Die Cistercienserabtei Arnsburg in der Wetterau: Geschichte und Beschreibung des Klosters zugleich Führer durch die Ruine [Reprint 2019 ed.] 9783111553337, 9783111183725

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German Pages 61 [64] Year 1895

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Die Cistercienserabtei Arnsburg in der Wetterau: Geschichte und Beschreibung des Klosters zugleich Führer durch die Ruine [Reprint 2019 ed.]
 9783111553337, 9783111183725

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Inhalt
Abbildungen
Vorwort
Geschichte des Klosters Arnsburg
Beschreibung des Klosters Arnsburg

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Vorwort

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G e s c h i c h t e des K l o s t e r s A r n s b u r g . Die Cistercienser Geschichte von Arnsburg B e s c h r e i b u n g des K l o s t e r s A r n s b u r g . Die Bauten der Cistercienser Wanderung durch die Ruine

Abbildungen. Rekonstruktion der Kirche (Titelbild). Blick in die Ruine. Grabstein des Johannes von Falckenstein. Grundriss des Klosters.

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Vorwort. Die Veranlassung zu diesem Schriftchen gab das von Besuchern Arnsburgs wiederholt geäusserte Verlangen nach einem handlichen Führer; doch möchte es etwas mehr als ein solcher sein. Kunstdenkmäler von der Bedeutung der Arnsburger Klosterbauten bilden fiir ihre nähere Umgebung ein hervorragendes Lehrmittel; will man es aber seinem Werte gemäss nutzbar machen, so muss man dem Besucher schon etwas mehr zumuten als bequeme Befriedigung einer flüchtigen Neugier. Darum durfte das geschichtliche Bild des Ordens, der hier gehaust und gebaut hat, nicht zu dürftig ausfallen, und die Beschreibung des Erhaltenen konnte sich auf manche Einzelheiten erstrecken, die nur angesichts des Monumentes selbst schnell verständlich werden. Wer über Arnsburg und die Cistercienser noch genauere Belehrung wünscht, findet sie für das rein Geschichtliche bei Winter, die Cistercienser des nordöstlichen Deutschlands, 1868—71 und Ebel, Geschichte des Klosters Arnsburg I (in den Mitteilungen des

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Oberhess. Geschichtsvereins IV, 1893), welche Abhandlung dem ersten Teil dieser Schrift im wesentlichen zu Grunde liegt, für das Baugeschichtliche bei Dehio und v. Bezold, die kirchliche Baukunst des Abendlandes Bd. I (1892), S. 517 ff. und in der sorgfaltigen Monographie von A. Matthaei, Beiträge zur Baugeschichte der Cistercienser mit besonderer Berücksichtigung der Abteikirche zu Arnsburg in der Wetterau, 1893. Der Grundriss ist in der Hauptsache nach Moller-Gladbach, Denkmäler der deutschen Baukunst III Taf. 52 und S. 15, mit Korrekturen nach Matthaei's und eigenen Untersuchungen, von dem Verfasser des beschreibenden Teils gezeichnet. Die nach dem Moller-Gladbach'schen Werk wiederholte Rekonstruktion F. H. Müllers (von 1833) ist nicht unanfechtbar, giebt aber vom Wichtigsten, der Form des Chorschlusses, ein so treffendes Bild, dass auf eine völlig neue Rekonstruktion verzichtet werden konnte. Möge unsere Arbeit dazu beitragen, einem der interessantesten und ehrwürdigsten Denkmäler mittelalterlicher Baukunst neue Freunde zuzuführen. Griessen, im Februar 1895.

B. Sauer.

C. Ebel.

Die Cistercienser. D e r Orden der Cistercienser verdankt seine Entstehung dem Bestreben, das alte strenge Leben nach der Regel des heiligen Benedict wieder herzustellen. Schon früher, als die Klosterzucht infolge des Reichtums der französischen Klöster dort in Verfall geraten war, war der Orden der Cluniacenser mit den gleichen Zielen erstanden und im 10. Jahrhundert zu gewaltiger Macht emporgeblüht. Seit dem 11. Jahrhundert war wiederum, besonders bei den Benedictinern, aus denselben Gründen wie ehemals eine Entartung des Klosterlebens eingetreten, die Bischof Anselm von Havelberg in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit den schärfsten Worten geisselte. Trägheit und Genusssucht waren die Untugenden, die die Mönche beherrschten und zur Quelle der schlimmsten Ausschreitungen wurden. Der spätere Orden von Cisterz sollte in seinen Uranfängen nicht eigentlich ein neuer Orden, als vielmehr eine Verjüngung der Benedictiner sein. Ein von der Verwerflichkeit des Lebens und Treibens seiner Brüder überzeugter Mann, Robert von St. MichelTonnère hatte in der Einöde von Molesme (a. d. Seine, départ. Côte d'or) ein Kloster gestiftet, um dort in strenger Beobachtung der Regel Benedicts zu leben. Allein bald floh er auch von dort vor der einreissenden



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Verderbnis und begab sich i. J . 1098 mit 20 Gefährten in das Waldthal von Cisteaux, Cistercium (bei Dijon, départ. Côte d'or). Hier führten diese Männer ein Leben der Armut und Entsagung, das sie auch nicht aufgaben, als ihr Oberhaupt schon im folgenden Jahre zur Rückkehr nach Molesme gezwungen wurde. Die Achtung, die sich die neue Kongregation erwarb, verschaffte ihr zwar i. J . 1100 von Paschalis II. eine Schutzbulle, aber doch schienen ihre Tage gezählt zu sein, da ihnen ihr strenges, asketisches Einsiedlerdasein keinen neuen Zuwachs zuführte. In dem Retter, der der Kongregation in dieser Not erstand, wurde ihr gleichzeitig ein Reorganisator, der ihren Bestrebungen ganz neue Bahnen wies. Im Jahre 1113 meldete sich der junge Graf Bernhard von Chatillon mit dreissig Gefährten zur Aufnahme in den Orden. Der Feuergeist, der die Predigten des jungen Mönches durchwehte, das Ansehen der Familie, der er entstammte, führten Scharen auf Scharen seinem Kloster zu und schon zwei Jahre nach seinem Eintritt konnte Cisteaux das vierte Tochterkloster entsenden, Clairvaux, clara vallis (départ. Ober-Marne zwischen Troyes und Chaumont), zu dessen Abt der erst 25jährige Bernhard erwählt wurde. Dieser machtvollen Persönlichkeit haben die Cistercienser das Emporblühen ihres Orden zu verdanken. Mit staunenswerter Schnelligkeit vermehrte sich die Zahl ihrer Klöster. Nach Nord und Süd, nach Ost und West wanderten ihre Sendboten, und um die Mitte des 13. Jahrhunderts zählte der Orden 1800 Abteien. Damit aber eine so ausgedehnte Gemeinschaft nicht des inneren Zusammenhalts enthehre und dem Verfall nicht Thor und Thür geöffnet sei, musste eine Regierungsform gefunden werden, die bei aller den einzelnen Klöstern verstatteten Freiheit doch eine strenge Kontrolle ermöglichte. Den Grund zu einer



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solchen Verfassung legte bereits 1118 der Engländer Stephan Harding, Abt von Cisteaux, in der charta caritatis, dem Gesetz der christlichen Liebe. Der Hauptgedanke dieser trefflichen Schöpfung war der, dass jeder neugegründete Konvent in ein Abhängigkeitsverhältnis (Filialverhältnis) zu dem Kloster, das ihn entsandte, zu treten habe. Der Abt des Mutterklosters hatte nicht allein das R e c h t , sondern auch die P f l i c h t der Aufsicht über das Tochterkloster, die Visitation. An der Spitze des Gesamtordens stand Cisteaux, in dessen Mauern sich alljährlich einmal die Äbte sämtlicher Ordensklöster unter Vorsitz des Abtes von Cisteaux zum grossen Ordenskapitel zu versammeln hatten, um über Ordensangelegenheiten zu beraten, Streitigkeiten zwischen den einzelnen Konventen zu schlichten, Strafen zu verhängen u. s. w. Jeder Abt war gezwungen, zu diesen Versammlungen zu erscheinen. Nur Krankheit oder allzugrosse Entfernung entschuldigte das Fernbleiben, doch war im letzteren Falle geboten, alle drei Jahre wenigstens das Kapitel zu besuchen. Die Hauptthätigkeit der Cistercienser bestand ursprünglich im Betreiben der Landwirtschaft. Sie wollten nicht Priester, sondern Mönche sein und alles, was sie zum Lebensunterhalt brauchten, durch ihrer Hände Arbeit erwerben. So trieben sie Ackerbau, Weinbau und Viehzucht. Manche Gegenden, wie z. B. Mecklenburg, verdanken den Cisterciensern erst die Gründung ihrer Acker- und Viehwirtschaft. Den Weinbau kultivierten sie in Gebieten, wo wir ihn heute nicht mehr haben, und von Heisterbach melden die Chroniken, dass dieses Kloster ganze Schiffsladungen Wein nach fernen Ländern gesandt habe. Dass solche Thätigkeit auch ihre Anerkennung gefunden hat, beweist die Erzählung des Cäsariiis von Heisterbach, dass viele Grosse des Reichs sich von verschiedenen



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Klöstern des Ordens Laienbrüder ausgebeten haben, um sie ihren Gütern als Verwalter vorzusetzen. Aber mit der Zeit blieb der Orden doch nicht auf diese stille Thätigkeit beschränkt. Mit dem Eintritt Bernhards, den die Welt als den geistesgewaltigen Förderer des zweiten Kreuzzugs kennt, begann die grosse, weltgeschichtliche Bedeutung der Cistercienser. Es war Bernhards Geist, der „sich des Mönchtums bemächtigte und die ganze abendländische Kirche beherrschte". Diese Thatsache musste natürlich ihre Rückwirkung auf die öffentliche Stellung des ganzen Ordens äussern. So sehen wir denn auch bald Fürsten bei den Cisterciensern das Gelübde ablegen, Bischöfe, wie Otto von Freising u. a., Päpste, wie Eugen III. und Benedict XII., aus ihren Reihen hervorgehen. Trotz Clugny waren die Cistercienser der mächtigste Orden geworden, sodass Fürsten und Päpste sich um ihre Gunst bewarben; denn „wenn Cisteaux eine Sache befürwortete oder in die Hand nahm, so war es die Sache der Kirche". Diese Machtstellung erhielt sich bis tief in das 14. Jahrhundert hinein. Erst von da ab begann mit dem Verfall der Klosterzucht auch der Rückgang der politischen Bedeutung des Ordens. Auch in anderer Beziehung machte sich ein Wandel bemerkbar. Ursprünglich hatten die wissenschaftlichen Studien der Cisterciensermönche nur sekundäre Bedeutung, auch die Beschäftigung mit den Künsten war gleich jenen auf das äusserste Mass beschränkt. Mit dem Wachsen des Reichtums der Ordensklöster aber, besonders seit der erwähnten Zeit des Verfalls, zogen sich die Mönche von der schweren körperlichen Arbeit immer mehr zurück, indem sie diese den zahlreichen Conversen ganz überliessen. Dafür wandten sie sich der Beschäftigung mit den Wissenschaften zu, bis das Generalkapitel, das einst diesen eine ganz untergeordnete Stellung angewiesen hatte, nunmehr die Sendung der



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Mönche zum Studium auf Universitäten anempfahl. Wie diese Verfügung den alten Gesetzen des Ordens nicht entsprach, so mehren sich die Verordnungen, die ihnen sogar schnurstracks zuwiderlaufen. Zwar fehlt es nicht an Versuchen des General kapitels, durch scharfe Erlasse den Orden zu reformieren, ebensowenig wie an Versuchen einzelner Kongregationen, das alte strenge Leben nach der Regel wieder einzuführen, aber alle diese Bemühungen waren vergebens; 1485 musste das Generalkapitel den Fleischgenuss am Sonntag, Dienstag und Donnerstag durchgängig gestatten, was einem Aufgeben des Widerstandes sehr ähnlich sah, und die Kongregationen, die eine Reformation in ihrem Schosse versuchten, bröckelten nach und nach vom Gesamtorden ab. Die grosse weltgeschichtliche Rolle des Ordens von Cisterz war ausgespielt.

Geschichte yon Arnsburg. J n der letzten Hälfte des 12. Jahrhunderts hielt der Orden der Cistercienser seinen Einzug in Oberhessen, wo er im Laufe der Zeit vier Klöster, deren erstes A r n s b u r g war, besiedelte. Wie in der grossen Welt die Cistercienser den Orden des heiligen Benedict verdrängt und seinen Platz eingenommen hatten, so geschah es auch hier im kleinen. Der Besitzer des Schlosses Arnsburg, Konrad von Hagen und Arnsburg, der in Urkunden „regni ministerialis" genannt wird, hatte i. J . 1151 an der Stelle des ehemaligen Römerkastells Altenburg, eine Viertelstunde südwestlich von Arnsburg, ein Kloster gestiftet und dem Orden des heiligen Benedict übergeben, der es durch Abt Nikolaus von Siegburg mit einem Konvent besetzen liess. Heute ist von dieser Abtei nur noch die im Herbst 1893 mitten im Römerkastell ausgegrabene Grundmauer des Chors der Kirche erhalten. An der Stelle, wo ein Birnbaum sein stattliches Geäst gen Himmel streckt, muss einst der Altar gestanden haben. Das Kloster Altenburg, das von seinem Stifter mit genügendem Besitze begabt war, vermochte sich nur 2 3 Jahre zu behaupten. Kuno, von Münzenberg genannt, der Sohn Konrads von Arnsburg, überzeugte sich bald, dass der Konvent mehr zurück als vorwärts käme, „magis deficere, quam proficere", wie



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die Arnsburger Stiftungsurkunde besagt. Wenn er den Entscliluss fasste, an Stelle der Benedictiner einen Cistercienserkonvent für die Stiftung seines Vaters zu gewinnen, so mochte ihn dazu einerseits die hohe Blüte, in der der Orden von Cisterz damals stand, veranlassen, andererseits mochte er sich von einer Verbindung mit diesem Orden Vorteile anderer Art versprechen, da er den Einfluss, den die Häupter desselben am kaiserlichen Hofe übten, als Freund Friedrich Barbarossas gewiss zu schätzen verstand. Nachdem es ihm gelungen war, den Abt zu Altenburg für Geld und gute Worte zum Rückzug zu bewegen und die Stiftung seines Vaters mit allen ihr inzwischen erteilten Privilegien zur freien Verfügung in Händen zu haben, setzte er sich zu Kaiserslautern, wo sich Kaiser Friedrich im Februar 1 1 7 1 aufhielt, mit dem am kaiserlichen Hoflager weilenden Abt Pontius von Clairvaux in Verbindung und erlangte von diesem die Zusage der Entsendung des erbetenen Konvents umso leichter, als er das Schloss seiner Väter zum Sitze desselben bestimmt hatte. Kunos Vater nämlich hatte von dem Hochstift Fulda gegen andere Güter den Berg Münzenberg eingetauscht. Dort war der Bau eines Schlosses begonnen und gerade jetzt vollendet worden. Nachdem Kuno in seinen neuen Wohnsitz übergesiedelt war, versammelte er am 16. Juli 1 1 7 4 eine glänzende Gesellschaft und übergab feierlich dem Cistercienserorden in die Hände des Abtes G e r h a r d v o n E b e r b a c h , der den Auftrag zur Entsendung des Konvents erhalten hatte, seine Stiftung frei von jeder weltlichen Gewalt und Gerichtsbarkeit. Etwa drei Stunden südöstlich von Giessen, drei Viertelstunden südwestlich von Lieh in der Niederung des Flüsschens Wetter, von dem der ganze Gau den Namen Wetterau führt, liegt A r n s b u r g . Von dem stolzen Gebäudekomplex, dessen Kirche zu den



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bedeutendsten Schöpfungen mittelalterlicher Baukunst gehört, sind uns heute nur wenige Reste erhalten. Über die geborstenen Mauern nicken die Wipfel der Bäume, und da, wo einst der Fuss des Mönches über mächtige Steinplatten zur Messe schritt, deckt heute üppiger Graswuchs den Boden. Die Stätte, auf der das Kloster erbaut wurde, liegt an der alten römisch-germanischen Grenze auf römischem Gebiet. Die unmittelbare Nähe des Pfahlgrabens, die grosse Anzahl sich hier kreuzender Römerstrassen liessen im Verein mit zahlreichen römischen Funden in früherer Zeit die Annahme entstehen, dass hier ein Römerkastell gestanden habe, woraus denn auch der Name = Castrum aquilae (vom römischen Feldadler) erklärt wurde. Beide Annahmen sind irrig; ein Römerkastell hat hier niemals gestanden und der Name ist als „Arnoldsburg", Burg des Arnold, zu erklären. Die Lage des Ortes entsprach ganz den Bestrebungen der Cistercienser, sich in Thälern und der Landwirtschaft günstigen Gegenden anzusiedeln. Doch muss über dem Beginnen des Konvents, der im Sommer 1174 mit Abt R u t h a r d an der Spitze in Arnsburg eingezogen war, kein guter Stern gewaltet haben. Denn alle Nachrichten über das neugegründete Kloster verstummen vom Zeitpunkt der Besiedelung ab, und erst i. J . 1197 erscheint der Name Arnsburg in den Chronologien des Cistercienserordens. Der Konvent war kurz nach seinem Einzug wieder in den Schoss des Mutterklosters Eberbach zurückgekehrt, um 1197 aufs neue auszuziehen und unter Abt M e n g o t seine Thätigkeit in Arnsburg wieder aufzunehmen. Von nun ab ist die Geschichte des Klosters in der Hauptsache die Geschichte seiner Güter. Niemals hat der Name des Klosters eine Rolle in der Geschichte gespielt. Sein Ehrgeiz und sein Streben waren allein auf die Verwaltung seines im Laufe der Zeit gewaltig



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anwachsenden Vermögens, d. h. auf die Bewirtschaftung seiner Güter, gerichtet. Dass es hierin Mustergültiges geleistet hat, dafür bürgt schon der Name der Cistercienser. Hierdurch aber hat es wenigstens in den ersten drei Jahrhunderten seines Bestehens einen grossen und guten Einfluss auf die landwirtschaftlichen Verhältnisse Oberhessens, vornehmlich der Wetterau gewonnen, wenn wir auch andererseits nicht verkennen wollen, dass die Vereinigung eines so bedeutenden Grundbesitzes in einer Hand ernste Bedenken erwecken musste. Die Kraft zu dem starken Aufschwung, den das Kloster nehmen sollte, verdankt es dem Nachfolger Mengots, dem thatkräftigen Meffried. Dieser war, ehe er den Arnsburger Stab übernahm, Abt zu Eberbach. Was ihn veranlasste, die Abtwürde eines so bedeutenden Klosters mit derjenigen einer Filiale zu vertauschen, wissen wir nicht, jedenfalls aber kam er zu einer Zeit nach Arnsburg, in der eine energische Hand sehr notwendig war. Denn der Vermögensstand des Klosters war damals kein glänzender und scheint noch dazu durch Gewaltthätigkeiten nicht nur Weltlicher, sondern auch Geistlicher geschädigt worden zu sein. Grosse Schenkungen waren in dieser ersten Zeit nicht an das Kloster gelangt, wohl aber verstand es Meffried, gerade solche Güter zu erwerben, die vermöge ihrer Lage zu einer einheitlichen Entwicklung des Grundbesitzes beitrugen, oder dem Kloster Etappen gewannen, auf die gestützt, es auch in weiterer Entfernung festen Fuss fassen konnte. Ferner erlangte Meffried schon vor 1209 vom römischen Stuhl das vorteilhafte Vorrecht, dass die Abtei von den Gütern, die sie selbst bebaue, keinerlei Zehnten zu geben brauche und ebenso vom Blutzehnten entbunden sein solle. Die Bulle, die Honorius III. am 21. Mai 1219 dem Kloster verlieh, war nichts anderes als eine für Arnsburg bestimmte



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Ausfertigung des grossen Ordensprivilegs der Brüder von Cisterz, erwies sich aber in der Folge für die Geltendmachung des Rechts der Befreiung vom Zehnten und von anderen Abgaben als sehr nützlich. Den päpstlichen Privilegien folgten königliche, landesherrliche und solche von geistlichen Fürsten. Letztere bedachten die Abtei besonders mit Indulgenzbriefen, die ganz hübsche Beiträge zur Füllung des weiten Klostersäckels lieferten. Auch die Zusicherung weltlichen Schutzes sollte dem Kloster nicht ausbleiben. Man könnte vielleicht erwarten, dass der Kaiser, um einen Sehutzbrief angegangen, das mächtige Geschlecht der Münzenberger, das j a das Kloster gegründet hatte, zu dessen Hütern bestellt hätte, aber das geschah nicht. Durch Urkunde vom 10. August 1219 stellte Friedrich II. Arnsburg unter den Schutz der Burg Friedberg. Dies geschah vielleicht deshalb, weil der Burggraf von Friedberg das Geleite durch die Wetterau vom Mohrenberg bis zum Hessenbrücker Hammer hatte, dann wohl auch, um den Schein eines Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Kloster und Stiftern zu vermeiden. Zur Anerkennung dieses Schutzverhältnisses musSte die Abtei jährlich ein Paar Stiefel und ein Stück grauen Tuches nach Friedberg senden, ein Brauch, der noch im Jahre 17G6 und wahrscheinlich bis zur Aufhebung des Klosters geübt wurde. Zu dem weltlichen Schutz gesellte sich einige Jahre später der geistliche, den Honorius III. durch Bulle vom 3. Februar 1223 dem Fürstabt von Hersfeld übertrug. Der Papst erfüllte hierdurch die Bitte des Abtes Heinrich I., der sich an ihn um Hilfe gegen die Rechtsverletzungen von seiten einiger Weltgeistlichen gewandt hatte. Dieser geistliche Schutz hatte dem weltlichen gegenüber seine Vorzüge, denn der Fürstabt erhielt dabei den Befehl, jeden, der das



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Kloster schädige und keinen Schadenersatz leiste, zu excommuniciren, seien es aber Personen geistlichen Standes, dieselben von Amt und Würden zu suspendiren, beidemal solange, bis der Schaden ersetzt sei. Dörfer, in denen Schädigungen des Arnsburger Klostergutes vorkommen, sind mit viertägigem Interdikt zu belegen. Ob diese Bestimmungen in ihrer ganzen Strenge durchgeführt worden sind, ist nicht zu ergründen, jedenfalls aber haben sie dem Kloster viel genützt. Denn wo Reichtum, da ist auch Neid. Der stetig wachsende Besitz wurde den Klöstern bei aller religiösen Gesinnung der damaligen Zeit nicht immer gegönnt und die Urkunden erzählen uns von einer grossen Anzahl Prozesse, in denen den Mönchen mit der ganzen Zähigkeit des eingeborenen Wetterauers und Vogelsbergers irgend ein Besitztitel streitig gemacht wurde. So war z. B. die Familie von Burkhardsfelden mit Arnsburg wegen des Zehntens im Dorfe Burckhardsfelden in einen Streit verwickelt, der an hundert Jahre gedauert hat. Alles in allem war das Verhältnis des Klosters zu seinen Nachbarn doch ein gutes. Die Weltlichen unter diesen bedachten es mit reichen Schenkungen, nahmen aber dafür auch oft den Klostersäckel mit Anleihen in Anspruch. Doch stand sich die Abtei bei diesen Geldgeschäften niemals schlecht und konnte manchen Vorteil für sich herausschlagen. Besonders gern zog man den Abt zur Schlichtung von Streitigkeiten, die sich recht häufig zwischen Gutsnachbarn erhoben, heran. Auch diplomatische Aufträge, die dem Abt erteilt wurden, kommen vor. So bestellten die Grafen Johann und Bernhard von Solms 1438 den Abt Johann von Arnsburg zu ihrem Vertreter auf der Synode zu Basel. Die Grabsteine in der Arnsburger Kirche, die uns zum Teil noch erhalten sind, bezeugen, wie gerne das Kloster (besonders von der Familie und den Erben 2



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seiner Stifter) zur letzten Ruhestätte erwählt wurde. Auch der Bischof Rudolf von Verden, der aus dem Geschlecht der Rule zu Friedberg stammt und den man (ohne genügenden Grund) für den Verfasser der goldenen Bulle gehalten h a t , liegt in Arnsburg begraben. Sein Grabstein ist uns nicht erhalten, wohl aber sein Testament aus dem Jahre 1367, in dem er unter anderem die Errichtung einer Kapelle mit sechs bunten Fenstern aus den Erträgnissen einer reichen Güterstiftung bestimmt und dem Kloster eine Anzahl silberner Gefässe und kostbarer Bücher, welch letztere er einst von Arnsburg erhalten hatte, vermacht. Der geistliche Einfluss Arnsburgs in der Umgegend kam dem gleich, den alle Klöster auszuüben pflegten. Die Abtei besass das Patronatsrecht in verschiedenen Kirchen der umliegenden Ortschaften, auch des MarienMagdalenenaltars in der Pfarrkirche zu Friedberg, in Gemeinschaft mit dem jedesmaligen Dekan derselben. Ferner waren eine Anzahl Pfarrkirchen dem Kloster inkorporirt; Cölestin III. fasste sie in einer Bulle von 1461 zusammen; es waren dies diejenigen von Grüningen, Muschenheim, Trais-Münzenberg, Bircklar, Bettenhausen, Holzheim und Eberstadt mit allen Filialen und Altären. Die Pastorei Stendenbach wurde durch Kauf erworben. Auf gleiche Weise verschaffte sich Arnsburg den Besitz ganzer Ortschaften, wie Eberstadt, und die Jurisdiktion von Wickstadt. Über die drei oberhessischen zum Orden von Cisterz gehörenden Frauenklöster, Marienborn (gegr. 1260), Engelthal (gegr. 1268) und Marienschloss (gegr. 1337), hatte der Abt von Arnsburg die Visitation. Die Pröpste der Nonnenklöster waren Arnsburger Mönche. Im gleichen Verhältnis zu Arnsburg stand das Nonnenkloster Padershausen, in der heutigen Provinz Starkenburg. Werfen wir noch einen Blick auf die äusseren Geschicke unseres Klosters. Die Nachrichten, die wir



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hierüber besitzen, sind äusserst dürftig. Einen eigenen Chronisten hat das Kloster erst gefunden, als es sein 600jähriges Bestehen feierte. Was uns dieser Chronist, der damalige Prior Petrelli, aus älterer Zeit erzählt, ist meist zu sagenhaft, um Anspruch auf Glaubwürdigkeit erheben zu können. Der Vollständigkeit halber fuhren wir aus seinem Buche nur seine Bemerkungen über den Abt Heinrich II. an. Dieser Abt (1240 bis 1242), von dem wir so gut wie nichts wissen, steht — vielleicht gerade deshalb — im Gerüche der Heiligkeit. Er soll, durch die Erscheinung der heiligen Jungfrau veranlasst, den Entwurf zu einer Wasserleitung angeordnet haben, wobei er zuerst heftigen Widerspruch, dann aber die höchste Bewunderung erfuhr. Eine Wasserleitung hat Arnsburg wohl gehabt, aber ihr Lauf ist nicht bestimmt, und dass sie an der Stelle der heute noch sichtbaren Erdwälle, die sich hinter dem Kloster im Walde verlieren, zu suchen sei, wird auch durch die Überlieferung, dass hier die Russen am Anfang dieses Jahrhunderts Bleiröhren ausgegraben hätten, keineswegs glaubhafter. Unter Heinrich sei, so erzählt Petrelli weiter, eine Empörung der Conversen ausgebrochen; leider fehlt uns jede weitere Nachricht über ein solches für die Geschichte eines Klosters gewiss bemerkenswertes Ereignis. Das XIII. Jahrhundert scheint, abgesehen von einer Anzahl Schikanen eifersüchtiger Gutsnachbarn, im ganzen ruhig verlaufen zu sein, dagegen brachte der Beginn des folgenden Jahrhunderts Aufregung genug. Im Jahre 1313 wurde das Kloster von der Pest heimgesucht, sodass die Insassen, wenn wir Petrelli glauben dürfen, im benachbarten Walde hausen mussten. 1314 traf ein ebenso harter Schlag das Kloster. Zwischen dem zu Marburg residirenden Landgrafen Otto von Hessen und dem Grafen Heinrich von Nassau-Siegen war wegen des Schlosses Dernbach, das

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Heinrich überfallen und zerstört hatte, eine langwierige Fehde ausgebrochen. In jenem Jahre waren landgräfliche Truppen in die Wetterau gerückt und gerieten in der Nähe des Klosters Arnsburg bei Hofgüll mit den Nassauischen in ein Gefecht. Hierbei wurden einige Knechte des mitfechtenden Ritters Heinrich von Calsmunt gefangen genommen und zwar, wie jener glaubte, durch Beihilfe der Arnsburger Mönche. Für dieses vermeintliche Unrecht nahm Heinrich Rache; er verwüstete die Arnsburger Besitzungen, wo er konnte, so lange, bis ihm die Mönche durch Zeugen ihre Schuldlosigkeit nachwiesen. Wenn wir von der Zeit des dreissigjährigen Krieges absehen, war das XV. Jahrhundert wohl das verderblichste für unser Kloster. Unter den langwierigen und erbitterten Kämpfen, die im ersten Viertel dieses Jahrhunderts zwischen Hessen und Mainz geführt wurden, hatte die Wetterau viel zu leiden. Die landgräflichen sowohl wie die mainzischen Truppen zogen beständig in unserer Gegend hin und her und betrachteten die reichgefällten Scheunen und Ställe der Arnsburger Klosterhöfe als willkommene Beute. Der Hof zu Kolnhausen vornehmlich hatte längere Zeit hindurch unliebsame Einquartirung und erlitt bedeutende Verluste an Menschen, Vieh und Feldfrüchten. Als Johann von Nassau auf den Mainzer Stuhl gelangt war, verlangte er offiziell von dem Kloster Subsidien. Das Kloster aber, gestützt auf seine ihm von geistlichen und weltlichen Fürsten verliehene und vom Kaiser bestätigte Abgabenfreiheit, verweigerte jegliche Subsidienleistung, worauf der Erzbischof die Arnsburger Güter beschlagnahmte, viele davon verwüstete, Höfe verbrannte und schliesslich sogar Konvent und Kloster mit Bann und Interdikt belegte. Die Mönche trugen zwei Jahre lang ihr Schicksal geduldig und blieben fest. Da drohte Johann mit der Zerstörung des



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Klosters, aber der Erzbischof von Trier, Werner von Falckenstein, aus jenem Geschlecht, das die Stifter des Klosters beerbt hatte, schickte zum Schutze der Mönche 8 0 0 Bewaffnete nach Arnsburg. Wenn es nun auch vor der Zerstörung bewahrt blieb, so war doch das Kloster aus dem Regen in die Traufe gekommen, denn die Beschützer blieben zwei Jahre in seinen Mauern und liessen sich's auf seine Kosten wohl sein. Es war eine harte Zeit für das Kloster. Ein grosser Teil seiner Besitzungen verwüstet, ein anderer vom Feinde besetzt, und dazu 8 0 0 Mann als Einquartierung! Das war in den Jahren 1 4 0 4 — 1 4 0 8 . Endlich gelang es dem energischen Auftreten jenes Falckensteiners, den Frieden zwischen dem Kloster und Mainz herzustellen. 1 4 1 3 starb Landgraf Hermann der Gelehrte; sechs Jahre später folgte ihm sein erbitterter Gegner in den Tod. Ludwig der Friedfertige, der Sohn und Erbe Hermanns, beeilte sich mit dem Nachfolger Johanns v. Mainz, Konrad III., aus dem Hause der Wildgrafen vom Rhein, Frieden und feste Verträge zu schliessen. Vor der Kriegsfurie war Arnsburg nun sicher, nicht aber vor den Raubgelüsten benachbarter Adliger, die bei Gelegenheit einiger Privatfehden ganz gerne einmal auf Kosten des Klosters leben wollten. Konrad von Weitershausen plünderte denn auch nach Herzenslust; besonders raubte er mit seinen Spiessgesellen die Klosterhöfe zu Güll und Burkhardsfelden rein aus und verbrannte sie vollständig. Der dabei angerichtete Schaden wurde auf 15 0 0 0 Gulden geschätzt. Als bald darauf zwischen Landgraf Ludwig und Konrad III. von Mainz der Kampf von neuem ausbrach, hatte auch das Kloster wieder viel auszustehen, wie uns der Eberbacher Chronist, dem wir alle diese Angaben verdanken, wehmütigen Tones erzählt. Gefüllte Scheunen und ganze Gehöfte wurden verbrannt, Vieh weggetrieben u. dergl. m. Auch war es wiederum die



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benachbarte Kitterschaft, die sich die rechtlosen Zustände zu Nutzen machte. Konrad von Beldersheim, die von Reiffenberg und Heinrich Schenk von Schweinsberg thaten sich besonders hervor. Durch alle diese Schläge wurde der Konvent in Schulden gestürzt, sodass er zum Verkauf von Gütern und Renten schreiten musste. Von den Antonitern zu Grünberg nahm er 1489 grössere Kapitalien auf, um abgebrannte Gebäude wiederherzustellen. Wohl von diesem grossen Brand rührt die Sage her, dass das ganze Kloster einmal abgebrannt sei. An den in Betracht kommenden Klosterbauten aber lassen sich keine Spuren eines Neubaues aus jener Zeit nachweisen. Der Konvent erholte sich von den schweren Schlägen, die ihn getroffen hatten, dank dem soliden Klosterreichtum immer wieder. Aber der dreissigjährige Krieg hat seine Verhältnisse doch für lange Jahre zerrüttet. Kaiserliche und Schweden suchten das Kloster auf ihre bekannte Art heim. Im Jahre 1632 musste der neugewählte Abt Johann Adam Güll von Grüningen mit einigen Mönchen nach Clairvaux fliehen, Unterdessen wurde das wo er die Weihe empfing. Kloster so verwüstet, dass der Gottesdienst bis zum Jahre 1672 in einer kleinen Kapelle neben der Kirche gehalten werden musste. Nach der Rückkehr aus Clairvaux musste sich Johann Adam noch lange im Walde verborgen halten. Wenn man bedenkt, dass Robert Kolb, ein durch seine Streitschriften bekannter Mann, als er 1674 die Abts würde erhielt, nur 25 Kreuzer bares Geld vorfand, kann man sich einen ungefähren Begriff von der Lage des Klosters machen, dessen Einkünfte in normalen Verhältnissen auf 50 000 Mark geschätzt wurden. Aus der Zeit des Osterreichischen Erbfolgekriegs erzählt uns ein ehemaliger Giessener Student im Journal von und für Deutschland, dass der bekannte



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französische Parteigänger Fischer, der im Jahre 1744 mit der Armee des Grafen von Maillebois nach Hessen gekommen war, das Kloster beim Fouragiren ausgeplündert und den Mönchen nur das Notwendigste zurückgelassen habe. Fischer, der in Giessen studiert hatte, soll diese That aus Rache vollbracht haben, weil ihm einst die von den Arnsburger Mönchen erbetene Erquickung mit einem Trunk Wein einfach abgeschlagen worden sei. Der siebenjährige Krieg liess dann das Kloster noch einmal alle Schrecknisse kosten. Dreimal wurde es geplündert und fünfmal musste der Abt flüchten. Es erübrigt noch des Prozesses zu gedenken, den Arnsburg mit dem Hause Solms im 17. und 18. Jahrhundert geführt hat. Solms hatte dem Kloster gegenüber Souveränetätsrechte geltend gemacht, dieses aber konnte dank der rührigen Thätigkait seiner Abte, besonders jenes Robert Kolb, seine Immunität nachweisen und ein obsiegendes Urteil beim Kammergericht erlangen. Der Reichshauptdeputationsschluss von 1803 machte dem Dasein der Abtei ein Ende. Ihre Güter fielen an das Haus Solms. Das Archiv kam nach Lieh, die reiche, von Abt Peter Schmitt (1746—1772) gegründete Bibliothek nach Laubach. Der letzte Abt Peter Weitzel verbrachte seinen Lebensabend mit einer Pension von 4500 Gulden ausgestattet in seinem Geburtsort Rockenberg, wo er 1819 hochbetagt starb. Obgleich sich das Leben der Klosterinsassen in Arnsburg genau so abgespielt hat, wie in den übrigen Klöstern des Ordens von Cisterz, wollen wir doch zur Orientirung des Lesers in grossen Zügen ein Bild davon entwerfen. Wir folgen hierbei teilweise Franz Winter. An der Spitze des gesamten Klosters stand der A b t , der von dem Konvent in freier Wahl auf Lebens-



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zeit gewählt wurde. Er musste vom Bischof geweiht werden, aber dieser hatte nicht das Eecht, die Weihe zu verweigern oder vorher die Wahl zu beeinflussen. Dem Abt lag die Vertretung des Klosters in jeder Beziehung und nach allen Seiten hin ob. Er bewohnte im Kloster ein eigenes Haus und führte eigene Küche. Ebenso hatte er besondere Bedienung. Sein Stellvertreter war der P r i o r , der im übrigen an der Spitze des Konvents stand, die Arbeiten verteilte und leitete, die Mönche zum Kapitel rief, die Beichte abnahm und Strafen verhängte. Zu seiner Unterstützung war der S u b p r i o r ernannt, der ihn auch in Verhinderungsfällen vertrat. Das nächstwichtigste Amt bekleidete der K e l l n e r , cellerarius. In seinen Händen lag die ganze Ökonomieverwaltung des Klosters. War diese sehr umfangreich, dann unterschied man einen Grosskellner (cellerarius major) und einen Unterkellner (cellerarius minor oder subcellerarius). Der Kellner leitete die Bewirtschaftung der Güter selbständig, legte aber dem Abt monatlich Rechnung ab. Das erwirtschaftete Vermögen an geprägtem und ungeprägtem Silber verwaltete der B u r s a r i u s . Von weiteren Amtern, deren Bedeutung schon aus der Benennung hervorgeht, sind noch anzuführen: Der Novizenmeister, der Sakristan oder Kustos, der mit zwei Gehilfen die äussere Ordnung des Gottesdienstes zu besorgen hatte, der Sangmeister (cantor), der mit dem Subkantor das Amt eines Chorführers versah und der Bibliothek vorstand, der Siechenmeister, der Pförtner und der Kleidermeister. Alle diese Ämter waren j e einer Person dauernd oder auf längere Zeit übertragen. Daneben aber gab es noch andere Verrichtungen, zu denen allwöchentlich ein Mönch oder mehrere bestimmt wurden, z. B. einer zur Bedienung der Gäste, zwei für die Klosterküche, einer für die Küche des Abts u. s. w.



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Die Mönche waren als solche nicht auch zugleich Priester; nur diejenigen, die vom Abt dazu ordinirt waren, fährten den Titel sacerdos oder presbyter. Wer in das Kloster eintreten wollte, musste von ehelicher Geburt und mindestens 18 Jahre alt sein. Er hatte, bevor er zum Profess zugelassen wurde, ein Probejahr zu bestehen, das auf keinen Fall abgekürzt werden durfte. Das gemeinsame Ordenskleid war eine grobe Kutte von weisslichgrauem Stoff, daher die Cistercienser auch mit dem Namen „der graue Orden" belegt wurden. Das Leben im Kloster war ein vollständig gemeinsames. Gemeinsam ass man im Refectorium oder Remter, schlief man im Dormitorium (erst in späterer Zeit wurden die Schlafräume gesondert und mit Thüren versehen), und gemeinsam zog man zur Arbeit aus. Frühmorgens wurde das Tagewerk mit der Mette begonnen, es folgten in Zwischenräumen die gottesdienstlichen Verrichtungen der Prim, der Terz, der Messe; die Sext fand um die Mittagszeit statt, die Non am Nachmittag, gegen Abend die Vesper, und den Schluss des Tages bildete das Completorium. Mit Ausnahme der Mette, Prim, Messe und des Completoriums, deren Abhaltung an die Klosterkirche gebunden war, konnten diese Gottesdienste auch draussen bei der Arbeit verrichtet werden. Die in der strengen Zeit vegetarischen Mahlzeiten bestanden aus dem Mixtum als Frühstück nach der Terz, dem Mittagessen nach der Sext und der Collation als Abendessen nach der Vesper. Die Hauptbeschäftigung der Mönche war die Feldarbeit, aber auch das Handwerk wurde hinter den Klostermauern eifrig betrieben. Geistliche Geschäfte durften ausserhalb des Klosters von keinem Mönche verrichtet werden, damit nicht ein Eingriff in die Rechte der Pfarrer stattfinde. Nur dem Abt stand das Recht zu, falls ein Pfarrer nicht schnell genug



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zur Stelle sein konnte, die Nottaufe und die Sterbesakramente zu erteilen. Ausser den eigentlichen Mönchen kannte man in den Cistercienserklöstern noch die Einrichtung der sogenannten Conversen oder Laienbrüder. Es waren dies dem geistlichen Stande nicht angehörige Personen, die unter dem Gelübde eines enthaltsamen Lebens in das Kloster eintraten und hier die ihnen vom Konvent auferlegten Arbeiten verrichteten. Arnsburg hatte, wie wir aus den Zeugenreihen der Urkunden schliessen können, stets eine grosse Anzahl Laienbrüder aufzuweisen. Das Vermögen des Klosters bestand grösstenteils aus Grundbesitz, doch besass der Konvent auch grosse Kapitalien, deren Verwaltung dem Bursarius oblag. Einen bedeutenden Teil der Einkünfte machten die Kenten und Gefälle — meist Naturalleistungen — aus, die von ihm überreichlich erworben wurden. Die Erwerbungen geschahen hauptsächlich durch Schenkungen, die den Klöstern gemacht wurden, dann aber auch durch Kauf und Tausch. Die meisten Stiftungen, die einem Konvent überwiesen wurden, bestanden wiederum in Renten und Gefallen an Geld, Vieh, Geflügel, vor allem aber an Getreide. Die Veranlassung einer solchen Stiftung bildet gewöhnlich ein Sterbefall, und an die Stiftung knüpft sich dann die Verpflichtung der Mönche, alljährlich am Sterbetage des Stifters oder der Person, die der Stifter benannt hat, Seelenmessen lesen zu lassen. Das nennt man Seelgerede. Aber auch Güter werden zu diesem Zwecke geschenkt. Oft kam es vor, dass jemand einem Kloster schon bei Lebzeiten sein Gut, Haus, seinen Weinberg, seinen Hof oder seinen Garten vermachte, die Nutzniessung sich aber bis zum Tod vorbehielt und nur in recognitionem possessionis alljährlich eine geringe Steuer (z. B. 1 / 2 Pfund Wachs) an



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•das Kloster entrichtete. Es hatte dies den Zweck, dem Kloster möglichst den Besitz zu sichern und es vor der Anfechtung des Testaments durch die Erben des Stifters zu schützen, denn durch langjährige Zinsleistung bekam das Kloster nach Gewohnheitsrecht einen alle anderen Ansprüche nichtig machenden Besitztitel. Bei den Erwerbungen durch Kauf und Tausch macht sich- in Arnsburg ein Arrondirungsbestreben bemerkbar, was wir besonders deutlich bei den Klostergütern in Wickstadt und Sterrenbach (jetzt Wüstung) beobachten können. Hatte die Abtei glücklich eine Anzahl Güter zu einem Ganzen vereinigt, so blieb die Begabung mit dem Patronat und mit dem Präsentationsrecht der Pfarrkirchen des betreffenden Bezirkes nicht lange aus, ein Grund mehr, jenes Arrondirungsbestreben zu rechtfertigen. Die Verwaltung der Klostergüter geschah auf verschiedene Art. Die Oberleitung führte, wie bereits erwähnt, der Kellermeister oder Grosskellner. Auf den einzelnen Höfen der Klöster sassen unter der Oberaufsicht eines Hofmeisters Laienbrüder, denen die Bewirtschaftung der Höfe und der dazu gehörigen Güter anvertraut war. Die Feldarbeit wurde besorgt durch die Mönche selbst, durch die Conversen und durch leibeigene Knechte. In der Bebauung des Landes finden wir oft die sog. Dreifelderwirtschaft. Auf einem Acker wird im ersten J a h r Weizen, im zweiten Hafer gebaut und im dritten Jahre liegt der Acker brach, um Kräfte zu sammeln. Eine hervorragende Stelle nimmt der Obstbau ein. Nicht allein auf dem Lande, auch in den Städten besitzt das Kloster Obstgärten, besonders in Friedberg, Wetzlar und Frankfurt. Bei der Vorliebe der Klosterinsassen für einen guten Tropfen kann es nicht Wunder nehmen, dass sie auch, dem Weinbau ihre Aufmerksamkeit schenkten. Bei Nauheim, Friedberg, Büdingen, Bergen,



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besonders in letzterem Orte, wie überhaupt vorzugsweise im Süden der Wetterau nach Kinzig und Main hin lagen ausgedehnte Weinpflanzungen. Kloster Arnsburg hatte sogar, in richtiger Erkenntnis der besten Lagen, Weingüter am Eh ein erworben, in jenen Gegenden, von denen wir heute noch unsere edelsten Marken beziehen. Für die Beaufsichtigung der Wälder, Wiesen und Felder waren bestimmte Hüter bestellt, ebenso Hirten für Schafe und Rindvieh. Da der allmählich zu so bedeutendem Umfange angewachsene Grundbesitz auf die Dauer nicht von dem Kloster selbst bewirtschaftet werden konnte, so wurden Teile der Güter verpachtet. Eine Art der Verpachtung, und zwar die gebräuchlichste, war die Leihe nach L a n d s i e d e l r e c h t . Der Beliehene sass auf unbestimmte Zeit auf dem Gut. Aber das Pachtverhältnis war lösbar. Insbesondere konnten Gründe für die Lösung sein: Nichtzahlung des Pachtzinses, Verschlechterung oder teilweise Veräusserung des Grundstückes durch den Beliehenen. Dann aber auch konnte der Beliehene aufkündigen, wenn der Besitzer des Grundstückes dasselbe unrechtmässigerweise bebaute. Doch ist die Aufkündigung dadurch beschränkt, dass sie an bestimmte Formen und Termine gebunden ist. Der Zins bestand meistens in Naturalabgaben, doch auch Geldleistungen kommen vor. Bei Hagelschaden, Kriegsnot u. dergl. tritt ein Nachlassen des Zinses ein, oft bis zur gänzlichen Zinsaufhebung, bis sich der Pächter wieder erholt hat. Die Z e i t p a c h t unterscheidet sich von der Landsiedelleihe dadurch, dass sie, wie der Name besagt, nur auf eine gewisse Frist abgeschlossen ist, nach deren Ablauf sie entweder erneuert oder gelöst wird. F ü r Bau und Besserung hat der Beliehene zu sorgen, damit der Besitzer gegen allzu grosse Ansnützung der verpachteten Grundstücke gesichert ist. Eine dritte Art, die E r b l e i h e , ist



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unkündbar. Sie gewährt den grössten Vorteil für den Beliehenen. Vielleicht kommt sie aus diesem Grunde bei Arnsburg wenig vor, jedenfalls tritt sie hier nur dann auf, wenn ein Grundbesitzer sich unter den Schutz des Klosters begiebt. Er überträgt in diesem Falle dem Kloster sein Gut und erhält es von diesem gegen einen meist geringen Zins erblich zurück. Wenn es das Kloster für vorteilhaft hielt, belehnte es auch einen Leibeigenen mit Grundstücken. Der Mann konnte dann eigenen Besitz erwerben, aber nur an fahrender Habe; auch stand seinem Herrn nach wie vor das Recht zu, ihn mit Weib und Kind und Eigentum zu verkaufen. Unsere Skizze ist beendet, wenn wir hinzufügen, dass auch Kloster Arnsburg zu einer Zeit, da die Beschäftigung mit Feldarbeit nicht mehr als die einzige Aufgabe eines Ordens angesehen wurde, Wissenschaft und Kunstfertigkeiten gepflegt hat. Die Klosterbibliothek mit ihren wundervolle Miniaturen enthaltenden Kaiendarien legt hiervon beredtes Zeugnis ab.

Die Bauten der Cistercienser. D i e strenge Weltanschauung der Cistercienser war nicht dazu angethan, die Entfaltung einer lebhaften Kunstthätigkeit in den neuen Klöstern zu begünstigen, und nur in derjenigen Kunst, an der das unabweisbare Bedürfnis den Hauptanteil hat, sollte der Orden Grosses leisten: beinahe ein Jahrhundert lang spielt er eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Baukunst. Der grosse Erfolg, der den Reformideen von Cisteaux beschieden war, die ausgedehnte kolonisatorische Thätigkeit des Ordens, die ein Segen besonders für Deutschland wurde, machten in kurzer Zeit viele und zwar, nach Überwindung der ersten Schwierigkeiten, solide, auf Dauer berechnete Bauten notwendig. Während nun in der Anlage der Wohn- und Okonomiebauten das Streben nach äusserster Einfachheit, die Beschränkung auf das dringend Notwendige meist mit voller Entschiedenheit zur Geltung kam, liess sich bei der Gestaltung der Kirchen und einiger mehr der Repräsentation dienender Räume des Klosters eine bescheidene Mitwirkung der Kunst kaum ablehnen, und das künstlerische Empfinden des 12. Jahrhunderts war viel zu kräftig entwickelt, als dass ein Rückfall in völlig unkünstlerische Gewohnheiten möglich gewesen wäre. Nur schlichter, anspruchsloser wollen die Cistercienser — und ebenso die Prämonstratenser —



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auftreten als die älteren, nach ihrer Ansicht verweltlichten Orden. Nicht mit positiven Neuerungen beginnt demnach auf dem künstlerischen Gebiete die Thätigkeit der Keformatoren, sondern mit scharfer Kritik des Bestehenden, mit bewusster Vereinfachung der in der prachtliebenden romanischen Epoche ausgebildeten Kunstformen. Gewaltige Masse war man damals nicht nur an Kathedralen, sondern auch an Klosterkirchen gewöhnt, und hier wie dort war die einfache Grundrissform des Kreuzes durch Anfügung von Kapellen, durch reiche Gliederung der Chorumrisse nicht selten verdunkelt worden. Die Steigerung der Turmzahl auf 4, selbst 6, und in Verbindung damit die Vermehrung der Glocken war durchaus gewöhnlich geworden, und weit verbreitet war die Sitte, die Kreuzung von Lang- und Querhaus durch einen besonders mächtig und reich gestalteten Turm (Vierungsturm), den kein praktisches Bedürfnis nötig machte, auszuzeichnen. Immer weiter hatte man sich von der nüchternen Form entfernt, in der die altchristlichen Basiliken sich der Aussenwelt zeigten. Schon das Äussere sollte jetzt auf die Herrlichkeit des Inneren vorbereiten, reich mit Skulpturen verzierte Portale, an denen neben den heiligen Gestalten mit Vorliebe höllische Ungeheuer, Geschöpfe des Aberglaubens oder ungezügelter Künstlerphantasie, dargestellt waren, redeten ihre geheimnisvoll symbolische Sprache zu den Eintretenden. Drinnen aber vereinigte sich die Pracht plastischer und malerischer Dekoration, die im Chor ihren Höhepunkt erreichte in den goldreichen Altären, den Heiligenbildern, den Eeliquienschreinen, den teppichartig die Chorwände bedeckenden Gemälden, aus denen der Laie die heiligen Geschichten las. Gegen Baugewohnheiten, die so offen dem Weltsinn zu schmeicheln, der Augenlust zu dienen schienen,



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richtete sich der heftige Widerspruch der Cistercienser, die in wirklich mönchischer Abgeschlossenheit und Dürftigkeit leben und dem Laien durchaus nicht entgegenkommen wollten. Ihre Kirchen, in denen die Laien, unter diesen aber nur die Männer, zwar geduldet, aber auf einen kleinen Teil des Schiffes beschränkt waren, wollen nicht mehr als bescheidene Bethäuser (Oratorien) sein. Für die kleinen Glocken genügt ein Türmchen über der Kreuzung der Schiffe, die der profanen Aussenwelt zugewandte Westseite verliert mit den stattlichen Türmen den Schmuck der prächtigen Portale und meist auch der Vorhalle. Im Inneren verschwinden die auf die Laien berechneten inhaltreichen Gemälde, weil sie die Andacht der Mönche stören könnten; es verschwinden das reiche Altargerät, die goldenen Reliquienschreine und Heiligenbilder, und an ihre Stelle treten hölzerne Kreuze und einfache Bilder des Heilandes und seiner Mutter. Bunte Fenster sind streng verpönt; die Bemalung der Wände hebt mit wenigen, bescheidenen Farben nur die wichtigsten architektonischen Gliederungen hervor; unverzierte Thonplatten bilden den Bodenbelag. Aber diese scheinbar kunstfeindliche Gesinnung des neuen Ordens ist den eigentlich architektonischen Aufgaben zu gute gekommen, denn überall wo das praktische Bedürfiiis entscheidet, huldigen diese Reaktionäre unbedenklich dem Fortschritt. Dieselben Gebäude, denen die strenge Lebensauffassung des Ordens freundlichen Schmuck versagte, sollten doch tüchtige, solide Bauten sein, die Konstruktion wird zum Gegenstande eifrigen Studiums, und das künstlerische Empfinden, das durch keine Ordensregel auszurotten war, stellte sich die schöne Aufgabe, durch die Bauform selbst das Auge zu befriedigen. Die Aufgabe war natürlich nicht neu; aber Grosses und Eigenartiges haben die Cistercienser zu ihrer Lösung gethan.



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Der Aufschwung des Ordens fällt in eine Zeit, die solchen Bestrebungen günstig war. Der romanische Kirchenbau, der sich langsam aus dem altchristlichen entwickelt hatte, war dem Ende seiner Leistungsfähigkeit nahe; da er neue Typen kaum erfinden konnte, war er auf Wiederholung des einmal Erfundenen angewiesen. In der That starb keine der romanischen Bauformen vor dem Ende der Epoche völlig ab. Noch immer entstanden Basiliken mit flacher Balkendecke, Nachzügler einer reichen, aber technisch unvermögenden Vergangenheit. Noch immer war die Kunst des Wölbens, auf der die Überwindung jener älteren Kunststufe beruhte, der Gegenstand unsteter Versuche, und unzulängliche, der Vergessenheit bestimmte Lösungen stehen neben Wagnissen, die weit ihrer Zeit voraus sind. Zu einem gewissen Abschluss führt nur e i n e Erfindung, die allerdings auf bestimmte Länder, aber auf besonders kunsttüchtige, beschränkt blieb und als höchste Leistung des romanischen Kirchenbaues gelten darf: in Burgund, in der Lombardei, im Rheinlande entsteht die mit rundbogigen Kreuzgewölben gedeckte Basilika des „gebundenen Systems", deren grossartigste Beispiele auf deutschem Boden die Dome von Mainz, Speier und Worms sind. In diesem System, dem auch die Arnsburger Kirche (siehe den Grundriss) in der Hauptsache noch folgt, sind die Nebenschiffe halb so breit wie die Hauptschiffe, und jedes Gewölbe erhebt sich auf quadratischer Grundlage, sodass jedem Joch des Hauptschiffes je zwei Joche der Nebenschiffe entsprechen. Das einfache Quadratschema beherrscht somit den ganzen Grundriss, giebt ihm feste Verhältnisse und eine klare, übersichtliche Gliederung. Aber dieses System hat weder allgemeine, noch dauernde Geltung errungen, und seine in vieler Beziehung vorteilhafte Gebundenheit wurde als Fessel empfunden, sobald freiere, 3



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gestaltungsfähigere Anlagen die Aufmerksamkeit auf sich lenkten. Solche waren seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in Nordfrankreich und Burgund entstanden — die Vorläufer der Gotik. Das Quadratschema, das dort teils gar nicht, teils nicht unbestritten geherrscht hatte, war endgiltig dem des länglichen Rechtecks gewichen, gleichzeitig etwa waren an Stelle der Gewölbegrate besondere, solid gefügte Rippen als eigentliche Träger der Gewölbelast getreten und der schwerfällige Rundbogen durch den gefügigeren, jedem Grundriss sich leicht anpassenden Spitzbogen ersetzt worden. Der so früh über die Grenzen Burgunds hinausgewachsene Cistercienserorden hat zunächst keineswegs seinen Ehrgeiz darein gesetzt, die konstruktiven Errungenschaften seines Heimatlandes auf die neubesiedelten Gegenden zu übertragen; er war konservativ genug, keine der vorhandenen Bauformen zu verschmähen. Immer seinem Grundgesetz der Einfachheit und Sparsamkeit getreu, hat er sich den Baugewohnheiten der Länder, in denen er Fuss fasste, angepasst: er hat noch flachgedeckte Basiliken gebaut und verschiedene Wölbexperimente mitgemacht; er hat in einigen seiner bedeutendsten und harmonischsten Bauten das gebundene System angewandt und damit noch einmal sich ausdrücklich auf den Boden der alten Zeit gestellt. Aber seine grosse Rolle in der Geschichte der Baukunst beginnt erst, als er jene konstruktiven Neuerungen, die den Sieg der Gotik über die romanische Kunst vorbereiten, eifrig und selbständig erfasst und über die Grenzen seiner Heimat hinausträgt, nach Italien und Spanien, nach England und Deutschland. Die Cistercienser werden die Bahnbrecher der Gotik, und unter ihren vielen Kirchen — in Deutschland sind mehr als ein halbes Hundert mittelalterlicher Cistercienserkirchen



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erhalten — sind die vor rund 1230 erbauten zweifellos die interessantesten. Der Name „Übergangsstil", unter dem man die »ehr ungleichartigen Leistungen jener Gährungsepoche zusammenzufassen pflegt, würde immer noch am besten gerade auf die Cistercienserbauten passen, wenn er nicht die falsche Vorstellung erweckte, als habe ein einheitlicher Stil innerhalb des Ordens geherrscht. Ein Cistercienserstil existiert nicht. Gemeinsam waren den Klöstern, und zwar unabhängig von der Filiation, gewisse allgemeinere Baugewohnheiten, die sich teils aus der Ordensregel ergaben, teils durch Beschlüsse der Generalkapitel und die oft wiederholten Visitationsreisen Verbreitung fanden; die stilistischen Konsequenzen aus diesen Voraussetzungen zog man in steter, belebender Berührung mit den künstlerischen Gewohnheiten der bestimmten Ortlichkeit, und nicht wenige Klöster haben sich durch ihre weltlicheren Nachbarn sogar zu Schmuckbauten verleihen lassen, die der strengen Ordensregel schroff widersprechen. Auch wo solche Ausschreitungen vermieden werden, ist es mit der vorbildlichen Bedeutung der Ordensbauten vorbei, sobald der Sieg der Gotik entschieden ist, sobald von neuem eine glänzende, prachtfrohe Baukunst sich entwickelt, in der die Führerschaft unbestritten den Laienmeistern zufällt. Eine geschichtliche Entwickelung innerhalb dieser interessantesten Epoche der Cistercienserbaukunst lässt sich besonders an e i n e m Bauteil verfolgen, dessen Gestaltung nicht durch die wesentlich negierende Ordensregel, sondern durch einen unabhängig von dieser entstandenen frommen Brauch bestimmt wurde. Nach vollbrachtem Chordienst pflegten die Mönche einzeln vor den Altären sich niederzuwerfen, zu entblössen und zu züchtigen, und dieser Brauch verlangte abgesonderte Räumlichkeiten neben dem 3*



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Chor. Man legte deshalb anfangs an das Querschiff, später auch an das Altarhaus Kapellen und bildete bei immer wachsender Zahl dieser Kapellen endlich sehr verwickelte Chorgrundrisse aus, die der Ordensregel direkt zu widersprechen scheinen. Die beiden Hauptformen werden schliesslich die, dass die Kapellen sich an die drei Seiten des rechteckig geschlossenen Altarhauses legen oder im Kreisbogen oder halben Vieleck das entsprechend umgebildete Altarhaus umschliessen. Im übrigen sind der positiven Neuerungen nur wenige. Frühzeitig ist m a n , der ursprünglichen Absicht zum Trotz, zur Anlage sehr langgestreckter Kirchen genötigt, weil der Chor allein die Menge der Mönche nicht fassen konnte, und das Langhaus ausserdem die Laienbrüder (conversi) und die Laien aufzunehmen hatte. In der Ausdehnung des Chorgestühls bis in das Schiff hat man den Grund einer baulichen Eigentümlichkeit erkennen wollen, die fast keiner Cistercienserkirche fehlt, der Eigentümlichkeit, dass die Pfeilerverstärkungen, über denen die Gewölbegurte und -rippen emporwachsen, oft nicht vom Boden aufsteigen, sondern erst in gewisser Höhe beginnen und ganz wie Gewölberippen oder -grate auf Konsolsteinen anzusetzen pflegen. Freilich befriedigt diese Erklärung nicht immer, weil die Nutzform schnell auch zur Zierform wird, an der denn auch der verpönte Schmuck gelegentlich wieder eine Stätte findet; andererseits ist auch diese Form von den Cisterciensern nicht erst erfunden worden. Die Arnsburger Kirche steht mitten in der bedeutsamsten Epoche der Cistercienserarchitektur und darf sich rühmen, eine ihrer würdigsten Vertreterinnen zu sein. Allerdings entbehrt sie der Einheitlichkeit, da während des Baues selbst die konstruktiven Neuerungen eindringen; aber als kunstgeschichtliches Dokument gewinnt sie eben dadurch an Wert.



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Das „gebundene System", das in der Kirche des Mutterklosters Eberbach (bei Hattenheim im Rheingau) mit völliger Strenge durchgeführt war, beherrscht in der Hauptsache auch die Arnsburger Kirche, wie es sich auch in der noch etwas jüngeren, ebenfalls von Eberbach aus gegründeten Kirche von Otterberg (in der Pfalz) findet. Neues und sehr Eigenartiges bietet dagegen die Choranlage (s. den Grundriss und das Titelbild). Eberbach hat geradlinigen Chorschluss mit je drei Kapellen an der Ostseite des Querschiffes, die wiederum mit einheitlichen geraden Linien im Osten abschliessen. Die Arnsburger Kirche geht einerseits über dieses einfache Schema ihrer Mutterkirche hinaus, andererseits greift sie auf eine schon früher weit und breit, auch bei den Cluniacensern beliebt gewesene Form zurück, die der besonders strenge Bau von Eberbach abgestreift hat. Es wird der Versuch gemacht, die Kapellen an die drei Seiten des Altarhauses anzulehnen und gegen dieses zu öffnen; an den Kreuzarmen verbleibt nur je eine, und diese hat nach alter Weise halbkreisförmigen Abschluss, den man auch der Mittelkapelle des Altarhauses gab. Von allen Chorformen der Cistercienserkirchen ist diese eine der eigenartigsten. Arnsburg bietet auch in diesem Bauteil das Bild einer Übergangsschöpfung, und vielleicht darf man annehmen, dass diese Disposition und Gestaltung der Kapellen hier zum erstenmale versucht worden ist. Ein bestimmtes Vorbild ist bis jetzt nicht •nachgewiesen; jedenfalls wäre es nicht unter den ältesten burgundischen Cistercienserkirchen zu suchen, sondern in der jüngeren Reihe von Ordenskirchen, die seit der Mitte des 12. Jahrhunderts sich dort erhebt, und in der That zeigt die zu dieser Reihe gehörige Kirche von Pontigny viele und überraschende Ähnlichkeiten mit der von Arnsburg.

Wanderung durch die Ruine (s. den G-rundriss).

vv ir betreten die Kirche durch das jetzt nach drei Seiten offene Altarhaus und nehmen zu vorläufiger Orientierung unseren Platz in der Kreuzung von Lang- und Querhaus, inmitten der quadratischen V i e r u n g A. Am Ende des Mittelschiffes, das vier quadratische und ein rechteckiges Gewölbjoch umfasste, erblicken wir die kahle, nur von einem kleinen, jetzt kaum sichtbaren Fenster durchbrochene westliche Umfassungsmauer der Kirche, an welche sich jenseits die gewölbte Vorhalle legt. Mit weit geschwungenen Bögen sehen wir die beiden Seitenschiffe in die Kreuzarme einmünden, von denen kleinere Bogenöffnungen nach Osten in jetzt verschwundene Kapellen führten. Durch die Nordthür blicken wir in den Kirchhof hinaus, während die fensterlose, von Thüren in verschiedenen Höhen durchbrochene Südwand an die dahinterliegenden Wohnbauten des Klosters erinnert. Durch die fünf Bogenöffnungen des Altarhauses geht der Blick ins Freie, und es bedarf einiger Anstrengung der Phantasie, sich an Stelle dieses Hintergrundes das Dämmerlicht der umgebenden Kapellen vorzustellen. Im Osten erstreckte sich die Kirche noch über 9 m weiter, sodass die Fundamente der Ostkapellen unter dem uns gegenüberliegenden Rasenplatz zu suchen



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sind. Abgesehen von den gewaltsam zerstörten Chorwänden, sind die Umfassungsmauern der Kirche fast ringsum, die des Mittel- und Querschiffes durchweg bis zu dem ca. 13 m vom Boden entfernten Ansatz der Hauptgewölbe erhalten. Noch etwa 6 m höher ist der Ansatz des Hauptdaches anzunehmen; bedenkt man weiter, dass die Gewölbescheitel ebenso hoch, also rund 19 m, der Dachfirst mindestens 2 6 m über dem Boden lag, so begreift man leicht, dass der Bau, solange er unversehrt aufrecht stand, innen und aussen weit schlanker wirkte, als die schweren Einzelformen jetzt vermuten lassen. Als Stützen dienen im ganzen Bau kräftige Pfeiler, deren ungefähr quadratische Grundform in verschiedenem Sinne abgewandelt ist. Die mächtigsten und zugleich die am reichsten gegliederten Pfeiler sind die der Vierung: hier finden wir eigentümliche Verstärkungen des Pfeileraufbaus, die aber nach den Nebenschiffen und Kapellen zu wegfallen und selbst in den Hauptschiffen nicht gleichmässig durchgeführt sind. Es legen sich nämlich in den Kreuzarmen und im Altarhaus vor die Pfeilerquadrate kräftige Zweidrittelsäulen als Unterlage der Gewölbegurte, und in die einspringenden Winkel, die an Stelle der einfachen Quadratecken treten, schmiegen sich schräggestellte, dünnere Dreiviertelsäulen, über denen die Diagonalrippen der Gewölbe entsprangen. Dagegen sind an den westlichen Vierungspfeilern (1), deren Innenseite schon zum Langhaus gerechnet wurde, beide Zusatzformen verkümmert: die dünnen Ecksäulen entspringen erst über der halben Höhe aus dem Pfeilerwinkel, die beiden Vorlagen werden gar zu kurzen Stümpfen und setzen auf Kragsteinen an, deren unterer Teil ähnlich unvermittelt aus der Fläche des Pfeilers herauswächst, wie jene Dreiviertelsäulen aus dem Pfeilerwinkel. Und diese Verkünimerung erstreckt sich endlich auch auf die Pfeiler



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selbst, indem diese wiederholt, zum erstenmale in gleicher Höhe mit dem Abschluss der Dreiviertelsäulen, zum zweitenmale rund 3 m über dem Boden an Dicke einbüssen, sodass die ursprüngliche Quadratform nur noch dem oberen Teile der Pfeiler, ihrem unteren dagegen rechteckige zu Grunde liegt. Die Dekoration der Pfeiler ist schlicht, aber nicht ärmlich, und die Einzelformen zeichnen sich durch strenge Schönheit aus. Das Profil der Säulenbasen, deren Pfühle stellenweise über die rechteckigen Plinthen vorquellen, setzt sich rings um den Pfeiler fort, und der Reiz dieser reichen Gliederung wird noch gesteigert durch die mannigfaltig geformten Blätter, welche nach einer bekannten Gewohnheit des romanischen Stils von den Pfühlen herab sich in die Ecken der Plinthen schmiegen. Auch an der Innenseite der Westpfeiler (1) war die Durchführung des Basisprofils, also dieselbe Pfeileranlage wie im Osten anfanglich beabsichtigt; doch hat man noch während des Baues — hier wohl sicher, um etwas mehr Platz für das Gestühl zu gewinnen — die schon geschilderte Umformung der Pfeiler beschlossen und deshalb das Basisprofil am Ansatz der Dreiviertelsäulen plötzlich enden lassen. Die Kapitelle zeigen teils die geläufigen romanischen Umbildungen des korinthischen und des Würfelkapitells, einigemale mit dem besonderen Schmuck der sogenannten Diamantrippen, teils schon das Schema des Knospenkapitells, das sie auch noch weiter vereinfachen, indem sie um einen glatten Kelch zwei Reihen schmuckloser, spitzer Blätter über einander ordnen. Über dem nordöstlichen Pfeiler (2) sind Ansätze der Gurte und Rippen erhalten (s. die Abbildung), deren Verlauf den Beweis liefert, dass den Gewölben schon der Spitzbogen zu Grunde lag. Die Gurte sind entsprechend den Pfeilerseiten und ihren Vorlagen in eine breite Hauptmasse und einen schmäleren Ver-

Blick in die Ruine.



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stärkungsgurt gegliedert, die beide nach romanischer Art von rechteckigem Durchschnitt sind, während die Diagonalrippen mit ihrem birnförmigen Querschnitt schon der neuen Bauweise folgen. Das A l t a r h a u s B bildet einen Raum von annähernd quadratischer Grundfläche, der wie die Vierung von einem Gewölbe überdeckt und durch 9 Fenster reichlich erhellt war. Entsprechend den Ecksäulen der Vierungspfeiler erheben sich in den beiden östlichen Ecken zwei in gleicher Weise dekorierte Dreiviertelsäulen. Die Seitenwände öffnen sich in je zwei Bogen nach den Kapellen hin; massige, gedrungene Pfeiler, die mit einem vorn glatt durchgeschnittenen Kämpferprofil abschliessen, stützen die l 1 ^ m dicken Wände, die dank der Bindekraft ihres Mörtels selbst da, wo die Bögen entfernt sind, Stand halten. Neben der entsprechenden Öffnung der l 3 / 4 m dicken Ostwand befinden sich zwei Rundbogenfenster, deren eines (das südliche) nachträglich zu einer Nische umgewandelt worden ist. Die Grenze zwischen Altarraum und Kapellen bezeichneten 32 cm hohe Steinschwellen (3), die sämtlich verschwunden sind, deren Lage aber durch Ansatzflächen an dem rings um das Altarhaus laufenden Sockel gesichert ist. Diese Schwellen waren danach beiderseits wie der Sockel selbst profiliert, sollten also nicht beschritten werden, sei es, dass sie nur den Zweck hatten, den Altarraum zu begrenzen, sei es, dass sie die Unterlage für Schranken abgeben sollten, deren Existenz aber sonst durch nichts bezeugt wird. An der Nordseite hat man später nach Entfernung der Schwellen den Fussboden in der ganzen Wanddicke erhöht. An den paarweise zusammengeordneten, nach innen sich erweiternden Rundbogenfenstern des oberen Geschosses sind die auf Verputz berechneten Sohlbänke schlechter gefügt und darum jetzt mehr zerstört als die überaus sauber gearbeiteten Gewände



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und Bögen. Weiter oben befand sich je ein kleineres Fenster im südlichen und nördlichen Bogenfeld, in der östlichen Giebelwand dagegen ein wahrscheinlich etwas reicher verziertes Rundfenster. Wie sich um diesen Altarraum die K a p e l l e n G ordneten, ergiebt der Grundriss. Es fehlt ein besonders überwölbter Umgang zwischen Altarhaus und Kapellen, sodass die sechs an den Seiten angeordneten Räume in ihrem vorderen Teile einen Gang bildeten und nur in ihrer Tiefe als Kapellen dienten; nur an der Ostseite lassen sich wenigstens drei besonders überwölbte Vorräume von den Kapellen selbst unterscheiden. Ein kleines Fenster erhellte jede dieser Kapellen mit Ausnahme je der ersten rechts und links, die nur vom Altarhaus und Querschiff ihr Licht empfingen. Die Ausstattung dieser der Privatandacht gewidmeten Räume war sehr einfach; nur das Kämpferprofil findet sich auch hier, während Sockelprofile zum letztenmale in den Durchgängen zwischen Altarhaus und Kapellen auftreten. Die Gewölbe waren ohne Rippen und Konsolsteine. Die mittlere Ostkapelle und die beiden weiter abgelegenen, nicht vom Altarhause, sondern vom Querschiff aus zugänglichen Seitenkapellen schlössen mit halbrunden Nischen ab. Von diesen Seitenkapellen ist beiderseits die Eingangsöffnung erhalten, die mit denen der Altarhauskapcllen in der Breite ungefähr übereinstimmt, aber höher ist und darum eleganter wirkt, während die in den Winkeln zwischen Altarhaus und Querschiff gelegenen Kapellen, denen jene stattlicheren das Licht verbauten, von Westen her nur durch sehr bescheidene Bogen zugänglich sind. Im Q u e r s c h i f f D begegnen uns neben mannigfachen Vereinfachungen auch Weiterbildungen der im Chor herrschenden Formen. Es fehlt die Durchführung des Sockelprofils, sodass die schlanken Ecksäulen ihre besonderen Basen verlangten; dagegen sind die Fenster-



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gewände nicht mehr einfach schräg, sondern abgestuft, an der östlichen Aussenseite des nördlichen Kreuzarmes sogar von geschwungener Form. Fensterlos scheinen die Westwände des Querhauses gewesen zu sein, nach Osten waren wie am Altarhause je zwei schlanke Bogenfenster angebracht, am Nordgiebel ausserdem ein Kundfenster, während der Südgiebel, der nicht frei lag, überhaupt keine Fenster, dagegen mehrere Thüren hat. Zu ebener Erde führt eine jetzt vergitterte kleine Thür (4), deren Sturz ein einziger, mit Kleeblattbogen verzierter Stein bildet, in die Sakristei M. Rechts davon sollte eine Treppe (5) in das Obergeschoss des Nachbarhauses, das Dormitorium, führen. Wie man sich die Anlage dieser gewiss nur hölzernen Treppe dachte, ist nicht ganz sicher; jedenfalls sollte sie an den starken, kräftig ausladenden Steinbalken ihre Stütze finden und nicht ganz dicht an der Westwand entlang laufen, die gerade hier (6) durch einen grossen Rundbogen, der nur aussen, d. h. im Kreuzgang, unter der späteren Verkleidung sichtbar ist, durchbrochen war und auch nach Einziehung eines niedrigeren Spitzbogens (jetzt vergittert) durchbrochen blieb. Die stattliche, mit einem reicheren Kleeblattbogen geschmückte Thür (7) zeigt, in welcher Höhe das Dormitorium liegen sollte, und vielleicht war diese Höhe durch einen schon vor der Kirche vorhandenen provisorischen Bau gegeben. Auch die auffallende Erscheinung, dass die erst in gleicher Höhe mit dieser Thür ansetzende Säule (8) — eine der wenigen der Kirche, die das eigentliche Würfelkapitell noch aufweisen — nicht bis zum Gewölbansatz reicht, sondern etwa in halber Höhe abschliesst und dort im Verein mit einem nach links laufenden, aber nicht weit durchgeführten Gesims ein weiteres Stockwerk markiert, mag sich aus der Rücksicht auf einen solchen schon vorhandenen oder geplanten Nachbarbau



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erklären. Jedenfalls hat man, als nach Vollendung der Kirche Kapitelsaal und Dormitorium erbaut oder erneuert wurden, andere Stockwerkhöhen gewählt und deshalb weiter links und höher die spitzbogige Thür (9) angebracht, die nun mit dem Fussboden des Dormitoriums in gleicher Höhe liegt. Auch zu ihr führte eine Holztreppe hinauf; noch ist in der Wand ein zierlich durchgebildeter, allerdings aus jüngerer Zeit stammender Konsolstein erhalten, auf dem die Holzstreben des Treppenpodestes ansetzten, auch bemerkt man Spuren eines wiederum späteren Umbaues, bei dem man einige starke Holzbalken unmittelbar aus der Wand schräg aufsteigen liess. Übrigens hat man auch die ältere Thür (7) noch nutzbar gemacht, indem man hinter ihr das Sakristeigewölbe tiefer ansetzen und schräg aufsteigen liess, sodass man durch einige Stufen den Höhenunterschied ausgleichen konnte. Die Treppe (5) war also nicht nur geplant, sondern wirklich ausgeführt. Ehe wir das Querschiff verlassen, werfen wir einen Blick in das südliche Seitenschiff E, das, wie die bisher beschriebenen Räume, sämtliche Gewölbe eingebüsst hat, während die kräftigen Gurte bis auf zwei erhalten sind. Getragen werden die Gurte von Zweidrittelsäulen mit sehr verschiedenen Kapitellen: neben den romanischen Knospen kommen als Dekoration glatte und gerippte Blätter vor; einigemale fehlt das Pflanzenornament ganz, und die Überleitung von der Kreisform des Schaftes zum Quadrat der Deckplatte wird nur durch Kombinationen mathematischer Körper versucht. Der Sockel, dessen Form nichts Neues bietet, sollte ursprünglich wie an den Pfeilern auch an den Wänden durchgeführt werden, doch ist diese Absicht während des Baues aufgegeben worden, und in regellosem Wechsel finden sich jetzt Säulenbasen, die auf Fortsetzung ihres Profils berechnet sind, neben solchen, bei denen man sich diese Mühe schon gespart



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hat. Die Fenster sind, da aussen das Dach des Kreuzgangs L ansetzte, stark verkürzt, in den ersten drei Jochen kreisrund, weiterhin unten wieder rechteckig, alle mit starker Schrägung der Gewände, deren innere Begrenzung anfangs hufeisenförmig, später senkrecht endet. Dicht am Querschiff führte eine breite Thür (10) vom Kreuzgang in das Seitenschiff. Noch viel deutlicher als hier zeigt sich ein Fortschritt von älteren zu jüngeren Formen im M i t t e l s c h i f f F. Wie an den starken östlichen Pfeilern (1), die zugleich die westlichen der Vierung sind, die breiten Verstärkungen und ebenso die Zweidrittelund Dreiviertelsäulen erst in gewisser Höhe aus dem Pfeiler heraustreten, wurde schon geschildert. Der Vorgang wiederholt sich am 3. Pfeilerpaar, wo die untere Verstärkung in noch grösserer Höhe beginnt als am ersten, die obere Abstufung aber sich nach der Höhe des Pfeilergesimses richtet. Weiter nach Westen verschwindet die untere Verstärkung ganz, während die obere, wenn auch in etwas schwächeren Formen, am 5., 7. und 9. Pfeilerpaar wiederkehrt, also die eigentlichen Gewölbträger im Gegensatz zu den schmäleren Zwischenpfeilern auszeichnet. Es verschwinden ferner vom 3. Pfeilerpaar ab die zwischen Pfeiler und Verstärkungsmasse eingelegten Dreiviertelsäulen, und die entsprechend gestalteten Zweidrittelsäulen kommen nur am 2. und 4. Pfeilerpaare vor. Besonders die letztere Erscheinung beweist, dass nicht nur eine allmähliche Vereinfachung der äusseren Formen eintritt, sondern dass sich auch eine Wandlung in der Konstruktion vollzieht. Die ersten beiden Joche nämlich und in der ganzen Kirche nur diese waren mit sechsteiligen Rippengewölben bedeckt, deshalb mussten zu den Dreiviertelsäulen sich die Vorlagen über dem 2. und 4. Pfeilerpaare gesellen, die von selbst wegfielen, als man im 3. Joch zum vierteiligen



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Gewölbe zurückkehrte. Mit demselben 3. Joch ändern auch die zwischen den Pfeilern ausgespannten Bögen ihre Gestalt. Jederseits sind die ersten vier Bögen halbkreisförmig wie die Gurte in den Seitenschiffen und von ebensolchen, nur tiefer gerückten Verstärkungsbögen begleitet, die wie die Hauptbögen ihre Stützpunkte auf den Pfeilerkämpfern finden. Die fünf letzten Bögen dagegen sind spitz und von ebenfalls spitzen, aus gleichen Mittelpunkten wie jene konstruierten Yerstärkungsbögen begleitet, und diese finden, weil sie viel enger sind als die Hauptbögen, keinen Platz mehr auf dem gemeinsamen Kämpfer, sondern bekommen besondere, schräg in die Pfeiler verlaufende Konsolsteine, um welche das Kämpfergesims herumgeführt wird. Nimmt man hinzu, dass die reicheren romanischen Kapitellformen hier und im allgemeinen auch in den Seitenschiffen mit dem 5. Pfeilerpaar aufhören, und dass gerade von da ab an den Aussenseiten der Oberwand, im Dachraum der Seitenschiffe, Strebepfeiler auftreten, so muss man folgern, dass eine wenn auch nur kurze Unterbrechung des Baues stattgefunden hat. In der That ist die Grenze zwischen den älteren und jüngeren Teilen neuerdings genau ermittelt worden. Sie liegt beiderseits über dem vierten Bogen und läuft unweit der Halbsäule annähernd senkrecht herab, und deutlich bemerkt man innen wie aussen, dass westlich von diesen Grenzlinien bei weniger sorgfaltiger Fügung des Mauerwerks ein gelberer Mörtel und viel häufiger als vorher ein schlechterer, rotbrauner Stein auftritt. Vier Pfeiler und vier Bögen und entsprechende Strecken der Aussenmauern, an denen Ahnliches zu beobachten ist, waren demnach fertig, als die Unterbrechung eintrat; neue Konstruktionen und Formen konnten nun erst mit dem 5. Bogen beginnen, während der neue Mauerverband schon beim Ausbau der unvollendet



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gebliebenen Wand über dem 4. Bogen in Anwendung kam. Ein Zufall ist es, dass ungefähr ebenso weit wenigstens zeitweilig der Mönchschor sich in das Langhaus vorschob; es scheint nämlich, dass von vielen, leicht irreführenden Einarbeitungen wenigstens die umfangreichen, am Boden beginnenden des 4. Pfeilerpaares auf eine Querschranke (11) zu beziehen sind, die sich selbst in den Seitenschiffen fortgesetzt zu haben scheint. So zweifellos jene Bauunterbrechung und ein inzwischen eingetretener Umschwung des Geschmackes und der Konstruktionsgewohnheiten ist, so darf man doch nicht übersehen, dass nicht alles Alte abgethan ist. Die 18 kleinen Rundbogenfenster, die den Dachraum über den Seitenschiffen beleuchteten, sind — abgesehen davon, dass die östlichen etwas sorgfältiger gearbeitet sind — im ganzen Bau die gleichen, und dasselbe hat man für die 18 grösseren Fenster des Oberstockes anzunehmen, von denen nur hier und da die unteren Ansätze, am deutlichsten in den jüngeren Westteilen, erhalten sind. Und noch wichtiger ist, dass bis zur Westwand der Wechsel zwischen breiteren Haupt- und schmäleren Nebenpfeilern durchgeführt wird, dass infolgedessen gerade das letzte, nicht mehr quadratische, sondern längliche Gewölbe, das den Bruch mit dem „gebundenen" romanischen System bedeutet, sich nicht über vier gleichwertigen, sondern über zwei breiteren und zwei schmäleren Pfeilern erhob. Ein allmähliches Fortschreiten auch n a c h der entscheidenden Bauunterbrechung zeigt sich in Kleinigkeiten. Die Konsolsteine, welche die fünf spitzen Verstärkungsbogen tragen, zeigen unmittelbar unter ihrem Gesims ein kurzes senkrechtes Profil, und dieses wird in der südlichen Bogenstellung bis zu Ende beibehalten. In der nördlichen tritt es nur



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unter dem ersten Spitzbogen auf, bei den übrigen zieht es sich schräg nach innen, sodass es wie eine Fortsetzung des Spitzbogens durch das Gesims hindurch erscheint, der Bogen in seiner Gesamtheit also an einen Hufeisenbogen erinnerj. Eine andere Einzelheit deutet darauf hin, dass die strenge, schmuckfeindliche Gesinnung des Ordens selbst in Arnsburg, wo sie sich so entschieden bekundet, nicht unerschütterlich war. Von der Vierung bis zur Westwand wiederholen sich, anfangs unter den Dreiviertelsäulen und den Gurtträgern, später nur noch unter diesen, die nüchtern und kraftlos geformten, aus der Wand heraustretenden Konsole. Von mancherlei, zum Teil recht gefalligen Formen für solche Konsole, die in anderen Cistercienserkirchen vorkommen, wollten die Arnsburger Mönche offenbar nichts wissen; nur ein einziges Mal — falls nicht hinter dem Epheu in den Westecken sich Ahnliches verbirgt — lehnte sich ein Bruder Steinmetz gegen die strenge Regel auf, indem er einem solchen Konsolstein, dem vorletzten der Nordwand (12), ein paar energischere Ringe, ein eleganter geschwungenes Profil und an der Wurzel fünf noch ganz zaghaft angedeutete Kelchblättchen gab. Am Ende des Mittelschiffes angelangt, blicken wir nach Süden hinaus durch eine spitzbogige Thür (13), die nicht mehr in den Kreuzgang L, sondern in eine an dessen Aussenseite sich anlehnende Halle 0 führte. Auch die Westwand hatte natürlich einen Durchgang, aber nicht in der Mitte, sondern im nördlichen Seitenschiff (19). Er verband dieses mit der Vorhalle, dem „Paradies" J, das wir später betreten werden, und ist von der Kirche aus nur an seinem inneren Stichbogen zu erkennen. Die Thür ist wohl erst in unserem Jahrhundert vermauert worden. Das nördliche S e i t e n s c h i f f G besitzt noch vier vollständige Gewölbe, die einzigen, die sich — abgesehen 4



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von der Vorhalle — von der ganzen Kirche erhalten haben; sie sind, wie es auch die zerstörten Kapellengewölbe waren, ohne Rippen von leichtem Bruchstein konstruiert. Die letzten, an der Wand entspringenden Grate setzen auf Konsolsteinen an, die hier reicher als im Südschiff gestaltet sind. Die Erdgeschossfenster, die sich hier in voller Grösse entwickeln konnten, zeigen in wohlthuenden Verhältnissen die normale Eundbogenform. Die Zweidrittelsäulen bieten nichts Neues; unter den Basen der äusseren ist keine einzige mehr auf Fortführung des Sockelprofils berechnet. An der Wand sind sechs nach Cisterciensersitte fast übertrieben einfache Grabsteine aufgestellt. Tief eingreifende Neuerungen hat der östliche, unmittelbar an den Kreuzarm grenzende Teil dieses Seitenschiffes in gotischer Zeit durch den 1371 erfolgten Anbau der A l l e r h e i l i g e n k a p e l l e H erfahren. Von dem starken Eckstrebepfeiler des Kreuzarmes (14) aus, dessen untere Quadern rechts von dem kleinen, nach Norden hinausführenden Pfade sichtbar sind, zog man eine neue Wand parallel zu der des Schiffes bis zum 5. Pfeilerpaar, wo man mit einer dünneren Querwand ziemlich unsolid — man gab sich nicht die Mühe, sie in die Schiffwand eingreifen zu lassen — den neugewonnenen Raum abschloss. Die Kapelle wurde mit vier Gewölben überdeckt, erhielt vier Fenster nach Norden, eines nach Westen und war durch eine dem 4. Gewölbjoch entsprechende hohe Wandöffnung (15), durch eine ebensolche (16) wahrscheinlich am anderen Ende mit dem Schiffe verbunden. Eine Wendeltreppe (17), die sich gegenüber dem 3. Pfeilerpaar des Schiffes an und in die alte Aussenmauer schmiegte, führte zum Dachraum empor. Erhalten ist von dieser Anlage sehr wenig: schwache Reste der alten Wand mit der Standplatte einer der Zweidrittelsäulen, ein grosses Stück



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des abgekanteten Gewändes jener westlichen Wandöffnung (15) und daneben Fundamente von Stufen, über die man in die Kapelle hinaufgelangte, ein niedriges Stück der westlichen Schmalwand mit dem Unterteil eines Fensters, das in späterer Zeit mit dem Grabstein (18) der Stifter der Kapelle*) zugesetzt worden ist, links davon in der Schiffwand ein starker Kragstein, in dessen Winkel ein zierliches Blattkonsol als Rippenträger angebracht ist, endlich an der Wand des Kreuzarmes zwischen den hoch hinaufreichenden Ansätzen der Schiffwand und dem Eckstrebepfeiler (14) der Schildbogen des ersten der gotischen Gewölbe mit seinen Konsolsteinen. Das Dach der Kapelle hat keine Spur zurückgelassen, während die Dachschräge des Nebenschiffes an der Wand des Kreuzarmes, ebenso die Lagersteine entlang der Mittelschiffwand deutlich erkennbar sind. Hier ist auch der richtige Moment, einen Blick auf die kurzen Strebepfeiler zu werfen, die vom 5. Pfeilerpaare an im Dachraume des Seitenschiffes über dessen Gurten ansetzen. Ein schmaler Pfad führt uns über die schwachen Reste der Aussenwand der Kapelle H hinaus. Weiter nach Westen ist die A u s s e n s e i t e d e s N e b e n s c h i f f e s Cr gut, meist sogar bis zu den eleganten, scharfgeschnittenen Konsolsteinen des Dachrandes erhalten; die Vorhalle I hat sogar das ganze Hauptgesims bewahrt. Durch ein hölzernes Thor (klopfen! Wenn geschlossen, muss man schon hier umkehren und die Vorhalle I direkt von Westen aus betreten) gewinnt man die Westseite der Kirche. *) Die Inschrift dieses Grabsteins lautet: .fubatoru . fyui' . altaris . e t . Capelle . cofecratoru . ano . bin . m ° . ccc° . xritit' 0 . Jet0 . f l ' r t b a s . octobris . — iftub . farcofagu . eft .

3of;'is • be . Itttbett . militis . et .