Kritik und Praxis: Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx 9783110829983, 9783110046045

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Kritik und Praxis: Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx
 9783110829983, 9783110046045

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitende Bemerkungen zum Begriff des Begriffs und zur Methode der Begriffsgeschichte
II. Der Kritikbegriff im Zeitalter der Aufklärung
III. Kants radikaler Kritikbegriff
IV. Der Verfall des Kritikbegriffs in der Kantschule
V. Fichtes Kritikbegriff der abstrakten Negation
VI. Kritik und Metakritik
VII. Der romantische Kritikbegriff bei F. Schlegel
VIII. Die Entwicklung des Kritikbegriffs bei Hegel
IX. Kritik und Praxis in der Hegelschule
X. Kritik der Theorie und Kritik der Wirklichkeit bei Marx
Zeichenerklärung
Literaturverzeichnis
Personenregister
Begriffsregister

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Kurt Röttgers Kritik und Praxis

W G DE

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 8

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1975

Kritik und Praxis Zur Geschichte des Kritikbegriffs von Kant bis Marx von Kurt Röttgers

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1975

ISBN 3 1 1 0 0 4 6 0 4 0 Library of Congress Catalog Card Number 73-93165

© 1974 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J, Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Redite, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianisdiem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Buchdruckerei Franz Spiller, 1 Berlin 36 Einband: Lüderitz tc Bauer, Berlin

Vorwort Die vorliegende Arbeit zur Geschichte des Kritikbegriffs hat der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum im Sommer 1972 als Dissertation vorgelegen. Daß Aufklärung über Kritik und über den Begriff der Kritik not tut, scheint so evident, daß eine der sonst üblichen Rechtfertigungen des gewählten Themas überflüssig wäre. Warum diese Arbeit begriffsgeschichtlich verfährt, versucht das einleitende Kapitel plausibel zu machen. Der Titel „Kritik und Praxis", der eine Thematik Arnold Ruges übernimmt, mag als systematisch irreführend empfunden werden, er ist jedoch nicht historisch irreführend. Er nimmt für diese Arbeit das methodologische Recht historischer Forschung in Anspruch, Vergangenheit zum Zweck der Gegenwartsorientierung zu organisieren; darin reflektiert sie stets auch die jetzt vergangene Zukunft einer Vergangenheit mit. So deutet diese Untersuchung die Geschichte des Kritikbegriffs in der untersuchten Zeit als eine, die sich in zunehmendem Maße auf die Diskussion jenes Begriffspaares zuspitzte. Damit gewann der Begriff eine Dimension zurück, die er zuvor — wie C. ν . Bormann jüngst gezeigt hat — noch besessen hatte. Noch in der im Kant-Kapitel dargestellten Deformation des Kritikbegriffs von einem Verfahrens- zu einem Systembegriff und audi in der explizierbar politischen Struktur der theoretischen Philosophie Kants erscheint dieser Zusammenhang, den erst der „Kritizismus" erfolgreich beseitigte. In der Folgezeit wird versucht, diese bemerkte und reflektierte Entfremdung zu überbrücken. So sind Kritik der Dialektik (Kant) und „Kritik der Waffen" (Marx) die beiden Pole, zwischen denen sich diese Bemühungen erstrecken. In der Anfertigung des Manuskripts haben mir Frau Ilse v. Hunnius, bei der Erstellung des Registers und beim Lesen der Korrektur Ulrich Meier geholfen. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Wesentliche Anregungen meiner philosophischen Studien verdanke ich den Kolloquien über Theorie und Praxis bei Hermann Lübbe, der auch diese Arbeit betreut hat. Als begriffsgeschichtliche Untersuchung aber weiß sich diese

VI

Vorwort

Schrift einem Arbeitszusammenhang verpflichtet, dem sich Joachim Ritter im letzten Jahrzehnt seines Lebens mit Tatkraft, Umsicht und verdientem Erfolg gewidmet hat; seinem Gedenken widme ich dieses Buch. Bielefeld, Herbst 1974 Kurt Röttgers

Inhaltsverzeichnis I. Einleitende Bemerkungen zum Begriff des Begriffs und zur Methode der Begriffsgeschichte II. III.

IV.

V.

1

Der Kritikbegriff im Zeitalter der Aufklärung

19

Kants radikaler Kritikbegriff 1. Die Herkunft der Struktur des Kritikbegriffs aus der Ästhetik 2. Strukturen eines radikalen Kritikbegriffs bei K a n t . . 3. Die Usurpation des Kritikbegriffs durch Kant . . . .

25 25 31 56

Der Verfall des Kritikbegriffs in der Kantschule

63

A) Die Kant-Orthodoxen

63

B) Die freieren Kantianer 1. Ludwig Heinrich Jakob 2. Johann Gottfried Karl Christian Kiesewetter 3. Friedrich Gottlob Born 4. Karl Heinrich Heydenreich 5. Auswertung

65 66 68 70 71 73

C) Die selbständigeren Kantianer 1. Salomon Maimon 2. Friedrich Ludwig Bouterweck 3. Johann Heinrich Abicht 4. Jacob Sigismund Beck 5. Karl Leonhard Reinhold 6. Auswertung

73 74 75 77 78 80 86

Fichtes 1. 2. 3. 4.

89 89 96 99

Kritikbegriff der abstrakten Negation Kritik als Konstitution Kritik als Polemik Dialektik als Desavouierung von Kritik Theoriepolitische Folgen des theoretischen rialismus

Impe-

102

vni

Inhaltsverzeichnis

VI. Kritik 1. 2. 3.

und Metakritik Johann Georg Hamann Johann Gottfried Herder Auswertung

105 105 106 113

VII. Der romantische Kritikbegriff bei F. Schlegel 1. Die Schlegelsche Experimentalphilosophie 2. Die Grundstruktur des Schlegelschen Kritikbegriffs 3. Die Durchführung des Schlegelschen Kritikbegriffs.. 4. Zu Fragen der Praxis: Die Geschichtsphilosophie . .

115 115 118 132 137

V I I I . Die Entwicklung des Kritikbegriffs bei Hegel 1. Der Programmartikel zum kritischen Journal der Philosophie 2. Die Spuren des Kritikbegriffs in der „esoterischen" Philosophie Hegels 3. Der Kritikbegriff des „reifen" Hegel

139

I X . Kritik und Praxis in der Hegelschule

139 147 156 165

A) Ludwig Feuerbach als Fortsetzer Hegels 166 1. Die Fundamente des Kritikbegriffs 166 2. Die Anknüpfung an Hegel in der Kritik des „Antihegel" 168 3. Die kritisch-genetische Philosophie 170 4. Der Standpunkt der Erfahrung 172 5. Kritik und Religion 173 B) Rechtshegelianismus und hegelianische Philosophiegeschichtsschreibung 174 1. Karl Friedrich Göschel 174 2. Johann Eduard Erdmann 177 3. Kuno Fischer 180 4. Karl Rosenkranz 182 C) Bibelkritik und reine Kritik 1. David Friedrich Strauß 2. Bruno Bauer 3. Edgar Bauer 4. Karl Schmidt

190 190 193 218 222

D) Die praktische Kritik 1. Hermann Friedrich Wilhelm Hinrichs 2. Arnold Rüge

225 225 232

Inhaltsverzeichnis

X. Kritik 1. 2. 3. 4. 5.

der Theorie und Kritik der Wirklichkeit bei Marx.. Der Ansatzpunkt des Marxsdien Kritikbegriiis . . . . Der Hintergrund des Marxschen Kritikbegriffs . . . . Kritik als Vernichtungskampf Begreifende Kritik Die Verbindung von Kritik der Theorie mit Kritik der Wirklichkeit

IX

253 253 257 262 266 275

Zeichenerklärung

278

Literaturverzeichnis

279

Register

296

I. Einleitende Bemerkungen zum Begriff des Begriffs und zur Methode der Begriffsgeschichte Um den Begriff der Kritik wird nach wie vor gestritten 1 , gehört er doch seit der Aufklärung zu den Fundamenten unseres kulturellen Selbstverständnisses. Nicht leicht wird jemand sich finden, der nicht nur dem Vorwurf, er denke unkritisch, nicht widerspricht, sondern sich ausdrücklich dazu bekennt 2 . Als Monopolisierungstendenzen des Kritikbegriffs allgemein bekannt sind: „kritische Philosophie", „Kritizismus", „kritische Theorie", „kritischer Rationalismus"; dazu gesellen sich Stellungnahmen zum Problem der Kritik aus nahezu allen Lagern der Philosophie und ihrer Randzonen. Fast scheint es dann so, als bedeute „Kritik" bei H o r k heimer etwas ganz anderes als bei Popper und als gebe es keine mögliche Vermittlung im Kritikbegriff ohne eine Vermittlung über ganz andere Begriffe. „Kritik" ist nämlich auch nicht ein Begriff, der die nicht rückfragbaren „letzten" Implikate einer oder jeder Position bemüht; damit begäbe sich „Kritik" in eine aporetische Stellung und sie könnte wohl kaum diejenige ideenpolitische Brisanz haben, die sie nun einmal hat. So gehört der Kritikbegriff jedenfalls in Teilen seiner Geschichte zu denjenigen Begriffen, die „weniger die Theoriefähigkeit der Vernunft als die Bereitschaft des Willens steigern, sich ideenpolitisch zu engagieren und Stellung zu nehmen" 3 . Unter diesen Umständen kann von B e g r i f f s g e s c h i c h t e erwartet werden, daß sie in dem Streit um das Wort historisch darüber a u f k l ä r t , wer mit w e l c h e m R e c h t sich auf w e l c h e n K l a s s i k e r b e r u f e n k a n n , w e n n e r v o n K r i t i k r e d e t . In der Tat werden solche Legitimationssprachspiele durchgeführt und gerade der, der Geschichte nicht als kontinuierlichen Fortschritt deutet, sondern als enormen Irrweg, muß präzise das Datum in der Evolution angeben, 1

2 3

Cf. dazu grundsätzlich H. Lübbe: Der Streit um Worte. Sprache und Politik. Bochum 1967, bes. p. 24—28. N . Luhmann: Die Risiken der Wahrheit und die Perfektion der Kritik, Ms. verv. H. Lübbe: Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitisdien Begriffs. Freiburg, München 1965, p. 22.

2

Einleitende Bemerkungen

wo der Abweg vom Wege der Vernunft eintrat. Erst recht selbstverständlich ist es natürlich, daß derjenige Begriffsgeschichte treiben wird, der die Kritik philosophischer Sprache im Medium ihrer eigenen Geschichte betreiben will, auch wenn ihm die Geschichte eines einzigen Begriffs oft unzureichend dazu sein wird. Allerdings wird in der hier vorgelegten Untersuchung die Prüfung der historischen Legitimität aktueller Redeweisen von Kritik und Anstrengungen des Begriffs durch Klassiker-Inanspruchnahmen nicht explizit vollzogen. Ob und wieweit die Historie eines Begriffs in einem strittigen begrifflichen Diskussionsfeld überhaupt klärend einzugreifen die Hoffnung haben kann, wird zunächst zu untersuchen sein4; ob dann die logisch möglicherweise zu bejahende Annahme Wirklichkeit wird, hängt einerseits vom Geschick der Darstellung, also von einem theoretisch zu vernachlässigenden Begleitumstand, andererseits aber von den Wirkumständen ab, die im Sinne des „habent sua fata libelli" als theoriepragmatische Dimension nur zu kleinsten Teilen von der semantischen Wahrheit abhängen. Mindestens folgendes wird man jedoch sagen können. Zum vollständigen Durchsichtigmadien des gegenwärtigen Redens über Kritik kann Begriffsgeschichte nicht ausreichen. Aber ganz globales Wiedererkennen der eigenen Position und der gegnerischen im Medium ihrer Geschichte kann sie stiften, und das nicht nur im Sinne von Vorurteilsbefestigung. Denn die Kenntnis des Gegners hat in der Auseinandersetzung noch allemal mehr genützt als derjenige Mut, den die grandiose Ignoranz induziert. Und es ist gleich wichtig zu wissen, wie man Freund und Feind in der Schlacht unterscheidet, als auch die Parolen und Identifikationsschemata genau zu kennen, unter denen man sich in das Lager des Feindes einsdileichen kann, als auch für Friedens- und Bündnisverhandlungen die Essentials von den möglichen Verhandlungs- und Anknüpfungspunkten unterscheiden zu können. In der ideenpolitischen Auseinandersetzung kann das historische Lehrstück somit auch dazu dienen, die Gruppe möglicher Gegner möglichst klein und wohldefiniert zu halten, für die Gruppe möglicher Bündnispartner aber Koalitionsstoff klar, Differenzen aber unklar zu halten. Wäre es audi grotesk, wenn jeder Historiker seinen historiographisdien Forschungen eine Theorie der Geschichte oder eine Theorie des Gegenstandes, dessen Geschichte erzählt werden soll, voranschicken würde, so 4

Cf. R. Wiehl: Begriffsbestimmung und Begriffsgeschichte. — In: Hermeneutik und Dialektik I. Tübingen 1970, p. 167—213.

Einleitende Bemerkungen

3

verhält es sich für die Begriffsgeschichte als Teil philosophischer Tätigkeit aus mehreren Gründen nicht gleicherweise. Die Aufgabe philosophischer Begriffsgeschichte geht nicht darin auf, historische Erklärungen der Art abzugeben, wie es dazu kam, daß es ist, wie es ist mit einem Begriff, wohingegen es doch früher anders war. Sie kann die an Philosophie allgemein zu stellende Forderung, Aufklärung zu bewirken, nicht von sich weisen. Daher muß sie sich, sofern sie ihre eigene Historie betreibt, über die Rechtfertigungen hinausgehend, die überhaupt Geschichtsschreibung als sinnvolle Tätigkeit ausweisen, zusätzlich rechtfertigen. Außerdem ist Begriffsgeschichte in der Form einer Art von Geistesgeschichte oft in der Gefahr gewesen, sich dem nicht immer unbegründeten Historizismus-Verdacht deswegen auszusetzen, weil ihre Methode Funktionen wie Substanzen behandelte, d. h. (Sinn-)Subjekte von erzählten Geschichten werden in diesen Geschichten behandelt, als seien sie Handlungssubjekte des Geschehens, so daß Begriffsgeschichte zur „Gespenstergeschichte" wird. Sie erzeugt methodisch die Illusion, als bewege sich ein Etwas durch historische Räume. Notwendigerweise (für die Konstitution von Geschichte) wird das logische Subjekt von Begriffsgeschichten fiktiv für ein Identisches im verbalen Geschehen gehalten; anders läßt sich in der Tat Begriffsgeschichte nicht schreiben. Der methodologischen Fiktion müssen Begriffsgeschichtsschreiber freilich nicht erliegen, d. h. sie müssen nicht dem Wahn verfallen, an der Dechiffrierung eines welthistorischen Sinns der Geschichte, die einem Begriff zugestoßen ist, zu arbeiten, sie mögen sich durchaus dessen bewußt sein, daß sie selbst an der K o n s t i t u i e r u n g d e r G e s c h i c h t e arbeiten, vor deren Hintergrund dann erst d e r B e g r i f f a l s i d e n t i s c h e s ( G e s c h i c h t e n - ) S u b j e k t sich abheben läßt. Diese Methode 5 wird dann unzulänglich, wenn man genauer hinschaut, wenn man nicht ausschließlich auf die Konstituierung der Identität des Begriffs durch seine Geschichte vertrauen will, sondern eine synchrone, systemare Fundierung anstrebt. Die nicht zuletzt in der Absicht einer Strategie der Vermeidung des skizzierten Historizismus-Verdachts hier verfolgte Praxis der Begriffsgeschichte muß, da sie im präzisierbaren Sinne von geläufiger begriffsgeschichtlicher Praxis abweicht, sich methodologisch rechtfertigen; außerdem 5

Ihr bin ich übrigens selbst in meinen sonstigen begriffsgeschichtlichen Arbeiten gefolgt. Cf. die Artikel im Historischen Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. J. Ritter. Basel, Stuttgart 1971 ff. und: Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt. — In: Gewalt — real. Wider eine Verschleierung des Leidens, hrsg. v. O. Rammstedt. Frankfurt 1974.

Einleitende Bemerkungen

4

ist „Theorie der Begriffsgeschichte" zur Zeit ein noch so offenes Feld 6 , daß es Selbstverständlichkeiten und geprägte Erwartungsstrukturen der wissenschaftlichen Öffentlichkeit, an die man sich halten oder die man begründet verletzen will, nicht gibt, so daß, selbst wenn es nicht zu hoffen wäre, daß die vorgelegten Überlegungen zur Methode der Begriffsgeschichte allgemein akzeptabel wären, sie Auskunft darüber geben, wie hier verfahren wurde, und woran die Methode mindestens zu messen sei. Ein Teil der Schwächen der Theoriebildung über Begriffsgeschichte resultiert aus einer unzulänglichen, weil sprachphilosophisch unaufgeklärten Theorie des Begriffs 7 , ein anderer Teil aus einer ungenügenden Reflexion dessen, was man tut, wenn man Geschichten schreibt. Deswegen werden im folgenden zunächst einige Überlegungen zu einer Theorie des Begriffs angestellt. Sprache stellt sich dar einerseits als ihr Vollzug im Reden, im T e x t , in K o m m u n i k a t i o n , andererseits als S y s t e m von Zeichen und Regeln ihrer Verknüpfung. Der prozessuale Aspekt und damit die Zeitstruktur ist für den Text wesentlich, der systematische Aspekt für das Paradigma. Im Paradigma werden sich gegenseitig ausschließende Möglichkeiten präsent gehalten; das Gesamtparadigma einer Sprache zeigt alle Möglichkeiten, die in dieser Sprache bestehen, an 8 . Wenn wir das Paradigma als System von Zeichen begreifen, so darf das nicht die irritierte Frage provozieren, worauf sie denn zeigen. Denn erstens ist unter Zeichen zu verstehen die V e r b i n d u n g einer Ausdrucksfunktion mit einer Inhaltsfunktion 9 . Zweitens hat jede dieser Seiten des Zeichens wiederum einen formalen und einen substantiellen 6

7

8

9

Das Historische Wörterbuch der Philosophie verhält sich als ganzes notwendigerweise offen und methodisch undogmatisch zu diesen Fragen, aus derjenigen Liberalität heraus, die allein die Mitarbeit einer Vielzahl kompetenter Gelehrter sichern konnte. Symptomatisch H . G. Meier: „Weltanschauung". Studien zu einer Geschichte und Theorie des Begriffs. Diss. Münster 1967. Feierliche Bemerkungen (im Sinne Wittgensteins: „Die philosophischen Probleme entstehen, wenn die Sprache f e i e r t . " Philosophische Untersuchungen. Frankfurt 1967, p. 33) ersetzen hier Theorie: „Die philosophischen Begriffe . . . sind Instanzen, in denen die Sachen, die den Inhalt der Philosophie ausmachen, sich entbergen oder verhüllen." (p. 14) Cf. jetzt auch H . G. Meier: Begriffsgeschiclite. — In: Historisches Wörterbuch der Philosophie I, Sp. 789: „Eine T h e o r i e d e r B e g r i f f s g e s c h i c h t e ist zur Zeit noch Desiderat." Begründet wurde die Sprachtheorie von F. de Saussure: Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft. Hrsg. v. Ch. Bally und A. Sechehaye. 2. Aufl. Berlin 1967. L. Hjelmslev: Prolegomena to a Theory of Language. Madison 1961, p. 47.

Einleitende Bemerkungen

5

Aspekt, so daß es eine unzulässige Verkürzung darstellt, vom Zeichen als einem Gegenstand zu sprechen, der auf andere Gegenstände „zeigt". Das Wort „Zeichen" soll also nicht heißen, daß es Korrelate für Wörter gäbe, Gegenstände, deren Beziehung zum Zeichen durch Zeigen einfach darstellbar wäre 10 . Ihr Zeigen ist vielmehr so wie das der Verkehrszeichen: Sie veranschaulichen nicht, wie ζ. B. die Vorfahrt — unabhängig davon, ob das Zeichen dort steht oder nicht — geregelt ist, sondern sie sind selbst Elemente der Regelung 11 . I m Zeigen des Zeichens besteht etwas, nicht unabhängig von ihm, das dann erst durch das Zeigen in eine Verbindung mit ihm träte. Natürlich „gibt" es Gegenstände, ohne daß sie gezeigt würden, aber sie werden nicht von den Zeichen durch den Akt des Zeigens etikettiert. Das Zeigen auf einen Gegenstand setzt vielmehr immer schon einen Kontext voraus. Schon Wittgenstein hatte eingesehen: „Die hinweisende Definition kann in j e d e m Falle so oder anders gedeutet werden." 12 D a s Z e i g e n - a u f i s t k e i n e s p r a c h k o n s t i t u i e r e n d e G r u n d o p e r a t i o n . Unter den Sprachhandlungen spielt es eine durchaus nebengeordnete Rolle. Vermutlich erzeugt erst kulturelle Indoktrination die Wichtigkeit der „das-ist"-Sätze. Da die Deixis weder genetisch noch logisch konstitutiv für Sprache ist, wird man davon ausgehen müssen, daß die Primärfunktion von Sprache in der Befriedigung von so etwas wie k o m m u n i k a t i v e n B e d ü r f n i s s e n besteht, nicht: Dinge zu bezeichnen oder Prädikatoren zu- oder abzusprechen zu lehren oder zu lernen 13 . Wenn man vom Zeichen redet, so ist es ferner wichtig darauf hinzuweisen, daß der Zusammenhang von Signifikatum (Sinn des Zeichens) und Denotatum (Gemeintem) nicht ins Interesse rückt. D i e D i n g e , wie immer man sie epistemologisch faßt, als Dinge an sich, als geprägte Anschauungen, als Ideen, bleiben a u ß e r h a l b d e r S p r a c h t h e o r i e Zur Widerlegung einer solchen zeichenthcoretischen Grundlegung der Semantik cf. S. J . Schmidt: Bedeutung und Begriff. Zur Fundierung einer sprachphilosophischen Semantik. Braunschweig 1969, hier speziell p. 9 — 1 9 . (Allerdings scheint mir die vorgeschlagene Charakterisierung der Struktur eines Begriffs durch Seme, die v o m Erfolg der Phonologie in der Charakterisierung eines Phonems als Bündel distinktiver Merkmale profitieren will, problematisch. Neuere Arbeiten Schmidts gehen in eine andere Richtung, cf. ζ. B. Texttheorie. Probleme einer Linguistik der sprachlichen Kommunikation. München 1 9 7 3 ) . Zu Bedeutungstheorien s. F . v . Kutschera: Sprachphilosophie. München o. J . H Solche Vorstellungen gehen zurück auf L . Wittgenstein: Philosophische U n t e r suchungen. F r a n k f u r t 1967, p. 169 ( N r . 4 8 7 ) . 12 1. c., p. 2 7 ( N r . 2 8 ) . 1 3 K . L o r e n z : Elemente der Sprachkritik. Eine Alternative zum Dogmatismus und Skeptizismus in der Analytischen Philosophie. F r a n k f u r t 1970, p. 167 ff.

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Einleitende Bemerkungen

ebenso wie die Frage nach der Wahrheit von Sätzen. Man kann sinnvoll über Dinge reden, von denen man nichts versteht, man hat gelernt, wie man darüber redet, ohne daß man die Dinge selbst kennt, und man kann sinnvoll, so daß andere die Mitteilung verstehen, über Dinge reden, über die gar nichts gewußt werden kann. Interessant ist für die Sprachtheorie dann immer nur, wie über die Dinge geredet wird, nicht ob es sie an sich gibt oder ob das Wissen von ihnen wahr ist. Das legt insgesamt die Interpretation der Sprache nahe nicht „als denotierendes Z e i c h e n s y s t e m , sondern als H a n d l u n g s bzw. Verfahrenssystem"14. Natürlich „meinen" Sprecher und Hörer irgendetwas, wenn sie kommunizieren, aber ob das Gemeinte identisch ist, dafür gibt es keine ausreichenden Kriterien; gelingende Kommunikation zeigt nur, daß das Bezeichnete beider Ähnlichkeit hat. Die Ähnlichkeit reicht aus, Kommunikation zu stiften, Sinn zu vermitteln; eine Feststellung der Identität der Gemeinten ist für das Sprachfunktionieren überflüssig und zudem wohl auch gar nicht darstellbar, da ein besseres Mittel der Kommunikation als Sprache zur Verfügung stehen müßte, die Leistung der Sprache zu messen. Im Normalfall wird in kommunikativen Situationen Verstehen solange unterstellt, bis Anzeichen von MißVerständnis vorliegen, unabhängig davon, ob ein möglicher Beobachter (die dritte Position) meinen könnte, eine erfolgreiche Kommunikationssituation sei deswegen stabil, weil in ihr nur nicht-anstößige Miß Verständnisse vorlägen oder gar weil Mißverständnisse gegenseitig nicht durchschaut würden. Die dritte Position ist nicht durchhaltbar; entweder sie wird irrelevant oder sie mischt sich ein, d. h. sie verläßt die dritte Position und muß sich nun ihrerseits kommunikativ bewähren, wobei durchaus nicht a priori feststeht, daß der Dritte der lachende sein wird, seine Interpretation der Situation als einvernehmliches Mißverstehen könnte auch allgemein als inadäquat empfunden werden. Daß Kommunikation trotz Verstehensunsicherheit gut abläuft, dürfte seine Ursache in m e t a - k o m m u n i k a t i v e n G a r a n t i e n d e s G e l i n g e n s v o n K o m m u n i k a t i o n haben, wie J. Habermas plausibel vermutet 15 .

15

S. J. Schmidt: ,Text' und ,Geschidite' als Fundierungskategorien. — In: W.-D. Stempel (Hrsg.): Beiträge zur Textlinguistik. München 1971, p. 31—52, hier P· 33. J. Habermas: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz. — In: J. Habermas/N. Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung. Frankfurt 1971, p. 101—141, hierp. 106.

Einleitende Bemerkungen

7

Wer sich normativ darum bemüht, die Identität des Bezeichneten jederzeit zu sichern, was man die Einführung einer streng terminologischen Sprache nennen könnte, muß Auskunft darüber geben können, wozu er denn die in jedem ihrer Teile präzise Sprache braucht16. Wenn Sprache zur Befriedigung von „kommunikativen Bedürfnissen" dienen soll, so gehört außerdem ein hoher Grad von Sprachaskese dazu, ein Wort stets so zu verwenden, wie es einmal präzisiert wurde. Präzisierung erzielt man bekanntlich durch Eliminierung aller Konnotationen und eindeutiger Determination der Denotation. Wenn die in jedem Element präzise Sprache dasselbe leisten soll wie die Sprache, in der wir so reden, muß sie demnach über ein Vielfaches der Wörter und/oder eine Komplikation der Syntax verfügen. Wird ihr Verwendungsbereich auf wissenschaftliche Kommunikation eingeschränkt, so müssen Übersetzungsregeln diejenige Mehrdeutigkeit und Vagheit erzeugen können, die in Sprache des kommunikativen Umgangs normal ist. Das heißt freilich nicht, daß es nicht klug wäre, nach Bedarf an der Präzisierung und Disziplinierung dieses oder jenes Wortgebrauchs zu arbeiten; dieses ist schließlich eines der Ziele der Begriff sgeschichte. Terminologische Präzisierungen lassen sich in Definitionen normierend angeben. Der Geltungsbereich von für wissenschaftliche Zwecke definitorisch festgelegten Termini ist stets nur beschränkt für bestimmte Kontexte, maximal für eine Wissenschaftsdisziplin17. Definitionen gewinnen dann einen irreführenden Zug, wenn zum Zwecke ihrer Legitimation ihr präskriptiver Charakter unterschlagen wird, dann stellt sich zuweilen die Meinung ein, Definitionen würden die (wesentliche) Bedeutung eines Wortes geben. In Wahrheit ist es nicht sinnvoll, von Bedeutung wie von einer Substanz von Wörtern zu reden, die man dann zum Gegenstand von Aussagen machen kann. Definitionen sind exemplarische und Redehandlungen-normierende Sprachspiele. B e d e u t u n g a b e r ist die F u n k t i o n e i n e s W o r t e s in S p r a c h s p i e l e n . Wenn das Ausgeführte einsichtig ist, dann ist Bedeutung kein Gegenstand (gleich welcher ontologischen Dignität) mehr, sondern eine Funktion von Wörtern in höheren sprachlichen Einheiten, in geschriebener Sprache, mit der es Begriffsgeschichte allein zu tun haben kann, sind das Sätze. Auf der Ebene des Satzes erst konstituiert sich Wortbedeutung, Satzsinn wiederum auf der Ebene der übergeordneten textua16

H. Lefebvre: Le Language et la Societe. Paris 1966 zeigt, in welchem Sinne geradezu das Gegenteil wünschbar wäre. Zu Präzisierung und Definition s. A. Naess: Communication and Argument. Oslo, London 1966, p. 39 ff.

Einleitende Bemerkungen

8

len Einheiten 18 . Bedeutung von Wörtern kommt demnach nur vor in Kontexten, es ist nichts, was ein Wort irgendwie „mitbringt", so daß — mit Wittgenstein — nicht gilt: „Hier ist das Wort, hier die Bedeutung." 19 Die Gesamtmenge seiner möglichen Bedeutungen erhält ein Wort durch Regeln seines Gebrauchs, genauer durch K o n t e x t r e s t r i k t i o n e n . Nicht jedes Wort ist mit jedem Wort kontextualisierbar, soll sich ein kommunizierbarer Sinn ergeben. Die Kontextrestriktionen dürfen demnach als einer der wichtigsten Teile der Semantik angesehen werden. Innerhalb des Rahmens dieser Restriktionen ergibt sich ein F e l d m ö g l i c h e r K o n t e x t u a l i s i e r u n g e n , dessen Umfang durch die Restriktionen negativ begrenzt ist; dieses ist in sich strukturiert nach Wahrscheinlichkeiten. Kontexte mit der größten Wahrscheinlichkeit sind in der Regel solche, in denen die früher so genannte „Grundbedeutung" manifest ist. Das Eintreten in einen Kontext gibt einem Wort aber erst eine bestimmte Bedeutung, seine Leistungsbedeutung20. Bedeutung ist also ein Begriff des qua Kontextrestriktionen paradigmatisdh vermittelten syntagmatischen Aspekts. Die Gesamtmenge der möglichen Leistungsbedeutungen eines Wortes, die man Bedeutungsfähigkeit nennen kann, ist aber einzig über Kontextualisierbarkeitsfelder zu erschließen, wohl kaum dadurch, daß man auf das Wort „lauscht". Indem man die nach Wahrscheinlichkeiten strukturierten Kontextualisierbarkeitsfelder verschiedener Wörter miteinander vergleicht, kommt man auf der Systemebene zu einem Netz von Beziehungen, einem Korrelationsgefüge, das etwa durch Begriffe wie Ersetzbarkeit in Kontexten (z.B. Synonymie) u. a. charakterisiert ist 21 . In der hier gewählten Terminologie sind Kontextualisierbarkeitsfelder und Korrelationsgefüge zu unterscheiden. Kontextualisierbarkeitsfeld heißt der Möglichkeitsraum e i n e s Wortes, mit anderen zusammenzutreten, determinierte Bedeutung zu erhalten. Dagegen ist Korrelationsgefüge das System vieler Wörter, das durch Abbildung der Regeln der Kontextualisierbarkeit und anderer Regeln entsteht. Dieses Gefüge ist ein System in dem Sinne, daß kein Element herausgenommen werden kann, ohne daß sich das System 18

19 20 21

Cf. dazu jetzt auch E. Tugendhat: Phänomenologie und Sprachanalyse. — In: Hermeneutik und Dialektik II, p. 2 3 ; ders.: The Meaning of „Bedeutung" in Frege. — In: Analysis 30 (1970), p. 183. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, p. 68 (Nr. 120). S. J. Schmidt: Bedeutung und Begriff, p. 99. Ähnlich W. Kamlah/P. Lorenzen: Logische Propädeutik. Vorschule des vernünftigen Redens. Mannheim 1967, p. 53 ff.; differenzierter P . v. Kutschera: Sprachphilosophie, p. 16 ff.

Einleitende Bemerkungen

9

als ganzes ändert, ohne daß sich also die Beziehungen aller anderen zueinander ändern, und das heißt letztlich die Kontextualisierbarkeitsfelder jedes einzelnen anderen Elements. In dem Korrelationsgefüge sind festgelegt die möglichen Bedeutungsleistungen der Wörter. D e r O r t e i n e s W o r t e s i n d i e s e m G e f ü g e i s t d e r B e g r i f f 2 2 . Unter „Begriff" wird also hier verstanden der semantische Aspekt eines Wortes auf der Beschreibungsebene des Sprachsystems. Man kann mit R. Haller die Begriffe fassen als „die Regeln der Verwendung und Anwendung von sprachlichen Zeichen"; damit ist ihre „Abhängigkeit vom Kontext [in unserer Ausdrucksweise: vom Korrelationsgefüge] eines sprachlichen Systems, einer Theorie usw." berücksichtigt23. Diese Konzeption eines Begriffs als eines Aspekts von Wörtern grenzt unseren Begriff des Begriffs von denjenigen ab, die den Begriff als eine Spezialklasse von Wörtern fassen24. Es gehört zum Begriff des Begriffs, daß er in Relationen zu anderen steht, daß er „Moment kategorialer Kontexte" 2 5 ist; n u r i m S y s t e m i s t er B e g r i f f , n i c h t in s e i n e r v e r m e i n t l i c h e n B e z i e h u n g z u r S a c h e . Wie schon oben bei der Darstellung der Bedeutung bleibt der denotative Aspekt ganz außerhalb der Sprachtheorie. Natürlich stehen Begriffe, besser Begriffskorrelationen in Beziehungen zu Sachverhalten; die Art dieser Beziehungen soll hier jedoch nicht weiter interessieren, sie müßte in jenem Teil der Sprachtheorie behandelt werden, der Sigmatik genannt wird. Die Frage: „ W i e v e r g l e i c h t man Vorstellungen?" 26 ist nach dem Gesagten für die Begriffstheorie uninteressant. Sie verschiebt sich zu der operationalen Frage: Wie vergleicht man Kontexte? Gegenstand der Untersuchung sind also nicht Köpfe, sondern Texte 27 . Über den Begriff des Kontextualisierbar22

23 24

25 26 27

C f . S. J . Schmidt: Das kommunikative Handlungsspiel als Kategorie der W i r k lichkeitskonstitiution. — I n ; K . G. Schweisthal ( H r s g . ) : Grammatik Kybernetik Kommunikation. Fs. f. Alfred Hoppe. Bonn 1 9 7 1 , p. 2 2 1 : „ . . . als Oberschrift über einer Klasse von Verwendungsgeschichten . . . in Vertextungsklassen." R . H a l l e r : Begriff. — I n : Historisches Wörterbuch der Philosophie I, Sp. 785. R . Koselleck: Richtlinien für das .Lexikon Politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit'. — I n : Archiv für Begriffsgeschichte X I ( 1 9 6 7 ) , p. 86. H i e r jedoch ζ. T . widersprüchlich auch Parallelisierung von Bedeutung und Begriff. Dieses Changieren erhält sich auch in: R . Koselleck: Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte. — I n : Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Sonderh. 16 ( 1 9 7 3 ) , p. 1 1 6 — 1 3 3 , bes. p. 123 f. Es ist m. E . Resultat des in der Hegel-Nachfolge stehenden Bestrebens, dem Begriff „Begreifen", d . i . „Erfahrungsgehalt" (p. 120, 124) bereits durch die Definition von Begriff zu sichern. H . Lübbe: Säkularisierung, p. 16. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, p. 146 ( N r . 3 7 6 ) . Anderswo habe ich vorgeschlagen, das Verhältnis von Bedeutung

und Begriff

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Einleitende Bemerkungen

keitsfeldes ist der Begriff des Begriffs mit dem der Bedeutung eines Wortes vermittelt. Diese Vermittlung ist wichtig; denn Begriffsnetze sind nicht als solche erfahrbar, sind Konstrukte, die sich einzig aus der Analyse des Wortgebrauchs ergeben können. Das methodische Postulat des Historischen Wörterbuchs der Philosophie gilt also auch für diese Untersuchung: „Der Begriff wird dort aufgesucht und aufgenommen, wo das Wort begegnet, dessen Gebrauch ihn bestimmt." 28 Aus den sprachtheoretischen Überlegungen sind ableitbar die wichtigsten methodologischen Postulate einer Begriffsgeschichte. Das Vorurteil, daß es keinen Übergang von analytisch-funktionaler Sprachauffassung zu historischer Darstellung gebe29, dürfte nicht haltbar sein: Es gibt eine Reihe von Gegenbeispielen; die hier vorgelegte Geschichte des Kritikbegriffs versucht, sie um eines zu vermehren. Fordert man allerdings, daß Begriffsgeschichte jenseits des Wortgebrauchs „die Sache selbst in den Griff" bekommt 30 , auch gerade dort, wo sie im Wortgebrauch sich nicht manifestiert, dann ist dieser Einwand zwar verstehbar, aber trotzdem unbegründet: Es wird sich im Hegel-Teil dieser Untersuchung zeigen, wie gerade mit den analytischen Begriffen von Kontext und Ersetzung der Hintergrund eines Begriffs und seine Komponenten sehr wohl darstellbar sind. Das Argument dagegen, daß Begriffe in ihrer „Hoch-Zeit" nicht „formalisierbar und der Methode sprachanalytischer Begriffshistorie" zugänglich seien31, sondern nur in der Zeit des Verfalls, hat bloß in einem lebensphilosophischen Irrationalismus Platz und bedarf keiner besonderen Widerlegung. Begriffe wandeln sich, d. h. ihre Stellung im Begriffsnetz ist in der Geschichte instabil, d. h. sie haben historisch verschiedene Kontextualisierbarkeitsfelder. Eine umfassende Theorie der Bedingungen dieses Wandels fehlt bis heute. Soviel läßt sich aber schon sagen, daß eine solche Theorie nicht einsinnig sein kann, etwa bloß als linguistische, als geistesgeschicht-

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analog zu sehen demjenigen von Argument und Aussage als prozessuale bzw. systematische Funktionen der Einheiten Wort und Satz/theoretisdie Phrase („Text" als heuristische Kategorie einer Wissenssoziologie. Arbeitsfassung als Diskussionsvorlage zur Tagung über das Forsdiungsprojekt „Theoriebildung als Gruppenprozeß" am 19./20.3. 1973 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, Ms., verv.). J. Ritter: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Leitgedanken und Grundsätze,

p. 6. » H. G. Meier: Begriffsgeschidite, Sp. 806 f. 30 1. c., Sp. 807. 31 ibd.

Einleitende Bemerkungen

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liehe, als sprachpsychologische oder als soziologische, sondern hier läge ein Bewährungsfeld interdisziplinärer Forschungen. Die Bedingungen des Wandels werden auch in dieser Untersuchung nicht problematisiert, der Wandel wird vielmehr als Tatsache vorausgesetzt. N u n ist Geschichte nicht schreibbar unter den Bedingungen, daß alles mit allem zusammenhängt und alles ständig fließt, und dem Postulat, eben diese Bedingungen methodisch nachzuzeichnen. Geschichtsschreibung bedarf der Gliederung des Materials in Sinneinheiten. Begriffsgeschichte in dem dargestellten Sinn zumal setzt als Prämisse, um überhaupt zu etwas wie der Struktur des Begriffsnetzes kommen zu können, daß das zeitlich aufeinander Folgende, die verschiedenen Kontexte eines Wortes, eine Identität nicht nur des Graphems, sondern im Begriff hat. Ich muß sicher sein können und kann es in der Regel auch, daß das Wort meines Gesprächspartners morgen noch so oder mindestens so ähnlich gebraucht wird wie heute. Man sieht, das methodologische Postulat der Begriffsgeschichte konvergiert mit den Bedingungen des Funktionierens von Sprache als eines Kommunikationssystems überhaupt. Normalerweise muß daher von I d i o l e k t e n , d. h. den Sprachgebräuchen eines Autors, als k l e i n s t e n S i η η e i η h ei t e η der B e g r i f f s g e s c h i c h t e ausgegangen werden, wobei die Geltung dieser Maxime nicht Grundsatzcharakter hat, sondern Plausibilitäts- und Opportunitätserwägungen entspringt. Höhere Sinneinheiten wären dann Gruppensprachgebräuche von Schulen etc. Das hat allerdings als Konsequenz, daß nicht jedes kleine neue beobachtete Detail als Beitrag zur Veränderung des Ganzen aufgef a ß t wird, d. h. die zeitliche Abfolge der Wörter beim Sprechen wird nicht als kleinster Teil des Geschichtsprozesses aufgefaßt, sondern behandelt wie historisch Gleichzeitiges. Ohnehin müßte sonst entweder die Voraussetzung gemacht werden, daß alles Spätere sich auf alles Frühere bezieht, eine Voraussetzung, deren Berechtigung wohl kaum nachweisbar wäre, oder Begriffsgeschichte würde zu einer chronologisch geordneten Statistik des Wortgebrauchs degradiert. Damit könnte sie den Aufgaben der Geschichtsschreibung nicht mehr gerecht werden. A. C. Danto 3 2 hat dieses an den Aporien des Ideal Chronicle schlüssig gezeigt. Ein als ideal gesetzter Chronist mit der Eigenschaft, in jedem Moment alles, was geschieht so wie es geschieht, zu registrieren und abrufbar zu speichern, könnte historische Forschung nicht ersetzen, er könnte nicht einmal normale historische Sätze wie „1618 begann der 30jährige Krieg" erzeugen, die die 32

A. C. Danto: Analytical Philosophy of History. Cambridge 1968, p. 149 if.

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Einleitende Bemerkungen

Zukunft einer Vergangenheit mitberücksichtigen. Wenn man außerdem noch das Interesse an der Geschichtsschreibung bedenkt, dann könnte man als eine P e r f e k t i o n d e r G e s c h i c h t s s c h r e i b u n g — völlig im Gegensatz zum Ideal Chronicle — gerade ein Verfahren ansehen, das ein E r e i g n i s im L i c h t e a l l e r s e i n e r Z u k u n f t e n bes c h r e i b t . Aus diesem Modell folgt zugleich die Unabschließbarkeit der Historiographie, da einige der Zukunften eines vergangenen Ereignisses auch gegenwärtig noch Zukunft sind. U m Begriffssysteme als in historischem Sinne Ereignis-Schemata extrapolieren zu können, muß der Prozeß des geistigen Lebens momenthaft quasi-monographisch über dem Werk eines Autors kontrahiert werden; f ü r keinen einzigen Zeitpunkt haben d i e s y s t e m i s c h e n E x t r a p o l a t e a u s P r o z e s s e n vollständige Gültigkeit. Die beobachtbaren Details des Sprechprozesses (oder des Schriftbilds) dienen vielmehr als Bausteine zur Rekonstruktion von (Subsystemen von) Begriffssystemen, die zwar in einer Abfolge stehen, dort aber als erratische Blöcke relativ vermittlungslos erscheinen. Es scheint im allgemeinen nun nicht mehr möglich zu sein, die so konstruierten Blöcke an ihren Rändern derart aufzuweichen, daß eine transsubjektive Geschichte des Begriffs herauskommt, wie sie die Methode der pauschalisierenden Begriffsgeschichtsschreibung naiv voraussetzte. Es scheint mir auch nicht ganz sicher zu sein, ob man nach dem skizzierten und in den folgenden Kapiteln praktizierten Verfahren, Begriffssysteme über Autoren-Werken zu extrapolieren, den P r o z e ß d e s k o m m u n i k a t i v e n T e x t e s noch in den Griff bekommen kann. Kommunikation, elementarer Mechanismus der Vermittlung von Begriffen zwischen Subjekten und Gruppen, d e r k o m m u n i k a t i v e T e x t steht z w a n g s l ä u f i g a u ß e r h a l b des A b b i l d u n g s b e r e i c h s s o l c h e r G e s c h i c h t e , und theoretisches Sprechen erscheint zum monologartigen Ausspulen von Begriffssystemen aus Köpfen in theoretische Texte hinein verzerrt, statt in Kommunikationssituationen an Argumentenstelle vorzukommen. Vermutlich muß der prozessuale Aspekt strenger durchgehalten werden, damit kontrollierter als bisher möglich die Abstraktionsstufen systematisch abgeleitet werden können. Die kommunikativen Prozesse sind aber sehr komplex; da ihre Aufarbeitung nicht selbst wiederum pauschalisierend verfahren dürfte, sondern eher mikrologisch vorgehen müßte, würde sie den Rahmen jeder möglichen Begriffsgeschichte sprengen. Sie würde sich auf fest umrissene

Einleitende Bemerkungen

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K o m m u n i k a t i o n s s i t u a t i o n e n , wie sie z. B. i n t h e ο r i e b i l d e n d e n G r u p p e n textual vorliegen, beschränken müssen 33 . So stellt die hier theoretisch skizzierte und praktizierte Methode der Begriffsgeschichte den Versuch dar, zwischen pauschalisierender, geisteswissenschaftlicher Begriffsgeschichte und einer vollständigen Theorie des Prozesses theoretisch sprachlichen Handelns ein Maß kontrolliert reduzierter Komplexität zu finden. D a ß Begriffsgeschichte nichts mit der Geschichte der Sache selbst oder des je eigenen Begriffs von ihr zu tun hat, daß speziell die Geschichte des Kritikbegriffs uninteressiert ist daran, wer irgendwo und -wie Kritik (in unserem Sinne) geübt habe, daß also nicht Kritiker Gegenstand der Untersuchung sind, sondern solche Autoren, die auf Kritik reflektieren, versteht sich eigentlich von selbst und ein Hinweis darauf sollte überflüssig sein, wenn es nicht Beispiele für diese Verwechslung gäbe. Die Abgrenzung der Begriffsgeschichte von der Problemgeschichte ist insofern nicht eindeutig, als dieser Begriff selbst zweideutig ist. Versteht man unter Problemgeschichte die Historie eines Sachverhalts, der erst heute Problem ist, der also zu seiner Zeit gar nicht als Problem aufgefaßt wurde, so ist Begriffsgeschichte sicherlich etwas anderes; soll Problemgeschichte dagegen heißen die Historie eines Problems, das früher schon Problem war, so hat sie Ähnlichkeit mit Begriffsgeschichte. Jedoch — darauf hat Gadamer hingewiesen 34 — Probleme, die nach langer Geschichte immer noch Probleme sind, ohne ihrer Lösung zugänglicher geworden zu sein, sind verdächtig, sogenannte philosophische, d. h. deswegen unlösbare Probleme zu sein, weil sie falsch gestellt wurden, indem die Begriffe, sie zu fassen, unzulänglich waren. Problemgeschichte hat sich überdies mit der Fragwürdigkeit der historischen Identität von Problemen zu befassen, denn empirisch nachweisbare Indikatoren für Probleme in Texten gibt es nicht, diese sind vielmehr selbst Resultat hermeneutischer Bemühungen um Texte. Nicht immer haben Probleme N a m e n in ihnen fest zugeordneten Wörtern, es kann notwendig sein, Probleme in Erzählungen, Bildern etc. darzubieten, unter Umständen gerade deswegen, weil bestimmte

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D a ß solche Forschung v o m kommunikativen T e x t ausgehen kann, habe idi zu zeigen versucht in: „ T e x t " als heuristische Kategorie einer Wissenssoziologie, Ms. verv. D a z u J . Frese: Prospekt über das philosophiehistorisch-wissenssoziologische Forschungsprojekt „Theoriebildung als G r u p p e n p r o z e ß " . H . - G . G a d a m e r : Die Begriffsgeschichte und die Sprache der Philosophie. O p l a d e n 1971.

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Einleitende Bemerkungen

Wörter sich als untauglich erwiesen haben. Problemgeschichte steht demnach „oberhalb" der Begriffsgeschichte, deckt sich jedoch partiell mit ihr. Nicht zu jedem Begriff läßt sich sinnvollerweise eine Problemgeschichte schreiben. Es gibt ζ. B. keine Geschichte des Kritikproblems, wohl aber eine Geschichte des Problems der Kriterien ästhetischer Kritik. Wenn also von jeglicher Texttranszendenz abgesehen wird, so soll und kann Begriffsgeschichte gerade nicht „über die Interpretation der Begriffe zur Analyse der geschichtlichen Bewegung" führen, wie es das Programm zum Lexikon Politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit formuliert 35 . Die W o r t g e s c h i c h t e oder Wortgebrauchsgeschichte bleibt nach unseren Vorstellungen „unterhalb" der Begriffsgeschichte, da ihr Ziel lediglich die Geschichte eines Wortes in Kontexten verfolgt, nicht aber die Konstruktion von Begriffsnetzen. Auf jeden Fall ist die Wortgeschichte notwendiger Durchgang für jede Begriffsgeschichte. Aber es gibt begründete Fälle, wo die Begriffsgeschichte von der Wortgeschichte abweicht, Fälle, in denen an einer Stelle im Gefüge des Begriffsnetzes statt des kulturell erwartbaren Wortes ein anderes steht: Wörter werden aus bestimmten Gründen vermieden, etwa weil man sie dadurch als korrumpiert betrachtet, daß sie der ideenpolitische Feind bevorzugt 36 , es werden andere dafür eingesetzt. Dieses systemgeleitete Auswechseln von Wörtern in Kontextklassen ist für die reine Wortgeschichte nicht darstellbar, da sie sich an die Identität des Wortes, gesichert durch seine lautliche oder graphematische Gestalt, halten muß. Sie muß blind dem Wort folgen und gelangt gerade dann auf Abwege, wenn derartig interessante Auseinandersetzungen um einen Begriff stattfinden. Unter diesen Umständen kann eine Begriffsgeschichte des Kritikbegriffs sein Aufklärung über die Genese eines insgesamt gegenwärtig nahezu chaotischen Wortgebrauchs. Dabei kann sie zeigen, wer sich mit welchem Recht auf welchen Klassiker berufen kann, wenn er von Kritik redet; nebenher kann sie so historisch legitimierbare (und möglicherweise audi noch vernünftig begründbare) V o r s c h l ä g e z u r D i s z i p l i n i e r u n g d e s R e d e n s über Kritik machen. Allgemein gibt es audi noch ihre Funktion der S p r e n g u n g f e s t g e f a h r e n e r oder gegenwärtig unzulänglich entfalteter B e g r i f f l i c h k e i t durch R e a k t u a l i s i e r u n g h i s t o r i s c h e r M ö g l i c h k e i -

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R. Koselleck: Richtlinien für das ,Lexikon Politisch-sozialer Begriffe der Neuzeit', p. 83. H . Lübbe: Der Streit um Worte, bes. p. 2 4 — 2 8 .

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t e n 3 7 , die verlorengegangen sind oder verloren zu gehen drohen, ferner der D e s t r u k t i o n p r ä t e n t i ö s e r begrifflicher K o n s t r u k t i o n e n , etwa mit dem Hinweis auf das Konvergieren der normalen Sprache mit der Historie. So konnte hier dem üblichen Verfahren, davon auszugehen, was einen Denker im tiefsten bewegte, und vor dieser Folie darzustellen, was er außerdem noch zu Kritik zu sagen hätte, nicht nur aus Raumgründen nicht gefolgt werden. Aus pragmatischen wie aus methodischen Gründen mußte vom Wortgebrauch ausgegangen werden, über Kontexte und Kontextrestriktionen wurde das idiomatische Korrelationsgefüge rekonstruiert, in dem „Kritik" ihren Platz hat. Zugleich konnten auf diese Weise tiefschürfende Kontroversen über Fragen, was umstrittene Autoren wie ζ. B. F. Schlegel oder Marx „eigentlich" und zentral gewollt hätten, beiseite gesetzt werden; ihre Kritikkonzepte hängen nicht ausschließlich von ihren wesentlichen Anliegen ab. Nicht vom Zentrum eines Begriffsnetzes muß in begriffsgeschichtlicher Forschung ausgegangen werden, fortschreitend bis zu dem Punkte, wo „Kritik" erscheint, sondern dem Wortgebraudi muß Priorität eingeräumt werden; das Begriffsnetz insgesamt wird nur soweit darstellbar, als es auf „Kritik" bezogen ist. So geht es bei Kant in der Tat mit dem Kritikbegriff zugleich um zentrale Fragen und um Fragen der Grundlegung der Philosophie. Diese Koppelung ist aber für die Begriffsgeschichte kontingent, und so darf der Begriffshistoriker sich von ihr nicht verblüffen lassen und ζ. B. Fragen der Art, die sich ihm und dem interessierten Leser einstellen möchten, wie in der Folge Kants Grundlegungsversuche der Philosophie unternommen worden sind, als Versuchungen zu, wenn auch interessanten Digressionen abwehren, und sich der für ihn weiter zu verfolgenden Frage widmen, in welchen Problemhorizonten weiterhin der Kritikbegriff erscheint und was er dort leistet. Insofern konnte auch nicht eine Wesensdefinition von Kritik vorausgeschickt werden oder gar eine Beschreibung des Begriffsfeldes, in dem Kritik auftaucht. Eine Definition, die allen hier nachgezeichneten Begriffskonstellationen gerecht würde, wäre zwangsläufig so leer, daß sie unbrauchbar wäre, und eine präskriptive Definition ist für die Zwecke der

Den Vorschlag der Reaktualisierung der destruktiven Komponente des Kritikbegriiis habe ich gemacht in: Kritik zwischen System und Produktion: Lessing. — In: Kant-Studien 64 (1973), p. 200—212.

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Einleitende Bemerkungen

Begriffsgeschichte natürlich von vornherein zu vermeiden. Wollte man in Zusammenschau der Historie von K a n t bis Marx eine Beschreibung des Begriffsfeldes versuchen, so würde man sagen müssen, daß Kritik in dieser Zeit zu tun hat mit Fragen der Logik, Ästhetik, Metaphysik, Grundlegung der Philosophie, poetischer Produktion und ästhetischer Beurteilung, Fragen der Philologie und der Sprachbedingtheit des Denkens, der Politik, Ideologie, kurzum mit allem, was wichtig ist. Man könnte so leicht dazu kommen, dem Wort allen Nutzen abzusprechen, und geradezu seine allgemeine Vermeidung empfehlen, wenn dergleichen Empfehlungen etwas nützen würden, und wenn das Interesse am Kritikbegriff wirklich in die Richtung einer Inhaltsanalyse und nicht eher auf Funktionsanalyse aussein müßte. Der als Einheit konstituierte Sinn der Geschichte wird durch zweierlei gewährleistet: erstens durch ein reales, hier gar nicht nachzuzeichnendes bildungssprachliches Substrat des Redens über Kritik, das die kontinuierliche Mittelmäßigkeit garantiert, demgegenüber all das hier Aufgezeichnete zunächst als Extravaganz erscheint, zweitens aber durch die wesentliche Reflexivität der Geschichte, in der das Geschehene als Sinn für ein Bewußtsein erscheint und so zuweilen gar den Eindruck entstehen läßt, es hätte ja so kommen müssen. Dem Eindruck, in der folgenden Untersuchung würden — ablesbar an Seitenzahlen der Darstellung — historische Ungerechtigkeiten begangen, indem B. Bauer das fünfzehnfache des Raums gewidmet würde, der Hamann gilt, muß widersprochen werden. Wenn jemand Kritik zu der zentralen Kategorie seines Denkens macht wie B. Bauer und sie noch dadurch kompliziert, daß reflexive Selbstanwendung zugelassen ist, dann erfordert die Darstellung eine solche Ausführlichkeit. Wer meint, mit der Ausführlichkeit der Darstellung sei ein implizites Werturteil gefällt, der irrt. Fast scheint es überflüssig, darauf hinzuweisen, daß diese Begriffsgeschichte wie jede nicht vollständig sei, da es doch gar nicht absehbar ist, was das wohl heißen sollte. Doch wegen der quasimonographischen D a r stellungsweise fällt das Fehlen bestimmter Denker natürlich eher auf und scheint eher begründungsbedürftig zu sein als in pauschalierender Darstellung. So könnte das Fehlen von Schelling, Novalis, A. W. Schlegel, Schleiermacher erstaunen; d . h . romantisches Denken ist hier nur durch F. Schlegel repräsentiert. D a s hat im wesentlichen drei Gründe: 1) anders als die Kantschule und die Hegelschule hat die Frühromantik keine schulbildende Breitenwirkung gehabt, sondern erscheint nur in einer Handvoll

Einleitende Bemerkungen

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genialer Köpfe, 2) ist F. Schlegel unter den Romantikern zweifellos derjenige, für den der Kritikbegriff die wichtigste Rolle gespielt hat, der also exemplarisch für die Romantik stehen kann, 3) wird sich herausstellen, daß die Kantschule und die Hegelschule dadurch reziproke Geschichtsstrukturen zeigen, daß die Kantschule Beispiel einer Verfallsgeschichte eines Begriffs, die Hegelschule Ausfaltung der Neubegründung von kategorialen Funktionen des Begriffs ist 38 .

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„Verfallsgeschichte'' und „Neubegründung" sind nicht als wertende Sympathieverteilungen zu lesen; es geht allein um die Deutung des wortgebrauchsempirisdien Befunds einer Maximalisierung von Kontextrestriktionen, durch die eine spradilebendige Vielfalt möglicher Kontexte auf wenige, in diesem Falle sogar emblematischc, Verwendungsweisen eingeschränkt wird und erstarrt; „Neubegründung" ist zu lesen vor der Konzeption des Begriffs des Begriffs als des Orts im Korrelationsgefüge eines Spradisystems.

Π. Der Kritikbegriff im Zeitalter der Aufklärung Das Wort „Kritik" leitet sich ebenso wie das Wort „Krise" aus griechisch κρίνειν ab und heißt dort scheiden, beurteilen, entscheiden; seine Anwendung findet das Wort vor allem in der Rechtsprechung, und so verwendet auch Aristoteles das Wort κρίσις als richterliche Entscheidung, die Ordnung schafft im Streit 1 . Zusätzlich erhält das Wort eine medizinische Bedeutung: „Critica accessio morbi est, ex qua de sanitate aut morte aegrotantis judicium ferri potest." 2 Diese Bedeutung war für das Wort crisis bis ins 17. Jahrhundert 3 die einzige, während criticus/ κριτικός schon in der Antike die Bedeutung von „grammaticus" erhält 4 . Während das Mittelalter offenbar nur die medizinische Bedeutung des Wortes kannte, setzt mit der Renaissance eine Wiederaufnahme der antiken Bedeutung des Grammatikers und Kritikers ein. In diesen Kontexten kristallisiert sich eine eingeengte Bedeutung des Wortes heraus, die der philologischen Textkritik. In diesem Sinne schreibt noch erheblich später Walch: „ C r i t i c , . . . Im weitern Sinn begreifft sie so wohl die gründliche Erkänntnis einer Sprache, als auch die Wissenschafft, die verderbten Stellen eines Scribenten zu verbessern... Im engern und eigentlichen Verstand verstehet man durch die Critic die Wissenschafft, die verderbten Stellen der Scribenten zu verbessern, und die eingeschalteten Glossemata in den Büchern auszumertzen." 5 Hieraus läßt sich verallgemeinernd die S t r u k t u r e i n e s p h i l o l o g i s c h e n Kritikb e g r i f f s ableiten. Sie besteht vor allem in einem Rückzug auf einen ursprünglichen 1

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Aristoteles: Opera. E x recensione I. Bekkeri, ed. Academia Regia Borussica, ed. altera curavit O. Gigon. 2. Bd. Berlin 1 9 6 0 , 1 2 7 5 a, b. Augustinus: CEuvres Bd. 13 Paris 1962: Confessiones 6 , 1 , 1 . Diese Bemerkungen folgen R. Koselleck: Kritik und Krise. Ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. 2. Aufl. Freiburg, München o. J. vor allem pp. 87—89, 189—193, hier p. 211, Anm. 124 und R. Wellek: Concepts of Criticism. New Haven, London 1963, p. 21—36. 1. c., p. 22, gibt Philitas von Kos als frühesten Beleg an: Ποιητής αμα και κριτικός. Philosophisches Lexicon . . . hrsg. v. J . G. Waldi. Leipzig 1726, Sp. 462 f.

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Der Kritikbegriff im Zeitalter der Aufklärung

Zustand und dem Willen, die Authentizität einer Quelle eines ursprünglichen Phänomens zu rekonstruieren. Ihr erscheint Geschichte wesentlich als Verderbnis der Reinheit einer Quelle. Die Resultate eines solchen Geschichtsverlaufs werden von philologischer Kritik — soweit möglich — rückgängig gemacht: philologische Kritik ist Rekonstruktion. Kritik wurde zum Schlüsselwort der Emanzipation der Gelehrten von der Autorität der Kirche, indem es nach der Anwendung auf die antiken Autoren auch auf die Schriften des Alten und Neuen Testaments übertragen wurde. Ob die Kritik sich dabei in den Dienst des Protestantismus stellt und eine Freiheit von der Tradition und eine Rückkehr zu den Quellen proklamiert (Cappelle) oder ob sie im Dienste des Katholizismus eben die Verderbtheit der Quellen feststellt und die Bedeutung und Notwendigkeit der Tradition behauptet (Simon), ist relativ unerheblich gegenüber der Tatsache, daß nun Gelehrte und nicht mehr Kleriker qua Autorität der Kirche über die Wahrheit entscheiden. J. C. Scaliger scheint dagegen den Ursprung des ästhetischen Kritikbegriffs zu markieren, bei dem es um Bewertung von literarischen Leistungen (allerdings noch antiker) Autoren geht. In beiden Bedeutungen wird das Wort dann auch um 1600 aus dem Lateinischen in das Englische und Französische übernommen. „War die Kritik zunächst nur ein Symptom der sich verschärfenden Differenz zwischen Vernunft und Offenbarung, so wird bei Pierre Bayle die Kritik selber die Tätigkeit, die beide Bereiche trennt." 6 Pierre Bayle ist deshalb doppelt bedeutsam, weil er erstens der erste große Theoretiker (und Praktiker, das allerdings vor allem!) der Kritik ist und weil er zweitens eine ausführliche T h e o r i e d e r G e l e h r t e n r e p u b l i k entwickelt, deren Wirkungen bis heute zu gehen scheinen und die auch auf Kant erheblichen Einfluß gehabt hat. Durch die permanente und zum Prinzip erhobene Kritik etabliert sich die Vernunft als oberste Instanz, ihr eigentliches Verfahren kann jedenfalls im Sinne Bayles als Kritik bezeichnet werden, und ihr sind mit einer Ausnahme alle Gegenstände unterworfen. Hatte durch die Reaktion der Kirche auf die philologische Bibelkritik „Kritik" einen negativen und destruktiven Sinn erhalten, so nimmt Bayle gerade diese negative Bedeutung auf und bekennt sich zu ihr: „La raison humaine . . . est un principe de destruction, & non pas d'edification . . ." 7 ; die Kritik ist zwar auf die Wahrheit 6 R. Koselleck: Kritik und Krise, p. 89. P. Bayle: Dictionnaire Historique et Critique. 3" ed. Rotterdam 1720. Art. Manidieens, p. 1900.

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Der Kritikbegriff im Zeitalter der A u f k l ä r u n g

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verpflichtet, aber eben auf eine zukünftig zu etablierende; die Kritik bringt nicht unmittelbar Wahrheit hervor, sondern zunächst nur eine Zerstörung des Scheins. Die einzige Ausnahme von der allseitigen Kritik bildet der Staat, ihm ist auch der Kritiker treu ergeben. Seine Kritik kritisiert nur innerhalb der autonomen Republique des Lettres. In ihr ist allerdings, da sie per definitionem unpolitisch ist, alles der Kritik unterworfen. Mit Recht weist Koselleck darauf hin, daß diese Definition der Gelehrtenrepublik als unpolitisch selbst ein Politikum ist und die Bedingung der bei Voltaire dann offen zu Tage tretenden politischen Kritik der „Unpolitik" an der Politik. Zur Charakteristik der Gelehrtenrepublik seien Bayles eigene Worte herangezogen: „Cette Republique est un etat extremement libre. On n'y reconoit que l'empire de la verite & de la raison; & sous leurs auspices on fait la guerre innocement a qui que ce soit." — „Chacun y est tout ensemble souverain, & justiciable de chacun." — „ . . . on n'avance rien sans preuve; on se porte pour temoin & pour accusateur . . . ; on court le meme risque qu'on fait courir . . . II est done de la justice naturelle, que chaque membre de la Republique conserve son independance par raport ä la Refutation des Auteurs, sans que la relation de pere, de beau-pere, de mari, de frere, & c'y puisse aporter du prejudice." 8 In Deutschland taucht das Wort „ K r i t i k " in deutscher Sprache erstmals 1718 auf in G. Stolles „Kurtze Anleitung zur Historie der Gelahrtheit": „Die Critic heist insgemein eine Kunst die alten Autores zu verstehen (oder verständlich zu machen:) was sie geschrieben, von dem, was man ihnen untergeschoben, oder verfälscht hat, zu unterscheiden, und das verdorbne auszubessern oder zu ersetzen." 9 Der Grund für die hundertjährige Verspätung der Übernahme in die Nationalsprache liegt weniger in einer Rückständigkeit Deutschlands als darin, daß in Deutschland gelehrte Schriften, in deren Bereich das Wort ja ausschließlich gehört, in Latein oder Französisch geschrieben wurden 1 0 . Die Schreibung bei Stolle

8 1. c., Art. Catius, p. 812. 9 Zit. nach: I. K a n t : Gesammelte Schriften. H r s g . v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1910 ff., Bd. X V I , p. 170, A n m . d. H r s g . Koselleck übernimmt A . Baeumlers Feststellung, daß 1725 der erste deutsche G e brauch vorliegt. C f . A . Baeumler: K a n t s K r i t i k der Urteilskraft und ihre G e schichte und Systematik. 1. Bd. H a l l e 1923, p. 97, Anm. 6. (Nachdr. D a r m s t a d t 1967 u. d. T . : D a s Irrationalitätsproblem in der Ästethik und Logik des 18. J a h r hunderts bis zur K r i t i k der Urteilskraft.) 10 C f . G . W. Leibniz: Philosophische Schriften. H r s g . v. d. Leibniz-Forschungsstelle der Universität Münster. 6. B d . : N o u v e a u x Essais. Berlin 1962 (G. W. Leibniz:

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Der Kritikbegriii im Zeitalter der Aufklärung

deutet auf eine Übernahme aus dem Lateinischen und nicht auf eine Entlehnung aus dem Englischen oder Französischen. Scheint es so, als sei der philologische Kritikbegriff im Deutschen selbständig aus dem Lateinischen entwickelt worden, so stammt der Begriff der ästhetischen Kritik mit Sicherheit durch Gottscheds Vermittlung aus England 11 . Dort hatte Shaftesbury einen universalen Kritikbegriff entwickelt, der aber nicht an eine Gelehrtenrepublik gebunden ist12. In der Republique des Lettres und ihrem autonomen Kritiksystem war die Vernunft als Oberherrin angesehen worden. Bei Shaftesbury aber rekurriert die Kritik, zumindest als ästhetische Kritik, auf die „Natur des Menschen". Das ermöglicht auch erst bei Shaftesbury irgendeine Art von Selbstkritik: Wo die Vernunft als einziges Kriterium der Kritik gilt, kann immer nur wieder Unvernunft entlarvt werden, wo aber ein so schillernder Begriff wie die „Natur des Menschen" als Bezugspunkt gilt, ergibt sich ein ganzes Spektrum von Kriterien, so daß auch — zwar bei Shaftesbury nicht akut, aber immerhin möglich — eine Kritik der Vernunft in das Blickfeld rückt. In der Identifikation von Schönheit und Wahrheit bei Shaftesbury wird das Genie zum Fluchtpunkt des Menschen, nicht länger das reine Vernunftwesen. Eigentlich bedeutender für den Kantischen Ansatz des Kritikbegriffs als Shaftesbury ist sein eigenwilliger Schüler Henry Home. Auch bei ihm entsteht Kritik aus der „menschlichen Natur, der wahren Quelle der Kritik" 13 , doch zugleich nennt er sie über Shaftesbury hinaus eine „vernunftmäßige Wissenschaft"14. Und so stellt sie das ideale Mittelglied zwischen ästhetischer Erziehung und Philosophie dar 15 . Bemerkenswert, vor allem im Hinblick auf Kant, ist die Verbindung, die Home zwischen

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Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. v. d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 6. Reihe, 6. Bd.), p. 337 ff. Diese zweite Quelle des aufklärerischen Kritikbegriffs berücksichtigt Koselledk kaum, natürlich deshalb, weil es ihm um das Verhältnis von Kritik und Krise, d. h. Französischer Revolution, geht. Die Entwicklung der „Kritik" nur an die Namen Simon, Bayle, Voltaire, Diderot und Kant (p. 102) zu heften, wäre aber einseitig. Neben ihr gibt es die für Deutschland ebenso wichtige: Shaftesbury, Home, Kant. Auf die Bedeutung Englands für die ästhetische Kritik hat besonders E. Cassirer hingewiesen. (Die Philosophie der Aufklärung. Tübingen 1932 [ = Grundriß der philosophischen Wissenschaften. Hrsg. v. F. Medicus], p. 417 ff.) A. A. Cooper, Earl of Shaftesbury: Characteristicks of Men, Manners, Opinions, Times. 6. Aufl. ο. 0 . 1 7 3 7 (zuerst 1711). Η. Home: Grundsätze der Kritik. Ubers, v. J. N . Meinhard. Letzte verb. Aufl. Wien 1790, Bd. I, p. 34. 1. c., Bd. I, p. 26. 1. c., Bd. I, p. 28.

Der Kritikbegrifi im Zeitalter der Aufklärung

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ästhetischer Kritik und Logik herstellt16. Auch andere Gedanken erinnern unmittelbar an Kant: daß Mathematik und Metaphysik die Tugend nicht befördern 17 , sondern allein Kritik, daß das Verfahren der Kritik von der Erfahrung auszugehen habe und dann erst zu Grundsätzen komme18 und daß allein die Kritik aus dem Labyrinth der Metaphysik herausführe 19 . Neben dem philologisch-historischen und dem ästhetischen gibt es noch einen dritten Funktionskreis des Kritikbegriffs: die Logik. Sehr deutlich ist diese Version des Kritikbegriffs von Vico entfaltet worden. Hier wird Kritik aufgefaßt als Erkenntnisinstrument, das zur Ermittlung des ersten Wahren dient. In der Gegenüberstellung und Abwägung von Kritik und Topik wird überdies ihr logischer Charakter deutlich: „Critica est ars verae orationis, topica autem copiosae."20 Logische Grundsätze bestimmen das Verfahren der Kritik selbst dort, wo es nur auf Feststellung der Authentizität ankomme21. Und so gibt es audi bereits A n s ä t z e e i n e r u m g r e i f e n d e n T h e o r i e d e r K r i t i k , wobei der logische Begriff der ars judicandi als Grundbegriff gilt. So schreibt etwa Zedier bereits im Jahre 1733: „ C r i t i c , unter diesem Worte verstehet man in dem allerweitesten Verstände alle Beurtheilung: in dem engern wird solches nur auf die Beurtheilung derer Schrifften, so in die Gelehrsamkeit gehören, und in dem allerengsten Verstände begreifft solches nichts mehr, als die verderbten Stellen derer Scribenten zu verbessern, und die durch die Unvorsichtigkeit derer Abschreiber bey denen alten A u e t o r i b u s eingeschlichenen Fehler auszumertzen. Und dieses letztere ist auch dasjenige, welches man gleichsam dem Vorzug nach die C r i t i c nennet." 22

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„Nächst diesem wird die denkende Seele durch eine philosophische Forschung in den Grundsätzen der schönen Künste zu einer Gattung von Logik gewöhnt, die etwas ungemein Reitzendes hat." (1. c., Bd. I, p. 27.) I.e., Bd. I, p. 29, 31. 1. c., Bd. I, p. 35. 1. c., Bd. I, p. 29. G. B. Vico: De nostri temporis studiorum ratione. Darmstadt 1963, p. 28/30. H. S. Reimarus: Die Vernunftlehre, als eine Anweisung zum richtigen Gebrauch der Vernunft in dem Erkenntniß der Wahrheit, aus zwoen natürlichen Regeln der Einstimmung und des Widerspruchs hergeleitet. 5. Aufl. Hamburg, Kiel 1790, p. 297 f. J. H. Zedier: Großes vollständiges Universal-Lexikon. Graz 1961 (Neudr. d. Ausg. Halle, Leipzig 1733). Bd. 6, p. 1661.

III. Kants radikaler Kritikbegriff Wenn über den Kritikbegriff in der Philosophie gesprochen wird, so ist sicherlich einer der ersten Namen, die genannt werden, der Immanuel Kants. Die Titel seiner Hauptwerke „Kritik der reinen Vernunft", „Kritik der praktischen Vernunft" und „Kritik der Urteilskraft" haben schon zu seinen Lebzeiten bei Anhängern und Gegnern dazu geführt, „kritisch" mit „kantisch" bzw. „transzendentalphilosophisch" zu identifizieren. Eine so etikettierende Redeweise tut allerdings dem vollen Gehalt des Kantischen Kritikbegriffs Unrecht, obwohl andererseits auch wahr ist, daß Kant selbst sich diesem Sprachgebrauch im Laufe der Zeit immer mehr angepaßt hat. Im folgenden soll versucht werden, den vollen Gehalt des ursprünglichen Kantischen Kritikbegriffs zu rekonstruieren 1 , dabei wird stets sorgsam zu vermeiden sein, der heute oft unkontrolliert unterlaufenden Identifikation der Lehrinhalte der Kantischen Philosophie mit Kritik zu verfallen.

1. Die Herkunft der Struktur des Kritikbegriffs aus der Ästhetik a) Erster Nachweis Um 1763/64 beginnen Kants Reflexionen, den Kritikbegriff einzubeziehen. Bereits die früheste Stelle 2 verweist eindeutig auf ästhetische Zusammenhänge; nach ihr ist eine Erkenntnis, die nur über empirische Prinzipien verfügt, keine Wissenschaft, sondern Kritik, ζ. B. die Erkennt1

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Ganz im Vorfeld dieses Problems bleibt: R. Mookerjee: A Note on the Notion of .Kritik'. — In: Kant-Studien 63 (1972), p. 3 6 9 — 3 7 3 ; cf. audi schon: Μ. Heidegger: Die Frage nach dem Ding. Tiibingen 1962, p. 92—96. Es gibt, soweit ich sehe, nur einen Beleg des Wortes, der früher zu datieren ist. Die Stelle, die in die frühen Fünfzigerjahre zu datieren ist, spricht von der „Critick der lateinischen Sprache", gibt aber für unser Interesse der Interpretation des Kritikbegriffs nichts her. I. Kant: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1910 ff. (zit. als KS), X V I , p. 170 (Reil. 1956).

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Kants radikaler Kritikbegriff

nis des Rührenden. An dieser (wahrscheinlich) ersten Belegstelle für den Kantischen Kritikbegriff geschieht jedoch auch schon die Übertragung dieser Struktur von Erkenntnis mit dem Namen Kritik auf andere Erkenntnisgebiete als die Ästhetik: „so ist es auch mit der Lehre des Warscheinlidhen bewandt." 3 Nach der Logik von Darjes, die Kant benutzte, gehört die Lehre vom Wahrscheinlichen in die Dialektik, den zweiten Teil der Logik 4 . Die allgemeine Struktur der Kritik wird hier von Kant also darin gesehen, eine Vernunfterkenntnis aus empirischen Begriffen zu sein: In ihr sind allgemeine Regeln im Sinne technischer Regeln stets Abstraktionen aus Erfahrung in der „Ausübung" 5 . b) Die Analogie von Logik und Ästhetik Teilen die Logiklehrbücher der Zeit die Logik in Wissenschaft und in Kunst auf, so stellt diese Gliederung einer erfolgreichen philosophischen Disziplin ein Paragdigma bereit, an dem sich diejenigen orientieren konnten, die die Ästhetik als neue philosophische Disziplin einführten, um sie — wie A. Nivelle 6 vermutet — „hoffähig" zu machen, so daß Baumgarten festlegt: „Aesthetica nostra sicuti logica." 7 Die so konzipierte Wissenschaft der Ästhetik formuliert als allgemeine Theorie die Regeln des Geschmacksurteils, aus ihnen folgen schlüssig die Regeln einer Kunst (techne) der Ästhetik, deren Vollzug Kritik heißen kann. „Kritisieren können heißt die Regeln anzuwenden wissen." 8 Seitdem sich in der Spätaufklärung (ab 1750 etwa) der ästhetische Kritikbegriff durchgesetzt hat, ist diese Formel nicht mehr brauchbar; Kant gibt neben anderen, ζ. B. auch Lessing9, ein Beispiel dafür, daß Kritik nicht mehr nur als Funktion eines Regelarsenals aufgefaßt wird. Die neue Sphäre des Ästhetischen ist nicht länger einfach in das System der etablierten Schullogik integrierbar 10 und fordert eine Eigenständigkeit auch ihres Begreifens. Sie wird bei Kant hier unter die Formel ge3 Refl. 3716, K S X V I I , p. 255. 4 G. Tonelli: Der historische Ursprung der kantischen Termini „Analytik" und „Dialektik". — In: Archiv für Begriffsgeschichte VII (1962), p. 120—139, hier bes. 135 f. 5 Cf. Refl. 626, K S X V , p. 272. 6 A. Nivelle: Kunstund Dichtungstheorien zwischen Aufklärung und Klassik. Berlin 1960, p. 14 ff. 7 A. Baumgarten: Aesthetica. Frankfurt/Oder 1750, p. 5. 8 A. Baeumler: Kants Kritik der Urteilskraft und ihre Geschichte und Systematik. 1. Bd. Halle 1923, p. 98. 9 Cf. meinen Aufsatz: Kritik zwischen System und Produktion: Lessing. it> J . Ritter: Ästhetik. — In: Hist. Wb. Philos. I, Sp. 555—559.

Herkunft der Struktur des Kritikbegriffs aus der Ästhetik

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bracht: V e r n u n f t e r k e n n t n i s a u s e m p i r i s c h e n Begriff e n . Genau dieses, nun auch für andere als ästhetische Gegenstände, wird mit „Kritik" bezeichnet. Allgemeine Regeln werden nach wie vor angesetzt; aber ihre Allgemeinheit ist nicht logischer Natur, sondern einzig aus empirischen Begriffen: „Der Geschmak ist der Grund der Beurtheilung .. . " n Nur in Logik, Metaphysik und Mathematik sind Beurteilungen möglich, die Resultat einer Doktrin sind, „welche auf allgemeinen Grundsätzen der Vernunft beruhet" 12 . Alle Erkenntnis von Produkten aber ist von der Struktur ästhetischer Erkenntnis: Auf die beurteilende Kritik folgt eine Disziplin, die Anweisungen zur Praxis gibt, und auf sie eine Wissenschaft aus empirischen Prinzipien 13 . Wenn Kant nun behauptet, daß die Dialektik, die logica probabilium oder auch logica disputatrix, nach dem Vorbild der Ästhetik zu konstruieren sei, so kehrt er damit die Orientierungsfunktion der Analogie von Logik und Ästhetik gegenüber der Tradition um. Und es ist der Kritikbegriff, der — in ästhetischen Kontexten bewährt — diese Umkehrung vollziehen läßt, so daß man zum Zwecke einer Aufklärung über die Methode der Dialektik (als Teil der Logik) sich verwiesen sieht auf „Kritik", einen Begriff, der aus der Ästhetik stammt und dort fungiert für eine Erkenntnis aus empirischen Begriffen. Genau dieses Verfahren der O r i e n t i e r u n g d e r L o g i k a n d e r Ä s t h e t i k a n l ä ß l i c h d e s K r i t i k b e g r i f f s kündigt Kant auch für seine Logikvorlesung in der „Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765—1766" 1 4 an. Er will die Logik vortragen mit beständigem Blick auf die „ K r i t i k d e s

" Reil. 671, KS X V , p. 297. 12 ibd.; cf. Reil. 1585, KS X V I , p. 25 f. 1 3 Daß Kritik sidi nur auf Produkte bezieht, zeigt auch die Logik (Dohna): „Doktrin (ist ein Inbegriff von Regeln, wo die Regeln dem Produkte vorhergehen müssen [Kritik ist der Gebrauch der Urteilskraft, wo das Produkt der Regel vorhergeht]) enthält den Grund der Beurteilung, ob etwas wahr oder falsch sei. Sie kann zwiefachen Gebrauch haben, einmal nur als Kritik, das andere als Organon. Das erstemal ζ. B. Geschmackslehre, nur Kritik (dient etwas ζ. B. ein Gedicht zu beurteilen), lehrt uns nicht, selber etwas geschmackvoll zu machen. (Kritik erfordert, daß das Produkt schon da sei, wenn auch die technischen Regeln schon vorher gegeben werden können.)" (Die philosophischen Hauptvorlesungen Immanuel Kants. Nach den neu aufgefundenen Kollegheften des Grafen Heinrich zu Dohna-Wundlacken. Hrsg. v. A. Kowalewski. München und Leipzig 1924, p. 393. — Daß Kant auch die Bedeutung des Wortes „Kritik" als allgemeiner Beurteilung geistiger Produkte geläufig war, belegen die „Träume eines Geistersehers" (KS II, p. 356). Von ihr aber nimmt der spezifisch Kantisdie Kritikbegriff nicht seinen Ausgang, wie idi zu zeigen hoffe. κ KS II, p. 303—313.

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Kants radikaler KritikbegrifT

G e s c h m a c k s , d.i. die Ä s t h e t i k " , damit „die Regeln der einen jederzeit dazu dienen, die der andern zu erläutern" 15 . Die Logik zerfalle eigentlich in zwei Gattungen. Die erste „ist eine Kritik und Vorschrift des g e s u n d e n V e r s t a n d e s " . Unter gesundem Verstand ist aber derjenige Erkenntnisgrad zu verstehen, der zwischen grober Ignoranz und wissenschaftlicher Gelehrsamkeit angesiedelt ist16. Dieser Teil der Logik heißt auch Critica sensus communis 17 . Die zweite „ist die Kritik und Vorschrift der e i g e n t l i c h e n G e l e h r s a m k e i t " 1 8 . Sie kann erst nach der Behandlung der Wissenschaften selbst vorgetragen werden, da sie eine Reflexion auf die verwandten Methoden ist, bei der „die N a t u r der Disciplin zusammt den Mitteln ihrer Verbesserung eingesehen" werden soll19. Daran schließlich schlösse sich eine „Kritik und Vorschrift der gesammten Weltweisheit als eines Ganzen, diese vollständige Logik" 20 an. In ihrer Projektierung klingt der Tenor der Kantischen Philosophie bereits an: „Betrachtungen über den Ursprung ihrer Einsichten sowohl, als ihrer Irrthümer anzustellen und den genauen Grundriß zu entwerfen, nach welchem ein solches Gebäude der Vernunft dauerhaft und regelmäßig soll aufgeführt werden." 21 Gegenstand der angekündigten Logik-Vorlesung soll allein die erste Form der Logik, Logik als Propädeutik zur Wissenschaft, sein. Ansätze zur zweiten Form sollen am Ende der Metaphysik-Vorlesung gebracht werden. Aber auch in der ersten Form ist die Logik als Kritik der Anschluß an Vorhandenes, wobei das Vorhandene im Modus der Machbarkeit, Veränderbarkeit bestehen muß, es muß Produktcharakter haben 22 . Sie knüpft also an an die von den Studenten mitgebrachte Art zu denken, ihre Vorurteile etc. Diesen gemeinen Verstand hat die Logik als Kritik auf ihre Brauchbarkeit erstens „für das thätige und bürgerliche Leben", zweitens f ü r die theoretische Kultur der gelehrten Vernunft zu überprüfen und ihn gegebenenfalls zu ändern. Nach der Kritik der gemeinen Vernunft verfährt die Logik dann als Doktrin. Hier wird sie Logica proprie dicta 23 . Genau hier, in der Überprüfung des gemeinen Denkens is KS II, p. 311. 16 Das Wort „Vorschrift" ist mit dem sonst bei Kant begegnenden Begriff „Disziplin" identisch. Refl. 626, KS XV, p. 271; Refl. 1581, KS XVI, p. 25 f. 17 Refl. 1579, KS XVI, p. 18. 18 KS II, p. 310. 19 ibd. 20 ibd. 21 ibd. 22 Refl. 626, KS XV, p. 271. 23 Refl. 1579, KS XVI, p. 19.

Herkunft der Struktur des Kritikbegriffs aus der Ästhetik

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auf die Brauchbarkeit seiner Begrifflichkeit f ü r die wissenschaftliche Erkenntnis liegt die Analogie zur Ästhetik. Auch sie vertraut nicht blindlings dem einzelnen Geschmacksurteil, sondern überprüft es auf seine allgemeine Gültigkeit, überführt die spontane Stellungnahme in eine reflektierte in der Kritik unter dem Gesichtspunkt der Vernunfterkenntnis. Von Baumgarten zu K a n t hat sich das Verhältnis von Logik und Ästhetik in der Analogie beider umgekehrt, wurde zunächst Ästhetik als „logica facultatis cognoscitivae inferioris" 2 4 behandelt, so erscheint nun Ästhetik als Modell f ü r einen Teil der Logik. Als Katalysator dieser Umkehrung dient der Kritikbegriff, s o d a ß d i e P r o v e n i e n z d e s K r i t i k b e g r i f f s bei K a n t aus der Ä s t h e t i k als g e s i c h e r t a n z u s e h e n i s t 2 5 . O b andere Modelle die Konzeption eines philosophischen Kritikbegriffs mitbeeinflußt haben, ist zu prüfen. c) Logik, Kritik,

Metaphysik

D a aber Ästhetik seit der Ablösung der rationalistischen Ästhetik nicht mehr a priori aus der Vernunft ableitbar ist 26 , sondern selbst inhaltlich „kritisch", d. h. aus der empirischen Praxis ableitbar, sind der Analogie Grenzen gesetzt. Denn an der Logik sind K a n t und der Tradition zufolge ihr dogmatischer Inhalt und ihre kritische Ausübung zu unterscheiden: „Die Logik ist also eine T h e o r i e und ein Mittel der d i j u d i c a t i o n . Critick." 27 Wenn auch die Logik ein a priori aus der Vernunft konstruierbares Regelsystem darstellt, so ist sie doch bloß ein Regelsystem zur Beurteilung, nicht eines zur Produktion von Sätzen, oder wenn schon zur Hervorbringung, dann doch nur zur Hervorbringung kritischer Sätze, von Meta-Urteilen 2 8 , stellt aber kein heuristisches Prinzip dar 29 . Diese Differenzierungen setzen einerseits die Unterscheidung von dogmatisch und kritisch voraus, deren Entstehung etwa in das J a h r 1769 zu datieren ist 30 , andererseits führen sie teilweise zu einer regelrechten

24 A. G. Baumgarten: Metaphysica. Ed. VII. Halle 1779, p. 187; cf. G. F. Meier: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften. Halle 1748,1, p. 5. 25 Die gleiche Ansicht vertritt M. Heidegger (Die Frage nadi dem Ding, p. 93), einer der wenigen Autoren, die dieser Frage nachgegangen sind. 26 Reil. 1587, KS XVI, p. 26; cf. Refl. 1901, KS XVI, p. 52. 27 Reil. 1585, KS XVI, p. 26. 28 Refl. 1601—1603, KS XVI, p. 31 ff. 29 Refl. 1600, KS XVI, p. 31. 30 Cf. Refl. 1581, KS XVI, p. 24.

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Kants radikaler Kritikbegriff

Entgegensetzung von Logik und Kritik an dem Kriterium der Etablierbarkeit a priori (Logik) oder a posteriori (Kritik) 31 . Im Zuge der Ablösung des Begriffs der Kritik von dem der Logik nähert er sich dem der Metaphysik, von der es ja früher schon immer geheißen hatte, sie sei eine negative Wissenschaft zur Vermeidung von Irrtümern 32 , ihre Funktion sei Grenzbestimmung33. Den Ubergang stellt eine Reflexion her, die die Metaphysik als eine Logik des reinen Verstandes bezeichnet34; wie die Logik ist auch die Metaphysik entweder dogmatisch oder kritisch; Nutzen aber hat sie nur als Kritik 35 . Schon jetzt begegnet bei Kant der später geläufige Topos, daß ihre Aufgabe sei, die Quellen, Bedingungen und Grenzen der bloßen Vernunft darzustellen36. In diesem Zusammenhang wird dann auch die Kritik der reinen Vernunft erstmals als Transzendentalphilosophie bezeichnet. Die Philosophie der reinen Vernunft ist entweder dogmatisch, dann unterscheidet man nach ihren Gegenständen: Vorstellungsvermögen, Begehrungsvermögen, Raum und Zeit, die Disziplinen: Logik, Moral, allgemeine Naturwissenschaft; oder sie ist kritisch, subjektiv, zetetisch, skeptisch, problematisch37. Ganz im Gegensatz zur „Nachricht" werden jetzt Kritik der reinen Vernunft und Metaphysik gleichgesetzt38, die Logik aber ist eine Doktrin der reinen oder der vermischten Vernunft 39 . „Die Logic tractirt die obiective Gesetze der Vernunft, das ist, wie sie verfahren soll. Die metaphysik die subiectiven der reinen Vernunft, wie sie verfährt. In beyden ist die Vernunft das Obiect . . ."40 Dabei sieht Kant durchaus eine Schwierigkeit, an der auch die „Kritik der reinen Vernunft" leidet, und die er angeblich nicht gesehen haben soll: „Daß Vernunft nach ihren Gesetzen die Gesetze, nach denen sie denken soll,

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Reil. 1587, KS XVI, p. 26. Später heißt es: „Wir können diese Wissenschaft betrachten, ob sie Doktrin oder Kritik (— geht auf Gebrauch —) oder beides zusammen sei." (Die philosophischen Hauptvorlesungen Immanuel Kants, p. 393.) Reil. 3943, KS XVII, p. 358. Reil. 3918, KS XVII, p. 343 f. Reil. 4340, KS XVII, p. 512. T. W. Adorno: „Hegels Doktrin, Logik und Metaphysik seien dasselbe, wohnt Kant inne, ohne daß sie bereits thematisch würde." (Negative Dialektik. Frankfurt 1966, p. 231.) An dieser Stelle bei Kant wird sie bereits thematisdi. Reil. 4457, KS XVII, p. 558. Refl. 4455, ibd. Refl. 3957, KS XVII, p. 364 £f. Refl. 3964, KS XVII, p. 368. Refl. 3970, KS XVII, p. 370. Refl. 3939, KS XVII, p. 356.

Strukturen eines radikalen Kritikbegriffs bei Kant

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abhandeln will, macht, daß sie sich der Regeln bedient, die sie zuerst erfinden will." 41 Die Verselbständigung des Kritikbegriffs ist jetzt so weit fortgeschritten, daß in ihr eine „Vorübung zur Metaphysik" gesehen werden kann 42 . Auffällig ist, und das muß gegenüber der „Kritik der reinen Vernunft" festgehalten werden, daß die Kritik nicht als Wissenschaft gilt, ja selbst der Metaphysik wird als einer kritischen Metaphysik der Wissenschaftscharakter abgesprochen43. Darüber hinaus war sie nach Kant nie eine sichere Wissenschaft, weil ein Dogmatiker dem anderen ebenso bewiesene Behauptungen entgegensetzen konnte, die jenem widersprachen. Beide zusammen spielten die gleiche Rolle wie ein Skeptiker. Das Eigentümliche des kritischen Verfahrens besteht nun darin, Behauptungen, Gegenbehauptung und Prüfung in das einzige Subjekt hineinzunehmen und hier, im Sandkasten gewissermaßen, das Gefecht noch einmal ausführen zu lassen. De facto ist das e i n e V e r i n n e r l i c h u n g d e r G e l e h r t e n r e p u b l i k . Bedenklich wird es allerdings erst da, wo Kant die Möglichkeit, exteriore Kritik zu üben untersagt, so lange der Kritiker keine Kritik der Vernunft unternommen habe44. Denn dann gilt das eben nicht, was Kant sagt: „Critic . . . macht die Vernunft frey." 45 Diese Bedenklichkeiten und die Zwiespältigkeit des Kantischen Kritikbegriffs werden später ausführlich behandelt werden. Sie mußten nur hier schon angedeutet werden, weil ihre Wurzeln bis in die Vorbereitungszeit der „Kritik der reinen Vernunft" zurückreichen.

2. Strukturen eines radikalen Kritikbegriffs bei Kant a) Die Selbstlegitimation der Kritik durch Dialektik: Der „Gerichtshof Die Aufklärung hatte sich selbst als Zeitalter der Kritik begriffen. Was das für das Zeitalter in seiner Selbstdeutung hieß, ist bereits erwähnt worden. Gegenüber landläufigen philosophiehistorischen Darstellungen Kants als des „Uberwinders der Aufklärung" gilt es festzustellen, daß Kant sich selbst als Aufklärer begreift. Insbesondere das Charakte41 ibd.

« Refl. 4466, KS XVII, p. 562. « Refl. 4284, KS XVII, p. 495 £. Refl. 5106, KS XVIII, p. 89. 45 Refl. 5089, KS XVIII, p. 84.

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Kants radikaler Kritikbegriii

ristikum der Kritik hat Kant an der Aufklärung betont und dann für sich beansprucht: „Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß." 4 6 In der Logik (Jäsche) heißt es dann mit gleichem Beginn, doch mit Bezug auf seine eigenen und seiner Schüler Arbeiten: „ . . . und man muß sehen, was aus den kritischen Versuchen unsrer Zeit, in Absicht auf Philosophie und Metaphysik insbesondre, werden wird." 4 7 Das spezifisch Kantische an diesem allgemeinen Geist der Kritik ist, daß er neben bzw. über die Textkritik und die Sachkritik eine Kritik der Vernunft stellt 48 . Allseitige aufklärerische Kritik ist gedacht in dem wissenschaftsmoralischen Modell 49 einer Gelehrtenrepublik, eines die Emanzipation des Gelehrten im absolutistischen Staat normierenden Handlungsorientierungsschema, kontrafaktisch gedacht als eine freie Vereinigung aller aufgeklärten Menschen. Diese Republique des Lettres ist ein in sich geschlossenes System, das sich zunächst als absolut unpolitisch verstanden hatte. Die f ü r sie als konstitutiv begriffene Kritik ist immer systemare Kritik; jeder, der mit dem Anspruch, Mitglied der Gelehrtenrepublik zu sein, auftritt, willigt damit ein, grundsätzlich der Kritik aller und eines jeden unterworfen zu sein. Ist diese Abkapselung vom öffentlichen Staat an sich selbst — auch wenn und gerade weil sie sich selbst als absolut unpolitisch versteht — ein Politikum, so tritt die politische Valenz der Gelehrtenrepublik seit Voltaire unverhüllt hervor, indem neben die esoterische Kritik der Republik eine exoterische tritt und die „Unpolitik" die Politik kritisiert. Das System allseitiger Kritik auf der Grundlage vorausgesetzter Gleichheit aller seiner Mitglieder macht die V o r a u s s e t z u n g , d a ß W a h r h e i t im M e d i u m k o m m u n i k a t i v e r K r i t i k d u r c h k o o p e r a t i v e A n s t r e n g u n g g e d e i h t , nicht ζ . B . in einer Traditionsfolge erleuchteter Menschen. So verbietet dieses Modell auch ein bewußt aus der Überzeugung von der Wahrheit der eigenen Theorie folgendes theoriepolitisches Handeln, Wahrheit — so glaubt der zugrundeliegende Optimismus — wird sich unabhängig von Durchsetzungsintentionen einzelner Individuen in freier Kommunikation durchsetzen, 46

KrV A X I Anm., KS IV, p. 9 Anm., ähnlich KpV: „in diesem philosophischen und kritischen Zeitalter" (KS V, p. 14). KS IX, p. 33. « Cf. Reil. 1998, KS XVI, p. 189. 49 mit wissenschaftspolitischen und allgemeinen politischen Konsequenzen. R. Koselleck: Kritik und Krise, ist dem nachgegangen, wie der marginale Sdiutzraum für Gelehrte zum gesamtgesellschaftlichen Orientierungsmodell wurde.

Strukturen eines radikalen Kritikbegriffs bei Kant

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wenn nur Kritik im System als Irrtum vermeidendes Korrektiv in Kraft ist. Es mag sein, daß der Optimismus stabilisiert wird durch die mindestens fiktive Annahme einer dritten Position („Gott"), die die Wahrheit kennt, selbst aber nicht unter den Streitenden vorkommt, die also weiß, daß nicht Wahrheit das ist, was sich jeweils durchsetzt, sondern umgekehrt. Ohne die dritte Position ist die Unterscheidung nicht durchführbar. Da jeder in theoretischer Absicht formulierte Satz als metakommunikative Urteilskomponente jenes „Es ist wahr, daß p " mit sich führt, auch einander ausschließende, sagt das f ü r den einzelnen Satz nichts. Das wissenschaftsmoralische Modell, das auf diese Weise gilt, ist a n a r c h i s t i s c h 5 0 . Praktisch hat Kant sich an dieses Modell gehalten, theoretisch hat er es widerlegt. N u r dann gebietet es sich, Auseinandersetzungen in der Gelehrtenrepublik als Kritik zu bezeichnen, wenn der anarchistische Optimismus der Selbstherstellung der Wahrheit im Medium allseitiger Kritik geteilt wird. Kant teilte ihn nicht. Für ihn stellte sich die Metaphysik dar als ein Kampfplatz, auf dem ein immerwährender anarchischer, regelloser Kampf aller gegen alle geführt wurde. Auseinandersetzung hat hier stets die Form der Polemik, der gleichberechtigt zweiseitigen Auseinandersetzung. Erfolg und Mißerfolg sind nicht nach Wahrheit und Unwahrheit verteilt. Die Vernunft befindet sich „gleichsam im Stande der Natur, und kann ihre Behauptungen und Ansprüche nicht anders geltend machen, oder sichern, als durch K r i e g " 5 1 . A u f g a b e e i n e r K r i t i k d e r V e r n u n f t w ä r e es, e i n e n G e r i c h t s h o f e i n z u r i c h t e n , und dadurch die kriegerische Selbsthilfe des status naturalis bei der Durchsetzung von Theorien in die Form einer Rechtsstreitigkeit zu verwandeln. Wie in der politischen Philosophie zeigt der allseitige Kampf in evidenter Weise die Notwendigkeit einer rechtsetzenden Instanz. „Der Kritik fällt die Aufgabe zu, den Frieden zu stiften." 52 Kritik erhebt sich über die streitenden Parteien, Polemik dagegen stellt sich mit dem dogmatisch Behauptenden auf eine Stufe und greift ihn gleichberechtigt an. Ihr relativer Wert liegt in ihrem Angriff auf die Selbstsicherheit des Dogmatismus. Die Kritik der reinen Vernunft ist selbst gar nicht polemisch, sondern verwendet lediglich die skeptische Polemik zur Etablierung der Kritik 53 , wenn auch die über50 Cf. audi: P. Feyerabend: Against losophy of Science IV. Minneapolis 51 KrV A 751, Β 779, KS III, p. 491. 52 Η. Saner: Kants Weg vom Krieg Wege zu Kants politischem Denken.

Method. — In: Minnesota Studies in the Phi1970, p. 17—130. zum Frieden. Bd. 1: Widerstreit und Einheit. München 1967, p. 252.

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Kants radikaler Kritikbegriff

geordnete Instanz, die die Kritik ist, kein unmittelbares Interesse an der Streitsache selbst haben darf, da sie sonst selbst bloß Partei wäre und ihr Eingriff nichts als selbst bloß Kampf, sondern nur an seinem Ausgang, d. h. daß es zum Urteil komme54. Zur Darstellung seiner eigenen Auffassungen s p i e l t K a n t g e gen das a n a r c h i s t i s c h e M o d e l l der G e l e h r t e n r e p u b l i k d a s R e c h t s m o d e l l d e s G e r i c h t s h o f s a u s . Dieses Modell ist, wie R. Koselleck gezeigt hat, keineswegs neu, sondern gehört zum traditionellen Bestand des Redens über Kritik. Zur Stabilisierung dieser Tatsache trägt u. U. die Reminiszenz an griechischen Sprachgebrauch bei; sie dürfte aber wohl kaum alleiniger Grund für die stetige Parallele von Gerichtsmodell und Kritik sein, zumal sie kaum als explizierter Beleg zur Stütze der Parallelisierung begegnet. Bei Kant ist die Struktur des Gerichtsmodells wesentlich für die Struktur des Kritikbegriffs überhaupt: Richter über streitenden Parteien zu sein. Daraus folgt nicht notwendigerweise, daß die praktische Vernunft zur Konstituierung der Kritik diene55. Entwickelt wird die Geriditsmetaphorik an der Antithetik der Vernunft: Uber den streitenden Parteien etabliert sich als Gerichtshof die Kritik der reinen Vernunft, ohne ihn sind Vernunft und ihre Parteien im Zustand der Natur, in dem jeder seine Ansprüche durch Bekriegung der ihm widerstreitenden durchsetzt56. „In der Einsetzung des Gerichtshofs' dieser Vernunft-Kritik wird zunächst lediglich eine universell zuständige Urteilsinstanz begründet.. .c'57 Das philosophische Publikum dient in diesem Prozeß als die Geschworenen58, denen die Prozeßakten in aller Ausführlichkeit vorgelegt werden, um den Prozeß bald spruchreif zu machen59, formuliert Kant. Ihre Legitimation bezieht die Etablierung der Kritik als Gerichtshof ü b e r den Parteien aus ihrer Leistung, nicht etwa durch Rückversiche53

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Das entspricht Kants eigener Entwicklung, der schon 1758 in der Ankündigung seiner Vorlesungen sagte: „In einer Mittwochs- und Sonnabendsstunde werde ich die in den vorigen Tagen abgehandelte Sätze polemisch betrachten, welches meiner Meinung nach eins der vorzüglichsten Mittel ist zu gründlichen Einsichten zu gelangen." (KS II, p. 25.) KrV 465, Β 493, KS III, p. 323 f. G. Krüger: Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik. Tübingen 1931, p. 140. KrV A 751, Β 779, KS III, p. 491 f. H . Lübbe: Philosophie als Aufklärung. — In: Zur Rehabilitierung der praktischen Philosophie I. Hrsg. v. M. Riedel. Freiburg 1972, p. 243—265, hier p. 248. KrV A 475 f., Β 503 f , KS III, p. 330. KS VIII, p. 155.

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rung vorausgesetzter „ewiger Wahrheiten", der Befriedung und der Schaffung eines gesetzlichen Zustandes, in dem die Streitigkeiten nur noch in der Form eines Prozesses vor dem Gerichtshof der Vernunft ausgefochten werden können. Leistet sie das, so ist sie dadurch nachträglich legitimiert, scheitert sie in dem Versuch, so schadet der Versuch dem System allseitiger Polemik wenigstens nichts, da der Versuch dann nur als ein neues Element des Meinungsstreites erscheinen wird. Die letzten Gedanken führten über Kant hinaus; er kalkuliert die Möglichkeit des Scheiterns nicht, ebensowenig wie jede partikulare Theorie, die in der Gelehrtenrepublik auftrat, aber nicht aus Selbstvertrauen, sondern weil seine Kritik so konzipiert sein soll, daß sie die Argumente aller Streitenden mit enthält. Im Laufe des Prozesses der Kritik nämlich zeigte sich, daß das Urteil der Kritik gar nicht für die eine oder andere Seite ausfallen wird, sondern daß die Streitsache überhaupt nicht wirklich ist60. Das Überlegene der Kantischen Position, das sie zu ihrer Selbstsicherheit berechtigt, liegt im Begriff der Dialektik, der auf den des Gerichts abbildbar ist. Die abbildbare gemeinsame Struktur liegt in der Uberhebung über konkurrierende, sich gegenseitig ausschließende Sätze, durch Entlarvung der Streitsache als Schimäre. Schien es bisher im Gerichtsmodell noch so, als brächte die Kritik eine neue Diskussionsstrategie der Auseinandersetzung mit möglichen Gegnern, so wird dieser Schein in dem Begriff der Dialektik beseitigt. „Den Gegner aber müssen wir hier jederzeit in uns selbst suchen. Denn speculative Vernunft in ihrem transscendentalen Gebrauche ist a η s i c h dialektisch. Die Einwürfe, die zu fürchten sein möchten, liegen in uns selbst."61 D a m i t ist der f a k t i s c h e W i d e r s p r u c h der s t r e i t e n d e n P a r t e i e n in d e r G e l e h r t e η r e ρ u b 1 i k , d e r a r g u m e n tative Konflikt, internalisiert und überhöht zu l o g i s c h u n a n f e c h t b a r e n , d.h. a b e r a u c h m i t t r a d i t i o nellen M i t t e l n η i ch t - k ο r r i gi er b a r eη P o s i t i o n e n der e i n e n V e r n u n f t , d i e in d e r A n t i t h e t i k K o m m u n i k a t i o n s i m u l i e r t . Umgekehrt heißt das, daß über die Identität der Vernunft mit sich selbst in allen partikularen Subjekten ableitbar ist das K o n z e p t e i n e r r e p r ä s e n t i e r e n d e n K r i t i k ; denn die antithetischen Positionen sind in der einen Vernunft, sofern sie sich als kritischer Prozeß organisiert, systematisch, repräsentativ für faktische Kommunikation

ω KrV A 501 f , Β 529 f , KS III, p. 345. « KrV A 777, Β 805, KS III, p. 506.

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darstellbar. Damit ist zugleich eine separate dritte Position ( „ G o t t " ) überflüssig geworden für theoretische Wahrheit; die dritte Position ist in die repräsentierende Vernunft als deren kritische Funktion aufgenommen. Natürlich gibt es widersprechende Sätze, von denen einer richtig sein muß, sie befinden sich dann in analytischer Opposition. Zu ihrer E n t scheidung reichen Empirie und allgemeine Logik hin. Doch das eigentliche Problem Kants sind Sätze in dialektischer Opposition, die nicht mit Hilfe des Satzes vom Widerspruch aufzulösen sind. D a diese Sätze mehr enthalten als den bloßen Widerspruch, können sie beide falsch sein. Widersprüche in der Philosophenwelt diskreditieren die Philosophie in den Augen ihrer Gegner 6 2 . U m so mehr ist der Widerspruch, in den die Vernunft mit sich selbst gerät, ein Skandalon. Sie nötigt unabweislich zu einer Kritik der Fragen und der sie stellenden Vernunft. Es genügt aber keineswegs, das Verfahren der Vernunft und ihrer Dialektik bloß zu beschreiben. Die aufgegebene Objektivation und Erklärung des dialektischen Scheins gründet sich auf eine Erkenntnis der Quellen, aus denen sie entspringt 63 . D a m i t geht „Kritik" bei K a n t wiederum in den Zusammenhang philologischer Textkritik ein, die auf der Suche nach dem Ursprung ist. Hier wird insgesamt angenommen, daß es zum Begreifen der „Kritik der reinen Vernunft" nützlich sein würde, das Buch sozusagen rückwärts zu lesen, mit der Geschichte der reinen Vernunft zu beginnen, als wichtigsten und brisantesten Teil aber die transzendentale Dialektik aufzufassen 63a . Die transzendentale Analytik dient dann als Hinweis zur Beilegung derjenigen Katastrophe, die die transzendentale Dialektik beschreibt. Damit ist die „Kritik der reinen Vernunft" primär Kritik der Metaphysik und erst sekundär, nämlich um diese Aufgabe zu erledigen, Erkenntnistheorie und Wissenschaftsphilosophie. Heute mag K a n t ζ. T . gerade wegen dieser Nebenprodukte seines Denkens interessant erscheinen. Wenn „Kritik" bei K a n t also auch die Struktur des philologischen K r i t i k begriffs teilt, nämlich Rekonstruktion eines unverzerrten, als heil unterstellten Ursprungs zu sein, so tut sie dieses eigentlich nur nebenher. P r i m ä r g i l t d a s d i a l e k t i s c h e G e r i c h t s m o d e l l , in dem 62 K r V Β 24, K S III, p. 4 2 .

63 KrV A 581, Β 609, KS III, p. 391. 63a

D a ß dieser Vorschlag Kants Selbstverständnis gerecht wird, belegt seine Rechenschaft: „ . . . diese [die Antinomie der reinen Vernunft] w a r es welche midi aus dem dogmatischen Schlummer zuerst aufweckte und zur Critik der Vernunft selbst hintrieb, um das Scandal des scheinbaren Wiederspruchs der Vernunft mit ihr selbst zu heben." ( K S X I I , p. 2 5 7 f.).

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Kritik über streitenden, antithetischen Positionen in der dritten Position sich bewährt. Erst zur quaestio facti bedient sie sich auch des R e k o n t r u k t i o n s m o d e l l s v o n K r i t i k , das aus der Praxis philologischer Textreinigung stammt. Noch in der Tatsache, daß rechtsetzende Kritik über keine Prinzipien a priori verfügt, erhält sich die Struktur des ästhetischen Kritikbegriffs: Regeln werden aus der Bewährung in der praktischen Ausübung allererst ableitbar. Eine stillschweigende Voraussetzung macht Kant allerdings, und er muß sie machen: daß es zwar eine Kritik der Dialektik der Vernunft in ihrem spekulativen, ihrem praktischen und ihrem ästhetischen Gebrauch, aber keine Dialektik der Kritik gibt. Der kritische Vernunftgebrauch kann sich nicht selbst in Widersprüche verwickeln, die dann in einem unendlichen Regreß der Kritik zu kritisieren wären. Einen solchen Verdacht äußert nur der „Pöbel der Vernünftler", d. h. solche Vernunftkünstler, die selbst in dialektischem Schein sich befinden und der Kritik bedürfen 64 . Welche verhängnisvollen Folgen der auf diese Weise entstehende selbstherrliche Absolutismus der Kritik besonders dann hervorbringt, wenn er zudem mit einem Buch als „der Kritik" oder „der kritischen Schule" verbunden wird, wird noch gezeigt werden. Noch aber wird die Kritik als ein wiederholbarer Vollzug aufgefaßt, dessen Objekt zwar nicht die kritische Vernunft werden kann, dafür aber die ständig wieder auflebende Dialektik, die auch durch die Kritik der Dialektik nicht aufgehoben, sondern nur aufgedeckt wird und deren Betrug damit allenfalls verhütet werden kann 65 . Die Illusion, weil sie aus der Natur der Vernunft entspringt, ist unvermeidlich, und sie treibt ihr Spiel trotz der Kritik der Dialektik. Was für den Begriff der Dialektik allgemein gilt, daß in ihm ein Verfahren intersubjektiver Auseinandersetzung internalisiert wird von einer intersubjektiven zu einer innersubjektiven Form der Gedankenentwicklung, das gilt gerade auch für den Kritikbegriff bei Kant. Kritik in der Aufklärung war exteriore Auseinandersetzung mit einem Gegenüber oder Gegenstand. Vernunft und Wahrheit konnte nach dem Satz des ausgeschlossenen Dritten nur auf einer Seite vermutet werden; wo sie war, das galt es durch den kritischen Dialog herauszufinden. Indem Kant zeigt, daß die widerstreitenden Parteien beide Vernunft haben, aber ebenso beide einen falschen, transzendenten Gebrauch von ihr machen, wird der Dialog innersubjektiv darstellbar. Μ K r V A 669, Β 697, KS III, p. 442. « K r V A 297, Β 354, KS III, 236 f., IV, p. 190.

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In der Enzyklopädie-Vorlesung wird die skeptische Methode noch intersubjektiv verstanden, so daß, wenn einer etwas dogmatisch behauptet, versuchsweise das Gegenteil behauptet wird 66 , um die Wahrheit um so sicherer zu gestalten. In der „Kritik der reinen Vernunft" wird diese Kommunikation sokratischer Art in das Subjekt hineingenommen. Indem die Vernunft die widersprechenden Gründe auf beiden Seiten füreinander unangreifbar befestigt, nimmt sie die Möglichkeit, der einen Seite die dogmatische Wahrheit zuzusprechen. Was im intersubjektiven Gespräch in eine Sackgasse führt, weil jeder sich seiner Gründe sicher ist und noch mehr über die Anfechtbarkeit der Gründe des Gegners, das leitet im innersubjektiven Dialog zu einer Selbstkritik des Gesprächs, zu einer Kritik der Fragen, deren Antworten auf beiden Seiten so sicher scheinen67. Ist die externe Kritik das historische Prius für die vernunftinterne, so setzt sich bei Kant immer mehr der Gedanke durch, daß Vernunftkritik logische Priorität für alle andere Kritik habe: Erst wer die Vernunft kritisiert habe, dürfe Gegenstandskritik üben. „Objektsbezogene Kritik ist eine Auswickelung der in der Selbsterkenntnis gewonnenen Normen der Vernunft auf Gegenstände." 68 Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit der Transformation des Kritikbegriffs von einem Verfahrens- zu einem Systembegriff und mit der Abkehr vom literarisch-ästhetischen Kritikbegriff 69 zur immer stärkeren Anlehnung an den philologischen: Die Vernunft wendet sich „nach einer skeptischen Betrachtung des Streits von allen Objekten ab hin zur Quelle des Sagens und des Sagbaren überhaupt.. ."70 G. Bien hat in seinem Beitrag „Das Geschäft der Philosophie, am Modell des juristischen Prozesses erläutert" 71 Kant — wie mir scheint — 66

Cf. dazu Lessings Kritikbegriff; s. Anra. 9. 67 KrV A 485, Β 513, KS III, p. 335. 67 " Deshalb ist es falsdi und trifft; den ursprünglidien Sinn des Kantisdien Kritikbegriffs nicht, wenn C. v. Bormann Kritik bei Kant als Subsumtion faßt. (Der praktische Ursprung der Kritik. Stuttgart 1974) Erst für den späten, deformierten Kritikbegriff gilt die Bormannsdie Charakterisierung. Im übrigen teile ich die Meinung v. Bormanns, daß mit Kant der Verfall des Kritikverständnisses beginnt. „Denn als Kritik ihren praktisdien Ausgangspunkt verlassen hat, weil sie der Forderung der Methode und nidit ihrem eigenen Impuls — dem des bewußt partiellen und immer negativen Kritisierens nämlich — folgte, hat sie sich selber aufgegeben", lautet das Resümee seiner Arbeit (p. 115). 68 H . Saner: Kants Weg vom Krieg zum Frieden I, p. 97. 69 Refl. 5106, KS XVIII, p. 89. 70 H . Saner: Kants Weg vom Krieg zum Frieden I, p. 267. 71 Deutscher Kongreß für Philosophie. Düsseldorf 1969: Philosophie und Wissenschaft. Meisenheim 1972, p. 55—77.

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zu Recht theoriepragmatisch zur Legitimierung des Gerichtsmodells von philosophischem Verfahren in Anspruch genommen, seltsamerweise scheint ihm entgangen zu sein, daß es genau der Begriff der Kritik ist, mit dem eben dieses verbunden ist. Die Philosophie, so schlägt Bien vor, solle sich im Modell des Gerichtshofs begreifen, und d. h. sie solle vor allem Kritik sein im geschilderten, originär Kantischen Sinne. b) Die Kriterien der

Kritik

Das Gerichtsmodell von Kritik angesichts eines nichtbefriedeten status naturalis, in dem allseitiger Kampf stattfindet, erfordert Gesetze, nach denen Recht gesprochen werden soll, Kriterien der Kritik. Bedingung der Überhöhung und Internalisierung kommunikativer Kritik zur Dialektik der Vernunft war dagegen gewesen, daß nicht aufgrund eines vorausgesetzten Maßes eine der streitenden Parteien objektiv im Unrecht war und dieses nur durch Rechtspruch geltend gemacht zu werden brauchte. Also gibt es kein Gesetz, daß dem Urteil vorherginge, auf das sich der Gerichtshof „Kritik" berufen könnte, um sich erstens selbst zur Rechtsprechung zu legitimieren, zweitens aber sein Urteil an ihm auszurichten. Wonach entscheidet die Kritik, wenn die Gesetze der Vernunft selbst offenbar verbesserungsbedürftig sind und die Vernunft die Belehrung über die Unzulänglichkeit ihrer Gesetze erst aus den Erfahrungen des Prozesses der Kritik ziehen kann? Kant gibt offen zu, daß es an einem Maßstab der Kritik metaphysischer Betrachtungen fehlt 72 . Allein das ist im status naturalis der Vernunft weder möglich noch auch von Belang. Da urteilt jeder nach Gesetzen, die ihm selbst recht geben, und es gibt kein allgemeines Gesetz. Die Vernunftkritik aber urteilt nach einem Gesetz, das erst noch zu finden ist73. K a n t s B e g r i f f der K r i t i k ist der einer r a d i k a l e n K r i t i k , weil K r i t i k ihre N o r m e n nicht den Systemen k o n k u r r i e r e n d e r g e l t e n d e r N o r m e n e n t n i m m t . Sie setzt aber auch nicht abstrakt eine neue Norm, sondern N o r m s e t z u n g g e s c h i e h t i m P r o z e ß d e r K r i t i k . Wie verfährt eine allen bisherigen Maßstäben entwurzelte Kritik 74 ? Offenbar setzt sie Recht, indem sie Recht spricht, ist also von 72 KS IV, p. 256. 73 1. c., p. 256. 74 Wieviel Mühe ihm die Selbstverständigung darüber in der Zeit der Ausarbeitung der KrV gemacht hat, schildert rückschauend der alte Kant, berichtet von Dohna: „Nun führte er ζ. B. an, wieviel Mühe es ihm gemadit, da er mit dem Gedanken, die Kritik der reinen Vernunft zu schreiben, umging, zu wissen, was er eigentlich wolle." (Die philosophischen Hauptvorlesungen Immanuel Kants, p. 505).

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der Art der angelsächsischen Präjudizien-Jurisprudenz 75 . Argumentativ kann sie sich dazu offenbar auch durch eine Kritik der Folgen legitimieren 76 . Eine Kritik über die Folgen setzt voraus, daß ein allgemeiner Konsensus besteht, daß solche Folgen unerwünscht sind: z.B., daß die Vernunft natürlicherweise in eine Dialektik gerät. Damit hängt eine zweite Schwierigkeit zusammen. War bei den vorkantischen Aufklärern die Vernunft die alles kritisierende Instanz, war sie das Instrument der Entlarvung der Unvernunft von Bestehendem gewesen, so wird sie nun selbst als einer Kritik bedürftig angesehen. Wer soll diese Kritik ausüben, wenn nicht die Vernunft selbst? Auf diese Weise entsteht jene berühmte Doppeldeutigkeit des Titels der Kritik der reinen Vernunft, in dem Vernunft sowohl Subjekt als Objekt sein kann. Die damit gegebenen logischen Schwierigkeiten in Kants Kritikbegriff hat zuerst Herder gesehen77. Da aber Vernunft nach Kant kein Gegenstand ist, der irgendwie als Objekt gegeben werden könnte, hat Kritik an der Vernunft einen von der Kritik an Sachen verschiedenen Sinn. Kritikabel wird die Vernunft nämlich erst im Gebrauch; und man darf wohl in der Vernunft nichts anderes sehen als die Einheit dieser Gebrauchsformen. Im Unterschied zu einem substantialistischen Vernunftbegriff ist bei Kant Vernunft immer nur in ihrer Wirkung. Es gibt also nicht zwei „Vernünfte", eine, die kritisiert und eine, die kritisiert wird; da Vernunft nicht nur und immer kritisiert, ist es sehr wohl möglich, daß sie kritisiert, was sie sonst, nämlich im spekulativen, transzendenten Vernunftgebrauch, der die Grenzen möglicher Erfahrung überschreitet, tut. Kritik an der Vernunft ist der kritische Gebrauch der Vernunft gegen andere Gebrauchsformen. Insofern hat H . Barth recht, wenn er sagt, „daß eine Kritik der Vernunft zwar alle ihre Urteile, nicht aber die Vernunft selbst in Frage stellen kann 7 8 ". Ähnlich urteilt M. Heidegger: „Kritik ist so der Vollzug der innersten Vernünftigkeit der Vernunft." 79 Daran ist zweierlei festzuhalten: erstens, daß Vernunft Vollzug ist, zweitens daß es Abstufungen der Vernünftigkeit der Vernunftvollzüge gibt, deren Extrem, weil an ihm sich die Vernünftigkeit anderer Vollzüge ausweisen muß, den Namen Kritik führt. Die Frage, ob denn nun der kritische Gebrauch der Vernunft selbst der Kritik unterG. Bien: Das Geschäft der Philosophie, p. 75. Cf. O. Marquard: Skeptische Methode im Blick auf Kant. Freiburg, München 1958, p. 88 f. ( = Symposion. Philos. Schriftenreihe). 7 7 J . G. Herder: Sämtliche Werke. Hrsg. v. B. Suphan. Hildesheim 1967 (Nachdr. d. Ausg. Berlin 1877 ff.), X X I , p. 18. 7® H . Barth: Philosophie der praktischen Vernunft. Tübingen 1927, p. 23. 7 9 Die Frage nach dem Ding, p. 96. 75

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worfen werden könne, hat sich Kant nie gestellt und ist in seinem Denken auch gar nicht möglich80. Erst wenn nicht mehr die Vernunft, sondern etwas anderes, ζ. B. das „Leben" als höchstes Prinzip gilt, kann der kritische Gebrauda der Vernunft einer Kritik unterworfen werden. Mit der Nicht-Lokalisierbarkeit der Vernunft, sei es in Individuen, sei es in Gruppen, hängt zusammen, daß es kein Monopol auf Kritik geben kann, d. h. die jeweiligen Resultate einer Kritik der Vernunft sind einer Kritik der Vernunft zugänglich. Dieser Zug des Kantischen Kritikbegriiis wird jedoch durch noch darzustellende andere Elemente überlagert und verdeckt. Die Frage, ob der kritische Gebrauch der Vernunft selbst der Kritik unterworfen werden könne, ist folglich nicht identisch mit der, ob die R e s u l t a t e der kritischen Methode nicht der Kritik unterworfen werden könnten, was ganz gewiß möglich ist 81 . c) Das „System" der Kritik Zur Zeit der Entstehung der „Kritik der reinen Vernunft" lehnte Kant den Gedanken ab, die Kritik sei eine Wissenschaft. Im Zuge der progressiven Verselbständigung und Hypostasierung des Kritikbegriffs geht er stets weiter von dieser Vorsicht ab. Sehr offensichtlich wird dieser Unterschied eines Verfahrens- zu einem Systemgedanken aus einer kleinen Verbesserung der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft". In der ersten Auflage hieß es: „Aus diesem allem ergiebt sich nun die Idee einer besondern Wissenschaft, d i e z u r K r i t i k der reinen Vernunft d i e n e n k ö n n e . " Die zweite Auflage korrigiert: „ . . . einer besondern Wissenschaft, d i e K r i t i k der reinen Vernunft h e i ß e n k a n n . " 8 2 Sicherlich am häufigsten ist die Bezeichnung der Kritik als Propädeutik oder Vorübung zu einer künftig zu liefernden Wissenschaft der Metaphysik oder einem System der Philosophie 83 . Dieser Gedankenkomplex kristallisiert sich in dem paradox klingenden Satz, daß das ja eben die Schwierigkeit der Kritik der reinen Vernunft sei, daß man sich in ein System hineindenken müsse, was noch nicht gegeben sei84. Diesen Stellen Sie wird von S. Maimon gestellt, ohne allerdings beantwortet zu werden. G. Krüger meint allerdings, eine solche Kritik der Kritik in der K d U erblicken zu können. S.: G. Krüger: Der Maßstab der Kantischen Kritik. — In: Kant-Studien X X X I X (1934), p. 186. Ebenso R. Odebrecht: Form und Geist. Der Aufstieg des dialektischen Gedankens in Kants Ästhetik. Berlin 1930, p. 12. 82 K r V A 10 f., KS IV, p. 22 und K r V Β 24, KS III, p. 42. Hervorhebung in dieser Form von mir. 83 K r V A 841, Β 869, KS III, p. 543, IV, p. 324. 8t KS IV, p. 274. 80 81

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stehen gegenüber solche, die die Kritik als systematische Wissenschaft bezeichnen85. Auf diese berief Kant sich später, als Fichte an die Kritik als Propädeutik eine Wissenschaftslehre als System anfügen wollte86. Was aber den Inhalt des Systems angeht, das die Kritik der reinen Vernunft darstellt, so ist es weder dogmatische Erweiterung, noch auch irgendeine Doktrin, sondern es ist „gleichsam ein System der Vorsicht und Selbstprüfung" 87 , das aus der Vernunft selbst und den Gegenständen ihres Gebrauchs zu errichten wäre 88 ; kritisches Denken hat keine Erkenntniskraft, weil ihm keine Gegenstände als Objekte gegeben sind89. D e r a u s s c h l i e ß l i c h n e g a t i v e N u t z e n macht die Kritik zu einer „Polizei der Vernunft" 90 , und seine Bedeutung für den Kritikbegriff und die Philosophie Kants kann kaum überschätzt werden91. In dem Begriff der Kritik als Polizei ist eine Vermittlung des Systembegriffs mit dem Verfahrensbegriff der Kritik zu vermuten. Polizei ist ein „System", das gleichwohl einer hervorstechenden Eigenschaft sonstiger sozialer „Systeme" ermangelt, Organisation zum Zweck der Produktion von etwas zu sein. Seine Funktion ist ausschließlich das „Verfahren" der Ordnungssicherung für solche „Systeme", die produzieren. Auch ist das Verfahren der Polizei für den Liberalen Kant nur prohibitiv; sie ordnet, wo Unordnung droht oder eintritt, nicht aber „produziert" sie Ordnung überhaupt. Es kann hier unmittelbar eine Erörterung der Metaphorik des Häuserbauens angefügt werden, weil in der Architektonik — selbst ein Grundbegriff bei Kant — eine Perfektion von Systemdenken gesehen werden kann. Die Vernunft hat eine Freude am Erbauen von Türmen. Doch oftmals hat sie das schön errichtete Gebäude wieder abgerissen, um das Fundament zu prüfen, ob es denn überhaupt tragfähig für ein solches Gebäude sei. Diese Grundlagenprüfung nennt Kant auch Kritik. Dogmatische Apologien aber vertrösten darauf, daß mit dem Fundament schon alles stimme,

85 86 87 88 89

1. c., p. 261. KS XII, p. 370 f. KrV A 711, Β 739, KS III, p. 468. ibd. Cf. R. Kroner: Von Kant bis Hegel. 2. Aufl., 2 Bde in 1 Bd. Tübingen 1961,

p. 135. μ KrV Β X X V , KS III, p. 16. 91 D a ß sie tatsächlich gemeinhin unterschätzt wird, betont H. Barth, indem er sagt, „daß der negativ-kritische Gehalt des Kritizismus in der modernen Metaphysik kaum eine seiner prinzipiellen Bedeutung angemessene Berücksichtigung findet." (Philosophie der praktischen Vernunft, p. 5) „Es zu erkennen, dazu bedarf es freilich eines scharfen Erfassens seines radikalen Sinnes." (p. 6).

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und weisen den besorgten Prüfer ab92. K r i t i k i s t a l s o u r s p r ü n g l i c h in einem wörtlichen Sinne d e s t r u k t i v , allerdings nicht um der Destruktion willen, sondern in Besorgnis eines sicheren Fundaments. Das verbindet Kant mit Bayle. Diese Besorgnis entspringt nicht einem architektonischen Perfektionismus, sondern der Tatsache, daß — um das Kantische Bild fortzuspinnen — Teile des Gebäudes bereits in Trümmer gefallen sind und Risse sich überall zeigen. — Später trägt die Metaphorik des Häuserbauens andere Gedanken: Kritik wird dargestellt als Bauzeug und Entwurf für ein künftig zu errichtendes Gebäude einer vollendeten Metaphysik; audi in diesem Wandel der Metaphorik enthüllt sich der Ubergang des Kritikbegriffs von einem Verfahrens- zu einem Systembegriff. Die Notwendigkeit einer Prüfung des Fundaments dieses dann zu errichtenden Gebäudes räumt Kant nicht mehr ein. Es komme später nur noch darauf an, das Haus in einem wohnlichen Zustande zu erhalten, damit sich keine Spinnen und Waldgeister in ihm einnisten93. Die bisherige Metaphysik ist nach Kant nur ein „Herumtappen" unter „bloßen Begriffen" gewesen94, also ein Begriffsspiel ohne objektiven Wert; sie kann am Maßstab der exakten Wissenschaften mit keinem Recht eine Wissenschaft genannt werden; oder wenn man sie als eine Wissenschaft definiert, muß man feststellen, daß es bisher noch gar keine Metaphysik gegeben habe. Angesichts der Ausweglosigkeit der Situation der Metaphysik gibt es nur eine Alternative: entweder Metaphysik überhaupt aufzugeben oder eine Kritik der reinen Vernunft vorzunehmen, die die Möglichkeit einer Metaphysik als evidenter Wissenschaft zu zeigen hätte 95 . Die erste Möglichkeit kommt deshalb nicht in Frage, weil es so etwas wie „Metaphysik als Naturanlage" gibt96 oder ein natürliches Interesse an der Metaphysik 97 . Es bleibt also nichts übrig, als die Metaphysik alten Stils eine Zeitlang auszusetzen und zuerst eine Prüfung ihrer Möglichkeit zu unternehmen 98 . Gäbe es eine gültige Metaphysik, so brauchte sie nur erlernt zu werden 99 ; dieses Argument, das im Prinzip alles Philosophieren aufhebt, darf meiner Ansicht nach, jedenfalls vor der Folie der Kritik als Verfahrensbegriff, nur als Anzeige der Unzulänglichkeit der bisherigen 92 93 94 95 96 97 98 99

KrV A 5, Β 10, KS III, p. 31, IV, p. 19. KS X X , p. 310. KrV Β XV, KS III, p. 11. KS IV, p. 371 f. KrV Β 21 f., KS III, p. 41. KS IV, p. 257. 1. c., p. 255. 1. c., p. 271.

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Metaphysik verstanden werden, nicht als konkreter Plan, die Metaphysik erlernbar zu machen 100 . Wenn aber die Kritik die Aussicht auf eine solche sichere Metaphysik eröffnet, so ist das eben nur eine Aussicht101. „Der Philosoph ist nur eine Idee." 102 Interessant ist auch, daß Kant noch im Stadium der Ausarbeitung der „Kritik der reinen Vernunft" das kritische Verfahren selbst als eine Methode der Metaphysik ansah 103 und seine „Kritik der reinen Vernunft" als „Metaphysik von der Metaphysik" bezeichnete104. Später kommt es immer mehr zu einer Trennung von Metaphysik und Kritik („daß es gar nicht Metaphysik ist, was ich in der Critic bearbeite") 105 und zu der historischen Reihenfolge: falsche, uneigentlich so genannte Metaphysik — Kritik — künftige evidente Metaphysik. Die eigentlichen Aufgaben der Metaphysik sind: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit, welche bisher nur dogmatisch behandelt wurden 106 . Eng an den Gegensatzbegriff zum Kritikbegriff, der alte Metaphysik heißt, ist der Begriff „Dogmatismus" geknüpft. Als klassisch f ü r Kant darf vielleicht die Unterscheidung aus der „Kritik der Urteilskraft" gelten: „Wir verfahren mit einem Begriffe (wenn er gleich empirisch bedingt sein sollte) dogmatsich, wenn wir ihn als unter einem anderen Begriffe des Objects, der ein Princip der Vernunft ausmacht, enthalten betrachten und ihn diesem gemäß bestimmen. Wir verfahren aber mit ihm bloß kritisch, wenn wir ihn in Beziehung auf unser Erkenntnißvermögen, mithin auf die subjectiven Bedingungen ihn zu denken betrachten, ohne es zu unternehmen über sein Object etwas zu entscheiden. Das dogmatische Verfahren mit einem Begriff ist also dasjenige, welches für die bestimmende, das kritische das, welches bloß f ü r die reflectirende Urtheilskrafl: gesetzmäßig ist." 107 Schon in der Zeit der Vorbereitung der „Kritik der reinen Vernunft" tritt bei Kant der Begriff des Skeptizismus hinzu. Einen Beleg f ü r 100 D a s belegt audi KrV: „Denn irgend eine Metaphysik ist immer in der Welt gewesen und wird auch wohl ferner, mit ihr aber auch eine Dialektik der reinen Vernunft, weil sie ihr natürlich ist, darin anzutreffen sein." (Β X X X I , KS III, p. 19) Hier spricht der Realist Kant, der nicht die Zukunft unter ein Ideal der Vernunft stellt, ιοί KS IV, p. 366. l° 2 I. Kant: Vorlesungen über Enzyklopädie und Logik. Bd. 1: Vorlesungen über Philosophische Enzyklopädie. Berlin 1961, p. 34. 103 z . B . l . c . , p . 6 8 . 104 Brief an M. Herz vom 11. 5. 1781, KS X , p. 269. 105 Brief an Garve vom 7. 8. 1783, KS X , p. 340. 106 KrV Β 7, KS III, p. 31. Die historischen Interpretationsmöglidikeiten des Verhältnisses von Kritik zu Metaphysik stellt G. Krüger dar (Der Maßstab der Kantischen Kritik, p. 157). 107 KS V, p. 395.

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diese Unterscheidung darf ich vielleicht ebenso kommentarlos danebensetzen, weil er für sich selbst sprechen kann. „Unter dem D o g m a t i s m der Metaphysik versteht diese nämlich: das allgemeine Zutrauen zu ihren Principien o h n e vorhergehende K r i t i k des Vernunftvermögens selbst blos um ihres Gelingens willen: unter dem S c e p t i c i s m aber das ohne vorhergegangene Kritik gegen die reine Vernunft gefaßte allgemeine Mißtrauen blos um des Mißlingens ihrer Behauptungen willen. Der Κ r i t i c i s m des Verfahrens mit allem, was zur Metaphysik gehört, (der Zweifel des Aufschubs) ist dagegen die Maxime eines allgemeinen Mißtrauens gegen alle synthetische Sätze derselben, bevor nicht ein allgemeiner Grund ihrer Möglichkeit in den wesentlichen Bedingungen unserer Erkenntnißvermögen eingesehen worden." 108 Modifiziert wird dieses Verhältnis erst in der späteren Philosophie Kants (ab 1787). Er plant nach der „Kritik der Urtheilskraft" den Ubergang zur Doktrin 1 0 9 ; er nennt sein Vorhaben jetzt sogar dogmatisch 110 . Durch diese Aufhebung der negativen Wertung des Wortes „dogmatisch" wird zugleich der Kritikbegriff historisch relativiert, ja mehr noch, es wird suggeriert, „Kritik" sei jetzt abgeschlossen. Dieses Vorgehen Kants werde ich später als Usurpation des Kritikbegriffs näher darstellen. Stets scheidet Kant den oben dargestellten Skeptizismus von der skeptischen Methode 111 : Der Skeptizismus steht in Opposition zum Kritikbegriff, die skeptische Methode aber gehört zum Inventar dessen, was mit Kritik gemeint sein kann. In der Enzyklopädie-Vorlesung werden Kritik und skeptische Methode sogar noch in der Art des frühen Verfahrensbegriffs der Kritik identifiziert 112 . Doch sie bleibt auch später ein notwendiges Charakteristikum der Kritik. „Die sceptische Methode ist die, durch aufbietung aller Gründe v o r und d a w i e d e r die Sache zum Spruch fertig zu machen." 113 D a ß Kritik sich gegen anerkannte Autoritäten wendet, ist Gemeingut der Aufklärung 1 1 4 und so auch Kants, nur daß zu diesen kritikablen Autoritäten eben seit Kant mehr gehören, nämlich solche, die bisher die Ausgangsbasis der Kritik bildeten, so daß man Kants Kritik audi unter los 109 "Ο in

KS VIII, p. 266 f. KS V , p . 170. Brief an Jakob vom 11.9.1787, KS X, p. 494; KS VI, p. 284. ζ. B. KrV A 507, Β 535, KS III, p. 348 und A 423 f., Β 451 f , KS III, p. 292 f. I. Kant: Vorlesungen über Philosophische Enzyklopädie, p. 53. 113 Reil. 2650, KS XVI, p. 450. 114 Cf. K. Röttgen: Autorität. — In: Hist. Wb. Philos. I, Sp. 730; K. Röttgers: Kritik zwischen System und Produktion: Lessing, p. 205.

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dem Aspekt einer S e l b s t k r i t i k a u f k l ä r e r i s c h e r K r i t i k sehen kann. War die dogmatische Metaphysik in der Aufklärung — jedenfalls a u c h — dadurch entstanden, daß sich die Aufklärung eine sichere Basis zur Anfechtung kirchlicher Machtsprüche entwickelte, so entlarvt Kant sie selbst als ein System ungerechtfertigter Machtsprüche, das sich Urteile über Dinge erlaubt, die außerhalb seiner Verfügung liegen. Die allgemeine Einstimmung (Konsens) in bestimmte dogmatische Sätze kann ebensowohl für wie auch gegen die Wahrheit ihrer Inhalte sprechen, indem sie Resultat einer kollektiven Trägheit des unaufgeklärten Denkens sind. Ebenso hat die Philosophie eben keine absoluten Klassiker, deren Denkresultate als Beweise für die Richtigkeit der eigenen Gedanken herangezogen werden könnten, und die „Belesenheit im Plato" gehört „nur zur Cultur des Geschmacks115". So gelten bei Kant die Argumente der „vielen oder der besten" der aristotelischen Topik nicht mehr als Autoritätsstabilisatoren. Große Männer haben in der Geschichte der Philosophie oft mehr Schaden angerichtet als Nutzen, weil sie dazu beitrugen, daß durch ihre sektiererischen Anhänger die Entscheidung für die eine Seite eine Zeitlang unbezweifelt war, und damit die Kritik zeitweilig erstickten116. Sie funktioniert allerdings nicht nur philosophieimmanent, sondern auch als Kritik der anderen Wissenschaften; und die anderen Wissenschaften sind ständig durch die kritische Instanz Philosophie verunsichert117. Als Gegenstände der Kritik gehören alle Gegenstände zur Philosophie, auch wenn die Dogmatik über diese Gegenstände in Einzelwissenschaften gehört. Die Wissenschaftler, deren Gesichtskreis nicht durch Kritik ihres Tuns erweitert ist, nennt Kant Zyklopen, denen man ein zweites Auge geben müsse. „Das zweyte Auge ist also das der Selbsterkenntnis der Menschlichen Vernunft, ohne welches wir kein Augenmaas der Größe unserer Erkenntnis haben." 118 Abzugrenzen von dem Kritikbegriff ist der Begriff der Zensur bei Kant. Ganz allgemein ist Zensur eine „Kritik, die Gewalt hat" 119 . Neben diese formale Unterscheidung tritt dann aber audi die inhaltliche, daß sich die Zensur auf einzelne Verirrungen bezieht120, die Kritik über"5 KS VIII, p. 403. 116 I. Kant: Vorlesungen über Philosophische Enzyklopädie, p. 51; KS VIII, p. 247. 117 KS VII, p. 27 f. u s Reil. 903, KS XV, p. 395. 119 KS VI, p. 8. 120 KrV A 711, Β 739, KS III, 467; KrV A 760, Β 788, KS III, p. 497.

Strukturen eines radikalen Kritikbegriffs bei Kant

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mittelt darüberhinaus die Quelle, aus der diese Verirrungen bzw. auch Systeme von Verirrungen entsprängen121. Im letzteren Falle entfaltet die Kritik eine negative Gesetzgebung, die Kant Disziplin der Vernunft nennt. „Man nennt den Z w a n g , wodurch der beständige Hang von gewissen Regeln abzuweichen eingeschränkt und endlich vertilgt wird, die D i s c i p l i n . " 1 2 2 Der Inbegriff der Grundsätze des richtigen Gebrauchs der Vernunft heißt der Kanon der reinen Vernunft 123 , der von der Kritik der reinen Vernunft zumindest vorbereitet wird124. Die Hoffnung aber, ein Organon (Werkzeug) zur Hervorbringung metaphysischer Erkenntnisse zu erhalten, muß enttäuscht werden. Ein solches Verfahren führte nur zu immer neuen dialektischen Schlüssen. Ein Motiv der kritischen Methode ist bisher nur beiläufig erwähnt worden, das aber neben Grenzziehung und Quellenuntersuchung als gleichberechtigt zumindest für den mittleren Kant gelten darf: die Suspendierung des Urteils bis zur Klärung der Frage, ob eine solche Frage möglich ist. Dazu sagt Kant: „Ich suche die Ehre des Fabius Cunctator." 125 d) Kritik im Bereich der Religionsphilosophie

und der

Ästhetik

Das Problem „Kritik und Religion", ein altes Thema der Aufklärung, nimmt bei Kant zunächst scheinbar nicht die Form einer Religionskritik an, sondern eine Befestigung der Religion gegen ihre Gegner. Indem aber zu diesen Gegnern die spekulativ-dogmatischen Theologen gerechnet werden, hat diese scheinbare Apologie der Religion gegen ihre Feinde die protestantische Form einer Kritik der gegenwärtigen Religionsausübung und des Rückgangs auf die Quellen, was der Religionskritik Kants formale Ähnlichkeit mit der Kritik der praktischen Vernunft verleiht. Die Quelle der Religion ist bei Kant aber nicht die Bibel, deren Beliebigkeit der Interpretation die etwas naive Hoffnung nimmt, in dem „reinen" Evangelium die „reine" Religion einst darstellen zu können. Die reine Religion Kants ist eine Vernunftreligion; denn nachdem die Kritik einmal ihre alles beherrschende Stellung in der Welt des Geistes etabliert hat, hat die Religion nur dann noch eine Hoffnung, eine gegen Angriffe gesicherte Position zu behaupten, wenn sie sich auf die Seite der Vernunftkritik stellt. Insbeson-

121 122 123 124

Ebenso G. Krüger: Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik, p. 163. KrV A 709, Β 737, KS III, p. 466 f. KrV A 796, Β 824, KS III, p. 517. KrV Β 26, KS III, p. 44.

125 KS XX, p. 175.

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dere hat jeder einzelne Mensch das Recht, die Religion zu prüfen, weil sie ihn individuell bindet 1 2 6 . Nun hat aber der gegenwärtige Staat ein Interesse daran, eine gewisse Religionsausübung in seinem Territorium für verbindlich zu erklären 1 2 7 ; diesem Staatsinteresse hat sich der Untertan zu fügen 1 2 8 . Jedoch hat sich der Staat offenzuhalten für eine Kritik, die letzten Endes in die universale Vernunftreligion einmünden wird. Die religiöse Zensur aus Sorge um das Seelenheil der der privilegierten Kirche vom Staate anvertrauten Gläubigen ist nur provisorisch legitim, aus Sorge um die Wissenschaften war sie immer schon illegitim 129 . A. Baeumler hat gezeigt 130 , wie bei K a n t der Plan einer Kritik des Geschmacks zur Kritik der ästhetischen Urteilskraft führt. Die Kritik des Geschmacks war, wie ich gezeigt habe, die Quelle von Kants Kritikbegriff überhaupt. Dieser archaische Kritikbegriff wird in der „Kritik der Urteilskraft" wiederbelebt, wenn es heißt, die Kritik des Geschmacks sei eine Kunst 1 3 1 . Doch mit dieser Kritik hat K a n t es in der „Kritik der Urteilskraft" gar nicht zu tun, sondern nur mit der transzendentalen Kritik, die eine Wissenschaft ist, die „die Möglichkeit einer solchen Beurtheilung von der Natur dieser Vermögen, als Erkenntnißvermögen überhaupt, ableitet" 1 3 2 . Die eigenartige Geschichte des Kritikbegriffs bei Kant, die von einer Analogie von ästhetischer und logischer bzw. metaphysischer Kritik ausgeht, in der „Kritik der reinen Vernunft" zu einer autonomen Wissenschaft wird und so die ästhetische Kritik, die j a nur Kunst ist, hinter sich läßt, gerät in der „Kritik der Urteilskraft" in eine Kollision der beiden Kritikbegriffe, wobei K a n t es hier nur mit der transzendentalen Kritik zu tun haben will. K r i t i k w i r d i m m e r m e h r zur ausschließlichen Darstellung der Quelle. Das rückt Kants späten Kritikbegriff formal in die N ä h e des philologischen Kritikbegriffs, ohne daß dieses allerdings von K a n t selbst bemerkt und reflektiert würde. 126 KS XX, p. 433.

127 Welcher Art dieses Interesse ist, schildert K. Wolzendorff: Der Polizeigedanke des modernen Staates. Ein Versudi zur allgemeinen Verwaltungslehre unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Preußen. Aalen 1964, p. 38 f. (Neudr. d. Ausg. Breslau 1918).

128 KS XX, p. 433.

129 KS VI, p. 8. 1 3 0 A. Baeumler: Das Irrationalitätsproblem in der Ästhetik und Logik des 18. Jahrhunderts bis z