Charismatische Spiritualität und Seelsorge: Der Volksmissionskreis Sachsen bis 1990 [1 ed.] 9783737007047, 9783847107040

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Charismatische Spiritualität und Seelsorge: Der Volksmissionskreis Sachsen bis 1990 [1 ed.]
 9783737007047, 9783847107040

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Kirche – Konfession – Religion

Band 69

Herausgegeben vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Mareile Lasogga und Reinhard Hempelmann in Verbindung mit Andreas Feldtkeller, Miriam Rose und Gury Schneider-Ludorff

Markus Schmidt

Charismatische Spiritualität und Seelsorge Der Volksmissionskreis Sachsen bis 1990

Mit 2 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-1507 ISBN 978-3-7370-0704-7 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Von der Theologischen FakultÐt der UniversitÐt Leipzig unter dem Titel »Charismatische SpiritualitÐt in der DDR. Der Volksmissionskreis Sachsen bis 1990 unter besonderer Berþcksichtigung seiner Poimenik« im Mai 2016 angenommene Dissertation, fþr die Verçffentlichung leicht þberarbeitet.  2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: Treffen des Kerngemeindekreises Großhartmannsdorf mit Besuch aus BrÐunsdorf, 1971,  Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großhartmannsdorf

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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0 Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung . . . . . . . . 0.1 Wahrnehmung: Der Volksmissionskreis Sachsen als lokale Erweckungsgruppe und Träger charismatischer Spiritualität und Seelsorge in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.1.1 Anregung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.1.2 Hintergrund: Charismatische Spiritualität als innerkirchliches Phänomen. Zu Begriff und Entstehung . . 0.2 Herausforderung: Praktisch-theologische Erforschung von Praxisgestalten der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.2.1 Die praktisch-theologische Bedeutung des Selbstverständnisses und der Praxis lokaler Gruppen . . . 0.2.2 Zur praktisch-theologischen Erforschung von Praxisgestalten der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . 0.3 Aufgabe: Geschichte und Poimenik des Volksmissionskreises Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.3.1 Problemstellung und Forschungsaufgabe . . . . . . . . . . 0.3.2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.3.3 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0.3.4 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Volksmission und Seelsorge im Kirchenkampf. Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Kirchliche Volksmission und Oxford-Gruppenbewegung . 1.1.1 Kirchliche Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Oxford-Gruppenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Volksmission im Kirchenkampf: Deutsche Christen, Bekennende Kirche und Sächsische Posaunenmission . . . 1.2.1 »Volksmissionarische Bewegung« Deutsche Christen

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Inhalt

1.2.2 Volksmission der Bekennenden Kirche . . . . . . . . . . . 1.2.3 Folgenreiches Intermezzo: Spaltung der Posaunenmission in Sachsen durch den Kirchenkampf zwischen Innerer Mission und Landeskirchenamt bzw. Adolf Müller . . . . . 1.3 Seelsorge im Kirchenkampf: Bemerkungen zu den poimenischen Konzeptionen von Kirchlicher Volksmission, Oxford-Gruppenbewegung und deren Relevanz für die Bekennende Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Zum Seelsorgeverständnis der Kirchlichen Volksmission . 1.3.2 Zum Seelsorgeverständnis der Oxford-Gruppenbewegung . 1.3.3 Rezeption der Poimenik der Gruppenbewegung in der Kirchlichen Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Zum Seelsorgeverständnis in der Bekennenden Kirche . . 1.4 Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners als Repräsentant der Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen und dessen volksmissionarisch-seelsorgerliche Arbeit bis 1945 . . . . 1.4.1 »Wir wollen unseren Glauben nicht abhängig machen von Waffen.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Stadtmission Chemnitz, Diakonissenmutterhaus Borsdorf und freie Posaunenmission: Die Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen . . . . . . . . . . . 1.4.3 Ausrichtung und Methodik der volksmissionarischen Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Volksmission als Seelsorge nach dem Krieg. Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Gründung des Volksmissionskreises Sachsen und der Anschluss an die Innere Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Gründung des Volksmissionskreises Sachsen 1945 . . . . . 2.1.2 Vertragliche Anbindung an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Gott in den Trümmern. Aktivitäten nach dem Krieg . . . . . . . 2.2.1 Volksmission und Seelsorge zwischen Mobilität und Stabilität. Tagungen, Kontakte, Evangelisationen . . . . . . 2.2.2 »Aus Trümmern neues Leben.« Tagungsarbeit am Beispiel von Dresden-Briesnitz Juli 1946 . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 »Schriftenmission ein entscheidendes Stück der Volksmission«. Die Volksmissionsbuchhandlung Rudolf Fischers . . . . . . . . . 2.3.1 Gründung einer evangelischen Verlagsbuchhandlung . . . 2.3.2 Volksmissionarische Trümmerliteratur . . . . . . . . . . . 2.3.3 Veröffentlichungen, Lizenz und Vertrieb . . . . . . . . . .

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Inhalt

2.3.4 Auflösung der Volksmissionsbuchhandlung . . . . . . . . 2.4 Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Kammer für Volksmission beim Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens und Arbeitskreis für Evangelisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Innere Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge und die Diskussion um Kinderbeichte . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Stellungnahmen im Zusammenhang der Neuformulierung der landeskirchlichen Konfirmationsordnung 1949 . . . . 3 Erwartung des Heiligen Geistes. Entdeckung der Charismen und apostolische Frömmigkeitseinflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Sehnsucht nach einem Geist-Frühling und Kontakte zu Otto Siegfried von Bibra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 »Der volle Pfingstsegen«. Charismatische Spiritualität vor dem charismatischen Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Otto Siegfried von Bibra: Referent des Volksmissionskreises Sachsen am Beispiel der Obercunnersdorfer Tagung Mai 1949 . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Otto Siegfried von Bibra: Theorie und Praxis der Charismen, Vorwurf der Schwärmerei . . . . . . . . . . . . 3.2 »Quis mihi det videre Ecclesiam Dei sicut in diebus antiquis« – et ultimis? Einflüsse apostolischer Frömmigkeitstypen durch den Oekumenischen Christusdienst . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Der Oekumenische Christusdienst in der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Tradition und Sukzession: Katholisch-apostolisches und freibischöfliches Erbe im Oekumenischen Christusdienst . 3.2.3 Rezeption im Volksmissionskreis Sachsen . . . . . . . . . 3.3 »Die Gemeinde als der Tempel Gottes«. Einflüsse apostolischer und pfingstlicher Typologien des alttestamentlichen Tempels . . 3.3.1 Apostolische Tempeltypologie am Beispiel Paul Riedingers 3.3.2 Pfingstliche Tempeltypologie am Beispiel Eugen Edels . . . 3.3.3 Rezeption im Volksmissionskreis Sachsen . . . . . . . . . 3.4 Eine Episode am Rande: Wiedertaufen in Markersbach 1952 . . 3.4.1 Einflüsse der pfingstlichen Tempeltypologie Christian Röckles und Wiedertaufen in Markersbach . . . . . . . . . 3.4.2 Reaktionen auf die Wiedertaufen in Markersbach . . . . .

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Inhalt

3.5 Gemeindeerweckungen in Sosa, Bräunsdorf und Großhartmannsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Kerngemeindekreise als Zentren lokaler Erweckungen 3.5.2 Sosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Bräunsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.4 Großhartmannsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Gemeinsames Leben. Erster charismatischer Aufbruch . . . . . . . . 4.1 Etappen des charismatischen Aufbruchs in Bräunsdorf . . . . . 4.1.1 1952–1957: Erweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 1957–1964: Gebet und kommunitäre Gemeinschaft . . . . 4.1.3 1964/67–1968: Charismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 1968: Jugendaufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 1968–1972: Auf dem Weg zum zweiten charismatischen Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Schwesternschaft in Bräunsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Berufungserlebnis in Selbitz . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Ein theologisches und organisatorisches Novum . . . . . . 4.2.3 Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Tertiärgemeinschaften: »Dienerinnen« und »Johannesring« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 »Frei zu sein vor Gott für die Menschen«. Selbstverständnis und Verortung . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Vorbilder : Christusbruderschaft Selbitz, Marienschwestern Darmstadt, Bruderschaft vom gemeinsamen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Etappen des charismatischen Aufbruchs in Großhartmannsdorf. 4.3.1 1958–1960: Erweckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 1960–1964: Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 1965–1969: Charismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 1969–1971: Jugendaufbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Bruderschaft in Großhartmannsdorf . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Gründung, Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Selbstverständnis und Verortung . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Tertiärgemeinschaft »Philippusring« und Kontakte zu anderen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Der Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen« . . . . . . 4.5.1 »Aus bloß losem Zusammenschluß drängt es uns in die Verbindlichkeit.« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Das Vorbild des Oekumenischen Christusdienstes und die Rolle Gerhard Küttners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.5.3 Christusdienst Sachsen: Theologie und Struktur . . . . . 4.5.4 »Oekumenische« Spiritualität: Eine deutsche Wurzel der innerkirchlichen charismatischen Bewegung . . . . . . . 4.5.5 Außenwirkung: Christusdienst Thüringen . . . . . . . . 4.5.6 Anfänge einer evangelischen Exerzitienarbeit in Sachsen 4.5.7 »Das Heiligtum ruft!« Rückzug in den Jahren 1971–1972

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5 Jugendbewegung – Gemeindeordnung – Getrennte Wege – Neue Gruppen. Zweiter charismatischer Aufbruch . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Zweiter charismatischer Aufbruch in Großhartmannsdorf: Jesus People . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Jahreswechsel 1972/73 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Jugendwochenenden in Großhartmannsdorf . . . . . . . . 5.1.3 Die Tertiärgemeinschaft Philippusring als überregionale Kerngemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Charismatisches Exerzitium: Die »Oasen des gemeinsamen Lebens« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Ende der charismatischen Phase in Großhartmannsdorf 1976–1982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Zweiter charismatischer Aufbruch in Bräunsdorf: Apostolische Gemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Gerhard Küttner in »Klausur« 1973/74 und ein neuer »Frühling« in Bräunsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Vollmacht: »Pfingsten heißt, das Leben Jesu geht weiter« . 5.2.3 »Stände« und »Ordnungen im Hause Gottes« . . . . . . . . 5.2.4 Geistliche Ämter in Bräunsdorf . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Konflikt im Volksmissionskreis Sachsen . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Diskussion mit Gerhard Küttner, Ausschluss aus dem Vorstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Theologische Gespräche zwischen Landeskirche und Volksmissionskreis in Herrnhut 1979 . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Spaltung in Bräunsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Das Diakonissenhaus Borsdorf als »Beichtzentrale für Theologiestudenten«: Anfänge einer studienbegleitenden Arbeit in Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Das Diakonissenhaus Borsdorf als Heimatort des Borsdorfer Konventes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

5.4.3 Die Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen in der DDR unter dem Vorsitz des Volksmissionskreises Sachsen . 5.5 Andere Gemeinden, neue Gruppierungen und das Ende der charismatischen Phase des Volksmissionskreises Sachsen . . . . 5.5.1 Weitere Kirchgemeinden des Volksmissionskreises Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Neue charismatische Gruppierungen und Gemeinschaften . 5.5.3 Tendenz zur Verselbstständigung . . . . . . . . . . . . . . 5.5.4 Das Ende der charismatischen Phase des Volksmissionskreises Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge. Seelsorge des Wortes und der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Seelsorge des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Beispiel 1: Neuwerden. Seelsorge als Methodik geistlicher Erneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Beispiel 2: Predigt und Predigtrezeption. Seelsorge zwischen Verkündigung, Gespräch und Gemeinschaft . . 6.2 Seelsorge der Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Beispiel 1: »Mannschaftsarbeit – ein neuer Weg der Volksmission« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Beispiel 2: Poimenischer Zirkel. Volksmissionarische Seelsorge an, in und durch die Gemeinschaft . . . . . . . 6.2.3 Beispiel 3: Erweckung, Buße, Heiligung. Kerngemeindekreise als exklusive Orte der Seelsorge in Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Der Kerngemeindekreis als Abendmahlsgemeinde . . . . 6.3 Volksmissionarische Seelsorge: Folgerung des Begriffes und Einsichten für die poimenische Diskussion . . . . . . . . . . . 6.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur kerygmatischen Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Volksmissionarische Seelsorge zwischen cura animarum generalis und cura animarum specialis . . . . . . . . . . 7 Die charismatische Gestalt der Seelsorge. Seelsorge des Gebetes 7.1 Volksmissionarische Seelsorge als charismatische Gebetsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Gebet in Gemeinschaft als Dank und Bitte . . . . . . 7.1.2 Gebet als Segnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

7.1.3 Charismen: Gebetsseelsorge am Beispiel der Krankenheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 »Lösen«: Exorzistisches Handeln als Spezialfall der Gebetsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 »Exorzismus« in der Kirchlichen Volksmission und kerygmatischen Seelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 »Lösen« in der Oxford-Gruppenbewegung . . . . . . . . 7.2.4 Ewald Ehrler : »Dienst des Gebietens und Lösens« . . . . 7.2.5 Gerhard Bahrmann: »Gebetsdienst« . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Gerhard Küttner : »Lösen« bzw. »Loslösung« und deren Zusammenhang mit Heiligung, Heilung und Heiligtum . 7.3 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Gebetsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Gebetsseelsorge zwischen Heilung und Verdrängung . . 7.3.3 Grundentscheidungen charismatischer Poimenik. Oder : Die Wirkung als Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 »Lösen« und Vollmachtssehnsucht . . . . . . . . . . . .

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8 Das Zentrum der Seelsorge. Beichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Wiederentdeckung der Beichte bzw. Einzelbeichte . . . . . . . . 8.1.1 Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Beichte im Kontext erwecklicher Theologie: Überwindung eines pietistischen und protestantischen Defizites . . . . . 8.1.3 »Durch die volksmissionarische Arbeit ist die Möglichkeit der evangelischen Beichte neu in den Blick gekommen.« . 8.2 Beichte als Seelsorge des ganzen Lebens . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Beispiel 1: »conditio sine qua non«. Beichte als Vollzugsform auf dem Weg der Heiligung . . . . . . . . . . 8.2.2 Beispiel 2: »Generalbeichte«. Beichte als Umkehr und Buße des ganzen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Beispiel 3: »Kinderbeichte«. Beichte in der katechetischen Vermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Allgemeine Beichte im Gottesdienst: Eine Konkurrenz zur Einzelbeichte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Einführung der Agende I für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Contra Allgemeine Beichte: »Gewissensbedenken« als Mehrheitsmeinung im Volksmissionskreis Sachsen . . . . 8.3.3 Pro Allgemeine Beichte: »Evangelische Messe« in Großhartmannsdorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

9 Resümee: Ergebnisse der Untersuchung und Impulse für die Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Der Volksmissionskreis Sachsen und die charismatische Bewegung in Sachsen: Wurzeln und Merkmale . . . . . . . . 9.2 Der Volksmissionskreis als Seelsorgegemeinschaft . . . . . . 9.3 Volksmissionarische Poimenik . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Beichte als Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises . 9.5 Gebetsseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Liturgische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.7 Reflexionen auf kirchenleitendes Handeln . . . . . . . . . . .

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10 Literaturverzeichnis 10.1 Abkürzungen . 10.2 Archivalia . . . 10.3 Literatur . . . .

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11 Biogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register der Personennamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register der Ortsnamen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die vorliegende Untersuchung über die charismatische Bewegung in der sächsischen Landeskirche in der Gestalt des Volksmissionskreises Sachsen als Trägergruppe zur Zeit der DDR betreibt Spiritualitätsforschung. Dieses langsam aus dem Dornröschenschlaf erwachende Fach der evangelischen Theologie ist ein Grenzgebiet. Meine Arbeit überschreitet daher Grenzen, wenn sie praktischtheologische Fragestellungen mit historischen und konfessionskundlichen Perspektiven verbindet und auf diese Weise die Bandbreite der Spiritualitätsforschung einholt. Meine Studie wurde von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig im Mai 2016 als Dissertation angenommen. In diesem Band liegt sie in leicht überarbeiteter Form vor. Für zahlreiche Unterstützungen auf dem Weg dahin möchte ich meinen Dank ausdrücken. Die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens hat mit einem dreijährigen Promotionsstipendium die Erstellung dieser Arbeit überhaupt möglich gemacht und großzügig unterstützt. Dafür gilt ihr und namentlich Herrn Oberkirchenrat Karl Ludwig Ihmels mein vielmaliger Dank. Meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Zimmerling bin ich zu größtem Dank verpflichtet. Er hat das Entstehen der Dissertation mit Geduld und wegweisenden Hinweisen kritisch begleitet und das Erstgutachten erstellt. Eine besondere Ehre wird mir zuteil, dass Frau Dr. Mareile Lasogga und Herr Dr. Reinhard Hempelmann meine Studie in diese Schriftenreihe des Konfessionskundlichen Instituts Bensheim und der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen Berlin aufgenommen haben. Durch Druckkostenzuschüsse konnte dies umgesetzt werden, wofür ich der Ev.Luth. Landeskirche Sachsens, der Vereinigten Ev.-Luth. Kirche Deutschlands, dem Evangelischen Bund – Landesverband Sachsen, den Ev.-Luth. Kirchenbezirken Annaberg, Aue, Leisnig-Oschatz und Freiberg sowie den Ev.-Luth. Kirchgemeinden Döbeln, Technitz und Zschoppach aufrichtig danke. Die vorliegende Untersuchung wäre nicht durchführbar gewesen, wenn nicht zahlreiche Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner vertrauensvoll und offenherzig über ihre Erfahrungen mit mir gesprochen hätten. Sie sind mir als

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Vorwort

Geschwister begegnet, die von ihrem persönlichen Weg und ihren Einsichten berichtet haben. Da die meisten von ihnen in eine Konfliktgeschichte verwickelt sind, die auf den unterschiedlichen Seiten ihre Narben hinterlassen hat, kann ich um der Diskretion willen ihre vielen Namen hier nicht nennen. Wo es möglich war, sind sie im Verlauf der Dissertation erwähnt. Ihnen allen gilt mein herzlichster Dank, genauso wie ich meinen Freunden danke, die mich bei unzähligen Diskussionen anregten. Stellvertretend für alle nenne ich Frau Pfarrerin Dorothee Frölich-Mestars, die mich einst zu diesem Forschungsfeld charismatischer Spiritualität in Sachsen gebracht hat, Herrn Pfarrer i.R. Christoph Richter als einem historischen Akteur des untersuchten Feldes und Herrn Pfarrer i.R. Bernd Frauenlob als einem unermüdlichen Korrekturleser meines Manuskriptes. Leipzig, am 25. November 2016, dem Gedenktag der Katharina von Alexandria Markus Schmidt

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

0.1

Wahrnehmung: Der Volksmissionskreis Sachsen als lokale Erweckungsgruppe und Träger charismatischer Spiritualität und Seelsorge in Sachsen

0.1.1 Anregung »Es ist […] auffällig, dass im Bereich der sächsischen Landeskirche liturgisches Traditionsbewusstsein und Offenheit für charismatische Erneuerung auf eine verblüffende Weise verbunden worden sind. Bekenntnistreue und ein auch aus den politischen Entwicklungen erwachsenes Vertrauen in die persönliche Frömmigkeit und ihre gemeinschaftsstärkende Wirkung prägen die Landeskirche bis in dieses neue Jahrtausend hinein.«1

Mit diesen Sätzen wies Thilo Daniel auf eine Besonderheit hin, welche die Situation der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens zu bestimmen scheint. Tradition und Innovation vor dem Hintergrund politischer Prägung – hier ist auf die Geschichte zweier Diktaturen bis hin zum postsozialistischen Gesellschaftskontext hinzuweisen – und die häufige Verbindung von Individuum und Gemeinschaft kennzeichnen kirchliches Leben in Sachsen. Daniel bezog sich bei seinen Überlegungen auch auf meine hier vorliegende, seinerzeit noch im Werden befindliche Studie zur Geschichte und Poimenik des Volksmissionskreises Sachsen. Tatsächlich will die vorliegende Untersuchung auch einen Beitrag zum Verständnis der »Besonderheit der Landeskirche« Sachsens leisten, wovon Daniel sprach. Dabei geht sie jedoch von einer Anregung aus, die Walter J. Hollenweger einst richtungsweisend geäußert hatte: »Die Studierenden sind zu Seminararbeiten und Dissertationen von Erweckungstypen lokalen Charakters zu ermutigen und dies nicht nur unter rein historischen und so1 Daniel, Bindung an das lutherische Bekenntnis, 245, dort auch das folgende Zit.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

ziologischen, sondern unter praktisch-theologischen und ökumenewissenschaftlichen Gesichtspunkten […], auch dann, wenn eine Entwicklung in Richtung auf Nichtintegrierbarkeit in die herrschende Kirchlichkeit vorauszusehen ist«.2

Mit diesem Statement schrieb Hollenweger der wissenschaftlichen Theologie eine Aufgabe ins Stammbuch, die bisher kaum wahrgenommen worden ist. Danach sollen kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche Randerscheinungen untersucht werden. Insbesondere seien die Blickrichtungen der Praktischen Theologie und der Ökumenik auf die Forschungsgegenstände anzuwenden. Dies habe zum Ziel, die untersuchten Gruppen kennenzulernen, ihre Praxis zu verstehen und so fundiert Position beziehen zu können. »Je mehr wir wissen von der Sprach- und Frömmigkeitsform, von der kulturellen und sozialen Geschichte und Ausprägung des betreffenden Typs, um so besser können wir ihn verstehen und einordnen.« Hinter diesen Überlegungen Hollenwegers steht die Einsicht, dass die kirchliche Situation nur aus der Beschäftigung mit ihren Phänomenen, auch wenn es Randphänomene sind, verstanden werden kann. Was ist für die Praxis der Gegenwart relevanter als ihre Herkunft aus dem Geschehenen? Die wissenschaftlich-theologische Untersuchung von Gruppen und Bewegungen bedarf nicht nur der (zeit-) geschichtlichen Herangehensweise, sondern auch des praktisch-theologischen Instrumentariums, welches Praxis untersucht, deren Konzeptionen rekonstruiert und auswertet. Auch wenn die Blütezeit eines Phänomenen und deren Trägergruppe längst vergangen sein sollte, bietet deren praktisch-theologische Analyse die Möglichkeit, die Gegenwart zu verstehen: Denn oftmals gibt es Ausläufer oder Ableitungen der Gruppen, die mit ihrer Theologie und Praxis die kirchliche Landschaft prägen wollen. Eine solche lokale Erweckungsgruppe, wie sie Hollenweger meint, ist der Volksmissionskreis Sachsen. Seit dem zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts hatte sich diese Initiative die »Erweckung unserer Kirche« auf die Fahnen geschrieben.3 Hinter ihrem missionarisch ausgerichtetem Namen verbirgt sich eine Seelsorgebewegung. In den 1960er und 70er Jahren stellte der Volksmissionskreis die Trägergruppe bzw. den Repräsentant charismatischen Christentums innerhalb der sächsischen Landeskirche dar. Seine kirchen- und frömmigkeitsgeschichtlichen Wurzeln bedingten, dass charismatische Spiritualität schon in den 1940er und 50er Jahren in Sachsen auftrat – und dies, bevor die weltweite charismatische Bewegung Europa erreichte (dazu 0.1.2). Als in den 80er Jahren der Volksmissionskreis zum Ort einer Konfliktgeschichte wurde, hatte er seine breitere Ausstrahlung bereits verloren. Dennoch sind seine Spuren bis heute wahrnehmbar : An der Spitze der Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemein2 Hollenweger, Erweckung, 225, dort auch das folgende Zit. 3 VMK (Hg.), Rundbrief 01. 06. 1953, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1950–1953.

Wahrnehmung: Der Volksmissionskreis Sachsen als lokale Erweckungsgruppe

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deerneuerung in den evangelischen Kirchen in der DDR prägte er die ostdeutsche charismatische Bewegung. In Sachsen tradieren bis heute einzelne Kirchgemeinden, Gruppen und Personen seine Praxisformen. Ein Beispiel mag dies illustrieren: Noch heute steht Literatur aus dem Kontext des Volksmissionskreises hoch im Kurs und zwar nicht allein in Sachsen. In einer Bestsellerliste, die das evangelikale Magazin »idea Spektrum« nach einer Umfrage unter evangelischen Buchhandlungen im Dezember 2010 veröffentlicht hatte, rangierte das Buch »Besiegte Finsternis« des Bräunsdorfer Pfarrers Gerhard Küttner auf Platz sieben von zehn.4

0.1.2 Hintergrund: Charismatische Spiritualität als innerkirchliches Phänomen. Zu Begriff und Entstehung Begriff »Spiritualität« Zum Terminus »Spiritualität« ist zu sagen, dass dieser hier nach der Definition von Peter Zimmerling verwendet wird: »Spiritualität unterscheidet sich vom protestantischen Begriff ›Frömmigkeit‹ dadurch, dass er im Gegensatz zu diesem nicht bloß die Frömmigkeitsübung und Lebensgestaltung meint, sondern beides mit dem Glauben zusammenschließt«.5 Auf die meist zwischen Kirchenhistorikern und Praktischen Theologen geführte Diskussion, ob nun der Begriff »Frömmigkeit« oder der Begriff »Spiritualität« zu gebrauchen ist und welche die Vor- und Nachteile wären, ist hier nicht einzugehen.6 Auch wenn besonders von kirchenhistorischer Seite die Bedeutung des Begriffs »Frömmigkeit« hervorgehoben wird,7 setzt sich der Terminus »Spiritualität« mehr und mehr durch. Letzterer hat den Vorteil, ökumenisch und international kompatibel zu sein.8 Allerdings wird »Spiritualität« mittlerweile geradezu inflationär verwendet,9 gerade auch in nichtchristlichen und sogar nichtreligiösen Kontexten.10 4 Vgl. idea Spektrum 4/2011, 10. Siehe Küttner, Besiegte Finsternis. Das Buch enthält zwei Vorträge vom Ende der 70er Jahre und wurde 2005 posthum veröffentlicht. Zum Rekurs auf dieses Buch in dieser Arbeit unter 7.2.6. 5 Zimmerling, Evangelische Spiritualität, 15. »Eine allg[emeine] oder auch nur mehrheitlich anerkannte Definition von S[piritualität] gibt es nicht«, Köpf, Spiritualität, 1590. Zur definitorischen Debatte vgl. (ohne Vollständigkeit): Dahlgrün, Spiritualität, 99–153; Evangelische Spiritualität, 10–12; Peng-Keller, Einführung, bes. 9–15; Ruhbach, Theologie und Spiritualität, 122–130; Schmucker, Ist Spiritualität katholisch? 66–69; Schütz, Spiritualität; Wiggermann, Spiritualität. 6 Vgl. z. B. Jaspert, Spiritualität oder Frömmigkeit. 7 Z. B. Köpf, Spiritualität. 8 Vgl. Zimmerling, Evangelische Spiritualität, 15; Jaspert, Spiritualität oder Frömmigkeit, 107. 9 Vgl. Köpf, Spiritualität, 1590f; Steffensky, Spiritualität.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

Für ein christlich-theologisches Verständnis ist zentral, dass Spiritualität die »Gestaltwerdung des christlichen Glaubens« meint,11 »das wahrnehmbare geistgewirkte Verhalten des Christen«,12 in dem es eine Trennung von Dogma und Praxis, von Glaube und Ethik ebenso wenig gibt wie eine Vorordnung der Ethik vor den Glauben. Daher ist christliche Spiritualität an Christus orientiert und gibt nicht einfach wie der postmoderne Begriffsgebrauch »oft noch dem flachsten Bestreben den ›Heiligen‹-Schein des Bedeutsamen«.13 Der Begriff »Spiritualität« verweist auf den spiritus sanctus, der sowohl die ganze Schöpfung belebt als auch die vita christiana als Leben aus dem Geist kennzeichnet: »Spiritualität muß ihr Kriterium an der Wirklichkeit und Wirksamkeit des Heiligen Geistes haben, der wiederum muß durch das Wort Gottes erkennbar werden«.14 Insofern wird mit dem Begriff »Spiritualität« das geistliche Leben bezeichnet, das sich unter der Wirkung Gottes des Heiligen Geistes entfaltet, sich konfessions- und frömmigkeitstypisch ausgestaltet, Glaubensinhalt und Glaubenspraxis miteinander verbindet, dabei die Kategorien der Erfahrung und Übung einschließt und sowohl individuell als auch kollektiv wahrnehmbar werden kann. Begriff »charismatisch« Wenn von der charismatischen Bewegung, von charismatischem Christentum oder von charismatischer Spiritualität gesprochen wird, kann damit zweierlei gesagt sein: Erstens kann dieser Begriff umfassend eine Bewegung und deren Phänomene bezeichnen, deren Beginn15 mit der Pfingstbewegung am Anfang des 20. Jahrhunderts verbunden ist.16 Es entstand eine Vielzahl unterschiedlicher, größerer 10 Insofern »Spiritualität« bewusst in Abgrenzung zu »Religiosität« – häufig auch nichtchristlich oder nichtreligiös – verwendet wird, soll er »Authentizität, persönliche Bedeutung und eigene Erfahrungen zum Ausdruck bringen, während Religiosität mit starren, verkrusteten und hierarchischen religiösen Institutionen und Dogmen assoziiert wird. Spiritualität kann so eine besondere Lösung von traditionellen Institutionen betonen und sich in einer Affinität zu religiösem Eklektizismus, zu neuen religiösen Bewegungen oder freikirchlichen Gemeinschaften niederschlagen«, Hefti, Spiritualität und Medizin, 244. 11 Ruhbach, Theologie und Spiritualität. 12 Evangelische Spiritualität, 12. 13 Wiggermann, Spiritualität, 709. 14 Vgl. Hering, Gottesdienst und Gotteserkenntnis, 42f, Zit. 43. 15 In der Forschung wird von einer Entwicklung pfingstlich-charismatischer Bewegungen in Form dreier Phasen ausgegangen, worüber im Wesentlichen Konsens herrscht. So im Folgenden nach Zimmerling, Bewegungen, 15–21; Hempelmann, Sehnsucht, 458–460; vgl. auch Frenschkowski, Pfingstbewegung, 1234. 16 Vgl. Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 21–24; Frenschkowski, Pfingstkirchen,

Wahrnehmung: Der Volksmissionskreis Sachsen als lokale Erweckungsgruppe

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und kleinerer Pfingstkirchen, welche zusammen einen eigenen Konfessionsbzw. Frömmigkeitstypus neben Katholizismus (und Orthodoxie) und Protestantismus bilden und sich bewusst von den schon bestehenden Kirchen abgrenzen.17 Als Ende der 1950er, Anfang der 60er Jahre der Einfluss der Pfingstbewegung auf die historischen Kirchen deutlich zunahm, entstanden innerhalb der Kirchen der Reformation und des Katholizismus charismatische Gemeinden und Gemeinschaften.18 Diese Gemeinden stellen ihrem Selbstverständnis nach Erneuerungsbewegungen in ihren jeweiligen Kirchen dar und unterscheiden sich dadurch von den Pfingstkirchen.19 Schließlich formierte sich seit den 1980er Jahren mit Beginn in den USA die sogenannte »Dritte Welle« des charismatischen Aufbruches.20 Die Gruppen der Dritten Welle verstehen sich in der Regel bewusst als nicht- bzw. überkonfessionell (konfessionsunabhängig, nondenominational, independent).21 Von den Hauptströmen der Dritten Welle

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1232f; Reimer, Bewegungen; Hempelmann, Sehnsucht, 462–480; Robins, Pfingstbewegung. Innensichten bieten: Eisenlöffel, Freikirchliche Pfingstbewegung; Vetter, Jahrhundertbilanz; vgl. dazu auch die Darstellung aus der Perspektive der Gemeinschaften: Lange, Bewegung, bes. 162–226. Vgl. Zimmerling, Bewegungen, 21. Davon hatte Lesslie Newbigin bereits 1953 (dt. 1956) hinsichtlich der ekklesiologischen Selbstverständnisse, vgl. ders. Spaltung, bes. 116f.124, worauf auch Zimmerling, Bewegungen, 21.230.246 und Hempelmann, Sehnsucht, 455 Bezug nehmen; vgl. auch Meyer, Bewegungen, 214f. »Die charismatische Erneuerung ist gewissermaßen das Ereignis der Pfingstfrömmigkeit in unterschiedlichen ekklesialen Kontexten«, Hempelmann, Sehnsucht, 458. Vgl. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 364: »Der Charismatiker hält sich zu seiner angestammten Kirche und sieht seinen Auftrag darin, für ihre geistliche Erneuerung zu wirken, während der Pfingstgläubige als biblisch legitime Kirche nur die wahre Gemeinde Jesu anerkennt, die aus wiedergeborenen und geistgetauften Gliedern besteht und durch den Heiligen Geist aufgebaut und sichtbar dargestellt wird«. Solche Definitionen sind freilich vereinfachend und treffen nicht alle realen Erscheinungsformungen. Wie Peter Zimmerling feststellt, wenden sich »seit einigen Jahren« viele innerkirchliche Charismatiker auf der Suche nach geistlichen Erlebnissen und Erfahrungen »der Spiritualität der ›Dritten Welle‹« zu, ders., Bewegungen, 25. Interessant ist ebenfalls die Beobachtung, dass einige Gemeinden der Dritten Welle aus einem Veränderungsprozess aus innerkirchlichen charismatischen Gruppen entstanden sind, vgl. Theile, Geist, 55. Die Begriffe »Third Wave of the Holy Spirit« und »Third Wave Movement« wurden von C. Peter Wagner geprägt, vgl. ders., Wege, 55f; vgl. Wimber, Einleitung, 29f; vgl. Hempelmann, Sehnsucht, 494. Dieser nicht- bzw. überkonfessionelle Zweig charismatischer Bewegungen steht teilweise bewusst im Gegenüber zur innerkirchlichen charismatischen Erneuerung, vgl. Gasper, Bewegung, 119. Literatur u. a.: Zimmerling, Bewegungen, 19–21; Hempelmann, Sehnsucht, 492–499. Zum Toronto-Segen vgl. z. B. Hempelmann, Toronto. Diese »Dritte Welle des Heiligen Geistes« ist geprägt von den charismatischen Erfahrungen der Heilungs- und Glaubensbewegung (health and wealth gospel) und der Gemeindewachstumsbewegung (church growth); verschiedene Themen und Praktiken wie der Zeichen- und Wunderansatz in der Evangelisation (power evangelism), geistliche Kampfführung oder der Toronto-Segen verheißen außerordentliche Manifestationen des Heiligen Geistes. Die Dritte Welle ist eine in sich, auch was ihre theologischen Wurzeln betrifft, keineswegs einheitliche Bewegung. So

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

(Vineyard-Bewegung, Wort- und Glaubensbewegung) können weitere unabhängige, sog. neupfingstliche oder neucharismatische Gemeinden, Gruppen und Werke unterschieden werden.22 So verstanden bezeichnet »charismatisch« oder »pfingstlich-charismatisch« eine charismatische Bewegung. Diese hat innerhalb eines Jahrhunderts weltweit eine Fülle neuer Kirchen bzw. Gemeinden hervorgebracht und die traditionellen Kirchen durchdrungen. Es leuchtet ein, dass diese Bewegung keineswegs uniform ist. Grundsätzlich ist daher anzufragen, ob überhaupt von einer charismatischen Bewegung und nicht besser von mehreren Bewegungen zu sprechen ist.23 Von daher bietet es sich an zu präzisieren: Zweitens kann die Bezeichnung »charismatische Bewegung«, synonym zu »charismatische Erneuerung«, auf ein dezidiert innerkirchliches, d. h. bewusst im institutionellen Kontext der klassischen Kirchen (evangelisch, katholisch)24 und Freikirchen (methodistisch, baptistisch) verortetes charismatisches Christentum angewandt werden. Dieser zweite Gebrauch meint ausschließlich den Bereich pfingstlich-charismatischer Spiritualität innerhalb der Konfessionskirchen. Aufgrund ihrer Präzision ist die zweite Begriffsbestimmung für die vorliegende Untersuchung maßgebend. Zu dem, was »charismatische Bewegung« bzw. »charismatisches Christentum« innerhalb der Konfessionskirchen meint, ist auch der Volksmissionskreis Sachsen zu rechnen. Wenn in dieser Arbeit das Attribut »charismatisch« verwendet wird, handelt es sich um die innerkirchliche charismatische Spiritualität. Wenn dagegen charismatisches Christentum als eine Bewegung unabhängig der konfessionellen Standpunkte seiner einzelnen Richtungen gemeint ist, wird dies aus dem Zusammenhang ersichtlich und es soll das Attribut »pfingstlich-charismatisch« Verwendung finden. Diese terminologische Entscheidung ist zweckmäßig. Gleichwohl ist wahr-

sind die Grenzen zur innerkirchlich-charismatischen Bewegung manchmal fließend, ebenso wie sie an manchen Rändern zu pfingstlichen und evangelikalen Gruppen und Theologien verschwimmen. 22 Vgl. Hempelmann, Sehnsucht, 458f, vgl. auch Zimmerling, Bewegungen, 21 in Bezug auf Welker, Gottes Geist, 22f. 23 So auch Zimmerling, Bewegungen, 11. 24 Dabei bilden die orthodoxen Kirchen des Ostens eine gewisse Ausnahme. Durch ihr Engagement in ökumenischen Dialogen sind sie mit pfingstlich-charismatischer Theologie und Spiritualität in Kontakt gekommen bzw. zum Teil verbunden. Aber sie haben keine eigenen charismatischen Gemeinschaften entwickelt und bestimmen ihre kirchliche Spiritualität stärker als die westliche Tradition von der altkirchlichen Pneumatologie her: Man denke nur an die hohe Relevanz altkirchlicher Theologen – wie z. B. des Basilius von Cäsarea mit seinem Werk ders., De Spiritu Sancto, als maßgeblicher Vorbereitung des Konstantinopolitanum I – für die heutige theologische Selbstbestimmung der Ostkirchen. Vgl. dazu Beinert/Kühn, Ökumenische Dogmatik, 151.

Wahrnehmung: Der Volksmissionskreis Sachsen als lokale Erweckungsgruppe

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zunehmen, dass sie nicht dem Sprachgebrauch vor allem der Gruppen der Dritten Welle entspricht. Darauf hat Reinhard Hempelmann hingewiesen: »Der inneren Nähe unterschiedlicher Ausprägungen und ihrer fehlenden Trennschärfe entspricht die Unbestimmtheit der Begriffe: charismatisch, pfingstlerisch, pentekostal, pfingstlich, neupfingstlerisch, neocharismatisch etc. Der Versuch, den Begriff ›charismatisch‹ exklusiv für Erneuerungsgruppen in bestehenden Kirchen zu verwenden, hat sich auch im europäischen Kontext nicht durchsetzen können, vor allem deshalb nicht, weil zahlreiche Gruppen ihn für sich in Anspruch genommen haben, die dem nicht konfessionsgebundenen Spektrum zuzuordnen sind«.25

Entstehung der innerkirchlichen charismatischen Bewegung in Deutschland durch US-amerikanische Einflüsse Auf den Beginn der charismatischen Bewegung in den USA 196026 folgt die realgeschichtliche Vermittlung nach Deutschland durch Pfarrer Arnold Bittlinger 1963. Der Leiter des Volksmissionarischen Amtes der Pfälzischen Landeskirche besuchte lutherische und anglikanische Gemeinden in den USA und lernte zum Beispiel den lutherischen charismatischen Pfarrer Larry Christenson kennen.27 In Deutschland berichtete Bittlinger von seiner Reise. Dabei kommt der Tagung in Enkenbach bei Kaiserslautern 1963 eine Schlüsselfunktion zu, auf der Bittlinger und Christenson vor Teilnehmern erwecklicher Gruppen wie zum Beispiel des Marburger Kreises sprachen.28 Die Ausbreitung in Deutschland liegt vor allem in der Vernetzung der Gruppen und Kreise begründet,29 welche trotz der deutschen Teilung zum Teil auch als Ost-West-Verbindung bestand. Auch ostdeutsche Gruppen wurden so inspiriert, wie der Volksmissionskreis Sachsen, der auch mehrfach von Larry Christenson besucht wurde. Obwohl sich die charismatische Bewegung in Deutschland relativ schnell verbreitete, war sie in den ersten zwei Jahrzehnten im Vergleich zur nordamerikanischen Entwicklung noch recht klein. Erst in den 25 Hempelmann, Sehnsucht, 459. Daraus ergeben sich schließlich auch Differenzen bei der Einteilung des oben vorgestellten 3-Phasen-Schemas. Anders differenzierte Modelle siehe: Hocken, Bewegungen, 1019; Welker, Gottes Geist, 22f; Zimmerling, Bewegungen, 21 im Anschluss an Hollenweger, Junge Kirchen, 454–461, bes. 454.458f. 26 Vgl. bes. Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 244–251; vgl. auch Zimmerling, Bewegungen, 17–19.22–25; Reimer, Geist, bes. 16–37; Föller, Bewegung, 480–482. 27 Vgl. die Darstellung bes. bei Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 245–247; Reimer, Geist, 17f.26f. 28 »Die Teilnehmer machten unter Gebet und Handauflegung charismatische Erfahrungen und trugen diese in ihre Kreise und Gemeinden, sodass in kurzer Zeit etwa 150 charismatisch ausgerichtete Gruppen entstanden«, Föller, Bewegung, 481. 29 Zur weiteren Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland bis in die 80er Jahre vgl. die Darstellungen Reimer, Geist, 26–37.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

1970er Jahren wurde die charismatische Bewegung stärker öffentlich wahrgenommen.30

Deutsche Wurzeln der innerkirchlichen charismatischen Bewegung Im Wesentlichen orientieren sich alle Darstellungen zur Entstehung der charismatischen Bewegung an Walter J. Hollenweger, der ihren Weg von Nordamerika nach Deutschland beschrieb. Hollenweger nannte jedoch auch eine Reihe deutscher Wurzeln für die innerkirchliche charismatische Bewegung in Deutschland.31 Ihm zufolge habe die Zeit des Zweiten Weltkrieges bzw. die Nachkriegszeit drei Entdeckungen gefördert, erstens die Entdeckung des Laienelements in der Kirche, zweitens der ökumenischen Grenzüberschreitung und drittens der eschatologischen Perspektive. Dass Hollenweger diese nicht-amerikanischen Faktoren für die Entwicklung der charismatischen Bewegung in Deutschland aber nicht weiter untersuchte, bedingt es wohl, dass sie bislang in der wissenschaftlichen Literatur kaum eine Rolle spielen. Dabei sind gerade diese ursächlich für jenen »vorbereiteten Boden«, von dem Hans-Diether Reimer sprach, wenn er »Gemeinschaften, Glaubenszentren, Kommunitäten, die zum Teil schon ›charismatische Erfahrungen‹ kannten« und welche dann die Impulse aus den USA aufnahmen, nannte.32 Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Großteil von Gemeinschaften, Kommunitäten und Werken bzw. deren Gründerfiguren direkt oder indirekt durch die Oxford-Gruppenbewegung geprägt worden ist. Die Linie, die von der Gruppenbewegung mitgezeichnet wurde, reicht von Dietrich Bonhoeffer und der Communaut8 de Taiz8 über die Evangelische Marienschwesternschaft Darmstadt bis hin zur Communität Christusbruderschaft Selbitz, auch zum Marburger Kreis und zum Volksmissionskreis Sachsen.33 Diese Gruppen verei30 Vgl. a. a. O., 28f, Zit. 29. Gerade der charismatische Jugendaufbruch Anfang und Mitte der 1970er Jahre prägte das Bild der sich mehr und mehr in den Kirchen in Deutschland etablierenden Bewegung. Die Hochphase der 70er Jahre, die auch Stellungnahmen der Kirchen und eine Institutionalisierung der Bewegung mit sich brachte, bildete zugleich den Beginn einer Ernüchterung in den 80er und folgenden Jahren. Dem innerkirchlichen charismatischen Christentum trat die Spiritualität der Dritten Welle an die Seite, womit eine stärkere freikirchliche Gruppenbildung einsetzte, zum Teil aus innerkirchlichen Gruppen heraus. Beispielhaft für derartige Vorgänge ist der Austritt Wolfram Kopfermanns aus seiner Landeskirche und die Gründung der Anskar-Kirche. Die Situation der charismatischen Bewegung seit den 1980er Jahren kennzeichnen unterschiedliche Konstellationen, deren Spektrum von gegenseitiger Befruchtung über Konkurrenzen bis hin zu lokalen Stagnationen reicht. 31 Vgl. folgend Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 244f, der sich hierbei auf Wilhard Becker bezieht: vgl. Becker, Charismen, 160f. 32 Reimer, Geist, 26. 33 Vgl. Reimer, Buchmann, 215–220.

Herausforderung: Praktisch-theologische Erforschung von Praxisgestalten

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nen im Gefolge der Gruppenbewegung die Elemente Gemeinschaftlichkeit, Laienengagement, Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes sowie gegenseitige Seelsorge. Ohne diese Merkmale wäre die charismatische Bewegung in den deutschen Kirchen so nicht entstanden. Für Theologie und Praxis des Volksmissionskreises Sachsen stellen die ökumenischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges, die Gruppenbewegung und die evangelischen Kommunitäten wichtige Wurzeln dar. Beim Volksmissionskreis liegen die Anfänge charismatischer Spiritualität und Phänomene schon vor dem amerikanischen charismatischen Aufbruch. Die Betonung liegt auf der Feststellung, dass charismatische Spiritualität nicht nur importiert worden ist, sondern ihre Wurzeln auch in Deutschland hat.

0.2

Herausforderung: Praktisch-theologische Erforschung von Praxisgestalten der Vergangenheit

0.2.1 Die praktisch-theologische Bedeutung des Selbstverständnisses und der Praxis lokaler Gruppen Innerkirchliche charismatische Spiritualität versteht sich als Erneuerung der Kirchen und ihrer Traditionen. Besonders übergemeindliche Gruppen der charismatischen Bewegung sehen sich bzw. ihre Praxis in der Regel als schlechthinnige Handlungsoptionen zur flächendeckenden kirchlichen Erneuerung. Ihren generalisierenden erwecklichen Selbstanspruch beziehen sie insgesamt auf die kirchlichen Grundvollzüge Leiturgia, Martyria, Diakonia und Koinonia. So entstehen (auf unterschiedlichen Reflexionsebenen) praktischtheologische Konzepte charismatisch-kirchlichen Handelns, welche charismatische Spiritualität zum Beispiel in Seelsorge, Gottesdienst oder Gemeindeaufbau in Erscheinung bringen wollen. Diese meist impliziten Praxiskonzepte – implizit, weil sich die Gruppen als Praxisgemeinschaften und nicht von der reflexiven Aufgabe her verstehen – werden selten untersucht, wenn nicht gar ignoriert. Dabei ist ihre Erforschung lohnenswert, da die Gruppen, selbst wenn sie nur lokale Randerscheinungen bilden, eine Ausstrahlung auf Gemeinden, Kirchen und Christen haben und so einen Teil des kirchlichen Lebens darstellen. »Praktische Theologie hat die Lebensäußerungen der Gemeinde im Blick«.34 Wenn dem so ist, was ich nicht bezweifle, sondern unterstreiche, müssen Formen, Bedingungen und Konzeptionen von einzelnen Erweckungsgruppen untersucht werden. Das Selbstverständnis dieser Gruppen und ihrer Praxis ist zu 34 Engemann/Köhler, Praktische Theologie, 129.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

analysieren und auszuwerten. Dies gilt sowohl für die Gegenwart als auch die Vergangenheit. Die charismatische Seelsorgegemeinschaft des Volksmissionskreises Sachsen stellt eine solche Gruppe dar.

0.2.2 Zur praktisch-theologischen Erforschung von Praxisgestalten der Vergangenheit Nach Manfred Seitz ist Praktische Theologie »die Wissenschaft vom tatsächlichen und vom seinsollenden Lebensvollzug der Kirche«.35 Die tatsächliche Praxisgestalt der Kirche ist daher ein Gegenstand der praktisch-theologischen Forschung. Entsprechend dem, was zur Bedeutung der lokalen Erweckungsgruppen gesagt wurde, gehört deren Praxis zu diesem Forschungsbereich. Historische Perspektive neuerer praktisch-theologischer Studien Exemplarisch für die praktisch-theologische Erforschung von Gruppen und Strömungen ist die vielbeachtete Studie über »Charismatische Bewegungen« von Peter Zimmerling (2001, 2002, 2009).36 Zimmerling untersucht das Phänomen charismatischer Spiritualität hinsichtlich seiner gegenwärtigen Gestalt vor allem anhand der Felder Spiritualität, Gottesdienst, Seelsorge und Gemeindeaufbau. Untersuchungen zu Gruppen der Vergangenheit gibt es bislang nur wenige. Mittlerweile klassisch ist die vor einem halben Jahrhundert erschienene Arbeit über die »Lebensformen der Herrnhuter Brüdergemeine« von Hanns-Joachim Wollstadt (»Geordnetes Dienen«; 1966).37 Sie hat zum Ziel, im praktisch-theologischen Rückgriff auf ein historisches Thema Erfahrungen zu vermitteln und einen »Beitrag zur heutigen oekumenischen Besinnung« zu leisten. Seit einiger Zeit aber erscheinen mehr und mehr praktische Studien zu verschiedenen historischen Themen. Diese sind vorwiegend biographischer Natur und eine ganze Anzahl von ihnen ist in der Leipziger Reihe »Arbeiten zur Praktischen Theologie« erschienen: So untersucht Ulrike Witten die historische Dimension der Diakoniewissenschaft und leitet in ihrer Studie »Diakonisches Lernen an Biographien« Aufgaben für die Gegenwart ab (2014).38 Martin Hauger legte die »historisch-homiletische Untersuchung« zu den 35 36 37 38

Seitz, Praxis des Glaubens, 206. Zimmerling, Bewegungen. Wollstadt, Geordnetes Dienen; folgend vgl. 20, Zit. 21. Witten, Diakonisches Lernen; vgl. dort 23.38.

Herausforderung: Praktisch-theologische Erforschung von Praxisgestalten

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frühen Predigten Gerhard von Rads vor und rekonstruiert dessen Homiletik (2013).39 Er gibt seiner Arbeit eine theologie-, predigt-, biographie- und werksgeschichtliche Zielstellung und intendiert diese auf die homiletische Theoriebildung. Damit verwandt ist die Untersuchung von Sebastian Kuhlmann »zur prophetischen Dimension der Predigt«, die er anhand von Predigten Martin Niemöllers durchführte (2008).40 Christian Plate arbeitete zur »Theorie und Praxis der Predigt im Gesamtwerk Otto Haendlers« (2014).41 Peter Zimmerling hat Arbeiten zu Dietrich Bonhoeffer (2006) und Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (2010) veröffentlicht, in denen er die Genannten jeweils als »Praktische Theologen« vorstellt.42 In seinem Band zu Bonhoeffer, dem ausführlicheren der beiden, untersucht er dessen Werk hinsichtlich der Grundlegung Praktischer Theologie (Ekklesiologie und Spiritualität) sowie zu den Feldern Homiletik, Liturgik, Poimenik und Oikodomik. Ein Standardwerk der praktisch-theologiegeschichtlichen Forschung ist die »Praktische Theologie Wilhelm Stählins«, die Michael Meyer-Blanck unter dem Titel »Leben, Leib und Liturgie« vorgelegt hat (1994).43 Vom biographischen Paradigma unterscheidet sich die kurze Untersuchung Thomas Rheindorfs zur Liturgischen Arbeitsgemeinschaft 1941–44 (»Liturgie und Kirchenpolitik«; 2007).44 Spiritualitätsforschung als Aufgabe der Praktischen Theologie Diese exemplarisch genannten Arbeiten zeigen, dass sich die Praktische Theologie mit historischen Themen auseinanderzusetzen hat und auseinandersetzt. Sie liefern einen Zugewinn, der nicht allein das historische Wissen fördert, sondern die Kenntnis praktischer Methoden und die kritische Reflexion von Konzepten vermehrt. Die historische Perspektive auf Praxisgestalten stellt für die Praktische Theologie keine fachfremde Obliegenheit dar. Sie bedeutet vielmehr eine integrale, fruchtbare Aufgabe und ermöglicht einen wichtigen Beitrag zur Reflexion und Konzeption kirchlicher Praxis. Die theologiegeschichtlich relativ junge Ausdifferenzierung der theologischen Fächer, gekrönt durch Schleiermachers Etablierung der Praktischen Theologie, verlangt nicht deren Abgrenzung voneinander, sondern ihren wechselseitigen, interdisziplinären Bezug. So verlöre eine Praktische Theologie, die nicht auf Praxisgestalten der Vergangenheit 39 40 41 42 43 44

Hauger, von Rads frühe Predigten; folgend vgl. 51. Kuhlmann, Niemöller. Plate, Predigen in Person. Zimmerling, Bonhoeffer ; ders., Leben für die Kirche. Meyer-Blanck, Leben, Leib und Liturgie. Rheindorf, Liturgie und Kirchenpolitik.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

schaute, ihren Boden. In der Liturgiewissenschaft ist diese Herangehensweise seit jeher selbstverständlich gegeben. Auch die Disziplin der Spiritualitätsforschung integriert historische Aspekte, wenngleich dieses Fachgebiet – herkömmlich unter dem Namen »Aszetische Theologie« – heute ein Schattendasein im evangelischen Fächerkanon führt, im Gegensatz zur katholischen »Spirituellen Theologie«.45 Jüngstes Zeugnis evangelischer Spiritualitätsforschung stellt das dreibändige Handbuch »Evangelische Spiritualität« dar, dessen erster Band inzwischen erschienen ist und die Geschichte evangelischer Spiritualität in den Blick nimmt.46

0.3

Aufgabe: Geschichte und Poimenik des Volksmissionskreises Sachsen

0.3.1 Problemstellung und Forschungsaufgabe Die Spezifika charismatischer Spiritualität, wie sie sich im Osten Deutschlands unter den Bedingungen einer bestimmten politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Situation herausgebildet haben, ihre Entwicklung und ihr Einfluss auf das lutherische Frömmigkeitsprofil in Sachsen sowie ihre Praxisformen sind bis heute weitestgehend unbekannt geblieben.47 Praktisch-theologische Untersuchungen wurden überhaupt nicht in Angriff genommen. Die vorliegende Untersuchung des Volksmissionskreises Sachsen als führende Gruppe der ostdeutschen charismatischen Bewegung tritt in diese Lücke ein. Die Untersuchung geht dabei weniger vom biographischen Paradigma aus, obgleich die Geschichte des Volksmissionskreises nicht von den Biographien seiner Akteure zu trennen ist. Dessen Praxismerkmale bilden den praktischtheologischen Forschungsgegenstand der Studie. Zur Problemstellung gehört es, dass nicht unbedeutende Teile der Landeskirche Sachsens vom Volksmissionskreis geprägt worden sind und dass die Auswirkungen, auch einer Konfliktgeschichte, bis heute wahrgenommen werden können. Daraus folgt eine mehrgliedrige Forschungsaufgabe: Erstens ist für ein profundes Verstehen auf die historischen Wurzeln einzugehen. Das Netzwerk aus verschiedenen frömmigkeitsgeschichtlichen Einflüs-

45 Vgl. Zimmerling, Einheit von Theologie und Spiritualität. 46 Vgl. Zimmerling, Handbuch Bd. 1. 47 Dagegen ist die Erforschung der politischen Geschichte der sächsischen Landeskirche nach dem Zweiten Weltkrieg gediehen und steht auf einer soliden Basis, vgl. z. B.: Hein, Landeskirche; Seidel (Hg.), Rückblicke; darin bes.: Engelbrecht, Weg.

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sen und die Entwicklung des Volksmissionskreises Sachsen sind nachzuzeichnen. Zweitens hängen die klassischen Kontroversfragen zwischen traditionell lutherischer und innerkirchlich charismatischer Theologie (Wort und Geist, Rechtfertigung und Heiligung, Taufe und Bekehrung, Amt und Charisma) aufs Engste mit der Praxis zusammen. Die inhaltlichen Richtungsbestimmungen sind zu diskutieren. Drittens ist die Seelsorgekonzeption und -praxis des Volksmissionskreises zu untersuchen. Da dieser als Seelsorgebewegung in Erscheinung getreten ist, gilt es vor allem dieses Handlungsfeld zu untersuchen und die Bezüge zur Spiritualität, zum Gemeindeaufbau und zum Gottesdienst aufzuzeigen. Leitend sind die Fragen: Wie sah die seelsorgerliche Praxis aus? Welche poimenischen Theoriebildungen stehen dahinter? Welche Diskussionsbeiträge ergeben sich für heute?

0.3.2 Forschungsstand Die gestellte Aufgabe kann nicht angegangen werden, ohne den aktuellen Forschungsstand zu berücksichtigen.48 Der folgende Überblick erweist die schmale wissenschaftliche Forschungslage. Studie der Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR Die einzige umfassende wissenschaftliche Veröffentlichung, welche die ostdeutsche charismatische Bewegung und darin auch den Volksmissionskreis Sachsen sowohl historisch als auch theologisch analysiert, ist die Studie der Theologischen Studienabteilung (ThSA) beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR:49 »Charismatische Bewegung in der DDR. Bericht über Phänomene und Aktivitäten charismatischer Prägung in evangelischen Kirchen in der DDR« (1978) zusammen mit »Kirche und charismatische Erneuerung. Über Chancen und Probleme einer Bewegung in unseren Kirchen« (1979). Beide Arbeiten sind 48 Auch wenn hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, werden dennoch die wichtigsten Arbeiten vorgestellt und bieten ein repräsentatives Bild. 49 Alle weiteren und neueren Veröffentlichungen haben grundsätzlich eine westdeutsche Perspektive. Beispielhaft ist die Dissertation von Dirk Spornhauer (ders., Bewegung), welche die Wurzeln, die historische Entwicklung und theologische Positionen der charismatischen Bewegung (innerkirchlich und Dritte Welle) in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990 untersucht. Der Blick schweift naturgemäß nur am Rande in die ehemalige Deutsche Demokratische Republik (vgl. a. a. O., 162).

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

in leicht gekürzter Form in einem Werk zusammengefasst erschienen: »Charismatische Erneuerung und Kirche« (1983f).50 Eine wichtige Quelle für die Arbeit der Studienabteilung stellte der Bericht von Christoph Michael Haufe: »Geistliche Bewegungen in der DDR« (1976) dar.51 Der Gewinn dieser Studie, welche empirisch, historisch, konfessionskundlich, systematisch- und praktisch-theologisch vorgeht, besteht besonders in ihrer starken Nähe zu damaligen Personen und Ereignissen dieser Bewegung. Ihre Eigenschaft als Ergebnis eines innerkirchlichen dialogischen Forschens muss hervorgehoben werden,52 das durch die Durchführung von 4153 Interviews mit Personen der charismatischen Bewegung in der DDR umgesetzt wurde. Die Bedeutung der Studie liegt darin, dass sie den Stand der charismatischen Bewegung dokumentiert, das Bedingungsgefüge ihrer Theologie und Praxis systematisiert und Probleme diskutiert. Für das Miteinander von charismatischer Bewegung und Kirche reflektiert sie die Möglichkeit der »dialogischen Pluralität«.54 Aus heutiger Sicht ergibt sich die Chance, rückblickend eine neue Forschungsarbeit anzugehen und den weiteren Verlauf der Geschichte dieser Bewegung einschließlich der Konfliktgeschichte zu untersuchen. Dass dies bis jetzt 50 Theologische Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (Hg.), Charismatische Bewegung in der DDR [1978]; dies. (Hg.), Kirche und charismatische Erneuerung [1979]; Kirchner/Planer-Friedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung [Berlin (Ost) 1983 bzw. Neukirchen-Vluyn 1984]. – Materialien und Zwischenbericht zur Vorarbeit der genannten Studien sind veröffentlicht in: Theologische Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (Hg.), Das Wirken des Heiligen Geistes [1978]. – Einen weiteren Zwischenbericht lieferte Christof Ziemer nach Erscheinen der ersten Teilstudie: ders., Bewegung. – Vor Publikation der Studie wurde bereits eine umfassende Auflistung von Literatur zum Themenfeld »Charisma und Heiliger Geist« als Handreichung geliefert: Theologische Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR (Hg.), Charisma und Heiliger Geist [1977]. 51 Haufe, Geistliche Bewegungen in der DDR. Dass Haufe seinen Bericht bereits 1976 lieferte, ist in dem Vorwort von Ernst Petzold a. a. O. [unpaginiert] ersichtlich. 52 Dass solchem dialogischen Forschen ein Potential wachsender innerkirchlicher Gemeinschaft innewohnt, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Werner Krusche hielt 1991 als Altbischof einen Bericht vor der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der (ehemaligen) DDR, der rückblickend ähnliches zum Ausdruck bringt: »Die Theologische Studienabteilung hatte bereits Ende der 70er Jahre eine fundierte Studie über diese geistliche Bewegung in unserer Kirche erarbeitet. Daß von ihr wichtige Lebensimpulse in unsere Kirche ausgehen, ist Grund, für sie dankbar zu sein. Es wird für unsere Kirche Erhebliches davon abhängen, ob die ›Geistliche Gemeindeerneuerung‹ als erneuernde Kraft in unserer Kirche bleibt oder ob sie die normalen Kirchgemeinden nicht für erneuerungsfähig ansieht und sich zu eigenen Gemeindegründungen entschließt. Die verantwortlichen Vertreter der Geistlichen Gemeindeerneuerung wollen das letztere ganz offensichtlich nicht. Es ist gut, daß diese für die Gemeinschaft unserer Kirche brennende Frage wenigstens angegangen worden ist. Sie wird in Zukunft viel innere Arbeit notwendig machen«, Krusche, Rückblick, 18. 53 Diese Zahl laut Stepper, Bewegung, 19. 54 Vgl. Kirchner/Planer-Friedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 185–191.

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nicht geschehen ist, wird auch darin erkennbar, dass alle weiteren wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die einen Bezug zur charismatischen Bewegung in der DDR aufweisen, auf die Studie des Bundes zurückgreifen oder diese sogar direkt wiedergegeben.55 Meist entstanden solche Publikationen kurz nach Erscheinen der Studie.56 Die heutige Forschung kann auf ein breiteres Quellenmaterial zuzugreifen. In diesem Zusammenhang sei auf einen interessanten Fund hingewiesen: Die genannten Interviews für die Studie der ThSA wurden protokollarisch festgehalten, in der Studie verarbeitet, aber nicht wiedergegeben. Daher sind sie als Texte von wissenschaftlichem Interesse. Eine Anfrage beim Evangelischen Zentralarchiv Berlin ergab, dass die Interviewprotokolle bei der Auflösung der Informations- und Dokumentationsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlin, 2005 vernichtet wurden. Aufgrund privater Hinweise konnte ermittelt werden, dass einige der Protokolle zwischenzeitlich kopiert worden waren57 und mittlerweile im Archiv zur Charismatischen Bewegung beim Christlichen Zentrum Herrnhut e.V. in Herrnhut lagern. Daher kann eine Auswahl dieser Texte im Folgenden berücksichtigt werden. Kirchliche und private Studien Unter kirchlichen Veröffentlichungen sind einige Kurzdokumentationen zu erwähnen: Der zum Volksmissionskreis Sachsen gehörende Pfarrer Gottfried Rebner publizierte in einem vom sächsischen Landeskirchenamt anlässlich des 450. Reformationsjubiläums herausgegebenen Band zur kirchlichen Situation in Sachsen einen Beitrag über den Volksmissionskreis Sachsen in der Funktion einer knappen Selbstvorstellung (1987, erschienen 1990).58 Zusammen mit Paul Toaspern bearbeitete Rebner auch einen Kurzüberblick zur Situation der charismatischen Bewegung in der DDR für das Buch von Larry Christenson »Komm, Heiliger Geist« (1987, erschienen 1989).59 Im Handbuch »Kirchen, Freikirchen und Religionsgemeinschaften in der 55 Vgl. Janssen-Kloster, Geistliche Erneuerungsbewegungen in der DDR. 56 Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen, seinerzeit Stuttgart, veröffentlichte 1980 einen 39-seitigen Auszug der ThSA-Studie: dies. (Hg), Die charismatische Bewegung in der DDR. Der amerikanische Reformationswissenschaftler Carter Lindberg zitiert in seiner vom Luth. Weltbund veröffentlichten Arbeit einige Passagen der Studie: ders., Erneuerungsbewegungen, 20–26; zuvor: ders., Movements [1983]. Bezug auf die ThSAStudie nehmen z. B. auch: Reimer, Geist, 37–41; Zimmerling, Bewegungen, 23. Vgl. auch einige Bemerkungen zur Studie in: Hollenweger, Wie aus Grenzen Brücken werden, 60–62. 57 Dies geschah für : a. a. O. 58 Rebner, Volksmissionskreis. 59 Christenson, Geist, 335–337.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

DDR« des Potsdamer Konfessionskundlichen Arbeits- und Forschungswerkes lieferte der Dresdner Oberlandeskirchenrat Martin Schwintek einen Beitrag über »Innerevangelische Gruppierungen« vorwiegend in Sachsen, dabei auch zum Volksmissionskreis Sachsen (1989).60 Die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen veröffentlichte im »Handbuch der evangelistisch-missionarischen Werke, Einrichtungen und Gemeinden« einen Lexikonartikel »Volksmissionskreis Sachsen«, welcher in einer Kurzübersicht historische, formale und theologische Daten bietet (1997).61 Dieser Beitrag wird auch aus Selbstvorstellungen des Kreises gespeist. Oberlandeskirchenrat Dieter Auerbach publizierte in seinem dokumentarischen Band »Evangelisches Sachsen« einen Abschnitt über »Geistliche Erneuerung« (1999).62 Unter den privaten Arbeiten sind zunächst Hochschularbeiten, dann Aufsätze zu nennen. Letztere sind nicht alle veröffentlicht und haben nur zum Teil wissenschaftlichen Anspruch. Oftmals tragen sie autobiographischen Charakter : Mitte der 1990er Jahre sind Seminar- und Diplomarbeiten erstellt worden, die sich mit der charismatischen Bewegung in Ostdeutschland bzw. mit dem Volksmissionskreis Sachsen näher beschäftigen.63 Ihrem Genus ist es geschuldet, dass diese Arbeiten nur ein eingeschränktes Spektrum an Quellen zur Verfügung hatten und verarbeiten konnten. Objektivität und wissenschaftliche Qualität sind jeweils unterschiedlich. Georg Scheuerlein, damals altlutherischer Pfarrer und Jugendpfarrer in Sangerhausen, erarbeitete ein 43-seitiges Vortragmanuskript zum Thema »Die Jugenderweckungsbewegung in der DDR« (1975).64 Noch vor der Arbeit der ThSA befasste sich Scheuerlein in unmittelbarer Aktualität mit dem charismatischen Jugendaufbruch der 1970er Jahre bzw. der Jesus-People-Bewegung. Mit Schwerpunkt auf den Entwicklungen in Sachsen wird der ostdeutsche, auch freikirchliche Bereich in den Blick genommen. Grundlage für die Untersuchung stellen Umfragen des Verfassers dar, die im Vortrag direkt verarbeitet werden und zum Teil als Materialsammlung beigefügt sind.

60 61 62 63

Schwintek, Innerevangelische Gruppierungen, bes. 65–68. Hempelmann (Hg.), Handbuch, 338. Auerbach, Sachsen, bes. 104f. Dregennus, Volksmissionskreis; Stepper, Bewegung; Viertel, Volksmissionskreis. Mit ihrer gemeinsamen Erscheinungszeit weisen diese Hochschularbeiten markant auf die veränderten gesellschaftlichen Umstände nach der Friedlichen Revolution in Ostdeutschland hin. Es ist augenscheinlich, dass Personen, welche ihre Jugend noch in der DDR erlebten, auf eine mit dem Jahr 1990 gewissermaßen abgeschlossene Epoche zurückblicken. Geschichte und Kirchengeschichte der DDR werden nun zum Forschungsgegenstand. 64 Die Jugenderweckungsbewegung in der DDR, [masch. Manuskript; unveröffentlicht], Pfr. Georg Scheuerlein, Sangerhausen, 1975, in: A.IV.a.IV.1.

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Weitere private Veröffentlichungen sind ähnlich wie die genannten Hochschularbeiten kurz nach 1990 erschienen: Hans Prehn, einer der Gründer des Volksmissionskreises Sachsen, verfasste eine autobiographische Schrift, die vor allem die Anfänge des Volkmissionskreises behandelt und posthum (1989, erschienen 2001) veröffentlicht wurde.65 Christa Prehn publizierte im Selbstverlag eine Quellensammlung zu den ersten beiden Jahrzehnten des Kreises um Hans Prehn (1994).66 Friedrich Carl Eichenberg, seinerzeit Propst in Stendal und als vormaliger sächsischer Pfarrer eng mit dem Volkmissionskreis verbunden, veröffentlichte in der Zeitschrift der Geistlichen Gemeindeerneuerung einen zweiteiligen Beitrag zur Geschichte der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der DDR (1991).67 An gleicher Stelle veröffentlichte Gottfried Rebner einen ähnlichen Aufsatz (1994).68 Der frühere Großhartmannsdorfer Pfarrer Christoph Richter veröffentlichte einen Beitrag im Rundbrief des Marburger Kreises, in dem er seine Erfahrungen in Großhartmannsdorf und im Volksmissionskreis Sachsen reflektiert (1998).69 Hartwig Thieme, langjähriger Mitarbeiter des Marburger Kreies, lieferte unter der Überschrift »Die Gruppenbewegung in der DDR und in den neuen Bundesländern« eine historische Beschreibung zum Volkmissionskreis Sachsen (2001).70

0.3.3 Quellen Archivalia Entsprechend dem Forschungsstand ergibt sich für die vorliegende Arbeit die Notwendigkeit der eigenständigen Quellenerhebung, um verwertbares Material als Grundlage zu erhalten. Dass sich die Thematik auf eine Bewegung innerhalb einer verfassten Kirche bezieht, erweist sich für die Möglichkeiten der Quellenrecherche von unschätzbarem Wert. Das flächendeckende Vorhandensein kirchlicher Archive auf parochialer und ephoraler Ebene ermöglichte ausführliche Recherchen. Nur so kann die für diese Studie interessante mikroskopische Perspektive von Kirchgemeinderealitäten überhaupt einbezogen werden. Darüber hinaus stellen Ar65 66 67 68 69 70

Prehn, Volksmissionskreis. Prehn, Begegnung. Eichenberg, Posaunen I–II. Rebner, Bewegung. Richter, Erweckung. Georgi/Thieme, Christsein, 94–97.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

chive und archivalische Sammlungen von Vereinen und Privatpersonen eine weitere wichtige Ressource dar. Den Schwerpunkt bilden pfarramtliche Archive sächsischer Kirchgemeinden. Es handelt sich um Gemeinden, welche mit dem Volksmissionskreis Sachsen in Kontakt stehen oder standen. Als wichtigste sind die Pfarrarchive in Bräunsdorf, Großhartmannsdorf und Sosa zu nennen. Die Ephoralarchive der Superintendenturen wurden in vier Kirchenbezirken, die eine hohe Dichte von Aktivitäten des Volksmissionskreises aufwiesen, genutzt (Aue, Chemnitz, Freiberg, LeisnigOschatz). Eine weitere wichtige Ressource stellen auch landeskirchliche Archive dar. Das Landeskirchenarchiv des Landeskirchenamtes Sachsens in Dresden bot ein umfassendes Reservoir von Quellen. Ergänzend wurde auch das Landeskirchliche Archiv des Evangelischen Oberkirchenrates in Württemberg, Stuttgart, besucht, welches Material zur Geschichte der Bekennenden Kirche als einer Wurzel des Volksmissionskreises aufbewahrt. Auch im Bereich der Diakonie, welche in kirchlichen Vereinsstrukturen verfasst ist, konnten Recherchen durchgeführt werden. Hier sind das Diakonische Amt des Diakonischen Werkes der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens e.V. in Radebeul sowie die Stadtmission Chemnitz e.V. zu nennen. Im weiteren Sinne gehören die Sächsische Posaunenmission e.V., Radebeul, und das Konfessionskundliche Werk der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Evangelischer Bund, Landesverband Sachsen), Dresden, ebenfalls in diesen Bereich. In Archiven bzw. archivalischen Sammlungen von vier eingetragenen, nicht zur Struktur landeskirchlicher Organe zählenden Vereinen konnten ebenfalls Ergebnisse bei Recherchen erzielt werden. Am ertragreichsten zeigt sich die Dokumentation in der Geschäftsstelle des Volksmissionskreises Sachsen e.V., zur Zeit der Recherchen noch in Dresden, jetzt in Chemnitz. Eine wichtige Ergänzung stellen private Sammlungen dar. So konnte hin und wieder Material zu Tage gebracht werden, welches in institutionellen Archiven nicht vorhanden war. Dazu zählt auch eine eigene Sammlung des Verfassers. Qualität und Zustand der Archive zeigten sich erwartungsgemäß in deutlich unterschiedlichem Maße. Während in den meisten Archiven Akten durch Registratur bzw. Signatur verzeichnet waren und im seltensten Fall eine Paginierung der Blätter vorgefunden wurde, musste mancherorts mit einigem Aufwand ohne Findbücher gearbeitet werden. Glücklicherweise waren nur selten Loseblattsammlungen zu durchforsten. Ebenso unterschiedlich und vielseitig wie die Archive präsentiert sich das zu Tage geförderte Material. Zunächst sei die Feststellung bemerkt, dass die Quellenlage ab Anfang bzw. Mitte der 1960er erkennbar schmaler wird. Dies entspricht dem landläufigen Befund einer seitdem zunehmenden Dokumentationsmüdigkeit. Dennoch kann für den Zeitraum von ca. 1935 bis 1995 eine

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insgesamt recht breite Quellenbasis erschlossen werden. Hin und wieder verwehrten Sperrfristen den Zugang zu Akten, besonders bei Personalia. Eine Aufstellung der 34 Archive und der entsprechenden Akten, die in dieser Arbeit zitiert werden, findet sich im Literaturverzeichnis. Dort ist auch das eigene Signatursystem, nach welchem hier zitiert wird, entschlüsselt.

Auswahl der Quellen Die Berücksichtigung der Quellen richtet sich nicht nach dem Prinzip der Vollständigkeit, sondern nach deren praktisch-theologischer Verwertbarkeit. Dafür bedarf es aber auch solchen Materials, das aussagekräftig die Genese des Volksmissionskreises zu beleuchten vermag. Auf folgende Genera wurde zugegriffen: persönliche und amtliche Briefe, Rundbriefe, Visitationsberichte, Predigten, Aufsätze, Mitschriften bzw. Protokolle aus Tagungen und amtliche Aktennotizen, Listen (z. B. Teilnehmerlisten), Handzettel und anderes. Aus dem praktisch-theologischen Anspruch der Aufgabenstellung heraus wurde auf Material aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verzichtet. Dieses besondere Material bedürfte eines eigenen hermeneutischen Instrumentariums und wäre für eine kirchenhistorische Untersuchung vonnöten. Darüber hinaus scheint die Chance mündlicher Quellen durch Befragung von Akteuren und deren Nachfahren greifbar nahezuliegen. Deren vielfach biographische Bezüge enthalten das Potential, eine Untersuchung zu Spiritulität und Praxis wesentlich zu befruchten. Daher wurden eine Reihe von Gesprächen mit Personen aus dem Volksmissionskreis Sachsen geführt, die dem Typus des Leitfadeninterviews, wie er aus der qualitativen Sozialforschung bekannt ist,71 folgten. Da die Erhebung der Daten in einer ausschließlich inhaltlich-thematischen, d. h. nicht in einer soziologischen, sprachwissenschaftlichen oder vergleichbaren Auswertungsabsicht begründet ist, dienten die qualitativen und nicht-standardisierten Befragungen dazu, den Gesprächspartner eines Interviews »als Zeuge, als Experte, als Informant auftreten«72 zu lassen. Weil die vorliegende Studie ausreichend schriftliche Quellen auswertet, werden die Interviews nicht Teil des methodischen Vorgehens und es erfolgt keine praktisch71 Vgl. dazu die einschlägige Fachliteratur, z. B. Flick, Sozialforschung, bes. 24–27, 113f; Flick, Qualitative Sozialforschung, bes. 210f. 72 Mayring, Einführung, 91. Freilich ist der Begriff des Experten als Bezeichnung für den Interviewpartner problematisch und in der Sozialforschung nicht unumstritten, da schon die Bestimmung von Professionalität im Blick auf die Interviewpartner äußerst schwierig ist. Für unsere Arbeit gilt, was Aghamanoukjan/Buber/Meyer, Qualitative Interviews, 422 festhalten: »Der ExpertInnenstatus ist in erster Linie abhängig vom jeweiligen Forschungsinteresse und wird in gewisser Hinsicht vom Forscher bzw. der Forscherin ›verliehen‹«.

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

theologisch motivierte Auswertung. Vielmehr verhalfen diese Gespräche dazu, das Puzzle des ausführlichen Quellenmaterials ordnen zu können. Wo in dieser Arbeit auf mündliche Informationen zur Ergänzung der schriftlichen Quellen zurückgegriffen wird, ist dies ausdrücklich vermerkt.73

0.3.4 Methodik Poimenischer Fokus Anhand des Quellenmaterials will die vorliegende Arbeit im Zusammenspiel von Distanz und Nähe den Forschungsgegenstand praktisch-theologisch erfassen. Eine historische Analyse von Wurzeln und Entwicklungen ist dafür notwendig, die allerdings unter einem praktisch-theologischen Interesse steht und das Quellenmaterial auf Praxismerkmale und -probleme hin liest. Der Volksmissionskreis Sachsen wird als Seelsorgebewegung wahrgenommen und untersucht. Daher stellt die Poimenik das hauptsächliche Feld der Untersuchung dar. Darüber hinaus werden Einzelthemen der Oikodomik und Liturgik beleuchtet, welche in der Geschichte des Volksmissionskreises eine wichtige Rolle spielten. Nicht zuletzt ist auch die Spiritualität des Volksmissionskreises – nämlich unter der Frage der Entwicklung innerkirchlicher charismatischer Spiritualität in Sachsen – im Blick. Durch die mikroskopische Fokussierung von Kirchgemeinderealitäten und Einzelpersonen wird die makroskopische Perspektive auf den Bereich »Sachsen« ergänzt. Dies geschieht durch die exemplarische Untersuchung von Fallbeispielen. Zeitliche Eingrenzung Der Forschungsgegenstand ist auf die Zeit von den 1930er Jahren bis zum Jahr 1990 eingegrenzt. Dieser Rahmen ergibt sich erstens aus den Anfängen des Volksmissionskreises Sachsen in der Bekennenden Kirche und zweitens aus dem Ende seiner breiteren Ausstrahlung. Letzteres ist zeitlich unscharf, weshalb es mit dem zeitgeschichtlich bedeutsamen Datum des Jahres 1990 markiert werden soll. Diese Festlegung geschieht aufgrund der wichtigen geschichtlichen, politischen, soziokulturellen und kirchlichen Einschnitte der Deutschen Einheit, welche auch auf den Volksmissionskreis Sachsen wirkten. Bis dahin hatte der Kreis aufgrund der genannten Konfliktgeschichte seine Ausstrahlungskraft 73 Alle Gespräche liegen mir in Form von Transkriptionen (nach Audioaufnahmen) oder Protokollen (wo Aufnahmen nicht möglich waren) vor.

Aufgabe: Geschichte und Poimenik des Volksmissionskreises Sachsen

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verloren und wurde anschließend durch die Gründung eines eingetragenen Vereines (1991) neu strukturiert. Teilnehmende Beobachtung: Der Ansatz von Darstellung und Auswertung Der zeitlich geringe Abstand zum historischen Forschungsgegenstand stellt eine besondere Voraussetzung der Methodik dar. Nicht nur, dass viele teilhabende Personen noch leben; auch eine vergleichsweise junge Konfliktgeschichte fügt Darstellung und Auswertung in einen Bedingungsrahmen, welcher methodisch entsprechend zu reflektieren ist. Übernimmt die vorliegende Untersuchung zwar nicht die Aufgabe einer konfliktgeschichtlichen Aufarbeitung, so bietet die Darstellung doch einen Beitrag dazu. »Über Überzeugungen anderer Menschen zu sprechen ist eine Gratwanderung zwischen Offenheit und Unterscheidung, zwischen Nähe und Distanz.«74 Um sine ira et studio eine praktisch-theologische Untersuchung unter Beachtung zeitgeschichtlicher und biographischer Bezüge durchzuführen, hilft die methodische Haltung der Teilnehmenden Beobachtung. Sie kennzeichnet, dass sie sich sowohl in Nähe als auch in Distanz zum Forschungsgegenstand verhält.75 Dieser Ansatz verlangt weder eine umfassende historische noch eine psychologische Auswertung (hinsichtlich der zeitgeschichtlichen sowie biographieund konfliktgeschichtlichen Elemente). Die Teilnehmende Beobachtung unterstützt eine praktisch-theologische Untersuchung dahingehend, dass biographische, frömmigkeitliche und praktische Bezüge zu Personen und Kirchgemeinden integriert werden können, ohne dass damit ein Anspruch auf Vollständigkeit verbunden werden muss.76 Außerdem zielt dieser Ansatz nicht auf eine vorschnelle Auswertung und Bewertung. Gerade die Nähe zum Forschungsgegenstand verlangt um der Sensibilität gegenüber lebenden Personen und der Konfliktgeschichten77 willen 74 Pöhlmann/Jahn, Handbuch Weltanschauungen, 52. 75 Vgl. Hauser-Schäublin, Teilnehmende Beobachtung, 38: »Teilnahme bedeutet Nähe, Beobachten Distanz: Teilnehmende Beobachtung setzt sich deshalb aus widersprüchlichem Verhalten zusammen, nämlich so zu sein, wie einer der dazugehört[,] und gleichzeitig mit einer Wahrnehmung wie einer, der außerhalb steht«. 76 Was auch gar nicht möglich ist: »Teilnahme – Manifestationen von Nähe – lässt sich nicht nach dem Gießkannenprinzip gleichmäßig verteilen«, a. a. O., 42. 77 Frühere Verstehensschwierigkeiten und Verletzungen sind typische Probleme, die sich mit weiteren, neuen Erfahrungen und Lesarten von pfingstlich-charismatischen, auch evangelikalen und anderen Spiritualitäten mischen. Kommunikative Verständnisprobleme ergeben sich dabei vielfach aufgrund persönlicher synchroner Bezüge dieser eigentlich diachronen Erfahrungen und Lesarten, was vor dem Hintergrund von Verletzungen nicht differenziert wird (werden kann). Synchronie wird hier zum konfliktträchtigen Anachronismus. Hollenweger hat ähnliches sehr zutreffend beschrieben: Enttäuschte Pfingstler, die »ihr ganzes Leben lang an den Wunden leiden, die ihnen ihre früheren Freunde zugefügt haben« (ders.,

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Einleitung: Gegenstand und Aufgabe der Untersuchung

eine vorwiegend deskriptive Herangehensweise. Wenn der Modus der Deskription verlassen wird, um Auswertungen und weiterführende Diskussionsbeiträge zu liefern, geschieht dies als kritische Würdigung.78 Aufbau der Arbeit Der Aufbau der vorliegenden Studie entspricht der Anlage des Themas. Er geht zunächst chronologisch vor, um der Fragestellung der Entwicklung des Volksmissionskreises Sachsen gerecht zu werden. Dies geschieht vorwiegend in der ersten Hälfte der Untersuchung durch die Kapitel 1–5. Aber schon hier sind zentrale Praxisfragen und einzelne Falleispiele im Blick. In der zweiten Hälfte der Studie wird innerhalb der Kapitel 6–8 die Poimenik des Volksmissionkreises untersucht. Anhand exemplarischer Texte werden die Konzeption, die Gestalt und die Mittel der Seelsorge des Volksmissionskreises rekonstruiert und diskutiert. Ein Resümee (Kapitel 9) bündelt die Ergebnisse und benennt weiterführende Einsichten. Zielstellung Die Zielstellung der Studie zur Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen ist eine zentral praktisch-theologische und zugleich multiperspektivische. Erstens verfolgt sie ein dokumentarisches Ziel und leistet einen Beitrag zur kirchen-, frömmigkeits- und biographiegeschichtlichen Erforschung der sächsischen Landeskirche im 20. Jahrhundert. Zweitens steht sie unter der praktisch-theologischen Zielstellung, die Seelsorgekonzeption und die Seelsorgepraxis des Volksmissionskreises zu rekonstruieren und zu diskutieren. Drittens zielt die Untersuchung auf einen Beitrag in Form von Impulsen zur heutigen poimenischen Diskussion.

Charismatisch-Pfingstliches Christentum, 431), sind sein Beispiel. Für unsere Sicht wären neben verletzten Insidern auch Outsider zu ergänzen, welche selbst nie zu charismatischen Gruppen gehörten, durch Wege persönlicher Begegnungen, kirchlicher Zusammenarbeit u. a. aber ebenso unter die Kategorie der Verletzten zu rechnen sind. Es ist auffällig, dass Phänomene, die Hollenweger beschreibt (wie z. B. emotionale Explosionen anstelle sachlicher Kommunikationen), ebenso für die heutige kirchliche Situation in Sachsen gelten. 78 Vgl. Wrogemann, Den Glanz widerspiegeln, 156f: »Weder Romantisierung des Fremden noch das Kopieren der Praxis anderer kann einen Weg weisen, sondern nur die eigenverantwortliche Weiterentwicklung inspirierender und ermutigender Praxis« sowie – so sei ergänzt – die kritische Reflexion problematischer Praxis. Diese Herangehensweise bestimmt hier die praktisch-theologischen kritischen Würdigungen.

1

Volksmission und Seelsorge im Kirchenkampf. Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Der Volksmissionskreis Sachsen ist ein Kind der Inneren Mission. Kirchliche Volksmission und Posaunenmission bildeten zur Zeit des Kirchenkampfes und des Zweiten Weltkrieges den Nährboden für eine junge volksmissionarische Initiative, welche sich im Jahre 1945 den Namen »Volksmissionskreis Sachsen« gab. Dieser Name war Programm, wenngleich der Begriff »Volksmission« schon wenig später aus der Mode kommen und einen Hauch von Anachronismus tragen wird. Dass sich jedoch der Volksmissionskreis Sachsen über die Grenzen von politischen und kirchlichen Programmen hinweg in der sächsischen Landeskirche verwurzeln konnte und zum Hort der innerkirchlichen charismatischen Bewegung werden sollte, ist nicht zuletzt seiner Identifizierung mit der Oxford-Gruppenbewegung der 1930er und 40er Jahre, seiner Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche sowie seiner gemeindepraktischen Orientierung geschuldet. Um Geschichte und Praxis der charismatischen Bewegung in Sachsen verstehen zu können, wird der Volksmissionskreis von seinen Wurzeln her untersucht, weshalb im Folgenden zunächst die Kirchliche Volksmission und die Oxford-Gruppenbewegung umrissen werden (1.1), um dann mit Perspektiven zur Volksmission im Kirchenkampf und zur Sächsischen Posaunenmission (1.2) die Seelsorge im Kirchenkampf (1.3) und die Anfänge des Volksmissionskreises Sachsen (1.4) zu erreichen.

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1.1

Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Kirchliche Volksmission und Oxford-Gruppenbewegung

1.1.1 Kirchliche Volksmission Entstehung und Begriff Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formierten sich im Bereich der deutschen evangelischen Kirchen Bemühungen, missionarisch und apologetisch das christliche Glaubenszeugnis zu Gehör zu bringen.79 Johann Hinrich Wichern (1808–1881) erfasste »Innere Mission« in ihren – zusammengehörigen – diakonischen und missionarischen Dimensionen als Aufgabe der Kirche.80 Nach seiner Einsicht, dass die vielfältige Not der Menschen seiner Zeit nicht nur eine soziale, sondern auch eine geistliche sei, engagierte sich Wichern für ein Zusammenspiel aus Zeugnis und Dienst. Diakonia ist immer martyria, und so sollte neben sozialer Diakonie (als Hilfe zur Selbsthilfe) in einer Rechristianisierung der Massen der Beitrag der Kirche zur Lösung der Sozialen Frage bestehen. Besonders in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden Perspektiven des neu entdeckten missionarischen Arbeitsfeldes unter dem Titel »Volksmission« ekklesiologisch, oikodomisch und missionarisch-praktisch (hinsichtlich der missionarischen Arbeitsformen) reflektiert und verarbeitet.81 Gerhard Hilbert (1868–1936), Rostocker Praktischer Theologe, entwickelte als Vordenker das Konzept »Kirchliche Volksmission«,82 welches Volksmission als 79 Vgl. zur Geschichte der Inneren Mission bzw. Volksmission bes. Beyreuther, Geschichte der Diakonie, 88–125; ders., Kirche in Bewegung, 111–129.204–235; Laepple, Wiedergewinnung, 35–46; auch Bärend, Blick zurück, 25–39. Die vorausliegenden Wurzeln der Inneren Mission sind sehr schön beschrieben in: Greschat, Vorgeschichte. Ursächliche Verknüpfungen der entstehenden Inneren Mission und »der in sich vielfältig gegliederten pietistischen Bewegung« bzw. der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts liegen auf der Hand, vgl. Lehmann, Lage, 3; Götzelmann, Antworten, bes. 37–51; Teschner, Volksmission, 266f; Beyreuther, Geschichte der Diakonie, 50f. u. a. Zu Leben und Werk Wicherns vgl. u. a. Gerhardt, Wichern, 1–157; auch die Beiträge in: Herrmann/Gohde/Schmidt (Hg.), Wichern. 80 Siehe dazu Wicherns Rede auf dem Wittenberger Kirchentag 1848 in: ders., Werke, Bd. 1, 155–165, sowie seine Denkschrift an die deutsche Nation, in: a. a. O., 175–366. Vgl. Hilbert, Volksmission, 1677. Vgl. zu Wichern z. B. Laepple, Wiedergewinnung, 35–39; Teschner, Schritte zur Volks-Mission, 104–119; Reppenhagen, Evangelisation und Diakonie, 198–201. 81 Es würde eine interessante Aufgabe darstellen, die Entwicklung z. B. von Lexikonartikeln zum Thema nachzuzeichnen, bes. RGG1–4 (wobei erst ab RGG2 Artikel zu Volksmission bestehen): Schian, Evangelisation [1910], bes. 725–727, bzw. ders., Evangelisation [1928], bes. 434–436; Schoell, Apologetik [1927]; Hilbert, Volksmission [1931]; Rendtorff, Evangelisation und Volksmission [1958]; bis hin zu RGG4, deren folgende Artikel praktischtheologisch kaum von Bedeutung sind: Blaser, Evangelisation III. [1999]; Dorsett, Evangelisation I. [1999]; (auch: Moritzen, Evangelisation II. [1999]); Knobloch, Volksmission [2005]. Dazu auch TRE: Teschner, Volksmission [2003]. 82 Vgl. Hilbert, Kirchliche Volksmission. Vgl. dazu z. B. Herrmann, Volksmission, 216f; auch

Kirchliche Volksmission und Oxford-Gruppenbewegung

39

genuine Aufgabe der Kirche und als Handlungsfeld auf allen Ebenen der Kirche dachte.83 Dieses Konzept wird wesentlich von der Einsicht genährt, dass sich Mission und Diakonie entgegen dem ursprünglichen Anliegen Wicherns doch getrennt voneinander entfaltet haben.84 Solche Kritiken wurden zu dieser Zeit aus verschiedenen Kreisen laut, so zum Beispiel im Rahmen der Berneuchener Bewegung bzw. der Michaelsbruderschaft, aus der die Trias martyria – leiturgia – diakonia als Grundbeschreibung kirchlichen Lebens bekannt geworden ist, sodass diese später auch für den Volksmissionskreis Sachsen von Bedeutung sein wird.85 Volksmissionarische Initiativen wie auch die Arbeit des Volksmissionskreises wurden von derartigen Kritiken entscheidend beeinflusst. Hilbert führte den Begriff »Volksmission« ein. Dieser stammte aus der römisch-katholischen Theologie und Hilbert übernahm auch dessen Bedeutung,86 wie folgende Definition zeigt: »Mission ist die Ausbreitung des Christentums unter den Nichtchristen, V[olksmission] die Mission in einem bereits christianisierten Volke.«87

Die Volksmission entwickelte sich mit und aus der Inneren Mission. Sie wollte eine Missionsbewegung sein zur Evangelisierung eines christlichen Volkes bzw. der Volkskirche88 und zwar im Unterschied zur Äußeren Mission in nichtchristlichen Ländern und Völkern. Schließlich wurden seit Anfang des 20. Jahrhunderts in den Landesvereinen für Innere Mission und in den Landeskirchen neue Gremien für Volksmission beauftragt (Landeskirchliche Ämter für Volksmission, Volksmissionarische Ämter, Kammern für Volksmission, Arbeitsgemeinschaften für Volksmission).

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Bärend, Blick zurück, 41–55. Volker Herrmann weist am Beispiel der »Wichern-Vereinigung zur Förderung christlichen Volkslebens« nach, dass Hilbert trotz seiner Vordenkerrolle nicht als Entdecker zu sehen ist; vgl. ders., Von der ›Inneren Mission‹ zur ›Volksmission‹, 438. Dabei knüpft Hilberts Konzept eng an Anliegen und Vorstellungen Wicherns an, man vergleiche mit Hilbert nur Beyreuthers Ausführungen zu Wichern: Beyreuther, Kirche in Bewegung, 116–118, auch 129. Vgl. Hilbert, Volksmission, 1678; Rendtorff, Evangelisation und Volksmission, 772; Thomas, Leitsätze; auch Stählin, Liturgie und Diakonie, 73. Die Trias stammt von Oskar Planck, dem ersten Hausvater im Kloster Kirchberg, vgl. z. B. Planck, Unsere gesamtkirchliche Aufgabe, 34. »Die Sache aber ist älter«, so Schmidt-Lauber, Martyria – Leiturgia – Diakonia, 161. Vgl. Schmidt, Credo ecclesiam, 11. Vgl. in der Folge verschiedene Rezeptionen, exemplarisch nur den christologisch-diakonischen Ansatz (»Jesus Christus – Kyrios – Diakonos«) von Hans Christoph von Hase, der die Trias verarbeitet, ders., Wiederentdeckung, 22. Vgl. Knobloch, Volksmission, Gemeindemission. Bereits der Begriff »Innere Mission« war an die klassische missio interna im Unterschied zur mission externa angelehnt. Hilbert, Volksmission, 1678. Zum Begriff »Volkskirche« und seiner Geschichte, die hier nicht im Einzelnen behandelt werden müssen, vgl. Möller, Gemeindeaufbau, 30.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Aufgaben und Arbeitsformen Die Volksmission, welche als volkskirchliche, nach innen gerichtete Gemeindemission gedacht wurde, kennt verschiedene Arbeitsformen. Nach Hilbert dienen »Veranstaltungen apologetischer und evangelistischer Natur« grundlegend als Ergänzung zur gottesdienstlichen Predigt.89 Zu nennen sind vor allem: Vorträge, Evangelisationswochen,90 Bibelstunden,91 Bibelbesprechstunden,92 Freizeiten, sog. öffentliche Mission »durch Straßenpredigt, Vorträge, Presse, Plakate, Flugblätter, aber auch in den Parlamenten und Volksversammlungen«. Volksmissionarische Veranstaltungsformen dienen nach Hilbert drei Zielen: der Entwicklung eines persönlichen Glaubens, der »Einführung in die christliche Sitte« und Kirchlichkeit sowie der »Schaffung wahrhaft lebendiger Gemeinden«. Diese Kerngemeindekreise haben die Aufgabe, die Erweckten zu sammeln und volksmissionarisch in die Kirche bzw. Kirchgemeinde hineinzuwirken. Der Erfolg der Volksmission würde nach Hilberts Sicht entscheidend von der Existenz und dem Leben eines Kerngemeindekreises abhängen, einer ecclesiola in ecclesia.93 Damit wird ein Gemeindemodell beschrieben, dass einige Jahrzehnte später vom Volksmissionskreis Sachsen als schlechterdings unterscheidendes Merkmal etabliert wurde. Dem Hilbertschen Entwurf der Volksmission zur Erneuerung der Volkskirche wurde eine erstaunliche Breitenwirkung und Rezeptionsgeschichte zuteil;94 89 Vgl. im Folgenden v. a. Hilbert, Volksmission, 1679, dort auch Zit. 90 Hilbert fordert Veranstaltungen »mindestens eine Woche lang«, ders., Kirchliche Volksmission, 25. 91 Dabei kommt der Bibelstunde die Funktion einer Predigtversammlung zu als Ergänzung zur gottesdienstlichen Predigt sowie zum christlichen Haus (Familie), vgl. Hilbert, Volksmission, 1679. 92 Die Bibelbesprechstunde wird mehr als Gesprächskreis, als brüderlich-homiletischer Austausch verstanden, vgl. Hilbert, Kirchliche Volksmission, 28. Hilbert fordert auch für die Heranbildung volksmissionarisch versierter Pfarrer »zur Pflege des inneren Lebens« Bibelbesprechstunden an den Theologischen Fakultäten, die er als Aufgabe der Praktischen Theologie versteht, a. a. O., 42. 93 Vgl. Hilberts Studie (ders., Ecclesiola), in der Hilbert das »soziologische Doppelgebilde«, wie es für ihn in einem von Luther herkommenden Kirchtum zum Tragen kommt, erarbeitet: Volkskirche und Freiwilligkeitskirche, letztere auf der ersteren gegründet (vgl. a. a. O., 10, dort Zit.). Die Freiwilligkeitskirche versteht Hilbert nach Luthers Deutscher Messe als Gemeinschaft derer, die »›mit ernst Christen wollen seyn‹. Diese Formulierung erscheint mir äußerst glücklich. Luther will nicht, wie Schwenkfeld, die ›rechten Christen von den falschen sondern‹« (a. a. O., 33). Aus seiner Perspektive auf Luther definiert Hilbert, wohl nicht ohne Speners ecclesiola auskommend, die Freiwilligkeitskirche innerhalb der Volkskirche als die Abendmahlsgemeinde (vgl. a. a. O., 6). 94 Vgl. Beyreuther, Kirche in Bewegung, 213f.218; vgl. auch Teschner, Volksmission 267; Herrmann, Volksmission, 217. »Diese Chiffre war Programm: Volksmission bildete die offensive Handlungsidee gegen den Geltungsverlust der Kirchen. Dabei dominierte in der Selbstverteidigung ein restauratives Bild von Kirche«, Garbe, Frage der Volksmission, 112.

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allem voran sind die Handbücher für Volksmission Gerhard Füllkrugs (1870– 1948) zu nennen.95 Füllkrug selbst war Direktor des Centralausschusses für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche. Um das apologetische Feld der Volksmission zu unterstützen, wurde 1921 vom Centralausschuss die Apologetische Centrale (AC) gegründet, welche in Wicherns Johannesstift in BerlinSpandau, einem Ort u. a. für Diakonenausbildung und Strafentlassenenfürsorge, unterkam.96 Dies war der Beginn einer evangelischen kirchlich-amtlichen Weltanschauungsarbeit, die eine Äußerung der Inneren Mission sein sollte.97 Es ist unschwer verständlich, dass die Arbeit der AC, die sich »als eine der wichtigsten Publikationsstellen der Bekennenden Kirche« erwies,98 im Kirchenkampf des Dritten Reiches eine wichtige Rolle spielte, da sie den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war. Unter ihrem letzten Direktor, Walther Künneth, wurde die AC schließlich 1937 durch die Nationalsozialisten gewaltsam geschlossen, was für die Bekennende Kirche ein schwerer Schlag war.99 Rezeptionen Dass die Rezeptionen der Kirchlichen Volksmission unterschiedliche theologische Wege, darunter mehr und mehr auch problematische Sackgassen, beschritten, zeigt sich in differierenden Zugängen und deren Mischformen: Luthertum, Pietismus, deutsch-nationale Volkstumsideologie, Kulturoptimismus, Nationalsozialismus und Kirchenkampf skizzieren Umrisse der verschiedenen Schattierungen, in denen Volksmission beansprucht wurde. Nichtsdestotrotz etablierten sich grundlegende theologische Einsichten: Volksmission sollte das 95 Füllkrug (Hg.), Handbuch [1919]; ders. (Hg.), Brennende Fragen [1922]; ders. (Hg.), Neues Handbuch [1931]. 96 Daran war besonders Reinhold Seeberg durch sein Engagement für »den Einsatz von ›Berufsapologeten‹ und die Zusammenarbeit der vielfältigen apologetischen Vereinigungen« innerhalb des deutschen Protestantismus beteiligt, vgl. Pöhlmann, Apologetik im Wandel, 6. Vgl. zur Entstehung auch Beyreuther, Kirche in Bewegung, 220–222. Schon 1904 rief der Centralausschuss für Innere Mission die Kommission für Apologetik und Vortragswesen unter der Führung von Seeberg ins Leben, vgl. Pöhlmann, Apologetik im Wandel, 4f. Aufgabe der AC war die Beobachtung antichristlicher und antikirchlicher Strömungen, die Beratung von kirchlichen Mitarbeitern in apologetischen Fragen sowie die Öffentlichkeitsarbeit durch Vortragstätigkeit und Publizistik (Themen z. B.: Kirchenaustrittsbewegung, Okkultismus, Esoterik, völkisch-religiöse, freireligiöse Gruppen und politische Ersatzreligionen). Vgl. Pöhlmann, Kampf der Geister; diese interdisziplinäre Studie Pöhlmanns untersucht die Arbeit der AC besonders unter dem Schwerpunkt ihrer Publizistik. 97 Vgl. dazu auch Strohm, Innere Mission, Volksmission, Apologetik. 98 Pöhlmann, Apologetik im Wandel, 11. 99 1960 gründete der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland unter neuem Namen die Nachfolgerin der AC: die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Stuttgart, 1996 umgezogen an die Berliner Adresse der ehemaligen Theologischen Studienabteilung beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Christentum der Volkskirche immer neu beleben, womit eine ureigene Aufgabe der Kirche beschrieben ist.100 Unter dieser Brille hatte Gerhard Hilbert auch und gerade die Reformation als »volksmissionarische Bewegung im großen Stil« verstanden.101 Die Volksmissions-Bewegung erkannte von den Ursprüngen der Inneren Mission her die Notwendigkeit des allgemeinen Priestertums, dessen Mündigkeit zuerst durch eine Missionierung des Volkes (dass allgemeine Priester werden) zu erreichen ist, um dann zweitens eine Missionierung durch das Volk (Mission als Aktion des allgemeinen Priestertums) zu bewirken.102 Dem entspricht auch die Neuentdeckung und Hochschätzung kirchlicher Ämter seit dem 19. Jahrhundert sowohl im inner- als auch im freikirchlichen Bereich, was zur Ausformung von Berufsbildern wie des Evangelisten, des Predigers, der Diakonisse oder des Diakons führte.103

100 Hilbert, Volksmission, 1678: »Objekt der V[olksmission] sind nicht nur die Glieder der Volkskirche, die eine anormale Entwicklung genommen haben, so daß die V[olksmission] nur eine außergewöhnliche Veranstaltung zur Behebung außergewöhnlicher Notstände und Entwicklungsschäden wäre. Gerade die Volkskirche als Nachwuchskirche hat normalerweise nicht nur zu ›pastorieren‹, sondern immer auch zu ›missionieren‹. […] Gewiß gelten uns die ›Getauften nie als Heiden‹ (Wichern); es gibt ein ›unbewusstes Christentum‹ – dort zumal, wo die Volksseele christianisiert ist, aus der die Seele des Einzelnen quillt. Aber nur der ist ein Vollchrist, der im persönlichen Glauben an Christus steht […]. Die V[olksmission] ist eine bleibende, ordnungsmäßige Aufgabe der Volkskirche an ihren Gliedern.« »Es ist falsch, wenn man sie in der Regel als ›außerordentliche‹ Verkündigung des Evangeliums bezeichnet«, Hilbert, Kirchliche Volksmission, 25. 101 Hilbert, Volksmission, 1677. 102 Vgl. Teschner, Volksmission, 265. Paul Toaspern hatte diesen Aspekt im Blick auf Evangelisation in den USA (»amerikanische Volksmission«) herausgestellt: »Volksmission von der Basis der Gemeinde aus ist heute wesentlich Laienmission«, vgl. Toaspern, Volksmission, 15. 103 Vgl. Teschner, Volksmission, 265f. Allerdings gilt es zu bedenken, dass in diesem Sinne unter »Amt« nicht per se ein ordinierter Dienst an Wort und Sakrament zu verstehen ist, weshalb »Amt« (ministerium) hier weiter zu fassen ist. Darauf hatte auf seine Weise Moritz Lauterburg den Charisma-Begriff angewendet: »Die Thätigkeiten der Inneren Mission haben durchaus nichts von sakramentaler Art an sich und sind auch nicht rein ethischer Natur, sondern fallen vollständig unter den Begriff des Charisma, wie er sich uns aus den Briefen des Paulus ergeben hat«, welchen Lauterburg als »außeramtlich«, antagonistisch zum ordinierten kirchlichen Amt verstand (Lauterburg, Charisma, 91f). Als Beitrag zur Restitution der altkirchlichen Ämter begriff Wilhelm Löhe seine Installation der Diakonissen in Neuendettelsau (vgl. Schlichting, Löhe, 413). Die Amtsfreudigkeit des 19. Jh. schillert jedenfalls in unterschiedlichen Facetten, die einander unverbunden oder auch widersprüchlich begegnen: So z. B. die aus der Inneren Mission erwachsenen diakonischen Ämter, hochkirchliche Konzeptionen eines liturgischen Diakonenamtes, Vorstellungen von Sukzession etc. oder das Ämterspektrum der katholisch-apostolischen Kirche, der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben (zu ihr und deren Rezeption im Volksmissionskreis siehe unter 3.2 sowie VMK (Hg.), Thesen zum Lehrgespräch über »Reichgottes- und Diakoniegemeinde«, zusammengestellt von Pfr. Gotthold Friedrich, in: A.IV.a.73).

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1.1.2 Oxford-Gruppenbewegung Entstehung und Begriff Eine im Grunde weltweite volksmissionarische Bewegung besonderer Art ist für Entwicklung und Praxis der charismatischen Bewegung in Sachsen kaum zu unterschätzen: Die sogenannte Oxford-Gruppenbewegung, die neben der Inneren Mission ebenfalls eine Wurzel des Volksmissionskreises Sachsen darstellt. Die Gruppenbewegung, von welcher hier die Rede ist, darf nicht verwechselt werden mit zwei anderen erwecklichen Bewegungen, die im 19. Jahrhundert mit dem britischen Oxford verbunden sind. Dies wäre zum einen die alte Oxfordbewegung als Kind der anglikanischen Erweckungsbewegung, welche einen hochkirchlich-evangelikalen Anglokatholizismus ab ca. 1830 hervorbrachte,104 zum anderen diejenige Bewegung, die 1874 aus der von der nordamerikanischen Heiligungsbewegung um Robert Pearsall Smith geprägten Erweckungskonferenz im britischen Oxford hervorgegangen ist und dann die deutsche Gemeinschaftsbewegung entscheidend bestimmte.105 Hier handelt es sich jedoch um ein Drittes: Die Oxford-Gruppenbewegung, welche aus dem Wirken des amerikanischen lutherischen Pfarrers und Evangelisten Frank Nathan Daniel Buchman(n) (1878–1961)106 entstand. Buchman wurde mit einem eigenen Bekehrungserlebnis auf der Keswick-Konferenz 1908 wiederum von Auswirkungen der Oxford-Bewegung von 1874 geprägt.107 Zudem baute Buchman Anfang des 20. Jahrhunderts Kontakte zur Inneren Mission in Deutschland auf und besuchte deren wichtige Zentren.108 Was Buchman auf der Keswick-Konferenz deutlich wurde, »daß der Mensch unter dem Kreuze Christi neu werden könne«109, trug er in die anfängliche »Gruppe«, welche er 1921 mit einigen Studenten als erste »Mannschaft« gründete. Ab 1938 führte Frank Buchman die Gruppenbewegung als Moralische Aufrüstung (Moral Rearmament, MRA) weiter.110 Nicht immer werden Gruppenbewegung und MRA be104 Vgl. dazu Beyreuther, Erweckungsbewegung, R9, dort auch Anm. 21. 105 Vgl. Lüdke, Geschichte, 15f; Fleisch, Heiligungsbewegung, v. a. 17–50; Lange, Bewegung, bes. 29–53. 106 Zu Buchman vgl. u. a. Georgi/Thieme, Christsein, 7–13, dort bes. 144–156 ausführliche Literaturangaben (in Georgi/Thieme, Christsein [2001], 7–50 ist überarbeitet das frühere Werk Georgi, Christsein [1970] aufgegangen). Vgl. auch den zum 100. Geburtstag Buchmans erschienen Artikel: Reimer, Buchman. Zur Gruppenbewegung vgl. Mews, Moralische Aufrüstung, 291f; Fleisch, Heiligungsbewegung, 365–397. 107 Vgl. Lüdke, Geschichte, 29; Fleisch, Heiligungsbewegung, 367f; dazu Georgi/Thieme, Christsein, 34. 108 Buchman besuchte Bethel, das Rauhe Haus Hamburg, das Johannesstift Berlin-Spandau, Neuendettelsau, Gnadenthal, Kaiserswerth, vgl. Georgi/Thieme, Christsein, 8. 109 Rendtorff, Buchman, 1467. 110 Vgl. Mews, Moralische Aufrüstung, 293f; vgl. auch Georgi/Thieme, Christsein, 11–13.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

grifflich unterschieden, was auf fließende Grenzen hinweist. Da sich die deutsche Gruppenbewegung Ende der 30er Jahre von der MRA bzw. Buchman distanzierte, wird im Folgenden diese Unterscheidung übernommen; die MRA spielt nachstehend keine Rolle. Die Oxford-Gruppenbewegung wuchs schnell über ihre Grenzen hinaus und verbreitete eine erwecklich-evangelistische Heiligungsfrömmigkeit.111 Ein missionarisch-seelsorgerliches Kernanliegen bestimmte die Arbeit der Gruppenbewegung. Schon in den 1920er, dann in den 30er Jahren konnte Buchmans Bewegung der »life changer« (Karl Barth: »Lebensumwandler«112) eine Breitenwirkung bis über Europa hinaus entfalten. Gruppentreffen, Tagungen und großangelegte Konferenzen wurden Medium der Verbreitung.

Die Oxford-Gruppenbewegung in Deutschland In Deutschland erreichte die Gruppenbewegung vor allem ab Mitte der 1930er Jahre eine weite Ausbreitung113 und entwickelte sich eigenständig weiter. Von 1938 bis 42 existierte die deutsche Gruppenbewegung zum Teil in deutlicher Absetzung von Frank Buchman und war als »Arbeitsgemeinschaft für Seelsorge« organisiert.114 Als die Arbeitsgemeinschaft unter nationalsozialistischem Druck aufgelöst wurde,115 führten einzelne Personen und Kreise das Anliegen der Gruppenbewegung weiter. In Sachsen geschah dies durch den Freundeskreis um Gottfried Klenner bzw. ab 1945 als Volksmissionskreis Sachsen.116 Über die Gruppenbewegung in Sachsen und die Anfänge des Volksmissionskreises wird

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Während des Zweiten Weltkrieges wurde die MRA vor allem in den USA und der Schweiz weitergeführt. In ihr spiegelt sich nicht nur eine (zumindest anfangs) gewisse Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie, sondern auch eine Verschärfung des Heiligungsgedankens in der Theologie Buchmans wider. Nach Paul Fleisch müsste die MRA frömmigkeitstypologisch im Gegensatz zur Oxford-Gruppenbewegung nicht mehr der Heiligungsbewegung, »auch nicht als Ausläufer«, zugeordnet werden, Fleisch, Heiligungsbewegung, 371.397. Vgl. Rendtorff, Moralische Aufrüstung, 1126. Barth, Kirche oder Gruppe?, 206. Vgl. Hempelmann (Hg.), Handbuch, 243; Georgi/Thieme, Christsein, 11. Vgl. Georgi/Thieme, Christsein, 26–29. Die Arbeitsgemeinschaft für Seelsorge löste sich am 31. 12. 1942 selbst auf, womit »man wahrscheinlich einem von der Gestapo bereits angekündigten allgemeinen Verbot zuvorkam«, a. a. O., 29. So auch a. a. O., 36.93f. Thieme versteht den Volksmissionskreis Sachsen als den ostdeutschen bzw. sächsischen »Zusammenschluss der Freunde« der Gruppenbewegung (a. a. O., 93) und damit als Pendant zum westdeutschen Marburger Kreis. Hinsichtlich der historischen Wurzeln und Arbeitsformen des Volksmissionskreises ist dem zuzustimmen. Gleichwohl kann der Volksmissionskreis trotz des bis heute bestehenden Kontaktes zwischen beiden Kreisen aufgrund seiner eigenständigen Entwicklung, die im Folgenden zu zeigen ist, nicht als ein ostdeutscher Marburger Kreises gesehen werden.

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unter 1.4 näheres zu sagen sein. Für Westdeutschland gilt vor allem der Marburger Kreis als die Nachfolgeinstitution der Gruppenbewegung,117 welcher 1957 auch unter Anwesenheit von Personen aus dem Volksmissionskreis Sachsen gegründet wurde (vgl. auch unter 3.5.4)118 und als ein Zusammenschluss von aus der Gruppenbewegung hervorgegangenen Kreisen besteht.119 Merkmale und Arbeitsformen Die Kennzeichen der Gruppenbewegung können mittels charakteristischer Begriffe wiedergegeben werden.120 Mit ihnen sind Arbeitsformen und theologische Positionen eng verknüpft, welche teilweise zu spezifischen Erkennungsmerkmalen des Volksmissionskreises wurden. Zunächst wäre die strukturelle Organisation in Gruppen, Kreise oder Mannschaften zu nennen, wodurch die Bewegung ihren Namen erhalten hat. Die Gruppe ist der Ort aller Vollzüge dieser Bewegung. In den ersten Jahren wurden Gruppentreffen als »House-Parties« veranstaltet. Darin mag aus soziologischer Sicht die schon zeitgenössische Feststellung begründet liegen, dass die Arbeit der Gruppenbewegung vornehmlich in höhergestellten bürgerlichen Kreisen und unter Adligen auf breite Resonanz stieß; auch Pfarrer und Theologen ließen sich von der Gruppenbewegung ansprechen (z. B. Emil Brunner,121 Karl Heim, Carl Gunther Schweitzer122 u. a.).123 In den Gruppenversammlungen finden gemeinsame Stille Zeit (persönliche oder gemeinschaftliche Schriftmeditation mit Stille, persönlichen Notizen und Gespräch) und Austausch und Gebetsgemeinschaft ihren Platz. Der Austausch kann als Gruppengespräch im Anschluss an die Stille Zeit, als seelsorgerliches Gespräch, als Zeugnis (das Bezeugen von Glaubenserfahrungen) oder als Beichte Gestalt gewinnen.124 Das Kernanliegen des 117 Vgl. Mews, Moralische Aufrüstung, 294. Hier wird allerdings nur der Marburger Kreis genannt, die ostdeutsche Perspektive wird nicht berücksichtigt. 118 Vgl. Thieme, Arthur Richter, 67; Georgi/Thieme, Christsein, 65–80. 119 Vgl. zum Marburger Kreis z. B. Hempelmann (Hg.), Handbuch, 243f; als Selbstvorstellung: Georgi/Thieme, Christsein, 38–133; kritisch: Ziegert, Kirche und Charismatismus. 120 Auf eine detaillierte Darstellung wird verzichtet, vgl. im Folgenden Fleisch, Heiligungsbewegung, 371–390; Georgi/Thieme, Christsein, 19–24; Reimer, Buchmann, 216f. 121 Vgl. Brunners wichtige Schrift: ders., Gruppenbewegung und die Kirche Jesu Christi. 122 Zu Schweitzers Verhältnis zur Gruppenbewegung vgl. Georgi/Thieme, Christsein, 149 Anm. 6. 123 Vgl. die in der Gruppenbewegung selbst festgestellte Spannung zwischen Ideal und Realität: »Die Bewegung richtet sich an alle Schichten des Volkes. Bei uns in Deutschland waren es aber bisher besonders die oberen Gesellschaftskreise, in denen sie erwecklich gewirkt hat«, Pförtner, Gruppenbewegung, 6; vgl. auch Georgi/Thieme, Christsein, 15. Rudolf Bohren: »Ich erinnere mich noch: Als armer Gymnasiast war man plötzlich eingeladen zu Meetings in den vornehmsten Villen«, ders., Prophetie und Seelsorge, 156. 124 Vgl. Warncke, Erneuerung der Beichte, z. B. 18: Austausch oder Mitteilen »(auf englisch =

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Austausches ist das gemeinsame Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes. Die Gruppe definiert sich wesentlich als Mannschaft, welche in Gemeinschaft evangelistische und seelsorgerliche Dienste übernimmt und durchführt. Von daher kommen Ein-Mann-Veranstaltungen in der Gruppenbewegung praktisch nicht vor. Die Praxis- bzw. Gestaltungsformen der Oxford-Gruppenbewegung stehen in untrennbarem Zusammenhang mit den sogenannten Vier Absoluten: Buchman entwickelte aus der Bergpredigt vier Maßstäbe, welche »absolut«, d. h. unumgänglich den tragenden Grund für ein erneuertes und erneuerndes geistliches Leben bilden sollten: »absolute Ehrlichkeit, absolute Reinheit, absolute Selbstlosigkeit und absolute Liebe«.125

1.2

Volksmission im Kirchenkampf: Deutsche Christen, Bekennende Kirche und Sächsische Posaunenmission

Sowohl unter den Deutschen Christen (DC) als auch innerhalb der Bekennenden Kirche (BK) wurde Volksmission zwar auf der Basis theologisch konträrer Ansätze, aber doch nicht ohne Rekurs auf Gerhard Hilberts Kirchliche Volksmission betrieben. Volksmission war in den 1930er Jahren durch die kirchlichen Lager hindurch in aller Munde.126 Klaus Teschner fasst dies so zusammen: In der Zeit des Dritten Reiches »gab es zwei vollkommen gegensätzliche Ausprägungen und im Rahmen dieses Spektrums allerlei Mischformen von Volksmission: Auf der einen Seite eine völkische Mission, bei der Bewegung und Erweckung des Volkes sich gegenseitig zu verstärken schienen. […] Andererseits ließ sich die Bekennende Kirche Anliegen und Begriff der Volksmission nicht entreißen, sondern nahm die Verkündigungsverantwortung gegenüber ›allem Volk‹ mit auf in die Barmer Theologische Erklärung (These 6).«127

Die Sächsische Posaunenmission wurde dabei ein Schauplatz des Kirchenkampfes128, aus dem der Volksmissionskreis Sachsen hervorgegangen ist. Fol-

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to share, sharing) wird bei Russel und in der Oxforder Bewegung sowohl für das Sündenbekenntnis (= Beichte), als auch für das Glaubensbekenntnis (= Zeugnis) gebraucht. Tragende Mitte und Wurzel des Mitteilens ist allerdings die Beichte.« Reimer, Buchman, 216. Nicht von ungefähr entstand 1934 in Berlin die »Volksmission entschiedener Christen«, eine deutsche Pfingstkirche, welche im Namen ihr missionarisches Kirchenverständnis zum Ausdruck brachte, vgl. Hempelmann, Sehnsucht, 468. Teschner, Volksmission, 267. Mit dem Begriff »Kirchenkampf« wird im Folgenden zunächst der Zeitraum der Jahre 1933– 1945 als kirchengeschichtliche Epoche gekennzeichnet. Zugleich spiegelt der Begriff Konflikte zwischen den Lagern DC und BK wider, wie sich unten (1.2.3) am Beispiel der Posaunenmission in Sachsen zeigt. Allerdings dient der Begriff nicht dazu, den fälschlichen Eindruck zu erwecken, es sei im Kirchenkampf um einen Kampf der (bekennenden, wahren etc.) Kirche gegen das nationalsozialistische Regime gegangen.

Volksmission im Kirchenkampf

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gend sollen die unterschiedlichen Ansätze, welche unter »Volksmission« in der Zeit des Kirchenkampfes firmierten, auf die Situation in Sachsen zugespitzt kurz vorgestellt werden.129

1.2.1 »Volksmissionarische Bewegung« Deutsche Christen Völkische Volksmission Mit der nationalsozialistischen Machtergreifung waren innerhalb der evangelischen Kirchen im Deutschen Reich wesentliche Hoffnungen auf einen kirchlichen Neuaufbruch verbunden, welcher mit den Kirchenwahlen vom Juli 1933 durch den Einzug der Deutschen Christen genährt wurde.130 Religiöse Erweckung und politischer Aufbruch schienen untrennbar verbunden zu sein.131 Wie es die Berliner DC nach der Sportpalastkundgebung am 13. November 1933 proklamierten, erwarteten die DC eine völkische Kirche, welche »ernst macht mit der Verkündigung der von aller orientalischen Entstellung gereinigten schlichten Frohbotschaft und einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums, in dem an die Stelle der zerbrochenen Knechtsseele der stolze Mensch tritt, der sich als Gotteskind dem Göttlichen in sich und seinem Volke verpflichtet fühlt«.132

»Volkskirche« im deutsch-christlichen Sinne basierte auf einer ideologischen Perversion des theologischen Offenbarungsbegriffes. Eine offenbarungshaft definierte Eigengesetzlichkeit von Rasse, Volk, Volkstum etc. verpflichtete diese 129 Vgl. dazu grundlegend Hermle, Volksmission im Jahre 1933. Im Folgenden kann aber weder eine Geschichte der Bekennenden Kirche, der Deutschen Christen noch des Kirchenkampfes geboten werden. Dazu sei verwiesen auf die einschlägige Literatur wie bes. Fischer, Kirchenkampf; Klemm, Dienst; Meier, Kirchenkampf Bd. 1–3; ders., Die Deutschen Christen; Beyreuther, Geschichte des Kirchenkampfes; Lindemann, Landeskirche Sachsens. Mit Einschränkungen (vgl. Hein, Landeskirche, 11f) vgl. auch Prater, Kämpfer wider Willen. 130 So schrieb im Herbst 1933 der Superintendent von Leipzig-Land, Andreas Fröhlich: »Die neue Situation in der Kirche ist aufs engste verknüpft mit der neuen Situation im Staate«, Fröhlich, Aufgaben der Volksmission, 9. Fröhlich (1886–1971) war 1932–1945 Superintendent der Ephorie Leipzig-Land mit Amtssitz an der Peterskirche, zugleich aufgrund des Machtwechsels (Kirchenregiment Klotsche) als Konsistorialrat 1933/34 im Landeskirchenamt Dresden tätig, vgl. Wilhelm, Diktaturen, 546; Meier, Kirchenkampf Bd. 1, 480. Fröhlich wird nach Wilhelm, Diktaturen, 256 nicht zu den DC gerechnet, wirkte aber als NSDAP-Mitglied und in der Landeskirchenregierung. 131 »Die Hoffnung, mittels einer breit angelegten Volksmission die in Kirche und Theologie proklamierte Einheit von Volk und Kirche realisieren zu können, hat bei kirchlich gesonnenen Personen im Jahr 1933 eine besondere Rolle gespielt, als sie sich den Deutschen Christen zuwandten«, Hermle, Volksmission im Jahre 1933, 312. 132 Entschließung des Gaues Groß-Berlin der Glaubensbewegung »Deutsche Christen« vom 13. 11. 1933, in: Beyreuther, Geschichte des Kirchenkampfes, 63f, Zit. 64. Vgl. dazu z. B. Töllner, Frage, 115f.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Ideologie, die Volksmission auf den Aufbau und die Konsolidierung einer arischen, sog. artgerechten – d. h. »deutschen«– Nationalkirche auszurichten:133 »Daher ist deutsches Denken auch geoffenbartes Denken.«134 Die »synkretistische Mischung von Glaube und Nation« (Dietrich Kuessner) wollte in der deutschen Volkskirche die Überwindung der Trennung von Kirche und Volk erreichen. Damit verfolgten die DC ein – freilich ideologisch enteignetes – volksmissionarisches Anliegen. Denn die Entfremdung von Kirche und Volk wurde ja spätestens seit Johann Hinrich Wichern erkannt und theologisch reflektiert. Von den DC wurde dies nazistisch-ideologisch begriffen und angegangen, was die Gleichsetzung von Kirche, Nation und Volk bedeutete.135 »Macht euch auf mit der Kraft des Glaubens an Gott, wie sie euch Jesus schenkt, und sammelt alle deutschen Menschen, die Gottes Gebot, Deutschland zu bauen, erfüllen wollen in einer gläubigen deutschen Gemeinde«!136 In diesem Sinne beschrieben die DC mit dem ideologisch pervertierten Begriff »Volksmission« eine ihrer Kernaufgaben.137 Der Bonner Praktische Theologe Emil Pfennigsdorf (1868–1952), ein Deutscher Christ, fasste die dc-volksmissionarische Aufgabe als die zentrale Aufgabe der Gemeindearbeit, deren Verkündigung besonders den paramilitärischen Organisationen (SA, SS) gelte.138 Pfennigsdorf dachte dabei an praktische Arbeitsformen wie Vorträge, Predigten, Laienzeugnisse in Gottesdiensten, Besuchsdienste, Bibelstunden, Gemeindefeste (z. B. zum 1. Mai).139 »Volksmissionarische Bewegung Sachsens (Deutsche Christen)« In Sachsen waren die Umbrüche des Jahres 1933 mit einem volksmissionarischen Aufbruch der DC, die sich hier »Volksmissionarische Bewegung Sachsens (Deutsche Christen)« nannten und darin ihren Alleinvertretungsanspruch auf die Volksmission zur Geltung brachten, eng verbunden.140 Für den 9. Juli 1933 133 Vgl. zur DC-Ideologie z. B. Gailus, Völkisches Denken und Handeln, hier bes. 237f. 134 Langner, Seelsorge und Gemeindeaufbau, 17. 135 Vgl. Slenczka, Ende der Neuzeit, 275. Vgl. Hermle, Volksmission im Jahre 1933, 310f; Hermle arbeitet a. a. O., 315 die Reaktion von Walter Künneth, Mitglied der Jungreformatorischen Bewegung und Leiter der Apologetischen Centrale, auf das deutsch-christliche Volksmissionskonzept heraus. 136 Leutheuser, Christusgemeinde, 19. 137 Vgl. Fischer, Kirchenkampf, 20. 138 Vgl. die Herausarbeitung in Hermle, Volksmission im Jahre 1933, 321–324. 139 Vgl. a. a. O., 323f. 140 Vgl. a. a. O., 331f. Generell erhoben die »Deutschen Christen […] den Anspruch, die Volksmission allein zu repräsentieren,« vgl. Beyreuther, Kirche in Bewegung, 240. Freilich ist dabei zu beachten, dass die DC keine theologisch homogene Masse waren, aufgrund ihrer kirchenpolitischen Ziele jedoch ein grundlegendes Verständnis von Volksmission vertraten, vgl. Slenczka, Ende der Neuzeit, 259.

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wurde von der gerade angetretenen sächsischen DC-Kirchenleitung141 für alle Kirchgemeinden ein Bittgottesdienst unter dem Thema »Der Herr schenke uns eine Volkskirche« angeordnet. Die DC verstanden sich unter der – hier sächsischen – Losung: »Das deutsche Volk durch Christus ein Volk Gottes«142 selbst als die »volksmissionarische Arbeits- und Stoßtruppe des nationalsozialistischen Kirchenregiments«143. Nach der Generalverordnung für die sächsische Landeskirche vom 5. August 1933 wurde eine DC-Volksmissionswoche (1. bis 8. Oktober) angesetzt: »Das Wort von der Volksmission soll nun Wirklichkeit werden«, was praktisch durch Vorträge, Evangelisationen und den Einsatz von Vertrauensmännern (Pfarrer als Ephoralbeauftragte für Volksmission) umgesetzt werden sollte.144 Praxisformen wie Mütterabende, Jugendstunden, Männerstunden u. ä. sollten ausgebaut werden.145 Kirchliche Arbeit an Wehrverbänden, an der Jugend, in Arbeitslagern, zu sog. Feiern (z. B. Arbeitsfeier am 1. Mai, Erntedankfeier, Lutherfeier am 31. Oktober) oder in der Presse. Dabei kommt auch das apologetische Anliegen der Volksmission zum Tragen: DC-Volksmission soll Weltanschauungs- und Glaubensfragen im Sinne ihrer Ideologie behandeln. Die volksmissionarische Arbeit der Deutschen Christen versteht sich grundsätzlich als Weg in eine Gottesdienstfrömmigkeit und erhält von daher ihre praktische, auch evangelistische Zielstellung. Das Konzept der Kirchlichen Volksmission wurde, wenn auch ideologisch pervertiert, eine Praxisgrundlage der DC-Volksmission. Das spiritualitätsbezogene Anliegen mag dazu beigetragen haben, dass zeitgenössische Beurteilungen oft kritiklos ausgefallen sind. So konnte zum Beispiel Pfarrer Friedrich Vogel in seinen Notizen »zur Geschichte der Inneren Mission« in Sachsen unkritisch festhalten: »Neue Impulse empfing [im Jahr 1934] die volksmissionarische Arbeit durch Landesbischof Coch«.146 141 Zum Antritt der DC in der Kirchenleitung Sachsens vgl. Fischer, Kirchenkampf, 15–18. 142 Fischer, Kirchenkampf, 20. 143 Schulungsbriefe der Volksmissionarischen Bewegung Sachsens (Deutsche Christen), zit. nach: Fischer, Kirchenkampf, 20, vgl. 105 Anm. 17. 144 Generalverordnung des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens Nr. 12, 5. 8. 1933, in: Fischer, Kirchenkampf, 187f, Zit. 187. Vergleicht man die Ausführungen der Generalverordnung mit Andreas Fröhlichs Beschreibungen (Fröhlich, Aufgaben der Volksmission, 14), fallen Parallelen bis ins Wörtliche hinein auf, vgl. die Ankündigung der Woche durch das Landeskirchliche Presseamt zu Dresden in: Junge Kirche 1/1933, 220: »Unsere Landeskirche ist die erste in Deutschland, in der diese Volksmissionsarbeit von der Kirchenleitung her einheitlich und zielbewußt in die Hand genommen wird. […] Die Fragen nach Volk, Blut und Rasse, nach Heimat und Staat, sollen besprochen und durch ihre Behandlung der Weg zum Evangelium geebnet werden, daß durch das ganze Land die Welle derer immer mehr anschwillt, deren irdisches Kampfziel das Dritte Reich, deren ewige Sehnsucht der Vater im Himmel ist.« 145 Vgl. hier und im Folgenden Grundmann, Volksmission, 24f. 146 Auch: »Große Schwierigkeiten bereitete der Inneren Mission der Kirchenkampf«, Zur

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1.2.2 Volksmission der Bekennenden Kirche Volksmission im bekennenden Widerstand »Die Gefahr eines Schismas steht drohend vor der Tür und damit das Ende der evangelischen Volkskirche«147. Nicht nur der hier zitierte Hugo Hahn (1886– 1957) erkannte das Schisma bzw. den status confessionis in der Existenz der Partei der Deutschen Christen. Trotz der deutsch-christlichen Versuche, die Begriffe »Volkskirche« und »Volksmission« ideologisch zu enteignen, lag gerade der Bekennenden Kirche eine Volkskirche am Herzen. Um eine bekenntnistreue Kirche mit ihren Lebensformen, zu welchen die Volksmission unabdingbar gehört, zu erhalten, musste man sich von den DC entschieden unterscheiden. Dieses Selbstverständnis der entstehenden BK spiegelt die Barmer Theologische Erklärung,148 die am 31. Mai 1934 gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung der Kirche verabschiedet wurde, par excellence wider. Diese Erklärung »brachte in einer konkreten geschichtlichen Situation und jenseits konfessioneller Differenzen zum Ausdruck, wozu die evangelische Kirche Ja und wozu sie Nein sagen muss«.149 Innerhalb der Bekennenden Kirche versuchte man, die Verbindung von Innerer Mission und Volksmission, von Diakonie und Evangelisation, beizubehalten, sofern dies in den verworrenen Verhältnissen des Kirchenkampfes möglich war.150 Ein lebendiges Beispiel dieser Verbindung waren die Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel, die nach der Einschätzung Erich Beyreuthers mit Friedrich »Fritz« von Bodelschwingh (1877–1946) einen wichtigen Ort des Widerstands gegen das nationalsozialistische Euthanasieprogramm darstellten.151 Bethel entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer Bil-

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Geschichte der Inneren Mission (1917–1953) von Pfr. Friedrich Vogel, in: A.II.b.5.314, 1–35, hier 19. Hugo Hahn in einer Erklärung der sächsischen Superintendenten des Pfarrernotbundes vom 26. November 1934: Rundbrief der Bekenntnisgemeinschaft der ev.-luth. Kirche in Sachsen Nr. 1, in: Fischer Kirchenkampf, 196f, Zit. 197. Siehe Busch, Barmer Thesen. Hempelmann, Barmer Theologische Erklärung, 203. Als 1934 der Deutsche Evangelische Verband für Volksmission (gegründet 1919) aufgelöst wurde, gründete sich »aus der Bekennenden Kirche, aus den intakten Kirchen Bayern, Württemberg, Hannover und aus der Inneren Mission« (Beyreuther, Kirche in Bewegung, 255) die Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare (Berlin), welche den Zweiten Weltkrieg überdauerte (später Arbeitsgemeinschaft für Volksmission, heute Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste); vgl. Bärend, Blick zurück, 79; Zitt, Diakonie und Mission, 160f. Vgl. dazu Rundbrief der Kammer für Volksmission und Rüstdienst der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens (Georg Prater, Curt Gröschel), Dresden, 01. 06. 1938, in: A.II.b.5.106,2, 142: »Die Arbeitsgemeinschaft der Volksmissionare möchte immer mehr eine arbeitende, bekennende und auch betende Bruderschaft werden.« Vgl. Beyreuther, Geschichte der Diakonie, 202–204. Gleichwohl befürwortete die Innere

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dungsstätte der Inneren und Äußeren Mission, wo vor dem Hintergrund diakonischen Engagements die »Verschmelzung von Volksmission und Völkermission«152 Ausdruck gewann. Als ein Stützpunkt bekennend-kirchlicher Theologenausbildung im Kirchenkampf wurden die Anstalten mit ihrer Theologischen Schule bzw. dem Kandiatenkonvikt auch von Theologen der Bekennenden Kirche durchlaufen.153 Theologen und Vikare, die dort den »Dienst in der blauen Schürze« versahen, trugen die bekennend-kirchliche diakonische und volksmissionarische Prägung in ihre späteren Gemeinden weiter. Auch im Freundeskreis um den bk-volksmissionarisch engagierten sächsischen Posaunenpfarrer Gottfried Klenner, der Gründergeneration des Volkmissionskreises Sachsen, befanden sich Betheler Kandidaten wie Gerhard Bahrmann154 und Gerhard Michael. Die Theologenausbildung der sächsischen Bekennenden Kirche, durch welche auch einige Kandidaten der Gründergeneration des Volksmissionskreises Sachsen gingen, musste während des Kirchenkampfes verschiedene Modelle erproben, nach denen Vikare zur Ordination gelangen konnten.155 Hans Prehn und Gerhard Küttner, mit ihnen auch Alfred Meister, Ulrich von Brück und neun weitere Theologen als »Kandidaten aus kirchlichen Notstandsgebieten« wurden beispielsweise 1939 in Stuttgart vom württembergischen Oberkirchenrat examiniert und durch den landesverwiesenen sächsischen BK-Superintendenten Hugo Hahn ordiniert.156

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Mission wie auch Bethel und andere Einrichtungen Zwangssterilisationen von psychisch krank eingeschätzten Patienten; nicht immer konnte sich die Innere Mission der Ethanasie verwehren. Vgl. zur Problematik der Euthanasie während des Nationalsozialismus in Bethel: Gedenken zum 1. September ; darin bes.: Busch, Bethel und die Tötung; vgl. Wolf (Hg.), Opfer von Zwangssterilisationen, bes. 40–48; darin auch: Buck, Lebenslang als minderwertig abgestempelt; vgl. auch Foss, Eugenik und Menschenwürde; Schleiermacher, Eugenik. Zit. nach der Selbstdarstellung unter http://www.bethel-historisch.de/index.php?article_id =38 (Zugriff: 23. 04. 2013). »Während des Kirchenkampfes im Dritten Reich erlebte die Theologische Schule eine Drang- und Blütezeit«, bis sie 1939 von der Gestapo geschlossen wurde, Ruhbach, Hochschulen, 428. Vgl. Zeugnis von Pastor Friedrich von Bodelschwingh, Bethel, 15. 10. 1922, für cand. theol. Gerhard Bahrmann, in: A.II.b.2.1181, 7. Neben dem hier genannten Examensdurchgang in Stuttgart gab es auch einen solchen in München. Gleiches praktizierten auch andere Bekenntniskirchen, vgl. Seim, Iwand, 163. Vgl. dazu die Dokumentation in: A.II.h.361.337. Vgl. zu biographischen Zeugnissen z. B. Lebenslauf, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 05. 06. 1946, in: A.II.b.2.935, 4; Zeugnis der zweiten evangelisch-theologischen Dienstprüfung für Pfarramtsbewerber Gerhard Küttner, Theodor Schlatter/Theophil Wurm, Stuttgart, 05. 07. 1939, in: A.II.b.2.935, 9; Lebenslauf, Pfr. Hans Prehn, Lauter, 22. 01. 1947, in: A.II.k.Lauter.I.1. Vgl. Erinnerungsblatt mit Unterschriften aller sächsischen Teilnehmer in: Prehn, Begegnung, 35.

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Denkschrift über die Volksmission der Bekennenden Kirche in Sachsen In einer Denkschrift mit dem Titel »Denkschrift über die Volksmissions- und Schulungsarbeit der Bekennenden Kirche Sachsens und über die zukünftige Gestaltung dieser Arbeit in unserer Kirche«157 kommt erkennbar zum Ausdruck, wie die sächsische BK das Konzept Gerhard Hilberts weiter betrieb und ausgeprägte Parallelstrukturen zur landeskirchlichen, deutsch-christlich dominierten Volksmission entwickelte. Dieser Text, welcher im Februar 1936 von der Kammer für Volksmission und Schulung (später : für Volksmission und Rüstdienst) beim Landesbruderrat der Bekennenden Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens (namentlich von den Pfarrern Georg Prater und Karl Fischer in Dresden) herausgegeben wurde, verlautbart das Selbstverständnis der sächsischen BK-Volksmission in Anlehnung an Formulierungen der Barmer Theologischen Erklärung158 und zeigt die Zusammenarbeit der BK-Volksmission mit der Vorläufigen Kirchenleitung der Deutschen Evangelischen Kirche sowie mit der Berliner Apologetischen Centrale.159 Ähnlich wie die Dresdner Kirchenleitung beauftragte die BK in den einzelnen Ephorien Vertrauensleute für Volksmission, welche die Vorbereitung von Volksmissionswochen160 koordinieren sollten.161 110 Redner der BK standen für Veranstaltungen zur Verfügung.162 Die Arbeitsformen, welche die Denkschrift nennt, sind vor allem Pfarrerrüstzeiten, sog. Kreisschulungstage (Wochenendkurse für Laien in einer Ephorie), Schulungsabende (zu Bibel, Bekenntnis, Apologetik), Hausgemeinschaften (»kleinste Zellen«: Hauskreise zu Bibelthemen und Glaubensfragen), volksmissionarisch-evangelistische Vorträge, Frei157 158 159 160

Diese Denkschrift in: A.II.b.36.15, 53–64 (auch A.II.b.36.9). Vgl. z. B. A.II.b.36.15, 55. Vgl. a. a. O., 58f. Vgl. einen weiteren Text der Kammer, wo ausführlich auf Voraussetzungen, theologisches Verständnis, Planung, Finanzen, Vorbereitung, Durchführung und Nacharbeit von Volksmissionswochen reflektiert wird: Ratschläge zur Arbeit der Volksmission und Schulung, insbesondere Richtlinien zur Vorbereitung volksmissionarischer Wochen, hg. von der Kammer für Volksmission und Schulung beim Landesbruderrat, Sachsen [ohne Datum; wahrscheinlich früher als die Denkschrift], in: A.II.b.36.9, 6–10. Vgl. auch Richtlinien für ephorale Volksmissionswochen [ohne Datum], in: A.II.b.5.377. 161 Vgl. dazu Rundbrief der Kammer für Volksmission und Rüstdienst der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens (Georg Prater, Curt Gröschel), Dresden, 01. 06. 1938, in: A.II.b.5.106,2, 142. 162 Zu den Rednern gehörten namhafte BK-Pfarrer (z. B. Heinz Leßmann, Obercunnersdorf; Prof. Friedrich Delekat, Radebeul; Gerhard Gilbert, Schellerhau; Curt Gröschel, Dresden; Hugo Hahn, Dresden; Gerhard Pfeiffer, Geithain; Friedrich Prehn, Meißen; Franz Lau, Regis-Breitingen), auf einer Liste nach Regionen z. T. mit Themenvorschlägen aufgeführt (darunter kurz vor dessen Tod auch Gerhard Hilbert, Leipzig, Thomaskirche, gest. 16. 05. 1936, weshalb der Name auf dem vorliegenden Exemplar handschriftlich gestrichen wurde): Rednerliste für Volksmissionsvorträge, Bekenntnisabende sowie Schulungs- und Rüstarbeit, Dresden, 19. 11. 1935, in: A.II.b.36.9, 2–5.

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zeiten (auch als Lehrgänge, Schulungen) für Gemeindeglieder,163 Schriftenmission164 sowie Kurse und Schriften der AC.165 Insgesamt tragen alle vorgestellten Arbeitsformen einen stark lehrhaften Charakter, was in der apologetischen Herausforderung des Kirchenkampfes begründet liegen mag.166 Die Denkschrift äußert das Bemühen, die volksmissionarisch aktiven Mitarbeiter in einer »Bruderschaft« zusammenzufassen, zugleich mit dem Ziel einer generellen »Erneuerung des Pfarrerstandes«.167 Das evangelistische Engagement zielt wie in Gerhard Hilberts Kirchlicher Volksmission programmatisch auf die geistliche Belebung von Kerngemeinden, welche auf die Gesamtgemeinde ausstrahlen soll.168 Aktive Gemeindekerne sollen Träger der Volksmission sein, die neue Gemeindekerne als Ziel der Volksmission im Blick haben und ihnen gegenüber als Träger der »Nacharbeit« fungieren.169 Die sächsische BK-Volksmission übernahm dafür mit delikater Nuance die bekannte Formel: »Ecclesiolae pro ecclesia«.170 Die »Wiederbelebung der lutherischen Privatbeichte« stellt ein weiteres Ziel 163 A.II.b.36.15, 62. 164 Vgl. dazu Rundbrief des Landesbruderrates der Bekennenden Ev.-luth. Kirche Sachsens, Kammer für Volksmission und Rüstdienst (Georg Prater, Curt Gröschel), Dresden, 23. 03. 1938, an die Volksmissionare, in: A.II.b.36.10, 176. Dieser Rundbrief listet verschiedene Publikationsformen (Leitsätze, Volksmissionsblätter, Bücher für Volksmission und Rüstdienst, Gemeinderüstblätter für kirchliche Rüstabende) und deren Themen (z. B. »Gottgläubig oder Christusgläubig«, »Das Geheimnis des Kreuzes«, »Die Kirche als Schicksal der Völker«) auf. 165 Vgl. A.II.b.36.15, 59f. Orte der Volksmission sollten »nicht nur hinter Kirchenmauern, sondern auch in der Schule, in der Presse, im Heere, in der Jugendarbeit« sein, a. a. O., 57f. 166 Dies zeigen auch Veranstaltungszahlen, welche die BK-Kammer für 1936 festhielt: 64 Bekenntnisabende, 30 Volksmissionsvorträge, 63 Schulungsvorträge, 15 Bibelstunden, 7 Jugendvorträge. Hinzu kommen durch einzelne BK-Pfarrer durchgeführte Veranstaltungen. Vgl. Blatt [vermutl. aus Rundbrief der] Kammer für Volksmission [1936], in: A.II.b.5.377, 76. 167 A.II.b.36.15, 62. Dabei orientierte man sich an der bayrischen Volksmission, wo die »Bruderschaft« »um einen Consensus theologiae ringt und die Consolatio fratrum pflegt«, a. a. O. 168 Zum Gemeindeaufbau der BK vgl. Möller, Gemeindeaufbau, 195–218. 169 »Nacharbeit […]für den wachsenden Gemeindekern«, A.II.b.36.15, 55. Vgl. A.II.b.36.9, 9: »Die Bruderschaften, Gebetskreise, Gemeindekerne, Mitarbeiterkreise, bekennenden Gemeinden, oder wie diese Zellen der lebendigen Gemeinde heißen, kommen in der Regel hin und her in den Häusern zusammen und die Teilnehmer werden persönlich eingeführt. Hier haben die Glieder des schon vorhandenen Gemeindekerns die Augen offen zu halten und diejenigen, die durch die Evangelisation angefasst worden zu sein scheinen, zu Hausgemeinschaften aufzufordern.« In diesem Sinne wünschte Curt Gröschel: »Hoffentlich gelingt es uns, ihn [Pfr. Dr. Martin Rentsch, Wilthen] zu überzeugen, dass die lebendigen christlichen Kreise als Kerngemeinde im Sinne der Bekennenden Kirche zusammengefasst werden müssen«, Brief von Pfr. Curt Gröschel, Landesbruderrat der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens, Dresden, 11. 08. 1936 an Pfr. Franke, Schirgiswalde, in: A.II.b.5.377, 27. 170 A.II.b.36.15, 61, so auch A.II.b.36.9, 6.

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der BK-Volksmission dar, wie sie in einer landesweiten Großstadt-Evangelisationswoche (14.–21. 02. 1937) forciert wurde.171 Diese Evangelisationswoche bildet ein singuläres Beispiel der Zusammenarbeit von DC, BK und Mitte, welche gemeinsam an der Vorbereitung und Austragung beteiligt waren.172 Kooperationen mit dem Landesverein für Innere Mission, Radebeul, stellten dagegen für die BK offensichtlich kein Problem dar. Zum 1938 gegründeten Ausschuss für Evangelisation und Volksmission des Landesvereins gehörten Persönlichkeiten aus Bekennender Kirche und Mitte.173 Die BK-Volksmission wurde in Zeiten des Kirchenkampfes immer schwieriger. Etwa bis Kriegsbeginn führte die Kammer für Volksmission der sächsischen BK volksmissionarische Rüstzeiten durch, welche oft in Niederrödern bei (heute in) Radeburg stattfanden und an denen Freunde bzw. Mitarbeiter des späteren Volksmissionskreises Sachsen teilnahmen.174 Die Dresdner Landeskirchenregierung unter dem Präsidium von Johannes Klotsche versuchte, die BK-Volksmission zu hindern bzw. in dc-völkische Richtungen zu lenken.175 Ein Beispiel 171 Die Großstadtevangelisation wurde in 38 Kirchgemeinden in Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Plauen durchgeführt. Zur Information der Ortspfarrer diente ein ausführliches Rundschreiben, das von der Inneren Mission verschickt wurde und organisatorische wie inhaltliche Fragen bespricht, vgl. Rundschreiben des Landesvereins für Innere Mission, Pfr. Friedrich Erich Höfer, Dresden, 22. 01. 1937, in: A.I.n.288, 72–76, Zit. 74. 172 Im Herbst 1936 wurde eine gemeinsame Vorbereitungsrüstzeit in Krummenhennersdorf durchgeführt, vgl. Kurzer Bericht der Volksmissionskammer der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens, in: A.II.b.36.9, 54, dort Zit.: »Diese Arbeit ist von der Bekennenden Kirche stark mit getragen worden.« 173 Zum Ausschuss gehörten z. B. Pfr. Erich Bodenstein (Döbeln), Sup. Willy Gerber (Chemnitz), Pfr. Paul Meis (Chemnitz), Studiendirektor Franz Lau (Dresden), Pfr. Georg Prater (Dresden), Pfr. Gerhard Gilbert (Schellerhau) und die Professoren Martin Doerne und Alfred Dedo Müller, vgl. Rundbrief von Pfr. Dr. Walter Schadeberg, Landesverein für Innere Mission, Radebeul, 28. 10. 1938, in: A.II.b.5.106,2, 206. 174 Vgl. z. B. Programmblatt: Volksmissionarische Rüstzeit vom 14.–17. 04. 1936 im Kirchlichen Bundeshaus Krummenhennersdorf, in: A.II.b.36.9, 38–40. Die Rüstzeit stand unter dem Thema »Christus, der köstliche Eckstein und ein Fels des Ärgernisses«; Mitarbeiter u. a. Karl Fischer, Hugo Hahn, Georg Prater (alle Dresden); Teilnehmer z. B. die späteren Freunde bzw. Mitarbeiter des Volksmissionskreises Sachsen: Gerhard Gilbert (Schellerhau), Gottfried Fuß (Cavertitz), Ernst Ehrlich (Sosa), Hans Wolff (Grünhain). Zu einer Mitarbeiterinnentagung der Bekennenden Kirche vermittelte die später führende Person des Volksmissionskreises, BK-Vikar Gerhard Küttner, seine Mutter Frieda Küttner, vgl. Teilnehmerliste: Rüstzeit für Mitarbeiterinnen der Bekennenden Kirche in Niederrödern, 21.–24. 02. 1938, in: A.II.b.36.10, 185. Vgl. zu Themen und Referenten z. B. das Programmblatt: Volksmissionarische Rüstzeit vom 26.–29. 09. 1938 in Niederrödern b. Radeburg, in: A.II.b.5.106,2, 192 (Themen z. B.: Georg Prater, »Die Wiedererweckung der Kirche«; Karl Fischer, »Schicksalsglaube oder Deutschglaube«; Dr. Theodor Wenzel, Berlin, »Aus unserer brandenburgischen Volksmissionsarbeit«; Arno Lehmann, »Der Weltangriff des Christentums«; Gerhard Gilbert, »Der kommende Christus«). 175 Vgl. z. B. Rundbrief der Kammer für Volksmission und Rüstdienst der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens (Georg Prater, Curt Gröschel), Dresden, 01. 06. 1938, in: A.II.b.5.106,2, 142.

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dafür stellt die Spaltung der Posaunenmission in Sachsen und die Verdrängung des bk-volksmissionarischen Engagements aus dem Landesverein für Innere Mission dar (1.2.3). Vom Vorgehen des DC-Oberlandeskirchenrates Adolf Müller gegen die BK-Posaunenmission war das volksmissionarische Posaunenquartett des Landesposaunenpfarrers Gottfried Klenner betroffen, womit die direkten Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen berührt sind.

1.2.3 Folgenreiches Intermezzo: Spaltung der Posaunenmission in Sachsen durch den Kirchenkampf zwischen Innerer Mission und Landeskirchenamt bzw. Adolf Müller Die Posaunenmission des sächsischen Landesvereins für Innere Mission wurde während des Kirchenkampfes Ursprungsort des späteren Volksmissionskreises Sachsen. Durch Gottfried Klenner (1910–1943) wurde von 1936 bis 1938 die volksmissionarische Posaunenarbeit der Inneren Mission stärker an die Bekennende Kirche geführt. Aus dieser Arbeit entstand ein Freundeskreis, der spätere Volksmissionskreis. Zur Gründung der Sächsischen Posaunenmission 1922 Die Posaunenmission als eine Abteilung des Landesvereins für Innere Mission wurde 1922 von Adolf Müller (1856–1957) ins Leben gerufen.176 Als musikalische Volksmission konzipiert, erhielt sie von Müller ihren Namen.177 Zur Umsetzung dieser Arbeit sollte eine hauptamtlich angestellte Bläsergruppe (Quartett, Quintett bzw. Sextett) dienen, welche in einem eigenen Fahrzeug mit Lied- und Andachtsprogramm durch Sachsen reiste und auch darüber hinaus unterwegs war.178 Posaunenmissionsabende, Posaunenpredigtgottesdienste179 oder auch 176 Sie entstand de jure 1922 mit Adolf Müllers Dienstantritt beim Landesverein als Zweiter Vereinsgeistlicher bzw. Landesposaunenmeister. De facto war Müller bereits von 1898 bis 1933 (vom Theologiestudenten zum Oberlandeskirchenrat) erster Leiter der sächsischen Posaunenmission; vgl. Geleitwort von Wilhelm Ehmann, in: Wolfram, Adolf Müller, I–VII, hier IVf; vgl. Schnabel, Adolf Müller, 182.186. Zur Biographie Müllers vgl. Wiegand, Adolf Müller ; Schnabel, Posaunenchorbewegung, 66f. 177 Müllers Verständnis von Posaunenmission zeigt sich in seiner These zum Verhältnis von Musik/Lied und Wort: »In der Mission des Liedes ersetzt das Lied nicht die Predigt, auch ist es nicht Gegenstand der Predigt (Liedpredigt), sondern es hält die Predigt, deren Text allezeit das Wort Gottes ist«, Zit. Adolf Müller nach: Schnabel, Adolf Müller, 187. In der Folge übernahmen auch andere Landesverbände den Namen »Posaunenmission«, vgl. Drude, Posaunenchöre, 262. 178 Vgl. Drude, Posaunenchöre, 262; Wolfram, Adolf Müller, 130, auch IV; vgl. Müller, Geschichte der Sächsischen Posaunenmission, 57. Das Landessextett existierte noch bis etwa Mitte der 1980er Jahre.

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Straßeneinsätze dienten dem volksmissionarischen Programm, der Werbung für die Posaunenmission sowie dem Vorbild für Posaunenchöre der Kirchgemeinden.180 Geleitet wurde die Posaunenmission vom Zweiten Geistlichen des Landesvereins für Innere Mission, d. h. von Adolf Müller selbst. Erster Vereinsgeistlicher der Inneren Mission war zu der Zeit Friedrich Coch.

Erstes Intermezzo: Spaltung der Posaunenmission 1933 Als der Deutsche Christ Adolf Müller181 zum 1. Juli 1933 »als Oberlandeskirchenrat mit ›volksmissionarischer‹ Funktion« und Stellvertreter des neuen Landesbischofs Friedrich Coch ins Landeskonsistorium wechselte,182 konnte er sich nur schwer von seinem musikalischen Lebenswerk trennen, das er weiter dirigieren wollte. Kurz darauf wurde die Posaunenmission durch Verordnung dem Landeskirchenamt unmittelbar unterstellt, um die DC-Volksmission zu zentralisieren.183 De facto war nun die Sächsische Posaunenmission trotz des Beschlusses zur Zentralisierung gespalten: In den Landesverband der Posaunenchöre, der zum dc-geführten Landeskirchenamt (LKA bzw. Müller) gehörte, und in die Posaunenmission der kirchenpolitisch eher zur sogenannten Mitte zählenden Inneren Mission (IM). Denn gegen diese Verordnung unterhielt die Innere Mission weiterhin eine Posaunenmission als »nicht selbstständige Abteilung«184 und trat als solche 1934 sogar dem Verband evangelischer Posaunenchöre Deutschlands (VePD) bei. Im Folgenden wird die Unterscheidung durch die Begriffe »Posaunenmission (IM)« und »Landesverband (LKA bzw. Müller)« gekennzeichnet. Anders als die Posaunenmission (IM) stellte der Landesverband (LKA bzw. 179 Vgl. z. B. Rundbrief der Sächsischen Posaunenmission, Pfr. Adolf Müller, Dresden, 29. 03. 1932, in: A.I.l.II-J-26–7. 180 Vgl. Drude, Posaunenchöre, 262f. 181 Seit 1930 war Müller als Gründer einiger Dresdner DC-Ortsgruppen bekannt und dirigierte ab 1931 als NSDAP-Mitglied auch im braunen Rock. 182 Wiegand, Adolf Müller, 137. Das Ev.-Luth. Landeskonsistorium Sachsens wurde 1933 in Landeskirchenamt umbenannt; im Folgenden nur Landeskirchenamt. 183 Vgl. Verordnung über den Anschluß des »Landesverbands der Posaunenchöre« an die Landeskirche vom 02. 08. 1933, in: KGVBl 1933, Nr. 20, 72: »[…] Ferner wird verordnet, daß der Landesverband der Posaunenchöre unmittelbar dem Evangelisch-lutherischen Landeskonsistorium untersteht und seinerseits alle entgegenstehenden Bindungen zu lösen hat. Er führt künftig den Namen ›Landesverband der kirchlichen Posaunenchöre im Freistaat Sachsen‹. Die Mitgliedschaft bei ihm ist Pflicht aller kirchlichen Posaunenchöre innerhalb der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens.« 184 Vgl. verschiedene Briefe und Briefköpfe der Inneren Mission bzw. Posaunenmission dieser Zeit. Zit. in: Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin, Radebeul, 21. 10. 1937, in: A.II.b.36.8

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Müller) als juristische Person keine rechtsfähige Größe dar.185 Vielmehr sind organisatorische Schnittmengen festzustellen. Beide Werke wurden mindestens eine Zeit lang in Personalunion geführt und hatten auch die gleiche Postanschrift: Dresden–Ferdinandstraße.186 Mit dem Beschluss zur Zentralisierung hatte Müller zunächst keinen Erfolg. Zweites Intermezzo: Absetzung Gottfried Klenners 1937 Am 8. August 1936 wurde der junge Dresdner Vikar bzw. Pastor der Bekennenden Kirche Gottfried Klenner neuer Landesobmann der Posaunenmission (IM).187 Damit rückt auch die Geburtsstunde des Volksmissionskreises Sachsen näher, welcher aus dem von Klenner aufgebauten Freundeskreis hervorgehen wird. Der Antritt Klenners verschärfte Müllers kirchenpolitische Haltung. Müller war zuvor vom neuen Landeskirchenausschuss, welcher der Bekennenden Kirche einige Mitarbeit in der Kirchenleitung einräumte, in den unfreiwilligen Ruhestand versetzt worden. Er empfand Klenners Arbeit wohl als Konkurrenz und sah nun eine neue Chance der Machthabe gekommen.188 1937 beschloss das 185 Noch 1937 erklärte Müller, dass für den Landesverband (LKA) »die Rechtsfähigkeit anzustreben ist«, vgl. Rundbrief des Landesverbandes der kirchlichen Posaunenchöre in Sachsen, OLKR a.D. Adolf Müller, Dresden, 14. 10. 1937 an die Chöre des Landesverbandes, in: A.I.i.378, 24. 186 Mit dem Beitritt der Posaunenmission (IM) zum VePD bei bekam der IM-Landesposaunenmeister den Titel Landesobmann. In der Folge waren beide Titel in Gebrauch, wahrscheinlich praktisch auf die beiden Werke verteilt: Landesobmann (IM) und Landesposaunenmeister (LKA). Der Gebrauch beider Titel in Personalunion ist für Gottfried Klenner bezeugt: Klenner versandte als Landesobmann der Posaunenmission (IM) Post mit dem Briefkopf der Posaunenchöre (LKA) unter dem Titel Landesposaunenmeister (vgl. z. B. Brief des Landesverbandes der kirchlichen Posaunenchöre im Freistaat Sachsen, Landesposaunenmeister Gottfried Klenner, Dresden, 10. 07. 1937 an Pfr. Cornelius Kohl, Roßwein, in: A.I.h.027, 1; vgl. Rundbrief des Landesverbandes der kirchlichen Posaunenchöre im Freistaat Sachsen, [Landesposaunenmeister] Gottfried Klenner, Dresden, 09. 04. 1937, zusammen mit: Flugblatt der Sächsischen Posaunenmission »Was will die Posaunenmission?«, Abteilung des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, Pastor Gottfried Klenner, Dresden, in: A.I.i.378, 14f). Auch Adolf Müller bezeichnete Klenner zuständig zugleich für den Landesverband der Posaunenchöre (LKA) und die Posaunenmission (IM). 187 Nach Müller hatte Johannes Teichert die Stelle des Zweiten Geistlichen (Landesposaunenmeister) übernommen und löste den für nur sehr kurze Zeit interimistisch wirkenden Sohn Müllers, Christoph Müller, ab. Vgl. Wolfram, Adolf Müller, 169f; Schnabel, Adolf Müller, 199; vgl. Zur Geschichte der Inneren Mission (1917–1953) von Pfr. Friedrich Vogel, in: A.II.b.5.314, 1–35, hier 17f. 188 Müllers Pensionierung erfolgte zum 12. 03. 1936, vgl. Meier, Kirchenkampf Bd. 2, 353; Schnabel, Posaunenchorbewegung, 107. Für Müller war es schon 1934 ein Schlag gewesen, dass nicht er selbst, sondern der BK-nahe Theologe Fritz Bachmann zum Reichsobmann

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Landeskirchenamt, dass die Posaunenmission (IM) in den Landesverband der Posaunenchöre (LKA bzw. Müller) zu integrieren ist und Müller als Oberlandeskirchenrat a.D. dieses Unternehmen durchzuführen hat.189 Im unmittelbar danach erscheinenden Rundbrief an alle Posaunenchöre gab Müller eine neue Geschäftsstelle (Dresden–Gutzkowstraße) sowie seine eigene Kontonummer für den Zahlungsverkehr bekannt. In diesem Rundbrief ernannte Müller sich selbst zum Chef aller Posaunenarbeit in Sachsen und erklärte Klenner für »abberufen«.190 Müller begründete die postulierte Abberufung Klenners mit dem Vorwurf unrechtmäßigen Dienstverhaltens gegen den Leipziger DC-Kreisposaunenwart Martin Wolfram im Zusammenhang eines Kreisposaunenfestes. Dieses Fest hatte vom 18.–19. September in Roßwein bei dem Freund Klenners und späteren Mitgründer des Volksmissionskreises, dem BKPfarrer Cornelius Kohl, stattgefunden.191 Müllers Altherrenstreich nahm putschistische Dimensionen an. In der Nacht vom 14. zum 15. Oktober 1937 wurde die Geschäftsstelle der Posaunenmission (IM) überfallen. Drei ihrer Mitarbeiter, die zu Müller übergelaufen waren, räumten die Geschäftsräume und transportierten neben Mobiliar und Gegenständen vor allem Unterlagen (Notenmaterial, Anschriften von Bläsern) ab.192

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des neuen VePD gewählt wurde, vgl. Schnabel, Adolf Müller, 200f. Nun bestimmte Bachmann Klenner für das Amt des Landesobmanns. Verordnung Nr. 124, Posaunenchöre, 12. 10. 1937, in: KGVBl 1937, Nr. 25, 128: »Durch die Verordnung vom 2. August 1933 (GVBl. 1933, S. 22 [sic; recte: 72] ist der Landesverband der sächsischen Posaunenchöre unmittelbar dem Landeskirchenamt unterstellt worden. Nunmehr ist die Arbeit der sächsischen Posaunenmission organisch mit dem Landesverband der kirchlichen Posaunenchöre zu verbinden. Oberlandeskirchenrat a.D. Adolf Müller, der Begründer der sächsischen Posaunenmission, wird mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Landesposaunenwartes, insbesondere auch mit der Durchführung vorstehender Verordnung mit sofortiger Wirkung ehrenamtlich b. a. w. betraut.« Von Müller mit falscher Seitenangabe zit. in: A.I.i.378, 24. Vgl. dazu die Darstellungen des Konfliktes in: Wiegand, Adolf Müller, 158–162; Schnabel, Posaunenchorbewegung, 108–111; ders., Adolf Müller, 220–222; auch (nicht präzise): Drude, Posaunenchöre, 265f. Vgl. A.I.i.378, 24. Tatsächlich waren im Vorfeld dieses Festes Streitigkeiten im Kontext des Kirchenkampfes festzustellen, deren genaue Problematik unklar bleibt. Der Kirchenkampf zwischen Klenner und Wolfram ist wohl der Grund dafür, dass Wolfram in seinen Erinnerungen [ders., Adolf Müller] nichts zu diesen Vorgängen schreibt. Vgl. Brief des Landesverbandes der kirchlichen Posaunenchöre im Freistaat Sachsen, Landesposaunenmeister Gottfried Klenner, Dresden, 10. 07. 1937 an Pfr. Cornelius Kohl, Roßwein, in: A.I.h.027, 1: »Allerdings erschwert uns Wolfram die Arbeit. Vor wenigen Tagen erst hat er als D.C. einen ganz scharfen Brief an den Landeskirchenausschuß geschrieben.« Vgl. auch Postkarte von Gottfried Klenner, Dresden, 14. 09. 1937 [vermutl. an Mitarbeiter und Pfarrer in] Roßwein, in: A.I.h.027, 8: »Das Kreisposaunenfest findet bestimmt statt. […] Die letzten Vorgänge zeigen uns deutlich, wie notwendig es ist, daß wir unbedingt als Brüder zusammenstehen«. In A.I.h.027, 11–13 finden sich ein Programmblatt des Festes, ein detaillierter Gottesdienstablauf mit Liedtexten sowie Berichte über das Fest. Die Mitarbeiter Martin Weihermüller (Geschäftsführer), Erhard Graf (Fahrer), Erich Krä-

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Material und Gegenstände dienten offenbar der neuen Geschäftsstelle Müllers zur Ausstattung, der die überfallene Geschäftsstelle einst selbst eingerichtet hatte.193 Obwohl die Innere Mission mit einem Rundbrief die Vorgänge als illegal bekannt machte und Gottfried Klenner in Schutz nahm,194 war Klenner schließlich gezwungen, sein Amt als Zweiter Vereinsgeistlicher und Landesobmann aufzugeben.195 Ergebnis: Der »Freundeskreis vom Bläserquartett«196 Gottfried Klenners als freie volksmissionarische Initiative. Und: Kirchenkampf der Posaunenchöre Dass der volksmissionarisch engagierte Adolf Müller die Sächsische Posaunenmission wie kein anderer geprägt hatte, ließ seine problematische Rolle in den Hintergrund treten. Diese spielt bis heute sowohl in Erinnerungen wie in der Fachliteratur kaum eine Rolle.197 Dabei geht der Kirchenkampf innerhalb der sächsischen Posaunenmission ihm zu Lasten.

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mer (Kreisposaunenwart) waren zu Müller übergelaufen. Einige Helfer waren beteiligt. Vgl. Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin, Dresden, 16. 10. 1937 an alle Pfarrämter, in: A.I.i.378, 22. Falsches Datum des Vorfalles in: Prehn, Volksmissionskreis, 9. Die Geschäftsstelle Ferdinandstraße hatte Müller 1925 eingerichtet, vgl. Schnabel, Adolf Müller, 198. Eine Reihe von Rundbriefen der Posaunenmission (IM, Wendelin) und des Landesverbandes (LKA, Müller) stellen Vorgänge, gegensätzliche Positionen und Rechtsstreitigkeiten dar, was hier im Detail nicht widergegeben werden kann: Vgl. Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin, Dresden, 16. 10. 1937 an alle Pfarrämter, in: A.I.i.378, 22; Rundbrief von OLKR a.D. Adolf Müller, Dresden– Gutzkowstraße, 18. 10. 1937 an alle Pfarrämter, in: A.II.b.5.336, 28; Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin [mit Abschrift eines Briefes von Fritz Bachmann, Berlin, 21. 10. 1937, und einem Gruß von Gottfried Klenner], Dresden, 21. 10. 1937 an Posaunenmitarbeiter, in: A.I.i.378, 25; Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin, Dresden, 21. 10. 1937 an alle Pfarrämter, in: A.II.b.36.8; vgl. Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin, Dresden, 25. 10. 1937 an alle Pfarrämter, in: A.II.b.36.8. Darüber einigte sich am 29. Oktober 1937 in Berlin-Charlottenburg eine Kommissionssitzung des Reichsverbandes für Kirchenmusik und der Reichsmusikkammer. Fritz Bachmann (VePD), der sich noch eine Woche zuvor hinter Klenner stellte, übernahm nun selbst die kommissarische Leitung der Posaunenmission (IM) in Konkurrenz zu Adolf Müller. Zwischendurch [1.–14. 11. 1937] war Walter Zöllner vorrübergehend Landesobmann. Schließlich übernahm Hans-Heinrich Albrecht 1940 das Amt des Landesobmanns, vgl. Schnabel, Adolf Müller, 222f. Vgl. Darstellung bei Schnabel, Posaunenchorbewegung, 109f. Fischer, Rudolf in: VMK (Hg.), Freundesbrief 8/1951, in: A.III.a.1950–1953. So auch Wiegand, Adolf Müller, 137; vgl. diesen Beitrag bes. zur Biographie und deutschchristlichen Position Müllers. Vgl. Schnabel, Posaunenchorbewegung, 106f. – Keinerlei Notiz zur DC-Biographie A. Müllers in: K.-E. Müller, Geschichte der Sächsischen Posau-

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Mit der erreichten Absetzung Klenners konnte Müller nur einen Teilerfolg verbuchen. Sein Bemühen, die Posaunenarbeit unter seiner Führung für sich zu vereinnahmen und zu zentralisieren, scheiterte. Vielmehr wurde die Spaltung der sächsischen Posaunenmission gefördert, da in der Folgezeit nun zwei konkurrierende Geschäftsstellen unter dem Namen »Sächsische Posaunenmission« arbeiteten: die Innere Mission unter der Adresse Dresden–Ferdinandstraße und Müller unter der Anschrift Dresden–Gutzkowstraße.198 Die Spaltung der Posaunenmission im Kirchenkampf durch Müller blieb nicht ohne Folgen für die Volksmission in Sachsen. Der aus dem Amt vertriebene junge Posaunenpfarrer Gottfried Klenner musste seine volksmissionarische Posaunenarbeit als freie Initiative bekennend-kirchlicher Posaunenmission weiterführen. Dafür baute er mit seinen Quartettbläsern einen Freundeskreis in Sachsen auf (vgl. 1.4.1). In den Wirrungen des Kirchenkampfes um die Posaunenmission entwickelte Klenner im Anschluss an Paul Gerhard seinen Wahl-

nenmission, bes. 57. Martin Wolframs autobiographisch geprägtes Loblied auf den »Posaunenvater« Müller bringt keinerlei Bezüge zum Kirchenkampf, vgl. ders., Adolf Müller, 178f. Hier wird Gottfried Klenner in der Liste der Nachfolger nur kurz genannt; a. a. O., 170. In der Einführung zu diesem Buch von Christian Blümel, a. a. O., VIII–XXXVI, kommen einige kritische Reflexionen: a. a. O., XXXII–XXXV. Eines der ausgesprochen wenigen Beispiele, die Müller, wenn auch nur knapp, kritisch beurteilen, stellen Friedrich Vogels Notizen zur Geschichte der Inneren Mission dar: »Ein schwerer Schlag für die Innere Mission Sachsens war die Trennung der Posaunenmission vom Landesverein auf Betreiben von Oberlandeskirchenrat Adolf Müller«, Zur Geschichte der Inneren Mission (1917–1953) von Pfr. Friedrich Vogel, in: A.II.b.5.314, 1–35, hier 20. Im Folgenden vgl. nun Schnabel, Posaunenchorbewegung, 106–111; ders. Adolf Müller, 218–223. – Für die ideologisierte Anhängerschaft des »Posaunenvaters« Müller vgl.: Brief von Kreisposaunenwart Erich Krämer, [o.O.], 20. 12. 1937, an Reichsobmann Fritz Bachmann, Essen, in: A.II.i.1; Brief des Ev.-Luth. Kirchenvorstandes zu Groitzsch, 14. 12. 1937, an Reichsobmann Fritz Bachmann, in: A.II.b.5.336, 74. 198 In einem »Mitteilungsblatt der Sächsischen Posaunenmission« publizierte Müller eine Zeit lang unter gleichem Briefkopf wie die Innere Mission. Dafür nutzte Müller wohl aus der IMGeschäftsstelle entwendetes Material. Vgl. Wolfram, Adolf Müller, XXXIVf. Müller sammelte ein eigenes »Landes-Posaunenmissions-Quintett« bzw. -Quartett um sich, mit welchem er Kirchgemeinden bereiste, vgl. Schnabel, Adolf Müller, 222. Zwischen beiden Posaunenmissionen wurden Rechtsstreitigkeiten geführt, welche Anfang September 1938 in einem Vergleich vor dem Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten mündeten. Damit einigten sich beide Posaunenarbeiten, aus den beiden Werken eine gemeinsame Posaunenmission, welche durch das Landeskirchenamt und die Innere Mission gemeinsam getragen und verwaltet wird, einzurichten. So wurden auch die beiden reisenden Bläsergruppen (IM und LKA–Müller) ins Dienstverhältnis übernommen (vgl. Rundbrief von Adolf Müller und Adolf Wendelin an alle Pfarrämter, Posaunenchöre und Freunde, Dresden–Ferdinandstraße und Dresden–Gutzkowstraße, 26. 09. 1938, in: A.I.h.027, 23; darin der Text des Vergleiches). Vgl. als BK-Reaktion auf den Vergleich Brief von Pfr. Gottfried Fuß, Cavertitz, 06. 10. 1939, an den Landesverein für Innere Mission, OKR Adolf Wendelin, Dresden, in: A.II.b.5.336, 42.

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spruch »Unverzagt und ohne Grauen«,199 welcher nach dem Krieg zum Motto des Volksmissionskreises Sachsen wurde. Die bekennend-kirchliche und volksmissionarische Posaunenarbeit Klenners trug zur konkreten Meinungsbildung im Kirchenkampf bei. Kirchgemeinden und Posaunenchöre mussten sich im Blick auf ihre (ideologische) Zugehörigkeit zu einem der beiden Posaunenwerke positionieren, was in der Praxis auch geschah: »Posaunenchöre stellten sich sogar in offenen Gegensatz zu DC-Pfarrern«200. Der Kirchenkampf wurde an der kirchlichen Basis, in Chören und Gemeinden ausgetragen. Beispiele dafür stellen die Apostelkirchgemeinde in Dresden-Trachau, die Martin-Luther-Kirchgemeinde201 in Dresden-Neustadt und die Kirchgemeinde in Groitzsch (Leipziger Land) dar. In der Dresdner Apostelgemeinde prallten nicht nur DC und BK, sondern auch die ortsansässigen Familien Müller und Klenner (bzw. Hans) aufeinander. Während die Gemeinde von einem DC-Pfarrer, Kurt Guido Rübner, geleitet wurde, war der Posaunenchor vorwiegend bekennend-kirchlich bestimmt, auch wenn Christoph Müller, Sohn Adolf Müllers, zu den Bläsern gehörte. Der Posaunenchor protestierte gegen Klenners Amtsniederlegung, woraufhin der Pfarrer den Chor auflösen wollte.202 1940 wurde der Kantor der Apostelkirche, Hans-Heinrich Albrecht, neuer Landesobmann der Posaunenmission (IM) und Nachfolger Klenners.203 Der Posaunenchor der Kirchgemeinde Groitzsch musste sich gegen den DCKirchenvorstand behaupten, welcher mit DC-Kreisposaunenwart Martin Wolfram zusammenarbeitete. Der Kirchenvorstand versuchte, im Posaunenchor bedingungslose Akzeptanz der DC und des Landesverbandes der Posaunenchöre (LKA bzw. Müller) zu erreichen – ansonsten würden der Chor und dessen Chorleiter, stud. theol. Waldemar Kühnau, nicht als kirchgemeindlich aner-

199 »Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen«, aus dem Lied Paul Gerhards »Warum sollt ich mich dem grämen?«, vgl. Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Adolf Wendelin [mit Abschrift eines Briefes von Fritz Bachmann, Berlin, 21. 10. 1937, und einem Gruß von Gottfried Klenner], Dresden, 21. 10. 1937 an Posaunenmitarbeiter, in: A.I.i.378, 25. 200 Krohn, Dresdner Kirchgemeinden, 109. 201 Zu den Vorgängen in der Martin-Luther-Kirche vgl. a. a. O., 107f. 202 Vgl. dazu a. a. O. Auffälliger Weise finden sich Quellen dieser Vorgänge nicht mehr im Archiv der Apostelgemeinde. Pfr. Rübner hatte Akten vernichtet. Deshalb sind dort auch keine Archivalia zur landesweiten Großstadtevangelisation 14.–21. 02. 1937 (vgl. 1.2.2), welche in der Apostelgemeinde von BK-Pfr. Gerhard Gilbert, Schellerhau, durchgeführt worden war (Quellen nur noch im Archiv der Weinbergkirchgemeinde, vgl. A.I.n.288, 71). Gilbert gehörte zur BK-Volksmission, ab 1938 zum IM-Ausschuss für Evangelisation und Volksmission sowie zu den Freunden des späteren Volksmissionskreises Sachsen. 203 Vgl. Schnabel, Adolf Müller, 223.

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kannt. Kühnau widersprach. In einem Briefwechsel besprach sich Kühnau mit Gottfried Klenner.204 Bevor nun die weitere Entwicklung des Klennerschen Freundeskreises und dessen Aktivitäten während des Kirchenkampfes und im Krieg untersucht werden (1.4), gilt es im nächsten Abschnitt (1.3) die poimenischen Wurzeln seiner Arbeit zu ermitteln, die in der Kirchlichen Volksmission, der OxfordGruppenbewegung und der Bekennenden Kirche liegen.

1.3

Seelsorge im Kirchenkampf: Bemerkungen zu den poimenischen Konzeptionen von Kirchlicher Volksmission, Oxford-Gruppenbewegung und deren Relevanz für die Bekennende Kirche

Für die theologische und kirchlich-praktische Entwicklung des späteren Volksmissionskreises Sachsen sind poimenische Grundentscheidungen von hoher Wichtigkeit, welche die volksmissionarisch-seelsorgerlichen Konzeptionen der Kirchlichen Volksmission und der Oxford-Gruppenbewegung kennzeichnen. Darüberhinaus schlug sich das poimenische Konzept der Gruppenbewegung im Bereich der bekennend-kirchlichen Volksmission nieder. Die Bekennende Kirche wurde so zu einem Träger solcher volksmissionarischer Seelsorgeansätze, die von der Oxford-Gruppenbewegung beeinflusst waren. Dass evangelische Seelsorge und Seelsorgelehre im Kirchenkampf bisher noch kaum einen Gegenstand praktisch-theologischer Forschung darstellten, hatte Martin Jochheim bemerkt und durch seine Untersuchungen den Seelsorgeansatz der Gruppenbewegung als wichtigen Baustein dieser Forschungslücke herausgestellt.205 Etwa ein Jahrzehnt später hatte dann Peter Zimmerling die Seelsorge Dietrich Bonhoeffers untersucht.206 Wenn im Folgenden zunächst die Seelsorgeverständnisse der Volksmission und der Gruppenbewegung umrissen werden sowie auf die Rezeption der Gruppenbewegung im Rahmen der Volksmission eingegangen wird, dient dies auch dazu, die Seelsorge und Seelsorgelehre im Kirchenkampf als Voraussetzungen für die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen zu beleuchten.

204 Vgl. Vorgänge und Briefwechsel in: A.II.b.5.336, 82–84.86.95.98–101 (Datum der Archivalien: 21.07.–07. 08. 1939). Zu Kühnau siehe auch unter 3.5.4, Anm. 632. 205 Vgl. Jochheim, Seelsorge(lehre) im Nationalsozialismus. 206 Vgl. Zimmerling, Bonhoeffer, 138–182.

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1.3.1 Zum Seelsorgeverständnis der Kirchlichen Volksmission »Kirchliche Volksmission« bezeichnet zunächst die grundsätzlich evangelistisch-missionarische Orientierung kirchlicher Arbeitsformen und stellt das gesamte kirchliche Handeln unter das Ziel der »Wiedergewinnung« der entfremdeten Menschen inner- und außerhalb der (Volks-) Kirche. Dabei geht es darum, diese Menschen mit Wort und Sakrament im Raum der Kirche (wieder) zu verbinden. Den Kern dieses Anliegens prägt eine seelsorgerliche Grundorientierung. Auch wenn der praktisch-konzeptionelle Schwerpunkt Kirchlicher Volksmission, wie es schon ihr Begriff nahelegt, auf den volksmissionarischen Arbeitsformen liegt und weniger auf seelsorgerlichen Methoden, bedingt gerade die seelsorgerliche Ausrichtung die volksmissionarische Praxis. Das Seelsorgeverständnis der Kirchlichen Volksmission legt einen starken Fokus auf die cura animarum generalis, die allgemeine bzw. generelle Seelsorge, und unterscheidet sich damit von einer Poimenik, die Seelsorge von der cura animarum specialis, dem modernen Einzelgespräch begreift. Worin liegt die Begründung für diese poimenische Verortung der Volksmission? Zu dieser poimenischen Verortung trägt vor allem die Skepsis gegenüber der Breitenwirksamkeit spezieller Seelsorge bei. Für Gerhard Hilbert bildet diese Skepsis die Grundlage seines Konzeptes der Volksmission. Zwar würdigt Hilbert die persönliche Seelsorge im Kontext von Kasualien und biographischen Anlässen – doch seine Fragen: »wann wird Seelsorge spontan begehrt? Wann kommt der moderne Mensch von sich aus zu seinem Geistlichen?«207, spiegeln seine Annahme wider, dass die Mission der kirchlich distanzierten Masse nicht auf der seelsorgerlichen Nachfrage Einzelner (Kirchenmitglieder und Kirchenferne) aufbauen könne. Ebenso wenig könne Hilbert zufolge die Kapazität der kirchlichen Amtsträger, deren Seelsorgepraxis vorwiegend auf das Einzelgespräch konzentriert ist, den tatsächlich vorhandenen missionarischen und seelsorgerlichen Bedarf decken.208 Für Hilbert kann die persönliche, spezielle Seelsorge nur auf einzelne Fälle adäquat eingehen, nicht aber eine breite volkskirchliche Masse erreichen. Dagegen aber könne eine allgemein-seelsorgerliche Praxis auch ein Publikum erreichen, welches spezielle seelsorgerliche Hilfe von sich aus nicht anfordert. Sowohl volksmissionarische Veranstaltungen als auch die volksmissionarisch ausgerichtete Gemeindearbeit des Pfarramtes werden als cura generalis qualifiziert: »Volksmission ist selbst Seelsorge«.209 Inhaltlich-thematisch will volksmissionarisches Handeln an den Lebens- und 207 Vgl. Hilbert, Kirchliche Volksmission, 36f, Zit. 36. 208 Vgl. a. a. O., 16f. 209 [Handreichung] Anregungen für die Besprechung über Volksmission in den Pfarrkonventen, [vermutl. Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 1950er Jahre], in: A.I.b.1152.

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Krisenthemen der Zielgruppen orientiert sein, wodurch sich die Volksmission gleichermaßen als evangelistisches und seelsorgerliches Handeln definiert.210 Es ist bezeichnend, dass sich zum Beispiel in Gerhard Füllkrugs »Handbuch der Volksmission« (1919) Hinweise finden, dass die Evangelisten gerade auf die inneren Nöte des Publikums eingehen sollen. Evangelisation wird im Kern als Predigt des Evangeliums mit dem Ziel von Buße, Bekehrung etc. bestimmt, soll aber als Fleisch um diesen Kern zuerst eine Trost-, dann auch eine Bußpredigt darstellen. Beides, Trost- und Bußpredigt, sind Dimensionen der seelsorgerlichevangelistischen Verkündigung.211 Volksmission wird zum seelsorgerlichen Handeln, wenn Evangelisation Lebenshilfe leisten will. Umgekehrt gewinnt Seelsorge volksmissionarische Aspekte. Der Selbstanspruch der Kirchlichen Volksmission ist demnach, den grundsätzlichen Zusammenhang von Glaubenshilfe und Lebenshilfe – als Rekurs auf das Grundanliegen von Diakonie bzw. Innerer Mission –212 fruchtbar zu machen und evangelistisch sowie seelsorgerlich zu realisieren. Von dieser Grundhaltung her versteht es sich, dass die Volksmission primär eine allgemeine Seelsorge, cura generalis, leisten möchte und nicht das Einzelgespräch als ihr primäres Seelsorgemodell herausstellt. In der Folge allerdings soll die allgemein-seelsorgerliche Ausrichtung der Volksmission eine spezielle Seelsorge befruchten, etwa wenn im Anschluss an evangelistische Veranstaltungen Seelsorgegespräche angezielt und Gemeindeglieder spezielle seelsorgerliche Angebote anzufordern angeregt werden. Insofern ist Volksmission sekundär, d. h. im Wortsinne konsequent, am Gespräch als zentraler Gestaltungsform von Seelsorge interessiert. Gerade in Gestalt des KerngemeindekreisModells, das die volksmissionarisch Erweckten in kleinen ecclesiolae »zusammenfassen« möchte, gewinnt Seelsorge als Gespräch (sowohl in der Gruppe als auch unter vier Augen; sowohl als Aktion des Allgemeinen Priestertums als auch als Tätigkeit kirchlicher Amtsträger) ihren Sitz im Leben.

1.3.2 Zum Seelsorgeverständnis der Oxford-Gruppenbewegung Die Oxford-Gruppenbewegung stellt eine regelrechte Seelsorgebewegung dar, die sowohl neben als auch innerhalb der evangelischen Kirche missionarische und seelsorgerliche Breitenwirkung entfaltete, was im Titel ihrer deutschen 210 Vgl. eine ausführliche Auflistung von Themen- und Programmvorschlägen »für Evangelisationsvorträge« in: Füllkrug (Hg.), Handbuch, 113–117; Themenvorschläge für apologetische Vorträge in: a. a. O., 185–190. 211 Vgl. Füllkrug (Hg.), Handbuch, bes. 85–92. 212 Vgl. z. B. Turre, Diakonische Einsichten, 12.

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Organisation »Arbeitsgemeinschaft für Seelsorge«213 wiedererkennbar wird und ihr auch die (Selbst-) Bezeichnung »seelsorgerliche Volksmission« eingebracht hatte.214 Stärker als die Kirchliche Volksmission geht das Seelsorgekonzept der deutschen Gruppenbewegung215 von der direkten seelsorgerlichen Anknüpfung an den Einzelfall aus. Cura animarum specialis ereignet sich und wird durchgeführt, indem Seelsorge und Verkündigung einerseits im Kontext der Gruppe verortet, andererseits unmittelbar an den Einzelnen gerichtet werden. Die vertrauliche, halbprivate Gruppensituation ermöglicht die Anrede an den Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft. Diese Anrede in Zeugnis, Austausch und Gebetsgemeinschaft nimmt die persönliche Situation des Einzelnen in den Blick und zielt auf Sündenerkenntnis, Sündenbekenntnis, Wiedergutmachung und Heiligung,216 oder : auf Entscheidung und Dienst.217 Treffen und Tagung bilden den Rahmen der Gruppen, wobei die »Mannschaft« der Mitarbeiter als eine »Seelsorger-Gemeinschaft«218 einen Teil der Gruppe bildet. Die Seelsorge der Oxforder Gruppen ist vornehmlich am Gespräch als Gestaltungsmodell von Seelsorge orientiert und kennt mehrere elementare Grundformen des Gespräches. Nicht nur der Austausch als Gespräch zwischen Menschen (in der Gruppe, unter vier Augen, dabei auch als Beichtgespräch), sondern auch das Gebet als Anrede an Gott (in der Gruppe, zu zweit oder einzeln), ja sogar das Gebet als Hören auf die Rede Gottes (in der Gruppe, zu zweit oder einzeln) stellen seelsorgerliche Gesprächsformen dar. Bei Letzterem, dem Gebet als Hören, wird das Gespräch zwischen Gott und Betenden von der direkten Anrede Gottes an den Menschen her verstanden. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich im Gebet Gottes Reden ereignet und dadurch konkrete, seelsorgerlich fruchtbare Einsichten für die jeweiligen Lebenssituationen der Betenden ersichtlich werden. Gruppenkontext und Gebet als Hören müssen im Grunde als die zentralen Unterscheidungsmerkmale der Oxfordischen Seelsorge bezeichnet werden. Der Gruppenbewegung geht es um eine Seelsorge unter der Führung des Heiligen Geistes, in welcher die »Geistesleitung« oder das »unmittelbare Geisteswort« als Anrede Gottes an den Menschen in seiner je konkreten Situation die seelsor213 Vgl. dazu eine Publikation der Arbeitsgemeinschaft: Riecker/Laun (Hg.), Ruf zur Seelsorge. 214 Bruns, Seelsorgerliche Volksmission; auch: Haass, Seelsorge im Konfirmandenunterricht, 53. Vgl. Eicken, Ausweg, 38: »Die ganze Bewegung ist aus Seelsorge erwachsen; darum nimmt in der Gruppe die Seelsorge untereinander und an Außenstehenden eine beherrschende Stellung ein.« 215 Im Folgenden wird nur der deutsche Kontext ohne internationalen Vergleich untersucht. 216 Vgl. Eicken, Ausweg, 22–27. 217 Vgl. Haug, Neue Wege in der Seelsorge, 557. 218 Vgl. Eicken, Ausweg, 39–41, Zit. 39.

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gerlich zentrale Rolle einnehmen soll.219 Solche hörende Seelsorge kann einerseits und grundlegend durch das Medium der Stillen Zeit stattfinden, in welcher der Einzelne oder eine Gruppe aus der Begegnung mit dem Wort Gottes auf die Leitung bzw. Weisung des Geistes hören soll.220 Notizen aus den Einsichten und Hör-Erfahrungen der Stillen Zeit sollen eine erste Anwendung im Gruppengespräch finden.221 Andererseits kann hörende Seelsorge auch im Kontext der Gebetsgemeinschaft, des Rat gebenden Austausches, im Beichtgespräch oder auch innerhalb einer Mannschaft stattfinden.222 Eine am Einzelfall im Gruppenkontext ausgerichtete hörende Seelsorge intendiert, den Einzelnen für ein entschiedenes und dienstbereites Christsein zu gewinnen, welches durch die Weitergabe der eigenen Glaubenserfahrungen wiederum Seelsorge üben soll.223 Von daher lässt sich die seelsorgerliche Praxis der Gruppenbewegung in »ihrer Wirkung nach außen […] am ehesten als missionarischer Impetus beschreiben«.224

1.3.3 Rezeption der Poimenik der Gruppenbewegung in der Kirchlichen Volksmission Bei allen Unterschieden zwischen Kirchlicher Volksmission und Oxford-Gruppenbewegung, die sich auf poimenischer Ebene vor allem von den differierenden Zugängen zur Seelsorge her zeigen (Volksmission: cura animarum generalis – Volksmission mit seelsorgerlichem Charakter ; Gruppe: cura animarum specialis – Seelsorge mit missionarischem Gehalt), hatte Gerhard Füllkrug in seiner »Seelsorge«225 (1933) Einsichten aus der Poimenik der Gruppenbewegung in seine praktischen Überlegungen zur Kirchlichen Volksmission integriert – was eine Rezeptionsgeschichte eröffnete, die sich an der Bekennenden Kirche und dem Volksmissionskreis Sachsen zeigt. Gerhard Füllkrug interpretiert die Oxford-Gruppenbewegung als »eine neue Form der Seelsorge«.226 Das volksmissionarische Potential Oxfordischer Seelsorge sieht er im Gruppengeschehen und dessen seelsorgerlicher Dynamik gegeben, was auch Emil Brunner und Dietrich Bonhoeffer reflektierten.227 Sogar 219 220 221 222 223 224 225 226 227

A. a. O., 34. Vgl. Haug, Neue Wege in der Seelsorge, 558. Vgl. Eicken, Ausweg, 29. Vgl. Haug, Neue Wege in der Seelsorge, 559. Vgl. Eicken, Ausweg, 35–38. Jochheim, Seelsorge(lehre) im Nationalsozialismus, 142. Vgl. Füllkrug, Seelsorge. A. a. O., 5.11. Emil Brunner wollte besonders die Existenz von Kerngruppen als eine legitime und reformatorische Gestalt kirchlicher Existenz unterstrichen wissen; vgl. ders., Gruppenbe-

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Karl Barth hatte den »nützlichen Einfluß der in der Gruppe geübten besonderen Seelsorge« bemerkt (allerdings als einziges Positivum betont!).228 Trotz der im Wesentlichen ekklesiologisch motivierten Kritik229 an der Gruppenbewegung vermag, so Gerhard Füllkrug, gerade das gruppendynamische Proprium das seelsorgerliche Anliegen der Kirchlichen Volksmission zu ergänzen. Füllkrug erklärt dies wie folgt: Die Gruppenversammlung erfülle seelsorgerliche Aufgaben, indem das allgemeine Priestertum als mündiges Christsein eingeübt würde, womit die Gruppe reformatorische Anliegen im Sinne des mutuum colloquium und der consolatio fratrum verwirklichen wolle. Die Gruppe fungiere als Schule der Seelsorge durch Seelsorge untereinander und aufgrund ihres nach außen gerichteten, missionarischen Engagements. Nach Füllkrug liegt das »Entscheidende […] in der Gruppe«, dessen Potential er so zusammenfasst:230 Erstens kann jeder Seelsorger werden. Nicht nur Geistliche bzw. Amtsträger sind Seelsorger. Zweitens macht das Zeugnis in der Gruppe, welches auch eigene Schuld und Sünde bekennt, anderen Teilnehmern wiederum Mut zum eigenen Bekenntnis. Es entsteht eine Verbundenheit der Sünder (in der Erfahrung von Sünde und Vergebung). Drittens werden die gemeinschaftliche Aussprache und das Zeugnis der eigenen Heilserfahrungen zu einer »Brücke zur Seelsorge an dem Nächsten«. Viertens ermöglicht intensives, geschwisterliches Gemeinschaftsleben eine Belebung des allgemeinen Priestertums, womit einer »Pastorenkirche« gewehrt wird. Füllkrug sieht in der Seelsorge der Gruppenbewegung die Chance, die auf cura generalis angelegte Volksmission specialiter zu ergänzen. Die Ergänzung des von der Volksmission vertretenen generellen Seelsorgeparadigmas durch das spezielle, am Einzelfall orientierte Paradigma macht Füllkrug besonders am Beispiel der Einzelbeichte deutlich. Die auch von der Kirchlichen Volksmission wegung und die Kirche Jesu Christi, 45f, sowie knappe kritische Reflexion a. a. O., 52. Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515f. 228 Barth, Kirche oder Gruppe?, 211; Barth positionierte sich ansonsten aus ekklesiologischer Perspektive gänzlich kritisch zur Oxford-Gruppenbewegung. Nach dessen dialektischabsoluter Position erhalte in der Gruppenbewegung die Kirche neben der Gruppe gar kein eigenes Recht – deshalb »wird man zwischen ihr und der christlichen Kirche wählen müssen«, a. a. O., 206. 229 Dahinter stand die theologisch wichtige Frage nach der Stellung der Kirche in Theologie und Praxis der Gruppenbewegung. Die starke Fokussierung auf die Sozialgestalt der Gruppe als den wesentlichen Erfahrungsort geistlicher Existenz ließ fragen, wo neben der Gruppe das Ganze der Kirche sein Recht erhalte, vgl. Füllkrug, Seelsorge, 11. Sogar aus den Reihen des Marburger Kreises wurde eine (pragmatisch-) ekklesiologische Kritik am Buchmanschen Gruppen- bzw. Mannschaftsansatz laut, vgl. Georgi/Thieme, Christsein, 10. 230 Vgl. Füllkrug, Seelsorge, 12–14.

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angezielte Praxis der Einzelbeichte sei nur deshalb für die Gruppenbewegung selbstverständlich, da ihr gerade im gruppendynamischen Prozess ein hohes Augenmerk zukommen könne: »Die Gruppenbewegung lehrt uns folgendes: Die Beichte ist nicht bloß vor dem Pastor möglich, sondern vor jedem gereiften Christen. Jede Aussprache befreit den Menschen. Das Bekenntnis des einen macht dem andern Mut, auch seine eigene Sünde zu bekennen«.231

Füllkrug beklagt, dass »alle Beichtermahnungen in der evangelischen Kirche viel zu sehr im Allgemeinen stecken bleiben und zu wenig auf das Besondere eingehen«.232 Dagegen biete die Aussprache in der Gruppe die verbindlichere Anregung zur konkreten Einzelbeichte.

1.3.4 Zum Seelsorgeverständnis in der Bekennenden Kirche Austeilung der Gnade als cura animarum generalis Im Kontext der Bekennenden Kirche ist Seelsorge auch als volksmissionarisches Mittel des Kirchenkampfes zu verstehen. Hans Asmussen hatte dies im Vorwort der dritten Auflage seiner »Seelsorge« (1935) wie folgt formuliert: »Seelsorge wird offenbar gewollt. Wir sind im Kampf noch nicht vollends ertrunken. […] Mag der Schaden des Kirchenkampfes noch unübersehbar sein […], die Tatsache, daß Pfarrer da sind, welche den Kern evangelischer Arbeit wollen, sollte uns aufrichten.«233

Der »Kern evangelischer Arbeit« ist Seelsorge und für Asmussen auf die Mitteilung der Gnade ausgerichtet: »Seelsorge hat es immer mit Begnadigung zu tun.«234 Durch Seelsorge scheiden sich die Geister und die Austeilung der evangelischen Gnade dient dazu, eine rechtgläubige und bekennende Gemeinde aufzubauen. Zwar stand Asmussen dem Programm der Volksmission kritisch gegenüber, da er ihr Anliegen als genuine Aufgabe der gesamten, seelsorgerlichen ausgerichteten, »geordneten Amtsarbeit« und nicht als eine Zusatzaufgabe verstanden wissen wollte.235Aber die BK hatte sich die Kirchliche Volksmission zusammen mit Füllkrugs Rezeption der Oxford-Gruppenbewegung zu eigen gemacht. Durch das volksmissionarische Handeln innerhalb der regulären Gemein231 232 233 234 235

A. a. O., 86. A. a. O., 78. Asmussen, Seelsorge, VII. A. a. O., 26. A. a. O., XVf, Zit. XVI.

Seelsorge im Kirchenkampf

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dearbeit sowie mittels eigener Veranstaltungen sollten die Glieder der Gemeinden erreicht und in Gruppen verbunden werden. Damit war die BK bemüht, kleine geistliche Gemeinschaften in den Gemeinden einzurichten, deren Teilnehmer sich in der Bekenntnissituation des Kirchenkampfes gegenseitig zurüsten sollten. Es entstanden bekennend-kirchliche Kerngemeindekreise, in denen »Zurüstung« geschah. Hinter diesem seinerzeit typischen Begriff verbirgt sich nichts anderes als eine cura animarum generalis, die in Form von Austausch, Gespräch, biblischer und apologetischer Bildung etc. praktisch wird. Diese gruppenorientierte volksmissionarische Vorgehensweise diente als Mittel im Kirchenkampf, um die eigene Position zu stärken und einen bekennenden evangelischen Glauben volksmissionarisch zu verbreiten. Dies sollen nun die zwei Beispiele der sächsischen Bekennenden Kirche und Dietrich Bonhoeffers näher darstellen. Volksmission der Bekennenden Kirche Sachsens Die Kammer für Volksmission und Schulung beim Landesbruderrat der Bekennenden Kirche Sachsens setzte verstärkt auf die Förderung der Kerngemeindekreise. Die sächsische BK-Volksmission rezipierte die Hochschätzung des gruppendynamischen Potentials für volksmissionarische, seelsorgerliche und gemeindebauende Prozesse. Ihre Veröffentlichungen referieren zwar im Wesentlichen Gerhard Hilbert Konzeption, spitzen diese aber auf die Bekenntnissituation zu: »Nur dort ist darum eine gesegnete Volksmissionsarbeit möglich, wo ein lebendiger Gemeindekern da ist, der die Volksmission betend und mit erfinderischer Liebe vorbereitet und der auch die Nacharbeit […] trägt. Aber wirklichen Segen erwartet der tragende Gemeindekern mit Recht nur dann von der Volksmissions- und Schulungsarbeit, wenn die reine Lehre des Evangeliums lauter verkündigt wird. […] In Bezug auf das christliche Leben bedeutet Schrift- und Bekenntnisgemäßheit heute die klare Unterscheidung von Christentum und Nationalsozialismus.« »Hier kommt es nicht auf die große Zahl an, sondern auf den Willen zum Echten. Hier kommen in nichtöffentlichen Zusammenkünften, von denen aller Schein fernzuhalten ist, Christenmenschen zusammen, die wirklich durch die Liebe zur Kirche; zum Evangelium, zum Herrn zusammengefaßt sind, und die erwarten, daß sie in ernster Arbeit weitergeführt werden und daß ihnen als lebendigen Gliedern am Leibe des Herrn etwas zugemutet wird. Liegt auch hier in der Regel die Leitung in der Hand des Pfarrers, so muß das Ziel die lebendige Bruderschaft sein, die gemeinsam betet, und in der die verschiedenen Charismen geweckt werden und sich entfalten können. Das Wort vom allgemeinen Priestertum der Gläubigen darf nicht länger eine Phrase bleiben,

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

wenn unsere Kirche in dieser Zeit der Anfechtung ihren Dienst zum Segen unseres Volkes ausrichten soll.«236

Die Zitate zeigen, wie in der sächsischen BK Hilberts Volksmissionsprogramm übernommen wurde und die Gemeindestrukturen mittels der Kerngemeindekreise prägen sollte. Charakterisiert werden diese Kerngemeindekreise als »lebendige« und »tragende Gemeindekerne« bzw. »Bruderschaft«. Sie sollen Orte darstellen, in denen »Christenmenschen« »zusammengefaßt sind«, welchen als »allgemeinem Priestertum« »etwas zugemutet werden kann«. Als »nichtöffentliche Zusammenkünfte« waren diese Kreise unterschieden von der restlichen Kirchgemeinde, von anderen Gruppen und erst recht von Gruppen mit anderen ideologischen Selbstdefinitionen. Die Autoren gehen erstens davon aus, dass die Kerngemeindekreise missionarische und allgemein-seelsorgerliche Kraft entfalten – damit ist man ganz bei Gerhard Hilbert. Zweitens ist die Annahme hörbar, dass diese Kreise zu Orten des evangelischen Bekenntnisses gegen nationalsozialistische Ideologie werden sollen und können – damit ist man ganz im Kirchenkampf. Als Orte allgemeiner Seelsorge zur Stärkung des allgemeinen Priestertums übernehmen diese Kreise die Funktion von missionarischen, gemeindebauenden, seelsorgerlichen und diakritischen Instanzen im Kirchenkampf, und zwar im Kirchenkampf an der Basis der Kirchgemeinden. Hinsichtlich der Rezeption der Kirchlichen Volksmission in der BK kann also festgestellt werden, dass die volksmissionarische Seelsorge dazu beitrug, eine bekennend-kirchliche Seelsorge zu entwickeln. Die allgemein-seelsorgerliche Orientierung der Volksmission, ihr gemeindebauender Impetus und ihre apologetischen Anliegen waren anschlussfähig für die BK. Von daher wurde die Seelsorge in Kerngemeindekreisen zu einem Merkmal der Poimenik innerhalb der BK.

Die Finkenwalder Volksmissionen Dietrich Bonhoeffers Die Rezeption der volksmissionarischen Handlungsweise, Kerngemeindekreise einzurichten, findet sich auch bei Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer hatte die volksmissionarische und von der Oxford-Gruppenbewegung inspirierte Seelsorge Füllkrugs verarbeitet und seinen Vikaren im Finkenwalder Predigerseminar vermittelt.237 Für die Vikarskurse in Finkenwalde sah Bonhoeffer mehrere 236 A.II.b.36.15, 55f.62. 237 Dass Bonhoeffer die »Seelsorge« Füllkrugs verarbeitet hatte, lässt sich nachweisen: vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515 Anm. 153; auch 561 Anm. 21. Vgl. miteinander Bonhoeffer, DBW 14, 515f und Füllkrug, Seelsorge, 11f.

Seelsorge im Kirchenkampf

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praktische Volksmissions-Einsätze vor, welche in BK-Gemeinden vorwiegend in Pommern stattfanden.238 Bei den Finkenwalder Volksmissionen folgte Bonhoeffer dem von Füllkrug vermittelten Vorbild der Gruppenbewegung. Anders als das ursprüngliche Konzept Hilberts, nach dem Volksmissionen mehrheitlich von Einzelpersonen durchgeführt wurden, übertrug Bonhoeffer die volksmissionarische Aktion an Gruppen seiner Vikare. Damit folgte Bonhoeffer der sog. Mannschaftsarbeit der Gruppenbewegung.239 Diese missionarisch aktiven Gruppen verstand er theologisch als »kleine Gemeinde«, »Bruderschaft«, »apostolische Aussendung«, »Gemeindekern« oder »Gemeinschaft des Gebets«. Die Tätigkeit der ausgesandten Gruppen unterschied sich nicht von der sonst üblichen volksmissionarischen Praxis: Sie führten über die Dauer von etwa einer Woche missionarische Abendgottesdienste sowie die Sonntagspredigt durch,240 welche als Entscheidungspredigt begriffen wurde;241 dabei kam auch Schriftenmission zum Einsatz.242 Die Verkündigung der missionarisch aktiven Gruppen zielte auf den Gemeindekern vor Ort: Dieser soll »zur Verantwortung« aufgerufen werden. Hinter dieser komprimierten Formulierung verbirgt sich das sowohl volksmissionarische als auch bekennend-kirchliche Anliegen, den Gemeindekern zum Christusbekenntnis zu (re-) animieren. Konkret wird es den Finkenwalder Volksmissionen darum gegangen sein, feste Gruppengestalten in den Ortsgemeinden einzurichten, in denen sich die volksmissionarisch Erreichten treffen konnten. 238 Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515–517; siehe auch die jetzt veröffentlichte Rundbriefsammlung: ders., Finkenwalder Rundbriefe, bes. 159f.236f.300.315–317. Vgl. dazu die Beiträge: Zimmerling, Bonhoeffer, 188–190; Garbe, Frage der Volksmission (dort auch weitere Lit.: 111, Anm. 1); Henkys, Finkenwalder Volksmissionswochen (enthält die Dokumentation und Kommentierung von Material Hans-Dietrich Pompes); Themen der Volksmissionen z. B. in: a. a. O., 81–87, und in: Bonhoeffer, Finkenwalder Rundbriefe, 159.236.317.433–437; Martin (hg.), Bonhoeffer in Finkenwalde, 563–566; eine Übersicht über die Volksmissionsfahrten des Predigerseminars in: Bonhoeffer, DBW 14, 1068–1070. – Praktische Volksmissionsfahrten waren in der theologischen Ausbildung selten, so auch bei Hans Joachim Iwand, vgl. Seim, Iwand, 154. Unter Studenten von Missionsschulen waren sie keine absolute Ausnahme, vgl. z. B. Rendtorff u. a. (Hg.), Gottes Wort ist nicht gebunden, 27f. Dagegen war die Behandlung von Volksmission in der theoretischen Ausbildung selbstverständlich, vgl. z. B. den Beitrag Heidler, Fritz, Amt und Volksmission, in: Rundbrief des Predigercollegiums zu St. Pauli in Leipzig, 5/1935, 5, in: A.II.b.5.369, 33–38 (das Kolleg St. Pauli gehörte nicht zur Bekennenden Kirche). 239 Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515, dort die folgenden Zit. 240 Vgl. A. a. O., 262. Diese Abendgottesdienste entsprachen liturgisch den Nebengottesdiensten der altpreußischen Agende, vgl. Henkys, Finkenwalder Volksmissionswochen, 91. Übereinstimmend mit Gerhard Hilbert verstand Bonhoeffer Volksmission als missionarischen Weg in den Gottesdienst, welcher durch verschiedene kirchliche Veranstaltungen ergänzt werden sollte, vgl. Zimmerling, Bonhoeffer, 194f. 241 Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515. 242 Vgl. z. B. Bonhoeffer, Finkenwalder Rundbriefe, 237.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Die volksmissionarischen Termini »Gemeindekern« und »Nacharbeit« sprechen deutlich davon. Die »Nacharbeit« dürfe man Bonhoeffer zufolge »nicht dem Pfarrer allein aufbürden«, womit vom praktischen Engagement des allgemeinen Priestertums die Rede ist. In der Nacharbeit sollten Glaubenswissen und Glaubenspraxis vertieft werden. Diese volksmissionarische Praxis, Gemeindekerne als Kreise vor Ort einzurichten, ist anschlussfähig an Bonhoeffers dreifachkonzentrisches Gemeindemodell, in dem er nach Taufgemeinde und Predigtgemeinde die Abendmahlsgemeinde als inneren Kern und lebendigen Träger gemeindlichen Lebens darstellt (siehe 6.2.4).243 Schließlich sollte durch die gewonnenen Gemeindekerne ein Freundeskreis des Finkenwalder Seminars aufgebaut werden.244 Außerdem dienten die Volksmissionsfahrten der seelsorgerlichen Aufgabe, BK-Pfarrer, die auf einsamem Posten im pommerschen Land standen, zu besuchen und zu unterstützen.245 Obwohl Bonhoeffer ausdrücklich ekklesiologische Kritik an der OxfordGruppenbewegung geübt hatte,246 reflektierte er auf die volksmissionarischseelsorgerliche Chance der Gruppenarbeit und orientierte sich dabei am seelsorgerlichen Vertrauenspotential des kleinen Kreises.247 Es wird deutlich, dass Bonhoeffer als Vertreter der Bekennenden Kirche das Konzept der Volksmission in der von Füllkrug mit gruppendynamischen Merkmalen angereicherten Form praktizierte und an künftige BK-Pfarrer vermittelte. Dabei stellt sich der volksmissionarische Ruf »zur Verantwortung« als ein Mittel der generellen Seelsorge dar, welches zum Ziel hat, Gemeinschaftsorte dieser Seelsorge einzurichten. Zugleich erweist sich diese volksmissionarische Seelsorge als Mittel im Kirchenkampf, durch Gruppengestalten die BK zu stärken. Insofern spielt die Oxford-Gruppenbewegung für die Seelsorge der BK während des Kirchenkampfes eine wesentliche Rolle, als dass ihr gruppendynamischer Ansatz auch außerhalb der eigentlichen Gruppenbewegung, nämlich innerhalb der BK tradiert und verankert wurde. Während aber die Gruppenbewegung die Hoffnung gehegt hatte, den Kirchenkampf in ihren Gruppen durch eine egalitäre, unterschiedslose Gemeinschaft zwischen DC- und BK-Personen überwinden zu können,248 hielt man es im Freundeskreis um Gottfried Klenner (siehe den folgenden Abschnitt 1.4), aus dem der Volksmissionskreis Sachsen hervorgehen sollte, eher mit Bonhoeffers 243 Vgl. Bonhoeffer, DBW 1, 163–170. 244 Vgl. Zimmerling, Bonhoeffer, 189; Garbe, Frage der Volksmission, 122. 245 »Der brüderliche Besuch als Geschenk und Pflicht«, Zit. von Hans-Dietrich Pompe in: Henkys, Finkenwalder Volksmissionswochen, 96. 246 Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515–517. Zum positiven Verhältnis von Bonhoeffer und Gruppenbewegung vgl. Georgi/Thieme, Christsein, 148 Anm. 5. 247 Bonhoeffer, DBW 14, 515f. 248 Vgl. Jochheim, Seelsorge(lehre) im Nationalsozialismus, 144f.

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners

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Alternative: »Nationalsozialist oder Christ«249. Diese Haltung teilte der Freundeskreis mit der BK gegen die Gruppenbewegung. Dass der Kreis die Ansätze der Gruppenbewegung ungleich stärker rezipierte, als dies sonst in der BK der Fall war, musste ihn zwar von dieser unterscheiden und unterstreicht seine Sonderrolle in der BK. Dass der Kreis kirchenpolitisch und gemeindepraktisch aber auf Seiten der BK stand, setzte ihn wiederum von der Gruppenbewegung ab. Die hohe Sensibilität des Volksmissionskreises gegen eine Bekenntnisegalität hatte sich bis in charismatische Zeiten durchgehalten und wurde erst in den 1980er Jahren aufgebrochen (vgl. unter 5.5.3). Personen aus dem Volksmissionskreis Sachsen hatten direkte Kontakte zur theologischen Schule, die aus Bonhoeffers Finkenwalde hervorgegangen war und gerade im Osten Deutschlands die Nachkriegstheologie prägte.250 Auf die Kooperation des Kreises mit dem einstigen Finkenwalder Kandidaten Erwin Schlagowsky wird unter 2.2.1 noch eingegangen. Weitere theologische Schüler Bonhoeffers prägten die ostdeutsche Theologenausbildung und auf diesem Wege auch Pfarrer des Volksmissionskreises.251

1.4

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners als Repräsentant der Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen und dessen volksmissionarisch-seelsorgerliche Arbeit bis 1945

1.4.1 »Wir wollen unseren Glauben nicht abhängig machen von Waffen.«252 Eine freie Initiative bekennend-kirchlicher Posaunenmission Nachdem Gottfried Klenner im Oktober 1937 seines Amtes als Landesposaunenmeister bzw. Landesobmann enthoben wurde, bestand noch bis 20. August 1938 ein Arbeitsverhältnis bei der Inneren Mission.253 Klenner wurde ermög249 Bonhoeffer, DBW 13, 179. 250 Vgl. z. B. Schönherr, … aber die Zeit war nicht verloren. 251 Ein sprechendes Beispiel: »Während meines Studiums an der kirchlichen Hochschule in Berlin-Zehlendorf (1949–1952) traf ich auf die Freunde und ›Schüler‹ Dietrich Bonhoeffers, die unsere theologischen Lehrer waren (z. B. Martin Fischer, Heinrich Vogel, Walter Delius, Julius Smend, Martin Schmidt, Erwin Reißner, Herbert Braun u. a.). Nach dem Sommersemester 1952 mussten wir unter politischem Druck unser Studium in Berlin auf-geben und konnten es in Leipzig (in meinem Fall WS 1952 – SS 1954) mit Hilfe der Professoren der theol. Fakultät nach und nach mit einem 1. theol. Examen abschließen«, Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 25. 06. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.21. 252 Tagebucheintrag von Pfr. Cornelius Kohl, Roßwein, 20. 05. 1939, in: Prehn, Begegnung, 36. 253 Vgl. Zeittafel von Hans Prehn, in: A.III.a.Rundbriefe. Klenners Anstellungsverhältnis bei

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

licht, ein eigenes Quartett zu führen, allerdings unter der Auflage, mit dem Sextett Adolf Müllers zusammenzuarbeiten. Das zentralistische Führerprinzip in der Kirchenleitung forderte, dass Volksmission »eine Tat der organisierten Kirche, nicht einzelner frommer Kreise«254 sein und somit gleichgeschaltet werde sollte. Um der Kooperation zu entgehen, wurden Volks- bzw. PosaunenmissionsFahrten eigenständig geplant und durchgeführt, die zum Teil außerhalb Sachsens stattfanden und durch Kollekten finanziert wurden.255 Der Kirchenkampf führte innerhalb der gespaltenen Sächsischen Posaunenmission dazu, dass sich die Posaunenmission des Klennerschen Quartetts mehr und mehr in Richtung einer freien Initiative entwickelte. Trotz nur geringer organisatorischer Anbindung an landeskirchliche Strukturen löste diese Arbeit sich nicht vom kirchlichen Anliegen. Die Bekennende Kirche unterstützte diese Arbeit, was sich wohl vor allem in Kontakten zu BK-Pfarrern und deren Gastfreundschaft äußerte.256 Etwa bis Kriegsbeginn war das Quartett aktiv, welches aus Gottfried Klenner, dem Vikar Johannes »Hans« Prehn, welcher von der dc-regierten Landeskirche nicht in den Pfarrdienst übernommen wurde, dem abgesetzten Pfarrer Friedrich »Fritz« Schädlich und dem Tischler Kurt Eichler bestand, allesamt volksmissionarisch-erwecklich und bekennend-kirchlich geprägte Personen.257 Ein nahezu landesweiter »Freundeskreis vom Bläserquartett« wurde aufgebaut,258 bevor die Männer des Quartetts nach und nach zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Das Quartett hatte seinen Wirkungskreis im Bereich der Bekennenden

254 255 256 257

258

der IM kann nur rekonstruiert werden, da amtliche Dokumente nicht (mehr) vorhanden sind. Hans Prehn war ebenfalls bis Herbst 1939 im Reisedienst der Inneren Mission angestellt, vgl. Lebenslauf von Hans Prehn, Lauter, 22. 01. 1947, in: A.II.k.Lauter.I.1. Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 10.12. Fröhlich, Aufgabe der Volksmission, 11 (Hervorhebung im Text). Vgl. dazu Prehn, Volksmissionskreis, 12–15, dort Berichte über Begegnungen, z. B. in Stuttgart mit Eberhard Müller, in Tübingen mit Karl Heim. Zum Kontakt zu Heim vgl. z. B. VMK (Hg.), Freundesbrief 05/1952, in: A.III.a.1950–1953. Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 12. Was genau unter dieser Unterstützung zu verstehen ist, kann nicht rekonstruiert werden. Ein Anschluss an die Kammer für Volksmission der BK erfolgte nicht. Gottfried Klenner stammte aus frommem lutherischen Hause. Seine Mutter Johanna geb. Neubauer (1880–1938) formulierte in ihren Lebenserinnerungen: »Ich habe Jahr um Jahr vor Gott im Glauben geharrt und harre noch weiter, daß uns eine lebendige Volkskirche geschenkt werde«, Zit. nach: Johanna Klenner : Wir sind glückliche Leute, daß uns Christus beherrscht, und unser Los ist aufs lieblichste gefallen, [Veröffentlichung anlässlich der Beerdigung von Johanna Klenner, hg. von Familie Klenner], Dresden 1938, in: A.II.b.41.1, 13–20 (Hervorbebung im Text); zur Frömmigkeit Johanna Klenners vgl. auch VMK (Hg.), Freundesbrief 05/1952, in: A.III.a.1950–1953. Hans Prehn war Sohn des BK-Pfarrers Friedrich Prehn, Meißen. Über Namen, Orte und Vernetzungen dieses Freundeskreises berichten zahlreiche Rundbriefe, vgl. expl. Rundbrief von Rudolf Fischer, Reservelazarett Zeithain, Dezember 1941, in: A.III.a.Rundbriefe.

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners

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Kirche Sachsens, bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges auch darüber hinaus, vor allem in Württemberg. Dabei lässt sich der frömmigkeitliche Rahmen der Aktivitäten wesentlich im erwecklichen Kontext der Inneren Mission, in Kreisen der Oxford-Gruppenbewegung, der Landeskirchlichen Gemeinschaften und zum Teil des CVJM ausmachen.

1.4.2 Stadtmission Chemnitz, Diakonissenmutterhaus Borsdorf und freie Posaunenmission: Die Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen Regionale Treffen Von den aktiven Mitgliedern des Freundeskreises Klenners zählten sich – Pfarrer und Laien gleichermaßen – wohl nicht wenige zur Oxford-Gruppenbewegung, die in Sachsen etwa ab Mitte der 1930er Jahre aktiv war. Eine Pfarrertagung der Gruppenbewegung in Rathen in der Sächsischen Schweiz im September 1937 wurde für Klenners Kreis zum entscheidenden Erfahrungsort Oxforder Spiritualität, wo das Posaunenquartett zu Gast war und als »Blechmannschaft« die Gruppenbewegung entdeckte.259 Die bekennend-kirchliche und lutherisch-pietistische Prägung von Quartett und Freundeskreis wurde durch den Einfluss der Gruppenbewegung verstärkt und für Jahrzehnte definiert. Greifbar wird die Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen vor allem in der Region um Döbeln– Roßwein–Waldheim, in Leipzig bzw. Naunhof und in Chemnitz. Zu deren regionalen Zusammenkünften kam hin und wieder Klenners Posaunenquartett hinzu. Stadtmission Chemnitz Beispielweise spielte der Chemnitzer Professor Julius Bach (1879–1959)260 eine wichtige Rolle – ein Mann der Gruppenbewegung, der z. B. enge Kontakte zu Adolf Scheu, Wuppertal, hatte und sich später zur Mannschaft des Volksmissionskreises zählte. Durch Bach wurde seit 1935 der Direktor der Chemnitzer 259 Vgl. Prehn, Volkmissionskreis, 15. Vgl. Brief von Pfr. Paul Meis, Chemnitz, 18. 09. 1937, an Pfr. Ernst Ehrlich, Sosa, in: A.I.c.179. Meis berichtet, dass die Gruppentagung zusammen mit dem Vandsburger Werk veranstaltet wurde. 260 Dr.-Ing. Julius Bach war Professor an der Staatlichen Akademie für Technik bzw. Technischen Hochschule Chemnitz. Bach erlitt nach 1933 mehrfach politische Repressalien, u. a. wurde er durch einen Studenten »wegen eines in einem engeren Kreis im christlichen Duktus gehaltenen Vortrages denunziert« (Hermes/Lambrecht/Luther, Von der Kgl. Gewerbschule zur Technischen Universität, 103).

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Stadtmission, Paul Meis, beeinflusst. Die volksmissionarisch geprägte261 Stadtmission in Chemnitz fungierte für einige Zeit als regionaler Versammlungsort des Volksmissionskreises Sachsen262 und bot dafür die besten Voraussetzungen. Um Christa Heun, Julius Bach und Paul Mohn263 versammelten sich bis in die 50er Jahre die »Chemnitzer«, welche für die Stadt und Kontakte ins Erzgebirge ein wichtiger Stützpunkt waren.264

Diakonissenmutterhaus Borsdorf Das Diakonissenmutterhaus in Borsdorf b. Leipzig wurde während seines Interims in »Neu-Borsdorf« (1927–1940 in der ehemaligen Mühle in Lindhardt zu Naunhof b. Leipzig)265 ebenfalls zu einem Sammlungsort der Gruppenbewegung in Sachsen. Der Borsdorfer Rektor Wiemer hatte die Kontakte zur Gruppenbewegung geknüpft.266 Hans Prehn, der Bläserkollege Gottfried Klenners, war auf einer Tagung in »Neu-Borsdorf« nach eigener Aussage »zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen«.267 Die Pfarrfrau Ilse Wolfram aus Naunhof 261 »Die Innere Mission in Karl-Marx-Stadt verdankt ihre Sonderart starken volksmissionarischen Impulsen ihres Begründers, Pfarrer [Johannes] Peißel«, Brück, Gestaltwandel der sächsischen Diakonie, 34. 262 Vgl. Brief von Christa Heun, Chemnitz, 28. 09. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876; Erinnerungen an die Zeit in der Stadtmission von Stadtmissionar Fritz Stockmann, 1984, in: A.II.g.Stockmann. 263 Paul Mohn, 1931–1953 Pfarrer in St. Andreas Chemnitz-Gablenz (4. bis 2. Pfarrstelle). 264 Zit. in: Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 21. 02. 1944, an Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a. bis 1949. Zu Christa Heun siehe ihr dreiseitiges Manuskript: Was bedeutet mir der Volksmissionskreis? [um 1949/50], in: A.III.a.Rundbriefe. Darin berichtet sie zeugnishaft von einer Gruppenversammlung bei einem Pfarrehepaar und ihrem Bekehrungserlebnis. »Ich habe nicht nur Christus kennen gelernt, sondern ich habe meine Kirche kennen und lieben gelernt« (Hervorhebung im Text). Vgl. für überregionale Kontakte in den 50er Jahren z. B.: Teilnehmer an den Chemnitzer Zusammenkünften, in: A.I.c.876; vgl. Brief von Pfr. Paul Meis, Chemnitz, 20. 02. 1946, an OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.II.g.IM; vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 01. 03. 1949, an Pfr. Alfred Schädlich, Crimmtischau, in: A.I.p.306. 265 Das Borsdorfer Mutterhaus war 1927 nach Lindhardt verlegt worden, um parallel zum Betrieb der Borsdorfer Anstalten junge Schwestern ausbilden zu können. »Neu-Borsdorf – heilige Stille im Frieden des Waldes« wurde jedoch 1940 wieder aufgegeben, weshalb hier der Begriff des Interims Verwendung findet. Zit. in: Gruß aus dem Diakonissenhaus NeuBorsdorf in Lindhardt bei Naunhof [1928], 3. 266 Zwischen Pfr. Paul Meis und Pfr. Wiemer (Rektor des Diakonissenhauses Borsdorf 1899– 1940) bestanden durch die Gruppenbewegung enge Kontakte. Um Wiemer konzentrierten sich Leipziger Freunde der Gruppenbewegung in Lindhardt, (vgl. Lebenserinnerungen von Paul Meis, in: A.II.g.Meis; vgl. http://www.diakonie-leipzig.de/diakonissenhaus-borsdorfgeschichte-des-diakonissenhauses-borsdorf.html [Zugriff: 19. 09. 2013]). 267 Vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, [1966], an die Oberin und an Rektor Pfr. Martin Keil, Borsdorf, in: A.III.a.1966.

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners

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wäre als Mitarbeiterin für diese Region, im Reisedienst auch darüber hinaus, zu nennen.268 Mitarbeiterinnen, Döbeln Ilse Wolfram stellt ein Beispiel dar für Frauen, welche im Freundeskreis Klenners sowie im späteren Volksmissionskreis mitarbeiteten. Zu ihnen gehörten auch Christa Heun, Charlotte Ziegler, Ilse von Zobel und andere. Frauen spielten vor allem in der Kriegs- und Nachkriegszeit eine entscheidende Rolle, indem sie als Mitarbeiterinnen in Zeugnisrunden oder als Seelsorgerinnen und als Hausdamen fungierten, welche ihre Räume für Zusammenkünfte öffneten.269 Als Beispiel sei neben Gruppen in Dresden,270 Radeberg, Riesa271 besonders auf den Döbelner Kreis hingewiesen. In dieser Region (Döbeln, Limmritz, Hartha, Roßwein etc.), wo sich schon vor dem Krieg der Freundeskreis bemerkbar machte und nach dem Krieg Limmritz zum Geburtsort des Volksmissionskreises wurde, arbeiteten die Döbelner Frauen, bes. Charlotte Ziegler und Margarete Striegler, entscheidend mit. Die sächsische Gruppenbewegung während des Krieges Ohne diese weit verbreitete und vernetzte Gruppenbewegung hätte das Bläserquartett zusammen mit seinen Freunden weder ein den Kriegswirren trotzendes Engagement entfalten noch einen Freundeskreis aufbauen können, der den Zweiten Weltkrieg überdauerte. Schon in den 1930er Jahren zeichneten sich Wirkungsorte, Kontakte und Arbeitsformen des späteren Volksmissionskreises Sachsen ab. In Kirchgemeinden mit Pfarrern der Bekennenden Kirche war das Bläserquartett zu Gast, z. B. in Planitz (heute zu Zwickau), Falkenstein/Vogtland, Sosa, Roßwein.272 268 Pfarrfrau Ilse Wolfram (Naunhof, zuvor Seelitz b. Rochlitz) wird nach dem Krieg zu einer der wichtigsten Mitarbeiterinnen des Volksmissionskreises. 269 Auch reine Frauentreffen mit Kinderbetreuung fanden statt, vgl. z. B. Rundbrief von Rudolf Fischer, Reservelazarett Zeithain, Dezember 1941, in: A.III.a.Rundbriefe. 270 Vgl. z. B. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 21. 02. 1944, an Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a. bis1949. 271 Vgl. z. B. zwei Rundbriefe von Rudolf Fischer, Reservelazarett Zeithain, Dez. 1941, in: A.III.a.Rundbriefe. 272 Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 18f. Vgl. zu Roßwein Brief von Pfr. Cornelius Kohl, Roßwein, 07. 06. 1938, ohne Empfänger, in: A.I.h.027, 18, der den »Posaunenchor der Inneren Mission, unter Leitung von Pastor Klenner« ankündigt. Kohl engagierte Klenner und sein Quartett für volksmissionarische Einsätze in verschiedenen Roßweiner Betrieben während der Arbeitspausen. Die nationalsozialistische Deutsche Arbeitsfront (Gauverwaltung Sachsen, Kreisverwaltung Döbeln) versuchte dies zu verhindern; vgl. dazu Briefwechsel in A.I.h.027, 14f.18–22.

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Pfarrer, welche auch in den folgenden Jahrzehnten zu den Mitarbeitern oder Freunden des Volksmissionskreises gehörten, werden in dieser ersten Generation vernetzt, z. B. Cornelius Kohl, Ernst Ehrlich, Gerhard Bahrmann, Waldemar Gorgon, nicht zuletzt auch eine der später führenden Personen: Gerhard Küttner. Konnte bis zum Beginn des Krieges noch das gesamte Bläserquartett mit seinen regionalen Freundeskreis-Mitarbeitern eine Reihe von Tagungen und Freizeiten veranstalten, welche unter der Deklaration »kirchlicher Freundeskreis« oder als »Volksmission« in Gemeinderäumen mit Privatquartieren stattfanden, wurden diese Zusammenkünfte ab Mitte 1940 seltener, kürzer und vorwiegend privat durchgeführt,273 zum Teil wurden sie von der Gestapo aufgelöst.274 Die letzte große Tagung, zu der alle vier Bläser Klenners anwesend waren, fand zu Pfingsten 1939 in Sosa bei Ernst Ehrlich und Gerhard Küttner statt.275 Eine für September 1939 geplante Tagung mit dem Tübinger Systematischen Theologen Karl Heim in Rathen hat offensichtlich nicht mehr stattgefunden.276 Durch hektographierte Rundbriefe von der Front wie aus dem Land wurden auch während des Krieges die Freunde informiert, geistliche Zeugnisse zur »Weitergabe der Siegesbotschaften« des Glaubens verbreitet und die Leser erwecklich motiviert.277 Mit den Tagungen bzw. Treffen nach Kriegsbeginn ent273 So wurden Herbst/Winter 1939 mindestens sieben mehrtägige Freizeiten durchgeführt, ab Frühjahr 1940 nur noch ein- oder zweitägige, oft private Treffen, welche ausschließlich regional besucht wurden. Vgl. Einladungsschreiben, Teilnehmerlisten und Rundbriefe in: A.III.a.Rundbriefe; weitere Teilnehmerlisten (Unterschriften) in: Prehn, Begegnung, 44–72. 274 Vgl. z. B. Eidesstattliche Erklärung [zur kirchenpolitischen Position Pfr. Gerhard Bahrmanns] von Pfr. Hans Prehn / Rudolf Fischer, Volksmissionskreis Sachsen, [vermutl. 1945], beglaubigte Abschrift durch den Kreisverbandsvorsitzenden der CDUD Dresden-Stadt, in: A.II.b.2.1181, 32. 275 Diese Tagung 30.05.–02. 06. 1939 in Sosa ist eine der am besten dokumentierten aus der Vorkriegszeit. Unter den 44 Teilnehmern befanden sich neben dem Quartett sieben BKPfarrer bzw. stud. theol., Pfarrfrauen, Personen aus der Region Hartha–Döbeln und dem Erzgebirge, vgl. Teilnehmerliste (Unterschriften) in: Prehn, Begegnung, 36–38; Teilnehmerliste (Maschr.) sowie Einladung und Rundbrief [nach der Freizeit] von Kurt Eichler/ Friedrich Schädlich/Hans Prehn/Gottfried Klenner [mit Kurzzeugnissen von Teilnehmern], in: A.III.a.Rundbriefe; Schriftwechsel im Vorfeld zwischen Klenner und Ehrlich in: A.I.c.179; vgl. auch Prehn, Volksmissionskreis, 16. 276 Tagung vorangekündigt in: Einladungsschreiben von Gottfried Klenner zur Tagung 30.5.– 02. 06. 1939 in Sosa, in: A.III.a.Rundbriefe. 277 Diese Rundbriefarbeit hatte Gottfried Klenner initiiert. Rundbriefschreiber sollten mehrere Durchschläge versenden, welche dann wieder vervielfältigt wurden, vgl. Brief von Gottfried Klenner, Dresden, 04. 03. 1942, »an die Mitarbeiter bei der Weitergabe der Siegesbotschaften«, in: A.III.a.Rundbriefe, worin bezeugt ist, dass Sr. Anna Rasmus, Kinderheim Bad Schmiedeberg, wesentlich an der Vervielfältigungsarbeit beteiligt war. A. a. O. weitere Rundbriefe Klenners 1938–1942. Oftmals wurde auch persönlicher Briefwechsel für weitere Leser vervielfältigt.

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners

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wickelte sich das evangelistisch-seelsorgerliche Anliegen des Kreises weiter ; thematische Schwerpunkte waren jetzt auf die Seelsorge im Kontext des Krieges gerichtet.278 Der Freundeskreis engagierte sich vor allem in regionalen Gruppen. Innerhalb eines Zeitraumes von etwa einem Jahrzehnt begannen sich Gruppenbewegung und Klenners Freundeskreis derart zu verbinden, dass dieser die sächsische Gruppenbewegung nahezu repräsentierte und schließlich der Volksmissionskreis Sachsen nach dem Krieg schlechthin als die Nachfolgeverbindung der Gruppenbewegung in Sachsen existierte.

Der Volksmissionskreis Sachsen als Weiterführung der sächsischen Gruppenbewegung Der nach Kriegsende aus dem Freundeskreis um Gottfried Klenner entstehende Volksmissionskreis Sachsen kann als Konglomerat aus Volksmission, Gruppenbewegung und Bekennender Kirche gesehen werden. Als Fortführung der Kirchlichen Volksmission und der Oxford-Gruppenbewegung innerhalb der sächsischen lutherischen Kirche entfaltete er eine Seelsorge aus der Verbindung von volksmissionarischen und gruppendynamischen Methoden. Diese Verbindung, die durch die Bekenntnissituation des Kirchenkampfes befördert worden war, konnte in Sachsen auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhalten werden. Dazu wird beigetragen haben, dass der real existierende Sozialismus als Weiterführung der Bekenntnissituation im Nationalsozialismus gesehen wurde.

1.4.3 Ausrichtung und Methodik der volksmissionarischen Aktivitäten Arbeitsformen Auch methodisch lässt sich das Spektrum der Aktivitäten des Quartetts und seines Freundeskreises vor dem Hintergrund der Hilbertschen Kirchlichen Volksmission und der Oxford-Gruppenbewegung beschreiben. Aus der Volksmission wurden typische Arbeitsformen wie evangelistische Vorträge und musikalische Programme an verschiedenen Orten (Kirchen, Gemeinderäume, private Räume, öffentliche Plätze) und in unterschiedlichen Kontexten (An278 Vgl. Rundbrief von Gottfried Klenner / Hans Prehn, Dresden/Meißen, 22. 09. 1939, in: A.I.c.179: »An der Front draußen wie an der Heimatfront kommen jetzt die Stunden der Anfechtung. Es zeigt sich dabei, ob unser Glaube echt ist. Wir lassen uns die Gewissheit nicht rauben: Christus siegt unter allen Umständen.« Vgl. auch z. B. Freizeit 02.–05. 01. 1940 in Limmritz (vgl. Einladungsschreiben von Helmut Appel/Hans Prehn/Rudolf Fischer [darin Stichworte: »Buße, Stille, neue Kraft, Siegesgewißheit«] sowie Teilnehmerliste [13 Männer, 24 Frauen], in: A.III.a.Rundbriefe).

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

dacht, Gottesdienst, Rahmenprogramm) übernommen. Sowohl zu evangelistischen Kurzveranstaltungen an einem Tag als auch zu Evangelisationswochen im gemeindlichen Kontext wirkte das Quartett mit;279 hin und wieder auch bei Großveranstaltungen.280 Sogenannte Posaunenfeierstunden, die einst von Adolf Müller entwickelt wurden, vereinten Musik und Wort, indem zwischen thematisch geordneten Choralstrophen (zum Hören oder Mitsingen der Gemeinde) predigt- oder zeugnishafte Wortbeiträge zum Tragen kamen.281 Dieser Typ prägte verschiedene Veranstaltungsformen, indem Posaunenmusik, auch solo, zur Gestaltung eines kirchenmusikalischen Rahmens volkmissionarisch genutzt wurde. Als der Krieg das Quartett und dessen Arbeit praktisch auflöste, übernahm der Freundeskreis selbstständig derartige Veranstaltungen.282 Die für die Gruppenbewegung charakteristischen Arbeitsformen (vgl. 1.1.2) wie Gruppen- bzw. Mannschaftstreffen, persönliche oder gemeinsame Stille Zeit (Bibellese mit Notizen) und Austausch, Beichte, Gebetsgemeinschaft und Zeugnis283 gaben Klenners Kreis bzw. dem Volksmissionskreis der folgenden Jahrzehnte das typische Gesicht. Diese Formen wurden in Kontexten privater oder kirchlicher Zusammenkünfte (Gruppenversammlungen) praktiziert. Die oxfordischen »House-Parties« hatten in diesen vorwiegend privaten »Treffen« ihr Äquivalent oder fanden, um nicht den Argwohn der Gestapo auf sich zu ziehen, wie eben schon erwähnt im Kontext einer Kirchgemeinde als (mehrtägige) Treffen eines »kirchlichen Freundeskreises« statt. Die starken Gemeinsamkeiten der Gruppen und Kreise jener Zeit mit den House-Parties der Gruppenbewegung lassen sich besonders anhand der informellen Organisation, der Laienbeteiligung und dem großbürgerlichen Milieu erkennen. Noch etwa bis in die Mitte der 1950er Jahre spielen Akademiker und 279 Vgl. z. B. Rundbrief von Gottfried Klenner/Hans Prehn, Dresden, 21. 10. 1939, in: A.III.a.Rundbriefe. 280 So bei der Evangelischen Woche in Stuttgart 1939. Dort vertrat Klenner auf einer Abendveranstaltung den Prediger Wilhelm Busch, welcher Redeverbot durch den württembergischen Gauleiter erhalten hatte, mit einer größeren Rede. Die Rede Klenners, ein Zeugnisbericht über die Arbeit des Quartetts, ist veröffentlicht in: ders., Erlebtes vom Neuanfang der Kirche 1939 (z. B. in: A.II.b.41.1, 21–29); vgl. dazu Rundbrief von Pastor Gottfried Klenner, Dresden, Oktober 1939, in: A.III.a.Rundbriefe. Während sich Klenner in Stuttgart aufhielt, fand der oben erwähnte Briefwechsel mit Waldemar Kühnau statt (vgl. 1.2.3). 281 Vgl. Programmblatt »O komm, du Geist der Wahrheit. Feierstunde der Posaunenmission«, in: A.I.h.027, 16; oder die Programme zu persönlichen Zeugnissen: »Gottes Wunderwege im Leben eines Posaunenbläsers«, in: a. a. O., 17; »Mir nach, spricht Christus, unser Held«, in: Rundbrief von Gottfried Klenner/Hans Prehn/Kurt Eichler/Fritz Schädlich, Dresden, 20. 08. 1939, in: A.III.Rundbriefe; und »Siehe, dein König kommt zu dir«, in: Rundbrief von Gottfried Klenner, Dresden, 12. 11. 1938, in: a. a. O. 282 Vgl. z. B. Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 24. 02. 1941, in: A.III.a.Rundbriefe, welcher von einer Volksmissionswoche in Böhlen (Leipziger Land) berichtet. 283 Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 16: »Wir übernahmen die Regel: Die Sünde gehört unter vier Augen, die Nöte gehören in die Mannschaft und die Siege Christi vor alle Welt.«

Der »Freundeskreis vom Bläserquartett« Gottfried Klenners

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Adlige, darunter eine Zahl von Frauen, eine nicht unwesentliche Rolle in den Gruppen und Mannschaften. Innerhalb dieser Kreise konnte das Bläserquartett einen Freundeskreis aus Pfarrern und Laien aufbauen, welcher aus Personen bestand, die durch die volksmissionarische Arbeit des Quartetts angesprochen wurden oder selbst in der Gruppenbewegung aktiv waren. Es wird auffallen, dass mit dem Wandel vom »Freundeskreis vom Bläserquartett« zum »Volksmissionskreis Sachsen« sich der Schwerpunkt vom privaten Kreis zum kirchlichen Kreis, vom bürgerlich-städtischen zum kleinbürgerlichen, zum Teil bäuerlichen Milieu verlagert. Die ausgeprägte Tagungsarbeit (Freizeiten, Wochenendtagungen, Tagestreffen) hatte man durch die Gruppenbewegung kennen gelernt. Auch die inhaltliche Ausrichtung der Oxforder, bezogen auf die Erneuerung der persönlichen Christus-Beziehung und die ethische Maxime der Vier Absoluten, wurde im Grunde eins zu eins übernommen. Besonders mittels der Stillen Zeit und der Gebetsgemeinschaft versuchte man ein Hören auf die je konkrete Anrede des Heiligen Geistes einzuüben. In Zeugnissen wurde zum Teil darüber gesprochen. Die Zeugnisse hatten als spirituell-biographische Erlebnisberichte das Ziel, mittels des Erzählens eigener Erfahrungen Zuhörer evangelistisch-seelsorgerlich zu einer Erneuerung ihrer Christus-Beziehung zu animieren. Der hohe Stellenwert von Stiller Zeit und Zeugnissen, welche die wichtigsten Elemente aller Versammlungen waren, spiegelt sich auch darin wider, dass persönliche Zeugnisse, oftmals Erfahrungen aus Tagungen, sogar auf Rundbriefen und Einladungen schriftlich verbreitet wurden.284 Die Zeugnisse sind auf die geistliche Erneuerung und Vertiefung der Hörer bzw. Leser gerichtet. Dabei spielt die Rede von der Lebensübergabe bzw. der Bekehrung stets eine wichtige Rolle. Aus Volksmission und Gruppenbewegung genährt, wurde das Anliegen der Belebung eines allgemeinen Priestertums aller Gläubigen betrieben. Gerade der Typos der Gruppenversammlungen ermöglichte, Personen anzusprechen und diese weiterführend zu verbinden. Der vertraute Rahmen des kleinen Kreises ermöglichte den persönlichen Austausch. Für die Durchführung von Veranstaltungen wie Evangelisationswochen oder Tagungen wurden nach dem Oxforder Vorbild ebenfalls Gruppen gebildet, die bereits genannten Mannschaften, in welchen Theologen und Laien gemeinsam an der Vorbereitung und Durchführung beteiligt waren. 284 Schriftliche Kurzzeugnisse waren oft zu finden, am häufigsten auf Rundbriefen im Anschluss an Tagungen. Stellvertretend für viele Beispiele vgl. Kurzzeugnisse einer Tagung in Radeberg mit 31 Teilnehmern, darunter 14 Pfarrer: »[Pfr. Edgar] Ebert: Gott redet viel mehr, als wir denken. [Rudolf] Fischer : Ich habe gemerkt, Pfarrer sind Menschen wie wir. [Ruth] Reichelt: Meine Empfindlichkeit ist besiegt. [Pfr. Wilhelm] Wolf: Ich habe erkannt: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Ich habe sie endgültig aufgegeben« (Teilnehmerliste Freizeit in Radeberg vom 17.–20. 04. 1939, in: A.III.a. Rundbriefe).

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Wurzeln des Volksmissionskreises Sachsen

Beispiel: Döbelner Kreis Die lutherische bzw. kirchliche Rezeption der Oxforder Spiritualität und die Vermischung von traditionell-kirchlichen, erwecklich-volksmissionarischen und Elementen der Gruppenbewegung zeigt sich deutlich an folgendem Beispiel: Am 19. März 1944 fand in den Räumen der Döbelner Nikolaikirchgemeinde ein Tages-Gesprächstreffen statt. Der überlieferte Ablaufplan weist dem Treffen einen Oxforder Charakter mit lutherischen Zügen aus.285 Die Mannschaft, welche in diesem Fall vor allem aus Frauen besteht und als Mitarbeiterinnen-Team das Gesprächstreffen erarbeitet hatte,286 kommt bereits vor dem offiziellen Beginn des Treffens zusammen. Die Mitarbeiterinnen führen dabei die Stille Zeit durch, was Schriftlesung, Gebetsgemeinschaft und Austausch beinhaltet. Diese Zusammenkunft der dient der geistlichen Vorbereitung. Das anschließende eigentliche Gesprächstreffen wird von der Mannschaft moderiert und geleitet. Das zentrale Element der Versammlung bilden die Zeugnisse der Mitarbeiterinnen. Der Ablaufplan zeigt aber, dass diese charakteristische, aus der Gruppenbewegung bekannte Vorgehensweise mit lutherischen Elementen verwoben ist: Das Treffen wird zunächst mit einem Abendmahlsgottesdienst eröffnet. Die genannten persönlichen Zeugnisse orientieren sich an der Herrnhuter Losung des Tages. Am Nachmittag findet eine Bibelarbeit statt, die vom einzigen Mitarbeiter gehalten wird. Dieser Ablaufplan zeigt, dass mit dem Gesprächstreffen typische Elemente evangelischer bibelbezogener Spiritualität (Losung, Bibelarbeit) eingeholt werden. Dass ein Abendmahlsgottesdienst die Zusammenkunft eröffnet, verdeutlicht die lutherisch-kirchliche Einbettung der Oxforder Gruppenarbeit.287

285 Vgl. den Ablaufplan in: Rundbrief an die Teilnehmer von Rudolf Fischer, Limmritz, 13. 03. 1944, in: A.III.a.Rundbriefe. 286 Die Mannschaft besteht aus Hanni Möckel, Ilse Wolfram, Elle Kopp, Christa Heun, Charlotte Ziegler und Rudolf Fischer. 287 Dabei ist anzunehmen, dass einer der Döbelner Pfarrer diesen Gottesdienst leitete, da zur Mannschaft keine ordinierte Person gehörte.

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Volksmission als Seelsorge nach dem Krieg. Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

2.1

Die Gründung des Volksmissionskreises Sachsen und der Anschluss an die Innere Mission

Als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, welcher zwar die volksmissionarische Arbeit des Posaunenquartetts Gottfried Klenners, nicht aber die des »Freundeskreises vom Bläserquartett« zum Erliegen brachte, Männer des Freundeskreises aus dem Krieg zurückkehrten, reaktivierten sie in nur kurzer Zeit diese Arbeit. Hans Prehn hatte als einziger der Quartettbläser den Krieg überlebt, die anderen drei waren gefallen. Die Schrecken des Krieges lasteten nicht nur auf denen, welche von Front und Gefangenschaft zurückkehrten. Vor allem die in der zerbombten und ausgezehrten Heimat Zurückgebliebenen, die »Fremdlinge, Waisen und Witwen« (Jer 7,6) dieser Zeit, erlebten augenscheinlich perspektivlose Nöte. »Deutschland liegt da als ein riesiges Trümmer- und Leichenfeld. […] Die Städte sanken in Schutt und Asche. Übriggeblieben sind fast nur Witwen und Waisen, Greise und Krüppel, die trauernd, hungernd und obdachlos inmitten der Ruinen herumstehen und von Entsetzen und Verzweiflung gepackt sind«,288 predigte damals Edmund Schlink, dessen Wahrnehmung gerade auch die Trümmerfelder der Herzen im Blick hatte.

Unter den dunklen Eindrücken der unmittelbaren Nachkriegszeit riefen Hans Prehn und einige Freunde ihren Kreis zusammen, um dessen Volksmissionsarbeit der 1930er und 40er Jahre unter neuen Bedingungen weiterzuführen. Die Arbeit des Oxfordischen Freundeskreises, welcher aufgrund seines mittels Rundbriefen und regionalen Tagungen auch in den Kriegsjahren gepflegten Netzwerkes in Kontakt geblieben war, verstand sich in der zweiten Hälfte der 40er dezidiert als kirchlicher Neuaufbau. Ein geistlicher Neuaufbau der Landeskirche war angezielt, welcher trotz der zumindest nominellen Niederlage der 288 Schlink, Gnade, 35.

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Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

DC-Ideologie weniger auf eine kirchenpolitische Erneuerung bezogen war, sondern Trost, innere Erneuerung, geistliche Erweckung zum Ziel hatte. Spielte für den Volksmissionskreis Sachsen von Anfang an Kirchenpolitik keine Rolle, so sollte doch per consolationem et renovationem die Landeskirche auf allen Ebenen von der Basis her durchdrungen werden.

2.1.1 Gründung des Volksmissionskreises Sachsen 1945 Dass der Kreis im Herbst 1945 erste institutionalisierende Züge gewann, ist nicht zuletzt seiner Verankerung in der Inneren Mission zu verdanken. Die breite Einbettung der Volksmission, der Posaunenmission und des vielfachen persönlichen Engagements von Freundeskreismitgliedern im Kontext der landeskirchlichen Inneren Mission führten schließlich dazu, dass der Freundeskreis im Herbst 1945 dem sächsischen Landesverein bzw. dem neugegründeten Landeskirchlichen Amt für Innere Mission angegliedert wurde.289 Oberkirchenrat Dr. Walter Schadeberg (1903–1949), der den Landesverein seit 1944 leitete, nahm den jungen Volksmissionskreis in das Gefüge der Inneren Mission auf – wie auch immer man sich dies juristisch vorzustellen hat, denn bis zur vertraglichen Regelung von 1951 basierte die Verbindung auf mündlicher Absprache und es existieren keine Dokumente darüber.290 Schadeberg lag es am Herzen, die Innere Mission volksmissionarisch auszurichten. In den Nachkriegsjahren beauftragte die Radebeuler Innere Mission Ansprechpartner in den einzelnen Ephorien und stellte hauptamtliche Volksmissionare an. Zudem wurden Lehrgänge für diese Mitarbeiter regelmäßig angeboten.291 Zeitgleich wurde unter der Führung Schadebergs die »Wiedereinrichtung der Posaunenmission« vorgenommen, wobei bewusst nicht von einer 289 Die Innere Mission hatte in den Nachkriegsjahren die Aufgabe, aufgrund des Vereinsrechtes in SBZ und DDR eine eigene neue Rechtsform zu definieren. Dabei wurde das Landeskirchliche Amt für Innere Mission gegründet. Vgl. z. B. Schadeberg, Jahresbericht 1948/49, 15f; vgl. auch Hübner, Diakonie in der DDR, 27. 290 Zeugnis über diese Angliederung an die Innere Mission geben Briefköpfe der Rundbriefe des Kreises sowie private Erinnerungen, vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 65f, sowie diese Notiz: »Im Arbeitszimmer von Herrn Oberkirchenrat Dr. Schadeberg wurde vereinbart, daß unsere bisher völlig lose bestehende Arbeit im Anschluß an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission durchgeführt werden sollte«, Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd1. Der »Anschluss« beruhte trotz der Skepsis des Volksmissionskreises gegenber Institutionalisierung auf wechselseitiger Zustimmung. Er spiegelt die in Ostdeutschland enge Zusammenarbeit von Diakonie, Kirche, Gemeinden, Freundeskreisen etc. wider, vgl. Hübner, Diakonie in der DDR, 27. 291 Vgl. a. a. O., 17f.

Die Gründung des Volksmissionskreises Sachsen

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Weiterführung die Rede war.292 Damit knüpfte man nicht an die im Herbst 1939 geschaffene, deutsch-christlich dominierte und nur scheinbar friedliche Einigung der im Kirchenkampf gespaltenen Sächsischen Posaunenmission (LKA und IM) an, sondern wollte diese durch einen Neuanfang überwinden. Im Zuge des posaunenmissionarischen Neuaufbaus wurde Hans Prehn zum Kreisposaunenwart von sechs Ephorien im Südwesten Sachsens bestimmt. Diese Entscheidungen kamen einer indirekten Rehabilitation der reprimierten BK-Posaunenmission Gottfried Klenners sowie einer Integration der Oxford-Gruppenbewegung in landeskirchliche Strukturen gleich. In diesen Anfangsmonaten und -jahren hatte der junge Volksmissionskreis, mit dem die Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen nach dem Krieg fortbestand, wenig Affinitäten zur institutionellen Definition. So beschrieb Hans Prehn den erwecklichen Freundeskreis aus Pfarrern und Laien, dessen neues Zusammenkommen nach dem Krieg er als die »Geburtsstunde des Volksmissionskreises«293 bezeichnete, wie folgt: »Unser Kreis ist ja in keiner Weise fest organisiert, sondern nur eine ganz lockere Arbeitsgemeinschaft. Es soll kein neuer Verein sein, sondern wir wollen die Erfahrungen, die uns in der Berührung mit der Gruppenbewegung geschenkt wurden, für die volksmissionarische und erweckliche Arbeit in unserer Landeskirche fruchtbar machen«.294

Die Konturen des jungen Volksmissionskreises Sachsen konnten zu der Zeit nur verschwommen wahrgenommen werden. Selbst Oberkirchenrat Schadeberg schien es 1946 noch schwer zu fallen, den Arbeitskreis für Volksmission der Inneren Mission, den Volksmissionskreis Sachsen sowie die Volksmission Westsachsen des Diakons Erich Schleinitz aus Borna zu differenzieren.295 Immerhin waren die beiden letztgenannten in jenen ersten Arbeitskreis integriert und kooperative Kontakte zwischen den verschiedenen volksmissionarisch

292 Vgl. Rundbrief des Landesvereins für Innere Mission der ev.-luth. Kirche in Sachsen, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, 10/1945, an alle Pfarrämter der Ephorien Schneeberg, Stollberg, Zwickau, Werdau, Plauen, Oelsnitz, in: A.II.k.P23, dort. Zit. Vgl. zum Stand des Neuaufbaus 1949: Schadeberg, Jahresbericht 1948/49, 19f. 293 Prehn, Volksmissionskreis, 65. 294 Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 22. 01. 1947, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, OLKR Gottfried Knospe, Dresden, in: A.II.b.2.1514, 116. »Da haben wir, so führt Pfr. Prehn aus, den Volksmissionskreis ins Leben gerufen ohne Bindungen, ohne Organisationen, keine Mitglieder, keine Festangestellten, sondern nur eine ganz lockere, lose Sache«, [Protokoll] Besprechung über die Fragen der Volksmission am 22. 01. 1948 im Landeskirchenamt, in: A.II.b.2.1503, 11. 295 Vgl. Protokoll der Besprechung des Volksmissionskreises am 08. 05. 1946, 10 Uhr, in der Auferstehungsgemeinde Dresden-Plauen, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.II.b.2.1514, 42f.

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Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

Engagierten waren selbstverständlich. Der Volksmissionskreis Sachsen jedenfalls hatte seine Namensfrage zu diesem Zeitpunkt bereits geklärt.296 Seinen ersten Geschäftssitz hatte der Volksmissionskreis Sachsen in Limmritz b. Döbeln im sogenannten »Grünen Haus« Rudolf Fischers erhalten. Fischer fungierte in privato als Geschäftsführer, welcher dort 1947 auch die Volksmissionsbuchhandlung gründete (siehe unter 2.3).297 Dieser Geschäftssitz brachte dem Kreis in den ersten Jahren auch den Namen »Limmritzer Kreis« oder einfach »die Limmritzer« ein. Rudolf Fischer war von Beruf Kaufmann.298 Hans Prehn lernte ihn 1939 kennen. Während des Krieges spielte er für den Freundeskreis in der Döbelner Region eine entscheidende Rolle. Aus der Landeskirchlichen Gemeinschaft stammend, wurde Fischer offenbar eindrücklich von der Gruppenbewegung geprägt, als er im April 1939 an einer Tagung des Kreises in Radeberg um Pfarrer Edgar Ebert teilnahm.299 Stille Zeit, Austausch, Buße bzw. Beichte und Zeugnis waren seither zentrale Anliegen des volksmissionarisch engagierten Kaufmannes, der in seinem Grünen Haus nicht nur Geschäftsstelle und Verlagsbuchhandlung, sondern auch ein kleines Freizeitheim mit 12 bis 20 Betten unterhielt.300

296 Frühere Namensvorschläge vom Herbst 1945 wie »Arbeitskreis für Volksmission in Sachsen« (vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 04. 10. 1945, an den Landesverein für Innere Mission, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.III.a.bis1945) oder »Sächsischer Volksmissionsbund« (Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 12. 11. 1945, an den Landesverein für Innere Mission, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.III.a.bis1945) wurden von der Inneren Mission nicht befürwortet und der Tipp Schadebergs »Arbeitskreis für christliche Erneuerung« (Brief von OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, 17. 11. 1945, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: A.III.a.bis 1945) wurde vom Freundeskreis nicht angenommen. 297 Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 69. 298 Vgl. im Folgenden a. a. O., 21.43f. Vgl. Briefkopf des Döbeln-Limmritzer Seifenhauses in: A.I.c.876; vgl. auch Mitarbeiterbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, Pfingsten 1947, in: A.II.a.401 und A.III.a.Rundbriefe. 299 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 10. 06. 1943, an Pfr. Edgar Ebert, Radeberg, in: A.III.a.Rundbriefe; vgl. Teilnehmerliste Freizeit in Radeberg vom 17.–20. 04. 1939, in: A.III.a.Rundbriefe. 300 Die Unterkunft in Limmritz bestand ein knappes Jahrzehnt und wurde beim Umzug Fischers nach Dresden aufgegeben. Vgl. Protokoll der Besprechung am 03. 07. 1951 im Grünen Haus Limmritz, Pfr. Hans Prehn, in: A.II.a.404/8/Bd1; vgl. Aktennotiz von Dr. Ehrhard Finster, 23. 04. 1951, in: A.II.a.404/8/Bd1. Im Grünen Haus wurden 1949 monatliche Wochenendrüstzeiten mit ca. 25–30 Gästen durchgeführt, vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 05. 1949, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.III.a.bis1949. Vgl. [Rundbriefentwurf] Ein offenes Wort für unsere treuen Freunde über 1952er Planung, [Rudolf Fischer, Limmritz], in: A.III.a.1950– 1953.

Die Gründung des Volksmissionskreises Sachsen

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2.1.2 Vertragliche Anbindung an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission 1951 Nachdem der bisherige »Anschluss« des Volksmissionskreises Sachsen an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission nur informell aufgrund mündlicher Absprachen bestand, wurde 1951 von der Inneren Mission eine juristische Regelung gefordert.301 Der Wechsel in der Leitung nach Walter Schadebergs Tod302 wird dazu beigetragen haben. Über den Verlauf mehrerer Monate des Jahres 1951 wurden innerhalb des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, des Landeskirchenamtes sowie des Volksmissionskreises (namentlich Hans Prehn, Rudolf Fischer, Ewald Ehrler, Gerhard Küttner u. a.) die juristischen Details der Angliederung besprochen. Dabei ging es besonders um die Geschäftsräume im Grünen Haus in Limmritz, deren Anmietung durch die Innere Mission sowie um die Struktur eines Leitungsgremiums des Volksmissionskreises. Schließlich wurde eine Zuordnung des Kreises an die Innere Mission zunächst für die Dauer eines Jahres beschlossen.303 Vertraglich war nun geregelt,304 dass im Grünen Haus alle nicht als private Wohnung dienenden Räume von der Inneren Mission angemietet wurden, um dort die Geschäftsräume des Volksmissionskreises zu unterhalten. Rudolf Fischer wurde als Geschäftsführer beauftragt und sollte gleichzeitig seinen Privatbetrieb, die Volksmissionsbuchhandlung, in diesen Räumen betreiben können. Die Buchhaltung der Geschäftsstelle sollte jährlich mit dem Landeskirchlichen Amt für Innere Mission abgerechnet werden. Im Zusammenhang dieser vertraglichen Regelung erhielt der Volksmissionskreis erstmals ein definiertes Leitungsgremium, »Arbeitsausschuss«, später »Beirat«, dann »Vorstand« genannt und anfangs aus je zwei Theologen und Laien zusammengesetzt. Alle Verwaltungsangelegenheiten des Kreises, Jahresprogramm und Rüstzeitenbetrieb etc. lagen in der Verantwortung des Leitungsgremiums. Als Ansprechpartner und Mittelsmann beauftragte die Innere Mission den Döbelner Pfarrer Erich Bodenstein (1895–1964), welcher selbst im ephoralen Hilfswerk diakonisch und volksmissionarisch engagiert war und Kontakt zum Volksmissions301 Vgl. die Dokumentation von Besprechungen zwischen April 1951 bis Jahresende bes. in Form von Protokollen und Aktennotizen in: A.II.a.404/8/Bd1; A.II.b.2.1849; A.II.b.2.1850. An den Besprechungen und Formulierungen war vonseiten der Landeskirche Rechtsanwalt Dr. Ehrhard Finster maßgeblich beteiligt. 302 Vgl. dazu Wendelin, In piam memoriam. 303 Vgl. Protokoll über die Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, Radebeul, 14. 01. 1952, in: A.II.b.2.1850, 20–25, hier 22. 304 Vgl. den Vertrag vom 29. 12. 1951, unterschrieben von OKR Ulrich von Brück, Pfr. Erich Bodenstein, Pfr. Hans Prehn, Ewald Ehrler, Pfr. Cornelius Kohl, Rudolf Fischer, in: A.III.a.1950–1953.

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Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

kreis Sachsen hatte, da dieser im Gebiet von Kirchgemeinde und Kirchenbezirk seit Jahren aktiv war. Diese auf ein Jahr beschränkte Regelung wurde, zeitweise novelliert, letztlich bis zum Jahre 1990 fortgesetzt. Wenig später informierte der Volksmissionskreis Sachsen seine Freunde über diese neue Regelung, nicht ohne Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass am Limmritzer Grünen Haus nun das Kronenkreuz der Inneren Mission angebracht war.305 Für den Kreis sollte der Anschluss an die Innere Mission einen Weg wachsender kirchlicher Verankerung festigen. »Wir sehen uns darum äußerlich und auch innerlich als ein Stück ›Innerer Mission‹ an«, wurde von Hans Prehn verlautbart.306

2.2

Gott in den Trümmern. Aktivitäten nach dem Krieg

Gott in den Trümmern zu finden, war das Anliegen der seelsorgerlich-evangelistischen Arbeit des Volksmissionskreises Sachsen in den Nachkriegsjahren. Mit nur geringen Mitteln, aber in neuer Freiheit entwickelte man einen breiten Aktionsradius in Sachsen und darüber hinaus. Der aus der Kirchlichen Volksmission bzw. Posaunenmission, der Oxford-Gruppenbewegung und der Bekennenden Kirche hervorgegangene Volksmissionskreis nutzte die typischen Arbeitsformen seiner Wurzeln, um in jenen Jahren seinen Beitrag zum inneren Wiederaufbau der Landeskirche Sachsens zu leisten. Die gesamte Praxis – von der Suppenküche307 bis zum Evangelisationsvortrag – stand im Zeichen einer Seelsorge nach dem Krieg, welche auf einen generellen Neuanfang ausgerichtet war. Auch Buße und Beichte wurden seinerzeit permanent besprochen und praktiziert. In gewissem Sinne waren die Weichen ähnlich gestellt wie 100 Jahre zuvor bei Johann Hinrich Wichern am Beginn der Inneren Mission. Im Volksmissionskreis Sachsen erkannte man, dass die Not der Zeit nicht nur eine soziale sei. Die Deutschen hatten ein Trauma zu verarbeiten.308 Nicht umsonst bildeten

305 Vgl. Rundbriefentwurf, Rudolf und Emmy Fischer, Limmritz, [Anfang 1952], in: A.III.a.1950–1953. Das Grüne Haus als »Missionshaus« sollte 1952 auf Kosten der Inneren Mission ausgebaut werden, wozu es jedoch aus finanziellen Gründen nicht kam vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 29. 11. 1952, an [Pfarr- oder Mannschafts-]Brüder, in: a. a. O. 306 VMK (Hg.), Rundbrief, Pfr. Hans Prehn, 01. 06. 1953, in: A.III.a.1950–1953; vgl. auch VMK (Hg.), 6. Rundbrief 1958, Pfr. Martin Keil/Pfr. Hans Prehn, 10/1958, in: A.I.k.819. 307 Vgl. Eröffnungsbericht der Kinderspeisung [Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 04. 07. 1950, an die Zweigstelle der Inneren Mission und Hilfswerk Kirchenbezirk Leisnig, Döbeln], in: A.II.f.23.0. 308 Vgl. zu diesem Thema: Özkan / Streeck-Fischer / Sachsse (Hg.), Trauma und Gesellschaft; Bode, Die vergessene Generation; dies., Kriegsenkel.

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die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Anstoß, die Beichte in der evangelischen Glaubenspraxis tiefer zu verankern (vgl. 8.1.1).309 Neben den vielfältigen Aktivitäten wie Gemeindediakonie, Vortragsarbeit, Schriftenmission aus Materialien der neuen Volksmissionsbuchhandlung, Rundbriefen sowie der Mitarbeit der Freunde in ihren Ortsgemeinden, dort besonders durch Predigten, Bibelstunden und die Kerngemeindekreise, spielen vor allem die Tagungen und Volksmissionswochen eine herausragende Rolle. Aufgrund der guten Dokumentation durch schriftliche Berichterstattungen können diese Arbeiten der zweiten Hälfte der 1940er Jahre nachvollzogen werden, was im Folgenden exemplarisch aufgegriffen wird.

2.2.1 Volksmission und Seelsorge zwischen Mobilität und Stabilität. Tagungen, Kontakte, Evangelisationen Formen der Tagungsarbeit Zwischen 1945 und 1949 bildeten sich verschiedene Formen der Tagungsarbeit heraus, mit denen man an Praxisformen der Oxford-Gruppenbewegung anknüpfte, nun aber unter dem neuen Vorzeichen der Nachkriegszeit sowie auf der Basis eines wachsenden Freundeskreises. Für unterschiedliche Zielgruppen wurden Rüstzeiten, Tagungen und Treffen als Gästetagungen, Pfarrerrüstzeiten, Frauenrüstzeiten, Wochenendfreizeiten, Mannschaftstagungen oder Tagungen für Rundbriefleser angeboten. Diese waren des Öfteren der Ort zur Neugewinnung von Mitarbeitern des Kreises. Ähnlich wie schon 1939 Rudolf Fischer wurde nun im Jahr 1946 auch Ewald Ehrler, Fabrikleiter in Niederschlema/Erzgebirge und Mitglied der Landeskirchlichen Gemeinschaft, durch ein Freundestreffen in Hartha gewonnen und war ab 1949 als Evangelist des Volksmissionskreises tätig.310 Pfarrerrüstzeiten Besonders ist auf die Pfarrertagungen des Volksmissionskreises hinzuweisen, da diese zu seiner kirchlichen und kirchgemeindlichen Etablierung wesentlich beitrugen. Durch diese Tagungen konnten Pfarrer als Freunde des Kreises gewonnen werden, womit die Verbreitung der Arbeit in den Gemeinden gefördert wurde. Die Pfarrertagungen fanden in der Regel einmal jährlich statt. Den Auftakt machten Roßwein im Januar 1949 – zunächst mit Genehmigung des 309 Vgl. Zimmerling, Studienbuch Beichte, 34. 310 Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 66.

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Landeskirchenamtes im Predigerseminar Lückendorf geplant, dann aber aufgrund fehlender Heizmöglichkeiten verlegt –, gefolgt von einer Wiederholung im Juli 1949 sowie darauf Kreischa im Januar 1950.311 Die Teilnehmerdaten dieser ersten Pfarrerrüstzeiten spiegeln bereits das Spektrum der nächsten zwei bis drei Jahrzehnte in etwa wider : Durchschnittlich sind 30 (in den 1960er Jahren ca. 40) teilnehmende Pfarrer aus Sachsen mit hin und wieder einzelnen Gästen aus anderen Landeskirchen zu verzeichnen, von welchen die meisten aus dem Erzgebirge und Vogtland stammen, ein weiterer Schwerpunkt liegt zu gleichen Teilen in Mittel- und Nordsachsen (Leipzig Stadt/ Land), nur wenige Teilnehmer kommen aus Ostsachsen bzw. der Lausitz. Wie diese Daten bleibt auch der Altersdurchschnitt für einige Jahrzehnte konstant. Dieser lag bis 1966/67 bei etwa 33 Jahren,312 aber spätestens mit den 1980er Jahren erhöhte sich der Mittelwert deutlich. Ein eigenes Freizeitheim? Die sich mehr und mehr ausprägende Rüstzeitenarbeit stellte den Volksmissionskreis Sachsen vor die Frage, ob nicht ein eigenes Rüstzeitheim einzurichten wäre. Die hohen Teilnehmerzahlen mussten bewältigt werden – fast immer waren über 50, nicht selten auch über 100 Gäste zu Rüstzeiten anwesend, was für die Nachkriegszeit eine logistische Leistung darstellte. Die Unterkunft in Limmritz (2.1.1) war klein und bestand nur ein knappes Jahrzehnt. In der Diskussion, ob die sogenannte Wolfner Mühle bei Markersbach/Erzgebirge (im Pfarrbereich des BK- und Volksmissionskreis-Pfarrers Gerhard Michael) als eigenes Heim eingerichtet werden konnte, kam man zu keinem positiven Ergebnis.313 Andere ähnliche Versuche scheiterten ebenfalls.314 Eine 311 Vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 29. 10. 1948, an Pfarrer [Einladung nach Lückendorf], in: A.I.c.876; Bericht über die Pfarrerrüstzeit in Roßwein 11.–16.[sic; recte: 17.]01.1949, in: A.I.c.876; [Teilnehmerliste] Pfarrerrüstzeit 09.–15. 07. 1949; [Bericht] Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: A.II.a.404/8/Bd1; Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: A.II.a.404/8/Bd1. 312 Vgl. Jahresbericht 1966/67 der Zweigstelle für Innere Mission und Hilfswerk Leisnig, 15, in: A.II.f.278. 313 Die Wolfner Mühle, eine Brettmühle aus dem 16. Jh., gehörte in den 1930er Jahren dem Chemnitzer Kirchgemeindeverband als Erholungsheim (vgl. Lebenserinnerungen von Paul Meis, in: A.II.g.Meis). Der Volksmissionskreis bemühte sich im Oktober 1945, die Mühle als »Seelsorgeheim« (Walter Schadeberg) über die Innere Mission zu pachten oder zu kaufen, was vor allem aus finanziellen Gründen nicht möglich wurde, zumal die Mühle zur Aufnahme von ehemaligen Buchenwalder KZ-Häftlingen beschlagnahmt wurde (vgl. Briefwechsel zwischen Rudolf Fischer, Limmritz, und OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, 04.10.–27. 11. 1949, in: A.III.a.bis1949). Die Mühle wurde später als FDGB-Ferienheim

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Ausnahme bildet das Erholungsheim »Haus Charlotte« in Oberbärenburg/Osterzgebirge, welches der Kreis 1956 über die Dauer etwa eines Jahres im Mietverhältnis nutzte,315 so z. B. für eine Pfarrerrüstzeit Januar 1956.316 Überregionale Kontakte Statt sich mit einem eigenen Freizeitheim auf eine stabilitas loci – öfters bezeichnete man sich als »Bruderschaft«317 – festzulegen, brachte die lokale Freiheit dem Volksmissionskreis Sachsen eine ganze Reihe wichtiger Kontakte quer durch Deutschland ein, zumindest solange dem Reisen keine Mauern entgegenstanden. Schwerpunkte lagen aber von Anfang an im Osten. Namen wie Pfarrer Alfred Rehmann (Berlin), Baptistenprediger Georg Würfel (Berlin), Superintendent Friedrich Jäckel (Rostock), Pfarrer Erwin Schlagowsky (Bützow b. Güstrow), Pfarrer Erwin Paehl (Parchim-Slate) oder Pfarrer Klaus von Penz (Sollstedt/Südharz) beschreiben ein überregionales Netzwerk, in welchem der junge Volksmissionskreis im ersten Nachkriegsjahrzehnt agierte318 und zeugen

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genutzt und verfällt seit 1990 (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfner_Mühle [Zugriff: 24. 10. 2013]). Das ins Auge gefasste Pfarrhaus in Ziegra, dem Nachbardorf von Limmritz, wurde letztlich auch nicht genutzt (vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 27. 11. 1945, an den Landesverein für Innere Mission, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.III.a.bis1949) ebenso wie ein gewünschtes Grundstück nicht erworben wurde (vgl. Brief von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, 13. 10. 1954, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, OKR Ulrich von Brück, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd2). Als man 1963 versuchte, in Bräunsdorf ein Rüstzeitheim zu bauen, konnte dies nicht umgesetzt werden (vgl. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 11. 1963, an den Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt, Vorsitzenden Reßmüller, Karl-Marx-Stadt, in: A.II.c.1199). Vgl. die Dokumentation in: A.II.a.404/8/H. Bärenburg gehört zur Kirchgemeinde Schellerhau, wo seinerzeit BK- und Volksmissionskreis-Pfr. Gerhard Gilbert amtierte. Die Kirchgemeinde war im »Haus Charlotte« für gemeindliche Veranstaltungen zu Gast. Vgl. VMK (Hg.), Rundbrief 01. 02. 1956, Pfr. Gottfried von Wolffersdorf, in: A.I.b.1397. Wenngleich mit dieser Bezeichnung kommunitäre Formen geistlichen Lebens gemeint sind, will diese hier im pastoral-kollegialen, weniger im kommunitären Sinne verstanden sein (vgl. protokollierte Aussage von Pfr. Gerhard Bahrmann in: Bericht über die 2. Tagung des Arbeitskreises für Evangelisation am 21. 02. 1949 in Radebeul, Friedenskirche, Pfr. Ernst Ehrlich, in: A.II.b.2.1507, 17). Anders als z. B. die Märkische Volksmission gab sich der Volksmissionskreis Sachsen keine Regel (vgl. Regel der Bruderschaft der Märkischen Volksmission, in: A.II.b.2.1517, 120f). Vgl. Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/ Bd1: »Zu unserer Freude sind wir durch die Tagungen und die Schriftenmission mit Pfarrern und Laien aus Thüringen und der Provinz Sachsen sowie Berlin zusammengekommen. Wir haben darüber hinaus Verbindung mit allen volksmissionarisch lebendigen Kreisen in Deutschland.«

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noch von der Verankerung im Kontext der alten Gruppenbewegung.319 Man besuchte sich gegenseitig zu Rüstzeiten und Evangelisationen und kooperierte. Auch in Sachsen liefen kooperative Kontakte über die sich definierenden Grenzen des jungen Volksmissionskreises hinaus. Neben den typischen Namen von »Mannschaftsmitarbeitern«320 des Kreises tauchen Personen wie Horst Webers (1891–1991; blinder Evangelist der Chemnitzer Stadtmission), Erich Schumann (1899–1987; Diakonus der Herrnhuter Brüdergemeine, Zwickau, dann im landeskirchlichen Dienst) oder Willy Grünert (1900–1963; Leipziger Gemeinschaftsprediger, dann Pfarrer) auf. Solche Kontakte waren entweder schon in Zeiten des Kirchenkampfes gewachsen, gingen aus den Kooperationen der Nachkriegszeit oder aus der Mitarbeit in verschiedenen kirchlichen Gremien (vgl. 2.4) hervor. Gleichzeitig ging die Verbindung zur nach dem Krieg weiter bestehenden sächsischen Bekennenden Kirche deutlich zurück.321 Beispielsweise wurden Rüstzeiten bei und mit Erwin Schlagowsky in Bützow, Graal-Müritz und Kühlungsborn durchgeführt.322 Schlagowsky selber war einst Teilnehmer des zweiten Predigerseminarkurses in Finkenwalde 1935/36 bei Dietrich Bonhoeffer gewesen, wo er die volksmissionarische Arbeit kennen gelernt und sein späteres Pfarrhaus auch für eine der Finkenwalder Volksmissionen geöffnet hatte.323 1949 empfing nun Schlagowsky den jungen Volksmissionskreis Sachsen, zu dessen Freunden er lange Jahre zählte. Der Kreis wirkte dort in der Gefängnisseelsorge Schlagowskys (Haftanstalt Bützow-Dreibergen) zeitweise mit,324 oder auf einer Pfarrerfreizeit in Küh319 Vgl. z. B. Rundbrief von Pred. Georg Würfel, Berlin, 30. 12. 1948, in: A.I.c.876. 320 Vgl. z. B. Einladung zur Mannschaftstagung in Döbeln vom Arbeitskreis für Volksmission in Sachsen [07.–09. 01. 1946], Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 22. 12. 1945, in: A.III.a.bis1949: Gerhard Bahrmann, Ernst Borowsky, Rudolf Fischer, Max Müller, Julius Bach, Hans Prehn, Christa Heun, Rudolf Leuschring, Rudolf Lindner, Margarete Striegler, Ilse Wolfram, Charlotte Ziegler, Edgar Ebert, Paul Meis, Paul Mohn, Martin Keil, Käthe Roscher, Ingeborg Lichtenheld, Gertrud Jentsch. Vgl. auch Teilnehmer an den Chemnitzer Zusammenkünften [05/1949], in: A.I.c.876: Hans Prehn, Gerhard Küttner, Heinrich Leuteritz, Gerhard Michael, Rudolf Lindner, Gerhard Bahrmann, Rudolf Böttrich, Alfred Schädlich, Cornelius Kohl, Waldemar Gorgon, Paul Mohn, Knauf, Erich Schumann, Hasting, Rudolf Fischer, Ewald Ehrler, Horst Webers, Arthur Leonhardt, Siegfried Stark, Hermann Niklaus, Gebhardt, Wilmar Weiße, Otto Pfeiffer, Johannes Rüger, Friedrich Gräfe, Ernst Borowski, Julius Bach. 321 Diese Verbindung bestand nur noch in historisch-biographischem Verhältnis von Volksmissionskreis-Pfarrern, welche während des Kirchenkampfes zur BK gehörten. Ein aktives Verhältnis zur Nachkriegs-BK lässt sich nicht nachweisen. 322 Vgl. Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, in: A.IV.a.36a, 1f. 323 Vgl. Bonhoeffer, Finkenwalder Rundbriefe, 315f.606. 324 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 29. 06. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876: »Dort sind für uns Aufgaben, die wir kaum bisher berührt haben und die doch zu einer echten Volksmission unbedingt dazu gehören.«

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lungsborn (mit Prediger Georg Würfel, Superintendent Friedrich Jäckel), zu der Schlagowsky unter dem Stichwort »Seelsorge unter Seelsorgern« einlud. Rudolf Fischer unterstrich: »der Dienst in Mecklenburg ist uns sehr wichtig«.325 Den wirkungsgeschichtlich wohl bedeutungsvollsten Kontakt erhielt der Kreis durch die Bekanntschaft mit dem fränkischen Pfarrer Otto Siegfried von Bibra, auf welchen unten noch ausführlicher zurückzukommen sein wird (3.1). Durch von Bibra erhielt der Kreis Zugang zu einer bestimmten ökumenischen Spiritualität, die aus katholisch-apostolischen Wurzeln gespeist wurde und aus welcher die Kommunitätenbewegung der Nachkriegszeit und der »Oekumenische Christusdienst« (3.2) hervorgingen. Evangelisationen Als Pendant zur Rüstzeitenarbeit des Volksmissionskreises, welche Teilnehmer und Mitarbeiter quer durch Sachsen und darüber hinaus sammelte, fungierte die nicht minder reiche Durchführung von Evangelisationen, Volksmissionswochen und einzelnen Abendveranstaltungen in Kirchgemeinden, meist in Sachsen, aber auch in Thüringen oder Sachsen-Anhalt. In einem Bericht listete Hans Prehn größere Evangelisationsveranstaltungen der ersten beiden Jahre 1945–47 auf, welche in Lauter, Sebnitz, Döbeln, Chemnitz, Wiederau, Mittweida, Sosa, Hartha, Kleinrückerswalde und Viernau/ Thüringen stattfanden.326 Neben den Volksmissionsveranstaltungen, welche meist über den Zeitraum einer Woche für das Publikum einer ganzen Kirchgemeinde durchgeführt wurden,327 veranstaltete man auch ein zielgruppenorientiertes evangelistisches Programm, das entweder als Bestandteil dieser Wochen für einzelne Kreise (z. B. für Männerkreise, Konfirmanden, Junge Gemeinde)328 angeboten wurde oder in Form gesonderter Veranstaltungen stattfand (z. B. Frauenevangelisationen329). 325 Einladung von Pfr. Erwin Schlagowsky zur Rüstzeit für Pastoren im Diakonissenheim Kühlungsborn 20.–24. 04. 1949, in: A.I.c.876, dort. Zit.; Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 04. 05. 1949, an Sup. Friedrich Jäckel, Rostock-Gehlsdorf, in: a. a. O., dort Zit.; vgl. z. B. auch Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 04. 05. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: a. a. O.; Brief von Sup. Friedrich Jäckel, Rostock-Gehlsdorf, 22. 03. 1949, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: a. a. O. 326 Vgl. Bericht des Volksmissionskreises Sachsen für das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Abteilung Volksmission, Radebeul, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, in: A.II.a.404/8/Bd1. Hier werden zu allen genannten Orten auch die einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Veranstaltungen aufgelistet. 327 Vgl. einen repräsentativen Bericht über Vorbereitung, Ablauf und Durchführung einer Volksmissionswoche: Volksmissionswoche in Lauter vom 01.–08. 04. 1951, in: A.II.a.403/8. 328 Vgl. div. Berichte, z. B.: Bericht anlässlich der Großen Visitation am 17. 04. 1955 in Kreischa, Pfr. Otto Herbert, in: A.I.m.1.1.5.Nr. 1. 329 Vgl. z. B. Brief von Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 02. 07. 1949, an Mitarbeiterinnen der

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2.2.2 »Aus Trümmern neues Leben.« Tagungsarbeit am Beispiel von Dresden-Briesnitz Juli 1946 Nach einer ersten Jugendfreizeit in Grünhain im September 1945, welche gewissermaßen den Anstoß für die Tagungsarbeit des Volksmissionskreises Sachsen nach dem Krieg gab,330 folgten vor allem 1946 eine dichte Reihe von Tagungen.331 Diese fanden geschlossen statt. Sie wurden nur auf persönliche Einladung, in der Regel durch einen Freund oder Mannschaftsmitarbeiter vermittelt. Eingeladenen wurde ein »Merkblatt« überreicht. Es enthielt organisatorische Informationen und sollte auf die Tagungen einstimmen: »1.) Komme mit der Bereitschaft, die Maske abzulegen und Dein wahres Gesicht zu zeigen. 2.) Überwinde alle Hemmungen und glaube: Es wird etwas geschehen!«332.

Jene erwartungsvolle Stimmung, dass »etwas geschehen« werde, spiegelt sich nach den Tagungen in Berichten wider. Tagungsberichte werden zu einem wichtigen literarischen Genus der Berichterstattung und der Verbreitung theologischer Programmatik. Einen hohen Stellenwert für den Kreis hatte offenbar die Wochenendtagung in Dresden-Briesnitz im Juli 1946, was durch einen gedruckt veröffentlichten Tagungsbericht verdeutlicht wird, in welchem Hermann Niklaus, Dresden, auf acht Seiten das Geschehen der Tagung detailliert festhielt.333 Die Briesnitzer Tagung wurde, wie alle Tagungen, von einer Mannschaft durchgeführt, zu der Namen wie Christa Heun, Gerhard Küttner, Rudolf Fischer, Hans Prehn, Paul

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Frauenevangelisation in Hartha 12.–17. 07. 1949, in: A.I.l.II-A-14–7; hier werden Themen der Evangelisation aufgelistet: »Du und Dein Herz«, »Du und Dein Glaube«, »Du und Dein Mann«, »Du und Dein Kind«, »Du und Dein Gebet«, »Du und Dein Herr«. Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 64f. Vgl. Veranstaltungsübersicht 1946, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.bis1949: »[Mitarbeiter-]Tagung in Döbeln 6.–9. Jan. / Tagung in Chemnitz 23.–24. Febr., Thema: Gottes Plan in meinem Leben, Teilnehmer : 60 / Tagung in Niederschlema 26.–29. Apr. / Tagung in Dresden-Briesnitz 15.–17. Juni [sic; recte: Juni], Teilnehmer 150, Thema: Aus Trümmern neues Leben / Tagung in Niederschlema 3.–5. August / Mitarbeitertagung in Bad Lausick 6.– 10. Sept. Teilnehmerzahl: 65«; vgl. Veranstaltungsübersicht 1947, Pfr. Hans Prehn, in: a. a. O.: »Gästetagung Zwickau Lutherkirche 8.–12. April / Gästetagung Lauter 7.–14. [sic?] Okt. Mit Pfarrer Rehmann, Berlin«; vgl. auch den Tagungsplan für 1948, in: A.I.c.876, wo Orte, Verantwortliche und Mitarbeiter aufgelistet sind. Merkblatt für die Tagungen des Volksmissionskreises im Landesverein für I.M. der ev.-luth. Kirche in Sachsen, Limmritz »Grünes Haus«, in: A.III.a.bis1949, auch in: A.I.c.876. Im Merkblatt wurde auch darauf hingewiesen, dass zur Teilnahme Naturalien (Kartoffeln, Fleisch oder Fett, Kaffee etc.) mitzubringen sind. VMK (Hg.), Tagung in Dresden-Briesnitz am 15. bis 17. Juli 1946 unter dem Thema Aus Trümmern neues Leben, z. B. in: A.III.a.bis1949, vgl. hier im Folgenden.

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Mohn, Sr. Gustava Ritter, Gerhard Bahrmann, Ewald Ehrler oder Dr. Ilse von Zobel gehörten334 – es waren die letzten Jahre, in denen Adlige auf dem Gebiet des kollektivierenden Sozialismus noch zu finden waren. Symptomatisch war die Aufteilung der ca. 140 Tagungsteilnehmer. Für eine Vorstellungsrunde sollten diese sich einer der folgenden Gruppen zuordnen: Pfarrer, Mütter, Angehörige der Gemeinschaftsbewegung, Heimkehrer, Flüchtlinge, Ausgebombte etc. Gerade angesichts der letztgenannten Gruppen war das Thema der Tagung »Aus Trümmern neues Leben« bestimmt, aufgeteilt in die Abschnitte: »Von der Ursache der Trümmer«, »Von der Beseitigung der Trümmer«, »Und wenn wir vor Trümmern stehen?«, »Neues Leben heute und hier«.335 Neben einem öffentlichen Gottesdienst und zwei Vortragsabenden in der Kirche fand die Tagung nichtöffentlich statt. Jeder Tag begann mit Stiller Zeit und Austauschrunde, was von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Mannschaft angeleitet wurde. Vortagsähnliche Themenstunden sowie zahlreiche Zeugnisse aus der Mannschaft sollten das Thema entfalten. Mit einer Abendmahlsfeier wurde die Tagung beendet. Neben verschiedenen Zeugnissen etwa über den persönlichen, geistlichen Umgang mit einem verlorenen Haus, einem verlorenen Arm, Mann oder Kind spielten in Briesnitz eine Predigt und eine Bibelarbeit die zentrale Rolle. Hans Prehn wollte mit seiner Predigt über Ps 51 zur Buße anregen, indem er die Bitte um den Heiligen Geist und die Bitte um Vergebung miteinander verband: »Komm’ Heiliger Geist, und schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist!«336. In der Bibelarbeit über Gal 5,19–23 sprach »Pfarrer [Gerhard] Küttner von der Wichtigkeit der Sündenerkenntnis und des Bekennens. […] Es bedarf der Hingabe an Christus. Alles wird neu, wenn Christus in mir Wohnung hat«.337 Am Text entwickelte Küttner mit den Fragen »Was ist?« und »Was muß werden?« einen Beichtspiegel. Der Kern aller thematischen Einheiten lässt sich auf die persönliche Christusbeziehung fokussieren: Diese müsse durch Hingabe an Christus neu werden, nur so könne ein rechter Umgang mit materiellen, körperlichen oder geistlichen »Trümmern« erreicht werden. Mit der Konzentration auf Buße, Hingabe, Vergebung verfolgte die Tagung ein dezidiert seelsorgerliches Ziel. Im Grunde beschäftigten sich alle Tagungen dieser Jahre, für die Dresden-Briesnitz nur ein

334 Und weitere: Gerta von Hammerstein, Paul Meis, Frau Dr. Möckel, Frl. Möckel, Prof. Neuffler und Frau, Hermann und Else Niklaus, Horst Webers, Ilse Wolfram, vgl. Einladung für die Tagung in Dresden (Mannschaft), in: A.I.c.876. 335 VMK (Hg.), Tagung in Dresden-Briesnitz am 15. bis 17. Juli 1946 unter dem Thema Aus Trümmern neues Leben, z. B. in: A.III.a.bis1949. 336 A. a. O. 337 A. a. O.

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Beispiel darstellt, mit existentiellen Fragen wie »Lohnt sich mein Leben noch?«338 und einem Neuanfang aus der Vergebung durch die Gnade Gottes. Am Beispiel der Dresden-Briesnitzer Tagung lässt sich erkennen, dass der Volksmissionskreis Sachsen in den Nachkriegsjahren seine Herkunftsmerkmale beibehielt und weiterentwickelte. Das pietistische Normalanliegen der Bekehrung, der persönlichen Lebensübergabe an Jesus Christus, wurde durch die Methodik der Gruppenbewegung ergänzt. Von dieser her zeigte sich auch das volkmissionarisch-evangelistische Anliegen unter einer ausgesprochen seelsorgerlichen Haltung. Die neue Konzentration auf Buße und Beichte verband Oxfordische mit lutherisch-pietistischer Spiritualität – was durch die häufigen Abendmahlsfeiern nur bestätigt wird: »Das Abendmahl in der Kirche bedeutete wohl vielen eine endgültige Absage an das alte Leben und einen bewußten neuen Anfang.«339 Auf den Tagungen des Kreises lassen sich die ersten charismatischen Anzeichen feststellen, von denen im Kapitel 3 zu sprechen sein wird. Den für alle wichtigen Buß- bzw. Beicht-Fokus hatte sich in jenen Jahren besonders Gerhard Küttner zu eigen gemacht, welcher zeitgleich in die Erweckung in seiner Gemeinde in Sosa involviert war (3.5.2). Die Quellen dieser Zeit erweisen Küttners wachsende Präsenz im Volksmissionskreis gerade mit diesem Thema.

2.3

»Schriftenmission ein entscheidendes Stück der Volksmission«340. Die Volksmissionsbuchhandlung Rudolf Fischers

2.3.1 Gründung einer evangelischen Verlagsbuchhandlung Bereits zwei Jahre nach Kriegsende gründete Rudolf Fischer am 11. Juli 1947 die Volksmissionsbuchhandlung,341 eine private Verlagsbuchhandlung, welche er in den Dienst des Volksmissionskreises Sachsen stellte. Das Landeskirchliche Amt für Innere Mission setzte sich dafür ein, dass Fischer vom Gewerbeamt die Konzession erhielt.342 Der volksmissionarische Kaufmann, der seinen früheren Alkoholhandel zunächst in einen Seifen-, dann in einen Papiervertrieb und 338 Zit. Paul Mohn in: [Bericht] Tagung in Niederschlema [27.–29. 04. 1949], in: A.III.a.Rundbriefe. 339 A. a. O. 340 Zit. Pfr. Hans Prehn in: Rund- und Werbebrief der Volksmissionsbuchhandlung, Rudolf Fischer, Limmritz, [Anfang 1950], in: A.II.b.2.1516, 187. 341 Vgl. Prehn, Begegnung, 11; Prehn, Volksmissionskreis, 69. 342 Vgl. Brief von OKR Dr. Walter Schadeberg, Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 11. 07. 1947, an das Gewerbeamt Döbeln, in: A.III.a.bis1949.

Die Volksmissionsbuchhandlung Rudolf Fischers

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schließlich in die Buchhandlung umgewandelt hatte,343 wollte mittels der Schriftenmission den Aktionsradius des Volksmissionskreises erweitern. Tatsächlich entwickelte sich die Volksmissionsbuchhandlung in Kürze zu einem der Aktionszentren des Kreises der 1950er Jahre und war auch beim Dresdner Landeskirchenamt als evangelische Buchhandlung registriert.344 Als Ende Dezember 1951 der Kreis vertraglich dem Landeskirchlichen Amt für Innere Mission angeschlossen wurde, erhielt die Verquickung privater und geschäftlicher Bereiche im Hause Fischer schließlich eine juristische Ordnung, nach welcher Fischer als von der Inneren Mission beauftragter Geschäftsführer des Volksmissionskreises seine Arbeit mit dem privat geführten Buchhandel verbinden konnte.

2.3.2 Volksmissionarische Trümmerliteratur »Um die Ausbreitung eines erwecklichen und anpackenden Schrifttums geht es der Limmritzer Schriftenmission.«345 Diese verortete sich zunächst im geistlichen Wiederaufbau auf seelischen Trümmerfeldern der Nachkriegszeit, wovon eine Werbe- und Bestellpostkarte der Volksmissionsbuchhandlung Zeugnis gibt: »Kaum einige Monate nach dem Zusammenbruch war es den Freunden des Volksmissionskreises klar, irgendwie mitzuhelfen, um unserem verirrten und schwergeprüften Volk in Liebe und Hingabe zu dienen«.346 Diese Ausrichtung spiegelt sich unter anderem in den Aufsatzthemen der 343 Vgl. den autobiographischen Bericht Fischers in: VMK (Hg.), Rundbrief 08/1946, in: A.II.b.2.1514, 401–403, hier 403. 344 Vgl. Anschriftenliste der sächsischen Buchhandlungen und Buchverkaufsstellen sowie Verlage [1948], in: A.II.b.2.605, 59; Zusammenstellung der evangelischen Buchhandlungen, die die Erklärung über die Anerkennung der Grundsätze für den evangelischen Buchhandel abgegeben haben [Datum handschriftl. 05. 09. 1952], in: A.II.b.2.606, 90; sowie: idem, [Datum handschriftl. 04. 06. 1956], in: A.II.b.2.607, 2.163. An verschiedenen Stellen zeigt sich auch der praktische Kontakt der Volksmissionsbuchhandlung zu anderen evangelischen Buchhandlungen in Sachsen, wie z. B. zur Herrnhuter Missionsbuchhandlung (vgl. Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 24. 05. 1949, in: A.I.c.876), vor allem aber zu Max Müller, der in Chemnitz schon seit den 1930er Jahren seine Evangelische Buchhandlung betrieb. Max Müller, im Kirchenkampf Lieferant für BK-Gemeinden, gehörte zu den Freunden des Volksmissionskreises (vgl. Einladung zur Mannschaftstagung in Döbeln vom Arbeitskreis für Volksmission in Sachsen [07.–09. 01. 1946], Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 22. 12. 1945, in: A.III.a.bis1949), war mit Rudolf Leuschring verschwägert und kooperierte an verschiedenen Stellen, z. B. in der Bergbaumission mit Christa Heun (vgl. Bericht über eine Besprechung des Redaktionsausschusses für Schrifttum für das Bergbaugebiet am Montag, den 17. 07. 1950 in Chemnitz, in: A.II.b.2.1511, 10). 345 Zit. Pfr. Hans Prehn, in: A.II.b.2.1516, 187. 346 Werbe- und Bestellpostkarte der Volksmissionsbuchhandlung, Rudolf Fischer, Limmritz, 10/1948, in: A.II.b.2.1516, 18.205.

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Rundbriefe des Volksmissionskreises wider. Bereits im Oktober 1945 begann man, einen monatlichen Rundbrief unter der Überschrift »Unverzagt und ohne Grauen« hektographiert zu publizieren, welcher dann ab Oktober 1946 in gedruckter Form erschien347 und Ende 1947 in einer Auflage von 10.000 Stück an knapp 3.000 Abonnenten versandt wurde.348 Auch wenn Fischers Verlagsbuchhandlung die Rundbriefarbeit des Kreises zwar nicht de jure führte, liefen hier aber de facto alle Fäden zusammen. Die Aufsätze der Rundbriefe wurden dann in Reihenausgaben des Verlages wiederabgedruckt (»Lebendiger Glaube« 1–6, 1946.1950–1957; »Unverzagt und ohne Grauen« 1–34, 1950–1959). Bald wurde die Postkartenmission als effektives Mittel für die flächendeckende volksmissionarische Publikationsarbeit entdeckt. An der Gestaltung der Karten war maßgeblich Christa Heun beteiligt, welche diese auch in der Bergbaumission (Diakonie bzw. Mission unter Bergarbeitern) einsetzte.349 1949 wurden 12 verschiedene Themenkarten angeboten, »darunter besonders eine Karte für unsere Flüchtlinge und Ausgebombten«.350 Auch Postkartenserien zu Themen wie »Sorge, Reinheit, Elend, Tod, und Krankheit«351 fanden nicht geringen Absatz. Zahlen weisen nach, dass man gerade in den Nachkriegsjahren eine recht ausgedehnte Verbreitung erreichen konnte: 1948 wurden 100.000 Postkarten, 1949 140.000 Karten gedruckt.352 Daran anknüpfend wurden im Jahr 1949 farbige Adventssternchen aus Kar-

347 Vgl. dazu Rundbrief an die Leser des Freundesbriefes, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, [vermutl. 09/1947], in: A.III.a.Rundbriefe. 348 Vgl. Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/ Bd1. Über die Rundbriefarbeit der folgenden Jahrzehnte finden sich nur wenige statistische Angaben. Eine Liste informiert über 57 RundbriefempfängerInnen allein in Sosa: Freundesbrief-Leser Sosa/Erzgeb., [1948], in: A.I.c.876. Listen, auf denen Pfarrer, welche den Rundbrief empfangen, verzeichnet sind, geben zugleich darüber Auskunft, in welche Kirchgemeinden der Volksmissionskreis Kontakte unterschiedlicher Intensität unterhielt. Vgl. Anschriften der Rundbriefempfänger (Pfarrer) – Stand vom Nov. 1955, in: A.I.b.1397 (143 Pfarrer); Pfarrer, die unseren Rundbrief erhalten [Mitte der 1960er Jahre], in: A.I.b.1396 (153 Pfarrer). 349 Vgl. A.II.b.2.1511, 10. 350 A.II.b.2.1516, 18.205. Es handelt sich um die Karte »Befiehl du deine Wege«, Expl. in: A.II.b.2.1516, 20. 351 Rundbrief an die Leser des Freundesbriefes, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, [vermutl. 09/ 1947], in: A.III.a.Rundbriefe. 352 Vgl. Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/ Bd1; vgl. A.II.b.2.1516, 187. Vgl. dazu Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 24. 05. 1949, in: A.I.c.876: »es könnten ja ganze Dörfer und Stadtteile damit belegt werden ohne Gefahr zu laufen, daß die Leute übersättigt wären. Ich möchte die Anregung eines Freundes weitergeben, bei der jetzt kommenden Häusersammlung den Spendern immer eine Karte zu schenken.«

Die Volksmissionsbuchhandlung Rudolf Fischers

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ton für Kinder herausgebracht,353 dazu auch 13.000 Papier-Weihnachtspyramiden für Kindergottesdienste,354 jeweils versehen mit missionarischen Texten. Zunächst wurden auf die Nachkriegssituation seelsorgerlich zugeschnittene Themenbeiträge publiziert, wie z. B. »Generalbeichte« (Rudolf Fischer), »Heute reden die Steine« (Waldemar Gorgon), »Trümmer – und doch Weihnachten« (Christa Heun) oder »Selbstmord?« (Paul Mohn). Nach und nach verabschiedete man sich von einer volksmissionarisch-seelsorgerlichen Trümmerliteratur. Bald zeugen die Aufsatzthemen von wachsendem Abstand zur Nachkriegsnot, wie z. B.: »Posaunenmission – Ein Stück echter Volksmission« (Hans Prehn), »Dorfmission« (Christa Heun), »Die Stille Zeit« (Rudolf Fischer), »Meine Himbeerhecke« (Rudolf Fischer).

2.3.3 Veröffentlichungen, Lizenz und Vertrieb Neben den genannten Aufsatz-Reihen »Lebendiger Glaube« und »Unverzagt und ohne Grauen« publizierte die Volksmissionsbuchhandlung die 1950er Jahre hindurch eine Serie »volksmissionarischer Kleinschriften« ebenfalls unter dem Titel »Unverzagt und ohne Grauen«. Diese sogenannten 20-Pfennig-Hefte im DIN-A6-Format stellten die Möglichkeit dar, eine Vielfalt volksmissionarischer Themen zu erschließen und in handlicher Größe zu verbreiten. Die Palette reichte von Themen der Spiritualität bzw. Glaubenspraxis (wie Stille Zeit, Beichte, Trost zu Weihnachten; auch Gebetshefte wie »Geh mit Gott durch jeden Tag« oder »Kinderlob« mit Zeichnungen von den Darmstädter Marienschwestern) über ethische Fragen (Sexualität, Ehe, Alkoholkonsum, Abtreibung, Suizid) bis zu apologetisch-missionarischer Seelsorge (»Ich glaube an gar nichts mehr«). Neben den bekannten Autoren aus den Reihen des Volksmissionskreises wurden Texte weiterer Personen in die Heftserie aufgenommen, zum Beispiel von Klara Schlink (Mutter Basilea), Werner de Boor, Rudolf Damrath. Ein Beispiel für die Verwendung dieser Kleinschriften stellt ihr Einsatz bei einer Evangelisation im Kirchenbezirk Leipzig-Land dar, welche im November 1950 mit Otto Siegfried von Bibra als Prediger in der Leipziger Nikolaikirche gehalten wurde.355 Hunderte Hefte wurden am Büchertisch verkauft (Rudolf

353 »Das Neue an diesen wunderschönen, in Vierfarbendruck hergestellten Sternen sind die Verse auf der Rückseite. Sie fordern Kinder auf, nicht nur daran zu denken, was wird man zu Weihnacht mir schenken, sondern beginnen jedesmal mit den einfachen Zeilen: Heute schon will ich bedenken, was ich dem Christkind könnte schenken«, A.II.b.2.1516, 18.205 (Hervorhebung im Text). 354 A.II.b.2.1516, 187. 355 Vgl. [Bericht von Pfr. Gerhard Bahrmann, Lützschena] Evangelisation für den Kirchen-

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Damrath: »Das Heiligtum der Beichte«; Klara Schlink: »Gewissensspiegel«; Erich Schumann: »Gibt es noch glückliche Ehen?«).356 1953 wurde eine Reihe »Lieder für die Volksmission« begonnen. Mehr als das erste Heft, welches jeweils als Noten- und als Textausgabe gedruckt wurde, kam jedoch nicht in Erscheinung. Ein weiteres Heft in dieser Reihe wurde zwar immer wieder angeregt, stattdessen aber nur einige Ergänzungen hektographisch verbreitet.357 Die Zusammenstellung von vorwiegend erwecklichen Chorälen blieb nicht ohne kritische Stimmen. Gremien der Inneren Mission und des Landeskirchenamtes betonten, dass Auszüge bzw. Wiederabdrucke von Liedern aus dem Gesangbuch für volksmissionarische Zwecke nicht genügen könnten, sondern neues Liedgut entwickelt werden müsse.358 Darüber hinaus produzierte die Verlagsbuchhandlung auch für den kirchgemeindlichen Eigenbedarf. So konnten über Fischers Betrieb beispielsweise individuell mit Sprüchen gestaltete Konfirmationsurkunden angefertigt werden.359 Die Volksmissionsbuchhandlung erwarb hin und wieder Lizenzen von anderenorts erschienener Literatur. So verlegte Fischer im ersten Quartal 1947 monatliche Einzelhefte der Herrnhuter Losungen – als »Überbrückungsdienst« angesichts Herrnhuter Lieferschwierigkeiten.360 Das wohl wichtigste Buchprojekt findet sich im Titel »Die Bevollmächtigten des Christus« Otto Siegfried von Bibras. Für dieses Buch, welches bereits 1947/48 im Volksmissionskreis für Begeisterung gesorgt hatte, erwarb man die Lizenz für die vierte Auflage. Diese Ausgabe, bevorwortet von Karl Heim, erschien im Jahr 1952. Die ersten 3.000 Exemplare wurden in Sachsen gedruckt. Aufgrund Kapitalmangels der Druckerei (Adolph Thallwitz, Döbeln) wurden Druck und

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bezirk Leipzig-Land, veranstaltet in der Nikolaikirche Leipzig vom 13.–19. Nov. 50, gehalten von Pastor von Bibra–Nürnberg, in: A.II.b.2.1662, 80. Bei einem abendlichen Umsatz nach Angaben des Berichtes i. H. v. ca. 70 M müssen je Abend ca. 350 Hefte / 0,20 M verkauft worden sein. Vgl. VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1957, Pfr. Heinrich Leuteritz, in: A.II.a.404/8/Bd3; Brief von Käthe Heber, Geschäftsstelle des Volksmissionskreises Sachsen, Dresden, 09. 01. 1962, an Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, in: A.I.b.1397. Vgl. Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises Evangelisation der Kammer für Volksmission am 08. 03. 1954 in Radebeul, in: A.II.b.2.1504, 46; Brief von Pfr. Ernst Ehrlich, Radebeul, 10. 03. 1954, mit Zusatz von OKR Ulrich von Brück, 16. 03. 1954, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1519, 55. Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Volksmissionsbuchhandlung, Limmritz, 04. 05. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876. [Begleit- und Werbeblatt der Volksmissionsbuchhandlung, Rudolf Fischer] Die täglichen Losungen und Lehrtexte der Brüdergemeine für den Monat März 1947, in: A.II.b.2.1514, 124.

Die Volksmissionsbuchhandlung Rudolf Fischers

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Verlag für weitere 7.000 Stück in Kooperation mit der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin weitergeführt.361 Mehrheitlich wurden allerdings Bücher anderer Verlage vertrieben. Bestes Beispiel bilden die Herrnhuter Losungsbücher, von welchen 12.000 Exemplare im Jahr 1949 verkauft wurden.362 Die von der Volksmissionsbuchhandlung verbreitete »Die Lehre von der Seelsorge« Eduard Thurneysens zeugt vom Einfluss der kerygmatischen Seelsorge.363

2.3.4 Auflösung der Volksmissionsbuchhandlung Obwohl die Volksmissionsbuchhandlung anfängliche Startschwierigkeiten wie Druckverbote und Papiermangel längst überstanden hatte,364 musste der Betrieb im Jahre 1959 eingestellt werden. Noch 1958 war die Buchhandlung mit der Geschäftsstelle des Volksmissionskreises an die Adresse Dresden–Weinbergstraße umgezogen365 – wo man, wohl eher unbewusst, an lokale Wurzeln Gottfried Klenners in Dresden-Trachau anknüpfte (vgl. unter 1.2.3). Rudolf Fischer lobte die florierende Arbeit. Doch schon ein Jahr später teilte er mit, dass sein Betrieb keinen Gewinn mehr erwirtschafte.366 Offenbar müssen sich Verlags361 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 05. 05. 1952, an Pfr. Hans Prehn, Aue Stadtkrankenhaus, in: A.III.a.1950–1953. Zum Verkauf vgl. Aktennotiz von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, [vermutl. 06/1952], in: A.II.a.404/8/Bd2. 362 A.II.b.2.1516, 187. 363 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 29. 06. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876. Weitere Beispiele: Beststellung von Büchern der Autoren Theodor Bovet, Oswald Chambers, vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 20. 03. 1953, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: A.III.a.1950–1953. 364 Vgl. z. B. Mitarbeiterbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, Pfingsten 1947, in: A.II.a.401 und A.III.a.Rundbriefe. In Zeiten der Papierknappheit half man sich gegenseitig aus. So sandte Fischer beispielsweise eine Papierlieferung an OLKR Gottfried Knospe, vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 25. 03. 1948, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, in: A.II.b.2.1514, 172. 365 Vgl. Rundbrief von Rudolf und Emmy Fischer, Volksmissionsbuchhandlung, Dresden, 05/ 1958, in: A.I.b.1397. Einige Zeit zuvor fand bereits ein Umzug von Limmritz nach Dresden– Prellerstraße statt. Auch wenn der Volksmissionskreis während seines Ansitzes in Dresden– Weinbergstraße mind. eine Evangelisation in der Weinbergkirchgemeinde mitgestaltete, lässt sich eine besondere Prägung der Gemeinde durch den Kreis nicht feststellen, vgl. Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Weinbergskirchgemeinde, Pfr. Dr. Laue, [zur Visitation 12.–18. 10. 1964], in: A.I.n.155. 366 Vgl. Rundbrief von Rudolf und Emmy Fischer, Volksmissionsbuchhandlung, Dresden, 31. 07. 1959, in: A.II.a.403/13; auch zit. in: Rundbrief von Pfr. Helmut Wielepp, Reisemannschaft im Evangelisationsdienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Radebeul, 17. 08. 1959, in: A.I.b.1152.

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aktivitäten und Absätze plötzlich derart verringert haben, dass nur noch einige 20-Pfennig-Hefte verkauft wurden. Hinter der Schließung standen wohl auch persönliche Gründe. Schon im Frühjahr 1958 gab Fischer das Amt des Geschäftsführers des Volksmissionskreises auf, welches an Lothar Köppe übertragen wurde (vgl. unter 4.5.3).367 1959 äußerte er Pläne, beim Verlag Sonne und Schild, Wuppertal, arbeiten zu wollen.368 Tatsächlich verließ Fischer kurz nach dem Mauerbau die DDR.369 Bis zur Schließung hatte die Verlagsbuchhandlung nicht nur als schriftenmissionarischer Umschlagplatz, sondern auch als Arbeitgeber fungiert. In Limmritz war eine Sekretärin bei Fischer angestellt,370 zeitweise war über die Buchhandlung Ewald Ehrler als Evangelist des Volksmissionskreises hauptamtlich beschäftigt.371

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Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche

Während des ersten Nachkriegsjahrzehnts kennzeichnete den Volksmissionskreis Sachsen ein breites Engagement der Mitarbeit in kirchlichen Arbeitsgruppen und Gremien, das als ein Beitrag zum geistlichen Wiederaufbau der Landeskirche verstanden werden sollte. Ein derartig aufgestelltes Engagement wird ab Ende der 1950er Jahre rückläufig sein und lässt sich später nicht mehr nachweisen.

2.4.1 Kammer für Volksmission beim Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens und Arbeitskreis für Evangelisation Als im Frühjahr 1948 unter der Leitung von Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe die Kammer für Volksmission beim Landeskirchenamt gegründet wurde (womit man nicht nur dem ausdrücklichen Wunsch einiger Pfarrer der 367 Vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 22. 04. 1985, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd3. 368 Vgl. Rundbrief von Rudolf und Emmy Fischer, Volksmissionsbuchhandlung, Dresden, 31. 07. 1959, in: A.II.a.403/13. 369 Ich danke Brigitte Gabsch, Döbeln, herzlich für Ihre Hinweise. 370 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 05. 05. 1952, an Pfr. Hans Prehn, Aue Stadtkrankenhaus, in: A.III.a.1950–1953. Für Auskünfte danke ich Herrn Wolfgang Thomas, Waldheim, dem Sohn der Sekretärin Frau Thomas, nach einem Telefonat am 29. 11. 2012. 371 Vgl. Aktennotiz von Dr. Ehrhard Finster, 09. 06. 1951, in: A.II.a.404/8/Bd1.

Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche

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Bekennenden Kirche folgte,372 sondern auch deren Organisationsbezeichnung einer »Kammer« übernahm), war neben BK, Innerer Mission und Landeskirchlicher Gemeinschaft von Anfang an auch der Volksmissionskreis, meist vertreten durch Hans Prehn und Rudolf Fischer,373 beteiligt.374 Ziel der Kammer war es, die verschiedenen evangelistischen bzw. volksmissionarischen Gruppen im Bereich der Landeskirche durch Netzwerkbildung und Fortbildungsarbeit zu stärken sowie Kooperationen zu ermöglichen.375 Sehr gut kommt dabei das theologische und praktische Proprium des Volksmissionskreises im Gegenüber zu den anderen Beteiligten zum Ausdruck, wenn von seiner Seite her während der Sitzungen immer wieder von Mannschaftsarbeit, persönlicher Seelsorge und Beichte, Kerngemeinden oder Erweckung die Rede ist.376 Nicht unerwähnt soll hier bleiben, dass Gottfried Knospe den Volksmissionskreis als »die einzige wirklich neue Wege suchende volksmissionarische Bewegung in Sachsen« im Vergleich zu den anderen in der Kammer vertretenen Gruppen einschätzte.377 Für ein Jahrzehnt lässt sich die aktive Mitarbeit von Volksmissionskreismitgliedern hier nachweisen. Im Rahmen der Kammer für Volksmission wurde im Juni 1948 ein Arbeitskreis für Evangelisation in Leben gerufen,378 der von Pfarrer Ernst Ehrlich (1902– 372 Vgl. Brief von Pfr. Curt Gröschel, Dresden/Pfr. Kircher, Coswig/Pfr. H. Ihle, Werdau/Pfr. [unleserlich], Werdau, Elbingerode, 05. 06. 1947, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.1514, 135. Vgl. [Thesen-/Übersichtspapier] Neuordnung der Volksmissionsarbeit in Sachsen, Pfr. Hermann Klemm/Pfr. Sickert, 30. 01. 1948, in: A.II.b.2.1503, 9; die BK-Autoren plädieren für eine Kammer für Volksmission und stellen thesenartig die aktiven Volksmissionsgruppen (Innere Mission, Gruppenbewegung = Volksmissionskreis, Landeskirchliche Gemeinschaft, BK) und deren frömmigkeitliche Prägung vor. 373 Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 06. 04. 1948, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, [OLKR Gottfried Knospe], Dresden, in: A.II.b.2.1503, 48. 374 Vgl. verschiedene Sitzungsprotokolle, bes.: [Protokoll] Besprechung über die Fragen der Volksmission am 22. 01. 1948 im Landeskirchenamt, in: A.II.b.2.1503, 10–16; Protokoll der 1. Sitzung der Kammer für Volksmission, Versöhnungskirche Dresden-Striesen, 03.–04. 05. 1948, in: A.II.b.2.1503, 69–79; Protokoll der Kammer für Volksmission, 13. 10. 1949, A.II.b.2.1503, 127–134. 375 Die »Kammer für Volksmission ist eine Zusammenfassung aller lebendigen und in der Evangelisation oder Volksmission erfahrenen Kräfte der Landeskirche, wo und wie sie auch stehen mögen«, Zit. OLKR Gottfried Knospe, in: A.II.b.2.1503, 13. Auch organisatorische Unterstützung gehörte zur Aufgabe der Kammer. Als eine Schuhspende der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Volksmissionare, Potsdam, (vor 1950) verteilt werden sollte, gehörten 14 von 35 BestellerInnen zu den Mitarbeitern des Volksmissionskreises, vgl. [Liste] Bestellung von Schuhen für volksmissionarische Kräfte, in: A.II.b.2.1516, 123f. 376 Vgl. A.II.b.2.1503, 11. 377 Bericht über die Volksmission im Lande Sachsen [OLKR Gottfried Knospe, Dresden, an Prof. Dr. Heinrich Rendtorff, Kiel], 1950, in: A.II.b.2.1517, 24f. 378 Die Kammer für Volksmission bildete Arbeitskreise für : I volksmissionarischen Dienst der Gemeinde, II Evangelisation, III Evangelische Bildung und Evangelische Wochen, IV Öffentlichkeitsarbeit der Kirche, V Evangelische Akademien, VI Bibelwoche, (vgl. Arbeits-

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1982) aus Dresden, zuvor Sosa, geleitet wurde.379 Im Volksmissionskreis, der hier mitarbeitete, wurde dieser Ausschuss als »Bruderschaft« von Evangelisten interpretiert – aber nicht ohne den Stolz, schon selbst eine solche Bruderschaft darzustellen.380 Der Arbeitskreis für Evangelisation der Kammer für Volksmission veranstaltete in Kooperation mit dem Landeskirchlichen Amt für Innere Mission ab Februar 1949 jährliche Fortbildungstagungen, sogenannte »Rüstzeiten für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare«, an welchen stets Personen aus Reihen des Volksmissionskreises teilnahmen.381 Hier wurden Themen verhandelt, welche für ihn von Interesse waren. Sie betrafen vor allem die Seelsorgepraxis, was an Themen wie Seelsorge und Psychologie, Eheseelsorge »dämonische Hintergründe seelischer Nöte« und Exorzismus (siehe 7.2.2) deutlich wird.382

2.4.2 Innere Mission

Über die Angliederung des Volksmissionskreises an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission wurde oben im Zusammenhang mit seiner Gründung im Herbst 1945 schon gesprochen. Auf verschiedenen Ebenen zeigt sich, wie im

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bericht über volksmissionarische Arbeit im Land Sachsen, [OLKR Gottfried Knospe], 1948, in: A.II.b.2.1516, 16; diesen Bericht hatte Heinrich Rendtorff angefordert, vgl. Brief der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission, Prof. Dr. Heinrich Rendtorff, Kiel, 10. 06. 1948, in: A.II.b.2.1516, 1), später auch den Arbeitskreis VII Dorfkirchenarbeit (vgl. A.II.b.2.1517, 24) und wohl auch für Bergbaudiakonie (vgl. A.II.b.2.1511). Ernst Ehrlich hatte diese Funktion als Pfarrer von Eibenstock b. Aue übernommen, nachdem er die Pfarrstelle in Sosa, welche nun sein früherer Vikar Gerhard Küttner inne hatte, verlassen hatte. Ab 09/1948 war Ehrlich Leiter der Stadtmission Dresden. Zum Arbeitskreis für Evangelisation vgl. z. B. Bericht über die 1. Tagung des Arbeitskreises Evangelisation am 08. 06. 1948 im Pfarrhaus der Versöhnungskirche zu Dresden, Ernst Ehrlich, in: A.II.g.Ev und A.II.b.2,1507, 11–12. »Pfarrer Bahrmann: Er begrüßt den Zusammenschluß der Evangelisten zu einer Bruderschaft und macht darauf aufmerksam, daß die im Volksmissionskreis zusammengeschlossenen Evangelisten das bereits haben«, A.II.b.2.1507, 17f, hier 17. Zur ersten Rüstzeit (21.–27. 02. 1949 in Radebeul) kamen 6 von 10 TeilnehmerInnen aus dem Volksmissionskreis, vgl.: A.II.b.2.1507, 17f. Weitere Teilnahmen sind u. a. dokumentiert in A.II.a.401/3 und A.II.a.401/4. Im Jahresbericht des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission 1951/52 wird resümiert: »Die Rüstzeiten wurden sehr stark besucht von Volksmissionaren der Inneren Mission, des Sächsischen Volksmissionskreises, der Landeskirchlichen Gemeinschaft, der Herrnhuter Brüdergemeine und von Vertretern der Pfarrerschaft«, in: A.II.b.1850, 76–108, hier 98. Vgl. Brief [Einladung] von Pfr. Gerhard Richter, Landeskirchliches Amt für Innere Mission/ Pfr. Ernst Ehrlich, Arbeitskreis für Evangelisation, Radebeul, 21. 12. 1948, in: A.III.a. bis1949 und A.I.c.876, dort Zit. Vgl. auch die Berichte zur Rüstzeit 24.–26. 02. 1956 in Radebeul in: A.II.a.401/4/53.

Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche

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Volksmissionskreis die Verbindung von Innerer Mission und Volksmission gehalten werden konnte: Beim Landeskirchlichen Amt für Innere Mission bestand ein Arbeitskreis für Volksmission (später : Abteilung für Volksmission),383 in welchen der Volksmissionskreis aufgenommen war – zugleich ein Beispiel für ausgeprägte Parallelstrukturen zwischen Landeskirchenamt und Innerer Mission.384 Seit Gründung dieses Arbeitskreises existierte dieser auch, wohl eher informell, in Regionalgruppen in einzelnen Kirchenbezirken.385 Das Landeskirchliche Amt für Innere Mission bestimmte bzw. erfasste ab 1948 für alle Kirchenbezirke Beauftragte für Volksmission, zu denen hin und wieder einzelne Pfarrer des Volksmissionskreises gehörten.386 Für die Ephorie Schneeberg lässt sich feststellen, dass vier von fünf Teilnehmern des regionalen Arbeitskreises zu den Mitarbeitern des Volksmissionskreises Sachsen gehörten. Gerhard Küttner leitete den Schneeberger Arbeitskreis als »Vertrauensmann«. Dies führte allerdings dazu, 1948 fälschlicherweise für den landeskirchlichen Ephoralbeauftragten für Volksmission in Schneeberg gehalten worden zu sein.387 Bei der ans Landeskirchliche Amt für Innere Mission angegliederten und von Pfarrer Helmut Wielepp koordinierten Reisemannschaft im Evangelisationsdienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens war Rudolf Fischer 1959 für ein knappes Jahr fest angestellt.388 Seit Mitte 1949 waren immer wieder Personen aus

383 Zur Gründung des Arbeitskreises für Volksmission vgl. Brief von Pfr. Kurt Heiland, Zschocken, 10. 05. 1946, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.II.k.V.16/ 2. 384 1950 wurde das Verhältnis der IM-Abteilung für Volksmission zur LKA-Kammer für Volksmission im Blick auf Kompetenzverteilungen diskutiert und festgehalten, »daß die Kammer für Volksmission als lose Arbeitsgemeinschaft aller an der Volksmission in Sachsen Beteiligten bestehen bleibt, daß aber zum eigentlichen Träger der Arbeit die Abteilung für Volksmission beim Landeskirchlichen Amt für Innere Mission gemacht wird«, Protokoll über die Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses am 16. 10. 1950, Radebeul, in: A.II.b.2.1849, 87–89, hier 87f. 385 Vgl. Brief von Pfr. Kurt Heiland, Zschocken, 18. 06. 1946, an die Herren Mitglieder des Arbeits- und Gebetskreises für Volksmission in der Ephorie Schneeberg, Pfr. Küttner, Sosa/ Pfr. Ehrlich, Eibenstock/Pfr. Wolff, Grünhain/Pfr. Prehn, Lauter/Pfr. Ruff, Pöhla, in: A.I.c.876. 386 Vgl. Verzeichnis der Ephoralbeauftragten für Volksmission des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission und der haupt- und nebenamtlichen Volksmissionare [ohne Datum, vor 1955], z. B. in: A.I.b.1152; A.II.g.Ev. 387 Vgl. Brief von Sup. Ringulf Siegmund, Aue, 21. 05. 1946, an Pfr. Kurt Heiland, Zschocken, in: A.II.k.V.16/2; vgl. Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 28. 09. 1948, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876; vgl. Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 28. 09. 1948, an Pfr. Ernst Ehrlich, Stadtmission Dresden, in: A.II.k.V.16/2. 388 Vgl. Rundbrief der Reisemannschaft im Evangelisationsdienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Gerhard Fischer/Rudolf Fischer/Pfr. Friedrich Ihle/Pfr. Helmut Wielepp, Radebeul, 24. 02. 1959, in: A.I.g.T1309. Zum Ende des Dienstes vgl. Rundbrief von Pfr. Helmut

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Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

den Reihen des Volkmissionskreises beim Landeskirchlichen Amt für Innere Mission angestellt. Im Falle von Dr. Siegfried Stark, Dresden, wurde ein solches Anstellungsverhältnis direkt für seine Mitarbeit im Volksmissionskreis formuliert389 – und das, obwohl man im Kreis nicht müde wurde, immer wieder die Beteuerung zu äußern, keine institutionellen Formen anzunehmen.390 Auf den volksmissionarischen Einsätzen der landeskirchlichen Reisemannschaft konnte das Proprium des Volksmissionskreises Sachsen zum Tragen kommen.391 In den diakonisch ausgerichteten Ephoralausschüssen für Innere Mission und Hilfswerk waren Mitglieder des Volksmissionskreises Sachsen aktiv.392 Auch in der Bergbaudiakonie bzw. Bergarbeitermission,393 in den Gemeindediakonien der Kirchgemeinden oder auch am Diakonissenhaus in Borsdorf, welches von 1957 bis 2002 von Pfarrern des Volksmissionskreises Sachsen geleitet wurde (vgl. 5.4.1) und schon Ende der 1930er Jahre ein Kristallisationspunkt der Oxford-Gruppenbewegung war (1.4.2), zeigt sich die Mitarbeit des Volksmissionskreises.

2.4.3 Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge und die Diskussion um Kinderbeichte Beim noch neuen Institut für Seelsorgekunde der Inneren Mission wurde 1950 die Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge gegründet. Die wurde durch die

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Wielepp, Reisemannschaft im Evangelisationsdienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Radebeul, 17. 08. 1959, in: A.I.b.1152. Vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 05. 1949, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, OKR Dr. Walter Schadeberg, Radebeul, in: A.III.a.bis1949; vgl. auch Brief von Pfr. Ernst Ehrlich, Dresden, 13. 12. 1949, an den Ev.-Luth. Kirchenvorstand zu Sosa, in: A.I.c.876. Vgl. z. B. Hans Prehn in: VMK (Hg.), Freundesbrief 08/1951, in: A.I.p.306. Dies zeigt z. B. der aus dem Volksmissionskreis wörtlich bekannte Vortragstitel »Gibt es noch glückliche Ehen?«, in: [Ablaufplan] Volksmissionswoche in der Kirchgemeinde Döbeln, Ev.-Luth. Kirchenvorstand zu Döbeln, Pfr. Erich Bodenstein, in: A.I.g.T1309; vgl. dazu Bericht über die Volksmissionswoche der Kirchgemeinde Döbeln, 25.06.–02. 07. 1959, Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, 04. 07. 1959, in: a. a. O. Vgl. Brief von OKR Dr. Walter Schadeberg, Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 25. 05. 1949, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: A.III.a.bis1949 (Mitgliedschaft Rudolf Fischers im Ausschuss Leisnig); vgl. Brief der Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, 27. 08. 1963, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.K33 (Pfr. Helmut Günnel ist Geschäftsführer des Ausschusses Schneeberg/Aue). In der Bergarbeitermission, welche von der Inneren Mission und der Kammer für Volksmission beim LKA organisiert wurde (vgl. A.II.b.2.1517, 24), arbeiteten Christa Heun und Ilse Wolfram auf dem Gebiet der Schriftenmission mit (vgl. A.II.b.2.1511, 10). Heun warb für Verwendung der Postkarten der Volksmissionsbuchhandlung.

Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche

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Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen maßgeblich geprägt. Der Freund und Mitarbeiter des Volksmissionskreises Sachsen, Pfarrer Hans Wolff aus Limbach, der vor dem Krieg in einem Sittlichkeitsverein engagiert war,394 leitete die Arbeitsgemeinschaft.395 Dieser Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge kam eine gewisse Öffentlichkeitswirkung zu, als in den Jahren 1952/53 durch die Praxis des Volksmissionskreises eine Diskussion in der sächsischen Landeskirche ausgelöst wurde: Nicht selten riefen Mitarbeiter des Volksmissionskreises, etwa im Rahmen einer Evangelisation, zur Beichte bzw. seelsorgerlichen Aussprache mit einem Pfarrer oder Evangelisten auf. Dabei wurden nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder – in der Regel im Konfirmanden- bzw. Vorkonfirmandenalter –396 angesprochen. Auslöser der Diskussion waren 1952 eine Kirchenkreisevangelisation in Großenhain sowie eine Evangelisation in der Auenkirche MarkkleebergOst (Pfarrer Martin Keil):397 Die Aufforderung zur Beichte war offenbar mit Themen der Sexualität verbunden, welche wohl auch Gegenstand im Beichtgespräch sein sollten (vgl. unter 8.2.3). In Markkleeberg wurden einige Kinder von der Aufforderung zur Beichte verunsichert. Sie berichteten ihren Eltern, sodass es zu Beschwerden kam.398 In der Folge wies das Landeskirchenamt (Kammer für Volksmission, Gottfried Knospe) darauf hin, dass »Kinderbeichte« nur legitim sei, wenn Kinder aus eigenem Antrieb die Beichte suchten. Zugleich wurde beschlossen, den Aufruf 394 Vgl. Brief von R[udolf ?] L[euschring?], Heidenau, 25. 09. 1935, an Pfr. Ernst Ehrlich, Sosa, in: A.I.c.178. 395 Vgl. Auszug aus dem Jahresbericht 1950/51 des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, OKR von Brück, Dresden, 10. 04. 1951, in: A.II.k.I8. Das Institut für Seelsorgekunde der Inneren Mission wurde in den Nachkriegsjahren eingerichtet, vgl. Schadeberg, Jahresbericht 1948/49, 18. Vgl. eine Mitarbeiterliste der Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge von 1952 in: A.II.b.2. 1802, 80. 396 Kinderbeichte wird zu der Zeit v. a. Konfirmandenbeichte meinen, anders im röm.-kath. Bereich, wo sie auf die Beichte der Erstkommunikanten bezogen ist. 397 Vgl. Aktennotiz der Kammer für Volksmission, OKR Ulrich von Brück, Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, 16. 04. 1952, in: A.II.a.402/1; Brief von OLKR Gottfried Knospe, Dresden, 25. 09. 1952, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Abteilung Volksmission, Radebeul, in: A.II.a.401/7. Die Evangelisation in Großenhain wurde von Helmut Wolf, Rudolf Leuschring und Alfred Saager durchgeführt, in Markkleeberg von Ewald Ehrler und Helmut Wolf. Vgl. als weiteres Beispiel eine Evangelisation von Ewald Ehrler und Ilse Wolfram in Kreischa (Bericht anlässlich der Großen Visitation am 17. 04. 1955 in Kreischa, Pfr. Otto Herbert, in: A.I.m.1.1.5.Nr. 1). 398 In Markkleeberg sollen etwa 100 Kinder durch die Evangelisten zur Beichte aufgefordert worden sein, dem ca. 60 Kinder Folge hätten. Von ca. 4 Kindern wird Verunsicherung berichtet. Vgl. Aktennotiz der Kammer für Volksmission, OKR Ulrich von Brück, Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, 16. 04. 1952, in: A.II.a.402/1. Ein Gespräch zwischen Landesbischof Hugo Hahn und Pfr. Hans Prehn sowie Pfr. Heinrich Leuteritz folgte, vgl. Brief von OLKR Gottfried Knospe, Dresden, 15. 04. 1953, an Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, in: A.II.b.2.1802, 63.

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Gründung und Etablierung des Volksmissionskreises Sachsen

zur Beichte an Kinder bei Kirchenkreis-evangelisationen zu verbieten. Jedoch wurde diese Praxis des Volksmissionskreises nicht generell untersagt. Führende Personen des Kreises wandten sich gegen die Ansicht, dass Kinder nicht zur Beichte aufgefordert werden sollten. Die Diskussion um Kinderbeichte hat dazu geführt, dass drei Mitarbeiter des Volksmissionskreises nicht zur landeskirchlichen Ausbildung für Volksmissionare zugelassen wurden.399 Zur inhaltlichen Klärung der Thematik richtete das Landeskirchenamt einen vorrübergehenden Arbeitskreis für Sexualethik bzw. Sexualseelsorge ein.400 Dieser existierte unabhängig von der Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge der Inneren Mission, an welcher der Volksmissionskreis beteiligt war. Der Arbeitskreis des Landeskirchenamtes erarbeitete »Grundsätze zur Kinderbeichte« als offizielle Stellungnahme, die sich kritisch zur Kinderbeichte positionierten.401 Aber auch die Arbeitsgemeinschaft für Sexualseelsorge der Inneren Mission beschäftige sich mit der Thematik christlicher Sexualerziehung und mit Kinderbeichte. Mindestens aufgrund der personellen Verbindungen zwischen der Arbeitsgemeinschaft und dem Volksmissionskreis Sachsen (in persona Hans Wolff, Ilse Wolfram) wurde vonseiten der Arbeitsgemeinschaft jedoch keine Kritik an der Kinderbeichte geäußert. Vielmehr bezeugt das 1953 vom Volksmissionskreis publizierte Heftchen »Ist Reinheit Unsinn?« ein Vertrauensverhältnis zwischen Innerer Mission und Volksmissionskreis, denn am Ende dieses Heftes werden die Leser im Falle weiterer Fragen auf zwei vertrauenswürdige Ansprechpartner verwiesen – nämlich sowohl auf die Arbeitsgemeinschaft als auch auf den Volksmissionskreis.402

399 Vgl. Brief von OLKR Gottfried Knospe, Dresden, 25. 09. 1952, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Abteilung Volksmission, Radebeul, in: A.II.a.401/7; vgl. Aktennotiz der Kammer für Volksmission, OKR Ulrich von Brück, Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, 16. 04. 1952, in: A.II.a.402/1: »Evangelisten, die die Kinderbeichte nicht meinen lassen zu können, sollen nicht zugelassen werden.« 400 Vgl. dazu die Dokumentation in A.II.b.2.1802, 57.59–69.80; vgl. Aktennotiz von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, vermutl. Juni 1952, in: A.II.a.404/8/Bd2. 401 Grundsätze zur Kinderbeichte, in: A.II.b.2.1802, 134f; auch in: A.II.e.2509; A.III.a.1950– 1953. 402 Vgl. Ist Reinheit Unsinn?, 12.

Mitarbeit des Volksmissionskreises Sachsen in der sächsischen Landeskirche

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2.4.4 Stellungnahmen im Zusammenhang der Neuformulierung der landeskirchlichen Konfirmationsordnung 1949 Der Text »Wort des Volksmissionskreises zur Konfirmationsfrage« Als 1949 das Landeskirchenamt Sachsens im Zuge der Neuformulierung der Konfirmationsordnung403 die Kirchgemeinden aufrief, Stellungnahmen zum theologischen Verständnis und zur Praxis der Konfirmation einzureichen, nutzte der Volksmissionskreis Sachsen die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Dieses wurde von Pfarrer Gerhard Michael verfasst und von 16 weiteren Pfarrern des Kreises unterzeichnet.404 In dem Text kritisiert der Kreis die Volkskirche, welche landläufig einer »neutestamentlichen« Gemeindesituation entbehre. Eine dem Neuen Testament entsprechende Gemeinde entstünde aus Christen mit bewussten persönlichen Christusentscheidungen und sei im Unterschied zur Volkskirche die »kleine Herde«. Entsprechend wird die These aufgestellt: »Volkskirche ist nicht Gemeinde«. Denn nicht aufgrund der Taufe, sondern allein aufgrund der bewussten Hinwendung zu Christus (Bekehrung) könne der Heilige Geist empfangen werden – was von Taufe und Konfirmation unabhängig zu sehen sei. Eine solche Spitzenaussage wird im Volksmissionskreis später noch umstritten sein, allerdings auch wiederkehren. Und man wird beachten müssen, dass der Verfasser dieses Textes, Gerhard Michael, sich einige Jahre später wiedertaufen lassen und somit eine Randstellung im Volksmissionskreis einnehmen wird (siehe 3.4). Jetzt freilich ist diese Haltung einzuordnen in eine pietistische, volksmissionarisch motivierte Erweckungsfrömmigkeit, welche späteren charismatischen Themen (Geisttaufe, Vollmacht, Taufe und Charisma etc.) bereits den Weg bereitet. Im Bereich der Volksmission ist die Kritik an der volkskirchlichen Konfirmation nicht neu: Bereits Johann Hinrich Wichern hatte betont, dass die »ganze Welt jener der Kirche Entfremdeten […] nichts anderes als die Masse der Konfirmierten« sei. Daher hatte er eine Reformation der Konfirmationspraxis gefordert, da die Kirche sonst »an ihrem eigenen Untergang« arbeiten würde.405 Aus der Stellungnahme des Volksmissionkreises werden folgende Praxis403 Vgl. Konfirmationsordnung vom 14. 12. 1949 in: ABlEVLKS 1/1949, A68f. 404 Vgl. Wort des Volksmissionskreises zur Konfirmationsfrage, Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, in: A.II.b.1797, 23f; auch in: A.III.a.bis1949, dort die folgenden Zit. Vgl. Anschreiben von Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Lauter, 17. 03. 1949, in: A.III.a.bis1949. Wahrscheinlich fehlerhaft weist Hans Prehn darauf hin, dass die Stellungnahme von Gerhard Küttner verfasst worden sei; es wird sich wohl um einen Schreibfehler handeln, vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 27. 02. 1949, an Pfarrer, in: A.III.a.bis.1949. 405 Wichern, Werke, Bd. III/Teil 2, 164f. Vgl. auch den Ausspruch Claus Harms’: »Wer nicht konfirmiert ist, ehe er konfirmiert wird, der wird schwerlich konfirmiert werden, wenn er konfirmiert wird«, ders., Schriften und Predigten, 71.

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vorschläge für eine neue landeskirchliche Konfirmationsordnung unterbereitet: Die Konfirmation solle von einem Bekenntnis- und Gelübdeakt406 gelöst werden und nur noch in Form einer Abschlussprüfung im Rahmen eines Gottesdienstes erfolgen. Sie habe die Aufgabe, in die Junge Gemeinde zu überführen. Ein öffentliches Bekenntnis müsse unabhängig von der Konfirmation vollzogen werden, und zwar dann, wenn eine Person, gleich welchen Alters, eine persönliche Christusentscheidung getroffen und eine bewusste Lebensübergabe vollzogen hat. Der angemessene Ort dieses Bekenntnisaktes sei ein jährlicher Gemeindegottesdienst, wo die jeweiligen Personen ihre Entscheidung bezeugen und daraufhin ihre kirchlichen Rechte407 übertragen bekommen würden. Die pastorale und pädagogische Gemeindearbeit müsse grundsätzlich auf persönliche Christusentscheidungen und die Erneuerung der Privatbeichte hinarbeiten. Interpretation des Textes Dieser Vorschlag des Volksmissionskreises Sachsen hat seine Bedeutung darin, dass er typische historische Entwicklungen der Konfirmationspraxis widerspiegelt. Zunächst fällt auf, dass der Vorschlag, die Konfirmation in zwei gottesdienstliche Handlungen aufzugliedern, keine Entdeckung des Volksmissionskreises war. Formal hält sich der Text an die geltende agendarische Ordnung, nach welcher die Konfirmation aus zwei liturgischen Handlungen zusammengesetzt ist: Die Prüfung der Konfirmanden und die Einsegnung der Konfirmanden sind zwei einzelne gottesdienstliche Vollzüge, die zusammen die Konfirmation bilden.408 Dabei stellt die Einsegnung die eigentliche konfirmierende 406 Unter Bekenntnis (confessio) ist das Sprechen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses durch die Konfirmanden und ggf. deren Zustimmung zum Katechismus zu verstehen. Gelübde bzw. Gelöbnis (professio) bedeutet seinerzeit die Verpflichtung der Konfirmanden zum Glaubensgehorsam (Versprechen des Willens zur Gemeinde und zum Gehorsam gegen die / in der Kirche). Zum Gelübde vgl. Mahrenholz, Begleitwort, 26.30–32. Seinerzeit war in Sachsen folgende Form für Bekenntnis und Gelöbnis vorgesehen: »I. Wollt ihr euch zu diesem Glauben an Gott den Vater, Sohn und heiligen Geist vor Gott und Menschen bekennen? so antwortet: Ja. Konfirmanden: Ja. II. Wollt ihr euch ernstlich mühen, solchem Glauben gemäß zu wandeln, der Sünde abzusagen und euerm Heiland nachzufolgen? so antwortet: Ja. Konfirmanden: Ja. III. Und wollt ihr auch, damit ihr solches vermöget, anhalten zum Gebet, zu Gottes Wort und Tisch euch fleißig halten und also mit Gottes Hilfe als treue Glieder unsrer evangelisch-lutherischen Kirche euch erweisen? so antwortet: Ja. Konfirmanden: Ja. […] So tretet nun zum Altar und bekräftigt, was ihr alle zusammen bekannt und gelobt habt, nun einzeln durch feierlichen Handschlag […]«, Agende. Zweiter Teil, 42f (Hervorhebungen im Text). 407 Befähigung zu Patenamt, Trauung, Bestattung etc., üblicherweise auch Teilnahme am Abendmahl, vgl. z. B. Konfirmationsordnung vom 14. 12. 1949 in: ABlEVLKS 1/1949, A68. 408 Wobei die beiden Handlungen in auch einem einzigen Gottesdienst stattfinden können.

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Handlung dar. Inhaltlich radikalisiert der Text diese Zweigliedrigkeit, indem die beiden liturgischen Handlungen zeitlich (und zwar auf unbestimmte Zeit) voneinander entfernt werden. Durch diese Aufdehnung werden zwei wesentliche Bedeutungen der Konfirmation voneinander getrennt: Auf der einen Seite steht das Passageritual, auf der anderen der Bekenntnisakt. Das Passageritual, das die Konfirmation als Lebenswendefeier kennzeichnet, bleibt in Form der Konfirmandenprüfung erhalten. Diese gottesdienstliche Handlung ist weiter an das traditionelle Lebensalter der Konfirmanden geknüpft. Sie schließt den Glaubensunterricht ab und leitet in die Junge Gemeinde über. Dennoch beendet sie nicht das postbaptismale Katechumenat, das mit der Taufe eines Kindes begonnen hat und mit der vollen Übertragung der kirchlichen Rechte endet. Auf der anderen Seite steht der Bekenntisakt. Diese zweite gottesdienstliche Feier widmet sich dem Text zufolge der individuellen Christusentscheidung. Formal ist sie eine Zeugnisveranstaltung nach pietistischem bzw. Oxforder Vorbild, in der vor der Gemeinde von der persönlichen Bekehrung berichtet wird.409 Die persönliche Glaubensentscheidung wird öffentlich bezeugt und mit der Übertragung der kirchlichen Rechte beantwortet. Bekenntnis und Bezeugung kommen ohne das herkömmliche Konfirmationsgelübde aus. Diese gottesdienstliche Handlung findet gemäß ihrer individuellen Ausrichtung nicht in einem vorgegebenen Lebensalter, sondern in je unterschiedlichen biographischen Situationen statt. Sie bildet den Abschluss des postbaptismalen Katechumenats. Durch den zeitlichen Abstand der beiden liturgischen Handlungen werden diese nicht nur voneinander entfernt, sondern auch getrennt. Sie dehnen die eigentliche Konfirmation nicht allein aus, sondern spalten sie praktisch auf, da den beiden Handlungen unterschiedliche biographische, soziokulturelle und kirchlich-rechtliche Wertigkeiten und Bewertungen zukommen. Der jeweilige Fokus, den die einzelnen Personengruppen (Volksmissionskreis, Gemeinden, Konfirmanden, Glauben Bezeugende, Angehörige) auf diese Feiern legen, ist ebenfalls verschieden. Der Text lässt offen, welche der beiden Handlungen als Konfirmation bezeichnet werden soll und kann. Sicherlich würde die Bezeichnung »Konfirmation« mit dem Passageritual der Konfirmandenprüfung verbunden werden, da ihre Traditionsverhaftung praktisch nicht aufgegeben werden kann. Inhaltlich würde der Begriff aber eher auf die Bekenntnis- und Zeugnisfeier zutreffen, welche das postbaptismale Katechumenat abschließt. Vgl. Agende. Zweiter Teil, 36–48; so auch Agende. Band III, 97–111; Mahrenholz, Begleitwort, 34. 409 Dabei wird am Text nicht klar, ob die gottesdienstliche Zeugnisfeier auch die Wiedergabe des Apostolicum oder nur die persönliche Zeugnisrede enthält. Von der lutherischen liturgischen Verortung des Textes her wäre vom Credo als Bestandteil der Feier auszugehen.

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Hinter der Stellungnahme des Volksmissionskreises stehen Überlegungen, die auf eine Kirche derer zielen, »die mit Ernst Christen sein wollen«. Es wird gefordert, die Verleihung der kirchlichen Rechte und den Abschluss des Katechumenats nicht zu pauschalisieren, sondern zu individualisieren. Durch individuelle Entscheidung im Sinne der pietistischen Bekehrung und durch Entscheidungsbezeugung sollen mündige Kirchenglieder aufgenommen werden. Diese Überlegungen des Volksmissionskreises spiegeln deutlich seine Verankerung in der Bekennenden Kirche wider. Unter der Situation des Kirchenkampfes hatte die Orientierung am Kerngemeindemodell der Kirchlichen Volksmission in der BK dazu geführt, zwischen einer Volkskirche und einer Bekenntniskirche zu unterscheiden und die Glieder der Bekenntniskirche in eigenen Kreisen sammeln zu wollen. In diesem Sinne sollte auch die Konfirmation interpretiert werden: »Damals schien sich die Notwendigkeit zu ergeben, den Übergang aus dem ›status‹ der Volkskirche in den der Bekenntnis- oder Freiwilligkeitskirche durch eine Aufteilung der überkommenen Konfirmation in zwei Akte einzuleiten, nämlich in einen Akt der Segnung aller Getauften und in einen späteren Akt der freiwilligen Verpflichtung mit einem feierlichen und ausdrücklichen Gelübde zu einem Leben mit und in der Kirche.«410

Dahin gehen bereits Dietrich Bonhoeffers Überlegungen, die er in »Sanctorum Communio« geäußert hatte. Bonhoeffer löst das Bekenntnis von der Konfirmation ab und bindet die Abendmahlsteilnahme an das Bekenntnis. Die Kommunikanten sollen aus eigener Entscheidung die »Bekenner-« und »Freiwilligkeitsgemeinde« bilden.411 Die Konfirmation ist weder Bekenntnisfeier noch der Ort zur Übertragung der kirchlichen Rechte. Die BK verschärfte das pietistische Paradigma der Konfirmation. Dieses hatte der Konfirmation den Charakter des Bekehrungsbekenntnisses und des Gelöbnisses eines echten Lebens als Christ zugemessen. Die BK wollte nun das Bekenntnis um des Bekenntnisses willen von der Konfirmation lösen. Dadurch sollten die individuelle Authentizität der Glaubensentscheidung und Glaubensbezeugung gewährleistet und diese aus ihrer Traditionsverhaftung gelöst werden. Der Vorschlag des Volksmissionskreises steht in dieser bekennendkirchlichen Tradition. Er ordnet sich ein in die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die Konfirmation immer weniger vom Bekenntnis der Kon-

410 Niebergall, Zur Problematik des Konfirmationsgelübdes, 144; vgl. Mahrenholz, Begleitwort, 26f. 411 Vgl. Bonhoeffer, DBW 1, 165–167, Zit. 167; siehe auch unter 6.2.4.

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firmanden, sondern von deren Übergang in den Erwachsenenstatus her als Passageritual verstanden wurde.412 Außerdem kommt dem Text zufolge die Konfirmation413 ohne das pietistische Konfirmationsgelübde aus. Damit entspricht der Volksmissionskreis den seinerzeitigen liturgischen Neuformulierungen, die das Gelübde abschaffen bzw. zu einer Willensbezeugung transformieren.414 Das Gelübde entfällt, das Bekenntnis bleibt, die Bedeutung als Lebenswendefeier wird verstärkt.

Weitere Wortmeldungen aus dem Umfeld des Volksmissionskreises Neben dieser Stellungnahme des Volksmissionskreises Sachsen sind beim Dresdner Landeskirchenamt weitere Wortmeldungen von Kirchgemeinden oder Pfarrkonventen eingegangen, unter denen sich auch Pfarrer bzw. Gemeinden des Volksmissionskreises beteiligt haben. Die Beiträge aus den Reihen des Volksmissionskreises weisen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu dessen offizieller Stellungnahme auf. So betont der Kirchenvorstand zu Etzdorf b. Roßwein mit Pfarrer Erich Leopold – eine Gemeinde, welche eher geringe Kontakte zum Volksmissionskreis aufweist –415, dass die Konfirmationshandlung unbedingt mit Gelübde stattfinden müsse. Aufgrund der Problematik volkskirchlicher Existenz müsse aber eine gesamtkirchliche Erneuerung forciert werden, die nur durch den Gemeindeaufbau mit einer »treuen Kerngemeinde« auf Dauer die Konfirmationsfrage lösen könne.416 Der Pfarrkonvent Roßwein-Hainichen unter der Federführung von Pfarrer Cornelius Kohl, Roßwein, hob die ritualpraktische Wichtigkeit der Konfirmation als Passageritual hervor, lehnte jedoch die Form eines Gelübdes zugunsten des Bekenntnisses ab und unterstrich, dass eine grundsätzliche Lösung nur 412 Das Bekenntnis wird freilich beibehalten, aber der Schwerpunkt der Feier verlagert. Vgl. Fehn, Konfirmations-Ordnungen, 121. 413 Dies gilt für jede der beiden vorgeschlagenen gottesdienstlichen Feiern. 414 In der in den 1950er Jahren erarbeiteten lutherischen Agende wird das Gelübde zu einer Willenserklärung bzw. einer Bezeugung transformiert: »Liebe Konfirmanden. Wollt ihr durch die Gnade Gottes in diesem Glauben bleiben und wachsen, so bezeuget das vor Gott und dieser Gemeinde und sprechet: Ja, durch Gottes Gnade«, Agende. Band III, 107; ähnlich auch Vorentwurf: Agende, Dritter Band, 53; vgl. Mahrenholz, Begleitwort, 34. 415 Zu notieren wäre allein, dass Etzdorf 1951 von Ewald Ehrler besucht wurde (vgl. VMK (Hg.), Freundesbrief 08/1951, in: A.I.p.306), Erich Leopold zu den Rundbriefempfängern des Volksmissionskreises gehörte (vgl. Anschriften der Rundbriefempfänger (Pfarrer), 11/ 1951, in: A.III.a.1955) und einzelne Gemeindeglieder an den Tagungen des Kreises teilnahmen (vgl. Tagungsteilnehmer Männertagung Crimmitschau vom 21.–25. 05. 1952, in: A.I.p.306). 416 Brief des Ev.-Luth. Kirchenvorstandes zu Etzdorf, Pfr. Erich Leopold, Etzdorf, 15. 10. 1949, an die Ev.-Luth. Landessynode, Dresden, in: A.II.b.2.463, 51.

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durch die geistliche Erneuerung von Gemeinden und Pfarrern erreicht werden könne.417 Für den Löbauer Konvent verfasste Pfarrer Kurt Jelen, Kittlitz, einen Aufsatz, welcher sich ganz eng an die Stellungnahme des Volksmissionskreises anschloss und außerdem eine Kerngemeinde wünschte, die volksmissionarisch in der Gemeinde aufbauend arbeite.418 Ganz übereinstimmend äußerte sich auch die Kirchgemeinde Lawalde, namentlich Pfarrer Pietsch, mit dem Hinweis, dass die Verleihung kirchlicher Rechte von der Konfirmation zu lösen und an eine persönliche Beichte beim Pfarrer zu knüpfen sei.419 Diese beiden letzten Erklärungen wollen die Konfirmation grundsätzlich als einen Prozess (lebenslange Tauferneuerung), nicht als punktuelle rituelle Handlung verstanden wissen.

417 Vgl. Bericht über die Konfirmationsfrage, Pfarrkonvent Roßwein-Hainichen, Pfr. Cornelius Kohl, in: A.II.b.2.1800, 30f. 418 Vgl. Entwurf einer Neuordnung der Konfirmationspraxis der Evang.-luth. Kirche im Auftrage des Löbauer Pfarrkonventes verfaßt von Pfr. Kurt Th. Jelen, Kittlitz, in: A.II.b.2.1799, 181–184. 419 Vgl. Brief der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Lawalde, Pfr. Pietsch, Lawalde, 25. 02. 1949, an die Ev.-Luth. Superintendentur Löbau, in: A.II.b.2.1799, 191.

3

Erwartung des Heiligen Geistes. Entdeckung der Charismen und apostolische Frömmigkeitseinflüsse

3.1

Sehnsucht nach einem Geist-Frühling und Kontakte zu Otto Siegfried von Bibra

3.1.1 »Der volle Pfingstsegen«. Charismatische Spiritualität vor dem charismatischen Aufbruch Seit dem Ende der 1940er Jahre verdichtete sich im Volksmissionskreis Sachsen die Erwartung eines Frühlings des Heiligen Geistes. Die Sehnsucht nach der vollen Wirkung des Geistes, nach Heiligung und Vollmacht, nach Geistesgaben, nach charismatischer Ausrüstung im eschatologischen Noch-nicht prägte die aus der Erweckungs- und Heiligungsbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangenen Strömungen, Gemeinschaften und Kirchen, zu denen zum Beispiel weite Teile des landeskirchlichen Pietismus, die katholisch-apostolische Kirche, die Pfingstbewegung oder auch die Oxford-Gruppenbewegung gehören. Das Verlangen nach einer Ausgießung des Heiligen Geistes auf Individuum und Gemeinschaft, nach Heiligung des Lebens und vollmächtigem Sieg über Sünden kulminieren in diesen Gruppen. In unterschiedlichen Artikulationen äußert sich darin die dahinter stehende Sehnsucht nach der vom Geist gestalteten, reinen endzeitlichen Brautgemeinde und damit der Wunsch, selbst zu ihr zu gehören. Wie müsste aber die reine Braut (vgl. Eph 5,27) beschaffen sein? Wie könnte ein Christ, eine Gemeinschaft oder Kirche dem Ideal einer neutestamentlichen Gemeinde am nächsten kommen oder diesem gar entsprechen? Welche geistlichen Lebensformen, welche Strukturen und Ämter müssten zur Wirklichwerdung der eschatologischen Gemeinde des Heiligen Geistes zum Tragen kommen? Solche und ähnliche Fragen, die in unterschiedlichen Spielarten die Erwartung des Pfingstgeistes nährten, wurden in der erwecklichen Gemeinschaft des Volksmissionskreises Sachsen über Jahre bewegt. Die folgenden Beispiele geben

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Erwartung des Heiligen Geistes

anhand von Tagungsthemen, Rundbriefen und Predigten den Diskussionsgehalt jener Jahre wieder. Tagungen, Rundbriefe, Predigten Im Frühjahr 1948 traf man sich in Bad Lausick unter dem Thema »5 Stufen zum Empfang des Heiligen Geistes«.420 »Der volle Pfingstsegen« wollte empfangen, bewahrt und vermehrt werden – dies war Thema auf einer Tagung in Lichtenstein im Mai 1953, zu der unter Eph 5,18: »lasst euch vom Geist erfüllen«, eingeladen wurde.421 Für ein vorhergehendes Treffen in Limmritz im Oktober 1952 wurden sprechende Themen und Referenten verteilt:422 »Werdet voll Geistes« (Gerhard Küttner), »Dämonie« (Ewald Ehrler), »Glaubensheilung« (Rudolf Fischer oder Horst Webers) sowie die »Tauffrage« (Cornelius Kohl oder Gerhard Bahrmann). Die Unsicherheiten in der Tauftheologie (Verhältnis von Taufe, Bekehrung, Geistempfang), wie sie etwa 1949 in der Konfirmationsdiskussion zum Ausdruck gekommen waren, sollten hier bedacht werden. Diese Themen greifen typische Gegenstände pfingstlich-charismatischer Theologie auf, aber sie sind nicht neu. Schon 1941 hatte Gerhard Küttner über Erfüllung mit dem Heiligen Geist, über »Leitung des Geistes« und einen Frühling423 sowie über »Geistestaufe«424 gepredigt. Immer waren diese Themen mit dem Nachdenken über die Kirche verbunden, in der und für die man eine Ausgießung des Geistes Gottes ersehnte. Trotz unterschiedlicher theologischer Schattierungen war das Gros der führenden Mitarbeiter des Volksmissionskreises darin einig, dass die Volkskirche nicht die neutestamentliche bzw. charismatische Gemeinde sei.425 In der Volkskirche brauche es geisterfüllte Mitarbeiter, durch deren Dienst die neutestamentliche Gemeinde wachsen könne:

420 »Rüstzeit Bad Lausick 30. März – 1. April, Thema: 5 Stufen zum Empfang des Heiligen Geistes, Teilnehmer : 20«, Veranstaltungsübersicht 1948, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a. bis1949. 421 Arbeitsplan für Lichtenstein vom 29. bis 31. Mai 1953. Der volle Pfingstsegen, Rudolf Fischer in: A.III.a.1950–1953. 422 Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 18. 09. 1952, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: A.III.a.1950–1953. 423 Predigt über Apg 2,1–13, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, Pfingsten 1941, in: A.I.c.152. 424 Predigt über Joh 3,1–15, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, Trinitatis 1941, in: A.I.c.152. Ohne die Geisttaufe könnten die Gaben der Taufe nicht angeeignet werden. 425 Vgl. VMK (Hg.), Rundbrief 02/1954, Rudolf Fischer [enth. Mitschriften von Vorträgen Werner de Boors durch Christa Heun], in: A.I.p.306.

Sehnsucht nach einem Geist-Frühling und Kontakte zu Otto Siegfried von Bibra

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»Wir brauchen urchristliche Lebensformen, wir suchen nach schlichten, lebendigen Jesusjüngern. Eine Welt, die von Dämonen umgetrieben wird, sehnt sich nach den Boten des Hlg. Geistes, die mit Vollmacht ausgerüstet sind«.426

Man diskutierte über die Größe der ersehnten urchristlichen charismatischen Gemeinde: Müsste man sich darunter die »kleine Herde« vorstellen oder aber vielmehr eine repräsentativ-wachsende Größenordnung erwarten?427 Beginnen müsse es auf jeden Fall mit der kleinen Herde, einer aus Buße entstehenden Gemeinschaft, welche vom »Feuer des Heiligen Geistes« ergriffen ist. Dies sei die Voraussetzung für eine Erweckung, so Hans Prehn (vgl. 8.2.2).428 Die Fragen nach dem vollen Wirksamwerden des Heiligen Geistes in der Gemeinde, nach dem Leben aus dem Geist und seinen Gaben ließen nicht selten das Gespräch über die sogenannten außerordentlichen Charismen der Glossolalie, der Prophetie und der Krankenheilung aufkommen. Zwar formulierte man in jenen Jahren eher den Wunsch nach Charismen statt Erfahrungsberichte über Charismen, gleichwohl sind solche Berichte auffindbar.429 Zur Häufung des Themas in den 1950er Jahren gehört auch, dass Hans Prehn einmal bemerkte, der Mitarbeiter Karl Klenner solle sich »mit seiner besonderen Botschaft der Krankenheilung« zurückhalten.430 Gerhard Bahrmann Die Entwicklung von charismatischen Themen lässt sich beispielsweise an Texten von Gerhard Bahrmann (1886–1994) nachvollziehen. Durch die Innere Mission und Kirchliche Volksmission der 1920er Jahre geprägt (Gastgewerbemission431; Kandidatendienst in Bethel, vgl. 1.2.2), ab den 1930ern von der

426 Freundesbrief von Pfr. Erich Schumann, Pfingsten 1948, in: A.I.c.876. 427 Zum Stichwort »kleine Herde« vgl. Wort des Volksmissionskreises zur Konfirmationsfrage, Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, in: A.II.b.1797, 23f und A.III.a.bis1949. Erich Schumann betonte, dass die erweckliche Gemeinde gerade nicht die kleine Herde sei, vgl. Freundesbrief von Pfr. Erich Schumann, Pfingsten 1948, in: A.I.c.876. 428 VMK (Hg.), Rundbrief 01. 06. 1953, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1950–1953. 429 Vgl. [Aufsatz] Volksmission auf neuen Wegen, Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2; VMK (Hg.), Rundbrief 02/1954, Rudolf Fischer [enth. Mitschriften von Vorträgen Werner de Boors durch Christa Heun], in: A.I.p.306; Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften, Pfr. Gerhard Bahrmann, [vermutl. 1952/53], in: A.III.a.1950–1953 (siehe 6.2.2); Ritter, Sein Wort ist wahr, 263f; vgl. [Bericht an die Stadtmission Chemnitz] Dienstreisen Sosa, Dresden-Bühlau und Radebeul, Horst Webers, Chemnitz, 05. 04. 1952, in: A.II.a.404/2. 430 Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 29. 09. 1953, an Rudolf Fischer, Limmritz, in: A.III.a.1950–1953. 431 1922–1924 arbeitete Gerhard Bahrmann als Sekretär des Christlichen Bundes für Gasthausangestellte Berlin (»Kellnermission«, heute Berliner Gasthausmission) und veröf-

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Erwartung des Heiligen Geistes

Oxford-Gruppenbewegung beeinflusst und seitdem Mitarbeiter des Volksmissionskreises, verstand Bahrmann sich selbst als kirchlich-volksmissionarischen Lutheraner, der in seinen Texten lutherische Rechtgläubigkeit mit erwecklicher Innovation verbinden wollte. Aufgrund seiner häufigen volksmissionarischen Aktivitäten hatte Bahrmann das Dresdner Landeskirchenamt um eine ordentliche Beauftragung als Volksmissionar gebeten – und als Begründung dafür seine charismatische Gabe angeführt.432 Dieser Bitte ist offensichtlich nicht entsprochen worden und das Anliegen scheint später nicht mehr verfolgt worden zu sein. Noch bis in die Mitte der 1950er Jahre – bis ihn Gerhard Küttner in dieser Rolle endgültig ablöste –433 zählte Bahrmann zu den führenden theologischen Sprechern des jungen Volksmissionskreises Sachsen. In seinen Texten wünschte er den Lesern »die Fülle des Hl. Geistes & durchschlagende Vollmacht« (1946).434 Er verstand seinen pastoralen und volksmissionarischen Dienst als »charismatische Gabe« (1947)435 und bezeichnete das Allgemeine Priestertum aller Gläubigen als die »in Kraft des Hl. Geistes« zum »Zeugendienst« begabte »rechte Ergänzung des Predigtamtes« (siehe 6.1.2).436 Mögen diese Aussagen noch nicht allzu weit über einen etwas pfingstlich anmutenden Pietismus hinauszugehen scheinen, wird seine beginnende charismatische Theologie deutlicher erkennbar in dem Bericht »Volksmission Lützschena/Leipzig 1950«.437 Darin spricht Bahrmann von der Befreiung von dämonischen Bindungen im seelsorgerlichen Gespräch (siehe 7.2.5) und über leibliche Heilungen, die bei »vollmächtiger Seelsorge und Verkündigung« geschenkt würden, wobei im besprochenen Fall eine Heilung noch nicht eingetreten sei (vgl. 7.1.3).

Charismatische Spiritualität vor dem charismatischen Aufbruch Anhand der gezeigten Themen fällt auf, dass charismatische Theologie und Spiritualität den Volksmissionskreis Sachsen in einer Zeit bestimmen, in der von einer charismatischen Bewegung noch keine Rede sein kann – jedenfalls wenn,

432 433 434 435 436 437

fentlichte in der Zeitschrift »Der Bote. Wegweiser zur Pflege christlichen Lebens im Gastgewerbe«. Vgl. dazu Bahrmanns Erinnerungen in: ders., Zwei Jahre »Herr Kollege«. Vgl. Brief an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, OLKR lic. Samuel Kleemann, Dresden, von Pfr. Gerhard Bahrmann, Hermannsdorf, 14. 05. 1947, in: A.II.b.2.1181, 104. Vgl. dazu 4.5.2, Anm. 761. [Rundbrief] Schenk uns Waffen in den Krieg & und verleih uns stets den Sieg, Pfr. Gerhard Bahrmann, in: A.I.c.876. Siehe Anm. 432. Predigt über Joh 1,35–46, Zeugendienst – Die rechte Ergänzung des Predigtamtes, Pfr. Gerhard Bahrmann, Hermannsdorf, [vermutl. 1946], in: A.II.b.2,1181, 94f. [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/ 1950], in: A.II.b.2.1517, 1f, dort das folgende Zit.

Sehnsucht nach einem Geist-Frühling und Kontakte zu Otto Siegfried von Bibra

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wie in dieser Arbeit vorgesehen, der Terminus »charismatisch« für die pfingstlich-charismatische Theologie und Spiritualität innerhalb der Konfessionskirchen angewendet wird. Die charismatische Bewegung innerhalb der Landes- sowie den klassischen Freikirchen hatte sich erst am Anfang der 1960er Jahre verbreitet. Mit dem Volksmissionskreis liegt jedoch ein Phänomen vor, dass charismatische Merkmale bereits zwei Jahrzehnte früher zeigt. Da der Volksmissionskreis eindeutige historische und phänomenologische Bezüge zur späteren charismatischen Bewegung aufweist und diese in Sachsen sogar eine Zeit lang repräsentierte (vgl. Kap 4 und 5), ist er hinsichtlich der in diesem Kapitel untersuchten Phase als Prototyp charismatischer Spiritualität anzusehen. Den Volksmissionskreis als Prototyp charismatischer Spiritualität zu bezeichnen, nimmt wahr, dass eine solche Spiritualität in Sachsen bereits vor dem Aufbruch der weltweiten Bewegung existierte. Damit kommen die deutschen Wurzeln der charismatischen Bewegung in den Blick. Die weitere Untersuchung im vorliegenden Kapitel liefert einen Beitrag zur Erforschung dieser Wurzeln. Außerdem relativeren diese Beobachtungen die These Christof Ziemers, der im Zusammenhang der Studie »Charismatische Bewegung in den Kirchen der DDR« (1978/79) festgehalten hatte, dass von »einer charismatischen Bewegung […] in der DDR erst für die Zeit der siebziger Jahre gesprochen werden« kann.438 Mindestens im Blick auf Sachsen ist diese These zu revidieren. Ziemer war zu seiner These möglicherweise unter dem Eindruck der seinerzeit frischen sowie imponierenden charismatischen Jugendbewegung (Jesus People), welche die öffentliche Wahrnehmung der charismatischen Bewegung veränderte,439 sowie durch die Selbstdarstellung des Volksmissionskreises gelangt. Bis heute gehört es zu den im Volksmissionskreis am häufigsten ausgesprochenen Dementi, man sei nicht charismatisch,440 was am Protokoll eines Gespräches von Christof Ziemer und Johannes Berthold mit Hans Prehn erkennbar wird.441

438 Ziemer, Bewegung, 220. 439 Als die Jesus People am Beginn der 1970er Eingang in die deutsche innerkirchliche charismatische Bewegung fanden (siehe unter 5.1), veränderte sich das Gesicht der charismatischen Bewegung: Sie wurde nun als öffentlichkeitswirksame und internationale Gesamtbewegung wahrgenommen, was sie zuvor in den 1960er Jahren nicht hatte. Dennoch kann und muss von einer charismatischen Bewegung schon vor dieser Veränderung gesprochen werden und zwar auch für die DDR. 440 Ganz ähnlich wie Ziemer hatte Gudrun Janssen-Kloster dieses Phänomen zeitgenössisch eingeordnet – inhaltlich zurecht, doch ebenfalls in Übernahme von Selbstaussagen des Volksmissionskreises, was der letzte Halbsatz zeigt: »Obwohl sich an vielen Orten charismatisches Leben entwickelt hat, versteht sich der Volksmissionskreis nicht als charismatische Bewegung, sondern ist vielmehr um die lehrmäßige Einordnung und Bewältigung solcher charismatischer Erfahrungen bemüht«, dies., Geistliche Erneuerungsbewegungen in der DDR, 12.

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Erwartung des Heiligen Geistes

Die charismatische Spiritualität vor dem charismatischen Aufbruch und ihre Wurzeln, die den Volksmissionskreis Sachsen als Prototyp in den 1940er und 50er Jahren geprägt haben, ist Gegenstand der weiteren Untersuchung. Hierzu zählen zunächst die Kontakte zu Otto Siegfried von Bibra.

3.1.2 Otto Siegfried von Bibra: Referent des Volksmissionskreises Sachsen am Beispiel der Obercunnersdorfer Tagung Mai 1949 Die beginnende charismatische Spiritualität des Volksmissionskreises Sachsen der Nachkriegsjahre wurde wesentlich mitbestimmt durch die Theologie des fränkischen Pfarrers Otto Siegfried von Bibra (1914–1993). Durch die Lektüre seines Buches »Die Bevollmächtigten des Christus« (1947), das unter den Mitarbeitern des Volksmissionskreises offenbar auf regen Anklang stieß – und 1952 durch die Volksmissionsbuchhandlung in Lizenz verlegt wurde –, angeregt,442 organisierte man ein Treffen mit von Bibra im August 1948 in Chemnitz in Form einer Art Weiterbildung für die Volksmissions-Mannschaft, d. h. für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreises.443 Dies sollte sich für den weiteren Weg als ausgesprochen folgenreich erweisen, da von Bibra nun über Jahre als Referent auf Tagungen des Volksmissionskreises erschien. Waren Themen wie Erweckung, Glaubensgehorsam, Buße, Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes, Vollmacht etc. bereits vorbereitet und grundgelegt, erhielten diese durch von Bibras häufige Präsenz eine weitere Richtungsbestimmung. Anhand einer Tagung mit Otto Siegfried von Bibra in Obercunnersdorf b. Herrnhut (bei Pfarrer Heinz Leßmann444) im Mai 1949 lässt sich feststellen, wie die im Volksmissionskreis verankerte Erwartung des Pfingstgeistes mit der Botschaft von Bibras zusammenkamen. Diese Tagung des Volksmissionskreises Sachsens war die erste größere Begegnung mit von Bibra, der bei allen Arbeitsformen dieser Tagung (Zeugnis, Vortrag, Predigt) als Hauptredner agierte. 441 Vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer/Johannes Berthold mit Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 24.11.1977, in: A.III.d.Stepper3. 442 Vgl. dazu die Notiz von Horst Webers: »Ich danke an dieser Stelle Gott, daß ER mir durch […] das Buch von Bibra ›Die Bevollmächtigten des Christus‹ Licht geschenkt hat über entscheidende biblische Wahrheiten«, als die Webers nennt: Gabe des Hl. Geistes, Vollmacht zur Verkündigung, Buße, Taufe, Vergebung der Sünden, Bekennen, Beichte, in: Bericht über die Evangelisation in der Kirchgemeinde Markersbach 22.–30. 01. 1950 durch Volksmissionar Horst Webers von der Chemnitzer Stadtmission, in: A.II.b.2.1507, 40. 443 Vgl. Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 17. 07. 1948, in: A.I.c.876; hier sind alle eingeladenen Personen aufgelistet. Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 71. 444 Pfr. Heinz Leßmann (1903–1983; 1929–1975 Pfarrer in Obercunnersdorf) gehörte über Jahrzehnte zu den Freunden des Volksmissionskreises Sachsen. Zu den Daten vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Obercunnersdorf (Zugriff: 19. 11. 2013).

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Diese Tagung ist hervorragend dokumentiert in Form einer 20-seitigen Mitschrift der Vorträge und Gesprächsrunden.445 Von Bibras Beiträge während dieser Tagung beschäftigen sich vor allem mit dem Empfang des Heiligen Geistes bzw. der Erfüllung und Versiegelung mit dem Geist, außerdem mit Buße, Beichte und Umkehr, mit dem vollmächtigen Gebet im Namen Jesu, dem sieghaften Glaubensleben und einer Endzeitlehre. Ausdrücklich wird im Verlauf verschiedener Vorträge erklärt, man solle sich Sünde vom Heiligen Geist zeigen lassen, Gottes Gericht und die vollmächtige Vergebungskraft des Blutes Jesu annehmen.446 Nur in der Kraft des Blutes Jesu liege die Vollmacht eines »Überwinderlebens« (nicht einer Sündlosigkeit, aber eines Sieges über Sünde) und die Vollmacht des Gebetes. Dazu brauche es aber keinen »Katechismusglauben«, sondern Jesus und den Heiligen Geist. Im Namen Jesu zu beten, heiße »in Vollmacht des Sohnes zum Vater beten« und mit dem Sieg Jesu rechnen,447 was nur möglich würde durch den Empfang des Heiligen Geistes,448 grundgelegt in Hingabe und Beichte.449 Die zentrale Rede von Bibras vom Empfang des Heiligen Geistes und dessen Wirken trägt einen charismatischen Duktus: Die Erfüllung mit dem Heiligen Geist, welcher darauf warte, empfangen zu werden, kann nach von Bibra nur durch Gotteslob und Lobpreis, Danksagung und geistliche Gemeinschaft geschehen.450 Die Erfüllung mit dem Heiligen Geist sei eine notwendige endzeitliche Gabe; ganz ähnlich die Versiegelung mit dem Geist, welche als Voraussetzung für die eschatologische Entrückung genannt wird, sowie die Lösung von Sünde und allem Irdischen. Von Bibra unterscheidet Erfüllung, Versiegelung und Lösung begrifflich, ohne sie definiert voneinander abzugrenzen. Versiegelung und Lösung bzw. Gelöstsein werden bei ihm ersichtlich als soteriologischpneumatologische status, nicht als liturgisch-sakramentale ritus gefasst (s. dazu 7.2.6). Von Bibra spitzt die referierten Zusammenhänge zu, indem er einen apokalyptischen Ablaufplan der letzten Geschehnisse entfaltet.451 445 Vgl. hier und im Folgenden: Aufzeichnungen aus der Obercunnersdorfer Tagung, Lucie Brakensiek/Hanna Opitz [maschr. Abschrift einer Stenogramm-Mitschrift], in: A.I.c.876, dort die folgenden Zit. Vgl. dazu Brief von Lucie Brakensiek, Chemnitz, 10.08.[?].1949, in: a. a. O.; vgl. zu den ca. 90 TeilnehmerInnen: Anmeldungen zur Tagung in Obercunnersdorf 04.–09. 05. 1949, in: A.III.a.bis1949. 446 Stichworte: »Dem Herrn das verfehlte Leben geben«, »durch den Heiligen Geist zeigen lassen«, »Gott hat uns in der Buße eine Gnade gegeben«, »durch das Blut Jesu«. 447 Stichworte: »Lobpreis«, »auf den Knien«, »Erhörung«, »Wir sind Stützpunkt Gottes im Feindesland dieser Erde als Beter«. 448 Stichworte: »brauchen wir den Heiligen Geist«, »Wir haben so oft Jahr für Jahr Pfingsten gefeiert und schöne Sprüche und Lieder gelernt vom Heiligen Geist, aber in unseren Herzen ist er noch nicht«. 449 Stichwort: »keine Erweckung in der kirchlichen Gemeinschaft denkbar ohne die Beichte«. 450 Stichworte: nach Kol 3,16f. 451 Ablauf der letzten Geschehnisse in dieser Reihenfolge: Wiederkunft des Herrn zur Entrü-

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Erwartung des Heiligen Geistes

Diese kurze Skizze der aufgezeichneten Inhalte der Referate und Predigten von Bibras während der Obercunnersdorfer Tagung lässt eindeutig einen frömmigkeitsgeschichtlichen Einschnitt erkennen: Der Volksmissionskreis Sachsen wird am Beginn der 1950er Jahre durch von Bibra mit einem erweiterten begrifflichen Instrumentarium befruchtet, das zur Konkretisierung und Entfaltung der bereits angelegten Themen beiträgt. Von Bibras zentrale theologische Anliegen, welche sich um Stichworte wie »Blut Jesu, Name Jesu, Gebet, Vollmacht, Sieghaftigkeit, Erfüllung mit dem Heiligen Geist, Lösung, Versiegelung, Brautgemeinde« gruppieren lassen,452 wurden nun im Volksmissionskreis rezipiert, zum Teil als direkte Übernahme, zum Teil als Weiterverarbeitung (besonders bei Gerhard Küttner). Direkt nach der Obercunnersdorfer Tagung publizierte Rudolf Fischer die gute Nachricht: »Gottes Geist war mächtig am Wirken« und habe die Tagungsteilnehmer sowie die ca. 1.000 Besucher des Abschlussgottesdienstes ergriffen, befreit und zum missionarischen Zeugnis bevollmächtigt.453 Zuvor habe Fischer als Vorbereitung der Tagung regelmäßig um eine »Ausgießung des Heiligen Geistes« gebetet – in bewusster Anknüpfung an die historische Abendmahlsfeier im benachbarten Berthelsdorf am 13. August 1727, dem Initiationserlebnis der Herrnhuter Brüdergemeine. Rudolf Fischer konstatiert in seinem Rundbrief, dass sein Gebet erhört worden sei: In Obercunnersdorf habe man die Ausgießung des Heiligen Geistes erlebt, obgleich sein sehnsüchtiger Wunsch, Zungenrede und andere Charismen zu empfangen, nicht in Erfüllung gegangen sei. Fischer hält daher fest, dass die Ausgießung des Geistes nicht von Glossolalie begleitet sein müsse, dass man aber bei wachsender Liebe genauso wie Otto Siegfried von Bibra Geistesgaben erfahren würde: »Liebe Brüder! Wenn wir erst einmal die Liebe so ausstrahlen wie unser Bruder von Bibra, werden wir auch wie er Erlebnisse mit Geistesgaben haben«.

Nicht nur anhand dieser Aussagen kann die als charismatisch (im Unterschied zu pfingstlich oder pietistisch) einzuordnende Entwicklung des Volksmissionskreises eindeutig vorgenommen werden und zugleich verdeutlicht werden, dass diese mit der Orientierung an Otto Siegried von Bibra einhergegangen ist. ckung der Brautgemeinde; Erdenleben unter der Herrschaft des Antichrist; Wiederkunft des Herrn als König zusammen mit der Brautgemeinde; 1000jähriges Friedensreich; letzter Kampf gegen den Satan; Jüngstes Gericht; neuer Himmel und neue Erde mit dem neuen Jerusalem. 452 Vgl. zu den theologischen Merkmalen von Bibras auch dessen Veröffentlichungen, z. B. ders., Werdet nüchtern!; ders., Warum wir den Heiligen Geist brauchen; ders., Der Name Jesus; oder auch dessen Herausgeberschaft von: Schniewind/Michel, Vollmacht. 453 Entwurf eines Briefes von Rudolf Fischer, Limmritz, 12. 05. 1949, an Brüder [= Mitarbeiter], in: A.III.a.bis1949, dort die folgenden Zit. Zum Stichwort Befreiung: »Unter den Tagungsteilnehmern sind Fesseln und Gebundenheiten gefallen, sogar Teufel ausgefahren«.

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3.1.3 Otto Siegfried von Bibra: Theorie und Praxis der Charismen, Vorwurf der Schwärmerei Otto Siegfried von Bibra als Vermittler von charismatischer Spiritualität Die mit der Obercunnersdorfer Tagung begonnene Linie wurde durch eine Reihe weiterer Veranstaltungen und Kontakte mit Otto Siegfried von Bibra weitergeführt, so zum Beispiel auf einer Tagung in Crimmitschau (Lutherkirchgemeinde) Oktober 1949,454 bei einer Pfarrerrüstzeit in Kreischa Januar 1950,455 einer Evangelisation in Hartha Februar 1950,456 zu einem Kerngemeindekreis-Treffen um Pfarrer Hans Köckert in Aue Mai 1950,457 bei einer Evangelisation in der Hoffnungskirche Dresden-Löbtau Mai 1954,458 bei einer Tagung für Rundbriefleser in Radebeul im Herbst 1956459. Ähnlich fungierte der auszugsweise Abdruck eines Vortrages von Bibras »Im Namen Jesu beten« in einem Rundbrief des Volksmissionskreises 1959 (deckungsgleich mit einem Kapitel des Buches »Der Name Jesus« von 1961)460. Während solcher Veranstaltungen hat von Bibra die Rolle des Vermittlers von Theorie und Praxis der Charismen gespielt. Jedenfalls lassen dies einige Tagungsberichte erkennen. Im Nachgang zu Crimmitschau 1949 berichtete Gerhard Bahrmann von einer Krankenheilung unter Handauflegung.461 Dass Otto Siegfried von Bibra mit der Praxis der Handauflegung betete, war offenbar

454 Vgl. [Teilnehmerliste] Tagung in Crimmitschau 19.–23. 10. 1949, in: A.I.p.306. 455 Diese Tagung ist gut dokumentiert durch Berichte, welche die Pfarrer Gottfried Fuß und Friedrich Ihle an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission gesandt haben: Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.– 19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: A.II.a.404/8/Bd1; Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: a. a. O. Vgl. auch Teilnehmer an der Pfarrerfreizeit vom 16.–20.[sic; recte: 19.]01.1950, in: a. a. O. 456 Vgl. Plakat zur Wochenendevangelisation in der Stadtkirche Hartha mit Pfr. Otto Siegfried von Bibra, 18.–19. 02. 1950, in: A.I.l.II-A-14-7. 457 Vgl. Postkarte von Herbert Fricke, Aue, 02. 05. 1950, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876. 458 Vgl. Bericht an die Stadtmission Karl-Marx-Stadt, Horst Webers, Karl-Marx-Stadt, 25. 05. 1954, in: A.II.a.404/2. 459 Vgl. VMK (Hg.), Rundbrief 11/1956, Manfred und Elisabeth Epperlein, in: A.III.a.1956. In diesem Rundbrief, welcher von der Tagung mit der erstaunlich hohen Anzahl von 300 Teilnehmern berichtet und wesentliche Aussagen Otto Siegfried von Bibras zusammenfasst, kommt sehr gut die zunehmende und mit von Bibra verwandte Präsenz Gerhard Küttners zum Ausdruck. 460 Vgl. VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1959, 05/1959, in: A.II.a.404/8/Bd3; vgl. Bibra, Der Name Jesus, 55–70. 461 Vgl. Brief [vermutl. von Pfr. Gerhard Bahrmann], [Lützschena], 13. 12. 1949, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Pfr. Gerhard Richter, Radebeul, in: A.III.a.bis1949.

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selbstverständlich. Angewendet wurde die Auflegung der Hände beim heilenden und exorzistischen Handeln, worauf im Kapitel 7 eingegangen wird. Kritik vonseiten der Landeskirchlichen Gemeinschaft, Versuche der Verständigung Gerhard Bahrmann verteidigte im Anschluss an Crimmitschau 1949 den Volksmissionskreis gegen den Vorwurf »irgendwelcher Schwärmerei«.462 Solche Vorwürfe waren vor allem von pietistischer, aber auch lutherischer Seite laut geworden.463 Die Kritik richtete sich dabei auch grundsätzlich gegen die Kontakte des Kreises zu von Bibra, zum »Oekumenischen Christusdienst« und den Darmstädter Marienschwestern (siehe unten 3.2).464 Kritische Stimmen aus den Reihen der Landeskirchlichen Gemeinschaft zeigen nicht nur, wie bekannt von Bibra geworden sein muss, sondern auch, wie sehr der Volksmissionskreis mit ihm identifiziert wurde, was folgende Szene bezeugt: »Dann fragte er : ›Hat Ihnen Pf.v.Bibra einmal die Hände aufgelegt?‹ Als sie es verneinte, antwortete er : ›Danken Sie Gott dafür!‹ Hinterher entsann sie sich, daß v. Bibra ihr doch einmal die Hände aufgelegt habe. Dazu hatte Stollreiter auf Grund seines im Gespräch gewonnenen Gesamteindrucks zu ihr gesagt: ›Ich kann Ihnen nicht helfen, Sie haben einen anderen Geist!‹«465

Seine charismatische Entwicklung brachte dem Volksmissionskreis Sachsen in diesen Jahren mehrfach Kritik aus der Landeskirchlichen Gemeinschaft ein.466

462 Vgl. a. a. O. 463 In jenen Jahren wurde von lutherischer Seite ebenso wie aus den Reihen der Landeskirchlichen Gemeinschaft ein Schwärmereivorwurf laut: Der Kreis stehe entweder nicht auf dem Boden lutherischen Bekenntnisses oder sei durch die Pfingstbewegung geprägt. Vgl. z. B. [Thesen-/Übersichtspapier] Neuordnung der Volksmissionsarbeit in Sachsen, Pfr. Hermann Klemm/Pfr. Sickert, 30. 01. 1948, in: A.II.b.2.1503, 9; [Aufsatz] Volksmission auf falschen Wegen, Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2; Stellungnahme der Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft mit Reaktionen des Volksmissionskreises Sachsen [Rudolf Fischer, Pfr. Hans Prehn, Pred. Georg Würfel], in: A.III.a.1950–1953; Brief von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, 13. 10. 1954, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, OKR Ulrich von Brück, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd2. 464 Die grundsätzliche Skepsis gegenüber von Bibra und seines Kreises zeigt sich an verschiedenen Stellen. Vgl. auch einen im Volksmissionskreis gelesenen Text: Die Stellung des Starkenburger Gemeinschaftsverbandes zur »Ökumenischen Vereinigung Marienschwesternschaft e.V., Darmst.-Eberst.«, in: a. a. O., welcher die Marienschwestern als »pfingstlich«, »katholisch« und »mystisch« brandmarkt. 465 Brief von Pfr. Heinrich Leuteritz, Lichtenstein, 08. 09. 1953, an Pfr. Hans Prehn, Lauter, in: A.III.a.1950–1953. 466 Vgl. neben dem o.g. Bsp. u. a. den Streit in Rochlitz (vgl. Brief von Ewald Ehrler, Niederschlema, 28. 10. 1952, an Brüder, in: A.III.a.1950–1953; [Aktennotiz] Anmerkung zur Besprechung in Rochlitz am 23. 07. 1952, Ewald Ehrler, in: a. a. O.; Brief von Pfr. Gerhard

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So konstatierte der Beauftragte der Inneren Mission für den Volksmissionskreis, Pfarrer Erich Bodenstein: »Die Stellung der Gemeinschaft ist meist ablehnend«.467 Zwar lassen sich gegenteilige Beispiele in manchen Kirchgemeindekontexten verzeichnen, die von Kooperation oder selten sogar Personalunion zwischen Gemeinschaft und Volksmissionskreis sprechen.468 Doch diese Ausnahmen bestätigen die Regel der kritischen Distanz. Die nicht seltene Distanz bzw. latente oder explizite Kritik des GemeinschaftsPietismus gegenüber der Spiritualität des Volksmissionskreises Sachsen unterstreicht erkennbar die charismatische Spiritualität dieses Kreises – denn spätestens seit der Berliner Erklärung von 1909, mit welcher der GemeinschaftsPietismus die deutsche Pfingstbewegung aus seinen Reihen ausgeschlossen hatte, gehörte die Skepsis gegenüber pfingstlich-charismatischen Phänomenen zur typisch pietistischen Haltung. Dass im Volksmissionskreis der 50er Jahre häufig von Charismen die Rede war und provokante Thesen wie: »Wir sind eine verkümmerte Kirche, weil wir die Geistesgaben weithin verloren haben« (von Bibra), in Bibelarbeiten besprochen wurden,469 musste die Vorbehalte der Landeskirchlichen Gemeinschaft heraufbefördern. Im Jahre 1952 fanden mindestens zwei Treffen von Vertretern der Landeskirchlichen Gemeinschaft und des Volksmissionskreises Sachsen statt, die wohl zu einiger Verständigung zwischen beiden Seiten geführt haben.470 Einen ganz ähnlichen Beitrag leisteten die regelmäßigen Rüstzeiten des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission »für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare«, an denen stets Mitarbeiter sowohl des Volksmissionskreises Sachsen als auch der Landeskirchlichen Gemeinschaft teilnahmen. Daher fungierten diese Tagungen als Begegnungsplattform für Vertreter der beiden Lager.471 Dort konnte auch ein

467 468

469 470 471

Richter, Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 22. 10. 1952, an den Ev.-Luth. Kirchenvorstand zu Rochlitz, in: A.II.a.404/8/Bd2). Aktennotiz von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, [vermutl. 06/1952], in: A.II.a.404/8/Bd2. Vgl. Beispiele gelingender Zusammenarbeit in: Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Kirchgemeinde zu Bräunsdorf [Visitation 06/1953], Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 17. 06. 1953, in: A.I.a.III111 und A.II.c.465; [Bericht über die Evangelisation von Ewald Ehrler, 07.–13. 10. 1955 in Großpostwitz; enthält: Mitarbeit von Rudi Gruhl, Großpostwitz] Brief von Pfr. Helmut Rösler, Großpostwitz, 09. 11. 1955, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, über die Ev.-Luth. Superintendentur Bautzen, in: A.I.x.1259; [Bericht] Volksmissionswoche in Lauter, 01.–09. 04. 1951, [Pfr. Erich Schumann], in: A.II.a.403/8. [Bericht] Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: A.II.a.404/8/Bd1. Vgl. Kurzbericht der Zusammenkunft von Brüdern der Landeskirchlichen Gemeinschaft / Volksmissionskreis Sachsen [am 19. 02. 1952 im Diakonissenhaus Dresden], Rudolf Fischer, in: A.III.a.1950–1953. Vgl. z. B. Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.– 26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.II.a.401/4/53.

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Erwartung des Heiligen Geistes

häufiger Referent des Volksmissionskreises gehört werden: der Schweriner Volksmissionar und Oberkirchenrat Werner de Boor (1899–1976). Um nicht zu viel antipfingstliche Kritik aus pietistischen Kreisen über sich ergehen lassen zu müssen, entschloss man sich im Volksmissionskreis, den Fokus von Otto Siegfried von Bibra wegzulenken. Die Volksmissionsbuchhandlung ließ nach von Bibras Buch »Die Bevollmächtigten des Christus« einen Text de Boors erscheinen: »Evangelisation – lutherisch?« (1953).472 Zumindest öffentlich distanzierte man sich nun von einer zu starken Bibra-Orientierung und Gerhard Bahrmann betonte, »dass wir uns in unserem Sächs. Volksmissionskreis nicht mit Bruder von Bibra identifizieren«.473 Werner de Boor besuchte in den 1950er Jahren mehrfach den Volksmissionskreis, um dort zu evangelisieren und zu referieren. Im Frühjahr 1954 kamen Werner de Boor und Otto Siegfried von Bibra gemeinsam zu einer Tagung (Friedenskirche Radebeul).474 De Boor sprach dort anhand von 1Kor 12–14 über »Die Gabe des Heiligen Geistes« und »Geistesgaben«. 1957 publizierte die sächsische Volksmissionsbuchhandlung dessen Schrift »Neue Gemeinde. Heiliger Geist, Geistesfrucht, Geistesgaben«.475

»Pfingsten heute« als Sehnsucht nach der Kirche So näherte man sich den 1960er Jahren. Der Wunsch nach »Pfingsten heute« (»Gemeinschaft des Heiligen Geistes […] erhalten, […] erleben, […] vermitteln«476) wurde weiter genährt und zugleich kirchlich verankert. Dass der Volksmissionskreis Sachsen trotz mancher Abwehr gegen die (Volks-) Kirche und deren Strukturen sein charismatisches Anliegen kirchlich etablierte, ist nicht nur seinen Wurzeln, sondern sicher auch der Prägung durch Otto Siegfried von Bibra zu verdanken. Die Suche nach der geistbegabten Brautgemeinde führte nicht aus der sächsischen Landeskirche heraus. Vielmehr erkannte man aus den vielfältigen Beiträgen von Bibras, dass das corpus Christi mysticum als 472 Boor, Evangelisation – lutherisch?; vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 02. 09. 1952, an Pfr. Hans Wolff, Limbach, in: A.III.a.1950–1953. 473 Brief von Pfr. Gerhard Bahrmann, Lützschena, 03. 02. 1950, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Kammer für Volksmission, OLKR Gottfried Knospe, Dresden, in: A.II.b.1516, 186f, hier 187. 474 Vgl. Bericht an die Stadtmission Karl-Marx-Stadt, Horst Webers, Karl-Marx-Stadt, 25. 05. 1954, in: A.II.a.404/2, dort. folg. Zit. Vgl. dazu ganz ähnlich einen Bericht zu einer Evangelisation de Boors in Karl-Marx-Stadt, Februar 1954: VMK (Hg.), Rundbrief 02/1954, Rudolf Fischer [enth. Mitschriften von Vorträgen Werner de Boors durch Christa Heun], in: A.I.p.306. 475 Boor, Neue Gemeinde. 476 VMK (Hg.), Rundbrief 06/1959, Werner Pescheck [nach der Tagung Crimmitschau 06.– 10. 05. 1959], in: A.I.b.1937.

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geistlicher Leib in irdischen Gestaltungsformen existiert. »Wir begriffen, was die Kirche im Heilsplan Gottes bedeutet und bekamen von daher ein ganz neues Verhältnis zu unserer Kirche mit ihren Ämtern und Ordnungen.«477 Dadurch ließ man sich nicht von der allzu leichten Ansicht verführen, dass der Geist die Kirche längst verlassen hätte, wenngleich man meinte, das Feuer des Geistes sei nahezu erloschen.478 Die Frage nach der eschatologischen Brautgemeinde reformulierte man zur Frage nach der Brautkirche – dabei »gab Br. Otto-Siegfried von Bibra uns die Antwort: Gemeinschaft der Heiligen entsteht nur vom Himmel her«479. Dass die Gemeinschaft der Heiligen »nur vom Himmel her« entsteht, ist eine allgemeine theologische Wahrheit. Hier aber wird betont, dass die una sancta, catholica et apostolica ecclesia nur aus einer »geistlichen Schau« ihrer Ämter, Strukturen, Gaben und Aufgaben, d. h. aus einer Herzenseinsicht mystischer Ekklesiologie, werden könne. Diese erwecklich-ekklesiologische Thematik hatte man über Otto Siegfried von Bibra aus einer bestimmten Wurzel, der apostolischen Frömmigkeitstradition, erhalten. Von Bibra gehörte zu den Gründern des »Oekumenischen Christusdienstes«, über den der Volksmissionskreis Sachsen Einflüsse apostolischer Theologie und Spiritualität erhielt und welche die charismatische Spiritualität des jungen Volksmissionskreis prägten. Diese gilt es im folgenden Abschnitt 3.2 zu untersuchen.

3.2

»Quis mihi det videre Ecclesiam Dei sicut in diebus antiquis«480 – et ultimis? Einflüsse apostolischer Frömmigkeitstypen durch den Oekumenischen Christusdienst

In vielen Kreisen wurde der Zweite Weltkrieg »als Zeit der Bewährung, der Vorbereitung und Heiligung«481 erlebt und als eine eschatologische Prüfung der christlichen Gemeinde verstanden. Zudem brachten Konfessionsgrenzen sprengende Erfahrungen und ein vielfach neu belebtes Laienengagement während des Krieges ökumenische Motivationen hervor. Die Sehnsucht nach Heilung angesichts der Trümmer der Nachkriegszeit bezog sich auch auf die Spaltungen zwischen Kirchen und Traditionen. So verwundert es nicht, wenn in der 477 478 479 480

Prehn, Volksmissionskreis, 72. Vgl. VMK (Hg.), 5. Rundbrief 1959, 06/1959, [Lothar Köppe], in: A.III.a.404/8/Bd3. VMK (Hg.), Rundbrief 11/1956, Manfred und Elisabeth Epperlein, in: A.III.a.1956. »Quis mihi det, antequam moriar, videre Ecclesiam Dei sicut in diebus antiquis […]?«, Bernhard von Clairvaux, Sämtliche Werke, 276. 481 Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 244.

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Nachkriegszeit verschiedene ökumenische Initiativen, wie zum Beispiel ein Aufschwung der Una-sancta-Bewegung, entstanden.482 Eine besondere Rolle spielte für den Volksmissionskreis Sachsen der sogenannte Oekumenische Christusdienst. Bevor die Wurzeln des Christusdienstes in der apostolischen Frömmigkeitstradition (3.2.2) und dessen Wirkung auf den Volksmissionskreis (3.2.3) zu erklären sind, gilt es in einer kurzen Skizze seine Entstehung darzustellen (3.2.1).

3.2.1 Der Oekumenische Christusdienst in der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben Gründung des Oekumenischen Christusdienstes 1948 gründeten der Pfarrer Johann Nikolaus »Klaus« Richard Heß (1907–1987), welcher 1939 dem Initiator der Una-sancta-Bewegung, Max-Josef Metzger, begegnet war,483 der methodistische Superintendent Karl Paul Riedinger (1882– 1949), der Kaufmann Eugen Karl Belz (1900–1987) und Otto Siegfried von Bibra den »Oekumenischen Christusdienst«484. Das Netzwerk ging aus Treffen während des Krieges zurück und man hatte bereits 1943 den Beschluss zu seiner Gründung gefasst.485 Der in Franken situierte Oekumenische Christusdienst war 482 Vgl. Mehl/Thierfelder, Ökumene im Krieg; zur Una-sancta-Bewegung der Nachkriegszeit bes. 369–374. 483 Vgl. Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 92. 484 Die veraltete Schreibweise des Umlautes »ö« mit nachfolgendem »e« als »oe« (sowohl in der Groß- als auch Kleinschreibung) wird in Kreisen, die sich einer bestimmten ökumenischen Spiritualität, wie sie dem Oekumenischen Christusdienst eignet, zurechnen, häufig bewusst verwendet (vgl. »Oekumenische Marienschwesternschaft«; »Oekumenischer Verlag Dr. R.F. Edel«; bestimmte Formulierungen von »Oekumene« bzw. »oekumenisch« im Kontext des Volksmissionskreises Sachsen). In solchen Gruppen dient die Verwendung der veralteten Schreibweise oftmals zur orthographischen Artikulation eines bestimmten theologischen Ökumene-Verständnisses: »Oe statt Ö unterschied uns immer von der Genfer Ökumene« (Zit. Reiner-Friedemann Edel in: Bially/Kieker/Passon (Hg.), Ich will dich segnen, 15). »Oekumene« soll dabei eine geistlich-mystisch orientierte, anti-liberal bzw. konservativ positionierte Ökumene-Theologie zum Ausdruck bringen, bewusst in Abgrenzung zu liberaleren Konzepten (z. B. Abgrenzung zur Haltung des Ökumenischen Rates der Kirchen, weshalb sich die Oekumenische Marienschwesternschaft in Evangelische Marienschwesternschaft umbenannt hatte; vgl. Eilrich, Gott zur Welt bringen: Maria, 298 Anm. 228). In unserer Arbeit wird diese Schreibweise entsprechend ohne Anführungszeichen verwendet, wenn sie die originale Orthographie sowie das theologische Selbstverständnis der bezeichneten Gruppen oder Institutionen widerspiegelt. 485 Während des Krieges trafen sich Heß, von Bibra, Riedinger in Egloffstein (bei Pfr. Drechsel; später hatten von Bibra und dann Heß die dortige Pfarrstelle inne) zu Gebetstreffen, an denen auch Klara Schlink, Erika Madaus, Walter und Hanna Hümmer teilnahmen, vgl. Joest, Kommunitäten, 52f. Vgl. Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 92.

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als ein arkaner (»heimlich zusammenkommender«486) Kreis von ökumenischen, kommunitären, charismatischen und hochkirchlichen Zügen geprägt, durch die Oxford-Gruppenbewegung inspiriert und im Kontext der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben verankert.

Bruderschaft vom gemeinsamen Leben Diese Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, die romantisch an die vorreformatorischen Brüder vom gemeinsamen Leben (Ende 14. Jh.) anknüpfen wollte,487 bildete den Mutterschoß des Oekumenischen Christusdienstes. Sie wurde 1905 in Rüschlikon/Schweiz durch Gotthilf Haug (1875–1951) und Jakob Schelker (-Kellenberger) (1868–1954) gegründet488 und stellte als »einsamer Vorläufer« der »Bruderschaftsbewegung« des 20. Jahrhunderts die erste evangelische Kommunität mit gemeinsamen Leben dar.489 Gewissermaßen noch im Übergang von den Diakonen- und Diakonissenhäusern zu den Kommunitäten des 20. Jahrhunderts war die Gemeinschaft stark im diakonisch-sozialen Anliegen verankert.490 Die Einordnung dieser Bruderschaft unter die diakonischen Gemeinschaften könnte allerdings leicht übersehen lassen, dass ihr Schwerpunkt im Bereich einer mystisch-sakramentalen Kirchenfrömmigkeit angesiedelt war. 486 Das »Heimliche« dieses Arkanum bezog sich zunächst auf die nichtöffentliche Durchführung angesichts der politischen Situation im Nationalsozialismus; Zit. bei Eilrich, Gott zur Welt bringen: Maria, 284; vgl. Schlink, Wie ich Gott erlebte, 184. 487 Die romantische Reminiszenz an die vorreformatorische Bruderschaft ist im evangelischen Raum nicht nur hier zu finden, vgl. Bernhard Bähring, der sie als eine »der lieblichsten Erscheinungen, welche der Geist des Evangeliums innerhalb der römisch-katholischen Kirche schon anderthalb Jahrhunderte vor der Reformation ins Leben gerufen hat« (1849), bezeichnete, vgl. ders., Gerhard Groot und Florentius, die Stifter der Brüderschaft vom gemeinsamen Leben, VI. Zur Geschichte der vorreformatorischen fratres et sorores communis vitae vgl. Elm, Brüder vom gemeinsamen Leben; Stupperich, Brüder vom gemeinsamen Leben. 488 Zur Geschichte der Bruderschaft vgl. Joest, Kommunitäten, 47–54; Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 13–21. Im Anhang zu Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, findet sich auf einer CD-ROM eine Sammlung von Quellentexten zur Bruderschaft und zum Oekumenischen Christusdienst. Die Gemeinschaft existiert bis heute. Der Hauptsitz der Gemeinschaft findet sich heute im Ökumenischen Lebenszentrum Ottmaring b. Augsburg, das von Klaus Heß und Chiara Lubich 1965 gegründet wurde und zusammen mit den Fokolarini bewohnt wird. Zur Geschichte des Lebenszentrums vgl. Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum. 489 Vgl. Halkenhäuser, Kirche und Kommunität, 189 Anm. 28, dort Literatur zur Verbindung mit der hochkirchlichen Bewegung. Zum Begriff »Bruderschaftsbewegung« vgl. Hage/ Finkenstein/Krause, Bruderschaften, 207. 490 Zur Bruderschaft vgl. Hutten, Evangelische Bruderschaften, 169–175; vgl. Hage/Finkenstein/Krause, Bruderschaften, 209; vgl. auch die ausführliche Selbstvorstellung: Heß, Bruderschaft vom gemeinsamen Leben.

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Zusammen mit der kurz darauf entstandenen Schwesternschaft und der Geschwisterschaft vom gemeinsamen Leben bildet die Bruderschaft die sog. Körperschaft vom gemeinsamen Leben. Aus der Bruderschaft gingen der Schweizerische Diakonieverein (1906)491 und der Verein Deutsche Oekumenische Christentumsgesellschaft (1934; heute Christentumsgesellschaft in Deutschland e.V., Friedberg b. Augsburg) hervor. Der Oekumenische Christusdienst stellt eine »Dienstgruppe« der Körperschaft dar.492 In den 1920er und 30er Jahren wurde dieses Gemeinschaftskonglomerat – häufig und so auch im Folgenden generalisiert unter »Bruderschaft vom gemeinsamen Leben« zusammengefasst – aus der apostolischen Frömmigkeitstradition gespeist (siehe den nächsten Abschnitt 3.2.2). Dadurch wurde deren Spiritualität von apostolischen, hochkirchlichen und sukzessionsorientierten Einflüssen weiter bestimmt – und prägte über den Oekumenischen Christusdienst den Volksmissionskreis Sachsen.

Der Oekumenische Christusdienst als Begegnungsraum der evangelischen Kommunitäten und des Volksmissionskreises Zum Kreis des Oekumenischen Christusdienstes gehörten neben den genannten Initiatoren von Anfang an auch die Gründer der Oekumenischen Marienschwesternschaft Darmstadt, Paul Riedinger (»Vater Riedinger«),493 Klara Schlink (»Mutter Basilea«) und Erika Madaus (»Mutter Martyria«), ebenso das Gründerehepaar der Christusbruderschaft Selbitz, Walter und Hanna Hümmer.494 Zu ihrer Runde zählte offenbar auch Gerhard Küttner vom Volksmissionskreis Sachsen. Der bei Treffen des Kreises als Redner einflussreiche Paul Riedinger hatte eine nicht zu unterschätzende Wirkung bei Küttner hinterlassen. Das ekklesiologische Konzept Riedingers, eine Typologie des alttestamentlichen Tempels, ist dann im Volksmissionskreis rezipiert worden (siehe 3.3.1). Das Projekt des Oekumenischen Christusdienstes sollte als ein Netzwerk ökumenischer Erneuerungs- und Erweckungsarbeit wirken:495 491 Vgl. die Regel des Schweizerischen Diakonievereins in: Haug, Die Jüngergemeinde Jesu Christi. 492 Vgl. Bues, Christwerden im Geiste Marias, 227 Anm. 517. 493 Vgl. den Exkurs »Zur theologischen Prägung der Marienschwesternschaft durch Paul Riedinger« in: Eilrich, Gott zur Welt bringen: Maria, 293–296; dass Riedinger nicht nur als geistlicher Vater, sondern auch als Mit-Gründer und Mit–Leiter der Marienschwesternschaft zu sehen ist, vgl. Schlink, Oekumenische Marienschwesternschaft, 151; Bues, Christwerden im Geiste Marias, 224. 494 Vgl. Joest, Kommunitäten, 52f.56. 495 Vgl. Hutten, Evangelische Bruderschaften, 170f; Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 17f.92f.

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Ihren Aufruf zur »Christusdiakonie im apostolischen Sinn von Epheser 4,12: ›Dass die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes (Diakonie), dadurch der Leib Christi erbaut werde‹«, publizierten sie in dem Heft »Oekumenischer Christusdienst«.496 Die Spiritualität dieser »losen Gesinnungsgemeinschaft«, eines »Organismus von Menschen und Gruppen, die durch nichts anderes zusammengehalten wurden als von dem Bewußtsein, daß Gott sie zusammengefügt habe«497, war geprägt von dem ökumenischen Willen, durch eine christusförmig-priesterliche Liebesgemeinschaft »das Zeugnis der Einheit darzustellen«, die »kraft des auf Golgatha gebrachten Opfers des Herrn« bereits vollbracht ist.498

Der Oekumenische Christusdienst als Akteur einer spirituellen Ökumene nach dem Krieg Die Einheit der Kirche »in allen ihren Gaben, Ämtern und Kräften (1. Kor. 12, 4– 6)« sollte dabei in der Gemeinschaft des Oekumenischen Christusdienstes abgebildet werden. »Christusdienst« war somit Name wie Programm und sollte als Dienstbeschreibung für die Kreise um die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben fungieren.499 Die Rede vom »Leib Christ« als eines »pneumatischen Organismus« ließ sich im Kontext dieses Netzwerkes ausgesprochen oft hören.500 Die am ehesten als mystisch-kirchlich zu bezeichnende Spiritualität des Oekumenischen Christusdienstes (am corpus Christi mysticum orientiert), der als geistliche »Bruderschaft« verstanden werden wollte, engagierte sich in der Nachkriegszeit auf dem Gebiet einer spirituellen Ökumene zwischen den Konfessionen – in Theorie und Praxis, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf einer Praxis aus Herzensfrömmigkeit lag und Kirchenpolitik ein nachgeordnetes Ziel darstellte. In diesem Kreis wurden geistlicher und theologischer Austausch, Gebetsgemeinschaft und Gottesdienstgemeinschaft (Kanzel- und Altargemeinschaft, interkonfessionelle Konzelebrationen) sowie Ämtergemeinschaft (interkonfessionelle Einsetzungen zu geistlichen Ämtern; möglicherweise auch Weitergabe apostolischer Sukzessionen) praktiziert.501 Dass der Oekumenische Christusdienst in den Nachkriegsjahren aus der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben hervorging, spiegelt seine Verankerung in der Tradition der apos-

496 Vgl. Belz/Bibra/Heß/Riedinger (Hg.), Oekumenischer Christusdienst; Zit. Klaus Heß in: Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 17. 497 Joest, Kommunitäten, 53. 498 Heß, Oekumenischer Christusdienst, in: Belz/Bibra/Heß/Riedinger (Hg.), Oekumenischer Christusdienst, 32–36, hier 35; dort auch folg. Zit. 499 Vgl. Heß, Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, 66. 500 Vgl. eine Fülle von Bsp., etwa: Gleede, … hin und her in den Häusern …, 10. 501 Die Belege dafür sind spärlich gesät und ergeben sich zwischen den Zeilen. Die folgenden Abschnitte 3.2.2–3 enthalten Hinweise auf Belege.

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tolischen Bewegungen genauso wider, wie sie die Entwicklung des Volksmissionskreises Sachsen erklären hilft.

3.2.2 Tradition und Sukzession: Katholisch-apostolisches und freibischöfliches Erbe im Oekumenischen Christusdienst Einflüsse aus der Allgemeinen apostolischen Mission Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, der Schweizerische Diakonieverein und die deutsche Christentumsgesellschaft unterhielten seit Mitte der 1920er Jahre enge Kontakte zur Allgemeinen apostolischen Mission (AaM). Hinter diesem Namen verbirgt sich ein kompliziertes Geflecht von Gruppierungen, die sich aus der Katholisch-apostolischen Kirche (KaK) abgespalten und deren Inhalte transformiert und tradiert hatten. Unter der Zielstellung, die Bedeutung dieses Geflechts für die Theologie und Spiritualität des Oekumenischen Christusdienstes und damit für den Volksmissionskreis Sachsen zu ermitteln, sollen seine historischen und theologischen Wurzeln untersucht werden: Etwa ab 1900 existierte die AaM als Weiterführung der Allgemeinen christlichen apostolischen Mission (AcaM; aus dieser war ca. 1878 die Neuapostolische Kirche als Splittergruppe hervorgegangen),502 die 1860/63 als Abspaltung der KaK entstanden war. Diese Abspaltungen entstanden, da sie anders als die KaK, die einmalig zwölf Apostel eingesetzt hatte, wieder Apostel beriefen und deren Anzahl nicht auf die Zwölfer-Zahl beschränkten.503 Die AaM erhielt eine zusätzliche Prägung, als ihr Führer Robert Geyer (1874– 1957) im Jahr 1925 von gallikanischen Freibischöfen504 zum Priester und Erzbischof in apostolischer Sukzession geweiht wurde.505 Ihre tradierte apostolische 502 Zur Entstehung der AcaM/AaM vgl. Obst, Apostel und Propheten, 58–76; Schröter, Die Katholisch-apostolischen Gemeinden, 203–239.243–256. 503 Nach dem Tod des letzten ihrer 12 Apostel im Jahre 1901 hatte die KaK das Apostelamt nicht weitergeführt. Zur Geschichte der KaK vgl. Obst, Apostel und Propheten, 21–50; Schröter, Die Katholisch-apostolischen Gemeinden, 23–202; zu Theologie und charismatischer Spiritualität der KaK vgl. Weber, Die katholisch-apostolischen Gemeinden; zu Spiritualität und Situation katholisch-apostolischer Gemeindeglieder (Stand 1980) vgl. Reimer, Erstlingsschaft und Überrest; zur Theologie der KaK in Selbstdarstellungen vgl. z. B. Katechismus: Thiersch, Inbegriff der christlichen Lehre; zu Amt, Beichte, Ehe vgl. ders. Über das Hirtenamt; zur Ekklesiologie (Kirche, Ämter, apostol. Handauflegung, Charismen, Gottesdienst) vgl. Albrecht, Abhandlungen über die Kirche. 504 Freibischof ist die Bezeichnung für einen von Rom nicht anerkannten, in apostolischer Sukzession geweihten Bischof, der sich selbst als katholisch versteht und kein Bischofsamt in einer nichtrömischen Konfessionskirche (altkatholisch, orthodox etc.) ausübt. 505 Vgl. Schröter, Die Katholisch-apostolischen Gemeinden, 251.580f Anm. 134; vgl. Haack, Gottes 5. Kolonne, 13f.17–22.

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Frömmigkeitstradition wurde durch einen hochkirchlichen, sukzessionsbasierten Fokus auf das kirchliche Amt erweitert. In der AaM wurden Ordinationen zu Bischofs- und Priesterämtern in apostolischer Sukzession eingeführt und zeitweise recht freigiebig verteilt. Personen, die zur Bruderschaft vom gemeinsamen Leben gehörten, zählten zu den wichtigsten Unterstützern Robert Geyers. Für sie bildeten die Berufung und Aussonderung zum Apostelamt sowie Priester- und Bischofsweihen in apostolischer Sukzession keine Seltenheit. Zugleich bestanden in diesem Personenkreis freundschaftliche ökumenische Kontakte in alle konfessionelle Richtungen. Geyers Bedeutung war nach 1945 stark zurückgegangen. Abgesehen von aussterbenden Überbleibseln seiner Gemeindegründungen in Thüringen können im Wesentlichen die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben und deren Kreise als die Nachfolger der apostolischen und sukzessionsorientierten Spiritualität der AaM bezeichnet werden.506 Freibischöfliche Einflüsse Um die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben sammelten sich ökumenisch gesinnte Theologen und Laien wie Klaus Heß und Otto Siegfried von Bibra, die selber zu den Geschwistern vom gemeinsamen Leben gehörten, oder Paul Riedinger. Als Heß, Belz, von Bibra und Riedinger 1948 den Oekumenischen Christusdienst initiierten, war die Bruderschaft in der Hochphase ihrer apostolischen Kontakte. Gotthilf Haug wurde 1932 zum Apostel der AaM berufen und ausgesondert, 1934 zum Bischof in apostolischer Sukzession geweiht. Haug konsekrierte 1937 wiederum Eugen Belz zum Bischof. 1949 wurde Paul Riedinger kurz vor seinem Tod zum Apostel berufen und ausgesondert. Klaus Heß, nicht nur lutherischer Pfarrer, sondern auch Erzengel-Priester der Allgemeinen apostolischen Mission, empfing 1953 die Weihe zum Erzbischof »im prophetischen Säulenamt für die Schweiz«. 1968 berief er Eugen Belz zum Apostel, welcher zu diesem Amt ebenfalls ausgesondert wurde.507 Geistliche Ämter im Oekumenischen Christusdienst Im Oekumenischen Christusdienst lebte man aus eschatologischer Sehnsucht nach der reinen Braut, dass »Ihm so Sein Weib, die Eine Kirche, die Eine Gemeinde der Heiligen, ohne Flecken und Runzeln entgegengehe bei seinem 506 Vgl. Haack, Gottes 5. Kolonne, 20–22; Obst, Apostel und Propheten, 76. 507 Zu diesen Daten vgl. Schröter, Die Katholisch-apostolischen Gemeinden, 581f Anm. 135. 137a.b; Haack, Gottes 5. Kolonne, 21.241.

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Kommen«.508 Die in der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben verankerte apostolische Frömmigkeitstradition vermochte dabei eine spezifische Weiterführung der katholisch-apostolischen Struktur des geistlichen Amtes zu installieren: Hatte die katholisch-apostolische Tradition auf einer sowohl sakramental als auch charismatisch ausgerichteten Berufungspraxis ein vier- bzw. fünffach gegliedertes kirchliches Amt errichtet (Apostel, Engel/Bischöfe, Hirten/ Lehrer, Propheten, Evangelisten; vgl. Eph 2,20; 4,11), entwickelte sich über die AaM in der Bruderschaft und im Christusdienst eine eigene »oekumenische«, als urchristlich-katholisch angesehene Ämter-Praxis. Diese gestaltete das Nebeneinander von verfassten und charismatischen Ämtern auf eigene Weise, indem sie sakramental-charismatische Ämter (den apostolischen Ämtern entsprechend), sakramental-sukzessionsbasierte Ämter (den freibischöflichen Weihen entsprechend) und landeskirchlich-offizielle Ämter in aktiver Gleichzeitigkeit einführte. Freilich: Nicht jeder, der sich im Christusdienst engagierte, war ein Apostel oder Prophet in apostolisch-charismatischer Berufung, zugleich Bischof in apostolisch-sukzessiver Weihe und daneben Pfarrer im landeskirchlichen Dienst. Die Ämterfülle gestaltete sich von Person zu Person jeweils unterschiedlich. Alle Beteiligten stimmten jedoch darüber ein, dass die Kirche Jesu Christi nicht nur aus den Kirchenmitgliedern und einem kirchlich-offiziellen Amt bestehen könne. Vielmehr müsse sich neben dem verfassten Amt auch ein im geistlichen Arkanum verborgenes Amt aktiv gestalten, das als ebenso »kirchlich« verstanden wurde, da es sakramental-charismatisch berufen und eingesetzt wird. Wohlgemerkt: Anders als manche hochkirchliche Initiativen, welche bestrebt sind, ihr Amt »gültig oder ökum[enisch] anerkennbar zu machen«509, besteht die Motivation zu dieser Ämterfülle und zur Parallelität verschiedener Ämterstrukturen nicht in einer strategischen Aktion, sondern in einer charismatisch-prophetischen Grundlegung. Die charismatische Grundlegung spricht Berufungen zu (weiteren) Ämtern aus, die, da auf unterschiedlichen Ebenen gelagert, in verschiedenen geistlichen Bereichen aktiv sein sollen. Hier geht es mehr um charismatische Ergänzung denn um sakramentale Aufwertung. Das an sich wertgeschätzte landeskirchliche Amt wird jedoch insofern abgewertet, als dass kritisiert wird, dass die empirische Kirche die charismatische Pluriformität urchristlicher Ämter und wohl auch die vollmächtige Legitimation verloren habe. Allerdings kann die hier aufgebaute Mehrschichtigkeit amtstheologischer bzw. ekklesiologischer Hermeneutik auch nur möglich werden, da ein eher spiritualistisches Kirchenverständnis die Ämter zu sehr von der 508 Heß, Oekumenischer Christusdienst, in: Belz/Bibra/Heß/Riedinger (Hg.), Oekumenischer Christusdienst, 35. Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, 33.72f. 509 Neuner, Sukzession, 1862.

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institutionellen Verfasstheit entkoppelt: Die Parallelität von Ämtern geht auf Kosten der Sichtbarkeit der Ämter.510

3.2.3 Rezeption im Volksmissionskreis Sachsen Reisetätigkeit Gerhard Küttners Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges511 entfaltete Gerhard Küttner eine Reisetätigkeit nicht nur im Rahmen volksmissionarischer Veranstaltungen des Volksmissionskreises Sachsen, sondern war auch zu Besuchen verschiedener erwecklicher Gruppen, wie zum Beispiel zu Nachfolger-Initiativen der alten Oxford-Gruppenbewegung512, zur neugegründeten Marienschwesternschaft in Darmstadt oder zu Treffen des Oekumenischen Christusdienstes unterwegs. Zu seinen Reisezielen zählten auch Treffen eines ökumenischen Kreises, dem neben Klaus Heß auch der Franziskanerpater Eugen Mederlet und der russisch-orthodoxe Erzpriester Eugraph Kovalevsky (1905–1970)513 angehörten und wo interne Altargemeinschaft praktiziert wurde.514 Nachdem Küttner, Heß, Mederlet und Kovalevsky im jeweiligen Ritus ihrer Kirchen gemeinsam die Eucharistie gefeiert hatten, mag es kaum verwundern, dass auch der sächsische Volksmissionskreis eine liturgische Prägung erhalten hat. Dieser Kreis liturgischer Ökumene existierte bereits vor 1948 und könnte vielleicht als eine Vorform des Oekumenischen Christusdienstes verstanden werden.515 Mindestens 510 Vgl. auch Bues, Christwerden im Geiste Marias, 228. 511 Genaue Jahreszahlen sind nicht auszumachen, Erinnerungen von Gesprächspartnern deuten auf die Jahre 1945–47. 512 Vgl. Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 17. 01. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.1: Küttner nahm z. B. an einer Tagung der Moralischen Aufrüstung in Caux/Schweiz Ende der 40er Jahre teil. Richter beschreibt weiter, wie Küttner in Sosa ein Lied der MRA weitergab. Dass Personen aus dem Volksmissionskreis Sachsen zu Gründern des Marburger Kreises Kontakt hatten und dessen Gründung beiwohnten, ist oben schon erwähnt worden und kommt unter 3.5.4 noch einmal zur Sprache. 513 Ab 1966 Bischof Jean-Nectaire de Saint-Denis bzw. Bischof Johannes genannt; Gründer der Eglise Orthodoxe Occidentale (mit gallikanischem Ritus, zur Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland gehörig) sowie Gründer der Bruderschaft des Hl. Photius. Vgl. zur Person http://orthodoxwiki.org/Jean-Nectaire_(Kovalevsky)_of_Saint-Denis (Zugriff: 06. 03. 2014). Vgl. dessen Vorträge beim Oekumenischen Kirchentag in Königstein 1965 zu Charismen in der orthodoxen Kirche: Bischof Johannes, Charismen in der Geschichte; ders. Charismen. 514 Von seinen Erinnerungen hat mir Martin Rüger, Schönebeck, berichtet, dem ich dafür herzlich danke. 515 Dies wäre durch die Person Klaus Heß’ plausibel. Martin Rüger bezeugt, dass in diesem Kreis »zumindest auch eine Brücke zu den Geschwistern vom gemeinsamen Leben« bestanden hat. Diese Verbindung lässt sich 1958 (zwischen Christusdienst seit 1948 und Kirchentagen in Deutschland ab 1965) an Mederlets Vortrag beim Oekumenischen Kirchentag des Schweizerischen Diakonievereins erkennen: ders., Der Hohepriester des Alls.

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war er im Kontext des Oekumenischen Christusdienstes bzw. der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben verankert. Dies zeigt sich anhand der Oekumenischen Kirchentage 1965–69, die Reiner-Friedemann Edel und Klaus Heß in Königstein/ Taunus organisiert hatten und in der Tradition der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben standen.516 An diesen Treffen nahmen auch Mederlet und Kovalevsky teil und es waren wenige ostdeutsche Teilnehmer vertreten. Die Kirchentage bilden den Anknüpfungspunkt für US-amerikanische Einflüsse der charismatischen Bewegung, die während der mittlerweile berühmten Enkenbacher Tagung 1963 von Arnold Bittlinger und Larry Christenson vermittelt worden waren.517 Kontakte zu den evangelischen Kommunitäten Im Übrigen wurden vonseiten des Volksmissionskreises Sachsen die Kontakte zur Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, zum Oekumenischen Christusdienst, zur Marienschwesternschaft Darmstadt und der Christusbruderschaft Selbitz über Jahrzehnte und zum Teil bis heute gepflegt.518 Bis zum Bau der innerdeutschen Grenze drückte sich dies in regen Reisekontakten, anschließend durch Treffen im Rahmen der Leipziger Messen, durch Besuche aus dem Westen oder durch gegenseitigen Empfang von Rundbriefen aus.519 Zum letzten Mal vor 516 Die Oekumenischen Kirchentage, die seit 1923 jährlich in Rüschlikon und 1965 erstmals in Deutschland stattfanden, entwickelten sich zu einer Plattform des ökumenischen Austausches, zu Impulsgebern der innerevangelischen Kommunitätenbewegung sowie zu Wegbereitern der evangelischen charismatischen Bewegung vor allem in West-, aber auch in Ostdeutschland. Vgl. Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 244; Joest, Kommunitäten, 57; Decker/Schmid (Hg.), Lebenszentrum, 95; Bially/Kieker/Passon (Hg.), Ich will dich segnen, 17f. Vgl. dazu die Dokumentation des Oekumenischen Kirchentages 1965: Edel (Hg.), Kirche und Charisma. 517 Zu Enkenbach vgl. Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 245–247; Reimer, Geist, 17f.26f; Föller, Bewegung, 481. 518 Die engen Kontakte Küttners sind auch dem Beauftragten der Inneren Mission für den Volksmissionskreis, Pfr. Erich Bodenstein, nicht verborgen geblieben. Bodenstein vermutete in einem Brief, Küttners »mystisch bestimmte Haltung« sei »wohl wesentlich von der Bewegung der Marienschwester[n] und der Brüder vom gemeinsamen Leben in Darmstadt bestimmt«. Hier gilt es freilich zu prüfen, ob Küttners theologische Haltung uneingeschränkt als eine »mystisch bestimmte« bezeichnet werden kann und was »mystisch« hier bedeuten will, neben der zu bemerkenden relativen Unkenntnis Bodensteins der genannten Kommunitäten, welche sich auch in der zu korrigierenden Ortsangabe spiegelt. Vgl. Brief von Pfr. Erich Bodenstein, Döbeln, 13. 10. 1954, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, OLKR Ulrich von Brück, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd2. 519 Beispielsweise war Christa Heun schriftenmissionarisch in einem Kreis in Hof aktiv, hatte Kontakte zur Marienschwestern und begleitete eine junge Frau der Chemnitzer St.-Andreas-Kirchgemeinde (Pfr. Paul Mohn) 1953 in die Schwesternschaft. Gerhard Küttner, Hans Prehn, Arthur Leonhardt und Hans Köckert wirkten auf einer Evangelisationswoche in der Oberpfalz mit dem im Christusdienst engagierten Pfarrer Ernst Gleede. Diese In-

Einflüsse apostolischer Frömmigkeitstypen

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dem Mauerbau nahmen Mitglieder des Volksmissionskreises 1956 an einer Rüstzeit des Oekumenischen Christusdienstes (Weißenburg in Bayern) teil, wo Gerhard Küttner mit weiteren sächsischen Teilnehmern als Mitglieder in die Christentumsgesellschaft aufgenommen wurden und damit aufs Engste mit der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben in Verbindung trat.520 Als sich das Programm des Oekumenischen Christusdienstes zugunsten der Oekumenischen Kirchentage sowie des charismatisch geprägten Lebenszentrums für die Einheit der Christen auf Schloss Craheim (ab 1968)521 verschoben hatte – und Reisen von Ost nach West durch die innerdeutsche Grenze erschwert wurden –, erlebte es eine Renaissance im Volksmissionskreis Sachsen. Gerhard Küttner konzipierte den Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen« (siehe 4.5). Die charismatische Spiritualität des Volksmissionskreises bildete einen charismatischen Frömmigkeitstypus aus, der in der »oekumenischen« Nachkriegsspiritualität beheimatet war.

Fokus »Leib Christi« im Volksmissionskreis Sachsen Die Beziehungen zum Oekumenischen Christusdienst halfen dem Volksmissionskreis Sachsen, die klassische, eher kirchlich-skeptisch akzentuierte Schablone erwecklicher Spiritualität zu korrigieren, oder besser : auf eine andere Ebene zu verlagern. Obwohl die Wurzeln des Volksmissionskreises in Kirchlicher Volksmission, Innerer Mission und der Bekenntnissituation des Kirchenkampfes verankert waren und der Kreis in Gremien der sächsischen Landeskirche engagiert war, hatte ihn bis in die 1950er Jahre ein Fokus gekennzeichnet, der überwiegend auf die Gruppenversammlung oder die Ortsgemeinde (Treff, Kerngemeindekreis) gerichtet war, kirchliche Strukturen jedoch, welche über die Sozialgestalt der frommen Versammlung hinausgingen, in nur geringem Maße im Blick hatte. Diese für ein breites Spektrum erwecklicher Strömungen formationen verdanke ich einem Gespräch mit einer anonymen Schwester der Evangelischen Marienschwesternschaft, Darmstadt, 19. 07. 2010; dieses Gespräch ist im Anhang dieser Arbeit nicht dokumentiert. Rundbriefe der Geschwister vom gemeinsamen Leben und persönliche Briefe von Klaus Heß, welche beim Volksmissionskreis eingegangen sind, finden sich z. B. in A.III.a.1957, wobei besonders auf den theologisch aussagekräftigen Rundbrief hinzuweisen ist: Rundbrief der Geschwister vom gemeinsamen Leben 12/1957, Pfr. Klaus und Amalie Heß, Nürnberg. 520 Diese Information verdanke ich Pfr.i.R. Gottlob Heß, Br. Günther Rattey und Br. Walter Pollmer, Ottmaring. Schriftliche Zeugnisse dieser Mitgliedschaft sind nicht ausfindig zu machen. Es stellt sich überhaupt die Frage, wie eine Mitgliedschaft vereinsrechtlich im geteilten Deutschland hätte geregelt werden können. Im Kontext der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben wurden Verbindlichkeiten vielmehr in Form des Handschlages definiert, was auch für die Tagung in Weißenburg denkbar ist. 521 Zu den Gründern gehörten auch Bittlinger und Mederlet. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/ Schloss_Craheim (Zugriff: 06. 03. 2014).

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typische Blickrichtung auf »Gemeinde«, nicht »Kirche« verschob sich im Volksmissionskreis aber durch den Einfluss der apostolischen Frömmigkeitstradition. So entwickelte man eine neue Liebesbeziehung, nämlich zum mystischen Leib Christi und zum sakramental-charismatischen Amt. Die apostolische Spiritualität führte den Volksmissionskreis auf die Suche nach der wahren Amtsgestalt, womit man die Diskrepanzen zwischen empirischer Kirche (Volkskirche), geistlich-realer Kirche (Leib Christi), urchristlichem Ideal (neutestamentliche Gemeinde) und eschatologischem Ziel (Brautkirche) zu überbrücken hoffte. Damit versuchte man, die immer wieder diskutierten Spannungen zwischen Erweckung und Institution, Gemeinde und Volkskirche, letztlich zwischen Charisma und Amt zu lösen. Die Sehnsucht nach dem Frühling des Heiligen Geistes, welcher im Pfingsten des Hier und Jetzt seine Kirche als reine Braut gestalten will, fand neue Bahnen, denn auf der Suche nach den eschatologisch echten Strukturen der Brautkirche wandte man sich dem ekklesiologischen Geheimnis zu. So war im Volksmissionskreis nun öfters die Rede vom »Leib Christi« zu hören. Zugleich begann in arcano ein Experiment zu reifen, wonach ein Miteinander von landeskirchlich verfasstem Predigt-Amt, urchristlich-idealtypischem Amt (Apostel, Prophet, Evangelist, Hirte/Lehrer), charismatischen und liturgischen Ämtern (Begabungen und Dienste) zu installieren versucht wurde. Man wollte nicht einer »Frontstellung zur Kirche«522 das Wort reden, sondern neue Strukturen finden – die nur in einer geistlichen, charismatischen Sukzession wirklich würden.523

3.3

»Die Gemeinde als der Tempel Gottes«.524 Einflüsse apostolischer und pfingstlicher Typologien des alttestamentlichen Tempels

Auf den Volksmissionskreis Sachsen wirkte die auf Kirche und Ämter bezogene Spiritualität des Oekumenischen Christusdienstes, zu der auch die typologische Auslegung biblischer Aussagen über den alttestamentlichen Tempel gehörte. Diese Tempeltypologie stellt ebenfalls ein Erbe der katholisch-apostolischen Tradition dar. Typologische Parallelen von Vorbild (Tempel) und Erfüllung 522 Prehn, Volksmissionskreis, 72. 523 Dass die Kontakte zum Oekumenischen Christusdienst und zur Bruderschaft vom gemeinsamen Leben auch zur Weitergabe von Weihen in apostolischer Sukzession nach Sachsen geführt haben könnten, ist unwahrscheinlich. Schließlich bildeten sukzessionsbasierte Weihen im Christusdienst nur eine Randerscheinung, im Anschluss an Riedinger legte man im Volksmissionskreis den Schwerpunkt auf ein »geistliches« Amtsverständnis und die Quellenlage ermöglicht zudem keine Rückschlüsse. 524 Küttner, Offenbarung, 9.

Einflüsse apostolischer und pfingstlicher Tempel-Typologien

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(Kirche) waren in der Theologiegeschichte keine Seltenheit.525 Im Bereich der apostolischen Frömmigkeitstradition bildet die typologische Bezugnahme zu alttestamentlichen Texten über die Stiftshütte bzw. den Tempel eine grundlegende ekklesiologische Orientierung, die nach dem Typus-Antitypus-Schema auf die Kirche übertragen werden, wobei überwiegend Parallel- statt Anti-Typologien Anwendung finden. Im 19. Jahrhundert hatte die katholisch-apostolische Theologie ihre eigene Stiftshütten- bzw. Tempeltypologie entwickelt,526 indem sie das Schema von Vorbild und Erfüllung so ausformulierte, dass der alttestamentliche Tempel das vorausgehende Vorbild des »neutestamentlichen Priestertums«, d. h. der Kirche als des Leibes Christi und ihres Dienstes, darstelle und nichts anderes als das Abbild oder der »Schatten« der Kirche sei, auf welche die göttlichen Ordnungen bereits hinführten.527 Zwei Ansätze zweier Autoren sind über den Christusdienst an den Volksmissionskreis, insbesondere an Gerhard Küttner vermittelt worden: Es handelt sich um die Tempeltypologien Paul Riedingers (3.3.1) und Eugen Edels (3.3.2), die im Folgenden untersucht werden sollen. Im Anschluss gilt es, deren Rezeption im Volksmissionskreis darzustellen (3.3.3), zu der in der Folge auch eine charismatische Gemeindekonzeption (5.2), Küttners exorzistisches Handeln (7.2.6) sowie eine Konfliktgeschichte (5.3) gehörten.

3.3.1 Apostolische Tempeltypologie am Beispiel Paul Riedingers Vor allem der methodistische Theologe Paul Riedinger betrieb im Oekumenischen Christusdienst die Weiterverarbeitung der katholisch-apostolischen 525 Vgl. z. B. Ohly, Synagoge und Ecclesia, 312: »Von alters ist die Stiftshütte ein Bild der Kirche, die ecclesia figura, die Präfiguration der Kirche als des Hauses Gottes; sie ist der Typus, der sich erfüllt im Antitypus, der Ecclesia. Stiftshütte und Kirche stehen im Verhältnis der Typologie. Der Typus bleibt im Antitypus gegenwärtig; er geht nicht unter, er geht ein in die Gestalt seiner Erfüllung als eine Zeugnisspur des gottgedachten Planes der Erlösung.« 526 Vgl. Bsp. katholisch-apostolischer Literatur : Carlyle, Die Mosaische Stiftshütte; ders., Die Vorbilder im dritten Buch Mose. Danach werden Grundriss, Aufbau, Baumaterial, liturgisches Gerät, Ämter, Dienste und Vollzüge der Stiftshütte bzw. des Tempels, welche in Ex 25– 31.35–39 und Lev 1–16 beschrieben sind, allegorisch-direkt auf die Kirche bezogen, wobei unter »Kirche« jeweils gleichermaßen das unsichtbare corpus Christi mysticum, die sichtbare Gemeinschaft der Gläubigen, die Liturgie und die Gestalt des Gotteshauses verstanden werden müssen. 527 Vgl. Carlyle, Die Mosaische Stiftshütte, III–6, bes. 5, auch 15 u. ö. Ekklesiologisch wird dabei die Kirche prozesshaft als Erfüllung verstanden: Die Gestalt der Kirche als Erfüllung des Vorbildes sei im eschatologischen Werden begriffen. In der katholisch-apostolischen Kirche (konkret in ihrer Ämter- und Gabenstruktur sowie in Form der sieben Londoner Gemeinden) habe sich ein gültiges Muster dieser eschatologischen Gestalt ausgeprägt (vgl. a. a. O., V).

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Tempeltypologie, was verschiedene Texte zeigen.528 Charakteristisch für seinen Ansatz ist eine heiligungstheologische Zuspitzung. Riedinger zufolge ist der alttestamentliche Tempel das Bild und der Maßstab der Kirche, da beide gleichermaßen Abbild des himmlischen Urbildes seien – mit Bezug auf Hebr 8–10 und Offb 4f und grundlegend vom priesterlichen Amt Christi her gesehen.529 Deshalb verwendet Riedinger die recht detaillierten Angaben in Ex und Lev zu Aufbau, Grundriss, Baumaterial, Einrichtung und liturgischem Gerät, Ordnung und Dienst für seine Interpretationen. Ihm geht es vor allem darum, den geistlichen Weg und Dienstauftrag eines Christenmenschen sowie der ganzen Kirche anhand der alttestamentlichen Motive darzustellen.530 Daher bezieht er die Dreiteilung des Tempels in Vorhof, Heiligtum und Allerheiligstes auf Christ und Kirche. Im Blick auf die Kirche sei der Vorhof des Tempels der Ort, in dem der Zugang zum Heil liege (Brandopferaltar : Kreuz, Erlösung) und die Bekehrung stattfinde.531 Der Vorhof als der Bereich, wohin man gläubig oder ungläubig kommen könne, sei damit auch der Ort des Gesetzes, des Buchstabens, des äußeren Amtes und der Volkskirche.532 Dieser Raum ist legitim schon Tempel, noch nicht aber Heiligtum. Das Heiligtum ist nach Riedinger dann der Raum des geistlichen Priestertums, einer priesterlichen Existenz des wiedergeborenen Christen. Von hier aus entfalten sich die verschiedenen geistlichen Dienste – die nach Riedinger mit dem offiziell-kirchlichen Amt nicht identisch sind, aber mit ihm zusammenfallen können: Das Amt sei strukturell Teil des Vorhofes, der Dienst des Heiligtums komme aber jedem wiedergeborenen Christen zu.533 Der Priesterdienst des Heiligtums sei ein Dienst der Gnade entsprechend der verschiedenen liturgischen Geräte, an welchen die Priester Gnade empfangen, dem Volk im Vorhof Gnade vermitteln und der Gottesgegenwart im Allerheiligsten die Anbetung erweisen. Das Allerheiligste als Ort der Gottesgegenwart selbst sei die Mitte oder das 528 Im Oekumenischen Christusdienst hatte Riedinger verschiedene Referate und Andachten zum Themenkreis gehalten, z. B. auf einer Rüstzeit des Christusdienstes in Weißenburg 1948, vgl. ders., Priestertum des Christus, 2. Im Folgenden vgl. ders., Hütte Gottes. Bei diesem Buch handelt es sich um Vorträge Riedingers. Eine Hektographie des Vortrages »Vom Wesen und Dienst des neutestamentlichen Priestertums« (a. a. O., 91–162) war im Volksmissionskreis im Umlauf, z. B. in: A.I.b.1397. 529 Zum priesterlichen Amt Christi führt Riedinger aus in: ders., Hütte Gottes, 87; vgl. ders., Priestertum des Christus. 530 Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, 7–10.35.110 u. ö. 531 Vgl. a. a. O., 49–56. 532 Im Vorhof kann es für Riedinger Namenschristen geben sowie kirchliche Ordnungen und Institutionen, welche für die urchristliche Gemeinde nicht nötig waren, Konfessionen, Lehrmeinungen und volkskirchliche Realität. Vgl. a. a. O., 56.66.71–75. 533 Vgl. a. a. O., 51.61.76f.111; vgl. auch ders., Mensch, 68–70.

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Wesen des Leibes Christi.534 Von hier aus werden Heiligtum und Vorhof zusammengehalten und geistlich ernährt. Ein geistlicher Dienst, der nicht nur als Priesterdienst aus und von der Gottesgegenwart her geschieht, sondern mit der Gottesgegenwart selbst eins geworden ist, sei im Allerheiligsten zu verorten. Dies sei ein seltenes, christusförmig-hohepriesterliches Geschehen, der Ort der reinen Brautgemeinde, die Gegenwart des ungeteilten Leibes Christi – die Einheit der Kirche.535 Im Anschluss an Offb 11,1f kommen der aus Vorhof, Heiligtum und Allerheiligsten bestehenden Kirche in der inneren Zusammengehörigkeit und Unterschiedenheit dieser drei Teile unterschiedliche apokalyptische status zu.536 So sei die reine Brautgemeinde, d. h. das Allerheiligste, die Gemeinschaft der ersten Entrückung. Nach ihr würden auch Heiligtum und Vorhof zur Vollendung kommen, jedes aber nach seinem von Gott bestimmten Maß (Offb 11,1f), wobei dann unter den Gliedern des Vorhofes die Spreu vom Weizen getrennt werden würde.537 Amtstheologisch verarbeitet Riedinger in seinem Modell die klassische Spannung von Amt und Charisma. Das kirchlich-offizielle Amt sei eine Ordnung des Vorhofes, gültiger Dienst am Volk, ein Dienst mit Amtsgnade, doch nicht automatisch auch ein Dienst des geistlichen Heiligtums. Zu letzterem könne es nur werden, insofern der Amtsträger auch ein geistlicher Priester des Heiligtums ist. Die geistlichen Dienste im Heiligtum entsprechend seiner liturgischen Orte (Schaubrottisch, Leuchter, Räucheraltar) dienen bei Riedinger einmal zur Veranschaulichung der vita christiana (das geistliche Leben als »täglicher Opfergang des Priesters)538, zum anderen als Vorbild verschiedener sakramentalcharismatischer Ämter (Apostel, Engel/Bischöfe, Hirten/Lehrer, Propheten, Evangelisten).539 Diese Ämter, allesamt direkte Ordnungen des Heiligen Geistes, seien in der Urgemeinde umfassend ausgeprägt, Strukturen institutioneller Ordnung damit überflüssig gewesen.540 Riedinger löst so das Spannungsfeld von Charisma und Amt bzw. Geist und Institution nach dem Ideal seiner apostoliVgl. Riedinger, Hütte Gottes, 52f. Vgl. a. a. O., 153. Vgl. a. a. O., 53. Zu Zusammenhang und Unterscheidung von Vorhof und Heiligtum/Allerheiligstes vgl. a. a. O., 54–56 u. a. 538 Vgl. a. a. O., 154–162. 539 Vgl. a. a. O., 57–63.96–106.154–162; zum Prophetenamt beispielsweise vgl. ders., Vorbemerkungen, 117. Vgl. ein Praxisbeispiel Riedingers: Den Gründerinnen der Marienschwesternschaft hatte Riedinger aus einer prophetischen Einsicht heraus die Namen »Basilea« (Schlink) und »Martyria« (Madaus) als »Ausdruck der Berufung zum königlichen Priestertum« und zur »Hingabe an Jesus« bzw. »Leidensgemeinschaft« zugesprochen; Zit. Eilrich, Gott zur Welt bringen: Maria, 294; vgl. Schlink, Wie ich Gott erlebte, 233f; vgl. Hutten, Evangelische Bruderschaften, 175f. 540 Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, 58. 534 535 536 537

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schen Prägung: Das kirchlich-offizielle Amt wird als notwendig bejaht und unter dem Begriff »aaronitisch« (von der Ordnung des Gesetzes herkommend) gefasst. Das sakramental-charismatische Amt wird zugleich als geistliche Parallelstruktur, oder besser : als die eigentliche charismatische Dienst-Struktur verstanden und unter dem Begriff »melchisedekisch« (von der Ordnung des Geistes herkommend, in direkter Einheit mit Christus stehend) gefasst.541 »Aaronitisches« und »melchisedekisches« Amt (vor allem mit Bezug auf Hebr 6,20; 7) bilden so gemäß der beiden biblischen Priestertypen Aaron und Melchisedek die Pole Buchstabe und Geist, Ordnung und Freiheit, Amt und Charisma ab. Beide Pole hätten ihr geistliches Recht, doch gehöre das aaronitische Amt in den Vorhof des Heiligtums, erhalte vom melchisedekischen Charisma-Amt seine Gnade und müsse mit diesem nicht in eins fallen.542 Unklar bleibt bei diesem typologischen System jedoch, warum Riedinger die eigentlich »aaronitischen« Gesetzes-Ordnungen aus Ex und Lev umfassend auf das »melchisedekische«, ewige messianische Priestertum des Leibes Christi bezieht, wenn diese beiden Typen einander doch entgegenstehen (vgl. Ps 110,4; Hebr 7,11). Ob es sich um einen Denkfehler handelt? Im Blick auf den Weg des einzelnen Christenmenschen wollte Riedinger mit der Auslegung der Dreiteilung des Tempels einen ordo salutis beschreiben – den der Methodist dann detaillierter in sieben Stufen entfaltete.543 Dieser sei ein Weg geistlichen Wachstums, fortschreitender Heiligung und christusähnlicher werdender Vollmacht:544 Von der geistlichen Annäherung und der Bekehrung (Vorhof) führe der ordo zum priesterlichen Dienst der Wiedergeborenen (Heiligtum) bis hin zur Gottes- oder Throngemeinschaft, welche die vollmächtige Einheit mit Jesus bedeute (Allerheiligstes).545 Schließlich sei das Allerheiligste der Gottessohn selbst, mit dem ein Christenmensch zu »apostolischer Vollmacht« eins geworden sei.546 Überhaupt zeigt sich, dass die Begriffe »apostolisch« und »vollmächtig« inhaltlich nahezu in eins fallen.

541 Vgl. a. a. O., 60–63.109. 542 Vgl. die Rezeption dieser Gedanken bei Walter Hümmer : »Durch die ganze Kirchengeschichte hindurch hat es neben dem aaronitischen Priestertum stets auch ein melchisedekisches Priestertum gegeben, neben dem Amtspriestertum, das die Tradition und die Konstanz wahrte, immer auch ein senkrecht von oben gerufenes Laien-Priestertum. Gott hatte allezeit auch seine ›heimlich Ordinierten‹, die aus der Unmittelbarkeit des Geistes sprachen«, in: ders., Prophetie, 72. 543 Vgl. dazu Bues, Christwerden im Geiste Marias, 232–234. 544 Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, bes. 13–16.35–48.82. 545 Interessanterweise verbindet Riedinger mit diesen Gedanken seine Empfehlung der drei Evangelischen Räte (Armut, Keuschheit, Gehorsam), vgl. Riedinger, Von den Geweihten des Herrn; vgl. Bues, Christwerden im Geiste Marias, 238f. 546 Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, 46f.

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3.3.2 Pfingstliche Tempeltypologie am Beispiel Eugen Edels Die zweite für den Volksmissionskreis bedeutsame Tempeltypologie ist nicht selbst im Oekumenischen Christusdienst entstanden, sondern stammt von dem Gemeinschafts- und Pfingstprediger Eugen Edel (1872–1951)547 bzw. aus dessen Buch »Miß den Tempel Gottes und die darinnen anbeten«.548 Allerdings ist eine wechselseitige Rezeptionsgeschichte zwischen den beiden Tempeltypologien wahrzunehmen. Diese zeigt sich darin, dass auf der einen Seite Personen aus dem Christusdienst wie Klaus Heß, Eugen Belz und Otto Siegfried von Bibra offensichtlich zu den Lesern Edels gehörten.549 Dass – nebenbei bemerkt – Edels Buch zu Gerhard Küttner gelangen konnte, könnte über den Christusdienst geschehen sein. Auf der anderen Seite tritt die Verarbeitung apostolischer Tempeltheologie in Edels Buch erkennbar zutage.550 Bei den beiden Autoren Edel und Riedinger sind die Ausführungen über den »täglichen Opfergang des Priesters«, welche die vita christiana mystisch beschreiben, verblüffend ähnlich.551 Überhaupt gibt es markante Gemeinsamkeiten zwischen apostolischer und pfingstlicher Theologie gerade am Punkt der Tempeltypologie.552 547 Edel war Prediger in Brieg b. Breslau, einem Zentrum der Gemeinschafts- und Pfingstbewegung, Mitglied im Leitungsgremium (Hauptbrüdertag) des Mülheimer Gemeinschaftsverbandes und ab 1924 Leiter des Christlichen Gemeinschaftsverbandes der deutschen Pfingstbewegung in Erfurt. Zur Biographie vgl. Vetter, Jahrhundertbilanz, 45f. Zu seiner Verteidigung der Pfingstbewegung gegen über der Kritik aus der Gemeinschaftsbewegung vgl. Edel, Pfingstbewegung, bes. 548 Vgl. Edel, Stiftshütte. Diese Publikation erschien unter verschiedenen Auflagen (1902– 1971), Orten und Titeln. Von Gerhard Küttner wurde mit Wahrscheinlichkeit die dritte Auflage (Edel, Miß den Tempel Gottes und die darinnen anbeten, Erfurt o. J. [um 1948]) oder ggf. die vierte Auflage (Dillenburg 1950) verwendet. 549 Vgl. diese Namen in: Edel, Auf dem Weg zur Vollendung der Kirche, 391. 550 Vgl. Ergänzungen in der vierten Auflage (1950) von Edel, Stiftshütte, 113: Ein ausführliches Zitat eines apostolischen Theologen wird eingearbeitet sowie ein Brief mit ausgeführter Tempeltypologie im Duktus des Oekumenischen Christusdienstes, dessen Autor gekennzeichnet ist als »Pfr. K.H.« (wahrscheinlich: Pfr. Klaus Heß), in a. a. O., 165–169. Nicht zu vergessen ist aber, das Edel trotz der Rezeption apostolischen Gedankenguts eine ausgesprochene Reserve gegenüber katholisch-apostolischer Theologie und Kirche vermerkt, welche nach seinem Verständnis in »einem fast katholisch-jüdischen Formenkultus« zum Tode erstarrt sei, Edel, Pfingstbewegung, 37. 551 Vgl. Riedinger, Hütte Gottes, 154–162; Edel, Stiftshütte, 43–48. Edel beschreibt das Leben im geistlichen Stande des wiedergeborenen Priestertums in dieser Reihenfolge: Reinigung am Waschbecken, Ganzopfer am Brandopferaltar (tägliches Sterben und Auferstehen mit Christus), Anlegen der Priesterkleider, Speisung am Schaubrottisch (Stärkung des Leibes, Blutes und Wortes), Leuchter (Erfüllung mit der göttlichen Klarheit), Priesterdienst am Räucheraltar (Gebet vor dem Allerheiligsten, von hier empfange der Priester in Anbetung Vollmacht für den priesterlichen Dienst), dann gehe der Priester hinaus, um den Namen des Herrn auf das Volk zu legen. 552 Vgl. dabei den im Kontext von Gemeinschaftspietismus und Gemeinschaftspentekostalismus nicht seltenen Gebrauch des Begriffes »Heiligtum«. Vgl. auch den Titel der Zeitschrift

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Auch Eugen Edel schildert die Dreiteilung des Tempels in Vorhof, Heiligtum, Allerheiligstes als Bild der Kirche. Diese stellt den Kern seiner Auslegung dar, in der er den Schlüssel zur Frage der Parusie und deren Vorbereitung sieht.553 Ihm zufolge spiegelt sich in der Trichotomie des Tempels ein ordo salutis, nämlich die drei Grund-status des Christ- und Kircheseins: »Knechte–Kinder–Meister«.554 Edel spricht von einer Entwicklung der geistlichen Existenz: Das Ziel des Heiles, welches im Vorhof zu erlangen sei, verlangt zugleich einen Wettlauf auf es selbst hin. Das ganze Heil könne nicht in den einmaligen Bekehrungsakt gelegt werden, sondern müsse als geistliches Wachstum begriffen werden.555 Das zeige sich auch an Mt 25,29: »Wer da hat (im Vorhof), dem wird gegeben werden (einzugehen in das Heiligtum), damit er die Fülle habe (im Allerheiligsten). Wer aber nicht hat, dem wird auch das wieder genommen, was er hatte«.556 So sei der Vorhof der »Christus für uns«, der Bereich der soteriologischen Zueignung des Kreuzesopfers. Das Erkennen geistlicher Armut sei die Pforte zum Heiligtum, dem »Christus in uns«, als dem Ort eines heiligen Priesterdienstes.557 Das Allerheiligste sei Ziel des geistlichen Weges: der geistlich reife Christ (»Mannhafter« nach Eph 4,13) lebt vor der stillen Gottesgegenwart, welche in ihm selbst Fleisch geworden ist.558

Seine tempeltypologische Heiligungstheologie verbindet Edel mit einem kirchengeschichtlichen Dekadenzmodell, bei dem er Ausführungen des mennonitischen Predigers Johannes Claassen folgt. Claassen hatte mittels einer Tempeltypologie eine konfessionskundliche Geschichts- und Gerichts-Predigt entworfen.559 Im Anschluss daran geht Edel davon aus, dass das »anfängliche[n] Ineinander der drei Grundformen« des Vorhofs, Heiligtums und Allerheiligsten einem geschichtlichen »Nach- und Nebeneinander« gewichen sei.560 Darin unterscheidet sich Edel von Riedinger, der zwar auch die Urgemeinde als den Ort geistlicher Integrität versteht, in welchem Vorhof, Heiligtum und Allerheiligstes noch nicht getrennt gewesen seien, aber daraus keine dekadente Geschichtshermeneutik ableitet.

553 554 555 556 557 558 559 560

»Grüße aus dem Heiligtum« (Mülheim/Ruhr 1908–1922) des frühen Mülheimer Verbandes, deren Schriftleiter Eugen Edel war. Vgl. Edel, Stiftshütte, 11–13.131. A. a. O., 15. Vgl. a. a. O., 49. Vgl. a. a. O., 53f. Vgl. a. a. O., 18.131 u. a., Zit. 18. Vgl. a. a. O., 14–16.41–48. Der tägliche Opfergang führe den Priester zur Ebenbildlichkeit mit dem Sohn, zur »Lammesnatur«, denn der Sohn (Christus selbst) sei vollkommen im Allerheiligsten herausgeboren für die »Vollendungsarbeit« an der Gemeinde, Zit. a. a. O., 48. Vgl. Claassen, Reinheit – Einheit! Die geschichtliche Periode des Allerheiligsten sei mit den Aposteln erloschen, die nachapostolische Zeit sei noch die des Heiligtums bis zum Ende der Alten Kirche gewesen, bis mit dem Mittelalter die Periode des Vorhofes einsetzte. Vgl. Edel, Stiftshütte, 80, dort. Zit. (Hervorhebungen im Text).

Einflüsse apostolischer und pfingstlicher Tempel-Typologien

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Für Edel bedeutet ein tempeltypologischer Blick auf die Kirchengeschichte nichts anderes als die Trennung der eigentlich zusammengehörenden Bestandteile des heiligen Tempels und die Ausrufung des eschatologischen Gerichtes über den Vorhof. Heiligtum und Allerheiligstes seien im Lauf der Kirchengeschichte »vervorhöfischt« worden, Exegese sei an die Stelle der Prophetie getreten, die Kirche zur Staatsreligion geworden, das Amt habe das Charisma verdrängt und eine Trennung zwischen Laien und Priestern sei eingetreten.561 Im Gegenzug zur kirchengeschichtlichen Dekadenz verlaufe die Kadenz der communio sanctorum über Katholizismus und Protestantismus hin zum freikirchlichen und pfingstlichen Höhepunkt. An dieses Geschichtsmodell knüpft Edel seine Theologie des geistlichen Amtes der Kirche. Da die Kirche ihre Einheit, Apostolizität und Vollmacht als die »Christusherrschaft in ihrer göttlichen Unmittelbarkeit« verloren habe, sei auch die Gestalt des ursprünglichen geistlichen Amtes verloren. Edel nimmt hier Ideen der apostolischen Frömmigkeitstradition auf, wenn er rezipiert, dass das Apostelamt mit dem Ende der Periode des Allerheiligsten, das Priesteramt mit dem Ende des Heiligtums geendet habe.562 Am Ende der Zeit aber werde Gott eine vollmächtige, oekumenische und urchristliche Kirche wiederherstellen, in welcher das neutestamentliche Amt regeneriert sei. Allerdings würde in der apokalyptischen Messung bzw. Scheidung des Tempels (Offb 11,1f) nach der Vollendung des Allerheiligsten und des Heiligtums der Vorhof »am Ende des Streites […] hinausgespien werden«.563 Mit dieser Aussage geht der Pfingstler Edel einen deutlichen Schritt weiter als sein methodistischer Kollege Riedinger.

3.3.3 Rezeption im Volksmissionskreis Sachsen Gerhard Küttner Nach eigener Aussage wurde Gerhard Küttner seit Ende der 1940er Jahre »das Geheimnis des Tempels« zu einem Angelpunkt seiner Theologie.564 Dabei verknüpfte er, von Edel inspiriert, Tempeltypologie und Auslegung der Johannesoffenbarung. Da Riedingers und Edels Ansätze nahezu eins zu eins von Küttner übernommen wurden, muss hier nicht eigens Küttners Tempeltheologie referiert werden. Nur so viel: Wie bei den beiden Autoren diente die heiligungstheologische Tempel-Hermeneutik auch für Küttner dazu, den Weg auf der Suche nach »apostolischer Vollmacht«, nach Bevollmächtigung und der Einheit 561 562 563 564

Vgl. a. a. O., 70.83–87. Vgl. a. a. O., 113. Vgl. a. a. O., 127f.140–143, Zit. 122. Küttner, Offenbarung, 9.

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mit Christus zu beschreiben – und angesichts einer volkskirchlichen Realität die Kluft zum urchristlichen Ideal in Form einer mystischen Heiligungslehre zu überbrücken. Im Anschluss an Riedinger geht Küttner aber wesentlich sanfter als Edel mit der Kategorie des »Vorhofes« um.565 Überhaupt scheint Riedinger den größeren Einfluss auf Küttner gewirkt zu haben;566 allein die sprachlichen Übereinstimmungen zwischen beiden sind nicht zu übersehen. Von Edel hat Küttner vor allem die begriffliche Kennzeichnung der Stufen des ordo salutis auf dem Weg zu wachsender Vollmacht (»Christus für uns« = Vorhof; »Christus in uns« = Heiligtum; »Christus durch uns« = Allerheiligstes) übernommen.567 Schon früh gehörte das tempeltypologische Konzept und die Auslegung der Johannesapokalypse zum Verkündigungsinhalt Küttners gegenüber seinen Gemeinden in Sosa und Bräunsdorf sowie einem breiten Publikum des Volksmissionskreises Sachsen.568

Kritik Offenbar wurde aber die Küttnersche Verkündigung nicht reibungslos aufgenommen. Rudolf Leuschring, Mitarbeiter Küttners in Sosa,569 kritisierte schon früh Auswirkungen, die zum geistlichen Überschwang und gerade bei Jugendlichen zu einem unreflektierten Sendungsbewusstsein geführt haben sollen: 565 Dabei ist eine Entwicklung der Küttnerschen Gedanken festzuhalten. Hatte Küttner zunächst unter dem Eindruck der Lektüre Edels noch davon gesprochen, dass »der Vorhof abgemessen und hinausgeworfen und zertreten« würde (Predigt über Eph 4,17–32, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 15. 10. 1950 [Stenogrammmitschrift von Maria Unger], in: A.II.b.2.935, 71f [1 Seite fehlt] Zit. 71), so ging er später davon aus, dass trotz Gericht nicht der ganze Vorhof verworfen werden würde, (vgl. ders., Offenbarung, 99.108f). 566 Küttner selbst spricht im Rückblick aber von Edels statt Riedingers Vorbildwirkung, vgl. ders., Offenbarung, 9. 567 Ansatzweise auch bei Riedinger, vgl. ders., Hütte Gottes, 23. 568 So predigte Küttner in Sosa über die zentrale Frage »Wie werden wir Priester?«, wobei Begriffe wie »Vorhofschristen« und »Heiligtumschristen« zusammen mit Radikalaussagen wie »Wir haben es nur zu tun mit den Gläubigen nicht mit den Kirchensteuerzahlern, die wie die Heiden sind« zu hören waren, in: A.II.b.2.935, 71. Dass die Beschäftigung mit der Johannesoffenbarung im Volksmissionskreis kursierte, zeigen z. B. Brief des Central-Ausschusses für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche, Berlin, 08. 05. 1951 [betr. Fernleihe von Büchern zur Offb], an Pfr. Karl Krause, Kreischa, in: A.I.m.4.2.1.Nr. 3; Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 15. 08. 2012, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.2. 569 Rudolf Leuschring (1899–1981), Schwager des Chemnitzer Buchhändlers Max Müller, Malermeister, Mitarbeiter im Männerwerk der Schloßkirchgemeinde Chemnitz, Evangelist des Volksmissionskreises, Kantor in Sosa, hielt dort Bibelstunden und Kindergottesdienste, dann Pfarrverweser in Sosa, Pfarrverweser in Frankenhausen (bei, heute in Crimmitschau), Pastor und Pfarrer in Frankenhausen. Trotz dieses Werdeganges liegen nur wenige biographische Daten vor.

Eine Episode am Rande: Wiedertaufen in Markersbach 1952

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»Was ist in manchen Kreisen unserer Arbeit solchen jungen Leuten gegenüber von Berufung geredet worden, vom Leuchter, Schaubrottisch, Räucheraltar, von der Berufung zum Ermahner usw.! Zum Händeauflegen und ähnlichen Diensten sind junge Leute herangezogen worden. Kreise junger Leute von 17, 18, 19 und 20 Jahren, Jungs und Mädchen wurden als Führung in der Gemeinde herangezogen.«570

Unabhängig von den Hintergründen dieses Falls, in dem ein junger Mann einem Pfarrer gegenüber als »Ermahner« aufgetreten war, stellt die Möglichkeit der Klassifizierung von Christen mittels des tempeltypologischen Schemas eine ausgesprochene Gefahr dar. Zwar lehnte Gerhard Küttner eine Klassifizierung unter rechtfertigungstheologischer Begründung ab: Da das Kreuz im Vorhof des Tempels (Brandopferaltar) stehe und jeder Mensch dort freien Zugang zur Gnade habe, könne der geistliche Bereich des Vorhofes keineswegs gegenüber den anderen Bereichen des Tempels abgewertet werden.571 Doch Aussagen wie »Die Menge der Vorhofschristen kommt über die Sündenvergebung nie hinaus«572 sind auch angesichts der untrennbaren Verbindung von Rechtfertigung und Heiligung fraglich: Wofür braucht es mehr als die Gnade des Kreuzes? Die Wirkungsgeschichte der Praxis zeigt jedenfalls Konflikte um Klassifizierungen eindeutig auf. Dazu gehören auch die im folgenden Abschnitt 3.4 untersuchten Wiedertaufen in Markersbach.

3.4

Eine Episode am Rande: Wiedertaufen in Markersbach 1952

3.4.1 Einflüsse der pfingstlichen Tempeltypologie Christian Röckles und Wiedertaufen in Markersbach Im Jahre 1952 sorgte die Wiedertaufe Pfarrer Gerhard Michaels und einiger Mitglieder seines Kerngemeindekreises in Markersbach für Furore in der Landeskirche Sachsens.573 Gerhard Michael, Pfarrer von St. Barbara zu Markersbach und Posaunenpfarrer des Bezirkes, war bereits 1949 im Rahmen der Konfirmationsdiskussion mit seiner erwecklichen Skepsis gegenüber volkskirchlicher Gemeindestrukturen in Erscheinung getreten. Außerdem fiel er dadurch auf, 570 Brief von Rudolf Leuschring, Sosa, 28. 10. 1953, an Sup. Cornelius Kohl, Freiberg, in: A.III.a.1950–1953. Leuschring spricht dabei von »Fehlerziehung in unserer Vomi-arbeit« und beklagt, dass er »mit unserem Vomi-Kreis nicht mehr zurecht« komme. 571 Vgl. Küttner, Offenbarung, 108. 572 »Es ist entscheidend, daß […] wir uns nicht einfach damit begnügen, daß wir Gläubige sind, sondern das Vollmaß erreichen, denn nur diese haben Verheißung«, beide Zit. A.II.b.2.935, 71. 573 Die Vorgänge sind auch dargestellt in: Nogrady, Gaston, Die St. Barbara Kirche zu Markersbach. Geschichte, in: A.IV.a.45.

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dass er in Markersbach die Allgemeine Beichte und Absolution im Sonntagsgottesdienst aus Gewissensgründen nicht praktizierte.574 Michael, der eine Erweckungs- und Heiligungsfrömmigkeit vertrat, sammelte bekehrte Christen in einem Kerngemeindekreis. Dieser definierte sich im Unterschied zum Gros der Gemeinde, den bloßen Kirchensteuerzahlern, und bestand seit 1948 aus über 40 Personen.575 In der Kirchgemeinde Markersbach, vom Superintendenten als auch vonseiten des Volksmissionskreises hatte es mehrfach Kritiken gegenüber Gerhard Michael gegeben, bis schließlich der Kirchenvorstand seinem Pfarrer in einem Beschluss von 1950 das Vertrauen entzogen hatte.576 Im Markersbacher Kerngemeindekreis wurden Anfang der 1950er Jahre Schriften der Philadelphiagemeinde Leonberg bzw. von deren Gründer Christian Röckle (1883–1966) gelesen.577 Röckle vertrat eine pfingstliche Tempeltypologie, die Christen in den status Vorhof, Heiligtum, Allerheiligstes verortete. Seine Philadelphiagemeinde war aus einem tempeltypologisch begründeten eschatologischen Bewusstsein entstanden, was Röckle in seinen Schriften publizierte.578 Dass dies in Markersbach rezipiert wurde, zumal Michael auch Küttners Tempeltheologie gekannt haben wird, ist ausgesprochen wahrscheinlich. Als im Frühjahr 1952 die pfingstliche Prophetin Hanna Faiß, erst Mitglied der Philadelphiagemeinde und dann dort wegen Irrlehre ausgeschlossen,579 Markersbach besuchte (nach ihr zugeschriebenen Aussagen sei sie gebürtig aus Markersbach stammend),580 traf sie bei Michael auf offene Ohren. Faiß sprach in 574 Dabei bezog sich Michael auf Bibra, Die Bevollmächtigten, 30f.97f Anm. 68f und den dortigen Rekurs auf Bonhoeffers Rede von der »billigen Gnade«, vgl. Brief von Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, 06. 06. 1950, an Sup. Gustav Jahn, Aue, in: A.II.k.Markersbach.I.1; vgl. auch Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 31. 08. 1951, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2. Dieser Umgang mit der gottesdienstlichen Beichthandlung stellte keine absolute Seltenheit dar und sollte in den kommenden Jahren noch landeskirchenweit diskutiert werden. 575 Zum Markersbacher Kerngemeindekreis vgl. Bericht über die Evangelisation in der Kirchgemeinde Markersbach 22.–30. 01. 1950 durch Volksmissionar Horst Webers von der Chemnitzer Stadtmission, in: A.II.b.2.1507, 40. 576 Vgl. Auszug aus dem Kirchenvorstandsprotokoll vom 05. 01. 1952, in: A.I.r.155; Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 15. 11. 1952, an Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: A.I.r.155. Welche praktischen Auswirkungen dieser Vertrauensentzug hatte, ist nicht erkennbar. 577 Vgl. Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 26. 05. 1952, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2. 578 Vgl. dazu Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 242–245; ders., Der »gründliche Zerbruch« Hollenweger, Handbuch der Pfingstbewegung II, 1465f. 579 Vgl. Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten, 245; Hollenweger, Handbuch der Pfingstbewegung II, 1467. 580 Vgl. Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 26. 05. 1952, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2; vgl. [Stellungnahme des Volksmissionskreises Sachsen zur Wiedertaufe von] Pf. G. Michael, Markersbach, in: A.I.p.306, auch in:

Eine Episode am Rande: Wiedertaufen in Markersbach 1952

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spontan angesetzten Gemeindeabenden. Als Reaktion auf diese Vorträge ließen sich schließlich Gerhard Michael und seine Familie von Faiß in der Osterwoche taufen. Weitere Gemeindeglieder wurden daraufhin von einem jungen Mann der Kirchgemeinde getauft.581

3.4.2 Reaktionen auf die Wiedertaufen in Markersbach Auf die Markersbacher Wiedertaufen, welche selbst für kurze Zeit nicht verborgen geblieben waren, obwohl Gerhard Michael versuchte, diese in arcano zu behalten, gab es verschiedene Reaktionen. Michael selbst deutete nun die sich schon länger anbahnende Spaltung zwischen Gemeindegliedern als »Scheidung zwischen Glauben und Unglauben«.582 Er wurde auf eigenen Wunsch anstelle eines Lehrzuchtverfahrens vom Dienst suspendiert und ging daraufhin als Baptist nach Westdeutschland.583 Gegen diese Vorgänge äußerten sich kämpferische Stimmen, wie in persona der Markersbacher Kantor Fritz Josiger. Josiger wurde apologetisch tätig und wollte mit allem Erwecklichen, vor allem dem Volksmissionskreis Sachsen, abrechnen.584 Der Volksmissionskreis Sachsen distanzierte sich von den Markersbacher Vorgängen und versuchte die gegen ihn gerichteten Wellen zu glätten.585 Mit seelsorgerlichem Durchblick sah Pfarrer Karl Krause, der Nachfolger Küttners in Sosa, in der Wiedertaufe Michaels »die große innere Not eines Bruders, irgendwie zu Vollmacht zu kommen«.586

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A.II.a.404/8/Bd2; A.III.a.1950–1953. Diese Zuschreibung des Geburtsortes konnte von mir nicht nachgeprüft werden. Vgl. Brief von Pfr. Ruff, Generalvikar, Markersbach, 22. 05. 1952, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2. Brief von Sup. Gustav Jahn, Aue, 31. 08. 1951, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2. Vgl. Brief von Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, 12. 07. 1952, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1762, 30, dort Begründung der theologischen Haltung Michaels; vgl. Brief des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens, Dresden, 30. 07. 1952, an Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, in: a. a. O., 36; vgl. handschriftliche Notiz zu: [Stellungnahme des Volksmissionskreises Sachsen zur Wiedertaufe von] Pf. G. Michael, Markersbach, in: A.I.p.306. [Aufsatz] Die Wiedertäufer von Markersbach unter Pfarrer Gerhard Michael, anno 1952, Kantor Fritz Josiger, in: A.II.k.Markersbach.I.1/2; [Aufsatz] Volksmission auf falschen Wegen, Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: a. a. O. Vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 15. 11. 1952, an Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: A.I.r.155; [Stellungnahme des Volksmissionskreises Sachsen zur Wiedertaufe von] Pf. G. Michael, Markersbach, in: A.I.p.306. Vgl. Brief von Pfr. Karl Krause, Sosa, 12. 01. 1952, an Kantor Fritz Josiger, Markersbach, in: A.I.r.155.

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Christian Röckle selbst schrieb an den Volksmissionskreis, dass er Hanna Faiß’ »eigenmächtiges und gewalttätiges Vorgehen« kritisiere.587 Konsequent und umsichtig zeigte sich die Reaktion der Landeskirche: Landesbischof Hugo Hahn verfasste einen Hirtenbrief nach Markersbach, worin die Praxis der Wiedertaufe als unevangelisch erläutert und die Wiedergetauften zur Widerrufung bewegt werden sollten.588 Der Vakanzvertreter richtete ein Schreiben zusammen mit dem Hirtenbrief an alle mutmaßlichen Wiedergetauften.589 Anschließende predigte der Bischof in Markersbach. Schließlich erklärte ein Teil der Wiedergetauften schriftlich den Widerruf ihrer zweiten Taufe und den Willen zur Mitgliedschaft in der Landeskirche.590 In der Folge bemühte sich Hahn, den Volksmissionskreis stärker in die Landeskirche einzubinden. In diesem Zusammenhang bot er Cornelius Kohl das Amt des Superintendenten in Freiberg an, das dieser zum 14. Juni 1953 antrat.591 Schlussendlich stellen die Markersbacher Vorgänge für den Volksmissionskreis Sachsen nur eine Episode am Rande dar. Pfingstliche Einflüsse führten den Kreis nicht auf den Weg in die Freikirchlichkeit, vielmehr zur innerkirchlichen Positionierung. Allerdings führte die wachsende kirchliche Verankerung nicht dazu, dass das Spannungsfeld um die Topoi Taufe, Wiedergeburt, Beichte, Vollmacht etc. in absehbarer Zeit hätte geklärt werden können. Und die häufige antipfingstliche Kritik aus Kreisen des Gemeinschafts-Pietismus gegenüber dem Volksmissionskreis nahm vor dem Hintergrund der Wiedertaufen keineswegs

587 Brief von Christian Röckle, Leonberg, 21. 06. 1952, an den Volksmissionskreis Sachsen, Limmritz, in: A.III.a.1950–1953. 588 Vgl. Hirtenbrief des Landesbischofs an alle Glieder der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Markersbach, Landesbischof Dr. Hugo Hahn, Dresden, 13. 08. 1952, in: A.II.k.M.I.1/2, auch in: A.III.a.1950–1953. 589 Vgl. Brief von Pfr. Ruff, Generalvikar, Markersbach, 01. 09. 1952, [an wiedergetaufte oder vermutlich wiedergetaufte Gemeindeglieder], in: A.I.r.153. In diesem Schreiben fragte Ruff die Empfänger, ob sie wiedergetauft worden sind und in diesem Fall zur Landeskirche zurückkehren wollen. 590 Vgl. eine Auflistung von Pfr. Ruff über die Wiedergetauften, vermutlich Wiedergetauften und weiteren Mitglieder des Kerngemeindekreises, in: A.I.r.153. Vgl. Erklärungen von Wiedergetauften, welche ihre Wiedertaufe widerrufen und ihren Willen zur Mitgliedschaft der Landeskirche erklärten, in: a. a. O. Ein kleiner Teil der Wiedergetauften gründete eine baptistische Gemeinde, welcher nur eine kurze Lebensdauer beschieden war, vgl. Die St. Barbara Kirche zu Markersbach. Geschichte, Pfr. Gaston Nogrady, in: A.IV.a.45; vgl. Visitationsbericht, Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, 27. 08. 1963, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.k.K33. 591 »Der Bischof hatte mir auch gesagt, gerade weil ich zum Volksmissionskreis gehöre, wolle man mich dort als Superintendenten haben«, Kohl, Bewahrt – wovor? Geführt – wohin?, 100; vgl. Brief [vermutl. von Ewald Ehrler], 17. 02. 1953, an Pfr. Hans Prehn, Lauter, in: A.III.a.1950–1953.

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ab; vielmehr musste man »in den Wirren der letzten Limmritzer Zeit«592 den Vorwurf hören, »dass überall Pfingstgeist sei«593.

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3.5.1 Kerngemeindekreise als Zentren lokaler Erweckungen Der Typus des Kerngemeindekreises (»Gemeindekreis«, »Geschwisterkreis«, »Gebetskreis«, »Stille-Zeit-Kreis«, »Volksmissionskreis« oder nur »Kreis«) tritt als Keimzelle erwecklicher Gemeindearbeit des Volksmissionskreises Sachsen in den Mittelpunkt. Dies lässt sich vielen Gemeinden, welche durch Pfarrer des Volksmissionskreises geprägt waren, beobachten. Gleiches gilt für Gemeinden mit gegenüber dem Volksmissionskreis distanzierten Pfarrern, wo selbstständige Kreise entstanden waren. Fast immer hatte ein solcher Kreis den Anspruch, die Kerngemeinde einer Parochie darzustellen, d. h. die bekehrten und erweckten Christen zu verbinden. Für die im Folgenden untersuchten Gemeinden Sosa, Bräunsdorf und Großhartmannsdorf wurden die Kerngemeindekreise zu Zentren lokaler Erweckungen. Von der Sozialform der frommen Party (Treffen) der Oxford-Gruppenbewegung herkommend, näherte man sich mit dem Ausklang der 1940er Jahre der Arbeit in der Kirchgemeinde. Mit dem Typus des Kerngemeindekreises gelang dem Volksmissionskreis Sachsen der Sprung von der Gruppe zur Gemeinde. Beispielhaft für diese Entwicklung seien die Gruppentreffen der Döbelner Region genannt (vgl. unter 1.4.3), wo aus dem privaten Kreis um Margarete Striegler594 ein Kerngemeindekreis entstanden war – weshalb Striegler dort auch als die »Mutter des Volksmissionskreises« bezeichnet werden konnte.595 Im Kernkreismodell wurden Einflüsse aus der Oxford-Gruppenbewegung (Stille Zeit, Austausch, Laienbeteiligung), Kirchlicher Volksmission (Kerngemeinde, Nacharbeit) und Oekumenischem Christusdienst (geistliches Arkanum) kom592 Brief von Pfr. Gottfried von Lippe, Grünhain, 29. 07. 1952, an Sup. Gustav Jahn, Aue, in: A.II.k.V16/2. 593 Brief von Pfr. Hans Wolff, Limbach, 19. 12. 1953, an Pfr. Hans Prehn, Lauter, in: A.III.a.1950– 1953. 594 Möglicherweise ist Margarete Striegler mit Margarete Weiße identisch und ist die Namensänderung durch Heirat zustande gekommen. Auf einer Mitarbeiterliste des Volksmissionskreises um ca. 1965 werden »Hilmar und Margarete Weiße, Döbeln« bezeugt, vgl. Verzeichnis der Mitarbeiter, in: A.I.b.1396. 595 Ich danke Brigitte Gabsch, Döbeln, für Ihre Auskunft.

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biniert und in die Parochialstruktur integriert.596 Die Gemeindekreise als der Austragungsort erwecklicher Spiritualität übernahmen nun parallel zur landeskirchlichen Etablierung des Volksmissionskreises die Rolle seiner Einbindung in den kirchgemeindlichen Kontext – ohne diese hätte sich die Spiritualität des Volksmissionskreises nicht zu einer innerkirchlichen charismatischen Spiritualität mit dem Merkmal der gemeindlichen Verankerung entwickeln können.

3.5.2 Sosa Als Gerhard Küttner (1911–1997) 1938 seinen Dienst als Vikar bei dem in der Inneren Mission und Volksmission engagierten BK-Pfarrer Ernst Ehrlich (1902– 1989)597 in Sosa antrat, hatte er spannungsreiche Jahre des Kirchenkampfes vor sich. Nach dem Vorbild seines Schwiegervaters Pfarrer Gerhard Pfeiffer (1886– 1956)598 begann er diese entschieden auf Seiten der Bekennenden Kirche.599 Schon bald hieß es aus dem Munde des DC-Superintendenten Walter Leßmüller, »der Vikar müßte verschwinden«.600 Die Repressionen gipfelten in der Androhung einer KZ-Haft.601 596 Gerade am Beispiel des Arkanums zeigt sich, wie die aus der Gruppenbewegung und Tagungsarbeit bekannten Merkmale (z. B.: »Zur Tagung bilden wir einen geschlossenen Kreis, mit nur geladenen Teilnehmern«, [Merkblatt] Tagung des Volksmissionkreises Sachsen in Zwickau 08.04.–12. 04. 1947, in: A.I.c.876) miteinander verbunden wurden: Gruppentreffen, Geschlossenheit der Gruppe nach frömmigkeitsspezifischen Kriterien (Zugangsvoraussetzung in der Regel: persönliche Erweckung), erweckliche Ausrichtung. 597 Genaue biographische Daten sind nur schwierig zu erhalten. Ehrlich war bis 06/1941 Pfarrer in Sosa, 06/1941–08/1949 in Eibenstock, ab 09/1949 Rektor der Stadtmission / Inneren Mission Dresden; vgl. Brief des Ev.-Luth. Kirchenvorstandes Sosa, 30. 04. 1941, an die Ev.Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, zur Weitergabe an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Pfr. Georg Prater, Dresden, in: A.I.c.93; Rundbrief von Pfr. Ernst Ehrlich Dresden, 2[8].09.1949, in: A.I.c.876. 598 Zum Fall Pfeiffers und der Beteiligung Küttners siehe meinen Beitrag in den »Sächischen Lebensbildern«: Schmidt, Gerhard Küttner. Vgl. die Dokumentation des Falls in: A.II.b.2.332. 599 1939 meldete der Landesbruderrat der Bekennenden Kirche in Sachsen 16 Kandidaten, darunter Gerhard Küttner, Hans Prehn, Alfred Meister und Ulrich vom Brück, zum Zweiten Theologischen Examen beim Ev. Oberkirchenrat in Württemberg an (vgl. 1.2.2). In Stuttgart wurden die Examinierten am 26. 04. 1939 vom landesverwiesenen Sup. Hugo Hahn ordiniert. Zum Examen (04/1949) und den Vorgängen im Vorfeld (Korrespondenz BK Sachsen und Landeskirche Württemberg) siehe die Dokumentation in: A.II.h.361, bes. A.II.h.361.337; vgl. Ordinationsurkunde für Gerhard Küttner, Sup. Hugo Hahn, Stuttgart, 26. 04. 1939, in: A.II.b.2.935, 8; Prehn, Begegnung, 35. 600 Brief von Sup. Walter Leßmüller, Aue, 10. 10. 1939, an das Ev-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Präsident Johannes Klotsche, Dresden, in: A.II.k.SosaI.1. 601 1943 ermittelte die Gestapo gegen Küttner ; dabei Prozesse und Verhöre in Zwickau und Plauen mit Androhung einer KZ-Internierung (vgl. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 27. 06. 1946, »Betr.: Statistik über Maßnahmen des NS«, an die Ev.-Luth. Superintendentur

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Aber auch die ersten Jahre des sich aufbauenden sozialistischen Regimes vor dem Volksaufstand des 17. Juni 1953 sollten sich für Küttner nicht minder bedrängend erweisen,602 bis er Ende 1950 von der Staatsicherheit der DDR unter dem Vorwurf von »Boykotthetze« und »Glaubenshaß« in Haft genommen wurde603 – ein Beispiel, das sich eingliedert in die politische Bedrängnis evangelischen Christentums in der DDR.604 Dem Volksmissionskreis-Freund, Prediger der Herrnhuter Brüdergemeine in Zwickau und sächsischen Pfarrer Erich Schumann war es wenig später ganz ähnlich ergangen.605 Diese geschichtlichbiographischen Daten illustrieren die Bedingungen, unter denen sich die er-

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Schneeberg, Aue, in: A.IV.a.54). Offenbar nicht ohne Betreiben von Walter Leßmüller ergingen 1944 politische Anschuldigungen an Küttner ; jetzt ermittelte die Staatsanwaltschaft Zwickau gegen Küttner und er sollte dienstentlassen werden. Der Sosaer Kirchenvorstand wehrte sich, offenbar erfolgreich, gegen die Entlassung bzw. Zwangsversetzung (vgl. die Dokumentation des Falls in: A.II.k.SosaI.1 und A.I.c.93). Von einer Verfolgung des Volksmissionskreises Sachsen durch die Gestapo spricht auch: Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd1. Über diese Vorgänge habe ich mit weiteren biographischen Daten berichtet in: Schmidt, Volksmission und Christusdienst, bes. 9f. Nach mündlicher Quelle habe die Haft am 09. 11. 1950 begonnen. Zum Fall siehe die Dokumentation in: A.II.b.2.935; Zit. nach Brief des Generalstaatsanwaltes im Landes Sachsen, Dresden, 06. 02. 1951, an das Landgericht Zwickau, in: a. a. O., 31–33, hier 31. Wie in vielen Fällen der politischen Verfolgung Anfang der 1950er Jahre richtete sich auch die Anklage gegen Küttner, dass er »gegen den demokratischen Schulunterricht, die Wissenschaft und den Aufbau in verleumderischer Weise gehetzt« hätte (A.II.b.2.935, 31). Küttners Kritik am atheistischen System, auch im Kontext des Schulunterrichtes, und seine Aufforderung an Gemeindeglieder, beim Neubau der Talsperre Eibenstock nicht an Sonntagseinsätzen mitzuarbeiten, wurden zum Anlass der Anklage ausgelegt. Erich Schumann wurde am 05. 12. 1952 während einer Volksmissionswoche verhaftet, zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und am 06. 07. 1953 entlassen. Für seine Freilassung setzten sich neben Karl Barth vor allem die Bischöfe Hugo Hahn (Landeskirche) und Johannes Vogt (Brüdergemeine) ein (vgl. Kanzelabkündigung zu Septuagesimä [01. 02. 1953] des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens und der Direktion der Ev. Brüderunität, Landesbischof Hugo Hahn/Bischof Johannes Vogt/Präsident Erich Kotte, 28. 01. 1953, in: A.II.b.2.1551, 9. Die Dokumentation der politischen Haft Schumanns findet sich in: A.II.b.2.88; A.II.b.2.1551; A.IV.a.56–58; vgl. Käbisch, Politisch Verfolgte, 43–47.) Schumann war vom 01. 07. 1945–15. 02. 1954 Diakonus der neugegründeten Herrnhuter Gemeinde in Zwickau und Reisepfarrer im Dienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens. Vom 16. 02. 1954 bis 15. 10. 1955 stand er im Dienst zur »vikarischen Verwaltung der Pfarrstelle beim Ev.Luth. Pfarramt für Anstaltsseelsorge in Karl-Marx-Stadt«. Diesen Dienst musste Schumann wiederum aus politischen Gründen beenden (die Landesanstaltskirchgemeinde der Kirche der sog. Blindenanstalt stand zur DDR-Zeit unter politischem Druck und wurde 1971 in den Pfarrbereich der Kirchgemeinde St. Matthäus Chemnitz-Altendorf eingegliedert; vgl. Häcker, Lass uns leuchten des Lebens Wort, 8–11; Rundbrief von Pfr. Erich Schumann, Klein-Quenstedt, 01. 12. 1955, in: A.II.b.2.1551, 81). Schumann war anschließend bis 1964 Pfarrer der Kirchenprovinz Sachsen (vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.2.1551, 1f, dort Zit.; Lebenslauf, Pfr. Erich Schumann, in: a. a. O., 3; Mein Lebenslauf, Pfr.i.R. Erich Schumann, Kleinwelka, 24. 02. 1983, in: A.IV.a.58).

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weckliche Arbeit des Volksmissionskreises Sachsen in den Kirchgemeinden verbreitete. In Sosa ist die volksmissionarische Arbeit nicht ohne diesen Kontext zu denken. 1946 wurde zu einer Volksmissionswoche des Volksmissionskreises in Sosa eingeladen.606 Bereits 1939 war der Freundeskreis um Gottfried Klenner in Sosa zu einer geschlossenen Tagung607 zu Gast. Die Volksmissionswoche von 1946 war mit der typischen Vorgehensweise verbunden, einen Kerngemeindekreis zu installieren. Aus den durch die Evangelisation motivierten Teilnehmenden der Woche »sammelte« Küttner einen solchen Kreis, welcher bereits 1947/48 aus vermutlich ca. 50 Teilnehmern608 und 1950 aus etwa 150 Personen609 bestand. In Sosa wird wie in den meisten anderen Gemeinden des Volksmissionskreises anhand des Kernkreises die kirchliche Verankerung erwecklicher bzw. charismatischer Spiritualität erkennbar.610 Die Kopplung der Topoi Kerngemeinde, Gebet, Gebetszeiten, Erweckung und Geist-Erwartung spiegelt sich in der markanten Aussage: »Meine Gemeinde betet täglich 3x beim Gebetsläuten um das Notwendigste: eine Ausgießung des Heiligen Geistes«.611

Küttner hatte aus seinen Erfahrungen mit dem Oekumenischen Christusdienst erweckungs- und heiligungstheologische Einsichten in eschatologischer Zuspitzung nach Sosa gebracht. Im Christusdienst lernte er auch die an das Stundengebet angelehnte Praxis geregelter Gebetszeiten kennen, die nun in Sosa zum Tragen kommen. Küttner entwickelte die Gestalt des Kerngemeindekreises, 606 Einladung zur Volksmissionstagung in Sosa 13.–17. 10. 1946, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 14. 09. 1946, in: A.I.c.876; [Auflistung der Mitarbeiter und Teilnehmer der Volksmissionstagung in Sosa 13.–17. 10. 1946] in: a. a. O., Themen der Volksmissionswoche: »Getroste Verzweiflung«, »Fruchtbares Schweigen«, »Nüchterner Gottesdienst«, »Vom neuen Leben«, in: Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 01. 10. 1946, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: a. a. O. 607 Vgl. unter 2.1.3 und die Dokumentation in: A.III.a.Rundbriefe. 608 Diese Zahl ist annähernd rekonstruierbar z. B. aus einer Auflistung der Rundbriefempfänger des Volksmissionskreises: Freundesbrief-Leser Sosa/Erzgeb., [1948], in: A.I.c.876. 609 Vgl. Abschrift aus dem Bericht über die Volksmissionswoche in Sosa von Pfr. [Erich] Schumann, Herrnh. Brüdergemeine Zwickau, 19. 05. 1950, in: A.II.b.2.1517, 28f. Im Frühjahr 1950 hatte Schumann in Sosa evangelisiert, vgl. Brief des Ev.-Luth. Pfarramtes Sosa, 02. 05. 1950, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.I.c.876. 610 Vgl. Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Sosa, 20. 06. 1960, in: A.II.k.SosaIII.1: »Die durch Volksmissionswochen nach dem 2. Weltkrieg gewonnenen Menschen halten sich demgegenüber [gegenüber der Landeskirchlichen Gemeinschaft] erfreulicherweise ganz und gar zur Kirche.« 611 Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 03. 02. 1948, an Pfr. Alfred Rehmann, Berlin, in: A.I.c.876. Noch 1960 wird berichtet, dass (mittlerweile verschiedene) Stille-Zeit- und Gebetskreise in Sosa existierten, wenngleich die Teilnehmerzahl rückläufig sei; ein kleiner Gebetskreis komme jeden Tag abends zusammen, vgl. Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Sosa, 20. 06. 1960, in: A.II.k.SosaIII.1.

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wie sie im Volksmissionskreis üblich war, weiter. Er transformierte ihn von einer Stille-Zeit-Gruppe zu einem Gebetskreis: Die Oxforder Stille Zeit spielte nicht mehr die Hauptrolle, während das gemeinsame Gebet (für persönliche und öffentliche Anliegen, für Kirche, um Erweckung etc.) den Schwerpunkt der Arbeit in dieser Gruppe einnahm.612 Der Kernkreis verstand sich dezidiert als Kerngemeinde und Gebetskreis, sodass dieser auch von außen als »tragender Gebetskern« wahrgenommen und bezeichnet werden konnte.613 Die Erwartung einer Geistausgießung, volksmissionarisch-erwecklicher Gemeindeaufbau und politische Bedrängnis führten in Sosa offenbar zu dem, was über den Ort hinaus als Aufbruch bzw. Erweckung wahrgenommen wurde. Hartnäckigkeit und entschiedene politische Positionierungen zusammen mit einer bis zur Radikalität zugespitzten Verkündigung scheinen bei Küttner in den Sosaer Jahren derart ineinander gegriffen zu haben, dass der erweckliche Aufbruch innerhalb der Sosaer Kirchgemeinde seit den letzten Kriegsjahren – Küttner hatte die Gemeinde ab 1941 allein zu führen – wohl kaum ohne diesen Hintergrund verstanden werden könnte. Gleichwohl werden auch die Schattenseiten dieses Aufbruches erkennbar : Nach dem Stellenwechsel Küttners 1951 kam es innerhalb des Kerngemeindekreises zu einer Spaltung. Offenbar war ein Teil der Gemeinde derart an Theologie und Wirken des verabschiedeten Pfarrers orientiert, dass der Wechsel nicht mitvollzogen wurde. Zugleich spiegeln sich die Volksmissionskreis-internen Diskussionen um Küttners Theologie darin wieder, wenn sein Nachfolger Karl Krause »nicht in den Fußtapfen von Pfarrer Küttner« einsteigen wollte.614 Hans Prehn verstand die überregionale Wirkung der Sosaer Erweckung als Vorbild für den Volksmissionskreis: Es könne keine Erweckung ohne anhaltendes Gebet geben – dies sei in Sosa Wirklichkeit geworden.615 Sosa war für die zweite Hälfte der 40er Jahre zu einem Reiseziel von Christen aus dem Kontext des Volksmissionskreises geworden. Gottesdienste, Rüstzeiten und Treffen wurden besucht, für die man auch beschwerliche Wander- und Radtouren ins Gebirge in Kauf nahm. Zu einer Schlüsselfigur entwickelte sich dabei der Kaufmann Johannes Rüger (1905–1989) aus Kaufungen b. Wolkenburg, welcher nicht nur familiäre Kontakte zu Gerhard Küttner hatte,616 sondern auch zu den Mitar612 Der Küttnersche Kerngemeindekreis als Gebetskreis existierte in der Folgezeit in von ihm und seinen Anhängern geprägten Gemeinden (z. B. Sosa, Bräunsdorf, Auerswalde), während in anderen Gemeinden weiterhin der herkömmliche Stille-Zeit-Kernkreis bestand (z. B. Lauter, Crimmitschau–Johannisgemeinde). 613 So z. B. [Bericht an die Stadtmission Chemnitz] Dienstreisen Sosa, Dresden-Bühlau und Radebeul, Horst Webers, Chemnitz, 05. 04. 1952, in: A.II.a.404/2. 614 Vgl. dazu Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Ev.-Luth. Kirchgemeinde Sosa, 20. 06. 1960, in: A.II.k.SosaIII.1, dort Zit. 615 Vgl. VMK (Hg.), Rundbrief 01. 06. 1953, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1950–1953. 616 Die Familien Rüger und Winkler aus Kaufungen waren über Freundschaft und Patenschaft

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beitern des Volksmissionskreises Sachsen gehörte und bei der Sosaer Volksmissionswoche 1946 mitgearbeitet hatte.617 Um das Jahr 1948 hatte es auch in Kaufungen eine Erweckung gegeben, welche mit Rügers Kontakten nach Sosa bzw. zum Volksmissionskreis verknüpft war618 und in benachbarte Orte wie Bräunsdorf ausstrahlte.619 Dass Küttner die benachbarte Bräunsdorfer Pfarrstelle übernahm, ist auch den Bewegungen in Kaufungen zu verdanken. Zuvor wurde Küttner, wie erwähnt, Ende 1950 von der Staatssicherheit verhaftet und erhielt, trotz Begnadigung im Frühjahr 1951, Redeverbot im Landgerichtsbezirk Zwickau, was eine weitere Tätigkeit in Sosa unmöglich machte.620

3.5.3 Bräunsdorf Auch in Bräunsdorf b. Limbach-Oberfrohna hatte eine Volksmissionswoche im Mai 1952 den Anfang eines erwecklichen Aufbruches innerhalb der Kirchgemeinde gegeben. Gerhard Küttner hatte diese Woche kurz nach seinem Dienstantritt anberaumt und führte sie zusammen mit Mitarbeitern des Volksmissionskreises Sachsen durch. Küttner war im Februar 1952 nach Bräunsdorf gekommen, nachdem ihn der Kirchenvorstand, Johannes Rüger und wohl auch der Vakanzvertreter Hans Wolff geworben hatten.621 Der Kirchen-

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mit Küttner verbunden. Zur Biographie von Johannes Rüger vgl. die Arbeit von Ephraim Rüger : Mein Großvater. Ein bewegtes Leben, in: A.IV.a.60. Vgl. [Auflistung der Mitarbeiter und Teilnehmer der Volksmissionstagung in Sosa 13.– 17. 10. 1946] in: A.I.c.876; vgl. Teilnehmer an den Chemnitzer Zusammenkünften [05/ 1949], in: a. a. O.; Rüger war Mannschaftsmitarbeiter : vgl. Tagungsteilnehmer Lauter 07.– 12. 10. 1947, in: A.III.a.bis1949; Rüger wurde für einen volksmissionarischen Ausbildungslehrgang vorgeschlagen: Brief von OLKR Gottfried Knospe, Dresden, 25. 09. 1952, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.401/7; noch 1961 findet sich Rüger unter den Mitarbeitern, vgl. [Teilnehmerliste Mannschaftsrüstzeit Großhartmannsdorf 15.–18. 10. 1961], in: A.I.b.1396. Nicht unwesentliche Auswirkung hatte 1949 offenbar eine volksmissionarische Wochenendrüstzeit von Pfr. Hans Wolff, der gerade seinen Dienst in Limbach angetreten hatte (zuvor Grünhain), vgl. Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, Schönebeck, in: A.IV.a.36a, 1. Vgl. die Bemerkung in: [Bericht an die Stadtmission Chemnitz], Horst Webers, Chemnitz, 07. 07. 1948, in: A.II.a.404/2. Küttner wurde durch den Einsatz der Kirchenleitung am 10. 04. 1951 aus der Haft entlassen und am 21. 06. 1951 durch Ministerpräsident Seydewitz begnadigt; vgl. Brief von Rechtsanwalt Dr. Grund, Zwickau, 11. 04. 1951, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.935, 58; Brief von Ministerpräsident Max Seydewitz, Dresden, 22. 06. 1951, an Landesbischof Hugo Hahn, Dresden, in: a. a. O., 107. Das Landeskirchenamt ordnete Küttner zum Oktober 1951 pro forma auf eine ruhende Pfarrstelle an der Dresdner Zionskirche ab, um eine Dienststellung zu gewährleisten; sein Wohnsitz blieb bis Februar 1952 in Sosa; vgl. Aktennotiz in: a. a. O., 138. Vgl. Brief von Sup. Christian Otto Schulze, Chemnitz, 14. 12. 1951, in: A.II.c.1086; Brief von

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vorstand hatte sich 1937 schon einmal um Küttner als Pfarrer bemüht, als dieser Vikar in Neudorf im Erzgebirge war.622 Die Volksmissionswoche hatte offensichtlich Wirkung hinterlassen. Wenig später registrierte der Visitationsbericht des Superintendenten Christian Otto Schulze von 1953 einen Kollektenanstieg auf das Dreifache, die Ziffer der Abendmahlsteilnahme vervielfachte sich.623 1953/54 errichtete man trotz politischer und logistischer Schwierigkeiten ein neues Gemeindehaus, welches dafür benötigt wurde, den bereits auf ca. 130 Teilnehmer (1974: ca. 90; 1977: ca. 60–80 Personen) angewachsenen Kerngemeindekreis zu beherbergen.624 Für diesen als Kirchsaal konzipierten Neubau gestalteten die Oekumenischen Marienschwestern einen Keramikkruzifixus.625 Im Nachgang bezeichnete man die Volksmissionswoche als »Anfang eines geistlichen Weges in Bräunsdorf«626 – und das obwohl die Kirchgemeinde Zum Guten Hirten als eine der kirchlichsten ihrer Gegend vor Küttner beschrieben wurde und sich bereits vier Jahre zuvor ein kleiner Kerngemeindekreis im Zusammenhang der Kaufunger Erweckung (nach einer Evangelisation von Horst Webers) gebildet hatte.627 Die Volksmissionswoche bildete den Anfang des charismatischen Gemeindelebens in Bräunsdorf. »Im Verlauf dieser Woche kam es […] zur Sammlung eines Gemeindekernes, der in besonderer Weise biblisch vertieft und zum Glauben zugerüstet wird«,628 schrieb Küttner über den Kernkreis, der sich ebenso wie in Sosa vom Stille-Zeit-Kreis (»Bibelstunde«) zum Gebetskreis entwickelte.629 Neben der biblischen Besinnung spielten hier vor allem seelsorger-

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Pfr. Hans Wolff, Generalvikar, Limbach-Oberfrohna, 19. 01. 1952, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: a. a. O.; Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, Schönebeck, in: A.IV.a.36a, 1. Stattdessen wechselte Küttners Mentor, Pfr. Friedrich Oskar Günter Lüpfert, von Neudorf nach Bräunsdorf. Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.935, 1f; Winkler, Erinnerungen, 17; Informationen verdanke ich auch Herrn Reinhard Rüger, Halle/Saale. Vgl. [Bericht] Kirchenvisitation in der Kirche Zum guten Hirten zu Bräunsdorf, Sup. Christian Otto Schulze, Karl-Marx-Stadt, 30. 06. 1953, in: A.II.c.465. Vgl. den entsprechenden Schriftverkehr in: A.II.c.1086, dort bes. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 09. 11. 1953, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden; vgl. Bericht für die Bischofsvisitation, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 11. 10. 1974, in: A.I.a.III111; Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3. Das Holzkreuz für den Kruzifixus lieferte Reinhard Rüger, dem ich für diese Informationen herzlich danke. Winkler, Gedenke des ganzen Weges, 20; vgl. Gottes Wunderwege mit der kleinen Bräunsdorfer Gemeinde von 1951–2008, Sr. Käte Fiedler, Bräunsdorf, in: A.IV.a.51, 3. Vgl. [Bericht] Kirchenvisitation in der Kirche Zum guten Hirten zu Bräunsdorf, Sup. Christian Otto Schulze, Karl-Marx-Stadt, 30. 06. 1953, in: A.II.c.465; [Bericht an die Stadtmission Chemnitz], Horst Webers, Chemnitz, 07. 07. 1948, in: A.II.a.404/2. Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Kirchgemeinde zu Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 17. 06. 1953, in: A.II.c.465. Vgl. auch Gottes Wunderwege mit der kleinen Bräunsdorfer Gemeinde von 1951–2008, Sr.

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liches Gespräch bzw. Austausch sowie Gebetsgemeinschaft eine entscheidende Rolle. Die ersten charismatischen Erfahrungen wurden unter Mitgliedern dieses Kreises gemacht; für die charismatische Geschichte der Gemeinde in den kommenden Jahrzehnten war der Kerngemeindekreis von zentraler Bedeutung (vgl. 4.1). Nicht nur, dass sich die Mitarbeiterschaft der Kirchgemeinde und des Kirchenvorstandes überwiegend aus Mitgliedern des Kreises zusammensetzten, auch die für die Gemeinde so markante, 1962 gegründete Schwesternschaft entstammte diesem Kreis (vgl. 4.2).

3.5.4 Großhartmannsdorf Die Praxis, aus einem volksmissionarischen Einsatz einen Kerngemeindekreis zu »sammeln«, hatte nicht zuletzt auch in der Kirchgemeinde Großhartmannsdorf b. Freiberg zu langfristigen Auswirkungen geführt. Der junge Pfarrer des Volksmissionskreises Sachsen, Christoph Richter (geb. 1931), veranstaltete in seiner neuen Gemeinde eine volksmissionarische Bibelwoche unter dem Thema »So lässt Gott Kirche werden«.630 Ganz ähnlich wie bei Gerhard Küttner in Bräunsdorf wurde mit diesem volksmissionarischen Einsatz direkt nach Richters Dienstbeginn in Großhartmannsdorf das geistliche Vorzeichen gesetzt, unter welchem die kommenden Jahre stehen sollten. Anders als in Bräunsdorf ließ Richter aber keine Evangelisation mit einer Mannschaft des Volksmissionskreises veranstalten, sondern führte die Bibelwoche selber durch, die er bereits zehn Tage nach seiner Einweisung am 16. Februar 1958 veranstaltete. Mit dem jungen Pfarrer kommt eine neue, zweite Theologengeneration des Volksmissionskreises Sachsen in Aktion, welche nicht mehr selber unter dem Eindruck des Kirchenkampfes, der alten Gruppenbewegung sowie der VorkriegsVolksmissionskonzeptionen stand, sondern nun in die Schule dieser Gründergeneration ging. Die Praxis der Gründergeneration wurde übernommen und weiterentwickelt. Als Jugendlicher war Richter beheimatet in Aue–St. Nicolai bei Pfarrer Hans Köckert (1916–1974)631 und hatte in den Jahren 1947/48 die Erweckung in Sosa Käte Fiedler, Bräunsdorf, in: A.IV.a.51, 3: »Zuerst wurden wir angehalten, wie man seine ›Stille Zeit‹ hält […]. Junge und Alte trafen sich Sonntag für Sonntag am Abend zu Austausch, Gebet und frohem Lobgesang.« 630 Diese Woche wurde dann auf 12 Abende verlängert. Zu diesen und folgenden Daten vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 3. 631 Hans Wolfgang Köckert, 10/1944–06/1946 Pfr. in Schneeberg, St. Wolfgang; 06/1946–11/ 1951 Aue, St. Nicolai; 11/1951–12/1957 Dölzig b. Leipzig; 12/1957–09/1974 Mildenau b. Annaberg-Buchholz.

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bei Gerhard Küttner kennengelernt.632 In seiner ersten Pfarrstelle in Griesbach (zu Schneeberg) hatte Richter volksmissionarische Erfahrungen gemacht.633 Der Weg zur Großhartmannsdorfer Pfarrstelle zeichnete sich auf dem Hintergrund wachsender Integration in den Volksmissionskreis ab. Richter war im Oktober 1957 mit Cornelius Kohl nach Berlin zu einer Begegnung mit dem frisch gegründeten Marburger Kreis unterwegs gewesen – ein Beispiel für die Teilnahme des Volksmissionskreises Sachsen an der Entstehung des Marburger Kreises (vgl. 1.1.2)634 –, woraufhin ihn der Freiberger Superintendent für Großhartmannsdorf warb. Richter selbst beschreibt, wie er in der evangelistischen und seelsorgerlichen Praxis durch Otto Siegfried von Bibras »Die Bevollmächtigten des Christus« und durch Gerhard Küttner inspiriert wurde.635 Das Vorbild der Küttnerschen Gemeindepraxis ist am Großhartmannsdorfer Kerngemeindekreis nicht zu übersehen. Wie in Bräunsdorf traf sich Richters Kernkreis, der aus dem ersten volksmissionarischen Impuls entstanden war, wöchentlich am Sonntagabend, zunächst im Wohnzimmer des Pfarrers, nach Anwachsen des Kreises in Gemeinderäumen. Dieser Kreis bildete sich aus Personen, welche sich durch die Volksmissionswoche angeregt zu Aussprache und Beichte bei Christoph Richter gemeldet hatten und die Richter zur weiteren seelsorgerlichen Arbeit zu einem Kernkreis »zusammenfasste«. Dieser kam zu Stiller Zeit und zum Austausch über geistliche Themen zusammen; nach und nach übernahmen Personen des Kreises Gebets- und Fürbittdienste.636 Bestand der Kreis zu Beginn aus ca. 30 Personen, wuchs dieser im Verlauf des Jahres 1958 auf ca. 80 Teilnehmer an. Nach einer Evangelisationswoche mit Erwin Paehl aus Slate im Januar 1959 bestand der Kreis für kurze Zeit aus ca. 120 Personen.637 632 Ich danke Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, für seinen ausführlichen Bericht. 633 Richter war seit dem 01. 02. 1955 Pfarrvikar und Pfarrvertreter in Schneeberg mit Griesbach, ab seiner Ordination am 13. 11. 1955 Pfarrer. Im Juni 1956 wurde Waldemar Kühnau (Freund Gottfried Klenners und BK-Posaunenbläser, vgl. unter 1.2.3 als erster Pfarrer in Schneeberg eingeführt, sodass Richter für Griesbach zuständig war. Dort wurden eine Evangelisationswoche mit Ewald Ehrler (12/1956) und eine Vertiefungswoche mit Ehrler (11/1957) gehalten, dazu in Schneeberg eine Jugendevangelisationswoche mit Erwin Paehl, Slate (»Sechs-Tage-Rennen«, vgl. Bericht über die Jugendevangelisation in Schneeberg 22.– 27. 09. 1957, Pfr. Christoph Richter, Schneeberg, in: A.I.b.1397); vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 2f. 634 Vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 2. 635 Vgl. Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 17. 01. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.1. 636 Vgl. Gemeinde als Seelsorge-Gemeinschaft – eine Vision!? Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Bernsbach, vor der Reformierten Konferenz, Steinfurt, 25. 02. 2002, in: A.IV.a.II.4, 11. 637 Vgl. Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.5, 5f; Gemeinde

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Erwartung des Heiligen Geistes

Interessanterweise spielt der Großhartmannsdorfer Kerngemeindekreis nicht nur auf parochialer, sondern auch auf ephoraler Ebene eine bedeutende Rolle. In den kommenden Jahren stellte der Kernkreis das Aktionszentrum charismatischen Gemeindelebens innerhalb der Kirchgemeinde dar (vgl. 4.3), auch wenn sich die kommunitäre Bruderschaft unabhängig vom Kreis gründete (vgl. 4.4). Aber auch außerhalb der Kirchgemeinde wurde der Kreis aktiv, indem dessen Mitglieder zu Volksmissionswochen bzw. Evangelisationen im Kirchenbezirk unterwegs waren.638 Entscheidend für diese Praxis erzeigt sich eine Gästetagung des Marburger Kreises in Berlin im Herbst 1960, an der Cornelius Kohl und Christoph Richter mitarbeiteten und zu der sie sieben Pfarrer des Freiberger Kirchenbezirkes als Teilnehmer warben – diese Pfarrer luden die Großhartmannsdorfer Volksmissions-Mannschaften in ihre Gemeinden ein.639 Und nicht zuletzt nahmen diese Pfarrer zusammen mit Richter auch an einer Rüstzeit in Bräunsdorf teil (Januar 1961), wo Gerhard Küttner seine typologische Auslegung des Tempels bzw. des Priesterdienstes anhand des Kapitels Lev 8 darbot.640 Dies zeigt hervorragend, auf welche Weise sich der Einfluss der apostolisch inspirierten Theologie Gerhard Küttners innerhalb des Volksmissionskreises Sachsen und sogar darüber hinaus verbreitete – und wie diese rezipiert wurde: Während Personen, welche die typologische Theologie Küttners übernahmen, sich dann der Bräunsdorfer Tertiärgemeinschaft anschlossen, spielte diese Theologie dagegen in Großhartmannsdorf eher eine punktuelle Rolle. Wollte man generalisieren, könnte für Großhartmannsdorf eine Entwicklung beschrieben werden, welche sich in den kommenden Jahren nach Küttners Vorbild, wenn auch immer um einige Jahre zeitversetzt, parallel zu Bräunsdorf gestaltete. Die Abläufe der ersten erwecklichen Aufbrüche, der Arbeit der Kerngemeindekreise oder die Gründungen der kommunitären Gemeinschaften als Seelsorge-Gemeinschaft – eine Vision!? Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Bernsbach, vor der Reformierten Konferenz, Steinfurt, 25. 02. 2002, in: A.IV.a.II.4, 9f. 638 Evangelisationen des Großhartmannsdorfer Kernkreises fanden im Freiberger Kirchenbezirk (z. B. in Berthelsdorf b. Weißenborn, Dörnthal, Zethau, Voigtsdorf, Mulda, Deutschenbora) und in anderen Gemeinden (z. B. Crimmitschau–Johanniskirchgemeinde, Plauen, Bräunsdorf) statt, vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3. 639 Es handelt sich um Ernst Lange, Zethau; Karl-Heinz Meißner, Dörnthal; Wolfgang Leßmann, Mulda; Christoph Heinke, Dorfchemnitz; Karl-Heinz Eger, Seiffen; Johannes Schulze, Cämmerswalde; Kurt Naumann, Voigtsdorf; vgl. Auszüge der Amtskalender 1954– 1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 4. Die meisten dieser Pfarrer zählten in der Folgezeit zu den Rundbriefempfängern des Volksmissionskreises Sachsen, vgl. [Auflistung] Pfarrer, die unseren Rundbrief erhalten, in: A.I.b.1396, diese Liste nennt für Anfang der 60er Jahre 135 Pfarrer als Rundbriefempfänger. 640 Vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 4; vgl. Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 15. 08. 2012, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.2.

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zeigen sich erstaunlich ähnlich. Doch werden auch markante Unterschiede deutlich etwa in der Rezeption theologischer Details bis hin zum Konflikt innerhalb des Volksmissionskreis-Vorstandes, was unter 5.3 dazustellen sein wird.

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Gemeinsames Leben. Erster charismatischer Aufbruch

In den 1960er Jahren kristallisierten sich zwei Schwerpunkte oder Zentren der Arbeit des Volksmissionskreises Sachsen heraus: die Kirchgemeinden in Bräunsdorf und Großhartmannsdorf mit ihren jeweiligen Pfarrern Gerhard Küttner und Christoph Richter. Durch die an beiden Orten entstandenen kommunitären Gemeinschaften sowie die Gemeinde- und Tagungsarbeit erreichte der Volksmissionskreis eine überregionale Wirkung. Die Zeit der großen Tagungsarbeit, von der die wesentlichen theologischen Richtungsbestimmungen in den Volksmissionskreis ausgingen (man denke nur an Dresden-Briesnitz 1946, Obercunnersdorf 1948, Lichtenstein 1953), war vorüber, stattdessen kamen nun die Impulse vorwiegend aus dem Rahmen des kirchgemeindlichen Kontextes. Hier waren die Protagonisten des Volksmissionskreises meist als Pfarrer verankert und aktiv. Hatten die wichtigsten Personen des Kreises im Gründungsjahrzehnt eine erstaunliche Reise- und Vortragstätigkeit entfaltet und als Evangelisten fast nebenbei eine Gemeinde geleitet, so waren sie nun eher nebenbei als Evangelisten tätig. Wenn auch die herkömmliche Evangelisations- und Tagungsarbeit des Kreises weitergeführt wurde, lag der Fokus mittlerweile aber bei den Kirchgemeinden, besonders auf dem geistlichen Leben und der Entwicklung der Zentren Bräunsdorf und Großhartmannsdorf. Das Kerngemeindekreis-Modell hatte sich in Sachsen, mit Schwerpunkten in Mittel- und Südsachsen, verbreitet (vgl. Zahlen unter 5.5.1). Diese parochiale Verankerung bildete die beste Voraussetzung für eine breite Etablierung volksmissionarischer und charismatischer Spiritualität des Volksmissionskreises. Paradigmatisch spiegelt sich diese Entwicklung bei Gerhard Küttner. Dessen Diktum »es geht um die Gemeinde: die Gemeinde, der Leib Christi eigentlicher Zielpunkt«641, erwachsen aus der Leib-Christi-Fokussierung der apostolischen Frömmigkeitstradition, konzentriert diesen neuen Schwerpunkt. Küttner war es 641 Zit. Gerhard Küttner in: Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3.

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Erster charismatischer Aufbruch

auch, welcher die Entwicklung des Volksmissionskreises Sachsen in einem theologischem Konzept maßgeblich verarbeitete, indem er den Volksmissionskreis unter dem Programm »Christusdienst Sachsen« verortete. Im Folgenden wird auf die Entwicklungen in Bräunsdorf (4.1–4.2) und Großhartmannsdorf (4.3–4.4) eingegangen, bevor der Fokus auf den Christusdienst Sachsen gerichtet ist (4.5). Dabei können die Entwicklungen in anderen Kirchgemeinden mit Kerngemeindekreisen (wie z. B. Lauter, Mildenau, Falkenstein u. a.m.) um der nötigen Kürze willen nicht untersucht werden. Da der Hauptgesichtspunkt des Volksmissionskreises Sachsen in jenen Jahren auf Bräunsdorf und Großhartmannsdorf lag, welche Kernkreise par excellence entwickelt hatten und über einige Jahre zu regelrechten Pilgerorten avancierten, ist es gerechtfertigt, dass der Fokus dieser Studie auf diese beiden Gemeinden gerichtet ist. Wenn nun die Kerngemeindekreise als Orte des charismatischen Aufbruches in den beiden Gemeinden dargestellt werden, dann ist mit »Kerngemeindekreis« sowohl von der wöchentlichen Gruppenveranstaltung als auch von deren Teilnehmern die Rede. Beides gehört zusammen und ist doch nicht dasselbe. Gerade hinsichtlich der Phänomene charismatischer Spiritualität ist diese Differenzierung von Bedeutung: Charismatische Phänomene, die für Bräunsdorf und Großhartmannsdorf berichtet werden, konnten nämlich entweder innerhalb von Gruppenveranstaltungen oder privat unter den einzelnen Teilnehmern auftreten.642 In beiden Fällen allerdings sprechen die Quellen von »Kreis« (Kreis als Veranstaltung oder Kreis als Menge der Mitglieder), weshalb eine konkrete Differenzierung zum Teil nur schwer vorzunehmen ist.

4.1

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Bräunsdorf

Die Kirchgemeinde Zum Guten Hirten in Bräunsdorf, welche Gerhard Küttner seit 1952 als Pfarrer leitete, entwickelte sich in den 1960er Jahren zu einem selbstständig arbeitenden Schwerpunkt des Volksmissionskreises Sachsen. Die Existenz des Kerngemeindekreises hatte maßgeblichen Anteil an der frömmigkeitlichen Entwicklung der Gemeinde. Nicht nur, dass dieser als die Gemeinde verstanden wurde. Da der verbindliche und hoch motivierte Kreis das Praxisfeld, den Experimentierraum gelebten Glaubens bildete, wurde er zum Erfahrungsort charismatischer Phänomene. Geistliches Leben dieser ecclesiola wollte immer gemeinsames Leben als familia Dei darstellen, war quasi-kommunitäre Koinonia (vgl. dazu u. a. 6.2.3) Es verwundert nicht, dass die kom642 Diese Doppelbedeutung von »Kreis« als Mitgliederschaft und als Veranstaltung lässt sich an den Aussagen der Gesprächspartner meiner Arbeit ablesen.

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Bräunsdorf

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munitären Gemeinschaftsformen der Schwestern und Dienerinnen im Kerngemeindekreis verankert waren. Ebenso konnten Mitglieder der Tertiärgemeinschaft »Johannesring« (siehe unter 4.2.4) bei Besuchen in Bräunsdorf an den Abenden des Kernkreises teilnehmen, was sonst nur wenigen ortsfremden Personen gestattet war. Die Geschichte des charismatischen Aufbruches innerhalb der Bräunsdorfer Kirchgemeinde kann in Etappen nachgezeichnet werden: 1952–1957; 1957– 1964; 1964/67–1968; 1968; 1968–1972. Die Rekonstruktion dieser Entwicklung, welche wohl weniger schematisch verlief als deren Darstellung anhand markanter historischer Daten scheint, dient der nachvollziehbaren Konkretion.

4.1.1 1952–1957: Erweckung Zunächst lässt sich eine größere Etappe vom Dienstbeginn Gerhard Küttners in Bräunsdorf bis zum Beginn verstärkter charismatischer Phänomene um die Mitte der 1960er Jahre beschreiben, wobei von zwei Schritten dieser Entwicklung auszugehen ist: 1952–57 und 1957–64. Erstens ist die Zeit 1952–57 in Blick zu nehmen. Dieses halbe Jahrzehnt kann als Phase der Gemeindeerweckung in der Folge der Volksmissionswoche von 1952 sowie als eine Phase des Aufbaus des Kerngemeindekreises und volksmissionarisch-erwecklicher Verkündigung bezeichnet werden. Hinzu kommen erste charismatische Phänomene: Bereits in diesen Anfangsjahren wird die Erfahrung von Lösungen okkulter Bindungen und sogenannten Glaubensheilungen beschrieben. Diese Erfahrungen wurden nicht an Charismen bestimmter Personen geknüpft, sondern nach Jak 5 vom Gebet als gemeinschaftlichen priesterlichen Dienst her verstanden.643 Sehr wahrscheinlich wird damit die Praxis der Handauflegung verbunden gewesen sein; zu praktizierten Salbungen sind dagegen keine Rückschlüsse möglich (vgl. 7.1.3). Wichtig ist, dass Heilungen und Heilungsgebete nicht an die Öffentlichkeit gerieten und derartige Phänomene nicht mittels öffentlicher Verkündigung beworben wurden.

4.1.2 1957–1964: Gebet und kommunitäre Gemeinschaft Zweitens ist die Zeit 1957–64 zu beschreiben: Die volksmissionarische und frühe charismatische Phase in Bräunsdorf erhält einen Einschnitt in der Begegnung 643 Vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3, dort auch Aufzählung von geheilten Krankheiten: Knochenbrüche, Tuberkulose, Bandscheibenschaden, Schädelbasisbruch ohne Operation.

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Erster charismatischer Aufbruch

mit der Christusbruderschaft Selbitz 1957. Bräunsdorfer Jugendliche begegneten in Selbitz den Angehörigen der Kommunität, dem Ehepaar Walter und Hanna Hümmer sowie dem Mitbegründer des Oekumenischen Christusdienstes, Klaus Heß. Der Aufenthalt in Selbitz wurde zum Berufungserlebnis der Bräunsdorfer Schwesternschaft, welche 1962 gegründet wurde (im Einzelnen: 4.2.1). Die ersten gemeinschaftlichen Erfahrungen des Kernkreises verdichteten sich mit dem Erleben der Kommunität und der prophetischen Berufung. Der Entfaltung kommunitärer Spiritualität innerhalb des Bräunsdorfer Kerngemeindekreises entspricht, dass das Thema der Leiturgia nach und nach entwickelt wurde. Küttners Wertschätzung des Gebets (Gebet, Gebetsgemeinschaft, Gebetskreis; vgl. Erweckung in Sosa 3.5.2) führte in diesen Jahren zur Entdeckung des liturgischen Gebets. 1958 verfasste Küttner einen Rundbrief des Volksmissionskreises unter der Überschrift »Wer betet mit?«, in dem Gebet als Priesterdienst bzw. Stellvertretung644 im Dreischritt Klage, Bekenntnis/Buße, Bitte hervorgehoben und als Teil des Weges zu geistlicher Vollmacht bzw. Wirkung des Heiligen Geistes beschrieben wird (vgl. dazu unter 7.1.1).645 Ab Sommer 1958 kam etwa für die Dauer eines anderthalben Jahres die Kerngemeinde zu Gebetsveranstaltungen an jedem Abend zusammen (Gebetseinsätze für den Ort, stellvertretende Buße, Fürbitte), stattdessen entfielen andere Gemeindeveranstaltungen.646 In diese Zeit fällt auch die von den Marienschwestern übernommene Praxis, während der Kreisabende im Gemeindesaal beim Lobpreislied Fahnen zu schwenken.647 Die Etappe gipfelt im Advent 1963 in einer gemeinschaftlichen Bußzeit des Kerngemeindekreises.648 Die Etappe 1957–64 stellt eine Entwicklung geregelten Gebets in Bräunsdorf dar, in welcher Anliegen, Formen und Aufgaben des freien sowie des liturgischen Gebets privat wie gemeinschaftlich reflektiert und praktiziert wurden. Die neu gegründete Schwesternschaft konkretisierte die Gebetsordnungen im Kontext ihres gemeinsamen Lebens. Hinzu kommt die Einführung der neuen lutherischen Agende I, die thematisiert und reflektiert wurde – wenngleich mit deutlich

644 Die Kategorie der geistlichen Stellvertretung gehört zum Kern kommunitärer Theologie. Vgl. dazu grundlegende Beiträge, z. B. Stählin, Bruderschaft, 45–51.187f; Wendland, Bruderschaften, 16; Verbindlich leben, 19f. 645 Vgl. VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1958, Pfr. Gerhard Küttner, 07/1958, z. B. in: A.II.a.404/8/Bd3; A.I.k.819; Reaktion auf die Frage »Wer betet mit?« in: VMK (Hg.), 5. Rundbrief 1958, Lothar Köppe, 09/1958, in: A.I.k.819, was das letzte Zeugnis der Verbindung des Kreises mit dem alten Prof. Julius Bach darstellt. 646 Vgl. Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489. Eine solche Praxis wurde mehrfach wiederholt. 647 Für seinen Bericht danke ich Martin Rüger, Schönebeck. 648 Vgl. Rundbrief, [Pfr. Gerhard Küttner], Bräunsdorf, Weihnachten 1963, in: A.II.c.489.

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Bräunsdorf

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geringerer Intensität als dies in Großhartmannsdorf geschah (siehe 4.3.2).649 Erste Ansätze einer Ämtertheologie zeigen sich in der Diskussion über die Gestalt des vierfachen Amtes.650 Kann einerseits von einer Weiterführung der Arbeit Küttners in Sosa gesprochen werden, ist im Blick auf dessen »oekumenische« Spiritualität eine deutliche Konzentration des priesterlich-stellvertretenden Schwerpunktes festzuhalten, was vor allem an einer stärkeren Rede von Ämtern, Gaben und Ordnungen zum Ausdruck kommt. Charismen wurden in einzelnen Fällen in öffentlicher Verkündigung thematisiert.651 Küttner entwickelte sich vom volksmissionarischen Prediger zum priesterlich orientierten Hirten.

4.1.3 1964/67–1968: Charismen Ausgehend von dieser frühen charismatischen Entwicklung, welche Charismen als Thema, Wunsch und Praxis kannte, wurden seit Mitte der 1960er Jahre Charismen stärker praktiziert. Deshalb ist von einer weiteren Etappe zu reden. Im Jahr 1964 oder 1967652 wurden zwischen Himmelfahrt und Pfingsten tägliche Gebetsabende gehalten – vergleichbar mit einer traditionellen Pfingstnovene, in der an »die Verheißungen Christi über die Sendung des Hl. Geistes« erinnert wird.653 In Bräunsdorf verarbeitete man ausgehend von Röm 5,5; 1Kor 12,4–11 und Eph 4,11 die Verheißung des Geistes, dessen Gaben, Ordnungen und Ämter im Gebet doxologisch: »Der Heilige Geist ist da. […] Er ist da in der Vollmacht Seiner Liebe. ER ist da mit Seinen guten Gaben. ER ist da in den Ordnungen und Ämtern«. »Dazu entstand im Schwesternkreis ein Lied: 649 Vgl. Predigt über Offb 3,14–22, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner], Bußtag 1960, in: A.III.a.1960. 650 Vgl. VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1963, Lothar Köppe, 03/1963, in: A.II.a.404/8/Bd3. 651 Vgl. Predigt über 1Joh 4, 1–8, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner], 30. 10. 1960, in: A.III.a.1960, wo angesichts einer Unterscheidung der Geister vor überschwänglichem Umgang mit Prophetie und Heilung gewarnt wird. 652 Die Gebetszeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten 1967 wird in einer anderen Quelle gleichermaßen für 1964 berichtet, allerdings handelt es sich mit Wahrscheinlichkeit um ein und dasselbe Ereignis (Bericht 1964 in: Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3; Bericht 1967 in: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf, in: A.IV.a.53, 6–7.8). Die Datierung auf 1967 im Bericht von Sr. Ruth scheint mir aufgrund der unter den Schwestern geführten Dokumentation die größere Sicherheit der Datumsangabe gegenüber Ziemer zu haben. Ziemer verarbeitet Informationen aus Interviews mit einer höheren Unsicherheit. 653 Adam, Pfingstnovene, 190.

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Erster charismatischer Aufbruch

›Der Geist schenkt viele Gaben und Segnung mancherlei, damit zum Dienst an Gottes Reich befähigt jeder sei. Jubel, Jauchzen hebet an, beschenkt ein jeder dienen kann. Jubel, Jauchzen hebet an, weil jeder dienen kann.‹«.654

In der Folge dieser Gebetstage wurden Charismen unter den Mitgliedern des Kernkreises empfangen und praktiziert, worunter Glossolalie, Xenoglossie, Lobpreis, Prophetie und exorzistisches Handeln berichtet werden.655 Die Glossolalie bekam beispielsweise ihren Ort in den morgendlichen Eucharistiefeiern der Bräunsdorfer Hausgemeinde (bestehend aus Pfarrfamilie, Schwestern, Mitarbeitern).656 »Doch Pf[arrer] K[üttner] wies immer darauf hin, dass dieses nicht ein Zeichen geistlicher Reife sei«. Küttners Verkündigung im Kernkreis habe Charismen zu sekundären Merkmalen des geistlichen Lebens erklärt. Neben den Charismen werden auch geistliche Ämter als Berufungen des Geistes genannt, als um die Mitte der 60er Jahre einige Personen ihr Berufungserlebnis zum Ältestenamt erfuhren.657 Mit der Bezeichnung dieser Etappe unter dem Begriff »Charismen« soll Zeugnissen Rechnung getragen werden, nach denen sich Charismen nun von einer privaten bzw. nicht öffentlichen Praxis weg zu einer größeren öffentlichen, d. h. im Kernkreis wie im Volksmissionskreis thematisierten Breite hin entwickelten. Diese Entwicklung ereignet sich gleichzeitig zum weltweiten Aufbruch der charismatischen Bewegung und deren Ankunft in Deutschland. Das gemeinsame Leben des Bräunsdorfer Kernkreises, geformt in Rhythmen und Ordnungen, wurde charismatisch bestimmt. Als Repräsentant charismatischer Spiritualität in Sachsen gab es dem charismatischen Aufbruch im Volksmissionskreis seine spezifische Gestalt durch das Zusammenspiel von Geisterwartung, Liturgie, Kirchenjahr und Gemeindeleben.

654 A.IV.a.53, 6. 655 »Über Nacht wachte eine Schwester auf über dem Gebet in neuen Sprachen, einer anderen wurde ein besonderer Lobpreis geschenkt. […] Die eine Gabe blieb nicht allein. Aus ihr heraus entfaltete sich das Wort der Weissagung; auch in Bildern geschah Korrektur oder Ermunterung. […] Was war dar für eine Gegenwart Gottes und ein Lobpreisen, wenn plötzlich ein Bruder den Herrn pries in Englisch, oder wiederum ein anderer in hebräischen Psalmen, wiederum ein anderer Bruder in französisch. Und sie kannten die Sprache nicht, in der sie beteten. […] Es begannen Dienste der Loslösung und des Austreibens im Namen Jesu. Gott verherrlichte sich an Vielen. Andere wiederum mussten fortgeschickt werden. ›Wir konnten nicht‹ – trotz Gebet und Fasten«, A.IV.a.53, 7, dort auch das folgende Zit. Vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3; Predigt über 1Kor 15,12–20, Pfr. Gerhard Küttner, Ostersonntag 1972, in: ders., Zwölf Predigten, 41–46, hier 43–45. 656 Zu den Abendmahlsfeiern, die Dienstag bis Samstag durchgeführt wurden vgl. Bericht über das Leben der Kirchgemeinde, Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 31. 03. 1982, in: A.I.a.III111. 657 Davon hat mir Martin Rüger, Schönebeck, berichtet, dem ich herzlich danke.

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Bräunsdorf

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4.1.4 1968: Jugendaufbruch Die Etappe »Charismen« wird durch einen Einschnitt markiert: Die charismatische Jugenderweckung 1968 im damaligen Kirchenbezirk Karl-Marx-Stadt II, zu dem Bräunsdorf gehörte. Während einer Jugendrüstzeit 1968 in Buckow (Märkische Schweiz)658 erlebten Jugendliche und Rüstzeitmitarbeiter aus Gemeinden des Kirchenbezirkes Glossolalie und Prophetie. Diese Charismen wurden von den Jugendlichen in die Heimat mitgenommen und dort nicht ohne Überschwang praktiziert. In diesem Zusammenhang ist häufig der Bericht zu hören, dass Jugendliche gegenüber kirchlichen Mitarbeitern die Unterstellung geäußert haben sollen, diese hätten keinen Heiligen Geist.659 In der Folge wandte sich Jugendwart Kurt Ströer an Gerhard Küttner, welcher daraufhin in den Jahren 1970–72 ephorale660 Bibelseminare für Jugendliche an Sonntagen anbot. Kern dieser Seminare war eine rechtfertigungstheologisch orientierte Katechese, nach der Charismen als sekundär eingeordnet wurden. Nun wurden nicht nur charismatische Erfahrungen, sondern auch Aspekte der Küttnerschen Theologie durch einige hundert teilnehmende Jugendliche in der Region verbreitet.661

4.1.5 1968–1972: Auf dem Weg zum zweiten charismatischen Aufbruch Ausgehend von der charismatischen Entwicklung der Bräunsdorfer Kirchgemeinde und der theologischen Verarbeitung dieser Phänomene in den 1960er 658 Der Buckower Pfarrer Alfred Luckau zählte zu den Rundbriefempfängern des Volksmissionskreises, ein Beispiel für die gewachsenen Verbindungen des Kreises nach Nordostdeutschland, vgl. [Auflistung] Pfarrer, die unseren Rundbrief erhalten, in: A.I.b.1396. Wahrscheinlich fand die Rüstzeit im »Haus Rehobot« der Gossner Mission in der DDR statt, zu dessen Kuratorium Luckau gehörte. Kurt Ströer datiert die Rüstzeit anders ins Jahr 1969 im Zusammenhang mit weiteren Daten (27. 09. 1969, 01. 02. 1970), vgl. Ströer, Bräunsdorfer Gotteshaus, 31. Parallel zur Karl-Marx-Stadt-II-Jugendrüstzeit ist im Blick auf die Geschichte der charismatischen Bewegung in der DDR die Silvesterjugendrüstzeit 1968/69 im Julius-Schniewind-Haus zu sehen. 659 Hier und im Folgenden: Ströer, Bräunsdorfer Gotteshaus; Kirchner/Planer-Friedrich/Sens/ Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 31–33; so auch persönliche Erinnerungen vieler Gesprächspartner. 660 Offiziell mit Einverständnis des Superintendenten als Veranstaltungen des Kirchenbezirkes. 661 Der Jahresbericht von 1970 weist auf je 175 Teilnehmer an sieben Sonntagen hin, VMK (Hg.), Jahresbericht 1970, Lothar Köppe, in: A.III.a.1970. Vgl. dazu Kirchner/PlanerFriedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 33. Ähnliche Seminare wurden auch in den folgenden Jahren durchgeführt, vgl. Bericht für die Bischofsvisitation, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 11. 10. 1974, in: A.I.a.III111, wo 336 Teilnehmer für 1974 angegeben werden.

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Erster charismatischer Aufbruch

Jahren ist die nun folgende Etappe als Phase der Konsolidierung auf dem Weg zur Neuorientierung bis zum zweiten charismatischen Aufbruch in Bräunsdorf 1973 zu sehen. Charismatische Phänomene traten im Kontext des Kerngemeindekreises weiterhin auf. Im Kernkreis hatte sich verbindliches gemeinsames Leben im Laufe der nunmehr fast zwanzig Jahre währenden erwecklichen Gemeindearbeit etabliert. Die Sehnsucht nach Charismen ging zurück. An deren Stelle trat die Sehnsucht nach einem »Jesusleben« – womit ein christusähnlicher, »apostolisch« bevollmächtigter Dienst und die Entfaltung verschiedener geist-berufener Ämter gesucht wurde. Kirchliche und charismatische Spiritualität gingen eine spezifische Verbindung ein, was sich auch an der liturgischen Praxis in Bräunsdorf zeigte: »Der Geist, der in Sprachen betet oder singt, ist derselbe Geist, der auch die Liturgie zum Klingen gebracht hat.«662 Kirchenmusik und Katechetik hatte Klaus Küttner (ältester Sohn Gerhard Küttners, geb. 1941) 1968 als Kantorkatechet übernommen. Aufgrund einer prophetisch formulierten Berufung hatte er diese Stelle angetreten und Sr. Käte Fiedler darin abgelöst.663 Mit Klaus Küttner als Exponent einer jüngeren Kantorengeneration wurde die liturgisch-charismatische Tradition Bräunsdorfs weitergeführt und durch charismatische Jugendarbeit ergänzt. Eine besondere Herausforderung bedeutete in jenen Jahren der frühe Tod von Dorothee Küttner geb. Pfeiffer (1918–1970). Die Spannung zwischen erfüllten und ausbleibenden Glaubensheilungen musste theologisch verarbeitet werden,664 was auf dem Weg zum zweiten charismatischen Aufbruch (siehe 5.2) mit Sicherheit eine Rolle spielte. Ein Jahr des Rückzuges Gerhard Küttners (»Klausur«; 5.2.1) beendete diese Etappe und eröffnete den zweiten charismatischen Aufbruch.

662 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 10/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3. Vgl. Prehn, »Siehe, er betet«, 98. 663 Ich danke Klaus Küttner, Chemnitz, für das Gespräch und den ausführlichen Bericht seiner Erinnerungen. 664 Vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3; siehe dazu auch unter 7.1.3.

Schwesternschaft in Bräunsdorf

4.2

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Schwesternschaft in Bräunsdorf

4.2.1 Berufungserlebnis in Selbitz Am Vorabend des Aufbruches der weltweiten charismatischen Bewegung gründete sich die Bräunsdorfer Schwesternschaft. In den ersten zehn Jahren der Amtszeit Küttners hatte sich offensichtlich ein Gemeindeleben breiten Engagements entwickelt, welches mit seinem Dienst dem gesamten Dorf zur Verfügung stehen wollte. Dieses sollte durch ehelos lebende Schwestern aufgefangen werden, welche am 1. Februar 1962 ihren Dienst als Schwesternschaft begannen.665 Am Beispiel der Schwesternschaft verdeutlicht sich, wie Gerhard Küttners Kontakte zum Oekumenischen Christusdienst zur Auswirkung in Bräunsdorf kamen. Im Mai 1957 besuchte Küttner mit ca. 25 Jugendlichen aus Bräunsdorf und Kaufungen die Christusbruderschaft Selbitz zu einer Rüstzeit.666 Der Aufenthalt in Selbitz, die Begegnung mit der Kommunität und dem Gründerehepaar Hümmer wirkte offensichtlich tief. Die Rüstzeit gipfelte für die Bräunsdorfer im Zusammentreffen mit Klaus Heß. Heß sprach der Rüstzeitgruppe im Rahmen einer Andacht einen ausführlichen Segen zu.667 Die Aussagen dieser Segnung, welche doxologischer und prophetischer Natur waren, wurden als »Berufung zu gemeinsamem Leben« verstanden.668 Daher gilt der 28. Mai 1957 als das Berufungsdatum der Schwesternschaft. Seit dem Besuch bei der Christusbruderschaft hatte der Gedanke kommunitären Lebens den Kerngemeindekreis nicht mehr losgelassen, welcher ca. fünf Jahre dieses Thema in seinen wöchentlichen Zusammenkünften (wohl vor allem in den Gebetsgemeinschaften) bewegte, sodass die Konkretion gemeinsamen Lebens am Anfang der 60er Jahre fassbarer wurde. Im Januar 1962 hieß es schließlich: »Das gemeinsame Leben soll in diesen Monaten beginnen«669. 665 Zunächst wurde die Gemeinschaft »Bräunsdorfer Schwesternschaft« genannt, ab den 1970er Jahren »Bräunsdorfer Schwestern«. Die theologisch gefüllte begriffliche Unterscheidung, die sich auf das Selbstverständnis entweder als Kommunität oder als »Stand« der Gemeinde bezieht und unter 5.2.3 weiter erläutert werden wird, wird im Folgenden chronologisch entsprechend durchgehalten. 666 Vgl. die ausführliche Schilderung in: Gottes Wunderwege mit der kleinen Bräunsdorfer Gemeinde von 1951–2008, Sr. Käte Fiedler, Bräunsdorf, in: A.IV.a.51, 17. 667 Zwei Nachschriften dieser Segnung vermutl. von Sr. Christine Rüger und Pfr. Gerhard Küttner finden sich in: A.IV.a.52; kurze Zitate auch in: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf, in: A.IV.a.53, 2. 668 »Vor fünf Jahren waren wir mit einer größeren Schar junger Menschen zu Gast im Mutterhaus der Christusbruderschaft in Selbitz. Viele von uns glaubten damals, so etwas wie eine Berufung zu gemeinsamem Leben vernommen zu haben«, Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489. 669 Protokoll der Kirchenvorstandssitzung, Bräunsdorf, 26. 01. 1962, in: A.I.a.017.

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Erster charismatischer Aufbruch

4.2.2 Ein theologisches und organisatorisches Novum Der Installation einer evangelischen Schwesterngemeinschaft in Sachsen standen zunächst theologische und kirchenrechtliche Unvorstellbarkeiten sowie die Eigenheiten des sozialistischen Arbeitsrechts entgegen.670 Diese Gründung innerhalb einer lutherischen Kirchgemeinde bedeutete ein aufsehenerregendes Novum. Vertraut waren im Protestantismus bislang nur Diakonissen – folgerichtig erhielten die Schwestern von verschiedenen Seiten die Bezeichnung »Dienstschwesternschaft«, welche seinerzeit keine Unüblichkeit bedeutete und auch für Selbitz verwendet worden war. Bei der Inneren Mission wurden die Schwestern auch als »diakonische Gemeinschaft«671 bezeichnet und so formulierte man in Bräunsdorf: »Unser Mutterhaus war die Gemeinde«672. Gerhard Küttner bewegte sich selbst in diesen Denkkategorien, um das Bräunsdorfer Projekt einer Gemeinde-Kommunität zu plausibilisieren – so sollte man diese Gemeinschaft am besten bezeichnen, die nach dem Vorbild des Ordenschristentums leben und zugleich als Teil der Kirchgemeinde keine Ordensneugründung darstellen wollte. Obwohl »es in dieser Zeit bruderschaftlicher Bewegungen an Vorbildern nicht fehlt«673, kamen besonders in den beiden Anfangsjahren theologische Definition und rechtliche wie kirchenrechtliche Verortung dieser Gemeinschaft vielfach zur Sprache. Wichtig waren vor allem das theologische Verständnis der Schwesternschaft sowie die Frage der Angliederung an eine kirchliche Einrichtung, auch um dem Arbeits-, Steuer- und Rentenrecht gerecht zu werden; Fragen um Steuerfreiheit und Rentenversicherung wurden intensiv diskutiert.674 Seitens der Kirchenleitung und der Inneren Mission wurde eine Angliederung der Schwestern entweder an die Innere Mission oder ein Diakonissenmutterhaus 670 Vgl. z. B. Aktennotiz, Dr. Horn, Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, 19. 04. 1962, in: A.II.c.489: »Zu den Diakonissen und Ordensangehörigen, die nach §2 der Anordnung über die arbeitsrechtliche Stellung der in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeiter und Angestellten vom 18. 1. 1958 (GBl. I. S. 84) den arbeitsrechtlichen Vorschriften nicht unterliegen […], können sie schon deswegen nicht gerechnet werden, […] denn sie sind hinsichtlich ihrer Schwesterntätigkeit nicht kirchliche Angestellte, sondern bilden eine selbstständige Personengemeinschaft«. Dazu bestand die Frage, ob es gesetzlich überhaupt möglich sei, freiwillig auf feste Lohnzahlungen zu verzichten. 671 Aktennotiz, Dr. [Metzer?], Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, [ohne Datum], in: A.II.a.404/8/D. 672 A.IV.a.51, 18. 673 Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 31. 03. 1962, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.a.404/8/D. 674 Die Korrespondenz richtete sich dabei natürlicherweise an die Superintendentur KarlMarx-Stadt II und an das für den Volksmissionskreis und die Diakonissengemeinschaften zuständige Landeskirchliche Amt für Innere Mission. Davon zeugen Briefwechsel und Aktennotizen in: A.II.a.404/8/D; A.II.c.489; A.II.c.1086; A.II.c.1199.

Schwesternschaft in Bräunsdorf

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erwogen, vonseiten Küttners und der Superintendentur Karl-Marx-Stadt II eine Zuordnung an den Volksmissionskreis vertreten. Letztlich kam keine dieser Optionen zum Tragen, sodass die Schwestern als eigenständige Gruppe existierten. Die Landeskirche hatte sich hinter die Schwesternschaft gestellt, verbunden aber mit der Aufforderung, dieses Projekt »tunlichst« nicht über die Bräunsdorfer Grenzen hinaus auszuweiten.675 Ungleich schwieriger gestaltete sich für die Schwesternschaft die Anerkennung durch den Staat. Von dessen Seite war es alles andere als erwünscht, dass mit den Schwestern Arbeitskräfte aus der sozialistischen Produktion abgezogen würden.676 Der Bau eines Wohn- und / oder Einkehrhauses für Schwestern und Gäste war auch aus diesen Gründen nicht bewilligt worden.677 Ab Ende 1963 ließ die staatliche Seite die Gemeinschaft mit Steuerfreiheit und einem Mindestmaß an Sozialbeiträgen gewähren. Sie erzeigte einen lokalen Bescheid ihrer Akzeptanz, als am 8. März 1964 »zum Internationalen Frauentag die Bürgermeisterin Frau Brecheis ›der Schwesternschaft in Bräunsdorf‹ einen Gruß übersandte«.678

4.2.3 Anfänge Anfangs lebten sechs, einen reichlichen Monat später acht, im Laufe eines Jahres dann 13 Frauen in einer Altersspanne von 20 bis 60 Jahren nach den evangelischen Räten der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams.679 Die Gemeinschaft aus ledigen oder verwitweten Frauen, bis auf seltene Ausnahmen stets herkünftig aus der Bräunsdorfer Ortskirchgemeinde, blieb im Blick auf die Mitgliederzahlen bis zu den Austritten 1979/1984 stabil. Trotz Anwärterschaften wurden aus logistischen Gründen nicht mehr als 13 bis 16 Schwestern aufgenommen (1962: 13 Schwestern; 1964: 12; zwischenzeitlich 16; 1977: 13; 1979:

675 Vgl. Aktennotiz, OKR Walter Mitscherling, 12. 04. 1962, an Präsident Dr. Kurt Johannes, Ev.Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Durchschlag für OKR Ulrich von Brück, Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/D, dort Zit. Vgl. Brief von OKR Ulrich von Brück, Radebeul, 04. 04. 1962, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, Zit. in: A.IV.a.53, 4: »Ich halte die geistliche Seite des Geschehens für höchst beachtlich und jeder Förderung wert und will gern auch meinerseits weiter raten u. helfen, wo es nötig ist«. 676 Aktennotiz, Kirchenamtsrat Schulze, Karl-Marx-Stadt, [29. 10. 1963], in: A.II.c.1199. 677 Siehe 2.2.1, Anm. 312. 678 A.IV.a.53, 5. 679 Vgl. die detaillierte Auflistung der Schwestern mit Namen, Geburtsdaten, Berufen sowie Daten des Eintritts in: Beginn eines gemeinsamen Dienstes und Lebens in Bräunsdorf, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 21. 03. 1962], in: A.II.a.404/8/D. Bei der Zählung in der Anfangszeit richte ich mich nach a. a. O., da einige Quellen aus persönlicher Erinnerung unterschiedliche Zahlen berichten.

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Erster charismatischer Aufbruch

10; 1984: 8; 2012: 5).680 Eine Zeit lang bestand eine Außenstation mit fünf Schwestern in Plauen, darunter eine ordinierte Pastorin.681 Nach Vorbildern installierte man zum klassischen Schema klösterlicher Initiation (Postulat, Noviziat, Profess) eine Eintrittsordnung: zuerst eine Wartezeit der Bewerberinnen von fünf Jahren, dann eine Probezeit von einem Jahr, schließlich die sogenannte Kreuzweihe als Eintrittsritus.682 Zunächst gestaltete sich das kommunitäre Leben recht experimentell: Bis auf die beiden jüngsten Schwestern, welche im Pfarrhaus untergebracht waren, lebten die Frauen anfangs in ihren angestammten Häusern, von wo aus sie sich täglich zu Gebet, Leben und Dienst im Kirchengelände trafen. Das Archiv des Pfarrhauses war zu einer Schwesternküche umgebaut worden.683 Bald entstanden Pläne für ein Schwesternwohnheim, für welches, auch unter dem Nutzungskonzept eines Rüstzeitheimes, keine staatliche Baugenehmigung erlangt werden konnte.684 Als schließlich das sich füllende Pfarrhaus zu eng wurde, schaffte ein Dachbodenausbau im Gemeindehaus Abhilfe, wo 12 Schwestern in sechs kleinen Zimmern Raum fanden.685 Zu den Bauplänen der Anfangsjahre gehörten auch Überlegungen, ein Pflegeheim als Arbeitsort für Schwestern zu errichten, welche bald verworfen wurden.686

680 Zu den Zahlen vgl. div. Quellen: Beginn eines gemeinsamen Dienstes und Lebens in Bräunsdorf, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 21. 03. 1962], in: A.II.a.404/8/D; Brief von Sup. Friedrich Kruspe, Karl-Marx-Stadt, 04. 02. 1964, an KR Hermann Fürer, Hofgeismar, in: A.II.c.489; Stepper, Bewegung, 59; Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3; Kirchner, Hubert/Planer-Friedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 21; Brief von Sup. Karl-Heinz Schönfeld; Karl-Marx-Stadt, 17. 02. 1984, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.c.1201. 681 Darüber haben mir Schwestern in Bräunsdorf berichtet, denen ich vielmals danke. 682 Vgl. A.IV.a.53, 3. Liturgische Ordnung mit Weihegebet zur Kreuzweihe in: Brief von Sr. Christine Rüger, Bräunsdorf, 11. 03. 2014 an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.63. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit hat vor der Erarbeitung der Ordnung der Kreuzweihe das einfache Weihegebet Verwendung gefunden, das 1960 im Großhartmannsdorfer Kernkreis entstanden war und nur wenig später in Bräunsdorf verwendet wurde (vgl. unter 4.3.2; Text in: A.II.c.489). 683 Vgl. A.IV.a.53, 2. 684 Vgl. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 11. 1963, an den Rat des Kreises KarlMarx-Stadt, Vorsitzender Reißmüller, in: A.II.c.1199; Aktennotiz [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, ca. 14. 03. 1964], in: a. a. O. 685 Vgl. A.IV.a.53, 3. 686 Vgl. Beginn eines gemeinsamen Dienstes und Lebens in Bräunsdorf, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 21. 03. 1962], in: A.II.a.404/8/D; Aktennotiz, Kirchenamtsrat Schulze, Karl-Marx-Stadt, [29. 10. 1963], in: A.II.c.1199.

Schwesternschaft in Bräunsdorf

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4.2.4 Tertiärgemeinschaften: »Dienerinnen« und »Johannesring« Ledige bzw. verwitwete Frauen aus der Kirchgemeinde, welche nicht der Schwesternschaft verbindlich beitreten wollten oder konnten, jedoch Dienst und Leben mit ihr zu teilen bereit waren, wurden ihr als »Dienerinnen«, als »Gemeinschaft des Dornenzweiges« zugeordnet.687 In diesem Namen zeigt sich sicher die Vorbildwirkung der Darmstädter Marienschwestern, welche als Zweig die Dornenkranzschwestern haben. Das »Weihegebet« der diakonisch ausgerichteten Dienerinnen lautete: »Allmächtiger Gott, Vater unseres Herrn Jesu Christi / Du hast uns berufen mit heiligem Ruf / Du hast uns berufen zur Gemeinschaft des Dornenzweiges / Du hast uns berufen zu priesterlichem Dienst und Leben. / Wir geben uns Dir hin mit Leib, Seele und Geist / mit allem, was wir sind und haben / Deinem Ruf Folge zu leisten. / Mache uns eins mit Jesus, dem Hohenpriester / mit Jesus, dem Lamm, das zur Schlachtbank geht / das Seinen Mund nicht auftut vor dem Scherer / mit Jesus, dem Beter / mit Jesus, dem Diener aller. / Und durch Ihn mache uns eins / mit allen Deinen Auserwählten, Heiligen u. Geliebten / im Himmel und auf Erden / daß wir einmütig und mit einem Munde Dich, Gott, loben / und dem Kommen des Herrn des Weg bereiten helfen / Amen.«688

Im Verlauf der 60er Jahre entstand der zudem der »Johannesring«, der übrigens erst als »Marienring« gedacht worden war,689 was wieder auf die theologische Prägung durch die Marienschwesternschaft hinweist. Bis 1969 firmierte der Johannesring unter »Tertiaren der Bräunsdorfer Schwesternschaft«.690 Er existierte als ein Verbund von bis zu 180 Personen nicht allein evangelischer Konfession aus Sachsen und darüber hinaus, welche von Küttners Thematik des Priesterdienstes ergriffen worden waren.691 Das Profil dieses Tertiärkreises wird in seiner Ordnung erkennbar : 687 A.IV.a.51, 20; Protokoll der Kirchenvorstandssitzung, Bräunsdorf, 26. 01. 1962, in: A.I.a.017, nennt neben der Schwesternschaft den »Witwenstand: diakonischer Dienst«. 688 Weihegebet, in: A.IV.a.70. 689 Rundbrief des Johannesrings, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 17. 12. 1969, in: A.III.a.1969. 690 A. a. O. 691 Vgl. A.IV.a.53, 9; A.IV.a.51, 21. Vgl. Brief von Hedwig Groth, z. Zt. Bräunsdorf, 25. 10. 1963, an Pfr. Klaus Heß/Lothar Köppe/Pfr. Hans Prehn/Pfr. Christoph Richter/Arthur Leonhardt, in: A.III.a.1963 (Hervorhebung im Text): »Den Teilnehmern dieser Tertiär-Rüste wurde gleich am Anfang klipp und klar gezeigt, worum es in erster Linie geht: nämlich um das Priesterleben.« Zur Verbreitung des Johannesringes vgl. die Liste der sog. Kleinkonvente in

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»Als Glieder des Johannes-Ringes im Christusdienst wissen wir uns berufen, das priesterliche Leben zu leben […]. Wir wissen uns gebunden zu einem geordneten Leben der Stille und des Gebetes: zur Gebetsstille und Wortbetrachtung am Morgen jedes Tages; täglich die uns gemeinsam aufgegebenen Anliegen zu bewegen; täglich mit zahlreichen Glaubensgeschwistern aus Ost und West das 11-Uhr-Gebet zu halten; täglich das Hohepriesterliche Gebet und das Vater unser zu beten […]. Wir wissen uns gerufen, Bande der Bruderliebe zwischen den Konfessionen und Denominationen zu knüpfen […]. Wir wissen uns gerufen, den geringen Dienst der Fußwaschung allen Menschen zu erweisen […]. Es wird von jedem erwartet, daß er in einem geordneten Seelsorgeverhältnis steht […]. Vor jeder wichtigen Lebensentscheidung ist Rücksprache mit dem Vorstand zu halten.«692

Diese beiden weiteren Gemeinschaftsformen sind strukturell als zwei Tertiärkreise der Schwesternschaft zu verstehen. Die Dienerinnen lebten als regulierte Tertiarierinnen, was im Ordenswesen auch hinsichtlich des Begriffes »Dienerinnen« keine Seltenheit bedeutet, während der Johannesring einen weltlichen Tertiärkreis darstellte.693

4.2.5 »Frei zu sein vor Gott für die Menschen«.694 Selbstverständnis und Verortung »Was ist hinter Klostermauern geschehen? Großes! Da ist die Kirche überwintert worden«.695 Gerhard Küttners Wertschätzung nicht nur der evangelischen Kommunitäten, sondern des christlichen Ordenslebens überhaupt, wie sie in einer für den Protestantismus bemerkenswerten Weise zum Ausdruck kommt,696

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Sachsen, dazu auch Thüringen, Berlin und Mecklenburg von 1975, in: [Liste] JohannesRing-Kleinkonvente, 10. 04. 1975, in: A.III.a.1975. Ordnung für den Johannes-Ring, Bräunsdorf, in: A.IV.a.69. Zu Begriff und historischen Perspektiven vgl. Frank, Tertiarier, auch 92. Richter, Frei für Gott und die Menschen (Hervorhebung im Text). Dieser Text stellt einen Artikel in der Kirchenzeitung »Der Sonntag« vom 25. 09. 1966 dar, welchen Christoph Richter über Entstehung und Anliegen der Bräunsdorfer Schwesternschaft verfasst hatte. Mit dem Titel knüpft er explizit an das Buch von Lydia Präger (dies. (Hg.), Frei für Gott und die Menschen) an, dessen Titel einen Kernsatz der evangelischen Kommunitätenbewegung trägt. Richters Artikel wurde einen Monat vor Gründung der Großhartmannsdorfer Bruderschaft veröffentlicht. Küttner, Offenbarung, 100. Vgl. z. B. »Und wenn ich nun kaum Zeit zum Beten habe […]? Dann wird Gott dafür sorgen, daß Menschen frei werden für diesen so wichtigen Dienst priesterlichen Betens, für diesen so wichtigen Dienst umfassenden Betens. Er beauftragt Ordensleute. Gott beruft Kom-

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entsprechen auch die Abläufe kommunitärer Existenz in Bräunsdorf. Die Schwesternschaft wird anhand ihrer Lebensform und der Selbstbestimmung ihres Dienstauftrags ganz typisch als eine kommunitäre Gemeinschaft erkennbar, die sich einfügt in das Bild evangelischer Kommunitäten der Nachkriegszeit, auch wenn sie von ihrem Selbstverständnis her nicht als Ordensgemeinschaft, sondern als Teil der Ortsgemeinde gesehen werden wollte. Gerhard Küttner formulierte den Auftrag der Schwestern entsprechend der drei Dienstgestalten der Kirche: Leiturgia, Martyria, Diakonia. Alle drei Dienstformen seien untrennbar miteinander verknüpft, wobei die Leiturgia als Gebetsdienst aber an erster Stelle stehe, was einem Grundanliegen der Küttnerschen Theologie entspricht: »Leiturgia: dass wir in dem Volke, das sich weithin von Gott abgewendet hat und Ihm die gebührende Ehre versagt, immer neu das Lob Gottes anstimmen; dass wir in Buße und Beugung, in Fürbitte und im Segnen vor Gott eintreten für die zerrissene Christenheit, das geschlagene Volk, die verirrte Welt, sowie für die Not Einzelner«.697

Im Tagzeitengebet der Bräunsdorfer Schwesternschaft, welches im Lauf der Jahre zwischen fünf, sechs und sieben Gebetszeiten variieren konnte, sollte dies zum Ausdruck kommen.698 Ein großer Teil des Tages war für die Schwestern im Schweigen zu verbringen.699 Schweigen gehörte zum Dienst der Schwestern, wodurch das Anliegen verwirklicht werden sollte, die Arbeit des Tages mit innerem Gebet zu durchdringen. Die Priorität des Gebetes räumt diesem im Tagesablauf mehr Zeit gegenüber den Arbeitsaufgaben ein.700 Gebet wurde auch als geistliche Diakonie, als stellvertretender Dienst für andere verstanden.701

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munitäten, Bruderschaften, Schwesternschaften und spricht zu ihnen: Nun tretet ihr in den Riß!«, Predigt über Ex 28,6–27.29–30, Pfr. Gerhard Küttner, 7. Sonntag nach Trinitatis 1981, in: ders., Vier Predigten, 15–20, hier 17f (Hervorhebung im Text). Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 31. 03. 1962, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.a.404/8/D (Hervorhebung im Text). Vgl. a. a. O.; Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 11. 1963, an den Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt, Vorsitzender Reißmüller, in: A.II.c.1199; Brief von Sup. Friedrich Kruspe, Karl-Marx-Stadt, 04. 02. 1964, an KR Hermann Fürer, Hofgeismar, in: A.II.c.489; VMK (Hg.), 3. Rundbrief 05/1965, Pfr. Gerhard Küttner, in: A.II.a.404/8/Bd3. Eine Schweigezeit von der Komplet bis zum Mittagsgebet ist bezeugt in: VMK (Hg.), 3. Rundbrief 05/1965, Pfr. Gerhard Küttner, in: A.II.a.404/8/Bd3. Dass diese Zeit über die Jahre hinweg veränderlich gewesen sein kann, ist denkbar. Vgl. Beginn eines gemeinsamen Dienstes und Lebens in Bräunsdorf, [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 21. 03. 1962], in: A.II.a.404/8/D, wo ein Tagesablauf der ersten Monate angegeben ist: »6.00 Uhr : Wecken; 7.15 Uhr : Morgenlob (nach dem Stundengebet); 7.30: Uhr Kaffeetrinken; 7.45: Uhr Arbeitsbesprechung – Austausch; 8.00: Uhr Arbeit; 11.30 Uhr : Gebetsdienst (Gebet für unser Volk – liturgisches Rahmengebet mit freien Fürbitten –, Fürbitten für Rüstzeiten, Tagungen, Evangelisationen); 12.00 Uhr : Mittagessen mit anschließender Pause; 14.00 Uhr : Gebetsdienst (z. Zt. Passionsbetrachtungen); 14.30 Uhr : Arbeit; 17.30 Uhr : Gebetsdienst (eigene Anliegen); 18.00 Uhr : Abendbrot;

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Erster charismatischer Aufbruch

»Diakonia: dass wir die barmherzige Liebe Gottes leben; dass wir den Dienst der Fußwaschung tun, indem wir dort helfen, wo Hilfe not ist, jeweils das tun, was zu tun übrig bleibt, was andere nicht tun können oder nicht tun wollen. (Die Not der Alten und Pflegebedürftigen ist dabei vordringlich.)«702

Verschiedene Aufgaben gehörten zur Bräunsdorfer Gemeindediakonie, welche die Schwestern zum Teil zusammen mit weiteren Gemeindegliedern als »Samariterdienst« im Sinne einer »Predigt der Liebe« übernahmen: Dienste in der Kirchgemeinde wie Pfarramtsverwaltung, Kirchnerdienst, Reinigung, Gästebetreuung, Kochen für Rüstzeiten; Dienste im Dorf (auch bei Nicht-Kirchenmitgliedern) wie Altenpflege, Kochen für Alte, Besuchsdienst, Reinigung, Wäsche reinigen und flicken, Haushaltshilfe, Hilfe in der Landwirtschaft, Unterstützung der privaten Rüstzeitquartiere.703 Martyria: »Wir haben den Ruf der vielen im Lande gehört, die Hilfe zur Stille und zum Hören auf Gott haben möchten, Brüder und Schwestern, denen mit körperlicher Ausspannung und Erholung allein noch nicht geholfen ist, sondern die eine innere Ausrichtung suchen«.704

Hier sind vor allem Durchführung und Mithilfe der Schwestern bei Rüstzeiten, exerzitienähnlichen Stille- und Einkehrtagen genannt, geistliche Begleitung von Gästen und Reisegruppen, für welche zum Beispiel Kreuzwegmeditationen gehalten wurden.705 Dieses »kontemplative und seelsorgerliche« Anliegen der Schwesternschaft, das »besonders durch Rüstzeiten wahrgenommen« wurde, erhielt Aufmerksamkeit im »Handbuch der Praktischen Theologie« (Berlin 1975) als einer der äußerst wenigen wissenschaftlichen Reminiszenzen dieser Schwesternschaft.706 Bereits in den 1930er Jahren erkannte die Michaelsbruderschaft die Zusammengehörigkeit von Leiturgia, Martyria, Diakonia und trat damit der Liturgievergessenheit entgegen.707 Dieser Dreiklang hatte sich in das theologische Allgemeinbewusstsein hinein verbreitet. Bevor er in den 1980er Jahren begrifflich um das Stichwort der Koinonia erweitert wurde, war die Koinonia im

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20.00 Uhr : Gebetsgemeinschaft mit der Gemeinde (Buß- und Fürbittgebet für unser Volk, für die Kirche und für Israel); 22.00 Uhr : Schluss«. Predigt über Ex 28,6–27.29–30, Pfr. Gerhard Küttner, 7. Sonntag nach Trinitatis 1981, in: ders., Vier Predigten, 17f. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 31. 03. 1962, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.a.404/8/D (Hervorhebung im Text). Vgl. a. a. O.; Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489, dort. Zit.; A.IV.a.51, 18; A.IV.a.53, 2. VMK (Hg.), 3. Rundbrief 05/1965, Pfr. Gerhard Küttner, in: A.II.a.404/8/Bd3. Dazu auch: Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 11. 1963, an den Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt, Vorsitzender Reißmüller, in: A.II.c.1199. Winkler / Kretzschmar, Der Aufbau der Kirche zum Dienst, 213. Vgl. die Bemerkung unter 1.1.1; vgl. Planck, Unsere gesamtkirchliche Aufgabe, 34.

Schwesternschaft in Bräunsdorf

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gemeinsamen Leben der evangelischen Kommunitäten längst praktisch verankert.708 Die relecture der Trias sowie des Gemeinschaftsbezuges erfolgte im Kreis um Küttner entsprechend der Spiritualität des Oekumenischen Christusdienstes. Dabei ist die Reihenfolge der Begriffe, wie diese unter den neugegründeten Kommunitäten der Nachkriegszeit rezipiert wurden, zu beachten: Der Leiturgia wird vor Martyria und Diakonia der Vorrang eingeräumt. Die Leiturgia wird zum »Schnittpunkt, in dem Martyria und Diakonia sich treffen«709 – diesem Satz von Hanna Hümmer könnte Gerhard Küttner eins zu eins zustimmen –,710 ohne dass eine Rangfolge der anderen beiden Gestalten gegeneinander auszumachen wäre; Liebesdienst und Wortzeugnis bilden eine gleichursprüngliche Einheit. Das »umfassende priesterliche Anliegen« der gesamten Bräunsdorfer Kerngemeinde, welches »bewußt Dienst am Ganzen sein will« (Universalbegrifflichkeiten wie »Gesamtverantwortung«, »das Ganze« waren aus dem Oekumenischen Christusdienst bekannt), wollte in concreto durch die Schwestern eine christusförmige Dienst-Existenz für Kirche und Welt, gefasst unter dem Stichwort des priesterlichen Dienstes, darstellen: »Eine Gebetsschwesternschaft, die zugleich ganz Dienstschwesternschaft ist, sich selbstlos dienend hineinzugeben in all die Not«.711

»Dienst am Ganzen des Leibes – darum gehts bei der Leiturgia, bei der Martyria und bei der Diakonia«712, wobei in diesem »Dienst am Ganzen des Leibes« eine eschatologische Perspektive mit enthalten ist.

708 Der Reflex auf Koinonia erfolgte nicht unwesentlich unter dem Eindruck der vom Vaticanum II rezipierten und etablierten communio-Theologie. Zur Aufnahme von des Begriffs Koinonia vgl. Schmidt-Lauber, Martyria – Leiturgia – Diakonia, 161; vgl. auch die eigene Konzeption bei So¨ lle, Gott denken, 184–187; Aschrich, Theologie schreiben, 112f. 709 Hümmer, Gott ruft [unpag.]. Vgl. die Beschreibung Walter Hümmers: »Das Schwergewicht ihres [der neueren Kommunitäten] Daseins und Dienstes liegt zunächst nicht auf diakonia im alten Sinn, sondern auf leiturgia und martyria, auf dem Mariendienst in erster Linie und dann erst auf dem Marthadienst. […] Ihr Ziel ist: Frei zu sein für Gott und die Menschen!«, ders., Leben evangelischer Kommunitäten, 119 (Hervorhebung im Text); anders in: ders., Christusbruderschaft, 184. Vgl. Joest, Kommunitäten, 326.329–331. 710 »Das Gebet ist vorrangig, auch gegenüber dem Wort und der Wortverkündigung! Daß wir das noch einmal unterstreichen! […] In demselben Kapitel [Apg 6] lesen wir, daß das Gebet den Vorrang vor der Diakonie hat, aber eben auch vor der Martyria«, Predigt über 1Tim 2,1– 8, Pfr. Gerhard Küttner, Rogate 1968, in: ders., Zwölf Predigten, 20–24, hier 22. 711 Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489. 712 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 05/1965, Pfr. Gerhard Küttner, in: A.II.a.404/8/Bd3.

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Erster charismatischer Aufbruch

4.2.6 Vorbilder: Christusbruderschaft Selbitz, Marienschwestern Darmstadt, Bruderschaft vom gemeinsamen Leben »Der Segen evangelischen Ordenslebens, d. h. ja eines geordneten evangelischen Lebens in den Bahnen der Leiturgia, Diakonia und Martyria ist uns längst an zahlreichen Vorbildern geordneten bruderschaftlichen Lebens dieser Tage ersichtlich geworden.«713 Diese Vorbilder lassen sich wiedererkennen. In Selbitz, wo die Bräunsdorfer Gemeinschaft 1957 ihren Gründungsimpuls erhielt, hörte »Frau Mutter Hümmer […] schon ›das Gras wachsen‹ im Blick auf eine Bruderschaft in Bräunsdorf«714. Von hier übernahm man die Mischung aus liturgischen und freien Gebetsformen, den Kleidungsstil eines Ordensgewandes715 und vorerst auch die zum damaligen Zeitcolorit zählende Praxis, das Ehepaar Küttner mit »Herr Vater« und »Frau Mutter« anzusprechen. Zwar sollte die Leitung der Schwesternschaft gemeinschaftlich geschehen und Küttner nicht als »Prior«, mehr als »Berater« verstanden werden, aber er genoss eine faktische Autorität, sodass Superintendent Kruspe von ihm als »geistlichem Leiter« sprach.716 »Frau Mutter Küttner«, Dorothee Küttner, trug sogar das Schwesterngewand. Hanna Hümmer hatte dies in Selbitz als markantes Vorbild praktiziert.717 Kaum geringer als der Selbitzer war wohl der Einfluss der Marienschwestern auf die Bräunsdorfer Schwesternschaft, wozu aus Hessen die Frage kam: »Ist sie so etwas wie unsere Marienschwesternschaft?«718. Dieser Vergleich wäre aufgrund mancher historischer und theologischer Gemeinsamkeiten nicht unangebracht, was vor allem im »oekumenischen« Selbstverständnis beider Kommunitäten als priesterlicher Gebets- und Dienstgemeinschaften sehr gut erkennen lässt.719 Einige Marienschwestern waren über 713 Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489. 714 A.IV.a.53, 2. 715 Fotographien lassen Gemeinsamkeiten des Habits der Bräunsdorfer Schwestern mit den Schwestern der Christusbruderschaft und den Marienschwestern erkennbar werden, zugleich sind aber auch deutliche Unterschiede festzustellen, besonders im Blick auf einen in Bräunsdorf nicht getragenen Schleier. Stattdessen wird sich eine Zeit lang apostolischen Vorbildern entsprechend das Kopftuch für Frauen im liturgischen Kontext einbürgern (5.2.3). 716 Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 31. 03. 1962, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.a.404/8/D; Brief von Sup. Friedrich Kruspe, Karl-Marx-Stadt, 04. 02. 1964, an KR Hermann Fürer, Hofgeismar, in: A.II.c.489. 717 Darauf weisen private Fotos der 1960er Jahre hin. Persönliche Erinnerungen von Gesprächspartnern bestätigen dies. 718 Brief von KR Hermann Fürer, Hessisches Siechenhaus e.V., Hofgeismar, 08. 02. 1964, an die Superintendentur Karl-Marx-Stadt [I], in: A.II.c.489. 719 Vgl. dazu Schlink, Oekumenische Marienschwesternschaft, 148f.155–157.

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Jahre zu regelmäßigen Besuchen nach Bräunsdorf geschickt.720 Interessant mag die Bemerkung sein, dass Mutter Basilea bei einem Besuch in Bräunsdorf kurz nach Gründung der Schwesternschaft die Hoffnung gehegt haben soll, diese an Darmstadt anschließen zu können.721 Ähnlich wie in Darmstadt übten die Bräunsdorfer sogenannte Lichtgemeinschaften, worunter Kapitelsitzungen der Kommunität zu verstehen sind, in welchen neben Fragen des gemeinsamen Lebens vor allem gemeinschaftliches Sündenbekenntnis und Buße praktiziert wurden.722 Die Austauschrunden der Oxford-Gruppenbewegung liegen als Vorbilder für die Lichtgemeinschaften in Darmstadt und Bräunsdorf zugrunde. Übrigens konnte der Begriff »Kapitelsitzung« auch für Zusammenkünfte des Kerngemeindekreises gebraucht werden,723 worin erstens die Ableitung kommunitärer Vollzüge aus der Oxforder Spiritualität und zweitens das quasi-kommunitäre Selbstverständnis des Kernkreises deutlich werden. Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben wirkte indirekt auf das geistliche Leben der Schwestern. Küttners Verortung in der oekumenischen Nachkriegsspiritualität braucht hier nicht noch einmal betrachtet werden, um zu zeigen, dass sich diese in Bräunsdorf verankert hatte. Briefwechsel mit Klaus Heß, Besuche von Eugen Belz und (jährlich) von Otto Siegfried von Bibra sowie das gemeinsame oekumenisch-priesterliche Anliegen sprechen für sich. Das 11Uhr-Gebet oder Einheitsgebet der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, welches auch in Selbitz und Darmstadt gebetet wurde, spielte und spielt für die Schwestern wie überhaupt für viele Privatpersonen im Volksmissionskreis Sachsen bis heute eine Rolle: »Herr Jesus Christus, wir beten Dich an und danken Dir, denn durch Deinen Opfertod am Kreuz hast Du die Welt erlöst. Dein Blut komme über uns und unsere Kinder gnädiglich, über alle Menschen an allen Orten, in allen Ständen, mit allen ihren Anliegen, über Dein altes Bundesvolk Israel und das Land seines Erbes und über die ganze, nach Freiheit seufzende Kreatur. Besonders komme Dein Blut, o Herr, in unser Verhältnis zu Dir und zu uns untereinander. Vereinige uns alle mit Dir und miteinander in der einen, alle und alles umfassenden, unzertrennlichen Lebens- und Liebesgemeinschaft Deines heiligen Herzens, zu Gottes alleiniger Ehre, zum Kommen des Himmelreiches, zu aller Heiligen und der Engel Freude und zu unserem ganzen Heil an Leib,

720 Informationen aus einem Gespräch mit einer anonymen Schwester der Evangelischen Marienschwesternschaft, Darmstadt, 19. 07. 2010, wofür ich danke. 721 Für diese Information danke ich Martin Rüger und Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck. 722 Vgl. zu Bräunsdorf: A.IV.a.53, 3; A.IV.a.51, 19. Zu den Lichtgemeinschaften der Marienschwestern: Jansson/Lemmetyinen, Christliche Existenz, 83–91 bzw. dies., Wenn Mauern fallen, 43f. Vgl. auch Klein, Beichte, 225. 723 Vgl. Vgl. Rundbrief, [Pfr. Gerhard Küttner], Bräunsdorf, Weihnachten 1963, in: A.II.c.489.

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Erster charismatischer Aufbruch

Seele und Geist, auch an Hab und Gut in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, daß der Wille des Vaters wie Himmel also auch auf Erden geschehe! Amen.«724

4.3

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Großhartmannsdorf

Auch der charismatische Aufbruch in Großhartmannsdorf kann anhand markanter Daten in Etappen nachgezeichnet werden: 1958–1960; 1960–1964; 1965–1969; 1969–1971. Daran werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Bräunsdorf erkennbar.

4.3.1 1958–1960: Erweckung Die erste Etappe ist gekennzeichnet durch die Gemeindeerweckung, den Aufbau des Kerngemeindekreises und die volksmissionarisch-erweckliche Verkündigung. Anders als in Bräunsdorf werden für die Kirchgemeinde Großhartmannsdorf in diesem Zeitraum noch keine charismatischen Phänomene berichtet. Insofern ist diese Etappe als Anlaufzeit für den charismatischen Aufbruch zu verstehen.

4.3.2 1960–1964: Gebet Die erste erweckliche Etappe wird abgelöst durch eine neue Fokussierung des Gebets, eingeleitet von einer Bußzeit im Kerngemeindekreis ca. 1960. Dabei verdichteten sich erste Erfahrungen familiär-kommunitärer Spiritualität des Kerngemeindekreises, zugleich schrumpfte der Kreis in kürzester Zeit von ca. 130 auf ca. 85 Personen.725 Dieses als geistliche Katharsis erlebte und gedeutete Geschehen führte im Kernkreis zu einer »Ordnung des gemeinsamen Lebens«.726 Von den Mitgliedern des Kernkreises sollte die Verpflichtung zur verbindlichen Glaubenspraxis mittels eines eigens formulierten »Weihe-« oder »Hingabegebetes« bei einer Abendmahlsfeier gemeinsam gesprochen werden:

724 Heß, Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, 67f. Vgl. dazu auch Reimer, Verbindliches Leben, 18. 725 Vgl. den Bericht in: Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.5, 7–9. 726 Die Ordnung des gemeinsamen Lebens, in: A.II.c.489.

Etappen des charismatischen Aufbruchs in Großhartmannsdorf

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»Herr Gott, himmlischer Vater, / Du hast uns erlöst durch das Opfer Deines lieben Sohnes Jesus Christus / und hast uns zu Deinen Kindern gemacht. Nimm an den Dank unserer Herzen / und das Opfer unseres Lebens. Wir weihen uns Dir aufs neue / zum gemeinsamen Leben einer heiligen Dienstbruderschaft / und verpflichten uns, / in die Ordnung dieses gemeinsamen Lebens einzugehen. Wir nehmen einander an / – ein jeder den anderen, so wie er ist – / als Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus Christus, / als Glieder des einen Leibes. Wir geben uns füreinander hin, / uns den Dienst der Liebe zu erweisen, / wie ihn unser Herr und Meister uns erwiesen hat. Wir wissen uns miteinander verantwortlich / für das Wachsen und Reifen unserer Gemeinde, / für das Leben unserer Kirche / und darüber hinaus für die gesamte Oekumene. Du, Gott, bist es, / der das Wollen und Vollbringen schenkt. / Du hast das gute Werk in uns angefangen. / Wir glauben, daß Du es auch vollführen wirst / bis auf den Tag Jesu Christi. Amen.«727

Es beginnt eine Phase der Entdeckung des Gebetes. Persönliches, gemeinschaftliches und gottesdienstlich-liturgisches Gebet wurden entdeckt und vertieft. Durch Kontakte zu römisch-katholischen Geistlichen aus Freiberg, darunter auch der Kaplan und nachmalige Bischof Joachim Reinelt, entwickelten sich in Großhartmannsdorf ökumenische Gesprächs- und Gebetsgemeinschaften, durch welche eine Neubesinnung auf das Abendmahl angeregt wurde.728 In der Folge wurden Kirchenvorstand und Kerngemeindekreis Orte von Abendmahlskatechesen, woraufhin sich die Abendmahlsfrömmigkeit der Kirchgemeinde erkennbar intensivierte.729 In diese Etappe fällt die Einführung der neuen Agende I der VELKD (1955) in der sächsischen Landeskirche im Jahr 1962 (vgl. dazu unter 8.3.1). Christoph Richter und Kantorkatechet Gottfried Rüger (1939–2005; Sohn von Johannes Rüger aus Kaufungen)730 führten Gemeindeseminare zu Theologie und Praxis 727 Der Text, welcher Vorbildwirkung für Bräunsdorf entfaltete, kann in seiner frühen Gestalt nur von Bräunsdorfer Quellen her zitiert werden: Weihegebet, in: A.II.c.489 (Hervorhebungen im Text). 728 Vgl. im Folgenden den Bericht in: Erfahrungen und Gedanken zu einer Didaktik der Hl. Eucharistie. Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Oberreichenbach, vor Mitarbeitern der Oasenarbeit, Großhartmannsdorf, 23. 01. 2006; in: A.IV.a.II.11, 7–10. 729 Diese Intensivierung einer auf die Eucharistie bezogenen Spiritualität lässt sich an gewissen Phänomenen wahrnehmen: sonntägliche Feier des Abendmahles; Anstieg der Gottesdienstteilnehmer und der Kommunikanten; Teilnehmer nicht nur aus den Reihen des Kerngemeindekreises; sorgfältiger Umgang mit konsekrierten Elementen (Abmessung; Konsumtion nach der Feier); vgl. A.IV.a.II.11, 8. 730 Gottfried Rüger, geb. 02. 02. 1939 in Chemnitz, gest. 26. 06. 2005 in Dresden; 1962–1986 Kantor in Großhartmannsdorf; 1986–1993 Kirchenmusikdirektor in Glauchau; 1993–2003 Dozent an der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden (vgl. E-Mail von Renate Rüger, 01. 04. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.62).

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Erster charismatischer Aufbruch

des Gottesdienstes durch,731 welcher als Evangelische Messe anhand der neuen Agende erarbeitet und mit einer Vielzahl liturgischer Dienste gefeiert wurde.732 Anders als in Bräunsdorf näherte man sich den geistlichen Ämtern aus liturgisch-funktionaler Perspektive. Die Arbeit des Kerngemeindekreises wird in dieser Phase aufgeteilt: Vierzehntägig wechseln sich Treffen als Gesamtgruppe und als einzelne Hauskreise ab.

4.3.3 1965–1969: Charismen Für das Jahr 1965 werden erste Erfahrungen charismatischer Phänomene berichtet.733 Geistesgaben wie Glossolalie und Prophetie wurden unter Mitgliedern des Kerngemeindekreises entdeckt, praktiziert und während der Zusammenkünfte reflektiert. Auch Heilungen werden berichtet. Im Kerngemeindekreis wurde die Regel aufgestellt, dass prophetische Einsichten oder Visionen nur mit dem Pfarrer oder mit erfahrenen Mitarbeitern zu besprechen und nicht im Kreis bekannt zu geben sind. Glossolalie hatte in einzelnen experimentellen Gottesdiensten, die nicht als Gemeindegottesdienste gefeiert wurden, zeitweise ihren Platz.734 Charismen bildeten keinen Gegenstand der öffentlichen Verkündigung und Praxis. In diese Etappe fällt die stärkere Öffnung der Gemeinde für eine exerzitienähnliche Jugendarbeit. Die quasi-kommunitär und nun charismatisch orientierte Kerngemeinde hatte bereits seit einigen Jahren regelmäßig Jugendliche und junge Erwachsene zu Baueinsätzen zu Gast. 1965 entstanden nun für diese Zielgruppe sogenannte Tagungen zur »Einübung in die Nachfolge Jesu«. Dieser Name war der jungen evangelischen Exerzitienarbeit (vgl. 4.5.6) entlehnt. Das Anliegen dieser Jugendwochenenden ist dem der Arbeit in den Kerngemeindekreisen vergleichbar : Es ging um Vertiefung von Glaubensinhalten, geistliche Gemeinschaft und Seelsorge. Aus jungen Männern, die an den Einübungstagungen teilgenommen hatten, gründete sich die Großhartmannsdorfer Bruderschaft (4.4). 731 Damit erfüllte man eine Verlautbarung der Landessynode: »Die Pfarrer und Kantoren bitten wir, der Gemeinde dazu Lust zu machen und dabei Hilfe zu leisten. […] Nicht nur von den Kirchenchören und Kurrenden, sondern bei allen Gemeindeveranstaltungen […] möchte dann die Gottesdienstordnung gesungen werden«, ABlEVLKS 13/1961, A80. 732 Vgl. A.IV.a.II.11,9f; Geistliches Leben. Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Bernsbach, beim Pastoralkolleg des Kirchenbezirkes Kamenz, Meißen, 03. 06. 1999, in: A.IV.a.II.10, 6; vgl. die diversen Ordnungen und Konzeptionen in: A.I.b.DuL. 733 Vgl. die Notiz in: Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.5, 14. 734 Ich danke Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, für seine Auskunft.

Bruderschaft in Großhartmannsdorf

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4.3.4 1969–1971: Jugendaufbruch Auf die nähere Begegnung mit Jugendlichen und die Jugendarbeit folgt die Etappe des charismatischen Jugendaufbruches. Als Auslöser wird eine Jugendrüstzeit zu Ostern 1969 in Großhartmannsdorf berichtet.735 Ähnlich wie in Bräunsdorf werden hier Jugendliche aus der Region angesprochen. Viele dieser Jugendlichen wurden durch die Gründung der Tertiärgemeinschaft »Philippusring« organisatorisch an die junge Bruderschaft, an die Kirchgemeinde und den Volksmissionskreis angebunden. Unter dem Eindruck dieses Jugendaufbruches entstand eine neuformulierte Regel der Bruderschaft. Mit einem Jahr der Stille (»Sabbatjahr«, »Stopp«; siehe 4.5.7) endet diese Etappe vor Beginn des zweiten charismatischen Jugendaufbruches in Großhartmannsdorf 1972/73.

4.4

Bruderschaft in Großhartmannsdorf

4.4.1 Gründung, Anfänge Im Oktober 1966 gründeten junge Männer, die an den Tagungen zur Einübung in die Nachfolge Jesu teilgenommen hatte, eine Bruderschaft. Diese sollte als Kirchgemeinde-Kommunität entsprechend der Evangelischen Räte leben. Dieses Projekt, das vier Jahre nach der Gründung der Schwesternschaft in Bräunsdorf begann, hatte geringere Schwierigkeiten für seine Etablierung als jene zu überwinden, zumal mittlerweile im landeskirchlichen Bewusstsein neue Verstehenshorizonte erschlossen wurden: Ökumenische Erfahrungen, die präsenter werdenden evangelischen Kommunitäten und die beginnende evangelische Exerzitienarbeit erleichterten die Anfänge der Großhartmannsdorfer Bruderschaft. Das kommunitäre Leben begann am 16. Oktober 1966 im Großhartmannsdorfer Pfarrhaus. Zunächst traten zwei Männer im Alter von etwa 25 Jahren in den Stand der Evangelischen Räte. Ab März 1967 waren es drei, ab 1970 bis zu acht Brüder. Diese Zahl blieb bis 1981 stabil (1981: 4; 2014: 1).736 In einer ersten, knappen Regel von 1966 wird die »Führung des Heiligen Geistes« erbeten, um den Dienst »in priesterlicher Haltung und Gesinnung« zu 735 Vgl. A.IV.a.II.5, 13; Großhartmannsdorf – Zeit der Bruderschaft, Christian Kurze, Dresden 2012, in: A.IV.a.II.9. Die Datierung folgt der Chronologie von Christian Kurze, da Christoph Richter die Erweckung auf 1968 ansetzt, was unwahrscheinlich ist. 736 Die Zahl der als Brüder bezeichneten Mitglieder variiert in den verschiedenen Darstellungen, je nach dem wie die einzelnen, z. T. wiederholbaren Initiationshandlungen gewertet werden. Vgl. diese und weitere Daten: A.IV.a.II.9.

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Erster charismatischer Aufbruch

bereiten.737 Die Regel »ordnet« die Bruderschaft dem Volksmissionskreis Sachsen »zu«, der Kirchgemeinde dagegen nur implizit. Dass Kerngemeindekreis und Kommunität aber aufs engste miteinander verbunden waren, zeigt die liturgische Ordnung der Weihe an: Das Weihegebet für die Einsegnung der ersten Brüder stellt eine Weiterentwicklung des Hingabegebets des Kernkreises von 1960 dar (4.3.2).738 Und bei der Einsegnungshandlung wurden dann nicht allein die Brüder gefragt, sondern auch die »Geschwister der Dienstbruderschaft Gottes in Großhartmannsdorf«, was nichts anderes als die Glieder des Kernkreises meint. Diese sollten beantworten, ob sie die Brüder in ihre Gemeinschaft aufnehmen wollten.739 Dies zeigt, wie der Kerngemeindekreis sein Selbstverständnis als quasi-kommunitäre Familie der Erweckten entwickelte. Die Brüder verpflichteten sich bei Eintritt in die Gemeinschaft zunächst für die Dauer eines Jahres. Nach dessen Ablauf sollte erneut ein Versprechen vorgenommen werden. Bis zur Einsetzung eines Vorstehers aus den Reihen der Brüder fungierte Pfarrer Christoph Richter als Vorsteher der Bruderschaft.740 In einer neuen Regel, welche Anfang der 1970er Jahre entworfen wurde, bestimmte man eine feste Probezeit von zwei bis sechs Jahren bis zur Brüderweihe, zugleich wurde das Eintrittsalter auf zwischen 20 und 35 Jahre festgelegt.741

4.4.2 Selbstverständnis und Verortung Die neue Regel ist neben einigen organisatorischen Bestimmungen vor allem theologisch ausgebaut worden. Die ursprüngliche Formulierung einer »Ein737 Regel, Großhartmannsdorf, 16. 10. 1966, in: A.IV.a.II.7, 1. 738 Weihegebet, Großhartmannsdorf, 16. 10. 1966, in: A.IV.a.II.7, 2: »Herr, Gott, himmlischer Vater, Du hast uns erlöst durch das Opfer Deines lieben Sohnes Jesus Christus und hast uns zu Deinen Kindern gemacht. / Nimm hin den Dank unserer Herzen und das Opfer unseres Lebens. / Wir stellen uns Dir von heute an zur Verfügung mit allem, was wir sind und haben, zum gemeinsamen Leben in einer Bruderschaft für die Zeit, für die Du einen jeden von uns berufst. / Wir lassen uns von Dir binden an die Ordnung und Regel dieser Bruderschaft. / Wir Brüder nehmen uns gegenseitig an, ein jeder den anderen so, wie er ist, mit seiner besonderen Art, Gabe und Berufung. / Wir geben uns einander hin, uns den Dienst der Liebe so zu erweisen, wie ihn unser Herr und Meister Jesus Christus uns erwiesen hat. / Wir sind bereit für Deine Sendung hinein in Kirche und Volk. Wir sind bereit, dahin zu gehen, wohin Du uns führst. / Du, Gott, hast uns gerufen, Du gibst uns das Wollen und das Vollbringen. Wir glauben, daß Du unsere Bruderschaft gebrauchen wirst zur Vollendung des Heiligen Christusleibes und warten mit Freuden auf den Tag der Ankunft unseres Herrn. Amen.« 739 Ordnung für die Stunde der Weihe und des Beginns der Bruderschaft, Großhartmannsdorf, 16. 10. 1966, in: A.IV.a.II.7, 3. 740 Nachdem Christoph Richter ankündigt hatte, die Pfarrstelle zu wechseln, wurde im März 1975 Br. Christian Kurze zum Vorsteher der Bruderschaft eingesegnet, vgl. A.IV.a.II.9. 741 Vgl. Ergänzungen zur Regel (Entwurf), in: A.IV.a.II.7, 8.

Bruderschaft in Großhartmannsdorf

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bindung« in den Volksmissionskreis Sachsens hat sich nun gewandelt in die theologisch gefülltere Aussage, mit der Bruderschaft »einen Teil des Christusdienstes heute verwirklichen« zu »können«742. Dies ist eine programmatische Aussage, da sie mit »Christusdienst« sowohl auf den »Christusdienst Sachsen anspielt, den maßgeblich Gerhard Küttner konzipiert hatte (dazu 4.5), als auch den Dienst Christi (Christus dient) »in allen Gotteskindern« nennt, als dessen Verwirklichung sich die Bruderschaft sieht. Des Weiteren zeigt die neue Regel einen charismatischeren Duktus: Es wird davon ausgegangen, dass kommunitäres Leben ein Charisma bedeutet, welches Gott verleihe und in Großhartmannsdorf zur Entfaltung kommen könne. Konkret wird die Praxis dieses Charismas anhand der drei kirchlichen Wesensgestalten Martyria, Leiturgia, Diakonia entfaltet – man beachte dabei die Reihenfolge, welche einen markanten Unterschied zu Bräunsdorf darstellt: »Dienst des Zeugnisses (martyria). Wir sagen die Frohe Botschaft weiter in Form von Mannschaftsevangelisationen, Gästetagungen, Bibelrüstzeiten, Einkehrtagen, Einzelvorträgen, Gesprächsabenden und in persönlicher Seelsorge.«743

Das evangelistische Zeugnis wird an erster Stelle genannt. Die Bruderschaft war zu regelmäßigen volksmissionarischen Einsätzen in der Umgebung und darüber hinaus unterwegs. »Dienst des Gebetes und der Hingabe (leiturgia). Wir beten einzeln und gemeinsam zu verschiedenen Zeiten des Tages. Damit wollen wir stellvertretend für viele in Berufe und Haushaltungen hineingebundene Menschen vor Gott stehen, damit ihnen allen seine Segnungen zufließen und er das ihm gebührende Lob empfange. So lebt zugleich unser Zeugendienst nach außen von dem verborgenen Quell des ständigen inneren Umgangs mit Gott.«

Liturgisch fügte sich das Leben der Bruderschaft in einen Rahmen von ca. vier Gebetszeiten, aus denen das 11-Uhr-Gebet der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben und das tägliche Abendgebet mit der Gemeinde herausragen.744 Für eine gewisse Zeit wurde das Morgengebet mit der täglichen Eucharistiefeier verbunden.745 Hinzu kam die Teilnahme der Brüder an Kapitelsitzungen, Psalm742 Regel, in: A.IV.a.II.7, 5. 743 Vorläufige Regel, in: A.IV.a.II.7, 6 (Hervorhebung durch M.S.), dort auch die folgenden Zit. 744 Es ist ein detaillierter Tagesablauf von 1971 überliefert, welcher für Sonn- und Werktage verschiedene Optionen auflistet: Tagesablauf der Brüder, 31. 03. 1971, in: A.IV.a.II.7, 4 (Hervorhebungen im Text): »täglich: 5.30 Wecken; 6.00 Morgengebet; 6.10 Stille Zeit; 7.00 Küchendienst Frühst. vorbereiten; 7.15 Frühstück; 7.45 Arbeitsbesprechung; 8.00 Arbeitsbeginn …; 11.00 11-Uhr-Gebet …; 12.30 Mittag; 13.00–14.00 Mittagsruhe; 14.00 Arbeit …; 17.30 Gemeindegebet; 18.00 Küchendienst Abendessen vorbereiten; 18.30 Abendbrot; 19.30/20.00 Abendveranstaltung …; 21.15 (möglichst früher!) Abendgebet; 21.25 Nachtruhe!« 745 Vgl. Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.5, 13.

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Erster charismatischer Aufbruch

odieübungen und Gemeindeveranstaltungen (Junge Gemeinde, Chor, Bibelstunde). »Dienst der Handreichung (diakonia). So verstehen wir alle Arbeit der Hände in Bauen, Pflegen und Unterhalten der uns für unseren Dienst anvertrauten Gebäude und Grundstücke und die tätige Fürsorge für Gäste und Nächste.«

Das diakonische Wirken belief sich weniger auf wirtschaftliche Tätigkeiten wie Hausarbeit und Landwirtschaft, was in Bräunsdorf wesentlich war, sondern vielmehr auf Bauaufgaben. Für die Begleitung von Rüstzeitgästen stand ein Gästebruder zur Verfügung. Am Leben der Bruderschaft konnten junge Männer auf Zeit teilnehmen. In der Bruderschaft wurden die verschiedenen Aspekte der Großhartmannsdorfer Gemeindearbeit miteinander verknüpft: Die gemeindliche und regionale Jugendarbeit, die volksmissionarischen Aktivitäten, die liturgische Erneuerung sowie die praktischen Bauaufgaben wurden nun Aufgabengebiete der Bruderschaft. Freiwilligendienste von Jugendlichen in der Gemeinde konnten jetzt an die Bruderschaft angeschlossen werden.

4.4.3 Tertiärgemeinschaft »Philippusring« und Kontakte zu anderen Gemeinschaften

Ähnlich wie in Bräunsdorf bildete sich auch in Großhartmannsdorf eine Tertiärgemeinschaft um die Gemeindekommunität. In dem sogenannten »Philippusring« waren, ausgehend von der Jugenderweckung ab 1969 (4.3.4), junge Menschen aus Sachsen und anderen Orten der DDR verbunden und an die Bruderschaft angeschlossen.746 Wenige Jahre später wird die Tertiärgemeinschaft durch den zweiten charismatischen (Jugend-) Aufbruch geprägt (5.1). Die Bruderschaft selbst entfaltete diverse Kontakte zu anderen Kommunitäten. An erster Stelle wäre naturgemäß die Bräunsdorfer Schwesternschaft zu nennen. Dagegen können die Marienschwestern oder die Christusbruderschaft hier nicht genannt werden. Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben – liturgiepraktisch mit dem 11-Uhr-Gebet in Großhartmannsdorf vertreten – spielte auch hier die wichtige Rolle, welche sie für einen Großteil des Volksmissionskreises Sachsen einnahm: zum Beispiel in Form von Treffen mit Eugen Belz in Bräunsdorf oder mit Walter Faulmüller in Großhartmannsdorf.747 Nicht zu 746 Vgl. Vorläufige Regel, in: A.IV.a.II.7, 6. 747 Vgl. A.IV.a.II.9; Otto-Siegfried von Bibra hatte Großhartmannsdorf bereit 1963 besucht, vgl. Brief von Lothar Köppe, 23. 02. 1963, an Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1963; vgl. auch: Rückschau auf die Rüste der Großhartmannsdorfer Brüder 30.06.–04. 07. 1979, Br. Walter Faulmüller, in: A.III.a.1979.

Der Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen«

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vergessen sei, dass die Brüder Kontakte zum Diakonissenhaus in Borsdorf bei Leipzig pflegten, das unter dem Rektorat von Pfarrern des Volksmissionskreises Sachsen eine nicht unwesentliche Rolle für die charismatische Bewegung spielte (5.4.1–2).748

4.5

Der Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen«

4.5.1 »Aus bloß losem Zusammenschluß drängt es uns in die Verbindlichkeit.«749 Der Volksmissionskreis Sachsen, welcher als volksmissionarisch-seelsorgerlich ausgerichtete Vereinigung von überwiegend Pfarrern angetreten war, hatte aufgrund seiner Etablierung im kirchgemeindlichen Kontext mithilfe des Kerngemeindekreis-Modells einen Strukturwandel erlebt unter Beibehaltung seiner Kernanliegen, die unter den Stichworten Erweckung, Seelsorge, Gemeinschaft zu fassen sind. Wie die Kerngemeindekreise, Kommunitäten und Tertiärgemeinschaften zeigen, können der Volksmissionskreis und mit ihm die beginnende charismatische Bewegung in Sachsen grundlegend unter dem Motiv des gemeinsamen Lebens verstanden werden. Dies führt das gemeinschaftliche Anliegen der Oxfordischen Gruppentreffen und der Pfarrerbruderschaft des frühen Volksmissionskreises fort. Gerhard Bahrmann hatte es so formuliert: »Gott schenkte mir neue Brüder und stellte mich damit in eine Bruderschaft hinein, die zutiefst eine Bet- und Beichtgemeinschaft bildet.«750 Doch nun wollte man sein Selbstverständnis nicht nur als Vereinigung der evangelistischen, seelsorgerlichen, volksmissionarischen Aktion begreifen, sondern arbeitete theologisch am Bruderschaftsverständnis weiter. Es entstanden Vorstellungen, welche den Kreis im Selbstbild als geschichtliche Konkretion des Leibes Christi, als eine Gestaltung der Gemeinschaft der Heiligen, als Wesensausformung der Kirche sahen. Denn Bruderschaft, auch die Bruderschaft des Volksmissionskreises, sei die Gestaltwerdung Jesu, des Dienenden, des Bruders, des Vollmächtigen, des universalen, einen, welterlösenden Amtsträgers.

748 Vgl. A.IV.a.II.9. 749 Brief von Lothar Köppe, Dresden, 15. 06. 1959, an Pfr. Klaus Heß, Nürnberg, in: A.III.a.1959. 750 Bahrmann, »Ich suche meine Brüder«, 35.

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Erster charismatischer Aufbruch

4.5.2 Das Vorbild des Oekumenischen Christusdienstes und die Rolle Gerhard Küttners Der Volksmissionskreis Sachsen entwickelte sich zu einer Gemeinschaft, welche das Wesen der Kirche darstellen wollte. »Brüder! Soweit unser Herz reicht, soweit reicht unsere Sendung. Gott gebe uns apostolische Weite, oekumenische Herzen, eine alles und alle umfassende Liebe, die im Kreuz sich vollendet – und unsere Sendung wird weit hinausgehen.«751 Man hatte Mut zur Konkretion der Kirche. Oder mit den Worten von Klaus Heß: »Gott reift seine Erstlingsschaft, die innere Kirche, die im Grunde nie gänzlich getrennt war, an allen Orten aus. Wir sind auch nur ein Teil dieser Einen Kirche Gottes, deswegen suchen wir sie um uns herum zu entdecken, ihre Glieder zu finden und mit ihnen uns zu verbinden. Deswegen gehen wir durch die Gebetsordnung der Woche, um sie in der ganzen Welt zu segnen und mit denen, die schon in der himmlischen Welt sind, eins zu sein und ihrer Mitarbeit uns zu vergewissern. Diese innere Kirche zeigt ihre Echtheit darin, daß sie gerade, weil sie eine durch und durch priesterliche Haltung einnimmt, die große und allumfassende Diakonie ausübt, wie es ihr Haupt getan hat und eben durch sie tun will«.752

Von dem aus der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben erwachsenen Oekumenischen Christusdienst, welcher als »Diakonie am Leibe Christi« die Einheit der Kirche zeichenhaft darstellen, leben und verwirklichen wollte,753 wurden im Volksmissionskreis Sachsen grundlegende Gedanken übernommen. Die Entwicklung dieser Themen kann direkt auf Gerhard Küttner zurückgeführt werden, da sie vor allem in und um Bräunsdorf, im Vorstand des Volksmissionskreises sowie unter Mitarbeitern, die Küttner nahe standen,754 rezipiert wurden.755 Küttners aus der apostolischen bzw. »oekumenischen« Frömmig751 Rundbrief an Teilnehmer der Mannschaftsrüstzeit in Großhartmannsdorf, [Lothar Köppe], Dresden, 18. 11. 1961, in: A.I.b.1397. 752 Rundbrief der Geschwister vom gemeinsamen Leben 12/1957, Pfr. Klaus und Amalie Heß, Nürnberg, in: A.III.a.1957. 753 Heß, Oekumenischer Christusdienst, in: Belz/Bibra/Heß/Riedinger (Hg.), Oekumenischer Christusdienst, 32–36, hier 35f. 754 Eins zu eins zeigen sich diese »oekumenischen« Gedanken später bei Lothar Köppe: »Berufene sind wir zum Christusdienst. Zu umfassender Diakonie. Es redet zu uns das Zeichen der Fußwaschung«, VMK (Hg.), Gebetsbrief April 1984, Lothar Köppe, in: A.III.a.1984. 755 Darauf weisen Veranstaltungsübersichten hin, vgl. z. B. die Themen von Mitarbeiter- und Pfarrertagungen, an welchen Küttner maßgeblich wirkte: Veranstaltungsübersicht 1957, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1957: »Mitarbeitertagung Bräunsdorf 21.–23. Sept., Thema: Das Opfer Jesu (Küttner), Das Hingegebensein an die Brüder (Köppe), Teilnehmer : 50«; Veranstaltungsübersicht 1961, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1961: »Pfarrertagung Bräunsdorf 10.–13. Apr., Evangelistischer Dienst (Prehn), Sammeln (Richter), Einübung der Jünger, Hirtendienst (Küttner), Teilnehmerzahl: 34 / Mitarbeiterrüstzeit Großhartmannsdorf 16.– 17. Okt., Offenbarung (Küttner), Teilnehmerzahl: 80«; Veranstaltungsübersicht 1962, Pfr.

Der Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen«

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keitstradition übernommener Schwerpunkt auf Sammlung, Priesterdienst, Gebet und corpus Christi mysticum stellte eine deutliche thematische Erweiterung gegenüber dem ursprünglichen Anliegen des Volksmissionskreises Sachsen dar. Der alte volksmissionarische Fokus auf Erweckung, Seelsorge und Gemeinschaft verband sich mit dem neuen praktischen Fokus auf Gemeinde sowie mit den »oekumenischen« Topoi Gemeindestruktur, Gaben, Ordnungen, Ämter und eschatologische Kirche. Diese thematische Erweiterung konnte zunächst in und um Bräunsdorf wahrgenommen werden. Aber das kommunitäre und charismatische Erwachen in Bräunsdorf beflügelte ein naturgemäßes Sendungsbewusstsein (»das müßten viele wissen«756), sodass bald der gesamte Volksmissionskreis von den neuen Themen erreicht war. Diese Ausweitung wurde befördert durch dem Eindruck des ersten charismatischen Jugendaufbruches in Großhartmannsdorf ab Ostern 1969. Hier lag die »Geburtsstunde des Philippusrings«757 und in Gestalt dieser erwecklichen Jugendgemeinschaft entstand eine zweite Tertiärgemeinschaft im Volksmissionskreis. Noch im gleichen Jahr wurde die Bräunsdorfer Tertiärgemeinschaft in »Johannesring« umbenannt,758 denn diesen Aufbruch in Großhartmannsdorf interpretierte man als gottgewirktes Geschehen, gleichsam als Hans Prehn, in: A.III.a.1962:»Pfarrertagung Bräunsdorf 30. Apr.–2. Mai, Thema: Bruderschaft, Teilnehmerzahl: 40 / Mitarbeiterrüstzeit Großhartmannsdorf, 21.–23. Okt, Ihm zur Verfügung in der Unterordnung aller Dinge, im Lauschen und auf dem Weg hinab mit ihm (Küttner), Teilnehmerzahl: 70«; Veranstaltungsübersicht 1963, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1963: »Pfarrertagung Bräunsdorf 4.–6. Juni, 3. Mose 8 (Küttner), Teilnehmerzahl 32 […] / Pfarrertagung Krummenhennersdorf 9.–20. Sept., Berufung und Bevollmächtigung (Kohl), Bruderschaft in Christus (Eichenberg), Der verborgene Dienst des Pfarrers (Günnel), Die Botschaft vom Kreuz (Küttner), […], Sammlung der Gemeinde (Küttner u. Richter), Teilnehmerzahl: 25«; Veranstaltungsübersicht 1964, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1964: »Pfarrertagung Krummenhennersdorf, 5.–9. Okt., Geistesleben (Küttner), Geistesgaben (Küttner)«; Veranstaltungsübersicht 1965, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1965: »Mitarbeiterrüstzeit Großhartmannsdorf, 6.–8. Okt., Gaben des Geistes (Küttner), Teilnehmerzahl: 70«; Veranstaltungsübersicht 1967, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1967: »Mitarbeiterrüstzeit Großhartmannsdorf, 5.–8. Okt., Thema: Geistesgaben, Gemeinde und Geistesgaben, Charismatisches Amt, Teilnehmerzahl: 76 / Pfarrertagung Bräunsdorf, 16.– 19. Okt., Heilige[r] Geist, Geistestaufe, Geistesgaben (Küttner), Leib Jesu, Dienste und Ämter (Küttner), Gemeinde Jesu und Ämter der inneren Kirche (Küttner), Teilnehmerzahl: 62«; Veranstaltungsübersicht 1968, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1968: »Pfarrertagung Bräunsdorf, 14.–17. Okt., Gemeindeaufbau, Innere und äußere Kirche (Küttner), Teilnehmerzahl: 65 / Pfarrfrauenrüstzeit Bräunsdorf 11–14. Nov., Entrückung und 1000jähriges Reich (Küttner), Innere und äußere Kirche (Küttner), Teilnehmerzahl: 52«; Veranstaltungsübersicht 1970, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1970: »Pfarrfrauenrüstzeit Bräunsdorf 12.–15. Okt., Hirtendienst (Küttner), Teilnehmerzahl: 58«. 756 Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3. 757 A.IV.a.II.9. 758 Vgl. Rundbrief des Johannesrings, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 17. 12. 1969, in: A.III.a.1969.

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Erster charismatischer Aufbruch

Geburt eines geistlichen Geschwisterkindes zu Bräunsdorf, als Offenbarung einer Berufung. Darin sah man alle Spannungen um die lang diskutierte inhaltliche Ausrichtung des Volksmissionskreises aufgehoben. Die Diskussion um die inhaltlichen Schwerpunkte hatte schon in den 1950er Jahren begonnen. Seitdem ging es um die Frage, ob mehr die volksmissionarische (d. h. evangelistische und seelsorgerliche) Arbeit oder mehr die »oekumenische« (d. h. auf Kirche und Gemeinschaft ausgerichtete) Arbeit den Volksmissionskreis bestimmen sollte. Es ging um die Bipolarität von Sendung und Sammlung: Dienst nach außen ist Sendung, Mission; Dienst nach innen ist Sammlung, Ausrichtung der Gemeinde. Dem entsprechend sollten jetzt Großhartmannsdorf die Sendung (Evangelistendienst; »Philippus«: Missionar) und Bräunsdorf die Sammlung (Hirtendienst; »Johannes«: Hirte und Apostel) verwirklichen. In dem Konzept »Christusdienst Sachsen« sollten also die Debatte um das Profil zu einer Klärung gelangen und die beiden Pole Sendung und Sammlung ihre Einheit erreichen. Ab etwa Herbst 1969 wurde die theologische Konzeption des Volksmissionskreises als Christusdienst Sachsen explizit forciert.759 Statt einer Einheit der beiden Schwerpunkte Sendung und Sammlung dominierte dann allerdings der »oekumenische«, auf »Sammlung« ausgerichtete Schwerpunkt.760 Damit waren, wie das kommende Jahrzehnt zeigen wird, die Diskussionen keineswegs beendet. So wurde diese Entwicklung mehrfach als Überformung durch Gerhard Küttner sowie als Entfremdung vom missionarischen Anliegen empfunden und kritisiert.761 759 Vgl. VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1969, Pfr. Hans Prehn, 12/1969, in: A.II.a.404/8/Bd 3; VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: a. a. O. Vgl. [Aktennotiz] Vorstand in Bräunsdorf, [ca. 02/1970], in: A.III.a.1970. 760 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1973, Pfr. Hans Prehn, 12/1973, in: A.III.a.1973; Dieser Rundbriefbeitrag wird fortgesetzt in: VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1974, Pfr. Christoph Richter, 03/ 1794, in: A.III.a.1974; VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1974, Pfr. Christoph Richter, 03/1794, in: a. a. O. 761 Dabei wird mehrfach deutlich, wie sich theologische und persönliche Kritiken mischen – inhaltliche und zwischenmenschliche Kritik wird gleichermaßen gegenüber Gerhard Küttner vorgetragen, vgl. diese Bsp.: Gerhard Bahrmann: »Ich habe den Eindruck, dass unter der Beschäftigung mit diesen beiden Aufgaben unserm Kreis seine eigentliche volksmiss. Stosskraft gemindert worden ist. Dazu kommt wohl noch die Wandlung, die Gerhard Küttner im Gefängnis [1950/51] oder hinterher, die ihn weithin die Volksmission als solche verwerfen lässt und ihn ausschliesslich auf den Bau und die Betreuung der Brautgemeinde weist […] ich kann schwer verstehen, dass er nun weithin unsern ganzen Kreis geistig und geistlich bestimmt und damit von seinen eigentlichen Linien abdrängt«, Brief von Pfr. Gerhard Bahrmann, Leipzig, 09. 09. 1958, an Pfr. Hans Prehn, Lauter/Sup. Cornelius Kohl, Freiberg, in: A.III.a.1958. Es fällt auf, dass sich Bahrmann am Ende der 50er aus dem Volksmissionskreis zurückgezogen hat, was sicher nicht nur an seiner Pensionierung liegen mag. Küttner löste Bahrmann in seiner Rolle als führenden Theologen ab (vgl. dazu unter 3.1.1). So formulierte Hans Prehn 1958 an Küttner : »Du bist nun einmal unser Hof-

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Erscheint diese Entwicklung aufs Erste als eine gemeinsame Konzeption des Vorstandes, zeigen die Quellen jedoch dieses Bild unter der Federführung Gerhard Küttners. Es kann sogar die Entwicklung des Volksmissionskreises an der Biographie Küttners abgelesen werden: Der Weg vom »Evangelisten« zum »Hirten«, den Küttner offenbar auf den Kreis übertrug.762 So konnte Küttner selbst den Weg des Volksmissionskreises wie folgt deuten: »Wir sind eben wirklich als ›Volksmissionskreis‹ angetreten. Und als dann der Leib Christ uns ins Blickfeld gerückt wurde, entfaltete sich auch der Hirtendienst, der Dienst an den Gläubigen, die Gott uns geschenkt hatte. So sind wir schon lange nicht mehr nur ›Volksmissionskreis‹. Wir sind vielmehr ein ›Christusdienst‹«.763

4.5.3 Christusdienst Sachsen: Theologie und Struktur »Christusdienst« als Ersatz für »Volksmissionskreis« Ab Herbst 1969 fand »Christusdienst« zur Bezeichnung des Volksmissionskreises Verwendung. Dabei avancierte »Christusdienst Sachsen« zum landläufigen Synonym für »Volksmissionskreis Sachsen«. Zwar wurde der offizielle Name in Veröffentlichungen oder beim Landeskirchlichen Amt für Innere Mission nicht aufgegeben, im Sprachgebrauch inner- und außerhalb des Volksmissionskreises jedoch verdrängt764 – schließlich war »Christusdienst« theologisch gefüllter als »Volksmissionskreis« und spätestens mit Ende der 60er Theologe«, zeugt von einer Vorrangstellung Küttners als theologischen Kopfes des Kreises, vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 13. 10. 1958, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1958. Vgl. auch Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 02. 12. 1963, an Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, in: A.III.a.1963. Friedrich Falkenberg kritisierte das autoritäre Vortragssystem der Pfarrertagungen, an dem Küttner führend mitwirkte: »Das Monologische und Monarchische herrscht da zwar nicht allein, aber es herrscht doch vor. 2 bis 3 Brüder sind die Gebenden, die anderen sind meist bloße Empfänger«, Brief von Pfr. Friedrich Falkenberg, Zschorlau, 10. 11. 1965, an Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, in: A.III.a.1965 (Hervorhebung im Text) sowie auch Brief von Pfr. Friedrich Falkenberg, Freiberg, 28. 12. 1973, an den Vorstand des Christusdienstes, in: A.III.a.1973. Vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 29. 07. 1973, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1973: »Sei uns Bruder unter Brüdern, wie wir Dir auch Bruder sein wollen.« 762 Nach eigener Aussage habe sich Küttner in den 1940er Jahren zunächst in Richtung eines freien Evangelisten entwickelt. Sein Ordinator, Hugo Hahn, habe ihm dagegen deutlich gemacht, er gehöre »in die Gemeinde« (Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3). Nach der Stasi-Haft und durch die Erfahrungen in Bräunsdorf habe sich Küttner vom Evangelisten zum »Hirten« entwickelt, wovon mir gegenüber Martin Rüger und Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck, sprachen, denen ich Dank sage. 763 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3. 764 Dass auch strukturell, nicht nur theologisch vom Christusdienst statt vom Volksmissionskreis gesprochen und geschrieben wurde, ist reichlich belegt.

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Jahre hatte der mittlerweile altmodische Terminus »Volksmission« weitgehend ausgedient.

Christusdienst als Ort der Gaben, Ordnungen, Ämter und des Gebetes Alle Hoffnungen richteten sich auf einen »Christusdienst«, in welchem Christus selbst diene und ihm gedient würde, einen Christus-Dienst, in dem Christus selbst Gestalt gewinne: Christus, der die Sünder ruft, die Kranken heilt und Gebundene befreit, seinen Geist sendet, Glaubende bevollmächtigt, Gaben schenkt, Ämter beruft, die Kirche eint und zur ewigen Vollendung führt. Ein »Christusdienst« sei »das gemeinsame Leben des Christus in allen Gotteskindern«765, zugleich ein »Dienst an Christus, der immer nur das Ziel haben kann, ihm den Leib zu bereiten«766, wozu es einer priesterlichen Gesinnung bedürfe. Im geistlichen Leben des Christusleibes, eines Organismus, einer »außerordentliche[n] Schöpfung«767, kommen »Gaben und Ordnungen, Dienste und Ämter«768 in charismatischer Vielfalt zum Ausdruck. Hier haben die Geistesgaben ihren Platz. Von Paul Riedinger hatte Gerhard Küttner übernommen, dass die Gestaltwerdung Christi nur auf dem Weg zu »apostolischer Bevollmächtigung« geschehe, d. h. auf dem Weg ins Heiligtum und Allerheiligste des geistlichen Tempels, wo die Kirche in ihrer Berufung und Vollmacht wiederhergestellt würde. Oder mit den Worten Eugen Edels: Der »Christus für uns«, die gnadenhafte Rechtfertigung des Sünders, müsse zum »Christus in uns«, zur vollmächtigen Glaubensexistenz, werden. Um den Dreischritt des tempeltypologischen ordo salutis zu behalten, wird Küttner noch vom »Christus durch uns« sprechen. Charismatische Theologie und ihre Praxis im Volksmissionskreis müssen daher stets eingeordnet in diese Leib-Christi-Theologie verstanden werden. Dabei nimmt das Gebet die zentrale Stellung ein. Es erhält eine ungemein hohe Wertschätzung. Gebet ist priesterliches Eintreten vor Gott, ein Eintreten für den Leib Christi, für das Gottesreich. Von Bräunsdorf und Gerhard Küttner her wurde das Gebet »entdeckt als ein priesterliches Opfer für die Kirche«769, dessen Aufgabe besonders die Schwesternschaft in Bräunsdorf zu verwirklichen suchte. Der Christusdienst war der Ort, an bzw. in dem geistliche Ämter ersehnt und 765 Regel [der Bruderschaft Großhartmannsdorf], in: A.IV.a.II.7, 5 (Hervorhebungen durch M.S.). 766 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3 (Hervorhebung im Text). 767 VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1976, Pastor Eberhard Luderer, 05/1976, in: A.III.a.1976. 768 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3. 769 Haufe, Geistliche Bewegungen in der DDR, 99.

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erspürt wurden. Mit den 1960er Jahren hatte sich dieses Thema stärker verbreitet. Lothar Köppe, der neue Geschäftsführer des Volksmissionskreises, verlieh ihm einen größeren Stellenwert in den Veröffentlichungen.770 Köppe hatte 1958 den von der Gruppenbewegung geprägten Rudolf Fischer, der als Kritiker der neuen Entwicklungen sein Amt abgegeben hatte,771 abgelöst und war eng mit Gerhard Küttner und Klaus Heß verbunden. Ihm zufolge ist das neutestamentliche Priestertum – oder : die melchisedekische Berufung der Christen, das geistliche Amt der inneren Kirche – ein Kernthema, das weithin aus dem Blick geraten sei: »Man kann abschließen, wo Gott weitergehen möchte und somit dem Herzen des Evangeliums fremd bleiben. […] So wie die Apostel die Kanäle Jesu Christi waren, aus deren Leiden und täglichem Sterben den Gemeinden das Leben Jesu zufloß, so ist es jetzt und heute die verborgene Schar der wahrhaften Diener des neuen Testamentes«.772

Im Jahrzehnt des ersten charismatischen Aufbruches, einer Zeit der wachsenden Sehnsucht nach geistlichen Ämtern, beschäftigte man sich mit diesen vor allem unter den Aspekten der apostolischen Vollmacht, aber noch kaum mit dem Amt des Apostels. Wenn vom apostolischen Amt die Rede war, dann ging es vor allem noch um den Gesamtauftrag des allgemeinen Priestertums (»apostolisch« im Sinne von »vollmächtig«, »neutestamentlich«, »geisterfüllt«). In Bußgebeten konnte beispielsweise die »Verwerfung des Apostolischen Amtes«, der »Verlust der Ordnungen der Kirche«, das »Aufhören der Ausübung der Geistesgaben« und die »Verweltlichung der Kirche« vor Gott beklagt werden, ohne ausdrücklich um die Berufung neuer Apostel zu bitten.773 Diese stellvertretenden Bußgebete, erkennbar in der apostolischen Frömmigkeitstradition stehend, thematisieren den Verlust von »Kraft und Weisheit«, Leitung, Einheit, Amt: »Die Krone ist von unserem Haupte gefallen« durch die Schuld des Stolzes der Christenheit.774 In einer »Gebetsordnung für die Woche« unter dem Titel »Vater unser« sollten diese Bußgebete zusammen mit anderen Fürbitten und Lobgebeten die Beter aus den Reihen des Volksmissionskreises »vor dem Vater« versammeln.775 770 Vgl. dazu z. B. div. Briefwechsel in: A.III.a.1958; A.III.a.1959; A.III.a.1960; A.III.a.1961 u. a. 771 Rudolf Fischer kritisierte am Ende seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Volksmissionskreises: »Die dort [in Bräunsdorf] vertretene Heiligungsbewegung führt nicht zur Demut, sondern macht hochmütig, überheblich und lieblos. Wir dienen Gerhard nicht, indem wir uns nun auch noch beugen und ihm unterstellen«, Brief von Rudolf Fischer, Dresden, 11. 09. 1957, an Pfr. Hans Prehn, Lauter/Ewald Ehrler, Niederschlema/Sup. Cornelius Kohl, Freiberg, in: A.III.a.1957. 772 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1961, Lothar Köppe, 06/1961, in: A.III.a.1961. 773 So die Überschriften von vier Bußgebeten in der Gebetsordnung: Vater unser [Bräunsdorfer Schwestern, Bräunsdorf 1967], in: A.IV.a.61, 1–3. 774 Vater unser [Bräunsdorfer Schwestern, Bräunsdorf 1967], in: A.IV.a.61, 1. 775 [Gebetsordnung] Vater unser [Bräunsdorfer Schwestern, Bräunsdorf 1967], in: A.IV.a.61.

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Struktur und Aufbau, Verbindlichkeit und Mitgliedschaft Im gegliederten Aufbau des Volksmissionskreises als Christusdienst Sachsen sollte sich das theologische Konzept widerspiegeln. Man hat sich die Struktur des Christusdienstes als Ellipse mit zwei Brennpunkten vorzustellen. Ganz bildlich, gleichsam typologisch stehen für den Dienst nach innen und nach außen als Sammlung und Sendung dessen beide Zentren Bräunsdorf und Großhartmannsdorf. Großhartmannsdorf sollte den missionarischen Dienst versehen. Der »Hirtendienst«, die Auferbauung des Christusleibes, war das Anliegen Bräunsdorfs.776 Im Blick waren auch die kommunitären Gemeinschaften der beiden Orte: die Bräunsdorfer Schwesternschaft und die Bruderschaft in Großhartmannsdorf. Um diese Gemeinschaften, die den jeweiligen Ortsgemeinden und den Kerngemeindekreisen eingegliedert waren, hatten sich Tertiärgemeinschaften entwickelt, die als Johannes- und Philippusring wiederum durch die beiden Dienstaufträge Sammlung und Sendung bestimmt waren.777 Der Vorstand des Christusdienstes trug die »Gesamtverantwortung« – ein ekklesiologisch konnotierter Terminus aus der Tradition der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Der theologisch gefüllte strukturelle Aufbau wird in Abbildung 1 veranschaulicht:

Abb. 1: Skizze über den strukturellen Aufbau des »Christusdienstes Sachsen«.

Die Abbildung will deutlich machen, dass das Konzept »Christusdienst Sachsen« die beiden Pole Sammlung und Sendung den jeweiligen Gemeinden und GeDiese Gebetsordnung lässt Vorbilder der Christusbruderschaft Selbitz, der Marienschwestern und der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben erkennen. Zur Beschreibung der Ordnung: VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1967, Pfr. Gerhard Küttner, 09/1967, in: A.II.a.404/ 8/Bd3, dort auch Zit. 776 Vgl. VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3. 777 Die Tertiarier trafen sich zu Rüstzeiten in den beiden Zentren Bräunsdorf und Großhartmannsdorf. Die Tertiärkreise hatten Vorstände an ihrer Spitze, welche wiederum dem Vorstand des Christusdienstes / Volksmissionskreises unterstellt waren.

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meinschaften sowie den dazugehörigen Personen zuordnet. Dabei stellen die beiden volksmissionarischen Kerngemeindekreise der jeweiligen Kirchgemeinden die zwei Zentren des Christusdienstes dar (jeweils dicke Linie). Die beiden volkskirchlichen Kirchgemeinden spielen dagegen als Orte der Kerngemeindekreise eine nachgeordnetere Rolle (dünne gewellte Linie). Innerhalb der Kernkreise sind die Kommunitäten verortet (durchlässige Linie: Teil der Kernkreise). Um die Kernkreise und Kommunitäten herum stehen die Tertiärgemeinschaften, die als Freundeskreise eine geringere Verbindlichkeit aufweisen (gestrichelte Linie). Die Verbindlichkeiten innerhalb des als Christusdienst theologisch gedeuteten und strukturierten Volksmissionskreises sollten geregelt werden. Der Kreis, der sich als sächsische, übergemeindliche Dienstbruderschaft verstand, wollte unter seinen Mitgliedern die Verpflichtung zu einem verbindlichen geistlichen Leben festmachen. Der Begriff »Mitglied« ist hier, wie an den meisten Stellen dieser Studie, ein problematischer Begriff. Der Volksmissionskreis Sachsen kannte bis 1990 keine rechtlichen Mitgliedschaftsformen (durch Vertrag, Vereinsrecht, geregelte finanzielle Beiträge, Karteien o. a.). Dennoch gab es verbindliche Mitgliedschaftsformen, die sich durch Veranstaltungsteilnahme, Spenden, Rundbriefempfang und -weitergabe, Gebetsgemeinschaft u. a. ausdrückten.778 Personenlisten wurden, wenn überhaupt, nur bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt. Die verbindliche Mitgliedschaft sollte jetzt durch ein gemeinsames, von jedem Mitglied zu sprechendes Gebet geregelt werden. Bereits zuvor hatte es eine »Ordnung des gemeinsamen Lebens« (Bräunsdorf, 1960) gegeben. 1966 wurde das Weihe- oder Hingabegebet des Großhartmannsdorfer Kerngemeindekreises (4.3.2) auf einer Mitarbeitertagung des Volkmissionskreises in Großhartmannsdorf neu erarbeitet. Bei Veranstaltungen wurde es in den folgenden Jahren gesprochen, betitelt zum Beispiel als »Weihegebet in der Kirche«, »Gemeinsame Hingabe« oder »Hingabefeier«:779 »Herr, Gott, himmlischer Vater, Du hast uns erlöst durch das Opfer Deines lieben Sohnes Jesus Christus und hast uns zu Deinen Kindern gemacht. Nimm hin den Dank unserer Herzen und das Opfer unseres Lebens. Wir stellen uns Dir aufs neue zur Verfügung mit allem, was wir sind und haben, zum gemeinsamen Leben einer heiligen Dienstbruderschaft und wissen uns von Dir gebunden

778 Dennoch und gerade deshalb ist die Rede von Mitgliedern und nicht bloß von Freunden angemessen. 779 Vgl. Veranstaltungsübersicht 1966, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1966, dort Zit.; vgl. dazu die Unterschriftenliste der Weihe bei der Pfarrfrauenrüstzeit am 15. 11. 1966 in: a. a. O.; Prehn, Volksmissionskreis, 72.

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zur regelmäßigen Teilnahme am Gottesdienst und an der Feier des Heiligen Abendmahles,780 zur Pflege der geschwisterlichen Gemeinschaft, zum geordneten täglichen Bibelstudium und Gebet, zu verantwortlicher Haushalterschaft, zum regelmäßigen seelsorgerlichen Gespräch. Wir nehmen uns einander an, ein jeder den anderen so, wie er ist, als Brüder und Schwestern in dem Herrn Jesus Christus, als Glieder des einen Leibes. Wir geben uns einander hin, uns den Dienst der Liebe so zu erweisen, wie ihn unser Herr und Meister uns erwiesen hat. Wir wissen uns als Brüder und Schwestern des Volksmissionskreises verantwortlich für unsere Heimatgemeinde, für unsere Kirche und darüber hinaus für die gesamte Oekumene. Du, Gott, bist es, der durch den Heiligen Geist das Wollen und Vollbringen schenkt. Du hast das gute Werk in uns angefangen. Wir glauben, daß Du es auch vollführen wirst bis auf den Tag Jesu Christi. Amen.«781

Die wiederholte, zum Teil überarbeitete Verwendung dieses Gebetes zeugt nicht nur von dessen identitätsstiftender Funktion, sondern von der Suche nach einer Verbindlichkeit bruderschaftlichen Lebens, welche den Volksmissionskreis als ganzen auf den Weg einer quasi-kommunitären Gemeinschaft führte.782 Die verbindliche und im Gebet bekräftigte Bruderschaft war innerstes Anliegen des Christusdienstes. »Gott will sich bereiten eine Schar von Brüdern, die durchglüht sind von einer inneren Schau des Leibes Christi, die den ganzen Leib sehen und dem ganzen Leib dienen wollen und müssen. Eine zum Opfer bereite und berufene Schar. […] Hier ist apostolische Sendung. Wir können dem Leibe nur dienen als Lämmer, als königliche 780 In einer Version für Pfarrer wurde die Zeile »zur regelmäßigen Teilnahme […] Abendmahls« ersetzt durch: »zum evangelistischen Dienst hinein in die Welt und zur Sammlung der uns von Dir gegebenen Gläubigen«, E-Mail von Frank Robotta, Dresden, 13. 11. 2008, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.22. 781 Prehn, Volksmissionskreis, 72; auch in A.IV.a.II.6. 782 Die identitäts- und verbindlichkeitsstiftende Bedeutung des Gebets zeigt sich auch noch knapp drei Jahrzehnte später, als in der Selbstbeschreibung eines Freundeskreises (nicht mehr : Kerngemeindekreises) in Aue–St. Nicolai die wesentlichen Inhalte wieder auftauchten: »Wir sind dankbar, daß alle Veranstaltungen im Pfarrhaus stattfinden können. Wir fühlen uns eingebunden in unserer Kirchgemeinde, beteiligen uns am Gemeindeleben, nehmen regelmäßig am Gottesdienst und der Feier des Heiligen Abendmahles teil, pflegen geschwisterliche Gemeinschaft, sind für ein tägliches geordnetes Bibelstudium und Gebet und verantwortliche Haushalterschaft«, Beitrag von Louis Sachse zu »Volksmission« in: Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens der Kirchgemeinde St. Nicolai Aue, vorgelegt aus Anlaß der Großen Kirchenvisitation in der Zeit vom 7. bis zum 14. März 1993, in: A.I.q.I.2.4. Auch in einem Berliner Kerngemeindekreis wurde das Gebet 1976 rezipiert, mit der Aussage: »Wir erkennen, daß der Herr uns in besonderer Weise in die Bruderschaft des Christusdienstes gestellt hat«, [Aktennotiz] Hingabegebet des Berliner Kreises um Kantor Hildebrand, in: A.III.a.1976.

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Priester, als Schlachtopfer«783 – »so fließt die wahre Salbung des Geistes neu und tiefer auf in eins versammelte Brudermenschen«784.

4.5.4 »Oekumenische« Spiritualität: Eine deutsche Wurzel der innerkirchlichen charismatischen Bewegung Die Entwicklung zum »Christusdienst Sachsen« weist auf eine für die Geschichte der charismatischen Bewegung wichtige Wurzel hin: Die Entstehung charismatischen Christentums in Deutschland ist keineswegs allein anhand von Einflüssen aus dem US-amerikanischen Bereich, zum Beispiel durch Vermittlung Larry Christensons, zu erklären. Vielmehr wirkte die Spiritualität des Oekumenischen Christusdienstes bzw. der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben entscheidend auf entstehende charismatische Gruppen. In Sachsen konnte sich diese Spiritualität besonders kultivieren. Symptomatisch ist die im Volksmissionskreis verbreitete Notiz Arthur Richters (Marburger Kreis) von einer Tagung auf dem Schwanberg 1964 (zwischen den Treffen Enkenbach 1963 und Königstein 1965): »Gott hat etwas vor. Er bereitet seine Gemeinde auf die Wiederkunft zu. Es geht um den Aufbau des Leibes Christi in neuer Vollmacht der Kraft durch den Geist und die Mithilfe der vielseitigen Gaben, gehalten durch die Ämter, wo der Einzelne aufwächst zur Mannesreife.«785

4.5.5 Außenwirkung: Christusdienst Thüringen Bereits Mitte der 1950er Jahre wurde in Gera in Ostthüringen ein Netzwerk von volksmissionarischen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern gegründet, für dessen Entstehung Anregungen des Volksmissionskreises Sachsen berichtet werden.786 Einige dieser Personen gehörten zum Johannesring und nahmen an Rüstzeiten des Volksmissionskreises teil. Mitte der 60er Jahre wurde die Bezeichnung »Christusdienst« aus Bräunsdorf bekannt. Die Wege von Sachsen 783 Rundbrief an Teilnehmer der Mannschaftsrüstzeit in Großhartmannsdorf, Lothar Köppe, Dresden, 18. 10. 1960, in: A.I.b.1397. 784 Rundbrief an Teilnehmer der Mannschaftsrüstzeit in Großhartmannsdorf, [Lothar Köppe], Dresden, 18. 11. 1961, in: A.I.b.1397. 785 Ertrag der charismatischen Tagung vom 06.–09. 04. 1964 auf dem Schwanberg bei Kitzingen, Arthur Richter, in: A.I.b.1397 (Hervorhebung im Text). 786 Vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Götz Planer-Friedrich mit Hermann Gentsch, Gera, 22. 11. 1977, in: A.III.d.Stepper2. Der sächsische Pfarrer Martin Keil (Auenkirche MarkkleebergOst, Diakonissenhaus Borsdorf) war 1968 nach Thüringen (Gehlberg) gewechselt und gehörte zum Christusdienst Thüringen.

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nach Thüringen zeigen sich eindeutig, auch die Entfernungen zwischen Bräunsdorf (Gerhard Küttner), Crimmitschau (Hans Prehn) und den Orten im Osten Thüringens sind überschaubar.787 Unter dem Eindruck der Christusdienst-Konzeption hatte man schließlich die Bezeichnung »Christusdienst Thüringen« übernommen. Anders als in Sachsen wurde der Name »Christusdienst« aber nun als offizielle Bezeichnung des Netzwerkes verwendet und der Begriff »Volksmission« abgelegt. In einer Selbstvorstellung des thüringischen Kreises von 1977 heißt es: »Der Christusdienst hat seine geistliche Verwurzelung vorwiegend in den geistlichen Zentren des Volksmissionskreises Sachsen (Christusdienst Sachsen). […] Der Christusdienst Thüringen versteht sich als ein kleines Gefäß der Sammlung und Mehrung geistlichen Lebens in bruderschaftlicher Verbindlichkeit und charismatischer Erwartung, weil wir überzeugt sind, daß ohne die ntl. Geistes- und Die[n]stgaben der Auftrag Gottes in dieser Zeit und an dieser Welt nicht getan werden kann.«788

Das Geschehen in Sachsen diente als Anregung zur Bildung neuer innerkirchlicher Gruppen. Nach dem zweiten charismatischen Aufbruch wird dies auch auf die Entstehung freier Gemeinschaften zutreffen (siehe 5.5.3). Zunächst jedoch entwickelte sich mit dem Christusdienst Thüringen eine charismatische Gemeinschaft, welche erst ab Ende der 60er Jahre ihre landesweite Ausstrahlung erlangte und 1974 unter dem Eindruck neuer charismatischer (Jugend-) Aufbrüche einen Leitungskreis einsetzte.789 Bis zu diesem Schritt der Selbstständigkeit ist eine starke Orientierung am Volksmissionskreis Sachsen zu verzeichnen.790 Anhand von Form und Begrifflichkeit zeigt die thüringische Praxis Parallelen zu Sachsen, was am Beispiel von Rundbriefen, Gebetsbriefen, Mannschaftsevangelisationen und Geschwistertreffen zum Ausdruck kommt, wobei sie aber mit Lobpreisgottesdiensten und Gebetsnächten ein erweitertes, verjüngtes Programm vorstellt. 787 Ein Rundbrief listet folgende Pfarrer und Orte auf: Kurt Ebert, Isserstedt; Karl Großer, Seubtendorf; Rolf Heidel, Pölzig; Gottfried Heinkel, Rositz; Klaus Jänchen, Friedrichroda; Martin Keil, Gehlberg; Wolfgang Lory, Gößnitz; Max Nestler, Greiz; Walter Rieger, Trügleben; Helmut Stelzner, Großschwabhausen; Helmut Wohlfahrt, Gotha (Rundbrief an Pfarrbrüder [in Thüringen], Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 29. 10. 1973, in: A.III.1973; dieser Rundbrief bittet Pfarrer aus Thüringen aufgrund zu vieler Anmeldungen von einer Pfarrerrüstzeit in Sachsen Abstand zu nehmen). 788 Christusdienst Thüringen (Versuch eines Selbstverständnisses), 1977, in: A.III.d.Stepper2. 789 Vgl. Christusdienst Thüringen (Versuch eines Selbstverständnisses), 1977, in: A.III.d. Stepper2. 790 Vgl. dazu: »[…] daß die Thüringer Brüder in diesem Jahr [1973] einen eigenständigen Zusammenschluß gefunden haben«, Rundbrief an Pfarrbrüder [in Thüringen], Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 29. 10. 1973, in: A.III.1973. Das sich die Abnabelung von Sachsen doch eher langfristig gestaltete, zeigen Mitgliederlisten, welche noch 1976 an die Geschäftsstelle des Volksmissionskreises Sachsen gesandt wurden, diese in: A.III.a.1976.

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4.5.6 Anfänge einer evangelischen Exerzitienarbeit in Sachsen In den evangelischen Landeskirchen in der DDR begann in den 1960er Jahren eine evangelische Exerzitien- bzw. Einkehrarbeit, mit der das bis dahin übliche evangelische Rüstzeiten- und Tagungsprogramm geradezu aufsehenerregend erweitert wurde. Denn wie sollte es in der Kirche des Wortes angehen, dass Christen sich im Schweigen und Betrachten übten? Eine ungewohnte, daher zum Teil auch abgelehnte Vorstellung.791 Die Neuentdeckung der Glaubens-Übung für den Wort-Glauben wäre ohne ökumenische Kontakte nie entstanden, wofür die Jahre nach dem Krieg und besonders der Schub der 1960er Jahre bahnbrechend wirkten. Über eher elitäre Verbindungen hinaus, wie sie zum Beispiel Gerhard Küttner im Kontext des Oekumenischen Christusdienstes unterhielt, wurden jetzt interkonfessionelle Begegnungen mehr und mehr für eine breitere Basis erreichbar. Pfarrer des Volksmissionskreises Sachsen waren seit 1959 in römisch-katholischen Einkehrhäusern zu Gast, besuchten Exerzitien oder luden katholische Kollegen zu sich ein. Eine wichtige Rolle spielten das römisch-katholische Priesterseminar in Erfurt und dessen Spiritual Fritz Bauer.792 Die Teilnahme an Exerzitien löste Interesse aus, sodass diese Arbeitsform bald übernommen wurde. Nach der Anleitung durch katholische Lehrer experimentierte man selbst, nicht ohne das ignatianische Modell anhand eigener Bedürfnisse und eigener geistlicher Erfahrung zu transformieren. Schon 1963 hielt zum Beispiel Christoph Richter Einkehrtage für Teilnehmer des Volksmissionskreises in Erfurt.793 Parallel zur Arbeit der Leipziger Theologen Christoph Michael Haufe (1932– 2011), Ulrich Kühn (1932–2012) und Gottfried Wolff (geb. 1930), welche ebenfalls zur römisch-katholischen, aber auch zur schwedischen lutherischen und anglikanischen Exerzitienarbeit Verbindungen hatten und die Kategorie der geistlichen Übung in den Protestantismus einzubringen versuchten,794 wurde der Volksmissionskreis ein Ort des evangelischen Exerzitiums, das im Konzept »Christusdienst Sachsen« inhaltlich Beheimatung fand. Die Exerzitien- und Einkehrarbeit des Volksmissionskreises als Zeugnis der ökumenischen Öffnung evangelischer Spiritualität zählte neben dem Leipziger Kreis zu den ersten 791 Vgl. z. B. Harms, Gauben üben, 72; Wolff, Im Schatten der atheistischen Macht, 168. 792 »In Erfurt waren wir jetzt mit Brüdern aus der katholischen Kirche zusammen«, Brief von Lothar Köppe, Dresden, 15. 06. 1959, an Pfr. Klaus Heß, Nürnberg, in: A.III.a.1959; vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 4f. Für Ihre berichteten Erinnerungen danke ich Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna. 793 Vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 5. 794 Zu Geschichte und Aktivitäten vgl. Wolff, Im Schatten der atheistischen Macht; ders., Evangelische Exerzitien.

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evangelischen Exerzitien-Initiativen innerhalb der DDR,795 wenngleich ihr eine geringere Wirkungsgeschichte als den Leipzigern beschieden war. Innerhalb des Volksmissionskreises hatten sich Einkehr und geistliche Übung besonders in Bräunsdorf entfaltet. Von den Plänen eines Einkehrhauses in Bräunsdorf, welche nicht verwirklicht werden konnten, wurde oben schon gesprochen. Gerhard Küttner hatte erkannt, dass der klassische Typ des evangelischen Rüstzeitheimes nicht für Einkehrarbeit geeignet ist – ein Problembestand, auf den auch Gottfried Wolff hingewiesen hatte.796 In Bräunsdorf wurden spezielle Einkehrzeiten für Stille, Betrachtung und seelsorgerliches Gespräch mit Hilfe von Privatquartieren durchgeführt. Mit den Exerzitien bzw. Einkehrtagen wurde ein Ergänzungsprogramm zur üblichen Rüstzeiten- und Tagungsarbeit des Volksmissionskreises eingerichtet und es wurden vorwiegend sächsische Gemeindeglieder, aber auch weitere Gäste erreicht. Auch in Großhartmannsdorf wurden spätestens ab 1966 Einkehrtage und Exerzitien veranstaltet,797 nachdem man die Jugendwochenenden des ersten charismatischen Aufbruches bereits »Einübungstagungen« genannt hatte (4.3.3). Im Anschluss daran entstand in Großhartmannsdorf das Exerzitium »Oasen des gemeinsamen Lebens« (siehe 5.1.4). Exerzitien und Einkehr innerhalb des Christusdienstes Sachsen als einer erwecklich-charismatischen Vereinigung gemeinsamen Lebens stellen ein Beispiel für die Verbindung von Kommunität und Einkehrarbeit im evangelischen Raum dar. Dazu hatte Gottfried Wolff einst bemerkt, dass es aufgrund der geringen Anzahl evangelischer Kommunitäten in der DDR außer der Schwesternschaft des Julius-Schniewind-Hauses und den Ordo-Pacis-Schwestern keine Beispiele für diese Verbindung aufzuführen gäbe. Aber gerade der Volksmissionskreis Sachsen mit seinen Kirchgemeinde-Kommunitäten ergänzt Wolffs Bemerkung und kann als wirkungsvoller Vertreter in diese Kategorie aufgenommen werden.798

795 Zur evangelischen Exerzitienarbeit in der DDR siehe: Herr, komm in mir wohnen. 796 Das Problem evangelischer Einkehrtage in herkömmlichen Rüstzeitheimen begründete sich in der nicht ausreichenden Anzahl von Einzelzimmern sowie darin, dass diese Häuser noch nicht auf »durchgehendes Schweigen eingestellt« waren. Vgl. Aktennotiz [vermutl. Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, ca. 14. 03. 1964], in: A.II.c.1199; Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 11. 1963, an den Rat des Kreises Karl-Marx-Stadt, Vorsitzender Reißmüller, in: a. a. O. Vgl. dazu Wolff, Das »Haus der Stille« in Möser, 21, dort Zit.; ders., Evangelische Exerzitien, 69f. 797 Vgl. Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 6; vgl. [Liste] Teilnehmer zur Exerzitienwoche 07.–14. 08. 1966 in Großhartmannsdorf, in: A.III.a.1966. 798 Vgl. Wolff, Zeiten mit Gott, 115. In diesem Sinne müsste auch die Darstellung von Silke Harms ergänzt werden, vgl. dies., Glauben üben 71f.

Der Volksmissionskreis als »Christusdienst Sachsen«

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4.5.7 »Das Heiligtum ruft!«799 Rückzug in den Jahren 1971–1972 Im Sommer 1971 entschied man sich im Volksmissionskreis bzw. Christusdienst Sachsen, alle überregionalen Veranstaltungen auszusetzen, da man meinte, das Hören auf die Stimme Gottes sowie die eigentliche Berufung des Dienstes würden in rastloser Betriebsamkeit versinken.800 Daher sollten die Jahre 1971 und 72 eine Phase des Rückzuges, der Konzentration und Stille bilden. »So hieß es für uns […]: ,Was der Heilige Geist euch sagt, das tut.«801 Das Hören auf die Stimme des Heiligen Geistes, das zu den zentralen Merkmalen charismatischer Spiritualität gehört, war bereits seit der alten Oxford-Gruppenbewegung integraler Bestandteil der Praxis des Volksmissionskreises und in Form von Stiller Zeit, Gebetsgemeinschaften sowie den Exerzitien weiter kultiviert worden. Es kennzeichnet den Volksmissionskreis in jenen Jahren als charismatische Gemeinschaft. Die Phase der Konzentration und Stille, als »schöpferische Pause« verstanden und nachträglich als »Sabbatjahr« bezeichnet,802 zeigt sich im Zusammenhang der internen Debatte um das Profil des Volksmissionskreises, da man sich vom Ruf des Geistes auch eine Lösung der Diskussion um Sammlung und Sendung erhoffte. Nachdem Gerhard Küttner, Hans Prehn, Lothar Köppe und Christoph Richter (die Mitglieder des »inneren Vorstandes« als Teil des aus acht Personen bestehenden »äußeren Vorstandes«)803 verkündet hatten: »Gott hat uns ein Stopp gegeben«,804 wurde die Stille im Volksmissionskreis bis Mitte 1972 umgesetzt. Praktisch hatte der Rückzug Relevanz für die überregionalen Aktivitäten der Dresdner Geschäftsstelle sowie Bräunsdorfs und Großhartmannsdorfs, wo das Tagungs- und Rüstzeitenprogramm vorwiegend verortet war. Die Rundbriefarbeit, die Geschwistertreffen (regionale Treffen von Kerngemeindekreis-Mit799 VMK (Hg.), Rundbrief an Pfarrschwestern, Vorstand des Christusdienstes, Dresden, 27. 07. 1971, in: A.III.a.1971. 800 Davon zeugen div. Quellen und Rundbriefe, z. B. in: A.III.a.1971; A.III.a.1972. 801 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1971, Pfr. Hans Prehn, 08/1971, in: A.II.a.404/8/Bd3. 802 Großhartmannsdorf – Zeit der Bruderschaft, Christian Kurze, Dresden 2012, in: A.IV.a.II.9; VMK (Hg.), Rundbrief an Pfarrschwestern, Vorstand des Christusdienstes, Dresden, 27. 07. 1971, in: A.III.a.1971. 803 Die Gliederung »innerer« und »äußerer Vorstand« orientierte sich an der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, welche ihre Leitungsstruktur anhand des ekklesiologischen Konzeptes von innerer und äußerer Kirche (»Herzgemeinde« vs. Institution) ausgerichtet hatte. Offenbar hatte Gerhard Küttner zu dieser Doppelstruktur im Christusdienst beigetragen. Sie stellt wohl auch eine Antwort auf den Wunsch Rudolf Fischers dar, ein breiter aufgestelltes, demokratischeres Leitungsgremium (statt des anfangs aus vier Personen bestehenden Vorstandes) einzurichten. 804 Vgl. Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 17. 06. 1971, an Eberhard Laue [Christusdienst Thüringen], in: A.I.b.1397; Zit. in: VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1971, Pfr. Hans Prehn, 08/1971, in: A.II.a.404/8/Bd3.

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Erster charismatischer Aufbruch

gliedern) sowie die Pfarrertagungen waren nicht ausgesetzt worden. Keinen Nachweis gibt es, ob Evangelisationen und Volksmissionswochen ebenfalls unter dieses »Stopp« fielen. Wie vieles war auch dieser Schritt des Christusdienstes Sachsen theologisch untermauert: »Die Stille ruft! Das Heiligtum ruft! Nicht nur einige – uns alle. In einer Zeit der Hetze und der Aktivitäten müssen wir uns neu füllen lassen von oben her. Alle Arbeit für Gott wird als Heu und Stroh verbrennen, wenn sie nicht das Signum des Geistes trägt.«805

Dabei sah man sich eschatologisch verortet »auf dem Weg zur Vollendung der Kirche«806 als Teil »einer großen Bewegung des Geistes«. Dies war besonders durch Gerhard Küttner aus dem Kontakt mit Reiner-Friedemann Edel vermittelt worden: dass jetzt »die Dienerschaft der Kirche Jesu Christi an allen Orten« in die Stille gerufen sei.807 Ziel dieser spirituellen Konzentration sei eine neue Hingabe an den Ruf Gottes in »ständiger Reue und Buße« für ein neues »priesterliches Leben zur Vollendung der Gemeinde«.808 Auffällig konzentrierten sich nach der Stille-Phase thematische Inhalte um Aspekte des geistlichen Lebens: Rechtfertigung und Heiligung, Gottesdienst, Abendmahl, Wesen und Werk des Heiligen Geistes, Wirkung des Heiligen Geistes oder Verweilen im Gebet.809 In Großhartmannsdorf ereignete sich ein halbes Jahr nach der Stille-Phase der zweite charismatische Jugendaufbruch. Diese Phase des Rückzuges schließt den ersten charismatischen Aufbruch ab. Sie geht dem zweiten charismatischen Aufbruch von 1972/73, welcher mit der weltweiten charismatischen Jugenderweckung bzw. der Jesus-People-Bewegung einherging und von ihr ausgehend der charismatischen Bewegung eine größere Öffentlichkeitswirkung beibrachte, voraus.

805 VMK (Hg.), Rundbrief an Pfarrschwestern, Vorstand des Christusdienstes, Dresden, 27. 07. 1971, in: A.III.a.1971. 806 Angelehnt an den Titel der Publikation Reiner-Friedemann Edels über katholisch-apostolische Theologie, welche seit Anfang der 60er Jahre im Volksmissionskreis kursierte, mit hoher Wahrscheinlichkeit von Küttner gelesen wurde und 1971 neu erschien: Edel, Auf dem Weg zur Vollendung der Kirche. 807 VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1971, Pfr. Gerhard Küttner, 12/1971, in: A.II.a.404/8/Bd3, darin Brief von Reiner-Friedemann Edel. 808 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1972, Pfr. Christoph Richter, 11/1972, in: A.III.a.1972. Dieser Brief zeigt hervorragend die theologische Verwandtschaft mit den Darmstädter Marienschwestern. 809 Vgl. div. Rundbriefe und Einladungen zu Geschwistertreffen in: A.III.a.1972; A.III.a.1973.

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Jugendbewegung – Gemeindeordnung – Getrennte Wege – Neue Gruppen. Zweiter charismatischer Aufbruch

5.1

Zweiter charismatischer Aufbruch in Großhartmannsdorf: Jesus People

Etwa ab dem zweiten Drittel der 1970er Jahre begannen sich die Merkmale der innerkirchlichen charismatischen Bewegung zu verändern: Die Internationalisierung einer Gesamtbewegung, deren öffentliche Wahrnehmung und Resonanz sowie nicht zuletzt ihre unlösliche Verbindung mit der weltweiten Jugendbewegung der sogenannten Jesus People810 seit Ende der 60er Jahre bildeten die Rahmenbedingungen, zu denen auch eine stärkere ökumenische Verbindung zu pfingstlichen Gruppen bzw. Personen zählt. Walter J. Hollenweger stellte fest, dass den »meisten westlichen Beobachtern« »die starke Ausbreitung der Jesusbewegung in der DDR entgangen« sei811 – eine Feststellung, der mittels einiger Streiflichter im Folgenden beigekommen werden soll. Im Übrigen sei bemerkt, dass die Wahrnehmung des zweiten charismatischen Aufbruches auch innerhalb der sächsischen Landeskirche zu wissenschaftlich-theologischen Reflexionen über charismatische Spiritualität geführt hatte.812

810 Vgl. dazu z. B. Geppert, Gotteskinder, dort zu Deutschland bes. 39–51, zur Theologie 111– 139 u. a.; zu den USA vgl. z. B. Großmann, Jesus People Report; Hollenweger, Christen ohne Schriften, 93–109. 811 Hollenweger, Christen ohne Schriften, 104. 812 Vgl. Bemühungen, wie sie sich z. B. in Form von Vorträgen und Gesprächen z. B. von Pfarrern oder Arbeitsgemeinschaften wieder. Vgl. Brief von Pfr. Edgar Arnold, Püchau, 15. 10. 1974, an die Geschäftsstelle des Volksmissionskreises Sachsen, Dresden, in: A.III.a.1974; Brief von OLKR Ulrich von Brück, Dresden, 27. 03. 1974, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: a. a. O.; vgl. Haufe, Geistliche Bewegungen in der DDR; vgl. die Arbeit des Konfessionskundlichen Arbeits- und Forschungswerkes (Ev. Bund), z. B. Briefe, Protokolle und Referate (bes. 1974, 1978, 1980) in: A.II.d.AG1 und A.II.d.AG2; vgl. Kreß, Die Kirche und ihre Gruppierungen; vgl. Schwintek, Innerevangelische Gruppierungen, 65–68. Schon im Jahre 1964 beschäftigte sich die Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte mit dem Volksmissionskreis, vgl. [Programmblatt] 16. Tagung für sächsische Kirchengeschichte in Döbeln, in: A.III.a.1964.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

5.1.1 Jahreswechsel 1972/73 Für den Beginn des zweiten charismatischen Aufbruches in Sachsen und der DDR ist ein zentrales Datum festzuhalten: Der Jahreswechsel 1972/73, welcher mit einer Rüstzeit für Jugendliche in Großhartmannsdorf begangen wurde. Diese Silvesterrüstzeit spiegelt die beginnende Internationalisierung und Ökumenisierung der evangelischen charismatischen Bewegung wider. Hatte man bisher alle politisch möglichen Wege genutzt, um im Ausland Kontakte zu knüpfen (z. B. nach Polen und Ungarn), so kamen nun durch Besuche aus westlichen Ländern auch Bereiche in den Blick, die man aus der DDR heraus nicht ohne Weiteres erreichen konnte. Besonders die Niederlande, wo sich missionarische Initiativen verschiedener konfessioneller Couleur entfalteten und von wo Missionare in die Länder des Ostblockes gingen, sind zu nennen. An der Freizeit zum Jahreswechsel nahmen pfingstliche Missionare aus Holland, das Ehepaar Ger und Froukje Prakken, teil.813 Das Missionarsehepaar wurde zur Mitarbeit an der Rüstzeit eingeladen, wo es einen Segnungsgottesdienst für die Teilnehmer durchführte.814 Dieser spontane, von Pfingstlern geleitete Segnungsgottesdienst innerhalb einer charismatischen Gemeinschaft am Ort einer lutherischen Gemeinde bildet einen Einschnitt in der Entwicklung charismatischen Christentums in Sachsen und ist als der realgeschichtliche Startpunkt des zweiten charismatischen Aufbruches anzusehen, was sich an folgenden Praxismerkmalen zeigt: Waren bis dato Segnungen von Einzelpersonen nur in der seelsorgerlichen Einzelsituation bekannt, fanden diese nun innerhalb eines Gottesdienstes statt. Hier wurden die Teilnehmer innerhalb des Gottesdienstes zur Segnung eingeladen. Dabei sollten sie einzeln zu den Segnenden gehen, die sich im Altarraum befanden, und ihr Anliegen vortragen. Die Segnenden reagierten auf die genannten Anliegen jeweils mit persönlichem Gebet und Segenswort. Diese Segenshandlung wurde je einzeln für die Teilnehmenden durchgeführt. Parallel dazu fand der Gottesdienst aller versammelten Teilnehmenden weiter statt. Dadurch wurde seelsorgerliches und gottesdienstliches Handeln ineinander verschränkt. Außerdem hatte die gottesdienstlich gerahmte Segnung, durchgeführt in pentekostaler Spontaneität, eine charismatische Wirkung bei den Teilnehmenden entfaltet: Das Charisma der Glossolalie wurde Berichten zufolge im Zusammenhang dieser Feier entdeckt und praktiziert. Damit wurde die bis 813 Vgl. A.IV.a.II.9. Das Ehepaar Prakken ist bis heute missionarisch aktiv, was sich an ihrer Gründung und Leitung einer pfingstlichen Gemeinde in Peru (angeschlossen an die Lichtstad-Gemeinde in Eindhoven/NL) zeigt, vgl. dazu unter http://www.de-lichtstad.nl/ peru; http://www.zendingengemeente.nl/index.php/peru/20-prakken (Zugriff: 07. 04. 2014). 814 Herzlich danke ich Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, für das Gespräch.

Zweiter charismatischer Aufbruch in Großhartmannsdorf: Jesus People

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dahin in der Regel nicht-öffentliche (private bzw. gemeinschaftlich halbprivate) Charismenpraxis des Volksmissionskreises Sachsen abgelöst durch eine gemeinschaftlich öffentliche Praxis. Die Segenshandlung behielt ihr individuell-seelsorgerliches Anliegen, wurde gemeinschaftlich-liturgisch verortet und durch die Mitwirkung der Pfingstler ökumenisch-charismatisch geprägt. Die Gleichzeitigkeit und Verschränkung von individuellen und gemeinschaftlichen Situationen sowie die öffentliche Charismenpraxis stellen inhaltlich sowie praktisch das Novum dieses Geschehens dar. Phänomenologisch ist vom Beginn einer neuen Phase der charismatischen Bewegung zu sprechen, die anhand der Kennzeichen Internationalisierung, Ökumenisierung (bzw. Pentekostalisierung) sowie der Anknüpfung an die Jugendkultur (bzw. Integration einer neuen Teilnehmergeneration) in Sachsen rasche Verbreitung fand. Das Geschehen ist als Beginn des zweiten charismatischen Aufbruches in Sachsen zu verstehen. Im Nachgang interpretierte man das Geschehen zum Jahreswechsel 1972/73 in Großhartmannsdorf als Antwort Gottes auf das Jahr der Stille 1971/72 (4.5.7). Bereits im Oktober 1972 wurde unter dem Eindruck von Berichten von Jugenderweckungen in anderen Ländern ein Mitarbeiter-Wochenende unter dem Motto »Aktion Landeplatz« veranstaltet, in dem man sich »mit allen gewachsenen Potenzen Gott zur Verfügung stellen« wollte.815 Im Dezember 1972 hatten dann einige Brüder der Großhartmannsdorfer Bruderschaft in einem Gottesdienst mit ihrer »Brüderweihe« einen weiteren Schritt gemeinschaftlicher Verbindlichkeit vollzogen.816 Von der in dieser Zeit neu erarbeiteten Regel der Bruderschaft war oben schon die Rede. Nachträglich wurden diese Schritte als geistliche Vorbereitung der Silvesterrüstzeit 1972/73 beschrieben.

5.1.2 Jugendwochenenden in Großhartmannsdorf Mit der Silvesterrüstzeit war die Jesus-People-Bewegung in Sachsen angekommen. Über den Verlauf von etwa zwei Jahren erlebte Großhartmannsdorf einen regelrechten Ansturm von Jugendlichen, für die eine Reihe von Jugendwochenenden veranstaltet wurden. Das Pensum monatlich stattfindender Wochenenden konnte jedoch nur für das Jahr 1973 durchgehalten werden.817 Für 815 Vgl. Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.5, 15f, Zit. 16, dort auch: »Auf unser gemeinsames Handeln an jenem Oktoberwochenende 1972 antwortete Gott mit einer Erweckung unter der Jugend im ganzen Land der ehemaligen DDR«. 816 A.IV.a.II.9. 817 Vgl. im Folgenden: A.IV.a.II.5, 16–18. Zur Chronologie vgl. A.IV.a.II.9: 1973 10 Jugendwochenenden; 1974 4 Jugendwochenenden; 1975 3 Jugendwochenenden; 1976 3 Jugendwochenenden; 1978 3 Jugendwochenenden.

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diese Jugendwochenenden wurde das klassische Programm, welches der Volksmissionskreis Sachsen für seine Tagungen und Freizeiten aus den Einflüssen der Oxford-Gruppenbewegung entwickelt hatte, übernommen und nur im Blick auf die kulturelle Prägung der Teilnehmenden modifiziert: Die Praxiselemente der Wochenenden waren Stille Zeit, Austausch und Gebetsgemeinschaft in Kleingruppen, gemeinsames Singen in Form einer »Liederbörse«818, Bibelarbeit und Abschluss mit einem Gottesdienst am Samstagabend, der als Jugendgottesdienst im charismatisch-evangelistischem Duktus gehalten wurde. Für alle übernachtenden Teilnehmer stellte der Gemeindegottesdienst am Sonntag in Gestalt der Evangelischen Messe (siehe 8.3.3) den Abschluss dar. Die Themen der Bibelarbeiten waren zum Beispiel: »Leben unter der Führung Jesu«, »Umgang mit den Gaben des Geistes«, »Geist-Taufe«, »Der gehorsame Jesus – unser Vorbild«.819 Von den Themen der Jugendgottesdienste sind dokumentiert: »Komm, Herr, Heiliger Geist«, »Komm zu Jesus, er gibt Dir Leben«, »Jesus ruft Dich in sein Reich«.820 Diese Themen geben die charismatisch betonte Jesus-bezogene Spiritualität der Jesus People zu erkennen. Die Jugendwochenenden wurden im Blick auf die bescheidene Infrastruktur von einer erstaunlichen Teilnehmerzahl frequentiert. Den Höhepunkt erreichten die Besucherzahlen, als im November 1973 ca. 1.700 Jugendliche in Großhartmannsdorf eintrafen.821 Von hier aus lässt sich eine Bewegung verfolgen, welche nahezu in ganz Sachsen Fuß fasste, da die Teilnehmer aus fast allen Regionen (Schwerpunkt West- und Südsachsen), der weiteren DDR und sogar aus dem Ausland anreisten.822 Durch internationale Kontakte wurde der Zusammenhang mit den Jesus-People als christlichem Hippie-Ableger gefestigt. Bereits für 1974 nennt der Jahresbericht des Volksmissionskreises neben den Großhartmannsdorfer Jugendwochenenden eine Anzahl an jugend-evangelistischen Veranstaltungen in verschiedenen sächsischen Orten mit Schwerpunkt in Leipzig.823 Diese im Jahre 1973 von Großhartmannsdorf ausstrahlende Be818 »In der DDR wurden damals noch keine christlichen Liederbücher gedruckt. Wer irgendwoher ein neues Lied kennengelernt hatte, diktierte den daran Interessierten den Text und die Noten. Dann wurde das Lied vorgesungen und eingeübt. Damit war es -zigfach vervielfältigt und fand seinen Weg in die Jugendgruppen des ganzen Landes«, A.IV.a.II.5, 16. 819 A.IV.a.II.5, 16. 820 Diese Titel nach Fotos von Transparenten, die in der Großhartmannsdorfer Kirche während Jugendgottesdienstes aufgehangen wurden. Diese Fotos in: A.I.b.M; A.I.b.B sowie http:// www.volksmissionskreis.de/grafik/foto7.jpg (Zugriff: 06. 05. 2014). 821 Vgl. VMK (Hg.), Jahresbericht 1973, in: A.II.a.404/8/Bd4; auch: A.IV.a.II.5, 17. 822 Vgl. A.IV.a.II.5, 17, wo die Länder Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Bundesrepublik Deutschland, USA, Neuseeland, Südafrika aufgelistet werden. 823 Vgl. VMK (Hg.), Jahresbericht 1974, in: A.III.a.1974, wo aufgelistet wird: »a) 4 Jugendwochenenden in Großhartmannsdorf mit durchschnittlich 1100 Teilnehmern, b) 1 Jugendevangelisation in Leipzig mit täglich durchschnittlich 470 Besuchern, c) 5 Jugend-

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wegung hatte sich in kürzester Zeit dezentralisiert und in Form von Kleingruppen und regionalen, informellen Netzwerken verbreitet.

5.1.3 Die Tertiärgemeinschaft Philippusring als überregionale Kerngemeinde In den ersten Jahren konnte die Dynamik der charismatischen Jugendbewegung noch unter dem Dach des Volksmissionskreises Sachsen gefasst werden. Dafür stellt die Tertiärgemeinschaft Philippusring einen wichtigen Integrationsort dar. Allerdings entstanden schon bald in den 1970er, aber vor allem in den 80er Jahren eigenständige Gruppen als Erben des zweiten charismatischen Aufbruches (vgl. unter 5.5.2–3). Diese erwecklich-evangelistischen, zum Teil auch diakonisch ausgerichteten Jugendgruppen (parallel zu Entwicklungen in der Bundesrepublik und anderen Ländern)824 lösten den Volksmissionskreis in seiner Rolle als alleinigen Träger innerkirchlicher charismatischer Spiritualität in Sachsen ab. Bis dahin konnte über ein rundes Jahrzehnt ein großer Teil der erweckten Jugendlichen im Philippusring verankert werden. Das Profil der Tertiärgemeinschaft als charismatisch-missionarischer Jugendbund um eine Jung-Männer-Kommunität vermochte die neugewonnenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen offenbar anzusprechen. Die Anbindung an die Bruderschaft geschah durch regelmäßige Treffen in Großhartmannsdorf. 1974 wurde die Tertiärgemeinschaft im Zuge des zweiten charismatischen Aufbruches neu geordnet und explizit als Teil des Christusdienstes Sachsen definiert: »Innerhalb der großen Familie des Christusdienstes schließen wir uns deshalb zum Philippusring zusammen, um gemeinsam mit der Bruderschaft und der Kirchgemeinde Großhartmannsdorf unserem Herrn zu dienen«.825 Der Philippusring erhielt jetzt eine Initiationsordnung (Probezeit, anschließende Einsegnung). Verpflichtend wurde für Mitglieder das Hingabegebet des Christusdienstes. Dadurch bleibt dieser Jugendbund trotz seines jungen chagottesdienste in Leipzig mit 400–800 Besuchern, d) 4 Jugendbibeltage in Leipzig mit durchschnittlich 115 Besuchern, e) 2 Weiterführungsrüsten für Jugend in Leipzig mit je 45 Teilnehmern, f) 4 Jugendbibeltage mit abschließendem Gottesdienst in Crimmitschau, Dresden und Lauter mit insgesamt 1100 bis 1800 Teilnehmern, g) 3 Jugendwochenenden, z. T. auf Allianzbasis, in Burkhardtsgrün mit 100–400 Teilnehmern, h) in etwa 20 Gemeinden Jugendsilvester-Rüsten mit unterschiedlicher Beteiligung«; vgl. dazu auch die schon abnehmenden Zahlen im folgenden Jahresbericht: VMK (Hg.), Jahresbericht 1975, in: A.III.a.1975: »a) 3 Jugendwochenenden in Großhartmannsdorf mit je 800 Teiln., b) 29 Jugendwochenenden und -bibeltage in Burkhardtsgrün, Crimmitschau, Dresden, Leipzig und Markneukirchen mit 150 bis 1100 Teilnehmern. c) Etwa 20 Jugendsilvester-Rüsten mit unterschiedlicher Beteiligung«. 824 Vgl. dazu Hollenweger, Christen ohne Schriften, 108. 825 Entwurf einer Ordnung für das Leben und den Dienst des Philippusringes, [Pfr. Christoph Richter], Großhartmannsdorf, 06. 05. 1974, in: A.III.a.1974, dort auch die folgenden Zit.

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rismatischen Profils weiterhin eindeutig als Tertiärgemeinschaft erkennbar. Parallel zur neuen Regel der Großhartmannsdorfer Bruderschaft (4.4.2) wurde auch die Ordnung der Tertiärgemeinschaft anhand des Dreiklangs Martyria, Leiturgia, Diakonia entfaltet: »1. Dienst des Zeugnisses (martyria) Wir bezeugen die frohe Botschaft in unserem alltäglichen Lebensbereich. Darüberhinaus sind wir nach den Möglichkeiten unseres Standes und Berufes bereit zur Mitarbeit bei Evangelisationen, Bibelrüstzeiten, Tagungen, Jugendbibeltagen und allen Bemühungen der Einübung in die Nachfolge Jesu«.

Dieser erste Punkt der neuen Ordnung unterscheidet sich genauso wie die neue Regel der Bruderschaft deutlich von den bisherigen Orientierungen, wie sie aus Bräunsdorf bekannt sind. Hier wird das Zeugnis dem Gebet vorgeordnet. Die Großhartmannsdorfer Tertiarier bilden eine missionarische Gemeinschaft. Zu ihrer Verpflichtung gehört die Mitarbeit an Evangelisationen und Tagungen – dem, was man einige Jahre zuvor als »Volksmission« bezeichnet hätte – sowie an exerzitienähnlichen Veranstaltungen (»Einübung«). An den Begriffen »bezeugen« und »Bemühung« wird deutlich, dass die Exerzitien als missionarische Arbeit, weniger kontemplative Arbeit gesehen werden – was sie als zeitlich neuere Ausgestaltung von Volksmission kennzeichnet. Der Philippusring zeigt sich mit dieser Ordnung als volksmissionarische Mannschaft. »2. Dienst des Gebetes und der Hingabe (leiturgia) Wir beten einzeln oder gemeinsam zu verschiedenen Zeiten des Tages. Damit wollen wir stellvertretend für andere Menschen vor Gott stehen, damit auch ihnen allen Seine Segnungen zufließen und Er das Ihm gebührende Lob empfange. Auf diese Weise lebt unser Zeugendienst nach außen von dem verborgenen Quell des ständigen inneren Umgangs mit Gott.«

Der Verbund der Tertiärgemeinschaft erhält die Aufgabe des Gebets. Das Gebet soll in geregelten Gebetszeiten stattfinden und wird grundlegend als Fürbitte verstanden (»stellvertretend«). Die Fürbitte erhält den Charakter einer interzessorischen Vermittlung: Sie soll eine bestimmte Wirkung transportieren, den Segen. Wie Gebet, Fürbitte und Segen bzw. Segnung miteinander zusammenhängen, wird unter 7.1 näher untersucht. Auf jeden Fall zeigt bereits diese Ordnung, dass segnend wirkendes Gebet und Fürbitte einen missionarisch-seelsorgerlichen Impetus verfolgen (»damit«, »zufließen«, Zusammenhang mit »Zeugendienst«). Die Tertiärgemeinschaft betreibt also auch durch ihr Gebet (Volks-) Mission. »3. Dienst der Handreichung (diakonia) Hierunter verstehen wir alle praktischen Dienst[e] der Vorbereitungen und Durchführungen von Rüstzeiten, Bibeltagen, Gemeindeveranstaltungen u. a. Wir üben dabei die verantwortliche Haushalterschaft vor Gott (z. B. im Blick auf unsere Zeit, Gaben und Geld) und sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Daran soll deutlich werden, daß wir für Gott und die Menschen leben wollen.

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Wir tun unseren Dienst, indem wir in unserem Beruf und Stand bleiben und uns für unsere Heimatgemeinden verantwortlich wissen.«

Was hier unter diakonischem Dienst genannt wird, ist das Gleiche wie im ersten Stichpunkt zum missionarischen Zeugnis: die Mitwirkung an Veranstaltungen. Dies unterstreicht unübersehbar die missionarische Identität des Philippusringes, dessen Ordnung keine substantiell anderen Aussagen als volksmissionarische Inhalte und Aufgaben trifft. Außerdem unterscheidet sich die Ordnung inhaltlich nicht vom Hingabegebet des Volksmissionskreises bzw. Christusdienstes (4.5.3) und der »Ordnung des gemeinsamen Lebens« der Kerngemeindekreise (4.3.2). Durch den Bezug auf die »Heimatgemeinden« der Tertiarier soll der Gefahr gewehrt werden, dass der Philippusring eine Parallel-Gemeinschaft zu den Kirchgemeinden darstellt. Die identitätsstiftende Funktion der Tertiärgemeinschaft soll nicht zulasten der gemeindlichen Verortung der einzelnen Mitglieder gehen. Diese typische Gefahr aus dem Umfeld von Kommunitäten und Geistlichen Gemeinschaften wurde hier erkannt.826 Dennoch übernimmt die Tertiärgemeinschaft die Funktion, welche im Volksmissionskreis die Kerngemeindekreise haben: Das geistliche Leben soll in eine verbindliche Gemeinschaft eingebettet werden.827 Die Tertiärgemeinschaft zeigt sich hier als eine delokalisierte (d. h. überregionale, jedoch nicht dezentralisierte) volksmissionarische Kerngemeinde. Die Einbindung geistlichen Lebens bedeutete für ihre Mitglieder eine quasi-gemeindliche und quasi-kommunitäre Verankerung, zumal nicht alle Mitglieder in Kirchgemeinden sozialisiert bzw. beheimatet worden waren (was vor dem missionarischen Hintergrund verständlich ist).

5.1.4 Charismatisches Exerzitium: Die »Oasen des gemeinsamen Lebens« Begegnung mit der polnischen katholischen Oasenbewegung Als eines der ersten Jugendwochenenden des zweiten Aufbruches von römischkatholischen Geistlichen besucht wurde, sollte dies Folgen mindestens für den Großhartmannsdorfer Teil der charismatischen Bewegung in Sachsen austragen.828 Zum Jugendwochenende Ende August 1973 kamen Priesteramtskandidaten unter Leitung des Kaplans und nachmaligen Bischofs Joachim Reinelt (geb. 1936; zu der Zeit Pfarradministrator in Freiberg; vgl. 4.3.2) und Professor 826 Vgl. dazu Zimmerling, Bedeutung der Kommunitäten, 114. 827 Umgekehrt hatten sich ganz ähnlich die Kerngemeindekreise zu quasi-kommunitären, familiären Orten des gemeinsamen Lebens entwickelt. 828 Zu den Daten im Folgenden vgl.: A.IV.a.II.9; Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.3, 13f.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

Franciszek Blachnicki (1921–1987). Bei diesem Besuch berichtete Blachnicki über die von ihm gegründete polnische Bewegung »Licht – Leben / phos – zoe«.829 Im Gegenzug statteten die Großhartmannsdorfer Brüder ab 1974 Blachnicki im polnischen Kros´cienko mehrere Besuche ab, wo man die sogenannten Oasen, eine katechetisch und seelsorgerlich ausgerichtete Jugendarbeit der Licht-Leben-Bewegung, kennen lernte. Diese polnischen Oasen stellen mehrtägige Exerzitien für Jugendliche dar, deren Kern eucharistischer Gottesdienst und Bibelgespräch bildeten mit dem katechetisch-seelsorgerlichen Ziel der Entfaltung des mündig gelebten Christseins. In Großhartmannsdorf ließ man sich von den Eindrücken der polnischen Oasenarbeit inspirieren. Angesichts der zahlreichen charismatischen Gäste war ein katechetischer Bedarf erkannt worden.830 Die Tagungen zur »Einübung in die Nachfolge Jesu« vor dem zweiten charismatischen Aufbruch sowie die Entdeckung der Exerzitienarbeit hatten bereits den Weg bereitet, um nun nach dem Vorbild der Oasen eine eigene evangelische und charismatische Jugend-Exerzitienarbeit ins Leben zu rufen, die schließlich unter den Namen »OasenRüstzeiten« und »Oasen des gemeinsamen Lebens« bekannt wurde.

Oasen im Volksmissionskreis Im Juni 1975 wurde eine erste evangelische Oasen-Rüstzeit in Großhartmannsdorf veranstaltet. Die Merkmale des Volksmissionskreises wirkten auch auf diese neue Initiative, sodass das charismatische Exerzitium Formen annahm, welche sich vom katholischen Original aus Polen unterschieden. Wie viele Rüstzeiten des Volksmissionskreises fanden die Oasen, durch private Quartiergeber unterstützt, im Kontext sächsischer Kirchgemeinden statt, zu Anfang in Großhartmannsdorf, später an verschiedenen Orten. Mittels der typischen Arbeitsformen wie Mannschaftsarbeit, Gebetsgemeinschaft, Austausch, Zeugnisgeben und Stiller Zeit wurde das katholische Vorbild modifiziert, wobei die Vorlieben für Ritus, geistliche Übung und Eucharistie erhalten blieben. Die aus dem Katholizismus bekannte und in Bräunsdorf bereits über Jahre praktizierte Form der Kreuzwegmeditation fand im Oasen-Konzept Eingang.831 829 Zur Licht-Leben-Bewegung und den polnischen Oasen vgl. Piechaczek, Die Bewegung Licht–Leben, z. B. 18–30; der sowohl historische Daten als auch theologische Grundlagen analysiert und den katechetischen Kern der Initiative unter dem Stichwort »Schule der aktiven Laien« fasst; dort auch zur Biographie von Blachnicki (11–17). 830 Ähnlich wie in Bräunsdorf ein halbes Jahrzehnt zuvor hatten auch in Großhartmannsdorf charismatisch bewegte Jugendliche einigen Pfarrern in Sachsen vorgeworfen, diese hätten keinen Heiligen Geist. Mit diesen und anderen Themen galt es sich auseinanderzusetzen. 831 Vgl. Zeugnisse der Rezeption von Kreuzwegbetrachtungen von Romano Guardini und Alfred Schulze in: A.III.b.O.

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Für die sächsischen Oasen wurden eigene Themen formuliert, welche ein katechetisches und insbesondere missionarisches Anliegen enthalten, so etwa: »Gott hat mich erwählt«; »Christus in mir«; »Mach mein Leben neu«; »Nimm mich, Herr, für dich!«; »Herr, ich will dir dienen«; »Herr, ich hab dich lieb!«.832 Damit zeigt sich die Oase inhaltlich als Teil des Volksmissionskreises und teilt dessen missionarische, seelsorgerliche, charismatische, liturgische und gemeinschaftliche Merkmale. Ein ausführliches Zeugnis der Gestalt der sächsischen Oasenarbeit liefert ein Bericht von ca. 1987, den Almut Klabunde verfasst hatte, die zunächst zum Philippusring, dann zum Mitarbeiterkreis der Oasenarbeit zählte.833 Zunächst bildeten die Oasen als charismatisches Exerzitium einen eigenen Arbeitszweig des Volksmissionskreises Sachsen und standen unter maßgeblicher Leitung von Christoph Richter,834 der im Januar 1976 von Großhartmannsdorf nach Albernau im Erzgebirge gewechselt war. Die Oasenwochen lösten praktisch die 1978 ausgelaufenen Großhartmannsdorfer Jugendwochenenden ab und wurden durch einen Großteil von ehrenamtlichen Mitarbeitern im jungen Erwachsenenalter geprägt, die durch die Jugendwochenenden gewonnen worden waren und meist zum Philippusring gehörten. Damit fand die Tertiärgemeinschaft Philippusring, welche in den 1980er Jahren aufgelöst wurde, zu einem gewissen Teil ihre Nachfolge im Oasen-Mitarbeiterkreis der 80er und 90er Jahre. In dem Mitarbeiterkreis waren auch einige der Großhartmannsdorfer Brüder vertreten.835 Ablösung der Oasen vom Volksmissionskreis Schon nach einem runden Jahrzehnt konnte die Oasenarbeit als Zweig des Volksmissionskreises nicht mehr gehalten werden, sodass diese sich Ende der 80er Jahre vom Volksmissionskreis ablöste und verselbständigte. Bis 1989 lassen 832 So exemplarisch die Tagesthemen des »Typ I« nach: Gebetshilfen zu den Themen der Oasen, in: A.III.b.O. Noch in der Anfangszeit der Oasen wurden vier verschiedene »Typen« (I–IV) mit je eigenen Leitthemen festgelegt (sicher nach dem Vorbild der Einübungsrüstzeiten um 1970: »Typ I+II«). »Typ I« steht unter dem Kernthema »Taufe«. »Typ II« (»Leben aus der Taufe«) wurde erst ab ca. 1987 durchgeführt, »Typ III« (»Gemeinschaft«) ab ca. 1992/93, »Typ IV« noch später. Vgl. dazu: Vorschlag für eine mögliche Oase II, Gotha 09. 09. 1987, in: A.III.b.F; Protokoll der Leitungskreis-Sitzung der Oasen-Arbeit, Bannewitz, 25. 01. 1992, in: a. a. O. 833 Klabunde, Oasen des gemeinsamen Lebens; der Text auch in: A.III.b.F. 834 Vgl. zum Selbstverständnis u. a. [vermutl. Vortrag] Mitarbeiterzurüstung f. Oasenarbeit in Langenau, Warum eigentlich Oasen?, [vermutl. Pfr. Christoph Richter], in: A.III.b.F, dort z. B.: »Oase versteht sich als ein Kind des Volksmissionskreises (freies Werk, Anliegen d. ganzen Christusleibes, innerhalb der Kirche)«. 835 Es lohnt sich der Vergleich von Teilnehmer- und Mitarbeiterlisten des Philippusringes und der Oasenarbeit; vgl. Dokumente in: A.I.b.TN; A.III.b.TN.

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sich Oasen-Rüstzeiten auf Veranstaltungsplänen des Volksmissionskreises nachweisen, bis 1990 noch auf Jahresberichten,836 doch bereits im Jahr 1992 wurde die Gründung eines eingetragenen Vereins für die Oasenarbeit beschlossen (wenngleich diese erst 2010 erfolgte).837 Die Mitarbeiterschaft der Oasen und der Vorstand des Volksmissionskreises hatten offenbar divergierende Dynamiken entwickelt. Einen Hintergrund dafür bildeten Unstimmigkeiten im Vorstand des Volksmissionskreises, dessen Vorsitzender Christoph Richter in den Jahren 1981–85 war.838 Es sind zwei Ursachen auszumachen: Einerseits tritt auf theologischer Ebene die Debatte um das Verhältnis von Taufe und Bekehrung in das Blickfeld. Offenbar war dieser alte Problembestand des Volksmissionskreises noch nicht gelöst worden, sodass sich die sakramental auf Taufe bzw. Getauftsein ausgerichtete Oasenarbeit (»Taufbunderneuerung«) gegenüber dem evangelistisch-erwecklichen Anliegen des Volksmissionskreises (»Bekehrung«) nicht durchsetzen konnte. Andererseits zeigt sich dem Beobachter, dass angesichts des Konfliktes um Gerhard Küttner (5.3.1) die Angst bestanden hatte, Christoph Richter könnte als Antipode Küttners mittels seiner Jugendarbeit eine ähnliche Machtposition im Volksmissionskreis ausbauen.839 Unabhängig von der Bewertung dieser Entwicklung bleibt festzuhalten, dass dem Volksmissionskreis, der die Rolle des Trägers der sächsischen charismatischen Bewegung inzwischen abgelegt hatte, mit der Ablösung der Oasenarbeit die potentiell existenzsichernde nächste Mitgliedergeneration verloren gegangen war – dass dieser Mitarbeiterkreis entsprechendes Potential trug, zeigt sich schon anhand von Mitarbeiterlisten, welche auch Personen verzeichnen, die bis heute im kirchlichen Bereich aktiv sind.840

836 Vgl. VMK (Hg.), Rüstzeitenplan für 1989, in: VMK (Hg.), Rundbrief 1988, Pfr.i.R. Hans Prehn, 12/1988, in: A.III.b.F; vgl. VMK (Hg.), Jahresbericht 1990, 31. 01. 1991, in: A.II.a.404/ 8/Bd5. 837 Vgl. Protokoll der Leitungskreis-Sitzung der Oasen-Arbeit, Bannewitz, 25. 01. 1992, in: A.III.b.F; vgl. http://www.oase-des-gemeinsamen-lebens.de/ueber-uns/verein (Zugriff: 09. 04. 2014). 838 Ich danke Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, für seine Auskunft. 839 »Wir haben Angst, dass aus dem Volksmissionskreis ein Richter-Kreis werden könnte. Nach dem Desaster mit Küttner möchten wir das mit dir nicht noch einmal erleben«, Brief von Pfr.i.R. Hans Prehn, Crimmitschau, 28. 03. 1985, an Pfr. Christoph Richter, Bernsbach, Dokument beim Adressaten. 840 Vgl. die ausführliche Liste: Oasenmitarbeiter, [vermutl. 1985], in: A.III.b.TN.

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5.1.5 Ende der charismatischen Phase in Großhartmannsdorf 1976–1982 Mit dem Wechsel Christoph Richters von Großhartmannsdorf nach Albernau war sowohl der Kirchgemeinde Großhartmannsdorf als auch den charismatischen Jugendwochenenden, der Tertiärgemeinschaft und der Oasenarbeit eine Identifikationsfigur abhanden gekommen. Jedenfalls lässt sich das Ende einer Ära an gewissen Daten beobachten: Nicht nur der Rückgang der Jugendwochenenden und deren Ende im Jahr 1978, auch das Ende der Bruderschaft als Kirchgemeinde-Kommunität zeugen davon.841 Als das Vorsteheramt der Bruderschaft, das im März 1975 von Christoph Richter auf Br. Christian Kurze übertragen worden war, im Mai 1977 an Pfarrer Martin Steinmüller weitergeben werden sollte, lehnte dieser ab. Der Volksmissionskreis-Pfarrer Steinmüller (zuvor Geilsdorf im Vogtland) war im März 1976 als neuer Ortspfarrer eingewiesen worden. Nachdem er das Vorsteheramt abgelehnt hatte, blieb dieses ruhend. In den folgenden Jahren verließen fast alle Brüder die Bruderschaft durch Heirat und / oder Ortswechsel, sodass mit dem Jahr 1982 die Kommunität ihre gemeinschaftlichen Züge verloren hatte. Bis heute lebt noch ein Bruder im Großhartmannsdorfer Pfarrhaus entsprechend der Evangelischen Räte.842 Ein ähnliches Schicksal war dem Philippusring beschieden, der sich ebenfalls im Zuge der 1980er Jahre auflöste, wenngleich einige der Mitglieder im Kontext der Oasenarbeit verbunden blieben. Obwohl bereits 1974 im Vorstand des Volksmissionskreises über Zukunftsfragen angesichts des Ortswechsels Richters gesprochen worden war,843 konnten weder der Volksmissionskreis noch der neue Ortspfarrer ausreichende Identifikations- und Leitungsfunktionen für den Fortbestand des Philippusringes ausüben. Das Ende dieser beiden kommunitären Gemeinschaftsformen markiert den Abschluss der charismatischen Phase in Großhartmannsdorf. Der Ort war kein Ziel mehr für Gäste, zumal auch die Oasen an verschiedenen Orten in Sachsen stattfanden.

841 Diese und folgende Daten wurden z. T. oben bereits nachgewiesen; vgl. generell: A.IV.a.II.9. 842 Stand 06/2014. 843 Vgl. Veranstaltungsübersicht 1974, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1974: »Gespräch über Zukunft von Christoph Richter und Großhartmannsdorf«.

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5.2

Zweiter charismatischer Aufbruch

Zweiter charismatischer Aufbruch in Bräunsdorf: Apostolische Gemeinde

5.2.1 Gerhard Küttner in »Klausur« 1973/74 und ein neuer »Frühling« in Bräunsdorf »Klausur«, »Krankheit« oder »Isolation«. Gerhard Küttner im spirituellen Rückzug Die Phase der Konzentration bzw. des Rückzuges im Volkmissionskreis Sachsen 1972/73 (4.5.7), die als eine Zeit des Hörens auf die Weisung des Heiligen Geistes begangen worden war, hatte Gerhard Küttner auf eigene Weise fortgeführt. Als man in der zweiten Hälfte des Jahres 1973 aus der »Stille« zurückkehrte, entschloss sich Küttner, im November 1973 in »Klausur« zu gehen, die er erst im September 1974 beendete.844 Gerhard Küttner hatte sich für die Dauer fast eines Jahres zurückgezogen, um die direkte Weisung Gottes zu vernehmen. Seine Tätigkeiten im Pfarramt wie im Volksmissionskreis waren nahezu gänzlich aufgegeben.845 Im Grunde ruhte aller Kontakt zur Außenwelt bis auf die Gemeinschaft mit der Bräunsdorfer Hausgemeinde (Pfarrfamilie, Schwestern, Mitarbeiter). Die allmorgendlichen Eucharistiefeiern der Hausgemeinde, für die Küttner eine an die katholischapostolische Liturgie angelehnte Ordnung entworfen hatte, fanden in dieser Zeit statt.846 Bis auf Sonntagsgottesdienste und Treffen des Kerngemeindekreises wurden alle anderen Gemeindeveranstaltungen auf ein absolutes Minimum reduziert, Vertretungen organisiert, Rüstzeiten fanden nicht statt, Kontakte oder Anfragen von außen wurden abgewiesen. Diese praktische Unmöglichkeit eines landeskirchlichen Pfarramtes konnte Küttner in Zeiten, in denen an Sabbatsemester für Pfarrerinnen und Pfarrer noch lange nicht zu denken war, nur aufgrund der Rückendeckung des Superintendenten sowie des hohen Engagements der Kerngemeinde und der Schwesternschaft durchführen. Die Schwestern unterstützten maßgeblich die rege Gemeindearbeit und wiesen konsequent alle unerwünschten Gäste mit dem Hinweis auf die »Krankheit« des »Herrn Vater« ab.847 Was dabei unter »Krank844 Zur Chronologie vgl. [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.13; Veranstaltungsübersicht 1974, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1974; Rundbrief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 12. 1974, an den Johannesring, in: A.III.a.1974. 845 Davon berichteten mir auch Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna, denen ich dafür danke. 846 Zumindest gibt es keine gegenteilige Aussage. Zur Liturgie siehe: [Ordnung] Abendmahlsfeier, [Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf], in: A.IV.a.II.14. 847 Z. B.: »Was Herrn Vaters Gesundheit betrifft, waren etliche Tage und Nächte sehr schwer und wir bangten um sein Leben, aber Herr Vater selbst sieht es als eine Zeit der Klausur und

Zweiter charismatischer Aufbruch in Bräunsdorf: Apostolische Gemeinde

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heit« zu verstehen ist, kann nur schwer rekonstruiert werden, zumal in persönlichen Erinnerungen, wie sie etwa innerhalb von Interviews bezeugt werden, spirituelle Begründungsmuster gewisse inhaltliche Unschärfen tragen.848 Während die Schwestern von »Krankheit« sprachen, verwendete Küttner selbst nie diesen Begriff. Im Rückblick war in Bräunsdorf nur noch von »Klausur« die Rede.849 Dagegen sprachen nun die Kritiker von »Krankheit«, die »nachträglich glorifiziert« worden sei,850 oder von »Isolation«851. Der Begriff »Klausur« wurde außer in Bräunsdorf und im Johannesring im Volksmissionskreis nicht verwendet. Den Terminus »Klausur« hatte Küttner offensichtlich von den Darmstädter Marienschwestern übernommen. Denn auch Mutter Basilea Schlink übte Klausuren, unter welchen längere Zeiten der Abgeschiedenheit mit dem Ziel des prophetischen Hörens auf die Rede Gottes zu verstehen sind. An Schlinks Seite soll dabei eine prophetisch begabte Schwester gestanden haben.852 Ähnlich war es in Bräunsdorf: Küttner begriff seine Klausur als spirituellen Erkenntnisprozess mittels asketischer Praxis (Stille, Fasten etc.). Formulierungen wie »Zeit des Gerichtes und der Gnade« deuten darauf hin, dass die Klausur von ihm als einschneidendes geistliches Geschehen erlebt wurde.853 Einige Schwestern begleiteten ihren Pfarrer mit Gebet, Prophetie und Vision.

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der Bereitung«, Rundbrief der Bräunsdorfer Geschwister, [vermutl. 01/1974], an den Johannesring, in: A.III.a.1974; vgl. auch Rundbrief von Sr. Waltraud Heinig/Sr. Gisela Flanze, Bräunsdorf, 09. 02. 1974, an den Johannesring, in: a. a. O. Einige beschriebene Phänomene ähneln psychosomatischen Symptomen (beschrieben z. B. durch Erschöpfung, Verweigerung der Nahrungsaufnahme, Gedächtnisprobleme u. a.), wobei manche Verhaltensweisen auch mit mystischem bzw. mystizistischem Asketismus verglichen werden können (z. B. radikale Abgeschiedenheit, Fasten, Visionen etc.) und von Schnittmengen auszugehen ist. Während früher in Bräunsdorf offenbar »Krankheit« als Begründung nach außen und »Klausur« als interne Begründung verwendet wurden, wird heute von Sympathisanten vorwiegend von »Klausur« gesprochen, teils werden »Klausur« und »Krankheit« synonym verwendet. Interessanterweise hatte Küttner auch das Jahr des Rückzuges 1971/72 als »Klausur« bezeichnet (vgl. VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1971, Pfr. Gerhard Küttner, 12/1971, in: A.II.a.404/8/Bd3), während man sonst nur von »Stille« oder »Stop« sprach. Vgl. Entwurf zu: Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977, Entwurf in: A.IV.a.II.17; vgl. Brief von Pfr. Christoph Richter, Albernau, 18. 01. 1984, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.18, dort das Zit., dort auch: »er kam darüber in eine schwere Isolation, die ihn gelegentlich bis an den Rand des Suicid brachte«. Veranstaltungsübersicht 1974, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1974: »Vorstand Lochmühle 9.– 12. Sept.[:] Gerhard Küttner kommt aus seiner Isolation«; vgl. Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977; Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: a. a. O. Vgl. Jansson/Lemmetyinen, Christliche Existenz, 89. Rundbrief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 12. 1974, an den Johannesring, in: A.III.a.1974.

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Durch die »Klausur« werden mystizistische Aspekte in die Spiritualität Küttners und der Schwesternschaft aufgenommen. Diese sind im kommunitären Kontext verortet, erhalten aber darüber hinaus Bedeutung für die weitere Entwicklung der Bräunsdorfer Kirchgemeinde bzw. für ihren zweiten charismatischen Aufbruch. Die Zeit der Abgeschiedenheit wird mit ihren geistlichen – offenbarungshaft autoritativ verstandenen – Einsichten maßgebend für die folgenden Jahre.854

Die »Klausur« als Beginn des zweiten charismatischen Aufbruches in Bräunsdorf Die Klausur kann Gerhard Küttners als Eröffnung des zweiten charismatischen Aufbruches in Bräunsdorf eingeordnet werden, denn direkt im Anschluss in die Klausur ist eine Neuorientierung der Gemeindearbeit wahrzunehmen. Im Blick auf Kollegialität, Gemeindeorganisation und geistliche Ämter ergab sich ein Neuaufbruch in Bräunsdorf: »Jetzt soll erst einmal die Gemeinde im Ort dran sein, ›der Schafstall‹, wie es in einem [prophetischen] Wort hieß«855. Dies war auch von außen zu bemerken. So sprach Christof Ziemer als wissenschaftlicher Beobachter von einer »Akzentverschiebung gegenüber der Anfangszeit«. In Bräunsdorf selbst vernahm man einen neuen »Frühling«.856 »Die Botschaft, die schon immer vollmächtig, klar und unverfälscht ausgerichtet worden war, erhielt eine neue Dimension, eine neue Qualität«.857 Zunächst hat nach Küttners Rückkehr in den geregelten Dienstablauf das Erlebnis einer neuen bruderschaftlichen Kollegialität offenbar nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Die Titulatur »Herr Vater« wurde aufgegeben858 – ein Vorgang, der sich in der Christusbruderschaft Selbitz etwa zur gleichen Zeit (allerdings aufgrund des Todes der Gründer) ereignete – und statt dessen mit der Anrede »Bruder« die Sehnsucht nach gemeinschaftlicher Gemeindeleitung 854 Damit eignen Bräunsdorf bzw. Küttner deutliche Parallelen zum »Einfluss mystizistischer Phänomene auf [katholische] Ordens- und Kirchenleitungen im 19. Jahrhundert«, den Otto Weiß untersucht hatte, vgl. ders., Weisungen aus dem Jenseits? 855 Rundbrief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 12. 1974, an den Johannesring, in: A.III.a.1974. 856 Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3; Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, Schönebeck, in: A.IV.a.36a, 8.10; so auch Martin Rüger, Schönebeck. 857 A.IV.a.36a, 8. 858 Ob auch die vormalige Pfarramtssekretärin in Sosa, Irene Küttner geb. Döhler (1921–1995), mit welcher Küttner 1971 die Ehe geschlossen hatte, ebenfalls noch als »Frau Mutter« angesprochen wurde, ist nicht nachweisbar und eher unwahrscheinlich.

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umgesetzt.859 Dass Küttner nun die Anrede »Bruder« wünschte, mag bei heutigen Beobachtern vielleicht ein verwundertes Aufatmen hervorrufen – bei Zeitgenossen aber hatte die einschlagende Wirkung dieses Vorgangs die geistliche Autorität, die dem Bräunsdorfer Pfarrer zugesprochen wurde, offenbar keineswegs vermindert. Von einigen seiner Anhänger wurde die Anrede »Vater« auch später noch gebraucht.860 Die offenbarungshafte Wirkung, die der Klausurzeit zugebilligt wurde und welche die Weiterentwicklung Bräunsdorfs maßgeblich prägte, hatte Küttners geistliche Autorität nur unterstrichen. Für die Zeit ab 1974 mehren sich Zeugnisse von offenbarungshaften Einsichten, Erkenntnissen und Weisungen, welche Küttner und wahrscheinlich weitere Personen erhielten und die für den Weg Gottes mit der endzeitlichen Gemeinde von Bedeutung seien. Nach der Klausur soll Küttner verlautet haben: »Ich habe die Vollmacht empfangen, Geister auszutreiben. Es fehlt mir nun noch die apostolische Vollmacht, das Leben Gottes in die Menschen hineinzusenken. Ich muß nochmals in die Klausur«.861 Davon sollen ihn die anderen Vorstandsmitglieder des Volksmissionskreises abgehalten haben. Sehr deutlich spiegelt dieses letzte Zitat die schwierige Quellenlage wider, da es nur aus zweiter Hand stammt. Die Problematik der Quellenlage gilt es wahrzunehmen, wenn in den folgenden Abschnitten die neuen Inhalte des zweiten Bräunsdorfer Aufbruches dargestellt werden. Dabei ist entlang der Themata Vollmacht (5.2.2), »Stände« und »Ordnungen im Hause Gottes« (5.2.3) und geistliche Ämter (5.2.4) zu gehen. Lux in arcana. Zur Problematik der Quellenlage Problematisch für die wissenschaftliche Untersuchung dieser Vorgänge, ihrer Begründungen und Auswirkungen ist, dass sich alles in arcano abspielte. Fast nichts gelangte an die kirchliche Öffentlichkeit – zumindest nicht, bevor Konflikte dafür sorgten. Außerhalb des Bräunsdorfer Kerngemeindekreises bzw. seiner Mitglieder wurde derartiges nicht besprochen, was eine in und um Bräunsdorf übliche Haltung begründete: »Es ist Dienst am Heiligtum […]. Noch ist die Stunde der Offenbarung nicht da.«862

859 Vgl. A.IV.a.36a, 8; Martin Rüger, Schönebeck, danke ich für seine Erinnerungen, über die er mir berichtete. 860 Vgl. Brief von Pfr. Jörg Pfund, Zethau, 08. 10. 1979, an Pfr. Christoph Richter, Albernau, in: A.IV.a.II.20. 861 Zit. Pfr. Gerhard Küttner in: A.IV.a.II.18. 862 Brief von Lothar Köppe, 23. 02. 1963, an Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1963.

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Es liegt in der Natur der Sache, dass die Quellen über diesen zweiten Aufbruch in Bräunsdorf, der wesentlich in arcano geschah und direkt in eine Konfliktgeschichte überging, nur spärlich vorhanden sind und dass die Frage nach der Belastbarkeit mündlichen Materials nicht immer beantwortet werden kann. Das Gros der überhaupt zur Verfügung stehenden Informationen stammt von Personen, welche sich kritisch positionierten, was oftmals nicht ohne biographische Einschnitte und Verletzungen von statten gegangen war. Zeugnisse und Dokumente von kirchenleitenden Organen (Landesbischof, Landeskirchenamt, Superintendentur etc.) sind so gut wie gar nicht auffindbar und wenn, dann spiegeln auch diese eine gewisse Unkenntnis der Interna wieder. Dass der Vorstand des Volksmissionskreises den Superintendenten Karl-Heinz Schönfeld (Karl-Marx-Stadt II) im Januar 1977 über die sogenannte »Ständeordnung« (5.2.3) und die »umfassende Lösung« (7.2.6) informierte und dies zwei Jahre später auch Landesbischof Johannes Hempel mitteilte,863 hatte den Stein etwas ins Rollen gebracht. Einige Stellungnahmen Hempels, vorwiegend verfügbar in Form von Protokollen oder Nachschriften, lassen meist nur Rückschlüsse auf die Geschehnisse zu, zumal sie zum Teil den Diskussions-Stand ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre bezeugen. Hinzu kommen einige wenige persönliche Dokumente ehemaliger Bräunsdorfer, zum Beispiel von Frauen, welche die Schwesternschaft verlassen hatten.

5.2.2 Vollmacht: »Pfingsten heißt, das Leben Jesu geht weiter«864 »Pfingsten ist die Frucht am Baum des Lebens, am Kreuze Jesu Christi. Gott hat Tatsachen geschaffen, damit wir Erfahrungen machen. […] Zur Himmelfahrt nahm Christus alle die Seinen in Seinem Herzen mit in die Himmel. Seit Pfingsten nehmen alle die Seinen in ihrem Herzen Christus mit auf die Erde.«865

Das Thema der geistlichen Vollmacht, welches Gerhard Küttner und den Volksmissionskreis schon seit Jahren beschäftigte, hatte sich bei Küttner bis zur Klausur weiterentwickelt zur Rede vom »Jesus-Leben«. »Jesu Gegenwart in uns« hatte schon einen Gedanken des Christusdienst-Konzeptes der 1960er Jahre dargestellt.866 Es meint die realpräsente Gegenwart des Christus in den Christen 863 Vgl. Brief von Pfr. Christoph Richter, Albernau, 07. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.16; [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.13. 864 Predigt über Joh 21,15–19, Pfr. Gerhard Küttner, Misericordias Domini 1975, in: ders., Zwölf Predigten, 47–51, hier 49. 865 VMK (Hg.), Gebetsbrief Juni 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976. 866 Dieses und folgende Zit. in: Predigt über Röm 12,16b, Pfr. Gerhard Küttner, 01. 01. 1975, in: ders., Zwölf Predigten, 51–56, hier 52.

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und sein vollmächtiges Wirken durch sie. Dass Christi Gegenwart (d. h. Vollmacht, Herrschaft, Wirkung) in den Gotteskindern zur wirkmächtigen Ausstrahlung komme, habe eschatologische Konsequenzen: Die Reifung der Kirche zur »Gegenwart Jesu hier in dieser Welt« sei nicht allein die Bereitung der Brautgemeinde, sondern auch das vollmächtige, befreiende Wirken an der Welt. »Auch unsere Vollmachtsfrage darf nie losgelöst von diesem JESUS-Weg gesehen werden. In dem Maße, wie Sein Lammesleben durchbricht, bricht auch Vollmacht durch zu helfen.«867 Hinter diesen Aussagen steht die pneumatologisch orientierte Ekklesiologie Küttners, die aus der Pfingst- und Vollmachtssehnsucht der 1940er Jahre erwachsen ist. Schon für den Rückzug des Volksmissionkreises 1971/72 hatte das Thema »Jesus-Leben« eine Rolle gespielt, bevor Küttner es zum zentralen Thema seiner persönlichen Klausur machte. So hatte Christoph Richter an den Philippusring von der Hoffnung auf »neue Kraftwirkungen zu einem Jesus-Leben« geschrieben.868 Küttners Ekklesiologie versteht das Grunddatum des Pfingstfestes als Gestaltung des Leibes Christi durch den Heiligen Geist und vertritt damit zunächst eine keineswegs singuläre theologische Meinung.869 Angereichert wird sie durch die apostolische Frömmigkeitstradition, die auch noch in den 1970er Jahren prägend wirkte, als die Suche nach der apostolischen (d. h. christusähnlichen, vollmächtigen, endzeitlich bereiteten) Gemeinde in Bräunsdorf neu- bzw. weiterformulierte Formen annahm. Das Stichwort »Vollmacht« bestimmt nun die Theologie Küttners stärker als zuvor. Heiligung bewirkt Christusähnlichkeit, Christusähnlichkeit wirkt Vollmacht. Damit werden ganz praktische Fragen und Handlungen verbunden: Von der Sicht auf die »Vollmacht« hängen die Gemeindestrukturen (Stände, Ordnungen, Ämter), aber auch das heilende und exorzistische Handeln (7.1.3; 7.2.6) ab. Wie sehr Küttners Vollmachtsthema rezipiert wurde, lässt sich an verschiedenen Zeugnissen erkennen. Lothar Köppe beispielsweise wies darauf hin: »Im Leben Jesu geschah alles durch den Heiligen Geist: Zeugung, Bevollmächtigung, Führung, Opferung, Auferweckung«870, was nichts anderes sagen will, als dass sich dieses geistgewirkte Leben Jesu auch im Leben eines Christen ereignen

867 [Mitschrift, Zusammenfassung] Bibelarbeiten von Pfr. Gerhard Küttner zur Mitarbeiterrüstzeit 03/1973 in Bräunsdorf, in: A.III.a.1973. 868 Vgl. z. B. Rundbrief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 21. 02. 1972, an den Philippusring, in: A.III.a.1972, dort weiter : »Es muß doch das volle Maß seines prophetischen, priesterlichen und königlichen Dienstes in der Gemeinde und durch die Gemeinde, die Sein Leib ist, offenbar werden«. 869 Vgl. z. B. Bonhoeffer, Ethik, 84f. 870 VMK (Hg.), Gebetsbrief März 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976.

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könne und solle, denn »das Leben Jesu geht weiter in den Heiligen«871. Wachsende Christusförmigkeit sei die reale Gegenwart der vollmächtigen Herrschaft Jesu in den Gläubigen. Dieses Jesus-Leben ist nach Gerhard Küttner die vollmächtige Gestalt des Christus: Der Christus für und in uns wirke als Christus durch uns. »Wenn Jesus in uns wohnen und thronen kann, dann steht dem nichts mehr im Wege, daß Er durch uns siegen kann.«872

5.2.3 »Stände« und »Ordnungen im Hause Gottes« »Pfingsten! Das Wunder der Gemeinde. Ein Herz und eine Seele. Der Heilige Geist eint die Herzen der Gläubigen mit dem Herzen des Herrn Jesus. Dann wird die ganze Schar bewegt von einem Herzschlag: von Seinem.«873

Das Interesse an den drei Ständen in Bräunsdorf und Hanns-Joachim Wollstadts Arbeit »Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde« Nachdem unter dem Titel »Geordnetes Dienen in der christlichen Gemeinde dargestellt an den Lebensformen den Herrnhuter Brüdergemeine in ihren Anfängen« (1966) die Dissertation (1964) von Hanns-Joachim Wollstadt (1929– 1991) erschienen war,874 erlebte diese im Volksmissionskreis Sachsen eine außergewöhnliche Rezeptionsgeschichte. Wollstadts Werk über die Organisation der jungen Herrnhuter Brüdergemeine in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, das Gerhard Küttner offensichtlich gelesen hatte,875 wurde als ein Spiegel angesehen, in dem eine dem Neuen Testament entsprechende Gemeindeordnung erkannt werden könne. Die bekannte Sehnsucht des Volksmissionskreises, eine neutestamentliche Gemeinde zu gestalten, ließ bereits unmittelbar876 nach Erscheinen der Studie zu diesem Werk greifen und es verarbeiten. Es traf auf offene Ohren. Der Wunsch, Tradition und Innovation, Amt und Charisma, Liturgie und freies Gebet fernab jedes Widerstreites miteinander zu vereinbaren, prägte die Sicht auf die Brüdergemeine, die man im Volksmissionskreis – wie in nicht selten in erwecklichen Gemeinschaften – als erneuerte, lebendige, traditionell und charismatisch ausgestattete Kirche ansah. Man denke nur an die oben geschilderte Obercunnersdorfer Tagung 1949 und den dortigen Wunsch nach Geistausgießung unter Reminiszenz des 13. August 1727 (siehe 3.1.2). Danach 871 Vgl. z. B. VMK (Hg.), Gebetsbrief August 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976. 872 Predigt über Röm 9,14–24, Pfr. Gerhard Küttner, Septuagesimä 1978, in: ders., Vier Predigten, 10–14, hier 14. 873 VMK (Hg.), Gebetsbrief Juni 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976 (Hervorhebung im Text). 874 Wollstadt, Geordnetes Dienen. 875 So die Auskunft von Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck. 876 Dies wird in nach persönlichen Erinnerungen Martin Rügers in die Zeit ab den Jahren 1966/ 67 eingeordnet.

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verwundert es nicht, wenn Wollstadts Untersuchung über Zinzendorfs junge Gemeinde rezipiert wurde. Aussagen wie diesen konnte man in Bräunsdorf eins zu eins zustimmen: »Die Brüder und Schwestern [Herrnhuts] wurden sich einig über das Ziel des gemeinsamen Weges: eine apostolische Gemeinde aufzurichten, die in der Kraft der ersten Christenheit lebte«.877 Wollstadt, nachmals Bischof in Görlitz (1979–1985), genoss Ansehen im Volksmissionskreis.878 Gerhard Küttner entdeckte in der jungen Herrnhuter Gemeindeorganisation, welche ihre Glieder, nach Ständen eingeteilt, in sogenannten Chören und Banden organisiert hatte,879 eine bruderschaftliche Ordnung. In Herrnhut hätten »Herz und Herz vereint zusammen« (Zinzendorf) einem urgemeindlichen Leben nach Apg 2,42–47 entsprochen – und im Volksmissionskreis sollten die Kerngemeindekreise den Ort der Verwirklichung neutestamentlichen Lebens in der Gegenwart bilden. 1970 schrieb Küttner : »Dankbar sehen wir, wie sich in solchen Gemeindekreisen geistliches Leben entwickelt, Gaben und Ordnungen, Dienste und Ämter. Wir sehen, daß die einzelnen Stände sich herauskristallisieren, um dem Ganzen dienstbar zu werden, neben dem Ehestand der Ledigenstand und der Witwenstand«.880

Die Verwirklichung neutestamentlichen Lebens durch die Kerngemeindekreise sollte nicht allein durch egalitäre Gemeinschaftlichkeit erreicht werden, sondern vor allem durch die Gliederung dieser Gemeinschaft. Stände, Ordnungen und Ämter gliedern die Gemeinschaft. Zunächst kam den drei Ständen des Ehestandes, Ledigenstandes und Witwenstandes besonderes Augenmerk zu. Es habe nicht nur Relevanz für die praktische Ordnung der Gemeinde, sondern auch für ihre geistliche Vollmacht, wenn erstens die drei Stände thematisiert würden, zweitens Gemeindeglieder zu diesen Ständen gehören und drittens ein ihrer Zugehörigkeit entsprechendes geistliches Leben führen. Doch per se (per Ehelosigkeit, Ehe oder Verwitwung) war man in Bräunsdorf wahrscheinlich noch nicht Mitglied eines Standes. Die Wertschätzung von 1Tim 5,9: »Es soll keine Witwe auserwählt werden unter sechzig Jahren«, bestätigt dies.881 Wie aber wurde man dann Teil eines Standes? Hatte eine etwaige Initiation in den entsprechenden Stand stattfinden müssen? Zwar sind keinerlei 877 Wollstadt, Geordnetes Dienen, 351. 878 Darüber sprachen mit mir Martin Rüger und Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck; Zeugnisse einer Zusammenarbeit zwischen Volksmissionskreis und Wollstadt gibt es nur in Form einer Evangelisation der St.-Annen-Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz im Oktober 1989, die vorwiegend von Mitgliedern des Volksmissionskreises ausgestaltet wurde, vgl. [Liste] Trägerkreis Evangelisation, in: A.I.i.405. 879 Vgl. dazu z. B. Wollstadt, Geordnetes Dienen, u. a. 92. 880 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1970, Pfr. Gerhard Küttner, 08/1970, in: A.II.a.404/8/Bd3. 881 Darauf hat mich Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck, hingewiesen, dem ich dafür danke.

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Details einer etwaigen Initiationsordnung rekonstruierbar, doch ist davon auszugehen, dass Initiationen in Form von Benennungen stattgefunden haben können. Demnach hätte die Zugehörigkeit zu einem jeweiligen Stand ausgesprochen werden müssen.

Umformulierung der Stände in eine Familienordnung Die Klausur Gerhard Küttners 1973/74 rief eine wirkungsträchtige Intensivierung und Neuformulierung des Fokus auf die Stände hervor. Danach wurden Veränderungen in Richtung größerer Kollegialität und Bruderschaftlichkeit umgesetzt. Dies betrifft nicht allein den Wechsel der Anrede Küttners (statt »Herr Vater« nun »Bruder«), worauf oben hingewiesen wurde, sondern mehr noch die Themen der Stände, Ordnungen und Ämter. Mit dem Einschnitt der Klausur Küttners hört offensichtlich die Vorbildwirkung Herrnhuts bzw. die Orientierung an der Wollstadtschen Darstellung auf. Denn keineswegs war man daran gegangen, die barocken Herrnhuter Strukturen einfach modern zu wiederholen. Prophetische Einsichten führten in eine eigene Richtung. 1976 stellte Küttner während einer Vorstandssitzung des Volksmissionskreises seine Gedanken einer Ständeordnung vor : Nun sah er die Stände – als Teil der »Ordnungen im Hause Gottes als Vorbereitung auf die Geisterfüllung der Gemeinde« – weniger in der Trichotomie von Verheirateten, Ledigen und Verwitweten, sondern vielmehr in einer geistlichen Hierarchie von »Christus–Mann–Frau« an.882 Seine Sicht der »Ordnungen im Hause Gottes« sah Küttner in Ez 40–47 begründet: Ein Bauplan des neuen Tempels und der Wiedereinzug der Herrlichkeit des Herrn, wie bei Ezechiel geschildert, müsse eine neutestamentliche Erfüllung finden. Damit der Herr mit Licht und Vollmacht in seinen Tempel einziehen könne, brauche es die (Wieder-) Einsetzung der Ordnungen. Eine solche Ordnung stelle die neuformulierte Ständeordnung als Ehe- und Familienstruktur (Christus–Mann–Frau) dar. Die gottgegebenen Dienst- und Ständeordnungen der christlichen Gemeinde gelte es einzuhalten und gemäß göttlicher Weisung zu leben, »damit sich die Herrlichkeit Gottes auf die Gemeinde niederlassen kann«, d. h. um ein vollmächtiges christliches Leben zu realisieren.883 Küttner wendet das tempeltypologische Schema, das er aus apostolischen und pfingstlichen Traditionen übernommen hatte (vgl. 3.3), auf die Gemeindeordnung an und formuliert eine geistliche Hierarchie als Ordnung des neutestamentlichen Tempels, der Gemeinde. »Es war eine Botschaft aus dem Heiligtum wie kaum 882 [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.13. 883 Vgl. Küttner, Geheimnis, 62. Zit. in: A.IV.a.II.18.

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eine zuvor«, empfand man in Bräunsdorf diese prophetischen Einsichten und Botschaften.884 Das Missachten göttlicher Ordnungen habe immer Auswirkungen sowohl auf die Gemeinde als auch auf den einen Christusleib sowie auf die ganze Welt. Wenn göttliche Ordnungen keine Beachtung finden, würde das Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes gehindert und der Heilige Geist könne dann das Leben Jesu nicht völlig zur Entfaltung bringen. Allerdings wird Küttner zufolge die Gotteskindschaft des Gläubigen keineswegs durch das Hindern des Heiligen Geistes infrage gestellt. In gelebten Ordnungen spiegele sich aber eine Christusförmigkeit wider, zu der ein Christenmensch durch den Heiligen Geist umgestaltet werden solle.885 Das entspricht ganz dem Schema des Vorhof-Heiligtum-Bildes: Der den Geist hindernde Glaubende könne Charismen haben, »einen gesegneten Dienst« tun, zu den lebendigen Bausteinen des Tempels gehören, verhindere aber seinen Eingang in das Heiligtum, nämlich das Bahnbrechen des Geistes in seinem »Leben und damit im Leben der Gemeinde«.886 In Bezug auf den einzelnen Gläubigen hieße eine Nichtbeachtung der Ordnungen, dass das Jesus-Leben – die pfingstliche Herrlichkeit – im Gläubigen nicht Gestalt würde. Im Blick auf die Gesamtgemeinde besagt das eine Hinderung der Vollendung der ganzen Gemeinde.887 Küttner, dessen Theologie durchgängig eschatologisch ausgerichtet ist, sieht damit auf die Vollendung der ganzen Welt: »Die Gemeinde hält auf! Wir halten auf! Es ist sehr wichtig, das zu begreifen: Der Himmel wartet gespannt«888.

Die Ständeordnung, die Rolle der Frau und die liturgische Kopfbedeckung der apostolischen Frömmigkeitstradition Die neu formulierte Ständeordnung nach dem hierarchischen Schema Christus– Mann–Frau hatte nicht nur Auswirkungen auf das Bild von Ehe und Familie. Auch die nichtehelichen Stände (Ledige, Verwitwete) waren von diesem Schema betroffen, weshalb die Familienordnung Christus–Mann–Frau auch weiterhin als Ständeordnung zu begreifen ist. Dies hatte besonders Auswirkungen auf die Rolle der Frau. Deshalb liegt im folgenden Abschnitt der Blick besonders auf der Rolle der Frau innerhalb aller Stände bzw. der Ordnung der Gemeinde, eng 884 A.IV.a.36a, 8. 885 Vgl. Predigt über 2Kor 3,12–18+4,6, Pfr. Gerhard Küttner, Letzter Sonntag nach Epiphanias 1978, in: ders., Vier Predigten, 21–26, hier 22f. 886 Küttner, Geheimnis, 23. 887 Dies formuliert Küttner konkret hinsichtlich der Ordnung des Ehestandes aus, vgl. a. a. O., 20ff. 888 Küttner, Wiederkunft, 34.

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verbunden mit dem Thema der »Hauptschaft« des Mannes. Dies wies im Blick auf Fragen des praktischen Lebensvollzuges in Bräunsdorf einige Brisanz auf. Für die Zeit der 1970er Jahre – eher lässt sich dies jedenfalls nicht nachweisen – wird die Praxis berichtet, dass Frauen in Bräunsdorf angehalten waren, beim Gebet und beim Abendmahl eine Kopfbedeckung, in der Regel in Form eines Tuches, zu tragen.889 Diese eindeutig an die katholisch-apostolische Praxis angelehnte Forderung hatte Gerhard Küttner unter Heranziehung von 1Kor 11,1–16 entwickelt. Demnach sei für die Frau die Kopfbedeckung beim Gebet das Zeichen ihrer Unterordnung unter die Hauptschaft des Mannes. Dies gelte unabhängig davon, ob eine Frau verheiratet oder ehelos (ledig, verwitwet) lebe. In der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau würden nach Gerhard Küttner zwei schöpfungsgeordnete Lebensbilder zur Verwirklichung kommen, die Jesus Christus in seinem eigenen Leben und Sterben vollendet vereint habe: die Bilder des Knechtes und des Herren.890 Das äußere Zeichen, welches diese Ordnung der Unterordnung abbildet, sei in der Kopfbedeckung der Frau im Gottesdienst gegeben. Vor allem im Stand der Ehe aber solle sich nun dieses »zweipolige« Leben Jesu widerspiegeln, »weil Jesus in jedem [von beiden] ein anderes Teil Seines Lebens leben will«891. Mann und Frau seien als Menschen und vor Gott gleichwertige Wesen, in gleicher Weise der Gotteskindschaft und aller Gaben teilhaftig, doch das Leben Jesu komme aber gerade darin zum Ausdruck, dass die Frau die Unterordnung, das Untertansein unter den Mann lebe, während dieser die Hauptschaft über die Frau darstelle.892 Der Mann solle der Frau nicht gehorchen, er handele stattdessen gelöst von der Frau, gebunden an Gott allein – Küttner unterstreicht seine Aussagen mit Gen 3,17; Gen 16,2 und Joh 2,4.893 Nach Küttner komme der Frau nicht die geistliche Erkenntnis und deren Weitergabe zu.894 Geistlich zu erkennen und zu entscheiden sei dem Mann zugeordnet, der Frau sei nur die Weissagung, nicht das Lehren gegeben.895 Hierin spiegelt sich wohl eine Erfahrung, die Küttner mit der Schwesternschaft gemacht hatte: Die Schwestern übernahmen hin und wieder die Rolle von Prophetinnen, welche

889 Ich danke Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, und Schwestern in Bräunsdorf für ihren Bericht. Folgend vgl. die Ausführungen in: Küttner, Geheimnis. 890 Vgl. Küttner, Geheimnis, 19. 891 a. a. O., 15.19.24. 892 Vgl. a. a. O., 18f.24, dort 19 (Hervorhebung im Text): »Im Mann will Jesus die Herrschaft üben, das ist das aktive Element. In der Frau will Jesus die Unterordnung leben, das ist das passive Element.« 893 Vgl. a. a. O., 14.16. 894 Das heißt nach a. a. O., 35 offensichtlich aber nicht, dass die Frau keine geistliche Erkenntnis zu erlangen vermag; hat sie Erkenntnis, dann schweige sie. 895 Vgl. a. a. O., 13.52f. Die Frau sei demnach gleichsam die Gehilfin, die dem Mann das geistliche Baumaterial zutrage, der dieses füge und bearbeite, vgl. a. a. O., 54.

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ihrem Pfarrer mit Wort und Vision (sei es im persönlichen Gebet, in der Hausgemeinde oder im Kerngemeindekreis) zur Seite standen.896 Die Unterordnung der Frau unter das Haupt des Mannes sei ein Glaubensakt, der wiederum von Seiten des Mannes, der sich für die Frau hinzugeben habe wie Christus für die Gemeinde, keine Unterdrückung bewirken dürfe.897 Dieser Glaubensakt schenke den Frauen und Männern Vollmacht, die sich zur göttlichen Ordnung bekennen. Würde diese Ordnung jedoch verlassen, indem eine Frau geistlich entscheide bzw. handele und ein Mann sich nach ihr richte, geschehe eine Perversion der Ordnung entsprechend dem Sündenfall nach Gen 3.898 Eine Frau, die sich über die Ordnung hinwegsetze, handele »als Schlange und listig«899. Die liturgische Kopfbedeckung bzw. das Kopftuch der Frau im gottesdienstlichen Kontext sei das äußere Zeichen der zu lebenden göttlichen Ehe-Ordnung. Jedoch will Küttner das äußere Zeichen nicht als ein die Seligkeit bedingendes frommes Werk verstanden wissen.900 Viel mehr bilde das nach katholischapostolischen Vorbildern im liturgischen Kontext getragene Kopftuch die 1nous¸a (d. h. Macht, Herrschaft, Vollmacht) auf dem Haupt der Frau ab, welche die Unterordnung lebe (vgl. 1Kor 11,10). Zwar sei das Kopftuch nicht die göttliche Ordnung selber, aber als äußeres Zeichen Ausdruck öffentlichen Bekenntnisses.901 Da aber nur im Einhalten der göttlichen Ordnungen Vollmacht geschenkt würde und der Geist Gottes in der Gemeinde wirken könne, mahnt Küttner auch zum äußeren Zeichen der Kopfbedeckung der Frau beim Gebet: Die Ordnung »ist so wichtig, daß Paulus sagt: Ich will, daß ihr euch zu dieser Ordnung bekennt«902. 896 Eine Reihe von vorwiegend mündlichen Zeugnissen, die prophetische Einsichten berichten, lässt auf diese Rolle schlussfolgern. 897 Vgl. a. a. O., 26.36, auch 31: »Sie soll nicht eine Sklavin sein, nein, nein, diese Unterordnung ist ein Glaubensakt«. 898 Vgl. a. a. O., 13.48f. 899 A. a. O., 24. Vgl. auch Erinnerungen einer ausgetretenen Bräunsdorfer Schwester (»anonyma A«): »Ich habe selbst aus Pastor Küttners Munde Worte gehört wie: ›Wollt ihr Befehlsverweigerer sein? Ohne Kopfbedeckung sitzt ihr wie nackt vor mir, o Schande!‹ Ein Kirchvorsteher sagte, wo zu [sic!] Herr Pastor Küttner kräftig nickte: Wer diese Ordnungen Gottes nicht einhält, gehört nicht zur Familie Gottes. Bei meinen Einwendungen hieß es: ›Hier regt sich die Schlange im Weibe‹«, Brief von Sr. anonyma A, 16. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.19. 900 Vgl. Küttner, Geheimnis, 55, dort auch »Es wäre eine böse Verdrehung zu sagen: Wer nichts auf dem Kopf hat, kann nicht selig werden. Wir sagen: Wer die Ordnungen Gottes nicht lebt, hindert den Geist, die Herrlichkeit des Herrn Jesus in der Gemeinde zu entfalten und das Leben Jesu sichtbar werden zu lassen«. 901 »Sie hat nicht Vollmacht, weil sie ein Kopftuch hat. Dann müßten alle Frauen mit Kopftüchern riesige Vollmachten haben. Sondern sie hat Vollmacht, weil sie ja sagt zu den gewiesenen Ordnungen Gottes«, a. a. O. 57. 902 A. a. O., 55.

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Nota bene: Diese Zusammenhänge, als göttliche Ordnungen der Gemeinde definiert, gelten bei Küttner auch für die ehelosen Stände: Auch eine unverheiratete Frau habe im Hause Gottes eine geistliche Herrschaft über sich, die in Gestalt von Brüdern, Ältesten und Hirten zum Ausdruck komme und denen sich die ledigen Frauen unterzuordnen hätten.903 Demnach wurde bei Gebet und Abendmahl eine Kopfbedeckung auch von den Schwestern der GemeindeKommunität getragen wie auch von Frauen, die ohne Mitgliedschaft in der Schwesternschaft dem Ledigen- oder Witwenstand zugeordnet waren. Praktisch wurde damit die »Rolle der Frau im Gebetskreis«, der als Kerngemeindekreis das Aktionszentrum für Austausch und Erkenntnis geworden war, »rigoros verändert«904 und auf die geistliche Leitungsfunktion Küttners und der Ältesten bzw. Brüder fokussiert – das zeitgleich entstandene Leitungsgremium der Brüder, von dem unten im Zusammenhang der Ämter gleich mehr zu sagen sein wird, zeigt, dass diese neuen prophetischen Einsichten die gesamten Gemeindestrukturen in Anspruch nahmen.

Die Bräunsdorfer Schwestern als Stand der Gemeinde In entsprechender Konsequenz wurde die Bräunsdorfer Schwesternschaft, die als Kirchgemeinde-Kommunität angetreten war, nun auch innerhalb dieser Ständeordnung definiert. Aus einer Schwesternschaft wurden Schwestern: Briefköpfe und andere Zeugnisse verzeichnen ab etwa 1970 nicht mehr die »Bräunsdorfer Schwesternschaft«, sondern die »Bräunsdorfer Schwestern«. Diese theologisch motivierte Änderung des Begriffes als Neuverortung der Schwesternschaft in der Ständeordnung geschah auf dem Weg in die 70er Jahre und fand durch die Klausur Küttners ihre Bestätigung. Man habe »sehr lange gebraucht, bis erkannt wurde, daß es nicht um eine Kommunität gehe, kein isoliertes kommunitäres Leben«, sondern man die Schwestern »als Stand in der Gemeinde, eingefügt in die Gemeinde« verstand.905 Hin und wieder sind heute (nachträgliche) Äußerungen zu hören, dass es bei den Schwestern von Anfang an nicht um eine Kommunität, sondern nur um einen Stand gegangen sei. Solche Interpretationen werden nicht nur durch schriftliche Nachweise (wie der genannten Namensänderung), sondern auch durch die enorme kommunitäre Vorbildwirkung der Christusbruderschaft Selbitz und der Darmstädter Marienschwestern deutlich widerlegt. Nicht zu vergessen ist, dass unter den Schwestern nicht nur ledige, sondern 903 Vgl. A.IV.a.II.18. 904 Zit. in: A.IV.a.II.18. 905 Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3.

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auch verwitwete Frauen vertreten waren. Damit bestand die Kommunität im Grunde aus zwei Ständen. Deshalb unterstrich man, dass der Stand der Witwen und Ledigen »zum gemeinsamen Leben berufen ist«.906 Entsprechend der neuformulierten Ständeordnung nach 1974 bildeten die Schwestern die Gruppe der Frauen, welche ihren jeweiligen Stand in verbindlicher Verortung leben wollten und zwar unter der Hauptschaft von Brüdern. Dass auch sie die »Ordnungen im Hause Gottes« und das Zeichen des Kopftuches übernahmen, wird entsprechend kommentiert: »Wir nehmen das an, dass wirklich die Brüder die Hauptschaft leben innerhalb der Gemeinde und die Schwestern mehr begleitend sind.«907 Schaut man auf die gesamte Entwicklung des Volksmissionskreises Sachsen bis hierher, zeigt sich, dass die Klausur Küttners wirklich einen Neuansatz bedeutete. Obwohl der Volksmissionskreis seit der Kriegs- und Nachkriegszeit von Pfarrern und anderen männlichen Mitarbeitern geleitet worden war, hatten Frauen in den ersten Jahren sehr wichtige Funktionen als Mitarbeiterinnen inne. Seit den 1960 Jahren hatte sich dies zugunsten einer Dominanz der Pfarrer verschoben. Der Bräunsdorfer zweite charismatische Aufbruch nach Küttners Klausur verdeutlicht, dass die charismatische Sehnsucht nach der vollmächtigen Gemeinde die Binnenorientierung verstärkte. Die Beschäftigung mit den Gemeindestrukturen, die offenbarungshaft legitimiert und patriarchal formuliert wurden, ließ die ursprüngliche missionarische Aufgabe in den Hintergrund treten. Obwohl das Nebeneinander von Binnenorientierung und missionarischer Aufgabe im Christusdienst-Konzept theologisch gefüllt und interpretiert wurde, führte es zu einer zunehmenden gegenseitigen Entfremdung von verschiedenen Meinungen im Volksmissionskreis. Der Dissens manifestierte sich schließlich im Konflikt (siehe 5.3).

5.2.4 Geistliche Ämter in Bräunsdorf »Pfingsten! Das Wunder der Amtseinsetzung der Glieder am Leibe des Christus. Der Heilige Geist weiht die Gläubigen zu Königen und Priestern. Zu Pfingsten geschieht göttliche Ordination. Die Folge ist wunderbare Legitimation (s. Apostelgeschichte). Nichts kann die Salbung ersetzen (1.Joh. 2,20). Das Siegel des Heiligen Geistes will bewahrt werden: Betrübet nicht den Heiligen Geist!«908 906 A.a.O. 907 Ich danke Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf, herzlich für das Gespräch. Vgl. auch: »Als eine führende Schwester sagte: (vor allen Schwestern): Mit dem Aufbinden des Kopftuches unterstelle sie sich Pastor Küttner als Haupt auf Lebenszeit, antwortete er vor uns: »ja und amen.«, Brief von Sr. anonyma A, 16. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.19. 908 VMK (Hg.), Gebetsbrief Juni 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976.

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Die Theologie der geistlichen Ämter wie auch der Wunsch nach ihrer Praxis war seit den Kontakten zum Oekumenischen Christusdienst Teil der charismatischen Theologie und Spiritualität des Volksmissionskreises Sachsen.909 Nun aber war Bräunsdorf der Ort, wo nach der Klausur Küttners dieses Thema wesentlich verstärkt bewegt wurde. Die Inspiration durch die Herrnhuter Brüdergemeine bzw. durch Wollstadts Arbeit in den 1960er Jahren hat das Ihre auf diesem Weg beigetragen. In Bräunsdorf aber kam man zu neuen Ergebnissen, als man nun die Konkretisierung von Ämtern weniger wie in Herrnhut aus einem diakonischseelsorgerlichen Anliegen,910 sondern vielmehr im Sinne der apostolischen Frömmigkeitstradition beschritt und diese charismatisch untermauerte. »Reinigt euch, die ihr die Geräte des Herrn traget«!911 Man wollte sich bereiten (lassen) zur Ausprägung der »apostolischen Sendung« mit einer umfassenden Ämterordnung.912 Was man seit Jahren als urchristlich ersehnt hatte: »Die Gemeinde in Jerusalem hat es gewagt. Sie hat Männer aus ihrer Mitte ins Amt berufen«913, begann jetzt in Bräunsdorf: »ein Frühling […], ein zartes Erwachen apostolischer Strukturen«914.

Aufgrund der Erfahrungen von charismatischen Phänomenen und Aufbrüchen sowie ökumenischer Kontakte war das Thema der geistlichen Ämter greifbarer geworden: Gott ruft, begabt, setzt ein, was als geistliche oder »göttliche Ordination« des allgemeinen Priestertums in verschiedenen Diensten verstanden wurde. Dieses Thema zeugt besonders von der schwierigen Quellenlage. Persönliche Erinnerungen berichten mehrfach, dass es die Rede vom gegliederten geistlichen Amt (Apostel, Bischöfe, Hirten/Lehrer, Propheten, Evangelisten, teils war auch die Rede von Diakonen) in Bräunsdorf gegeben habe. Es ist sogar davon zu hören, dass diese Ämter praktisch in Erscheinung getreten seien. Das Quellenproblem kann weder vergessen noch verbessert werden. Dennoch soll den geistlichen Ämtern in Bräunsdorf anhand einiger Notizen zu ihrer Herkunft, Theologie und Praxis im Folgenden nachgegangen werden. 909 Vgl. dazu sehr gut: VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1963, Lothar Köppe, 03/1963, in: A.II.a.404/8/ Bd3. 910 Vgl. z. B. Wollstadt, Geordnetes Dienen, 354f. 911 VMK (Hg.), Gebetsbrief Februar 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976. 912 »Läuterungsprozesse! Aber dann ist auch der Tag, da der Heilige Geist dem Herrn Jesus den Herzensthron übergibt, da Er Selber, der Herr Jesus, diesen Thron einnimmt: Eine […] wahrhaft pfingstliche Stunde, da das Leben des Sohnes Gottes aus Seinen heiligen Brüdern hervorbricht; und Stunde göttlicher Sendung, die Stunde einer wahrhaft apostolischen Sendung«, Predigt über Hebr 3,1.6b–14, Pfr. Gerhard Küttner, Sexagesimä 1978, in: ders., Vier Predigten, 3–9, hier 6. 913 Predigt über Apg 6,1–7, Pfr. Gerhard Küttner, 13. Sonntag nach Trinitatis 1972, in: ders., Zwölf Predigten, 11–15, hier 14. 914 A.IV.a.36a, 8.

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Charismatische, entinstitutionalisierte, nichtöffentliche geistliche Ämter Die Ämtertheologie der apostolischen Frömmigkeitstradition, wie sie aus dem Kontext der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben durch Gerhard Küttner in den Volksmissionskreis und nach Bräunsdorf transportiert worden war, basierte auf einer spiritualisierten Weiterentwicklung der ursprünglich katholischapostolischen Wurzeln durch die Allgemeine Apostolische Mission und die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben (vgl. 3.2). Die katholisch-apostolische Theologie hatte das gegliederte geistliche Amt, geführt durch ein eingesetztes Apostelamt, institutionalisiert, d. h. liturgisch, rechtlich und öffentlich definiert. Dagegen wurden in der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben das Apostelamt sowie die anderen geistlichen Ämter zunehmend spiritualisiert verstanden, was diese im kirchlichen Vollzug entinstitutionalisierte. Daher kamen in der Bruderschaft die liturgischen (und, wenn überhaupt, rechtlichen) Dimensionen der Ämter nur noch charismatisch-prophetisch und nichtöffentlich zum Tragen. Die bereits beschriebene Gleichzeitigkeit von apostolischen und kirchlich-offiziellen (sowie zeitweise auch freibischöflich-sukzessionsbasierten) Ämtern konnte nur vor dem Hintergrund eines spiritualisierten Amtsverständnisses möglich werden. In Bräunsdorf kam diese Spiritualisierung des geistlichen Amtes innerhalb einer charismatisch geprägten lutherischen Kirchgemeinde zum Tragen. Daher begründet sich auch, dass der Umgang mit geistlichen Ämtern neben dem kirchlich offiziellen Amt nur nichtöffentlich von statten ging. Vorstellungen, die man von den Ämtern hatte und die aus Allegorie oder Typologie (Priestertum, Tempeldienst, neutestamentliche Ämter) gespeist wurden, sind – zumindest für den Beobachter von außen – ohne genauere amtstheologische Definitionen geblieben. Dagegen wurde vielmehr die charismatisch-prophetische Dimension geistlicher Ämter betont. Alle Vermutungen über konkrete Amtseinsetzungen oder Weihen können von der Quellenlage her nicht belegt werden. Es ist allein festzustellen, dass die apostolische Ämtertradition in Bräunsdorf ohne institutionalisierte Formen auskam. Die bereits geschilderte Entwicklung der Ständeordnung, die Frage nach der »Hauptschaft« des Mannes und die Unterordnung der Frau unter dem Zeichen des Kopftuches waren mit dem Ämter-Thema zuinnerst verbunden. Denn diese Themenfelder bildeten ein großes Ganzes auf dem Weg zu neuen, bevollmächtigten Gemeindestrukturen, welche das ersehnte »Jesus-Leben« repräsentieren sollten. Grundlegend ging man davon aus, dass die geistlichen Ämter nur Entfaltungen des einen universalen Amtes Jesu Christi darstellen.915 Der eine heilige 915 Vgl. u. a. Predigt über Apg 6,1–7, Pfr. Gerhard Küttner, 13. Sonntag nach Trinitatis 1972, in: ders., Zwölf Predigten, 12. Vgl. auch: »Jeder empfängt immer nur sein bestimmtes Teil am Apostolat des Herrn […]. Aber jedes Teilchen ist ganz wichtig […]. Gerade so kommt das

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Dienst Christi würde sich in den einzelnen, unterschiedlichen Diensten der Kirche gestalten. Sein umfassender geistlicher Dienst für uns würde zu einem Dienst in und durch uns, was bedeute, dass die geistlichen Ämter die reale Präsenz der Vollmacht Christi repräsentierten: »Es geht immer um die Entfaltung dessen, was uns in Jesus geschenkt ist, zu dem einen Amt die anderen Ämter.«916 Parallelstrukturen von geistlichen und institutionellen Ämtern Nach der Klausur Küttners war aus den Ältesten, welche Mitte der 1960er Jahre ihre Berufungserlebnisse erfahren hatten (vgl. unter 4.1.3), eine sogenannte Brüderstunde geworden, die sich zu einem Leitungsgremium entwickelte. Dieses Leitungsgremium stand neben, oder besser : in dem Kirchenvorstand der Ortsgemeinde, da die Kirchvorsteher der Brüderstunde angehörten.917 Zwar bestand auch der gewählte Kirchenvorstand nur aus Mitgliedern des Kerngemeindekreises und war demnach dem geistlichen System Küttners verbunden, doch die Brüderstunde übernahm eine geistliche Leitungsfunktion neben der institutionellen Funktion des Kirchenvorstandes. Damit wurde die Gemeindeleitung ähnlich wie bereits der Vorstand des Volksmissionskreises bzw. Christusdienstes Sachsen (vgl. 4.5.7) nach dem Vorbild der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben in Form eines inneren (geistlichen) und eines äußeren (institutionellen) Gremiums organisiert – ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Entwicklung charismatischer Parallelstrukturen, da die »apostolischen« Ämter in den kirchlich offiziellen Strukturen ja nicht verortet werden konnten. Solange Küttner als Hirte und Pfarrer beiden Gremien der Gemeinde vorstand, konnte diese Parallelstruktur gehalten werden. Dies änderte sich mit dem Dienstbeginn seines Nachfolgers Pfarrer Günter Uhlig (vgl. unter 5.3.3).918

ganze Leben Christi zur Entfaltung. Und das heißt auch: Gerade so wird die ganze Gemeinde apostolisch, hat die ganze Gemeinde teil an der Sendung. Apostolisch – das ist nicht die Sache einiger weniger, das ist immer die Sache aller«, Predigt über Hebr 3,1.6b–14, Pfr. Gerhard Küttner, Sexagesimä 1978, in: ders., Vier Predigten, 8f. 916 Predigt über Apg 6,1–7, Pfr. Gerhard Küttner, 13. Sonntag nach Trinitatis 1972, in: ders., Zwölf Predigten, 15. 917 Vgl. A.IV.a.36a, 8f. Davon haben mir dankbarerweise Martin Rüger, Schönebeck, und Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, mündlich berichtet. 918 Vgl. dazu auch die Bemerkung, dass nach der Auflösung der Brüderstunde das innere und äußere Leitungsamt dem Kirchenvorstand zukam: A.IV.a.36a, 11.

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Ämterbezeichnungen Beobachtern fiel auf, dass »die Ältesten« für die geistliche Leitung der Gemeinde »wohl eine besondere Rolle« spielten.919 Dies blieb ebenso wenig unbemerkt, wie dass beim Gottesdienst stets nur bestimmte Brüder (bei Lesungen auch Frauen) mitwirkten.920 Geschildert wird ebenso, dass ein Bruder (neben den Schwestern lebten mittlerweile zwei ehelose Männer als »Bruderzelle« der Gemeinde), in persona der Kirchner der Gemeinde,921 Träger des Prophetenamtes gewesen sein soll.922 Gleiches gilt für den Kantor, von dem das Amt des Evangelisten berichtet wird.923 Weitere Amtsbezeichnungen wurden diskutiert, aber blieben wesentlich weniger konkret: Das Amt des Hirten bzw. Lehrers wurde wie selbstverständlich für Gerhard Küttner vorausgesetzt, ohne dass historisch eine direkte Amtsbezeichnung oder -Einsetzung auszumachen wäre. Noch bedeckter verhält es sich mit dem Apostelamt, über welches gesprochen und reflektiert wurde, die Quellen aber keinerlei Einsetzung wiederspiegeln. Dass Gerhard Küttner in arcano als möglicher Träger des Apostelamtes bedacht wurde, ist, ohne nähere Konkretisierungen, wahrscheinlich.924 Nur wenige Quellen berichten davon, dass »in strikter Unterscheidung zwischen ›innerer‹ und ›äußerer‹ Kirche die ersten ›inneren‹ Ämter im Gebetskreis bekanntgemacht« worden seien (Bischof, Hirte, Evangelist, Prophet, Ältester, Spekulationen über einen Apostel).925 Was in den Reihen eines charismatisch temperierten Kerngemeindekreises noch geschehen sein mag, muss offen bleiben. Auffällig ist jedenfalls die Widersprüchlichkeit mancher Quellen, wo Aussage gehen Aussage steht: Einmal wird bezeugt, Ämter wären aktiv gewesen, ein andermal wird vehement bestritten, dass Ämter überhaupt existiert hätten und haben könnten. Gerade die Diskussion um die beiden eben genannten Ämter des Propheten und Evangelisten (und ihrer Amtsträger) bezeugt deutliche Widersprüche.926 919 Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3. 920 Ich danke Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, für seine Auskunft. 921 Vgl. Bericht für die Bischofsvisitation, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 11. 10. 1974, in: A.I.a.III111. 922 Ich danke Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna. 923 Vgl. [Protokoll] Zusammenfassung der Ausführungen des Landesbischofs am 29. 01. 1986, Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 04. 02. 1986, in: A.IV.a.67. 924 Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna, sowie Martin Rüger und Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck, haben mir diese Fragestellung erörtert, wofür ich herzlich danke. 925 A.IV.a.II.18. 926 Vgl. z. B. Protokoll einer Dienstbesprechung in Bräunsdorf mit Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Pfr. Christian Seltmann, Limbach-Oberfrohna, 29. 01. 1986, in: A.IV.a.66; vgl. A.IV.a.67.

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Charismatische Legitimationen und Installationen geistlicher Ämter Nicht zu vernachlässigen ist die Wahrnehmung geistlicher Autoritäten, welche die Existenz von Ämtern bzw. Amtsträgern bestätigt.927 Solchen Ämter-Autoritäten entspricht, dass kirchlich-offizielle Ämter, bei aller betonten Wertschätzung,928 dennoch umgangen werden konnten. Denn aufgrund spiritualisierter Ämtervorstellungen mit arkanen Parallelstrukturen sprechen charismatische Legitimationen den geistlichen Ämtern im praktischen Vollzug zwangsläufig höhere Autoritäten zu als institutionellen Ämtern. Dass diese Ämter nicht als institutionell konkretisierte, sondern explizit als geistliche, d. h. charismatisch berufene Ämter angesehen wurden, wird sich mit Sicherheit auch auf ihre Praxisgestalt sowie auf ihre Träger ausgewirkt haben. Die nichtinstitutionelle, indefinite Offenheit charismatisch-prophetischer Berufungen kann – gemäß der Natur der Sache – bei unterschiedlichen Rezipienten verschiedene Deutungen, Verbindlichkeiten und Autoritäten zur Folge haben. Gleiches gilt für den Vollzug von Berufungen in arcano, welche unterschiedlich gedeutet und nach außen nicht nachvollzogen werden können. Somit ist es leicht möglich, dass Existenzen und Autoritäten verschieden gefasst, gewürdigt und bezeugt werden. Fragt man, wie Berufungen oder Initiationen in geistliche Ämter in Bräunsdorf ausgesehen haben könnten, kann man aus der Quellenlage nur einige, aber dennoch nicht nebensächliche Schlussfolgerungen ziehen. Grundsätzlich wird auch hier – ähnlich wie bei der oben verhandelten Initiation in die Stände der Verheirateten, Ledigen und Witwen – nicht von einer ausgearbeiteten Initiationsordnung oder gar von Ordinationen auszugehen sein. Viel wahr927 Autoritäten spiegeln sich wieder z. B. in der Achtung, welche dem Propheten und dem Evangelisten entgegengebracht wurden (vgl. z. B. Protokoll einer Dienstbesprechung in Bräunsdorf mit Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Pfr. Christian Seltmann, LimbachOberfrohna, 29. 01. 1986, in: A.IV.a.III; [Protokoll] Zusammenfassung der Ausführungen des Landesbischofs am 29. 01. 1986, Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 04. 02. 1986, in: A.IV.a.III); in der Wertung, welche der Brüderstunde bzw. ihrem Wegfall sowie dem weiteren Einfluss der Brüder nach dem Wegfall zukam; im Konflikt zwischen Pfr. Günter Uhlig und Pfr.i.R. Gerhard Küttner, welcher als »Spaltung der Hauptschaft« (sicher sind unter Hauptschaft auch Verbindungen zu anderen Leitungsämtern mitzuhören) bezeichnet wurde (A.IV.a.36a, 12); sowie in der Bemerkung, dass Küttner während seines Ruhestandes zu Gesprächen und Beichten anstelle des Ortspfarrers aufgesucht wurde (dieser Aussage kann von deren Gesprächspartnern widersprochen werden). Neben den hier genannten schriftlichen Quellen beziehe ich mich hier auf Gespräche mit Martin Rüger und Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck, mit Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, mit Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna. 928 Vgl. dieses Beispiel: »Bei der Frage, ob Eltern die Konfirmationssprüche der Kinder auswählen wollten, wurde abgewehrt. Dies solle der Pfarrer tun. Dazu wurde die Begründung mit Joh 11,51 genannt: ›dieweil er in dem Jahr Hoherpriester war‹«. Ich zitiere hier Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, dem ich für diese Ausführungen danke.

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scheinlicher sind dagegen »verborgene« Benennungen denkbar.929 Vorzustellen hätte man sich Benennungen demnach als arkane, d. h. nichtöffentliche, prophetische, aus Gebet und / oder geistlicher Einsicht begründete Zusprechungen, die – nicht ohne Wahrscheinlichkeit und paradoxerweise! – vielleicht auch unausgesprochen von statten gegangen sein könnten.930 Solche Benennungen, also charismatisch-prophetische Zusprechungen, würden auch der »geistlichen«, nichtinstitutionellen, berufungsbasierten Struktur dieser Ämter entsprechen. Ob derartige Benennungen, wie explizit (formuliert) oder implizit (unausgesprochen) auch immer, nun im Gebetskontext mit Ritualen wie z. B. Handauflegung verbunden waren, kann nicht eindeutig belegt werden. Bedenkenswert vor diesem Hintergrund ist jedoch, dass sich im charismatischen Arkanum Hände leicht bewegen lassen. Zusprüche von Amts-Gaben können schnell GebeCharakter erhalten. Die Gaben und das Geben können mit der Praxis der Handauflegung verbunden werden. Und bei Küttner wie überhaupt im Volksmissionskreis Sachsen war das Gebet zusammen mit der Gebärde der Handauflegung eine vertraute Form, die man seit den 1940er Jahren aus den ersten Kontakten mit Otto Siegfried von Bibra und der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben bzw. des Oekumenischen Christusdienstes kannte (vgl. 3.1.3; 7.1.3; 7.2.3; 7.2.6). Warum sollte diese Praxis, beflügelt vom prophetischen Feuer, in und um Bräunsdorf nicht stattgefunden haben, da sie doch sonst keine Seltenheit darstellte? Küttner und andere waren jedenfalls seit 1956 Mitglied der Christentumsgesellschaft (3.2.3). Nicht zu vergessen sei dabei, dass sogar Arthur Richter, der Geschäftsführer des Marburger Kreises, von Walter Hümmer und Klaus Heß in Selbitz für »sein bischöfliches Amt im Marburger Kreis« eingesegnet worden war.931 Das Colorit des Volksmissionskreises schillerte in denselben Tönen.

929 »[…] langsam konturierten sich diese Ämter. ›Offiziell‹ sind diese Ämter nicht nachweisbar, faktisch aber sind sie wirksam«, A.IV.a.67. 930 Vgl. die Schilderung von Pfr. Hans-Michael Sims, Schönebeck, den ich für seine mündliche Auskunft danke und hier zitiere: »Es wurde niemand als solcher bezeichnet. Offiziell nie. Es wurden keine Ämtertitel vergeben, sie wurden auch nicht so angeredet, aber unter der Hand. Belz selber hat es nie bezeichnet. Genau dasselbe war bei Bruder Küttner. Bruder Küttner war der Hirt und Lehrer. Jeder sagte das, jeder wusste das. Aber es war nie offiziell und es wurde auch so nie gesprochen, sondern man wusste es.« 931 Was diese Einsegnung zum Dienstbeginn eines Geschäftsführers für verschiedene Rezipienten alles bedeuten mag, bleibt offen und denkwürdig. Vgl. Thieme, Arthur Richter, 103f.

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5.3

Zweiter charismatischer Aufbruch

Konflikt im Volksmissionskreis Sachsen

Der Volksmissionskreis Sachsen stellte in den 1970er Jahren – neben einigen jetzt entstehenden neuen Gruppierungen – noch die eigentliche Trägergruppe innerkirchlichen charismatischen Christentums in Sachsen dar. Der zweite charismatische Aufbruch führte jedoch mit dem Ende dieses Jahrzehntes zum Abbruch der charismatischen Phase des Volksmissionskreises, die bereits in den 40ern begonnen hatte. Gründe für diese Entwicklung sind nicht allein in Großhartmannsdorf zu suchen, wo nach dem Dienstwechsel Christoph Richters eine charismatische Ära zu Ende ging und mit der Auflösung des Philippusringes dem Volksmissionskreis die Basis einer neuen Mitgliedergeneration abhanden kam, sondern auch in weitreichenden Konflikten um und in Bräunsdorf zu suchen. Diese Konfliktgeschichte kann etwa zwischen den Jahreszahlen 1977 und 1986 beschrieben werden, wobei zu den zeitlichen Randunschärfen sowohl die nun schon jahrzehntealte interne Diskussion um das Verhältnis von Sammlung und Sendung als auch einige Nachwehen am Ende der 1980er Jahre zählen.

5.3.1 Diskussion mit Gerhard Küttner, Ausschluss aus dem Vorstand Mehrfach hatte Gerhard Küttner seine theologischen Ansichten über Vollmacht, Ordnungen im Hause Gottes, das exorzistische Handeln (»Lösen« bzw. »Lösung«) und geistliche Ämter im Vorstand des Volksmissionskreises Sachsen vorgestellt (nachweisbar ab 1973).932 Ansonsten blieben diese Themen bis auf einige wenige Bemerkungen in Rundbriefen auf den Bräunsdorfer Kerngemeindekreis beschränkt. Im Vorstand waren diese Reflexionen alles andere als nur positiv aufgenommen worden. Bereits 1973 hatte Christoph Richter sein Vorstandsmandat aufgrund von Meinungsverschiedenheiten für kurze Zeit niedergelegt.933 Offenbar konnte Küttner den Vorstand mit diesen Themen sei-

932 Vgl. [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.13; [Liste] Chronologischer Abriss des Konflikts mit Gerhard Küttner, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.15. 933 Begründet mit der noch vor der Klausur Küttners geäußerten Sorge: »Es ist mir bange um Gerhard. Er steht an einem Scheideweg, von dem für ihn u. U. alles abhängen kann«, Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 14. 03. 1973, an Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, in: A.III.a.1973; vgl. Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 20. 03. 1973, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: a. a. O. Weitere Meinungsverschiedenheiten sind belegt z. B. in: Veranstaltungsübersicht 1973, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1973: »Vorstand Geilsdorf 4.–7. Juni[:] Aussprache über den 3. Artikel. Gerhard Küttner macht allen Not. […] Differenzen in der Frage der Geistestaufe«. Die weitere Diskussion wird u. a. in

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ner Vollmachts-Konzeption nicht gewinnen, stattdessen wurden besonders das Lösen und die Ordnungen zum Konfliktpunkt. Diskussionen erbrachten offenbar kein Ergebnis; auch die Bitte, Küttner möge sich mit seinen Lehren öffentlich zurückhalten,934 führte nicht weiter. Schließlich hatte der Vorstand den Superintendenten Karl-Heinz Schönfeld zum Thema informiert und gebeten, die Dienstaufsichtspflicht gegenüber Gerhard Küttner wahrzunehmen. Küttner wurde vom Vorstand im April 1977 aufgefordert, die »Mitverantwortung aufzugeben«.935 Der Vorstand veröffentlichte seinen Entschluss in einem Rundbrief und begründete ihn mit dem »verallgemeinernden Vollzug umfassender Lösungen« sowie mit der »Botschaft über die Ordnungen im Hause Gottes« – letztere offenbar vor allem aufgrund ihrer eschatologischen Deutung zusammen mit dem Thema der Kopfbedeckung der Frau –, welche »nicht mehr eingebunden [waren] in das Ganze unserer Bruderschaft«.936 Gerhard Küttner antwortete auf den Beschluss des Vorstandes, dass er den »Ausschluss« annehme, in der »Gesamtverantwortung« aber bleiben würde (womit er einen theologisch gefüllten Begriff der apostolischen Frömmigkeitstradition verwendete),937 und informierte darüber in einem Rundbrief den Johannesring, dessen Leitung er aufgab.938 Dabei bestimmte Küttner die Aufhebung aller für die Mitglieder geltenden Verbindlichkeiten. Tatsächlich löste sich diese Gemeinschaft innerhalb der nächsten Jahre auf.939 Nach dem Ausschluss Küttners aus dem Vorstand war der Volksmissionskreis faktisch gespalten. Küttner, der Bräunsdorfer Kerngemeindekreis, Tertiarier und Freunde bildeten eine Gruppe, die vom anderen Teil des Volksmissions-

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Briefen deutlich, vgl. z. B. Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977. Diese Bitte wohl mündlich; ein Beleg in: Entwurf zu: Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977, Entwurf in: A.IV.a.II.17. Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 17. 04. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977; vgl. auch Entwurf dieses Briefes in a. a. O.; [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine, Pfr. Christoph Richter, in: A.IV.a.II.13. Beide Dokumente überliefern unterschiedliche Datierungen. Vgl. auch Brief von Pfr. Christoph Richter, Albernau, an Pfr. Jörg Pfund, Zethau, in: A.III.a.1977 (Hervorhebung im Text): »Für uns war die Bitte an Bruder K. der letzte Versuch, ihn aus seiner in die völlige Isolation tendierende Haltung herauszuholen«. VMK (Hg.), Rundbrief des Vorstandes, 25. 05. 1977, in: A.III.a.1977. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 18. 04. 1977, an Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, in: A.III.a.1977. Vgl. Rundbrief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 21. 05. 1977, an den Johannesring, ergänzt und versendet 10. 06. 1977, in: A.III.a.1977. Schon 1978 informierte Hans Prehn, dass die Arbeit des Johannesringes ruhe, vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 24. 01. 1978, an das Konfessionskundliche Arbeits- und Forschungswerk, Pfr. Ekkehart Zieglschmid, Dresden, in: A.II.d.AG1.

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kreises unabhängig existierte. Spätestens jetzt kam der Christusdienst Sachsen an sein Ende – wenn nicht schon vorher mit dem Ende der charismatischen Phase Großhartmannsdorfs – und das Ideal der Bipolarität von Sammlung und Sendung zerbrach. In dieser Konfliktgeschichte fällt auf, dass die jeweiligen Lager ihre Positionen offenbarungshaft begründeten. Dies trifft erstens auf die theologischen Entwicklungen im zweiten charismatischen Aufbruch Bräunsdorfs nach Küttners Klausur zu, da hier Sonderlehren zu (eschatologisch qualifizierten) Zentralthemen wurden. Zweitens lässt sich dies auch nach Küttners Ausschluss aus dem Vorstand beobachten, als man sich in Bräunsdorf – so wird zumindest berichtet – zunächst märtyrergleich legitimiert gefühlt und ein prophetisches Wort Küttner als den von seinen Brüdern verkauften Joseph gezeichnet haben soll.940 Fast populär wurde aufgrund ihres prominenten Sprechers eine Prophetie, welche der US-amerikanische Pfarrer Larry Christenson bei einem Besuch in Bräunsdorf geäußert haben soll: »Der Herr wird die Mauern des Schafstalles zerbrechen, doch die Schafe wird ER Selbst weiden und ein Neues schaffen«941. Drittens verwendete auch der Vorstand des Volksmissionskreises das offenbarungsautoritative Begründungsmuster, als Hans Prehn Küttners Ausschluss als »göttliche Notwendigkeit« bezeichnete.942 Die Konfliktgeschichte prägte ein charismatischer Optimismus, dem es schwer fällt, sich von seinen geistlichen Einsichten zu distanzieren und seine Unmittelbarkeit zum offenbarenden Gott infrage zu stellen. Symptomatisch für diese Phase des Volksmissionskreises ist folgendes superlativische Zitat, das nicht im Volksmissionskreis formuliert, von diesem aber publiziert wurde: »Sie werden alle von Gott gelehrt sein. Wenn der Heilige Geist nicht betrübt wird, kann jedes Kind Gottes an jedem Ort der Erde ohne jede brüderliche Belehrung jede nur mögliche Reife erlangen.«943 940 Vgl. Brief von Sr. anonyma A, 16. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.19, dort auch: »Sie meinen sich auf mit allem auf der Seite Gottes, – in ganzer ›Unschuld‹, und jede theologische Infragestellung haben sie als Martyrium angesehen, das der von ihnen so sehnlichst erwarteten apostolischen Bevollmächtigung notwendiger Weise vorausgeht. (Jesus am Kreuz, danach Ostern und Pfingsten direkt auf sie und die Bräunsdorfer Gemeinde übertragen.)«. 941 Zit. nach: Gottes Wunderwege mit der kleinen Bräunsdorfer Gemeinde von 1951–2008, Sr. Käte Fiedler, Bräunsdorf, in: A.IV.a.51, 22; ähnlich auch in: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf, in: A.IV.a.53, 10. Davon hat mir auch Klaus Küttner, Chemnitz, berichtet, dem ich das Gespräch herzlich danke. Das Motiv des Schafstalles bei Gerhard Küttner selbst: vgl. Rundbrief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 14. 12. 1974, an den Johannesring, in: A.III.a.1974. 942 Vgl. Veranstaltungsübersicht 1977, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1977: »Vorstand […] Gute Einheit. Die Lösung von Gerhard [Küttner] eine göttliche Notwendigkeit«. 943 Zit. Worte aus der Stille, in: VMK (Hg.), Gebetsbrief September 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976.

Konflikt im Volksmissionskreis Sachsen

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5.3.2 Theologische Gespräche zwischen Landeskirche und Volksmissionskreis in Herrnhut 1979 In Folge944 des Konfliktes lud Landesbischof Johannes Hempel im Rahmen seines Visitationsprogrammes den Volksmissionskreis Sachsen zu theologischen Gesprächen nach Herrnhut vom 3. bis 6. April 1979.945 Auf dieser Tagung diskutierten neun Vertreter des Dresdner Landeskirchenamtes und 25 Teilnehmer des Volksmissionskreises über fünf Themenbereiche: »Rechtfertigung und Erneuerung«, »Charismen«, »Werke des Teufels nach Ostern? / Erfahrung und Glaube«, »Binden und Lösen«, »Gesamtkirche und Einzelgemeinde. Arkandisziplin«.946 Diese Themenwahl lässt die Ausrichtung der Tagung erkennen und spiegelt die Problemlage dieser Zeit wider. Die Gesprächsverläufe der Arbeitsgruppen lassen sich anhand ausführlicher Protokolle und Mitschriften nachvollziehen.947 Die Herrnhuter Tagung bildete für den Volksmissionskreis Sachsen den Anstoß, angesichts interner Konflikte über sein Selbstverständnis und theologische Kernpositionen zu reflektieren. Auf einem anschließenden »Verantwortlichentreffen« für Mitarbeiter von Kerngemeindekreisen wurde beispiels944 Auslöser für die Einladung zur Tagung war eine Tragödie des Jahres 1978. Am 17. September 1978 hatte sich Pfarrer Rolf Günther während des Sonntagsgottesdienstes in der Kirche in Falkenstein/Vogtl. verbrannt (vgl. dazu Käbisch, Fanal von Falkenstein). Die Hintergründe dieser Tragödie (die vielschichtig von Konflikten zwischen Frömmigkeitsgruppierungen bis hin zu psychopathologischen Ursachenbestimmungen bestimmt werden) können hier nicht diskutiert werden. Jedenfalls blieb der Volksmissionskreis Sachsen von Schuldzuweisungen nicht unberührt, zumal der in den Freitod gegangene Pfarrer auch in den Medien als Opfer erwecklicher Frömmigkeitsexpressionen dargestellt wurde (vgl. z. B. Nie heimisch. Zum zweiten Mal verbrannte sich ein ostdeutscher Pfarrer – aus Protest gegen pietistische Glaubensbrüder?, in: Der Spiegel 39/1978, 47.49.52). Die eigenen Konflikte im Volksmissionskreis und dessen theologische Problemfelder kamen so in den Blick und wurden auch von der sächsischen Kirchenleitung wahrgenommen. – Die genannte Untersuchung von Edmund Käbisch setzt die Vorgänge in Falkenstein ursächlich mit dem Volksmissionskreis Sachsen in Verbindung und weist überregionalem Volksmissionskreis und lokalem Kerngemeindekreis monokausal Schuld am Freitod zu. Der Falkensteiner Kernkreis war vom Volksmissionskreis geprägt (vgl. Käbisch, Fanal von Falkenstein, 35– 39). Aber Käbisch verwendet Begriffe wie die »Volksmission«, die »Lehre der Volksmission« etc. pauschal und undifferenziert. Allerdings wird sehr gut deutlich, wie die charismatische Spiritualität des Volksmissionskreises und insbesondere Bräunsdorfs in Richtung Falkenstein gewirkt haben (Charismen; Gebet mit Handauflegung; Exorzismus; Kernkreis und Arkandisziplin). 945 Vgl. Einladung, Volksmissionskreis Sachsen, Dresden, 07. 12. 1978, in: A.III.a.1978; Brief von Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 15. 03. 1979, an die Teilnehmer der Herrnhuter Tagung, in: A.III.a.H. 946 Brief von Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 15. 03. 1979, an die Teilnehmer der Herrnhuter Tagung, in: A.III.a.H. Vgl. Teilnehmerliste in: a. a. O. 947 Vgl. die Mitschriften in: A.III.a.H.

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weise die Frage der »Geschlossenheit unserer Kreise« diskutiert.948 In einer Umfrage wurden Mitarbeiter und Freunde gebeten, Antworten auf Fragen des Selbstverständnisses (Auftrag, Zusammengehörigkeit, Praxisformen, Verhältnis zur Landeskirche, Bekenntnisgrundlage) zu formulieren und an die Geschäftsstelle einzusenden, was rege wahrgenommen wurde.949 Daraufhin veröffentlichte der Volksmissionskreis im September 1979 zum ersten Mal ein ausformuliertes Selbstverständnis. Darin tritt der Kreis als »bruderschaftliche Bewegung« der lutherischen Kirche in ökumenischer Offenheit auf, die »mitberufen« ist »zu umfassendem Christusdienst« in Form von »Sammlung und Sendung«.950 Man bezeichnete sich nun nicht mehr selbst als »Christusdienst«.951

5.3.3 Spaltung in Bräunsdorf Bereits im Mai 1977 waren drei Schwestern aus der Bräunsdorfer Schwesternschaft ausgetreten. Dies geschah als zustimmende Reaktion auf den Entschluss des Vorstandes des Volksmissionskreises. Im April 1979, nach der Herrnhuter Tagung, meldete sich eine dieser ausgetretenen Schwestern bei Landesbischof Hempel zu Wort und erläuterte ihre Sicht der Problematik in Bräunsdorf. Als besondere Kritikpunkte wurden dem Bischof mitgeteilt: Autoritäre Stellung und Korrekturunfähigkeit Küttners, Stellung der Frau bzw. Kopftuchzwang, exorzistische Praxis.952 Inzwischen war Gerhard Küttner allerdings altersentsprechend zum 1. Januar 1978 in den Ruhestand getreten. Auch die Information des Volksmissionskreises an den Landesbischof, dass 1977 Dienstaufsichtsbeschwerde an den Superintendenten ergangen war, erfolgte erst im April 1979. Somit waren mögliche 948 [Protokoll] Verantwortlichentreffen 11. 09. 1979, in: A.III.a.1979. 949 Vgl. VMK (Hg.), Rundbrief an Mitarbeiter, 03. 05. 1979, in: A.III.a.H; vgl. die Zuschriften in a. a. O. 950 VMK (Hg.), Rundbrief, 09/1979, in: A.III.a.H. 951 Vgl. protokollierte Aussage von Pfr. Gottfried Rebner : »Aus diesem Grund ist beispielsweise der Begriff ›Christusdienst‹ wieder fallengelassen worden (nicht für die Volksmission allein ist dieser Begriff zutreffend)«, Niederschrift über das Gespräch zwischen dem Vorstand des Volksmissionskreises Sachsen und den Mitgliedern des Kollegiums des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, 08. 01. 1986, in: A.II.a.404/8/Bd5. Vgl. dazu auch die Wortmeldung: »Da die Bezeichnung ›Christusdienst‹ sich […] sehr in die Nähe und damit in den Verdacht einer ›Eigen-Institution‹ gebracht hat, würde ich gern so sagen: hinweg mit diesem ›in schwacher Stunde undurchdacht übergestülpten Hybrisnamen‹, der mit Recht alle anderen Mitchristen ›in Harnisch gebracht‹ hat und zurück zu dem schlichten ›VM-Kreis‹«, Brief von Kurt Ströer, Wittgensdorf, 30. 05. 1979, an den Volksmissionskreis Sachsen, Dresden, in: A.III.a.H. 952 Vgl. Brief von Sr. anonyma A, 16. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, in: A.IV.a.II.19.

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dienstrechtliche Interventionen erschwert, aber vor allem richteten sich die Hoffnungen jetzt auf den Nachfolger Küttners. Als solcher trat Pfarrer Günter Uhlig (1929–2011) 1979 in Bräunsdorf an, der zuvor bereits als Pfarrer in Auerswalde dem Volksmissionskreis und Bräunsdorf eng verbunden war.953 Diese Nachfolge hatte Küttner selbst geregelt. Das Verhältnis zwischen dem emeritierten und dem amtierenden Pfarrer gestaltete sich im Laufe der nächsten Jahre offensichtlich schwierig. Gerhard Küttner lebte übrigens weiterhin in Bräunsdorf (bis 1993/94). Dies ist angesichts der schwierigen Wohnungsverhältnisse für pensionierte Pfarrer in der DDR sicher nicht unverständlich; vor dem Hintergrund seiner prägenden Funktion der charismatischen Kirchgemeinde, welche er 25 Jahre geleitet hatte, aber ebenso wenig unproblematisch. Das Landeskirchenamt hatte jedenfalls aus diesem Grund zum Ortswechsel geraten.954 Obwohl nun die von Günter Uhlig verfassten Rundbriefe bis Januar 1982 zunächst ein ausgesprochen positives Bild zeichnen,955 entwickelte sich in Bräunsdorf ein weiterer Konflikt. Dieser war nicht nur eine Angelegenheit der beiden Pfarrer, sondern spaltete die Gemeinde regelrecht. Bereits Ende 1983 erwog Uhlig einen Pfarrstellenwechsel und hatte den Dienst schon zwischenzeitlich niedergelegt.956 Zum 1. März 1984 quittierte er seinen Dienst und verließ Bräunsdorf.957 Zwei weitere Schwestern verließen im Zuge dessen die Schwesternschaft, dabei auch die Schwester, die in ihrer Funktion einer Oberin gleichkam.958 Nun zeigte sich, was sich bis dahin verdeckt entwickelt hatte: eine Spaltung der Gemeinde, deren Lager den beiden Pfarrern zugeordnet werden können. Aus verschiedenen Zeugnissen wird deutlich, dass die Ursache dafür im Konflikt um 953 Vgl. Brief des Ev.-Luth. Kirchenvorstandes zu Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, 02. 06. 1977, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.c.1200. 954 Vgl. Brief von OLKR Ulrich von Brück, Dresden, 24. 05. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.I.a.II64. Der Kirchenvorstand habe aber für das Bleiben Küttners votiert, vgl. Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 03. 06. 1977, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, OLKR Ulrich von Brück, Dresden, in: a. a. O. 955 Vgl. Rundbriefe in: A.II.c.1200; A.II.c.1201. Vgl. dazu eine ganz ähnliche, positiv gestimmte Aussage Uhligs: »Zwischen dem Ruheständler Pfarrer Gerhard Küttner und Pfarrer Uhlig besteht seit Jahren ein brüderliches Verhältnis«, Bericht über das Leben der Kirchgemeinde, Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 31. 03. 1982, in: A.I.a.III111. 956 Vgl. Niederschrift über Gespräche mit Sup. Karl-Heinz Schönfeld am 21. und 29. 12. 1983, OKR Hartmut Rau, Dresden, in: A.II.b.2.1745, 156–157; Brief von Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 10. 02. 1984, an Sup. Karl-Heinz Schönfeld, Karl-Marx-Stadt, in: A.II.c.1201; Brief von Sup. Karl-Heinz Schönfeld, Karl-Marx-Stadt, 17. 02. 1984, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: a. a. O. 957 Vgl. Brief von Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 10. 02. 1984, an Sup. Karl-Heinz Schönfeld, Karl-Marx-Stadt, in: A.II.c.1201. 958 Vgl. Brief von Sup. Karl-Heinz Schönfeld, Karl-Marx-Stadt, 17. 02. 1984, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.c.1201.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

Autoritäten, Amt und Ämter zu suchen ist. Günter Uhlig hatte direkt nach seinem Dienstbeginn das geistliche Leitungsgremium der Brüderstunde abgesetzt.959 Dies wurde aber als Vergehen an den »apostolischen Strukturen«, die direkt mit dem Wirken des Pastor emeritus verbunden waren, verstanden. Schon hier zeigen sich unterschiedliche Lesarten spiritueller Autoritäten. Es ist logische Konsequenz, dass in der Folge die Thematik von Amt und Ämtern Konfliktpotential entfaltete. Wie auch immer die schmale, zum Teil undurchsichtige und von verschiedenen persönlichen Befindlichkeiten gekennzeichnete Quellenlage auszuwerten ist, feststellbar bleibt eine Konkurrenzsituation innerhalb der Gemeindeleitung. Dabei ist der Begriff »Gemeindeleitung« bewusst offen gewählt: Denn neben landeskirchlich offiziellen Leitungsämtern (amtierender Pfarrer, Kirchenvorstand) existierten in Bräunsdorf weitere charismatische Autoritäts-Instanzen, denen Leitungsfunktionen nicht de iure, aber de facto, ausgesprochen oder stillschweigend, zukamen. Ohne diese charismatische Leitungsämter umfassend auflisten zu können, wären als solche zu nennen: der Pastor emeritus und dessen zumindest für einige Gemeindeglieder omnipräsente Autorität; damit verbunden der offenbarungshafte Anspruch der Entwicklungen im zweiten charismatischen Aufbruch;960 geistliche Ämter und deren Träger ;961 Älteste bzw. Brüder oder angesehene Personen des Kernkreises; sich charismatisch-prophetisch äußernde Schwestern. Gerade die spirituelle Autorität, welche diesen 959 Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, Schönebeck, in: A.IV.a.36a, 11. 960 Dies kann sehr gut abgelesen werden an einer Auflistung von Formeln zur Begründung offenbarungshafter Autorität, welche eine weitere ausgetretene Schwester (»anonyma B«) zusammengetragen hat: »Danken allezeit für alles. – Ich bin nicht mehr, Jesus lebt in mir. – Unmittelbarkeit – Ich besprach mich nicht mit Fleisch u. Blut – Wer nicht haßt Vater, Mutter … ist mein nicht wert. – Leib Christi, wir sind nur Glieder – Vollkommen in Christus. – Eva ist es, die verführt. – Wir gehen den Lammesweg, wir stellen es dem anheim, der recht richtet. – Freuet euch, wenn ihr mit Christus leidet – nicht reden – ihr richtet, ihr urteilt, ihr verdammt. – Ich habe keine Liebe. – Das ist alles seelisch, fleischlich – Es muß geistlich beurteilt werden. – Es gibt nur einen Jesus, Er in den Seinen – Der Sohn in den Söhnen. – [Absatz] Die Abweichungen [vom orthodoxen Bekenntnis] sind so wenig auffällig, daß es in einem Gespräch ganz einfach ist, einer Kritik zu widerstehen. – Es ist ja ganz anders gemeint, falsch verstanden, etwas überspitzt gesagt […]«, Erinnerungen von Sr. anonyma B, 08. 12. 1984, in: A.IV.a.68. 961 Vgl. dazu eine der wenigen Quellen, welche eine genaue Aufstellung geistlicher Ämter nennt: A.IV.a.II.18: »Noch vor dem Kommen Uhligs (er war schon als Nachfolger designiert) werden im Rahmen der ›Ordnungen im Hause Gottes‹ und in strikter Unterscheidung zwischen ›innerer‹ und ›äußerer‹ Kirche die ersten ›inneren‹ Ämter im Gebetskreis bekannt gemacht: Vater Küttner ist der Bischof der Gemeinde (Viele Bräunsdorfer und Auswärtige sehen in ihm den Apostel einer zukünftigen Sendung). Uhlig ist Pfarrer der äußeren Kirche (manche gestehen ihm ein Hirtenamt im ›inneren‹ Sinne zu). […] (Kantor) wird zum Evangelisten ausgerufen, […] (Kirchner und lediger Bruder) als Prophet, […] (stellv. KV-Vorsitzender) als Ältester«.

Konflikt im Volksmissionskreis Sachsen

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praktischen charismatischen Leitungsfunktionen zukam, wirkte innerhalb der Gemeinde polarisierend.962 Vom amtierenden Pfarrer Uhlig wurde dies offenbar als Konkurrenzsituation erlebt,963 bis er seinen Dienst aufgab. Der Vakanzvertreter Christian Seltmann aus Limbach-Oberfrohna sprach von einer »Spaltung der Gemeinde«, die sich in einer Fülle von Streitigkeiten artikulierte.964 Dabei verhärteten sich die unterschiedlichen Lesarten spiritueller Autoritäten und die Funktion charismatischer Leitungsämter wurde entweder radikal zementiert oder absolut dementiert. Aufgrund der Spaltung und inzwischen eingegangener Beschwerden meldete sich Landesbischof Hempel zu einem Gespräch mit führenden Personen in Bräunsdorf an.965 Hempels Zusammenfassungen dieses Gespräches spiegeln die oben dargestellte Einschätzung unhinterfragbarer charismatischer Autoritäten wider, wobei hier einige Auszüge genügen mögen: »Als Hauptschwierigkeit im Leben der Kirchgemeinde Bräunsdorf betrachte ich die Undurchschaubarkeit der geistlichen und zwischenmenschlichen Vorgänge. […] Gespräche, die durch verschiedene Vertreter der Landeskirche mit verschiedenen Personen der Kirchgemeinde geführt worden sind, haben diese Schwierigkeiten des Undurchschaubaren nicht überwunden. Kritische Rückfragen werden entweder verneint oder mit Schweigen bedacht. Auch scheinen Abmachungen über ›Schweigepflicht‹ (›Arkandisziplin‹) zu bestehen. […] Wir hören, daß Kritik an […] Pfarrer i.R. Gerhard Küttner gelegentlich als Kritik an der Wahrheit Gottes bezeichnet wird. […] In der Kirchgemeinde Bräunsdorf wird im Zusammenhang mit einzelnen Persönlichkeiten von einem ›direkten Zugang zum Throne des Vaters‹ gesprochen. Die durch solchen ›direkten Zugang‹ erlangten Weisungen werden für das Leben der Gemeinde maßgebend. Solche Lehre ist schwärmerisch. – Es gibt Weissagungen im Leben der Gemeinde, die nur im engsten Kreise bekannt gemacht, also nicht geprüft werden können. Das Entsprechende gilt für Geistesgaben einzelner Gemeindeglieder. […] Im ›Kreis‹ sind ›Ämter‹ ausgerufen worden, nämlich das des ›Propheten‹ und das des ›Evangelisten‹. […] ›Offiziell‹ sind diese Ämter nicht nachweisbar, faktisch aber sind sie wirksam. […]

962 Vgl. z. B.: A.IV.a.II.18: »Die Inhaber dieser Ämter üben mehr und mehr die eigentliche Gemeindeleitung aus und berufen sich dabei, auch Uhlig gegenüber, auf ihre bestätigten Ämter. Vater Küttner sorgt durch wiederholte Belehrung im Gebetskreis dafür, daß unter seiner Autorität diese Ämter anerkannt werden. Uhlig wird das Recht und die Möglichkeit genommen, die Amtsträger zu beaufsichtigen und Auswüchse zu korrigieren.« 963 Dies lässt sich schlussfolgern aus einigen Quellen und Bemerkungen, z. B.: »Seid Brd. Uhlig da war, ging es immer um Küttner und Uhlig. Der selige Aufbruch der siebziger Jahre war wie vergessen, wo uns klargeworden war, der Herr will Dienstbruderschaft« (A.IV.a.36a, 12). Die Aufstellung innerer und äußerer Ämter mag zu einem Konkurrenzgefüge beigetragen haben. 964 Aktennotiz, Pfr. Christian Seltmann, [vermutl. kurz nach 16. 09. 1984], in: A.II.c.1201. 965 Vgl. Protokoll einer Dienstbesprechung in Bräunsdorf mit Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Pfr. Christian Seltmann, Limbach-Oberfrohna, 29. 01. 1986, in: A.IV.a.66.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

Die Neu-Verwirklichung beider Ämter in unserer Kirche sind [sic!] der Kirchenleitung bekannt zu geben, damit diese prüfen kann.«966

Die Spaltung der Bräunsdorfer Kirchgemeinde in den 1980er Jahren muss als direkte Folge des zweiten charismatischen Aufbruches gesehen werden, insofern die Offenbarungsautorität, mit der dieser Aufbruch von Gerhard Küttners Klausur ausgehend begonnen hatte, inhaltlich die Streitpunkte dieses Jahrzehntes begründet. Die Unhinterfragbarkeit der ekklesiologisch formulierten und charismatisch legitimierten Existenz »apostolischer« Vollmachtsstrukturen war letztlich der Gefahr erlegen, in ein kirchliches Subsystem abzudriften.

5.4

Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen der DDR

5.4.1 Das Diakonissenhaus Borsdorf als »Beichtzentrale für Theologiestudenten«: Anfänge einer studienbegleitenden Arbeit in Leipzig Das Evangelisch-Lutherische Diakonissenhaus in Borsdorf b. Leipzig stellt einen besonderen Exponent der Verbindung von Volksmission und Diakonie dar. Dass das Mutterhaus unter dem Namen »Neu-Borsdorf« während des Interims in Lindhardt b. Naunhof (1927–1940) eine Rolle für die Oxford-Gruppenbewegung in Sachsen spielte (und so Naunhof mit Ilse Wolfram zu einem der Standbeine des Volksmissionskreises im sächsischen Norden wurde), ist unter 1.4.2 bereits gezeigt worden. Rektor Wiemer (Rektorat 1899–1940)967 hatte einst die Kontakte zur sächsischen Gruppenbewegung geknüpft. Ab dem letzten Drittel der 1950er Jahre entwickelte es sich zu einem unscheinbaren, über die Jahrzehnte aber stetigen Schauplatz des Volksmissionskreises Sachsen und zum Gründungsort des Borsdorfer Konventes, der Vorform der Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen der DDR. Als Martin Keil (1901–1995; Rektorat 1957–1968), der sich zuvor als Pfarrer der Auengemeinde in Markkleeberg-Ost einen Namen im Volksmissionskreis Sachsen gemacht hatte, Heinz Wagner (1912–1994; Rektorat 1946–1957) in der Rolle als Rektor des Diakonissenhauses ablöste, konnten auch die Beziehungen 966 [Protokoll] Zusammenfassung der Ausführungen des Landesbischofs am 29. 01. 1986, Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 04. 02. 1986, in: A.IV.a.67 (Hervorhebung im Text). 967 Zu diesen und folgenden Daten vgl. http://www.diakonie-leipzig.de/diakonissenhausborsdorf-geschichte-des-diakonissenhauses-borsdorf.html (Zugriff: 19. 09. 2013).

Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in der DDR

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zum Volksmissionskreis neu aufgenommen und intensiviert werden.968 Unter Keil entwickelte sich das Mutterhaus zu einer seelsorgerlichen Anlaufstelle (in persönlichen Erinnerungen: »Beichtzentrale«) für Leipziger Theologiestudenten, unter welchen es in jenen Jahren einen erwecklichen Aufbruch gegeben hatte.969 Helmut Günnel (1922–2015; Rektorat 1968–1988), der als junger Pfarrer die Gemeinde des wiedergetauften Gerhard Michael in Markersbach beerbt hatte (vgl. unter 3.4), übernahm nach Keil die Leitung des Diakonissenhauses. Günnel brachte als Vertreter der zweiten Theologengeneration des Volksmissionskreises neue Aspekte in dessen Spiritualität ein, sodass meditativ-kontemplative Formen, wie sie etwa aus Taiz8 bekannt wurden, auch Teile des Volksmissionskreises erreichten.970 Spätestens seit dieser Zeit gab es wohl – so kann zumindest geschlussfolgert werden – unter den Borsdorfer Diakonissen einen Gebetskreis, der vom Volksmissionskreis Sachsen geprägt und dessen Kerngemeindekreisen vergleichbar war.971 Borsdorf wurde zu einem Praxisort der jungen evangelischen Exerzitienarbeit.972 Die seelsorgerliche Begleitung von Theologiestudenten führte Günnel weiter, indem Rüstzeiten in Borsdorf veranstaltet wurden. Unter Günnels Amtszeit begann die Arbeit des Borsdorfer Konventes (siehe nächster Abschnitt 5.4.2). Ernst Kimme (geb. 1938; Rektorat 1988–2002) hatte als letzter Pfarrer aus den 968 Vgl. z. B. VMK (Hg.), 6. Rundbrief 1958, Pfr. Martin Keil/Pfr. Hans Prehn, 10/1958, in: A.I.k.819. 969 Ich danke Pfr.i.R. Dieter Blischke, Schönebeck, für seine Ausführungen. 970 Vgl. Brief von Pfr. Helmut Günnel, Markersbach, 14. 12. 1962, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.II.k.G37, dort das Beispiel Taiz8: »Die Gegenwart Christi wortlos ausstrahlen in die Umgebung.« Dieses Zitat zeigt einen eindeutigen Neuansatz im Vergleich zur klassischen volksmissionarischen bzw. evangelistischen Prägung des Volksmissionskreises. Anhand weiterer Stichworte lässt sich die Aufnahme meditativer Arbeitsformen weiter nachvollziehen: »Michael Quoist ›Herr, da bin ich‹; […] ›Abenteuer im Heiligen Geist‹ (Taiz8)«, Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Gemeinde Markersbach, Pfr. Helmut Günnel, 24. 05. 1963, in: A.II.k.Markersbach.III.1; Stichwort »Schweigen« in: VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1964, Pfr. Helmut Günnel, 11/1964, in: A.III.a.1964.2; Stichwort »wiederholendes Beten« (kontemplativ-verweilendes Gebet bzw. Meditation kurzer Gebetssätze) in: VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1972, Pfr. Helmut Günnel, 03/ 1972, in: A.III.a.1972. 971 Mindestens eine Borsdorfer Schwester zählte zu den Rundbriefempfängerinnen und aktiven Korrespondenten des Volksmissionskreises, vgl. Antwortliste auf den VMK-Rundbrief vom 03. 05. 1979, in: A.III.a.H. Vgl. die Notiz: »Lothar Köppe ist zu Diensten im Diakonissenhaus Borsdorf«, VMK (Hg.), Gebetsbrief Oktober 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976. Schon 1966 schrieb Hans Prehn zum 50. Jubiläum des Hauses: »Unser Volksmissionskreis weiß sich Ihrem Haus gegenüber auch zu besonderem Dank verpflichtet, weil sich seine Tore immer wieder bereitwillig für die verschiedenen Treffen und Begegnungen geöffnet haben«, Brief von Pfr. Hans Prehn, [1966], an die Oberin und an Rektor Pfr. Martin Keil, Borsdorf, in: A.III.a.1966. 972 Vgl. Wolff, Zeiten mit Gott, 114.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

Reihen des Volksmissionskreises Sachsen die Leitung des Diakonissenhauses inne. Unter Kimme intensivierte sich die Rüstzeitarbeit mit Leipziger Theologiestudenten.973 Zusammen mit den Studenten und späteren Pfarrern Falk Klemm und Frank Dregennus führte man Rüstzeiten mit geladenen Referenten durch. Übernachtungen wurden im Pfarrhaus der Bruderschaft Liemehna (Liemehna heute zu Jesewitz b. Eilenburg) und zum Teil im neuen Evangelischen Studienhaus in Leipzig-Stötteritz organisiert.974

5.4.2 Das Diakonissenhaus Borsdorf als Heimatort des Borsdorfer Konventes Die Lage Borsdorfs am Rande der Messestadt Leipzig bedeutete einen ausgesprochenen infrakstrukturellen Vorteil für Reisekontakte aus der Bundesrepublik. Während der Leipziger Messen konnten westdeutsche Besucher mit einem Messevisum bis Borsdorf frei reisen. Für Personen des Volksmissionskreises Sachsen bedeutete dies die Chance, Kontakte zu Vertretern westdeutscher erwecklicher Gemeinschaften regelmäßig zu pflegen, ohne ausschließlich auf deren Spontanbesuche in der DDR hoffen zu müssen. So avancierte das Diakonissenhaus in Borsdorf zu einem Treffpunkt zwischen Vertretern verschiedener erwecklicher Gruppen aus Ost und West.975 Automatisch trafen dabei auch Vertreter ostdeutscher Gruppen in Borsdorf zusammen. Aus diesen Begegnungen wurde 1977 der sogenannte Borsdorfer Konvent gegründet,976 der eine Arbeitsplattform vorwiegend charismatisch geprägter Gruppen der DDR darstellten sollte.

973 Pfr.i.R. Ernst Kimme, Niederfrohna, danke herzlich ich für seine Ausführungen. 974 Vgl. dazu auch: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rechenschaft, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, 2010, in: A.IV.a.III.1, 27: »Diese Arbeit haben wir mit Unterbrechungen immer wieder angepackt und dann zusammen mit dem Theo-Kreis an der Universität in Leipzig im Bereich des Diakonissenhauses Borsdorf über Jahre durchgeführt. Rektor Ernst Kimme organisierte vor Ort, ich vertrat mit ihm den Volksmissionskreis, die Bruderschaft von Liemehna stellte Übernachtungen, von westdeutschen Universitäten, Studienhäusern und Bibelschulen wurden Referenten eingeladen, ein Vertreter des Landeskirchenamtes war dabei, einmal der Bischof.« Der hier erwähnte Theo-Kreis von Leipziger Theologiestudenten stellt eine Vorform des heute existierenden Kreises von Theologiestudierenden dar ; zu diesem vgl. Keller, Theokreis Leipzig. 975 Berichtet werden Besuche z. B. von Walter Hümmer, Klaus Heß, von weiteren Personen aus dem Umfeld der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, des Marburger Kreises, Schwestern der Communaut8 de Grandchamp etc. 976 Vgl. Gespräch von Pastor Gerhard Bially mit Pfr. Dieter Blischke, Schönebeck, in: Bially/ Kieker/Passon (Hg.), Ich will dich segnen, 65–68, hier 68; vgl. auch: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rechenschaft, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, 2010, in: A.IV.a.III.1, 27.

Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in der DDR

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5.4.3 Die Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen in der DDR unter dem Vorsitz des Volksmissionskreises Sachsen Nach einigen Treffen in Borsdorf kam man an anderen Orten zusammen. In der Folgezeit (etwa ab dem ersten Drittel der 1980er Jahre) wurde aus dem »Borsdorfer Konvent« die »Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen in der DDR« (kurz: GGE-Ost). Damit entwickelte sich diese Arbeitsplattform zum offiziellen kirchlichen Ansprechpartner charismatischen Christentums innerhalb der evangelischen Landeskirchen in der DDR. Zu den teilnehmenden Gruppen gehörten: Volksmissionskreis Sachsen, Julius-Schniewind-Haus, Märkische Volksmission, Missionarische Dienste Südharz, Christusdienst Thüringen, Stendaler Kreis, überkonfessionelle Arbeitsgruppe Berlin, Mecklenburgische und Pommersche Bruderschaft, Kirchenwochenarbeit des Görlitzer Kirchengebietes.977 Diese Entwicklung vollzog sich offenbar im Anschluss an die westdeutsche Geistliche Gemeindeerneuerung, welche die evangelische charismatische Erneuerungsbewegung in der Bundesrepublik nach außen vertreten sollte. 1976 war in Hamburg ein Koordinierungsausschuss eingesetzt und 1978 die Charismatische Gemeinde-Erneuerung mit Sitz in Hamburg gegründet worden, die 1984 in Geistliche Gemeinde-Erneuerung (GGE) umbenannt wurde und damit den ostdeutschen Namen übernommen hatte.978 Diese Entwicklung entspricht der zunehmenden Wahrnehmung charismatischer Spiritualität in der kirchlichen Öffentlichkeit, welche in den 70er Jahren vor allem durch den Einfluss der Jesus-People-Bewegung aufmerksam geworden war. Mittels der institutionalisierten Leitungsformen wurde das Anliegen umzusetzen versucht, die wachsende Bewegung innerhalb der Kirche zu verankern, aber auch deren Identität nach innen und außen »gegenüber pfingstlerischen und frei-charismatischen Tendenzen« zu stärken.979 Innerhalb der Arbeitsgemeinschaft für Geistliche Gemeindeerneuerung in den evangelischen Kirchen in der DDR übernahm der Volksmissionskreis Sachsen eine leitende Rolle. Seit Beginn der Treffen des Borsdorfer Konventes bis zur Vereinigung der GGE-Ost mit der GGE-West im Jahr 1991 hatte ein Pfarrer

977 Diese Auflistung spiegelt den Stand von 1986 wider, nach: Bericht von dem 2. Europäischen Charismatischen Kongreß in Birmingham im Juli 1986, Pfr. Gottfreid Rebner, Lauter, in: A.II.b.2.1525, 263–265. 978 Vgl. Zimmerling, Bewegungen, 23; Böckel, Geistliche Gemeinde-Erneuerung. 979 Reimer, Geist, 30f, Zit. 31.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

aus dem Vorstand des Volksmissionskreises Sachsen den Vorsitz inne: Hans Prehn (bis 1982) und Gottfried Rebner (1982–1991).980 Gottfried Rebner (geb. 1928), Pfarrer in Lauter b. Aue, gehörte zusammen mit dem Berliner Pfarrer Dr. Paul Toaspern (1925–2012), dem Hauptabteilungsleiter der Arbeitsgemeinschaft für Missionarische Dienste in Berlin-Weißensee, zu den prägendsten Figuren der GGE-Ost. Rebner, der sich in jenen Jahren zu einem theologischen Vordenker des Volksmissionskreises Sachsen und der GGE-Ost entwickelt hatte,981 konnte durch seine Teilnahme an verschiedenen Arbeitstagungen nationale und internationale Kontakte knüpfen.982 In den Jahren vor der Deutschen Einheit stellte ein solcher Wirkungsradius noch eine Seltenheit dar.

5.5

Andere Gemeinden, neue Gruppierungen und das Ende der charismatischen Phase des Volksmissionskreises Sachsen

5.5.1 Weitere Kirchgemeinden des Volksmissionskreises Sachsen Neben den Kirchgemeinden Bräunsdorf und Großhartmannsdorf wäre eine ganze Anzahl weiterer sächsischer Gemeinden zu nennen, die unter der Prägung des Volksmissionskreises Sachsen standen. Anders als jene beiden Zentren entfalteten diese jedoch eine weitaus geringere regionale und noch weniger überregionale Wirkung. Vielmehr standen die meisten dieser Gemeinden unter 980 Vgl. Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rechenschaft, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, 2010, in: A.IV.a.III.1, 31.44. 981 Vgl. z. B. die Beiträge: [Situationsbericht zur GGE-Ost zusammen mit Paul Toaspern], in: Christenson, Geist, 335–337; Unser missionarischer Auftrag heute. Auf dem Weg zur missionarischen Gemeinde, Vortrag von Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1988, in: A.IV.a.III.2; Anliegen der Geistlichen Gemeindeerneuerung, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1988, in: A.IV.a.III.4; Geistliche Gemeindeerneuerung in der DDR. Ein Situationsbericht, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1989, in: A.IV.a.III.3, auch in: A.II.b.1.790, 130–136; dazu auch Vortrag von Gottfried Rebner vor der 22. Landessynode Sachsens, Dresden, 01. 04. 1989 [Abschrift des Tonbandmitschnittes], in: A.II.b.1.854, 77–90. 982 Vgl. die Teilnahme an den Tagungen: Europäische Lutherische Charismatische Leiterkonferenz (16.–22. 08. 1981 in Finnland); 1. Internationale Lutherische Charismatische Theologische Konsultation (15.–22. 06. 1982 Schloss Craheim) und 2. Konsultation (05.– 14. 10. 1983 Kloster Lögum, Dänemark); 4. International Institute on Church Renewal (09.– 13. 08. 1984 in St. Paul/Mississippi); 14. Internationale Lutherische Konferenz (15.–19. 08. 1984 in Minneapolis); Europäische Charismatische Konferenz (07/1986 in Birmingham); gesamtdeutscher Theologenkongress (23.–26. 02. 1987 in Stuttgart) mit Besuch beim Schweizerischen Diakonieverein / Bruderschaft vom gemeinsamen Leben, Nidelbad; Europäische Theologische Studienkonferenz der GGE-Ost (17.–19. 09. 1988 in Berlin-Weißensee). Diese Daten nach: Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rechenschaft, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, 2010, in: A.IV.a.III.1, 30–39.

Andere Gemeinden, neue Gruppierungen

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dem Einfluss der beiden Zentren, bedingt durch deren Rüstzeiten, Rundbriefe und die Arbeit der Tertiärgemeinschaften. Aufgrund der auf landeskirchlicher Ebene geringen Wirkung dieser einzelnen Gemeinden bietet sich ihre nähere Untersuchung nicht an. Erinnert sei aber an das Modell der Kerngemeindekreise, mittels derer die Spiritualität des Volksmissionskreises kirchlich und kirchgemeindlich verankert werden konnte. Die Zählung des Volksmissionskreises listete für die Jahre 1965 83 Kernkreise, 1972 105 Kreise und 1976 noch 91 Kreise in Kirchgemeinden auf.983 Diese bestanden vorwiegend in Mittel- und Südsachsen, aber dennoch in fast allen Regionen und vereinzelt auch außerhalb der sächsischen Landeskirche. Ähnliches gilt für die Pfarrer, die dem Volksmissionskreis nahestanden (als Mitarbeiter oder Rundbriefempfänger), deren Anzahl in den 1960er Jahren zwischen 40 und 110 angegeben wird.984 Diese Zahlen verdeutlichen einerseits, wie breit die charismatische Bewegung in Sachsen durch die Trägergruppe des Volksmissionskreises aufgestellt war. Seine Spiritualität wurde durch diese Gruppen und Personen in nicht geringem Ausmaß verbreitet. Andererseits lassen die Zahlen offen, welche Grade der Verbundenheit mit dem Volksmissionskreis jeweils vorlagen. Die einzelnen Orte zeigen unterschiedliche Merkmale. Die vom Volksmissionskreis geführten, geprägten oder sich zu ihm zählenden Gemeinden können nach frömmigkeitlichen und strukturellen Gesichtspunkten kategorisiert werden (Nennung der Beispiele ohne Vollständigkeit): – Kerngemeindekreise ohne charismatische Phänomene, nicht die Gesamtgemeinde prägend: z. B. Frankenhausen (bei, heute zu Crimmitschau); – Kerngemeindekreise ohne charismatische Phänomene, nicht die Gesamtgemeinde prägend, unabhängig vom Ortspfarrer: z. B. Großpostwitz; – Kerngemeindekreise mit charismatischen Phänomenen, nicht die Gesamtgemeinde prägend, unabhängig vom Ortspfarrer : z. B. Döbeln–Nikolaikirchgemeinde; – Kerngemeindekreise mit charismatischen Phänomenen, in pietistischer und volkskirchlicher Gesamtsituation, die Gesamtgemeinde und teilweise regional prägend: z. B. Mildenau, Falkenstein, Lauter, Auerswalde, Hartenstein; – Kerngemeindekreise mit charismatischen Phänomenen, die Gesamtgemeinde und die Region umfassend prägend: Bräunsdorf, Großhartmannsdorf. 983 Die Angabe von 150 Kreisen im Jahr 1986, beruhend auf protokollierter Aussage von Pfr. Gotthold Friedrich, Thierfeld, muss angesichts der eigenen Statistik des Volksmissionskreises als fragwürdig zurückgewiesen werden. Vgl. Niederschrift über das Gespräch zwischen dem Vorstand des Volksmissionskreises Sachsen und den Mitgliedern des Kollegiums des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, 08. 01. 1986, in: A.II.a.404/8/Bd5. 984 Vgl. [Auflistung] Pfarrer, die unseren Rundbrief erhalten, in: A.I.b.1396; [Auflistung] Verzeichnis der Pfarrbrüder, in: a. a. O.

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Zweiter charismatischer Aufbruch

5.5.2 Neue charismatische Gruppierungen und Gemeinschaften Ausgehend vom zweiten charismatischen Aufbruch bzw. der Jesus-People-Bewegung, die durch den Volksmissionskreis Sachsen landeskirchlich transportiert worden war, hatte die Jugendbewegung zur Neubildung charismatischer Gruppierungen geführt. Diese fanden zu unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen gegenüber dem Volksmissionskreis als ihrer Herkunftsgruppe. Zu nennen wären zu allererst die Tertiärgemeinschaften der Zentren Bräunsdorf und Großhartmannsdorf, der Johannesring und der Philippusring. Nach dem Ende der Bruderschaft Großhartmannsdorf und dem Konflikt innerhalb des Volksmissionskreis-Vorstandes um Gerhard Küttner verloren die Tertiärgemeinschaften sehr schnell ihre Bindungskraft, weshalb sich deren Mitglieder anderenorts orientierten. Aus ihnen gingen engagierte Gemeindeglieder und kirchliche Mitarbeiter hervor, welche eigene Aktionsradien in Kirchgemeinden entfalteten konnten. Die Oasenarbeit als charismatisches Jugend-Exerzitium stellt einen Ableger des Volksmissionskreises dar, der sich ab Ende der 1980er Jahre aus Mitgliedern des Philippusringes verselbstständigte und nach der Deutschen Einheit unabhängig vom Volksmissionskreis existierte. Der sogenannte Lauenhain-Kreis (nach Lauenhain b. Crimmitschau; zum Teil als »Konvent« bezeichnet), gegründet 1968, bildete eine Arbeitsplattform von ca. 150 Jugendmitarbeitern der sächsischen Landeskirche.985 Auf der Ebene der kirchlichen Mitarbeiterschaft stellte er ein vorwiegend charismatisches Netzwerk dar, welches durch direkte Kontakte einzelner Mitglieder (z. B. Rainer Dick, Falk Pribul) lose Beziehungen zum Volksmissionskreis Sachsen unterhielt.986 Aus der Jesus-People-Bewegung und der Tertiärarbeit des Volksmissionskreises ging innerhalb Sachsens eine charismatische Studentenbewegung hervor, die zum Teil auch über die Landes(kirchen)grenzen hinausreichte. Diese Bewegung kann in verschiedene Bereiche unterteilt werden: Bereits um 1974 hatte eine Dezentralisierung der Großhartmannsdorfer Jugendwochenenden und der Arbeit des Philippusringes eingesetzt, teils durch Großhartmannsdorf angeregt, teilweise von der Eigendynamik der Bewegung bestimmt, was zur Folge hatte, dass sich Jugendveranstaltungen im (vorwiegend) studentischen Milieu anderenorts verbreiteten, so in Dresden, Freiberg, vor allem aber in Leipzig. 985 Vgl. dazu Kirchner/Planer-Friedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 35. 986 Vgl. dazu z. B. eine gemeinsame Vorstands- bzw. Leitungskreis-Sitzung, bei welcher der Volksmissionskreis Anfragen an den Lauenhain-Kreis stellte (zu den Themen Geistestaufe, Wiedertaufe, Auswirkungen der Kirchenwochenarbeit, Verbindungen zu westdeutschen CVJM, Selbstverständnis des Lauenhain-Kreises), vgl. Brief von Falk Pribul, Mülsen St. Micheln, 02. 10. 1980, an das 10er-Team des Lauenhain-Kreises, in: A.III.a.1980.

Andere Gemeinden, neue Gruppierungen

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In und um Leipzig können verschiedene Ableger festgestellt werden: – Ein Jugendbibelkreis der Nikolaikirchgemeinde, der durch Pfarrer Helmut Hampel vom Volksmissionskreis geprägt war, dessen Teilnehmer der JesusPeople-Bewegung nahe standen und in der Nikolaikirche missionarische Jugendgottesdienste veranstalteten.987 – Kleinere Haus- und Gebetskreise sowie eine Gruppe um den ehemaligen Großhartmannsdorfer Bruder Dr. Wolfgang Ihlberg. – Die Borsdorfer Rüstzeiten für Theologiestudenten als Arbeitszweig des Volksmissionskreises Sachsen und des Diakonissenmutterhauses in Borsdorf. – Eine charismatische Gruppe von Theologiestudenten am Theologischen Seminar Leipzig. Daraus entstand: – Die Studenten-Lebensgemeinschaft im Pfarrhaus Liemehna (Liemehna heute zu Jesewitz b. Eilenburg) ab 1973 um den Leipziger Theologieprofessor Christoph Michael Haufe. Aus der Lebensgemeinschaft wurde die Bruderschaft Liemehna gegründet.988 Die vom Volksmissionskreis Sachsen unabhängige Bruderschaft lässt Einflüsse aus dem Volksmissionskreis erkennen, was besonders in der Person von Hans-Joachim Vogel (1953–2013) zum Ausdruck kommt, der eine Zeit lang bei den Großhartmannsdorfer Brüdern gelebt hatte. Auch die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben und die evangelische Exerzitienarbeit haben ihre Spuren hinterlassen. Am Katechetischen Oberseminar in Naumburg hatte sich ebenfalls ein Kreis charismatisch erweckter Theologiestudenten (z. B. Matthias Küttner, Wolfgang Bilz, Hans-Michael Sims) gebildet, der vorwiegend durch den Bräunsdorfer Johannesring geprägt war.989 Ein Gebetskreis von Studenten verschiedener Fächer existierte in Halle/Saale. Der Kreis, der über Reinhard Rüger durch Kontakte nach Bräunsdorf geprägt war, versammelte sich in Räumen der Hallenser Marktkirchengemeinde. Ausläufer des Kreises prägten die Bartholomäusgemeinde in Halle. Die Arbeit der sogenannten Kirchenwochen (später mit dem Attribut: Ökumenisch) ab 1973 stellt eine charismatische missionarische Initiative dar, welche strukturell mit der Oasenarbeit verwandt ist (Rüstzeiten über eine Woche im Kontext einer Kirchgemeinde). Durch einige ihrer Mitarbeiter (z. B. Christfried Wendt, Ringulf Lenk)990 bestanden Kontakte zum Volksmissionskreis Sachsen, 987 Zu diesen Gottesdiensten vgl. die Arbeit von Edmund Käbisch [1979]: ders., Gebet in Jugendgottesdiensten. 988 Zur Bruderschaft Liemehna vgl. Berthold, Bruderschaft Liemehna, sowie weitere Beiträge in: Schmidt (Hg.), Ein Haus aus lebendigen Steinen. 989 Vgl. dazu Sims, Charismatische Gruppen. 990 Ein Gespräch des Theologischen Ausschusses der Landessynode mit Vertretern der GGE in

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Zweiter charismatischer Aufbruch

besonders nach Großhartmannsdorf. In 1980er Jahren fand diese Arbeit vor allem in See b. Niesky und Mohlsdorf b. Greiz statt. Deutlich offener als der Volksmissionskreis Sachsen stand die Kirchenwochenarbeit (neu-) pfingstlichen Einflüssen gegenüber, ja zum Teil wurde die Identität dieser Arbeit aus Abgrenzung gegenüber dem Volksmissionskreis bestimmt.991 Damit spiegelt die Kirchenwochenarbeit die allgemeine Entwicklung charismatischer Spiritualität in den 1980er Jahren wider, welche über das Erstanliegen der charismatischen Bewegung, das in einer innerkirchlichen Erneuerung bestanden hatte, hinausging.

5.5.3 Tendenz zur Verselbstständigung Dass die innerkirchliche charismatische Bewegung ab den 1980er Jahren Tendenzen zur Verselbstständigung zeigte, worin Gründe dafür zu suchen wären und wie diese Entwicklung sich in den folgenden Jahrzehnten bis heute fortsetzte, muss hier nicht eigens untersucht werden. Dies wurde und wird an anderen Stellen bereits getan,992 zum Teil unter dem Hinweis, dass die weitverbreitete Neubildung unabhängiger, freier und nicht-konfessionsgebundener Gemeinden oftmals durch Mitglieder aus landeskirchlichem Hintergrund geschieht,993 sogar dass sich landeskirchliche Gemeinden oftmals anfälliger für neupfingstliche manipulative Frömmigkeitsformen zeigen als die klassischen Pfingstkirchen.994 Konfessionsunabhängige freie Gemeinden stellen seit den

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Sachsen macht anhand der Teilnehmerliste sehr gut erkennbar, dass am Ende der 1980er Jahre eine breite Palette von charismatischen Gruppen und Personen neben dem Volksmissionskreis Sachsen entstanden war. Der Volksmissionskreis stellte trotz seiner weitgehenden Funktion als Mutterorganisation charismatischer Gruppen in Sachsen nur noch eine Gruppe neben vielen dar. Vgl. [Protokoll] Sondersitzung des erweiterten TA [Theologischen Ausschusses der Landessynode] mit Vertretern der charismatischen Bewegung zum Thema »Geistliche Gemeindeerneuerung«, Dresden, 30. 03. 1989, in: A.II.b.1.766, 144f; vgl. auch Bericht in: a. a. O., 146f. Deutlich wird dies z. B. an einer Begegnung mit dem holländischen pfingstlichen Missionarsehepaar Ger und Froukje Prakken, welche bereits 1972/73 auf der Silvesterrüstzeit in Großhartmannsdorf präsent waren (5.1.1). In einer Wortmeldung von 1989 schreiben diese: Die charismatische Erweckung im Volkmissionskreis sei vorrüber, da dieser sich innerhalb der alten Strukturen der lutherischen Kirche bewege und die Leitungspersonen aus Angst vor Schwärmereivorwurf zu viel »Vorsicht, Einsicht und Rücksicht« gegenüber der verfassten Kirche hätten walten lassen und so den Geist Gottes »feige« hinderten (Zit. nach: Referat zur Situation der ökumenischen Kirchenwochen in der DDR, Roland Nitsche, Bautzen, 11/1989, in: A.III.d.Stepper3). Vgl. Zimmerling, Bewegungen, 25–28 u. a.; Hempelmann, Sehnsucht, 492f; ders., Neue freikirchliche Gemeinschaftsbildungen, bes. 473–476; vgl. auch Reimer, Erneuerung, 132. Vgl. Zimmerling, Bewegungen, z. B. 25.221. Vgl. Hollenweger, Kirchenjahr inszenieren, 205 Anm. 10, dort auch Lit.

Andere Gemeinden, neue Gruppierungen

253

1980er Jahren einen weiteren Typ neben Landeskirchen und Freikirchen dar, der sich schlicht »viele mühsame Prozesse der Auseinandersetzung mit der kirchlichen Tradition erspart«.995 In Bekenntnis und Organisation existieren diese freien Gemeinden ohne Bezüge zu den Landes- und Freikirchen. Diese Tendenz zur Verselbstständigung kennzeichnet auch die Entwicklung charismatischer Spiritualität in Sachsen der 1980er Jahre und kann mittels folgender Stichpunkte umrissen werden: – Durch die Jesus-People-Bewegung geprägte Gruppen, die im Volksmissionskreis Sachsen oder durch Personen aus dessen Kontext entstanden waren, lösen sich vom Volksmissionskreis ab. – Einflüsse (neu-) pfingstlicher Orientierungen nehmen zu. – Einige Gruppen treten in einen Ablöseprozess von der Landeskirche ein. – Unter dem Anliegen der Überkonfessionalität entsteht ein konfessionsunabhängiges, bekenntnisloses Ökumeneverständnis, das auch Gruppen in Sachsen prägt.996 Der innerkirchlichen Etablierung und Institutionalisierung der charismatischen Bewegung in Form der GGE entspricht die parallel laufende Verselbstständigung von Gruppen und Werken. So lassen sich auch in Sachsen keine anderen Entwicklungen beobachten, als sie im Allgemeinen für das charismatische Christentum gelten, nur dass die Herausbildung des konfessionsunabhängigen Bereichs pfingstlich-charismatischer Spiritualität unter den politischen Voraussetzungen der DDR gesehen werden muss. In der DDR war den selbstständiger werdenden und überkonfessionell akzentuierten (Jugend-) Gruppen eine freie, eigenständige Gemeindebildung politisch verwehrt. Unabhängige Kreise vor allem ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre mussten in der DDR noch ohne offizielle Rechtsform bleiben. Erst nach 1990 lässt sich dann eine Reihe konfessionsunabhängiger Gemeindegründungen in Form eingetragener Vereine beobachten.997 995 Hempelmann, Sehnsucht, 493. 996 War die »Oekumene« des Volksmissionskreises noch von einem würdigenden und sich gegenseitig befruchtenden Miteinander verschiedener konfessioneller Bekenntnisse ausgegangen, so führte ab den 1980er ein charismatisches bzw. neupfingstliches Ökumeneverständnis zur Egalisierung und Negligierung von Bekenntnissen. Dies kommt landläufig und weltweit in »überkonfessionellen« und »ökumenischen« Gemeinden und Initiativen (nondenominational churches) zum Ausdruck. 997 Vgl. die Entwicklung der Jesus Gemeinde / Evangelische Freikirche Sohland/Spree um Udo Knöfel. Ein charismatisch erweckter Kreis um Knöfel verstand die Ablösung von der Landeskirche als Berufung Gottes, besonders als der Ortspfarrer (Andreas Kaube, Schönbach) von »lebendigen Gottesdiensten« wieder zur traditionellen Form zurückkehrte. Die Freikirche wurde im April 1990 gegründet, vgl. Knöfel, Wahnsinn, 137– 142.154f.

254

Zweiter charismatischer Aufbruch

5.5.4 Das Ende der charismatischen Phase des Volksmissionskreises Sachsen Für den Volksmissionskreis Sachsen stellten die 1980er Jahre das Ende seiner charismatischen Phase dar, die bereits in den 1940er Jahren begonnen hatte und den Kreis zur schlechthinnigen Trägergruppe charismatischer Spiritualität innerhalb der Landeskirche Sachsens werden ließ. Trotz seiner führenden Rolle in der GGE-Ost hatte der Kreis seine Prägekraft auf die charismatische Bewegung verloren. Neue Gruppen und Gemeinschaften liefen ihm den Rang ab, wobei führende Personen dieser Gruppen selbst dem Volksmissionskreis entstammten. Nur ein kleiner Teil dieser jungen Gruppen konnte in ihn noch integriert werden.998 Ohne den Nachwuchs aus seinen Tertiärgemeinschaften jedoch begann der Kreis zu überaltern. Das letzte Jahrzehnt vor der Deutschen Einheit stellte eine Phase der Neuorientierung des Volksmissionskreises dar, in der man den zweiten Aufbruch der 70er Jahre unter dem Vorzeichen des Konfliktes mit Gerhard Küttner verarbeitete. Hans Prehn beispielsweise mahnte den Kreis zur »Nüchternheit«: Glauben müsse auf die Heilige Schrift, nicht auf Erfahrung gegründet werden.999 Die Verarbeitung der causa Küttner stellte ein Dauerthema dar und beschäftigte auch das Gespräch zwischen Volksmissionskreis und Landeskirche, das auch noch 1989 um das Thema der geistlichen Ämter geführt wurde. Zehn Jahre nach den theologischen Gesprächen in Herrnhut trafen sich Vertreter der Landeskirche und des Volksmissionskreise zu einem Gesprächstag am 19. April 1989, welcher besonders unter dem Zeichen neuer charismatischer Erscheinungsformen und der Entwicklung der Ämtertheologie im Volksmissionskreis stand.1000 Zwei zentrale Aspekte können aus diesem Gespräch erhoben werden: Einerseits entwickelte man im Volksmissionskreis Distanz gegenüber den jüngeren Erscheinungsformen pfingstlich-charismatischer Frömmigkeit, indem Verselbstständigungen und kongregationalistische Sichtweisen nicht nur be998 Teile des Volksmissionskreises (jüngere Mitglieder), die durch die charismatische Bewegung der 80er Jahre geprägt waren, versuchten, neue Praxisformen wie Lobpreisgottesdienste und Lobpreiswanderungen zu etablieren, vgl. VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1989, Thomas Schuster/Johannes Wolf/Pfr. Gottfried Rebner/Pfr.i.R. Hans Prehn, 12/1989, in: A.II.a.404/8/Bd5. 999 »Eine der Gefahren für die gesunde Lehre liegt darin, daß man Glaubensaussagen auf geistliche Erfahrungen gründet und nicht auf das Wort der Schrift. […] Es gibt unter uns seelsorgerliche Praktiken, die diesen Grund unseres Heils ergänzen möchten. Es werden Auflagen erteilt, ohne deren Erfüllung die vollbrachte Erlösung am Kreuz von Golgatha nicht wirksam werden kann. So können z. B. immer neue Lösungen oder eine übertriebene Beichtpraxis den Blick auf das vollgültige und vollkomme Opfer Jesu verdunkeln«, VMK (Hg.), Rundbrief 1988, Pfr.i.R. Hans Prehn, 12/1988, in: A.III.b.F. 1000 Vgl. [Protokoll] Theologisches Gespräch mit dem Vorstand des Volksmissionskreises Sachsen, 19. 04. 1989, Thierfeld, OKR Dieter Auerbach, Dresden, in: A.II.a.404/8/Bd5, dort die folgenden Zit.

Andere Gemeinden, neue Gruppierungen

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dauert und kritisiert, sondern bereits als unwiderrufliche Prozesse der Abwanderung jüngerer Gruppen aus dem Bereich des Volksmissionskreises als der Herkunftsorganisation festgestellt wurden.1001 Zum anderen positionierte sich der Kreis mit einigem Abstand zum Konfliktfall Küttner wieder deutlicher in Richtung der Bruderschaft vom gemeinsamen Leben bzw. des Schweizerischen Diakonievereins (bzw. der Christentumsgesellschaft in Deutschland e.V.), womit man praktisch an die durch Küttner vermittelten Wurzeln anzuknüpfen versuchte. Das vierfache Amt wird ausdrücklich als geistliche, d. h. neutestamentliche und charismatische Ordnung des allgemeinen Priestertums herausgestellt. Zwar betonte man den noch suchenden, experimentellen Charakter der eigenen amtstheologischen Formulierungen, doch wollte man eine Weiterarbeit am Thema als ökumenische Notwendigkeit verstanden wissen.1002 1991 wurde der Verein Volksmissionskreis Sachen e.V. gegründet, der im Rahmen der vereinsrechtlichen Umstrukturierungen der landeskirchlichen Inneren Mission als Mitglied des Diakonischen Werkes der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens e.V. aufgenommen wurde. Einige Mitglieder des Volksmissionskreises wurden gleichzeitig Mitglied der Christentumsgesellschaft und gaben so in Zeiten des Umbruches ihrer Verwurzelung in der apostolischen Frömmigkeitstradition neuen Ausdruck.

1001 Vgl. die protokollierten Aussagen: »Es gibt eine innerliche Emigration aus der Volksmission«; »Wir haben keine Mittel, um einzugrenzen«; »Der Vorstand [des Volksmissionskreises] gilt unter den Jüngeren als ›Bremser‹«; »Wenn der Volksmissionskreis gesünder wäre, würden weniger in Randgruppen abwandern«. 1002 Vgl. die protokollierten Aussagen: »Das Thema Kirche und Ämter ist unsere theologische Aufgabe«; »Wir sind dabei, etwas zu entdecken«; »Die vier Lebensbereiche [der Kirche; d. h. Ämter] sind nicht abgeschlossen« [»sie bestehen trotz schmerzhafter Spannung zwischen der societas externa und der societas fidei in cordibus«; dieses Zitat orthographisch überarbeitet aufgrund zahlreicher Fehler im Original]; vgl. dazu die protokollierten Aussagen von Bischof Hempel: »Es bleibt unklar, worum es konkret geht. Was für eine Ämterordnung ist gemeint?«; »Die Ämter haben eine liturgische Ausformung und öffentliche Wirkung. Wenn das ohne Synode passiert, wird das Schisma praktiziert«; »Will man sich gegen den Geist absichern? Gibt es Einsegnungshandlungen?«.

6

Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge. Seelsorge des Wortes und der Gemeinschaft

In diesem Kapitel soll die Seelsorgekonzeption des Volksmissionskreises Sachsen, welche die Seelsorge der charismatischen Bewegung innerhalb der sächsischen Landeskirche über Jahre hinweg und zum Teil bis heute prägte, den Gegenstand der praktisch-theologischen Analyse bilden. Dabei wird es vornehmlich um die Seelsorgetheorie dieser Gruppe gehen. Zwar lag das Wirkungsfeld des Volksmissionskreises zuallererst auf gemeindepraktischer Ebene und konzentrierte sich auf den Vollzug von Seelsorge. Doch es gilt auch hier, was einst Otto Haendler festgehalten hatte: »Eine Geschichte der intimen Seelsorge kann nicht geschrieben werden, weil sie noch stärker der wesentlichen Quellen entbehrt«1003 als die Rekonstruktion von Seelsorgetheorien. Das Seelsorgeverständnis des Volksmissionskreises liegt freilich nicht als ein von seinen Protagonisten beschriebenes, ausgeführtes Konzept vor, sondern ist aus Texten unterschiedlicher Gattungen zu ermittelten. Dafür existiert Material, welches Aussagen über Seelsorge enthält. Es formuliert in Berichten Ergebnisse von Seelsorge oder hält Selbstverständnisse von Seelsorgern fest. Seelsorgebriefe sind nicht dokumentiert.1004 Berichte über konkrete Vollzüge gibt es ebenfalls nicht. Von daher wird die folgende Untersuchung von der Interpretation vor allem der literarischen Quellen ausgehen, welche die Erhebung poimenischer Grundverständnisse des Volksmissionskreises ermöglichen. Es ist davon auszugehen, dass das poimenische Konzept des Volksmissionskreises Sachsen wie die Nachkriegstheologie überhaupt entscheidend von der dialektischen bzw. kerygmatischen Seelsorge beeinflusst wurde. Die kerygmatische, verkündigende Seelsorgekonzeption war auf dem Boden der Dialektischen Theologie erwachsen. Vor allem durch Eduard Thurneysen und

1003 Haendler, Grundriß, 371; zur Problematik z. B. auch Jochheim, Seelsorge(lehre) im Nationalsozialismus, 133. 1004 Dass eine Briefseelsorge stattgefunden hat, ist durch mündliche Quellen erfahrbar. Allerdings sind solche Briefe weder öffentlich zugänglich noch in Archiven vorhanden. In einem Fall wurden mir Briefe gezeigt, nicht aber zur Verfügung gestellt.

258

Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Hans Asmussen seit dem Ende der 1920er Jahre bekannt geworden,1005 stellte sie das vorherrschende poimenische Konzept innerhalb der Bekennenden Kirche dar und prägte die Poimenik nach dem Krieg. Die Grunddaten kerygmatischen Seelsorgeverständnisses sind bekannt: Die »Gerechtsprechung des Sünders durch die freie Gnade […] Gottes« stellt das Zentrum seelsorgerlichen Handelns dar.1006 Das gnadenhaft gerechtsprechende, den Sünder wirkmächtig befreiende Wort Gottes begründet demnach Seelsorge, weshalb das kerygmatische Seelsorgeverständnis die Seelsorge als Verkündigungsgeschehen, als »Verkündigung des Wortes Gottes« oder als »Spezialfall der Predigt« qualifiziert.1007 So bestimmte Seelsorge soll am Vollzugsort des Gespräches Gestalt gewinnen: »Sie will ein Gespräch sein, das vom Worte Gottes herkommt und zum Worte Gottes hinführt«1008. Analog zum Geschehen eines Predigtgottesdienstes kennzeichnet auch das Seelsorgegespräch einerseits eine Rede-Situation, andererseits eine Gebets-Situation.1009 Seelsorge »geschieht von Mann zu Mann« und »verringert die Entfernung zwischen dem Verkündiger und Hörer, wie sie in der Predigt herrscht«.1010 Diese vom Wort Gottes und dessen Verkündigung her bestimmte Grundlegung der Seelsorge lässt sich eindeutig auch für den Volksmissionskreis Sachsen feststellen. In Gestalt von Eduard Thurneysens »Lehre von der Seelsorge« war sie übrigens, soviel sei nebenbei bemerkt, nahezu druckfrisch im Volksmissionskreis rezipiert worden.1011 Vergleicht man den poimenischen Ansatz des Volksmissionskreises und den der kerygmatischen Seelsorge, so fallen wesentliche Gemeinsamkeiten auf. Bei genauerer Untersuchung zeigen sich jedoch auch markante Unterschiede: Spezifische Merkmale des Volksmissionskreises gehen praktisch über das Konzept kerygmatischer Seelsorge hinaus. Diese Besonderheiten sind weniger aus theoretischem Nachdenken, sondern vielmehr durch Praxis entstanden. Dies gilt es zu zeigen. Wenn im Folgenden die Poimenik des Volksmissionskreises untersucht wird, ist in den Schritten »Seelsorge des Wortes« (6.1) und »Seelsorge der Gemein1005 Zur kerygmatischen Poimenik vgl. z. B. Ziemer, Seelsorgelehre, 82–85; Hauschildt, Seelsorgelehre, 60–62. 1006 Thurneysen, Rechtfertigung und Seelsorge, in: Wintzer, Seelsorge, 73–94, hier 73. 1007 A. a. O., 86. So auch bei Hans Joachim Iwand, vgl. Seim, Iwand, 193f. 1008 Thurneysen, Lehre, 100. 1009 Vgl. Ziemer, Seelsorgelehre, 83. 1010 Asmussen, Seelsorge, 15. 1011 Die Volksmissionsbuchhandlung hatte Exemplare von Thurneysens Werk gekauft und verbreitet. In welchem Aktionsradius dies geschah, lässt sich allerdings nicht nachweisen, vgl.: »Vielleicht teilst Du mir auch mit, ob ich mich bemühen soll dieses Buch, welches vom Westen herübergebracht wird, an die maßgeblichen Freunde unseres Kreises weiter zu leiten«, Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 29. 06. 1949, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876.

Seelsorge des Wortes

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schaft« (6.2) vorzugehen, um die methodische, zielgerichtete Vielfalt der Seelsorge herauszuarbeiten, auf den Begriff zu bringen und kritisch zu würdigen (6.3).

6.1

Seelsorge des Wortes

6.1.1 Beispiel 1: Neuwerden. Seelsorge als Methodik geistlicher Erneuerung Dem ersten Beispiel liegen Zitate eines Rundbriefes zugrunde, den Gerhard Bahrmann als einer der Protagonisten des Freundeskreises vom Bläserquartett Gottfried Klenners zum Weihnachtsfest 1939 verfasst hatte.1012 Das Medium des hektographierten Rundbriefes spielte gerade in der Zeit des Zweiten Weltkrieges eine wichtige Rolle, als durch solche Briefe Kontakt zwischen verstreuten Freundeskreismitgliedern (auch an der Front) gehalten werden konnte, Informationen verbreitet und volksmissionarische Aufgaben übernommen wurden (vgl. 1.4.2). In diesem Brief hält der Verfasser Rückschau auf eine »Seelsorge-Freizeit« des Freundeskreises und beschreibt aus seiner Sicht Vorgänge, Inhalte und Ergebnisse dieser Tagung, welche in seiner Kirchgemeinde in Sebnitz stattgefunden hatte. Adressaten des Rundbriefes sind Personen, welche nicht an dieser Tagung teilgenommen hatten, offensichtlich in Kontakt zum Freundeskreis standen und durch diesen Brief animiert werden sollten, sich selbst für die Teilnahme an einer solchen Tagung zu entscheiden. Neuwerden durch Seelsorge Die Animation der Leser geschieht, indem Ergebnisse bzw. Folgen der »Seelsorge-Freizeit« mit werbenden Worten vorgestellt werden, zum Beispiel: »Und wenn Du die Wandlung der Gesichter gesehen hättest, diese Wandlung, du hättest es nicht fassen können […]! Es ist wirklich etwas neu geworden bei den Allermeisten! […] Wie ist das aber gekommen? Ganz einfach durch Seelsorge, durch gegenseitige vertrauensvolle Aussprache, durch Sprechen u. Annehmen des Wortes von der Vergebung! […] So sind wir in die Wirklichkeit eines neuen Lebens mit Christus gestellt worden.«

Der Autor spricht von sichtbaren und beeindruckenden Veränderungen der Tagungsteilnehmer, die er auf Wirkungen des Tagungsprogrammes zurückführt. Das Programm ist hier als »Seelsorge« qualifiziert und soll durch den Begriff 1012 [Rundbrief] Unsere Seelsorge-Freizeit. Ein Brief, der mehr ist als ein Brief, Pfr. Gerhard Bahrmann, Sebnitz, Weihnachten 1939, in: A.III.a.Rundbriefe, dort die folgenden Zit.

260

Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

»Aussprache« als Vollzug vorstellbar werden. Das Zitat enthält ein doppeltes Verständnis von Seelsorge: Erstens kann »Seelsorge« in einem umfassenden Sinne verstanden werden und meint zunächst allgemein das volksmissionarisch-seelsorgerliche Geschehen der gesamten Tagung, die nicht zuletzt auch als »Seelsorge-Freizeit« betitelt wird, d. h. Volksmission kann und soll Seelsorge sein. Zweitens wird Seelsorge konkret als »Aussprache«. Was genau meint »Aussprache«? Der Begriff darf nicht synonym mit dem anderen üblichen Begriff »Austausch« verstanden werden, welcher nach dem Verständnis der OxfordGruppenbewegung ein Gruppengespräch bedeutet.1013 Vielmehr muss »Aussprache« als Terminus der Kirchlichen Volksmission gelesen werden, der das (durch eine volksmissionarische Rede ausgelöste bzw. angeregte) seelsorgerliche Einzelgespräch unter vier Augen mit dem Ziel von Beichte und Lebensübergabe meint. Die Formel »Sprechen und Annehmen« weist auf die kerygmatisch-poimenische Ausrichtung des Einzelgespräches ggf. mit Beichte hin. Dieser doppelte Gebrauch von »Seelsorge« zeigt, dass die poimenische Hermeneutik des Volksmissionskreises Sachsen den Begriff »Seelsorge« sowohl als cura animarum generalis wie auch als cura animarum specialis definieren kann und dies praktisch umsetzt. Schon im generellen Sinne ist Seelsorge verkündigungsorientiert, da sie das »Wort der Vergebung« zum Inhalt hat, was sich dann im speziellen Einzelgespräch potenziert. Diese doppelte theoretische und praktisch relevante Bestimmung stellt ein Erbe der Seelsorgeverständnisse von Kirchlicher Volksmission und Oxford-Gruppenbewegung dar, die unter 1.3 vorgestellt wurden. Seelsorge ist auf Neuwerden bzw. Erneuerung (»neu werden«, »Wandlung«, »neues Leben«) ausgerichtet. Was meint Neuwerden? Darunter ist vornehmlich eine spirituelle Veränderung zu verstehen, eine geistliche Erneuerung als pneumatisches Geschehen, das aus der persönlichen Aneignung der Rechtfertigungsgabe Christi entspringt (»Annehmen des Wortes von der Vergebung«). Das Neuwerden als persönliches Ja zum Heil Christi ist conversio mit dem Nein zu einem Leben ohne das angenommene Heil. Insofern schwingt in der Bestimmung »neu-« die Dualität von »alt« und »neu« (status corruptionis und status redemptionis, alter und neuer Adam, gefallene und gerettete Kreatur) mit den entsprechenden biblischen Bezügen mit (vgl. Röm 5,12–19; 2Kor 5,17). Neuwerden wird dabei seelsorgepraktisch konnotiert und auf ein bestimmtes Handeln und eine bestimmte Zielstellung hin interpretiert: Die Seelsorge soll zum Neuwerden führen. Wie die weitere Untersuchung zeigen wird, spricht der 1013 Austausch ist in der Regel als Gespräch in einer Gruppe zu verstehen, in dem geistliche Einsichten aus einer Stillen Zeit (dazu siehe unten) von den einzelnen Teilnehmern weitergegeben werden.

Seelsorge des Wortes

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Begriff von der methodisierten evangelistisch-seelsorgerlichen Animation zur Aneignung des Heils, die sich in einem praktischen ordo salutis zeigen kann (siehe 6.2.3). Methodendistanz und Methodisierung Befragt man nun die Formel »ganz einfach durch Seelsorge« näher nach einer Methodik des poimenischen Handelns, wird zunächst folgende frömmigkeitsspezifisch zu erwartende Antwort mitgeteilt: »Obwohl wir um moderne Seelenführung wissen, haben wir keine Methode oder Technik angewandt!«

Der Verfasser will unterstreichen, dass die seelsorgerliche Dynamik während der Tagung spontan entwickelt worden sei, ohne mithilfe eines methodischen Vorgehens bestimmt worden zu sein. Er distanziert sich von einem methodischen Vorgehen. Die rhetorische Funktion dieser Aussage liegt darin, den Blick der Leser auf das lebensverändernde Handeln Gottes zu richten und vom Handeln der Tagungsmitarbeiter abzulenken. Dies soll einen bestimmten theologischen Kern betonen: Seelsorge wird als Wort-Handeln Gottes und nicht als Werk-Tat des Menschen definiert. Die explizite Abwehr von »Methode oder Technik« spiegelt wider, dass die Seelsorge in reformatorischer Tradition als Geschehen des selbstwirksamen Gotteswortes verstanden wird. Hinsichtlich der Seelsorgepraxis bleibt diese Aussage im dialektisch-theologischen Duktus abstrakt und es drängt sich die Frage auf, wie die Wirkung des Wortes praktisch vermittelt werden konnte. Über die programmatische Positionierung hinaus bezeugt der Text eine Praxis, die alles andere als methodenfremd ist und vielmehr klar definierbare Vorgehensweisen deutlich macht, wie auch im folgenden Zitat: »Nur dies eine versuchten wir, restlos ehrlich zu sein, alle Masken abzulegen, die wir sonst tragen. So stellten wir uns am 1. Nachmittag vor, erzählten unsern äussern u. innern Werdegang, sprachen von dem, was wir hier erwarteten und wie unsre persönliche Stellung zu Christus war.«

Der Verfasser berichtet eine Praxis, deren Methodik zunächst vom sogenannten Zeugnis-Geben bestimmt ist. Dieses stellt eine klassische Praxisform der OxfordGruppenbewegung dar. Das Zitat gibt Verkündigungsinhalte des Zeugnisses zu erkennen, nämlich erstens die Rede von absoluter Offenheit und Ehrlichkeit, zweitens die Thematisierung biographischen Erlebens und damit verbunden drittens die persönliche Christusbeziehung.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Zeugnis-Geben Was will das Zeugnis-Geben? Persönlich-biographische Zeugnisreden finden im Kontext einer Gruppe statt und sind seelsorgerlich sowie missionarisch qualifiziert. Dem Zeugnis geht es im Kern nicht um Information, sondern um die »persönliche Stellung zu Christus«, d. h. darum, von Rechtfertigung und Heiligung zu reden. Es geht um Reflexion und Veränderung (»neu werden«). Ziel ist, die persönliche Christusbeziehung zu reflektieren, zu thematisieren und andere dadurch zu einer Vertiefung dieser Beziehung zu animieren. Dafür setzt der Verfasser einen engen Zusammenhang von Volksmission und Seelsorge voraus. Ein weiteres Beispiel aus dem vorliegenden Rundbrief spiegelt einmal mehr die Verankerung des Volksmissionskreises in der Methodik der Oxford-Gruppenbewegung wider : »Und dann prüften wir uns, wie der Uhrmacher seine Uhren prüft, denn es ward uns gewiss: auch die kleinste Kleinigkeit, jede erkannte, auch unerkannte Sünde muss das Feinwerk unserer Seele stören. Wir stellten uns ins Licht des Herrn Christus u. seiner ehernen Forderungen: absolute Wahrhaftigkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit u. Liebe. Wir liessen uns vom Röntgenapparat der Bergpredigt durchleuchten – und erschraken !«

Der Verfasser stellt heraus, dass sich die Erneuerung der persönlichen Christusbeziehung nicht allein auf die Annahme des Wortes der Vergebung, sondern auch auf ein Neuwerden der Lebensführung bezieht. Dies geschieht durch Selbstreflexion (»prüfen«, »ins Licht stellen« etc.) zur Sündenerkenntnis. In diesem Zusammenhang spricht der Autor von den Vier Absoluten der Gruppenbewegung (»absolute Wahrhaftigkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit u. Liebe«). Diese ethischen Maximen der Oxforder werden in einem Atemzug mit der Bergpredigt genannt, was darauf hinweist, dass sie aus der Bergpredigt abgeleitet wurden. Sie dienen als Prüfinstanz (»Uhrwerk«, »prüfen«, »Röntgenapparat«, »durchleuchten«) sowie als Maßstab der Veränderung. Dieser zitierte Abschnitt zeigt, wie Seelsorge inhaltlich und praktisch auf ethische bzw. heiligungstheologische Topoi zugespitzt ist. Seelsorge, die auf Verkündigung von Rechtfertigung und Heiligung bezogen ist, thematisiert Gesetz und Evangelium. Sie läuft auf Sündenerkenntnis und folgerichtig auf Sündenbekenntnis bzw. Beichte (zur Beichte vgl. Kap. 8) hinaus. Stille Zeit als Methode einer hörenden Seelsorge des Wortes Die Ausrichtung der Seelsorge auf Erneuerung und Heiligung zeigt sich in der sogenannten Stillen Zeit:

Seelsorge des Wortes

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»Wir hielten früh ›stille Zeit‹, d. h. wir wurden unter einem Gotteswort still und legten uns die 3 Fragen vor ›Wofür habe ich zu danken? Wo stimmt’s bei mir nicht? Was soll ich heute tun?‹ Mein lieber Freund, diese 3 Fragen sind das Praktischste, was ich bisher überhaupt in der Nachfolge Jesu kennen gelernt habe. […] Freilich musst du erst ganz still werden, ehe Gott durch dein Gewissen zu reden beginnt!«

Die Stille-Zeit-Praxis, eine Form der Bibelmeditation, welche im Kontext der Gruppenbewegung zu den Methoden einer hörenden Seelsorge unter der Führung des Heiligen Geistes gehört, wurde bereits unter 1.3.2 erwähnt. Das Zitat zeigt die klassischen Frage-Aufgaben, welche die Meditation des Schriftwortes gliedern und persönlich-biographisch zuspitzen sollen: Erstens anhand eines Bibeltextes Gründe für einen Dank gegen Gott zu formulieren, zweitens Gründe für Buße zu suchen (der Bibeltext dient als Beichtspiegel) und drittens eine praktische Anwendung von Einsichten aus der Textlektüre für das Leben in der Gegenwart zu entwickeln.1014 Diese Fragestellungen bzw. Aufgaben sind aus der Oxford-Gruppenbewegung überkommen und mit Luthers »vierfachem Kränzlein« (doctrina, gratiarum actio, confessio, oratio)1015 inhaltlich verwandt. Sie wollen anleiten, auf die Stimme des Heiligen Geistes im eigenen Herzen zu hören und im Alltag anzuwenden. Sie können übrigens auch als Gebetsinhalte formuliert werden (z. B.: »Herr, was willst du, daß ich tun soll?«1016) oder auf bestimmte Situationen oder Bibeltexte hin angepasst werden, so in diesem Beispiel: In einer Bibelarbeit zu Apg 8 »wurden uns z. B. folgende Fragen gestellt: 1) Wo ist ein Befehl Gottes, den ich noch nicht ausgeführt habe? 2) Wo suche ich noch und wer ist der Philippus, den Gott mir geschickt hat? 3) Bin ich noch von einem Philippus abhängig oder habe ich die Verbindung mit Jesus selbst?« Oder : »Wo hängt’s bei mir noch? Was hat mir diese Freizeit gebracht? Was ist mein nächster Schritt?«

Die Betrachtung als »Hören« in Stille und mittels vorgegebener Fragen will durch ihre gegenwartsbezogene Ausrichtung die persönlich-biographische Reflexion anzielen und dadurch zum Gespräch (Austausch: Gruppengespräch; Aussprache: Einzelgespräch ggf. mit Beichte) anregen. In der Regel werden während der Betrachtung schriftliche Notizen angefertigt, die als Grundlage für das folgende Gespräch dienen sollen,1017 das dreidimensional strukturiert ist: 1014 Diese Frage-Aufgaben finden sich auch in anderen Beispielen, vgl. z. B. VMK (Hg.), Tagung in Dresden-Briesnitz am 15. bis 17. Juli 1946 unter dem Thema Aus Trümmern neues Leben, z. B. in: A.III.a.bis1949. 1015 Vgl. Nicol, Mediation bei Luther, 160–167, bes. 162.167. 1016 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1969, Pfr. Hans Prehn, 08/1969, in: A.III.a.1969. 1017 Vgl. dazu das anschauliche, in rückblickender Erinnerung formulierte Beispiel: »Diese selbst formulierten Erkenntnisse wurden dann rundherum vorgelesen, ›ausgetauscht‹

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Die Teilnehmer der Stillen Zeit sprechen mit Gott, mit sich selbst und mit der Gruppe. Die Stille-Zeit-Praxis will der Vermittlung von biblischen Inhalten und ihrer konkreten Anwendung im jeweiligen Heute dienen und verdeutlicht damit ihre verkündigungsorientierte Ausrichtung. Verkündigung soll direkt durch die Rede des Heiligen Geistes und nicht durch andere Instanzen hindurch geschehen. Die Stimme des Heiligen Geistes wird dabei an den Bibeltext geknüpft. Welche Rolle dabei der menschliche Geist der Lesenden bzw. Hörenden spielt, wird allerdings nicht reflektiert. Von der verkündigungsorientierten Seelsorge unterscheidet sich die Stille-Zeit-Praxis dadurch, dass sie privat (einzeln) oder halbprivat (in einer Gruppe: einzelnes Betrachten und »Hören«, dann gemeinsamer Austausch) stattfinden kann. Dass der Verfasser die Stille-Zeit-Praxis im vorliegenden Beispiel so ausführlich referiert, bezeugt ihren zentralen Stellenwert in der Seelsorge des Volksmissionskreises. Sie wird allen Gästen und Mitarbeitern des Volksmissionskreises initial vermittelt, weshalb auch der vorliegende Rundbrief für die aktive Stille-Zeit-Praxis wirbt. Bereits die didaktische Vermittlung dieses Rituals übernimmt eine seelsorgerliche Aufgabe, indem sie auf die Einübung geistlichen Lebens hinzielt. Stille Zeit als Einübung des Neuwerdens Gerade durch die Anwendung der Fragemethodik übernimmt die Stille-ZeitPraxis poimenische Funktionen: Die Fragen regen an, das eigene Denken und Handeln zu überprüfen. Dabei wird das Schriftwort direkt auf das eigene Leben bezogen. Die Leser sollen so zur Selbstreflexion angeleitet werden, was die Möglichkeit eröffnet, die biblische Botschaft auf sich zu beziehen und subjektiv anzueignen, für das eigene Leben und das Wirken Gottes zu danken, Fehler einzugestehen und Schuld zu bekennen, dadurch Vergebung und Trost zu erfahren, in aktuellen Lebensfragen beraten zu werden sowie das eigene Handeln, Denken, Entscheidungsverhalten etc. langfristig zu bearbeiten und zu verändern. Daher zielt die Stille Zeit auf Sinnesveränderung – insofern darunter eine Veränderung zu verstehen ist, die den ganzen Menschen in Anspruch nimmt und deren Aufgabe Wilfried Engemann als »einen wichtigen Teilaspekt von sagte man dazu. Zum Aufschreiben gehörte auch das mögliche Stellen von Fragen zum Bibeltext. Und erst, wenn jeder ›ausgetauscht‹ hatte, durfte das Gespräch in der Runde beginnen. Das waren für uns keine Selbstverständlichkeiten, sondern wir lernten auf diese Weise eine gewisse Form von ›Gesprächsdisziplin‹ im eigenen Reden und im Zuhören auf den jeweils anderen. Und in diesen ›Stillen Zeiten‹ wurde auch das ausgetauscht, was der Einzelne an persönlicher Schuld und Fehlverhalten erkannte – soweit es nicht um besonders vertraulich zu behandelnde Probleme […] ging«, Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 25. 02. 2015, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.22.

Seelsorge des Wortes

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Buße« herausgestellt hatte: »dass Menschen mit falschem Selbstbild zur Selbsterkenntnis gelangen und in die Lage versetzt werden, fortan in christlichem Sinne klug zu leben«.1018

Gemeinsamkeiten von Stiller Zeit und Geistlicher Begleitung Damit hat die regelmäßige Stille-Zeit-Praxis Gemeinsamkeiten mit der heutigen Geistlichen Begleitung: Wie die Geistliche Begleitung will die Stille Zeit einen Ort darstellen, an dem eingeübt wird, biblische Texte zu lesen bzw. zu meditieren, sich selbst in seiner Gottesbeziehung zu reflektieren, dies im Gespräch zu artikulieren und aktuelle Fragen des Lebens zu klären.1019 Die Geistliche Begleitung legt Wert darauf, dass diese Einübung im Alltag geschieht. Zwar kann sie auch in Form des Seminars oder der Einkehrzeit stattfinden, vor allem aber soll sie im Alltag verankert sein. Deshalb werden Übung und Begleitung in privaten und gemeinschaftlichen Kontexten regelmäßig durchgeführt mit dem Ziel, »sich die Inhalte des Glaubens subjektiv anzueignen«.1020 Die Formen der Meditation (wie Stille, Jesusgebet, Bibellese etc.), die in der Geistlichen Begleitung das (Einzel-) Gespräch anregen sollen, sind im Volksmissionskreis Sachsen zwar auf die Form der Stillen Zeit beschränkt. Aber noch bevor Aspekte der Geistlichen Begleitung in den evangelischen Kirchen etabliert wurden, hatten sie haben bereits einen Sitz im Leben der generellen Seelsorge des Volksmissionskreises erhalten. Dies unterstreicht die generell-poimenische Stärke des Volksmissionskreises. Der römisch-katholische Pastoralpsychologe Klaus Kießling weist dabei auf eine wichtige Dimension der Seelsorge hin: Wenn Seelsorge »im Vollsinn ihres Wortes« – d. h. als generell-poimenische Sorge für die leibhaftige Seele – verstanden wird, dann ist die Geistliche Begleitung nicht nur als ein Gegenstück zur speziellen Seelsorge, sondern als Dimension der Seelsorge überhaupt zu verstehen.1021 Anhand der Stillen Zeit zeigt sich aber auch der wesentliche Unterschied der Seelsorge des Volksmissionskreises zur heutigen Geistlichen Begleitung: Typische Fragen der Begleitung wie: »Welche richtungweisende Bedeutung kommt dem, was mich bewegt, für meinen Weg zu?«1022, die im Einzelgespräch reflek1018 Engemann, Lebenskunst und das Evangelium, 888. 1019 Vgl. dazu Kohli Reichenbach, Gleichgestaltet dem Bild Christi, 308; Schemann, Stille und Gebet, bes. 347–350. 1020 Vgl. Harms/Wiesche, Bedeutung der Übung, 131–135.138f, Zit. 133. 1021 Vgl. Kießling, Zwischen Profession und Charisma, Zit. 265. 1022 Kießling, Zwischen Profession und Charisma, 263. Kießling hält freilich weitere Unterschiede fest, so etwa den vereinbarten Zeitrahmen, in dem Geistliche Begleitung stattfindet und der deutlich umfangreicher ist als in der Seelsorge.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

tiert werden, kommen in der speziellen Seelsorge des Volksmissionskreises nicht vor. Sie zielt auf Sündenerkenntnis, -bekenntnis und –vergebung (»Aussprache« und Beichte), hat aber Beratung nicht im Blick.

6.1.2 Beispiel 2: Predigt und Predigtrezeption. Seelsorge zwischen Verkündigung, Gespräch und Gemeinschaft Relativierung der Predigt Im Folgenden wird eine Sonntagspredigt Gerhard Bahrmanns über die johanneische Jüngerberufung (Joh 1,35–46) in den Blick genommen, die vermutlich 1946 als Antrittspredigt1023 gehalten wurde und somit Funktionen einer Programmrede übernahm.1024 Dieses Beispiel gibt Aufschluss über den Stellenwert der Predigt im Kontext des volksmissionarischen Konzeptes. »Warum ist die Kirche nicht ausgestorben in den letzten 2000 Jahren? […] Weil die Kirche ein Amt hat, das Predigtamt, das Pfarramt. Ja, nicht nur ein Amt, sondern eine Fülle von Ämtern. […] Der Nationalsozialismus hat den Versuch erneuert, der oft genug schon gemacht worden ist, die Kirche zu vernichten durch Abdrosselung des Amtes […]! Wenn es einmal wirklich kein Amt mehr geben sollte, was dann? Würde dann die Kirche aussterben? Nein, meine Gemeinde, dann gibt es noch etwas ganz anderes! Wir könnten mit den Vätern der Reformation vom ›Allgemeinen Priestertum aller Gläubigen‹ reden. Wir wollen aber im Anschluß an unsern heutigen Text vom Zeugendienst reden. So sage ich denn: Der Zeugendienst – die rechte Ergänzung des Predigtamtes!«

Diese Passage spricht vom kirchlichen Amt sowie vom Allgemeinen Priestertum der Glaubenden. Das Amt wird vom Verfasser als selbstredendem Lutheraner als Predigtamt, d. h. als Dienst des Wortes bestimmt. Ihm stellt der Autor einen »Zeugendienst«, d. h. den Dienst oder das Amt des Allgemeinen Priestertums zur Seite, dessen Amtlichkeit durch die Formel »Ergänzung des Predigtamtes« definiert und mittels des Terminus »recht«1025 als bekenntnisgemäß plausibilisiert wird. Diese für reformatorische Theologie nachvollziehbar erscheinende Wertschätzung des Laiendienstes bedeutet eine Begrenzung des Predigtamtes. Für den Kontext einer lutherischen Kirche in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist dies 1023 Im Rahmen der Generalvertretung einer Kriegs- und Nachkriegsvakanz in Hermannsdorf b. Annaberg (heute zu Elterlein). 1024 Predigt über Joh 1,35–46: Zeugendienst – Die rechte Ergänzung des Predigtamtes, Pfr. Gerhard Bahrmann, Hermannsdorf, [vermutl. 1946], in: A.II.b.2,1181, 94f, dort die folgenden Zit. 1025 »Recht« (lat. rectum bzw. recte) wird öfters als bekenntnisbezogener terminus technicus gebraucht.

Seelsorge des Wortes

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zunächst erstaunlich. So betont der Verfasser : »Was das Amt begonnen, vollendet der Zeugendienst! Was das Amt nicht hat erreichen können, schafft der Zeugendienst!« Hinter diesem Statement steht deutlich erkennbar die noch frische Erfahrung der Bekennenden Kirche, dem Engagement sogenannter Laien das Überleben, vielleicht auch ein Beleben der Kirche unter der nationalsozialistischen Repression verdanken zu können. Zugleich wird die Prägung durch die Oxford-Gruppenbewegung erkennbar, welche eine Laienverkündigung etablierte, die das kirchliche Amt ergänzen sollte und kirchlich verankert1026 war. So gibt die folgende, im traditionell-pietistischen Duktus gehaltene Aussage durch den Mund des Autors Oxfordische Theologie zu erkennen: »Hier aber waren schlichte Laien […], die ohne jedes theologische Studium, nur mit einem heißen gottsuchenden Herzen. Und sie halten keine gelehrte theologische Predigt, sondern sie bringen einfach ein schlichtes, von Herzen kommendes und darum auch zu Herzen gehendes Zeugnis von dem, was sie selbst gesehen und gehört. […] Hermannsdorf! Wie lange schon hat eure Gemeinde keinen eigenen Pfarrer gehabt! […] Gerade deshalb möchte ich es dir, du liebe Gemeinde, zurufen: Zeugendienst – die rechte Ergänzung des Predigtamtes! Die Hauptsache, daß auch unter euch Zeugen aufstehen, erweckt durch Gottes Hl.Geist!«.

Im Sinne der Gruppenbewegung sollen Laien durch das Wirken des Heiligen Geistes zum »Zeugendienst« animiert werden. Wie bei der oben dargestellten Stillen Zeit wird das Geistwirken als Rede im Herzen des Einzelnen zu verstehen sein. Die Rede des Geistes geschieht in konkreten Lebenssituationen, bewirkt eine Christuserfahrung und bestimmt diese Erfahrung als inhaltlichen Gegenstand des Zeugnisses (»von dem, was sie selbst gesehen und gehört«). Dem Zeugnis kommt ein missionarisch-seelsorgerlicher Impetus zu. Der Verfasser stellt im weiteren Text Orte der persönlich-biographischen Christuserfahrung heraus, nämlich »Kämmerlein«, »Kirche«, »Gebet«, »Bibellesen« oder Erfahrungen an »Krankenlagern, in schlaflosen Nächten, hinter Stacheldraht«. Ereignen wird sich das Laienzeugnis meist anders als die gottesdienstliche Predigt: Wenn es nicht im Kontext eines Vortrages stattfindet, dann kommt das Zeugnis vor allem in privaten und halbprivaten gemeinschaftlichen Situationen zum Tragen. Nun spricht dieses Beispiel nicht nur von einer Begrenzung und Ergänzung des Predigtamtes. Vielmehr wird auch die zentrale und praktisch einzige protestantische Verkündigungsform der Predigt relativiert und in die volksmissionarisch-seelsorgerlichen Vollzüge eingeordnet. Dies wird am Vergleich mit der kerygmatischen Seelsorge noch deutlicher : Die kerygmatische Seelsorge hatte die Verkündigung konkret als Predigt definiert und folgerichtig die verkündigungsorientierte Seelsorge, d. h. das Einzelgespräch, als Spezialform der Predigt 1026 So zumindest für den deutschen Kontext zutreffend.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

verstanden. Die Kirchliche Volksmission und erst recht die Gruppenbewegung gehen stattdessen von einer Mehrzahl von Verkündigungsformen neben der Predigt aus und sprechen diesen seelsorgerliche Funktionen zu. Die Begriffe von »Verkündigung« und »Seelsorge« werden – zumindest theoretisch – vom Monopol der Predigt abgerückt. Dadurch wird die Predigt unter die anderen verkündigend-seelsorgerlichen Vollzüge eingereiht und es geschieht eine Verlagerung vom Monolog (Vortrag, Predigt) zum Dialog (Gespräch) – wiederum zumindest theoretisch.1027 Dem Dialog unter Laien werden hohe missionarische Chancen zugemessen: »Vielleicht aber ist er [Philippus] aber klüger und weitsichtiger als wir Christen von heute, die wir oft genug meinen, mit Apologetik, d. h. mit verstandlichen Auseinandersetzungen den andern gewinnen zu können. […] Was aber läßt sich vorbringen gegen die freundliche, freudige Einladung: ›Komm und sieh!‹?«

Dieser Zusammenhang macht deutlich, weshalb die Predigt im Volksmissionskreis Sachsen bei Weitem kein so besonderes Augenmerk erhält wie die Seelsorge. Dies gilt übrigens auch für die hier explizit erwähnte Apologetik, auch wenn diese als typische volksmissionarische Praxis im Volksmissionskreis nachweisbar ist. Für die zwar an Verkündigung orientierte Seelsorge des Kreises steht die Predigt selbst nicht im Zentrum. Anders als die Seelsorge, welche mit der Rede von Volksmission quasi permanent thematisiert wird, bekommt die Predigt kein reflexives Augenmerk. Ihre Relevanz erhält sie nur von der volksmissionarisch-seelsorgerlichen Zielstellung her. Ganz ähnliches gilt übrigens auch für den Gottesdienst als ganzen: »Gottesdienst ist nicht nur Predigt, sondern Lobgesang der versammelten Gemeinde.«1028 Auch diese These relativiert die Predigt und hebt die Bedeutung der Beteiligung sogenannter Laien sowie die liturgisch-charismatische Dimension des Gottesdienstes hervor. Insgesamt erweist sich, was diese Beispiele nur unterstreichen, dass der Volksmissionskreis Sachsen vielmehr eine Seelsorge- statt eine Predigtbewegung darstellt. 1027 Das Beispiel eines monologisch gehaltenen »Rundgespräches« spricht dagegen: vgl. einen detaillierten Bericht, in dem Ablauf und Vortrags- bzw. Gesprächsinhalte einer Pfarrertagung des Volksmissionskreises zitiert werden. Hier zeigt sich, dass »Rundgespräche« praktisch Vorträge einzelner Referenten darstellen, an deren Ende ggf. eine kurze Diskussionsmöglichkeit besteht. Der Berichterstatter fasst dazu kritisch zusammen: »In den Pausen Gebetsgemeinschaft, Einzelgespräche, Gruppenbesprechung […] Das Rundgespräch wird eingeleitet durch ein längeres biblisches Referat, nach dem zunächst die ›Mannschaft‹ das Wort nimmt. Die Rollen sind anscheinend durch den ›tragendenden Kreis‹ vorher schon verteilt. Eine eigentliche Diskussion kommt kaum zustande«, Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: A.II.a.404/8/Bd1. 1028 VMK (Hg.), Gebetsbrief Januar 1976, Lothar Köppe, in: A.III.a.1976.

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Predigtrezeption: Predigtvor- und Predigtnachgespräche Wie sich zeigt, sind Verkündigung und Seelsorge substantiell verbunden. Zugleich aber stellt die Seelsorge und nicht die Verkündigung das Movens der Praxis des Volksmissionskreises Sachsen dar. Allerdings muss noch ein anderes, besonderes Praxiselement entgegengestellt werden: Die Bedeutung nämlich, welche die Predigt im Volksmissionskreis vonseiten ihrer Rezipienten erhält, ist auffallend hoch. Die konkrete Predigtrezeption durch die Gemeinde gibt der Predigt eine weitaus höhere Beachtung, als ihr theoretisch zuteil wird. Die Predigtrezeption geschieht durch Gespräche über Predigten und sieht folgendermaßen aus: Erstens kann das Gespräch über die Predigt im Kontext eines Kerngemeindekreises erfolgen. Im Predigtgespräch wird die gemeinschaftliche Reflexion auf einen biblischen Text (Vorgespräch) oder auf eine gehörte Predigt (Nachgespräch) vollzogen. In der Regel nimmt der Prediger an diesen Gruppengesprächen teil. Der Ablauf eines solchen Gespräches kann entsprechend der Stillen Zeit (Fragen, Stille, Austausch, ggf. Gebetsgemeinschaft) gestaltet sein bzw. wird von ihr abgeleitet. Zweitens kann das Predigtgespräch im privaten oder halbprivaten Kontext stattfinden. Es wird angeregt durch Audio-Mitschnitte, die von Predigten angefertigt wurden. Mitschnitte von Predigten (auch Vorträgen) auf Tonband waren im Volksmissionskreis Sachsen keine Seltenheit.1029 Aufgrund der wiederholbaren Hörmöglichkeit können die Audio-Mitschnitte Predigtgespräche anregen. Solche Gespräche sind nicht im Kontext eines lokalen Kerngemeindekreises, sondern innerhalb anderer Gruppengestalten (z. B. unter Personen einer Tertiärgemeinschaft) oder im privaten Kontext verortet. Am Beispiel der Predigtgespräche wird deutlich, dass die Predigt als Rezeptionsgegenstand im gruppendynamischen Kontext eine volksmissionarischseelsorgerliche Vollzugsform darstellt. Dadurch wird die Einsicht bestätigt, die anhand des eben untersuchten Beispieles der Predigt Gerhard Bahrmanns gewonnen wurde: Gerade die Relativierung der Predigt macht sie zum Spezialfall der Seelsorge. Dennoch avanciert sie zum Gegenstand eines gemeinschaftlichen seelsorgerlichen Geschehens. Im Kontext der Gemeinschaft werden die Predigt und diese Form ihrer Rezeption poimenisch verortet. Aufgrund der bruderschaftlichen Ekklesiologie bzw. der quasi-kommunitären Gestaltung wird Seelsorge zum Geschehen der Gemeinschaft – wovon das Einzelgespräch nur eine Variante bedeutet ebenso wie die Predigt nur eine Variante der Verkündigung darstellt. 1029 Ihren Höhepunkt hatte diese Praxis in den 1970er Jahren in Bräunsdorf. In einigen Kreisen werden diese Mitschnitte, auch in digitalisierter Form, bis heute tradiert und verwendet.

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6.2

Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Seelsorge der Gemeinschaft

Die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen findet ihren Sitz im Leben in Gemeinschaftsformen. Die Gemeinschaft als Grundlage und Ort der Seelsorge kann schon in der Zweierbeziehung eines Einzelgespräches real werden, erschöpft sich in dieser aber bei Weitem nicht. Vielmehr wird Gemeinschaft in Gruppengestalten konkret, die in der Terminologie des Volksmissionkreises Mannschaften, Kreise, Gemeinden, Kerngemeinden, Geschwisterkreise, Ringe, Treffen, Tagungen / Rüstzeiten / Freizeiten heißen und auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind. Der Begriff »Mannschaft« ist für die Tradition des Volksmissionskreises neben »Bruderschaft« die älteste Bezeichnung für seelsorgerlich aktive Gemeinschaftsformen. Die Begriffe »Kreis«, »Gemeinde«, »Kerngemeinde« und »Geschwisterkreis« können für den Kerngemeindekreis verwendet werden. Am häufigsten ist von »Kreis« oder »Kerngemeinde« die Rede und es wird eine lokale Gruppengestalt bezeichnet, die sich innerhalb einer Kirchgemeinde formiert.

6.2.1 Beispiel 1: »Mannschaftsarbeit – ein neuer Weg der Volksmission« Der folgenden Interpretation liegt ein Referat Gerhard Bahrmanns unter dem Titel »Mannschaftsarbeit – ein neuer Weg der Volksmission« (1948) zugrunde, das er mehrfach an prominenter Stelle gehalten hatte, so etwa bei der Kammer für Volksmission des Dresdner Landeskirchenamtes oder vor der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission unter der Leitung von Gerhard Füllkrug.1030 In diesem Text, der im Folgenden aus einer Protokollmitschrift zitiert wird,1031 unterstreicht Bahrmann seine Stellung als Verfechter der sogenannten Mannschaftsarbeit der Oxford-Gruppenbewegung. Er spricht als Vertreter des Volksmissionskreises Sachsen und will seine Ausführungen als Meinung des Kreises verstanden wissen. Dabei fällt auf, dass Bahrmann expressis verbis die Herkunft des Volksmissionskreises aus der Gruppenbewegung verschweigt. 1030 Dass dieses Referat mehrfach, u. a. bei der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Elbingerode 19.–23. 04. 1948, gehalten worden war, ist ersichtlich aus: Tagungsplan für 1948, in: A.I.c.876; Bericht des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn/Rudolf Fischer, Limmritz, 31. 01. 1948, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/8/Bd1; Brief von Pfr. Gerhard Bahrmann, Lützschena, 24. 05. 1948, an Pfr. Hans Köckert/Pfr. Gerhard Küttner/Pfr. Heinrich Leuteritz, in: A.I.c.876. 1031 Es wird auf ein ausführliches Protokoll Bezug genommen, da sich der Originaltext nicht ausfindig machen lässt: [Mitschrift des Referates »Mannschaftsarbeit – ein neuer Weg der Volksmission«, Pfr. Gerhard Bahrmann] Protokoll der 1. Sitzung der Kammer für Volksmission, Versöhnungskirche Dresden-Striesen, 03.–04. 05. 1948, in: A.II.b.2.1503, 69–79, hier 77–79, dort die folgenden Zit.

Seelsorge der Gemeinschaft

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Denn auch wenn er um der politischen Korrektheit im sowjetisch geprägten Osten willen die antikommunistische Gruppenbewegung unerwähnt lassen will, weist er die Oxfordischen Wurzeln direkt zurück und vergisst, dass sich die Mannschaftsmethodik nicht zufällig innerhalb des volksmissionarischen Freundeskreises entwickelt hatte.1032 Bahrmann will mit diesem Referat nicht nur von der Praxis der Mannschaftsarbeit, sondern von ihren theologischen Grundlagen sprechen, was für die Poimenik des Volksmissionskreises interessant ist und hier untersucht werden soll. »Es geht uns um die Wiedererweckung der Kirche, um die Fortsetzung des Lebenswerkes der Männer Hilbert, Mahling und Füllkrug. Es geht uns um den Bau der Kirche. […] Die These, die ich aufstellen möchte, ist die: [Mannschaftsarbeit ist die] Forderung Gottes in der heutigen Stunde der Volksmission. Es hat sich gezeigt, daß das EinmannSystem überholt ist. Die Mannschaft kann das.«

Zunächst verhandelt das Referat ein missionarisches bzw. oikodomisches Thema (»Wiedererweckung«, »Bau der Kirche«). Der Verfasser bezieht sich ausdrücklich auf das Konzept der Kirchlichen Volksmission und beansprucht für den Volksmissionskreis Sachsen die authentische Nachfolge und Weiterführung dieses Konzeptes. Er erklärt die volksmissionarische bzw. evangelistische Einmannpraxis, nach der volkmissionarische Veranstaltungen von einer Einzelperson durchgeführt werden, für überholt. Sie stellte seinerzeit die Regel in der Volksmission dar und wurde von den im Zitat genannten Vordenkern auch kaum anders gesehen. Für den Autor bedeutet die Methodik der Mannschaftsarbeit, d. h. der TeamArbeit, eine quasi offenbarungshafte und damit normativ zu bevorzugende Praxis (»Forderung Gottes«). Hinter seinen auf Mission und Gemeindebau gerichteten Ausführungen stehen poimenische Grundüberlegungen für eine Seelsorge der Gemeinschaft. Diese können aus den folgenden Statements des Verfassers ermittelt werden, welche er auf seine rhetorische Frage »Was ist eine Mannschaft?« hin entwickelt: »Mannschaft ist weiter nichts als die Gemeinde Jesu in ihrer konkreten Existenz oder der Exponent der Gemeinde Jesu. Das Wort wird sichtbar realisiert bei der Volksmission im Mannschaftssystem. Es geht nicht um ein Stück theologie [sic!], es geht um eine existentielle Wirklichkeit. Diese sichtbare Gemeinde Jesu, dieses fleischgewordene Wort, überwindet den Laien«. 1032 »Wir möchten hier im Ost[en] das Wort ›Gruppenarbeit‹ nach Möglichkeit vermeiden. Das Wort ist eben belastet durch die Oxford-Bewegung […]. Darüber darf ich doch das wohl sagen, daß eben die Arbeit, wie sie unser sächsischer Volksmissionskreis in Sachsen angefangen hat, nicht von der Gruppe kommt, nicht ein Kind der Gruppe ist, sondern aus dem sächsischen Posaunenmissionsquartett herausgewachsen ist.«

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Der Referent spricht von einer ekklesiologischen Gleichung: Mannschaft ist Gemeinde. Diese Bestimmung ist genauso gelagert wie Dietrich Bonhoeffers Definition der Finkenwalder Volksmissionsmannschaften als »kleiner Gemeinde« und als »Gemeindekern« (ebenfalls in Abgrenzung zur Einmannpraxis; vgl. unter 1.3.4). Das Mitarbeiter-Team besteht keineswegs nur aus Theologen, sondern auch aus kirchlichen Mitarbeitern und Gemeindegliedern (»Laien«; mit den Worten Christoph Richters: »Menschen, die im Alltag stehen, wie jeder andere auch«1033). Es wird als mobile Kerngemeinde verstanden. Die Gleichung geht weiter und erinnert auch dabei an Bonhoeffer, insofern dessen Formulierung »Christus als Gemeinde existierend«1034 anklingt: »Mannschaft« als »sichtbare Gemeinde« ist das »fleischgewordene Wort«. Mit dieser ekklesiologisch-inkarnatorischen Perspektive auf eine volksmissionarisch aktive Mitarbeitergruppe geht der Verfasser davon aus, dass die Gemeinde Jesu nur in ihrer Aktivität sichtbar würde, da die (wahre) Gemeinde ansonsten unsichtbar sei. Für die Volksmission, die sich das Ziel der spirituellen Reanimation (»Wiedererweckung«) der Volkskirche gesetzt hat, ist dies ein typischer Gedanke. Denn für sie gehören die Glieder der sichtbaren Volkskirche nicht automatisch zur wahren Gemeinde. Nur durch Aktivität seien sie als solche erkennbar.1035 Die etwas missverständliche Formulierung, die »sichtbare Gemeinde«, d. h. die Mannschaft, »überwindet die Laien«, bedeutet einen Rekurs auf das Allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Im Kontext kann »überwinden« nicht »dominieren« heißen, etwa wie: Die Mannschaft beherrsche die Laien. Da die Mannschaft selbst aus Laien besteht, muss »überwinden« im Sinne von »beenden« gelesen werden: Sie beende die Klassifikation als Laien. Das heißt nichts anderes, als dass in der aktiven Mitarbeiter-Gemeinschaft keine Unterschiede zwischen klerikalen und nicht-klerikalen Personen oder zwischen Fachleuten und Nicht-Fachleuten etc. gemacht würden. Vielmehr führe die gemeinsame geistliche Aktivität dazu, dass alle Mitarbeitenden zu einem gemeinsamen, statuell unterschiedslosen Priestertum gehören. Außerdem würde in der aktiven Gemeinschaft die laienhafte Inaktivität überwunden. Die sichtbare geistliche Aktivität bewirke wiederum, dass Menschen zur Gemeinschaft dieses Priestertums geworben würden. Daraus folgt eine poimenische Konsequenz: Da die Volksmission als spirituelle Wiederbelebung der Kirche vor allem von ihrem seelsorgerlichen Selbstverständnis her definiert wird, stellt die geistlich aktive Gemeinschaft den 1033 Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 10. 03. 1960, an Pfr. Hansmartin Ehler, Oberbobritzsch, in: A.I.b.1152. 1034 Vgl. Bonhoeffer, DBW 1, 87. 1035 So auch im weiteren Text: »Mannschaft ist die Gemeinde Jesu im Einsatz. […] Kirche ist die lebendige Gemeinde des lebendigen Herrn«.

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Ort da, an dem und durch den sich Seelsorge vollzieht. Hier konkretisiert sich die Gemeinde. Es wird eine bestimmte Wirklichkeit erfahrbar : ihre seelsorgerliche Dimension. Es liegt dem Verfasser daran zu betonen, dass der Gehalt der Seelsorge, nämlich die Kraft des rettenden Christusglaubens, durch Gemeinschaft veranschaulicht werden kann.1036 In dieser Weise besteht die Aufgabe, das Gnadenwort Gottes nicht allein zu verkündigen, sondern »sichtbar« zu machen. Die Gemeinschaft soll das Wort abbilden und darstellen, man könnte sagen: inszenieren, was heißt, dass sie sich mit dem Wort identifizieren und dieses für außen sichtbar leben soll. Die Mannschaft wird zum verbum visibile. Im weiteren Text heißt es: »Die Mannschaftsarbeit ist eine Gemeinde mit Darstellung der einen Wahrheit«. Wie aber hat man sich diese Darstellung, diesen sichtbaren Vollzug des Wortes vorzustellen? Der vorliegende Text spricht selbst davon nur in Ansätzen, aber die bekannten Praxismerkmale der Mannschaftsarbeit machen es deutlich: Mittels der Vollzüge Stiller Zeit, Austausch, gegenseitiger Versöhnung und Beichte, Gebetsgemeinschaft, Abendmahl1037 und durch das gemeinsame Teilen1038 von Zeit, Lebensmitteln und Aufgaben. So gestaltet die MannschaftsGemeinschaft ein gemeinsames Leben, dass nach außen ausstrahlen und für andere wahrnehmbar werden soll. Dadurch soll Personen außerhalb der Mannschaft die Gnade Christi, welche Menschen verändert und Gemeinschaften prägt, vor Augen gestellt werden. Dies hat die missionarische und seelsorgerliche Intention, eine Erfahrung von Vergebung, Trost und geistlicher Gemeinschaft zu wecken (»es geht um eine existentielle Wirklichkeit«). Für die Poimenik jener Zeit stellen derartige, auf Gemeinschaft, Darstellung und Wahrnehmung bezogene Aspekte seelsorgerlichen Handelns eine auffallende Besonderheit dar. Dass Seelsorge in Gemeinschaft eingebettet, von einer 1036 Ganz ähnlich auch dieses Beispiel: »Wir wollen als Mannschaft veranschaulichen, daß ein Leben als Anhänger Jesu ein daseinfüllendes Geschenk ist, daß dieses Leben überall in guten und bösen Tagen möglich ist. Wir wollen sagen, daß ER unsere Sünde wegnahm« etc., VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1961, Ewald Ehrler, 8/1961, in: A.II.a.404/8/Bd3. 1037 »Wiederholt finden wir uns zu gemeinsamem Gebet zusammen, und wenn es sein muß auch zum Fasten als priesterliches [sic!] Tun vor Jesus. Das tägliche Abendmahl ist uns eine besondere Stärkung«, a. a. O.; vgl. auch unter 1.4.3. 1038 Vgl. Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 24. 05. 1949, in: A.I.c.876. Auch das Teilen als Aspekt des gemeinsamen Lebens steht unter dem Vorbild der Gruppenbewegung, sodass Fischer den Volksmissionskreis mit dem Schweizer Hauptort der Moralischen Aufrüstung vergleicht: Der Kreis sei ein »Caux der Ostzone«. Zu Caux hatte der Kreis aber nur wenige Kontakte. Zu einer MRA-Tagung nach Caux war Hans Prehn eingeladen worden, konnte aber nicht teilnehmen, vgl. Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 11. 08. 1947, an seine Eltern, Meißen, in: A.III.a.bis1949; vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 71. Dafür hatte Gerhard Küttner am Ende der 40er Jahre eine Tagung in Caux besucht, vgl. Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 17. 01. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.1.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Gemeinschaft vollzogen und an einer Gemeinschaft wahrnehmbar wird, geht über den kerygmatisch-poimenischen Hauptstrom hinaus. Indem die Gnade Christi durch Gemeinschaft veranschaulicht und abbildet, will sie die Wirkungen der Seelsorge für andere erfahrbar machen, wird selbst zur wahrnehmbaren Seelsorge. Von hier ausgehend kommt der Referent auf einige Merkmale einer gemeinschaftlich orientierten Seelsorge zu sprechen: »Mannschaft ist die Gemeinde Jesu in der Seelsorge. […] Eine Mannschaftsarbeit ist die einzig mögliche Entlastung des Volksmissionars. […] Wir dürfen nicht Volksmission treiben und lassen die Leute dann laufen. […] Hier muß Einzelseelsorge getrieben werden. […] Wir müssen auch sehen, […] welcher Vorteil es ist, wenn […] der Mann jetzt frei wird zur Seelsorge am Mann dadurch, daß die Frau die Seelsorge an der Frau tut.«

Es ist eine wichtige Aufgabe der volkmissionarischen Mannschaft, was der Referent als »Seelsorge« bezeichnet: das spezielle Einzelgespräch (»Einzelseelsorge«). Das Gespräch unter vier Augen im Anschluss an eine volksmissionarischevangelistische Veranstaltung sei so wichtig, dass es allen Teilnehmern angeboten werden soll. Dafür brauche es ein Team von Mitarbeitenden, welches einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (»Volksmissionar«, »Mann«, »Frau«) entlasten könne. Im Sinne des allgemeinen Priestertums würden durch die Integration von Laienmitarbeitern die verschiedenen Gaben entscheidend gefördert und integriert, nicht zuletzt auch dadurch, dass die Mitarbeit von Frauen eine geschlechtsspezifische Seelsorge ermöglichen könne. Damit habe die Praxisform der Mannschaftsarbeit den Vorteil, dass in ihr die charismatische »Fülle und Verschiedenheit der ihr anvertrauten Gaben des Evangeliums« zur Entfaltung und Wirkung kommen könne. »Mannschaft ist die Gemeinde Jesu in der Bruderschaft. […] Diese Mannschaft ist die beste Schule, die sich die Volksmission denken kann zur Heranbildung eines neuen Nachwuchses. […] Wenn ein Mensch gewonnen wird, kann er mitgenommen werden in den Dienst. Er legt dann ein Zeugnis ab.«

Die Gemeinschaftlichkeit der Mitarbeiter bildet eine wichtige Grundlage für die seelsorgerliche Aktivität. Am Begriff »Bruderschaft« wird das Selbstverständnis dieser Verbundenheit deutlich. Ihr Bedeutungsspektrum kann von pastoral über diakonisch bis kommunitär interpretiert werden. Es entspricht der seinerzeit gebräuchlichen Sprache, dass »Bruderschaft« auch die eben erwähnten Frauen einschließt, wenngleich der Begriff sie vermissen lässt. Der Autor betont hier vor allem den Aspekt der Ausbildung von neuen

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Mitarbeitenden innerhalb der Mannschaft als Bruderschaft.1039 Diese könne als ein learning by doing geschehen (vgl. dazu unter 8.3.4). Um Mitarbeiter zu werden, bedürfe es keiner besonderen Schritte der Qualifikation. Aus dem bereits angesprochenen allgemeinen Priestertum zieht der Verfasser die Konsequenz, dass jeder und jede aus den Reihen dieser Priesterschaft zu jeder Zeit Mitarbeiter werden könne. Die Ausbildung ereignet sich dann durch Gemeinschaft, Teilhabe und Übung. Innerhalb der Gemeinschaft werden neue Mitarbeitende begleitet und eingeübt. Anschaulich wird dies an einem wichtigen Praxisvollzug der Mannschaft, den der Verfasser nennt: das Zeugnis. Zur Illustration dient ein anderes Textbeispiel: »Am Sonnabend nachmittag [sic!] 4 Uhr fingen wir an, am selben Tage war schon die 1. Aussprache [eines Teilnehmers] mit Übergabe. Unaufgefordert bezeugte er [der Teilnehmer] seinen Neuanfang am Sonntag früh, sodaß auch andere Männer Mut bekamen, dasselbe zu tun.«1040

Es wird ein Ablauf geschildert, wonach der Teilnehmer durch das eigene Erleben zu einem persönlich-biographischen Zeugnis vor der Gruppe angeregt wurde. Damit übernahm nun der Teilnehmer die Durchführung eines volksmissionarischen Vollzuges und wurde selbst zum Mitarbeiter. Andere Teilnehmer wurden dadurch ihrerseits zur »Aussprache« animiert. Während hier Volksmission grundsätzlich seelsorgerlich qualifiziert ist, bezeichnet »Aussprache« Seelsorge im engeren Sinne (Einzelgespräch) und stellt das praktische Ziel dar, auf das die anderen volksmissionarischen Vollzugsformen hinauslaufen. Die verschiedenen Arbeitsformen sind auf die zentrale Form des Einzelgespräches qualitativ (inhaltlich) hingeordnet. Das kommt auch in deren quantitativer (temporaler) Vorordnung zum Ausdruck.1041 Auch das Einzelgespräch hat eine integrale Zielrichtung, indem es auf Beichte hinausläuft und anschließend zum Zeugnis führen soll. Demnach lässt sich festhalten, dass die Zielgerichtetheit seelsorgerlicher Abläufe nicht nur auf das Einzelgespräch zuläuft, sondern auch von diesem ausgehend zu anderen Arbeitsformen und dann wiederum zu neuen Einzelgesprächen führen will. Innerhalb dieses Kreislaufes werden durch Mitarbeitende neue Mitarbeitende gewonnen, eingeübt und begleitet. Doch weiter im Text Gerhard Bahrmanns: »Mannschaft ist die Keimzelle einer neuen Kerngemeinde.« 1039 So auch: »Mannschaftsarbeit ist Vorbedingung der lebendigen Gemeinde einerseits und […] damit die Vorbedingung einer neuen Volksmission.« 1040 Rundbrief von Rudolf Fischer, Limmritz, 24. 05. 1949, in: A.I.c.876. 1041 Davon zeugen auch andere Beispiele, so etwa: »[nach den Vorträgen / Gruppengesprächen] begann jene Zeit der Aussprachen unter 4 Augen, die außerordentlich viel löste«, Bericht über die Pfarrerrüstzeit in Roßwein 11.–16.[sic; recte: 17.]01.1949, in: A.I.c.876.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Der Autor steigert seine Ausführungen, indem er Mannschaftsarbeit nicht nur als Ausdruck, sondern auch als Bedingung beschreibt, wie lebendige Gemeinde entstehen soll. In diesem knappen Zitat klingt ebenfalls der geschilderte Kreislauf an. Offenbar soll die Mannschaft, welche aus den erweckten Gliedern eines Kerngemeindekreises gebildet wird, auf die Bildung neuer Kernkreise hinarbeiten, welche wiederum Mannschaften bilden, die wieder auf neue Kernkreise hinarbeiten usw. Ein solcher dynamischer Prozess charakterisiert die Praxis des Volksmissionskreises. Dabei fällt auf, dass Seelsorge im weiteren Sinne (cura animarum generalis) die Seelsorge im engeren Sinne (cura animarum specialis) bedingt und herausfordert. Alle Arbeits- bzw. Vollzugsformen stehen in einem gegenseitigen Bedingungs- und Befruchtungsverhältnis, wenn sie das Einzelgespräch anzielen. Dieses ist wieder auf andere Vollzugsformen gerichtet, um wieder Einzelgespräche anzuregen. In dieses Geflecht sind nicht nur bereits aktive, sondern auch neu gewonnene Mitarbeitende eingebunden. Sie sollen integriert und im Sinne des learning by doing ausgebildet werden. Damit will die volksmissionarische Seelsorge die mündige Aktivität des allgemeinen Priestertums fördern. Aus diesen Beobachtungen heraus könnte man ein poimenisches Modell beschreiben: Da die Seelsorge des Volksmissionskreises von cura generalis zu cura specialis verläuft, um zum steten Erreichen dieses Zieles wieder von vorn zu beginnen, folgt sie einem Kreislauf, mit dem Ziel des Aufbaues einer lebendigen Kerngemeinde. Dieses Modell ist als poimenischer Zirkel zu bezeichnen, was im folgenden Beispiel bestätigt und ausführlicher untersucht wird.

6.2.2 Beispiel 2: Poimenischer Zirkel. Volksmissionarische Seelsorge an, in und durch die Gemeinschaft Gerhard Bahrmann, dessen Berichte aus der Anfangszeit des Volksmissionskreises Sachsen Einblicke in Theologie und Praxis gewähren, referiert in einer Selbstvorstellung des Kreises unter der Überschrift »Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften« dessen Anliegen, Ziel und theologische Positionen.1042 Der etwa 1952/53 entstandene Text diente als Verteidigungsschrift gegenüber lutherischen und pietistischen Kritiken, die meist als Vorwürfe der »Schwärmerei« artikuliert wurden und im Zusammenhang mit der charismatisch-erwecklichen Spiritua1042 Vgl. Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften, Pfr. Gerhard Bahrmann, [vermutl. 1952/53], in: A.III.a.1950–1953; dort die folgenden Zit.

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lität des Kreises sowie der Wiedertaufe Gerhard Michaels in Markersbach standen (vgl. unter 3.1.3; 3.4). Die Zielgruppe dieses Papiers ist nur indirekt ablesbar, bei der es sich wahrscheinlich um Gremien und / oder Gruppierungen der Landeskirche handelt. Die Überschrift des Textes weist auf eine ältere Begriffsverwendung von »Volksmissionskreis« bzw. »Kreis« hin: Demnach wird nicht der regionale Gesamtverbund (Volksmissionskreises Sachsen) als »Volksmissionskreis« oder »Kreis« bezeichnet wird, sondern die einzelnen lokalen Kerngemeindekreise erhalten diesen Titel.1043 In dem Text, der als Thesenpapier eine Art Selbstvorstellung des Volksmissionskreises bildet, betont Bahrmann bewusst die Konformität mit Bibel und lutherischen Bekenntnisschriften sowie die Befruchtung durch den Pietismus, verschweigt aber auch hier die Kontakte zur Oxford-Gruppenbewegung. Er schildert den Kreis als eine bruderschaftliche Vereinigung ohne institutionelle Bindungen und wirbt für seine volksmissionarische Praxis. Interessant erzeigt sich dabei eine Auflistung von Stichpunkten (»Grundgedanken«), die volksmissionarische und seelsorgerliche Topoi enthalten, mit denen der Verfasser Sinn und Ziel der Arbeit des Volksmissionskreises, aber auch dessen Orthodoxie und Orthopraxie beweisen will. Diese Stichpunkte werden nun zitiert und auf ihren poimenischen Gehalt hin kommentiert: »a.) Allgemeines Priestertum aller Gläubigen.«

Der Autor nennt mit diesem ersten Stichwort die ekklesiologische Grundlage volksmissionarischer Seelsorge. Nach reformatorischer Überzeugung bildet das allgemeine Priestertum den Kern kirchlichen Lebens und konstituiert alle gemeindliche Praxis. Unausgesprochen sollen Volksmission und Seelsorge als Aktion des allgemeinen Priestertums verstanden werden. Allgemeines Priestertum ist Basis und Ort der Seelsorge nach innen und außen. »b.) Beichte, in Sonderheit Einzelbeichte.«

Die Beichte führt die Liste volksmissionarisch-seelsorgerlicher Handlungsformen an. Sie ist ein Vollzug spezieller Seelsorge, der das Rechtfertigungsgeschehen worthaft und rituell vermittelt. Dieser Auflistung entspricht, dass die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden am Anfang der vita christiana steht und zwar innerhalb der Gemeinschaft des Allgemeinen Priestertums. Einzelbeichte (und seltener Beichte im Gruppenkontext, offenbar nur wenn sich der Gegenstand des Beichtbekenntnisses auf die Gemeinschaft insgesamt bezieht) stellt nicht nur einen Aspekt der cura animarum specialis neben anderen 1043 Das spiegelt sich auch im folgenden Stichpunkt d).

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dar. Sie muss als Kern und Ziel volksmissionarischer Seelsorge bezeichnet werden (im Einzelnen Kap. 8). »c.) Mutua consolation fratrum.«

Nachdem in den bisher behandelten Beispielen von »Aussprache« die Rede war, wird hier explizit auf mutuum colloquium et consolatio fratrum eingegangen (wobei es sich um eine übliche verkürzte Wiedergabe handelt)1044. Dieses Zitat der Schmalkaldischen Artikel will die Bekenntnisgemäßheit der Lehre und Praxis des Volksmissionskreises unterstreichen. Zugleich spiegelt das Nacheinander der Stichworte b) und c) die Zusammengehörigkeit von Beichte und colloquium als Gestalten des Evangeliums nach Luther wider.1045 Die gemeinsame Unterredung und Tröstung der Glaubenden liegt auf der gleichen speziellseelsorgerlichen Ebene wie die Beichte und stellt als spezielle Handlung des allgemein-seelsorgerlichen Priestertums eine in die Gemeinschaft eingebundene Gestalt der Trost-Verkündigung der Kirche dar. Hinsichtlich des konkreten Vollzugs der »gegenseitigen Tröstung« wird man sich diese vor allem als Gespräch im Einzel- oder Gruppenkontext zu denken haben. Das mutuum colloquium kann mit dem seelsorgerlichen Einzelgespräch und dieses wiederum smit dem Beichtgespräch gleichgesetzt werden.1046 »d.) ecclesiola in ecclesia.«

Eine solche Kerngemeinde wird konkret in einem lokalen Kerngemeindekreis. Dieser definiert sich als Gemeinschaft der durch Christus geretteten Sünder und will ihre Lebens- und Aktionsformen kontextualisieren. Kerngemeindekreise als das zentrale oikodomische Modell der Volksmission, welches der Volksmissionskreis Sachsen flächendeckend umgesetzt hatte, stellen geregelte Vollzugsorte von Verkündigung, Gemeinschaft und Seelsorge dar. Dadurch bilden sie erstens das Bindeglied zwischen dem Einzelnen und der Ortsgemeinde (sowie der Kirche). Zweitens stellen sie eine weitere Instanz zwischen dem Einzelgespräch und dem Gottesdienst dar. Denn die normalprotestantische Fokussierung auf Einzelgespräch und Gottesdienst als den alleinigen Orten von Verkündigung, Gemeinschaft und Seelsorge wird aufgebrochen. Kernkreise sind Formen der cura generalis und wollen Orte (lokal und inhaltlich) der cura specialis sein. In den Kernkreisen und durch sie ereignen sich alle Formen volksmissionarischer Seelsorge. 1044 Vgl. Henkys, Seelsorge und Bruderschaft, 6, auch 8: »Wechselseitigkeit wird nicht dem hier gar nicht mehr erwähnten Gespräch, sondern sogleich der Tröstung zuerkannt.« 1045 Vgl. BSLK 449 (Hervorhebung im Text): »durch die Kraft der Schlussel und auch per mutuum colloquium et consolationem fratrum«. 1046 Vgl. VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1981, Pfr. Helmut Günnel, 03/1981, in: A.III.a.1981.

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»e.) Haushalterschaft und Zeugendienst.«

Dieses Stichwort enthält ein Doppeltes: Erstens stellt es offenbar ein Ziel dar, sogenannte Haushalterschaft einzuüben. Unter Haushalterschaft wird der rechte, verantwortete Umgang mit allen Gaben und Begabungen zu verstehen sein, entsprechend dem Gleichnis Jesu von den anvertrauten Pfunden (Lk 19,11–27) und der paulinischen Rede von der treuen Ökonomie (1Kor 4,1f). Es geht dabei um die Verwaltung aller Gaben des allgemeinen Priestertums1047 und um die Förderung von dessen Aktivität, was seinerzeit in der Kirchlichen Volksmission und in der Gemeindeaufbaudiskussion oft thematisiert wurde.1048 Insofern die Einübung von Haushalterschaft befähigen soll, materielle, geistige und geistliche Gaben verantwortlich einzusetzen, nimmt sie auch allgemein-seelsorgerliche Funktionen wahr. Sie findet statt im Kontext geistlicher Gemeinschaft. Zweitens ist von »Zeugendienst« die Rede. Dieser steht im Zusammenhang mit »Haushalterschaft«: Die geistliche Ökonomie entsteht aus der Anerkennung der Königsherrschaft Gottes (vgl. Lk 19,15.27) und hat die Rechtfertigungsbotschaft zum Kern (lust^qia heoO, 1Kor 4,1). Dies soll in einer Kerngemeinde die innere Motivation des evangelistischen Zeugendienstes bzw. des Zeugnisgebens unter Einsatz aller Gaben sein. Unter 6.2.1 wurde schon gezeigt, dass das Zeugnisgeben als Verkündigungsform eine wichtige Stelle im poimenischen Zirkel einnimmt. »f.) Volksmiss[ionarischer] Einsatz.«

In diesem Stichwort ist von der volksmissionarischen Aktion die Rede, die als Dienst der Kerngemeinde methodisch vielfältig ausgestaltet sein kann. Im volksmissionarischen Einsatz wird die lokale Kerngemeinde als Mannschaft mobil. Bei aller Vielfalt volksmissionarischer Arbeitsformen wird unter dem Stichwort »Einsatz« vor allem an evangelistische Vorträge verbunden mit Schriftenmission im Rahmen von Volksmissionswochen zu denken sein. Dass volksmissionarische Arbeit grundlegend als cura generalis mit dem Ziel der cura specialis zu verstehen ist, wurde schon gezeigt. Ihren Gemeinschaftsaspekt er1047 Vgl. Die Ordnung des gemeinsamen Lebens, in: A.II.c.489: »Hab und Gut, Zeit und Geld […] und alle unsere Gaben und Fähigkeiten«. 1048 »Es geht darum, die Gemeinde als gegliederten Leib erst zu nehmen und die Erkenntnis in die Praxis umzusetzen, daß die einzelnen Glieder je nach ihrer Stellung gefordert sind. […] Je nach ihrer Nähe zu diesem Zentrum [Jesus Christus] sind nun auch die Glieder der Gemeinde in eine verschiedene Verantwortung gestellt, die sich in praktischen Dienstleistungen äußert«, Meister, Verantwortung, 10. An der Aussage »je nach ihrer Nähe zu diesem Zentrum« lässt sich ein konzentrisches Gemeindemodell erkennen. Die Rede von »›Haushalterschaft‹und ihre Bedeutung für den Gemeindeaufbau« war seinerzeit Thema in Gemeindeaufbaukonzepten, vgl. Winkler/Kretzschmar, Der Aufbau der Kirche zum Dienst, 187f, das Zit. 187; vgl. Wintzer, Laie, 395.

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hält sie ein durch die Arbeit eines Teams (»Mannschaft«) und das Abzielen auf persönliches Gespräch. Hatte Volksmission das Ziel, Menschen zum allgemeinen Priestertum zu erwecken und durch Beichte in die Kerngemeinde zu führen, hat nun ebendiese Kerngemeinde die Aufgabe, durch Volksmission nach außen zu treten, um wieder Menschen zur praktischen Umsetzung des Priestertums aller Gläubigen zu führen – ein wichtiges Glied im poimenischen Zirkel. »g.) Darüber hinaus sind einzelne seiner [des Volksmissionskreises] Glieder durch ihre Seelsorge an Fragen herangeführt, die in den Bekenntnisschriften weithin unbearbeitet geblieben sind, wie Erweckung, Krankenheilung durch Gebet, dämonische Bindungen und Exorzismus. Hier wird versucht, in aller Nüchternheit in den Grundlinien des Neuen Testaments und der Bekenntnisschriften zu forschen, zu arbeiten und zu dienen.«

Schon quantitativ werden hier spezifische Themen charismatischer Seelsorge gegenüber den vorherigen kurzen Stichworten herausgehoben, welche die volksmissionarische Poimenik ergänzen sollen. Der Rekurs auf das Neue Testament und das lutherische Bekenntnis soll die Skepsis der Leserschaft gegenüber den genannten Topoi (»Erweckung, Krankenheilung durch Gebet, dämonische Bindungen und Exorzismus«) zerstreuen. Diese Topoi stellen Aspekte des lutherischen Taufritus dar, was schon darin begründet ist, dass die Taufe als Erweckungshandlung gesehen werden kann.1049 Ob dies jedoch für die Abfassung des vorliegenden Textes eine Rolle spielte bzw. überhaupt (noch) bekannt war, wäre zu bezweifeln. Denn in der sächsischen Taufagende von 1906 ist weder die Rede vom Taufexorzismus noch sind exorzistische oder abrenuntiative Elemente innerhalb von Gebeten vorhanden.1050 Deshalb bilden diese einzelnen Topoi eigenständige Aspekte charismatischer Poimenik. Während »Erweckung« als ein Grundanliegen volksmissionarischcharismatischer Seelsorge zu bezeichnen ist, stellen heilendes und exorzistisches Handeln charismatische Aspekte der speziellen Seelsorge, die bisher nur durch Gespräch und Beichte repräsentiert war, dar. Darauf wird im Kapitel 7 näher einzugehen sein. Die Aufzählung der Stichworte a) bis g) mag Rückschlüsse auf ihre syste1049 Die Taufe als Ganze ist eine Erweckungshandlung. Der Aspekt der Heilung findet sich im Effata-Ritus wieder. Exorzismus und Abrenuntiation gehören zum Taufformular. Vgl. dazu Jilek, Die Taufe, 296f; für heute praktisch: Hirsch-Hüffell, Absage an das Böse bei der Taufe. 1050 Die Abrenuntiation wird in der Agende von 1906 nur in einer Fußnote genannt, wo sie allein für eine der drei abgedruckten liturgischen Ordnungen und nur bedingt ermöglicht wird: »Hier ist die Abrenuntiation, wenn ihr Gebrauch in der Gemeinde üblich ist und von beteiligter Seite vor der Taufe nicht ausdrücklich abgelehnt wird, in folgender Fassung einzufügen: ›Entsagst du dem Teufel und allem seinem Werk und Wesen?‹ Antwort der Paten: ›Ja‹«, Agende. Zweiter Teil, 12.

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matische Reihenfolge bzw. auf die innere Struktur volksmissionarischer Seelsorge zulassen. Betrachtet man diese Reihenfolge als poimenischen Zirkel, fällt auf, dass die spezielle Seelsorge nur eine Handlungsdimension innerhalb eines generellen Seelsorgeverständnisses und seiner verschiedenen (volksmissionarischen) Vollzugsformen darstellt. Die Skizze unter Abbildung 2 veranschaulicht das Zusammenspiel von cura generalis und cura specialis im poimenischen Zirkel.

Abb. 2: Schema des poimenischen Zirkels.

Ein solcher Zirkel lässt sich auch außerhalb des Volksmissionskreises Sachsen an anderen Beispielen innerhalb der damaligen Volksmission beobachten. So sei auf das sächsische Landeskirchliche Amt für Innere Mission verwiesen, welches etwa zeitgleich seine landeskirchliche Volksmission mit einer ähnlichen Abfolge von Topoi ordnete: »a) Evangelisation b) geistige Auseinandersetzungen und evangelische Volksbildung c) Schriftenmission d) besondere Seelsorge e) Posaunenmission«1051.

In dieser Auflistung wird »besondere Seelsorge« als ein Stichpunkt neben anderen allgemeinen Vollzügen eingegliedert. Auch wenn die besondere Seelsorge nicht näher konkret erläutert ist, wäre bei ihr an das Einzelgespräch ggf. mit Beichte zu denken.1052 In dieser Auflistung entfallen freilich die charismatischen 1051 Vgl. [Handreichung] Anregungen für die Besprechung über Volksmission in den Pfarrkonventen, [vermutl. Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 1950er Jahre], in: A.I.b.1152. 1052 Untersucht man diese Auflistung, ergibt sich, dass erstens »Evangelisation«, »geistige Auseinandersetzungen und evangelische Volksbildung« sowie »Schriftenmission« zu-

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Spezifika, dafür aber wird ein Schwerpunkt auf Apologetik und Posaunenmission gelegt. Die Einordnung der speziellen Seelsorge in Volksmission bzw. allgemeine Seelsorge kennzeichnet also die volksmissionarische Seelsorge überhaupt.

6.2.3 Beispiel 3: Erweckung, Buße, Heiligung. Kerngemeindekreise als exklusive Orte der Seelsorge in Gemeinschaft Die Gemeinschaft der Erweckten als aus Seelsorge entstandene, Seelsorge wahrnehmende und Seelsorge praktizierende ecclesiola in ecclesia Das folgende Beispiel, ein Visitationsbericht (Pfarrer Waldemar Gorgon, Hartha, 1950), gibt eine interessante Definition des Kerngemeindekreises. Kontext der zitierten Passage ist ein Abschnitt über den »Hauptgottesdienst«, von welchem nicht viel mehr als die Zusammensetzung der Gottesdienstteilnehmer berichtet wird. Die regelmäßigen Gottesdienstteilnehmer bezeichnet der Verfasser als »Kerngemeinde« und verwendet diesen Begriff als gottesdienstlichen Terminus: Die Kerngemeinde des Hauptgottesdienstes »setzt sich zusammen einerseits aus sehr ernsten Gläubigen, andererseits aus vielen Erweckten, die auch einmal Buße getan haben, in täglicher Buße stehen, den Weg der Heiligung gehen und außerdem ein seelsorgerliches Verhältnis zu ihrem Seelsorger haben und Seelsorge in Anspruch nehmen«.1053

Auffällig ist in dieser Passage, dass der Autor zwei Gruppen differenziert. Auf der einen Seite stehen »sehr ernste Gläubige«, auf der anderen Seite »Erweckte«, die voneinander unterschieden werden und die beide zusammen die Mitglieder der gottesdienstlichen Kerngemeinde bilden. Die zweite Gruppe der Erweckten wird durch das Attribut »viele« sowie mittels einer ausführlicheren Beschreibung von der ersten Gruppe abgehoben. Schließlich liegt der weitere Fokus des Textes auf den »Erweckten«, während die erste Gruppe der »sehr ernsten Gläubigen« keine Rolle mehr spielt. Mit der Gruppe der »Erweckten« beschreibt der Autor die Mitglieder des Kerngemeindekreises und liefert eine (Selbst-) Definition dieser Gruppe. Im Kernkreis werden erweckte Personen gesammelt. Dem korrespondiert das nächst auf gemeinsamer Ebene liegen und dann als generell-seelsorgerliche Volksmission zweitens zur »besonderen Seelsorge« führen. Drittens muss die Nennung von »Posaunenmission« als ergänzendes Stichwort zur ersten Ebene (Evangelisation) gezählt werden. 1053 Bericht über das Leben der Kirchgemeinde Hartha anläßlich der Kirchenvisitation in Hartha am 19. u. 20. Juli und am 5. und 6. August 1950, Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 03. 08. 1950, in: A.II.f.14.0_K, dort auch die folgenden Zit.

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Selbstverständnis, dass es außerhalb des Kreises zwar ernste Glaubende, aber (bis auf Ausnahmen) keine Erweckten gibt. Diese Unterscheidung ist typisch für das exklusive Selbstverständnis der Kerngemeindekreise. Das Zitat charakterisiert die Mitglieder des Kernkreises und beinhaltet eine Reihenfolge von Schritten geistlichen Lebens bzw. einen volksmissionarischen ordo salutis. Diese Reihenfolge, ausgedrückt durch die einzelnen Bestandteile des Zitates, hängt mit dem Verständnis von Beichte und Seelsorge zusammen. Die einzelnen Bestandteile des Zitates sind so zu interpretieren: »aus vielen Erweckten«: Das Partizip »erweckt« (vom Passivum »erweckt werden«) stellt eine Klassifizierung und Bestimmung von Personen dar und ist als evangelistischer Terminus technicus zu verstehen. Es bezeichnet Personen, die aufgrund einer Evangelisation (oder eines ähnlichen Ereignisses wie z. B. Hören eines Vortrages, Lesen von Lektüre etc.) animiert wurden, die Gnade Gottes in Christo persönlich anzueignen (vgl. 8.3.1). Das Perfektum bedeutet die geschehene persönliche Aneignung der Gnade, also das, was »Neuanfang« bezeichnet. Somit liegt der erste Schritt des ordo salutis vor : die persönliche Aneignung der Rechtfertigungsgnade z. B. aufgrund einer Evangelisation (das Erweckt-Werden) und deren Abschluss (das Erweckt-Sein). »die auch einmal Buße getan haben«: Das Adverb »einmal« kann quantitativ (numerisch) oder qualitativ (emphasierend) zu verstehen sein. In beiden Sinnrichtungen weist es auf die initiale Beichte bzw. Lebens- oder Generalbeichte hin, da der Begriff »Buße« für den Volksmissionskreis sinnvoll in Form des Beicht-Ritus vorzustellen ist. Die initiale Beichte wird von der Evangelisation angezielt und soll im Anschluss daran – als Ausdruck des Erweckt-Seins – stattfinden (vgl. 8.2.2; 8.3.1). Damit ist der zweite Schritt des ordo beschrieben: die Lebensbeichte als Folge bzw. im Anschluss an ein Erweckt-Werden. »die in täglicher Buße stehen«: Die »Buße« ist weiterhin als Beicht-Ritus zu interpretieren und das Adverb »täglich« bedeutet die regelmäßige Beichtpraxis als Folge der Lebens- bzw. Generalbeichte. Obwohl es im Volksmissionskreis Spitzenaussagen über täglich praktizierte Einzelbeichte gibt, ist davon auszugehen, dass »täglich« hyperbolisch zu lesen ist, da selbst der Alltag von Personen eines Kerngemeindekreises die tagtägliche Einzelbeichte eher als Seltenheit kennen wird.1054 Deshalb sollte »tägliche Buße« generalisierend verstanden und auch als Herzensbeichte gedacht werden können. Hier ist also der dritte Schritt des ordo formuliert: die regelmäßige Beichte bzw. Herzensbeichte. »den Weg der Heiligung gehen und außerdem ein seelsorgerliches Verhältnis 1054 Davon spricht Erich Schumann: »Ich will mir die tägliche Beichte vor einem Menschen lassen [= erhalten]«, Freundesbrief von dems., Pfingsten 1948, in: A.I.c.876 (Hervorhebung im Text), auch zit. unter 8.1.3. Hier ist tatsächlich die tagtägliche Beichte »vor einem Menschen« gemeint, anders als bei Luther, der mit »täglicher Beichte« das Beten des Vaterunsers meint, vgl. BSLK 727f.

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zu ihrem Seelsorger haben und Seelsorge in Anspruch nehmen«: Ob es sich in dieser mehrteiligen Wortgruppe um mehrere verschiedene, einzelne Schritte handelt, ist fraglich. Eher liegt es nahe, die aufgezählten Inhalte synonym, d. h. einander ergänzend zu lesen sowie als Ergänzung zu »täglicher Buße« zu verstehen. Dann expliziert der Begriff »Heiligung« die Bedeutung von »Buße« (vgl. 8.2.1: Beichte als Vollzugsform auf dem Weg der Heiligung). Ebenfalls interpretiert »Heiligung« »Seelsorge«.1055 Dies bestätigt sich in einer weiteren Aussage des Autors im selben Bericht: »Deshalb ist es mir das wichtigste Anliegen, daß wieder Seelsorge wird«. Hier werden Seelsorge und Buße bzw. Beichte zwar nicht begrifflich, aber praktisch gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung ist typisch für die kerygmatische Seelsorge.1056 Die genannten Elemente gehören weiterhin zum dritten Schritt des ordo. Im selben Text zeigt sich, dass die Erweckten als Mitglieder des Kerngemeindekreises zwar einen Teil der gottesdienstlichen Kerngemeinde bilden, aber dennoch mit ekklesiologischen Exklusivbegriffen von anderen Gruppen der Gemeinde abgegrenzt werden. Dabei deuten Bibelstellen den aufgestellten ordo salutis: »Diese Herausgerufenen haben die Wahrheit des Wortes Jes. 59,2 erkannt […] und gingen mit tiefem Ernst den Weg wie er 2.Chron. 30,15 gezeigt wird: ›Die Priester und Leviten bekannten ihre Schande und heiligten sich.‹«

Als »Herausgerufene« werden die Mitglieder des Kerngemeindekreises als 1jjkgs_a schlechthin bezeichnet. Sie bilden die aus der Welt herausgerufene Gemeinschaft der von Sünde gereinigten (initiale Beichte) und sich weiter heiligenden (regelmäßige Beichte und Seelsorge) Erweckten. Sie sind die Erkennenden (»haben die Wahrheit des Wortes erkannt«) und werden »Priester« und »Leviten« genannt. Dies scheint zunächst mit 1Petr 2,9 dem evangelischen Verständnis des allgemeinen Priestertums zu entsprechen: Wer zum heiligen Volk Gottes gehört, ist ein Priester des himmlischen Königs. Aber hier wird der generell-ekklesiologische Begriff »Priester« innerhalb eines konkret-ekklesialen Kontextes verwendet. Daher bedeutet dieser keine Allgemein-, sondern eine Exklusivbezeichnung. Priester (Glieder des Kerngemeindekreises) werden von NichtPriestern (Glieder der übrigen Gemeinde) abgegrenzt. Daher stehen sie als »Priester« und »Leviten« anderen Getauften gegenüber und bilden den eigentlichen Kern der Gemeinde. In der Konsequenz würde diese ekklesiologische 1055 Zwar scheint dieser Annahme das Adverb »außerdem« zu widersprechen. Doch »außerdem« kann auch betonend, emphasierend, nicht ausschließend gelesen werden. Demnach kann »ein seelsorgerliches Verhältnis haben und Seelsorge in Anspruch nehmen« nicht als Zusatz zu »Buße«, sondern als synonyme Erläuterung verstanden werden. 1056 Siehe auch den Stichpunkt c) unter 6.2.2. Vgl. Winkler, Seelsorge, 38.

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Exklusivbezeichnung sogar bedeuten, dass die Ortsgemeinde noch als Welt (»Welt« im Unterschied zu »Kirche«) zu verstehen wäre: Denn herausgerufen werden können die wahren Priester nur aus der Welt, nicht aus der Kirche.1057 Die ekklesiale Selbstdefinition des Kerngemeindekreises definiert automatisch auch die gesamte Kirchgemeinde. Weitere Bezeichnungen von Kerngemeindekreisen aus anderen Textbeispielen sagen ekklesiale Exklusivität aus und können dabei sowohl konzeptionell als auch deskriptiv verwendet werden: »die mit Ernst Christen sein wollen«1058 ; »ecclesiola in ecclesia«1059 ; »der Kern und das Geheimnis für das Aufwachen neuen Lebens«1060 ; »Kern der Gemeinde«1061, »Familia Dei«1062 bzw. »Gottesfamilie«1063 oder »Lebensgemeinschaft«1064.

Seelsorge der Gemeinschaft durch ekklesiale Exklusivität: Kritische Folgerungen Die Beobachtungen am Text ergeben: Aus dem vorliegenden Zitat lässt sich ein praktischer ordo salutis bzw. eine Reihenfolge von Schritten geistlichen Lebens der Kerngemeinde ablesen, nämlich die Abfolge von 1) Evangelisation bzw. persönlicher Annahme der Rechtfertigungsgnade, von 2) initaler Beichte als Lebensübergabe und von 3) regelmäßiger Beichte und Seelsorge als praxis pietatis bzw. als Heiligung und zwar im Kontext der Gemeinschaft. Daher kann der aufgezeigte ordo auch als Reihenfolge von Schritten in das geistliche Leben der Kerngemeinde verstanden werden. Dabei kommt der praktische ordo salutis ohne einen Bezug zur Taufe aus. Es handelt sich um methodisch entfaltete Schritte evangelistisch motivierter Seelsorge, die – obwohl sich die Volksmission gerade an Getaufte wendet – weder inhaltlich noch praktisch auf die Taufe ausgerichtet sind. Während 1057 Vgl. dazu: »Die Frage der Heiligung wird von nicht wenigen ganz ernst genommen. Sie möchten Salz und Licht […] sein und sind es auch«, Bericht über den Stand des kirchlichen Wesens in der Kirchgemeinde Lauter erstattet anläßlich der Visitation der Kirchgemeinde durch Herrn Superintendent [Gustav] Jahn am 18. 10. 1959, Pfr. Hans Prehn, in: A.I.s.1055. 1058 Gemeindebericht zur Visitation in Hartenstein vom 12.–23. 09. 1983, Pfr. Gotthold Friedrich, Hartenstein, in: A.I.u.39.II.2. 1059 [Bericht] Volksmissionswoche Johnsbach/Glashütte 19.–27. 04. 1947, Pfr. Gerhard Bahrmann, in: A.II.b.2.1181, 105f, hier 106. 1060 VMK (Hg.), Freundesbrief 08/1951, in: A.I.p.306. 1061 Bericht über den Stand des Kirchlichen Wesens in der St. Johannisgemeinde Crimmitschau, Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 17. 11. 1971, in: A.I.v.60. 1062 Bericht über das Leben der Kirchgemeinde, Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 31. 03. 1982, in: A.I.a.III111. 1063 Die Ordnung des gemeinsamen Lebens, in: A.II.c.489. 1064 Vgl. z. B. [Einladung für Mitarbeiter der Gebetskreise zum Regionaltreffen am 09. 04. 1983 in Mildenau] Rundbrief von Pfr. Erdmann Paul, Mildenau, 11. 03. 1983, in: A.I.k.819: »die verbindliche Lebensgemeinschaft mit ihm [Jesus Christus] und untereinander«.

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entsprechend lutherischer Tradition die einzelnen Aspekte eines ordo salutis immer von demselben einen Rechtfertigungsgeschehen ausgehen und vom (täglichen) reditus ad baptismum her definiert werden,1065 spielt die Taufe für die Definition der einzelnen, hier untersuchten Schritte keine Rolle. Weitere Beispiele (vgl. 6.1.1; 7.2.6) zeigen, dass die Taufe zwar als Initiation gesehen wird, für die missionarische und seelsorgerliche Praxis aber ohne jede positive Bedeutung ist. Damit lässt sich die evangelistisch-seelsorgerliche Vorgehensweise sowie ihr poimenischer Hintergrund sehr klar als volksmissionarisch erkennen: Die Volksmission richtet sich an die »Getauften […], die faktisch ›Heiden‹ seien«.1066 Sie hat eine mehrheitlich zwar kirchenzugehörige (getaufte), aber dennoch kirchenferne (distanzierte) Masse (»Volk«) vor sich, die es geistlich zu reanimieren gilt. Damit zielt die Volksmission zwar im Kern auf eine Rückkehr zur Taufe, bezieht sich aber nicht auf diese. Dies liegt begründet in der praktischen Irrelevanz der traditionsverhafteten Taufe im Leben vieler Kirchenglieder, weshalb die Volksmission von Bekehrung und Buße, Erweckung und Beichte statt von Taufe spricht. Wie in der Volksmission so spielt auch im Volksmissionskreis Sachsen die Taufe keine nennenswerte Rolle in Verkündigung, Seelsorge, Gemeindeaufbau und theologischer Reflexion. In dieser theologischen Haltung liegt allerdings ein theologisches Problem: Der Fokus auf Erweckung statt auf Taufe begründet das exklusive ekklesiale Selbstverständnis der Kerngemeindekreise. Diese bestimmen sich ausschließlich aufgrund von praktischer bzw. praktizierter Seelsorge. Hier definiert die Seelsorge und nicht die Taufe bzw. das Getauftsein die Glieder der Gemeinschaft als die »Herausgerufenen«, als die »Priester« und »Leviten«. Das ekklesiologisch und ekklesial einende Band der Taufe rückt in den Hintergrund und die Kerngemeindekreise werden zu exklusiven Gemeinschafts-Orten der erwecklichen Seelsorgepraxis. An die Stelle der Taufe rückt die Beichte. Die Beichte sieht man als Zentrum der Seelsorge, was sowohl für ihre bekehrungs- (Evangelisation, Initiation) als auch ihre heiligungstheologischen (Heiligung, Regelmäßigkeit) Aspekte gilt. Zugespitzt formuliert: Die Kernkreise bestimmen ihre Identität nicht aus der Taufe, sondern aus der Beichte. Sie werben für die Praxis der Einzelbeichte und vermitteln diese (vgl. 8.3.2). Das Problem liegt darin, dass das einende Band der Taufe nicht thematisiert wird und deshalb das Selbstbild nicht prägen kann. Wenn Erweckung, Buße und Heiligung – sowohl in den situativen Hochzeiten des geistlichen Lebens als auch in dessen allgemeiner Regelmäßigkeit – nicht als reditus ad baptismum, als persönliche, praktische Annahme des eigenen Getauftseins begriffen werden, separiert sich die erweckliche Gruppe. 1065 BSLK 706, auch 705; vgl. Schlink, Theologie, 125.152f; Steiger, Ordo salutis, 372f. 1066 Möller, Gemeindeaufbau, 70; vgl. Herbst, Missionarischer Gemeindeaufbau, 167.

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Das Problem ist nicht die Seelsorgepraxis, sondern das tauftheologische Defizit, wonach der Seelsorge (und nicht der Taufe) ekklesiale Initiation und Konstitution zugesprochen werden. Die Mitglieder dieser Kreise sind in einem dauerhaften Seelsorgezusammenhang verbunden. Seelsorge ist permanent präsent – und definiert die Seelsorge-Gemeinschaft ekklesial. Da die seelsorgerliche Arbeit rechtfertigungsund heiligungstheologisch ausgerichtet ist und auf Buße und Umkehr des ganzen Lebens zielt (vgl. 8.2.1–2), sieht sich der Kernkreis als seelsorgerliche Bastion angesichts moralischer Verwirrungen: »mitten in dieser Situation steht die Kerngemeinde«.1067 Daraus entwickelt diese Gruppe ihre ekklesiale Exklusivität: Die seelsorgerliche Aufgabe führt zur ekklesialen Selbstdefinition, nach der Kerngemeindekreis und »Gemeinde« gleichgesetzt werden. Gemeinde ist nur »Gemeinde«, wenn sie sich im Kernkreis wiederfindet. In der Kerngemeinde als ecclesiola in ecclesia vollzieht sich kirchliches Leben im eigentlichen Sinne. In ihr spitzt sich die Gemeinde zu oder konzentriert sich auf ihren Kern. Das hat Folgen für das Verständnis der Seelsorge: Die eigentliche Gemeinde, die Kerngemeinde, wird zum Ort der eigentlichen Seelsorge. Bei diesem Konzept handelt es sich nicht allein um eine Seelsorge innerhalb eines Gemeinschaftskontextes, sondern um die Seelsorge der Gemeinschaft selbst. Der Genitiv »der Gemeinschaft« ist sowohl als subiectivus als auch als obiectivus zu lesen: Eine Seelsorge von, in und aus der Gemeinschaft sowie für die Gemeinschaft soll in den Kernkreisen umgesetzt werden. Diese Seelsorge der Gemeinschaft soll eine Seelsorge aller an allen sein – wobei die cura specialis in einigen Kernkreisen stärker auf den Pfarrer bezogen sein kann (vgl. dazu 5.5.1). Die Seelsorge des Kerngemeindekreises steht unter einer Bedingung: Nur die Erweckten können Seelsorge üben, da sie selbst Seelsorge erfahren haben. Um den Kreis derer, die Seelsorge üben, zu erweitern, bedarf es erstens der nach innen gerichteten seelsorgerlichen Aktivität des Kerngemeindekreises (Sammlung der Erweckten), um zweitens als Mannschaft (Sendung der Erweckten) missionarisch nach außen zu treten. Das entspricht ganz dem Impetus des volksmissionarischen Anliegens, wenngleich sich Gerhard Hilbert als Konzeptionist der Kirchlichen Volksmission gegen eine ekklesiale Exklusivität von Kernkreisen verwehrt hatte:

1067 Bericht über das Leben der Kirchgemeinde Hartha anläßlich der Kirchenvisitation in Hartha am 19. u. 20. Juli und am 5. und 6. August 1950, Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 03. 08. 1950, in: A.II.f.14.0_K. Als Beispiele für diese »Verwirrungen« werden genannt: »die Herde des Ehebruchs, der Sittenlosigkeit, des Diebstahls, der Lästerung überhaupt«.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

»Ich bin stets ein Gegner der Versuche gewesen, die mit Ernst Christen sein wollen, durch irgendeine äußere Maßnahme von den anderen abzuschließen. […] Damit ist grundsätzlich der Einbildung gewehrt, als könne es sich jemals handeln um eine ›Sammlung von Bekehrten‹ oder der ›wahrhaft Gläubigen‹!«1068

Aber gerade als »Sammlung von Bekehrten« sind die Kerngemeindekreise im Volksmissionskreis Sachsen häufig verstanden worden. Auch in anderen volksmissionarischen Kontexten lässt sich ein solches Verständnis nachweisen. Der Berliner Pfarrer Alfred Rehmann sprach beispielsweise bei einer Rüstzeit für sächsische Volksmissionare, unter denen auch Mitarbeiter des Volksmissionskreises anwesend waren, davon, dass im »Seelsorgekreis« »die Bekehrten gesammelt« würden.1069 Auf der gleichen Tagung hielt der Dresdner Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe fest: »Parochialgemeinde und Gemeinde des Neuen Testaments verhalten sich zueinander wie konzentrische Kreise mit einem Mittelpunkt: Christus.«

Knospe ordnet zwei Gruppen um eine Mitte. Zwar spricht er nicht davon, wie die Gruppe der »Gemeinde des Neuen Testaments« sich an einem bestimmten Ort sozialförmig ausgestalten würde. Aber auch ohne seine Vorstellungen von dieser Gruppe auf das Kerngemeindekreismodell hin zu konkretisieren, spricht er von einer ekklesial definierten Kerngemeinde: Der theologisch qualifizierte Begriff »Gemeinde des Neuen Testaments« hebt sich von dem soziologischen Begriff »Parochialgemeinde« ab. Als zweiter der beiden konzentrischen Kreise steht die Kerngemeinde dem gemeinsamen Mittelpunkt näher als der Rest der Parochie. Was Knospe als wohlwollender Förderer des Volksmissionskreises Sachsen ausspricht, wird im Volksmissionskreis nicht anders gesehen. Zudem wird im Hintergrund das Gemeindemodell Dietrich Bonhoeffers erkennbar, dass eine Gemeinde in Form dreier konzentrischer Kreise vorstellt. Dieses Modell ist nur aufgrund seiner volksmissionarischen Prägung denkbar (1.3.4). Im folgenden Abschnitt soll die Bedeutung dieses Modells für den Volksmissionskreis Sachsen besonders hinsichtlich seiner liturgischen Auswirkungen dargestellt werden.

1068 Hilbert, Kirchliche Volksmission, 40.41. 1069 Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.II.a.401/4/53, dort auch das folgende Zit. Vgl. zu diesem Text unter dem Gesichtspunkt exorzistischen Handelns ausführlich unter 7.2.2.

Seelsorge der Gemeinschaft

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6.2.4 Der Kerngemeindekreis als Abendmahlsgemeinde Dietrich Bonhoeffers Modell der konzentrischen Kreise Dietrich Bonhoeffer geht davon aus, dass sich die Kirche, d. h. konkret eine volkskirchliche Kirchgemeinde, in drei konzentrischen, aufeinander bezogenen Kreisen strukturiere, nämlich von außen nach innen als Tauf-, Predigt- und Abendmahlsgemeinde.1070 Die Mitglieder der inneren Kreise gehören jeweils auch zu den äußeren Kreisen, wogegen Personen von äußeren Kreisen noch nicht automatisch zu den jeweiligen inneren Kreisen gehören. Dies heißt für die sogenannte Abendmahlsgemeinde, dass sie den innersten Kreis der Kirche bzw. einer Gemeinde ausmache. Ihre Mitglieder seien sowohl getauft als auch regelmäßige Besucher des sonntäglichen Predigtgottesdienstes; darüberhinaus partizipieren sie als die Entschiedenen an der Abendmahlsgemeinschaft. Bonhoeffer will mit diesem Konzept soziologisch und theologisch die Realität der Volkskirche im Gemeindeaufbau berücksichtigen. Wie Bonhoeffer sich dabei die Abendmahlsgemeinde konkret vorstellt, wird teilweise deutlich: Auf der einen Seite teilt er ihr Bezeichnungen zu, welche sie von den beiden anderen, äußeren Kreisen abgrenzen: Die Abendmahlsgemeinde bestehe aus denen, »die Ernst machen wollen«, sie sei die »Bekennergemeinde« und verfolge »das gehorsame Symbolisieren einer Freiwilligkeitsgemeinde«.1071 Sie sei von der Predigt- und erst recht von der Taufgemeinde dadurch unterschieden, dass sie den innersten Kreis der Gemeinde, ihre Mitte oder den »Quellpunkt der gemeindlichen Wirksamkeit« ausmache.1072 Insofern stellt sie den Kern der Gemeinde dar. Schaut man sich in diesem Zusammenhang Bonhoeffers Aussagen zur praktischen Volksmission an, zeigt sich, dass für ihn auch die Volksmission auf den »Gemeindekern« hinzielt, den man sich unweigerlich in Form einer konkreten Gruppengestalt vorzustellen hat.1073 Auf der anderen Seite wehrt sich Bonhoeffer aber dagegen, in der Abendmahlsgemeinde die »Darstellung der reinen communio sanctorum« zu sehen und zwar in dem Sinne, als wäre diese communio in den anderen beiden Kreisen nicht bzw. weniger rein vorhanden. Bonhoeffer diskutiert im Anschluss an Gerhard Hilbert den Begriff der Kerngemeinde.1074 Er sieht in ihr die Gemeinschaft derer, die mit Ernst Christen sein wollen, lehnt es aber ab, Kern- bzw.

1070 1071 1072 1073

Vgl. Bonhoeffer, DBW 1, 163–170. A. a. O., 166f. A. a. O., 170. Vgl. Bonhoeffer, DBW 14, 515. Da dieser Gemeindekern von der volksmissionarischen Bekenntnisdimension her und auf diese hin zu begreifen ist, ist er mindestens final als Abendmahlsgemeinde zu verstehen. 1074 Vgl. Bonhoeffer, DBW 1, 168, dort das folgende Zit.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Abendmahlsgemeinde mit der communio sanctorum, d. h. den wahrhaft Gläubigen, gleichzusetzen: »Dies aber ist die Gefahr, die im Begriff der Kerngemeinde fast unvermeidlich schlummert«. Bonhoeffer geht also davon aus, dass die Abendmahlsgemeinde erstens den Kern der Kirche bzw. Gemeinde ausmacht, zweitens aus entschiedenen und bekenntniswilligen Personen besteht und drittens im volksmissionarischen Sinne in konkreten Gruppengestalten auftreten kann. Das Bonhoeffersche Kirchen- und Gemeindemodell setzt mit der Abendmahlsgemeinde strukturell die Existenz von Kerngemeinden, d. h. Vergemeinschaftungen bekenntniswilliger Personen, voraus und verleiht ihnen einen liturgischen Ort: Die Kerngemeinde als Abendmahlsgemeinde wird sichtbar in der eucharistischen Kommunikation, die unter anderem als Bekenntnisakt begriffen wird.1075 Dabei kommt die Definition der Abendmahlsgemeinde ohne ekklesiale Exklusivbestimmungen aus. Dies bedeutet, dass bei Bonhoeffer die liturgische Kommunikation die soziologische Kern- bzw. Abendmahlsgemeinde definiert und nicht umgekehrt.1076

Ideal und Praxis im Volksmissionskreis Sachsen Aus dem häufig belegten ekklesialen Selbstverständnis der Kerngemeindekreise im Volksmissionskreis Sachsen könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Kerngemeindekreise – eventuell mit Bonhoeffer –1077 als Abendmahlsgemeinden gesehen würden. Das hieße, dass die Mitglieder der Kernkreise als die alleinigen Abendmahl feiernden Gruppen innerhalb der Gottesdienste der Ortskirchgemeinden definiert würden. Aufgrund der volkskirchlichen Realität, in welcher die Kerngemeindekreise nur einen Teil der Gemeindeglieder ausmachen, scheint diese Annahme zunächst fraglich. Es gilt also zu untersuchen, ob erstens das Idealbild des Kerngemeindekreises als der alleinigen eucharistisch kommunizierenden Gemeinschaft nachgewiesen werden kann und ob bzw. wie zweitens dieses praktisch umgesetzt werden konnte. 1075 Vgl. a. a. O., 169. 1076 Auch Stählin, Bruderschaft, 112f. Der innere dieser Kreise sei »christliche« oder »echte Bruderschaft«, zu der sich Mitglieder durch persönliche Entscheidung zur Bruderschaft der Glaubenden zusammenschließen. Dies soll durch die Lebensordnung unterstützt werden. Diese Bruderschaft besteht nicht in einer konkreten Gestalt innerhalb einer Ortsgemeinde, sondern es handelt sich um eine nicht-lokal sozialförmige Gruppe. Stählin kritisiert eine Gefahr des Kerngemeindemodells, die aus seiner Sicht darin besteht, die Zugehörigkeit zur Kerngemeinde von äußeren Merkmalen (Bekenntnis der Bekehrung, engagierte Mitarbeit etc.) abhängig zu machen. Insofern entfällt für Stählin auch das äußere Merkmal (»objektive Ordnung«) der definierten Gruppengestalt. 1077 Die Prägung des Volksmissionskreises durch Bonhoeffers Theologie wurde an verschiedenen Stellen gezeigt. Im Blick auf dieses Thema lässt sie sich vermuten, kann aber nicht explizit an Texten nachgewiesen werden.

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Als Beispiel liegt ein Visitationsbericht aus Bräunsdorf vor, den Pfarrer Günter Uhlig 1982 verfasst hatte.1078 Der Bräunsdorfer Kerngemeindekreis war von Gerhard Küttner vom Stille-Zeit-Kreis zum Gebetskreis transformiert worden, stellte den Gründungsort der Bräunsdorfer Schwesternschaft dar und prägte maßgeblich das Leben der gesamten Kirchgemeinde. Der Bericht liefert folgende Informationen: Unter der Überschrift »Gottesdienstliches Leben«: »Die sonntägliche Besucherzahl beträgt im jährlichen Durchschnitt 130. Sakramentsgottesdienste werden im Jahr drei gehalten.« Unter der Überschrift »Innerer Zustand der Gemeinde«: »Die Gemeinde lebt im Worte GOTTES. Der Gottesdienst ist das Herzstück des Gemeindelebens […]; deshalb feiert die Gemeinde auch jeden Sonntag das Heilige Abendmahl. Für den zentralen Platz, den der Gottesdienst im Gemeindeleben hat, spricht auch die Tatsache, daß […] über 100 am Gottesdienst teilnehmen. […] Die Gemeindeglieder, die dem Ruf in die Nachfolge JESU gefolgt sind, werden bewußt gesammelt. Dieser daraus erwachsene Kreis versteht sich wie eine Familie (Familia Dei), in der Alte und Junge, Ehepaare, Witwen und Ledige beieinander sind. Zu diesem Gemeindekreis gehören ca. 100 Gemeindeglieder (einschließlich derer, die […] an das Haus gebunden sind).«

Am Bericht fällt auf, dass der Abschnitt »Innerer Zustand der Gemeinde« das größte Kapitel darstellt und vom Kerngemeindekreis handelt. Obwohl es vorher die Rubrik »Gottesdienstliches Leben« gibt, werden im Abschnitt »Innerer Zustand« interessanterweise weitere Informationen über den Sonntagsgottesdienst geliefert, die über die vorherigen Angaben hinausgehen und ihnen teilweise sogar zu widersprechen scheinen: Erstens ist hier im Zusammenhang mit dem Kerngemeindekreis von Sakramentsfeiern die Rede: »jeden Sonntag«. Diese werden im Abschnitt über den Gottesdienst nicht erwähnt; dort heißt es: »im Jahr drei«. Was könnte diese Diskrepanz bedeuten? Sie ist dadurch zu erklären, dass abgesehen von den drei jährlichen Sakramentsgottesdiensten das Abendmahl stets im Anschluss an den Haupt-, d. h. Predigtgottesdienst gefeiert wurde. Dies entspricht der seinerzeit üblichen liturgischen Eigenheit, das Abendmahl »im Anschluss« an den Predigtgottesdienst zu feiern. Das »Abendmahl im Anschluss« bzw. das »angeschlossene Abendmahls« stellte nahezu im gesamten 20. Jahrhundert die vorwiegende Form der sonntäglichen Eucharistiefeier in Sachsen dar.1079 Während sogenannte Abendmahls- oder Sakramentsgottes1078 Vgl. Bericht über das Leben der Kirchgemeinde, Pfr. Günter Uhlig, Bräunsdorf, 31. 03. 1982, in: A.I.a.III111, dort die folgenden Zit. 1079 Diese eigentlich reformierte Praxis der Aufgliederung des Gottesdienstes in zwei liturgische Feiern hatte sich in den lutherischen Landeskirchen erst um die Wende vom 19. zum

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dienste, d. h. Gottesdienste mit Predigt und Abendmahl, nur an einigen wenigen Sonn- und Feiertagen im Jahr stattfanden, endete hier der Haupt- als Predigtgottesdienst bereits nach Fürbitte und Segen und anschließend wurde in einem eigenen liturgischen Rahmen das Heilige Abendmahl gefeiert. In der Regel blieben zur Abendmahlsfeier deutlich weniger Teilnehmende, als im Predigtgottesdienst anwesend waren, und es wurde hieraus ein besonderer Bekenntnischarakter des Abendmahles oder eine besondere Willensentscheidung für die Teilnahme abgeleitet.1080 Diese Form der sonntäglichen Mahlfeier trifft auch für Bräunsdorf zu. Sie wird im Visitationsbericht nicht explizit erwähnt, ist aber im Kontext der Ausführungen zum Kerngemeindekreis deutlich erkennbar. Zweitens gibt der Autor die Zahl der Gottesdienstteilnehmer mit durchschnittlich 130 Personen an. Im Zusammenhang mit dem Kerngemeindekreis teilt er mit, dass über 100 Personen am Gottesdienst teilnehmen und zugleich der Kernkreis aus ebenfalls etwa 100 Personen besteht. Für die Differenz zwischen 130 und 100 Gottesdienstteilnehmern gibt es zwei mögliche Erklärungen: Zum Einen könnte der Autor die Zahl 130 schlicht auf »über 100« abgerundet haben. Zum Anderen ist es aber wahrscheinlicher, dass mit »über 100« die Anzahl derer genannt wird, welche nicht nur am Hauptgottesdienst, sondern auch an der angeschlossenen Abendmahlsfeier teilnehmen. Die Anzahl der Kommunikanten fällt dann etwas geringer aus als die Gesamtzahl der Gottesdienstteilnehmer. Sie stimmt in etwa mit der genannten Zahl der Kernkreis-Mitglieder überein. Die Zahl der am Gottesdienst teilnehmenden Kernkreis-Mitglieder ist idealisiert aufgerundet (»einschließlich derer, die […] an das Haus gebunden sind« – und nicht zum Gottesdienst kommen!).1081 Für diese Interpretation spricht: Die beiden mit »100« bezifferten Angaben kommen im Abschnitt über den Kerngemeindekreis vor und stehen sehr eng beieinander. In diesem Abschnitt werden der hohe Stellenwert des Gottesdienstes (»Herzstück«) sehr betont – während er im Abschnitt »Gottesdienstliches Leben« nicht angesprochen wird –, zugleich werden die Merkmale des Kernkreises sehr ausführlich vorgestellt. Ein liturgisches Thema (Gottesdienst) 20. Jh. eingebürgert, wobei eine aufklärerische Vorentwicklung (Abkopplung des Mahles aus dem Gottesdienst, Feier z. B. am Vorabend) seit dem 18. Jh. vorauszusetzen ist; vgl. Niebergall, Abendmahlsfeier, 311. In Sachsen hat sich diese Praxis – trotz der Einführung der lutherischen Agende I 1962 – bis in die 1990er Jahre durchgehalten und konnte erst allmählich durch die wiedergewonnene Einheit von Predigt- und Abendmahlsgottesdienst abgelöst werden. Gebietsweise (vorwiegend in Gemeinden im Vogtland und im Erzgebirge) besteht die Praxis des Abendmahles im Anschluss bis heute. 1080 Vgl. Niebergall, Abendmahlsfeier, 312. 1081 Die idealisierte Erhöhung der Mitgliederzahl wird dadurch bestätigt, dass für 1977 von 60– 80 Mitgliedern des Kerngemeindekreises gesprochen wird, vgl. Gesprächsprotokoll Pfr. Dr. Christof Ziemer mit Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 25.11.1977, in: A.III.d.Stepper3.

Seelsorge der Gemeinschaft

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ist einem nicht liturgischen Ort (Kernkreis) zugeordnet. Dabei sticht der Satz ins Auge: »Die Gemeinde lebt im Worte GOTTES […]; deshalb feiert die Gemeinde auch jeden Sonntag das Heilige Abendmahl«. Hier ist unter »Gemeinde« die Gruppe der Entschiedenen (»lebt im Worte Gottes«), d. h. der Kerngemeindekreis, zu verstehen. Kann daraus geschlussfolgert werden, dass in Bräunsdorf die Abendmahlsfeier vorwiegend dem Kerngemeindekreis zugeordnet wird, weshalb sie nicht innerhalb des Hauptgottesdienstes stattfindet sowie nicht mit der selben Teilnehmerzahl beziffert ist? Ein weiterer Visitationsbericht, welcher von Pfarrer Peter Leonhardi, dem Nachfolger Uhligs, 1992 verfasst worden war, macht folgende Aussage: »Vorbehalte hatten manche besonders geprägte Gemeindeglieder aber gegenüber dem Sakramentsgottesdienst, da dieser zu offen und das Hl. Mahl ein Jüngermahl sei.«1082

Leonhardi hatte in Bräunsdorf das »Abendmahl im Anschluss« zugunsten der Evangelischen Messe mit Predigt und Abendmahl aufgegeben, woraufhin sich Kritik aus der Gemeinde geregt hatte. In dem Zusammenhang hält Leonhardi fest, dass einige Gemeindeglieder das Abendmahl als »Jüngermahl« definieren. D. h. dass nur die »Jünger«, nämlich die »Gemeinde, die im Wort lebt« – also die Glieder des Kerngemeindekreises – an der Kommunion teilnehmen sollen. Aufgrund dieser Verhältnisbestimmung soll es laut mündlicher Quellen in Bräunsdorf darüberhinaus sogar vorgekommen sein, dass einzelnen Personen abgeraten worden sei, an der Kommunion teilzunehmen.1083 Es spricht also aufgrund dieser Zeugnisse alles dafür, dass in Bräunsdorf Kerngemeindekreis und Abendmahlsgemeinde gleichgesetzt wurden und diese ideale Gleichsetzung in der gemeindlichen Praxis auch versucht wurde umzusetzen. Praktisch wird dies so ausgesehen haben, dass die übliche Abendmahlsfeier anschließend an den Predigtgottesdienst das Idealbild unterstützte. Da, wie landläufig üblich, bei einer Abendmahlsfeier im Anschluss weniger Personen teilnehmen als am vorausgegangenen Hauptgottesdienst, konnte dieses Teilnahmeverhalten den Kernkreis wenigstens mehrheitlich zur Kommuniongemeinde werden lassen. Die Bräunsdorfer Zahlenverhältnisse widersprechen dem nicht oder können als Bestätigung gelesen werden. Da außerdem nicht davon auszugehen ist, dass alle Kernkreis-Mitglieder tatsächlich am Gottesdienst teilnahmen (schon aufgrund der Alten und Kranken, »die an das Haus 1082 Vgl. Bericht über das kirchliche Leben anläßlich der Visitation durch Superintendent Schönfeld im Oktober 1992, Pfr. Peter Leonhardi, Bräunsdorf, in: A.I.a.III111, dort das folgende Zit. 1083 Darauf haben mich Pfr.i.R. Peter Leonhardi, Markkleeberg, sowie Pfr.i.R. Christian Seltmann und Pfr.i.R. Werner Kluge, Limbach-Oberfrohna, hingewiesen, denen ich für die Informationen danke.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

gebunden sind«), kann geschätzt werden, dass die Kernkreis-Mitglieder etwa 75 Prozent der Kommunikanten ausgemacht haben können.1084 Ähnliche Schlussfolgerungen lassen auch andere Visitationsberichte aufgrund ihrer Zahlenangaben zu. In Crimmitschau (Pfarrer Hans Prehn, 1971) wird eine Gottesdienstteilnehmerzahl von durchschnittlich 142 und eine Zahl der Kommunikanten des »Abendmahls im Anschluss« von 56 Personen festgehalten.1085 Die Zahl der Kommunikanten ist dabei etwas höher als die Anzahl der Mitglieder des Kerngemeindekreises, weshalb davon auszugehen ist, dass dieser das Gros der Abendmahlsteilnehmer ausmacht. Für Lauter werden zunächst (Pfarrer Hans Prehn, 1959)1086 ca. 280 Gottesdienstteilnehmende und ca. 35 Kommunikanten »im Anschluss« und später (Pfarrer Gottfried Rebner, 1984)1087 ca. 200 Gottesdienstteilnehmende und 40 bis 60 Kommunikanten dokumentiert. Während im Lauf der Jahre die Gesamtzahl der Gottesdienstteilnehmenden abnimmt, steigt die Zahl der Kommunikanten an. Dies lässt den Schluss zu, den Kerngemeindekreis als die – mit der Zeit zunehmend – hauptsächlich kommunizierende Personengruppe anzunehmen. In diese Richtung geht auch die Bemerkung Rebners: »Die Kerngemeinde hat ein immer engeres Verhältnis zum Abendmahl gefunden«. In Hartenstein (Pfarrer Gotthold Friedrich, 1983) werden ca. 75 Teilnehmer des »Abendmahls im Anschluss« genannt.1088 Eine Teilnehmerzahl für den Hauptgottesdienst fehlt; es wird davon auszugehen sein, dass diese höher ausfällt. Auch hier kann angenommen werden, dass die Mitglieder des Kerngemeindekreises einen Großteil der Kommunikanten ausmachen. In allen Visitationsberichten fällt darüber hinaus eine spezifische Bestimmung der Kerngemeindekreise auf: Der Kerngemeindekreis wird aufs engste mit einer liturgischen Bestimmung in Verbindung gebracht. Wenn im Bericht zu Bräunsdorf (Uhlig) ein liturgisches Thema, der Gottesdienst, einem nicht liturgischen Ort, dem Kernkreis, zugeordnet wird, bedeutet dies im Umkehrschluss, dass der Kernkreis sich vom Gottesdienst her definiert. In den Berichten 1084 Diese Schätzung beruht auf der begründeten Annahme, dass das hoch engagierte Teilnahmeverhalten von Kernkreismitgliedern dazu führte, dass nahezu der gesamte Kreis zum Gottesdienst bzw. zur Kommunion anwesend war. 1085 Vgl. Bericht über den Stand des Kirchlichen Wesens in der St. Johannisgemeinde Crimmitschau, Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 17. 11. 1971, in: A.I.v.60. 1086 Vgl. Bericht über den Stand des kirchlichen Wesens in der Kirchgemeinde Lauter erstattet anläßlich der Visitation der Kirchgemeinde durch Herrn Superintendent [Gustav] Jahn am 18. 10. 1959, Pfr. Hans Prehn, in: A.I.s.1055. 1087 Gemeindebericht der Kirchgemeinde Lauter, Kbz Aue für die Visitation vom 12.–26. März 1984, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, in: A.I.s.1057, dort das folgende Zit. 1088 Vgl. Gemeindebericht zur Visitation in Hartenstein vom 12.–23. 09. 1983, Pfr. Gotthold Friedrich, Hartenstein, in: A.I.u.39.II.2.

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zu Crimmitschau (Prehn) und Hartenstein (Friedrich) wird der Kernkreis als »Gebetskreis« bezeichnet, so z. B.: »›Die mit Ernst Christen sein wollen‹ (Luther!!!) und dies als eine für sich verbindliche Art der Nachfolge (davon es viele gibt!) erkannten, versammeln sich wöchentlich im Gebetskreis. Die communio sanctorum in der gesamten Breite ihrer Gestaltwerdung wird im Miteinander versucht. […] Der primus inter pares ist der Ortspfarrer.«1089

Dies entspricht der opinio communis im Volksmissionskreis: »Ein treuer Gebetskreis ist der Kern und das Geheimnis für das Aufwachen neuen Lebens.«1090 Im Visitationsbericht zu Crimmitschau wird diese liturgische Bestimmung als Gebetskreis noch verstärkt: Hans Prehn gliedert seinen Bericht interessanterweise nach dem Schema der Trias Leiturgia, Martyria, Diakonia, wobei der Bestandteil Diakonia knapp ausfällt. Das koinoniale Element des Kern- bzw. Gebetskreises wird dabei ausführlich unter Leiturgia beschrieben und nicht (anders als von dessen volksmissionarischer Zeugnisaufgabe her zu erwarten wäre) unter Martyria verortet: »Der Kern der Gemeinde kommt wöchentlich einmal zusammen. […] In diesem Kreis ist unsere vordringliche Aufgabe das Gebet. Es geht um Gebetserziehung. Wir üben das freie und das gebundene Gebet und sind bemüht, zu einer umfassenden Weite im Beten zu kommen. […] Neben dem Gebet steht der Austausch persönlicher Erfahrungen. Weiter sprechen wir über Fragen und Nöte der Einzelnen, der Gemeinde und der Gesamtkirche. Gelegentlich behandeln wir auch biblische Fragen. Wir verstehen uns als eine Familia dei.«1091

Ertrag Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Kerngemeindekreise mindestens in weiten Teilen des Volksmissionskreises Sachsen zusammen mit ihren ekklesialen Qualifizierungen auch eine liturgische Definition erhalten. Dies drückt sich am Schwerpunkt Gebet und in der Verbindung mit dem Gottesdienst aus: Die Kernkreise als Orte der gemeinschaftlichen Seelsorge erhalten durch das Gebet eine liturgische Verortung. Die Gemeinschaft der Seelsorge wird als Gemeinschaft des Gottesdienstes und des Gebetes verstanden, woraus folgt: Das Gebet ist markantes Merkmal der Seelsorge, weshalb nicht nur von einer 1089 A. a. O. (Hervorhebung im Text). 1090 Hans Prehn in: VMK (Hg.), Freundesbrief 08/1951, in: A.I.p.306. 1091 Bericht über den Stand des Kirchlichen Wesens in der St. Johannisgemeinde Crimmitschau, Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 17. 11. 1971, in: A.I.v.60. Vgl. dazu Prehn, »Siehe, er betet«, 98: »Dieser Kreis muß, wenn er intakt ist, die Herzensfunktion in der Gemeinde innehaben.« Diese Zitate zeigen, dass Gerhard Küttners Transformation des Kernkreises vom Stille-Zeit-Kreis zum Gebetskreis (vgl. 3.5.2) hier Pate gestanden hat.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

Seelsorge der Gemeinschaft, sondern auch von einer Seelsorge des Gebetes zu sprechen ist. Diese ist im Kapitel 7 detailliert zu untersuchen. Dadurch gibt sich der Volksmissionskreis Sachsen als charismatische Gemeinschaft zu erkennen. Hans-Diether Reimer hat darauf hingewiesen, dass Gebetkreise die zentralen Sozialformen der charismatischen Bewegung und auch deren Seelsorgeorte bilden.1092 Dies trifft auf den Volksmissionskreis nicht nur zu, sondern wird zugleich dadurch gekennzeichnet, dass die Gebetskreise als Kerngemeindekreise auftreten und sich als Seelsorgegemeinschaften verstehen. Es lassen sich auffallende Tendenzen nachweisen, die den Kerngemeindekreisen mit der liturgischen Verortung auch eine liturgische Kompetenz zusprechen. Diese Gruppen werden praktisch als Abendmahlsgemeinden definiert. Während Gottesdienstgemeinde und Kerngemeinde unterschieden werden, werden Kerngemeinde und Abendmahlsgemeinde gleichgesetzt. Dabei begründet die Zugehörigkeit zur Gruppe die eucharistische Kommunikation. Das Konzept der Kerngemeindekreise als ekklesial definierte Gemeinschaften unterscheidet die missa fidelium von der missa catechumenorum. Die Bekenner des Glaubens (fideles) kommunizieren eucharistisch, während für den Rest der Gemeinde der Gottesdienst nach Predigt und Fürbitte mit dem Segen endet. Dieser Rest der Gemeinde wird den nicht zur Eucharistie zugelassenen (weil noch nicht getauften) catechumeni gleichgestellt – allerdings ist dieser Rest (der die Mehrheit der Gemeinde ausmacht) bereits getauft. Da man den Rest nicht als catechumeni während des Gottesdienstes entlassen kann, wird der Gottesdienst in zwei Feiern aufgespalten, um die communicatio solorum fidelium zu garantieren. Die Gleichsetzung von Kerngemeindekreis, Kerngemeinde und Abendmahlsgemeinde kann jedoch nur als Idealbild erkannt werden. Die Mitglieder von Kerngemeindekreisen stellten nie die ausschließlich einzigen Kommunikanten der Mahlfeiern im Anschluss an den Hauptgottesdienst dar. Da sie jedoch das Gros der kommunizierenden Gemeinschaft ausmachten, ist das Idealbild ein prägendes Leitbild. Dem Idealbild des Kerngemeindekreises als Abendmahlsgemeinde und der entsprechenden gottesdienstlichen Praxis kam die liturgische Eigenheit des Abendmahls im Anschluss zu Hilfe und stellte die beste Möglichkeit dar, zwischen Predigt- und Abendmahlsgemeinde zu trennen. Die normalprotestantische Abendmahlsmüdigkeit wird dazu beigetragen haben, dass in einer vom Volksmissionskreis geprägten oder geführten Kirchgemeinde vorwiegend der Kerngemeindekreis zu den Kommunikanten einer Abendmahlsfeier zählte. 1092 Vgl. Reimer, Geist, 86; auch Meyer, Bewegungen, 212: »In der Tat ist die Gebetsgruppe oder Gebetsversammlung die am meisten verbreitete Form, unter der die Bewegung in Erscheinung tritt.«.

Volksmissionarische Seelsorge: Begriff und poimenische Diskussion

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Nicht zum Kerngemeindekreis gehörende Personen bedeuteten für das Idealbild auch kein Problem – sie konnten entweder vernachlässigt oder als »sehr ernste Gläubige« (6.2.3) gewürdigt werden. Das Kerngemeindekreismodell, das eine aus Seelsorge entstandene exklusive Gemeinschaft liturgisch klassifizierte, leistete dem Vorschub, dass das Abendmahl im Anschluss an den Predigtgottesdienst auch nach der Einführung der lutherischen Agende I in Sachsen 1962 (vgl. 8.3.1) den Normalfall bildete. Aufgrund des Idealbildes des Kerngemeindekreises als Abendmahlsgemeinde wurde die Notwendigkeit, die Einheit von Predigt- und Abendmahlsgottesdienst (Evangelische Messe) wiederherzustellen, nicht gesehen und brauchte nicht gesehen zu werden. Eine Ausnahme innerhalb des Volksmissionskreises bildet hier nur die Kirchgemeinde Großhartmannsdorf, wo man sich ab 1962 um die sonntägliche Evangelische Messe bemühte und damit eine Vorreiterrolle liturgischer Erneuerung im Volksmissionskreis und überhaupt in der sächsischen Landeskirche übernahm (vgl. 4.3.2; 8.3.3).

6.3

Volksmissionarische Seelsorge: Folgerung des Begriffes und Einsichten für die poimenische Diskussion

Das hinter einer von volksmissionarischen Grundentscheidungen und Methoden bestimmten Seelsorge stehende Konzept teilt auf der einen Seite zwar die gemeinsame verkündigungsorientierte Grundlage der Wort-Gottes-Theologie. Auf der anderen Seite gelangt es aber gegenüber der kerygmatischen Poimenik zu weiteren praktischen Vollzügen. Deshalb erfordert dieses Konzept eine eigene, präzisierende Bezeichnung hinsichtlich seiner Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur kerygmatischen Seelsorgekonzeption.

6.3.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur kerygmatischen Seelsorge Historische Perspektive Historisch gesehen hat das Seelsorgeverständnis des Volksmissionskreises Sachsen seine Herkunft aus der Antwort entwickelt, welche die Innere Mission auf die Soziale Frage des 19. Jahrhunderts zu geben versuchte: »Seelsorge war nun zu verstehen als wesentliche Aufgabe an denen, die der Kirche ferngerückt waren und also wiedergewonnen oder wieder eingegliedert werden sollten«.1093 Die Kirchliche Volksmission definierte ihre seelsorgerliche Aufgabe gerade nicht 1093 Rössler, Grundriß, 191.

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Die volksmissionarische Konzeption der Seelsorge

allein als cura animarum specialis im Kontext des Einzelgespräches. Und im Volksmissionskreis Sachsen wurde die Volksmission aufgrund der Prägungen durch die Kirchliche Volksmission und die Oxford-Gruppenbewegung vor allem als Seelsorge verstanden. Die unterschiedlichen volksmissionarischen Arbeitsformen werden als seelsorgerliche Mittel oder als Hinführung zur Seelsorge begriffen. Volksmissionarische und seelsorgerliche Praxis greifen derart ineinander, dass diese nicht nur integrale Bestandteile des theologischen, spirituellen und praktischen Konzeptes des Volksmissionskreises bilden, sondern im Grunde ein und dieselbe Sache darstellen. Nun fällt auf, dass auch andere volksmissionarische Gruppen der Nachkriegszeit ganz ähnliche Ansätze wie der Volksmissionskreis Sachsen vertraten. Dies trifft zu für Gruppen, die durch die Kirchliche Volksmission und meist die Bekennende Kirche geprägt wurden, beispielsweise Initiativen in Mecklenburg. Zu beinahe allen diesen (ost-) deutschen Gruppen hatte der sächsische Kreis nicht nur Kontakte, sondern fungierte oftmals als Impulsgeber, als Mitarbeiter und / oder als Mentor (vgl. Beispiele unter 2.2.1). Anders als diese Gruppen aber kennzeichnen den Volksmissionskreis zwei wichtige Entwicklungsschritte: Erstens hatte der Kreis das volksmissionarische Seelsorgekonzept durch eine dezidierte Aufnahme von Impulsen aus der Oxford-Gruppenbewegung nicht nur spezifiziert, sondern stellte nach dem Krieg selber die Nachfolgevereinigung der Gruppenbewegung in Sachsen dar. Zweitens konnte sich der Kreis kirchlich etablieren und seine Praxis auf verschiedenen Ebenen der Landeskirche verankern. Die Anliegen der Gruppenbewegung, der Volksmission, der Bekennenden Kirche und der kerygmatischen Seelsorge konnten so zu einem eigenen Konzept miteinander verbunden werden. Vor diesem Hintergrund kann von volksmissionarischer Seelsorge als eigenem Seelsorgekonzept und von dessen Ausgestaltung im Volksmissionskreis gesprochen werden, das sich vom seinerzeitigen Hauptstrom der kerygmatischen Seelsorge abhebt. Über den allgemeinen Abbruch der volksmissionarischen Bewegung am Ende der 1950er Jahre hinaus konnte in Sachsen die volksmissionarische Seelsorge erhalten werden und bestimmte die Seelsorge der sächsischen innerkirchlichen charismatischen Bewegung über weitere Jahrzehnte. Vergleich mit der Seelsorge Dietrich Bonhoeffers Das Proprium der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen kann deutlicher erkannt werden, wenn man sie mit der Dietrich Bonhoeffers vergleicht. Bonhoeffer und der Volksmissionskreis sind beide Vertreter der Rezeption und Weiterführung verkündigungsorientierter Seelsorge innerhalb der Bekennenden Kirche. Beide entwickeln Konzepte, welche von der Kirchlichen Volksmission und der Oxford-Gruppenbewegung befruchtet sind. Der Volksmissions-

Volksmissionarische Seelsorge: Begriff und poimenische Diskussion

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kreis wird zudem in den Nachkriegsjahren durch Kontakte zur BonhoefferSchule bzw. zu Bonhoeffer-Freunden beeinflusst. Dennoch lässt sich ein markanter Unterschied der Seelsorge des Volksmissionskreises zu Bonhoeffer feststellen: Die sogenannte diakonische Seelsorge, die Bonhoeffer als hörend-beratende Seelsorgeform entwickelt hatte und die seine Poimenik entscheidend ausmacht (und die dem entspricht, was er in seiner »Ethik« als »Wegbereitung« bezeichnete),1094 lässt sich so im Volksmissionskreis Sachsen nicht nachweisen. Obwohl der Volksmissionskreis und sein volksmissionarisches Anliegen aus der Inneren Mission hervorgegangen waren und die tätige Gemeindediakonie an verschiedenen Orten praktiziert wurde, kennt er eine beratende Seelsorge nicht.1095 Wie es typisch ist für die Kirchliche Volksmission, gilt es auch für den Volksmissionskreis Sachsen und muss als Merkmal volksmissionarischer Seelsorge herausgestellt werden, dass beratende Funktionen von Seelsorge nur im Kontext der Mittel des Vortrages und der Schriftenmission wahrgenommen werden. Gerade mittels dieser beiden Medien werden lebenspraktische, ethische und weltanschauliche Fragestellungen verhandelt, durchgeführt im Sinne von kerygma und apologia.1096 Das heißt also, dass beratende Aspekte der Seelsorge im Modus der cura animarum generalis auftreten. Im Blick auf die cura animarum specialis hingegen hat die Beratung im poimenischen System des Volksmissionskreises keinen Platz (ob sie dennoch praktisch auftrat, ist nicht dokumentiert), anders als bei Bonhoeffer, der sie auch theoretisch reflektierte. Für die poimenische Diskussion muss dies als Hinweis gelten, denn: Kann überhaupt eine Seelsorge entwickelt werden, ohne dass die Kategorie der Beratung auch reflektiert wird? Gerade eine Seelsorge, die sich auf Errettung und 1094 Vgl. dazu die Ausführungen bei Zimmerling, Bonhoeffer, 154–157, bes. 155: »Wortwörtlich spricht er [Bonhoeffer] von der ›Diakonie der Seelsorge‹ […] und bezeichnet sie als ›Wesen der Seelsorge im engeren Sinne‹ […]. Obwohl auch die diakonische Seelsorge ›im strengsten Sinn‹ […] auf das Ziel bezogen ist, dass an Gott geglaubt wird, ist sie doch nicht identisch mit der Predigt. […] Die diakonische Seelsorge als Geschehen ›sui generis‹ stellt das Spiegelbild zum Verkündigungsvorgang dar.« In seiner Ethik arbeitet Bonhoeffer die Kategorie der Wegbereitung heraus: »Der Verkündiger des Wortes, der nicht zugleich alles dafür tut, daß dieses Wort auch gehört werden kann, wird dem Anspruch des Wortes auf freien Lauf, auf ebene Bahn nicht gerecht. Es muß dem Wort der Weg bereitet werden«, ders., DBW 6, 152. Diese Wegbereitung ist praktisch Diakonie, allerdings definiert als »Weg vom Letzten zum Vorletzten«, als Dienst Gottes und nicht Werk des Menschen, a. a. O., 159. Ähnliche Gedanken finden sich auch bei Hans Joachim Iwand: »Wenn Menschen zu Ihnen kommen, fragen sie Sie um Rat«, Seim, Iwand, 194. 1095 Gleiches gilt für die Wurzel des Volksmissionskreises, die Oxford-Gruppenbewegung. Zwar ist in der Gruppenbewegung eine sog. »helfende Seelsorge« bekannt, doch eignet ihrem Ansatz das kerygmatische Anliegen von worthafter Hilfe, nicht die diakonische Dimension, vgl. Bruns, Winke für die Seelsorge, 15–17. 1096 Zu einigen Themen von Veröffentlichungen des Volksmissionskreises vgl. z. B. unter 2.3.3.

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Erneuerung konzentriert, müsste dies in den Blick nehmen, um den universalen Heilswillen Gottes auch in dieser Hinsicht seelsorgerlich zur Geltung zu bringen.1097 Diese Beobachtungen rücken nun die Seelsorge des Volksmissionskreises wieder stärker in die Nähe der kerygmatischen Seelsorge. Oder besser gesagt: Sie bestätigen seine Herkunft aus der Kirchlichen Volksmission, die zwar verkündigend zu nennen ist, jedoch von ihrer Methodenvielfalt her nicht eins zu eins mit dem klassischen Konzept der kerygmatischen Seelsorge identifiziert werden kann. Die Unterschiede zum klassischen kerygmatischen Konzept lassen sich vor allem im Sinne der Ergänzung dieses Ansatzes interpretieren. Begriff: Volksmissionarische Seelsorge Die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen ist am besten als volksmissionarische Seelsorge zu bezeichnen. Dieser Begriff begründet sich folgendermaßen: Der Begriff der »volksmissionarischen Seelsorge« wird von der Kirchlichen Volksmission abgeleitet. D. h. nicht der Volksmissionskreis Sachsen ist Namensgeber, sondern das volksmissionarische Anliegen, das dieser teilt. Damit spiegelt der Begriff wider, dass in dieser poimenischen Konzeption die Volksmission als Seelsorge und umgekehrt die Seelsorge als Volksmission definiert werden. Von daher muss der Begriff nicht ausschließlich für den Volksmissionskreis verwendet werden, wenngleich der er diesen Seelsorgeansatz vertrat und als charismatisches Seelsorgekonzept etablierte hatte. Zudem trägt der Begriff »volksmissionarische Seelsorge« den spezifischen, aus der Oxford-Gruppenbewegung stammenden poimenischen Merkmalen Rechnung, die in der Kirchlichen Volksmission mindestens zum Teil rezipiert worden waren (Gerhard Füllkrug, Dietrich Bonhoeffer).

6.3.2 Volksmissionarische Seelsorge zwischen cura animarum generalis und cura animarum specialis Gemeinschaft, Gruppe, Gespräch Ganz ähnlich, wie dies grundlegend die Poimenik der Kirchlichen Volksmission charakterisiert (vgl. unter 1.3.1), kann die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen als eine Bewegung beschrieben werden, die von der cura animarum 1097 Vgl. Seitz, Praxis des Glaubens, 95: »Seelsorge und Diakonie lassen sich […] nicht voneinander trennen, da sonst die Seelsorge zur Psychotherapie und die Diakonie zur Fürsorge wird.«

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generalis zur cura animarum specialis verläuft. Beide Dimensionen von Seelsorge, die allgemeine wie die besondere, stellen nicht einfach nur zwei Aspekte volksmissionarischer Poimenik dar. Angesichts der modernen Gesprächsfokussierung und damit der Zuspitzung des Seelsorgebegriffes auf spezielle Seelsorge (Einzelgespräch) muss die Bedeutung, welche die allgemein-seelsorgerlichen Vollzugsformen hier erhalten, als herausragend bezeichnet werden. Wie bei der Kirchlichen Volksmission bildet die cura generalis auch in der Seelsorge des Volksmissionskreises einen, oder besser : den Pool seelsorgerlicher Vollzugsformen, in dessen Mitte cura specialis verortet ist. Das so verortete Einzelgespräch stellt als Teilbereich dieses Pools die zentrale Vollzugsform dar, welche von allen anderen Formen angezielt wird. Die Verlaufsrichtung von cura generalis zu cura specialis kann als zielgerichtete Linie oder als Zirkel beschrieben werden. Dabei ist die Gemeinschaft der Ort, wo sich allgemeine und spezielle Seelsorge verschränken. Im Gefolge der Oxford-Gruppenbewegung sind die seelsorgerlichen Vollzüge des Volksmissionskreises Sachsen gemeinschaftlich und gruppendynamisch ausgerichtet. Volksmissionarische Arbeitsformen (wie z. B. Referat, Zeugnis) werden im Gruppengeschehen verortet und es treten neue Arbeitsformen hinzu (z. B. Gruppengespräch, Stille Zeit). Durch diese Ausrichtung wird die monologische Struktur verkündigender Methoden dialogisch aufgebrochen, indem auch eine frontal gerichtete Arbeitsform wie der Vortrag in den Gesprächskontext eingebettet wird. Zugleich erhält die allgemeine Seelsorge eine spezielle Zuspitzung, wenn bereits im Gesprächskontext der Gruppe persönlich-biographische Aufarbeitung und Reflexion möglich sind. Einerseits wird Seelsorge modern als Gespräch verstanden, Gesprächscharakter und kerygmatische Dimension von Seelsorge werden nicht aufgegeben und das Einzelgespräch bleibt zentral. Andererseits wird Seelsorge aus der koinonia hergeleitet. Das eine kann nicht ohne das andere Seelsorge begründen. Die gemeinschaftliche und gruppendynamische Ausrichtung der Seelsorge des Volksmissionskreises ist an der kirchgemeindlichen Einbettung der vita christiana interessiert. In der Sprache des Kreises bedeutet dies: Beichte und Bekehrung führen in die Gemeinde bzw. erhalten in der Gemeinde. Diese Ausrichtung stellt eine typische Grundentscheidung des Konzeptes der Kirchlichen Volksmission dar (vgl. die Verbindung von Mission bzw. Evangelisation mit Vertiefung bzw. Nacharbeit). Daher bleiben bzw. werden trotz der modernen Person- und Gesprächsorientierung der Seelsorge deren Gemeinschafts- und Gemeindebezug sowie die Verbindung mit anderen Arbeitsformen möglich. In der Poimenik des Volksmissionskreises treten cura generalis und cura specialis nicht in Konkurrenz zueinander oder wird gar die allgemeine von der besonderen Seelsorge verdrängt. Spezielle Seelsorge bildet vielmehr die »Fortsetzung

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der cura generalis«1098, da alles gemeindliche Leben selbstverständlich im Rahmen der Seelsorge verankert wird. Die gemeinschaftliche Verankerung der allgemein-seelsorgerlichen Vollzugsformen in Zuspitzung auf das Einzelgespräch und besonders die Zielrichtung auf Beichte und Bekehrung weisen darauf hin, dass auch die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen auf den Spezialfall, d. h. auf den Einzelnen ausgerichtet ist. Diese Poimenik hat den Einzelnen und dessen Situation als Ziel. Sie ist bei allen spezifischen Merkmalen, die sie von der klassischen kerygmatischen Seelsorge abheben, dem modernen Ansatz verpflichtet, Seelsorge als Gespräch zu verstehen. Die Formen, in denen sich Seelsorge als Gespräch ereignet, sind jedoch unterschiedlich: Einzelgespräch (»Aussprache«) und Gruppengespräch (»Austausch«). Das Gruppengespräch kann durch private und halbprivate Formen (Stille Zeit) ergänzt bzw. angeregt werden. Die Hochschätzung des Hörens auf die Rede des Heiligen Geistes im gemeinschaftlichen und im privaten geistlichen Leben, was als direkte Seelsorge Gottes in einer konkreten Situation verstanden wird, ermöglicht es, diesem Hören seelsorgerliche Funktion und dialogischen Charakter zuzubilligen. Die Stille-Zeit-Praxis als Form einer hörenden Seelsorge steht auf der Brücke zwischen cura generalis und cura specialis. Sie wird charismatisch geöffnet, wenn sie die direkte Rede Gottes des Heiligen Geistes durch Wort und in Stille erwartet, und holt damit ein, dass Gott selbst der erste Seelsorger ist.1099

Mittel der volksmissionarischen Seelsorge Die Bewertung, das Einzelgespräch bei weitem nicht als einzige seelsorgerliche Vollzugsform anzusehen, spiegelt sich auch in den Mitteln der Seelsorge wider. Der Volksmissionskreis kennt neben den zentralen Mitteln des kerygmatischen Einzelgespräches (Bibelwort, Gebet und Beichte) weitere Elemente. Zeugnis, ebenfalls Bibelwort (besonders in der Stillen Zeit), Austausch und Gebetsgemeinschaft übernehmen die Rolle seelsorgerlicher Mittel im Gesprächskontext der Gruppe. Eine Sonderrolle nehmen Vortrag, Literatur und Predigt ein, da diese nur im funktional abgeleiteten Sinne vom Gespräch her verstanden werden können. Volksmissionarische Vorträge und Schriften wollen seelsorgerliche Funktionen an den Adressaten übernehmen, indem sie anhand einer speziellen Thematik den Einzelnen allgemein ansprechen und ihn in das Gespräch (Einzel-, Gruppengespräch) führen wollen. Gerade anhand des Mittels der Predigt lassen sich 1098 So eine Formulierung Isolde Karles, die sie im Blick auf die Poimenik Otto Baumgartens gebraucht, dies., Poimenik, 587. 1099 Vgl. Steiger, Seelsorge, 7; Winkler, Seelsorge, 81.

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die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur klassischen dialektischen bzw. kerygmatischen Seelsorge erkennen. Zugespitzt könnte formuliert werden: Die Predigt ist ein Spezialfall der Seelsorge. Die genannten Mittel der volksmissionarischen Seelsorge sind Mittel im wahrsten Sinne des Wortes: Sie stehen auf der Mitte zwischen cura generalis und cura specialis. Verschiedene Gesprächsformen stellen spezifische Ausformungen des Gesprächs-Typus dar, ohne damit das Einzelgespräch abzuwerten, sondern um dieses als Hochform der anderen Formen herauszustellen. Somit hebt die allgemeine Seelsorge die Wichtigkeit spezieller Seelsorge heraus: Cura generalis soll eine Seelsorge aller an allen ermöglichen, die in concreto nicht allgemein bleibt. Freilich steht die volksmissionarische Seelsorge in der Gefahr, den Seelsorgebegriff zu weit zu fassen, sodass alles und damit nichts Seelsorge wäre. Doch die kerygmatische Ausrichtung der Volksmission, ihre Orientierung am Einzelnen und die Zielstellung, den Einzelnen zur Belebung der Gemeinde in der Gemeinde zu verorten, will inhaltlich und methodisch dieser Gefahr wehren. Die Rolle von allgemeinem Priestertum und pastoralem Amt in der volksmissionarischen Seelsorge Auch das Handeln des allgemeinen Priestertums wird in die Seelsorge hineingeholt. Gerade der Gruppenkontext macht deutlich, wie die Seelsorge unterschiedlicher Gesprächs- und Aktionsformen nicht nur an das kirchliche (Pfarr-) Amt gebunden ist. Vielmehr können alle ins Gruppensetting involvierten Personen seelsorgerlich aktiv werden – und sollen es auch. Seelsorge in der Gemeinschaft will eine wechselseitige Seelsorge ermöglichen, deren Voraussetzung nicht in der Professionalität oder pastoralen Beauftragung liegt, sondern durch aktive Verortung im Kontext der Gemeinschaft gegeben wird. Jeder Christ kann und soll Seelsorge üben. Dies stellt einen Unterschied zur kerygmatischen Seelsorge dar. Zwar erwähnt auch Thurneysen kurz die Verankerung der Seelsorge im allgemeinen Priestertum, wonach diese nicht nur den Amtsträgern aufgetragen sei,1100 doch geht sein Konzept eindeutig von der Einzelseelsorge und der Ein-Mann-Praxis des Pfarramtes aus. Aufgrund der Verbindung von Volksmission und Seelsorge wird im Volksmissionskreis Sachsen das allgemeine Priestertum inhaltlich und praktisch zum Träger der Verkündigung und der Seelsorge. Die spezifische Aufgabe des Pfarramtes im gemeinschaftlichen Seelsorgegeschehen liegt von daher nicht in der Möglichkeit, (Einzel-) Seelsorge zu betreiben, sondern in dessen Kompe-

1100 Vgl. z. B. Thurneysen, Lehre, 299.

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tenzen zu sakramentalen Handlungen (Beichte1101, Abendmahl) und in der gemeindeleitenden Ökonomie (Kerngemeindekreise1102). Dieses volksmissionarische Seelsorgekonzept impliziert eine pastoraltheologische Grundentscheidung: Der Pfarrer1103 ist Seelsorger als Hirte. Was bedeutet dies? Im als »Bruderschaft« verstandenen Volksmissionskreis agieren Pfarrer »volksmissionarisch«, wonach ihr Handeln Seelsorge ist (cura generalis) und auf Seelsorge, insbesondere die Beichte, zielt (cura specialis). Zugleich sind sie im seelsorgerlichen Gemeinschaftsraum, den Kerngemeindekreisen, als Leitungsfiguren aktiv.1104 Dadurch werden die seelsorgerlichen Kompetenzen des Pfarrers (anders als der Laien, denen auch seelsorgerliche Kompetenzen zugesprochen werden) von sakramentalen und kybernetischen Funktionen bestimmt. Das pastorale Amt entsteht also nicht aus Seelsorge an sich bzw. aus seelsorgerlicher Professionalität, sondern aus den Aufgaben der Sakramentsverwaltung und Gemeindeleitung. Die Rolle von Pfarrern und sogenannten Laien wird im Volksmissionskreis gleichermaßen von der Seelsorge her bestimmt, aber ihre Verschiedenheit nicht durch die Seelsorge differenziert: Die Unterscheidung von Amtsträgern und Laien geschieht durch ein lutherisches, auf sakramentales und gemeindeleitendes Handeln ausgerichtetes Bild des pastoralen Amtes. Nicht die poimenische Profession macht das Amt zum Amt – dann wäre diese der Gradmesser des Laientums und würde den Begriff des Laien nur pejorisieren.1105 Diese pastoraltheologische Grundentscheidung bestreitet nicht den Sinn der seelsorgerlichen Ausbildung und Qualifikation von Pfarrerinnen und Pfarrern (in der zweifellos ein Unterschied zum Gros der Laien besteht), sondern stellt eine professionalistisch-funktionale Selbstbestimmung des pastoralen Amtes in Frage (denn auch Laien können gleiche Qualifikationsgrade 1101 Zwar liegt die Möglichkeit, Beichte zu hören und Absolution zu erteilen, für den Volksmissionskreis Sachsen grundsätzlich bei jedem Christen, dennoch wird die Beichtpraxis vorwiegend an das Pfarramt gebunden. 1102 Spätestens mit der kirchgemeindlichen Etablierung des Volksmissionskreises kam das Gruppenmodell in Form der Kerngemeindekreise in der pastoralen Realität an und übertrug in der Mehrzahl der Fälle dem Pfarramt die Leitungsfunktion der Kernkreise. 1103 Auch hier spreche ich in der männlichen Form, da historisch bis in die 1970er Jahre nicht von Pfarrerinnen im Volksmissionskreis die Rede sein kann und diese auch dann nur äußerst gering vertreten waren (mir ist bisher nur von zwei Pfarrerinnen im Volksmissionskreis berichtet worden; schriftliche Quellen gibt es nicht). 1104 Dies trifft auf die Kernkreise zu, in welchen der Ortspfarrer auch Teilnehmer war. 1105 In diese Richtung gehen heute einige Stimmen in der poimenischen Diskussion. Die Sorge vor Dilettantismus leitet die Überlegungen Michael Klessmanns, der Seelsorge nach Professionalitätsabstufungen gliedert und die Alltagsseelsorge als niedrigste Stufe allen Christen zuordnet (ders., Seelsorge und Professionalität, 288): »Die Arbeit mit anderen Menschen ist zu verantwortungsvoll, als dass sie dem normalen Dilettantismus überlassen bleiben sollte, wie er mit der theologischen Grundausbildung durchschnittlich zu unterstellen ist« (ders., Persönliche Spiritualität, 18).

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erlangen). Im allgemeinen Priestertum, der Gemeinschaft von Laien und Amtsträgern, sind jedenfalls alle zu seelsorgerlichem Handeln gerufen.1106 Weil das Amt in der Kirche nicht alles zu leisten berufen ist, ist dessen erste Aufgabe die diskrete Leitung der Christen zur »Entdeckung und Förderung der in der Gemeinde ausgestreuten Charismata«.1107 Seelsorge und Gemeindeaufbau Von der volksmissionarischen Seelsorge als Hochschätzung der cura animarum generalis zu sprechen, weist hinsichtlich ihrer Gruppen- bzw. Gemeinschaftsorientierung auch auf oikodomische Perspektiven hin. Das Gemeindemodell der Kerngemeindekreise stellt im Volksmissionskreis Sachsen die Verbindung der Handlungsfelder Seelsorge und Gemeindeaufbau dar. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Gemeindemodell hinsichtlich seiner Bedeutung für eine Seelsorge der Gemeinschaft reflektiert. Für den volksmissionarischen Gemeindeaufbau spielt die Seelsorge die zentrale Rolle: Durch Seelsorge werden die Erweckten in Gruppen verbindlich verbunden; Seelsorge definiert das Leben dieser Gruppen; Seelsorge ist das Ziel, zu dem die Mitarbeit der Mitglieder hinführt; Seelsorge unterscheidet die Gruppe von anderen Gruppen bzw. vom restlichen Teil der Gemeinde. Da sich dieser Gemeindeaufbau als geregelte Seelsorge der Gemeinschaft versteht, ist er als cura animarum generalis zu begreifen. Im Volksmissionskreis ist der Gemeindeaufbau untrennbar mit der Seelsorge verbunden, ja kann von dieser abgeleitet werden, denn dessen Poimenik richtet die Seelsorge nicht nur auf den Einzelnen, sondern auch auf die Gemeinschaft, nicht nur auf das Gespräch, sondern auch auf andere Vollzüge. Der volksmissionarische Gemeindeaufbau oder die gemeindebauende Volksmission ist in den 1970er und 80er Jahren in der oikodomischen Diskussion rezipiert und unter dem Stichwort »missionarischer Gemeindeaufbau« verhandelt worden. Diese Konzepte des missionarischen Gemeindeaufbaus gehen – bei allen unterschiedlichen Nuancen – im Kern von nichts anderem aus, als was die Kirchliche Volksmission und der Volksmissionskreis etabliert hatten: die Kerngemeinde als Mitarbeiterkreis. Die einzelnen Konzepte zeigen die Chancen und Grenzen dieses Ansatzes.1108 1106 Vgl. Stollberg, Seelsorge durch die Gruppe, 30. 1107 Bohren, Unterscheidungsgabe, 423, vgl. 433, auch 421: »Durch die Fülle pastoraler Aktivitäten hindert der klerikale Atheismus den Geist, die Fülle seiner Gaben zu entfalten«. 1108 So zielt Theo Sorg auf einen Kernkreis (»Mitarbeiter«, »die mit Ernst Christen sind«[!]), der Sammlung ist und Sendung will; vgl. ders., Kirche, 38; dazu die Kritik von Möller, Gemeindeaufbau, 82f. Fritz und Christian A. Schwarz sehen in ihrer »Theologie des Gemeindeaufbaus« den aktiven Kernkreis nicht nur als Zentrum der Gemeinde, sondern als

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Obwohl die genannten Konzepte deutlich weniger von Seelsorge sprechen, als dies im Volksmissionskreis wahrnehmbar ist, zeugen sie von derselben Problematik: Der missionarische Gemeindeaufbau durch Kerngemeindekreise steht in der Gefahr, zwischen der wahren und falschen Kirche durch Grenzziehung innerhalb der Gemeinde zu unterscheiden. Diese Unterscheidung gibt es – aber niemals durch menschliche Grenzen zu setzen. Der (berechtigte) Wunsch nach Verlebendigung von Gemeinden darf nicht bestimmte Formen der seelsorgerlichen Aktivität zur Konstitution der communio sanctorum erheben. Die Gemeinde ist immer corpus permixtum. Und wie jeder einzelne Christ muss auch sie als ganze noch werden, was sie ist: Glied(er) Christi. Die Motivation, Gemeinde / Kirche und communio sanctorum zu unterscheiden und dies praktisch durch Gruppengrenzen sowie durch Seelsorgepraxis zu markieren, führt nicht nur dazu, die Kirche in Institution und ecclesia aufzuspalten, sondern auch zur soteriologischen Selbstüberschätzung. Es besteht die Gefahr, der sogenannten Volkskirche nicht nur ein »Armutszeugnis« ausstellen zu wollen, sondern zwischen ihr und der eigentlich biblischen »charismatischen Gemeinde« einen großen Graben zu sehen: Der »volkskirchliche Haufen« sei keine Gemeinde, d. h. geistliche Gemeinschaft im eigentlichen Sinne, da es ihm der Geistesgaben ermangele.1109 Aber die Kompetenz zum Gericht hat nur der Herr der Ernte und überträgt sie den Arbeitern erst zur Erntezeit (vgl. Mt 13,24–30). Wird dagegen die Selbstdefinition von soteriologischen bzw. ekklesialen Bestimmungen abgekoppelt und bleibt sie auf die seelsorgerliche Funktion der Gemeinschaft Gleichgesinnter gerichtet, welche ihr Christsein gemeinsam leben und vertiefen wollen, offenbaren sich die Chancen gemeinschaftlicher Seelsorge Gemeinde schlechthin – insofern sie zwischen volkskirchlicher Gemeinde und geistlicher Gemeinde unterscheiden; vgl. Schwarz/Schwarz, Theologie des Gemeindeaufbaus, 213f. u. a. In ihrem Ansatz trennen sie zwischen Leib Christi und Institution derart, dass der Kernkreis zur »Ekklesia«, Gemeinde, wird und die Kirche bloß Institution bleibt: »Kirche als Institution und Ekklesia dürfen nicht miteinander identifiziert werden«, a. a. O., 27, vgl. weitere Bsp. passim. Zur Kritik: Möller, Gemeindeaufbau, 87f., dort weitere Lit. Damit verwandt ist Michael Herbsts Konzept, nach dem im Mitarbeiterkreis Personen aufgenommen werden, »die ihre Taufe im Glauben angenommen und sich dazu auch bekannt haben«; dieser Kreis ist das missionarische Aktionszentrum der Gemeinde; vgl. Herbst, Missionarischer Gemeindeaufbau, 352. Auch Manfred Seitz wirbt für einen Kernkreis (»Mitarbeiterkreis«). Es ist Aufgabe, diesen durch Bibel, Gebet, Gemeinschaft zu »stärken« bzw. zu »vertiefen« und ihn dadurch zum missionarischen »Zeugnis« zu befähigen; vgl. Seitz, Erneuerung der Gemeinde, 54. Seitz verbindet mit dem Status des Mitarbeiterkreises keine ekklesiologischen Begriffe. In diesem Sinne äußert Christian Möller Kritik gegenüber Konzepten, die den Kernkreisen ekklesiale Charakterisierungen zusprechen und fragt, ob hier nicht zwischen »Heiligen« und solchen, die es (vermeintlich) nicht sind, zu stark unterschieden wird; vgl. ders., Gemeindeaufbau, 97. 1109 VMK (Hg.), Rundbrief 02/1954, Rudolf Fischer [enth. Mitschriften von Vorträgen Werner de Boors durch Christa Heun], in: A.I.p.306.

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bzw. seelsorgerlicher Gemeinschaften. Allerdings ist noch auf Eines hinzuweisen: Gruppen sind immer Sammlungsorte ästhetischer Milieus und ziehen ihre Grenzen auch nach stilistischen Vorlieben. Dazu gehören auch stilistische Präferenzen der spirituellen und seelsorgerlichen Praxis. Diese Unterscheidungsmerkmale dürfen nicht zu normativen Kriterien erhöht werden. Heute ist zu fragen, ob angesichts der gesellschaftlichen (und kirchlichen) Ausdifferenzierung in eine Vielzahl ästhetischer Milieus1110 die eine Kerngruppe das aktive Priestertum der Gläubigen überhaupt noch zu repräsentieren vermag. Das Modell der Kerngemeinde- bzw. Mitarbeiterkreise kann dem breiten Milieuspektrum nicht gerecht werden, wenn von einem Kernkreis als Sammlungsort der Mitarbeitenden ausgegangen wird. Eberhard Winkler und Gottfried Kretzschmar hatten bereits im mittlerweile klassischen »Handbuch der Praktischen Theologie« darauf hingewiesen, wie stilistische Unterscheidungsmerkmale zu Trennungsmerkmalen im Kernkreismodell werden und diese normativ ausgelegt werden können: »Zu Unrecht wird« der Kerngemeindekreis-Konzeption »oft ein weltfremder Rückzug auf konventikelhafte Gruppen oder das fromme Individuum vorgeworfen. Ihre Gefahr besteht vielmehr darin, daß ein bestimmter Frömmigkeitstyp als normativ gilt und der überwiegende Teil der Gemeindeglieder, der sich nicht mit dieser Frömmigkeit identifiziert, eine Gemeinde zweiten Grades wird. Die Stärke des volksmissionarischen Ansatzes, nämlich die Bildung lebendiger Gruppen, läßt zugleich das Problem erkennen: die außerhalb der Gruppe Lebenden sind Missionsobjekte, nicht aber mündige Mitarbeiter.«1111

Das Problem hinter der Verbindung von ekklesialer Exklusivität und Seelsorge ist nicht die Gemeinschaft selbst, welche eine Seelsorge aller an allen übt, ebenso wenig das allgemeine Priestertum oder die angezielte Regelmäßigkeit der Seelsorge. Die eigentliche Ursache wird in der Binnenorientierung des frommen Kreises zu suchen sein. In abwandelnder Aufnahme eines Satzes von Otto Baumgarten: »So ward das Bewußtsein der Erweckten konzentrisch und Seelsorge wurde intensiv getrieben.«1112 In der Entstehungszeit des Volksmissionskreises Sachsen stellten die gruppenorientierten Organisations- und Seelsorgeformen ein Novum dar. Die pastoralpsychologische Entdeckung der Gruppe war in Deutschland noch nicht einmal im Werden. Bis dahin wurde Seelsorge von der Begegnung zweier Einzelpersonen her begriffen. Da der Volksmissionskreis sein seelsorgerliches En1110 Dazu verweise ich auf die detaillierte Darstellung: Schulz/Hauschildt/Kohler, Milieus praktisch. 1111 Winkler/Kretzschmar, Der Aufbau der Kirche zum Dienst, 181. 1112 Baumgarten über die Erweckungsbewegung des 19. Jh.: »So ward das Bewußtsein der Erweckten exzentrisch. Aber Seelsorge wurde intensiv getrieben«, ders., Seelsorge, 46.

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gagement methodisch (volksmissionarische Seelsorge; poimenischer Zirkel), ekklesial (Kerngemeindekreise, Kommunitäten, Tertiärkreise) und strukturell (Ordnungen) formte, ist er auch als Ganzes als Seelsorgegemeinschaft zu bezeichnen, die sich wiederum in einzelne Seelsorgegemeinschaften oder -gruppen gliedert. Sicher hat nicht allein das erweckliche Selbstverständnis, sondern auch dieser seelsorgegeschichtliche Neuansatz dazu beigetragen, dass die Gruppengestalten eine exklusive Selbstdefinition entwickelt haben. Wenn nun die Gemeinschaft bzw. die Gemeinschaftlichkeit zu einem tragenden Baustein einer poimenischen Konzeption werden soll, müsste auf alle Fälle ihrer Verexklusivierung gewehrt werden. Die Korrekturinstanz dafür ist die Gemeinschaft selbst, nämlich eine solche geistliche Gemeinschaft, die auch über die eigenen Gruppengrenzen hinaus und außerhalb dieser Grenzen besteht. Sie ermöglicht den Austausch, die Horizonterweiterung, die Akzeptanz der anderen Wege. Die Chancen des Gemeindeaufbaus mittels Kerngemeindekreisen liegen ebenso auf der Hand: Angesichts einer landläufigen versorgungskirchlichen Mentalität, nach der nicht die Beteiligung, sondern die pastorale Dienstleistung das Gemeindeleben garantiert, bietet die verbindliche und zur Mitarbeit bereite Gemeinschaft das Potential, zur Beteiligung anzuregen. Die Gemeinschaft beendet die Klassifikation von Laien als Laien (6.2.1). Die Gemeinschaft beendet die Engführung der Seelsorge auf den speziellen Notfall. Die Gemeinschaft ermöglicht das Ausstrahlen in den Alltag der Menschen. Nur wenn das allgemeine Priestertum aktiv wird – und zwar in Gemeinschaftsformen, nicht nur als Summe der einzeln Aktiven –, kann der Alltag von der communio sanctorum durchdrungen werden und können durch die aktive Gemeinschaft Menschen missionarisch gewonnen werden.

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Die charismatische Gestalt der Seelsorge. Seelsorge des Gebetes

Schon in der Nachkriegszeit haben sich unübersehbar erwecklich-charismatische Merkmale in der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen bemerkbar gemacht. Etwa zeitgleich mit den charismatischen Aufbrüchen der 1960er und 70er Jahre konnte sich die Seelsorge des Volksmissionskreises flächendenkend in Sachsen verbreiten, da sie sich mittels verschiedener Gemeinschaftsformen, insbesondere der Kerngemeindekreise kirchlich etabliert hatte. Dass sich der Volksmissionskreis zum Repräsentant charismatischer Spiritualität in Sachsen entwickelt hatte, ist folgerichtig auch auf seine Seelsorge zu beziehen.1113 So kann zunächst festgestellt werden, dass charismatische Seelsorge in Sachsen von volksmissionarischer Seelsorge her zu begreifen ist. Diese Seelsorge des Volksmissionskreises wird durch ein hervorstechendes Merkmal gekennzeichnet: das Gebet. Das Gebet nimmt einen hohen Stellenwert in der Praxis der Seelsorge ein, sodass regelrecht von einer Gebetsseelsorge im Volksmissionskreis zu sprechen ist. Diese soll untersucht werden anhand der exemplarischen Aufnahme von Textausschnitten, wobei entlang des gemeinschaftlichen Gebet als Dank und Bitte, als Segnung sowie als Krankenheilung (7.1) und des exorzistischen Handelns (»Lösen«; 7.2) zu gehen ist, um zu einer Diskussion hinzuführen (7.3).

1113 Dies hat auch nach Ende der charismatischen Phase bzw. Wirksamkeit des Kreises noch in den 1980er Jahren und zum Teil bis heute weiterhin Bedeutung. Denn auch als der Volksmissionskreis seine Rolle als Trägergruppe charismatischer Spiritualität verloren hatte und durch neue Gruppen abgelöst wurde, trugen diese aus ihm hervorgegangenen Gruppen wesentliche charismatisch-poimenische Merkmale weiter.

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7.1

Die charismatische Gestalt der Seelsorge. Seelsorge des Gebetes

Volksmissionarische Seelsorge als charismatische Gebetsseelsorge

7.1.1 Gebet in Gemeinschaft als Dank und Bitte Gewissheit und Inanspruchnahme. Das Bittgebet im Modus des Dankes Um die Bedeutung des Gebetes für die Seelsorge beschreiben zu können, soll zuerst eine Aussage Otto Siegfried von Bibras untersucht werden. Diese Aussage, die in einer Mitschrift zur Obercunnersdorfer Tagung des Volksmissionskreises von 1949 paraphrasiert ist (vgl. 3.1.2), bringt ein typisches Merkmal der poimenischen Theorie und Praxis des Volksmissionskreises auf den Punkt: »Im Namen Jesu beten, ist in Vollmacht des Sohnes zum Vater beten. Täglich und reichlich von dem Geschenk ›Gebet‹ Gebrauch machen. Betet ohne Unterlaß. Mit Lobpreis beginnen. Den Tag auf den Knien beginnen. Man kann der Erhörung so gewiß sein, daß man schon im voraus danken darf.«1114

Der paraphrasierte Sprecher gibt eine Anleitung zum Beten. Dabei bestimmt er das Gebet als eine Kommunikation von Bittanliegen1115 – obwohl nahezu keine Begriffe des Bittens, sondern vielmehr Begriffe des Dankens vorkommen.1116 Dies zeigt schon auf sprachlicher Ebene einen wichtigen Sachverhalt an: Die Bitte wird in das Gewand des Dankes gehüllt. Ein Gebet soll Lob und Dank gegen Gott artikulieren, auch wenn es Bitten kommunizieren will. Die Hörer (bzw. Leser) werden aufgefordert, »gewiß« auf die erhoffte Erhörung eines als Dankgebet konnotierten Bittgebetes zu vertrauen. Im weiteren Text weist der Sprecher auf die Stellen Mk 11,24; Joh 11,41; 1Joh 5,14 hin, die von der Verheißung einer Gebetserhörung sprechen, und unterstreicht dabei nachdrücklich, dass die Bitte im Modus des Dankes zu formulieren ist.1117 Damit kommt schon eine zentrale poimenische Bedeutung des Gebetes zum Ausdruck: Es erhält vergewissernde und tröstende Funktionen. Dies trifft nicht nur auf das Gebet selbst, sondern auch auf die Rede über das Gebet sowie auf die seelsorgerlich motivierte Anleitung zum Beten zu. Die Trost-Aufgabe kommt via

1114 Vgl. Aufzeichnungen aus der Obercunnersdorfer Tagung, Lucie Brakensiek/Hanna Opitz [maschr. Abschrift einer Stenogramm-Mitschrift], in: A.I.c.876, dort das folgende Zit. 1115 Dies machen die Wendungen deutlich: »im Namen Jesu beten«; »in Vollmacht des Sohnes zum Vater« (Richtungsbestimmung); »auf den Knien«; »Erhörung«; »im voraus danken«. 1116 »Geschenk«, »Lobpreis«, »Erhörung«, »gewiß sein«, »danken«. 1117 Die Kategorien »Lob«, »Danksagung«, »Fürbitte«, »Bitte«, dazu auch »Bekennen« von Schuld stellen die Modi des Gebetes dar, wie sie im Volksmissionskreis Sachsen explizit als solche vermittelt werden, vgl. z. B. VMK (Hg.), Lehrgang 16. Die fünf Phasen (oder Arten) des Gebetes, in: A.III.a.1971.

Volksmissionarische Seelsorge als charismatische Gebetsseelsorge

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negativa auch in dieser Aussage zum Ausdruck: »Meine Gebete […] brachten mir keine echte Tröstung und Stärkung von oben.«1118 Dieser Gehalt wird in einem weiteren Beispiel aus einem Rundbrief des Volksmissionskreises von Gerhard Küttner unter der Überschrift »Wer betet mit?« (1958) deutlich: »Wir dürfen lobend und glaubend all die Kräfte und Gaben des Geistes für sein Volk in Anspruch nehmen«.1119

Die Konzentration auf Erhörung glaubendes und Erhörung empfangendes Gebet – kurz: auf ein als vollmächtig verstandenes Beten – wird hier mit dem Heiligen Geist verbunden. Die Leser werden auf Geisteskräfte und Geistesgaben angesprochen, deren persönliche Aneignung im Gebet zu vollziehen empfohlen wird. Der poimenische Gehalt dieser Aussage liegt in der Formulierung »in Anspruch nehmen«. Das Inanspruchnehmen bzw. die Inanspruchnahme ist als typische charismatische Terminologie bekannt.1120 Wie wird man sich den Vollzug der Inanspruchnahme vorzustellen haben? Die Gebetsformulierungen sagen die erbetenen Inhalte als bereits empfangene aus. Dafür wird Gott gedankt. Wie das Zitat von Bibras spricht dieses Beispiel von der vergewissernden Funktion des Gebets, wobei hier konkrete Gegenstände des bittenden bzw. in Anspruch nehmenden Gebetes, nämlich Gaben und Wirkungen des Heiligen Geistes, genannt sind. In einem Bericht über seine Tätigkeit in Bräunsdorf (1962) schildert Gerhard Küttner Gebetseinsätze, die von Personen des Bräunsdorfer Kerngemeindekreises und der Schwesternschaft durchgeführt worden waren (vgl. 4.1.2), was weitere Hinweise für ein näheres Verständnis charismatischer Gebetsseelsorge bietet: »Eine bestimmte Schar von Betern hat es übernommen, täglich alle Schulkinder namentlich vor Gott zu bringen und die schwierigsten besonders zu segnen. […] So haben längere Gebetseinsätze stattgefunden für die Kirche in all ihren Nöten und Bedrängnissen, für das Volk unter seiner Schuld und in seiner Blindheit. Etwa anderthalb Jahr sind allabendlich die Beter zusammengekommen, solch umfassenden Dienst zu tun und für das Ganze in den Riß zu treten. Dieser umfassende Gebetsdienst ist je länger je mehr unser eigentliches Anliegen geworden«.1121 1118 Prehn, »Siehe, er betet«, 96. 1119 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1958, Pfr. Gerhard Küttner, 07/1958, in: A.II.a.404/8/Bd3. 1120 »Religionspsychologen sprechen in diesem Zusammenhang öfter von einem affirmativen Gebet. Ob dieser Begriff besonders zutreffend ist, weiß ich nicht. Jedenfalls handelt es sich um ein Gebet, mit dem der Betende sich mit der Gnadengabe Gottes (charis), in der alle einzelnen Gaben zusammengefaßt sind, innerlich verbindet, identifiziert«, Reimer, Geist, 90 (Hervorhebung imText). 1121 Rückblick auf zehn Jahre Gemeindearbeit in Bräunsdorf, Pfr. Gerhard Küttner, [Anfang 1962], in: A.II.c.489, dort auch das folgende Zit.

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Die charismatische Gestalt der Seelsorge. Seelsorge des Gebetes

Dieser Text verortet das Gebet im Kontext der Gemeinschaft. Unter »eine bestimmte Schar von Betern« sind Personen des Kerngemeindekreises zu verstehen, die sich zu Gebetsgemeinschaften treffen. Inhaltlich betont der Text eine seelsorgerliche Aufgabe des Gebets. Dem Gebet, hier Bittgebet bzw. Fürbitte, wird die Aufgabe des Helfens zugesprochen. Das Helfen geschieht in Verbindung und Ergänzung zur tätigen Diakonie der Kerngemeinde (im zitierten Bericht ausführlich thematisiert). Diese Aufgabe und ihre seelsorgerliche Bedeutung werden auch erkennbar in der Ergebnisdeutung, die der Verfasser anschließt: »Wenn heute unter den Kindern in Bräunsdorf eine auffallend andere Atmosphäre, eine offene Tür ist, so ist das wohl die Frucht dieses jahrelangen Gebetes.« Kurz gesagt: Die seelsorgerliche Funktion des Gebetes besteht darin, dass den Personen, die Gegenstand des Bittgebetes sind, durch dieses Gebet geholfen werden soll. Die Diakonie des Gebets hat einen Bezug zum geistlichen Leben dieser Personen. Dabei fällt auf, dass dieses Verständnis der seelsorgerlichen Fürbitte unter den Begriff »segnen« gefasst wird. Dies soll im nachfolgenden Abschnitt 7.1.2 näher untersucht werden. Schließlich weisen frömmigkeitsspezifische Termini aus dem Bereich der apostolischen Frömmigkeitstradition (die Universalbegrifflichkeiten »das Ganze«, »umfassend«) und der kommunitären Theologie (»in den Riss treten«: Stellvertretung) darauf hin, dass die charismatische Seelsorge des Volksmissionskreises diesen Wurzeln nicht nur entspringt, sondern auch deren zentrale Merkmale – nämlich das Gebet und die Gemeinschaft – übernimmt. Gebet in Gemeinschaft, Gebetsgemeinschaft Wesentlicher Ort des Gebetes ist die Gemeinschaft, zugleich wird es als Bedingung und Ermöglichung geistlicher Gemeinschaft sowie geistlicher Vollmacht verstanden, wie dieses Beispiel von Christoph Richter (1958) zeigt: »Aber daß wir nur solche Gemeinschaft, solche Bruderschaft als Lebensnotwendigkeit für alle Heiligen überhaupt erkennen, begreifen, ersehnen und von Gott erbitten lernen! […] Vielleicht gebraucht uns Gott damit wieder in neuer Vollmacht zum Dienst an seiner Kirche. Laßt uns darum eins werden im Gebet.«1122

In der Gebetsseelsorge erhält nicht nur das persönliche (private), sondern auch das gemeinschaftliche (halbprivate oder öffentliche) Gebet einen hohen Stellenwert. Da Seelsorge in Gemeinschaft stattfindet (vgl. 6.2), wird auch das Gebet gemeinschaftlich vollzogen. Dies konkretisiert das folgende Beispiel von Hans Prehn: 1122 VMK (Hg.), 4. Rundbrief 1958, Pfr. Christoph Richter, 08/1958, in: A.I.k.819.

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»Im Kriege bin ich einmal einen ganzen Tag zu Fuß unterwegs gewesen, um einen gläubigen Kameraden aufzusuchen. Nur eine halbe Stunde konnten wir zu Austausch und Gebet beieinander sein, aber um dieser halben Stunde willen hatte sich der lange Weg gelohnt. Ich fand in dem mir bis dahin unbekannten Kameraden einen Bruder. So offenbart uns das gemeinsame Beten Brüder und Schwester[n] im Glauben«.1123

Der Autor hebt die Gebetsgemeinschaft als integralen Bestandteil der vita spiritualis heraus. Die autobiographische Darstellung eines beschwerlichen Weges im Krieg will betonen, dass das gemeinschaftliche Gebet in allen Lebenssituationen eine Notwendigkeit geistlichen, d. h. eines von Seelsorge gekennzeichneten Lebens dazugehört. Das Gebet ist mit »Austausch« verbunden, worunter (oft in einer Stillen Zeit) das Gespräch über geistliche Fragen, das Mitteilen von Glaubenserfahrungen und ggf. das Bekennen von Schuld zu verstehen ist (mutuum colloquium). Es zeigt sich, dass neben dem Austausch das Gebet eine mindestens gleichwertige, tragende Säule der gemeinschaftlichen Seelsorge darstellt und ihr eine besondere Gestalt gibt. Das Gebet wird als Begründung geistlicher Gemeinschaft (»Brüder und Schwestern im Glauben«) geschildert. Indem das Gebet geistliche Gemeinschaft eröffnet, übernimmt es die Funktion der consolatio fratrum neben der anderen Säule des mutuum colloquium. Ein weiteres Beispiel – ein mehrteiliger schriftlicher Bibelkundekursus des Volksmissionskreises – beleuchtet die Bedeutung der Gebetsgemeinschaft:1124 In diesem Bibelkurs, worin sich das Kapitel »Gebetsgemeinschaft« innerhalb des übergeordneten Themas »Das Gebetsleben« findet, wird anhand einer Reihe von Bibelstellen neben dem privaten Gebet das Gebet in Gemeinschaft vorgestellt und es werden Regeln für die Praxis von Gebetsgemeinschaften angegeben. Gebet und Gebetsgemeinschaft werden im Kontext religiöser Bildung thematisiert. Dabei zeigt sich, dass die Bildungsaufgabe des Kurses darauf ausgerichtet ist, durch die angegeben Regeln einen Zugang zur Gebetsseelsorge zu vermitteln und die Kursteilnehmer in diese wichtige Gestalt der Seelsorge einzuführen. Damit kommt dem Kurs selbst die allgemein-seelsorgerliche Funktion zu, in geistliches Leben einzuführen und Spiritualität zu begleiten. Schon anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass das Gebet ein wesentliches Gestaltungsmerkmal der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen darstellt. Charismatisch bestimmt wird das Gebet aufgrund seiner spezifischen Sprache (»in Anspruch nehmen«, Bitten im Modus des Dankes), durch die theologische Definition einer Erhörungs-Gewissheit und durch die Aufgabe, mittels Gebet seelsorgerlich zu helfen bzw. Gemeinschaft zu begründen. 1123 Prehn, »Siehe, er betet«, 97. 1124 Vgl. VMK (Hg.), Lehrgang 17. Das Gebetsleben, in: A.III.a.1971.

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Indem die Seelsorgevollzüge bzw. -mittel auf Gebet bzw. Gebetsgemeinschaft hinauslaufen oder in der Gestalt des Gebetes bzw. der Gebetsgemeinschaft durchgeführt werden, wird die Seelsorge des Volksmissionskreises als Gebetsseelsorge charakterisiert – ein Merkmal, das der Kreis mit charismatischer Seelsorge überhaupt teilt.1125

7.1.2 Gebet als Segnung Charismatisches Bittgebet als Segnung Das fürbittende Gebet kann als »segnen« bezeichnet werden, womit der seelsorgerlichen Aufgabe des Gebetes als Helfen eine bestimmte inhaltliche Definition zukommt. Im Folgenden soll untersucht werden, was nun genau unter »segnen« (im Weiteren: Segnung) zu verstehen ist; zunächst geschieht dies mit einem Beispiel aus dem bereits zitierten Rundbrief Gerhard Küttners »Wer betet mit?« (1958): »Welch ein Vorrecht, unter immerwährender Danksagung den unausschöpflichen Reichtum Seiner Gnade in Anspruch nehmen und in alle Bereiche hinein segnen zu dürfen: in die Sitzungen der Kirchenvorstände im Lande, der Synoden« etc. »In all die Not, Schuld, Ratlosigkeit, Ausweglosigkeit hinein dürfen wir segnen und bitten, daß der Heilige Geist wirksam wird, ohne den wir uns vergeblich mühen, der Geist der Buße, der Erweckung« etc.1126

Diese Zitate zeigen, dass die Segnung die Kommunikation von Lob, Dank, Inanspruchnahme und Bitte gegen Gott übernimmt. Inhaltliche Gegenstände einer segnenden Handlung sind konkrete Personen, Situationen, Orte etc. Die Segnung soll geschehen, indem sie als Gebet vor Gott ausgesprochen wird und die Gnade Gottes den gedachten Personen, Situationen etc. zugeeignet werden soll. Es wird deutlich, dass die Segnung von ihrem Selbstverständnis her eine deprekative Form der Seelsorge darstellt. Die worthafte An- bzw. Zueignung der Gnade hat doxologische (dankende), konfirmierende (bestätigende bzw. (selbst-) vergewissernde) sowie interzessorische (fürbittende) Funktionen. Die Segnung nimmt direkt Bezug auf das Wirken des Heiligen Geistes. Dieses Wirken soll in den drei Dimensionen ihres Vollzuges (doxologisch, konfirmierend, interzessorisch) geglaubt, erfahren und durchgeführt werden. Der Segnung eignet eine Richtung (»hinein segnen«). Dies parallelisiert sie strukturell mit dem kerygmatischen Seelsorgegespräch. Denn wie das verkündigungsorientierte Einzelgespräch kennt auch die Segnung eine Gegenüber1125 Vgl. dazu Zimmerling, Seelsorgerliches Handeln, 164. 1126 VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1958, Pfr. Gerhard Küttner, 07/1958, in: A.II.a.404/8/Bd3.

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Struktur von Seelsorgenden und Seelsorgesuchenden bzw. von Betenden und Empfängern. Der Begriff Empfänger ist bewusst gewählt: Zwar ist die Sprachrichtung des Gebets auf Gott hin gerichtet (Gott als Empfänger der Bitten), aber der charismatische Anspruch (Inanspruchnahme) will die Segensinhalte bestimmten Personen, Situationen etc. vermitteln, die dadurch zu Empfängern der Segenshandlung werden. Ziel des Segnens ist es also, die neuschaffende Gnade Gottes in Christo als Wirken des Heiligen Geistes persönlich und stellvertretend für andere im Modus des Gebetes auszusprechen und in konkrete Situationen zu vermitteln – oder mit Worten Hans-Diether Reimers formuliert: »Die Segenshandlung verwirklicht hier Schalom, sie proklamiert oder bestätigt das göttliche ›Heil und Frieden‹«1127. Während das eben besprochene Beispiel die Segnung wahrscheinlich im Kontext des gemeinschaftlichen Bittgebetes verortet, kann sie auch als Teil der persönlichen, d. h. privaten Andacht praktiziert werden, wovon das nächste Beispiel zeugt. Im Rahmen der »Oasen des gemeinsamen Lebens«, die im Volksmissionskreis Sachsen als charismatisches Jugend-Alltagsexerzitium entwickelt wurden (vgl. 5.1.4), hatte man Meditationshilfen entwickelt, die zum persönlichen Gebet anleiten sollten.1128 Dort werden Gebetstexte vorformuliert, welche nach folgenden Kategorien gegliedert sind: »Lesung«, »Betrachtung«, »Vergegenwärtigung«, »Lobpreis«, »Beugung«, »Danksagung«, »Fürbitte und Segnung«, »Gedenken«, »Sing ein Lied«. Diese Kategorien stellen (vorwiegend) eine Aufgliederung der klassischen Stille-Zeit-Fragen dar. Unter der Überschrift »Fürbitte und Segnung« finden sich beispielsweise folgende Formulierungen, welche die inhaltliche Ausrichtung eines segnenden Gebetes wiedergeben: »Ich will die segnen, die mit ihrer Erwählung nichts anfangen können. […] Über ihnen rufe ich aus den Namen, der über alle Namen ist, den Namen JESUS«; »Ich will fürbittend segnen, die vor lauter Schuld und Versagen Jesus nicht mehr entdecken können in ihrem Leben«; »Ich will alle segnen, mit denen ich heute zu tun habe«.

Geradezu übertroffen wird diese Form der Segnung von einer davon abgeleiteten persönlichen Segenshandlung, festgehalten im Bericht einer Kinderrüstzeit (1991): »Auch die ›Waffenrüstung Gottes‹ begleitete uns durch die Tage. An jedem Morgen wurde ein Teil dieser Rüstung vorgestellt und empfohlen. Jedes Kind nahm sich ein Blatt mit […] dem Kindergebet von der Waffenrüstung mit, um auch zu Hause jeden Morgen die ›geistliche Waffenrüstung‹ anziehen zu können.«1129 1127 Reimer, Geist, 90. 1128 Gebetshilfen zu den Themen der Oasen, in: A.III.b.O, dort die folgenden Zit. 1129 [Bericht] Kinderrüstzeit in Annaberg 8.–14. 07. 1991, Hertha Müller, in: VMK (Hg.), 3. Rundbrief 1991, div. Autoren, 09/1991, in: A.I.u.VM2.

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Das Zitat enthält eine Form der Selbst-Segnung. Sie ist mit dem Bild der Waffenrüstung Gottes verbunden (im Anschluss an Eph 6,10–17). Das Bild wird in der Spiritualität der Dritten Welle charismatischer Bewegungen häufig gebraucht und bezeugt hier, dass neocharismatische Einflüsse den Volksmissionskreis seit den 1980er Jahren beeinflussten. Das Bild der Waffenrüstung wird so verstanden, dass die einzelnen Elemente des Bildes (Panzer der Gerechtigkeit, Schild des Glaubens etc.) deren Inhalte (Gerechtigkeit, Glaube etc. als Gaben und Kräfte des Heiligen Geistes) verkörpern sollen. Die Bildelemente (Panzer, Schild etc.) werden nicht bildhaft verstanden, sondern als pneumatische Gegenstände interpretiert. Daher werden diese im Segensgebet genannt, erbeten und in Anspruch genommen. Die SelbstSegnung nennt also die Bildelemente und will die Inhalte, die sie verkörpern, vermitteln. Die affirmative Funktion des in Anspruch nehmenden Betens kommt durch den Terminus »anziehen« sehr gut zum Ausdruck. Er zeigt, wie Bild- und Inhaltsebene in eins gesetzt werden: Das bildliche Anziehen und das betende InAnspruch-Nehmen sind nicht differenziert. Die sprachlich mit dem Bild verwobene Affirmation (Inanspruchnahme) verbindet die doxologischen, konfirmierenden und interzessorischen Funktionen des Segensgebetes. Dabei ist die Interzession (Fürbitte) auf den Betenden selbst gerichtet: Im selbst-segnenden Gebet werden die Bittenden zugleich zu Empfangenden. Was in den vorangegangenen Beispielen anderen Personen segnend vermittelt werden sollte, vermitteln hier die Betenden sich selbst. Die charismatisch betende Selbst-Segnung stellt eine worthafte, zeichenlose Gebetform dar. Dies wird besonders deutlich im Vergleich mit den Segensgebeten Martin Luthers (Morgen- und Abendsegen). Luther hatte im Kleinen Katechismus angewiesen: »sollt Du Dich segnen mit dem heiligen Kreuz und sagen: […]«.1130 Das (deprekative) Selbst-Segensgebet war für ihn entsprechend der kirchlichen Tradition mit der Selbst-Segenshandlung des Bekreuzigens verbunden. In der charismatischen Gebetspraxis des Volksmissionskreises ist dagegen ein solcher Handlungsvollzug nicht enthalten. Wenn die Segnung aufgrund ihrer helfenden Intention als Seelsorgevollzug zu begreifen ist, dann steht sie im Volksmissionskreis in der Tradition der kerygmatischen Poimenik: Sie verläuft rein worthaft und entbehrt der außer-wörtlichen Gebärden. Unten wird am Beispiel der Krankenseelsorge (7.1.3) deutlich werden, dass die Gebärde der Handauflegung die einzige Handlung darstellt, mit der die Praxis des Kreises auf außer-wörtliche Vollzüge rekurriert. Da die Handauflegung in der Selbst-Segnung nicht auftritt (und entsprechend ihrer Form und ihres Inhaltes nicht

1130 BLSK 521.522.

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auftreten kann), bleibt der selbst-segnende Gebetsvollzug ohne die Gebärde der Bekreuzigung rein worthaft. Aufgrund des hermeneutischen Zugangs zum Bild der Waffenrüstung (Gleichsetzung von Bild und Inhalt) soll dennoch eine Handlungsform (»anziehen«) den Gebetsvollzug prägen. Dieses Handeln verläuft rein worthaft und geistig. Es zeigt sich, dass die rein worthafte, zeichenlose Gebetsseelsorge in der Gefahr steht, sowohl die Handlungsdimension des Betens als auch die Bilder der biblischen Sprache zu spiritualisieren1131. Segnung als charismatische gottesdienstliche Handlung Anders als die bisherigen Beispiele spricht das folgende von der Segnung nicht im Sinne eines Bestandteiles eines Gebetes, sondern von einer ritualisierten und gottesdienstlich verorteten Handlung. Im Abschnitt 5.1.1, auf den für den historischen Zusammenhang verwiesen sei, wurde bereits geschildert, wie in Großhartmannsdorf 1972/73 die Praxis der Einzelsegnung im Rahmen eines Gottesdienstes entdeckt und praktiziert wurde. Im Folgenden wird die poimenische Bedeutung der Einzelsegnung erörtert. Diese pentekostal inspirierte Form des Segenshandelns stellte ein poimenisches Novum dar. Die Form der seelsorgerlichen, d. h. an persönliche Anliegen anknüpfenden Einzel-Segnung im Rahmen eines Gottesdienstes war bis dato unbekannt. Üblich waren bis dahin öffentliche Segenshandlungen nur im Zusammenhang der typischen Kasualia (wie Einsegnungen zu Konfirmationen, Hochzeiten, Jubiläen etc.). Damit transportiert diese Form der Einzelsegnung eine seelsorgerliche Konstellation in den Rahmen des Gottesdienstes. Wie im kerygmatischen Gespräch gibt es auch hier eine Gegenüberstruktur von Seelsorgenden und Seelsorgesuchenden bzw. von Segnenden und Empfangenden. Eine solche Segenshandlung ist gekennzeichnet erstens von einem Gesprächscharakter, indem die Situation und das Anliegen des Seelsorgesuchenden ausgesprochen werden, und zweitens von einem Gebetscharakter, da diese Anliegen in Form des segnenden Gebetes aufgenommen werden. Die Inhalte solcher Segenshandlungen sind konkret an den unterschiedlichsten persönlich-biographischen Themen orientiert (Beruf, Krankheit, Schuld etc.).1132 Im Unterschied zum kerygmatischen Gespräch ist diese Seelsorgesituation aber von der Gleichzeitigkeit mit einer Gottesdienstsituation bestimmt: Wäh1131 Spiritualisierung biblischer Bilder heißt: Das Bild wird erstens nicht mehr als Bild, sondern zweitens als geistliche (vom Geist Gottes gewirkte, geist-leibliche, pneumatische) Realität verstanden. 1132 Diese Informationen verdanke ich Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach. Auf das Gespräch habe ich unter 5.1.1 hingewiesen.

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rend der Segnung einer Einzelperson ist die versammelte Gemeinschaft in das Geschehen einer gottesdienstlichen Feier eingebunden. Außerdem kann die Seite der Segnenden nicht nur aus seiner, sondern aus mehreren Personen bestehen. Bei Beibehaltung der Gegenüber-Struktur kann dennoch der VierAugen-Kontext aufgebrochen werden. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass diese Praxis aufs Engste mit dem Thema der Charismen verknüpft ist. Es wird berichtet, dass einzelne Personen im Rahmen bzw. in Folge solcher Segnungen das Charisma der Glossolalie erlebt haben. Ob es sich bei diesen Personen um Seelsorgende (Charismen als Mittel der Segnung) oder um Seelsorgesuchende (Charismen als Folge der Segnung) handelt, ist nicht erkennbar, aber beides ist denkbar. Dies weist auf seine Weise darauf hin, dass charismatische Seelsorge meist auch auf die Vermittlung charismatischer Praxis ausgerichtet ist.

7.1.3 Charismen: Gebetsseelsorge am Beispiel der Krankenheilung Zur seelsorgerlichen Funktion der Rede von Charismen Charismen oder Geistesgaben im Kontext charismatischer Seelsorge werden im Volksmissionskreis Sachsen an verschiedenen Stellen berichtet. Zunächst ist die Rede von Charismen im volksmissionarischen Sinne darauf angelegt, den Einzelnen auf deren Praxismöglichkeit aufmerksam zu machen. Typisch für die Volksmission sind heiligungstheologische Themenstellungen, die den Aufruf an den Einzelnen formulieren, sein Leben zu bessern. Ethische Themen (z. B. zu Ehrlichkeit, Liebe, Treue etc.) mit einem heiligungstheologischen Impetus werden oftmals mit der Rede von Charismen verbunden. Dies vermittelt zum einen den Hinweis an die Hörer oder Leser, ihr ethisches Verhalten zu überprüfen, zum anderen trägt diese Rede gleichermaßen Kirchenkritik und Kirchensehnsucht in sich, wie folgende Zitate zeigen: »Sind wir so verarmt, daß von den Geistesgaben, die einst wie Blitze in der dunklen Nacht des Heidentums aufleuchteten, nichts mehr zu spüren ist?«1133 »Wir sind eine verkümmerte Kirche, weil wir die Geistesgaben weithin verloren haben«.1134

Charismen stellen aber nicht nur einen Inhalt volksmissionarischer Rede dar. Wenn der Heilige Geist, der Empfang des Heiligen Geistes oder die Geistesgaben thematisiert werden, übernimmt diese Rede auch eine seelsorgerliche Funktion. 1133 Freundesbrief von Erich Schumann, Pfingsten 1948, in: A.I.c.876. 1134 [Bericht] Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: A.II.a.404/8/Bd1.

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Dies zeigt das folgende Beispiel mit der Zielstellung einer seelsorgerlichen Anrede: »Wie aber kommt es nun in einem Menschen zu dieser Gotteserkenntnis im Heiligen Geist? Das ist bei jedem Menschen eine ganz persönliche ›Heilsgeschichte‹. Auch du darfst deine ganz originale Geschichte mit Gott haben, und doch ist es in den Grundzügen immer das gleiche Geschehen«.1135

Diese Aussage trägt einen poimenischen Gehalt: Unter dem Ziel, die Adressaten dieses Textes im Heilshandeln und in der Heilsgeschichte Gottes zu verorten, wird diese Rede zur Seelsorge. Den Adressaten wird zugesprochen, ihre persönliche Entwicklung geistlichen Lebens als individuelles Geschehen zu begreifen und als einen Teil des universalen Heilsgeschehens unter dem Wirken Gottes des Heiligen Geistes zu sehen. Mit anderen Worten: Die Rede von bzw. die Anleitung zu einer pneumatisch und charismatisch akzentuierten Spiritualität übernimmt vergewissernde und geistliches Leben begleitende Funktionen. Krankenheilung: Gebet und Handauflegung statt Gebet und Salbung Die praktische Relevanz der Charismen für die charismatische Seelsorge wird deutlich, wenn sie in ihrer Rolle als Gebetsvollzüge gesehen werden. Dies soll im Folgenden anhand des Beispieles der Krankenheilung gezeigt werden. Dabei erweist sich, dass die Charismen als Mittel seelsorgerlichen Handelns an das Gebet rückgebunden sind, und bestätigt das Gebet als Gestaltungsmerkmal der Seelsorge. Bereits Gerhard Bahrmann hatte in seinem unter 6.2.2 behandelten Text »Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften« von der Krankenheilung gesprochen und diese durch den Zusatz »durch Gebet« näher definiert. Die Gabe der Krankenheilung wird als »Gebetsdienst am Kranken«, als »seelsorgerlicher Dienst« neben medizinischen Handlungsoptionen verstanden.1136 Das folgende Zitat eines anderen Textes gibt einen weiteren Aspekt zu erkennen: »Zur Frage der Krankenheilung werden drei Punkte herausgestellt: 1. Auftrag an die Boten (Mark.16,18). 2. Initiative des Kranken (Jak.5,14), 3. die Gabe der Krankenheilung (= eine besondere Ausrüstung)«.1137 1135 Boor, Neue Gemeinde. Heiliger Geist, Geistesfrucht, Geistesgaben (Lebendiger Glaube 6), Berlin 1957, 7. Im Übrigen gliedert sich dieser Text in die Teile »Die Gabe des Heiligen Geistes«, »Die Frucht des Heiligen Geistes«, »Die Gaben des Heiligen Geistes«, »Seid nüchtern und wachet«. 1136 Vortrag von Pfr. Gottfried Rebner vor der 22. Landessynode Sachsens, Dresden, 01. 04. 1989 [Abschrift des Tonbandmitschnittes], in: A.II.b.1.854, 77–90, bes. 86–88. 1137 VMK (Hg.), Rundbrief 02/1954, Rudolf Fischer [enth. Mitschriften von Vorträgen Werner de Boors durch Christa Heun], in: A.I.p.306.

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Auffällig ist hier, dass die Krankenheilung zwar vom Sendungscharakter her (Verweis auf den markinischen Missionsbefehl) als »Gabe« und »besondere Ausrüstung« verstanden wird. Aber trotz des ausdrücklichen Bezuges zu Jak 5,14 sind keine Anweisungen zum Vollzug des Heilens bzw. des heilenden Handelns ablesbar. Im Gegenteil: Die Stelle wird lediglich zur Betonung der »Initiative des Kranken« herangezogen. Dies weist darauf hin, dass die in Jak 5,14 erwähnte Salbung Kranker mittels Öl in der Seelsorge des Volksmissionskreises keine Rolle spielt. Dass man hier nicht auf die Krankensalbung eingeht, ist nicht etwa als Schweigen über die praktische Selbstverständlichkeit des Salbungsrituals, sondern als Aussage von dessen selbstverständlichem Nichtvorhandensein zu deuten.1138 Seelsorgegeschichtlich zeigt sich hier der seinerzeitige Stand der evangelischen Seelsorge, welche die Krankensalbung nicht praktizierte. Die Abwehr der evangelischen Seelsorge gegen die Salbung ist einerseits im grundsätzlichen protestantischen Vorbehalt gegenüber Ritualen und Symbolhandlungen, andererseits in der Ablehnung des überkommenen römisch-katholischen Sakraments der ultima unctio begründet, zumal damals die Reformulierung dieses Sakraments als Krankensalbung durch das Zweite Vatikanische Konzil noch nicht erfolgt war.1139 Selbstverständlich hingegen ist die Gestaltung des heilenden Handelns als Gebet. Darin stimmt der Volksmissionskreis Sachsen beispielsweise mit der Kirchlichen Volksmission überein: Gerhard Füllkrug und andere hatten die Krankenseelsorge vor allem als Gebetsgeschehen (und als Krankenpflege) verstanden.1140 Aber anders als in der Kirchlichen Volksmission und der kerygmatischen Seelsorge wird im Volksmissionskreis das Heilungsgebet mit einer Gebärde verbunden: der Handauflegung. Mit der Handauflegung möchte man dem biblischen, insbesondere jesuanischen Vorbild entsprechen, wie das folgende Beispiel von Horst Webers zeigt:

1138 Die Krankensalbung hat in der evangelischen Seelsorge traditionell keinen Platz, da das Wort im Zentrum des seelsorgerlichen Handelns stehen soll. In der Regel sind allein Krankenbeichte und Krankenabendmahl üblich, so zeitgenössisch z. B. Fichtner, Krankenhausseelsorge, 133–136. Wilhelm Löhe wurde die Restitution der Salbung kirchenamtlich noch verboten, vgl. Schlichting, Löhe, 411. Die Krankenagende von Walter Lotz, 1949 (»die den liturgischen Veröffentlichungen der Evangelischen Michaelsbruderschaft ergänzend zur Seite tritt«), macht im Anhang einen vorsichtigen »Vorschlag« für die Salbung, vgl. ders. (Hg.), Agende, 165–169, Zit. 5. Vgl. dazu Schulz, Salbung, 184. Die Aufnahme der Salbung in die lutherische Agende III als »Angebot« geschah erst 1994, vgl. Agende. Band III.4, 8.95. 1139 Dies bestätigt sich darin, dass seit dem Vaticanum II die Krankensalbung evangelischerseits neu rezipiert und praktiziert wird. Vgl. dazu auch Zimmerling, Gebet und Salbung; Ernsting, Salbungsgottesdienste. 1140 Vgl. die Beiträge in: Füllkrug (Hg.), Krankenseelsorge.

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»1 Krankenheilung (erbetene 2malige Handauflegung ähnlich Mark. 8 Barthimäus) bestätigten [sic!] die Kraft des Blutes und Namens Jesu«.1141

Der Verfasser bezieht sich auf das heilende Handeln des irdischen Jesus und begründet damit das Auflegen der Hände für die Praxis des Volksmissionskreises. Das Beten ist also nicht nur durch die oftmals wörtliche Zitation biblischer Aussagen gekennzeichnet, sondern auch durch das biblische Praxisvorbild. Der Autor spricht in diesem knappen Zitat von der theologischen Bedeutung der Handauflegung: Die Gebärde soll das Gebet, dessen Formulierungen christologisch ausgerichtet sind (»Kraft des Blutes und Namens Jesu«), unterstützen und die neuschaffende Kraft Gottes vermitteln (»bestätigten«). Mit der Handauflegung steht der Volksmissionskreis in alter kirchlicher Praxistradition.1142 Das Auflegen der Hände gehörte bereits zur biblischen und altkirchlichen Gebetspraxis. Stets hat es mit Geistmitteilung zu tun, weshalb es das Wirken des Heiligen Geistes vermitteln soll, dieses aber nicht selbst verursacht. Zur Handauflegung gehört das deutende, gesprochene Wort (Bibelwort bzw. Gebet als Lob, Dank, Bitte). Sie findet in einer Gegenüber-Situation von Spender(n) und Empfänger(n) statt und wird durchgeführt, indem beide Hände (oder nur die rechte Hand) auf das Haupt (seltener Schulter o. a.) der Empfangenden gelegt werden. Diese Gebärde verbindet also das wörtliche Beten mit leiblicher Kontaktaufnahme. Die Handauflegung ist für den Volksmissionskreis eine selbstverständliche Handlung der Gebetsseelsorge. Sie ist so zentral, dass sie sogar in der Auslegung der Stelle Jak 5,14f genannt wird und dabei die Salbung ersetzt. Davon zeugt die Rezeption von Jak 5,14f bei Gerhard Küttner im folgenden Beispiel: »›Wenn jemand krank ist, der rufe die Ältesten … daß sie über ihm beten, so wird’s besser werden.‹ Und dann kam es vor, daß die Leute das in Anspruch nahmen: ›Herr Pastor, würden Sie mir nicht mal die Hände auflegen oder mit den Brüdern über mir beten.‹«1143

In diesem Zitat nimmt der Verfasser im Anschluss an Jak 5,14 auf die Ältesten Bezug, die in der Diktion des Bräunsdorfer zweiten charismatischen Aufbruches »Brüder« genannt werden (vgl. 5.2.4). Dadurch bestimmt er das heilende Handeln als Aufgabe der Gemeinde und nicht allein des Pfarrers. 1141 [Bericht an die Stadtmission Chemnitz] Dienstreisen Sosa, Dresden-Bühlau und Radebeul, Horst Webers, Chemnitz, 05. 04. 1952, in: A.II.a.404/2; vgl. auch Brief [vermutl. von Pfr. Gerhard Bahrmann], [Lützschena], 13. 12. 1949, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Pfr. Gerhard Richter, Radebeul, in: A.III.a.bis1949; vgl. auch wie oben: Küttner, Christus für uns, 70. 1142 Die folgenden und weiteren Überlegungen veröffentliche ich in: Schmidt, Handauflegung. Vgl. dazu Kleinheyer, Handauflegung zur Geistmitteilung. 1143 Küttner, Christus für uns, 70.

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Interessanter ist hier jedoch, dass der Autor das im Bibeltext erwähnte Heilungsgebet durch den Zusatz der Handauflegung ergänzt und deutet. Die im Bibeltext genannte Salbung wird ausgelassen und durch das Auflegen der Hände ersetzt. Das heilende Beten geschieht nur unter der Gebärde der Handauflegung, welche die Exegese von Jak 5,14f bestimmt. Diese Deutung von Jak 5 stellt ein typisches Schema im Kontext der Oxford-Gruppenbewegung dar : So ersetzt Hans Bruns die Salbung durch die Handauflegung und versteht das Krankengebet als »Segnung«.1144 Unter 3.1.3 wurde darauf eingegangen, dass die Praxis der Handauflegung unter anderem durch Otto Siegfried von Bibra an den Volksmissionskreis Sachsen vermittelt worden ist. Diese Beobachtungen zur Gestalt der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises am Beispiel des heilenden Handelns rücken den Kreis zunächst in die Verwandtschaft zur kerygmatischen Seelsorge. Diese enthält sich der Verwendung von außer-wörtlichen Seelsorgemitteln und kennt keine Salbung. Das heilende Handeln ist hier Beten. Durch die Gebärde der Handauflegung aber gibt sich die Seelsorge des Kreises in einer nicht rein kerygmatisch-wörtlichen Gestalt zu erkennen. Sie entspricht vielmehr der Seelsorge der Oxford-Gruppenbewegung. Der traditionelle Ausfall der Krankensalbung in der evangelischen Seelsorge ermöglichte den exegetisch nicht zutreffenden Ersatz der Salbung durch die Handauflegung. Die Seelsorge des Volksmissionskreises sucht hier trotz ihrer Nähe zur kerygmatischen Poimenik den außer-wörtlichen Handlungsvollzug und die leibliche Dimension des heilenden Handelns. Was die Handauflegung in Form und Inhalt ausmacht, kommt dem entgegen: Als Geistmitteilung in Wort und Tat prägt sie die charismatische Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises. Entsprechend dieser Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur kerygmatischen Poimenik hat man sich die Krankenseelsorge (bzw. den Heilungsdienst oder den Vollzug der Gabe der Heilung) des Volksmissionskreises praktisch vom klassischen Seelsorgegespräch her abgeleitet zu denken: Dieses enthält die Kernbestandteile Gespräch und Gebet, wobei der Bestandteil des Gebetes – aufgrund der Segensgebärde der Handauflegung und wegen des Fehlens der Salbung – einen dominanten Stellenwert einnimmt. Das Gebet ist als in Anspruch nehmendes Beten zu verstehen. Durch Annahme der Verheißungen (Affirmation) und deren Zusage (Performation) geschieht die charismatische Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises.

1144 Bruns, Winke für die Seelsorge, 24.

Volksmissionarische Seelsorge als charismatische Gebetsseelsorge

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Charismatische Krankenheilung als anamnetisches Gebetsgeschehen Gerade an der Krankenseelsorge wird deutlich, dass das Gebet an der Verkündigung orientiert ist, wenn die Inanspruchnahme biblische Inhalte annimmt und zusagt. Verschiedene Texte geben Aufschluss darüber, welche Inhalte das Gebet in der Krankenseelsorge aufnimmt und wie es sie formuliert, zum Beispiel: »Also darf ich, wenn’s um Krankheit geht, genauso beten: ›Du trugst diese Krankheit meines Bruders, der hier kniet, oder der Kranken, die hier liegt.‹ […] Und dann darf ich, weil Er’s getragen hat, in Jesu Namen den anderen lösen aus den Fesseln und Banden der Krankheit. […] Das ist nicht bloß: ›Du kannst.‹ Der echte Glaube weiß: ›Du hast’s getan! Du hast ja diese Krankheit getragen.‹«1145

Dieses Beispiel, dessen Aussagen wörtlich oder vergleichbar in anderen Texten wiederkehren, zeigt den engen Zusammenhang bzw. die Identität von Bittgebet und Segnung. Bittgebete sollen nach diesem Zitat keine Bitten, sondern perfektische Aussagen benennen, ja verkündigen, mit dem Selbstverständnis, dadurch eine Verheißung Gottes ausgesagt zu haben. Das vorliegende Zitat steht im Zusammenhang mit dem Gottesknechtslied Jes 53 (V4: »Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen«).1146 Jes 53,4 (»er trug«) wird perfektisch bzw. präsentisch in den Gebetkontext übertragen (»Du trugst« etc.). Charismatisches Gebet proklamiert, d. h. verkündet coram Deo, homine et universo mundo Christi Stellvertretung als perfektische (Heilungs-) Gabe. Worin liegt die theologische Begründung für eine solche Praxis der Gebetsseelsorge? Das charismatische Heilungsgebet besitzt eine anamnetische Dimension. Es will die Vergegenwärtigung (Anamnesis) von Heilereignissen aussagen und das »Gedächtnis seiner Wunder« (Ps 111,4) vollziehen.1147 Wenn Charismatiker davon sprechen, Gottes Verheißungen »in Anspruch zu nehmen«, bedeutet dies für die Gebetssprache einen direkten Rekurs auf biblische Verheißungen und Heilsereignisse. Sprachlich wird dieser Bezug auf Verheißungen und Heilsereignisse im Gebet dann perfektisch oder präsentisch, auf jeden Fall nicht voluntativ-optativ for-

1145 Küttner, Christus für uns, 70f; Heilungsbeispiele a. a. O., 72ff.203. Vgl. auch Predigt über 1Kor 15,12–20, Pfr. Gerhard Küttner, Ostersonntag 1972, in: ders., Zwölf Predigten, 41–46, hier 43. 1146 Vgl. dazu Küttner, Christus für uns, 68f. 1147 Da anamnetisches Gedenken sich auf Heilsereignisse bezieht, die als historisch zwar abgeschlossene Ereignisse dennoch eine bleibende geschichtliche Heilsbedeutung haben, werden diese Ereignisse selbst Gegenwart, d. h. vergegenwärtigt, ohne ihren geschichtlich abgeschlossenen Charakter zu verlieren.

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muliert. Diese Praxis des Betens stellt ein wesentliches Kennzeichen charismatischer Gebetsseelsorge dar. Das anamnetische Gebet wird aufgrund der heilsgeschichtlichen Orientierung christologisch begründet, was gerade im Zusammenhang des Themas Krankenheilung häufig wahrnehmbar ist: »Du hast uns erlöst von Krankheit und Schmerzen; / denn fürwahr, Er trug unsre Krankheit / und lud auf sich unsre Schmerzen. / O, was hat Er gelitten, / Jesus, der Schmerzensmann, / aus tausend Wunden blutend / […] So preisen wir Dich, Vater, mit den vielen, die Heilung gefunden haben, / nicht durch Medizin, / […] sondern allein durch die Wunden Jesu […] / O herrliche Frucht der Erlösung, / auf Golgatha vollbracht«.1148

Heilung wird als »Frucht der Erlösung« verstanden. Zur Begründung werden z. B. die Stellen 1Petr 2,24 und Jes 53,2ff herangezogen.1149 Charismatische Theologie verortet Heilungsgabe, Heilen und Heilung (oder besser : GeheiltSein) im Kreuz Christi. Der Bezug auf die Gottesknechtstheologie kann etwa mittels der genannten Stellen auch wörtlich im Heilungsgebet ausgesagt werden. Durch die Gebetsformulierung »Du hast getragen« wird die Heilung des Kranken im anamnetischen Gebetsvollzug doxologisch, konfirmierend und interzessorisch ausgesprochen. Heilung zwischen Erwartung und Erfüllung Die soteriologische Verortung der Heilung begründet die charismatische Praxis, das Heil im Gebet »in Anspruch zu nehmen«. Dabei wird die auch charismatischen Betenden nicht verborgen bleibende Spannung zwischen ausbleibenden und erfüllten Heilungserwartungen interpretiert und zwar wie folgt: »Herr, DU kannst = AT / Herr, DU hast = NT. JESUS hat die Krankheit getragen und darum in Jesu Namen weiche die Krankheit. Ich weiß, daß ich in JESU Wunden geheilt bin. Wie lange Du [Herr] noch warten willst, es offenbar zu machen, ist Deine Sache!«1150

Heilung und die Begründung des heilenden Handelns sind soteriologisch im Kreuz Christi verortet. Dieser Fokus steht der klassisch pietistischen Meinung entgegen, welche noch 1953 vom Volksmissionskreis publiziert werden konnte: 1148 [Gebetsordnung] Vater unser [Bräunsdorfer Schwestern, Bräunsdorf 1967], in: A.IV.a.61, 20. Zu dieser Gebetsordnung vgl. unter 4.5.3, Anm. 775. 1149 Vgl. [Mitschrift, Zusammenfassung] Bibelarbeiten von Pfr. Gerhard Küttner zur Mitarbeiterrüstzeit 03/1973 in Bräunsdorf, in: A.III.a.1973. 1150 Vgl. [Mitschrift, Zusammenfassung] Bibelarbeiten von Pfr. Gerhard Küttner zur Mitarbeiterrüstzeit 03/1973 in Bräunsdorf, in: A.III.a.1973 (Hervorhebung im Text), dort das folgende Zit. Vgl. Küttner, Christus in uns, 74.

»Lösen«: Exorzistisches Handeln als Spezialfall der Gebetsseelsorge

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»Es wäre aber bedenklich zu behaupten: Wie er uns am Kreuze Vergebung der Sünden erworben hat, so hat er uns auch Heilung von aller leiblichen Krankheit erworben«.1151 In dieser pietistischen Tradition steht übrigens die Kirchliche Volksmission.1152 Die charismatische soteriologische Begründung der Heilung wird allerdings auch relativiert: »Heilung ist nur eine Verherrlichung Jesu. […] Auch der Weg ins Krankenhaus kann Verherrlichung Gottes sein«. In der Seelsorge des Volksmissionskreises erhalten ausbleibende Heilungen bzw. nicht erfüllte Heilungserwartungen eine seelsorgerliche Bedeutung. Diese liegt im anamnetischen Gebet: Perfektisch-präsentische Aussagen wie »Herr, du hast geheilt« etc. sollen in heilsgeschichtlicher Perspektive auch Heils- und Heilungsgewissheit angesichts empirisch nicht wahrnehmbarer Heilung aussagen. Eine Gebetsformulierung wie: »Wie lange Du noch warten willst, es offenbar zu machen, ist Deine Sache!« spricht eine Vertrauensbekundung aus, die sich in das unverfügbare Handeln Gottes ergibt. Diesen Sinn unterstreicht ein Bericht von Gerhard Bahrmann: »Es soll nicht verschwiegen werden, dass Gott solche Gebete auch nicht erhört hat, bezw. noch nicht. Jedenfalls wurde das Entscheidende geschenkt, dass der Kranke – ein Blinder – zur vollen Heilsfreude kam und keinen Augenblick um der nicht erfolgten Heilung willen murrte. Ein strahlender Gottesmensch mit toten und doch leuchtenden Augen!«1153

7.2

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7.2.1 Begriffsklärung Seit Ende der 1940er Jahren liegen Praxisberichte des Volksmissionskreises Sachsen vor, welche von einer bestimmten seelsorgerlichen Notwendigkeit angesichts okkulter Praktiken sprechen, die im Kontext der Seelsorge thematisiert worden sind. Ein auffallend breites Spektrum von Berichten spricht von Aber1151 Zit. Elias Schrenk als Abschrift des Kalenderblattes »Der christliche Hausfreund« vom 04. 09. 1953, veröffentlicht in einem unvollständig erhaltenen Rundbrief des Volksmissionskreises Sachsen zum Thema Heilung, ohne Datum, in: A.I.p.306. 1152 Wir »dürfen mit dem Recht der Kinder Gottes und des königlichen Priestertums […] unmittelbar zu Gott treten und ihn um Beseitigung oder Linderung des Übels bitten. Erkennen wir aber, daß es Gottes Wille nicht ist, die Krankheit von uns zu nehmen, dann sollen wir an das Wort des Herrn in Gethsemane denken: Vater, ist es möglich« etc., Füllkrug, Krankheit, 16; vgl. ders., Seelsorge, 72f. 1153 [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/1950], in: A.II.b.2.1517, 1f.

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glauben und okkulten Handlungen, im Extremfall werden Kartenlegen, Zauberbücher oder das Besprechen von Tieren genannt.1154 Angesichts der Konfrontation mit Okkultismen hatte man sich Gedanken zur exorzistischen Dimension der Seelsorge gemacht. Die Berichte zeigen, dass der Rekurs auf exorzistisches Handeln seinen Sitz im Leben in der volksmissionarischen Seelsorge hatte,1155 was heißt, dass derartige Themen im Rahmen volksmissionarischer Veranstaltungen zur Sprache kamen1156 und dann bei den angezielten seelsorgerlichen Gesprächen im Rahmen der volksmissionarischen »Nacharbeit« aufgegriffen wurden. Für die exorzistische Handlungsform der Seelsorge werden verschiedene Begriffe verwendet: Die häufigsten Begriffe stellen die (oft substantivierten) Verben »Lösen«1157 und »Befreien«1158 dar. Von ihnen sind »Lösung«1159, auch »Loslösung«1160, und 1154 Vgl. [Bericht an die Stadtmission Chemnitz] Reisebericht Januar/April 1948, Horst Webers, Chemnitz, 21. 04. 1948, in: A.II.a.404/2; [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/1950], in: A.II.b.2.1517; Abschrift aus dem Bericht über die Volksmissionswoche in Sosa von Pfr. [Erich] Schumann, Herrnh. Brüdergemeine Zwickau, 19. 05. 1950, in: A.II.b.2.1517, 28f; Rundbrief von Pfr. Erich Schumann, Zwickau [ca. 1950/51], an die auswärtigen Mitglieder der Brüdergemeine und die Freunde des volksmissionarischen Dienstes, in: A.I.p.306; [Bericht an die Stadtmission Chemnitz] Evangelisation Dresden-Kesselsdorf 04.–11. 05. 1952, Horst Webers, Chemnitz, 23. 06. 1952, in: A.II.a.404/2;, 1f; [Bericht über die Evangelisation von Ewald Ehrler, 07.– 13. 10. 1955 in Großpostwitz] Brief von Pfr. Helmut Rösler, Großpostwitz, 09. 11. 1955, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, über die Ev.-Luth. Superintendentur Bautzen, in: A.I.x.1259; [Bericht über die Evangelisation von Horst Webers in Bockau, 16.– 22. 07. 1956] Brief des Ev.-Luth. Pfarramtes Bockau, Pfr. Rehmann, Bockau, 30. 07. 1956, an das Landeskirchliche Amt für Innere Mission, Radebeul, in: A.II.a.404/2. 1155 Ein hervorragendes Beispiel bildet dafür das hektographierte Manuskript: [VMK (Hg.)], Mächte von unten, [1958], in: A.III.a.1958. Am Ende des Textes findet sich der Hinweis: »Seelsorgerliche Auskunft durch: Volksmissionskreis Sachsen«. Das Manuskript diente wahrscheinlich als Vorlage einer Veröffentlichung der Volksmissionsbuchhandlung, möglicherweise eines Unverzagt-und-ohne-Grauen-Heftes. Eine solche Veröffentlichung war seit längerem geplant, vgl. Brief von Rudolf Fischer, Limmritz, 05. 05. 1952, an Pfr. Hans Prehn, Aue Stadtkrankenhaus, in: A.III.a.1950–1953. Zur Publikation war es wohl aufgrund der Schließung der Verlagsbuchhandlung 1959 nicht mehr gekommen. Die Hektographie scheint in nur kleinem Maße verbreitet worden zu sein, da eine Lizenznummer nicht verzeichnet, dafür aber der Hinweis »nur für innerkirchlichen Dienstgebrauch« vorhanden ist. 1156 Vgl. [Bericht] Volksmission v. 30. 11–09. 12. 1956 in Griesbach, Kirchspiel Schneeberg, Kirchenkreis Aue, Ewald Ehrler, Niederschlema, 28. 12. 1956, in: A.II.a.403/11; [betr. Evangelisation in von Prediger Ernst Kube, Berlin, in Hartha 13.–19. 10. 1947]4. Bericht 1947 der Akten- und Pressestelle im Kirchenkreis Leisnig, Sonderbericht: Mitarbeit der Kirche in der bes. Notlage der Zeit, Gersdorf, 04. 12. 1947, in: A.II.f.148. 1157 Z. B. Brief von Ewald Ehrler, Niederschlema, 26. 02. 1952, an Pfr. Hans Prehn/Helmut Wolf/ Pfr. Heinrich Leuteritz, in: A.III.a.1950–1953; [Bericht] Jugendrüstzeit in Lauter 02.– 09. 07. 1989, Thomas Schuster, in: VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1989, div. Autoren, 12/1989, in: A.II.a.404/8/Bd5. 1158 Z. B. [Bericht über die Evangelisation von Ewald Ehrler, 07.–13. 10. 1955 in Großpostwitz]

»Lösen«: Exorzistisches Handeln als Spezialfall der Gebetsseelsorge

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»Befreiung«1161 abgeleitet. Mit diesen Termini werden direkte Bezüge zu Mt 16,16 und 18,18 (vgl. Joh 20,23) hergestellt, also von der Löse- und Bindegewalt der Kirche hergeleitet. Sie lassen erkennen, dass sie zur Bezeichnung von Vollzügen bzw. Handlungen angewandt werden, welche mindestens auf semantischer Ebene ein Absolutionsgeschehen meinen. Solche Vollzugsbezeichnungen weisen auf Subjekte und Objekte von Handlungen hin und sagen damit aus, dass entweder ein Subjekt ein Objekt von einem anderen Objekt »löst« bzw. dass ein Subjekt durch ein anderes Subjekt von einem Objekt »befreit wird«. Der theologische Gehalt der Begriffe liegt demnach in einem Bezug zum Heil – denn das Heil Christi ist Freiheit (»Gelöstsein«) von Unheil und dessen Verstrickungen (»Gebundensein«). Es wird deutlich, dass »Lösen« und »Befreien« einen Vollzug oder ggf. verschiedene Vollzüge der Heilsvermittlung bezeichnen wollen, denen möglicherweise sakramentale bzw. quasi-sakramentale Qualitäten zugemessen werden. Ein weiterer, aber seltener verwendeter Begriff ist »Exorzismus«.1162 Auch diesem liegt eine Tätigkeit zugrunde, nämlich die des »Beschwörens« (griech. 1noqj_feim). Diese Bezeichnung spricht ebenfalls von einem Vollzug und beinhaltet den Verweis auf eine Subjekt-Objekt-Konstellation. Die genannten Termini werden in den Texten des Volksmissionskreises Sachsen synonym gebraucht. Mindestens für den Begriff »Exorzismus« gilt, dass er nicht voraussetzungsfrei verwendet wird. Denn zum einen stellt »Exorzismus« anders als Begriffe wie »Lösen« und »Loslösung« den klassischen Terminus rituell-seelsorgerlichen Handelns dar.1163 Zum anderen sind die Vorstellungen davon, was ein Exorzismus sei, in hohem Maße von der Gestalt geprägt, welche er in der römisch-katholischen liturgisierten Form erhalten hat und wie – nicht zu unter-

1159 1160 1161

1162

1163

Brief von Pfr. Helmut Rösler, Großpostwitz, 09. 11. 1955, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, über die Ev.-Luth. Superintendentur Bautzen, in: A.I.x.1259. Z. B. [Bericht] Jugendrüstzeit in Lauter 02.–09. 07. 1989, Thomas Schuster, in: VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1989, div. Autoren, 12/1989, in: A.II.a.404/8/Bd5. Z. B. Aufzeichnungen aus der Obercunnersdorfer Tagung, Lucie Brakensiek/Hanna Opitz [maschr. Abschrift einer Stenogramm-Mitschrift], in: A.I.c.876. Z. B. [Bericht über die Evangelisation von Ewald Ehrler, 07.–13. 10. 1955 in Großpostwitz] Brief von Pfr. Helmut Rösler, Großpostwitz, 09. 11. 1955, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, über die Ev.-Luth. Superintendentur Bautzen, in: A.I.x.1259; [Bericht] Jugendrüstzeit in Lauter 02.–09. 07. 1989, Thomas Schuster, in: VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1989, div. Autoren, 12/1989, in: A.II.a.404/8/Bd5. Vgl. Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften, Pfr. Gerhard Bahrmann, [vermutl. 1952/53], in: A.III.a.1950–1953; Bericht über die Vorbesprechung der Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaft in Flöha am 22. 01. 1951, H. Ficker, Reichenbach, Abschrift in: VMK (Hg.), Rundbrief, Rudolf Fischer, 21. 03. 1951, in: a. a. O. Zu Begriff, Geschichte und Praxis vgl. Böcher/Nagel/Neidhart, Exorzismus.

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schätzen – diese Gestalt in Literatur, Film etc. rezipiert worden ist.1164 Ob solche rezeptiven Bezüge bei der Aufnahme des Begriffes durch die Autoren gewollt waren, ist eine andere Frage. Von der Rezeption des römischen Exorzismus sind auch Teile der pfingstlichcharismatischen Bewegungen geprägt. Trotz ihres pneumatischen bzw. charismatischen Selbstverständnisses, dem zufolge Charismatiker durch die Leitung des Heiligen Geistes eine qualitativ eigene Einsicht in die unsichtbaren Welten von Mächten und Gewalten erhalten können, haben sie aber traditionelle Kriterien und Formen des römischen Exorzismus aufgenommen.1165 Im pfingstlichcharismatischen Bereich spielt der in der Regel als »Befreiungsdienst«1166 bezeichnete Exorzismus auch eine wesentlich größere Rolle als im (zumindest deutschen) Katholizismus.1167 Eine Weiterentwicklung stellt die sogenannte »geistliche Kampfführung« dar.1168 Von »geistlicher Kampfführung« ist im Volksmissionskreis Sachsen nicht die Rede.1169 Reinhard Hempelmann weist darauf hin, dass es sich bei dem Befreiungsdienst im Bereich der pfingstlich-charismatischen Bewegungen um eine typische, ja konstitutive Glaubens-Praxis handelt und dieser seine Bedeutung vor dem Hintergrund einer säkularen und rationalistischen, das Übernatürliche ausklammernden Weltsicht erlangt.1170 Anders als für den neueren Pietismus, in dem Besessenheit im Grunde nur »als eine seltene Möglichkeit auch unter Christen angesehen [wird], abzulesen vor allem an paranormalen Phänomenen wie Spukerscheinungen«, gilt für die pfingstlich-charismatische Theologie die generelle Annahme, dass Christen und Nichtchristen gleichermaßen von Dämonen, finsteren Mächten etc. belastet, belästigt oder besessen sein können.1171 Entsprechend weitet das charismatische Verständnis auch die Kriterien für die Notwendigkeit des exorzistischen Handelns aus. Während im neueren Pietismus der Fokus noch vorwiegend auf paranormalen Phänomenen lag (was als Reaktion auf den Spiritismus-Zulauf des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zu 1164 Vgl. Fugmann, Das Dämonische und der Humor, 413; Scala, Exorzismus, 25–144. Zu Geschichte, Entwicklung und heutiger Situation des Exorzismus aus römisch-katholischer Sicht vgl. Dondelinger, Exorzismus. 1165 Vgl. Hempelmann, Exorzismus, 315f. 1166 Vgl. z. B. Dow, Befreiungsdienst. 1167 Vgl. Singer, Teufel, 260; Lemhöfer, Befreiungsdienst, 267. 1168 Vgl. z. B. Wagner [Hg.], Territoriale Mächte. 1169 Ein wenig geht in diese Richtung die Aufnahme der geistlichen Waffenrüstung, welche »angezogen« werden soll und damit eine Form der Selbst-Segnung darstellt, wie unter 7.1.2 dargestellt wurde. 1170 Vgl. Hempelmann, Exorzismus, 314–316. 1171 Lemhöfer, Befreiungsdienst, 267. »Besessenheit im engeren Sinne wird als ein relativ seltenes, Dämonisierung oder dämonische Belastung als häufiges Phänomen angesehen«, Hempelmann, Wahrnehmung und Wirklichkeit des Bösen, 249. Zu Besessenheit grundsätzlich vgl. Utsch, Besessenheit.

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rechnen ist), reicht für den heutigen evangelikal-charismatischen Bereich1172 die Kriterienliste vom Spuk auch über psychische Störungen und andauernde Krankheiten bis hin zum Kontakt mit fremden Religionen oder alternativer Medizin (worin sich die weltanschauliche Pluralisierung von Gesellschaften sowie die Internationalisierung des Protestantismus widerspiegeln).1173 Die Rede vom Befreiungsdienst und seine Praxis gehören also zu den typischen Elementen pfingstlich-charismatischer Spiritualität. Zwar kommt in den Reihen des Volksmissionskreises Sachsen der charismatische Begriff »Befreiungsdienst« nicht vor (was rein historisch zu erklären ist)1174, aber die Rede und Praxis exorzistischen Handelns lassen sich nachweisen und legen es nahe, exorzistisches Handeln als charismatisches Element der Seelsorge des Volksmissionskreises zu verstehen. Ausgehend von diesen Annäherungen interessieren im Folgenden diese Fragestellungen: Es gilt zu untersuchen, was »Lösen« im Volksmissionskreis Sachsen bedeutet. Sofern nachvollziehbar, soll die Praxis dieser Vollzüge rekonstruiert werden. Wie exorzistisches Handeln in das Konzept volksmissionarischer Seelsorge einzuordnen wäre, welche charismatischen Dimensionen ihm eignen und was ein Vergleich mit kerygmatischer Seelsorge ergeben würde, soll anhand von Textbeispielen analysiert werden. Terminologisch soll dabei zwischen »Exorzismus« und »Lösen« unterschieden werden, da »Exorzismus« der vorwiegende Begriff in der Kirchlichen Volksmission und kerygmatischen Seelsorge darstellt (7.2.2), während sich »Lösen« deutlich häufiger im Volksmissionskreis Sachsen und in der OxfordGruppenbewegung findet (7.2.3–6). Allgemein wird im Folgenden von »exorzistischem Handeln« als übergeordnetem Terminus die Rede sein.

1172 Diese Merkmale können nicht (mehr) auf klassisch pfingstliche oder klassisch charismatische Frömmigkeitsmuster in teilweiser Abgrenzung zum klassischen Evangelikalismus beschränkt werden. Mischformen charismatischer und evangelikaler Theologie und Praxis sind mittlerweile die Regel. 1173 Lemhöfer referiert Kriterien anhand einer Veröffentlichung der Geistlichen Gemeindeerneuerung, vgl. ders., Befreiungsdienst, 267f; Meier, Exorzismus als Inszenierung, 24. Vgl. dazu aus charismatischer Sicht: Dow, Befreiungsdienst, 21–30. Die charismatischen »Diagnose«-Kriterien sollen im Folgenden nicht diskutiert werden. Dafür verweise ich auf den Beitrag Walter J. Hollenwegers in: ders., Geist und Materie, 110–113. 1174 Soweit ich sehe, hat sich dieser Begriff im Osten Deutschlands wohl erst in den 1980er Jahren, vor allem aber seit der Wiedervereinigung verbreiten können.

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7.2.2 »Exorzismus« in der Kirchlichen Volksmission und kerygmatischen Seelsorge »Dämonen« und »Dämonien« Im Bereich der Kirchlichen Volksmission stellten die Themen »Exorzismus« oder »satanische« bzw. »dämonische Mächte« keine Unbekannten dar. Auch wenn sich der Exorzismus innerhalb der konzeptuellen Publikationen zur Kirchlichen Volksmission von Gerhard Hilbert und Gerhard Füllkrug nicht nachweisen lässt,1175 sprechen Texte davon, dass diese Themen erstens besprochen, zweitens im seelsorgerlichen Kontext praktiziert und drittens offenbar aufgrund der Berührung mit occulta angestoßen wurden.1176 Dies kommt auch in Aussagen wie etwa der folgenden These Erich Schumanns zum Ausdruck, welche oben bereits zur Beschreibung der Geistsehnsucht der 1940er und 50er Jahre herangezogen wurde (3.1.1): »Wir brauchen urchristliche Lebensformen, wir suchen nach schlichten, lebendigen Jesusjüngern. Eine Welt, die von Dämonen umgetrieben wird, sehnt sich nach den Boten des Hlg. Geistes, die mit Vollmacht ausgerüstet sind«.1177

Dass es sich bei der Rede von »Dämonen« und der daraus folgenden Begegnung mit Dämonen keineswegs um eine Randerscheinung innerhalb der Volksmission handelt, zeigt zum Beispiel der Text »Die volksmissionarische Verantwortung der lutherischen Kirche« (1956). Darin hatte Johannes Meister, Pfarrer und seinerzeit Referent im Lutherischen Kirchenamt der VELKD,1178 von Diskussionen des Ausschusses für Fragen des gemeindlichen Lebens der VELKD berichtet: »Wenn die Taufe als Herrschaftswechsel erkannt ist, kann die Volksmission nicht mehr anders denn als ein Kampf mit den Dämonien, die in dieser Zeit gegen Gott streiten, verstanden werden. Es ist nicht nur das Böse im Menschen, das sich gegen die Herrschaft Christi wehrt, sondern hier sind die überindividuellen Mächte der Finsternis auf dem Plan. Darum kann die Volksmission den Menschen nicht nur als einzelnen ansprechen, sondern muß auch die Gebiete des öffentlichen Lebens umgreifen, von denen die Menschen bestimmt werden. […] die Volksmission muß zugleich auch die Hilfe für

1175 In Füllkrug (Hg.), Brennende Fragen, findet sich nur der Beitrag von Richard Rem8 zu Spiritismus, welcher zwar auf dämonische Mächte, nicht aber auf exorzistischen, sondern apologetischen Umgang verweist, a. a. O., 9f. 1176 Neben den Quellen des Volksmissionskreises Sachsen sei hier nur auf Beispiele verwiesen, welche Kurt E. Koch aus dem Bereich der volksmissionarischen Arbeit wiedergibt, vgl. ders., Seelsorge und Okkultismus, 26f.28f. u. ö. 1177 Freundesbrief von Pfr. Erich Schumann, Pfingsten 1948, in: A.I.c.876. 1178 Vgl. ELKZ 9/1955, 180.

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die Bewältigung der in unserer heutigen Gesellschaft erwachsenden besonderen Aufgaben bieten.«1179

Nun spricht der Autor hier nicht von »Dämonen«, sondern von »Dämonien« und bezieht diese »auch« auf soziale, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge, die sich destruktiv auf Menschen auswirken und denen volksmissionarisches Handeln begegnen soll. Dabei ist sicher auch an die Apologetik als Teil der Volksmission zu denken. Doch dass »Dämonie« hier nicht nur für rein strukturell-politische Problematiken steht, sondern als Synonym (und deshalb nicht als Symbol) für Dämonen und dämonische Bindung sinnvoll gelesen werden kann, zeigt die Formel »die überindividuellen Mächte der Finsternis«. Auch wenn der Autor diese nicht näher kategorisiert bzw. definiert, lässt sich ein wichtiges Merkmal des dahinter stehenden Ansatzes erkennen: die Verankerung exorzistischen Handelns der Volksmission in der kerygmatischen Seelsorge. Dies ist folgend zu zeigen.

Verankerung in der kerygmatischen Seelsorge Ein kurzer Vergleich mit Eduard Thurneysens »Lehre von der Seelsorge« zeigt die weltbildhafte und seelsorgetheoretische Grundlegung, die die Kirchliche Volksmission mit der kerygmatischen Poimenik hinsichtlich des Exorzismus teilt. Zunächst fällt auf, dass im Kapitel »Seelsorge als Exorzismus«1180 der Thurneysenschen Seelsorgelehre gleichermaßen von »Dämonen« und »Dämonien« die Rede ist, was die eben getroffene Feststellung des synonymen Gebrauchs dieser beiden Begriffe bestätigt. Thurneysen geht von der weltbildhaften Voraussetzung aus, dass böse Geister, Dämonen und Mächte in einer unsichtbaren, der menschlichen Wahrnehmung zunächst verborgenen Welt existieren und als Macht der Sünde den Menschen gefangen nehmen. Diese Voraussetzung kann von Thurneysen »jedenfalls nicht einfach als Mythologie abgetan werden«1181. Entsprechend komme der Seelsorge die Aufgabe zu, die Befreiung von Sünde, d. h. die Befreiung von bösen Mächten kraft des Wortes Gottes auszusagen und zu realisieren: »Weil die Seelsorge dieses Wort [der Vergebung] ausrichtet, darum ist ihr Werk zu verstehen als das Werk der Austreibung der Dämonen«.1182 Das bedeutet im Kern eine generelle poimenische Grundlegung: Seelsorge ist 1179 1180 1181 1182

Meister, Verantwortung, 9. Vgl. Thurneysen, Lehre, 280–297. A. a. O., 289. A. a. O., Lehre, 280.

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Austreibung. Weil Sünde Gefangenschaft bedeutet, vermittelt die Seelsorge Absolution und wirkt Befreiung. Darüber hinaus erhält diese Grundlegung eine besondere Zuspitzung: Während die Gefangenschaft des Menschen unter der Sünde grundsätzlich Thema der Seelsorge ist, stellt die sogenannte »Besessenheit« einen Sonderfall dieser Gefangenschaft dar. Was meint Thurneysen mit Besessenheit? Besessenheit ist für ihn »krankhaft«, »nichts Alltägliches« und »eine äußerste und letzte Manifestation der dunklen Herrschaft«,1183 durch die ein Individuum seiner personalen Eigenständigkeit beraubt wird.1184 Thurneysen beschreibt ohnmächtiges BesessenSein als mächtiges Besessen-Werden. Auf Besessenheit soll Seelsorge als Exorzismus reagieren. Befragt man Thurneysen nach dem Vollzug eines Exorzismus, dann erhält man die zu erwartende verkündigungsorientierte Antwort: Der Exorzismus komme als Seelsorge im Gespräch (unter vier Augen) zum Tragen, nämlich als ein »Kampfgespräch«: »Das heißt, die ganze Seelsorge ist nun zu betrachten als ein Feld, auf dem in der Macht Christi sehr real gestritten wird gegen die Mächte von unten.«1185

Die Frage nach dem Vollzug kann nicht anders als konzeptionell beantwortet werden. Wie die Seelsorge überhaupt, stellt gerade der Exorzismus die Durchführung, Vermittlung bzw. »Ausrichtung der Vergebung« Gottes dar. Oder umgekehrt: Vergebung bedeutet Exorzismus.1186 Die generelle poimenische Grundlegung, nach der Seelsorge Vergebung und damit Austreibung ist, bildet die Basis für den speziellen Exorzismus. Auch Exorzismus ist zugesagte Vergebung und damit Befreiung. Der formale Unterschied zur Seelsorge überhaupt liegt in der thematischen Konzentration, welche Thurneysen mit »Kampfgespräch« ausdrückt. Ansonsten ist das seelsorgerliche Setting nichts anderes als ein Gespräch mit einer Rede- und einer Gebets-Situation. Der Vergleich mit Hans Asmussen verdeutlicht dies: Zwar kennt Asmussens »Seelsorge« keine explizite Rede von Exorzismus. Doch das exorzistisch kategorisierte »Kampfgespräch« findet auch bei ihm seine Entsprechung: Seelsor1183 A. a. O., 289. 1184 »Der Mensch in der Besessenheit ist wie überrannt, übermannt, überflutet durch die dunkeln Gewalten […]. Das bewußt handelnde, denkende und wollende Ich wird völlig beiseite geschoben und geradezu ausgeschaltet. Der Besessene ist zwar nicht einfach bewußtlos, er denkt und redet, aber genau genommen denkt und redet nicht mehr er selber, sondern ›es‹ denkt, ›es‹ redet in ihm und aus ihm« etc., a. a. O., 288. 1185 A. a. O., 292, dort die folgenden Zit. 1186 A. a. O., 282.

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gerliches Gespräch ist verkündigender Kampf.1187 Das Ziel des Exorzismus, die Befreiung, hat bei Asmussen sein Pendant in der »Bekehrung«: Diese ist »Einbruch des Reiches Gottes in die Welt […]. In jeder ernsthaften Bekehrung wird die Gottlosigkeit der Welt überwunden«.1188 Diese Beobachtungen zeigen, dass in der kerygmatischen Seelsorge Exorzismus nichts anderes ist als Explikation dessen, was Seelsorge überhaupt bedeutet. In einer solchen Poimenik kommen der »Seelsorge als Exorzismus« keine besonderen Handlungsoptionen zu, die nicht schon durch die Verkündigungsund Gebetssituationen des Gespräches eingeholt wären. Konsequenterweise bedeutet dies, dass »Exorzismus« vornehmlich von einer inhaltlichen, konstitutiven Dimension der Seelsorge spricht.1189 In der Seelsorge geschieht eine geistliche Durchsetzung der Macht Christi aufgrund des gesprochenen wirkmächtigen Wortes Gottes (nicht aufgrund der Tat des Seelsorgenden). Das Seelsorgegespräch ist demnach geistlicher Kampf, das Wort ist und wirkt Befreiung. Unter »Exorzismus« spricht Thurneysen von keiner spezifischen Praxisform, sondern öffnet den theologischen Kern der Seelsorge.1190 Der eher seltenen Situation einer Besessenheit entspricht reziprok die stete, grundsätzliche Aufgabe der Seelsorge, aus der Macht der Finsternis zu befreien – da Sünde immer Gefangenschaft unter Tod und Teufel ist. Diesem ganz im kerygmatisch-poimenischen Duktus ausgeführten Exorzismus-Verständnis entspricht, dass sich Thurneysen hier aller außer-wörtlichen Seelsorgemittel enthält, d. h. dass keine rituellen Formen definiert werden. Rituelle Formen, Gebärden und besondere Kommunikationsweisen (»beschwören« oder »schreien«) werden von ihm als »Pseudoexorzismus« oder »geistliche Magie« abgelehnt.1191 Wenn Thurneysen unterstreicht: »Bibel und Gebet sind die Waffen, mit denen hier gefochten wird«, dann entspricht dies einer rein worthaften, verkündigenden Seelsorge. Seelsorge als Exorzismus bezieht Thurneysen auf praktische Probleme, die typischerweise in der volksmissionarischen Apologetik verhandelt werden. Diese Probleme, die Thurneysen aufzählt und an denen sich Besessenheiten entwickeln könnten, sind unter drei Kategorien zu fassen: Okkultismus (Anthroposophie, Spiritismus, Magie, Astrologie),1192 Sucht (problematische Um1187 »Die Hindernisse des Sterbens [des alten Adam] an Licht ziehen und die Verheißung Gottes auf den Kopf zusagen, das ist Seelsorge im eigentlichen Sinne«, Asmussen, Seelsorge, 34. 1188 A. a. O., 39 (Hervorhebung im Text). 1189 Vgl. Thurneysen, Lehre, 280. 1190 »Letzte Dinge sind noch zu bedenken, die, wenn auch unausgesprochen, so doch nie vergessen hinter dem seelsorgerlichen Handelns stehen wie ein tiefer Hintergrund, aus dem es hervorwächst«, Thurneysen, Lehre, 280. 1191 A. a. O., 292, dort das folgende Zit. 1192 Vgl. a. a. O., 287.

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gangsformen mit Alkohol, Sexualität, Geld)1193 und soziale Ungerechtigkeit (soziale, wirtschaftliche, politische Problemlagen)1194. Mit diesen Problemfeldern ist nicht nur eine markante Gemeinsamkeit, sondern auch ein Unterschied benannt, der Thurneysens Poimenik gegenüber der volksmissionarischen Seelsorge kennzeichnet: Für die kerygmatische Poimenik gehört der seelsorgerliche Umgang mit diesen Themen in den speziellen Kontext des Einzelgespräches.1195 Die volksmissionarische Seelsorge verortet diese Themen zuerst innerhalb der Handlungsoptionen der cura animarum generalis (Vortrag, Literatur etc.) und holt sie dann zweitens in die cura animarum specialis (Einzelgespräch) hinein. Dies erweist noch einmal die obigen seelsorgetheoretischen Folgerungen, welche die volksmissionarische Seelsorge als eigenständiges, von der kerygmatischen Poimenik abgeleitetes Seelsorgekonzept herausstellen (vgl. 6.3). Beispiel: Rüstzeit des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission in Radebeul für Volksmissionare mit dem Thema »Das Satanische und seine Überwindung« 1953 veranstaltete das Landeskirchliche Amt für Innere Mission in Radebeul eine Rüstzeit für »haupt- und nebenamtliche Volksmissionare«, die seinerzeit zu den üblichen Weiterbildungsformaten der sächsischen Inneren Mission gehörte. Das Hauptthema der dreitägigen Veranstaltung stand unter der Überschrift »Das Satanische und seine Überwindung«. Im Übrigen war dies nicht die erste Tagung zu diesem Thema; so behandelte eine Rüstzeit für Volksmissionare 1949 unter dem Aspekt »Seelsorge« »dämonische Hintergründe seelischer Nöte«.1196 Die Tagung wurde von ca. 100 volksmissionarisch engagierten Teilnehmern besucht, zu denen auch Personen des Volksmissionskreises Sachsen gehörten.1197 1193 Vgl. a. a. O., 293f. 1194 Vgl. a. a. O., 295–297. 1195 Die Definition der Gestalt der Seelsorge als Gespräch und der Exorzismus als »Kampfgespräch« weisen deutlich darauf hin. Der öffentliche, politische (apologetische) Auftrag zum Umgang mit Okkultismus, Sucht und sozialer Ungerechtigkeit wird wahrgenommen, innerhalb der Seelsorgelehre aber als Folge der speziellen Seelsorge dargestellt: »Es führt ein Weg von der Rechtfertigung des sündigen Einzelnen zur Begründung des wahren Rechts für das sündige Volk, für Staat und Gesellschaft. Es führt ein Weg von der Gnade direkt hinein in die Fragen des Zusammenlebens der Menschen untereinander im Bereich der Öffentlichkeit«, Thurneysen, Lehre, 296. 1196 Brief des Landeskirchlichen Amtes für Innere Mission, Pfr. Ernst Ehrlich/Pfr. Gerhard Richter, Radebeul, 20. 12. 1948, an Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, in: A.I.c.876. Ebenso war dies auch nicht die letzte Tagung, wie das Thema »Volksmission und dämonische Mächte« zeigt: Vorläufiger Entwurf eines Stundenplanes für den Lehrgang für Volksmissionare vom 01.–26. 06. 1953 im Lutherhaus Radebeul, in: A.II.b.2.1518, 189. 1197 Eine genaue Teilnehmerliste der Tagung ist nicht vorhanden. Die Zahl 100 wird angegeben in: [Bericht] Volksmissionarische Praxis, in: A.II.a.401/4/53. Als Teilnehmer vonseiten des

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Unter den namhaften Referenten der Tagung trat zum Thema Exorzismus vor allem Pfarrer lic. Kurt Wiesner (1907–1967) in Erscheinung.1198 Wiesner, seinerzeit Gemeinde- und Studentenpfarrer in Weimar und später Professor an der Karl-Marx-Universität Leipzig, galt offenbar als Experte auf dem Gebiet von Okkultismus, Magie und Exorzismus.1199 Seine Ausführungen dienen im Folgenden als Beispiel dafür, wie die Rede von Exorzismus im Kontext der Volksmission durchgeführt wurde. Die Verhandlung dieses Themas ist durch vier Berichte, deren Autoren unbekannt sind, gut dokumentiert.1200 Das in den Berichten paraphrasierte Referat Kurt Wiesners erweist sehr deutlich die theologie- und insbesondere seelsorgegeschichtliche Einordnung in die Nachkriegszeit. Volksmission und Seelsorge nach dem Krieg werden auf die zeitgenössisch aktuellen Problemlagen bezogen, was von der These unterstrichen wird: »Katastrophenzeiten drängen immer zum Aberglauben, weil alles fragwürdig ist.«1201 Einige Aussagen Wiesners sind für die folgende Analyse interessant. Zunächst wird berichtet, dass Wiesner »drei Arten von Exorzismus« unterscheidet: »a) den rituellen, wie er besonders von katholischer Sicht her geübt wird, wobei aber leicht der Teufel durch Beelzebub ausgetrieben wird, b) den nominellen, d. h. der Name Jesu wird gebraucht[,] um Dämonen auszutreiben. Dieser Exorzismus steht in großer Gefahr, zum Zauber mit biblischen Worten zu werden[,] und c) den personalen: Jesus Christus ist selbst dieser Exorzismus«.1202

Diese Aufteilung gibt sehr genau die Auffassung Thurneysens wieder und sie spiegelt die kerygmatisch-poimenische Reserve gegenüber rituellen Formen und Gebärden. Der antikatholische Reflex im Stichwort a) bedarf keiner näheren Erläuterung. Viel interessanter ist Stichwort b), das eine Abwehr gegenüber exorzistischen Praktiken benennt, die offensichtlich durch die Aussprache des Namens

1198 1199 1200

1201 1202

Volksmissionskreises sind Pfr. Hans Prehn und Volksmissionar Horst Webers sicher bekannt, vgl. Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: a. a. O. Weitere Referenten: Pfr. Dr. Gottfried Voigt, Lückendorf; Pfr. Alfred Rehmann, Berlin; Pfr. Rudolf Irmler, Waldheim; auch beteiligt: Landesbischof Dr. Hugo Hahn; OLKR Gottfried Knospe; Pfr. Gerhard Richter. Siehe Wiesners Forschung an einer 1953 in Weimar entdeckten, Faust zugeschriebenen Zauberschrift; vgl. Henning, Faust-Variationen, 225f. [Bericht] Volksmissionarische Praxis, in: A.II.a.401/4/53; [Bericht] Das Satanische und seine Überwindung, in: a. a. O.; [Bericht] Rettung des Menschen, in: a. a. O.; am ausführlichsten: Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: a. a. O. Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.III.a.1950–1953. [Bericht] Das Satanische und seine Überwindung, in: A.II.a.401/4/53.

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»Jesus« Befreiung erwirken wollen. Vorstellbar ist, dass einzelne Vollzüge exorzistischen Handelns mit der Formel »im Namen Jesu« durchgeführt würden. Eine solche Praxis ist zeitgenössisch zum Beispiel bei Otto Siegfried von Bibra ablesbar1203 sowie im Kontext der Oxford-Gruppenbewegung bezeugt, was für den Volksmissionskreis Sachsen eine wichtige Rolle spielt und unten (7.2.3) näher zu untersuchen ist. Darüberhinaus liefert Stichwort c) das dialektisch-theologische Abstraktum »Jesus Christus ist Exorzismus« (auch: »Jesus Christus selbst ist der rechte Exorzismus. Er benötigt kein besonderes Ritual«1204). Als letztgenanntes Stichwort hat es die Funktion, die für den Referenten einzig angemessene Form des Exorzismus zu plausibilisieren. Allerdings eröffnet es auch die Frage, wie denn »Jesus Christus« als »Exorzismus« praktisch werden könne. Die gegebene Antwort lautet kurz: »Im personalen Exorzismus, wobei Jesus selbst der Exorzismus ist, kommt es auf das gehorsame Hören, auf Gottes Wort an.«1205 Diese Antwort beantwortet jedoch nicht die Frage, wie »Christus als Exorzismus« praktisch vollzogen werden müsste, besonders wenn Variante b) vom Referenten abgelehnt wird. Wenn nach der Praxis hinter dieser abstrakten Aussage gefragt wird, ist ihr zuzugestehen, dass dem Hören auf das Wort Gottes und damit dem Reden des Wortes auch eine Ritualität eignen muss. Die Ritualität ist mindestens in den Gestalten des Sprechens und des Hörens sowie folgerichtig in der Gestalt des Betens zu finden. Mag man den göttlichen Logos als »Exorzismus« bezeichnen, dann wird man ihm hinsichtlich seiner seel-

1203 Vgl. Bibra, Die Bevollmächtigten, 21: »sie binden im Namen Jesu die satanischen Mächte und zerstören deren Bollwerke«; ders., Der Name Jesus, 88: »In Meinem (Jesus-)Namen werden sie (die Vertrauenden) Dämonen austreiben«. 1204 Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.III.a.1950–1953, dort das folgende Zit. 1205 Diese paraphrasierte Aussage enthält ein orthographisches Problem, das eine dreifache Deutungsmöglichkeit nach sich zieht. Das Komma in »kommt es auf das gehorsame Hören, auf Gottes Wort an« kann nämlich erstens eine Aufzählung, zweitens eine Apposition oder drittens einen Fehler bedeuten. Als Aufzählung könnte das Komma durch »und« ersetzt werden und dann müsste die Aussage so gelesen werden: »kommt es auf das gehorsame Hören und [auf] Gottes Wort an«. Dies würde von zwei gleichen exorzistischen Wirkungen des Hörens und des Worte sprechen. Zur Deutung als Apposition könnte das Komma mit »das heißt« ergänzt werden, was zu folgender Aussage führt: »kommt es auf das gehorsame Hören, d. h. [auf] Gottes Wort an«. Hier wäre von einer alleinigen exorzistischen Wirkung des Wortes die Rede. Nimmt man an, dass das Komma fälschlich gesetzt ist und lässt es weg, ergibt sich diese Aussage: »kommt es auf das gehorsame Hören [auf] Gottes Wort an«. Dies würde von einer alleinigen exorzistischen Wirkung des Hörens des Wortes ausgehen. Am ehesten wird von der zweiten Lesart, der Deutung als einer erklärenden Apposition auszugehen sein, da für den Referenten als kerygmatisch geprägten Theologen nur die Meinung der alleinigen exorzistischen Wirkung des Wortes sinnvoll sein kann.

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sorgepraktischen Anwendung äußere Formen jedenfalls nicht absprechen können. Dies bestätigt der Referent durch eine knappe Aussage: »Die Verbindung mit dem Teufel soll durch die Absageformel, die auch vorgesprochen werden kann, zerrissen werden. Vor Handauflegung bei der Absolution ist zu warnen.«1206

Diese Aussage illustriert die Praxis des nach Stichwort c) favorisierten Exorzismus-Modells: Vonseiten des Seelsorgesuchenden soll eine bestimmte Absageformel gesprochen werden. Da dafür kein Textbeispiel vorliegt, wird aufgrund des Begriffes »Absage« an ein Muster zu denken sein, das der Abrenuntiation der Taufliturgie verwandt ist (etwa: »Ich sage ab dem Satan« etc. und ggf. reziprok: »ich glaube an Gott« etc.). Als Gebetsformel fügt sich die Absage in die Gebetssituation des Seelsorgegespräches ein. Dabei fällt der Begriff »Absolution« ins Auge, der als beichttheologischer Terminus bekannt ist und nach reformatorischer Theologie das eigentliche Herzstück der Beichte bezeichnet. Es wäre daher zu folgern, dass das AbsageRitual mit der Beichte mindestens parallelisiert und durch einen absolvierenden Zuspruch abgeschlossen wird. Bestätigt wird dies durch das Verb »zerreißen«, welches die Absagehandlung des Seelsorgesuchenden als lösenden,1207 trennenden Vorgang definiert. Die Absolution durch den Seelsorgenden wird semantisch gleich beschrieben (solutio von solvere: »lösen, befreien, entbinden« etc.). Auch in Thurneysens »Lehre von der Seelsorge« sind »lösen«, »Lösung« und »Absolution« gleichbedeutend,1208 werden aber nicht für den Exorzismus verwendet. Die Möglichkeit, Exorzismus und Beichte gleichbedeutend zu verstehen, wird durch eine weitere Notiz im selben Tagungsbericht anschaulich untermalt: »Volksmissionar [Horst] Webers stellt die Frage, ob nicht schon durch die Absolution der Exorzismus vorgenommen wird«. Dieser Praxishinweis des Referenten verwehrt sich aller außer-wörtlichen Seelsorgemittel, sodass die Handauflegung abgelehnt wird. Hintergrund dafür ist offenbar die Praxis, den absolvierenden Zuspruch durch die Gebärde des Auflegens der Hände zu begleiten. Innerhalb der kerygmatischen Seelsorge im Allgemeinen und der Kirchlichen Volksmission im Speziellen ist man skeptisch 1206 Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.III.a.1950–1953. 1207 Nur anhand derartiger Synonyme wie »zerreißen« kann die Bedeutung des Wortes »lösen« im Kontext der Kirchlichen Volksmission nachgewiesen werden, während dagegen wörtlich »lösen« nur innerhalb des Volksmissionskreises exorzistischer Standard-Terminus ist. 1208 Vgl. z. B. Thurneysen, Lehre, 270f.

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gegenüber dem Vollzug der Handauflegung, auch im Zusammenhang der Absolution.1209 Über die Skepsis der evangelischen, hier insbesondere der kerygmatischen Seelsorge gegenüber außer-wörtlichen Vollzügen wurde oben am Thema des heilenden Handelns besprochen (vgl. 7.1.3). Der Ansicht des Referenten steht allerdings die lutherische Absolutionspraxis in Sachsen entgegen, da zu ihr die Handauflegung gehört.1210 Und im Volksmissionskreis Sachsen stellt die Handauflegung eine selbstverständliche Gebärde der Gebetsseelsorge dar, wie oben ebenfalls deutlich wurde. Die Gründe dafür sind offensichtlich in der lutherischen Beichttradition sowie in der Seelsorgepraxis der Oxford-Gruppenbewegung zu suchen. In allen vier Tagungsberichten werden wörtlich übereinstimmend Thesen überliefert, welche Gerhard Richter, Pfarrer der Inneren Mission, abschließend formuliert hatte. Diese zeigen, dass sich die Diskussion um Exorzismus in der volksmissionarischen Seelsorge innerhalb der Schablone der kerygmatischen Poimenik bewegt: »1. Ziel der Seelsorge ist Rettung des Menschen. Darum ist Exorzismus, d. h. Austreibung der Dämonen, als Mittel der Seelsorge nötig. 2. Christus ist der, der allein den Teufel und seine Engel überwindet. 3. Exorzismus kann nur im Auftrag und unter Leitung Christi geschehen. 4. Exorzismus geschieht in der Verkündigung, den Sakramenten und der Absolution. Auch Meditation kann schon Exorzismus sein (Irmler). 5. Ritueller und nomineller Exorzismus (Wiesner) sind in Gefahr, Pseudo-Exorzismus (Thurneysen) zu sein, der selber Magie ist, sogen. weisse Magie, die den Menschen den Dämonen aussetzt. 6. Exorzismus ist nicht seelischer Kampf, verbunden mit seelischen Erregungen, sondern nüchterne Überwindung durch den Geist Jesu. 7. Nur in besonderen Fällen wird Christus zu einem nominellen Exorzismus veranlassen.«

Aus dem kerygmatischen Rahmen fällt nur These 7. Indem Richter den sogenannten nominellen Exorzismus – d. h. die Nennung des Namens Jesu im exorzistischen Handeln – wenigstens einschränkend (»nur«) gestattet, grenzt er sich vom Referenten Wiesner ab, der diesen gänzlich abgelehnt hatte. Ob es sich damit um ein Zugeständnis an die anwesenden Teilnehmer des Volksmissionskreises Sachsen handelt? Aufgrund dieser Analyse der Tagungsberichte wird deutlich, dass die volksmissionarische Rede von Exorzismus zunächst ganz durch die kerygmatische 1209 So z. B. Juhl, Ringen mit Satans Reich, 56: »Inwieweit man im einzelnen Fall Handauflegung anwenden will, das hängt sowohl von dem persönlichen Glauben des Seelsorgers wie von der Glaubensstellung des zu Heilenden ab. Aber auch hier sollte das Wort 1. Tim 5, 22 beherzigt werden: ›Die Hände lege niemand zu bald auf.‹« 1210 Vgl. Franke, Privatbeichte in Sachsen, 72.

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Poimenik geprägt ist. Dies wird bestätigt durch die Kritik an der exorzistischen Praxis des Volksmissionskreises (Handauflegung, »nomineller Exorzismus«). Auch wenn die Diskussionsverläufe der Tagung nicht mehr im Einzelnen nachgewiesen werden können, zeigt sich, dass die Anwesenheit des Volksmissionskreises bzw. seine Zugehörigkeit zur Inneren Mission dazu geführt hat, diese Kritik abzumildern und Zugeständnisse zu formulieren. Die Tagung zeigt die Verortung der Kirchlichen Volksmission in der kerygmatischen Poimenik, zum anderen lässt sie die poimenische Sonderstellung des Volksmissionskreises Sachsen innerhalb der Volksmission erkennen. Im Folgenden gilt es, dessen exorzistische Praxis zu untersuchen, was zunächst durch einen Blick auf die Oxford-Gruppenbewegung geschehen soll.

7.2.3 »Lösen« in der Oxford-Gruppenbewegung »Gott sei Dank: Er hat gelöst. Das soll uns kein Teufel rauben«.1211

Woher rührt der terminologische Unterschied zwischen dem Volksmissionskreis Sachsen (»Lösen«) und der Kirchlichen Volksmission (»Exorzismus«)? Ein Blick in poimenische Veröffentlichungen aus dem Kontext der Oxford-Gruppenbewegung liefert schnell den Erweis, dass der Volksmissionskreis deren Terminologie übernommen hat und sich einmal mehr als Kind der Gruppenbewegung zeigt. Hans Bruns (1895–1971), ein pietistisch geprägter Theologe der deutschen Gruppenbewegung und einer der Gründer des Marburger Kreises, publizierte 1947 die Schrift »Seelsorge, ganz praktisch«.1212 Darin findet sich diese Definition von Seelsorge: »Die Menschen haben Schuld auf sich geladen und werden von dieser ihrer Schuld umgetrieben, die Menschen sind in mehr oder weniger schwere Bindungen hineingeraten und können davon nicht frei werden… Da erst beginnt im eigentlichen Sinn des Wortes der Dienst der Seelsorge: Die Menschen im Namen Jesu von Sünde und Schuld zu befreien, die Menschen aus den Bindungen des Teufels zu lösen.«1213

Diese Definition ist zunächst eng verwandt mit der kerygmatischen Poimenik, indem sie Seelsorge als Vergebung und Befreiung von Schuld bestimmt. Die verwendeten Begriffe »Bindungen«, »befreien«, »lösen« können als Äquivalente zu »Exorzismus« gelesen werden. 1211 Brief von Pfr. Hans Prehn, Lauter, 30. 03. 1949, an Pfr. Alfred Schädlich, Crimmitschau, in: A.I.p.306. 1212 Bruns, Seelsorge. 1213 A. a. O., 4 (Hervorhebungen im Text).

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Befragt man Bruns’ Schrift daraufhin, wie exorzistisches Handeln »ganz praktisch« aussieht, geschieht die Antwort wie folgt: »Was aber ist nun im Einzelnen zu tun? Darauf ist zunächst nur eine Antwort möglich und richtig: beten und fürbeten! Letzten Endes können wir Menschen garnichts tun. Es muß ein anderer eingreifen und Befreiung und Lösung schenken.«1214

Was rituell abstrakt klingt und mit der kerygmatischen Seelsorge verwandt zu sein scheint (»Es muß ein anderer eingreifen«), enthält schon an dieser Stelle einen nicht unwichtigen Unterschied: Das Zusammenspiel von Rede- und Gebetssituation im kerygmatischen Einzelgespräch wird hier zum Schwerpunkt des Gebets hin verschoben. Exorzistisches Handeln geschieht im Kontext der Gruppenbewegung vorwiegend als Gebet – was angesichts des hohen Stellenwertes von Gebet und Gebetsgemeinschaft nicht überrascht – und zwar in Form des deprekativen Gebets: »beten und fürbeten«. Der altertümlich erscheinende Begriff »fürbeten« ist hier nicht im Sinne seiner historischen Bedeutung als »vorbeten«1215, sondern als »fürbitten« zu begreifen. Die Wahl dieses seltenen Wortes mag darauf hinweisen, dass der Autor eine wichtige Bedeutung unterstreichen will, die in der Definition von Gebet zu finden ist. Das Gebet, an das Bruns denkt, ist von der proexistentinterzessorischen Haltung (Stellvertretung) her zu begreifen, darüber hinaus kann es aber auch von einem kämpferischen (kerygmatischen) oder gar einem in Anspruch nehmenden (charismatischen) Duktus her verstanden werden. Im Weiteren liefert Bruns ein kurzes Formular für exorzistisches Handeln: »Und wie geschieht nun diese Seelsorge im Auftrag und Namen Jesu? […] Durch Anhören der Beichte, durch Erteilen der Absolution, durch Absage an den Teufel, durch helfendes Gebet.«1216

Diese Auflistung enthält die typischen Mittel der kerygmatischen Seelsorge, Beichte und Gebet. Es fällt aber auf, dass zwischen der Absolution und dem Gebet eine »Absage an den Teufel« eingeschaltet ist, welche in den Lehrtexten der kerygmatischen Poimenik nicht vorkommt. Bruns liefert selbst Beispiele für diese Absage: »Er war gerne bereit, sich auch von diesen Dingen zu lösen, er kniete nieder und entsagte ›dem Teufel und all seinem Bösen‹«.1217 »Etwa mit den Worten: ›Ich entsage dem Teufel und all seinem finsteren Wesen und 1214 1215 1216 1217

A. a. O., 6. Vgl. Art. fürbeten, in: Grimm/Grimm, DWb 4, 664. Bruns, Seelsorge, 8 (Hervorhebungen im Text). A. a. O., 15.

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Werken und übergebe mich Dir, dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und will Dir im Glauben und Gehorsam treu sein bis an mein Ende.‹«1218 »Wenn dann durch den Seelsorger auf Grund von Joh. 20,23 die Lösung zugesprochen wird, dann tritt normaler Weise Befreiung der Seele ein.«1219

Die Absage tritt also in Form eines Gebetes des Seelsorgesuchenden an Gott auf. Sie formuliert eine conversio im Modus des Versprechens. Auf die Absage folgt eine absolvierende Zusage des Seelsorgenden (»zusprechen«, Zuspruch), welche die »Lösung«, d. h. die Befreiung formuliert bzw. bestätigt. Der Bezug zu Joh 20,23 zeigt, dass es sich bei Absage und Zusage um ein verlängertes Beicht- und Absolutionsgeschehen handelt. Nicht übersehen werden sollte das kleine Detail der Gebetshaltung: Die Absage findet im Knien statt, was eine typische Gebetshaltung in der Gruppenbewegung sowie im Volksmissionskreis darstellt und den konversiven sowie konfessorischen Gebetscharakter spiegelt.1220 Darüberhinaus lässt dieses exorzistische Geschehen ein weiteres Merkmal erkennen: Das verlängerte Absolutionsgeschehen der Lösung wird mit der Praxis der Handauflegung verbunden. Davon sprechen die eben zitierten Beispiele (stillschweigend) nicht, wohl aber andere Beispiele aus der Gruppenbewegung. Für Hans Bruns stellt das Auflegen der Hände eine selbstverständliche Gebärde seelsorgerlichen Handelns dar und anders als vonseiten der kerygmatischen Poimenik werden dem keinerlei Reserven entgegengebracht: »ja, daß wir uns gegenseitig auch durch Handauflegung wohltun dürfen und sollen«.1221 Hinter Bruns’ Ansicht steht der Gedanke, dass das Auflegen der Hände ein Segenshandeln darstellt und dass es Segensinhalte durch Wort und leiblichen Kontakt vermittelt. Das Exorzismusformular zeigt des Weiteren, dass auf die Absage ein sogenanntes »helfendes Gebet« folgt. Das helfende Gebet bildet den letzten Bestandteil des Formulars und damit den Abschluss des Lösens. Was ist unter »helfendem Gebet« zu verstehen? Plausibel ist darin ein abschließendes Gebet des Seelsorgenden oder – für die Gruppenbewegung sehr plausibel – eine Gebetsgemeinschaft zwischen Seelsorgesuchendem und Seelsorgendem zu sehen. Was ist an diesem Gebet »helfend«? Es ist im Sinne der oben erörterten Aspekte von Fürbitte als deprekatives, konfirmierendes und interzessorisches Beten zu 1218 A. a. O., 16. 1219 A. a. O. 1220 Vgl. auch das Bespiel in: Interview mit Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 27.– 29.07.2012, AXXX. So auch die Darstellung in einem schriftlichen Bibelkundelehrgang des Volksmissionskreises über »Das Gebetsleben«: »Wir sehen, daß die Wirkung des Gebets nicht von unserer Körperhaltung abhängt. Wenn es möglich ist, ist es wohl am besten, bei unseren persönlichen Gebeten mit Gott zu knieen (Ps.95,6; Eph.3,14)«, VKM (Hg.), Lehrgang 17. Das Gebetsleben, in: A.III.a.1971. 1221 Vgl. z. B. Bruns, Winke für die Seelsorge, 22–24, Zit. 24.

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deuten. Das Gebet »hilft« durch affirmative und performative Aussprache von befreienden Heilsinhalten. Das Gebet hilft, weil es für das Heil einsteht. Cura animarum geschieht per orationem. Für die Deutung des helfenden Gebetes ist eine kleine Randbemerkung wichtig: Wie Bruns sagt, soll das Lösen im »Auftrag und im Namen Jesu« geschehen, oder wie vorher zitiert: »Die Menschen [sind] im Namen Jesu von Sünde und Schuld zu befreien«. Die Betonung des »im Namen Jesu« wird sinnvollerweise nicht allein auf das substantielle Grundverhältnis der Seelsorge hinweisen (was es selbstverständlich bedeutet), sondern kann auch als konkretes sprachliches Geschehen verstanden werden: Entweder ist die Formel »im Namen Jesu« ein Bestandteil des helfendes Gebets oder sie gehört zur absolvierenden Zusage. Den Beleg für ihren Gebrauch liefert nicht Hans Bruns, aber Arthur Richter bezeugt die Praxis der absolvierenden Lösungsformel im Kontext der Gruppenbewegung bzw. des Marburger Kreises: »Im Namen Jesu spreche ich dich los und ledig von jeder Bindung an fremde Mächte. Jesus Christus ist der Herr, er hat dich freigemacht.«1222

Es ist davon auszugehen, dass die hier gezeigten Merkmale exorzistischen Handelns mindestens ähnlich, wenn nicht sogar identisch im Volksmissionskreis wiederkehren. So lässt sich im Volksmissionskreis die Verbindung von Gebet und Handauflegung sehr gut nachweisen und das folgende Beispiel bezeugt, dass Gebet und Handauflegung als Mittel des exorzistischen Vollzuges verstanden werden: »In den seelsorgerlichen Aussprachen sind viele Dinge, besonders auf dem Gebiete des Aberglaubens, zu Tage getreten, und es ist als ein großer Segen der Evangelisation zu bezeichnen, daß eine ganze Anzahl Personen von jahrelangen dämonischen Bindungen befreit wurden (Gebet und Handauflegung).«1223

Der folgende Bericht liefert eine Paraphrase der »Absage an den Teufel« im Kontext des Volksmissionskreises: »GOTT hat Segen ausgegossen über Lauter : Menschen, die jahrelang keine Kirche mehr vonn [sic!] innen gesehen hatten, wurden durstig nach der Liebe des VATERS und sprachen: ›Ich will mich aufmachen und zu meinem VATER gehen…(Luk.15,18).‹ Okkult Belastete wurden frei. Lösungen geschahen. In einem Fall war Fasten geboten,

1222 Richter, Praxis der Seelsorge, 27. 1223 [Bericht über die Evangelisation von Ewald Ehrler, 07.–13. 10. 1955 in Großpostwitz] Brief von Pfr. Helmut Rösler, Großpostwitz, 09. 11. 1955, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, über die Ev.-Luth. Superintendentur Bautzen, in: A.I.x.1259.

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und der Dienst des Lösens und Gebietens geschah, während Brüder und Schwestern aus der Gemeinde zur gleichen Zeit zum Gebet versammelt waren.«1224

Die in diesem Bericht paraphrasierte Absage »Ich will mich aufmachen und zu meinem VATER gehen« ist hier durch die Aufnahme von Luk 15,18 nachträglich theologisch überformt. Gleichwohl lässt sie die konversive und konfessorische Qualität des Gebetsgeschehens sehr gut erkennen. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird auch an anderer Stelle als Vorbild »für den Weg der Umkehr zu Gott« verwendet.1225 In diesem Zitat findet sich die Begriffsverbindung »Dienst des Lösens und Gebietens«. Die Wortgruppe stellt im Volksmissionskreis keine Singularität dar und wird unter 7.2.4 näher untersucht. Dem »Dienst des Lösens« kommt ein besonderes Merkmal zu: In temporaler Gleichzeitigkeit (»während«) werden Gebetsgemeinschaften durchgeführt, welche das Lösen unterstützen sollen und insofern die Funktion des helfenden Gebets erhalten. Das helfende Gebet kann scheinbar nicht nur, wie bei Bruns dargestellt, als Abschluss des Lösens, sondern auch parallel dazu stattfinden. Unter 7.2.5 soll dies anhand der Praxis des Volksmissionskreises Sachsen beleuchtet werden.

7.2.4 Ewald Ehrler: »Dienst des Gebietens und Lösens« Bereits ein Jahr vor der unter 7.2.2 besprochenen Radebeuler Tagung der Inneren Mission von 1953 hatte man sich im Volksmissionskreis Sachsen gezielt Gedanken zum Thema gemacht und auf die Tagung vorbereitet. Dies geht aus einem Brief von Ewald Ehrler hervor, in welchem er seinen drei Adressaten die Diskussion über Fragen des exorzistischen Handelns anbietet und zwar mit dem Anliegen, sich auf die künftige Tagung vorzubereiten.1226 Doch dieser Brief gehört nicht nur zur Vorgeschichte jener Tagung, sondern hat selbst eine Vorgeschichte: Offenbar ist Kritik zu verzeichnen, die dem Volksmissionskreis aufgrund seiner exorzistischen Praxis zuteil geworden war.1227 1224 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1968, Pfr. Günter Uhlig, 05/1968, in: A.II.a.404/8/Bd3. 1225 Vgl. Kurze seelsorgerliche Handreichung für den Weg der Umkehr zu Gott, in: [Gebetshilfen zu den Themen der Oasen], [1983], in: A.III.a.1983. 1226 »Wenn im nächsten Jahr in Radebeul zur Rüstwoche über diese Fragen gesprochen werden soll, müssen wir um Vieles klarer sehen als heute«, Brief von Ewald Ehrler, Niederschlema, 26. 02. 1952, an Pfr. Hans Prehn/Helmut Wolf/Pfr. Heinrich Leuteritz, in: A.III.a.1950– 1953. Der Brief nennt Namen von Personen, welche sich seinerzeit mit dem Fragenkreis exorzistischen Handelns beschäftigten: Helmut Wolf, Gerhard Küttner, Heinrich Leuteritz, Horst Webers, Karl Krause, Hans Prehn, Gerhard Michael, Arthur Leonhardt, Anni Kälsch, Christa Heun, Ilse Wolfram, Siegfried Stark, Hans Köckert, Gotthold Roscher, Rudolf Fischer. 1227 »Denn es bleibt doch nicht verborgen, daß unser Dienst gerade in dieser Linie Entschei-

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Ehrler listet Fragestellungen des exorzistischen Handelns auf, welche er zur Diskussion stellt. Aufgrund ihrer Terminologie sind diese für unsere Untersuchung interessant: »1. Was ist als dämonisch anzusprechen? 2. Wann ist ein Gebieten gegen die Finsternismacht nötig? 3. Wann ist ein Lösen nötig? 4. Wer darf diesen Dienst tun? 5. Muß der Dienst des Gebietens und Lösens wiederholt werden und wann? 6. Wem kann ich von diesen Erfahrungen weitersagen? 7. Soll der den Dienst Empfangende über das Erlebte schweigen? 8. Wie soll sich der solchen Dienstbelastungen Ausgesetzte verhalten, um nicht dem Feind zu erliegen? 9. Wie verhalten wir uns Brüdern gegenüber, die auf grund [sic!] anderer Erkenntnis1228 uns ablehnen [?] 10. Welche Erfahrungen sind mit Rückfälligen gemacht wurden?«

Der Autor verwendet den Begriff »Dienst des Gebietens und Lösens«. Dieser sagt eine Vollzugsgestalt bzw. eine Handlungsform aus, denn üblicherweise spricht eine Genitivkonstruktion mit »Dienst« von einem praktischen, d. h. seelsorgerlichen und / oder liturgischen Vollzug (ministerium, officium, servitium). Dieser Begriff ist also verwandt mit dem charismatischen Terminus »Befreiungsdienst«. Wie man sich diesen Dienst des Gebietens und Lösens praktisch vorzustellen hat, kann nur interpretiert werden, da der Text keine Aussagen dazu gibt. Die Interpretation wird stark von dem Wort »Gebieten« abhängen, welches nun näher zu untersuchen ist: Der Begriff »Gebieten« ist bisher im Kontext von Kirchlicher Volksmission und kerygmatischer Seelsorge nicht begegnet. Hier ist darunter eine Gebetsform zu verstehen und zwar in den folgenden beiden Möglichkeiten: Einerseits kann »Gebieten« als »Beschwören« und damit als eine imprekative Gebetsform interpretiert werden. Eine solche Gebetsform richtet eine direkte Anrede an Dämonen. Sie ist im römisch-katholischen Exorzismus bekannt und dient – in der Regel unter Befragung des Namens von Dämonen – dazu, Macht über sie zu erhalten und ihnen so die Flucht aus ihrem Objekt der Besessenheit dungen bringt. Das zeigte schon die Bemerkung von Br. Leppin über Gerhard Küttners Wirken in Heiligengrabe«, a. a. O. Ob auch die folgende Bemerkung in diese Richtung geht, ist unklar : »Es ist immer eine Gefahr, wenn ein Einzelner seine Erkenntnis nicht der Richtigstellung der Brüder unterzieht«. Zu Heiligengrabe: Dort hatte Küttner bei einer Volksmissionswoche oder Rüstzeit das exorzistische Handeln mindestens thematisiert. 1228 Diese Frage 9 kann auf den Hintergrund des Briefes, welcher Kritik an der exorzistischen Praxis des Volksmissionskreises verzeichnet, bezogen werden. Dabei wird der Begriff »Erkenntnis« als pneumatisch geursachte, offenbarungshafte geistliche Einsicht zu verstehen sein (vgl. 1Kor 12,8). Insofern enthält dieser Begriff eine Wertschätzung der Kritiker und ihrer theologischen Meinung. Zum anderen stellt »Erkenntnis« auch einen Autoritätsbegriff dar, der eine offenbarungshafte geistliche Einsicht höher schätzt als eine (Noch-) Nicht-Einsicht.

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zu »gebieten«, d. h. sie auszutreiben.1229 Diese Sprachform in Richtung Dämon kennen auch verschiedene pfingstlich-charismatische Praktiken.1230 Wäre unter »Gebieten« eine solche Praxis im Volksmissionskreis zu verstehen, hätte sie die höchste Kritik vonseiten der dialektisch-kerygmatischen Seelsorge zu fürchten.1231 Andererseits kann »Gebieten« auch als deprekative Gebetsform verstanden werden, d. h. dass sich dieses Gebet im Modus der (Für-) Bitte ausschließlich an den dreieinigen Gott richtete. Ein solches exorzistisches Bittgebet würde Gott um Befreiung des Gebundenen bitten. Im Sinne der charismatischen Inanspruchnahme könnte eine Bitte auch präsentisch bzw. perfektisch als Aussage des Befreitseins, möglicherweise auch imperativisch als Aussage des Befreitwerdens gedacht werden. Das Gebet zu Gott würde Befreiung »gebieten«, d. h. Gottes Befreiung affirmativ ergreifen und performativ zusagen. Diese zweite Interpretation entspricht dem Gebetsverständnis der OxfordGruppenbewegung und im Volksmissionskreis Sachsen. Mit der kerygmatischen Poimenik ist ein performatives Gebieten als Anrede an Gott nicht unvereinbar. Aufgrund seiner Herkunft aus der Gruppenbewegung gilt für den Volksmissionskreis, dass »Lösen« als Gebetsseelsorge zu verstehen ist. Der in der Gruppenbewegung typische Gebrauch der Formel »im Namen Jesu« hebt die Gestalt der Gebetsseelsorge hervor. Zudem verdeutlicht die Gebärde der Handauflegung, wie die Gebetsseelsorge nicht nur rein wörtlich stattfindet.

7.2.5 Gerhard Bahrmann: »Gebetsdienst« In einem Bericht unter dem Titel »Volksmission Lützschena/Leipzig 1950«1232 spricht Gerhard Bahrmann von einer Volksmissionswoche in seiner Lützschenaer Kirchgemeinde. Diese wurde von ca. 30 Personen aus den Reihen des Volksmissionskreises Sachsen durchgeführt, wobei es sich namentlich um die Pfarrer Gerhard Küttner (Sosa), Heinrich Leuteritz (Lichtenstein-Callenberg), Helmut Stemmler (Hohenfichte), Walter Rieger (Neustadt/Rennsteig) sowie um Glieder ihrer und anderer Gemeinden handelte. Diese Personen sind Adressaten des Textes, der als Rundbrief versandt wurde, außerdem weitere Freunde und der Oberlandeskirchenrat Gottfried Knospe. Der Bericht spiegelt die Verbindung der Topoi Mannschaftsarbeit, Vollmacht, 1229 Vgl. Messner, Exorzismus, 1128. Diese Sprachform kann von katholischer Seite heute kritisiert oder abgelehnt werden, vgl. Pompey, Exorzismus, 1129. 1230 Vgl. Singer, Teufel, 256; Lemhöfer, Befreiungsdienst, 268. 1231 Siehe oben Thurneysens und Wiesners Kritiken am katholischen »Beschwören«. 1232 [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/1950], in: A.II.b.2.1517, 1f, dort die folgenden Zit. (Hervorhebungen im Text).

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Beichte und Kerngemeinde wider. Darüberhinaus kommen ausführlich die Themen Lösen und Gebet zur Sprache, was nachfolgend behandelt wird. Für die Untersuchung der Themen ist wichtig, dass der Autor an anderer Stelle die führende Rolle Gerhard Küttners während dieser Volksmissionswoche mitteilt.1233 Dies ist insofern interessant, als dass Küttner zu dieser Zeit den Schwerpunkt seiner Arbeit im Sosaer Kerngemeindekreis auf das Thema Gebet gelegt und diesen als Ort der Bitte um charismatische Vollmacht bzw. um das Wirken des Heiligen Geistes bestimmt hatte (vgl. 3.5.2). Von daher wird man den Bericht Bahrmanns auch als Zeugnis der Gebetsfokussierung Küttners sowie der Bedeutung der Gebetsseelsorge im Kontext der Gemeinschaft lesen können. Das Gebet als Teil volksmissionarischen Handelns. Merkmale »Noch nie habe ich so lebendig die Wirkung des Gebets und der Fürbitte erlebt. […] hatte die Mannschaft – etwa 25 Laien und 4 Pfarrer – keine wichtigere Aufgabe neben der der Verkündigung als die des Gebets und der Fürbitte. Ein täglicher Gebetsdienst war eingerichtet, der den Tag durchbetete [sic!]. Immer 2 Mann knieten in der Sakristei und beteten je eine Stunde lang. […] Auch während der Verkündigung kniete eine Gebetsgruppe in der Sakristei.«

Der Verfasser spricht von einem sogenannten »Gebetsdienst«, welcher einen zentralen Schwerpunkt der berichteten Volksmissionswoche bildete. Diesem Gebetsdienst kommen die Attribute »täglich« und »den Tag durch« zu, was bedeutet, dass ein Gebetsvollzug parallel zu den volksmissionarischen Veranstaltungen an jedem Tag sowie über die Dauer eines ganzen Tages praktiziert wurde. Die Formulierung »auch während der Verkündigung« betont die dauerhafte Einrichtung dieses Gebetsdienstes und macht deutlich, dass diese Gebetspraxis angesichts einer normalprotestantischen Predigtzentrierung sogar für den Verfasser eine Besonderheit darstellt, so auch dieses Zitat: »Und in der freien Zeit wurden keine Hausbesuche gemacht, sondern es wurde gebetet. […] Selbst für bes. Dienste, wie etwa Konfirmandenstunde & Christenlehre stand kaum jemals jemand von der stattlichen Mannschaft zur Verfügung, nicht einmal Bibelstunde wurde gehalten. Mit heiliger Einseitigkeit konzentrierten sich die führenden Brüder auf den Gebetsdienst.«

Diese besondere Betonung gilt es ernst zu nehmen, da diese Praxis im Programm der Kirchlichen Volksmission nicht vorgesehen ist. Der tägliche Gebetsdienst wird in Gemeinschaft durchgeführt. Konkret handelt sich um abwechselnd aktive Gruppen von zwei Personen, welche aus den 1233 Vgl. Brief von Pfr. Gerhard Bahrmann, Lützschena, 06. 12. 1949, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Kammer für Volksmission, OLKR Gottfried Knospe, Dresden, in: A.II.b.2.1516, 160.

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Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der sogenannten Mannschaft gebildet werden. Dies zeigt zum einen, wie die Praxis des Volksmissionskreises durch die Tätigkeit einer Gemeinschaft konstituiert wird, zum anderen wie der Mannschaft Funktionen der Vermittlung von Seelsorge zukommen. Die Mannschaft stellt eine mobile Kerngemeinde dar (vgl. 1.3.4; 6.2.1). Nach dem Modell des poimenischen Zirkels formuliert: Eine durch volksmissionarische Seelsorge erweckte Gemeinschaft (Kerngemeinde) wird aktiv, um als Gemeinschaft (Mannschaft) volksmissionarische Seelsorge zu üben und so andere Menschen in diese Gemeinschaft (Kerngemeinde) hinein zu holen. Der Autor sagt am Ende seines Berichtes selbst, dass er die durch volksmissionarische Seelsorge gewonnenen Personen als Kerngemeinde versteht: »dass nun ein tragender, betender, werbender, glühender, arbeits- und opferwilliger Gemeindekern gebildet ist.« Dies spiegelt die typische poimenische, missionarische und oikodomische Herangehensweise des Volksmissionskreises wider. Der Verfasser erläutert den Modus des Gebetes als Bittgebet (»Fürbitte«). Schon die Haltung des Kniens deutet darauf hin. Das parallel zu den volksmissionarischen Veranstaltungen praktizierte, gemeinschaftliche Bittgebet wird im Sinne des deprekativen und interzessorischen Segensdienstes bzw. der charismatischen Inanspruchnahme (7.1) zu verstehen sein. Diese Interpretation bestätigt sich dadurch, dass der Verfasser vor allem die »Wirkung« des Gebetdienstes berichten will. D. h. der Fokus des Textes liegt weniger auf der Mitteilung von Praxisdetails als darauf, dass er sagen will, dass das Gebet etwas bewirkt hat. Diese Wirkung ist mit Befreiungserfahrungen verbunden. Mit dem Schwerpunkt »Wirkung« verbunden ist der Fokus auf »Vollmacht«. Im Bericht wird deutlich, dass der Gebetsdienst notwendig ist, damit die Mitarbeitenden geistliche Vollmacht erhalten und es so zu geistlichen Wirkungen unter den Teilnehmenden kommt. Das Gebet wird so zur Voraussetzung der volksmissionarischen Seelsorge. Spätestens hier fällt auf, dass die Hochschätzung des Gebetes durch die theologische Präsenz Otto Siegfried von Bibras entscheidend mitbestimmt wurde.1234 Ein unscheinbares Detail bestätigt das Verständnis des Gebets als Seelsorgevollzug: Der Verfasser teilt mit, dass der tägliche Gebetsdienst am liturgischen Ort der Sakristei stattfindet. Zwar ist die Sakristei kein klassischer SeelsorgeRaum. In Sachsen war ihre Nutzung zum Zweck von Seelsorge und Einzelbeichte bis zum nachbarocken Bedeutungsverlust des evangelischen Beichtstuhles1235 1234 »Ist es nicht auffallend, daß hier zuerst das Gebet und erst in zweiter Linie der Dienst am Wort genannt ist? Das hat seinen tiefen Grund; denn der Gebetsdienst am Gnadenthron ist eben nicht nur eine Obliegenheit, die man ›auch noch‹ – so nebenbei – zu erfüllen hat, sondern er soll das A und das O der gesamten Tätigkeit sein«, Bibra, Die Bevollmächtigten, 20. 1235 Vgl. Wieckowski, Beichtstühle, 46–48.

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zunächst verboten und anschließend immer noch unüblich.1236 Zur Abfassungszeit des vorliegenden Berichtes aber waren seelsorgerliche Handlungen wie Abendmahlsanmeldungen, Beichtgespräche und Gebete mittlerweile häufig in Sakristeien verortet, weshalb die Sakristei zeitgenössisch einen Raum evangelischer Seelsorge bildete.1237 Wenn nun dem Bericht zufolge der Gebetsdienst in der Sakristei stattfindet, dann wird er auch aufgrund dieses Raumes als Seelsorge-Vollzug gekennzeichnet. Das parallele und möglichst ununterbrochen stattfindende Beten einer Gemeinschaft während Veranstaltungen, denen eine seelsorgerliche Zielstellung (in der Regel: Bekehrung, Erweckung und Befreiung) zugemessen wird, ist im charismatischen Kontext keine Seltenheit. Das vorliegende Beispiel zeigt aber, dass, noch bevor Aktionszusammenhänge wie die 24-7-Prayer-Bewegung1238 für charismatisches Christentum in Sachsen prägend werden konnten, eine derartige Gebetspraxis im Volksmissionskreis Sachsen bereits entwickelt war. Für den Volksmissionskreis wird auch in anderen Beispielen der parallele Gebetsdienst bezeugt,1239 etwa während evangelistischer Jugendgottesdienste in der Leipziger Nikolaikirche in den 1970er Jahren.1240 Edmund Käbisch hatte zu diesen Jugendgottesdiensten exemplarisch theologische und praktische Merkmale herausgearbeitet. Diese decken sich mit den hier dargestellten Merkmalen der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises: paralleler, dauerhafter Gebetsdienst; Gebetsgemeinschaft; Gebet als Teil und Voraussetzung des volksmis-

1236 Vgl. Franke, Privatbeichte in Sachsen, 77–79. 1237 Soweit ich sehe, handelt es sich bei der Nutzung von Sakristeien für die Einzelbeichte um eine evangelische Entwicklung seit etwa dem Ende des ersten Drittels des 20. Jh., zu der sicher die liturgischen Erneuerungen und die Bemühung um die Einzelbeichte in der Zwischenkriegszeit (vgl. 8.1.1) beigetragen haben. Der Begriff der Sakristei und die baulichen Anlagen legen jedenfalls keine ursprüngliche Verwendung als Beichträume nahe. Wieckowski weist darauf hin, dass der blühende Kirchenbau des ausgehenden 19. Jh. sogar eigene Beichtkapellen für die Nutzung zur Einzelbeichte vorsehen konnte, was ebenfalls gegen die Sakristei als Beichtraum spricht, vgl. ders., Beichtstühle, 49. Eine historische Lektüre der Artikel in RGG1.3–4 lässt darauf schließen, dass die Wiederentdeckung der evangelischen Einzelbeichte dazu beigetragen haben muss, die Sakristei als Beichtort zu nutzen. In RGG1 ist von Beichte in Sakristeien noch nicht die Rede, während RGG3–4 die Möglichkeit der Sakristei als Beichtraum voraussetzen, wobei in RGG3 dafür noch geworben werden muss. Vgl. [ohne Autor], Art. Sakristei [1913]; Hertzsch, Sakristei [1961]; Jordahn, Sakristei [2004]. RGG2 enthält keinen Artikel zu Sakristei. 1238 Vgl. Greig/Roberts, Red Moon Rising. Diese Bewegung beruft in ihrem Selbstverständnis sich auf Wurzeln in der Brüdergemeine Zinzendorfs, entstand aber erst 1999. 1239 Vgl. z. B. Abschrift aus dem Bericht über die Volksmissionswoche in Sosa von Pfr. [Erich] Schumann, Herrnh. Brüdergemeine Zwickau, 19. 05. 1950, in: A.II.b.2.1517, 28f. 1240 Vgl. Interviewprotokoll von Pfr. Edmund Käbisch über ein Gespräch mit Diakon Burkhard Zimmermann, Leipzig, in: Käbisch, Gebet in Jugendgottesdiensten, 175–182.

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sionarisch-seelsorgerlichen Handelns; Gebet ermöglicht Vollmacht und bewirkt Hilfe / Wirkung / Befreiung.1241 Das Gebet als Teil des exorzistischen Handelns »Eine zweite Erfahrung, die ich machen musste, war die von der furchtbaren Wirklichkeit dämonischer Mächte und Bindungen. Bisher hatte ich angenommen, dass es ›auch‹ solche Mächte und Bindungen gibt, hatte mit ihnen gerechnet und gerungen. In diesen Tagen habe ich mich aber davon überzeugen müssen, dass sie nicht die Ausnahme, sondern die Regel bilden. Schon um dieser Tatsache willen halte ich nunmehr das Einmann-System in der V.M. [= Volksmission] für zu schwach, um wirkungskräftig diese Mächte zu bekämpfen und zu überwinden.«1242

Die Betonung des Gebets und des Gebetsdienstes hat Konsequenzen für die Sicht auf das exorzistische Handeln innerhalb der volksmissionarischen Seelsorge. Weil nämlich für Vollmacht gebetet wird, würde der Einzelseelsorge ihre befreiende Wirkung zukommen. Das Zitat Bahrmanns zeigt die konstitutive Verbindung von exorzistischem Handeln und der sogenannten Mannschaftsarbeit, einer von einem Mitarbeiterteam durchgeführten Volksmission bzw. Seelsorge. Der Verfasser geht davon aus, dass exorzistisches Handeln letztlich nur innerhalb der Mannschaftsarbeit »wirkungskräftig« werden kann. Die Mannschaft agiert vorwiegend im Hintergrund als Gebetsgemeinschaft, während das exorzistische Geschehen im Kontext des Einzelgespräches verortet ist. Aufgrund ihrer begründenden Funktion ist die parallele Gebetsgemeinschaft ein integraler Bestandteil des seelsorgerlichen Einzelgeschehens, insbesondere des exorzistischen Handelns, obwohl dieses selbstständig stattfindet. Mit anderen Worten: Das helfende Gebet, wie es von Hans Bruns als Teil des »Lösens« definiert wurde, wird hier ausgeweitet auf das parallele Geschehen des Gebetsdienstes. Dies bedeutet nichts anderes, als dass der Gebetsdienst der Mannschaft als ein Teil des Exorzismus gesehen werden muss. Diese Darstellung definiert konsequenterweise die Mannschaft, die mobile Kerngemeinde, als tragfähige Arbeitsbasis der ecclesia militans, welche durch ihr Gebet die »dämonischen Mächte« »bekämpfen« hilft. 1241 Merkmale des vorliegenden Beispiels der Jugendgottesdienste: »Alle Mitarbeiter […] stellen den innersten Kreis dar« (176), d. h. Mannschaft als Kerngemeinde; Gebetsgruppen beten parallel zu den Gottesdiensten, im Hintergrund und ohne dass es die Gemeinde weiß (179); das Anliegen des Gebetes ist eine »Erfahrung durch den Heiligen Geist« bei den Gottesdienstteilnehmern (176), Gebetsdienst wird als »ein Priesterdienst für die Anvertrauten« (178) gesehen und als »diakonischer Einsatz […] verstanden« (179). Alle Seitenzahlen bezogen auf: Käbisch, Gebet in Jugendgottesdiensten. 1242 [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/1950], in: A.II.b.2.1517, 1f, dort das folgende Zit. (Hervorhebung im Text).

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Ein letztes Zitat aus diesem Bericht eröffnet weitere Einsichten, welche Verwandtschaft mit dem Formular des »Lösens« nach Hans Bruns zeigen, hier hinsichtlich der Absage vom Bösen: »Das Absage-Gebet von allen dämonischen Mächten muss von einer in Vollmacht erfolgenden Austreibung begleitet sein.«

»Absage« wird mit »Gebet« verbunden, was zeigt, dass sie als Gebetsform zu verstehen ist. Dies entspricht im Kern der abrenuntiatio der Taufliturgie. Auf den Zusammenhang zur Taufliturgie war oben bereits am Beispiel des späteren Textes Bahrmanns, »Die Limmritzer Volksmissionskreise und ihre Gebundenheit an die Lutherischen Bekenntnisschriften«, hingewiesen worden (6.2.2). Ein anderes Beispiel bestätigt die Praxis, die Abrenuntiation im Seelsorgekontext zu gebrauchen und mit einer Absolution zu beantworten.1243 Im Zitat fällt das Wort »Austreibung« auf, welches bisher nur selten aufgetreten ist. Es wird synonym zu Exorzismus oder »Lösen« zu verstehen sein. Die Wirkung des Absage-Gebetes des Seelsorgesuchenden wird abhängig gemacht von der vollmächtigen Austreibung des Seelsorgenden. Dies bedeutet zweierlei: Zum einen wird die Austreibung in einer Gegenüber-Situation verortet, d. h. der Seelsorgesuchende empfängt die Wirkung des Befreiungshandelns des Seelsorgenden. Dies entspricht der lutherischen Beichttheologie: Das vom Seelsorgenden zugesprochene Absolutionswort transportiert die Wirkung der Vergebung, welche mit dem Beichtbekenntnis begehrt wird. Das Absolutionswort wirkt, was es sagt, es ist performativ. Zum anderen kann »in Vollmacht erfolgend« sinnvoll auf den HintergrundGebetsdienst der Mannschaft bezogen werden. Nach dem Lösungs-Formular von Bruns ist das helfende Gebet die Instanz, welche die »Vollmacht« und daher die Wirkung des exorzistischen Handelns steigert oder auch verringert. Unter dem helfenden Gebet wird nach dem vorliegenden Beispiel also nicht allein das Gebet des Seelsorgenden, sondern auch das der Mannschaft zu verstehen sein. Das Gebet der Mannschaft unterstützt die von bösen Mächten befreiende Wirkung des Lösens und gehört zur Austreibung, d. h. zum exorzistischen Handeln dazu. Einmal mehr erweist sich die Seelsorge des Volksmissionskreises als Gebetsseelsorge.

1243 Vgl. Eine sehr persönliche Schlüssel-Erfahrung (Auszug aus meinen Lebenserinnerungen), Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, in: A.IV.a.II.72, wo dieses Abrenuntiationsgebet bezeugt ist: »Ich sage mich los vom Teufel und von all seinem Wesen und von allen seinen Werken und übergebe mich dir, du Dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, im Glauben und im Gehorsam dir treu zu sein bis an mein seliges Ende«.

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7.2.6 Gerhard Küttner: »Lösen« bzw. »Loslösung« und deren Zusammenhang mit Heiligung, Heilung und Heiligtum »Wir haben es immer nur zu tun mit überwundener Macht. Das muß uns zu einem Wissen werden! Glaube ist Wissen. Wir haben es mit Realitäten zu tun. […] Das ist Hilfe in der Seelsorge.«1244

»Lösen« als Heiligung »Lösen«, vor allem aber »Lösung« und »Loslösung« stellen für Gerhard Küttner zentrale Begriffe dar. An ihnen wird deren Herkunft aus der apostolischen Frömmigkeitstradition und insbesondere ihre Vermittlung durch Otto Siegfried von Bibra deutlich. In einem längeren Referat auf der Obercunnersdorfer Tagung 1949 (vgl. 3.1.2) hatte von Bibra darüber gesprochen: »Denkt ans Lots Weib! […] Auf halbem Wege musste sie stehenbleiben; sie sah zurück und erstarrte. Nicht äußerlich mittun und das Entscheidende versäumen; innerlich zu lösen vom Irdischen. Also daher die Lenden umgürtet halten; Gelöst vom Sichtbaren und von der Sünde. Brennende Lampen haben, d. h. die Liebe Jesu, Gottes, ausgegossen durch den Heiligen Geist. […] Eph 4,30. Das Betrübtwerden des Heiligen Geistes ist eine sehr ernste Sache! [,]Und betrübt nicht den Heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid auf den Tag der Erlösung.[‹] Womit betrüben wir den Heiligen Geist? Durch Unglauben, Ungehorsam, durch Weltliebe, durch Eigenliebe.«1245

Dieses Zitat zeigt eine eschatologische Orientierung: »Lösen« wird als Befreiung von der Welt und als Befreiung für den Himmel gesehen. Die Lösung vom »Irdischen« korreliert mit der Bindung an das Himmlische (»Lenden umgürtet halten«). Der direkte Rekurs auf die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu definiert »Lösen« als endzeitliche Vorbereitung. Dazu gehört, dass »Lösen« heiligungstheologisch ausgerichtet ist. Das »Lösen« meint dann Freiheit von geistlicher Fehl-Haltung bzw. Fehl-Verhalten (»Unglauben«; den Heiligen Geist »betrüben«; »Ungehorsam«; »Weltliebe«; »Eigenliebe«). Außerdem entsprechen »Lösung« und »Erlösung« einander. Man könnte dies so formulieren: Erlöst-Sein (Rechtfertigung) erfordert lösendes Verhalten (Heiligung). Von Bibra nimmt Bezug auf Eph 4,30 und zitiert das Versiegelt-Sein durch den Heiligen Geist, die Versiegelung der Gläubigen. Diese Stelle wird in der apostolischen Frömmigkeitstradition, die auch von Bibra prägt, gern verwendet. Die 1244 [Mitschrift, Zusammenfassung] Bibelarbeiten von Pfr. Gerhard Küttner zur Mitarbeiterrüstzeit 03/1973 in Bräunsdorf, in: A.III.a.1973. 1245 Aufzeichnungen aus der Obercunnersdorfer Tagung, Lucie Brakensiek/Hanna Opitz [maschr. Abschrift einer Stenogramm-Mitschrift], in: A.I.c.876 (Hervorhebung im Text).

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katholisch-apostolische Kirche hatte die Versiegelung zu einem ihrer Sakramente erhoben, das die endzeitliche Gabe des Heiligen Geistes vermitteln sollte. Es findet statt durch Salbung und Handauflegung1246 (in der Neuapostolischen Kirche und den Gemeinschaften der Vereinigung Apostolischer Gemeinden durch Handauflegung ohne Salbung1247). Dieses Sakrament soll die Gläubigen zur eschatologischen Erlösung befähigen. Im Kontext von Bibras, dem Oekumenischen Christusdienst, ist mit »Versiegelung« bereits nicht mehr von einer sakramentalen Handlung die Rede. Hier handelt es sich um einen nicht ritualisiert, d. h. rein pneumatisch vermittelten Status des Gläubigen. Die hohe Bedeutung, welche der Versiegelung in der apostolischen Frömmigkeitstradition zugemessen wird, bleibt bei von Bibra mit der Aufnahme von Eph 4,30 jedoch erhalten: Die pneumatische Versiegelung durch den Heiligen Geist garantiert die endzeitliche Erlösung. Um dieser Versiegelung und damit der Erlösung aufgrund Betrübens des Heiligens Geistes nicht verlustig zu gehen, bedarf es der Lösung. Lösung ist heiligende Einstellung und Praxis in konkreter Distanzierung von Sünde, Welt und Ich. Eine praktische Vollzugform auf dem Weg des Lösens, d. h. der Heiligung, stellt die Einzelbeichte dar, was unter 8.2.1 erläutert werden wird. Die Erlösung am Jüngsten Tag ist Lösung schlechthin: Der einzelne Glaubende und die gesamte Kirche werden losgelöst von aller Vergänglichkeit hinein in das ewige Reich. Dies will die Aufnahme von Eph 4,30 (»eQr Bl]qam !pokutq~seyr«) zeigen. Gerhard Küttner hat diese Theologie von Otto Siegfried von Bibra übernommen. Für ihn bedeuten Lösen, Lösung bzw. Loslösung zuerst Hingabe und Heiligung: »Der Weg der Heiligung ist immer auch ein Weg der Loslösung.«1248 Lösung als Heiligung hat das Ziel wachsender Heiligkeit, d. h. Christusförmigkeit, unter der Aufgabe, alle Dimensionen der eigenen Existenz Gott zu »weihen«, d. h. hinzugeben, wie in diesem vom Volksmissionskreis 1971 veröffentlichten, vermutlich von den Darmstädter Marienschwestern stammenden Gebet zum Ausdruck kommt: »Hilf mir [, Herr,] zu weiteren Lösungen in meinem Sündenkampf durch den Glauben an das Blut des Lammes. […] Mein Vater, weil Du mich liebst […], möchte ich nun alles, was Du von mir haben willst, hingeben: Leib, Seele und Geist, alle Gaben und Kräfte, mein Wünschen und Wollen […] sei Dir u.Deinem Dienst geweiht.«1249

1246 1247 1248 1249

Vgl. Cardale, Handauflegung, bes. 56; Albrecht, Abhandlungen über die Kirche, 120. Vgl. Vereinigung Apostolischer Gemeinden (Hg.), Sakramente, 41f. Vgl. Küttner, Christus für uns, 124 (Hervorhebung im Text). Gebet für eine Stille Zeit, in: A.III.a.1971.

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Der Lösung als Heiligung eignet erstens eine asketisch-praktische und zweitens eine eschatologisch-inhaltliche Dimension. Sprachlich kann dies durch die Verbindung mit der Vorsilbe »los-« hervorgehoben werden. Asketisch ist die Loslösung dadurch bestimmt, als dass sie praktische Konsequenzen für die Lebensführung enthält. So besteht Heiligung darin, sich von Bindungen zu lösen, die der Versiegelung durch den Heiligen Geist und dem Leben aus dem Geist widersprechen können, d. h. die zur Betrübnis des Geistes führen können. Dies kann bedeuten, sich von körperlichen Bedürfnissen, Verhaltensweisen und Beziehungen (d. h. von Schlaf, Nahrungsaufnahme, Menschen, Verwandtschaft, Verpflichtungen, Gefälligkeiten etc.)1250 zurückzuziehen, diese zu relativieren oder gar aufzugeben. In Küttners Biographie wird man an die »Klausur« von 1973/74 erinnert, in der sich Küttner nicht nur von allen pfarramtlichen Verpflichtungen, sondern sogar von körperlichen Bedürfnissen distanziert hatte (vgl. 5.2.1). Mit der »Klausur«, für die nicht allein Kritiker den Begriff »Krankheit« gebrauchten, wollte Küttner offenbar durch Askese seine Heiligung vertiefen und dem Wirken des Geistes Gottes »dadurch immer mehr Raum […] schaffen«1251. Die Loslösung als radikale asketische Form praktischer Heiligung will also dazu dienen, alle Hinderungen des Geistwirkens zu beseitigen. Damit verbunden soll auch das Anerkennen und Praktizieren der »Ordnungen im Hause Gottes« (vgl. 5.2.3–4) »die ganze Lösung und tiefe Befreiung«, die Loslösung der Herrlichkeit erwirken.1252 Eschatologisch ist die Loslösung daher bestimmt, dass sie auf die »apostolische«, d. h. urchristliche oder brautgemeindliche Vollmacht und auf das Erscheinen des Jüngsten Tages orientiert ist. Lösung bewirke die spirituelle Befreiung, d. h. Freisetzung der Vollmacht des Einzelnen, der ganzen Kirche sowie das herrliche Kommen des ewigen Reiches. Sie meint die Befreiung zuerst des einzelnen Gläubigen, dann aber auch des ganzen Christusleibes zum größeren, bevollmächtigenden Wirken des Heiligen Geistes in endzeitlicher Perspektive. Der Glaubende gibt sich ganz dem Leben Gottes hin, er löst sein Leben, frei zu sein für Gott, was für Küttner – im Schema der Tempeltypologie gesprochen – im Brandopfer des Tempelvorhofes zum Ausdruck kommt. Der sich Gott ganz hingebende Glaubende wird von Gott gebraucht und von ihm regelrecht benötigt. Küttner spricht im Bild des von den Jüngern zu lösenden Esels nach Mt 21,2f, dessen Jesus bedarf, um nach Jerusalem einzureiten.1253 »Ohne den Weg der Loslösung ist es nicht möglich, vom Geist bewegt zu sein«1254. 1250 Vgl. Küttner, Christus für uns, 125–136. 1251 Zit. Gerhard Küttner in: Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: A.II.a.404/8/ Bd1; siehe dazu 8.2.1. 1252 Vgl. Küttner, Geheimnis, 49f, Zit. 50. 1253 Vgl. Küttner, Christus für uns, 84.

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Vor diesem Hintergrund wird der Traditionsbezug auf das katholisch-apostolische Sakrament der Versiegelung verständlich: Was die sakramentale Versiegelung leisten sollte, nämlich den Heiligen Geist mitzuteilen, übernimmt nun die innerliche Loslösung. »Lösen«: Exorzismus als charismatische Gebetsseelsorge Darüberhinaus gibt es »Lösen« nicht nur als einen prozesshaften Vorgang der Heiligung, sondern auch als ritualisiertes Geschehen bzw. als exorzistische Handlung. Betrachtet man bei Gerhard Küttner das Lösen als Exorzismus näher, fallen die im Abschnitt 7.1.3 am Beispiel der Krankenheilung dargestellten Aspekte charismatischer Gebetsseelsorge ins Auge und lassen sich eins zu eins am exorzistischen Handeln wiedererkennen. Folgende Beispiele zeigen den engen Zusammenhang von exorzistischem und heilendem Handeln: »Darum bildete er [Jesus] in seinen Jüngern weitere Berufsarbeiter für das Reich Gottes heran. Er hieß sie gleichfalls das Evangelium predigen, er gab auch ihnen Macht, die unsauberen Geister zu vertreiben und allerlei Seuchen und Krankheiten zu heilen. Mit einem Wort, sie sollten mit Jesus in gleicher Verantwortung und im gleichen Dienst stehen. Jeder von ihnen sollte den heilsverlangenden Menschen ein Christus werden.«1255 (1941) »Unser Herr kann auch in der Aussendungsgeschichte sagen (Matth.10, 8; Lk. 10, 19): […] ›Ich habe euch Vollmacht gegeben über alle Gewalt des Feindes!‹ ›Treibt die Dämonen aus!‹ Er sagt auch: ›Heilt die Kranken, macht die Aussätzigen gesund, weckt die Toten auf.‹ Handelt! Die Gemeinde Jesu ist dazu gerufen und berufen, diesen Widersacher Gottes aus allen seinen Positionen zu werfen.«1256 (1979) »Als der Herr Jesus die Jünger zum ersten Mal aussandte, war das ein charismatischer Dienst. Er hatte ihnen Vollmachten gegeben, Charismen, den Dämonen zu gebieten und die Kranken zu heilen (Matth. 10, 8; Mark. 6, 7; Luk. 9, 1).«1257 (ca. 1980)

Diese im Zeitraum von vier Jahrzehnten entstandenen Passagen enthalten übereinstimmende Aussagen. Während das erste Zitat noch ganz in der Sprache der Kirchlichen Volksmission (»Berufsarbeiter für das Reich Gottes heranbilden«) verankert ist und ein Zitat Luthers enthält (anderen »ein Christus werden«)1258, nimmt es genauso wie die beiden weiteren Aussagen die Rede von Macht bzw. Vollmacht auf, die Christen gegeben würde. Exorzistische Dienste 1254 A. a. O., 125. 1255 Predigt über Mt 9,35–38, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 7. Sonntag nach Trinitatis 1941, in: A.I.c.152. 1256 Küttner, Besiegte Finsternis, 62f (Hervorhebung im Text); Beispiel für eine Bindung durch Geister a. a. O., 63f. 1257 Küttner, Räucheraltar, 139 (Hervorhebung im Text). 1258 Vgl. WA 7, 66, 25 (Tractatus de libertate christiana, 1520).

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des Lösens sollen Christen entsprechend ihrer charismatischen Begabung und Berufung vollziehen. Es handelt sich um charismatische Dienste, die gottgeschenkte Gnadengaben seien, um böse Geister auszutreiben, Bindungen aufzulösen und die geistliche Loslösung der Gläubigen zu ermöglichen. Durch den Glauben würde Christen der Auftrag und die Bevollmächtigung als Gabe zuteil, um an Christi statt bzw. in Christi Macht Menschen aus ihren Bindungen zu befreien, weil im Kreuz Jesu Christi bereits alles vollbracht ist. Der Gabe-Charakter dieses Charismas und der Gebe-Charakter seines Handelns entspringen der Kreuzesgnade. Der enge Zusammenhang von heilendem und exorzistischem Handeln in diesen Zitaten ist in der unter 7.1.3 dargestellten soteriologischen Orientierung charismatischer Gebetsseelsorge begründet. Die Passage Jak 5,14f, auf welche dort Bezug genommen ist, bestätigt den Zusammenhand von Heilung und Vergebung. Das folgende Zitat Küttners enthält dies explizit: »Weil Jesus alle Sünden auf Sich genommen hat, darf ich dem Sünder sagen: ›Dir sind Deine Sünden vergeben!‹ Das gibt mir ein Recht, so zu sprechen: Nur, weil Er’s auf Sich genommen hat. Oder : Weil Jesus ans Fluchholz angenagelt war, festgenagelt am Fluchholz, darf ich dem Gebundenen sagen: ›Ich löse dich aus deiner Gebundenheit.‹ Nur darum habe ich ein Recht, so zu sprechen. Weil Jesus alle Krankheiten trug […], darf Sein Bote sagen: ›Sei heil!‹ […] – beachtet’s: Tatsachen! Fakten! Weil wir durch Jesu Leiden und Sterben um Höchstpreis erkauft sind, wirklich erkauft sind! – hat Satan kein Recht mehr. Hier geht es also immer um die Rechtsfrage.«1259

Dieses Zitat zeigt drei Bereiche der Seelsorge, auf die Küttner die soteriologische Begründung bezieht: 1) die Beichte bzw. Absolution, 2) das exorzistische Handeln »Lösen« sowie 3) die Krankenheilung. Die »Rechtsfrage« des Glaubens sei durch das Kreuz Christi geklärt: Glaubende gehören Gott. Dieses Recht solle immer wieder in Anspruch genommen (Affirmation) und durchgesetzt (Performation) werden durch Absolution, durch exorzistisches Handeln und durch Heilen. Hinsichtlich ihres poimenischen Gehaltes liegt die Bedeutung des Lösens darin: Die Rede vom Lösen will Funktionen der Vermittlung einer heiligungstheologisch begründeten und endzeitlich ausgerichteten Spiritualität übernehmen. Ihr Ziel ist, den Einzelnen über seine Zugehörigkeit zur Brautgemeinde zu vergewissern bzw. zu dieser Zugehörigkeit zu animieren. Der hierin hörbare volksmissionarische Impetus wird in der Regel durch Formen der cura animarum generalis umgesetzt, da in der Volksmission die Heranführung an die 1259 Vgl. z. B. Küttner, Binden und Lösen, 277 (Hervorhebungen im Text).

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Kerngemeinde sowie die Eingliederung in sie vorwiegend durch allgemeinseelsorgerliche Vollzüge geschieht. Die Funktion der Vergewisserung konkretisiert sich in der exorzistischen Handlung an Kranken und Gebundenen. Als eine solche Vollzugsform gehört das Lösen zur cura animarum specialis. Die strukturelle Identität der zitierten Absolutions-, Befreiungs- und Heilungs-Zusagen weist darauf hin, dass Lösen und Heilen in der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen inhaltlich wie praktisch von der Absolution abgeleitet werden. Dadurch kann darauf geschlossen werden, dass die Praxis des Lösens im selben seelsorgerlichen Kontext wie Beichte bzw. Absolution stattfindet: Der Kontext des kerygmatischen Zweiergespräches mit seiner Gegenüber-Situation, mit Ansprache an den Seelsorgesuchenden und mit Gebet ist konstitutiv für die charismatische Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises. Das Lösen unterstreicht das anamnetische Beten. Die Gebetsaussagen beziehen sich direkt auf das Christus-Ereignis und seine soteriologische Bedeutung. Dahinter steht ein forensisches Rechtfertigungsverständnis,1260 das im seelsorgerlichen Kontext eine Trost- und Vergewisserungsfunktion entfalten will. Wieder wird erkennbar, warum Gebet als Inanspruchnahme der Verheißung und als Verkündigung des Heils praktiziert wird. Dabei entsprechen auch Formulierungen wie »Sei heil!« den Feststellungen unter 7.1.3, dass charismatische Inanspruchnahme keine voluntativ-optativen, sondern perfektische bzw. präsentische Aussagen trifft. Im vorliegenden Beispiel werden diese Aussagen aufgrund ihrer perfektischen Perspektive und aufgrund des Anrede-Charakters imperativisch gefasst. Der Imperativ steht der perfektischen bzw. präsentischen Gebetssprache nicht entgegen, sondern hebt vielmehr deren nicht-optatives Inanspruchnehmen hervor. »Lösen« und Tempeltypologie: Charismatischer Exorzismus vor dem Heiligtum – umfassender Exorzismus im Heiligtum »Lösen«, »Lösung« und »Loslösung« können bei Gerhard Küttner auch noch in einem weiteren Sinne gebraucht werden, denn die Betonung des charismatischen Charakters von »Lösen« dient der Differenzierung eines weiteren Charakters. Wenn das Lösen gerade eben von seinem Gabe-Charakter her als Charisma und von seinem Gebe-Charakter her als Praxis verstanden wurde, so hebt 1260 »Glaube ist etwas Juristisches. Es geht um einen ganz bestimmten Rechtsstatus. […] Glaube ist nicht eine Steigerung ins Machtbewußtsein hinein. Vor den Gefühlen der Macht weicht der Teufel nicht. Nüchtern rechnend diese Tatsache dem Teufel vorhalten, ihm sein Recht absprechen unter Berufung auf JESUS«, [Mitschrift, Zusammenfassung] Bibelarbeiten von Pfr. Gerhard Küttner zur Mitarbeiterrüstzeit 03/1973 in Bräunsdorf, in: A.III.a.1973.

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Küttner nun eine weitere Bedeutung ab. Dies wird von ihm mit Begriffen der Tempeltypologie beschrieben: »Es ist eine andere Sache, ob das vom Standort des Vorhofs her geschieht oder vom Heiligtum her.«1261

Diese Terminologie ist mit einer Schwierigkeit verbunden, welcher die vorliegende Untersuchung nicht gänzlich ausweichen kann: Das System, in dem sich Küttner mit Begriffen der Tempeltypologie bewegt, ist von ihm nicht systematisch ausgearbeitet worden. Die Quellen zeigen die Rede von einem »Lösen« als Dienst des »Vorhofes« sowie von einem »Lösen« als Dienst des »Heiligtums«. Die Rede von einem Dienst des »Allerheiligsten« erscheint dabei zwar angelegt, ist aber nicht ausgeführt.1262 Besonders deutlich wird dies daran, dass die Bedeutungen der Begriffe »Heiligtum« und »Allerheiligstes« changieren. Konsequenterweise müsste nämlich der von Eugen Edel übernommene, pfingstliche ordo salutis der Tempeltypologie, den Küttner nun auf die Praxis des Lösens anwendet, nach diesem Schema lauten: »Christus für uns« = »Vorhof«; »Christus in uns« = »Heiligtum«; »Christus durch uns« = »Allerheiligstes« (vgl. 3.3.2–3). Doch gerade die Grenzen zwischen »Heiligtum« und »Allerheiligstem« verschwimmen bzw. es ist unter den Attributen »Christus in uns« und »Christus durch uns« nur von »Heiligtum« die Rede. Die Untersuchung wird dieses terminologische Problem nicht auflösen, sondern das Küttnersche Verständnis einer Praxis des Lösens entsprechend der Quellenlage darstellen. Das folgende, oben schon einmal teilweise angeführte Zitat zeigt, dass Küttner offenbar davon ausgeht, dass exorzistisches Handeln (»gebieten«) als »ein charismatischer Dienst« noch nicht alle Befreiung leisten könne. Das exorzistische Charisma ist offen für einen weiteren »Schritt«: »Als der Herr Jesus die Jünger zum ersten Mal aussandte, war das ein charismatischer Dienst. Er hatte ihnen Vollmachten gegeben, Charismen, den Dämonen zu gebieten und die Kranken zu heilen (Matth. 10, 8; Mark. 6, 7; Luk. 9, 1). Und dann kam die Stelle, wo sie nicht mehr konnten (Matth. 18 [sic! recte: 17], 19). ›Warum konnten wir denn da nicht?‹ Nun mußten sie sich einen Schritt weiterführen lassen.«1263

1261 Küttner, Räucheraltar, 139. 1262 Dies bestätigen auch Äußerungen von Zeitzeugen, z. B.: »Gerhard Küttner sprach im Zusammenhang mit dem sog. »großen Lösedienst« [= Heiligtum] noch von einem zu erwartenden größeren »Jesusdienst« [= Allerheiligsten], Brief von Pfr. Andreas Gatzsche, Lützensömmern, 03. 03. 2010, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.72. 1263 Küttner, Räucheraltar, 139 (Hervorhebung im Text).

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Während im Vorhof die »Rechtsfrage«1264 entschieden sei, was besagt, dass das Kreuz Christi die Macht des Bösen entmachtet habe und mit der Rechtfertigungsgnade auch Gaben (wie z. B. den charismatischen Dienst des Lösens) verleihe, kläre sich dagegen die »Machtfrage«1265 des Glaubens im Heiligtum des geistlichen Tempels. Unterschieden wird also zwischen Recht und Macht, zwischen Vorhof und Heiligtum, zwischen »Christus für uns« und »Christus in uns«, zwischen Rechtfertigung und Heiligung. Dementsprechend werden auch zwei Dienste des Lösens unterschieden. »Das ist Dienst vom Heiligtum her. Das ist eine andere Sache als das Charismatische im Vorhof.« »Und seitdem uns das im Herzen vom Geist lebendig gemacht und versiegelt worden ist, haben wir keinen Dämonenkampf mehr gehabt, keinen mehr! Aber Geister sind ausgefahren, wo sie vorher nie ausgefahren sind«.1266

Dieses Zitat beschreibt einen zweiten Schritt, nämlich den Schritt ins Heiligtum. Vom »Heiligtum« aus könne exorzistisches Handeln in stärkerer Wirkweise geschehen als im »Vorhof« . Die Richtungsbeschreibung »vom […] her« sagt Wesentliches: Dieser Dienst soll von einem bestimmten Standort aus in andere Standorte hinein geleistet werden. Dieser Standpunkt ist ein Ort der Vollmacht. Es handelt sich also um einen bestimmten Status des tempeltypologischen ordo saltutis, von dem aus gehandelt würde. Die häufig verwendete Formel »das ist eine andere Sache« dient der betonten Differenzierung dieser Status.1267 Der statuelle Unterschied wird ausdrücklich an exorzistischen Wirkungen bzw. Wirkungserfahrungen festgemacht. Die Aussagen »Geister sind ausgefahren, wo sie vorher nie ausgefahren sind« und »haben wir keinen Dämonenkampf mehr gehabt« sprechen von den Wirkungen bzw. Erfahrungen, die offenbar in Umfang und Nachhaltigkeit vom sogenannten »charismatischen Lösen« verschieden sind. Das exorzistische Handeln vom Status des Heiligtums aus habe Wirkungen, welche das Handeln im Vorhof nicht erreichen könne. Der Erfahrung begrenzter Wirkmacht des Lösens im Vorhof – also einer Ohnmachtserfahrung beschrieben mittels Mt 17,19 – steht die Vollmachtserfahrung des Lösens im Heiligtum gegenüber. Man kann also sagen: Das vollmächtige Lösen des Heiligtums ist für Küttner eine umfassende Lösung, die aus seiner Sicht über die Möglichkeiten des exorzistischen Charismas hinausgeht. Sie beziehe sich auf Bindungen, die – obwohl dem Satan alle Rechte an den zu Christus Gehörenden genommen sind – 1264 1265 1266 1267

Küttner, Binden und Lösen, 277. So sinngemäß nach a. a. O., 277f. Küttner, Räucheraltar, 138f (Hervorhebung im Text). So auch: »Aber es ist eine andere Sache, zu wissen: ›Ich nicht – Du! Ich nicht – Jesus! Ich nicht – Er durch mich!«, a. a. O., 138.

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durch einen charismatisch begabten Exorzismus nicht gelöst werden können.1268 Wenn im Vorhof die Rechtsfrage des Glaubens geklärt sei, könne, so Küttner, der Satan dennoch Macht über Gläubige ausüben. Nur die Vollmacht aus dem Heiligtum könne hier wirken. In solch einem vollmächtigen Lösen »handelt immer Er Selber«1269 in und durch das Werkzeug des Seelsorgenden. Die umfassende Lösung vermöge nur die Macht Christi selbst. Im Heiligtum sei es nicht mehr der Seelsorgende selbst, der mit Recht und Charisma seine christliche Existenz, und damit auch Lösungen, vollzieht, sondern das in ihm Gestalt gewordene Jesus-Leben als Vollmachts-Existenz agiere nunmehr : »Nicht ich, Er handelt! Er handelt in mir und durch mich[.] […] Was bin ich? Ich bin Werkzeug. Was bin ich? Ich bin die Waffe.«1270 Ob ein Seelsorgender im Status des Heiligtums einen solchen Dienst zu vollziehen habe, sei stets eine Berufungsfrage. Dabei wäre eine Verknüpfung mit den Ordnungen im Hause Gottes bzw. den geistlichen Ämtern denkbar. »Lösen« im Heiligtum: Indikation, Aufgabe und Zielstellung Ein wichtiges Praxismerkmal des Lösens im »Heiligtum« stellen die Indikationen des exorzistischen Handelns dar, womit diagnostische Erkennungszeichen gemeint sind, nach denen entschieden wird, ob ein solches Handeln vollzogen werden soll oder nicht. Es fällt nämlich auf, dass ein Bezug auf Indikationen oftmals nicht vorhanden ist. Wie das charismatische Lösen des Vorhofes wird auch das vollmächtige Lösen des Heiligtums vorwiegend angewandt, um okkulte Bindungen zu lösen.1271 Dies geht mit der üblichen exorzistischen Praxis überein. Der Unterschied aber liegt darin, dass die übliche exorzistische Praxis aufgrund einer diagnostischen Einsicht oder aufgrund eines Bekenntnisses des Seelsorgesuchenden durchgeführt wird. Dagegen kann das umfassende Lösen auch ohne erkennbare Indikation angewandt werden. Die Bindungen, auf die sich das vollmächtige Lösen des Heiligtums bezieht, können durch eigenes sündigendes Verhalten entstanden sein, aber auch – und das ist der häufigere Bezugspunkt – in Folge der Sünden anderer1272, vor allem der Vorfahren1273, einen Glaubenden gefangen nehmen. Zu lösen seien vorVgl. a. a. O., 138f; vgl. auch ders., Binden und Lösen, 271f. Küttner, Binden und Lösen, 278. Küttner, Räucheraltar, 138. Vgl. Küttner, Binden und Lösen, 280. »Wie viele sind durch irgendwen ohne ihr Wissen Mächten der Finsternis verschrieben worden. […] Das fängt oft schon im Mutterleibe an«, Küttner, Binden und Lösen, 280; dafür ein Beispiel in ders., Besiegte Finsternis, 67ff. 1273 »Gott sucht heim die Sünde der Väter an Kind und Kindeskind, das heißt aber auch, die

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nehmlich Bindungen verstorbener Vorfahren, die einen Gläubigen über Generationen hinweg noch belasten würden. Dies wird unter den »Geistern« verstanden, die »vorher nie ausgefahren sind«. Dabei wird davon ausgegangen, dass solche Bindungen unerkannt sein, ja sogar grundsätzlich unerkennbar bleiben,1274 aber auch in möglichen prophetischen Eindrücken aufgezeigt werden können.1275 Das heißt, dass sich sowohl solche Bindungen als auch die Praxis des umfassenden Lösens einer diagnostischen Überprüfung mindestens teilweise entziehen. Aufgabe des vollmächtigen Lösens ist es, Bindungen zu beenden, die unerkannt bzw. unerkennbar sind, in der Regel über Vorfahren auch über die Grenze des Todes hinweg vermittelt werden und durch einen herkömmlichen, sogenannten charismatischen Exorzismus nicht gelöst werden können. Das Ziel dieser Aufgabe besteht darin, für größere Vollmacht und geistliches Wachstum befreit zu werden. Auch hier greift Küttner auf das Bild der Lösung des Esels zurück,1276 das für ihn von dem Glaubenden spricht, der für die ganze Freiheit seiner christlichen Existenz noch losgelöst werden muss. Dieses Ziel ist am deutlichsten geeignet, den Zusammenhang von umfassendem Lösen und Heiligung herauszustellen: Die umfassende Lösung dient der zunehmenden Heiligung des zu Lösenden. Sie kann nur vom Standort des Heiligtums, d. h. von einem entsprechenden Status christusförmigen und vollmächtigen Geheiligtseins, aus erfolgen und dient dazu, anderen den Weg zu einer ebensolchen geheiligten und vollmächtigen Glaubensexistenz zu ermöglichen und diese Personen für wachsende Heiligung zu lösen: »Was bleibt nach der Lösung: Der sündige Mensch, so wie er ist […]. Aber es ist keine Macht da, die hindern könnte, dass ich die Erlösung von Golgatha nun selber im Glauben fassen kann […] und dass ich nun zunehmen und wachsen kann, dass ich meinen Herrn erkenne je länger je mehr, dass ich erlebe, was Führung ist in meinem Leben je länger je mehr.«1277

Dem Ziel entsprechen seine Folgen: Dem zu Lösenden geschehe eine tiefe Befreiung von oft erst nachträglich erkannten Bindungen.1278 Das umfassende Lösen kann seine Auswirkungen sowohl an Leib als auch Seele oder Geist zeigen: Es können körperliche Krankheiten weichen,1279 seelische Probleme (Depressi-

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Sünde wirkt sich über Generationen hinweg aus (2. Mose 20,5)«, Küttner, Binden und Lösen, 281. Vgl. a. a. O., 280.282. Vgl. das Beispiel in: Küttner, Besiegte Finsternis, 67f. Eine »ganz wichtige Stelle […], über die es sehr lohnt nachzudenken«, Küttner, Binden und Lösen, 283. A. a. O. (Hervorhebung im Text). »Meist merkt man es erst hinterher, dass etwas nicht mehr da ist, und dann weiß man: ›Ach, das war Gebundenheit bei mir!‹«, a. a. O., 282. Vgl. a. a. O., 281f.

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on, Suizidalität etc.) beendet werden,1280 der Geist frei werden für neue Glaubenserfahrungen.1281 Hinter solchen Auswirkungen, die Küttner nennt, können seine eigenen Erfahrungen wiedererkannt werden. Küttner spricht vom Beispiel seiner selbst, der durch den an ihm vollzogenen Dienst des Lösens ein asthmatisches Leiden verloren habe, ohne dass der Dienst speziell auf diese Krankheit ausgerichtet gewesen sei.1282 Ebenso berichtet er die Befreiung von Depressionen, die er auf eine »dunkle Macht« zurückführt.1283 Zeitzeugen weisen darauf hin, dass Küttner solche dunklen Mächte als die Totengeister unselig verstorbener Vorfahren gedeutet habe.1284 Der frühe Suizid seines Vaters könnte zu dieser Deutung beigetragen haben. »Lösen« im Heiligtum: Gebetsseelsorge nach dem Vorbild von Beichte, Abrenuntiation und Bekenntnis Ein Text ermöglicht den Einblick in den wahrscheinlichen Praxisvollzug dieses »umfassenden« exorzistischen Handelns. Das Dokument unter dem Titel »Beichtspiegel und Vorschlag zur TAUFBUNDERNEUERUNG (Absage- und Hingabe-Gebet zur Lossprechung)« ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Gerhard Küttner als Autor zurückzuführen.1285 Dessen Titel und insbesondere die im Drucksatz hervorgehobene Bezeichnung »Taufbunderneuerung« sind jedoch dem Herausgeber, nicht dem Autor zuzuschreiben. Aufgrund seines großen Umfangs kann der Text im Folgenden nicht vollständig wiedergegeben werden, einige Ausschnitte spiegeln dessen Charakter jedoch authentisch wider. Es handelt sich um einen umfangreichen Gebetstext. »Herr Jesus, ich bin Dein. Du hast mich teuer erkauft. Ich will keinem anderen als Dir gehören. Du rufst mich in Deine Nachfolge. Ich will diesem Ruf Folge leisten. Du

1280 Vgl. a. a. O., 282. 1281 Vgl. a. a. O., 282f. 1282 Vgl. a. a. O., 281f. Zu Datieren wäre diese Begebenheit entsprechend der Aussagen Küttners etwa auf das Jahr 1975, was bedeutet, dass diese Lösung ein bis zwei Jahre nach der »Klausur« stattgefunden haben muss. 1283 Diese Depressionen hätten zuvor »Jahre und Jahrzehnte« angehalten; Küttner, Christus für uns, 75. 1284 Vgl. z. B. Brief von Pfr. Andreas Gatzsche, Lützensömmern, 03. 03. 2010, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.72; so auch andere Aussagen. 1285 [Edel (Hg.)], Beichtspiegel. Der Text ist ohne Autorenangabe veröffentlicht und wird durch mündliche Aussagen von Zeitzeugen Gerhard Küttner zugeschrieben. Die Gestalt des Textes kann dieser Zuschreibung nicht widersprechen. Von Reiner-Friedemann Edel wurde der Text herausgegeben und mit einer Einleitung versehen.

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sprichst: Ich bedarf Dein. Ich stelle mich Dir zur Verfügung und bitte Dich, löse mich von allem, was die Nachfolge und Verfügbarkeit hindert.«1286

Das gesamte Gebet, dessen Beginn hier zitiert ist, nimmt die Stellung der Absage-Formel, die oben am Exorzismus-Formular Hans Bruns’ gezeigt wurde, ein. Während bei Bruns die kurze Absageformel des Seelsorgesuchenden nur ein kleines Moment des exorzistischen Ablaufes bildet, stellt das vorliegende Absage-Gebet den quantitativ »umfassendsten« Baustein in der Praxis des umfassenden Lösens dar. Dieses Absage-Gebet, dessen wörtliche Wiedergabe einen Zeitraum von circa 15 Minuten veranschlagen würde, hebt den Charakter des Exorzismus als Vollzug einer Gebetsseelsorge unübersehbar heraus. Inhaltlich weist bereits der Beginn des Gebetes darauf hin, dass soteriologische Grundlagen mittels perfektischer und präsentischer Aussagen (»Du hast«; »Du rufst«) deprekativ (»ich bitte Dich«) und zum Teil in Anspruch nehmend (»ich bin«) erbeten werden. Nach diesem Beginn folgt eine Auflistung einer Reihe von Sünden, Fehlverhalten und Gebundenheiten: »Ich bekenne: Ich und meine Väter, wir haben gesündigt […]. Ich sage allen Sünden ab, die auf der Vater- und Mutterseite von Generation zu Generation geschehen sind, (und vollziehe diese Absage zugleich für unsere unmündigen Kinder…). Ich sage ab aller Gottlosigkeit, […] Scheinheiligkeit, […] Selbstgerechtigkeit […], der Verachtung des Opfers Jesu« etc. »Ich sage ab allen Sünden wider den Nächsten, […] Unversöhnlichkeit, […] Haß und Mord, auch dem Mord im Mutterleib und allem Selbstmord, […] Herrschsucht, […] Rücksichtslosigkeit, […] Ehebruch, […] Tierquälerei, […] Verherrlichung politischer Systeme […], der Habgier, […] Geiz, […] Süchten« etc. »Ich sage ab aller Zauberei; zuerst allem Zauber, der an mir selbst verübt worden ist, auch ohne mein Wissen, […] ganz gleich wer diesen Zauber verübt hat, […] Verfluchungen oder Verwünschungen, oder abergläubische Handlungen« etc. »Ich sage ab auch allen Versprechungen, die jemals dem Teufel gegeben worden sind, […] allen Zaubereibüchern, die verwendet worden sind oder noch verwendet werden« etc. »Ich sage ab dem Wahrsagen […], der Astrologie, […] Hypnose, […] allen heidnischen Gottheiten […] Anthroposophie […] Spiritismus, […] dem Aberglauben in jeder Form« etc. »Ich sage ab allen Dämonen, die durch die Sünde der Väter […] Einfluß auf mein Leben und das Leben meiner Kinder bekommen haben. […] Ebenso sage ich ab allen Totengeistern« etc.1287

Zunächst legt diese Auflistung den Vergleich mit dem Typus des Beichtspiegels nahe, was durch die vom Herausgeber zugeteilte Überschrift unterstützt wird. 1286 A. a. O., 5. 1287 A. a. O., 5–10.

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Anders als das vorliegende Gebet sind Beichtspiegel ist zur Selbstprüfung bestimmt, entweder für die Vorbereitung der Einzelbeichte oder für den Gebrauch während der Herzensbeichte. Sie regen normalerweise die prüfende Selbstreflexion entweder in der Sprache der Deskription (mögliche Sünden werden genannt, ggf. anhand des Dekalogs aufgezählt) oder mit einer Frage an den Leser (»Hast Du … ?«; »Haben Sie … ?«) bzw. mit einer Frage des Lesers (»Habe ich … ?«) an. Außerdem beruht ein Beichtspiegel auf dem Prinzip der Auswahl, dem entsprechend der Leser selbstreflexiv entscheiden kann, was als Sünde benannt und bekannt werden soll. An diesen Merkmalen wird sofort deutlich, dass es irreführend ist, das zitierte Gebet als Beichtspiegel zu charakterisieren. Der vorliegende Text in der Sprache des Gebets ist für den direkten Vollzug im Kontext einer seelsorgerlichen ZweierKonstellation vorgesehen. Dieses Gebet beruht nicht auf dem Prinzip der Auswahl, sondern ist vom Prinzip der Vollständigkeit geprägt.1288 Es will eine möglichst vollständige Auflistung von Sünden, Fehlverhalten etc. durchführen, weshalb auch fremde, unerkannte, unbewusste und auch mögliche (gegenwärtige oder zukünftige1289) Sünden genannt werden. Nota bene handelt es sich immer um wirkliche und potentielle Sünden. Anders als im Rahmen einer Einzelbeichte, auf die ein Beichtspiegel vorbereitet und bei der sich das Beichtbekenntnis regulär auf konkrete Schuld bezieht, wird hier im wahrsten Sinne des Wortes »umfassend«, d. h. für alle Fälle vorgegangen. Dies entspricht der Praxis, das umfassende Lösen auch ohne erkennbare Indikationen durchzuführen. Zweitens übernimmt die sprachliche Form teilweise typische Formulierungen von Beichtbekenntnissen (»ich bekenne«), vorwiegend nimmt sie aber die Gestalt der Abrenuntiation, wie sie aus der Taufliturgie bekannt ist, auf (»ich sage ab«). Drittens spiegelt die Bandbreite der aufgezählten Gegenstände einen Schwerpunkt wider, der im Bereich des Okkultismus sowie hauptsächlich der Schuld von Vorfahren, weniger der eigenen Schuld liegt. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, dass es sich bei diesem Text nicht um einen Beichtspiegel, sondern um ein Bekenntnis-, Absage- und Bittgebet handelt. Abgeschlossen werden die einzelnen Abschnitte des Gebetes mit zusammenfassenden Aussagen. Diese sprechen das Gebetsanliegen konfessorisch 1288 Das Prinzip der Vollständigkeit in Küttners Gebet steigert Bemühung, alle okkulten Bindungen aufzudecken, die im exorzistischen Handeln des Volksmissionskreises Sachsen wahrgenommen werden kann: »Wer ist nun keinem dieser Dinge verfallen? Diese Menschen sind sehr selten«, [VMK (Hg.)], Mächte von unten, [1958], in: A.III.a.1958. 1289 Die Formulierung »allen Zaubereibüchern, die […] noch verwendet werden« kann entweder als Präsens oder als Futur gelesen werden.

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(»ich verabscheue«), deprekativ (»so bitte ich dich«) oder in Anspruch nehmend (»ich bin«) aus,1290 so zum Beispiel: »Ich verabscheue sie und sage mich davon los.« »Ich bin losgekauft für Gott.« »Ich […] berufe mich dabei auf den neuen Bund, den Du, Herr Jesus, in der Heiligen Taufe mit mir geschlossen hast.« »So bitte ich dich, [Herr,] löse mich aus allen Bündnisverpflichtungen dem Teufel gegenüber«; »So gebe ich mein Leben und das Leben meiner Kinder in diese durchnagelten Hände [Jesu]«; »Und nimm mein Leben […] und löse es«.1291

Angesichts der auszugsweise vorgestellten Gestalt des Textes kann auf den praktischen Kontext der umfassenden Lösung geschlossen werden: Nichts spricht dagegen, dieses exorzistische Handeln im selben seelsorgerlichen Kontext vorzustellen, wie er dem herkömmlichen Exorzismus der volksmissionarischen Seelsorge eignet. Im Gegenteil: Die Bekenntnisgestalt des Textes und seine Gebetssprache setzen das Zweiergespräch in Gegenübersituation voraus. Das ausführliche Bekenntnis-Gebet übernimmt im ExorzismusFormular die Stelle der Absage. Daher erwartet es notwendigerweise als Antwort und Abschluss die Bestätigung des Seelsorgenden. Diese Bestätigung durch die Antwort des Seelsorgenden ist wohl im Sinne des helfenden Gebets wie in der Oxford-Gruppenbewegung und im Gestalt charismatischer (in Anspruch nehmender) Formulierungen vorzustellen. Damit würde dieses Gebet einige zentrale Aussagen des Bekenntnis-Gebets aufnehmen (eine Aufnahme aller getroffenen Aussagen ist angesichts ihrer Fülle nur unwahrscheinlich) und mittels affirmativer und performativer Gebetsaussagen eine Lösung zusprechen, etwa mit den Worten: »du bist gelöst«; »ich löse dich«; »ich bestätige« etc. Strukturell unterscheidet sich diese Praxis nicht von einem herkömmlichen Exorzismus oder einer Beichte, da die Elemente Bekenntnis, Absage, Gebet und Absolution enthalten sind. Der eigentliche Unterschied zum herkömmlichen

1290 Darüberhinaus finden sich Formulierungen, nach denen ein Beter des Textes allen denen vergeben, »die an mir schuldig geworden sind […]«, und für diese bei Gott um Vergebung beten soll, [Edel (Hg.)], Beichtspiegel, 10. Diese Vorgehensweise ist vergleichbar mit Aussagen eines Rundbriefes von Hans Köckert, in dem dazu motiviert wird, in einem Rückblick des eigenen Lebensweges seinen Schuldigern zu vergeben, dazu aber auch alle Gegebenheiten seines Lebens (Schwierigkeiten, Kontexte, Schuld, Leid, Begrenzungen etc.) anzunehmen, psychologisch gesprochen: zu integrieren, vgl. VMK (Hg.), Rundbrief von Pfr. Hans Köckert, 30. 05. 1956, in: A.III.a.1956. 1291 [Edel (Hg.)], Beichtspiegel, 5.7.8.8.9.11.

»Lösen«: Exorzistisches Handeln als Spezialfall der Gebetsseelsorge

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Exorzismus liegt einerseits in der quantitativen Ausgestaltung (»umfassend«: in aller Fülle) und in der qualitativen Definition (»umfassend«: für alle Fälle). »Lösen« als Tauferneuerung oder Taufergänzung? Der umfassende Lösedienst soll zur Realisierung der in der Taufe mitgeteilten Rechtfertigungsgabe geschehen: »Es kann nur noch gehen um die Aneignung dieses herrlichen Reichtums und um die Entfaltung dieses herrlichen Reichtums im täglichen Leben, nämlich durch den Glauben.«1292 Dabei geht Gerhard Küttner von in der Taufe – genauer : in der Kindertaufe – nicht beendeten Gebundenheiten aus. Ein getaufter Christ könne (im Vorhof) noch unter den Einflüssen und Bindungen Satans stehen. Demnach müsse es einen Lösedienst geben, der aus diesen Bindungen befreit (in das bzw. für das Heiligtum). Dem entspricht auch folgende nachträgliche Deutung einer Bräunsdorfer Schwester : »Eins wurde dann deutlich: der Taufbund, den die Eltern und Paten stellvertretend für die Unmündigen geschlossen haben, müsste erneuert und bestätigt werden durch den, der sich zu Jesus gerufen wusste, d. h. Absage an den Teufel und alle Werke der Finsternis – und Hingabe an Jesus; dass Er, der mit Seinem Blut diese Welt so teuer erkauft hat, Regierungsgewalt über die Seinen bekommt.«1293

Die Praxis des umfassenden Lösens hat also ihren Sitz im Leben in einem tauftheologischen Kontext. Nach Küttner habe die normalprotestantische Kindertaufe ohne Exorzismus und Abrenuntiation im Gegensatz zur angenommenen biblischen und altkirchlichen Taufform mit Exorzismus und Abrenuntiation keine Gewalt, umfassend zu Lösen und den Weg ins Heiligtum zu führen.1294 Küttner entwickelt ein exegetisches Argument, mit dem er zeigen will, dass die volkskirchliche Kindertaufe eine umfassende Lösung nicht leisten könne: »da fehlen wesentliche Stücke, die nach Apg 8 zur Taufe gehören«1295. Anhand von Apg 8,4–17 beschreibt Küttner eine Tauf- bzw. Initiationsordnung, deren Schritte in dieser Reihenfolge notwendig sind:1296 Zuerst das Hören des Evangeliums, darauf in glaubender Antwort das Bekenntnis zu Jesus Christus, dann ein Exorzismus und die Abrenuntiation, anschließend der Vollzug der Taufe, 1292 Küttner, Binden und Lösen, 285 (Hervorhebung im Text). 1293 Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf, in: A.IV.a.53, 8. 1294 Zum Verhältnis von Küttners Kritik an der volkskirchlichen Taufe und ihrer tatsächlichen agendarischen Form wird unter 7.3.3 gehandelt. 1295 Küttner, Binden und Lösen, 284. 1296 Vgl. a. a. O., 283f; auch Bezug auf Apg 26: »So gehört die Befreiung aus dem Banne Satans gleich an den Anfang des Glaubenslebens«, »an den Anfang, wie es der Herr zu dem Apostel Paulus gesagt hat (Apg. 26,18)«, a. a. O., 284 (Hervorhebung im Text).

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daraufhin der Empfang des Heiligen Geistes praktisch vermittelt durch Handauflegung als Abschluss des Taufgeschehens. Wenn auch die Gültigkeit und der Sinn der normalprotestantischen Kindertaufe von Küttner nicht angezweifelt werden, da auch sie dem Täufling das ganze Heil in Christus zueigne (Stichwort: Vorhof),1297 lasse diese dennoch einen »Nachholbedarf« offen (Stichwort: Heiligtum).1298 Der vor der Taufe notwendige Exorzismus mit konkreter Lossagung des Täuflings müsse demnach nachgeholt werden, um die umfassende Lösung zu erreichen: »Das freilich schließt in sich, dass von Fall zu Fall nachträglich vollzogen werden muss, was in der Kindertaufe nicht gehandelt werden konnte, […] so etwa […] im Beichtgespräch mit der Absolution. Das ist so ein Nachvollzug, weil das vor der Taufe nicht geschehen konnte. […] Oder die Absage an den Teufel und die Werke der Finsternis und die bewusste Hingabe an den, der Sich uns schon in der Heiligen Taufe geschenkt hat […]. Oder das Austreiben von Geistern und das Lösen der Bande […] bis hin zu dem Handeln an Kranken, wie es in Jak. 5 aufgezeichnet und geboten ist.«1299

Dieses Zitat spricht von fünf Vollzügen, welche an die Taufe geknüpft sind: Beichte mit Absolution, Abrenuntiation, Bekenntnis, Exorzismus, Heilen. Diese sind Vollzüge der Seelsorge (wobei Abrenuntiation und Bekenntnis üblicherweise dann zu den Seelsorgevollzügen gehören, wenn sie mit Beichte oder Exorzismus zusammen auftreten). Dabei handelt es sich aber nicht um von der Taufe abgeleitete Vollzüge, wie dies normalerweise für die Beichte gilt, welche inhaltlich (sowie in ihrer historischen Entwicklung) eine Reaktualisierung der Taufe darstellt. Der Autor will hier vielmehr Vollzüge beschreiben, die substantiell zur Taufe gehören. Darauf weist die Notwendigkeit späterer Durchführung deutlich hin, was in der Formulierung »nachträglich vollzogen werden muss« zum Ausdruck kommt. Denn was nachträglich ergänzend, vervollständigend oder vollendend zu vollziehen ist, das gehört als Teil noch zu einem vorausgegangenen Vorgang. Demnach wäre zu fragen, ob angesichts der so begründeten Vollzüge die umfassende Lösung tatsächlich eine »Taufbunderneuerung« sein kann, wie verschiedentlich interpretiert wird und was die Herausgeberüberschrift des eben untersuchten Gebetstextes anzeigen will. Da angenommen wird, dass die Kindertaufe unvollständig ist und daher mittels der vorgestellten fünf Vollzüge 1297 »Die ganze Fülle der Segnungen von Karfreitag und Ostern her ist uns gegeben«, a. a. O., 284. 1298 A. a. O., 285. 1299 A. a. O., weiter : »Aber bei dem allen, ob das die Beichte ist, ob das die Absage an die Mächte ist, die Hingabe an Jesus, ob das das Gebieten ist oder das Lösen oder auch der Dienst an Kranken, bei dem allen geht es letztlich nur um eines: um die Entfaltung des unausschöpflichen Reichtums, den er uns erworben hat«.

»Lösen«: Exorzistisches Handeln als Spezialfall der Gebetsseelsorge

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vollendet werden muss, handelt es sich konsequenterweise um Vollzüge der Taufergänzung. Der die Taufe ergänzende bzw. vollendende Charakter dieser Vollzüge entspricht genaugenommen den klassischen Verständnissen von Firmung (römisch-katholisch etc.) und Versiegelung (katholisch-apostolisch etc.). Denn Firmung und Versiegelung stellen einen Bestandteil des taufenden Handelns, d. h. eine abschließende Ergänzung der Taufe dar und werden als Teil der Taufhandlung vollzogen (so bei Erwachsenen direkt im Anschluss an die Taufhandlung oder zeitlich später bei Kindern). Auch für die Konfirmation (evangelisch) gilt dies in gewisser Weise, insofern sie einen nachträglich inszenierten und integralen Aspekt der eigentlichen Taufe bedeutet. Sie schließt die Taufhandlung homologisch1300 ab (weshalb sie bei Taufen Erwachsener folgerichtig nicht vollzogen wird). So ist auch die Konfirmation eine Ergänzung der Taufe, genauer : ausschließlich der Kindertaufe, wenn sie den Bekenntnischarakter des Taufglaubens nachträglich aufnimmt. Anhand dieser Überlegungen wird erkennbar, dass die von Küttner genannten Vollzüge zunächst von der evangelischen Konfirmation her als Ergänzung der Kindertaufe, dann aber von der apostolischen Versiegelung her als Bestandteil der Taufe bestimmt sind. Die genannten Seelsorgevollzüge werden demnach nicht als Tauferneuerung, sondern als Taufergänzung verstanden. Schließlich ist noch der wohl auffälligste der genannten fünf Vollzüge in den Blick zu nehmen: das heilende »Handeln an Kranken«. Es handelt sich um die Krankenseelsorge, die hier wieder wie oben (7.1.3) von Jak 5 abgeleitet ist. Warum aber kommt auch der Krankenseelsorge die Qualität des Bestandteiles bzw. der Ergänzung der Taufe bzw. Kindertaufe zu? Die Antwort vermögen die Merkmale der charismatischen Kranken- und Gebetsseelsorge zu liefern, welche oben vorgestellt wurden: Wenn die Erlösungsgabe Christi als vollständig durch die Taufe mitgeteilt wird, dann bezieht sich die Seelsorge auf diese perfektischen »Tatsachen«. Das äußert sich im Gebet durch präsentische und in Anspruch nehmende Formulierungen. Die Heilung wird zu einem Bestandteil der Erlösung und die Krankenseelsorge zu einem Aspekt der Taufe. Sie ergänzt die Taufhandlung, wenn sie die im Heil schon mitgegebene, aber noch nicht aktualisierte Heilung vermitteln soll.

1300 Im Unterschied zum in diesem Kapitel häufig gebrauchten Begriff »konfessorisch«, der meist auf das Beichtbekenntnis bzw. -gebet oder auf die konversive Hingabe bezogen ist, meint »homologisch« das öffentliche, rechtsverbindliche Bekennen und schließt zugleich dessen betende (konfessorische sowie doxologische) Dimension ein. Zum Begriff vgl. z. B. Bornkamm, Bekenntnis, 192 Anm. 19.

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Die charismatische Gestalt der Seelsorge. Seelsorge des Gebetes

Die Poimenik Gerhard Küttners als tauftheologische – volksmissionarische – Seelsorge Aus diesen Beobachtungen folgt eine außergewöhnliche poimenische Bedeutung. Wenn nicht allein das umfassende Lösen, sondern auch die Beichte und die Krankenseelsorge zu den zur Taufe gehörenden und die Taufe ergänzenden Vollzügen gerechnet werden, ergibt sich eine Definition der Seelsorge Küttners: Seelsorge ist Bestandteil und Ergänzung der Taufe. Eine solche Definition ist nur auf dem Boden einer charismatischen Gebetsseelsorge möglich. Sie erhält aufgrund der präsentischen Inanspruchnahme perfektischer Heilsgaben ausgesprochen sakramentale Qualitäten. Wenn Glaube Wissen ist, wie Gerhard Küttner eingangs dieses Abschnittes 7.2.6 zitiert wurde (»Glaube ist Wissen. Wir haben es mit Realitäten zu tun. […] Das ist Hilfe in der Seelsorge«), dann ist Seelsorge die Tat dieses Wissens, seine wirkmächtige Umsetzung bzw. die Vermittlung des Gewussten. Könnte man eine solche Seelsorge also als »taufende Seelsorge« bezeichnen? Dieser Titel wäre gewagt, da er einmal die Chance hervorhebt, alle Seelsorge auf den individuell-sakramentalen Heilsursprung, die Taufe, zurückzuführen, zum anderen aber die Gefahr enthält, Seelsorge als vollmächtige Ergänzung der Taufe zu verstehen. Hinter der Intention einer »taufenden«, d. h. einer von der Taufe herkommenden und die Taufe ergänzenden Seelsorge ist der klassische volksmissionarische Impetus zu erkennen, den getauften, aber spirituell erschlafften Kirchengliedern einer volkskirchlichen Situation seelsorgerlich (allgemein und speziell) beizukommen und sie zu einem geistlichen Leben aus ihrer Taufe zu animieren. Die besondere poimenische Definition, welche Gerhard Küttner mit seinen tauftheologischen Aussagen impliziert und die er insbesondere dem Dienst des umfassenden Lösens zuschreibt, sollte statt mit dem Provisorium »taufende Seelsorge« besser und sachgemäß als volksmissionarische Seelsorge benannt werden. Somit bestätigt die Untersuchung seines Verständnisses von exorzistischem Handeln noch einmal den Begriff der volksmissionarischen Seelsorge, wie er im vorangegangen Kapitel 6 begründet und entwickelt worden ist.

7.3

Kritische Würdigung

7.3.1 Gebetsseelsorge Anhand der in diesem Kapitel vorgestellten Vollzüge ist deutlich geworden, dass die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen in einer spezifischen Gestalt

Kritische Würdigung

369

auftritt. Sie gestaltet und ereignet sich als Gebetsseelsorge. Was aber ist Gebetsseelsorge? Eduard Thurneysen hatte bestimmt: »Seelsorge ist Beten«.1301 Für Thurneysen handelt es sich bei dieser Aussage einmal um eine Fundamentalbestimmung der Seelsorge, die Beten ist. D. h. ihr Kommunikationsvollzug erfüllt sich für ihn erst im Gespräch zu Gott hin. Diese Fundamentalbestimmung wird bei Thurneysen dadurch praktisch, dass das Gebet im Seelsorgegespräch vorkommt oder dieses abschließt.1302 Auf die Rede-Situation folgt die Gebets-Situation. Grundsätzlich hatte Thurneysen »Wesen und Gestalt der Seelsorge« vom Gespräch her bestimmt. Dem Gebet weist er seinen Platz im Gespräch zu.1303 Das Beten stellt in der kerygmatischen Poimenik also den inhaltlichen Kern und das praktische Ziel des seelsorgerlichen Handelns dar.1304 Im Vergleich dazu fällt auf, dass das Gebet in der Praxis des Volksmissionskreises Sachsen auch, aber nicht nur den Teil eines Seelsorgegespräches darstellt. Vielmehr ist es selbst ein eigener Vollzug der Seelsorge neben dem Gespräch. Das Gebet außerhalb des Vier-Augen-Gespräches (Fürbitte, Gebetsgemeinschaft, gottesdienstliche Segnung, parallel stattfindendes Gebet) ist ein seelsorgerliches Mittel. Ebenso erhält das Gebet im exorzistischen Handeln (Absagegebet, Befreiungsgebet) eine eigenständige Rolle. Obwohl das exorzistische Handeln strukturell dem kerygmatischen Zweier-Gespräch entspricht, nimmt das Gebet auch hier eine herausragende Position neben dem Gesprächsvorgang ein. Da das Gebet nicht nur als Abschlussritual vorkommt, ist es selbst ein seelsorgerliches Mittel und bestimmt das seelsorgerliche Handeln in seiner Gestalt als Gebetsseelsorge. Man könnte für den Volksmissionskreis die Gleichung Thurneysens umkehren: Beten ist Seelsorge. Der hohe Stellenwert des Gebets weist im Vergleich zur kerygmatischen Seelsorge auf zweierlei hin: Einerseits teilt man im Volksmissionskreis Thurneysens Definition »Seelsorge ist Beten« inhaltlich. Andererseits wird diese Definition praktisch überschritten: Im Gefolge der Oxford-Gruppenbewegung, welche Gebetsgemeinschaft und »helfendes Gebet« (Hans Bruns) ins Zentrum der Seelsorge gerückt hatte, macht das Gebet die Gestalt der Seelsorge aus. Die

1301 Thurneysen, Rechtfertigung und Seelsorge, in: Wintzer, Seelsorge, 73–94, hier 94 (Hervorhebung im Text). 1302 Die fundamentalpoimenische Bestimmung meint: Seelsorge braucht Beten, sie vollzieht sich aus der Haltung des Gebets, praktisch durch das Beten als Element der Seelsorge. Die Gleichsetzung von Seelsorge und Gebet ist auch bei Thurneysen nicht möglich – ganz im Gegenteil, da er vom Paradigma des Gespräches ausgeht. 1303 Vgl. das gleichnamige Kapitel in: Thurneysen, Lehre, 87–224; vgl. Winkler, Seelsorge, 38f. 1304 Thurneysen: »Als letztes Wort aber ist zu sagen, daß alle wirkliche Seelsorge im Gebet wird enden müssen«, a.a.O; Bonhoeffer : »Der Kern der christlichen Seelsorge besteht im Gebet«, zit. nach Zimmerling, Bonhoeffer, 163.

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kerygmatische Gesprächspraxis bleibt erhalten, aber der Fokus auf das Gebet wird potenziert. Daher stellt die Seelsorge des Volksmissionskreises eine poimenische Weiterentwicklung gegenüber der kerygmatischen Seelsorge dar. Auch wenn es jene nie ohne Gebet gibt, hebt sich die Gebetseelsorge des Volksmissionskreises von ihr ab. Dies bestätigt sich unter anderem darin, dass das Gebet noch bei Gerhard Füllkrug keine nennenswerte Rolle spielte, obwohl er die Oxforder Poimenik für die Kirchliche Volksmission rezipiert hatte.1305 Bis heute stellt dieses Spezifikum eine Besonderheit dar. Zwar führt die Linie von den Ursprüngen des Volksmissionskreises direkt zur charismatischen Seelsorge, welche das Gebet in den »Mittelpunkt des seelsorgerlichen Geschehens« rückt.1306 Aber außerhalb der charismatischen Seelsorge spielt es nur am Rande eine Rolle in der poimenischen Diskussion und als Mittel der Seelsorge kommt es nur selten ins Gespräch.1307 Nur das Konzept der Geistlichen Begleitung räumt dem Gebet eine vergleichbare Stellung ein.1308 Diese Zurückhaltung der aktuellen evangelischen Seelsorge gegenüber dem Gebet ist – zurecht – in der Sorge begründet, es könne zwingend oder nötigend, schematisch oder falsche Heilserwartungen weckend gebraucht werden.1309 Doch statt bei warnenden Vorbehalten stehen zu bleiben, sollte das Gebet als zentrale Kommunikationsform vor und mit Gott reflektiert und zu seiner Praxis in der Seelsorge ermutigt bzw. angeleitet werden.1310 Wenn die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen zu beschreiben ist, dann ist dem Rechnung zu tragen, dass das Gebet nicht nur einen Bestandteil der Seelsorge ausmacht, sondern deren Gestalt über weite Strecken prägt. Insofern kann nicht allein das Gebet in der Seelsorge, sondern es muss auch die Seelsorge als Gebet beschrieben werden. Von daher will der Begriff »Gebetsseelsorge« die Beobachtung aufnehmen, dass das Gebet die Gestalt der Seelsorge wesentlich beeinflusst. Von Gestalt bzw. Gestaltung ist hier insofern die Rede, als dass die Seelsorge des Volksmissionskreises mit dem Gebet eine bestimmte Erscheinung erhält. Sie wird durch Gebet geformt und so in ihrer äußeren Gestalt definiert. Zugleich handelt es sich bei der Gestalt des Gebetes nicht nur um eine harte 1305 Füllkrug erwähnt das Gebet nicht einmal im Abschnitt »Die Gruppenbewegung und ihre Seelsorge«, ders., Seelsorge, 10–14. Eine Ausnahme bilden seine Ausführungen zur Krankenseelsorge (siehe oben Anm. 1140.1152). 1306 Zimmerling, Bewegungen, 196. 1307 So z. B. bei Dinkel, Gebet als Medium der Seelsorge, dort auch weitere Lit. 1308 Vgl. Schemann, Stille und Gebet, 106–109. 1309 Vgl. Ziemer, Seelsorgelehre, 172; Ziemers »Regeln für das Gebet in der Seelsorge« gehen grundlegend von dem kerygmatischen Ansatz aus, dass das Gebet »Zielpunkt eines jeden Gesprächs sein« sollte. 1310 Vgl. Schemann, Stille und Gebet, 108.

Kritische Würdigung

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Schale, welche die Seelsorge habituell umgibt. Sie wird vielmehr vom Beten als einem prozesshaften Vollzug gestaltet. Sie wird durch Beten durchgeführt. Die Gestaltung der Seelsorge kommt auch in der Handlung bzw. Gebärde zum Ausdruck. Trotz zeitgenössischer Reserven gegenüber nicht-wörtlichen Formen der Seelsorge, was das Fehlen der Salbung zeigt, weist gerade die häufige Praxis der Handauflegung darauf hin, dass das Gebet die Seelsorge formt. Diese Gebärde ist Ausdruck dessen, was Gebetsseelsorge sein will: Erfahrbare Kommunikation und sichtbare Vermittlung des göttlichen Heils. Diese Seelsorge-Gestalt des Gebetes ereignet sich im Kontext der Gemeinschaft, wobei mit Gemeinschaft sowohl das Vier-Augen-Gespräch als auch eine Gruppensituation gemeint sein kann. Das Gebet kann in direkter Gemeinschaft mit Seelsorgesuchenden durchgeführt werden und deren Anliegen aufnehmen. Daneben kann es aber auch in Abwesenheit von Seelsorgesuchenden stattfinden. Daher ist Gemeinschaft auch pneumatisch zu verstehen (vom corpus Christi mysticum her).

7.3.2 Gebetsseelsorge zwischen Heilung und Verdrängung Dass sich das Gebet in den Modi Dank und Fürbitte ereignet und dabei auffälliger Weise der Dank die Bitte häufig bestimmt, kennzeichnet die Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises Sachsen als charismatisch. Das charismatische Gebet tritt zu wesentlichen Teilen als Dank- und Lobgebet auf. Darin liegt eine verblüffende Parallele zum Gebetsverständnis des Neuprotestantismus bzw. Schleiermachers: Das Gebet ist »nicht auf menschliche Absichten, sondern auf das Reich Gottes ausgerichtet« und soll daher Dank zur Ehre Gottes sein.1311 Auch im Volksmissionskreis sollten menschliche Anliegen in Worten des Dankes artikuliert werden. Da es sich hier um eine Praxis der Seelsorge handelte, sind deren Bedeutungen zu entfalten und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens kann eine solche Gebetsseelsorge, welche Anliegen aufnimmt und diese vorwiegend als Dank bzw. Lob im Gebet artikuliert, eine heilende oder therapeutische Funktion ausüben. Ähnlich wie charismatische Lobpreis-Lieder aufgrund ihres Charakters als gesungene Dank-Gebete vergewissernde, Vertrauen fördernde und somit heilende Funktionen wahrnehmen können,1312 kann ebenso eine durch Dankgebet gestaltete Seelsorge diese Funktionen übernehmen. Ein im Modus des Dankes formuliertes und vor Gott betend ausgesagtes seelsorgerliches Anliegen ist in das Vertrauen auf die universalen Heilsverheißungen Gottes eingebettet. Indem diese Heilsverheißungen doxologisch arti1311 Vgl. Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre, 118f, Zit. 118. 1312 Vgl. dazu Handt, Lobpreis anders, 49.

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kuliert und individuell angeeignet werden, können Seelsorgesuchende ihre Anliegen in den Vertrauenskontext des Glaubens hineinstellen und dadurch per gratiam (im mehrfachen Wortsinne) aus einer problemzentrierten und möglicherweise selbstfixierten Situation herausgeholt werden. Das Gebet in der Seelsorge weitet den Horizont. Es fokussiert auf das größere Ganze – das Leben vor und in Gott – und kann über die Möglichkeiten des reinen Gespräches hinaus Kräfte des Vertrauens, der Hoffnung und der Heilung freisetzen.1313 Zweitens besteht allerdings gerade bei dem Modell der doxologisch artikulierten Gebetsseelsorge eine zu beachtende Gefahr : Im Kontext einer charismatischen Spiritualität, welche dem Dank eine konstitutive Bedeutung für das Gebet zuschreibt, dass er nötig sei, um das vollmächtige bzw. wirkungsvolle Gelingen (»Erhörung«) zu erreichen, kann der Dank die Bitte nicht nur transformieren, sondern auch überlagern. Dabei ist nicht nur das Element des Dankes gefährdet, dessen freier Eigenwert infrage steht. Es wird auch das Bittanliegen nicht ernst genug genommen, wenn es vorschnell in die Sprache des Dankes gegossen wird. Dabei kann die Person des Seelsorgesuchenden in die Bedrängnis geraten, einen Dank dort zu formulieren, wo er noch nicht gefunden wurde. Letztlich würde sich statt Heilung Verdrängung ereignen. Um angesichts dieser beiden möglichen Konsequenzen von Heilung und Verdrängung die Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises noch präziser beschreiben zu können, ist ein Perspektivwechsel hilfreich, indem gebetstheologisch auf die Poimenik geschaut wird: Unter 7.1.3 wurde die anamnetische Dimension des charismatischen, in Anspruch nehmenden Gebetes herausgestellt. Ein solches Gebet bezieht sich auf das Heil Christi und eignet dieses anamnetisch an (Affirmation) und eignet es zu (Performation). Dadurch will es das vergegenwärtigte Heil seelsorgerlich vermitteln. Die Anamnesis des Heils wird also zum gebetsseelsorgerlichen Modus. Es sei bemerkt, dass hier die Begriffe Anamnesis und Epiklesis auf fundamentale Charaktere bzw. Kategorien des Gebetes hinweisen. Sie dienen als Bezeichnungen gebetstheologischer Kategorien und es geht nicht darum, bestimmte liturgische Elemente (die Teile des Eucharistiegebetes) zu benennen.1314 1313 Vgl. Zimmerling, Bonhoeffer, 163. 1314 Daher werden hier nicht die in der Liturgiewissenschaft üblichen Begriffe Anamnese und Epiklese gebraucht, sondern bewusst die griechischen Formen Anamnesis und Epiklesis verwendet. Dies soll zeigen, dass diese Begriffe nicht bestimmte liturgische Elemente bezeichnen, sondern fundamentale Haltungen des Gebetes, d. h. Kategorien bzw. Charaktere des Betens ausdrücken wollen. Die jeweilige fundamentale Kategorie des Gebets lässt dann wieder auf bestimmte Formen und Elemente von Gebeten zurückschließend bzw. sich in diesen erkennen. Ein begrifflicher Hinweis auf liturgisch-eucharistische Formen ist nicht intendiert. Zu dieser Vorgehensweise: Richter, Anamnesis, 182.216.257. Vgl. Bloth, Gebet, 99f.101 (Bloth verwendet dennoch die Begriffe Anamnese und Epiklese für die gebetstheologischen Kategorien); Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre, 121f.

Kritische Würdigung

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Die Analyse der gebetstheologischen Kategorie soll den Blick öffnen für die Poimenik, die mit der Praxis der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises zum Ausdruck kommt. Dass in der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises der Modus des Dankens die zentrale Gestalt des Bittens darstellt, wurde gezeigt. Dank konstituiert Anamnesis. Anamnetisches Gebet vollzieht sein heilsgeschichtliches Gedächtnis in Verbindung mit lobpreisender Proklamation. Es ruft an und sagt dankend die »gegenwärtige, das Sein der Glaubenden bestimmende Wirklichkeit« Christi aus.1315 Das Gebet wird so einerseits zur »Erkenntnisquelle«1316 des Heils, andererseits zum Ort der affirmativen Formulierung, Aussprache und Aneignung des Heils. Gleichzeitig hat die Gebetsseelsorge das Ziel, das vergegenwärtigt-angeeignete Heil entsprechend dem seelsorgerlichen Anliegen performativ zu vermitteln. Nimmt man die Bedeutung und Form der Anamnesis ernst, wird deutlich, dass ihr eine weitere gebetstheologische Kategorie fehlt: Die Anamnesis in ihrer dankenden, doxologischen Perspektive kann, wenn sie das Heilsgedenken wirklich mit (Für-) Bitten verknüpfen will, nicht ohne die der Epiklesis auskommen. Die epikletische Kategorie lässt sich in der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises nicht wahrnehmen. Aber die Bitte im Dank verlangt die konkrete Bitt-Formulierung; eine Anamnesis als Bitte braucht die Epiklesis.1317 Die Kategorie der Epiklesis ermöglicht es, konkrete (Für-) Bitten im Kontext und unter dem Vorzeichen der dankenden Heilsvergegenwärtigung wirklich zu formulieren. Epikletisches Beten richtet sich an die Schöpferkraft Gottes, die sie erstens im Angesicht des vergegenwärtigten Heiles, zweitens im Kontext eines konkreten Anliegens und drittens über einer konkreten Sache, Person etc. anruft und herabbittet. Für die Seelsorge bedeutet dies: Das epikletische Moment der Gebetsseelsorge liegt darin, nicht nur anamnetische Inhalte auszusagen, sondern auch konkrete Anliegen als Bitten zu formulieren und Gottes Hilfe anzurufen. Für, mit und über den Seelsorgesuchenden wird Gottes Geist an- und herabgerufen. Es entstehen so echte Bitten. Mit den Bitten können Rituale und

1315 Ausführlichere Gedanken zu Anamnesis veröffentliche ich in: Schmidt, Anamnese. Das Zit. bei Hofius, Herrenmahl, 235. 1316 Seitz, Praxis des Glaubens, 206. 1317 Wenn die Anamnesis Bitten formulieren will (so wie im eucharistischen Gebet nach dem Muster: »Gott, gedenke deiner Kirche auf der ganzen Erde…«), dann treten diese als ein Gedächtnis vor und mit Gott auf. Gottes Heilshandeln wird angerufen und er wird selbst um ein Gedächtnis seines Heils, um Vergegenwärtigung gebeten. Dabei handelt es sich aber nicht um eine konkrete Fürbitte. Je konkreter das Anliegen, desto stärker geht die Anamnesis in Epiklesis über (nach dem Muster : »Sende herab deinen Heiligen Geist, heilige und erneuere uns …«).

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Gebärden verbunden sein, welche von der epikletischen Gebetsstruktur geprägt sind (z. B. Salbung, Handauflegung).1318 Diese Perspektive eines epikletischen, die kreative Kraft des Geistes Gottes an- und herabrufenden Gebetes müsste charismatischer Theologie und Seelsorge einleuchtend sein, was man jedenfalls ohne fragwürdige spekulative Bemühung annehmen kann. Dagegen fällt aber auf, dass in der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises Sachsen weniger Bitten, dafür mehr Aussagen formuliert werden. Spätestens in der Krankenseelsorge wird dies deutlich. Hier werden perfektisch-präsentische Aussagen (indikativisch: »du bist geheilt«; imperativisch: »sei heil«) getroffen, die formal wie inhaltlich als Anamnesis zu begreifen sind. Daneben bleibt aber die Epiklesis aus, sodass Bitten (etwa: »Gott, heile« »Gott, sende deinen Geist und hilf«) fehlen. Hier gehört es zur poimenischen Grundannahme, Bittformulierungen zugunsten von Zustandsaussagen abzulehnen. Die Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises schließt die Epiklesis aus, was an den perfektisch-präsentischen Aussagen erkennbar ist. Die Epiklesis wird praktisch durch Anamnesis ersetzt, statt in dieser eingebettet zu sein. Obwohl von der Gebärde der Handauflegung reichlich Gebrauch gemacht wird, dient sie nicht zur Epiklesis. Üblicherweise vermittelt das Auflegen der Hände das Wirken des Heiligen Geistes, aber in der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises wird die Handauflegung durch anamnetische Aspekte definiert. Dies zeigt sich daran, dass sie nicht mit epikletischer Gebetssprache verbunden ist. Diese gebetstheologischen Beobachtungen zur sprachlichen Gestalt der seelsorgerlichen Vollzüge ermöglichen die Schlussfolgerung, dass entsprechend der oben geschilderten zwei poimenischen Konsequenzen von Heilung oder Verdrängung eher von der zweiten, nämlich der Gefahr der Verdrängung auszugehen sein wird. Denn wenn die Möglichkeit genommen ist, eine Bitte um Heilung wirklich als Bitte zu formulieren, dann kann sich der Dank nur schwer prozesshaft entwickeln. Der Dank steht in der Gefahr, vorgegeben zu sein und die Bitte der Not zu verdrängen. Der von der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises zurecht erkannte – weil sich auf Gottes Heil dankend und affirmativ berufende – anamnetische Charakter des seelsorgenden Betens bleibt ohne die echte Epiklesis nur gut gemeint. Gebetsseelsorge, die eine »Weise der Heilszueignung«1319 sein will, verfehlt ihren Selbstanspruch, wenn sie das Heil meint ergreifen zu können,

1318 Solche Handlungen sind insofern epikletisch geprägt, als dass sie stattfinden können, während Gott unter einem Anliegen angerufen wird, und dabei dessen Kraft vermitteln sollen. 1319 Seitz, Erneuerung der Gemeinde, 129.

Kritische Würdigung

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ohne darum zu bitten. Und nicht nur der Dank, sondern gerade die Bitte ist eine Weise, Gott beim Wort zu nehmen.1320 Dieses Problem, das darin erkannt wird, dass anamnetisches Danken das epikletische Bitten nicht transformiert, sondern überlagert, macht deutlich, dass sich das rein anamnetische Gebet nicht für die Seelsorge eignet. Es werden dogmatische und poimenische Ebenen vermischt, indem soteriologische bzw. eschatologische Aussagen auf der einen Seite und situationsbezogene Aussagen auf der anderen Seite direkt in eins gestellt werden. Die im untersuchten Modell häufig formulierte und ausdrücklich soteriologisch verortete Gebetsaussage »Du, Gott, hast geheilt« beruft sich auf das Heil (Zweiter Glaubensartikel) und steht notwendig in eschatologischer Zielrichtung (Dritter Artikel). Das Heil bedingt jedoch noch keine konkrete Heilung in einer Situation im Hier und Jetzt (Erster Artikel). Zwar gilt ohne Zweifel, dass der Tod und die Auferstehung Jesu Christi nicht nur die Bedingung für die Wiederherstellung der Schöpfung darstellen, sondern die Wiederherstellung in Christo sogar schon realisiert ist (weshalb mit der Vergebung der Sünden bereits die ewige Vollendung geschenkt bzw. zugeeignet wird). Doch die Heilung in der Zeit kann nur als zeichenhafte Vorwegnahme, als gnadenvolle Rückführung in den Bereich des ersten Glaubensartikels verstanden werden und bedeutet keinesfalls eine Notwendigkeit. Anders gesagt: Das Heil ist gegeben, aber seine ewige Vollendung steht noch aus. Erst sie ist die Rettung, Neuschöpfung und Erlösung, derer nach Röm 8,18–25 alle Kreatur im Glauben harrt – wozu, nebenbei bemerkt, charismatische Theologie doch gerade aufgrund Röm 8,26f Zugang haben müsste. Die Gabe des Heils garantiert noch keine Heilung vor Vollendung, was jedoch im seelsorgerlichen Kontext intendiert ist: Denn ein Kranker wird natürlicherweise nichts anderes mehr erbitten als Heilung im Hier und Jetzt. Wenn nun das Heil-Sein anamnetisch ohne jede Bitte zugesagt wird, ist das Gebet reine (wenn auch doxologische) Assertion: bloße Feststellung (»Christus hat geheilt« etc.).1321 Die Feststellung als Zusage evoziert im seelsorgerlichen Raum aber die Notwendigkeit, das Heil-Werden bzw. das Geheilt-worden-Sein auch zu erfahren. Dies steht in der Spannung von Erwartung und Erfüllung. Kann es dann nicht auch dazu kommen, angesichts einer erwarteten, aber nicht erfahrenen Erfüllung den Glauben zu revozieren, d. h. an einem Glauben, der assertorisch provoziert wurde, zu scheitern? Dieser Problematik scheint sich das vorliegend untersuchte Modell der anamnetischen, nicht-epikletischen Gebetsseelsorge nicht bewusst zu sein. Ohne die epikletische Bitte birgt das anamnetische Heilungsgebet im konkreten Seelsorgekontext die Gefahr der falschen Hoffnung. Aus diesen Überle1320 Vgl. Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre, 120. 1321 Vgl. dazu Gerhards, Symbol – Ritus – Erfahrung, 279.

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gungen müsste für eine entsprechend konzipierte Gebetsseelsorge gefolgert werden, dass sie auf der einen Seite die Lob- und Trostdimension der anamnetischen, heilsvergegenwärtigenden Aussage vermitteln soll, zugleich aber die Bitte des epikletischen Gebets zu formulieren und auszusprechen hat. Zurecht darf »das Gebet der Leidenden in einen doxologischen Zusammenhang« gestellt werden – darauf weist der Missionswissenschaftler Henning Wrogemann angesichts der Gebete der vollendeten Märtyrer in der Johannesoffenbarung (5,8; 6,10) hin –,1322 doch es soll auch die Anliegen dieser Leidenden hörbar machen. Klagendes, prophetisch-kritisches und lobendes Beten dürfen nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden. »In das Gotteslob wird […] die Klage und die Bitte eingebracht.«1323 Eine anamnetisch gegründete Epiklesis als An- und Herabrufung des Geistes kann dazu beitragen, den freien Dank situationsentsprechend zu entwickeln und mit Bitte und Klage integrativ statt verdrängend zu verbinden. Das Gebet wird so Hilfe zum Leben.1324

7.3.3 Grundentscheidungen charismatischer Poimenik. Oder: Die Wirkung als Erfahrung Für charismatische Spiritualität stellt die Seelsorge den Ort dar, da die Heilsgabe Christi in der Vollmacht des Heiligen Geistes ergriffen und vollzogen wird. Dass dieses Merkmal auch für den Volksmissionskreis Sachsen gilt, wird an der anamnetischen Dimension der Gebetsseelsorge deutlich. Im Folgenden sollen die Grundentscheidungen charismatischer Poimenik aufgezeigt werden. »Der erneuerte Sinn und das veränderte Leben« ist das Ziel solcher Seelsorge,1325 wobei »Veränderung« nicht allein als Errettung bzw. Bekehrung, sondern auch als Heiligung und Heilung verstanden wird. Charismatische, handlungsund erfahrungsorientierte Poimenik will die Heilsgabe, d. h. Rechtfertigung und Heiligung des Sünders, wirkmächtig umsetzen und geht von der pneumatischen Vermittlung dieses Heils im Kontext der vollmächtigen Gemeinde aus. Sie kann ihre Wirkungen nicht anders als sichtbar-erfahrbar denken, weshalb sie die vollendende Kraft des Geistes Gottes auf Seele und Leib, auf Heil und Heilung, auf Rettung und Erneuerung, im Hier und Jetzt bezieht. Als eine »Seelsorge des Handelns […] in Vollmacht, in der Kraft des Geistes«1326 kennzeichnet sie eine pneumatische Grundausrichtung, die mit den Begriffsgruppen Vollmacht, Vollzug, Vollendung oder Geistmacht, Geistesgabe, 1322 1323 1324 1325 1326

Vgl. Wrogemann, Den Glanz widerspiegeln, 149–151, Zit. 151. A. a. O., 150. Vgl. Bloth, Gebet, 101f. Vgl. den Titel: Christenson, Der erneuerte Sinn. Zit. Willem C. van Dam, in: Zimmerling, Bewegungen, 205.

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Geistwirkung ausgedrückt werden kann. Diese Begriffe könnten so übersetzt werden: Der bevollmächtigende Heilige Geist rüstet den Seelsorger aus, um mittels Charismen, Gaben und Kräften das heilende Handeln Gottes am Seelsorgesuchenden zu vollziehen, damit das durch den Sieg Christi am Kreuz erwirkte Heil sichtbare Gestalt wird. Man könnte sagen: Charismatische Seelsorge ist eine Seelsorge des spirituellen Handelns,1327 sodass sie gegenüber der kerygmatischen Seelsorge eine Verschiebung kennzeichnet, indem sich der Schwerpunkt vom Wort zur Tat, von der Rettung zur Rettungserfahrung verlagert hat. Zu dieser Verschiebung mag, neben anderen Ursachen, die Grundhaltung der Dialektischen Theologie selbst beigetragen haben, die mehr an der Christologie denn an deren Wesensverbindung mit der Pneumatologie (und der Schöpfungstheologie) interessiert war.1328 Charismatische Theologie versucht dagegen, den Geist Gottes sowohl in die Theologie als auch in die enthusiastische Erfahrung hinein zu holen. Dabei übersieht sie allerdings ein Problem, wenn sie Wirkungsgeschehen und Wirkungserfahrung praktisch nicht differenziert, was für ihre Seelsorge von Bedeutung ist. Wenn die kerygmatische Seelsorge vom befreienden Wirken des Wortes ausgeht, bleibt für sie die Befreiungswirkung eine zu glaubende und ist möglicherweise, aber nicht unbedingt emotional erfahrbar. Die charismatische Seelsorge jedoch zielt die Erfahrung (Erfahrung von Vergebung, Heilung etc.) mindestens gleichzeitig mit der geglaubten Wirkung (Vergebung, Heilung etc.) selber an. Für sie liegen Befreiung und Befreiungserfahrung auf einer Ebene. Des Weiteren weitet charismatische Seelsorge den Befreiungsbegriff aus. Befreiung wird nicht nur – im klassischen Sinne: soteriologisch – auf die Rettung des Sünders und dessen Loyalitätswechsel (»in« oder »unter den Herrschaftsbereich Gottes«) bezogen, sondern auch auf psychische und physische Kategorien ausgeweitet, weshalb diese Befreiung auch und gerade als emotionale Erfahrung definiert wird. Charismatische Seelsorge entdeckt die Emotion. »Christliche Lehrinhalte sollen nicht nur geglaubt, sondern als Wirklichkeit erfahren werden. Man möchte die biblische Welt mit ihren Erfahrungen (Engel, Zeichen und Wunder, Visionen, Prophetien, Heilungen und Exorzismus) wiedergewinnen«1329. Mit der

1327 Vgl. Reimer, Geist, 92; Zimmerling, Bewegungen, 204f. 1328 Karl Barth selbst formulierte dieses Defizit der dialektischen Theologie, wenn er im Nachwort der Schleiermacher-Auswahlausgabe von 1968 festhielt, dass mittels der einer Theologie des III. Artikels« die »Grundlegung« der anderen Glaubensartikel durchgeführt werden müsse, Karl Barth, Nachwort zu: Schleiermacher-Auswahl, 311. Zur Diskussion um die pneumatologische Ausrichtung der Barthschen Theologie verweise ich auf: Etzelmüller, Geist Jesu Christi. 1329 Föller, Bewegung, 486.

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Emotion wird auch das Wunder etabliert.1330 Darin liegt aber auch ein poimenisches Problem. Wenn die Wortwirkung und die davon abgeleitete Wirkungserfahrung auf die gleiche Ebene gerückt werden, wird das Wort und dessen Wirkung entwertet. Außerdem kann sich daraus der Fehler ergeben, die emotional charakterisierte Erfahrung durch emotionale Mittel zu erlangen. Mit Manfred Seitz ist das »Ziel der Seelsorge« »das Heilwerden des Menschen«.1331 Dieser Definition wird man sich anschließen können und es macht wenig Sinn, der charismatischen Seelsorgeauffassung die spröde Kritik entgegenzusetzen, es müsse der Seelsorge nicht um Heilung, sondern um Heil gehen. Die Seelsorge soll ja den ganzen Menschen im Blick haben und dieses Wesen, das nicht nur aus Geist besteht, als lebendige, leibhaftige Seele vor Gott wahrnehmen. Insofern haben Anliegen wie zum Beispiel der Wunsch nach Heilung, die nach Erfahrung streben, in der Seelsorge ihren geeigneten Platz. Allerdings bedeutet der von Seitz verwendete Begriff des Heilwerdens auch, dass sich Seelsorge auf das Heilwerden im Sinne einer Entwicklung bezieht. Heilwerden bzw. Heilung werden doch zuerst als Prozess zu verstehen sein. Dieser kann spontane Ausdrucksformen wie unmittelbare Heilungen einschließen. Für ein umfassendes Heilwerden des Menschen bedarf es der seelsorgerlich eingebetteten Auseinandersetzung mit der Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung, d. h. in nuce der Auseinandersetzung mit der Todverfallenheit des Menschen, welcher auch eine charismatische Erfahrungsorientierung nur wenig entgegensetzen kann. Für die Seelsorge bedeutet dies: Die Erfahrung darf nicht mit der geglaubten Wirkung gleichgesetzt werden.1332 Zugleich muss Seelsorge vor der Gefahr falscher Wirkungserwartungen schützen und darf keinesfalls die Erfahrung als ein Recht (des Seelsorgesuchenden) oder als eine Autorisierung (der Vollmacht des Seelsorgers) qualifizieren. Dem Prozess des Heilwerdens als immerwährendem, auch Emotionalität und Erfahrung einschließenden Ziel der Seelsorge sollte die prozesshafte Entwicklung des Dankes entsprechen. Um den Dank zu entwickeln, bedarf es der Bitte. Dafür müsste die auf betenden Vollzug angelegte Gestalt einer Gebetsseelsorge beste Voraussetzungen haben.

1330 Vgl. dazu Hempelmann, Sehnsucht, 460f. 1331 Seitz, Praxis des Glaubens, 79. 1332 Vgl. Rahner, Gerecht und Sünder zugleich, 197: »Da Rechtfertigung entscheidend Tat Gottes ist, decken sich Rechtfertigungswirklichkeit und Rechtfertigungserfahrung nicht ohne weiteres«.

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7.3.4 »Lösen« und Vollmachtssehnsucht In der ausführlichen Darstellung zum exorzistischen Handeln ist deutlich geworden, dass die Themen »Exorzismus«, »dämonische Mächte« etc. sowohl für die kerygmatische Seelsorge als auch innerhalb der Kirchlichen Volksmission keine unbekannten Größen darstellen. In beiden Bereichen wird der Exorzismus behandelt. In der Kirchlichen Volksmission geschieht mehr eine praktische Thematisierung des exorzistischen Vollzuges, während in der kerygmatischen Konzeption eher eine fundamentalpoimenische Bestimmung der »Seelsorge als Exorzismus« intendiert ist. Dabei spricht Thurneysen auch von der praktischen Relevanz des Exorzismus angesichts seltener »Besessenheit« und klassifiziert ihn als »Kampfgespräch«. Es wird deutlich, dass im Grunde auch die volksmissionarische Seelsorge auf dem aufbaut, was für die kerygmatische Poimenik gilt: Exorzistisches Handeln soll im Einzelgespräch stattfinden. Allerdings hat die scharfe kerygmatische Abwehr gegen den sogenannten »nominellen Exorzismus« (den Gebrauch des Namens Jesu im Gebet) und gegen die Handauflegung gezeigt, dass es im Volksmissionskreis Sachsen eine Praxis gibt, die über die kerygmatische Seelsorge hinausgeht. Als Bestandteil der Seelsorge des Volksmissionskreises ist das exorzistische Handeln, das »Lösen«, von der Gestalt des Gebetes gekennzeichnet. Dabei gibt es mehrere verschiedene Möglichkeiten, das Lösen zu definieren, womit entsprechend verschiedene Möglichkeiten des Gebetes verbunden sind: Erstens kann nach Gerhard Küttner das Lösen als Heiligung verstanden werden. Heiligung als eine Grundhaltung wird praktisch im konkreten geistlichen Leben. Daher wird man die dazugehörige Gebetsgestalt zum einen als Bekenntnis-Gebet (Buße, Hingabe) und zum anderen als Heilsgedenken und Heilsaneignung (Lob, Dank, Bitte) zu verstehen haben. Lösung als Heiligung ist demnach von der Kategorie der Anamnesis geprägt. Je asketischer sich das geistliche Leben zeigt, desto exerzitienähnlicher und mystischer gestaltet sich das Gebet, was gerade an den biographischen Perspektiven Küttners erkannt werden kann. Zweitens ist Lösen im Sinne des kerygmatischen Exorzismus zu verstehen. Das Gebet nimmt dabei einen hohen Stellenwert ein, was durch die Praxis der Oxford-Gruppenbewegung begründet ist (»helfenden Gebetes«). Zwar sind genaue Gebetsformulierungen bzw. Gebetsabläufe nicht überliefert, aber der interzessorische Charakter des Lösens zeigt sich schon allein im Namen. Seine Gestalt wird grundsätzlich mit der Krankenseelsorge vergleichbar sein, weshalb von dessen anamnetischer Ausrichtung auszugehen ist. Drittens gibt es für Gerhard Küttner das »umfassende« Lösen, das mittels eines ordo salutis vom herkömmlichen (»charismatischen«) Exorzismus abge-

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hoben wird und dem größere, d. h. wirksamere Möglichkeiten zugemessen werden. Dieses Lösen besteht aus zwei Gebetsvollzügen: Auf der einen Seite trägt das Gebet des Seelsorgesuchenden den Charakter eines ausführlichen Bekenntnis- und Absage-Gebetes, das mit anamnetisch-assertorischen Bezugnahmen auf das Heil abgeschlossen wird. Auf der anderen Seite steht das darauf folgende, eine Befreiungs-Zusage sprechende Gebet des Seelsorgenden. Dieses Gebet wird zwar von den Quellen nicht überliefert, ist aber aufgrund seines tauftheologischen Charakters und anhand der Verbindung mit der Krankenheilung ebenfalls eindeutig als heilsvergegenwärtigendes, anamnetisches Gebet zu verstehen. Es zeigt sich also, dass das Lösen im Volksmissionskreis Sachsen in seinen drei verschiedenen Möglichkeiten von einer Grundausrichtung geprägt ist: Die Kategorie der Anamnesis bestimmt wesentlich die Gestalt des Exorzismus. Aufgrund dieser Zusammenfassung ist es nicht nötig, die Gestalt des exorzistischen Handelns als Gebetsseelsorge noch näher anhand der Kategorie der Anamnesis zu untersuchen. Dies ist hinsichtlich der Krankenseelsorge bereits getan worden und die Quellen rücken den Exorzismus sehr nah an das heilende Handeln. Interessant ist an dieser Stelle, dass dem Exorzismus – und zwar in allen drei Möglichkeiten – eine poimenische Bedeutung eignet, die in der Identität von Vergebung, Heilung und Befreiung liegt. Vergebung, Heilung und Befreiung werden bei Gerhard Küttner miteinander identifiziert, indem sie an die Taufe rückgebunden werden. Dies geschieht in der Extremform, dass Vergebung (Beichte), Heilung (Krankenseelsorge) und Befreiung (umfassende Lösung) als Bestandteil und nachträgliche Ergänzung der Taufe betrachtet werden. Küttners Seelsorge, die von einer Geist- und Vollmachts-Sehnsucht angeregt ist und sich seit seiner »Klausur« besonders mit dem umfassenden Lösen beschäftigte, wird verstehbar als ein Versuch, die Taufe aus der Perspektive einer innerkirchlich charismatischen Spiritualität zu deuten. Charismatisch ist diese Deutung bzw. das Konzept des umfassenden Lösens insofern, als dass Taufe und Geist-Gabe nicht zusammen gesehen werden können. Vor allem die volkskirchliche Kindertaufe, die nach Küttner liturgisch um Exorzismus und Abrenuntiation reduziert worden sei, könne die Vollmachtsgabe des Geistes nicht verleihen, da es für diese erstens der Bekehrung, zweitens des Tauf-Exorzismus und drittens der Heiligung bedürfe. Darin zeigt sich die urpietistische Kritik an einem nicht bekehrten Christentum sowie die charismatische Annahme, dass auch Christen generell von bösen Mächten (auch über Generationen hinweg vermittelt) belastet sein können. Von da ausgehend entwickelt Küttner mit dem umfassenden Lösen ein inhaltlich von der confirmatio (Versiegelung bzw. Konfirmation) abgeleitetes Ritual zur Verleihung der Möglichkeit der Vollmachtsgabe. Es erhält statt eines liturgischen einen seelsorger-

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lichen Ort, woraus eine seelsorgerliche Handlung entsteht, die im privaten, der Öffentlichkeit verborgenen Rahmen des Einzelgespräches stattfindet. Die liturgische Wurzel dieser Handlung bleibt in der Gestalt als Gebetsseelsorge erhalten. Das Ritual hat die Aufgabe, eine Person generell von allen, d. h. von wirklichen und potentiellen Bindungen zu befreien mit dem Ziel, dadurch geistliche Vollmacht zu ermöglichen. Innerkirchlich ist dieses Konzept insofern, da im Ritual der umfassenden Lösung ein Weg gesucht wird, die Taufergänzung nicht zur Taufalternative (wie etwa als Wiedertaufe oder Kirchenaustritt denkbar) werden zu lassen. Das Ziel, die Möglichkeit des Vollmachtsempfangs zu vermitteln, und die damit verbundene Funktion der Vergewisserung über die Zugehörigkeit zur erwecklichen Brautgemeinde wird innerhalb der Kirche umgesetzt. Diese Umsetzung funktioniert im Rahmen des Selbstverständnisses der ecclesiola in ecclesia, was wiederum die Gemeinschaftsdimension volksmissionarischer Seelsorge unterstreicht. Die umfassende Lösung wird als Ermöglichungsgrund geistlicher, d. h. auch: kirchlicher Gemeinschaft und charismatischer Vollmacht gesehen. Auch hier zeigt sich die untrennbare Gemeinsamkeit von volksmissionarischer und charismatischer Seelsorge. Problematisch ist dieses Konzept, da es die Taufe als ergänzungsbedürftig betrachtet. Mag man sich über die Notwendigkeit einer persönlichen und lebensrelevanten Aneignung der Taufgabe (reditus ad baptimum) einig sein, so wird aber eine Taufergänzung kritisiert werden müssen. Denn die Taufe als ergänzungsbedürftig zu verstehen, verkennt, dass die substantiellen Inhalte des Loyalitätswechsels (geistliches Sterben und des Auferstehen) immer in der Taufe gegeben sind, auch wenn ein Taufformular die Elemente Exorzismus und Abrenuntiation nur in reduzierter Form oder gar nicht enthält. Überdies wird Küttners Kritik auch aus liturgischen Gründen zurückgewiesen werden müssen: Denn anders als die sächsische Agende von 19061333 enthielt die seinerzeit gültige agendarische Ordnung von 1965 sowohl das exorzistische (innerhalb eines Gebetes des Pfarrers) als auch das abrenuntiative Element (in unterschiedlich ausführlichen Gestaltungsvarianten) innerhalb der Taufhandlung.1334 Küttner übersah, dass die Elemente Befreiung und Absage in der lutherischen Taufliturgie trotz reduktiver Entwicklungen keineswegs gänzlich entfallen sind. Seine Kritik, die als schematische Gegenüberstellung von volkskirchlicher und biblischer Taufform eine hyperbolische Zuspitzung darstellt, kann so erklärt werden: Einmal könnte Küttner aufgrund einer biblizistischen Bezugnahme auf Apg 8

1333 Vgl. unter 6.2.2, Anm. 1050. 1334 Vgl. Agende. Band III, 19f.23–26. Es handelt sich um die DDR-Ausgabe der Agende III von 1965.

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zu dem Schluss gekommen sein, die Taufe nach Agende sei hinsichtlich Exorzismus und Abrenuntiation nicht ausreichend bzw. noch ergänzungsbedürftig. Andererseits ist auch denkbar, dass Küttners Einschätzung des zwar vorhandenen Taufexorzismus als quasi nicht-vorhanden darin begründet wäre, dass der Vollzug der Handauflegung fehlt. In der von Luther überkommenen Taufpraxis werden dem Täufling vor der eigentlichen Taufhandlung während des Vaterunsers die Hände aufgelegt, nicht aber während anderer exorzistischer Gebete oder Zusagen.1335 Da Küttner das Auflegen der Hände ausgesprochen hoch schätzt und dieses einen Bestandteil des altkirchlichen Taufexorzismus darstellte,1336 könnte das teilweise Fehlen dieser Gebärde ihn dazu geführt haben, die vorhandenen exorzistischen Elemente nicht als solche anzuerkennen. Dies ist gerade aufgrund seiner Verortung in der Seelsorgetradition der OxfordGruppenbewegung und der apostolischen Frömmigkeitstradition nachvollziehbar. Allerdings würde er übersehen, dass das Vaterunser unter Handauflegung gesprochen wird und diesem eine epikletisch-performative, auch exorzisierende Funktion zukommt.1337 Ein weiteres, ausgesprochen kritisches Problem ist die charismatische Prämisse, Belastungen durch böse Mächte als generelle Möglichkeiten anzunehmen. Das umfassende Lösen nach Küttner ist nicht mehr auf bestimmte, sich durch ein Bekenntnis oder durch äußerliche Anzeichen äußernde Bindungen beschränkt. Dadurch wird die Seelsorge von dem ihr ureigenen Auftrag, nämlich der diakritischen Aufgabe der Unterscheidung der Geister, abgekoppelt.1338 Die Geister zu unterscheiden heißt hier, die Symptome auf ihre Ursachen hin zu untersuchen.1339 Zu diesem Problem trägt bei, dass die Grenzen zwischen Lösung als Heiligung und Lösung als Exorzismus im Küttnerschen Konzept des umfassenden Lösens verschwimmen. Dies beflügelt die Vollmachtssehnsucht sowie den Wunsch, durch eine Vollmachts-Tat eine Vollmachts-Erfahrung zu erhalten.1340 Gegen eine Generalisierung des Exorzismus, der umfassend, für alle Fälle, gesprochen werden müsse, ist nur das glaubende Vertrauen zu setzen: »Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei« (Joh 8,36). Wie unter 5.3.1 ausgeführt, führte (neben den Einflüssen weiterer Faktoren) die umfassende Lösung zu einer weitreichenden Konfliktgeschichte im Volksmissionskreis. Betrachtet man die Auswirkungen von Konzept und Praxis des 1335 1336 1337 1338 1339 1340

Vgl. a. a. O., 22.34. Vgl. z. B. Böcher/Nagel/Neidhart, Exorzismus, 752. Vgl. auch Merkel, Handauflegung, 425. Vgl. Schlier, Mächte und Gewalten, 62. Vgl. Grabe, Dämonen austreiben wie Jesus?, 302. Heinrich Schlier verweist in diesem Zusammenhang kritisch auf Lk 10,17–20: ders., Mächte und Gewalten, 63.

Kritische Würdigung

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umfassenden Lösens aus einer systemisch und gruppendynamisch orientierten Perspektive, zeigen sich diese Folgen alles andere als positiv : Heilende, verbindende, befreiende und vergewissernde Auswirkungen können im Blick auf die Konfliktgeschichte nämlich nicht beobachtet werden. Die Kritik am Konzept Küttners wurde bereits innerhalb des Volksmissionskreises Sachsen ausgesprochen, wobei man weniger Küttners Tauftheologie, sondern mehr seine Vollmachtssehnsucht im Visier hatte. Allerdings wählte die Mehrheit des Volksmissionskreises ein problematisches Reaktionsmuster, als man versuchte, sich von Gerhard Küttner zu »lösen« – die theologisch motivierte Kritik an Küttners Lösung stand in Gefahr, in moralische Kategorien abzugleiten, was Aussagen wie diese belegen: »Mancher Diener Gottes hat im großen Segen seine Arbeit im Reich Gottes begonnen, und dann ist er am Hochmut gescheitert. Es hat damit begonnen, daß er sich im Bewußtsein der Gottunmittelbarkeit seiner Sendung der Korrektur der Brüder verschloß.«1341

1341 VMK (Hg.), Rundbrief 1988, Pfr.i.R. Hans Prehn, 12/1988, in: A.III.b.F.

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Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

In diesem Kapitel soll die Beichte als das Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen untersucht werden. Was meint »Beichte«? Wenn nicht anders gekennzeichnet, bezeichnet der Begriff die Einzelbeichte im Unterschied zu weiteren Formen der Beichte (Herzensbeichte, öffentliche Beichte, Allgemeine Beichte, gemeinschaftliche Versöhnung bzw. Gespräch)1342. Was macht die Beichte im Volksmissionskreis »zentral«? Der poimenische Zirkel (vgl. 6.2.2) hat oben verdeutlicht, dass den allgemeinen und speziellen Vollzügen seiner Seelsorge eine Zielrichtung eignet, welche zum Einzelgespräch als deren Kern hinführen und von dort aus neue Vollzüge anregen will. Das Einzelgespräch ist wiederum durch eine ähnliche Konzentration charakterisiert, indem es die Beichte mit Absolution anzielt. Zentral ist die Beichte auch deshalb, weil von der Befreiung (Vergebung, Absolution) alles abhängt. Von daher hat das vorliegende Kapitel Beichte und Absolution als den Kern volksmissionarisch-charismatischer Poimenik zum Gegenstand. Da in den Debatten innerhalb des Volksmissionskreises die Einzelbeichte interessanterweise mit der liturgischen Allgemeinen Beichte kollidierte, wird auf diesen Diskussionsgegenstand eigens einzugehen sein (8.3).

1342 Vgl. dazu u. a. Böhme, Beichtlehre, 15f; Zimmerling, Beichte, 15f.

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8.1

Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

Wiederentdeckung der Beichte bzw. Einzelbeichte

8.1.1 Nachkriegszeit Noch nie ist so viel gebeichtet worden wie im 20. Jahrhundert – so meint zumindest der römisch-katholische Theologe Bernd Jochen Hilberath.1343 Doch die Begründung dafür muss nicht allein in der von Pius X. neugeordneten Frühkommunion und der damit verbundenen Beichtpraxis, auf die Hilberath hinweist, gesucht werden. Gerade die verheerenden beiden Weltkriege haben Schuld, Schuldbewusstsein, -verdrängung und -bewältigung zu gesellschaftlichen Hauptthemen gemacht – bewusst wie unbewusst. Nicht nur in der römischkatholischen, sondern auch in der evangelischen Christenheit in Deutschland wurde die Beichte neu entdeckt. Sie wurde besonders zwischen sowie nach den beiden Weltkriegen von verschiedenen Theologen reflektiert. Zugleich zeigt sich, dass (auch im katholischen Bereich) mit wachsendem historischem Abstand zum Zweiten Weltkrieg die Beichtzahlen wieder abgenommen haben.1344 Beispielhaft für ein neues evangelisches Beicht-Bewusstsein im 20. Jahrhundert ist eine Veröffentlichung des Volksmissionskreises Sachsen zu nennen, die ebenso wie zahlreiche andere Publikationen, Notizen, Rundbriefe etc. das Thema »Beichte« behandelte: Gleich zweimal brachte die Volksmissionsbuchhandlung den Text »Das Heiligtum der Beichte« heraus (1950, 1958), der von Missionsdirektor Rudolf Damrath verfasst worden war.1345 Der Inhalt dieses Textes, welcher bei den Lesern für die Praxis der Beichte, insbesondere Einzelbeichte, wirbt, ist beispielhaft für diese Zeit. Auch die Biographie Rudolf Damraths (1905–1959) zeigt, wie Schuld und Schuldbewältigung die Kriegsgeneration prägte, und macht Beichte als Thema der Volksmission nach dem Krieg verständlich. Schon als Vikar bei Carl Gunther Schweitzer, dem Gründer der Apologetischen Centrale, musste Damrath für Apologetik und Volksmission sensibilisiert worden sein; als Geistlicher der Potsdamer Garnisonskirche und als Wehrmachtsoberpfarrer an verschiedenen Fronten Europas hatte er Erfahrungen mit Volksmission und Seelsorge gemacht und zählte zum Kreis des Widerstandes gegen Hitler.1346 Das seelsorgerliche Gespräch mit Soldaten war eine seiner Hauptaufgaben.1347 Nach dem Krieg gehörte Damrath als Direktor der Berliner Stadtmission zu den Freunden des Volksmissionskreises Sachsen. Die Volksmission der »Missionsgemeinde« – d. h. also nicht 1343 1344 1345 1346 1347

Vgl. Hilberath, Versöhnung, 215. Vgl. Beinert/Kühn, Ökumenische Dogmatik, 709. Damrath, Heiligtum der Beichte [1950 und 1958]. Vgl. Damrath, Rudolf Damrath, 80–83 u. a. »Nach zwei Monaten war die Arbeit kaum noch zu schaffen, weil der Bedarf an Aussprache so groß war«, a. a. O., 77, vgl. auch 79.

Wiederentdeckung der Beichte bzw. Einzelbeichte

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eines Einzelnen, sondern der erweckten Kerngemeinde bzw. Mannschaft – war »›ein Herzstück meiner Arbeit in unserer lieben Kirche‹, schrieb er im Dezember 1950 dem Leiter der Leipziger Stadtmission, Pastor Heinz Wagner«1348, dem späteren Professor für Praktische Theologie. Zu dieser Volksmission gehört unabdingbar das »Heiligtum der Beichte«: »Liebe Brüder und Schwestern, denkt doch an den letzten Krieg! Was ist da an den Seelen hängen geblieben und hängt noch jetzt daran. Die Sünde wehrt sich dagegen, entschleiert zu werden. ›Nimm es nicht so genau, es war Krieg. Die anderen haben’s auch getan, noch viel schlimmer als du!‹ – Wenn doch das einmal von den belasteten Herzen genommen werden könnte! Vielen sind längst die Augen dafür aufgegangen, daß wir alle mitschuldig waren und mitgewirkt haben an den Schrecken der vergangenen Zeit. Viele wollen dieser harten, bitteren Wahrheit ausweichen, und viele verzweifeln«.1349

Schon im Kirchenkampf (man denke nur an Dietrich Bonhoeffer), vor allem aber in den Nachkriegsjahren ereignete sich eine evangelische Renaissance der Beichte, nicht nur in den neuen Kommunitäten und Gemeinschaften, sondern auch innerhalb der Landeskirchen.1350 Ebenso erschien eine ganze Anzahl theologischer Publikationen.1351 In Sachsen wurden in den Jahren 1948–50 die Praxis der Einzelbeichte und deren Neuformulierung in Synode und Kirchenleitung behandelt.1352 In diesem Zusammenhang legte zum Beispiel die Ev.-Luth. 1348 Verein für Berliner Stadtmission (Hg.), Fünfundsiebzig Jahre, 18. 1349 Damrath, Heiligtum der Beichte [1958], 4f. 1350 Einen Überblick über zeitgenössische landeskirchliche Verlautbarungen bietet Klein, Beichte, 230–235. 1351 Für einen (nicht vollständigen) Literaturüberblick mit Ersterscheinungsjahr in [] vgl. z. B.: Asmussen, Seelsorge, 218–230 [1934; hier 31935]; Bonhoeffer, DBW 5, 93–102 [1937]; Schönherr, Privatbeichte [1938]; Stählin, Bruderschaft, 195–200 [1940]; Thurneysen, Lehre, 251–279 [1948]; Glüer, Beichte [1949]; Böhme, Beichtlehre [1956]; Asmussen, Sakrament, 69–83 [1957]; Thurian, Evangelische Beichte [1958]; Jentsch, Seelsorger, 42– 47 [1982]; Seitz u. a., Freude der Beichte [1985]; Henze (Hg.), Beichte [1991]; div., z. T. aufeinander aufbauende Publikationen von Zimmerling: Beichte – Ermutigung [1988]; ders., Evangelische Spiritualität, 222–227 [2003]; ders., Studienbuch Beichte [2009], ders., Beichte heute [2012]; ders., Beichte [2014]. Interessant zeigt sich dabei auch die Entwicklung der Artikel in RGG1–4 : Baumgarten lehnt die Wiederbelebung der Einzelbeichte noch ab und wertet ihren Ritus sowie die Absolution als »sakramentarisch-unterchristlich«, vgl. ders., Bußwesen V. [1909], Zit. 1488; Niebergall – bereits unter dem Eindruck von Psychologie und Evangelisation/Volksmission – wirbt für die Beichte als seelsorgerlichen Gespräch und liturgischen Akt, vgl. ders., Beichte [1927]; Loew wirbt für die Beichte, kritisiert ihre neuprotestantische Ablehnung, rekurriert auf den Kirchentag 1956 »Evangelische beichten«, betont die Sakramentalität der Absolution und gestaltet seinen Artikel auch als praktische Anleitung zum Beichthören, vgl. ders. Beichte [1957]; Hennig geht von der Kraft des göttlichen Vergebungswortes aus und rechnet dieses als Mitte der Seelsorge, vgl. ders., Beichte [1998], bes. 1125: »Das Seelsorgegespräch ist nicht auf die B. hin angelegt, aber es kann sich auf die B. hin auslegen oder entwickeln«. 1352 Vgl. die Dokumentation in: A.II.b.2.1802.

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Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

Christophorusbruderschaft in Sachsen 1950 eine »Ordnung der Einzelbeichte« als Entwurf im Druck vor.1353 Das Landeskirchliche Amt für Innere Mission thematisierte »Die Beichte« in seinen Weiterbildungen für Volksmissionare.1354 Die Beichte als Mittel der Seelsorge wiederzugewinnen, gehörte zu den zentralen Anliegen des Volksmissionskreises Sachsen schon seit den Jahren seiner Vorgeschichte als posaunenmissionarischer Freundeskreis im Kirchenkampf. Im Volksmissionskreis, der auf eine Seelsorge nach dem Krieg ausgerichtet war, wurden in jenen Jahren Buße und Beichte quasi permanent besprochen und praktiziert. Für einige Zeit wurde die Beichte ein Thema von Volksmission und Evangelisation, von Seelsorge und Gemeindeaufbau in Sachsen. Noch Jahre und Jahrzehnte nach seinem Ende bestimmte der Krieg die Thematisierung von Schuld und Buße, wie sie etwa in diesem Zitat (Cornelius Kohl, 1965) zum Ausdruck kommt: »Sind wir wirklich gereift, haben wir persönlich die Vergangenheit jener Jahre durch Vergebung und Versöhnung, durch Bekenntnis und Eingestehen der Schuld bewältigt […]? […] Sollten wir nicht in unseren Gebeten – in unserer Fürbitte – in unserem Stillesein und Bedenken vor Gott mehr als bisher oder überhaupt ganz anders als bisher die Erlebnisse jener Jahre, unser Verhalten zu den Menschen in jenen Jahren, unser Verhalten in fremden Ländern neu überprüfen und vor Gott treten und sagen: Vergib!«1355

8.1.2 Beichte im Kontext erwecklicher Theologie: Überwindung eines pietistischen und protestantischen Defizites Mit der Etablierung der Einzelbeichte als einem zentralen seelsorgerlichen Mittel konnte der Volksmissionskreis Sachsen ein protestantisches Defizit überwinden, zu dessen Entstehung der Pietismus maßgeblich beigetragen hatte. Um Theorie und Praxis der Beichte im Volksmissionskreis präzise beschreiben zu können, soll zunächst auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Pietismus aufmerksam gemacht und die weitere protestantische Entwicklung in den Blick genommen werden. Die kritische bis ablehnende Haltung zur Beichte, wie sie seit Barock-Zeiten den Pietismus und von da ausgehend die protestantische Allgemeinheit kenn1353 Ev.-Luth. Christophorusbruderschaft in Sachsen (Hg.), Ordnung der Einzelbeichte; vgl. dazu Brief von Pfr. lic. Dr. Heber, Ev.-Luth. Christophorusbruderschaft in Sachsen, Leipzig, 23. 05. 1950, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, OLKR lic. Gottfried Noth, Dresden, in: A.II.b.2.1802, 32. 1354 Vgl. Rundbrief [Ablaufplan] von Pfr. Gerhard Richter, Landeskirchliches Amt für Innere Mission, Radebeul, 05. 02. 1949, an die Teilnehmer der Volksmissions-Rüstzeit vom 21.– 27. 02. 1949, in: A.III.a.bis1949. 1355 VMK (Hg.), 2. Rundbrief 1965, Sup. Cornelius Kohl, 02/1965, in: A.II.b.2.1524, 175.

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zeichnet, kennt der Volksmissionskreis nicht. Der ältere Pietismus hatte die Kritik an der orthodox-lutherischen, verpflichtenden Privatbeichte mit Absolution entwickelt, wobei vor allem eine schematische Beichtpraxis, der Konnex von recte gesprochener Beichtformel mit Absolution und nicht zuletzt die Absolution ex opere operato im Visier standen,1356 von praktischen Missständen ganz zu schweigen.1357 Nun hatte der ältere Pietismus die Beichtpraxis keineswegs einfach abgeschafft. Stattdessen wurde die Bedeutung der Bußfertigkeit des Beichtenden für eine rechtmäßige Absolution betont, die Freiwilligkeit der Beichte hervorgehoben und diese weitgehend vom kirchlichen Amt abgekoppelt,1358 wobei der Vorwurf des »papistischen Zwanges« ein wichtiges Begründungsmuster darstellte.1359 Dieses Anliegen, gewürzt mit aufklärerischem Subjektivismus und vom dem Bemühen bestimmt, die Bußfertigkeit bzw. Ernsthaftigkeit des Einzelnen nachzuprüfen, führte auf dem Hintergrund der rationalistischen Zeitgeistigkeit schließlich zur Abschaffung der kirchlichen Einzelbeichte.1360 Zwar finden sich noch Zeugnisse für eine regelmäßige Beichtpraxis im Pietismus,1361 letzten Endes aber lieferte dieser einen wesentlichen Beitrag für das praktische Ende der evangelischen Beichte. Spätestens am Beginn des 19. Jahrhunderts war die verpflichtend oder zumindest regelmäßig praktizierte Einzelbeichte in weiten Teilen der deutschen Landeskirchen aufgegeben und durch die (freilich wesentlich ältere und bis dahin z. T. übliche)1362 gottesdienstliche Allgemeine Beichte praktisch abgelöst 1356 Vgl. dazu: Gestrich, Beichte erneuerungsfähig?, 151: »Die Bewegung des Pietismus lehnte von Anfang an die pflichtmäßige Einzelbeichte ab als eine fragwürdige und trügerische Gelegenheit, sich ohne wirkliche Lebensverbesserung und Bekehrung mit Gott im Reinen zu fühlen«. Im Folgenden wird es bei den vorliegenden historisch nur knapp ausgearbeiteten Schilderungen bewendet bleiben müssen. Die im Grunde notwendige Quellenarbeit zum Problem der Beichte im Pietismus kann hier nicht erfolgen. Die Literatur zur Beichte, insbesondere zur Beichtpraxis und zum konkreten Umgang mit Schuld im Pietismus ist eher dünn – schematische Aussagen wie z. B. in Schönherr, Privatbeichte, 26 (»Luther geht zur Beichte, weil er durch die Absolution die Gewißheit bekommen möchte, daß ihm die Sünden vergeben sind. Spener macht die Absolution ungewiß und stellt alles auf die Echtheit des Glaubens, der durch die Beichte doch gerade erst fest werden soll«) liefern sicher treffliche Tendenzen, sind aber historisch nur wenig brauchbar. 1357 Vgl. zahlreiche Beispiele in Franke, Privatbeichte in Sachsen. 1358 Vgl. z. B. Wulfleff, Freiheit, 252.254. 1359 Vgl. Franke, Privatbeichte in Sachsen, 103. 1360 Vgl. dazu Obst, Beichte, 426f; sowie grundlegend: ders., Beichtstuhlstreit; Haudel, Versöhnungsverständnis, 305f; Wulfleff, Freiheit, 250–255. 1361 Vgl. z. B. »Die Privatbeichte, wo sie noch ueblich ist, giebt dem Prediger gute Gelegenheit, seine Kinder einzeln zu sehen und zu sprechen […]. Es ist nicht zu rathen, in der jeden Orts ueblichen Beichtordnung eine Aenderung zu machen […]«, Hegner, Praktische Bemerkungen, 60f. Vgl. auch Franke, Privatbeichte in Sachsen, 88f. 1362 Vgl. Wagner, Offene Schuld; Böttrich, Schuld bekennen, 33–48.

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worden.1363 Die Allgemeine Beichte erlebte ihrerseits eine Verfallsgeschichte. Nur in Sachsen konnte sie noch im 20. Jahrhundert flächendeckend durchgehalten, ja sogar gefestigt werden.1364 Im Weiteren hat sich im Kontext des Pietismus die Beichttheologie verändert: Die Einzelbeichte mit Absolution reduzierte sich auf einen einmaligen Akt als Initiationsritual im Rahmen der conversio: Die Schuldhaftigkeit des bisherigen Lebenswandels sollte als Bekehrung und Buße (beispielsweise ausgelöst durch eine Evangelisation) im persönlichen Bekenntnis (Einzelbeichte als sogenannte »Lebensbeichte«) ausgesprochen und durch die daraufhin erteilte Absolution bereinigt, beendet und zur vita christiana hin geöffnet werden.1365 In den nunmehr seltenen Fällen einer Einzelbeichte post conversionem wurde die Absolution – wenn überhaupt – nicht mehr absolut, d. h. unbedingt-umfassend (»dir sind alle deine Sünden vergeben«)1366 gesprochen und ebenso wenig als notwendiges Vergebungswort verstanden. Regelmäßigkeit und Notwendigkeit der Beichte mit absoluter Absolution kannte der Pietismus nicht mehr. Ein bekanntes Beispiel dafür bildet Johann Christoph Blumhardt, der – obwohl er bereits zu den Erneuerern der Einzelbeichte zu rechnen ist1367 – die Beichte mit Absolution ausschließlich als Initiationsereignis einmaliger Art definierte. Wenn nach einer ersten Beichte Beichtende dennoch wieder zu ihm 1363 In Sachsen wurde die Allgemeine Beichte vor dem Abendmahl um 1800 eingeführt (vgl. Henke, Religionsanalen, 242–264; Franke, Privatbeichte in Sachsen, 112f.), während die Beichte nach der Predigt schon seit Ende des 16. Jh. bekannt war (vgl. Wieckowski, Beichtstühle, 21). Die Allgemeine Beichte hatte erst um 1840 die Einzelbeichte weitgehend ersetzt (vgl. Obst, Beichte, 427), »in kleineren Orten […] hielt sich die Privatbeichte noch länger« (Franke, Privatbeichte in Sachsen, 117). In der Agende von 1906 heißt es: »Privatbeichte ist jedem Gemeindegliede auf seinen Wunsch zu gewähren« (Agende. Erster Teil, 123). 1364 Vgl. dazu unter 8.3.1; auch Böttrich, Schuld bekennen, 88. Für die gegenwärtige Situation zieht Böttrich die Bilanz, dass die Allgemeine Beichte »selbst in weiten Teilen Sachsens zur Seltenheit geworden« ist, a. a. O., 141. 1365 Ungeachtet der unterschiedlichen Schattierungen von Pietismus, Heiligungsbewegung und Methodismus steht dahinter das perfektionistische Konzept einer (möglicherweise auch chronologisch) beschreibbaren Unterscheidung von peccator und iustus: Sünder vor der Bekehrung, Gerechter nach der Bekehrung. Sünde und Sündersein bezeichnet damit grundsätzlich den status ante salvationem. Post salvationem bzw. conversionem ist die Heiligung das Merkmal des Christen, in welcher er zunehmen soll und durch Reue mit Herzensbeichte einzelne Sünden bekennt und überwindet, womit ein pietistischer ordo salutis beschrieben ist, vgl. dazu auch Steiger, Ordo salutis, 374. 1366 Vgl. dazu Glüer, Beichte, 30: »[…] was wir bei Spener beobachtet haben, daß die Absolution höchstens als bedingte ausgesprochen und damit der ganzen Handlung das Herzstück ausgebrochen wird«. 1367 Es sei darauf hingewiesen, dass Blumhardt zu den Wiederentdeckern der Beichte gehört. Blumhardt wollte die sakramentale Wort-Wirkkraft der Absolution neu unterstreichen, aber qualifizierte sie als einen (der Taufe vergleichbaren) einmaligen Akt und bewegte sich daher weiterhin innerhalb der Tradition des Pietismus.

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kamen, absolvierte er sie nicht,1368 sondern verwies sie auf die Allgemeine Beichte im Gottesdienst.1369 An die Stelle der regelmäßigen Beichte mit Absolution trat die Herzensbeichte im Raum des persönlichen Gebetes zu Gott, welche freilich die Absolution, den reformatorischen Kern der Beichte,1370 nicht enthält. Die zunächst aus dem Pietismus herkommende Distanz zur Beichte wurde maßgeblich für die Mehrheitsmeinung des Protestantismus, dem sich der Anachronismus einprägte, es sei als gut protestantische Spätfolge der Reformation zu werten, die Beichte abgeschafft zu haben. Otto Baumgarten brachte es auf die (von ihm positiv verstandene) Formel: »Der heutige Christ ist mit Bismarck nur dann über seine Sünden getröstet, wenn er sie sich selbst verzeihen und des ernsten Willens, sie zu überwinden, bewußt sein darf«.1371

Die Entwicklung zur versubjektivierten Innerlichkeit hin und von der Einzelbeichte weg ist jedenfalls nicht einfach nur ein Merkmal des Pietismus, sondern ein Problem seiner Zeit, sodass dieser eine bedeutsame Schnittmenge mit der aufklärerisch-individualisierenden Subjektorientierung teilt. Christof Gestrich kommentiert: »Schuld wurde mehr und mehr zum privaten ›Phänomen‹, zu einer Angelegenheit der subjektiven Innerlichkeit, zum entobjektivierten ›Schuldgefühl‹.«1372 Obwohl nun, wie sich an verschiedenen Biographien ablesen lässt, einige Akteure des Volksmissionskreises Sachsen pietistisch geprägt waren, aus dem Gemeinschafts-Pietismus stammten oder, in persona Erich Schumann, sowohl den herrnhutischen als auch den landeskirchlichen Pietismus repräsentierten, lässt sich die pietistische Ablehnung regelmäßiger Einzelbeichte und absoluter Absolution im Volksmissionskreis nicht nachweisen. Ganz im Gegenteil sollte hier die Einzelbeichte mit Absolution zum zentralen Mittel der seelsorgerlichen Praxis werden, gleichermaßen als Initiationsgeschehen wie auch als regelmäßige Praxisform. 1368 Vgl. Blumhardt, Verteidigungsschrift, 241f, bes. 241: »Darum kann ich, so wie ich’s bis jetzt verstehe und einsehe und empfinde, je und je und regelmäßig sich wiederholenden (Privat-) Absolutionen, wie sie von der katholischen Kirche auch in unsre Kirchen übergegangen sind, keineswegs das Wort reden und um so weniger, je realer die Kraft der Absolution wirkt. Eine wahre Gotteskraft kann gewiß nichts weniger als Mechanismus ertragen«. 1369 Vgl. a. a. O., 245: »Indessen gebe ich gerne zu, daß die allgemeine Absolution, deren sich die Kirche bedient, wenigstens für solche Seelen, die sich durch Bekenntnis ihrer Sünden irgendwie gedemütigt haben und ohne Falsch sind, ihre volle beruhigende Kraft äußern kann«. 1370 Vgl. BSLK 272: »Nam et nos confessionem retinemus praecipue propter absolutionem, quae est verbum Dei«. 1371 Baumgarten, Bußwesen V., 1493. 1372 Gestrich, Beichte erneuerungsfähig?, 151f.

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Diese Haltung des Volksmissionskreises ist als theologischer Neuansatz im Kontext pietistischer Spiritualität zu bewerten. Denn die evangelistisch-missionarische, bekehrungs- und heiligungsorientierte Ausrichtung, welche den Kreis mit dem Pietismus verbindet, führte ihn gerade nicht zur Nachordnung, sondern zur Wiederbelebung der Beichte mit Absolution. Dies charakterisiert den Kreis einmal mehr als eine nicht einfach unter den landeskirchlichen Pietismus zu subsumierende Gruppe. Stattdessen ist er Teil einer Bewegung der Wiederentdeckung der Beichte im Protestantismus. Die theologischen Faktoren, die ihn zu diesem Neusatz geführt haben, sind in seinen poimenischen Wurzeln zu suchen. Der breite Einfluss der kerygmatischen Seelsorge (Thurneysen: »Seelsorge als Beichte«) und die Oxford-Gruppenbewegung (Zeugnis und Beichte) sind entscheidend. Kirchliche Volksmission, Bekennende Kirche, ökumenische und kommunitäre Bewegung haben ihr Übriges hinzugetan, wobei auch sie nicht ohne die genannten Wurzeln auskommen. Darauf geht der folgende Abschnitt ein, bevor an Einzelbeispielen die Beichte im Volksmissionskreis untersucht wird.

8.1.3 »Durch die volksmissionarische Arbeit ist die Möglichkeit der evangelischen Beichte neu in den Blick gekommen.«1373 Die Wiederentdeckung der Beichte im 20. Jahrhundert baut auf vorausgegangene Entwicklungen auf.1374 Zu ihr haben die Erweckungsbewegung und der Konfessionalismus des 19. Jahrhunderts, die kerygmatische Seelsorge der Dialektischen Theologie, die liturgische Erneuerung und die Kommunitätenbewegung maßgeblich beigetragen. Die Kirchliche Volksmission und die Volksmission der Bekennenden Kirche gehörten zu den Ausläufern der Diakonie- und Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts, welche die »Wiederbelebung der lutherischen Privatbeichte«1375 zu einem der Ziele ihrer Arbeit gemacht hatten. Für die Oxford-Gruppenbewegung stellte die Beichte unter vier Augen wie auch im Kontext einer Gruppe ein zentrales Merkmal dar.1376 Dass die Einzelbeichte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in der Praxis der neu entstandenen evangelischen Kommunitäten, sondern auch in den Landeskirchen und für die Agendenreformen eine wichtige Rolle spielte, fußt auf dieser Entwicklung. 1373 Gemeindebericht der Kirchgemeinde Lauter, Kbz Aue für die Visitation vom 12.–26. März 1984, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, in: A.I.s.1057. 1374 Zu den historischen Entwicklungen vgl. Obst, Beichte. 1375 Rundschreiben des Landesvereins für Innere Mission, Pfr. Friedrich Erich Höfer, Dresden, 22. 01. 1937, in: A.I.n.288, 72–76, Zit. 74. 1376 Zu Volksmission und Gruppenbewegung im Einzelnen sei auf die Darstellungen im Kap. 1 verwiesen.

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Der direkte Rekurs auf die lutherische Tradition kennzeichnet die Herangehensweise des Volksmissionskreises hinsichtlich seines Engagements zur Wiedergewinnung der Beichte. Sprechend zeugt davon ein Bericht über die erste Pfarrertagung des Kreises, die im Jahr 1949 stattfand und wo das Thema »Beichte« zu den Inhalten gehörte (vgl. unter 8.3.4). Der unbekannte Autor des Berichtes schreibt: »[…] kam es […] zu einem konzentrischen Angriff mit den hauptsächlichsten Anliegen, die der Volksmissionskreis hat: Buße und Beichte. Reformatorische und gegenwärtige Zeugnisse (Luther und Bonhoeffer) unterstützten das Ganze. Zeugnisse der Mannschaft gaben eine persönliche Note«1377.

Dieses Beispiel, auf das hier nur kurz einzugehen ist, gibt Folgendes zu erkennen: Es wird eindeutig Bezug genommen auf die Theologie Martin Luthers und die lutherische Beichtpraxis. Dass die Beichtfrage aus dem Kleinen Katechismus auch zuvor schon in einem Rundbrief des Kreises abgedruckt worden war, unterstreicht die Anknüpfung an die lutherische Tradition.1378 Außerdem weist der Bezug zu Dietrich Bonhoeffer als einem »gegenwärtigen Zeugnis« für evangelische Beichtpraxis auf die Herkunft des Volksmissionskreises aus der Bekennenden Kirche hin. Die Bekennende Kirche wie im Speziellen Bonhoeffer hatte das Anliegen der Beichte (auch) von der Kirchlichen Volksmission übernommen (vgl. 1.2.2; 1.3.4). Die Rede über Luther und Bonhoeffer wird auf eine Ebene mit persönlichen Lebensberichten gestellt. Theologische (lutherische, kirchliche, bekennendkirchliche bzw. Bonhoeffersche) Tradition und das persönlich-biographische Erzählen werden gleichermaßen unter den Begriff »Zeugnis« gefasst. Es wird deutlich, dass sich die Akteure des Volksmissionskreises in der Nachfolge Luthers und Bonhoeffers fühlen.1379 Die Verwendung des Begriffes »Zeugnis« weist auf die Herkunft des Volksmissionskreises Sachsen aus der Oxford-Gruppenbewegung hin. In der Gruppenbewegung spielt das persönlich-biographische Berichten vom Umgang (auch: Überwindung) mit Schuld und Sünde eine zentrale Rolle. Deren Spiritualität, die auf die Heiligung und im Speziellen auf die ethische Maxime der Vier Absoluten (Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit, Liebe) ausgerichtet ist, wirkt als Motor für die Beichtpraxis. 1377 Bericht über die Pfarrerrüstzeit in Roßwein 11.–16.[sic; recte: 17.]01.1949, in: A.I.c.876. 1378 Abdruck in: »Unverzagt und ohne Grauen«. Freundesbrief vom Volksmissionskreis Sachsen 10/1946, [Limmritz 1946], 2. 1379 Dies expliziert sich auch in diesem Rundbrief, wo auf Luthers Kleinen Katechismus und Bonhoeffers »Gemeinsames Leben« durch Zitate und Erläuterungen Bezug genommen wird: VMK (Hg.), 1. Rundbrief 1981, Pfr. Helmut Günnel, 03/1981, in: A.III.a.1981.

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Des Weiteren zeugt das Beispiel nicht zuletzt von der typischen konfrontativen Methodik des Kreises.1380 Die verwendete militärische Sprache, welche auch an anderen Beispielen zu erkennen ist,1381 verortet die Akteure des Volksmissionskreises im Kontext der Nachkriegszeit, in welcher die allgemeine Verwendung militärischer Sprache alles andere als eine Seltenheit darstellte.1382 Durch sie wird zur Beichte aufgefordert und ihre Unabdingbarkeit begründet. Die Heiligung stellt einen wichtigen Akzent der Beichttheologie des Kreises dar (dazu im nächsten Abschnitt 8.2.1), was dieses Zitat Erich Schumanns unterstreicht: »Ich will mir die tägliche Beichte vor einem Menschen lassen [= erhalten], das rückhaltlose Ausräumen auch der kleinsten Untreue«1383.

Die Verankerung des Kreises in Kirchlichkeit und Luthertum, im Pietismus und in der Oxford-Gruppenbewegung führte zu einer spezifischen frömmigkeitlichen Kombination: Aus dem Luthertum wurde die Regelmäßigkeit der Beichte und die Hochschätzung des Vergebungswortes in der Absolution übernommen; Pietismus und Volksmission überlieferten die Beichte als Initiationshandlung; Pietismus und Gruppenbewegung prägten die heiligungstheologischen Merkmale der Beichtpraxis; aus Volksmission und Gruppenbewegung übernahm man die missionarische und gemeindebauende Relevanz der Gruppendynamik und des Zeugnisses mit ihren verstärkenden Auswirkungen auf die Förderung der Beichtpraxis; und aus dem Pietismus wiederum wurde schließlich die Skepsis gegenüber einem ritualisierten, d. h. formalistisch erstarrten Sündenbekenntnis angeeignet – denn eine wesentliche Gemeinsamkeit teilt der Volksmissionskreis mit dem Pietismus: das Selbstverständnis als geistliche Erneuerungsbewegung, welche sich gegen eine ritualisierte, erstarrte und damit glaubensarme Praxis wendet. Doch dieses erweckliche Selbstverständnis führte nun nicht zur klassischpietistischen Ablehnung der Einzelbeichte. Vielmehr stellte der Volksmissi1380 »Wir brauchen, um Menschen zu Jesus zu führen, eine aggressive Seelsorge (Pistolenseelsorge), die auch das Wie der Busse sagt«, Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: A.II.a.404/8/Bd1. 1381 Vgl. weitere Bsp. wie: [Rundbrief] Schenk uns Waffen in den Krieg & und verleih uns stets den Sieg, Pfr. Gerhard Bahrmann, in: A.I.c.876; vgl. das Stichwort »Hauptkampflinie« z. B. in: [Ablaufplan] Limmritzer Wochenendtagung für Ehepaare 08.–10. 07. 1949, in: A.I.c.876, und in: Predigt am 9. Sonntag n.Trin., den 6. August 1950 anläßlich der Kirchenvisitation in Hartha [Pfr. Waldemar Gorgon], in: A.II.f.14.0. 1382 Vgl. Zimmerling, Einführung zu: Stählin, Bruderschaft, 12f. 1383 Freundesbrief von Pfr. Erich Schumann, Pfingsten 1948, in: A.I.c.876 (Hervorhebung im Text).

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onskreis die gottesdienstliche Allgemeine Beichte infrage, die eben als eine solche erstarrte und glaubensarme Handlung gesehen wurde. An die Stelle der Allgemeinen Beichte im Gottesdienst sollte die Einzelbeichte im seelsorgerlichen Einzelgespräch treten. Im Kontext der Kerngemeindekreise wurde nun die Einzelbeichte praktisch zu einer neuen Verpflichtung, wenn sich die Kreise aus Seelsorge, konkret Beichte, definierten (vgl. 6.2.3).

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8.2.1 Beispiel 1: »conditio sine qua non«.1384 Beichte als Vollzugsform auf dem Weg der Heiligung Es zählt zu den theologischen Merkmalen des Volksmissionskreises Sachsen, welche er mit dem Pietismus und der charismatischen Bewegung teilt, die Kategorie der Heiligung neben dem lutherischen Zentrallocus der Rechtfertigung zu betonen und zugleich für die Seelsorge praktisch werden zu lassen. Im Folgenden wird das Beispiel einer Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises 1950 untersucht, bei welcher der Zusammenhang von Beichte und Heiligung thematisiert wurde. Hauptreferent dieser Tagung war Otto Siegfried von Bibra, dessen auf Heiligung und Geisterwartung ausgerichtete, aus der apostolischen Frömmigkeitstradition gespeiste Theologie den Volksmissionskreis in jenen Jahren maßgeblich beeinflusste (vgl. unter Kapitel 3). Zu dieser Tagung liegen zwei ausführliche Berichte vor, welche von den Pfarrern Gottfried Fuß (Bericht 1) und Friedrich Ihle (Bericht 2) für das Landeskirchliche Amt für Innere Mission verfasst worden waren und Einblick in die Vermittlung der Thematik von Heiligung und Beichte geben.1385 Die beiden Berichte paraphrasieren1386 die Gesprächsinhalte der Tagung und liefern von daher wichtige Zeugnisse der theologischen Entwicklung des Kreises, zumal auf der Tagung nicht allein von 1384 Zit. Gerhard Küttner in: Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: A.II.a.404/8/ Bd1; auch in: Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: a. a. O. 1385 Bericht 1: Bericht über die Teilnahme an der Pfarrerfreizeit des Volksmissionskreises in Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Gottfried Fuß, Dresden, in: A.II.a.404/8/Bd1; Bericht 2: Pfarrerfreizeit des Sächsischen (Limmritzer) Volksmissionskreises im Pfarrhaus Kreischa 16.–19. 01. 1950, Pfr. Friedrich Ihle, in: a. a. O. Im Folgenden wird, soweit nicht anders angegeben, aus Bericht 1 zitiert. 1386 Dass die beiden Tagungsberichte die Referenten nicht immer wörtlich zitieren, sondern meist paraphrasieren, weist darauf hin, dass die Inhalte durch den Filter der Berichterstatter gegangen sind. Jedoch sprechen die eindeutig erkennbare Nähe zur Theologie von Bibras und die gegenseitige Übereinstimmung der beiden Berichte von deren Authentizität, weshalb hier auf eine detailliert-kritische Vorgehensweise verzichtet werden kann.

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Bibra, sondern auch andere Mitarbeiter zu Wort kamen. Die Tagung stand unter der Überschrift: »Amos 4,12 ›Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott.‹«, womit ein Fokus auf Buße und Beichte angelegt ist. Es werden zwei Textausschnitte aus Bericht 1 untersucht, bei denen es sich um Paraphrasen von Vorträgen Otto Siegfried von Bibras und Gerhard Küttners zu den Themen Heiligung und Beichte handelt. Die beiden Abschnitte werden einander gegenübergestellt und anschließend auf ihren theologischen Inhalt und ihren poimenischen Gehalt hin untersucht. »v. Bibra behandelt das Thema Heiligung im »Pf. Küttner spricht über Beichte.« Zusammenhang von Hebr.10, 10,14; Hebr.12, 1,2 und 2.Kor. 3.18. Nach dem N.T. ist Heiligung etwas ganz Anderes als die eigene Bemühung des Menschen. Christus selbst hat das Werk der Heiligung vollbracht. Neben der Rechtfertigung aus Gnaden steht »Es gibt nicht nur Erlösung von der Schuld ebenso die Heiligung aus Gnade, und zwar der Sünde, sondern auch Errettung von der als Perfektum: ›Wir sind geheiligt‹. Herrschaft der Sünde.«1387 Wir dürfen aber dem Herrn nicht im Wege stehen, müssen Ihm Gelegenheit geben, uns zu heiligen. Die Verantwortung für die Nichtheiligung tragen wir also. Denn Gott kann die Heiligung erst dann beginnen, wenn unser eigenes Ich in den Tod gegeben ist. (Röm.6, 6; Gal. 2, 19,20). Es muß ein Akt der Kapitulation vollzogen sein.

»Beichte sei ein Stück des Sterbensweges, conditio sine qua non, daß die Gnade und das Leben aus Gott uns zuteil werde (vgl. Phil.2). Gottes Geist nötigt uns, dem Zug zur Wahrheit nachzugeben.

[…] Mit diesem einen unentbehrlichen Schritt ist aber das heilige Leben nicht garantiert. Der Mensch ist nicht heilig im Sinne eines Fertigseins. Aller Perfektionalismus wird entschieden abgelehnt. […] Es ist aber Unglaube, zu meinen, daß wir jetzt noch den Kampf gegen die Sünde von uns aus führen müßten. […] Christus hat ihn mit Seinem Leben bezahlt. Wir müssen daher von der Sünde ›wegblicken‹ (Hebr.12, 2) und uns auf den Boden des Sieges stellen. Wir müssen uns neu bewußt werden, was der Gekreuzigte als Sieger jetzt für unser Leben bedeutet. […]

1387 Dieses Zitat findet sich als letzter Satz in der Paraphrase des Referates Küttners, wird hier aber zum Zweck der Gegenüberstellung nach vorn geholt.

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(Fortsetzung) Zug um Zug tut der Heilige Geist seine Arbeit an uns. Die Wiedergeburt ist das Werk des Heiligen Geistes, das sich fortsetzt in der Verwandlung unserer Herzen (Eph. 4,24). Aller Eigenruhm hat dann keinen Platz mehr.

Das Neuwerden durch die Buße ist nicht eigenes Werk des Menschen, sondern geschieht durch Gottes Geist. Der Weg der Beugung, Demütigung ist zwar schmerzhaft, aber der einzige Weg zur Freiheit.

»[…] Der Himmel öffnet sich aber nur dann für uns, wenn die metanoia vollzogen ist Es kommt darauf an, dem Geist Gottes (Matth. 18,3). So ist es auch in der dadurch immer mehr Raum zu schaffen.« Apostelgeschichte, wo die Gabe des Heiligen Geistes erst auf den Gehorsamsschritt der Gläubigen folgt. (Apg. 2,38).«

Die beiden zitierten Aussagen zeigen deutliche Gemeinsamkeiten sowohl auf struktureller als auch auf theologischer Ebene. Otto Siegfried von Bibra referiert über Heiligung, Gerhard Küttner über Beichte. Dabei fällt auf, dass beide Referenten im Grunde dasselbe aussagen und die Begriffe »Heiligung« und »Beichte« nahezu austauschbar sind. Theologie: Heiligung als Ähnlichwerdung Christi Zunächst könnte eine methodistisch-theologische Prägung vermutet werden, welche angesichts der Verbindung beider Referenten zu dem methodistischen Theologen Paul Riedinger auf der Hand läge. Die Formulierungen: »Neben der Rechtfertigung aus Gnaden steht ebenso die Heiligung aus Gnade« und »Es gibt nicht nur Erlösung von der Schuld der Sünde, sondern auch Errettung von der Herrschaft der Sünde«, scheinen der methodistischen Lehre von der ersten und der zweiten Gnade (iustificatio und sanctificatio) zu entsprechen. Tatsächlich gehen diese Aussagen über das lutherische Normalprogramm hinaus, erkennbar schon sprachlich anhand der Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung durch die Präposition »neben« und die Konjunktion »nicht nur … sondern auch«. Es kann aber von einem rein methodistisch-theologischen Verständnis, das Heiligung als Weg zur erreichbaren Sündlosigkeit begreift, nicht die Rede sein. Denn zum einen ist die Aussage »Der Mensch ist nicht heilig im Sinne eines Fertigseins« für eine recht verstandene Gnadenlehre und damit auch lutherisch anschlussfähig. Zum anderen fehlt in der zitierten Paraphrase die Rede von der Erlösung vom Wesen der Sünde (methodistisch: gänzliche Heiligung), sondern es wird nur über die Erlösung von der Schuld der Sünde (methodistisch:

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Rechtfertigung) sowie über die Erlösung von der Herrschaft (Macht) der Sünde (methodistisch: Wiedergeburt) gesprochen.1388 Die zitierten Passagen zeigen, dass Heiligung nicht als ein Kampf gegen die Sünde, etwa mit dem Ziel absoluter Sündlosigkeit, und nicht als »Werk« oder »Bemühung des Menschen« gesehen werden soll. Vielmehr gehen die Referenten von der Dialektik der Gnade aus, nach der die Heiligung als Entsprechung zur Rechtfertigungsgnade zu verstehen ist. Die Gnade der Rettung nehme den Menschen derart in Anspruch, dass sie ihn befähigt, der Heiligung als prozesshafter Ähnlichwerdung Christi zuzustreben. Dies enthält aber auch eine Kritik am gängigen Verständnis des simul iustus et peccator, das hier nicht als immerwährender Widerstreit oder Kampf innerhalb des Christenmenschen zwischen einem statischen Sünder- und Gerechter-Sein zu sehen ist, sondern als ein Wachstumsgeschehen verstanden werden soll, nämlich als Wachstum durch Buße zur zunehmenden Heiligung hin. Die Rede vom »Sieg« erweist, dass zunehmende Heiligung auch Freiheit von Sünden bedeuten kann.1389 Antworten auf die Frage nach der praktischen Relevanz des Heiligungsprozesses können in dieser Formulierung gefunden werden: »Das Neuwerden durch die Buße […] Der Weg der Beugung, Demütigung ist zwar schmerzhaft, aber der einzige Weg zur Freiheit«. Den prozesshaften Weg der Heiligung beschreibt Küttner als Buße, die zu einem »Neuwerden« und zu einer »Freiheit« führt, was hier am ehesten als Freiheit von Sünde und als geistliche Vollmacht zu verstehen ist. Die Heiligung stellt also einen unabdingbaren Bestandteil auf dem Weg zu geistlicher Vollmacht dar, indem »dem Geist Gottes dadurch immer mehr Raum zu schaffen« ist. Im Bericht 2 heißt es dazu: »Phil.2 zeigt keine Höhenforderung, sondern den Sterbensweg, auf dem allein Vollmacht geschenkt wird« (Küttner).

Seelsorge: Initiale und regelmäßige Beichte als Praxis der Heiligung Von Bibra stellt die Heiligung in den Kontext eines Gebetsvollzuges: »Wir müssen daher von der Sünde ›wegblicken‹ (Hebr.12, 2) und […] müssen uns neu bewußt werden, was der Gekreuzigte als Sieger jetzt für unser Leben bedeutet«, kann als Aussage über einen Gebetsakt verstanden werden. Die Verben »weg1388 Vgl. dazu Raedel, Methodistische Theologie, 84f (Hervorhebungen im Text): »Dabei ergibt sich folgendes dreigliedrige Schema: die Rechtfertigung ist die Erlösung von der Schuld der Sünde, die Wiedergeburt die Erlösung von der Macht der Sünde und die gänzliche Heiligung die Erlösung vom Wesen bzw. von der Befleckung der Sünde.« 1389 Seine Kritik am gängigen Verständnis des simul iustus et peccator, welche hier nur zwischen den Zeilen anklingt, hat von Bibra in seinem Buch »Die Bevollmächtigten des Christus« dargelegt, das zeitgleich im Volksmissionskreis rezipiert wurde (vgl. 2.3.3; 3.1.2); vgl. ders., dass., 23.79f Anm. 34f. Zur Problematik des simul siehe z. B. Beinert/ Kühn, Ökumenische Dogmatik, 403f.641f.

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blicken« und »bewusst werden« beschreiben kognitive Akte, die praktisch werden können, wenn sie im Gebet umgesetzt werden (etwa als Lob des Kreuzes o. ä.). Die Funktionen eines solchen Gebetsaktes sind doxologischer und konfirmierender Art, indem sie den Dank für das Heil und die (Selbst-) Vergewisserung des Heiles aussprechen. Die Zitate sprechen von zwei grundsätzlichen Beichtformen, nämlich der initialen und der regelmäßigen Einzelbeichte. Damit kommt eine weitere Gebetsfunktion zum Ausdruck: die konfessorische Gebetsdimension, welche Schuld ausspricht bzw. beichtet. Die erste, initiale Form der Beichte findet sich mit dieser Aussage: »Es muß ein Akt der Kapitulation vollzogen sein« – hier ist die Rede von einem Schuldbekenntnis am Beginn der vita christiana. Im zweiten Tagungsbericht wird zu »Kapitulation« der Begriff »Bussakt« (von Bibra; Bericht 2) ergänzt. Beichte wird hier als Lebensbeichte, als Initiationsakt, als Vollzug der conversio verstanden, welche Rechtfertigung vermittelt und den Prozess der Heiligung eröffnet. Die zweite, regelmäßige Form der Beichte liefern die heiligungstheologischen Aussagen: »Wir müssen daher von der Sünde ›wegblicken‹ (Hebr.12, 2) und uns auf den Boden des Sieges stellen« – hier ist die Rede von der Beichte nach Beginn der vita christiana bzw. als deren Bestandteil. Beichte wird in die Regelmäßigkeit des geistlichen Lebens eingeordnet (»ein Stück des Sterbensweges«), zugleich wird ihre Notwendigkeit betont (»conditio sine qua non«). Demnach wird Heiligung mit der Praxisform der Beichte gleichgesetzt bzw. als Beichte definiert. Mit der Gleichsetzung von regelmäßiger Beichte und Heiligung wird der Stellenwert der Absolution beschrieben. »Es gibt nicht nur Erlösung von der Schuld der Sünde, sondern auch Errettung von der Herrschaft der Sünde« – die Formel »Erlösung von der Schuld« und »Errettung von der Herrschaft« spricht von dem Gehalt, welcher gemeint ist, wenn von Absolution die Rede ist, nämlich von der sündenvergebenden und befreienden Wirkung des göttlichen Vergebungswortes. Die Absolution wird absolut verstanden und auf alle (gebeichteten sowie unerkannten) Sünden bezogen.1390 Die der Absolution gemeinsamen Dimensionen von Vergebung und Befreiung differenzieren sich in der Praxis des Volksmissionskreises, insbesondere bei Gerhard Küttner, in der Unterscheidung von Beichte und Lösung. Dieser Unterscheidung wurde oben durch die Untersuchung des »Lösens« Rechnung getragen (7.2.6).

1390 »In der Beichte bewusst verschwiegene Sünden werden im Vergebungszuspruch nicht vergeben, wohl aber unerkannte Sünden« (vermutl. Küttner ; Bericht 2).

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Ertrag und kritische Würdigung Dieses Beispiel konnte zeigen, dass die Einzelbeichte als Mittel der Seelsorge neu etabliert wird, was sich in der Interpretation der Beichte als Vollzugsform der Heiligung spiegelt. Die heiligungstheologische Zuspitzung führt zur inhaltlichen und praktischen Gleichsetzung von Heiligung und Beichte. Zugleich werden initiale und regelmäßige Beichte unterschieden. Im lutherischen Sinne wird die Absolution als notwendiges Vergebungswort neu unterstrichen und absolut verstanden. Damit überwindet der Volksmissionskreis Sachsen ein protestantisches Defizit im Allgemeinen sowie ein pietistisches Missverhältnis im Speziellen. Er entwickelt eine eigene theologische Position, indem die Themen Rechtfertigung und Beichte, Heiligung und Beichte, Vollmacht und Beichte miteinander verknüpft werden. Dies unterstreicht ein Rundbrief Gerhard Bahrmanns, in dem die regelmäßige Beichte sogar zum Inhalt eines Wunsches gehört, der nur dann verständlich wird, wenn die Beichte das seelsorgerliche Mittel zur Erlangung der ersehnten Vollmacht, Geisteswirkung etc. darstellt: »Schick uns Waffen in den Krieg & Verleih uns stets den Sieg! Liebe Brüder und Schwestern! Ich grüsse Euch mit obigem Wort & erbitte für jeden Einzelnen Freude die Fülle, Fülle des Hl. Geistes & durchschlagende Vollmacht – ebenso wie nüchterne, stete Selbsterkenntnis & regelmäßige Beichte.«1391

Die Theologie des Volksmissionskreises bewegt sich mit ihrem Bezug zur Heiligung inhaltlich noch im pietistischen Rahmen bzw. in der Tradition der Heiligungsbewegung. Doch trotz dieser Verwandtschaft ist der Volksmissionskreis nicht einfach dem Pietismus, der die regelmäßige Einzelbeichte nachordnete bzw. aufgab, oder der Heiligungsbewegung zuzurechnen, für welche das geheiligte, also sündlose Leben faktisch ein Leben ohne Beichte bedingt. Die poimenische Praxis des Volksmissionskreises geht über Pietismus, Heiligungsbewegung und den seinerzeitigen Protestantismus hinaus. Fraglich bleibt, ob die grundsätzlich lohnenswerte Verbindung von Rechtfertigung, Heiligung und Beichte in Theologie und Praxis des Volksmissionskreises tatsächlich gelungen ist und nicht die Beichte doch zu einem neuen Gesetz oder zum menschlichen Werk einer Pseudo-Heiligung gerät. Zwar können im Volksmissionskreis entsprechende Warnungen publiziert werden: »Aber niemals darf aus dem Gnadenmittel der Beichte ein neues Gesetz, darf aus dieser Hilfe für unser inneres Leben eine drückende Fessel werden«1392. Doch die starken Betonungen ethischer bzw. heiligungstheologischer Aussagen in Verbindung mit gewichtigen Stichworten wie Geistbegabung, Vollmacht etc. (»Der 1391 [Rundbrief] Schenk uns Waffen in den Krieg & und verleih uns stets den Sieg, Pfr. Gerhard Bahrmann, in: A.I.c.876. 1392 VMK (Hg.), Freundesbrief 04/1952, Pfr. Erich Schumann, in: A.I.p.306.

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Himmel öffnet sich aber nur dann für uns, wenn die metanoia vollzogen ist«) machen die inhaltlich sinnvolle Unterscheidung von Gnade und Tat im Kontext des erwecklichen Selbstverständnisses praktisch fraglich: Zwischen Beichte und Vollmacht entsteht ein problematischer Tuns-Ergehens-Zusammenhang.

8.2.2 Beispiel 2: »Generalbeichte«. Beichte als Umkehr und Buße des ganzen Lebens Als zweites Beispiel liegt ein Rundbrief von Hans Prehn an Freunde und Mitarbeiter vor (1953).1393 Er spiegelt die Phase der Etablierung des Volksmissionskreises in den 1950er Jahren wider und geht auf wichtige Einschnitte dieser Jahre ein. Die poimenische Herausforderung der Nachkriegszeit, der Anschluss an die landeskirchliche Innere Mission, Gemeindeerweckungen, Kritiken von lutherischer und pietistischer Seite, die Wiedertaufen in Markersbach u. a. lassen sich direkt oder indirekt an diesem Text ablesen. Praktisch übernimmt er Funktionen eines Rechenschaftsberichtes, indem der Verfasser acht Jahre nach der Gründung des Kreises eine Bilanz zieht und – was selten vorkommt – ein theologisches Programm formuliert. Daraus lässt sich einiges zum Seelsorgeund insbesondere Beichtverständnis des Volksmissionskreises ablesen, was im Folgenden Gegenstand der Untersuchung sein soll, die an zentralen Aussagen des Textes entlanggeht. »Erweckung« Der Autor behandelt das Thema »Erweckung«. Programmatisch wird der Brief eingeleitet: »Unser Volksmissionskreis hat von seinen ersten Anfängen an nur ein Ziel verfolgt: Die Erweckung unserer Kirche.«

Angesichts dieser Aussage wäre zunächst zu klären, was der Autor unter »Erweckung« versteht. Der Begriff wird im Text freilich nicht definiert. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Verständnis dessen, was mit diesem Begriff gesagt sein will, durch den Einfluss der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts bestimmt ist. In verschiedenen Veröffentlichungen des Volksmissionskreis wird nämlich direkt auf Vertreter der Erweckungsbewegung Bezug genommen bzw. werden diese zitiert, zum Beispiel: »Nach Spurgeon ist die Erweckung kein Wunder, sondern die natürliche Folge eines von Gott ge1393 VMK (Hg.), Rundbrief 01. 06. 1953, Pfr. Hans Prehn, in: A.III.a.1950–1953, dort die folgenden Zit.

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heiligten Lebens«. Das Zitat stammt aus einem Text Rudolf Fischers über »Generalbeichte« (1946), der für den vorliegenden Rundbrief eine Rolle spielt, worauf unten einzugehen ist.1394 Ohne nun im Einzelnen eine theologisch und frömmigkeitsgeschichtlich nuancierte Definition zu ermitteln,1395 können bei der Frage nach der Bedeutung des Begriffes drei wesentliche Aspekte festgehalten werden: »Erweckung«1396 als Terminus technicus evangelistischen Handelns (vgl. 6.2.3) bezeichnet die spirituelle Erneuerung eines einzelnen Glaubenden, welche erstens als »Buße« aus der persönlichen Erschütterung über die eigene Schuld und das Nichtbestehen vor dem richtenden Gott geboren ist und sich der ungeschuldeten Gnade Gottes durch »Bekehrung« anvertraut.1397 Zweitens ist diese Erneuerung durch »Heiligung« gekennzeichnet, also von der restlosen Hingabe an Gott geprägt. Die Hingabe ist Bedingung dafür, dass geistliches Leben geistliche »Früchte« wie vor allem »Vollmacht« und Ausstrahlung (Wirkungen für das geistliche »Wachstum« anderer) hervorbringt. Drittens können unter »Erweckung« diese Früchte und die ausstrahlende Vollmacht selbst verstanden werden. Nicht selten verschiebt sich die Bedeutung dieses Begriffes von der Erneuerung aus Buße weg zu den wahrnehmbaren Früchten bzw. Wirkungen hin. Für den weiteren Diskurs mag diese Annäherung an den Begriff »Erweckung«, der kurz als regeneratio bzw. renovatio spiritualis zu bezeichnen und damit von der conversio her zu verstehen ist, genügen. Dieses Verständnis lässt sich im Volksmissionskreis Sachsen und im vorliegenden Beispiel wiedererkennen. Allerdings ist dabei auch ein Unterschied auszumachen, der das spezifische Verständnis des Volksmissionskreises beschreibt:

1394 Rudolf, Generalbeichte, in: »Unverzagt und ohne Grauen«. Freundesbrief vom Volksmissionskreis Sachsen 10/1946, 1f, hier 2; wiederabgedruckt als: ders., Generalbeichte. Vgl. dazu ganz ähnlich: »Von Anfang an hat sich unser Kreis eine Erweckung in unserer lieben Kirche ersehnt, und freudig haben wir alles ersehnt und aufgenommen, was einer Verlebendigung unserer Kirche diente. So sagt es [Charles Grandison] Finney, der doch wirklich etwas von Erweckung wußte«, Hans Prehn in: VMK (Hg.), Freundesbrief 08/1951, in: A.I.p.306 (Hervorhebung im Text). 1395 Dafür sei auf weiterführende Literatur verwiesen, z. B. Deichgräber, Erweckung. 1396 Die folgenden durch Anführungszeichen gekennzeichneten Begriffe stellen nicht unbedingt Zitate des vorliegenden Beispiels dar, sondern verweisen auf das übliche terminologische Spektrum, das mit »Erweckung« verbunden ist. 1397 Vgl. den Gebrauch von »Erweckung« in: Brief von Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf, 10. 03. 1960, an Pfr. Hansmartin Ehler, Oberbobritzsch, in: A.I.b.1152: »Bei einer Evangelisation geht es uns einzig um die Erweckung von schlafenden Sündern, die aus dem Tod ins Leben geführt werden sollen durch eine klare Absage an ihr altes Leben, durch Bereinigung aller Schuld und totale Hingabe an Christus.«

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Beichtseelsorge zur Erweckung des Einzelnen und der Kirche Während in der Erweckungsbewegung »Erweckung« vornehmlich auf das glaubende Individuum gerichtet ist, zeigt sich dagegen im Volksmissionskreis Sachsen, dass der Begriff auf eine Gesamtheit bzw. eine Gruppe bezogen wird. Hier geht es um die »Erweckung unserer Kirche«: »Es zeigte sich, als wir so nach dem Kriege die Arbeit in mancherlei Weise aufnahmen, welch unendliche innere Nöte unter den Menschen nach Hilfe und Heilung schrien. […] Von Jahr zu Jahr deutlicher erkannten wir darum den besonderen Auftrag unseres Kreises: Menschen zur Buße, zur Bekehrung und zu einem neuen Leben mit Christus zu rufen und so mitzuarbeiten an der Erweckung unserer Kirche.«

Dieses Zitat weist zunächst auf die Poimenik des Volksmissionskreises Sachsen hin, die einen seelsorgegeschichtlichen Baustein der Wiederentdeckung der evangelischen Beichte nach dem Zweiten Weltkrieg bildet. Noch einmal wird deutlich, dass Seelsorge nach dem Krieg pointiert als Beichtseelsorge begriffen wird (»Menschen zur Buße […] rufen«). »Unendliche innere Nöte« bilden den Anlass und den Ansatzpunkt der Seelsorge. Seelsorge wird also von der Wahrnehmung der menschlichen Krisen, Probleme und Bedürfnisse her definiert. Dass die Ausrichtung an den menschlichen Krisen gerade einer dezidierten Beichtseelsorge eignet, zeigt zweierlei: Erstens wird die seelsorgerliche Praxis der Einzelbeichte auf die konkrete Lebensrealität bezogen. Zweitens eignet gerade der Krise als Ort der bedrohten menschlichen Existenz das Potential zur Veränderung: Die Krise kann zum Ort der Einsicht von Schuld werden und so den Weg zu Geständnis und Vergebung eröffnen. Dabei sind Seelsorge und Beichte auf die Gesamtheit der Glaubenden bezogen und bekommen nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft der Kirche Relevanz: Das Ziel der »Bekehrung« des Einzelnen durch Buße ist auf das Ziel der »Erweckung« der Kirche hin ausgerichtet. Schon auf der Obercunnersdorfer Tagung 1949 hieß es, es sei »keine Erweckung in der kirchlichen Gemeinschaft denkbar ohne die Beichte« (von Bibra).1398

»Generalbeichte«: Initiale und regelmäßige Beichte als Buße des ganzen Lebens Der Verfasser verbindet Beichte aufs engste mit Erweckung und verwendet dabei eine eigentümliche Bezeichnung: 1398 Aufzeichnungen aus der Obercunnersdorfer Tagung, Lucie Brakensiek/Hanna Opitz [maschr. Abschrift einer Stenogramm-Mitschrift], in: A.I.c.876.

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»Da schenkte Gott einem unserer Brüder das Stichwort: Generalbeichte. Ja, das war es: Erneute, gründliche und vollständige Reinigung des Lebens vor Gott.«

Fragt man nach der Bedeutung dieses Begriffes »Generalbeichte«, können die verwendeten Attribute Aufschluss geben: Die Generalbeichte wird durch »gründlich«, »vollständig« und »des ganzen Lebens« definiert. Dies spricht davon, dass Generalbeichte als Lebensbeichte verstanden wird, womit also von Beichte als einem Initiationsgeschehen die Rede ist. Formal stellt »Generalbeichte« eine Einzelbeichte dar. In materialer Hinsicht ist sie dadurch gekennzeichnet, dass sie rückblickend das ganze Leben (bzw. wesentliche Teile dessen) thematisiert, Sünden benennt und bekennt. Aber das Attribut »erneut« scheint dem initialen Verständnis der Beichte zu widersprechen. Denn wie kann eine »erneute« (d. h. erneuer- und wiederholbare) Handlung, wenn sie mehrfach stattfindet, eine initiale Stellung einnehmen? Eine initiale Handlung dürfte nicht auf eine vorausgegangene gleiche initiale Handlung folgen, da sie dadurch deren initialen Charakter infrage stellte. Aber einer »erneuten«, wiederholt vollzogenen initialen Handlung muss doch eine gleiche Handlung vorausgehen. Sinnvoll könnte von einer erneuten Handlung nur gesprochen werden, wenn sie eine frühere initiale Handlung qualitativ ablöste. Wenn nun die Formulierung »erneute Generalbeichte« nicht einfach nur als Widerspruch zu verstehen ist, dann muss eine Interpretation versucht werden. Zwei Möglichkeiten sind denkbar : Die erste Möglichkeit der Interpretation ist die Annahme, dass hinter einer als »erneut« bezeichneten Generalbeichte ein erwecklich-perfektionistisches Bedürfnis stehen könnte. Ein solches erwecklich-perfektionistisches Bedürfnis würde eine erneute initiale Vergebungserfahrung im Blick auf das bisherige Leben zu erlangen suchen. Dies könnte geschehen, weil zum Beispiel eine Schuld der Vergangenheit später ins neu Bewusstsein träte, oder etwa aus dem Grund, dass die vorherige Generalbeichte als nicht ausreichend als solche interpretiert worden wäre. Die »erneute Generalbeichte« müsste dann einer vorherigen initialen Bekehrungserfahrung mindestens entsprechen, wenn nicht diese sogar übersteigen. – Problematisch wäre ein solches Verständnis dahingehend, als dass dadurch die absolut-umfassende Geltung einer bereits zugesprochenen Absolution bzw. ihre Bezogenheit auf alle Sünden – also auch auf unerkannte Sünden und vor allem: auf die die ganze personale Existenz betreffende Sündhaftigkeit –, infrage gestellt würde. Strukturanalog wäre eine solche Bedürfnisartikulation, die zu einer wiederholten General- oder Lebensbeichte führte, mit dem Wunsch nach einer wiederholten Taufe vergleichbar.1399 Im Volksmissionskreis Sachsen lassen sich derartige Tendenzen nachweisen (der vorliegende 1399 Im Übrigen ist dies der Grund, warum Johann Christoph Blumhardt auf der Einmaligkeit der Absolution beharrte (vgl. 8.1.2).

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Text ist vor dem Hintergrund der Markersbacher Wiedertaufen entstanden), zugleich widersprechen sie aber dem im Kreis betonten lutherischen (absoluten, umfassenden) Absolutionsverständnis. Die zweite Interpretationsmöglichkeit geht von einer regelmäßigen Beichtpraxis aus. Die Attribute »erneut« und »gründlich« würden demnach auf einer Bedeutungsebene liegen und damit gegen die erwecklich-perfektionistische Wiederholung der initialen Beichte, aber auch gegen eine pietistische einmalige Beichte sprechen. Vielmehr würde hier die prozesshafte Existenz des Glaubens ernst genommen. »Erneut« und »gründlich« wiesen dann darauf hin, dass regelmäßig alle erkannten bzw. neu erkannten Sünden Gegenstand der Beichte würden. Die »erneute Generalbeichte« widerspräche dann einer vorherigen initialen Bekehrungserfahrung nicht bzw. löste diese ab. Eine »erneute Generalbeichte« könnte wiederholbar die Schuld und Schuldhaftigkeit des ganzen Lebens aussprechen, ohne den Wert einer früheren Lebensbeichte infrage zu stellen, denn sie würde einlösen, dass der gerechtfertigte Sünder stets der Umkehr bedarf. – Aus dieser Sicht stünde eine »erneute Generalbeichte« dem lutherischen Konzept von Bekehrung nahe, wonach das ganze Christenleben als immer neu zur Gottesgnade fliehendes und von Gott befreites Menschsein verstanden wird, das im ganzen Lebenslauf Umkehr und Buße vollzieht und Errettung erfährt (vgl. die erste der 95 Thesen Luthers)1400. Diese zweite Interpretation lässt sich nun durch einen Text Rudolf Fischers unter der Überschrift »Generalbeichte« (1946) bestätigen. Dieser Text dient als Hintergrundfolie des Rundbriefes Prehns und Prehn rekurriert darauf mit der Aussage: »schenkte Gott einem unserer Brüder das Stichwort: Generalbeichte«. Ein Zitat des Textes Fischers mag genügen:

»Generalbeichte«: Bekehrung als Beichte bleibt nicht einmalig »Mit dem Satz: ›Alles in allem ist mein Leben eine einzige große Schande‹, leitet der fast 22 Jahre im gesegneten Dienst stehende Nachfolger Jesu seine Generalbeichte ein. – Das war letzte Ehrlichkeit, gern hätte ich ihm ebenfalls in konkretester Form meine Nöte gesagt, aber ich fand den Mut nicht dazu. […] Endlich war nun auch bei mir das Eis gebrochen. Vor einem Menschen meines Vertrauens habe auch ich mein Herz ausgeschüttet und Ruhe gefunden in dem mit meinem Beichtiger zusammen gesprochenen Gebet: ›Ich armer, elender, sündhafter Mensch bekenne dir alle meine Sünden und Missetaten. . . . .!‹«1401 1400 »Dominus et magister noster Iesus Christus dicendo: ›Penitentiam agite & c.‹ omnem vitam fidelium penitentiam esse voluit«, WA 1, 233, 10f (Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum, 1517). 1401 Fischer, Rudolf, Generalbeichte, in: »Unverzagt und ohne Grauen«. Freundesbrief vom Volksmissionskreis Sachsen 10/1946, 1.

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Der Text Fischers spricht davon, dass die »Generalbeichte« an bestimmten Stationen des Lebens geschehen kann und damit nicht einmalig bleibt. Fischer erwähnt zwei Beispiele: einen engagierten Mitarbeiter, dessen »Dienst« als »gesegnet« bewertet wird, und sich selbst. Es wird von ihm nicht bestritten, dass es sich bei den bespielhaften Personen um »bekehrte« Personen handelt, und dennoch spricht er von deren Generalbeichten. Generalbeichte erhält hier den Charakter der conversio. Damit werden aber Generalbeichte und Bekehrung – anders als im Pietismus üblich – nicht auf ein einmaliges Geschehen festgelegt. Dieses Textbeispiel Fischers liefert den Verständnisrahmen für den Rundbrief Prehns und ermöglicht, Generalbeichte als wiederholbares Ereignis zu interpretieren. Dabei wird von einem lutherischen Beichtverständnis (regelmäßige Einzelbeichte) und Absolutionsverständnis (umfassende Vergebungszusage) auszugehen sein, worauf im weiteren Verlauf des Textes der bildhafte Begriff »Blankoscheck« für Beichte und Absolution hinweist. Die Verankerung in der kirchlichen-lutherischen Tradition wird unterstrichen durch die Verwendung des reformatorischen Beichtgebetes »Ich armer, elender, sündhafter Mensch bekenne dir«, das gerade nicht zu den einmaligen, sondern regelmäßigen Praxisformen gehört. Verbunden ist dies mit der Oxfordischen Maxime der absoluten »letzten Ehrlichkeit«.1402

Ertrag und kritische Würdigung Für das poimenische Verständnis der Beichte bedeutet die Rede von »Generalbeichte« zunächst, dass Beichte und Bekehrung ihres (konfessionellen bzw. frömmigkeitlichen) Konkurrenzverhältnisses enthoben werden. Als conversio begriffen, soll Beichte nicht bei der Aufzählung einzelner Verfehlungen stehenbleiben, sondern (in einem qualitativen, nicht quantitativen Sinne) das ganze Leben des Beichtenden umfassen. Damit zeigt sich, dass die Propagierung der regelmäßigen Einzelbeichte nicht zulasten des außerordentlichen, radikalen Schuldbekenntnisses gehen soll. Ebenso muss die außerordentliche Lebensbeichte nicht die regelmäßige Beichtpraxis infrage stellen oder einmalig bleiben. Beide bedingen sich vielmehr gegenseitig. Die Rede von einer die ganze Existenz bestimmenden, die verlorene Sündhaftigkeit radikal bekennenden Beichte, wie sie hier unter dem Begriff der Generalbeichte vorkommt, entspricht der christlichen Anthropologie, insofern sie nicht die fromm-perfektionistische Wiederholung einer bereits erteilten Abso1402 Dort auch: »›Wie steht es nun mit deiner Generalbeichte? […] Alles habe ich Gott schon übergeben, zu jedem Fach meines Lebens die Schlüssel abgeliefert, diesen kleinen Schlüssel des Geheimfaches behalte ich unter allen Umständen.‹ – So waren meine Gedanken.

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lution verlangt und mittels einer neuen Vergebungserfahrung die bereits geschenkte Vergebung negiert. Die mehrfach durchführbare Beichte kann vielmehr die Erfahrung einholen, dass in bestimmten Situationen des Lebens die Einsicht des eigenen Schuldig- und Verlorenseins erschütternd neu hereinbrechen kann. In solchen Situationen, die durch innere oder äußere Krisen und Nöte bestimmt sein können, wird die Beichtpraxis vor allem an rückhaltloser Umkehr und Hingabe orientiert sein – jedenfalls daran stärker orientiert sein, als dies bei einer an einzelnen Tatsünden ausgerichteten Beichte der Fall wäre. Der Glaube wird als prozesshafte Existenzbestimmung wahrgenommen, wenn das Bekenntnis einzelner Sünden sowie der existentiellen Sündhaftigkeit keine einmaligen Angelegenheiten darstellen. Vielmehr kann die regelmäßige Beichte (damit auch die mehrfach mögliche Lebensbeichte) der Einsicht gerecht werden, dass Buße und Umkehr integrale Aspekte eines spirituellen Erfahrungs-, Lern- und Entwicklungsprozesses sind. Diese Aspekte gehören nun zum ganzen Leben. Sie bilden weder nur einmalige Ereignisse, noch werden sie auf die stumme Innerlichkeit beschränkt. Durch die Umkehr und Buße des ganzen Lebens kann und soll der gesamte Lebensprozess hineingenommen werden in die »Erneuerung des Sinnes« (Röm 12,2), einem Geschehen der Sinneswandlung (let\moia) durch Gottes- und Selbsterkenntnis. Das Leben und die geistliche Einsicht sind wechselseitig aufeinander bezogen und auf Reflexion, Reue, Bekenntnis und Neuanfang hin geöffnet. Indem diese Sinneswandlung über ein bloß geistiges, innerliches Geschehen hinausgeht und sich als Ritual in Form der Beichte konkretisiert, wird sie praktisch. Durch die Gestalt der regelmäßigen Beichte erfährt sie Übung. Dabei erhält eingeübte Umkehr eine kollektive Relevanz: Denn indem die Einzelbeichte im Kontext einer Gemeinschaft stattfindet, in der Gemeinschaft thematisiert und beworben wird, ja indem sie Gemeinschaft sogar konstituiert (6.2.3), führt sie über die Vereinzelung des Christseins hinaus. Breite Schichten haben im Protestantismus den Glauben, d. h. auch seine innere Verantwortung und seine Prägekraft, ausschließlich als privates, individuelles und innerliches Geschehen begriffen. Die Prägekraft der let\moia wurde der gemeinschaftlichen Einbettung enthoben und auf das Herz des Einzelnen beschränkt. Dazu war die Beichte als ritueller Vollzug der Umkehr, d. h. als seelsorgerliches Mittel der Erneuerung, nicht mehr im Blick. Insofern geschieht im Volksmissionskreis ein Paradigmenwechsel, wenn die let\moia durch die Beichte eine Form erhält. Sie kann in Gemeinschaft von vielen besprochen, eingeübt und praktiziert werden. Hier wird versucht, pietistische Engführung (Einmaligkeit von Beichte bzw. Bekehrung), protestantische Entfremdung (Irrelevanz der Beichte) sowie subjektivistische Vereinzelung (bloße Innerlichkeit der Buße) zu überwinden. Neben diesen zu würdigenden Merkmalen der Beichte im Volksmissionskreis Sachsen sind jedoch andere Aspekte kritisch zu beleuchten. Es ist vor allem die

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Gefahr, dass durch die Rede von Generalbeichte, von gründlicher Beichte oder erneuter Lebensbeichte eine perfektionistische Spiritualität unterstützt bzw. gefördert werden kann. Dies ist im Kontext des Erweckungschristentums nicht abwegig. Die Rede von Generalbeichte bewegt sich auf dem schmalem Grat zwischen drei Gefährdungen: Erstens besteht das Problem, dass auf der Suche nach einer erneuten Vergebungserfahrung eine bereits erteilte Absolution in ihrer Gültigkeit als umfassendes Wort der Vergebung anzweifelt wird (etwa weil emotionale Gestimmtheit die Suffizienz des Vergebungswortes nicht annehmen kann). Es ist die Gefahr der Negation der Absolution. Da charismatische Spiritualität ihren Fokus vom Wort zur Erfahrung, d. h. von der gesprochenen Zusage zur erfahrenen Wirkung verlegt, liegt diese Gefährdung nicht fern. Zweitens kann durch die Rede von der erneuten Beichte ein Drang oder Zwang begründet werden. Die reformatorische Freiheit zur Beichte ist vielfach als Freiheit von der Beichte missverstanden worden. Aber im Kontext einer Gemeinschaft, die sich exklusiv aus Seelsorge definiert und die Praxis der Beichte als Konstitutionsbedingung ihrer Gemeinschaftlichkeit versteht, kann die wiederentdeckte Beichte zum Zwang werden. Wenn die erneute Beichte verspricht, bestimmte Ziele zu erreichen (seien sie in erwecklich-charismatischer Terminologie formuliert oder nicht, z. B. »Vollmacht«), dann wird der Drang verstärkt. Drittens folgt daraus die Gefahr, die Beichte mechanistisch zu praktizieren. Es wurde, erkannt dass die Beichte im geistlichen Leben einzuüben ist. Die Kehrseite besteht aber darin, sie zu schematisieren. In allen drei Fällen würde Generalbeichte, welche das erklärte Ziel hat, das ganze Leben als Umkehr und Buße zu begreifen, vom eigentlichen Verständnis von Buße abweichen. Buße bedeutet die Sinneswandlung, welche aus den Erfahrungen des Leben entspringt, durch Gottes- und Selbsterkenntnis entsteht, zu Reue und Aussprechen von Schuld führt und so einen Neuanfang aus Vergebung ermöglicht. Darin ist sie Freiheit, nämlich Freiheit zur Öffnung des Lebens auf Erneuerung hin. Diese Freiheit steht in Gefahr, wenn die Beichte innerhalb einer Gruppendynamik gefordert wird. Die Buße und ihre Gestalt, die Beichte, werden verpflichtend, wenn dafür bestimmte Formen, Rhythmen und Inhalte gefordert werden. In ähnlicher Weise hat Wilfried Engemann darauf hingewiesen, dass die Forderung der Beichte an deren Ziel vorbeigeht: »Bekenntnisse, zu denen sich ein Mensch aus Gehorsam, Gewohnheit oder Angst (vielleicht gar mit Hilfe eines Beichtspiegels) bereit erklärt, ohne gleichzeitig zu einem geänderten Urteil über sich, seine Wünsche, seine Entscheidungskriterien gekommen zu sein, verfehlen einen wichtigen Teilaspekt von Buße: dass Menschen mit falschem

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Selbstbild zur Selbsterkenntnis gelangen und in die Lage versetzt werden, fortan in christlichem Sinne klug zu leben.«1403

Die Buße als Bestimmung des ganzen Lebens soll nicht allein zu einem Einzelbekenntnis, sondern zur Sinnesänderung und damit zur Lebensveränderung überhaupt führen. Nach Engemann ist es ein integraler Ausdruck von Buße bzw. Umkehr, zu einer erneuerten Kenntnis über sich selbst zu gelangen. Engemann liegt es daran, Umkehr nicht nur als ein innerliches Geschehen zu begreifen, sondern ihre praktische Relevanz für alles Denken, Entscheiden und Handeln herauszustellen. Der Bezug »auf die Zumutung der mit Buße verbundenen Umkehr, auf die Zumutung der let\moia«1404 drängt auf Gestaltung. So geht es darum, Buße in Form der Beichte mit einem geänderten Selbstbild (SelbstErkenntnis als Sünder-Erkenntnis) zu verbinden, oder besser : aus einem geänderten Selbstbild entstehen zu lassen und davon ausgehend das eigene Leben neu zu gestalten. Für diese Perspektive bietet die Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen geeignete Anknüpfungspunkte. Wenngleich die Rede von der Generalbeichte in der Gefahr steht, vom schmalen Grat der Freiheit abzugleiten, kann gerade die Einsicht in die prozesshafte und der Übung bedürfende Glaubensexistenz den kritisch angesprochenen Gefährdungen vorbeugen. Wenn nämlich die Beichte in ihrer Regelmäßigkeit einen festen Bestandteil von Glaube und Seelsorge bildet, dann vermag sie als geistliche Übung weder zu einem aufgeladenen, überhöhten Mittel (in der Erwartung neuer, übertreffender Vergebungserfahrungen) noch zu einer verpflichtenden Handlung zu werden. Für die Seelsorge als pastorales Handeln heißt dies außerdem, dass Seelsorge, die zur Wiederbelebung der Beichte anleitet, neben der Förderung des einzuübenden Beicht-Rituals die Begleitung des ganzen Menschen, seines Lebensweges und seiner Handlungsoptionen ermöglichen sollte. Die Begleitung als Aufgabe der Umkehr thematisierenden Seelsorge müsste dann nicht nur innerhalb des Einzelgespräches stattfinden. Durch die Vielfalt der seelsorgerlichen Vollzüge und Orte (wie Gemeinschaft, Gebet und Gebetsgemeinschaft, Gruppengespräche) kann das Einzelgespräch entlastet und die Rede von der Beichte entkrampft werden. Die Stärkung der cura animarum generalis ermöglicht die Verteilung von Aufgaben und eine umfassende, nicht auf einen seelsorgerlichen Ort beschränkte Begleitung.

1403 Engemann, Lebenskunst und das Evangelium, 888 (Hervorhebung im Text). 1404 Engemann, Lebenskunst als Beratungsziel, 124 (Hervorhebungen im Text).

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8.2.3 Beispiel 3: »Kinderbeichte«. Beichte in der katechetischen Vermittlung Gerhard Bahrmann: »Gedanken zur Kinderbeichte«. Beichte von Kindern und Jugendlichen im Kontext volksmissionarischer Veranstaltungen Als im Jahr 1952 die Diskussion um die Beichte von Kindern innerhalb der sächsischen Landeskirche in vollem Gange war (vgl. 2.4.3), hatte Gerhard Bahrmann ein Papier mit 20 Thesen unter dem Titel »Gedanken zur Kinderbeichte« zusammengestellt.1405 Damit lieferte er einen Beitrag des Volksmissionskreises Sachsen zu dieser Diskussion. Einige seiner Thesen sollen im Folgenden analysiert werden. »3. Die Wiedereinsetzung der Beichte in die ihr gebührende Stellung ist eine der dringlichsten Aufgaben der Kirche Luthers. 4. Die Kinderbeichte ist ein Stück der Beichte schlechthin und gehört zu Amtspflichten und Rechten des geordneten Amtes. […] 6. So gewiß die Kinderbeichte von Bibel u. Bekenntnis her unanfechtbar ist, so gewiß hat sie ihre psychologisch eigene Stellung und Gefahrenbereiche […].«

Der Verfasser ist unter anderem dadurch bekannt, dass er sich als erklärter Lutheraner für die Erneuerung der Praxis der Einzelbeichte einsetzt. Im vorliegenden Text will er die »Kinderbeichte« als einen integralen Bestandteil lutherischer Beichtpraxis herausstellen. Dies wird weniger juristisch (»Pflichten«, »Rechte«) zu verstehen sein, sondern als eine seelsorgerliche Notwendigkeit, was auch in These 20 (s. u.) gesagt wird. Der theologisch begründende Verweis auf »Bibel u. Bekenntnis« will zeigen, dass der Autor die Beichte von Kindern als Selbstverständlichkeit denkt. Dies betont, dass der Mensch in seinem ganzen Leben als Sünder zu sehen ist und kein Lebensstadium davon ausgenommen sein soll. Außerdem gibt der Verfasser ein Gefahrenbewusstsein zu erkennen. Der knappe Hinweis auf »Gefahrenbereiche« und »psychologisch eigene Stellung« will davor warnen, Kinder zu manipulieren bzw. zur Beichte oder zu bestimmten intendierten Beichtbekenntnissen zu drängen. Das zeigt auch diese These: »11. Jeder Zwang bzw. massenpsycholog. Beeinflussung muß unter allen Umständen unterbleiben.« Diese Warnung des Verfassers steht offenbar im Zusammenhang mit Themen der Sexualität bzw. Sexualerziehung, die in einigen Thesen (8, 12, 13, 16) formuliert werden, z. B.: »16. In der allg. Aufklärung dürfen Dinge beim Namen genannt werden, die die Kinder zu 95 % wissen.« Es bestätigt sich also, was unter 2.4.3 schon angesprochen wurde, nämlich dass die Praxis der »Kin-

1405 Gedanken zur Kinderbeichte, Pfr. Gerhard Bahrmann, [1952], in: A.II.a.404/8/Bd1 und A.II.b.2.1802, 69, dort die folgenden Zit.

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derbeichte« des Volksmissionskreises überwiegend auf den Bereich der Sexualität abzielt. »10. Aus den gleichen Gründen, die eine volksm. Seelsorge neben der des geordneten Amtes nötig machen, wird a) der Pfarrer dankbar sein, wenn ihm diesen heikelsten Dienst andere von innen her berufene Seelsorger – was eine Berufung durch die Kirche durchaus nicht ausschließt – abnehmen bezw. ihn ergänzen. b) das Kind zu einem fremden, ihm Vertrauen erweckenden Menschen eher Vertrauen gewinnen als zum eigenen Ortspfarrer.«

Der Verfasser tritt ein für die Verbindung von Volksmission und Seelsorge. Was für die Volksmission als Ergänzung der pastoralen und gemeindlichen Arbeit gilt, wird auch auf die Kinderbeichte bezogen: Als Teil eines volksmissionarischen Programmes soll sie die pastorale und gemeindliche Arbeit ergänzen. Dies heißt erstens, dass hier die Beichte von Kindern im Kontext evangelistischer Veranstaltungen gedacht wird, welche von Volksmissionaren, Evangelisten und dergleichen durchgeführt werden. D. h. Kinderbeichte soll im Kontext einer örtlichen Gemeinde von überwiegend ortsfremden Personen angeregt und durchgeführt werden. Zweitens geht der Verfasser davon aus, dass die Seelsorger einer evangelistischen Veranstaltung »von innen her berufen« sind, d. h. aufgrund eines Charismas die pastorale Arbeit des Ortspfarrers entsprechend zu »ergänzen« vermögen. Der Hinweis auf das Charisma als Ergänzung des Amtes ist in der Kirchlichen Volksmission keine Seltenheit, ebenso wenig in der Gruppenbewegung. Der Autor hatte an anderer Stelle bereits den Laiendienst (konkret: Zeugnis) als »rechte Ergänzung des Predigtamtes« definiert (vgl. unter 6.1.2). Der Autor sieht den praktischen Nutzen, dass ein seelsorgerliches Gespräch mit einer unbekannten Person (Evangelist) offener verlaufen könne als gegenüber einer bekannten Person (»Ortspfarrer«). Diese Überlegung geht davon aus, dass Hemmungen, die das seelsorgerliche Gespräch und das beichtende Bekenntnis behindern, am stärksten gegenüber einer bekannten als einer fremden Person bestehen würden. Was plausibel klingt, bedarf dennoch zweier Anfragen: Wie kommt es zustande, dass sich ein Kind an eine fremde Person mit dem Ziel der Beichte bzw. des Gespräches wendet? Dem müsste eine katechetische Vermittlung vorausgehen – der Autor geht von Kinderevangelisationsvorträgen aus. Dabei ist aber zu fragen, welche Faktoren praktisch dazu führen, dass Kinder sich überhaupt für ein Beichtgespräch entscheiden. Hier liegt es nahe, auf die Gefahr einer drängenden Verkündigung hinzuweisen, auch wenn nach These 11 dem Zwang gewehrt werden soll. Außerdem ist zu überlegen, wie Kinder vor geistlichem oder sexuellen

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Missbrauch geschützt werden können. Für den Autor ist wünschenswert, dass die Mitarbeitenden »Vertrauen erwecken«. Dies verlangt nach einer Absicherung: Die gegenwärtige Diskussion der Missbrauchsfälle von Pfarrern und Mitarbeitern an Kindern und Jugendlichen zeigt, dass Vertrauen nicht ausreicht. Mit den folgenden Thesen versucht der Autor bereits in einer Zeit, in der Missbrauch nicht ans Tageslicht kam, eine Lösung: »14. Bei Kinderbeichte scheint es sich zu bewähren, wenn Kinder nach eigenem Vertrauen ein anderes Kind mitbringen. Freilich kann der Augenblick kommen, da der Seelsorger um der Keuchheit willen trennen muß. 15. Mit der gemeinsamen Behandlung verliert die Seelsorge a) für die Kinder den geheimnisvollen Charakter ; b) für den Seelsorger die Gefahr naheliegender Verdächtigung.«

Diese Thesen formulieren eine gemeindepädagogische Handlungsoption zur Durchführung des Beichtgespräches mit Kindern: Beichtende Kinder sollen einen Freund oder eine Freundin des Vertrauens als Begleitperson zu diesem Gespräch mitbringen können. Dies soll einerseits die Freiheit von Kindern für die Beichte fördern und andererseits Seelsorgende vor falschen Beschuldigungen bewahren. Aufgrund der Zeugenschaft der dritten Person soll die Schutzmöglichkeit entstehen, um sowohl Seelsorgende und als auch Seelsorgesuchende vor Anschuldigungen, Zwang, Beeinflussung oder gar Übergriff zu schützen. Das Zitat spricht dabei aber nicht von der Problematik, durch Öffnung des seelsorgerlichen Rahmens auf eine dritte Person hin Indiskretionen zu ermöglichen. Der Hinweis »um der Keuchheit willen [zu] trennen«, geht zwar in diese Richtung, sofern unter »Keuchheit« eine allgemeine, pastoral notwendige Diskretion und Verschwiegenheit zu verstehen ist, reicht aber nicht aus. »17. In der Kinderbeichte möchte nicht gefragt werden. Die Kinder sollen bloß Gelegenheit haben, ihr Herz auszuschütten.«

Diese für eine praktische Poimenik einleuchtende These, dass Kinder nicht gefragt werden, sondern im Seelsorge- bzw. Beichtgespräch die Gelegenheit unterbreitet bekommen sollen, sich auszusprechen, betont die Freiheitlichkeit der Seelsorge. Zugleich bietet sie einen konkreten Rahmen für einen Schutzraum seelsorgesuchender Kinder (Schutz vor Zwang etc.). »18. Verständnis für die Kinderbeichte kann die Kirche von ihren Gliedern erst dann wieder erwarten, wenn die Privatbeichte der Erwachsenen wieder ins Bewusstsein ihrer Glieder als Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit gedrungen ist. […] 20. Wenn es wirklich gelingen sollte, die Kinderbeichte […] aus dem Raum der Kirche zu verbannen, […] würde die Kirche weiterhin ohne Seelsorge bleiben und die Privatbeichte als Gnadenmittel nicht zurückerobern.«

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Mit dem Ziel der Werbung für die »Kinderbeichte« wird anknüpfend an den Anfang des Thesenpapiers noch einmal auf die Notwendigkeit der Erneuerung der Privatbeichte hingewiesen. Dies bedeutet, dass Kinderbeichte nur als ein Aspekt der Einzelbeichte verstanden werden soll. Der Verfasser will deutlich machen, dass Katechese, Unterweisung und Jugendbildung nie ohne Erwachsenenbildung geschehen kann. Es ist eine nicht überraschende, aber doch zentrale religionspädagogische Einsicht, dass die Bildung von Erwachsenen auch Einfluss auf die Bildung von Kindern ausübt. Zugleich gilt dies natürlich auch umgekehrt, wovon im Zitat nicht ausgegangen wird. Schließlich fällt die kerygmatisch-poimenische Gleichsetzung von Beichte und Seelsorge auf. Nicht nur als rhetorisches Mittel, sondern auch theologisch werden die Begriffe »Seelsorge« und »Beichte« miteinander synonymisiert.1406 Dadurch verleiht der Verfasser seiner Apologie der »Kinderbeichte« Nachdruck. Dies zeugt von dem starken Fokus auf die Beichte, der ihr im poimenischen Konzept die Rolle als dem zentralen Mittel der Seelsorge zumisst. Weitere Beispiele: Visitationsberichte. Beichte von Kindern und Jugendlichen im Kontext der Kirchgemeinde Die Beichte von Kindern, welche im Kontext von Volksmission bzw. Evangelisation verortet war, lässt sich auch in Visitationsberichten nachweisen. Zwei Zitate sollen genügen: »In Christenlehre und Konfirmationsunterricht bezeuge ich den Segen der Beichte und habe die Freude, dass gerade dies Jahr einige jg. Menschen durch persönl. Aussprache entscheidend beeinflusst werden konnten« (Gerhard Bahrmann, Lützschena, 1953).1407 »Die Konfirmanden weise ich während der Konfirmandenzeit auf die seelsorgerliche Aussprache mit ihrem Seelsorger [= Verfasser] hin. Es wird ausdrücklich betont, dass es ganz freiwillig ist und gar kein Zwang besteht. Die Aussprache unter vier Augen wird von den meisten Konfirmanden in Anspruch genommen. […] Viele Eltern haben mich daraufhin angesprochen in der Befürchtung, daß wir ins das Katholische hineinkommen. Als ich ihnen aber die lutherische Beichte erklärte, waren sie damit einverstanden« (Waldemar Gorgon, Hartha, 1950).1408

1406 Vgl. die Bemerkungen unter 6.2.2–3. 1407 Visitationsbericht Kirchgemeinde Lützschena, April 1953, Pfr. Gerhard Bahrmann, in: A.I.e.13.1. 1408 Bericht über das Leben der Kirchgemeinde Hartha anläßlich der Kirchenvisitation in Hartha am 19. u. 20. Juli und am 5. und 6. August 1950, Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 03. 08. 1950, in: A.II.f.14.0_K. Vgl. ein ähnliches Beispiel: Brief des Kirchenvorstandes zu Roßwein und Gleisberg, Roßwein 08. 03. 1949, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.I.h.074.

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Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

Hier zeigt sich, dass die Akteure des Volksmissionskreises in ihrer Funktion als Gemeindepfarrer bemüht sind, die Beichte von Kindern und Jugendlichen auch im Kontext ihres Gemeindealltages zu bewerben und zu praktizieren.1409 Dabei fällt auf, dass in der Regel die Kategorien, die in der Seelsorge mit Erwachsenen üblich sind, auf die Praxis mit Kindern und Jugendlichen übertragen werden. Die Verbindung von »Aussprache« und »beeinflussen« macht den kerygmatischpoimenischen Impetus unübersehbar. Die »Aussprache unter vier Augen« dient als Chiffre für »Beichte« – auch hier die Gleichsetzung von Seelsorge, Gespräch, Beichte. »Aussprache« steckt den praktischen Rahmen ab, sodass auch die Seelsorge mit Kindern vom Typus des Vier-Augen-Gespräches und von der Gegenübersituation von Seelsorgenden und Seelsorgesuchenden bestimmt wird. Innerhalb der Gemeindearbeit hat die katechetische Vermittlung der Beichtpraxis ihren Sitz im Leben vorwiegend im Konfirmandenunterricht und in der Christenlehre (ggf. auch Kurrende)1410. Diese Praxis steht in jener Tradition, welche nach der Abschaffung der verpflichtenden Privatbeichte in Sachsen die Einzelbeichte dennoch weiterhin von den Konfirmanden forderte, und die bis ins 20. Jahrhundert an einigen Orten üblich war.1411 Anders als im Kontext volksmissionarischer Veranstaltungen sind es hier nicht ortsfremde Personen, sondern Mitarbeiter der Kirchgemeinde (vorwiegend Pfarrer), welche die Beichte vermitteln und abnehmen. Gemeinsam ist beiden Kontexten das evangelistische Anliegen. Denn die Rede von Schuld, Rettung und Bekehrung trägt in beiden Kontexten die evangelistische Zielstellung, Hörerinnen und Hörer zur Beichte zu animieren.1412 Hinsichtlich dieses Anliegens unterscheiden sich verschiedene Orte (Volksmissionsveranstaltung, 1409 Eine Ausnahme bildet dieser Bericht: Kirchenvisitation in der Kirche Zum guten Hirten zu Bräunsdorf, Sup. Christian Otto Schulze, Karl-Marx-Stadt, 30. 06. 1953, in: A.II.c.465. Hier wird über Gerhard Küttner gesagt: »Von Kinderbeichte will er nichts wissen«, aber einige Konfirmanden kommen dennoch zur Beichte. Wahrscheinlich muss diese Bemerkung sachgemäß erstens vor dem Hintergrund der noch frischen Diskussion um die Kinderbeichte interpretiert werden, in der sich Küttner im Rahmen der Visitation möglicherweise nicht auf die Seite der Kritisierten schlagen wollte. Zweitens lässt »einige Konfirmanden« darauf schließen, dass die erste von Küttner geprägte Bräunsdorfer Jugendgeneration (es wird sich etwa um die Personen der späteren Jugendrüstzeit in Selbitz und der folgenden Schwesternschaft handeln; vgl. 4.2.1) in der Phase der Gemeindeerweckung (vgl. 4.1.1) auch hinsichtlich der Beichtpraxis von Küttner lernte – und »Kinderbeichte« zum Praxisinhalt gehörte. 1410 »[…] die Kurrende nicht nur musikalisch schult, sondern auch Wert legt, daß sie geistlich aufgebaut wird. Ein Teil der Kurrende steht in seelsorgerlichem Verhältnis zu mir«, Bericht über das Leben der Kirchgemeinde Hartha anläßlich der Kirchenvisitation in Hartha am 19. u. 20. Juli und am 5. und 6. August 1950, Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 03. 08. 1950, in: A.II.f.14.0_K. 1411 Vgl. Franke, Privatbeichte in Sachsen, 116f.121.123. 1412 Zur Evangelisation als Vermittlung der Beichte siehe unten 8.3.1.

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Gemeindearbeit) und Zielgruppenorientierungen (Erwachsene, Kinder und Jugendliche) nicht voneinander. Oder anders gesagt: Das Beispiel der »Kinderbeichte« erweist erneut die Gemeindearbeit als Bestandteil des volksmissionarischen Programmes.

Ertrag und kritische Würdigung Dass der Volksmissionskreis Sachsen seine Beichtpraxis nicht nur gegenüber der Zielgruppe der Erwachsenen geltend machen, sondern auch Kindern und Jugendlichen nahe bringen will, ist nur konsequent. »Denn was nicht verkündigt wird, stirbt ab. Wenn erst in der Pubertät oder später konkrete Erfahrungen mit Sünde und Schuld zur Sprache kommen, sind wichtige Hilfen im Entwicklungsalter versäumt« worden – mit diesen Worten brachte Gerhard Ruhbach das Anliegen der Beichte bei Kindern zum Ausdruck.1413 Die wiederentdeckte Einzelbeichte kann kirchlich nur etabliert werden, wenn sie auch nachkommenden Generationen vermittelt wird. Dies erweist sie aber als eine gemeindepädagogische Herausforderung. Die folgenden Überlegungen entwerfen kein gemeindepädagogisches Konzept; dennoch sollen einige Gedanken dazu festgehalten werden. Die Praxis der »Kinderbeichte« will das ganze Menschsein erstnehmen. Ob man nun diesen Begriff verwendet, ist fraglich, aber letztlich sekundär. Jedenfalls spricht er von der besonderen, also unüblichen Stellung der Beichte von Kindern und Jugendlichen, obwohl deren Protagonisten gerade ihre Selbstverständlichkeit herausstreichen wollen. Diese Selbstverständlichkeit wird von ihnen damit begründet, dass der Mensch von Anfang an Sünder ist und der Umkehr und Vergebung im ganzen Leben bedarf. Insofern erliegt die Intention, Kinder zur Beichte anzuleiten, erstens nicht der Illusion, dass Kinder (bis zu welchem Alter oder Entwicklungsgrad auch immer) die noch unschuldigen Wesen seien,1414 zumal Kinder die Realität von Schuld nicht erst im Tun, sondern bereits im Erleiden erfahren können.1415 Das ganze Menschsein sollte aufgrund einer theologischen Anthropologie erstgenommen und unter das Vorzeichen der Gnade Christi gestellt werden. Das will auch dieses 1413 Ruhbach, Das ganze Leben, 46. 1414 »Und darum weiß das Christentum, daß das Kind und sein Anfang zwar umfangen sind von der Liebe Gottes […]. Aber es kann den Anfang der Kindheit darum doch nicht bloß bukolisch-harmlos sehen, als reine Quelle, die erst innerhalb des verwalt- und beherrschbaren Raumes menschlicher Sorge nachträglich getrübt werde […]. Nein, das Christentum sieht auch schon das Kind unausweichlich als den Anfang gerade jenes Menschen, zu dessen Existentialien Schuld, Tod, Leid und alle Mächte der Bitterkeit des Daseins gehören«, Rahner, Theologie der Kindheit, 480f (Hervorhebung im Text). 1415 Vgl. Wiedenhaus, Immer wieder neu anfangen dürfen, 99f.

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Zitat Bahrmanns zeigen: »Hier aber habe ich erfahren, dass auch den Kindern schon das ganze Evangelium mit dem Angebot der vollen Gnade gemacht werden darf.«1416 Zweitens zeigt diese Intention den – historisch und theologisch – ursprünglichen Zusammenhang von Taufe und Beichte an. Wer getauft wird, beichtet (bekennt) bzw. erhält katechumenal einen Zugang zur Beichte vermittelt. Entsprechend wird die nach dem lutherischen Bekenntnis heilsnotwendige Kindertaufe1417 auch nicht ohne spätere Beichte(n) bleiben können. Es müsste also getauften Heranwachsenden auf dem Weg zum eigenen Bekenntnis ein Zugang zur Beichte post-katechumenal vermittelt werden. Drittens müsste eine solche post-katechumenale Vermittlung als gemeindepädagogische Aufgabe alters- und biographieentsprechend geschehen. Ebenso wäre der praktische Vollzug der Beichte entsprechend zu gestalten. Ob das VierAugen-Gespräch dafür eine geeignete Variante darstellt, ist fraglich. Das klassische Einzelgespräch kann nur eine Variante der Beichte mit Kindern sein, wenn dieses freiwillig von Kindern gesucht wird. Die Übertragung des kerygmatischen Einzelgespräches der Erwachsenenseelsorge auf die Seelsorge mit Kindern setzt voraus, dass Kinder als kleine Erwachsene gesehen werden, für die gleiche seelsorgerliche Regeln gölten.1418 Es ist aber davon auszugehen, dass der Rahmen des Einzelgespräches eine problematische Größe darstellt. Das Autoritätsgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern kann dazu führen, dass Kinder ihre Erfahrungen mit anderen Erwachsenen (z. B. Eltern, Lehrern etc.) auf diese Gesprächssituation übertragen: Ein Kind kann sich geprüft, beurteilt, belehrt, genötigt etc. empfinden. Kinder entwickeln ihre Normativitätsvorstellungen generell anhand der Meinungen Erwachsener, was zur Folge haben kann, dass im Beichtgespräch ausgesprochen wird, was der Erwachsene vermeintlich hören will. Im Übrigen weist die oben gezeigte Verbindung der »Kinderbeichte« mit Themen der Sexualität sowohl auf eine inhaltliche Verengung der Beichte als auch auf die Möglichkeit jenes Autoritätsgefälles hin. Kinder entwickeln ihre Gottesbilder entsprechend ihrer Erfahrungen mit Erwachsenen. Im Blick auf die Beichtsituation kann das zur Folge haben, dass Kinder diese Gottesvorstellung

1416 [Bericht] Volksmission Lützschena/Leipzig 1950, Pfr. Gerhard Bahrmann, [Lützschena, 04/1950], in: A.II.b.2.1517, 1f. In diesem Bericht berichtet Bahrmann die Anfänge von »Kinderbeichte« in Lützschena. Im Zusammenhang der berichteten Volksmissionswoche seien ca. 50 Kinder im Alter zwischen 9 und 14 Jahren der Aufforderung zur Beichte mit Lebensübergabe gefolgt, sodass der Autor die Schlussfolgerung einer »Kindererweckung« ausspricht. 1417 Vgl. BSLK 63. 1418 Vgl. Mahlke, Schuld und Vergebung bei Kindern, 100.

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nun wiederum auf den erwachsenen Gesprächspartner übertragen und diesen mystifiziert als Stimme Gottes idealisieren. Um Heranwachsende an die Alltäglichkeit des Glaubens, zu welcher die Beichtpraxis nicht als Fremdkörper gehören sollte, heranzuführen, bedarf es ihrer alltäglichen Vermittlung, worauf diese drei Gedanken hinweisen: Erstens kann Alltäglichkeit erreicht werden, indem die Beichte als möglicher Bestandteil des persönlichen Gebets vermittelt wird (Gebet mit Eltern, Herzensbeichte).1419 Zweitens kann Alltäglichkeit erreicht werden, indem das Bekennen von Schuld spielerisch ritualisiert wird. Dabei können bekannte, »meditative« Möglichkeiten der Gestaltseelsorge eine Rolle spielen (z. B. Stichworte aufschreiben und den Zettel verbrennen oder den Zettel an einen Stein heften und in einen See werfen;1420 im Kirchenraum einen »Weg der Versöhnung« mit der Zachäusgeschichte gehen1421). Diese Möglichkeiten sind sowohl in Einzel- als auch in Gruppensituationen anwendbar. Ebenso ist eine anschließende Absolutionshandlung im Einzel- oder Gemeinschaftskontext möglich. Solche Formen unterstreichen, dass Seelsorge und Beichte keine »geheimnisvollen«, d. h. lebensfernen Vollzüge darstellen und nicht als solche zu handhaben sind. Bei Gruppensituationen wird aber auf angemessene Diskretion und Verschwiegenheit zu achten sein, vor allem dadurch, dass das Artikulieren von Schuld nicht von anderen Teilnehmenden inhaltlich erfasst werden kann. Gerhard Bahrmanns Vorschlag, das Beichtgespräch durch Hinzuziehen einer dritten Vertrauensperson zu öffnen, will zwar die Einübung von Seelsorge und Beichte erleichtern, doch die dadurch nicht garantierte seelsorgerliche Schweigepflicht bedeutet eine nicht zu unterschätzende Gefahr für das Gespräch. Außerdem bleibt offen, inwiefern die – nicht automatisch gegebene – psychische und spirituelle Belastbarkeit einer dritten Person, speziell eines Kindes, überhaupt nachgeprüft werden kann. Drittens ist Alltäglichkeit durch die Verbindung zu Bezugspersonen zu erreichen. Dabei ist aber zugleich eine Einschränkung zu benennen. Peter Zimmerling geht davon aus, dass die »Begleitung auf dem Weg zur Beichte primär durch die nächststehenden Menschen, also die Eltern erfolgt«1422 – was in etwa der obigen These 18 entspricht. Ob dieses einleuchtende Statement aber immer 1419 Vgl. dazu a. a. O., 111. 1420 Vgl. Zimmerling, Beichte, 115; ders., Renaissance der Beichte?, 155. Vgl. Braun, Erneuerung der Beichte, 165: »Meditative Formen der Beichte passen besonders gut in den Rahmen offener Angebote wie der Thomasmesse […], aber auch in den Rahmen von Jugendgottesdiensten und Gottesdiensten bei Konfirmanden-Rüsten«; Bsp. a. a. O., 158– 164. 1421 Witti/Weber, Kinderbeichte. 1422 Zimmerling, Beichte, 114; auch Mahlke, Schuld und Vergebung bei Kindern, 113.

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der Realität gerecht werden kann, ist fraglich. Denn angesichts der allgemeinen Distanz gegenüber der Einzelbeichte und erst recht unter den Bedingungen einer entchristlichten Gesellschaft wird man wohl kaum davon ausgehen können, dass Eltern bei der Vermittlung der Beichte eine namhafte Rolle spielen.1423 Es müssten also Ersatzpersonen für diese Begleitung gesucht werden. Eine solche »Begleitung auf dem Weg zur Beichte« müssen dann Mitarbeitende einer Gemeinde übernehmen und zwar nur dann, wenn die gemeindepädagogische Arbeit wesentlich Beziehungsarbeit ist. Dies setzt aber voraus, dass in den gemeindepädagogischen Unterrichtseinheiten die Themen Schuld, Schulderfahrung, Umgang mit Schuld, Beichte etc. überhaupt thematisiert werden.1424 Praxisberichte weisen beispielsweise auf Elternabende hin, bei denen die spielerisch-pädagogische Vermittlung der Beichte vorgestellt wird. Diese können »das Gespräch innerhalb der Familien zum Thema Beichte positiv« beeinflussen und zu einem wechselseitigen Lern- und Erfahrungsprozess von Kindern und Eltern führen.1425 Demnach müsste zu einem gemeindepädagogischen Konzept auch die Vermittlung der Beichte an Erwachsene gehören. Schon im Jahre 1905 hatte Richard Franke hinsichtlich der Beichte von Konfirmanden geurteilt: »Dass es meist über die Erfüllung einer anempfohlenen Form nicht hinauskommt, liegt auch darin mit begründet, dass naturgemäss dem Alter der Konfirmanden ein drückendes Bewusstsein ihrer Sünden, das sie gern los sein mochten, fremd ist. Aus dieser Tatsache erklärt es sich, dass man eine allgemeine Liebe zur Privatbeichte nicht auf dem Wege der Konfirmandenanleitung einführen kann.«1426

Für unsere Untersuchung hieße das, dass nicht nur das Bekennen, sondern zunächst das Erkennen von Schuld erlernt werden muss. Ohne die sinnvolle und freie Einsicht in das eigene Sündersein ist die Beichte nicht plausibel. Andererseits kann die gemeindepädagogische Vermittlung der Beichte gerade dieses Wahrnehmen und Erkennen von Schuld fördern und dabei alle Generationen in den Blick nehmen.

1423 Klaus Winkler spricht hinsichtlich der Beichte und des Gebets von einer allgemeinen »Erlebenslücke«, ders., Seelsorge, 39. 1424 Vgl. Mezger, Beichte, 429; Zimmerling, Renaissance der Beichte?, 155. 1425 Witti/Weber, Kinderbeichte, 67. 1426 Franke, Privatbeichte in Sachsen, 123.

Die Allgemeine Beichte im Gottesdienst: Eine Konkurrenz zur Einzelbeichte?

8.3

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Die Allgemeine Beichte im Gottesdienst: Eine Konkurrenz zur Einzelbeichte?

»Nur muß die oeffentliche oder allgemeine Beichte keine todte Ceremonie werden.«1427

1955 erschien der erste Band der neuen Agende der Vereinigten EvangelischLutherischen Kirche Deutschlands. Diese sah im Gottesdienstablauf nach der Predigt keine Allgemeine Beichte mit Absolution vor, sondern empfahl das Confiteor am Anfang des Gottesdienstes.1428 Diese Neuordnung sorgte innerhalb der sächsischen Landeskirche, wo die Allgemeine Beichte bis dahin eine – man kann mit Recht sagen: jahrhundertealte – Tradition darstellte,1429 reichlich für Diskussionen. Der Volksmissionskreis Sachsen gehörte nun gerade nicht zu den Gruppen, die den Fortbestand der überlieferten gottesdienstlichen Allgemeinen Beichte mit Absolution sichern wollten. Vielmehr entwickelte er eine Skepsis, die ihn von der gottesdienstlichen Beichte distanzierte, und dies obwohl – oder gerade weil? – er zu den Wiederentdeckern der evangelischen Einzelbeichte zählte. Der alte pietistische Vorbehalt gegenüber einer reglementierten, starren und schematischen Beichtpraxis wurde auf die Allgemeine Beichte übertragen – was keine Neuigkeit darstellt, wie das obige Zitat zeigt. Das Problemfeld der Allgemeinen Beichte wurde im Volksmissionskreis besonders in den 1950er Jahren diskutiert. Anschließend schweigen die Stimmen zum Thema. Die 1960er und 70er Jahre bringen zumindest in Großhartmannsdorf eine gewandelte Sichtweise ans Licht. Im Folgenden soll anhand von Textbeispielen die Praxis der Allgemeinen Beichte im Volksmissionskreis Sachsen untersucht und deren theologische Begründungen herausgearbeitet werden.

8.3.1 Einführung der Agende I für evangelisch-lutherische Kirchen und Gemeinden Nach der Veröffentlichung der neuen Agende I von 1955 hatte der Theologische Ausschuss der VELKD im Januar 1958 festgehalten, dass einerseits den VELKDGliedkirchen davon abgeraten wird, die Allgemeine Beichte in den Hauptgottesdienst mit Abendmahl einzufügen (vielmehr sollte diese vor dem Hauptgottesdienst, am Vorabend oder als Einzelbeichte stattfinden), andererseits aber die sächsische Lage besonders zu berücksichtigen ist: 1427 Hegner, Praktische Bemerkungen, 61. 1428 Vgl. Agende. Erster Band [1955], 36*f. 1429 Vgl. z. B. die detaillierten Darstellungen in: Schmidt, Gottesdienst am Kurfürstlichen Hofe.

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Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

»Nach der Ordnung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens folgt allsonntäglich auf die Predigt die ›Allgemeine Beichte und Absolution‹. Dieser von den Vätern überkommene Brauch hat sich in den Gemeinden als Träger geistlichen Lebens erwiesen und kann daher zur Zeit nicht aufgehoben werden. Darum steht die liturgische Zuordnung von Beichte und Abendmahl in Sachsen unter besonderen Bedingungen.« Außerdem heißt es, »daß verschiedene Kreise in Sachsen die Einführung der Agende I davon abhängig machen, ob die Beichte im Hauptgottesdienst beibehalten wird.«1430

Die neue Agende I wurde in Sachsen im Jahr 1959 zunächst eingeschränkt, dann 1961 endgültig angenommen und zu Trinitatis 1962 eingeführt.1431 Durch ein Kirchengesetz vom 22. April 1959 wurden Regelungen getroffen, um unter anderem die Allgemeine Beichte im Gottesdienst (zwischen Predigt und Allgemeinem Kirchengebet) beizubehalten. Thilo Daniel resümiert die Gründe der Entscheidung, die Allgemeine Beichte auch nach Einführung der neuen Agende I in Sachsen beizubehalten, wie folgt: »Die Frage nach der Absolution im gottesdienstlichen Geschehen ist in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Ort des ›articulus stantis et cadentis ecclesiae‹ im Leben der Gemeinde.«1432 In Sachsen galt für Gottesdienste nach Agende I weiterhin die bisherige Ordnung der Allgemeinen Beichte mit der Absolutionsformel im Wortlaut der bis dahin gültigen sächsischen Agende (1906 und früher): »Auf solches euer Bekenntnis verkündige ich, nach Befehl unseres Herrn Jesu Christi, als verordneter Diener seines Wortes, euch, die ihr eure Sünde herzlich bereuet, an Jesum Christum glaubet und den guten ernstlichen Vorsatz habt, durch Beistand Gottes, des Heiligen Geistes, euer sündliches Leben forthin zu bessern, die Gnade Gottes und die Vergebung der Sünden im Namen + des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«1433

1430 Vgl. die Dokumentation in: A.II.b.2.1803; die beiden Zit. a. a. O., 2.5. Vgl. Böttrich, Schuld bekennen, 143: »Die Sächsische Landeskirche durfte stattdessen [statt des Confiteor] die Offene Schuld nach der Predigt gebrauchen.« 1431 Vgl. Kirchengesetz über eine Ordnung des Hauptgottesdienstes mit Predigt und Heiligem Abendmahl für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens vom 22. April 1959, in: ABlELVKS 11/1959, A17–A19; vgl. Kirchengesetz zur Ergänzung des Kirchengesetzes vom 22. April 1959 über eine Ordnung des Hauptgottesdienstes mit Predigt und Heiligem Abendmahl für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens vom 17. November 1961, in: ABlEVLKS 13/1961, A72. 1432 Daniel, Bindung an das lutherische Bekenntnis, 239. 1433 Agende. Erster Teil [1906], 120; gleichlautend in: Kirchengesetz über eine Ordnung des Hauptgottesdienstes mit Predigt und Heiligem Abendmahl für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens vom 22. April 1959, in: ABlELVKS 11/1959, A18; vgl. Ordnung des Hauptgottesdienstes [1961], 14. Gegenüber der Agende von 1906 und den Veröffentlichungen 1959–1961 sind keine textlichen Änderungen außer der Stellung des Kreuzzeichens erkennbar (nun vor [bzw. während] statt früher nach der Nennung des trinitarischen Namens).

Die Allgemeine Beichte im Gottesdienst: Eine Konkurrenz zur Einzelbeichte?

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Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass die landeskirchliche Gottesdienstordnung bis zur Einführung der neuen Agende I zwei Beichthandlungen im Hauptgottesdienst mit Abendmahl kannte: erstens direkt im Anschluss an die Predigt vor dem Allgemeinen Kirchengebet, zweitens mit etwas ausführlicherem Formular direkt vor der Feier des Heiligen Abendmahles.1434 Diese Doppelung war mit Einführung der neuen Agende I beseitigt worden.1435 Angesichts der Diskussionen um die neue Agende I sah man im Volksmissionskreis Sachsen die Chance gekommen, seine Meinung darzustellen. Im März 1959 richtete der Volksmissionskreis den Antrag an Kirchenleitung und Synode, die Allgemeine Beichte nicht mehr verpflichtend, sondern mit dem Confiteor austauschbar zu bestimmen.1436 Diese von 61 Personen (Pfarrer des Volksmissionskreises und vermutlich auch dafür gewonnene Kollegen) unterzeichnete Stellungnahme stellte die Eingabe mit den meisten Stimmen an die Landessynode in der Frage der Allgemeinen Beichte dar, obwohl darüberhinaus weitere Stellungnahmen von Pfarrern, Konventen und Superintendenten eingegangen waren.1437 Der Antrag wurde abgelehnt1438 und stattdessen wenige Wochen später das oben genannte Kirchengesetz veröffentlicht. Mit seinem Antrag wurde der Kreis Teil eines landeskirchlichen Diskussionsprozesses. Zugleich bildeten seine Beiträge in dieser Diskussion den Abschluss der Phase seiner engagierten Mitarbeit in verschiedenen landeskirchlichen Vorgängen und Gremien (vgl. 2.4).

8.3.2 Contra Allgemeine Beichte: »Gewissensbedenken« als Mehrheitsmeinung im Volksmissionskreis Sachsen Welche waren nun die Begründungen und theologischen Positionen des Volksmissionskreises, die zur Ablehnung der Allgemeinen Beichte führten? Die 1434 Vgl. Wieckowski, Beichtstühle, 21; siehe oben Anm. 1363 in diesem Kapitel. Böttrich bezeichnet diese beiden Beichten als »Offene Schuld« und als »Gemeinsame Beichte«, vgl. ders. Beichte im Gottesdienst, 100. Um Missverständnisse zu vermeiden, spreche ich wie in Sachsen üblich von der Allgemeinen Beichte als Beichte zwischen Predigt und Fürbittengebet. 1435 »Vor dem Allgemeinen Kirchengebet wird die offene Schuld (Allgemeine Beichte mit Absolution) […] gebetet«, Kirchengesetz über eine Ordnung des Hauptgottesdienstes mit Predigt und Heiligem Abendmahl für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens vom 22. April 1959, in: ABlELVKS 11/1959, A18. 1436 Vgl. [Antrag] Brief des Volksmissionskreises Sachsen, Dresden, 05. 03. 1959, an die Kirchenleitung und Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1803, 13f; auch in: A.I.b.1397. 1437 Vgl. die Dokumentation in: A.II.b.2.1803. 1438 Vgl. Rundbrief des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, Dresden, 10. 08. 1959, an Brüder, in: A.III.a.1959.

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Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

mehrheitliche Kritik an der gottesdienstlichen Beichte soll anhand dreier Beispiele vorgestellt werden. Beispiel 1: Bräunsdorf Ein erstes Beispiel liefert der Visitationsbericht des Superintendenten Christian Otto Schulze von 1953 zur Visitation der Kirchgemeinde Bräunsdorf, in dem Schulze zur Praxis der gottesdienstlichen Allgemeinen Beichte bemerkt: »Die Absolution wurde nicht ausgesprochen, nur an das Beichtgebet die Worte von Jes. 53 als Zusage der Vergebung angeschlossen.«1439

Bereits ein reichliches Jahr, nachdem Gerhard Küttner in Bräunsdorf seinen Dienst angetreten hatte, wird dieser Bericht verfasst. Er zeugt davon, wie im Gemeindegottesdienst nach dem Allgemeinen Beichtgebet vom Liturgen keine Absolution gesprochen wird und stattdessen als Vergebungszusage Teile des Gottesknechtsliedes Jes 53 zitiert werden. Es wird davon auszugehen sein, dass mindestens die Kernaussage »Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten« (V5) gesprochen wurde. Die liturgische Ordnung, welche Küttner der Bräunsdorfer Hausgemeinde zur täglichen Eucharistiefeier gegeben hatte, enthält nämlich eine Absolutionsformel mit Zitat von Jes 53,4f und kommt ohne direkte Anrede der Gemeinde aus: »Wir haben ein Sündopfer, wir haben einen Fürsprecher beim Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. Derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden, und nicht allein für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt; denn fürwahr, Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Frieden hätten; und durch Seine Wunden sind wir geheilt.«1440

Inhaltlich lässt sich dieses schlussfolgern: Der Impetus richtet sich gegen die übliche Absolutionsformel und nicht gegen eine gottesdienstliche Beichthandlung der Gemeinde selbst. Deshalb wird die vorgeschriebene Absolutionsformel ausgetauscht. Der Austausch durch Jes 53 weist auf den christologisch-soteriologischen Grund der Vergebung hin (Stellvertretung des Gottesknechtes), zeugt aber zugleich von einer bibelorientierten, erwecklichen und gegebenenfalls kirchlichskeptischen Spiritualität. Der Ersatz durch ein biblisches Wort zeigt, dass eine bestimmte Aussagerichtung der üblichen Absolutionsformel nicht akzeptiert wird. Offenbar soll die Aussagerichtung vom Liturgen weg zu Christus hin als 1439 [Bericht] Kirchenvisitation in der Kirche Zum guten Hirten zu Bräunsdorf, Sup. Christian Otto Schulze, Karl-Marx-Stadt, 30. 06. 1953, in: A.II.c.465; dort auch das folgende Zit. 1440 [Ordnung] Abendmahlsfeier, [Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf], in: A.IV.a.II.14.

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dem eigentlich Vergebenden gewendet werden. Als Begründung ist außerdem vorstellbar, dass die Einmaligkeit der geschehenen Vergebung per crucem Christi (Vergangenheitsaussage in Jes 53) betont und nicht als wiederholbarer Akt missverstanden werden soll. Eine verbindlichere Interpretation muss offen bleiben. Die Bräunsdorfer Praxis hatte Schulze jedenfalls so kommentiert: »Da in der neuen Agende eine Änderung unserer Absolution geplant ist und solche Änderungen in manchen Pfarrerkreisen herbeigesehnt werden, habe ich mich nicht für berechtigt gehalten, auf die landeskirchliche Form zu drängen, obwohl ich keinen Zweifel liess [sic!], dass die Absolution für viele Christen ein unaufgebbarer Teil unseres Gottesdienstes ist.«

Die vom Superintendenten beschriebene Veränderung der Absolutionspraxis im Bräunsdorfer Gemeindegottesdienst ist repräsentativ für einen weiten Teil der Praxis des Volksmissionskreises in den 1950er Jahren, die sich auch im nächsten Beispiel zeigt.

Beispiel 2: Markersbach In einem Brief des Markersbacher Pfarrers Gerhard Michael an den Superintendenten Gustav Jahn von 1950 teilt der Verfasser mit, die Allgemeine Beichte im Gottesdienst nicht mehr zu praktizieren, und liefert eine Begründung: »Es geht um die Allgemeine Beichte und die Absolution nach der Form unserer sächs. Agende. Ich muß Ihnen mitteilen, daß ich dieselbe schon seit längerem im Gottesdienst weggelassen habe, weil ich sie so jedenfalls […] nicht mehr mit gutem Gewissen sprechen kann.« »Diese Gewissensbedenken gegen die in corona gesprochene summarische (›alle meine Sünden‹) Beichtformel und die in corona gegebene Absolution sind von jenem Augenblick an bei mir da, in dem mir der HERR ein ganz neues Licht über die Wichtigkeit und die Bedeutung der Buße und ihr wirkliches Wesen geschenkt hat, d. h. in dem ich selbst zum 1. Mal in meinem Leben wirklich Buße ›getan‹ habe, indem ich meine Sünden bekannte (dh. [sic!] mit Namen nannte).«1441

Der Verfasser beruft sich auf sein Gewissen. Der protestantische Hinweis auf das Gewissen (Gewissensfreiheit, Gewissensnot etc.) wird meist dann gebraucht, wenn eine heilsrelevante Fragestellung diskutiert wird und vom Ausgang dieser Diskussion alles abhängt. Das einzelne Gewissen entscheidet dann heils-gemäß gegen eine heils-ungemäße mehrheitliche Meinung. Durch die Entscheidung, aufgrund von »Gewissensbedenken« die Allgemeine Beichte nicht zu prakti1441 Brief von Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, 06. 06. 1950, an Sup. Gustav Jahn, Aue, in: A.II.k.Markersbach.I.1 (Hervorhebung im Text), dort die folgenden Zit.

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zieren, verdeutlicht der Verfasser, dass es sich für ihn nicht um eine Form-, sondern um eine Glaubensfrage handelt. Der Verfasser kann ernsthafte Buße mit »summarischer« Beichte bzw. Absolution nicht vereinbaren. Ein ernsthaftes Sündenbekenntnis schließe eine allgemein formulierte Beichte mit anschließender Absolution im Kontext einer Gemeinschaft1442 konsequent aus und erfordere stattdessen die Einzelbeichte. Es wird erkennbar, wie die Ablehnung der Allgemeinen Beichte in einem direkten Zusammenhang mit der neu entdeckten und praktizierten Einzelbeichte steht. Dazu liefert der Verfasser ein persönlich-biographisches Argument, indem er die Erfahrung persönlicher Buße im Vollzug der Einzelbeichte heranzieht. Die Einzelbeichte mit direkter Benennung konkreter Sünden sei – im Gegensatz zur Allgemeinen Beichte – ernsthaft bzw. echt büßend. Damit liefert dieser Text ein weiteres Beispiel für die inhaltliche und praktische Gleichsetzung von Buße und Einzelbeichte. Seine Argumentation untermauert der Autor mit weiteren Bezügen: Zum einen wird Otto Siegfried von Bibra nahezu wörtlich wiedergegeben, welcher die Allgemeine Beichte als Mittel der Gewissensberuhigung, d. h. Täuschung der Gottesdienstteilnehmer darstellt. Diese würden durch die Zusage einer umfassenden Vergebung ohne vorausgehende echte Buße betrogen.1443 Die Beobachtungen des Autors und seine eigene Seelsorge-Erfahrung würden dies bestätigen. Zum anderen nennt der Autor im weiteren Text den Namen Dietrich Bonhoeffers. Es ist davon auszugehen, dass er damit auf die Unterscheidung von »billiger« und »teurer Gnade« bei Bonhoeffer Bezug nimmt und die Allgemeine Beichte mit Absolution entsprechend als billige Gnade definiert.1444 Das Muster der billigen Gnade hatte der Verfasser bereits ein Jahr zuvor auf das Konfirmationsgelübde und den -segen wörtlich angewandt (vgl. 2.4.4),1445 worauf auch im vorliegenden Brief eingegangen wird:

1442 Der Terminus in corona wird auf die Gemeinschaftssituation der Allgemeinen Beichte hin zu übersetzen sein, insofern er auch »Kreis« oder »Hörerschaft« bedeutet. 1443 Vgl. dazu Bibra, Die Bevollmächtigten, 30: »Weder durch solchen vermeintlichen Glauben, noch durch solche angebliche Buße, weder durch die in corona gegebene Zustimmung zu einer summarischen Beichtformel, noch durch die Entgegennahme einer an die Masse der anwesenden Kirchenmitglieder gerichteten Absolutions-Zeremonie […] als solche wird jemals einem Menschen ohne weiteres wirklich die Vergebung seiner Sünden zuteil werden. Das wäre verschleuderte Vergebung!«; vgl. auch a. a. O., 98 Anm. 69, dort Zit. Bonhoeffer. 1444 »Billige Gnade heißt […] verschleuderte Vergebung« und »Billige Gnade ist […] Absolution ohne persönliche Beichte«, Bonhoeffer, DBW 4, 29f. 1445 Vgl. Wort des Volksmissionskreises zur Konfirmationsfrage, Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, in: A.II.b.1797, 23f; auch in: A.III.a.bis1949.

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»Ich glaube aber, daß nicht nur mir allein die Form unserer sächs. Beichte und Absolution Not macht, und daß uns auch da, wie etwa auch bei Konfirmation und Taufe, eine völlige Neubesinnung von der Schrift her not tut und auch schon im Gange ist.«

Das Beispiel Gerhard Michaels stellt insofern einen gewissen Sonderfall in der Diskussion um die Allgemeine Beichte dar, als dass sich der Volksmissionskreis von Michael aufgrund seiner Wiedertaufe im Jahr 1952 distanziert hatte. Somit sind dessen Formulierungen obsolet geworden. Die ausführliche Stellungnahme des Pfarrers gegen die Allgemeine Beichte und gegen die übliche Absolutionsformel hingegen ist typisch für die Haltung des Volksmissionskreises. Die Gründe gegen die Allgemeine Beichte entsprechen der Mehrheitsmeinung des Kreises. Auch Hans Prehn stellte während einer Rüstzeit für Volksmissionare die Frage: »Rede ich mir bei der allgemeinen Beichte die Vergebung nicht nur ein?«1446

Beispiel 3: Antrag an die Landessynode 1959 Als drittes Beispiel sollen nun die Begründungen des genannten Antrages an die Landessynode von 1959 untersucht werden, in dem der Volksmissionskreis gefordert hatte, statt der Allgemeinen Beichte das Confiteor verwenden zu dürfen: »1) Es fehlt uns eine hinreichende biblische Begründung für die in Bausch und Bogen zugesprochene Absolution (wir sagen ›Absolution‹, obwohl es heißt ›Auf solches euer Bekenntnis verkündige ich euch…‹, und wir sagen ›in Bausch und Bogen‹ zugesprochene Absolution trotz der darin gemachten Einschränkungen); 2) die kirchliche Praxis zeigt oft erschreckend deutlich, daß trotz Beichte und Absolution die Gewissen der Gottesdienstbesucher, statt geweckt und getröstet zu werden, eher eingeschläfert und beruhigt worden sind; 3) die private Beichte, deren Segen für eine Kirche nicht abzumessen ist, wird durch die allgemeine Beichte immer wieder entscheidend gehindert.«1447

1446 Eine Mitschrift dieser Rüstzeit dokumentiert eine Antwort Gottfried Voigts auf diese Frage: »Dr. Voigt: Entscheidend ist das lösende Wort, das Christus spricht, die Vergebung als schöpferischer Akt Gottes. Der Akzent liegt auf der Absolution, nicht auf der Beichte. Es kommt nicht auf die Demütigung an, die nach Pfarrer Prehn in der Privatbeichte grösser ist als in der allgemeinen Beichte, sondern auf Vergebung und Glauben. Was wir von der Sünde sehen und beichten, ist ja nur das Erscheinungsbild der Sünde; ihr Wesen ist eine sehr grosse Verderbnis, dass sie nicht ohne weiteres erkennbar ist. Gerade das lösende Wort demütigt uns am meisten. Pfarrer Gross-Radebeul: Beichte darf nicht Gesetz sein, sondern evangelische Wohltat. Pfarrer Bodenstein-Döbeln: Die Volksmission sollte auch das Verständnis für die allgemeine Beichte wecken«, Bericht über die Rüstzeit für haupt- und nebenamtliche Volksmissionare vom 24.–26. 02. 1953 in Radebeul, in: A.II.a.401/4/53 (Hervorhebung im Text). 1447 [Antrag] Brief des Volksmissionskreises Sachsen, Dresden, 05. 03. 1959, an die Kirchen-

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Diese Auflistung von Gründen zeigt folgende Positionen: Erstens richtet sich die Argumentation gegen eine summarische, das heißt umfassend-absolute Absolution. Zweitens wird bestritten, dass Absolution und Verkündigung dasselbe seien. Nach dem Verständnis des Autors (ggf. der Autoren) dieses Textes würden sich Absolution und Verkündigung widersprechen. Fragt man nach den Gründen dieser Position, wäre ein inhaltlicher Zusammenhang mit der oben gezeigten Bräunsdorfer Praxis und der dortigen Begründung plausibel (Einmaligkeit der Vergebung per crucem; Verkündigung eines Bibelwortes). Dies bestätigt ein anderes Beispiel, wo zwei Weisen der Absolution unterschieden werden, nämlich 1) Verkündigung (»Gott hat sich deiner / unser erbarmt …«) und 2) Zuspruch (»Ich spreche dich / euch los … dir sind deine Sünden vergeben …«). Hier wird betont, dass im Gottesdienst die Absolution nur als Verkündigung, nicht aber als Zuspruch, möglich sei. Von daher könne die übliche Absolutionsformel nicht akzeptiert werden.1448 Drittens findet sich auch hier das Argument der Gewissensberuhigung und Täuschung der Gottesdienstteilnehmer aufgrund einer absoluten Absolution. Viertens positioniert sich der Kreis deshalb gegen die Allgemeine Beichte, da er durch ihre Praxis die regelmäßige Einzelbeichte gefährdet sieht. Der Zusammenhang einer Förderung der Einzelbeichte und eines Impetus gegen die Allgemeine Beichte zeigt sich erneut. Nachdem die Annahme der Agende I unter Beibehalt der bisherigen Ordnung der Allgemeinen Beichte 1961 endgültig erfolgt war und bevor diese zu Trinitatis 1962 offiziell eingeführt werden sollte, fand im Dresdener Landeskirchenamt ein Gespräch statt, bei dem die Frage der Allgemeinen Beichte verhandelt wurde. Teilnehmer waren Vertreter des Landeskirchenamtes, des Volksmissionskreises Sachsen und des Lutherischen Konventes. Es liegt ein Protokoll des Volksmissionskreis-Pfarrers Friedrich Carl Eichenberg vor.1449 Bei den im Folgenden daraus zitierten Aussagen handelt es sich offensichtlich um Meinungsäußerungen des Volksmissionskreises: »Besonders wurde betont, daß die normale Gottesdienstgemeinde nicht gleichzusetzen ist denjenigen, die eine Absolution begehren.« »Die weitere Aussprache zeigte: leitung und Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1803, 13f; auch in: A.I.b.1397. 1448 »Es ist für unser Verständnis dabei klar geworden, daß es eine verkündigte Absolution (Confiteor) und eine zugesprochene Absolution (Ego te absolvo) gibt und daß die letztere nicht im Hauptgottesdienst erteilt werden kann«, Antrag an den Präsidenten der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Dresden, Dresden, 10. 09. 1962, in: A.III.a.1962. 1449 Vgl. [Protokoll] »Offene Schuld«, Pfr. Friedrich Carl Eichenberg, in: A.I.b.1397, dort die folgenden Zit.

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a) einzelne Beispiele erwiesen die Unsinnigkeit der Absolution im Hauptgottesdienst b) ihren die Gemeinde zerstörenden und gefährdenden Charakter im Hinblick auf die Privatbeichte c) ihre Unaufrichtigkeit durch die eingebaute Selektion und Retension [sic!, recte: Retention]. Besonders im Hinblick auf letztere wurde erwähnt, daß sie wegen ihrer Unverständlichkeit für die Gemeinde das Gewissen des Pfarrers mehr belastet als entlastet. Vor allem wurde erwähnt, daß jede Selektion nicht schriftgemäß sei, da die Bibel ohne Wenn und Aber sagt: Dir sind deine Sünden vergeben.« »Man war sich einig, daß man nicht das Beichtgebet beseitigen wolle, sondern, daß es um die Absolution geht.«

Es wird ausdrücklich formuliert, dass sich der Impetus gegen die allgemeine Absolution bzw. Absolutionsformel richtet. Zur Begründung wird auf die volkskirchliche Situation angespielt, wonach nicht alle Gemeindeglieder ernsthafte Christen seien. Dies wird auf den Gottesdienst übertragen. Demnach werden Gemeinde (»Gottesdienstgemeinde«) und Kerngemeinde (»die eine Absolution begehren«) unterschieden – diese Unterscheidung fand sich schon unter 6.2.3–4. Ernsthafte, d. h. bußfertige und die Absolution verlangende Christen seien in der volkskirchlichen Situation in der Minderheit. Daraus sei zu schlussfolgern, dass die Allgemeine Beichte mit Absolution keinen liturgischen Gegenstand eines volkskirchlichen Gottesdienstes darstellen dürfe. Dabei findet sich wieder das Argument, dass durch die Allgemeine Beichte die neu entdeckte Einzelbeichte in Gefahr stehe. Damit steht das Täuschungsargument (»Unaufrichtigkeit«) wieder eng in Verbindung. Es wird hier auf den Vorbehalt der Absolutionsformel (»Selektion«: »denen, die ihre Sünde herzlich bereuen, … glauben und den … Vorsatz haben«) und den damit indirekt ausgesprochenen Behalt von Sünden (»Retention«: »bis sie umkehren«, »welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten«, nach Joh 20,23) bezogen. Per Schriftbeweis wird zu untermauern versucht, dass der Vorbehalt der Absolutionsformel »nicht schriftgemäß sei« und die Beichtenden täusche. Dieses Argument stellt einen Widerspruch in sich dar : Obwohl die absolute Absolution abgelehnt wird, wird sie hier wegen ihrer Einschränkung (Vorbehalt) verworfen.

Kritische Würdigung Die Kritik an der Allgemeinen Beichte bzw. der üblichen Absolutionsformel führte im Volksmissionskreis Sachsen überwiegend zum Ersatz der Absolutionsformel oder zur Abschaffung der gottesdienstlichen Beichte. Die Begründungen haben gezeigt, dass die Kritik an Allgemeiner Beichte bzw. Absolution

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aufs Engste mit der neuentdecken Praxis der Einzelbeichte zusammenhängt.1450 Dabei werden ähnliche Argumentationen laut, wie sie der ältere Pietismus einst gegen die Einzelbeichte entwickelt hatte: Die Beichte sei ein formaler Ritus und keine echte Herzens-Buße. Dies zeugt von der erwecklichen Spiritualität des Volksmissionskreises. Es stellt sich die Frage, ob persönliche und gemeinsame Beichte einander ausschließen müssen. Die Warnung, dass die gottesdienstliche Beichte nicht die private Beichte ersetzen darf, ist sicher angemessen und auch keine singuläre Meinung des Volksmissionskreises.1451 Als Grund gegen die gemeinsame Beichte taugt sie aber nicht. Christof Gestrich macht auf ein seelsorgerliches Problem aufmerksam, das die »Warnung« im Kern bestätigt: »Aber wer machte nicht schon die Erfahrung, dass ein persönliches Schuldbewusstsein durchaus die gottesdienstliche Gnadenzusage durch den Pfarrer/ die Pfarrerin (nach einem allgemeinen Beichtgebet) überdauert hat, ja, überdauern musste, weil nichts geklärt, nichts durchgearbeitet, auch nichts an der Tatsache des eigenen Versagthabens und der entsprechenden Geringschätzung durch andere und durchs eigene Gewissen geändert war?«1452

Die lutherische und eigentlich evangelische Intention der Beichte liegt in der Absolution, die auf die Reue umfassend antwortet und mit dem Zuspruch der Vergebung aller (außer bewusst nicht bereuter) Sünden von Schuld befreit. Gerade wegen ihres Bezuges auch auf unerkannte Sünden – besser : auf die ganze personale Sündhaftigkeit – stellt sie das Herzstück der Beichte dar.1453 Dennoch kann die Absolution seelsorgerliche und psychologische Problemstellungen nicht bearbeiten. Sie kann nur Vergebung zusprechen. Dies 1450 Zu dieser Haltung wird sicher auch die Position der kerygmatischen Poimenik beigetragen haben, welche die Einzelbeichte als Gipfel der Seelsorge herausstellte, wie am Beispiel Hans Asmussens deutlich wird: »Die Einzelbeichte ist am ehesten geeignet, der Ort zu sein, wo in der Seelsorge wirklich Seelsorge geschieht«; »Die Beichte ist der Höhepunkt der Seelsorge«; »Beichte und Absolution sind der Kernpunkt unserer Seelsorge«, Asmussen, Seelsorge, 226.228.230. 1451 Z. B.: »Der öffentliche Beichtgottesdienst darf keineswegs (wie es leider weithin, gerade in der Vorbereitung zum Abendmahl, der Fall ist) an die Stelle der persönlichen und privaten Einzelbeichte treten und kann diese keinesfalls ersetzen; er hat vielmehr den seelsorgerlichen Ernst und die eindringliche Selbstbesinnung und Bereitung in der Privatbeichte zu seiner Voraussetzung«, Heitmann/Ritter/Stählin (Hg.), Einführung in die Beichtordnung, in: dies. (Hg.), Beichte der Gemeinde, 1–4 [zweiter Teil, wiederholte Paginierung], hier 1. Die Sorgen, dass durch die Allgemeine Beichte die Einzelbeichte vernachlässigt werden könnte, sind nicht neu und lassen sich bereits in der Reformationszeit nachweisen (Osiander), vgl. Böttrich, Schuld bekennen, 69f. 1452 Gestrich, Beichte erneuerungsfähig?, 152 (Hervorhebung im Text); vgl. ähnlich Braun, Erneuerung der Beichte, 156. 1453 Vgl. dazu BSLK 446f; Hahn, Vergebung, 162f Anm. 224.

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bedeutet erstens die Differenzierung von Schuld und Schuldgefühl (im Unterschied zur subjektivistischen Gleichsetzung beider ; siehe 8.1.2). Zweitens erweist dies die Notwendigkeit, auch zwischen Vergebung und Vergebungserfahrung sowie zwischen Befreiung und Aufarbeitung zu unterscheiden.1454 Wenn Gestrich auf die Erfahrung hinweist, »dass ein persönliches Schuldbewusstsein« die Absolution überdauern kann, dann spricht er von der selben Erfahrung, von der die Kritiker der Allgemeinen Beichte im Volksmissionskreis sprechen. Allerdings zieht Gestrich andere Konsequenzen. Diese bestehen in der seelsorgerlichen und ggf. psychologischen Aufarbeitung von Schuld, Schuldbewusstsein und -erfahrung.1455 Es wird wenig dazu beitragen, dass Vergebung erfahren werden kann, indem die liturgische Absolutionsformel durch ein Bibelwort ersetzt wird. Aus seelsorgerlicher Sicht braucht es die direkte Anrede, die Vergebung zu sagt. Im Bräunsdorfer Beispiel hat man stattdessen die Erfahrung, dass Vergebung gewiss ist, an das Empfinden des Einzelnen geknüpft: Da man die persönliche, »echte« Herzens-Buße wertschätzte und gleichzeitig anamnetische Gebetsaussagen gewöhnt war, wurde Jes 53 als heilserinnernde Aussage gewählt, um die Absolution zu ersetzen. Dadurch wird Vergebung fraglich: Bin ich gemeint? Bin ich der echte Büßer, dem das Wort gilt? Kann ich es glauben? »Einem Menschen, der das lösende Wort für sich persönlich hören will, nützt es nicht viel, wenn wir stattdessen Bibelstellen wie 1 Joh 4,9 oder Lk 22,32 rezitieren«.1456 Die Absolution als Zusage (»spreche ich dich los … dir sind deine Sünden vergeben …«) beruft sich dagegen auf die Vergebungsvollmacht Christi (vgl. Joh 20,21–23) und bietet die besten Möglichkeiten, zur Aufarbeitung von Schuld und Schuldgefühl beizutragen.1457

8.3.3 Pro Allgemeine Beichte: »Evangelische Messe« in Großhartmannsdorf Die Positionierung gegen die Allgemeine Beichte stellt zwar die mehrheitliche, dennoch aber nicht einzige Meinung im Volksmissionskreis Sachsen dar. Ein 1454 1455 1456 1457

Vgl. Thurian, Evangelische Beichte, 106. Vgl. auch Scharfenberg, Seelsorge und Beichte heute, 88. Böttrich, Beichte im Gottesdienst, 107. Im Übrigen spricht dies für die Praxis der Allgemeinen Beichte nach der Predigt und gegen das Confiteor am Beginn des Gottesdienstes. Das Confiteor enthält keine Absolution, sondern eine Bitte (»der allmächtige Gott erbarme sich unser / euer …«) und ist eine fürbittende Zurüstung angesichts der Sündhaftigkeit aller. Da es aber in der Regel als Beichte missverstanden wird (und außerdem die Besinnung am Beginn des Gottesdienstes überstrapazieren kann), ist ihm trotz seiner ökumenischen Relevanz die Allgemeine Beichte vorzuziehen.

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Visitationsbericht (Pfarrer Gottfried Rebner, Lauter, 1986) bezeugt zunächst die in Sachsen übliche Praxis der Allgemeinen Beichte und deren Interpretation: »Die allgemeine Beichte wird von allen gesprochen. Normalerweise vor dem Heiligen Abendmahl. Die Gemeinde versteht die Beichte als vorherige Reinigung und innere Vorbereitung auf das Sakrament.«1458

Beichte und Abendmahl sind miteinander verbunden. Es wird der traditionelle Konnex der beiden Handlungen als Bedingungsgefüge interpretiert und die Allgemeine Beichte findet direkt vor dem Abendmahl ihren Platz. Ähnliches lässt sich auch anderenorts feststellen (z. B. Hartha, 1966).1459 Daraus ist zu schlussfolgern, dass, wenn im Volkmissionskreis die Allgemeine Beichte praktiziert wird, sie als Vorbereitung auf das Abendmahl gehandhabt wird. Von den früher zwei agendarischen Beichthandlungen entfällt die Beichte nach der Predigt und die Beichte vor dem Abendmahl wird beibehalten. Dies widerspricht zwar den landeskirchlichen Bestimmungen von 1959 bzw. 1961, bezeugt jedoch die in Sachsen häufige liturgische Stellung der gottesdienstlichen Beichte. Darüberhinaus stellt die Gottesdienstpraxis in Großhartmannsdorf ein ausgesprochen interessantes Phänomen dar. Dort hatte man sich im Kerngemeindekreis ausgiebig mit der lutherischen Agende I beschäftigt (vgl. dazu 4.3.2) und der Allgemeinen Beichte den Platz im Anschluss an die Predigt zugewiesen. Obwohl der Großhartmannsdorfer Pfarrer Christoph Richter zunächst zu den Unterzeichnern des Synoden-Antrages von 1959 gehörte und sich gegen die Allgemeine Beichte positioniert hatte, wirkte er wenig später federführend an liturgischen Formularen, welche die Beichte als Teil des Gottesdienstes darstellen. Nach der endgültigen Einführung der neuen Agende 1962 wurde diese in Großhartmannsdorf zum Gegenstand von Diskussion, Gemeindegespräch und gottesdienstlichem Experiment für den Verlauf eines Jahrzehntes. Es wurden liturgische Ordnungen erarbeitet, welche die Bedeutung der Evangelischen Messe und verschiedener liturgischer Dienste der Gemeinde reflektierten. Im Folgenden sollen drei zentrale Quellen für die liturgische Praxis in Großhartmannsdorf vorgestellt und auf ihre Behandlung der Allgemeinen Beichte sowie deren theologische Begründung hin untersucht werden. Anschließend folgt eine vergleichende Übersicht verschiedener liturgischer Abläufe.

1458 Gemeindebericht der Kirchgemeinde Lauter, Kbz Aue für die Visitation vom 12.–26. März 1984, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, in: A.I.s.1057. 1459 Vgl. Bericht über das kirchliche Leben in der Kirchgemeinde Hartha, Pfr. Waldemar Gorgon, Hartha, 04. 06. 1966, in: A.II.f.14.0_K.

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Text 1: »Ordnung der Evangelischen Messe« Das erste Dokument bildet eine »Ordnung der Evangelischen Messe« (ca. 1962).1460 Es handelt sich um einen sechsseitigen Gottesdienstablauf für den Gemeindegebrauch, erkennbar durch den Hinweis »Diese Ordnung bitte auf dem Platz liegenlassen!« Für den darin vorgesehenen Gottesdienst mit Predigt und Abendmahl wird nun die Bezeichnung »Messe« verwendet, was durch die neue Agende I nur unterstützt wird.1461 Dass Christoph Richter wenig früher gegen die gottesdienstliche Beichte gestimmt hatte, ist nicht nur nebenbei ersichtlich: Denn im maschinenschriftlichen Text ist das Element »Allgemeine Beichte« erst nachträglich am Rand mit dem Stempel ergänzt worden. Die Allgemeine Beichte erhält ihren Platz gemäß der neuen agendarischen Ordnung. Die Beichte kommt nach Predigt, genauer nach dem Dankopfer und vor dem Allgemeinen Kirchengebet zum Tragen. Text 2: »Gedanken und Vorschläge zum Gottesdienst« Ein anderes Bild bietet der Text »Gedanken und Vorschläge zum Gottesdienst« (1966). Darin finden sich detaillierte konzeptionelle und organisatorische Überlegungen zum Gottesdienstablauf. Offenbar diente dieser Text als Handreichung für liturgisch Mitwirkende. Ausführlich wird eine neue Herangehensweise an die Allgemeinde Beichte bezeugt: »3. Auf die Predigt folgt ein Antwortvers der Gemeinde, [sic!] oder Chorgesang. Unmittelbar danach folgt die Allgemeine Beichte als ›offene Schuld‹. Die ›offene Schuld‹ (nicht in unserer heutigen Form) wurde schon in der vorref. Zeit geübt. Hier ist ein Ort, wo die unter der Verkündigung aufgezeigte Schuld gemeinsam und zugleich stellvertretend für die unbußfertige Gemeinde unter das Kreuz Jesu gebracht wird. Die Allg. Beichte wird nicht als Rüstteil zum Mahl verstanden. Deshalb rückt sie wieder dicht an die Predigt heran. Dadurch wird die Gemeinde durch den sonst so langen Gebetsteil (inkl. Abendmahlsgebete) nicht überfordert. Wenn wir hierrin [sic!] von der angeordneten Nacheinanderfolge abweichen, dann tun wir es aus Barmherzigkeit der Gemeinde gegenüber, die, wie in kaum einer sächsischen Gemeinde sonst, Sonntag für Sonntag Sakramentsgottesdienst hält.«1462

Weder die Beichte noch die übliche Absolution werden kritisch diskutiert oder abgelehnt, sondern vielmehr als liturgisches Element theologisch begründet. Dies geschieht durch ein Traditionsargument (»wurde schon in der vorref. Zeit geübt«). Damit unterscheidet sich der Text von den bisherigen Begründungs1460 Ordnung der Evangelischen Messe, in: A.I.b.DuL. 1461 Vgl. Agende. Erster Band [1955], 25*. 1462 Gedanken und Vorschläge zum Gottesdienst in Großh., [Pfr. Christoph Richter, Großhartmannsdorf], 1966, in: A.I.b.DuL.

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mustern, die Schriftargumente heranzogen. Das Traditionsargument dient als begründende Einleitung der anschließenden Ausführungen. Die Allgemeine Beichte erhält ihren liturgischen Ort im Anschluss an die Predigt. Dass der vorliegende Text dies derart betont, schließt daran an, dass die Beichte landläufig als Vorstück (»Rüstteil«) des Abendmahles praktiziert wurde bzw. wird. Der gemäß agendarischer Ordnung vorgesehene Platz der Beichthandlung nach der Predigt wird hier als Veränderung geschildert. Der Verfasser bestimmt die Beichte nach der Predigt als liturgische Reaktion der Gemeinde. Die Beichte erhält die Funktion, als Antwort auf das gepredigte Gotteswort die erkannte Schuld zu bekennen. Dabei wird das Predigtlied reduziert, sodass nur ein Vers oder ein Chorgesang übrig bleibt. Dies erfordert eine geringere Beteiligung der Gemeinde als das übliche mehrstrophige Predigtlied. Die Platzanweisung der Allgemeinen Beichte wird auch theologisch begründet. Die Begriffe »gemeinsam« und »stellvertretend« sind hier nicht durch die im Volksmissionskreis verbreitete Skepsis gegenüber einer kollektiven liturgischen Beichthandlung gekennzeichnet, sondern positiv konnotiert. Während es noch wenige Jahre vorher undenkbar war, dass »bußfertige« (Kerngemeinde-) und »unbußfertige« (Nicht-Kerngemeinde-) Christen gemeinsam beichten und Absolution empfangen, dient die Unterscheidung von Kerngemeinde und Gemeinde (die sich beide im Gottesdienst versammeln) nun als Begründung und nicht als Gegenargument für die Allgemeine Beichte. Zu dieser veränderten Sicht haben die »priesterliche« Theologie aus der apostolischen Frömmigkeitstradition (»stellvertretend«, »unter das Kreuz Jesu bringen«), die Gebetserfahrungen der jungen Kommunitäten des Volksmissionskreises sowie die ökumenischen Erfahrungen der 1960er Jahre beigetragen. Offenbar wird die Allgemeine Beichte auch nicht mehr als Konkurrenz zur Einzelbeichte gesehen, sondern beide erhalten jeweils ihren Stellenwert in der praxis pietatis. Ein ausführliches, auf den ersten Blick pragmatisches Argument unterstreicht die Ausführungen: Die Allgemeine Beichte sei deshalb nach der Predigt verortet, um den »langen Gebetsteil« zu entkrampfen, die Gemeinde nicht zu »überfordern« und damit liturgische »Barmherzigkeit« zu üben. Das Argument betont die sonntägliche Messfeier und hebt den Unterschied zu anderen sächsischen Gemeinden hervor, die seltener Sakramentsgottesdienst feiern würden. Tatsächlich lässt sich für einen Großteil der Kirchgemeinden, auch solchen, die vom Volksmissionskreis Sachsen geprägt waren, nachweisen, dass das Heilige Abendmahl kein selbstverständlicher Bestandteil des Gottesdienstes war und wenn, dann meist im Anschluss an den Predigtgottesdienst gefeiert wurde.1463 1463 Vgl. z. B. Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Kirchgemeinde zu Bräunsdorf [Visitation 06/1953], Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, 17. 06. 1953, in: A.I.a.III111 und A.II.c.465; Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Ev.-Luth.

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Warum aber wird von einem »langen Gebetsteil« gesprochen? Dies zeigt sich anhand einer liturgischen Veränderung: Der Ablauf des Gottesdienstes mit Predigt und Abendmahl wird von der agendarischen Ordnung abweichend an die römisch-katholische Messe angeglichen, indem das Dankopfer vor die Abendmahlsfeier gerückt und als Gabenbereitung definiert wird: »Mit dem nun erst folgenden Opferlied beginnt die Mahlfeier. […] Indem die Helfer durch die Reihen gehen, spüren wir die Aufforderung, uns selber mit als Schlachtopfer in Jesu Namen auf den Altar zu legen […]. Das Offertorium wird abgeschlossen mit einem Gebet zum Dankopfer […].«

Text 3: »Handreichung für die gottesdienstlichen Dienstfunktionen« Die mit 54 Seiten recht ausführliche »Handreichung für die gottesdienstlichen Dienstfunktionen« (ca. 1972) wurde im Rahmen einer weiteren »Neuordnung des Gottesdienstes« in Großhartmannsdorf erarbeitet.1464 Diese von Kantor Gottfried Rüger und Pfarrer Christoph Richter geführte Neugestaltung kam am Vorabend des zweiten charismatischen Aufbruches einem liturgischen Höhepunkt gleich, welcher die neu gewonnene Gottesdienstfrömmigkeit konzentrierte. Ohne das sächsisch-lutherische Gewand ganz abzulegen (der Pfarrer trug weiterhin schwarz), wurden die Gottesdienstabläufe reformuliert und (man beachte!) 22 liturgische Dienste inklusive der entsprechenden Gewandungen eingeführt, die vorwiegend von Gemeindegliedern übernommen werden sollten.1465 Auch die im Jahrzehnt zuvor vollzogene Rückkehr zur Allgemeinen Beichte und die neue Hinwendung zu einer ökumenisch akzentuierten Evangelischen Messe wurden hiermit übertroffen. In der Handreichung wird die Allgemeine Beichte dem Dienst des Predigers zugeordnet (der nicht gleichzeitig Liturg sein muss und sollte). Sie soll direkt Kirchgemeinde Sosa, 20. 06. 1960, in: A.II.k.SosaIII.1; Bericht über den Stand des kirchlichen Lebens in der Gemeinde Markersbach, Pfr. Helmut Günnel, 24. 05. 1963, in: A.II.k.Markersbach.III.1; Bericht über den Stand des Kirchlichen Wesens in der St. Johannisgemeinde Crimmitschau, Pfr. Hans Prehn, Crimmitschau, 17. 11. 1971, in: A.I.v.60; Gemeindebericht zur Visitation in Hartenstein vom 12.–23. 09. 1983, Pfr. Gotthold Friedrich, Hartenstein, in: A.I.u.39.II.2; Gemeindebericht der Kirchgemeinde Lauter, Kbz Aue für die Visitation vom 12.–26. März 1984, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, in: A.I.s.1057; Bericht über das kirchliche Leben anläßlich der Visitation durch Superintendent Schönfeld im Oktober 1992, Pfr. Peter Leonhardi, Bräunsdorf, in: A.I.a.III111. 1464 Handreichung für die gottesdienstlichen Dienstfunktionen, in: A.I.b.DuL; vgl. Neuordnung des Gottesdienstes – Perspektivplan –, in: A.I.b.DuL; dort Nennung der Jahreszahl. 1465 22 Ämter, eingeteilt unter die Rubriken Leiturgia, Martyria, Diakonia, sind aufgelistet in: Handreichung für die gottesdienstlichen Dienstfunktionen, in: A.I.b.DuL (Liturg, Vorbeter, Vorsänger, Kantor, Organist, Lektoren, Prediger, Altardiakone, Altarsakristan, Taufsakristan, Lichtsakristan, Sakramentsordner, Türhüter, Begrüßungsdienst, Reinigungsdienst, Altarpflegedienst, Blumendienst, Anstecken der Lieder, Gewänderdienst, Kirchner, Kirchkassierer).

434

Das Zentrum der Seelsorge. Beichte

nach der Predigt vollzogen werden, während sich der Prediger noch auf der Kanzel befindet. Vom Locus der Kanzel aus wird die Beichte mit der Absolution durch den Prediger beantwortet.1466 Es ist nicht zu übersehen, dass die Allgemeine Beichte nun derart nahe an die Predigt gerückt ist, dass sie fast zu einem Teil derselben wird. Mindestens praktisch zählt die Allgemeine Beichte nun unter »Wortverkündigung«. Außerdem wird die Beichthandlung vom Allgemeinen Kirchengebet abgerückt, indem das Predigtlied zwischen Beichte und Kirchengebet zu stehen kommt. Dadurch wird ihr enger Anschluss an die Predigt, der schon 1966 begründet worden war, deutlich intensiviert. Vergleichende Übersicht liturgischer Abläufe Die folgende Gegenüberstellung nimmt die liturgischen Ordnungen der sächsischen Landeskirche von 1906 bis 1962 und der Großhartmannsdorfer Kirchgemeinde von 1962 bis 1972 auf und dient dem Vergleich: Landeskirche Sachsens Agende 1906 VELKD-Agende I unter sächsischen Bestimmungen 1959–62 Predigt Predigt Liedvers

Predigtlied Abkündigungen Dankopfer Allg. Beichte Allg. Beichte Allg. Kirchen- Allg. Kirchengebet gebet Vaterunser Abendmahlsfeier

Abendmahlsfeier

Kirchgemeinde Großhartmannsdorf »Ordnung »Gedanken »Handreichung und Vorder Evangefür die gottesdienstlischen Messe« schläge zum lichen Dienst1962 Gottesdienst« funktionen« 1966 ca. 1972 Predigt Predigt Predigt Allg. Beichte PredigtLiedvers / Predigtlied Chorgesang lied Abkündigungen Dankopfer Allg. Beichte Allg. Beichte Allg. Kirchen- Allg. Kirchen- Allg. Kirchengebet gebet gebet Abendmahlsfeier

Dankopfer Abendmahlsfeier

Dankopfer Abendmahlsfeier

Diese Gegenüberstellung verdeutlicht vier Merkmale der Entwicklung: Erstens hat sich innerhalb der sächsischen Formulare (1906; 1959–62) die 1466 »Der Prediger nimmt die freie Wortverkündigung im Gottesdienst wahr. […] Der Pr. besteigt nach dem Credo bzw. nach der Credostrophe oder nach einem ev. Chorgesang vor der Predigt die Kanzel. Der Ablauf ist wie folgt: […] – Predigt (- Predigtschlußgebet) – Allgemeine Beichte und Absolution (auf der Kanzel) Danach verlässt der Pr. die Kanzel und begibt sich an seinen Platz. Es folgt das – Predigtlied«, a. a. O.

Die Allgemeine Beichte im Gottesdienst: Eine Konkurrenz zur Einzelbeichte?

435

Stellung der Allgemeinen Beichte nicht verändert. Sie steht direkt vor dem Allgemeinen Kirchengebet und schließt mit diesem den Verkündigungsteil des Gottesdienstes vor der Mahlfeier ab. Zweitens ist in Großhartmannsdorf gleichzeitig mit der Einführung der neuen Agende I eine theologisch-liturgische Besinnung auf die Allgemeine Beichte zu beobachten. 1962 wird unter der Überschrift »Evangelische Messe« der sächsisch modifizierte Ablauf nach Agende I unverändert übernommen. Dies ist nur darin zu begründen, dass ab jetzt Allgemeine Beichte und Einzelbeichte nicht mehr als Konkurrenz zueinander verstanden werden. Drittens verstärkt sich in den »Gedanken und Vorschlägen zum Gottesdienst« von 1966 der Charakter der Messe im Kontext ökumenischer Erfahrung, da das Dankopfer als Offertorium an den Beginn der Mahlfeier rückt. Dadurch kommt die Beichte nun wieder der Predigt näher, jedoch wird nicht sie, sondern das Dankopfer verschoben. In beiden Abläufen von 1962 und 1966 bleibt die Beichthandlung in Verbindung mit dem Allgemeinen Kirchengebet und steht damit am Abschluss des Verkündigungsteiles. Viertens verändert sich mit der »Handreichung« von 1972 die Stellung der Beichte. Sie wird als Abschluss der Predigt und praktisch als Teil der Wortverkündigung begriffen, indem sie durch den Prediger noch von der Kanzel aus praktiziert wird. Die Verortung von Beichte und Absolution am Predigtort Kanzel kommt einem barockisierenden Anachronismus gleich.1467 Es scheint, als würde der Großhartmannsdorfer liturgische Aufbruch mit einer historisierenden Strenge einhergehen. Auf jeden Fall kennt die Großhartmannsdorfer Liturgie der Evangelischen Messe nun ein ganz eigenes Ordinarium, das sich deutlich vom Gros des Volksmissionskreises, aber auch von der Agende I der VELKD, von der sächsisch-agendarischen und anderen in Sachsen üblichen Praxisformen sowie von der römisch-katholischen Messe unterscheidet.

1467 Vgl. die Erwähnung dieser Praxis z. B. in: Henke, Religionsanalen, 243.

9

Resümee: Ergebnisse der Untersuchung und Impulse für die Gegenwart

9.1

Der Volksmissionskreis Sachsen und die charismatische Bewegung in Sachsen: Wurzeln und Merkmale

a) Der Volksmissionskreis Sachsen entstand zunächst als volksmissionarischer Freundeskreis aufseiten der Bekennenden Kirche aus dem Kirchenkampf innerhalb der Sächsischen Posaunenmission. Er gehörte in den Bereich der Kirchlichen Volksmission und war Teil der deutschen Oxford-Gruppenbewegung. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Volksmissionskreis offiziell gegründet. Er stellte die Nachfolgevereinigung der Gruppenbewegung in Sachsen dar und wurde Teil der landeskirchlichen Inneren Mission. b) Der Volksmissionskreis als missionarische und seelsorgerliche Initiative wirkte an der kirchlichen und kirchgemeindlichen Etablierung charismatischer Spiritualität innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Die charismatische Bewegung in Sachsen wurde bis in die 1970er Jahre durch den Volksmissionskreis als Trägergruppe gebildet. c) Am Volksmissionskreis zeigen sich in besonders deutlicher Weise die deutschen Wurzeln der innerkirchlichen charismatischen Bewegung: das kirchlich-missionarische Anliegen der Volksmission; die Oxford-Gruppenbewegung mit ihrer heiligungstheologischen Ausrichtung, seelsorgerlichen Arbeit und ihrer Betonung des Hörens auf die Stimme des Heiligen Geistes; die ökumenischen Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges und die apostolische Frömmigkeitstradition (Ausläufer der katholisch-apostolischen Bewegung); die Beziehungen zu den jungen evangelischen Kommunitäten. d) Bereits vor dem Beginn der weltweiten charismatischen Bewegung tritt im Volksmissionskreis charismatische Spiritualität auf. Diese lässt sich schon in den 1940er Jahren wahrnehmen, vor allem in Form von Themen wie Geisterwartung, -taufe, -erfüllung, Charismen, Vollmacht. Zunächst durch ein überregionales Engagement gekennzeichnet, verankert sich der Kreis ab den

438

Resümee

50er Jahren in den Kirchgemeinden und transportiert so – in unterschiedlichem Maß, durch verschiedene Akteure und mit letztlich unterschiedlichen Auswirkungen – charismatische Spiritualität in die Kirchgemeinden und seine Kerngemeindekreise. e) Der erste charismatische Aufbruch in Sachsen Anfang der 1960er Jahre ereignet sich innerhalb des Volksmissionskreises und wird besonders wahrnehmbar in Bräunsdorf und Großhartmannsdorf. In der Folge werden bis zu 100 Kirchgemeinden (durch Kerngemeindekreise) und ähnlich viele Pfarrer der sächsischen Landeskirche (als Mitarbeiter bzw. Freunde) durch den Volksmissionskreis geprägt. Der Kreis ist die Trägergruppe charismatischer Spiritualität bzw. der charismatischen Bewegung in Sachsen. f) Der zweite charismatische Aufbruch Anfang der 1970er Jahre, der in Verbindung mit der weltweiten charismatischen Jugendbewegung (Jesus-People) steht, verleiht dem Volksmissionskreis eine größere Öffentlichkeitswirksamkeit und Überregionalität. Im Mittelpunkt stehen weiterhin Bräunsdorf und Großhartmannsdorf. Zugleich beginnen sich selbstständige Gruppen von der Muttergruppe des Volksmissionskreises abzulösen. Damit verliert der Kreis seine Rolle als alleiniger Träger der charismatischen Bewegung in Sachsen. Dennoch ist er weiterhin Hauptakteur in den 1970er Jahren und stellt in der DDR die größte und führende charismatische Gruppe dar. g) Auf den zweiten Aufbruch folgt die Krise in den 1970er und 80er Jahren in Form eines durch theologische Streitigkeiten und Führungsansprüche motivierten Konfliktes um Gerhard Küttner. Dieser führt zu heftigen Auseinandersetzungen, zur Spaltung in Bräunsdorf und zum Ende der Öffentlichkeitswirksamkeit des Volksmissionskreises. Spätestens um 1990 hat der Kreis seine Rolle als Repräsentant der sächsischen charismatischen Bewegung verloren, wenngleich der Vorsitzende des Volksmissionskreises noch bis 1991 als Vorsitzender der Geistlichen Gemeindeerneuerung Ost fungierte. h) Der Volksmissionskreis existiert als eingetragener Verein bis heute, zeigt kaum charismatische Merkmale und einige seiner Mitglieder teilen mit, man sei nicht charismatisch. Die charismatische Bewegung in Sachsen hingegen ist historisch und zum Teil bis heute – je nach Ursprung und Prägungen der jeweiligen Gruppen – von ihrer Herkunft aus dem Volksmissionskreis zu verstehen.

Der Volksmissionskreis als Seelsorgegemeinschaft

9.2

439

Der Volksmissionskreis als Seelsorgegemeinschaft

a) Der Volksmissionskreis Sachsen ist vorwiegend seelsorgerlich aktiv. Seine Seelsorge ist eine Seelsorge der Gemeinschaft, denn sie wird von, in und aus der Gemeinschaft sowie für die Gemeinschaft praktiziert. Er ist als Seelsorgegemeinschaft zu bezeichnen. b) Seelsorge wird im Volksmissionskreis aus Erweckung praktiziert. Erweckung (erweckt sein; erweckt werden), welche in evangelistischer Diktion die persönliche Aneignung der Rechtfertigungsgnade meint, ist nicht allein ein einmaliges, initiales Geschehen, sondern soll durch Gemeinschaft und durch regelmäßige Seelsorge fortgesetzt werden. Das Ziel der Seelsorge ist spirituelle Erneuerung und umgekehrt erfordert spirituelle Erneuerung Seelsorge. c) Erweckt-Sein und seelsorgerliche Aktivität werden gleichgesetzt. Daher definieren sich die Verbundenen als eine Gemeinschaft lebendiger Christen. Im Fall der Kerngemeindekreise verstehen sie sich ekklesial als Gemeinde schlechthin (vgl. Selbstbeschreibungen wie »familia Dei«; das Idealbild des Kerngemeindekreises als Abendmahlsgemeinde). d) Davon ausgehend orientiert sich die volksmissionarische Poimenik nicht an der Taufe, sondern evangelistisch an Erweckung / Bekehrung / Beichte. Dies hat Konsequenzen für den Gemeindeaufbau: Die erweckte Gemeinschaft wird exklusiv. Zur Erneuerung der Gesamtgemeinde sollen erweckte Gruppen, die Kerngemeindekreise, eingerichtet werden. So kann es passieren, dass die Gemeinschaft sich selbst nicht nur als Gruppe unter Gruppen, sondern als die Gruppe neben den Gruppen sieht. Sie kann Subkulturen entwickeln, in denen offenbarungshafte Autoritäten entstehen, die nicht nach außen kommunizierbar sind oder sein dürfen. e) Seelsorge begründet Gemeinschaft. Wer Seelsorge wahrnimmt, kann zu den jeweiligen Gemeinschaftsformen des Volksmissionskreises hinzugehören. Und wer zu ihnen gehört, soll Seelsorge wahrnehmen. Dadurch stärkt Seelsorge die Binnenstrukturen des Volksmissionskreises. Hier sammeln sich Menschen mit ähnlichen Erfahrungshorizonten, die am Punkt der verbindlichen Wahrnehmung von Seelsorge übereinstimmen. f) Seelsorge wird reguliert. Dies geschieht durch Gemeinschaft und ihre Ordnungen. Dazu hat der Volksmissionskreis ein breites Spektrum an Gemeinschaftsformen ausgebildet: Mannschaften (Mitarbeiterteams), Kerngemeindekreise, Kommunitäten, Tertiärgemeinschaften, lokale bis überregionale situative Gemeinschaftsformen (Tagungen, Treffen). Diese Gemeinschaften regulieren das seelsorgerliche Leben ihrer Mitglieder. Das Instrumentarium der Regulation kann von der informellen, aber selbstverständlichen Bestimmung (ungeschriebenes Gesetz) bis hin zur verfassten Ordnung (offizielle Regel) reichen.

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Resümee

g) Damit hatte der Volksmissionskreis in einer Zeit, in der »Kloster auf Zeit«, »kleine christliche Gemeinschaften«, »Geistliche Begleitung« etc. noch unbekannt waren, die Chancen von Verbindlichkeit und Ordnung ergriffen und mit der Seelsorge verbunden. Gemeinsames Leben in Gemeinschaftsformen und formulierte Verbindlichkeiten dienen der geistlichen Vertiefung. Sie ermöglichen es, der Spiritualität eine dauerhafte Gestalt zu geben.1468 Die verbindliche Gemeinschaft ist Ort der spirituellen Bildung. Im säkularen Umfeld, in dem kirchliche Sozialisation alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist, vermag ein gemeinschaftlich geordnetes Christsein dem geistlichen Leben Identität zu geben. Mit den Worten Philipp Melanchthons gesprochen: »pietas […] pietate discitur«.1469 Dabei gelten auch hier die von Peter Zimmerling formulierte Gefahr und Handlungsperspektive: »Der Glaube der Gemeinschaft kann zum Surrogat des eigenen Glaubens werden. Persönliche Zweifel und Meinungsunterschiede werden unterdrückt, um die emotionale Sicherung durch die Gruppe nicht aufs Spiel zu setzen. Im Wissen um diese Gefährdung ist es für jede christliche Gemeinschaft notwendig, ihren Mitgliedern ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung, Partizipation und Initiative in Fragen des Glaubens und des gemeinsamen Lebens einzuräumen«.1470

9.3

Volksmissionarische Poimenik

a) Die Seelsorge der Kirchlichen Volksmission ist von der kerygmatischen Seelsorge abgeleitet und stellt eine deutliche Weiterführung bzw. Ergänzung, aber keine Alternative zu ihr dar. In diesem Sinne kann die volksmissionarische Seelsorge als ein eigenes poimenisches Konzept bezeichnet werden. Der Volksmissionskreis Sachsen gibt dieses Konzept zu erkennen. b) Die volksmissionarische Seelsorge ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die cura animarum generalis wiederentdeckt hat. Sie begrenzt Seelsorge nicht auf das Vier-Augen-Gespräch, sondern kennt eine Vielzahl von Vollzügen (neben Gespräch und Beichte vor allem Stille Zeit, persönliches und gemeinschaftliches Gebet, Vortrag, Predigt, Gruppengespräch). Dabei gehören missionarische und seelsorgerliche Anliegen zusammen.

1468 Vgl. Kubik, Das Beste teilen, 13. Dabei geht es, wie Peter Zimmerling herausstellt, nicht um eine »Verklösterlichung« der Kirchgemeinden. Beide Sozialformen des Christentums sollen sich vielmehr gegenseitig befruchten, was u. a. dazu helfen kann, die Vereinzelung und Unverbindlichkeit des Christseins zu überwinden; vgl. ders., Evangelische Spiritualität, 166f. 1469 SupplMel 5/1, 373, 8. 1470 Zimmerling, Bedeutung der Kommunitäten, 114.

Volksmissionarische Poimenik

441

c) Die volksmissionarische Seelsorge findet in verschiedenen Gemeinschaftskontexten statt. Ihr Subjekt ist das allgemeine Priestertum. Sie ist sowohl auf den Einzelnen als auch auf die Gemeinschaft bezogen: Die spirituelle Erneuerung des Einzelnen wirkt auf die Gemeinschaft und umgekehrt. Daher ist mit der Seelsorge das gemeindebauende Handeln untrennbar verbunden. d) Die volksmissionarische Seelsorgekonzeption beschreibt einen poimenischen Zirkel, nämlich den Kreislauf bzw. die Zielrichtung von der cura animarum generalis zur cura animarum specialis wieder zur cura animarum generalis usw. Der Zirkel betont, dass die spezielle Seelsorge nur einen Teil der Seelsorge überhaupt darstellt, wohl aber in deren Zentrum steht. Praktisch heißt dies, dass generell-seelsorgerliche Vollzüge wie Vortrag, Predigt, Veranstaltungen der Gemeinschaft zu den speziell-seelsorgerlichen Vollzüge Gespräch und Beichte hinführen. Letztere sollen dazu befähigen, dass erstere wieder stattfinden usw. e) Der Volksmissionskreis erweitert diese Seelsorge charismatisch: Der poimenische Zirkel enthält charismatische Elemente wie heilendes und exorzistisches Handeln. Diese kennzeichnen seine Seelsorge als Gebetsseelsorge.

Impulse für eine Wiederentdeckung der cura animarum generalis f) Die cura animarum specialis ist zur cura animarum generalis der Gegenwart geworden. Die moderne Dominanz des Gespräches, das Verständnis des Seelsorgers als professionellen Gegenübers und die Monopolisierung der pastoralpsychologischen Seelsorgebewegung haben zu einer Vernachlässigung allgemeiner Seelsorgeformen sowie der Seelsorge durch Laien geführt. Isolde Karle bemerkt dazu kritisch, dass aufgrund dieser Entwicklung »eigens ausdifferenzierte Seelsorgepfarrämter mit therapeutischem Profil […] als eigentlich professionelle Seelsorge begriffen und gefördert werden« und »im Gegensatz« dazu sogar die Parochialseelsorge »in den Hintergrund rückt«.1471 Die Spezialisierung und Professionalisierung der Seelsorge bewirkt auch deren Vereinseitigung. g) Die Reduktion der poimenischen Vielfalt durch Spezialisierung müsste mit einer wesentlichen Ergänzung behoben werden. Man könnte an Thomas Stahlberg anknüpfen, der gefordert hatte, wahrzunehmen, dass sich Seelsorge »auch außerhalb der methodisch-reflektierten Interpretationskompetenz der 1471 Karle, Poimenik, 595. Vgl. dazu Seitz, Praxis des Glaubens, 73; Josuttis, Seelsorge in der Gemeinde, 400f.

442

Resümee

Pastoralpsychologie findet«.1472 Ergänzung bedeutet nicht Ersatz, weshalb es nicht darum gehen kann, Professionalität zu negieren. Aber mit der cura generalis können die Aspekte Alltäglichkeit und Gemeinschaftlichkeit für die Seelsorge entdeckt werden.1473 Dass die generelle Praxis des allgemeinen Priestertums der Glaubenden in der gegenwärtigen Seelsorge (in Theorie und Praxis) einen zu vernachlässigenden Gegenstand darstellt, bedeutet für die evangelische Tradition, welche in der Reformation die gemeinsame geistliche Praxisverantwortung aller Getauften neu herausgestellt hatte, einen ausgesprochen problematischen Befund. Zur Allgemeinheit und Alltäglichkeit der Seelsorge muss gehören, das allgemeine Priestertum wiederzugewinnen. h) Die volksmissionarische Poimenik regt an, nicht nur die seelsorgerlichen Funktionen von alltäglichen Situationen für das pastorale Handeln zu reflektieren, sondern gerade den Gemeinschaftsaspekt für die alltägliche Seelsorge und die Seelsorge von Laien neu herauszuarbeiten. Der Blick auf die koinonia vermag die Seelsorge aus dem Spezialfall des Einzelgespräches herauszuholen. Es könnten Formen und Vollzüge der Seelsorge fruchtbar gemacht werden, in denen sogenannte Laien deren Akteure würden.

9.4

Beichte als Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises

a) Das Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises Sachsen ist die Beichte. Dies weist einerseits auf die kerygmatische Herkunft seiner Seelsorge (Gleichung: Seelsorge ist Beichte) als auch auf deren volksmissionarische Ausgestaltung (Zirkel: Beichte als Ziel und Ausgangspunkt) hin.

Merkmale der Beichtseelsorge des Volksmissionskreises b) Der Volksmissionskreis hat sich auf die Fahnen geschrieben, die verloren gegangene evangelische Einzelbeichte neu zu beleben. Dadurch wird seine 1472 Stahlberg, Seelsorge im Übergang, 296. 1473 Die Bedeutung der Alltäglichkeit für die Praxis der Seelsorge ist in den letzten Jahrzehnten neu erkannt und beschrieben worden. Vgl. Möller, Alltägliche Seelsorge; ders., Seelsorge im Alltag; ders., Seelsorglich predigen, 108–121; Hauschildt, Alltagsseelsorge. Interessanterweise gehen aber die dahinter stehenden Überlegungen vornehmlich weiterhin von einer speziell-seelsorgerlichen Gesprächsorientierung und einem Fokus auf die Amtsträger aus. Alltagsseelsorge bezeichnet häufig die Seelsorge im pastoralen Alltag; vgl. Hauschildt, Alltagsseelsorge bes. 380–406; ähnlich Josuttis, Seelsorge in der Gemeinde, 402f. Dagegen hatte Christian Möller die »Rolle des Pastors im Priestertum aller Glaubenden« angesichts der Alltäglichkeit von Seelsorge herausgearbeitet: ders., Seelsorglich predigen, 119–121.

Beichte als Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises

443

charismatische Spiritualität konfessionell-lutherisch akzentuiert. Innerhalb seiner Grenzen ist es ihm gelungen, den Sinngehalt der Beichte (Wichtigkeit des Schuldbekenntnisses; Gemeinschaftlichkeit der Sünder ; Wirkung des extern zugesprochenen Vergebungswortes) zu vermitteln und ihre Praxis zu etablieren. Damit wendet er sich gegen die pietistische Engführung, welche die Beichte auf ein einmaliges Geschehen reduzierte, und die protestantische Irrelevanz, welche sie abschaffte. Außerdem soll die Beichte aus ihrer individualistischen Verinnerlichung herausgeholt werden, sodass Buße nicht nur im Herzen, sondern in einem zwischenmenschlichen Raum stattfinden kann. c) Typische Fragen wie »Wer ist Dein Beichtvater? Wie oft gehst Du zur Beichte? Wann warst Du das letzte Mal?«1474 ersetzen die charakteristische charismatische Frage »Hast du den Heiligen Geist empfangen?«. Da diese Fragen ein kriteriologisches Anliegen verfolgen, ist im Volksmissionskreis die praktizierte Einzelbeichte das Kriterium für authentisches Christsein. d) Dass die Beichte neu etabliert werden konnte, ist an Bedingungen geknüpft, die der Volksmissionskreis aufgestellt hatte. Denn da authentisches Christsein und Beichtpraxis zusammenhängen, wird letztere von ihren Wiederentdeckern reglementiert: Die Beichte wird zur 1) notwendigen Folge der Evangelisation und zur Form von Erweckung, als solche 2) zur unausgesprochenen Eintrittsbedingung in die Kerngemeinde sowie 3) zur Gestalt geordneten Christenlebens. Die evangelische Freiheit zur Beichte, die im Protestantismus gemeinhin als Freiheit von der Beichte missverstanden wurde, steht nun in der Gefahr, von der Regulierung verdrängt zu werden. Dies zeigt sich am Beispiel der Kerngemeindekreise, welche ihre ekklesiale Selbstdefinition aus der Beichte und nicht aus der Taufe entwickeln. e) Die Beichtseelsorge des Volksmissionskreises macht deutlich, dass die Beichte für das Leben relevant ist und dass die Seelsorge nicht nur die Dimension der Rechtfertigung, sondern auch die der Heiligung einschließt. Mit Gerhard Ruhbach gesprochen: »Die Absolution hat Konsequenzen in den Alltag hinein, weil der von Christus Freigesprochene nun auch in eine Gestaltwerdung des neuen Lebens hineinkommt«.1475 Die gesamte Seelsorge ist nicht allein auf Vergebung bezogen, sondern auch auf Lebensführung und Verantwortung. Deshalb aber kann sie nicht nur in der hohen Form des auf Schuld und Vergebung bezogenen Gespräches stattfinden, sondern muss auch als Beratung, Begleitung und alltäglicher Austausch möglich werden. Während Aspekte von Begleitung und Austausch im Volksmissionskreis durch Stille Zeit und Gemeinschaft bereits realisiert wurden, erhielt die Be1474 Rundbrief von Pfr. Christoph Richter, Albernau, 17. 07. 1984, an Mitarbeiter bei den Oasen 1984, in: A.III.b.MR. 1475 Ruhbach, Das ganze Leben, 45.

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Resümee

ratung dagegen kein erkennbares Augenmerk.1476 Doch auch sie ist nötig für eine evangelische Poimenik, welche sich an den ganzen Menschen wendet.

Reintegration der Beichtpraxis in die Gemeinde f) Im Volksmissionskreis hatte man erkannt, dass die Beichte, wenn sie ein selbstverständlicher Bestandteil der vita spiritualis sein soll, bekannt gemacht, gelehrt und eingeübt werden muss. Dies geschah durch aktive Gemeinschaft, durch Vorbildwirkung, durch Gespräch, durch Predigt, durch geschriebene und ungeschriebene Regeln etc. Wo aber etwas erkannt, umgesetzt und ggf. durch Ordnungen reguliert wird, kommt immer die Gefahr der Gesetzlichkeit ins Spiel. Ihr wird man nicht grundsätzlich ausweichen können. Aber Bescheidenheit im Selbstverständnis sowie Zurückhaltung in der Forderung an andere (und deren Beurteilung) können dieser Gefahr wehren. Gerade die Besinnung auf die Beichte kennt die Kraft der Gnade. g) Manfred Josuttis weist darauf hin, »daß das Phänomen der Verschuldung für viele Zeitgenossen emotional wie kognitiv schwer zugänglich ist«.1477 Deshalb steht er den Möglichkeiten für eine Erneuerung der Beichte skeptisch gegenüber. Zunächst müssen die Bedeutung von Schuld und der Sinn der Beichte vermittelt werden, um die Praxis der Beichte in den Gemeinden zu aktivieren. Daher spricht Christof Gestrich von der Notwendigkeit einer »Pönitenz-Erziehung der Gemeinde«.1478 Nicht nur das Bekennen, auch das Erkennen von Schuld muss erlernt werden. Wie kann dies aussehen? Damit das, was Gestrich mit »Erziehung« meint, nicht pädagogisierend, sondern vermittelnd wirkt, braucht es ein Gesamtkonzept. Regelmäßige Beichtzeiten sollten installiert und das Angebot der Beichte beworben werden. Sie kann und soll ein Thema in Predigten, Vorträgen etc. darstellen, ohne dass dadurch die ständige (explizite oder implizite) Aufforderung »beichtet!« gesprochen werden darf. Allerdings lässt sich die allgemeine »Erlebenslücke«, welche 1476 Wie gezeigt wurde, bildet die persönlich-mündliche Beratung keinen Gegenstand der poimenischen Theorie des Volksmissionskreises. Ihre Praxis kann zwar in konkreten Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden, aber sie ist literarisch nicht nachweisbar. 1477 Josuttis, Segenskräfte, 189; nicht selten zitiert, so z. B. bei Böttrich, Beichte im Gottesdienst, 100; Dahlgrün, Christliche Spiritualität, 504f. 1478 »Wenn Predigten nicht gipfeln in jenem evangelischen ›Gott spricht dich deiner Sünde los und ledig; du aber gehe nun hin in dieser Freiheit und bewähre dich in ihr‹, dann kann es auch kein in Kraft stehendes evangelisches Beichtgeschehen geben. […] In der heutigen Situation der evangelischen Kirchen benötigen wir im Hinblick auf Beichte und Buße auch eine regelrechte Pönitenz-Erziehung der Gemeinde. Denn wir sind, bei den Theologinnen und Theologen angefangen, in diesem Bereich orientierungslos geworden«, Gestrich, Beichte erneuerungsfähig?, 157f.

Beichte als Zentrum der Seelsorge des Volksmissionskreises

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einen großen Graben zwischen dem Leben vieler Menschen und dem Thema Schuld bzw. Beichte bildet, nicht einfach durch Worte schließen.1479 Hier bedarf es der Dimension der Erfahrung, die z. B. durch Segnungsgottesdienste, nicht zuletzt aber durch religionspädagogische Zugänge (spielerisch und altersentsprechend Wege zum Thema finden) eingeholt werden kann. h) Der Beichte werden nicht selten Vorurteile oder gar Ängste entgegengebracht, die zu ihrer Ablehnung führen: Sie sei ein Mittel der Kontrolle der Menschen durch die Kirche, in ihr komme ein patriarchal autoritäres Gefälle zum Zuge,1480 sie verenge den Blick auf die Schuld des Menschen und blende dessen positive Seiten aus.1481 Gegen die Angst (und die Angst vor der Angst) hilft aber nur das Handeln: Nur wenn die Beichte praktiziert wird, können die Vorbehalte überwunden werden. Dies muss in Freiheit geschehen, d. h. auf Augenhöhe zwischen Seelsorgesuchenden und Seelsorgenden, ohne »pietistischen ›Bußkampf und Bußkrampf‹«1482 und ohne stete Sündenfokussierung1483 (Seelsorge kann, muss aber nicht Sünde thematisieren und Beichte praktizieren). Dann jedoch wird die Beichte zu einem seelsorgerlichen Mittel, das nicht einengt, sondern zum Menschsein befreit.1484 »Für die Einzelbeichte muss man sich wünschen, dass der Prozess einer Überwindung der Gegensätze von kerygmatischer und dialogischer Seelsorge, der sakramentalen und der therapeutischen Beichte zur wechselseitigen Annäherung und Anerkennung weitergeht. Die versöhnende, vergebende, der Erlösungsbedürftigkeit antwortende Dimension des christlichen Glaubens wird sich neben der sinnstiftenden, kontingenzbewältigenden, pädagogischen und therapeutischen unverzichtbar behaupten und artikulieren.«1485

1479 Winkler, Seelsorge, 39. 1480 Dies spielte auch für den Gedankengang Joachim Scharfenbergs eine wichtige Rolle, der die Beichte als Mittel der Seelsorge ablehnte. Für ihn war die Beichte Ausdruck des autoritären Gefälles im kergymatischen Gegenüber von Seelsorgenden und Seelsorgesuchenden. Aus dieser Sicht macht Scharfenberg einen Gegensatz von autoritärer Beichte und gleichberechtigtem Gespräch aus, vgl. ders., Seelsorge und Beichte heute. 1481 Aus der Wahrnehmung einer Überbetonung der Schuld folgen Rufe nach der Würdigung dessen, was gut und gelungen ist. Vgl. z. B. das fragwürdige »liturgische Experiment«, das unierte Sündenbekenntnis am Eingang des Gottesdienstes nicht nur mit dem Gloria Dei, sondern auch mit dem Lob des Menschen zu verbinden, vgl. Koslowski, »Schuldbekenntnis« und »Lobspruch«. 1482 Obst, Beichte, 434. 1483 Vgl. Engemann, Lebenskunst und das Evangelium, 882f. 1484 Vgl. Zimmerling, Beichte heute, 50–52 u. a. 1485 Lins, Buße und Beichte, 332.

446

9.5

Resümee

Gebetsseelsorge

a) Die Merkmale Gebetsgemeinschaft, Lob bzw. Dank, Segnung und Inanspruchnahme erweisen den Volksmissionskreis als charismatische Gruppe und seine Praxis als charismatische Seelsorge. b) Das Gebet erhält im Volksmissionskreis Sachsen hohe Aufmerksamkeit. Es kann frei oder liturgisch, gemeinschaftlich oder persönlich stattfinden. Durch seine Für-Haltung, sein Für-andere-Eintreten (Theologie der priesterlichen Stellvertretung; »helfendes Gebet« der Gruppenbewegung) wird es zu einem Vollzug der Seelsorge. Auch darin ergänzt die Poimenik des Volksmissionskreises die kerygmatische Seelsorge, dass das Gebet nicht nur das (inhaltliche und praktische) Ziel des Seelsorgegespräches ausmacht, sondern selbst ein eigener, zum Teil sehr ausführlicher Seelsorgevollzug ist. Die seelsorgerlich verstandene, proexistente Gebetshaltung des Für-Andere beruht auf der Annahme, dass Heilswahrheiten und Heilsgaben Gottes im Gebet »in Anspruch genommen« werden können.

Anamnetisches Beten in der Seelsorge braucht epikletisches Beten c) Die gebetspraktischen Schritte der Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises sind Aneignen (Dank; Affirmation) und Zueignen (Segnung; Performation) der Heilsgaben Gottes. Gottes Gaben sollen entsprechend der Intention des seelsorgerlichen Anliegens im Gebet ergriffen und weitergegeben werden. Des Heilshandelns Gottes wird im Gebet gedacht, es wird ausgesprochen und doxologisch bzw. im Modus des Dankes vergewissert. Dies geschieht mittels bestimmter Formulierungen, in denen Heilsaussagen präsentisch bzw. perfektisch getroffen werden und für das geschenkte Heil gedankt wird. Formulierungen im Modus der Bitte oder des Wunsches kommen dagegen nicht vor. Zugrunde liegt die Annahme, durch lobpreisendes Gedenken und Heilsaussagen könne die erwünschte Hilfe in Anspruch genommen, d. h. ergriffen und vermittelt werden. Daher fehlt die Bitte um Gottes Handeln bzw. um das Wirken des Heiligen Geistes, ebenso wie erst recht die Klage nicht auftritt.1486 d) Gebetstheologisch ist hinsichtlich der Praxis des Volksmissionskreises von anamnetischem, nicht epikletischen Beten zu sprechen. 1486 Auch hier gilt, dass die Praxis der intimen Seelsorge des Volksmissionskreises im Einzelnen nicht rekonstruiert und beurteilt werden kann, dass aber die konzeptionelle Auswertung der literarischen Quellen keine anderen als die genannten Feststellungen ergibt.

Gebetsseelsorge

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e) Ohne die epikletische Dimension im Modus der Bitte werden Bedeutung und Aufgabe des anamnetischen Betens verkannt: Sein heilsgedenkender und lobpreisender Charakter wird – dies steht in Zusammenhang mit charismatischer Vollmachts- und Erhörungs-Theologie – rein assertorisch verstanden und damit reduziert.1487 Assertorisch ist ein Gebet, das nur Heilsaussagen, also lediglich Feststellungen trifft. Ein anamnetisches Beten im eigentlichen Sinne gedenkt aber immer auch dessen, dass das Heil zwar wirkmächtig gegeben ist, doch immer noch vor seiner Vollendung steht. Daher schließt die Anamnesis substantiell die Bitte ein, dass Gott selber seines Heils gedenken möge – und wenn Gott an sein Heilswirken erinnert wird, ist es bis zur epikletischen Bitte um seine Hilfe nur noch ein kleiner Schritt.1488 Angst und Klage, Zweifel und Bitte müssen in einer Gebetsseelsorge zu ihrem Recht kommen. Nur durch sie wird die Seelsorge wirklich Seelsorge, denn der Dank gegen Gott muss erst gefunden werden. Im Übrigen verhindert »der Primat des Epikletischen vor dem Assertorischen […] ein einseitiges Vollmachtsdenken«.1489

Sichtbarkeit des Glaubens: Das leibhaftige Ritual in der Seelsorge f) Vorsichtig zeigt die Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises Anzeichen für die Integration leibhaftiger Vollzüge (die Vorsicht spricht noch von ihrer kerygmatischen Herkunft, die Öffnung bereits von der charismatischen Ausrichtung). Während Formen wie das Schweigen oder die Krankensalbung hier noch unbekannt sind, stellt die Gebärde der Handauflegung im Volksmissionskreis die einzige und umso herausgehobenere Form dar. Dieser Gestus soll die im Gebet dankend ergriffene Hilfe bzw. Gabe Gottes segnend vermitteln. Dadurch erhält die moderne Seelsorge, welche auf Gespräch und damit auf den Intellekt konzentriert ist, eine Handlungsform der biblischen und kirchlichen Tradition zurück, die im Bereich der zwischenmenschlichen körperlichen Berührung wirkt. Der Leib soll am Beten teilhaben. g) Im Volksmissionskreis wurde damit praktisch erkannt, obgleich nicht theoretisch reflektiert, dass die Kommunikation im Gebet zwar durch das Wort, nicht aber durch Worte allein geschieht. Der Gestus kennt Wege zum Menschen, die das gesprochene Wort allein nicht gehen kann. Auch am heilenden Handeln Jesu zeigt sich, dass Gottes Kraft über die Möglichkeiten verbaler Kommunikation hinaus durch Gebärden der Berührung wirksam wird (vgl. 1487 Vgl. Gerhards, Symbol – Ritus – Erfahrung, 279f. 1488 Vgl. Bloth, Gebet, 101. 1489 Gerhards, Symbol – Ritus – Erfahrung, 279.

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Resümee

z. B. Mk 7,33f). Allerdings steht das Auflegen der Hände im Volksmissionskreis in der Gefahr, dynamistisch missverstanden zu werden: Da sich seine Gebetsseelsorge auf das anamnetisch-inanspruchnehmende, nicht auf das epikletisch-bittende Beten verlegt hat, kann die Handauflegung leicht als Garantie von Vollmacht und Gelingen interpretiert werden. h) Im gegenwärtigen Protestantismus treten leibliche Vollzüge bereits stärker ins Bewusstsein, fristen insgesamt aber noch ein Schattendasein in der Seelsorge. So wird beispielsweise die Salbung bis heute nur innerhalb besonderer Veranstaltungen (z. B. Segnungsgottesdienste) oder Gruppen (v. a. Kommunitäten, charismatische Gemeinden) praktiziert.1490 Ihre Aufnahme in die reguläre Seelsorgepraxis der Pfarrerinnen und Pfarrer steht dagegen noch aus. Dies wäre aber angesichts der religiösen Gegenwartssituation vonnöten: Die erfahrungsorientierte Suche vieler Menschen nach greifbarer Spiritualität hat längst begonnen, von kirchlich verorteten Gestalten der Seelsorge, Lebensbegleitung und Lebensübergangsritualen abzuwandern und sich Angeboten aus dem Bereich von Esoterik, Psychoszene etc. zuzuwenden.1491 Einer der Gründe dafür liegt darin, dass die evangelisch-kirchliche Glaubensgestalt nur wenig äußerlich sichtbare Formen kennt.1492 Stattdessen wird durch die wachsende Präsenz charismatischer Gruppen, Migrationsgemeinden und nichtchristlicher Religionsgemeinschaften, nicht zuletzt auch des Islam, die Sichtbarkeit des Glaubens neu relevant, ja sogar eingefordert: »Das Christentum in deutscher Prägung ist oft zögerlich in seiner rituellen Ausdrucksgestalt. Was tust du als Christ?, das ist die Frage, die von Muslimen meist als erstes gestellt wird, Was glaubst du als Christ? ist die Frage, die viele Christen als eine der ersten Fragen erwarten würden«.1493

Die Frage nach dem »Tun«, dem sichtbaren Ausdruck des christlichen Glaubens erhält die Stellung eines Prüfkriteriums, mit dem für viele Zeitgenossen die Kirche steht und fällt. Diese Frage muss nicht antithetisch gegen den Zentrallocus der Rechtfertigung sola gratia verstanden werden. Sie sollte vielmehr dringend auf die Sichtbarkeit des Lebens aus der Rechtfertigungsgabe hinweisen. Dadurch rückt die Kategorie der geistlichen Übung neu ins

1490 Vgl. dazu Schulz, Salbung; Zimmerling, Gebet und Salbung für Kranke; Ernsting, Salbungsgottesdienste. 1491 Vgl. Zimmerling, Evangelische Spiritualität, 135. 1492 Vgl. z. B. Ruch, Ritualdesign; Utsch, Psychoszene, 199; Hempelmann, Esoterik, 55f. 1493 Wrogemann, Den Glanz widerspiegeln, 235f. Vgl. dazu Kahl, Migrationskirchen und Seelsorge; Quaas, Befreiungsdienst und interkulturelle Seelsorge, 56; Wrogemann, Exorzismen als Thema Interkultureller Seelsorge, bes. 70.

Gebetsseelsorge

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Licht.1494 Mit Luther gesprochen: »Eines Christen Handwerk ist Beten«.1495 Dieses Handwerk sollte sowohl im Alltag als auch in der Seelsorgepraxis erkennbar und leiblich erfahrbar werden, wodurch es die Attraktivität der evangelischen Seelsorge zu stärken vermag. Insofern verweisen die aktuellen Themen der interkulturellen Seelsorge auf die basics christlicher Spiritualität.

Heilendes und exorzistisches Handeln i) Typisch charismatisch legt die Gebetsseelsorge des Volksmissionskreises ihre Schwerpunkte auf das heilende und das exorzistische Handeln. Die rettende Gnade Gottes soll erfahrbar werden. Das Heil und die Heilung hängen zusammen und brauchen Zeichen in der Seelsorge – dies wurde erkannt.1496 Aber charismatisch soll die Heilung in der Regel als Folge des Heils verstanden werden – darin liegt ein theologisches Problem, das im Kontext der Gebetsseelsorge durch Begriffe wie »Erhörung«, »Vollmacht« oder »Dank« zum Ausdruck kommt. j) Durch die Begegnung mit charismatischer Spiritualität, spätestens aber durch interkulturelle Bezüge in der Seelsorge werden heilendes und exorzistisches Handeln zu Gegenständen der theologischen Forschung. Sie sind in ihren inhaltlichen und praktischen Grenzen zu beschreiben. k) Der Auftrag der Kirche zu heilen und zu befreien ist bislang sowohl in der Seelsorge als auch in der Liturgie – anders als in der Diakonie – nur äußerst rudimentär verwirklicht.1497 Die Seelsorge hat die Aufgabe, den Wunsch von Seelsorgesuchenden nach Heilung aufzunehmen. Dieser soll besprochen und im Gebet vor Gott artikuliert werden. Das heilende Handeln verdichtet sich im gemeinsamen Gebet, in dem alle Elemente verbunden werden können: Gott wird gelobt (Doxologie), seines Heils und seiner Hilfe wird gedacht (Anamnesis), Schuld wird bekannt (Beichte), dem schmerzhaften Protest und dem Warum wird Ausdruck verliehen (Klage; Theodizee), es wird um das schöpferische Wirken des Heiligen Geistes gebeten (Epiklesis) und Segen wird leiblich vermittelt (Kreuzzeichen, Handauflegung, Salbung). Auch für die Seelsorge ist das heute viel zitierte Axiom der Ganzheitlichkeit leitend. 1494 Vgl. Zimmerling, Evangelische Spiritualität, 46f. 1495 WA TR 6, 162, 36 (Nr. 6751). 1496 Vgl. Josuttis, Segenskräfte, 230: »Wer Kranken nur mit Sinndeutungen beizustehen versucht, wird ihnen helfen, ihr Geschick in die Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung einzuordnen. Aber weil menschliches Dasein in dieser Schöpfung immer in der Einheit von Leib und Seele, von Seele und Leib gelebt wird, gehören zur Heilsverkündigung immer auch Zeichen der Heilung«. 1497 Vgl. Fritsche, Heilung, 773.

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Resümee

Allerdings heißt dies aus christlicher Sicht, dass nicht nur Leib und Seele als Einheit, sondern auch irdische und ewige Heilung zusammen zu sehen sind. Ganzheitlichkeit liegt dort vor, wo die irdischen Grenzen ernst genommen werden in der glaubenden Hoffnung auf Gottes ewige Neuschöpfung und wo unter der Betonung des ewigen Heils die irdische Hilfe nicht untergeht. Dafür kann eine psychologische Einsicht hilfreich sein: Zum Heilungserfolg trägt der Glaube an bzw. das Vertrauen auf die Heilung wesentlich bei. Für die Seelsorge bedeutet dies den Auftrag, das Vertrauen auf Heilung zu wecken und diesen einzubetten in den Glauben, dass Gott am Ende alles heilen wird. Daraus können sich Kräfte entwickeln, die helfen, sowohl Krankheit zu tragen als auch Krankheit zu überwinden. l) Seelsorge, die heilendes und befreiendes Handeln wahrnimmt, hat die Aufgaben und Möglichkeiten von Medizin und Therapie zu respektieren und ggf. darauf zu verweisen bzw. dorthin zu begleiten. Seelsorge ist keine Therapie und keine Alternative zur Medizin. Sie soll zur befreiten und geheilten Annahme des Lebens mit seinen Grenzen helfen, aus Resignation befreien, der Utopie wehren und Segen vermitteln. Dafür hat sie Möglichkeiten im Kontakt mit der Kraft Gottes. m) Bei heilendem und exorzistischem Handeln in der Seelsorge ist mit Manfred Josuttis davon auszugehen, dass durch Gebet, Segenswort und leibliches Zeichen »Vitalkräfte fließen, die nicht aus dem energetischen Reservoir der Handelnden stammen«.1498 Josuttis stellt drei konstitutive Bestandteile der Rituale Handauflegung und Krankensalbung heraus: 1) Gott wird an seine Hilfe in der Vergangenheit erinnert (Anamnesis) und um seine gegenwärtige Hilfe gebeten (Epiklesis); 2) die konkrete positive Bitte um Heilung etc. ist mit der Benennung von Negativkräften, die dem erbetenen Positiven weichen sollen, zu verbinden;1499 3) im Ritual der Salbung bzw. Handauflegung kommen Gott und die Bitte, seine Kraft und das Leiden direkt miteinander in Kontakt. n) Walter J. Hollenweger hat Fallbeispiele für heilendes und befreiendes Handeln in der Seelsorge beschrieben und praktisch-theologisch ausgewertet.1500 Ihm zufolge gibt es einige Kriterien für den seelsorgerlichen Umgang mit »Besessenheit«, die auch für den Umgang mit Krankheit entsprechend gel1498 Vgl. Josuttis, Segenskräfte, 230–232, Zit. 232. 1499 »Für protestantisches Denken wirkt leicht befremdlich, daß der Einzug des Heils die Vertreibung von Unheil auf jeden Fall einschließt […]. Was auf der Transzendenzebene gilt, daß nämlich das negative Gegenüber zur Allmacht Gottes nicht mehr namentlich oder begrifflich faßbar wird, das zeigt sich auf der Körperebene beim Versuch der Austreibung dieser Gegenmacht in der Verlegenheit ihrer Benennung«, a. a. O., 232. 1500 Vgl. z. B. Hollenweger, Geist und Materie, 21–59.105–120. Im Folgenden vgl. ders., »Erlöse uns von dem Bösen«.

Gebetsseelsorge

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ten: 1) Auf Seelsorgesuchende und deren Selbstdiagnosen (z. B. »Ich bin besessen«) ist angemessen einzugehen. Sie sind einerseits nicht abzulehnen (falsche Reaktion: »Sie haben eine Psychose«), noch muss ihnen andererseits zugestimmt werden; umgekehrt ist die Diagnose der Besessenheit auch nicht zu induzieren (falscher Anspruch: »Sie sind besessen«); 2) mit medizinischer, psychiatrischer und therapeutischer Hilfe ist zu kooperieren bzw. auf diese zu verweisen; 3) liturgische Formen (Kreuzzeichen, Kerze, Kirchenraum, Kleidung) sind für heilendes und befreiendes Handeln sinnvoll und tragen zu seinem positiven Erfolg bei, gleiches gilt für vorformulierte Gebete (Psalmen, Gesangbuchlieder). Diese Kriterien Hollenwegers nehmen erstens die Situationen der Seelsorgesuchenden und zweitens den Auftrag der Seelsorgenden ernst. Lebenswidrige Unfreiheiten, ob sie nun als Krankheit oder Besessenheit beschrieben werden oder nicht, werden als überindividuelle Kräfte erlebt. Sie ergeben sich nicht einfach als bloße Ausdrucksformen des existenziell Inneren des Menschen, sondern entfalten als eigenständige »Energien« lebenswidrige Dynamiken. Zugleich aber stehen sie mit ihm in engster Verbindung, was Heinrich Schlier so deutlich gemacht hatte: Der »Kampf gegen die bösen Mächte« ist »nicht ein Streit, der sich primär oder gar allein gegen einen Feind von außen oder überhaupt gegen einen anderen Feind als mich selbst richtet«.1501 Diese Perspektive ist für die Seelsorge, welche durch Gespräch, Reflexion, Begleitung, Gebet und Beichte heilsam wirken will, von höchster Relevanz. Der seelsorgerliche Auftrag ist dabei nicht zuerst psychotherapeutischer, auch nicht medizinischer, sondern spiritueller Natur.1502 o) Der praktische Umgang liegt im Ernstnehmen der Situationen der Seelsorgesuchenden, die wie alle Gegebenheiten im Raum des Geschöpflichen vor Gottes Angesicht stehen. Daher liegt das beste Mittel in der Kommunikation vor und mit Gott. Jesus selbst lehrte seinen Jüngern das Beten als Mittel, mit der Kraft Gottes verbunden zu werden (vgl. Mk 9,29; Mt 6,13).1503 Das Gebet ersetzt aber nicht die seelsorgerliche, zwischenmenschliche Kommunikation.1504 Es ist auch nicht als Mittel zu gebrauchen, um alles in den Griff zu bekommen, denn die Rede von Vollmacht und Erhörungsgewissheit steht eher in der Gefahr, die Macht der Seelsorgenden auszubauen als die Gottes. Es gibt immer unerklärliche Fälle und ebenso kann Gottes Handeln nicht 1501 Schlier, Mächte und Gewalten, 56f. 1502 Weder die Verwechslung von Seelsorge und Therapie noch die Ablehnung der Therapie durch die Seelsorge, sondern das Proprium der Seelsorge ist zu suchen und zu praktizieren. Dass es dabei zur Kooperation von Seelsorge und Therapie kommen kann und ggf. soll, wurde bereits gesagt. 1503 Vgl. Schlier, Mächte und Gewalten, 60f. 1504 Vgl. Ziemer, Seelsorgelehre, 172.

452

Resümee

schematisiert werden. Wenn die Seelsorge aber ihren Auftrag zu heilendem und befreiendem Handeln und damit ihre leiblichen Dimensionen wahrnimmt, dann bringt sie Menschen in Kontakt mit Gottes Kraft gegen lebensfeindliche Kräfte.

9.6

Liturgische Perspektiven

Evangelische Messe im Volksmissionskreis Sachsen. Korrektur einer historischen These a) Christoph Michael Haufe hatte die These aufgestellt, dass Gottesdienste im Bereich des Volksmissionskreises Sachsen häufig als Evangelische Messen gefeiert würden,1505 d. h. dass sie mit ausführlichem Abendmahlsgebet (mit Anamnese- und Epiklesegebeten) und nicht in der Kurzform nach Luthers Deutscher Messe stattfänden. Diese historische These ist zu revidieren, da ihre Aussage nur eingeschränkt zutrifft. Die Untersuchung hat gezeigt, dass in Gemeinden des Volksmissionskreises wie seinerzeit üblich das Abendmahl häufig im Anschluss an den Haupt- bzw. Predigtgottesdienst gefeiert wurde. Hier kann vom Gebrauch der Messform keine Rede sein. Selbst in Bräunsdorf fand die Messform nur an Wochentagen, aber nicht im Sonntagsgottesdienst Aufnahme.1506 Überhaupt ist davon auszugehen, dass die meisten Pfarrer die in Sachsen übliche Kurzform der Abendmahlsliturgie verwendeten. Nur in Großhartmannsdorf wurde eine Evangelische Messe über Jahre hinweg entwickelt und gefeiert. Haufes These ist offensichtlich von der Beobachtung der Entwicklungen in Großhartmannsdorf geleitet. Ihm ist rechtzugeben hinsichtlich der für den charismatischen Bereich einzigartigen Verbindung von liturgischer und charismatischer Spiritualität. Diese lässt sich im Volksmissionskreis nicht nur am Großhartmannsdorfer Beispiel, dort aber par excellence, nachweisen.

Heilendes und exorzistisches Handeln in der Liturgie b) Das heilende Handeln ist im Protestantismus klassischerweise der Diakonie zugeordnet, was dazu führte, dass zum Einen die genuine Verbindung von 1505 Vgl. Haufe, Geistliche Bewegungen in der DDR, 100; so z. T. rezipiert in: Kirchner/PlanerFriedrich/Sens/Ziemer (Hg.), Charismatische Erneuerung, 74.82. 1506 Küttners Messformular ist für die Eucharistie der Hausgemeinde an Wochentagen bestimmt und übernimmt katholisch-apostolische Elemente, vgl. [Ordnung] Abendmahlsfeier, [Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf], in: A.IV.a.II.14.

Liturgische Perspektiven

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Diakonie und Gottesdienst aufgelöst wurde und zum Anderen heilendes Handeln seine Bedeutung als Aufgabe aller Christen verloren hat. Wie die Rolle des Gebets in der Seelsorge zeigt, kommt der Heilung auch eine liturgische Bedeutung zu. Heilendes, aber auch befreiendes Handeln sollte nicht allein an die professionalisierte Diakonie sowie Einzelseelsorge abgegeben werden, sondern auch von einer betenden Gemeinschaft, besonders in Gottesdiensten, getragen sein. c) Der Öffentlichkeitscharakter des heilenden und exorzistischen Handelns schützt vor Missverhältnissen und Missbräuchen. Ohne damit die Wichtigkeit der diskreten Einzelseelsorge im nichtöffentlichen Vier-Augen-Kontext infrage zu stellen, bedarf es darüber hinaus der öffentlichen und gemeinschaftlichen Formen, d. h. der Aufnahme von Heilung und Befreiung in den Gottesdienst. Dies kann vor Mystifizierungen des »Heilers« oder des »Exorzisten«, wie sie aus dem seelsorgerlichen Arkanum entwickelt werden können, bewahren und somit geistlichem Machtmissbrauch entgegentreten. Außerdem können die Seelsorgenden aus der Rolle der spezialisierten, aber zugleich vereinzelten Experten herausgeholt und stattdessen das allgemeine Priestertum beteiligt werden. Das Gebet um Heilung und um Befreiung ist Aufgabe aller. Durch die Privatisierung von Heilung und Befreiung werden nicht nur Gefahren begünstigt, sondern auch Kapazitäten verschenkt:1507 So hat der öffentlich-gemeinschaftliche Charakter etwa einer Abendmahlsfeier mit Heilungsgebet und Salbung nicht nur prophylaktische Funktionen im Hinblick auf mögliche Missverhältnisse, sondern auch therapeutisches Potential, indem das Krank-Sein und Heilwerden-Wollen in den Kontext der betenden Gemeinschaft gestellt wird. Es erfüllte den Heilungsauftrag der Kirche, »wenn unser Gottesdienst wieder der Ort würde, wo die Werke des Teufels als überwunden erfahren werden, wo Menschen befreit werden. Denn das Wesen der Besessenheit ist, daß ein fremder Wille (in der Person von jenseitigen Geistern oder auch in der Form eines Arztes, eines Pfarrers, einer Droge) Besitz ergreift vom Willen eines Menschen, so daß er das, was er tun will nicht tun kann (Röm. 7). Was immer der Grund für diese Fremdbestimmung des Menschen ist, es gehört zum Evangelium, daß wir nicht nur von Freiheit reden, sondern daß Gottes Freiheit auch erfahrbar, liturgisch sichtbar und verleiblicht wird«.1508

Rituale wie Salbung und Segnung sind nicht nur in die Einzelseelsorge, sondern auch in den Gottesdienst zu integrieren, wo sich das individuelle Anliegen mit dem gemeinschaftlichen Erleben verbindet. In solchen Gottesdiensten können Momente der Stille und der emotionalen Expression 1507 Vgl. Hollenweger, Geist und Materie, 118. 1508 Vgl. dazu a. a. O., 117f; zum Thema Heilung in der Liturgie: a. a. O., 23–35.

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Resümee

aufeinander folgen. Bibelwort, ggf. Predigt, Salbung, Segnung und besonders das Heilige Abendmahl transportieren Christi heilende Kraft. d) Befreiende und vergewissernde Kraft kann auch die Abrenuntiation in der Taufliturgie entwickeln. Gerade für Taufen von Teenagern, Jugendlichen und Erwachsenen hat Thomas Hirsch-Hüffell die Aktualität der Absage an das Böse herausgestellt: »Auf dem Hintergrund der Filme, Spiele und Kulturen, die ihren Reiz aus der intensiven Bemühung um das Böse (Horror-, Ekel-, Todes- und Kriegs-Szenarien) ziehen, ist« die Absage an das Böse »zu Beginn der Taufe vielleicht im Moment sogar zeitgemäß«.1509 Ergänzend zu den Varianten der lutherischen Taufagende schlägt Hirsch-Hüffell diese Absageformeln vor : »Sagt ihr – stellvertretend für N.N. – dem Bösen ab / sagst du dem Bösen ab, das das Leben verkehrt und den Tod mehr liebt als Gott? Und: Sucht ihr für N.N. / Suchst du das andere Leben in Jesus Christus, das Leid, Bosheit und Tod überwindet?«; oder : »Wendest du dich / wendet ihr euch vom Bösen und allen Kräften ab, die den Tod beschwören und Gott entgegenstehen?«.1510

Allgemeine Beichte im Gottesdienst e) Im Volksmissionskreis hat die Wiederentdeckung der Einzelbeichte zur weitgehenden Kritik an der gottesdienstlichen Allgemeinen Beichte geführt. Die liturgische Absolution wurde abgelehnt und durch Bibelverse (assertorische Heilsaussagen ähnlich dem anamnetischen Beten) ersetzt oder es wurde die gesamte Beichthandlung aufgegeben. Dass aber Allgemeine Beichte und Einzelbeichte – und beide regelmäßig praktiziert – keinen inhaltlichen Gegensatz bilden, haben einzelne Stimmen im Volksmissionskreis selbst gezeigt. f) Heute spielt die Allgemeine Beichte, wenn überhaupt, nur noch in Sachsen eine Rolle und nicht selten wird sie entgegen ihrer agendarischen Stellung als Vorbereitung auf das Heilige Abendmahl praktiziert. Insgesamt »entsteht der Eindruck, dass im Blick auf die gottesdienstliche Beichte theologische Reflexion kaum stattfindet, und dass bestenfalls die Pflege liturgischer Traditionen den weiteren Gebrauch garantiert«.1511 Dabei bietet sie die Chance, noch im Gottesdienst die gehörte Predigt im eigenen Leben praktisch werden zu lassen: die 1509 Hirsch-Hüffell, Absage an das Böse bei der Taufe, 221. 1510 A. a. O., 222f. Siehe dazu Agende. Band III.1, 121. 1511 Böttrich, Schuld bekennen, 143. Dieser Eindruck bestätigt sich darin, dass die Allgemeine Beichte in neueren Veröffentlichungen zum Gottesdienst und seinen Elementen nicht vorkommt; so fehlt sie z. B. in Eckstein/Heckel/Weyel (Hg.), Kompendium Gottesdienst; Grethlein, Abriß der Liturgik; auch: Meyer-Blanck, Gottesdienstlehre.

Reflexionen auf kirchenleitendes Handeln

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eigene Schuld und die moralischen Grenzen dessen, was gut und gelungen ist, zu reflektieren, das Gnadenwort des Evangeliums auf sich zu beziehen und die Herausforderung anzunehmen, das eigene Leben zu verändern. g) Damit die gottesdienstliche Beichte konkret werden kann, sollte sie in enger Verbindung mit der Predigt stehen. Im Kontext der Predigt kann dem Missverständnis gewehrt werden, sie würde Kritik, ja nichts anderes als kirchliche Pejorisierung des Menschen bedeuten (»du bist nicht o.k.«), was ein nicht seltener Vorbehalt gegen sie ist.1512 Da in der unierten Liturgie das Confiteor am Beginn des Gottesdienstes – eigentlich eine fürbittende Zurüstung angesichts der Sündhaftigkeit aller – als Eingangsbeichte missverstanden, als solche ausformuliert und mit Kyrie eleison und Gloria in excelsis verbunden wird, stellt es keine Alternative zur lutherischen Allgemeinen Beichte nach der Predigt dar. Aus psychologischer und theologischer Sicht überfrachtet und verengt die Eingangsbeichte den Gottesdienst.1513 Die Allgemeine Beichte kann stattdessen Sündenbekenntnis und Absolution sinnvoll in den Gottesdienst integrieren. Wichtig ist nur, dass verschiedene Formen praktiziert werden (neben klassischen Beichtgebeten z. B. stille Schuldbekenntnisse, Schuldbekenntnisse angesichts aktueller Situationen, in Liedform), auch besondere Bußgottesdienste und Gottesdienste ohne Beichte. So kann die Allgemeine Beichte auch »zum Merkzeichen und Platzhalter für Einzelbeichten werden«, jedenfalls »bedürfen die […] Reste der Einzelbeichte offenbar des Gegengewichtes jener anderen gemeinschaftsbezogenen Bußform, auf die die lutherisch-evangelische Entwicklung zur Allgemeinen Beichte, unsere Bußtage, die Ansätze reformierter Kirchenzucht und die neueren katholischen Bußgottesdienste hinzuweisen scheinen«.1514

9.7

Reflexionen auf kirchenleitendes Handeln

a) Im Hinblick auf den Umgang mit charismatischer Spiritualität innerhalb der evangelischen Kirche gibt es bislang kaum praktisch-theologische Reflexionen.1515 Die Frage, wie von kirchenleitender Seite1516 mit innerkirchlichen 1512 1513 1514 1515

Vgl. Kriegstein, Ausbildung, 198. Vgl. Stollberg, Wahrnehmen und Annehmen, 109f. Lins, Buße und Beichte, 331. Die Überlegungen Peter Zimmerlings zielen auf den Umgang mit Gruppen, die nicht (mehr) zu den traditionellen Kirchen gehören, vgl. ders, Bewegungen, 236. 1516 Zunächst sind mit diesem Oberbegriff alle kirchenleitenden Dienste auf ephoraler und landeskirchlicher gemeint, die einen Bezug zum übergemeindlichen Handeln haben. Insofern die Leitung der einzelnen Ortgemeinde über ihre eigenen Grenzen hinaus auch auf die Gesamtkirche bezogen ist, hat auch sie am kirchenleitenden Handeln teil. Insbesondere obliegt dieses den bischöflichen Ämtern (Stichwort Episkope, vgl. z. B. Kleffmann,

456

Resümee

Gruppen der charismatischen Bewegung umgegangen werden soll, ist bisher unbeantwortet. Wie können solche Gruppen in die Kirche integriert werden bzw. bleiben? Wie kann einseitiger oder wechselseitiger Distanz zwischen der Kirche und charismatischen Gruppen gewehrt werden? Wie können Desinteresse, Verselbstständigungen, Konflikte oder Trennungen vorgebeugt bzw. überwunden werden? Anders gefragt: Wie kann die evangelische Kirche ihre Einheit und Katholizität fördern?1517 b) Eines der wenigen Statements zu dieser Fragestellung stammt von Johannes Hanselmann, der drei Aufgaben für kirchenleitendes Handeln formuliert hat: 1) »nach dem Maßstab der Schrift die Geister zu unterscheiden«; 2) »die gottgegebenen Charismen in das Leben der Gemeinden zu integrieren«; 3) »darauf bedacht zu sein, daß sie [die charismatische Bewegung] weder ins pfingstlerisch-sektiererische noch dieses in die Kirche eindringt«.1518 Ein wichtiges Moment der Aussagen des damaligen bayrischen Landesbischofs ist die Sorge (cura gubernans, nicht timor sollicitus) darum, dass charismatische Gruppen nicht abgleiten in »sektiererische« Formen. Während man heute vorsichtiger bei der Verknüpfung von »pfingstlerisch« und »sektiererisch« ist, steht hinter Hanselmanns Formulierung die Erfahrung, dass charismatische Gruppen eine Eigendynamik entwickeln können, die zu Distanzierungen, Subkulturen oder Trennungen führen können. Dies geschieht, wenn sich solche Gruppen selbstabschließen oder verselbstständigen, die evangeliumsgemäße Lehre durch Sonderlehren vereinseitigen oder kirchliche Leitungsinstanzen nicht anerkennen, egal ob es zu institutionellen Trennungen kommt oder nicht. Hanselmann regt zu Sensibilität gegenüber solchen Tendenzen an. Ihm zufolge bedarf es einerseits der diakritischen Prüfung von Lehren, andererseits der integrativen Bezugnahme auf charismatisches geistliches Leben. c) Die diakritische und integrative Aufgabe der Kirche gegenüber charismatischen Gemeinden und Gruppen gilt besonders für kirchenleitende Instanzen und zwar aus drei Gründen: Erstens können Leitungspersonen besonders auf ephoraler und landeskirchlicher Ebene eine übergemeindliche Makroperspektive einnehmen, welche das Ganze der kirchlichen Einheit und Allgemeinheit entgegen kongregationalistischen Tendenzen im Blick hat. Kirchenleitung, 210.212). Die weltkirchliche, über die landeskirchlichen Grenzen hinausgehende Leitungsebene ist im Protestantismus deutlich unterentwickelt. Da sie für die vorliegende Frage allerdings keine Rolle spielt, wird sie auch hier nicht näher bedacht. 1517 Die nizänokonstantinopolitanischen notae ecclesiae Einheit und Katholizität treten hinsichtlich dieser Fragestellung als erste in den Blick. Mit ihnen sind aber die beiden weiteren notae Heiligkeit und Apostolizität aufs engste verbunden; vgl. dazu z. B. Die Apostolizität der Kirche, Nr. 1 u. ö. 1518 Hanselmann, Gelebte Religion, 48.

Reflexionen auf kirchenleitendes Handeln

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Zweitens sind es gerade Kirchenleitungen, welche für charismatische Basisgruppen nur wenig Bedeutung besitzen. Meist liegen Welten zwischen den beiden Bereichen. Schon der Begriff »Basis« als Gegenüber zu »Leitung« zeigt den Abstand an.1519 Drittens kommt kirchenleitendes Handeln oft zu spät und tritt erst dann in Aktion, wenn das Kind bereits mit dem Bade ausgeschüttet ist. Am Beispiel des Volksmissionskreises Sachsen wurde dies deutlich anhand der bischöflichen Besuche und Stellungnahmen zur Wiedertaufe in Markersbach und der Gemeindespaltung in Bräunsdorf, die erst dann erfolgten, als problematische Vorgänge schon geschehen waren.1520 d) Damit Hanselmanns diakritische und integrative Maximen wirksam werden können, bedarf es eines wechselseitigen Verstehensprozesses auf allen kirchlichen Ebenen. Dieser kann keineswegs einseitig sein, etwa in dem Sinne, dass nur kirchenleitende Instanzen aktiv werden müssten. Hinsichtlich der Aufgaben aber, die dies für das kirchenleitende Handeln bedeutet, kann bei der jahrhundertealten Praxis der Visitationen angesetzt werden. Zunächst fällt bei diesem Stichwort allerdings auf, dass Visitation und kirchenleitendes Handeln in der Praktischen Theologie stiefkindlich behandelt werden.1521 Außerdem sind damit praktische Probleme verbunden: Obwohl die Visitation ein rechtlich geregelter, aber doch geistlicher Besuchsdienst und hilfreiche Begegnung sein soll,1522 werden ihr Ressentiments entgegengebracht. Visitierte haben nicht selten Angst vor der Beurteilung und zeigen sich daher von ihrer visitablen, d. h. besten Seite.1523 Probleme müssen daher nicht ans Licht kommen. Zudem werden vordergründig organisatorische und ökonomische Fragen bedacht, sodass inhaltliche Problemstellungen kaum eine Rolle spielen. Praktisch stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit von 1519 Dies ist kein generell charismatisches Charakteristikum, sondern lässt sich bei verschiedenen Gruppen, die sich als »Basis« verstehen, ablesen. Der Begriff »Basis« erhält dabei gegenüber »Leitung« eine idealisierende Funktion, vgl. Schultze, Kirchenleitendes Handeln unter Basisdruck, 141. Vgl. dazu Winter, Wo ist die Basis?, 400–402, dort auch 405: »Es besteht nun der Verdacht, daß sich, wenn von ›Basis und Leitung‹ geredet wird, damit eine eingeengte Sicht der Leitungsverantwortung in der Kirche allein auf das ordnende Handeln verbindet. […] Leitung ist aber auch anderes und mehr. Derjenige übt die vornehmste Leitungsverantwortung aus, der ihre kerygmatische, katechetische und pastorale Seite wahrnimmt«. Zur Bedeutung der Verkündigung für die Leitung der Kirche vgl. Rausch, Kirchenleitendes Handeln, 98–100; Hirschler, Kirchenleitende Predigt. 1520 Wenn über das reguläre Maß hinaus kirchenleitender Besuch nötig wird, sind Spaltung und Trennung meist schon erfolgt. Hier ist kirchenleitendes Handeln reaktiv. Vgl. dazu Herbst, Visitation, 103f; Hanselmann, Gelebte Religion, 34. 1521 Vgl. dazu v. a. Herbst, Visitation, dort ein Überblick und weitere Lit.; Josuttis, Visitation und Kommunikation. 1522 Vgl. Herbst, Visitation, 95–97. 1523 Vgl. a. a. O., 100.

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Resümee

Visitationen. Der rhythmisch geregelte, aber seltene Einblick der Visitierenden ins Visitierte bleibt ein Ausschnitt. Insofern stellen Visitation und kirchenleitendes Handeln wissenschaftlich-theoretische und kirchlichpraktische Desiderate dar, an denen weiterzuarbeiten ist. e) Trotz dieses Befundes bietet die Visitation als reguläres geistliches und juristisches Instrument des Kirchenleitens – auf Gegenseitigkeit angelegte – Möglichkeiten zur Begegnung, zum Austausch, zur Reflexion und Korrektur. Im kirchenleitenden Handeln bedarf es der Intensivierung der Visitationspraxis als Begegnung auch außerhalb des regulären Rahmens und außerhalb der Prüfung. Wenn Gemeinden, Gemeinschaften und Gruppen häufiger als nötig besucht werden, kann an einem vertrauensvollen Kontakt gearbeitet werden. Da charismatische Gruppen Kirchenleitungen oft wenig Beachtung, wenn nicht gar Skepsis entgegenbringen, weil es nach einer weitverbreiteten Meinung beim Glauben um Praxis und nicht um Theorie, um Leben und nicht um Institution gehe, und wenn wiederum für Kirchenleitungen charismatische Gruppen die Einen unter vielen und ggf. die schwer zu Bändigenden sind, ist Vertrauen keine Selbstverständlichkeit. Nicht zuletzt treten beide Seiten mit (unterschiedlich gelagerten) normativen Ansprüchen auf, weshalb Konkurrenzverhältnisse mindestens unterschwellig die Folge sind. Der häufigere Besuch fördert dagegen das wahre Kennenlernen.1524 Er bietet die Chance, Lehre und Leben der Gruppen zu verstehen. Die Problemstellen in Lehre und Leben können früher erkannt und thematisiert werden. Der Besuch bricht die Macht des Arkanums aufgrund wachsenden Vertrauens und durch das Einfordern der Teilnahme an nichtöffentlichen Treffen (Stichwort: Subkultur). f) Einheit und Allgemeinheit als Merkmale der Kirche bedeuten weder Einheitlichkeit noch Unverbundenheit. Nach den Maßstäben von Schrift und Bekenntnis ist zu prüfen, inwiefern explizite (wörtlich entfaltete) und implizite (an Lebensäußerungen erkennbare) Lehrmeinungen charismatischer Gruppen biblischer und reformatorischer Lehre entsprechen. Dadurch ist Trennungen zu wehren und wenn möglich charismatische Spiritualität in eine Pluralität geistlicher Lebensformen hineinzunehmen.1525 Erhält charismatische Spiritualität bei wechselseitiger Achtung und Befruchtung ihren festen Platz in der Kirche, wird der Spaltung das wirksamste Mittel entgegengesetzt. g) Der diakritischen Haltung gegenüber charismatischer Lehre entspricht ein selbstkritisches Verhalten der Kirche, der Gemeinden und ihrer Leitungsin1524 Vgl. Josuttis, Visitation und Kommunikation, 49: »Die Kontrollfunktion wird um so weniger notwendig, je mehr die Kontaktfunktion wahrgenommen wird«. 1525 Manfred Karnetzki sieht in der Visitation die Aufgabe, bei den Visitierten Charismen zu entdecken, zu fördern und zu stärken, vgl. ders., Das visitatorische Amt, 170.

Reflexionen auf kirchenleitendes Handeln

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stanzen. Mit Gottfried Voigt gesprochen »deutet« »alles Sektiererische […] auf wunde Stellen in der Kirche«.1526 Daher verlangen Diakrisis und Integration auch die eigene Überschreitung überkommener Grenzen. Hinsichtlich der Herausforderung, die charismatische Spiritualität darstellt, liegt diese Selbstüberschreitung als Aufgabe für den deutschen Protestantismus unter anderem in zwei Bereichen: 1) in der Überwindung der Intellektualisierung und Ethisierung des Gottesdienstes (zugunsten seiner doxologischen, sakramentalen, gemeinschaftlichen und emotionalen Dimensionen) sowie 2) in der Überwindung der Pfarrerzentrierung gemeindlichen Lebens (zugunsten der Beteiligung des ganzen allgemeinen Priestertums, der Aktivierung seiner Begabungen und der generellen Seelsorge).

1526 Voigt, Die bessere Gerechtigkeit, 252, dort auch: »Enthusiastische Bewegungen, die in der Geschichte der Kirche entstehen, dürften nicht selten aus dem Bedürfnis entstehen, einem Mangel abzuhelfen«.

10

Literaturverzeichnis

10.1 Abkürzungen Abkürzungen folgen dem Abkürzungsverzeichnis der TRE von Siegfried Schwertner und ergänzend dem Abkürzungsverzeichnis des LThK3 in Band 11, wobei die Zeitschrift Praktische Theologie, Gütersloh, (PrTh) und die Zeitschrift für Dialektische Theologie, Leipzig, (ZDTh) gemäß LThK abgekürzt werden. Darüber hinaus finden in der gesamten Arbeit und im Literaturverzeichnis folgende Abkürzungen Verwendung: AaM Allgemeine apostolische Mission ABlEVLKS Amtsblatt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens (Dresden ab 1/1949) AC Apologetische Centrale AKiZ Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte APTLH Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie bk, BK bekennend-kirchlich, Bekennende Kirche Br. Bruder dc, DC deutsch-christlich, Deutsche Christen Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie FSÖTh IM Innere Mission KaK Katholisch-apostolische Kirche KG Kirchgemeinde KGVBl Kirchliches Gesetz- und Verordnungsblatt der Evangelisch-lutherischen Landeskirche des Freistaates Sachsen (Dresden 1927–1945) KKR Kirche – Konfession – Religion KR Kirchenrat LKA Landeskirchenamt MDEZW Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen MRA moral rearmament, Moralische Aufrüstung OeTS Oekumenische Texte und Studien OKR Oberkirchenrat OLKR Oberlandeskirchenrat

462

Literaturverzeichnis

Pfr. PThW Sr. StSpS Sup. VELKD VePD VMK zit., Zit.

Pfarrer Praktische Theologie im Wissenschaftsdiskurs Schwester Studien zu Spiritualität und Seelsorge Superintendent Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Verband evangelischer Posaunenchöre Deutschlands Volksmissionskreis Sachsen (verwendet als Abkürzung für bibliographische Angaben, z. B. VMK (Hg.)) zitiert, Zitat, Zitate

10.2 Archivalia Archivalia werden in dieser Arbeit nach einem eigenen Signatursystem zitiert, um aufgrund der Fülle von verwendeten Archiven und Akten möglichst knappe Angaben machen zu können. Dabei entsprechen die enthaltenen Aktennummern den originalen Kürzeln vor Ort und können in der folgenden Liste nachvollzogen werden. Das eigene Signatursystem verwendet alphanumerische Siglen, welche in dieser Reihenfolge Archivtypen, Archivorte, (ggf. Aktengruppen), Aktennummer, (ggf. Blätter / Paginierung) bezeichnen. Diese werden durch Punkte aneinandergereiht. Soweit vorhanden wird die Paginierung durch Komma angefügt. Kürzel in eckigen Klammern [] enthalten von mir gewählte Abkürzungen. Beispiele: A.I.h.027 Pfarrarchiv Kirchgemeinde Roßwein, Akte 027 A.II.b.36.15, 63 Landeskirchenarchiv, Bestand 36, Akte 15, Blatt 63

A.I

Kirchgemeinden

A.I.a

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Zum Guten Hirten Bräunsdorf, Pfarrarchiv

017 Kirchenvorstand: Sitzungsprotokolle 1922–1971 II64 Pfarrer Uhlig – Pfarrerwechsel III111 Visitationen

Archivalia

A.I.b Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großhartmannsdorf, Pfarrarchiv und Fotosammlung der Bruderschaft Großhartmanndorf 1152 1396 1397 [TN]

Volksmission 1948–1975 Pfarrerrüstzeiten 1955–1968 Volksmissionskreis Sachsen 1955–1972 Teilnehmer an Rüstzeiten und Evangelisationen [nicht archivalisch registriert] [DuL] Dienst und Leben 3.0.0, Gottesdienst (Neuordnung) [nicht archivalisch registriert]

Fotosammlung der Bruderschaft Großhartmanndorf, enthält nicht archivalisch registrierte Diapositive: [B] Brüder / JG / Urlaub [M] Besuche

A.I.c 93 152 178 179 876

A.I.e

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Sosa, Pfarrarchiv Pfarrerbesoldung, Pfarrerwechsel 1924–1945 Predigten 1940–1941 Evangelisationen und Volksmission in der Kirche zu Sosa Evangelisation, Volksmission 1936–1942 Innere Mission. Tagungen, Rüstzeiten, Briefe 1946–

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Lützschena, Pfarrarchiv

13.1 Visitation 54.1/1 Kirchennachrichten 1954–1971

A.I.g Ev.-Luth. Kirchgemeinde Döbeln, Pfarrarchiv T1309 Volksmissionswoche 1959

A.I.h Ev.-Luth. Kirchgemeinde Roßwein, Pfarrarchiv 027 Innere Mission 1934–1937 [–1944] 074 Pfarrkonvent 1947–1951

463

464 A.I.i

Literaturverzeichnis

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Annaberg-Buchholz, Pfarrarchiv

378 Posaunenchor 1933–1949 405 Volksmission-Evangelisation, Zeltmission-Besucherdienst 1972–1989

A.I.k

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Mildenau, Pfarrarchiv

819 Leipziger Spielgemeinde, Volksmission 1951–2001

A.I.l

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Hartha, Pfarrarchiv

II-A-14-7 Verschiedene Veranstaltungen 1939–1961 II-A-14-8 Posaunenchor und -mission 1932–1957 II-J-26-7 Innere Mission 1891–1943

A.I.m Ev.-Luth. Kirchgemeinde Kreischa-Seifersdorf, Pfarrarchiv 1.1.5.Nr. 1 Visitationen, Band 1, 1929–1967 4.2.1.Nr. 3 Pfarrer, Band 1, 1938–1953

A.I.n Ev.-Luth. Laurentiuskirchgemeinde Dresden-Trachau, Pfarrarchive Apostelkirche und Weinbergkirche Apostelkirche 465

Innere Mission, Äußere Mission

Weinbergkirche 155 Kirchenvisitation 288 Evangelisation

A.I.o Ev.-Luth. Kirchgemeinde Frankenhausen (Crimmitschau), Pfarrarchiv 202 Pfarrstelle

A.I.p Ev.-Luth. Lutherkirchgemeinde Crimmitschau, Pfarrarchiv 306 Evangelisation, Volksmission 1937–1972

Archivalia

465

A.I.q Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Nicolai Aue, Pfarrarchiv I.2.4 Kirchenvisitationen 1947–

A.I.r

Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Barbara Markersbach, Pfarrarchiv

153 Die »Wiedertäufer« 1952 155 Die Markersbacher Kirchenwirren unter Pfr. G. Michael Anno 1950–52 P Pfarrvakanz 1968/69

A.I.s

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Lauter, Pfarrarchiv

956 Ortskirchenchronik Lauter. 20. Jahrhundert, Pfr.i.R. Gottfried Rebner 1055 Visitation, Archivprüfung, Amtsübergabe 1057 Visitation 1984, 12.–26. März

A.I.t

Ev.-Luth. St.-Andreas-Kirchgemeinde Chemnitz, Pfarrarchiv

26 Visitationen in der Kirchgemeinde 1949–1976

A.I.u Ev.-Luth. Kirchgemeinde Hartenstein, Pfarrarchiv und Pfarramtskanzlei 39.II.2.1 Kirchenvisitation 1961, 1983 [VM2] Volksmission 1987– (Familienrüsten) (Mitarbeiterrüsten) Gebetskreis [nicht archivalisch registrierter Ordner, Pfarramtskanzlei]

A.I.v

Ev-.Luth. St.-Johannis-Kirchgemeinde Crimmitschau, Pfarrarchiv

60 Kirchenvisitation 1955–1981 226 Gemeindearbeit 1968–1989

A.I.x

Ev.-Luth. Kirchgemeinde Großpostwitz, Pfarrarchiv

1259 Evangelisation, Volksmission 1948–1956

466 A.II

Literaturverzeichnis

Kirchliche Institutionen, z. T. Vereine

A.II.a Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens e.V., Diakonisches Amt Radebeul, Archiv 401 401/3 401/4 401/4/53 401/7 402/1 403/8 403/11 403/13 404/2 404/8/Bd1 404/8/Bd2 404/8/Bd3 404/8/Bd4 404/8/Bd5 [404/8/D] [404/8/H] 424/13+21

Volksmission Arbeitstagungen Rüstzeite[n] und Lehrgänge für Volksmissionare, Bd. 1 1948–52 Rüstzeiten für Volksmissionare, Bd. 2 1953–56 Beurteilung von Personen Kammer für Volksmission, Bd. 1 E[rich] Schumann [Ewald] Ehrler Rudolf Fischer Horst Webers Volksmissionskreis Sachsen 1947–52 Volksmissionskreis Sachsen 1952–55 Volksmissionskreis Sachsen 1956–71 Volksmissionskreis Sachsen 1972–88 Volksmissionskreis Sachsen 1989– Dienstschwesternschaft Bräunsdorf Haus Charlotte Oberbärenburg Institut für Seelsorgekunde 1956–1966

A.II.b Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Landeskirchenarchiv Dresden Bestand 1: Landeskirchensynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens 766 Theologischer Ausschuss der 22. Landessynode Januar 1987 – Oktober 1989 790 Schreiben des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens an die 22. Landessynode April 1984 – Oktober 1989 854 Tonbandabschriften der Sitzungen der 22. Landessynode, 54. öffentliche Sitzung 1. April 1989

Bestand 2: Landeskirchenamt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens Verhaftung von Pfarrer Klaus Weidenkaff, Weißbach, und Prozess gegen Pfarrer Erich Schumann, Zwickau 1952–1953 463 Änderung der Konfirmationsordnung Jul. – Nov. 1949 605 Evangelische Buchhandlungen 606 Evangelische Buchhandlungen 607 Evangelische Buchhandlungen 1959–1964 (1971) 935 Küttner, Fritz Gerhard 1181 Bahrmann, Hellmuth Gotthilf Gerhard

88

Archivalia

1503 1504 1507 1511 1514 1516 1517 1518 1519 1524 1525 1551 1662 1705 1741 1743 1745 1762 1797 1799 1800 1802 1803 1849 1850 1858 1962 1963

467

Arbeit der Kammer für Volksmission Apr. 1947 – Mai 1950 Arbeit der Kammer für Volksmission Juni 1950 – Feb. 1959 Arbeitskreis für Evangelisation der Kammer für Volksmission Mai 1948 – Mai 1958 Arbeitskreis für Bergbaudiakonie der Kammer für Volksmission Mai 1950 – Feb. 1951 Angelegenheiten der Volksmission Okt. 1945 – Mai 1948 Angelegenheiten der Volksmission Juni 1948 – März 1950 Angelegenheiten der Volksmission April 1950 – Dez. 1951 Angelegenheiten der Volksmission Jan. 1952 – Sept. 1953 Angelegenheiten der Volksmission Juli 1953 – Juni 1956 Angelegenheiten der Volksmission Mai 1963 – Okt. 1965 Angelegenheiten der Volksmission Apr. 1967 – Juli 1986 Schumann, Erich Max 1953–1957 Evangelisation in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens Feb. 1948 – Juni 1954 Klenner, Gottfried Köckert, Hans Keil, Martin Uhlig, Willy Günter Michael, Wilhelm Moritz Gerhard Berichte über die Besprechungen der Leitsätze des Inneren Ausschusses der Landessynode zur Konfirmationsfrage Jan. – März 1949 Stellungnahmen zu den Leitsätzen des Inneren Ausschusses der Landessynode zur Konfirmationsfrage Jan. – März 1949 Stellungnahmen zu den Leitsätzen des Inneren Ausschusses der Landessynode zur Konfirmationsfrage Jan. – März 1949 Beichte Mai 1948 – April 1957 Beichte Mai 1957 – Okt 1965 Landeskirchliches Amt für Innere Mission 1949–51 Landeskirchliches Amt für Innere Mission 1951–53 Mohn, Paul Leuschring, Ernst Rudolf Meis, Paul

Bestand 5: Kirchenkampfsammlung 1933–1945 106,2 109 314 336 369 377

Rundschreiben der BK 1938 Rundschreiben der BK 1941 Innere Mission Posaunenmission 1934–1939 Theologischer Nachwuchs, insbesondere der Bekennenden Kirche Volksmission 1933–1939

Bestand 34: Handakten Hermann Klemm 65 Ausschuss für Fragen des gemeindlichen Lebens. Volksmission Sept. 1955 – Feb. 1960

468

Literaturverzeichnis

Bestand 36: Kirchenkampfdokumentation der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens (1924–1946) 8 Innere Mission mit Posaunenmission 1935–1938 9 Kammer für Volkmission 1934–1944 10 Unterlagen zur Kammer für Volkmission und Rüstdienst der Bekennenden Kirche Sachsens aus der Handakte von Curt Gröschel 1937–1944 15 Berichte und Mitteilungen vom Landesbruderrat 1934–1943

Bestand 41: Sammlung Karl Josef Friedrich 1 Geistliche Erfahrungen von Pfarrern an der Front 1941–1943

A.II.c Ev.-Luth. Superintendentur Chemnitz, Ephoralarchiv der ehemaligen Superintendentur Chemnitz II 465 Visitationen des Superintendenten Schulze 1953–1959 489 Ephoraler Schriftverkehr 1961–1969 1086 Parochie Bräunsdorf – Allgemeine Amtssachen 1945–1962 – Geistliche Stellen 1945–1950 1199 Parochie Bräunsdorf – Allgemeine Amtssachen 1963–1969 1200 Parochie Bräunsdorf – Allgemeine Amtssachen 1970–1980 1201 Parochie Bräunsdorf – Allgemeine Amtssachen 1981–1990 [GS] [dieser nicht archivalisch registrierte, laufende Ordner enthält Lebensläufe von Pfarrern, in der Kanzlei der Superintendentur vorhanden]

A.II.d Evangelischer Bund – Landesverband Sachsen / Konfessionskundliches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Geschäftsstelle Dresden und Büro des Beauftragten für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens [AG1] AG Religiöse Sondergemeinschaften 1973–1979 [nicht archivalisch registrierter Ordner] [AG2] AG Religiöse Sondergemeinschaften 1980–1985 [nicht archivalisch registrierter Ordner]

469

Archivalia

A.II.e Ev.-Luth. Superintendentur Freiberg, Ephoralarchiv 2509 Ausschuß konfirmierendes Handeln, 1968–1976 [darin auch: Thema Kinderbeichte 1953]

A.II.f Ev.-Luth. Superintendentur Leisnig-Oschatz, Ephoralarchiv 14.0 22.0 23.0 148 278

Kirchenvisitationen Hartha Pfarramt Roßwein, 1. Pfarrstelle 12. Dezember 1941–27. Juli 1968 Technitz, Kirchenwesen 1937–1972 Sammelakt: Schriftwechsel zur Nachkriegszeit mit der Superintendentur 1945–1947 Zweigstelle für Innere Mission und Hilfswerk Leisnig 1966–1980

A.II.g Stadtmission Chemnitz e.V., Geschäftsstelle [Ev] [IM] [Meis]

Evangelisation von 1948 bis 1968 Landeskirchliches Amt für Innere Mission von März 1945 bis Juni 1951 Lebenserinnerungen von Paul Meis (1898–1980) [nicht archivierter, in der Geschäftsstelle erhältlicher Text] [Stockmann] Erinnerungen an die Zeit in der Stadtmission von Stadtmissionar Fritz Stockmann, 1984 [nicht archivierter, in der Geschäftsstelle vorhandener Text]

A.II.h Evangelischer Oberkirchenrat in Württemberg, Landeskirchliches Archiv Stuttgart Altreg. Gen. 361 Bund II: Kirchendiener. II. Dienstprüfung. 1933–1940 darin: [361.337] Aktenbund 337: II. theologische Dienstprüfung 1939 für sächsische Kandidaten [361]

A.II.i Sächsische Posaunenmission e.V., Landesgeschäftsstelle Radebeul [1] Brief von Kreisposaunenwart Erich Krämer, [o.O.], 20. 12. 1937, an Reichsobmann Fritz Bachmann, Essen

A.II.k Ev.-Luth. Superintendentur Aue, Ephoralarchiv G36 G37

Geistliches Amt; Beschäftigung von Theologinnen und Nichttheologen 1947–1970 Gemeindeaufbau 1962–1970

470

Literaturverzeichnis

Hartenstein III I8 K33 Lauter.I.1 Markersbach.I.1 Markersbach.I.1/2 Markersbach III.1 P23 SosaI.1 SosaIII.1 V16/2

A.III

Visitation 1950–1970 Innere Mission, Bd. II 1945–1970 Kirchenvisitationen, Bd. V 1939–1970 Besetzung I. Pfarrstelle Lauter, Vol. II 1930–1950 Besetzung des Pfarramtes Markersbach 1937–1950 Pfarrer 1951–1952 Visitation 1950–1970 Posaunenchor/Posaunenmission 1926–1969 Besetzung der Pfarrstelle Sosa, II. Band 1935–1950 Visitation 1951–1970 Volksmission 1946–1970

Vereine

A.III.a Volksmissionskreis Sachsen e.V., Geschäftsstelle Dresden [bis1949] 1950–1953 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980

Anfänge bis 1949 1950–1953 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980

Archivalia

471

1981 1983 1984 [H]

1981 1983 1984 Herrnhut 3.–4. 6. 1979. Theologische Gespräche zwischen Vertretern des LKA u. des Volksmissionskreises [Rundbriefe] Verschiedene Rundbriefe. Klenner, Fischer, Würker, VMK, Ehrler, de Boor

A.III.b Oase des gemeinsamen Lebens e.V., Archiv Großhartmannsdorf [F] Formulare; Konzeptionen [MR] Mitarbeiter (Rundbriefe) [O] Gottesdienst-Ordnung; Eröffnungsgebete; Lichtabende; Meditations- u. Gebetstexte; Kreuzwegmaterial [TN] Teilnehmer-Listen

A.III.d Archiv des Charisma-Verlages, Düsseldorf, zur Charismatischen Erneuerung beim Christlichen Zentrum Herrnhut e.V., Herrnhut [Stepper2] Archivmaterial der idea-Dokumentation 16/1995 »Die Geschichte der charismatischen Bewegung« von Frank Stepper. Kapitel: 3.1 Lutherisch – Welt; 3.2. Lutherisch – BRD [Stepper3] Archivmaterial der idea-Dokumentation 16/1995 »Die Geschichte der charismatischen Bewegung« von Frank Stepper. Kapitel: 3.3 Lutherisch – DDR; 3.4 Lutherisch – Thüringen nur 3.4.3 bis 3.4.8

A.IV

Privata

A.IV.a Markus Schmidt, Leipzig 7

Fischer, Ingeborg, Zum Tode von Pfarrer i.R. Cornelius Kohl, in: Marienbrief der Ev.Luth. Kirchgemeinden in Roßwein und Niederstriegis. 22 E-Mail von Frank Robotta, Dresden, 13. 11. 2008, an Markus Schmidt, Leipzig 36a Erinnerungen an den Volksmissionskreis Sachsen und an Bräunsdorf, Martin Rüger, Schönebeck [2012] 45 Die St. Barbara Kirche zu Markersbach. Geschichte, Pfr. Gaston Nogrady 49 Auskunft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. vom 18. 09. 2013 51 Gottes Wunderwege mit der kleinen Bräunsdorfer Gemeinde von 1951–2008, Sr. Käte Fiedler, Bräunsdorf 52 Nachschriften der Segnung von Pfr. Klaus Heß in Selbitz, 28. 05. 1957 [vermutl. von Sr. Christine Rüger und Pfr. Gerhard Küttner] 53 Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, Sr. Ruth Pohlmann, Bräunsdorf

472 54 56

57 58 60 61 62 65 66 67 68 69 70 71 72 73

Literaturverzeichnis

Brief von Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 27. 06. 1946, »Betr.: Statistik über Maßnahmen des NS«, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue [Kanzelabkündigung zum 3. Advent 1952] Rundbrief an die Ev.-Luth. Pfarrämter von Zwickau, Chemnitz und Umgebung, Landesbischof Hugo Hahn, Dresden, 10. 12. 1952 Das Maß ist voll / Wanderredner Schumann – ein Rattenfänger für Eisenhower, Freie Presse, 08. 12. 1952, S. 2 Mein Lebenslauf, Pfr.i.R. Erich Schumann, Kleinwelka, 24. 02. 1983 Mein Großvater [Johannes Rüger]. Ein bewegtes Leben, Ephraim Rüger, [schulische Hausarbeit, Gnadau 2009] Vater unser [Bräunsdorfer Schwestern, Bräunsdorf 1967] E-Mail von Renate Rüger, 01. 04. 2014, an Markus Schmidt, Leipzig Brief von Sr. Christine Rüger, Bräunsdorf, 11. 03. 2014 an Markus Schmidt, Leipzig Protokoll einer Dienstbesprechung in Bräunsdorf mit Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Pfr. Christian Seltmann, Limbach-Oberfrohna, 29. 01. 1986 [Protokoll] Zusammenfassung der Ausführungen des Landesbischofs am 29. 01. 1986, Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, 04. 02. 1986 Erinnerungen von Sr. anonyma B, 08. 12. 1984 Ordnung für den Johannes-Ring Weihegebet; Hingabe-Gebet Gebet nach Epheser 1. V 17–23 Brief von Pfr. Andreas Gatzsche, Lützensömmern, 03. 03. 2010, an Markus Schmidt, Leipzig Brief von Pfr.i.R. Bertram Viertel, Chemnitz, 25. 09. 2015 an Markus Schmidt, Leipzig

II: Materialien von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach 1 1a 2 3 4

Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 17. 01. 2014 Nachtrag zum Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 17. 01. 2014, 22. 01. 2014 Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 15. 08. 2012 Auszüge der Amtskalender 1954–1979, Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach Gemeinde als Seelsorge-Gemeinschaft – eine Vision!? Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Bernsbach, vor der Reformierten Konferenz, Steinfurt, 25. 02. 2002 5 Erweckung – wie ich sie erlebte, Pfr.i.R. Christoph Richter, in: Mitarbeiterbrief des Marburger Kreises, 5/1998, 2–21 6 Hingabegebet 7 Ordner »Bruderschaft« 8 Ordner »Bruderschaft. Kapitel und Dienstbesprechungen 1966–« 9 Großhartmannsdorf – Zeit der Bruderschaft, Christian Kurze, Dresden 2012 10 Geistliches Leben. Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Bernsbach, beim Pastoralkolleg des Kirchenbezirkes Kamenz, Meißen, 03. 06. 1999 11 Erfahrungen und Gedanken zu einer Didaktik der Hl. Eucharistie. Vortrag von Pfr.i.R. Christoph Richter, Oberreichenbach, vor Mitarbeitern der Oasenarbeit, Großhartmannsdorf, 23. 01. 2006 13 [Liste] Weitere inhaltlich gefüllte Termine [1973–79], Pfr. Christoph Richter

Literatur

473

14 [Ordnung] Abendmahlsfeier, Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf 15 [Liste] Chronologischer Abriss des Konflikts mit Gerhard Küttner, Pfr. Christoph Richter 16 Brief an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, vom 07. 04. 1979 17 Entwurf zu: Brief des Vorstandes des Volksmissionskreises Sachsen, Pfr. Hans Prehn, 05. 01. 1977, an Pfr. Gerhard Küttner, Bräunsdorf, in: A.III.a.1977 18 Brief an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden, vom 18. 01. 1984 19 Brief von Sr. anonyma A, 16. 04. 1979, an Landesbischof Dr. Johannes Hempel, Dresden 20 Brief von Pfr. Jörg Pfund, Zethau, 08. 10. 1979, an Pfr. Christoph Richter, Albernau 21 Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 25. 06. 2014 22 Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 25. 02. 2015 23 Eine sehr persönliche Schlüsselerfahrung (Auszug aus meinen Lebenserinnerungen) 24 Brief an Markus Schmidt, Leipzig, vom 10. 09. 2015

III: Materialien von Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter-Bernsbach 1 Aus meinem Leben. Erinnerungen und Rechenschaft, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, 2010 2 Unser missionarischer Auftrag heute. Auf dem Weg zur missionarischen Gemeinde, Vortrag von Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1988 3 Geistliche Gemeindeerneuerung in der DDR. Ein Situationsbericht, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1989 4 Anliegen der Geistlichen Gemeindeerneuerung, Pfr. Gottfried Rebner, Lauter, 1988

IV: Materialien von Pfr.i.R. Georg Scheuerlein, Görlitz 1 Die Jugenderweckungsbewegung in der DDR, [masch. Manuskript; unveröffentlicht], Pfr. Georg Scheuerlein, Sangerhausen, 1975

10.3 Literatur Im Fußnotentext finden Kurztitel Verwendung, welche in den folgenden Literaturangaben durch Kursivdruck markiert sind bzw. am Ende der Literaturangabe in () gesetzt werden. Bei Sammelbänden werden solche, aus denen mehr als ein Aufsatz aufgeführt wird, zusätzlich als selbstständige bibliographische Angabe geführt und durch Kurztitel markiert. Adam, Adolf, Art. Pfingstnovene, in: LThK3 Bd. 8, Freiburg i.Br. Sonderausgabe 2009, 190. Agende für die evangelisch-lutherische Landeskirche des Königreichs Sachsen. Erster Teil. Ordnung des Gottesdienstes nebst Formularen und musikalischem Anhang, Leipzig 1880.

474

Literaturverzeichnis

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Biogramme

Das folgende alphabethische biographische Verzeichnis nimmt in Gestalt von Kurzbiogrammen ausgewählte Personen aus dem Umfeld des Volksmissionskreises Sachsen auf. Es ist mit keinem Anspruch auf Vollständigkeit verbunden. Diese ist schon aufgrund der Quellenlage unmöglich, sodass nur Personen aufgenommen werden konnten, für die biographisch aussagekräftiges Material, z. B. in Form von Personalakten, einsichtig war. Entsprechend muss die Genauigkeit bei Zeit- und Datumsangaben variieren. Bach, Julius 1879–19591527 Dr.-Ing.; 1918 Professor an der Staatl. Akademie für Technik Chemnitz, ab 1950 an der Technischen Hochschule Chemnitz, 1945 Mitbegründer der CDU Chemnitz, 1946–1950 Stadtrat in Chemnitz. Bahrmann, Hellmuth Gotthilf Gerhard 18. 05. 1896–05. 07. 19941528 Geboren in Zehmen (bis 1957 b. Leipzig); 1918–1922 Studium der Theologie in Leipzig, 25.04.–15. 10. 1922 Kandidat in Bethel,1529 01. 11. 1922–31. 12. 1924 Sekretär des Christlichen Bundes für Gasthausangestellte, Berlin,1530 26. 05. 1923 2. Theol. Prüfung in Dresden, 01. 02. 1925 Ordination in Ruppertsgrün, dort bis 1929, 1929–1936 3. Pfarrer in Grimma, 01. 09. 1936–1946 Pfarrer in Sebnitz, dann dienstbehindert,1531 1946/47 Pfarrer in Hermannsdorf b. Annaberg, 1947–1955 1527 Vgl. http://klarer-kurs-fuer-sachsen.de/kennenlernen/geschichte/persoenlichkeiten-imlauf-der-geschichte (Zugriff: 19. 09. 2013). 1528 Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1181, 1–2; Bahrmann, Gerhard, Lebenslauf [vermutl. 1945/46], in: A.II.b.2.1181, 3; Die evangelischen Pfarrer von Lützschena, in: A.I.e.54.1/1. 1529 Vgl. Zeugnis von Pastor Bodelschwingh, Bethel, 15. 10. 1922, für cand. theol. Gerhard Bahrmann, in: A.II.b.2.1181, 7. 1530 Vgl. Zeugnis von Geh. Hofkammerrat Eismann, Berlin, 31. 12. 1924, für cand. theol. Gerhard Bahrmann, in: A.II.b.2.1181, 10. 1531 Vgl. auch Brief von Pfr. Gerhard Bahrmann, Hermannsdorf, 14. 05. 1947, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, OLKR lic. Samuel Kleemann, Dresden, in: A.II.b.2.1181, 104.

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Biogramme

Pfarrer in Lützschena b. Leipzig, 1955–1965 Pfarrer in Leipzig-Anger-Crottendorf, 01. 05. 1965 Emeritierung.1532 Bibra, Otto Siegfried Willibald Friedrich Freiherr von und zu 04. 09. 1914– 07. 09. 19931533 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg, Königsberg, München und der Theologie in Erlangen und Tübingen, Pfarrer in Egloffstein und Nürnberg, 1972–1992 Dozent an der Freien Theologischen Akademie Basel. Boor, Werner de 24. 04. 1899–18. 03. 19761534 1924 Pfarrer in Bobeck b. Jena. 1928 Pfarrer in Kordeshagen/Pommern, 1932 Pfarrer in Stolp, 1940/41 Heerespfarrer, 1945 Pfarramtsvertretungen, 1946 Studentenpfarrer in Rostock, 1946–1956 Oberkirchenrat in Schwerin, 1953 Leiter der landeskirchlichen Volksmission, 1955 Evangelist, 1957–1965 Leiter der Evangelistenkonferenz in der DDR. Damrath, Rudolf 26. 03. 1905–14. 04. 19591535 Geboren in Applinken, Kreis Marienwerder/Westpreußen; 1928–1929 Studium der Theologie in Königsberg und 1929–1932 in Berlin, 1934 Lehrvikar in Wustermark und Ferch, 2. Theol. Prüfung, 1935 Ordination, 1935–1937 Standortpfarrer in Stettin und Glogau, 01. 04. 1937 bis Kriegsbeginn Pfarrer an der Garnisonskirche Potsdam und Wehrmachtsoberpfarrer, Dienste in Polen, Oberrhein, Sizilien, Griechenland, Nordafrika, Paris; Kriegsgefangenschaft: »bekannte sich 1944 im Lager CompiHgne zum CALPO [Comit8 Allemagne libre pour l’Ouest / Bewegung Freies Deutschland im Westen], Gründungsmitgl. einer Lagergruppe d. CALPO«1536 ; Juli 1945–25. 04. 1946 Lagerpfarrer im Norton Camp b. Mansfield/England und Studienleiter der Theologischen Schule des CVJM im Gefangenenlager,1537 01. 07. 1946–30. 09. 1947 Referent der Kirchenkanzlei der EKD in Schwäbisch Gmünd, Koordinator der die Kriegsgefangenen betreffenden Fragen,1538 01. 10. 1947–08. 08. 1953 Missionsdirektor der Berliner Stadtmission und Pfarrer der Missionsgemeinde Am Südstern1539, 09. 08. 1953– 14. 04. 1959 Pfarrer der Münster-Kirchengemeinde in Herford. 1532 Vgl. Urkunde über Versetzung in den Ruhestand, in: A.II.b.2.1181, 176. 1533 Vgl. http://www.bibelpedia.com/index.php?title=Bibra,_Otto_Siegfried (Zugriff: 09. 09. 2015). 1534 Vgl. Kühne (Bearb.), Protokolle, 447; Bonhoeffer, Finkenwalder Rundbriefe, 640. 1535 Vgl. Verein für Berliner Stadtmission (Hg.), Fünfundsiebzig Jahre, 20; Loscher, Studium und Alltag, 97f Anm. 365; Weindel, Leben und Lernen, 419; Damrath, Rudolf Damrath. 1536 Hamacher, Gegen Hitler, 43. 1537 Vgl. Weindel, Leben und Lernen, 198; Loscher, Studium und Alltag, 8.65.79.97. 1538 Vgl. auch Greschat, Die evangelische Christenheit, 185. 1539 Vgl. Verein für Berliner Stadtmission (Hg.), Fünfundsiebzig Jahre, 17.

Biogramme

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Keil, Martin 10. 11. 1901–05. 12. 19951540 Geboren in Mühlau b. Rochlitz; 09. 04. 1934–14. 11. 1934 Hilfsgeistlicher Rabenstein b. Chemnitz, 15. 11. 1934–30. 11. 1935 Pfarrvikar in Leubnitz b. Plauen, 15. 11. 1935 2. Theol. Prüfung in Dresden, 10?.11.1935 Ordination, 02. 12. 1935– 19. 07. 1937 Pastor und Pfarrvikar in Leubnitz b. Plauen, 20. 07. 1937–31. 10. 1941 Pfarrer in Leubnitz, 11. 11. 1941–06. 06. 1957 Auenkirche Markkleeberg-Ost, 07. 06. 1957–31. 07. 1968 Innere Mission Leipzig, Rektor des Diakonissenhauses Borsdorf. Klenner, Gottfried 14. 10. 1910–05. 05. 19431541 Geboren in Dresden; 1930–1934 Studium der Theologie in Leipzig, 1934 Ordination in Zug b. Freiberg,1542 1936–20. 08. 1939 im Reisedienst der Inneren Mission, zum 01. 12. 1941 auf die 2. Pfarrstelle der Kreuzkirche Seifhennersdorf/ Oberlausitz abgeordnet,1543 Antrittspredigt in Seifhennersdorf am 08. 03. 1942,1544 Einberufung als Obergefreiter nach Stalingrad1545, vermisstgemeldet ab 12. 01. 1943; gestorben in russischer Kriegsgefangenschaft;1546 aufgrund noch nicht bekannten Todes posthum am 16. 11. 1943 auf die 2. Pfarrstelle in Seifhennersdorf berufen.1547 1540 Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1743, 1f. 1541 Brief von Maria Bauer, Mannheim, 29. 06. 1943, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1705, 6f. Todes- bzw. Vermisstendatum 05. 05. 1943, vgl. Auskunft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. vom 18. 09. 2013, in: A.IV.a.49. Vom Ende Klenners weiß auch der Band Herbergen der Christenzeit 31/2007 nichts zu berichten. Dort wird Klenner im Register nur mit dem Geburtsjahr 1910 aufgeführt. 1542 Vgl. Viertel, Volksmissionskreis Sachsen, 160. 1543 Vgl. Rundbrief [vermutl. des Landesbruderrates der Bekennenden Ev.-Luth. Kirche Sachsens] von Martin Richter, [Dresden], 14. 11. 1941, an Brüder im Krieg [handschriftlich personalisierte Namenseintragung: an Gefreiten Pfr. Gottfried Fuß, Feldpost], in: A.II.b.5.109, 37–40. 1544 Von dieser Antrittspredigt während eines Urlaubes von der Grenadierkaserne in Dresden berichtet Klenner in einem Brief an Hans Prehn. Klenner wohne zusammen mit seiner Verlobten in Seifhennersdorf und halte zusammen mit seiner Gastfamilie Stille Zeit und Austausch. Vgl. Brief von Gefr. Pfr. Gottfried Klenner, Dresden, z. Zt. Seifhennersdorf, 09. 03. 1942, an Gefr. Pfr. Hans Prehn, in: A.II.b.41.1, 6. Zur praktischen Dienstausübung in Seifhennersdorf ist es wohl nicht gekommen, vgl. Clauß, Chronik, 144. 1545 Die letzte Postkarte, welche Klenner vor Stalingrad versandt hatte, wurde im Volksmissionskreis Sachsen häufig zitiert, vgl. z. B. VMK (Hg.), Tagung in Dresden-Briesnitz am 15. bis 17. Juli 1946 unter dem Thema Aus Trümmern neues Leben, in: z. B. A.III.a.bis1949, Zit. Gottfried Klenner a. a. O., 2: »Der Teufel raunt: Ich sehe schwarz. Hat er recht? Nein, niemals. Was Gott tut, das nimmt ein gutes Ende«. 1546 Klenners Verlobte Maria Bauer erfuhr über eine Diakonisse, dass ein Heimkehrer berichtete, Klenner sei in einem russischen Lager an der chinesischen Grenze am Leben; vgl. A.II.b.2.1705, 6f. 1547 Vgl. A.II.b.2.1705, 6f.

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Biogramme

Köckert, Hans Wolfgang 18. 03. 1916–15. 09. 19741548 Geboren in Leipzig; Studium in Leipzig, März 1941 – Mai 1942 Vikar ; 21. 04. 1942–15. 10. 1944 Pfarrvikar in Schneeberg, St. Wolfgang; Ordination am 27. 12. 1942 in Leipzig, Thomaskirche; 16. 10. 1944 – Juni 1946 Pfarrer in Schneeberg, St. Wolfgang; Juni 1946–17. 11. 1951 Aue, St. Nicolai; 18. 11. 1951–13. 12. 1957 Dölzig b. Leipzig; 14. 12. 1957–15. 09. 1974 Mildenau b. Annaberg-Buchholz; Verkehrsunfall mit Todesfolge am 02. 09. 1974.1549 Kohl, Cornelius Karl Friedrich 05. 10. 1906–30. 04. 20061550 Geboren in Hartmannsdorf b. Kirchberg; Studium der Theologie in Tübingen und Leipzig, 1931 Ersten Theologisches Examen, 1933 Vikar in Roßwein, 13. 05. 1933 Zweites Theologisches Examen, 25. 06. 1933 Ordination in Roßwein, dort 2. Pfarrer, April 1935 – Juni 1953 dort 1. Pfarrer, 14. 06. 1953 Superintendent in Freiberg. Küttner, Fritz Gerhard 15. 03. 1911–30. 01. 19971551 Geboren in Kleinschweidnitz b. Löbau; 1931–1936 Studium der Theologie in Leipzig, 27. 06. 1936 Erstes Theologisches Examen, Juli 1936 – März 1937 Vikar in Neudorf, April – September 1937 Vikar in Schöneck/Vogtland, Februar – August 1938 Vikar der Bekennenden Kirche in Leipzig Stadt und Land, anschließend in Sosa, 25. 04. 1939 Zweites Theologisches Examen vor dem Stuttgarter Oberkirchenrat,1552 26. 04. 1939 Ordination durch Sup. Hugo Hahn in Stuttgart–St. Leonhardt,1553 Oktober – Dezember 1941 landeskirchlicher Vikar in Sosa, ab Januar 1942 dort Pfarrer; Ende 1950 – April 1951 durch die Staatssicherheit der DDR inhaftiert, begnadigt, Redeverbot im Landgerichtsbezirk 1548 Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1741, 1f; Mein Lebenslauf, Pfr. Hans Köckert, in: A.II.b.2.1741, 3. 1549 Vgl. Brief der Ev.-Luth. Superintendentur Annaberg-Buchholz, 06. 09. 1974, an das Ev.Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1741, 10. 1550 Fischer, Ingeborg, Zum Tode von Pfarrer i.R. Cornelius Kohl, in: Marienbrief der Ev.-Luth. Kirchgemeinden in Roßwein und Niederstriegis, in: A.IV.a.7; Lebenslauf, Pfr. Cornelius Kohl, Roßwein, 15. 06. 1948, in: A.II.f.22.0; Zeugnis des Ev.-Luth. Landeskonsistoriums über die Prüfung pro ministerio für cand. theol. Cornelius Kohl, Dresden, 13. 05. 1933, in: a. a. O. 1551 Vgl. Personalbogen für Geistliche in: A.II.b.2.935, 1f; Lebenslauf, Pfr. Gerhard Küttner, Sosa, 05. 06. 1946, in: a. a. O., 4; Ordinationsurkunde für Gerhard Küttner, Sup. Hugo Hahn, Stuttgart, 26. 04. 1939, in: a. a. O., 8; Schmidt, Volksmission und Christusdienst, bes. 9f. 1552 Vgl. dazu die Dokumentation in: A.II.h.361.337; Zeugnis der zweiten evangelisch-theologischen Dienstprüfung für Pfarramtsbewerber Gerhard Küttner, Theodor Schlatter/ Theophil Wurm, Stuttgart, 05. 07. 1939, in: A.II.b.2.935, 9. 1553 Vgl. Erinnerungsblatt mit Unterschriften aller sächsischen Teilnehmer in: Prehn, Begegnung, 35.

Biogramme

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Zwickau;1554 Oktober 1951 – Januar 1952 ruhende Pfarrstelle Dresden–Zionskirche, Februar 1952 – Dezember 1977 Pfarrer in Bräunsdorf, 01. 01. 1978 emeritiert. Leuschring, Ernst Rudolf 1899–19811555 Geboren in Friedrichsgrün; Malermeister ; ab 1945 evangelistischer Mitarbeiter des Volksmissionskreises, Kantor in Sosa,1556 hielt in Sosa Bibelstunden und Kindergottesdienste,1557 1956 Pfarrverweser in Sosa, 25. 07. 1957 Pfarrverweser in Frankenhausen b. Crimmitschau,1558 01. 06. 1960 dort Pastor,1559 01. 11. 1960 dort Pfarrer.1560 Meis, Paul Peter Joseph 01. 05. 1898–27. 10. 19801561 01. 04. 1922–30. 04. 1923 Kandidat im Predigerkollegium St. Pauli, Leipzig, 01. 05. 1923–15. 10. 1924 Kandidat im Christlichen Volksdienst Leipzig, 12. 10. 1924 Ordination in Schwepnitz/Westlausitz, 15. 10. 1924 Pfarrvikar in Schwepnitz, ab 01. 04. 1925 dort Pfarrer, 01. 04. 1930–30. 09. 1934 Pfarrer in Kamenz, 01. 10. 1934–05. 06. 1947 Direktor der Stadtmission Chemnitz, 06. 06. 1947–15. 09. 1967 Rektor der Diakonissenanstalt Leipzig.

1554 Nach mündlicher Quelle habe die Haft am 09. 11. 1950 begonnen. Zum Fall siehe die Dokumentation in: A.II.b.2.935. 1555 Zu Leuschring liegen nur wenige biographische Daten vor; die Personalakte in A.II.b.2.1962 konnte aufgrund von Schutzfristen nicht eingesehen werden. Vgl. Lebenslauf, Rudolf Leuschring, 26. 06. 1951, in: A.II.b.2.1517, 187; http://pfarrerbuch.de/sachsen/ pfarrer/rudolf-leuschring-1899–1981 (Zugriff: 31. 01. 2014). 1556 Leuschring wohnte zuvor in Chemnitz und wurde von Gerhard Küttner als vertretender Kantor nach Sosa geworben, vgl. Brief des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens, Dresden, 16. 03. 1955, an die Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.II.k.G36; vgl. Anmeldungen zur Tagung in Obercunnersdorf 04.–09. 05. 1949, in: A.III.a.bis1949. 1557 Vgl. Brief von Pfr. Günther, Generalvikar, Sosa, 30. 04. 1956, an Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, Ev.-Luth. Bezirkskirchenamt Zwickau, Ev.-Luth. Superintendentur Schneeberg, Aue, in: A.II.k.G36. 1558 Vgl. Verpflichtungs-Niederschrift, Ev.-Luth. Superintendentur Werdau, Crimmitschau, 25. 07. 1956, in: A.I.o.202. 1559 Vgl. Brief der Ev.-Luth. Superintendentur Werdau, 01. 08. 1960, an Pfarrverweser Rudolf Leuschring, Frankenhausen, in: A.I.o.202. 1560 Vgl. Verpflichtungs-Niederschrift, Ev.-Luth. Superintendentur Werdau, 01. 11. 1960, in: A.I.o.202. 1561 Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1963, 1–2; Lebenserinnerungen von Paul Meis, in: A.II.g.Meis.

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Biogramme

Michael, Wilhelm Moritz Gerhard 1910–?1562 Geboren in Frauenhain; Oktober 1933–31. 08. 1934 Kandidat in Bethel, 15. 11. 1935 2. Theol. Prüfung beim Ev.-Luth. Landeskirchenrat Bayerns, München, 19. 01. 1936 Ordination in Conradsdorf b. Freiberg, 08. 10. 1934–26. 04. 1935 Pfarrvikar in Chemnitz-Ebersdorf, 26. 04. 1935 Dienstentlassung wegen Fürbitte für gemaßregelte Pfarrer, Juli 1935 – Dezember 1935 BK-Pfarrvikar in Berbisdorf b. Radeburg, 16. 12. 1935 Wiedereinstellung in landeskirchlichen Dienst, 16. 01. 1939–30. 03. 1939 Pastor in Conradsdorf, 30. 03. 1939 Dienstentlassung wegen Nichtanerkennung der 17. Durchführungsverordnung, 01. 04. 1939–08. 09. 1939 BK-Pastor in Conradsdorf, 16. 11. 1939 Pastor in Markersbach, 22. 10. 1941 Wiedereinststellung in landeskirchlichen Dienst, 25. 01. 1943–31. 07. 1952 Pfarrer in Markersbach, 01. 08. 1952 Dienstentlassung;1563 vermutlich Baptistenprediger in Westdeutschland. Mohn, Wilhelm Paul 05. 08. 1888–16. 12. 19661564 April 1914 – August 1914 »Vikar in der Diaspora« in Waiern/Kärnten, 22. 10. 1916 Ordination in Mauersberg/Erzgeb., dort Pfarrer bis 1924, 1924–1931 Pfarrer in Oederan, 1931–31. 07. 1953 Pfarrer in St. Andreas Chemnitz-Gablenz (4. bis 2. Pfarrstelle). Prehn, Heinrich August Winfried Johannes (»Hans«) 08. 02. 1913–02. 09. 19921565 Geboren in Dresden; 1932–1936 Studium der Theologie in Leipzig und Marburg, 1936 im Predigerseminar Lückendorf, 25. 04. 1939 Zweites Theologisches Examen vor dem Stuttgarter Oberkirchenrat,1566 26. 04. 1939 Ordination durch Sup. Hugo Hahn in Stuttgart–St. Leonhardt,1567 Sommer 1939 bis Herbst 1939 im Reisedienst der Inneren Mission (Sächsische Posaunenmission), Juni – No1562 Aufgrund der Dienstentlassung liegen keine weiteren biographischen Daten nach Dienstende vor. Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1762, 1f; Lebenslauf, Pfr. Gerhard Michael, 21. 02. 1946, in: A.II.b.2.1762, 3. 1563 Vgl. Brief von Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, 12. 07. 1952, an das Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens, Dresden, in: A.II.b.2.1762, 30; Brief des Ev.-Luth. Landeskirchenamtes Sachsens, Dresden, 30. 07. 1952, an Pfr. Gerhard Michael, Markersbach, in: a. a. O., 36. 1564 Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1858, 1–2. 1565 Vgl. Ortskirchenchronik Lauter. 20. Jahrhundert, Pfr.i.R. Gottfried Rebner, Lauter, in: A.I.s.956; Prehn, Begegnung, 17; Brief von Pfr.i.R. Bertram Viertel, Chemnitz, 25. 09. 2015, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.73. 1566 Vgl. dazu die Dokumentation in: A.II.h.361.337; Lebenslauf, Pfr. Hans Prehn, Lauter, 22. 01. 1947, in: A.II.k.Lauter.I.1. 1567 Vgl. Erinnerungsblatt mit Unterschriften aller sächsischen Teilnehmer in: Prehn, Begegnung, 35.

Biogramme

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vember 1945 Pfarrvertretung in Beutha b. Stollberg1568, ab Dezember 1945 2. Pfarrer in Lauter, November 1946 – Dezember 1960 dort 1. Pfarrer, Januar 1961– 1978 1. Pfarrer in Crimmitschau–St. Johannis, 1979 emeritiert. Richter, Christoph 01. 03. 19311569 1949–1952 Studium der Theologie an der Kirchlichen Hochschule in BerlinZehlendorf, durch Regierungsbeschluss der DDR verboten, 1952–1954 Fortsetzung des Studiums bei Professoren der Karl-Marx-Universität Leipzig in Räumen des Predigercollegs St. Pauli Leipzig, Februar 1954 1. Theol. Examen, Vikariat und Hilfsgeistlicher Schneeberg–St. Wolfgang, Herbst 1955 2. Theol. Examen, 13. 11. 1955 Ordination in Schneeberg, Februar 1958–Januar 1976 Pfarrer in Großhartmannsdorf, 1972–1996 Mitglied der Ev.-Luth. Landessynode Sachsens und Mitglied der Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978–1982 Mitglied der Synode des Bundes der Ev. Kirchen in der DDR, 1976– 1985 Pfarrer in Albernau, 1985–1990 Pfarrer in Bernsbach, 1990–1996 Pfarrer in Albernau, Ostern 1996 emeritiert. Schlagowsky, Erwin 15. 05. 1911–31. 03. 19951570 1935/36 Predigerseminar Finkenwalde, 07. 10. 1936 Ordination (durch Heinrich Rendtorff, Eduard Block, Werner de Boor), anschließend Prediger in Glowitz, Giesebitz, Wussow, Hammermühle; dann Carlshagen, Benz, Bansin, 01. 04. 1947–31. 10. 1950 Pfarrer in Dreibergen und an der Strafanstalt Bützow, 01. 11. 1950 Pfarrer in Graal-Müritz, 1971 Ruhestand. Schumann, Erich Max 14. 05. 1899–13. 03. 19871571 15. 05. 1920–23. 10. 1922 Jugendwart in Radebeul, 01. 11. 1922–25. 02. 1924 Jugendsekretär des CVJM in Chemnitz, 28. 02. 1924–31. 03. 1939 Vereinssekretär des CVJM in Zwickau, dann Generalsekretär, 01. 09. 1942–30. 06. 1945 Reisejugendwart der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, 14. 11. 1943 Ordination zum Diakonus der Evangelischen Brüderkirche in der Brüdergemeine Zwickau,1572 01. 07. 1945–15. 02. 1954 Prediger in Zwickau, Volksmissionar und Reisepfarrer im Dienst der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 05. 12. 1952–06. 07. 1568 Vgl. Prehn, Volksmissionskreis, 63. 1569 Vgl. Brief von Pfr.i.R. Christoph Richter, Haiterbach, 10. 09. 2015, an Markus Schmidt, Leipzig, in: A.IV.a.II.24. 1570 Vgl. Bonhoeffer, Finkenwalder Rundbriefe, 671. 1571 Vgl. Personalbogen für Geistliche, in: A.II.b.2.1551, 1f; Lebenslauf, Pfr. Erich Schumann, in: a. a. O., 3; Mein Lebenslauf, Pfr.i.R. Erich Schumann, Kleinwelka, 24. 02. 1983, in: A.IV.a.58; Käbisch, Politisch Verfolgte, 43. 1572 Vgl. Ordinationsurkunde für Erich Schumann, Bischof Theo Marx, Zwickau, 14. 11. 1943, in: A.II.b.2.1551, 8.

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Biogramme

1953 politische Gefangenschaft, 16. 02. 1954–15. 10. 1955 vikarische Verwaltung der Ev.-Luth. Anstaltsseelsorge Karl-Marx-Stadt (Blindenanstalt),1573 1955–1964 Pfarrer der Ev. Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Klein-Quenstedt b. Halberstadt; Ruhestand in Kleinwelka. Uhlig, Willy Günter 26. 09. 1929–04. 03. 20111574 Geboren in Schellenberg; 1946–1954 Lehrer, 1954–1960 Studium am Theologischen Seminar Leipzig, 1961–1970 Pfarrer in Zschoppach, 1962 Ordination, 1970–1978 Pfarrer in Auerswalde, 1978–1984 Bräunsdorf, 1984–1994 Markersbach1575.

1573 Vgl. auch Häcker, Lass uns leuchten des Lebens Wort, 8. 1574 Vgl. Lebenslauf, Pfr. Günter Uhlig, [1977], in: A.II.c.GS; Sterbeurkunde, in: A.II.b.2.1745. 1575 Vgl. Niederschrift über Einführung [von Pfr. Günter Uhlig], Markersbach, 09. 09. 1984, in: A.I.r.P.

Register der Personennamen Nicht in das Register aufgenommen sind die Autorinnen und Autoren von Literatur, die in den Anmerkungen sowie im Literaturverzeichnis verzeichnet sind. Dagegen sind Personen und Orte, die in Titeln von Archivalia vorkommen, aufgeführt.

Albrecht, Hans-Heinrich 59, 61 Appel, Helmut 79 Arnold, Edgar 205 Asmussen, Hans 68, 258, 332f., 428 Auerbach, Dieter 30, 254 Bach, Julius 75f., 92, 166, 503 Bachmann, Fritz 57–61, 469 Bahrmann, Gerhard 51, 78, 91f., 95, 99, 104, 116–118, 123f., 126, 189, 192, 259, 266, 269–271, 275–277, 285, 319, 321, 325–327, 345f., 349f., 394, 400, 410, 413, 416f., 466, 503 Barth, Karl 44, 67, 153, 377 Basilius von Cäsarea 20 Bauer, Fritz 201, 505 Baumgarten, Otto 302, 307, 387, 391 Becker, Wilhard 22 Belz, Eugen 128, 131, 133f., 143, 181, 188, 190, 235 Berthold, Johannes 119f. Beyreuther, Erich 39 Bially, Gerhard 128, 246 Bibra, Otto Siegfried von 93, 99f., 115, 120–128, 133, 143, 148, 159, 181, 188, 235, 310f., 322, 336, 347, 351f., 395–399, 403, 424, 504 Bilz, Wolfgang 251 Bismarck, Otto von 391 Bittlinger, Arnold 21, 136f. Blachnicki, Franciszek 212 Blischke, Dieter 245f. Blumhardt, Johann Christoph 390f., 404

Bodelschwingh, Friedrich von 50f., 503 Bodenstein, Erich 54, 87, 91, 101, 106– 108, 124f., 136, 425 Bonhoeffer, Dietrich 22, 25, 62, 66, 69–73, 92, 112, 148, 272, 288–290, 298–300, 387, 393, 424, 504, 509 Boor, Werner de 99, 116f., 126, 306, 471, 504, 509 Borowski, Ernst 92 Böttrich, Rudolf 92 Böttrich, Thomas 390, 421 Bovet, Theodor 101 Brakensiek, Lucie 121, 310, 327, 351, 403 Braun, Herbert 73 Brecheis, Bürgermeisterin 173 Brück, Ulrich von 29, 51, 67, 87, 91, 100, 107f., 124, 135f., 152, 173, 205, 241, 302 Brunner, Emil 45, 66 Bruns, Hans 339–343, 349f., 362, 369 Buchman, Frank 43–46, 67 Busch, Wilhelm 80 Chambers, Oswald 101 Christenson, Larry 21, 29, 136, 199, 238, 248 Claassen, Johannes 144 Coch, Friedrich 49, 56 Damrath, Rudolf 99f., 386f., 504 Daniel, Thilo 15, 420 Delekat, Friedrich 52 Delius, Walter 73 Dick, Rainer 250

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Register der Personennamen

Doerne, Martin 54 Döhler, Irene s. Küttner, Irene Dregennus, Frank 30, 246

Fürer, Hermann 174, 177, 180 Fuß, Gottfried 54, 60, 90, 123, 208, 268, 313, 353, 395, 505

Ebert, Edgar 81, 86, 92 Ebert, Kurt 200 Edel, Eugen 139, 143–146, 194, 357 Edel, Reiner-Friedemann 128, 136, 204, 361 Eger, Karl-Heinz 160 Ehler, Hansmartin 272, 402 Ehmann, Wilhelm 55 Ehrler, Ewald 87, 89, 92, 95, 102, 107, 113, 116, 124f., 150, 159, 195, 273, 326f., 342–344, 466, 471 Ehrlich, Ernst 54, 75, 78, 91, 100, 103– 107, 152, 334 Eichenberg, Friedrich Carl 31, 191, 426 Eichler, Kurt 74, 78, 80 Engemann, Wilfried 265, 408f. Epperlein, Elisabeth 123, 127 Epperlein, Manfred 123, 127

Gabsch, Brigitte 102, 152 Gatzsche, Andreas 357, 361, 472 Gebhardt 92 Gentsch, Hermann 199 Gerber, Willy 54 Gerhard, Paul 60f. Gestrich, Christof 391, 428f., 444 Geyer, Robert 132f. Gilbert, Gerhard 52, 54, 61, 91 Gleede, Ernst 137 Gorgon, Waldemar 78, 92f., 99, 282, 287, 394, 413f., 430 Graf, Ehrhard 58 Gräfe, Friedrich 92 Groß, Pfr. 425 Gröschel, Curt 50, 52–54, 103, 468 Großer, Karl 200 Groth, Hedwig 175 Gruhl, Rudi 125 Grund, Rechtsanwalt Dr. 156 Grünert, Willy 92 Guardini, Romano 212 Günnel, Helmut 106, 191, 245, 278, 393, 433 Günther, Rolf 239

Faiß, Hanna 148–150 Falkenberg, Friedrich 193 Faulmüller, Br. Walter 188 Ficker, H. 327 Fiedler, Sr. Käte 157f., 170f., 238, 471 Finney, Charles Grandison 402 Finster, Ehrhard 86f., 102 Fischer, Emmy 88, 101f. Fischer, Gerhard 105 Fischer, Karl 52, 54 Fischer, Martin 73 Fischer, Rudolf 59, 74, 76–82, 84, 86–94, 96–103, 105f., 109, 116f., 120, 122, 124– 126, 153f., 195, 203, 258, 270, 273, 275, 306, 319, 326f., 343, 402, 405f., 466, 471 Flanze, Sr. Gisela 217 Franke, Pfr. 53 Franke, Richard 418 Fricke, Herbert 123 Friedrich, Gotthold 249, 285, 294f., 433 Fröhlich, Andreas 47, 49 Füllkrug, Gerhard 41, 64, 66–68, 70–72, 270f., 300, 330, 370

Haendler, Otto 25, 257 Hahn, Hugo 50–52, 54, 107, 150, 152f., 156, 193, 335, 472, 506, 508 Hammerstein, Gerta von 95 Hampel, Helmut 251 Hanselmann, Johannes 456f. Harms, Silke 109, 202 Hasting 92 Haufe, Christoph Michael 28, 201, 251, 306, 452 Haug, Gotthilf 129, 133 Hauger, Martin 24f. Heber, Käthe 100 Heber, Pfr. lic. Dr. 388 Heidel, Rolf 200 Heidler, Fritz 71

Register der Personennamen

Heiland, Kurt 105 Heim, Karl 45, 74, 78, 100 Heinig, Sr. Waltraud 217 Heinke, Christoph 160 Heinkel, Gottfried 200 Hempel, Johannes 217, 220, 227, 229, 233f., 238–240, 243f., 255, 472f. Hempelmann, Reinhard 328 Hennig, Gerhard 387 Herbert, Otto 93, 107 Herbst, Michael 306 Heß, Amalie 137, 190 Heß, Gottlob 137 Heß, Klaus 128f., 133, 135f., 143, 166, 171, 175, 181f., 189f., 195, 201, 235, 246 Heun, Christa 76f., 82, 92, 94, 97–99, 106, 116f., 126, 136, 306, 319, 343 Hilberath, Bernd Jochen 386 Hilbert, Gerhard 38–40, 42, 46, 52f., 63, 69–71, 271, 287, 289, 330 Hildebrand, Kantor 198 Hirsch-Hüffell, Thomas 454 Höfer, Friedrich Erich 54, 392 Hollenweger, Walter J. 15f., 22, 35f., 205, 450f. Horn, Herr Dr. 172 Hümmer, Hanna 128, 130 166 179f., 235 Hümmer, Walter 128, 130, 142, 166, 171, 179f., 235, 246 Ihlberg, Wolfgang 251 Ihle, Friedrich 90, 105, 123, 125, 318, 394f. Ihle, Pfr. H. 103 Irmler, Rudolf 335, 338 Iwand, Hans Joachim 71, 258, 299 Jäckel, Friedrich 91, 93 Jahn, Gustav 35, 105, 148f., 151, 285, 294, 423 Jänchen, Klaus 200 Janssen-Kloster, Gudrun 119 Jean-Nectaire de Saint-Denis s. Kovalevsky, Eugraph Jelen, Kurt T. 114 Jentsch, Gertrud 92

513 Jochheim, Martin 62 Johannes, Bischof s. Kovalevsky, Eugraph Johannes, Kurt 173 Josiger, Fritz 117, 124, 148–150 Josuttis, Manfred 444, 450 Käbisch, Edmund 239, 348 Kälsch, Anni 343 Karle, Isolde 302, 441 Karnetzki, Manfred 458 Kaube, Andreas 253 Keil, Martin 76, 88, 92, 107, 199f., 244f., 467, 505 Kießling, Klaus 265 Kimme, Ernst 245f. Kircher, Pfr. 103 Klabunde, Almut 213 Kleemann, Samuel 118, 503 Klemm, Falk 246 Klemm, Hermann 103, 124 Klenner, Gottfried 44, 51, 55, 57–62, 72– 80, 83, 85, 101, 154, 159, 259, 505 Klenner, Johanna 74 Klenner, Karl 117 Klessmann, Michael 304 Klotsche, Johannes 47, 54, 153 Kluge, Werner 201, 216, 233f., 293 Knauf 92 Knöfel, Udo 253 Knospe, Gottfried 85, 101–104, 107f., 126, 156, 288, 335, 345f. Köckert, Hans 123, 136, 159, 270, 343, 364, 467, 506 Kohl, Cornelius 57f., 73, 77f., 87, 92, 113f., 116, 147, 150, 159f., 191f., 195, 388, 471, 506 Kopfermann, Wolfram 22 Kopp, Elle 82 Köppe, Lothar 102, 127, 166f., 169, 175, 188–190, 195, 199, 201, 203, 219–222, 229f., 238, 245, 268 Kotte, Erich 153 Kovalevsky, Eugraph 135f. Krämer, Erich 59f., 469 Krause, Karl 129, 146, 150, 155, 343 Kretzschmar, Gottfried 307

514 Krusche, Werner 28 Kruspe, Friedrich 174, 177, 180 Kube, Ernst 326 Kuhlmann, Sebastian 25 Kühn, Ulrich 201 Kühnau, Waldemar 61f., 80, 159 Künneth, Walter 41, 48 Kurze, Br. Christian 185f., 203, 215, 472 Küttner, Dorothee 170, 180 Küttner, Frieda 54 Küttner, Gerhard 51, 54, 76, 78, 87, 91–94, 96, 100f., 104f., 109, 116, 118, 122f., 125, 130, 135–137, 139, 143, 145–147, 150, 152–160, 163–181, 187, 190–196, 200–205, 214, 216–238, 240–244, 250, 254f., 258, 270, 273, 291f., 295, 311, 314, 321, 323f., 334, 343f., 346, 351, 353–361, 365–368, 379–383, 395, 397, 399, 414, 422, 432, 438, 452, 471, 473, 506f. Küttner, Irene 218 Küttner, Klaus 170, 233f., 238, 242 Küttner, Matthias 251 Lange, Ernst 160 Lau, Franz 52, 54 Laue, Eberhard 203 Laue, Pfr. Dr. 101 Lehmann, Arno 54 Lemhöfer, Lutz 329 Lenk, Ringulf 251 Leonhardi, Peter 226, 232–234, 293, 433 Leonhardt, Arthur 92, 136, 175, 343, 506, 508 Leopold, Erich 113 Leppin, Pfr. 344 Leßmann, Heinz 52, 120 Leßmann, Wolfgang 160 Leßmüller, Walter 152f. Leuschring, Rudolf 92, 97, 107, 146f., 467, 507 Leuteritz, Heinrich 92, 100, 107, 124, 270, 326, 343, 345 Lichtenheld, Ingeborg 92 Lindberg, Carter 29 Lindner, Rudolf 92 Lippe, Gottfried von 151

Register der Personennamen

Loew, Wilhelm 387 Lory, Wolfgang 200 Lotz, Walter 320 Lubich, Chiara 129 Luckau, Alfred 169 Luderer, Eberhard 194 Lüpfert, Friedrich Oskar Günter 157 Luther, Martin 40, 263, 278, 283, 295, 316, 354, 382, 389, 393, 405, 410, 449, 452 Madaus, Erika 128, 130, 141 Mahling, Friedrich 271 Mederlet, Eugen 135–137 Meis, Paul 54, 75f., 90, 92, 95, 467, 469, 507 Meißner, Karl-Heinz 160 Meister, Alfred 51, 152 Meister, Johannes 330 Melanchthon, Philipp 440 Metzer, Herr Dr. 172 Metzger, Max-Josef 128 Meyer-Blanck, Michael 25 Michael, Gerhard 51, 90, 92, 109, 117, 147–150, 245, 277, 343, 423–425, 465, 467, 508 Mitscherling, Walter 173 Möckel, Frau Dr. 95 Möckel, Hanni 82 Mohn, Paul 76, 92, 95f., 99, 136, 467, 508 Möller, Christian 306, 442 Müller, Adolf 55–61, 74 Müller, Alfred Dedo 54 Müller, Christoph 57, 61 Müller, Eberhard 74 Müller, Hertha 315 Müller, Max 92, 97, 146 Naumann, Kurt 160 Nestler, Max 200 Neubauer, Johanna s. Klenner, Johanna Neuffler, Prof. 95 Newbigin, Lesslie 19 Niebergall, Friedrich 387 Niemöller, Martin 25 Niklaus, Else 95 Niklaus, Hermann 92, 94f.

515

Register der Personennamen

Nitsche, Roland 252 Nogrady, Gaston 148, 150, 471 Noth, Gottfried 388 Opitz, Hanna 121, 310, 327, 351, 403 Osiander, Andreas 428 Paehl, Erwin 91, 159f. Paul, Erdmann 285 Peißel, Johannes 76 Penz, Klaus von 91 Pescheck, Werner 126 Petzold, Ernst 28 Pfeiffer, Dorothee s. Küttner Pfeiffer, Gerhard 52, 152 Pfeiffer, Otto 92 Pfennigsdorf, Emil 48 Pfund, Jörg 219, 237, 473 Pietsch, Pfr. 114 Pius X., Papst 386 Planer-Friedrich, Götz 199 Plate, Christian 25 Pohlmann, Sr. Ruth 167, 171, 229, 238, 365, 471 Pollmer, Walter 137 Pompe, Hans-Dietrich 71f. Präger, Lydia 176 Prakken, Froukje 206, 252 Prakken, Ger 206, 252 Prater, Georg 50, 52–54, 152 Prehn, Christa 31 Prehn, Friedrich 52, 74 Prehn, Hans 16, 31, 51 73f. 76–80, 83–88, 90–99, 101–103, 105–107, 109, 116f., 119f., 124, 126, 136, 148, 150–153, 155, 175, 188, 190–193, 195, 197, 200, 203, 214–217, 219, 236–238, 245, 248, 254, 263, 270, 273, 285, 294f., 312, 326, 335, 339, 343, 383, 401f., 405f., 421, 425, 433, 473, 505f., 508 Prehn, Johannes s. Prehn, Hans Quoist, Michael

245

Rad, Gerhard von 25 Rasmus, Sr. Anna 78

Rattey, Günther 137 Rau, Hartmut 241 Rebner, Gottfried 29, 31, 240, 246–248, 254, 294, 319, 392, 430, 433, 465, 473, 508 Rehmann, Alfred 91, 94, 154, 288, 335 Rehmann, Pfr. 326 Reichelt, Ruth 81 Reimer, Hans-Diether 315 Reinelt, Joachim 183, 211 Reißmüller, Vorsitzender 174, 177f., 202 Reißner, Erwin 73 Rem8, Richard 330 Rendtorff, Heinrich 103f., 509 Rentsch, Martin 53 Rheindorf, Thomas 25 Richter, Arthur 199, 235, 342 Richter, Christoph 31, 73, 100, 135, 146, 158–160, 163, 175f., 182–187, 190–193, 201–204, 206f., 209, 211, 213–217, 219– 221, 224, 236f., 264, 272f., 312, 317, 341, 350, 402, 430f., 433, 443, 472f., 509 Richter, Gerhard 104, 123–125, 321, 334f., 338, 388 Riedinger, Paul 128, 130, 133, 138–143, 145f., 194, 397 Rieger, Walter 200, 345 Ritter, Sr. Gustava 95 Robotta, Frank 198, 471 Röckle, Christian 147f., 150 Roscher, Gotthold 343 Roscher, Käthe 92 Rösler, Helmut 125, 326f., 342 Rübner, Kurt Guido 61 Ruff, Pfr. 105, 149f. Rüger, Ephraim 156, 472 Rüger, Gottfried 183, 433 Rüger, Johannes 92, 156f., 472 Rüger, Martin 135, 156f., 166, 168, 181, 193, 218f., 222f., 232–234, 242 Rüger, Reinhard 157, 251 Rüger, Renate 183 Rüger, Sr. Christine 171, 174, 471 Ruhbach, Gerhard 415, 443 Saager, Alfred 107

516 Sachse, Louis 198 Schadeberg, Walter 54, 76, 84–87, 90f., 96, 106 Schädlich, Alfred 76, 92, 339 Schädlich, Friedrich 74, 78, 80 Scharfenberg, Joachim 445 Schelker (-Kellenberger), Jakob 129 Scheu, Adolf 75 Scheuerlein, Georg 30, 473 Schlagowsky, Erwin 73, 91–93, 509 Schlatter, Theodor 51, 506 Schleiermacher, Friedrich 25, 371, 377 Schleinitz, Erich 85 Schlier, Heinrich 382, 451 Schlink, Edmund 83 Schlink, Klara s. Schlink, Mutter Basilea Schlink, Mutter Basilea 99f., 128,, 130, 141, 217 Schmidt, Martin 73 Schönfeld, Karl-Heinz 174, 220, 237, 241, 293, 433 Schulze, Alfred 212 Schulze, Christian Otto 157, 414, 422f., 468 Schulze, Johannes 160 Schulze, Kirchenamtsrat 173f. Schumann, Erich 92, 100, 117, 125, 153f., 283, 318, 326, 330, 348, 391, 394, 400, 466f., 472, 509 Schuster, Thomas 254, 326f. Schwarz, Christian A. 305f. Schwarz, Fritz 305f. Schweitzer, Carl Gunther 45, 386 Schwintek, Martin 30 Seitz, Manfred 24, 306, 378 Seltmann, Christian 201, 216, 233f., 243, 293, 472 Seydewitz, Max 156 Sickert, Pfr. 103, 124 Siegmund, Ringulf 105 Sims, Hans-Michael 181, 193, 222f., 233– 235, 251 Smend, Julius 73 Spornhauer, Dirk 27 Spurgeon, Charles Haddon 401 Stählin, Wilhelm 25, 290

Register der Personennamen

Stark, Siegfried 92, 106, 343 Steinmüller, Martin 215 Stelzner, Helmut 200 Stemmler, Helmut 345 Stempel, Wolfgang 431 Stockmann, Fritz 76, 469 Striegler, Margarete 77, 92, 151 Ströer, Kurt 169, 240 Teichert, Johannes 57 Teschner, Klaus 46 Thallwitz, Adolf 100 Thieme, Hartwig 31, 44 Thomas, Frau 102 Thomas, Wolfgang 102 Thurneysen, Eduard 101, 257f., 303, 331–335, 337f., 345, 369, 379, 392 Toaspern, Paul 29, 42, 248 Uhlig, Günter 168, 232, 234, 241–243, 285, 291, 293f., 343, 462, 467, 510 Unger, Maria 146 Vogel, Friedrich 49f., 57, 60 Vogel, Hans-Joachim 251 Vogel, Heinrich 73 Vogt, Johannes 153 Voigt, Gottfried 335, 425, 459 Wagner, C. Peter 19 Wagner, Heinz 244, 387 Webers, Horst 92, 95, 116f., 120, 123, 126, 148, 155–157, 320f., 326, 335, 337, 343, 466 Weihermüller, Martin 58 Weiße, Margarete 151 Weiße, Wilmar 92 Wendelin, Adolf 56, 59–61 Wendt, Christfried 251 Wenzel, Theodor 54 Wichern, Johann Hinrich 38f., 41f., 48, 88, 109 Wieckowski, Alexander 348 Wielepp, Helmut 101, 105f. Wiemer, Pfr. Rektor 76, 244 Wiesner, Kurt 335, 338, 345

517

Register der Personennamen

Winkler, Eberhard 307 Winkler, Klaus 418 Witten, Ulrike 24 Wohlfahrt, Helmut 200 Wolf, Helmut 107, 326, 343 Wolf, Johannes 254 Wolf, Wilhelm 81 Wolff, Gottfried 201f. Wolff, Hans 54, 105, 107f., 126, 151, 156f. Wolffersdorf, Gottfried von 91 Wolfram, Ilse 76f., 82, 92, 95, 106–108, 244, 343 Wolfram, Martin 58, 60f. Wollstadt, Hanns-Joachim 24, 222f., 230 Würfel, Georg 91–93, 124

Würker, Max 471 Wurm, Theophil 51, 506 Ziegler, Charlotte 77, 82, 92 Zieglschmid, Ekkehart 237 Ziemer, Christof 28, 119f., 157, 163, 165, 167f., 170, 174, 191, 193, 218, 228, 233, 292 Zimmerling, Peter 17, 19, 24f., 62, 440, 455 Zimmermann, Burkhard 348 Zinzendorf, Nikolaus Ludwig Graf von 25, 223, 348 Zobel, Ilse von 77, 95 Zöllner, Walter 59

Register der Ortsnamen

Albernau 213, 215, 217, 219f., 237, 443, 473, 509 Annaberg-Buchholz 159, 223, 464, 506 Aue 32, 101f., 104–106, 123, 148–154, 159, 198, 245, 248, 294, 326, 392, 423, 430, 433, 465, 469, 471, 506f. Auerswalde 155, 241, 249, 510 Bad Lausick 94, 116 Bad Schmiedeberg 78 Bannewitz 213f. Bärenburg 91, 466 Bautzen 125, 252, 326f., 342 Berlin 28f., 41, 43, 46f., 50, 52, 54, 59, 61, 73, 91f., 94, 101, 117, 125, 146, 154, 159f., 176, 178, 198, 247f., 288, 319, 326, 335, 386f., 503f., 509 Bernsbach 160, 184, 214, 472f., 509 Berthelsdorf b. Herrnhut 122 Berthelsdorf b. Weißenborn 160 Bethel 43, 50f., 117, 503, 508 Beutha 509 Brieg 143 Birmingham 247f. Bockau 326 Böhlen 80 Bonn 48 Borna 85 Borsdorf 75f., 106, 189, 199, 244–247, 251, 505 Bräunsdorf 32, 91f., 125, 146, 151, 155– 161, 163–185, 187f., 190–197, 199f., 202f., 205, 210, 212, 216–219, 221–223,

225f., 228–231, 233–244, 248–251, 269, 285, 291–294, 311f., 321, 324, 351, 356, 365, 414, 422f., 426, 429, 432f., 438, 452, 457, 462, 466, 468, 471–473, 507, 510 Breslau 143 Buchenwald 90 Buckow 169 Burkhardtsgrün 209 Bützow 91f., 509 Cämmerswalde 160 Caux 135, 273 Cavertitz 54, 60 Chemnitz 32, 54, 75f., 90–94, 97, 117, 120f., 123, 126, 136, 146, 148, 153–157, 169f., 172–174, 180, 183, 202, 220, 238, 241, 321, 326, 414, 465, 468f., 472, 503, 505, 507–509 Coswig 103 Craheim 137, 248 Crimmitschau 113, 120, 123f., 126, 147, 155, 160, 193, 200, 209, 214, 236f., 249f., 285, 294f., 339, 433, 464f., 507, 509 Darmstadt 22, 99, 124, 130, 135–137, 175, 180f., 204, 217, 228, 352 Deutschenbora 160 Döbeln 54, 75, 77f., 82, 86–88, 91–94, 96f., 100–102, 106–108, 124f., 136, 151f., 205, 249, 425, 463 Dölzig 159, 506 Dorfchemnitz 160 Dörnthal 160

520 Dreibergen s. Bützow Dresden 32, 47, 49f., 52–54, 56–61, 74, 77–80, 85f., 90, 94–96, 100–108, 113, 117f., 123, 125f., 148–150, 152f., 155– 157, 163, 172, 174, 177f., 180, 183, 185, 189f., 195, 198f., 201, 203–205, 209, 217, 220, 227, 229, 233f., 237–241, 244, 248, 250, 252, 254, 263, 268, 270, 319, 321, 326f., 342, 346, 353, 388, 392, 395, 413, 421, 425f., 461, 464, 466, 468, 470–473, 503, 505–508 Eibenstock 104f., 152f. Eilenburg 246, 251 Eindhoven 206 Elbingerode 103, 270 Elterlein 266 Enkenbach 21, 136, 199 Erfurt 143, 201 Etzdorf 113

Register der Ortsnamen

190–194, 196f., 199, 202–213, 215, 221, 236, 238, 248–252, 272, 297, 317, 402, 419, 429–431, 433–435, 438, 452, 463, 471f., 509 Großpostwitz 125, 249, 326f., 342, 465 Großschwabhausen 200 Grünhain 54, 94, 105, 151, 156 Hainichen 113f. Haiterbach 73, 135, 146, 158–160, 184, 201f., 206, 211, 214, 264, 273, 317, 341, 350, 472, 509 Halle/Saale 157, 251 Hamburg 43, 247 Hartenstein 249, 285, 294f., 433, 465, 470 Hartha 77f., 89, 93f., 123, 282, 287, 326, 394, 413f., 430, 464, 469 Heidenau 107 Heiligengrabe 344 Hermannsdorf 118, 266f., 503 Herrnhut 24, 29, 82, 92, 97, 100f., 104, 120, 122, 153, 222–224, 230, 239f., 254, 471 Hohenfichte 345

Falkenstein/Vogtl. 77, 239, 249 Finkenwalde 70–73, 92, 272, 504, 509 Flöha 327 Frankenhausen 147, 249, 464, 507 Freiberg 32, 147, 150, 158–160, 183, 192f., 195, 211, 250, 469, 505f., 508 Friedberg 130 Friedrichroda 200

Jesewitz 246, 251 Johnsbach 285

Gehlberg 199f. Geilsdorf 215, 236 Geithain 52 Gera 199 Glashütte 285 Glauchau 183 Gleisberg 413 Görlitz 223, 247, 473 Gößnitz 200 Gotha 200, 213 Grandchamp 246 Greiz 200, 252 Griesbach 159, 326 Groitzsch 60f. Großhartmannsdorf 31f., 100, 151, 156, 158–161, 163f., 167, 174, 176, 182–188,

Kaiserslautern 21 Kaiserswerth 43 Karl-Marx-Stadt s. Chemnitz Kaufungen 156, 171, 183 Kesselsdorf 326 Kiel 103f. Kittlitz 114 Kitzingen 199 Kleinrückerswalde 93 Kleinwelka 154, 472, 509f. Königstein/Taunus 136 Kreischa 90, 93, 107, 123, 125, 146, 268, 318, 353, 394f., 464 Kros´cienko 212 Krummenhennersdorf 54, 191 Kühlungsborn 92f.

Isserstedt

200

521

Register der Ortsnamen

Langenau 213 Lauenhain 250 Lauter 51, 69, 74, 76, 85, 88, 90, 93f., 101f., 105, 109, 116f., 124–126, 148, 150f., 155f., 164, 192f., 195, 209, 237, 246–249, 273, 285, 294, 315, 326f., 339, 342, 392, 430, 433, 465, 470, 473, 508f. Lawalde 114 Leipzig 24, 47, 52, 54, 58, 61, 71, 73, 75f., 80, 90, 92, 99f., 118, 135f., 146, 159f., 174, 183, 189, 192, 198, 201, 208f., 244– 246, 250f., 264, 273, 325f., 335, 345, 348f., 357, 361, 387f., 416, 461, 464, 471–473, 503–510 Leisnig 13, 32, 88, 90, 106, 326, 469 Leonberg 148, 150 Lichtenstein 116, 124, 163, 345 Liemehna 246, 251 Limbach s. Limbach-Oberfrohna Limbach-Oberfrohna 107, 126, 151, 156f., 201, 216, 233f., 243, 293, 472 Limmritz 76f., 79f., 82, 84, 86–88, 90–94, 96–98, 100–103, 106, 116f., 120, 122f., 125, 150f., 153f., 258, 270, 273, 275f., 318f., 326f., 350, 393–395 Lindhardt 76, 244 Löbau 114, 506 Lochmühle 217 Løgumkloster 248 London 139 Lückendorf 90, 335, 508 Lützensömmern 357, 361, 472 Lützschena 99, 118, 123, 126, 270, 321, 325f., 345f., 349, 413, 416, 463, 503f. Markersbach 90, 109, 117, 120, 124, 147– 150, 245, 277, 401, 405, 423f., 433, 457, 465, 470f., 508, 510 Markkleeberg 107, 199, 226, 232–234, 244, 293, 505 Markneukirchen 209 Meißen 52, 74, 79, 184, 273, 472 Mildenau 159, 164, 249, 285, 464, 506 Minneapolis 248 Mittweida 93 Mohlsdorf 252

Mulda 160 Mülheim/Ruhr 144 Mülsen St. Micheln 250 Naumburg 251 Naunhof 75–77, 244 Neudorf 157, 506 Neustadt/Rennsteig 345 Nidelbad 248 Niederfrohna 246 Niederrödern 54 Niederschlema 89, 94, 96, 124, 195, 326, 343 Niesky 252 Nürnberg 100, 137, 189f., 201, 504 Oberbärenburg s. Bärenburg Oberbobritzsch 272, 402 Obercunnersdorf 52, 120–123, 163, 222, 310, 327, 351, 403, 507 Oberreichenbach 183, 472 Oelsnitz/Vogtl. 85 Oschatz 32, 469 Ottmaring 129, 137 Oxford 43 Parchim 91, 159f. Planitz 77 Plauen 54, 85, 153, 160, 174, 505 Pölzig 200 Potsdam 30, 103, 386, 504 Püchau 205 Radeberg 77, 81, 86 Radebeul 32, 52, 54, 56, 63, 76, 84–87, 90f., 93, 96, 98, 100–102, 104–108, 117, 123–126, 136, 153, 155f., 172f., 270, 281, 288, 321, 326, 334–337, 343, 388, 425, 466, 469, 509 Radeburg 54, 508 Rathen 75, 78 Regis-Breitingen 52 Reichenbach 265, 327 Riesa 77 Rochlitz 77, 124f., 505 Rositz 200

522

Register der Ortsnamen

Rostock 38, 91, 93, 504 Roßwein 57f., 73, 75, 77, 89f., 113f., 275, 393, 413, 462f., 469, 471, 506 Rüschlikon 129, 136

Stollberg 85, 509 St. Paul/Mississippi 248 Stuttgart 29, 32, 41, 51, 74, 80, 152, 248, 469, 506, 508

Sangerhausen 30, 473 Schellerhau 52, 54, 61, 91 Schirgiswalde 53 Schneeberg 85, 105f., 149f., 152–154, 159, 245, 326, 472, 506f., 509 Schönbach 253 Schönebeck 135, 156f., 166, 168, 181, 193, 218f., 222f., 232–235, 242, 245f., 471 Schwanberg 199 Sebnitz 93, 259, 503 See 252, 417 Seelitz 77 Seiffen 160 Selbitz 22, 130, 136, 166, 171f., 180f., 196, 218, 228, 235, 414, 471 Seubtendorf 200 Slate s. Parchim Sohland/Spree 253 Sollstedt 91 Sosa 32, 51, 54, 75–78, 92f., 96, 98, 100f., 104–107, 116f., 123, 135, 146f., 150– 156, 158f., 166f., 218, 258, 321, 326, 334, 345f., 348, 354, 433, 463, 470f., 506f. Steinfurt 160, 472 Stendal 31, 247

Taiz8 22, 245 Thierfeld 128, 249, 254 Trügleben 200 Tübingen 74, 504, 506 Viernau 93 Voigtsdorf 160 Waldheim 75, 102, 335 Weimar 335 Weißenburg in Bayern 137 Werdau 85, 103, 507 Wiederau 93 Wilthen 53 Wittgensdorf 240 Wolfner Mühle, Markersbach Wolkenburg 156 Wuppertal 75, 102

90

Zethau 160, 219, 237, 473 Ziegra 91 Zschocken 105 Zschoppach 510 Zschorlau 193 Zwickau 54, 77, 85, 92, 94, 152–154, 156, 326, 348, 466, 472, 507, 509