Der weite Horizont der Philosophie [1. ed.] 9783957432766, 9783969752760

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Der weite Horizont der Philosophie [1. ed.]
 9783957432766, 9783969752760

Table of contents :
Frontmatter
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Der weite Horizont der Philosophie
Imprint
Inhalt
Vorwort
Kapitel 1. Der Zusammenhang der philosophischen Disziplinen
1.1 Was ist Philosophie?
1.1.1 Philosophie und die Wissenschaften
1.1.2 Orientierung durch Philosophie
1.1.3 Grenzen wissenschaftlicher Philosophie
1.2 Philosophie des Geistes
1.2.1 Die Struktur intentionalen Bewusstseins
1.2.2 Freiheit
1.2.3 Personale Identität und Persistenz
1.2.4 Die Entfaltung intentionalen Bewusstseins
1.2.5 Nichtintentionale Formen des Bewusstseins
1.3 Das Leib-Seele-Problem
1.3.1 Materialismus
1.3.2 Der subjektive Idealismus
1.3.3 Neutraler Monismus
1.3.4 Formen des Dualismus
1.3.5 Der Polare Dualismus
1.4 Erkenntnistheorie
1.4.1 Wissensbegriffe
1.4.2 Erkenntnistheoretischer Realismus
1.4.3 Die Erkennbarkeit der Außenwelt
1.4.4 Die Theoriebeladenheit von Erfahrungen
1.4.5 Beobachter in der Welt
1.4.6 Die Erkenntnis von Eigenseelischem
1.4.7 Die Erkenntnis von Fremdseelischem
1.4.8 Der kognitive Wert des Erlebens
1.4.9 Grenzen intentionalen Denkens
1.5 Wissenschaftstheorie
1.5.1 Erklärungen
1.5.2 Kausalität
1.5.3 Finalität
1.5.4 Induktion
1.5.5 Modelle empirischer Erkenntnis
1.5.6 Geisteswissenschaften
1.6 Logik und Philosophie der Mathematik
1.6.1 Mögliche Welten
1.6.2 Eine modale Stufenlogik
1.6.3 Der Universalienrealismus
1.6.4 Der Konzeptualismus
1.7 Philosophie der Sprache
1.7.1 Sprechen und Denken
1.7.2 Eine konzeptualistische Bedeutungstheorie
1.7.3 Die semantischen Antinomien
1.7.4 Die Nichtobjektivierbarkeit von Bedeutungen
1.8 Ethik
1.8.1 Die Aufgabe der Ethik
1.8.2 Normen und Werte
1.8.3 Kognitivismus und Nichtkognitivismus
1.8.4 Moral und Recht
1.8.5 Moralischer Realismus und Moralischer Subjektivismus
1.8.6 Autonomie und Allgemeingültigkeit
1.8.7 Eine minimale Ethik
1.9 Ästhetik
1.9.1 Das Programm der Ästhetik
1.9.2 Erleben
1.9.3 Ausdruck
1.9.4 Ästhetischer Realismus
1.9.5 Kunst
1.10 Philosophische Anthropologie
1.10.1 Das Thema Philosophischer Anthropologie
1.10.2 Wandlungen des Menschenbilds
1.10.3 Kritik am modernen Menschenbild
1.11 Religionsphilosophie
1.11.1 Religionsphilosophie, Religionswissenschaft und Theologie
1.11.2 Was ist eine Religion?
1.11.3 Der Charakter religiösen Glaubens
1.11.4 Stützen religiösen Glaubens
1.11.5 Typen religiösen Glaubens
1.11.6 Theodicee
1.11.7 Religionskritik
Kapitel 2. Transzendenzerfahrungen
2.1 Schwierigkeiten des Zugangs zu T-Erfahrungen
2.1.1 Unverfügbarkeit und Unbeschreibbarkeit
2.1.2 Eine schmale Basis
2.2 Zwei Beispiele
2.2.1 Doppelreflexion
2.2.2 Gott als Grund
2.3 Zum Charakter von T-Erfahrungen
2.3.1 Unterschiede zu intentionalen Erfahrungen
2.3.2 Unterschiede zu vorintentionalen Erfahrungen
2.3.3 Die Relevanz von T-Erfahrungen
2.3.4 Implikationen für die Konzeption von T
2.4 Zugänge zu T-Erfahrungen vom Erleben
2.4.1 Ähnlichkeiten zwischen T-Erfahrungen und Erlebnissen
2.4.2 Der Zusammenhang der Wirklichkeit
2.4.3 Die Größe der Welt
2.4.4 Die Tiefe der Welt
2.4.5 Die Verständlichkeit der Welt
2.4.6 Eins mit dem Leben der Welt
2.4.7 Liebe
2.5 Eine apersonale Konzeption von T
2.5.1 Das Selbst als das Ganze
2.5.2 Ein Zugang
2.6 Meine Konzeption von T
2.6.1 T als personale Gemeinschaft
2.6.2 Die Verständlichkeit von T
2.6.3 Gut und Böse
2.6.4 Unterschiedliche Voraussetzungen der beiden Konzeptionen von T
2.7 Zum Verhältnis der empirischen Welt zu T
2.7.1 Der Grund für die empirische Welt
2.7.2 Das Chancenproblem
2.7.3 Das Problem der Schranken unseres Lebens
2.7.4 Das Problem der Übel in der Welt
Kapitel 3. Die Intentionen meiner Philosophie
3.1 Die heutige Sicht der Wirklichkeit
3.1.1 Theoretisch
3.1.2 Praktisch
3.1.3 Paradoxien
3.2 Meine Sicht
3.2.1 Kritik der heutigen Sicht
3.2.2 Zusätze
3.2.3 Grenzen intentionalen Erkennens
3.3 Nichtintentionale Erfahrungen
3.3.1 Jenseits intentionalen Bewusstseins
3.3.2 Der Schleier des Nichtwissens
3.4 Wirkungslosigkeit
3.4.1 Kultureller Verfall
3.4.2 Platons Gigantomachie
Kapitel 4. Vernunft und Glaube
4.1 Glaube auf der Suche nach Einsicht
4.1.1 Was ist eine Religion?
4.1.2 Vernunft
4.2 Ursachen der Krise
4.2.1 Der Ursprung des Glaubens in mythischem Denken
4.2.2 Mündiges Denken
4.2.3 Kein Platz für Gott
4.3 Kritik der Immanenz
4.3.1 Kritik des Erfahrungsbegriffs
4.3.2 Kritik am Materialismus
4.4 Christlicher Glaube
4.4.1 Bibelkritik
4.4.2 Der Kern jüdischen Glaubens
4.4.3 Die Botschaft Jesu
4.4.4 Die Entstehung des Christentums
Kapitel 5. Zur gegenwärtigen Krise christlichen Glaubens
5.1 Symptome
5.1.1 Auswanderung aus den Kirchen
5.1.2 Verunsicherung
5.1.3 Inhaltliche Entleerung
5.2 Zur Geschichte
5.2.1 Säkularisierung
5.2.2 Reformbewegungen
5.3 Ursachen
5.3.1 Der Übergang zum mündigen Denken
5.3.2 Der Übergang der weltanschaulichen Kompetenz an die Naturwissenschaften
5.4 Untaugliche Auswege
5.4.1 Entmythisierung
5.4.2 Aufteilung der Wirklichkeit
5.4.3 Fundamentalismus
5.4.4 Rückzug ins Private
5.4.5 Reduktion der Inhalte
5.5 Schritte zur Überwindung der Krise
5.5.1 Aufgaben einer Reform
5.5.2 Den Glauben vom Kopf auf die Füße stellen
5.5.3 Reform der Gemeinschaft
Backmatter
Literaturverzeichnis
Verzeichnis meiner Schriften
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Der weite Horizont der Philosophie

Franz von Kutschera

Der weite Horizont der Philosophie

Umschlagabbildung: Caspar David Friedrich, Ausschnitt aus dem Gemälde Morgen im Riesengebirge, 1810/11

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill mentis, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. www.mentis.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-95743-276-6 (hardback) ISBN 978-3-96975-276-0 (e-book)

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xi 1 Der Zusammenhang der philosophischen Disziplinen . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Was ist Philosophie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 Philosophie und die Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.2 Orientierung durch Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.1.3 Grenzen wissenschaftlicher Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2 Philosophie des Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.1 Die Struktur intentionalen Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.2 Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.2.3 Personale Identität und Persistenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.2.4 Die Entfaltung intentionalen Bewusstseins  . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2.5 Nichtintentionale Formen des Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . 32 1.3 Das Leib-Seele-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.3.1 Materialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.3.2 Der subjektive Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.3.3 Neutraler Monismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.3.4 Formen des Dualismus  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.3.5 Der Polare Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.4 Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.4.1 Wissensbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1.4.2 Erkenntnistheoretischer Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1.4.3 Die Erkennbarkeit der Außenwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1.4.4 Die Theoriebeladenheit von Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1.4.5 Beobachter in der Welt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1.4.6 Die Erkenntnis von Eigenseelischem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1.4.7 Die Erkenntnis von Fremdseelischem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1.4.8 Der kognitive Wert des Erlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1.4.9 Grenzen intentionalen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1.5 Wissenschaftstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1.5.1 Erklärungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 1.5.2 Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1.5.3 Finalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1.5.4 Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 1.5.5 Modelle empirischer Erkenntnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1.5.6 Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

vi

Inhalt

1.6 Logik und Philosophie der Mathematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1.6.1 Mögliche Welten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1.6.2 Eine modale Stufenlogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1.6.3 Der Universalienrealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1.6.4 Der Konzeptualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1.7 Philosophie der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.7.1 Sprechen und Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.7.2 Eine konzeptualistische Bedeutungstheorie . . . . . . . . . . . . . . 130 1.7.3 Die semantischen Antinomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1.7.4 Die Nichtobjektivierbarkeit von Bedeutungen . . . . . . . . . . . . 135 1.8 Ethik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1.8.1 Die Aufgabe der Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1.8.2 Normen und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 1.8.3 Kognitivismus und Nichtkognitivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1.8.4 Moral und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1.8.5 Moralischer Realismus und Moralischer Subjektivismus . . 143 1.8.6 Autonomie und Allgemeingültigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1.8.7 Eine minimale Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1.9 Ästhetik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.9.1 Das Programm der Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.9.2 Erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.9.3 Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1.9.4 Ästhetischer Realismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1.9.5 Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1.10 Philosophische Anthropologie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1.10.1 Das Thema Philosophischer Anthropologie . . . . . . . . . . . . . . 183 1.10.2 Wandlungen des Menschenbilds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1.10.3 Kritik am modernen Menschenbild  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1.11 Religionsphilosophie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1.11.1 Religionsphilosophie, Religionswissenschaft und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1.11.2 Was ist eine Religion?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1.11.3 Der Charakter religiösen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1.11.4 Stützen religiösen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1.11.5 Typen religiösen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 1.11.6 Theodicee  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1.11.7 Religionskritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Inhalt

vii

2 Transzendenzerfahrungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.1 Schwierigkeiten des Zugangs zu T-Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.1.1 Unverfügbarkeit und Unbeschreibbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2.1.2 Eine schmale Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.2 Zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.2.1 Doppelreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2.2.2 Gott als Grund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2.3 Zum Charakter von T-Erfahrungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 2.3.1 Unterschiede zu intentionalen Erfahrungen  . . . . . . . . . . . . . 225 2.3.2 Unterschiede zu vorintentionalen Erfahrungen  . . . . . . . . . . 226 2.3.3 Die Relevanz von T-Erfahrungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2.3.4 Implikationen für die Konzeption von T . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2.4 Zugänge zu T-Erfahrungen vom Erleben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2.4.1 Ähnlichkeiten zwischen T-Erfahrungen und Erlebnissen . . 232 2.4.2 Der Zusammenhang der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2.4.3 Die Größe der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2.4.4 Die Tiefe der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 2.4.5 Die Verständlichkeit der Welt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2.4.6 Eins mit dem Leben der Welt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2.4.7 Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2.5 Eine apersonale Konzeption von T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2.5.1 Das Selbst als das Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2.5.2 Ein Zugang  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2.6 Meine Konzeption von T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2.6.1 T als personale Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 2.6.2 Die Verständlichkeit von T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2.6.3 Gut und Böse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.6.4 Unterschiedliche Voraussetzungen der beiden Konzeptionen von T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2.7 Zum Verhältnis der empirischen Welt zu T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2.7.1 Der Grund für die empirische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2.7.2 Das Chancenproblem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2.7.3 Das Problem der Schranken unseres Lebens . . . . . . . . . . . . . . 254 2.7.4 Das Problem der Übel in der Welt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3 Die Intentionen meiner Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.1 Die heutige Sicht der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.1.1 Theoretisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3.1.2 Praktisch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3.1.3 Paradoxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

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Inhalt

3.2 Meine Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3.2.1 Kritik der heutigen Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3.2.2 Zusätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3.2.3 Grenzen intentionalen Erkennens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3.3 Nichtintentionale Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3.3.1 Jenseits intentionalen Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3.3.2 Der Schleier des Nichtwissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 3.4 Wirkungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3.4.1 Kultureller Verfall  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3.4.2 Platons Gigantomachie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 4 Vernunft und Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4.1 Glaube auf der Suche nach Einsicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4.1.1 Was ist eine Religion?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4.1.2 Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 4.2 Ursachen der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4.2.1 Der Ursprung des Glaubens in mythischem Denken . . . . . . 289 4.2.2 Mündiges Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 4.2.3 Kein Platz für Gott  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 4.3 Kritik der Immanenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4.3.1 Kritik des Erfahrungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 4.3.2 Kritik am Materialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.4 Christlicher Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.4.1 Bibelkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4.4.2 Der Kern jüdischen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 4.4.3 Die Botschaft Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 4.4.4 Die Entstehung des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 5 Zur gegenwärtigen Krise christlichen Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.1 Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.1.1 Auswanderung aus den Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 5.1.2 Verunsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5.1.3 Inhaltliche Entleerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5.2 Zur Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 5.2.1 Säkularisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 5.2.2 Reformbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 5.3 Ursachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 5.3.1 Der Übergang zum mündigen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 5.3.2 Der Übergang der weltanschaulichen Kompetenz an die Naturwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

Inhalt

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5.4 Untaugliche Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 5.4.1 Entmythisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 5.4.2 Aufteilung der Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5.4.3 Fundamentalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 5.4.4 Rückzug ins Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 5.4.5 Reduktion der Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.5 Schritte zur Überwindung der Krise  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.5.1 Aufgaben einer Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5.5.2 Den Glauben vom Kopf auf die Füße stellen  . . . . . . . . . . . . . 320 5.5.3 Reform der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Verzeichnis meiner Schriften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Stichwörter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

Vorwort Die in diesem Band vereinten, bisher unveröffentlichten fünf Aufsätze enthalten die zentralen Gedanken meiner Philosophie. Die Zusammenstellung soll ihren Zusammenhang verdeutlichen. Der Aufsatz 1 gibt eine Übersicht über die Themen der philosophischen Teildisziplinen, in der es mir vor allem auf die Beziehungen zwischen diesen Themen ankommt. Dabei will ich zeigen, dass die Philosophie des Geistes eine Schlüsselrolle im Spektrum der philosophischen Disziplinen spielt. Ich bemühe mich um Übersichtlichkeit. Die erfordert Kürze, so dass ich für ausführlichere Darstellungen zu den einzelnen Themen öfter auf frühere Veröffentlichungen verweisen muss und auf andere Ansichten zu den einzelnen Problemen nur dort eingehen kann, wo das zur Erläuterung eigener Behauptungen hilfreich ist. In 1.1 erläutere ich meine Konzeption von Philosophie. Ich unterscheide eine Philosophie im engeren Sinn, die sich in den Grenzen unseres normalen, intentionalen Denkens hält, von einer Philosophie im weiteren Sinn, die versucht, über diese Grenzen hinaus zu blicken. Das Kapitel 1 bewegt sich im Rahmen der Philosophie i.e.S. Um Philosophie i.w.S. geht es im zweiten Aufsatz. Dass intentionales Erkennen Grenzen hat, lässt sich mit dessen eigenen Mitteln feststellen. Dass wir darüber hinauskommen können, zeigen überintentionale Erfahrungen. Solche Erfahrungen sind schon aus dem 8. Jahrhundert v.Chr. in den Upanishaden am Ende der indischen Veden bezeugt. Anders als sinnliche Beobachtungen sind sie jedoch nicht kontrollierbar, denn sie sind selten und lassen sich nicht nach Belieben anstellen. Zudem ist ihr Gehalt nur schwer zu fassen, denn er entzieht sich naturgemäß Beschreibungen mit unserer normalen Sprache, die für die Zwecke intentionalen Denkens gemacht ist. Eine Beschäftigung mit solchen Erfahrungen ist daher mühsam. Die Erfahrungen bilden jedoch ein wichtiges Thema der Geistesgeschichte, denn sie liegen allen großen Religionen zugrunde und waren damit eine Kraftquelle aller Hochkulturen. Mein zentrales Anliegen bestand nicht in logischen und wissenschaftstheoretischen Analysen, sondern in der Verteidigung der großen Konzeption menschlichen Daseins, die unserer europäischen Kultur zugrunde lag und die nun zu verschwinden droht. Diese Intention meiner Philosophie ist das Thema des dritten Aufsatzes. Darin gehe ich auf die heutige, von den Naturwissenschaften dominierte Sicht der Wirklichkeit ein und kritisiere sie im Licht meiner Aussagen zur Philosophie des Geistes in 1.2. Die große Konzeption des Menschen unserer europäischen geistigen Tradition beruhte nicht nur auf philosophischen Ideen, sondern auch auf

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Vorwort

christlichem Glauben. Auch dieser Glaube verfällt heute. Wer die große Konzeption verteidigen will, muss sich daher auch mit dem Glauben und den Gründen seines Verfalls auseinandersetzen. Darum geht es im vierten und fünften Aufsatz. Vernunft und Glaube beanspruchen beide die Rolle eines Führers durchs Leben. Diese Ansprüche sind nur dann kompatibel, wenn der Glauben nach Einsicht sucht – fides quaerens intellectum. Andererseits müssen wir der Kraft unserer Vernunft vertrauen, und dieses Vertrauen kann Vernunft allein nicht rechtfertigen. Daher lautet die Ergänzung: intellectus quaerens fidem. Ohne ein Grundvertrauen auf die Erkennbarkeit der Wirklichkeit kann uns Vernunft kein Führer durchs Leben sein. Die Verweise auf meine eigenen Arbeiten beziehen sich auf das Verzeichnis meiner Schriften am Ende des Buches. A12 steht dabei für den Aufsatz Nr. 12, B 16 für das Buch Nr. 16.

Kapitel 1

Der Zusammenhang der philosophischen Disziplinen 1.1

Was ist Philosophie?

1.1.1

Philosophie und die Wissenschaften

Am Anfang einer systematischen Darstellung der Philosophie muss eine Bestimmung jener Art von Philosophie stehen, von der die Rede sein soll, denn unter dem Titel „Philosophie“ findet man heute ein Sammelsurium ganz verschiedener Bemühungen, ähnlich wie unter dem Titel „Kunst“.1 An der Universität fungiert Philosophie als ein wissenschaftliches Fach neben anderen. Um diesen Platz zu rechtfertigen, muss sich Philosophie auf dem gleichen intellektuellen Niveau bewegen wie die Einzelwissenschaften. Sie muss daher jedenfalls die beiden Mindestanforderungen erfüllen, die allgemein für wissenschaftliches Arbeiten gelten: Ihre Aussagen müssen erstens einen hinreichend klaren Sinn haben. Die Sprache der Philosophie ist die normale Sprache, in unserem Fall Deutsch. Die ist für den alltäglichen Gebrauch geschaffen, nicht für wissenschaftliche Zwecke. Daher müssen die Wörter für philosophische Verwendungen oft genauer erläutert und für neue Anwendungen definiert werden. Manchmal ist es auch notwendig, neue Wörter einzuführen, deren Verwendungsweise dann genau festgelegt werden muss. Aus der Forderung nach Klarheit folgt, dass man in der Philosophie Sorgfalt auf die Bestimmung der Begriffe verwenden muss. Schon Aristoteles hat in seinen Schriften viel Mühe in die Aufhellung der Bedeutungsvielfalt von Wörtern investiert. Das Bemühen um den genauen Sinn der Terme, um die Präzision der sprachlichen Ausdrucksmittel zeichnet fast alle bedeutenden Philosophen aus. Es gibt zwar keine absolute Klarheit, man braucht aber auch nur hinreichende Klarheit für den jeweiligen Kontext. Jedenfalls muss man begründeten Forderungen nach weiterer Präzisierung Rechnung tragen. Philosophische Behauptungen müssen zweitens hinreichend gut begründet sein. Wie in den Wissenschaften sind nur begründete Aussagen relevant. Wann eine Behauptung hinreichend gut begründet ist, ergibt sich wieder aus dem Kontext. Strikte logische Beweise sind nur selten möglich, oft muss man 1 Vgl. B32, 1.1 und B28, Kap. 20.

© Brill mentis, 2022 | doi:10.30965/9783969752760_002

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Kapitel 1

sich mit guten, wenn auch logisch nicht hinreichenden Gründen zufriedengeben. Man wird sich jedenfalls berechtigte Forderungen nach genaueren Begründungen offenhalten müssen. Da jede Begründung eines Satzes sich auf andere Aussagen stützt, lässt sich in ein und demselben Zusammenhang nicht alles begründen. Das heißt aber nicht, jedes Argument würde letztlich auf dogmatischen Voraussetzungen beruhen. Die Prämissen können ja auch evident sein oder in einem weiteren Schritt kritisch hinterfragt werden. Wie in den Wissenschaften spielen natürlich auch in der Philosophie Hypothesen eine wichtige Rolle. Das sind keine gesicherten Feststellungen, keine Behauptungen, sondern Vorschläge, z.B. für die Erklärung von Phänomenen oder für die Interpretation von Texten. Sie erfordern weitere Untersuchungen. In solchen zunächst ungesicherten Vermutungen besteht oft das schöpferische Element von Philosophie und Wissenschaften. Beide Postulate, Klarheit und Begründung, grenzen zunächst das, was als ernsthafte Philosophie gelten kann, von bloßem Gerede ab. Nimmt man den Gedanken hinzu, dass der Logik als Theorie korrekter Argumentation und Begriffsbildung nach beiden Postulaten besondere Bedeutung zukommt und sie zudem das einzige Organon, das einzige spezifische Werkzeug der Philosophie ist, so ist man beim Leitgedanken der analytischen Philosophie. Im engeren Sinn steht diese Bezeichnung für positivistische, empiristische und antimetaphysische Tendenzen der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die heute eine Sache der Vergangenheit sind. Im weiteren Sinn bezeichnet sie hingegen eine Philosophie, die auf klare Begriffe und solide Begründungen besonderen Wert legt und dabei die Fähigkeit hat, logische Hilfsmittel einzusetzen, wenn das zweckdienlich erscheint. In diesem Sinn ist sie keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts, sondern eine Tradition des Philosophierens, der die meisten bedeutenden Philosophen zuzurechnen sind. Philosophie ist keine Wissenschaft im üblichen Sinn. Sie ist erstens kein Einzelfach. Sie hat keinen spezifischen Gegenstandsbereich, sondern überschneidet sich thematisch mit fast allen wissenschaftlichen Disziplinen: Es gibt eine Philosophie der Sprache, der Geschichte, der Mathematik, der Physik und der Biologie, eine Philosophie von Recht und Staat, von Kunst und Religion. Logik, das Organon der Philosophie und lange Zeit ihre Domäne, wird heute vielfach von Mathematikern betrieben. Bis hin zu Descartes und Hobbes stand die Bezeichnung „Philosophie“ für das Ganze der Wissenschaften – nur Mathematik und Medizin hatten von Anfang an eine gewisse Eigenständigkeit. Für Aristoteles waren alle Einzelwissenschaften Teile der Philosophie. Mit der Zunahme der Kenntnisse auf den verschiedenen Gebieten, mit der Ausbildung spezieller Begriffssysteme und Methoden haben sich dann fast alle Einzelwissenschaften, Natur- wie Geisteswissenschaften, aus dem Verband der

Der Zusammenhang philosophischer Disziplinen

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Philosophie emanzipiert. Sie haben die Welt untereinander in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, so dass der theoretischen Philosophie kein spezifisches Sachgebiet geblieben ist. Die Philosophie der Mathematik ist nun kein Parallelunternehmen zur Mathematik, sondern befasst sich mit deren Grundlagen. Schon Platon hat gesagt, die Reflexion auf die Grundlagen der Mathematik sei eine Angelegenheit der Philosophie – vgl. das Gleichnis von der geteilten Linie im Staat 509d-511e. Die Grenzen sind dabei allerdings nicht scharf. In der Philosophie der Mathematik geht es zwar nicht um jene Probleme, für die sich Mathematiker gewöhnlich interessieren, es geht vielmehr z.B. um den ontologischen und erkenntnistheoretischen Status abstrakter Objekte wie Zahlen oder Mengen. Auch Mathematiker haben sich aber mit solchen Fragen befasst, wie etwa die beiden Werke Die Grundlagen der Arithmetik (1884) von Gottlob Frege und Was sind und was sollen die Zahlen? (1888) von Richard Dedekind zeigen, in denen es um die ontologische Natur der Zahlen geht und den Charakter arithmetischer Erkenntnisse. Wenn sich auch die meisten Mathematiker nicht für die Grundlagen ihrer Disziplin interessieren, können sie doch nicht leugnen, dass z.B. beweistheoretische und modelltheoretische Ergebnisse wie die Theoreme von Kurt Gödel über die Unvollständigkeit formaler Systeme der Arithmetik oder die Unabhängigkeit der generellen Kontinuumshypothese von den Axiomen des mengentheoretischen Standardsystems von Zermelo und Fraenkel von großer Bedeutung für die Mathematik selbst sind. Die Mathematik ist eine exakte Wissenschaft, die Diskussion ihrer ontologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen bietet hingegen dasselbe Bild wie philosophische Diskussionen – sie ist eben nichts anderes als eine philosophische Erörterung. Auch dabei stehen sich ganz verschiedene Positionen gegenüber, und oft sind es heute dieselben wie vor fast zweieinhalb Jahrtausenden – ebenso wenig Fortschritt also wie in der Philosophie auch sonst. Philosophie ist zweitens auch deswegen keine Wissenschaft im üblichen Sinn, weil ihre Forschungen keine gemeinsame Basis haben. In den Einzelwissenschaften gibt es allgemein akzeptierte Methoden und Theorien, die es einem Forscher erlauben, auf den Ergebnissen anderer aufzubauen, da sie mit Voraussetzungen und nach Kriterien gewonnen wurden, die auch er selbst anerkennt. Wissenschaft wird damit zu einem gemeinschaftlichen Unternehmen, und das ermöglicht einen wesentlich rascheren und auch verlässlicheren Erkenntnisfortschritt, als ihn der einzelne erzielen kann. Im Sinn von Thomas Kuhns The Structure of Scientific Revolutions (1962) kommt normale Wissenschaft dort in Gang, wo sich ihre Untersuchungen in einem gemeinsamen Paradigma bewegen, im Rahmen allgemein akzeptierter Theorien und Methoden. Solche Paradigmen gibt es in der Philosophie nicht. Sie

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Kapitel 1

sieht ihre Aufgabe gerade in der Kritik wissenschaftlicher Paradigmen. Im wissenschaftlichen Normalbetrieb geht man – trotz des Bekenntnisses zum prinzipiell hypothetischen Charakter empirischer Theorien – davon aus, dass man auf festem Boden steht und das Fach in seinen grundlegenden Theorien über gesichertes Wissen verfügt. Die Philosophie hingegen erhebt seit Sokrates und Platon gerade nicht den Anspruch auf gesichertes Wissen. Diogenes Laertius berichtet, als erster habe sich Pythagoras als „Philosoph“ bezeichnet, als Freund der Weisheit, denn kein Mensch sei weise, sondern allein die Götter. Die Deutung der ersten Wortkomponente philein im Sinn von „streben nach“ statt „vertraut sein mit“ stammt aber wohl erst von Platon. Sophia war zunächst allgemein Wissen, Bildung und Können. Erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts nahm das Wort die Bedeutung von „Gelehrtheit“ an, und bis zu Sokrates wurden Philosophen meist als Sophoi bezeichnet. Er wandte sich gegen die für ihn oberflächlichen Wissensansprüche der Gelehrten und nahm für sich selbst nur eine einzige Form von Weisheit in Anspruch: das Bewusstsein eigenen Nichtwissens. Für Platon war die Reinigung der Seele von falschen Wissensansprüchen die höchste Form der Katharsis – dieses Wort hat für ihn durchaus religiöse Konnotationen – und die Vorbedingung für echte Erkenntnis (vgl. Sophistes, 230d). Nur wer sich bewusst ist, über eine Sache nicht – oder doch nicht gründlich – Bescheid zu wissen, sucht nach Einsicht, und ernsthaftes Suchen ist die Vorbedingung des Findens. Ein Philosoph ist kein Gelehrter, sondern ein Forscher, jemand, der Erkenntnis nicht besitzt, sondern sich um sie bemüht. Philosophie ist daher seit Sokrates eine wissenschaftskritische Instanz. Daher ist das Wort von Hegel so ärgerlich, Philosophie könne nun – nach ihrer Reformation durch ihn selbst – den Namen der Liebe zum Wissen ablegen und zum wirklichen Wissen werden. Philosophie sieht ihre Aufgabe immer wieder auch darin, zu hinterfragen, worüber sich alle einig sind, was allgemein akzeptiert wird, was als selbstverständlich gilt oder als gesichertes wissenschaftliches Resultat. Drittens sieht Philosophie ihre Aufgabe auch darin, sich um den Zusammenhang der wissenschaftlichen Einsichten zu kümmern. Wissenschaftlicher Fortschritt wird durch Arbeitsteilung, durch Spezialisierung gefördert. Jede Wissenschaft beschäftigt sich nur mit einem Realitätsausschnitt, einem Bereich miteinander zusammenhängender Phänomene, und kommt aufgrund dieser Konzentration eher zu detaillierten Aussagen, als wenn sie immer das Ganze im Blick behalten müsste. Spezialisierung ist zwar unvermeidlich, sie bewirkt aber auch eine zunehmende Entfernung der Wissenschaften voneinander. Die geht zum Teil sogar so weit, dass die Theorien verschiedener Disziplinen

Der Zusammenhang philosophischer Disziplinen

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nicht mehr zueinander passen. Von einer Einheit des wissenschaftlichen Weltbildes, einer einheitlichen Landkarte der Wirklichkeit, deren verschiedene Regionen durch die einzelnen Disziplinen ausgefüllt werden, kann heute nicht die Rede sein. Wir haben viele, oft sehr detaillierte Kartenausschnitte, aber sie fügen sich manchmal so wenig zusammen wie Stücke verschiedener Puzzles. Die Theorien sind eben zur Beschreibung und Erklärung ganz verschiedener Phänomenbereiche entworfen worden, und für den einen Bereich kann sich eine Hypothese empfehlen, die für den anderen nicht passt. In den Geisteswissenschaften und im Recht gehen wir z.B., ebenso wie im praktischen Leben, von menschlicher Freiheit aus; ohne die wären die Fragestellungen und Antworten dieser Disziplinen kaum sinnvoll. Im Weltbild der Naturwissenschaften ist hingegen für Freiheit kein Platz. Für sie ist der Mensch ein komplexer, letztlich physikalischer Apparat, und das passt nicht zu dem erkennenden, planenden, handelnden Wesen, von dem Sprach- und Kulturwissenschaften reden. In den Schriften des Buddhismus wird von einem König berichtet, der alle Blindgeborenen seiner Residenz im Hofe des Palasts versammelte. Er ließ ihnen einen Elefanten vorführen und sagte: „Das ist ein Elefant.“ Dabei ließ er die einen den Kopf betasten, andere ein Ohr, einen Stoßzahn, den Rüssel, den Rumpf, einen Fuß, das Hinterteil, den Schwanz oder die Schwanzhaare. Dann fragte er sie: „Wie ist ein Elefant beschaffen?“ Da sagten jene, die den Kopf betastet hatten: „Er ist wie ein Topf“, die das Ohr betastet hatten: „Wie ein geflochtener Korb zum Schwingen des Getreides“, die einen Stoßzahn gefühlt hatten: „Wie eine Pflugschar“, die einen Fuß untersucht hatten: „Wie ein Pfeiler“, und jene, die es mit den Schwanzhaaren zu tun gehabt hatten: „Wie ein Besen“. Darüber gerieten sie dann in Streit und mit dem Ruf: „Der Elefant ist so und nicht anders!“ schlugen sie sich gegenseitig mit Fäusten – zum Ergötzen des Königs, wie es heißt. Es ist eine wichtige Aufgabe der Philosophie, sich um ein kohärentes Verständnis des Ganzen zu kümmern. Die Einzelwissenschaften können sie nicht erfüllen, denn ihre besondere Zuständigkeit für ihr Spezialgebiet wird mit ihrer Unzuständigkeit für alles andere erkauft. Die beiden thematischen Richtungen der Philosophie: Grundlagen der Wissenschaften und das Ganze der Wirklichkeit, hängen zusammen. Grundlagenfragen sind in der Regel Fragen von hoher Allgemeinheit, so dass die Antworten oft Implikationen haben, die weit über das Gebiet der einzelnen Disziplin hinausgehen. Die Autonomie der Einzelwissenschaften findet ihre Grenze darin, dass ihre Konzeptionen zueinander passen und sich in ein Gesamtbild der Realität fügen müssen, und dazu kann eine philosophische Untersuchung ihrer Grundlagen beitragen.

6 1.1.2

Kapitel 1

Orientierung durch Philosophie

Bisher habe ich nur von theoretischer Philosophie gesprochen. Philosophie hat aber auch eine praktische Dimension. Praktische Philosophie befasst sich mit Werten und Normen, mit der Erkenntnis von Werttatsachen und der Begründung normativer Aussagen. Für dieses Gebiet ist die Philosophie traditionell allein zuständig, denn alle anderen Disziplinen bekennen sich zur Wertfreiheit der Wissenschaften, sehen also von Wertfragen prinzipiell ab. Heute ist allerdings umstritten, ob man tatsächlich von einer Zuständigkeit der Philosophie für Wertfragen reden kann. Die besteht ja nur, wenn es im Sinn des moralischen und ästhetischen Realismus eigenständige, nicht auf wertfreie Fakten reduzierbare Werttatsachen und normative Tatsachen gibt. Für den heute herrschenden Wertsubjektivismus gehören diese Tatsachen dagegen zum Gebiet der Psychologie bzw. Soziologie, denn für ihn sind Werttatsachen nichts anderes als Wertungstatsachen. Wertungen leiten sich aber aus subjektiven Interessen ab und Normen aus sozialen Konventionen. Ich vertrete demgegenüber einen moralischen wie ästhetischen Realismus – in welcher Form und mit welchen Argumenten sage ich im 8. Kapitel. Danach hat die Wirklichkeit selbst Wertdimensionen und die Philosophie ist für ein Verständnis der Wirklichkeit unentbehrlich, weil allein sie sich mit diesen Dimensionen befasst. In der Philosophie gilt daher kein Postulat der Wertfreiheit. Die Beschäftigung mit Wertfragen bewirkt einen weiteren Unterschied zu den Wissenschaften. Thomas Hobbes hat gesagt, ethische Fragen eigneten sich nicht für eine wissenschaftliche Behandlung, weil die Antworten nicht, wie im Fall theoretischer Probleme, mit unterschiedlichen Interessen verträglich sind. In Wertfragen ist es mit dem Konsens der Akademiker tatsächlich schneller vorbei als in deskriptiven Fragen – ich unterscheide deskriptive Aussagen von valuativen Aussagen (Wertaussagen) und normativen Aussagen (Ge- und Verboten und Erlaubnissen). Von der Philosophie hat man sich immer Orientierung für das Leben erwartet, ja vor allem darin hat man den Wert der Philosophie gesehen. Sie sollte den Weg zu einem guten Leben weisen, zur richtigen Haltung in den Nöten des Lebens oder zur Zustimmung zur Wirklichkeit. Orientierung heißt Wegweisung bei Entscheidungen. Vernünftige Entscheidungen beruhen erstens auf einer Klärung der Handlungsalternativen, die man als Agent in der fraglichen Situation hat, und ihrer möglichen Folgen, zweitens auf einer Bewertung dieser Folgen und drittens auf der Wahrscheinlichkeit, die man den Handlungsfolgen zuordnet. Man wird jene Alternative wählen (oder eine jener Alternativen), bei welcher der zu erwartende Wert der Folgen maximal ist. Geht man davon aus, dass sich die Bewertung der Folgen durch den Agenten

Der Zusammenhang philosophischer Disziplinen

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allein nach seinen subjektiven Interessen richtet, so ergibt sich ein Begriff der Zweck-Mittel-Rationalität. In diesem Sinn schreibt Hume: Reason is, and ought only to be, the slave of the passions, and can never pretend to any other office than to serve and obey them. (A Treatise of Human Nature, Buch 2, III,3)

In seinem Versuch über die Krankheiten des Kopfes von 1764 sagt auch Kant: Die Triebe der menschlichen Natur … sind die Bewegkräfte des Willens; der Verstand kommt nur dazu, sowohl das ganze Fazit der Befriedigung aller Neigungen insgesamt aus dem vorgestellten Zwecke zu schätzen, als auch die Mittel zu diesem auszufinden. (Werke Bd.II, S.889)

Später, in seiner Kritik der praktischen Vernunft, hat Kant hingegen betont: Es gibt eine Willensfreiheit, kraft derer wir unsere Ziele selbst bestimmen können, und Vernunft ist auch für die Erkenntnis dessen zuständig, was objektiv, z.B. moralisch richtig ist. Eine Orientierung im Sinn der Zweck-Mittel-Rationalität, eine Klärung der Frage, was man in der gegebenen Situation tun soll, ist zwar oft nicht einfach, erfordert aber keine Hilfe der Philosophie, denn über seine eigenen Interessen und Erwartungen weiß jeder selbst am besten Bescheid. Eine Orientierung durch Philosophie ist nur dann gefragt, wenn es einem nicht nur um den eigenen Vorteil geht, sondern um ein im objektiven Sinn richtiges, z.B. ein moralisch richtiges Verhalten. Dann muss man sich auf den objektiven Wert der Handlungsfolgen beziehen, und der ist Thema der Philosophie, die einen Wertrealismus vertritt. Der unterscheidet subjektive und objektive Werte, Werte für diese oder jene Personen wie Nützlich und Angenehm, und moralische Werte wie Gut und Gerecht oder ästhetische Werte wie Schön und Harmonisch. Objektive Wertaussagen gelten nicht nur für einzelne Personen, mit ihnen verbindet sich vielmehr ein allgemeiner Anspruch, ebenso wie mit deskriptiven Behauptungen. Es gibt so etwas wie eine Pflicht zur Anerkennung deskriptiver wie valuativer Fakten. Die Gegenposition zum Wertrealismus ist der Wertsubjektivismus. Er steht hinter der Verengung des Vernunftbegriffs zur Zweck-Mittel-Rationalität, denn für ihn beruhen alle Wertaussagen auf subjektiven Präferenzen. Die Erfahrung, dass wir uns durch Denken orientieren können und die Kraft zur vernünftigen Selbstbestimmung haben, ist eine der Grunderfahrungen des Philosophierens seit Platon. Im Protagoras (352b-c) sagt Sokrates: Die meisten denken von der Erkenntnis ungefähr so, dass sie nichts Starkes, nichts Leitendes und Herrschendes ist. Sie achten sie auch gar nicht als solches, sondern meinen, dass, wenn auch Erkenntnis im Menschen ist, sie ihn doch oft nicht beherrscht, sondern irgendetwas anderes, bald Zorn, bald Lust, bald Unlust,

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Kapitel 1 manchmal Liebe, oft auch Furcht. So denken sie offenbar von der Erkenntnis wie von einem Sklaven, dass sie sich von allem anderen herumzerren lässt. Glaubst nun auch du so etwas von ihr, oder vielmehr, sie sei etwas Schönes, das wohl den Menschen regiere, und wenn jemand Gutes und Schlechtes erkannt habe, werde er von nichts anderem mehr bezwungen, irgendetwas anderes zu tun, als das, was seine Erkenntnis ihm befiehlt, und Einsicht sei fähig, dem Menschen durchzuhelfen?

Eine wichtige Aufgabe einer Philosophie, die Orientierung vermitteln will, ist also die Rehabilitation von Freiheit und moralischem Realismus. Sieht man Wertaussagen als subjektiv an, verbaut man sich zudem ein tieferes Verständnis der Wirklichkeit, wie ich in 5.1 zeigen werde. 1.1.3

Grenzen wissenschaftlicher Philosophie

In 1.1 habe ich gesagt, Philosophie müsse sich um klare Aussagen bemühen, um eine möglichst präzise Sprache und um gute Begründungen für ihre Behauptungen. Ihre Aussagen müssen für andere verständlich sein und ihre Argumente kontrollierbar. Das zieht philosophischer Erkenntnis Grenzen. Unser normales Bewusstsein und Denken ist intentional.2 Wir stehen darin als Subjekte einer gegenständlichen Welt gegenüber. Wir erfahren, glauben, hoffen oder wünschen, dass etwas der Fall ist. Unsere Sprache ist für die Zwecke intentionalen Denkens gemacht und mit unseren Begriffen und Argumenten bewegen wir uns in seinem Rahmen. Daher ist auch die Philosophie, wie ich sie bisher skizziert habe, eine Sache intentionalen Denkens. Intentionalität ist jedoch nicht die Form allen Bewusstseins und allen Erkennens.3 Intentionales Denken stößt an Grenzen, von denen in 1.4.9 die Rede sein wird. Daher stellt sich die Frage, ob die Grenzen intentionalen Denkens auch die Grenzen der Wirklichkeit sind. Dass es Grenzen intentionalen Denkens gibt, lässt sich mit dessen Mitteln zeigen, nicht aber, dass die Wirklichkeit über diese Grenzen hinausgeht. Das können nur überintentionale Erfahrungen belegen. Wegen der Beschränkung unserer sprachlichen und begrifflichen Beschreibungsmittel auf die Gegenstände intentionaler Erfahrung lassen sich die Inhalte solcher Erfahrungen jedoch nicht angemessen beschreiben; wir müssen uns vielmehr mit Bildern und Metaphern begnügen. Zudem sind überintentionale Erfahrungen ebenso unverfügbar wie tiefe Erlebnisse; wir können sie nicht willkürlich produzieren oder auch nur wiederholen. Damit entziehen sie sich

2 Vgl. dazu 1.2.1. 3 Vgl. 1.2.5.

Der Zusammenhang philosophischer Disziplinen

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der Überprüfung. Sie sind daher kein Thema einer Philosophie, der es um klare Aussagen und solide Begründungen geht. Meine eigene Sicht der Wirklichkeit ist von der Einsicht geprägt, dass sie über die Grenzen intentionalen Erkennens hinausreicht. Diese Einsicht bleibt jedoch einer Philosophie verschlossen, für deren Aussagen begriffliche und argumentative Klarheit ein Abgrenzungskriterium ist. Die will ich hier als Philosophie im engeren Sinn bezeichnen. Seit Platon und Plotin, Fichte und Hegel ist die große europäische Philosophie immer wieder über diese Grenzen hinausgegangen, ähnlich wie die indische. Daher ist es falsch, Philosophie generell mit Philosophie i.e.S. gleichzusetzen. Es gibt auch eine Philosophie im weiteren Sinn. Mit den Forderungen nach Klarheit ihrer Aussagen und guten Gründen für ihre Behauptungen wollte ich in 1.1.1 vor allem ernsthafte Philosophie von bloßem Gerede unterscheiden. Bloßes Gerede zähle ich natürlich auch nicht zur Philosophie i.w.S. Obwohl die Grenze hier deutlich schwerer zu ziehen ist, muss das Bemühen um möglichst große Klarheit und möglichst gute Gründe auch die Philosophie i.w.S. leiten. In diesem Grundriss meiner Philosophie beschränke ich mich, abgesehen von den Hinweisen in 1.2.5, auf Philosophie i.e.S.4 1.2

Philosophie des Geistes

Die Philosophie des Geistes ist die zentrale Disziplin der Philosophie. Auf ihre Begriffe und Erkenntnisse müssen Erörterungen zum Leib-Seele-Problem, zu Erkenntnistheorie, Philosophie von Mathematik und Sprache sowie zu Ethik und Ästhetik zurückgreifen, wie wir sehen werden. Dennoch ist die Philosophie des Geistes zu großen Teilen eine späte Frucht der Philosophie und führt noch heute ein Schattendasein. Die Fähigkeit, über das Denken nachzudenken, hat man den Eindruck, ist nicht sehr verbreitet. 1.2.1

Die Struktur intentionalen Bewusstseins5

1) Inhalt und Bezug Unser normales Bewusstsein ist fast gänzlich intentional: Bewusstsein eines Subjekts von einer gegenständlichen Realität.6 Ich sehe, dass dunkle Wolken 4 Zu überintentionalen Erfahrungen vgl. B26 und B27, I, Kap. 5 und 6, sowie Kapitel 2. 5 Vgl. B27, I, Kap. 1. 6 Umgangssprachlich wird „bewusst sein“ als Erfolgsverb verwendet, so dass nur Tatsachen bewusst sein können. Davon sehe ich hier ab.

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aufziehen. Ich wünsche, dass Eva meine Einladung annimmt. Ich glaube, dass Fritz in Norwegen ist. Wir unterscheiden die Akte oder Einstellungen des Subjekts, die man auch als propositionale Haltungen (propositional attitudes) bezeichnet – das Sehen, das Wünschen, das Glauben – von ihren Inhalten, die cogitationes von den cogitata.7 Inhalte sind Sachverhalte (kurz SV), in den Beispielen die SV, dass dunkle Wolken aufziehen, dass Eva meine Einladung annimmt, dass Fritz in Norwegen ist. Wir sagen zwar auch „Ich sehe einen Hasen“, Objekte sind aber nur insoweit bewusst, als ein Sachverhalt bewusst ist, der sie betrifft. Wenn ich den Hasen sehe, sehe ich z.B., dass das Tier vor mir ein Hase ist, oder dass der Hase mitten auf meinem Weg sitzt. Man kann also Bewusstseinszustände oder -akte als Relationen zwischen Subjekten und SV ansehen. In kognitiven Einstellungen wie Erfahren, den Eindruck haben, Glauben und Vermuten bezieht das Subjekt den Inhalt seines Bewusstseins auf eine reale Situation. Die bezeichne ich als Bezug der Einstellung. Man kann auch pauschal sagen: der Bezug unserer Erfahrungen ist die Welt. Ich beziehe meine Erfahrungen auf die Welt als eine äußere Wirklichkeit. Sie ist der konstante Bezugspunkt all meiner Erfahrungen wie ich ihr konstantes Subjekt bin. Der Inhalt einer Erfahrung ist eine Auffassung der Situation. Diese ist auch dann, wenn ich sie als Tatsache, also als bestehenden SV, ansehe, vom Inhalt der Erfahrung zu unterscheiden. Die Auffassung einer Situation kann ja richtig wie auch falsch sein. Ich kann z.B. das, was tatsächlich ein Wettlauf ist, fälschlich als Verfolgung auffassen. 2) Subjektive und objektive Momente der Erfahrung Ich unterscheide subjektive und objektive Momente intentionaler Akte: Die subjektiven Momente sind das Subjekt und seine Akte und Zustände, insbesondere seine propositionalen Haltungen, und deren Eigenschaften. Die objektiven Momente sind die Inhalte der propositionalen Einstellungen und ihre Eigenschaften. Intentionales Bewusstsein entsteht durch eine Differenzierung dieser Momente und entfaltet sich durch ihre zunehmend stärkere Trennung – ich gehe in 1.2.4 darauf ein. Es gibt daher Grade der Trennung subjektiver und objektiver Momente. Man kann Typen der Erfahrung nach dem Grad dieser Trennung unterscheiden. Ich unterscheide insbesondere Beobachten und Erleben.8 Beobachtungen sind Erfahrungen, bei denen Subjektives und Gegenständliches klar getrennt sind. Gefühle und Interessen spielen in 7 Anders als in B27 bezeichne ich die Inhalte hier nicht als „Gegenstände“, sondern belassen diesem Wort seine weite Bedeutung. 8 Vgl. dazu B12, 1.1.

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ihnen entweder überhaupt keine Rolle oder beeinflussen die Wahrnehmung und Beurteilung des Gegenstandes nicht. Die Aufmerksamkeit gilt allein dem Gegenstand. Bei einer Beobachtung geht es um dessen objektive Beschaffenheit, nicht um seinen Wert und seine Bedeutung für den Betrachter. Auch wenn eine Beobachtung den eigenen Interessen dient und z.B. die für eine Entscheidung nötige Information liefern soll, gilt sie selbst nur der Feststellung einer Tatsache. Man kann etwas mit Sorge, Freude oder Befriedigung beobachten, solche Gefühle begleiten die Beobachtung dann aber nur und bestimmen weder den Beobachtungsinhalt noch die Beobachtungsweise. Den exemplarischen Fall von Beobachtungen bilden wissenschaftliche Experimente. Beobachtungen zeigen uns die Welt als eine äußere Wirklichkeit. Für das Erleben ist hingegen eine innere Beteiligung oder Anteilnahme am Erfahrenen charakteristisch. In ihm beeinflussen Gefühle, Neigungen und Einstellungen zum Gegenstand die Art und Weise, wie er aufgefasst wird. Gefühle begleiten das Erleben nicht nur, wie ich das von Sorge und Freude bei Beobachtungen gesagt habe, sondern prägen es. Das zeigt sich schon in den Adjektiven, mit denen wir Erlebnisse charakterisieren wie „tief“, „beglückend“, „bedrückend“, „angenehm“ oder „traurig“. Das sind Adjektive für Gefühle. Beobachtungen sind dagegen „sorgfältig“, „ungenau“, „informativ“ etc. Man kann nicht behaupten, zwei Personen erlebten dasselbe Ereignis in gleicher Weise, wenn die eine es mit Freude, die andere hingegen mit Sorge erlebt; Freude und Sorge gehören zum Erleben. Es gibt kein distanziertes Erleben, wir nehmen dabei vielmehr Anteil am erlebten Geschehen. Das muss keine aktive Beteiligung sein, das Erfahrene braucht für den Erlebenden selbst auch nicht nützlich oder schädlich zu sein, entscheidend ist die emotionale Beteiligung. Einen Unfall kann man sowohl beobachten wie erleben. Wir können bloß konstatieren, was passiert, wir können die Situation aber auch als Aufforderung zum Eingreifen erleben oder innerlich davon bewegt werden. Thema des Erlebens ist nicht die Welt an sich, sondern die Welt für uns, unser Verhältnis zur Welt, das Ganze von Subjekt und Welt. Die Fusion von Naturerfahrung und Gefühl wird besonders in lyrischen Gedichten deutlich wie z.B. Theodor Storms Über die Heide. Das Erleben der Landschaft verbindet sich dort mit Gefühlen und Erinnerungen des Sprechers, die Erfahrung vom Herbst draußen mit dem Gedanken, im Herbst des Lebens zu stehen. Ich habe gesagt, intentionales Bewusstsein entstehe durch eine Scheidung subjektiver und objektiver Momente. In den meisten Fällen vollzieht sich diese Scheidung automatisch, so dass der Unterschied der Komponenten vorgegeben zu sein scheint. Es gibt aber Fälle, in denen sie eine Sache aktiver Deutung ist. Es kann z.B. zunächst offen sein, ob wir empfinden, dass die Luft warm ist,

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oder ob wir die Luft als warm empfinden, d.h. ob wir erfahren, dass es warm ist, oder aber, dass uns warm ist. Die beiden Auffassungen unterscheiden sich dadurch, wo sie den Schnitt zwischen subjektiven und objektiven Momenten der Erfahrung legen. Ebenso ist der Schnitt zwischen mir und meiner Umwelt verschiebbar. Ich fasse meine Hände normalerweise als Teil meines körperlichen Selbst auf, ich kann sie aber auch wie Objekte betrachten. Solche Fälle sprechen dafür, dass der Schnitt zwischen Subjektivem und Objektivem oft nicht eindeutig vorgegeben ist, sondern von uns bestimmt wird. 3) Explizites und implizites Bewusstsein In einem intentionalen Bewusstsein ist dem Subjekt nicht nur dessen Inhalt bewusst, sondern auch es selbst und seine propositionale Einstellung, sein Sehen, Glauben oder Wünschen. Wenn ich glaube, dass es morgen regnet, bin ich mir nicht im Unklaren darüber, wer das glaubt, und ich weiß auch, dass es sich um ein Glauben handelt und nicht etwa um ein Zweifeln. Dieses Bewusstsein von uns selbst ist freilich von anderer Art als das gegenständliche, das inhaltliche Bewusstsein. Zur Unterscheidung vom Gegenstandsbewusstsein sage ich, in einem intentionalen Akt sei das Subjekt seiner selbst und seiner Einstellung zum Gegenstand inne. Ich rede auch von einem impliziten Bewusstsein im Gegensatz zum expliziten Gegenstandsbewusstsein. Dem Gegenstand intentionalen Denkens gilt die Aufmerksamkeit, auf ihn fällt das hellste Licht; wir sehen die Dinge wie im Licht einer Stirnlampe, die nur beleuchtet, was vor uns ist, uns selbst aber im Schatten lässt. Auch die Grenze zwischen explizit und implizit Bewusstem ist nicht immer scharf, insbesondere nicht beim Erleben. Daher kann man wieder von Graden der Trennung sprechen. Das implizite Bewusstsein eigener psychischer Zustände und Vorgänge wird oft als innere Erfahrung oder Introspektion bezeichnet. Das ist insofern unglücklich, als damit eine Ähnlichkeit mit äußerer Erfahrung suggeriert und der Unterschied zwischen implizitem und explizitem Bewusstsein verwischt wird. 4) Reflexionen Ich kann auf meine mentalen wie physischen Akte reflektieren, etwa darauf, dass ich einen Hasen beobachte. Der Akt des Beobachtens gehört nicht zum Beobachteten, ich kann ihn aber zum Gegenstand einer Reflexion machen. Dadurch wird etwas explizit bewusst, das im Akt des Beobachtens zunächst nur implizit bewusst war. Ich mache mir z.B. klar, dass meine Beobachtung ungenau war. Ich behaupte etwas und überlege mir anschließend, ob meine Behauptung gerechtfertigt war. Ich begegne jemandem mit Sympathie und

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frage mich dann, warum das so ist. Reflexion bedeutet in all diesen Fällen, dass ich mir mein Tun oder Befinden vor Augen stelle und zum Gegenstand meiner Betrachtung mache. Bei einer Reflexion sehen wir uns nicht plötzlich mit einem Subjekt konfrontiert, von dem wir dann erkennen, dass wir selbst es sind – wie sollten wir das auch feststellen können? In dem Akt, auf den wir reflektieren, sind wir vielmehr schon implizit unserer selbst als des Subjekts inne. Unser explizites Selbstbewusstsein beruht auf Reflexionen. Wenn wir etwas tun, wollen oder empfinden, sind wir dessen zwar inne, zu einem expliziten Bewusstsein davon kommen wir aber erst in der Reflexion darauf. Der Akt einer Reflexion ist ein anderer als der, auf den ich reflektiere. Bei einer Reflexion handelt es sich nicht nur um eine Verschiebung der Aufmerksamkeit im gleichen Akt. Die Reflexion auf einen Akt macht auch nicht alles explizit, was zu ihm gehört. In der Reflexion fassen wir nur etwas von dem Akt auf. Reflexion ist ein prinzipiell unendlich fortsetzbarer Prozess. Führt eine erste Reflexion etwa von einem intentionalen Akt des Glaubens, dass Fritz meine Brille mitgenommen hat, zu einem intentionalen Akt, in dem ich mir meine Gründe für diese Annahme vor Augen stelle, so kann eine zweite Reflexion das Motiv der ersten Reflexion erhellen. In einer dritten Reflexion kann ich nach dem Grund der Feststellung in der zweiten Reflexion fragen, und so fort. Ich will in 1.6. und 1.7 zeigen, dass diese Hierarchie der Reflexionen zu einer Hierarchie konzeptualistisch verstandener begrifflicher und sprachlicher Konstrukte führt, zu einer Hierarchie von Begriffen, Begriffsumfängen und Propositionen, wie auch von Namen, Prädikaten und Sätzen. Die Beachtung dieser hierarchischen Strukturen weist den Weg aus den logischen und semantischen Paradoxien. 5) Empfindungen Ich habe eingangs gesagt, unser normales Bewusstsein sei fast gänzlich intentional. Die Einschränkung erklärt sich daraus, dass zum normalen Bewusstsein ja auch Empfindungen gehören, z.B. Schmerzempfindungen und Sinnesempfindungen wie Farb- und Tonempfindungen. Die sind ungegenständlich, sie haben weder Inhalt noch Bezug. Sie sind keine Beziehungen des Subjekts zu etwas anderem, sondern Zustände eines Subjekts. In diesem Sinn sind auch sie subjektiv, aber ungegenständlich. Ungegenständlich, aber subjektiv ist auch implizites Bewusstsein. 6) Die Offenheit der Menge mentaler Sachverhalte Zum Abschluss dieses Abschnitts will ich noch darauf hinweisen, dass die Möglichkeit, auf alle eigenen mentalen Akte zu reflektieren und sie zum Gegenstand von propositionalen Einstellungen zu machen, dazu führt, dass die

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Menge der mentalen Sachverhalte einer Person offen ist. Das zeigt folgendes Dimensionsargument: Ist S eine Menge von Sachverhalten und G(S) die Menge der möglichen Glaubenshaltungen einer bestimmten Person zu einem bestimmten Zeitpunkt, die sich auf SV aus S beziehen, d.h. die Menge aller Teilmengen X von S, so dass die Person in diesem Zeitpunkt glaubt, dass genau die Elemente von X bestehen, so enthält G(S) als Potenzmenge von S aus rein mathematischen Gründen wesentlich mehr Elemente als S.  Nicht allen Glaubenshaltungen können also SV aus S entsprechen. Aus diesem Argument wird sich im 3. Kapitel eine einfache Widerlegung des Materialismus ergeben: Ist S die Menge aller physikalischen Sachverhalte, so können nicht einmal die möglichen Glaubenshaltungen einer einzigen Person zu einem einzigen Zeitpunkt über das Bestehen physikalischer SV alle physikalischer Natur sein, geschweige denn die Überzeugungen aller Personen zu allen Zeiten.9 7) Keine Objektivierbarkeit mentaler Sachverhalte Als objektivierbar bezeichne ich einen SV, der sich vollständig, d.h. mit all seinen analytischen Folgen, als Teilmenge einer festen Menge möglicher Welten darstellen lässt.10 Mentale SV – ich beschränke mich hier auf propositionale Einstellungen – sind nicht objektivierbar.11 Man kann auch sagen: Sätze über Mentales haben einen Sinn, der sich nicht objektivieren lässt, der sich nicht vollständig explizit fassen lässt. Um z.B. den Sinn von „P glaubt, dass es regnet“ anzugeben, muss ich auch das Glauben von Glaubens-SV darstellen können, also die Sätze: „P glaubt, dass er glaubt, dass es regnet“, „P glaubt, dass er glaubt, dass er glaubt, dass es regnet“, usf. Zum Sinn von „glauben“ gehört ja, dass man sich nicht darüber irren kann, was man momentan selbst glaubt. Diese Schichten des Glaubens lassen sich aber nicht mit einer festen Menge von Welten darstellen. Ich skizziere in 6.2 eine Stufenlogik des Glaubens mit einer offenen Menge von Welten und zeige, dass der Versuch, mit einer festen Menge von Welten auszukommen, zu Paradoxien führt. Zum Sinn einer Aussage über 9

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Ich setze hier einen deskriptiven Glaubensbegriff voraus, der keinen logischen Bedingungen unterliegt. Für einen rationalen Glaubensbegriff, der auf Personen zugeschnitten ist, die alle logischen Folgen ihrer Annahmen übersehen und nicht zugleich das Bestehen und Nichtbestehen eines SV annehmen, kann man nicht so argumentieren, denn für einen solchen rationalen Glauben lassen sich die X aus G(S) durch einen einzigen SV Y aus S darstellen, einen SV, für den für alle Z gilt: Z∈X genau dann, wenn Y Teilmenge von Z ist. Zum rationalen Glaubensbegriff vgl. z.B. B8, Kap. 4. Gehen wir von ihm aus, so kann jedoch nicht jede Glaubenshaltung in einer jener möglichen Welten realisiert sein, mit denen wir die Sachverhalte von S als Mengen von Welten darstellen. Vgl. dazu 1.6.5. Vgl. zu dieser Darstellung von SV 1.6.1. Das spielt bei der Diskussion des Leib-Seele-Problems in 1.3.1 eine Rolle.

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mentale Akte wie Glauben gehört, dass sie implizit bewusst sind, und dieses implizite Bewusstsein ist nur auf einer höheren Stufe der Reflexion darstellbar. 8) Perspektivität Als Grundgesetz des (intentionalen) Bewusstseins formuliert Fichte: „Kein Subjekt – kein Objekt; kein Objekt – kein Subjekt.“ Gegenstände gibt es nur für Subjekte, und das Subjekt ist sich seiner selbst als etwas bewusst, das Gegenstände hat – von Empfindungen mal abgesehen. Sehen wir auch von Handlungen ab, so ist ein Subjekt Betrachter von Gegenständlichem, es fasst Gegenständliches begrifflich wie anschaulich auf und bildet sich Vorstellungen von Gegenständen. In diesem Sinn habe ich (z.B. in B24) von einer Perspektivität des Mentalen gesprochen. Perspektivität gibt es auch in einem individuellen Sinn, in dem wir uns in unseren Auffassungen unterscheiden und die Dinge z.B. von verschiedenen Standpunkten aus sehen und mit unterschiedlichen begrifflichen Voraussetzungen auffassen. Im allgemeinen Sinn ist Perspektivität ein generelles Merkmal intentionalen Bewusstseins: Wir fassen eine Wirklichkeit, die wir prinzipiell als etwas an sich verstehen – Kant spricht von einem „Ding an sich“, als in ihrer Existenz wie Beschaffenheit unabhängig von unserer Existenz und unseren Erfahrungen, in einer subjektiven, durch unsere Wahrnehmungsorganisation und unser Denken mitbestimmten Weise auf, und sie kommt uns nur in solchen subjektiven Auffassungen zu Gesicht. 1.2.2 Freiheit 1) Handlungen Bevor ich auf Handlungsfreiheit eingehe, sind ein paar Bemerkungen zu Handlungen am Platz. Als „Handlungen“ bezeichne ich bewusste, freie und absichtliche leibliche Akte. Von absichtlichen Akten kann man sagen, sie hätten ein Ziel, das heißt nicht, dass sie immer Mittel zum Zweck sind. Wenn ich z.B. schwimme um des Schwimmens wegen und nicht, um z.B. zu einer Insel zu gelangen, ist die Absicht die Ausübung der Tätigkeit und die Tätigkeit ist auch das Ziel. Man versteht eine Handlung, wenn man ihre Absicht erkennt. Wenn man Handlungen als „intentional“ bezeichnet, bezieht sich das auf die Absicht, nicht auf einen propositionalen Inhalt. Von einem Inhalt könnte man allenfalls bei „Bewirken, dass der und der Zustand eintritt“ reden. Das Verb „Bewirken“ lässt aber die Art der Tätigkeit offen. Schwimmen hat keinen propositionalen Inhalt und ebenso wenig ‚Einen Nagel einschlagen‘. Man kann auch der Handlungsabsicht eine propositionale Form geben und sagen: „Die Person X tut F, um zu erreichen, dass der SV p eintritt“, wenn die Tätigkeit wie

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beim Schwimmen oder Spazierengehen Selbstzweck ist, wird diese Normalform jedoch problematisch. Man erhält z.B. „X schwimmt, um zu erreichen, dass X schwimmt“. Auch bei Handlungen kann man ein implizites Bewusstsein von einem expliziten unterscheiden. Implizit ist mir bei einer Handlung die Tätigkeit bewusst, die ich ausübe. Implizites Bewusstsein beschränkt sich nicht auf Mentales, es erstreckt sich auch auf leibliche Vorgänge und Zustände wie körperliche Empfindungen. Implizit ist auch die Absicht bewusst, denn ich tue etwas in der und der Absicht. Explizit bewusst ist dagegen der äußere Vorgang. Dazu kann auch die eigene Bewegung gehören, wenn ich auf sie achte. Wenn ich einen Nagel in die Wand schlage, achte ich darauf, dass ich ihn auf den Kopf treffe und dass er gerade in die Wand eindringt. Ich steuere meine Bewegung nach ihrer Wirkung, und dazu muss mir beides explizit bewusst sein. Wie ich für das Erleben betont habe, können sich implizites und explizites Bewusstsein durchdringen. Handlungen sind Ereignisse, und Ereignisse lassen sich unterschiedlich beschreiben. Das Erschießen einer Person Y durch X ist z.B. der Mord an Y und, aufgrund der Umstände, auch die Befreiung des Volkes von seinem Tyrannen. Unter verschiedenen Beschreibungen kann dieselbe Handlung verschiedene Eigenschaften haben, z.B.  verschiedene  Ziele, und sie kann absichtlich oder unabsichtlich sein. So ist X bewusst, dass er einen Schuss auf Y abgibt, aber – da er nicht weiß, dass Y ein Tyrann ist – nicht, dass er das Volk von seinem Tyrannen befreit. Eine Handlung kann daher auch unter einer Beschreibung verständlich sein, nicht aber unter einer anderen. Auch mein Bewusstsein einer eigenen Handlung kann unter einer Beschreibung untrüglich sein, unter einer anderen hingegen nicht – dafür habe ich gerade ein Beispiel angegeben. Handlungen unterscheiden sich von Zufällen dadurch, dass der Agent sich bewusst ist, Alternativen zu haben und eine davon vollziehen zu können. Es gibt zwar willkürliche Handlungen, in der Regel haben wir aber Gründe für das, was wir tun. Allgemein gesprochen ist der Grund des Agenten für die Verwirklichung einer Alternative die Überzeugung, dass dabei der Erwartungswert des Nutzens am größten ist, des subjektiven Nutzens oder auch, wie bei moralischem Handeln, ein objektiver Nutzen, z.B. ein Vorteil für andere. 2) Handlungsfreiheit Ich diskutiere Freiheit im Rahmen der Philosophie des Geistes, weil sie für das Verständnis unserer selbst wie unseres geistigen Lebens unverzichtbar ist. Subjekte und intentionales Bewusstsein gibt es nicht ohne Freiheit und auch keine Urteile, begrifflichen Auffassungen und Entscheidungen. Zum Begriff des Subjekts gehört, dass es freier Akte fähig ist. Freiheit gibt es nicht ohne

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Bewusstsein. Um sich frei zwischen den Handlungsalternativen entscheiden zu können, die eine Person in einer Situation hat, muss sie diese Alternativen erkennen und ihre Folgen abschätzen können. Umgekehrt gibt es auch Denken nicht ohne Freiheit. Ein Urteil entsteht, wie die Stoiker erkannt haben, durch einen Akt der Zustimmung, der synkatathesis. Ein noch so klarer sinnlicher Eindruck, dass eine Katze auf der Matte sitzt, ist noch kein Urteil. Dazu muss ich den Eindruck als richtig anerkennen und dadurch vom Eindruck: „So scheint es zu sein“ zum Urteil übergehen: „So ist es.“ Urteile, Unterscheidungen und Schlüsse sind Akte eines Subjekts, und das sind sie nur, wenn das Subjekt ihr Urheber ist. Man unterscheidet Handlungs- und Willensfreiheit.12 Handlungsfreiheit besteht darin, dass wir, in den Worten Kants, von uns aus Kausalketten anfangen können. Ich bin in einer Situation frei, wenn ich zwei oder mehr Alternativen habe, zwischen denen ich wählen kann, wenn ich z.B. sitzen bleiben oder aufstehen kann. Wenn das, was ich in der Situation tue, durch eine voraufgehende Ursache determiniert ist, verhalte ich mich dagegen nicht frei. Freiheit ist mit Determination des Verhaltens unverträglich und mit dem Kausalprinzip: „Alles, was geschieht, hat eine Ursache.“ Eine Ursache ist ein Ereignis, aus dem sich die nachfolgende Wirkung mit naturgesetzlicher Notwendigkeit ergibt. Gilt das Kausalprinzip, so lässt sich eine Handlung nur dann erklären, wenn sie durch das determiniert ist, was ihr vorhergeht. Dann ist Freiheit, wie David Hume meinte, eine Illusion, die sich aus unserer unvollständigen Kenntnis der Ursachen unseres eigenen Verhaltens ergibt. Auch Leibniz und Spinoza waren Deterministen. Um das Ideal der Freiheit jedenfalls nominell zu retten, haben sie Freiheitsbegriffe entwickelt, nach denen Freiheit und Determinismus miteinander verträglich sind: So wird Freiheit als Abwesenheit von äußerem Zwang definiert. Wer also die Treppe hinunter fällt, ohne dass ihn jemand gestoßen hat, handelt frei. Oder man nennt ein Verhalten frei, wenn es aus inneren Antrieben hervorgeht. Da man zugleich Willensfreiheit ablehnt, stehen die inneren Antriebe aber nicht in unserer Kontrolle. Ein Drogenabhängiger, der sich nicht in der Gewalt hat, wenn er zu Drogen greift, handelt danach frei: Er tut, was er will. Schon Kant hat sich entschieden gegen eine solche Verengung des Freiheitsbegriffs gewendet. Er spricht von ihr als „Freiheit eines Bratenwenders [eines automatischen Grillgeräts], der auch, wenn er einmal aufgezogen, von selbst [aus dem „inneren Antrieb“ seiner Federn] seine Bewegungen verrichtet.“ (Kritik der praktischen Vernunft, A174) 12

Vgl. B10, Kap. 7; B24, 1.4 und B28, Kap. 15.

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Beim Freiheitsproblem geht es nicht darum, wie weit unsere Freiheit reicht, sondern nur darum, ob es überhaupt Freiheit gibt. Kant hat betont, dass diese Frage nicht definitiv entscheidbar ist. Dass wir uns in unserem Handeln frei fühlen und keine Ursachen dafür kennen, heißt noch nicht, dass es keine Ursachen gibt. Ebenso wenig lässt sich aber zeigen, dass alles Verhalten determiniert ist, denn die Menge möglichen Verhaltens ist unbegrenzt. Wir können z.B. auf jedes Verhalten reflektieren und es zum Gegenstand neuer Einstellungen machen. Ich werde in 4.6, (4) auch zeigen, dass es keine zugleich vollständige und widerspruchsfreie Theorie unseres Denkens gibt, also auch keine vollständige und konsistente Theorie menschlichen Verhaltens, aus der sich dessen kausale Determiniertheit ergeben könnte. 3) Argumente gegen Handlungsfreiheit Aus der Vielzahl der Argumente gegen Freiheit greife ich hier nur drei heraus.13 a) Verwechslung von Agentenmöglichkeit und Ereignismöglichkeit: Ereignismöglichkeit ist die Möglichkeit, dass ein Ereignis, allgemein: ein SV eintritt. Agentenmöglichkeit ist hingegen die Fähigkeit eines Agenten, eine Handlung zu vollziehen oder etwas zu bewirken. Kann jemand eine bestimmte Handlung vollziehen, so ist es (im Sinn der Ereignismöglichkeit) möglich, dass er sie vollzieht. Die Umkehrung gilt jedoch nicht. So ist es möglich, dass Max von einem Blitz getroffen wird, es ist Max aber nicht möglich, sich vom Blitz treffen zu lassen. Verkennt man diesen Unterschied, so wird man sagen: Die Möglichkeit von Fritz, in einer Situation sitzen zu bleiben oder aufzustehen, ist nichts anderes als die Möglichkeit, dass er sitzen bleibt, verbunden mit der Möglichkeit, dass er aufsteht. Die Freiheit von Handlungen besteht dann nur in ihrer Kontingenz. b) Das Argument mit der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt: Von einem Dualismus aus, der die Verschiedenheit von psychischer und physischer Welt annimmt und die kausale Geschlossenheit der physischen Welt,14 kann es keine rein physischen Wirkungen (wie z.B. die mit einer Handlung verbundene Körperbewegung) eines rein mentalen Ereignisses (wie des Entschlusses zur Handlung) geben. Einwand: Die Annahme der kausalen Geschlossenheit der physischen Welt ist nicht haltbar, wie wir in 1.4.5 sehen werden, und Handlungen haben keine rein mentalen Ursachen, sondern leib-seelische Urheber. c) Verwechslung von Gründen und Ursachen: Freie Handlungen sind in der Regel nicht willkürlich, die Agenten haben vielmehr Gründe für sie. Was dem

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Für weitere Argument vgl. z.B. B28, Kap. 15. Vgl. 1.3.5, (4).

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Agenten als Grund für sein Handeln erscheint, ist, objektiv betrachtet, aber eine Ursache seiner Handlung. Einwand: Mit einer rationalen Erklärung, einer Erklärung mit Gründen, antworten wir auf die Frage, warum jemand etwas getan hat. Gründe sind Annahmen und Erwartungen sowie Interessen. Wir erklären z.B. die Hilfe, die Max einem Freund bei dessen Umzug leistet, damit, dass er diesen Freund günstig stimmen will, weil er ihn demnächst anzupumpen gedenkt. Dieser Grund von Max ist keine Ursache seiner Wahl, denn daraus, dass Max den Freund günstig stimmen will, folgt noch nicht, dass er ihm tatsächlich hilft. Vielleicht ist er einfach zu müde oder will lieber ins Kino gehen. Im Gegensatz zu Ursachen ermöglichen Gründe keine sicheren Voraussagen. Deterministen sind Opfer der self-excepting fallacy: Sie vergessen, dass auch sie selbst in ihrem Verhalten und Denken kausal determiniert wären, wenn sie Recht hätten. Sie sind eben keine externen Betrachter der menschlichen Komödie, sondern Teil davon. Wie schon Heinrich Rickert betont hat, übersehen sie, dass man nicht zugleich ihre These und sie selbst ernst nehmen kann. Nimmt man sie beim Wort, so hätte man davon auszugehen, dass sie reden und denken, wie sie das aufgrund irgendwelcher Faktoren, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, tun müssen. Ihre Behauptungen hätten also keine Gründe, sondern nur Ursachen, und wären daher für uns kognitiv nicht relevanter als ihr Husten. Nimmt man ihre These ernst, so kann man sie als Diskussionspartner nicht mehr ernst nehmen. Nimmt man sie als Diskussionspartner ernst, so kann man ihrer These nicht zustimmen. 4) Argumente für Handlungsfreiheit Für Handlungsfreiheit kann man z.B. folgende Gründe anführen: a) Es gibt kaum kausale Erklärungen menschlichen Verhaltens Fast alles menschliche Verhalten lässt sich bisher nur rational, nur mit Gründen, nicht mit Ursachen erklären. Was z.B. Psychologen als „Ursachen“ anführen, sind keine hinreichenden Bedingungen, sie erhöhen allenfalls die Wahrscheinlichkeit bestimmter Handlungen. Daher spricht jedenfalls im Moment alles dafür, dass unser Verhalten tatsächlich nicht durch Ursachen, sondern durch Gründe bestimmt wird, also frei ist. b) Die unmittelbare Evidenz Es ist uns in zahlreichen Situationen unmittelbar evident, dass wir frei zwischen mehreren Handlungsalternativen wählen können. Ich habe z.B. keinen vernünftigen Zweifel daran, dass ich im nächsten Moment meine Augen schließen oder sie offenlassen kann, dass ich vom Stuhl aufstehen oder sitzenbleiben kann. Wenn ich aufstehe, ist mir die Freiheit meines Tuns implizit bewusst. Die Evidenzen, auf die sich neurologische Theorien stützen, sind weit weniger unmittelbar. Es ist aber unsinnig, Evidenzen zu Illusionen zu

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erklären, wenn man diese Behauptung nicht mit Annahmen begründen kann, die mindestens ebenso evident sind wie die angeblichen Illusionen. c) Unser Verhalten besteht zum großen Teil aus freien Handlungen Wir beschreiben unser Verhalten zum großen Teil mit Verben, zu deren Bedeutung es gehört, dass das Verhalten, das sie beschreiben, frei ist. Ein Computer verhält sich, er reagiert auf bestimmte inputs mit bestimmten outputs, aber er handelt nicht und hat keine Absichten. Er kann Sätze unserer Sprache schriftlich oder auch akustisch produzieren, er kann aber nicht jemanden begrüßen, ihm etwas mitteilen, ihn loben, sich mit ihm verständigen. Ohne Annahme von Freiheit bliebe es auch unbegreiflich, wie sprachliche Verständigung funktioniert. Im Kommunikationsmodell von Paul Grice wird die Bedeutung von Sprechakten auf ihre Absichten zurückgeführt. Wir verstehen danach das, was jemand mit einer Äußerung meint, nur dann, wenn wir die Absicht erkennen, die er damit verfolgt. Bei einer sprachlichen Äußerung will der Sprecher nach Grice, dass der Hörer diese Absicht erkennt, weil er nur so den gewünschten Effekt beim Hörer erzielen kann. Eine Aufforderung ist ja nicht schon als Produktion von Lauten wirksam, sondern erst dann, wenn der Adressat versteht, was der Sprecher von ihm will. Akte sprachlicher Kommunikation sind sogar mehrfach intentional: Der Sprecher produziert nicht nur die Laute absichtlich, er produziert sie auch in der Absicht, beim Hörer gewisse Reaktionen hervorzurufen, und da sich die nur einstellen werden, wenn der Hörer ihn versteht, will der Sprecher auch verstanden werden. Für den Hörer stellt die Produktion der Laute nur dann einen Kommunikationsversuch des Sprechers dar, wenn er sie als einen solchen mehrfach intentionalen Akt begreift. Das Verstehen von Sprechakten wird so in der Theorie von Grice auf ein rationales Verstehen von Verhalten zurückgeführt, und das passt nur auf freie Handlungen. d) Ohne Freiheit keine eigenen Meinungen und Interessen Es gibt mentale Zustände und Vorgänge, die Ursachen haben, wie z.B. Sinnesempfindungen. Unsere Meinungen über das, was wir beobachten, bilden wir uns aber selbst. Eine Meinung ist nur dann meine eigene Meinung, wenn ich sie mir selbst gebildet oder sie selbst akzeptiert habe, wenn ich mir auch eine andere Meinung hätte bilden können, wenn ich sie auch ändern kann. Kann ich mich einer Ansicht nicht entziehen, ohne Gründe für sie zu haben, so stellt sie nicht meine eigene Meinung dar. Wir sagen meist nur dann, jemand wisse, dass etwas der Fall ist, wenn er gute Gründe für seine Überzeugung hat oder sich diese Überzeugung im Einklang mit den allgemeinen Standards der Rationalität gebildet hat. Bei einer kausalen Determination aller Überzeugungen könnte man nicht mehr von Wissen in diesem Sinn sprechen. Wie moralische Normen sind ferner auch Normen der Rationalität nur sinnvoll,

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wenn der Adressat sie befolgen wie auch gegen sie verstoßen kann. Es wäre sinnlos, jemanden zu etwas aufzufordern, was er ohnehin tun muss oder was er nicht tun kann. Zu den Forderungen der Rationalität gehört es z.B., eine Ansicht sorgfältig zu prüfen, bevor man sie sich zu eigen macht. Das setzt voraus, dass man Ansichten auch ablehnen kann. Freiheit gehört so grundsätzlich zu unserem Selbstverständnis, dass wir uns völlig neu erfinden müssten, falls wir erkennen sollten, dass Freiheit eine Illusion ist – aber das könnten wir dann gar nicht erkennen noch könnten wir uns neu erfinden, wir wären niemand, der von sich aus irgendetwas tun könnte. 5) Willensfreiheit Die Annahme von Willensfreiheit ist noch weit stärker umstritten als die von Handlungsfreiheit. Ohne Willensfreiheit wäre jedoch Handlungsfreiheit nicht viel wert; wir würden dann tun, was wir wollen müssen. Der wichtigste Einwand gegen Willensfreiheit lautet so: Jede sinnvolle Entscheidung für eine von mehreren Alternativen setzt voraus, dass wir über Präferenzen, d.h. Interessen, verfügen, mit denen sich die Alternativen bewerten lassen.15 Andernfalls wären die Alternativen für uns indifferent, eine Entscheidung für eine von ihnen also willkürlich. Bezeichnen wir Präferenzen für Zustände, die selbst nichts mit Präferenzen zu tun haben, als Präferenzen 1. Stufe, so bräuchten wir daher für eine Entscheidung zwischen Präferenzen 1. Stufe auch Präferenzen 2. Stufe, Präferenzen für Präferenzen 1. Stufe. Könnten wir diese Präferenzen 2. Stufe nicht wiederum frei bestimmen, so wäre wenig gewonnen. Sind wir aber auch in der Wahl der Präferenzen 2. Stufe frei, so wiederholt sich das Spiel, und es ergibt sich ein unendlicher Regress von Präferenzen immer höherer Stufe. Das lässt die Annahme einer freien Wahl eigener Interessen als fragwürdig erscheinen. So hat schon John Locke argumentiert. Zur Frage der Willensfreiheit, die er als Frage formuliert, ob wir wollen können, dass wir etwas wollen, sagt er: Diese Frage ist so offensichtlich absurd, dass man schon deswegen überzeugt sein kann, dass sich Freiheit nicht auf den Willen erstreckt. Denn zu fragen, ob jemand frei ist, entweder gehen oder stillstehen zu wollen, zu sprechen oder zu schweigen, was ihm gefällt, heißt fragen, ob er wollen kann, was er will, oder ob er Gefallen an dem finden kann, was ihm gefällt. Eine Frage die, denke ich, keine Antwort erfordert. Jene, die daraus ein Problem machen, müssen voraussetzen, dass ein Wille die Akte eines anderen bestimmt, und dass es einen dritten gibt, der den ersten determiniert und so weiter ad infinitum. (An Essay Concerning Human Understanding, II, Kap. 21, § 25) 15

Zu Präferenzen vgl. z.B. B7, Kap. 3.

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Eine Selbstbestimmung von Präferenzen ist aber durchaus möglich. Jede sinnvolle Entscheidung setzt zwar Präferenzen voraus, ebenso setzt aber jedes Lernen aus der Erfahrung vorgängige Annahmen und Erwartungen voraus. Diese Annahmen können sich bei künftigen Beobachtungen bestätigen, sie können dabei aber auch widerlegt werden. Im letzteren Fall können wir uns entscheiden, die Annahme aufzugeben oder an ihr festzuhalten und an ihrer Stelle andere Voraussetzungen preiszugeben. Beides kann je nach Lage des Falles vernünftig sein. Unsere Annahmen und ihre Modifikationen im Lichte neuer Erfahrungen hängen so von Entscheidungen ab, und das gilt, obwohl wir uns nicht sinnvoll für gewisse Annahmen entscheiden können, ohne uns schon auf andere zu stützen. Entsprechend lässt sich auch Willensfreiheit verstehen. Auch unsere Präferenzen sind Produkte von Vorurteilen, Erfahrungen und Entscheidungen. Werterfahrungen können unsere Präferenzen bestätigen, können sie aber auch verändern. Auch hier gibt es keinen Mechanismus, der aus Vorurteilen und Beobachtungen bestimmte Präferenzen erzeugt. Es liegt an uns, ob wir eine bestimmte Werterfahrung als zuverlässig anerkennen und als so gewichtig, dass wir unsere vorgängigen Präferenzen daraufhin ändern. Dass wir uns unsere Präferenzen selbst bilden, ergibt sich im Übrigen schon daraus, dass sie eine Extrapolation und Systematisierung unseres Werterlebens darstellen. Die Herstellung einer logisch konsistenten und umfassenden Wertordnung ist eine intellektuelle Leistung, und ihr Ergebnis ist vom Erleben her nicht eindeutig vorgezeichnet. Obwohl wir also von angeborenen Neigungen und Wertungen ausgehen, die durch unser soziales und kulturelles Umfeld geprägt sind, resultieren die Präferenzen, zu denen wir dann aufgrund unserer Erfahrungen gelangen, doch aus einer Reihe eigener Stellungnahmen. Willensfreiheit bedeutet so nicht die Möglichkeit einer Entscheidung für Präferenzen, ohne sich auf andere zu stützen, sondern die Abhängigkeit der Präferenzen von einer Reihe von Einzelentscheidungen. Sie bedeutet auch nicht, dass wir uns beliebige Präferenz-ordnungen zu eigen machen können: Die Präferenzen, zu denen wir kommen, hängen erstens von der Ausgangsbasis ab, von angeborenen Neigungen und anerzogenen Wertvorstellungen. Zweitens kommt man zu gewissen Rangordnungen der Werte nur aufgrund entsprechender Erfahrungen. Endlich spricht das Erleben oft schon eine eindeutige Sprache: Schmerzen, zum Beispiel, können wir nicht als angenehm erleben. Es gibt also keine unbeschränkte Willensfreiheit, aber doch die Möglichkeit, sich eigene Ziele zu wählen und eigene Wertvorstellungen zu entwickeln. 6) Freiheit ist kein objektives Phänomen Von objektiven Verhaltensalternativen eines Wesens  X in einer Situation S spreche ich, wenn es in S für jede der Alternativen möglich ist, dass sich X in

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ihrem Sinn verhält, und wenn es keine äußere Ursache des Verhaltens von X in S gibt, so dass X als Urheber seines Verhaltens anzusehen ist. Solche objektiven Verhaltensmöglichkeiten haben nicht nur Personen, sondern auch Tiere und Roboter. Objektive Verhaltensmöglichkeiten sind zugleich subjektive, wenn X in S weiß, dass er diese Alternativen hat und dass es an ihm liegt, welche er realisiert. Diese mentale Komponente hat zur Folge, dass wir aufgrund von Beobachtungen nicht feststellen können, ob das Verhalten einer anderen Person frei ist.16 Selbst wenn wir erkennen könnten, dass es keine äußere Ursache hat, könnte es ja zufällig sein. Auch wenn sich objektive Möglichkeiten empirisch ermitteln ließen, gelänge das nicht für subjektive, für Agenten-Möglichkeiten. Dass ich selbst in einer Situation frei handle, ist mir bei der Handlung implizit bewusst. Stehe ich z.B. von einem Stuhl auf, ist mir implizit bewusst, dass ich das auch unterlasen könnte. Zu einer freien Handlung gehört das Bewusstsein der Freiheit. Ich kann nicht frei handeln, ohne das zu glauben. Wenn ich fälschlich annehme, an meinem Stuhl festgebunden zu sein, ist mein Sitzenbleiben keine freie Handlung. Es ist dann zwar objektiv möglich, dass ich aufstehe, aber das Aufstehen ist für mich keine Alternative, weil sie mir nicht bewusst ist. Dieses Freiheitsbewusstsein ist nicht objektivierbar, ebenso wie ich das in 2.1, (7) für andere mentale Zustände und Vorgänge gezeigt habe. Man kann einen anderen natürlich fragen, ob er sich in seinem Verhalten frei fühlt, Selbstauskünfte ersetzen aber keine objektiven Feststellungen. Im Übrigen geht es hier nicht um die Frage, ob sich jemand frei fühlt, sondern um die Frage, ob sich freies Verhalten angesichts des damit verbundenen Bewusstseins als ein gegenständlicher Vorgang begreifen lässt. Mein Freiheitsbewusstsein ist natürlich nicht untrüglich. Obwohl ich glaube, von dem Stuhl, auf dem ich sitze, aufstehen zu können, kann ich, ohne das zu bemerken, daran festgebunden sein. Ich kann auch meinen, etwas frei zu tun, was ich unter Hypnose tue. Es gilt aber jedenfalls: Zur Freiheit gehört ein Freiheitsbewusstsein, und weil sich das nicht objektivieren lässt, gilt das auch für Freiheit.17 1.2.3

Personale Identität und Persistenz

Zunächst einige allgemeine Bemerkungen zu Identität und Persistenz: 1) Identität Identität ist von Gleichheit bzgl. der Eigenschaften einer Menge E zu unterscheiden: x und y sind im Zeitpunkt t bzgl. der Eigenschaften aus E gleich 16 17

Vgl. zum Folgenden 1.4.7, (5). Freiheit entzieht sich damit auch Naturgesetzen, vgl. 1.3.5, (4).

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genau dann, wenn (im Folgenden kurz: gdw.) für jede Eigenschaft aus E gilt: x hat sie in t gdw. y sie in t hat. Gilt das für alle Zeitpunkte, sagt man, x sei bzgl. der Eigenschaften aus E gleich y. Wenn ich ein Auto derselben Marke und desselben Typs habe wie Max, so haben wir in diesem Sinn das gleiche Auto, obwohl wir nicht gemeinsam nur ein Auto besitzen. Identität ist erstens zeitunabhängig: Einmal identisch, immer identisch. Zweitens gilt: Die Objekte x und y sind identisch gdw. sie zu allen Zeitpunkten genau dieselben Eigenschaften haben – nicht nur die Eigenschaften einer begrenzten Menge. Die „wenn“-Bedingung ist dabei das Leibniz-Prinzip. Drittens gilt: Identität und Verschiedenheit bestehen notwendigerweise. Existenz: Wenn ein Gengenstand in zwei Zeitpunkten existiert, so auch in allen Zeitpunkten zwischen ihnen. Das ist das Prinzip der Kontinuität der Existenz. 2) Persistenz Bei der Persistenz geht es um die Frage: Welche Veränderungen hält ein Objekt aus, ohne zugrunde zu gehen? Persistenzbedingungen gelten für Objekte einer Art A, und damit bzgl. einer Unterscheidung von essentiellen und akzidentellen Eigenschaften. f ist eine essentielle Eigenschaft von Objekten der Art A gdw. alle Objekte der Art A während der Dauer ihrer Existenz immer notwendigerweise die Eigenschaft f haben. Nicht alle Eigenschaften, die Objekte der Art A immer haben, sind also essentiell. f ist eine akzidentelle Eigenschaft von Objekten der Art A gdw. alle solchen Objekte diese Eigenschaft immer höchstens kontingenterweise haben. Ein Objekt der Art A ist bzgl. Änderungen von in A akzidentellen Eigenschaften persistent. Solange es existiert, behält es hingegen all seine essentiellen Eigenschaften und gewinnt keine neuen dazu. 3) Personale Identität Der klassische Text zur personalen Identität sind John Lockes Ausführungen im 23. Kapitel des zweiten Buches seines Essay Concerning Human Understanding. Für personale Identität sind danach allein mentale Kriterien maßgeblich, nämlich Übereinstimmung in den Erinnerungen, nicht aber physische Kriterien.18 Locke gibt dafür folgendes Gedankenexperiment an: 18

Locke unterscheidet die Identität von Körpern (nach rein physikalischen Kriterien), von Menschen (nach rein biologischen Kriterien) und die Identität von Personen nach geistigen Kriterien. Zwei Menschen sind aber nicht nur nach physikalischen oder biologischen

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Eines Morgens wacht im Bett des Schusters X jemand auf, der die körperlichen Eigenschaften von X hat, jedoch die Erinnerungen, geistigen Fähigkeiten und Neigungen des Prinzen  Y.  Im  Bett von Y erwacht zur gleichen Zeit jemand, für den das Umgekehrte gilt – er hat den Körper von Y und die Erinnerungen und die geistigen Qualitäten des Schusters  X.  Wer ist wer? Hier deuten die physikalischen Identitätskriterien in eine andere Richtung als die mentalen, so dass wir zunächst nicht wissen, was wir sagen sollen. Man tendiert aber dazu, in einem solchen Konfliktfall die psychologischen Kriterien für vorrangig zu halten. Wir würden nicht sagen: „Am fraglichen Morgen liegt der Schuster immer noch in seinem Bett, nur sein psychisches Leben hat sich völlig verändert“, sondern: „Am Morgen findet sich der Prinz im Bett des Schusters und muss feststellen, dass er sich körperlich total verändert hat.“ Die Kontinuität des seelischen Lebens, nicht nur der Erinnerungen, sondern auch der geistigen Fähigkeiten, Präferenzen und Ziele, ist uns wichtiger als die körperliche Kontinuität. Würde ich einem experimentierfreudigen Wissenschaftler in die Hände fallen, der mein Gehirn aus meinem Körper entfernt und in einen Tank mit Nährflüssigkeit setzt und die Nervenenden mit Apparaten verbindet, über die ich meine Umwelt wahrnehmen und in sie eingreifen kann, so könnte ich mich, trotz radikaler Änderungen meiner Physis, immer noch als denselben begreifen, der in früheren Tagen einen natürlichen Körper hatte.19 Von dem wäre zwar noch mein Gehirn übrig, künftige Wissenschaftler könnten aber vielleicht auch das physiologische Gehirn durch ein elektronisches ersetzen. Normalerweise stehen mentale und physische Identitätskriterien nicht in Konflikt, der Wert solcher Fiktionen wie des Lockeschen Schusters besteht aber darin, dass wir uns mit ihnen bewusst machen können, welches relative Gewicht die beiden Arten von Kriterien für uns haben. Bernard Williams hat nun darauf hingewiesen, dass sich Personen nur dann aufgrund gleicher Erinnerungen identifizieren lassen, wenn diese Erinnerungen physische Identität implizieren.20 Erinnert sich X z.B. daran, eine bestimmte Handlung vollzogen zu haben, so ist er jener, der diese Handlung tatsächlich vollzogen hat, denn man kann sich nur an etwas erinnern, was tatsächlich stattgefunden hat. Erinnert sich auch Y daran, diese Handlung vollzogen zu haben, so müssen X und Y identisch sein; sie müssen sich insbesondere

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Kriterien identisch, identische Menschen müssen nach dem Leibnizprinzip vielmehr alle Eigenschaften gemeinsam haben. Bei Hilary Putnam sieht der Gedanke so aus, dass der Wissenschaftler die Rolle von Descartes‘ bösem Dämon spielt. Vgl. den Aufsatz Personal identity and individuation, abgedr. in Williams (1973).

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zur fraglichen Zeit am gleichen Ort befunden haben. Im Lockeschen Beispiel kann der im Bett des Schusters Erwachende nur dann dieselbe Person sein wie der Prinz, wenn er sich an Handlungen des Prinzen als eigene Handlungen erinnert, also wiederholt zur gleichen Zeit am gleichen Ort war wie der Prinz. Dann führt aber die physische Weltlinie des Prinzen in das Bett des Schusters und garantiert auch die physische Identität des dort Erwachenden mit dem Prinzen. Rein mentale Kriterien, meint Williams, reichen für eine Identifikation von Personen nicht aus. Wir Menschen sind leib-seelische Personen und haben ebenso psychische wie physische Eigenschaften. Wir unterscheiden uns rein physisch, weil sich zwei verschiedene Personen nicht zugleich genau am selben Ort befinden können. Geht es um die Möglichkeit einer rein mentalen Identifikation von Personen, müssen wir, wie Williams zu Recht betont, von psychologischen Eigenschaften wie ‚Sich an eine Handlung erinnern‘ absehen, deren Zutreffen auch von äußeren, insbesondere physischen Bedingungen abhängt. Erinnerungen an eigene rein mentale Zustände und Akte, an eigene Gefühle und Urteile, sind hingegen rein mentale Eigenschaften. Gibt es also körperlich verschiedene, mental aber völlig gleiche Personen, psychologische Zwillinge? Das widerspricht unserem Selbstverständnis. Es gibt insbesondere nur einen Autor eines freien mentalen Akts. Mein Urteil kann denselben Inhalt haben wie deines, es bleibt aber immer noch mein Urteil; meine Urteile sind nicht deine Urteile. Ich kann mich mit meinem Urteil irren, aber nicht mit deinem. Ich bin nicht nur eine öffentliche Person, sondern auch etwas für mich. Einerseits bin ich ein Bürger unserer gemeinsamen Welt, der durch Aussehen, Verhalten, Alter, Geburtsort, Beruf, Familienstand und Weltlinie bestimmt ist. Über meine öffentliche Person redet man mit meinem Eigennamen – der sei „N“. Andererseits bin ich etwas für mich, etwas Privates, direkter öffentlicher Wahrnehmung Entzogenes. Das vor allem meine ich mit dem Wort „ich“: das Subjekt meines gegenwärtigen Bewusstseins. Auch wenn ich weiß, dass ich N bin, hat der Name „N“ für mich einen anderen Sinn als das Wort „ich“ in meinem Munde; das, wofür „N“ steht, ist nicht dasselbe, was ich mit „ich“ meine. „Ich bin N“ ist ein kontingenter Satz, „N ist N“ hingegen eine analytische Wahrheit. Die meisten Menschen wissen, wer sie sind, d.h. sie können einen Eigennamen „N“ angeben, so dass sie wissen, dass sie N sind. Ein Gedächtnisverlust kann aber dazu führen, dass N nicht mehr weiß, wie er heißt. Dann haben die Sätze „N weiß, dass er N ist“ und „N weiß, dass N N ist“ sogar verschiedene Wahrheitswerte. Der Gedächtnisverlust hindert N jedoch nicht daran, das Wort „ich“ richtig zu verwenden. „N“ und „ich“ im Munde von N haben denselben Bezug, aber nicht denselben Sinn.21 21

Zu Indexausdrücken vgl. 1.4.5, (1).

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Wenn wir von personaler Identität reden, müssen wir daher zwischen der Identität öffentlicher Personen und einer Identität von „Ichen“ unterscheiden. Urteile über die Identität öffentlicher Personen richten sich nach dem, was öffentlich zugänglich ist, d.h. nach physischen Kriterien. Urteile über die Identität von Subjekten folgen dagegen privaten Kriterien. Mein Selbstbewusstsein erschöpft sich nun nicht in dem, was mir von mir selbst explizit bewusst ist, dafür ist vielmehr auch ein implizites Bewusstsein entscheidend, das durch alle Reflexionsstufen hindurchgeht und auf keiner ganz fassbar ist. Implizites und explizites Bewusstsein decken sich auf keine Stufe ganz. Mein Selbstbewusstsein ist Bewusstsein von einer Person, die durch SV, die mich betreffen, nicht vollständig erfasst wird. Ich bin der konstante Träger all meiner bewussten Zustände, und diese Konstanz wird durch keinen dieser Zustände belegt. Ich habe in 2.1, (7) auf die Nichtobjektivierbarkeit von mentalen SV hingewiesen. Das Subjekt ist kein Gegenstand und seine mentalen Eigenschaften lassen sich nicht mit all ihren Implikationen durch Bezugnahme auf eine feste Menge von Welten feststellen. Man kann daher eine psychische Identität zweier Personen nicht nach dem Leibniz-Prinzip bestimmen. Das Lockesche Problem war: Findet sich am Morgen der Schuster psychisch total verändert in seinem Bett, oder liegt der Prinz, physisch total verändert, in diesem Bett? Wenn es um die öffentlichen Personen geht, müssten wir uns nach der Konstanz physischer Eigenschaften richten und sagen, die Person im Bett des Schusters sei der Schuster. Geht es hingegen um das Selbstbewusstsein von Schuster und Prinz, so können sie das allein beurteilen. Sagt sich der frühere Schuster: „Wie habe ich mich doch über Nacht verändert!“, so ist es immer noch der Schuster. Die Bevorzugung psychischer Identitätskriterien, von der ich gesprochen habe, erklärt sich daraus, dass wir für die Identität einer Person nicht öffentliche Merkmale, sondern ihr Selbstbewusstsein als entscheidend ansehen. 4) Personale Persistenz Es gibt physische und psychische Persistenzbedingungen für Personen. Physische Persistenzbedingungen sind für die öffentliche Person maßgeblich und nicht weiter problematisch. Psychische Persistenz muss nicht mit physischer Persistenz einhergehen. Sie besteht vor allem in der Konstanz des Identitätsbewusstseins, dass ich mich heute mit demjenigen identisch weiß, der zu einer früheren Zeit dies oder jenes erlebt, gefühlt, gedacht oder gewünscht hat. Wenn ich z.B. vor vier Jahren etwas getan habe – es sei durch Zeugenaussagen eindeutig belegt -, woran mir jede Erinnerung fehlt; dann weiß ich mich nicht mit dem Agenten identisch. Es kann auch sein, dass ich mich zwar daran erinnere, dass ich etwas getan habe, mir meine damaligen Beweggründe aber fremd sind. Auch in diesem Fall weiß ich mich nicht mit dem Agenten identisch, obwohl ich weiß, dass ich dieselbe öffentliche Person

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bin. Das Identitätsbewusstsein reicht also nur soweit wie die eigenen Erinnerungen, und es setzt eine Verwandtschaft von Ansichten, Bestrebungen, Bewertungen und Emotionalität voraus. Derek Parfit hat in (1984) bzgl. Erinnerungen, Gefühlen, Ansichten und Interessen, Grade der Verbundenheit verschiedener Lebensstadien unterschieden und gesagt, geistige Identität reiche soweit zurück, wie die Kette verbundener Stadien, die es mir erlaubt, das Ganze als kontinuierlichen Entwicklungszusammenhang zu sehen. Im Maße ein früheres Stadium mit meinem heutigen verbunden ist, kann ich dessen innewerden, was mich damals bewegt hat, was ich glaubte und hoffte. Ich würde für das Identitätsbewusstsein vor allem eine Konstanz fundamentaler Einstellungen, Haltungen und Empfindungsweisen voraussetzen. Ohne tief gehende Brüche in der Persönlichkeitsentwicklung dürfte sich das Identitätsbewusstsein normalerweise bis in eine relativ frühe Kindheit erstrecken. Es kann jedoch Brüche geben, die unser Identitätsbewusstseins begrenzen, so dass ein früherer Lebensabschnitt wie das Leben einer anderen Person erscheint. 1.2.4

Die Entfaltung intentionalen Bewusstseins

1) Mythisches Denken Intentionales Bewusstsein entfaltet sich durch Unterscheidungen und Differenzierungen, nicht nur im gegenständlichen Bereich, sondern insbesondere auch zwischen subjektiven und objektiven Momenten der Erfahrung. Zur Entfaltung gehört auch eine fortschreitende Separation und Verselbständigung der physischen und der psychischen Welt. Das ist ein wichtiger Aspekt der Geistesgeschichte. Auf ihn bin ich in B30 genauer eingegangen. Man kann die Separation schon am Übergang vom mythischen zum modernen Denken (ich spreche oft auch vom „mündigen“ Denken) beobachten.22 Daher ist mythisches Denken ein wichtiges Thema auch der Philosophie des Geistes. Mythisches Denken zeichnet sich durch eine geringe Differenzierung zwischen subjektiven und objektiven Momenten der Erfahrung aus. Wir wenden heute viele Prädikate, die man im wörtlichen Sinn nur Personen oder ihrem seelischen Leben zusprechen kann, auch auf physische Dinge und Erscheinungen an, und umgekehrt. So sprechen wir von freundlichen Farben und drohenden Wolken. Die Sonne lacht und der Mond schaut hinter den Wolken hervor. 22

Vgl. dazu B27, I, 2.1 und 2.2. Ich verwende das Wort „Denken“ hier immer in einem weiten Sinn, in dem es nicht nur Begriffsbildung, Urteilen und Schließen umfasst, sondern z.B. auch Wahrnehmen und Werten.

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Andererseits reden wir von tiefen Gefühlen, hohen Idealen, klaren Aussagen, dunklen Andeutungen und umfassenden Theorien. Übertragungen von einem auf den anderen Bereich sind nur möglich, wo Ähnlichkeiten zwischen wörtlichem und übertragenem Sinn bestehen. Die Rede vom „Abend des Lebens“ macht z.B. deswegen Sinn, weil der Abend des Tages mit dem des Lebens das Merkmal des Endes gemeinsam hat. Auch im mythischen Denken werden Prädikate, die sich im wörtlichen Sinn auf Psychisches beziehen, auf physische Dinge und Erscheinungen angewendet, und umgekehrt. Dort ist das aber nicht metaphorisch gemeint, sondern wörtlich. Dort gibt es einen die Bereiche des Physischen und des Seelischen übergreifenden Sinn dieser Prädikate. Physisches und Psychisches sind noch nicht deutlich voneinander geschieden. Physische Ereignisse werden vielfach als Aktionen eines Subjekts aufgefasst. Der Mond schaut dann tatsächlich hinter den Wolken hervor, denn er ist ein Subjekt mit Wahrnehmungsfähigkeit. Das führt dazu, dass die Natur für mythisches Denken erfüllt ist von mehr oder minder personalen Wesen, Kräften und Mächten, von Numina. Alles Geschehen wird nach dem Muster des Handelns verstanden. Andererseits begreift sich der Mensch nicht als autonomes Subjekt, dessen Tun, Denken und Wollen aus seinem eigenen, unabhängigen Willen hervorgeht, sondern als Teil der Welt. Er steht mit seinem Streben und Erkennen im Kraftfeld äußerer Mächte: Götter können den Menschen erleuchten oder verblenden, sie können sein Erinnern und Vergessen beeinflussen, ja selbst seine Willenskraft stärken oder schwächen. Daher kann das eigene Verhalten als fremd erscheinen, so dass man entsetzt auf das zurückblickt, was man gerade getan hat. Zum Erfolg einer Handlung genügen nicht eigene Anstrengungen und passende Umstände, der Handelnde ist vielmehr ständig von der Gunst oder Ungunst zahlreicher Numina abhängig. Es gibt ein breites Spektrum solcher Numina, angefangen von unpersönlichen Kräften, deren Wollen und Wirken nur einem einzigen Ziel dient, bis hin zu Persönlichkeiten mit Willen, Empfindung und Einsicht, die zu vielerlei Handlungen fähig sind. Es gibt Numina von Streit und Furcht, Liebe und Kampf, Feuer, Sonne, Nacht und Morgenröte, zu Göttern werden Numina hingegen, wenn sie sich von speziellen Formen des Erscheinens und Wirkens lösen, wenn man ihnen verschiedene Taten zuschreiben kann und sie eine Lebensgeschichte erhalten. Dafür eignen sich vor allem die Numina von Völkern, die deren Geschichte bestimmen. Ihr Wirken zeigt sich in Siegen und Niederlagen, in Perioden des Wohlergehens und der Not ihres Volkes. Sie sind Wesen, die in der Geschichte handeln. Normalerweise sind Numina nur in ihrem Wirken erfahrbar. Ihr Verhalten ist nur schwer berechenbar und beeinflussbar. Sie sind Mächte, die auf unser Leben Einfluss haben, sich aber unserer

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Kontrolle entziehen. Daher reagiert der Mensch mit Furcht und Scheu, je nach dem Charakter des Numens mit Ehrfurcht und Verehrung oder mit Schrecken und Grauen.23 Mit der Konzeption einer von Numina beherrschten Wirklichkeit sind mythische Weltbilder von ganz anderer Art als unsere heutigen. Entsprechend unterscheiden sich auch die Erklärungsmuster: Ein meteorologisches Phänomen, wie z.B.  ein  Sturm, wird mythisch als Wirken eines Wettergottes gedeutet und mit dessen Charakter, Wünschen und Wahrnehmungen erklärt, etwa als Rache für ein versagtes Opfer. Wir erklären den Sturm hingegen kausal mit Hilfe von Naturgesetzen. Götter greifen ständig in das Leben der Menschen ein. Für mythisches Denken ist daher der Glaube an Wunder typisch, denn das Geschehen ist nicht naturgesetzlich bestimmt, es läuft nicht gewissermaßen automatisch ab, die Numina bestimmen vielmehr das Geschehen durch ihr freies und unvorhersehbares Handeln. Wunder als Ereignisse, die sich nicht mit den natürlichen Gegebenheiten und unserem eigenen Handeln erklären lassen, sind allgegenwärtig und nichts Anomales. 2) Modernes Denken Für die Tendenz zur Separierung der subjektiven von der objektiven Welt ist vor allem das Streben nach Selbstbestimmung verantwortlich. Das große Ideal der Aufklärung war Autonomie. Man will unabhängig werden von der Natur, von sozialen, politischen und kirchlichen Bindungen. Hier geht es nur um geistige Autonomie. Die hat zunächst eine intellektuelle Seite. Sie bedeutet, dass man in seinen Annahmen über die Welt seiner eigenen Vernunft vertraut und auf eigener Einsicht besteht. Man übernimmt Ansichten nicht ungeprüft von seiner sozialen Umgebung, sondern will selbst prüfen, was richtig ist und was falsch. So beginnt Kant seine Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? von 1783 mit den Worten: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

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Vgl. dazu Rudolf Otto (1917).

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Geistige Autonomie hat auch eine voluntative Komponente. Wir wollen auch unsere Ziele, unsere Wertordnung, unsere Präferenzen selbst bestimmen und sie uns nicht von anderen vorschreiben lassen. Wir nehmen für uns das Recht in Anspruch, überkommene Wertvorstellungen daraufhin zu prüfen, ob wir sie uns zu eigen machen können. Faktisch ist unser aller geistige Autonomie sehr beschränkt. Wir kommen nicht umhin, viele Behauptungen anderer ungeprüft zu übernehmen und uns darauf zu verlassen, weil wir gar nicht in der Lage sind, alles nachzuprüfen. Wir verlassen uns auf Berichte anderer, auf Fahrpläne, Lexika und Lehrbücher, vielfach sogar auf Zeitungen und Fernsehsendungen. Wir übernehmen auch zunächst die Wertordnungen unserer sozialen Umwelt und können uns oft schwer davon trennen, denn gleiche Wertungen sind wie gleiche Ansichten für gemeinsames Handeln und Leben notwendig. Autonomie ist also zum großen Teil mehr Ideal als Faktum, mehr Anspruch als Realität. Ist eigene Einsicht der Maßstab unserer Überzeugungen, nicht deren Konformität mit den Ansichten der anderen oder der zuständigen Autoritäten, fällt eine wichtige Stütze unserer Überzeugungen weg. Mündiges Denken muss sich daher mit dem Bewusstsein der Fehlbarkeit eigener Urteile verbinden. Mit dem Schritt in die Selbstbestimmung unserer Überzeugungen setzen wir uns der Gefahr des Irrtums aus und werden für Fehlurteile selbst verantwortlich. Zur Mündigkeit gehört neben dem Mut, der eigenen Vernunft zu vertrauen, daher auch die Kraft, Unsicherheiten zu ertragen, das sokratische Bewusstsein des Nichtwissens und der Mut zum Wagnis, es mit jener Antwort auf eine Frage zu versuchen, welche die besten Gründe für sich hat, selbst wenn das in der Regel keine strikten Beweise sein werden. Mündiges Denken beginnt nicht erst mit der Aufklärung, mit ihr beginnt es sich nur auf breiterer Front durchzusetzen. Giovanni Pico della Mirandola hat schon in der Renaissance ein radikales Autonomie-Ideal verkündet, in einer Rede, die später unter dem Titel Über die Würde des Menschen (1486) erschienen ist. Der Schöpfer spricht dort zu Adam: Keinen bestimmten Sitz, keine eigentümliche Gestalt, kein besonderes Erbe haben wir dir, Adam, verliehen, damit du hast und besitzt, was immer du als Wohnung, als Gestalt, als Wesensausstattung dir wünschst. Alle anderen Wesen in der Schöpfung haben wir bestimmten Gesetzen unterworfen. Du allein bist nirgends beengt und kannst dir nehmen und erwählen zu sein, was du nach deinem Willen zu sein beschließest. … Nicht himmlisch, nicht irdisch, nicht sterblich und auch nicht unsterblich haben wir dich erschaffen. Denn du selbst sollst, nach deinem Willen und zu deiner Ehre, dein eigener Werkmeister und Bildner sein und dich aus dem Stoff formen, der dir zusagt. So steht es dir frei, auf die unterste Stufe der Tierwelt herabzusinken, doch kannst du dich auch erheben zu den höchsten Sphären der Gottheit.

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Dieses neue, fast göttliche Selbstverständnis unterscheidet sich radikal vom antiken und mittelalterlichen Bild des Menschen. Danach hatte er eine unveränderliche Natur, nun aber macht er sich auf, selbst zu bestimmen, was er ist und welche Rolle er im Universum spielt. 1.2.5

Nichtintentionale Formen des Bewusstseins

1) Vorintentionales Bewusstsein Die intentionale Struktur unserer Erfahrungen, habe ich gesagt, ist Ergebnis einer Scheidung subjektiver und objektiver Momente. Ich habe oben auf Fälle hingewiesen, in denen deutlich wird, dass wir den Schnitt so oder so legen können, ihn aber jedenfalls selbst legen. Darüber hinaus lässt sich eine Vorstufe intentionalen Bewusstseins aufweisen, auf der Subjektives und Objektives, eigene Befindlichkeit und äußere Gegebenheit überhaupt noch nicht geschieden sind, ein nichtsubjektives, gegenstandsloses Bewusstsein, dass ich als vorintentional bezeichne. Ein Beispiel: Wir können Musik ebenso beobachten wie erleben. Wir beobachten sie, wenn wir sie als akustischen Vorgang in der Außenwelt wahrnehmen, wenn wir auf Tonart, Melodie, Stimmen, Harmonien und Rhythmen achten, ihren Wechsel feststellen und analysieren. Wir erleben sie hingegen, wenn wir sie nicht nur als äußeres Geschehen auffassen, wenn sie im Hören vielmehr zugleich zu einem inneren Geschehen wird, wenn uns die Musik innerlich bewegt und zum Ausdruck eigener Gefühle wird. Musik kann auch so vernommen werden, dass inneres und äußeres Geschehen gar nicht mehr differenziert werden. T.  S.  Eliot spricht in The Dry Salvages von Music heard so deeply that it is not heard at all, but you are the music while the music lasts.

Dieses nichtintentionale Hören von Musik gilt vielfach als Beispiel mystischer Erfahrung. Der japanische Zen-Meister Hakuun Yasutani zitiert in seinen Unterweisungen einen anderen Meister: „Als ich die Tempelglocke läuten hörte, gab es plötzlich keine Glocke und kein Ich, nur Klang.“ Yasutani fügt hinzu: „Er war sich keines Unterschiedes mehr zwischen sich, der Glocke und dem Weltall bewusst. Das ist der Zustand, den Sie erreichen müssen.“24 24

Zitiert in David Loy (1988), S. 108.

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Da unsere Sprache als Werkzeug intentionalen Denkens entwickelt worden ist, eignet sie sich nicht für eine angemessene Beschreibung der Inhalte nichtintentionalen Bewusstseins. Wir können auf vorintentionale Bewusstseinszustände reflektieren und sie so zum Gegenstand intentionaler Betrachtung machen, im vorintentionalen Bewusstsein selbst werden jedoch keine Feststellungen über es getroffen. In ihm gibt es keine begrifflichen Bestimmungen, Urteile und Reflexionen, es fehlt jede Form diskursiven Denkens. In der Reflexion auf ein solches Bewusstsein erkenne ich es als mein Bewusstsein, aber nicht als Bewusstsein eines Subjekts. Ich begreife mich in der Reflexion als Person, wie ich generell sagen will, die nicht nur als Subjekt existiert. Erst als Subjekt wird sie sich ihrer selbst bewusst. Im vorintentionalen Bewusstsein sind also Subjektives und Objektives noch nicht differenziert. Es ist weder gegenständlich noch subjektiv. Der gesamte Inhalt solchen Bewusstseins bildet ein in sich undifferenziertes Ganzes. Es gibt darin nichts Einzelnes, keine Vielheit und keine Unterschiede. Unterscheidungen beginnen erst mit dem Übergang zu intentionalem Denken. Erst damit beginnt nicht nur die Gegenüberstellung von Subjekt und gegenständlicher Realität, sondern auch die Unterscheidung und das Hervorheben von Teilen des Inhalts, das Richten der Aufmerksamkeit auf Einzelnes. Differenzierung beginnt mit Fokussierung. Die Trennung subjektiver und objektiver Momente der Erfahrung ist ein komplexer Prozess. Sie entsteht mit der Fokussierung der Aufmerksamkeit auf ein Moment der zunächst noch ungeschiedenen Einheit. Sie hängt mit der Differenzierung von Tun und Erleiden zusammen. Die Außenwelt ist auch das, was in unseren sinnlichen Empfindungen auf uns einwirkt. Die Entdeckung aktiver, eigener Anteile an der erfahrenen Wirklichkeit führt zur Gegenüberstellung von uns selbst und der Umwelt. Wichtig ist ferner, dass die Trennung von Person und Welt von vornherein im Kontakt mit anderen Personen erfolgt. Wir fassen die physische Welt von Anfang an als eine gemeinsame Welt auf. Wir begreifen sie in der Kommunikation mit anderen Personen, mit den Mitteln der gemeinsamen Sprache.25 Wir entdecken andere Personen nicht als Teile der Außenwelt, nachdem wir die für uns selbst konstituiert haben, der Kontakt mit anderen ist vielmehr Voraussetzung für unsere Auffassung der Außenwelt. Dieser Punkt ist wichtig, wenn man nicht in einem solipsistischen Ansatz stecken bleiben will. Dass es ein vorintentionales Bewusstsein gibt, kann jeder nachprüfen, selbst wenn ihm ein nichtintentionales Hören von Musik nicht immer gelingt. Es lässt sich ausgehend von einem intentionalen Bewusstsein recht einfach 25

Das hat zuerst Wilhelm von Humboldt gesehen. Vgl. dazu B5, 4.1 und B24, 2.3.

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erzeugen. Ich sehe z.B. vor mir eine Wiese und darauf einen Baum. Schwindet die Aufmerksamkeit auf diese gegenständliche Szene, ohne sich auf anderes zu richten, wie das auch bei Müdigkeit oder Fieber manchmal geschieht, so verlieren die einzelnen Gestalten ihre Selbstständigkeit. Mit dem Unterschied von Gestalt und Hintergrund verschwindet auch die Raumtiefe und es bleibt so etwas wie ein zweidimensionaler Gesamteindruck, in dem Subjektives und Objektives, Empfindung und Gegenstand verschmelzen. Vorintentionales Bewusstsein hat keinen Erkenntnischarakter. Es zeigt uns keine andere Wirklichkeit als intentionale Erfahrungen, und auch keine neuen Dimensionen der Wirklichkeit. Die kognitive Relevanz vorintentionalen Bewusstseins liegt nur darin, dass es deutlich macht: Intentionales Bewusstsein entsteht durch Differenzierungen, durch Unterscheidungen eines noch undifferenzierten Ganzen, durch die Unterscheidung von Bewusstsein und Sein, von Innen- und Außenwelt und durch Unterscheidungen in beiden Bereichen. 2) Überintentionales Bewusstsein Überintentional nenne ich Erfahrungen, die über die Grenzen intentionalen Erkennens hinausführen.26 Im Sinn der Bemerkungen in 1.1.3 gehe ich in dieser Arbeit nicht näher auf sie ein und diskutiere nicht ihre kognitive Relevanz. Die Existenz solcher Erfahrungen kann man nicht bezweifeln, selbst wenn man ihnen keinen kognitiven Wert zuschreibt. Die ersten Zeugnisse überintentionaler Erfahrungen finden sich schon im 8. Jahrhundert v.Chr. in den Upanishaden, am Ende der indischen Veden. In der europäischen Philosophie lassen sich entsprechende mystische Erfahrungen erst im Neuplatonismus belegen. Von dort sind sie durch Augustinus, Proklos und Dionysios (Pseudo-) Areopagita ins Christentum eingegangen. In der Ostkirche sind sie bis heute wichtig. Modernes Denken kann mit ihnen jedoch wenig anfangen. Die Erfahrungen sind nichtintentional, sowohl ungegenständlich wie nichtsubjektiv. Im Gegensatz zu vorintentionalen Erfahrungen stellen sie keine Vorstufe intentionalen Denkens dar, sondern setzen es voraus. Daher bezeichne ich sie als „überintentional“. Ich will hier nur auf eines ihrer Merkmale hinweisen: In ihnen fällt implizites und explizites Bewusstsein zusammen und sie konfrontieren uns mit einer Wirklichkeit, in der Sein und Bewusstsein eine Einheit bilden. Seit Sokrates sucht die Philosophie ein Wissen, das mehr ist als richtige Überzeugung. Echtes Wissen lag für ihn nur dort vor, wo man sich mit der Überzeugung, etwas in diesem Sinn zu wissen, nicht irren kann. In diesem Fall will ich von 26

Vgl. dazu Kap. 4, B26, B27, I, Kap. 6 und Kapitel 2.

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einem perfekten Wissen sprechen.27 Im Rahmen intentionalen Denkens gibt es perfektes Wissen nur auf sehr eng beschränkten Gebieten. So weiß man bzgl. gegenwärtiger, eigener mentaler Zustände, was man zu wissen glaubt. Wir irren uns nicht über unser eigenes Urteilen, Zweifeln und Wünschen. Ähnliches gilt für (einfache) analytische Sätze: Ich kann mich mit meiner Überzeugung nicht irren, dass Junggesellen unverheiratet sind, denn so verstehe ich eben das Wort „Junggeselle“. Untrügliches Wissen gibt es allein von unseren gegenwärtigen mentalen Einstellungen und Akten, von logischen Wahrheiten sowie von abstrakten Gegenständen als Konstrukten unseres eigenen Denkens, insbesondere also auf mathematischem Gebiet.28 Perfektes Wissen wird durch die Fundierung von explizitem in implizitem Bewusstsein ermöglicht. Mein perfektes Wissen, dass ich glaube, dass es regnet, wenn ich das glaube, beruht darauf, dass die Annahme über diesen Glauben aus meinem Innesein des Glaubensakts kommt. Ich bin in diesem Fall der Wirklichkeit inne, die meinen Gegenstand bildet. Für den, der selbst überintentionale Erfahrungen gemacht hat, ist es keine Frage, dass sie Erkenntnischarakter haben. Wer von überintentionalen Erfahrungen hingegen nur aus Berichten anderer weiß, wird ihrem kognitiven Wert gegenüber hingegen skeptisch bleiben. Dafür hat er auch gute Gründe: Erstens ihre Unbeschreibbarkeit. Ich habe schon im Zusammenhang mit vorintentionalem Bewusstsein gesagt, unsere normale sei Sprache zur Beschreibung der Gegenstände intentionalen Denkens gemacht und sei daher nicht geeignet, den Gehalt nichtintentionalen Bewusstseins angemessen darzustellen. Man muss sich daher mit Vergleichen, Bildern und Metaphern behelfen. Zweitens die Unverfügbarkeit überintentionaler Erfahrungen: Man kann sie nicht willkürlich erzeugen, man kann nicht einmal jene Erfahrungen beliebig wiederholen, die man selbst schon einmal gemacht hat. Damit gleichen sie tiefem Erleben, Erleben von großer Freude und großem Leid, von Schönheit in Natur und Kunst, von der Liebe eines Menschen. Auch das lässt sich oft nur ganz unzureichend beschreiben und nicht willkürlich wiederholen. Drittens konfrontieren uns überintentionale Erfahrungen mit einer Wirklichkeit, die sich fundamental von jener unterscheidet, mit der wir es in intentionalen Erfahrungen zu tun haben. Genauer gesagt: Wir haben es in intentionalem wie überintentionalem Bewusstsein zwar mit derselben Wirklichkeit zu tun, fassen sie aber verschieden auf.29 27 28 29

Vgl. dazu 1.4.1, (5). Zur konzeptualistischen Auffassung abstrakter Gegenstände vgl. 1.6.3. Die Verschiedenheit von Realitäten in einem Sinn und ihre Identität in einem anderen Sinn ist ähnlich zu verstehen wie in 1.4.2, (5): Die empirische Realität ist die Realität, mit der uns überintentionale Erfahrungen konfrontieren, aufgefasst in intentionalem Denken mit empirischen Begriffen.

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Kapitel 1

3) Die Idee einer Evolution des Bewusstseins Von diesen drei Bewusstseinsformen ausgehend ergibt sich der Gedanke einer Evolution des Bewusstseins durch diese drei Stufen hindurch.30 Es ist aber problematisch anzunehmen, dass sich intentionales Denken aus vorintentionalem Bewusstsein entwickelt hat, denn das ist uns nur in einzelnen Zuständen zugänglich. Da wir von der Realität, die in überintentionalen Erfahrungen aufscheint, viel zu wenig wissen, können wir ferner ihr Verhältnis zur Wirklichkeit, mit der wir es in intentionalem Denken zu tun haben, nicht genauer bestimmen. Der Gedanke einer Evolution des Bewusstseins durch die drei Stufen hindurch führt daher ins weite Feld der Spekulationen.31 1.3

Das Leib-Seele-Problem

1.3.1 Materialismus 1) Vier Positionen zum Leib-Seele-Problem Das Leib-Seele-Problem ist die Frage nach dem Verhältnis von Physischem und Psychischem. Es gibt vier Positionen dazu: drei Monismen, die eine der beiden Realitäten auf die andere reduzieren wollen oder beide auf eine dritte, und den Dualismus als Gegenposition zu diesen Monismen. Die monistischen Positionen sind: a) Der Materialismus, nach dem die gesamte Wirklichkeit, mit der wir es in unseren Erfahrungen zu tun haben, physikalischer Natur ist, so dass psychische Phänomene nichts anderes sind als komplexe physische Phänomene. b) Der subjektive Idealismus, nach dem sich Physisches auf Psychisches reduzieren lässt. c) Der Neutrale Monismus, nach dem sich Psychisches und Physisches auf eine dritte Realität zurückführen lassen. Der Leib-Seele-Dualismus begreift Physisches und Psychisches als wesensverschieden, so dass keine Reduzierbarkeit im Sinn des Materialismus oder Idealismus besteht. 2) Supervenienzbeziehungen Reduzierbarkeitsbehauptungen erörtert man heute meist als Supervenienzbeziehungen. Es gibt verschiedene solche Beziehungen. Es sind einmal Beziehungen zwischen Eigenschaften der Mengen S und T, die auf einem gemeinsamen 30 31

Vgl. dazu z.B. B27, I, Kap. 7. Vgl. dazu 2.7.1.

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Objektbereich definiert sind. Die Grundidee ist dann: Die S-Eigenschaften sind supervenient bzgl. der T-Eigenschaften, wenn es keine Unterschiede von Objekten in S-Eigenschaften ohne Unterschiede in den T-Eigenschaften gibt. a) Analytische starke Supervenienz: Zu jeder S-Eigenschaft gibt eine T-Eigenschaft, die mit analytischer Notwendigkeit denselben Umfang hat. b) Nomologische starke Supervenienz: Zu jeder S-Eigenschaft gibt es eine T-Eigenschaft, die mit naturgesetzlicher Notwendigkeit denselben Umfang hat. Wenn z.B. aus naturgesetzlichen Gründen genau die Lebewesen, die ein Herz haben, auch eine Niere haben, so haben die Eigenschaft, ein Herz zu haben, und die Eigenschaft, eine Niere zu haben, naturgesetzlich, aber nicht analytisch denselben Umfang. Bei einer analytischen starken Supervenienz kann man von einer Definierbarkeit der S-Eigenschaften durch T-Eigenschaften reden, bei einer nomologischen starken Supervenienz hingegen nur von einer Reduzierbarkeit. Man kann die phänomenologische Thermodynamik auf die statistische reduzieren, weil z.B.  die  Temperatur eines Gases naturgesetzlich der mittleren kinetischen Energie seiner Moleküle entspricht. c) Schwache Superve`nienz: Zu jeder S-Eigenschaft gibt es notwendigerweise eine T-Eigenschaft mit demselben Umfang. Zwei Objekte, die sich in mindestens einer S-Eigenschaft unterscheiden, unterscheiden sich danach notwendigerweise auch immer in mindestens einer T-Eigenschaft. Ist T die Menge physikalischer Eigenschaften, so unterscheiden sich verschiedene (physische) Objekte immer in ihren T-Eigenschaften – sie sind z.B. zur gleichen Zeit nicht am gleichen Ort. Daher sind beliebige S-Eigenschaften schwach supervenient bzgl. physikalischer Eigenschaften. d) (Analytische/ nomologische) Globale Supervenienz: Wann immer sich Objekte in ihren S-Eigenschaften unterscheiden, unterscheiden sich (mit analytischer bzw. nomologischer Notwendigkeit) auch Objekte (nicht unbedingt dieselben) in ihren T-Eigenschaften. Die starke Supervenienz impliziert schwache und globale. Man kann Supervenienzbeziehungen auch für Mengen S und T von SV definieren: e) (Analytische/ nomologische) Supervenienz: Zu jedem S-SV p gibt es einen T-SV q, so dass p mit analytischer bzw. naturgesetzlicher Notwendigkeit mit q äquivalen ist. 3) Argumente für den Materialismus Heute ist der Materialismus die offizielle Doktrin zum Leib-Seele-Problem – in den Worten von David Lewis: „The world is as physics says it is, and there’s

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Kapitel 1

no more to say.“32 Für Materialisten ist die Physik die fundamentale und zugleich umfassende Wirklichkeitswissenschaft. Der erste Materialist war Demokrit aus Abdera. Sein Materialismus war eine spekulativ metaphysische Behauptung, und das blieb so bis ins 19. Jahrhundert hinein. Erst danach entstand eine Physik, die leistungsfähig genug war, dass man überhaupt daran denken konnte, das materialistische Programm der Reduktion aller Erscheinungen auf physikalische mit Aussicht auf Erfolg in Angriff zu nehmen. Erst damit wurde der Materialismus zu einer ernsthaft diskutierbaren These. Seine beiden Hauptprobleme waren die Reduktion biologischer Phänomene und jene seelisch-geistiger Phänomene auf Physisches. Das erste kann seit Darwin grundsätzlich als gelöst angesehen werden. Heute steht und fällt der Materialismus daher mit der Reduzierbarkeit mentaler Phänomene auf physikalische. Die Attraktivität des Materialismus liegt zunächst einmal in seiner Einfachheit. Er bietet ein grundsätzlich einfaches und einheitliches Bild der Wirklichkeit an. Genau genommen ist das Weltbild der Physik, auf das er sich bezieht, natürlich alles andere als einfach, es ist aber jedenfalls einfacher als das der Dualisten, die neben der physischen Realität noch eine zweite, ihr wesensfremde Wirklichkeit annehmen und sich damit das Problem des Zusammenhangs dieser beiden Teilwelten einhandeln. Für Materialisten bilden insbesondere psychophysische Wechselwirkungen keine Schwierigkeit, denn in letzter Analyse sind sie nur spezielle physio-physische Wechselwirkungen. Für den Materialismus spricht zweitens das Evolutionsargument: Am Beginn der Welt, beim Urknall, und noch etwa 10 Milliarden Jahre danach gab es nur Physisches, weder Leben noch Bewusstsein. Alles, was in der Welt entstanden ist, ist aber aus dem entstanden, was schon da war. Also muss alles, was es in unserer Welt gibt, physischer Natur sein. Auch der Geist fiel nicht vom Himmel. Geistige Leistungen sind Leistungen des Gehirns, und das Gehirn ist ein Produkt der biologischen Evolution, also ein physisches System, dessen Leistungen sich daher auch physikalisch verstehen lassen müssen. Für den Materialismus sprechen drittens die Fortschritte der Neurophysiologie, die immer engere Korrelationen zwischen psychischen und neuronalen Vorgängen aufweist. Auch heute ist der Materialismus aber keine naturwissenschaftliche Theorie. Er versteht sich zwar als Extrapolation naturwissenschaftlicher Resultate, geht aber doch entscheidend über sie hinaus. Die Naturwissenschaften können ja nur naturgesetzliche Korrelationen z.B.  zwischen  Prozessen im Gehirn und 32

D. Lewis (1983), 361.

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psychischen Vorgängen aufweisen, es ist aber eine logische Frage, ob man von solchen Korrelationen zu Identitätsbehauptungen übergehen kann. 4) Die Wandlungen des Materialismus Der Materialismus ist ein weltanschaulicher Proteus: Wo immer man ihn mit Einwänden zu fassen sucht, ändert er seine Gestalt. Er behauptet eine Reduzierbarkeit des Psychischen auf das Physische. In welchem Sinn soll die aber gelten? In ihren Antworten auf diese Frage unterscheiden sich die Materialisten, und nachdem alle Präzisierungen, die sie vorgeschlagen haben, auf handfeste Einwände gestoßen sind, präzisieren sie ihre Behauptung nun meist gar nicht mehr, so dass es schwierig ist, ihnen beizukommen. Wie Menelaos den Meergott Proteus nicht fassen konnte, weil der ständig seine Gestalt wechselte, so hat man Schwierigkeiten, Materialisten auf eine bestimmte Behauptung festzulegen.33 Ich kann hier nicht auf die modernen Entwicklungen des Materialismus eingehen, ich will sie nur durch ihren Anfangs- und ihren Endpunkt illustrieren.34 Der moderne Materialismus begann mit der These des logischen Physikalismus, die in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts z.B.  Carl  Hempel und Rudolf Carnap vertraten. Sie behaupteten eine Definierbarkeit psychologischer durch physikalische Ausdrücke.35 Es sollte möglich sein, alle Aussagen der Psychologie in solche der Physik zu übersetzen. Wäre das richtig, so könnte man in der Tat behaupten, psychologische Phänomene seien nichts anderes als physikalische, ebenso wie man sagen kann, ein Junggeselle sei nichts anderes als ein unverheirateter Mann, weil das Wort „Junggeselle“ dasselbe bedeutet wie der Ausdruck „unverheirateter Mann“. Für eine Definition des Psychischen durch Physisches gibt es zwei Ansätze: Der erste versucht, im Sinn des Behaviorismus mentale Phänomene durch solche äußeren Verhaltens zu definieren. Der zweite will mentale Zustände hingegen mit Gehirnzuständen identifizieren, Psychisches also auf neurologische Phänomene zurückführen. Behauptungen der Art, der Satz „Die Person  X hat Schmerzen“ bedeutete dasselbe wie eine Aussagen der Form „Das Gehirn von X befindet sich im dem und dem Zustand“, sind nun völlig unplausibel: Die Frage, welche neurologischen 33

34 35

Selbst Autoren, die sich sonst um Präzision bemühen und die genau wissen, dass es ganz verschiedene Begriffe von Supervenienz gibt, reden ohne nähere Erläuterung von einer Supervenienz des Psychischen bzgl. des Physischen, und erwecken damit den Verdacht, sie wollten sich kritischem Zugriff entwinden. Vgl. z.B. D. Lewis a.a.O. und D. Chalmers in (1996), S. 40 f. und Anmerkungen dazu. Zur Geschichte des Materialismus vgl. z.B. B24, 4.3. Vgl. z.B. Carnap (1932).

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Prozesse den einzelnen mentalen Vorgängen entsprechen, lässt sich nicht von Linguisten als den Spezialisten für Bedeutungsfragen lösen. Daher fällt der logische Physikalismus im Effekt mit dem logischen Behaviorismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen, der jedoch gescheitert ist. Er wollte Psychologie auf intersubjektiv Beobachtbares gründen und behauptete daher z.B., der Satz „Diese Person hat Schmerzen“ bedeute nichts anderes als der Satz „Sie zeigt ein bestimmtes Verhalten.“ Ein Blick auf entsprechende Definitionsvorschläge in der Literatur zeigt, dass sie entweder hoffnungslos inadäquat sind oder sich nicht nur auf äußeres Verhalten beziehen, sondern z.B. auch auf sprachliches Verhalten.36 Aussagen einer Person geben aber nur dann Aufschluss über ihre psychischen Zustände, wenn sie nicht lügt und meint, was sie sagt. Lügen heißt aber, absichtlich die Unwahrheit sagen, und „absichtlich“ ist kein behavioristisch zulässiger Verhaltensterm – ebenso wenig wie „meinen“. Man müsste also auch für diese Terme Verhaltenskriterien angeben, und das dürften nicht wiederum Kriterien sprachlichen Verhaltens sein, weil man sonst in einen unendlichen Regress geriete. Zweitens hängt unser Verhalten in einer Situation nicht nur von einem einzigen mentalen Zustand ab. Ob ich z.B. meinem Zorn freien Lauf lasse und wie ich mich dabei verhalte, wird auch von meinen Erwartungen bzgl. der Folgen eines solchen Verhaltens oder von anderen Gefühlen und Wünschen bestimmt. Eine behavioristische Definierbarkeit psychologischer Terme erfordert aber eine Korrelation einzelner mentaler Zustände mit einzelnen Verhaltensweisen. Zweifellos gibt es Zusammenhänge zwischen psychischen Zuständen und äußerem Verhalten. Das sind aber keine analytischen Zusammenhänge, die man a priori erkennen kann, sondern empirische Korrelationen, und die lassen sich nur ermitteln, wenn man psychische Zustände unabhängig von ihnen feststellen kann. Der Behauptung, psychische Phänomene seien nichts anderes als physische Phänomene, entspricht die These einer analytischen starken Supervenienz psychischer bzgl. physischer Eigenschaften. Schwächere Supervenienzbeziehungen wie eine nomologische starke Supervenienz genügen dazu nicht. Auch wenn naturgesetzlich genau jene Lebewesen ein Herz haben, die eine Niere haben, ist ein Herz zu haben etwas anderes als eine Niere zu haben. Den Endpunkt der Entwicklung des modernen Materialismus stellt der Eliminative Materialismus dar, wie er wie er z.B.  von  Paul Feyerabend,

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Vgl. dazu z.B. Carnap (1932), sowie die Definitionsvorschläge in Ryle (1949) und meine Kritik in B9, 6.2.

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Richard Rorty und Paul Churchland vertreten worden ist.37 Er behauptet keine Identität von mentalen und physikalischen Zuständen oder Ereignissen und keine Reduzierbarkeit psychologischer Sprachen oder Theorien auf physikalische. Er nimmt vielmehr an, die Psychologie werde im Verlauf der weiteren Wissenschaftsentwicklung von Biologie und Neurologie verdrängt werden. Dabei geht er von der Feststellung aus, unsere Vorstellungen von psychischen Phänomenen, wie sie in der Alltagspsychologie oder auch in der wissenschaftlichen Psychologie formuliert werden, seien völlig unzulänglich. Die Psychologie könne vieles nicht erklären wie z.B. Geisteskrankheiten, Kreativität, Intelligenzunterschiede, Schlaf oder Erinnerung, sie stagniere seit 2500 Jahren (so Churchland) und lasse sich wegen ihres mentalistischen Vokabulars nicht mit naturwissenschaftlichen Disziplinen wie Biologie und Neurologie verbinden. Die traditionelle Psychologie sei daher ein unfruchtbares Forschungsprogramm. So ließe sich absehen, dass sie im Verlauf der weiteren Entwicklung durch naturwissenschaftliche Disziplinen, insbesondere durch die Neurologie verdrängt würde. Damit werde auch die Sprache über Psychisches verschwinden und mit ihr die Annahme psychischer Zustände und Vorgänge. Wir reden ja heute auch nicht mehr von Dämonen, ohne eine Identität von Dämonen z.B. mit Halluzinationen anzunehmen oder eine Reduzierbarkeit der Sprache über Dämonen auf naturwissenschaftliche Sprachen. Wir kommen bei der Beschreibung der Welt ohne die Annahme von Dämonen aus und daher hat die Rede von ihnen für uns keinerlei Interesse mehr. Im gleichen Sinn werde die Annahme von Psychischem obsolet werden und damit die ganze Reduzierbarkeitsproblematik. Der Eliminative Materialismus ist also eine Prognose über künftige wissenschaftliche Entwicklungen und Veränderungen unserer Sprache in ihrem Gefolge. Über solche Vorhersagen lässt sich schlecht streiten. Mir jedenfalls erscheinen sie als höchst unplausibel, denn das Interesse an psychischen Phänomenen werden wir kaum verlieren, und die Begriffe und Theorien der Psychologie sind im Gegensatz zu denen der Neurologie oder gar der Physik auf diese Phänomene zugeschnitten. Selbst wenn die prognostizierte Entwicklung einträte, würde sie auch nichts über die Legitimität, die sachliche Berechtigung der Elimination der Sprache über Psychisches besagen, und allein darum geht es hier. Es wäre ja schließlich auch möglich, dass man später einmal die Physik aufgibt, weil sie zu schwierig wird, und zur Dämonologie zurückkehrt. Der

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Vgl. insbesondere P. Feyerabend (1963), R. Rorty (1965) und (1972), sowie P. Churchland (1981).

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Eliminative Materialismus ist also nicht mehr als eine Bankrotterklärung des Materialismus. 5) Argumente gegen den Materialismus Es gibt zwei gute Argumente gegen den Materialismus: das Dimensionsargument und das Qualia-Argument. Das Dimensionsargument habe ich schon in 1.2.1, (6) angegeben: Ist S die Menge aller physikalischen SV und G(S) die Menge der möglichen Glaubenshaltungen einer bestimmten Person zu einem bestimmten Zeitpunkt, die sich auf physikalische SV beziehen, also die Menge aller Teilmengen X von S, so dass die Person in diesem Zeitpunkt glaubt, dass genau die Elemente von X bestehen, so enthält G(S) als Potenzmenge von S aus rein mathematischen Gründen wesentlich mehr Elemente als S.  Nicht alle möglichen Glaubenshaltungen auch nur einer Person zu einem Zeitpunkt können also physikalische SV sein. Dieses Argument setzt den deskriptiven Glaubensbegriff voraus. Der rationale Glaubensbegriff nimmt an, dass die Überzeugungen nicht inkonsistent sind und man mit einem SV auch dessen logische Folgen glaubt. Die physischen SV seien die Teilmengen der Menge W von möglichen Welten, S sei also die Potenzmenge P(S) von S. Die Glaubenshaltung einer Person P in einer Welt w bzgl. physischer SV lässt sich nun durch einen einzigen nichtleeren SV Sw ⊆ W bestimmen: P glaubt in w einen SV X aus S genau dann, wenn gilt Sw ⊆ X. Hier läuft das Argument so: Wäre jede Glaubenshaltung möglich, d.h. in einer Welt aus W realisiert, so gäbe es ein w0 mit Sw0 = {w∈W: ¬w∈Sw}. Es würde also gelten w0∈Sw0 ≡ ¬w0∈Sw0. Es sind also nicht alle Glaubenshaltungen realisierbar. Die Überzeugung Sw0, dass nicht all ihre Überzeugungen richtig sind, ist jedoch eine vernünftige Glaubenshaltung von P. Zur Darstellung aller möglichen Glaubenshaltungen bzgl. physikalischer SV, d.h. Teilmengen von S, brauchen wir eine größere Menge von Welten als W. Es gibt darin dann Welten, die sich nicht physikalisch, aber doxastisch unterscheiden, und damit besteht keine analytische Supervenienz psychischer bzgl. physischer SV.38 Die beiden Versionen des Dimensionsarguments sind auch eine Widerlegung des starken Materialismus, wie ihn die These einer analytischen starken Supervenienz psychischer bzgl. physischer Begriffe ausdrückt. Denn die impliziert die Behauptung einer analytischen globalen Supervenienz der Eigenschaften und damit auch der entsprechenden SV. Das Dimensionsargument ist in der ersten Version mit der Paradoxie von B.  Russell in den Principles of Mathematics, Anhang B,  §500 verwandt. In unserem Fall sieht seine Überlegung so aus: Ist W die Menge möglicher Welten und P(W) die Menge möglicher Propositionen über W, so kann aus 38

Vgl. dazu auch 1.6.5.

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Dimensionsgründen nicht jeder Eigenschaft von Propositionen, d.h. jeder Teilmenge A von P(W), eineindeutig eine Eigenschaft von Welten, d.h. eine Menge SA ⊆ W entsprechen, so dass gilt SA = SB ⊃ A = B. Beweis: Für R := {SA: SA ∉A} gilt SR∈R ≡ SR ∉R. Die Annahme einer nomologischen SV-Supervenienz ist keine materialistische These. Auch ein Dualist könnte sie vertreten. Es sei wieder S die Menge aller mentalen und T die Menge aller physischen SV. R sei die Menge naturgesetzlich möglicher Welten. Die These ist: Für alle SV p aus S gibt es einen SV q aus T, so dass p∩R = q∩R ist. Es können also unter derselben physischen Bedingung q nomologisch verschiedene mentale SV p und p‘ bestehen, d.h. es kann sein p ≠ p‘, aber p∩R = q∩R = p‘∩R. Gegen eine solche nomologische Supervenienz sprechen folgende Überlegungen: 1) Eine solche Beziehung würde auch implizieren, dass unser geistiges Leben Naturgesetzen unterliegt, also nicht frei ist. 2) Eine nomologische globale SV-Supervenienz würde implizieren, dass wir viele analytisch möglichen Überzeugungen aus naturgesetzlichen Gründen nicht haben können. Wenn ich aber z.B. die Überzeugung als analytisch möglich erkenne, dass Platon schon früh eine Glatze hatte, kann ich sie mir auch zu eigen machen. Unser mentales Leben ist zweifellos eng mit Vorgängen in unserem Gehirn verknüpft. Diese Verknüpfung ist aber nicht nur keine nomologische globale Supervenienz, sie lässt sich wegen der Nichtobjektivierbarkeit mentalen SV 39 überhaupt nicht adäquat durch psychophysische Gesetze erfassen. Das Dimensionsargument richtet sich nur gegen eine Definierbarkeit bzw. Reduzierbarkeit intentionaler mentaler Zustände und Akte auf physische SV. Das zweite Hauptargument gegen den Materialismus – meist bezeichnet man es als Qualia-Argument – ist allgemeiner und betrifft auch nichtintentionale mentale Zustände und Akte wie z.B.  Schmerzempfindungen. Es ist das bekannteste Argument gegen den Materialismus, ist aber wenig präzise und daher, obwohl intuitiv ansprechend, nicht überzeugend. Es besagt: Es gibt eine Weise, wie es ist, Kopfschmerzen oder Zahnschmerzen zu haben, zornig oder überrascht zu sein, zu hören oder haptisch zu spüren. Alle mentalen (also bewussten) Zustände und Akte sind dem Subjekt in einer jeweils spezifischen Weise gegenwärtig. Dieser Charakter lässt sich physikalisch nicht erklären. Man kann z.B. die neurophysiologischen Bedingungen für eine Schmerzempfindung angeben, die besagt aber nicht, wie es ist, Schmerz zu haben.40 Das bezeichnet man auch als explanatorische Lücke von Versuchen, Mentales physikalisch (i.w.S., also auch physiologisch) zu erklären. 39 40

Vgl. 1.2.1, (7). Vgl. dazu z.B. T. Nagel (1974).

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Ich formuliere das Qualia-Argument so: Im Gegensatz zu physischen SV sind mentale nicht objektivierbar; mentale SV lassen sich daher nicht als physikalische auffassen. Als objektivierbar habe ich in 1.2.1 einen SV bezeichnet, der sich vollständig, d.h. mit all seinen analytischen Folgen, als Teilmenge einer festen Menge möglicher Welten darstellen lässt. Sätze über Mentales haben einen Sinn, der sich nicht vollständig objektiv bestimmen lässt. Um den Sinn von „P glaubt, dass es regnet“ anzugeben, muss ich z.B. auch das Glauben von Glaubens-SV darstellen können, also den Satz „P glaubt, dass er glaubt, dass es regnet“ usf. Das gelingt aber nicht mit einer festen Menge von Welten. In 1.6.2, (5) skizziere ich eine Stufenlogik des Glaubens mit einer offenen Menge von Welten und zeige, dass der Versuch, mit einer festen Menge von Welten auszukommen, zu Paradoxien führt. Zum Sinn einer Aussage über mentale Akte wie Glauben gehört, dass sie implizit bewusst sind, und dieses implizite Bewusstsein kann durch Reflexionen nur unvollständig explizit gemacht werden. 6) Emergenz Nichtmaterialisten sprechen manchmal von einer „Emergenz“ seelisch-geistigen Lebens bzgl. neurologischer Vorgänge.41 Emergenz ist jedoch ein höchst unklarer Begriff. Ich beschränke mich hier auf die Emergenz von Eigenschaften. Dafür, dass die Eigenschaft f bzgl. der Eigenschaften aus G emergent ist, gibt es zwei Bedingungen: a) f ist nicht reduzierbar auf (erst recht nicht definierbar durch) die G-Eigenschaften. b) f hat in irgendeinem Sinn eine Basis in den G-Eigenschaften (ist nicht von ihnen unabhängig). (a) wird man so deuten: f ist nicht nomologisch stark supervenient bzgl. G.42 Für die Präzisierung von (b) bietet sich eine schwache nomologische Supervenienz von f bzgl. G an. Sie besagt: Unterscheiden sich zwei naturgesetzlich mögliche Welten w und w‘ nicht in der Verteilung der G-Eigenschaften, haben also in w und w‘ alle Gegenstände dieselben G-Eigenschaften, so unterscheiden sich w und w‘ auch nicht in der Verteilung von f, d.h. in w und w‘ haben genau dieselben Objekte die Eigenschaft f. Gegen eine so verstandene Emergenz sprechen aber die Überlegungen unter (5).

41 42

Vgl. z.B. Broad, C. D. (1925). Zur Emergenz vgl. a. A. Beckermann et al. (1992). Ich setze wieder voraus, dass G eine vollständige Boolesche Algebra ist. Zu den Supervenienzbegriffen vgl. oben (2).

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1.3.2

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Der subjektive Idealismus

1) Die allgemeine Idee Für den ontologischen Idealismus ist die gesamte Wirklichkeit geistiger Natur. Je nach Auffassung des Geistigen unterscheidet man subjektive und absolute Idealismen. Für subjektive Idealismen besteht das Geistige aus Subjekten, deren mentalen Zuständen und Akten und den Produkten solcher Akte, also abstrakten Gegenständen wie Propositionen, Begriffe, Mengen, Zahlen, Funktionen, Theorien, Computerprogrammen, Idealen usw.43 Absolute Idealismen, wie sie der Deutsche Idealismus vertreten hat, gehen dagegen von einem Geistbegriff aus, für den das subjektiv Geistige und das Physische abgeleitete Realitäten sind. Historisch gesehen führt der Weg zum subjektiven Idealismus über den erkenntnistheoretischen Idealismus.44 Die normale Auffassung von Erfahrung ist die des erkenntnistheoretischen Realismus, nach dem wir es in unseren Erfahrungen mit der physischen Welt zu tun haben.45 Der erkenntnistheoretische Idealismus behauptet hingegen, in unseren Erfahrungen sei nur Mentales gegeben, Sinnesempfindungen, Sinnesdaten, sinnliche Eindrücke, Erscheinungen oder wie immer das genannt wird. Erfahrungen führen daher nicht über den eigenen Kopf hinaus und über die Existenz und Beschaffenheit einer Außenwelt lässt sich aus ihnen nichts ableiten. Daher ist für Idealisten die Annahme einer solchen Welt unhaltbar. So hat schon Berkeley argumentiert.46 Für ihn gibt es nur die Welt des subjektiv Geistigen. 2) Kant Kant hat einen erkenntnistheoretischen, aber keinen ontologischen Idealismus vertreten. Die Welt an sich, das „Ding an sich“, ist in ihrer Beschaffenheit an sich zwar völlig unerkennbar, sie hat aber die Funktion, unsere Sinnesempfindungen zu bewirken (wenn auch in einer für uns undurchsichtigen Weise), und zwar die Sinnesempfindungen aller Menschen. Kant vertritt ja keinen Solipsismus, für ihn gibt es vielmehr eine objektive empirische Welt, die wir alle aufgrund gleicher Anschauungsformen und gleicher Verstandesorganisation aus dem „Gewühle der Empfindungen“ konstruieren. Im Effekt ist Kants Welt an sich aber ein Konstrukt: Unsere Empfindungen stellen sich so dar, als ob

43 44 45 46

Ich setze hier die konzeptualistische Auffassung abstrakter Gegenstände voraus, die ich in 1.6.3 begründe. Vgl. B24, 5.5 und unten 4.2, (1). Vgl. 1.4.2. Vgl. B22, 5.3.

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sie von einer Außenwelt verursacht würden. In dieser Umdeutung wird Kants Philosophie zu einem subjektiven Idealismus. 3) Subjektiver Idealismus und Empirismus Man kann den subjektiven Idealismus als radikalen Empirismus auffassen. Für den Empirismus ist real nur, was sich unmittelbar in unseren Erfahrungen zeigt oder daraus ableitbar ist. Man macht sich diese Konzeption am besten am Zwei-Schichten-Modell wissenschaftlicher Sprachen klar, das auf Rudolf Carnap zurückgeht. Die untere Schicht ist die Beobachtungssprache SB, deren Terme, abgesehen von logischen und mathematischen, für direkt Beobachtbares stehen: die Namen für direkt beobachtbare Dinge, die Prädikate für direkt beobachtbare Attribute solcher Dinge. Der Empirismus hat zunächst behauptet, alle empirisch sinnvollen Terme ließen sich durch Beobachtungsterme definieren. Daher hat die Erkenntnis, dass das schon bei einfachen Dispositionsprädikaten wie z.B. „wasserlöslich“ oder „magnetisch“ nicht gelingt, für ihn einen ernsten Rückschlag bedeutet.47 Das Zwei-Schichten-Modell war die Antwort auf diese Situation. Es besteht darin, dass eine wissenschaftliche Sprache S als Erweiterung einer Beobachtungssprache SB durch die theoretischen Terme einer Theorie T aufgefasst wird. Das sollen Grundterme sein, die sich durch Beobachtungsterme nicht definieren lassen. Alle Sätze von S mit theoretischen Termen gehören zur theoretischen Sprache ST von S. S besteht also aus zwei Schichten, SB und ST. Als Beobachtungssätze bezeichnet man nur Sätze, die durch einfache Beobachtungen entscheidbar sind, also Sätze von SB , die insbesondere keine Quantoren wie „alle“ oder „einige“ enthalten. Theoretische Terme werden durch die Theorien interpretiert, in denen sie vorkommen. Ist T = T[t1 ,… ,tn] eine Theorie, die genau die theoretischen Terme t1, …, tn enthält, so werden diese Terme nur durch die Forderung gedeutet, dass T[t1, …, tn] wahr sein soll. Folgt aus T für einen dieser Terme eine explizite Definitionsformel, so kann man ihn durch die übrigen Terme der Theorie definieren, also auf ihn als Grundterm verzichten. Gilt das nicht, so ist die Wahrheit von T mit unterschiedlichen Deutungen der theoretischen Terme verträglich. Eine Theorie T zeichnet daher keine Interpretation ihrer theoretischen Terme eindeutig aus; es gilt nicht für jeden Satz der theoretischen Sprache, dass aus T seine Wahrheit oder seine Falschheit folgt. Der Sinn der theoretischen 47

  Vgl. dazu Stegmüller (1970), 1. Halb-Bd., Teile B und C, oder B6, Kap.3. Man kann Dispositionsprädikate zwar mit modallogischen Hilfsmitteln definieren, aber erstens standen in den 30er Jahren noch keine passenden modallogischen Sprachen zur Verfügung, und zweitens sind objektive Modalitäten für Empiristen seit Hume suspekt. Es war ja eine seiner zentralen Thesen, wir könnten nur beobachten, dass ein Sachverhalt besteht, nicht aber, dass er notwendigerweise besteht oder dass er zwar nicht besteht, aber doch möglich ist.

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Terme ist nur partiell bestimmt und es gibt Sätze der theoretischen Sprache, die bei einigen T erfüllenden Interpretationen wahr, bei anderen hingegen falsch sind. Da theoretische Terme nur im Fall der Wahrheit der Theorie überhaupt einen Sinn erhalten und dann nur einen unscharfen, sieht der Empirismus Sätze mit theoretischen Termen nicht als Aussagen über die Welt an. Für ihn geht Erfahrungserkenntnis nicht über das direkt Beobachtbare hinaus und nur Sätze der Beobachtungssprache sind mögliche Inhalte empirischer Erkenntnis. Die Information einer Theorie T über die Wirklichkeit reduziert sich damit auf ihren empirischen Gehalt, d.h. die Menge der Sätze der Beobachtungssprache, die aus T folgen. Theorien mit theoretischen Termen sind nur Instrumente für die Ableitung von Voraussagen über künftige Beobachtungen aus Sätzen über bisherige Beobachtungen, theoretische Terme dienen nur dazu, den empirischen Gehalt in einfacher Gestalt zu axiomatisieren. Der subjektive Idealismus geht noch einen Schritt weiter. Im Sinn des erkenntnistheoretischen Idealismus nimmt er an, dass sich uns in unseren Erfahrungen nicht die Welt zeigt, dass wir es in ihnen vielmehr zunächst allein mit sinnlichen Eindrücken zu tun haben. Zur Begründung dafür dient z.B.  das  Argument vom unmittelbar Gegebenen: Beschreibe ich eine einfache Erfahrung durch die Aussage (a) „Hier liegt ein Blatt weißes Papier“, so enthält sie hypothetische Momente, die durch die Beobachtung selbst nicht gedeckt sind. Es kann sich z.B. tatsächlich nicht um Papier handeln, sondern um eine Plastikfolie, oder die Beleuchtung kann ungünstig sein und das Blatt tatsächlich gelb. Den Gehalt der Beobachtung selbst muss ich also so beschreiben: (b) „Ich habe den Eindruck, dass hier ein Blatt weißes Papier liegt.“ Die feste Basis unserer Erfahrungen bilden daher nicht, wie der Empirismus annimmt, Beobachtungsaussagen wie (a) sondern nur Aussagen über sinnliche Eindrücke wie (b), aus denen keine Aussagen über eine Außenwelt folgen. Die Außenwelt ist nur eine Fiktion, die zur Beschreibung und Systematisierung unserer Eindrücke dient. Der Empirismus will nur Aussagen über die Welt zulassen, die sich durch Beobachtungen rechtfertigen lassen, deren Richtigkeit unmittelbar evident ist. Dazu muss er einen klar abgrenzbaren Bereich des direkt Beobachtbaren voraussetzen, eine Menge von entscheidbaren Beobachtungssätzen. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wie das Argument vom unmittelbar Gegebenen zeigt.48 Die Forderung der Untrüglichkeit führt vielmehr dazu, nur Sinneseindrücke als Basis unserer Erkenntnis der Außenwelt anzusehen. Aus privaten Sinneseindrücken folgen aber keine Aussagen über eine gemeinsame Welt. 48

Vgl. dazu auch die Theoriebeladenheit der Erfahrungen, von der in 1.4.4 die Rede ist.

48

Kapitel 1

Untrüglichkeit ist nicht mit einer Geltung in einer gemeinsamen Außenwelt verträglich. Gottlob Frege sagt: „Mit dem Schritte, mit dem ich mir eine Umwelt erobere, setze ich mich der Gefahr des Irrtums aus.“49 Im Übrigen sind wir nicht nur daran interessiert, physische Phänomene zu beschreiben, wir wollen sie auch verstehen, und dazu müssen wir oft hinter das Beobachtbare zurückgehen. Wir müssen eine nicht direkt beobachtbare Realität annehmen, denn mit einer Fiktion lässt sich Reales nicht erklären. Wie die Praxis der Naturwissenschaften zeigt, geraten wir damit nicht schon in den Bereich haltloser Spekulationen. Gegen den erkenntnistheoretischen Idealismus spricht, dass wir unsere sinnlichen Eindrücke mit Hilfe einer Sprache über die Außenwelt beschreiben. Der Inhalt des Eindrucks, hier liege ein Stück weißes Papier, ist der physische SV, dass hier ein Stück weißes Papier liegt. Ein konsequenter erkenntnistheoretischer Idealismus müsste von einer Sprache über Sinnesempfindungen ausgehen und von daher die Sprache über die physische Welt rekonstruieren. Das ist das Programm des Phänomenalismus, das sich aber als undurchführbar erweist. 4) Der Phänomenalismus Der Phänomenalismus der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts behauptet eine Supervenienz physikalischer SV bzgl. mentaler. Im Sinn des linguistic turn jener Jahre hat man diese These als Behauptung von der Übersetzbarkeit der Sprache über Physisches in die Sprache über Sinnesdaten formuliert.50 Was sind Sinnesdaten und wie soll eine Sprache über sie aussehen? Es gibt verschiedene Deutungen des Wortes „Sinnesdatum“, zwischen denen meist nicht unterschieden wird.51 Sinnesdaten können sein: 1) Sachverhalte des Beobachtens, Vorstellens oder Erscheinens,52 2) Beobachtete, vorgestellte oder erscheinende Objekte oder Sachverhalte,53

49 50 51 52 53

Frege KS, S. 358. Carnap hat zeitweise diese These zusammen mit der einer Übersetzbarkeit der Sprache über Psychisches in die Sprache über Physisches vertreten. Danach könnte man ebenso gut subjektiver Idealist wie Materialist sein. Das Wort sense-datum ist von G. E. Moore und B. Russell eingeführt worden. Die Deutungen (1) und (3) entsprechen dem Argument vom unmittelbar Gegebenen. Diese Deutung vertritt z.B. A. J. Ayer in (1963), S. 131 ff. C. D. Broad sagt in (1954): „I shall give the name of ‚sensing‘ to the act or process of being immediately aware of a particular as having certain qualities … I shall call any particular which is capable of being sensed a ‚sensible‘ … I shall say that a sensible is a ‚sense-datum‘ for a certain person on a certain occasion, if and only if he is sensing that sensible on that occasion.“.

Der Zusammenhang philosophischer Disziplinen

49

3)

Empirische Sachverhalte, bzgl. deren Bestehen wir uns nicht täuschen können,54 4) Empfindungen. Sätze über Sinnesdaten im Sinn von (2) und (3) sind Sätze der Sprache über Physisches, Aussagen über Sinnesdaten im Sinn von (1) enthalten solche Sätze. Daher ist die phänomenalistische Übersetzbarkeitsthese bei diesen Deutungen trivial oder unhaltbar: Trivial, wenn man die Sprache über Physisches als Teil der Sprache über Sinnesdaten ansieht, unhaltbar, wenn man das nicht tut, weil es dann keine brauchbare Sprache über Sinnesdaten mehr gibt, in die man irgendetwas übersetzen könnte. Die einzige Bestimmung von Sinnesdaten, bei der eine Sprache über sie nicht schon die Sprache über Physisches voraussetzt, ist demnach (4). Empfindungen – Farbempfindungen, Wärmeempfindungen, akustische Empfindungen usw. – sind nicht intentional, haben also nicht Physisches zum Inhalt. Gerade deswegen ist jedoch eine Sprache über Empfindungen derart ausdrucksarm, dass eine Übersetzung der Sprache über Physisches in sie von vornherein völlig aussichtslos ist.55 Selbst wenn man annimmt, es stünde eine wohlbestimmte und ausdrucksfähige Sprache über Empfindungen zur Verfügung, die keine Sprache über Physisches enthält, lässt sich das phänomenalistische Übersetzungsprogramm nicht durchführen.56 Um das zu zeigen, gehen wir von dem einfachen Satz der physikalischen Sprache aus: (a) „Zum Zeitpunkt t gibt es am Ort q ein Ding mit der Eigenschaft F.“ Man kann ihn nicht übersetzen in einen Satz der Form „ In t habe ich bei q Empfindungen der Art G“ oder allgemeiner (b): „Es gibt jemanden, der in t bei q Empfindungen der Art G hat“, wobei G-Empfindungen solche sein sollen, wie man sie normalerweise bei der Betrachtung von Dingen mit der Eigenschaft F hat. Denn (a) kann wahr, (b) jedoch falsch sein, weil sich in t bei q niemand befindet. Auf diese Schwierigkeit der Identifikation von physischen Dingen mit Empfindungen, des Prinzips esse est percipi, ist schon Berkeley gestoßen.57 Danach würde ja die ganze physische Welt vernichtet, wenn wir 54 55

56 57

Auch das ist eine Bestimmung von Ayer, vgl. (1963), S. 92 ff. Darüber hinaus hat W.  V.  Quine in (1960), S.  1 f., mit guten Gründen behauptet, die Sprache über Empfindungen sei aus der Sprache über Physisches abgeleitet, weil man Empfindungen am genauesten durch die Dinge charakterisieren kann, die sie hervorrufen. So bestimmen wir einen Gelbton als Zitronengelb, einen Schmerz als stechend, einen Geruch als den fauler Eier. Im Übrigen, meint Quine, sei die Behauptung, wir hätten es in unseren Erfahrungen primär mit Empfindungen zu tun, und die gegenständliche physische Welt sei nur eine Konstruktion aus Empfindungen, eine Fiktion: Empfindungen seien nicht unmittelbar gegeben, sondern vielmehr Abstraktionen aus unseren Erfahrungen von einer gegenständlichen Welt. Vgl. dazu ausführlich W. Stegmüller (1958). Berkeley, Treatise, I, 45.

50

Kapitel 1

die Augen schließen, und neu erschaffen, wenn wir sie wieder öffnen. Berkeley hat daher eine Übersetzung von (a) in den Konditionalsatz (c) vorgeschlagen: „Wenn sich in t jemand bei q befindet, so hat er Empfindungen der Art G.“58 Auch dieser Satz hat aber nicht immer denselben Wahrheitswert wie (a). Dafür müsste man vielmehr voraussetzen, dass die Beobachtungen unter normalen Bedingungen erfolgen, die Sinnestäuschungen ausschließen, und das sind teilweise physische Bedingungen. Sie müsste man ihrerseits in die Empfindungssprache übersetzen, dabei wären dann wieder Normalbedingungen hin­zu­ zufügen, so dass man in einen unendlichen Regress geriete. Ferner ist die Aussage (d): „Die Person  X befindet sich in t bei q“, die in (c) vorausgesetzt wird, eine Aussage der physikalischen Sprache, muss also übersetzt werden. C. I. Lewis hat vorgeschlagen, (d) durch „X glaubt sich in t bei q zu befinden“ zu ersetzen, aber dieser Satz hat andere Wahrheitsbedingungen als (d) und ist im Übrigen kein Satz der Empfindungssprache, da er selbst schon Terme der physikalischen Sprache enthält.59 H.  H.  Price wollte die physikalischen Orts- und Zeitbestimmungen durch phänomenalistische ersetzen, bei denen etwa der Ort q ausgehend vom gegenwärtigen Standpunkt des Betrachters durch den Erlebnisstrom bei einer virtuellen Reise zum Ort q charakterisiert wurde.60 Solche abenteuerlichen Vorschläge haben aber niemanden überzeugt, sondern nur das Ende des Phänomenalismus besiegelt. 1.3.3

Neutraler Monismus

Der Neutrale Monismus, wie ihn z.B. Baruch Spinoza vertreten hat, behauptet, Physisches und Psychisches ließen sich auf eine dritte, neutrale Realität reduzieren. Diese Position ließe sich nur dann sinnvoll diskutieren, wenn diese dritte Realität genauer spezifiziert würde. Gemeint ist ja nicht einfach, dass sie aus Physischem und Psychischem zusammen besteht. Formal lässt sich das so darstellen: Sind die rein physischen SV Teilmengen einer Menge W1 von Welten und die rein psychischen SV Teilmengen der Weltenmenge W2, so bestimmen wir W als das Produkt W1×W2, d.h. als Menge der Paare (w1, w2), deren erstes Glied w1 eine Welt aus W1 ist und deren zweites Glied w2 eine Welt aus W2 ist. Bzgl. W stellen sich die physischen SV nun als Mengen  X×W2 dar, wo X Teilmenge von W1 ist, und die psychischen SV als Mengen W1×Y, wo Y eine Teilmenge von W2 ist. Dann sind diese beiden Arten von SV analytisch supervenient bzgl. der SV, die Teilmengen von W.  Damit 58 59 60

Vgl. a.a.O. I, 3. Vgl. C. I. Lewis (1945), S. 179 ff. Vgl. H. H. Price (1940), S. 183 ff. Zur Kritik vgl. Ayer (1963), S. 156 ff.

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51

das nicht nur ein formaler Trick ist, müssen die Welten aus W nicht einfach als psychophysische Welten bestimmt werden, man muss ihnen vielmehr eine eigene Natur zuschreiben können. Eine solche Natur anzugeben, ist aber weder Spinoza noch seinen Nachfolgern gelungen. Im Übrigen beruht schon der formale Trick auf der falschen Voraussetzung, dass das Psychische ebenso wie das Physische eine objektivierbare Wirklichkeit ist. Spinoza hat den Neutralen Monismus in der speziellen Form einer ZweiAspekten-Lehre vertreten, nach der sich die neutrale Realität sowohl physisch wie geistig vollständig charakterisieren lässt. Damit handelt er sich sowohl die Probleme des Materialismus wie des Idealismus ein. Dass der Neutrale Monismus trotz seiner inhaltlichen Unbestimmtheit an der Wende zum 19. Jh. eine Zeit lang große Beachtung fand, lässt sich damit erklären, dass die Romantik im Widerspruch zum aufkommenden Materialismus den Zusammenhang von Geist und Natur betonte und der Deutsche Idealismus Ideen zu einer Wirklichkeit jenseits von Physischem und Psychischem entwickelte, aus der für das intentionale Bewusstsein subjektiv Geistiges und Physisches entstehen. Ich habe in 2.5 (3) auf den Gedanken einer Evolution des Bewusstseins hingewiesen, Spinoza hat die neutrale Realität jedoch als Gegenstand intentionalen Denkens aufgefasst. 1.3.4

Formen des Dualismus

1) Der Cartesische oder Substanzen-Dualismus Descartes nahm zwei Arten von Substanzen an, Körper und Seelen. Körper sind ausgedehnt, haben aber kein Bewusstsein, Seelen haben ein Bewusstsein, sind aber nicht ausgedehnt. Körper und Seelen haben also ganz verschiedene Eigenschaften und es gibt keine Substanzen, die zugleich seelische und körperliche Eigenschaften haben. Normalerweise schreiben wir jedoch Personen beide Arten von Eigenschaften zu und sagen z.B., jemand wiege 90 kg und leide darunter. Für Descartes ist der Mensch hingegen ein Doppelwesen, das aus zwei Substanzen besteht, einem Körper und einer Seele. Zum Körper X gehört jene Seele, in der Reize der Sinnesorgane von X Eindrücke hervorrufen und deren Handlungsabsichten in X Bewegungen auslösen. Es ist also ein kausales Band, das den Körper mit seiner Seele verbindet – ein brüchiges Band, da psychophysische Wechselwirkungen im Cartesischen Dualismus problematisch bleiben.61 61

In der 6. Meditation seiner Meditationes de Prima Philosophia (§ 9) hat Descartes ein Argument für die substantielle Verschiedenheit von Körper und Seele angegeben. Vgl. a. Principia Philosophiae, I, § 60. Vgl. dazu B22, 1.3.

52

Kapitel 1

2) Der Eigenschaftsdualismus Einen Eigenschaftsdualismus hat z.B.  P. F.  Strawson in (1959) vertreten. Er nimmt an, dass Menschen sowohl psychologische wie physikalische Eigenschaften haben. Sie sind also nicht zwei Substanzen, sondern nur eine. Er nimmt zwei disjunkte Klassen von Grundeigenschaften an – ich rede der Einfachheit halber nur von Eigenschaften und nicht allgemein von Attributen, wozu auch Relationen zählen -, rein psychologische und rein physikalische. Psychophysische Eigenschaften, die sowohl physikalische wie mentale Merkmale enthalten, sollen sich durch rein psychologische und rein physikalische Eigenschaften definieren lassen. Der Eigenschaftsdualismus hat den Vorteil, dass er den Menschen nicht als Doppelwesen begreift, der aus zwei wesensverschiedenen Substanzen besteht, die Definierbarkeit aller psychophysischen Eigenschaften ist jedoch weder bewiesen noch plausibel: Wenn Max die Hand hebt, hebt sich seine Hand und er verfolgt damit eine bestimmte Absicht, er will sich z.B. in einer Versammlung zu Wort melden . Ein Zusammenhang zwischen beiden Tatsachen wird damit aber nicht angegeben; es wird nicht ausgeschlossen, dass Max die Absicht hat, seine Hand zu heben, das Heben seiner Hand aber gleichzeitig durch physiologische Ursachen bewirkt wird, die mit der Absicht nichts zu tun haben. Dann könnte man nicht sagen, Max hebe seine Hand. 3) Ein Sachverhalts-Dualismus Statt von Substanzen oder Eigenschaften geht man bei der Diskussion des Dualismus am besten von SV aus. Man kann dann rein psychische, rein physische und psychophysische SV unterscheiden. Rein psychische SV wie ‚Fritz glaubt, dass München an der Isar liegt‘ besagen nichts über Physisches, rein physische SV wie ‚Dieser Stein wiegt 8 kg‘ besagen nichts über Psychisches. Ist PS die Menge rein psychischer SV und PH die Menge rein physischer Sachverhalte, so besagt ein SV-Dualismus nicht, dass die Menge aller psychophysischen SV definierbar ist durch die SV aus der PS und PH. Nun habe ich in 1.2.1, (6) von der Offenheit der Menge psychischer SV gesprochen. PS ist also eigentlich gar nicht definiert. Bei den folgenden Überlegungen will ich davon jedoch absehen und mich auf mentale SV einer bestimmten Stufe beschränken, wobei die Stuf eines mentalen SV der Anzahl der Reflexionsschritte entspricht, aus denen er sich ergibt. 4) Schwacher Dualismus Ein SV-Dualismus muss mindestens die These vertreten:

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53

WD: Weder ist PS analytisch (global) supervenient bzgl. PH noch PH bzgl. PS. Andernfalls wären alle PS-SV mit PH-SV identisch oder umgekehrt. Dann hätten wir es statt mit einem Dualismus mit einem Materialismus bzw. einem subjektiven Idealismus zu tun. WD ist die These des Schwachen Dualismus, die den Dualismus nur als Gegenposition zu Materialismus und Subjektivem Idealismus bestimmt, und die wir mit den Argumenten gegen Materialismus und Phänomenalismus schon bewiesen haben. 5) Starker Dualismus Stärker als WD ist die These des Starken Dualismus: SD: Die Mengen PS und PH sind nicht leer und jeder PS-SV ist analytisch mit jedem PH-SV verträglich.62 Die These SD entspricht einem Ontologischen Realismus, der behauptet: OR: Die physische Welt ist in ihrer Existenz wie in ihrer Beschaffenheit unabhängig von uns Menschen, von unserer Existenz wie von unserem Wahrnehmen und Denken. In diesem Sinn kann man auch sagen: Die physische Welt ist eine Welt an sich. Denn „an sich“ heißt ja ebenfalls: in Existenz und Beschaffenheit unabhängig von uns und unserm Denken und Erfahren. Eine Verstärkung von SD ist: SSD: Die Mengen PS und PH sind nicht leer und weder ist PS nomologisch (global) supervenient bzgl. PH noch PH bzgl. PS. Für SSD sprechen die Argumente gegen eine nomologische Supervenienz von PS bzgl. PH aus 1.3.1, (5). Dass sich alle physikalischen Unterschiede auch in irgendeinem Bewusstsein spiegeln, ist von vornherein unplausibel. 62

Die zweite Behauptung, die der Verträglichkeit, ergibt sich schon aus der obigen Bestimmung rein psychischer und rein physischer SV. Damit behauptet der starke Dualismus nur die Existenz von rein psychischen und rein physischen SV. Man kann aber auch umgekehrt vorgehen und PS und PH durch Beispiele bestimmen, womit man dann auch schon gesagt hat, dass beide Mengen nicht leer sind. Dann beinhaltet SD die Unabhängigkeit.

54 1.3.5

Kapitel 1

Der Polare Dualismus63

1) Allgemeine Bestimmungen 1) Der Polare Dualismus (PD) ist kein Substanzendualismus. Er stimmt mit dem Eigenschaftsdualismus darin überein, dass der Mensch nicht aus zwei Substanzen, einer Seele und einem Körper besteht, sondern ein leib-seelisches Wesen ist, übernimmt aber nicht die These, alle psychophysischen Eigenschaften seien durch rein psychische und rein physische definierbar. 2) Der PD ist ein starker Dualismus. 3) Der PD ist kein Zwei-Welten-Dualismus. Für ihn ist das Psychische, im Gegensatz zum Psychischen, keine gegenständliche Welt. Es lässt sich nicht vollständig gegenständlich darstellen. Für Descartes sind Seelen dagegen im gleichen Sinn Substanzen wie physische Dinge, so dass für ihn die Welt der Seelen, die psychische Welt eine zweite gegenständliche Welt ist. Für den PD sind Subjekte keine Gegenstände und mentale Zustände und Akte sind von gegenständlichen Zuständen und Akten zu unterscheiden. Wir können zwar auf unsere eigenen mentalen Zustände und Akte reflektieren, wobei der Inhalt ein gegenständlicher SV ist, das implizite Selbstbewusstsein geht aber bei jeder Reflexion über das hinaus, was wir explizit erfassen.64 4) Der PD ist ein ontologischer Dualismus. Wie alles intentionale Denken nimmt er eine Welt an sich an, die Ursache unserer Sinnesempfindungen ist und Bezugspunkt unserer Erfahrungen. 5) Von anderen Formen eines SD unterscheidet sich der PD dadurch, dass er wesentliche Zusammenhänge zwischen Physischem und Psychischem annimmt. Der PD erklärt sie durch die Entstehung intentionalen Bewusstseins durch Unterscheidung einer ursprünglichen Einheit in Innenund Außenwelt.65 2) Bezüge des Psychischen auf Physisches Die Bezogenheit von Psychischem auf Physisches zeigt sich z.B. in folgenden Punkten: 1) Mentale Zustände und Akte sind zu einem großen Teil propositionale Einstellungen bzgl. physischer SV wie ‚Sehen, dass es regnet‘ und ‚Wünschen, dass der Zug kommt‘.

63 64 65

Vgl. B27, I, 2.3. Vgl. 1.2.1, (6) und (7). Zur Unterscheidung implizites – explizites Bewusstsein vgl. 1.2.1, (3). Vgl. 1.2.5, (1).

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2)

3)

55

Mentale Zustände und Akte sind oft Teil psychophysischer Zustände und Akte. Beobachtungen sind z.B.  mentale  Feststellungen und physische Handlungen. Sprachliche Äußerungen sind Kommunikationsversuche und Lautäußerungen. Empfindungen sind vielfach lokalisiert wie Kopfschmerzen, Gefühle sind oft leib-seelischer Natur wie Müdigkeit.

3) Bezüge von Physischem auf Psychisches 1) Alle empirischen Begriffe, mit denen wir Physisches beschreiben, sind sekundär, d.h. sie nehmen auf die Art und Weise Bezug, wie uns die Dinge erscheinen. Darauf gehe ich in 1.4.2 näher ein. 2) Physisches lässt sich nicht ohne Indexausdrücke beschreiben. Indexausdrücke bringen aber das Bewusstsein von Personen ins Spiel. Vgl. dazu 1.4.5. Der PD bemüht sich um ein kohärentes Bild der empirischen Welt in ihren physischen wie psychischen Dimensionen. Auch ihm gelingt das aber nicht vollständig, wie die erkenntnistheoretischen Überlegungen im nächsten Kapitel zeigen werden. Auch er bietet keine Lösung für das Grundproblem intentionalen Denkens an: Wie wir uns zugleich als Gegenüber der Welt und als Teil von ihr begreifen können. Er hilft also nicht nur beim Verständnis der empirischen Welt, sondern auch bei der Erkenntnis der Grenzen intentionalen Denkens. 4) Das Problem psychophysischer Wechselwirkungen Das Verständnis psychophysischer Wechselwirkungen ist ein Problem für jeden Dualismus. Es gibt offensichtlich solche Wechselwirkungen. Fällt mir ein Stein auf den Fuß, so empfinde ich Schmerzen, habe ich Angst, so beschleunigt sich meine Herzfrequenz. Eine Analyse solcher Wechselwirkungen stößt jedoch auf Schwierigkeiten: 1) Die Annahme einer kausalen Geschlossenheit der physischen Welt. Diese heute, nicht zuletzt aufgrund des Materialismus weit verbreitete Annahme besagt, dass physische Ereignisse nur physische Ursachen haben, dass sie also, wenn es sich nicht um Zufälle handelt, physikalisch erklärbar sind. Die Unhaltbarkeit dieser These ergibt sich aber aus Überlegungen zur Quantenphysik.66 2) Die Missdeutung psychophysischer Vorgänge als rein physische oder rein psychische. Handlungen werden z.B. so gedeutet, dass das rein mentale Ereignis eines Entschlusses einen physischen Vorgang bewirkt. Wir bewirken aber nicht Handlungen, sondern bewirken mit Handlungen physische Ereignisse.67 Absichten 66 67

Vgl. dazu 1.4.5. Zur Agenskausalität vgl. 1.2.2, (2).

56

Kapitel 1

leiten und begleiten Handlungen. Ich kann zwar schon im Winter die Absicht haben, meinen Sommerurlaub im Defreggental zu verbringen, die muss ich aber dann in die Tat umsetzen; sie bewirkt kein zukünftiges Ereignis. Man übersieht auch oft Nebenbedingungen kausaler Wirkungen. Ein Lichtblitz führt z.B. nur dann zu einem Lichteindruck, wenn der Beobachter bei wachem Bewusstsein ist. 3) Die explanatorische Lücke Ein Lichtblitz erzeugt einen Eindruck von Helligkeit. Das Licht trifft auf die Netzhaut des Betrachters. Dort wird der optische Reiz auf komplizierten chemischen Wegen in elektrische Impulse umgewandelt, die über die Nervenbahnen ins Gehirn gelangen und dort gewisse physiologische Wirkungen hervorrufen. Wie kommt es aufgrund dieser physiologischen Vorgänge zur Rotempfindung des Betrachters, zum Bewusstsein der roten Fläche? Hier scheint ein unbegreiflicher Sprung vorzuliegen. Diese „explanatorische Lücke“ ergibt sich nicht so sehr aus einem Mangel an Kenntnissen über psychophysische Zusammenhänge, insbesondere über Zusammenhänge physiologischer Vorgänge im Gehirn mit bewussten Vorgängen, als daraus, dass für psychophysische Erklärungen nach 1.5.1, (2) psychophysische Wesensgesetze erforderlich sind, die es wegen der Nichtobjektivierbarkeit mentaler SV nicht gibt, von der in 1.2.1, (7) und 1.3.1, (5) die Rede war. Es gibt keine umfassende Theorie mentaler Vorgänge und daher auch kein präzise bestimmbares Wesen solcher Vorgänge. Wenn man einen mentalen SV als Teilmenge einer bestimmten Menge möglicher Welten darstellt, wie das für die Formulierung psychophysischer Gesetze nötig ist, verfehlt man den mentalen Charakter dieses SV, den Charakter seiner Nichtobjektivierbarkeit. Wir stellen also fest, dass es zwar zumindest statistische psychophysische Zusammenhänge gibt, dass aber keine strikten gesetzlichen Zusammenhänge bestehen, die explanatorische Kraft hätten. Der Cartesische Dualismus ist am Wechselwirkungsproblem gescheitert. Die Annahme psychophysischer Wechselwirkungen wurde bald teilweise oder ganz aufgegeben. Da besonders physische Wirkungen psychischer Vorgänge als fragwürdig erschienen, hat man sie im Epiphänomenalismus geleugnet und nur physikalische Ursachen zugelassen. Was auf den ersten Blick als Wirkung eines psychischen Vorgangs erscheint, wurde zur Wirkung desjenigen physischen Vorgangs erklärt, der den psychischen verursachte. Dieser Trick der kausalen Entmächtigung des Psychischen funktioniert nur dann, wenn alle psychischen Ereignisse physische Ursachen haben. Daher ist der Epiphänomenalismus so etwas wie ein höflicher Materialismus, der das Geistige zwar nicht leugnet, es aber zur bloßen Begleiterscheinung, zum

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Schatten des Physischen erklärt.68 Im psychophysischen Parallelismus, wie ihn Malebranche und Leibniz vertraten, hat man dann psychophysische Wechselwirkungen gänzlich abgeschafft: Abgesehen von göttlichen Interventionen in beiden Bereichen gibt es nur psychische Ursachen von Psychischem, und nur physische Ursachen von Physischem. Der Okkasionalismus übertrug Gott die Aufgabe, bei Handlungen die passenden physischen Vorgänge zu den Absichten zu bewirken, und bei Erfahrungen von physischen Vorgängen die sinnlichen Eindrücke, die diesen Vorgängen entsprechen. Leibniz hat Gott dann mit seiner Lehre von der prästabilierten Harmonie entlastet, indem er ihn am Beginn der Welt die Seelen und die physische Natur wie Uhren gleich stellen ließ, so dass sich die erforderlichen zeitlichen Koinzidenzen in den kausal getrennten Welten automatisch einstellten. Das hatte freilich den Nachteil, dass Leibniz sowohl in der physischen wie auch in der psychischen Welt einen Determinismus annehmen musste. 5) Das Evolutionsproblem In 1.3.1, (3) habe ich das Evolutionsargument für den Materialismus angegeben. Es setzt die heutige Kosmogonie voraus, nach der unsere Welt aus dem Urknall, einer unvorstellbaren Konzentration von Energie vor ca. 14 Milliarden Jahren entstanden ist. Nach den fundamentalen Naturgesetzen – durch „Notwendigkeit“ – und Zufall haben sich daraus Atome und Moleküle entwickelt, die Sterne und Sternsysteme, die Elemente und endlich – jedenfalls auf unserer Erde – das Leben, das sich wiederum aus ganz primitiven Formen in seinem heutigen Reichtum entfaltet hat, einschließlich des Menschen. Dabei ist immer alles mit natürlichen Dingen zugegangen, alles Spätere hat sich aus dem entwickelt, was schon da war. Nachdem ihr Ausgangspunkt, der Urknall, ein rein physikalisches Ereignis ist, ist die Theorie der Evolution physikalischer Vorgänge, die, wenn sie vollständig sein soll, einen Materialismus impliziert. Bei geistigem Leben handelt es sich dann um Vorgänge im Gehirn, das ein (im weiten Sinn des 68

Auch David Chalmers vertritt in (1996) einen Epiphänomenalismus. Von Interesse ist dabei vor allem die Paradoxie der Urteile über Psychisches im Kap. 5, welche die Absurdität des Epiphänomenalismus besonders hell beleuchtet. Grund meines Urteils darüber, dass ich Schmerzen empfinde, ist danach nicht die Schmerzempfindung selbst, sondern ein physikalischer Vorgang, der sich naturgesetzlich damit verbindet und von dem ich normalerweise nichts weiß. Ein Epiphänomenalismus in dem Sinn, dass es keine psychischen Erstursachen gibt, folgt auch aus der Annahme von John Searle in (1998), jeder psychische Vorgang sei durch neuronale Prozesse bewirkt. Wenn man jedoch einen Kausalbegriff verwendet, nach dem es Kausalketten gibt, schließt das psychische Ursachen nicht aus.

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Kapitel 1

Wortes) physikalisches System ist, also um physikalische Vorgänge. Wir sind Kinder dieser Welt, also Produkte von Zufall und Notwendigkeit. Wegen seines Materialismus ist dieses Bild nach 1.3.1, (5) unhaltbar. Es kann nur ein Bild der Evolution der physischen Realität sein, in dem das Auftreten von Seelisch-Geistigem nicht erklärt wird. Nach Fichtes Dictum: „Kein Subjekt – kein Objekt; kein Objekt – kein Subjekt“ müsste ein Bild der Evolution der empirischen Welt die Entfaltung intentionalen Bewusstseins, die Entstehung von Subjekten und ihrer gegenständlichen Welt umfassen. Wir können uns ein Bild von der Entfaltung intentionalen Bewusstseins machen – davon war in 2.4 die Rede – und wir können sagen, wie sich aufgrund unserer Vorstellung der physischen Welt ihre Entstehung darstellt. Die Entstehung intentionalen Bewusstseins, seiner seelisch-geistigen Innenwelt und seiner physischen Außenwelt können wir mit den Mitteln intentionalen Denkens nicht zirkelfrei erklären. Auch Geburt und Tod entziehen sich diesem Denken. 1.4

Erkenntnistheorie

1.4.1

Wissensbegriffe69

1) Wissen im minimalistischen Sinn Eine Erkenntnistheorie muss zunächst einmal klären, worin Erkenntnis besteht.70 Erkennen ist der Übergang vom Nichtwissen zum Wissen, als „Erkenntnis“ bezeichnet man aber nicht nur Akte des Erkennens, sondern auch ihre Ergebnisse, das, was man weiß. Die Frage ist daher: Wann liegt ein Wissen vor? Notwendige Bedingung dafür, dass jemand (im Folgenden: die Bezugsperson) zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas weiß, ist erstens, dass er in diesem Zeitpunkt davon überzeugt ist, dass er sich subjektiv sicher ist und es nicht bloß vermutet, und zweitens, dass er damit recht hat, dass der SV, von dessen Bestehen er überzeug ist, auch tatsächlich besteht. Sieht man diese beiden Bedingungen zusammen auch als hinreichend an, so kommt man zum minimalistischen Wissensbegriff, zum Begriff des Wissens als wahre Überzeugung. 2) Begründetes Wissen Der minimalistische Wissensbegriff genügt zwar für viele Fälle, ist aber für andere doch viel zu weit, wie schon Platon im Theätet betont hat. 69 70

Vgl. dazu auch B17, Kap. 1. Zur Erkenntnistheorie vgl. B17, 2.1; B27, 62 ff.; B28, Kap. 1.

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Überzeugungen, die zufällig wahr sind, bezeichnen wir nicht als Wissen. Wenn ein Hellseher voraussagt, dass am 4.7.2023 ein Tsunami Teile einiger Inseln der Malediven verwüsten wird, und damit recht hat, würden wir nicht sagen: „Er hat das gewusst“, sondern vielmehr: „Er konnte das gar nicht wissen.“ Platons Beispiel ist ein Richter, der nur die Zeugen der Anklage hört, nicht aber die der Verteidigung, und daraufhin zu einem Schuldspruch kommt, der tatsächlich korrekt ist. Platon untersucht eine Definition von Wissen, nach der Wissen eine wahre und begründete Überzeugung ist. Heute argumentiert man gegen diesen Vorschlag etwa so: Die Gründe, welche die Bezugsperson hat, müssen erstens zutreffen; falsche Gründe legitimieren keinen Wissensanspruch. Wenn sich Max in Norwegen befindet, ich aber davon überzeugt bin, dass er sich in Schweden befindet, und darauf meine richtige Überzeugung stütze, Max sei in Skandinavien, wird man nicht sagen, meine falsche Annahme begründe ein Wissen. Auch zutreffende Gründe rechtfertigen aber noch keinen Wissensanspruch. Es müssen auch Gründe sein, von denen ich weiß, dass sie bestehen; durch logische Schlüsse kann man aus Nichtwissen kein Wissen erzeugen. Wenn ich von Maxens Tante erfahre, dass Max in Norwegen ist, rechtfertigt das noch nicht meinen Anspruch, das zu wissen, denn die Auskünfte von Tanten sind oft unzuverlässig. Definiere ich aber: Wissen ist eine durch Wissen begründete wahre Überzeugung, so ist das zirkulär. Das war auch Platons Argument im Theätet. 3) Evidenz Nun gibt es auch Überzeugungen, die einer Begründung nicht bedürfen. Das sind evidente Überzeugungen oder kurz: Evidenzen. Wenn ich klar und deutlich sehe, dass eine Rose rot ist, bedarf meine entsprechende Überzeugung keiner weiteren Begründung. Wahrnehmungen sind das wichtigste Beispiel für Evidenzen. Im Griechischen heißt „ich weiß“ seiner Herkunft nach „ich habe gesehen“. Wahrnehmung galt immer als wichtigste Quelle des Wissens. Habe ich einen längeren und komplizierten Beweis eines mathematischen Satzes Schritt für Schritt geprüft, so ist es mir evident, dass der Beweis korrekt ist. Damit bin ich auch von der Wahrheit des Satzes überzeugt, es kann aber sein, dass mir dessen Inhalt damit noch nicht evident geworden ist. Dann würde ich an der Wahrheit des Satzes zweifeln, wenn man mir nachwiese, dass dieser spezielle Beweis doch nicht korrekt ist. Das wäre nicht der Fall, wenn mir der Satz selbst evident wäre. Dann bin ich von seiner Wahrheit unabhängig von Beweisen überzeugt. Ist jemandem ein Sachverhalt evident, so leuchtet es ihm ein, dass er besteht. Da es jedem klar ist, ob ihm etwas einleuchtet oder nicht, ist das Vorliegen von Evidenz unproblematisch, d.h. man kann sich diesbezüglich nicht

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irren. Andererseits ist Evidenz für uns das wichtigste Wahrheitskriterium. Wir sehen sie in der Regel auch als zuverlässig an. Zuverlässig ist eine Überzeugung, wenn sie die Wahrheit ihres Inhalts garantiert. Unsere Auffassung der physischen Welt im Sinn der These SD des starken Dualismus aus 1.3.4 verhindert nun, dass wir Evidenzen bzgl. physischer SV generell als zuverlässig ansehen können. Evidenz ist keine Wahrheitsgarantie. Wäre sie zugleich zuverlässig und unproblematisch, so könnten wir aus der mentalen Tatsache, dass uns etwas einleuchtet, darauf schließen, dass es sich auch tatsächlich so verhält. Wir verstehen heute Evidenz als Einleuchten und daher gilt sie nicht mehr als unbedingt zuverlässig.71 Das spricht nicht gegen Evidenz als gutes Wahrheitskriterium. Wir müssen grundsätzlich auf unsere Evidenzen vertrauen, wenn Erkenntnis überhaupt möglich sein soll. Auch wenn wir kritisch sind gegenüber dem, was wir uns einleuchten lassen, kann es aber vorkommen, dass ein Sachverhalt, der uns evident ist, tatsächlich nicht besteht. Zweifel an der Zuverlässigkeit einer Evidenz müssen jedoch jeweils begründet werden, zunächst einmal spricht das Einleuchten eines Sachverhalts für sein Bestehen. 4) Wissen und Notwendigkeit Für Kant war „wahre“ Erkenntnis mit der Einsicht der Notwendigkeit des Erkannten verbunden.72 Für ihn gab es kein Wissen von Kontingentem. Er hat Notwendigkeit im Sinn einer Denknotwendigkeit aufgefasst. Dann liegt es nahe anzunehmen, dass Überzeugungen von der Notwendigkeit eines Sachverhalts auch immer korrekt sind. Es sind vor allem zwei Fehlschlüsse, die zu einem solchen Erkenntnisbegriff führen. Der erste folgert aus der Tatsache, dass Wissen notwendigerweise Wahrheit impliziert, fälschlich, Wissen impliziere notwendige Wahrheit. Der zweite nützt die Zweideutigkeit von „Für möglich halten, dass der SV p besteht“ aus. Im doxastischen Sinn heißt das so viel wie „nicht glauben, dass p nicht besteht“, im Sinn einer alethischen (z.B. analytischen oder naturgesetzlichen) Möglichkeit dagegen „glauben, dass p möglich ist.“ Man argumentiert etwa so: Weiß ich, dass ein bestimmter Sachverhalt besteht, so bin ich davon überzeugt. Dann halte ich es nicht für möglich, dass er nicht besteht, halte es 71

72

Man könnte das Wort „evident“ natürlich auch so verstehen, dass Evidenzen immer zuverlässig sind. Wegen der Irrtumsmöglichkeit würde dann jedoch gelten: Man kann sich bei der Annahme, etwas sei einem evident, immer irren. Damit würde Evidenz den Charakter eines subjektiven Wahrheitskriteriums verlieren und das Evidentsein eines Sachverhalts wäre nicht weniger problematisch als sein Bestehen. Da Erfahrung keine solche Einsicht liefert, ist alle echte Erkenntnis für Kant apriorisch. Eine Entwertung empirischer Erkenntnis hat sich seit Platon oft mit diesem Wissensideal verbunden.

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„also“ für notwendig, dass es so ist. Glaube ich etwas zu wissen, so halte ich es daher für notwendig. Man kann die Verbindung, die Kant zwischen Wissen und Notwendigkeit herstellt, auch so deuten: In einem Zeitpunkt t kann man nur wissen, was in t notwendig ist. In  1.6.1, (2) führe ich einen zeitabhängigen Begriff der Notwendigkeit ein. Danach ist in einer Welt w in t notwendig, was aufgrund der Entwicklung von w bis hin zu t schon festliegt. Das entspricht dem normalen Wissensbegriff. Wenn ein Wahrsager ein künftiges kontingentes Ereignis richtig vorhersagt, behaupten wir nicht, er habe gewusst, dass es eintreten werde, wir sagen vielmehr, er habe das gar nicht wissen können. 5) Perfektes Wissen Ich habe in 1.2.5, (2) darauf hingewiesen, dass die Philosophie seit Sokrates ein Wissen gesucht hat, das mehr ist als richtige Überzeugung. Echtes Wissen lag für ihn nur dort vor, wo man der Irrtumsmöglichkeit enthoben ist und sich mit der Überzeugung, etwas in diesem Sinn zu wissen, nicht täuschen kann. Ein solches Wissen habe ich als perfektes Wissen bezeichnet. Ich habe darauf hingewiesen, dass es im Rahmen intentionalen Denkens perfektes Wissen nur auf sehr eng beschränkten Gebieten gibt: bzgl. gegenwärtiger, eigener mentaler Akte und Zustände und bzgl. abstrakter Gegenstände als Konstrukte unseres eigenen Denkens, insbesondere also auf mathematischem Gebiet.73 Dieses perfekte Wissen beruht auf einer Fundierung von explizitem in implizitem Bewusstsein. Mein perfektes Wissen, dass ich glaube, dass es regnet, beruht darauf, dass es aus dem Innesein des Glaubensakts kommt. Ich bin der Wirklichkeit zugleich inne, die meinen Gegenstand bildet, ja ich bewirke in diesem Fall das Faktum, auf das sich mein Glauben in der Reflexion bezieht. Die Trennung von Sein und Bewusstsein, wie sie sich für die physische Welt in der These SD des starken Dualismus ausdrückt, ist der Grund, warum es von der physischen Welt, wenn wir sie im Sinn des ontologischen Realismus verstehen, kein perfektes Wissen geben kann.74 Es müsste dazu so etwas wie ein Innewerden der Außenwelt geben, ein implizites Bewusstsein auch von externen Zuständen und Vorgängen. Ich werde in 1.4.7 und 1.4.8 erörtern, wie und wie weit ein implizites Bewusstsein unserer Umwelt möglich ist. 6) Implizites Wissen Ich habe bisher nur von propositionalem (gegenständlichem, explizitem) Wissen gesprochen. Normalweise verstehen wir ja unter „Erkennen“ auch 73 74

Zur konzeptualistischen Auffassung abstrakter Gegenstände vgl. 1.6.3. Zum ontologischen Realismus vgl. 1.3.4, (5).

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ein propositionales Erkennen, ein begriffliches Erfassen. Daneben gibt es aber auch den großen Bereich impliziten Wissens. Darunter verstehe ich kein Wissen, dass etwas der Fall ist, sondern ein Wissen, wie es ist, etwas zu tun oder zu erleiden. Ich habe z.B. ein implizites Wissen, wie es ist zu schwimmen, und wie es ist, Kopfweh zu haben. Wie alles implizite Bewusstsein ist es nicht vollständig beschreibbar, nicht vollständig propositional darstellbar. Die kognitive Bedeutung impliziten Wissens ergibt sich daraus, dass Sinnesempfindungen das Fundament empirischer Erkenntnis bilden. Als physische Wesen stehen wir in Kontakt mit unserer Umgebung und spüren, was in ihr vorgeht. Dieses Spüren ist kein begriffliches, sondern ein implizites Erkennen, es ist aber das Fundament einfacher Beobachtungsaussagen. Technisches Wissen, das Wissen, wie man etwas macht, wie man z.B. einen Fernseher repariert, zähle ich nicht zum impliziten Wissen. 1.4.2

Erkenntnistheoretischer Realismus

1) Die Grundthese Bei der Erörterung des erkenntnistheoretischen Realismus geht es nicht um die Frage, ob diese oder jene Erfahrung zutreffend ist; es geht nicht um Sinnestäuschungen und dergleichen, sondern um die prinzipielle Frage, ob wir annehmen können, dass unsere Erfahrungen uns die physische Welt so zeigen, wie sie ist, oder ob wir einen Cartesischen Dämon nicht ausschließen können, der uns in unseren Sinneseindrücken eine Realität vorspiegelt, die es so gar nicht gibt. Der erkenntnistheoretische Realismus behauptet: ER: Unsere Erfahrungen beziehen sich auf die physische Welt und ihre Inhalte sind mögliche Tatsachen dieser Welt.75 2) Primäre und sekundäre Eigenschaften Die These ER hat man aufgrund der Unterscheidung von primären und sekundären Attributen – ich spreche der Einfachheit nur von Eigenschaften – kritisiert. Wir unterscheiden zunächst intrinsische und extrinsische Eigenschaften. Intrinsisch ist eine Eigenschaft, die einem Objekt für sich, nicht in Relation zu einem anderen zukommt. Extrinsisch ist eine relative Eigenschaft. Primär ist 75

Es sei noch einmal daran erinnert, dass „erfahren“ hier nicht als Erfolgsverb verwendet wird, dass also Erfahrungsinhalte nicht nur Tatsachen sind.

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eine Eigenschaft, die dem Ding an sich zukommt, sekundär eine Eigenschaft, die es für uns aufgrund der Struktur unserer Wahrnehmung hat. Sekundäre Eigenschaften sind also relativ und damit extrinsisch, primäre können intrinsisch wie extrinsisch sein. Auch die sekundären Eigenschaften eines Dings kommen ihm zu, wenn auch nicht an sich. Sekundäre Attribute sind genuine, wenn auch extrinsische Attribute physischer Dinge, nicht, wie oft gesagt wird, Eigenschaften von Sinnesdaten oder sinnlichen Eindrücken. Da sekundäre Eigenschaften nicht die Dinge an sich charakterisieren, behauptet der Kritische Realismus: KR: Unsere Erfahrungen beziehen sich auf die physische Welt an sich, ihre Inhalte sind aber nur dann mögliche Tatsachen dieser Welt, wenn sie allein primäre empirische Begriffe enthalten. Die Unterscheidung von primären und sekundären Eigenschaften geht auf Demokrit zurück, als primär galten schon bei ihm die Begriffe der Physik. 3) Phänomenale Begriffe Sekundäre Eigenschaften haben eine phänomenale Komponente.76 Eine Eigenschaft ist phänomenal, wenn sie die sinnliche Erscheinung, z.B. das Aussehen ihrer Instanzen charakterisiert. Rot ist z.B. eine sekundäre Eigenschaft. Rot auszusehen ist eine phänomenale Eigenschaft. Rot ist eine objektive Eigenschaft, die nicht nur auf Dinge zutrifft, die rot aussehen, und die auch nicht auf alle Dinge zutrifft, die rot aussehen. In der Regel sehen aber genau die Dinge rot aus, die auch rot sind. Ausnahmen ergeben sich z.B. bei ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen. Das Aussehen der Dinge leitet daher unser Urteil über ihre Farbe. Ohne eine phänomenale Komponente könnten wir eine Eigenschaft wie Rot allenfalls, wie ein Farbenblinder, nach indirekten Kriterien verwenden. In unserem Beispiel wäre das etwa die Eigenschaft, vorwiegend Licht in einem bestimmten Frequenzbereich zu reflektieren. Das läuft aber nur auf die Erklärung eines empirischen Begriffs durch andere empirische Begriffe hinaus, bei deren Anwendung wir uns dann wieder auf das Aussehen der Dinge stützen. 76

Man kann auch sagen: Sekundäre Prädikate haben phänomenale Bedeutungskomponenten. Eine Bedeutungskomponente eines Wortes für die Eigenschaft F ist nicht immer ein Merkmal G, so dass alle Objekte mit der Eigenschaft F auch die Eigenschaft G haben. Die Verbindung kann sich z.B. auch auf normale Fälle beschränken.

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4) Alle empirischen Begriffe sind sekundär Phänomenale Bedeutungskomponenten unterscheiden primäre von sekundären Eigenschaften. Denn alle sekundären Eigenschaften haben phänomenale Komponenten, wie wir gerade gesehen haben, und primäre Eigenschaften können keine phänomenalen Komponenten haben. Empirisch sind Begriffe, die sich auf physische Dinge beziehen, und die wir ihnen aufgrund unserer sinnlichen Wahrnehmungen zu- oder absprechen. Ihr Vorliegen muss sich also mit ausreichender Sicherheit aufgrund der Weise beurteilen lassen, wie uns die Dinge wahrnehmungsmäßig erscheinen. Sie müssen daher phänomenale Komponenten enthalten, also sekundär sein. Wegen der Bedeutung dieser Feststellung halte ich sie explizit fest: T1: Alle empirischen Begriffe sind sekundär. 5) Die empirische Welt Wir sehen die physische Welt im Sinn des ontologischen Realismus als Welt an sich an. Ihre Beschaffenheit an sich ist nach T1 aber nicht erkennbar: T2: Es ist nicht erkennbar wie die physische Welt an sich beschaffen ist. Das entspricht der Aussage Kants. Daraus folgt jedoch nicht, dass die physische Welt unerkennbar ist, denn auch richtige Aussagen über sie mit sekundären Begriffen beschreiben sie und sagen, wie sie beschaffen ist. Wir können dasselbe Objekt x mit unterschiedlichen Eigenschaften charakterisieren. xF sei das Objekt x, wie es durch die Eigenschaften aus der Menge F bestimmt ist.77 Man kann dieselbe Person z.B. einmal durch ihre körperlichen Eigenschaften, einmal durch ihre seelisch-geistigen Eigenschaften charakterisieren. Aus der einen Beschreibung folgt nicht die andere. P sei die äußere Welt, PA sei P, wie sie an sich beschaffen ist, PE sei P, wie sie durch empirische Begriffe beschrieben wird. PA ist dieselbe Welt wie PE, aber in unterschiedlicher Charakterisierung. PA ist nach T2 nicht erkennbar, PE ist dagegen durchaus erkennbar. Wir können also am erkenntnistheoretischen Realismus in der Formulierung ER festhalten, können aber auch genauer sagen: „… und ihre Inhalte sind mögliche Tatsachen von PE.“ Tatsachen des Zutreffens oder Nichtzutreffens von sekundären Begriffen auf Objekte der physischen Welt P sind ja Tatsachen, die in PE bestehen. 77

Es ist also xF = yF gdw. x bzgl. F gleich y ist, vgl. 1.2.3, (1). Formal kann man xF darstellen als Paar (x, F), als Menge der Eigenschaften aus F, die auf x zutreffen, oder als Menge der Objekte, die bzgl. ihrer F-Eigenschaften gleich sind.

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Die empirische Welt ist, wie bei Kant, keine subjektive Welt, so dass wir die Welt, wie sie Fritz Müller erfährt, von der Welt unterscheiden müssten, wie sie Max Maier erfährt. Die empirische Welt ist vielmehr eine objektive Welt. Sie ist erstens eine intersubjektive Welt, dieselbe Welt für uns alle. Das zeigt sich z.B. darin, dass die Übereinstimmung mit anderen ein Wahrheitskriterium für Behauptung über die physische Welt ist. Sie ist zweitens eine gesetzmäßig kohärente Welt. Wie ich als Subjekt der konstante Träger all meiner Erfahrungen bin, so ist die physische Welt ihr konstanter Bezug. Da sich die Welt ständig ändert und mir in meinen Erfahrungen in immer neuen Ausschnitten erscheint, kann ihre Konstanz nur in einer Gesetzmäßigkeit – oder bescheidener: einer Regularität – der Erscheinungen liegen. 6) Ontologien als Teil der Auffassung der Wirklichkeit Die Wirklichkeit spiegelt sich nicht unverfälscht in unserem Bewusstsein, sie kommt uns vielmehr nur in Auffassungen zu Gesicht. Wir können die Auffassung einer äußeren Situation nicht unmittelbar mit der Situation selbst vergleichen, sondern nur mit anderen Auffassungen von ihr. Erfahrung enthält passive wie aktive Momente. Die passiven Momente sind insbesondere die sinnlichen Empfindungen. Äußere Situationen kann man erfahrungsmäßig nicht beliebig auffassen, Auffassungen können wahr oder falsch sein. Man kann Situationen aber unterschiedlich auffassen. Wenn ich von der anschaulichen und begrifflichen Auffassung oder Deutung einer Situation rede, habe ich die aktiven Momente der Erfahrung im Blick. Anschaulich differenzieren wir z.B. zwischen Gestalt und Hintergrund und bestimmen die beteiligten Objekte und ihre räumlichen Verhältnisse. Begrifflich bestimmen wir die Objekte und ihre Beziehungen untereinander mit den uns zur Verfügung stehenden Begriffen, mit unseren Farb- und Formbegriffen, mit physikalischen und biologischen Begriffen. Zur Erfahrung gehört beides, es gibt nicht das von begrifflichen Bestimmungen freie „Unmittelbar Gegebene“,78 nicht das „Gewühle der Empfindungen“ von Kant. Sinnesempfindungen sind, wie Quine betont hat,79 Abstraktionen aus Eindrücken. Farbempfindungen treten nicht einzeln oder in Bündeln auf, sondern als Farben von etwas. Violett ist die Farbe von Veilchen, Rot die Farbe reifer Tomaten. Ein Eindruck der Form „Ich habe den Eindruck, dass der und der SV besteht“ ist in seinem Inhalt schon anschaulich und begrifflich bestimmt. Zur begrifflichen Auffassung gehört insbesondere die Auffassung des Bezuges in den fundamentalen Kategorien wie Objekt, Attribut und Sachverhalt, mit den Kategorien der OAS-Ontologie, wie ich auch sage. Solche Ontologien 78 79

Vgl. 1.3.2, (3) und 1.4.4. Vgl. 1.3.2, (4).

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sind Konstrukte unseres Denkens. Daher können wir nicht voraussetzen, dass sich die Beschaffenheit an sich der physischen Welt durch das Bestehen von SV beschreiben lässt, geschweige denn durch die Existenz von Objekten mit bestimmten Attributen. Zur Auffassung einer Situation gehört auch, dass in ihr so und so viele Objekte beteiligt sind. Verbinden wir z.B. in einem gleichseitigen Dreieck die Mittelpunkte der Seiten durch Strecken miteinander, so entsteht eine Figur, die viele Auffassungen zulässt. Wir können sagen, sie bestehe aus zwei Dreiecken, von denen eines dem anderen eingeschrieben sei; oder sie bestehe aus vier gleichseitigen Dreiecken, zusammengefügt zu einem gleichseitigen Dreieck; oder sie bestehe aus einem Trapez, auf dem ein Dreieck steht, oder sie bestehe aus drei längeren und drei kürzeren Strecken, oder aus neun gleich langen Strecken usf. Keine dieser Beschreibungen ist als die richtige ausgezeichnet. Wir machen uns ein Bild von einer äußeren Situation, indem wir sie so deuten, dass da so und so viele Objekte mit diesen und jenen Attributen sind. Unsere Wahrnehmungen sind zwar in der Regel schon anschaulich als Wahrnehmungen von bestimmten Objekten strukturiert, so dass bei ihnen keine Interpretationsleistung unsererseits vorliegt, es gibt aber doch auch viele Fälle, die deutlich machen, dass auch die Annahme von bestimmten Objekten grundsätzlich eine Leistung der Auffassung ist, häufig der anschaulichen Auffassung. Die Becherfigur von Rubin lässt sich z.B. als eine Vase oder als zwei Gesichter deuten.80 1.4.3

Die Erkennbarkeit der Außenwelt

1) Analytische Wahrscheinlichkeitskorrelationen Wenn ich von der Erkennbarkeit der physischen Welt rede, beziehe ich mich nicht auf ihre Beschaffenheit an sich – davon war gerade schon die Rede -, sondern auf ihre Beschaffenheit für uns, also auf PE. Auch für PE stellt sich aber ein Erkenntnisproblem. Nach der These SD des starken Dualismus können wir ja von unseren sinnlichen Eindrücken nicht auf die Beschaffenheit der physischen Welt schließen. Die physische Welt ist keine Welt von Erscheinungen, sondern eine objektive Welt, wie schon gesagt wurde. Ich habe oben in 1.4.2, (3) von phänomenalen Komponenten empirischer Begriffe gesprochen. Wir unterscheiden Rot-sein von Als-rot-erscheinen als phänomenaler Qualität. Rot-sein ist eine objektive Eigenschaft, über deren Vorliegen wir uns prinzipiell täuschen können, z.B. bei ungünstigen Beleuchtungsverhältnissen, und ein Ding kann natürlich auch dann rot sein, wenn es keiner 80

Vgl. D. Hoffman (2000), S. 126.

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sieht. Es gilt also zwar nicht, dass genau jene Dinge rot sind, die rot aussehen, es ist aber eine Bedeutungswahrheit, dass die Dinge, die wir als rot empfinden, in der Regel auch rot sind, und dass wir rote Dinge bei ihrer Betrachtung in der Regel auch als rot empfinden, denn die objektive Eigenschaft, rot zu sein, wird von unseren Farbempfindungen her so konstruiert. Die normale Verwendung des Wortes „rot“ zur Bezeichnung einer objektiven Eigenschaft von Dingen, die in der Regel ihrem Aussehen entspricht, bewirkt, dass es aus analytischen Gründen wahrscheinlich ist, dass ein Objekt rot ist, wenn ich es als rot erlebe. Aufgrund meines Eindrucks kann ich somit durchaus etwas über die Beschaffenheit des Objekts sagen, wenn auch nur mit Wahrscheinlichkeit. Entsprechendes gilt auch für physikalische Begriffe. Größen wie Länge, Masse oder magnetische Feldstärke werden in der Physik so eingeführt, dass man festlegt, wie sie zu messen sind. Das Gewicht eines Körpers entspricht z.B. kraft Festsetzung dem, was eine Waage anzeigt, auf die er gelegt wird – „in der Regel“ muss man freilich auch hier sagen, denn die Waage kann ja defekt sein oder es können störende Einflüsse im Spiel sein. Ein Messverfahren liegt aber nur dann vor, wenn es für dasselbe Objekt in aller Regel denselben Wert der gemessenen Größe ergibt, wenn die Anzeige des Instruments in der Regel zuverlässig ist und wenn unsere Eindrücke vom Stand des Zeigers auf der Skala in der Regel richtig sind. Auch in den abstrakten Sphären der Physik gibt es so Eindrücke, die aus analytischen Gründen in der Regel zuverlässige Auskunft über das Vorliegen von objektiven Sachverhalten geben. Nach der These SD können wir zwar aus unseren Eindrücken nicht deduktiv auf physikalische Tatsachen schließen, induktive Schlüsse sind damit aber nicht ausgeschlossen. Man kann induktiv von einem Sachverhalt p auf den Sachverhalt q schließen, wenn sich bei Kenntnis von p die Wahrscheinlichkeit von q erhöht, wenn also die bedingte Wahrscheinlichkeit von q aufgrund von p höher ist als die nicht bedingte Wahrscheinlichkeit von q.81 Diese Beziehung ist umkehrbar: Kann man induktiv von p auf q schließen, so auch von q auf p. Wenn also mentale und physikalische Sachverhalte nicht auch statistisch voneinander unabhängig sind, sondern die unbedingte Wahrscheinlichkeit für einen physikalischen Sachverhalt sich aufgrund analytischer Beziehungen von seiner durch einen mentalen Sachverhalt bedingten Wahrscheinlichkeit unterscheidet, wenn es also, wie ich sagen will, analytische Wahrscheinlichkeitskorrelationen zwischen unseren Eindrücken vom Bestehen eines physikalischen Sachverhalts und dessen tatsächlichem Bestehen gibt, können wir von einer Erkennbarkeit der physischen Welt reden, wie sie sich uns in 81

Zu Wahrscheinlichkeiten vgl. 1.5.4, (2).

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unseren Erfahrungen zeigt, also von PE.82 Aufgrund analytischer Wahrscheinlichkeitskorrelationen zwischen gewissen Eindrücken und objektiven Sachverhalten kann man Aussagen über die physische Welt im Sinn von PE induktiv begründen. Damit lassen sich auch Aussagen über P induktiv begründen, denn es ist eine Eigenschaft von P, uns Menschen so und so zu erscheinen. Auch relative Eigenschaften eines Objekts sind Eigenschaften dieses Objekts. 2) Ein Cartesischer Dämon? Ich habe den Abschnitt 1.4.3 mit dem Hinweis auf den Dämon von Descartes begonnen, der uns in unseren sinnlichen Erfahrungen eine Welt vorspiegelt, die völlig anders ist als die reale. Die Existenz eines solchen Dämons lässt sich für PA nicht ausschließen, wohl aber für PE. Die physische Welt, wie sie an sich ist, ist nach T2 unerkennbar, ihre Beschaffenheit kann sich daher von jener radikal unterscheiden, die wir der physischen Welt aufgrund unserer Erfahrungen zuschreiben. Die physische Welt, wie wir sie aufgrund unserer Erfahrungen bestimmen, ist aber mit mehr oder minder hoher Gewissheit erkennbar, und das kann kein Cartesischer Dämon verhindern. Unsere Sicht der Welt ist keine Illusion, weil die Welt PE durch unsere Sicht bestimmt ist. Aufgrund der analytischen Wahrscheinlichkeitskorrelationen zwischen der Erscheinung der Dinge und ihrer empirischen Beschaffenheit haben wir gute Gründe für die Richtigkeit unserer Sicht der Dinge. Dagegen sprechen nicht gelegentliche Sinnestäuschungen. Dagegen spricht auch nicht, dass sich unser Bild der physischen Welt im Lauf der Zeit ändert, manchmal auch tiefgreifend, wie z.B. mit dem Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen System. Nicht nur bleibt die Masse der Tatsachen gleich – Rosen blühen im Sommer, Hasen haben vier Beine und wir Menschen tragen die Nase mitten im Gesicht -, auch die Beziehung zwischen Sein und Erscheinen bleibt grundsätzlich erhalten. 1.4.4

Die Theoriebeladenheit von Erfahrungen

Nach verbreiteter Auffassung bilden Beobachtungen die nicht hypothetische Basis unserer empirischen Theorien. Selbst in einfache Beobachtungen, in die Auffassung einfacher Situationen, gehen aber Annahmen und Erwartungen ein, die über das in der Beobachtung Gegebene hinausgehen. Beschreibe ich z.B.  eine  Beobachtung so, dass eine Katze auf der Wiese sitzt, so setze ich voraus, dass andere mögliche Deutungen meiner Beobachtung höchst unwahrscheinlich sind, wie etwa die Annahme, dass es sich um ein Plüschtier handelt oder um ein Exemplar einer bislang unbekannten Spezies, das aussieht 82

Einen ähnlichen Gedanken hat Sidney Shoemaker in (1963), S. 229 ff. entwickelt.

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wie eine Katze, aber Eier legt und sich von Gras ernährt. Beobachtungsmäßige Feststellungen erfolgen immer schon im Lichte vorgängiger Annahmen oder Erwartungen und sind daher nicht sicherer als diese. Ohne Vorurteile keine Erfahrung. Auch bei einfachen Messungen machen wir Voraussetzungen. Stellen wir z.B. durch Abtragen eines Meterstabes auf zwei Strecken deren gleiche Länge fest, so setzen wir voraus, dass der Meterstab beim Transport seine Länge nicht verändert, und das können wir offenbar nicht wieder durch Messungen mit dem Meterstab überprüfen. Noch deutlicher ist die Theoriebeladenheit im Fall komplexer physikalischer Experimente. Wir sagen z.B., dass wir in einer Nebelkammer die Bahn eines Elektrons beobachten. Dabei setzen wir aber Theorien darüber voraus, dass geladene Teilchen durch Ionisierung in der Kammer die Tröpfchenspur erzeugen, die wir sehen, sowie Theorien, die besagen, wie Elektronen von Magnetfeldern abgelenkt werden. Entscheidend ist aber die Theoriebeladenheit schon einfacher Beobachtungen. Daher bilden selbst Beobachtungssätze keine feste, vom Scheitern von Theorien unerschütterte Grundlage empirischer Erkenntnis. Sie beruhen auf Voraussetzungen, die sich immer als falsch erweisen können Die Theoriebeladenheit von Beobachtungen unterstreicht nach einmal, dass uns die äußere Wirklichkeit nur in Auffassungen zugänglich ist, in die schon eigene Aktivitäten eingehen, wie Interpretationen im Licht anderer Annahmen. Das unmittelbar Gegebene gibt es nicht, wie wir schon in 1.3.2, (3) gesehen haben. 1.4.5

Beobachter in der Welt

1) Beobachtungen als Interventionen In der Erkenntnistheorie betrachtet man die Erkenntnissubjekte oft wie externe Beobachter des physischen Geschehens. Wir sind aber Personen in der Welt, wir haben einen physischen Körper und eine Weltlinie, wir handeln in der Welt und verändern sie dadurch. Nur durch unsere Leiblichkeit können wir die physische Welt überhaupt erfahren. Beobachtungen sind Handlungen, Akte, mit denen wir oft in das beobachtete Geschehen eingreifen. In der klassischen Physik ging man davon aus, Beobachtungen ließen sich immer so durchführen, dass sie ohne Einfluss auf die beobachteten Systeme bleiben. Nun finden Beobachtungen nicht nur im Kopf statt; sie sind keine rein mentalen Prozesse, sondern auch reale physische Vorgänge, die tatsächlich oft beträchtliche Wirkungen auf das Beobachtete haben. Man misst z.B. die Temperatur einer Flüssigkeit, indem man ein Thermometer hinein taucht; dadurch verändert man die Temperatur der Flüssigkeit mehr oder minder stark. In der

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klassischen Physik nahm man jedoch an, der Einfluss der Messung ließe sich im Prinzip beliebig klein halten oder doch herausrechnen; die Größen hätten einen bestimmten objektiven Wert, selbst wenn der sich nur mit beschränkter Genauigkeit ermitteln lässt. Diese Annahme muss man aufgeben, wenn alle Beobachtungen in den Ablauf des beobachteten Systems eingreifen. In dem Mikrobereich, in dem die Quantentheorie gilt, sind tatsächlich alle Beobachtungen Interventionen. Je genauer z.B. eine Messung des Ortes eines Teilchens, desto ungenauer bleibt die Bestimmung seines Impulses, und umgekehrt. Schon Werner Heisenberg, einer der Begründer der Quantenmechanik, hat hervorgehoben, dass sich der Geltungsbereich der Quantentheorie dadurch auszeichnet, dass Beobachtungen mit Störungen des beobachteten Systems verbunden sind. Darüber hinaus kann man zeigen, dass sich der Formalismus der Quantenmechanik ergibt, wenn man die klassische Mechanik auf solche Systeme anwendet. Die Quantentheorie ist die erste physikalische Theorie, die nicht versucht, die gegenständliche Welt gewissermaßen von einem externen Standpunkt aus darzustellen, sie beschreibt vielmehr ihr Verhältnis zu uns als Beobachtern und die Beschaffenheit, die sie für uns hat.83 2) Indexausdrücke und Situationssachverhalte Wir können die Welt nur perspektivisch beschreiben, nur mit Indexausdrücken. Indexausdrücke sind Wörter wie „ich“, „er“, „jetzt“, hier“, „links“, „vorn“, „oben“.84 Der Bezug von Indexausdrücken hängt von Sprecher, Zeitpunkt und Ort der Äußerung ab. Mit Indexausdrücken bringen wir unsere Innenwelt, unser Bewusstsein ins Spiel. Ich habe schon in 1.2.3 (3) gesagt: Als Subjekt bin ich einerseits ein Bürger unserer gemeinsamen Welt, eine öffentliche Person, die durch Aussehen, Alter und Geburtsort Beruf bestimmt ist. Über sie redet man mit meinem Eigennamen – der sei „N“. Andererseits bin ich etwas für mich, etwas Privates, direkter öffentlicher Wahrnehmung Entzogenes, und das meine ich mit dem Wort „ich“: das Subjekt meines gegenwärtigen Bewusstseins. Auch wenn ich weiß, dass ich N bin, hat der Name „N“ für mich einen anderen Sinn als das Wort „ich“ in meinem Munde; das, wofür „N“ steht, ist nicht dasselbe, was ich mit „ich“ meine. „Ich bin N“ ist ein kontingenter Satz. Entsprechendes gilt für das Wort „jetzt“. Damit bezieht sich der Sprecher auf seine erlebnismäßige Gegenwart. Macht er die Äußerung um 12 Uhr, so haben „jetzt“ und „um 12 Uhr“ denselben Bezug, aber einen verschiedenen Sinn. Daher kann die Aussage: „N weiß, dass jetzt 12 Uhr ist“ falsch sein, nicht aber 83 84

Vgl. dazu A78 und B30, Kap. 4. Vgl. dazu A87 und B28, Kap. 10.

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„N weiß, dass es um 12 Uhr 12 Uhr ist.“ Mit „hier“ bezieht sich der Sprecher endlich auf den Ort in der Welt, von dem aus er sie im Moment erlebt, mit „vorn“ und „links“ auf die Richtung, in die er blickt. Bei Indexausdrücken wie „ich“, „jetzt“ und „hier“ ändert sich also nicht nur ihr Bezug von Äußerung zu Äußerung, sondern auch ihr Sinn. Als Supersinn eines Ausdrucks A bezeichne ich jene Funktion, die jedem Äußerungskontext den Sinn von A bei einer Äußerung in diesem Kontext zuordnet – der Äußerungskontext umfasst insbesondere Sprecher, Zeit und Ort der Äußerung. Den Supersinn von „ich“ habe ich angegeben, als ich sagte, damit meine der Sprecher das Subjekt seines gegenwärtigen Bewusstseins. Die Korrelation der subjektiven Welt mit der objektiven, physischen Welt wird durch Aussagen mit Indexausdrücken formuliert wie „Ich bin Fritz Meier“, „Jetzt ist es 12 Uhr“ und „Hier ist der Münchner Marienplatz“. Sie bestimmen die öffentliche Identität eines Subjekts und seine Situation in der Außenwelt. Die Sachverhalte, die sie beschreiben, nenne ich daher Situationssachverhalte. Ein Beispiel von John Perry, der von self-locating beliefs redet: Einem Wanderer nützt eine Landkarte nichts zu seiner Orientierung, wenn er nicht weiß, wo er sich gerade befindet. Er muss für einen Ort auf der Karte wissen: „Hier bin ich jetzt.“ Die Naturwissenschaften beschreiben die Welt mit rigiden Aussagen, die bei jeder Äußerung denselben Sinn haben. Indexausdrücke haben in wissenschaftlichen Sätzen keinen Platz. Zur Wirklichkeit gehören aber auch Situationstatsachen, etwa die Tatsachen, dass ich N bin und dass jetzt 12 Uhr ist. Solche „subjektiven“ Tatsachen lassen sich nicht durch „objektive“ ersetzen. Das verdeutlicht ein weiteres Beispiel von John Perry: Rudolf Lingens, der unter einer Amnesie leidet und nicht weiß, wer er ist und wo er sich befindet, irrt in der Bibliothek der Universität Stanford umher. Obwohl die Bücher der Bibliothek alle Informationen über die Welt enthalten und Biographien zahlloser Menschen, u.a. auch von ihm selbst, sowie eine genaue Beschreibung der Bibliothek, kann Lingens ihnen nicht entnehmen, wer er ist und wo er ist. Indexausdrücke gehören zum Grundvokabular unserer Sprache. Sie lassen sich nicht eliminieren und durch andere Ausdrücke definieren. Das ergibt sich schon daraus, dass wir uns ohne Bezugnahme auf Situationstatsachen gar nicht über die physische Welt verständigen können. Eine rigide Zeitangabe wie „im Jahre 54 nach Christi Geburt“ erfordert eine Festlegung, wann Christus (im kalendarischen Sinn) geboren wurde. Die Auskunft: „Im Jahre  0“ würde nur wieder zur Frage führen, wann das Jahr 0 war. Man muss vielmehr sagen: „Jetzt vor 2015 Jahren“, und damit einen Indexausdruck verwenden. Ebenso setzen Ortsangaben durch geographische Länge und Breite voraus, dass man sich über die Lage von Nullmeridian und Äquator verständigt. Der Nullmeridian verläuft

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durch die alte Sternwarte in Greenwich. Wo Greenwich liegt, kann man durch seine Entfernung von anderen Orten angeben. Bzgl. deren Lage stellt sich dann aber erneut die Frage, und letztlich kann man das nur durch Wörter wie „hier“ und „dort“ erläutern. 3) Subjekte in der Welt Wir beschreiben die physische Wirklichkeit in einem raum-zeitlichen Koordinatensystem. In der klassischen und relativistischen Physik interessiert man sich für Koordinatensysteme nur als Beschreibungsmittel für die physische Realität, durch ein Koordinatensystem K(X) kann man aber auch den Standpunkt und die Perspektive eines Beobachters X charakterisieren, der im Ursprung von K(X) ruht und von ihm aus die Dinge sieht, die Richtungen und die Entfernungen, in denen sie, von ihm aus gesehen, liegen. Für mich ist der Ursprung meines Koordinatensystems der Ort, an dem ich jetzt bin. Durch „vorn“, „links“ und „oben“ lege ich die Richtung seiner Achsen fest. Mit einem Koordinatensystem verorte ich mich so in der Welt. In K(X) hat eine andere Person, Y, eine bestimmte Weltlinie. Die Weltlinie von Y in K(X) kann irgendeine Kurve s(t) = (x(t), y(t), z(t)) sein. Wenn die Weltlinie überall hinreichend oft differenzierbar ist, gibt es in jedem Punkt s(t) der Kurve ein „begleitendes Dreibein“, bestehend aus drei senkrecht zueinander stehenden Achsen, der Tangente, der Hauptnormalen und der Binormalen. Sie definieren ein Koordinatensystem K(s(t)), wenn wir dessen x-Achse mit der Tangente identifizieren, die y-Achse mit der Hauptnormalen und die z-Achse mit der Binormalen.85 X kann also aus der Weltlinie von Y in K(X) für jeden Zeitpunkt t (etwas vereinfachend gesagt) das subjektive Koordinatensystem K(Y, t) = K(s(t)) bestimmen. Die Person X kann aus ihrer eigenen Sicht der Welt von K(X, t) aus und der Weltlinie von Y erkennen, wie Y die Welt im Zeitpunkt t sieht, wenn X über eine passende Transformation von K(X, t) in K(Y, t) verfügt. Die physische Welt ist eine gemeinsame Welt, wenn wir sie auch von unterschiedlichen Standpunkten aus betrachten. Eine gemeinsame Welt haben wir nicht nur dann, wenn wir alle dasselbe wahrnehmen, sondern auch dann, wenn jeder feststellen kann, wie sie jedem anderen erscheint. Wir verständigen uns über die Welt, indem wir uns auf gemeinsame Messverfahren für physikalische Größen einigen. Wir messen die Größen mit physischen Instrumenten, die räumlichen und zeitlichen Größen mit Meterstäben und Uhren. Die müssen in allen Koordinatensystemen, die subjektive Standpunkte charakterisieren, dieselbe 85

Vgl. dazu z.B. Laugwitz (1977), § 1.

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Größe haben. Die gesuchten Transformationen müssen also räumliche und zeitliche Abstände invariant lassen.86 1.4.6

Die Erkenntnis von Eigenseelischem

1) Sein und Erscheinen Das Eigenseelische unterscheidet sich vom Physischen dadurch fundamental, dass es keine Welt an sich ist, nichts, was in Existenz und Beschaffenheit unabhängig von mir und meiner Wahrnehmung wäre. Es kann ja keine analytische Unabhängigkeit eigenseelischer SV von eigenseelischen SV bestehen. Mein psychisches Leben ist eine Welt für mich. Im Bereich des Eigenpsychischen entfällt der Unterschied zwischen Sein und Erscheinen. Ein Gefühl ist so, wie es erscheint. Eine Trauer ist eine Empfindung, und Empfindungen werden nicht empfunden, schon gar nicht anders als sie eigentlich sind. Erscheint mir ein Objekt als rot, so kann es tatsächlich weiß sein, darüber, dass es mir als rot erscheint, kann ich mich aber nicht irren: Die Erscheinung ist nicht wieder Erscheinung von etwas anderem. Ein Urteil kann nicht eigentlich eine Frage sein und nicht in Wahrheit einen anderen Inhalt haben. Ein Wunsch kann nicht eigentlich eine Vermutung sein und einen anderen Wunsch als Inhalt haben. 2) Korrespondenz von explizitem und implizitem Bewusstsein Der Inhalt eines intentionalen Aktes, z.B. einer Wahrnehmung einer Katze auf der Matte, ist mir im Akt explizit bewusst. Ich weiß explizit, dass die Katze auf der Matte sitzt. Der Akt der Wahrnehmung ist mir im Akt hingegen nur implizit bewusst. Ihn mache ich mir erst in einer Reflexion explizit bewusst. Dabei erscheint er mir nicht anders, als er war. Es gibt zwar so etwas wie eine Verdrängung bei Reflexionen. Ich behaupte z.B. etwas ohne zureichende Gründe. Das kann ich mir in der Reflexion deutlich machen, ich kann es aber auch ausblenden. Ich belüge mich dann selbst, aber das ist etwas, das ich mir in einer zweiten Reflexion deutlich machen kann. Hier kommt es mir darauf an, dass die Reflexion keine Vorstellung von dem Akt ist, auf den ich reflektiere, die das Problem aufwirft, ob sie korrekt ist und den Akt so zeigt, wie er eigentlich ist. Ich kann durch Wahrhaftigkeit selbst dafür sorgen. Im Gegensatz zu äußeren, physischen Vorgängen habe ich von eigenen mentalen Akten und Einstellungen ein implizites Bewusstsein, das meine explizite Vorstellung in einer Reflexion darauf bestimmt. 86

Vgl. dazu B30, 3.5.1.

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3) Perfekte Erkennbarkeit Von eigenen momentanen mentalen Zuständen und Akten gibt es ein perfektes Wissen (vgl. 1.4.1, (5)). Perfektes Wissen erstreckt sich nicht auf vergangene eigene mentale Zustände und Akte. Erinnerungen sind nicht untrüglich, auch wenn sie Eigenseelisches betreffen. Ich kann mich z.B. über die Gefühle irren, mit denen ich einem Menschen beim ersten Aufeinandertreffen begegnet bin, oder über meine Ansichten über die wirtschaftliche Entwicklung vor 10 Jahren. Ich kann mich auch über meine psychischen Dispositionen und Fähigkeiten täuschen. Perfekte Erkennbarkeit ergibt sich, wo Sein und Erscheinen nicht auseinanderklaffen. Sie ergibt sich daraus, dass wir ein implizites Bewusstsein vom Erkannten haben. Meine Überzeugung, dass ich traurig bin, ist untrüglich, weil ich mir meiner Traurigkeit implizit bewusst bin und dieses Bewusstsein durch eine Reflexion nur in ein explizites Bewusstsein überführe. Momentane eigene mentale Zustände sind problemlos. Ich nenne eine SV A problemlos für die Bezugsperson gdw. gilt: Wenn A, dann glaubt sie, das auch, und wenn nicht-A, dann glaubt sie auch das. 4) Selbstbewusstsein Unsere Selbsterkenntnis hat Grenzen: 1) Das normale Selbstbewusstsein, das durch Reflexionen auf eigene Akte und Zustände entsteht, bleibt immer hinter dem zurück, was uns implizit bewusst ist. Wir registrieren zwar etwas von uns selbst, sind dabei aber immer zugleich der Betrachter, der in der Betrachtung mancher Zustände und Akte inne ist, die nicht zu seinem momentanen Gegenstand gehören. Das Subjekt selbst ist so gegenüber allem expliziten Bewusstsein implizit transzendent, d.h. es ist sich seiner selbst nicht vollständig explizit bewusst. Da es sich auch durch weitere Reflexionen nie vollständig einholt, kann man es auch als absolut implizit transzendent bezeichnen. Diese Unbegreiflichkeit des Subjekts ergibt sich daraus, dass wir im intentionalen Denken alles Seiende gegenständlich auffassen, das Subjekt sich aber nicht als Gegenstand begreifen lässt, der Betrachter nicht ganz als Betrachtetes. 2) Wir sind frei. Wir sind nichts Fertiges und unser künftiges Verhalten ergibt sich weder aus den Umständen noch aus unserer bisherigen Geschichte. Wir können nicht wissen, sondern nur vermuten, wie wir uns in künftigen Situationen entscheiden werden. 3) Da wir zu den SV, die sich auf unser eigenes mentales Leben beziehen, immer neue propositionale Einstellungen einnehmen können, ist die Menge aller mentalen SV offen, so dass Aussagen über alle (eigenen)

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mentalen SV sinnlos sind. Davon war schon in 1.2.1, (6) die Rede. 3) Wir können prinzipiell nicht über eine zugleich vollständige und widerspruchsfreie Theorie unseres Denkens verfügen.87 Eine solche Theorie wäre in einer Sprache S zu formulieren. Soll die Theorie unser Denken vollständig beschreiben, so muss sie auch unser Verstehen von S beschreiben. In der Sprache S müsste man also auch über S selbst reden können, insbesondere über die Semantik von S, die Interpretation der Ausdrücke von S. Ist es aber in der Sprache S möglich, ihre eigene Semantik zu formulieren, so muss S auch ein Wahrheitsprädikat enthalten, das sich auf alle Sätze von S anwenden lässt und für das die Wahrheitskonvention von Alfred Tarski gilt, nach der ein Satz genau dann wahr ist, wenn der Sachverhalt besteht, den er ausdrückt. Nun hat Tarski jedoch gezeigt, dass aus dieser Annahme ein Widerspruch folgt, da man mit dem Wahrheitsprädikat in S einen Satz formulieren kann, der seine eigene Falschheit behauptet.88 Ist er also wahr, so ist er falsch, und ist er falsch, so ist er wahr. Das ist eine Version der alten Antinomie des Lügners. Es gibt daher keine konsistente und vollständige Theorie unseres Sprachverstehens, weil in jeder Sprache, in der sich eine solche Theorie formulieren ließe, Widersprüche auftreten. Dieses Argument schließt nicht aus, dass intelligentere Wesen aus fernen Galaxien über eine vollständige Theorie menschlichen Denkens verfügen können, uns selbst ist das aber nicht möglich, denn jemand verfügt nur dann über eine Theorie, wenn er ihre Aussagen versteht. Wir könnten also die Theorie der extragalaktischen Wesen über uns selbst nicht verstehen. Ich bin etwas für mich. Das, was ich für mich bin und worauf ich mich mit dem Wort „ich“ beziehe, kann ich nicht vollständig beschreiben und mir auch nicht vollständig explizit bewusst machen. Mein normales Selbstbewusstsein bleibt unvollständig. 1.4.7

Die Erkenntnis von Fremdseelischem

1) Das behavioristische Modell Das behavioristische Modell besagt: Die Person  X ist in t im psychischen Zustand Y genau dann, wenn X in t ein Y-typisches Verhalten zeigt. Der Behaviorismus hat zwei Ursprünge: Erstens den Materialismus, für den psychische Zustände nichts anderes sind als physische Zustände – Zustände des Verhaltens wie hier oder neurophysiologische Zustände –; zweitens die 87 88

B27, I, 4.2. Vgl. Tarski (1936), S. 247 ff.

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Kapitel 1

Tatsache, dass wissenschaftliche Erfahrungen Beobachtungen öffentlicher, allgemein zugänglicher Vorgänge sind. Da rein psychische Zustände nicht öffentlich beobachtbar sind, kann es eine wissenschaftliche Psychologie nur als Verhaltensforschung oder als Neurophysiologie geben. Der Behaviorismus, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts blühte, ist jedoch kläglich gescheitert, wie ich schon in 1.3.1, (4) gesagt habe. Man kann wie ein Schauspieler psychische Zustände verhaltensmäßig simulieren. Zusammenhänge zwischen psychischen Zuständen und äußerem Verhalten gelten weder analytisch noch in den allermeisten Fällen naturgesetzlich. Zum Teil beruhen sie auch auf sozialen Konventionen. Der Behaviorismus schließt zudem rationale Erklärungen von Handlungen aus, praktisch die einzigen Erklärungen, über die wir verfügen. Rationale Erklärungen sind Erklärungen mit Gründen des Agenten, mit seinen Erwartungen und Interessen. Behavioristisch würden daraus Erklärungen des Verhaltens mit anderem Verhalten. Anders als in den Naturwissenschaften macht die Beschränkung auf allgemein Beobachtbares in der Psychologie keinen Sinn. Psychisches ist seiner Natur nach privat und entzieht sich daher intersubjektiver Beobachtbarkeit. 2) Das funktionstheoretische Modell Dieses Modell, das D.  Lewis in einer Reihe von Aufsätzen entwickelt hat,89 ist eine intelligentere Version des Behaviorismus. Es identifiziert Gefühle, Ansichten und Absichten mit ihrer kausalen Rolle für unser Verhalten. Wut kann danach unter verschiedenen Bedingungen ganz verschiedene Handlungen bewirken. Man kann sagen: Nach der Theorie von Lewis sind mentale Zustände theoretische Konstrukte in Theorien menschlichen Verhaltens. Das widerspricht jedoch der Tatsache, dass uns jedenfalls gegenwärtige eigene mentale Zustände direkt bewusst sind. 3) Das Korrelations-Modell Es gibt zweifellos deterministische und statistische Korrelationen zwischen psychischen und physischen Zuständen. Sie lassen sich aber nur empirisch ermitteln, also nur dann, wenn man psychische Zustände unabhängig von ihnen feststellen kann. Das können wir im eigenen Fall tun und so Korrelationen zwischen unseren seelischen Zuständen und unseren Verhaltensweisen feststellen. Nach dem Korrelations-Modell ist anzunehmen, dass bei anderen dieselben oder doch ähnliche Korrelationen bestehen. Dann können wir von ihrem Verhalten auf ihre psychische Verfassung schließen – deduktiv oder induktiv. 89

Vgl. Lewis (1983), Nr. 7 und 9.

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Das Problem dieser Theorie ist erstens, dass wir auch im eigenen Fall keine nennenswerten gesetzmäßigen Zusammenhänge zwischen unseren Gefühlen oder Strebungen und unseren Handlungen angeben können; die allermeisten derartigen Korrelationen wären extrem kompliziert, da unser Verhalten eben nicht nur von einzelnen seelischen Zuständen bestimmt wird. Zweitens lässt sich die Hypothese intersubjektiv gleicher Korrelationen ohne direkten Zugang zu Fremdseelischem nur dadurch überprüfen, dass sie zu Annahmen über innere Zustände einer anderen Person führt, aus denen sich, wiederum mit Hilfe dieser Hypothese, ihr künftiges Verhalten korrekt voraussagen lässt. Fremdseelische Zustände sind dann aber wieder nur theoretische Konstrukte, mit denen wir Zusammenhänge zwischen verschiedenen Verhaltensweisen und zwischen früherem und späterem Verhalten anderer darstellen – ebenso wie im Funktionalismus, nur dass dort auch eigenseelische Zustände theoretische Konstrukte einer Verhaltenstheorie sind. 4) Empathie Unter Empathie versteht man meist die Fähigkeit, sich in die Situation eines anderen hineinzuversetzen und dann im Spiegel eigener Gefühle zu erkennen, was ihn bewegt. Auch dieser Ansatz zum Verständnis der Erkennbarkeit von Fremdseelischem überzeugt nicht. Wenn man die Freude oder das Leid eines Menschen erfährt, fragt man sich ja meist nicht: „Wie wäre mir in seiner Situation zumute?“ Wir selbst würden in der gleichen Situation auch oft anders reagieren. Der andere freut sich z.B. über den Tod von Ernestine Meier, weil es seine Erbtante ist, während ich traurig bin, weil sie viel für mich getan hat. Die Situation des anderen wäre also sehr detailliert zu beschreiben. Sie ist uns aber häufig gar nicht hinreichend genau bekannt. Sie ist zudem nicht nur etwas Äußeres, sondern selbst in mancher Hinsicht etwas Seelisch-Geistiges. Die Anwendung von Empathie in diesem Sinn würde also schon Kenntnisse voraussetzen, die wir nur durch Empathie gewinnen können, und das wird leicht zirkulär. Ich bestimme Empathie anders, nämlich als Fähigkeit, im Erleben dessen, was ein anderer tut und was ihm widerfährt, seines Verhaltens und seiner Reaktion in ähnlicher Weise innezuwerden wie im eigenen Fall. Wir können die Freude eines anderen ähnlich spüren wie er, nicht als unsere, sondern als seine Freude. Wir können seine Anspannung bei einer schwierigen Arbeit spüren, wir können innewerden, wie es für ihn ist, gelobt oder beleidigt zu werden. Das Phänomen ist uns zwar vertraut, fällt aber völlig aus dem Rahmen heutiger psychologischer Vorstellungen heraus. Empathie in diesem Sinn erschließt uns Fremdseelisches über das Beobachtbare hinaus.

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Kapitel 1

Wie andere Formen der Erfahrung ist Empathie nicht untrüglich. Sie gelingt auch in ganz unterschiedlichem Maß, da sie eine gewisse Verwandtschaft im Fühlen und Denken und Verhalten voraussetzt. Bei allen Menschen wissen wir, wie es ist, wenn ihnen ein schwerer Stein auf den Fuß fällt, nur bei Menschen unserer Kultur wissen wir aber, was sie tun, wenn sie sich die Hände schütteln. Wir erkennen die Gefühle und Motive anderer Menschen oft durch ihren leiblichen Ausdruck. Der kann natürlich (unwillkürlich) oder nichtnatürlich (z.B. konventionell) sein. Als Menschen haben wir schon aufgrund unserer physischen Verwandtschaft untereinander viel gemein, erst recht bei kultureller Verwandtschaft. Wir teilen Formen des natürlichen wie konventionellen Ausdrucks, so dass ich dessen inne werden kann, was den anderen bei seinem Ausdruck bewegt. Wir erleben Formen des Ausdrucks von Gefühlen und Motiven als Formen, in denen auch wir Entsprechendes ausdrücken könnten, und mit denen sich ein entsprechendes implizites Bewusstsein verbindet. Auch Sprachverstehen beruht auf Empathie. Bei sprachlichen Äußerungen müssen wir nicht erst überlegen, welche Inhalte den gehörten Lauten nach Lexikon und Grammatik entsprechen. Für uns sind Sätze als Lautfolgen Formen, in denen wir Gedanken oder Gefühle zum Ausdruck bringen und die wir daher, wenn sie von anderen geäußert werden, als Ausdruck derselben Gedanken oder Gefühle wahrnehmen. Wir können die Äußerung eines anderen gewissermaßen mitvollziehen und ihrer so innewerden. Wenn ich die Äußerung eines anderen höre, werde ich ihrer kraft Empathie ähnlich inne als wenn ich sie selbst mache; ich erfasse so, was der andere mit ihr meint. 5) Menschen und Maschinen Die natürliche Ontologie intentionalen Denkens ist ein Dualismus. Man kann andererseits auch sagen: Das natürliche Ergebnis der Entwicklung intentionalen Denkens ist der Materialismus, denn diese Entwicklung hat die Tendenz zu einer gegenständlichen Auffassung alles Wirklichen. Danach können uns allein Beobachtungen Aufschluss über die Beschaffenheit der Wirklichkeit geben, nicht aber Empathie. Psychisches ist jedoch privat und nicht vollständig objektivierbar, wie wir in 1.2.1, (7) gesehen haben. Psychisches ist nicht direkt beobachtbar. Aufgrund von Beobachtungen können wir nicht einmal feststellen, ob wir einen Roboter vor uns haben oder ein Wesen mit Bewusstsein.90 Auch Roboter können sich rational verhalten, d.h. so, dass ein aufgrund der verfügbaren Informationen zu erwartender Nutzen maximiert wird. Auch Roboter können lernen und ihr Verhalten entsprechend ändern. Der Geist ist keine Maschine, ein bewusstes und freies Verhalten lässt sich 90

Für ähnliche Gedanken vgl. A. Turing (1950) und J. Searle in (1984).

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aber aufgrund von Beobachtungen nicht eindeutig von einem programmgesteuerten Verhalten unterscheiden. Bisher kann man zwar nicht einmal das Verhalten einer Fliege maschinell simulieren, ein Verhalten, das sich objektiv durch Angabe von Regularitäten beschreiben lässt, lässt sich aber auch durch ein Programm steuern, und Abweichungen können wir als Zufälle ansehen, die sich wiederum mechanisch erzeugen lassen. Da uns nun freilich mentale Tatsachen im eigenen Fall evident sind, kann diese Überlegung nicht besagen: „Es gibt keine spezifisch mentalen Vorgänge“, sondern: „Die gegenständliche Realität ist nur ein Teil der empirischen Wirklichkeit und Beobachtungen beschränken sich auf diesen Teil.“ 1.4.8

Der kognitive Wert des Erlebens

1) Die Diskriminierung des Erlebens Das Erleben, von dem in 1.2.1, (2) die Rede war, ist in der Folge zunehmender Separation des Psychischen und des Physischen kognitiv entwertet worden.91 Heute wird Gefühlen meist jeder Wert für die Erkenntnis der Außenwelt abgesprochen. Die offizielle Doktrin ist: Für die Erkenntnis der objektiven Beschaffenheit der Außenwelt tragen die Gefühle, mit denen wir sie betrachten, nichts bei, da sie zu den subjektiven Faktoren der Auffassung gehörten. Da Gefühle im Erleben eine wichtige Rolle spielen, gilt es so als kognitiv irrelevant; relevant sind allein Beobachtungen. Erkenntnis, sagt man, ist ein sachliches Erfassen der Außenwelt. Ich habe auch schon darauf hingewiesen, dass in den Wissenschaften nur solche Phänomene als real gelten, die sich im Prinzip von jedermann beobachten lassen, und als wissenschaftlich zuverlässig nur Beobachtungen, die jeder wiederholen und damit auch kontrollieren kann. Erlebnisse lassen sich aber nicht jederzeit von jedermann nachvollziehen, genügen diesem Kriterium also nicht. Diese Auffassung setzt voraus, dass wir die Außenwelt, insbesondere die physische Welt, nicht nur als eine Welt an sich ansehen – das ist gemeinsame Position von Materialismus und Dualismus -, sondern auch als erkennbar in ihrer Beschaffenheit an sich. Das widerspricht aber unserer Feststellung T2 in 1.4.2, (5). Dieses Erkenntnisziel ist also verfehlt. Wir haben es nicht mit zwei getrennten Welten zu tun, der physischen Außenwelt und der mentalen Innenwelt, sondern mit einer einzigen Realität, in der diese beiden Teilbereiche unauflöslich zusammenhängen. Wir können die Außenwelt nicht so erkennen, wie sie an sich ist, sondern nur so, wie sie für uns ist. Der spezifische 91

Vgl. dazu 1.9.2 und B27, I, 2.4.

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Kapitel 1

kognitive Wert des Erlebens liegt aber gerade darin, dass in ihm das Ganze von Subjekt und Welt, von Innen und Außen deutlich wird. Die kognitive Rehabilitation des Erlebens ist mir ein wichtiges Anliegen, nicht nur im Hinblick auf die Ästhetik.92 Daher will ich seine kognitive Bedeutung an einigen Fällen verdeutlichen. 2) Sekundäre Eigenschaften und phänomenale Komponenten Nach der These T1 aus 1.4.2, (4) sind alle empirischen Eigenschaften sekundär. Ich habe das so begründet, dass sie alle, direkt oder indirekt, phänomenale Komponenten enthalten. Empirische Eigenschaften sind zwar objektiv, wir richten uns bei ihren Anwendungen aber vor allem nach dem Aussehen der Dinge. Wie ein Ding für uns aussieht, ist etwas Subjektives, aber ohne Rekurs auf Subjektives können wir die physische Welt nicht beschreiben. Die Wahrnehmung, dass etwas rot aussieht, ist zwar kein Erleben in dem spezifischen Sinn, in dem ich das Wort in 1.2.1, (2) eingeführt habe, meine Feststellung beruht aber auf dem impliziten Bewusstsein, wie mich der Gegenstand anspricht, wie er mir erscheint. 3) Expressive Eigenschaften Deutlicher ausgeprägt ist das Erleben bei der Feststellung von expressiven Qualitäten. Wir reden z.B. von aggressiven Dissonanzen, freundlichen Farben, einem warmen Gelb, energischen Linien. Eine freundliche Farbe ist nicht freundlich wie eine Person, sie mutet uns freundlich an. Eine energische, kraftvolle, spannungsvolle Linie hat weder Energie noch Kraft oder Spannung, sie mutet uns nur so an. Eine Trauerweide ist nicht traurig, sie lässt nur die Äste hängen wie sich ein Trauender hängen lässt. Durch ihre expressiven Qualitäten können wir Dinge bestimmen, die sonst schwieriger zu charakterisieren wären. Dinge und Ereignisse muten uns in gewisser Weise an und das hilft uns, sie zu unterscheiden. Insbesondere bei unsere Einschätzung anderer Personen und für unser Verhalten ihnen gegenüber sind die expressiven Qualitäten ihrer Mienen, Haltungen und Bewegungen wichtig, ihre „Körpersprache“. Stimmungen und Absichten eines anderen lassen sich weniger beobachten als erleben. 4) Empathie im weiteren Sinn Ich habe in 1.4.7, (4) auf die Bedeutung der Empathie für die Erkenntnis von Fremdseelischem und für das Sprachverstehen hingewiesen. Empathie ist eine Form des Erlebens. Es gibt auch eine Empathie, ein Mitfühlen bei Vorgängen 92

Vgl. B12.

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in der Natur. Ich will von einer Empathie im weiteren Sinn reden. Das ist zwar ein eher seltenes Phänomen, für eine Erkenntnis des Horizonts intentionalen Denkens ist es aber wichtig. Ein eindrucksvolles Zeugnis für ein solches mystisches Erleben sind die Abschiedsworte eines Lakota-Indianers: Steht nicht an meinem Grab und weint. Ich bin nicht dort, ich schlafe nicht. Wind bin ich, Klänge, die verhallen, das Funkeln auf den weißen Schneekristallen. Ich bin das Sonnenlicht auf reifen Ähren, die sanften Frühjahrsregen, die sie nähren. Ich bin, wenn ihr erwacht zur Morgenstunde, der Schrei des Vogels, der die Runde im klaren Blau dort oben macht. Ich bin das Sternenlicht in dunkler Nacht. Steht weinend nicht an meinem Grab, ich bin nicht dort, weil ich nie starb.

Die Worte gehören in den Kontext indianischen Welterlebens, für das menschliches Leben ein Teil des universellen Lebens in der Natur ist. Man kann an diesem universellen Leben in all seinen Erscheinungen durch Empathie teilhaben. Als leibliche Wesen sind wir Teil der Natur und wissen z.B., wie sich Bewegung und Ruhe anfühlen, wie es ist, im Licht oder im Dunkel zu sein. Dadurch können wir im Erleben vieler Vorgänge in der Natur innewerden und damit an ihnen teilnehmen. 1.4.9

Grenzen intentionalen Denkens

Bevor ich das Thema intentionalen Denkens und seiner Ontologie und Erkenntnistheorie verlasse, will ich auf seine epistemischen wie ontologischen Grenzen zurückblicken, die in unseren Überlegungen deutlich geworden sind. 1) Die Unerkennbarkeit der beiden Pole intentionalen Denkens Die beiden Pole intentionalen Denkens sind Subjekt und Welt. Aufgrund der Trennung von Sein und Bewusstsein, der damit verbundenen gegenständlichen Auffassung des Seins und dem Verständnis von Erkenntnis als Erkenntnis von Gegenständen lässt sich das Subjekt intentionalen Denkens nicht vollständig erkennen. Es ist kein Gegenstand. In  1.2.1 war von der Offenheit der Menge mentaler SV die Rede und der Nichtobjektivierbarkeit mentaler SV. In  1.4.6 haben wir gesehen, dass es keine vollständige Theorie menschlichen Denkens geben kann. Mentales lässt sich nicht gegenständlich fassen.

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In intentionalem Denken fassen wir die Außenwelt, den Bezug unserer Erfahrungen, als eine Welt an sich auf, als unabhängig von uns und unserem Erfahren und Denken. Nach 4.2, (5) haben wir in T2 jedoch festgestellt, dass sie in ihrer Beschaffenheit an sich unerkennbar bleibt. 2) Die Unsicherheit unseres Wissens von der Außenwelt Auch wenn wir nicht von der Welt an sich reden, sondern uns auf die empirische Außenwelt beschränken – ich habe sie in 1.4.2, (5) PE genannt -, die äußere Wirklichkeit, wie sie sich uns in unseren Erfahrungen zeigt, bleiben unsere Wissensansprüche unsicher und wir werden die Gefahr von Irrtümern nicht los. Wir haben von PE nur ein Wissen im minimalistischen Sinn und müssen uns mit Xenophanes aus Kolophon sagen: Sicheres hat kein Mensch erblickt, und es wird auch nie jemanden geben, der es weiß in Bezug auf die Götter und was ich nur immer erwähne. Denn selbst, wenn es einem im höchsten Maße gelänge, etwas Vollendetes auszusprechen, wüsste er selbst das doch nicht. (Fragment 34)

Perfektes Wissen, bzgl. dessen Vorliegen wir uns nicht irren können, gibt es in intentionalem Denken, wie wir in 1.4.1 sahen, nur im mentalen Bereich, nur bzgl. gegenwärtiger eigner mentaler Zustände und Akte, und im Bereich abstrakter Gegenstände, dem Bereich analytischer Wahrheiten. Perfekte Erkenntnis ergibt sich dort, wo explizites Bewusstsein in implizitem gründet, durch die Trennung von Geist und Natur im intentionalen Denken kann sie sich nicht auf eine externe Wirklichkeit beziehen. 3) Grenzen der Trennbarkeit von Psychischem und Physischen Der Dualismus ist die natürliche Ontologie intentionalen Denkens. Wir haben aber wiederholt gesehen, dass die Aufspaltung der Wirklichkeit in zwei getrennte Bereiche nicht funktioniert: 1) Wir haben eine Vorstufe intentionalen Denkens angenommen, aus der es durch eine zunehmende Differenzierung von Geistigem und Physischem entsteht, eine Form des Bewusstseins, in der Sein und Bewusstsein noch nicht getrennt sind. (Vgl. 1.2.4, (1) und 1.2.5, (1).) 2) Wir haben uns gegen die Definierbarkeit aller empirischen SV durch rein physische und rein psychische gewandt. (Vgl. 1.3.4, (2).) 3) Wir sind leib-seelische Personen, Personen in der Welt, wir können uns nicht als rein mentale Wesen begreifen und schon gar nicht als rein physische. (Vgl. 1.4.5.)

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4)

Ich habe im Zusammenhang mit dem Polaren Dualismus auf essentielle Beziehungen des Psychischen auf Physisches und essentielle Beziehungen des Physischen auf Psychisches hingewiesen. (Vgl. 1.3.5.) 5) Ich habe den kognitiven Wert des Erlebens und speziell der Empathie hervorgehoben. (Vgl. 1.4.7 und 1.4.8.) Es gelingt also nicht, die Wirklichkeit konsequent in zwei eigenständige und wesensverschiedene Teilbereiche aufzuspalten. Das epistemische wie ontologische Ideal ist auch kein Dualismus, sondern ein Monismus, in dem – ähnlich wie im mentalen Bereich – Sein und Bewusstsein eine Einheit bilden. Eine solche Wirklichkeit entzieht sich jedoch intentionalem Denken. 1.5

Wissenschaftstheorie

Wissenschaftstheorie ist die allgemeine Methodologie der empirischen Wissenschaften. Dazu gehören vor allem Modelle empirischer Erkenntnis, eine Theorie von Begriffsformen und Begriffsbildung, wissenschaftliche Erklärungen und Begründungen, Induktion, Kausalität und Finalität sowie Kriterien für statistische Erhebungen. Auf die Theorie der Begriffsformen und Begriffsbildung gehe ich hier nicht ein, für statistische Analysen verweise ich auf W. Stegmüller (1973). Die Philosophie der Physik und damit auch die Lehre von Raum und Zeit zählt nicht zur allgemeinen Wissenschaftstheorie.93 Ein paar Worte zu den Geisteswissenschaften finden sich in 1.5.6. In diesem und in den folgenden beiden Kapiteln setze ich Grundkenntnisse der elementaren Logik voraus, um mich einfacher und genauer ausdrücken zu können. 1.5.1 Erklärungen 1) Formen der Erklärung Wir wollen nicht nur Fakten erkennen, sondern sie auch verstehen. Verstehen wird durch Erklärungen vermittelt. Es gibt verschiedene Formen der Erklärung von Tatsachen: Eine kausale Erklärung erklärt ein Ereignis (die Wirkung) mit einem vorausgehenden Ereignis (der Ursache) und Annahmen über Naturgesetze oder, in der modalen Theorie der Kausalität, mit Annahmen über (naturgesetzlich) mögliche zwischenzeitliche Entwicklungen.94 Eine rationale Erklärung erklärt 93 94

Vgl. dazu B30. Vgl. 1.5.2.

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Kapitel 1

eine Handlung mit Gründen des Agenten, d.h. mit seinen Annahmen über die zu erwartenden Folgen seiner verschiedenen Handlungsalternativen und seinen Präferenzen unter diesen möglichen Folgen.95 Während eine kausale Erklärung zeigt, dass die Wirkung bei gegebener Ursache mit naturgesetzlicher Notwendigkeit eintreten musste, zeigt eine rationale Erklärung nicht, dass die Handlung bei gegebenen Gründen vollzogen werden musste, sondern nur, dass sie im Sinne des Agenten vernünftig war. Gründe erlauben nicht, Handlungen vorherzusagen, sie machen sie nur aus dem Blickwinkel des Agenten verständlich. Die Rationalität einer Handlungsalternative ist jedoch ein Grund für ihre Realisierung, ja sie ist als Zusammenfassung der einzelnen Gründe, der Annahmen und Ziele, der einzige Grund dafür. Erkennt man, dass eine Handlung rational war, so bleibt an ihrem Vollzug nichts mehr zu erklären, denn neben den Gründen des Agenten haben Handlungen nicht auch noch Ursachen. Eine funktionale Erklärung einer Sache zeigt, welchen Zwecken sie dient. Eine funktionale Erklärung eines Ventils an einem Dampfkessel zeigt z.B., dass es die Explosion des Kessels durch Überdruck verhindert. Sie ist keine Erklärung für das Vorhandensein des Ventils, sondern macht nur seinen Zweck verständlich. Sie besagt auch nicht, dass das Ventil von jemandem mit diesem Zweck am Kessel angebracht worden ist. Auch ein Zufallsprodukt kann einem Zweck dienen und daher Gegenstand einer funktionalen Erklärung sein. Eine finale Erklärung ist eine Erklärung eines Ereignisses von seinen Folgen her; sie macht ein Ereignis E damit verständlich, dass ohne E ein späteres Ereignis E‘ nicht stattgefunden hätte. E‘ ist dabei nicht immer Zweck von E und E nicht immer Mittel für E‘. Oft wird jedoch Finalität mit Zweckmäßigkeit identifiziert. Ich bezeichne E‘, das Explanans einer finalen Erklärung nicht als Ursache, sondern als finalen Grund des Explanandums E. Die neuzeitliche Philosophie hat sich kaum mit finalen Erklärungen befasst. Sie geht von einem Modell der Wirklichkeit aus, nach dem die Gründe für ein Ereignis immer in seiner Vorgeschichte zu suchen sind. Eine valuative Erklärung endlich macht den positiven Wert einer Sache deutlich. Während der Zweck einer Sache, den ihre funktionale Erklärung aufweist, in der Regel nur einen relativen Wert hat – in unserem Beispiel etwa für die Erhaltung des Kessels und der Anlage, zu der er gehört -, geht es bei valuativen Erklärungen um einen nichtrelativen, in diesem Sinn also absoluten Wert der Sache, und zwar um einen positiven Wert.96 Gewisse Konstruktionsmerkmale von Onkoviren können z.B. für deren Fortpflanzung nützlich sein und sind dann Gegenstand einer funktionalen Erklärung, da die Vermehrung 95 96

Vgl. z.B. B24, 1.4, (5) und (6) sowie hier 1.1.5, (2). Zur Frage der Existenz objektiver Werte vgl. 1.8.

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von Onkoviren aber kaum in einem absoluten Sinn wertvoll ist, lassen sich die fraglichen Merkmale nicht valuativ erklären. Eine moralisch gute Handlung lässt sich hingegen nicht nur rational, sondern valuativ erklären. Eine valuative Erklärung einer Tatsache macht deutlich, dass es gut und richtig ist, dass sie besteht. Wie eine funktionale Erklärung sagt eine valuative nicht, wie es zu der Tatsache gekommen ist. Der positive Wert eines SV ist kein Seinsgrund, kein Grund, warum er besteht, sondern ein Rechtfertigungsgrund. Er ist, wie man auch sagen kann, ein normativer Grund. Der positive Wert eines Zustands ist nur für Personen ein Grund, ihn zu verwirklichen oder zu erhalten. Alle Erklärungen außer den valuativen sind lediglich relativ:97 In einer kausalen Erklärung wird ein Ereignis durch ein anderes erklärt, dessen Eintreten unverständlich bleiben kann. In einer rationalen Erklärung wird eine Handlung durch Gründe des Handelnden erklärt, die selbst aber uneinsichtig bleiben können – man versteht z.B. nicht, wie der Agent zu offensichtlich falschen Erwartungen kommen konnte oder warum er derart verquere Präferenzen hat. Durch eine funktionale Erklärung endlich wird der Wert der Sache für etwas anderes deutlich, der Wert dieses anderen bleibt jedoch offen. Nun kann man natürlich weitere Erklärungen anfügen. Man kann in einer zweiten Erklärung auch die Ursache der Ursache eines Ereignisses angeben,98 oder rational erklären, warum der Agent sich gewissen Erwartungen oder Präferenzen zu eigen gemacht hat. Man kann den Zweck des Zweckes einer Sache funktional erhellen. Solche Erklärungsfolgen haben jedoch ein Ende, beginnen also immer mit Unerklärtem. Nur valuative Erklärungen bringen unser Fragen zur Ruhe. Wenn von einer Tatsache gezeigt wurde, dass sie in einem objektiven Sinn gut ist, mag zwar vieles an ihr noch zu erklären bleiben, insbesondere wie sie zustande kam, sie ist damit aber jedenfalls in ihrer Existenz gerechtfertigt, denn das Gute ist der letzte Grund aller Rechtfertigung. Es ist das, was sein soll, und damit auch das, was wir als richtig und gerechtfertigt anerkennen und was uns verständlich ist. Platon hat an eine valuative Verständlichkeit der Wirklichkeit geglaubt. Für ihn war das Gute nicht nur ein Erklärungsgrund, sondern auch ein Seinsgrund.99 Heute gelten Ursachen als einzige legitime Seinsgründe. Valuative Erklärungen spielen in den Wissenschaften keine Rolle.

97 98 99

Die Relativität bewirkt, dass dieselbe Erklärung den einen befriedigt, den anderen hingegen nicht, obwohl sie objektiv korrekt ist. Sie befriedigt jemanden, wenn ihre Prämissen für ihn nicht ihrerseits erklärungsbedürftig sind. Sofern man Kausalketten zulässt, die in der modalen Kausalitätstheorie, in der es nur um Erstursachen geht, ausgeschlossen werden. Vgl. den Staat, 534b ff., sowie die Interpretation in B19, Bd. II, S. 108 ff.

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Kapitel 1

2) Erklären und Begründen In den nächsten beiden Abschnitten will ich genauer auf kausale und finale Erklärungen eingehen, zunächst will ich aber Erklärungen von Begründungen unterscheiden. Erklärungen sind spezielle Begründungen. Ich beschränke mich hier auf Begründungen mit Kausalsätzen „B, weil A“, die sich logisch darstellen lassen als A ∧ N(A⊃B) – A und notwendigerweise: Wenn A, dann B.100 Die Notwendigkeit ist dabei in einem sehr weiten Sinn zu verstehen: Es kann eine analytische oder naturgesetzliche Notwendigkeit sein, aber auch nur eine faktische Regularität oder Normalität. N(A⊃B) kann so z.B., falls A und B Ereignisse der Typen A* und B* sind, besagen, dass ein A*-Ereignis nie (oder normalerweise nicht) ohne ein B-Ereignis auftritt, oder, falls A die Gestalt F(a) hat und B die Gestalt G(a), dass alle F-Instanzen (normalerweise) auch G-Instanzen sind. Ob ein Kausalsatz „B, weil A“ auch eine Erklärung von B mit A ist, hängt von der Art der „Notwendigkeit“ des Zusammenhangs zwischen A und B ab. Eine analytische Notwendigkeit zu fordern, wäre zu stark, eine faktische Regularität zu wenig. Es kann z.B. sein, dass immer, wenn die Störche ins Land ziehen, die Anzahl der Geburten steigt. Damit kann ich begründen, dass die Anzahl der Geburten zur fraglichen Zeit steigt, für ein Verständnis dieses Phänomens, wie es Erklärungen vermitteln sollen, reicht ein zeitlicher Zusammenhang aber nicht aus. Ich kann auch sagen „Fritz hat vor 12h sein Haus verlassen, weil er um 12h einen Autounfall hatte“, das ist eine finale Begründung, aber keine Erklärung, warum Fritz sein Haus verlassen hat. Auch eine nomologische Notwendigkeit kann für Erklärungen nicht ausreichen, denn Naturgesetze sind oft einfach faktische Regularitäten, die den Zusammenhang zwischen dem Explanandum B und dem Explanans A nicht deutlich machen, so z.B. das Weber-Fechnersche Gesetz und die von Hans Christian Oersted 1819 entdeckte Regularität, dass eine Magnetnadel über einem Draht abgelenkt wird, wenn ein elektrischer Strom durch den Draht fließt. Diese Regularität bedarf selbst einer Erklärung, die durch die Gesetze der Elektrodynamik gegeben wird. Für die traditionelle Philosophie lag eine Erklärung nur dann vor, wenn der durch N(A⊃B) ausgedrückte Zusammenhang zwischen A und B sich aus dem Wesen von A und dem Wesen von B ergibt. Was aber ist das Wesen? Das Wesen der Instanzen einer Art F wird durch die essentiellen Merkmale von F gegeben, und G ist ein essentielles Merkmal von F, wenn es allen Instanzen von F notwendigerweise zukommt. Damit stehen wir erneut vor der Frage: „Was für eine Art von Notwendigkeit?“ Manche Autoren reden von einer metaphysischen Notwendigkeit, die schwächer ist als eine analytische und stärker als eine 100 Der Kausalsatz: „Hans ruft Eva an, weil er sie zu seinem Geburtstag einladen will“ ist eine rationale Erklärung und hat nicht die angegebene logische Form.

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nomologische. Man kann dann sagen: „Ein Kausalsatz A ∧ N(A⊃B) stellt eine Erklärung von B durch A dar, wenn N eine metaphysische Notwendigkeit ist.“ Was aber soll metaphysisch notwendig sein? Mein Vorschlag ist: Was aus den Grundgesetzen eines Bereichs folgt, also z.B. für elektromagnetische Phänomene aus den Maxwellschen Gesetzen und für mechanische Phänomene (klassisch gesehen) aus den Newtonschen Gesetzen. Was wir als Erklärung ansehen, hängt damit von unseren Annahmen über die Grundgesetze von Physik, Biologie etc. ab. Man kann die Grundgesetze auch als Wesensgesetze ansehen, solange sie nicht nur als Hypothesen gelten. 1.5.2 Kausalität Man unterscheidet Ereigniskausalität und Agenskausalität.101 Die Wirkung ist in beiden Fällen ein Ereignis, im ersten Fall gilt das auch für die Ursache, im letzteren hingegen handelt es sich um ein Bewirken durch Agenten, so dass die Wirkung keine Ursache hat, sondern einen Urheber. Hier geht es um Ereigniskausalität. Es gibt verschiedene Explikationen der Kausalrelation, der Beziehung: das Ereignis E bewirkt das Ereignis E’. Drei von ihnen gehen in ihren Grundgedanken auf David Hume zurück. 1) Die Regularitätstheorie Die bekannteste ist die Regularitätstheorie. Traditionell wurde die UrsacheWirkungs-Beziehung als Relation einer notwendigen Folge verstanden. Hume meinte jedoch, wir könnten durch Beobachtungen keine Notwendigkeiten feststellen, sondern nur Fakten; die Behauptung notwendigen Folgens sei nicht nachprüfbar und habe damit keinen empirischen Sinn. Was wir beobachteten, sei zunächst lediglich die zeitliche Aufeinanderfolge zweier Ereignisse, und wenn eine solche Aufeinanderfolge regelmäßig eintrete, bezeichneten wir das erste Ereignis als Ursache des zweiten. Heute greift man bei Formulierungen der Regularitätstheorie jedoch wieder auf so etwas wie notwendige Folgen zurück, nämlich auf Naturgesetze. Naturgesetze beschreiben nicht nur Vorgänge, die sich in unserer Welt abspielen. Nach dem Fallgesetz gilt z.B. auch: „Würde der Apfel (der tatsächlich nicht herabfällt) aus 5m Höhe herunterfallen, so würde er mit einer Geschwindigkeit von ca. 10m/sec am Boden aufschlagen.“ Das Fallgesetz gilt für alle Fälle, die auftreten können, nicht bloß für Fälle, die tatsächlich auftreten. Man sagt heute: „Ein Ereignis E ist Ursache eines Ereignisses E’, wenn es bestimmte Naturgesetze gibt und Umstände, die beim Eintreten von E bestehen, so dass E’ logisch zusammen aus den Gesetzen, 101 Vgl. 1.2.2, (3). Zur Agenskausalität vgl. auch 1.6.2.

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den Umständen und E folgt (aber nicht aus einem Teil dieser Prämissen), und wenn das Ereignis E’ später eintritt als E.“ Eine erste Schwierigkeit der Regularitätstheorie besteht darin, dass sie nicht zwischen einer Ursache und der früheren Wirkung einer gemeinsamen Ursache unterscheiden kann. Nehmen wir an, eine Krankheit K rufe zuerst ein Symptom S1 hervor und anschließend ein zweites Symptom S2. Tritt S1 nur bei K auf, und S2 immer bei K, so gilt die Aussage „Auf S1 folgt S2“ naturgesetzlich, und S1 wäre als Ursache von S2 anzusehen. Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, dass die weitaus überwiegende Anzahl kausaler Erklärungen, die wir im Alltag wie in den Wissenschaften verwenden, nicht die von dieser Theorie verlangte Form hat. Wir sagen z.B.  Fritz habe sich das Bein gebrochen, weil er auf einer Bananenschale ausgerutscht sei. Wir akzeptieren diese Erklärung, obwohl wir keine Gesetze und Antezedensbedingungen kennen, mit denen die Wirkung aus der Ursache ableitbar wäre. Sind aber die meisten unserer kausalen Erklärungen im Sinn der Regularitätstheorie nicht korrekt, so spricht das gegen diese Theorie. Ein drittes Problem ist, dass zeitliche Abschnitte der Wirkung als Ursachen späterer Abschnitte gelten. Das Platzen eines Reifens sei die Ursache, dass Fritz mit seinem Auto gegen einen Baum fährt. Der Reifen ist genau um 12.00 Uhr geplatzt, der Aufprall auf den Baum hat sich 10 Sekunden später ereignet. Dann ist auch die Bewegung des Autos zum Baum 5 Sekunden nach 12.00 Uhr eine Ursache des Aufpralls. 2) Die kontrafaktische Analyse Hume meinte, die Regularitätstheorie sei äquivalent mit der Definition: „Das Ereignis E ist Ursache des Ereignisses E’, wenn E’ nicht eingetreten wäre, falls E nicht eingetreten wäre – dabei soll E wieder früher stattfinden als E’.“102 Die Äquivalenz besteht zwar nicht, die kontrafaktische Analyse der Kausalrelation hat aber namhafte Anhänger gefunden. Ihr erstes Problem ist, dass damit Ursachen nur als notwendige, nicht aber wie üblich als hinreichende Bedingungen der Wirkung charakterisiert werden. Wird z.B. Fritz beim Überqueren einer Kreuzung von Max angefahren, so wäre eine Ursache des Unfalls von Fritz auch, dass er sein Haus verlassen hat – wäre er daheim geblieben, wäre der Unfall ja nicht passiert. Es gibt zweitens Fälle kausaler Überdeterminiertheit, in denen dasselbe Ereignis zwei voneinander unabhängige hinreichende Ursachen hat. Jemand kann z.B. gleichzeitig von zwei Schüssen getroffen 102 Eine solche kontrafaktische Analyse von Kausalsätzen ist – in unterschiedlichen Formen – vor allem von David Lewis in (1973a) und John L.Mackie in (1974) vertreten worden. Zu den Humeschen Bestimmungen vgl. seinen Treatise of Human Nature, Buch 1, Teil III, §§ 14 f. und den Enquiry Concerning the Human Understanding, § VII, Teil II.

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werden, von denen jeder tödlich ist; nach der kontrafaktischen Analyse wäre dann keiner der beiden Schüsse die Ursache für den Tod, sondern nur beide zusammen. 3) Die Wahrscheinlichkeitstheorie Die dritte von Hume initiierte Kausalitätstheorie ist die Wahrscheinlichkeitstheorie der Kausalität, wie sie vor allem von Patrick Suppes in (1970) entwickelt worden ist. Hume unterschied zwischen der Kausalität als objektiver („philosophischer“) und als psychologischer („natürlicher“) Relation. Die erstere wird durch die Regularitätstheorie erfasst. Mit der letzteren wollte Hume den Anschein einer notwendigen Folge der Wirkung auf die Ursache erklären, von der die traditionelle Konzeption ausging. Wenn ich häufig beobachtet habe, dass auf ein Ereignis der Art A ein Ereignis der Art B folgte, und nie ein A-Ereignis beobachtet habe, auf das kein B-Ereignis folgte, werde ich erwarten, dass auch auf das nächste A-Ereignis ein B-Ereignis folgen wird. Je größer die Zahl der beobachteten A-B-Folgen, desto stärker wird meine Erwartung sein. Für große Zahlen bin ich mir also praktisch sicher, dass auf das nächste A-Ereignis ein B-Ereignis folgen wird. Diese subjektive Sicherheit ist Humes psychologische Entsprechung zu einer – für ihn nicht existierenden – objektiven Notwendigkeit. Diesen Gedanken kann man in der Theorie der subjektiven Wahrscheinlichkeit rekonstruieren, in der die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses den Grad der Sicherheit ausdrückt, mit der eine Person (zu einem Zeitpunkt) das Eintreten dieses Ereignisses erwartet.103 Ein Ereignis E wäre danach für die Person X Ursache des Ereignisses E’, wenn die subjektive Wahrscheinlichkeit, die X dem Ereignis E’ aufgrund von E zuordnet (die durch E bedingte Wahrscheinlichkeit von E’), nahe bei eins liegt, während die nichtbedingte Wahrscheinlichkeit von E’ signifikant unter diesem Wert liegt. Diesen Gedanken hat Suppes zunächst so verallgemeinert: „E ist Ursache von E’, wenn die Wahrscheinlichkeit von E’ aufgrund von E höher ist als die nichtbedingte Wahrscheinlichkeit von E’, wenn E und E’ tatsächlich stattfinden und E früher ist als E’.“ Er nimmt dann weitere Differenzierungen vor, unabhängig von ihnen sieht sich die Wahrscheinlichkeitstheorie der Kausalität aber folgenden Problemen gegenüber: Suppes legt sich erstens nicht fest, ob die Wahrscheinlichkeiten, von denen die Rede ist, subjektiver oder objektiver Natur sein sollen. Im ersten Fall würde man nicht das Prädikat „E ist Ursache von E’“ definieren, sondern ein Prädikat „Für die Person X ist E im Zeitpunkt t Ursache von E’“. Die Kausalrelation würde damit zu einer subjektiven, doxastischen Relation, und so verstehen wir sie normalerweise nicht. Im zweiten 103 Vgl. zu den Begriffen subjektiver und objektiver Wahrscheinlichkeit 1.5.4, (2).

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Fall hingegen wäre keine Wahrscheinlichkeit von Einzelereignissen definiert. Objektive Wahrscheinlichkeiten sind, grob gesagt, ein Maß für die relative Häufigkeit des Eintretens von Ereignissen des Typs A in einer Bezugsklasse von Ereignissen der Art B. Die Wahrscheinlichkeit von A-Ereignissen hängt danach von der gewählten Bezugsklasse ab, so dass man nicht ohne weiteres von der Wahrscheinlichkeit eines bestimmten A-Ereignisses reden kann. Zweitens ist nicht jedes Ereignis, das die Wahrscheinlichkeit von E’ erhöht, eine Ursache von E’. Verlässt Fritz sein Bett, so erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass er sich ein Bein bricht, ohne eine Ursache dafür zu sein. Endlich können Ursachen die Wahrscheinlichkeit ihrer Wirkung sogar vermindern – das ist die sogenannte Paradoxie von Simpson. 4) Die modallogische Theorie Ihren Rahmen bilden alternative Weltverläufe.104 Vieles, was geschehen ist, geschieht oder geschehen wird, hätte auch anders verlaufen können bzw. könnte anders verlaufen. Wir können uns das Universum dieser möglichen Weltverläufe wie einen Baum vorstellen. Er verzweigt sich nur nach oben, in Richtung Zukunft. In jedem Verzweigungspunkt einer Welt kann sich die Geschichte nach diesem Punkt in unterschiedlicher Weise weiter entwickeln. Wie es weitergeht, ist also nicht durch die Vergangenheit bestimmt, sondern durch einen Zufall oder durch freie Handlungen. In diesem Rahmen kann man den Begriff einer zeitabhängigen Notwendigkeit so charakterisieren, dass in der Welt w im Zeitpunkt t der Sachverhalt A notwendigerweise besteht, wenn er in allen Welten in t besteht, die mit w bis hin zu t übereinstimmen. Was jetzt nicht notwendig ist, kann also notwendig werden – die Alternativen werden ja, grob gesagt, immer weniger -, und was möglich war, braucht nicht möglich zu bleiben. Wenn ich hier von Ereignissen rede, meine ich Vorkommnisse, nicht Ereignistypen, also z.B. das Gewitter in München am 2.3.1986. Jedes Ereignis tritt in jeder Welt (am selben Ort) nur einmal auf und hat eine gewisse Dauer. SV, die schon immer bestanden haben, sind keine Ereignisse. Nach der modallogischen Kausalitätstheorie soll eine Ursache des Ereignisses E’ ein Ereignis E sein, mit dessen Eintreten das von E’ erst notwendig wurde.105 Das lässt sich so präzisieren: 104 Vgl. dazu A38 und A49., sowie unten 1.6.1. 105 Eine ähnliche Konzeption hat schon Roman Ingarden in (1974) vertreten. Dort sagt er: „Und diese Ursache ist nichts anderes als ein Ereignis (insbesondere der Abschluss eines Vorgangs), der einen bereits vorhandenen Bestand an zwar unentbehrlichen, aber nicht hinreichenden Bedingungen eines zu bedingenden Ereignisses zu dessen aktiver, hinreichender Bedingung ergänzt.“ (S.74) Näher noch steht unsere Theorie jener von G. H. v. Wright in (1974). Für eine Variante zu meiner Definition vgl. N. Belnap (1997). Ein Ereignis

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MK: Ein Ereignis E ist Ursache des Ereignisses E’, wenn es zum Zeitpunkt t, in dem E beginnt, notwendig ist, dass E’ eintritt, falls vorher E eintritt, während das Eintreten von E’ in t noch nicht notwendig ist. Von der regularitätstheoretischen Konzeption her gesehen, hat diese modallogische Kausalrelation ungewöhnliche Eigenschaften: Als Ursachen kommen erstens nur Zufallsereignisse oder freie Handlungen in Betracht. Keine Wirkung ist zweitens eine Ursache, so dass es auch keine Kausalketten gibt; Ursachen sind immer Erstursachen. Denn wenn, vom Zeitpunkt t des Beginns von E in der realen Welt aus gesehen, E’ auf E folgt, ist es mit dem Beginn von E’ bereits notwendig, dass E’ eintritt, so dass E’ nach der Definition MK nicht als Ursache eines anderen Ereignisses in Frage kommt. Will man so etwas wie Kausalketten zulassen, spricht man besser von naturgesetzlichen Folgen. Grob gesagt ist B eine solche Folge von A genau dann, wenn MK ohne die Bedingung gilt, dass E‘ in t noch nicht notwendig war. In deterministischen Universen gibt es drittens überhaupt keine Ursachen, da dort alle Ereignisse, die eintreten, mit Notwendigkeit eintreten.106 Der modallogische Begriff erfasst eine wichtige Klasse von Fällen, in denen wir von Ursachen reden, aber nicht alle Fälle. Man muss wohl auch die Vorstellung aufgeben, der komplexe Gebrauch kausaler Ausdrücke im Alltag ließe sich durch eine einzige Definition erfassen. Oft benennen wir als Ursache auch ein unerwartetes Ereignis, selbst wenn es keine Erstursache ist. Entsteht z.B. in einem Raum ein Feuer, so kann man je nachdem, was ungewöhnlich war, einen fliegenden Funken, das Vorhandensein von Sauerstoff oder das Vorhandensein brennbaren Materials als Ursache benennen. Das spricht dafür, dass im alltäglichen Gebrauch des Wortes „Ursache“ epistemische Faktoren eine Rolle spielen. Will man jedoch einen objektiven Begriff der Kausalität angeben, nach dem Kausalaussagen die Welt charakterisieren, nicht aber unsere Annahmen über sie, so muss man von solchen Faktoren absehen und sich damit auch ein Stück weit vom normalen Sprachgebrauch entfernen.

(im Sinn eines Vorkommnisses) tritt in jeder Welt nur in einem einzigen geschlossenen Zeitintervall ein – von der örtlichen Lokalisierung sehe ich hier ab. 106 Ein deterministisches Universum würde aus einer einzigen Welt bestehen. Von den beiden üblichen Formulierungen des Determinismus: „Jedes Ereignis hat eine Ursache“ – das ist das Kausalprinzip – und „Alles, was geschieht, geschieht mit Notwendigkeit“, ist daher nur die zweite brauchbar, wenn man von MK ausgeht. Das Kausalprinzip ist immer falsch, auch in einem deterministischen Universum, da es dort gar keine Ursachen gibt; in nicht deterministischen Universen haben Ursachen nicht selbst wiederum Ursachen, wie wir sahen.

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1.5.3 Finalität 1) Die Definition Als Rahmen einer Definition finaler Gründe wähle ich wieder ein Universum sich verzweigender Weltverläufe. Dann kann man sagen: F: Ein Ereignis E’ ist finaler Grund des Ereignisses E, wenn E‘ eintritt und davor E und es bei Beginn von E notwendig ist, dass, falls E’ stattfindet, davor E stattfindet, während es bei Beginn von E nicht notwendig ist, dass E stattfindet. Hier ist E keine hinreichende, sondern eine notwendige Bedingung für das spätere Ereignis E‘.107 2) Teleologische Prinzipien Nach Aristoteles hat jede Art von belebten wie auch unbelebten Dingen ein Wesen im Sinn einer Entelechie, eine Bestimmung, die es zu verwirklichen trachtet. Mit diesem zu realisierenden Wesen lassen sich die Eigenschaften und das Verhalten der Exemplare der Art erklären. Weil z.B.  Fische ihrem Wesen nach im Wasser leben, entwickeln sie zur Fortbewegung Flossen. Weil der natürliche Ort schwerer Körper das Zentrum der Erde ist und es zu ihrer Bestimmung gehört, zu ihrem natürlichen Ort zu streben, fallen sie zur Erde, wenn man sie loslässt. Man kann das Prinzip generell auch so formulieren: „Alle Vorgänge sind final bestimmt; nichts geschieht ohne Zweck.“ Aristoteles hat auch behauptet: „Das Universum entwickelt sich so, dass der Wert des Ganzen stetig zunimmt.“ Dabei ist an einen objektiven Wert zu denken. Sollen objektive Werttatsachen für das Verständnis der physischen Welt und ihrer Entwicklung relevant sein, müssen sich teleologischen Prinzipien dieser Art angeben lassen. Es ist aber nicht gelungen, fruchtbare teleologische Prinzipien zu formulieren, Prinzipien, mit denen sich die Entwicklung der physischen Welt tatsächlich erklären lässt. 3) Integralprinzipien Einer der wenigen Philosophen, die sich der Elimination finaler Erklärungen in der neuzeitlichen Philosophie widersetzt haben, war Gottfried Wilhelm 107 Der SV, dass ein Ereignis E‘ eintreten wird, ist keine Ursache für das Eintreten von E‘, denn der SV ist kein Ereignis.

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Leibniz. Er wollte zeigen, dass die Gesetze der klassischen Mechanik mit finalen Gesetzen äquivalent sind. Die Gleichungen der Mechanik beschreiben die Veränderungen eines Systems durch Differentialgleichungen für die zeitlichen Änderungen der Größen, die das System bestimmen. Der einfachste Fall ist die Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt mit konstanter Masse. Sie gibt die Änderung seiner Geschwindigkeit in Abhängigkeit von der auf ihn wirkenden Kraft an, sagt also, wie sich die Geschwindigkeit eines Massenpunktes in der Zeit ändert. Wenn ich seinen Ort und seinen Impuls in einem bestimmten Zeitpunkt kenne und die wirkenden Kräfte, kenne ich seine künftige Bahn, seinen Ort und Impuls in jedem späteren Zeitpunkt. Insofern beschreibt die Gleichung, wie sich spätere Zustände des Massenpunkts aus seinem gegenwärtigen Zustand ergeben, und kann daher als Kausalgesetz angesehen werden. Aus der Gleichung ergeben sich aber auch die früheren Zustände des Systems aus seinem gegenwärtigen Zustand. Da die Prinzipien der klassischen Mechanik keine Zeitrichtung auszeichnen, eignen sie sich ebenso für finale wie kausale Erklärungen, so dass man sie nicht einfach als Kausalgesetze bezeichnen kann. Leibniz wollte zeigen, dass die Grundgesetze der Mechanik mit Extremalprinzipien wie dem Prinzip der kleinsten Wirkung von Maupertuis äquivalent sind.108 Solche Extremalprinzipien bestimmen nicht spätere Zustände aus früheren oder umgekehrt, sondern beschreiben die Entwicklung des Systems unter gleichmäßiger Berücksichtigung von Vergangenheit und Zukunft. Im Prinzip von Maupertuis ist unter „Wirkung“ der Energieaufwand (Energie mal Zeit) zu verstehen. Es besagt, dass die Natur unter allen möglichen Bewegungen diejenige auswählt, die ihr Ziel (den Endpunkt der Bewegung) mit dem kleinsten Energieaufwand erreicht. Für eine kräftefreie Bewegung ergibt sich daraus z.B. das Prinzip vom kürzesten Weg, den ein Massenpunkt nimmt. Extremalprinzipien spielen auch auf anderen Gebieten der Physik, etwa in der Optik und Elektrodynamik, eine wichtige Rolle. Sie sind nicht final in dem Sinn, dass sie frühere durch spätere Zustände bestimmen, sondern in dem Sinn, dass sie den realen Verlauf eines Systems unter seinen möglichen Abläufen im Blick auf Eigenschaften auszeichnen, die diese Abläufe insgesamt haben wie den Energieaufwand im Fall des Prinzips der kleinsten Wirkung.109 Man kann sie daher generell auch als Integralprinzipien bezeichnen. 108 Dieses Prinzip hat Leibniz vor Pierre Louis Moreau de Maupertuis formuliert, allerdings nicht exakt. 109 Zur Geschichte finaler Prinzipien in der Physik – sie werden dort als „formal teleologisch“ bezeichnet – vgl. M. Stöltzner und P. Weingartner (2005).

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4) Zum Wert finaler Erklärungen Die Nützlichkeit von Integralprinzipien zeigt, dass nicht nur kausale Erklärungen brauchbar sind. Man kann nicht behaupten: „Alles, was ist, ist aus dem entstanden, was früher war; daher muss das Explanans dem Explanandum zeitlich vorhergehen.“ Die Welt könnte auch so bestimmt sein, dass sie einen bestimmten Endzustand erreicht, oder so, dass ihre Entwicklung insgesamt eine bestimmte Eigenschaft hat. Für die Relativitätstheorie verschwindet der Gegensatz zwischen bereits realer Vergangenheit und noch unrealisierter Zukunft. Für sie ist die Welt etwas Fertiges, in ihrer gesamten zeitlichen Dimension Reales. Auch mit finalen Gesetzen sind Voraussagen möglich. Wenn ich weiß, dass die Temperatur eines Gases sich monoton der Temperatur seiner Umgebung annähert, weiß ich, dass sich das Gas abkühlen wird, wenn es momentan eine höhere Temperatur hat als seine Umgebung. 5) Das Prinzip vom zureichenden Grund In der Philosophie von Leibniz spielt das Prinzip vom zureichenden Grund eine wichtige Rolle. Für ihn war es ein fundamentales Vernunftprinzip. Es besagt: „Alles Geschehen hat einen (hinreichenden) Grund.“ Mit der Beschränkung auf kausale Gründe wird daraus das Kausalprinzip: „Alles Geschehen hat eine Ursache.“ Für Aristoteles und die Scholastik galt dagegen das Finalitätsprinzip: „Nichts geschieht ohne Zweck.“ Das Kausalprinzip scheitert an Zufallsereignissen, wie sie die Physik heute annimmt. Das Wort „Zufall“ ist eine Übersetzung – sie geht auf Meister Eckhart zurück – des lateinischen accidens. Ein Akzidens ist in der philosophischen Terminologie aber auch etwas Kontingentes. Im deutschen Sprachkreis ist das ein Grund dafür, dass man oft nicht zwischen kontingent und zufällig unterscheidet – eine entsprechende Verwechslung heftet sich im Englischen an das Wort accidental. Kontingent, d.h. weder notwendig noch unmöglich, sind alle empirischen Tatsachen, bei weitem nicht alle sind aber zufällig. Ein Ereignis ist zufällig, wenn es keinen hinreichenden Realgrund hat und auch keine Handlung ist. Nach Art der Gründe kann man von einem kausal oder final zufälligen Ereignis reden. Hat das Ereignis weder eine Ursache noch einen Zweck und lässt es sich, sofern es eine Handlung ist, auch nicht rational erklären, so kann man es absolut zufällig nennen. Die Existenz absoluter Zufälle widerspricht dem Prinzip vom zureichenden Grund, denn das besagt ja genau, dass es keine absoluten Zufälle gibt. Ein kausal zufälliges Ereignis, ein Ereignis, das keine Ursache hat, muss dagegen nicht absolut zufällig sein, denn es kann einen rationalen oder einen finalen Grund haben. Zufälligkeit

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in diesem Sinn ist eine ontische Eigenschaft die von Zufälligkeit im Sinn einer Abwesenheit von Erkenntnisgründen zu unterscheiden ist. Scheitert das Kausalprinzip an kausalen Zufallsereignissen, so das Finalitätsprinzip an Ereignissen, die keinen Finalgrund haben. Abgesehen von deterministischen Universen und von Ereignissen, die zeitlos notwendig sind, ihren Grund also in logischen oder naturgesetzlichen Gegebenheiten haben, und abgesehen von endzeitlichen Ereignissen, auf die nichts mehr folgt, lassen sich alle Ereignisse kausal oder final erklären. Daher ist das Prinzip vom zureichenden Grund praktisch gültig. 6) Das Verhältnis von kausaler und finaler Erklärbarkeit Eine kausale Ursache ist nicht von ihrem Beginn an notwendig, die Wirkung ist von ihrem Beginn an notwendig, nicht aber vom Beginn der Ursache an. Die finale „Wirkung“ (E in der Definition F) ist hingegen nicht von ihrem Beginn an notwendig, aber vom Beginn des Finalgrundes an. Der Finalgrund ist nicht vom Beginn der „Wirkung“ an notwendig, von seinem eigenen Beginn an kann er notwendig sein oder auch nicht. Daraus ergibt sich zunächst die Aussage: a) Hat ein Ereignis in einer bestimmten Welt eine Kausalursache, so hat es in dieser Welt keinen Finalgrund und umgekehrt. Man überlegt sich leicht, dass auch gilt: b) Kausalursachen lassen sich manchmal durch ihre Wirkungen final erklären und Final-gründe lassen sich manchmal durch ihre finale Wirkung kausal erklären. c) Jedes nicht von seinem Beginn an notwendige Ereignis, mit dem die Welt nicht endet, lässt sich final erklären. d) In deterministischen Welten gibt es weder kausale noch finale Ursachen. e) Alle von ihrem Beginn an notwendigen Ereignisse, die einmal nicht notwendig waren, lassen sich kausal erklären. f) Weder kausal noch final erklärbar sind genau jene Ereignisse, die schon immer notwendig waren, und endzeitliche Ereignisse (die im letzten Zeitpunkt enden), die nicht von ihrem Beginn an notwendig sind. Abgesehen von Sonderfällen lassen sich also nach (c) kausale Zufälle final erklären. Von „finalen Zufällen“ kann man kaum reden. Das wären ja entweder Ereignisse, die sich nicht final erklären lassen; das sind nach (c) aber im Wesentlichen kausal erklärbare Ereignisse, die wir nicht als zufällig ansehen. Es könnten auch Ereignisse sein, die nach dem, was auf sie folgt, auch anders hätte ausfallen können. Weil nach unserer Voraussetzung Welten sich nur in Richtung Zukunft verzweigen, so dass mit einem Weltzustand auch der gesamte frühere Verlauf der Welt eindeutig festliegt, gibt es keine solchen

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Ereignisse. Das Finalprinzip ist jedoch ebenso ungültig wie das Kausalprinzip; nach (a) schließen sie einander auch aus. 1.5.4 Induktion 1) Induktive Schlüsse Ein induktiver Schluss soll nach verbreiteter Vorstellung so aussehen: 1)

Haben die S-Objekte a1, …, an die Eigenschaft P und ist die Zahl n dieser Objekte hinreichend groß, so haben alle S-Objekte die Eigenschaft P.

David Hume hat jedoch gezeigt, dass solche Schlüsse logisch nicht gültig sind, wie groß „hinreichend groß“ auch sei. Er hat auch angedeutet, dass eine Abschwächung der Konklusion zu einer Wahrscheinlichkeitsaussage nichts hilft: 2)

Haben die S-Objekte a1, …, an die Eigenschaft P, so ist es umso wahrscheinlicher, dass alle S-Objekte die Eigenschaft P haben, je größer die Zahl n ist.

Beide Prinzipien scheitern an Nelson Goodmans Neuem Problem der Induktion: Man kann zu jeder Eigenschaft P und jeder beschränkten Menge M = {a1, …, an} von Objekten eine Eigenschaft P* definieren, so dass P und P* auf M, aber auch nur auf M übereinstimmen. Die Voraussetzungen von (1) und (2) gelten dann auch für P*, die Konklusion kann aber nicht für P und P* zugleich gelten. 2) Subjektive und objektive Wahrscheinlichkeiten110 Das Prinzip der Induktion ist als eine Aussage mit bedingten Wahrscheinlichkeiten zu rekonstruieren. Wir unterscheiden objektive und subjektive Wahrscheinlichkeiten. Die objektive Wahrscheinlichkeit einer Eigenschaft F in einer Folge von Objekten ist zunächst die relative Häufigkeit von F in dieser Folge. Da man in der Wahrscheinlichkeitstheorie aber prinzipiell unendliche, z.B. beliebig fortsetzbare Folgen betrachtet, ist die objektive Wahrscheinlichkeit der Grenzwert der relativen Häufigkeiten. Hat die Folge keinen Grenzwert, so ist keine objektive Wahrscheinlichkeit für F definiert. Da man das endlichen Anfangsabschnitten einer Folge nicht ansehen kann, kann man nur erwarten, dass eine objektive Wahrscheinlichkeit existiert. Eine Theorie objektiver Wahrscheinlichkeiten ist daher ist daher im Rahmen einer Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeiten zu entwickeln. 110 Vgl. dazu auch B30, 2.5.

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Die subjektive Wahrscheinlichkeit w(A) des Sachverhalts A für eine Person ist der Grad der Sicherheit, mit der sie mit dem Bestehen des Sachverhalts A rechnet. Ist sie von seinem Bestehen fest überzeugt, so ist w(A) = 1, ist sie von seinem Nichtbestehen fest überzeugt, so ist w(A) = 0. Dieser metrische Begriff subjektiver Wahrscheinlichkeit ergibt sich durch Metrisierung aus dem komparativen Begriff ‚Das Bestehen von A ist für die Person wahrscheinlicher als das von B‘, d.h. sie rechnet eher damit, dass A der Fall ist als dass B der Fall ist. Erhalten wir neue Informationen, so ändern sich unsere Erwartungen. Man drückt das durch bedingte Wahrscheinlichkeiten aus. w(A, B) ist die Wahrscheinlichkeit von A aufgrund der Information, dass B gilt. Um das Folgende zu vereinfachen, rede ich nur von Objekten, welche die Eigenschaft S haben, und schreibe Pa für ‚Das Objekt a hat die Eigenschaft P‘. Statt (1) erhalten wir dann: IS: Der Grenzwert von w(Pan+1, Prn) ist der Grenzwert von r/n, wenn w regulär ist bzgl. P, und die Ereignisse Pai vertauschbar sind bzgl. w. Die Wahrscheinlichkeit einer Ergebnisfolge, bei der die relative Häufigkeit konvergiert, d.h. die subjektive Wahrscheinlichkeit, dass eine objektive Wahrscheinlichkeit existiert, ist dann 1. Dabei bedeute Prn, dass von den n Objekten a1, …, an r die Eigenschaft P haben. Grob gesagt ist eine Wahrscheinlichkeitsbewertung w regulär bzgl. P-Ereignissen, wenn sie keiner Hypothese über den Grenzwert der relativen Häufigkeit solcher Ereignisse die Wahrscheinlichkeit  0 zuordnet, auch nicht der Hypothese, dass alle betrachteten Objekte die Eigenschaft P haben. Regularität ist also in vielen Fällen ein Postulat der Rationalität: „Schließe nicht von vornherein irgendwelche statistischen Hypothesen aus!“ Diese Bedingung ist daher unproblematisch. Die Ereignisse Pa1, Pa2, … heißen vertauschbar bzgl. w, wenn die Wahrscheinlichkeit w(Pai1 und  … und Pain) nur von der Zahl n abhängt, nicht aber von der Wahl der Objekte ai1, …, ain. Sieht man die Ereignisse Pai als physikalisch unabhängig an, so wird man auch eine Wahrscheinlichkeitsbewertung verwenden, bzgl. derer sie vertauschbar sind. Im Fall der Münze, wo wir annehmen, dass die Resultate verschiedener Würfe einander nicht beeinflussen, wird „Kopf beim i-ten Wurf“ für uns ebenso wahrscheinlich sein wie „Kopf beim k-ten Wurf“ für irgendwelche i und k. Das Induktionsprinzip IS ist ein mathematisches Theorem, das der Begründer der Theorie subjektiver Wahrscheinlichkeit, Bruno de Finetti, bewiesen hat. Es vermittelt kein Wissen, wie das (1) tun sollte. Selbst eine maximale Wahrscheinlichkeit entspricht nur einer Überzeugung, die sich als falsch erweisen kann. Es gibt jedoch keine logische Rechtfertigung für Prophetie, für sichere Voraussagen über Künftiges oder über unbeobachtete Gegenstände.

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3) Lernen aus Erfahrung IS ist ein Prinzip des Lernens aus Erfahrung. Ob wir aufgrund der Erfahrung, dass von den bisher beobachteten S-Objekten alle die Eigenschaft P hatten, mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten können, dass alle S die Eigenschaft P haben, hängt von der Wahrscheinlichkeitsbewertung ab, von der wir ausgehen, und ob wir die fraglichen Ereignisse als vertauschbar ansehen. Unsere Ausgangswahrscheinlichkeiten, die Erwartungen, von denen wir ausgehen, bestimmen also, was wir aus unseren Beobachtungen lernen. Man kann daher sagen: Ohne Vorurteile kein Lernen durch Erfahrung. 1.5.5

Modelle empirischer Erkenntnis

1) Empirismus111 Das erste Modell empirischer Erkenntnis ist der Empirismus. Er sieht in der Erfahrung den einzigen Ursprungs- und Rechtfertigungsgrund all unserer Wissensansprüche bzgl. der physischen Welt. Man unterscheidet Begriffs- und Urteilsempirismus. Der Begriffsempirismus behauptet: BE: Die Begriffe, mit denen wir die Natur beschreiben, sind aus Erfahrung gewonnen. Traditionell verstanden Empiristen den Prozess der Begriffsbildung als Abstraktion. John Locke hat die Abstraktion des Begriffes Mensch so geschildert, dass man von Wahrnehmungen einzelner Menschen ausgeht und von deren Verschiedenheiten absieht, von ihrer Größe etwa, ihrer Haarfarbe, ihrem Alter und Geschlecht. Die Vorstellung eines abstrakten, von allen akzidentellen Eigenschaften freien Menschen soll dann die Allgemeinvorstellung oder der Begriff des Menschen sein. Diese Idee der Produktion eines Begriffes durch Absehen von den unterschiedlichen Eigenschaften seiner Instanzen ist jedoch abwegig. Schon Berkeley hat sich darüber lustig gemacht. Ohne Begriffe zu verwenden, kann man aus Objekten keine Begriffe erzeugen, und man muss Vorstellungen streng von Begriffen unterscheiden. Vorstellungen sind anschaulich, Begriffe nicht, Vorstellungen beziehen sich auf bestimmte Objekte, Begriffe nicht. Es gibt keine Vorstellung eines Menschen, der weder groß noch klein, weder Mann 111 Vgl. dazu B28, Kap.  7. Verschiedene Formen des Empirismus gehen auch von unterschiedlichen Beobachtungssprachen aus. Für den phänomenalistischen Empirismus sind es Sprachen über Empfindungen oder Sinneseindrücke, vgl. 1.3.2, (4). ich erörtere den Empirismus hier nur in seiner normalen Form, in der er von Beobachtungen ausgeht, deren Inhalte physische SV sind.

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noch Frau, weder jung noch alt ist, es gibt nur einen Begriff Mensch, zu dessen Merkmalen weder Bestimmungen der Größe, noch des Geschlechts, noch des Alters gehören. In der Logik versteht man heute unter einer Definition durch Abstraktion den Übergang von einer Äquivalenzrelation zu den Äquivalenzklassen. So kann man z.B. die Richtung einer Geraden als jene Menge paralleler Geraden bestimmen, zu der diese Gerade gehört. Die Vorstellung, dass wir alle empirischen Begriffe aus Beobachtungen gewinnen, ist auch deswegen unhaltbar, weil es ohne sie keine Beobachtungen gibt: Erfahrungen sind anschauliche und begriffliche Auffassungen; Inhalte von Beobachtungen lassen sich nur mit Begriffen bestimmen. Das Zusammenspiel von anschaulicher und begrifflicher Auffassung ist wichtig für ein Verständnis des Verhältnisses von Anschauen und Begreifen: Ich habe oben auf die phänomenalen Komponenten empirischer Begriffe hingewiesen. Ein Begriff wie ‚Hund‘ hat einen anschaulichen, phänomenalen Gehalt: Hunde sind, trotz der Verschiedenheit der Hunderassen, Tiere mit einem gewissen Aussehen und Verhalten, das wir aus vergangenen Beobachtungen kennen und mit dem wir sie anschaulich identifizieren.112 Lassen wir die Idee einer Abstraktion empirischer Begriff aus Beobachtungen fallen, so geht es nur darum, ob man sagen kann, alle empirischen Begriffe ließen sich auf Begriffe zurückführen, mit denen wir die Inhalte einfacher Beobachtungen bestimmen. Zur Erörterung dieser Frage greifen wir auf Carnaps Zwei-Schichten-Modell naturwissenschaftlicher Sprachen aus 1.3.2, (3) zurück. Die empirischen Terme in Beobachtungssätzen, die den Inhalt einfacher Beobachtungen beschreiben, bezeichnet man als Beobachtungsterme. Die Frage ist dann, ob sich alle Terme, die wir in den Naturwissenschaften verwenden, durch Beobachtungsterme definieren lassen. Wie wir sahen, ist das nicht der Fall. Es gibt theoretische Terme wie z.B. ‚Photon‘ und ‚Magnetische Feldstärke‘, die sich nicht durch Beobachtungsterme definieren lassen. Damit ist der Begriffsempirismus widerlegt. Begriffsbildung ist eine kreative Tätigkeit. Der Urteilsempirismus behauptet: UE: Für die Begründung von Behauptungen über die Natur sind Beobachtungen ebenso notwendig wie hinreichend. Das bedeutet: Es gibt keine synthetischen Erkenntnisse a priori der physischen Welt, also keine Erkenntnisse, die, anders als logisch-mathematische Aussagen, etwas über unsere Welt besagen, das sie von anderen möglichen Welten 112 Vgl. dazu Kants Gedanken zu einem Schematismus der Begriffe in der Kritik der reinen Vernunft.

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unterscheidet, die aber nicht auf Erfahrungen beruhen. Der Urteilsempirismus scheitert jedoch an der Theoriebeladenheit der Beobachtungen, von der in 4.4 die Rede war, und an der Abhängigkeit induktiver Schlüsse von Vorurteilen (vgl. 5.4). Nicht nur unsere Theorien, sondern all unsere Annahmen über die physische Welt sind kreative Deutungen, auch die Inhalte unserer Beobachtungen. Wie wir in 1.5.2, (1) sahen, beschreiben Naturgesetze nicht nur die Vorgänge, die sich in unserer Welt abspielen. Gesetzmäßigkeit ist vielmehr eine Art Notwendigkeit. Erfahrungen können aber, wie schon David Hume betont hat, nur Fakten belegen, nur was tatsächlich der Fall ist, nicht aber Notwendigkeiten. Wegen der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit von Naturgesetzen, folgen sie nicht aus Erfahrungen. Die großen Fortschritte der Naturwissenschaften wurden möglich durch die Abkehr von metaphysischen Spekulationen und die Beschränkung auf Erfahrung als Erkenntnisquelle. Auch empirische Erkenntnis ist aber nicht ohne Spekulationen möglich, ohne kreative Hypothesen. Verfehlt war auch die Hoffnung, mit der Beschränkung auf Erfahrung ein unerschütterliches Fundament für die Erkenntnis der Außenwelt zu gewinnen. Um nochmal Frege zu zitieren: „Mit dem Schritte, mit dem wir uns eine Umwelt erobern, setzen wir uns der Gefahr des Irrtums aus.“ 2) Instrumentalismus und Wissenschaftlicher Realismus Aufgrund der Schwierigkeiten mit den Thesen des Urteils- und des Begriffsempirismus haben sich manche Empiristen auf den Instrumentalismus zurückgezogen.113 Der besagt: I: Theorien sind keine Behauptungen über die Natur, die wahr oder falsch sind, sondern nur Instrumente zur Vorhersage von Beobachtungen aufgrund anderer Beobachtungen. Die Gegenthese ist der Wissenschaftliche Realismus: WR: Theorien sind Aussagen über die Welt und als solche wahr oder falsch. Der Instrumentalismus erweist sich als unhaltbar. Er sieht theoretische Konstrukte wie z.B. Quarks oder Gravitationsfelder, die sich direkter Beobachtung entziehen, nicht als real an, für ihn sind sie lediglich nützliche Fiktionen. Diese Position beruht auf dem empiristischen Grundgedanken, dass es einen 113

So schon Berkeley.

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hinreichend klar abgrenzbaren Bereich des direkt Beobachtbaren gibt und entsprechend eine klare Grenze zwischen Beobachtungstermen, deren Sinn durch ihren Bezug auf direkt Beobachtbares unproblematisch ist, und theoretischen Termen. Diese erhalten nur dadurch einen empirischen Sinn, dass sie durch die Prinzipien einer Theorie mit Beobachtungstermen in Beziehung gesetzt werden. Da diese Beziehungen, wie wir gesehen haben, nicht ausreichen, ihren Sinn eindeutig zu bestimmen, und sich theoretische Annahmen auch nicht direkt durch Beobachtungen überprüfen lassen, behauptet man, Erfahrungserkenntnis gehe nicht über das direkt Beobachtbare hinaus und nur Sätze der Beobachtungssprache seien mögliche Inhalte empirischer Erkenntnis. So geht nach dem Instrumentalismus der Aussagegehalt einer Theorie nicht über ihren empirischen Gehalt hinaus, über die Sätze der Beobachtungssprache, die aus ihr folgen. Nicht die Theorie selbst ist eine Behauptung über die Welt, sondern nur die Aussage „Der empirische Gehalt der Theorie ist richtig“. Theoretische Terme dienen nur dazu, den empirischen Gehalt in einfacher Gestalt zu darzustellen. Nun sind Folgebeziehungen nur zwischen Sätzen definiert, die einen Wahrheitswert haben. Wenn sie weder wahr noch falsch wären, wären daher theoretische Aussagen auch als Instrumente untauglich. Manche Empiristen wie Bas van Fraassen behaupten deswegen nur: „Eine Theorie mit theoretischen Termen akzeptieren, heißt nicht, sie insgesamt als wahre Beschreibung der Welt ansehen, sondern nur annehmen, dass sich die beobachtbaren Phänomene so verhalten, als ob sie gelten würde.“ Ziel der Wissenschaften ist nach dieser Auffassung lediglich, die beobachtbaren Phänomene zu beschreiben, nicht sie zu erklären, denn mit Fiktionen kann man keine Fakten erklären. Die Rechtfertigung des wissenschaftlichen Realismus ergibt sich daraus, dass die Unterschiede zwischen direkt und weniger direkt Beobachtbarem nur graduell sind, so dass die Unterschiede zwischen Aussagen der Beobachtungssprache und solchen der theoretischen Sprache nicht die grundsätzliche epistemologische, semantische oder gar ontologische Relevanz haben, die ihnen Instrumentalismus und Empirismus zusprechen. Die Theoriebeladenheit selbst einfacher Beobachtungssätze zeigt, dass sie nicht das feste Fundament der Erkenntnis sind, das der Empirismus in ihnen sieht. Sie zeigt auch, dass beobachtungsmäßige Feststellungen sich oft auf theoretische Überzeugungen stützen. Wir sind nicht nur daran interessiert, mehr oder minder direkt beobachtbare Phänomene zu beschreiben, wir wollen sie auch verstehen, und dazu müssen wir meist hinter das direkt Beobachtbare zurückgehen. Wie die Praxis der Naturwissenschaften zeigt, geraten wir damit nicht schon in den Bereich unkontrollierbarer Spekulationen. Die Einführung der Quarks in der Teilchenphysik zeigt, wie Fiktionen, die sich in der Deutung von Erfahrungen

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bewähren, zu Realitäten werden. Bei ihrer Einführung durch Murray GellMann sah man sie zunächst als bloße Fiktionen an – darauf weist schon der Name hin, ein Kunstwort von James Joyce -, mit denen sich manche Beobachtungen an Elementarteilchen darstellen ließen. Heute jedoch sind sie ein fester Bestandteil der Physik und ihre Annahme hat sich so gut bewährt, dass kein Physiker mehr an ihrer Existenz zweifelt. 3) Kritischer Rationalismus Karl Popper hat in seiner Logik der Forschung (1934) Kritik am Empirismus geübt und ein anderes Bild wissenschaftlicher Forschung entwickelt, den Kritischen Rationalismus. Er geht von Humes Kritik induktiven Schließens aus und entwirft ein nicht fundamentalistisches Modell empirischer Erkenntnis: Wissenschaftliche Arbeit beginnt für ihn nicht mit Beobachtungen, die dann zu Theorien führen, sie beginnt vielmehr mit Theorien. Die ergeben sich nicht aus Beobachtungen, sondern mit ihnen stellen wir Fragen an die Natur, die systematische Experimente erst ermöglichen. Generelle Hypothesen werden zwar im Blick auf vergangene Erfahrungen gebildet, sie sind aber kreative Entwürfe, schöpferische Einfälle, die weit über das hinausreichen, was wir schon wissen. Erkenntnisfortschritt vollzieht sich durch die Widerlegung von Hypothesen durch Beobachtungen, die ihnen widersprechen. Wir lernen aus unseren Fehlern. Besteht die Hypothese den Test, erweist sich ihre Voraussage als richtig, so bewährt sie sich. Daraus folgt nicht, dass sie wahr ist, nicht einmal, dass sie wahrscheinlich ist. Wir halten aber solange an ihr fest, d.h. wir unterziehen sie immer weiteren strengen Tests, bis sie falsifiziert worden ist. Das Bild, das Popper von wissenschaftlicher Arbeit zeichnet, ist in vieler Hinsicht korrekt. Hypothesen sind kreative Entwürfe, die sich nicht aus Beobachtungen ergeben. Wir können Theorien nicht durch Beobachtungen beweisen. Popper überzeichnet aber doch manches. Wir wollen insbesondere nicht erfahren, was nicht der Fall ist – die Masse des Falschen ist ja völlig unerschöpflich -, wir suchen vielmehr nach richtigen Theorien. Aus Theorien allein folgen ferner in der Regel keine Beobachtungsaussagen, Widerlegungen sind daher oft nicht eindeutig. Die Behauptung, die Halbwertszeit von Radium betrage 1620 Jahre, lässt sich z.B. nicht definitiv falsifizieren, denn wenn wir eine große Menge von Radiumatomen untersuchen und nach 1620 Jahren feststellen, dass nur 5% von ihnen zerfallen sind, so widerlegt das unsere Aussagen über die Halbwertszeit nicht, es macht sie nur unwahrscheinlich. Wenn wir uns aber auf Wahrscheinlichkeiten verlassen – und das müssen wir in Ermangelung von Sicherheiten vielfach -, können wir uns aufgrund der Tatsache, dass sich eine Hypothese bei vielen Überprüfungen bewährt hat, auch auf ihre Richtigkeit verlassen. De Finettis Begründung induktiver Prinzipien ist

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an Popper, auch in seinen späteren Arbeiten, völlig vorbei gegangen. Endlich kann man Beobachtungen wegen ihrer Theoriebeladenheit nicht als harten Prüfstein von Theorien ansehen. 4) Wissenschaftliche Paradigmen Der Kritische Rationalismus Poppers ist bald von jenem Modell empirischer Erkenntnis verdrängt worden, das Thomas Kuhn in seinem Buch The Structure of Scientific Revolutions (1962) entwickelt hat. Der zentrale Begriff Kuhns ist der des Paradigmas.114 Darunter versteht er zunächst einfach eine fundamentale Theorie, wie etwa die Evolutionstheorie, die im normalen Wissenschaftsbetrieb nicht mehr Gegenstand, sondern Mittel wissenschaftlicher Untersuchungen ist und lediglich auf neue Bereiche angewendet oder durch Spezialgesetze für gewisse Anwendungsbereiche erweitert wird. Hinzu kommen Hintergrundannahmen, statistische Verfahren, experimentelle Methoden etc. In dem weiteren Sinn, für den wir uns hier interessieren, gehört zu einem Paradigma auch die Sprache, in der es formuliert ist, mit ihrem System von Begriffen, Rationalitätskriterien und Normen wissenschaftlichen Arbeiten. Die These Kuhns ist: Nur in einem Paradigma gibt es Begründungen und eindeutige Beschreibungen von Beobachtungsergebnissen. Damit zieht er die Konsequenz aus der Einsicht, dass aus einer Theorie allein keine Beobachtungen folgen, dass wir immer zusätzliche Voraussetzungen ins Spiel bringen und alle Beobachtungen theoriebeladen sind. Das wird nach Kuhn deutlich, wenn eine Phase normaler Wissenschaft, in der man sich in einem bestimmten Paradigma bewegt, durch eine wissenschaftliche Revolution abgelöst wird, an deren Ende das bisherige Paradigma durch ein anderes ersetzt wird. Als Beispiel führt er den Übergang von der klassischen zur relativistischen Physik an. Bei einer solchen Revolution, sagt er, gibt es keine neutralen Kriterien, mit denen sich eine Entscheidung zwischen der alten und der neuen Theorie, rechtfertigen ließe. Es gibt kein experimentum crucis, denn die Beobachtungen werden von beiden Paradigmen verschieden gedeutet. Es gibt keine gemeinsamen Prämissen, von denen her sich die eine Theorie als falsch erweisen ließe, denn die Paradigmen unterscheiden sich schon in den grundlegenden Annahmen, und nicht bloß im Detail. Die beiden Paradigmen sind inkommensurabel, wie Kuhn sagt. Daher kann man auch nicht behaupten, die Revolution bedeute einen Fortschritt der Wissenschaft, denn die alte Theorie wird nicht durch eine nach neutralen Kriterien

114 Die Bezeichnung „Paradigma“ erklärt sich daraus, dass Kuhn zu Theorien auch gewisse erfolgreiche Anwendungen zählt, die Vorbilder für andere Anwendungen sind.

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bessere ersetzt – solche Kriterien gibt es eben nicht -, sondern einfach durch eine andere. Kuhn vertritt mit vielen Aussagen einen radikalen Relativismus. Er hat zwar in späteren Arbeiten versucht, diesem Vorwurf zu begegnen, hat sich aber nicht zu einer klaren Revision durchgerungen. Für ihn bleibt eine Kritik eines Paradigmas immer nur vom Boden eines anderen aus möglich, das sich aber nicht als besser erweisen lässt. Wir bewegen uns immer im Rahmen gewisser Vorurteile. Von welchen wir ausgehen, hängt letztlich von äußeren, insbesondere sozialen und geschichtlichen Bedingungen ab. Es bleibt uns meist gar nichts anderes übrig, als jenes Paradigma zu übernehmen, das in unserer sozialen oder beruflichen Umgebung gerade in Geltung ist. Von zwei konkurrierenden Paradigmen setzt sich bei einer wissenschaftlichen Revolution nicht das nach objektiven Kriterien bessere durch – solche Kriterien gibt es ja nicht -, sondern jenes, das eine wirkungsvollere Propaganda entfaltet. Ein neues Paradigma obsiegt nicht dadurch, dass die Anhänger des alten mit vernünftigen Gründen überzeugt werden, sondern dass sie aussterben. Diese Behauptungen sind Übertreibungen: Seine Kritik am Bewährungsbegriff Poppers reicht nicht aus, um Bewährung als Kriterium für eine rationale Kontrolle von Paradigmen zu diskreditieren, selbst wenn Bewährung keine Sache ist, die sich so einfach beurteilen lässt, wie Popper das dargestellt hat. Kuhn unterscheidet nicht zwischen Theoriebeladenheit und Theorieabhängigkeit von Beobachtungen. Die Theoriebeladenheit unserer Erfahrungen ist nicht so stark, dass es keine Beobachtungen gäbe, in denen Vertreter konkurrierender Theorien übereinstimmen. Es hat nie Paradigmen gegeben, in deren Licht die Leute beobachtet hätten, dass Pferde nur drei Beine haben. Es gibt keine relevanten wissenschaftlichen Paradigmen, die gegenüber aller Erfahrung immun wären. Ein Paradigma sagt uns, wie wir Experimente anstellen sollen und was wir für ihren Ausgang zu erwarten haben, es legt eine Deutung der Experimente nahe, determiniert sie aber nicht. Eine Theorie hat ja nur dann einen empirischen Gehalt, wenn sie nicht immun gegenüber Erfahrungen ist. Determiniert ein Paradigma die Erfahrungen, die wir in seinem Lichte machen, in dem Sinn, dass es schon festlegt, dass die Beobachtungen das Paradigma immer nur bestätigen, so ist es immun. Dann ist es aber auch mit jeder Beschaffenheit der Welt verträglich, besagt also nichts über sie. Obwohl es keine Beobachtungsaussagen gibt, die von allen hypothetischen Elementen frei wären, unterscheiden wir ferner doch zwischen Tatsachen und ihren Deutungen. Diese Unterscheidung ist zwar nicht scharf, auch graduelle Unterschiede sind aber Unterschiede. Selbst wenn sich ein klassischer und ein

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relativistischer Physiker in der Deutung von Experimenten unterscheiden, gibt es doch gewisse Beschreibungen der Ergebnisse, in denen beide übereinstimmen. Über den Ausschlag eines Messinstruments z.B. streiten sie nicht, nur darüber, was daraus zu folgern ist. Sie waren sich sogar einig in der Bewertung des Michelson-Experiments, das die gleiche Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts in allen Richtungen von der Erde aus nachwies. Man war sich einig, dass die Relativitätstheorie gewisse Phänomene einfacher erklären kann als die klassische Physik. Die Ablenkung von Lichtstrahlen in der Nähe der Sonne war eine Feststellung, die nicht durch die allgemeine Relativitätstheorie determiniert war, sondern ein echter Test, bei dem sie hätte scheitern können. Bei wissenschaftlichen Revolutionen handelt es sich ferner in der Regel nicht um eine vollständige Preisgabe des alten Paradigmas, sondern nur um eine Veränderung von Teilen. Zu einer radikal neuen Weltsicht kann man nicht so leicht übergehen. Was wir in der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte beobachten, ist ein partieller Wandel von Paradigmen, wobei durch wiederholte Wandlungen natürlich auch starke Modifikationen entstehen können. Wenn danach selbst bei Revolutionen jeweils ein großer Teil des alten Paradigmas in Geltung bleibt, kann es auch konstante Rationalitätskriterien geben, mit denen sie sich rechtfertigen lassen. Kuhn weist in seinen wissenschaftsgeschichtlichen Analysen keinen einzigen Fall auf, in dem es nicht gute, wenn auch keineswegs zwingende Gründe dafür gab, die alte Theorie durch die neue zu ersetzen. Seit der Antike sind ferner klassische Logik und Mathematik in Geltung geblieben. Endlich können zwei Theorien nicht zugleich unverträglich sein, also konkurrierende Beschreibungen der Natur, und inkommensurabel. Sind sie unverträglich, so gibt es mindestens einen Satz A, der in beiden Theorien denselben Sinn hat, so dass aus der einen A, aus der anderen aber nicht-A folgt. Sind sie hingegen unvergleichbar, so sind die Aussagen, die aus ihnen folgen, sinnverschieden und können sich daher nicht widersprechen. Auch das Kuhnsche Modell empirischer Erkenntnis ist daher zu einfach, um die komplexen Prozesse deutlich zu machen, in denen die wir unsere Vorstellungen von der Welt bilden, die Prozesse der Anpassung von Erfahrung und Hypothese, von Beobachtung und Theorie. Die Bildung von empirischen Begriffen und Theorien ist eine kreative Leistung, und kreative Prozesse lassen sich nicht durch Regeln beschreiben. Wir können dabei in die Irre gehen, insgesamt waren wir aber doch recht erfolgreich, wie die große Zahl nützlicher technischer Anwendungen naturwissenschaftliche Theorien belegt.

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1.5.6 Geisteswissenschaften Verschiedene Autoren zählen unterschiedliche Disziplinen zu den Geisteswissenschaften. Die heutige Psychologie versteht sich z.B. als Naturwissenschaft, noch in meiner Studienzeit gab es aber in München eine geisteswissenschaftliche Psychologie, die von P. Lersch vertreten wurde. Ich habe hier als Geisteswissenschaften die historischen Wissenschaften im Auge, sowohl die politische Geschichte wie die Kulturgeschichte, insbesondere die Geschichte von Recht, Moral, Religion und Kunst. In diesen Wissenschaften geht es, pauschal gesagt, um die Erforschung von menschlichen Handlungen und Werken. Geisteswissenschaften gibt es, vor allem als Politische und als Literaturgeschichte, seit der Antike, in unseren Universitäten haben sie sich aber zumeist erst im 19. Jh. als eigene Disziplinen etabliert und ihre methodische Eigenart gegenüber den Naturwissenschaften betont. Um diese Eigenart geht es in diesem Abschnitt. W.  Dilthey hat den Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften so bestimmt, dass sich die letzteren um eine Erklärung der Phänomene bemühen, die Geisteswissenschaften hingegen um ein Verständnis. Im normalen Sinn besteht jedoch kein Gegensatz zwischen Erklären und Verstehen: Eine Erklärung vermittelt ein Verstehen, und wer etwas versteht, kann es auch erklären. Man wird besser sagen, in den Geisteswissenschaften gehe es um andere Formen des Verstehens und Erklärens als in den Naturwissenschaften. Für Handlungen gibt es keine kausalen Erklärungen, bei ihnen bemühen wir uns um ein rationales Verstehen, ein Verstehen aus der Absicht und aus Gründen des Agenten.115 Bei Werken geht es vor allem um ein Sinnverstehen. Davon war in 1.5.1 nicht die Rede. Bei sprachlichen Äußerungen z.B., unterscheiden wir den Akt der Äußerung von ihrem Ergebnis, dem Geäußerten. Rationales Verstehen ist für den Akt zuständig und will klären, in welcher Absicht der Sprecher die Äußerung getan hat. Geht es dagegen um das Ergebnis, die Aussage, die von verschiedenen Sprechern zu verschiedenen Zeiten geäußert werden kann, so geht es um ihren Sinn. Dabei kann man den Sinn, den der Sprecher damit verbindet, von dem Sinn unterscheiden, den sie für den Hörer hat. So haben z.B.  die  Aussagen von Ödipus in der Tragödie von Sophokles für die Zuschauer einen anderen Sinn als für ihn selbst, bevor ihm klar wird, dass er seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet hat. Das zentrale Thema der Geisteswissenschaften ist jedoch der objektive, allgemeine Sinn des Werkes. Bei sprachlichen Aussagen ergibt er sich nicht nur aus Vokabular und Grammatik der verwendeten Sprache, sondern oft auch aus der Situation der Äußerung. Diesen Sinn erklärt man, indem man ihn auslegt. 115 Vgl. 1.5.1.

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Sinnverstehen wird also durch die Erklärung von Bedeutungen vermittelt und durch Interpretationen. W.  Windelband hat die Naturwissenschaften als nomothetische Wissenschaften von den Geisteswissenschaften als idiographischen Wissenschaften unterschieden. Auch die Naturwissenschaften interessieren sich freilich für besondere Gegenstände und Erscheinungen wie die Sonne und ihre Strahlung oder die Eruption eines bestimmten Vulkans vor 10 Millionen Jahren. Man wird sich daher besser wieder auf Erklärungen beziehen und sagen, das deduktiv-nomologischen Modell naturwissenschaftlicher Erklärung spiele in den Geisteswissenschaften kaum eine Rolle; sie erklären die Erscheinungen nicht mit Gesetzen. Ziel naturwissenschaftlichen Verstehens ist es, Einzelfälle auf generelle Gesetze zurückzuführen, eine Interpretation z.B. von Pieter Breughels d. Ä. „Blindensturz“ (Neapel, Museum Capodimonte) will dieses Werk hingegen nicht auf generelle Gesetze des Entstehens von Gemälden zurückführen oder in ihm nur ein Exemplar der niederländischen Malerei des 16. Jh. sehen, ihr geht es gerade um dieses besondere Werk, um das, was das Bild auf eine ganz eigene Weise ausdrückt. Man kann also sagen, Thema der Geisteswissenschaften sei das Verstehen des Sinns konkreter, geschichtlicher Handlungen und Vorgänge und des geistigen Gehalts konkreter menschlicher Werke. Diese generelle Aussage ist freilich wenig informativ, zumal sich die Art der Interpretation in den verschiedenen Geisteswissenschaften erheblich unterscheidet. Am besten lässt sich die Arbeit der Geisteswissenschaften durch einzelne Interpretationen verdeutlichen. Vgl. dazu den Abschnitt 1.9.5.116 Auf die Idee einer Hermeneutik als Kunstlehre der Interpretation will ich hier nicht eingehen. Eine solche Lehre müsste für verschiedene geisteswissenschaftliche Disziplinen ganz verschieden aussehen. Interpretieren ist zudem eine Kunst, die sich nicht auf Regeln bringen lässt und die neben den einschlägigen Kenntnissen vor allem ein offenes Auge für die Phänomene erfordert, einen entsprechenden geistigen Horizont und die Fähigkeit, auch so flüchtige Phänomene wie Gefühle, Stimmungen und Weltanschauungen in Worte zu fassen. Wichtiger ist die Frage, ob es für Interpretationen ein Richtig und Falsch gibt und hinreichend genaue Kriterien für Richtigkeit. Dazu muss man sich zunächst einmal klar machen, dass es inhaltlich ganz verschiedene Interpretationen z.B. eines Dramas geben kann, die alle zutreffend sind. Kunstwerke sind konkret, und alles Konkrete lässt sich unter vielen verschiedenen Aspekten richtig beschreiben. Eine Fehlinterpretation z.B. eines Texts findet in dessen Wortlaut keine hinreichende Stütze. So wäre eine Deutung von Goethes „Um Mitternacht“ als soziale Anklage offensichtlich verfehlt. Unter 116 Vgl. a. B12, Kap. 4-6.

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den vielen richtigen Beschreibungen eines Gemäldes gibt es unterschiedlich informative. Die informativen Interpretationen unterscheiden sich ferner im Maß, in dem sie dem Sinn des Kunstwerks gerecht werden. Unter dem Sinn wird man dabei nicht das verstehen, was der Autor damit gemeint hat, obwohl auch das für eine Interpretation wichtig sein kann, sondern die Bedeutung für den Betrachter oder Hörer. Eine gute Interpretation lässt uns ein Kunstwerk besser und tiefer erleben: besser sehen bzw. hören und bedeutsamer werden. 1.6

Logik und Philosophie der Mathematik

Ich will in diesem Kapitel auf einige Themen der Logik eingehen, zu denen ich etwas beigetragen habe.117 Das sind die WxT-Rahmen zur Darstellung einer Kombination von Modal- und Zeitlogik, die Handlungstheorie, die modale Stufenlogik und meine konzeptualistische Auffassung abstrakter Gegenstände. Ich verwende im Folgenden übliche logische und mathematische Symbole. 1.6.1

Mögliche Welten

1) Modallogik Eine Logiksprache S wird in zwei Schritten aufgebaut: In der Syntax werden die Grundzeichen angegeben, und Regeln, wie aus ihnen wohlgeformte Ausdrücke von S gebildet werden, insbesondere Namen, Prädikate und Sätze. In der Semantik werden den wohlgeformten Ausdrücken Bedeutungen zugeordnet. Eine extensionale Logik wie die elementare Prädikatenlogik wird über einer Menge U von Objekten, dem universe of discourse, interpretiert. Einem Namen ordnet man ein Objekt zu, das er bezeichnet, einem n-stelligen Prädikat, d.h. einem Prädikat mit n Argumenten, einen Umfang, also eine Menge von n-Tupeln (von n-gliedrigen Folgen) aus Objekten aus U, auf die es zutrifft, und einem Satz einen Wahrheitswert, „wahr“ oder „falsch“. Solche Bedeutungen heißen Extensionen. Als sprachliche Operatoren bezeichnet man Ausdrücke, mit denen wir aus einem oder mehreren wohlgeformten Ausdrücken einen neuen wohlgeformten Ausdruck erzeugen können. So lässt sich mit „hustet“ aus einem Namen für eine Person, z.B. „Max“, der Satz „Max hustet“ bilden, mit „nicht“ kann man aus einem Satz ein neuen Satz bilden (seine Negation) und mit „Es ist möglich, dass“ aus „Es regnet“ den Satz „Es ist möglich, dass es regnet“. Die Ausdrücke, aus denen sich mit einem Operator ein wohlgeformter Ausdruck 117 Zu meinen Arbeiten zum natürlichen Schließen vgl. A3, A6, A8, B11.

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bilden lässt, nennen wir seine Argumente. Als extensional bezeichnet man einen Operator, bei dem die Extension des mit ihm erzeugten Ausdrucks nur von den Extensionen der Argumente abhängt. „Hustet“ und „nicht“ sind extensional, „Es ist möglich, dass“ hingegen nicht, denn nehmen wir an, es handle sich um Möglichkeit im logischen Sinn und der Satz „Es regnet“ sei falsch, dann hat er dieselbe Extension wie der Satz „2+2 = 5“, dennoch ist „Es ist möglich, dass es regnet“ wahr, „Es ist möglich, dass 2+2 = 5 ist“ hingegen falsch. Eine Semantik, die den wohlgeformten Ausdrücken nur Extensionen zuordnet, kann daher nichtextensionale Operatoren nicht korrekt interpretieren. Zu ihrer Deutung hat zuerst Rudolf Carnap die Semantik möglicher Welten eingeführt. Eine mögliche Welt ist weder ein ferner Kosmos noch eine reale Parallelwelt, sondern unsere Welt, wie sie aussehen würde, wenn in der Vergangenheit dies und das anders gelaufen wäre oder in der Zukunft dies und das anders laufen würde als es tatsächlich laufen wird. Als Universum bezeichnet man eine Menge möglicher Welten. Sprachliche Ausdrücke können in verschiedenen Welten unterschiedliche Extensionen haben. Der Satz „Max ist am 4.12.1908 geboren“ wird z.B. in machen Welten wahr, in anderen hingegen falsch sein. Das Prädikat „Altbundeskanzler“ wird in verschiedenen Welten einen verschiedenen Umfang haben. Auch der Name „Der Mörder von John Kennedy“ kann in verschiedenen Welten verschiedene Personen bezeichnen. Der Gedanke Carnaps war nun, Intensionen als Näherungen für sprachliche Bedeutungen durch Bezugnahme auf mögliche Welten zu erklären: Die Intension eines Ausdrucks ist jene Funktion, die jeder Welt w die Extension des Ausdrucks in w zuordnet. Die Intension eines Namens ordnet also jeder Welt w jenes Objekt zu, das der Name in w bezeichnet, die Intension eines Prädikats ist jene Funktion, die jeder Welt w die Extension dieses Prädikats in w zuordnet, und die Intension eines Satzes ist jene Funktion, die jedem w den Wahrheitswert des Satzes in dieser Welt zuordnet. Man kann auch sagen: Die Intension des Satzes A ist die Menge der Welten aus W, in denen A wahr ist. Da die Intension eines Satzes eine Näherung für den SV ist (oder die Proposition – ich unterscheide hier nicht zwischen beiden), den A ausdrückt, kann man SV in dieser Näherung durch Mengen von Welten darstellen. Im Rahmen möglicher Welten hat man Systeme modaler, deontischer und epistemischer Logiken entwickelt,118 Logiken für Gebote und für Glaubens- und Wissensbegriffe. Mit solchen Systemen befasst sich die Philosophische Logik. Ihr geht es um präzise Regeln für den Gebrauch von Wörtern wie „glauben“ oder „notwendig“. In  1.2.1, (6) und 1.3.1, (5) habe ich von einem rationalen 118 Vgl. dazu B8.

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Glaubensbegriff gesprochen. Der wird semantisch so bestimmt: Die Person P glaubt in der Welt w, dass der SV X besteht gdw. die Menge Sw aller Welten, die P in w für möglich hält, denen P also eine, wenn auch noch so geringe positive subjektive Wahrscheinlichkeit zuordnet, in X enthalten ist. Die am meisten diskutierte Logik ist die Modallogik, die Logik der Operato­ ren Notwendig und Möglich. Schreiben wir N(A) für „Es ist notwendig, dass A“, so interpretiert man diesen Satz, indem man jeder Welt w eine Menge Rw von Welten, die Menge der von w aus gesehen möglichen Welten, zuordnet. Es soll dann N(A) in der Welt w wahr sein gdw. A in allen Welten aus Rw wahr ist. Für die Mengen Rw legt man Bedingungen fest. Generell soll gelten w∈Rw – Notwendigkeit soll ja Wahrheit implizieren –, es gibt aber verschiedene Systeme der Modallogik, die sich in ihren Bedingungen für die Funktion Rw unterscheiden. Im stärksten System S5 gilt w‘∈Rw impliziert Rw‘ ≡ Rw. Daraus folgt z.B.: Ist es möglich, dass der SV X besteht, so ist das notwendigerweise möglich. Dass A möglich ist kann man durch nicht-N(nicht-A) definieren. Für die Wissenschaftstheorie ist insbesondere auch die Logik von Konditionalsätzen von Interesse. 2) Eine Kombination von Modal- und Zeitlogik Für die Analyse vieler normalsprachlicher Sätze und Argumente ist eine Kombination von Modal- und Zeitlogik nützlich.119 Jede Welt w befindet sich in jedem Zeitpunkt t in einem Zustand w(t). Ich will diese Schreibweise verwenden, die eigentlich darauf beruht, dass man Welten als Funktionen ansieht, welche die Menge T aller Zeitpunkte in eine Menge von Weltzuständen abbildet, obwohl ich von WxT-Universen ausgehe. D1: Ein WxT-Universum besteht aus einer nichtleeren Menge W von Welten, einer nichtleeren Menge T von Zeitpunkten, auf der < als Ordnung des Früherseins definiert ist. Auf W ist für alle t∈T eine Äquivalenzrelation ~t definiert, für die gilt: Ist w ~t w’ und t’ < t, dann w ~t’ w’. w ~t w’ besagt, dass die Welten w und w‘ im Zeitpunkt t übereinstimmen, sich im gleichen Zustand befinden. Die Bedingung für w ~t w’ besagt, dass sich Welten nur in Richtung Zukunft verzweigen; ein Weltzustand kann also immer nur auf eine Weise entstanden sein. Oft wird man annehmen, dass alle Welten eines Universums miteinander verbunden sind, so dass es für zwei Welten w und w‘ immer einen Zeitpunkt t gibt mit w ~t w’. Weltzustände, die ich als w(t) bezeichnet habe, kann man 119 Vgl. z.B. A39 sowie A93.

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als Äquivalenzklassen zur Äquivalenzrelation (w, t) ≈ (w‘, t‘) gdw. t = t‘ und w~tw‘ einführen. Es ist auch praktisch, sich auf Verzweigungen von Welten zu beschränken, für die es einen letzten Punkt der Übereinstimmung gibt. Ein Satz A ist in einem solchen Universum wahr in einer Welt w∈W zu einem Zeitpunkt t∈T, man kann auch sagen: wahr in (w, t). Der SV, den A ausdrückt – ich schreibe dafür [A] – ist also eine Teilmenge von W×T, dem Produkt der Mengen W und T. [A]t sei die Menge der Welten w‘ mit (w‘, t)∈[A], d.h. die Menge der Welten, in denen A in t wahr ist. Ist W(w, t) die Menge der Welten w‘ mit w ~t w’ (also w‘(t) = w(t)), so kann man eine zeitabhängige Notwendigkeit N(A) einführen, indem man festsetzt, dass N(A) in (w, t) wahr ist gdw. W(w, t) in [A]t enthalten ist. Das ist eine Notwendigkeit vom Typ S5.120 3) Handlungslogik121 Um im Rahmen eines WxT-Universums Handlungsmöglichkeiten von Agenten darzustellen, führen wir eine endliche Menge G = {g1, …, gn} von Agenten ein. Dazu rechne ich auch Mutter Natur, die für Zufallsereignisse zuständig ist. Ich definiere Handlungen über Strategien. Jedem Agenten g wird in jeder Welt w zu jedem Zeitpunkt t eine Menge S(g, w, t) von ihm möglichen Strategien zugeordnet, eine Menge von Mengen von Welten, für die gelten soll: D2: Strategien 1) Ist w‘∈W(w, t), so ist S(g, w, t) = S(g, w’, t). 2) Ist X∈S(g, w, t), so ist X eine nichtleere Teilmenge von W(w, t). 3) Sind X und Y mögliche Strategien aus S(g, w, t), so ist X = Y oder der Durchschnitt von X und Y ist leer. 4) W(w, t) ist Teilmenge der Vereinigung alle Elemente von S(g, w, t). 5) Ist X1∈S(g1, w, t) und … und Xn∈S(gn, w, t), so ist der Durchschnitt der Mengen X1, …, Xn nicht leer. 6) Ist w‘∈W(w, t) und t < t‘, so gibt es Strategien X1∈S(g1, w, t) und … und Xn∈S(gn, w, t), deren Durchschnitt mit W(w‘, t‘) nicht leer ist. 7) Ist w‘∈W(w, t) und t < t‘, so ist S(g, w‘, t‘) die Menge der nicht leeren Durchschnitte von W(w‘, t‘) mit Elementen von S(g, w, t). Erläuterungen: Die Strategien sind maximal spezifische Verfahrensweisen, die evtl. unendlich sind, falls T unendlich ist. (1) Die Strategien von g in w und t hängen nur vom Weltzustand w(t) ab. (2-4) Die Menge S(g, w, t) der möglichen 120 Für eine vollständige Aussagenlogik für die WxT-Logik vgl. A60, für eine vollständige Prädikatenlogik s. Wölfl (2004). 121 Vgl. A38, A49 und A92, A93, A100.

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Strategien des Agenten g ist eine Einteilung der Menge aller noch möglichen Welten, d.h. von W(w, t). Aus formalen Gründen lasse ich auch zu, dass S(g, w, t) als einzige Alternative die Menge W(w, t) enthält. Das ist keine echte Strategie, echte Wahlmöglichkeiten hat g nur, wenn ihm mindestens zwei verschiedene Strategien möglich sind. (5) g kann jede seiner Strategien verfolgen, unabhängig davon, was die anderen tun; niemand kann von anderen an der Realisierung einer Strategie seiner Wahl gehindert werden. (6) Alle Agenten zusammen können den weiteren Weltverlauf bestimmen. Die Menge G soll also alle Agenten enthalten, die einen Einfluss darauf haben, wie es nach w, t weitergeht. (7) Die möglichen Strategien von g messen sich an seinen späteren Möglichkeiten. Ein Agent kann jetzt nur eine Strategie vollziehen, die einschließt, dass er morgen eine bestimmte Alternative wählt, wenn er die morgen auch wirklich hat. Handlungen sind endliche Vereinigungen von Strategien. Sie können also für manche Zeitpunkte nur festlegen, dass der Agent eine von mehreren Strategien verfolgt. Ist also H(g, w, t) die Menge der Handlungen, die g in w, t möglich sind, so gilt: D3: X∈H(g, w, t) gdw. es Elemente von S(g, w, t) gibt, deren Vereinigung X ist, und es für alle w‘∈X ein t‘ mit t < t’gibt, so dass W(w‘, t‘) Teilmenge von X ist. Mit den Mengen H(g, w, t) lassen sich wichtige Begriffe der Handlungslogik definieren. Die Buchstaben A, B, … stehen für SV, d.h. Teilmengen von WxT, X, Y, … für Mengen von Welten. At sei die Menge der Welten, in denen A in t besteht. D4: a) Es ist g in w, t möglich, X zu tun gdw. X∈H(g, w, t). b) g vollzieht in w, t die Handlung A gdw. At∈H(g, w, t) und w∈At . c) g bewirkt in w, t, dass A, gdw. es ein X∈H(g, w, t) gibt mit w∈X, das Teilmenge von At ist, während W(w, t) nicht Teilmenge von At ist. d) g unterlässt es in w, t, A zu tun gdw. At∈H(g, w, t) und nicht w∈At. e) g verhindert A in w, t gdw. g bewirkt in w, t, dass A nicht in t eintritt. Handlungen von Gruppen {gi1, …, gim} von Agenten aus G, werden üblicherweise als Kombinationen von individuellen Handlungen definiert: D5: H({gi1, …, gim}, w, t) ist die Menge aller Durchschnitte von Handlungen X1∈A(gi1, w, t) und … und Xm∈A(gim , w, t).

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In den Gruppen stimmen die Agenten ihre Handlungen im Blick auf ein gemeinsames Ziel ab, tun dabei aber, was sie auch unabhängig von den anderen tun können. Das entspricht für individuelles Handeln D2, (5). Es gibt aber auch Fälle, in denen die Alternativen der Individuen von dem abhängen, was die anderen tun. Dazu zwei Beispiele: 1) Die ruritanische Gefängniszelle In Ruritanien sind die Gefängniszellen für zwei Personen so eng, dass sie nur Platz für eine Person zum Sitzen und für eine Person zum Stehen bieten. Sind Max und Fritz die Insassen einer solchen Zelle, so hat keiner von ihnen eine echte Alternative; keiner kann sitzen oder stehen, egal, was der andere tut. Eine echte Alternative – dass Max sitzt und Fritz steht, oder dass Max steht und Fritz sitzt – haben sie nur zusammen. Die kollektiven Alternativen ergeben sich hier nicht aus den individuellen. 2) Die Hochspitze Zwei Bergsteiger können von ihrem Lager aus entweder jeweils für sich einen Nebengipfel der Hochspitze, den Sonnenkrott besteigen, oder als Seilschaft zusammen die Hochspitze. Jeder der beiden hat also zwei unabhängige Alternativen – im Lager bleiben oder auf den Sonnenkrott gehen -, zusammen haben sie aber eine zusätzliche Alternative, die Hochspitze, die sich nicht aus ihren individuellen Möglichkeiten ergibt. Solche Fälle sprechen dafür, von vornherein von Systemen von kollektiven Handlungsmöglichkeiten von Gruppen auszugehen, die sie relativ zu Koalitionen unter den anderen Agenten haben. Solche Systeme werden weitgehend in Analogie zu D3 definiert. Ich will darauf hier nicht eingehen, um den formalen Aufwand zu beschränken. 1.6.2

Eine modale Stufenlogik

1) Der Grundgedanke Aus der konzeptualistischen Auffassung abstrakter Gegenstände, auf die ich in 6.4 eingehe, ergibt sich eine Hierarchie dieser Gegenstände. Wenn man die nicht beachtet, treten Widersprüche auf. Das gilt auch für die Semantik möglicher Welten. Es sei W eine Menge möglicher Welten. Fassen wir Propositionen als Mengen von Welten auf, so ist P(W), die Potenzmenge von W (die Menge aller Teilmengen von W), die Menge möglicher Propositionen über W oder auch die Menge möglicher Eigenschaften von Welten, extensional verstanden, d.h. als Begriffsumfänge. P(P(W)) ist die Menge möglicher Eigenschaften von Propositionen über W. Nach dem Satz von Cantor, dass die Potenzmenge einer

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Menge immer von höherer Mächtigkeit ist als diese, kann nicht jede Eigenschaft von Propositionen, d.h. nicht jede Teilmenge X von P(W), einer Eigenschaft von Welten entsprechen, d.h. einer Teilmenge S(X) von W, denn sonst erhielten wir für R = {S(X): S(X)∉X}: S(R)∈R gdw. nicht (S(R)∈R). Dieser Widerspruch entspricht der Antinomie von Russell. Das ist auch der Grundgedanke des Dimensionsarguments, von dem in 1.2.1, (6) und 1.3.1, (5) die Rede war. 2) Doxastische Paradoxien Beispiele für Paradoxien, die sich aus der Missachtung dieser elementaren Tatsache ergeben, findet man z.B. in der doxastischen Logik, der Logik des Glaubens. In der Welt w in einem Zeitpunkt t von einer Person p geglaubt zu werden, ist eine Eigenschaft Gw von Propositionen über W oder extensional verstanden: eine Teilmenge von P(W). Diese Eigenschaften können nach der Überlegung in (1) nicht Eigenschaften von Welten aus W sein. Sehe ich die Gw als Mengen von Propositionen an, entspricht das einem deskriptiven Glaubensbegriff, für den keine logischen Gesetze gelten. In der doxastischen Logik betrachtet man dagegen einen rationalen Glaubensbegriff, nach dem mit einer Proposition nicht auch ihre Negation geglaubt werden kann und mit jeder Proposition auch alle Propositionen geglaubt werden, die daraus folgen. Davon war schon in 1.3.1, (5) die Rede. Dann lässt sich die Menge Gw von Propositionen durch eine einzige Proposition Sw ersetzen. Für die Mengen Sw fordert man entsprechend ∅ ≠ Sw ⊆W und eine Proposition X ⊆ W wird in w (von p in t) genau dann geglaubt, wenn gilt Sw ⊆ X. Setzt man R = {w: w∉Sw}, so ergibt sich aus der Annahme (a): Für alle X mit ∅ ≠ X ⊆ W gibt es ein w mit Sw = X, d.h. für alle solche Propositionen X ist es möglich, dass p in t genau das glaubt, was aus X folgt, ein Widerspruch. Es gibt dann eine Welt w* mit Sw* = R, also w*∈R gdw. w*∉R. Eine andere Version dieser Paradoxie ergibt sich aus der Annahme (b): Es ist möglich zu glauben, dass nicht alles wahr ist, was man glaubt. R = {w: w∉Sw} ist die Proposition, dass nicht alles richtig ist, was geglaubt wird. Ist es möglich, dass das geglaubt wird, so gibt es wieder eine Welt w* mit (c) Sw* ⊆ R. Nun gilt aber für die doxastische Logik w‘∈Sw ⊃ Sw‘ = Sw. (Das ergibt sich aus dem Prinzip, dass man sich nicht darüber täuschen kann, ob man etwas glaubt oder nicht.) Daraus folgt mit (c): w∈Sw* impliziert w∉Sw*, es gibt also keine Welt, in der geglaubt wird, dass nicht alles, was man glaubt, richtig ist. Diese Paradoxien ergeben sich daraus, dass man Glaubenshaltungen für Propositionen über W betrachtet, aber nicht beachtet, dass das Eigenschaften von solchen Propositionen sind. Um sie darzustellen, braucht man also mehr Welten als W sie enthält. Es gibt mehr Glaubenshaltungen, die sich auf Propositionen über W beziehen, als Welten in W. Wenn man von Welten redet, in denen das und das geglaubt wird, muss man also für einen rationalen

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Glaubensbegriff aus Dimensionsgründen W zu V = W×(P(W) – {∅}) erweitern, zu einer Menge von Welten, die Paare von Welten aus W und nichtleeren Teilmengen von W sind. (v)1 sei das erste, (v)2 das zweite Glied einer Welt v∈V. Es ist dann Sv = (v)2. In V gibt es zu jeder Welt w∈W so viele Welten v mit demselben (v)1 wie es Elemente von P(W) – {∅} gibt. Ist nun R* = {v: (v)1∉Sv}, so gilt nicht R* ⊆ W. R* ist also kein Glaubensinhalt der betrachteten Art, keine Teilmenge von W, kein mögliches (v)2 für ein v∈V.  Man kann natürlich auch Glaubensinhalte betrachten, die Teilmengen von V sind, aber dann wiederholt sich das Spiel und man muss zu einer noch größeren Menge von Welten übergehen. Für einen deskriptiven Glaubensbegriff muss man W erweitern zu W×(P(P(W))), denn in jeder Welt w aus W kann eine andere Menge von Propositionen über W geglaubt werden. 3) Die Paradoxie von David Kaplan David Kaplan hat eine Paradoxie angegeben, die eng mit den gerade erörterten verwandt ist.122 Er widerlegt die plausible Annahme, es gebe eine Eigenschaft E von Propositionen p, q, … wie z.B. (im deskriptiven Sinn) geglaubt zu werden, für die gilt: ∀X(X⊆W ⊃ ∃w∀Y(Y⊆W ⊃ Gw = {Y}). Für einen rationalen Glauben ist das die obige Annahme (a): ∀X(∅ ≠ X ⊆ W ⊃ ∃w(Sw = X)). Auch Kaplan ging es darum, dass es zu jeder Menge W von Welten Eigenschaften von Propositionen über W gibt, die sich nicht als Eigenschaften von Welten darstellen lassen. Das ist aber kein merkwürdiger Mangel der Semantik möglicher Welten, wie Kaplan es darstellt, sondern ergibt sich einfach aus den Grundtatsachen der Mengenlehre. 4) Die Paradoxie von Frederic Fitch Frederic Fitch hat folgende Paradoxie angegeben:123 Ist es für jeden bestehenden Sachverhalt p möglich, dass er einmal erkannt wird, so wird jeder bestehende Sachverhalt einmal erkannt. p, q, … seien wieder SV, K(p) stehe für die Eigenschaft, einmal von jemandem als wahr erkannt zu werden, und M für Möglichkeit. Dann lautet die Behauptung von Fitch: *) ∀p(p ⊃ MK(p)) ⊃ ∀p(p ⊃ K(p)). Das ist natürlich Unsinn. Der Beweis von Fitch sieht so aus: Angenommen 1) ∀p(p ⊃ MK(p)) . Nimmt man im Widerspruch zu (*) auch an 2) ∃p(p ∧¬K(p)), so ergibt sich ein Widerspruch. Denn ist q ein solches p, gilt also 3) q ¬ ∧ K(q), 122 Vgl. Kaplan (1995). 123 Vgl. F. Fitch (1963).

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so gilt nach (1) 4) MK(q ∧ ¬K(q)). Nach den Gesetzen der epistemischen Logik gilt K(p∧q) ⊃ K(p) ∧ K(q), sowie K(p) ⊃ p. Damit folgt aus (4) der Widerspruch: 5) M(K(q) ∧ ¬K(q)). Deuten wir die Aussage „X wird in w gewusst“ für SV X ⊆W durch Tw ⊆ X, wobei gelten soll w∈Tw Í W, so sieht die Behauptung von Fitch in unserer Symbolik so aus – w sei die reale Welt -: *) ∀X(w∈X ⊃ ∃w‘(Tw‘ ⊆ X)) ⊃ ∀X(w∈X ⊃ Tw ⊆ X). Und sein Argument ist: 1) ∀X(w∈X ⊃ ∃w‘(Tw‘ ⊆ X)). Annahme 2) ∃X(w∈X ∧ ¬(Tw ⊆ X)). Y sei ein solches X, also 3) w∈Y ∧ ¬(Tw ⊆ Y). Dann gilt w∈{w‘: w‘∈Y ∧ ¬((Tw‘ ⊆ Y)}, nach (1) also 4) ∃w“(Tw“ ⊆ {w‘: w‘∈Y ∧ ¬(Tw‘ ⊆Y)}), also 5) ∃w”(Tw” ⊆ Y ∧ Tw” ⊆ {w’: ¬(Tw’ ⊆ Y)}), wegen w”∈Tw” also 5’) ∃w”(Tw” ⊆ Y ∧ Ø(Tw” Í Y)). Im Artikel „Fitch’s paradox of knowability“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy werden zahlreiche unsinnige Lösungsvorschläge diskutiert (intuitionistische Logik, parakonsistente Logik etc.). Die Paradoxie ergibt sich jedoch wieder einfach aus der Nichtbeachtung der unterschiedlichen Stufen der Propositionen: X ist eine Proposition über W, d.h. X ⊆ W, {w‘: w‘∈Y ∧ ¬(Tw‘ ⊆Y)} ist aber keine solche Proposition, kann also nicht für X in (1) eingesetzt werden. Tw‘ ist eine Teilmenge von W, ¬(Tw‘ ⊆ Y) ist also eine Eigenschaft von Propositionen über W, d.h. eine Teilmenge von P(W). 5) Beispiel einer Stufenlogik Ich will jedenfalls an einem Beispiel skizzieren, wie eine modale Stufenlogik aussieht. S sei eine aussagenlogische Sprache mit modallogischen Satzoperatoren (SO) und den Stufen 0, 1, 2, … D1: Typen 1) 0 ist ein Typ der Stufe 0, 2) Sind t1, …, tn Typen der Stufen m1, …, mn, so ist (t1, …, tn) ei n Typ der Stufe 1 + max{mk}. Syntax

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D2: 1) 2) 3) 4)

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Sätze und ihre Stufen SK der Stufe i sind Sätze der Stufe i (0≤i≤2). Ist A ein Satz der Stufe i, so auch ¬A. Ist A ein Satz der Stufe j und B ein Satz der Stufe k, so ist A ∧ B ein Satz der Stufe max(j, k). Sind A1, …, An Sätze der Stufen m1, …, mn und ist G ein SO vom Typ (t1, …, tn), wo tj von der Stufe mj ist (1≤j≤n), so ist G(A1, …, An) ein Satz der Stufe 1+max{mj}.

Die Argumente eines SO G von der Stufe k enthalten daher nur Operatoren kleinerer Stufen. Ich betrachte hier nur zwei SO G und G‘ vom Typ (0), einen SO G“ vom Typ ((0)) sowie zwei SO H und H‘ der Typen (0, 0) und (0, (0)). Welche Welten wir annehmen müssen, hängt von den SV ab, von denen wir reden wollen, also insbesondere von der intendierten Intension der verwendeten SO. Semantik D3: Welten 1) W0 ist eine nicht leere Menge von Welten. 2) W1 = W0×P(W0)×P(W0)×P(W02) 3) W2 = W1×P(W1)×P(W0×W1) Ein Wi-SV ist eine Teilmenge von Wi. Die Welten aus W0 seien z.B. nur physikalisch bestimmt. Eine Welt w∈W1 ist ein Quadrupel (w0, w1, w2, w3). w0 charakterisiert w physikalisch, w1 und w2 geben die Extension von G und G‘ in w an, d.h. welche G- und G‘- SV in w bestehen. w3 sagt, welche Extension H in w hat; w3 ist also eine Menge von Paaren von W0-SV. Ich nehme hier an, dass zwischen den G, G‘, G“-, H und H‘-SV keine logischen Beziehungen bestehen. Eine Welt w∈W2 ist ein Sextupel w = (w0, …, w5), wo w0 bis w3 wie oben bestimmt sind. w4 gibt die Extension von G“ in w an, w5 die Extension von H‘ in w, zwischen welchen W0-SV und welchen W1-SV H‘-Beziehungen bestehen. Ist G ein Begriff rationalen Glaubens, so ist w1 ein W0-SV. Ist G“ ein Begriff rationalen Glaubens, so ist w4 ein W1-SV. Sind G und G“ sinngleich, sind beide z.B.  rationale  Glaubensbegriffe, so unterscheiden sie sich doch in der Stufe der SV, auf die sie sich anwenden lassen; W0-SV und W1-SV sind Mengen verschiedener Welten. Da ich die Sätze der Sprache S über einer einheitlichen Menge W von Welten interpretieren will, über W = W2, ersetze ich W0 und W1 durch W0* = W0×{∅}×{∅}×{∅}×{∅}×{∅} und W1* = W1×{∅}×{∅}. W = W2* = W2.

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Kapitel 1

D4: Eine Interpretation der Sprache S ist ein Paar (W0, V): 1) V(A) ⊆ Wi*, wo A ein Satz der Stufe i ist. 2) V(¬A) = Wi* – V(A), wo A ein Satz der Stufe i ist. 3) V(A∧B) = V(A)) ∩ V(B). 4) V(G(A)) ⊆W1*, V(G‘(A)) ⊆W1*, V(G”(A))⊆ W2*. 5) V(H(A, B)) ⊆ W1*, V(H’(A, B) ⊆ W2*. Es ist also für w = (w0, …, w5): w∈V(G(A)) gdw. V(A)∈w1, w∈V(G”(A)) gdw. V(A)∈w4, w∈V(H(A, B)) gdw, (V(A), V(B))∈w3 und w∈V(H’(A, B)) gdw. (V(A), V(B))∈w5. 1.6.3

Der Universalienrealismus

1) Abstrakte Gegenstände Abstrakte Gegenstände hat zuerst Platon mit seinen Ideen entdeckt. Für uns sind abstrakte Gegenstände Begriffe, Propositionen, Funktionen, Zahlen, Mengen, Computerprogramme. Ich beschränke mich hier auf Begriffe, Propositionen und Mengen und rede, wie üblich, von Universalien, obwohl diese Bezeichnung eigentlich nur auf Begriffe zutrifft. Universalien existieren jenseits von Zeit und Raum, so dass Frege einem „dritten Reich“, einem Reich neben dem Physischen und dem Psychischen gesprochen hat. 2) Das Universalienproblem Schon zu Platons Zeiten entstand ein Streit über das Wesen und den ontologischen Status von Universalien, der bis heute anhält. Im Wesentlichen standen sich damals wie heute dieselben Positionen gegenüber. Der Universalienrealismus – auch Platonismus genannt, weil es die Position Platons war -, der Konzeptualismus und der Nominalismus. Auf den Nominalismus, der die Existenz von Universalien bestreitet, will ich nicht näher eingehen. Für ihn gibt es nur konkrete Einzeldinge, Prädikate bezeichneten keine Attribute, sie sind nur generelle Namen für die Instanzen der Prädikate. Daher das Leitwort des Nominalismus: universale est vox – die angeblichen Universalien sind nichts anderes als auf viele Gegenstände angewendete sprachliche Ausdrücke, common names. Dieser Gedanke lässt sich freilich nicht durchhalten. Ein Prädikat wie „rot“ steht danach für viele Dinge. Aber für welche? Für solche doch wohl, welche die Eigenschaft haben, rot zu sein. Dann setzt man aber doch die Existenz von Eigenschaften, also von Universalien voraus. Auch wenn die fraglichen Dinge nichts gemeinsam haben als „rot“ genannt zu werden, haben sie damit doch wieder eine Eigenschaft gemeinsam. Die Grundkategorien unserer normalen Ontologie sind Objekt, Attribut und Sachverhalt, und von ihnen kann man keine streichen, ohne sich

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in Unsinn zu verstricken. Zudem muss man Typen und Vorkommnisse von Ausdrücken unterscheiden. Der Typ A (großer Buchstabe A) kommt auf dieser Seite soundso oft vor. Konkrete Dinge sind nur Vorkommnisse, die Typen sind abstrakte Gegenstände, die es für Nominalisten gar nicht gibt. Sie können also nicht sagen, dass das Wort „Kuh“ für jede Kuh stehen kann, sondern nur, dass das für dies oder jenes Vorkommnis des Wortes gilt. Der mittelalterliche Nominalismus richtete sich vor allem gegen die Annahme eines festen Wesens der Dinge. Vordergründig war er theologisch motiviert: Die von Gott geschaffenen Dinge sollten kein unveränderliches Wesen haben, weil das die künftige Freiheit Gottes beschränken würde, sie beliebig neu zu bestimmen. Tatsächlich ging es aber doch weniger um die Freiheit Gottes als um die Freiheit des Menschen, mit der Schöpfung beliebig umzugehen. Am Beginn der Neuzeit hat Thomas Hobbes den Gedanken des Nominalismus wieder aufgegriffen. Er nahm allerdings eine Ähnlichkeit der Dinge an, die wir mit einem gemeinsamen Namen bezeichnen. Da die Ähnlichkeit mit bestimmten Objekten auch eine Eigenschaft ist, hat er damit den Pfad des reinen Nominalismus verlassen. Der moderne Nominalismus, wie er vor allem von Stanislaw Lesniewski, Nelson Goodman und David Lewis vertreten wurde, hat nur mehr wenig mit der ursprünglichen Idee zu tun. Als Ersatz für Mengen dienen ihm Ganzheiten, die aus Teilen bestehen. Ihre Logik ist die Mereologie. Goodman hat seinen mereologischen Kalkül als Individuenkalkül bezeichnet. Individuen sind bei ihm aber nicht mehr konkrete Dinge, sondern alles, was ein Modell des Individuenkalküls ist. Modelle dieses Kalküls sind z.B.  vollständige  Boolesche Algebren ohne Nullelement, also durchaus leistungsfähige Systeme der Mengenlehre. David Lewis hat den Individuenkalkül noch um eine Nachbarschaftsrelation erweitert, mit der man auch topologische Begriffe definieren kann. Der moderne Nominalismus leugnet also die Existenz von Universalien nicht mehr, er nennt sie nur nicht mehr so. 3) Der Grundgedanke des Universalienrealismus Für den Universalienrealismus bilden Universalien ein eigenes Reich jenseits von Physischem und Psychischem, und dieses Reich ist in seiner Existenz wie Beschaffenheit unabhängig von den beiden anderen Welten. Man hat zunächst vor allem das Verhältnis von Eigenschaften zu ihren Instanzen diskutiert. Für Platon existierten die Ideen vor den Instanzen – universalia ante rebus. Für ihn war die Existenz von Ideen eine Voraussetzung für das Entstehen konkreter Dinge. Für die mittelalterliche Philosophie existierten die Ideen vor aller Schöpfung im Geist Gottes. Die Idee des Menschen gab es als Urbild, als Konzeption, schon bevor Menschen nach ihr erschaffen wurden. Uns ist nicht die Reihenfolge der Existenz wichtig, sondern nur die Unabhängigkeit

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Kapitel 1

der Begriffe von ihren Instanzen. Den Begriff des Einhorns gibt es, selbst wenn es keine Einhörner gibt. Für Aristoteles existierten Universalien nur in ihren Instanzen – universalia in rebus. Das, was primär existiert, waren für ihn konkrete Dinge, und zu denen gehört sowohl der Stoff, aus dem sie bestehen, wie ihre Form, womit hier nicht die äußere Gestalt gemeint ist, sondern ihr Wesen. Seine Vorstellung war: Die Dinge selbst müssen etwas an sich haben – z.B. besondere Rottöne -, das die Anwendung eines allgemeinen Begriffs wie Rot rechtfertigt; eigenschaftslose Dinge ließen sich nicht in rote und nicht rote unterscheiden. Damit wird so etwas postuliert wie partikuläre Universalien. Dinge müssen aber nicht schon Eigenschaften haben, damit wir ihnen Eigenschaften zuschreiben können, die Kategorien Objekt und Attribut sind vielmehr so miteinander verbunden, dass ein Ding etwas ist, das durch Eigenschaften bestimmt ist, und eine Eigenschaft etwas, mit dem Dinge bestimmt werden können. Es ist bemerkenswert, dass der Universalienrealismus bis heute die dominante Position unter Mathematikern ist. Realisten waren insbesondere die beiden Begründer der Mengenlehre Georg Cantor und Gottlob Frege. Frege hat sich sehr deutlich vom Psychologismus seiner Zeit abgesetzt. Diese Frontstellung zum Psychologismus hat ihn auch zum Gegner des Konzeptualismus gemacht, den er psychologisch auffasste. In seinen Logischen Untersuchungen schreibt er:124 Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt, noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muss anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt mit den Vorstellungen darin überein, dass es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, mit den Dingen aber darin, dass es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewusstseinsinhalte es gehört. So ist z.B.  der  Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprechen, zeitlos wahr, unabhängig davon wahr, ob irgendjemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit anderen Planeten in Wechselwirkung gewesen ist.

Gedanken sind bei Frege Propositionen, weder Akte des Denkens noch etwas durch Denken Erzeugtes. Er sagt:125 Beim Denken erzeugen wir nicht die Gedanken, sondern wir fassen sie. – Die Gedanken sind nicht seelische Gebilde, und das Denken ist nicht ein inneres Erzeugen und Bilden, sondern ein Fassen von Gedanken, die schon objektiv vorhanden sind. – Wenn man einen Gedanken fasst oder denkt, so schafft man ihn nicht, sondern tritt nur zu ihm, der schon vorher bestand, in eine gewisse Beziehung. 124 KS, S. 353 f. 125 KS, S. 359; BW, S. 102; KS, S. 354.

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Kurt Gödel, einer der größten Logiker des 20. Jahrhunderts, schreibt:126 Klassen und Begriffe … können als reale Objekte aufgefasst werden …, die unabhängig von unseren Definitionen und Konstruktionen existieren. Mir scheint die Annahme solcher Objekte ebenso legitim zu sein wie die Annahme physischer Körper, und es gibt ebenso viel Grund an ihre Existenz zu glauben. Sie sind im selben Sinn notwendig, um eine befriedigende Theorie der Mathematik zu erhalten, wie es physische Körper sind, um eine befriedigende Theorie der Sinnenwahrnehmung zu erhalten.

4) Erkenntnistheoretische Schwierigkeiten des Realismus Diese Übereinstimmung bedeutender Mathematiker ist umso erstaunlicher, als der Platonismus ganz offensichtlich erheblichen Schwierigkeiten begegnet. Ein erstes Problem ist die Frage, wie wir denn erkennen können, welche abstrakten Gegenstände es gibt und wie sie beschaffen sind. Sie sind ja weder Gegenstand äußerer, sinnlicher, noch innerer, psychischer Erfahrung. Realisten müssen also ein eigenes Erkenntnisvermögen für abstrakte Objekte annehmen. Die Sätze der Mathematik sind ferner Erkenntnisse a priori. Dass  5+3 = 8 ist, wissen wir nicht aus Beobachtungen und keine Beobachtung kann uns in dieser Gewissheit erschüttern. Dieser Satz ist keine Hypothese, die sich in künftigen Erfahrungen bewähren muss, wie John Stuart Mill meinte. Die Goldbachsche Vermutung, nach der jede gerade, von 2 verschiedene natürliche Zahl als Summe zweier Primzahlen darstellbar ist, lässt sich nicht dadurch als richtig erweisen, dass man angibt, welche Beobachtungen am platonischen Himmel der Zahlen zu machen sind, sie muss vielmehr bewiesen werden. Mathematik ist keine Erfahrungswissenschaft, sondern eine beweisende Wissenschaft. Beweise müssen von Prämissen ausgehen, die keiner Begründung mehr bedürfen, und dafür sind Festlegungen gute Kandidaten – Gödel hat dagegen vom hypothetischen Charakter mathematischer Theoreme geredet. Wenn sie begriffliche, analytische Wahrheiten sind, wie Frege das für Mengenlehre und Arithmetik annahm, können sie nicht Tatbestände einer von unserem Denken unabhängigen Welt sein. Mathematische Aussagen sind auch keine synthetische Sätze a priori, wie Kant das annahm. Sein Versuch, die Arithmetik aus der uns angeborenen Zeitanschauung abzuleiten, sind alles andere als überzeugend. Eine bessere Auskunft ist doch wohl: Die natürlichen Zahlen bilden eine Progression. Die Eigenschaften einer Progression legen wir durch Axiome fest, die Peano-Axiome, und die Sätze der Arithmetik sind die Sätze, die aus diesen Axiomen folgen, also aus unseren eigenen Festlegungen. Daher sind sie analytisch wahr. 126 Gödel (1944), S. 137.

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Kapitel 1

Ein weiteres Problem einer realistischen Auffassung mathematischer Gegenstände ergibt sich aus unserer Annahme, dass alle konsistent definierbaren mathematischen Strukturen existieren. Konzeptualistisch gesehen existieren Progressionen kraft Definition – die Definition durch Axiome bezeichnet man als implizite Definition. Es ist aber nicht sehr plausibel anzunehmen, dass sich Existenz in einem platonischen Himmel abstrakter Gegenstände nach unseren Konsistenzprinzipien richtet, wenn dieser Himmel von unserem Denken unabhängig sein soll. Wie könnte man feststellen, dass alle denkmöglichen Strukturen tatsächlich in ihm existieren? 5) Die logischen Paradoxien Der entscheidende Einwand gegen den Platonismus ist, dass er zu Widersprüchen führt. Ich will das für die unter logischen Gesichtspunkten wichtigsten Universalien zeigen: für Begriffe, Propositionen und Mengen. Gibt es im platonischen Himmel alle Eigenschaften, so gibt es auch die Eigenschaft F, nicht auf sich selbst zuzutreffen. Diese Eigenschaft hat z.B. die Eigenschaft Grün, denn Eigenschaften sind nicht grün. Die Eigenschaft F trifft aber nach Definition genau dann auf sich selbst zu, wenn sie nicht auf sich selbst zutrifft, und das ist ein Widerspruch. Hier könnte man einwenden: Eigenschaften, die für Objekte erklärt sind, sind nicht für Eigenschaften erklärt, und Eigenschaften von Eigenschaften umgekehrt nicht für Objekte. Statt „ist nicht erklärt“ kann man aber auch sagen „trifft nicht auf … zu“. Statt zu sagen, der Begriff der Fröhlichkeit sei für Steine nicht erklärt, so dass alle Aussagen „x ist fröhlich“ sinnlos sind, in denen x ein Stein ist, kann man auch sagen, Steine seien nicht fröhlich, so dass diese Aussagen alle falsch sind. Von Alfred Tarski stammt die Antinomie der selbstanwendbaren Sätze.127 Ich formuliere sie hier für Propositionen. Eine universelle Proposition der Form ‚Alle Propositionen haben die Eigenschaft E‘ – z.B. (*) ‚Alle Propositionen, die Max behauptet, sind falsch‘- heiße selbstanwendbar genau dann, wenn sie selbst die Eigenschaft E hat, im Beispiel also: wenn die Proposition (*) nicht von Max behauptet wird oder falsch ist. Ist die Proposition, alle Propositionen seien nicht selbstanwendbar, selbstanwendbar? Ist sie selbstanwendbar, so ist sie es ihrer Definition nach nicht; ist sie hingegen nicht selbstanwendbar, so ist sie es. Die – heute so genannte – naive Mengenlehre hat nur zwei Axiome: Das Komprehensionsprinzip, nach dem jede Eigenschaft einen Umfang hat, die Menge ihrer Instanzen, und das Extensionalitätsprinzip, nach dem Mengen mit denselben Elementen identisch sind. Diese Axiome scheinen völlig 127 Tarski (1949), S. 80.

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unproblematisch zu sein, drücken sie doch nur aus, was wir unter Mengen verstehen. Die nach Bertrand Russell benannte Antinomie ergibt sich aber schon allein aus dem Komprehensionsprinzip: r sei die Menge aller Mengen, die sich selbst nicht als Element enthalten. Die Menge der Menschen ist also ein Element von r, denn diese Menge ist kein Mensch. Die Allmenge, die Menge aller Mengen, ist hingegen kein Element von r. Ist nun r ein Element von sich selbst? Ist r Element von sich selbst, so ist die Menge r nach ihrer Definition kein Element von sich selbst. Nach den Gesetzen der Logik ist sie also kein Element von sich selbst. Dann ist sie aber, wiederum nach ihrer Definition, Element von sich selbst. Sie ist also Element von sich selbst und ist es nicht, und das ist der Widerspruch. Es gibt eine ganze Reihe weiterer mengentheoretischer Antinomien, auf die ich hier nicht eingehe. Existieren alle Mengen unabhängig von unserem Denken, so gibt es die Menge aller Mengen, also auch die Russellsche Menge r, und damit landen wir in einem Widerspruch, aus dem es für den Realismus keinen überzeugenden Ausweg gibt. 6) Die axiomatische Mengenlehre Man hat versucht, die Widersprüche der Mengenlehre dadurch zu vermeiden, dass man das Komprehensionsprinzip abschwächt. Das ist der Weg der axiomatischen Mengenlehre. Das Standardsystem ist heute ZFF, das System von Zermelo und Fränkel, erweitert um das Fundierungsaxiom. Von philosophischem Interesse sind aber nur solche Modifikationen der naiven Mengenlehre, die inhaltlich gut begründet sind, also nicht nur ad-hoc-Charakter haben und lediglich durch das Ziel einer Vermeidung der Widersprüche motiviert sind. Um dies Ziel zu erreichen, muss man sich zunächst einmal darüber klar werden, wie es zu den Widersprüchen kommt. 1.6.4

Der Konzeptualismus

1) Der Grundgedanke Für den Konzeptualismus, wie ich ihn vertrete, sind abstrakte Gegenstände Formen und Konstrukte menschlichen Denkens. Dem Einwand Freges, im Gegensatz zu Universalien hätten mentale Akte ein Subjekt als Träger und würden in der Zeit realisiert, begegnet der Konzeptualismus so: Man muss singuläre mentale Akte von Typen von Akten unterscheiden, Begriffe z.B.  sind  Typen von Akten wie etwa die Bestimmung eines Gegenstands als Frosch. Akttypen haben weder einen Träger noch existieren sie in der Zeit. Ebenso existiert ein bestimmtes Vorkommnis des Buchstabens A in Raum und Zeit, nicht aber der Buchstabe A als Typ.

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Kapitel 1

Der Konzeptualismus hat nicht die Schwierigkeiten einer realistischen Auffassung abstrakter Gegenstände. Er kann begreiflich machen, warum wir kein eigenes Erkenntnisvermögen für sie benötigen und warum logische und mathematische Tatsachen a priori erkennbar sind: Die Beschaffenheit unserer eigenen mentalen Konstrukte kann uns ja nicht verborgen sein. Denkmöglichkeit, die Möglichkeit z.B., ein Modell der Peanoaxiome anzugeben, genügt ferner für die mögliche Existenz von Progressionen. Vor allem aber führt der Grundgedanke des Konzeptualismus zu widerspruchsfreien Theorien von Begriffen, Propositionen und Mengen. 2) Der Konzeptualismus als Konstruktivismus Der entscheidende Grund für das Auftreten von Antinomien in der naiven Mengenlehre ist die Annahme, die Gesamtheit aller Mengen sei objektiv vorgegeben. Für den Konzeptualismus sind Universalien hingegen mentale Konstrukte, die Bedingungen der Konstruierbarkeit unterliegen. Zum Konzeptualismus gehört der Gedanke eines konstruktiven Aufbaus der Welt abstrakter Gegenstände. Beginnen wir mit Propositionen. Propositionen der 1. Stufe seien solche, die wir bilden können, ohne andere Propositionen vorauszusetzen. Das sind Propositionen wie ‚München liegt an der Isar’ und ‚2+2 = 4’. Propositionen 2. Stufe setzen jene der 1. Stufe voraus. Propositionen 2. Stufe sind z.B. ‚Fritz glaubt, dass München an der Isar liegt’ und ‚Es ist notwendig, dass 2+2 = 4 ist’. Ist die Menge P1 von Propositionen gegeben, so können wir Aussagen über sie machen, z.B.  auch  Allaussagen, und so Propositionen aus P2 bilden. Da die Bildung der neuen Propositionen die Existenz der alten voraussetzt, können sie nicht selbst Elemente von P1 sein. Gehe ich zu Aussagen über die Propositionen aus P2 über, so ändert sich der Sinn des Wortes „alle“. Es bezieht sich nicht mehr nur auf die Elemente von P1, sondern auf die größere Menge P2. Eine Aussage wie „Alle Propositionen von P1 sind nicht selbstanwendbar“ gehört nicht zu P1. Allgemein muss die Aussage „Alle Propositionen sind selbstanwendbar“ sich auf die Propositionen einer Menge Pn beziehen, zu der sie selbst nicht gehören kann, denn sie würde sich sonst selbst voraussetzen. Damit verschwindet der Widerspruch der selbstanwendbaren Propositionen. Die Menge aller Propositionen gibt es bei diesem konzeptualistischen Ansatz nicht; man kann bzgl. zu jeder Menge von Propositionen Propositionen höherer Stufe bilden. Entsprechendes gilt im Fall von Eigenschaften: Die Eigenschaften 1. Stufe sind auf einer Menge U0 von Objekten definiert, die keine Begriffe sind und keine Begriffe voraussetzen. Im Fall zahlentheoretischer Eigenschaften wie ‚ist eine Primzahl‘ wäre U0 die Menge der natürlichen Zahlen. Wenn man nun diese Begriffe, die zur Beschreibung von Zahlen verwendet werden, selbst

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zu Gegenständen von Aussagen macht, kann man auf einer 2. Stufe Begriffe bilden wie ‚ist eine transitive Beziehung‘, die nun auf der Menge U1 der Begriffe 1. Stufe, definiert sind. Auch für diese Begriffe 2. Stufe kann man dann Eigenschaften einführen wie ‚auf alle Begriffe 2. Stufe zutreffen‘. Das sind dann Begriffe 3. Stufe. Auf diese Weise entsteht eine nach oben offene Hierarchie von Begriffen und ihren Definitionsbereichen. Die Menge aller Begriffe gibt es daher nicht. Eine Eigenschaft der n-ten Stufe setzt die Eigenschaften der kleineren Stufen voraus, ist also nicht für sich selbst definiert. Insbesondere ist die Eigenschaft, selbstanwendbar bzw. nicht selbstanwendbar zu sein, nicht für sich selbst erklärt. Ohne die Hierarchie zu verletzten, kann man auch nicht sagen: Ist die Eigenschaft F nicht für ein Argument a erklärt, so soll gelten, dass F nicht auf a zutrifft. 3) Eine konzeptualistische Mengenlehre128 Die Konstruktion von Mengen als abstrakten Gegenständen geht von Objekten aus, die keine Mengen sind, von Individuen. Ihre Klasse sei V0. Mengen – das sind ebenfalls Objekte – werden aus ihren Elementen erzeugt. Aus den Individuen lassen sich Mengen von Individuen erzeugen. V1 sei die Menge V0 der Individuen vereinigt mit der Menge aller Mengen von Individuen. Wir können dann im nächsten Schritt Mengen von Elementen von V1 bilden, usf. Im Folgenden seien α, β, γ, … Ordinalzahlen, mit denen wir die Mengen der verschiedenen Stufen unterscheiden. Vα+1 die die Menge aller Mengen, die sich aus Elementen der Klassen Vβ mit β < α erzeugen lassen, also aus Individuen und bereits erzeugten Mengen. Die Mengen aus Vα+1 werden als Umfänge von Eigenschaften bestimmt. Von der Grundidee des Konzeptualismus her ergibt sich keine Beschränkung der zugelassenen Eigenschaften. Konzeptualistisch setzen Eigenschaften immer jene Objekte voraus, für die sie definiert sind, diese Bedingung ist bei unserem Aufbau aber erfüllt. Will man die Eigenschaften begrenzen, mit denen sich Mengen von Va+1 erzeugen lassen, so ist das eine zusätzliche Forderung, die von der konzeptualistischen Forderung eines hierarchischen Aufbaues der Mengen zu unterscheiden ist.129 Es sei ∅ die leere Menge und P(x) die Potenzmenge von x, also die Menge aller Teilmengen von x. Dann gilt in der reinen Mengenlehre V0 = ∅ und Vα+1 = Vα ∪ P(Vα). Man kann die Hierarchie der Mengen über die natürlichen Zahlen hinaus fortsetzen, indem man für Limeszahlen l (Ordinalzahlen, die keinen 128 Vgl. dazu A69, B24, Kap. 3. 129 Vgl. dazu z.B. das Gödelsche Konstruktivitätspostulat vgl. Gödel (1940) und Jech (2002), Kap. 13.

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unmittelbaren Vorgänger haben) setzt Vλ = ∪α A2, A2 > A3, usf. Als Induktionsparameter einer induktiven Interpretation dient oft die Länge der Ausdrücke. In der Mengenlehre wäre der Ausdruck t∈{x: A[x]} aber durch A[t] zu interpretieren, und das kann ein längerer Ausdruck sein. Das ist z.B. der Fall bei der Antinomie von Russell, denn hier wäre der Ausdruck r∈r durch nicht-(r∈r) zu interpretieren. 2) Hierarchie und rekursive Bestimmung U sei eine Menge von Objekten (x, y, …) und < eine zweistellige Relation, die auf U eine partielle Ordnung ist, d.h. die antisymmetrisch und transitiv ist (so dass gilt x