redensarten
 3861246317, 9783861246312

Table of contents :
Cover Page
Cover
Titel
Impressum
Heilige Einfalt! Noch ein Redensarten–Buch!?
Eine kleine Einführung
Kapitel A
Das ist das A und O
Sich aus der Affäre ziehen
Da laust mich doch der Affe
Das Amen in der Kirche
Jemandem angst und bange machen
Etwas mit Argusaugen betrachten
Jemanden am Arsch lecken
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Kapitel B
Immer nur Bahnhof verstehen
Am Ball bleiben
Jemandem einen Bären aufbinden
Jemanden in die Bredouille bringen
Auf den Busch klopfen
Alles in Butter
Kapitel C
Chuzpe [haben]
Kapitel D
Der letzte Dreck
Jetzt schlägt’s dreizehn
Kapitel E
Du heilige Einfalt!
Eulen nach Athen tragen
Kapitel F
Sich wie ein roter Faden hindurch ziehen
Ein [zu] weites Feld
Fisimatenten machen
Flagge zeigen
Die Flinte ins Korn werfen
Jemandem einen Floh ins Ohr setzen
Fraktur reden
Frank und frei
Kapitel H
Sein Herz ausschütten
Das ist doch die Höhe!
Da liegt der Hund begraben
Sich etwas an den Hut stecken (können)
Kapitel J
Alle Jubeljahre einmal
Kapitel K
Alles über einen Kamm scheren
Etwas auf die hohe Kante legen
Die rote Karte zeigen
Die Kirche im Dorf lassen
Mit dem ist nicht gut Kirschen essen
Nicht ganz koscher sein
Jemandes Kreise stören
Krethi und Plethi
Kapitel L
Aus der Lamäng
Vom Leder ziehen
Mach’ doch der Liebe kein Kind!
Immer die alte Leier!
Den Löffel abgeben
Kapitel M
Ein Machtwort sprechen
Den goldenen Mittelweg gehen
Jemanden Mores lehren
Kapitel N
Nebbich!
Kapitel P
Ich kenne meine Pappenheimer
Perlen vor die Säue werfen
Jemandem den schwarzen Peter zuschieben
Etwas in petto haben
Etwas auf der Pfanne haben
Die Sache hat einen Pferdefuß
Sich wie Phönix aus der Asche erheben
Noch ist Polen nicht verloren
Das ist der springende Punkt
Kapitel R
Vom Regen in die Traufe kommen
Kapitel S
In Sack und Asche gehen
Andere Saiten aufziehen
Ein salomonisches Urteil fällen
Vom Saulus zum Paulus werden
Ein Scherbengericht [anordnen]
Mit allen Schikanen
Etwas im Schilde führen
Etwas in Schuss bringen
Ein Schuss, der nach hinten losgeht
Du alter Schwede!
Jemanden in den Senkel stellen
Sich aus dem Staub machen
Ein Stein des Anstoßes sein
Jemandem die Sterne vom Himmel holen
Einen Stiefel vertragen können
Gegen den Strich bürsten
Leeres Stroh dreschen
Kapitel T
Über den Tellerrand hinaussehen
Den Teufel an die Wand malen
Den Teufel mit Beelzebub austreiben
In der Tinte sitzen
Ein Tohuwabohu (vorfinden)
Kapitel W
Sich über Wasser halten
Die Welt nicht mehr verstehen
Sein blaues Wunder erleben
Über die Wupper gehen
Kapitel X
Jemandem ein X für ein U vormachen
Kapitel Z
Einen Zahn zulegen
Ein Zeichen setzen
Es geschehen noch Zeichen und Wunder
Alles hat seine Zeit
Zum Weiterlesen
Stichwortliste
Zum Autor

Citation preview

Karl Hugo Pruys

Perlen vor die Säue

Noch mehr populäre Redensarten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

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ebook im be.bra verlag, 2012

© der Originalausgabe: edition q im be.bra verlag GmbH Berlin-Brandenburg, 2008 KulturBrauerei Haus 2 Schönhauser Allee 37, 10435 Berlin [email protected] Lektorat: Robert Zagolla, Berlin Umschlag und Textillustration: Ansichtssache, Berlin ISBN 978-3-8393-2106-5 (epub)

ISBN 978-3-8393-2107-2 (pdf) ISBN 978-3-86124-631-2 (print)

www.bebraverlag.de

Heilige Einfalt! Noch ein Redensarten–Buch!?

Eine kleine Einführung

Der Band »Bis in die Puppen«, der die Herkunft und Bedeutung der 100 populärsten Redensarten »ins Visier genommen« hat, erfreut sich bis zur Stunde beim Lesepublikum großer Beliebtheit. Hiermit wollten es Verlag und Autor nicht bewenden lassen. Als Zugabe gibt es nun also »Perlen vor die Säue«: Der Titel ist (hoffentlich) nicht wörtlich zu nehmen, denn es wird vorausgesetzt, dass Sie, lieber Leser, die Lektüre durchaus zu schätzen wissen.

In dem einen oder anderen Fall werden hier vielleicht sogar »Eulen nach Athen« getragen, wenn es darum geht, zu erklären, was die deutsche Sprache an Kuriosem, Geistreichem, zuweilen Tiefgründigem und zugleich Lehrreichem zu bieten hat. D as vorliegende Buch geht der oft verwirrend buntscheckigen Sprachgeschichte nach, um dem Leser »ein Licht« zur Erhellung auch der dunklen Seiten von Redewendungen und Metaphern »aufzusetzen«. Der Bogen ist dabei weit, sehr weit, gespannt. Er setzt nicht selten in den verborgenen Winkeln antiker Kulturen an. Oder beim Jiddisch, dem unsere Alltagssprache so viel zu verdanken hat. Oder in der Bibel, die nicht umsonst in alten Zeiten als das Buch der Bücher galt. Ob Sie nun »Chuzpe haben« oder es für »Nebbich« halten, wenn andere »Perlen vor die Säue« werfen – stets wandeln Sie dabei auf den Spuren von Gegenwart und Vergangenheit.

Unterdessen beginnt in Deutschland ein neues Verständnis für die Wurzeln unserer facettenreichen Sprache zu erwachen. Beleg dafür könnte auch das vermehrte Interesse an Herkunft und Bedeutung deutscher Redensarten sein. Kommen Sie also mit auf eine heitere Entdeckungsreise zur Erforschung ihrer Quellen! Lassen Sie uns den »springenden Punkt« suchen und herausfinden, »wo der Hund begraben liegt«!

Damit Sie nach der Lektüre nicht gegen den Autor »vom Leder ziehen« oder

ihm »die rote Karte zeigen«, sei noch einmal darauf hingewiesen, dass hier nicht versucht wird, die jeweils zu hundert Prozent historisch richtige Ableitung chemisch rein aus dem Wust der einschlägigen Literatur herauszufiltern. Die Vielfalt der möglichen Deutungen ist ja häufig erst das Salz in der Suppe. In diesem Sinne sollte erneut ein Buch entstehen, das nicht akademisches Wissen trocken vermittelt, sondern auf unterhaltsame Art Lust an der Beschäftigung mit Sprache weckt. Denn – »frank und frei« gesprochen – das ist doch wohl »das A und O«.

Karl Hugo Pruys

Inhalt

Kapitel 01

Kapitel 02

Kapitel 03

Kapitel 04

Kapitel 05

Kapitel 06

Kapitel 07

Kapitel 08

Kapitel 09

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

A

Das ist das A und O

Etwas, worauf man auf keinen Fall verzichten kann, etwas wirklich Wichtiges und Grundlegendes – das nennt man auch heute noch gern »das A und O« einer Sache. Aber woher stammt diese Redensart? Bibelfeste Zeitgenossen erinnern sich an die Offenbarung des Johannes, wo es in Kapitell, Vers 8, heißt: »Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, spricht Gott, der Herr, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.«

Das A und O zum Verständnis dieser Aussage ist die Kenntnis alter Sprachen: Im Altgriechischen nämlich, aus dem Martin Luther das Neue Testament übersetzt hat, beginnt das Alphabet mit Alpha (A) und endet mit Omega (Ω). Von daher markieren diese beiden Buchstaben tatsächlich den Anfang und das Ende – und sind damit unverzichtbar für das Ganze. Vornehmlich die christliche Kirche bediente sich seit jeher dieser symbolhaften Umschreibung der Allmacht Gottes; und diese Tradition war es wohl auch, die Luther bewog, den Allmächtigen nicht sagen zu lassen: »Ich bin das A und das Z« – wie es ja dem lateinischen (und deutschen) Alphabet gemäß heißen müsste.

Und so hat sich die Bedeutung bis heute gehalten: Während es beim »A und O« um das geht, was unabdingbar wichtig im Leben ist: um Grundsätzliches, nicht Austauschbares und Unersetzliches, ist das moderne »von A bis Z« ganz profaner Natur. Nachschlagewerke und Handbücher schmücken sich gern mit diesem Zusatz, um auf ihre lexikalische Vollständigkeit zu verweisen – dabei liegt nun jeder Gedanke an Metaphysisches fern.

Ganz anders ging es da Samuel Liddell MacGregor Mathers, als er im Jahre 1903 einen geistlichen Orden unter dem Zeichen »Alpha et Omega« begründete. Dieser Orden verfügte allein in Großbritannien über drei Tempel; weitere Versammlungshäuser gab es in Frankreich und den USA. Heute werben im Internet unter der magischen Rubrik »Alpha et Omega« auch Privatclubs um Mitglieder. Man gibt sich dort selbst bieder und gönnerhaft, wie die Regel eines dieser Clubs ausweist: »Mitglieder, die Raucher sind, dürfen ihrem Laster bei uns weiterhin frönen. Und Mitglieder, die zu tief ins Glas geschaut haben, können bei uns übernachten …« – Offensichtlich weiß man hier genau darüber Bescheid, was wichtig und notwendig ist.

Sich aus der Affäre ziehen

Das bringt so mancher fertig, dem der Boden unter den Füßen zu heiß wird: Er entwindet sich einer höchst unbequemen Lage. Das hat mit dem Französischen, aus dem das Wort übernommen wurde, zunächstwenig zu tun; »affaire« bedeutet dort ganz neutral »Sache« oder »Angelegenheit«. Im Geschäftsleben heißt etwa »être en affaires« nichts weiter als »beschäftigt sein, zu tun haben«. Bei einer »affaire de coeur« handelt es sich (schon weitaus anspruchsvoller) um eine Herzensangelegenheit, bei einer »affaire d’honneur« um einen Ehrenhandel, wie man früher sagte – also um ein Duell. Eine »affaire« kann aber auch ein Prozess sein, ein Kampf oder gar eine Schlacht. Im deutschen Sprachgebrauch haftet der Affäre immer etwas Dunkles, Unschönes, Entlarvendes an. Sie steht synonym für einen Skandal (»Spendenaffäre«) oder auch für eine außereheliche Beziehung (auf Französisch: »affaire d’amour«). Wenn eine solche Affäre ruchbar wird, dann ist es für die Beteiligten tatsächlich an der Zeit, darüber nachzudenken, wie sie sich aus derselben ziehen können.

»Sich aus der Affäre ziehen« ist letztlich die wörtliche Übersetzung von »se tirer d’affaire«, was der Franzose mit einer gewissen Bewunderung noch steigern kann: »s’en tirer élégamment«, also sich »elegant aus der Affäre ziehen«. Im Sportteil deutscher Zeitungen kann man dagegen öfter die Wendung lesen, eine Mannschaft habe sich »mit Anstand aus der Affáre gezogen«. Das zeugt von einem Missverständnis der ursprünglichen Bedeutung: Nach dieser Lesart windet man sich nicht heraus oder stiehlt sich davon, sondern man stellt sich einer Situation und macht das Beste daraus. Das ist wohl typisch deutsch und entspricht der Vorstellung, dass man sich mühen sollte, »den Karren aus dem Dreck zu ziehen«. Wer sich aus der Affäre zieht, lässt aber den Karren lieber stecken, und sieht zu, dass er sich ↑ aus dem Staub macht. Das ist oft erfolgreicher als zu versuchen, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen wie weiland Baron Münchhausen. Und wenn gar nichts mehr hilft, dann heißt es: Man sollte nun endlich einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen.

Da laust mich doch der Affe

Wer im Zoo Affen beobachtet, wird feststellen, dass sie sich den lieben Tag lang gegenseitig das Fell zu kraulen pflegen. Bei dieser landläufig mit »lausen« umschriebenen Tätigkeit fehlt ihnen allerdings jedes Anzeichen von Erstaunen, Überraschung oder Verwunderung – von jenen Gefühlen also, die ein Mensch meint, wenn er ausruft: »Da laust mich doch der Affe!« In der Tat ist das Lausen bei den Primaten eine eher entspannende Angelegenheit, eine soziale Interaktion wie beim Homo sapiens der gepflegte Smalltalk. Die Affen suchen dabei auch in den seltensten Fällen Läuse – wie man gern annimmt –, sondern sie entfernen beim Kraulen vor allem kleine, salzige Hautschuppen, die sie dann mit Genuss verspeisen.

Das »Lausen« dient auch der freundlichen Kontaktaufnahme – die allein bei Menschen zu Erstaunen oder gar Erschrecken führt, wenn sie unvermutet damit konfrontiert werden. Und genau daher kommt die Redewendung: Schon im Mittelalter führten umher ziehenden Schausteller Affen mit sich, die Kunststücke vorführten oder mit einem Hut Geld einsammelten. Zuweilen sprang nun ein solcher Affe auf die Schultern eines arglosen Zuschauers und begann diesem die Haare zu »lausen«, was den solcherart Beglückten nicht nur erschreckte, sondern auch peinlich berührte, weil die Umstehenden nun glauben mussten, er habe Ungeziefer auf dem Kopf. Das verdutzte Gesicht des Opfers inspirierte die Rheinländer zu der Redensart: »De mischte Gesicht, als wenn e vom Affen gelaust wure wär«. Die Berliner prägten dann im 18. Jahrhundert den heute noch gebräuchlichen Ausruf: »Ick denke, der Affe laust mir!«

Es gibt auch Varianten dieser Wendung, die eine abschlägige Antwort umschreiben sollen, etwa: »Da müsst ich ja vom Affen gelaust sein«, oder: »Du bist wohl vom Affen geflöht«. Überhaupt spielen Affen eine zentrale Rolle in vielen verschiedenen Redensarten. Vom wilden Affen gebissen sein, heißt, von allen guten Geistern verlassen, von Sinnen sein. Jemanden zum Affen halten, meint: ihn verhöhnen, lächerlich machen, veralbern. Im 18. Jahrhundert kam die

Wendung auf, »seinem Affen Zucker geben« – was soviel bedeutet wie: ungehemmt seinen Launen und Marotten frönen. Ungezählte Komposita künden von der Beliebtheit des Affen in deutschen Metaphern, als da sind: Affenliebe, Affenschande, Affentheater, Affentanz, Affenhitze und so fort. Und wer zu tief in die Flasche geschaut hat, klagt anschließend darüber, einen Affen sitzen zu haben.

Das Amen in der Kirche

Nur fünfzehn Prozent der katholischen und weniger als zehn Prozent der evangelischen Gemeindemitglieder besuchten im Jahr 2007 regelmäßig den Gottesdienst. Würden nicht zumindest an den großen Festtagen des Kirchenjahres ein paar mehr Menschen den Weg in die Kirchen finden, wäre die Redewendung: »Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche« für viele wohl gar nicht mehr verständlich. Wer einmal an einem Gottesdienst teilgenommen hat, der weiß aber: Das »Amen« kommt ganz sicher, sogar mehrmals, daran ist kein Zweifel. »Amen« ist daher immer noch die vielleicht meistverbreitete Bekräftigung im sprachlichen Umgang überhaupt.

Das Wort stammt aus dem Hebräischen und bedeutet: »Ja, gewiss! « Es wurde vom Alten Testament ins Neue übernommen, ist gleichermaßen in die christliche Liturgie wie in die islamische Religion eingegangen und dient als Formel für die Zustimmung der Gemeinde zu Rede, Gebet und Segen. Erstaunlicher Weise kommt es in der Bibel gar nicht so oft vor, dafür aber im 5. Buch Mose gleich mehrmals hintereinander: Moses schließt dort jedes seiner zwölf Fluchworte über Gesetzesbrecher mit den Worten »Und alles Volk soll sagen: Amen.«

Heutzutage wird das »Amen« weit über Kirche und Religion hinaus verwendet. Man sagt es, um keinem Zweifel an der Verbindlichkeit einer Zusicherung Raum zu geben, wohl auch, um einen längeren Dialog zum friedlichen Schluss gelangen zu lassen: Nun mach mal ein Ende und sag endlich »Amen« dazu! Wer allerdings zu allem »Ja und Amen« sagt, der ist als kritikloser Opportunist bei den meisten nicht unbedingt gut angesehen.

Jemandem angst und bange machen

Wer hat Angst vor dem Schwarzen Mann? So hieß ein heute kaum mehr geläufiges Spiel unter Kindern. Doch jemandem »angst und bange machen« – das gibt es noch immer, und zwar in vielfältigen Formen. Zum Beispiel, indem man jemanden in die Enge treibt, was bereits den Zustand der Angst lautlich beschreibt. Denn »Angst« gehört zur Wortgruppe von »eng« und meint »Enge« oder »Beklemmung«. Die Angst kann einem »im Nacken sitzen«, man kann es aber auch mit ihr »zu tun bekommen«. Die Angst ist eine Weltmacht, ein allgegenwärtiges Phänomen. Ein Psychologe hat ihr nicht weniger als 426 (!) Namen gegeben, eine Differenzierung ohnegleichen. So soll man unterscheiden – nur wenige Beispiele – zwischen der Katagelophobie (= Angst vor Spott), der Koitophobie (= Angst vor dem Geschlechtsverkehr), der Neopharmaphobie (= Angst vor neuen Drogen), der Pantophobie (= Angst vor Leid und Krankheit), der Porphyrophobie (= Angst vor der Farbe Lila), der Pteromerhanophobie (= Flugangst) und vielen mehr.

»Bange« wiederum ist ein Synonym für Angst, es kommt von »be-ange« (also beengt) und hat mithin den gleichen Wortstamm. Luthers Bibelübersetzung hat das ursprünglich nur im Nieder- und Mitteldeutschen bekannte Wort »bange« als Adverb in die Schriftsprache eingeführt, erst später wurde es als Adjektiv und dann als Substantiv (»Bange haben«) gebräuchlich. Im Buch des Propheten Jeremia heißt es, dem König von Babel werde »so angst und bange werden wie einer Frau in Kindsnöten« (Jer. 50, 43). Und der Prophet Jesuch Sirachbeschreibt, dass die Weisheit, demjenigen, der nach ihr strebt, anfangs »angst und bange macht und ihn mit Strenge erzieht«, bevor sie ihm ihre Geheimnisse offenbart (Sir. 4, 19). Angst und bange machen gehört schon lange zum Geschäft des Lebens. Das Ziel ist klar; es heißt: Einschüchterung, wodurch sich die Willfährigkeit des Gegners, manchmal auch eines Partners, erzwingen lässt. Erst seit dem 19. Jahrhundert gibt es die gegenläufige Aufforderung: »Bange machen gilt nicht!«

Etwas mit Argusaugen betrachten

Der griechische Hirte Argos, lateinisch Argus, war von riesenhafter Statur und hatte über hundert Augen am Körper, mit denen er in alle Richtungen gleichzeitig blicken konnte. Deshalb wählte ihn die Göttin Hera zum Wächter über die schöne Io, die Tochter des Pelasger-Königs Inachos, auf die der allzeit zum Seitensprung geneigte Göttervater Zeus »ein Auge geworfen« hatte. Hera hatte ihre Nebenbuhlerin zwar schon in eine höchst unattraktive Kuh verwandelt, aber um ganz sicherzugehen, dass Zeus sich ihr nicht doch näherte (etwa in Gestalt eines Stieres), ließ sie sie Tag und Nacht vom hundertäugigen Argos streng bewachen. Um den lästigen Wächter zu beseitigen, sandte Zeus den Götterboten Hermes aus, der den vieläugigen Hirten durch den Ton seiner Flöte einschläferte und dann tötete. Hera gelang es nicht mehr, die Vereinigung von Zeus und der wieder in Menschengestalt verwandelten Io zu verhindern, wohl aber dankte sie dem toten Argos für seine treuen Dienste, indem sie ihn in einen Pfauen verwandelte – wo seine hundert Augen Platz in den Federn des Schweifes fanden.

Wer also mit Argusaugen um sich blickt, ist ein scharfsichtiger Beobachter und strenger Aufpasser, vielleicht sogar ein entsetzlich misstrauischer oder unrettbar eifersüchtiger Mensch – wie Argus’ Auftraggeberin Hera. In diesem Sinne wird die Redewendung auch in Schillers Dramen mehrfach verwendet: In »Kabale und Liebe« spielt der Haussekretär Wurm auf den Major Ferdinand an, der ihn »den ganzen Tag wie ein Argus hütet«, und in »Maria Stuart« wacht der »Argusblick der Eifersucht« über den Grafen von Leicester. Goethe greift das Sprachbild in einem Gedicht für Friederike Brion auf (später betitelt: »Willkomm und Abschied«), in dem er daraus eine Art Naturerscheinung werden lässt, in der sowohl der Riese als auch die hundert Augen ihren Platz haben:

»Schon stand im Nebelkleid die Eiche,

Ein aufgetürmter Riese, da Wo Finsternis aus dem Gesträuche Mit hundert schwarzen Augen sah.«

Jemanden am Arsch lecken

Wer diese unfeine Redewendung verwendet, will es deftig-deutlich, wenn auch sinnfälliger Weise hinten herum. Man kann die entsprechende Aufforderung auch weniger anstößig an den Mann bringen, etwa mit einer Umschreibung wie »Leck mich am Ärmel!« oder »Du kannst mir im Mondschein begegnen!«. Wer mit seiner guten Allgemeinbildung glänzen möchte, sagt schlicht: »Götz von Berlichingen!« und spielt damit auf die wohl bekannteste Verwendung der Redensart an: »Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!«, ruft nämlich der Ritter Götz von Berlichingen im 3. Akt des 1773 erstmals gedruckten Dramas »Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand«. Kein geringerer als Johann Wolfgang von Goethe war es also, der hier den vulgären Ausdruck literaturfähig gemacht hat, unter Rückgriff auf die eigenhändige Lebensbeschreibung des Protagonisten, in der es heißt: »da schrie der Amtmann oben heraus, da schrie ich wieder zu ihme hinauf, er sollte mich hinten lecken«. In den späteren Ausgaben seiner Werke ersetzte Goethe zwar die anrüchige Stelle durch Gedankenstriche – aber das half wenig. Die Kenntnis dessen, was dort ursprünglich gestanden hatte, wurde unter Literaturfreunden von Generation zu Generation weitergegeben. Und so verzeichnet der Sprachforscher Lutz Röhrich eine ganze Reihe von Sinnsprüchen, die auf die berühmteste Passage dieses Dramas anspielen, so zum Beispiel: »Wenn dich Hass und Neid umringen, denk an Götz von Berlichingen!«

Was hat es nun aber mit dem Lecken am (oder im) Arsch auf sich? Den Ausgangspunkt für diese derbe Redensartbildet die Absicht der Entwürdigung und Demütigung eines Menschen, ähnlich wie verwandte Wendungen, bei denen die Füße oder der Speichel geleckt werden. Sein nacktes Hinterteil anzubieten, war aber ursprünglich mehr als ein bloßes Kraftwort; es war auch eine Abwehrgebärde mit magischem Hintergrund. Glaubte man, einer Hexe oder gar dem Teufel selbst zu begegnen, diente der Kraftausdruck als Schutz. Dieser Zusammenhang klingt noch bei Martin Luther an, der schrieb: »Wenn man aber nun den Teufel kennt, so kann man leichtlich zu ihm sagen: Leck mich im Arsch.« Erste schriftliche Zeugnisse für diese Redewendung finden sich übrigens schon in Beleidigungsprozessen aus dem 14. und 15. Jahrhundert.

Ganz und gar nicht als beleidigend wird der Ausruf »Leck mich am Arsch!« im Südwesten Deutschlands empfunden. Dort drückt er als »schwäbischer Gruß« vor allem Staunen und Verwunderung aus. Was andernorts den Höhepunkt eines Streits markiert, kann hier dazu dienen, ein Gespräch unter Bekannten anzuknüpfen oder eine ins Stocken geratene Unterhaltung wieder in Gang zu bringen. Da ↑laust mich doch der Affe!

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Au, das tut weh! Die Forderung, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, war bei den Israeliten im Alten Testament noch ganz wörtlich gemeint. Im dritten Buch Moses (24,17ff.) heißt es unmissverständlich: »Wer irgendeinen Menschen erschlägt, der soll des Todes sterben. Wer aber ein Stück Vieh erschlägt, der soll’s ersetzen, Leben um Leben. Und wer seinen Nächsten verletzt, dem soll man tun, wie er getan hat, Schaden um Schaden, Auge um Auge, Zahn um Zahn; wie er einen Menschen verletzt hat, so soll man ihm auch tun.«

Dieser auch bei anderen Völkern verbreitete Rachegedanke wurde von Jesus allerdings später ausdrücklich verworfen und gilt seither als unchristlich: »Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Auge um Auge, Zahn um Zahn.‹ Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar« (Matthäus 5,38). In diesem Sinne äußerte sich im 20. Jahrhundert auch der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King: »Der alte Grundsatz ›Auge um Auge< macht schließlich alle blind.«

Vor blinder Rache ist jedoch zu warnen – das könnte »ins Auge gehen« …

B

Immer nur Bahnhof verstehen

Das kommt vor, zuweilen sogar in der Führungsetage der Deutschen Bahn. Wer immer nur Bahnhof versteht, versteht nämlich rein gar nichts, er hört schlecht – und das durchaus willentlich. Diejenigen, die dieses Sprachbild ganz beiläufig aus der Taufe gehoben haben, waren deutsche Soldaten am Ende des Ersten Weltkriegs. Die kriegsmüden Männer hatten nämlich nur eines im Sinn: Wie kommt man auf dem kürzesten Wege nach Hause, dauerhaft oder doch wenigstens zu einem kurzen Heimaturlaub?

Immer nur Bahnhofzu verstehen, zeugte folglich keineswegs von Begriffsstutzigkeit, sondern war motiviert von dem nur allzu verständlichen Wunsch, dem Terror eines mörderischen Krieges zu entkommen. Der Bahnhof bedeutete Urlaub, Heimkehr, Entlassung. Wie sollte einem dabei anderes in den Sinn kommen? Jede Unterhaltung zwischen Soldaten endete also beim ersehnten Bahnhof. Etwas anderes wollte niemand mehr hören.

Am Ball bleiben

In unserer fußballbegeisterten Nation ist diese Redensart außerordentlich populär. Was gemeint ist, erschließt sich selbst dem, der mit dieser Sportart wenig anfangen kann: Wenn 22 Menschen einem Ball hinterher rennen, dann ist dieser Ball offensichtlich sehr wichtig. Daher ist derjenige im Vorteil, der ihn hat – oder zumindest in seiner Nähe ist. Wer »am Ball bleibt«, verliert also eine wichtige Sache nicht aus den Augen, verfolgt konsequent seine Ziele. Deutschland bleibt folglich unentwegt am Ball; eine ausdrückliche Aufforderung dazu ist schlicht überflüssig.

»Am Ball bleiben« meint die nahezu selbstverständliche Pflicht, den »Rast-ichso-rost-ich-Zug« (wie Gottfried Benn in einem Gedicht spottete) in Gang zu halten. Spaß beiseite: Die Sache hat auch etwas für sich. Denn es ist eine lobenswerte Tugend, etwas mit Eifer weiterzuverfolgen, was man mit gutem Glück begonnen hat. Man bleibt auch dann – zumindest mittelbar – am Ball, wenn man »sich die Bälle zuspielt«. Was entweder wörtlich gemeint sein kann, wie beim Spiel auf dem grünen Rasen, oder – etwa in der Politik – im übertragenen Sinne von: sich gegenseitig Argumente oder Stichworte liefern. Die Fußballschaffenden selbst sind außerhalb des Spielfelds meist weniger treffsicher; ihre rhetorischen Bälle spielen sie meist unfreiwillig hämischen Journalisten zu, die dann mit Freude missglückte Sätze und andere sprachliche Patzer aufspießen. Aber hier zeigt sich eine weitere schöne Eigenschaft des Ballsports: die Fähigkeit, sich nicht unterkriegen zu lassen. Oder, wie Otto Rehhagel einmal sagte: »Mal verliert man, und mal gewinnen die anderen.«

Jemandem einen Bären aufbinden

Jägersprache? Volksglaube? Oder ein simples Missverständnis? Um der Herkunft dieser Floskel auf die Spur zu kommen, muss man weit ausholen. Der Sinn ist leicht erklärt: jemandem etwas weismachen, vielleicht gar konkret täuschen wollen. Das wäre es wohl. Oder doch ein wenig mehr? Die Geschichten um den Bären sind ebenso zahlreich wie vielfältig in der Erzählweise. Kaum ein Tier, vom Elefanten einmal abgesehen, kann es Meister Petz in Stärke und Schwerfälligkeit gleich tun. Von daher rühren die Vergleiche: so stark oder gutmütig oder schwerfällig wie ein Bär.

Alles gut und schön. Doch was hat es nun mit dem Aufbinden eines Bären auf sich? Ein solches Tier lässt sich wohl kaum einem Menschen auf dem Buckel festmachen – selbst nicht bei einem Riesen von Gestalt. Eine Erklärungsmöglichkeit ist, dass hier der mittelhochdeutsche Ausdruck »ber« (Last oder Bürde) irrtümlich als »Bär« gedeutet wurde. Auch das eiserne Fallgewicht an Schmiedehämmern soll früher Bär genannt worden sein. Allerdings bedeutet ja »einen Bären aufbinden« nicht, jemandem etwas aufhalsen oder ihm eine Last aufbürden – daher muss der Ursprung dieser Redensart wohl doch woanders liegen.

Dem Jägerlatein verwandt scheint die Anekdote, wonach Jagdgesellen in alten Zeiten als Pfand für eine Zechschuld einen Bären an die Theke banden. Seit dem 17. Jahrhundert steht jedenfalls die Redensart »einen Bären anbinden« für »Schulden machen« oder auch »prahlen, angeben«. Beide Bedeutungen waren gar nicht so weit voneinander entfernt, denn das Fesseln eines Bären galt unter Jägern als besonders schwierig; wer also behauptete, dass ihm dies gelungen war, konnte durchaus ein Prahlhans sein (oder auch ein »Bärenanbinder«, wie man damals sagte). So heißt es 1668 in Christoffel von Grimmelshausens »Simplicissimus«: »dass ich Ihnen, wenn ich nur aufschneiden wollen, seltsame Bären hätte anbinden können«. Und wer anderen weismachen konnte, er hätte einen Bären angebunden, der konnte sie auch überzeugen, dass er seine

Schulden zurückzahlen würde. Der Altmeister der deutschen Grammatik, der Sprachforscher und Lexikograph Johann Christoph Adelung (1732-1806), lässt beide Varianten, das Schuldenmachen wie auch das Weismachen (also Täuschen), als Erklärung für unsere Redewendung gelten. Vermutlich wurde aus »anbinden« später »aufbinden«, damit man beide Bedeutungen besser unterscheiden konnte. »Jemandem etwas aufbinden« galt nämlich im 17. und 18. Jahrhundert auch ohne Bären als Ausdruck für »die Unwahrheit sagen«, etwa in den Wendungen »einem etwas auf den Ärmel« oder »auf die Nase« binden.

Jemanden in die Bredouille bringen

Diese Redensart klingt nicht nur französisch, sie lässt sich auch nur mit Hilfe der französischen Sprache hinlänglich erklären. Nehmen wir zunächst das Hauptwort »bredouille«. Mit einiger Phantasie ließe sich rein lautmalerisch eine Verbindung zum deutschen Beiwort »brenzlig« herstellen. Doch das führt uns nicht weiter. Denn »bredouille« weist eher auf das Gegenteil hin: da treten wir nicht in die schwelende Glut eines Feuers, sondern glatt in die nasse Erde. Die Erklärung im »Dictionnaire Français-Allemand« bietet uns auf kryptische Weise den »Matschpfennig« oder auch einfach den »Matsch« als Übersetzung an.

Im Deutschen heißt »in der Bredouille sitzen« oder in ihr »stecken« jedoch vor allem: »in Verlegenheit sein«, »in der Patsche sitzen«. Der Ursprung liegt wohl im so genannten Tricktrack-Spiel, in dem eine Situation als »bedrouille« bezeichnet wurde, in der man sich nicht mehr frei bewegen konnte. Wen der Gegner dorthin gebracht hatte, der saß folglich in der Bredouille, das heißt an dieser Stelle in der Patsche – oder eben im Matsch. Im 18. Jahrhundert wurde der französische Begriff auch im deutschen Wortschatz heimisch. Nur die Bayern haben noch heute mit der fremden Sprache ihre liebe Not und sprechen aus diesem Grund davon, »in die Bredulti zu kommen«.

Auf den Busch klopfen

Die Jägersprache ist vielfältig, um nicht zu sagen: farbenprächtig – im übertragenen Sinne. Wenn mit Jagdgewehren ausgestattete Männer und Frauen, es könnten auch Vogelsteller sein, sich im Grünen tummeln, pflegen sie zuweilen kräftig auf den Busch zu klopfen, um das Wild aus dem Unterholz aufzuscheuchen. So wie Ludwig Uhland im Jahr 1811 dichtete:

»Mir hat geträumt, ich klopf auf den Busch,

Da rauschte der Hirsch heraus, husch, husch.«

Das geht absichtlich laut und lärmend zu. Ganz anders die Redewendung, die sich daraus entwickelt hat. »Auf den Busch klopfen« beschreibt heute eher ein Sondieren und Vorfühlen, einen vorsichtigen Versuch, herauszufinden, was ein Gegner oder Konkurrent plant. Das Verschwiegene, ja Geheimnisvolle stellt sich auch in abgewandelten Wendungen dar: Es ist etwas »im Busche«, also in Vorbereitung, in einer Ahnung, dass jemand einem Geheimnis auf der Spur ist. Desgleichen das Sprachbild: Mit einer Sache »hinter dem Busch halten« – verschwiegen sein können.

Alles in Butter

Wenn »alles in Butter« ist, dann ist es in bester Ordnung – es besteht keine Gefahr für nichts und niemanden. Aber wo sind die Wurzeln für diese merkwürdige Redensart zu finden? Manche Sprachforscher leiten sie aus den Anfangszeiten der Margarine her, die seit Ende des 19. Jahrhunderts als industriell hergestellter Ersatzstoff der Butter Konkurrenz machte. Mit dem Werbespruch »Alles in Butter« sollen Gastwirte darauf hingewiesen haben, dass sie nicht mit billigem Kunstfett kochten, sondern eben mit guter Butter.

Diese Erklärung kann freilich nicht ganz überzeugen. Stattdessen sollte man die Redewendung getrost beim Wort nehmen: Sie meint tatsächlich, dass »alles in Butter« ist. In feudaler Zeit wurden zerbrechliche Waren wie wertvolle Gläser oder Porzellane für den Transport in Butterfett eingegossen, damit sie auf dem Weg von den meist in Norditalien angesiedelten Produktionsstätten über die Alpen keinen Schaden nahmen. So gingen die Preziosen selbst dann nicht zu Bruch, wenn ein Fass auf holpriger Straße vom Wagen fiel. Die schützende Hülle aus erstarrtem Fett fing jeden Stoß ab. Auf besorgte Fragen nach dem Zustand der Ware konnte der Spediteur also stets beruhigend antworten: »Alles in Butter!«

Es gibt noch zahlreiche andere Redewendungen, die von der großen Bedeutung der Butter in alter Zeit zeugen. Ihr Sinn erschließt sich meist einfacher: Wer jemandem »die Butter auf dem Brot nicht gönnt«, ist zum Beispiel äußerst missgünstig; wer sich dieselbe »vom Brot nehmen« lässt, hat sich dagegen übervorteilen lassen.

C

Chuzpe [haben]

Das jiddische Wort »Chuzpe« stammt aus dem Hebräischen und ist nicht nur in den deutschen, sondern auch in den anglo-amerikanischen Sprachgebrauch eingegangen. Chuzpe ist die höchste Form von Frechheit, Unverschämtheit, Anmaßung und Arroganz, wie sie in keiner anderen Sprache klarer benannt werden kann. Ein klassisches Beispiel ist der Fall jenes Mannes, der Vater und Mutter erschlägt und dann »die Chuzpe hat«, vor Gericht um mildernde Umstände zu bitten, weil er doch Vollwaise sei. In Amerika ist auch das Substantiv »Chuzpenik« gebräuchlich, das jemanden bezeichnet, der laut um Hilfe schreit, während er gerade jemanden verprügelt.

Jiddisch-Kennerwie Leo Rosten warnen eindringlich davor, den Sachverhalt auf die leichte Schulter zu nehmen: Bitte seien Sie vorsichtig mit diesem Wort! Oft wird es mit einer zungenschnalzenden Anerkennung benutzt, die im ursprünglichen Wortgebrauch nicht enthalten ist.

D

Der letzte Dreck

Diese Bezeichnung ist eine jüngere Variante der seit dem Mittelalter kursierenden Redewendungen zum Thema Dreck. Der Ausdruck Dreck kann ganz Unterschiedliches bedeuten; er reicht von der Bezeichnung für völlig Wertloses bis zum Synonym für Geld. In Bayern erscheint die Verwendung des Wortes kurios: Man kann dort eine verächtliche Person ansprechen als »dem Dreck sei(n) Dreck« und zugleich die Liebste zärtlich rühmen: »Du Dreckel du!«

Der Schriftsteller Klaus Harpprecht, von der FAZ gebeten, sich zu Jonathan Littells Roman »Die Wohlgesinnten« zu äußern, bescheinigte dem Werk spontan, ein Geniestreich und der letzte Dreck zu sein. Zugleich bestätigte er dem Autor, er habe »durch die Genauigkeit seiner Recherchen und die schockierende Härte der Bilder mehr von der Realität des totalitären Staates (...), vom Horror des Krieges und vom Grauen der Vernichtung vermittelt, als es die unübersehbaren Bibliotheken der Fachliteratur (...) und der halbwissenschaftlichen Holocaust-Industrie zuwege brachten«. In summa habe Littell sagen wollen, dass sich in der Wahl seiner stilistischen Mittel erweise, dass die Nazis selbst der letzte Dreck gewesen seien. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

So verwirrend vielfältig wie die möglichen Bedeutungen von »Dreck« sind auch die Varianten, in denen das Wort im Laufe der Jahrhunderte aufgetreten ist: In den Wendungen »sich um jeden Dreck kümmern«, »einen Dreck wert sein« oder »sich um einen Dreck zanken« wird deutlich, dass Dreck etwas Unnützes und Wertloses ist. Das Anstößige und Unangenehme am Dreck wird in deutlich, wenn jemand »Dreck am Stecken« (also etwas verschuldet) hat – wer durch

Schmutz gegangen ist und sich die Schuhe geputzt hat, damit er sauber erscheint, verrät sich doch durch die Spuren an seinem Stecken.

Der »letzte Dreck« ist jedenfalls eine Steigerungsform von Dreck und mithin ein Ausdruck höchster Verachtung – es sei denn, jemand nennt sich selbst so, wie zum Beispiel einige Berliner Punks, die »Der letzte Dreck« als Selbstbezeichnung gewählt haben.

Jetzt schlägt’s dreizehn

Ein Roman von Agatha Christie ist betitelt: »Dreizehn bei Tisch« – und das verhieß nichts Gutes. Ein Mord lag gewissermaßen in der Luft, und eine Redensart konnte ihre treffende Bedeutung abermals unter Beweis stellen. Jawohl: die Dreizehn ist eine Unglückszahl, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Wer die Dreizehn heraufbeschwört, dem schwant Schreckliches. Da eine Uhr niemals dreizehn Schläge ausführt, heißt: »Jetzt schlägt’s dreizehn«, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.

Die Volksweisheit sagt nicht ohne Grund: Dreizehn ist des Teufels Dutzend. Die Dreizehn überschreitet das Duodezimalsystem und zerstörtfolglich eine gesetzte Ordnung. Das macht sie unheimlich, drohend, gefährlich. Die magische Zwölf dagegen, findet sich in allen möglichen Sprachbildern wieder: zum Beispiel in den zwölf Aposteln, zwölf Schöffen (bei Gericht), zwölf Tierkreiszeichen, zwölf Stämmen Israels, zwölf Propheten oder bei den zwölf Jüngern Jesu.

Im Christentum vor allem ist die Orakelzahl Dreizehn stets mit schlimmen Ahnungen gepaart, drohendes Unheil und Verderben andeutend. Ganz schlimm wird die Sache, wenn ein Freitag auf den dreizehnten Tag des Monats fällt. Das hängt damit zusammen, dass der Freitag (als Tag der Kreuzigung) an sich schon eine schlimme Bedeutung hat.

E

Du heilige Einfalt!

In schwierigen Situationen pflegt so mancher Gläubige einen der unzähligen Heiligen anzurufen, die die christliche Überlieferung kennt. Dieser – in früheren Zeiten noch viel stärker gepflegte – Brauch hat auch zu scherzhaften Abwandlungen geführt, zum Beispiel zur Wendung: »Heiliger Sankt Benedikt, ich bin schon wieder eingenickt«. Auch die Anrufung des »heiligen Strohsacks« oder des »heiligen Bimbams« ist verbreitet. Solche Wendungen haben mit echten Heiligen natürlich nichts zu tun; sie drücken einfach Verwunderung und zuweilen auch einen spöttischen Tadel aus.

Die »heilige Einfalt« reiht sich in diese Bedeutungslinie ein, hatabereinen ernsteren Hintergrund. Der Überlieferung nach rief der böhmische Reformator Jan Hus (1369-1415) diese Worte auf dem Scheiterhaufen aus, als er sah, wie die Gläubigen in blindem Eifer Holz zu den Flammen herbei trugen. Welche Sprache Hus in dieser brenzligen Situation verwandte, ist nicht überliefert; sicher ist aber, dass er sich auf die lateinische Wendung »sancta simplicitas« bezog. Mit diesen Worten hatte einst der Kirchenvater Hieronymus die einfache Sprache des Neuen Testaments gelobt. Ursprünglich galt die Einfachheit oder Einfalt nämlich durchaus als eine Tugend. Man denke nur an die ersten Worte der Bergpredigt: »Selig sind, die da geistlich arm sind«. Ob heilig oder selig – die Einfältigen sind immer ahnungslos, naiv oder auch unbekümmert wie ein Kind bzw. wie ein Kind gebliebener Erwachsener. Für viele Christen ist und bleibt dieser Zustand erstrebenswert, wie es auch ein Kirchenlied von Matthias Claudius andeutet:

»Gott, lass dein Heil uns schauen, auf nichts

Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun;

lass uns einfältig werden und vor dir hier

auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.«

Wer nicht ganz so fromm ist, der kann angesichts all der Einfalt nur verächtlich schnauben wie Goethes Mephistopheles, als er den zögerlichen Faust zum Lügen drängt: »Sancta Simplicitas! Drum ist’s nicht zu tun, Bezeugt nur, ohne viel zu wissen.«

Eulen nach Athen tragen

Bei dieser Redensart können die Absolventen des humanistischen Gymnasiums zeigen, was sie gelernt haben. Freilich sind solche heutzutage in Deutschland nur noch selten anzutreffen – ganz anders als Eulen im antiken Athen. Und damit ist auch schon der eigentliche Sinn der Redewendung anesprochen: Wer »Eulen nach Athen trägt«, tut etwas vollkommen Unnötiges, weil er etwas bringt, das schon im Überfluss vorhanden ist. Der Griechisch-Lehrer wird an dieser Stelle auf die Komödie »Die Vögel« des griechischen Klassikers Aristophanes (445386 v. Chr.) verweisen, in der eine herbei fliegende Eule beim Volk die Frage aufwirft: »Wer hat die Eule nach Athen gebracht?«

Tatsächlich gehörte die Eule (zoologisch korrekt: das Käuzchen) zum Stadtbild der griechischen Metropole, wo die zerklüftete Umgebung der Akropolis ihr ideale Lebensbedingungen bot. Als Symbol der Klugheit war sie zudem ein Attribut der Athene, der Schutzgöttin der Stadt, und also auch in zahlreichen bildlichen Darstellungen präsent – nicht zuletzt auf den athenischen Münzen, die deswegen umgangssprachlich einfach »Eulen« genannt wurden. Daher heißt es bei Aristophanes an anderer Stelle auch: »An Eulen wird es nie mangeln«, was natürlich nicht unbedingt für jeden einzelnen Bürger galt, wohl aber für den »Staat«, der damals wie heute nicht bankrott gehen konnte.

Die Weisheiten der alten Griechen sind zeitlos, die Sprache dagegen nicht. Während die Bildungsbürger auch in Deutschland immer davon sprachen, »Eulen nach Athen« zu tragen, fanden die weniger belesenen Zeitgenossen leichter verständliche Entsprechungen für die klassische Eulen-Pointe: Davon zeugen Redewendungen wie »Holz in den Wald« oder »Wasser in den Rhein« tragen, »Bier nach München bringen« oder »den Fröschen zu trinken geben«. Analog ist in Großbritannien die Wendung »Wasser in die Themse tragen« geläufig, in Russland bringt man »Schnee nach Lappland«, in Frankreich »Blätter in den Wald« und in Italien verkauft man »dem Bienenzüchter Honig«. Entscheidend bleibt, dass etwas ganz und gar Unnötiges getan wird.

F

Sich wie ein roter Faden hindurch ziehen

Der »rote Faden« ist ein leitender Gedanke, der sich (im besten Falle jedenfalls) durch eine Rede, eine historische Betrachtung oder ein Buch ununterbrochen hindurch zieht und das Ganze zusammen hält. Dieses Sprachbild haben wir, wie so viele andere, Johann Wolfgang von Goethe zu verdanken, der es in seinem Roman »Die Wahlverwandtschaften« (1809) erstmals verwendete. Darin zieht sich ein »roter Faden« durch das Tagebuch der Heldin Ottilie – und damit der Leser auch versteht, was damit gemeint ist, liefert der Autor die Erklärung gleich mit: »Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine: Sämtliche Tauwerke der Königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, dass sie der Krone gehören. Ebenso zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, der alles verbindet und das Ganze bezeichnet.«

Dank Goethe ist dieser Brauch, der in der britischen Flotte tatsächlich seit 1776 nachweisbar ist, in die deutsche Sprache eingegangen. So sehr sogar, dass selbst der Begriff »den Faden verlieren« (will heißen: aus dem Konzept kommen), der viel älter ist und aus dem Wortschatz der Schneider stammt, in der Variante »den roten Faden verlieren« geläufig ist.

Ein [zu] weites Feld

Hier wurde ein Dichterwort zu einer Redewendung. Für gewöhnlich wird der Satz »Das ist ein weites Feld« von Theodor Fontanes Roman »Effie Briest« (1894) hergeleitet – dort aber steht ausdrücklich: »Das ist ein zu weites Feld«. In der Form, in der die Redewendung allgemein gebraucht wird, kann sie sich eher auf Adalbert Stifters 1857 erschienenen Roman »Der Nachsommer« berufen. Darin heißt es nämlich: »Das ist ein weites Feld, von dem ihr da redet ...«. Literarische Vorläufer sind bereits im 17. Jahrhundert zu finden, etwa in Grimmelshausens Schelmenroman »Simplicissimus«, aus dem die Wendung »in weitem Felde stehen« belegt ist. In dieser Form war jedoch etwas anderes gemeint: nämlich etwas Unsicheres, noch nicht unmittelbar Bevorstehendes. Dieses Bild stammte aus der Landwirtschaft: Das Getreide, das noch im Feld steht, gehört erst nach der Ernte zum sicheren Besitz des Bauern.

Zu Stifters Zeiten dagegen bezog sich der Begriff »Feld« im übertragenen Sinn auf ein großes, schwer überschaubares Sachgebiet – »c’estune vaste sujet«, wie es im Französischen heißt. Fontane steigerte dann die Redewendung zum »zu weiten Feld«, um von den offensichtlich letzten Dingen zu reden. Die Schlusspassage seines Romans besteht in einem Dialog zwischen Effie Briests Vater und Mutter, vier Wochen nach der Beerdigung ihrer Tochter: »Welche Fragen? – Ob wir nicht doch vielleicht schuld sind? – Unsinn, Luise. Wie meinst du das? (...) – Rollo [der Hund], der bei diesen Worten aufwachte, schüttelte den Kopflangsam hin und her, und Briest sagte ruhig: Ach, Luise, laß ... das ist ein zu weites Feld.«

Dem Wortlaut des Originals zum Trotz hat 199 5 Günther Grass mit seinem Roman-Titel: »Ein weites Feld« ausdrücklich eine Anleihe bei Fontane machen wollen. Es lohnt sich allerdings nicht, darüber nachzugrübeln, ob er unbewusst oder bewusst falsch zitierte. Das wäre ein zu weites Feld...

Fisimatenten machen

Selbst erprobte Lateiner hätten ihre Mühe damit, vom umgangssprachlichen Wort »Fisimatenten« auf das ursprünglich lateinische »visae patentes literae« zu schließen. So lautete nämlich ab dem 15. Jahrhundert der amtliche Ausdruck für behördliche Urkunden und Patente; im 16. Jahrhundert wurde daraus die Abkürzung »visepatentes«, die spöttisch auch als Bezeichnung für jene überflüssigen Langwierigkeiten und Umstände diente, die brave Bürger über sich ergehen lassen mussten, wenn sie ein solches amtliches Schriftstück erhalten wollten. Es darf vermutet werden, dass wegen des ähnlichen Wortklanges daraus nach und nach das Wort »visamente« (= heraldische Einteilung eines Wappens; später auch: unverständlicher Zierat) entstand. Der Volksmund verformte diese merkwürdig klingenden lateinischen Begriffe zu jenen sprichwörtlichen »Fisimatenten«, die zu machen auch heute noch bedeutet: Umstände oder nichtige Einwände machen.

Wo es an lateinischen Sprachkenntnissen mangelte, setzte sich im 19. Jahrhundert eine ganz andere Erklärung der Redewendung durch: In Mainz zum Beispiel führt man sie darauf zurück, dass während der Revolutionskriege französische Offiziere deutsche Mädchen mit den Worten »Visitez ma tente!« (Besuchen Sie mein Zelt!) aufgefordert hätten, sich für ein Schäferstündchen bereit zu halten. Anderswo wurde die Floskel als Ausrede verspäteter Passanten bei der Kontrolle durch die Wachen gedeutet: »Je viens de visiter ma tante« (Ich war mal eben meine Tante besuchen).

Flagge zeigen

Diese Redensart stammt – wie die meisten, in denen es um Flaggen geht – aus der Seemannssprache. Wenn sich zwei Schiffe auf hoher See begegneten, dann zeigten sie mit ihrer Flagge schon von weiten, zu welcher Nation sie gehörten. So konnte man zwischen Freund oder Feind unterscheiden und dem anderen entweder ausweichen oder sich ihm zum Austausch von Neuigkeiten nähern. Wer keine Flagge zeigte, machte sich dagegen verdächtig; und wer gar »unter fremder Flagge segelte«, handelte verwerflich, weil er seine tatsächlichen Absichten verbarg. Ähnliche Sprachbilder gibt es auch ohne maritimen Bezug: etwa »mit offenem Visier kämpfen« oder ↑ »zeigen, was man im Schilde führt« – stets geht es darum, die eigene Identität zu offenbaren, in übertragener Bedeutung, seine Meinung oder Parteizugehörigkeit öffentlich kundzutun. In seltenen Fällen kann man dies auch durch »Flagge streichen« tun.

Normalerweise ist damit gemeint, sich geschlagen geben, den Rückzug antreten, sein Versagen bekennen. Nicht so der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer! Als sich 1933 die Führungs-Clique der Nationalsozialisten zu einem Besuch in Köln angekündigt hatte, ordneten übereifrige Bedienstete der Kommunalverwaltung an, an allen öffentlichen Gebäuden die HakenkreuzFahne zu hissen. Erbost über diese Eigenmächtigkeit ließ Adenauer die Beflaggung umgehend wieder einziehen. Ergebnis: das Stadtoberhaupt verlor seinen Posten und zog sich für die Zeit der Nazi-Herrschaft aus dem politischen Leben zurück. Klägliches Versagen? Peinlicher Verlust der Souveränität? Keineswegs: Ein seltener Fall von Flagge zeigen – durch Flagge streichen!

Die Flinte ins Korn werfen

Wer wird denn gleich alles verloren geben? Etwas mehr Mut, bitte schön! Das sollte gerade für Soldaten gelten. Aber ausgerechnet dieser Berufsstand stand Pate für die Redewendung »die Flinte ins Korn werfen«, was nichts anderes bedeutet als »entmutigt aufgeben«.

Der Begriff »Flinte« verweist auf die Epoche, in der die Redewendung entstanden ist; solche Vorderlader mit einem Zündschloss aus Feuerstein waren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hinein gebräuchlich. Damals waren die meisten Soldaten Söldner, die sich für Geld hatten anwerben lassen und die vor allem an ihrem Sold und gegebenenfalls an Beute interessiert waren; ihr Kampfesmut ließ sich an diesen Möglichkeiten messen. Wurde ihnen die Sache zu heiß, waren sie begreiflicherweise oft nicht bereit, bis zum bitteren Ende weiter zu kämpfen. Von daher wird ihre Neigung zur rechtzeitigen Flucht durchaus verständlich. Die Flinte war dabei nur hinderlich – und da die meisten Schlachten auf Feldern und Äckern stattfanden, landete sie eben oft »im Korn«.

Jemandem einen Floh ins Ohr setzen

In der Verfilmung von Jules Vernes »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« findet sich das hübsche Zitat: »Alle Forscher haben einen Floh im Ohr«. Will sagen: Jemand hat sie aufeinen Gedanken gebracht, von dem sie nicht lassen können.

Ursprünglich meint die Redewendung jedoch: jemanden mit einer Nachrichtbeunruhigen, ihn misstrauisch machen, oder auch umgekehrt: ihn auf die richtige Spur setzen. In Grimmelshausens »Simplicissimus« kann man zu diesem Punkt lesen: »... denn Springinsfeld hatte mir einen unruhigen Floh ins Ohr gesetzt«. Verwandt ist die Redensart »jemandem eine Laus in den Pelz« oder – wie Jeremias Gotthelf im 18. Jahrhundert schrieb – »hinter die Ohren« setzen. Läuse in den Pelz setzen, das war nach früherer Lesart gleichbedeutend mit ↑ Eulen nach Athen tragen, denn Läuse gab es in jedem Pelz genug. Später meinte man damit: jemandem Ärger bereiten, oder: ihn misstrauisch machen.

Man möchte sich alsbald am Ohr kratzen, so kitzlig wird die Sache langsam. Läuse und Flöhe wimmeln in zahlreichen Redensarten. Wer empfindlich und feinnervig reagiert, der hört zuweilen die Flöhe husten. Weniger freundlich klingt die Wendung: »Du bist wohl vom Floh gebissen worden!« – sie drückt spontane Ablehnung aus. Und wenn sich einer mit schier unlösbaren Problemen konfrontiert sieht, pflegt er zu stöhnen: Lieber einen Sack Flöhe hüten, als diese verdammt schwierige Aufgabe zu lösen!

Fraktur reden

Wer »Fraktur redet«, will Ecken und Kanten zeigen. Er kommt unverblümt und ohne Umschweife zur Sache und schreckt zuweilen auch vor Grobheiten nicht zurück. Obwohl es sich dabei um mündliche Kommunikation handelt, geht die Floskel auf die Schriftsprache zurück – nämlich auf die Fraktur-Schrift, die im Gegensatz zur heute noch gebräuchlichen Familie der Antiqua-Schriften durch gebrochene Linien und scharfgeschnittene Zuspitzungen geprägt war. Dadurch entstand ein von Ecken und Kanten geprägtes Schriftbild, das im 17. Jahrhundert Pate stand für die Bezeichnung eines ebensolchen Redestils.

Die Fraktur (lateinisch »fractura«, abgeleitet vom Verbum »frangere« = brechen) gehört einer, wie Thomas Mann es ausgedrückt hätte, von Edelrost überzogenen Epoche an. Zur Zeit der Gotik entstanden, war sie bis ins 18. Jahrhundert hinein die einzig gebräuchliche Schreib- und Druckschrift für deutsche Texte. Nur lateinische Texte wurden in Antiqua gedruckt; daher nannte man diese Schriftart oft auch »lateinische« und die Fraktur »deutsche« Schrift.

In völliger Verkennung dieser Tatsache verboten allerdings die Nationalsozialisten mit Erlass vom 3. Januar 1941 die weitere Verwendung der Fraktur-Schrift, die kurz zuvor offiziell noch als die deutscheste aller Schriften gegolten hatte. Hatte man noch 1937 jüdischen Zeitungsverlagen die Verwendung der (deutschen) Fraktur untersagt, so wurde sie 1941 umgekehrt den Deutschen verboten – mit der abseitigen Begründung, sie bestehe aus so genannten »Schwabacher Judenlettern«. Dass dieser sprachgeschichtliche Nonsens plötzlich als Nonplusultra galt, hatte ganz handfeste Gründe: Weil im restlichen Europa einzig die Antiqua gebräuchlich war, stand die Fraktur einer Ausbreitung der deutschen Sprache (und damit der deutschen Herrschaft) im Wege. Die Nazi-Führung traute sich allerdings in diesem Fall nicht, mit der Bevölkerung »Fraktur zu reden« und unumwunden die Gründe für die Abschaffung der äußerst populären Schrift zu nennen. Stattdessen schob man mal wieder den Juden den ↑ schwarzen Peter zu.

Frank und frei

»Frank und frei« reden – das meint, etwas direkt und unverblümt und ungehemmt von möglicherweise falschen Rücksichten auf empfindsame Gemüter zu sagen. Die Sinnfälligkeit dieser Redewendung kommt besonders schön in der Ernst-Lubitsch-Komödie »Blaubarts achte Frau« zum Ausdruck. Der Büroangestellte Albert de Regnier (David Niven) fragt die aus verarmter gräflicher Familie stammende Nicole de Loiselle (Claudette Colbert): »Was kannst du denn?« Worauf die hübsche Nicole mit entwaffnender Ehrlichkeit antwortet: »Frank und frei gesagt: Nichts!«

Die Redensart ist natürlich älter als dieser 1938 gedrehte (und wesentlich später erst ins Deutsche synchronisierte) Film. Sie geht zurück auf den germanischen Stamm der Franken, die in ihrem nordfranzösischen Siedlungsgebiet »franc et libre de toutes tailles« (= frei und befreit von jeglichen Steuern) waren. Bei den Nachbarn der Franken wurde daher der Stammesname zur allgemeinen Bezeichnung für einen freien Mann; im Italienischen, Spanischen und Portugiesischen heißt »frei« daher »franco«. In der deutschen Sprache bürgerte sich die Bezeichnung dagegen erst im späten 15. Jahrhundert im Begriffspaar »frank und frei« ein. Solche »stabreimenden Zwillingsformeln« (wie Bausch und Bogen*, Feuer und Flamme, Gift und Galle, Haus und Hof oder Mann und Maus) sind im Deutschen sehr beliebt.

Dass »frank« und »frei« gleichbedeutend sind, weiß im Grunde jeder, der schon einmal einen Brief »frankiert« – also »freigemacht« – hat. Dieses Wort wurde im 17. Jahrhundert aus dem Italienischen übernommen, von wo auch der Begriff »franko« – »postfrei« – stammt. »II porto è franco« hieß: Die Zustellung (wörtlich »das Tragen«) ist frei.

H

Sein Herz ausschütten

Was kann man mit dem Herzen nicht alles anfangen! Man ist geneigt, jemandem »sein Herz zu schenken«; man kann jemanden »in seinem Herzen tragen« oder »jemandem ins Herz sehen«. Eine andere Variante wäre: »seinem Herzen einen Stoß zu geben« oder »das Herz in die Hand zu nehmen«. Wer jemandem »das Herz bricht«, macht ihn todunglücklich, und wer andererseits nicht an »gebrochenem Herzen« sterben möchte, hat sich dafür entschieden, alle Dinge leicht zu nehmen. Wer eine bedrückende Sorge los wird, dem »fällt ein Stein vom Herzen«.

Entlastend ist es auch, gelegentlich »seinem Herzen Luft zu machen«, also seine Wut oder Enttäuschung offen zum Ausdruck zu bringen. Als offenherzig gilt ebenfalls seit bib – lischen Zeiten, wer »aus seinem Herzen keine Mördergrube macht«. Dagegen ist es nicht immer ratsam, »sein Herz auf der Zunge zu tragen«, also alles ungeschützt preiszugeben, was in einem vorgeht – denn dabei tritt oft nur Halbdurchdachtes zu Tage. So heißt es schon im Alten Testament (Sir. 21,28) warnend: »Die Narren tragen ihr Herz auf der Zunge, aber die Weisen haben ihren Mund im Herzen«.

Auch die Wendung »sein Herz ausschütten« geht auf die Bibel zurück, in der dieses Organ als Sitz des Glaubens und Empfindens ohnehin eine große Rolle spielt. Wer »sein Herz ausschüttet« (dem Allerhöchsten oder einem Mitmenschen), der will sich aussprechen, ohne Einschränkung, und alles sagen, »was ihm auf dem Herzen liegt«. Das Bild vom Herzen als Gefäß begegnet häufig, etwa im Matthäus-Evangelium (Mat. 12,34), wo es heißt: »Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über«. Dass jemand sein überquellendes Herz ausschüttet, wird im Alten Testament erstmals beschrieben: So schüttet Hanna,

die Mutter König Samuels, im Gebet ihr Herz vor Gott aus – und muss sich daraufhin gegen den Anwurf verteidigen, betrunken zu sein (1. Sam. 1,15). König David dagegen schüttete sein Herz vor sich selbst aus: »Daran will ich denken / und ausschütten mein Herz bei mir selbst« (Ps. 42,5). In der Übersetzung von Leopold Zunz – dem Begründer der neuzeitlichen JudaikaForschung – wird dagegen nicht geschüttet; stattdessen lautet diese Stelle auf höchst poetische Weise: »Meine Tränen wurden mir zur Speise Tag und Nacht, da man zu mir spricht: Wo ist dein Gott? Wenn ich daran denke: o dann zerfließt das Herz in mir unter Jubel, unter Lobgesängen einer feiernden Menge.« Bei solchen Worten geht wohl selbst dem Ungläubigen das Herz auf.

Das ist doch die Höhe!

Dieser Ausruf des Erstaunens oder scharfer Missbilligung ist fällig, wenn jemand uns auf die Nerven geht, seine Kompetenzen sicht- und fühlbar überschreitet und damit zum Widerspruch reizt. Der Ursprung liegt vermutlich in der »rechten Höhe«, die in der Handwerkersprache das richtige, passende Maß bezeichnete. So findet man die Wendung: »Das ist die rechte Höhe!« oft in der Literatur des 18. Jahrhunderts, nicht zuletzt in Schillers Stücken »Die Räuber« oder »Kabale und Liebe«. Ein Dialog aus der Komödie »Der neue Menoza« des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz zeigt, dass ursprünglich das Erfüllen, nicht das Überschreiten des rechten Maßes gemeint war:

»Zierau: ›Mich deucht, vernünftig leben ist das beste

System.«

Beza: ›Ja, das ist die rechte Höhe.‹

Prinz: ›Wohl die rechte – wird aber nie ganz erreicht.‹«

Die Wandlung zu einem Ausruf der Empörung fand wohl später statt. Heute meint man, dass die »rechte Höhe« – weil überzogen – verfehlt wurde, dass mithin das Maß des Unerhörten, nicht zu Überbietenden oder Unverständlichen erreicht ist.

Eine verwandte Redensart, in der die Höhe eine zentrale Bedeutung hat, lautet: »auf der Höhe sein«, also uneingeschränkt leistungsfähig oder zeitgemäß oder gesund sein. Ein Verlagsprogramm kann ausdrücklich mit der Bemerkung gelobt werden, dass es auf der Höhe seiner Zeit ist.

Da liegt der Hund begraben

Der Weimarer Klassiker Christoph Martin Wieland hat es vor 250 Jahren schon gewusst und beschrieben: »Man entdeckt oft erst beim zweiten oder dritten Male, wo der Hund begraben liegt«, heißt es in seiner »Geschichte des weisen Danischmend«. Wo »der Hund begraben liegt«, da »liegt auch der Hase im Pfeffer«* – es handelt sich also um das Wesentliche einer Sache, um das, worauf es ankommt, um den ↑ »springenden Punkt«, »des Pudels Kern« oder auch die Wurzel des Übels.

Zur Erklärung dieser Redewendung gibt es eine Reihe von Vorschlägen. Der Philologe Georg Büchmann glaubte ihren Ursprung in den Wäldern Thüringens gefunden zu haben, wo in der Nähe der Schlossruine von Winterstein tatsächlich ein Hund begraben liegt. Von ihm kündet eine große Grabplatte, die ihm seine trauernden Besitzer gestiftet haben:

»An(n)o 1630 Ja(h)r d(e)r/ 19 Marciward / Ein Hund hie-her / Begrawen(,) das i(h)n nicht fressen die / Rawen(,) war sein Name Stuczel genan(n)t / Fürsten und Her(r)n wo(h) 1 bekannt(,) geschah / Ob seiner grossen Treulichkeit(,) die er / Seinem Her(rn) und Frauen beweist.«

Allerdings ist die Herleitung vom treuen Hund »Stuczel« sehr unwahrscheinlich, denn die Redewendung war weit über Thüringen hinaus bekannt und gebräuchlich. Sogar im Niederländischen sagt man: »Daar ligt de hond begraven«. Die Franzosen dagegen sagen: »C’est là qu’est le lièvre« (»Da liegt der Hase«), was zu der Deutung geführt hat, Hund und Hase stünden gleichermaßen für ein Geheimnis beziehungsweise für ein verborgenes Übel; das Versteck des Hasen sei genauso schwer zu finden wie das Grab eines Hundes – wer die fragliche Stelle ausgekundschaftet habe, sei also hinter ein Geheimnis gekommen. Während der Hase jedoch eine lohnende Jagdbeute war, bleibt es

unklar, was jemanden bewegt haben sollte, nach einem toten Hund zu suchen.

Tatsächlich geht die Vorstellung vom »begrabenen Hund« eher auf die Volkssage vom Schatzhüterhund zurück, der die tief in der Erde verborgenen Reichtümer vor Schatzgräbern bewachte. Goethe verarbeitet diese Sage im zweiten Teil des »Faust«, wo er Mephisto darüber spotten lässt, dass die tumbe Menge an seinen Schatzgräberfähigkeiten zweifelt:

»Da stehen sie umher und staunen, Vertrauen nicht dem hohen Fund; Der eine faselt von Alraunen, Der andre von dem schwarzen Hund.«

Der »schwarze Hund« war dabei auch eine Umschreibung für den Teufel, der im Volksglauben häufig ebenfalls als Schatzwächter auftrat. Da man den Teufel nicht beim Namen nennen sollte, gab es eine Vielzahl solcher Umschreibungen – in unserem Zusammenhang die bedeutsame: »Da liegt ein Musikant begraben« oder, wiederum aus »Faust« zitiert: »Da liegt der Spielmann, liegt der Schatz«. Und auf den kommt es bekanntlich an.

Sich etwas an den Hut stecken (können)

Der Hut gilt in der Mode immer noch als krönender Abschluss und Höhepunkt eleganter Kleidung. In früheren Zeiten gehörte er dagegen zur ganz gewöhnlichen Alltagsbekleidung, und von daher erklärt sich auch die Vielzahl von Redewendungen, die um den Hut kreisen. Oft zeigte die Kopfbedeckung zugleich die soziale Stellung des Behüteten, sie markierte Geschlecht oder Religionszugehörigkeit und konnte sogar Gemütszustände, etwa Freude oder Schmerz, demonstrieren. Nach den Versen von Johann Christian Günther (1695 – 1723):

»Aus diesem unbewiesnen Grunde

Hat alle Zeit und jedes Land

Witz, Vorrecht, Herrschaft, Ruhm und Freiheit

Allein dem Hute zuerkannt.«

Die Sitte, sich etwas an den Hut zu stecken, ist ebenfalls sehr alt, man denke nur an die Helmzier mittelalterlicher Ritter oder an die Federn, Zweige und Gamsbärte an Hüten späterer Jahrhunderte. Auch bunte Bänder, Medaillen, Kokarden oder Blumen steckte man sich gern an die Kopfbedeckung, mal als Erinnerung an die Liebste, mal als Ausdruck einer Geisteshaltung oder Weltanschauung. »Wohl jauchzen die andern und schwingen die Hüt’, / Viel Bänder drauf und viel edle Blüt’«, heißt es zum Beispiel in Ludwig Uhlands Gedicht »Abschied«. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam dann die

Redewendung »Das kannst du dir an den Hut stecken!« auf, möglicher Weise als Anspielung auf die Sitte der zum Militärdienst ausgemusterten jungen Männer, sich Papierblumen an den Hut zu stecken.

Auf jeden Fall wurde das An-den-Hut-Gesteckte nur noch als überflüssiger, wertloser Zierat betrachtet, auf den man keinen großen Wert legte. Denn das ist der Sinn dieser grob abweisenden Redensart: Das kannst du behalten, ich will es nicht haben!

Die Kopfbedeckung dient auch in anderen Wendungen dazu, anderen die eigene Meinung oder Haltung zu demonstrieren. So galt, den Hut zum Gruße abzunehmen, in alten Zeiten als Huldigung eines Untergebenen. Deshalb heißt es in Friedrich Schillers Drama »Die Piccolomini«:

»Des Menschen Zierrat ist der Hut,

denn wer den Hut nicht sitzen lassen darf

vor Kaiser und Königen, der ist kein Mann der Freiheit.«

So gilt es auch heute noch als respektvolle Äußerung, wenn man sagt: »Man muss den Hut vor ihm abnehmen!« Eine rheinische Variante läuft darauf hinaus, mit dieser oder jener Profession oder Neigung »nichts am Hut« zu haben. Meist sagt der Rheinländer nur: »Damit hab ich nichts am Hütchen!« Wer sich über irgendeinen Menschen oder einen Vorfall ärgert, dem geht etwas über die Hutschnur, was in manchen Fällen dazu führen kann, dass jemand »seinen Hut nehmen«, also von seinem Amt zurücktreten muss.

J

Alle Jubeljahre einmal

Bei dieser Wendung spricht Bedauern mit. Was »alle Jubeljahre einmal« passiert, passiert nämlich äußerst selten. Die Redewendung geht zurück auf ein mosaisches Gesetz, nach dem auf sieben mal sieben Sabbatjahre ein Erlassjahr zu folgen habe: »Da sollst du die Posaune blasen lassen durch euer ganzes Land am zehnten Tage des siebenten Monats, am Versöhnungstag. Und ihr sollt das fünfzigste Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Lande« (3. Mose 25,8–9).

Wegen des vorgeschriebenen Posaunenklangs wurde dieses Jahr auch »Jubeljahr« genannt (nach jobel, hebräisch = lauter Schall); Martin Luther nannte dieses Jahr, das bedauerlicher Weise so selten gezählt wurde, »Halljahr«: »Das ist das Halljahr, da jedermann wieder zu dem Seinen kommen soll« (3. Mose 25,13). Das konnte bedeuten, dass verloren gegangenes Ackerland an die Eigentümer zurückgegeben wurde und in Knechtschaft geratene Israeliten ihre Freiheit wiedererlangen oder zahlungsunfähige Schuldner freigekauft werden konnten.

Im Christentum denkt man beim Jubeljahr (abgeleitet von jubilare, lat. = jauchzen) an das Jahr 1300 zurück, in dem Papst Bonifazius VI II. es in Anlehnung an den alttestamentarischen Brauch zum ersten Mal feiern ließ. Jedem Gläubigen, der in einem solchen Jubeljahr Rom besuchte, wurde auf Verlangen ein vollkommener Ablass seiner Sünden gewährt. Neulinge wurden allerdings verpflichtet, ihren Aufenthalt in der Ewigen Stadt auf mindestens 15 Tage auszudehnen; ein gewinnbringendes Geschäft für die Kirche wie für die römische Tourismusbranche. Bonifazius’ Nachfolger beeilten sich, die viel zu großen Abstände zwischen den Jubeljahren von ursprünglich 100 auf jeweils 25

Jahre zu verkürzen, um die Ertragslage des Vatikans zu sichern. Das bislang letzte Jubeljahr wurde im Jahr 2000 unter dem Motto »Christus gestern, heute und in Ewigkeit« gefeiert; das nächste steht dann wohl 2025 bevor. Falls der Zyklus zwischenzeitlich nicht noch einmal verkürzt wird ...

K

Alles über einen Kamm scheren

...heißt, alles nach demselben Schema zu behandeln. Das ist natürlich eine grobe gedankliche Fahrlässigkeit, die Gleichmacherei im Gefolge hat und selten brauchbare Ergebnisse zeitigt. Unterschiede werden nicht gewürdigt, weil nicht wahrgenommen, Differenzierungen unterbleiben, weil man sich mit pauschalen Urteilen begnügt.

Die Redewendung ist seit dem 16. Jahrhundert (nicht nur in Deutschland) bezeugt; sie nimmt Bezug auf die Gewohnheit vieler Bader, ihre Kunden ohne Unterschied mit ein und demselben Kamm zu bedienen. Im Gegensatz zu Schafzüchtern, die durchaus einen Unterschied machten zwischen grober und feiner Wolle, und entsprechend unterschiedliche Kämme benutzten.

Eine ganz andere Art von Kamm ist gemeint, wenn »einem der Kamm schwillt«, d. h. wenn jemand in Zorn gerät und sich dementsprechend verhält. Bei dieser Redensart stand der Hahnenkamm Pate, der anschwillt und sich tief rot färbt, wenn sein Träger in Wut gerät. Da hilft es nicht, den Wüterich über den Kamm zu scheren – sinnvoll wäre höchstens, ihm den »Kamm zu stutzen«, also seinen Übermut zu dämpfen.

Etwas auf die hohe Kante legen

Danach strebt ein jeder, der im Alter finanziell nicht ganz und gar verkümmern möchte. Denn beim zitierten »etwas« handelt es sich um Geld, das man spart und beiseite legt. Aber wo befindet sie sich, die »hohe Kante«? Und woher kommt ihre Bedeutung?

Die Wendung könnte auf die Gewohnheit sparsamer Leute zurückgehen, ihre Münzen in Papier zu rollen. Wird eine solche Rolle liegend verwahrt, dann stehen die Geldstücke darin hochkant, also »auf der Kante«. Überzeugender klingt die These, mit der »hohen Kante« seien etwa Sims, Schrank oder Wandbrett gemeint, an die nicht jeder ohne weiteres herankam. In niederrheinischen Bauernhöfen, zum Beispiel, kann man noch heutigentags Bettgestelle mit Baldachin, also mit Dach nebst Vorhängen, besichtigen. In den Balken ganz oben befinden sich Geheimfächer, in denen auf Sparsamkeit und Altersvorsorge erpichte Bauern wertvolle Münzen verbargen – auch das könnte als »hohe Kante« bezeichnet werden ...

Um die Redensart rankt sich auch eine Anekdote über den preußischen König Friedrich den Großen. Der hatte einen Kutscher namens Pfund, bei dem der König im Stall auf der Kante eines Brettes zu Säulchen gestapelte Silbertaler fand. Das machte Friedrich neugierig:

»Kerl, was hat Er da?«

»Lauter Talers, Majestät!«

»Sehe ich selber, aber was tun die hier?«

»Ick hab se uff die hohe Kante jelegt, für wenn ick mal vor die Tür gesetzt werden sollte.«

»Aber Pfund, traut er mir das zu –?«

»Majestät, neulich wäre et bald soweit jewesen ...«

Der König schüttelte den Kopf und ritt davon. Am nächsten Morgen aber sandte er dem Kutscher weitere zehn Taler – zusammen mit der Aufforderung: »Lege Er es ebenfalls auf die hohe Kante. Aber mache Er sich keine unnützen Flausen.«

Merke – manchmal zahlt es sich aus ↑ »frank und frei« mit seinem Chef zu reden ...

*Vgl. Karl-Hugo Pruys, Bis in die Puppen, Berlin 2008

* Vgl. Karl-Hugo Pruys, Bis in die Puppen, Berlin 2008.

Die rote Karte zeigen

Diese Redensart ist dem Fußballsport entlehnt (↑ Am Ball bleiben). Zeigt der Schiedsrichter einem Spieler die rote Karte – meist nach einem Foul oder nach zwei Verwarnungen mit einer gelben Karte –, dann muss der so Gemaßregelte das Spielfeld verlassen. Im übertragenen Sinn bedeutet das also, jemandem eine deutliche Verwarnung zu erteilen: Bis hierhin und nicht weiter, da machen wir nicht mit!

Während es unzählige ältere Redensarten gibt, in denen (Spiel-)Karten eine Rolle spielen, ist die Wendung von der »roten Karte« sehr jung. Diese Karte wurde nämlich erst 1970 in die offiziellen Fußballregularien eingeführt, um bei internationalen Spielen Sprachprobleme zwischen dem Schiedsrichter und dem verwarnten Spieler zu verhindern. Auslöser war das Spiel England–Argentinien bei der Weltmeisterschaft 1966, bei dem es zu Turbulenzen kam, weil der argentinische Kapitän behauptete, den Unparteiischen nicht zu verstehen, und sich deshalb weigerte, vom Platz zu gehen.

Die Bedeutung der Farbe Rot als Stopp-Signal ist durch die weltweit gleichen Ampelsignale im Straßenverkehr auch ohne Worte jedem verständlich. Rot – sonst die Farbe der Liebe, des Feuers und der Sonne – markiert in diesem Zusammenhang eine (letzte) Warnung. Im Tierreich ist sie ein Zornauslöser (»rot sehen« = wütend werden). Dass das rote Tuch beim Stierkampf den Stier reizen würde, ist allerdings ein Irrtum. In Wahrheit reagiert das Tier nur irritiert und schließlich wütend auf die flatternden Bewegungen; Stiere sind nämlich farbenblind.

Die Kirche im Dorf lassen

Für viele ist das mehr als nur eine Redensart. Zwischen den beiden Weltkriegen gab es in Deutschland sogar eine Dorfkirchenbewegung, bis die Nationalsozialisten Schluss mit ihr machten – wie mit allen guten Dingen, auf die freie Bürger Wert legten. Die »Kirche im Dorf« ist ein Thema für sich, und aus diesem Grunde konnte daraus eine treffende Redensart erwachsen. Sie wirbt für das Gegebene, dafür, dass man am Hergebrachten nichts ohne Not ändern, vor allem aber nichts übertreiben sollte.

Weil die Kirche tatsächlich über Jahrhunderte hinweg in fast jedem Dorf den baulichen und kulturellen Mittelpunkt darstellte, wurde sie ganz natürlich zum Ausgangspunkt von Redewendungen. Mann sollte die Kirche nicht nur im Dorf lassen, sondern sie auch nicht »ums Dorf tragen« – auch diese Redensart gibt es; sie will heißen: unnötige Umstände und Umwege macht. Vermutlich steht Kirche hier allerdings für die Kirchengemeinde, die bei Prozessionen einen ausschweifenden Weg um das Dorf herum wählt.

Vor Spöttern ist übrigens nichts sicher. Kritische Geister haben den Spruch geprägt: »Man muss die Kirche im Dorf lassen. Nur die Steuern gehen nach Rom.«

Mit dem ist nicht gut Kirschen essen

Mit dieser Redensart pflegt man eindringlich vor angemaßter Vertraulichkeit mit »hohen« Herren oder Damen zu warnen. Jemand, mit dem »nicht gut Kirschen essen ist«, mit dem ist nicht gut auszukommen; er ist ein unangenehmer Zeitgenosse.

Der Hintergrund weist tief ins Mittelalter zurück. Kirschen galten als seltenes und daher kostbares Obst; nur wohlhabende Leute, die einen Garten ihr Eigen nannten, konnten sich diesen Genuss leisten. Wenn sich dann unberufene Gäste ins Gespräch einmischten, um auf diese Weise etwas von dem köstlichen Obst abzubekommen, reagierten die feinen Damen und Herren auf derlei Zudringlichkeiten damit, dass sie mit Kirschkernen spuckten oder die Stiele nach einem warfen. Es handelte sich bei der Redensart also ursprünglich um eine Warnung vor launenhaften hohen Herren. Der Philosoph und Dichter Gottfried August Bürger schrieb noch im 18. Jahrhundert:

»Mit Urian und großen Herrn

Ess’ ich wohl keine Kirschen gern;

Sie werfen einem, wie man spricht,

Die Stiel’ und Stein’ ins Angesicht.«

Heutigentags will die Redewendung besagen, dass man sich mit bestimmten Leuten erst gar nicht anlegen, sondern einen Bogen um sie machen sollte.

Nicht ganz koscher sein

Wenn jemand »nicht ganz koscher« ist, dann sollte man ihm mit Argwohn begegnen. Begriff und Bedeutung gehen zurück auf die jüdische Tradition gemäß den mosaischen Speisegesetzen (3. Mose 11). Koscher meint in der Begriffswelt des Jiddischen: ohne religiöse Bedenken als Speise geeignet. Der Talmud warnt davor, dass verbotene Speisen Körper und Seelen verunreinigen; und in jedem anthropologischen Lehrbuch kann man nachlesen, wie alt und verbreitet Verbote und Vorschriften sind, die sich auf die Ernährung beziehen. Was »nicht (ganz) koscher« ist, ist demnach nicht einwandfrei, bedenklich und nicht recht geheuer.

Zu den schönsten Geschichten gehört in diesem Zusammenhang folgender von Salcia Landmann überlieferte Witz: »Ein koscheres Restaurant. Im Schaufenster hängt ein Bild von Moses. Ein galizischer Jude tritt herein – was sieht er? Der Kellner ist glatt rasiert (nach jüdischem Ritus streng verboten). Der Jude fragt misstrauisch: ›Ist hier wirklich koscher?‹ – Kellner: ›Natürlich. Sehen Sie nicht das Bild von Moses im Fenster hängen?‹ – Der Jude: ›Das schon. Aber offen gestanden: Wenn Sie im Fenster hängen und Moses servieren würde, dann hätte ich mehr Vertrauen!‹«

Jemandes Kreise stören

Dieser Wendung liegt ein Ausspruch von Archimedes, dem großen Mathematiker der Antike, zugrunde. Als die Römer im Jahre 212 v. Chr. seine Heimatstadt Syrakus auf Sizilien eroberten, war er der Legende nach gerade damit beschäftigt, geometrische Figuren in den Sand zu zeichnen. Einem römischen Soldaten, der sich näherte, um ihn gefangen zu nehmen, soll er deshalb barsch zugerufen haben: »Störe meine Kreise nicht!« Noch heute bedient man sich gern dieses prägnanten Satzes, wenn einem jemand in die Quere kommt oder bei einer wichtigen Beschäftigung stört. Die wenigsten sind sich aber wohl bewusst, dass der römische Legionär den Mathematiker aus Wut über die freche Entgegnung erschlagen haben soll. Man sollte sich also gut überlegen, wen und in welchem Tonfall man zum Fernbleiben auffordert …

Aus den legendären Kreisen, die Archimedes einst zog, entwickelten sich später übrigens die eleganten Zirkel der Aristokratie und der gehobenen Bourgeoisie – in der Umgangssprache: »die besseren Kreise«. Worin sie, genau genommen, besser gewesen sein sollen, ist niemals hinlänglich bekannt geworden. Doch immerhin, die Redewendung hat sich gehalten. Wenn außerhalb der Geometrie von »Kreisen« die Rede ist, sind durchweg die feinen, intellektuellen, politischen oder künstlerischen Kreise gemeint. Daneben gibt es allerdings auch, in einem eher praktischen Sinn, Ereignisse, die »immer größere Kreise« ziehen. Das Sprachbild rührt offensichtlich vom Stein her, den man ins Wasser wirft und der dort konzentrische Wellen entstehen lässt, die sich – eben wie Kreise – immer weiter ausdehnen.

Krethi und Plethi

»Krethi und Plethi« – damit bezeichnet man, zumeist mit verächtlichem Unterton, eine bunt zusammen gewürfelte Volksmenge, eine Ansammlung von Pöbel oder Gesindel, zumindest von Leuten, mit denen man eigentlich nichts zu tun haben möchte.

Dabei sind die Namensgeber dieser Redensart Opfer eines sprachgeschichtlichen Irrtums geworden: Die Krether und Plether waren nämlich in biblischer Zeit durchaus respektierte Soldaten der Leibwache König Davids. Erst später deutete man diese beiden Namen als Bezeichnung verschiedener Volksstämme; das führte dann zu der Anschauung, dass »Krethi und Plethi« gleichbedeutend sei mit einem Völkergemisch. Inzwischen weiß man aber, dass die Namen nicht die Herkunft, sondern die Funktion der Soldaten bezeichneten. Die Krethi waren die Scharfrichter des Königs (von »krethi« – töten) und die Plethi seine Eilboten (von »plethi« – forteilen). In dieser Funktion wurden sie natürlich im Volk gefürchtet und gemieden, zumal gerade die Boten überall als Fremdlinge ankamen, und daraus entwickelte sich vermutlich die abschätzige Bedeutung, aus der die Redewendung von »Plethi und Krethi« entstand.

L

Aus der Lamäng

Etwas »aus der Lamäng« zu machen oder zu sagen, heißt: es spontan, von jetzt aufgleich, ohne Vorbereitung zu tun. Insbesondere im Rheinland, in Südhessen oder in der Gegend um Mainz versteht man diese Redewendung ohne weiteres. Mancherorts wird sie auch auf ganz praktische Dinge angewandt, wie etwa: »aus der Lamäng essen«, d. h. ohne Messer und Gabel, ganz einfach aus der Hand.

Die »Hand« ist auch der Schlüssel zum Verständnis des Ganzen: »Lamäng« ist nämlich eine lautmalerische Nachahmung des französischen Worts »la main« (= die Hand). Solche Übernahmen fremdsprachlicher Wendungen waren in der Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg sehr verbreitet. Möglicherweise entstand der Begriff aber auch sehr viel früher: Denn als in der napoleonischen Epoche das Rheinland für geraume Zeit besetzt war, geriet es dadurch auch sprachlich unter französischen Einfluss (↑ Fisimatenten machen).

Vom Leder ziehen

Wer vom Leder zieht, holt zu einem kräftigen Streit aus, schimpft, dass sich die Balken biegen, lärmt, tobt und schreit. Doch woher stammt die Redewendung? Und welche Rolle spielt hier das Leder?

Man muss einige hundert Jahre zurückschauen, um das Vom-Leder-Ziehen einordnen zu können. In alten Zeiten steckten Schwert oder Degen meist in einem Lederfutteral; und wer jemanden angreifen wollte, zog dann eben die Waffe aus der ledernen Scheide, oder kurz: »vom Leder«. Das bedeutet im übertragenen Sinne: Streit bis zum Sieg, wenn auch heute nur mit Worten, nicht mit Taten. Diesen Wandel brachte um 1800 der Dichter Jean Paul in einem schönen Wort auf den Punkt: »Wir (Deutschen) ziehen in Büchern keck vom Leder und zeigen, wo uns das Herz sitzt.«

Nah verwandt dieser Redensart sind andere gewalttätige Wendungen wie »jemandem ans Leder wollen« (ihm etwas Unangenehmes zufügen wollen) oder »jemandem das Leder gerben« (ihn verprügeln).

Mach’ doch der Liebe kein Kind!

Eine Redensart – oder doch nur ein Satz aus Carl Zuckmayers unvergessenem, brillant verfilmtem Drama »Des Teufels General«? Die sprachgeschichtliche Fachliteratur kennt die Form: »Das macht der Liebe noch kein Kind«, womit gemeintist, dass es so weitnoch (lange) nichtist. Im Schwäbischen ist die Wendung in der mundartlichen Form nachgewiesen mit: »Des macht der Liab no lang koi Kind.«

In »Des Teufels General« findet man die interessante Variante in einem Dialog während eines Sektempfangs, zu dem hochrangige Militärs und NS-Parteigrößen zusammengekommen sind. Die Tochter des Industriellen Morungen versucht dabei in bereits angetrunkenem Zustand, sich an den Helden des Abends, General Harras (Curd Jürgens), heran zu machen. Betont lässig ihr Sektglas schwingend, geht Fräulein Morungen auf den hoch dekorierten Militär zu:

»Darf man auch mal ran?«

»Aber bitte, Fräulein Morungen!«

»Fräulein, das klingt so formell, direkt reaktionär.

Nennen Sie mich einfach Pützchen, wie alle,

die mich mögen.«

»Ist das nicht ein bisschen hastig?«

»Mach doch der Liebe kein Kind!«

Hier wird die Pointe klarer; sie läuft darauf hinaus, dass man gewisse Umgangsformen nicht so ernst nehmen sollte, wie viele es tun. Salopp ausgedrückt: Miteinander zu flirten muss nicht gleich konkrete Folgen haben – wie etwa ein Kind! Und bitte schön: Sich nicht immer gleich auf etwas Bestimmtes festlegen lassen!

Immer die alte Leier!

Diesen Ausruf gebraucht man, wenn sich etwas mit nervtötender Regelmäßigkeit wiederholt, insbesondere Reden oder Klagen. Im Rheinland pflegt man jemanden, der einem ständig mit derselben Sache in den Ohren liegt, daher gleich als »Leierkasten« zu bezeichnen. Namensgeber für diese Redensart war die Kurbelleier, der man durch Drehen an der seitlich angebrachten Kurbel eine sehr begrenzte Anzahl von Melodien entlocken kann – daher auch die Variante: »Immer das alte Lied!« Natürlich kann man auch mit anderen Instrumenten nerven, wenn man stets die gleichen Töne wiederholt; so gab es auch die Varianten »alte Geige« und »oller Dudelsack«, und der Franzose sagt gleich ganz allgemein: »Toujours le même refrain«.

In der Literatur wie in der Umgangssprache fand »die alte Leier« vielfach Ausdruck in Vers und Prosa. So heißt es etwa in Lessings »Nathan der Weise«:

»Doch die alte Leier wieder? Mit einer neuen Saite

nur bezogen, die fürcht ich, weder stimmt noch hält.«

Obszöne Anspielungen zum Thema finden sich in einem alten Fastnachtsspiel:

»Heuer trug man mir eine Witwe an,

die sprach sie het vor gehabt ein Man,

der het kein Nacht an ir gefeiert.

Er het ains oder zwei rabgeleiert.«

In dem Maße, wie man im Lauf der Zeit unter Leier weniger das Instrument und stärker die darauf gespielte Melodie begriff, kam auch die Variante: »Immer das alte Lied!« stärker in Gebrauch. Die Abwandlung: »ein Lied davon singen können« meint, dass man von eigenen schlechten Erfahrungen berichten kann. Hintergrund sind die Bericht- oder Ereignislieder, die in alter Zeit zum Standardrepertoire von Berufssängern gehörten und allerorten auf den Marktplätzen zu hören waren – zuweilen vielleicht sogar mit einer begleitenden Leiermusik …

Den Löffel abgeben

Warum nicht auch die Gabel? Ganz einfach: auf den Löffel geht durchweg mehr vom Teller drauf, wie man in Westfalen sagt. Der Löffel war schon im Mittelalter das am weitesten verbreitete Essbesteck – verbreiteter als Messer oder Gabel. Deshalb stand er stellvertretend für die lebensnotwendige Funktion der Nahrungsaufnahme. Wer nun – freiwillig oder durch Krankheit gezwungen – den Löffel abgibt, ist dazu nicht mehr fähig und verweigert sich dem Leben. Er will nicht mehr.

Etwas »mit Löffeln gegessen« zu haben bedeutet gemeinhin, von gewissen Dingen des Lebens mehr als genug bekommen zu haben – man hat es buchstäblich satt. So geht es einem manchmal auch mit Leuten, die glauben, »die Weisheit mit Löffeln gefressen« zu haben. Denn wer glaubt, geistige Nahrung so bequem und schnell aufnehmen zu können wie eine gelöffelte Speise, der muss schon ein ziemlicher Dummkopf sein. Leider nur dünkt er sich selbst meist ziemlich weise und geht den Mitmenschen dadurch gehörig auf die Nerven. Nicht mehr so häufig gebraucht, aber durchaus noch geläufig ist die Redensart: »Jemanden über den Löffel barbieren« (zuweilen auch: balbieren). Dahinter verbirgt sich das früher von Barbieren und Friseuren angewandte Behelfsverfahren, zahnlosen Greisen mit eingefallenen Wangen beim Rasieren einen Löffel in die Mundhöhle zu schieben, um zu einem einigermaßen annehmbaren Ergebnis zu gelangen. Ursprünglich meinte der Ausdruck daher vor allem, jemanden rücksichtslos behandeln – später wandelte sich die Bedeutung zum heutigen: »jemanden betrügen«, vielleicht auch, weil »Löffel« zugleich ein Synonym für Tölpel oder Narr ist.

In der Jägersprache nennt man die großen Ohren des Hasen »Löffel«. Und wer diese nicht beizeiten aufsperrt und sich gute Lehren nicht gehörig »hinter die Löffel schreibt«, der »kriegt eins auf die Löffel«… Aus dem Raum Leipzig ist als Steigerung überliefert: »die Löffel am Hintern haben«, also schwerhörig sein und nichts von dem begreifen, was in der Welt vorgeht.

M

Ein Machtwort sprechen

Martin Luther – wer sonst? – hat auch das »Machtwort« in die deutsche Sprache eingeführt, und zwar in seinem Kommentar zur Schöpfungsgeschichte: »… da (Gott) sprach, es sei Sonne und Mond, und war kein Lügenwort, so ist sein Wort freilich nicht ein Nachtwort, sondern ein Machtwort, das da schaffet, was es fordert.« Ein Machtwort ist also ein Befehl mit bezwingendem, ja absolutem Anspruch auf direkte Befolgung, es duldet keinen Widerspruch und kann folglich nur von jemandem mit höchster Autorität ausgesprochen werden – zumindest, wenn es Aussicht auf Erfolg haben soll.

Unpassend erscheint daher der Ruf nach einem »Machtwort« in der parlamentarischen Demokratie, in der über alles und jedes abgestimmt werden muss, bevor es Gesetzeskraft erlangt. Gleichwohl finden immer mehr Journalisten Gefallen daran, den Kanzler (oder die Kanzlerin) in Streitfragen der Nation zu einem »Machtwort« aufzufordern, wo nur schlichte Mehrheitsentscheidungen herbeigeführt werden müssen. Mit einem ernst gemeinten Bekenntnis zu demokratischen Grundsätzen kann dies nur ganz am Rande zu tun haben. In den häufigen »Basta-Erklärungen« des Altkanzlers Gerhard Schröder zeigte sich die Tendenz zu einer von solchen Machtworten geprägten »Basta-Demokratie«.

Es sind Gedankenlosigkeit und Wichtigtuerei, die diese Redefloskel hervorgebracht haben. Kaiser Wilhelm II. rief in drohender Kriegsgefahr in Verkennung der Hoheitsrechte des Reichstages und aller anderen gewählten Organe den Bürgern zu: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!« Wohin solche Machtworte führen können, wissen wir heute …

Den goldenen Mittelweg gehen

Wer ginge ihn nicht gerne? Er scheint vielen Menschen der einzig richtige, der am wenigsten gefährliche zu sein, weil ja die Mitte für die Ausgewogenheit nach zwei Seiten hin steht, für das Ausgeglichene. Bereits die alten Römer schwärmten wie Horaz von der »aurea mediocritas« (goldene Mittelmäßigkeit) und lehrten wie Ovid: »medio tutissimus ibis« (in der Mitte gehst du am sichersten). Im 19. Jahrhundert fasste der Lyriker Eduard Mörike die Preisung des Mittelwegs gar in ein »Gebet« genanntes Gedicht:

»Herr! schicke, was du willst.

Ein Liebes oder Leides,

Ich bin vergnügt, dass beides

Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden

Und wollest mit Leiden

Mich nicht überschütten!

Doch in der Mitten

Liegt holdes Bescheiden.«

Das dem Mittelweg hinzugefügte Attribut »golden« will die höchste Stufe der möglichen Steigerung anzeigen – in der Bedeutung: besser geht es nicht! Zuweilen zeugt aber die Wahl des Mittelwegs auch nur von Entscheidungsschwäche. Nicht umsonst steht in einer anderen Redensart der »steinige Weg« für den beschwerlichen Pfad der Tugend, der ins Himmelreich führt, während der »bequemste Weg« direkt in die Hölle führt.

Vollends die Lust am Mittelweg verdirbt ein anderes Sprichwort, das aus dem 17. Jahrhundert stammt und 1976 Pate für einen Film von Alexander Kluge stand: »In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod«. Na, wie denn nun?

Jemanden Mores lehren

Da stellen wir uns mal, wie in der Feuerzangenbowle, ganz dumm und sagen: »mores«, das sind »die ›guten‹ Sitten«. – Aber dies allein kann wohl nicht gemeint sein. Nein, wem »Mores gelehrt wird«, der soll zurechtgewiesen, wohl gar zur Rechenschaft gezogen werden. Es wird vermutet, dass die Redewendung aus der Studentensprache hervorgegangen ist und von dort ihren Weg in die Umgangssprache nahm. Die versteckte Drohung mit einer körperlichen Züchtigung ist in diesem Zusammenhang seit den Zeiten Martin Luthers nicht ausgeschlossen. Jedenfalls ist in keinem Falle gemeint, dass jemand Unterricht in Anstand und Sitte erhalten soll. Das wäre nun wirklich allzu harmlos gedacht, obwohl die Herkunft des Wortes aus dem Lateinischen darauf anspielt. Der Ernst der Sache wird vielmehr am Beispiel von Emanuel Schikaneders Libretto zu Mozarts Oper »Die Zauberflöte« deutlich, wo Monostatos sich auf ganz unmissverständliche Weise an Pamina und Papageno wendet:

»Nur herbei mit Stahl und Eisen;

Wart, man wird euch Mores weisen.«

Umgekehrt lautet die Formel folgerichtig: »Mores haben«, was nichts anderes bedeutet als Angst oder Respekt vor Zurechtweisung haben …

N

Nebbich!

Das aus dem Mittelhochdeutschen stammende Wörtchen zählt zu den meistgebrauchten Interjektionen im Jiddischen und ist von dort auch in die deutsche Sprache übergegangen. Ursprünglich war der »nebige« ein Reitknecht, der zu Fuß seinem berittenen Herrn zu folgen hatte. Von daher erklärt sich auch die Mischung aus Verachtung und Mitleid, die in »nebbich« herauszuhören ist. Leo Rosten schreibt: »Nebbich! Dieses geniale Wort ist besonders im Deutschen unentbehrlich, um Angebern, Bedenkenträgern und Wichtigtuern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Es figuriert als Interjektion ebenso wie als Substantiv.« Treffend umschreibt Andreas Nachama das Wort wie folgt: »Nebbich kann man zu allem sagen, das eben nicht Neid, sondern Nachsicht erfordert«. Die Redensart hat heute nichts von ihrem Charme eingebüßt. Sie ist beziehungsreich, farbig, mehrdeutig, immer aber spontan verständlich. »Nebbich!« ist weniger arrogant, schnöselig oder aggressiv als das verwandte: »Na und?« Im »nebbich« schlummern nebenbei, wiewohl ganz unmissverständlich, Gemüt und Mitgefühl.

Leo Rosten illustriert an einem besonders boshaften Beispiel die Vieldeutigkeit des Substantivs »Nebbich«: Wenn ein Nebbich den Raum verlässt, hat man das Gefühl, als sei jemand hereingekommen. Die Schlussfolgerung lautet: Ein Mensch ist, nebbich (= was soll’s), leider nur ein Mensch.

Es gibt zahllose Geschichten über den Nebbich. Eine davon ist diese: »Ein Nebbich betritt einen Laden, um einen Fächer für seine Frau zu kaufen, die gern im Schaukelstuhl auf der Veranda sitzt. Er lässt sich hundert Fächer zeigen, ohne sich entscheiden zu können. Schließlich fragt der frustrierte Ladeninhaber: ›Wo ist das Problem?‹ … ›Ach, ich kann mich nicht zwischen denen für einen Viertel- und denen für einen halben Dollar entscheiden. Worin besteht denn der

Unterschied?‹ … ›Der Unterschied ist folgender‹, antwortet der Ladeninhaber, ›einen Fächer für einen halben Dollar benutzt man so: (wedelt heftig mit dem Fächer vor seinem Gesicht); das Modell für einen Vierteldollar aber funktioniert folgendermaßen: (Er hält den Fächer still und wackelt dafür mit dem Kopf). Doch auch diese Auskunft vermag den Kunden nicht zu erschüttern. ›Ich weiß wirklich nicht,‹ sagt der Nebbich, ›ob es meiner Frau den Unterschied wert ist‹.«

P

Ich kenne meine Pappenheimer

Eigentlich lautet der Spruch: »Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer«. Friedrich Schiller lässt grüßen – »Wallensteins Tod«, Dritter Aufzug, 15. Auftritt: Ein Gefreiter aus dem Regiment des Grafen von Pappenheim tritt vor den kaiserlichen Feldherrn Wallenstein, um Klarheit über den Fortgang von Krieg und Kommandogewalt bittend – »treuherzig«, wie der Dichter das in der Regieanweisung nennt:

»Du selber sollst uns sagen, was du vorhast,

Denn du bist immer wahr mit uns gewesen,

Das höchste Zutraun haben wir zu dir,

Kein fremder Mund soll zwischen uns sich schieben,

Den guten Feldherrn und die guten Truppen.«

Darauf antwortet Wallenstein mit dem berühmt gewordenen Satz: »Daran erkenn’ ich meine Pappenheimer.« Das hört sich nach vertrauensseliger

Zustimmung und Bekräftigung an, und das sollte der Satz wohl auch meinen. Die daraus abgeleitete Redewendung bedeutet heute freilich das Gegenteil: nämlich Argwohn und Zweifel hinsichtlich der Verlässlichkeit von Leuten, die sich als getreue Vasallen ausgeben. So ist das oft mit Redensarten; sie drehen den Sinn ganz einfach um oder stellen Sachverhalte höchst merkwürdigerweise auf den Kopf. Wer heute zu jemandem sagt: »Ich kenne meine Pappenheimer«, will damit ausdrücken: »Also, ich durchschaue die Sache, euch ist nicht recht zu trauen, macht nur weiter so, ich weiß Bescheid«.

Die Stadt Pappenheim im mittelfränkischen Landkreis WeißenburgGunzenhausen gedenkt bis heute der Teilnahme »ihres« Pappenheimer Regiments am Dreißigjährigen Kriege, obwohl dessen Rolle bei der Zerstörung Magdeburgs im Jahr 1631 durchaus zwiespältig zu beurteilen ist. Als weniger angenehm empfinden es die Pappenheimer, dass sie neben und außerhalb ihres Kriegsbeitrags und des Auftretens ihrer Truppe in Schillers berühmtem Drama seinerzeit traditionell für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit bei Hofe und im näheren Umfeld des Kaisers zuständig waren. Der Ausruf »Ein Pappenheimer!« ist bereits seit dem 14. Jahrhundert im Raum Nürnberg bekannt, auch in der Version: Jemand schläft stehend wie ein Pappenheimersgaul – eine Redensart, die heute allerdings nicht mehr gebraucht wird.

Perlen vor die Säue werfen

Wer ist nicht schon einmal Leuten begegnet, die eine großherzige Geste mit Verachtung straften oder sich ihrer schlicht unwürdig erwiesen? Von genau solchen Menschen spricht die Bibel im Matthäus-Evangelium (Matth. 7,6): »Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben, und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.«

Aber wer käme überhaupt auf die Idee, mit Perlen Schweine zu füttern? Vermutlich handelt es sich hier um eines jener Übersetzungsmissverständnisse, die beim Umgang mit biblischen Texten so häufig auftauchen. Denn das in der lateinischen Fassung des Textes gebrauchte Wort »margarita« bezieht sich auf ein Wort, das im Altgriechischen (der ursprünglichen Sprache des Neuen Testaments) sowohl »Perlen« als auch »zu Brocken zerkrümeltes geheiligtes Brot« bezeichnete. In dem Sinne: »Werft nicht das geheiligte Fleisch den Hunden und das geheiligte Brot den Schweinen vor«, ergäbe sich ein ganz plausibler Sinn für diese Bibelstelle. Im Niederländischen Raum wurde die merkwürdige Stelle von Anfang an ganz anders aufgefasst: Man übersetzte dort »margarita« nach dem französischen »marguérite« (»Gänseblümchen«) als »Blume« – für Schweine immerhin genießbarer als Perlen. Deshalb findet sich auf zahlreichen bildlichen Darstellungen dieser Szene auch jemand, der Säue mit Blumen füttert …

Im übertragenen Sinn »Perlen vor die Säue zu werfen«, hinterlässt auf jeden Fall nur Frust und Pein, weil man sich in und von Personen getäuscht sieht, die – aus welchen Gründen auch immer – auf wohlwollende Empfindungen nur mit stumpfem Sinn, ja Unverstand reagieren. Der unvergessene Autor und Journalist Johannes Gross hat diese Redensart auf seine höchst eigenwillige Weise auf das Verhältnis zwischen Medien und Publikum angewendet:

»Was ist veröffentlichte Meinung? –

Falsche Perlen vor echte Säue werfen.«

Jemandem den schwarzen Peter zuschieben

Wer »den schwarzen Peter in der Tasche hat«, der wird gemeinhin als der Verantwortliche für ein Fehlverhalten oder einen Misserfolg betrachtet. Weil diese Rolle meist sehr undankbar ist, versucht der Betroffene folglich gerne, den »schwarzen Peter jemand anders zuzuschieben«. Die Redewendung geht auf ein gleichnamiges Kartenspiel zurück, das aus 15 Kartenpaaren und einer einzelnen, »Schwarzer Peter« genannten Karte besteht. Die Karten werden gleichmäßig unter die teilnehmenden Spieler aufgeteilt. Findet ein Mitspieler zwei gleichartige Motive, kann er sie ablegen. Nach den Regeln beginnt danach das Kartenziehen und Kartenablegen – bis ein Mitspieler nur noch den »Schwarzen Peter« in der Hand behält. Üblicherweise bestraft man den Verlierer mit einem schwarzen Fleck auf Stirn oder Wange.

Der Name dieses seit der Biedermeierzeit belegten Gesellschaftsspiels rührt womöglich von einem Spießgesellen des historisch verbürgten Räuberhauptmanns Schinderhannes her, der »Johann Peter Petri« hieß und auch als »der alte Schwarzpeter« oder eben »Schwarzer Peter« bekannt war.

Etwas in petto haben

Dem italienischen Sprachgebrauch entnommen, gehört diese Redewendung seit dem 18. Jahrhundert zur deutschen Umgangssprache. »In petto« (lateinisch: in pectore) meint wörtlich: »in der Brust verschlossen«. Schon im Mittelalter galten Herz und Brust als Sitz der Gedanken und Gefühle eines Menschen. Solange man etwas nur »in petto hat«, redet man noch nicht darüber, vor allem nicht gegenüber Betroffenen. Man hat es vorerst nur im Sinn, denkt daran, bereitet sich darauf vor. Dabei kann es sich um ein Geheimnis, aber auch um eine Überraschung handeln. »Dieses abwägende Lächeln kannte er, sie hatte etwas Besonderes in petto, seit Tagen vielleicht schon«, schreibt Brigitte Kronauer in ihrem Roman »Berittener Bogenschütze«.

Etwas auf der Pfanne haben

Mit »Pfanne« bezeichnete man noch im Dreißigjährigen Krieg die Mulde, in der bei den alten Lunten- und Steinschlossgewehren (↑die Flinte ins Korn werfen) das Zündpulver lag. Wer also »etwas« (nämlich sein Pulver) dort zu liegen hatte, der konnte jederzeit losschießen. Und so meint die Redewendung heute noch im übertragenen Sinn, etwas in Bereitschaft haben, eigene Ideen verfolgen und zu (großen) Taten fähig sein. Das Gegenteil ist übrigens – im Bilde bleibend – bei jemandem der Fall, der »sein Pulver verschossen hat«; er ist am Ende seiner Kräfte angelangt und zu nichts mehr fähig.

Die Zündpfanne am Gewehr ist nicht die einzige Pfanne, die eine Redensart geprägt hat. Viele häufiger noch geht es um das gleichnamige Küchengerät, mit dem man Fleisch, Kartoffeln und alles andere zu braten pflegt, was sich sonst nicht so leicht kauen ließe. So bedeutet etwa: »jemanden in die Pfanne hauen«, dass man ihn – wie ein rohes Ei, dem dieses Schicksal widerfährt – endgültig fertig macht und vernichtet. Man kann aber, o Wunder, auch »gut in der Pfanne liegen«, d. h. bei einem Vorgesetzten angesehen, vielleicht sogar hoch geschätzt sein. Diese Redensart kam erst im frühen 20. Jahrhundert in Umlauf, etwa zur gleichen Zeit wie: »etwas über die Pfanne rollen«, also: nur oberflächlich behandeln, nicht gründlich erledigen.

Vielzählig sind auch die Redensarten, in denen »Pfanne« als Bezeichnung für die weiblichen Genitalien dient. So ist im Elsass »eins uf dr Pfann haben« haben gleichbedeutend mit »schwanger sein«, und im Schwäbischen heißt es: »Da wird man bald’s Pfännle schärre müsse«, wenn eine Frau kurz vor der Niederkunft steht. Ein früher häufig gesungenes »Lied vom Pfannenflicker« spielt äußerst anzüglich mit dieser Doppeldeutigkeit: Eine Jungfrau präsentiert darin dem Pfannenflicker »ein Pfännlein klein, / das war bedeckt mit Ruß. / Darinnen war ein Löchlein klein / wie eine Haselnuss. / ›Ach Pfannenflicker, nimm dich in acht‹ / dass du das Löchlein klein / nicht größer machst.‹«.

Die Sache hat einen Pferdefuß

Die Redensart kann auch lauten: »Da zeigt sich der Pferdefuß«. Beide Formen meinen, dass eine verborgene Hinterlist oder ein arglistig verschwiegener Nachteil offenbar wird. Die Rede vom Pferdefuß zählt zu den ältesten, noch immer lebendigen Redensarten – kein Wunder, denn der Satan selbst schrieb dazu den Text.

Seit dem Spätmittelalter wird der Teufel mit dem tierischen Attribut eines Pferdefußes dargestellt (zuvor waren es Vogel- oder Bocksfüße), um an seiner Erscheinung das Falsche und Widernatürliche hervor zu heben. Möglicherweise beruht diese Vorstellung auf der biblischen Schilderung des vierten apokalyptischen Reiters: »Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.« (Offb. 6,1). Rudolf Moser vermutet, dass der Reiter (als Inkarnation des Teufels) mit dem Roß gleichgesetzt wurde und so dessen Attribut erhielt. Der Pferdefuß verweist zugleich auf die Tradition des griechischen Gottes Pan, der nach dem Volksglauben ebenso wie der Teufel als Verführer auftritt, um die Menschen aus ihrem seelischen Gleichgewicht zu bringen.

In Goethes Menschheitsdrama schließt Faust, der vom Leben tief Enttäuschte, einen Pakt mit dem Teufel, der in diesen Zusammenhang hineingehört: Mephisto verpflichtet sich, Faust im Diesseits zu dienen, alle Wünsche und Sehnsüchte zu erfüllen. Umgekehrt verspricht Faust gegenüber Mephisto, diesem im Jenseits zu dienen, also ihm seine Seele auszuliefern. Wenn dieses Geschäft keinen Pferdefuß hat …

Sich wie Phönix aus der Asche erheben

Wohl keine andere Redewendung kann sich auf einen so weit reichenden und in die Anfänge menschlicher Zivilisationen zurück weisenden Mythos berufen wie die vom »Phönix aus der Asche«.

Der Mythos vom Vogel, der aus seiner eigenen Asche zu neuem Leben aufersteht, entstand im alten Ägypten. Dort hieß das Tier (vermutlich ein Reiher) »benu«, was soviel wie »leuchten« heißt. Die Griechen gaben ihm später den Namen Phönix. Der Sage nach erreichte dieser Vogel ein extrem hohes Alter von 500 oder gar 1000 Jahren. Am Ende seines Lebens zog er sich dann zum Sterben in ein Nest zurück, das von der Sonne entzündet wurde. Nach Erlöschen der Flammen blieb in der Asche ein Ei zurück, aus dem nach geraumer Zeit der Phönix als Jungtier schlüpfte und ein neues Leben begann – das dann wieder genauso endete.

In den Weltreligionen und in der modernen Medienwelt hat der Phönix seine Spuren hinterlassen. Seit der Spätantike wurde er zum Symbol der Unsterblichkeit und im christlichen Glauben damit zum Sinnbild der Auferstehung. Wenn sich heutigentags jemand »wie ein Phönix aus seiner Asche erhebt«, dann hat er sich nach einem schweren (seelischen oder beruflichen) Zusammenbruch aufgerappelt und steht wieder überraschend frisch da.

Noch ist Polen nicht verloren

Es steckt heroischer Trotz in diesem berühmten Wort, das zu einer weltweit gebrauchten Redewendung geworden ist. »Jeszcze Polska nie zgineła« – so beginnt Polens Nationalhymne, der von Joseph Wybicki 1797 verfasste Dombrowski-Marsch, mit dem das polnische Volk sich über den Verlust seiner staatlichen Selbstständigkeit hinwegtrösten wollte. Österreich, Preußen und Polen hatten sich seit 1772 immer größere Teile ihres gemeinsamen Nachbarn einverleibt, bis zum Schluss nichts mehr davon übrig war. Das »Ende Polens« soll der Führer des polnischen Widerstands, Thaddäus Kosciuszko, im Jahr 1794 nach der verlorenen Schlacht bei Maciejowice beklagt haben. Später bestritt er allerdings, dass er diese Worte gebraucht und damit sein Land verloren gegeben habe.

Wie dem auch sei, die Redewendung: »Noch ist Polen nicht verloren« ist geblieben. Sie wird bis heute in dem Sinne verwendet, dass es noch eine Möglichkeit zur Rettung, einen Ausweg gibt, sei die Situation auch noch so verfahren. Man muss manchmal nur einen langen Atem haben – wie die Polen, die erst über 100 Jahre später wieder in einem wirklich eigenständigen Staat leben konnten.

Das ist der springende Punkt

Man muss bis in die griechische Antike zurückgehen, um zu erfahren, was mit dieser Redensart eigentlich gemeint ist. Der griechische Weise Aristoteles glaubte in einem bebrüteten Ei das Herz des sich entwickelnden Vogels entdeckt zu haben. Seine Schilderung von einem »Punkt, der hüpft und sich bewegtwie ein Lebewesen« (»quod punctum salit iam et movetur ut animal«), inspirierte spätere Gelehrte, von einem »springenden Punkt« (»punctum saliens«) zu sprechen. Im 18. und 19. Jahrhundert sprach man häufig noch vom »hüpfenden Punkt«, einer Form, die heute außer Gebrauch ist. Die philosophische Deutung lief in jedem Fall darauf hinaus, dass dieser Punkt gewissermaßen das Leben selbst darstellt, das Wichtigste, von dem alles weitere ausgeht. Und in diesem Sinn wird die Redensart verwendet: Das ist es, worauf es ankommt; das ist das Wesentliche (↑Da liegt der Hund begraben).

Der Gegensatz des »springenden Punktes« ist der »tote Punkt«; wer den erreicht hat, der kommt nicht mehr weiter. Diese Redensart stammt aus der Welt der Technik: wenn Kurbel und Pleuelstange eine gerade Linie bilden, dann befindet sich die Dampfmaschine auf dem »toten Punkt«, nichts geht mehr. Der »wunde Punkt« dagegen, um den man sich sorgt, entstammt eher der Sprache der Medizin: eine empfindliche Stelle, die man nur behutsam anfassen sollte, weil sie sonst schmerzt. Es gibt noch weit mehr Redensarten, in denen der Punkt eine Rolle spielt: Zum Beispiel empfinden die meisten Menschen jemanden, der sie in einer nicht enden wollenden Redemanier »ohne Punkt und Komma« anödet, als nervtötend. Aber an dieser Stelle »machen wir einen Punkt« und hören auf.

R

Vom Regen in die Traufe kommen

Im übertragenen Sinne heißt dies: versuchen, dem Schicksal zu entrinnen. Das muss zwangsläufig danebengehen, denn dem Schicksal kann man nicht davonlaufen. Konkret ist gemeint, dass jemand ein Übel vermeiden möchte und stattdessen von einem anderen (womöglich noch schlimmeren) getroffen wird. Wer sich bei Regen unter ein Vordach begibt, um nicht nass zu werden, gerät dabei zuweilen unter die Traufe, aus der das gesammelte Wasser nach unten schießt – ein solcher Regenflüchtling wird dann vollends nass. Das ist eben die Tücke bei der Sache, die man nicht unterschätzen sollte.

Bereits in einem »Gnomologia« genannten Buch von 1683 ist der hübsche Vers zu lesen:

»Wer dem Regen will entlauffen

kömmet oftmals in die Trauffen.«

Hundert Jahre später wurde dieser Vers in dem Text nachgedichtet:

»Es regnet, spricht der Thor, und eilt mit vollem Laufe;

Wohin? das siehst du: er stellt sich in die Traufe.«

Variationen der Redensart, die offenbar aus dem orientalischen Raum nach Deutschland gekommen ist, sind bei allen klassischen Autoren nachzulesen; bei Goethe etwa mit dem Sinnspruch: »Er springt in den Teich, um dem Regen zu entfliehen.« Im soldatischen Sprachgebrauch wurde die Wendung später weiterentwickelt zu: »Vom Regen unter Umgehung der Traufe in die Scheiße kommen.« Eine ebenfalls gelungene Parodie gelang Wolf Biermann nach seiner erzwungenen Übersiedlung aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland. Er nannte das: »Vom Regen in die Jauche kommen«.

S

In Sack und Asche gehen

Diese Redewendung stammt aus dem Alten Testament (Ester 4,1). Als der Beschluss des persischen Königs Ahasveros bekannt wird, alle Juden in seinem Reich töten zu lassen, versucht Mordechai, der (jüdische) Adoptivvater der Königin Ester, sein Volk zu retten, indem er das Mitleid des Königspaares zu erwecken sucht: »Als Mordechai alles erfuhr, was geschehen war, zerriss er seine Kleider und legte den Sack an und tat Asche aufs Haupt und ging hinaus mitten in die Stadt und schrie laut klagend und kam bis vor das Tor des Königs; denn es durfte niemand in das Tor des Königs eintreten, der einen Sack anhatte. (…) Da kamen die Dienerinnen Esters und ihre Kämmerer und erzählten ihr davon. Da erschrak die Königin sehr. Und sie sandte Kleider, dass Mordechai sie anzöge und den Sack ablegte.«

»In Sack und Asche gehen« erweist sich hier als augenfällige Form der Trauer. Der »Sack« – ein Kleidungsstück aus dunklem Kamel- oder Ziegenhaar, das mit einem Strick um den Leib befestigt wurde – war in biblischen Zeiten als Trauerund Bußgewand gebräuchlich, dass in persönlicher Not oder nach großen Katastrophen angelegt wurde. Die aufs Haupt gestreute Asche war dabei ein zusätzliches Zeichen der eigenen Schuld, die eine solche Notlage als Strafe Gottes herbeigeführt haben könnte. Entsprechend findet sich im Neuen Testament die Wendung »in Sack und Asche Buße tun« (Matth. 11,21; Luk. 10,13). Wer also ausruft: »Asche auf mein Haupt!«, der bekennt sich öffentlich (und reumütig) zu seiner Verantwortung für einen Fehler.

Auch die Asche als letzter Rückstand bei totaler Vernichtung von Haus und Hof führt zur Trauer – über den Verlust von Hab und Gut. So war, »etwas in Schutt und Asche zu legen«, im Zweiten Weltkrieg nicht nur eine gängige Drohung,

sondern auch vielfach geübte Praxis der Kriegsparteien.

Andere Saiten aufziehen

Um zu verstehen, was dies bedeutet, hilft es nichts, eine Seite im Lexikon aufzuschlagen. Es geht hier um die Saiten eines Musikinstruments, etwa einer Violine, einer Harfe oder eines anderen Streichinstruments, aus deren Saiten sich Töne hervorlocken lassen, die einmal weich und zärtlich, ein andermal hart und scharf klingen. Mit der entsprechenden Redensart ist es ebenso bestellt: Sie kann einerseits bedeuten: strenger vorgehen, oder andererseits: mildere Umgangsformen bevorzugen – ganz wie die Umstände es gebieten. Die »Saiten straffer anziehen« oder »spannen« heißt eindeutig: jemanden zur Rechenschaft ziehen, mindestens aber jemanden fester anpacken. Das Gegenteil davon drückte man früher aus, indem man davon sprach, »gelindere Saiten aufzuziehen« (frz. baisser le ton).

Neben diesen Bedeutungen steht ebenbürtig die Floskel »verwandte Saiten aufklingen lassen«, oder wie Friedrich Sieburg im »Blick durchs Fenster« schrieb: »weil (…) das Heldische in ihm eine verwandte Saite in uns anrührt.« Auch in der Verneinung ist die Redensart unmissverständlich: Diese Saite darf man nicht anschlagen, heißt: diese Angelegenheit sollte man tunlichst nicht berühren oder ansprechen. Manchmal wird auch jemand einfach deshalb gebeten, neue Saiten aufzuziehen, weil man nicht ↑»immer die alte Leier« hören will.

Zusammengefasst beziehen sich alle diese Redensart auf das physikalische Phänomen, dass sich Schwingungen auf andere Schwingungsträger übertragen lassen. Das gilt vornehmlich dann, wenn eine Saite mitschwingt, nachdem eine andere mit gleicher Schwingungszahl in ihrer Nähe angeschlagen wird. Das klingt zwar nach Physik, ist aber Poesie.

Ein salomonisches Urteil fällen

Vom legendären König Salomo, dem dritten unter den Königen Israels, berichtet die Bibel, dass seine Weisheit »größer war als die Weisheit von allen, die im Osten wohnen, und als die Weisheit der Ägypter« (1. Kön. 5,10). Er durfte sich tatsächlich einer unendlichen Reihe weiser Entscheidungen rühmen lassen, von denen eine später sprichwörtlich wurde: Zwei Nachbarinnen traten einst vor Salomos Thron, die beide behaupteten, die jeweils andere hätte ihr ein totes Kind anstelle des eigenen, gesunden Kindes untergeschoben. Das lief nach dem Motto ab: »Mein Sohn lebt, dein Sohn aber ist tot. « – »Nein, nein, dein Sohn ist tot, und mein Sohn lebt.« Salomo beschloss, diesen vertrackten Fall zu lösen, indem er die beiden Frauen auf die Probe stellte: »Holt mir ein Schwert«, sagte er. »Und als das Schwert vor den König gebracht wurde, sprach der König: Teilt das lebendige Kind in zwei Teile und gebt dieser die Hälfte und jener die Hälfte.« Daraufhin flehte die wahre Mutter den König an, das Kind leben zu lassen und es der anderen zu übergeben, damit es weiter leben könne. Die andere aber sprach: »Es sei weder dein noch mein; lasst es teilen.« Mit dieser Herzlosigkeit stellte sie sich als Lügnerin bloß; und Salomo konnte das Kind unversehrt der Mutter zurückgeben lassen (1. Kön. 3,16-28). Als salomonisch gilt deshalb bis heute ein Urteil, das von überlegener Einsicht, Weisheit und Güte gekennzeichnet ist, ohne dabei auch nur einen einzigen Buchstaben des Gesetzes in Anspruch zu nehmen. Ein Lob dem König Salomo!

Der Sohn Davids hatte übrigens Erfahrung mit Frauen: Über Tausend junge Damen bevölkerten seinen Harem; die meisten von ihnen mussten mindestens ein Jahr darauf warten, bis sie an der Reihe waren. Dafür aber fielen sicherlich – siehe oben – Salomos Urteile über ihre nervtötenden Streitigkeiten gerecht aus. Noch heutigentags erscheinen sie uns über jeden Zweifel erhaben.

Vom Saulus zum Paulus werden

Noch eine Redewendung biblischen Ursprungs. Saulus (hebräisch: Schaul) war einer der heftigsten Gegner und Verfolger des langsam aufblühenden Christentums. Als Sohn einer jüdisch-orthodoxen Familie wuchs er in einem der zahlreichen Küstenstädtchen im Süden der heutigen Türkei auf, vertrat die ultraorthodoxe Auffassung, dass auch zum Judentum konvertierte Heiden zu beschneiden seien, und begriff sich als Eiferer für das Gesetz. In diesem Sinne beaufsichtigte er zum Beispiel auf Geheiß des Hohen Rates die ordnungsgemäße Steinigung des ersten christlichen Märtyrers Stephanus.

Später jedoch nannte Saulus sich plötzlich Paulus – und wurde zu einem der Mitbegründer des Christentums. Darin liegt das Geheimnis der sprichwörtlichen Wendung vom (jüdischen) Saulus zum (christlichen) Paulus. Der im Judentum verwurzelte Mann, der die neue Lehre zunächst strikt ablehnte, wandelte sich – gemäß christlichem Verständnis – zu einem Apostel des neuen und wahren Bekenntnisses. Ursächlich für diese Wandlung war sein – ebenfalls sprichwörtliches – »Damaskus-Erlebnis«: Auf dem Weg nach Damaskus nämlich »umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Herr, wer bist du? Er sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.« (Apg. 9) Saulus verlor nach dieser Erscheinung sein Augenlicht und erlangte es erst wieder, als ihm in Damaskus einer von Jesus’ Jüngern die Hände auflegte: »Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen, und er wurde wieder sehend; und er stand auf (und) ließ sich taufen.«

Diese wundersame Wandlung ist die Erklärung dafür, dass man davon spricht, jemand werde »vom Saulus zum Paulus«, wenn aus einem hartnäckigen Gegner ein braver Gefolgsmann wird.

Ein Scherbengericht [anordnen]

Rund 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung führte Kleisthenes, einer der Väter der athenischen Demokratie, das so genannte Scherbengericht ein. Die Bürger Athens entschieden auf diese Weise darüber, ob einer von ihnen das Gemeinwesen bedrohte und daher für zehn Jahre verbannt werden sollte. Dies geschah mittels einer Abstimmung durch Tonscherben (griech. Ostraka), auf die man den Namen des Betreffenden schrieb und die dann eingesammelt und ausgezählt wurden.

Ursprünglich richtete sich diese Maßregel ausschließlich gegen Anhänger der Tyrannei. Mit den Jahren aber regierte die pure Willkür, indem man sich durch Scherbengerichte missliebiger Bürger, vor allem jener, die öffentliche Ämter bekleideten, zu entledigen suchte. Scherbengericht steht daher noch heute für eine Aktion, mit der unliebsame Personen ausgeschaltet werden sollen.

Etwas völlig anderes ist gemeint, wenn man davon spricht, dass jemand einen Scherbenhaufen hinterlassen habe, folglich für ein Durcheinander erster Ordnung verantwortlich sei. Einen Scherbenhaufen verursacht zum Beispiel derjenige, der sich wie ein Elefant im Porzellanladen aufführt.

Mit allen Schikanen

Schikane ist ein doppelsinniger Ausdruck, der einmal auf eine bösartige Reaktion oder List hinausläuft (»schikanieren«), ein andermal Raffinement und ausgeklügelten Komfort kennzeichnet. Auf letzteren zielt die Bemerkung eines jungen Soldaten in der Verfilmung von Erich Maria Remarques Buch »Zeit zu leben, Zeit zu sterben«: Auf Fronturlaub in der Heimat schwärmt dieser davon, nicht stehend einen Topf kalter Brühe runterwürgen zu müssen, sondern dass ihn ein richtiges Abendessen erwarte, und zwar eins »mit allen Schikanen«.

Der Begriff stammt vom französischen »chicane« ab, was ursprünglich Rechtsverdrehung oder Intrige meinte. Theodor Fontane nutzt die Bezeichnung ironisch in seinem Roman Cécile: »Die Nürnberger henken keinen nicht, sie hätten ihn denn zuvor, und dieser Milde huldigten auch die Quedlinburger. Aber wenn sie den zu Henkenden hatten, henkten sie ihn auch gewiss, und zwar mit allen Schikanen«. Die Bezeichnung für ein juristisches Ränkespiel bekam dann allmählich die heutige Bedeutung als allgemeine Bezeichnung für Raffinessen – von mit aller Bequemlichkeit ausgestatteten Gebrauchsgütern, eleganten Lokalen, Speisen und allem, was fein und teuer ist.

Etwas im Schilde führen

In der romantischen Komödie »Mr. Deeds geht in die Stadt« (Drehbuch: Robert Riskin/Regie: Frank Capra) wird es plötzlich ernst: Millionenerbe Deeds, ahnend, dass seine selbsternannten Anwälte einen Betrug planen, stellt unerwartet »die juristische Mitarbeit« der Kanzlei in Frage. Deeds brüllt einen der zweifelhaften Herren an: »Sie sind nicht mein Anwalt, bevor ich nicht weiß, was Sie im Schilde führen!«

Auch ein Burgherr im Mittelalter wollte stets gern wissen, was ein fahrender Ritter vorhatte, der sich seinem Anwesen näherte. Zum Glück stand in dessen Wappenbild zu lesen, wes Geistes Kind er war, ob Freund oder Feind, und ob er gute oder schlechte Absichten hegte (↑ Flagge zeigen). Da damals zumeist Skepsis geboten war, deutet die daraus entstandene Redewendung auf Zweifel und Abwehr; im Schilde führt man meist nicht gutes.

Überliefert ist, dass man in Kampen auf Sylt bereits im 16. Jahrhundert zu sagen pflegte: »Wie weet wat hij in sijnen schilt voert« (= wir wissen, was er in seinem Schilde führt). Die Verwendung dieses Sprachbildes ist, mit der mittelalterlichen Dichtung beginnend, bis in die Neuzeit bezeugt.

Etwas in Schuss bringen

Was man »in Schuss gebracht« hat, sollte man auch darin halten. Beide Redewendungen gehören eng zusammen. Etwas »in Schuss bringen« meint: etwas nach Maß und Ordnung vorzeigbar machen, reparieren, ausbessern, glänzen lassen. Etwas »in Schuss halten« bedeutet entsprechend: den jeweils erreichten Status einer Sache oder Angelegenheit bewahren und schützen.

Mit dem Schuss ist das eine Sache eigener Art; es kann sich – wie bei den meisten Redensarten, in denen er vorkommt – um einen Gewehr- oder Kanonenschuss handeln. Wenn von einem »Schuss in den Himmel« oder einem ↑»Schuss, der nach hinten losgeht«, die Rede ist, dann liegt die Herleitung aus der Jäger- oder Militärsprache klar auf der Hand. Etwas »in Schuss bringen« meinte daher nach Ansicht vieler Gelehrter ursprünglich, ein Geschütz zum Schießen vorbereiten (↑ etwas auf der Pfanne haben). Wahrscheinlicher ist aber in diesem Fall ein Zusammenhang mit der Weberei und der Einrichtung des Webstuhls: »Schuss« war und ist dort nämlich die Bezeichnung für die Querfäden eines Gewebes, die die längs verlaufenden Kettfäden miteinander verbinden und somit dem Gewebe überhaupt erst Halt und Struktur geben.

Auch auf die menschliche Gesundheit und Psyche wird die Redensart gern angewandt: Entweder man ist »im Schuss« (wohlauf) oder »nicht recht im Schuss« (krank). Letzteres kann auch eine gewisse Niedergeschlagenheit bezeichnen – die manchen dazu treibt, sich hin und wieder »einen Schuss« Rum oder ähnliches ins Getränk zu mischen.

Ein Schuss, der nach hinten losgeht

Ein solcher Schuss kann einen selbst unter Umständen hart treffen. Im übertragenen Sinne heißt dies: Ein Vorhaben richtet sich gegen den Verursacher, ein gut gemeinter Plan hat böse Folgen.

Geschossen wird in der Welt der Redensarten allenthalben. Im besten Falle reicht es zum tröstlichen Spottvers: »Im Leben, im Leben, geht mancher Schuss daneben.« Wer jemanden eindringlich vor Übermut oder Angriffslust warnen möchte, der gibt ihm einen »Schuss vor den Bug«. Das ist dann ein Fall von Kriegsführung zur See (↑ Flagge zeigen). Lord Nelson gab im Namen Großbritanniens eine Menge solcher Schüsse ab, bevor der Kriegsgegner ihn in der Schlacht zu Trafalgar mit seinen Schüssen zu Boden streckte. Trotz seines Todes verloren die Franzosen bekanntlich diese Schlacht; ihre Flotte war offenbar nicht »gut in Schuss« (↑etwas in Schuss bringen).

Manch einer ist aber »zu weit vom Schuss«, will sagen: er ist nur unzulänglich über den Sachverhalt informiert. Militärisch bedeutet dies: Er ist vom Gefecht zu weit entfernt und daher zur Handlungsunfähigkeit verurteilt.

Du alter Schwede!

Sehr alt muss der so Angeredete nicht unbedingt sein, und auch aus Skandinavien muss er nicht stammen. Unter einem »alten Schweden« versteht man – unabhängig von Alter und Geburtsort – einen Schlaumeier und gerissenen Kerl; in Berlin geht er sogar für einen Haudegen und Lebenskünstler durch.

Dem preußischen Historiker Heinrich von Treitschke verdanken wir die geschichtliche Erklärung dieser Redensart: Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges habe der preußische Große Kurfürst bewährte und erfahrene Soldaten aus Schweden als Ausbilder für sein Heer anwerben lassen. Sie verstanden sich auf »fürtrefflichen Drill« und wurden deshalb meist als Unteroffiziere eingestellt. Die einfachen Soldaten nannten sie mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Abscheu »die alten Schweden«. Das kumpelhafte, das dieser Bezeichnung heute zu eigen ist, fehlte damals wohl noch völlig.

Überhaupt waren die Schweden zur damaligen Zeit in deutschen Landen nicht sehr beliebt. Die vom schwedischen Heer angerichteten Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg blieben lange im Gedächtnis. In Sachsen und Bayern zumal heißt es noch heute, wenn drohende Gefahren die Menschen beunruhigen: »Die Schweden kommen!« Davon abgeleitet sind die Redensart: »einem den Schweden wünschen« und der Fluch: »Dass dich der Schwede!« Das Schlimmste bezeichnet der harmlos klingende Ausdruck »Schwedentrunk«. Er hat mit dem heute sogar in Möbelhäusern servierten »Schwedenhappen« nichts zu tun, sondern erinnert daran, dass schwedische Landser ihre Opfer häufig durch Einfüllen von Jauche (zu Tode) gequält haben.

Jemanden in den Senkel stellen

… das kommt in manchen Parlamenten, Betrieben und Behörden, ja selbst in Familien beinahe täglich vor. Der »Senkel« hat hier allerdings nichts mit dem Schnürsenkel zu tun, sondern er steht für das veraltete Wort »Senkblei« (Lot). Davon geht die Vorstellung aus, dass man etwas, das in eine Schieflage geraten ist – etwa im Bauhandwerk – wieder gerade rückt, »ins Lot bringt«. Daher stammt der tiefere Sinn dieser Redensart: »In den Senkel stellen« bedeutet, jemandem eine scharfe Rüge erteilen, Vorhaltungen machen – oder Schlimmeres. Die Vorstellung, dass jemand mit dem Senkblei geprüft und dann bestraft wird, findet sich schon in der Bibel, wo der Prophet Amos berichtet: »Und siehe, der Herr stand auf der Mauer, die mit einem Bleilot errichtet war, und er hatte ein Bleilot in seiner Hand. Und der Herr sprach zu mir: Was siehst du, Amos? Ich sprach: Ein Bleilot. Da sprach der Herr zu mir: Siehe, ich will das Bleilot legen an mein Volk Israel und ihm nichts mehr übersehen, sondern die Höhen Isaaks sollen verwüstet und die Heiligtümer Israels zerstört werden« (Amos 7, 7f.).

Salopp gesagt, waren die Sünden der Israeliten dem Herrn so sehr »auf den Senkel gegangen«, dass er die Geduld verlor. Ein Beispiel für diese Art auszudrücken, dass einen jemand anödet oder auf die Nerven geht, findet sich etwa in Hans Joachim Schädlichs Erzählband »Versuchte Nähe«: »Der geht mir auf’n Senkel, was willst du denn mit so’m verschimmelten Affengesicht«. Die Erklärung liegt hier vermutlich in der Bedeutung »Gürtel«, die »Senkel« auch haben kann: Was einem auf den Gürtel geht, das belastet den ganzen umgürteten Körper, es schlägt einem gleichsam auf dem Magen.

Sich aus dem Staub machen

Wenn es brenzlig wird, sollte man die Beine in die Hände nehmen – und sich »aus dem Staub machen«, also sich eilig entfernen, zurückziehen, flüchten (↑Sich aus der Affäre ziehen). Die Heimlichkeit ist der Kern dieser Redensart: unauffällig und von niemandem bemerkt – eben von einer Staubwolke umhüllt – will einer die Szene verlassen; er wird seine Gründe haben.

Das Sprachbild entstand auf dem Kampfplatz, wo im Schlachtgetümmel schon mal Staubwolken aufsteigen und die Sicht trüben. Ideale Bedingungen für jemanden, der ohne viel Aufsehen ↑»die Flinte ins Korn werfen« will. Eine volkstümliche Erzählung aus dem 16. Jahrhundert verdeutlicht das sehr eindrücklich: »Da war eyn grausam geschrey, der schlug, der stach, der warff, ich aber machet mich auß dem staube, satzte mich von ferren hinder einen stein, sahe ihnen zu, wollte der suppen nicht versuchen«.

Wenn man einen Ort verlässt, an dem man nicht willkommen ist und dabei »den Staub von den Füßen schüttelt«, dann geschieht das ganz und gar nicht heimlich. Das riet schon Jesus seinen zwölf Jüngern: »Und wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede nicht hören wird, so geht heraus aus diesem Haus oder dieser Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen« (Matth. 10, 14).

Ein Stein des Anstoßes sein

Weshalb steht der Stein im Zentrum ungezählter Redensarten? Vielleicht weil er zu den härtesten und folglich nur mit großer Anstrengung zu verändernden Naturerscheinungen gehört. Die Schilderung Gottes durch den Propheten Jesaja klingt ebenfalls hart und unerbittlich: »Er wird ein Fallstrick sein und ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses für die beiden Häuser Israel, ein Fallstrick und eine Schlinge für die Bürger Jerusalems, dass viele von ihnen sich daran stoßen, zerschmettern, verstrickt und gefangen werden« (Jes. 8, 14).

Wenn der Stein kein handfestes Hindernis symbolisiert, an dem man sich stoßen kann, dann steht er vielfach für Last und Schwere, die auf menschlichem Schicksal ruhen. Wer »einen Stein auf dem Herzen hat«, ist zum Beispiel von einer schweren Sorge belastet; wem dagegen ein solcher »vom Herzen fällt«, der fühlt sich wieder ganz unbeschwert. Hier steht natürlich das Bild vom Herzen als dem Zentrum der menschlichen Gefühle im Hintergrund (↑etwas in petto haben). Biblischer Herkunft ist die Redensart: »den ersten Stein auf jemanden werfen« im Sinne von: jemandem etwas vorwerfen, obwohl man selbst kein reines Gewissen hat. So antwortete Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten, als diese ihn fragten, ob eine ↑in flagranti ertappte Ehebrecherin gemäß der mosaischen Gesetze gesteinigt werden solle: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie« (Joh. 8, 7). Im 16. Jahrhundert wurde daraus das Reimwort: »Wer auf andere will werfen einen Stein, / Kehr’ erst vor seiner Thüre rein!« Das gleiche meint auch der später entstandene Spruch: »Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. «

Jemandem die Sterne vom Himmel holen

Dieses unter Liebenden häufig geäußerte Versprechen will besagen: das Unmögliche möglich machen, das Unerreichbare Wirklichkeit werden lassen. Dahinter verbirgt sich, was man in der Romantik (und gelegentlich noch heute) die »himmelstürmende« junge Liebe zu nennen pflegt. Nicht von Liebesglück getrieben, sondern eher vom Ehrgeiz ist derjenige, der »nach den Sternen greift« und damit nach dem Höchsten strebt. Weniger gebräuchlich ist heute die Redensart »Sterne an den Himmel heften« – will heißen, etwas ähnlich Sinnloses tun wie ↑Eulen nach Athen tragen.

Die Sterne übten schon immer eine große Faszination auf den Menschen auf. Bereits die alten Babylonier, Ägypter und Griechen versuchten, aus dem Stand der Gestirne menschliche Schicksale abzulesen. Die später daraus entwickelte Astrologie mit ihrer kühnen Behauptung »die Sterne lügen nicht« wird hierzulande professionell von rund 6000 Experten betrieben. Unter den Anhängern der Astrologie befinden sich nicht wenige hoch gestellte Persönlichkeiten, vor allem in der Politik; insbesondere der ehemalige USPräsident Ronald Reagan machte keinen Hehl daraus. Die Sternengläubigkeit spielt mit Hoffnung, Ahnung und zuweilen konkreter Todesfurcht; so heißt es in der Volksballade »Die Rheinbraut«:

»Christinchen ging im Garten,

Den Bräut’gam zu erwarten.

Sie hatte schon längst in den Sternen gesehn,

Dass sie im Rhein sollt untergehn.«

Wer in den Sternen weniger Trübes liest, dessen Schicksal steht womöglich »unter einem Glücksstern«. Auf liebende Personen übertragen heißt es im Schlager völlig unreflektiert, ja in gläubigem Vertrauen auf den Realitätsgehalt der Aussage: »Du sollst mein Glücksstern sein.«

Einen Stiefel vertragen können

Darunter versteht man die Fähigkeit, ohne schlimme Folgen eine große Menge Alkohol in sich hineinkippen zu können. Man muss dieses geflügelte Wort jedoch nicht wörtlich nehmen, obwohl in alten Zeiten und unter groben Mannsbildern der lederne Stiefel durchaus als Trinkgefäß hat gelten können. Gemeint sind hier jedoch gewöhnliche Gläser oder Krüge in Stiefelform, wie sie seit dem 16. Jahrhundert in Gebrauch waren. Während seit dem 18. Jahrhundert aus solchen Trinkgefäßen nur noch Bier getrunken wird, waren früher viele auf ein Viertel Wein geeicht. Vor allem in studentischen Kreisen galt der Trinkstiefel als äußerst schick. Wer beim Kneipabend einer Studentenverbindung nur den geringsten Formfehler beging, musste ihn auf einen Zug leeren.

Zahlreiche Anekdoten ranken sich um Ereignisse, bei denen jemand ungeheure Mengen Wein aus einem echten Stiefel getrunken haben soll. Die berühmteste ist wohl die vom »Meistertrunk« in Rothenburg ob der Tauber: Bürgermeister Georg Nusch soll im Dreißigjährigen Krieg die Stadt vor der Brandschatzung durch den kaiserlichen Feldherrn Graf von Tilly dadurch gerettet haben, dass er einen riesigen Stiefel voll Wein in einem Zug leerte.

Gegen den Strich bürsten

Wenn man Katzen oder andere Haustiere gegen die natürliche Richtung ihrer Behaarung zu streicheln versucht, dann reagieren sie gereizt und widerständig. Und genau dies meint auch die Redewendung »gegen den Strich bürsten«: Eine falsche Behandlung löst Unbehagen und Abwehr aus. In manchen Regionen Deutschlands heißt »gegen den Strich gebürstet« schlicht »schlecht gelaunt«. Entsprechend gibt es auch Dinge, die einem »gegen den Strich gehen«, einem also nicht genehm sind; so wie Reichskanzler Otto von Bismarck in einer Reichstagsrede sagte: »Ich habe noch andere Konzessionen gemacht, die mir gegen den Strich gingen.«

Konform dagegen verhält sich, wer »etwas nach Strich und Faden« erledigt. Der Weber zum Beispiel muss eine Webarbeit nach eben diesem Strich und Faden prüfen und darüber wachen, aus welchem Material ein Gewebe gefertigt und ob dies in aller Sorgfalt geschehen ist. Was »unter dem Strich herauskommt«, erfährt man auch, wenn man unter eine Aufzählung von Rechnungssummen und dergleichen einen Strich zieht, um sie zu einer Endsumme zu addieren. Sollte man indessen jemandem einen »Strich durch seine Rechnung machen«, dann will man dessen Absichten und Vorhaben durchkreuzen.

Leeres Stroh dreschen

Dieses kraftvolle Sprachbild erinnert lebhaft an Karl Kraus, der sich die bissige Bemerkung gegen Schönschwätzer erlaubte: »Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben; man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.« Es kennzeichnet die pure Sinn- und Zwecklosigkeit eines Denkens oder Handelns, wenn nicht Stroh, sondern »leeres Stroh« gedroschen wird. Leeres Stroh ist nämlich bereits ausgedroschen, es gibt folglich nichts mehr her. Im übertragenen Sinne: es hat keine Substanz.

Grimmelshausens Simplicissimus gab deshalb den Rat: »Rede wenig, damit dein Zugeordneten nicht an dir merken, dass sie ein leer Stroh dreschen«. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang die Feststellung eines Wissenschaftler-Gremiums an der Freien Universität Berlin: »Da die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen als Maß für wissenschaftliche Leistung gilt, wird immer mehr leeres Stroh gedroschen«. Auf die Inhaltslosigkeit des öffentlichen Geschwätzes und jeglicher Scheinwissenschaft hat bereits Goethe hingewiesen, indem er Mephistopheles zu Faust sagen lässt:

»Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?

Das Beste, das du wissen kannst,

Darfst du den Buben doch nicht sagen.«

Dem Sinn nach verwandt ist die Redewendung: »Stroh zum Feuer tun« – analog zu »Öl ins Feuer gießen« meint sie, eine schwelende Sache verschlimmern.

Auch das berühmte »Strohfeuer« gehört hierher, Begeisterung und Aufflammen von Gefühlen bezeichnend, die ebenso rasch verfliegen, wie sie aufgetreten sind.

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Über den Tellerrand hinaussehen

Eine überraschende Variante dieses ziemlich eindeutigen Sprachbildes gelang dem langjährigen Bundeskanzler Helmut Kohl. In kongenialer Anerkennung seiner politischen Deutungshoheit glaubte er Leute ausgemacht zu haben, die nicht »über den Tellerrand des morgigen Tages« hinwegschauen können. Wie sollte dies aber auch möglich sein, wo doch ein Tag, und sei es auch der morgige, mit Sicherheit keinen Tellerrand hat?

Wer nicht über den eigenen Tellerrand hinaussieht, der hat einen sehr beschränkten Horizont – ähnlich dem, der nicht über den (morgigen) Tag hinaus denkt. Nur wenn er den Blick vom Teller löst, kann er Übersicht über den Stand der Dinge auch außerhalb seines eingeschränkten Gesichtskreises erlangen, neue Horizonte entdecken und diese vielleicht sogar überschreiten.

Den Teufel an die Wand malen

Daraus wird keine Blümchentapete hervorgehen, nimmermehr. Hier ist Angst, wohl gar der reine Horror angesagt: Man spricht von etwas, das man fürchtet, und beschwört es dadurch möglicher Weise erst herauf. Von allen Metaphern, die den Teufel zu ihrer Lieblingsfigur gemacht haben, ist heute (fast) nur noch der an die Wand gemalte Teufel übrig geblieben. Zu Luthers Zeiten sprach man häufig noch davon, den Teufel »über die Tür zu malen«, also dorthin, wohin sonst die Sternsinger das Segenszeichen »C + M + B« schreiben sollten. Egal wohin, als ratsam galt es nie, den Teufel zu malen. Ähnlich heißt es ja auch: »Wenn man vom Teufel spricht, dann kommt er.«

Otto von Bismarck, als Reichskanzler beinharter Realist und europaweit Experte für eine Politik der Rückversicherungsverträge, mochte den Teufel nicht an die Wand malen. Er warnte seine Gegner eindringlich davor, den Satan überhaupt durch magische Bilder zu beschwören: »Wo sind denn die Gefahren gewesen, die an die Wand gemalt werden als wahrscheinlich eintretend?« Und auf die so genannten Einigungskriege anspielend, äußerte er im Reichstag: »Warten Sie doch ruhig ab, bis der unglückliche Krieg gekommen und geführt ist, und enthalten Sie sich der Sünde, ihn an die Wand zu malen.«

Den Teufel mit Beelzebub austreiben

Wer das tut, kommt mit Sicherheit ↑vom Regen in die Traufe: Er versucht nämlich, ein Übel durch ein ebenso schlimmes oder noch schlimmeres zu beseitigen.

Die Redewendung geht auf die Bibel zurück: »Aber als die Pharisäer das hörten, sprachen sie: Er treibt die bösen Geister nicht anders aus als durch Beelzebul, ihren Obersten« (Matth. 12,24). Beelzebul (oder in der geläufigeren Variante: Beelezebub) wurde damit ein Dämon der christlichen Mythologie und ein Synonym für den Teufel selbst. In John Miltons großem Epos »Das verlorene Paradies« figuriert er als der zweithöchste Höllenfürst. Nach anderen Quellen steht er wiederum ganz obenan. Hier und da hat sich auch die Bezeichnung »Beelzebock« durchgesetzt, gemäß der Vorstellung des Teufels in Bocksgestalt (↑Die Sache hat einen Pferdefuß).

In Literatur und Medien geistert die Gestalt des Beelzebub in vielen unterschiedlichsten Formen umher: etwa in Ralf Theniors Jugendbuch »Die Fliegen des Beelzebub«, in dem eindringlich vor Okkultismus, Exorzismus und ganz allgemein vor falschen Vorbildern gewarnt wird.

Gewarnt werden muss jedenfalls auch davor, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.

In der Tinte sitzen

Wer es so weit kommen lässt, sieht sich längst in größter Verlegenheit. Seine Lage istbeklagenswert, schlimmer: ausweglos. Tinte steht hier metaphorisch für Patsche, Brühe, Sauce … (↑in die Bredouille bringen). Wer in dieser tiefdunklen, auf der Kleidung deutlich sichtbaren Flüssigkeit sitzt, kann nicht verbergen, dass Übles mit ihm geschehen ist. Von daher die Wendung »in der Tinte sitzen«. Mit der Konsequenz, nicht sauber davonkommen zu können, wie es bereits in einer Predigt Geiler von Kayserbergs um 1520 heißt: »Du bist voller sünd(en) … du steckst mitten in der tincten«. Heinrich Hofmann, der Autor des Kinderbuchklassikers »Struwwelpeter«, nahm die Redewendung in der »Geschichte von den schwarzen Buben« ganz wörtlich: Drei freche Jungen, die ein farbiges »Mohren«-Kind verspotten, erhalten eine feuchte Quittung für ihre Unbelehrbarkeit:

»Er tunkt sie in die Tinte tief,

wie auch der Kaspar ›Feuer‹ rief.

Bis übern Kopf ins Tintenfass

tunkt sie der große Nikolas.«

Ein Tohuwabohu (vorfinden)

Was nach einem turbulenten Begrüßungsritus aus Hawaii klingt, ist in Wirklichkeit ein Ausdruck biblischen Ursprungs: »Und die Erde war wüst und leer«, heißt es im zweiten Satz der Schöpfungsgeschichte (1. Mose 1, 2). Aber was hat dieses Ur-Ereignis der Menschheitsgeschichte mit einem »Tohuwabohu« zu tun? Der Zusammenhang erschließt sich erst beim Blick in den hebräischen Urtext, wo an dieser Stelle das Wort »tōhū wa-bōhū« steht; wörtlich übersetzt heißt es also: »Die Erde war tohu und bohu«. Dieses »Tohuwabohu« wurde zu einer viel gebrauchten Redensart, die zugleich eines der womöglich undeutbaren Geheimnisse der Welt birgt: ihre Entstehung – oder den »Ur-Knall«.

Martin Buber und Franz Rosenzweig sprachen in diesem Zusammenhang von »Irrsal« und »Wirrsal«; »tohu« sei die »geistliche Leere« und »bohu« die »geistige Leere«, im Sinne von Mangel an denkenden Wesen. In jüdischen Sagen zur Schöpfungsgeschichte wird dagegen »tohu« als ein grüner Streifen beschrieben, der die Welt umspannte; und »bohu« soll Abgründe voll schlammiger Steine symbolisieren. Manche Leute reden ganz einfach von einem »großen Durcheinander«, und das trifft wohl den damaligen Zustand der Welt recht genau.

W

Sich über Wasser halten

Fangen wir beim Kopf an: Ihn sollte man tatsächlich oberhalb der Wasserfläche halten, will man nicht untergehen und ertrinken. Im Englischen heißt es gleichlautend: »to keep one’s head above the water«. Im übertragenen Sinne will die Metapher sagen, dass man bemüht sein soll, seine (wirtschaftliche) Lage zu stabilisieren, wenn sie gefährdet scheint. Weshalb es dann auch den Moment höchster Bedrängnis und akuter Gefahr bedeutet, wenn einem »das Wasser bis zum Halse steht«. Ausweglos wird die Lage dann vollends, wenn jemandem »das Wasser über dem Kopf zusammenschlägt«. All diese Redewendungen können ihre Herkunft aus der Sprache der Seefahrer und Küstenbewohner kaum verbergen.

Ganz anderer Herkunft ist die Floskel »jemandem das Wasser nicht reichen können«. Sie stammt aus der höfischen Kultur des Mittelalters: Vor dem Essen ließen die Herrschaften ihren Gästen Wasser zur Reinigung der Hände herumreichen. Dieser Dienst wurde von knieenden Edelknaben ausgeführt, die zudem noch ein Tuch um die Schultern trugen und so als lebende Handtuchhalter dienten. Wer es nicht einmal wert war, die niedrige Tätigkeit des Wasserreichens auszuüben, der stand also in der Rangordnung ganz unten – und das ist damit heute noch gemeint.

Wer dagegen »mit allen Wassern gewaschen« ist, der gilt als durchtrieben und trickreich. Ursprünglich bezeichnete man so weit gereiste Seeleute, die mit dem Wasser aller Weltmeere in Berührung gekommen waren, folglich als welterfahren und tüchtig zu gelten hatten.

Eine letzte aus dem unübersehbaren Angebot von Wasser-Metaphern; jeder kennt und zitiert sie: »nah am Wasser gebaut haben« heißt sie und meint, dass jemand schnell anfängt zu weinen. Das bedeutet im Klartext: die Tränen fließen bei ihm so unkontrolliert, wie Wasser in ein am Ufer gebautes Haus sickert.

Die Welt nicht mehr verstehen

Wer – wie Meister Anton in Friedrich Hebbels Trauerspiel »Maria Magdalena« – am Ende ausruft: »Ich verstehe die Welt nicht mehr!«, über dessen Wertvorstellungen ist die Zeit hinweg geschritten. Deshalb kommt er mit den aktuellen Sitten und Gewohnheiten nicht mehr zurecht und kann nur verzweifelt den Kopf schütteln.

Während dieser Zustand also einen Gipfelpunkt menschlicher Verzweiflung beschreibt, ist in der Redensart »die Welt aus den Angeln heben« das genaue Gegenteil enthalten: sich nämlich als stark genug zu empfinden, das nie Versuchte zu wagen und tatsächlich vollbringen zu wollen. Schon Griechenlands legendärer Mathematiker Archimedes pflegte zu sagen: »Gebt mir einen festen Punkt außerhalb der Erde, und ich werde sie aus den Angeln heben!«

Gewisse Menschen wiederum leben »in einer anderen Welt«, was sich auf eine passionierte Pflege von Kunst und Wissenschaft beziehen kann. Deren Geist schwebt in den Wolken und scheint eher im Irrealen als in greifbarer Wirklichkeit beheimat zu sein. Womöglich beschäftigen sie sich dort auch mit Dingen, die »nicht von dieser Welt sind« – also so herrlich, dass es sie nur im Jenseits gibt. Diesen Begriff prägte Jesus Christus, als er von sich selbst sagte: »Ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt« (Joh. 8, 23).

Sein blaues Wunder erleben

»Wunder gibt es immer wieder …« – so lautete der Refrain eines populären Schlagers in den 1960er Jahren. Das war freilich keine Sinnestäuschung, sondern echter Kitsch. Beim »blauen Wunder« dagegen spielen so manche Dinge dem Betroffenen einen Streich: Häufig sind es böse Überraschungen oder unangenehme Erfahrungen, die unvermittelt daherkommen und nichts Gutes verheißen. Kein Wunder, denn Blau war in alten Zeiten die Farbe der Lüge und Täuschung: Davon künden heute noch Redensarten wie »jemandem blauen Dunst vormachen« oder »das Blaue vom Himmel herunter lügen«.

Worauf beruht aber nun die seltsame Anspielung auf ein Wunder, das hier mit der Farbe Blau verkuppelt wird, als handle es sich um ein illegitimes Verhältnis? In früheren Jahrhunderten erlebten die Blaufärber regelmäßig ihr »blaues Wunder«, wenn sie nach Vollendung ihres Werks feststellen durften, dass ihre Stoffe tatsächlich die blaue Farbe angenommen hatten. In jenen Zeiten war das Blaufärben ein aufwendiges Verfahren: Der Stoff musste für einige Zeit in den Farbbottich, der eine sogenannte gelbe Küpe (aus Waid oder Indigo) enthielt. Danach hängte man den zunächst gelb gefärbten Stoff zur Oxidation an die Luft. Das Ergebnis: Der Stoff wechselte seine Farbe von Gelb über Grün zum Blau. Da man seinerzeit noch nichts von den chemischen Prozessen ahnte, die dies bewirkten, sprach man von einem »blauen Wunder« – das insbesondere jene ins Staunen versetzte, die es zum ersten Mal erlebten.

Es gibt noch eine Variante dieser Erklärung: Blaufärberei verlangte nach sonnigem und warmem Wetter. Der Farbbottich musste wenigstens zwei Wochen in der Sonne stehen. Die Waidblätter bedeckte man in dieser Zeit mit einer Flüssigkeit, die die erwünschte Wirkung tat: mit menschlichem Urin. In der Sonne begann die Urin-Waid-Brühe zu gären, wobei Alkohol entstand, der den Farbstoff aus den Blättern löste. Der chemische Ablauf war im Mittelalter noch nicht bekannt, doch wusste man, dass umso mehr Farbstoff zu gewinnen sei, je kräftiger die alkoholischen Zugaben ausfielen. Nur wäre es schade gewesen, den

guten Alkohol direkt in die Brühe zu gießen; deshalb füllten die Färber zunächst sich selbst ab und gaben dann ihren alkoholisierten Urin in den Bottich …

Ob es wirklich so war? Auch unabhängig von dieser Geschichte wird die Farbe Blau häufig mit Alkohol in Verbindung gebracht: Wer »blau ist«, der hat eindeutig zu viel getrunken. Und so mag es auch manchem Färber ergangen sein, der bei seiner Arbeit im herrlichem Sonnenschein einen über den Durst trank. Am nächsten Tag musste er dann vielleicht »blau machen« – aber das ist eine andere Geschichte.*

Über die Wupper gehen

Wenn etwas über die Wupper geht, dann ist so ziemlich alles aus: Bei Menschen ist das Sterben damit gemeint, bei Unternehmen der Bankrott. Der Tod hat seit jeher zu Bildern angeregt, die den Gedanken der Seelenüberfahrt aufgreifen; man denke nur an den Fluss Styx, den in der griechischen Mythologie die Verstorbenen überqueren müssen, um in den Hades zu gelangen. Im Christentum war es der Jordan, dessen Überquerung durch die Israeliten später symbolisch als Eintritt in das Himmelreich gedeutet wurde; so heißt es im Alten Testament: »Nach drei Tagen werdet ihr hier über den Jordan gehen, dass ihr hineinkommt und das Land annehmt, das euch der Herr, euer Gott, geben wird« (Josua 1, 11). Beim »über die Wupper gehen« handelt es sich nun womöglich um eine landschaftliche Abwandlung dieser Redensart – die Wupper wäre dann sozusagen die profane Version des biblischen Jordans.

Tatsächlich hatte die Überquerung dieses Flusses einst eine ganz handfeste Bedeutung: Als die Wupper nämlich die Grenze zwischen Preußen und der Grafschaft Berg markierte, konnten sich junge Männer vor dem preußischen Militärdienst retten, indem sie sich auf das gegenüberliegende Ufer begaben, wo sie für die Werber des Preußenkönigs unerreichbar waren. Diese Deutung gilt indessen nicht als gesichert.

* Vgl. Karl-Hugo Pruys, Bis in die Puppen, Berlin 2008.

X

Jemandem ein X für ein U vormachen

Gemeint ist ein simpler Täuschungsversuch: Wer jemandem »ein X für ein U vormachen« will, der versucht ihn auf die eine oder andere Weise hinters Licht zu führen, ihn zu täuschen und über den Tisch zu ziehen. Des Wortspiels Auflösung bedeutet: Mit »U« ist hier, dem alten lateinischen Alphabet folgend, der Buchstabe »V« gemeint. Dieses »V« stand als Zahl zugleich für die »5«, während das »X« die »10« bezeichnete. In alten Zeiten, als man Rechnungen noch mit Kreide auf einer Tafel zu machen pflegte, war nun die Versuchung groß, die beiden Schenkel des »V« nach unten etwas zu verlängern, bis sie wie ein »X« aussahen.

Auf diese Weise konnte man dem Schuldner das Doppelte dessen ankreiden, was er in Wahrheit zu zahlen hatte, nämlich ein »X« (10) statt einem »V« (5) – oder eben »U«, wie man später sagte. In einem alten Lügenmärchen heißt es deshalb zutreffend:

»Der Wirt war ein geschwinder Mann,

die Kreid’ in seine Hand bald nahm;

dieselb’, wie es dann pflegt zu geh’n,

für einen Strich recht kreidet Zween.

Er macht ein X wohl für ein V,

damit kam er der Rechnung zu.«

Z

Einen Zahn zulegen

In alten oder auf alt getrimmten Gasthöfen, in deren Küche es noch ein offenes Feuer gibt, sollte man sich genau den schmiedeeisernen gezackten Stab über dem Feuer ansehen, an dem der Topf oder der Rost mit den brutzelnden Speisen hängen. Möchte der Wirt den Garvorgang beschleunigen, wählt er zur Aufhängung einen weiter unter liegenden Zacken (= Zahn) des Stabes, damit die Speisen in engere Berührung mit der Glut kommen. Obwohl der Abwärtsgang angesagt ist, nennt man das: »einen Zahn zulegen«.

Die Redewendung ist in Gaststätten und Küchen mangels offenen Feuers kaum mehr in Gebrauch. Dafür häufiger im übertragenen Sinne beim Sport, in der Wirtschaft und in der Politik. So auch in der umgangssprachlichen Form »einen Zahn draufhaben«, also sehr schnell sein. Hier könnte als sprachliches Vorbild auch die Technik des Automobils gedient haben, wo der früher verbreitete Handgashebel durch einen Zahnkranz arretiert wurde.

Viele andere Redensarten meinen eine ganz andere, viel näher liegende Art von »Zähnen«, nämlich die Bestandteile des menschlichen Gebisses. An deren regelmäßig notwendige Untersuchung durch den Zahnarzt erinnert die Wendung »auf den Zahn fühlen«, was bedeutet, jemanden auf seine Kenntnisse (oder auch Absichten) zu prüfen. Wem »ein Zahn gezogen« wird, der muss einen törichten Plan oder Gedanken aufgeben; und wem »kein Zahn mehr weh tut«, der ist tot. Weniger beliebt sind zumeist Leute, die »Haare auf den Zähnen haben« (also sich nichts gefallen lassen)* oder die »bis an die Zähne bewaffnet« sind (also in ihrem Kampfeswillen soweit gehen, dass sie auch ihr Gebiss noch als Waffe betrachten).

Ein Zeichen setzen

Während die Zeichen im Straßenverkehr, der sprichwörtliche »Schilderwald«, inzwischen mehr und mehr reduziert werden, um den Autofahrer nicht mit der Vielzahl von Anweisungen und Verboten zu überfordern, werden – vor allem in der Politik – immer noch allzu häufig Zeichen für oder gegen etwas gesetzt. Frei formuliert ist damit gemeint, durch eine symbolische Handlung die Richtung anzuzeigen, ein Signal oder einen Anstoß zu geben. Im banalsten Fall können es Kabinettsbeschlüsse sein, die »Zeichen für mehr gesellschaftliche Solidarität setzen« (so Altbundeskanzler Willy Brandt im Jahr 1976) – in der Regel erwartet man heute aber mindestens ein öffentliches Bekenntnis oder eine Demonstration, wenn »Zeichen gesetzt« werden. Und damit wären wir dann doch wieder beim Straßenverkehr – denn der muss zuweilen umgeleitet werden, wenn sich Leute auf die Straße begeben, um Zeugnis von ihrem Bekennermut abzulegen.

Es geschehen noch Zeichen und Wunder

Zeichen? Ja. Aber Wunder? Den Text für diese Redensart lieferte Friedrich Schiller in »Wallensteins Lager«: »Am Himmel geschehen noch Zeichen und Wunder.« Gemeint ist damit, dass etwas unvermutet, unerwartet und völlig überraschend geschieht, was lange Zeit vergeblich ersehnt und für kaum mehr möglich gehalten wurde. Der Ausdruck basiert auf einer viel zitierten Stelle des Alten Testaments, wo Gott zu Moses spricht: »Aber ich will das Herz des Pharao verhärten und viele Zeichen und Wunder tun in Ägyptenland« (2. Mose 7, 3).

Biblischen Ursprungs ist auch die Wendung »die Zeichen der Zeit erkennen«. Jesus verwendet sie gegenüber seinen Jüngern: »Und des Morgens sprecht ihr: Es wird heute ein Unwetter kommen, denn der Himmel ist rot und trübe. Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?« (Matth. 16, 3). Was dies besagen will, ist einleuchtend und klar: Wer die »Zeichen der Zeit« erkennt, der sieht eine gesellschaftliche oder im engeren Sinne politische Entwicklung richtig voraus. Deshalb gilt es in der Politik als ein schwerer Vorwurf, wenn man dem Gegner vorwirft, dass er die Zeichen der Zeit nicht erkenne.

Alles hat seine Zeit

Diese Wendung klingt plausibel und scheint leicht zu deuten. Doch in Wahrheit steckt viel Sinn darin – oder dahinter, wenn man so will. Es handelt sich nämlich um eines der unvergänglichen Worträtsel der Bibel. Es findet sich, wie anders wäre dies denkbar, im Alten Testament, und dort im dritten Kapitel des Prediger Salomo: »Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; …« In dieser Weise geht die Aufzählung zahlreiche Verse lang weiter.

Einleuchtend, dass ein jeder sich seinen eigenen Reim auf die Verse des 3. Prediger-Kapitels machen möchte. Bei den Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag im Herbst 2008 fasste der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck sie in kühnem Schwung knapp zusammen: »Alles hat seine Zeit, weinen und lachen, wehklagen und feiern, sich umarmen hat seine Zeit und sich aus der Umarmung lösen.« Gar nicht mal schlecht, doch es bleibt eine Zusammenfassung. Interessant ist, dass große Vorgänger ähnlich wie der brave Struck verfuhren, denn sie machten aus dem länglichen Bibelwort jeweils das ihnen für den Augenblick Passende. So etwa Johann Wolfgang von Goethe zu Beginn seiner Anmerkungen zu »Besserem Verständnis« des »West-Östlichen Divans«: »Alles hat seine Zeit!«, zitiert der Meister dort, um dann fortzufahren: »Ein Spruch, dessen Bedeutung man bei längerem Leben immer mehr anerkennen lernt; diesemnach gibt es eine Zeit zu schweigen, eine andere zu sprechen, und zum letzten entschließt sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren Alter Tun und Wirken gebührt, so ziemt dem späteren Betrachtung und Mitteilung.«

Es bedeutet keine Banalisierung, wenn die Worte des Predigers gelegentlich so alltäglich aufgenommen werden, wie es dieser Kurzdialog ausweist: »Kannst du mal eben die Goldfische füttern?« – »Alles zu seiner Zeit, jetzt ist erst mal die

Katze dran.«

Denn in Vers 3, 12 heißt es ausdrücklich: »Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.«

* Vgl. Karl-Hugo Pruys, Bis in die Puppen, Berlin 2008.

Zum Weiterlesen

Agricola, Erhard: Wörter und Wendungen. Wörterbuch zum deutschen Sprachgebrauch, Leipzig 1962. Neudruck München, 1970.

Appel, Andrea: Die Katze im Sack kommt mir Spanisch vor. Redensarten auf den Grund gegangen. Berlin 1987.

Birlinger, Anton: So sprechen die Schwaben. Sprichwörter, Redensarten, Reime, Berlin 1868. Neudruck Stuttgart 1982.

Borchardt, Wilhelm Gustav: Die sprichwörtlichen Redensarten im deutschen Volksmund. Nach Sinn und Ursprung erläutert, Leipzig 1888.

Böttcher, Kurz u. a.: Geflügelte Worte. Zitate, Sentenzen und Begriffe in ihrem geschichtlichen Zusammenhang, Leipzig 1981.

Braun, J. M.: Sechs Tausend Deutsche Sprüchwörter und Redensarten, Stuttgart 1840.

Büchmann, Georg: Geflügelte Worte. Der Zitatenschatz des deutschen Volkes, Berlin 1864.33. Auflage, Frankfurt am Main 1986.

Dittrich, Hans: Redensarten auf der Goldwaage. Herkunft und Bedeutung in einem munteren ABC erklärt, Bonn 1970.

Dröscher, Vitus B.: Mit den Wölfen heulen. »Fabelhafte« Spruchweisheiten aus dem Tierreich, Düsseldorf 1978.

Fink-Henseler, Roland W.: Hausbuch deutscher Sprichwörter. Bayreuth 1983.

Genthe, Arnold: Deutscher Slang. Eine Sammlung familiärer Ausdrücke und Redensarten, Straßburg 1982.

Gööck, Alexandra: Das sagt man so. Kleines Lexikon der Redensarten, Gütersloh 1974.

Görner, Herbert: Redensarten. Kleine Idiomatik der deutschen Sprache, Leipzig 1979.

Hamacher, Gustav: Kölsche Redensarten und Sprichwörter, Köln 1986.

Holm, Hans Hennig: Da bist du platt! Unterhaltsames Sammelsurium niederdeutscher Wörter und Redensarten, Neumünster 1972.

Koster, Monika: Großes Handbuch der Zitate, Sprichwörter und Redensarten, Köln 1983.

Krack, Karl Erich: 1000 Redensarten unter die Lupe genommen, Stuttgart 1965.

Krüger-Lorenzen, Kurt: Deutsche Redensarten und was dahinter steckt, München 1983.

Küpper, Heinz: Deutsch zum Anfassen. Moderne Redewendungen von »Abseilen« bis »Zoff«, Wiesbaden 1987.

Lautenbach, Ernst: Goethe. Zitate, Redensarten, Sprichwörter, Hanau 1986.

Leon, Bernd: Mit schönen Worten kocht man keinen Brei. Reichlich 600 kulinarische Sprüche, Berlin 1989.

Meyer, Hans Georg: Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten (fortgeführt von S. Mauermann und für die 10. Auflage bearbeitet und ergänzt von W. Kiaulehn), München 1965.

Raab, Heinrich: Deutsche Redewendungen. Von Abblitzen bis Zügel schießen lassen, Wien 1964.

Richter, Albert: Deutsche Redensarten. Sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert, Leipzig 1889 (5. Auflage 1930).

Röhrich, Lutz: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, 3 Bde., Taschenbuchausgabe beim Herder-Verlag.

Rosten, Leo: Jiddisch. Eine kleine Enzyklopädie, dt. 2002.

Ruelius, Hermann: Auf der Palme. Bilder in der Sprache, Frankfurt am Main 1961.

Sandvoss, Franz: So spricht das Volk. Volkstümliche Redensarten, Berlin 1860.

Scheffler, Heinrich: Wörter auf Wanderschaft. Schicksale von Wörtern und Redensarten, Pfullingen 1986.

Schmitt, Richard: Deutsche Redensarten. Quiz- und Übungsbuch, Stuttgart 1975.

Schomburg, Eberhard: 176 gebräuchliche Redensarten und ihre Bedeutung, Kassel 1979.

Tendlau, Abraham Moses: Sprichwörter und Redensarten deutschjüdischer Vorzeit, Frankfurt am Main 1860.

Weber, Paul: Woher der Ausdruck? Deutsche Redensarten und ihre Erklärung, Heidelberg 1961.

Stichwortliste

A

Das ist das A und O

Sich aus der Affäre ziehen

Da laust mich doch der Affe

Das Amen in der Kirche

Jemandem angst und bange machen

Etwas mit Argusaugen betrachten

Jemanden am Arsch lecken

Auge und Auge, Zahn um Zahn

B

Immer nur Bahnhof verstehen

Am Ball bleiben

Jemandem einen Bären aufbinden

Jemanden in die Bredouille bringen

Auf den Busch klopfen

Alles in Butter

C

Chuzpe haben

D

Der letzte Dreck

Jetzt schlägt’s dreizehn

E

Du heilige Einfalt!

Eulen nach Athen tragen

F

Sich wie ein roter Faden hindurch ziehen

Ein (zu) weites Feld

Fisimatenten machen

Flagge zeigen

Die Flinte ins Korn werfen

Jemandem einen Floh ins Ohr setzen

Fraktur reden

Frank und frei

H

Sein Herz ausschütten

Das ist doch die Höhe!

Da liegt der Hund begraben

Sich etwas an den Hut stecken (können)

J

Alle Jubeljahre einmal

K

Alles über einen Kamm scheren

Etwas auf die hohe Kante legen

Die rote Karte zeigen

Die Kirche im Dorf lassen

Mit dem ist nicht gut Kirschen essen

Nicht ganz koscher sein

Jemandes Kreise stören

Krethi und Plethi

L

Aus der Lamäng

Vom Leder ziehen

Mach’ doch der Liebe kein Kind

Immer die alte Leier

Den Löffel abgeben

M

Ein Machtwort sprechen

Den goldenen Mittelweg gehen

Jemanden Mores lehren

N

Nebbich!

P

Ich kenne meine Pappenheimer

Perlen vor die Säue werfen

Jemandem den Schwarzen Peter zuschieben

Etwas in petto haben

Etwas auf der Pfanne haben

Die Sache hat einen Pferdefuß

Sich wie Phönix aus der Asche erheben

Noch ist Polen nicht verloren

Der springende Punkt

R

Vom Regen in die Traufe kommen

S

In Sack und Asche gehen

Andere Saiten aufziehen

Ein salomonisches Urteil fällen

Vom Saulus zum Paulus werden

Ein Scherbengericht (anordnen)

Mit allen Schikanen

Etwas im Schilde führen

Etwas in Schuss bringen

Ein Schuss, der nach hinten losgeht

Du alter Schwede!

Jemanden in den Senkel stellen

Sich aus dem Staub machen

Ein Stein des Anstoßes sein

Jemandem die Sterne vom Himmel holen

Einen Stiefel vertragen können

Gegen den Strich bürsten

Leeres Stroh dreschen

T

Über den Tellerrand hinaussehen

Den Teufel an die Wand malen

Den Teufel mit Beelzebub austreiben

In der Tinte sitzen

Ein Tohuwabohu (vorfinden)

W

Sich über Wasser halten

Die Welt nicht mehr verstehen

Sein blaues Wunder erleben

Über die Wupper gehen

X

Jemandem ein X für ein U vormachen

Z

Einen Zahn zulegen

Ein Zeichen setzen

Es geschehen noch Zeichen und Wunder

Alles hat seine Zeit

Zum Autor

Karl Hugo Pruys, geboren 1938, studierte Soziologie, Literatur und Publizistik. In den 1970er Jahren war er Sprecher des CDU-Bundesvorstands und verfasste 1995 eine Helmut-Kohl-Biografie, die vom »Economist« als Standardwerk gepriesen wurde. Zu seinen frühesten Publikationen zählen das »Wörterbuch zur Publizistik« und das »Handbuch der Massenkommunikation« (jeweils mit pressehistorischen Beiträgen von Kurt Koszyk). Es folgten sprach- und literaturkritische Bücher, zuletzt »Die Bibliothek. 44 Bücher, die man gelesen haben muss« und »Bis in die Puppen. Die hundert populärsten Redensarten«.