Displaced Poets: Jiddische Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland, 1945-1951 9783666569975, 9783525569979

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Displaced Poets: Jiddische Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland, 1945-1951
 9783666569975, 9783525569979

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Jüdische Religion, Geschichte und Kultur Herausgegeben von Michael Brenner und Stefan Rohrbacher

Band 9

Vandenhoeck & Ruprecht

Tamar Lewinsky

Displaced Poets Jiddische Schriftsteller im Nachkriegsdeutschland 1945–1951

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.

Mit 5 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56997-9

Umschlagabbildung: Auszug aus Yidishe bilder, Mai 1948, München, hg. von Shloyme Frank

© 2008 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Gesamtherstellung: L Hubert & Co, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs . . . . . . . . . . . .

21

1.1. Tkhies hameysim und Nitzotz. Schreiben nach der Befreiung . . . . . . 1.2. Beginn einer neuen jüdischen Kulturtopographie auf der „blutigen Erde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. „Much more help is needed“ – Verständnis und Missverständnis . . . . 1.4. Nach der Ankunft in der deutschen Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 33 47 58

2.

Von der Tłomackie 13 an die Möhlstraße 12a . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

2.1. Der Schriftstellerverband der befreiten Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Das Erbe antreten – Die Schriftsteller und die Goldene keyt . . . . . . . .

75 90

3.

Zeitzeuge Schrägstrich Autor. Literatur im Grenzbereich . . . . . . . 109

3.1. „Rohe Wahrheit“ – Holocaust und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.2. Die „verfluchte Erde“ – ein Wintermärchen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.

Ein DP-Shtetl oder der Prototyp eines Kibutz galujot? . . . . . . . . . . 146

4.1. Die Politisierung – Parteiverlage als Geburtshelfer jiddischer Bücher. 147 4.2. Von Shlomo Molkho bis zum Warschauer Ghetto-Aufstand. Kulturveranstaltungen und Volksbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4.3. Ein Riw haleschonot im Wasserglas – Sprache und Ideologie der jüdischen DPs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.

Geven a sheyres-hapleyte – Auflösung und Aufbruch . . . . . . . . . . . . 197

5.1. Die Liquidierungsphase – „Ein Fall für den Satiriker“? . . . . . . . . . . . 198 5.2. Von Diaspora zu Diaspora? – Alija und Emigration . . . . . . . . . . . . . . 218 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

6

Inhalt

Kurzbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. 2. 3.

Archivverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Orts- und Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Vorwort

Die Entstehung dieses Buches ist auf doppelte Weise mit dem Ort verbunden, den es zu beschreiben versucht: Deutschland und ganz besonders München wurden in den letzten Jahren auch mir zu einer provisorischen Heimat, die mir nicht nur die Möglichkeit bot, mich physisch auf den Spuren der jüdischen Displaced Persons zu bewegen. Die Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig Maximilians-Universität war auch der ideale Ort, um mich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Michael Brenner für seine Unterstützung, seine kritischen Fragen und Anregungen. Die Recherchearbeiten in Israel und den USA wurden ermöglicht durch das Mendel-Racolin Fellowship des YIVO-Instituts, ein Stipendium für angehende Forschende des Schweizerischen Nationalfonds, das Sosland Foundation Fellowship am United States Holocaust Memorial Museum in Washington und die Memorial Foundation for Jewish Culture. Das Skirball Department for Hebrew and Judaic Studies an der New York University und das Center for Advanced Holocaust Studies am United States Holocaust Memorial Museum boten mir 2006 ein intellektuelles Zuhause für die Abfassung der Doktorarbeit. Gedankt sei auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive und Bibliotheken des Center for Jewish History, Yad Vashem, Center for Advanced Holocaust Studies, Tamiment-Library, Yeshiva University und der Nationalbibliothek in Jerusalem. Viele meiner zentralen Fragen durfte ich 2005 im Rahmen eines Workshops am United States Holocaust Memorial Museum diskutieren. Die Organisatoren und Teilnehmer des Workshops, Avinoam Patt, Michael Berkowitz, Boaz Cohen, Laura Hilton und David Weinberg haben in langen und fruchtbaren Gesprächen bei der Suche nach Antworten geholfen. Atina Grossmann und Laura Jockusch haben diese Arbeit weit über den Rahmen des Workshops hinaus begleitet. Freunde, Kollegen und Verwandte haben in verschiedenen Phasen und in unterschiedlicher Form zur Entstehung des Buches beigetragen – sei es durch das Lesen und Wiederlesen während des Schreibprozesses, die Diskussion des Materials oder die Durchsicht des Manuskripts. Ich bedanke mich bei Marion Aptroot, Lida Barner, Dana Brüller, Gennady Estraikh, Sara Felsen, Janice Fernheimer, Jeannette Halpern, Sylvie Kobi, Andrea Pfeufer, Marcus Pyka, Brad Sabin-Hill, Annette Seidel-Arpaci, Diana Sprick, Mirjam TriendlZadoff, Christel Trouvé, Rebekka Voss, Michèle Wannaz, Evita Wiecki und

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Vorwort

Noam Zadoff. Meine Mutter und mein Vater haben mich, jeder auf seine ganz besondere Weise, während der vergangenen Jahre unterstützt. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Gewöhnliche Tatsachen sind der Zeit eingeordnet, hängen an ihrem Ablauf wie an Fädchen. So haben sie ihre Vorgeschichte und ihre Folgeerscheinungen, die sich eng im Raume stoßen und einander ohne Unterbrechung und Lücke auf den Fersen sind. Das hat seine Bedeutung für Erzählungen, deren Wesenskern Dauer und Folge ausmachen. Was jedoch mit Ereignissen anfangen, die keinen eigenen Platz in der Zeit haben, mit Ereignissen, die zu spät kamen, erst kamen, da alle Zeit vergeben, verteilt und vertan war, und jetzt wie auf einem Schiff zurückblieben, das ohne Segel und Steuer, den Winden preisgegeben, heimatlos über das Meer irrt? Bruno Schulz, Die geniale Epoche1

Einleitung

Wer in den ersten Frühlingstagen 1948 im idyllischen Bad Reichenhall spazieren ging, dem drangen ungewohnte Klänge ans Ohr. Gäste flanierten in Jiddisch und Hebräisch diskutierend durch die beschauliche bayerische Kleinstadt. Das milde Frühlingswetter und das gefällige Panorama boten ihnen eine angenehme Abwechslung zu den überfüllten DP-Camps in der Nähe des Starnberger Sees und den beengenden Wohnverhältnissen im vom Krieg gezeichneten München. Hunderte Delegierte aus den DP-Lagern und den jüdischen Gemeinden waren nach Bad Reichenhall angereist, um vor dieser malerischen Kulisse der dritten und letzten Jahreskonferenz des Zentralkomitees der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone beizuwohnen. Zur Eröffnungssitzung am 30. März war der Kursaal in Bad Reichenhall mit weiß-blauen Flaggen, Transparenten und Portraits Theodor Herzls, Chaim Weizmanns und David Ben-Gurions geschmückt. An der Wand hinter dem Rednerpult prangte alles überragend das überdimensionale Emblem der jüdischen Displaced Persons: Ein gefällter Baum mit einem zarten neuen Trieb. Dahinter war eine Landkarte Palästinas abgebildet. Für die Anwesenden illustrierte dieses Symbol eindringlich, wie die Sche’erit Hapleta2 – Schulz, Gesammelte Werke (Bd. 1), 118. Sche’erit Hapleta (Rest der Überlebenden) war in erster Linie die Selbstbezeichnungen jüdischer DPs in Deutschland. Der Ausdruck biblischen Ursprungs (I Chronik 4,43; Jeremia 1 2

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Einleitung

so die Selbstbezeichnung der jüdischen Displaced Persons – nach dem grausamen millionenfachen Mord wieder ins Leben zurückgefunden und sich am Kampf um jüdische Eigenstaatlichkeit beteiligt hatte. Tatsächlich konnte man zur Zeit des Kongresses auf ein dichtes Netz politischer und gesellschaftlicher Einrichtungen – Schulen und Theater genauso wie Sportvereine, Historische Kommissionen oder zionistische Organisationen – verweisen, die den entwurzelten Holocaustüberlebenden und Flüchtlingen aus Osteuropa ein gewisses Maß an Normalität vermitteln und ihren Drang nach Rehabilitierung unterstützen sollten. Außerdem blühte in Deutschland seit den ersten Tagen nach der Befreiung bis zum Anfang der 1950er Jahre eine lebendige publizistisch-literarische jüdische Kultur. In lokalen und regionalen Zeitungen, in der zionistischen Parteipresse, in Zeitschriften und Büchern wurde eine Flut von Gedichten, Kurzgeschichten, Erfahrungsberichten, Dokumentationen und Feuilletons veröffentlicht. Verfasser dieser bemerkenswerten kulturellen Leistung der Sche’erit Hapleta im besetzten Deutschland waren einerseits erfahrene Schriftsteller, Publizisten und Wissenschaftler, andererseits aber auch junge Menschen, deren aktive wie passive literarische Bildung durch die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit in hohem Maße lückenhaft geblieben war. Bis zu 300.000 jüdische DPs, die sich während der unmittelbaren Nachkriegsjahre in den westlichen Besatzungszonen in Deutschland, Österreich und Italien aufhielten, bildeten eine geschlossene Lesergruppe für Presse und Literatur.3

31,7; Esra 9,14; II Könige 19,30–31) wurde aber auch von Holocaust-Überlebenden in anderen Ländern wie Polen oder Frankreich verwendet und selbst Juden, die nur mittelbar von der Zerstörung des europäischen Judentums betroffen waren, schlossen sich in seine Definition ein. Daneben bezeichneten sich die osteuropäischen Juden in Deutschland auch als Displaced Persons (DPs) beziehungsweise Di-Pi-nikes. Da sowohl der biblische als auch der juristische Begriff als Selbstbezeichnung im Sprachgebrauch dieser Gruppe existierten, sollen sie hier, sofern nicht anderweitig angemerkt, synonym verwendet werden. Für Aussprache und Rechtschreibung gibt es zahlreiche unterschiedliche Belege. Zum Begriff der Sche’erit Hapleta siehe auch Michman, Zur Definition des Begriffs „She’erit Hapletah“, 257–259. Anmerkung zu Transkription und Übersetzung: Jiddische Titel werden nach YIVO-Standard transkribiert. Bei bereits im Original romanisierten Titeln wird deren Orthographie beibehalten. Die Umschrift hebräischer Titel orientiert sich an der Deutsch-jüdischen Geschichte in der Neuzeit. Personennamen werden in ihrer gebräuchlisten Form buchstabiert. 3 Verlässliche statistische Informationen über die Sche’erit Hapleta existieren allerdings nicht. Zu einer Diskussion der Zahlen siehe Lavsky, New Beginnings, 27–36. Hagit Lavsky geht davon aus, dass sich insgesamt bis zu 300.000 jüdische DPs während einer kürzeren oder längeren Zeitspanne in den westlichen Besatzungszonen in Deutschland, Österreich und Italien aufhielten. Nach Yosef Grodzinsky liegen die Zahlen sogar bei 330.000 (Grodzinsky, In the Shadow of the Holocaust, 223).

Einleitung

11

Forschungsstand Die jüdische Kultur, die nach dem Holocaust in Deutschland auflebte, wurde erstmals von denjenigen beschrieben, die selbst Teil der Sche’erit Hapleta waren oder als Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen an ihrer gesellschaftlichen Entwicklung beteiligt waren: 1953 hielt Leo W. Schwarz, 1946/1947 Direktor der amerikanisch-jüdischen Hilfsorganisation Joint Distribution Committee (JDC)4 in der Amerikanischen Besatzungszone und Herausgeber zahlreicher Anthologien jüdischer Literatur, die Geschichte der jüdischen DPs als Epos fest.5 Wenngleich Schwarz bisweilen einen selbst für die Ohren der DPs zu feierlichen Ton anschlug, ist dieser erste Versuch einer Gesamtdarstellung bis heute bedeutsam.6 Zu Unrecht weitgehend in Vergessenheit geraten ist die zweiteilige jiddische Studie des DP-Journalisten Yosef Gar aus den 50er Jahren, in welcher neben Presse und politischer Organisation auch Bereiche wie Erziehungs- und Gesundheitswesen und deutsch-jüdische Beziehungen angesprochen werden.7 Den Abschluss dieser frühen Forschungen, welche die Leistungen der DPs auf gesellschaftlichem Gebiet hervorhoben, bildet Tsemach Tsamriyons bibliographische Studie zur DP-Presse, die 1970 auf Hebräisch erschien.8 Erst Anfang der 80er wurde die Sche’erit Hapleta erneut zum Objekt wissenschaftlichen Interesses, wobei die beiden großen Narrative in der Geschichte der Juden im zwanzigsten Jahrhundert dieses vorübergehende Kapitel jüdischer Existenz in Deutschland überschatteten, indem es als Epilog zum Holocaust oder als Auftakt zur Staatsgründung Israels gelesen wurde. Im Gegensatz zu den frühen Studien standen nicht mehr die Displaced Persons mit ihrem gesellschaftlichen Leben im Zentrum. Diskutiert wurde nun vielmehr ihre Rolle als Überlebende, Flüchtlinge und Immigranten in den politischen Systemen der Nachkriegsjahre und zwar aus der Sicht der zahlreichen internationalen Organisationen, die mit ihnen zusammentrafen.9

4 Ebenfalls gebräuchlich sind die Bezeichnungen Joint und American Joint Distribution Committee (AJDC). In der vorliegenden Arbeit werden sie synonym verwendet. 5 Schwarz, The Redeemers. 6 Über die allzu positive Darstellung z. B. YIVO 1258, Levi Shalitan an Philip Friedman, 28. 6. 1954. 7 Gar, Bafrayte yidn (Teil I und II). 8 Tsamriyon, Ha’itonut; Tsamriyon war 1946 im Auftrag der Revisionistischen Partei von Palästina nach Deutschland gekommen, wo er unter dem Namen Moyshe Halperin aktives Mitglied der journalistischen Kreise in der Amerikanischen Besatzungszone wurde. 9 Barish, Rabbis in Uniform; Bauer, Out of the Ashes; Dinnerstein, America and the Survivors of the Holocaust; Grobman, Rekindling the Flame; ders., Battling for Souls; Hyman, The Undefeated; Jacobmeyer, Polnische Juden; ders., Jüdische Überlebende als „Displaced Persons“; ders., Die Lager der jüdischen Displaced Persons; Keynan, Lo nirga hara’aw; Kochavi, Akurim wepolitika bejnle’umit; ders., Post-Holocaust Politics. Zur allgemeinen Flüchtlingspolitik siehe Jacob-

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Einleitung

Daraus erwuchs zunächst die Darstellung der DPs als passiver und durch äußere Kräfte formbarer Gruppe. Durch eine erneute Hinwendung zur inneren soziopolitischen Geschichte der Sche’erit Hapleta und damit einer Verschiebung des Blickwinkels, zeichnete sich seit Anfang der 90er Jahre eine Revision dieses Bildes ab. Besonders Presse und Literatur, Schulwesen und Theater wurden ähnlich wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit erneut als Argumente vorgebracht, um die DPs in ihrer Aktivität und Kreativität zu beschreiben.10 Dabei wurde, wie es schon das Symbol der Sche’erit Hapleta selbst suggeriert hatte, das rege kulturelle Leben als Fortsetzung und letztes Aufblühen osteuropäischjiddischer Vorkriegskultur beschrieben, gleichsam als „Renaissance of Eastern European yiddishkayt“11 oder als paradoxer „Epilog der jiddischen Vorkriegskultur en miniature“.12 Mitunter wirken die Beschreibungen geradezu pastoral, wie beispielsweise bei Ruth Gay: Nach und nach wurden aus den DP-Lagern kleine Dörfer, eine Art Weiterführung der alten jüdischen Welt, ein letztes Heraufbeschwören der osteuropäisch-jüdischen Welt im Kleinen. [. . .] In den Lagerzeitungen und anderen regelmäßig erscheinenden Publikationen kommt zum letzten Mal spontan das jüdische Leben der Vorkriegszeit zum Ausdruck, und alte Debatten wurden wiederaufgenommen, als seien sie nur kurz unterbrochen gewesen.13

Diese Sichtweise, welche die DPs als überlebenden Rest der Shtetl-Juden portraitiert, der in exterritorialen jüdischen Einheiten lebt, soll in der vorliemeyer, Vom Zwangsarbeiter zum heimatlosen Ausländer; Marrus, The Unwanted; Müller, Foreigners in the Postwar Period; Wyman, DP. 10 Giere, Wir sind unterwegs; dies., Kulturelles Vermächtnis; Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal; Eder, Kultur und Kulturveranstaltungen; Goldman, Education Among Jewish Displaced Persons; Goldman, Cultural Activities; Grossmann, Jews, Germans, and Allies; dies., Opfer, Störenfriede und Überlebende; dies., Victims, Villains, and Survivors; Kolinsky, After the Holocaust; Peck, Jüdisches Leben in Bayern nach 1945; Yantian, Studien zum Selbstverständnis. Die Geschichte der deutschen Juden und der Wiederaufbau der Gemeinden werden zusätzlich integriert in Brenner, Nach dem Holocaust; ders., East European and German Jews; Gay, Safe Among the Germans; Geller, Jews in Post-Holocaust Germany; Lavsky, New Beginnings; Maor, Über den Wiederaufbau. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen Lokalstudien wie z. B. Königseder, Jüdische Displaced Persons in Berlin; Dietrich/Schulze Wessel, Zwischen Selbstorganisation und Stigmatisierung; Schochet, Feldafing; Schulze, Germany’s Gayest and Happiest Town?; Tobias, Vorübergehende Heimat; ders., Heimat auf Zeit; Wetzel, Jüdisches Leben in München. Teilweise lokalen Bezug haben auch verschiedene Artikel in Schoeps, Leben im Land der Täter. Ein Teil des reichhaltigen Bildmaterials aus der DP-Zeit wird zugänglich gemacht in Giere/Salamander, Ein Leben aufs neu; Somers/Kok, Jewish Displaced Persons. 11 Geller, Jews in Post-Holocaust Germany, 5. 12 Brenner, Nach dem Holocaust, 29. 13 Gay, Das Undenkbare tun, 72. In der englischen Originalausgabe wird der kulturelle Kontext stärker hervorgehoben: „In time, the displaced persons camps became little villages, a continuation of the old Jewish world, a last evocation in microcosm of the prewar Eastern European Jewish Culture.“ (Gay, Safe Among the Germans, 65).

Einleitung

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genden Arbeit ebenso kritisch hinterfragt werden wie die Vorstellung einer auf den Ruinen einer zerstörten Welt aufbauenden Fortsetzung kultureller Praktiken. Kam es in Deutschland tatsächlich zu einem letzten Aufblühen alter Traditionen und Muster, oder traten nicht vielmehr durch die spezifischen historischen Umstände bedeutsame Veränderungen ein? Welchen Einfluss hatten die unterschiedlichen Lebens- und Überlebensgeschichten der DPs in der jüngsten Vergangenheit, der Verlust von Heimat, die räumlichen und materiellen Realitäten der von Hilfsorganisationen abhängigen Lagerbewohner auf deren kulturelles Selbstverständnis und ihre Produktivität? Während die Fragen nach Kontinuität und Wandel, nach Selbst- und Fremdbestimmung in Bezug auf den Zionismus zum Thema kritischer Auseinandersetzungen mit der Sche’erit Hapleta geworden sind,14 fehlt eine vergleichbare Diskussion für den kulturellen Bereich. Diese Arbeit möchte einen Beitrag zu diesem Desiderat der Forschung leisten und damit helfen, die innere Geschichte der Sche’erit Hapleta besser zu verstehen. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Schriftsteller und Journalisten, die sich seit den Geburtsstunden der Sche’erit Hapleta bis zur ihrer endgültigen Auflösung zu Beginn der 50er Jahre in der Amerikanischen Besatzungszone Deutschlands aufhielten. Die gesellschaftliche Bedeutung dieses Personenkreises war durch die verschiedenen sozialen Rollen, die seine Mitglieder wahrnahmen, bedeutend größer, als ihre vergleichsweise kleine Zahl zunächst vermuten lässt. Schon in der Zwischenkriegszeit wirkten jiddische Schriftsteller und Journalisten in Osteuropa nicht nur in diesen Berufen, sondern nahmen als Redakteure, Lehrer, Historiker und Politiker Einfluss auf weite Bereiche des öffentlichen Lebens. Diese vielfältigen gesellschaftlichen Funktionen kamen den Publizisten auch jetzt, zumal sie die intellektuelle Elite einer mehrheitlich jugendlichen Gesellschaft stellten, unausweichlich wieder zu. Als zentrale Akteure in der demographisch instabilen Sche’erit Hapleta waren sie unter den ersten, die sich am Kampf um Selbstorganisation und Autonomie beteiligten und gehörten zu den letzten, die Deutschland Anfang der 50er Jahre verließen. Als produktive Gesellschaftsgruppe erreichten sie mit ihrer Arbeit nicht nur breite Kreise der Sche’erit Hapleta, sondern reflektierten und bewerteten gleichzeitig ihre eigene publizistische Tätigkeit, was sie für die Beschäftigung mit der DP-Kultur besonders faszinierend macht.

14 Die verschiedenen Positionen werden beispielsweise deutlich in der Auseinandersetzung zwischen Hagit Lavsky, die für einen funktionalen Zionismus plädiert, Zeev Mankowitz, der von einem intuitiven Zionismus ausgeht, oder Idith Zertal und Yosef Grodzinsky, die kritisch die Instrumentalisierung der Überlebenden durch den Jischuw diskutieren: Lavsky, New Beginnings; Mankowitz, Life between Memory and Hope; Zertal, From Catastrophe to Power; dies., The Formation of She’erit Hapleita; dies., Zionism and Sche’erit Hapleta.

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Einleitung

Die Untersuchung beschäftigt sich exemplarisch mit der Amerikanischen Besatzungszone. Zwar sind auch aus der Britischen Besatzungszone verschiedene Publikationen zu verzeichnen. Aber die restriktivere Besatzungspolitik, die dort in Bezug auf die Displaced Persons herrschte, führte dazu, dass Ende 1945 die Grenzen für Flüchtlinge aus dem Osten geschlossen wurden und – in markantem Gegensatz zur Amerikanischen Besatzungszone – eine demographisch weitgehend stabile DP-Gesellschaft von unter 30.000 Personen entstand.15 Um für die publizistische Tätigkeit der Sche’erit Hapleta ein breiteres Bild vermitteln zu können, schließen die Bibliographien am Ende dieser Arbeit jedoch auch Werke ein, die außerhalb der Amerikanischen Besatzungszone publiziert wurden. Eine Auseinandersetzung mit der Personengruppe der Schriftsteller und Journalisten ist auch deswegen relevant, weil damit einige bislang unbesehen akzeptierte Aussagen über die Sche’erit Hapleta in Frage gestellt werden. So zunächst die Meinung, dass es sich bei der Sche’erit Hapleta um eine Gesellschaft ohne intellektuelle Elite handelte. Der Soziologe Koppel S. Pinson etwa, der zwischen Herbst 1945 und Herbst 1946 als Mitarbeiter des JDC unmittelbar mit den DPs in Kontakt stand, kam in seinem in der Literatur immer wieder zitierten Aufsatz vom Januar 1947 zu der Bewertung, dass es sich um eine Gesellschaft bar jeder Elite handle, deren kulturelle Leistungen in Anbetracht der historischen Situation heroisch, qualitativ aber primitiv und roh seien.16 Ähnlich klang es auch in seinen Berichten an den Joint. So hielt er in einer Direktive über das Erziehungs- und Kulturprogramm in den DP-Camps im April 1946 fest, dass eine der Hauptaufgaben der Hilfsorganisationen darin bestehen müsse, unter den jüdischen DPs nach Talenten zu suchen. Denn die Vernichtungsmaschinerie des Holocaust habe in tragischer Weise die jüdischen Intellektuellen und Künstler systematisch ausgerottet: One of the most tragic aspects of the Jewish catastrophe in Europe has been the almost complete annihilation of the Jewish intelligenzia. Very few of our poets, writers, artists, musicians and scientists remain. All talent of this kind must be

15 Zu den allgemeinen Entwicklungen in der britischen Zone und vor allem zum DP-Lager Bergen-Belsen siehe Lavsky, New Beginnings (zu den Bevölkerungszahlen besonders 60–62); Reilly, The Liberation. Einen Überblick bietet auch Königseder/Wetzel, Zwischen Lagerexistenz und internationaler Politik. In der Sowjetischen Besatzungszone gab es offiziell keine DPs. Die Zahl der jüdischen DPs in der Französischen Besatzungszone betrug Ende 1945 ungefähr 1000 Personen. Ein knappes Jahr später waren es noch rund 700. Vgl. Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 10. 16 Pinson, Jewish Life in Liberated Germany, 126. Diese Bewertung der DPs als kulturell unproduktive Gruppe findet sich auch bei Gringauz, Die Zukunft der jüdischen Kultur. Die Zentralität und Persistenz dieser zeitgenössischen Einschätzungen in der Forschung zeigt sich z. B. in Cilly Kugelmanns Aufsatz über die Identität und Ideologie der Sche’erit Hapleta, der im Wesentlichen auf diesen beiden Aufsätzen basiert. Siehe Kugelmann, The Identity and Ideology.

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sought out, nurtured and given full encouragement. Very often these gifted people are shy and shun the market places of the DP camp. They have to be unearthed and discovered. Most of the time they are extreme individuals either disgusted with the seamy side of mass culture and mass mores or else so wrapped up in their own creative work. [T]hey have little or no social responsibility. These things must not be held against them. We must be more patient and more tolerant with such individuals than with others. Every poet, painter, musician, scholar or scientist salvaged from the wrecks of European Jewry is a treasure that must be carefully protected and brought to a position where they can begin once again to release their creative energies for the good of the Jewish people and mankind.17

Tatsächlich waren die DP-Künstler, mit denen Pinson während seiner Arbeit in Deutschland zusammentraf, keineswegs passiv und ohne soziales Verantwortungsgefühl. Die wenigen Schriftsteller und Journalisten, die sich damals in Deutschland aufhielten, engagierten sich in den Selbstverwaltungsorganen und Zeitungsredaktionen, die sich in dieser Zeit gerade erst zu formieren begannen. Es waren von den traumatischen Erfahrungen der Shoah gezeichnete Menschen, die sich aber durch ihr soziales, politisches und künstlerisches Engagement vom Gros der restlichen DPs abhoben. Außerdem erweiterte und veränderte sich dieser Kreis kontinuierlich durch den massiven Zustrom aus Osteuropa, welcher die Sche’erit Hapleta in kürzester Zeit von schätzungsweise 40.000 auf über 150.000 Personen allein in der Amerikanischen Besatzungszone anwachsen ließ.18 Es handelte sich hier mehrheitlich um repatriierte polnische Juden, die den Krieg in der Sowjetunion überlebt hatten. Obwohl sie dort, in Sibirien und den mittelasiatischen Sowjetrepubliken, teilweise schwerste Bedingungen hatten ertragen müssen, kehrten sie oft als ganze Familien zurück. Unter ihnen waren auch zahlreiche Schriftsteller und Journalisten, die in der Amerikanischen Besatzungszone Zuflucht suchten. Ende 1946 wurde ein Schriftstellerverband gegründet, der neben seiner Funktion als Interessensvertretung der Berufsgruppe auch bildungspolitische Programme initiierte. Pinson hatte in dieser Zuwanderung aus Osteuropa zwar eine demographische Veränderung erkannt. Doch war während seines Aufenthaltes in Deutschland der Status dieser Neuankömmlinge und ihre materielle Versorgungslage noch ungeklärt gewesen. Der bedeutsame Einfluss der Gruppe auf das politische und kulturelle Leben wurde daher erst im Laufe des Jahres 17 YIVO 294.1, Folder 10, Koppel S. Pinson, General directive for educational program AJDC in Germany and Austria, 25. 4. 1946. In ähnlicher Weise stellte auch ein anderer Mitarbeiter des Joint fest: „These displaced persons present a new type of psychological problem which does not fall under established patterns [. . .]. The intellectual members of the Jewish European race for the most part have been ‚exterminated‘, leaving as remnants of six million only those who were ‚hardened‘ to the type of treatment they endured.“ Ebd., Folder 409, M. J. Joslow, Report of Education Survey. December 26, 1945–January 5, 1946. 18 Siehe FN 3.

16

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1947 greifbar. Die wenigen Monate zwischen Pinsons Rückkehr in die Vereinigten Staaten und der Veröffentlichung des Artikels spielten hier eine entscheidende Rolle, denn sie hatten formativen Charakter für die spätere Entwicklung der Sche’erit Hapleta im Allgemeinen und für die kulturelle Entwicklung innerhalb dieser temporären Gesellschaft im Besonderen. Während dieser Zeit begann sich eine zumindest zeitweilig stabile Lagergeographie mit sozialen Strukturen und Einrichtungen zu verfestigen, es kam zur Herausbildung eines Mehrparteiensystems und einer regen Parteipresse. Dieses Beispiel ist charakteristisch und legt die methodische Notwendigkeit einer präzisen Periodisierung und demographischen Differenzierung der in keiner Weise statischen Sche’erit Hapleta nahe. Weiter hinterfragt diese Arbeit die Vorstellung der Exterritorialität in Deutschland. Bisher dominieren Beschreibungen von DP-Camps als geschlossene Systeme, die zur deutschen Umgebung hin wenig oder überhaupt nicht durchlässig waren. Mag dieses Bild für die Großlager im süddeutschen Raum zutreffen, die bis zu 8000 Bewohnern Aufnahme boten, so lässt es sich nicht auf die Lebensbedingungen der gesamten Sche’erit Hapleta übertragen. Zahlreiche Lager waren nur für einige Dutzend oder Hunderte Bewohner eingerichtet, andere lagen als requirierte Häuserzeilen unmittelbar neben oder in deutschen Wohnvierteln.19 Schätzungsweise bis zu einem Drittel der jüdischen DPs wählte ein Leben außerhalb dieser Einrichtungen. In überproportionalem Maße traf dies auf die Schriftsteller und Journalisten zu. Da sich die Selbstverwaltungsorgane, die Parteien und seit 1947 auch die Zeitungsredaktionen praktisch ausnahmslos in München angesiedelt hatten, verlagerten sich das gesellschaftliche Leben und damit die Arbeitsmöglichkeiten für diese Gruppe zunehmend in das urbane Zentrum der Sche’erit Hapleta. Die tägliche Begegnung mit der deutschen Bevölkerung wurde somit unvermeidbar und fand auf verschiedenen Ebenen statt. Die Territorialität Deutschlands, die deutsche Diaspora (Goles Daytshland), wie der ungeliebte zeitweilige Wohnsitz von den DPs selber genannt wurde, wirft eine weitere wichtige Frage auf: Jede unfreiwillige Entwurzelung löst unweigerlich den Drang nach Reintegration und Reterritorialisierung aus. Bildete nicht gerade für die Schriftsteller und Journalisten, für die Sprache als Ausdruck der Beheimatung von so grundlegender Bedeutung war, die kulturelle Reintegration in die transnationale20 jiddische Kul-

19 Eine informative Aufstellung der Lager findet sich in Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 247–268. Eine vergleichbare Übersicht zu den Gemeinden in deutschen Städten und Dörfern existiert bisher nicht. 20 Ich folge hier der Definition Patels von transnationaler Geschichte als „über den Nationalstaat hinausreichende [. . .] Interaktionen, Verbindungen, Zirkulationen, Überschneidungen

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tur ein alternatives, noch vor der Emigration realisierbares Modell? Die Presse in New York und selbst in Buenos Aires und Johannesburg bildete eine Papierbrücke für die Schriftsteller. Bereits während ihres Aufenthalts in Deutschland waren sie durch einzelne journalistische und literarische Beiträge im Ausland präsent, und gleichzeitig kommentierten sie die ausländische Berichterstattung in ihren eigenen Zeitungen. Durch diese Interaktionen, die nicht nur auf intellektueller Ebene stattfanden, sondern durch Hilfsorganisationen weit in den gesellschaftlichen Raum vordrangen, wurden die Schriftsteller in „transnationale soziale Räume“ integriert.21

Bemerkungen zu den Quellen und zum Aufbau der Arbeit Zwar mangelt es nicht an Quellen zur Geschichte der Sche’erit Hapleta, aber selbst Forschende, die einen Perspektivenwechsel und die Betonung der Handlungsfähigkeit der DPs einfordern, haben diese bisher kaum systematisch genutzt. In den Beschreibungen des regen gesellschaftlichen Lebens in den DP-Camps mit seinen Parteien und Theatern, seinem Schulwesen und der Presse bleiben die DPs selbst – trotz des Anspruchs, durch diese Analysen ihre Erfahrung als Subjekte besser zu verstehen – eigenartig blass, stumm und wenig differenziert.22 Eine Hauptquelle für diese Untersuchung zur Sche’erit Hapletah in der Amerikanischen Besatzungszone bildet die jiddische DP-Presse. Neben den zahlreichen Lokal- und Regionalzeitungen werden auch Kulturzeitschriften und die Parteipresse mit einbezogen. Obschon bereits 1990 durch das YIVO fast vollständig erschlossen und auf Mikrofilm zugänglich, ist die Presse bisher nicht systematisch für die historische Forschung herangezogen worden.23 Vor allem erstaunt, dass – obwohl der Ursprung und die Art des Zionismus in der Sche’erit Hapleta durchaus kontrovers diskutiert wird – die Parteipresse bisher kaum berücksichtigt worden ist. Um die Entstehungsbedingungen und Hintergründe dieser Publikatio-

und Verflechtungen von Menschen, materiellen Gegenständen und Institutionen jeder Art [. . .], sei es in Form von sozialen Praktiken, Symbolsystemen oder Artefakten“. Siehe Patel, Nach der Nationalfixiertheit, 14. 21 Zu diesem Konzept siehe Pries, Transnationale Soziale Räume. 22 Diese Unstimmigkeit zwischen theoretischem Anspruch und tatsächlicher Analyse zeigt sich beispielsweise in Lavsky, Sche’erit Hapleta; dies., New Beginnings. 23 Baker, Jewish Displaced Persons Periodicals. In den letzten Jahren sind einige wichtige Einzelstudien zur DP-Presse entstanden: Kuper Margalioth, Yiddish Periodicals; Florsheim, Hantzacha; dies., Ha’iton; Grammes, Ein Beweis, dass wir da sind; Fürnrohr/Muschialik, Überleben und Neubeginn; Szeintuch, Techijat-hametim. Eher als Materialsammlungen nützlich sind Kesper, Unsere Hoffnung und Harck, Unzer Sztyme.

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nen wie auch die biographische Verortung ihrer Mitarbeiter beurteilen zu können, stützt sich die vorliegende Arbeit zusätzlich auf offizielle Korrespondenzen, Sitzungsprotokolle sowie auf veröffentlichte Biographien, Reiseberichte und private Nachlässe einzelner Schriftsteller. Mit dieser Kombination von publizierten und unpublizierten Quellen soll das ideologisch gefärbte Bild, welches aus dem ausschließlichen Lesen der Presse erwächst, hinterfragt werden. Dass es dabei zu Unvereinbarkeiten und Widersprüchlichkeiten kommt, ist symptomatisch für die Sche’erit Hapleta, in der unterschiedlichste biographische Hintergründe, individuelle Lebensentwürfe und kollektive Ideologie oft genug kollidierten. Die Schriftsteller und Journalisten nahmen im Laufe der Zeit unterschiedlichste Rollen ein und wurden so Teil privater und öffentlicher Narrative. Um Aufschluss über die Frage nach transnationalen jiddischen Netzwerken und Beziehungen zu erhalten, werden auch Korrespondenzen mit jiddischen Intellektuellen in den USA, Dokumente zu den Hilfsprogrammen des Y. L.-Perets-Schriftstellerverbandes in New York und der jüdischen Gewerkschaftsorganisation Jewish Labor Committee (JLC) sowie die ausländische jiddische Presse herangezogen. Eine Arbeit, in deren Zentrum Schriftsteller stehen, kann nicht ohne Bezug zu der Literatur bleiben, die diese schufen. Dies ist besonders relevant, weil ihre Werke fast vollständig in Vergessenheit geraten sind: Ein Teil der Werke ist in Buchform zugänglich, der überwiegende Teil allerdings ist verstreut in Zeitungen und Zeitschriften. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren wurden einzelne Texte zwar noch in der jiddischen Presse in den USA und Südafrika nachgedruckt, doch nach der Auflösung der Sche’erit Hapleta und damit dem Wegfallen eines geschlossenen Leserkreises gerieten sie in Vergessenheit. Eingang in den jiddischen Kanon fanden sie nicht, obwohl zwei zentrale Figuren im Anthologisierungsprozess, Benjamin Harshav und Chone Shmeruk, das Leben in der Amerikanischen Besatzungszone als junge DPs kennen lernten.24 Kanonisierung wird oft mehr von der politischen Haltung der Kompilatoren bestimmt als von dem schwer zu bestimmenden ästhetischen und 24 In einer Randliteratur entscheidet stets eine kleine Gruppe über die Kanonisierungspraktiken. In einer Sprache, der die Leser und die Schriftsteller fehlen, wird der Kanon statisch, da er nicht mehr im Austausch mit neuen Schaffungen steht und keine natürliche Revision stattfinden kann. Daher hat sich auch der jiddische Kanon seit den 60er Jahren kaum mehr verändert. Mit dem ästhetischen Empfinden der damaligen Epoche entschied eine kleine Gruppe israelischer und amerikanischer Literaturwissenschaftler und Literaten über inhaltliche und formale Spezifika. Da der jiddische Kanon in Übersetzung von den gleichen Kompilatoren festgelegt wurde, ist die Spannbreite jiddischer Literatur für diejenigen, die der Sprache nicht mächtig sind, nicht mehr zugänglich. Mit dem fortschreitenden Verlust der jiddischen Sprache gerieten so beispielsweise frühe Anthologisierungsversuche wie die 100-bändige argentinische Buchreihe Dos poylishe yidntum (Das polnische Judentum) in Vergessenheit.

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künstlerischen Wert eines Textes. Nach Ruth Wisse versuchte man gerade aus Anthologien, die in Übersetzung erschienen und damit auch für nichtjüdische Leser gedacht waren, grausame, brutale oder hasserfüllte Gedichte fernzuhalten, da die Herausgeber darauf bedacht waren, „not [. . .] to bring into other languages the hostility of the Jewish author.“25 Dies mag zumindest einer der Gründe gewesen sein, weshalb die Literatur der Sche’erit Hapleta in Anthologien und Forschung weitgehend fehlt – obwohl ihre Werke doch zu den frühesten Zeugnissen der Holocaustliteratur gehören. Ein anderer Grund mag im spezifischen Erfahrungsraum der Sche’erit Hapleta liegen: Texte über das Leben in den mittelasiatischen Sowjetrepubliken, wo viele polnische Juden während der Kriegsjahre Zuflucht fanden, lagen jenseits der geographischen Koordinaten des Holocausts. Die literarische Konfrontation mit der deutschen Bevölkerung und Deutschland in den unmittelbaren Nachkriegsjahren überstieg seinen zeitlichen Rahmen. Mit der Einbeziehung dieser Texte in die vorliegende Arbeit soll weder eine Kanonrevision eingefordert noch Literaturgeschichte geschrieben werden. Texte aus der Feder der DP-Schriftsteller werden illustrativ eingesetzt und in Hinblick auf ihre Entstehungsbedingungen und in ihrer Funktion als Medien kultureller Selbstauslegung diskutiert.26 Der methodische Ansatz, den Blick auf die inneren Dynamiken des gesellschaftlichen Lebens der Sche’erit Hapleta in der Amerikanischen Besatzungszone zu richten, wird gleichsam auch zur zentralen Fragestellung. Unter diesem Aspekt sollen die Fragen nach kultureller Kontinuität und kulturellem Wandel, Territorialität und sprachlich determinierter Transnationalität die vorliegende Untersuchung auch inhaltlich bestimmen. Um dem weiter oben geforderten Imperativ einer genauen Periodisierung gerecht zu werden, gliedert sich die Arbeit chronologisch, wobei in jedem Kapitel ein anderer Aspekt der kulturellen Entwicklung im Vordergrund steht und die Schriftsteller und Journalisten in unterschiedlichen Rollen und Kontexten agieren. Das erste Kapitel zeichnet die Situation der Schriftsteller und Journalisten der Sche’erit Hapleta von der Befreiung bis zur Auflösung der Regionalpresse 1947 nach. Druckbedingungen, der Aufbau von Bibliotheken und finanzielle Aspekte kreativer Tätigkeit werden rekonstruiert und im breiteren Kontext der DP-Geschichte verortet. Im zweiten Kapitel wird die Geschichte des Schriftstellerverbandes der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone geschildert, der sich zwischen 1946 und 1948 von München aus für die Koordination publizistischer Tätigkeit, die materielle Versorgung seiner Mitglieder und den Kontakt mit Berufskollegen im Aus-

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Wisse, A Prayer of Homecoming, 247. Bachmann-Medick, Einleitung, 9.

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land einsetzte. Daran anschließend konzentriert sich das dritte Kapitel auf die kreative Arbeit der Verbandsmitglieder, wie sie sich in der Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Gegenwart manifestiert. Ausgangspunkt des vierten Kapitels sind die Politisierung und politische Diversifizierung der DP-Gesellschaft. Dieses Kapitel zeichnet das kulturelle und politische Selbstverständnis der jüdischen DPs nach, indem es aus einer Innenperspektive heraus nach Wissenspopularisierung und Memorialisierungsprojekten ebenso fragt wie nach der sprachlichen Zugehörigkeit. Das letzte Kapitel schließlich untersucht die Auflösungsphase der Sche’erit Hapleta, das Ende der Presse, die Emigration der Schriftsteller und Journalisten und ihre ersten Schritte jenseits der deutschen Diaspora.

Als ob ein Damm gebrochen sei, wurde ich gerade in dieser Stunde, da jede Bedrohung vorüber schien, da die Hoffnung auf eine Rückkehr ins Leben nicht mehr unsinnig war, von einem neuen und umfassenderen Schmerz ergriffen, begraben bis jetzt und von anderen, unmittelbareren Schmerzen an den Rand des Bewusstseins gedrängt: dem Schmerz des Exils, der Sehnsucht nach der fernen Heimat, dem Schmerz der Einsamkeit, dem Schmerz um die verlorenen Freunde, die verlorene Jugend und um das Leichenheer ringsum. Primo Levi, Die Atempause1

1. Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs

Im Sommer 1945 erschien in einem jiddischen Verlag in New York ein Essay mit dem Titel Tsu aykh, shvester un brider bafrayte (An Euch, befreite Brüder und Schwestern). Kaum anderthalb Monate waren seit seiner Befreiung vergangen, als der junge polnisch-jiddische Schriftsteller Mordkhe Shtrigler dort auf zwanzig Seiten eine Bestandsaufnahme des europäischen Judentums und seiner Zukunft verzeichnete. Als Shtrigler Ende Mai 1945 das Manuskript verfasste, befand er sich noch immer im KZ Buchenwald, wo er nach einer Odyssee durch 18 Ghettos und Konzentrationslager zusammen mit etwa 21.000 Gefangenen, darunter 4000 Juden, am 11. April von den amerikanischen Truppen befreit worden war.2 Die Freiheit war ihm und vielen seiner Mithäftlinge nach Jahren der Gefangenschaft ein fremdes Gefühl geworden. „Und doch“, schrieb er, doch muss man noch schreien und tief in die Seele jedes Überlebenden hineinschreien: He, du! Du bist jetzt frei! [. . .] Der Schrecken des Stacheldrahts (drotngroyl), mit dem man eure Körper in Majdanek oder Auschwitz, in Bergen-Belsen, Buchenwald, Theresienstadt, Ravensbrück oder Dachau eingeschnürt hat, ist beendet. Man muss aber in sich das persönliche Gefühl der Befreiung tragen, um der Psychose zu entkommen, die sich bis zum Wahnsinn in die Seele jedes einzelnen eingebrannt hat. . . Wir müssen uns selber von neuem befreien [. . .]. Eine MilitärLevi, Die Atempause, 11 f. Gutman, Enzyklopädie des Holocaust (Bd. I), 251; zu Leben und Werk Shtriglers siehe Szeintuch, Mawo lecheker jetzirato, 223–237; bio-bibliographische Angaben zu den wichtigsten in dieser Arbeit erwähnten Schriftsteller und Journalisten finden sich im Anhang. 1 2

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Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs

kraft hat die Ketten losgerissen, mit denen unsere Arme, Beine und Körper festgebunden waren. Wer wird uns aber von den geistigen Ketten befreien? Wer wird uns von der psychologischen Last befreien [. . .] wenn nicht wir selber?3

Shtrigler zeigte sich überzeugt davon, dass nur die Überlebenden selber zu individueller Freiheit und neuem kulturellem Selbstbewusstsein zurückkehren konnten. Gleichzeitig begriff er die europäische Sche’erit Hapleta als Teil des jiddischsprachigen Judentums in den USA, in der Sowjetunion und der Juden in Palästina, dem Jischuw.4 Daher appellierte er im Nachwort zu seinem Essay, verfasst im Juni 1945 in Paris, an alle jüdischen gesellschaftlichen Organisationen, sich unabhängig von politischer und religiöser Ausrichtung für die befreiten Juden in Europa einzusetzen. Es gelte, die Gefahr des moralischen und physischen Zusammenbruchs abzuwenden, die Überlebenden bei „jüdischem Bewusstsein“ zu erhalten.5 Unter diesem Bewusstsein verstand Shtrigler die Traditionen und Sprachen des europäischen Judentums, an welche die Überlebenden anknüpfen und die sie wieder zum Blühen bringen sollten. Wenngleich Palästina als Zukunftsvision für die Sche’erit Hapleta in seinen Text einfloß, suchte Shtrigler nach einem Zionismus, der nicht zur Aufgabe europäisch-jüdischer Traditionen zwang: Sogar bei der jetzigen tragischen Zahl von Juden in Europa sind wir noch weit davon, sie alle auf ihren besten und einzigen Weg zu führen: Eretz-Israel! Mit der Ablehnung der Diaspora (schlilat hagola) werden wir die letzten, psychisch und moralisch gebrochenen Juden gänzlich verlieren. Einen Schwerkranken bringt man nicht weit weg in eine perfekte Heilanstalt, sondern leistet dort Erste Hilfe, wo er liegt!6

Shtriglers Essay ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Nicht nur erfasste er mit erstaunlicher Präzision und analytischem Gespür kurz nach Kriegsende die psychologischen, sozialen, geographischen, politischen und kulturellen Probleme, mit welchen die Sche’erit Hapleta in Deutschland nach der Befreiung konfrontiert war. Er definierte auch, welcher Beitrag von den ausländischen Hilfsorganisationen geleistet werden konnte und musste: Während von dort materielle Unterstützung zu den Überlebenden gelangen sollte, lag die Verantwortung über eine Rückkehr zu persönlicher und gesellschaftlicher Normalität bei der Sche’erit Hapleta selber. Diese Hilfe zur Selbsthilfe konnte nur dann Erfolg haben, wenn die Überlebenden sich in ihrer eigenen Tradition, Sprache und Geschichte reterritorialisierten. Der Ort, an dem der Genesungsprozess stattfand, musste diesen primären Forderungen zunächst untergeordnet bleiben. 3 4 5 6

Shtrigler, Tsu aykh shvester un brider bafrayte, 3 und 5. Ebd., 12. Ebd., 31. Ebd., 30.

Schreiben nach der Befreiung

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1.1. Tkhies hameysim und Nitzotz. Schreiben nach der Befreiung Mit ähnlichen Worten wie in seinem in New York publizierten Essay richtete sich Shtrigler bereits Anfang Mai 1945 und noch vor Kriegsende an die Überlebenden im befreiten Konzentrationslager Buchenwald. Im Editorial der ersten jiddischen Zeitung der Sche’erit Hapleta – sechs sorgfältig von Hand geschriebene Seiten mit dem Titel Tkhies hameysim (Die Wiederbelebung der Toten) –, die er zusammen mit einem Redaktionskollegium herausgab, heißt es: Die Überlebenden machen den ersten Versuch, eine jüdische Zeitung herauszugeben. Wir, die Verbliebenen, sind wenige. Eine Sache aber haben wir gelernt: Beharrlichkeit! Und wir wollen beharrlich bleiben, um alle von neuem zusammen zu bringen, zu festigen und mit allen physischen und geistigen Anstrengungen anfangen, gemeinsam unser Leben und unsere Welt von neuem aufzubauen. Wir kommen in einer Arche, die über den Ararat auf ein Meer aus Blut hinausschwimmt. Wie der biblische Noah schicken wir die erste Taube los. [. . .] Wird sie uns einen Gruß bringen? Und wenn es auch nur ein einziges Blatt eines grünen Baumes ist, das uns an ein neues und frisches Leben erinnert! Wenn der erste Moment, in dem wir die Freiheit wahrnehmen, vorüber ist, wird die echte klare Freude aufkommen, in der wir spüren, wofür wir am Leben geblieben sind. . . Wir haben den Kontakt mit dem normalen Leben verloren. Es ist unsere schwere Aufgabe, ihn wieder zu finden.7

Die Zeitung war ein Lebenszeichen der befreiten Juden nach der großen Katastrophe, gerichtet an die Überlebenden in West- und Osteuropa. Gleichzeitig erkennt man in ihr den Drang, zur Normalität zurückzufinden und an die Traditionen, an das Leben der Vorkriegszeit, anzuknüpfen. Nach dem Willen der Redaktion sollte die Zeitung „der Anfang einer sich neu entwickelnden Presse sein, die würdig sein soll, die Fahne der jüdischen Kultur und des freien jüdischen Arbeiterwortes zu tragen“.8 Die organisatorischen Strukturen, die zur Publikation von Tkhies hameysim führten, entstanden nicht erst nach der Befreiung, sondern hatten ihre Wurzeln im illegalen Erziehungssystem, das von den im Untergrund organisierten KZ-Häftlingen aufgebaut worden war. Im Konzentrationslager herrschte eine klare Hierarchie, an deren Spitze die politischen und kriminellen Häftlinge standen, die von der SS auch in weiten Bereichen der internen Verwaltung eingesetzt wurden. Dadurch ist es zu erklären, dass deutschen Kommunisten 1943 die Einrichtung eines speziellen Kinderblocks gelang. Das internationale Lagerkomitee richtete später einen weiteren Kinderblock ein, in welchem unter anderem Elie Wiesel und der spätere 7 8

Farvos a tsaytung?, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945. Fun der redaktsye, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945.

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Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs

Oberrabbiner Israels, Israel Lau, die Befreiung erlebten. Als im August 1944 mit einem Transport aus dem KZ Skarz˙ysko und später auch aus anderen Lagern ungefähr 700 jüdische Kinder in Buchenwald ankamen, beschlossen die im Untergrund operierenden polnisch-jüdischen Häftlinge, sie vor dem sicheren Tod in einem Vernichtungslager zu bewahren, und versteckten sie in Block 23.9 Diese Kinderblocks boten nicht nur Schutz vor Deportationen. In ihnen wurden die sieben- bis zehnjährigen Kinder auch in verschiedenen Fächern von den selbst völlig geschwächten Häftlingen unterrichtet. Mordkhe Shtrigler brachte den Jüngsten, denen der Krieg die Möglichkeit, eine normale Schule zu besuchen, genommen hatte, Lesen und Schreiben bei, erzählte ihnen Geschichten, rezitierte aus dem Gedächtnis Gedichte von Chajim Nachman Bialik, Mordkhe Gebirtig und Achad Ha’am und schrieb eigene neue. Immer wieder gab es Chorkonzerte, daneben wurden Theaterstücke aufgeführt und die erlernten Gedichte vorgetragen.10 Auf der Feier zum 1. Mai, die nach der Befreiung in der SS-Kantine abgehalten wurde, sang der Kinderchor jiddische Lieder über Buchenwald, viele davon erneut aus der Feder Shtriglers. Sein Gedicht Fun mayn „erd“ (Von meiner „Erde“) – auf der zweiten Seite von Tkhies hameysim als allererster literarischer Beitrag in der DP-Presse abgedruckt – wurde also während der Monate vor der Befreiung oder unmittelbar danach für die ungefähr 100011 jüdischen Buchenwald-Kinder verfasst.12 Shtrigler scheint auch fast allein die editorische Arbeit für Tkhies hameysim bewältigt zu haben. Er verfasste Artikel und stellte einen internationalen Nachrichtenüberblick zusammen.13 Beinahe die gesamte Zeitung schrieb er mühsam von Hand.14 Außer ihm ist mit Borekh Goldberg nur ein einziger weiterer Beiträger namentlich genannt. Auch Goldberg war wesentlich an der Organisation des illegalen und deshalb lebensgefährlichen Bildungsprogramms beteiligt, indem er die Lehrer suchte und organisierte. Es war dieser Einsatz für die Erziehung, welche den Bundisten Goldberg – einen nicht-zionistischen Sozialisten also – und den vom Talmudstudenten zum Zionisten gewordenen Shtrigler auch als Mitglieder des Redaktionskollegiums zusammenbrachte.15 Ihre unterschiedlichen Vorstellungen über die Niven, The Buchenwald Child, 18–22. Werber, Saving Children, 91–110, besonders 101–103. 11 Gutman, Enzyklopädie des Holocaust (Bd. I), 251. 12 Szeintuch, Techijat-hametim, 211 und 217; Motele [Mordkhe Shtrigler], Far undzere yinge (sic!) un yingste. . ./Fun mayn „erd“, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945. 13 Der Nachrichtenüberblick stützte sich auf eine Ausgabe der amerikanisch-jiddischen Zeitschrift Tsukunft vom Februar 1945. 14 Szeintuch, Techijat ha-metim, 208: Weil keine Farbe für das Kopiergerät zu finden war, musste der Druck verschoben werden, so dass das auf der ersten Seite der Zeitung vermerkte Datum, der 4. 5. 1945, vermutlich nicht mit dem Publikationsdatum übereinstimmt. 15 Ebd., 214. 9

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Zukunft des europäischen Judentums spiegeln sich in den Seiten von Tkhies hameysim. Goldberg sah dessen Zukunft in den jeweiligen Herkunftsländern der Überlebenden. Die polnischen Juden rief er in einer Rede, gehalten am 1. Mai, trotz der beinahe vollständigen Auslöschung ihrer Familien und sämtlicher gesellschaftlicher Strukturen zur Rückkehr und zur aktiven Beteiligung am Demokratisierungsprozess auf: „Polen – dort, wo unsere Eltern, Brüder und Schwestern ermordet und verbrannt liegen, dort wollen wir die jüdische Tradition in Kultur, Schulwesen und im nationalen Freiheitskampf für ein gerechtes, unabhängiges und demokratisches Polen weiterführen.“16 Mordkhe Shtrigler dagegen hielt die Rückkehr westeuropäischer Juden zwar für möglich, zeigte sich aber dem Wiederaufbau jüdischer Gemeinden in Polen gegenüber kritisch. Auf die Frage, wohin ihr Weg jetzt, unmittelbar nach der Befreiung, führen sollte, antwortete er allerdings noch nicht so eindeutig wie in seinem bald danach entstandenen Essay. Die zurückhaltende Formulierung mag damit zusammen hängen, dass Shtrigler in Buchenwald als Zionist einer Minderheit im überwiegend kommunistisch und sozialdemokratisch orientierten politischen Untergrund angehörte.17 Vor allem aber wollte er die traumatische Erfahrung der jähen Befreiung, die von den Überlebenden doch noch nicht als Freiheit begriffen werden konnte, hervorheben: Der Kopf eines zum Tode Verurteilten kann sich nicht mit den Problemen des Lebens beschäftigen. Für ihn gibt es nur eine einzige Frage: Wann? Kommt das Ende heute, oder wird es bis morgen hinausgezögert? Psychisch jede Minute auf den Tod vorbereitet, haben wir nie über die Frage nachgedacht, wie es „weiter“ geht. [. . .] Diese Sorge ist aber plötzlich und unerwartet entstanden [. . .]. Keiner hat eine klare Antwort auf diese erste Frage. [. . .] Es ist [aber] klar, dass wir hier nicht bleiben. [. . .] Wir sind ja schließlich frei!18

Goldberg und Shtrigler verstanden sich beide als Teil der Sche’erit Hapleta in Ost- und Westeuropa, doch hatten sie unterschiedliche Antworten auf die Frage, wo die Fahne der jüdischen Tradition gehisst werden sollte. Tatsächlich kehrte ein Teil der polnischen Häftlinge, die ungefähr neunzig Prozent der in Deutschland befreiten Juden ausmachten, unabhängig von ihrer politischen Orientierung nach der Befreiung in ihre Heimat zurück, auf der Suche nach Familienmitgliedern und mit dem Wunsch, trotz allem an das alte Leben anzuknüpfen.19 Es war keine unbegründete Hoffnung für die befreiten KZ-Häftlinge: Nachrichten über das bereits seit Ende 1944 aktive 16 Goldberg, Borekh, Mir veln boyen – rede gehaltn af der 1. may-akademye fun di yid. kinder in Bukhnvald, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945. 17 Szeintuch, Techijat hametim, 199. 18 Motele S. [Mordkhe Shtrigler], Un vos vayter? Ersht artikl tsum onheyb fun a fraye diskusye u. d. t. „vuhin“, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945. 19 Engel, Bejn schichrur liwericha, 42.

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Zentralkomitee der Juden in Polen und den Aufbau kommunaler Strukturen hatten Buchenwald bereits erreicht. Sogar von der Neugründung eines jiddischen Schriftstellerverbandes berichtete Tkhies hameysim.20 Nach und nach brachen die verschiedenen nationalen Gruppen in Buchenwald in ihre Heimat auf oder wurden dorthin repatriiert.21 Denjenigen jüdischen Überlebenden, die sich gegen eine Rückkehr entschieden, wurde bald schmerzlich klar, dass die Welt nicht mit offenen Armen auf sie gewartet hatte. Die Frage, wie es nun weitergehen sollte, wurde vom jüdischen Komitee in Buchenwald, durch die Hilfe zweier amerikanischer Armeerabbiner ins Leben gerufen, so lange diskutiert, bis schließlich die Idee geboren war, einen Kibutz hachschara, ein kooperatives landwirtschaftliches Ausbildungszentrum, einzurichten. Dort sollten die Überlebenden auf eine Auswanderung nach Palästina vorbereiten werden. Auch Shtrigler beteiligte sich an den Vorbereitungen zu diesem Projekt. Kurz vor seiner Abreise nach Paris konnte er miterleben, wie am 3. Juni 1945, nur sechs Wochen nach der Befreiung, 16 junge Überlebende auf einen Hof in Eggendorf in der Nähe von Weimar zogen, um den ersten Kibutz hachschara im Nachkriegsdeutschland aufzubauen.22 Dieser Rahmen bedeutete zwar, dass die Gruppe einstweilen in Deutschland ausharren musste, doch es war immerhin eine ausschließlich jüdische Einrichtung. Überall sonst in Deutschland wurden die aus den Konzentrationslagern befreiten Juden gemäß ihrer Staatszugehörigkeit, also zusammen mit nichtjüdischen Polen, Russen oder Ukrainern untergebracht, unter denen sich auch ehemalige Kollaborateure befanden. Es war Teil der Kibbuz-Ideologie, dass man den Überlebenden unabhängig von ihren politischen und religiösen Überzeugungen ein provisorisches Heim bieten wollte. Der Holocaust war laut den Gründern, die sowohl das religiöse als auch das nichtreligiöse Judentum und auch unterschiedliche zionistische Ausrichtungen repräsentierten, das verbindende Element, welches frühere Unterschiede zwischen den Weltanschauungen verwischt hatte.23 Den Gründungsmitgliedern schlossen sich bald weitere Überlebende aus Buchenwald und anderen Lagern an. Als der Kibbuz am 24. Juni nach Geringshof bei Fulda – und damit von der zukünftigen Sowjetischen in die Amerikanische Besatzungszone – verlegt wurde, zählte man schon über 50 20 Fun der yidisher velt, in: Tkhies hameysim, 4. 5. 1945; zur Gründung des Zentralkomitees in Polen und dem Wiederaufbau der Gemeinden siehe Engel, Reconstruction. 21 Schätzungsweise 40.000 der 70.000–80.000 polnischen Juden, die in Deutschland und Österreich befreit wurden, kehrten nach Polen zurück. Siehe Engel, Poland Since 1939. Zu einer Diskussion dieser Zahlen siehe ders., Bejn schichrur liwericha, 164f (FN 28 und 30). 22 Shtern, Noah, Maga im sofrej hasche’arit, in: Hechajal, 17. 5. 1946; zum Aufbau und zur Geschichte des Kibbuz siehe Tydor Baumel, Kibbutz Buchenwald. Ein eindrucksvolles Dokument dazu ist das kollektive Kibbuz-Tagebuch. Auszüge daraus in Übersetzung sind nachzulesen in Schwarz, The Root and the Bough, 308–345. 23 Tydor, Kibbutz Buchenwald: The Establishment, 447 f.

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Mitglieder.24 War die Kerngruppe bereits vor dem Krieg zionistisch aktiv gewesen, brachten die meisten der neuen Mitglieder keine politischen Neigungen mit. Sie wurden durch die Möglichkeit angezogen, den Lagern zu entkommen und in einer aktiven Gemeinschaft zu leben, die ihnen sozialen Halt bot. Nicht zuletzt verbanden sie mit dem Leben im Kibbuz Buchenwald auch die Hoffnung, mit Hilfe zionistischer Organisationen Deutschland bald für immer verlassen zu können.25 Neben Buchenwald wurde auch Dachau, befreit am 29. April 1945, zu einer Keimzelle gesellschaftlicher und kultureller Selbstorganisation, und auch dort war die Sehnsucht nach jüdischen Buchstaben, der Hunger nach Information und Literatur groß: Zwei Monate nach Tkhies hameysim erschien die hebräische Zeitung Nitzotz (Der Funke) zum ersten Mal in Freiheit. Die Zeitung war fünf Jahre zuvor von Abiturienten des hebräischen Gymnasiums in Kaunas – damals noch unter sowjetischer Besatzung – gegründet worden und entwickelte sich zum Organ der zionistischen Jugendbewegung Irgun Brit Zion.26 Die ersten Ausgaben erschienen hektographiert, doch in den letzten Monaten vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges waren nur noch handschriftliche Ausgaben möglich. Ausgabe Nummer acht erschien im Oktober 1941 im Ghetto Kaunas.27 Insgesamt 35 Ausgaben erschienen im Untergrund, bevor die Zeitung mit den letzten Deportationen aus Litauen nach Kaufering II, einem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau, gelangte. Unter schwierigsten Umständen erschien Nitzotz dort bis zur Befreiung noch sieben Mal.28 Der Redakteur Shlomo Frenkel (Shafir) erinnert sich, dass er im Magazin des Lagerkrankenhauses schrieb. Andere schrieben nachts heimlich in ihren jeweiligen Blocks. Die Artikel wurden in den Holzpantinen der Häftlinge hin- und hergeschmuggelt und erreichten so auch Leser in anderen Lagern. Ab Ausgabe Nummer 38, der dritten Ausgabe in Deutschland, erschien Nitzotz im Außenlager Kaufering I kontinuierlich jeden Monat.29 Auf seinen Seiten fanden sich politische Artikel, Memoiren über das Ghettoleben – besonders über die Tätigkeit der Irgun Brit Zion – und sogar literarische Texte: In der Pessachnummer 1945, der letzten Ausgabe der Zeitung vor Ebd., 453. Tydor, Kibbutz Buchenwald, 26 f. 26 Zur Geschichte der Irgun Brit Zion und Nitzotz seit den Anfängen der Zeitung siehe Levin, Bejn nitzotz leschalhewet; ders., The Clandestine Zionist Press; Shafir, Hanitzotz schelo kaba. 27 Die letzte Ausgabe im Ghetto war eine umfangreiche maschinengeschriebene Ausgabe, die sich dem Leben im „modernen“ Ghetto widmete. Siehe Ayin-Yud, Mihektograf lelinotip, in: Nitzotz 13 (80), 11. 7. 1947. 28 Tsamriyon, Ha’itonut, 64–68. 29 Ayin-Yud, Mihektograf lelinotip; Levin, Bejn nitzotz leschalhewet, 125; zu den Verfassern und ihren ideologischen Standpunkten siehe Mankowitz, Life between Memory and Hope, 30–38, und ders., The Formation of the She’erit Hapleita. 24 25

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der Befreiung, war ein Gedicht des Poeten Dovid Volpe mit dem Titel Tikwat hagola (Die Hoffnung auf Erlösung) abgedruckt, das mit den Zeilen endet: „Aus dem Tod wird Leben wachsen/und Hoffnung wird kommen.“30 Die alliierten Truppen waren zu diesem Zeitpunkt bereits weit in den Süden Deutschlands vorgerückt, und unter den Häftlingen wuchs die Erwartung der Befreiung. Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches hatte sich die Situation in Dachau jedoch weiter dramatisch verschlechtert: Täglich trafen zahllose Transporte mit Gefangenen aus den geräumten Konzentrationslagern in der Nähe der Frontlinie ein, und in den völlig überfüllten Baracken griffen Epidemien um sich. Ende April begann die SS damit, sämtliche Außenkommandos zu evakuieren. Am 26. April wurden über 7000 Häftlinge aus dem Hauptlager gezwungen, in Richtung Süden zu marschieren. Die Überlebenden dieser so genannten Todesmärsche wurden Anfang Mai von den amerikanischen Truppen befreit.31 Am 27. April sollte eine andere Gruppe von Häftlingen aus dem Lager Kaufering I mit dem Zug nach Dachau gebracht werden. Bei Schwabhausen bei Landsberg wurden die Waggons von amerikanischen Tieffliegern bombardiert; zahllose Personen kamen um, anderen gelang es, sich aus dem brennenden Zug zu retten und sich im Wald zu verstecken.32 Den SS-Leuten und Wachen entkommen, waren sie zwar frei, aber noch nicht befreit. Erst am folgenden Tag erreichten die amerikanischen Streitkräfte Schwabhausen. Am 1. Mai wurden die Überlebenden, unter ihnen auch die treibenden Kräfte für die Selbstorganisation der jüdischen DPs, Zalman Grinberg, Samuel Gringauz und Yankev Oleyski, ins Kloster St. Ottilien transportiert.33 Auch Dovid Volpe konnte sich aus dem brennenden Zug befreien und sich in das acht Kilometer entfernte Benediktinerkloster durchschlagen.34 In seinen autobiographischen Aufzeichnungen erinnert er sich: Auf der Strasse treffe ich einen litauischen KZ-Häftling. Wir umarmen uns. Ich sage ihm: „Ich bin hungrig, wir müssen etwas organisieren [. . .].“ Er amüsiert sich: „Narr!“ schreit er mir ins Ohr: „Suchst nach milden Gaben bei den Deutschen? [. . .] Nicht weit von hier hat man für uns ein Spital geöffnet: Mit Betten und Ärzten.“ [. . .] Nach einer Weile tauchte am strahlend blauen Horizont ein grandioses Bild auf, wie ein verzaubertes Panorama. Zwei strahlend weiße mächtige Mauern in mittelalterlichem kirchlichem Stil, mit runden offenen Toren und Fenstern, die sich von der grünen Landschaft abhoben. Rote Dächer funkelten imposant in der Sonne. Aus der Nähe hörten wir schon das aufgeregte Jiddisch unserer befreiten

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Volpe, Dovid, Tikwat hagola, in: Nitzotz 6 (41), Erew chag hapesach 1945, 91–97, hier 93. Gutman, Enzyklopädie des Holocaust (Bd. I), 304. Mankowitz, Life between Memory and Hope, 38. Israel Kaplan, marsh fun di Kauferinger lagern, in: Fun letstn khurbn (Nr. 5), Mai 1947, 21 f. Volpe, Ikh un mayn velt, 260.

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Freunde. Durch die offenen breiten Türen führten deutsche Krankenschwestern die Kranken hinaus. [. . .] Es war ein deutsches Militärkrankenhaus.35

Das ungefähr vierzig Kilometer westlich von München gelegene Kloster St. Ottilien war während des Krieges zu einem Militärkrankenhaus für SSAngehörige umfunktioniert worden und wurde nun, unmittelbar nach der Befreiung, zu einem jüdischen Krankenhaus.36 Auch die überlebenden Redaktionsmitglieder von Nitzotz trafen hier wieder zusammen. Noch im befreiten Konzentrationslager hatten sie versucht, die Publikation ihrer hebräischen Zeitschrift mit Nummer 43 fortzusetzen, waren aber zu schwach und krank dazu gewesen. Deshalb wurde der Großteil des Materials für diese Ausgabe im Juni 1945 im Kloster St. Ottilien gesammelt und dort zum 1. Juli als Organ der inzwischen gegründeten vereinigten zionistischen Organisation Achida (Histadrut Zionit Achida) der Sche’erit Hapleta in Deutschland und ihrer Jugendorganisation Nocham (No’ar Zioni Me’uchad) in 100 Exemplaren hektographiert herausgegeben. St. Ottilien wurde schnell zu einem Zentrum jüdischer Selbstorganisation in Bayern. Nur wenige Wochen nach der Befreiung, am 27. Mai 1945, fand dort mit einem Konzert der Überlebenden des ehemaligen Kownoer Ghetto-Orchesters die erste kulturelle Veranstaltung der Sche’erit Hapleta statt. Ungefähr 800 Überlebende waren zugegen, die in St. Ottilien und den in der Umgebung der befreiten Konzentrationslager eingerichteten DPCamps Zuflucht gefunden hatten. Außerdem fanden sich auch Vertreter der Militärregierung und Delegierte der UNRRA37 ein, um die bewegende und für die Entstehung der Selbstorganisation der befreiten Juden wegweisende Rede des Arztes Zalman Grinberg zu hören.38 Grinberg, der von den amerikanischen Streitkräften mit der Leitung des Krankenhauses betraut worden war, wurde fünf Wochen später, am 1. Juli 1945 zum Vorsitzenden des „Zentralkomitees der befreiten Juden in Bayern“ gewählt, welches ab Januar 1946 als „Zentralkomitee der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone“ offiziell die Interessen der jüdischen DPs vertrat.39 In den ersten Wochen und Monaten nach der Befreiung richtete die Militärregierung überall in der Nähe von Konzentrationslagern provisorische DP-Camps – offiziell als Assembly Centers bezeichnet – ein, um den Über-

Ebd., 261 f. Mankowitz, Life between Memory and Hope, 30. 37 United Nations Relief and Rehabilitation Administration, bereits 1943 als Welthilfsorganisation zur Erfassung, Betreuung und Repatriierung der Displaced Persons gegründet. Einen guten Überblick über die Organisationsstrukturen von SHAEF und UNRRA im Sommer 1946 vermittelt Proudfoot, European Refugees, 136–138. 38 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 30f; Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 81–85. 39 Bauer, The Initial Organization, 127–157. 35 36

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Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs

lebenden Aufnahme und medizinische Versorgung zu bieten. Freilich waren nicht alle DP-Camps so pittoresk wie St. Ottilien, doch von einem administrativen Standpunkt aus gesehen bestand kein Unterschied zwischen dem Kloster und ehemaligen Militärkasernen in Landsberg, Feldafing und Föhrenwald, oder mit requirierten Einfamilienhäusern in Lampertheim und Frankfurt-Zeilsheim. Bis zum Spätsommer 1945 waren die jüdischen Überlebenden noch nicht als eigene nationale Gruppe anerkannt und wurden entsprechend ihrer Staatszugehörigkeit untergebracht. Von der disparaten Versorgungslage und der gemeinsamen Unterbringung verschiedener Flüchtlingsgruppen im DP-Camp Landsberg erzählt der Bericht eines ehemaligen KZ-Häftlings: Die Kaserne sah unglaublich schmutzig aus. In den Räumen lagen Wehrmachtsuniformen, Waffen, Munition, zerbrochene Möbelteile und Scherben durcheinander. Die ersten DPs hatten nicht einmal ein Bett, um sich hinzulegen, also hat man Lumpen auf den Boden gelegt und darauf geschlafen. Im Lager hielten sich verschiedene Nationalitäten auf wie: Juden, Russen, Polen, Ungarn, Litauer, Letten, Esten, Franzosen, Ukrainer, Italiener, Griechen, Bulgaren, Rumänen, Holländer, Belgier, und auch deutsche KZler, die Zahl der Lagerbevölkerung lag zwischen sieben- und achttausend Personen, Männer und Frauen (Kinder waren keine zu finden). [. . .] Das Lager wurde vom Militär bewacht. Verwaltet wurde das Lager von einem Kommandanten. Jede Nationalität hatte einen eigenen Vertreter, der einige Male pro Tag gerufen wurde und bestimmte Anweisungen bekam. [. . .] Durch die Bevölkerung wurde auch eine Polizei geschaffen, die mit Gewehren ausgestattet war, um für Ordnung im Lager zu sorgen. [. . .] Wasser gab es im Lager auch nicht. In der Stadt wurde eine Wasserpumpe installiert, die das Lager durch Schläuche mit Wasser versorgt hat, zu bestimmten Uhrzeiten und in begrenzter Menge. [. . .] Das Aussehen der DPs war wirklich nicht besonders gut. Besondere Aufmerksamkeit haben die Juden auf sich gezogen, die krank und schwach waren, sich teilweise nicht auf den Beinen halten konnten. [. . .] Kleider hatte man noch nicht bekommen und so trugen die meisten deutsche Militärkleidung [. . .].40

Alarmiert durch beunruhigende Berichte amerikanischer Armeerabbiner über die mangelhafte Versorgung und Betreuung, drangen amerikanisch-jüdische Organisationen darauf, eine offizielle Untersuchung der Lebensbedingungen der jüdischen DPs in Deutschland durchzuführen. Sie erreichten, dass Earl G. Harrison, Dekan der juristischen Fakultät der University of Pennsylvania, als Beauftragter des amerikanischen Präsidenten nach Deutschland geschickt wurde, um sich vor Ort ein Bild von den Verhältnissen in den Lagern zu machen. Was Harrison im Verlauf seiner Reise durch

40 Viduszinski, B., D. P. Camp Landsberg, in: Landsberger Biuletin 3 (1947); weitere Beschreibungen der Bedingungen in Landsberg und die Organisationsprobleme aus der Sicht der amerikanischen Armee finden sich in Heymont, Among the Survivors of the Holocaust.

Schreiben nach der Befreiung

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Deutschland, nach zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Sche’erit Hapleta, mit Armeeangehörigen und UNRRA-Mitarbeitern im August 1945 in seinem Bericht festhielt, bestätigte die früheren Informationen. Er kritisierte in aller Schärfe die Behandlung der jüdischen DPs durch die Besatzungsarmee, die mangelnde Versorgung mit Kalorien und Kleidung sowie die teilweise katastrophalen hygienischen und räumlichen Bedingungen. Für Aufsehen sorgte der Harrison-Report nicht zuletzt durch den Vergleich amerikanischer Besatzungspolitik mit Nazi-Methoden. In der Folge kam es zur Einrichtung ausschließlich jüdischer DP-Camps und zu einer Verbesserung der materiellen Versorgung.41 Da ausländische Hilfsorganisationen nur mit Verzögerung zum Einsatz kamen, war der persönliche Einsatz der Armeerabbiner für die jüdischen DPs während der ersten Wochen und Monate von größter Bedeutung. Besondere Dankbarkeit von Seiten der Sche’erit Hapleta erwarb sich Rabbiner Abraham J. Klausner, der im befreiten Konzentrationslager Dachau zum ersten Mal mit den Überlebenden konfrontiert wurde. Einer der ehemaligen KZ-Häftlinge, der Publizist Levi Shalitan (später verkürzte er seinen Namen zu Shalit), erinnert sich, dass Klausner als einziger Amerikaner ohne Fotoapparat nach Dachau gekommen war, sich ohne Distanz mit den befreiten KZ-Häftlingen auseinandersetzte. Wegen seines empathischen Zugangs verlieh Shalitan dem Armeerabbiner den Titel des „amerikanischen Häftlings Nummer eins“.42 Klausner, dem eine wichtige Rolle beim Aufbau des Zentralkomitees zukam, richtete unter anderem ein Informationsbüro in Dachau ein, welches für die Registrierung der Juden in Bayern und die Suche nach überlebenden Angehörigen zuständig war. Am 26. Juni 1945 gab er unter dem Titel Shaarit Haplatah den ersten von insgesamt fünf Bänden mit Listen aller registrierten Überlebenden heraus.43 Zu weiteren für die DPs wichtigen Begegnungen kam es im Sommer 1945, als Angehörige der Jüdischen Brigade, also der jüdischen Soldaten der britischen Streitkräfte in Palästina, von Italien aus den Süden Deutschlands erreichten.44 Einer dieser Soldaten war der hebräische Dichter Noah Stern, der des öfteren Dovid Volpe im Kloster St. Ottilien besuchte. Aus der Be41 Der gesamte Harrison Report findet sich in Dinnerstein, America and the Survivors, 291–305; zu einer ausführlichen Analyse des Berichtes und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Sche’erit Hapleta siehe ebd., 39–52, und Mankowitz, Life between Memory and Hope, 52–64. 42 Shalitan, Levi, Rabi A. Y. Klausner, in: Undzer veg, 14. 12. 1945. 43 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 39; Klausner, Abraham, Eyner fun aykh, in: Undzer veg, 12. 10. 1945; zu Klausner und der Rolle der Armeerabbiner allgemein siehe Kaplan, Israel, Der ayzerner laytnant, in: Undzer veg, 14. 12. 1945; Barish, Rabbis in Uniform; Carlebach/ Brämer, Von Befreiung zur Freiheit; Klausner, A Letter to My Children; Feldberg, The Day Is Short. 44 Dazu: Gelber, The Meeting.

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gegnung dieser beiden jüdischen Autoren mit ihren unterschiedlichen Biographien und aus dem Zusammentreffen Sterns mit anderen überlebenden Schriftstellern entstand im März 1946 eine von ihm redigierte Sonderausgabe der Soldatenzeitung Hechajal (Der Soldat). „Wie der Hunger nach Brot“, stellte Stern in seiner Einleitung zu dieser Sonderausgabe fest, „war auch der Hunger, in dieser Epoche den Geschehnissen ein Denkmal zu setzen“.45 Er beschrieb damit das allererste Kapitel einer jüdischen Nachkriegspresse und -literatur in Europa. Sofort nach ihrer Befreiung aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau hatte eine Handvoll vormals im Untergrund tätiger Journalisten und Schriftsteller ihre publizistische Arbeit wieder aufgenommen und ihre Vorkriegstätigkeit fortzusetzen versucht. Die Beiträge der beiden so entstandenen ersten Zeitungen, Tkhies hameysim und Nitzotz, hatten einerseits Informationscharakter, andererseits waren sie aber auch, wie Stern es formulierte, ein früher Versuch literarischer und intellektueller Auseinandersetzung mit der jüngsten Katastrophe und ihrer Dokumentation. Dieselben Kreise, die diese Zeitungen gestalteten, leisteten auch einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer jüdischen Selbstverwaltung. Volpe traf wieder mit ihnen zusammen, nachdem er erfahren hatte, dass sich unter den Angehörigen der Jüdischen Brigade in München auch litauische Juden befanden. In der Hoffnung, unter ihnen Bekannte und Freunde aus seinen sieben in Palästina verbrachten Jahren anzutreffen, zog es ihn im Spätsommer 1945 von St. Ottilien aus zum ersten Mal in die Stadt, die für ein halbes Jahrzehnt zu seiner unfreiwilligen Heimat werden sollte. Tatsächlich traf er im ausgebombten Deutschen Museum, in dem die provisorischen Büros des Zentralkomitees untergebracht waren, Kameraden aus der zionistischen Jugendbewegung Haschomer Haza’ir seiner Heimatstadt Kedainiai.46 Und auch einem anderen bekannten Gesicht begegnete er dort: Shlomo Frenkel, dem Redakteur von Nitzotz. Frenkel hatte die fünf erhaltenen von insgesamt sieben Dachauer Nummern der Zeitschrift noch einmal abgeschrieben, hektographiert und den Einband mit einer Zeichnung des KZs Dachau mit einem roten Funken in der Mitte versehen. Von ihm erhielt Volpe ein Exemplar dieser Sammlung, in der er mit dem Gedicht Tikwat hagola aus der Zeit vor der Befreiung selber vertreten war.47

45 Volpe, Ikh un mayn velt, 283; Shtern, Noah, Maga im sofrej hasche’arit. In: Hechajal, 17. 5. 1946. 46 Volpe, Ikh un mayn velt, 276 f. 47 Ebd., 277; die beiden ersten Nummern vom September 1944 und vom 18. 10. 1944 waren nicht erhalten geblieben. Siehe Frenkel, Shlomo, Hakdama, in: Nitzotz, 3 (38) – 7 (42), München/Landsberg 1945.

Beginn einer neuen jüdischen Kulturtopographie

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1.2. Beginn einer neuen jüdischen Kulturtopographie auf der „blutigen Erde“ Als Nitzotz schließlich am 2. November 1945 zum ersten Mal gedruckt in München erschien, war von den ursprünglichen Kownoer und Dachauer Redakteuren nur Shlomo Frenkel übrig geblieben, der bis zu seiner Auswanderung 1948 weiter in der Redaktion arbeitete. Nitzotz erschien nun als legale hebräische Halbmonatsschrift mit regelmäßiger Literaturbeilage unter dem Titel Amudot lesifrut (Blätter für Literatur) und wurde von der Vereinigten Zionistischen Organisation in Deutschland herausgegeben. Nach deren Auflösung Anfang 1947 wurde Nitzotz dann von ihrer Nachfolgerin, der Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut publiziert.48 Die Redaktionsarbeit bewältigte das Dreigestirn Shlomo Frenkel, Yosef Dov Sheynzon und Jakov Lifshits. Nach Einschätzung des Historikers Israel Kaplan waren die drei „fast ganz sich selber überlassen, vielleicht auch ausgelacht als unpraktische Idealisten“, die als „Bande von Sturköpfen“ daran festhielten, eine hebräische Zeitschrift zu veröffentlichen. Tatsächlich war es utopisch, die überwiegend Jiddisch sprechenden jüdischen Displaced Persons in Deutschland durch eine hebräische Publikation mit Lesematerial versorgen zu wollen. Die Arbeit der drei Redakteure beschränkte sich daher nicht nur auf Nitzotz. Sie bauten ein bescheidenes Verlagsprogramm auf, das neben der regelmäßigen jiddischen Publikation Osef chomer (Materialien) mit Abhandlungen über Palästina auch hebräisches Lehrmaterial und sporadisch andere Publikationen umfasste.49

„Wie Pilze nach einem Regen“ Um die unmittelbaren Bedürfnisse der jüdischen DPs nach Information und Lesematerial zu befriedigen, war es viel dringlicher, eine Presse in der Sprache zu schaffen, welche von der Mehrheit verstanden wurde. Levi Shalitan, früherer Mitarbeiter der zionistischen Zeitung Di yidishe shtime (Die jüdische Stimme) in Kaunas, hatte dieses Ziel seit seiner Befreiung aus Dachau verfolgt. Unter seiner Redaktion erschien am 12. Oktober 1945 in München die erste Nummer von Undzer veg (Unser Weg) als offizielle Zeitung des Zentralkomitees der „befreiten Juden in der deutschen Diaspora“, wie es in der Titelzeile hieß. Israel Kaplan, einer der ersten Mitarbeiter von Undzer veg, der nach einer Odyssee vom Ghetto seiner Heimatstadt Kaunas über das von Riga und zahllose Konzentrationslager via Kaiserwald und 48 49

Tsamriyon, Die Hebräische Presse in Europa, 559–566. Kaplan, Israel, Prese fun der sheyres hapleyte. 1. „nitsots“, in: Undzer veg, 29. 3. 1946.

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Stutthof schließlich nach Dachau deportiert worden war, hob in der ersten Ausgabe die Bedeutung der Zeitung und die Freude über ihr Erscheinen in hebräischen Buchstaben hervor:50 Eine Zeitung, eine wöchentliche, eine jiddische, wird von jetzt an in München herausgegeben, [. . .] gedruckt mit leuchtenden, quadratischen jüdischen Buchstaben. [. . .] Höllisch flackert die Sehnsucht zum jiddischen Buchstaben und Wort, das so grausam zum Schweigen gebracht und vernichtet wurde. [. . .] Die Welt soll wissen, dass wir leben. Wir haben überlebt!51

Da es kaum erfahrene Journalisten und Schriftsteller unter den DPs gab, wurde Dovid Volpe von Levi Shalitan im Herbst 1945 förmlich dazu gedrängt, sich am Aufbau des kulturellen Lebens in der Sche’erit Hapleta zu beteiligen. Erst nachdem sein Widerstand schließlich gebrochen war – Shalitan meinte dazu: „Sie sträuben sich, wie es sich für einen Dichter gehört.“52 – zog Volpe in das sich etablierende Zentrum jüdischen Lebens in der Amerikanischen Besatzungszone.53 Shalitans Aufforderung ist im Zusammenhang mit dem Profil von Undzer veg zu lesen, denn die Redaktion hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Lesern auch literarische Texte zugänglich zu machen. Die Redaktion beabsichtigte damit einerseits, den Mangel an jiddischen und hebräischen Büchern zu kompensieren, andererseits sollte das literarische Verständnis beim Leser aufgefrischt und sein Wissen über Literatur und Schriftsteller erweitert werden.54 Dabei wurde geistige Freiheit mit physischer Befreiung assoziiert. So konstatierte eine Mitarbeiterin, dass man „faktisch [. . .] noch nichts von geistiger Freiheit gespürt [habe]: ohne kulturelle Organisation, ohne jiddische Bücher und Zeitungen.“55 Die hohe Priorität, die der Literatur eingeräumt wurde, ist sicherlich in der Tradition jiddischer Publikationsgeschichte zu lesen: Seit Sholem Yankev Abramovitsh (Mendele Moykher Sforim) in der ersten modernen jiddischen Zeitung Kol mevaser (Die verkündende Stimme) seinen Fortsetzungsroman Dos kleyne mentshele (Das kleine Menschlein) veröffentlicht hatte, wurde es in Europa und den USA üblich, literarische Texte zum Bestandteil jeder Ausgabe zu machen. Diese Verbindung sollte ebenfalls zu einem typischen Merkmal jiddischer Literatur und Presse in Deutschland werden. Auch in anderer Hinsicht schlossen die DP-Zeitungen an die Traditionen der jiddischen Presse an: Selten waren die Schriftsteller ausschließJNUL Arc. 4° 1795, Israel Kaplan – Taktzir biografi mischpachti. Kaplan, Israel, A tsaytung, a tsaytung!, in: Undzer veg, 12. 10. 1945. 52 JNUL Arc. 4° 1683, Levi Shalitan an Dovid Volpe, o. J. 53 In dieser Anfangsphase hatte die Zeitung nur litauisch-jüdische Mitarbeiter. Erst in den folgenden Monaten kamen auch polnisch-jüdische Journalisten wie Ben-Tsien Hibel, Mordkhe Libhaber und Yosef Gar dazu. 54 Shalitan, Levi, 25 numern „undzer veg“, in: Undzer veg, 22. 3. 1946. 55 Magid, Rivke, In redaktsye ba der arbet, in: Undzer veg, 22. 3. 1946. 50 51

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lich Schriftsteller, meist waren sie auch Redakteure und Journalisten, die mit ihrer Berichterstattung über politische, soziale und kulturelle Fragen zur Allgemeinbildung der DPs beitrugen und die öffentliche Meinung mitprägten. Besonders mit der Entstehung der Parteipresse ab 1946 wurde dieses zweite – und in einigen Fällen parteilicher Tätigkeit sogar dritte – Standbein der Schriftsteller immer wichtiger. Die gesellschaftliche Funktion der Schriftsteller ging also weit über die Versorgung der Zeitungen mit literarischen Beiträgen hinaus. Wenige Tage vor der ersten Ausgabe von Undzer veg in München erschienen auch erstmals zwei Lagerzeitungen: Zwischen Oktober 1945 und Oktober 1946 wurden in Feldafing 52 Ausgaben der Zeitung Dos fraye vort (Das freie Wort) gedruckt. Die Zeitung, gegründet auf Initiative einer UNRRA-Mitarbeiterin, sollte ein gemeinsames Forum für die zionistische Partei, die religiösen Juden und die Bundisten werden. Vier Tage nach der ersten Ausgabe von Dos fraye vort erschien am 8. Oktober 1945 als zweite Wochenzeitung die Landsberger lager-cajtung (Landsberger Lagerzeitung), welche seit dem 25. Oktober 1946 als Jidisze cajtung (Jüdische Zeitung) weitergeführt wurde und zu einem der zentralen Organe des jiddischen Pressewesens werden sollte. Zu Beginn waren erhebliche technische Schwierigkeiten zu überwinden. Denn wo sollte man ausgerechnet in Deutschland geeignete Drucksätze hernehmen? Levi Shalitan gelang es, in der Nähe von Frankfurt einen Satz hebräischer Lettern für Undzer veg zu organisieren und nach München zu bringen. Doch zunächst mussten die Typen, die für den vokalisierten Druck hebräischer Texte gedacht waren, für eine jiddische Zeitung verwendbar gemacht werden: In mühseliger Handarbeit verbrachten die Setzer Tage damit, Vokalzeichen abzukratzen. Nachdem die hebräischen Lettern soweit präpariert waren, begann man mit dem Handsatz der ersten jiddischen Ausgabe. Nach einigen Seiten wurde aber klar, dass die wenigen Druckbuchstaben wegen ihres ungleichen Vorkommens in beiden Sprachen nicht für die gesamte Zeitung ausreichen würden. Die Zeitung musste deswegen in zwei Hälften gedruckt werden. Erst nachdem die Druckerei zusätzliche Buchstaben erhielt, konnte die Seitenzahl von anfänglich vier auf acht Seiten erhöht werden.56 Die Drucksätze in München waren zu diesem Zeitpunkt die einzigen in der gesamten Amerikanischen Besatzungszone.57 Um die Publikation der ersten Ausgabe nicht von der Versorgung mit Drucksätzen aus dem Ausland abhängig zu machen und damit lange Verzögerungen in Kauf zu neh-

56 Magid, Rivke, In redaktsye ba der arbet, in: Undzer veg, 22. 3. 1946; Kleyner, Tsvi, A druker tsu der simkhe, in: Undzer veg, 22. 3. 1946. 57 YIVO 701, Folder 436, Maurice Eigen, JDC an Hendin, New York, 17. 4. 1946.

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men, wurde in Landsberg beschlossen, ein Experiment durchzuführen: Eine jiddische Zeitung in lateinischen Buchstaben.58 Ein Experiment, das, so würde sich zeigen, eine ganz besondere Rolle in der Entwicklung des Pressewesens der Sche’erit Hapleta spielen und zu einer einmaligen Episode in der Geschichte des jiddischen Druckwesens werden sollte. Dem Beispiel der Landsberger lager-cajtung folgten im Laufe der folgenden Monate zahlreiche andere Publikationen, wobei grundsätzlich die polnische Orthographie und die litauische Aussprache des Jiddischen favorisiert wurden. Die Verwendung lateinischer Buchstaben war vor allem charakteristisch für die unübersichtliche Menge von Lokal- und Lagerzeitungen, die während der folgenden Monate in der gesamten Besatzungszone „wie Pilze nach einem Regen“ aus dem Boden schossen.59 Zwar war man sich einig, dass der Gebrauch lateinischer Lettern nur eine Notlösung sein konnte, weil das Ziel, den DPs nach langen Jahren der Entbehrung Lesematerial zur Verfügung zu stellen, Priorität vor allen ideologischen Überlegungen haben musste. Trotzdem wurde in den Spalten eben dieser Presse oft heftig darüber diskutiert.60 Zum vollständigen Übergang zu hebräischen Buchstaben kam es erst nach der Auflösung der Lokal- und Regionalpresse im Herbst 1947. Die Parteipresse, die sie ablöste, wurde mit einer Ausnahme von Anfang an in hebräischer Quadratschrift gedruckt. In den folgenden Monaten wurden Feldafing, Bad Reichenhall, Regensburg, München, Leipheim, Lampertheim oder Bad Salzschlirf zu Publikationsorten für jiddische Zeitungen – oft zum ersten Mal in der Geschichte des Druckwesens. Auch in Berlin erschien seit dem 2. August 1946 eine jiddische Zeitung. Ihre Entstehungsgeschichte steht beispielhaft für viele andere der häufig kurzlebigen Presseerzeugnisse: Ein Korrespondent berichtet, dass die Berliner Undzer lebn (Unser Leben) von drei Freunden initiiert wurde, die im Besitz einer jiddischen Schreibmaschine waren und zusammen Redaktion, Druck und Verwaltung der Zeitung übernahmen. Durch einen Mitarbeiter der Jewish Agency61 konnten Drucksätze organisiert werden. Gleichzeitig verfasste die Redaktion einen kurzen Nachrichtenüberblick, der über das lokale Radionetz in den Lagern Schlachtensee und Mariendorf verbreitet wurde.62 Auch Lagerbulletins waren besonders in der

58 Im März 1946 wandte sich die Redaktion der Landsberger lager-cajtung mit der Bitte um finanzielle Hilfe und Drucksätze an die Redaktion des Forverts in New York. Die Bitte wurde anscheinend an den Y. L.-Perets-Schriftstellerverband weitergeleitet. YIVO 701, Box 26, Folder 497, Landsberger lager-cajtung an Forverts, Landsberg, 25. 3. 1946. 59 Di prese ba der sheyres-hapleyte, in: Undzer hofenung, 31. 1. 1947. 60 Siehe Kapitel 4.3. 61 Die Jewish Agency (hebr. Sochnut) war seit 1929 die Vertretung der Juden in Palästina. Seit der Staatsgründung ist sie für die Einwanderung nach Israel zuständig. 62 Yonas, A., Yidish kultur-lebn in Berlin, in: Dos vort, 11. 6. 1948.

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Abb. 1: Wolf Garfinkiel mit seinen Mitarbeitern in der Druckerei der Gebrüder Garfinkiel in München

Aufbauphase ein häufiges Kommunikationsmittel. So wurde im Lager Eschwege zusätzlich zur Lagerzeitung Undzer hofenung (Unsere Hoffnung) täglich eine Übersicht über die verschiedenen innen- und außenpolitischen Neuigkeiten an zentraler Stelle ausgehängt.63 In München organisierten die beiden Parteizeitungen Undzer velt (Unsere Welt) und Dos vort (Das Wort) so genannte mündliche Zeitungen: Die Redakteure referierten auf öffentlichen Veranstaltungen über den Inhalt der Blätter und die wichtigsten politischen Geschehnisse.64 Teglecher biuletin. arojsgegebn fun undzer redakcje, in: Undzer hofenung, 25. 9. 1946. Tsamriyon, Ha’itonut, 174; auch in Bergen-Belsen in der Britischen Besatzungszone wurde bald nach der Befreiung durch das dortige Zentralkomitee eine Zeitung ins Leben gerufen. Die erste Nummer von Undzer shtime (Unsere Stimme) veröffentlichte man bereits am 63 64

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Die unterschiedlichen technischen Bedingungen, unter welchen die Lager- und Lokalzeitungen erscheinen konnten, waren abhängig von den finanziellen Möglichkeiten und der Unterstützung durch die individuellen Lagerverwaltungen. Die Zeitung im DP-Lager Landsberg wurde anfänglich aus deutschen Geldern finanziert und in einer deutschen Druckerei gesetzt. Mayor Irving Heymont, der maßgeblich an der Organisation des Lagers beteiligt war, schrieb darüber: „[The paper] is printed at a local press, and apparently the bills are paid by our generous friend – the Landsrat (sic!). I am not asking too many questions on this score.“65 Die Finanzierung von Undzer veg war durch die großzügige Unterstützung durch das Zentralkomitee gesichert: Rund fünfzig Prozent des gesamten Kulturetats entfiel auf diese Publikation.66 Die jiddische Presse machte nur einen kleinen Teil der gesamten DP-Presse aus: Auch andere DP-Gruppen in Deutschland, die nicht in ihre Heimatländer zurückkehren wollten oder konnten, begannen ein eigenes Presseund Druckwesen aufzubauen. Wie bei den jüdischen Publikationen ging die Initiative für die Lagerzeitungen meist von den jeweiligen UNRRA-Administrationen aus. Nicht nur wegen des quantitativen Ausmaßes, sondern auch wegen der Menge der verwendeten Sprachen war die Vorzensur dieses Zeitungswesens durch die Militärregierung und später durch die UNRRA eine kaum zu bewältigende Aufgabe.67 Zwar wurde versucht, die strengen

12. 7. 1945, weniger als drei Monate nach der Befreiung und noch vor der Organisation des Zeitungswesens in der Amerikanischen Besatzungszone. Die Herausgeber der Zeitung, Rafael Olevski und Paul Trepman, waren gleichzeitig auch die treibenden Kräfte in der Selbstorganisation des DP-Camps. Ab Sommer 1946 konnte die Zeitung regulär gesetzt erscheinen, nachdem durch den Y. L.-Perets-Schriftstellerverband in New York eine Druckmaschine und Drucktypen organisiert worden waren. Siehe YIVO 701, Box 23, Folder 459, Redaktion Undzer shtime an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, Bergen-Belsen, 18. 8. 1946; ebd., Folder 436, Pres mashin noytik far yidisher drukeray in dem Belzener lager, 27. 12. 1945; ebd., Louis H. Sobel (Joint) an L. Hendin (Y. L.-Perets-Schriftstellerverband), New York, 21. 12. 1945; ebd., Hendin an Jewish Publication Society, 24. 1. 1946. 65 Heymont, Among the Survivors, 85. 66 2-ter kongres fun sheyres-hapleyte in der amerikaner zone in Daytshland Bad-Raykhnhal 25–27 febr. 1947. General-barikht, o. O. [1947], 11 und 29. 67 Insgesamt erschienen zwischen 1945 und 1950 48 weißrussische sowie 34 estnische Zeitungen und Zeitschriften. Bücher mitgerechnet, brachten es die estnischen DPs in Deutschland auf über 200 Presseerzeugnisse, die litauischen DPs auf 142, die polnischen auf 125, die ukrainischen auf 232 und die russischen auf zehn. Neunzig Prozent dieser Exilpresse erschienen in der Amerikanischen Besatzungszone, der Rest in der Britischen Besatzungszone. Während in der Sche’erit Hapleta die intellektuelle Elite den Holocaust meist nicht überlebt hatte, waren es in anderen Flüchtlingsgruppen gerade diese Kreise, die es als DPs nach Deutschland verschlagen hatte: Nach Schätzungen hielten sich über 200 lettische Literaten in den Camps auf – neben Schauspielern, Filmemachern, bildenden Künstlern und Tänzern. Siehe Makra, Fünfzehnjährige Tätigkeit, 9; Wyman, DP, 161 f. Zur Geschichte der lettischen DPs siehe besonders Rozı¯tis, Displaced Literature, 65 f.

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Zensurbestimmungen rigoros durchzusetzen. Im DP-Lager Landsberg beispielsweise war die Redaktion verpflichtet worden, bei der Lagerverwaltung vor Drucklegung die Druckfahnen und eine Übersetzung der Texte einzureichen. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Einfluss des jüdischen Lagerkomitees, zu dessen Umkreis auch der Redakteur Rudolf Valsonok gehörte, nicht überhand nahm.68 Aber oft ließ sich diese Zensur mit einfachen Mitteln umgehen: Abraham Klausner fügte als Armeeangehöriger und Redaktionsmitglied im Impressum von Undzer veg lediglich den Satz „Published under the direct supervision of military authorities“ hinzu, um der Zensur zu entgehen.69 Im Sommer 1946 beschloss die Militärregierung, nur eine beschränkte Anzahl Lizenzen für DP-Zeitungen auszugeben und den Verteilungsschlüssel auf eine Zeitung pro fünf Personen festzusetzen. Dadurch sollte die Flut an Presseerzeugnissen eingedämmt und eine bessere Kontrolle sowohl über die Inhalte als auch über die knappen Papiervorräte in Deutschland gewährleistet werden. Ausgenommen von dieser Regelung waren lediglich Lagerzeitungen, die unabhängig von Lizenzauflagen publiziert werden durften.70 Als diese Direktive bekannt wurde, verlangte das Zentralkomitee der befreiten Juden vom Joint, er solle bei den Militärbehörden um eine Erhöhung der Papierzuteilungen für jiddische Zeitungen ersuchen, damit eine Hebung des Verteilungsschlüssels erreicht werden konnte. Dies geschah mit der Begründung, dass die demographische Situation der jüdischen DPs sich dramatisch von derjenigen der übrigen DPs unterscheide: The circle of readers of other nationalities is the unit of the family [. . .], but our reading unit is [a] single person. The number of children among other nationalities is one third; our number of children is without importance. This is one reason for the fact that it is impossible to count with the average numbers, in our case. We would like to add besides this point that we had nothing to read for 6 years. For that reason the hunger for something to read is greater today compared with the situation of other nationalities where the newspaper has not this cultural task, because of the permanent publishing of books.

Außerdem müsse, so das Zentralkomitee, auch die wachsende Anzahl jüdischer DPs in der Amerikanischen Besatzungszone in Betracht gezogen werden. Für Oktober 1946, also ein Jahr nach der Etablierung des jiddischen Heymont, Among the Survivors, 42. Klausner, A Letter to my Children, 85. 70 YIVO 294.1, Folder 396; lizenzierte Zeitungen mussten auf der letzten Seite auf Englisch Lizenznummer- und datum vermerken sowie die Auflagennummer, Namen von Herausgeber und Redaktionsmitgliedern, Erscheinungsort und Druckerei tragen. Siehe ebd., UNRRA Administrative Order No. 163, 30. September 1946; ebd., USFET Directive, AG 383.7 GECAGO, 9. September 1946, Displaced Persons Publishing Activities; Giere, Wir sind unterwegs, 272. 68 69

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Pressewesens, rechnete man aufgrund des Zustroms jüdischer Flüchtlinge aus Polen mit 120.000 potentiellen Lesern.71 Die Lizenzpresse, die vom Zentralkomitee vorgeschlagen wurde, umfasste die Zeitungen Undzer veg, Jidisze cajtung, Undzer moment (Unser Moment) und Untervegns (Unterwegs) – die beiden letzteren waren Lokalzeitungen in Regensburg und Frankfurt. Allerdings sollten insgesamt 75 Prozent der Papierzuteilungen für Undzer veg und Jidisze cajtung verwendet werden. Zusätzlich wurden Lizenzen für Zeitschriften angefordert.72 Eine Liste des Joint vom Jahresende 1946 zeigt aber, dass diesen Forderungen des Zentralkomitees nicht entsprochen worden war: Für die vier Lizenzblätter waren einheitliche wöchentliche Auflagen von 7500 Exemplaren im Umfang von zwölf Seiten vereinbart worden. Das Papier wurde von der amerikanischen Militärregierung zur Verfügung gestellt.73 Für die jiddische Presse blieben die Lizenzrechte und die Zuständigkeiten unklar. Zwar hatte Anfang Oktober 1946 das Public Relations Department des Zentralkomitees, als offizielle Vertretung der DPs gegenüber der amerikanischen Armee, die Abwicklung der Lizenzverfahren an sich genommen und Ende November eine Anweisung veröffentlicht, in der die unlizenzierten Zeitungen zur unverzüglichen Aufgabe ihrer Tätigkeit oder zur Beantragung einer Lizenz aufgefordert wurden.74 Aber dieses System scheint nicht einwandfrei funktioniert zu haben: Wegen Vernachlässigung des Lizenzverfahrens drohte die Militärregierung 1948 damit, das jiddische Pressewesen für zwei Wochen einzustellen. Bis zur Auflösung der DP-Lager blieben die Anweisungen der Militärverwaltung de jure bestehen, aber in der Praxis wurden sie offensichtlich nicht sehr genau genommen.75 Neben technischen Startschwierigkeiten und unklaren Lizenzierungsverfahren war die fehlende Ausbildung ihrer Mitarbeiter eines der größten Probleme für die Presse. Außer der kleinen Gruppe litauischer Journalisten und Schriftsteller gab es anfangs kaum erfahrene Publizisten. Während die Münchener Redaktion von Undzer veg – wenngleich auch unter katastrophalen räumlichen Verhältnissen – bald ein stabiles Niveau erreichte, ließ die Qualität der Korrespondenzberichte aus den DP-Camps zu wünschen übrig. Die zuständige Redaktionssekretärin beklagte in einem feuilletonistischen Artikel, dass ihre Arbeit daher weitaus anspruchsvoller sei als diejenige der übrigen Mitarbeiter:

71 YIVO 294.1, Folder 396, Central Committee of Liberated Jews an Joslow, Culture Officer, München, 5. 8. 1946. 72 Ebd. 73 Ebd. 294.1, Folder 415, American Joint Distribution Committee. APO 757, List of licensed newspapers and periodicals in the U. S. zone of Germany, 27. 12. 1946. 74 Ebd. 294.1, Folder 396, Zentralkomitee, Abteilung für Public Relations. 75 Tsamriyon, Ha’itonut, 177 f.

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Und hier der Grund dafür: Wenn eine Korrespondenz aus einem der Lager eintrifft, überfliegt der Redakteur sie kurz, knüllt sie zusammen und wirft sie verärgert in den Papierkorb. Dann beginnt meine Arbeit. Zuerst muss ich mich hinunterbeugen, um den Brief herauszunehmen. Das hört sich so einfach an – aber wissen sie, was es in unserer Redaktion bedeutet, sich hinunterzubeugen? Dazu muss man ein Akrobat sein. Das ganze Zimmer ist durch die zwei Schreibtische ausgefüllt, an welchen sich die Mitarbeiter zusammenquetschen müssen [. . .]. Kaum habe ich diese erste Hürde überwunden, nehme ich das zerknüllte Papier, streiche es sorgfältig glatt und betrachte es. Und es sieht für mich aus wie die ausgebombten Münchener Straßen: Hier radiert, dort durchgestrichen [. . .]. Eine Linie führt nach oben, eine zweite, beladen mit schweren, hochtrabenden Worten, kann die Last anscheinend nicht tragen – und fällt. [. . .] Und dann die Sprache. Gott im Himmel, die Sprache! Ich fange an zu lesen. Es geht nicht. Ich glaube deutlich jiddische Buchstaben zu sehen. Aber es ist kein Jiddisch. Auch kein Hebräisch, Deutsch oder Polnisch. Es ist von allem ein bisschen [. . .]. Sie müssen wissen, dass die Korrespondenten eine große Schwäche für Poesie haben. Wenn sie zum Beispiel Wahlresultate beschreiben, müssen sie metarealistische Informationen über das Wetter hinzufügen. Sie beschreiben Fauna, Flora und so weiter.76

Mit erheblichen Anfangsschwierigkeiten hatte auch die Landsberger lagercajtung zu kämpfen. Dem Redakteur Rudolf Valsonok, einem Journalisten aus Memel und Überlebenden des Ghettos in Kaunas und des KZs Dachau, standen keine geschulten Mitarbeiter zur Verfügung, so dass er den überwiegenden Teil der Artikel in der ersten Ausgabe unter verschiedenen Pseudonymen selbst verfasste.77 Während später in den Jubiläumsnummern in feuilletonistischen Artikeln mit nostalgischem Stolz auf die Anfänge der Lokal- und Regionalpresse zurückgeblickt wurde, waren qualitative Ansprüche ein Luxus, den sich die Verfasser der ersten Ausgaben nicht leisten konnten.

Enttäuschte Hoffnungen Die Inhalte der Editorials im ersten Winter in Freiheit waren fast deckungsgleich und spiegelten die innere Situation der Sche’erit Hapleta wider: Die erhoffte materielle Hilfe in großem Rahmen blieb aus, Auswanderungsmöglichkeiten waren praktisch inexistent, politische Veränderungen in Palästina schienen unerreichbar. Auch im Leitartikel der ersten Ausgabe der Stuttgarter Af der fray (In Freiheit), einer der 18 Lagerzeitungen, die seit den letzten Monaten des Jahres 1945 gegründet worden waren, wurde die Behandlung der DPs stark kritisiert.78 Die Freiheit habe für die jüdischen Displaced Per76 77 78

Baron-Segal, Beti, Mayn arbet, in: Undzer veg, 22. 3. 1946. Zur Biographie Valsonoks siehe Mankowitz, Life between Memory and Hope, 162–164. Die Zeitung versorgte die Bewohner des DP-Lagers in Stuttgart. Das Lager wuchs zwi-

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sons „ihren Reiz verloren“, hieß es dort. Während andere Volksgruppen längst repatriiert waren, säßen sie mit ungewisser Zukunft und unter harten wirtschaftlichen Bedingungen immer noch „zwischen den Ruinen ihrer früheren Hölle“.79 In der metaphorisch überladenen Sprache der frühen DPPresse wurde beklagt, dass man nun zwar die KZ-Uniformen abgelegt, aber außer abgenutzten alten Lumpen nichts anzuziehen bekommen hätte, dass die Kalorienzuteilungen so niedrig seien, dass der KZ-Begriff des „Organisierens“ weiterhin seine alte Bedeutung trüge. Diese Situation, analysierte der Verfasser, führe zum Verlust des Selbstwertgefühls, zu einem Minderwertigkeitsgefühl. Die Appelle der durchreisenden ausländischen Delegationen, die jüngste Vergangenheit zu vergessen und wieder in die gesellschaftliche Realität zurück zu finden, könnten erst dann umgesetzt werden, wenn die Hilfsorganisationen auch bereit seien, ihnen „aus dem moralischen Sumpf herauszuhelfen, in dem [sie] während der letzten Jahre gesteckt hatten.“80 Verbitterung über die ausbleibende Hilfe und die Vorstellung, von der Welt vergessen worden zu sein, wiederholte sich bis zur Auflösung der Lager refrainartig in der Rhetorik der jiddischen Presse in Deutschland. Israel Kaplan schrieb wenige Wochen nach der Befreiung einen Text über das DPCamp Landsberg, neben jener bayerischen Kleinstadt gelegen, in deren Umland kurz zuvor noch elf Konzentrationslager existiert hatten, und drückte darin seine Entrüstung darüber aus, immer noch in Deutschland hinter Stacheldraht sitzen zu müssen: Zur gleichen Zeit wurde auch energisch an einer Statistik gearbeitet, Registrierung und Zählung der Überlebenden. Und ein hartes Urteil fiel: Sche’erit Hapleta! Ohne Illusionen, Hoffnungen. So viele seid ihr noch. Und hier habt ihr das Fazit. Und Wohnorte bekommt ihr – Lager! Wenn ihr, kleine Juden, doch – Gott behüte – keine Menschen ermordet, nicht einmal vornehm vergast habt, was soll dann dieses freie Herumlaufen, das Wohnen in möblierten Zimmern, oder sogar in ganzen Wohnungen? Alles ist möglich mit den Semiten-Katzetlern. Am Ende treiben sie sich noch auf solchen heiligen Gassen wie denen Landsbergs herum! Es reicht doch schon, dass es passieren kann, dass in diesem abgelegenen Winkel der Blick eines noblen Stadtbürgers auf die Fratze von irgendjemandem dort fallen könnte, – ist es nicht für einen der beiden ein Stich ins Herz? Und gibt es denn einen Grund für diese jüdische Frechheit? In einem schlechten schen August 1945 und März 1946 von 300 auf über 1300 Bewohner an und war somit eines der mittelgroßen Lager in der Amerikanischen Besatzungszone. Siehe Fun di yidishe lagern in Daytshland, in: Undzer veg, 22. 3. 1946. 79 Vaks, Shamai, Af der fray, in: Af der fray, Dezember 1945. 80 Ebd.

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Moment kann, Gott behüte, noch jemandem einfallen, ins benachbarte München wegzurennen, in die „Hauptstadt der Bewegung“ selbst! – Kusch-Kusch, ins Lager hinein, zurück – in den Hühnerstall! Genau so, mit einer ehrwürdig-demokratischen Wache, mit standardisiertem Stacheldraht, wie denn sonst? Judenpack seid ihr! Wart ihr während der vergangenen Jahre etwa an ein weicheres Panorama und an Besseres gewöhnt? Bleibt hier sitzen und wartet. Zeit – haben wir.81

Während der ersten Monate nach der Befreiung hatte die Resignation zugenommen. Je länger die Erwartung, jetzt sofort in den Mittelpunkt des weltpolitischen Interesses zu gelangen, nicht erfüllt wurde, desto größer wurde die Enttäuschung über die eingeschränkte Hilfe aus dem Ausland. Zwar waren nach dem Harrison-Bericht im Herbst 1945 erste entscheidende Verbesserungen eingetreten, aber die Einsatzstruktur der internationalen Hilfsorganisationen war weiterhin unzureichend. Seit Mitte 1945 war die UNRRA mit einigen Hundert Hilfsteams in Europa tätig und hatte im November unter der Kontrolle der SHAEF82 offiziell die Verwaltung der Camps übernommen. Sie koordinierte auch die Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Joint Distribution Committee, das im August 1945 seine Arbeit in Deutschland aufnehmen konnte.83 Für viele Belange blieben aber nach wie vor die amerikanischen Truppen zuständig. Von Seiten der Armee war die generelle Bereitschaft, die jüdischen DPs zu unterstützen, jedoch oft gering. Die Soldaten, auch die jüdischen, waren in der Konfrontation mit den psychisch und physisch gezeichneten Opfern des Nationalsozialismus überfordert und wurden dafür von den DPs heftig kritisiert: „Dutzende Probleme [. . .] könnten leicht gelöst werden, hätten die jüdisch-amerikanischen Soldaten der verschiedene Ränge Verständnis für uns und die Absicht uns zu helfen“, kommentierte Levi Shalitan.84 Doch auch UNRRA und Joint fehlte es an geschulten Mitarbeitern, die mit den Symptomen dessen, was heute als posttraumatische Belastungsstörung bekannt ist, umzugehen wussten. Atina Grossmann macht zu Recht darauf aufmerksam, dass man angesichts der Sakralisierung der Überlebenden, wie

81 Der Text, so eine Anmerkung des Autors, wurde bereits wenige Monate nach der Befreiung verfasst. Siehe: Kaplan, Israel, Hayflekh shpliter, in: Shriftn far literatur, 45–61. Der Erstabdruck erschien in Undzer veg in den Ausgaben vom 19. 10. 1945, 7. 12. 1945 und 22. 3. 1946. Eine teilweise hebräische Übersetzung wurde im Mai 1946 in einem Sonderheft der Zeitung der Jüdischen Brigade zu den Schriftstellern der Sche’erit Hapleta publiziert: Kaplan, Israel, Prachim, prachim. . ., in: Hechajal, 17. 5. 1946. 82 Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force. 83 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 12; zu den Spezifika der Flüchtlingspolitik in Bezug auf die jüdischen Displaced Persons siehe: Jacobmeyer, Jüdische Überlebende. 84 Shalitan, Levi, Fun undzer seyder-hayom, in: Undzer veg, 19. 10. 1945.

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sie heute stattfindet, nicht vergessen soll, wie unromantisch, unattraktiv und fremd die DPs auch auf diejenigen wirkten, die ihnen helfen wollten.85 Apathie und Nervosität, mangelnde Hygiene und Aggressivität waren Verhaltensmuster, welche die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen in ihrem Umgang mit den Überlebenden verunsicherten und irritierten.86 „Noch macht[e] die Welt keinen Eindruck“,87 noch war die Erinnerung an die dunkle Vergangenheit überall präsent: Im Lager Feldafing beispielsweise wurden kaum Lampen genutzt und Glühbirnen wurden mit Karton abgedeckt, um das Licht zu dämpfen. „We lived“, so Simon Schochet, „as subterranean creatures for so long that it will take us a while to come out of our weasel-like existence.“88 Für die Lagerbewohner war das einzig sichtbare Zeichen internationalen Interesses oft nur die Durchreise von Delegationen. Sie gehörten schon bald zum Lageralltag und vertieften die Kluft zwischen Befreiern und Befreiten noch zusätzlich. Irving Heymont, Kommandant des DP-Lagers Landsberg, schrieb im Oktober 1945 in einem Brief nach Amerika, als wie entwürdigend die Visiten internationaler Besucher von den Lagerbewohnern wahrgenommen werden mussten: It must be intensely degrading and humiliating to them to have strangers barging into their miserable rooms and looking around with an obviously critical attitude. That there is much to criticize is immaterial. The fact that they are subject to unexpected inspections must be galling. Some visitors stalk into rooms unannounced and open lockers and closets as though the people did not exist.89

Levi Shalitan, dessen journalistische Arbeit ohnehin stets von einem bitteren Ton geprägt war, äußerte sich nur selten positiv zu den Anstrengungen ausländischer Hilfsorganisationen. In seinen Leitartikeln, die regelmäßig in der offiziellen Zeitung des Zentralkomitees, Undzer veg, erschienen, beklagt er wiederholt, dass die Hilfspakete aus Amerika, welche die Juden in Deutschland erreichten, zwar Kleider und Geldspenden enthielten, der erhoffte persönliche Kontakt aber ausbleibe: „So kommen Dutzende Delegaten und Delegätchen aus Amerika [. . .] und ihr Auftrag ist überhaupt nicht befriedigend, nicht für uns und nicht für ihre Auftraggeber. So sieht die Lage Monate nach unserer Befreiung aus. Der große Kontakt, den wir mit unseren Brüdern jenseits des Meeres erhoffen dürfen, existiert noch nicht.“90 In einem offenen Brief an den jiddischen Schriftsteller H. Leyvik in New Grossmann, Jews, Germans, and Allies, 148. Ebd., 149–153. 87 Frankl, . . . trotzdem Ja zum Leben sagen, 141. 88 Schochet, Feldafing, 33. 89 Heymont, Among the Survivors, 43. 90 Shalitan, Levi, Fun undzer seyder-hayom, in: Undzer veg, 28. 12. 1945; auch in Af der fray klang es ähnlich: „Eine Kommission kommt und schreibt, eine zweite Kommission kommt und 85 86

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York zeigte sich Shalitan im März 1946 zutiefst besorgt über das Desinteresse der amerikanisch-jüdischen Öffentlichkeit an den Problemen und der Zukunft der Sche’erit Hapleta: „Wie lange kann man so leben? Was soll aus dieser Menschenmasse werden, die aus einem Lager heraus- und ins nächste hineingeführt wurde. Und selbst wenn es ein besseres Lager ist? Wie lange können Menschen, die sich nach Freiheit sehnen, auf faulenden Strohsäcken in Kasernen leben [. . .]?“ Er bezichtigte die Amerikaner einer tiefen Unkenntnis, die dazu führe, dass die Moral der Sche’erit Hapleta, die Majdanek und Treblinka ausgehalten habe, nun zu zerbrechen drohe. Auf Grund der Berichterstattung in der jiddischen Presse in New York schien es ihm unmöglich, dass man dort auch nur ansatzweise das Ausmaß der Situation begreifen könne. Doch die größte Tragödie liege nicht in der Tatsache, dass dort weder ausreichende Informationen über die Lebensbedingungen in den Lagern noch über den Antisemitismus in Deutschland verfügbar seien, so Shalitan, sondern darin, dass sich die Welt – auch die jüdische – anscheinend damit abgefunden habe, dass die Sche’erit Hapleta aus Lagerjuden bestehe: „Es kommen Kommissionen, vermessen die Größe der Baracken und Kasernen [. . .]. Aber keiner will uns aus den Lagern herausholen.“91 Die Berichterstattung in der internationalen jiddischen Presse war nicht ganz so vage wie Shalitan behauptete. Sie bemühte sich im Rahmen des Möglichen, individuelle Schicksale der Überlebenden zu dokumentieren. In der größten jiddischen Tageszeitung New Yorks, dem Forverts, wurden regelmäßig Berichte über die Lager in Deutschland und Namenslisten der Überlebenden veröffentlicht. Sobald die Einreise ausländischer Journalisten nach Deutschland erlaubt wurde, engagierte die Zeitung einen speziellen Korrespondenten. Zusammen mit einer Gruppe internationaler Journalisten erreichte der aus Polen stammende Journalist Marian Gid (Yisroel Moskovski), der während des Kriegs in London gelebt hatte, bereits im Juni 1945 das befreite KZ Buchenwald.92 Seine Artikel und Bilder wurden während der folgenden Wochen regelmäßig im Forverts veröffentlicht. Aus finanziellen Gründen konnte sich die Zeitung aber keinen ständigen Korrespondenten in Deutschland leisten:93 Die Zeitung hatte in der Zwischenkriegszeit einen großen Teil ihrer Leser eingebüßt und musste ihre Auflage drastisch verringern.94 Gid, überwältigt von den Realitäten der Sche’erit

schreibt und bei uns bleibt es so, wie es gewesen ist.“ (Vaks, Shamai, Af der fray, in: Af der fray, Dezember 1945). 91 Shalitan, Levi, Fun undzer seyder-hayom, in: Undzer veg, 1. 3. 1946. 92 Gid, Marian, A yidisher shrayber bazukht Bukhnvald un shraybt a serye artiklen spetsyel far dem „forverts“, in: Forverts, 12. 6. 1945. 93 YIVO 1139, Folder 75, Marian Gid an Hillel Rogoff, London, 2. 4. 1946. 94 Zwischen 1920 und 1940 nahm die ursprüngliche Auflage von fast 200.000 um 50 Prozent ab. Vgl. Weissberger, The Rise and Decline, 499.

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Hapleta, blieb trotzdem. Während der folgenden Jahre waren seine Artikel nicht nur in der internationalen jiddischen Presse, sondern auch in der DPPresse in der Britischen und Amerikanischen Besatzungszone zu lesen. In den ersten Monaten bestanden die Informationen in der amerikanischjiddischen Presse daher vorwiegend aus Berichten von jüdischen Truppenangehörigen, die in Deutschland stationiert waren, oder wurden aus der New York Times übernommen. Letztere zeigte sich aber weniger interessiert an den individuellen Schicksalen der Überlebenden, sondern verfuhr in ihrer Berichterstattung hierarchisch: Nur öffentliche Personen wie deutsche Politiker, britische oder amerikanische Armeeangehörige wurden zu Subjekten von Nachrichtenmeldungen, während Juden als passive Objekte dargestellt blieben.95 Ein überwiegender Teil der Informationen zum Flüchtlingsproblem in Deutschland, die den Lesern im Forverts zugänglich gemacht wurden, erreichte die Redaktion durch das Jewish Labor Committee. Diese Gewerkschaftsorganisation, 1934 mit dem Ziel gegründet, jüdische Flüchtlinge in Europa zu unterstützen, führte ihre Arbeit auch nach Kriegsende fort, indem sie sich für den Wiederaufbau jüdischer Gemeinden in Europa, die materielle Unterstützung der Flüchtlinge, aber auch für erleichterte Einwanderungsbedingungen in die USA einsetzte. Das JLC hatte im Forverts eine regelmäßige Spalte für seine eigenen Bekanntmachungen. Neben den Namenslisten, die über das JLC nach New York gelangten, konnten so auch Briefe von Überlebenden abgedruckt werden, die eine kritische Innenperspektive zur Lage der jüdischen DPs boten und den Lesern in den USA damit Informationen bereitstellten, die in anderen Sprachen nicht greifbar waren. So wurde im Januar 1946 ein Brief aus Feldafing veröffentlicht, in dem von der katastrophalen Versorgungslage im DP-Lager die Rede war. Ein gleichzeitig abgedruckter zweiter Brief, verfasst von der Lagerverwalterin, bestätigte in abgeschwächter Form die Aussagen.96 Für die Leser in den USA besonders wichtig waren die Namenslisten der Überlebenden, die fast in jeder Nummer zu finden waren. Die Platzierung der Artikel und Listen vermochte den Unwillen der DPs jedoch vermutlich zu steigern: Die Namenslisten verschwanden schon nach einigen Wochen von den Titelseiten und fanden ihren festen Platz im untersten Drittel der Satireseite. Und ein Bericht über die erste jiddische Zeitung in Deutschland, Tkhies hameysim, wurde neben der traditionellen Lebenshilfekolumne Bintl briv abgedruckt.97 Leff, Buried by the Times, 317. Vos hert zekh inem kontsentratsye-lager (sic!) Feldafing?, in: Forverts, 18. 1. 1946. In diesem Brief, einer erschütternden Anklage gegen die Militärregierung, UNRRA und Joint, hieß es unter anderem, dass jüdische Frauen aus Not in die Prostitution getrieben würden. 97 Tkhies hameysim, in: Forverts, 8. 6. 1945. 95 96

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1.3. „Much more help is needed“ – Verständnis und Missverständnis In den jiddischsprachigen Kreisen der USA, mit ihrem starken Bezug zu osteuropäisch-jüdischen Traditionen, diskutierte man, wie der geistige Hunger der DPs zu stillen sei. In der Vorkriegszeit habe man ständig von der „geistigen Physiognomie“, dem Bildungsdrang der osteuropäischen Juden trotz schwieriger ökonomischer Verhältnisse gesprochen, jetzt habe man nur noch die physische Rehabilitation der Überlebenden im Sinn, kritisierte die amerikanisch-jüdische Sängerin Emma Shayver.98 Ihre Kritik blieb nicht ergebnislos. Im April 1946 reiste sie zusammen mit dem jiddischen Schriftsteller H. Leyvik und dem hebräischen Schriftsteller Israel Efros im Auftrag des Jüdischen Weltkongresses nach Deutschland. Der Besuch dieser Kulturdelegation fand zu einem Zeitpunkt allmählicher Stabilisierung und zunehmender innerer Organisation der Sche’erit Hapleta statt. Drei Monate zuvor hatte der erste Kongress der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone im Münchener Rathaus stattgefunden. Daran teilgenommen hatten 112 Repräsentanten der überall in der Besatzungszone entstandenen Lokalkomitees, prominente Gäste wie David Ben-Gurion und Nachum Goldmann sowie Regierungsvertreter und Vorsteher der Hilfsorganisationen. Auf ihrer Reise wurden den Delegierten Schulen in Föhrenwald und Frankfurt, der Kibbuz auf dem Gutshof des Stürmer-Herausgebers Streicher und ein Kinderheim vorgeführt, wie auch Begegnungen mit der jüdischen Lagerpolizei und mit Sportvereinen organisiert. Shayver, Leyvik und Efros zeigten große Bewunderung für die Holocaust-Überlebenden, ihre wieder erwachenden Kräfte und die Ablehnung der „blutigen Erde“ Deutschlands. Während die Sängerin aber mit einer objektiv kritischen Haltung auch die Schattenseiten der Sche’erit Hapleta wie den Schwarzmarkt schilderte,99 überwog in Leyviks Bericht, der unmittelbar nach der Reise als Fortsetzungsreihe in der amerikanisch-jiddischen Zeitung Der tog (Der Tag) veröffentlicht wurde, eine Heroisierung der DPs. Die Kulturdelegation wurde überall mit Begeisterung empfangen. Die Theatersäle der Camps waren übervoll, und die Aufzeichnungen der drei Besucher zeugen vom tiefen Eindruck, den die unmittelbare Begegnung mit den Überlebenden, die persönlichen Gespräche, hinterließen.100 Emma Shayver beschrieb die Begegnung folgendermaßen: „Wir hatten nicht den Mut, den Menschen in die Augen zu schauen. Jedes Gesicht war doch gezeichnet von Sorgen und Leid, die sie durchgemacht hatten, und nun, als sie Shayver-Lazarov, Mir zenen do, 12. Shayver-Lazarov, Mir zenen do, 41 f. 100 Efros, Heymloze yidn; Leyvik, Mit der sheyres hapleyte; Shayver-Lazarov, Mir zenen do. 98 99

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wieder ein jiddisches Wort hörten, erlebten sie ihr vergangenes Leben noch einmal und das, was aus ihnen geworden ist. [. . .] Leyvik konnte es nicht ertragen. Er ist zunächst zusammengebrochen.“101 Diese unmittelbare Konfrontation mit den Überlebenden war für Leyvik ein Schlüsselerlebnis in der Beschäftigung mit dem Holocaust und seiner Auseinandersetzung mit der Sche’erit Hapleta in seinen literarischen und journalistischen Arbeiten der folgenden Jahre. Er wurde zum ständigen Mitarbeiter der DP-Presse und auch nach der Auflösung der jüdischen DPLager in Deutschland schrieb er weiter zu Themen jüdischer Existenz in Deutschland. Der DP-Schriftsteller Yitshok Goldkorn verlieh ihm in seinen literaturkritischen Essays den Titel eines „Ehren-DPs“102 – ein Identifikationsangebot, das Leyvik dankend annahm. Stellte er doch am Ende seiner Reise nach Deutschland fest: „Wir sind als Amerikaner, als jüdische Dichter, zu den Lagerjuden gekommen und fahren als jüdische DPs zurück. Wir nehmen den Titel mit Stolz an.“103 Als die Delegation nach den vereinbarten sechs Wochen eine Verlängerung des Aufenthaltes beantragte, wurde sie von der UNRRA abgewiesen. Levi Shalitan konstatierte, dass diese Form des Abschieds für Leyvik, der sich so sehr mit der Sche’erit Hapleta identifiziert hatte, eine gewisse Erleichterung bedeutete: Er reiste nicht ab, weil seine Mission beendet war, sondern weil er dazu gezwungen wurde.104 Rückblickend waren für Leyvik die Schwierigkeiten, mit denen er sich vor und während der Reise konfrontiert sah, notwendig, um den Besuch der Kulturdelegation nicht zu einer „touristischen Groteske“ werden zu lassen.105 Als H. Leyvik bei den befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone eintraf, war er dort kein Unbekannter. Bereits in der Zwischenkriegszeit hatte er als Dichter sowohl in den USA als auch in Europa einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Sehr früh setzte er sich poetisch mit dem Holocaust auseinander und veröffentlichte seine Gedichte in den beiden New Yorker Zeitungen Der tog und Forverts, welche in geringer Zahl auch in den DP-Camps zur Verfügung standen. Auszüge aus seinem bereits 1945 unter dem Titel In Treblinke bin ikh nisht geven (Ich war nicht in Treblinka) publizierten Gedichtband wurden im Januar 1946 in Undzer veg abgedruckt.106 Bereits einen Monat früher hatte Levi Shalitan unter dem Titel Un az ikh bin in Treblinke yo geven, iz vos? (Und wenn ich doch in Treblinka Shayver-Lazarov, Mir zenen do, 35. Goldkorn, Literarishe siluetn, 47. 103 Leyvik, Mit der sheyres hapleyte, 299. 104 Shalitan, H. Leyvik, 13. 105 Leyvik, Mit der sheyres hapleyte, 23. 106 H. Leyvik, A Treblinke-kandidat, in: Undzer veg, 4. 1. 1946. Die Gedichte erschienen erstmals Januar 1945 in der Zeitschrift Tsukunft (Zukunft) und im selben Jahr auch in Buchform: Leyvik, In Treblinke bin ikh nisht geven. 101 102

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war, was ist dann?) in poetischer Form die Frage nach der Authentizität der Erinnerung und den Grenzen der Sprache nach dem Holocaust aufgeworfen.107 Und in einer Rezension einige Tage danach definierte er die osteuropäischen Juden – nicht aber die amerikanischen Juden, denen laut Shalitan das Jiddische längst unvertraut war – als Adressaten und Leser von Leyviks Gedichten: „Tatsächlich war Leyvik nicht in Treblinka, aber seine Millionen Leser wurden dort verbrannt.“ Für die Sche’erit Hapleta, die Überlebenden, seien Leyviks Zeilen Trost, für die Umgekommenen gleichsam ein Grabstein.108 Natürlich lässt sich die Meinung Shalitans, eines glühenden Verehrers Leyviks, nicht verallgemeinern, doch trug der Aufenthalt in Deutschland und der direkte Kontakt mit den DPs sicherlich zu seiner Popularität bei. Für den Dichter war diese Reise auch eine Form der Legitimation seiner künstlerischen Arbeit. Einige Monate nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten schickte er der Redaktion von Undzer veg ein Gedicht mit dem Titel Kh’hob Dakhau oykh shoyn gezen (Dachau habe ich auch schon gesehen) zu.109 Vor seiner Abreise nach Europa wurde Leyvik vom jiddischen Schriftstellerverband in New York, dem Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, als offizieller Vertreter bestätigt. Er wurde bevollmächtigt, im Auftrag des Vereins Erkundigungen über die kulturelle Situation in den jüdischen Gemeinden in Deutschland einzuholen und Empfehlungen zur Verwendung von Hilfsgeldern zu machen.110 Schon Monate vor dem Besuch der Kulturdelegation hatte sich der Verband für die Einrichtung einer Druckerei im DP-Lager BergenBelsen in der Britischen Besatzungszone Deutschlands eingesetzt.111 Und durch seine Vermittlung schickte die hebräische Schriftsetzergewerkschaft in Amerika im März 1946 unentgeltlich 115 Kilo jiddischer Drucktypen nach Deutschland.112 Um die Hilfsaktionen auf einer breiteren Basis durchführen zu können, rief der Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, der schon in den 20er Jahren jiddische Schriftsteller in Polen unterstützt hatte,113 zusammen mit dem jüdischen P. E. N.-Club im November 1946 einen Hilfsfonds ins Leben (Retungs fond far yidishe pleytim shrayber/Rescue Fund for Jewish Refugee Writers), welcher sich zum Ziel setzte, 50.000 Dollar zu sammeln. Im Vorstand und im Komitee waren fast alle führenden jiddischen 107

Shalitan, Levi, Un az ikh bin in Treblinke yo geven, iz vos?, in: Undzer veg, 30. 11. 1945. Shalitan, Levi, Shures shtile, in: Undzer veg, 7. 12. 1945. Eine ähnliche Haltung findet sich auch in Goldkorn, Yitskhok, „In Treblinke bin ikh nit geven“. Vegn H. Leyviks bukh, in: Bafrayung, 12. 9. 1947. Zur Definition und Stellung der Holocaust-Literatur siehe Kapitel 3.1. 109 H. Leyvik, Kh’hob Dakhau oykh shoyn gezen, in: Undzer veg, 21. 2. 1947. 110 YIVO 701, Box 26, Hendin, Opatoshu, Rivlin (ohne Adressat), New York, 25. 3. 1946. 111 Siehe FN 64 in diesem Kapitel. 112 YIVO 701, Box 27, Maurice Jacobs, Jewish Publication Society and Louis Hendin, Philadelphia, 8. 4. 1946. 113 Cohen, Sefer, 196. 108

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Schriftsteller und Journalisten in den Vereinigten Staaten – vom Poeten Arn Glants-Leyeles, dem Literaturkritiker Shmuel Niger, den Poeten H. Leyvik und Ruven Ayzland, den Prosaikern Y. Y. Trunk und Dovid Pinski bis hin zum Historiker Jakob Shatzky vertreten. Bittbriefe wurden verschickt, um Gelder mit dem Ziel einzuwerben, dem „kleinen Rest der vormals großen jiddischen Schriftstellerfamilie jenseits des Atlantiks“ ein normales Leben und eine Rückkehr in ihren Beruf zu ermöglichen.114 Lokale jüdische Vereinigungen organisierten in zahlreichen Städten in den USA und Kanada Sammelaktionen.115 Alle oben genannten Mitglieder des Rettungsfonds hatten nicht nur ihre künstlerischen und wissenschaftlichen Wurzeln in der osteuropäisch-jiddischen Tradition, sie alle waren noch in Europa geboren. In den Aufrufen an unzählige Organisationen wird deutlich, wie sehr sich die Schriftsteller in den USA für das Schicksal ihrer Kollegen in Europa, die sie teilweise persönlich kannten, interessierten. In einer Bittschrift vom Januar 1947 hieß es: But much more help is needed. These men and women must be helped to places of security, where they may work unhampered. Many of them have managed to write even under the inhuman conditions of Nazi tyranny. These works belong to the entire Jewish people, and they must see the light of day. All of them are highly talented, and burning with the fervent desire to devote themselves again to enrich our Jewish culture and literature. They must be given the means to publish their own, as well as the manuscripts of those who have perished. Newspapers must be printed [. . .] books published [. . .] libraries restored [. . .] the many facets of Jewish culture brightened.116

Der Y. L.-Perets-Schriftstellerverband und der Rettungsfonds unterstützten Einzelpersonen und jiddische Institutionen in verschiedenen europäischen Ländern, in Shanghai, Südamerika, den USA und Kanada, wobei der Löwenanteil auf Polen und Frankreich entfiel, wo sich die größte Zahl namhafter Publizisten und Schriftsteller aufhielt und wo – so erhoffte man es sich – auch in Zukunft Bücher und Zeitungen erscheinen würden. Die für Deutschland aufgewendeten Summen lagen deutlich unter den Zuwendungen für Polen: Zwischen 1946 und 1948 stellte der Rettungsfonds gut 430 Dollar zur Verfügung, weitere 942 Dollar kamen aus einem Sonderetat des Schriftstellerverbandes hinzu.117

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YIVO 701, Box 27, Hendin, Arn Glants-Leyeles (ohne Adressat), New York, 8. 11. 1946. Z. B. ebd., Arn Glants-Leyeles an Meylekh Ravitsh, Yidishe Bibliotek Montreal, New York, 19. 11. 1946. 116 Ebd., Rescue Fund an David Dubinsky, International Ladies’ Garment Workers Union, 9. 1. 1947. 117 Ebd., Germany, [1948]. 115

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Bibliotheken, um den Hunger nach Büchern zu stillen Neben dem Y. L.-Perets-Schriftstellerverband begann sich auch das Jewish Labor Committee nicht nur für die materielle, sondern auch für die geistige Versorgung der DPs einzusetzen. Nachdem sie bereits im Frühjahr 1945 erste Büchersendungen nach Europa geschickt hatte, beschloss die Gewerkschaftsorganisation, ihre philanthropische Arbeit zu systematisieren und zu erweitern. Zu diesem Zweck rief sie Mitte Juli 1945 zur Gründung eines Jüdischen Bücherfonds auf.118 Wie auch die Organisatoren des Rettungsfonds hatten leitende Exponenten des JLC durch den Holocaust ihre kulturelle und politische Heimat verloren. Der Generalsekretär des JLC, Jacob Patt, war erst ein Jahr vor Kriegsausbruch in New York angekommen und war zuvor als Bund-Mitglied in Polen aktiv gewesen.119 Auch in seinen Spendenaufrufen wandte das Jewish Labor Committee eine ähnliche Rhetorik wie der Y. L.-Perets-Schriftstellerverband an, indem an die moralische Pflicht erinnert wurde, sich am Wiederaufbau von Bibliotheken und Schulen zu beteiligen: Die Nazis haben auf den Scheiterhaufen zusammen mit den Juden auch die jüdischen Bücher verbrannt. Die am Leben gebliebenen Juden bauen ihr Leben wieder auf und fordern uns auf, ihren geistigen Hunger zu stillen. Jüdische Schulen werden wieder geöffnet. Sie fordern von uns Kinderliteratur. Neue jüdische Gemeinden verlangen von uns jüdische Bibliotheken. Helft uns, die Forderungen der überlebenden Juden zu befriedigen; helft uns dabei, jüdische Bibliotheken zu schaffen, gewidmet dem Andenken der heiligen Märtyrer in den Ghettos. Wir bitten Euch auf brüderliche Weise, Eure heilige Pflicht zu erfüllen und Euch am Bücherfonds zu beteiligen.120

Es scheint aber, als habe der Bücherfonds die jüdischen DPs nur punktuell unterstützt.121 Seine Aktionen beschränkten sich bis 1948 fast ausschließlich auf Frankreich, Rumänien, Polen und Belgien.122 Was die Beweggründe dafür waren, ist aus den Dokumenten nicht ersichtlich, sie mögen aber damit zusammenhängen, dass das Arbeiterkomitee ideologisch und personell dem Bund nahe stand. Dieser war in Deutschland – anders als in Polen oder Frankreich – nur mit einer sehr geringen Zahl an Mitgliedern vertreten und 118 Tamiment Wagner 127, Box 1, JLC (Adolf Held), 11. 7. 1945; ebd., Bikher far yidn in Eyrope, o. J. 119 Blatman, For Our Freedom and Yours, 121. 120 Ebd. 121 So waren beispielsweise Ende 1945 Bücherpakete an das DP-Lager Feldafing geschickt worden. Siehe: Vos hert zekh inem kontsentratsye-lager (sic!) Feldafing?, in: Forverts, 18. 1. 1946. 122 YIVO 1400, JLC, Box 7, Institutsyes in Eyrope oysgehaltn durkh dem yidishn arbeter komitet, September 1947.

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konnte sowohl organisatorisch als auch ideologisch nicht mit den dominierenden zionistischen Bewegungen konkurrieren.123 Allerdings richtete das JLC 1949, als viele DP-Camps bereits geschlossen worden waren, in Stuttgart, München und Bad Reichenhall neue Bibliotheken ein.124 Wenngleich das Jewish Labor Committee in der Regel keine Publikationsprojekte unterstützte, machte es in einem Fall eine Ausnahme: Der junge Lehrer Chone Shmeruk hatte 1948 in Stuttgart begonnen, Nachdrucke aus der klassischen jiddischen Literatur herzustellen. Damit versuchte er, den damals nach wie vor eklatanten Mangel an geeignetem Lesematerial zu lindern. Das JLC honorierte das Engagement mit regelmäßiger finanzieller Unterstützung des kleinen Verlages Yidishe bibliotek (Jiddische Bibliothek).125 Laut Shmeruk, der seit den 60er Jahren an der Hebräischen Universität in Jerusalem als Jiddischprofessor wirkte, waren die einfach hergestellten Nachdrucke, die Auflagen zwischen 2000 und 4000 Stück erreichten, jedes Mal innerhalb weniger Wochen vergriffen. Und dies, obschon lediglich die Bund-Exekutive in Deutschland beim Vertrieb half. Dies erklärte er damit, dass die Bücher, die aus dem Ausland eintrafen, oft die kleineren Gemeinden nicht erreichten und nicht selten in den Räumen der Selbstverwaltungsorgane in München verstaubten.126 Der Joint, der seine Tätigkeit in Deutschland seit Anfang 1946 zunehmend verstärken konnte, plante im April, in Zusammenarbeit mit den lokalen Kulturämtern, in allen größeren DP-Camps und Gemeinden Lesesäle mit Zeitungen, Referenzwerken und Lesematerial einzurichten. Jeder Saal sollte eine minimale Ausstattung mit Möbeln bekommen und durch eine Bibliothekskommission und einen Bibliothekar verwaltet werden. Für religiöse Juden sollte zusätzlich ein separates Bejt midrasch, also ein jüdisches Lehrhaus, eingerichtet werden, um im Lesesaal Ruhe zu gewährleisten: „Whereas quiet is essential in an ordinary reading-room, rabbinical students usually carry on their studies in collective fashion and cannot therefore be put together with the users of a regular library.“127 Genaue Angaben über die Lesesäle und die Bestände liegen nicht vor, doch ist anzunehmen, dass sich die Direktive aus Mangel an geeignetem Lesematerial nicht problemlos und vor allem nicht umgehend umsetzen ließ. Die Regale blieben in vielen

Blatman, For Our Freedom and Yours, 197. Siehe auch Kapitel 4.1. und 4.3. YIVO 1400, ME-18, Box 47, Brief an das JLC in New York, Stuttgart, 4. 1. 1949; ebd. Briefkopf für die jiddische Bibliothek in Bad Reichenhall, Bad Reichenhall, 1949. 125 Tamiment 7015, MK 253, Box 86, Tsukunft-organizatsye an Jacob Patt, New York, 27. 1. 1948; ebd., Mendel Tabatshinski an Chone Shmeruk, 22. 3. 1948. 126 Ebd., Shmeruk an JLC, Stuttgart 7. 5. 1948; ähnliche Reihen erschienen auch in Berlin und in Eschwege. 127 YIVO 294.1, Folder 10, General directive for educational program aid in Germany and Austria, 25. 4. 1946. 123 124

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Fällen leer. In einem Brief an die Bund-Exekutive in Deutschland wird beschrieben, wie man im Lager Vilseck einen Lesesaal zu organisieren versuchte: Es gab nur ein paar Bücher und einzelne Seiten von religiösen Büchern (sheymes) [. . .]. Der Kulturleiter war ein galizianischer Misrachist, den es nicht störte, dass die jüdische Kultur und Literatur von Spinnweben überzogen war [. . .]. Nur ich habe meine Aufgabe erfüllt, ich bin daran gewöhnt Bücher zu lesen [. . .]. [Nach den Wahlen] habe ich auf eigene Initiative weiter gearbeitet, und ich wollte einen Lesesaal einrichten und ich habe Regale [und] Tische in einer Baracke aufgestellt, und man musste selber Holz [zum Heizen] mitbringen, wenn man eine Zeitung oder ein Buch ausleihen kommen wollte.128

Als das Zentralkomitee im August 1946 die lokalen Selbstverwaltungsorgane um Aufstellungen über die vor Ort vorhandenen Bücher bat, erhielt es wiederholt abschlägige Antworten. In Heidenheim stand 2000 Bewohnern nichts anderes die Schriften Herzls in deutscher Sprache zur Verfügung.129 In Dachau, wo 500 jüdische DPs in Privatwohnungen untergebracht waren, war der Mangel ebenso massiv. „Bis jetzt schöpfen wir noch aus dem Wissen, das uns von vor dem Krieg geblieben ist. Aber das ist wenig“, ließ der Vorsitzende des dortigen Jüdischen Kulturheims das Zentralkomitee wissen.130 Die Ausstattung der Bibliotheken und die Zusammenstellung der Bücher vermochten die Bedürfnisse der DPs also in keiner Weise zu stillen. Die Kulturabteilung des Jüdischen Weltkongresses schickte Ende 1946 zwar 150.000 Bücher nach Europa. Davon erreichten aber nur 27.500 Deutschland und Österreich.131 Etliche Bücher waren anscheinend durch das YIVO in New York zur Verfügung gestellt worden.132 Die bayerische Regierung stellte 4000 Bücher aus der Judaica-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek zur Verfügung.133 In beschränktem Umfang waren auch ausländische jüdische Zeitungen und Zeitschriften zugänglich.134 In einem Leitartikel

128 YIVO 1400, ME-14B, Box 11, Yudl Basevitsh an Bund-Exekutive Deutschland, Lager Vilseck, o. J. [ca. 1946]. 129 YIVO 294.2, Folder 120, Kultur- und Sportabteilung an Zentralkomitee, Heidenheim, 4. 9. 1946. 130 Ebd., Jüdisches Kulturheim Dachau an Zentralkomitee, Dachau, 30. 8. 1946. 131 Gar, Bafrayte yidn (Teil II), 255; eine weitere Bücherschenkung wurde durch den jüdischen Lehrerverband in Rio de Janeiro gemacht. Siehe: Hebreish-yidishe bikher far der sheyreshapleyte, in: Dos vort, 25. 3. 1947. 132 Pinson, Jewish Life in Liberated Germany, 121. 133 2-ter kongres fun sheyres-hapleyte, 15. 134 Ausländische Presseerzeugnisse waren nur in sehr beschränktem Maße erhältlich. So gibt ein Memo des Joint in Paris vom April 1947 darüber Auskunft, dass die Subskriptionen für die drei wichtigsten amerikanisch-jiddischen Tageszeitungen Forverts, Der tog und Morgn-zhurnal für die Amerikanische Zone verlängert wurden. Insgesamt wurden 2600 Exemplare der drei

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unter dem Titel Bikher, medikamentn, broyt (Bücher, Medikamente, Brot) rief Levi Shalitan die amerikanisch-jiddischen Schriftsteller und Leser erneut zur Verantwortung: Jahrzehntelang habe das osteuropäische Judentum Bücher nach Amerika exportiert, und die amerikanisch-jiddischen Schriftsteller hätten ihre Leser in Europa gefunden. Es sei also nur recht und billig, dass das amerikanische Judentum nun dieses Pfand auslösen sollte; es sei den Überlebenden mehr schuldig als alte Kleider.135 Um den massiven Mangel an Lesematerial etwas zu lindern, stellte Koppel S. Pinson – zu diesem Zeitpunkt in der Erziehungsdirektion des Joint tätig – im November 1945 bei General Lucius D. Clay, dem Oberkommandierenden der U. S.-Streitkräfte, den Antrag, aus dem so genannten Offenbacher Archiv-Depot 25.000 Bücher für die DP-Camps zu beziehen.136 In Kisten war dort Raubgut aus ganz Europa gelagert: Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen, die während der Kriegsjahre systematisch geplündert und nach Deutschland transferiert worden waren – darunter auch immense Bestände der jüdischen Bibliotheken in Vilnius.137 Doch erst nach der Intervention des Advisors for Jewish Affairs bei der amerikanischen Regierung, Simon H. Rifkind, wurde der Antrag genehmigt.138 Damit hatte Pinson sein wichtigstes Ziel als Educational Director des Joint erreicht. In seinen anderen Funktionen – als Sekretär der Kommission für „European Jewish Cultural Reconstruction“ und als von Max Weinreich autorisierter Vertreter des New Yorker YIVO – dagegen begann die Arbeit erst jetzt in den Bemühungen um die Restitution der Bestände.139 Zeitungen nach Deutschland geschickt. Siehe YIVO 294.1, Folder 396, Melvin S. Goldstein and AJDC München ‚Subscriptions to Forward, Day and Journal‘, 2. 4. 1947; ebd., Charles Malamuth an AJDC München, Yiddish Newspapers Published Outside Germany, 25. 8. 1947. Zu Jahresbeginn 1949 waren die wichtigsten amerikanisch-jüdischen Zeitungen und Zeitschriften in bis zu 500 Exemplaren verfügbar. Aus Israel wurden ungefähr 600 Exemplare wöchentlich eingeführt. Vgl. Khronik: Kultur-amt bam ts.k./Shrayber farband, in: Hemshekh II (1949), 62. 135 Shalitan, Levi, Fun undzer seyder-hayom. bikher, medikamentn, broyt, in: Undzer veg, 8. 3. 1946. 136 YIVO-DPG 294.1, Folder 414, A Report on Jewish Cultural Treasures and Their Part in the Educational Program of the AJDC. Report von Koppel Pinson. 137 Yitskhok Levin, der Anfang 1946 diese Bestände – Bücher, Archive, Torarollen – einsehen durfte, bezeichnete dies als eindrucksvollstes Erlebnis auf seiner Reise durch Deutschland: „Ich hatte den Eindruck, als ob das ganze jüdische Martyrium der letzten Jahre auferstanden war. Denn es gibt keine einzige jüdische Gemeinde, die hier nicht vertreten ist.“ Siehe Levin, Yitskhok, Gaystike yidishe oytsres fun natsishn royb, in: Undzer veg, 8. 2. 1946. 138 YIVO 294.1, Simon H. Rifkind an Lucius Clay, o. D.; ebd., Bryan L. Milburn an Simon H. Rifkind, 12. 1. 1946. 139 Ebd., A Report on Jewish Cultural Treasures and Their Part in the Educational Program of the AJDC. Report von Koppel Pinson. Von seiner Lobbyarbeit, in der es vornehmlich um Aufklärung und Information für die verschiedenen Interessensgruppen in den USA und Palästina ging, zeugen die Briefwechsel mit dem Historiker Salo W. Baron und dem Rektor der Hebräischen Universität in Jerusalem, Judah Magnes. Alle in YIVO 294.1, Folder 414.

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Da für den Joint keine wertvollen Bände aus unidentifizierbaren Beständen zur Verfügung gestellt werden sollten, gestaltete sich die Arbeit sehr viel aufwändiger als geplant: Für die Auswahl der ersten 20.000 Bände mussten insgesamt 300.000 Bücher durchgesehen werden, was zwei volle Monate in Anspruch nahm. Um die Bedürfnisse der verschiedenen politischen und religiösen Gruppierungen der Sche’erit Hapleta zu befriedigen, wurden für die Auswahl verschiedene Kategorien festgelegt.140 Von Seiten der DPs war der Beifall für diese Arbeit groß. In einem Bericht an den Joint sprach Pinson davon, dass sie die Verteilung der Bücher mit unglaublichem Enthusiasmus begrüßten, und hob die Bedeutung der so durch den Joint geschaffenen oder erweiterten Bibliotheken hervor: These library collections for the first time provide the cultural leaders in each camp and community with rich and valuable materials for carrying on educational and cultural work. It has already served to stimulate more vigorous activity in many places. The prestige of AJDC and above all the position of the AJDC worker in each camp has been considerably heightened by this distribution. A substantial and weighty contribution such as this, brought in by AJDC, serves to impress upon the Jews in the various camps that AJDC is not cold to their religious, spiritual and cultural needs.141

Im Sommer 1946 stellte Pinson den Antrag, weitere 25.000 Bücher für die Interessen der DPs in Offenbach zusammenzustellen. Als seine Nachfolgerin, die Joint-Mitarbeiterin Lucy Schildkret (die spätere Historikerin Lucy Dawidowicz) die Arbeit wieder aufnehmen wollte, wurde ihr durch die Militärregierung jedoch mitgeteilt, dass der Antrag einstweilen nicht genehmigt sei. In einem vertraulichen Schreiben an Max Weinreich, dem damaligen Direktor des YIVO in New York, spekulierte sie über die Gründe, die zu dieser Ablehnung führten: Einerseits waren fünf Kisten mit wertvollsten jiddischen und hebräischen Manuskripten aus dem Archivdepot verschwunden, die Gershom Scholem mit Hilfe des amerikanischen Armeerabbiners Herbert Friedman für die Universitätsbibliothek in Jerusalem aus den Beständen entwendet haben sollte. Andererseits waren auch Informationen im Umlauf, wonach Pinson nicht alle der 20.000 ausgewählten Bände zur Verteilung an DPs weitergegeben, sondern sie für das YIVO nach New York, oder aber für seine eigene Bibliothek nach Amerika geschickt hatte: „Too much has disappeared on the way for the loss to be accidental. There is a lot of talk about Pinson [. . .] having collected a private library for himself. If YIVO never received anything through him, then there is little question in

140 Die Kategorien waren: Rabbinica, Nachschlagewerke, Lehrbücher, Jiddische Literatur, Hebräische Literatur und Literatur in anderen Sprachen (inkl. Übersetzungen). 141 Ebd., A Report on Jewish Cultural Treasures and Their Part in the Educational Program of the AJDC. Report von Koppel Pinson.

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my mind that he did.“142 Tatsächlich verstaute Scholem, den eine Reise im Auftrag der Jewish Cultural Reconstruction von Jerusalem im Sommer 1946 auch nach Offenbach geführt hatte, 1100 kostbare Bücher und Manuskripte in Kisten. Aus Angst vor Verlust oder Verkauf auf dem Schwarzmarkt wandte sich Scholem nach seiner Rückkehr nach Jerusalem an Herbert Friedman. Der Chaplain entwedete die Kisten aus dem Offenbacher Archiv-Depot und erreichte, dass sie nach Palästina verschifft wurden.143 Die Vorwürfe gegen Pinson waren möglicherweise zu Unrecht vorgebracht worden und sind in Zusammenhang mit Friedmans Raubaktion zu sehen: Um die von Scholem zusammengestellten Bücher überhaupt aus dem Depot entnehmen zu können, deklarierte dieser sie nämlich als Lesematerial für die DPs und versah die Empfangsbescheinigung mit dem Namen des bereits abgereisten Pinson.144 Nach diesen Verwicklungen waren zähe Verhandlungen mit der amerikanischen Militärregierung nötig, bis Lucy Dawidowicz schließlich zumindest die restlichen 5000 der von Pinson ursprünglich ausgehandelten 25.000 Bände entnehmen durfte. Diesmal verlangte die Militärregierug eine genaue Bibliographie sowie ein Verzeichnis der bisher verteilten 20.000 Bände. Schon zu diesem Zeitpunkt waren die Angaben in den Akten des Joint unvollständig. Lediglich eine Liste der unterstützten Camps war aufzufinden. Ein Teil der Bücher war außerdem unerlaubterweise nach Bergen-Belsen in die Britische Zone gelangt.145 Die Verteilung scheint alles in allem relativ ungeordnet vor sich gegangen zu sein. So war Landsberg wesentlich besser als andere DP-Camps im Distrikt mit Büchern versorgt worden, während der Bamberger Distrikt leer ausging.146 Da es auf Grund dieser unübersichtlichen Verteilungslage und Dokumentation unwahrscheinlich erschien, dass die Leihgaben – obschon mit dem Stempel des AJDC versehen – jemals wieder zurückgegeben würden, stellte Lucy Dawidowicz strenge Kriterien für die Auswahl auf: Entnommen wer-

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AJHS P-675, Lucy Schildkret an Uriel Weinreich, 16. 2. 1947. Zadoff, Reise in die Vergangenheit, 75 f. Dort auch zu den Hintergründen von Scholems

Reise. 144 Friedman, Roots of the Future, 108f; Zu einer leicht abweichenden Version siehe USHMM RG-50.030*0074, Interview with Herbert Friedman, 12. 6. 1992. 145 Dawidowicz, From That Place and Time, 312–314; YIVO 294.1, Folder 403, Brief von Lucy Schildkret an AJDC Frankfurt, 7. 4. 1947: Demnach waren lediglich die DP-Camps Pokking und Neu Freimann der Aufforderung Pinsons nachgekommen, die Bücher zu katalogisieren. 146 Koppel Pinson hatte die Verteilung für dieses Camp eigenmächtig an sich genommen – zum Ärger von Philip Friedman. Einige hundert Bücher waren zu Jahresbeginn immer noch in den Lagerhallen des Joint in München-Schleißheim deponiert: YIVO 294.1, Folder 401, [Philip Friedman] an Koppel Pinson, 1. 2. 1946; ebd., Folder 396, Philip Friedman an Lucy Schildkret [Dawidowicz], 2. 5. 1947.

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den durften nur Schulbücher und Belletristik, die in den USA erschienen waren, und Belletristik aus dem Polen der Zwischenkriegszeit. Letztere aber nur, wenn sichergestellt werden konnte, dass auch in den USA oder Palästina Exemplare davon erhältlich waren. Das war deshalb zentral, weil Werke aus der unmittelbaren Vorkriegszeit oft nur noch in wenigen Exemplaren existierten.147 In Absprache mit dem Chef der Erziehungsabteilung, dem promovierten Historiker und vormaligen Direktor der Jüdischen Historischen Kommission im Nachkriegspolen, Philip Friedman, entwickelte Lucy Dawidowicz einen Plan, der die Verteilung an Institutionen und nicht an Distrikte vorsah. Soweit möglich sollte in der Amerikanischen Zone jeder Institution, die noch keine Bücher besaß, jiddische und hebräische Belletristik zur Verfügung gestellt werden.148 Obschon diese zusätzlichen 5000 Bücher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein waren, zeigte Lucy Dawidowicz nach den bisherigen Schwierigkeiten wenig Interesse daran, sich für einen zweiten Antrag Pinsons über weitere 25.000 Bücher einzusetzen: „I personally would not care if they refused the second application, despite the fact that there is a crying need for reading material in the camps. There are so many books missing from the original 20.000 and the possibility of every (sic!) returning those that were distributed is practically nil.“149 Schließlich forderte sie, die Verteilung der Bücher nicht durch das Zentralkomitee, sondern ausschließlich durch den Joint durchführen zu lassen.150 Verzögerungen, die durch die sorgfältige Arbeit in Offenbach zu Ungunsten der Sche’erit Hapleta entstanden, schien sie dabei offenbar in Kauf zu nehmen.151 Immer mehr stand für die Joint-Mitarbeiterin das Schicksal der Bücher, stumme Zeugen der Vergangenheit – ganz im Gegensatz zu den DPs, „people speak[ing] uninterruptedly for hours“,152 – im Vordergrund. Nach Monaten unbefriedigender Arbeit mit ihrem Vorgesetzten Philip Friedman, zu dem sie schon seit längerem ein gespanntes Verhältnis hatte,153 und dem gescheiterten Versuch, jüdische DPs Dawidowicz, From That Place and Time, 314 und 316 f. AJHS, P-675, Box 55, Lucy Schildkret an Theodore D. Feder D/Zone Director, Report of activities at Offenbach Archival Depot, 13. 5. 1947. Lehrbücher sollten an Kinderzentren und als Vorlage für Nachdrucke an die Erziehungsdirektion gehen, Referenzbücher an die Historische Kommission und medizinische Bücher an das Gesundheitsamt. 149 Ebd., Schildkret an Uriel Weinreich, 16. 2. 1947. 150 YIVO 1258, Box 36, Philip Friedman an Samuel Haber, Offenbach Book Depot, 23. 6. 1947; ebd., Lucy Schildkret an Charles E. Israel, The American Joint Distribution is obtaining on loan from the Offenbach Archival Depot, 17. 3. 1947; ebd., Philip Friedman an Charles E. Israel, Offenbach Book Depot. 151 Ebd., Philip Friedman an Lucy Schildkret, 2. 5. 1947. 152 AJHS P-675, Box 55, Offenbach, 19. 6. 1947. 153 In einem persönlichen Brief wird ihre große Antipathie gegen Friedman deutlich: „[Friedman] talks a hell of a lot, usually in a circle; smiles a lot and waves his fingers so much that one day I will get a razor and cut them off.“ Ebd., Folder 3, Tuesday evening, 19. 11. 1946. 147 148

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für die Arbeit in Offenbach einzusetzen, sprach sie davon, dass sie in Bezug auf die Menschen, für die sie sich eigentlich nach Deutschland begeben hatte, immer desillusionierter wurde: There are just a very few exceptions among the DPs, people whom you can trust, who are honest and decent and not scroungers. I never came here with this point of view, remembering my year in Vilna, where the difference between European and American never existed except in the passport. [. . .] Of course, we have to understand what brought it about and try to help, but we don’t have to make these people our friends. I for one cannot do it.154

In ihrer Autobiographie, die zu weiten Teilen auf ihre persönliche Korrespondenz aufbaut, reflektierte Lucy Dawidowicz diesen Wandel in ihrer Einstellung erneut. Sie beschrieb dort ihre anfänglich sentimentale Wahrnehmung der DPs als mythische Erben einer untergegangenen Welt, die nach und nach einer differenzierteren Wahrnehmung weichen musste: „Suffering, I learned, did not always ennoble.“155 Die völlig unterschiedlichen Lebenserfahrungen der DPs und der amerikanischen Juden hatten die von ihr früher wahrgenommene Einheit zwischen den beiden Gruppen zerstört. Die Opfer konnten zwar, wie etwa von H. Leyvik, heroisierend bewundert oder, wie im Fall der aus Osteuropa stammenden amerikanischen Juden, die Hilfsprojekte betrieben, als zu Mitgefühl und Unterstützung berechtigte Objekte betrachtet werden, aber ein wirkliches Verständnis war schwierig geworden.

1.4. Nach der Ankunft in der deutschen Diaspora Während sich die unterschiedlichen nationalen Flüchtlingsgruppen in der Amerikanischen Besatzungszone durch die Repatriierungen kontinuierlich verkleinerten,156 stieg die Zahl der jüdischen Flüchtlinge an. In den ersten Monaten drängten Überlebende der Ghettos und Konzentrationslager, Partisanen und Juden, die auf der „arischen Seite“ oder im Versteck überlebt hatten, nach Westen. Gerade jüngere Überlebende, die sich bereits in Polen in zionistischen Jugendverbänden zusammenschlossen, sahen in der illegalen Fluchthilfeorganisation Bricha die Möglichkeit, ihrem Ziel Palästina ein Stück näher zu kommen.157 Viele der KZ-Überlebenden, die nun in den 154

Ebd., Brief von Lucy Schildkret (ohne Adressat), 22. 2. 1947. Dawidowicz, From That Place and Time, 306. 156 Zwischen Mai und September 1945 gelang es den Alliierten, sechs der sieben Millionen DPs in ihre jeweiligen Heimatländer zu repatriieren. Vgl. Dinnerstein, America and the Survivors, 9. 157 Zu den Jugendorganisationen und Kibbuzim vgl. Patt, Finding Home and Homeland. 155

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westlichen Besatzungszonen Zuflucht suchten, waren unmittelbar nach der Befreiung in ihre Heimatorte zurückgekehrt, auf der Suche nach Verwandten und mit dem Wunsch, trotz allem an das Leben der Zwischenkriegszeit anknüpfen zu können. Es ging um Arbeit, ein kommunales Netz, Kultur und die erneute Präsenz der jüdischen Bevölkerung in den Städten. Die wirtschaftlich angespannte Situation im Nachkriegspolen und vor allem der offene Antisemitismus zerschlugen aber die Hoffnungen auf den Wiederaufbau zerstörter Strukturen.158 Die Gruppen, die im Laufe des Jahres 1946 ankamen und die Gesamtzahl der jüdischen Displaced Persons in der Amerikanischen Besatzungszone im zweiten Halbjahr 1946 auf über 142.000 Personen anwachsen ließen,159 setzten sich überwiegend aus polnischen Juden zusammen, welche die Kriegsjahre in der Sowjetunion überlebt hatten und von dort seit dem Frühjahr 1946 nach Polen repatriiert worden waren: Sie hatten sich nach der Invasion der Roten Armee im September 1939 in Ostpolen befunden oder waren in der Zeit vor Abschluss des Ribbentrop-Molotow-Pakts am 8. Oktober desselben Jahres in dieses Gebiet geflüchtet. Der junge Poet Mates Olitski beispielsweise war unmittelbar nach dem Überfall Deutschlands auf Polen gemeinsam mit seinem Bruder Leyb über die noch offene Grenze in das von den Sowjets besetzte Gebiet gelangt. Obschon Leyb Olitski in der Zwischenkriegszeit zu den prominentesten Vertretern der pro-sowjetischen linken Schriftstellergruppe im Warschauer jüdischen Schriftstellerverband gehört hatte, wurden die Brüder als potentielle Staatsfeinde zunächst inhaftiert.160 Dieses Schicksal teilten sie mit Zehntausenden polnischen Staatsbürgern. Jüdische wie auch nichtjüdische Flüchtlinge wurden von den Sowjets festgenommen und in den Norden Russlands oder die sibirischen Wälder deportiert. Andere wiederum wurden als willkommene Arbeitskräfte in die Sowjetunion gebracht, besonders in die Steinbrüche im ukrainischen Donbas. Die Versorgungslage der Flüchtlinge und Deportierten war katastrophal, Epidemien breiteten sich aus. Nach Ausbruch des Deutsch-Sowjetischen Krieges flüchteten weitere Zehntausende aus dem Kresy, dem Osten Polens, ins Innere der Sowjetunion.161 Für die inhaftierten und deportierten polnischen Juden brachte der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion 1941 Veränderungen mit sich, denn die Sowjetunion nahm diplomatische Beziehungen mit der polnischen Exilregierung in London auf, und ein Abkommen regelte die Freilassung der

158 Siehe dazu die Studien von David Engel und Jan Gross: Engel, Bejn schichrur liwericha; Gross, Fear. 159 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 17. 160 Sfard, Mit zikh un mit andere, 97. 161 Litvak, Jewish Refugees from Poland, 142–132. Eine ausführliche Analyse bietet Litvaks hebräische Studie Plitim jehudim miPolin biWrit hamo’atzot, 1939–1946.

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Verschleppten. Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen machten sich die Exilierten in Richtung Süden, in die zentralasiatischen Sowjetrepubliken, auf. Doch auch dort warteten schwere körperliche Arbeit in Kasachstan und Usbekistan, Entbehrungen und Epidemien auf sie. Zwischen 200.000162 und einer Viertelmillion163 polnische Juden erlebten das Kriegsende im „Sowjetischen Garten Eden“, wie die Exilierten ihre Heimat auf Zeit ironisch bezeichneten.164 Das Zentralkomitee der Juden in Polen war mit der Versorgung und Integration Zehntausender repatriierter Personen überfordert. Die Repatrianten, die 1946 Polen erreichten, begegneten auch einer gesellschaftlichen als die KZ-Überlebenden, Partisanen und diejenigen, die im Versteck überlebt hatten. Es war eine Gesellschaft in Bewegung und Auflösung und die Bricha war bereits in vollem Gange.165 Außerdem kamen die Transporte aus dem sowjetischen Mittelasien, das zum fernen Exil polnischer Juden geworden war, in einer Phase zunehmender antisemitischer Ausschreitungen in Polen an – teilweise wurden die Züge von organisierten Banden angegriffen. Nach dem Pogrom in Kielce am 4. Juli 1946, das mindestens 47 Menschenleben forderte, setzte eine regelrechte Massenflucht aus Polen ein.166 Allein im Juli 1946 verließen mehr Juden Polen als in den sechs Monaten davor. Im August verdoppelte sich die Zahl gegenüber dem Vormonat sogar.167 Zwischen Januar und Oktober 1946 verdreifachte sich die Sche’erit Hapleta in der Amerikanischen Besatzungszone beinahe. Die bestehenden DP-Camps waren bald hoffnungslos überbelegt, sodass neben den Durchgangslagern in der Nähe der Grenzen auch neue Permanentlager geschaffen werden mussten.168 In München Neu Freimann beispielsweise wurde eine Arbeitersiedlung mit Gartenland beschlagnahmt und ein jüdisches Familienlager errichtet, das bis zu 3000 Bewohnern Platz bot.169 An anderen Orten wurden die DPs in Einrichtungen untergebracht, die durch die Repatriierung polnischer Zwangsarbeiter in ihre Heimat frei geworden waren.170 In dieser Zeit bildete sich eine neue jüdische Topographie in Deutschland heraus, deren Koordinaten nicht nur durch die zahlreichen Großlager wie Feldafing, Föhrenwald, Bad Reichenhall, Pocking, Zeilsheim, Eschwege

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Gross, Fear, 33. Engel, Bejn schichrur liwericha, 40. 164 Litvak, Jewish Refugees from Poland, 133–140. 165 Engel, Bejn schichrur liwericha, 41. 166 Ebd., 150. 167 Zu einer Diskussion der Zahlen siehe ebd., 188f (FN 47). 168 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 110 f. 169 Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 192. 170 YIVO 294.2, Confidential Report on the Situation of Jewish Displaced Persons, 6. 12. 1946. 163

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oder Landsberg oder durch die Hachscharot mit ihren Kibbuz-Strukturen bestimmt wurden, sondern auch durch jüdische Gemeinden in Städten und Dörfern. Zum Jahresende 1946 waren mehr als 28.000 Personen außerhalb der Camps registriert.171 München mit seinen zeitweise über 6000 jüdischen Bewohnern wurde gleichsam zur Hauptstadt der DP-Gesellschaft und durch die dort untergebrachten Büros der Hilfsorgansationen und des Zentralkomitees zum Anlaufpunkt für zahllose Besucher.172 Mit der Bricha erreichten auch zahlreiche Publizisten und Schriftsteller Deutschland: Für den Lehrer und Journalisten Yosef Gar zum Beispiel begann das „gar denkwürdige Kapitel der Sche’erit Hapleta in den deutschen Lagern“173 im Oktober 1945. Im August 1944 waren ihm die Flucht aus einem Transport nach Dachau und die Rückkehr in seine Heimatstadt Kaunas gelungen. Mit Frau und Tochter, die beide das Ghetto überlebt hatten, verließ er nach Kriegsende das nunmehr sowjetische Kaunas in Richtung Polen. Der Weg führte von Białystok nach Lodz, wo er mit den Mitarbeitern der seit einiger Zeit regelmäßig erscheinenden jiddischen Zeitung Dos naye lebn (Das neue Leben), zusammentraf, unter ihnen auch der Historiker Philip Friedman, später Mitarbeiter des Joint in München. Gars Reise führte dann weiter nach Krakau und von dort aus mit der Bricha über Ungarn nach Österreich und weiter in die Amerikanische Besatzungszone.174 Yekhezkl Keytlman war aus dem usbekischen Exil nach Polen zurückgekehrt und veröffentlichte dort in Dos naye lebn einen Teil der Kurzgeschichten, die später in Regensburg unter dem Titel Oysterlishe geshikhtn (Ungewöhnliche Geschichten) erscheinen sollten.175 Ebenfalls nach Regensburg gelangte 1946 der Schriftsteller Mendel Mann, der in der unmittelbaren Vorkriegszeit in Warschau Kunst studiert und dort in der jiddischen Presse debütiert hatte. 1939, nach seiner Flucht in die Sowjetunion, war er durch die Rote Armee mobilisiert worden und hatte so die Belagerung Moskaus und den Einmarsch in Berlin im Mai 1945 als Soldat miterlebt.176 Bis zum Sommer 1946 leitete er die Kultur- und Schulabteilung des jüdischen Komitees in Lodz, war Mitglied im neu entstandenen Schriftstellerverband und veröffentlichte mit Di shtilkeyt mont (Die Stille mahnt) den allerersten jiddischen Gedichtband im Nachkriegspolen. Nachdem seine geplante Aus-

Kolinsky, After the Holocaust, 132. Kauders/Lewinsky, Neuanfang, 186–195. 173 Gar, In geloyf fun khoreve heymen, 80. 174 Ebd., 71–80. 175 Keytlman hatte bereits 1932 eine Sammlung von Kurzgeschichten unter dem Titel Mitn ponem tsu zekh veröffentlicht. Die Geschichten, die in Dos naye lebn erschienen, wurden auch in der amerikanisch-jiddischen Presse und in The Zionist Record in Südafrika abgedruckt. Siehe: Keytlman, Oysterlishe geshikhtn, o. S. 176 Seine Eindrücke hielt er später in dem Roman Dos faln fun Berlin (New York 1960) fest. 171 172

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reise nach Schweden nicht möglich wurde, verharrte er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn Heinrich zweieinhalb Jahre in Deutschland.177 Zusammen mit dem Warschauer Journalisten Naftole Zilberberg gaben Keytlman und Mann vom Frühjahr 1946 bis zur Schließung der Lokalpresse im Herbst 1947 die Wochenzeitung Der nayer moment (Der neue Moment) in Regensburg heraus.178 Im Sommer 1946 wurde die Redaktionstätigkeit der offiziellen Zeitung des Zentralkomitees Undzer veg vollständig reorganisiert. Dieser Schritt war schon seit längerem in Planung, da der bisherige Chefredakteur Levi Shalitan als Mitglied der Revisionistischen Partei einen extremen und in seinem Einfluss kontinuierlich wachsenden Flügel in der politischen Zusammensetzung der Sche’erit Hapleta vertrat.179 Von der fünfzigsten Nummer der Zeitung an wurde die Redaktion von Ruven Rubinshteyn geleitet, der nun München erreicht hatte. Rubinshteyn, der bereits in der Zwischenkriegszeit zu den prominentesten litauischen Intellektuellen gerechnet worden war, war in seiner Heimatstadt Kaunas im journalistischen wie auch im gesellschaftspolitischen Bereich tätig gewesen – unter anderem als Redakteur der Tageszeitung Di yidishe shtime (Die jüdische Stimme), als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde und als Mitglied des Stadtrats. Wegen seiner politischen Tätigkeit wurde er nach dem Einmarsch der russischen Truppen inhaftiert und später deportiert. Indem er sich als polnischer Flüchtling ausgab, gelang es ihm 1946 mit der Bricha München zu erreichen.180 Mit der Ankunft dieses erfahrenen Journalisten konnte die bereits geplante Reorganisation in der Redaktionstätigkeit der offiziellen Zeitung des Zentralkomitees Undzer veg in die Tat umgesetzt werden. Bis zu seiner Auswanderung 1948 blieb Rubinshteyn unumstrittener Doyen der jüdischen DPPresse. Auch Mordkhe Libhaber, der seine ersten publizistischen Gehversuche in der polnisch-jüdischen Presse gemacht hatte, war aus einem langjährigen sowjetischen Exil zurückgekehrt und ließ sich in München nieder. Er gründete dort, trotz anfänglichen Widerstandes durch das Zentralkomitee, eine Wochenzeitung in lateinischen Buchstaben als Organ des Verbandes polnischer Juden. Diese Zeitung mit dem Namen Ibergang (Übergang) repräsentierte die größte landsmannschaftliche Vereinigung in der Amerikanischen Besatzungszone und wurde von polnischen Juden in den Vereinigten Staaten finanziert.181 1946 wurden auch zahlreiche andere Landsmannschaf-

177 178 179 180 181

Tamiment Wagner 127, Folder 10, Mendel Mann an Olbe (Stockholm), 24. 12. 1946. Der Titel wurde später abgeändert in Undzer moment (Unser Moment). Mankowitz, Life between Memory and Hope, 280. Goldshmidt, Der rish galuta; Shrayer, Der vortzoger fun di pleytim, 76. Tsamriyon, Ha’itonut, 94–96.

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ten gegründet: Überlebende bestimmter Gegenden, Städte und Dörfer taten sich zusammen und nahmen Kontakt mit den bestehenden Schwesterverbänden in den USA und dem Jischuw auf. So existierten unter anderem eine Zelichower Landsmannschaft mit ungefähr 150 Mitgliedern sowie Landsmannschaften der Juden aus Grodno oder Lublin.182 Aber auch die Juden aus Vilnius und die lettischen, ungarischen und rumänischen Juden waren bis zur Auflösung der DP-Camps organisiert.183 Diese Vereinigungen erfüllten, neben der finanziellen Unterstützung ihrer Mitglieder durch die Hilfe aus dem Ausland, auch verschiedene weitere Aufgaben. Sie halfen bei der Emigration, organisierten Gedenkveranstaltungen, sammelten Material zur Geschichte ihrer Gemeinden und halfen in Einzelfällen bei der Veröffentlichung von historischen Abhandlungen. Die Landsmannschaften nahmen aber auch Zeugenberichte gegen Kriegsverbrecher und jüdische Kollaborateure auf.184 Die Opposition des Zentralkomitees gegen die Einrichtung der Zeitung Ibergang hatte ihren Ursprung vor allem in der Wahrnehmung der Landsmannschaften als sozialen Referenzrahmen und damit in der Befürchtung, die Sche’erit Hapleta könne sich immer weiter aufsplittern. Diese Sorge, die das Zentralkomitee ja auch schon zur Reorganisation der Redaktion von Undzer veg veranlasst hatte, war nicht ganz unbegründet. Mit der Masseneinwanderung hatte sich die Gesellschaft der jüdischen DPs weiter diversifiziert. Religiöse und politische Gräben waren tiefer geworden und hatten im Februar 1947 zur Auflösung der vereinigten zionistischen Partei Achida geführt. Der Einfluss der Parteien auf die Selbstverwaltungsorgane – sowohl in den lokalen Lagerverwaltungen als auch im Zentralkomitee – nahm kontinuierlich zu. Diese Politisierung ebnete den Weg für die Etablierung einer starken Parteipresse zwischen Sommer 1946 und 1947.185

182 Wi azoj brider helfn zich, in: Ibergang, 12. 1. 1947; Fun amerikaner landslajt wern gezucht, in: Ibergang, 25. 2. 1947. 183 Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 149. Die Unterstützung der amerikanisch-jüdischen Landsmannschaften wurde nicht nur vom Zentralkomitee kritisch beurteilt, sondern auch vom Joint, der die einseitige Bevorzugung bestimmter Gesellschaftsgruppen befürchtete. Joint G I / 6A1 / C-45.050, Charles Passman (Joint München) an AJDC Paris, Re: Landsmannschaften Contributions, München, 27. 11. 1947. 184 Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 147 f. Zur Geschichte der Landsmannschaften siehe: Soyer, Jewish Immigrant Associations. 185 Zur weiteren Entwicklung des Pressewesens siehe Kapitel 4.1.

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Schulen und Schulbücher Durch den Zustrom jüdischer Flüchtlinge aus Polen veränderte sich die demographische Struktur der Sche’erit Hapleta. Ende 1946 bestand die Sche’erit Hapleta zu mehr als zwei Dritteln aus repatriierten polnischen Juden.186 Trotz der teilweise schwersten Lebensbedingungen in der Sowjetunion war es dieser Gruppe möglich gewesen, Familienstrukturen aufrecht zu erhalten. Damit wurde der Charakter der anfänglich fast kinderlosen Sche’erit Hapleta grundlegend verändert. Phillip S. Bernstein, der damalige Advisor for Jewish Affairs bei der amerikanischen Regierung, führte die Normalisierung der DP-Gesellschaft nicht zuletzt darauf zurück, dass die Familien die soziologischen Strukturen der polnisch-jüdischen Vorkriegsgesellschaft nach Deutschland transportiert hätten. Bis zu 15.000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter hielten sich in der Amerikanischen Besatzungszone auf.187 Die Zahl der Kinder stieg durch einen regelrechten Babyboom in den Lagern weiter an: 1946 verzeichnete die Sche’erit Hapleta die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden weltweit.188 Besonders die Organisation des Erziehungswesens wurde nun, mit der steigenden Zahl an Kindern und Jugendlichen, immer dringender, obschon die primäre Versorgung mit Kleidung und Unterbringung in zahlreichen Camps noch immer unzureichend war und weder geeignete Ausbildungskräfte noch Lehrbücher zur Verfügung standen. Überdies ließen unterschiedliche Sprachkenntnisse ein einheitliches Unterrichtsprogramm fragwürdig erscheinen.189 Anfangs waren die Lehrer direkt von der jeweiligen Lagerverwaltung abhängig, und die Schulen wiesen einen improvisierten Charakter auf. Schrittweise gingen sie dann in die Zuständigkeit des Kulturamtes des Zentralkomitees und 1947 schließlich in die der Erziehungsabteilung über. Neben Volksschulen und Kindergärten entstanden auch Mittelschulen, in München nahm sogar ein hebräisches Gymnasium seine Tätigkeit auf. Um die erheblichen Bildungsdefizite der DPs – mehrheitlich junge Menschen im Alter zwischen 18 und 35 Jahren – auszugleichen, wurden

186 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 291. Laut einer Statistik der UNRRA vom November 1946 stammten 71 Prozent der jüdischen DPs aus Polen, der Rest setzte sich aus ungarischen, tschechischen, deutschen, rumänischen und österreichischen Juden sowie kleineren Gruppen aus anderen Ländern und staatenlosen Personen zusammen. Siehe: Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 57. 187 Bernstein, Displaced Persons, 529. Waren im Januar 1946 beispielsweise nur 120 Kinder im Alter zwischen eins und fünf Jahren, 380 im Alter zwischen sechs und neun, sowie 770 Zehn- bis Siebzehnjährige registriert, waren es im Dezember desselben Jahres bereits 4431, 4355 und 8839 für die entsprechenden Gruppen. Siehe YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 71. 188 Grossmann, Victims, Villains and Survivors, 302. 189 Zur Sprachenfrage siehe Kapitel 4.3.

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Abendschulen organisiert. In den ORT-Berufsfachschulen wurden neben den Fachausbildungen auch Sprach- und Geschichtskurse angeboten.190 Sechs Volksuniversitäten in DP-Camps und in München wurden eröffnet.191 Wegen des Mangels an Schulmaterial nutzten die Lehrer anfangs polnische Lehrbücher, welche durch die UNRRA für polnische DPs gedruckt worden waren, aber auch deutsches Lehrmaterial.192 1946 begann der Joint mit dem Nachdruck von Unterrichtsmaterial, um damit die prekäre Versorgungslage mit Lehrbüchern an den Grund- und Fachschulen zu verbessern. In Auflagen von bis zu 20.000 Stück erschienen Lehrbücher für Hebräisch und Englisch, zu naturwissenschaftlichen Themen und Einführungen in die jüdische Geschichte und Religion.193 Für die Nachdrucke in Deutschland genügte es, drei Exemplare der entsprechenden Originale aus dem Ausland einzuführen.194 Um Probleme und Verzögerungen durch Einholung der Lizenzen zu vermeiden, vermerkte der Joint in seinen Publikationen: „For distribution only among the Sharith Ha-Plaita; not available for sale.“195 Der überwiegende Teil der Schulbücher wurde als Offsetdruck hergestellt. Der Film, der für dieses Verfahren notwendig war, stand aber nicht immer rechtzeitig zur Verfügung. Er konnte jedoch, wie Papier und praktisch alles andere auch, auf dem Schwarzmarkt erworben werden. Der Joint stellte seinen Mitarbeitern für solche Aktionen offiziell stangenweise Zigaretten zur Verfügung.196 Als die Hilfsorganisation 1947 die Beschäftigungsmöglichkeiten für die DPs ausbaute und ein so genanntes Kategoriensystem einführte, setzte sie diese Praxis fort: Da die DPs nur in Naturalien entlohnt werden durften, unterschieden sich die nach Leistung und Funktion gestuften Kategorien nur minimal bei Produkten wie Zucker oder Käse. Hingegen stieg die Anzahl der Zigaretten von sieben für die niedrigste Kategorie auf

190 60 Schulen mit insgesamt 600 Lehrern waren für die Ausbildung zuständig. Vgl. YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 71. Zum Erziehungs- und Schulsystem siehe Giere, Wir sind unterwegs, aber nicht in der Wüste, 322–439; Mankowitz, Life between Memory and Hope, 131–160; Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 177–182. 191 2-ter kongres fun sheyres-hapleyte in der amerikaner zone in Daytshland, 15. 192 Friedman, Dos gedrukte vort. 193 YIVO 294.1, Folder 400, Reszime fun bicher welche zajnen gedrukt geworn in der U. S. zone, München, 2. 2. 1948. Bis 1949 druckte der Joint im Rahmen dieser Kampagne mehr als 60 verschiedene Bücher mit einer Gesamtauflage von 200.000 Exemplaren, außerdem 500 Alphabetstafeln, 3000 Klassenbücher, 20.000 Urkunden, 20.000 Hefte. Ebd., Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.]. 194 Ebd., Folder 405, Frame 0171 f., AJDC Paris HQ an AJDC Arolsen: Hebrew & Yiddish Texts, 30. 9. 1946. 195 Ebd., Lucy Schildkret, Cultural and Educational Department an AJDC, Arolsen, 30. 10. 1946. 196 Dawidowicz, From That Place and Time, 293 f.

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29 für die höchste.197 In einem unveröffentlichten Bericht fasste Samuel Haber, der damalige Joint-Direktor in Deutschland zusammen, dass: [. . .] das ganze Leben in den Lagern abhängig von der [Versorgungsabteilung war], denn Essen und Kleider hatten hier, in den Lagern, nicht nur ihrer eigentlichen Funktion gedient – satt zu machen, zu bekleiden, zu wärmen. In Deutschland waren Nahrung und Kleidung die Triebkräfte für das gesamte gesellschaftliche Leben in den Lagern. Nur durch die Zuteilungen [. . .] konnte man Bücher drucken, Zeitungen herausgeben, Theater spielen, Sportclubs entwickeln, die Lager sauber halten. Alles, alles konnte sich [. . .] dank der Zuteilungen entwickeln.198

Eine Ersatzwährung wurde auch für den Druck religiöser Bücher eingesetzt. Rabbiner Nathan Baruch von der religiösen Hilfsorganisation Wa’ad Hatzala ließ sich nicht beirren, als die amerikanische Militärregierung es ablehnte, sich an der Finanzierung religiöser Werke zu beteiligen. Er wandte sich an verschiedene Militärangehörige und überredete sie dazu, ihre Alkoholund Zigarettenrationen billig an ihn weiter zu verkaufen. Auf dem Schwarzmarkt konnte dafür Papier und Druckerschwärze erworben und der Druck von Gebetbüchern und anderen religiösen Texten finanziert werden.199 Diese Versorgung mit religiösen Druckerzeugnissen wurde immer dringlicher, weil in Deutschland zahlreiche Jeschiwot entstanden, in denen 1947 bis zu 1500 Studenten lernten.200 Wie für die Schulbücher galt es hier, entweder auf Sendungen aus dem Ausland zu warten oder in Deutschland selbst zu drucken. Doch bis die ersten religiösen Bücher Deutschland erreichten, verging mehr als ein ganzes Jahr, und jedem eintreffenden Buch streckten sich Hunderte Hände entgegen.201 Diese Verzögerung erklärt sich einerseits mit den allgemeinen Transportschwierigkeiten, andererseits mit dem Umstand, dass bis zum Zweiten Weltkrieg weder die USA noch Palästina Zentren des hebräischen Buchdruckes gewesen waren, sondern ihre Bücher aus den traditionellen Druckorten in Europa bezogen hatten, die nun nicht mehr existierten.202 Der Nachdruck religiöser Literatur wurde deshalb zu einem wichtigen Projekt im Nachkriegsdeutschland. Insgesamt wurden ungefähr 25 Bücher religiösen Inhaltes nachgedruckt. Den krönenden Abschluss bildete 1949 die lang geplante Gesamtausgabe des Talmuds in 19 Foliobänden, die in Heidelberg gedruckt und der amerikanischen Armee gewidmet wurden.203 Im Allgemeinen handelte es sich bei den religiösen Bü197 YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 24. 198 Ebd., 18. 199 Grobman, Battling for Souls, 192. 200 Honigmann, Talmuddrucke im Nachkriegsdeutschland, 250. 201 Ebd., 253. 202 Ebd., 254. 203 Ebd., 258–263; Korman, Survivors’ Talmud.

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chern allerdings um einfache, vom Wa’ad Hatzala, dem Joint und Einzelpersonen finanzierte Nachdrucke.204 Die Auflagen erreichten teilweise beachtliche Höhen: Ein Gebetbuch, welches durch den Joint herausgegeben wurde, konnte durch die Religionsabteilung in 35.000 Kopien an die DPs verteilt werden.205 Auch die religiöse Erziehung kam allmählich voran: Bereits im Herbst 1945 hatte der Rabbi von Klausenburg, der nach seiner Befreiung nach Feldafing gelangt war, in Föhrenwald eine erste Talmudhochschule mit dem Namen Sche’erit Hapleta gegründet, in der ungefähr sechzig Talmudstudenten ihr Studium aufnahmen. Zu der eher kleinen Gruppe stießen bald junge Bobower Chassidim. Die Zahlen erhöhten sich durch die Neuankömmlinge aus Polen, Russland und Ungarn ab 1946 weiter.206 In allen größeren DPCamps gab es nun Gruppen von Gerer, Belzer, Sigheter, Munkacer und Vishnitzer Chassidim. Auch einer größeren Gruppe der russischen Lubawitscher Chassidim war es gelungen, mit dem Strom der repatriierten polnischen Juden nach Deutschland zu gelangen.207 Anfangs des Jahres 1947 existierten mehr als einhundert religiöse Grundschulen.208

Die Erziehungskommission Fast alle Aktivitäten des Zentralkomitees wurden durch Beiträge des Joint finanziert. Dank dieser finanziellen Unterstützung konnte auch das Kulturamt des Zentralkomitees seit Mai 1946 die Basis seiner Arbeit verbreitern. Seine Tätigkeitsfelder umfassten einerseits den Erziehungsbereich, mit der Verantwortung für das Schulsystem und die Erwachsenenbildung, daneben waren ihm auch die Bibliotheken und das Verlagswesen unterstellt. Auch die Bereiche Theater und Kunst waren ihm angegliedert, und ebenso finanzierte das Kulturamt die Historische Kommission, den Schriftsteller- und den Lehrerverband der Sche’erit Hapleta.209 Mit der anwachsenden Bevölkerung und den geringen Perspektiven auf eine baldige Ausreise aus Deutschland wurden organisatorische Veränderungen im kulturellen Bereich notwendig, und zwar nicht nur in struktureller Hinsicht, sondern auch aus psychologischen Gründen. Waren Schulen und Ausbildungsmög-

204 Eine annotierte Bibliographie zu den Nachdrucken findet sich in Greenberg, She’erit Hapleta, 12–17. 205 YIVO 294.1, Folder 10, Joslow an Leo Schwarz, o. J. 206 Schwartz, Funem letstn khurbn, 57 f. 207 Bistritser, Yitskhok Y., Dos religieze lebn fun der sheyres hapleyte, in: Hemshekh I (1948), 55 f. 208 Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 133. 209 2-ter kongres fun sheyres-hapleyte in der amerikaner zone in Daytshland, 14.

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lichkeiten in Anbetracht der veränderten demographischen Situation essentiell, sollte mit Theateraufführungen der zunehmenden Demoralisierung und Enttäuschung entgegengewirkt werden. Ein entscheidender Schritt für die weitere Restrukturierung der kulturellen Organisation war die Koordination durch eine zentrale Stelle beim Zentralkomitee der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone. Sie brachte letztlich auch Veränderungen im Druckwesen mit sich. Im Februar 1947 verständigten sich in Paris die Jewish Agency, der Joint und das Zentralkomitee über die Einrichtung einer gemeinsamen und einheitlichen Institution, die gleichermaßen Schulwesen und allgemeine Kulturarbeit in der Sche’erit Hapleta restrukturieren sollte. Unter dem Namen Direktoryum far kultur un dertsiung (Board for Education and Culture, kurz: Board) nahmen Anfang April neun Mitarbeiter aus den drei Institutionen gemeinsam ihre Arbeit auf. Die Aufgabenverteilung der Vertragspartner war dabei klar festgelegt: Jewish Agency und Zentralkomitee waren für das Erziehungsprogramm und das Personal zuständig, wobei in einem ersten Schritt 100 ausgebildete Lehrer aus Palästina nach Europa gebracht werden sollten, davon 32 nach Deutschland und Österreich. Der Joint zeichnete verantwortlich für die Materialkosten – darunter fielen auch Transport, Versorgung mit Papier für den Druck oder auch Mobiliar – und die Finanzierung der verschiedenen Abteilungen. Das Budget wurde auf autonomer Basis vom Direktorium ausgearbeitet. So entstand eine Schulabteilung, die für Organisation und Kontrolle des Schulwesens und von Bildungsprogrammen verantwortlich war. Ihre Zielsetzungen waren klar zionistisch – jedoch parteilos – orientiert. Das zeigte sich zum Beispiel daran, dass Hebräisch zur ersten Unterrichtssprache erklärt, der Gebrauch des Jiddischen dagegen auf die Bereiche Erwachsenenbildung und Kulturveranstaltungen reduziert werden sollte.210 Die Kulturabteilung kümmerte sich um die Erwachsenenbildung, das Bibliothekswesen und die Kunst in der Sche’erit Hapleta. Damit war diese Abteilung zuständig für die zahlreichen Theatergruppen und das Repräsentanzorchester, welches zwei Jahre zuvor zum ersten Mal in St. Ottilien aufgetreten war. Die Kulturabteilung betreute außerdem ein regelmäßiges Radioprogramm auf Radio München mit Musik und Nachrichten.211 Durch das so genannte „Recreation Department“ wurden zahlreiche Freizeitaktivitäten für die DPs angeboten. Als exekutives Organ war die Finanz- und Administrationsabteilung für die Bezahlung der Lehrer, aber auch für die Ausstattung der Schulen sowie die Finanzierung und Auslieferung der Schulbücher zuständig.

210 211

Zur Sprachideologie siehe Kapitel 4.3. Siehe Kapitel 3.2.

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Mit der Gründung der Erziehungskommission war auch eine Verlagsabteilung entstanden, die allerdings mit einigen personellen und materiellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Auf einer Pressekonferenz im November 1947 stellte Philip Friedman ein Verlagsprogramm vor, welches neben Schulbüchern auch Nachdrucke von Werken aus der klassischen jiddischen Literatur umfassen und systematisch durch Ankäufe aus dem Ausland ergänzt werden sollte. Ein Plan, der aber nicht umgesetzt werden sollte.212 Obschon der Druck von Schulbüchern Priorität hatte, unterstützte der Joint auch die Herausgabe von Werken aus der Feder von DP-Schriftstellern. Bis 1947 scheint es keine eindeutige Praxis für die Handhabung von Publikationsanträgen gegeben zu haben, vielmehr wurde von Fall zu Fall individuell entschieden. Als Yitskhok Perlov im Frühling 1947 seine Gedichte unter dem Titel Undzer like-khame (Unsere Sonnenfinsternis) herausgeben wollte, konnte er noch nicht mit der Unterstützung durch die Kulturabteilungen von Joint und Zentralkomitee rechnen. Philip Friedman musste ihm mitteilen: „Ich schäme mich, dass unsere zentralen Institutionen es nicht geschafft haben, Ihnen bei der Herausgabe des Buches zu helfen und den Dichter mit dem ganzen Götzendienst (avoyde zore) technisch-kommerziellen Charakters zu verschonen.“213 Im selben Jahr dagegen finanzierte die Erziehungsabteilung A dor fun breyshes (Eine Generation des Neuanfangs) von Shloyme Berlinski, der 1946 aus dem sowjetischen Exil nach Deutschland gekommen war.214 In der Folge beschloss die Erziehungsabteilung, alle zwei Monate das Buch eines jiddischen Schriftstellers herauszugeben. Um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, wurde die Ausschreibung mit genauen Teilnahmebedingungen in Undzer veg veröffentlicht.215 Doch schienen sich die Schriftsteller gegen die Forderungen des Direktoriums zu stellen: Die Publikation war an die Begutachtung der Manuskripte durch eine unabhängige Jury gekoppelt, die ihrerseits Empfehlungen zur finanziellen Unterstützung der Publikation an den Joint weiterleiten sollte. Als trotz der Aufrufe kein einziges Manuskript eingereicht wurde, musste der Joint in München die Erklärung an die Zentrale in Paris weiterleiten, that the authors are interested not so much in having a competent board select the worthy publications, but rather in direct assistance per se. Our writers here consider their works all to be meritorious and would not very easily, I am afraid, submit to juries. [. . .] These authors who have their manuscripts ready will print them without recourse to a jury if they so desire and without the safeguard as to

212 213 214 215

YIVO 294.1, Folder 407, The Founding of the Board for Education and Culture. YIVO 294.1, Folder 394, Philip Friedman an Yitskhok Perlov, 15. 4. 1947. YIVO 1258, Shloyme Berlinski an Philip Friedman, 30. 3. 1947. Bikher fun sheyres-hapleyte-shrayber, in: Undzer veg, 19. 12. 1947.

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merit which social institutions have to take. To each author his manuscript is the best.216

Auch die Umstände, unter denen 1946 die erste Nummer der historischen Zeitschrift Fun letstn khurbn (Von der letzten Katastrophe) erscheinen konnte, sind bezeichnend für die Zusammenarbeit und das Kräfteverhältnis zwischen den DPs und den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen: Eine der wenigen Linotype-Maschinen, die für den Satz in Frage kamen, stand in denselben Räumlichkeiten, in denen noch vor kurzem der nationalsozialistische Völkische Beobachter entstanden war, und wurde von der durch die amerikanische Militärregierung gegründeten Neuen Zeitung genutzt. Moyshe Yosef Feigenbaum von der Zentralen Historischen Kommission in München wandte sich mit dem Vorschlag, diese Maschine für Fun letstn khurbn zu nutzen, an Lucy Dawidowicz, die zu diesem Zeitpunkt für die Drucke des Joint zuständig war. Um die Bewilligung für die Benutzung zu erhalten, bedurfte es längerer Verhandlungen, die aus rechtlichen Gründen von Dawidowicz geführt werden mussten, obwohl die Initiative von Feigenbaum ausgegangen war. Schließlich gab der Chefredakteur der Neuen Zeitung, U. S. Major Hans Wallenberg, ein deutsch-jüdischer Journalist, der bis zu seiner Emigration in die USA in Berlin gearbeitet hatte, seine Zustimmung. Dass nun ausgerechnet in diesen Räumen eine jiddische historische Zeitschrift entstehen sollte, die sich mit den Verbrechen des Holocaust auseinandersetzte, erfüllte die Redakteure mit besonderer Genugtuung.217 Als weitaus komplizierter erwies sich die Beschaffung jiddischer Lettern. Der einzige verfügbare Zeichensatz befand sich in den Händen von Levi Shalitan, dem Chefredakteur von Undzer veg, der Zeitung des Zentralkomitees. Als dieser nicht einwilligte, die Lettern freizugeben, drohte Feigenbaum damit, in der amerikanisch-jiddischen Presse einen Artikel gegen ihn zu veröffentlichen. Shalitan gab nach, und mit seinem Zeichensatz als Vorlage konnte der Joint schließlich zu einem niedrigen Preis (2000 Mark oder umgerechnet 22 Päckchen Zigaretten) vier Letternsätze in einer deutschen Gießerei bestellen. Da ausgebildete jüdische Setzer ausgesprochen schwer zu finden waren und horrende Preise für ihre Arbeit verlangten, bildete Israel Kaplan einen deutschen Linotypisten aus. Bis zur Auslieferung der Matrizen wies dieser deutsche Setzer schon erstaunliche Jiddischkenntnisse auf. Und ab Nummer vier von Fun letstn khurbn konnten die Druckvorlagen in einer eigenen Setzerei hergestellt werden.218 216

YIVO 294.1, Folder 109. Dawidowicz, From That Place And Time, 289 f. 218 AJHS P-675, Box 55, Folder 4, Lucy Dawidowicz an Buchman, 12. 5. 1947; ebd., American Joint Distribution Committee Assembly Center 2512, Mil Gov 618 BAOR, Jointfund Belsen, 24. 7. 1947. Auch andere DP-Zeitungen beschäftigten deutsche Setzer. Siehe Tsamriyon, Ha’itonut, 172 f. In Anzeigen suchten die Zeitungen jiddische Setzer: Yidishe zetser vern ge217

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Mitte April 1947 wurde Samuel Haber als neuer Direktor des Joint in der Amerikanischen Besatzungszone eingesetzt. Im Mai 1945 war er als Soldat in Dachau den letzten überlebenden Zeugen der Grausamkeiten, die dort geschehen waren, begegnet. Was er nun knapp zwei Jahre später in München antraf, ließ ihn von einer Wiederbelebung der Toten sprechen. In der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ pulsierte jüdisches Leben. Als Zentrum jüdischer Selbstorganisation in der Amerikanischen Besatzungszone zog es täglich Hunderte DPs aus den umliegenden Camps in die Büros des Zentralkomitees und der Hilfsorganisationen. Samuel Haber erlebte seine erste gemeinsame Sitzung mit dem Zentralkomitee als „Sturm“, der ihn schnell seine Meinung revidieren ließ, dass „den Menschen noch der Schwung [fehle], in ein normales Leben zurückzukehren“.219 Und nach verschiedenen inoffiziellen Besuchen in DP-Camps hielt er seine Eindrücke folgendermaßen fest: In Amerika konnte man sich das alles gar nicht vorstellen, bis man es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Alles hier in den Lagern war wie in einem organisierten jüdischen Dorf. Eine Autonomie im besten Sinne des Wortes: Von Polizisten, die am Lagertor Wache standen, Feuerwehrmännern, Schulen, Kindergärten, Spitälern, Müllabfuhr, Ärzten, [. . .] Sportclubs, Jugendverbänden und sogar einer eigenen Straße für den Schwarzmarkt. [. . .] Übrigens, im Transit, wie auf einem Bahnhof, wo keiner über das Bleiben nachdachte, wo keiner über das Bleiben nachdenken konnte. [. . .] Das Wunder der Wiedergeburt der jüdischen Kraft, sich provisorisch niederzulassen, hat man hier gesehen [. . .].220

Mordkhe Shtriglers Forderungen an die Sche’erit Hapleta und die restliche jüdische Welt, durch die Wiederaufnahme kultureller Praktiken und Traditionen den Überlebenden zur Genesung zu verhelfen und sie zur Normalität zurückzuführen, begannen sich zu erfüllen. Während der ersten beiden Jahren ihrer Existenz entwickelte diese ungewöhnliche zeitweilige Gesellschaft ein breit gefächertes Pressewesen, welches die jüdischen DPs mit Informationen und Literatur versorgte und sie nicht nur als Gruppe in Deutschland zu formen begann, sondern auch mit der jüdischen Welt außerhalb Europas verband.

zukht, in: Undzer veg, 16. 1. 1948; Es wern gezucht Jidisze Zecer un cwej sziler, in: Undzer vort, 4. 6. 1946. Siehe z. B. auch Kesper, Unsere Hoffnung, 3: „[Ich] lernte zunächst Schriftsetzer. Natürlich horchte ich auf, als die ‚Herren Gehilfen‘ von wunderbaren und besonders schwierigen Arbeiten sprachen, dass ein Kollege beispielsweise lernen musste, hebräische Buchstaben zu gebrauchen. Bevor diese beschafft werden konnten, habe man jene Zeitungen nur mit normalen Typen in Jiddisch gesetzt, einer ‚so komischen Sprache, bei der es nicht darauf ankommt, ob ein Buchstabe mehr oder weniger verwendet wird‘.“ 219 YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 6. 220 Ebd., 8.

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Weiter leben, weiter schreiben. Schriftsteller als DPs

Es waren verschiedene Faktoren, die dazu führten, dass es im Nachkriegsdeutschland überhaupt möglich wurde, wieder jüdische Zeitungen und zu einem späteren Zeitpunkt auch Bücher herauszugeben: Unter den entkräfteten und traumatisierten Juden, die sich nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern auf deutschem Boden aufhielten, fand sich nur eine Handvoll Journalisten und Schriftsteller. Und obschon sich einzelne unter ihnen mit sturer Entschlossenheit in ihre Publikationsprojekte stürzten, bedurfte es für die praktische Umsetzung des persönlichen Engagements der Mitarbeiter internationaler Organisationen, die sich wiederum durch die Auflagen der Besatzungsmacht in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt sahen. Entscheidende Veränderungen brachte der Zustrom von polnischen Juden mit sich. Durch ihn wurden Neuerungen im Erziehungsbereich notwendig, das Parteiwesen begann sich immer weiter zu differenzieren, und so entstand eine starke Parteipresse, die sich durch die Ankunft erfahrener Publizisten weiterentwickeln konnte.

“Now, tell us. Who are you?” “Pinchas Pelovits.” None had heard the name. Zunser’s curiosity was piqued. Bretzky didn’t care either way. Korinsky was only further pained at having to put up with a madman who wasn’t even famous. “I am the one who doesn’t belong here,” Pinchas said. “Though if I could, I’d take the place of any of you.” “But you are not here in place of us, you are here as one of us.” Nathan Englander, The Twenty-Seventh Man1

2. Von der Tłomackie 13 an die Möhlstraße 12 a

Am späten Vormittag des 27. März 1947 brachte ein kleiner Reisebus Besucher aus München zu einem der Massengräber unweit von Landsberg. Feierlich wurde dort ein Kranz für den jiddischen Schriftsteller Mikhl Burshtin niedergelegt, der genau zwei Jahre zuvor in einem der Außenlager Dachaus umgekommen war – kaum vier Wochen bevor die amerikanische Armee das Konzentrationslager erreichte. Kein Grabstein erinnerte an den Prosaisten, für den nun sein Sohn das Totengebet sprach.2 Die Trauergemeinde bestand aus Journalisten und Schriftstellern, Mitgliedern des Schriftstellerverbandes der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone. Burshtin, 1897 geboren und seit den 30ern weit über die Grenzen Polens hinaus bekannt, war ein Symbol der einst blühenden jiddischen Literatur der Zwischenkriegszeit. Gleichzeitig stand seine Biographie aber auch exemplarisch für den ungebrochenen Willen zu schreiben, zu dokumentieren und zu lehren, sei es im Exil, im Ghetto oder im Konzentrationslager. Es war weder die Yortsayt, das Todesdatum nach jüdischem Kalender, noch einer der hohen Feiertage, an denen man gewöhnlich das Grab der Eltern oder anderer wichtiger Personen besucht. Trotzdem stand der Besuch des Massengrabs in dieser Tradition. Die Schriftsteller gingen Af keyver oves (zu den Gräbern der Vorväter), zum einzigen Grab, das ihnen in der deut-

Englander, For the Relief of Unbearable Urges, 18. Gar, Yosef, Der bagabter prozaiker. Tsu Mikhl Burshtins tsveytn yortsayt, in: Undzer veg, 21. 3. 1947; Troyer-fayerung tsum ondenk fun M. Burshtin, in: Undzer veg, 21. 3. 1947; YIVO 294.2, Folder 1343, Protokollbuch des Schriftstellerverbandes, Protokoll vom 13. 3. 1947. 1 2

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schen Diaspora geblieben war.3 Damit stand Burshtin an der Nahtstelle zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Tod und Leben, und sie markierte die Territorialität dessen, was als deutsche Diaspora das Leben dieser Schriftsteller bestimmen sollte. Er war für sie einer ihrer großen Schriftsteller, in seiner Nachfolge standen sie, knüpften durch ihn an eine verlorene, vernichtete Tradition an. Für die Schriftsteller, die sich an diesem Frühlingsmorgen vermutlich unter den Trauernden befanden, verwob sich die Geschichte Burshtins mit den eigenen Biographien. Wie er hatte Shloyme Berlinski sein erstes Buch in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch veröffentlicht, wie er hatte Mates Olitski der linken Schriftstellergruppe des legendären Schriftstellerverbandes an der Tłomackie 13 in Warschau angehört, die 1939 in das von den Sowjets besetzte Białystok geflüchtet waren und dort, protegiert von den kommunistischen Schriftstellerkreisen in Moskau, für kurze Zeit weiter publizieren konnten. Yosef Gar kannte aus erster Hand Burshtins vernichtete Manuskripte zu seinem dritten Roman Di gele late (Der gelbe Fleck), seine Geschichten über den Ghettoalltag in Kaunas und seine literarischen Arbeiten über die Zerstörung des litauischen Judentums. Dovid Volpe und Israel Kaplan gehörten wie Burshtin zu den Überlebenden der litauischen Ghettos, die im Herbst 1944 nach Dachau deportiert wurden.4 Im Laufe der vergangenen zwei Jahre hatten all diese Schriftsteller, entwurzelt durch den Holocaust, ein vorübergehendes und ungeliebtes Zuhause in der Amerikanischen Besatzungszone Deutschlands gefunden: Volpe und Kaplan überlebten das KZ Dachau und den Todesmarsch. Gar, dem Transport aus dem Ghetto von Kaunas entkommen, schlug sich mit seiner Familie über Polen nach Deutschland durch und erreichte München im Oktober 1945. Berlinski und Olitski erreichten 1946, repatriiert aus der Sowjetunion, die Amerikanische Besatzungszone. Zusammen mit einer kleinen Gruppe weiterer Schriftsteller und Journalisten hatten sie sich alle seit ihrer Ankunft in der Amerikanischen Besatzungszone am Aufbau der jiddischen Presse und Literatur beteiligt.

3 Zwei Jahre später, nachdem die meisten Schriftsteller Deutschland verlassen hatten, kritisierte Meylekh Tshemni in einem Artikel unter dem Titel Af keyver oves in Dakhau und Landsberg, dass niemand mehr Burshtins Grab besuchte. Tshemni, Meylekh, Af keyver oves in Dakhau un Landsberg, in: Dos vort, 12. 8. 1949. 4 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 29f. Zu einer Biographie Burshtins siehe Leksikon (Bd. I), 273–275; Gar, Umkum fun der yidisher Kovne, 379; ders., Der bagabter prozaiker. Tsu Mikhl Burshtins tsveytn yortsayt, in: Undzer veg, 21. 3. 1947; Garfunkel, Kowne hajehudit wechurbana, 237; Tory, Surviving the Holocaust, 309–311.

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2.1. Der Schriftstellerverband der befreiten Juden Als der Historiker Israel Kaplan und der Poet Dovid Volpe im Frühjahr 1946 zur Gründung eines Verbandes jüdischer Schriftsteller in der Sche’erit Hapleta in Deutschland aufriefen, waren ihre Erwartungen bescheiden. Wenige Monate nach Kriegsende konnte es nicht um große Ziele gehen. In dieser Zeit allgemeiner Selbstorganisation bildeten sich zahlreiche Berufsverbände, um die materielle Versorgung ihrer Mitglieder zu gewährleisten und zu ihrer Anerkennung im öffentlichen Leben beizutragen. So hatten Ärzte, Ingenieure oder auch Schauspieler ihre Interessensvertretungen in der Amerikanischen Besatzungszone. Auch die Landsmannschaften, die Vereinigungen Überlebender aus bestimmten Städten oder Gegenden, begannen nach dem ersten Winter in Deutschland ihre Arbeit aufzunehmen. Ein Briefkopf, ein offizieller Stempel, eine Adresse waren unerlässlich, wenn es darum ging, Ansprüche gegenüber dem Zentralkomitee und dem Joint geltend zu machen, vor allem aber auch für den Kontakt mit den Schwesterorganisationen im Ausland. Die Gründung des Schriftstellerverbandes war also in erster Linie eine organisatorische Maßnahme, um diese Berufsgruppe zu fördern und zu unterstützen. Bereits als sich am 22. Juli 1946 eine Initiativgruppe zusammenfand, stand daher ganz oben auf der Tagesordnung ein Antrag an das Kulturamt des Zentralkomitees, in dem gefordert wurde, den Schriftstellerverband dem Komitee als eigene Abteilung zu unterstellen. Durch die offizielle Anbindung an die Selbstverwaltungsorgane der Sche’erit Hapleta wurde der Sekretär zum Angestellten des Zentralkomitees und damit zum Empfänger von Lebensmittelzuteilungen. Auch für Schriftsteller, die sich ausschließlich ihrer literarischen Arbeit widmeten, sollten entsprechende Rationen angefordert werden.5 Der Verband wurde am 7. August 1946 vom Zentralkomitee der befreiten Juden in Deutschland als gesellschaftliche Institution anerkannt, doch im ersten Jahr seiner Existenz fehlte es ihm sowohl an geeigneten Räumlichkeiten wie an materiellen Mitteln. Erst nach einigen Monaten wurde ihm eine Ecke in einem größeren Zimmer in der Möhlstraße 12a zugewiesen, welches er sich mit der historischen Kommission teilen musste. Sitzungen wurden stehend oder im Flur abgehalten.6 Der erste Sekretär des Schriftstellerverbandes, Dovid Volpe, erinnerte sich an die ersten Tage unter diesen beengenden Platzverhältnissen: [Es war] eine Art provisorische Abstellkammer, voll gepackt mit Bücherkisten und anderen Gegenständen. Nach einigen Tagen bekam ich ein Telefongerät und einen Schreibtisch, den ich hinter die Tür quetschte, und dahinter ein Regal für 5 6

YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 22. 7. 1946. Shrayer, Efroyim, Khronik, in: Hibel/Friedman (Hg.), Shriftn, 161–164.

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Ordner. [. . .] Jiddische Schriftsteller trafen ein. [. . .] Die Klientel begann zu wachsen, die Liste wurde länger. Namen. Adressen, auch aus den weit abgelegenen Lagern. Ich musste die Fäden in der Hand behalten, Kontakte schaffen, mit dem Zentralkomitee in München verhandeln, um zumindest die städtischen Schriftsteller zu legalisieren, ihnen die nötigen Dokumente beschaffen, damit sie wenigstens den Status als DP bekamen und damit das Anrecht auf Essensrationen und -karten wie alle anderen Personen.7

Auch die materielle Ausstattung des Büros blieb beklagenswert. Eine jiddische Schreibmaschine konnte anscheinend erst im zweiten Jahr der Verbandstätigkeit akquiriert werden.8 Papier, Drucktypen, Schreibmaterial, Bücher für eine Handbibliothek – an all dem fehlte es dem Verband während der gesamten Zeit. Es kam deshalb wiederholt zu Auseinandersetzungen mit dem Zentralkomitee und dem Joint. Wie prekär die finanzielle Lage war, zeigt sich beispielhaft in einer langen Beratung über die gerechte Verteilung von 15 Füllfederhaltern und einem Anzug, die als Spende beim Verband eingegangen waren.9 Durch die ständig wachsenden Mitgliederzahlen war während der ersten Tätigkeitsmonate an eine inhaltliche Arbeit kaum zu denken. Vielmehr übernahm der Verband in diesem Zeitraum die Aufgabe, seine Mitglieder bei praktischen administrativen Problemen zu unterstützen und ihre Interessen zu vertreten. Volpe berichtet in seiner Autobiographie, dass viele der neu Angekommenen in Unkenntnis der lokalen Bedingungen und Möglichkeiten nicht verstehen konnten, aus welchen Gründen ihren Forderungen nach Wohnraum in den Städten nur bedingt nachgekommen werden konnte.10 Diese und andere Ansprüche wurden vermutlich aufgrund der Erfahrungen im Nachkriegspolen gestellt. Im dortigen jiddischen Schriftstellerverband hatten die Überlebenden in Polen und diejenigen, die seit der ersten Jahreshälfte 1946 aus der Sowjetunion nach Polen zurückgekehrt waren, eine zeitweilige Heimat gefunden. Der Verband, der seit Oktober 1944 in Lublin und ab Januar 1945 in Lodz tätig war, sah sich in der Tradition des Schriftstellerverbandes an der Tłomackie 13 in Warschau.11 Neben einer breiten kulturellen Tätigkeit – unter anderem zeichnete der Verband gemeinsam mit dem Zentralkomitee für die jiddische Zeitung Dos naye lebn

Volpe, Ikh un mayn velt, 301. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokolle vom 12. 6. 1947 und 17. 7. 1947. 9 Ebd., Protokoll vom 14. 7. 1947. 10 Volpe, Ikh un mayn velt, 303. 11 Sfard, Mit zikh un mit andere, 181. Zur Geschichte des Schriftstellerverbandes siehe Cohen, The Renewed Association. Lebensgeschichtliche Darstellungen des kulturellen Wiederaufbaus finden sich in Shtraus-Marko, Di geshikhte fun yidishn yishev und Fuks, Lodzh shel mayle, besonders 328. 7 8

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verantwortlich – setzte er sich im ersten Jahr seiner Tätigkeit intensiv für die materielle Unterstützung seiner Mitglieder ein: Als erste Stütze erhielt jeder zurückgekehrte Schriftsteller eine einmalige finanzielle Zuwendung und wurde mitsamt seiner Familie automatisch mit einem monatlichen Stipendium, Mahlzeiten, Kleidung und Unterkunft versorgt.12 Fünf der Schriftsteller, Shloyme Berlinski, Mendel Mann, Philip Friedman, Yekhezkl Keytlman und Yitskhok Perlov, die 1946 in der Amerikanischen Besatzungszone eintrafen, waren zuvor Mitglieder dieses Literatenvereines in Lodz gewesen.13 Andere wiederum hatten auch während der Kriegsjahre eine trotz Antisemitismus und einer allgemein schlechten Versorgungslage privilegierte Position erlebt: Mindestens zwei Schriftsteller, Shloyme Berlinski und Meir Halperin, waren in das 1939 von den Sowjets besetzte Białystok geflüchtet. Dort erschien damals weiterhin eine jiddische Zeitschrift – wenngleich unter einer von den Sowjets designierten neuen Redaktion –, die den Ankommenden die Möglichkeit bot, weiter literarisch tätig zu sein. Außerdem wurden die Flüchtlinge, viele von ihnen aus den Warschauer Schriftstellerkreisen, als Mitglieder des dortigen Schriftstellerverbandes aufgenommen, einer Abteilung des weißrussischen Schriftstellerverbandes in Minsk, und hatten von dort aus auch im Minsker Shtern (Stern) Texte veröffentlicht.14 Zusammen mit den anderen Mitgliedern des Schriftstellerverbands wurden sie nach der Bombardierung Białystoks nach Alma Ata in Kasachstan evakuiert und kehrten dann über Moskau nach Polen zurück.15 Der Schriftstellerverband in München konnte den Erwartungen, welche die Ankommenden aufgrund ihrer Erfahrung in Polen und der Sowjetunion an ihn herantrugen, in keiner Weise entsprechen. Zwar erhielt der Verband seit seiner offiziellen Anerkennung als Abteilung des Kulturamtes beim Zentralkomitee vier so genannte Joint-Rationen für seine Angestellten. Aber diese Zuteilungen, die zusätzlich zur Grundversoung durch die UNRRA zur Verfügung gestellt wurden, reichten bei weitem nicht aus, um sich materiell um alle neuen Mitglieder zu kümmern. Während einige Journalisten durch ihre Redaktionstätigkeit mit eigenen Zuteilungen versorgt waren, mussten Schriftsteller und bildende Künstler mit den UNRRA-Rationen auskommen.16 12

Cohen, The Renewed Association, 19. YIVO 701, Box 26, Folder 497, Zwia˛zek literatów dziennikarzy i artystów z˙ydowskich w Polsce, Juni 1946. Mates Olitski und Mendl Gelbart waren zu diesem Zeitpunkt Anwärter auf eine Mitgliedschaft. 14 Sfard, Mit zikh un mit andere, 110. Auch Binyomin Elis und der im KZ Dachau umgekommene Mikhl Burshtin waren 1941 Beiträger dieser Zeitschrift. Siehe dazu den Index of Yiddish Periodicals in der Nationalbibliothek in Jerusalem (IYP). 15 Sfard, Mit zikh un mit andere, 100–136. 16 Shperling, Yoysef, Der yidisher shrayber, in: Dos vort, 14. 11. 1947. Die geringen Zuteilungen, welche der Verband erhielt, wurden oft auf die kurzfristige Unterstützung materiell beson13

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Angesichts der inflationären Entwicklung des Pressewesens und der allgemein schlechten materiellen Bedingungen konnte der Verband in München schon nach wenigen Wochen den Eingang zahlreicher Bewerbungen verzeichnen: Ende Oktober 1946 waren 31 Mitglieder eingetragen. Obschon der Verband eigentlich als Verband hebräischer und jiddischer Schriftsteller eingetragen war, wiesen sich lediglich drei der Mitglieder als hebräische Schriftsteller aus.17 Wenige Monate später, im Januar 1947, zählte der Verband bereits vierzig Mitglieder, und im Mai desselben Jahres waren fünfzig Mitglieder – zwanzig Journalisten, 23 Schriftsteller und sieben bildende Künstler – registriert.18 Bis zum Sommer stiegen die Zahlen weiter an: 24 Schriftsteller und vierzig Journalisten, zum überwiegenden Teil journalistischer Nachwuchs, wurden nun zu den Mitgliedern gezählt.19 Zum Zeitpunkt der zweiten Jahreskonferenz im November 1947 schließlich hatte der Verband 71 – bis auf die Schriftstellerin Malke Kelerikh und die bilden´ska ausschließlich männliche – Mitglieder: 43 de Künstlerin Eva Brzezin Journalisten, 18 Schriftsteller und zehn bildende Künstler.20 „Bei uns stehen keine weiten Perspektiven auf dem Programm“, befand Levi Shalitan damals, „das Kriterium für eine Mitgliedschaft in der Organisation muss sein: Menschen, deren Handwerk das Schreiben ist.“21 Doch wie konnte in der chaotischen Nachkriegszeit festgestellt werden, wer der Berufsgruppe angehörte? Antragsteller mussten zwar bio-bibliographische Angaben zur eigenen Person machen. Doch oft war es nicht möglich, diese Informationen zu verifizieren. Veröffentlichungen aus der Vorkriegszeit konnten in den meisten Fällen nicht vorgelegt werden, und Gewährspersonen waren kaum zu finden.22 Manchmal blieben deshalb Beitrittsgesuche über Monate hin in der Schwebe:23 Der aus Polen stammende Jurist und Po-

ders bedürftiger Mitglieder verwendet, vgl. z. B. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 23. 12. 1946. 17 YIVO 294.1, Folder 394, Statistik fun shrayber-farband. Darunter befanden sich acht Prosaisten, fünf Poeten, zehn Journalisten, zwei Literaturkritiker, zwei Historiker und vier bildende Künstler. 18 YIVO 701, Box 23, Folder 459, Schriftstellerverband an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, München, 13. 1. 1947; ebd., Schriftstellerverband an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, München, 7. 5. 1947. 19 Zur kleinen Gruppe der bildenden Künstler, die ebenfalls durch den Schriftstellerverband organisiert waren, gehörten Maler, Grafiker und Bildhauer, die bereits vor dem Holocaust in ihren Berufen gearbeitet hatten. Vgl. YIVO 701, Box 23, Folder 459, Reschime fun Kinstler, München 28. 7. 1947; ebd., Journalistensektion des Schriftstellerverbandes an Rettungsfonds, München 10. 9. 1947; ebd., Reschime fun Literatn, 28. 7. 1947. 20 Elentsvayg, Yisroel, Troyerik-freylekhe makhshoves (nokhn tsuzamenfor fun shrayber-farband), in: Yidishe tsaytung, 21. 11. 1947. 21 YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 20. 8. 1946. 22 Ebd., Protokoll vom 24. 11. 1946. 23 Ebd., Protokoll vom 24. 11. 1946.

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et Yoysef-Dovid Mitlpunkt etwa gelangte nach dem Holocaust nach Deutschland, wo er bis zu seiner Emigration nach Israel 1948 in den DP-Lagern in Ulm und Leipheim lebte. Nach eigenen Angaben hatte Mitlpunkt bereits zahlreiche Veröffentlichungen auf Russisch und Jiddisch vorzuweisen.24 Über seine Aufnahme in den Schriftstellerverband wurde mehrfach abgestimmt, doch über den Status eines Kandidaten kam er nie hinaus. Da die Mitgliedschaft im Schriftstellerverband neben der erhofften materiellen Versorgung auch gesellschaftliche Anerkennung versprach, besaß sie für das Selbstverständnis der Antragsteller große Bedeutung.25 Nach monatelangem vergeblichem Warten wandte sich Mitlpunkt im Sommer 1947 verbittert an H. Leyvik in New York: Hier im Lager bin ich nur ein kleines Menschlein, ich besitze leider nicht die Vorzüge, die man braucht, um ein Komitee-Mensch zu werden, von all meinen ehemaligen Freunden ist keine Spur mehr geblieben, ich bin krank und gebrochen, bald 60 Jahre alt. Eine Zeit lang habe ich in der Münchener Presse geschrieben, ich wurde als Kandidat in den Schriftstellerverband der Sche’erit Hapleta aufgenommen – (als Mitglied braucht man mehr als eine verdienstvolle Abkunft (zkhus-oves) – [man braucht] Protektion im Klartext).26

Die personellen und ideellen Konstellationen, die in den folgenden Monaten den Charakter des Verbandes prägen sollten, kristallisierten sich bereits in der ersten im Herbst 1946 gewählten Verwaltung heraus. Dieser offiziellen Verwaltung gehörten neben den beiden litauischen Initiatoren des Verbandes, Israel Kaplan und Dovid Volpe, auch der polnische Schriftsteller Shloyme Berlinski, der Bildhauer Hersh Laban sowie der Historiker und Joint-Mitarbeiter Philip Friedman an.27 Ebenfalls in die Verwaltung gewählt wurde Hershl Vaynroykh, ein russischer Jude, der längere Zeit im jüdischen autonomen Gebiet Birobidjan gelebt, zwischen 1942 und 1945 in der Roten Armee gedient hatte, und nach eigenen Angaben für das Jüdische Antifaschistische Komitee in Moskau tätig gewesen war, bis er schließlich über Rumänien nach München gelangte.28 Im Laufe des ersten Verbandsjahres stießen auch der Warschauer Journalist Ben-Tsien Hibel und der Schriftsteller Yitskhok Goldkorn zu dieser Kerngruppe. Goldkorn hatte, wie auch andere seiner Kollegen in Deutschland, erst unmittelbar vor dem Krieg sein erstes Buch publiziert, bevor er dann von Dezember 1939 bis zum Mai 1946 in der Sowjetunion sibirische Lager und das Leben in mittelasiatischen Step24 Leksikon (Bd. V), 573 f. Diese Angaben können aber nur bedingt als verbindlich angesehen werden, da die Schriftsteller selber die Informationen für dieses Lexikon bereitstellen konnten. Siehe ebd., Undzer ankete, o. S. 25 YIVO 294.2, Folder 1343, Protokolle vom 24. 11. 1946 und 3. 7. 1947. 26 YIVO 315, Brief von Yoysef-Dovid Mitlpunkt an H. Leyvik, 26. 11. 1947. 27 Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 171. 28 Gid, Marian, A yidisher shrayber fun Sovet-Rusland, in: Forverts, 12. 4. 1947.

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pen überlebte, in Leningrad an der Front war und zur Zwangsarbeit in einem Bergwerk verpflichtet wurde. Während dieser Zeit habe er, so ist auf seinem Beitrittsgesuch für den Schriftstellerverband zu lesen, „buchstäblich überhaupt nichts geschrieben“.29 Ein weiteres aktives Mitglied war Avrom Yoakhimovitsh, der nach seiner Ankunft in Deutschland zu einem ständigen Mitarbeiter in der Landsberger Jidisze cajtung wurde. Er hatte vor seiner Deportation nach Auschwitz dem Künstlerkreis angehört, der sich im Ghetto Lodz um die Poetin Mirjam Ulinover gebildet hatte. Er schrieb auch Liedertexte für die Awangard-Bühne im Kulturhaus des Ghettos.30 Anfang 1947 schließlich wurde der Kreis ergänzt um Mendl Gelbart, der im folgenden Jahr in sein Geburtsland Polen zurückkehrte, sowie den Grandseigneur der jiddischen Presse in Deutschland, Ruven Rubinshteyn. Auch der Publizist Meylekh Tshemni, der im letzten Verbandsjahr die Sekretariatsstelle besetzte, stieß in jenem Jahr dazu. Im Januar 1947 löste sich der Journalistenverband unter dem Vorsitz von Ruven Rubinshteyn als Sektion vom Schriftstellerverband und entschied eigenständig über die Aufnahme neuer Mitglieder. Yitskhok Goldkorn wurde als Verbindungsmann zwischen beiden Sektionen eingesetzt.31 Bald nahm der neu gegründete Berufsverband Kontakt mit den Kollegen in Übersee auf. Im Rahmen der Verbandsgründung war bereits ein offizieller Brief an den Y. L.-Perets-Schriftstellerverband in New York gerichtet worden, in welchem zu Zusammenarbeit und gemeinsamer Erinnerungsarbeit aufgerufen wurde: Es ist unser ausdrücklicher Wille, mit Euch Schulter an Schulter auf dem verantwortungsvollen Posten der jiddischen Literatur zu stehen, zu einem künstlerischen Ausdruck zu finden und ein Mahnmal für den Holocaust (khurbn) zu errichten [. . .] und für die zukünftige Existenz unseres Volkes und seine vollständige Befreiung zu kämpfen.32

„Der Drang zu schaffen ist groß (das Herz ist voll)“, hieß es bald darauf in einem zweiten Brief. Die Hilfe, um welche die amerikanischen Kollegen ersucht wurden, betraf besonders die Schaffung von Druckmöglichkeiten, da „die kleine Zahl Druckereien bei uns den Hunger nach Schulbüchern nicht [zu] lindern“ vermochte. Aber auch die elementare Versorgung mit KleiYIVO 294.2, Folder 1345, Nr. 6/48. Fuks, Lodzh shel mayle, 309; Trunk, Łódz´ Ghetto, 336 f. Vertont wurden die Texte von Dovid Beyglman, dem Komponisten des Lodzer Kleinkunst-Theaters Ararat, in dessen Tradition die Awangard-Bühne stand. Um der Zensur im Ghetto zu entkommen, änderte Yoakhimovitsh den Titel eines Liedes von Die Freiheit in Die ab. Siehe YIVO 294.2, Folder 1345, Oytobiografye. 31 YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 23. 1. 1947. 32 YIVO 701, Box 23, Folder 459, Schriftstellerverband an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, München, 27. 12. 1946. 29 30

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dung wurde darin erbeten.33 Die Kollegen in New York reagierten umgehend. Sie schickten einen Betrag zur allgemeinen Verteilung (vorsichtig als „Gruß“ bezeichnet) sowie gesonderte Geldgeschenke an Kaplan, Friedman, Berlinski und Volpe.34 Da die Summe von insgesamt 200 Dollar nicht ausreichte, um eine Verlagstätigkeit aufzunehmen, wurde das Geld unter den Mitgliedern aufgeteilt und in Form literarischer Preise zur Verfügung gestellt.35 Insgesamt dreimal fanden sich die Literaten zu einer Jahreskonferenz zusammen. Es verwundert nicht, dass während der ersten dieser Versammlungen, die am 15. Oktober 1946 unter der Beteiligung von bereits 28 Mitgliedern – Schriftstellern, Journalisten und Künstlern – stattfand, die akuten materiellen Engpässe die Diskussion beherrschten. Daneben wurden aber auch künstlerische und gesellschaftliche Probleme angesprochen: Israel Kaplan kritisierte die fehlende Vernetzung der jiddischen Presse und forderte Lauterkeit und gesellschaftliches Verantwortungsgefühl als Grundbedingungen für die Entwicklung kulturellen Lebens. Im anschließenden Referat forderte Shloyme Berlinski dazu auf, das Niveau von Presse und Literatur durch die Schaffung einer eigenen Publikation und eigener Verlagstätigkeit zu heben. Yosef Gar hob zusätzlich als Aufgabe des Verbandes hervor, den Nachwuchs anzuleiten und zu fördern.36 Die hier geäußerten Forderungen nach Vernetzung der Schriftsteller und Journalisten, der Schaffung eigener Publikationen, der Nachwuchsförderung und das damit angestrebte Resultat – die Hebung des literarischen Niveaus – sollten bis zur Auflösung des Schriftstellerverbandes auf dessen Tagesordnung stehen. Unmittelbare künstlerische Arbeit und Förderung war im ersten Jahr der Verbandstätigkeit neben all den administrativen Aufgaben nur beschränkt möglich. Immerhin fanden ab Herbst 1946 regelmäßig Lesungen statt, in denen jeweils das Werk eines einzelnen Sche’erit Hapleta-Schriftstellers im Zentrum stand und durch die Anwesenden kritisch beurteilt wurde.37 Im 33 Ebd., Schriftstellerverband an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, München 13. 1. 1947. Ein identischer Brief wurde auch an die Organisatoren des Jüdischen Kulturkongresses adressiert: YIVO 294.1, Folder 394, Schriftstellerverband an [Kulturkongress], 22. 3. 1947. 34 YIVO 701, Box 23, Folder 459, Y. L.-Perets-Schriftstellerverband an Schriftstellerverband, New York, 31. 3. 1947. 35 Ebd., Schriftstellerverband an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, 18. 5. 1947; YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 28. 4. 1947. 36 Ebd., Protokoll vom 15. 10. 1946; Algemejne Farzamlung fun Szrajber-Farband fun SzejrisHaplejto, in: Jidisze cajtung, 15. 11. 1946. 37 Folgende Schriftsteller wurden eingeladen, ihre Werke vorzustellen: Israel Kaplan, Avrom Yoakhimovitsh, Shmuel D. Bunin (der einzige aktive hebräische Schriftsteller), Levi Shalitan, Dovid Volpe, Yosef Gar, Hershl Vaynroykh, Israel Kaplan, Shloyme Berlinski, Yitskhok Goldkorn, Meir Halpern, Yitskhok Perlov, Ben-Tsien Hibel und Efroyim Shrayer. 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 9. 9. 1946; Sheferisher ovnt fun dikhter Yitskhok Perlov, in: Undzer veg, 18. 2. 1947; YIVO 294.2, Folder 1343, Protokolle vom 8. 11. 1946 und 9. 1. 1947. Auf einem lite-

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Sommer 1947 mussten die Veranstaltungen wegen mangelnden Interesses allerdings einstweilen eingestellt werden.38 Die erste dieser Lesungen fand an einem kalten Samstagnachmittag im November 1946 statt. Einige der Literaten trafen sich, um über die Arbeiten Shloyme Berlinskis zu diskutieren. Unter den Zuhörern befand sich auch die damalige Joint-Mitarbeiterin Lucy Schildkret (Dawidowicz), die sich seit ihrer Aspirantur in Vilnius emotional eng mit den osteuropäisch-jiddischen Schriftstellern verbunden fühlte. In einem Brief in die USA beschrieb sie die Lesung folgendermaßen: This afternoon I was invited to attend a literary meeting [. . .]. I suppose this is sooner “cultural” than “recreational”. It was the first public meeting of the Jewish Writers Union, recently organized in Munich and was devoted to a reading from the work of S. Berlinski, a young writer who had won some measure of recognition in pre-war Poland. The meeting was held in one of the rooms of Kultur Amt, unheated because today is Saturday, with a total of about 18 people, including Berlinski, the chairman, and the author’s wife. Dr. Friedman said a few stammering words of introduction. Israel Kaplan, editor of the journal of the Central Historical Commission, presented an analysis of the work of Berlinski. Kaplan, a pre-war Yiddish journalist from Kovno, of some repute, is a very nearsighted guy, practically blind, with very piercing and ironic humor – about everything. He started out by speaking about the black market, [. . .] how everything has exchange value, including a yortsayt date which will be sold to anyone interested (e. g. Historical Commission) and that Berlinski, though talented, does not seem to have exchange value, ergo the small audience. Then he spoke about his work. Berlinski read some excerpts from a novel and a couple of stories, one of which was a gem, except for a few very minor flaws [. . .]. [But] since the place was freezing, I left. Berlinski, I am told, is the only writer here who has pre-war reputation and the only one of undisputed ability. Certainly it would seem so. The bad lighting, the cold, the small audience, the general depressing character of the meeting made me feel very sad. Especially when I make comparisons with what I know used to be in Warsaw and Vilna.39

Die pointierte Beschreibung vermittelt ein Gefühl davon, unter welchen Bedingungen die wenigen jiddischen Literaten 1946 ihre Arbeit in München voranzutreiben versuchten. Auf die Historikerin, die Mitte der 30er Jahre die Blütezeit jiddischer Literatur und Wissenschaft in Osteuropa miterlebt hatte und nach dem Holocaust Kontakte zu Schriftstellern wie Avrom Sutz-

rarischen Forum lasen im selben Jahr zehn Schriftsteller aus ihren Arbeiten vor. Am 14. 11. 1946 wurde im Schauspielhaus München ein öffentlicher künstlerisch-literarischer Abend veranstaltet. Siehe Shrayer, Efroyim, Khronik, in: Hibel/Friedman (Hg.), Shriftn, 162. 38 Ebd. 39 AJHS P-675, Box 55, Folder 3, München, 17. 11. 1946.

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kever und Mordkhe Shtrigler in Paris pflegte, wirkte die Begegnung mit den Überresten des osteuropäischen Judentums in München bedrückend. Am 6. und 7. November 1947 war München Versammlungsort für die zweite jährliche Konferenz der Schriftsteller, Journalisten und Künstler der Sche’erit Hapleta. Bereits im Vorfeld machte Ben-Tsien Hibel auf die wichtige Funktion aufmerksam, die den Schriftstellern und Journalisten zufalle und die in keinem Verhältnis zu den materiellen Bedingungen stünde, unter welchen sie lebten. Der hohe intellektuelle und ideologische Anspruch, der dazu beitrage, die Sche’erit Hapleta moralisch und geistig konstruktiv zu beeinflussen, müsse den materiellen Umständen entsprechen. Die impliziten Forderungen, die Hibel damit an das Zentralkomitee und den Joint stellte, waren deutlich: Ein eigenes Lokal für den Schriftstellerverband, eine bessere Versorgung der Mitglieder mit Lebensmitteln und Kleidung, vor allem aber finanzielle Unterstützung für die längst überfällige Publikation der literarischen Zeitschrift des Schriftstellerverbandes, deren Manuskript fertig redigiert auf den Druck wartete. „Die Lösung dieser Fragen“, konstatierte Hibel, „kann in hohem Maße das Niveau der jiddischen Presse, des künstlerischen Wortes heben und kräftigen, die doch eine wichtige Aufgabe im Kampf für die Überlebenden der jüngsten Katastrophe haben.“40 Obschon man in Zeitungsberichten versuchte, der Konferenz einen würdevollen Anstrich zu verleihen, war schnell klar, dass Hibels Forderungen auf wenig Resonanz gestoßen waren.41 Die Veranstaltung fand in einem unbeheizten dunklen Raum statt – ohne Anwesenheit der in- und ausländischen Presse, wie dies in Presseberichten angekündigt worden war. Geladene Gäste wie der Vorstand des Kulturamtes oder Philipp Auerbach, der Staatskommissar für rassisch und politisch Verfolgte, sowie Vertreter der zionistischen Parteien ließen ihre Abwesenheit entschuldigen.42 Im zweiten Jahr seiner Existenz konnte der Schriftstellerverband nur wenige Veranstaltungen organisieren, so beispielsweise Ende Dezember 1947 eine gemeinsam mit dem Schauspielerverband durchgeführte Gedenkveranstaltung zum 30. Todestag des Begründers der modernen jiddischen Literatur, Sholem Yankev Abramovitsh (Mendele Moykher Sforim).43 Erst im Februar 1948 war wieder etwas Bewegung im Verband zu spüren. Als Überbrückungshilfe konnten nun einigen Mitgliedern durch die Erziehungskom-

40 Hibel, Ben-Tsien, Tsu der shrayber-konferents fun sh[eyres] h[apleyte], in: Undzer veg, 7. 11. 1947. 41 Ebd. 42 Fridenzon, Moyshe, Troyerik-freylekhe makhshoves (nokhn tsuzamenfor fun shrayberfarband), in: Jidisze cajtung, 14. 11. 1947; Hibel, Ben-Tsien, Tsu der shrayber-konferents fun sh[eyres] h[apleyte], in: Undzer veg, 7. 11. 1947. 43 YIVO 294.2, Folder 1560, Program fun der fayerlekher Mendele-akademye.

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mission finanzierte Werkstipendien gewährt werden.44 Die Schriftsteller sollten damit eine Möglichkeit bekommen, sich für eine Dauer von höchstens sechs Monaten völlig auf ihre künstlerische Arbeit zu konzentrieren. Gleichzeitig wurde in Zusammenarbeit mit der Erziehungskommission auch die Durchführung der literarischen Veranstaltungen, die im Vorsommer wegen zu kleiner Beteiligung eingestellt worden waren, wieder aufgenommen. Den Auftakt zu dieser neuen Vortragsreihe machte Philip Friedman mit einem Referat unter dem Titel Di grunt-problemen fun der khurbnforshung (Die Grundprobleme der Khurbn-Forschung).45 Am 3. März wurde ein literarischer Abend durchgeführt, in dessen Rahmen Baruch Graubard, Shloyme Berlinski und Ruven Rubinshteyn ein kollektives Referat zum Thema Di literatur alts sheferin fun der folks-psikhik (Die Literatur als Schöpferin der Volkspsyche) hielten.46 Im Sommer 1948 fanden Diskussionsveranstaltungen und Literaturabende zu Neuerscheinungen von Büchern der Sche’erit Hapleta-Schriftsteller Levi Shalitan, Efroyim Shrayer und Meylekh Tshemni statt.47 Im Sommer 1948 wurde zur Buchvorstellung der beiden Regensburger Schriftsteller Mendel Mann und Yekhezkl Keytlman eingeladen. Deren Bücher Yerushe (Erbe) beziehungsweise Oysterlishe geshikhtn (Ungewöhnliche Geschichten) waren im Verlag Yidishe zetser (Jüdische Setzer) in Regensburg herausgegeben geworden, welcher von den beiden Schriftsteller selber initiiert worden war, und dessen Finanzierung anscheinend größtenteils aus eigenen Mitteln bestritten wurde.48 Es blieb nicht aus, dass während dieser Veranstaltungen über die zögerliche Entwicklung des Verlagswesens diskutiert wurde. Erhitzt wurden die Gemüter auch durch die Tatsache, dass ausgerechnet diese beiden Künstler, zusammen mit ihrem Kollegen Mates Olitski, eine Mitgliedschaft im Schriftstellerverband ablehnten, weil ihnen dessen Niveau zu niedrig erschien.49 Im Februar 1948 konnte der Schriftstellerverband endlich auch mit einer eigenen Publikation an die Öffentlichkeit treten. Eine literarische Zeitschrift, geplant seit den Geburtsstunden des Verbandes, erschien unter dem

44 Bis zum Dezember erhielt der Verband insgesamt 35 Rationen, die zu diesem Zweck eingesetzt werden konnten. Vgl. Konferents fun shrayber un zhurnalistn in der sh[eyres] h[apleyte] untern tseykhn fun likvidatsye, in: Dos vort, 24. 12. 1948. 45 In shrayber un zhurnalistn-farband, in: Undzer veg, 3. 2. 1948. 46 Fun yidishn kultur-lebn, in: Undzer veg, 24. 2. 1948. 47 Fun shrayber-farband fun sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 3. 8. 1948; Shrayber-farband fun sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 18. 6. 1948. 48 YIVO 701, Folder 459, Keytlman an Rescue Fund, Falkenstein bei Regensburg, 30. 5. 1947. 49 Ebd. Nach Einschätzung Keytlmans setzte sich der Schriftstellerverband mit Ausnahme von Shloyme Berlinski nur aus Personen zusammen, „die überhaupt nichts mit dem Schreiben zu tun haben“.

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Titel Shriftn far literatur, kunst un gezelshaftlekhe fragn (Schriften für Literatur, Kunst und Gesellschaftsfragen).50 Die Publikation entstand jedoch unter wenig günstigen Umständen. Die Auswahl erschien zufällig, das Layout ließ zu wünschen übrig und die Meinungsverschiedenheiten in der Redaktion, deren Zusammensetzung sich mehrfach geändert hatte, schlugen sich im Endergebnis nieder: Eine ungeordnete Aneinanderreihung von Liedern, Kurzgeschichten, literarischen Essays und theoretischen Aufsätzen, ergänzt durch Zeichnungen und Werkfotos der Künstlersektion. Die Kritiken fielen gedämpft aus. Tatsächlich war die Publikation erst durch die finanzielle Zuwendung einer amerikanischen Reformgemeinde möglich geworden. „Schwer verdaulich“ wurde der Umstand genannt, dass man, „um eine ernsthafte Sammelschrift in Deutschland herauszugeben, erst an die Tore irgendeines Tempels irgendwo hinter den sieben Bergen (hare khoyshekh) klopfen muss“. Den zentralen Instanzen wurde vorgeworfen, die elementaren Bedürfnisse der Sche’erit Hapleta nach Kultur und Erziehung noch immer nicht erkannt zu haben.51 Bereits im Oktober 1946 hatte der Schriftstellerverband erstmals einen Lizenzantrag für die Publikation von Shriftn beim Joint zur Weitergabe an die Militärregierung eingereicht, doch blieb er dort über Monate hin unerledigt liegen. Selbst als die Matrizen für diese lang geplante eigene literarische Veröffentlichung längst beim Drucker bereitlagen, waren weder der Lizenzantrag behandelt, noch die notwendigen finanziellen Mittel bewilligt worden. Dafür zeigte ein gutes Jahr später die Erziehungskommission, die 1947 gemeinsam vom Joint, dem Zentralkomitee und dem Sochnut gegründet worden war, Interesse daran, der Öffentlichkeit ein präsentables Ergebnis seiner Tätigkeit in Deutschland vorzulegen.52 In der Sitzung des Schriftstellerverbandes vom 27. November 1947 ließ sie dem Plenum durch Philip Friedman den Vorschlag unterbreiten, der Verband solle sich an der Herausgabe eines literarischen Journals im Format der amerikanisch-jiddischen Zeitschrift Tsukunft beteiligen. Nachdem der Lizenzantrag für Shriftn noch immer unbearbeitet war, zeigten die Schriftsteller zunächst wenig Begeisterung für dieses neue Projekt. Erst nachdem die entscheidende Frage nach der redaktionellen Zuständigkeit zu Gunsten des Schriftstellerverbandes geklärt war, willigte dessen Vorstand schließlich in eine Zusammenarbeit mit der Erziehungskommission ein. Die entsprechenden Sitzungen sind aus-

Ersht aroys fun druk: „shriftn“, in: Undzer veg, 3. 2. 1948. [Lange nun], A zhurnal aza (nit keyn retsenzye), in: Dos vort, 6. 2. 1948. Das Geld wurde durch Abraham J. Klausner organisiert. Er schien sich auch um die Drucklegung persönlich gekümmert zu haben, was auf Grund des Publikationsortes Kassel, an dem er sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, zu vermuten ist. Vgl. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 22. 10. 1947. 52 YIVO 294.1, Lucy Schildkret an Leo Schwarz. Subject: unlicensed new magazine, 15. 11. 1946. 50 51

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führlich protokolliert und lassen deutlich das Unbehagen des Verbandes gegenüber der patronisierenden Haltung der Erziehungskommission spüren. Einige der Schriftsteller lehnten die Zusammenarbeit zuerst kategorisch ab; aus dem einstimmigen Resultat der Endabstimmung wird jedoch klar, dass keine Alternativen existierten und die Erziehungskommission „gute Absichten hat[te]“.53 Die Planung dieser durch die Erziehungsabteilung finanzierte Literaturzeitschrift, die den Titel Hemshekh (Fortsetzung) tragen sollte, begann im Dezember 1947. In einem Aufruf in der jiddischen Presse und im Informationsbulletin des Schriftstellerverbandes wurde zur Zusendung von Manuskripten bis zum 20. Januar 1948 aufgefordert.54 So erschienen im Abstand von wenigen Monaten zwei verschiedene literarische Publikationen des Schriftstellerverbandes: Shriftn und Hemshekh, erstere nach einer Vorlaufphase von zwei Jahren, letztere im April 1948 nach wenigen Monaten redaktioneller Arbeit. Und waren die Kritiken zu Shriftn wenig positiv ausgefallen, wurde das Erscheinen von Hemshekh mit Applaus begrüßt. Im Januar 1949 folgte sogar eine zweite Nummer. Die Korrespondenz zwischen den Joint-Mitarbeitern in München und Paris lässt erahnen, wie begründet die Skepsis der Schriftsteller war und wie sehr der Schriftstellerverband sich instrumentalisiert fühlen musste. S. Lewis Gaber vom Joint in München titulierte in einem Brief an Samuel Haber begeistert: „The Hemshekh story – a joint (also Joint) venture.“55 Die Zeitung war zwar als gemeinsames Projekt mit der Erziehungskommission, also unter Teilnahme der Selbstverwaltungsorgane entstanden, doch wäre es ohne die finanzielle Unterstützung durch den Joint niemals zu einer Publikation gekommen. Als „joint venture“ erfüllte die Publikation den Zweck, die DPs mit Lesematerial zu versorgen und die Schriftsteller anzutreiben, als „Joint venture“ konnte Hemshekh als Publicity für die erfolgreiche Kulturarbeit in der Amerikanischen Besatzungszone eingesetzt werden.56 Die dafür aufgewendeten finanziellen Mittel schienen dabei durchaus angemessen zu sein: Auf die Frage des Joint-Hauptquartiers in Paris – „how much?“ – erwiderte S. Lewis Gaber: I understand perfectly well the question that you raise and those two words “how much” troubled me probably as much as anybody in Joint. Frankly, the cost was so little for the entire issue that considering the value of the magazine and the credit it might bring to JDC, there was very little hesitation on my part to approve its printing [. . .] An entire issue such as the one that you have received costs the 53

YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 27. 11. 1947. Nayer literarisher zhurnal, in: Shrayber un zhurnalistn-farband. Byuletin I (1948). 55 YIVO 294.2, Folder 400, S. Lewis Gaber an Samuel Haber, 26. 9. 1948. 56 YIVO 294.1, Folder 109, Kurt Jilowsky an S. Lewis Gaber, 19. 5. 1948; ebd., Folder 395, S. Lewis Gaber an Leyb Fefer, 26. 9. 1948. Aus diesem Brief geht hervor, dass der Joint die vollen Kosten für die Ausgabe übernommen hatte. 54

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JDC exactly fifty dollars. I shall let you decide whether that is much or little and whether it was worth doing.57

Auch der Publizist und Übersetzer Charles Malamuth wurde um seine Meinung zu Hemshekh gebeten. Er sprach sich dafür aus, die Zeitschrift für Werbezwecke in amerikanisch-jüdischen Organisationen einzusetzen, da sie durchaus mit anderen jiddischen Publikationen desselben Formats mithalten könne. Auch wenn ein Teil des Materials nicht durch seine Qualität besteche, sei daran doch besonders interessant, dass es aus der Feder von DPs stamme.58 Die dritte und letzte Jahreskonferenz des Schriftstellerverbandes schließlich, die am 19. Dezember 1948 in München unter Anwesenheit von 45 Mitgliedern stattfand, stand ganz unter dem Zeichen der allgemeinen Auflösungsstimmung der Sche’erit Hapleta. Auf dieser letzten Konferenz standen nicht mehr die bisherigen Aspekte inhaltlicher Arbeit auf der Tagesordnung, sondern nur noch die technischen Einzelheiten der Auflösung. Auf dem Höhepunkt seiner Tätigkeit sollte und wollte der Verband nun seine Zelte abbrechen. In den Resolutionen, die auf der dritten und letzten Konferenz des Schriftstellerverbandes angenommen wurden, ist deutlich die Euphorie über die Staatsgründung Israels zu spüren: Die Schriftsteller und Journalisten der Sche’erit Hapleta wurden dazu aufgefordert, ihre ganze Kreativität in den Dienst des jüdischen Staates zu stellen und die Selbstliquidierung der Sche’erit Hapleta voranzutreiben.59 In seiner Eröffnungsrede zu dieser letzten Jahreskonferenz hob Mordkhe Libhaber hervor, dass der Schriftstellerverband – wie alle anderen gesellschaftlichen Institutionen – zur Selbstliquidierung strebe, aber nicht ohne Stolz auf die Errungenschaften der letzten Jahre zurückblicken dürfe. Die drei Konferenzen symbolisierten, so Libhaber, drei verschiedene Stufen: Begonnen habe alles mit der Realisierung der Idee, eine Plattform für die Schriftsteller und Journalisten zu schaffen. In der ersten Stufe sei man über jedes einzelne Mitglied glücklich gewesen, welches sich in Deutschland eingefunden habe. In der zweiten Phase habe dagegen eine innere Stärkung des Verbandes stattgefunden. In diese Zeit falle auch der Höhepunkt des Pressewesens in der Sche’erit Hapleta und die Entstehung bedeutender künstlerischer Werke. Mit dieser Entwicklung habe sich die jiddische Literatur in Deutschland einen Platz in der zeitgenössischen Literatur erobert. In der dritten und letzten Phase solle nun der Schriftstellerverband seiner Auf-

57 YIVO 294.1, Folder 395, M. W. Beckelmann an S. Lewis Gaber, o. D.; ebd., S. Lewis Gaber an M. W. Beckelmann, 21. 6. 1948. 58 Ebd., Charles Malamuth an AJDC München, 1. 7. 1948. 59 K. [Israel Kaplan], Konferents fun shrayber un zhurnalistn untern tseykhn fun likvidatsye, in: Undzer veg, 24. 12. 1948.

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lösung entgegen sehen.60 Die Geschichte des Schriftstellerverbandes verläuft damit synchron zur allgemeinen Entwicklung der Sche’erit Hapleta und ihrer Selbstverwaltungsorgane: Aufbau – Stabilisierung – Liquidierung sind die drei Phasen, in welche bereits die frühe Forschung diese transitorische Gesellschaft einzuteilen versuchte. Gerade die letzte Phase hat bis jetzt jedoch relativ wenig Beachtung gefunden, rückt sie doch angesichts der Massenauswanderung nach Israel, in die USA und zahlreiche andere Länder in den Hintergrund. Und doch ist es gerade diese letzte Phase, die noch einmal in besonderem Maße verdeutlicht, wie ambivalent die Stellung der jiddischen Schriftsteller in Deutschland war. Ende 1948, mitten in der allgemeinen Aufbruchstimmung, waren es besonders die jungen Schriftsteller und Journalisten, die sich gegen die Auflösung des Verbandes aussprachen.61 Sie hatten die Plätze der emigrierten Mitglieder eingenommen und besetzten damit Positionen, die ihnen in einem anderen sozialen Kontext zweifellos nicht mehr zugänglich sein würden. Tatsächlich war 1948 für den Schriftstellerverband trotz sichererer materieller Bedingungen und verbesserter Publikationsmöglichkeiten ein Jahr zunehmender innerer Instabilität geworden. Es häuften sich Schuldzuweisungen: der Vorstand trat geschlossen zurück, die Sekretariatsstelle konnte nur schwer wieder besetzt werden, nachdem ein Misstrauensvotum gegen den damaligen Sekretär Meylekh Tshemni ausgesprochen worden war. Vor allem Yekhezkl Keytlman und Yitskhok Goldkorn richteten Vorwürfe gegen ihn und zettelten, wie es in der Presse genannt wurde, einen Putsch an, um Tshemni von seinem Posten zu verdrängen. Doch, urteilte Mordke Libhaber in einer feuilletonistischen Randbemerkung, so lange der Stempel („der Machtbeweis“) in dessen Händen bliebe, seien alle Versuche gescheitert: „Das zusammengerufene Parlament der Schriftsteller wird alle Bemühungen unternehmen, um den Stempel (Hoch soll er leben!) in demokratische Hände zu bringen.“62 Tshemni hatte im Juni 1948 offenbar ohne Rücksprache mit dem Vorstand im Namen des Schriftstellerverbandes einen weiteren Bittbrief an den Y. L.-Perets-Schriftstellerverband nach New York geschickt.63 Er machte darin auf die katastrophalen materiellen Bedingungen aufmerksam, welche sich durch die Währungsreform in Deutschland noch einmal drastisch verschlechtert hatten. Dazu merkte er an, dass die

Ebd. Ebd. 62 Libhaber, Mordkhe, Rand-notitsn, in: Tsienistishe shtime, 2. 9. 1948. 63 Schon im Januar 1948 war der Y. L.-Perets-Schriftstellerverband durch die Mitarbeiterin des Jüdischen Arbeiterkomitees in New York, Bela Meiskin, dazu angehalten worden, die Schriftsteller in Deutschland finanziell zu unterstützen. Diese Bitte wurde aber abgelehnt, da die finanziellen Möglichkeiten des Rettungsfonds ausgeschöpft seien. Tamiment 7015, Box 60, Folder 25, Rescue Fund for Jewish Refugee Writers an Jacob Patt, 27. 1. 1948. 60 61

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Schriftsteller im Wunsch, ihre Bücher zu veröffentlichen, meist selbst für die finanziellen Mittel aufkamen, die den Druck erst ermöglichten. Eine Liste mit elf Prosaisten und Poeten lag bei.64 Tatsächlich erhielt Tshemni im August eine Zusage über einhundert Dollar.65 Die Verteilung dieser finanziellen Zuwendung aus dem Ausland löste einen Sturm im Wasserglas aus und führte gar zur Einsetzung einer Untersuchungskommission: In der Tsienistishe shtime wurde im Dezember 1948 eine Karikatur abgedruckt, die den Kampf im Schriftstellerverband um diese Summe zeigte.66 Auf die Frage, wann sich der Schriftstellerverband letztlich genau auflöste, lässt sich keine eindeutige Antwort finden. In einer Satire unter dem Titel Di khevre kedishe (Die Bestattungsbruderschaft) wollten die einen den Verband schon zu Grabe tragen, während die anderen schrieen: „Schaufelt dem Toten kein Grab – er lebt noch!“ Noch Zehntausende Juden lebten in Deutschland, wandten sie ein, und müssten durch den Schriftstellerverband mit geistiger Nahrung versorgt werden. Die Totengräber wiederum fragten erstaunt: „Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Dachstube an der Möhlstraße 12a, den Zeitungen und den Schriftstellern?“67 Die Satire bezog sich auf die hitzige Diskussion, die im Rahmen der letzten Konferenz stattgefunden hatte, und in der Baruch Graubard sich im Namen der Erziehungskommission dafür ausgesprochen hatte, den Verband weiter bestehen zu lassen, bis er „eines natürlichen Todes [sterbe]“.68 Die Netzwerke der Schriftsteller und Kulturschaffenden, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in Deutschland befanden, funktionierten auch nach der Auflösung des Schriftstellerverbandes weiter – allerdings auf informeller Ebene. In der Wohnung von Dovid Volpe in der Geigerstraße 1 in München entstand für eine kurze Zeit ein „Miniatur-Klub“ der jiddischen Schriftsteller. Stammgäste waren Israel Kaplan, Yekhezkl Keytlman mit seiner Frau, Yitskhok Goldkorn, der Journalist Marian Gid und manchmal auch Shloyme Berlinski mit seiner Frau, der Sängerin Lola Folman.69

64 YIVO 701, Box 23, Folder 459, Tshemni an Y. L.-Perets-Schriftstellerverband, München 8. 6. 1948. Die Liste umfasste die Schriftsteller Olitski, Berlinski, Halpern, Volpe, Vorzoger, Tshemni, Yoakhimovitsh, Mann, Elis und Keytlman. 65 Ebd., Hendin an Schriftstellerverband München, New York, 30. 8. 1948. 66 Libhaber, Mordkhe, Rand-notitsn, in: Tsienistishe shtime, 23. 12. 1948; Graubard, Baruch, Vegn humor un satire, in: Bafrayung, 17. 12. 1948. 67 JNUL Arc. 4° 1795, Di khevre kedishe (Zeitungsausschnitt ohne bibliographische Angaben). 68 K. [Israel Kaplan], Konferents fun shrayber un zhurnalistn untern tseykhn fun likvidatsye, in: Undzer veg, 24. 12. 1948. 69 Volpe, Ikh un mayn velt, 329. Anscheinend wurden diese Schriftsteller Ende 1949 durch das Jüdische Arbeiterkomitee in New York ein weiteres Mal unterstützt. Siehe: Tamiment 7015, Box 89, Folder 14, Jacob Patt an Bund-Exekutive Deutschland, 24. 10. 1949.

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Abb. 2: Nach dem „Putsch im Münchener Schriftstellerverband“ (Tsienistishe shtime, 23. 12. 1948)70

2.2. Das Erbe antreten – Die Schriftsteller und die Goldene keyt In seiner auf Hebräisch und Jiddisch gehaltenen Eröffnungsrede zur zweiten Jahreskonferenz des Schriftstellerverbandes diskutierte der Historiker Israel Kaplan die Bedeutung künstlerischer Tätigkeit in der Diaspora im Allgemeinen und die besondere Rolle der Sche’erit Hapleta als Diasporagemeinde im Besonderen. Die Juden hätten, so Kaplan, die Tora und damit den Grundstein zur westlichen Kultur auf der Wanderschaft empfangen. 70 Im Text heißt es: „Generalkommissar: – Seht, Freunde, seht. Hundert Dollar sind angekommen . . . hundert . . . / Putschisten: – Ich schreibe gerade ein Werk zu Ende . . . Ich habe eine Familie . . . ich . . . / Generalkommissar: – Nein! Gar nichts! . . . Helft mir den weggelaufenen Generalsekretär umbringen . . . Er will das Stempelchen nicht zurückgeben . . . er . . . er . . . mein Heeerrrrz! . . .“

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Auch in der jetzigen Etappe jüdischer Diasporaexistenz habe man zeitweilig die Torazelte aufgeschlagen und so die Sche’erit Hapleta zu einem Hort jüdischer Gelehrsamkeit (achsanja schel tora) gemacht. Mit dem biblischen Vergleich schrieb der Historiker die jüdische Gesellschaft in Deutschland in ein kulturhistorisches Kontinuum ein, nicht ohne gleichzeitig nachdrücklich auf die Probleme und Besonderheiten jüdischer Existenz in der deutschen Diaspora hinzuweisen. So wertete er den raschen Aufbau und die Stabilisierung der Kultureinrichtungen in Deutschland, darunter besonders auch den Schriftstellerverband, zwar als positiven Ausdruck des Wiedererwachens schöpferischer Kräfte, warnte aber gleichzeitig davor, davon Beständigkeit zu erwarten. Vielmehr sollte es darum gehen, auch unterwegs, auf dem Weg in eine neue Heimat, den kreativen Geist nicht ruhen zu lassen. Als geradezu charakteristisch für das Wesen der DP-Kultur hob er daher das „Negieren von Standhaftigkeit“ hervor. Dies sei zwar, so Kaplan, kein absolutes Novum in der jüdischen Geschichte, doch noch nie habe man so nachdrücklich den Segen Al kitzur jamim (auf kurze Tage) – in Umkehrung des traditionellen Segensspruches Al orech jamim (auf lange Tage) – ausgesprochen wie heute.71 Und auch in einem weiteren Punkt unterschied sich laut Kaplan diese Kultur von derjenigen anderer jüdischer Diasporagemeinden: Das Fehlen einer intellektuellen Elite habe die Sche’erit Hapleta zu einem geistigen Waisenkind werden lassen. Die kaum zu bewältigende Rolle, die den jiddischen Schriftstellern in Deutschland zufalle, sei ein eigentlicher „Horror pleni“. Anders als beim Horror vacui, der Angst vor dem leeren Raum, laste das Gewicht des ganzen geistigen Reichtums einer untergegangenen Welt auf den Schultern seiner wenigen Erben.72 Es stand für Kaplan jedoch außer Frage, dass gerade die Juden, welche die Schrecken der Nazizeit am eigenen Leib hatten erdulden müssen, nun verpflichtet seien, das Erbe anzutreten und die Fäden der Tradition weiterzuspinnen. Sinnbildlich sprach Kaplan von der Goldener keyt, der goldenen Kette jüdischer Tradition, die von jiddischer Vorkriegskultur über den Holocaust bis hin zu den publizistischen und schriftstellerischen Arbeiten in der Sche’erit Hapleta eine Verbindung herstellen sollte. Der Rückbezug auf die Tradition sollte dabei als Antriebsfeder für Kreativität und vor allem für die Qualität dienen.

71 Fridenzon, Moyshe, Yerlekhe konferents fun yid. shrayber zhurnalistn un kinstler, in: Jidisze cajtung, 14. 11. 1947. 72 Kaplan, Israel, Der veg fun yidishn shrayber, in: Undzer veg, 28. 11. 1947.

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Mir zenen do! – Ein Ruf ins Leere? Der Aufbau zeitlich begrenzter jüdischer kultureller Inseln, anknüpfend an die osteuropäisch-jiddische Vorkriegskultur, und der moralische Anspruch, deren Erbe anzutreten, waren Themen, die den journalistischen Diskurs prägten und wiederholt in den Sitzungen des Schriftstellerverbandes diskutiert wurden. Die Refrainzeile aus Hirsh Gliks Partisanenhymne – Mir zenen do! (Wir sind hier!) – diente unzählige Male als Titelüberschrift, wenn es darum ging, in der Presse auf die spezifischen Realitäten dieser produktiven und kreativen Gruppe aufmerksam zu machen. Für die Schriftsteller schwang in dieser Aussage nicht nur der Triumph über den misslungenen Versuch, Deutschland judenrein zu machen, mit. Sie bedeutete auch, dass man sich in der zeitgenössischen jiddischen literarischen Welt Gehör verschaffen und sich in ihr verorten wollte. Diesem Bestreben, in den zeitgenössischen literarischen Diskurs integriert zu werden, lagen sowohl ideelle wie auch materielle Absichten zu Grunde. Gerade während der ersten Monate nach der Befreiung, als autobiographisch gefärbte Texte einen besonders hohen dokumentarischen Stellenwert besaßen, waren die Adressaten – neben den DPs selbst – die jüdischen Leser in Amerika. In der Aufbauphase stand der Wunsch im Vordergrund, sich der Welt mitzuteilen, über die Zerstörung und das Leid Zeugnis abzulegen. Daneben formierte sich der Schriftstellerverband aber nicht zuletzt, um als organisierte Gruppe auftreten und so Unterstützung durch Schriftsteller im Ausland finden zu können. Obgleich die materielle Unterstützung, sei es in Form von Büchern, Geld oder technischer Hilfe dabei eine ganz entscheidende Rolle spielte, forderten die Schriftsteller ihre Kollegen aus dem Ausland auch dazu auf, Beiträge für die DP-Presse zu verfassen oder bereits erschienene Texte zum Abdruck freizugeben, um damit zu einer Verbesserung des publizistischen Niveaus beizutragen. Dieser Aufforderung, die besonders an die Schriftsteller in New York gerichtet war, wurde jedoch kaum nachgekommen. Noch kurz vor der Auflösung der Sche’erit Hapleta, Ende April 1949, sprach Y. Spartan von einer „geistigen Blockade“, in der sich die Schriftsteller in Deutschland befänden. Die mehr als zwanzig Neuerscheinungen, das breite Spektrum jiddischer Publizistik, seien vom Ausland stillschweigend ignoriert worden. Diese Blockade, so Spartan, sei nicht nur auf künstlerischem, sondern auch auf materiellem Gebiet spürbar gewesen.73 In einem offenen Brief tadelte Ben-Tsien Hibel die amerikanischen Berufskollegen und rief sie zur Verantwortung: Aber Ihr, jiddische Schriftsteller jenseits des Atlantiks, seid von uns abgeschnitten! Ihr, die den Zauber enthüllt, der in der Kraft des jiddischen Wortes liegt, Ihr, 73

Spartan, Y., A vikhtike kultur-aktsye, in: Der morgn, 29. 4. 1949.

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das Nervenzentrum der leidvollen jüdischen Seele, Ihr schweigt und erquickt uns nicht mit eurem Wort. Ihr hättet doch unter den ersten sein müssen, die uns, den Überresten des europäischen Judentums, eine brüderliche Hand entgegen strecken. Aus unserem Quell habt Ihr geschöpft und damit Eure poetische Kraft genährt. Unsere Eltern und Großeltern haben Eure dichterische Phantasie beflügelt. Ihre Freuden und Leiden haben Euch geformt und es erst ermöglicht, Eure künstlerische Begabung zu entdecken. Und jetzt überlasst Ihr uns – den Rest der Zerstörung – der Betreuung durch philanthropische Anstalten, meint, dass Kleidung und Konserven unser Verlangen stillen. [. . .] Schickt uns, jiddische Schriftsteller, ein Wort [. . .]. Wir warten.74

Die ausländischen Schriftsteller waren teilweise nur rudimentär über die Verhältnisse in Deutschland informiert. Der ehemalige Redakteur von Undzer vort berichtete nach seiner Emigration nach Südafrika, dass man dort nur von einer „hungernden Masse Lagerjuden“ wisse, die auf ihre Ausreise „nach Palestine“ warten würden. Über die kulturelle Arbeit, die Namen von Künstlern, Schriftstellern oder Journalisten, sei nichts bekannt.75 Nur eine Handvoll ausländischer Journalisten und Schriftsteller betätigte sich regelmäßig in der DP-Presse.76 Eine besondere Stellung nahm dabei der Journalist Marian Gid ein, den Meylekh Tshemni in einer Sammelrezension als „einen der unseren“ bezeichnete.77 Gid identifizierte sich so sehr mit den Anliegen der Sche’erit Hapleta, dass er schließlich in Deutschland blieb. Er schrieb, ohne je ein Honorar zu beziehen, für zahlreiche DP-Publikationen, bis er nach der Schließung der DP-Presse Redakteur für die 1950 gegründete Naye yidishe tsaytung (Neue jüdische Zeitung) in München wurde.78 Der wichtigste Beiträger war in den Augen vieler Schriftsteller aber H. Leyvik, der in Deutschland regelmäßig in der DP-Presse mit Beiträgen vertreten war und in den USA unablässig über die Sche’erit Hapleta schrieb.79 Mit Applaus wurde von den DP-Schriftstellern neben Leyviks literarischen und publizistischen Beiträgen auch sein dramatisches Epos Di khasene in Fernvald (Die Hochzeit in Föhrenwald) aufgenommen, in welchem die To-

74 Hibel, Ben-Tsien, Vu iz ayer vort? A briv tsu di yidishe shrayber meeyver layam, in: Undzer veg, 14. 2. 1947. Der Artikel wurde H. Leyvik durch den Joint persönlich zugestellt: YIVO 315, Philip Friedman an H. Leyvik, 14. 3. 1947. 75 Tshemni, Meylekh, Yidish kulturel lebn in Daytshland, in: Jidisze cajtung, 3. 10. 1948. 76 Unter ihnen Moyshe Grossmann als Essayist in Jidisze cajtung, Mark Dvorshetski in Undzer veg, Dos vort und Jidisze cajtung. 77 Tshemni, Meylekh, Yidish kulturel lebn in Daytshland, in: Jidisze cajtung, 3. 10. 1948. 78 Tsamriyon, Ha’itonut, 154 (FN 13). 79 Auch Texte anderer zeitgenössischer Schriftsteller wie Yoysef Opatoshu oder Yankev Glatshteyn wurden abgedruckt, es ist aber nicht klar, ob diese Texte speziell zu diesem Zweck verfasst wurden bzw. ob die Lizenzrechte offiziell eingeholt wurden.

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ten mit den Überlebenden gemeinsam eine neu geschlossene Ehe feiern. Die Grundidee dazu entstand während eines Besuches im DP-Camp Föhrenwald am 8. Mai 1946. Damals hatte man dem Schriftsteller sechs Hochzeitskleider – von den Schneiderinnen als „unsere kollektive Brautausstattung“ bezeichnet – gezeigt, die den zahlreichen Bräuten im Lager zur Verfügung standen.80 „Wir alle waren auf der ‚Hochzeit‘“ schrieb Meylekh Tshemni 1949 begeistert an H. Leyvik, „die hiesigen Schauspieler des MIT [Münchener Jüdisches Theater] haben [. . .] gesagt: ‚stark!, so etwas kann nur ein Mitglied der Sche’erit Hapleta erleben‘“. Damit wandte sich Tshemni gegen die amerikanischen Literaturkritiker, die den Gedichtband als historisch unplausibel kritisiert hatten: Die hatten keine Zeit, um in Föhrenwald zu leben. Die heutigen „Kritiker“ haben ihre ruhigen „vacations“ in Florida und Miami oder wie es dort heißt verbracht. Gott soll ihnen beistehen, damit sie nicht das erleben müssen, was wir durchgemacht haben. Man möchte sie aber doch ein wenig verfluchen: Ihre Federn sollen zerbrechen und die Sprache soll ihnen genommen werden – mit welcher sie die Sche[’erit] H[apleta] und ihre Beschützer Schmach und Spott ausliefern.81

Was Tshemni hier mit Verbitterung ausdrückt, weist auf das allgemein vorherrschende Gefühl der DP-Schriftsteller hin, von der literarischen Welt außerhalb Deutschlands ignoriert zu werden. 1947, kurz nachdem mit Koppel S. Pinsons Aufsatz eine erste soziologische Studie über die jüdischen DPs vorlag, schrieb Leyvik: Und wir alle [. . .] hören nicht auf davon zu reden und zu schreiben, dass das Schicksal der Sche’erit Hapleta unser Schicksal ist, dass ihr Leid unser Leid ist. Bei uns herrscht allerdings Verwirrung, eine Unsicherheit, ein Tappen im Finstern, wann immer wir uns mit dem schmerzlichen Kapitel befassen. Es scheint, dass wir noch immer [über die Sche’erit Hapleta] reden wie über einen jüdischen Stamm, der auf dem Mond verloren gegangen ist. [. . .] Wir diskutieren hin und her: Wie soll unser Zugang zur Sche’erit Hapleta sein – soll es ein romantischer Zugang sein, oder ein poetischer, oder sogar ein streng realistischer wie zum Beispiel der Zugang von Dr. Pinson [. . .] aber was helfen uns hier die Debatten und wohin können sie führen? Besser gesagt: Was können unsere Debatten ihr, der Sche’erit Hapleta, praktisch helfen? Das ist doch, nach meiner Meinung, das Wichtigste.82

Ein anderer Kulturbotschafter für die Anliegen der Schriftsteller war Leo W. Schwarz, Direktor des Joint in Deutschland während der Jahre 1946 und 1947. Nach seiner Rückkehr in die USA bemühte er sich um konkrete Hilfe für die Schriftsteller in Deutschland, indem er ihnen Publikationsmöglich80 81 82

H. Leyvik, Di khasene in Fernvald und Mit der sheyres hapleyte, 215 f. YIVO 315, Meylekh Tshemni an H. Leyvik, 4. 9. 1949. YIVO 315, Box 11, Folder 19, H. Leyvik, Undzer tsugang tsu der sheyres-hapleyte.

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keiten – in Jiddisch und in englischer Übersetzung – bieten wollte. In seiner Position als Redaktionsmitglied des Menorah-Journals plante er eine spezielle, der Sche’erit Hapleta gewidmete, Ausgabe dieser Zeitschrift. Er kontaktierte Philip Friedman, um einen modus operandi mit dem Schriftstellerverband zu finden („You know that nothing is closer to my heart“, versicherte er in seiner Korrespondenz) und schlug vor, Texte aus dem druckreifen Manuskript für die literarische Zeitschrift des Verbandes Shriftn dafür zu benutzen.83 Die Spezialausgabe kam jedoch nicht zu Stande.84 Die DP-Literatur und ihre Verfasser stießen außerhalb Deutschlands nur vereinzelt und auf individueller Ebene auf Interesse. Als Gruppe wurden sie jedoch nicht wahrgenommen. So portraitierte beispielsweise Marian Gid den sowjetisch-jiddischen Schriftsteller Hershl Vaynroykh für die Tageszeitung Forverts in New York.85 Fragmente aus Shloyme Berlinskis Buch A dor fun breyshes wurden 1948 im New Yorker Morgn-zhurnal nachgedruckt.86 Rezensiert wurde es in Toronto und New York. Der Dichter Yankev Glatshteyn veröffentlichte 1950 ein biographisches Portrait Yitskhok Goldkorns in der po’ale-zionistischen jiddischen Zeitung Yidisher kemfer (Der jüdische Kämpfer) in New York. Über Shloyme Vorzogers Gedichtband Zayn (Sein) wurde in Toronto, Johannesburg und Mexiko geschrieben, über Meylekh Tshemnis Kurzgeschichten in der Pariser jiddischen Presse berichtet.87 Ein Gedicht Dovid Volpes aus der ersten Nummer von Undzer veg wurde – als einziges literarisches Dokument der Sche’erit Hapleta in Deutschland – in Shmuel Nigers voluminöse Anthologie Kidesh hashem (Jüdisches Martyrium) aufgenommen.88 Shmuel D. Bunin veröffentlichte auf Hebräisch bereits 1946 autobiographische Erzählungen in Sonderbeilagen der Soldatenzeitung Hechajal und in der hebräischen Tageszeitung Dawar.89 In fast allen Fällen wurden nur publizierte Bücher rezensiert. Hunderte Gedichte und Kurzgeschichten, die vor der Etablierung des Druckwesens im Laufe des Jahres 1948 in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, mussten aber unberücksichtigt bleiben. Besonders wichtig für die Schriftsteller in Deutschland war der individu-

83 YIVO 1258, Box 4, Philip Friedman an Leo W. Schwarz, 30. 1. 1948; ebd., Leo W. Schwarz an Philip Friedman, 15. 8. 1947; ebd., Philip Friedman an Leo W. Schwarz, 21. 10. 1947; Shrayber un zhurnalistn-farband. Byuletin I (1948). 84 Auch in seiner 1949 erschienenen Anthologie The Root and the Bough, die er der Sche’erit Hapleta widmete, waren die Schriftsteller nicht vertreten. Allerdings werden sie in seinem 1953 erschienenen Buch The Redeemers beschrieben. 85 Gid, Marian, A yidisher shrayber fun Sovet-Rusland, in: Forverts, 12. 4. 1947. 86 Sh. Berlinskis „a dor fun breyshes“ in „morgn-zhurnal“, in: Jidisze cajtung, 11. 6. 1948. 87 Alle Angaben sind dem Kartenkatalog des Bibliographen Ephim Jeshurin (YIVO 451) entnommen. 88 Niger, Kidesh hashem, 755. 89 Stern, Noah, Sofrim iwriim beGermanija, in: Dawar, 6. 9. 1946.

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elle persönliche Kontakt mit Berufskollegen im Ausland. Nicht selten trug ein Schriftsteller stolz den Brief eines amerikanischen Berufskollegen wie ein Entreebillet in die zeitgenössische Literatur mit sich herum. Personen, in denen potentielle Philanthropen gesehen wurden oder die Publikationsmöglichkeiten im Ausland organisieren konnten, wurden mit Bittbriefen aus Deutschland überschwemmt. Vergleichsweise vorsichtig und bescheiden klingen die Forderungen in einem Brief, den Malasha Mali, eine der wenigen jüdischen Schriftstellerinnen in Deutschland, im März 1948 an den von ihr verehrten amerikanisch-jiddischen Literaturkritiker Shmuel Niger richtete, um ihn um seine Meinung zu ihren Nachkriegstexten zu bitten: Da ich Sie noch nicht persönlich kenne, kann ich nicht wissen, ob Sie bereit [. . .] sein werden, so eine Schreiberei einer noch nicht „Weggegangenen“ der Sche’erit Hapleta zu lesen. Vielleicht bekommen Sie tagtäglich so etwas – ganz egal, aus welchem Winkel der Welt – und Sie sind des Lesens schon müde? Bereits vor dem Krieg hatte ich ein druckfertiges Manuskript. Einer unserer Märtyrer, Y[itskhok] Katsenelson s. A. hat darüber geurteilt und dank ihm habe ich begonnen, daran zu glauben, dass es „taugt“. Das Gewitter hat aber, zusammen mit viel Teurerem, auch mein Manuskript aus der Ebene des Lebens weggespült. Das Zerstörte habe ich noch nicht rekonstruiert, aber ich schreibe wieder, obwohl die Lebensumstände bei uns „nicht Verbrannten“ nicht besonders günstig dafür sind. [. . .] Ihre hochgeschätzte Meinung dazu wäre mir sehr wichtig.90

Der Schriftstellerverband versuchte mit seinen Konferenzen und durch eigene Publikationen, eine spezifische kulturelle Eigenständigkeit zu vermitteln. Seine Mitglieder strebten die Reorganisation künstlerischer Tätigkeit und die Sammlung der überlebenden Kräfte an. Dies geschah in der Absicht, sich gegenüber der jüdischen Kultur außerhalb Europas zu positionieren. Während im offiziellen zionistisch geprägten Diskurs das Moment der positiven Selbstwahrnehmung als Gruppe immer in Bezug auf die zukünftige israelische Gesellschaft gesehen wurde („Wir können der ganzen jüdischen Welt sagen, dem Staat Israel rapportieren – wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Wir stehen für weitere Befehle bereit“91), hatte die Topographie, in welche sich die Schriftsteller einzuschreiben versuchten, ganz andere Koordinaten. Die jiddische Literatur und Presse hatte von jeher transnationalen Charakter mit wechselnden Zentren. In der Zwischenkriegszeit waren Warschau und Vilnius die Hauptstädte jiddischer Presse gewesen. Nun aber wurden meist New York, Buenos Aires, gegen Ende der 40er Jahre auch Toronto 90 YIVO 360, Box 16, Folder 269, Malke [Malasha] Ribshteyn-Mali an Shmuel Niger, München, 29. 3. 1948. Niger antwortete tatsächlich, worauf Mali mit überschwänglicher Freude reagierte und ihn – wäre die Distanz nicht – am liebsten dafür küssen wollte. Ebd., Malke Ribshteyn-Mali an Shmuel Niger, München, 6. 8. 1948. 91 Shrayer, Efroyim, Sheyres hapleyte hot ir oyfgabe derfilt, in: Nayvelt, 3. 9. 1948.

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und Johannesburg im Impressum genannt. Quantitativ gesehen konnte sich auch München mit seiner Flut von Publikationen in dieser Kulturgeographie verorten. Doch qualitativ – technisch wie inhaltlich – hielten die Veröffentlichungen der Sche’erit Hapleta dem Vergleich kaum stand. Der Versuch, einen gleichberechtigten Platz auf dieser Landkarte zu finden, ist in den Protokollen des Schriftstellerverbandes immer präsent. Obschon die Zeitweiligkeit publizistischer Tätigkeit ständig betont wurde und bayerische Städtenamen als Verlagsorte negative Gefühle auslösten, ist vor allem in den Diskussionen um das Niveau künstlerischer Tätigkeit der Versuch einer kulturellen Reterritorialisierung zu spüren.

Gegen „Graphomanie und Papierschmierei“ Lediglich eine kleine Elite der Schreibenden verfügte überhaupt über publizistische Erfahrung, und oft genug fehlte es auch an passiver literarischer Bildung. Der Wildwuchs der Regional- und Lokalpresse, der in den ersten Monaten des Jahres 1946 einsetzte, bot Raum für quasi-literarische und journalistisch mangelhafte Beiträge. Woche für Woche wurden die Leser mit Gedichten überflutet, in denen selten ein formal-ästhetischer Impuls spürbar wurde, sondern die, so ein Kritiker, viel mehr einem „gereimten Wehgeschrei“ gleichkamen.92 Um eine Integration in die zeitgenössische jiddische Publizistik zu erreichen, war es ein Hauptanliegen des Schriftstellerverbandes, durch Schulung seiner Mitglieder das literarische und journalistische Niveau zu heben. Auf der ersten allgemeinen Versammlung des Verbandes im Oktober 1946 referierte Shloyme Berlinski über die unnatürlichen Bedingungen, unter denen sich die DP-Presse entwickelte: Während in einer normalen Gesellschaft Künstler eine seltene Erscheinung seien, würden in den DP-Camps Schriftsteller produziert wie „Hühner in einer Brutmaschine, Dutzende Schriftsteller auf einmal“. Ein besonders schmerzvolles Kapitel sei dabei der „Größenwahn, der [. . .] alle untalentierten und mittelmäßigen Schriftsteller“ ergreife. Es müsse deshalb ein neuer Weg vorgegeben werden, der mit dem „reinen und geläuterten Wort“ beschritten werden könne. Nur so könne der Flut an „Vulgarität und Geschmacklosigkeit“ getrotzt werden.93 Der Vorsitzende des jüdischen Ärzteverbandes in München diagnostizierte in

92 Hibel, Ben-Tsien, Literatur, teater un kunst ba der sheyres-hapleyte. Yerlekher iberblik, in: Undzer veg, 17. 10. 1947. 93 YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 15. 10. 46. Freilich waren die Beiträge nicht immer in einem so direkten Ton gehalten. Auf derselben Versammlung zeigten auch andere Teilnehmer eine hohe Sensibilität für den Einfluss, den die historischen Umstände der jüngsten Vergangenheit, aber auch die gegenwärtige Situation auf die künstlerischen Möglichkeiten aus-

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diesen sogar ein pathologisches Problem: „Es gibt [bei den DPs] psychische Störungen neurotischer Natur: Arbeitsunlust, eine unbegründete Neigung zu politisieren, die Neigung unserer Jugend, minderwertige Poesie zu schaffen, schnelle Erregbarkeit und depressive Erscheinungen.“94 Die programmatischen Zielsetzungen des Verbandes bewegten sich auf zwei Ebenen. Zum einen wurden Stimmen laut, die materiellen Bedingungen zu verbessern, um so die Organisation und das Erscheinungsbild der Presse zu heben, zum anderen sollte auch die Qualität der Beiträge gehoben und durch Schulung des Nachwuchses gesichert werden. Deshalb fanden im Sekretariat des Schriftstellerverbandes zweimal wöchentlich literarische Konsultationen statt,95 mit Literaturwettbewerben wurde ein Anreiz geschaffen, Texte gründlich auszuarbeiten,96 und auch von den regelmäßigen Lesungen erhoffte man sich einen positiven Effekt auf das Niveau von Presse und Literatur. Die erfahrenen Schriftsteller wandten sich in ihren Artikeln an ihre jüngeren Kollegen und riefen sie zur Selbstkritik auf. Im März 1946 referierte Gar darüber, dass man erst mit den Grundlagen der Sprache vertraut sein müsse, bevor man sich dann die verschiedenen literarischen Genres aneignen und sich Vorbilder suchen könne.97 Wie nötig all dies war, davon zeugen die Randbemerkungen, die von der Redaktion der Kulturzeitschrift des Schriftstellerverbandes beim Redigieren der über hundert eingesandten Manuskripte angebracht wurden.98 So wurde beispielsweise angemerkt: „Banal, kolossale Längen. Sprache – orthographisch und stilistisch schlecht“, „drei Gedichte voll von Verbitterung [. . .] und vor allem – keine poetische Sprache! Hauptsache es reimt sich!“ oder „wir wollen ihr Herz nicht belasten, aber wir haben keinen anderen Rat. Ihre Gedichte taugen nicht.“99 Graphomanie wurde nicht aus rein ästhetischen Gründen als gravierendes Problem beklagt. Sie wurde als Erscheinung in der Sche’erit Hapleta für schädlicher erklärt als in anderen Gesellschaften. Denn nicht nur die Schriftsteller hatten aufgrund ihrer Biographie keine angemessene Ausbildung erhalten. Auch den Lesern mangelte es an entsprechendem Kritikvermögen. In Friedenszeiten besitze der durchschnittliche Leser zumindest eine grundlegende Schulausbildung, argumentierte Yisroel Elentsvayg, wähübten. Efroyim Shrayer hob hervor, dass es noch an der geschichtlichen Distanz fehle, die für die künstlerische Beschreibung jedweder Epoche nötig sei. 94 Goldshteyn, L., Undzere gezuntheyts-problemen, in: Undzer veg, 7. 1. 1947. 95 Die Konsultationen beschränkten sich auf jiddische Literatur. Zwar wurde auch eine zuständige Person für Hebräisch gefunden, doch nahm sie, vermutlich mangels Interesse, die Arbeit nie auf. Siehe: YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 20. 2. 1947. 96 Literarish-publitsistisher konkurs, in: Dos vort, 18. 4. 1947. 97 Gar, Yosef, Bamerkungen cu unzere junge dichter, in: Landsberger lager-cajtung, 8. 3. 1946. 98 Berlinski, Shloyme, Naye vintn, in: Undzer veg, 22. 8. 1947. 99 YIVO 294.2, Folder 1346, verschiedene Manuskripte.

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rend die DPs keine Ahnung von Grammatik und Syntax hätten. Dazu sei der Markt in Deutschland günstig, hier könne jeder Graphoman gleichzeitig Verfasser, Redakteur, Herausgeber und sogar Verkäufer seiner Bücher werden.100 Baruch Graubard, Mitarbeiter des Kulturamtes in München und Direktor des hebräischen Gymnasiums in München, hielt dieses Phänomen in seinen Parodien über das Leben der Sche’erit Hapleta fest. Nicht Talent, so Graubard, entschied in der Sche’erit Hapleta darüber, ob jemand zum Schriftsteller wurde, sondern Parteizugehörigkeit und Beziehungen.101 „Glauben Sie denn, dass nur ein Schriftsteller schreibt?“, fragt sein Alter Ego Moyshe Yosl, „Alle Juden schreiben, mindestens Briefe nach Amerika, nach Päckchen bittend, schreibt doch jeder. Also kann er doch auch Mitglied des Schriftstellerverbands werden.“102 Mit dem Expandieren der Parteipresse vergrößerte sich der Gegensatz zwischen Provinz und Hauptstadt, zwischen den DP-Lagern und München zunehmend: Die Parteizeitungen, Arbeitgeber für die Publizisten, erschienen ausnahmslos in München. Parallel zu ihrem wachsenden Einfluss verlor die Lokalpresse immer mehr an Bedeutung. Nachdem das Zentralkomitee im Oktober 1947 beschloss, sie ganz aufzulösen – mit Ausnahme der Jidisze cajtung wurden der Lokalpresse sämtliche Lizenzen entzogen –, suchten immer mehr Mitglieder des Schriftstellerverbandes die Nähe der Kulturund Selbstverwaltungseinrichtungen im Zentrum jiddischen Publikationswesens im Nachkriegsdeutschland.103 Die unnatürliche räumliche Nähe der literarischen Kreise ließ Kritik oft zu einem Unternehmen werden, das mehr über persönliche Konflikte zwischen den Schriftstellern aussagt als über die Qualität ihrer Werke.104 Wie ein Echo der polemischen Spitzen, die vor dem Krieg in der jiddischen Presse Polens ausgeteilt wurden, hörten sich auch die Auseinandersetzungen an, die in den Spalten der Presse in Deutschland ausgetragen wurden.105 Anschuldigungen, Verleumdungen, Plagiatsvorwürfe – all dies stand auch auf der Tagesordnung des Schriftstellerverbandes.

Elentsvayg, Yisroel, Kultur-Noticn, in: Jidisze cajtung, 21. 3. 1947. Graubard, Geven a sheyres-hapleyte, 90. 102 Ebd., 43. 103 Im Juli 1947 wohnten 13 von insgesamt 24 Literaten in München. Im Herbst desselben Jahres, also nach der Schließung der Lokalpresse, dürften weitere Personen zugezogen sein. Vermutlich hielten sich auch viele Schriftsteller, die in den umliegenden DP-Camps gemeldet waren, regelmäßig in München auf. YIVO 701, Box 23, Folder 459, Reschime fun Literatn, München, 28. 7. 1947. 104 Berlinski, Shloyme, Zey farefntlekhn zekh. Notitsn vegn kritik, in: Bafrayung, 27. 8. 1948: „Kritik ist zu einer starken Umgangswährung geworden, mit der man für Freundschaft, für einen Gefallen, für die Mitarbeit in der eigenen Zeitung, für das Abrechnen mit einem Feind [. . .] bezahlt.“ 105 Cohen, Sefer, 217. 100 101

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Die dabei angewandte Rhetorik war scharf: 1947 polemisierte Volpe, der nur wenige Monate zuvor selbst zum Opfer einer Kontroverse geworden war,106 dass es genüge, sich mit einer Pfeife im Mund fotografieren zu lassen, um in der Sche’erit Hapleta ein Schriftsteller zu werden. In der direkten und harten Sprache, die vielen DP-Journalisten eigen ist, und die auf einen heutigen Leser schockierend wirken mag, führte er aus, wie gravierend das Problem minderwertiger Texte in den Augen der organisierten Schriftsteller seien: Und so einer wühlt in den Bergen heiliger Asche, buddelt in den Massengräbern, steckt die Pfeife in seinen Mund und – man fühlt sich erstickt vom Rauch des billigen Tabaks, der aufzusteigen beginnt. Ob man will oder nicht beginnt man zu denken: War Zyklon B nicht Weihrauch im Vergleich mit dieser Seuche?107

Die Kritik war gegen Yoysef-Dovid Mitlpunkt gerichtet, der im Selbstverlag eine Sammlung mit Miniaturen in lateinischen Buchstaben heraus gegeben hatte und sich auf der Titelseite hatte verewigen lassen.108 Doch worum ging es Volpe bei seiner öffentlichen Kritik an Mitlpunkt? Sicher war auch hier die Sorge um die Qualität des literarischen Ausdrucks in der Sche’erit Hapleta ausschlaggebend. Die Selbstüberschätzung, die bisweilen bis hin zu einer vollständigen Neuerfindung der eigenen Identität führt, wird in der Pose des Pfeife rauchenden Schriftstellers deutlich.109 Die Spuren früherer Kreativität waren verwischt, bedeutende Schriftsteller ermordet oder emigriert, so dass die richtige Biographie und die richtigen Kontakte für die

106 Mann hatte unter Pseudonym einen Artikel mit dem Titel Vildgroz (Unkraut) veröffentlicht, in dem er ein Gedicht Volpes als „offensichtlichen Unsinn“ und „Graphomanie“ bezeichnete. Der Schriftstellerverband berief eine Sondersitzung ein und arbeitete eine Protestresolution aus, die in der Jidisze cajtung veröffentlicht wurde. Mann, Mendel, Vildgroz, in: Der nayer moment, 9. 10. 1947; Derklerung fun farvaltung fun Szrajber-Farband fun der Szejris-Haplejto, in: Jidisze cajtung, 15. 11. 1946; Volpe, Ikh un mayn velt, 306; YIVO 294.1, Folder 394, Schriftstellerverband, 3. 11. 1946. 107 Volpe, Dovid, Oykh „poezye“, in: Undzer veg, 11. 7. 1947. 108 Mitlpunkt, Untervegns. 109 Hier kommt auch ein weiteres Problem zur Sprache: Weil Dokumente während des Krieges zerstört wurden, bauten sich viele DPs neue Identitäten. In einem Artikel über das Rabbinatsamt heißt es zum Beispiel: „In der Sche’erit Hapleta-Epoche, in der so wenige bärtige Juden übrig geblieben sind, unterläuft einem ein ganz gewöhnlicher optischer Fehler, indem wir in jedem bärtigen Juden einen Rabbiner sehen – als Überbleibsel vergangenen Glanzes. Die Menschen unterliegen einer gewissen Suggestion, glauben an ihre Größe und beginnen, sich selbst als Rabbiner zu bezeichnen. Am Anfang Rabbiner, danach Raw haga’on und noch etwas später Aw bet-din – und eines schönen Tages druckt man sich Visitenkarten [. . .] und wird ein Chief-Rabbi – Oberrabbiner, Hauptrabbiner usw. [. . .] Es ist klar. Alle Personen dieser Art versuchen Karriere zu machen [. . .] oder Geld.“ Siehe: Jechezkieli, Ch. M., Di ojfgabn fun Rabinat. In: Ibergang, 9. 2. 1947. Der Fall eines Arztes ohne Titel wird beschrieben in Schochat, Feldafing, 70–72.

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Anerkennung im geschlossenen kulturellen System der Sche’erit Hapleta entscheidend sein konnten. Neben den ständig schwelenden persönlichen Polemiken, die bis zur endgültigen Auflösung der Sche’erit Hapleta immer wieder aufflammten, konnte sich im Laufe des Jahres 1947 allmählich aber auch eine sich selbst reflektierende Literatur- und Theaterkritik etablieren,110 in der die Frage des literarischen und künstlerischen Niveaus aus dem Rahmen des Schriftstellerverbandes herausgelöst wurde. Besonders die po’ale-zionistische Bafrayung (Befreiung) und die Zeitung der Linken Po’ale Zion machten die Literaturkritik zu einem festen Bestandteil ihrer Literaturseiten. In seinem zentralen Artikel Kritik un kritiker (Kritik und Kritiker) rief Efroyim Shrayer die Kritiker zur gesellschaftlichen Verantwortung: [. . .] Nicht Graphomanie statt Literatur, Klamauk statt Theater und Schmiererei statt Malerei. Kunst bedeutet auch nicht die Befriedigung von Reizen. [. . .] Die Aufgabe der Kunst muss in der Erziehung der Gesellschaft liegen, in ihr den ästhetischen Geschmack heben und kultivieren und [. . .] damit das kulturelle Niveau der Gesellschaft heben.111

Obschon die Literaturkritik insgesamt mehr Selbstzweck blieb, so regte sie doch zur kritischen Auseinandersetzung an. Parallel zu den Aktivitäten des Schriftstellerverbandes diente sie dem Ziel, Presse und Literatur auf ein Niveau zu heben, das dem internationalen Vergleich standhalten und damit ein Glied in der goldenen Kette der jüdischen Literatur bilden sollte – „man kann doch keinen Blechring in eine goldene Kette hineinlöten“.112 In Jahresrückblicken wurde der Kulturarbeit eine allmähliche Stabilisierung bescheinigt. „Es ist klar, dass nach einer so schrecklichen Katastrophe die Perspektiven kultureller Tätigkeit im Allgemeinen und auf dem literarischen Gebiet im Besonderen ziemlich eingeschränkt waren“, resümierte Ben-Tsien Hibel Ende 1947 in Undzer veg. Es sei aufgrund der Bedingungen und der kurzen Zeitspanne seit der Entstehung der Sche’erit Hapleta verständlich, dass kaum „künstlerisch reine“ Literatur entstanden sei. „Und doch sind während der letzten zwei Jahre [. . .] gewisse literarische Werke entstanden, die Anzeichen erwachender literarischer Kräfte sind.“113 Ein weiteres Jahr später stellte Meylekh Tshemni rückblickend fest, dass jede normale Gesellschaft Zeit brauche, um sich zu organisieren, Jahre der Verwurzelung, bevor eine kulturell-geistige Entwicklung Früchte trage. Für

110 So schrieb Efroyim Shrayer regelmäßig für Nayvelt, Yitskhok Goldkorn hatte Ende 1948 eine eigene Kolumne für Literaturkritik in der Bafrayung. 111 Shrayer, Efroyim, Kritik un kritiker, in: Nayvelt, 31. 12. 1947. 112 Berlinski, Shloyme, Naye vintn, in: Undzer veg, 22. 8. 1947. 113 Hibel, Ben-Tsien, Literatur, teater un kunst ba der sheyres hapleyte. Yerlekher iberblik, in: Undzer veg, 17. 10. 1947.

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die natürliche Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen schlug Tshemni eine Art trial-and-error-Modell vor, ein Luxus, den sich die Sche’erit Hapleta auf Grund der historischen Umstände aber nicht habe leisten können: „[Der Sche’erit Hapleta-Jude] nahm das Bereitgestellte, das ihm in die Hände kam, an, wie ein Hungernder, der sich auf eine Frucht stürzt, sogar auf eine faulige Kartoffel oder Kartoffelschalen.“114 Erst jetzt, nach drei Jahren, sei endlich der Ertrag dieser ungewöhnlichen kulturellen Entwicklung zu sehen. Dem anfänglichen „Wildwuchs“, wie die ersten journalistischen Publikationen in der Kritik betitelt wurden, war durch die Schließung der Lokal- und Regionalpresse ein Ende gesetzt. Formal unterschied sich die nun überwiegend parteiliche Presse erheblich von den ersten Lagerzeitungen, die in den vorhergehenden zwei Jahren entstanden waren: Mit der Ausnahme von Ibergang hatten sämtliche Zeitungen zum hebräischen Alphabet gewechselt; Maschinensatz erlaubte umfangreichere Ausgaben und ein sauberes Erscheinungsbild. In seinem Jahresüberblick über das jüdische Kulturleben in Deutschland warf Tshemni aber auch die Frage auf, ob die verbleibenden Zeitungen inhaltlich einer kritischen Beurteilung standhalten könnten. Ein großer Teil der Artikel werde aus der ausländischen Parteipresse übernommen, so dass der Berichterstattung aus dem Inland nur wenig Beachtung geschenkt würde. Trotz dieser Mängel konstatierte er aber ein positives Ergebnis und nannte zahlreiche Namen viel versprechender journalistischer und literarischer Beiträger, welche das Niveau der Presse gehoben hätten.

Das Land der Scheiterhaufen in der jüdischen Kulturtopographie und der Versuch einer Anthologisierung Die Messlatte, die im Kampf gegen Graphomanie angelegt wurde, war der Vergleich mit jiddischer Publizistik außerhalb Europas. Doch auch wenn man am Niveau arbeiten konnte, haftete den Veröffentlichungen der DPs doch immer ein Stigma an: Deutschland war als Erscheinungsort für jüdische Bücher und Zeitungen unpassend. Wenn die DP-Schriftsteller auf der Landkarte jiddischer Literatur aber präsent sein wollten, wurde die Benennung des Druckortes unausweichlich. Doch wie konnten München oder Regensburg in diese Topographie aufgenommen werden? Das Land der Täter passte nicht mehr in die jüdische Kulturgeographie. Im Vorwort zu seinem Gedichtband Undzer like-khame richtete sich Yitskhok Perlov deshalb mit folgenden Zeilen an seine Leser:

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Tshemni, Meylekh, Yidish kulturel lebn in Daytshland, in: Jidisze cajtung, 3. 10. 1948.

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Lieber Leser!/Dieses Buch ist dein Eigentum/Lass es nicht hier zurück, im Land der Scheiterhaufen!/Egal, auf welchem Weg/du von hier fortgehen wirst, wohin du kommen wirst –/Nimm das Buch mit dir mit!115

Dieser ausgesprochen ambivalente Zugang der Schriftsteller zu ihrem zeitweiligen Aufenthaltsort und ihrer kulturellen Mission wurde immer wieder deutlich. Wohl verstanden es einige der Kulturschaffenden als eine Spielart von Rache, dass in Deutschland wieder Bücher mit hebräischen Lettern gedruckt wurden,116 doch das Kainsmal des Erscheinungsortes blieb unauslöschbar. Hin und her gerissen zwischen dem Stolz über die Publikationen unter unwahrscheinlichen Bedingungen und der Einsicht, dass diese Orte sowohl historisch aufgeladen waren als auch mit der Sche’erit Hapleta als Flüchtlingsgruppe assoziiert wurden, blieb die Bedeutung dieser Drucke zwiespältig. In den Zeitungstiteln wird einerseits dieses Problem der Territorialität und der historischen Umstände deutlich, andererseits bezeugen sie aber auch die – erhoffte oder auch tatsächliche – Fortführung publizistischer Traditionen: Während die ersten Veröffentlichungen, die Lager- und Lokalzeitungen mit Titeln wie Tkhies hameysim (Die Auferstehung der Toten), Af der fray (In Freiheit) oder Dos fraye vort (Das freie Wort) den Moment der Befreiung und des Neuanfangs hervorhoben oder mit Namen wie Bemidber (In der Wüste), Untervegs (Auf dem Weg) und Baderekh (Auf dem Weg) das Zeitweilige anklingen ließen,117 machten andere Publikationen die ungebrochene Fortsetzung der Vorkriegskultur zu ihrem Hauptanliegen: Die Idee zur Publikation von Di velt (Die Welt) als unabhängige Zeitschrift für Politik, Literatur, Kunst und Sport entstand bei Ruven Rubinshteyn in Erinnerung an das gleichnamige, in Kaunas und Berlin erschienene, illustrierte Wochenblatt, welches er in den Jahren 1924–1925 redigiert hatte.118 Ebenso führte Shloyme Frank seine Redaktionstätigkeit in der seit Januar 1947 regelmäßig erscheinenden Illustrierten Yidishe bilder (Jüdische Bilder) fort – vor dem Krieg hatte er für eine Zeitschrift gleichen Namens in Riga geschrieben.119 Perlov, Undzer like-khame, o. S. So beispielsweise G-r [Yosef Gar], Bibliografishe notitsn, in: Undzer vort, 10. 1. 1947: „Mit jedem erscheinenden Heft zeichnen wir ein klares Bild der schrecklichen Vergangenheit unseres unglücklichen Volkes. Es ist gleichzeitig eine Anklage gegenüber jenen, die in der Lage gewesen wären, uns den Klammern des Todes zu entreißen und uns die Möglichkeit zu geben, einen eigenen kleinen Ort in der Familie der Völker einzunehmen. [. . .] Wir spucken damit auch jenen ins Gesicht, die uns heute nicht [. . .] einwandern lassen, obwohl sie könnten, und uns auf dem Boden der Vernichter herumirren [. . .] lassen. In Lagern, in denen sich die Kinder unserer Mörder befinden sollten.“ 117 Vgl. auch Brenner, Nach dem Holocaust, 32. 118 Gar, Tsvishn der sheyres-hapleyte, 120. 119 Möglicherweise gab es auch eine Verbindung zwischen der DP-Zeitung Undzer hofenung 115 116

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Es waren aber besonders die Parteizeitungen, die eine Brücke zum Polen der Zwischenkriegszeit und auch zum Jischuw schlagen wollten: Die Zeitung der Linken Po’ale Zion trug den Namen der seit 1934 auf Jiddisch erscheinenden Publikation der Partei in Palästina – Nayvelt (Neuwelt). Die Titel Dos vort und Af der vakh wiederum waren Überesetzungen der hebräischen Zeitungen Dawar und Mischmar, aus welchen sie auch zahlreiche Artikel übernahmen.120 Di yidishe shtime wollte an die Tradition der gleichnamigen Zeitung anschließen, die vor dem Krieg in Polen das religiöse Judentum mit Informationen versorgt hatte. Die po’ale-zionistische Zeitung Bafrayung schloss in der Namenswahl an das bis 1938 erschienene Warschauer Zentralorgan der Partei an. „Der Name Bafrayung ist nicht fremd“, erinnerte Leyb Fefer in der ersten Ausgabe, die am 15. Januar 1947 in München veröffentlicht wurde: Mit ihr wurden diejenigen erzogen, die sich [. . .] in den Kampf geworfen haben, um den letzten Rest jüdischer Ehre im Warschauer Ghetto zu retten – an diese Tradition wird sie auch in Zukunft anknüpfen.121

Aber nirgends wird der Wunsch nach Fortsetzung und gleichzeitiger Erneuerung deutlicher, der groteske Kontrast zwischen Wunsch und Realität begreifbarer als bei der Regensburger Lokalzeitung Der nayer moment. Das Titellayout war direkt von einer der beiden in der Zwischenkriegszeit einflussreichsten jiddischen Warschauer Tageszeitungen Moment – dessen regelmäßiger Mitarbeiter der Regensburger Redakteur Mendel Mann gewesen war – übernommen.122 Die Wörter Der nayer wurden handschriftlich hinzugefügt. Zwar waren sich die Schriftsteller darüber einig, dass sie als überlebende osteuropäische Juden eine historisch-kulturelle Verantwortung zu tragen hatten, gleichzeitig sollte diese Verpflichtung aber nicht auf deutschem Boden erfüllt werden. Deutlich kommt dieser unvereinbare Widerspruch in der Vorrede zur literarischen Zeitschrift Shriftn far literatur, kunst un gezelshaftlekhe fragn zum Ausdruck, welche durch den Schriftstellerverband als Beweis für eigenständige kulturelle Leistungen veröffentlicht wurde.

und Itshe Meyer Weissenbergs Zweiwochenschrift Indzer hofenung, die 1926–1932 in Warschau erschienen war. Diese Vermutung wird gestützt durch die Aussagen verschiedener DP-Schriftsteller, sie hätten zu Weissenbergs Schülern gehört. Der Schriftsteller war im Warschau der Zwischenkriegszeit bekannt für seine Tätigkeit als Mentor und zumindest einige der DP-Schriftsteller wie Keytlman und Kokhav debütierten in seiner Zeitschrift. Siehe Szeintuch/Solomon (Hg.), Preliminary Inventory, 28. 120 Pilovski, Tsvishn yo un neyn, 227; Tsamriyon, Ha’itonut, 108 und 112. 121 Fefer, Leyb, Bafrayung, in: Bafrayung, 15. 1. 1947. 122 Mann hatte zwischen 1934 und 1936 zahlreiche Beiträge in den Spalten des Warschauer Moment veröffentlicht. Siehe: Index of Yiddish Periodicals in der Nationalbibliothek in Jerusalem.

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Schon immer hat eine Zeitschrift bedeutet: Sich mit dem Ort und der Umgebung zu verbinden, wo sie erscheint. Wir leben auf einem Boden, der unserer unwürdig ist, wo jeder Schritt uns an den Henker und den Märtyrer erinnert. Unsere Umgebung? Ein Volk, das angekettet in den Lagern sitzt und auf das Kommen des Messias wartet – damit man die Tore des Landes Israel öffnet. Nur die Tradition als Volk des Buches bewegt uns dazu, eine literarische Zeitschrift in der deutschen Diaspora herauszugeben. Groß waren unsere Verluste auf allen Gebieten, besonders aber auf dem geistigen. Der Feind hat uns an der empfindlichsten Stelle geschlagen. Von der großen Anzahl Schriftsteller und Künstler sind nur einzelne übrig geblieben. Die Zeit hat aber neue Schichten nach oben gepflügt, uns mit neuen Inhalten gefüllt. Und genau diese Kräfte sollen in dieser Zeitschrift gesammelt und konzentriert werden.123

Dieses Sammeln der Kräfte war selbst an einem Ort wie Deutschland nicht ununterbrochen an die Territorialität gebunden, sondern war auch Ausdruck eines kulturellen Rückbezugs. Auch wenn im Vorwort ausdrücklich auf die enge Verbindung zwischen Publikation und Erscheinungsort hingewiesen wird, so stehen doch die Bestandesaufnahme des bisherigen kulturellen Genesungsprozesses und der Reterritorialisierung in der jiddischsprachigen Welt im Vordergrund. In gewissem Sinne kam diese Zwischenbilanz, die nach fast dreijährigem vergeblichem Kampf um die Mittel gezogen werden konnte, zusammen mit den verschiedenen anderen Versuchen, literarische Zeitschriften in der Sche’erit Hapleta zu veröffentlichen, dem Versuch gleich, die Literatur der Sche’erit Hapleta zu anthologisieren.124 Wie stark aber unterschieden sich die Sammelschriften in Deutschland von der Anthologie, die im selben Jahr unter der Redaktion des Literaturkritikers Shmuel Niger in New York herausgegeben wurde! Unter dem Titel Kidesh hashem vereinte der monumentale Band auf über tausend Seiten Briefe, Chroniken, Testamente, Legenden, Lieder und Gedichte, Essays und Kurzgeschichten. Als neues Sefer hadma’ot (Buch der Tränen), als neue Klagelieder, charakterisierte der Herausgeber den Band, der die „psychologisch-erzieherische“ Absicht vor die „historisch-literarische“ Ausrichtung stellen sollte.125 Anders als dieses Sefer, dieses heilige Buch, wie Niger seine Anthologie definierte, waren die literarischen Sammlungen der Sche’erit Hapleta nicht eine Dokumentation der Zerstörung, sondern des Überlebens und Fortfahrens. Auf der zweiten Konferenz des Schriftstellerverbandes hatte Ruven Rubinshteyn auf die Aufgabe hingewiesen, die den Literaten als Erben osteuropäisch-jiddischer Kultur zufalle: Auf den Schultern der Schriftsteller 123 124 125

Hibel/Friedman (Hg.), Shriftn, IV. Zu den weiteren Literaturzeitschriften siehe Kapitel 4.1. Niger, Kidesh hashem, 8 f.

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liege eine schwerere Last als auf denen politischer Redner. Kulturschaffende hätten, so Rubinshteyn, nicht nur einen Beruf, sondern darüber hinaus eine kulturelle Mission zu erfüllen.126 Geopolitische Faktoren bestimmten den gesamten Charakter einer Gruppe – im Fall der jiddischen Schriftsteller in Deutschland habe deshalb die Vorläufigkeit einer Gesellschaft, die auf gepackten Koffern sitze, ihr ganz besonderes Gepräge gegeben.127 Diese Eigenheit, die Rubinshteyn in der jiddischen DP-Literatur auszumachen glaubte, wurde auch von anderen Journalisten und Schriftstellern aufgegriffen und politisiert. Für zionistisch aktive Personen wie Rubinshteyn, der als Mitglied der Allgemeinen Zionisten dem Rat der Sche’erit Hapleta angehörte, für Leyb Fefer, den po’ale-zionistischen damaligen Leiter des Kulturamtes des Zentralkomitees, oder für Efroyim Shrayer von der Linken Po’ale Zion waren die Schriftsteller mehr als nur selbsternannte Nachlassverwalter des osteuropäisch-jiddischen kulturellen Erbes. In den Stellungnahmen dieser Publizisten wurde den Schriftstellern eine doppelte gesellschaftliche Funktion zugesprochen, indem sie mit ihren Werken eine Brücke zur Vergangenheit schlagen und daraus ein national-erzieherisches Narrativ entwerfen sollten. Dieses Narrativ sollte sowohl die Fortsetzung der Vorkriegstraditionen mit der Dokumentation der jüngsten Vergangenheit einbeziehen als auch in die allgemeine jüdische Geschichte eingebunden werden. Efroyim Shrayer, der den Künstlern diese Aufgabe zuwies, warnte gleichzeitig vor einer einseitigen und monotonen Leidensgeschichte. Im Oktober 1947 charakterisierte er die Aufgaben der Schriftsteller folgendermaßen: Der Dichter muss das [. . .] Leiden besingen, muss das Majestätische von Vernichtung und Martyrium, Kampf und Vernichtung hervorheben. Der Begriff „Tränen und Pein“ darf aber nicht missverstanden werden. [. . .] Wir dürfen nicht einfach nur Jammergeschichten schaffen. Das Drama beginnt dort, wo die Tränen versiegen. Wir brauchen ein positives nationales Drama, einen alles in sich vereinigenden Roman, eine charakterstarke nationale Dichtung. Es muss eine Verbindung gefunden werden zwischen der letzten Epoche und der historischen Vergangenheit – bis hin zu den alten Legenden. Der jüdische Schriftsteller muss das Pathos des stummen Schweigens zum Ausdruck bringen, den unterdrückten Schmerz. [. . .] Der Künstler muss uns die Millionen Augen der Mütter zeigen, in denen das Feuer der Rache den Quell ihrer Tränen versiegen hat lassen. Der jüdische Schriftsteller muss die Feder aus der Hand jenes Schriftstellers übernehmen, der umgekommen ist, seine ungeschriebenen Zeilen zu Ende bringen.

126 Fridenzon, Moyshe, Yerlekhe konferents fun yid. shrayber, zhurnalistn un kinstler, in: Jidisze cajtung, 14. 11. 1947. 127 Rubinshteyn, Ruven, Der shrayber in der sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 21. 11. 1947.

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Es ist Zeit, die Trauerzeit zu beenden (oyftsushteyn shive), zwischen den Ruinen [. . .] sorgfältig die Überreste unserer geistigen Architektur zusammenzusuchen – den Leuchtturm wieder aufzurichten, von welchem aus wir nach Norden und Süden, Westen und Osten unserer Vergangenheit und Zukunft sehen können. Unser Schriftsteller muss durch seine Helden die Wahrheit über diese Epoche aufzeigen, ihre Erhabenheit und ihren Fall. Großer Geist schreckt nicht vor der Wahrheit zurück. [. . .] Alle, die mit der Geschichte menschlicher Kultur vertraut sind, wissen, dass große Kunst und Literatur in Zeiten und bei Völkern mit historischer Perspektive hervorgebracht werden. Es ist schon ein deutlicher Rhythmus des großen neuen Werkes und des Lebensimpulses eines Volkes wahrzunehmen, das auf dem Amboss der Arbeit und des Kampfes in Eretz-Israel geschmiedet wird.128

Der historischen Verantwortung bewusst, die eigene Geschichte dokumentieren zu müssen, veröffentlichte die Sche’erit Hapleta schon relativ früh Bibliographien. Als die Erziehungskommission ab 1948 in beschränktem Umfang damit begann, ihr Verlagsprogramm um Werke von DP-Publizisten und DP-Schriftstellern zu ergänzen, konnte auch der Druck einer umfangreichen bibliographischen Arbeit finanziert werden. Die erste Ausgabe von Ben-Tsien Feldshus Bibliographie umfasst Publikationen, die zwischen Mai 1945 und Februar 1948 entstanden waren. Wenngleich die Herausgeber um die Lücken und Fehler in diesem Versuch einer bibliographischen Gesamtdarstellung wussten, entschieden sie sich dagegen, die Veröffentlichung weiter hinauszuschieben. „Wir waren der Ansicht“, erklärt der Historiker Philip Friedman in seinem Vorwort, dass wir nicht warten können, dass wir der jüdischen Welt schuldig sind, noch ein Bild der Sche’erit Hapleta zu geben, so wie sie sich im gedruckten Wort spiegelt. Sicher, das was in dieser Arbeit präsentiert wird, sind bloß quantitative und nicht qualitative Kategorien. Das – und nur das – lässt uns wagen, eine rein bibliographische Liste vorzulegen. Aber erstens: Es gibt einen Moment, wo Quantität über Qualität geht, und zweitens sind die quantitativen Aspekte auch charakteristisch genug, um niedergeschrieben zu werden. [. . .] Der aufmerksame Leser wird aus der vorliegenden Broschüre noch ganz andere Details über die Tätigkeit verschiedener jüdischer Organisationen auf kulturellem Gebiet, über die politischen Richtungen und geistigen Strömungen der Sche’erit Hapleta herauslesen können, über den Rhythmus und die Entwicklungslinien literarischer Tätigkeit in der besonderen, in unserer Geschichte einmaligen Sammlung der Zerstreuten (kibutz galujot), der in der deutschen Diaspora Sche’erit Hapleta genannt wird.129

Obschon der Versuch einer kulturellen Reterritorialisierung der Juden in der deutschen Diaspora auf internationaler Ebene scheiterte und eine Rezeption ihrer Werke außerhalb Deutschlands nur auf individueller Ebene 128 129

Shrayer, Efroyim, Di oyfgabn velkhe shteyen farn yidishn shrayber, in: Nayvelt, 17. 10. 1947. Feldshu, Sh[eyres]-h[apleyte]-bibliografye, o. S.

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stattfand, brachte er für die Schriftsteller der Sche’erit Hapleta für eine kurze Zeit eine Steigerung des Selbstbewusstseins. Waren ihre Leistungen im Ausland ihrer Wahrnehmung als Holocaustüberlebende untergeordnet, bildete sich in der Amerikanischen Besatzungszone ein Selbstverständnis als literarische Gruppe heraus, und die trotz aller Umstände rasante Entwicklung im literarischen und journalistischen Bereich wurde mit Stolz hervorgehoben. Wie in den Anthologien, den zahlreichen literaturkritischen Abhandlungen und den bibliographischen Sammlungen deutlich wird, verstanden sie sich als kreative und aktive Gruppe mit einer spezifischen historischen Rolle. Die Ambivalenz und der Widerspruch, welche mit dem „Land der Scheiterhaufen“ als territoriale Basis und als Druckort verbunden waren, sollten sich aber nicht auflösen.

Für die uns übersandten Neujahrswünsche sagen wir Ihnen herzlichen Dank. Als Bürgermeister von Feldafing fühle ich mich verpflichtet, Ihnen sowie den Herren der Camp-Leitung und allen D.Ps. (sic!) unsere aufrichten (sic!) Neujahrswünsche zu übermitteln. Wir haben sicherlich alle nur einen Wunsch, möge doch recht bald die Zeit kommen, dass wir uns wieder gegenseitig verstehen und achten lernen. Genau wie Sie meine Herren, so wünschen auch wir stets in guten (sic!) Kontakt zu bleiben, Gegensätze, wenn überhaupt solche bestehen, zu beseitigen. Seien Sie überzeugt, daß Ihr hartes, meist menschenunwürdiges Los in früheren Jahren, uns alle zur Hilfe verpflichtet, auch wir Feldafinger wollen dazu ein bisschen beitragen soweit es in unserer Möglichkeit liegt. Neujahrsgrüße des Bürgermeisters der Gemeinde Feldafing an die Leitung des DP-Camps Feldafing1

3. Zeitzeuge Schrägstrich Autor.2 Literatur im Grenzbereich

Als Primo Levis unmittelbar nach Kriegsende verfasster autobiographischer Bericht unter dem Titel Se questo è un uomo 1947 in einem kleinen italienischen Verlag erschien, stieß er auf wenig öffentliches Interesse. Erst eine zweite überarbeitete Version, die 1958 im renommierten Verlag Einaudi (der das Manuskript ein Jahrzehnt früher abgelehnt hatte), erschien, ließ das Buch zu einem der meistbeachteten Texte der Holocaust-Literatur werden.3 Während die politischen Entwicklungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten und auch ästhetische Erwägungen dazu führten, dass die öffentliche literarische Auseinandersetzung mit dem Holocaust erst in den 60er Jahren international einen Aufschwung erlebte, gehörten in der transnationalen jiddischsprachigen Welt Überlebensberichte, Prosa und Poesie, welche die Jahre der Verfolgung und Vernichtung thematisierten, dagegen bald 1 YU Bernstein Collection, Box 5, Folder 2, Der Bürgermeister der Gemeinde Feldafing an die Leitung des D. P. Center Camp of Feldafing, Feldafing, 31. 12. 1946. 2 Aus einem Bericht über die Leipziger Buchmesse 2008. Leipziger Allerlei. Bei Tische. Zeitzeuge Schrägstrich Autor: Der Buchmessenwaldschrat, in: Süddeutsche Zeitung, 15./16. März 2008. 3 Gordon, Primo Levi, 750.

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Zeitzeuge Schrägstrich Autor. Literatur im Grenzbereich

nach Kriegsende zum publizistischen Kanon. David Roskies sieht diese frühe Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Wissen der Leser begründet, dass auch sie zum Opfer hätten werden können und attestiert dieser Literatur daher eine größere Nähe zu „normaler“ Nachkriegsliteratur als in anderen Sprachen.4 Doch lediglich im „phänomenalen ‚Land‘ der Sche’erit Hapleta“5 war der Leser nicht nur potentielles Opfer, sondern gleichzeitig auch Überlebender und Zeitzeuge. Die DP-Lager übernahmen die Funktion eines gemeinsamen Erinnerungsraums für Juden, die nach Jahren im Ghetto und KZ, im Exil oder im Versteck hier zusammentrafen. Die DP-Presse und die Literatur boten den Rahmen für die schriftliche Fixierung der Erinnerung. Allmählich richtete sich der Blick von der Vergangenheit auf die Gegenwart. Standen am Anfang vor allem die Schrecknisse, die man überlebt hatte, im Mittelpunkt literarischer Äußerungen, ging man mit der Zeit dazu über, auch die realen Bedingungen dieses Weiterlebens zu betrachten. Man existierte noch – aber was war das für eine Existenz? Der Übergang zwischen den beiden Narrativen war fließend. Für die in Deutschland gestrandeten DPs war der Holocaust nicht einfach mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches zu Ende. Die Vergangenheit bildete weiterhin Bestandteil ihrer Gegenwart.

3.1. „Rohe Wahrheit“ – Holocaust und Literatur Das Holocaust-Monopol der Historischen Kommission Sidra DeKoven Ezrahi zufolge entsprang der Impuls zur Niederschrift der zahlreichen, meist autobiographisch gefärbten Texte während der ersten Nachkriegsjahre einem „testimonial imperative“, für den sie zahlreiche Motive geltend macht: Den Willen, Zeugnis abzulegen, den Wunsch nach Rache, das Andenken an die Toten. Vor allem aber bezeugten diese frühen Dokumente das individuelle Überleben, die Lücken im System der Endlösung.6 Bei diesen frühen Holocaust-Texten, deren künstlerischer Impuls durch den „testimonial imperative“ kontrolliert wird, ist nicht immer problemlos 4

Roskies, What Is Holocaust Literature?, 172–176. Spartan, Y., Literatur – oder plaplomanye?, in: Bafrayung, 20. 6. 1947: „Der zukünftige jüdische Literaturhistoriker wird, so glaube ich, seine Übersicht über einen Teil der ‚literarischen‘ Produktion in dem phänomenalen ‚Land‘ der Sche’erit Hapleta mit folgenden Worten beginnen: Und es war in den Tagen von Klecks dem Kleckser (vayehi bimey tintl hatintler).“ 6 DeKoven, By Words Alone, 21. 5

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zwischen historischem Material und literarischen Texten zu unterscheiden.7 Schließlich erfüllten die Texte auch für die Verfasser mehrere Funktionen, und so hatte die Frage nach der Unterscheidung zwischen Fiktion und Geschichte in der Sche’erit Hapleta eine konkrete Dimension. Israel Kaplan, Gründer der Zentralen Historischen Kommission, zeigte am Beispiel der verschiedenen Abteilungen des Zentralkomitees in München auf, wie unterschiedlich die Funktionen dieser Texte sein konnten, je nachdem, welche Absicht der Verfasser mit ihnen verfolgte und welchen Leser beziehungsweise Empfänger er intendierte. So stapelten sich in der Informationsabteilung nach Amerika adressierte Briefe von Überlebenden. Es waren Erfahrungsberichte, „rohe Wahrheit. Wirklich Dokumente erster Qualität und aus erster Hand.“8 Gleichzeitig wartete im Nebenzimmer die historische Kommission vergeblich auf Abschriften dieser Dokumente. Und noch eine Tür weiter wurde die Redaktion von Undzer veg von Menschen mit Manuskripten unter dem Arm eingerannt, die, so Kaplan, lieber zwölftrangige Philosophen und Publizisten sein wollten als erstrangige Biographen der eigenen Geschichte. „Es stimmt schon, aktuelle Themen [. . .] waren schon immer ein anziehender und leichterer Weg, [. . .] aber nicht alles, was federleicht und eingängig ist, hat auch dauerhaften Wert, ist zweckmäßig und höchst wichtig.“9 Die Frage der Zuständigkeiten und der Zuordnung der Dokumente zu verschiedenen Kategorien, die Kaplan hier feuilletonistisch festhielt, war tatsächlich eines der Hauptprobleme, mit denen sowohl die historische Kommission als auch der Schriftstellerverband und die Zeitungsredaktionen zu kämpfen hatten. In einem programmatischen Aufsatz versuchte der Historiker Philip Friedman den Bereich einer Historiographie der jüngsten Katastrophe zu demarkieren. Aus seinen Ausführungen wird deutlich, wie sehr der Impuls, alles festzuhalten, zu einer Materialflut führte und die Grenzen zwischen historischen und literarischen Texten unscharf werden ließ. Die Geschichtsforschung musste deshalb gemäß Friedman die Aufgabe übernehmen, historisch präzises Material zusammenzustellen, damit sich kein Widerspruch zwischen historischen Fakten und künstlerischer Vision auftat: Es gibt heute eine Churbanliteratur, die hunderte Bücher umfasst, viele tausende von Zeitungsartikeln und Abhandlungen, eine unzählige Menge von nicht gedruckten Materialien, Tagebüchern, Memoiren, Zeugenaussagen, Gerichtsprotokollen, Aufzeichnungen, Dokumenten, literarischen und pseudoliterarischen Schaffungen usw. Wir besitzen heute hunderte von Natan Neta Hanovers, die das

7 8 9

Ebd., 23. Für eine Analyse dieses hybriden Genres siehe dort, 24–48. Kaplan, Israel, Zamlen un fartseykhenen, in: Undzer veg, 26. 10. 1945. Ebd.

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Zeitzeuge Schrägstrich Autor. Literatur im Grenzbereich

Bedürfnis empfinden, ihre außergewöhnlichen Erlebnisse mit der Feder zu fixieren. Hunderte und aberhunderte von Leuten, die sonst nie in ihrem Leben ein Interesse für irgendwelche historische Forschungsarbeit aufgebracht hätten, haben jetzt zur Feder gegriffen aus einem inneren unwiderstehlichen Drange. Es handelt sich hier nicht um vereinzelte Fälle von irgendwelcher Graphomanie, es ist eine Massenerscheinung, ein mächtiges soziales Phänomen, das der Historiker beachten muss und verpflichtet ist, es wo möglich zu leiten [. . .].10

Während der ersten Monate war der Drang zu schreiben, alles Erlebte fest zu halten, hoch, die literarische Bildung der Verfasser aber oft nur sehr elementar. Historische Ereignisse, am eigenen Leib erlebt, wurden zur Antriebsfeder für literarischen Ausdruck. Der Redakteur der Landsberger Jidisze cajtung musste eingestehen, dass die DP-Presse „durch ihre Jugend, Unerfahrenheit und Traditionslosigkeit literarisch mangelhaft ist“. Doch gleichzeitig strich er den historischen Wert, den diese Texte und auch die Presse insgesamt für die spätere Forschung zweifellos besaßen, heraus: Sicher ist, dass historisch gesehen die Presse der Sche’erit Hapleta der ersten Phase das ewig richtige unmittelbare historische Dokument der jüdischen Katastrophe bleiben wird. Sie war echt und unmittelbar in ihrem Erzählen der tragischen Vergangenheit und der traurigen Gegenwart. [. . .] Wenn der zukünftige Historiker die Seiten der ersten Zeitungen umblättern wird, wird er einen großen, kollektiven tragischen Augenzeugenbericht über die unglaublichen Schauerlichkeiten vorfinden, die seine Verfasser durchgemacht haben [. . .] und den verzweifelten Ton unserer bitteren Gegenwart. [. . .] Wenn der jüdische Historiker wieder einmal im großen Sche’erit Hapleta-Buch blättern wird, in der Presse, wird er weiter Artikel, Notizen und Bilder über den jüdischen Kampf lesen [. . .]. Wenn der jüdische Historiker Material brauchen wird, um die Geschichte unserer Generation zu gestalten, wird er sicher nicht in geringem Maß die einzige unverfälschte Quelle, die Sche’erit Hapleta-Presse nutzen. Dort wird er alles finden.11

Wiewohl kritisch gegenüber der eigenen journalistischen und literarischen Produktion, verstand sich die Presse doch als Teil eines Dokumentationsprojektes, welches die Vergangenheit festhalten und zur Ausformung eines kollektiven Gedächtnisses der jüngsten Vergangenheit beitragen sollte. Diese Haltung teilte sie mit der Zentralen Historischen Kommission, die neben der Archivierung historischer Dokumente über die Jahre vor 1939 und die Zeit der Verfolgung und Vernichtung auch eine möglichst umfassende Sammlung aller DP-Publikationen anstrebte. Kurz nach der Gründung der historischen Kommission im November 1945 wandte sich Israel Kaplan, dem Imperativ des Sammelns und Dokumentierens folgend, daher erstmals 10 Friedman, Philip, Die Probleme der wissenschaftlichen Erforschung unserer letzten Katastrophe. Zitiert nach Jockusch, Jüdische Geschichtsforschung im Lande Amaleks, 35. 11 Lestni, Moyshe, Di Szejris-Haplejto-prese un di „jidisze cajtung“, in: Jidisze cajtung, 2. 5. 1947.

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mit einem Aufruf an die jüdische Öffentlichkeit, in dem er eine weite Spannbreite an Dokumenten auflistete, mit welchen die DPs an der Beschreibung der letzten Katastrophe mithelfen könnten.12 Bereits in der ersten Nummer der historischen Zeitschrift Fun letstn khurbn, die im August 1946 in München erschien, konnten Israel Kaplan und Moyshe Yosef Feigenbaum Ergebnisse ihrer bisherigen Arbeit vorweisen: Auf 36 Seiten präsentierten sie Aufsätze über die praktische Arbeit und die Zielsetzung der Kommission, eine Bibliographie und einen Tätigkeitsbericht, den ersten Teil einer historischen Arbeit über das Wilnaer Ghetto, eine Auswahl von Augenzeugenberichten, während des Holocaust verfasste Gedichte, sowie nationalsozialistische Dokumente und Photographien. Kaplan stellte eine erste Auswahl von Redensarten aus Ghetto und KZ – einer eigentlichen Geheimsprache – vor, die in den folgenden Nummern fortgesetzt und später in Buchform unter dem Titel Dos folks-moyl in natsi-klem (Der Volksmund im Würgegriff der Nazis) veröffentlicht werden sollte.13 Zwischen den einzelnen Berichten und Dokumenten wandte sich die Historische Kommission erneut mit Sammelaufrufen und Aufforderungen, Augenzeugenberichte abzulegen, an die Leser.14 Erklärtes Ziel der Zeitschrift war es, die DPs dazu anzuregen, sich mit ihren Erinnerungen, Dokumenten und musealen Objekten an der Dokumentation des Holocaust zu beteiligen. Durch Fun letstn khurbn konnten sich die DPs eine Vorstellung von der Tätigkeit der Historischen Kommissionen machen.15 Es ist also anzunehmen, dass die Zeitschrift eher Mittel zum Zweck war und dazu dienen sollte, die DPs zur umfassenden Archivierung und Dokumentation zu motivieren.16 Denn welcher Ort war geeigneter für die Sammlung von Material als die DP-Camps? Koppel S. Pinson charakteri-

12 Kaplan, Israel, Zamlen un fartseykhenen, in: Undzer veg, 21. 12. 1945. Die aufgeführten Dokumente umfassen: „1. Alle hitleristischen Dokumente (in Original und in beglaubigter Abschrift) in Zusammenhang mit der Judenfrage, wie: Befehle, Verordnungen, Meldungen u. a. 2. Antisemitische Werke in allen Sprachen. 3. Jüdisches Material und Dokumente aus der Churban-Epoche, die das jüdische Leben [. . .] beleuchten. Literarische und volkstümliche Schaffungen wie auch Folklore u. a. 4. Bilder, Klischees, Fotografien und alle anderen Arten von Kunst aus der Zeit des Kataklysmus. 5. Beschreiben sie ihr Martyrium und lassen sie es uns zukommen. Wer nicht fähig ist, dies selbständig zu tun, soll sich an die historische Kommission in seiner Gemeinde wenden und seine Erklärungen werden protokolliert werden. 6. Jüdische Werke aus unserer Vergangenheit und Gegenwart wie auch museale Gegenstände [. . .].“ 13 Kaplan, Dos folks-moyl in natsi-klem. 14 Kaplan, Israel (Hg.), Fun letstn khurbn I (1946). Eine Übersicht aller Artikel findet sich in der zehnten und letzten Ausgabe, 179–186. Eine annotierte Bibliographie sämtlicher Artikel, die zwischen August 1946 und Dezember 1948 erschienen, findet sich in Kuper-Margalioth, Yiddish Periodicals. 15 Siehe beispielsweise Kaplan, Israel, Undzer pruv, in: Fun letstn khurbn I (1946), 1; Gar, Yosef, „Fun letstn khurbn“, numer 1, in: Undzer veg, 25. 9. 1946. 16 Kuper-Margalioth, Yiddish Periodicals, 126 f.

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Zeitzeuge Schrägstrich Autor. Literatur im Grenzbereich

sierte jedes Mitglied der Sche’erit Hapleta als „privates Dokumentationszentrum“,17 und Israel Kaplan merkte 1947 auf der Konferenz der jüdischen Historischen Kommissionen in Deutschland an, dass Geschichte jedem DP auf der Zungenspitze liege: „Man braucht nur ein Ohr zu haben. Lasst uns sammeln – retten!“18 In den DP-Lagern lebten die Überlebenden zusammen und konnten ihre Erinnerungen miteinander vergleichen. Nach der Emigration, die neben der Zerstreuung auch neue Lebensumstände mit sich brachte, konnte auf dieses Reservoir kollektiver Erfahrung nicht mehr so einfach zurückgegriffen werden.19 Während in den ersten Monaten die Zeitungen von Beschreibungen und Erinnerungen überflutet waren, nahm die Anzahl der Schilderungen im Laufe der Zeit ab. 1947 wurden gegenüber dem Vorjahr veleichsweise wenige Artikel mit Bezug auf den Holocaust gedruckt.20 Der Anspruch der Redaktionen, das Niveau der Beiträge zu heben, spielte dabei sicherlich eine Rolle – die Qualität literarischer Beiträge wurde nun, nachdem sich das Pressewesen zu stabilisieren begann, über deren inhaltlichen Dokumentationswert gestellt. Es scheint aber auch an der Monopol-Stellung der Historischen Kommission gelegen zu haben, dass kaum mehr historische, sondern fast ausschließlich literarische Texte über die jüngste Vergangenheit veröffentlicht wurden. Die Redaktionen waren dazu übergegangen, historisches Material direkt an die Kommission weiter zu leiten. „Die verantwortungsvolleren Redakteure unserer Wochenzeitungen vermeiden es schon seit längerem, in ihren Zeitungen historisches Material zu veröffentlichen und schicken es an die Redaktion Fun letstn khurbn, in Anerkennung ihres ausgesprochen ernsten Zugangs zum Gegenstand“, stellte Moyshe Yosef Feigenbaum in einem Brief an Philip Friedman fest.21 Aufgrund dessen kritisierte er im gleichen Brief die literarische Zeitschrift Hemshekh, die kurz zuvor erschienen war. Dort fand sich zwischen den Beiträgen auch ein Artikel Yosef Gars über die Liquidation des Ghettos in Kaunas, der in seiner Form dem „gewöhnlichen Typ Holocaust-Beschreibung“ zuzurechnen sei und damit in den Zuständigkeitsbereich der historischen Kommission falle – zumal diese gerade mit der Planung einer Nummer zum litauischen Judentum beschäftigt war. Friedman als Mitherausgeber der literarischen Zeitschrift wurde deshalb in einem Brief gefragt:

Pinson, Jewish Life in Liberated Germany, 109. Cuzamenfor fun mitarbeter fun Centraler Historiszer Komisje, in: Jidisze cajtung, 3. 6. 1947; Kaplan, In der tog-teglekher historisher arbet, 24. 19 Ebd., 9. 20 Bibliographien zu Artikeln aus der DP-Presse mit Holocaust-Thematik wurden – allerdings nicht lückenlos – in der historischen Zeitschrift Fun letstn khurbn abgedruckt. 21 YIVO 1258, Box 8, Folder 360, Moyhse Yosef Feigenbaum an Philip Friedman, München, 5. 5. 1948. 17 18

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1. Haben Sie jetzt schon eine andere Meinung über den Überfluss an HolocaustMaterial, und sind Sie heute dafür, parallele zentrale Organe zu schaffen, um das Material zu veröffentlichen? 2. Wurde die Arbeit von Herrn Gar mit Ihrer Zustimmung und unter Ihrer Redaktion veröffentlicht? 3. Sind Sie der Meinung, dass, obschon bei uns schon seit längerem ein zentrales Organ für Holocaust-Material existiert, trotz unserer stark eingeschränkten Kräfte und Möglichkeiten, das Veröffentlichen von (nicht historiosophischem) Holocaust-Material über zahlreiche Ausgaben unterstützt werden und sogar einen Platz in der ersten Ausgabe eines Zentralorgans für Literatur, Kunst und gesellschaftliche Fragen haben soll?22

Die vorgebrachte Kritik muss vor dem Hintergrund einer anderen Sorte von Veröffentlichungen gelesen werden, welche seit dem Vorjahr heftige Polemiken auslösten: Privatpersonen hatten historische Bücher publiziert und sie teilweise sogar als Ausgaben historischer Kommissionen deklariert.23 Israel Kaplan verurteilte solche Publikationen nicht nur ihres geringen historischen Wertes wegen scharf. Er warf ihren Verfassern auch vor, sich unerlaubt Zutritt zu den lokalen historischen Kommissionen und deren Archiven zu verschaffen, um an Dokumente und Aufzeichnungen zu gelangen, oder aus besonders grausamen Photographien und Dokumenten Profit zu schlagen. Kaplan wandte sich aber nicht nur gegen Einzelpersonen, sondern auch gegen Lagerverwaltungen, Parteien und Landsmannschaften, die auf eigene historische Publikationen bestanden, und warf ihnen vor, durch faktisch inkorrekte Schilderung das Andenken an die Umgekommenen zu schänden.24 Kaplans Meinung, die von anderen Kritikern geteilt wurde, richtete sich auch gegen die ersten Yizker-Bücher. Während diese Dokumentationen, die an die Geschichte einzelner Gemeinden, Dörfer, manchmal auch an das jüdische Leben ganzer Städte erinnern, heute zu einer wichtigen lokalgeschichtlichen Informationsquelle geworden sind und Einblick in die Gedenkkultur der Überlebenden geben, beklagte man sich in der Sche’erit Hapleta über die geringe sprachliche und technische Qualität dieser Sammlungen. Als Benjamin Orenstein 1948, finanziert durch die entsprechenden Landsmannschaften in der Amerikanischen Besatzungszone, je eine Abhandlung über das Schicksal der Juden in Cze˛stochowa und die vier

Ebd. Fun der tsentraler historisher komisye, in: Tsienistishe shtime, 19. 10. 1947. Z. B. Meyer, Der untergang fun Zlotshov (in Jiddisch mit lat. Buchstaben, durch die Föderation polnischer Juden im Verlag der Zeitung Bafrayung herausgegeben); Grünspan, Di lecte teg fun warszawer Getto (Historische Kommission beim jüdischen Kreiskomitee in Schwabach) und ders., Cyankali (Sam) (beide in lat. Buchstaben); Goldring, Di kultur-treger; Orenstein, Virklekhkayt. 24 Kaplan, In der tog-teglekher historisher arbet, 6 und 9. 22 23

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Gemeinden Treblinka, Otwock, Falenica und Karczew verfasste,25 kritisierte der Bibliograph Ben-Tsien Feldshu, dass der Verfasser, „nach ‚publicity‘ jagend“, statt einer ernsthaften Arbeit vorzulegen, den Text mit seinen eigenen Reimereien und Bildern angereichert habe.26 In einem Brief an Lucy Schildkret klagte Kaplan, dass sich Menschen in der Sche’erit Hapleta darauf spezialisiert hätten, „aus jüdischem Leid, Massakern und Vernichtung Geld [zu] machen“.27 Einige Jahre später, als sich das Yizker-Buch bereits zu einem breiten und internationalen Genre entwickelt hatte, kritisierte der Historiker Jacob Shatzky, genau wie Israel Kaplan Ende der 40er Jahre, die Vermischung von Fakt und Fiktion und attestierte fehlende editorische Sorgfalt. Er empfahl, das Material in geeignete Hände abzugeben, um ein stringentes Narrativ zu gewährleisten. Denn, so kritisierte er, „in der Art, in der [Yizker-Bücher] jetzt zusammengestellt werden, sind sie im Allgemeinen Grabsteine und keine Bücher. Wie bekannt liest man [aber] keine Grabsteine.“28 Für die Überlebenden wie auch für die Mitglieder der Landsmannschaften in anderen Ländern stand jedoch genau dieser Aspekt, die Schaffung imaginärer Grab- und Erinnerungsstätten,29 im Vordergrund: In Majn Sztetl Kostopol (Mein Städtchen Kostopol), das sich in zwei Teile gliedert, berichtet Meir Grinszpan erst von der Geschichte des Ortes im Grenzgebiet zwischen Wolhynien und Polesien seit Mitte der 20er Jahre, nennt zahlreiche Namen und charakterisiert Persönlichkeiten aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben und ergänzt diese historische Einleitung um ein Epos, das von der Rückkehr aus Mittelasien, von der Begegnung mit den polnischen und ukrainischen Nachbarn, vom Verlust von Heimat und Familie erzählt. Das Ziel, sowohl von Einleitung wie auch künstlerischem Teil, sollte es sein (und ähnliche Aussagen finden sich auch in vielen späteren YizkerBüchern), als ein „historisches Dokument in das allgemeine Archiv der großen schrecklichen Leidensgeschichte unseres Volkes, unserer Volkskatastrophe, für die zukünftigen Generationen eingeordnet zu werden. Es soll als Grabstein (matseyve) für die Märtyrer und zum Andenken an die Überlebenden dienen [. . .].“30 Auch Kaplan verstand die Aufgabe solcher Werke – wie auch seine eigene

Orenstein, Churban Czenstochow; ders., Churban Treblinka, Falenic, Otwock, Karczew. Feldshu, Sh‘‘h-bibliografye, 54. 27 JNUL Arc. 4°1795, Box 7, Israel Kaplan an Lucy Schildkret, 9. 7. 1948. 28 Shatzky, Yizker-bikher, 355. Kugelmass/Boyarin widersprechen Shatzky, indem sie den Aspekt der Motivation der Herausgeber und Verfasser von Yizker-Büchern über den ihrer Qualifikation stellen. Vgl. Kugelmass/Boyarin, From a Ruined Garden, 25 f. 29 Young, The Texture of Memory, 7. 30 Grinszpan, Majn Sztetl Kostopol, XIV. Belletristische Bücher wurden ebenfalls mit ähnlichen Widmungen versehen. 25 26

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historische Arbeit – durchaus im Sinne eines Denkmals, doch standen für ihn die Qualität der Beiträge und die Genauigkeit der Informationen im Mittelpunkt.31 Schließlich war es doch gerade in der Sche’erit Hapleta, diesem Reservoir an frischen Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit, möglich, genaue Informationen zu sammeln und sie sofältig aufzubereiten – und nicht nur, um von den Landsmannschaften in Amerika und im Jischuw Geld einzuwerben, wie er den Verfassern vorwarf. Die Verpflichtung sah er in der Verantwortung gegenüber den Umgekommenen, aber sicherlich auch gegenüber den kommenden Generationen, die wiederum die Sche’erit Hapleta als historische Gruppe sehen würden. Das Ziel sollten aber nicht rein historiographische Werke sein, wie sich in seiner Rezension zu der persönlich gefärbten historischen Reportage Podliashe in umkum (Der Untergang von Podlasie) seines Mitarbeiters Moyshe Yosef Feigenbaum zeigte.32 Im Gegenteil, er sah gerade die Überlebenden und ihre Fähigkeit, Zeugnis abzulegen, als wichtigen Teil einer zukünftigen Geschichte dieser Zeit, und zwar, weil sie es ermöglichten, so viele Fakten wie möglich über den Holocaust herauszubringen und zu erzählen, auch wenn es Ereignisse in den kleineren Gemeinden sind, Begebenheiten kleiner Gruppen von Juden, ist [dies] von wichtiger Bedeutung nicht nur für die Überlebenden. [. . .] Solche Beschreibungen und Monographien haben für uns alle eine große Bedeutung; außer dem historischen [haben sie] auch einen erzieherischen und sogar einen nationalen Wert.33

„Das Leben ist nicht ästhetisch, wenn man es ‚in flagranti‘ erwischt“. Zur Stellung der Holocaustliteratur Diese Texte, die – in Prosa, als dokumentarische Fiktion oder als Poesie – aus einem kommemorativen Impuls entstanden waren, wurden von den Mitgliedern des Schriftstellerverbandes und der Literaturkritik oft als von geringem ästhetischem und historischem Wert betrachtet und pauschal unter dem Stichwort Graphomanie abgehandelt. Zu einer deutlicheren Unter31 Auch die Historischen Kommissionen sahen die Memorialisierung als Ziel ihrer Arbeit. So heißt es beispielsweise im Vorwort zu einem später publizierten Aufsatz Kaplans: „Diese Publikation soll jedem einzelnen der Überlebenden der letzten Katastrophe dabei helfen, die Ziegel zum historischen Volksmonument zu legen, das die jüdische Martyrologie und den Heroismus während der Nazizeit verewigen soll.“ Siehe Kaplan, In der tog-teglekher historisher arbet, o. S. 32 Feigenbaum, Moyshe Yosef, Podliashe in umkum. Feigenbaum hatte diese Arbeit teilweise im Versteck geschrieben und war nach Kriegsende in seine Heimatstadt zurückgekehrt, um mit den Bewohnern zu reden und in der Stadtverwaltung Dokumente einzusehen. Vgl. Kaplan, Israel, Ven di brenendike vund trift nokh heys . . ., in: Hemshekh II (1949), 43–45. 33 Ebd., 44.

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scheidung zwischen Holocaustliteratur und Graphomanie – in anderen Worten die Unterscheidung zwischen ästhetischem und kommemorativem Impuls34 – rief Baruch Graubard auf. Er kritisierte, dass die Rezensenten die DP-Literatur bisher nach streng ästhetischen Kriterien gemessen hätten, und forderte zu einer systematischeren Beurteilung und Präzisierung der Termini auf. Einerseits hielt er eine endgültige Evaluation für verfrüht, andererseits war laut Graubard eine Unterscheidung zwischen témoignage-Literatur und Belletristik nötig. Das Schreiben von Holocaust-Literatur sei, wenngleich unbeholfen im Ausdruck, zumindest Material für historische, soziologische, psychologische und sogar pathologische Forschung. Welche dieser Werke schließlich von bleibendem Wert seien, könne in vielen Fällen erst der zukünftige Leser beurteilen. In der Gegenwart sei der Leser für eine objektive Diskussion noch zu nahe an den tragischen Ereignissen: Jedenfalls haben viele Juden unter den Tallit35 geschaut, der die Wahrheit verdeckt, von der wir alle nicht wollen, dass sie die Wahrheit ist und vor welcher wir weglaufen. Wir, die Herausgeber der Bücher [. . .], wir die Leser, die wir bei einer Tasse Tee ein Gespräch über Ästhetik führen wollen, wir die Kritiker, die wir mit dem Tallit das vereiterte Skelett wieder zudecken wollen, und genau deswegen rümpfen wir manchmal die Nase und sagen „Graphomanie“.36

Die Geschichte habe jeden DP zum Romanhelden, zum Protagonisten eines sensationellen Films gemacht. Diese Autoren hätten keinerlei literarische Erfahrung mitgebracht, aber sie seien aus Todeszügen gesprungen, hätten Auschwitz überlebt: „Sie sind keine Schriftsteller, sie erzählen davon, wie tief der Abgrund, wie groß das Leid ist und wo das Ende menschlicher Kraft.“ Von ihnen dürfe keine Objektivität und erzählerische Distanz erwartet werden. Das eigentliche Problem dieser Literatur beginne mit ihrer Kommerzialisierung. Denn der Leser erwarte einen Plot, eine emotionalkünstlerische Bearbeitung, doch sei das Leben nicht ästhetisch, wenn man es „in flagranti“ erwische.37 Mit dieser Verteidigung ästhetisch schwacher Werke stand Graubard in den Reihen des Schriftstellerverbandes relativ allein. Dort wurde wiederholt darüber diskutiert, wie der Holocaust in der Literatur dargestellt werden sollte. Bereits auf der ersten Lesung, die im Herbst 1946 stattfand, diskutierte Shloyme Berlinski mit seinen Kollegen die historische Verantwortung der überlebenden Schriftsteller, das Andenken an die Vergangenheit in ihrer Literatur wach zu halten. Er selbst, so Berlinski, sei immer noch auf

DeKoven, By Words Alone, 99. Gebetsschal. 36 Graubard, Baruch, Vegn grafomanye in der sheyres-hapleyte, in: Bafrayung, 7. 1. 1949. 37 Ebd.; ähnliche Argumente finden sich auch in Tshemni, Meylekh, Yidishe shrayber in der sheyres-hapleyte, in: Dos vort, 9. 4. 1948. 34 35

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der Suche nach dem richtigen Stil: „Wer konnte schon über ein Thema wie Tod schreiben? Wer über Mord? Vielleicht nur ein Dostojewski, ein Andrejew. Heutzutage müssen wir über den sechsmillionenfachen Mord an unserem eigenen Volk, den eigenen Eltern, Schwestern und Brüdern, schreiben. Man muss über genügend Kräfte verfügen, um die Tragik auszudrücken. Ohne sie ist man dazu verurteilt, in eine Art Hysterie oder Melodramatik abzugleiten. Tragik und Komik sind nur einen Schritt voneinander entfernt.“ Der richtige Ton für die Schilderung des Holocaust war laut Berlinski still, episch.38 Dieser Forderung nach sprachlich und stilistisch behutsamer Auseinandersetzung mit den jüngsten Ereignissen stimmten auch andere Kritiker zu. Ein KZ-Überlebender fragte nach dem Zielpublikum belletristischer Beschreibungen des Holocaust: „Diese Fragmente machen keinen Eindruck auf den Leser, den ehemaligen Ghettobewohner oder KZ-Häftling. Die Menschen haben es doch selbst durchlebt und in ihren Augen wirkt das Kapitel blass und mild.“ Mit ihren detaillierten Beschreibungen lieferten sie, so der Kritiker, Material für die historischen Kommissionen, teilten künstlerisch aber nichts mit. Eine Passage in Knut Hamsuns Hunger, in dem geschildert wird, wie Knöpfe von der Kleidung abgetrennt werden, um Brot zu kaufen, würde einen weitaus stärkeren Eindruck hinterlassen als die Schilderung des Hungertods Tausender Häftlinge unmittelbar vor der Befreiung.39 Obwohl der Vergleich mit literarischen Reaktionen auf frühere Katastrophen, sowohl in der jüdischen wie auch in der allgemeinen Geschichte, herangezogen wurde, äußerte man sich kritisch über die künstlerischen Möglichkeiten der Sche’erit Hapleta, sich in diese Reihe einzufügen: Erich Maria Remarques Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg oder Chajim Nachman Bialiks Be’ir haharega (In der Stadt des Schlachtens), das unmittelbar aus der Zeitstimmung heraus als Reaktion auf die Pogrome in Kischinjow entstanden war, wurden als Ausnahmeerscheinungen betrachtet. Den DP-Schriftstellern fehle aber die historische Distanz.40 Shloyme Vorzoger schrieb: Zu früh – um zu vergessen/zu tief – um es zurückzuhalten/keine Sprache – zu erzählen/kein Maß – zu messen/kein Name – [. . .]/Jedes Wort – ist Lästerung/Oh, Gott – gib mir Kraft, Gott – zu schweigen.41

38 Szeferiszer ownt fun Sz. Berlinski, in: Jidisze cajtung, 29. 11. 1946. Vgl. auch Elentsvayg, Yisroel, Kultur-Noticn, in: Jidisze cajtung, 21. 3. 1947. 39 Szawinski, Josef, Wegn kapitlen fun bicher, wos derszajnen ingichn in Bayern. . ., in: Jidisze cajtung, 20. 6. 1947. 40 Ejlihaw, M. D. [Mordkhe Libhaber], Ikh leb, in: Ibergang, 17. 11. 1946; Tshemni, Meylekh, Un videramol: sh[eyres]h[apleyte]-literatur, in: Tsienistishe shtime, 27. 1. 1949. 41 Vorzoger, Zayn, 35.

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So ist es dann auch nicht die direkte Beschreibung von Roussets univers concentrationnaire, welche zum Hauptmotiv der Kurzgeschichten und Gedichte wird. Oft wird dagegen die Rückkehr in die ehemaligen Heimatorte dargestellt, der unüberwindbare Bruch mit der Vergangenheit herausgestrichen, der schmerzliche Verlust von Heimat und Familie beschrieben oder das Schuldgefühl des Überlebenden gegenüber den Toten: Sie denken:/Die Tage, die vergehen und die Tage die kommen/haben sie den toten Brüdern weggenommen./Oft bleiben sie stehen auf halbem Wege:/Sind ihre Jahre ein Geflecht aus den ungelebten Tagen eines anderen?//Sie gehen gleichgültig an Kindern vorbei. Den Blick zum Boden geneigt./Und nachts, allein im verschlossenen Zimmer/erinnern sie sich an die Augenfarbe ihrer Kinder.//Sie glauben jeden Vorbeigehenden gesehen zu haben/irgendwo in einem Todeslager weit von hier./ Und genau wie sie selbst/ist auch die Welt von den Toten auferstanden.42

Trotzdem wurde der Versuch einer literarischen Auseinandersetzung immer wieder gemacht. Eines der wohl eindrücklichsten Zeugnisse sind die gesammelten Geschichten, die Malke Kelerikh unter dem Titel Tsurik tsum lebn (Zurück ins Leben) veröffentlichte. Über die Verfasserin ist kaum etwas bekannt. 1897 geboren, überlebte sie mit ihrer Familie den Holocaust offenbar in Ghettos und Lagern.43 Die Geschichten thematisieren Mutter-KindBeziehungen: Das Glück der Mutter darüber, dass die christliche Nachbarin das Kind versteckt; der bewusste Abschied der Tochter am Abend vor der Erschießung der Eltern; die Geschichte einer Mutter, der es gelingt, ihre kleine Tochter im Arbeitslager zu verstecken, ohne aber selbst von der Selektion zurückzukommen; ein Junge, der im DP-Camp seinem früheren Kinderarzt begegnet und ihm erzählt, wie er als Sechsjähriger über den nackten Körper der toten Mutter aus einem Massengrab gekrochen ist, sechs Jahre in einem christlichen Dorf überlebt hat und lakonisch resümiert: „Und so habe ich gelebt. Sechs Jahre unter denselben Nichtjuden gewohnt, die meine Mutter ermordet haben. Das ist alles.“44 Oder die Geschichte einer jungen Frau, der auf dem Todesmarsch ein Hund Freundschaft entgegenbringt, indem er sie aus seiner Schüssel essen lässt.45 Die Personen in ihren Geschichten sind keine Helden, nur Kämpfer um das eigene Leben. In einer früheren Version einer der Erzählungen aus dem Buch setzt sich Malke Kelerikh mit der Schuldfrage der Überlebenden auseinMann, Yerushe, 19. [Ohne Titel], in: Tsienistishe shtime, 11. 6. 1948. Es handelt sich hier um eine Glückwunschanzeige, gerichtet an sie und ihren Mann zur Geburt der Enkeltochter. Malke Kelerikh war in Deutschland Präsidentin der jüdischen Frauenorganisation WIZO, durch welchen das Buch auch finanziert wurde. 44 Kelerikh, Tsurik tsum lebn, 43. 45 Grotesk wirkt, dass sich an die Geschichten eine Reihe satirischer Texte aus dem Leben in Deutschland anschließen. 42 43

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ander: Sie berichtet autobiographisch von einem Kind, welches im Ghetto von einer Gruppe Erwachsener aufgenommen und versteckt wurde, schließlich aber geopfert wurde, um die Gruppe als Ganzes nicht in Gefahr zu bringen.46 Grauenvolle Bilder präsentierte auch Binyomin Elis 1947 in einer Erzählung über das Überleben auf der „arischen Seite“: Ein jüdischer Mann will seinen verstorbenen Bruder beerdigen und trennt ihm die Gliedmaßen ab, um ihn von den Nachbarn unbemerkt aus der Wohnung bringen zu können.47 Diese Schilderung rief erneut Kritik hervor, und wie schon früher stand auch jetzt die Forderung, zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden, im Zentrum: „Wenn ich Gedichte und Prosa gewisser Schriftsteller der Sche’erit Hapleta lese, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich in Klageweiber verwandelt haben, in namenlose Bettler, die in der Mitte des Marktes stehen und ihr Haupt mit Asche bestreuen.“ Auf den Leser wirkten diese naturalistisch-präzisen Beschreibungen verstörend und hoffnungslos. „Es ist gut möglich, dass [diese Geschichte] ein trauriger Fakt ist – doch wozu beschreibt Elis sie? Für die historische Kommission ist sie nützlicher als für die Literatur. Denn wozu schreiben wir Erzählungen und Gedichte? Zu Dokumentationszwecken? Diese Literaturform wird unsere Leser nicht erziehen, sie wirft uns eher zurück in den Albtraum und verdunkelt unseren echten Kampf.“ Was dem Kritiker vorschwebte, waren Heldengestalten, die eine positive Sicht auf die Vergangenheit ermöglichten.48 Abgesehen vom historischen und ästhetischen Wert der Veröffentlichungen wurde von politisch aktiven Kritikern die Konstruktion einer nützlichen Vergangenheit, der Aufbau einer heroischen Erinnerungskultur eingefordert, die über das individuelle und oft auch widersprüchliche persönliche Narrativ eines Schriftstellers hinausging.49 Aus dieser Synthese persönlicher und kollektiver Erinnerungen sollte eine einheitliche Gedächtnisgeographie für die heterogene Sche’erit Hapleta entstehen. Eine Geographie, deren Ränder mit den Grenzen der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs zusammenfielen.

Opferkonkurrenz und das sowjetische Exil im öffentlichen Diskurs In ihrem Versuch, die jüngste Geschichte zu dokumentieren, verständigte sich die historische Kommission auf einen breiten Kanon an Erfahrungen – Ghetto, KZ, das Überleben im Versteck und auf der „arischen Seite“ –, der 46 47 48 49

Kelerikh, Malke, Farvos tsvingt men undz?, in: Undzer veg, 9. 5. 1947. Später veröffentlicht unter dem Titel Dray kvorim in: Elis, In aza velt, 39. Sabatshiner, M., Notitsn vegn literatur, in: Bafrayung, 19. 12. 1947. Roskies, What Is Holocaust Literature?, 165.

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eine Vielzahl von Stimmen zuließ: Kinder und Jugendliche wurden ebenso zur Dokumentation aufgerufen wie erwachsene Frauen und Männer. Doch in keinem der zahlreichen Sammelaufrufe, welche regelmäßig in der Presse abgedruckt wurden, wurde dazu aufgefordert, Zeugnis über das Leben im sowjetischen Exil abzulegen. Zu diesem Kapitel jüdischer Geschichte während des Zweiten Weltkriegs, das auch heute nur peripher wahenommen wird, fehlte es daher schon in der Sche’erit Hapleta an Augenzeugenberichten, Dokumenten und Artefakten in den Archiven.50 Die Erfahrungen in der Sowjetunion waren, mit Ausnahme der Partisaneneinheiten, aus dem sonst sehr breiten Forschungsinteresse der Kommissionen ausgeklammert.51 Dieselbe geographische und politische Eingrenzung galt auch für das öffentliche Gedenken: Während Gedenkveranstaltungen um symbolisch aufgeladene Ereignisse wie den Warschauer Ghetto-Aufstand im April 1943 kreisten und Landsmannschaften dem Untergang ihrer Gemeinden gedachten, gab es kein Ereignis im sowjetischen Exil, das in gleicher Weise erinnert und für eine Heroisierung der Vergangenheit funktionalisiert werden konnte.52 Der Journalist Mordkhe Libhaber, der 1946 aus der Sowjetunion repatriiert worden war, wies in diesem Zusammenhang auf die imminente Gefahr einer kollektiven Amnesie bei der Sche’erit Hapleta hin: „Die Vergangenheit zu verlieren, bedeutet die Zukunft zu vernachlässigen. Die Vergangenheit zu vernachlässigen, bedeutet die Zukunft zu verlieren“, leitete er im Juni 1947 einen Artikel über das sowjetische Exil ein. Er argumentierte, ein Leben müsse auf Überlieferungen aufbauen können, um eine erfolgreiche Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft zu schaffen. Doch in der Sche’erit Hapleta würde ein bedeutendes Kapitel der eigenen Geschichte ausgeblendet – das Exil in der Sowjetunion.53 Libhaber beglückwünschte die historischen Kommissionen zu ihrer erfolgreichen Arbeit, zu „den Tausenden ‚kleinen‘ und großen Historikern, den Sammlern jüdischer Erinnerungsstücke an das Leiden, Verfasser von

50 Dies ist erstaunlich, da die Fragebögen der historischen Kommission Raum ließen für eine weite Spanne von Holocausterfahrungen: Es existierten beispielsweise spezielle Fragebögen für Künstler, Partisanen und Frontkämpfer, und auch den Erlebnissen jüdischer Frauen wurde spezielles Interesse gewidmet. Siehe: Jockusch, Jüdische Geschichtsforschung im Lande Amaleks, 34. 51 Jockusch, Collect and Record!, 305f. Einzig der Bund fragte seine Mitglieder auf seinen Registrierbögen routinemäßig nach diesen Informationen. Vgl. YIVO 1400, ME-14B, Box 11, Folder 34, Registrierungsbögen mit Fragen nach Herkunft, bundistischer Tätigkeit vor dem Krieg, Überleben in der Kriegszeit, Verfolgungen wegen Bund-Mitgliedschaft, Familienstand, Auswanderungsziel etc. Nach Blatman, For Our Freedom and Yours, 202, waren etwa 80% der Bundisten in Deutschland aus der Sowjetunion repatriiert worden. 52 Zu den Gedenkveranstaltungen siehe Kapitel 4.2. 53 Libhaber, Mordkhe, A kapitl geszichte gejt farlorn, in: Ibergang, 29. 6. 1947.

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Augenzeugenberichten, KZ-Hosen-Bringern, Bilderabgebern, Erzählern und Schriftstellern“, doch fehle es an Material über die „Leiden des europäischen Judentums in Russland während der Jahre 1939–1946“, die bis zur Gegenwart wie ein unbeschriebenes Blatt unberührt auf ihre Erforschung warteten. Das Schweigen über die delikate und komplexe Erscheinung führe zu unberechtigten Schlüssen über die Gegenwart in der Sche’erit Hapleta und auch in der restlichen Welt. Libhaber wies auf die Vielschichtigkeit jüdischer Exil-Existenz in der UdSSR hin – zwischen Roter Armee, Inhaftierung wegen zionistischer Tätigkeit, zwischen Arbeitslagern und gastfreundlichem Asyl. Das Fehlen des Materials und das Verschweigen der Thematik verursache Missverständnisse und einen innerlichen Antagonismus zwischen denjenigen, die im KZ gelitten und denjenigen, die weniger gelitten hätten. Äußerlich müssten der Welt die Gründe für das Verlassen der Sowjetunion als Beweis für die Verbundenheit mit der hebräischen Kultur und der jüdischen Volksgemeinschaft dargelegt werden.54 Dass dieses Verdrängen des sowjetischen Exils aus dem öffentlichen Diskurs zu einer Opferkonkurrenz führte, musste Libhaber persönlich erfahren, nachdem er im Februar 1948 ein Buch Rachmil Grünspans über das Leben in Warschau während der Kriegszeit, auf der „arischen Seite“ und im Ghetto, rezensiert hatte. Die Kritik an diesem im Selbstverlag veröffentlichten Werk fiel scharf aus. Libhaber stellte seine eigene Fähigkeit in Frage, den vollen Umfang an „Dummheit, Unverantwortlichkeit, Graphomanie, Schund, Verachtung, Pornographie, Profanierung jüdischer Heldenhaftigkeit und jüdischen Geistes“ in Grünspans Publikation zu beschreiben. Er beanstandete einerseits die technischen Mängel, die lateinischen Buchstaben und die zahllosen Druckfehler, andererseits war ihm auch die unidiomatische Sprache ein Stein des Anstoßes. Im Zentrum seiner Kritik stand jedoch die Schilderung des Warschauer Ghetto-Aufstandes: In Grünspans fiktionaler Beschreibung der historischen Gestalten wird der Ghettopolizist Shepsl Rotholc55 zum Helden stilisiert, während der Anführer des Ghetto-Aufstandes, Mordechaj Anielewicz, ungleich kritischer beschrieben wird.56 Eine solche Neuverteilung der Rollen war in den Augen Libhabers nicht nur hei-

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Ebd. Rotholc, in der Zwischenkriegszeit ein prominenter Profiboxer, wurde 1946 in Polen vom Jüdischen Bürgergericht als Kollaborateur angeklagt. In einem vielbeachteten Schauprozess wurde nicht nur die Anklage erhoben, dass sich Rotholc durch seine Zugehörigkeit zur Ghettopolizei an den Deportationen von Juden aus dem Ghetto seit dem 22. Juli 1942 mitschuldig gemacht hatte. Rotholc wurde auch, wie dessen Anwalt es später formulieren sollte, zum Symbol für die Verachtung der jüdischen Ghettopolizei. Vgl. Finder, The Trial of Shepsl Rotholc, 89. 56 Grünspan, Cyankali (Sam); Libhaber, Mordkhe, Amrotsish un umfarantvortlekh. Kemoy a retsenzye, in: Undzer veg, 13. 2. 1948. 55

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kel, sondern kam einer Pervertierung der symbolischen Bedeutung des Aufstandes gleich. Eine Replik ließ nicht lang auf sich warten. Grünspan legitimierte die Druckfehler damit, dass er das Buch in einer deutschen Druckerei in Auftrag gegeben habe. Bereits im Vorjahr hatte er dort einen Band über das Ende des Warschauer Ghettos herausgegeben und jede Verantwortung für die Druckfehler abgelehnt.57 Libhaber sah sich nun mit ausschweifenden Vorwürfen konfrontiert, die von der Frage nach individueller und kollektiver Schuld durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gelenkt wurden: Sicher ist nach ihrem Verständnis Rotholc ein Verbrecher [. . .] und nicht nur Rotholc!!! Sondern alle Juden, die in den KZs, auf der arischen Seite und in den Ghettos gelebt haben. So seht ihr uns, die durch ein Wunder die hitleristische Hölle überlebt haben. [. . .] Während wir unser Leben im Kampf gegen die braunen Bestien aufs Spiel gesetzt haben, haben Sie, Marek Libhaber, in Taschkent oder in irgendeiner anderen Stadt gehandelt und sich eine goldene Nase verdient. Was können Sie schon wissen über uns und Rezensionen schreiben über uns. . . über unsere Sorgen. [. . .] Sie haben mich in ihrer Vorstellung auch schon fast als Kapo gesehen [. . .] als Polizist [. . .] als Gestapomann. Ich höre hier auf und rate Ihnen, dass Sie in Zukunft gut nachdenken sollen, bevor Sie etwas schreiben.58

Grünspan konnte als Überlebender des Warschauer Ghettos die Kritik eines Kollegen, der die Kriegsjahre in der relativen Sicherheit Mittelasiens durchlebt hatte, nicht akzeptieren.59 Diese Form der Opferkonkurrenz scheint zu zusätzlichen Diskussionen in den Reihen des Schriftstellerverbandes geführt zu haben. Auf einer Buchpräsentation war Yosef Gar der Ansicht, dass sich ein „Mangel“ im Lebenslauf negativ auf das Werk seines Kollegen Mendel Mann ausgewirkt habe und diagnostizierte: „Manns Tragödie besteht darin, dass er nicht im Konzentrationslager war.“60 Doch bildeten Mordkhe Libhaber und Mendel Mann keineswegs eine Minderheit im Schriftstellerverband. Wie auch in der allgemeinen Bevölkerung der Sche’erit Hapleta überwog bei den Publizisten das sowjetische Exil als biographisches Element. Dass in der Sche’erit die Holocausterinnerung hierarisch geordnet war, hatte verschiedene Gründe. Zum einen erklärt sich die Leerstelle für die Kommemorierung des sowjetischen Exils damit, dass im Zentrum der Erinnerung der Verlust und nicht das Überleben stand. Zum anderen dienten 57 Grünspan, Di lecte teg fun Warszawer Getto, o. S.: „Ojb sweln (sic!) zajn ortografsze (sic!) felern iz dos nyt majn szuld, wajl di broszur iz gedrikt geworn in a dajczysze (sic!) druckerai.“ 58 YV M.1.P, Folder 96, Brief von Rachmil Grünspan an die Redaktion Undzer hofenung, Eschwege, o. D. 59 Grünspan, Di lecte teg fun Warszawer Getto, o. S. 60 Gid, Marian, A literarisher minyen, in: Undzer veg, 30. 7. 1948.

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Ereignisse wie der Warschauer Ghetto-Aufstand als nützliche Referenzpunkte in einer zionistischen Lesart der jüngsten Geschichte. Die Jahre in Sibirien und Mittelasien hatten keine solchen Erinnerungsorte entstehen lassen. Während das Thema also im öffentlichen und vor allem im politischen Leben fast vollständig ausgeblendet wurde, griff es die Literatur als Teil autobiographisch gefärbter Texte auf. Meylekh Tshemni widmete den Episodenroman Uzbekistan (Usbekistan), entstanden aus seinen eigenen Erinnerungen, den „Grabhügeln in Usbekistan, unter welchen jüdische Märtyrer liegen, die durch das Hitler-Ungeheuer [. . .] vertrieben wurden“61 und setzte damit einen symbolischen Grabstein. Auch Yekhezkl Keytlman überlebte den Krieg in Mittelasien. Sein zweites Buch erschien – fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung einer ersten Sammlung von Kurzgeschichten – unter dem Titel Mitn ponem tsu zikh (Sich selbst zugewandt) 1947 in Regensburg. Ein Teil der Geschichten daraus waren bereits im Vorjahr in Dos naye lebn in Lodz, in der amerikanisch-jiddischen Presse und in The Zionist Record in Südafrika abgedruckt worden.62 Die Kurzgeschichten bauen chronologisch aufeinander auf und erzählen von der Flucht in die Sowjetunion, vom Leben in Usbekistan, der Rückkehr nach Polen und schließlich der Ankunft in Deutschland. In seiner Neuevaluation des Konzeptes Holocaust-Literatur formuliert David Roskies die Frage: „What temporal, spatial, ethnic, political, philosophical, and linguistic coordinates define this event called the Holocaust, if that is the name it still goes by?“63 Die zentrale Frage nach den räumlichen und zeitlichen Koordinaten kann hier nicht eindeutig beantwortet werden. Ist es Literatur vom Holocaust oder Literatur über den Holocaust? Und können diese Kurzgeschichten, die das Leben in Mittelasien beschreiben, überhaupt dem Genre Holocaust-Literatur zugerechnet werden?64 Dass mit der Erfahrung des sowjetischen Exils die geographischen und zeitlichen Grenzen des Holocaust in der Literatur gesprengt werden, zeigt sich auch darin, dass sie die Grenzen zwischen den Begriffen „literature of the holocaust“ und „literature on the holocaust“ unscharf werden lässt. Die Gedichte in Mates Olitskis Gedichtband In fremdn land (Im fremden Land) gehören trotz ihrer geographischen Diskontinuität in ein einheitliches zeitliches 61

Tshemni, Uzbekistan, 8. Keytlman, Oysterlishe geshikhtn, o. S. 63 Roskies, What Is Holocaust Literature?, 159. 64 In den Standardwerken zur Holocaustliteratur fehlt dieses Kapitel jüdischer Exilerfahrung während des Zweiten Weltkrieges ganz. Weder in Lawrence Langers wegweisender und einflussreicher Studie noch bei anderen Forschern wie Alvin H. Rosenfeld, Sidra DeKoven Ezrahi oder James E. Young kommen Werke aus dem sowjetischen Exil zur Sprache. In der Jiddistik bleiben durch das Stagnieren des Kanonisierungsprozesses seit den 60er Jahren und dem damit verbundenen Operieren mit den stets gleichen Texten diese Zeugnisse weiterhin im Dunkeln. 62

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Kontinuum. Der erste Teil des Buches ist Olitskis Bruder Baruch, einem Poeten, der 1941 umgekommen war, gewidmet, während der zweite Teil das Leben im Nachkriegspolen, im DP-Camp und die Begegnung mit der deutschen Umwelt beschreibt.65 In einem Gedicht mit dem Titel Dos lager in tol (Das Lager im Tal) heißt es: Es geschieht ganz oft, dass das Lager im Tal/für mich aussieht wie ein Saal im Spital./Die steinerne Mauer mit vier hellen Wänden,/mit Türen und Fenstern, die nach außen sich wenden./Die Blocks sind wie Betten in Reih und in Glied,/die ein sauberes Laken aus Schnee überzieht.//[. . .]//Kranke sind wir. So tragen wir nun/das Elend von alten, verworfenen Schuhn./In uns nagt der Wunsch nach dem eigenen Hemde,/das schäbig geworden mit uns in der Fremde./Kranke sind wir vom bitteren Gewein/wie’s die Menschen oft plagt, sind sie ganz allein./Wir gehen ganz langsam, wie man geht im Spital/und reden im Fieber vom „So-war-eseinmal“.66

In anderen Sammlungen wiederum wird die räumliche und zeitliche Kontinuität völlig durchbrochen. Meylekh Tshemnis gesammelten Erzählungen, die 1948 unter dem Titel Teg azelkhe (Solche Tage) erschienen, zeigen dies besonders deutlich. Das Buch beginnt 1939 im jiddischen Literatenverein an der Tłomackie 13 in Warschau, führt mit der Flucht der polnisch-jiddischen Schriftsteller nach Białystok, von dort aus weiter nach Mittelasien. Die folgenden Geschichten spielen dann im Warschauer Ghetto und beschreiben das Leben auf der „arischen Seite“, erzählen von der Rückkehr aus Usbekistan in die Heimatstadt – wo die neuen Bürgersteige aus jüdischen Grabsteinen gemacht sind – und der Begegnung mit der polnischen Bevölkerung. Eine andere Geschichte wiederum begleitet eine Gruppe Künstler auf dem Weg aus dem sowjetischen Exil zurück nach Polen. Die zwei letzten Geschichten erzählen von der Ablehnung der polnischen und der deutschen Kultur, von der Rückkehr zum Judentum und der illegalen Einwanderung nach Palästina. Mit dieser Anordnung der Geschichten, verfasst zwischen 1937 und 1947 in Warschau, Linz, Breslau, Kattowitz, München und Föhrenwald, versuchte Tshemni den Weg der Sche’erit Hapleta und ihrer Künstler nachzuzeichnen.67

65 Olitski, In fremdn land. Die Gedichte im Andenken an seinen verstorbenen Bruder gab Mates Olitski 1964 zusammen mit Gedichten des Bruders Leyb Olitski unter dem Titel Lider tsu a bruder heraus. Leyb Olitski hatte den Krieg ebenfalls in der Sowjetunion überlebt und blieb bis 1959 in Polen. 66 Olitski, In fremdn land, 25. 67 Tshemni, Teg azelkhe.

Die „verfluchte Erde“ – ein Wintermärchen?

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3.2. Die „verfluchte Erde“ – ein Wintermärchen? Es war im Spätherbst 1947, als der Poet und Partisanenkämpfer Shmerke Katsherginski nach Deutschland kam und die „jüdischen Ansiedlungen im Lande Amaleks“ von Heidenheim bis Leipheim, von Ulm bis Föhrenwald, von Wasseralfingen bis Bamberg bereiste.68 Über seine Ankunft im Lager Pocking bei Waldstadt, dem mit bis zu 7.000 Bewohnern damals größten DP-Camp in der Amerikanischen Besatzungszone, schrieb er:69 Weil es Samstag war, musste das Auto [. . .] vor dem Lager anhalten. Als ich das Lager abends betrat, tat sich vor mir ein jüdisches Shtetl auf, wie es vor zwanzig bis dreißig Jahren existierte. Hier aber ist es noch jüdisch-traditioneller (yidishlekher), wirklich ein Stück jüdisches Leben wie aus einem Buch herausgenommen, wie in einer Phantasie [. . .].70

Katsherginskis Deutschlandreise führte durch eine jüdische Topographie; die Eindrücke in Pocking ließen ihn gar von einem Shtetl, von der facettenreichen exterritorialen jüdischen Welt, wie er sie aus Büchern kannte, phantasieren. In Pocking führte man ihn in die Borochow-Straße, wo er auf den Türschildern die Namen verschiedener Parteien entdeckte, und wo Plakate in Jiddisch und Hebräisch zu Theater- und Kinovorstellungen einluden. Später bog man in die Chafets-Chajim-Straße ein, wo die religiösen Gruppen mit ihren Jeschiwot und anderen Einrichtungen untergebracht waren. Die traditionelle dritte Mahlzeit am Schabbat nahm er mit den Lubawitscher Chassidim ein, um danach im Kaffee Tel-Aviv bei einem Glas Tee bis spät in die Nacht über die britische Mandatspolitik zu diskutieren.71 Sicherlich bieten die Existenz gesellschaftlicher Institutionen und eine symbolische (Um-)Benennung von Strassen und Plätzen noch keine hinreichenden Hinweise auf eine tatsächliche Kongruenz mit der zerstörten Welt.72 Ein so direkter Veleich wird vom Poeten aber auch nicht angestrebt. Vielmehr streicht er die Ähnlichkeit des DP-Camps mit dem Shtetl seiner Phantasie heraus, einem utopischen Shtetl, dessen Architekten unter den klassischen jiddischen Schriftstellern zu suchen sind. Aber war dieser Vergleich mehr als nur ein rhetorisches Mittel, das dem Dichter erlaubte, einen

68 Katsherginski, Shmerke, A khoydesh mit der sheyres-hapleyte (gezegenung), in: Undzer veg, 9. 12. 1947. 69 Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 259 f. 70 Katsherginski, Shmerke Katsherginski ondenk-bukh, 425. 71 Katsherginski, Shmerke Katsherginski ondenk-bukh, 425 f. 72 In vergleichbarer Weise wurden in Yizker-Büchern oft Stadtpläne abgedruckt, auf denen die Straßen jüdische Namen trugen (die nicht kongruent waren mit den polnischen Bezeichnungen). Zu diesen komplementären Topographien siehe Shandler, Adventures in Yiddishland, 43f; Kugelmass/Boyarin, From A Ruined Garden, 2.

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konzeptuellen Rahmen für eine Realität zu schaffen, die ohne Vorbild in der jüdischen Geschichte war?

Das DP-Camp als modernes Shtetl – rhetorischer Kunstgriff oder Wirklichkeit? In der Zeit von Katsherginskis Besuch, der 1947, also nach dem Abklingen der größten Flüchtlingsströme aus Polen, aber noch vor der Massenauswanderung, und der damit verbundenen Konsolidierung und Auflösung der DP-Camps stattfand, begann sich eine vorübergehende Stabilität der Lager abzuzeichnen.73 Im Lager Ainring bei Freilassing zeigte sich ein anderer Besucher, der auf seiner Flucht aus Polen zu Beginn des Jahres 1946 kurz dort Station gemacht hatte, erstaunt darüber, dass nun, anderthalb Jahre später, die Straßen gepflastert und neben einigen Wohnungen sogar Hühnerställe eingerichtet worden waren.74 Und auch über die Hindenburg-Kaserne konnte man lesen, dass sich dort im Laufe der Zeit gesellschaftliche Strukturen verfestigt und charakteristische Gestalten herausgebildet hatten: Zeitweilig ist man nach Deutschland gekommen, doch man ist schon zwei Jahre hier. Und im Verlaufe der Zeit hat sich das Leben hier „stabilisiert“. Hindenburg lebt. . . Schon ganz früh kann man Grüppchen finden [. . .]. Man hört: Geschehnisse in Israel, Berlin, Lagergerüchte, und vor allem [spricht man] über die Verwaltung [. . .]. Die Lagerjuden sind sensationshungrig [. . .]. Die Lagereinwohner leben wie eine große Familie, über jeden weiß man alles: Was er arbeitet, wie er seine Zeit verbringt, wie es um seine Ehe steht. . . Polnische und ungarische Juden leben getrennt. [Wie] zwei Familien, die zerstritten sind [. . .]. Damals in den kleinen Städtchen nannte man sich nicht beim Vor- oder Familiennamen, sondern bei einem Spitznamen. So ist es auch in der Hindenburg-Kaserne. Kommt ihr ins Lager und fragt nach Chamberlain, Laterne, Buckelchen, Moyshe Hohlkopf, Bevin, dem Eiszapfen, wird ihn jedes Kind kennen.75

Jenseits der Feststellung, dass das Shtetl der jiddischen Literatur gerade nach dem Holocaust zum ahistorischen kollektiven und durchaus paradoxen Erinnerungsort und zum Ziel einer symbolischen Rückkehr wurde,76 ist hier bezeichnend, dass sich nicht nur zeitgenössische Besucher wie Katsherginski, Mitarbeiter der Hilfsorganisationen und später auch die historische Forschung dieses Motivs bedienten.77 Auch die Schriftsteller und Jour-

73 Zu den demographischen Entwicklungen seit 1947, die nicht zuletzt eine Verlagerung von den DP-Camps in die Städte mit sich brachten, siehe Kapitel 5.1. 74 Mates, A. F., Ayngezesene yidn, in: Undzer veg, 29. 7. 1947. 75 Shmulevitsh, Khayim, Der lager lebt . . . (a bildl), in: Bafrayung, 6. 8. 1948. 76 Shandler, Adventures in Yiddishland, 50; siehe dazu auch Miron, The Image of the Shtetl, 1–48 und Kirshenblatt-Gimblett, Introduction, ix–xlxiii. 77 So definierte beispielsweise Samuel Haber die Camps als Shtetl: Joint GI/6A1/C-45.068A2,

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nalisten der Sche’erit Hapleta selber griffen darauf zurück: Als jüdische Enklave mit wenig oder gar keiner Verbindung zur deutschen Umwelt konnte das DP-Shtetl, also die fiktionalisierte Darstellung der Flüchtlingslager, den Konventionen der klassischen Schriftsteller folgen, die, so Dan Miron, keine realistisch-mimetische, sondern eine satirisch-moralistische Darstellung anstrebten.78 Der wohl früheste Text dieser Art waren Israel Kaplans Betrachtungen, die erstmals im Herbst 1945 veröffentlicht wurden. Kaplan stellte in einer Beschreibung seines temporären Wohnortes die Frage „ayo a shtetl?“ – Ist das ein Shtetl? Die Antwort blieb vorerst positiv: Es gab Kongresse, Parteien, Zeitungen, Theater, Schulen, Verleumdungen und Liebesgeschichten. Und nicht nur das: Es kam zu Parteispaltungen, offen ausgetragenen Konflikten zwischen Zionisten und Mitgliedern der religiösen Agudat Israel, zwischen litauischen und polnischen Juden. Und immer, wenn ein Jude aus einem benachbarten Ort vorbeikam, wurde er mit einem freundlichen Sholem aleykhem! Fun velkhn lager a yid? – Guten Tag! Aus welchem Lager kommen Sie? – begrüßt, in dem die traditionelle jiddische Floskel Fun velkhn shtetl a yid? – Aus welchem Shtetl kommen Sie? – mitschwang. Doch Kaplan konnte und wollte seine Leser nicht darüber hinwegtäuschen, dass man sich nicht in einem realen Shtetl befand, sondern in einem DP-Lager bei Landsberg am Lech im Jahre 1945. Das Shtetl blieb ein DP-Lager, und die ShtetlJuden waren „Neo-KZnikes“.79 Im Herbst 1948 traf der Antiheld der jiddischen Literatur, Sholem Aleykhems quijotesker Menakhem-Mendl, im DP-Camp ein und begann Briefe an die DPs zu schreiben. Seine Familie und die Topographie seiner Romanwelt waren ausgelöscht, gerettet hatte sich nur, so heißt es in einem der Briefe, die Sche’erit Hapleta als Zeugin seiner untergegangenen fiktionalen Heimat.80 Das Konzept des Shtetls wurde demnach durch Raum und Zeit transponiert, konnte allerdings vom Holocaust und den Alltagsproblemen der Sche’erit Hapleta nicht unberührt bleiben. Denn anders als in Osteuropa, wo die Schriftsteller längst weitab der Lebensräume wohnten, die sie satirisch beschrieben, waren die Schriftsteller hier Teil des DP-Universums Samuel Haber an Harry Greenstein, 7. 4. 1949. In der historischen Forschung findet sich dieser Vergleich z. B. in Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 101: „[Es] entstand ein regelrechtes ostjüdisches Schtetlleben“; differenzierter bei Brenner, Nach dem Holocaust, 29: „In den DP-Lagern [. . .] lebte für einige Jahre noch einmal eine autonome jüdische Kultur auf, deren Bedingungen sich grundlegend von denen im Vorkriegseuropa unterschieden, deren Ausdrucksformen jedoch aus dem zerstörten Shtetl übernommen wurden.“ 78 Miron, The Image of the Shtetl, 7. 79 Kaplan, Israel, Hayflekh shpliter, in: Undzer veg, 19. 10. 1945; Der Ausdruck „Neo-KZnikes“ findet sich in Zaks, Yekhil, Mazl-tov: a naye komisye (felieton), in: Undzer veg, 22. 5. 1947. 80 Hertsog, Binyomin, Menakhem-Mendl in sheyres-hapleyte. Kemoy hakdome, in: Bafrayung, 10. 9. 1948; ders., Der opgerateveter Menakhem-Mendl, in: Bafrayung, 24. 9. 1948.

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und übten in ihren Texten direkte oder auch indirekte Kritik an Parteien und Selbstverwaltungsorganen. So gaben die Unterschiede zwischen einzelnen Gruppen in den Lagern, zwischen litauischen und polnischen Juden, zwischen Religiösen und Säkularen, vor allem aber zwischen den Anhängern verschiedener Parteien Anlass für satirische Darstellungen. Ein Feuilletonist aus Ulm klagte beispielsweise darüber, dass ihm wie durch ein Wunder fünf Kinder geblieben seien, in seiner Wohnung dafür aber keine Ruhe mehr einkehre: Der älteste Sohn sei Mitglied der Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut, der zweitälteste gehöre der Linken Po’ale Zion an. Der dritte Sohn begeistere sich für die sozialistische Po’ale Zion. Eine Tochter identifiziere sich mit den Revisionisten, die andere dagegen mit dem Haschomer Haza’ir. Seine Frau sei parteilos, er selbst wechsle von einer religiösen Partei zur nächsten und schon frühmorgens gingen die Diskussionen los: Ein jüdischer Staat auf beiden Seiten des Jordans? Die Teilung Palästinas? Ein jüdisch-arabischer Staat?81 Und auch noch Ende 1950 drängte sich der Vergleich zwischen den DPLagern und einem osteuropäischen Shtetl auf. „Will sich ein Leser von Sholem Aleykhem oder Mendele vorstellen, was unsere Klassiker sich bei der Schilderung von Kasrilevke und Yehupets82 gedacht haben“, so Meylekh Tshemni, muss er nach Föhrenwald fahren und dort auf die Dächer der kleinen Häuser schauen, auf die jüdischen Geschäfte, auf die gedrehten Schläfenlocken der Almosenempfänger – und auf die Geldeintreiber auch. Und er soll an einem regnerischen Tag fahren, damit er die lehmigen Strassen eines typischen jüdischen Shtetls sehen kann, wo er die Streitereien zwischen Rabbinern und rituellen Schlächtern mit anhören kann. Und er wird fühlen, dass etwas stinkt in diesem neuen Kasrilevke. Föhrenwald ist ein „modernes“ jüdisches Shtetl, so „modern“, wie das jüdische Leben in Deutschland jetzt eben ist [. . .].83

Dass die Typen und Situationen der klassischen jiddischen Literatur herangezogen wurden, dass der Vergleich der Lager mit den untergegangenen und – zumindest in der Literatur – überwiegend jüdischen Kleinstädten gewählt wurde, war nahe liegend: schon Sholem Aleykhem überging die Existenz von Kirchen und christlichen Stadtvierteln in seinen Werken. Die gleiche Strategie machten sich auch die DP-Schriftsteller zu Eigen. Im Versuch, sich literarisch vom realen Nachkriegsdeutschland zu distanzieren, lösten sie die jüdische Topographie von der deutschen und entwarfen eine parallele Topographie mit München als Hauptstadt (auch das klassische Jiddischland der Literatur kennt urbane Zentren) und den umliegenden DP-Camps als

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Shmulevitsh, Khayim, Git an eytse, yidn! (Monolog), in: Undzer veg, 31. 12. 1947. Zwei fiktionale Orte in Sholem Aleykhems Romanen. Tshemni, Meylekh, Di „khasene“ in Fernvald. . ., in: Naye yidishe tsaytung, 15. 12. 1950.

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Shtetlekh. Denn nur so konnte man über die inneren Probleme der Sche’erit Hapleta diskutieren, ohne sie im größeren Kontext deutsch-jüdischer Begegnungen betrachten zu müssen. Mit dieser stilistischen Taktik wurden die Deutschen selbst in der Beschreibung Münchens lediglich zu Statisten, wie der folgende Text über die Wahlen des städtischen Komitees zeigt: Im jüdischen Regierungszentrum von München brodelt und wuselt es. Es wird das Schicksal des historischen Schlagabtauschs zwischen den Parteien um den Meistertitel der heiligen Gemeinde München entschieden. Hunderte Juden [. . .] die sich das ganze Jahr unter den Sonnenstrahlen am herrlichen Ufer der Isar sonnen, [. . .] haben ihre „schwere“ Arbeit unterbrochen und sind voller Verantwortungsgefühl zum großen Volksreferendum gegangen [. . .]. Die Möhlstraße in ihrer ganzen Pracht sieht festlich aus, wie eine Braut, die unter den Traubaldachin geführt wird. Von allen Zäunen schimmert eine Flut von Plakaten herab, die den Wählern das Blaue vom Himmel herab versprechen [. . .]. Besonders scharfe Debatten ruft das Thema „Gretchen“ hervor [. . .]. Grüppchenweise stehen Schaulustige herum und diskutieren mit Erheiterung über diese pikante Erfindung. [. . .] [Das Alles] stört die sonntägliche Ruhe der phlegmatisch spazierenden Bayern mit den aufgeblasenen Bierbäuchen [. . .]. Der städtische Omnibus, der durch den Englischen Garten fährt, hat mitten im Wahlzirkus angehalten und eine Ladung Wähler ausgeschüttet [. . .].84

Im Stil der monologischen Stimme, mit der der klassische jiddische Schriftsteller Sholem Yankev Abramovitsh sein Alter Ego, den fahrenden Buchhändler Mendele Moykher Sforim sprechen ließ, reflektierte auch Baruch Graubard die Geschichte der Sche’erit Hapleta. Der größte Teil seiner feuilletonistischen Beschreibungen erschien in der Bafrayung und trug zum polemischen Charakter dieser Parteizeitung der sozialistischen Po’ale Zion bei.85 Abramovitsh imitierend leitete Graubards Protagonist, der Holocaustüberlebende Moyshe Yosl, jeden seiner Monologe mit der Floskel Oymer Moyshe Yosl (Moyshe Yosl hat gesagt) ein – bei Abramovitsh heißt es Oymer Mendele Moykher Sforim –, um dann in tragikomischer Manier von der Bricha, der Entnazifizierung, der Auswanderung, der Korruption in den Ämtern der Selbstverwaltungsorgane bis hin zum Schwarzmarkt an der Möhlstraße in München alles unter die Lupe zu nehmen, was die DPs beschäftigte: Oymer Moyshe Yosl – Moyshe Yosl hat gesagt. Wissen sie, was Moyshe Yosl herausgefunden hat? Moyshe Yosl hat herausgefunden, dass es zwei jüdische Möhlstraßen gibt: Eine Komitee-Möhlstraße, die irdische, auf der Juden grüppchenweise herumspazieren, sich mit Fisch für den Sabbat eindecken, über Preise und militärische Strategien reden. Aber es gibt auch eine zweite Möhlstraße, sie liegt höher und ist ganz vergeistigt. Dort stehen Juden 84 85

Zaks, Yekhil, In val-harmider (felieton), in: Undzer veg, 14. 2. 1947. Tsamriyon, Ha’itonut, 112.

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in kleineren Zirkeln, decken sich mit einem Titel für ein Referat ein, mit ein paar Gedanken für einen Aufsatz, plaudern über Politik, Rationen. Das ist die geistige Möhlstraße. Die erste Möhlstraße versucht zu handeln, die zweite Möhlstraße versucht zu schreiben. Es gibt da aber noch einen Unterschied: Auf der ersten stehen Polizisten und verhindern die Sünde des Schwarzhandels, und auf der zweiten sieht man keine Wächter.86

Deutsch-jüdische Begegnungen Mit diesem, der klassischen jiddischen Literatur entlehnten rhetorischen Kunstgriff einer sozialen Satire konnte die Begegnung mit den deutschen Nachbarn in der Darstellung ausgeklammert oder marginalisiert werden, obwohl sie in der täglichen Realität unausweichlich war – selbst in den DPCamps war die Exterritorialität nur scheinbar gegeben. Ein Kontakt mit der nichtjüdischen Bevölkerung fand ständig und in ganz unterschiedlichen Bereichen statt: Auf dem Schwarzmarkt trafen Juden und Nichtjuden zusammen, deutsche Ärzte kümmerten sich um kranke jüdische DPs, jüdische Frauen gebaren in deutschen Spitälern Kinder, um die sich später deutsche Kindermädchen kümmerten.87 In Wasseralfingen stellten sich die Daytshkes, wie man die deutschen Haushaltshilfen nannte, in der Schlange nach Fleisch und Milch an, und deutsche Landschaftsgärtner begrünten den Platz vor dem Kulturamt.88 Deutsche Schauspieler traten in jüdischen DP-Camps auf.89 Deutsche Landwirte halfen in den Kibbuzim aus.90 Während in den Camps auf Grund der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der zunehmenden Selbstverwaltung die Exterritorialität in Form einer Abgrenzung von der deutschen Umwelt zumindest oberflächlich aufrecht erhalten werden konnte, war die Auseinandersetzung mit der nichtjüdischen Umgebung in den Städten und Dörfern unausweichlich. Wie vielfältig sich die Begegnungen mit der lokalen Bevölkerung gestalteten, mag ein Bericht aus der Region Starnberg illustrieren, der 1947 von einer Joint-Mitarbeiterin verfasst wurde. In Krumbach lebte die jüdische Bevölkerung in zwei Gebäuden: In einem davon waren das lokale Komitee und eine Jeschiwa untergebracht, im zweiten lebten die Familien. Insgesamt zählte die Gemeinde achtzig Erwachsene und sechs Kinder. Sogar ein rituelles Tauchbad sollte errichtet werden. Die ansässige Bevölkerung weigerte sich, den jüdi-

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Graubard, Geven a sheyres-hapleyte, 54. Grossmann, Jews, Germans, And Allies, 208–217. 88 A lager-yid, Fun lager lebn. Vaseralfinger kultur-treger, in: Undzer veg, 1. 8. 1947. 89 Genug mit nit-yidishe farvaylungen!, in: Undzer veg, 11. 7. 1947. 90 Patt, Finding Home and Homeland, 260 und 277. Siehe auch: Grossmann, Defeated Germans and Surviving Jews. 87

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schen DPs Waren zu verkaufen, selbst wenn diese Zuteilungskarten dafür vorweisen konnten. Anders wiederum gestalteten sich die Probleme in Buchloe: Für die Kinder im Alter zwischen acht und 13 Jahren existierte keine Schule. Dagegen schien die Kooperation zwischen der deutschen Bevölkerung und dem Lokalkomitee zumindest in Ansätzen zu funktionieren. Es war Juden möglich, Geschäfte aufzubauen, nur um dann allerdings auf den Waren sitzen zu bleiben, weil die deutsche Bevölkerung ihnen nichts abkaufen wollte. So hatte ein Jude aus Polen seinen gesamten Besitz in den Aufbau einer modernen Wurstfabrik investiert. Weil die deutsche Bevölkerung nicht bei ihm einkaufen wollte und für die Menge an Produkten nicht genügend jüdische Kunden vorhanden waren, wurde er in den Ruin getrieben. In Kaufbeuren sah die lokale Bevölkerung nach 1945 zum ersten Mal in ihrer Geschichte Juden. Weil die Leute sich weigerten, mit dem jüdischen Komitee Handel zu treiben, konnte dieses seine Büros nicht einrichten, und durch die vorhanglosen Fenster schauten dauernd neugierige Nachbarn in die leeren Räume.91 An der Sedanstraße in Ulm ließen sich die wohlhabenden DPs aus dem benachbarten Lager Sedankaserne nieder, eröffneten Geschäfte und lebten Tür an Tür mit den deutschen Nachbarn. Ein Restaurant wurde eine Zeit lang von Juden und Deutschen gemeinsam betrieben, ein deutsches Friseurgeschäft zählte die jüdischen Bewohner des DP-Lagers und der Sedanstraße zu seinen Kunden („Die Friseure – Deutsche, die Geschorenen – Juden“). Während im Lager Deutsche nur stundenweise beschäftigt werden durften, gab es an der Sedanstraße derartige Auflagen nicht. In vielen Häusern, so ein Korrespondent, könne man sogar zwei deutsche Dienstmädchen antreffen, die sich um Küche und Kinder kümmerten und oft genug auch Jiddisch zu sprechen gelernt hätten. Geschäfte waren in hebräischen Lettern ausgeschildert; an prominenter Stelle pries ein Buch- und Zeitungshändler jiddische Bücher an. Daneben, in der hebräischen Schule, hörte man Kinder, „die vor zwei Jahren nichts anderes als Russisch und Usbekisch verstanden“, untereinander Hebräisch reden.92 Dieselbe symbolische und sprachliche Eroberung deutscher Straßenzüge wurde auch andernorts beobachtet: Die Reinsburger-Straße in Stuttgart, wo einer größeren Zahl DPs Wohnungen zugeteilt worden waren, wurde als „Ansiedlungsrayon“ bezeichnet, der bis ins kleinste Detail identisch sei mit allen anderen jüdischen Straßen in Deutschland.93 Über München schrieb Samuel Gringauz bereits Ende 1945: „Von weitem sieht München wie eine Stadt ohne Juden aus. Nimmst Du nämlich eine Münchener Zeitung in die 91 YIVO 294.1, Folder 203, Mary Weinberg, Community Worker Augsburg, an Celia Weinberg, Director District V, July 1947 Report on Communities, 24. 7. 1947. 92 Manenheym, Tsvi, Sedan-kaserne (lager-reportazh), in: Dos vort, 7. 5. 1948. 93 Alterman, Y. B., Tsvey konferentsn, in: Dos vort, 7. 3. 1947.

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Hand, findest du keine Notiz über Juden. [. . .] In Wahrheit ist die Stadt voll mit Juden. Kaum kommst du von außerhalb in die Stadt, hört dein Ohr überall vertraute Klänge, und deine Augen nehmen vertraute Gestalten wahr. . .“94 München, als Sitz des Zentralkomitees, des Sochnut, der Hilfsorganisationen und der Parteien, nahm von Anfang an eine Sonderstellung ein. Hierher zog es die gesellschaftlich aktiven Elemente. Zwar war in München mit Schulen, Bibliotheken, Ausbildungsmöglichkeiten und zahlreichen anderen Einrichtungen die Möglichkeit für ein jüdisches Leben nach dem Muster der Camps gegeben, aber eine klare Trennung von der nichtjüdischen deutschen Umgebung war dafür nicht mehr aufrecht zu erhalten. Verteilt über den gesamten Stadtbereich, in Privatwohnungen, oft zusammen mit Deutschen, wohnten hier allein stehende junge Menschen oder Paare, die der Enge der DP-Camps den Rücken gekehrt hatten.95 Im Alltag, resümierte Malke Kelerikh satirisch, hatte „jeder Jude [. . .] seinen Deutschen, von dem er wusste, dass er sicher kein Nazi war [. . .].“96 Und Yosef Gar konstatierte rückblickend, dass die täglichen Realitäten den „Luxus eines Kriegszustandes mit den deutschen Mitbewohnern“ unmöglich machten. Seine Begründung, wonach junge männliche DPs nicht auf die deutschen Frauen verzichten konnten, die ihre Zimmer aufräumten und ihre Betten machten, mag aus heutiger Perspektive erstaunen, doch spiegelt sie die ambivalente Haltung der DPs gegenüber den Deutschen, mit denen sie täglichen Umgang hatten, wider.97 Grundsätzlich ist darauf hinzuweisen, dass Rachegelüste gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung selten konkrete Züge annahmen. Einzelne spontane Übergriffe unmittelbar nach der Befreiung und die organisierten Operationen der Nakam-Gruppe bilden hier die Ausnahme.98 Genugtuung verschaffte sich die Sche’erit Hapleta durch symbolische Racheaktionen: Dazu kann die Wahl des Münchener Rathauses als Veranstaltungsort für den ersten Kongress der befreiten Juden ebenso gezählt werden wie die Gründung eines Kibbuz’ auf dem Streicherhof, wo die jungen Chalutzim es sich nicht nehmen ließen, den Hunden des ehemaligen Besitzers die Namen „Julius“ und „Streicher“ zu geben.99 Atina Grossmann liest auch die bemerkenswert hohe Geburtenrate, die Sichtbarkeit der jüdischen Fruchtbarkeit durch ganze Paraden von Kinderwagen vor

94 Tamarkin, Welwele [Samuel Gringauz], Siebertstrasse 3. . ., in: Landsberger lager-cajtung, 2. 12. 1945. 95 Kauders/Lewinsky, Neuanfang mit Zweifeln, 190–195. 96 Kelerikh, Tsurik tsum lebn, 112–114. 97 Gar, Bafrayte yidn (Teil II), 274. Zu diesen „Bequemlichkeiten“ siehe z. B. auch Aksel, Umshlege, in: Undzer veg, 24. 1. 1947. 98 Zur Geschichte der organisierten Rache siehe: Tobias/Zinke, NAKAM; Sarid, Irgun hanakam; Mankowitz, Life between Memory and Hope, 235–239. 99 Rivkes, Leon, Fun shtraykher-farm tsum Nirnberger protses, in: Undzer veg, 1. 3. 1946.

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den Augen der Deutschen, in diesem Kontext.100 Die Schriftsteller und Journalisten erfüllte nicht zuletzt die Publikation von Büchern und Zeitungen in hebräischen Lettern mit Befriedigung. Die Texte selber waren als fiktionaler und den Deutschen nicht zugänglicher Raum ein besonders geeignetes Terrain, um Rachephantasien auszuleben und gleichzeitig eine didaktische Richtung vorzugeben. Der Anblick von Deutschland in Trümmern war daher ein häufiges Motiv in der DP-Literatur: So verglich Mendel Mann den Friedensengel an der ausgebombten Prinzregentenstraße in München mit einem Straßenmädchen.101 Und Shloyme Berlinski beschrieb ausführlich das Skelett eines fast vollständig zerstörten vierstöckigen Gebäudes, das, allmählich von einem grünen Teppich überwuchert, in der Frühlingssonne eine besondere ästhetische Wirkung auf den Betrachter ausübte. Der Anblick der Statue eines Mädchens mit Harfe, das unversehrt auf einem Podest an der Ruine stehen geblieben war, evozierte in Berlinski den Vergleich zwischen der Normalität, welche die deutsche Zivilbevölkerung auch während des Holocaust erlebte und der Barbarei, die sich gleichzeitig in den Ghettos und Konzentrationslagern abspielte, zwei Realitäten, die sich schließlich während der Todesmärsche in der Konfrontation der Zivilbevölkerung mit den KZ-Häftlingen überlappten. Das lächelnde Mädchen mit der Harfe, steinerne Zeugin dieser Geschichte, heißt es in der Erzählung „stand nicht im Gegensatz“ zu ihrer Umgebung. Der Verfasser suggeriert, dass gerade sie es war, welche ihn als Ruine deutscher Kultur mit besonderer Genugtuung erfüllte. „In so einer Pracht, Deutschland“, schließt Berlinski, „soll man dich sehen.“102 Deutschland war für die DPs also ein „traumatischer Ort“103 und Träger einer Kultur, der sie offiziell eine Absage erteilt hatten, wenn sie in der künstlerischen Auseinandersetzung mit ihr auch oft ambivalent blieben. Dabei erwies sich die Beschreibung der Zerstörungen im besiegten Deutschland oft als weniger problematisch als die Auseinandersetzung mit den gleichzeitig vorhandenen landschaftlichen Schönheiten. Aleida Ass-

100 Grossmann, Gendered Perceptions and Self-Perceptions, 91; weitere Beispiele symbolischer Rache finden sich in Mankowitz, Life between Memory and Hope, 239–242. 101 Mann, Mendel, Tsu der fridns-statue oyf prints-regentn-plats in Minkhen, in: Undzer veg, 8. 6. 1948. 102 Berlinski, Shloyme, Friling un s’meydl mit der harfe, in: Undzer veg, 25. 2. 1947. Siehe beispielsweise auch Shalitan, Levi, Daytshland fun oyto-fentster gezen, in: Undzer veg, 19. 10. 1945; Volpe, Dovid, Miniaturn fun mordland, in: Dos vort, 16. 9. 1949; Khoyshekh, Gliklekhe glokn (kleyner felieton), in: Bafrayung, 11. 5. 1947; Kaplan, Israel, Hayflekh shpliters, in: Hibel/Friedman, Shriftn, 45–61. 103 Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit, 221–226. Obwohl sich Assmanns Diskussion vorrangig auf Orte bezieht, die konkreter Schauplatz traumatischer Erlebnisse waren, sind ihre Beobachtungen auch auf die vorliegende Problematik übertragbar.

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mann zufolge sind „traumatische Orte vielschichtig, uneindeutig, von unterschiedlichen Erinnerungen und Deutungen besetzt“.104 Das Prekäre in der künstlerischen Auseinandersetzung der DP-Schriftsteller mit diesen Topoi war aber, dass die Multiperspektivität, die Assmann als Charakteristikum traumatischer Orte vorschlägt, die „unterschiedlichen Affekte“,105 die diese auslösen, sich durchaus in einer einzigen Person bündeln konnten. Ruven Mates drückte diese Orientierungslosigkeit angesichts von Nationalsozialismus und deutscher Kultur, reiner Natur und historisch negativ aufgeladener Landschaft 1947 folgendermaßen aus: [. . .] Ist Deutschland ein Ort von Mord und Manieren,/die Luft ist versengt von Nazis und Kant. . ./tränkt seine Felder mit Blut und mit Tränen,/übersät mit Menschenschädeln sein Land.//Theorien und Tanks, Goethe und Giftgas,/Im Schmelztiegel Deutschland schmilzt alles im Feuer. . ./Poesie – Hölle, paradiesische Landschaft/eine finstere Masse von München bis Speyer. . .106

Auch bei Hershl Vaynroykh kontrastiert die zeitlose Symbolik der Landschaft mit der traumatischen Aufladung der Gegenwart. In einer seiner Erzählungen spricht er von der „nagende[n] Unruhe meiner Kinderjahre, als ich zum ersten Mal die schöne bayerische Landschaft auf einem braun-glänzenden Bild sah, das meine Mutter zufällig auf dem Dorfmarkt gekauft hatte und es, das Bild, an die Wand hängte. In die Mitte, zwischen die Bilder von Moses und Doktor Herzl“ mit dem „Land von Dachau, Allach und Kaufering“.107 Und Mendel Mann erinnert sich in einem Artikel – veröffentlicht unmittelbar vor seiner Emigration nach Israel – daran, dass es die Berge waren, die einen ersten bleibenden Eindruck auf ihn gemacht hatten. Durch sie versuchte er nach zwei Jahren im mittelalterlichen Regensburg und in „einer schönen Villa“ im nahe gelegenen Sulzbach seine deutschen Nachbarn zu verstehen:108 Wer sind die Deutschen? Mörder? Verführte Verbrecher? Ein dressierter Golem? Gehorsame Knechte? Geizige Despoten? Oder unschuldige Familienmenschen? Der erste Eindruck von Deutschland, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist, waren die bayerischen Berge. Grüne Waldflecken, silberweiße Schneekoppen. Hellgrüne Wiesen und zwischen all diesen Farben das Rot der Ziegeldächer. Still, gemütlich ruhen die bayerischen Dörfchen. Du glaubst, dass das menschliche Gewissen so rein ist wie der Schnee auf den Bergspitzen, und dass ihre hellen

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Ebd., 221. Ebd., 225. Mates, Ruven, Kidesh hashem (balade), in: Dos vort, 8. 8. 1947. Vaynroykh, Goles Bayern, 21. YIVO 1258, Mendel Mann an Philip Friedman, Sulzbach an der Donau, 2. 10. 1947.

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Augen so unschuldig sind wie der helle Himmel. Du willst in die Berge flüchten, die so fern von den polnischen Städtchen waren, als wir geschändet wurden. Du willst glauben, dass die Schritte des Henkers ihre Höhen noch nicht betreten haben [. . .]. Komm aber näher, Mensch, näher zu den Bergen. Komm im Frühling, wenn der Schnee schmilzt und die Erde sich mit ihrer Pracht öffnet. Geh über die Wege, welche in die Stadt Cham führen, durch die Dörfer, die auf den Berghängen liegen [. . .]. Geh der Donau entlang, und du wirst die blutigen Zeichen von Deutschlands „Unschuld“ sehen! Erst jetzt wirst du Deutschland verstehen. Gräber von jüdischen KZlern sind verstreut über die Bergpfade, geblieben sind nur nackte Kreuze aus jungen Birkenzweigen. Durch die „unschuldigen“ Dörfer und die unberührten Berge hat man in den Apriltagen im Jahr 1945 Scharen von Juden getrieben. [. . .] Ich bin schon fast an der Grenze. Bald werde ich für immer das Land des geplanten Massenmords verlassen. Aber es quält mich die Frage: Wer ist der Deutsche wirklich? Ein verführter Verbrecher? Ein dressierter Golem? Ein gehorsamer Knecht? Ein Despot? Oder ein unschuldiger Familienmensch? Ich schaue auf die bayerischen Berge und ich möchte aus tiefstem Herzen schreien, dass die Berge erzittern: Mörder!!!109

In diesen Zeugnissen blieb es bei der ambivalenten Auseinandersetzung zwischen Juden und Deutschen, jüdischer und deutscher Kultur. In der Literatur wurde Deutschland nie, in anderen Bereichen kultureller Tätigkeit selten als Ort deutsch-jüdischer Kultur definiert. Selbst die historische Kommission widmete der jüdischen Geschichte Deutschlands kaum Beachtung.110 Nur wenige Personen setzten sich mit deutsch-jüdischer Geschichte auseinander. Dazu zählte Baruch Graubard, der für die Schauspieler des Repräsentanztheaters eine historische Exkursion nach Regensburg leitete und über die jüdische Geschichte der Stadt referierte,111 oder Mordkhe Bernstein, der seit 1948 als Korrespondent des YIVO für Westdeutschland tätig war und im Auftrag der JRSO (Jewish Reconstruction Successor Organization) nach jüdischen Kulturschätzen forschte. Über seine zahlreichen Funde – er besuchte Dutzende Ortschaften in Deutschland, um die dortige jüdische Geschichte zu rekonstruieren – berichtete er in historischen Abhandlungen zum aschkenasischen Judentum, die er in der Nayer yidisher tsaytung und in der Allgemeinen Wochezeitung der Juden in Deutschland publizierte.112 1949 erinnerte Efroyim Shrayer daran, dass man ob der Erforschung der osteuropäisch-jüdischen Katastrophe nicht die jüdische Vergan-

Mann, Mendel, Daytshland, in: Nayvelt, 26. 11. 1948. Jockusch, Jüdische Geschichtsforschung im Lande Amaleks, 30. 111 Siehe Kapitel 4.2. 112 Bernstein war bereits vor dem Krieg Mitarbeiter des YIVO als Korrespondent in Warschau und 1939, nach Kriegsausbruch, Aspirant in Vilnius gewesen. Vgl. YU Bernstein-Collection, Box 38, Folder 1, Brief an Hans Lamm, 25. 3. 1958. In seinem Archiv befinden sich auch zahllose Korrespondenzen mit deutschen Lokalarchiven, Listen über Friedhofsschändungen in der Nachkriegszeit u. Ä. 109 110

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genheit Deutschlands vergessen dürfe, deren geistige Güter in deutschen Bibliotheken, Archiven und Kunstsammlungen ebenso lagerten wie in den Wohnungen deutscher Privatpersonen. Darunter befänden sich auch Bücher, die „gerade erst der Hand des Verfassers entrissen wurden. Auf welchen noch seine Randbemerkungen zu sehen sind.“113

Abb. 3: Dovid Volpe und Israel Kaplan bei einem Spaziergang in Berchtesgaden, April 1947

Kollektivschuld und die „Gretchenfrage“ Die Literatur thematisierte den in größerem Rahmen arisierten Besitz nicht. Dagegen wurde die persönlichere, unmittelbare Form von Raub durchaus zum Topos literarischer Werke. Einzelne Gegenstände aus einer vernichteten Welt konnten jederzeit und überall auftauchen. Yekhezkl Keytlman erzählt von einer kurzen Freundschaft zwischen einem KZ-Überlebenden und einem Reichswehroffizier. Die beiden einsamen Männer begegnen sich in einer bayerischen Kleinstadt. Der Deutsche hört sich interessiert alle Erzählungen des Juden an, „denn worüber kann man mit einem Deutschen (Daytshl) zu reden beginnen, außer darüber, was sie uns angetan haben“,114 bis er selbst zum Spezialisten wird für „‚Aktionen‘, ‚Aussiedlungen‘, ‚Todes113 114

Shrayer, Efroyim, A farnakhlesikte gebit, in: Der morgn, 20. 5. 1949. Keytlman, Oysterlishe geshikhtn, 120 f.

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mühlen‘, ‚Aufhängen an den Füßen‘ mit der ganzen deutschen Gründlichkeit“.115 In einem der letzten Gespräche, das die beiden führen, erzählt der Jude von einem Jungen, der im KZ mit Stöcken geprügelt und danach halbtot zur Arbeit getrieben wurde. Der Deutsche protestiert, so etwas könne nicht möglich sein, denn nur ein „Dummkopf“ würde so etwas tun. „Denn was kann ein Mensch in so einem Zustand leisten?“, fragt der Reichswehroffizier und fügt seiner Frage ein bayerisches „gell!“ hinzu. Das letzte Zusammentreffen, wieder wortlos wie zum Beginn der Geschichte, findet am Krankenbett des Deutschen statt: Als der Jude die Tür öffnet, sieht er ihn, der immer beteuert hatte, nichts von den Gräueltaten der Nazis gewusst zu haben, mit einer Jacke über den Schultern – genäht aus einem jüdischen Gebetsschal.116 In einer anderen Geschichte schildert Keytlman junge deutsche Frauen, die ihren Körper für ein Stückchen Schokolade an die amerikanischen Soldaten und selbst an die DPs verkaufen:117 Ekel stieg in mir hoch [. . .], denn es kann gut sein, dass genau die, die ausgelassene Blonde im kurzen Kleidchen, die mir gestern hinterhergelaufen ist, dass sie auf ihrem benutzten Körper das Hemd meiner ermordeten Schwester trägt.118

Bei Mates Olitski wiederum heißt es: Wie gut es dir doch steht, das blaue Kleid, wie schön!/Apollo könnte so mit dir spazieren gehn./Der dünne Stoff ist durchsichtig und rein./Es macht dich schlank, grazil, so jugendlich, so fein,/Wie reizend siehst du in dem Kleid doch aus!/Doch stammt es nicht aus unserm toten Haus?//Wie gut dir heute dieses blaue Kleid doch steht!/Wie angegossen, wie für dich genäht/umschmiegt es deine Taille. Und es schwebt/so zärtlich mit, wenn sich dein Busen hebt./Das schöne blaue Kleid, es ist jetzt dein,/Trug es nicht einmal unser Schwesterlein?//Wie gut dir dieses blaue Kleid doch passt!/Wie schmeichelnd weich es deinen Leib umfasst./So wie der Himmel strahlt, strahlt auch dein Blick./Du schaust dich an, und du genießt dein Glück./Wie gut es dir doch steht, das blaue Kleid, wie gut!/Sieht man darauf nicht einen Tropfen Blut?119

Ebd., 122. Ebd., 124 f. 117 In kaum einem Texte kommt es aber zum intimen Akt selbst. Wurde die Ambivalenz zwischen Attraktion und Abscheu in der Nachkriegsrealität ausgelebt, war der moralisierenddidaktische Anspruch der Schriftsteller – gegenüber sich selbst wie auch dem intendierten Leserkreis – zu hoch, um sich auf diesen literarischen Versuch einzulassen. Dies sollte erst später sowohl in der autobiographischen wie in der fiktionalisierten Darstellung der DP-Zeit stattfinden. Vgl. beispielsweise Volpe, Ikh un mayn velt, 293; Eisner, Die Happy Boys; Bukiet, After. 118 Keytlman, Osterlishe geshikhtn, 130. 119 Olitski, In fremdn land, 3; siehe auch ebd., 26: „Wer trägt die Schuld an den Augen voll Tränen?/Nicht ich. Nicht ich./Frag deinen Nachbarn. Er könnte erwähnen:/Er trägt ein jüdisches Hemd auf sich.//Wer trägt die Schuld an den bettelnden Händen?/Nicht wir. Nicht wir./ Frag die Regale ringsum an den Wänden:/Wo kommt ihr her? Und warum seid ihr hier?//Wer 115 116

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Wenn so ein Sommerkleid oder ein Hemd quasi als Treibgut aus der Vergangenheit am Körper einer deutschen Frau oder eines deutschen Mannes auftauchte, dann musste es auf den jüdischen Betrachter wie ein Kainsmal wirken. Solche ambivalenten Begegnungen mit der deutschen Zivilbevölkerung evozierten jedes Mal wieder das Trauma des Verlustes. Das Verlorene wurde einem sichtbar vorgeführt, ohne dass die Möglichkeit bestand, seine Rückgabe zu verlangen. Die Ablehnung Deutschlands, der deutschen Bevölkerung und Kultur, war nicht zuletzt auch pädagogisches Programm. Besonders in den Städten florierten die Geschäfte zwischen Juden und Deutschen, und es blieb nicht aus, dass die über die Stadt verstreut lebenden DPs sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren begannen. In Reportagen berichtete die jiddische Presse über die „letzten Mohikaner osteuropäischen Judentums“, die ihre Zeit in schummrigen Restaurants und Kaffeehäusern verbrachten und der Kulturlosigkeit anheim fielen: [. . .] Zwischen Schutt und eingefallenen Mauern dringt durch die erleuchteten Fenster Tanzmusik [. . .], zwischen den weißen Wänden, dekoriert mit „malerischen“ Bildern aus Palästina, laufen Juden umher, ein Gemisch aus Sprachen. Man erfreut sich an der Jazzkapelle und legt einen Tanz aufs Parkett. Diese gestrigen KZler vergessen ihre blutigen Feinde, die uns noch heute auf öffentlichen Veranstaltungen als unerwünschte Ausländer bezeichnen.120

Die Verbindung zwischen Juden und Deutschen wurde als Amalekismus gebrandmarkt. Undzer veg schärfte seinen Lesern in jeder Nummer ein, diesem Kontakt auszuweichen: Als Motto prangte über dem Titel der Zeitung das Bibelzitat „Gedenke, was Amalek dir angetan“ (Samuel 1,15). Deutschland wurde gleichgesetzt mit dem ewigen Feind der Juden. Eine Mesalliance der besonderen Art waren in diesem Zusammenhang sexuelle und emotionale Beziehungen zwischen Deutschen und Juden, wobei letztere in ihrer Tragweite als wesentlich gefährlicher eingestuft wurden. Rein sexuelle Kontakte zwischen jüdischen Männern und deutschen Frauen waren vor allem während der ersten Monate nach der Befreiung durchaus nicht selten und wurden als vorübergehende Erscheinung, wenn auch nicht gutgeheißen, so doch teilweise toleriert. Unter den meist jungen Überlebenden, die im KZ sozialisiert worden waren, herrschte eine Art „Hypersexualität“, ein Nachholbedarf, der um so schwerer zu befriedigen war, als die Zahl der befreiten Männer die der Frauen bei weitem überstieg.121 Hayim-Meir Gottlieb thematisierte diese Problematik bereits 1945 gegenüber

trägt die Schuld an den frierenden Leibern?/Nicht du. Nicht du./Frag einmal nach im Haus bei den Weibern:/Was tragt ihr gestohlene Mäntel und Schuh?“ 120 Kovai, Dov, Men zukht farvaylungen. . ., in: Undzer veg, 3. 1. 1947. 121 Grossmann, Jews, Germans, And Allies, 186–188.

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den Bewohnern des Kibbuz Buchenwald und bediente sich dabei der gleichen Motive, die später in der Literatur wiederzufinden waren: Schon die Selbstachtung müsse die jungen Männer, auch nach Jahren in Gefangenschaft und ohne Frauen, davon abhalten, sich mit deutschen Frauen einzulassen. Sie müssten, so Gottlieb, fähig sein, ihre Instinkte zu kontrollieren, denn während man die jüdischen Frauen in den Krematorien verbrannt habe, seien ihre Kleider und ihr Schmuck nach Deutschland gebracht worden und würden nun die deutschen Frauen zieren. Männern, die sexuelle Kontakte zu deutschen Frauen hatten, wurde mit dem Ausschluss aus dem Kibbuz gedroht.122 Eine noch stärkere Ächtung erfuhren DPs, die emotionale Bindungen und feste Partnerschaften eingingen. Wo Fälle vom Zusammenleben jüdischer und nichtjüdischer Partner publik wurden, konnte die öffentliche Reaktion darauf drastisch sein. Da die moralische Integrität des Einzelnen ein zentrales Element im Bild der Sche’erit Hapleta war, das durch die Presse vermittelt werden sollte, druckten die Zeitungen kommentarlos Rabbinatsbeschlüsse ab, durch welche jüdische DPs aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wurden. So publizierte ein Rabbiner aus Feldmoching den Ausschluss eines Komiteemitgliedes nach dessen Hochzeit mit einer Deutschen. Dies geschah unter der Nennung des vollen Namens und der aktuellen Adresse der betroffenen Person.123 Anfang 1947 wurde ein gewisser Moniek Adler aus der jüdischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Der junge Mann hatte seine Frau im KZ verloren und mit einer Deutschen eine neue Familie gegründet.124 Am 27. Juli 1947 trat das Ehrengericht des Lagers Wasseralfingen mit einer Urteilsverkündung gegen zwei dort wohnhafte Familien an die Öffentlichkeit. Beide Familienväter wurden beschuldigt, ihre deutschen Ehefrauen unter falschem Namen in das Lager gebracht zu haben, wo sie sogar als Mitglieder der zionistischen Partei gemeldet gewesen seien. In der Urteilsverkündung wurden beide Familien aus dem Lager ausgewiesen.125 Und schon während der Sitzungen auf dem ersten Kongress des Zentralkomitees wurde eine Resolution des Rabbiners Snieg einstimmig angenommen, wonach alle Männer, die sich mit deutschen Frauen verbanden, in der jüdischen Gesellschaft als minderwertig erachtet werden sollten.126 Dass diese Ächtung allerdings von keinem ausschließlich religiös motivierten Gedanken ausging, zeigt der folgende Brief, den Mordkhe Libhaber an die Redaktion der Tsienistishe shtime adressierte:

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Zitiert nach Schwarz, The Root and the Bough, 315 f. Z. B. Meldungen. Moydoe, in: Undzer veg, 26. 8. 1947. Glatzer, Josef, Moydoe, in: Undzer moment, 7. 2. 1947. Urteyl fun efntlekhn gerikht in Vaseralfingen, in: Undzer veg, 12. 9. 1947. Kongres-zitsungen, in: Undzer veg, 1. 2. 1946.

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Wie ist es wirklich? Ist denn das Verbrechen, eine deutsche Frau zu heiraten, so groß, weil sie das Glaubensbekenntnis nicht aufsagen kann und nicht Rachel, sondern Gretchen heißt? Oder ist das Verbrechen deshalb so groß, weil das jüdische Volk in seiner überwiegenden Mehrheit anerkannt hat und auch morgen die Meinung darüber nicht ändern wird, dass jedes Glied des deutschen Volkes teilhat am großen und barbarischen Verbrechen des Judenmords. [. . .] Nicht die Rassentheorie bewegt mich dazu, diesen Brief zu schreiben. Bitte, sollen jüdische Rabbiner Britinnen, Jugoslawinnen, Zigeunerinnen konvertieren, sollen sich Juden hundertfach mit ihnen verheiraten und Juden bleiben. Aber in die jüdische Gemeinschaft eine Frau aufzunehmen, die bis vor wenigen Jahren gelächelt hat, „wenn das Judenblut vom Messer spritzte“, das können sich sogar große Rabbiner nicht erlauben.127

1948 erregte ein an die jiddische Tageszeitung Forverts in New York gerichtetes Schreiben von Rabbiner Josef Glatzer, Oberrabbiner für Niederbayern und die Oberpfalz, Aufsehen.128 In einem beigelegten Flugblatt, das in Deutschland kursierte, appellierte er an das moralische Gewissen der jungen DPs und forderte die jüdische Öffentlichkeit in Deutschland zur sozialen Ächtung derjenigen Personen auf, die eine Mischehe eingingen. „Es gibt keine Garantie“ heißt es dort, dass die selben [. . .] Hände, die jetzt ihre unreinen jüdischen Liebhaber an ihre unreinen Herzen drücken, [. . .] nicht bis zu den Ellbogen mit dem noch warmen Blut unserer unschuldigen Kinder und Frauen, Brüder und Schwestern, Mütter und Väter [. . .] beschmutzt sind [. . .]. Wisset, Kinder, dass die Gretchens, die Irma Gresers (sic!), die Ilse Kochs, die [. . .] aus der Haut eurer Eltern Lampenschirme gemacht haben, dass diese Töchter Amaleks euch in den tiefsten Abgrund der untersten Hölle hinabführen werden.129

In einem Artikel, welcher – basierend auf Glatzers Pamphlet – am 3. Juli im Forverts abgedruckt wurde, hieß es, dass die Juden die Lager zu verlassen begännen, um sich in deutschen Städten und Dörfern niederzulassen und sich mit deutschen Frauen zu verbinden. Die Meinungen zu dieser angeblichen Gefahr waren gespalten: Einige hielten die Sorge des Rabbiners für berechtigt und suchten die Gründe in den sinkenden moralischen Wertvorstellungen zwischen den jüdischen DPs. Andere hielten dagegen, dass es sich lediglich um Einzelfälle handle und die öffentlichen Beschuldigungen nur dazu beitrügen, den Ruf der Sche’erit Hapleta zu verschlechtern. Wie viele Ehen zwischen ostjüdischen DPs und deutschen Frauen wirklich geschlossen wurden, ist unklar. Harry Maor zufolge gab es bis 1950 zwischen 1000 und 2000 solcher Partnerschaften.130 Yehude Fefer, ein ehemaliger Libhaber, Mordkhe, Rand-notitsn, in: Tsienistishe shtime, 2. 9. 1948. Tamiment 7015, MK 253, Box 86, Folder 17, Josef Glatzer an Jacob Patt, 15. Tewet 1948. 129 Ebd., Office of the Chief Rabbi in the U. S. Occupation Zone, Region: Niederbayern und Oberpfalz. Oyfruf! 130 Maor, Über den Wiederaufbau, 18 und 166. 127 128

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Rayonmitarbeiter des Zentralkomitees in Weiden, wandte sich in Verteidigung der Sche’erit Hapleta mit einem Leserbrief an die amerikanisch-jiddische Zeitung. Am Beispiel Niederbayerns und der Oberpfalz machte er deutlich, dass von einer Abwanderung nicht die Rede sein könne, da in diesem Rayon mit dem DP-Camp Pocking lediglich ein einziges jüdisches Großlager existiere, der Rest der jüdischen Bevölkerung, ungefähr zwei Drittel, dagegen dauerhaft in Städten und Dörfern wohne.131 Die extreme Rhetorik, die Glatzer in seinem emotionalen Pamphlet einsetzte, findet sich konzeptuell auch in der Presse und Literatur wieder. Namen wie die der in den Bergen-Belsener Prozessen verurteilten Irma Grese und Hilde Lohbauer fielen ebenso wie der Ilse Kochs, die zu den Angeklagten im Buchenwaldprozess gehörte. Nicht die Emmas und Annas, so äußerte sich Dovid Volpe dazu, sollten den jüdischen Männern im Gedächtnis bleiben, sondern die sadistischen Irmas und Hildes.132 Nachdem 1948 das Strafmaß gegen Ilse Koch auf vier Jahre reduziert wurde, erschien in einer DP-Zeitung unter Anfügung einer Pressenotiz ein Gedicht über die Angeklagte im Buchenwaldprozess: Groß und schlank, hell und blond –/eine echte „Nibelungen“-Frau,/die Augen leuchten, wie der „Mond“,/im Phosphorglanz von grün und blau.//Gekleidet nach dem neusten Stil:/Das Leder ihrer Tasche, schaut,/ist nicht etwa aus „Krokodil“,/nein, nur aus feinster „Menschenhaut“.133

Bei Menakhem Shtayer heißt es über die KZ-Aufseherin Irma Grese, die als „Hyäne von Auschwitz“ gefürchtet war: „Wer erinnert sich nicht an die göttlich schöne Deutsche Irma Grese, mit ihrem unschuldigen Gesicht, mit ihren hellblauen Augen [. . .], die [mörderische Taten] an unseren Frauen, Kindern und Schwestern begangen hat?“ Solche Irma Greses, kommt er zum Schluss, „gibt es in millionenfacher Ausgabe beim deutschen Volk und sie alle haben gestern stolz ihr Überzeugungsmittel, die Peitsche, in der Hand gehalten, um sie jetzt gegen ein neues Attraktionsmittel einzutauschen, der billigen, käuflichen Liebe, mit der Konsequenz einer medizinischen Behandlung gegen Geschlechtskrankheiten.“134 Shtayer appellierte an den männlichen Leser, sich vor den deutschen Frauen zu hüten, ihrer ari131 Tsivyen [Ben-Tsien Hofman], Yidishe interesn, in: Forverts, 13. 3. 1948; Fefer, Yehude, Fun folk tsu folk. A briv fun a lager in Daytshland, in: Forverts, 3. 7. 1948. 132 Dovidl [Dovid Volpe], M’zol di Ema’s azoy shnel nisht fargesn. . ., in: Undzer veg, 29. 7. 1947. 133 Taft, Motl, Ilse Koch, in: Dos vort, 5. 11. 1948. Das Verfahren gegen Ilse Koch wurde nach internationalen Protesten ein weiteres Mal aufgenommen und schließlich eine lebenslängliche Haftstrafe gegen sie verhängt. Der Anklagepunkt, wonach sie Gebrauchsgegenstände aus Menschenhaut hergestellt habe, wurde aus Mangel an Beweisen fallengelassen. Siehe: Gutman, Enzyklopädie des Holocaust (Bd. II), 775 f. 134 Shtayer, Menakhem, Di „Irmes“ in yidishe orems, in: Undzer veg, 21. 3. 1947.

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schen Schönheit zu misstrauen. Die Diktion ist klar und brutal. Die Peitsche wird von den Geschlechtskrankheiten abgelöst – deutsche Frauen werden kollektiv als manipulierbar, emotionslos und unmoralisch verurteilt. Rhetorisch kommt es zu einer Umkehrung des nationalsozialistischen Rassendiskurses. Es ist nicht länger der dunkelhaarige lüsterne Jude, der eine Gefahr für die deutsche Frau darstellt. Nun ist es die arische Deutsche, die den Holocaust-Überlebenden verführt.135 Die kollektive Verurteilung der deutschen Zivilbevölkerung und die historisch aufgeladene Landschaft ließen die Schriftsteller und Journalisten keine Zukunft in Deutschland in Betracht ziehen. Wie ambivalent und vielgestaltig aber schlussendlich ihre Begegnung mit Deutschland und den Deutschen gewesen sein muss, lässt sich anhand von Hershl Vaynroykhs Erzählband Goles Bayern (Die bayerische Diaspora) und dessen Entstehungsgeschichte nachvollziehen. Allein schon der Titel dieses ersten jiddischen Prosabandes aus der Feder eines DP-Schriftstellers ist symptomatisch für die Selbstverortung des Verfassers. In einer Erzählung, die den Titel A tfile in tsug (Ein Gebet im Zug) trägt, beschreibt Vaynroykh die Koexistenz von Deutschen und Juden im befreiten Deutschland. Ohne miteinander zu reden sitzen sie im selben Bahnabteil, lassen die Landschaft, den in der Sonne glitzernden Starnberger See und die bayerischen Alpen, an sich vorüberziehen. Für die einen ist es Heimat, für die anderen „verfluchte Erde“.136 Doch mit einem Mal ist es nicht mehr die Landschaft, welche die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern ein junger Jude, der sich die Gebetsriemen um Hand und Kopf bindet. Selbstbewusst trägt er seine Religion zur Schau und lässt die Deutschen verstummen: „Ein Jude hat im Zug gebetet [. . .] und keiner hat mehr auf die schöne Landschaft geschaut [. . .].“ Eine zweite Kurzgeschichte trägt die Konflikte zwischen Juden und Deutschen weniger subtil aus. In A dire far a bafraytn (Eine Wohnung für einen Befreiten), erzählt Vaynroykh von einem Holocaust-Überlebenden, der ein Zimmer zur Untermiete bei einer Deutschen zugeteilt bekommt. Als er am folgenden Tag in sein neues Zimmer zurückkehrt, muss er feststellen, dass seine Vermieterin in der Zwischenzeit die Möbel ausgetauscht hat: „An Stelle der feinen Möbel, die ich gestern gesehen hatte und die zusammen mit dem Zimmer beschlagnahmt worden waren, stand jetzt ein kaputtes Bett mit ein paar Lumpen, ein graues Holztischchen, zwei Stühle und ein

135 Das Thema der deutsch-jüdischen Intim- und Liebesbeziehungen in der Literatur ist für die unmittelbare Nachkriegszeit bisher nicht analysiert worden. Einen ersten Überblick dazu in der (vorwiegend deutsch-jüdischen) Nachkriegsliteratur seit den 1960ern bietet: Stern, Wahl- und Qualverwandtschaften. Liebesbeziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in der deutschen Nachkriegsliteratur, 305–317. 136 Vaynroykh, Goles Bayern, 33.

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weißer Küchenschrank.“ Als er von der Vermieterin eine Erklärung verlangt, erklärt sie, dass sie nicht möchte, dass er ihre kostbaren Möbel beschädigt. „Was heißt kaputt machen?“, erwidert der DP, „bin ich denn ein wildes Tier? Aha, ich bin ein Jude. Ein ehemaliger KZler. Ein Häftling, ein Rassenverfolgter [. . .] wie kann ich es wagen, wie ein Mensch zu schlafen [. . .]. Was denn, leben die Juden in den Lagern etwa besser?“137 Die Bilder, welche Vaynroykh in diesen Erzählungen schafft, lassen keine Kommunikation zwischen Juden und Deutschen zu. Jede Begegnung endet im Schweigen oder im Streit. Literarisch distanziert sich der Schriftsteller von der täglichen Realität, zeigt nur die Aspekte, die er seinem Leser vermitteln möchte. 1982 überließ Vaynroykh der Nationalbibliothek in Jerusalem ein Exemplar dieses Buches, in welches nachträglich ein maschinengeschriebenes Vorwort eingefügt wurde. Darin fasst der Autor die Entstehungsbedingungen von Goles Bayern zusammen: Als 1947 sein Manuskript zur Veröffentlichung bereit war, hörte er von einem deutschen Drucker, der einen Satz hebräischer Lettern besaß. Da aber kein jiddischer Setzer aufzutreiben war, erklärte sich der Drucker dazu bereit, über Nacht das hebräische Alphabet zu lernen und ermöglichte so, wenn auch mit vielen Druckfehlern, die Publikation der Kurzgeschichten. Es bedurfte allerdings der historischen und räumlichen Distanz, um diese und andere positive Begegnungen mit den Deutschen in einem anderen Licht sehen zu können. Oder wie Mates Olitski es 1980 in einem Brief an den Schriftstellerkollegen Dovid Volpe formulierte: „Ja, wir sind schon alt genug für Nostalgie. Wir erinnern uns in letzter Zeit auch an die Jahre in Deutschland.“138

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Ebd., 28. JNUL Arc. 4° 1683, Mates Olitski an Dovid Volpe, 29. 1. 1980.

Ein Kibbuz in Erez Israel feiert sein 15-jähriges Jubiläum, Menakhem-Mendl aus der Sche’erit Hapleta [. . .] will von Uri, einem Jungen im Kibbuz, wissen, was auf dem Programm steht. Menakhem-Mendl operiert mit Begriffen, die er aus dem Goles mitgebracht hat. Uri versteht ihn nicht und sie können sich nicht unterhalten. Aus dem Programmheft eines in München gastierenden Marionettentheaters aus Palästina.1

4. Ein DP-Shtetl oder der Prototyp eines Kibutz galujot?

Ende 1947 karikierte Israel Kaplan in einem feuilletonistischen Artikel die Rolle der Literatur in der Sche’erit Hapleta und ihre Instrumentalisierung durch die zionistischen Parteien. In dem kurzen Text, gewidmet der „neuen Welle an ‚Kulturveranstaltungen‘ in der Sche’erit Hapleta“, schilderte er ein literarisches Tribunal in einem der Großlager in Bayern. Dort versammelte sich, so Kaplan, an einem warmen Sommerabend die Bevölkerung im vollen Theatersaal, um mitzuerleben, wie eine klassische Geschichte aus der jiddischen Literatur mit dem Titel Tiskhadesh (Trag es mit Zufriedenheit2) gemeinsam mit ihrem Verfasser antisozialistischer Tendenzen angeklagt wird. In einem feurigen Plädoyer urteilt der Leiter der Kulturabteilung folgendermaßen: Unsere arbeitenden Volksmassen haben bisher nicht wenig Beleidigung durch die jiddische Literatur erdulden müssen. Für die meisten Schriftsteller waren die beliebtesten Helden der Rabbi, der Gelehrte und die Ritualbeamten, der Grundbesitzer und der Mann mit Macht. Mit diesen Helden haben unsere Literaten sich geschmückt und selber gelobt, denn ihre Psychologie war durchaus auch kleinbürgerlich. [. . .] Die Erzählung Tiskhadesh, welche das politische Bewusstsein des Proletariats verspottet, stammt aber aus der Feder eines Mannes, dessen Name schon jahrelang einer unserer Parteien als Symbol [. . .] dient. Dieses wüste Pamphlet gegen den jüdischen Arbeiter hat also ausgerechnet ein Mensch geschrieben, der zu den geistigen Vätern einer gewissen sogenannt proletarischen jüdischen Partei zählt. Die Erzählung Tiskhadesh stammt von keinem anderen als von Y. L. Perets.3 YIVO 294.2, Folder 1355, Program fun der forshtelung fun dem e‘‘y-marionetn-teater. Wörtlich: Du sollst erneuern. Segensspruch, der über ein neues Kleidungsstück gesagt wird. 3 Kaplan, Israel, Toyter gerangl, in: Velt I (1947). 1 2

Parteiverlage als Geburtshelfer jiddischer Bücher

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Einen ganzen Abend lang wird daraufhin in einer illustren Runde von Parteifunktionären, Journalisten und Schriftstellern versucht, zu einem das Ansehen des jiddischen Klassikers wahrenden Konsens zu finden. Die vorgebrachten Argumente zeugen gleichermaßen von politischen Denkschablonen wie von völliger Unkenntnis der jiddischen Literatur. Im Eifer des Gefechts wird Perets nicht nur eine jahrelange Gefängnishaft wegen revolutionärer Tätigkeit angedichtet und die Urheberschaft der bundistischen Hymne Di shvue (Der Eid) – verfasst von Solomon An-Sky – zugeschrieben. In der gesamten Debatte wird völlig übersehen, dass die angeklagte Kurzgeschichte in Wahrheit gar nicht von Perets, sondern von David Frischman stammt.4 Schon seit 1946 hatten die Parteien durch ihre sich immer weiter diversifizierende Parteipresse Einfluss auf das kulturelle Leben der Sche’erit Hapleta genommen. Im Laufe des Jahres 1947 bauten sie zusätzlich auch ein bescheidenes Verlagsprogramm auf und wurden damit zu Förderern jiddischer Literatur. Gleichzeitig etablierten sich auch Kulturveranstaltungen, wie die von Israel Kaplan feuilletonistisch beschriebene, in denen Kenntnisse über Literatur, Kunst, Geschichte und Politik popularisierend transportiert werden sollten. Anfangs wollten die Parteien in erster Linie auf die politische Bildung der Sche’erit Hapleta Einfluss nehmen, aber je mehr sich der unfreiwillige Aufenthalt in Deutschland verlängerte, desto stärker zeichnete sich in der breiten Bevölkerung ein abnehmendes Interesse an zionistischen Ideen ab. Diese sinkende Moral sollte durch die Vermittlung einer grundlegenden Bildung – kulturell und politisch – gehoben werden. Schriftsteller, Journalisten und auch Schauspieler übernahmen gesellschaftliche Funktionen, um durch ihre Bildungsarbeit den DPs ein kulturelles Selbstverständnis zu vermitteln.

4.1. Die Politisierung – Parteiverlage als Geburtshelfer jiddischer Bücher Die Konzentrationslager Dachau-Kaufering und Buchenwald waren die Keimzellen politischer Selbstorganisation der Sche’erit Hapleta gewesen. Unter den Überlebenden hatte sich ein jüdisches und zionistisches Ethos herausgebildet, das in die Gründung einer einheitlichen und parteiübergreifenden Dachorganisation, der Achida, mündete. Ihre Initiatoren brachten die verbindende Holocausterfahrung der DPs als Argument gegen parteiliche Diversifizierung vor. Die gesellschaftliche Akzeptanz dieser einheitlichen zionistischen Körperschaft, die weder auf eine Tradition in Osteuropa 4

Ebd.

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Ein DP-Shtetl oder der Prototyp eines Kibutz galujot?

noch im Jischuw zurückblicken konnte, geriet jedoch bereits nach wenigen Monaten ins Wanken. Da sie besonders bei den Mitgliedern der Jüdischen Brigade aus dem Kreis um Ben-Gurion Unterstützung fand, sah sich die Achida bald mit dem Vorwurf konfrontiert, im Grunde von der Mapai kontrolliert zu sein, die unter dem Deckmantel zionistischer Überparteilichkeit ihre eigenen Interessen durchzusetzen plane. Nach und nach zogen sich deshalb die meisten Parteien aus der Achida zurück, bis ihr im Vorfeld zum 22. Zionistischen Kongress in Basel schließlich der Status als Dachorganisation aberkannt wurde. Im Februar 1947 feierten die verbliebenen Anhänger der Achida die Gründung der Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut als neue eigene Partei, welche die Parteilinie der Mapai übernahm.5 Die Aufspaltung in verschiedene ideologische und politische Lager konnte nicht nur in Deutschland beobachtet werden: Auch in Polen, wo die Bricha-Bewegung das politische Bewusstsein bei den Flüchtlingen zu wecken und sie im Rahmen von Kibbuzim, Schulen und anderen Gruppen an die jeweiligen organisierenden Parteien zu binden versuchte, kam es zu einer ähnlichen Aufsplitterung.6 Daher traten die Unterschiede zwischen den Parteien in der Amerikanischen Besatzungszone zunehmend deutlicher hervor, als sich die Sche’erit Hapleta durch die Infiltration, also die illegale Immigration osteuropäischer Juden, seit dem Herbst 1945 vergrößerte. Durch diese Entwicklung nahm der Einfluss der Parteien auf die Selbstverwaltungsorgane – sowohl in den lokalen Lagerverwaltungen als auch im Zentralkomitee – stetig zu. Während der erste Kongress der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone im Januar 1946 noch ein einheitliches Bild geboten hatte, wurden die Sitze im Zentralkomitee und im Rat der Sche’erit Hapleta seit dem zweiten Kongress gemäß der Parteizugehörigkeit verteilt. Besonders während dieses zweiten Kongresses Ende Februar 1947 in Bad Reichenhall wurde der Konfrontationskurs der Parteien deutlich. Die extremen Flügel im zionistischen Spektrum, die linken sozialistischen Gruppierungen und die Revisionisten, brachten größere Gruppen junger Anhänger mit, um ihre Argumente bei Bedarf auch tätlich durchzusetzen. Mehrmals entlud sich die explosive Stimmung während des Kongresses beinahe in Schlägereien. Weil ihre Resolutionen nicht angenommen wurden, verließen sowohl die Revisionisten als auch Teile der religiösen Agudat Israel aus Protest die Versammlungen.7 Die Sitzungen während des

5 Hering, Zigmund, Tsvishn khurbn un geule, 88 f. Eine Analyse der politischen Diversifizierung findet sich in Mankowitz, Life between Memory and Hope, 88–100. Für Informationen zu den diversen Parteien siehe Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 135–147. 6 Engel, Bejn schichrur liwericha, 149 f. 7 Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 125: Im neu gewählten Zentralkomitee waren mit Ausnahme der Revisionisten alle Parteien vertreten. Die neu gegründete Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut ging als Wahlsieger hervor.

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dritten Kongresses, der kurz vor der Proklamierung des Staates Israels vom 30. März bis zum 2. April 1948 erneut in Bad Reichenhall stattfand, fielen ruhiger aus: Unter dem Eindruck der blutigen Auseinandersetzungen in Palästina waren die zwischenparteilichen Streitereien auf dieser letzten Jahreskonferenz gemäßigter.8 Die Politisierung war auch ein entscheidender Schritt für die Etablierung einer starken Parteipresse. Bereits seit Ende 1945 waren die Revisionisten durch eine eigene Zeitung vertreten. Seit dem Sommer 1946 begann sich dann auch das restliche Parteispektrum mit seinen sozialistischen, liberalen und religiösen Ausrichtungen an seine Leser zu wenden.9 Durch die Entstehung parteigebundener Publikationen begann sich das bis dahin recht chaotische Pressewesen in der Sche’erit Hapleta mit seinen zahllosen regionalen und lokalen Zeitungen zu regulieren: Das technische und inhaltliche Niveau der Parteipresse war wesentlich höher als das der bisherigen Zeitungen, und als schließlich im Herbst 1947 die Verwendung lateinischer Lettern verboten wurde, verlor die Lokalpresse immer mehr an Bedeutung. Sie wurde schließlich, mit Ausnahme der Landsberger Jidisze cajtung, vollständig aufgelöst. Die Parteizeitungen dominierten nun die jiddische Presse. Daneben existierten weiterhin das unter Rubinshteyn reorganisierte Organ des Zentralkomitees sowie die landsmannschaftliche Zeitung Ibergang, welche die Interessen der polnischen Juden in der Amerikanischen Besatzungszone vertrat. Die Parteipresse war, mit Ausnahme von Dos yidishe vort, durchgehend zionistisch. Der Bund, der im Vorkriegspolen noch eine der stärksten jüdischen politischen Bewegungen gewesen war, spielte in der Sche’erit Hapleta nur noch eine marginale Rolle.10 Seine zahlenmäßige Schwäche machte es ihm unmöglich, innerhalb der Gründungswelle von Parteizeitungen selber aktiv zu werden. Seine Mitglieder lasen das in Paris erscheinende Zentralorgan des europäischen Bund, Undzer shtime (Unsere Stimme), und waren dort auch durch Korrespondenzberichte präsent. Wie sich die Parteipresse finanzierte, ist im Einzelnen nicht nachgewie-

8 Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 130f: Im Vergleich zum Vorjahr hatten sich auch die Parteistärken zu Gunsten der linken zionistischen Gruppierungen, die als vereinigter sozialistisch-zionistischer Block, bestehend aus Po’ale Zion (z. s.), Linker Po’ale Zion und Haschomer Haza’ir, auftraten, sowie der Revisionisten verschoben. Die aus der Achida hervorgegangene Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut, hatte hingegen Einbußen zu verzeichnen. 9 Tsamriyon, Ha’itonut, 112–118 und 170–173. Siehe auch Abschnitt 2b des Literaturverzeichnisses am Ende dieser Arbeit. 10 Tsamriyon, Ha’itonut, 107: Seine Mitgliederbasis war zu schmal, um eigene Wahllisten aufzustellen, so dass die Bundisten ihre Stimmen meist für die sozialistisch-zionistischen Parteien abgaben. Ungeachtet der grundsätzlichen Uneinigkeit in Bezug auf die Sprachenfrage zwischen den Bundisten, die Anhänger des Jiddischen waren, und dem Haschomer Haza’ir mit seiner entschieden pro-hebräischen Haltung, gründeten diese beiden Parteien zusammen mit der Linken Po’ale Zion in verschiedenen Lagern Arbeiterkomitees.

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sen. Es ist aber zu vermuten, dass sich die Blätter von den Schwesterparteien im Ausland finanziell unterstützen ließen. Die Preise für die Zeitungen konnten damit vergleichsweise niedrig gehalten und mittellose Parteimitglieder mit Freiexemplaren versorgt werden. Ein geregeltes Anzeigenwesen existierte nicht. Erst 1949, als sich zahlreiche DPs in den Städten niederließen und eigene Geschäfte eröffneten, wurden vereinzelt Kleinanzeigen geschaltet.11 Die Tsienistishe shtime der Allgemeinen Zionisten, welche anfangs noch eine relativ schwache Lobby im Ausland hatten, führte einen so genannten „Pressefonds“ ein, der nach dem Schneeballprinzip funktionierte: Die Leser und Parteimitglieder wurden dazu angehalten, einen bestimmten Beitrag zu spenden. Die Gönner wurden gebeten, ihre Bekannten und Freunde dazu aufzurufen, sich ebenfalls am Pressefonds zu beteiligen. Die Namen der Spender und ihrer Freunde wurden unter Angabe der Höhe der jeweiligen Zuwendung in den Spalten der Zeitung veröffentlicht.12 Auch die Bafrayung rief 1948 zu einer ähnlichen Sammelaktion für das Fortbestehen der Zeitung auf.13 Inhaltlich orientierten sich die Redaktionen an der politischen Linie der Schwesterorgane in Palästina. Oft genug wurde statt „der Feder die Schere benutzt“ und ganze Artikel wurden fast unverändert übernommen.14 Neben der politischen Berichterstattung zeichnete sich die zionistische Presse in Deutschland in ihrem Profil aber auch dadurch aus, dass sie Kunst und Kultur einen zentralen Platz einräumte und damit ein Forum für Volksbildung schuf. Den Schriftstellern der Sche’erit Hapleta boten die Feuilletonseiten Möglichkeiten für die Publikation ihrer literarischen Beiträge. Die Mitglieder des Schriftstellerverbandes waren besonders in der sozialistischen Presse aktiv, doch viele publizierten, ungeachtet eigener politischer Überzeugungen, über die Parteigrenzen hinweg. Meylekh Tshemni beispielsweise, der eine Zeit lang für die Literaturseiten der Mapai-nahen Dos vort verantwortlich war, publizierte seine Texte ebenso in der Landsberger Jidisze cajtung wie auch in der liberalen und revisionistischen Presse. Mit der Ablösung der Regional- und Lokalpresse durch die Parteizeitungen kam es zudem zu einer weiteren weitreichenden Veränderung im Druckwesen. In neu gegründeten Parteiverlagen wurde begonnen, politische Schriften zu publizieren. Die Po’ale-Zion (z. s.)-Hit’achdut veröffentlichte in ihrem Verlag innerhalb einer kurzen Zeitspanne über zwanzig Broschüren und Bücher – politische Literatur von Ber Borochow oder Berl Katznelson im Original und in Übersetzung. Aber auch im Verlag der sozialistischen Po’ale-Zion, der Linken Po’ale-Zion und des Haschomer Haza’ir 11 12 13 14

Ebd., 170–173. Proklamirt dem prese-fond fun der tsienistisher shtime, in: Tsienistishe shtime, 19. 10. 1947. Dayn bayshtayerung farn „kultur-fond“, in: Bafrayung, 14. 5. 1948. Tshemni, Meylekh, Yidish kulturel lebn in Daytshland, in: Jidisze cajtung, 3. 10. 1948.

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wurden zahlreiche Bücher und Broschüren veröffentlicht. Insgesamt sind über vierzig Ausgaben dieser Art nachgewiesen. Es handelte sich hier vornehmlich um Nachdrucke von politischen Schriften, die in Deutschland nicht oder kaum erhältlich waren.15 Die unzureichende Versorgung mit grundlegenden Texten wurde bis zur Auflösung der Sche’erit Hapleta von allen Parteien beklagt. Noch 1949 publizierte deshalb Moyshe Halperin (Tsemach Tsamriyon) im Verlag der revisionistischen Partei einen Band mit Abhandlungen über die Vordenker des politischen Zionismus, besonders über den Begründer der revisionistischen Bewegung, Ze’ev Jabotinsky, sowie über nationale Motive in der hebräischen Literatur und über zionistische Helden. Diese Einzelportraits sollten Basiswissen vermitteln, das in der Sche’erit Hapleta nur allzu oft fehlte. Dass auch seine Einführungen das Thema nur grob umreißen könnten, so Halperin, liege an den spezifischen Bedingungen in Deutschland, wo die entsprechenden Originaltexte nicht erhältlich seien und er oft aus dem Gedächtnis schreiben und zitieren müsse.16 Aus einer ähnlichen Motivation heraus wurde von den Bundisten – mit Unterstützung des jüdischen Arbeiterkomitees in New York – der Versuch gemacht, in Deutschland eine Reihe mit neuen politischen Texten herauszugeben. Dies war relevant, weil der Bund während des vergangenen Jahrzehnts einen ideologischen Wandel durchgemacht hatte, dessen sich die DPs nach Meinung der Herausgeber nicht bewusst waren:17 Durch die weltpolitischen Veränderungen entwickelte sich der Bund in den USA und in Westeuropa zu einer sozialen und kulturellen Organisation und bewegte sich politisch in Richtung der Sozialdemokratie.18 Die politischen Realitäten im zunehmend sowjetisierten Polen wiederum führten dort im Oktober 1948 letztendlich zum Ende des Bund als autonomer politischer Partei.19 Im Schatten des Holocaust wurde auch der Zionismus neu bewertet: Die Bundisten lehnten zwar weiterhin den Territorialismus als einzige Lösung ab, sie erkannten den Zionismus aber als einen Weg an, der zu jüdisch-nationaler Identität führte.20 So erstaunt es nicht, dass der erste und einzige erschienene Band dieser geplanten Reihe einen Beitrag Jacob Patts zu den Affinitäten von Zionismus und Bundismus in der Frage nach nationaler Autonomie enthielt.

15 Kroshnits, Mordkhe, Dos yor tov-shin-zayin un di sheyres-hapleyte, in: Bafrayung, 12. 9. 1947; Friedman, Dos gedrukte vort bay der sheyres-hapleyte, 151. 16 Halperin, Veg-vayzer, o. S. 17 Afn shaydveg, o. S. Ein zweiter, bereits angekündigter Band über das osteuropäische Judentum wurde nicht gedruckt. 18 Blatman, For Our Freedom and Yours, 195 und 201. 19 Ebd., 212 f. 20 Blatman, The National Ideology, 223 f.

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Aber nicht nur mit politischen Texten, sondern auch mit literarischen Zeitschriften traten die Parteiverlage an die Öffentlichkeit: Die Literaturseiten der Bafrayung wurden bereits im August 1947 unter der Redaktion von Mendl Gelbart um die Khoydesh-bleter (Monatsblätter) ergänzt, die allerdings nach nur einer Nummer ihr Erscheinen wieder einstellen mussten. In der einzigen Ausgabe waren fast ausschließlich Schriftsteller der Sche’erit Hapleta wie Shloyme Berlinski, Yitskhok Goldkorn, Dovid Volpe oder Malasha Mali mit literarischen und literaturkritischen Beiträgen vertreten.21 Im selben Jahr erschien als gemeinsame Publikation der Redaktion von Undzer veg, Ibergang und der Zeitung der Allgemeinen Zionisten insgesamt zweimal die Velt. Die mit literarischen Beiträgen gespickte Zeitschrift – auch Israel Kaplans Feuilleton über das literarische Tribunal ist dort erschienen – zeigte insgesamt eine deutlich politischere Linie als die übrigen Kulturzeitschriften: In kritischen Artikeln widmete sie sich so brisanten Themen wie der amerikanischen und britischen Außenpolitik, dem Wiederaufbau und der Demokratisierung in Deutschland sowie den Nürnberger Prozessen.22 1947 erschienen in Regensburg zwei weitere Zeitschriften: Im Januar 1947 sollte der Velt-shpigl (Weltspiegel) – als einmalige Sonderbeilage zu Der nayer moment – nach dem Willen des Redaktionskollegiums Literatur und Wissenschaft wie auch Bildberichterstattung aus Palästina vereinen und mit diesem breiten Spektrum an die Tradition jiddischer illustrierter Zeitschriften im Vorkriegspolen anknüpfen.23 Mit Photographien aus dem Warschauer Ghetto und dem nationalsozialistischen Deutschland, dem DP-Camp in Regensburg und aus Palästina versehen, brachte die Zeitschrift Texte von Jehuda ha-Lewi, Itsik Manger, aber auch von verschiedenen DP-Schriftstellern zusammen. Dazu kamen kurze Erfahrungsberichte aus der Kriegszeit, Informationen zum jüdischen Kulturleben in Deutschland sowie Meinungen jiddischer Schriftsteller zu den jüngsten Ereignissen in Palästina. Sehr viel stärker als in den anderen Zeitschriften sahen sich die Herausgeber Mendel Mann, Yekhezkl Keytlman und Mates Olitski als Teil nicht nur der Sche’erit Hapleta in Deutschland, sondern der überlebenden Juden in ganz Europa. Die drei Schriftsteller, desillusioniert von den kulturellen Realitäten im Nachkriegspolen, waren erst wenige Monate zuvor nach Regensburg gelangt.24 Im Sommer 1947 erschien unter derselben Redaktion die Heftn far litera-

Gelbart, Khoydesh-bleter. Feld/Libhaber/Rubinshteyn, Velt I (1947) und II (1948). 23 Der velt-shpigl, in: Velt-shpigl. 24 Dafür spricht, dass Neuerscheinungen aus Polen, Frankreich, Deutschland und – im Fall der Dichterin Rokhl Korn – aus Schweden genannt werden. Während die drei Schriftsteller in Regensburg für die Redaktionsarbeit zuständig waren, übernahm der Literaturkritiker Efroyim Shrayer die Verwaltungsarbeit von München aus. 21 22

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tur, kultur un kritik (Hefte für Literatur, Kultur und Kritik). Die Zeitschrift, welche den Beginn eines Verlagswesens der Linken Po’ale Zion markierte, sollte dabei helfen, in Zeiten allgemeiner Demoralisierung „den geistigen Niedergang im Zaum zu halten“.25 All diese Veröffentlichungen entsprangen dem Wunsch, den Schriftstellern, ungeachtet der schwierigen technischen und finanziellen Bedingungen, ein Forum für ihre Werke zu bieten und so nicht nur den Lesehunger der Sche’erit Hapleta zu stillen, sondern auch die Kette der jiddischen Literatur selbst während der „schweren heimatlosen (navenad) Tage auf dem verfluchten Boden“ nicht abreißen zu lassen.26 Die gesellschaftlichen Besonderheiten der heimatlosen Sche’erit Hapleta in Deutschland führten dazu, dass sich die Parteizeitungen in Deutschland, obwohl sie sich über ihre Namen mit den Schwesterparteien im Jischuw identifizierten und sich ideologisch in enger Nähe zu ihnen bewegten, eigene Ziele setzen mussten. Während die Publizisten in Deutschland durch die Presse sowohl informieren als auch grundlegend bilden wollten, konnten die Zeitungen im Jischuw eine sehr viel gezielter ausgerichtete politische Ausbildung der Leser leisten. Auf dem zweiten Kongress des Schriftstellerverbandes im November 1947 gab Ruven Rubinshteyn zu bedenken, dass dem geschriebenen Wort größere Bedeutung beizumessen sei als dem gesprochenen, und daher auf den Schultern der Schriftsteller eine größere Last liege als auf denen der politischen Redner. Damit verbunden war laut Rubinshteyn auch die soziale Verantwortung, mit Presse und Literatur zur moralischen Säuberung und psychischen Genesung der Sche’erit Hapleta beizutragen sowie „Dehistorisierung und Amalekismus“ – das heißt der Verbindung mit der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung – den Kampf zu erklären.27 Rubinshteyn, ein überzeugter Zionist und Hebraist, hatte während seiner Redaktionstätigkeit Undzer veg zu einer Zeitung gemacht, in der großer Wert auf die Vermittlung osteuropäisch-jüdischer Kultur und Literatur gelegt wurde. In vielfacher Hinsicht setzte er damit seine editorische Linie fort, die in der Vorkriegszeit Undzer shtime in Kaunas zu einer erfolgreichen Tageszeitung hatte werden lassen. Schon damals hatte er sich bemüht, durch seine Zeitung politische und allgemeine Bildung zu vermitteln: Obwohl vorrangig an hebräischer und russischer Literatur interessiert, räumte er auch erfahrenen jiddischen Schriftstellern und sogar dem Nach-

25 Tamiment, 7015, MK 90, Box 33, Folder 13, Linke Po’ale Zion an Jacob Patt, München, 15. 10. 1947. Trotz finanzieller Unterstützung durch das Jüdische Arbeiterkomitee in New York blieb es aber auch hier bei einer einzigen Ausgabe. Siehe YIVO 701, Folder 459, Keytlman an Rescue Fund, Falkenstein bei Regensburg, 30. 5. 1947. 26 Mitn ershtn numer. . ., in: Heftn far literatur, kultur un kritik. 27 A kultur-sheferishe konferents, in: Nayvelt, 31. 12. 1947; Rubinshteyn, Ruven, Der shrayber in der sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 21. 11. 1947.

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wuchs Platz auf den Seiten von Undzer shtime ein.28 Nach dem Krieg, in der provisorischen „Koffergesellschaft“, wie er die Sche’erit Hapleta auf einer Journalistenkonferenz im Februar 1947 charakterisierte, war es für ihn selbstverständlich, dass zionistische und allgemeine Volksbildung Hand in Hand gehen mussten.29 An dieser Journalistenkonferenz nahm als Gast aus Palästina auch der hebräische Schriftsteller und Publizist Ezriel Carlebach teil. Er zeigte sich positiv überrascht von der jüdischen Presselandschaft in Deutschland. Nur das nationale Moment erschien ihm noch zu wenig zum Ausdruck gebracht. Seiner Meinung nach schrieb man in den jiddischen Zeitungen in Deutschland zu wenig über die Probleme des Jischuw, als dessen zweite Front die Sche’erit Hapleta agieren sollte. Die Funktion, die er der Presse zuordnete, war primär eine politische. Für Carlebach hatte die jiddische Presse – und mit ihr die Literatur – ihre früheren Aufgaben eingebüßt. Mit dem Holocaust hatte das Leben in der Diaspora einen unwiderruflichen Endpunkt erreicht, und die wenigen jiddischen Zeitungen, die nun unter schwierigsten Umständen erschienen und für die Sche’erit Hapleta eine wichtige Informationsquelle waren, sollten deshalb ein nationales Ziel erfüllen: „Einst war eine Katastrophe kein Problem, man arbeitete weiter. [. . .] Jetzt ist es anders. Jiddische Zeitungen liest man wie die Bibel.“30 Die Aussagen Carlebachs und Rubinshteyns unterschieden sich in ihren Akzenten nur geringfügig. Während Rubinshteyn ein breites Bildungsziel verfolgte, das an die untergegangene Kultur anknüpfen und damit eine Grundlage für die Zukunft schaffen sollte, wies bei Carlebach die Richtung der Presse einzig nach Palästina. Beide Seiten stimmten absolut darin überein, dass die Rolle der Sche’erit Hapleta darin bestand, als Hinterland Palästinas zu dienen. Allerdings war Carlebach nicht vertraut mit den spezifischen Realitäten der deutschen Diaspora, die nach einer breiteren gesellschaftlichen Funktion der Presse verlangten. Angesichts der national-erzieherischen Stoßrichtung, die sich die jiddischsprachige zionistische Presse in Deutschland zur Aufgabe gemacht hatte, erstaunt eine weitere Entwicklung in der Sche’erit Hapleta. Man würde vermuten, dass sich die zionistischen Zeitungen in ihrer ideologischen und finanziellen Abhängigkeit von den Mutterparteien weniger oder zumindest nicht systematisch für die Förderung jiddischer Literatur einsetzen würden. Doch genau dies geschah: Gerade durch die Parteiverlage sämtlicher sozialistischer Parteien, aber auch der Allgemeinen Zionisten und der Revisionisten fand ein Aufschwung in der Publikation literarischer Werke

28 29 30

Chasman, Bimchitzato, 67. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll der Journalistenkonferenz, München, 9. 2. 1947. Ebd.

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statt. So erschien 1947 im Verlag der sozialistischen Po’ale Zion ein jiddischer Gedichtband von Yitskhok Perlov mit dem Titel Undzer like-khame (Unsere Sonnenfinsternis), dessen Druck der Joint zuvor abgelehnt hatte. Im folgenden Jahr veröffentlichte derselbe Verlag ein weiteres Buch Perlovs über die Tragödie der Exodus 47, die der Poet selbst miterlebt hatte. Besonders bemerkenswert ist zudem, dass 1948 im Verlag der Po’ale Zion (z. s.)Hit’achdut Malasha Malis Werk Geviter (Gewitter) publiziert wurde, eines der insgesamt zwei von weiblichen DP-Autoren verfassten Bücher. Malasha Mali war bereits vor dem Krieg in der po’ale-zionistischen Presse tätig gewesen und hatte sich nach ihrer Rückkehr aus der Sowjetunion einen Namen als Erzählerin in verschiedenen Zeitungen der Sche’erit Hapleta erworben. Als Nachdruck der ersten Auflage von 1937 erschienen außerdem Shloyme Berlinskis Erzählungen A lebn geyt oyf (Ein Leben blüht auf). Die Jugendbewegung Dror gab im Verlag Bafrayung sowohl einen Gedichtband ihres Kibbuzmitgliedes Binyomin (Benjamin Harshav) heraus wie auch die Erzählungen In aza velt (In so einer Welt) von Binyomin Elis. Im Verlag der Linken Po’ale Zion erschienen 1948 Shloyme Vorzogers Gedichte unter dem Titel Zayn (Sein) und literaturkritische Aufsätze von Efroyim Shrayer. Der Verlag der Allgemeinen Zionisten publizierte Hershl Vaynroykhs Goles Bayern (Die Bayerische Diaspora). Trotz unterschiedlicher Haltungen gegenüber der jiddischen Sprache schienen sich also sämtliche Parteizeitungen wesentlich stärker am Vorkriegsmodell zu orientieren als an den Entwicklungen in Palästina. Die jüdische Bevölkerung forderte Kultur und Information in ihrer eigenen Sprache – in Jiddisch. Die politischen Verlage ermöglichten literarische Veröffentlichungen und die Parteipresse bot den Schriftstellern, oft unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, Publikationsmöglichkeiten. Damit waren es also die zionistischen Bewegungen in der Sche’erit Hapleta, welche die jiddische Literatur stützten und wesentlich mehr zu ihrer Verbreitung beitrugen als der Joint, der nur wenige Publikationen förderte. Der zionistischen Presse und ihren Verlagen kam in diesem Sinne eine zentrale gesellschaftliche Funktion zu. Sie füllten eine Lücke in der unverändert disparaten Versorgungslage mit Lesematerial, und ihre Publikationen wurden vermutlich nicht nur von Parteimitgliedern gelesen. Während die Parteien für das Erziehungswesen eine klare pro-hebräische Linie verfolgten, erschien die Presse weiterhin in Jiddisch, der Sprache, die von der Mehrheit der DPs gesprochen wurde. Damit entstand in der Sche’erit Hapleta eine paradoxe Situation, in der jiddische Literatur und Sprache – in Palästina und, nach der Staatsgründung, in Israel im Zuge der Ablehnung jüdischer Diasporaexistenz abgewertet – in der deutschen Diaspora ausgerechnet durch zionistische Parteien gefördert wurde.

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4.2. Von Shlomo Molkho bis zum Warschauer Ghetto-Aufstand. Kulturveranstaltungen und Volksbildung 1947 hatte die Moral in den DP-Camps einen Tiefpunkt erreicht. Der rege Zulauf, den die Parteien während der ersten Monate nach der Befreiung erhalten hatten, ließ in breiten Kreisen der Sche’erit Hapleta allmählich nach. Politische Versammlungen verloren an Popularität. Die Realitäten in Deutschland, die zunehmende Resignation, Perspektivenlosigkeit und der wachsende kulturelle Einfluss der Umgebungskultur ließen die DPs dem Zugriff der Parteien entgleiten. Seit dem zweiten Halbjahr 1946 war die Hoffnung auf baldige Emigrationsmöglichkeiten gesunken. Die britische Regierung rückte trotz Empfehlungen der Anglo-American Commission of Inquiry in Bezug auf die Flüchtlingsfrage nicht von ihrer Mandatspolitik ab, und auch die Auswanderung in andere Länder war nur beschränkt möglich. Bis zum Ende des Jahres 1946 konnten zwar über elf Prozent der Sche’erit Hapleta emigrieren, doch die Hoffnung auf eine endgültige Auflösung der Lager und freie Auswanderungsmöglichkeiten hatte abgenommen.31 Gleichzeitig stieg die Unzufriedenheit über die materiellen Bedingungen von Tag zu Tag. Trotz der relativen Stabilität der Lager wurden Angebote wie die zahlreichen Ausbildungsmöglichkeiten und das Schulsystem nicht ausreichend genutzt. Neben dem geduldeten und teilweise auch von den Hilfsorganisationen subventionierten grauen Markt hatte sich längst auch eine rege Schwarzmarktaktivität entwickelt. Zum 1. Juli 1947 schließlich wurde die UNRRA durch die IRO (International Refugee Organization) abgelöst. Für die DPs bedeutete dies Unsicherheiten und Unklarheiten im Versorgungssystem. Als die IRO mit der Konsolidierung und Liquidierung von kleineren Lagern begann, kam dazu noch die Angst vor erneuter Verlegung in andere Lager.32 Auf den Landeskonferenzen, die im Laufe des Jahres 1947 von den verschiedenen Parteien einberufen wurden, standen diese beunruhigenden sozialen Entwicklungen daher ganz oben auf der Tagesordnung.33 Schon im Vorfeld zu ihrer Kulturkonferenz im Sommer 1947 bezeichnete die Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut die Lösung der genannten Probleme als besonders drängend, musste aber eingestehen, dass die „gewöhnlichen Propagandamethoden politischer Parteien“ in dieser Situation allgemeiner DemoralisieMankowitz, Life between Memory and Hope, 272 f. Proudfoot, European Refugees, 406 und 411. Allgemein zur Geschichte der IRO siehe ebd., 399–436. Ausführlicher zur Auflösung der Lager siehe Kapitel 5.1. 33 Kroshnits, Mordkhe, Dos yor tav-shin-zayin un di sheyres-hapleyte, in: Bafrayung, 12. 9. 1947. Eine geplante gemeinsame Kulturkonferenz der Sche’erit Hapleta fand – vermutlich wegen der zunehmenden Rivalität der Parteien – nicht statt. Siehe YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll der Journalistenkonferenz, München, 9. 2. 1947. 31 32

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rung und zunehmender kultureller Entfremdung ungenügend seien. Die ältere Generation der Sche’erit Hapleta zehre noch von den Resten eigener und fremder Kultur, urteilte der Journalist Meier Ushpis, während die jüngere Generation überhaupt nie Zugang zu Kultur gehabt habe. Die Lebensumstände in Deutschland, gepaart mit den traumatischen Erlebnissen in Ghettos, in KZs und in der Sowjetunion, würden alle Bemühungen der Ausbildungsstätten ins Leere laufen lassen: Die Anstrengungen, die von den Parteien und der Presse gemacht werden, um diesem Prozess des geistigen Zerfalls entgegenzuwirken, haben die Lage bis jetzt nicht wesentlich geändert. Das ist unter anderem damit zu erklären, dass es hier nicht um politisches Bewusstsein und logische Überzeugungsversuche geht, sondern um Ausdauer und Standhaftigkeit im Anblick verschlossener Türen, um die zerstörenden Faktoren des Lagerlebens. Es ist ein Problem persönlicher und gesellschaftlicher Moral, nationaler Kultur [. . .]. Die ältere Generation der Sch[e’erit] H[apleta] lebt mit Resten von Kultur, eigener und fremder, die sich gegenseitig lähmen und alle zusammen verblassen vor unseren spezifischen Lebensbedingungen. Die jüngere Generation, die heute um die zwanzig Jahre alt ist, hat überhaupt keine Kultur genießen können. Es wächst eine Jugend heran, die fähig ist, alle Anstrengungen [. . .] zunichte zu machen.34

Unter den Journalisten und Schriftstellern kristallisierten sich um die Frage kultureller Entwurzelung zwei Haupttendenzen heraus. Hershl Vaynroykh – einziger sowjetischer Schriftsteller in der Sche’erit Hapleta – hatte sich vom kommunistischen Schriftsteller mit dem Namen Grigory Vinokur zu einem gleichermaßen zionistischen wie traditionalistischen Schriftsteller gewandelt und sich von den modernistischen literarischen Strömungen der Zwischenkriegszeit distanziert. Ende 1946 stellte Vaynroykh in der Zeitung Ibergang einen Artikel zur Diskussion, in welchem er nicht nur zur Rückkehr zu einem traditionellen Literaturverständnis aufrief, sondern auch die nationale Verpflichtung des Schriftstellers hervorhob. Für ihn hatte die jiddische Literatur in der Zwischenkriegszeit ihre Aufgabe verfehlt, indem sie kosmopolitischen Charakter angenommen hatte. Er plädierte dafür, nun auf die Werke der jiddischen und hebräischen Klassiker Mendele Moykher Sforim, Sholem Aleykhem, Yitskhok Leybush Perets und Chajim Nachman Bialik aufzubauen. Laut Vaynroykh konnte nur eine eng national geprägte Literatur Anerkennung gewinnen. Er forderte die Schriftsteller der Sche’erit Hapleta dazu auf, sich mit ihren Werken im Kampf für Israel und für ein einheitlich geprägtes nationales Judentum zu beteiligen, eine Geschichte 34 Ushpis, Meier, Kultur-oyfgabn in der sh[eyres]h[apleyte] (algemeyne batrakhtungen), in: Dos vort, 30. 5. 1947. Daneben wurde auch der Einfluss anderer Kulturen, allen voran der amerikanischen, kritisiert: Ershter kultur-tsuzamenfor fun paley-tsien ts. s.-hitakhdut, in: Dos vort, 1. 8. 1947; über die Konferenz: Groyser kultur-tsuzamenfor fun paley-tsien (ts. s.)-hitakhdut, in: Undzer veg, 1. 8. 1947.

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von Khurbn un gvure, von Untergang und Heldentum, zu schreiben und dabei nur die positiven Aspekte zum Ausdruck zu bringen: Man muss die Juden dazu aufrufen, für ein eigenes Land zu kämpfen, [. . .] man muss bei den Zeiten von König David anfangen, von Bar Kochba, den Makkabäern und zeigen, dass das Volk während zweitausend Jahren nicht aufgehört hat, für sein Land zu kämpfen. Man muss die „goldene Kette“ des jüdischen Volkes zeigen, die feiertäglichen Juden und die Juden aus der Köhlergasse, die Juden von Lehre und Gebet, die Juden aus den KZs, den Ghettos, die Aufständischen, Partisanen, Soldaten und Offiziere in den alliierten Armeen, die kämpfende jüdische Frau, die Juden, die in Eretz-Israel für ihre Brüder kämpfen, Juden, die in der deutschen Diaspora sitzen, in der polnischen und in der russischen Diaspora, die Juden der Sche’erit Hapleta, die heldenmütig kleine Boote besteigen, über stürmische Meere fahren, auf Umwegen, über hohe Berge, über spitze Felsen, sich in die Meere werfen und schwimmend ihr Ziel, ihre Heimat, ihr Land erreichen wollen.35

Eine zweite Gruppe dagegen wollte sich den literarischen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit nicht grundsätzlich verschließen. So differenzierte der Redakteur der Zeitung Ibergang, Mordkhe Libhaber, einige Wochen später die Aufgaben jüdischer Kultur und Literatur und forderte zu mehr Pragmatismus auf. Trotz seiner nachträglichen Kritik am Akkulturationsprozess, der sich im Polen der Zwischenkriegszeit abzuzeichnen begonnen hatte, betonte er den Unterschied zwischen der Aneignung fremder Kulturen und dem Verlust jeglichen kulturellen Fundaments. Typisch für die Akkulturationstendenzen seien der zunehmende Übergang zur polnischen Sprache und Literatur auf Kosten der jüdischen Klassiker in der jüngeren Generation gewesen: „Nicht mit Perets und Dineson und schon gar nicht mit Bialik und Tschernichowski wurde die jüdische Jugend in Polen erzogen“, so Libhaber. Doch nütze eine nachträgliche Diagnose wenig, wenn keine konkreten Schritte gemacht würden, um den „jüdischen Geist“ in der Sche’erit Hapleta zu stärken. Tanzabende würden in den DP-Camps häufig organisiert, Lesungen dagegen selten, und die politischen Versammlungen sei man schon müde: Alle Gruppierungen finden Menschen, Zeit, Geld, einen Ort, um riesige Versammlungen zu veranstalten. [. . .] Keine Partei hat es aber für nötig befunden, einen Redner hinzuschicken, welcher für die jüdische Jugend eine Vorlesung zum Thema „Wer sind unsere Klassiker“, „Was ist der Chassidismus“, „Jiddische und Hebräische Literatur während des Krieges“ hält. Politische Parteien haben vor dem Krieg solche Dinge praktiziert, heute ist dafür keine Zeit. Keine andere Instanz ist dafür zuständig. [. . .] Der Weg zur Assimilation vor dem Krieg war falsch

35

Vaynroykh, Hershl, Jidisze literatur problemen (diskusje artikl), in: Ibergang, 20. 12. 1946.

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und fatal [. . .], aber er war ein Weg zur Kultur. Heute führt der Weg unserer Jugend aus Polen in die Kulturlosigkeit.36

Libhaber zielte im Gegensatz zu Vaynroykh nicht auf einen Kulturpurismus ab, sondern forderte praktische Schritte, um der jüngeren Bevölkerung eine grundlegende Bildung zu vermitteln und zu verhindern, dass die kulturellen Wurzeln derjenigen DPs, die ihre Schul- und Berufsausbildung noch vor dem Krieg abgeschlossen hatten, zu vertrocknen begannen. Obwohl Vaynroykh und Libhaber unterschiedliche Modelle entwarfen, so waren sich beide darüber einig, dass die Verantwortung, die Massen zu erziehen, den Parteien zufalle. Im Zentrum jeder nationalen und zionistischen Erziehung sollten osteuropäische jüdische kulturelle Traditionen stehen. Gemäß Baruch Graubard sollte hebräische Literatur mit jiddischer Literatur verschmelzen, die hebräische Sprache „verjiddischt“ werden, weil „die Elemente des Jiddischen sich näher an der gegenwärtigen jüdischen Psyche bewegen. Der präzise und scharfe Ausdruck des Jiddischen ist den Juden näher als das metaphorische biblische Hebräisch.“37 Die meisten Redaktionen versuchten, mit Artikeln über klassische Schriftsteller, historische Ereignisse der jüdischen Geschichte und Persönlichkeiten der zionistischen Bewegung der viel zitierten Kulturlosigkeit entgegen zu wirken. Libhaber zufolge mussten auch andere, unmittelbarere Wege gefunden werden, um die Massen zu erreichen.

Memorialisierung nationaler Geschichte und Kultur Obgleich die Meinungen über die Zielsetzungen jüdischer Bildungsarbeit unterschiedlich formuliert wurden, begann sich doch eine allgemeine Tendenz abzuzeichnen: Durch Wissenspopularisierung – sei dies durch das Verlagswesen, durch Zeitungsartikel und Bilddokumente, durch Volkshochschulen, Oyneg shabesn, also gemeinschaftliche Aktivitäten am Samstagnachmittag, oder Exkursionen – sollte ein jüdisches Geschichts- und Traditionsverständnis vermittelt werden, das die Basis für eine allgemeine Bildung einerseits und ein nationales Selbstverständnis andererseits legen sollte.38 Auch Gedenkveranstaltungen, die anlässlich der Todestage jüdi-

Libhaber, Mordkhe, Der kern fun asimilacje un kulturlozigkajt, in: Ibergang, 2. 2. 1947. Graubard, Baruch, Literatur-problemen in der sheyres-hapleyte, in: Bafrayung, 31. 12. 1948. 38 Die Diskussion bezieht sich hier vorwiegend auf das Problem der Erwachsenenbildung. Die Kinder und Jugendlichen waren wesentlich stärker durch das Schulsystem und die Erziehungsprogramme geprägt. Besonders nach der Gründung der Erziehungsabteilung 1947 wurde ein breit angelegtes, aber weitgehend von den Ideen des Jischuw geprägtes Curriculum ausgearbeitet, das darauf abzielte, den Kindern eine jüdische Identität zu vermitteln, die sich nicht auf die Memorialisierung des Holocaust beschränkte. 36 37

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scher Schriftsteller organisiert wurden, dienten diesem Zweck. So wurde beispielsweise der 30. Todestag des zweisprachigen Klassikers Sholem Yankev Abramovitsh zum Anlass für eine gut orchestrierte Bildungskampagne genommen: Schon im Vorfeld erschienen in der Presse Abhandlungen über den jiddisch-hebräischen Schriftsteller und Auszüge aus seinem Werk.39 In Zusammenarbeit mit der Kulturkommission und dem Schauspielerverband organisierte der Schriftstellerverband am 30. 12. 1947 eine Mendele-akademye, eine Gedenk- und Bildungsveranstaltung, im Hotel Bayerischer Hof in München.40 Im Schauspielhaus München wurde Anfang 1948 eine Veranstaltung zu Ehren Ber Borochows durchgeführt.41 Eine ähnliche Tagung, allerdings in kleinerem Rahmen, fand auch anlässlich des 32. Todestages von Yitskhok Leybush Perets statt. Die Verbindung zwischen Kultur und Politik wurde mit Doppelfestivitäten für Herzl und Bialik betont. Sie fanden 1946 im blau-weiß dekorierten Prinzregententheater und im folgenden Jahr im Münchner Schauspielhaus statt.42 Auch 1948 wurden die Lokalkomitees zur Organisation entsprechender Gedenkveranstaltungen aufgefordert und eine kompulsorische Teilnahme der Lagerbevölkerung vorgeschlagen.43 Daneben war Pessach ein weiteres Referenzdatum. Dieser jüdische Feiertag hatte für die DPs in der „deutschen Diaspora“ – wie sie selbst ihren ungeliebten Aufenthaltsort nannten – sehr große Bedeutung. Nicht erst mit der historischen Fahrt der Exodus 1947, die den Blick der Weltöffentlichkeit auf die Flüchtlingsproblematik lenkte, wurde der in der Pessach-Haggada formulierte Imperativ, die biblische Erzählung von Knechtschaft und Befreiung auf die Gegenwart zu übertragen, wörtlich genommen. Schon im April 1946, als amerikanische Armeerabbiner im Deutschen Theater in München einen Sederabend organisierten, hob man die Aktualität der Exoduserzählung durch eine eigens gedruckte Haggada hervor: Yosef-Dov Sheynzon, Überlebender des Konzentrationslagers Dachau und Redaktionsmitglied von Nitzotz, verband zu diesem Anlass die Exodus-Geschichte mit dem Holocaust und ergänzte seine aktualisierten Texte auch mit Illustrationen.44 Besonders eindrucksvoll schrieb Sheynzon die Sche’erit Hapleta in die Kette jüdischer Zerstörung und Verfolgungen ein, indem er das 39 Z. B. Rubinshteyn, Ruven, Der tsveyshprakhiker klasiker (tsum 30tn yortog fun Mendeles ptire), in: Undzer veg, 19. 12. 1947. 40 Horovits, Yidish teater, 125f; Program fun der fayerlekher „Mendele-akademye“; Hibel, Ben-Tsien, Teater-notitsn, in: Undzer veg, 6. 2. 1948. 41 Fayerlekhe Borokhov-akademye, in: Undzer veg, 16. 1. 1948. 42 Dov, Hertsl-Bialik akademye, in: Undzer veg, 26. 7. 1946; Hertsl-Bialik akademye, in: Undzer veg, 15. 7. 1947. 43 YIVO 194.2, Folder 48, Tsirkular, 17. 7. 1948. 44 Zur Biographie Sheynzons siehe Touster, A Survivors’ Haggadah, xxvi–xxvii. In den folgenden Jahren sollte er die Titelblätter zahlreicher D. P.-Publikationen, wie beispielsweise Fun letstn khurbn, gestalten.

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traditionelle hebräische Gebet Dajenu, welches die göttlichen Wunder bei der Befreiung aus Ägypten auflistet, geradezu in ein „Anti-Hallel“, eine Art verkehrten Lobgesang, verwandelte.45 In seiner Aufzählung, die bei den Kreuzzügen begann und Ritualmorde, die Pest, die Chmielnicki-Pogrome der Jahre 1648/1649 und die ukrainischen Pogrome des Jahres 1919 auflistete, erkannte er schließlich im Holocaust den Kulminationspunkt all dieser früheren Katastrophen der jüdischen Geschichte: Hätte er uns zwischen den Völkern zerstreut und uns nicht die Pogrome des ersten Kreuzzuges gegeben, wäre dies genug gewesen. Hätte er uns die Pogrome des ersten Kreuzzuges gegeben und uns nicht die Pogrome des zweiten Kreuzzuges gegeben, wäre dies genug gewesen. Hätte er uns die Pogrome des zweiten Kreuzzuges gegeben und uns nicht die Ritualmordbeschuldigungen gegeben, wäre dies genug gewesen [. . .]. Hätte er uns den schwarzen Tod und nicht die Inquisition gegeben, wäre dies genug gewesen [. . .]. Hätte er uns die Schlächtereien in der Ukraine gegeben und uns nicht Hitler gegeben, wäre dies genug gewesen [. . .]. Hätte er uns Hitler gegeben und hätte man keine Ghettos für uns eingerichtet, wäre dies genug gewesen. Hätte man Ghettos für uns eingerichtet und keine Gaskammern und Krematorien, wäre dies genug gewesen [. . .].

Einzig in der Alija sah Sheynzon die Lösung, um diese jahrhundertealte Leidensgeschichte der Juden in der europäischen Diaspora zu beenden. „Nicht eine also, sondern all diese [Schrecken] haben uns befallen, daher sind wir verpflichtet zur Alija. Zur illegalen Immigration. Die Galut (Diaspora) aufzulösen und uns und unseren Kindern ein Heim für alle Ewigkeit zu errichten.“46 Diese Aktualisierung des Exodus-Motivs und seine Übertragung auf die Geschichte der Sche’erit Hapleta wurden immer wieder aufgegriffen. 1946 gab die deutsch-jüdische Zeitung Jüdische Rundschau ein PessachBuch heraus, das verschiedene Aufsätze zur Sche’erit Hapleta-Problematik im Licht der Exodus-Erzählung enthält.47 Kibbuzim in Deutschland verfassten eigene Haggadot zum zweiten Seder.48 Und jedes Jahr erschienen anlässlich des Feiertages Artikel, die eindringlich die Parallelen zwischen dem Auszug aus Ägypten und dem geforderten Exodus aus der deutschen Diaspora hervorhoben.49 Für die Sche’erit Hapleta hatte diese Parallelisierung – im Sprachgebrauch präsent durch die Ausdrücke Goles Daytshland

Ebd., 63. Ebd., 62. 47 Blumenfeld, Pessach-Buch. 48 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 85. 49 Daneben erschienen auch alljährlich satirische Haggadot, in denen ebenso auf aktuelle weltpolitische Probleme Bezug genommen wie auf Missstände innerhalb der Sche’erit Hapleta hingewiesen wurde. So z. B. Zaks, Yekhil, Hagode shel di.pi. a felieton – kosher lepeysekh, in: Undzer veg, 3. 4. 1947; Undzer hagode. modernizirt fun Yosele Fernvalder, in: Undzer veg, 15. 4. 1946. 45 46

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(Deutsche Diaspora) und Yetsies Daytshland (Auszug aus Deutschland) – weit mehr als nur symbolischen Charakter. Doch war das biblische Exodus-Motiv, dessen Erinnerung durch die alljährliche Pessach-Feier wach gehalten wurde, ein ausreichendes Motiv für einen kollektiven Feiertag der Sche’erit Hapleta? Als der erste Jahrestag der Befreiung näher rückte, setzten sich das Zentralkomitee, Vertreter des Sochnut, des Joint und die drei Kulturbotschafter des World Jewish Congress, H. Leyvik, Israel Efros und Emma Shayver, auf einer speziellen Sitzung mit dieser Frage auseinander.50 Als Grundmotiv eines Feiertags der nationalen Befreiung konnte zwar die Exodus-Geschichte als definitive Absage an die Diaspora gelesen werden; des Holocaust selber, der für die Überlebenden mit so viel persönlichem Leid verbunden war, wurde damit aber nicht direkt gedacht. Für die Wahl eines Gedenktages musste eine grundsätzliche Frage beantwortet werden: Sollte die Memorialisierung auf die Trauer oder auf die Freude über die Befreiung fokussieren? Was sollte im Vordergrund stehen, das Martyrium oder das Wunder des Überlebens, der Untergang oder der heldenhafte Widerstand? Schließlich wählte man den 14. Ijar als symbolischen Tag der Befreiung der letzten europäischen Juden vom Joch des Nationalsozialismus und damit zum Tag der Erinnerung und des Sieges.51 An diesem Tag wurden in allen Gemeinden und Lagern Gedenkveranstaltungen abgehalten. In München kamen DPs und Gäste, darunter auch Regierungsvertreter, in der überfüllten Aula der Universität zusammen. Auf der Bühne erinnerten Gedenktafeln, flankiert von jungen Überlebenden, an die Opfer des Holocaust. Zalman Grinberg verlas auf Englisch und Jiddisch eine Deklaration des Zentralkomitees; die Hatikwa und die amerikanische Nationalhymne wurden gespielt, ein Kantor sang das Gebet zur Erinnerung an die Toten. Der Hauptrabbiner Bayerns sprach ebenso wie Vorsteher des Sochnut, der amerikanischen Truppen, des Joint und der Partisanenorganisation. Der feierliche Anlass wurde mit künstlerischen Beiträgen der Kulturkommission beschlossen.52 Freilich gab es in der Ausrichtung der Feiern anlässlich des 14. Ijar lokale Unterschiede: Manchmal war eine eher religiöse Färbung zu spüren, während man in den DP-Lagern, die in der Nähe der ehemaligen Konzentrationslager errichtet worden waren, die Wege der Todesmärsche abschritt und

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Mankowitz, Life between Memory and Hope, 195. Shayver, Mir zenen do, 75. Die Datumsangabe ist historisch allerdings nicht präzise, da der 14. Ijar 5705 dem 27. 4. 1945 entspricht. Mit Dachau und Mauthausen wurden die letzten Konzentrationslager in Deutschland und Österreich am 29. 4. 1945 bzw. am 5. 5. 1945 befreit. Siehe: Gutman, Enzyklopädie des Holocaust (Bd. I), 304 und ebd. (Bd. II), 930. 52 Shayver, Mir zenen do, 80 f. 51

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die Massengräber besuchte. In Leipheim fuhr man zum Abschluss der Feierlichkeiten in dreißig blau-weiß-geschmückten Fahrzeugen nach Ichenhausen, um dort den alten jüdischen Friedhof wiederherzurichten und eine Gedenktafel zu enthüllen.53 Der damalige Präsident des Zentralkomitees Zalman Grinberg hielt fest, dass ein solcher kollektiver und nationaler Gedenktag in Anbetracht des Ausmaßes an persönlichem Leid unerlässlich sei. Würde man, so Grinberg, jeden Tag im Kalender markieren, an dem das osteuropäische Judentum verfolgt und vernichtet worden war, würde kein Datum frei bleiben.54 Tatsächlich führten die Landsmannschaften seit der Befreiung ihre eigenen lokalen Gedenkfeiern an den Jahrestagen der Zerstörung von Gemeinden oder der Auflösung des lokalen Ghettos durch. So erinnerten die Überlebenden aus Krasnystaw am 21. Ijar an ihre umgekommenen Familien und betrachteten diese Form der Memorialisierung als „einen besonderen Gedenkstein für diejenigen, die nicht einmal nach jüdischem Ritus begraben worden waren.“55 Die Trauerzeremonie für die wenigen Überlebenden aus dem polnischen Sochaczew wurde, berichtete ein Landsmann aufgewühlt, von herzzerreißendem Weinen begleitet.56 In sehr viel intimerem Rahmen ließ dieses lokale Erinnern die persönliche Trauer zu, doch ging es dem Zentralkomitee darum, der Sche’erit Hapleta als Zeugen der jüngsten Katastrophe einen aktiven Part in der Bildung allgemeiner nationaler jüdischer Symbole zuzuweisen.57 Allerdings hatten weder Form noch Fokus der Memorialisierung in Deutschland einen Einfluss auf die Diskussionen um die Festsetzung eines Gedenktags in Israel und den USA. Laut Zeev Mankowitz konnte der 14. Ijar als Holocaust-Gedenktag nicht mehr in Frage kommen, nachdem in Israel der 5. Ijar als Unabhängigkeitstag festgelegt worden war. Denn wenn die Staatsgründung Israels als Antwort auf die Vernichtung des europäischen Judentums gesehen werden sollte, konnte des Holocaust nicht nach, sondern nur vor diesem Datum gedacht werden.58 Außerdem stand die Erinnerung der Überlebenden im Gegensatz zum Geschichtsverständnis im Jischuw: Die europäischen Juden, die sich „wie Schafe zur Schlachtbank

53 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 200. Für weitere Beispiele und eine Diskussion der ideologischen Ausrichtung der Feierlichkeiten siehe dort, 196–204. 54 Grinberg, Zalman, Ijar 14th. Proclamation of a Jewish National Memorial Day, in: Undzer veg/Our Way, 17. 5. 1946. 55 YIVO 294.2, Folder 1294, Tsirkular numer 2 tsu undzere ale krasnistover landslayt, München, 8. 5. 1948. 56 YIVO 294.2, Folder 1283, Lichwod vun Jojce sochcow, Gauting, 8. 6. 1947. 57 Grinberg, Zalman, Ijar 14th. Proclamation of a Jewish National Memorial Day, in: Undzer veg/Our Way, 17. 5. 1946. 58 Mankowitz, Life between Memory and Hope, 203.

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führen ließen“, widersprachen dem aktivistischen Geschichtsverständnis, das im Jischuw und im jungen Staat Israel vorherrschte.59 Neben dem 14. Ijar rückte in der Sche’erit Hapleta auch der Jahrestag des Beginns des Warschauer Ghettoaufstandes in den Rang eines Gedenktages auf. Wie auch die übrigen Gedenkveranstaltungen sollte er das zionistischnationale Bewusstsein fördern und ein einheitliches, zukunftsgerichtetes Narrativ implementieren: Am 17. April 1947 fanden in ganz Deutschland Gedenkveranstaltungen anlässlich dieses Jahrestages statt. Der Warschauer Ghettoaufstand war ein Ereignis, das mit dem zionistischen Geschichtsverständnis kompatibel war und deshalb auch im Jischuw bereits 1946 kommemoriert worden war.60 In seiner Ansprache während der Feierlichkeiten in München betonte Samuel Gringauz, dass der Aufstand nicht als Akt der Verzweiflung und als Ausnahmeerscheinung zu verstehen sei; er reihe sich vielmehr in eine langen Kette jüdisch-nationaler Bewegungen ein, welche über Parteigrenzen hinweg „als Akt heldenmütiger Opferbereitschaft und kollektiven Verantwortungsbewusstsein[s] für die Ehre und die Zukunft des Volkes“ Junge und Alte, Frauen und Männer vereinigt habe. Bestimmte historische Bedingungen hätten dazu geführt, Warschau zum Symbol kollektiven Heldenmutes werden zu lassen, doch der Wille zum Widerstand sei auch an vielen anderen Punkten spürbar gewesen und Hunderttausende Juden müssten zu den Aufständischen gerechnet werden.61 Um das Andenken an Warschau als Gedenkort einheitlich in der DP-Gesellschaft zu verankern, fanden die Trauerakademien nicht auf individueller Basis statt, sondern wurden durch das Zentralkomitee unter Mitarbeit des Verbandes der polnischen Juden organisiert. In einem Aufruf an die einzelnen Gemeinden setzte man für die Feierlichkeiten 1948 fest, dass von den Lokalkomitees ein entsprechender Raum zur Verfügung gestellt werden müsse, der dann passend dekoriert werden sollte. In den Reden sollte der Heldenmut der Märtyrer beschrieben werden, und: Es muss das Heldentum und der Mut der Kämpfer hervorgehoben werden, welcher als Symbol für alle Juden diente, welche sich unter deutscher Besatzung befanden. [Es muss hervorgehoben werden,] dass damit die Zeit der Gleichgültigkeit und Resignation zu Ende ging. Der Warschauer Ghetto-Aufstand wurde in der damaligen Zeit das Signal und der Wegweiser für alle Juden.62

Die Trauerakademie, so heißt es in der Aufforderung weiter, dürfe nicht nur als Gedenkveranstaltung angesehen werden, sondern als Muster für die Gegenwart im Kampf um den Aufbau eines jüdischen Staates. Um zu gewähr59 60 61 62

Kenan, Between Memory and History, 4. Ebd., 15. Gringauz, Samuel, A ring fun dojresdiker heldiszkajt, in: Ibergang, 18. 4. 1947. Tsu ale yidishe komitetn, in: Undzer veg, 6. 4. 1948.

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leisten, dass die Aufmerksamkeit der Teilnehmer nicht nachließ, dürften weder die Referate noch der künstlerische Teil eine gewisse Länge überschreiten und die gesamte Veranstaltung sollte auf anderthalb Stunden beschränkt bleiben.63

Didaktik auf der Bühne Mussten das Zentralkomitee und die Lagerverwaltungen ihre zentralisierten Gedenkveranstaltungen also zunehmend auf das Publikum zuschneiden, damit genügend DPs teilnahmen? Sicherlich wurde die Durchführung solcher Veranstaltungen in den Augen der Parteifunktionäre immer dringlicher, je mehr sich eine allgemeine Demoralisierung abzuzeichnen begann. Samuel Gringauz konstatierte für die Sche’erit Hapleta einen immensen Bruch in der Jahrtausende alten Kontinuität jüdischer Kulturgeschichte: Es ist heutzutage schwer, den Menschen in der Sche’erit Hapleta mit trockenen Gedanken allein zu erreichen. Die Bibliotheken sind leer, die Referate werden nicht besucht, Volkshochschulen werden geöffnet, um am nächsten Tag wieder geschlossen zu werden. Kurse werden geboren, um bald an Interessenstuberkulose einzugehen. Es gab einmal eine Zeit, als über tausende Kilometer in Osteuropa jüdisches Kulturleben pulsierte. Das war vor dem Krieg [. . .].64

Gringauz, der sich keiner bestimmten politischen Linie verpflichtete, argumentierte durchaus pragmatisch in Hinblick auf die kulturpolitischen Wege, die beschritten werden mussten, um der Situation in den DP-Camps gerecht zu werden. Im zitierten Text, den er als Vorwort zur ersten Nummer der illustrierten Monatsschrift Yidishe bilder verfasste, wies er auf die Rolle hin, die einer solchen Zeitschrift zukam. Er hielt die Zeitschrift, die von den literarischen Kreisen als Affront empfunden wurde, für eine wertvolle Bereicherung der Presselandschaft.65 Und Gringauz sollte Recht behalten: Yidishe bilder, mit ihren Berichten über Filmstars, Wettbewerben zur Kür des schönsten DP-Babys,66 Witzen und zahllosen, eher wahllos zusammengestellten Photographien aus Ghettos, DP-Camps und Palästina, blieb trotz technischer Mängel die einzige Zeitschrift, die über einen längeren Zeit63 Ebd. Der Verband der polnischen Juden gab zu diesem vierten Jahrestag des Aufstandes ein eigenes Abzeichen heraus, die Po’ale Zion (z. s.) eine Broschüre unter dem Titel Der oyfshtand in varshever geto. Siehe Kroshnits, Mordkhe, Dos yor tav-shin-zayin un di sheyres-hapleyte, in: Bafrayung, 12. 9. 1947. 64 Gringauz, Samuel, Yidishe bilder – REDIVIVUS, in: Yidishe bilder, 1. 1. 1947. 65 YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 29. 5. 1947. 66 Konkurs fun shenstn sheyres-hapleyte kind, in: Yidishe bilder 12 (Februar 1948), 32.

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raum hinweg kontinuierlich bestehen sollte. Gringauz sah in dieser illustrierten Monatsschrift, die seit Jahresbeginn 1947 unter der Redaktion Shloyme Franks erschien, das geeignete Medium, um auch diejenigen Kreise zu erreichen, denen die Erfahrung im Umgang mit „hoher“ Kultur fehlte: Yidishe bilder – REDIVIVUS! Gedanke [. . .] Bild [. . .] Ton [. . .] Das sind die drei Formen, in denen sich das geistige Leben des Menschen äußert. Jüdischer Gedanke [. . .] Jüdisches Bild [. . .] Jüdische Musik. . . Das sind die drei Wege, welche das jüdische Kulturleben beschreitet. . . Die jüdische Tradition war daran gewöhnt, den Gedanken als höchsten Ausdruck der Kultur zu betrachten. Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Reden – in ihnen kommt der jüdische Gedanke zum Ausdruck. Es gibt hier aber Menschen, für die das Bild und der Ton viel mehr bedeuten als der trockene Gedanke. Für diese Menschen sagt ein Bild viel mehr als hundert schöne Sätze und eine gute Melodie gibt ihnen mehr als ganze Seiten mit gedruckter Weisheit. Hier gibt es diese Menschen nicht vereinzelt. Es sind Menschenmassen [. . .]. Die sechs Jahre der großen Katastrophe haben die alten jüdischen Kulturzentren vernichtet. Die Kulturschaffenden und diejenigen, die Kultur verbreiten, sind verschwunden. Im Kulturbewusstsein der Sche’erit Hapleta klafft eine ungeheure Lücke. Die Kontinuität tausender Jahre Kulturgeschichte wurde unterbrochen. Und bei tausenden jüdischen Menschen wurzelt das Kulturbewusstsein in den schrecklichen Jahren der Katastrophe [. . .]. Mehr als alles andere brauchen wir heute geistige, moralische und materielle Kultur. . . Kultur ist unser Leben. . . Kultur ist unser Schicksal. . . Kultur ist unsere Aufgabe. . .67

Bild und Ton waren sicher besonders geeignete Medien, um die Massen zu erreichen. So waren Theatervorführungen ständig gut besucht. Das MIKT (Münchener Jüdisches Kunst-Theater), aus dem später das MIT-Kollektiv (Münchener Jüdisches Theater) als Repräsentanztheater der Sche’erit Hapleta hervorgehen sollte, konnte für seine Tourneen 1946 drei Premieren, 66 Auftritte und über 50.000 Zuschauer verzeichnen.68 1947 brachten über sechzig lokale Theatergruppen eigene Produktionen auf die Bühne.69 Im November 1946 wohnte Lucy Schildkret einer Vorstellung des Repräsentanztheaters bei. Aufgeführt wurde das Drama Ikh leb (Ich lebe) von Moyshe Pintshevski. Obwohl die Kritiken zu dieser dritten Premiere des MIT Gringauz, Samuel, Yidishe bilder – REDIVIVUS, in: Yidishe bilder 1 (Januar 1947). Becker, Israel, „Mikt“ un „Mit“, in: Ibergang, 12. 1. 1947. 69 Für eine Übersicht über die wichtigsten Theatergruppen siehe Horovits, Yidish teater, 144–166. 67 68

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uneinheitlich ausfielen, war das Münchener Prinzregententheater gut besucht: I went to the Yiddish theatre last week. [. . .] It concerns a group of Jews in a concentration camp and some who escape to join the partisans. The play itself was not very good; the strongest parts were in the first act in the concentration camp; the last two acts consisted of a series of minor climaxes in a sort of diminishing order. Not expecting anything however, I was very pleasantly surprised. The acting was quite good; on the whole, as good as anything you will see in Maurice Schwartz’ outfit. The star of this group (Munich Jewish Theatre, manager Segal who was in the Vilna ghetto theatre) is Becker, who has considerable ability but a little too many mannerisms, not unlike Schwartz, and who is, as Segal told me, much too volatile and temperamental to listen to anyone’s advice. The settings and costumes were quite good.

Zwar honorierte die Besucherin die künstlerischen Leistungen des Ensembles, doch in der Fortsetzung ihres Briefes wird Unverständnis laut. Welchen Sinn sollte es haben, Holocaustüberlebenden ein didaktisches Stück über das Leben im KZ zu präsentieren? Sie führte ein Gespräch mit dem Direktor des Theaters, in dem er ihr erklärte, Theater eigne sich besser als jedes andere Medium dazu, an das moralische Gewissen der DPs zu appellieren und identitätsstiftend zu wirken. Außerdem machte er sie auf die demographische Realität in München und in der Amerikanischen Besatzungszone im Allgemeinen aufmerksam: What I couldn’t understand was putting such a play in Munich. I could understand it in New York, but here? I talked to Segal about it. I give you a summation of his case and it seems fairly justified. Not much more than about one-sixth of the Jews in the American zone, and perhaps even less in Munich proper, were through the German camps. Most of those still alive lived in Russia through the war or as Aryans outside of ghettos. Therefore, they do not know what the death camps were like. Furthermore, even those who did go through everything, and are now trying to adjust themselves to something of a normal life, where they come into contact with Germans, tend to forget. They become friendly with Germans; many of them sleep with German girls just the way the American soldiers and officers do; others fraternize because they may live in the same apartment or ride in the same streetcar. Because of this, this particular play was put on. A sort of “Lest we Forget” idea. The theatre itself, a rather famous German building, was packed; at least 1000 people, I would estimate; possibly more. Much sniffing and sobbing throughout. No one I talked to among the Jews themselves thought the play [was] particularly good.

Die Inszenierung stand also nicht zufällig auf dem Spielplan des Repräsentanztheaters. Das MIT – geschaffen nicht zuletzt in Opposition zu den zahllosen lokalen Bühnen mit teilweise recht wahllos zusammengestelltem Repertoire und Laienensembles – reagierte mit dieser ersten größeren Produktion auf die sinkende Moral in der Sche’erit Hapleta. Betrachtet man

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den gesamten Spielplan des MIT, zeigen sich aber, trotz übereinstimmender Wahrnehmung der gesellschaftlichen Problematiken, inhaltlich deutliche Unterschiede zum Bildungsprogramm der Parteien und der Presse: Vor Pintshevski stand der jiddische Klassiker Sholem Aleykhem auf dem Spielplan, danach folgten die zeitgenössischen jiddischen Stücke Shlomo Molkho des Modernisten Arn Glants-Leyeles und – pünktlich zum 75. Geburtstag des Autors – Dovid Pinskis Der oytser (Der Schatz).70 Eine letzte größere Inszenierung war Op hoop van zegen (Die Hoffnung auf Segen) des niederländischen Autors Herman Heijermans unter dem Titel Di hofenung (Die Hoffnung), übersetzt durch Mitglieder des Ensembles.71 Dieser Spielplan ist in verschiedener Hinsicht interessant. Er inkorporierte nicht nur ein aktuelles Repertoire, sondern öffnete sich auch der Weltliteratur. In einem Aufsatz zum Theaterwesen in der Sche’erit Hapleta erklärte Baruch Graubard diese Entwicklung mit den gesellschaftlichen Veränderungen dieser Gemeinschaft im Provisorium. In einem ersten Schritt sollte der Rückbezug zur Vergangenheit gestärkt werden, damit die Sche’erit Hapleta dann, in der Stabilisierungsphase, einen eigenen Charakter herausbilden konnte. Die Auflösungsphase, begleitet von der Hoffnung auf ein normales Leben, sollte auch eine Öffnung gegenüber der Welt und dem Welttheater bedeuten, „als ob das Ende der Isolation und des Wanderns schon proklamiert worden sei“.72 Die hier angesprochene Tendenz kontrastiert mit der Definition von Kultur, die durch die Presse und die Parteien Verbreitung fand. Dominierte dort der Wunsch nach einer jüdisch-nationalen Kultur, die sich von sprachlichen und kulturellen Fremdeinflüssen lösen sollte, stand hier die Möglichkeit kultureller Partizipation als Ziel auf dem Programm.73 Eine in verschiedener Hinsicht bemerkenswerte Inszenierung war Shlomo Molkho. Regie führte Alexander Bardini, der in dieser Position Israel Bekkers Nachfolge antrat.74 Teile des Stücks waren bereits im Ghetto Vilnius uraufgeführt worden, doch war die Inszenierung des MIT die erste integrale Aufführung.75 Da das historische Schauspiel um die pseudomessianische Figur des Shlomo Molkho Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts spielt, arbeitete man eng mit der Kulturabteilung des Zentralkomitees zusammen. Baruch Graubard, damals Mitarbeiter der Kulturkommission, hielt für das Ensemble Referate über die jüdische Geschichte in der frühen Neu-

70 71 72

Ebd., 122. Ebd., 132. Graubard, Baruch, Der „sheyres-hapleyte“-etap in yidishn teater, in: Hemskhekh II (1949),

20. Zur eng damit verbundenen Sprachideologie siehe Kapitel 4.3. Becker, Schüler von Shloyme Mikhoels und später Schauspieler im Ensemble der israelischen Bima, wurde 1947 von der Jüdischen Filmorganisation IFO engagiert. 75 Glants-Leyeles, Arn, A. Lejeles szrajbt cu „Mit“, in: Ibergang, 7. 9. 1947. 73 74

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zeit. Es wurden auch Exkursionen nach Regensburg organisiert, wo sich ein Teil der Handlung zuträgt.76 Mit Shlomo Molkho nahm das MIT das Risiko auf sich, ein anspruchsvolles modernistisches und in seiner epischen Komposition eigentlich nicht für die Aufführung geeignetes Theaterstück uraufzuführen. Ein Stück also, das jedem Publikum viel abverlangt hätte – besonders aber dem eher unerfahrenen Publikum der Sche’erit Hapleta. Mordkhe Libhaber hob in einer Rezension diesen gewagten Versuch mit lobenden Worten hervor und verwies auf die erzieherische Funktion des Theaters. Vor dem Krieg habe das Publikum nicht nach gutem jiddischem Theater verlangt. Die religiösen Juden hätten sich nicht für das Theater interessiert, während die assimilierten Kreise die „reine“ Kunst, bar jeder jüdischen Thematik, im polnischen Theater gesucht hätten. Wie viel problematischer sei jedoch die Situation in der Sche’erit Hapleta, deren junge Bevölkerung hier erstmals überhaupt mit dem Theater in Kontakt gekommen sei. Mit billigen Inszenierungen sei zwei Jahre lang zunächst einmal ein Publikum herangezogen worden. Erst jetzt würde versucht, ein ernsthaftes Theater aufzubauen. Shlomo Molkho, inszeniert durch das MIT-Kollektiv, war ein gewagter, dreister, aber durchaus gelungener Versuch, das jiddische Theater in Deutschland auf europäisches Niveau zu heben. Ihm Stil zu geben, die guten talentierten künstlerischen Kräfte zu zeigen [. . .] und das jüdische Theaterpublikum zu erziehen. Die ersten drei Vorstellungen in München haben bei den Zuschauern enthusiastische Reaktionen hervorgerufen. Das Publikum hat die Schauspieler nicht von der Bühne gelassen und so die Vorstellung in ein grandioses Kulturfest verwandelt.77

Nach der Auswanderung Bardinis nach Montreal kehrte das Ensemble 1948 unter der Regie des in Österreich geborenen jüdischen Schauspielers Heinz Leo Fischer zu klassischen jiddischen Unterhaltungsstücken zurück: Mirele Efros von Yankev Gordin, Di tsvey Kuni Lemls (Die zwei Kuni Leml) von Avrom Goldfaden und Perets Hirshbeyns Dem shmids tekhter (Die Töchter des Schmieds) wurden aufgeführt.78 Ebenfalls 1948 gründete die Erziehungsabteilung des Zentralkomitees zusammen mit dem Schauspielerverband die Kleinkunstbühne Di goldene pave (Der goldene Pfau). Das neue Ensemble sollte ein Gegengewicht zu den zahlreichen (manchmal auch nichtjüdischen) Revuetruppen bilden, die durch die Lager tourten.79 Als Regisseurin wurde Vera Haken eingesetzt, die bereits in Österreich und Ungarn auf der Bühne gestanden hatte. Ihr Mann, ein Komponist aus Czernowitz, begann die Musik zu den Kleinkunst-Nummern zu schreiben. Be-

76 77 78 79

Horovits, Yidish teater, 120. Libhaber, Mordkhe, Szlojme Molcho, in: Ibergang, 24. 8. 1947. Horovits, Yidish teater, 124. Ebd., 135.

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merkenswert ist, dass sich das Kleinkunsttheater in der Tradition von Jushnys Blauem Vogel – dem modernistischen russischen Emigrantentheater der Zwischenkriegszeit – und damit auch in Einklang mit den modernistischen jiddischen Kleinkunstbühnen jener Zeit sah. Diese Referenz wurde zusätzlich durch die Bühnenbilder Maximilian Feuerrings, eines Mitglieds der Künstlersektion des Schriftstellerverbandes, unterstrichen.80 Anders als in den polnisch-jiddischen Kleinkunsttheatern der Zwischenkriegszeit bestand das Repertoire überwiegend aus klassischen Texten und Volksliedern. Als einziger DP-Schriftsteller war Yitskhok Goldkorn mit einer Nummer im Programm vertreten. Ein Rezensent sah deshalb die Repertoirefrage als Hauptschwierigkeit bei der Vorbereitung eines Kleinkunstprogramms in Deutschland: „Soweit uns bekannt ist, haben die Schriftstellerkreise in Deutschland ziemlich scharfe Zungen, aber stumpfe Federn, und kein Theater kann warten, bis neue Humoristen heranwachsen.“81 Und er sollte Recht behalten: Nach zwei Tourneen mit Revueprogrammen stellte das Ensemble die Arbeit ein.82

Lassie Comes Home als Kassenschlager. Die DPs im Kino Mehr als jedes andere Medium war es der Film, der das Publikum in den DP-Lagern in seinen Bann zu ziehen vermochte. Ende 1945 wohnte Irving Heymont der ersten Filmvorführung – damals noch organisiert durch die Besatzungsarmee – im Lager Landsberg bei und berichtete über die faszinierende Erfahrung: The film was Charlie Chaplin’s Gold Rush – with German sound track. It was the first time many of the kids in the audience had ever seen a movie. When the film started, a kid sitting near us whispered in Yiddish in an awed voice, “The movie is talking!” Many of the adults told me that it was the first movie they had seen in years.83

Der Joint war mit neun speziellen Fahrzeugen ausgestattet, welche Filme in die Camps brachten und so den DPs ein Tor zur Welt öffneten.84 Nicht zuletzt um sprachliche Hürden zu überwinden, wurden zunächst jiddische Filme aus der Zwischenkriegszeit nach Deutschland gebracht, mehrheitlich melodramatische Musikfilme, die während der 30er Jahre als amerikanisch-

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Shayovitsh, F., Kleyn-kunst-teater „di goldene pave“, in: Undzer veg, 2. 3. 1948. Zitiert nach Horovits, Yidish teater, 137. 82 Ebd. 83 Heymont, Among the Survivors of the Holocaust, 75. 84 YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 79. 81

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polnische Koproduktionen entstanden waren. Später ging man zu familientauglichen US-amerikanischen Werken über. Vom durchschlagenden Erfolg der Filmvorführungen zeugen die Zuschauerzahlen. So sahen fast 20.000 Zuschauer in 47 Vorführungen den jiddischen Film Libe un laydnshaft (Liebe und Leidenschaft), rund 15.000 Mirele Efros in insgesamt 25 Vorstellungen. Und auch amerikanische Filme waren unter den DPs beliebt: Zu den Kassenschlagern gehörten My Kingdom for a Cook, Variety Girl und Lassie Comes Home. Allein im September 1948 fanden fast 300 Filmvorführungen mit einer Gesamtzuschauerzahl von über 120.000 Personen statt.85 Wie positiv diese Kulturveranstaltungen von den DPs aufgenommen wurden, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass drei Viertel aller Briefe von DPs, die beim Joint eingingen, Dankesbriefe für Konzerte, Theater- oder Filmvorführungen waren. In keinem einzigen Brief bedankte man sich für die Zuteilung von Kleidung, Essen oder Zigaretten.86 1946 wurde in München die IFO (Yidishe film-organizatsye, später: Internatsionale film-organizatsye) ins Leben gerufen, der unter anderem Abraham Weinstein und Marek Goldstein angehörten.87 Das erste Projekt dieser jüdischen Filmgesellschaft war die Übersetzung des von der US-Army hergestellten Dokumentarfilms Death Factories, welcher auch bei den Nürnberger Prozessen gezeigt wurde. Die jiddische Version wurde durch Dovid Volpe ausgearbeitet, die hebräische durch Israel Kaplan und Shmuel Eplboym.88 1947 produzierte die IFO eine Kurzdokumentation über den zweiten Kongress der Sche’erit Hapleta in Bad Reichenhall. Die Begeisterung für das Medium Film war so überwältigend, dass sich angeblich selbst chassidische Juden den Film ansahen. Eine geplante Wochenchronik für die jüdischen DPs scheiterte aber am fehlenden Interesse und den fehlenden finanziellen Mitteln des Zentralkomitees.89 Im selben Jahr nahm die Filmgesellschaft ein Spielfilmprojekt in Angriff. Als deutsch-jüdische Koproduktion, entstanden in einer Zeit, in der es kaum konstruktive Berührungspunkte zwischen Juden und Deutschen gab, kam Lang ist der Weg am 1. September 1948 in Westberlin in die Kinos.90 Fi-

YIVO 294.2, Folder 109, Roll 13, Film Statistics, September 1948. YIVO 294.1, Folder 105, Haber, Samuel, Tsvey yor mit der sheyres-hapleyte (dzhoynt un di lager-yidn). München 1949 [Ms.], 79. 87 Goldstein hatte schon in der Zwischenkriegszeit in der jiddischen Filmbranche gearbeitet und war verantwortlich für eine Montage mit Filmaufnahmen vom ersten Kongress (die Aufnahmen wurden von der bayerischen Film-Gesellschaft gemacht), Bildern aus Israel und aus den DP-Camps. Schon 1946 trug er sich mit der Idee, einen Film über die jüdische Vergangenheit (und evtl. auch Gegenwart) zu drehen. Vgl. Kongres fun sheyres hapleyte in film, in: Undzer veg, 16. 8. 1946. 88 Gid, Marian, Fun majn wander-buch, in: Jidisze cajtung, 4. 4. 1947. 89 Kroshnits, Mordkhe, A vikhtike kultur-gezelshaft, in: Bafrayung, 29. 8. 1947. 90 Laut Pleyer, Freunde der Deutschen Kinemathek, 31 f., weigerten sich bayerische Kinos, 85 86

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nanziert und produziert wurde Lang ist der Weg durch die IFO, wobei unklar ist, woher das Geld stammte und wie sich die Produktion im Einzelnen gestaltete.91 Das Treatment für den Film stammte von Israel Becker, das Drehbuch schrieb Georg Külb, ein Hausautor der UFA.92 Regisseur des Spielfilms, in dem auch Mitglieder des MIT und zahlreiche Statisten aus den DP-Camps mitwirkten, war Herbert B. Fredersdorf. Gedreht wurde in München-Geiselgasteig und im DP-Lager Landsberg. Lang ist der Weg ist eine prototypische Geschichte, die teilweise auf der Biographie Israel Beckers beruht: Die Handlung setzt ein, als Familie Jelin ins Warschauer Ghetto getrieben wird. David, der Sohn Jakob und Khane Jelins, kann später aus dem Deportationszug nach Auschwitz fliehen und schlägt sich zu den Partisanen durch. Der Vater kommt um, die Mutter überlebt. Nach dem Krieg kehrt David nach Warschau zurück, um seine Familie zu suchen. Er lernt die deutsche Jüdin Dora kennen, die als einzige Überlebende ihrer Familie nicht weiß, wo sie hingehen soll. Und so steht sie mit frisch onduliertem blondem Haar und einem Köfferchen mitten in Warschau. Ihre Figur kann nicht nur als jüdische Überlebende, sondern ebenso als deutsche Vertriebene gelesen werden und unterstreicht damit die allgemeine Tendenz des Films, das Leid zu universalisieren. Die Handlung wird durch zahlreiche und oft pathetische deutsche Kommentare aus dem Off begleitet, die Zahlen und Fakten zum Zweiten Weltkrieg und zur Situation der DPs in Deutschland liefern.93 Der Film zeigt in seiner Dramaturgie und Montagetechnik verblüffende Ähnlichkeiten mit den jiddischen Billigproduktionen der 30er Jahre, von denen sich die DPs zu kollektiver Nostalgie hinreißen ließen.94 Trotzdem war das Echo auf Lang ist der Weg von Seiten der Sche’erit Hapleta gering. Zwar legte man in der jiddischen Presse in Deutschland großen Wert darauf, in jährlichen Überblicken sämtliche kulturellen Leistungen aufzulisten und zu kommentieren. Auf Lang ist der Weg wurde aber nicht verwiesen – trotz der Mitwirkung bekannter jiddischer Schauspieler scheint der Film nicht zu den kulturellen Leistungen der DPs gerechnet worden zu sein. Einer der wenigen Hinweise in der jiddischen Presse ist eine Rezension in Undzer veg. den Film zu zeigen. Zwischen Ende 1948 und Ende 1950 wurde der Film auch in New York, Paris, Wien, Tel Aviv, London und Kopenhagen ausgewertet. Im deutschen Fernsehen wurde er erstmals 1959 ausgestrahlt. Vgl. Fritz Bauer Institut, Cinematographie des Holocaust, online unter: http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?dfw00fbw000188.gd (18. 2. 2008). 91 Kugelmann, Lang ist der Weg, 359. 92 Überhaupt stammten viele der deutschen Mitarbeiter aus der UFA, wobei darauf geachtet wurde, dass keiner von ihnen an der Produktion der bekannten Propagandafilme beteiligt gewesen war. Die einzige deutsche Mitarbeiterin, die nicht mit der UFA verbunden war, war die weibliche Hauptdarstellerin Bettina Moissi. Siehe ebd., 359. 93 Ebd., 364–367. 94 Hoberman, Bridge of Light, 331–333.

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Und die Kritik ist streng: Der Film nutze sämtliche existierenden Genres, mit dem Resultat, dass damit jedes Genre seine Ausdrucksmöglichkeit einbüße. Es sei noch zu früh für eine filmische Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit und den DP-Realitäten. Über die Hauptdarstellerin Bettina Moissi heißt es: „Ihre Physiognomie, ihre Mimik und ihre Bewegungen sind steif, hart, kalt, beinahe [. . .] germanisch und erinnern wenig an eine deutsche Jüdin.“95 Auch beim deutschen Publikum löste die Vorführung zwiespältige, bisweilen auch klar antisemitische Reaktionen aus.96 Was auf der Leinwand als versöhnender Gestus möglich schien, wurde vom Publikum in Deutschland abgelehnt. Die im Vorfeld der Produktion geäußerten Erwartungen, wonach der Film „ein monumentales Werk des jüdischen Martyriums während des blutigen faschistischen Regimes“ sein sollte, erfüllten sich nicht.97 Neben dem Film wurde noch ein weiteres Medium von den DPs entdeckt: Das Radio. Norbert Horovits, Mitglied des MIT, bekam die Möglichkeit, zwischen 1946 und 1949 auf Radio München regelmäßig Programme mit jüdischen Volksliedern und literarisch-musikalischen Konzerten zu senden. Auch Aufnahmen eines Kantors wurden später ins Programm integriert. Im Rückblick beschrieb Horovits es als persönliche Befriedigung, „Hitlers Mikrofone zu benutzen und jiddische Lieder in sie hinein zu singen“.98 Auf Radio Bremen und Radio Frankfurt wurde im Sommer 1947 eine Geschichte des Talmuds gesendet. Israel Blumenfeld, Chefredakteur der Jüdischen Rundschau, sorgte für die Dramaturgie; Theodor Steiner, Regisseur an der Hamburger Oper, inszenierte. Im Stuttgarter Radio standen seit 1947 Sendungen zu jüdischen Feiertagen auf dem Programm. In einer Sendung mit jüdischer Kantoralmusik wurde der Kantor vom Orchester von Radio Stuttgart begleitet. Auch RIAS Berlin strahlte wiederholt Programme für jüdische Zuhörer aus.99 Radio, Theater und Film sprachen ein breites Publikum auf emotionaler Ebene an. Das Kino ermöglichte ein kollektives Sich-Zurück-Fallen-Lassen in die Nostalgie des untergegangenen Shtetls. In ähnlicher Weise funktionierten auch die Bühnenklassiker, die vom MIT und den zahlreichen lokalen dramatischen Kreisen inszeniert wurden. Sie alle vermittelten das Bild einer intakten traditionellen ostjüdischen Lebenswelt, die allerdings schon zur Entstehungszeit der Werke so nicht mehr existiert hatte. Dagegen fehlte

95 Hibel, Ben-Tsien, „Lang iz der veg“. Premyere fun ershtn yidishn film in der sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 2. 7. 1948. 96 So störte sich ein Zuschauer in Berlin beispielsweise an den „vielen jüdischen Physiognomien“ im Film. Zitiert nach Pleyer, Jüdische Lebenswelten. 97 Kroshnits, Mordkhe, A vikhtike kultur-gezelshaft, in: Bafrayung, 29. 8. 1947. 98 Horovits, Yidish teater, 142. 99 Ebd., 142 f.

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das nationale Moment, wie es durch Gedenkveranstaltungen vermittelt werden sollte, hier weitgehend. Grundsätzlich wurden nebeneinander zwei Tendenzen sichtbar: Einerseits versuchte man, national und zionistisch zu erziehen, andererseits sah man aber ein, dass daneben auch eine allgemeinjüdische kulturelle Grundlage gelegt werden musste. Politische und allgemeine Bildung rivalisierten nicht, sondern ergänzten sich im Kampf gegen die Tendenzen von Demoralisierung, Kulturverlust und Assimilation, die schlagwortartig immer wieder beklagt wurden.

4.3. Ein Riw haleschonot im Wasserglas – Sprache und Ideologie der jüdischen DPs In der Sche’erit Hapleta wurden Jiddisch und Hebräisch gleichermaßen als wichtige Instrumente in der kulturellen und politischen Erziehung der breiten Bevölkerung betrachtet. Dies äußerte sich nicht zuletzt in einer ablehnenden Haltung gegenüber der Umgebungssprache und den slawischen Sprachen, obwohl letztere in der polyglotten jüdischen Welt in Zentral- und Osteuropa zum Alltagsleben gehört hatten. Doch hier, in der deutschen Diaspora, wo die eigenen kulturellen Wurzeln frei lagen und für Fremdeinflüsse besonders empfindlich waren, entwickelte sich zunehmend die Tendenz zu einem jüdischen Sprachpurismus. Mordkhe Libhaber begründete dies folgendermaßen: Einem kranken Körper gesundes Aussehen zu erhalten ist schwieriger als einem gesunden Körper. New York ist stolz darauf, dass man auf seinen Straßen Englisch, Polnisch, Russisch, Italienisch und Jiddisch hört. Russland rühmt sich seiner vielsprachigen Literatur. Es ist gut, wenn junge Menschen die Möglichkeit haben, Shakespeare oder Molière im Original zu lesen. Man muss auch Tacitus verstehen. Auch wir legen keinen Bann auf fremde Sprachen. Wir sind dafür, dass unsere Jugend, die neue Generation, Fremdsprachen erlernen soll [. . .], aber ein Franzose lernt Englisch, nachdem er seine eigene Sprache gründlich beherrscht. Ein Engländer liest Maupassant, nachdem er Shaw und Mark Twain gelesen hat. [. . .] Wir müssen fremde Sprachen achten, aber zuerst die Sprache unseres eigenen Volkes ehren.100

Wie die Kultur- und Gedenkveranstaltungen sollte also auch die sprachliche Erziehung Grundlagen für eine allgemeine und jüdische Bildung legen. Dies galt sowohl für die gesprochene Sprache als auch für das gedruckte Wort. Doch welche Sprachen wurden in der Sche’erit Hapleta gesprochen? Und wie fruchtbar waren die Bemühungen um Jiddisch und Hebräisch? 100 Elihav, M. D. [Mordkhe Libhaber], Di tragedye fun falshe nuskhoes, in: Undzer veg, 25. 9. 1946.

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Der Kampf gegen lateinische Buchstaben Besonders wenn es um das geschriebene Wort ging, pochten viele Redakteure auf sprachliche Reinheit. Doch obwohl im Lauf des Jahres 1946 in der Amerikanischen Besatzungszone genügend hebräische Drucksätze zur Verfügung standen, weigerten sich einige Zeitungen beharrlich, vom lateinischen Alphabet – das sich während der ersten Monate aus eben diesem Mangel an hebräischen Buchstaben eingebürgert hatte – zur hebräischen Quadratschrift überzugehen. Die Diskussion darum hatte didaktische und praktische Gründe: Als im Oktober 1947 die Lokalpresse mit Ausnahme der Landsberger lager-cajtung geschlossen wurde, beschloss man zugleich auch, dass die verbleibenden Zeitungen vollständig zum hebräischen Alphabet übergehen sollten. Die Landsberger lager-cajtung wurde im Juli mit einem Linotype-Gerät zur Herstellung von Matrizen ausgestattet. Mit der Ausgabe vom 25. Oktober 1946 ging sie gänzlich zum hebräischen Alphabet über und änderte ihren Namen in Jidisze cajtung (Yidishe tsaytung).101 Nun konnte sie endlich, in den Worten ihres Redakteurs, formal „sogar die Feinschmecker befriedigen“.102 So erschienen – bis auf Ibergang, die beinahe bis zur letzten Nummer an lateinischer Schrift und polnischer Orthographie festhielt –, die gesamte Parteipresse sowie die beiden überregionalen Zeitungen Undzer veg und Jidisze cajtung nur noch in hebräischer Schrift. Selbst als die technischen Möglichkeiten es eigentlich erlaubt hätten, blieb die allgemeine Sprachsituation in der Sche’erit Hapleta ein bedeutendes Hindernis für den Übergang zum hebräischen Satz. Denn längst nicht alle DPs, die Jiddisch sprechen oder verstehen konnten, beherrschten auch das hebräische Alphabet. Während Ibergang genau mit diesem Argument operierte, um den Druck mit lateinischen Buchstaben zu legitimieren, sah die Parteipresse, welche von Anfang an Wert auf hebräische Schrift gelegt hatte, darin nur einen falsch gewählten „Weg des geringsten Widerstandes“. Dieser, hieß es beispielsweise in Dos vort, würde große Gefahren für die kulturelle Entwicklung der Sche’erit Hapleta in sich bergen und nicht hinreichend auf die Zukunft im Jischuw vorbereiten.103 Vor allem die Herausgeber von Undzer veg waren entschiedene Gegner lateinischer Buchstaben: Im Frühjahr 1947 forderte Yosef Gar in seinem Artikel Tsurik tsu yidishe oysyes! (Zurück zu jüdischen Buchstaben!) die sofortige Beseitigung dieses „Presse-Ungetüms“, der jiddischen Zeitungen in lateinischen Buchstaben. In allen Argumenten, die er anführte, wurden die hebräischen Buchstaben Tsamriyon, Ha’itonut, 93. JNUL Arc. 4° 1683, Nr. 21, Yisroel Elentsvayg (Jidisze cajtung) an Dovid Volpe, 22. 8. 1947. 103 Ben-Tsvi, Fun a zayt gezen. Vegn yidishe tsaytungen in der lateynisher shrift, in: Dos vort, 16. 1. 1947. 101 102

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eng mit jüdischen kulturellen und nationalen Werten assoziiert, einerseits als Schlüssel zu den Schätzen jüdischer Kultur in Osteuropa, andererseits im Rahmen des Zionismus als Grundlage zur Erlernung des Hebräischen. Gar legte den betroffenen Redaktionen den Übergang zu hebräischen Buchstaben gerade jetzt, wo die entsprechenden technischen Voraussetzungen gegeben seien, nahe. Es dürfe nicht länger dem Wunsch eines kleinen Leserkreises entsprochen werden. Dieser solle sich vielmehr den kulturellen Interessen der Allgemeinheit unterordnen.104 Auf der Schriftstellerkonferenz vom 5. November 1947 griff Ruven Rubinshteyn die Argumente Gars auf und setzte damit dessen sprachpolitische Linie fort.105 Auch auf der Journalistenkonferenz im Februar desselben Jahres wurde das Thema eingehend diskutiert. Die lateinische Schrift bezeichnete man als Gefährdung der Tradition und rückte sie so in die Nähe assimilatorischer Tendenzen.106 Was hielt also Ibergang, dessen Redakteur Mordkhe Libhaber sich immer wieder differenziert zu kulturpolitischen Fragen äußerte, davon ab, sich der allgemeinen Sprachpolitik der Sche’erit Hapleta anzupassen? Es war wohl nicht zuletzt der wirtschaftliche Aspekt, der hier eine Rolle spielte. Für lateinische Buchstaben konnten die vorhandenen Linotype-Geräte in deutschen Druckereien verwendet werden: Dieser Maschinensatz bedeutete somit eine große Zeitersparnis gegenüber dem herkömmlichen Handsatz. Damit wurden die Presseerzeugnisse in ihrer Produktion preiswerter und konnten mit einer größeren Seitenzahl auf den Markt gebracht werden. Auch die Möglichkeit, deutsche Setzer zu beschäftigen, sparte Geld. Als die Lokalpresse geschlossen wurde und Ibergang als letzte Zeitung in lateinischer Schrift gedruckt wurde, konnte man deren wachsende Bedeutung nicht übersehen: Zwar war Undzer veg mit einer Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren immer noch die größte überregionale jiddische Publikation in Deutschland. Doch für viele Leser in Deutschland, aber auch in anderen Ländern Europas, die das hebräische Alphabet nicht beherrschten, war Ibergang nun die einzige lesbare Zeitung, und ihre Auflage verdoppelte sich in kürzester Frist auf über 15.000 Exemplare.107

104 105 106 107

Gar, Yosef, Tsurik tsu yidishe oysyes, in: Undzer veg, 14. 2. 1947. Rubinshteyn, Ruven, Der shrayber in der sheyres-hapleyte, in: Undzer veg, 21. 11. 1947. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 9. 2. 1947. Tsamriyon, Ha’itonut, 95.

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Gesprochene Sprache: Platt-Deutsch oder Pleyte- Deutsch? 108 Längst nicht alle Personen, die Jiddisch verstanden, waren also auch mit der hebräischen Schrift vertraut. Wie groß die Gruppe derer war, die Zeitungen in lateinischen Buchstaben den Vorzug gaben, ist aber eine Frage, die sich ebenso wenig zufrieden stellend beantworten lässt wie die nach der Gesamtzahl jiddischsprachiger DPs in Deutschland. Für die demographisch instabile Gesellschaft der Sche’erit Hapleta in Deutschland herrscht ein Mangel an statistischen Daten in allen Bereichen. Bereits im unabhängigen Polen vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich in Bezug auf das Verhältnis von Jiddisch zu Polnisch eine zunehmende Tendenz zur Zweisprachigkeit abgezeichnet. Zwar hatten 1931 bei einem Zensus achtzig Prozent der polnischen Juden Jiddisch als ihre Muttersprache angegeben (unter den Hochschulstudenten waren es immerhin noch 53 Prozent). Aber die erhobenen Daten spiegeln nicht zwangsläufig die linguistischen Realitäten ab, sondern sind auch als politische Stellungnahmen zu lesen. Das jiddische Schulsystem war nur in beschränktem Maße in der Lage gewesen, die Sprache auch bei der neuen Generation zu verankern, weniger sogar als dies den hebräischen Schulen gelungen war.109 In den Ghettos hatte die Stellung des Jiddischen variiert. Während es in Vilnius die führende Sprache geworden war, hatte Emanuel Ringelblum im Warschauer Ghetto notiert, dass das Polnische zunehmend an Bedeutung gewinnen würde: „Es gibt wenig Jiddisch auf den Straßen [. . .]. Ich denke, dass dies die starke linguistische Assimilation beweist, welche sogar bereits vor dem Krieg wahrnehmbar war und jetzt auf den jüdischen Straßen noch viel eindeutiger ist. So lange die Straßen gemischt waren, war es nicht so offensichtlich. Aber heute, wo die Straßen rein jüdisch sind, sieht man, wie groß das Unglück ist.“110 Die Sche’erit Hapleta setzte sich mehrheitlich aus relativ jungen polnischen Juden zusammen, die während des Krieges wenig oder gar keine formale Schulbildung erhalten hatten, schon gar nicht in Jiddisch. Aber auch Flüchtlinge und Überlebende aus anderen Sprachgebieten lebten in den DP-Camps, in den Städten und Kibbuzim:

108 Der Ausdruck wurde von Israel Kaplan auf der Journalistenkonferenz im Februar 1947 geprägt. Siehe: Nobody, Gehert – gezen. Pleyte-daytsh , in: Undzer veg , 28. 2. 1947. 109 Zu einer ausführlichen Diskussion dieses Zensus siehe: Shmeruk, A Trilingual Jewish Culture und Fishman, The Rise of Modern Yiddish Culture, 85 f. Eine aufschlussreiche Analyse der Sprachsituation aufgrund von Schulakten und Bibliothekslisten bietet Cohen, The Jews of Independent Poland. 110 Ringelblum, Notitsn vegn varshever geto, 46; zu den kulturellen Unterschieden zwischen den beiden Ghettos siehe auch Roskies, Bialik in the Ghettos, 105f; Kassow, Vilna and Warsaw, 209.

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Bei einem Fußballmatch Stuttgart-Föhrenwald verwies der Schiedsrichter die Spieler auf Polnisch. Zwei Spieler haben darauf den Schiedsrichter auf Tschechisch angeschrieen, einer auf Ungarisch. [. . .] Hinter den Kulissen eines jiddischen Revuetheaters spricht man Russisch. [. . .] In zahlreichen Ämtern antworten die Beamten nur auf Polnisch. [. . .] In der Sche’erit Hapleta, in den Lagern, den Städten, auf nationalen Feiern hallt die Vielsprachigkeit in euren Ohren wider. Ungarisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch und Deutsch beherrschen die jüdische Gesellschaft.111

1946 hielt der hebräische Schriftsteller Israel Efros, der zusammen mit dem jiddischen Poeten H. Leyvik und der Sängerin Emma Shayver 1946 als Kulturbotschafter des Jüdischen Weltkongresses die DP-Lager in Deutschland bereiste, seine Eindrücke aus dem Lager Feldafing fest. Zwar war die Diversität – kulturell, politisch und sprachlich – nicht in jedem Lager so stark ausgeprägt wie in Feldafing, trotzdem vermitteln die Aufzeichnungen Efros’ ein Bild davon, welche linguistischen Unterschiede es innerhalb eines einzigen Lagers geben konnte: An den Wänden der Schneiderei, so Efros, hingen die Parolen: „Sprecht Jiddisch“, und „Gesellschaftliches Eigentum ist heilig“. Im Kibbuz Negew, der zur Nocham-Bewegung gehörte, legte man dagegen großes Gewicht auf die hebräische Sprache. Im Kibbuz Ateret Zwi, der nach den Grundsätzen der religiösen Misrachi-Partei geführt wurde, wohnten fünfzig junge religiöse Menschen aus der Slowakei und aus Ungarn, die meist nur Ungarisch oder Slowakisch sprachen. In einer Schule prangte an der Ostwand die Aufschrift: „Wir sprechen kein Polnisch oder Ungarisch, kein Litauisch oder Rumänisch, sondern nur Hebräisch und Jiddisch.“ Doch als der Lehrer auf Hebräisch die Frage stellt: Mi kibel tora miSinai? (Wer hat am Sinai die Tora erhalten?), konnte kein Kind antworten.112 Die zunehmende Organisation in den Lagern und der Aufbau eines strukturierten Schulwesens scheinen aber zur Hebung der aktiven Sprachkompetenz beigetragen zu haben. Anfang 1947 führten die Schüler der Föhrenwalder Tarbut-Schule bereits ganze Stücke auf Hebräisch auf.113 Shloyme Vorzoger hielt diese Mehrsprachigkeit in einem Gedicht mit dem Titel Jorn fir – szprachn finf (Vierjährig – fünfsprachig) fest, das den Übergang von einer Sprache zur nächsten auf dem Weg von Polen über Sibirien und Kasachstan, und zurück über Polen nach Deutschland beschreibt:

111 Elihav, M. D., [Morkhe Libhaber], Di tragedye fun falshe nuskhoes, in: Undzer veg, 25. 9. 1946. 112 Efros, Heymloze yidn, 150 f. 113 In fernwalder „tarbut“, in: Ibergang, 12. 1. 1947. Die litauische Lehrerin der Schule in Eschwege unterrichtete Kinder aus Russland, Litauen, Polen, Ungarn und Deutschland – auf Hebräisch. Vgl. Duniets, Mordkhe, Di hebreisze szul in Eszwege, in: Undzer hofenung, 14. 6. 1946.

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In Polen geboren – als Kleinkind/Jiddisch zu sprechen gelernt/„dzen-dobli“114 – zu der Mutter schon gesagt/„gut morgn“ [jidd.: guten Morgen] dem alten Großväterchen.//[. . .]//Versteht schon das Kind alle Wörter/auf Russisch, antwortet frei/ein Vergnügen es reden zu hören/alt war das Kind nun drei.//[. . .]//Im glühenden Sand spielen dort Kinder/nackt – mit schwarzen Zöpfen/zusammen mit ihnen sitzt auch das Kind/und plappert Kasachisch.//[. . .]//Vier Jahre war das Kind nun alt/schon ein Jahr nach dem Krieg/zur ersehnten alten Heimat/fährt der Vater mit dem Kind.//[. . .]//Fleißig, fleißig, lern Kind/dein Schicksal ist doch so,/es zählt schon „echad, schtajim“ [hebr.: eins, zwei]/und sagt schon – „toda raba“ [hebr.: vielen Dank].115

In diesem neuzeitlichen Babel setzte sich das Jiddische nicht immer als Lingua Franca durch. Vor allem das Polnische machte ihm im mündlichen Verkehr den Rang streitig, obwohl es gerade diese Sprache war, deren Gebrauch die Gemüter mehr als alle anderen erhitzte. So machte ein Leserbriefschreiber aus Bad Reichenhall dem Zentralkomitee den Vorwurf, nicht angemessen gegen die „Seuche der polnischen Sprache“ vorzugehen, die sich unter den DPs ausbreite. Laut diesem Artikel war es in erster Linie die jüngere Generation, die Polnisch sprach.116 In einer anderen Zeitung hieß es: Junge „Fräuleins“ der so genannten assimilatorischen „Intelligenz“, die sich ihre Lippen mit Pomade beschmieren, meinen, dass auch die Sprache eine Art Pomade ist. [. . .] Was verbindet sie denn mit Polen, mit Russland, mit Rumänien? Von jenen Kulturen sind sie weit entfernt (und ihnen niemals nah gewesen), den Lebensweisen – entrissen, besser gesagt, man hat sie von dort vertrieben. Sie haben aber ein schlechtes Gedächtnis, diese Möchtegerns (shmendrikes), und man spricht – auf der Straße, im Kino, in der Bahn – Polnisch, Russisch und anderes. Hauptsache nicht Jiddisch sprechen. Hauptsache nicht Hebräisch lernen. Es ist nicht schön! Es passt nicht zu – Möchtegerns.117

Die Zeitung des Zentralkomitees, Undzer veg, versuchte mit dem Slogan: „Juden, kokettiert nicht mit fremden Sprachen, Fremdsprachige kokettieren ´ dobry“ (polnisch) – „guten Tag“. Kindersprache. Eigentlich „dzien Vorzoger, Shloyme, Jorn fir – szprachn finf (fun cikl „milchome kinder“), in: Der morgn, 4. 4. 1947. 116 Shaykovitsh, Tsvi, Fraye tribune. Vider vegn yidish, in: Undzer veg, 25. 11. 1947; vgl. auch Alter, A., Fraye tribune. Videramol vegn fremde shprakhn, in: Undzer veg, 2. 12. 1947. 117 Gelerman, M., Inewejnikste injonim, in: Undzer hofenung, 25. 10. 1946. Israel Kaplan machte sich in einem Feuilleton Luft über den vermehrten Gebrauch des Polnischen in den Selbstverwaltungsorganen: „Wegen der Gefahr, dass eine Anzahl Juden, Gott behüte, sprachlos bleiben könnte [. . .] wird dringend um die Zusendung von polnischen Lehrbüchern und Grammatiken ersucht. Ebenfalls erwünscht sind Sammlungen polnisch-nationaler Lieder. Außerdem wird ein Instrukteur für Mazurkas und andere polnische Tänze gesucht. Für einen Fachmann rein polnischer Abstammung und mit noblen polnischen Manieren werden höchst privilegierte Pflege und Wohnbedingungen garantiert. Adresse: Berchtesgaden, Kurhaus des Zentralkomitees der befreiten Juden in Deutschland.“ Siehe: Red./Julin [Kaplan], Letakones nefashes, in: Undzer veg, 23. 8. 1946. 114 115

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wenig mit Euch“, die Ablehnung nichtjüdischer Sprachen zu propagieren.118 Fremdsprachen, darunter besonders Polnisch, verkörperten die fehlgeschlagene Integration in die europäische Gesellschaft und den Verlust kultureller Wurzeln.119 Während man im Erziehungsbereich nach und nach versuchte, ganz zum Hebräischen überzugehen, wurde die Sprache des zukünftigen jüdischen Staates in den übrigen Lebensbereichen wenig genutzt. Allgemein galt Jiddisch als die Sprache der Gegenwart, während Hebräisch als Sprache der Zukunft charakterisiert wurde.120 Über das Verbot lateinischer Buchstaben, aber auch durch eine Instrumentalisierung des Jiddischen selbst, versuchte die zionistische Presse daher, eine Grundlage für die Hebraisierung der Sche’erit Hapleta zu legen.121 In einem programmatischen Artikel erklärte die Achida bereits in der ersten Nummer der Zeitung Dos vort: Unsere Zeitung – eine Tribüne für die Interessen des Volkes, wird auf alle wichtigen Geschehnisse in der weiten Welt im Allgemeinen und in der jüdischen Welt im Besonderen reagieren. [. . .] Nicht nur das Informationsmaterial, sondern auch der populärwissenschaftliche und belletristische Teil wird durchdrungen sein vom Glauben, dass die Schicksalsgemeinschaft uns verpflichtet und uns befähigt, uns alle im Kampf für die Aufbauarbeit zu vereinen, eine Säuberung der gesellschaftlichen Atmosphäre anzustreben, gegen die Plage der Fremdsprachigkeit zu kämpfen, die jüdischen Volksmassen zu hebraisieren und produktivisieren [. . .].122

Freilich herrschte keineswegs ein Konsens darüber, dass das Jiddische nur als Vehikel für die Erlernung des Hebräischen dienen sollte. Die kleinen Gruppen der Bundisten, die sich in Feldafing, Stuttgart und anderen Orten zusammengefunden hatten, lehnten die Sprachpolitik des zionistischen Zentralkomitees und der Lagerverwaltungen entschieden ab. Aber auch die Linke Po’ale Zion fühlte sich weiterhin der pro-jiddischen Politik des Gründers der Po’ale Zion, Ber Borochow, verpflichtet. In der Zwischenkriegszeit hatte die Partei nicht nur eine jiddisch-freundliche Haltung eingenommen, sondern war sogar zu einem der wichtigsten Förderer jiddisch-weltlicher Kultur geworden. Die Sprachpolitik diente ihr als wichtiges rhetorisches In-

118 Yidn, koketirt nit mit fremde shprakhn, fremdshprakhike koketirn veynik mit aykh, in: Undzer veg, 28. 12. 1945. 119 A-Z, Ershter kultur-tsuzamenfor fun paley-tsien (ts. s.)-hitakhdut, in: Dos vort, 1. 8. 1947. 120 A. C., Redt jidisz – lernt zich hebreisz, in: Undzer hofenung, 21. 6. 1946. Im Eingangsbereich des Gebäudes, in dem das Zentralkomitee untergebracht war, konnte man auf einer Tafel lesen: „Hier spricht man Jiddisch. Lerne Ivrit!“. Vgl. Melgas nr. 43, in: Undzer veg, 8. 3. 1946; Duniets, Mordkhe, Di hebreisze szprach – di kraft fun folk, in: Undzer hofenung, 28. 6. 1946. 121 Lediglich Undzer veg versuchte, direkt hebräische Sprachkenntnisse zu vermitteln. Das Vorhaben, regelmäßig Hebräischlektionen abzudrucken, wurde aber schon nach wenigen Wochen wieder aufgegeben. Vgl. Lernt ivrit, in: Undzer veg, 8. 3. 1946. 122 Sh. E., Dos vort, in: Dos vort, 9. 10. 1946.

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strument gegenüber den übrigen zionistischen Parteien, aber auch in der Auseinandersetzung mit dem antizionistischen Bund. Anders als dieser, der sich für den Diaspora-Nationalismus stark machte, strebte die Linke Po’ale Zion eine weltweite Nation mit territorialer Basis in Palästina an.

Ein Boykott gegen Jiddisch? – Vorwürfe aus Übersee und die Rolle des Bund Dass sich aber nicht nur der Bund und die Linke Po’ale Zion für das Jiddische einsetzten, zeigte sich in einem Sprachkrieg en miniature, der in den Spalten der jiddischen Presse in Deutschland, Frankreich und den USA ausgetragen wurde: Mit der Einrichtung der Erziehungsabteilung als gemeinsamer Initiative von Zentralkomitee, Sochnut und Joint im Februar 1947 wuchs der Einfluss des Jischuw auf das Erziehungsprogramm in den DPCamps. Lehrer aus Palästina wurden nach Deutschland entsandt und ein verbindliches Curriculum entwickelt. In ihren Resolutionen nahm die neu gegründete Abteilung damals mit folgenden Worten Stellung zur Sprachfrage: The basic language of the school is Hebrew. This is according to the wishes of the most part of the parents, to the general principles of the pedagogical philosophy of the Board for Education and to the actual situation that the destination of almost all the children is Eretz Israel. Yiddish is used as basic language in these school grades, where the students are not yet advanced enough to learn more progressed topics in Hebrew or if the teacher [knows] only Yiddish and not Hebrew. The principal attitude of the Board for Education is to learn the children in Hebrew but not to fight against Yiddish. Yiddish is the language in which educational and cultural stuff has to be delivered to the Jewish masses of the Shaarith Haplatah. Yiddish is the language of the meetings of the Board for Education. Both Yiddish and Hebrew are the official languages for the correspondence of the Board, for the office work and the dealing with the customers.123

Nachrichten über die neue Sprachpolitik im Erziehungswesen erreichten schnell das Ausland.124 Beunruhigt verfasste Jacob Patt vom JLC einen Artikel für die jiddische Tageszeitung Forverts. Darin machte er auf die diskriminierende Sprachpolitik aufmerksam und sprach von einen Boykott, der in Deutschland gegen das Jiddische ausgesprochen worden sei: „Nicht Amerikaner, nicht Franzosen führen diesen böswilligen Boykott durch, sondern Juden, unsere eigenen Juden. [. . .] Die jiddische Sprache, die Muttersprache YIVO 294.1, Folder 407, Board for Education and Culture. Vermutlich handelte es sich um Informationen, die ein Mitarbeiter des Arbeiterkomitees nach seinem Besuch verschiedener Bildungseinrichtungen im Münchener und Frankfurter Rayon nach New York geschickt hatte. Vgl. Tamiment 7015, Box 32, MK 89, Radiogram Schrager an JLC, 1947. 123 124

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von annähernd anderthalb Millionen ermordeten jüdischen Kindern, die Sprache des jüdischen Ghettos, die Sprache der Untergrundkämpfer, die Sprache des Martyriums in den Verbrennungsöfen, wird durch kulturlose Personen (amrotsim) und Funktionäre auch aus den Lagern vertrieben.“125 Patt zufolge gab es nicht eine einzige Schule in Deutschland, wo der Unterricht in Jiddisch stattfand und Wissen über jiddische Literatur vermittelt wurde. Kurz darauf erschien auch ein Bericht in der Monatszeitschrift des Arbeiterkomitees Faktn un meynungen (Fakten und Meinungen), der sich, gestützt auf Patts Bericht, über diesen gesellschaftlichen Skandal ereiferte und von einer systematischen Verfolgung der jiddischen Sprache sprach. Auch in den New Yorker Tageszeitungen Der tog und Morgn-frayhayt (Morgen-Freiheit) sowie in der bundistischen Presse in Paris erschienen Abhandlungen.126 Die offiziellen Instanzen der Sche’erit Hapleta reagierten umgehend auf diese Vorwürfe. In einer Pressekonferenz der Erziehungsabteilung präzisierte deren Vorsitzender Philip Friedman, dass das Programm „nicht grundsätzlich gegen das Jiddische [sei], sondern für das Hebräische als Schulprinzip“.127 Doch obwohl das Zentralkomitee eine offizielle Erklärung an den Jüdischen Weltkongress schickte, in der es jede Form von Boykott gegen die jiddische Sprache abstritt,128 richtete der Y. L.-Perets-Schriftstellerverband in New York eine besorgte Anfrage an die Berufskollegen in München und bat sie um ihre Einschätzung der Lage.129 Die Antwort war keineswegs eindeutig: In einer offiziellen Stellungnahme des Schriftstellerverbandes war von den Beschlüssen des zweiten Kongresses der Sche’erit Hapleta die Rede, denen zufolge sowohl Jiddisch als auch Hebräisch offizielle Sprachen waren. Hebräisch, so hieß es in der Antwort, würde in Grundschulen einerseits aus Mangel an jiddischen Lehrkräften und Lehrbüchern im Unterricht genutzt, andererseits sollten die Sprachkenntnisse auch auf die Auswanderung nach Palästina vorbereiten. In weiterführenden Schulen und in Kindergärten dagegen fände der Unterricht oft auf Jiddisch statt.130 Doch bereits zwei Wochen vor dieser offiziellen Stellungnahme erreichte ein Brief Hershl Vaynroykhs, Verwaltungsmitglied des Schriftstellerverbandes, die Patt, Jacob, A kheyrem af yidish in di lagern, in: Forverts, 2. 3. 1947. F. Inster, Yankev Pat – un der „kheyrem af yidish“ in di lagern, in: Bafrayung, 11. 5. 1947. Die Haltung der Redaktion von Faktn un meynungen war nicht zuletzt durch den Bericht Patts negativ, da dieser auch festhielt, dass die Exemplare der Zeitung, die man regelmäßig nach Deutschland schickte, nicht an die Leser verteilt wurden. 127 Ebd. 128 Keyn shum boykot af yidish in di lagern, in: Bafrayung, 18. 5. 1947. Auch das Zentralkomitee in Bergen-Belsen verfasste eine öffentliche Erklärung, um die Anschuldigungen zurückzuweisen. 129 YIVO 701, Folder 459, Rivlin an Schriftstellerverband, New York, 23. 4. 1947. 130 Ebd., Schriftstellerverband an Rettungsfonds, München, 18. 5. 1947. 125 126

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Kollegen in New York, in dem er seine private Meinung zur Streitfrage äußerte und durchaus die Ansicht vertrat, dass ein Boykott gegen Jiddisch existiere.131 Der Schriftsteller Mendel Mann, Mitglied der Linken Po’ale Zion, bestätigte diese Einschätzung für Regensburg.132 Lucy Schildkret wiederum telegrafierte an Leyvik, die Vorwürfe seien unbegründet.133 Auf der Schriftstellerkonferenz im Herbst 1947 drehte Ruven Rubinshteyn dann den Spieß um. Wie schon zu anderen Gelegenheiten definierte er die Sche’erit Hapleta als legitime kulturelle Erbin des osteuropäischen Judentums der Vorkriegszeit und kontrastierte die Leistungen der DPs mit der sprachlichen Entwicklung in den USA, wo zwar durchaus hochwertige Bücher und Zeitschriften produziert würden, die Leser aber überaltert seien. Er wies nicht nur den Vorwurf eines Boykotts gegen das Jiddische in den DP-Camps entschieden zurück, sondern klagte die amerikanischen Juden an, für den Untergang des Jiddischen in Amerika verantwortlich zu sein.134 Ähnliche Vorwürfe hatte auch schon Yitskhok Goldkorn erhoben und die amerikanisch-jüdischen Schulorganisationen zur Verantwortung gerufen. Zwar sei New York mit seinen Zeitungen, Verlagen und Einrichtungen jetzt, nach dem Untergang des osteuropäischen Judentums, das pulsierende Zentrum der jiddischen Kultur – durch mangelnde Nachwuchsförderung und -ausbildung sei dieses „Yerushalayim d’Amerike“135 aber zum Untergang verurteilt: „Ehrlich gesagt, hat auf einen der unseren, einen osteuropäischen Juden, die Yidishkayt des businessgetriebenen Amerikas immer den Eindruck einer eingemachten Yidishkayt bei in Bequemlichkeit (shalve) gealterten Parvenus gemacht.“136 Doch nicht nur unter den Schriftstellerverbänden in München und New York sorgten die Presseberichte für Aufregung. Auch in der sozialistischen Parteipresse in Deutschland wurde die Diskussion aufgegriffen. Die dabei vorgebrachten Argumente deuten klar auf die ideologischen Differenzen der unterschiedlichen Lager hin: Die Nayvelt, das Organ der Linken Po’aleZion, titelte: Efsher take a kheyrem? (Vielleicht eben doch ein Boykott?) und kritisierte die Erziehungsabteilung für ihre Sprachpolitik – nicht so sehr wegen einer klar antijiddischen Haltung, sondern wegen ihrer grundsätzlichen Ebd., Vaynroykh an Rivlin, Geltendorf, 3. 5. 1947. Tamiment 7015, MK 90, Box 33, Folder 19, Telegramm Gerovitsh an Jacob Patt, 5. 4. 1947. 133 Ebd., Telegramm Leyvik/Novick an Lucy Schildkret, 3. 3. 1947; ebd., Telegramm Jointfund an Tsukunft, 27. 3. 1947. 134 Fridenzon, Moyshe, Yerlekhe konferents fun yid. shrayber, zhurnalistn un kinstler, in: Jidisze cajtung, 14. 11. 1947. 135 Anspielung auf die Bezeichnung Yerushalayim d’Lite (das litauische Jerusalem), wie die Stadt Vilnius wegen ihres pulsierenden jüdischen kulturellen und religiösen Lebens genannt wurde. 136 Goldkorn, Yitskhok, Yidish – in Amerike, in: Bafrayung, 25. 7. 1947. 131 132

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Geringschätzung der Frage. Für die Partei, welche schon vor dem Krieg keinen Widerspruch zwischen einem jüdischen Staat mit der Nationalsprache Hebräisch und der Pflege jiddischer Sprache und Kultur gesehen hatte, besaß nun, nach dem Holocaust, der Sprachkampf keine Berechtigung mehr: Es ist sinnlos, ein Volk mit einem absurden Prinzip zu konfrontieren, indem dualistische Theorien wie die einer absoluten „Erneuerung“ geschaffen werden, und damit die Basis eines generationenlangen Volkslebens negiert wird. Aus keinem Kind kann ein guter Jude werden, wenn man ihm künstlich den Ursprung, die Vergangenheit, das Volkstümliche (di folkishe zakhn) nimmt. Für eine Generation, welcher Sholem Aleykhem, Perets und Sholem Ash fremd sein werden, wird auch Bialik unverständlich sein. Für Menschen, die ihre Eltern und Grosseltern nicht kennen, bleibt das Leben trocken und halb. [. . .] Das jüdische Kind und die Jugend, welche den Lagern entkommen sind, diejenigen, denen das Zentralste der jüdischen Identität entrissen worden ist, müssen unbedingt mit der ruhmvollen Vergangenheit, mit der Kultur und Sprache des bei lebendigem Leibe verbrannten Volkes vertraut gemacht werden.137

In der Bafrayung dagegen wusste man von bundistischen Agitationen, welche die ganze Aufregung verursacht hätten. Die Zeitung reagierte damit auf Korrespondenzberichte, die von Bundisten in Deutschland an die bundistische Yidishe shtime in Paris gerichtet worden waren.138 In der Bafrayung wehrte man sich besonders gegen diese Vorwürfe, in denen nicht nur von einer zionistischen Zensur der Sprache, sondern auch der jiddischen Literatur die Rede war. Denn gerade die zionistischen Parteien in Deutschland hatten sich für Publikationsmöglichkeiten der DP-Schriftsteller eingesetzt.139 In einem zynischen Kommentar wies die Bafrayung auf den Lesehunger in den DP-Camps hin. Der Verfasser beschrieb einen jungen Mann, den er – in ein jiddisches Buch vertieft – vor dem Müllerschen Volksbad in München gesehen hatte: „Und vielleicht ist der junge Mann mit dem jiddischen Buch weggelaufen, um zwischen den Deutschen zu lesen, weil vor dem jüdischen Komitee Plakate für einen Boykott gegen die jiddische Sprache hängen?“140 Auch Moyshe Lestni vermutete in der Landsberger Jidisze cajtung, dass es der Bund gewesen sei, der die alte Auseinandersetzung zwischen Jiddisch und Hebräisch wieder aufgegriffen habe. Schuld daran sei das gewaltige geistige Chaos und die inhaltliche Desorganisation unter den wenigen verbleibenden Anhängern. Denn viele der „gestrigen Anhänger des Bund, die heute

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Krigel, A., Efsher yo a kheyrem?, in: Nayvelt, 9. 11. 1947. Z. B. Shvarts, Moyshe, Blimelekh fun tsienistish-„demokratisher“ hershaft in di lagern, in: Undzer shtime, 24. 4. 1947. 139 Tsinshork, M., Tsvishn di shures, in: Bafrayung, 27. 6. 1947. 140 F. Intster, Yankev Pat – un der „kheyrem af yidish“ in di lagern in Daytshland, in: Bafrayung, 11. 5. 1947. 138

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die Katastrophe von morgen“ verhindern wollten, hätten der Partei den Rücken gekehrt. Nach Lestni waren die Vorwürfe nicht nur inkorrekt, er hielt die ganze Diskussion für verfehlt. Denn in den DP-Lagern in Deutschland sei genau der Fall eingetreten, den die Bundisten und alle anderen Anhänger des Jiddischen mit ihrer Politik nicht erreicht hätten: Die Presse ist jiddisch, das Theater ist jiddisch, die Bibliothek – jiddisch, Versammlungen, Vorlesungen, Diskussionen – werden auf Jiddisch abgehalten. Die offizielle Sprache aller Ämter ist Jiddisch, Losungen und Aufschriften an allen Wänden schreien dir zu: Rede Jiddisch und lerne Hebräisch. Auch die Schule ist teilweise jiddisch und teilweise hebräisch. [. . .] Abertausende Juden, die aus Polen, Russland, Rumänien, Ungarn, Griechenland, aus der Tschechoslowakei usw. gekommen sind und das hebräische Alphabet nicht beherrschten, reden heute nichts anderes als Jiddisch, schreiben Jiddisch, hören Jiddisch.141

Instrumentalisierte der Bund den Sprachenstreit, um auf seine schwache Stellung in den DP-Lagern aufmerksam zu machen? Ob von Seiten der Selbstverwaltungsorgane eine bewusst antijiddische Sprachpolitik verfolgt wurde, ist aus den Dokumenten nicht zu rekonstruieren. Sicherlich muss man aber bei dieser Frage zwischen dem Erziehungsbereich und den übrigen gesellschaftlichen Einrichtungen unterscheiden. Doch welche Bedeutung hatte der Bund überhaupt noch in den Lagern? Größere Gruppen existierten lediglich in Frankfurt und Landsberg. Auf der Konferenz der bundistischen Gruppen, die Anfang 1948 in Stuttgart stattfand, waren noch ungefähr 700 von ursprünglich 1200 aktiven Mitgliedern in insgesamt 36 lokalen Gruppen gemeldet.142 Diese wiederum sahen sich wegen ihrer als antizionistisch wahrgenommenen Haltung einer heftigen Polemik ausgesetzt. 1947 kam es erst in der Amerikanischen Besatzungszone in Österreich, dann auch in der Amerikanischen Zone in Deutschland zu Diskriminierungen von Bund-Mitgliedern. So kursierte in Bad Reichenhall ein Flugblatt, auf dem die folgenden Parolen zu lesen waren: 1. Juden, erinnert euch ans gestern, lasst euch nicht zurückführen in die Ghettos, in die Verbrennungsöfen durch den Bund! 2. Gedenke, dass deine Heimat Erets-Israel ist und kein anderes Land! [. . .] 5. Nieder mit dem „Bund“, der das jüdische Volk zu neuen Opfern führt!143

Lestni, Moyshe, Di ofensiwe fun „bund“ un zajne sibes, in: Jidisze cajtung, 6. 6. 1947. YIVO 1400, ME-18, Box 37, Folder 161, Protokol fun bundishe konferents in Daytshland, Stuttgart, 3./4. 1. 1948. Größere Gruppen gab es zu diesem Zeitpunkt unter anderem in Pokking, Eichstadt, Ulm, Erding, Giebelstadt, Freising, Ansbach, Hofgeismar, München, Wetzlar, Lampertheim, Dieburg, Bad Wörishofen, Gauting, Neu Freimann, Hof, Zeilsheim, Feldafing, Neu Ulm. 143 Tamiment, Wagner 232, Box 5, Folder 95, Flugblatt. 141 142

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Briefe – von Einzelpersonen, Gruppen und in einem Fall von einem amerikanischen Mitglied einer internationalen Hilfsorganisation (International Relief and Rescue Committee) verfasst –, die im Frühjahr 1947 an das Jüdische Arbeiterkomitee in New York gerichtet wurden, berichteten sogar von Überfällen auf Bundisten durch Zionisten in der Amerikanischen Besatzungszone Österreichs. Daran beteiligt waren offenbar alle zionistischen Gruppen, auch ein Anhänger der Linken Po’ale Zion.144 In Wasseralfingen wurde ein bundistisches Mitglied aus dem lokalen Arbeiterkomitee ausgeschlossen, Joint-Zuteilungen an Bundisten wurden durch das Wirtschaftsamt gekürzt. Am 19. März hängte die Lagerpolizei sogar eine Bekanntmachung auf, wonach einer ihrer Angehörigen wegen seiner Parteizugehörigkeit vom Dienst suspendiert worden sei. Es wurde auch berichtet, dass die Lagerverwaltungen bundistische Zeitungen ihren Empfängern nicht zustellten.145 Der bundistische Mitarbeiter des JLC, Benjamin Tabaczynski, schilderte im Juni 1947 nach einem Besuch in der Amerikanischen Besatzungszone, dass die Diskriminierung der jiddischen Sprache dort sehr wohl eine unbestreitbare Tatsache, ihr Ausmaß jedoch von den individuellen Lagerleitungen und Kulturämtern abhängig sei. So konnte eine Gruppe, bestehend aus Bundisten und Linken Po’ale-Zionisten, in Feldafing sogar einen Verlag gründen, der H. Leyviks In Treblinke bin ikh nisht geven in 8000 Exemplaren nachdruckte und weitere Veröffentlichungen plante. In einem Lager wie Feldafing, das eine politisch relativ ausgewogene Verwaltung hatte, war Jiddisch in vielen Bereichen die erste Sprache. In rein zionistisch geleiteten Lagern dagegen, so Tabaczynski, würde Jiddisch „auf Tritt und Schritt diskriminiert“.146 Auf der dritten Konferenz der Sche’erit Hapleta, im April 1948 in Bad Reichenhall, war von den Forderungen nach Zweisprachigkeit im Erziehungsbereich wenig übrig geblieben. Im Pressebericht über die Beschlüsse der Erziehungsabteilung, deren Zusammenarbeit mit der Hagana enger geworden war, hieß es: „Die [Schul-]Programme wurden an die Eretz-Israelischen Forderungen angepasst und sehen als einzige Unterrichtssprache Hebräisch vor.“147 Diese Forderungen bezogen sich auch auf eine andere

144 Ebd., Gerovitsh an Patt, 28. 4. 1947; ebd., Brief Arbeiterkomitee, o. D. [1947]; Joint GI/ 21B/S-1104, Jacob Patt an L. H. Sobel, 26. 4. 1947. Aus diesen Berichten geht auch hervor, dass ein Angehöriger des Joint den Bundisten vorgeworfen habe, keine richtigen Juden zu sein. 145 Tamiment, Wagner 232, Box 5, Folder 95, Gerovitsh an Patt, 9. 4. 1947; ebd., Goldfarb (Memorial), 13. 4. 1947. 146 Ebd., Redifes af yidish in di lagern, in: Undzer shtime (unvollständige Kopie); vgl. auch Tamiment 7015, Box 32, MK 89, Telegramm Tabaczynski an Patt, 26. 6. 1947. 147 Zitiert nach Der veker, Mai 1948. Nach demselben Bericht waren aber nur sechzig Prozent der Lehrer überhaupt des Hebräischen mächtig; zum Erziehungsprogramm der Hagana

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Entwicklung: Nachdem die Vereinten Nationen im November 1947 den Teilungsplan für Palästina angenommen hatten und die Staatsgründung näher rückte, beschloss die Hagana, die Sche’erit Hapleta nicht nur als Reservoir für die zukünftige Zivilbevölkerung, sondern auch für ihre Streitkräfte zu betrachten. Im Februar 1948 wurden zunächst alle wehrfähigen DPs dazu aufgerufen, sich freiwillig in den Dienst der Hagana zu stellen. Auf dem dritten Kongress der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone, der kurz vor der Staatsgründung Israels stattfand, wurde zum obligatorischen Gijus, zur Mobilisierung für die Streitkräfte in Palästina, aufgerufen: Männer und Frauen ohne Kinder im Alter zwischen 17 und 35 Jahren sollten sich in den Dienst des zukünftigen jüdischen Staates stellen.148 Mit der Werbeaktion wurden der Schriftstellerverband und eine spezielle Kommission unter Leitung von Ovadya Feld beauftragt.149 Die Mitglieder des Bund in Deutschland, denen im Vorjahr vorgeworfen worden war, mit ungenauen Informationen an die ausländische Presse die Vorwürfe aus Übersee und Frankreich angeheizt zu haben, setzten sich nun zur Wehr. Obwohl sie über keine regelmäßige eigene Publikation verfügten, veröffentlichten sie zum 1. Mai 1948 eine Sonderausgabe unter dem Titel Der veker (Der Wecker) – herausgegeben durch die bundistische Undzer shtime in Paris. Dort wurde ein weiteres Mal konstatiert, dass Jiddisch in den Schulen und in zahlreichen offiziellen Stellen weiterhin boykottiert würde, und auch darauf hingewiesen, dass durch die Mobilisierungskampagne junge Menschen dazu verpflichtet würden, für ein Land zu kämpfen, dessen Sprache sie nicht verstanden.150

Kulturkongress oder Kongresskultur? Waren die fast ausnahmslos zionistischen DP-Schriftsteller und Journalisten nun Förderer des Jiddischen? Oder waren sie reine Pragmatiker, die den Gebrauch der Sprache für die gegenwärtige Existenz in Deutschland befürworteten, um der Assimilation entgegen zu wirken? Wie sahen sie ihre eigene Rolle zwischen Diaspora und Israel, zwischen Jiddisch und Hebräisch? Diese Fragen lassen sich anhand der Berichterstattung über den Internatio-

und ihrer Zusammenarbeit mit dem Zentralkomitee siehe Patt, Finding Home and Homeland, 369–372. 148 Zu einer kritischen Lesart der Gijus-Kampagne siehe Grodzinsky, In The Shadow of the Holocaust, 167–208. Eine differenziertere Analyse findet sich in Patt, Finding Home and Homeland, 373–399. 149 Khronik: Direktoryum far dertsiung un kultur/shrayber-farband, in: Hemshekh I (1948), 69 f. 150 An Ulmer, Un dokh a kheyrem af yidish, in: Der veker, Mai 1948.

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nalen Jüdischen Kulturkongress (Alveltlekher yidisher kultur-kongres), der im Herbst 1948 in New York stattfand, zumindest teilweise klären. Der Aufruf zu diesem Kongress, die Vorbereitungen, die ein gutes Jahr in Anspruch nahmen, und der Kongress selber waren von zahlreichen Diskussionen in der internationalen jüdischen Presse begleitet, welche die Rolle der jüdischen und jiddischen Kultur in der Nachkriegszeit verhandelten. „Wir müssen für die Sche’erit Hapleta in Polen, Rumänien, Frankreich und allen anderen europäischen Ländern die Möglichkeit schaffen, ihre Sehnsucht nach dem jiddischen Wort, nach jüdischer Kunst und Kultur zu verwirklichen“, hieß es in einer Deklaration, die im September 1947 von 300 Schriftstellern, Lehrern und Künstlern in New York unterschrieben wurde.151 Obwohl der Kongress vom JLC angeregt worden war, wurde die Idee auch von zahlreichen anderen amerikanisch-jüdischen Organisationen mitgetragen, so vom Zionistischen Arbeiterkomitee, vom Arbeiter-Ring, dem Nationalen Arbeiterverband, TsIKO (Tsentrale yidishe kultur-organizatsye), dem Y. L. Perets-Schriftstellerverband, dem Jüdischen Pen-Club und der Wochenzeitung Tsukunft. Durch die ideologisch breite Zusammensetzung der organisierenden Verbände sollten die Teilnahme von Delegierten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Bereichen der Sche’erit Hapleta ermöglicht werden. Der Kulturkongress erklärte sich bereit, die Kosten für sechs Delegierte aus Deutschland zu übernehmen: Neben dem Schriftstellerverband, der bereits im Vorjahr über einen ähnlichen Kongress in Deutschland diskutiert und verschiedene Resolutionen an das Organisationskomitee in New York weitergeleitet hatte,152 sollten auch die Historische Kommission, das Zentralkomitee, die Po’ale Zion (z. s.)-Hitachdut, die Linke Po’ale Zion und der Bund repräsentiert werden.153 Das Zentralkomitee drückte seine Verwunderung über die Einladung an die bundistische Partei aus, denn eine solche Organisation, so heißt es in einem Schreiben nach New York, existiere in Deutschland überhaupt nicht.154 In einer späteren Stellungnahme präzisierte das Zentralkomitee, dass es nicht die Existenz kleiner bundistischer Gruppen leugnen wolle, dass aber deren Größe, gemessen an der gesellschaftlichen Stellung in der Vorkriegszeit, nicht einmal symbolischen Charakter habe: „Das jüdische Zentralkomitee würde sich ein paar Tausend lebengebliebene Bundisten wünschen, weil das ein paar Tausend lebengebliebene Juden bedeuten würde. . .“155 Probleme mit den amerikanischen

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Goldkorn, Yitskhok, Far an alveltlekhn yidishn kultur-kongres, in: Nayvelt, 9. 11. 1947. YIVO 294.2, Folder 1343, Protokoll vom 19. 9. 1947. YIVO 294.2, Folder 1509, Kulturkongress an David Orkow, New York, 8. 7. 1948. YIVO 294.2, Folder 39, Zentralkomitee an Kulturkongress, München, 5. 8. 1948. Ebd., Zentralkomitee an Kulturkongress, 8. 9. 1948.

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Behörden machten es letztlich unmöglich, dass die DPs, die „Zeugen der nationalen Katastrophe“, am Kongress teilnehmen konnten.156 Ein jüdischer Kulturkongress 1948 in New York hatte neben seinen kulturellen Zielen natürlich vor allem politische Relevanz. Seine Opponenten warfen dem Kongress vor, er wolle jüdisches Leben in der Diaspora rechtfertigen und zementieren. Darüber hinaus stehe die dort entworfene Kultur einseitig in der osteuropäisch-jiddischen Tradition. Differenzierter als in dieser Lesart, die den Kongress als rein jiddischistisches Unternehmen verstand, wurde in der Mapai-treuen Zeitung Dos vort in München berichtet. Dort machte man – gemäß der antiassimilatorischen und puristischen Sprachpolitik der Sche’erit Hapleta – darauf aufmerksam, dass die jiddische Kultur in den USA durch Assimilation, in Europa durch den Holocaust und in der Sowjetunion durch die systematische Unterdrückung und Ausgrenzung zum Untergang verurteilt sei. Wenn es dem Kongress nur darum ginge, diese Tradition zu bewahren, wende sich sein Programm nicht gegen ein jüdisch-hebräisches Kulturleben in Palästina. Im Gegenteil: Die sprachliche Assimilation, der Verlust der jiddischen Muttersprache, sei der größte Feind nationaler Identität: „[Juden] in der so genannten ‚Diaspora‘, die aufhören Jiddisch zu reden, werden dies nicht zu Gunsten von Hebräisch tun, sondern die Landessprache annehmen.“ Der Versuch, jiddische Sprache und Kultur zu fördern, komme also nicht der Absicht gleich, die nationale und kulturelle Bedeutung des Hebräischen zu minimieren. Nur „blinde Narren“ könnten die natürliche Verbindung zwischen Jiddisch und Hebräisch für das jüdische nationale Projekt leugnen.157 Mordkhe Kroshnits, Redakteur der Bafrayung, referierte auf der zweiten Schriftstellerkonferenz im November 1947 zu den Problemen des Kulturkongresses. Für ihn war der politische Kampf für einen jüdischen Staat nicht vom Kampf um die Erhaltung jüdischer Kultur zu trennen. Auch er warnte vor der Assimilation als mächtigem Feind. Das Ziel, das sich der Kulturkongress zu stellen habe, müsse deshalb eine Verpflanzung der Diasporakultur nach Palästina sein. Kroshnits kritisierte auch die parteilichen Differenzen, welche die Organisation erschwerten. Die Diskussion um die Frage nach der Beteiligung der kommunistischen Kreise hatte zu einer Spaltung in der Organisation geführt – die pro-sowjetische TsIKO beschloss deshalb, in Paris einen eigenen Kongress durchzuführen, der sich aber in seinen Zielsetzungen, der Stärkung und Konsolidierung jiddischer Kultur, nicht vom geplanten Kulturkongress in New York unterschied. Das Zentralkomitee der polnischen Juden ebenso wie das YIVO und der Jüdische Welt-

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Der shrayber-farband fun der sheyres-hapleyte bashlist. Sinal, L., Undzer yidish kultur-lebn, in: Dos vort, 23. 1. 1948; in ähnlicher Weise argumentiert auch Shalit, Levi, Nokhn kultur-kongres, in: Jidisze cajtung, 16. 8. 1948. 157

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kongress zogen sich in der Folge aus der Organisation beider Kongresse zurück. Kroshnits forderte zu einer Einigung beider Seiten auf, die „in Anbetracht der ernsten und wichtigen Aufgabe im kulturellen Gebiet“ mit einem vereinten Kongress die Aufgaben erfüllen sollten, welche sie sich gestellt hätten: „Wie schmerzlich die Uneinigkeiten über den Kulturstreit auch sind, wird der Schriftsteller und Künstler der Sch[e’erit]-H[apleta] doch einen Weg gemeinsam mit denjenigen finden, deren aufrichtiger Wille es ist, dem Ruf [nach Einigkeit] entgegen zu kommen.“158 Eine besonders kritische Stimme in Deutschland war Yitskhok Goldkorn. In der Zeitung der Linken Po’ale-Zion charakterisierte er im November 1947 den Kulturkongress als acte de force für die Fortsetzung künstlerischer und kultureller Tätigkeit. Goldkorns Interesse richtete sich vor allem auf den fünften Punkt der Resolution des Kulturkongresses, in welchem auf die Dringlichkeit moralischer und kultureller Unterstützung der Juden in Deutschland aufmerksam gemacht wurde: „Völlig richtig! Uns fehlt es vielleicht nicht weniger an kultureller denn an materieller Hilfe. [. . .] Auf eine Bevölkerung von 150.000 Personen kommen hier nur ein paar Tausend Bücher.“ Gleichzeitig warf er aber auch die Frage auf, ob nicht auch die Juden in Amerika dieser Hilfe bedürften.159 Im Sommer 1948 fanden schließlich Kongresse nicht nur in New York und Paris statt, sondern auch in Italien. Und selbst in der Sche’erit Hapleta wurden Rufe nach einem eigenen Kongress laut. Goldkorn erteilte dieser Idee eine klare Absage. Er kritisierte, dass mit einer „Kongresskultur“ die eigentlichen Probleme nationaler Kultur nicht gelöst werden könnten. Nationale Kultur basiere auf der Sprache, die aber natürlich wachsen müsse, um in alle Lebensbereiche vordringen und die breiten Massen erreichen zu können. Die Entwicklung einer gewachsenen Nationalsprache könne nicht durch „schöne Resolutionen und fromme Reden“ vorangetrieben werden. Bereits in der Zwischenkriegszeit habe die jiddische Kultur auf wackligen Beinen gestanden. Auch jetzt, so Goldkorn, könne ein Kulturkongress nicht verhindern, dass das „Assimilationswasser durch alle Löcher in unser Volksschiff strömt“. Die jiddische Kultur müsse in der Diaspora zum national-kulturellen Faktor erhoben und gestützt werden. Ein Kulturkongress in München könne höchstens palliative Wirkung haben. Dort gäbe es zum Beispiel nur zwei kleine jüdische Bibliotheken, und zur Buchpremiere eines Nachwuchsschriftstellers wären lediglich acht Zuhörer erschienen: Auch hier, wie in vielen anderen Gebieten des menschlichen Lebens herrscht oberflächlicher Lärm, Quasipathos, ein Kulturmilieu, das vor sich hin „kulturiert“

158 Kroshnits, Mordkhe, Tsum problem fun a yidishn kultur-kongres (oystsugn fun a referat gehaltn af der konferents fun shrayber-farband), in: Bafrayung, 14. 11. 1947. 159 Goldkorn, Yitskhok, Far an alveltlekhn yidishn kultur-kongres, in: Nayvelt, 9. 11. 1947.

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– dass man meinen könnte, es gäbe hier Kultur. Auch hier, in dem dritten Glied der mächtigen Dreieinigkeit: Volk, Land, Kultur – auch hier herrscht allmächtig der Diktator der Mystifizierung – die „konventionelle Lüge“. Aufgepasst, ein Kongress ist doch ein Kongress: ein Kongress in New York, in Paris, Rom und in der Stadt des „Auditoriums der acht“ – München [. . .] Ein Kongress – ein Tashlikh160 in ein Meer aus Reden, wo man die Sünden des Gewissens hineinwirft [. . .] Nicht in Konferenzen und Kongressen wird unsere jiddische Sprache in der Diaspora wieder auferstehen, sondern nur in der noch leisen Stimme der geistigen Konzentration, der kulturellen Verantwortung, der jüdischen Kulturreligion, die zu moralischer Disziplin und kultureller Selbstprüfung führen soll.161

Nach dem Kongress, der schließlich zwischen dem 16. und 21. September 1948 in New York stattfand, charakterisierte Samuel Gringauz in der Münchener Neue Welt die Veranstaltung als „Kongress einer massakrierten Kultur“. Seine zahlreichen Kritikpunkte spiegeln die Diskussionen wider, die im Vorfeld in den Spalten der DP-Presse in Deutschland geführt worden waren. Der Kongress war von den po’ale-zionistischen Kreisen, dem Bund und diversen überparteilichen Gruppen und Persönlichkeiten dominiert worden. Die jüdische Welt hinter dem eisernen Vorhang und ihre Sympathisanten hatten den Kongress boykottiert. Ebenso waren religiöse und bürgerliche Parteien abwesend. In gleicher Weise wie Teile der politischen jüdischen Öffentlichkeit fehlten, repräsentierte der Kongress auch nicht die gesamte jüdische Kultur: „Es war ein Kongress für jüdische Kultur in jiddischer Sprache. Demnach war aus dem Kongressbereich ipso facto ausgeschieden: Die jüdische Kultur in Hebräisch, die gesamte jüdische Kultur in den nichtjüdischen Sprachen, wie Deutsch, Englisch usw., die sephardisch-jüdische und die orientalisch-jüdische Kultur.“ Gringauz argumentierte, dass von der jiddischen Kultur der Vorkriegszeit als einer „Erlebniskultur“ – darunter verstand er eine Kultur, die in einem spezifischen Lebensumfeld verankert war – nur noch Reste übrig geblieben seien, die sich in einem „geographisch und kulturell transitorischen Zustand des Übergangs“ befänden. In Amerika sei dies vor allem ein generationsbedingter Übergang. Die jiddische Kultur in den USA sei daher eine kinderlose Kultur. Wie die Kritiker aus dem linken zionistischen Lager in der Sche’erit Hapleta rief auch Gringauz zu mehr Pragmatismus auf und forderte, die jüdische Kultur in Israel weiterzubauen, dort, wo sie seiner Meinung nach eine Zukunft haben konnte:

160 Tashlikh (Du sollst hineinwerfen): Name eines Gebetes, das zum jüdischen Neujahrsfest am Ufer eines fließenden Gewässers gesprochen wird. Die Sünden werden dabei symbolisch ins Wasser geworfen. 161 Goldkorn, Yitskhok, A kultur fun kongresn, in: Bafrayung, 16. 7. 1948.

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Ein DP-Shtetl oder der Prototyp eines Kibutz galujot?

Es war ein tragischer Kongress. Es war der Kongress einer massakrierten Kultur. Man kann den Mut der Menschen bewundern, die aus den Ruinen einer untergegangenen Welt neue Paläste und Städte bauen wollen. Man muss aber den Mangel ihrer Umsicht bedauern. Man muss die Tatsache bedauern, dass diese mutigen Menschen gänzlich übersehen, dass das große nationale Erdbeben gewisse Dinge unwiderherstellbar zerstörte, und dass man die neuen Paläste auf neuem Boden, aus neuen Stoffen und mit neuen Methoden bauen muss.162

Die Schriftsteller und Journalisten der Sche’erit Hapleta tendierten, ungeachtet ihrer politischen Überzeugungen, dazu, Hebräisch als erste offizielle Sprache eines jüdischen Staates zu betrachten. Gleichzeitig aber wurde Jiddisch als Trägerin und Vermittlerin einer nationalen Kultur mit Wurzeln in Osteuropa besonders für die Gegenwart gewürdigt. Damit unterschied sich diese Gruppe einerseits von den Parteigenossen im Jischuw beziehungsweise in Israel, die das Jiddische als Ausdruck der Diaspora ablehnten. Andererseits opponierten sie mit ihrem Pragmatismus aber auch gegen die nostalgischen und oft genug rein theoretischen Versuche, die jiddischsprachige Kultur in der Diaspora am Leben zu erhalten.

Der Versuchsaufbau Sche’erit Hapleta Mit der beginnenden Auflösung der Sche’erit Hapleta nach der Staatsgründung Israels wurde unter den Journalisten und Schriftstellern das Verlangen laut, dieser einzigartigen Epoche Sinn zu verleihen und ein Fazit zu ziehen. 1949 beschrieb der Publizist und Pädagoge Baruch Graubard die Sche’erit Hapleta als historischen Versuchsaufbau, an dem modellhaft und im Zeitraffer die Entwicklung einer Gesellschaft durchgespielt werden könne. Ohne die Sche’erit Hapleta zu idealisieren oder zu kritisieren, zeichnete Graubard ihre Entwicklung als dynamischen, von inneren Kräften getriebenen Prozess nach. Dabei bestritt er nicht, dass die Juden in Deutschland von äußerer Hilfe abhängig waren – „Ideologie gab Eretz-Israel, materielle Lebensgrundlagen Amerika“163 – und für den Verwaltungsbereich fand er den Vergleich mit kolonialen Systemen durchaus zutreffend. Diese äußeren Kräfte, so Graubard, seien aber viel zu schwach gewesen, um den Charakter und die gesellschaftliche Entwicklung der Sche’erit Hapleta grundlegend zu beeinflussen.164 162 Gringauz, Samuel, Kongress „für uns selbst“. Zum Weltkongress der jüdischen Kultur in New York, in: Neue Welt, 12. 10. 1948. 163 Graubard, Geven a sheyres-hapleyte, 108. 164 Ebd., 108 f.

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Im selben Jahr benutzte Graubard die apokalyptische Ezechiel-Vision von der Wiederbelebung der toten Gebeine, um zu illustrieren, welche unglaublichen Kräfte die Sche’erit Hapleta mobilisiert hatte.165 Mordkhe Kroshnits griff für die Sche’erit Hapleta, die in ihren „ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen unnormalste jüdische Gemeinschaft“, denselben biblischen Vergleich auf: Es fällt uns schwer zu glauben, dass ausgerechnet das Häufchen Skelette, die ausgetrockneten Knochen ohne Blut und Fleisch, die geistige Fähigkeit des jüdischen Menschen enthüllen, mit eigenen Kräften aus dem Abgrund erzwungener Erniedrigung, zu einem moralisch-sauberen und kulturell-schöpferischen Leben zurückzukehren [. . .].166

Auch der Chefredakteur der Jidisze cajtung, Moyshe Lestni, las die Geschichte der Sche’erit Hapleta als Erfolgsgeschichte, doch erweiterte er seine zionistisch geprägte Gesellschaftsanalyse um die Feststellung, dass der Sche’erit Hapleta weit mehr als eine Rückkehr zur Normalität gelungen sei. So argumentierte er, die zeitweilige jüdische Gemeinschaft baue zwar auf dem Erbe einer untergegangenen Welt auf, löse sich jedoch zunehmend von dieser Vergangenheit und orientiere sich an der Zukunft. Diese nationale Zukunft war in seinen Worten der „Grundstein, den die Sche’erit Hapleta zu ihrem gesellschaftlichen Bau in der deutschen Diaspora gelegt hat“.167 In Deutschland habe diese Gruppe verschiedene psychologische und intellektuelle Veränderungen durchgemacht. Zwar seien die natürlich immer von den weltpolitischen Veränderungen abhängig gewesen, doch hätten die Juden in Deutschland durch ihre Erfahrungen wie Seismographen auf kleinste Ereignisse reagiert. Dies sei besonders im Kampf um einen jüdischen Staat spürbar geworden, der sich in der aktiven zionistischen Bewegung ausgedrückt habe. Lestni sprach der Sche’erit Hapleta eine bedeutende Rolle in diesem Kampf zu: Durch Demonstrationen und Protestversammlungen, besonders aber auch durch die illegale Einwanderung, die ihren Höhepunkt 1947 in der Reise des Flüchtlingsschiffes Exodus gefunden hatte, habe sie einen ganz entscheidenden Beitrag geleistet.168 Die Kritiker warnte Lestni davor, vorschnelle Analysen auf alten Gesellschaftsmustern aufzubauen: „Diejenigen, welche [die] Plus- und Minuspunkte [der Sche’erit Hapleta] mit den normalen alten Maßstäben der früheren Heimat messen, haben gar nichts gelernt.“ Vielmehr sei es die Leis-

165

Graubard, Baruch, Der „sheyres-hapleyte“-etap in yidishn teater, in: Hemskhekh II (1949),

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Kroshnits, Mordkhe, Bibliografishe notitsn, in: Hemshekh II (1949), 51 und 61. Lestni, Moyshe, Sheyres-hapleyte afn shvel fun likvidatsye, in: Hemshekh II (1949), 46. Ebd., 49.

20. 167 168

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tung der „geistig und moralisch nackten“ Holocaust-Überlebenden gewesen, als isolierte Gemeinschaft in Deutschland ein normales gesellschaftliches Leben aufzubauen: Jetzt, wo wir uns inmitten des Auflösungsprozesses befinden und einen Blick zurück werfen, auf den Ursprung der Sche’erit Hapleta – fragen wir uns: Ist es denn wahr, dass hier eine soziale Gruppe aus lebenden Menschen gelebt und gewirkt hat? War es nicht einmal ein fernes, langsam verstummendes Echo eines vormals stürmischen, kochenden und vielfarbigen jüdischen Lebens? Haben wir uns in unseren Leistungen, in unserer Existenz selbst getragen? Werden wir nicht manchmal von einem mächtigen Widerstandsgeist getrieben, der uns nicht aufhören und absterben lässt? Ein Widerstandsgeist, der aus jenen ungeheuren geistigen Zentren des osteuropäischen Judentums stammt? Wir müssen feststellen, dass etwas aus jenem großen geistigen Erbe, welches das osteuropäische Judentum uns überlassen hat, bewusst oder unbewusst in uns weiterlebt. Noch eine wichtige Kraft hat uns am Leben erhalten [. . .] – das ist die Kraft Israels, die während der ganzen Zeit in unserem Bewusstsein gelebt hat. Diese beiden Faktoren haben unser Leben beherrscht und haben uns die Beharrlichkeit gegeben, weiter zu leben.169

Ähnlich wie Moyshe Lestni äußerte sich auch Efroyim Shrayer über die Schattenseiten der Sche’erit Hapleta. Für ihn waren die negativen gesellschaftlichen Entwicklungen eine natürliche, gleichzeitig aber auch irritierende, Nebenerscheinung eines Genesungsprozesses: Es gab Zeiten, als die Sche’erit Hapleta das Symbol offener Volkswunden von der jüdischen Zerstörung war – die außergewöhnliche Vorstellung von Todesgespenst und Wiederbelebung der Toten. [. . .] Danach vergingen Tage, graue, lange Wochen und Jahre. Aus den geschundenen Schädeln wurden wieder Menschen – Menschen mit allen Schwächen und normalen Gewohnheiten. Als das Außergewöhnliche vorüber war und aus der Gewöhnlichkeit nackte Wahrheit wurde, änderten sich auch die Vorstellungen über die Sche’erit Hapleta und damit die Beziehung zu ihr. Ein Teil unserer Brüder wurde es müde, mit uns nach Hilfe zu schreien, andere wurden es müde, Hilfe zu bringen.170

In den unterschiedlichen Analysen und Diagnosen der Journalisten fallen verschiede Punkte auf: Die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung wird als Prozess beschrieben, der von inneren Dynamiken ausgeht. Weiter wird die Geschichte der DPs als kollektive Geschichte von Khurbn un gvure gelesen, indem eine direkte Linie von der Befreiung aus den KZs bis zur Auflösung der DP-Camps gezogen wird. Diese Lesart, welche die Sche’erit Hapleta als uniforme Opfergruppe sieht, entspricht auch dem Narrativ, das die zionistischen Parteien durch Gedenk- und Kulturveranstaltungen bei

Ebd., 50 f. Shrayer, Efroyim, Sheyres hapleyte hot ir oyfgabe derfilt, in: Nayvelt, 3. 9. 1948. In ähnlicher Weise argumentierte er auch in Dos letste kapitl, in: Der morgn, 25. 11. 1949. 169 170

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den Displaced Persons selbst verankern wollten. Gleichzeitig wird aber für die Gegenwart auch die facettenreiche Gesellschaftsstruktur hervorgehoben: Von Anfang an haben sich Menschen mit Menschen, Gruppen mit Gruppen, mehr durch Gefühl als durch Sprache verstanden. Zum ersten Mal haben die Juden Grenzen und Zäune gesprengt. Es haben sich Juden aus Polen und Litauen, Tschechien, Rumänien und Ungarn, Griechenland und Deutschland getroffen [. . .], die Menschen standen vor einem neuen Anfang, einem Neubeginn.171

In der Sche’erit Hapleta waren Juden aus zahlreichen Ländern zusammengekommen und hatten trotz aller sprachlichen und kulturellen Unterschiede eine funktionierende Gesellschaft aufgebaut. Baruch Graubard verglich den Rest der Geretteten mit einem Kibutz galujot (Die Sammlung der Zerstreuten).172 Dieser biblische Ausdruck war in der jüdischen Tradition zum Sinnbild für die Rückkehr des jüdischen Volkes in das eigene Land geworden und fand sogar Eingang in die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel. Die Übertragung dieses historisch aufgeladenen Begriffes auf die Schicksalsgemeinschaft der Juden in Deutschland nach dem Holocaust reflektierte so die offizielle Version eines intuitiven Zionismus in der Sche’erit Hapleta, wie er nicht zuletzt in der jiddischen Presse propagiert wurde. Als „Judenstaatsbürger unterwegs“173 wurden die DPs in ihrer unfreiwilligen Gemeinschaft als Prototyp für den Kibutz galujot, den Staat Israel, definiert. Eine Sammlung der Zerstreuten auf Probe also? Eine gewagte Rhetorik, die aber verdeutlicht, welche Stellung sich die Sche’erit Hapleta als Gruppe mit eigener Ideologie und Identität zuerkannte. Rückblickend sollte Goles Daytshland in die Geschichte jüdischer Exilgemeinden eingereiht werden – als symbolische letzte Station auf dem Weg in die Eigenstaatlichkeit.174 Mit einer bewussten Akzentverschiebung schrieb Mordkhe Kroshnits, Redakteur der po’ale-zionistischen Bafrayung, die Sche’erit Hapleta in diese Reihe ein: Nicht das goldene Zeitalter in Spanien wurde zum Musterbild einer Diasporagemeinde gemacht, sondern die jüdische Gemeinschaft in Amsterdam und Den Haag nach der Vertreibung der Juden aus Spanien. Auch die jüdischen Gemeinden in Wolhynien und Podolien konnten erst zur Wiege der modernen jiddischen Kultur werden, nachdem sie nach den Pogromen der Jahre 1648/1649 wieder aufgebaut worden waren. Zwar nahm Kroshnits davon Abstand, diese Entwicklungszyklen auf die jüngste Katastrophe direkt zu übertragen. Trotzdem konnte er mit diesem kontrapunktischen Geschichtsverständnis die Sche’erit Ha171 172 173 174

Graubard, Baruch, Vegn a sheyres-hapleyte-almanakh, in: Bafrayung, 19. 11. 1948. Graubard, Geven a sheyres-hapleyte, 106. Verstaendig, M., Refleksn iber jeusz un trejst, in: Ibergang, 26. 1. 1947. Levin, Leyzer, Vegn der sheyres-hapleyte-prese, in: Bafrayung, 14. 1. 1949.

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Ein DP-Shtetl oder der Prototyp eines Kibutz galujot?

pleta in eine spezifische kulturelle Kontinuität einschreiben.175 Durch diese Akzentverschiebung ließ sich die Sche’erit Hapleta in die Tradition jüdischer Reaktionen auf Zerstörung einreihen. Doch während der Jischuw den Holocaust als letzten und endgültigen Beweis für das Scheitern der jüdischen Diaspora ansah, differenzierte die Sche’erit Hapleta als Erbin der Diasporakultur diese Auffassung. Mit einem selbstbewussten Rückbezug auf die europäisch-jüdische Geschichte und Tradition unterbreiteten die Journalisten und Politiker der Sche’erit Hapleta ein weit gefasstes kulturelles Identifikationsangebot, das den Rahmen politischer Aufklärungsarbeit weit überstieg und einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Bildung leistete.

175 Kroshnits, Mordkhe, Tsum problem fun a yidishn kultur-kongres, in: Bafrayung, 14. 11. 1947.

Das Land verlassen [. . .]. Am schwersten überfällt es den Dichter. Die Sprache ist seine Seele, die Figuren, die er gestaltet, sind sein Körper. Er kann nur Atem schöpfen, wo seine Sprache lebendig ist, und sein Leben erlischt, wo er nicht mehr versteht und nicht verstanden wird. Veza Canetti, Die Schildkröten1

5. Geven a sheyres-hapleyte – Auflösung und Aufbruch

Natürlich bin ich beinahe auf den Rücken gefallen, als ich heute Ihr liebes Brieflein von so weit weg erhalten habe. Denn ich wusste ja noch nichts [. . .]. Wenn ich an den Fenstern vorbeigehe, könnte man manchmal meinen, Sie wären noch da. Denn die Blümlein sind wunderbar gepflegt und die hübschen blumigen Vorhänge verbergen, dass jetzt nurmehr einer dahinter wohnen tut. Hoffentlich kann Ihr lieber Gemahl alles so gut und nach Wunsch erledigen, dass er bald zu den Seinen kommen kann [. . .]. Vielleicht wird Meuschi und Mausi schon von einem netten Negermädchen betreut? Gell, ich bin voller Fragen? Aber lassen Sie sich nur Zeit zu antworten. Alle Ihre Briefe gehören Ihrem vereinsamten Gatten jetzt. Das sehe ich vollkommen ein. Und nun leben sie alle drei recht froh und gesund und wohl in der neuen Heimat, die es erst ganz werden wird, wenn das Oberhaupt der kleinen Familie wieder mit ihr vereint ist.2

Diese warmen Worte richtete im Sommer 1951 eine Frau Moxter an ihre Nachbarin Rose Volpe, das „liebe Wölpchen“, nach Südafrika.3 Die Frau des Poeten Dovid Volpe war im Mai 1951 mit den beiden Kindern nach Johannesburg geflogen. Er verließ Deutschland zwei Monate später, nachdem die Wohnung an der Schumannstraße in München aufgelöst und die neuen Möbel, erworben mit Wiedergutmachungsgeldern, verkauft waren. Auf den Monat genau sieben Jahre waren vergangen, seit er mit einem Transport aus dem Ghetto Kaunas nach Dachau gelangt war. Während der sieben Jahre war aus dem KZ-Häftling ein Patient im Kloster St. Ottilien geworden, danach ein DP in München, der eine jüdische Überlebende heiratete und mit ihr eine Familie gründete. In seiner Wohnung verkehrten jiddische Schriftsteller; Freundschaften entstanden, die Jahrzehnte überdauern sollten. Mit der körperlichen Genesung, der neuen 1 2 3

Canetti, Die Schildkröten, 27. JNUL Arc. 4° 1683, Moxter an Rose Volpe, München, 11. 6. 1951. Ebd., Moxter an Rose Volpe, München, 10. 7. 1951.

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Geven a sheyres-hapleyte – Auflösung und Aufbruch

Sinngebung durch die Familie bedeuteten die Jahre in Deutschland eine Rückkehr zu alltäglichen Strukturen. Natürlich konnte eine solche Rückkehr nicht frei sein von Ambivalenzen, von Spannungsfeldern zwischen individuellem Lebensentwurf und kollektiver Ideologie, zwischen der (räumlichen) Nähe zur deutschen Bevölkerung im Alltag und der Distanz und Entfremdung in der literarischen und journalistischen Auseinandersetzung mit ihr: Während ein deutsches Kindermädchen mit seinem Sohn spielte, schrieb Volpe an einer Artikelserie unter dem Titel Miniaturn fun mordland (Miniaturen aus dem Mörderland).4 So wie Volpe blieben auch zahlreiche andere Mitglieder des Schriftstellerverbandes nach der Staatsgründung Israels einstweilen in Deutschland. Die Zeitungsredaktionen, in manchen Fällen auch die Parteien und Selbstverwaltungsorgane, boten ihnen Arbeit, und mit ihren Beiträgen erfüllten sie didaktische und gesellschaftspolitische Funktionen. In Deutschland hatten sie sich einen Namen gemacht und einen gewissen gesellschaftlichen Status erworben. Berufliche und private Netzwerke vermittelten ein paradoxes Gefühl der Beheimatung. Die Emigration aber bedeutete den Verlust dieser Erfahrungs- und Schicksalsgemeinschaft und oft genug auch der Sprache und damit des Berufes. Denn selbst die verhasste deutsche Sprache war den meisten von ihnen näher als das Englische oder Hebräische. Wo sollten sie als jiddische Schriftsteller und Journalisten, oft ohne zusätzliche Berufsausbildung, einige von ihnen bald fünfzigjährig, einen neuen Platz finden? Obwohl sie die Auflösung ihrer zeitweiligen Gesellschaft herbeisehnten, zögerten sie ihre Emigration hinaus und wurden zu Akteuren im letzten und oftmals grotesken Kapitel der Sche’erit Hapleta.

5.1. Die Liquidierungsphase – „Ein Fall für den Satiriker“? Dieses letzte Kapitel setzte mit der Massenauswanderung der jüdischen DPs im Verlauf des Jahres 1948 ein. Durch die Staatsgründung Israels im Mai und der Lockerung der Immigrationsbestimmungen für die USA und andere Länder im Sommer hatte die Zeit in der „Transitstation“5 endlich ein Ende. Die Sche’erit Hapleta in der Amerikanischen Besatzungszone verkleinerte sich von über 130.000 Personen im September 1947 auf ungefähr 90.000 im Sommer 1948. Ein weiteres Jahr später hielten sich weniger als 30.000 jüdische DPs dort auf. Durch die kontinuierliche Emigration konnte die IRO die von ihr verwalteten DP-Lager zusammenlegen und schließlich 4 Volpe, Ikh un mayn velt, 335; ders., Miniaturn fun mord-land, in: Dos vort, September 1949. 5 Elentsvayg, Yisroel, Der prints in blote, in: Hemshekh I (1948), 22.

Die Liquidierungsphase

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ganz auflösen. Von den 55 Lagern, die im September 1947 existierten, waren im Frühsommer 1949 noch ganze 21 übrig geblieben. Im November desselben Jahres war ihre Zahl auf neun gesunken.6 Die Zahlen vermitteln ein optimistisches Bild kontinuierlicher Emigration. Doch für die Auswanderer selbst war diese, von ihnen zynisch als „Liquidierungsphase“ betitelte Zeit mit Ängsten und Unsicherheiten verbunden, die sich nicht nur auf den Neuanfang bezogen, sondern auch auf die Auflösung der sozialen Strukturen, die sich während der Phase relativer Stabilität herausgebildet hatten. Denn die Schließung von Einrichtungen bedeutete in vielen Fällen nicht die Auswanderung ihrer Bewohner, sondern zunächst nur ihre Umsiedlung in andere Camps. Um die Emigration systematisch vorantreiben zu können, vereinbarten das Zentralkomitee und der Sochnut, die DPs nach Auswanderungsziel getrennt unterzubringen. Seit Herbst 1948 gab es daher Camps für Israel-Emigranten und solche für DPs, deren Auswanderung in die USA und in andere Länder bevorstand. Auch die Gruppe von Personen, die noch nicht auswandern konnten oder wollten, bekam eigene Lager zugewiesen. Das Hauptinteresse von Sochnut und Zentralkomitee galt der ersten Gruppe.7 Aber auch diese Auswanderer mit Destination Israel wurden in ihren letzten Wochen und Tagen vor der Abreise mit Zuständen konfrontiert, die an die Situation in den provisorisch eingerichteten DP-Camps in den ersten Monaten nach Kriegsende erinnerten. Beunruhigend war die Lage besonders in den Auswanderungslagern Hochland und Geretsried, wo sich auch nach monatelangen Protesten nichts zu verändern schien. Kritik an der Liquidierung wurde im In- und Ausland erhoben. In der Zeitung der Allgemeinen Zionisten berichtete Ovadya Feld:

6 Der Beginn der Liquidierung hatte bereits im Sommer 1947 mit der Ablösung der UNRRA durch die neu gegründete IRO begonnen. Zu Schließungen in größerem Rahmen kam es allerdings erst mit Einsetzen der Massenemigration. Die die Fluktuation in der Auswanderungsphase besonders groß war, werden hier bewusst Grobwerte genannt, da – genauso wie für die gesamte Existenz der Sche’erit Hapleta in Deutschland – keine exakten demographischen Daten zu ermitteln sind. Siehe: Joint GI/6A1/C-45.068A2, Samuel Haber an Harry Greenstein, Statistics of Jews in Germany, 7. 4. 1949. Sapir zitiert die Schätzungen der IRO mit 91.396 jüdischen DPs für den 30. Juni 1948 und 30.408 für den 30. Juni 1949, gibt aber zu bedenken, dass durch die ungenauen Auswanderungsstatistiken in den einzelnen Camps die Zahlen zehn bis zwanzig Prozent über den realen Daten liegen. Siehe Sapir, Central Europe, 315 und 318; Grodzinsky, In the Shadow of the Holocaust, 148; Joint GI/6A2/C-45. 068. 1, Breakdown Showing Estimated Composition of Present Camps as of 1 June, 1949 – U. S. Zone, Germany; Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 154. 7 Joint GI/6A2/C-45. 068. 1, Maurice Lipian an Sam Haber, Re: August 1948 Report, München 13. 9. 1948; ebd. C-45.069, Army Department Releases Rabbi Bernstein’s Report, Hold for Release until Sunday, October 26, 1947.

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Geven a sheyres-hapleyte – Auflösung und Aufbruch

Es gibt Tage und Wochen, wo in den sechs Baracken 1000 bis 1200 Auswanderungswillige gehalten werden, schlimmer als in einem Schweinestall. 20–22 Personen teilen sich ein Zimmer von 18–20 Quadratmeter. Die Wände und der Boden sind so schmutzig, als wären sie noch nie gereinigt worden. Das Schlafen in diesen Zimmern ist eine Tortur, weil wegen der Enge nicht jeder in den Luxus eines eigenen Bettes kommt. Der Auswanderer, der 3–8 Tage und manchmal auch länger unter solchen Bedingungen hausen muss, lebt im größten Schmutz im wörtlichen Sinne. In beiden Lagern gibt es keinerlei sanitäre Aufsicht und nicht der kleinste Einfluss einer Administration ist zu spüren, die sich zumindest um die minimalsten Bedürfnisse eines lebenden Menschen kümmern soll [. . .]. In Hochland gibt es drei Holzbaracken, in welchen es unmöglich, einfach skandalös ist, Familien mit kleinen Kindern unterzubringen. In Hochland, wo 1000 Auswanderer hineinpassen [. . .], gibt es nur fünf deutsche Frauen, die für Ordnung in den Baracken sorgen und die Zimmer nach Abreise des letzten Transportes aufräumen.8

Feld schrieb die Schuld an diesen entwürdigenden Bedingungen in erster Linie dem Sochnut zu, in dessen Händen die gesamte Organisation der Emigration nach Israel zusammenlief. Der frühere Bricha-Aktivist verlangte einen respektvolleren Umgang mit der Sche’erit Hapleta und machte deutlich, dass die Mitarbeiter des Sochnut keine Militärattachés seien, sondern normale Beamte mit der verantwortungsvollen Aufgabe, den Auswanderern bei ihrer Ausreise behilflich zu sein. Mit der Bricha hätten die Flüchtlinge Hunger und Kälte aushalten müssen, „aber heutzutage gibt es alle Möglichkeiten, damit die Alija planmäßig organisiert und unter menschlichen Bedingungen stattfinden kann.“ Doch auch das Zentralkomitee, so Feld, habe bei den Verhandlungen mit der IRO versagt und die Parteien, die bisher das gesamte politisch-gesellschaftliche Leben gestützt haben, dürften nicht ruhen. Gerade sie müssten auf die Instanzen, die eine direkte Verantwortung trügen, Druck ausüben.9 Wer sich gegen eine Alija und für eine Auswanderung in die USA entschied, musste damit rechnen, durch die von der IRO vorangetriebenen Campschließungen erneut von einem Lager ins nächste verlegt zu werden. Bis zur definitiven Auswanderung konnte sich dieser Prozess bis zu viermal wiederholen. Mit Sorge und bisweilen auch Panik reagierten die Bewohner daher auf Informationen und Gerüchte über bevorstehende Umsiedlungen, deren endgültiges Ziel in manchen Fällen noch zwei Wochen vor dem definitiven Schließungstermin eines Lagers nicht feststand.10 Durch die Umzüge verzögerte sich mitunter auch die bevorstehende Emigration, da Papiere Feld, Ovadya, Hokhland un Geretsrid, in: Tsienistishe shtime, 9. 12. 1948. Ebd. 10 YIVO 294.1, Folder 43, JDC Monthly Report for April, 1949, for Area 6 Gauting, 28. 4. 1949; YIVO 294.2, Folder 62, Bericht über die Liquidierungen in Hofgeismar, Rochelle, Hasenecke, 17. 2. 1949. 8 9

Die Liquidierungsphase

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nicht rechtzeitig und nicht immer an die richtigen Stellen transferiert wurden.11 Mitarbeiter amerikanisch-jüdischer Hilfsorganisationen kritisierten das Vorgehen des Sochnut, der – so der Vorwurf – durch Lautsprecherdurchsagen und Affichen über bevorstehende Schließungen bewusst mit den Ängsten der DPs spiele, um sie zu einer Auswanderung nach Israel zu bewegen.12 Auch die Bundisten in Deutschland vermuteten hinter den wiederholten Umsiedlungsaktionen ein politisches Programm. Auf einer speziell einberufenen Konferenz im März 1949 war man sich einig, dass den Umsiedlern Verdienstmöglichkeiten entzogen würden und Emigranten, die ihre geplante Auswanderung in die USA öffentlich machten, mit Schikanen rechnen mussten.13 Gegen solche Vorwürfe verteidigten sich zionistische Kreise. Mordkhe Libhaber hielt fest, dass keine DPs ausgehungert würden. Er selbst plane in die USA zu emigrieren und befinde sich noch nicht im „Konzentrationslager des Zentralkomitees“.14 In ähnlicher Form reagierte auch Efroyim Shrayer, nachdem der jiddische Schriftsteller Dovid Eynhorn in der New Yorker Tageszeitung Forverts massive Kritik an den überstürzten Campliquidierungen und der Korruption in Selbstverwaltungsorganen und Parteien geübt hatte. Eynhorn zufolge hatte man die DPs, die weiterhin in Deutschland ausharrten, zu „Menschenmaterial“ degradiert, „nützlich oder nutzlos für die Nation, den Staat, die Partei“.15 Obwohl Eynhorn sich offensichtlich mit den DPs zu identifizieren versuchte, wurden seine Aussagen als politische Stellungnahme wahrgenommen und verurteilt. Besonders der provokative Vergleich Eynhorns zwischen den Lagerkomitees und den Judenräten in den Ghettos stieß den Lesern in Deutschland sauer auf. In Der morgn (Der Morgen), der Zeitung der neu gegründeten Mapam in Deutschland, reagierte Shrayer zynisch auf Eynhorns Artikel:16 Wie lächerlich kommt uns Dovid Eynhorn und seine Vorstellung vom Leben in den Lagern vor [. . .]. [Er] glaubt, dass die Lager mit Stacheldraht umzäunt sind,

11 YIVO 294.1, Folder 42, Ferencz an Lipian, JDC Report for the month of March 1949, Bamberg, 24. 3. 1949. 12 Ebd., Diamant an Lipian, JDC Monthly Report, Bad Reichenhall, 24. 3. 1949; YIVO 1400, JLC, Box 7, Folder 21, Barikht fun di tetikaytn fun dem yidishn arbeter komitet far di khadoshim april un may, 1949. 13 Ebd., ME-18, Box 37, Folder 170, Bund-Exekutive Deutschland an JLC New York, Stuttgart 20. 3. 1949. 14 Libhaber, Mordkhe, Rand-notitsn, in: Tsienistishe shtime, 17. 5. 1949. 15 Eynhorn, Dovid, Di yidn fun di lagern in Daytshland un zeyere kritiker, in: Forverts, 28. 5. 1949. 16 Die Mapam in Deutschland ging Mitte Februar 1949 aus einer Fusion von Po’ale Zion (z. s.), Linker Po’ale Zion und Haschomer Haza’ir hervor. Die entsprechen Weltverbände hatten sich bereits im November des Vorjahres zusammengeschlossen. Vgl. Gar, Bafrayte yidn (Teil I), 142.

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Geven a sheyres-hapleyte – Auflösung und Aufbruch

von „zionistischen SS-Leuten“ bewacht werden, welche den armen Lagerbewohnern jeden Tag ein Stück Brot zuwerfen, einen Teller mit Wasser geben, für welchen die Lagerbewohner sich bücken, dreimal täglich die Hatikwa und die Internationale singen müssen.17

Unter den betroffenen DPs führte die Opposition gegen die Campschließungen letztlich zu einer Partei übergreifenden Solidarisierung und einer generellen Kritik am Zentralkomitee: Nachdem Gerüchte über die Schließung des Lagers bekannt wurden, kam es im Lager Föhrenwald im Juni 1949 zu einer öffentlichen Protestaktion mit 1000 Teilnehmern. In diesem Camp wohnten damals 3700 Personen, fast ein Viertel davon Kinder im Alter von unter zehn Jahren. Einige hundert Familien befanden sich mitten im Emigrationsverfahren in die USA und in andere Länder. Eine Schließung des DP-Lagers hätte für viele eine Verzögerung im bürokratischen Auswanderungsprozess gebracht und durch das Wegfallen der Beschäftigungsmöglichkeiten in den Lagerwerkstätten auch zu finanziellen Engpässen geführt. In einem Memorandum forderten Zionisten, Bundisten, religiöse und unparteiische Juden, die Liquidierung drei Monate auszusetzen, um damit die nötige Zeit für die Abwicklung der Auswanderungsformalitäten zu haben. Auch in Neu Freimann kam es zu einer spontanen Protestkundgebung. Und aus dem Lager Feldafing zogen am 23. Juni 1949 300 Demonstranten ins zwanzig Kilometer entfernte München, wo sie das Zentralkomitee besetzten, Mobiliar beschädigten, Scheiben einschlugen und angeblich sogar versuchten, den Vorsitzenden des Zentralkomitees zu verprügeln.18 Doch trotz dieser Zwischenfälle und Proteste ging die Konsolidierung und Auflösung der Lager weiter, bis sie im September 1949 schließlich zum Stillstand kam. Übrig blieben die Lager Feldafing, Gabersee, Lechfeld, Landsberg und Föhrenwald, die sich alle im südbayerischen Raum befanden.19 Die DPs, die nach den Auswanderungswellen weiterhin in Deutschland verblieben, zögerten ihren endgültigen Ausreisetermin aus gesundheitlichen, familiären oder auch finanziellen Gründen hinaus. Briefe von bereits ausgewanderten Freunden und Bekannten, Radioberichte und Zeitungsartikel ließen die Zurückgebliebenen einmal getroffene Entscheidungen in Frage stellen. Positive Berichte aus Israel konnten DPs, die bereits für die Auswanderung in die USA zugelassen waren, ihre Emigrationsabsichten verwerfen lassen. Klagen über knappen Wohnraum und begrenzte Arbeitsmöglichkeiten in Israel wiederum lösten Verunsicherung unter denjenigen 17

Shrayer, Efroyim, Shrayber, nider arop fun olimp, in: Der morgn, 1. 7. 1949. YIVO 1400 ME-18, Box 1270, Folder 173, Naye faktn vegn der „likvidatsye“ fun di yidishe di-pi-lagern in Daytshland; ebd., Folder 175, Vi azoy me hot likvidirt dem lager Nay-Frayman?; Tamiment 7015, MK 262, Box 89, Folder 15, Gerovitsh an Tabaczynski, 27. 6. 1949. 19 Ebd., MK 261, Box 89, Folder 5, Bella Meiskin an Jacob Patt, München, 9. 12. 1949; ebd., Telegramm Jacob Patt an F. Shrager, New York, 14. 12. 1949. 18

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aus, die sich auf die Alija vorbereiteten.20 Manch einer hoffte immer noch auf ein Visum für die Vereinigten Staaten oder andere Länder und hielt die Option, in Israel ein neues Leben aufzubauen, nur für den Fall bereit, dass alle Stricke rissen.21 Yosef Gar beispielsweise hatte auf diese Karte gesetzt und bereits einen Teil seines Besitzes nach Israel verschifft, als er doch noch einen Immigrationsbescheid für die USA erhielt. Das war eine Gelegenheit, so der Journalist, „die er nicht verpassen wollte.“22 Aus Angst, die Ansprüche auf Restitutionszahlungen zu verlieren, zögerten selbst Personen, deren Auswanderungsanträge bereits genehmigt waren, ihre Abreise hinaus, denn man wollte nicht als „patentierte arme Schlucker“ ein neues Leben aufbauen müssen.23 Sowohl die israelischen als auch die amerikanischen Emigrationsbehörden waren in konkreten Fällen oft machtlos: Im Oktober 1949 harrten in Neu Freimann ungefähr 400 Personen aus, die beteuerten, unmittelbar nach Erhalt des Geldes nach Israel abzureisen.24 Die Instabilität, die zunehmende Verschlechterung der Infrastruktur und des Zuteilungssystems in den Lagern veranlasste ganze Gruppen, denen eine weitere Umsiedlung bevorstand, sich in den umliegenden Städten niederzulassen. In einem Bericht der Bundisten vom Juni 1949 hieß es: An gewissen Orten ist die „Liquidierung“ [. . .] einfache Fiktion: Deutsche Wohnungen ersetzen die Lagerwohnungen. So ist die Mehrheit der Lagerbewohner aus Neu Freimann in die Stadt, nach München gezogen. Von den 1200 Stuttgarter Lagerjuden, die man nach Heidenheim hätte „liquidieren“ sollen, sind bis zum Transport nur 43 geblieben [. . .]. Teile der „liquidierten“ Juden im Kasseler Rayon [. . .] haben sich in Frankfurt niedergelassen. Gruppen von Juden aus dem „liquidierten“ Lager in Diebelstadt haben sich in Würzburg und Frankfurt niedergelassen. Juden aus dem „liquidierten“ Lager in Lampertheim haben sich in Worms niedergelassen. Auf diese Weise führt die „Liquidierung“ dazu, dass die Anzahl Juden in Deutschland eher vergrößert und ihre Ausreise erschwert wird.25

YIVO 294.1, Folder 43, AJDC Monthly Report for April 1949, Gauting, 28. 4. 1949. Lestni, Moyshe, Aliye, emigratsye un – blaybn in Daytshland, in: Naye yidishe tsaytung, 8. 12. 1950. 22 YIVO 1258, Yosef Gar an Philip Friedman, München, 18. 9. 1948. 23 Rubinshteyn, Ruven, Aliye-problemen fun der sheyres-hapletye (kitser fun a fortrag, gehaltn af der rat-zesye), in: Tsienistishe shtime, 16. 9. 1948; Tamiment 7015, MK 261, Box 89, Folder 4, Slowdown of Restitution Payments Responsible for Decrease in Emigration (ITA), München, 24. 11. 1949; Joint GI/6A1/C-45.068A2, American Joint Distribution Committee, Report for the Month of September 1949. Einen Überblick zur Rückerstattungsdebatte bietet: Goschler, Die Bedeutung der Entschädigungs- und Rückerstattungsfrage und ders., Wiedergutmachung, 152f und 161–163. Zur Behandlung dieses Themas in der DP-Presse bis 1947 siehe Mankowitz, Life between Memory and Hope, 226–230. 24 Joint GI/6A1/C-45.068A2, American Joint Distribution Committee, Report for the Month of October 1949. 25 YIVO 1400, ME-18, Box 1270, Folder 173, Naye faktn vegn der „likvidatsye“ fun di yidishe di-pi-lagern in Daytshland. 20 21

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Ende der 40er Jahre stellte unerwartet eine weitere Gruppe die Hilfsorganisationen vor Probleme. Rückkehrer aus europäischen Ländern wie Frankreich, Holland oder Belgien, vor allem aber so genannte Jordim, Remigranten aus Israel, waren teilweise auf abenteuerliche Weise nach Deutschland gekommen: In einem Bericht des Joint von Ende 1950 ist davon die Rede, dass einige von ihnen sich in Israel hätten taufen lassen, um dann von der katholischen Kirche eine Pilgerreise nach Italien finanziert zu bekommen. Von dort aus schließlich überquerten sie die Grenze nach Deutschland und ließen sich vor allem im DP-Lager Föhrenwald nieder. Durchschnittlich 200 Personen monatlich erreichten nun zum zweiten Mal und meist ohne gültige Papiere Deutschland. Schätzungsweise 3500 Rückkehrer erreichten zwischen 1948 und 1953 Föhrenwald.26 Das Klima, gescheiterte Versuche, wirtschaftlich und sozial Fuß zu fassen, die neue Sprache hatten sie zur Rückkehr getrieben – nicht um in Deutschland zu bleiben, sondern um von dort aus in die USA und andere Länder zu emigrieren. Doch auch manchen Amerika-Emigranten gelang kein Neuanfang. Besonders nach München kehrten Anfang der 50er Jahre anscheinend etliche Familien – oft nach nur wenigen Monaten – zurück, die sich vor der Auswanderung wirtschaftlich etabliert hatten.27 Durch die Liquidierung verlagerte sich das jüdische Leben zunehmend von den Lagern in die Stadt: Zum 1. September 1950 ging der Joint von rund 24.000 Personen aus, von denen mehr als die Hälfte außerhalb der DPCamps lebte. Im November 1950 waren in den drei letzten DP-Camps in Feldafing, Föhrenwald und Lechfeld 8161 Personen gemeldet. Gut anderthalbmal so viele Juden, deutsche Juden mit eingerechnet, lebten in insgesamt 76 Gemeinden.28 Mehr als an jedem anderen Ort war in München diese Abwanderung in die Städte bemerkbar. Rund um das Verwaltungszentrum der Sche’erit Hapleta und den Sitz der Hilfsorganisationen ballte sich das jüdische Leben. Auch fast alle Schriftsteller hatten sich hier angesiedelt, denn sämtliche Parteibüros, und damit auch die Redaktionen der Parteipresse, operierten von München aus.

26 Joint GI/6A2/C-45.068 A1, Infiltrees/Present Population Statistics; Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 169–172. 27 Interviews mit Hanna Brodt (12. 2. 2007) und Helene Haberman (4. 3. 2007). 28 Joint GI/5B2/C-45.016, AJDC Supply Department. Germany. Populations Statistics, 1. 9. 1950; Joint GI/6A2/C-45.068B, AJDC Operation Department, Bi-Monthly Report for October–November 1950.

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Die Liquidierung der Kultur Während der Auflösungsphase stieg die Unzufriedenheit mit den Selbstverwaltungsorganen und den zionistischen Parteien. Als nach der Staatsgründung Israels zahlreiche Personen, die über Jahre hin das Rückgrat des Zentralkomitees gebildet hatten, Deutschland verließen, wurden die vakanten Stellen ohne offizielle Wahlen neu besetzt – obwohl das Zentralkomitee erst Ende 1950 aufgelöst wurde, fanden nach 1948 keine weiteren Kongresse und damit auch keine Wahlen mehr statt. Eine hohe Fluktuation war auch in den Lokal- und Lagerkomitees zu verzeichnen.29 Da sowohl der Joint als auch die IRO ihre Mitarbeiterstäbe reduzierten, entglitt diesen der Einfluss auf die Selbstverwaltung der DPs in einem solchen Ausmaß, dass Samuel Haber einen völligen Kollaps befürchtete. Die Auswanderung war so sehr ins Zentrum jeglicher Aktivität gerückt, dass sich in den DP-Lagern weder die Administration noch die Bevölkerung um Versorgung und Hygiene kümmerten.30 Die vormals starken Komitees in den Städten Frankfurt, Stuttgart und München hatten, nach einem Bericht des Joint, ihre Tätigkeit bis auf das Ausfüllen von Wiedergutmachungsanträgen fast völlig eingestellt. In den kleineren Gemeinden war die Selbstverwaltung praktisch zum Erliegen gekommen.31 Korruption und Amtsmissbrauch stiegen dagegen sprunghaft an, Skandale häuften sich. Im Winter 1948/1949 sorgte beispielsweise die Affäre um die „Liebesgaben“ vom Schweizerischen Grünen Kreuz für Wirbel: Bei der Hilfsorganisation waren Briefe eingegangen, in denen im Namen von Zentralkomitee, Parteien und Berufsverbänden um materielle Unterstützung gebeten wurde. Bald stellte sich aber heraus, dass es in einigen Fällen zu Unterschriftenfälschung und Amtsmissbrauch gekommen war. Offenbar hatte auch der mittlerweile aufgelöste Schriftstellerverband, so ein Vorwurf Meylekh Tshemnis, seinen Stempel „für diese süßen Zwecke von den Toten auferstehen lassen“.32 Aber auch in den offiziellen Anfragen an das Grüne Kreuz kam es nicht selten zu Unregelmäßigkeiten, denn um mehr Hilfsgüter zu bekommen, wurden auf Namenslisten auch Personen aufgeführt, die Deutschland längst verlassen hatten.33 In dieser chaotischen Auflösungsstimmung, in der die Sorgen um die finanzielle Absicherung der persönlichen Zukunft und die schnelle Emigra-

29 Königseder/Wetzel, Lebensmut im Wartesaal, 94; Joint GI/6A2/C-45. 068. 1, Maurice Lipian an Sam Haber, Re: August 1948 Report, München 13. 9. 1948. 30 Joint GI/6A1/C-45.068A2, Samuel Haber an Harry Greenstein, Statistics of Jews in Germany, 7. 4. 1949. 31 Ebd., American Joint Distribution Committee, Report for the Month of October, 1949. 32 YIVO 315, Box 29, Meylekh Tshemni an Redaktion Tsukunft, 25. 10. 1949; ebd., Meylekh Tshemni an H. Leyvik, 14. 10. 1949. 33 Der Fall ist ausführlich dokumentiert in: YU Bernstein-Collection, Box 5, Folder 5–7.

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tion an vorderster Stelle standen, konnten auch strikte Verordnungen des Zentralkomitees nicht verhindern, dass ein nicht geringer Teil des gesellschaftlichen Eigentums in private Hände gelangte.34 Nach der Auflösung der Bibliotheken wurden die Bücher – aus dem Ausland eingeführte und solche aus der Feder der DP-Schriftsteller – anscheinend zu billigen Preisen an die Parteimitglieder verkauft. Einer der bestürzendsten Vorwürfe an die Instanzen war jedoch, dass ein beträchtlicher Teil der Bücher als Makulatur an deutsche Betriebe verkauft worden sei. Moyshe Lestni zeigte sich entsetzt über diesen „geistigen Schwarzhandel“: Wer kann sich vorstellen, dass Juden [. . .] jüdische Bücher, Schaffungen des jüdischen Geistes, als Makulatur an Deutsche verkaufen? Kann ein jüdisches Herz verstehen, wie es möglich sein kann, dass Juden, von Hitler gepeinigte Juden, Deutsche dafür anstellen sollen, jüdische Bücher – profane und heilige – anzuzünden? Ja, Deutsche haben wieder Feuer gelegt, in welche jüdische Bücher geschleudert wurden, haben wieder Schätze jüdischer Geistigkeit zerstört – nur diesmal mit dem Einverständnis der Juden selbst.35

Lestni wies die Schuld an dieser Bücherverbrennung, daran, dass jüdische Bücher „in Deutschlands Mülleimern“ gelandet seien, den Selbstverwaltungsorganen zu: Man habe die jüdische Bevölkerung geistig verarmen lassen, indem man die Kultureinrichtungen noch vor der Auflösung der Lager liquidiert habe.36 Tatsächlich mussten nicht nur in den DP-Camps, sondern seit Jahresbeginn 1949 auch in München Kultureinrichtungen und Berufsverbände ihre Arbeit einstellen. Mit der Liquidierung des Schriftstellerverbands, des Schauspielerverbands und der historischen Kommissionen fiel auch die finanzielle Unterstützung ihrer Mitglieder durch das Kulturamt des Zentralkomitees weg. Mit dem Eigentum der Verbände wurde fahrlässig umgegangen. Ein Mitglied des aufgelösten Repräsentanztheaters MIT verzeichnete in seinem Tagebuch: „Dekorationen, Plakate und Kostüme hat man in den Hof der Möhlstraße 12a geworfen“. Zur Illustration legte er zwei Photographien bei, auf denen die weggeworfenen Requisiten zu sehen waren. Daran – in einem letzten Akt von Galgenhumor – war das Werbeplakat für eine der erfolgreichen Produktionen des Ensembles, Di hofenung, befestigt.37 Ruven Lifshits reimte dazu: 34 YIVO 294.2, Jesojdesdike basztimungen wegn der likwidacje fun gezelszaftliche giter in der Szeerit-Haplejta, 5. 11. 1948. 35 Volf, M., A sheyres-hapleyte tog-bukh, in: Naye yidishe tsaytung, 8. 12. 1950; Lestni, Moyshe, Natsionale profanatsye, in: Naye yidishe tsaytung, 1. 12. 1950. 36 Ebd.; Libhaber, Mordkhe, Mai ka mashma lan likvidatsye?, in: Tsienistishe shtime, 13. 1. 1949; YU Bernstein-Collection, Box 5, Folder 8, Grupe jidisze kultur-tuer in Minchen, 30. 10. 1950. 37 Volf, M., A sheyres-hapleyte tog-bukh, in: Naye yidishe tsaytung, 8. 12. 1950.

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Abb. 4: Das hebräische Wörterbuch von Jehuda Gur wird von der Tsienistisher shtime durch den Fleischwolf gedreht und in Geld, Kaffee und Schokolade umgesetzt (Afn tsimbl, o. D.) Wozu brauchen sie Theater?/Regisseure und Autoren?/Kommt man doch mit Autos weiter,/also kaufen sie Motoren./Braucht denn jemand Literaten,/Bühnenbilder und Kulissen?/Der Kultur wird es nichts schaden,/wird man davon nichts mehr wissen./Konkurrenz hat sich erneuert,/und das ZK, dieses kühne,/hat die Schauspieler gefeuert/und steht selber auf der Bühne./Das Präsidium hält in Händen/die Regie dieser Komödie,/und ein paar Statisten spenden/auch noch Beifall der Tragödie./Fabrikanten werden alle,/Neo-Ford-Kapitalisten./Auf der Bühne dann, im Falle,/spielen sie die „Sozialisten“.38

Baruch Graubard, der im November 1948 die Leitung des Kulturamtes übernahm, wollte vor der endgültigen Einstellung kultureller Arbeit noch ein letztes großes Projekt in Angriff nehmen: Eine präzise Dokumentation des sozialen, kulturellen und politischen Lebens der Sche’erit Hapleta. Gemeinsam mit Yekhezkl Keytlman und dem bildenden Künstler Maximilian Feuerring plante er, einen Almanach herauszugeben, der „im möglichen Rahmen ein umfassendes historisches Dokument der Sche’erit Hapleta werden [sollte], von ihrer Entstehung bis zur Liquidierung“.39 Erklärtes Ziel der Herausgeber war es nicht nur, eine erste historische Gesamtdarstellung vorzulegen. In Verbindung mit der Arbeit sollten auch die Archivbestände gesammelt und zukünftigen Historikern zugänglich gemacht werden. Denn die Sche’erit Hapleta hatte, so Graubard, die Verantwortung für die eigene YIVO 294.1, Folder 536, Richard Lipschütz, Cy wos Teater???!!! Okrongoli, D. [Yitskhok Goldkorn], Di shrayber-mishpokhe fun der sheyres-hapleyte – erev aliye, in: Der morgn, 4. 3. 1949; siehe auch Spartan, Y., A vikhtike kultur-aktsye, in: Der morgn, 29. 4. 1949. 38 39

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Geschichte zu tragen, weil diese Geschichte der Überlebenden des Holocaust in Europa, der „Fahnenträger jüdischer Ewigkeit“, nicht in Universitätsarchiven verschwinden, sondern schon in Kindergärten gelehrt werden solle. Als „Geschichte in Großbuchstaben“ bezeichnete Graubard die Geschichte der Displaced Persons, die nach seiner Einschätzung noch nach Jahrzehnten mythologische Bedeutung in der kollektiven Erinnerung Israels tragen würde. „Ich bin sicher“, so Graubard damals, „dass die Juden in Israel und anderen Ländern in vielen Jahren Expeditionen von Gelehrten nach Deutschland schicken werden, um die Zeit in den Lagern zu rekonstruieren. Es ist möglich, dass sie sich wundern werden, wieso wir unser historisches Material verstreut und es nicht gesammelt haben. Es ist möglich, dass sie das nicht verstehen werden“.40 Zwar hatte die Zentrale Historische Kommission immer wieder dazu aufgerufen, auch Dokumente über das Leben in den DP-Camps zu sammeln, doch galt ihr Hauptinteresse den Geschehnissen während des Holocaust. In ihren Beständen, die zwischen Herbst 1948 und Frühjahr 1949 nach Israel überführt wurden, um später in die Archive von Yad Vashem integriert zu werden, waren die Veröffentlichungen der Sche’erit Hapleta nur lückenhaft vorhanden.41 Da die Kommission zum Jahresanfang 1949 ihre Auflösung bekannt gab und ihre Mitarbeiter bald danach Deutschland verließen,42 übernahm im Februar 1949 eine dem Zentralkomitee unterstellte Auflösungskommission die Verantwortung für die Archivbestände der Sche’erit Hapleta. In einem Zirkular wurden die Lager-, Regional- und Gemeindekomitees dazu angehalten, sämtliche Dokumente in stabilen Transportkisten nach München zu schicken.43 Die Verantwortung für die Zusammenführung der Archive lag bei Graubard.44 Zahlreiche Lagerarchive waren zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits der Liquidierung zum Opfer gefallen und unwiederbringlich verloren.45 Das amtierende Zentralkomitee teilte Graubards konservatorisches InteGraubard, Baruch, Vegn a sheyres-hapleyte-almanakh, in: Bafrayung, 19. 11. 1948. Die Historische Kommission führte einen Fragebogen mit dem Titel Nokhmilkhomedike iberlebungen (Erlebnisse aus der Nachkriegszeit), der sich vorwiegend mit Fragen (negativer) deutsch-jüdischer Begegnungen beschäftigte. Sie wandte sich auch mit der Aufforderung, Tätigkeitsbücher (Pinkasim) zu erstellen, an einzelne Lagerkomitees. Vgl. Jockusch, Collect and Record!, 291 f. Es existieren allerdings keine Informationen darüber, ob dieses Projekt auch ausgeführt wurde. Mündliche Mitteilung von Laura Jockusch (3. 2. 2007). 42 Jokusch, Jüdische Geschichtsforschung im Lande Amaleks, 37 f. 43 YIVO 294.2, Folder 39, Cirkular Nr. 8, Centr. Likwidacje Komisje, München, 2. 2. 1949. 44 Ebd., Folder 41, Centr. Likwidacje Komisje, München, 19. 5. 1949. 45 Schwarz, The Redeemers, 315. Die vom Zentralkomitee gesammelten Archivbestände bilden den wesentlichen Teil der Displaced Persons Camps and Centers in Germany Records des YIVO-Institutes (YIVO 294.2). Teilweise erhebliche Lücken und das vollständige Fehlen von Akten zu bestimmten DP-Camps in dieser Sammlung bezeugen die Verluste, die während der Auflösungsphase entstanden. 40 41

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resse, nicht aber seinen Wunsch, einen Almanach der Sche’erit Hapleta veröffentlicht zu sehen, so dass Graubard im März 1949 seinen Mitarbeitern im Namen der Redaktion bekannt geben musste, dass die nötigen finanziellen Mittel nicht bewilligt worden waren.46 Aus Ärger darüber entschloss er sich im Sommer 1949 dazu, seine gesammelten Feuilletons, in denen sein Alter Ego Moyshe Yosl über die Alltagsprobleme der DPs berichtet, in Buchform unter dem Titel Geven a sheyres-hapleyte (Es war einmal eine Sche’erit Hapleta) herauszugeben. Der bildende Künstler Maximilian Feuerring, mit dem er gemeinsam den Almanach gestalten wollte, entwarf ein passendes Titelblatt: Es zeigte das Symbol der Sche’erit Hapleta, einen Baumstumpf mit einem frischen Trieb. Allerdings turnte in Feuerrings Interpretation eine Gruppe fröhlicher DPs auf dem dünnen Ast herum. In der Einleitung hieß es: Dereinst werden sich die jüdischen Historiker die Haare raufen und schreien: Was ist passiert? Hat die Sche’erit Hapleta denn keine Spur hinterlassen? Sie werden theoretisieren, sich gegenseitig am Kragen packen, aber es wird ihnen helfen – wie einem Toten Schröpfköpfe. Die Rädelsführer der Sche’erit Hapleta werden sie schon nicht mehr aus den Gräbern holen und vor Gericht fragen können, wieso sie Dokumente weggeworfen und nur die Maschinen behalten haben.47

Mit dem gesammelten Material, das auch vieles enthalte, das man eigentlich verbergen wollte, so hieß es weiter, wolle er die zukünftigen Historiker zu einem Bankett einladen, auf dem keine Toasts ausgebracht, sondern ein bisschen Wahrheit ausgesprochen werden sollte.48 Als Nachwort fügte Graubard eine historische Analyse der Sche’erit Hapleta hinzu, in der er ihre Entwicklung seit den ersten Tagen der Selbstorganisation, über die Veränderungen durch die Infiltration, bis zu ihrer Rolle im Kampf um jüdische Eigenstaatlichkeit nachzeichnete.49 In einer Form, die – so ist zu vermuten – für den Almanach vorgesehen war. Das Jahr 1949 wollte er allerdings nicht mehr zur Geschichte der Sche’erit Hapleta zählen, denn „in diesem Jahr lieferte das Restchen der Sche’erit Hapleta Material für den Satiriker. Und nur für den Satiriker.“50 Dieser Devise folgend machte sich ungefähr zum selben Zeitpunkt eine Gruppe Kulturschaffender in einer einmalig erschienenen satirischen Zeitschrift mit dem Titel Afn tsimbl (Im Kreuzverhör) Luft. Auch das Titelblatt dieser recht chaotisch zusammengestellten achtseitigen Zeitung zeigte das

46 JNUL Arc. 4° 1558, Yitskhok Goldkorn, Folder 2, Nr. 17, Baruch Graubard an Yitskhok Goldkorn, München, 8. 3. 1949. 47 Graubard, Geven a sheyres hapleyte, o. S. 48 Ebd. 49 Ebd., 103–110. 50 Ebd., 110.

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Abb. 5: Titelblatt zu Baruch Graubards Satiren

Symbol der Sche’erit Hapleta. Diesmal versammelte sich um den Baumstumpf allerdings eine Gruppe Giraffen, die mit Appetit die zarten jungen Blätter auch von den obersten Zweigen des frischen Triebes fraßen. In den satirischen Artikeln und Abbildungen wird deutlich, dass mit den Giraffen sowohl das Zentralkomitee als auch das Parteiwesen gemeint waren, die sich auf Kosten der Sche’erit Hapleta bereicherten und diese nicht nur finanziell, sondern auch kulturell und moralisch in den Ruin trieben.51 Kernstück der Zeitung bildet eine „Tragödie in drei Akten“ unter dem Ti-

51

Afn tsimbl; Tam, Sheyres-hapleytediks, in: Tsienistishe shtime, 23. 9. 1949; eine Datierung

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tel Der almanakh (Der Almanach), der satirisch die Gründe für das Scheitern von Graubards anvisiertem Projekt beleuchtet: In den kurzen Szenen wird ein Redakteur damit beauftragt, einen Almanach der Sche’erit Hapleta zusammenzustellen. Nachdem aber klar wird, dass es in seiner Absicht steht, eine historisch fundierte Abhandlung vorzulegen, ohne darin Zentralkomitee und Parteien zu hofieren, beginnen sich die korrupten Instanzen Sorgen zu machen. Schließlich wird dem Redakteur mitgeteilt, dass sein Projekt abgesetzt sei. Nicht er, sondern die Instanzen, so heißt es, würden definieren, was Geschichte ist: Die Instanz: Redakteur, fangen sie mit der Arbeit an und machen sie einen Almanach. Sie verstehen, darüber, was wir erreicht haben und überhaupt die ganzen Sche’erit Hapleta-Geschichten [. . .]. Redakteur: Einverstanden. Ein wichtiges Kapitel Geschichte wird entstehen. . . (Redakteur freudig ab.) Die Instanz: Gehen sie mir nicht mit Geschichte auf die Nerven. Wer braucht ihre Fantasien? Wir wollen ein bisschen Reklame mit Bildern. Sie verstehen die Angelegenheit. So ein Typ: Jetzt haben sie sich was eingebrockt. Er will Geschichte schreiben [. . .] Alle schreien: Ich bestimme, was als Geschichte taugt! (Der Redakteur verwirrt ab. Die Instanz wirft ihm eine Konservenbüchse hinterher, die Instanzin einen Aktenordner.) So ein Typ: Schluss mit Almanachen. Wir machen mit dem Liquidieren weiter. Ich schreibe schon einen Artikel darüber. (Vorhang.)52

Das Ende der jiddischen Presse – und ihr Neuanfang Auch innerhalb der Presselandschaft kam es in diesem letzten Kapitel der Sche’erit Hapleta zu einschneidenden Veränderungen. Mit der Alija Ruven Rubinshteyns im Oktober 1948 und der formellen Auflösung des Schriftstellerverbandes zum Jahresende spitzten sich die Kontroversen persönlicher und ideologischer Art immer mehr zu. Die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien wurden nicht nur in den Spalten der Presse ausgetragen, sondern führten schließlich auch dazu, dass am 1. April 1949 die vorläufig letzte Nummer von Undzer veg erscheinen sollte. Die Zeitung des Zentralkomitees war nach der Abreise Rubinshteyns durch ein Redaktionskollegium unter Ben-Tsien Hibel, Nosn Bolel und Mordkhe Libhaber weitergeder Zeitschrift auf 1950, wie Schwarz (The Redeemers, 296) sie vorschlägt, ist in Frage zu stellen. 52 Der almanakh. A tragedye in 3 aktn mit a prolog, in: Afn tsimbl.

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führt worden, doch schon bald kam es zum Eklat: Hibel beglückwünschte nach den ersten Knesset-Wahlen in Israel Ende Januar 1949 die Mapai, die als Gewinnerin aus den Wahlen hervorgegangen war. Umgehend forderten die Mapam, die Allgemeinen Zionisten und die Revisionisten beim Rat der Sche’erit Hapleta gemeinsam die sofortige Einstellung der Zeitung. Sie warfen der Redaktion von Undzer veg vor, die Zeitung auf Kosten der Parteipresse zu einem zweiten Organ der Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut machen zu wollen.53 Doch damit war das Ende von Undzer veg noch nicht gekommen. Denn nachdem zum Jahresende 1949 die Auflösung des Parteiwesens der Sche’erit Hapleta und damit das Ende der Parteipresse festgelegt wurde54 und sich noch immer zehntausende Juden in Deutschland aufhielten, beschloss das Zentralkomitee, Undzer veg wiederzubeleben, um „kraft des gedruckten Wortes den heiß ersehnten Wunsch der Sche’erit Hapleta erfüllen zu helfen – ihre vollständige Auflösung.“55 Für die insgesamt 39 Nummern, die vom 20. Januar bis zur endgültigen Schließung zum Jahresende 1950 erschienen, war erneut ein Redaktionskollegium mit Mitgliedern unterschiedlicher Parteien zuständig.56 Eigentlich hätten auch die Revisionisten als zweitstärkste Partei im Redaktionskollegium vertreten sein sollen. Weil man aber mit der eigenen Zeitung alle Hände voll zu tun hatte, verzichtete man aus Zeitmangel auf eine Mitarbeit: Ursprünglich sollte die Parteizeitung Undzer velt zum Jahresende 1949 als europäisches Organ der Revisionisten nach Paris verlegt werden.57 Als technische Schwierigkeiten diesen Umzug verzögerten, blieb die Redaktion unter Leitung von Moyshe Halperin (Tsemach Tsamriyon) aber einstweilen in München. Das Zentralkomitee machte Undzer velt als damit einziger Parteizeitung die Auflage, sich nicht mit lokalen innerjüdischen Themen zu beschäftigen.58 Diese Einschränkung wurde nach der endgültigen Schließung von UndTsamriyon, Ha’itonut, 90 und 141 f. Joint GI/6A1/C-45.068A2, American Joint Distribution Committee, Report for the Month of October, 1949. 55 JNUL Arc. 4° 1683, Brief 349, Redaktionskollegium (Lestni, Feld, Shvartsblat) Undzer veg an Volpe, 10. 1. 1950. 56 Vertreten waren für die Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut der ehemalige Redakteur von Dos vort Moyshe Lestni, Ovadya Feld, früher Tsienistishe shtime, für die Allgemeinen Zionisten und Pinkhas Shvartsblat für die Mapam. Shvartsblat und Feld waren zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig auch Mitglieder des Zentralkomitees. Diese Redaktion nahm auch noch einmal das von Graubard initiierte Projekt eines Sche’erit Hapleta-Almanachs neu auf. Vgl. YIVO 294.2, Folder 1554, Almanach fun der sheyres-hapleyte 1945–1950. 57 Tsamriyon, Ha’itonut, 142 f. 58 Ebd., 144–147. Die einzigen wahrnehmbaren Veränderungen waren, neben der Nennung von Paris als Publikationsort, ein anderes Papier, die Übersetzungen der Überschriften ins Französische sowie die Nennung des französischen Verkaufspreises vor dem deutschen. Ab 53 54

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zer veg zum Jahresende 1950 hinfällig. Um zu verhindern, dass die revisionistische Undzer velt nun als einzige verbleibende jiddische Zeitung zu großen Einfluss gewinnen konnte, gründeten die drei ehemaligen Mitarbeiter der in Landsberg erschienenen Jidisze cajtung, Meylekh Tshemni, Marian Gid und Moyshe Lestni (letzterer hatte zuvor auch in der Redaktion des alt-neuen Organs des Zentralkomitees mitgewirkt), eine Zeitung unter dem Namen Naye yidishe tsaytung. Bald beherrschte ein aggressiver Schlagabtausch die Editorials der beiden Zeitungen. Meylekh Tshemni, der sich in der in- und ausländischen Presse kategorisch gegen den Wiederaufbau jüdischer Gemeinden in Deutschland geäußert hatte und jetzt seine eigene Redaktionsarbeit in apologetischem Ton zu legitimieren suchte, polemisierte gegen Moyshe Halperin, den „Pariser Redakteur“ der revisionistischen Zeitung in München. Es sei verwerflich genug, so Tshemni, eine jiddische Zeitung in Deutschland herauszugeben, aber es sei geradezu schändlich, ausgerechnet die „[Haupt]stadt der Bewegung zum ‚von München geht die Lehre aus‘ (miMinchen tetze tora) zu machen, versehen mit dem lügnerischen Etikett ‚Paris‘“.59 Der Grund für die persönlichen Angriffe gegen Halperin war nicht zuletzt, dass dieser sich in einer Initiativgruppe engagierte, die sich für die Bildung einer Art Nachfolgeorganisation des aufgelösten Zentralkomitees einsetzte. Aus dem selben Grund richtete sich der Ärger Tshemnis auch gegen die Redaktion einer dritten jiddischen Zeitung in München, der Unzer (sic!) haynt (Unser Heute), welche im Februar 1951 unter der Redaktion von Baruch Graubard, Yekhezkl Keytlman und Yitskhok Goldkorn kurz nach der Nayer yidisher tsaytung ihre Redaktionstätigkeit aufgenommen hatte. Da Graubard wie auch Halperin maßgeblich an der Organisation der „Landeskonferenz jüdischer DPs“ beteiligt waren, einer Versammlung, in deren Rahmen die neue Instanz gewählt werden sollte, nahm die neue Zeitung eine Gegenposition zu der Nayer yidisher tsaytung ein und solidarisierte sich mit der revisionistischen Undzer velt. Tshemni sah darin eine Verbrüderung zwischen der extremen Linken (die drei Redakteure von Unzer haynt hatten zuvor für die Mapam-Presse gearbeitet, waren allerdings keine Parteimitglieder gewesen) und der extremen Rechten und provozierte fortan beide Redaktionen.60 Dies führte dazu, dass die kurzlebige Unzer haynt

Mai 1950 erschien auch der Name der Münchener Druckerei im Impressum. Nach insgesamt 250 Nummern stellte die Zeitung zum 4. Juni 1951 schließlich ihr Erscheinen ein. 59 Tshemni, Meylekh, Her sheker fort a limuzine . . ., in: Naye yidishe tsaytung, 9. 3. 1951. Da Tsamriyon (Moyshe Halperin) der „Pariser Redakteur“ von Undzer velt war, empfiehlt es sich, das Kapitel über das Ende der jiddischen Presse in seiner Monographie kritisch zu lesen (Tsamriyon, Ha’itonut, 144–149). 60 Tshemni, Meylekh, Vu iz der shuldiker, in: Naye yidishe tsaytung, 16. 3. 1951. Tshemni nennt in seinen polemischen Artikeln keine Namen, deckt aber die Pseudonyme, die er wieder-

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in erster Linie damit beschäftigt war, sich gegen die Vorwürfe Tshemnis zur Wehr zu setzen. Anscheinend wurde sie dabei tatsächlich von den Revisionisten unterstützt: Da Unzer haynt nicht regelmäßig erschien, war eines ihrer Editorials als Leserbrief auf den Seiten von Undzer velt zu lesen.61 Die Instanz, um die es in der Auseinandersetzung zwischen den drei Redaktionen ging, war der so genannte Rat für die Auflösung der jüdischen DPCamps in der Amerikanischen Besatzungszone. In der Absicht der Initiatoren stand es, eine Interessensvertretung für die ungefähr 10.000 verbleibenden jüdischen DPs in Bayern zu schaffen. Sie begründeten diese Initiative damit, dass durch die Ereignisse um das im November 1949 gegründete Landesentschädigungsamt, dessen Leiter Philipp Auerbach im Januar 1951 verhaftet worden war, einerseits die Gefahr eines verstärkten Antisemitismus bestehe, andererseits mit Verzögerungen in der Abwicklung der Entschädigungsverfahren und damit der Auswanderung zu rechnen sei. Letztere stehe nun für einige Juden völlig in Frage, nachdem gefälschte Anträge auf Restitutionszahlungen die ehemaligen Opfer zu Angeklagten vor deutschen Gerichten gemacht hatten. Da durch die Skandale um das aufgelöste Zentralkomitee in den vergangenen Jahren aber das Vertrauen der jüdischen Bevölkerung in eine solche Instanz zerstört worden sei, sollten dem Rat nur Personen angehören, die weder in Verbindung mit dem aufgelösten Zentralkomitee noch mit dem Landesentschädigungsamt gestanden hatten. Am 11. März 1951 nahm der Rat, bestehend aus zwölf Vertretern aus München, dem DP-Camp Föhrenwald und dem Sanatorium Gauting, unter Vorsitz des damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde München, Maurice Weinberger, und unter dem Vizevorsitz von Baruch Graubard seine Arbeit auf.62

holt nutzte, in einem Brief an Leyvik auf: Yekhezkl Keytlman (purim-redaktor), Yitskhok Goldkorn (a dikhter aza), Moyshe Halperin (shef-redaktor), Baruch Graubard (vos hot gehat a shaykhes mitn frierdikn ts. k.), vgl. YIVO 315, Box 10, Meylekh Tshemni an H. Leyvik, 16. 3. 1951. 61 Eine vierte Zeitung, die als einzige DP-Zeitung zum Tagesjournalismus überzugehen geplant hatte, war die Yidishe tog tsaytung. Allerdings musste die Zeitung bereits nach zwei Wochen ihr Erscheinen am 2. März 1951 wieder einstellen. Vgl. Tsamriyon, Ha’itonut, 149. 62 YU Bernstein Collection, Box 5, Folder 8, Mo’atza lechisul jischuwej sche’erit ha-pleta ba’esor ha’amerika’i beGermanija/Rat far oyfleyzn di sh[eyres]h[apleyte]-yishuvim in der amerikaner [zone] fun Daytshland. Barikht. München, 9. 8. 1951; ebd., Council for Liquidation of the Jewish D. P. Camps and Communities in the American Occupation Zone of Germany. Statement, 5. 9. 1951.

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„Eine Gruppe jüdischer Kulturschaffender“ schreibt Briefe nach Übersee Unter den verbliebenen Schriftstellern und Journalisten hing zu diesem Zeitpunkt der Haussegen schon länger schief. Um die Berufskollegen im Ausland auf die durch den Auflösungsprozess entstandenen gesellschaftlichen Probleme in der Sche’erit Hapleta aufmerksam zu machen, wandte sich am 30. Oktober 1950 eine anonyme „Gruppe jüdischer Kulturschaffender“ in einem vierseitigen Pamphlet an die amerikanisch-jiddische Presse. Darin wurde kritisiert, dass der Zionismus allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland seinen Stempel aufgedrückt habe. Ohne ausdrücklich Stellung zum zionistischen Charakter der Sche’erit Hapleta in der Vergangenheit zu beziehen, wurde die gegenwärtige politische Führung als korrupt bezeichnet. Sowohl der Verkauf der Lagerbibliotheken als auch die „Liebesgaben“-Affäre wurden darin genannt. Auch die bisher nur von den Bundisten geäußerte Mutmaßung, wonach während der Campschließungen Amerika-Emigranten diskriminiert worden seien, wurde aufgegriffen. In größerem Rahmen hätten das Zentralkomitee und die Parteien durch Umsiedlungsaktionen die Auswanderung derjenigen DPs behindert, die nicht bereit waren, nach Israel zu emigrieren. Durch die Umsiedlungen seien etliche Dokumente der Betroffenen verschwunden. Jede Form von Gesellschaftskritik sei sofort unterbunden worden, indem man den Kritikern die Verdienstmöglichkeiten entzogen habe. Besonders Journalisten und Schriftsteller, die öffentlich Kritik übten, hätten unter diesem hinterhältigen System zu leiden gehabt. Die Mapam wurde beschuldigt, die Namen von Publizisten wie Baruch Graubard, Mendel Mann, Yitskhok Goldkorn, Meyelekh Tshemni, Yekhezkl Keytlman und Mordkhe Libhaber mit dem Vermerk, dass es sich um Kommunisten handle, an die Emigrationsämter in München weitergeleitet zu haben. Damit sollte ihre Emigration in die USA verhindert werden.63 Die Lage dieser Personen sei deshalb tragisch: „Der Weg ins Ausland ist ihnen versperrt. Auf eine Ausreise nach Israel sind sie nicht vorbereitet, und in Deutschland haben sie auch keinen Platz, weder ökonomisch noch moralisch.“64 Das Ausmaß der Korruption und der genaue Sachverhalt der Anklagepunkte lassen sich aufgrund der widersprüchlichen Aussagen und der unklaren Aktenlage nicht beantworten. Aufgrund der ständig wechselnden Alli-

63 Mit den zunehmend verhärteten Fronten im Kalten Krieg konnten Angaben über mögliche Sympathien mit dem Kommunismus zu einer definitiven Ablehnung der Immigrationsanträge in die USA entscheiden. Siehe: Joint GI/5B1/C-45.013. M. W. Beckelman an D. Weingard (AJDC New York), Re: Address of Mr. S. Haber to DPs in the Camps in Germany, Paris, 7. 9. 1950. 64 YU Bernstein-Collection, Box 5, Folder 8, Grupe jidisze kultur-tuer in Minchen, München, 3. 10. 1950.

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anzen zwischen den Schriftstellern ist selbst die Urheberschaft des Briefes nicht eindeutig. Relativ sicher ist lediglich, dass die drei Redakteure von Unzer haynt, Yekhezkl Keytlman, Yitskhok Goldkorn und Baruch Graubard am Schreiben beteiligt gewesen sein mussten. Denn einige Monate später, am 12. Juni 1951, erschien in der kommunistischen Zeitung Haynt in Buenos Aires ein Pamphlet, das erneut von einer „Gruppe jüdischer Kulturschaffender“ gezeichnet war. Die Anklage richtete sich jetzt allerdings nicht mehr gegen das Zentralkomitee – dieses hatte seine Tätigkeit zum Jahresende 1950 ja definitiv eingestellt und war durch seine früheren Kritiker, die sich im Rat für die Auflösung der Sche’erit Hapleta zusammengeschlossen hatten, abgelöst worden. Beschuldigt wurde nun nur eine Einzelperson. Der reißerische Titel des Schreibens lautete: „Wer ist Meylekh Tshemni? Soll die Öffentlichkeit kommen und richten!“65 Tshemni hatte sich während der vergangenen Monate wenig Freunde gemacht: Schon 1949 hatte er sich im Zusammenhang mit dem Entschädigungsgesetz vehement gegen Wiedergutmachungsverhandlungen ausgesprochen und entsprechende Artikel veröffentlicht. Dies geschah in Opposition zur Sche’erit Hapleta, die in ihrem Tenor positiv auf das neue Gesetz reagierte.66 Mit dieser Haltung fand er mit Ausnahme von H. Leyvik auch im jüdischen Ausland kaum Unterstützung.67 Wegen seiner grundsätzlichen Opposition zur Restitutionsfrage schrieb Tshemni außerdem verschiedene kritische Zeitungsartikel, welche die Arbeit des Rates für die Auflösung der Sche’erit Hapleta in den ersten Monaten angeblich erheblich behinderten. In einem Bericht des Rates vom Juni 1951 hieß es über Tshemni, dass er die neue Instanz öffentlich mit Dreck bewerfe und man meinen könne, „dass dies im Interesse der Deutschen geschieht“.68 Graubard als

65

Ver iz Meylekh Tshemni? Yavo hakahal veyishpot, in: Haynt, 12. 6. 1951. Von den Allgemeinen Zionisten beispielsweise wurde die Wiedergutmachung als eine Art Rache betrachtet, da sie als Aufbauhilfe für Israel diente: „Deutschland nur mit einem Rucksack zu verlassen, ist von jedem Standpunkt aus ein Verbrechen. Als die Juden aus Ägypten auszogen, wurde ihnen gesagt, dass sie das Land leeren sollten [. . .]. Von allen ‚Wiedergutmachungen‘ und anderen süßen Versprechen ist uns als einzige ‚Wiedergutmachung‘ geblieben, alles aus Deutschland mitzunehmen, was einen praktischen Wert hat. Es wäre eine gute Tat, wenn wir mit den Deutschen zum selben Ergebnis kommen könnten wie unsere Urahnen mit den Ägyptern.“ Siehe: Feld, Ovadya, Sheyres-hapleyte, aliye, sokhnut, in: Tsienistishe shtime, 19. 8. 1948. 67 Es war für Leyvik deshalb Ehrensache, auf die Bitte Tshemnis hin einen Artikel zu dieser „Wiedergutmachungsschande“ für die Naye yidishe tsaytung zu verfassen: H. Leyvik, „Vidergutmakhung“-kharpe, in: Naye yidishe tsaytung, 23. 3. 1951. Der Artikel nahm Bezug auf einen früheren Beitrag Tshemnis: Tsh-ni, M. [Meylekh Tshemni], Di kharpe fun „vidergutmakhung“, in: Naye yidishe tsaytung, 16. 2. 1951. 68 YU Bernstein Collection, Box 5, Folder 8, Mo’atza lechisul jischuwej sche’erit hapleta ba’esor ha’amerika’i beGermanija/Rat far oyfleyzn di sh[eyres]h[apleyte]-yishuvim in der amerikaner [zone] fun Daytshland. Barikht. München, 9. 8. 1951. 66

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Mitglied des Rates, Keytlman und Goldkorn als seine Redaktionsmitarbeiter in Unzer haynt, hatten nach den unablässigen öffentlichen Attacken, die sie durch Tshemni auf den Spalten der Nayer yidisher tsaytung erfahren mussten, gute Gründe, ihn öffentlich zu diffamieren. Auch Tshemni selber vermutete hinter der anonymen Gruppe die Redaktion von Unzer haynt. Dies erklärt aber noch nicht, warum das Pamphlet ausgerechnet im fernen Buenos Aires erschien. Der Grund dafür lag in einer Auseinandersetzung zwischen Meylekh Tshemni und Mordkhe Bernstein. Bernstein, ein DP, der als Sachverständiger der JRSO (Jewish Reconstruction Successor Organization) und Mitarbeiter des YIVO in Deutschland nach arisierten jüdischen Kultgegenständen forschte, hatte für einen deutschen Antiquitätenhändler einen Judaica-Katalog zusammengestellt. Als in der Pariser jüdischen Presse nach Erscheinen des Katalogs Spekulationen laut wurden, wonach Bernstein Judaica-Bestände aus Raubgut an die deutsche Galerie verkauft habe, griff Tshemni diese Vorwürfe auf und berichtete darüber in der Nayer yidisher tsaytung, zu deren Beiträgern auch Bernstein gehörte.69 Bernstein forderte daraufhin eine öffentliche Entschuldigung Tshemnis und die Einberufung eines Ehrengerichts, doch Tshemnis Reaktion bestand lediglich aus einer Reihe hetzerischer Artikel. Einen davon schickte er als Korrespondenzbericht an die argentinische jiddische Tageszeitung Di prese (Die Presse), wo dieser am 5. Juni 1951, also eine Woche vor der Veröffentlichung des Pamphlets gegen ihn, erschien.70 Da sowohl Bernstein als auch Tshemni zu diesem Zeitpunkt kurz vor ihrer Emigration nach Argentinien standen und dort Verdienstmöglichkeiten als Journalisten suchten, begann die Angelegenheit zu eskalieren.71 Bernstein verschickte nun eine Anklageschrift gegen Tshemni an zahlreiche jiddischsprachige Intellektuelle in den Vereinigten Staaten und an weitere Personen wie Eliahu Livneh, den damaligen Botschafter Israels in Deutschland. Dem Schreiben lag eine Kopie des Artikels aus der kommunistischen argentinischen Zeitung bei. Tshemni lehnte die Einberufung eines Ehrengerichts, wie es von Bernstein schon Monate zuvor gefordert worden war, aber nicht nur erneut ab, sondern beschuldigte Bernstein in weiteren Artikeln, sich mit dieser Aktion an die Spitze der anonymen Gruppe der Kulturschaffenden gestellt zu haben. Außerdem richtete er einen offenen Brief an die Vorsteher von Joint und IRO in Deutschland, in dem er

69 Sheker, shlimazl un kompanye, in: Naye yidishe tsaytung, 25. 3. 1951; YU Bernstein Collection, Box 38, Folder 2, Bernstein/Kempinski an die Redaktion Naye yidishe tsaytung, München, 26. 3. 1951. 70 Tshemni, Meylekh, A yidisher khurbn-forsher in Daytshland un . . ., in: Di prese, 5. 6. 1951. 71 JNUL Arc. 4° 1533, Bernstein an die Herausgeber der Naye yidishe tsaytung, Stuttgart, 28. 6. 1951.

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Namen und Anschrift derjenigen Personen nannte, die er verdächtigte, der anonymen Gruppe anzugehören.72 Die Rufmordkampagne, die ihren Weg bis in die argentinisch-jiddische Presse fand, erreichte mit dem Brief Bernsteins auch New York. In einem persönlichen Brief an Meylekh Tshemni musste H. Leyvik zugeben, dass seine „ständige Verteidigung der Sche’erit Hapleta-Juden [. . .] ins Wanken zu geraten [begann]“. Tshemni, der damit das Vertrauen seines loyalen Verbündeten in den USA verlor, antwortete traurig: „Ich muss zugeben, dass mich das schmerzt, mir die Tränen in die Augen treibt. Denn auch ich bin doch ein Sche’erit Hapleta-Jude.“73

5.2. Von Diaspora zu Diaspora? – Alija und Emigration Anfang 1952 konnte Meylekh Tshemni, der strenge Kritiker der Sche’erit Hapleta, Deutschland mit Destination Buenos Aires verlassen. Seine Reisekosten waren durch die Vermittlung H. Leyviks vom Kulturkongress übernommen worden. Tshemni bedankte sich überschwänglich bei der Organisation für die „Errettung aus dem hiesigen Grauen – auch dem ‚jüdischen‘“.74 Auch für die meisten anderen ehemaligen Mitglieder des Schriftstellerverbandes, deren Aufenthalt sich hinausgezögert hatte, sollte 1951 das letzte Jahr auf deutschem Boden sein. Mit Moyshe Lestni reiste neben Tshemni ein weiteres Redaktionsmitglied der Nayer yidisher tsaytung ab. Lestni, der schon vor dem Krieg zionistischen Kreisen in Warschau angehört und dort in der hebräischen zionistischen Presse von Zeit zu Zeit Artikel publiziert hatte, ließ sich in Israel nieder. Für zwei Jahre konnte er dort redaktionelle Aufgaben in der jiddischen Zeitung der Arbeiterpartei in Tel Aviv Dos vort (Das Wort) übernehmen.75 Zwei der Redakteure von Unzer haynt, Yitskhok Goldkorn und Yekhezkl Keytlman, verließen Deutschland in Richtung 72 Tshemni, Meylekh, A yidisher khurbn-forsher in Daytshland un . . ., in: Naye yidishe tsaytung, 29. 6. 1951; Tshemni, Meylekh, Mordkhe Bernshteyn – der baleydikter . . ., in: Naye yidishe tsaytung, 29. 6. 1951; YU Bernstein-Collection, Box 39, Folder 3, Offener Brief mit Beilage von Mordkhe Bernstein, Stuttgart, 19. 6. 1951; Tshemni, Meylekh, Tsu mr. S. Heyber, direktor fun dzhoint un mr. M. Shvarts, direktor fun iro in Daytshland, in: Naye yidishe tsaytung, 6. 7. 1951; Tshemni, Meylekh, M. Bernshteyn – un zayn „kultur-grupe“. . ., in: Naye yidishe tsaytung, 6. 7. 1951; YU Bernstein-Collection, Box 41, Folder 1, Samuel Haber an J. Shapiro (AJDC Paris), München, 16. 8. 1951; JNUL 4° 1533, Bernstein an Garfinkiel (Naye yidishe tsaytung), Stuttgart, 14. 7. 1951; Red., Anmerkung zu H. Leyvik, Ven yidn hoybn on faln, in: Naye yidishe tsaytung, 13. 7. 1951. 73 YIVO 315, [März 1951]; ebd., Box 11, Tshemni an Leyvik, 16. 3. 1951. 74 Ebd., Box 29, Tshemni an Leyvik, München, 22. 12. 1951. 75 Leksikon fun der nayer yidisher literatur (Bd. 5), 345.

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Nordamerika: Goldkorn ließ sich in Kanada nieder und veröffentlichte zahlreiche Bücher in den jiddischen Verlagen von Ontario, New York, Buenos Aires und Tel Aviv. Keytlman zog in die USA. Der Redakteur der revisionistischen Zeitung, Moyshe Halperin, schloss im gleichen Jahr sein Studium in München mit einer Dissertation über die hebräische Presse in Europa ab und kehrte nach Israel zurück.76 Mordkhe Libhaber, der ehemalige Redakteur des landsmannschaftlichen Ibergang, beendete sein Jurastudium, bevor er 1951 in die USA auswanderte. Seine journalistische Arbeit führte er nicht fort, sondern ließ sich als Rabbiner und Hebräischlehrer in St. Louis nieder.77 Nur zwei Personen sollten in Deutschland bleiben. Marian Gid, der 1945 als Korrespondent des Forverts im befreiten KZ Buchenwald den Überlebenden begegnet war, übernahm nach der Abreise Tshemnis dessen Redaktionsstelle in der Nayer yidisher tsaytung. Auch als mit der endgültigen Schließung des DP-Camps Föhrenwald im Winter 1956/1957 das letzte sichtbare Zeichen der Sche’erit Hapleta in Deutschland verschwunden war, sah er es als seine Aufgabe an, die ehemaligen DPs, die nicht auswandern wollten oder konnten und sich dauerhaft in Deutschland niederließen, mit jiddischem Lesematerial zu versorgen. Auch Baruch Graubard blieb. Er wurde Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde in München und erhielt 1951 eine außerordentliche Professur für Judaistik an der Universität Marburg.78

„Kein Judenstaat, sondern ein Land der Hebräer“ Die Mehrheit der Schriftsteller und Journalisten hatte aber das Ende des jiddischen Pressewesens nicht abgewartet, sondern Deutschland schon kurz nach der Staatsgründung Israels verlassen. Für den allgemein-zionistischen Ruven Rubinshteyn erfüllte sich mit der Alija der lang ersehnte Wunsch, der deutschen Diaspora den Rücken zu kehren. Als Dovid Volpe ihn 1949 in Tel Aviv besuchte, zeigte Rubinshteyn sich geradezu euphorisch und ließ den Berufskollegen in Deutschland ausrichten: „Gut oder schlecht, die Hauptsache ist doch, unter Juden und in der eigenen Heimat zu sein! Und dass es hier einmal sehr gut sein wird, ein eigentliches Paradies, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel!“79 Um dieses Ziel zu erreichen, gab er seine gesellschaftliche Tätigkeit auch weiterhin nicht auf. In der Diaspora – in Litauen und Deutschland – hatte er die Massen durch ihre Sprache, das Jid76 77 78 79

Tsamriyon, Die hebräische Presse in Europa. Leksikon fun der nayer yidisher literatur (Bd. 5), 44. Beth ha-Knesseth, 208 f. Volpe, Dovid, Mit oygn fun a gast, in: Dos vort, 12. 8. 1949.

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dische, erreichen und sie zionistisch erziehen wollen. Jetzt hingegen machte er es sich zum Anliegen, den linguistisch entfremdeten Immigranten auch zur geistigen Alija zu verhelfen.80 Der Hebraist und liberale Zionist Rubinshteyn wurde zum aktiven Mitglied des jiddischen Schriftstellerverbandes in Tel Aviv. Während 16 Jahren kommentierte er jeden Freitagabend die politischen Ereignisse der Woche auf dem nationalen Radiosender Kol Jisra’el auf Jiddisch und erreichte damit eine bedeutende Hörergruppe: In den 50er Jahren betrachtete ein Drittel der jüdischen Bevölkerung Israels Jiddisch als Muttersprache, 1961 waren es noch über zwanzig Prozent.81 Mit ähnlichem Optimismus äußerte sich auch Hershl Vaynroykh, der bereits im Sommer 1947 die Möglichkeit erhielt, nach Palästina auszureisen. Anfang 1948 leitete er einen Korrespondenzbericht aus Tel Aviv mit den Worten „. . .und der Traum wurde Wirklichkeit“ ein und berichtete über die Realisierung von Herzls zionistischer Utopie noch vor der Staatsgründung.82 Doch obwohl er in der politischen Diversität des Jischuw „das demokratischste Land der Welt“ zu erkennen glaubte, zerschlugen sich seine persönlichen Hoffnungen bald. Schon kurz vor seiner Alija zeigte sich Vaynroykh besorgt über die sprachlichen Herausforderungen, die ihn in der lange ersehnten neuen Heimat erwarten würden. In einem seiner Briefe an H. Leyvik formulierte er den Tausch von Muttersprache gegen Vaterland folgendermaßen: Lieber Freund H. Leyvik! Ich verlasse in diesen Tagen die deutsche Diaspora. Ich fahre nach Eretz Israel. Ich stelle mir das schlimmste vor [. . .], denn ich kann doch kein Wort Hebräisch. [. . .] Doch ich bin glücklich, dass ich fahre. Hauptsache, dass ich nicht länger die schöne Natur der verfluchten deutschen Erde anschauen muss.83

Tatsächlich bewahrheiteten sich Vaynroykhs Befürchtungen. Als jiddischer Schriftsteller konnte er sich in Tel Aviv nicht einleben, weil der Gewinn einer neuen Heimat für ihn gleichzeitig den Verlust seiner künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten bedeutete. Schon nach wenigen Monaten verwarf er seine persönliche Utopie und schrieb erneut an Leyvik: Lieber Freund und Genosse H. Leyvik! Ich hätte Ihnen sehr gerne einen erfreulichen Brief geschrieben, damit Sie, der Freund aller verfolgten, herumirrenden und zerstreuten jiddischen Schriftsteller, sagen können: „Hier, da hat sich einer schon eingelebt.“ Leider muss ich wieder einen traurigen Brief schreiben. Sie kennen meine Geschichte. Sie wissen genau, was es bedeutet, sich vom vertrauten Land loszureißen und für Kindheitsträume 80 81 82 83

Tsamriyon, Al schalosch tachanot bechajej Rubinshteyn, 101. Shedletski, Zayne fraytik-tsu-nakht shmuesn, 401. Vaynroykh, Hershl, Mit di oygn fun a sovyetishn yid, in: Undzer veg, 30. 1. 1949. YIVO 315, Box 26, Vaynroykh an Leyvik, 11. 7. 1947.

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den Wanderstab in die Hand zu nehmen und so lange zu wandern bis [. . .] ja, ich bin an meinem Ziel angelangt. Ich bin in meinem eigenen Land. (Es soll aber unter uns bleiben), es ist kein Judenstaat, sondern ein Land von Hebräern. Damit meine ich nichts Schlechtes. Jedenfalls ist das immer noch unser jüdisches Land, für welches die Juden auf der ganzen Welt kämpfen müssen. Aber was hat ein jiddischer Schriftsteller in diesem Land zu tun, einer, der sich nicht an die hebräische Sprache anpassen kann und will und sich auf Jiddisch ausdrücken muss? [. . .] Ich möchte dem allem schon ein Ende setzen [. . .]. Seien sie mir nicht böse, lieber Leyvik, für diese Worte. Ja, ich bin verzweifelt.84

Was Hershl Vaynroykh während der wenigen Monate in Palästina und Israel erlebte – kurz nachdem er diesen Brief verfasst hatte, wanderte er nach New York aus – war nicht nur eine sprachliche, sondern auch eine kulturelle Entfremdung: Der junge jüdische Staat war ein „Land von Hebräern“.85 Durch das Fehlen einer kontinuierlichen Immigrationsbewegung während der Kriegsjahre war im Jischuw eine Generation herangewachsen, die bereits im Land geboren oder dort sozialisiert wurde. Anders als in der Vorkriegszeit – und auch in den Jahren nach 1948 –, als jede Einwanderungswelle die lokale Identität veränderte und durch neue kulturelle, politische und religiöse Entwürfe gewissermaßen verdünnte, hatte die junge Generation zur Zeit der Staatsgründung nicht nur ein negatives Bild von der jüdischen Geschichte und Kultur der Diaspora, sondern durch den fehlenden persönlichen Kontakt auch vom Diasporajudentum.86 In Deutschland begannen sich die Schriftsteller nach der Staatsgründung zunehmend kritischer mit dem Status der jiddischen Sprache in Israel auseinander zu setzen. Ideologische und persönliche Motive waren dabei eng miteinander verwoben. Die Diskussion nahm im Mai 1948 ihren Anfang: In der einmaligen Publikation der Bundisten in Deutschland, Der veker, wurde ein Artikel Yakov Zerubavels aus der Tel Aviver Zeitung Nayvelt zitiert. Dort machte der Vorsitzende der Linken Po’ale Zion auf ein Ungleichgewicht aufmerksam: zwischen zionistischer Aufklärungsarbeit, die in der Sche’erit Hapleta in Jiddisch geleistet wurde, um zur legalen und illegalen Immigration aufzurufen, und den Versäumnissen des Jischuw gegenüber den Neueinwanderern, denen buchstäblich die Sprache geraubt wurde. Das Unrecht und das Verbrechen, die in der Sprachpolitik stecken, sind himmelschreiend. Tausende Pfund werden ausgegeben, um unsere Gedanken und unsere geistige Vorbereitung in Jiddisch dorthin, in die Lager zu bringen. Dort kann man

Ebd., 15. 4. 1948. In einem letzten kurzen Brief, kurz vor der Abreise in die USA heißt es lakonisch: „Weswegen bin ich denn nach Israel gefahren? – Weil es in Deutschland noch schlimmer war“. Ebd., Vaynroykh an Leyvik, o. J. 86 Shapira, Whatever Became of „Negating Exile“?, 77. 84 85

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es tun, dort ist es eine gute Tat, die Erziehungsarbeit in Jiddisch zu führen. Dort wird Jiddisch nicht stören, sondern die Yidishkayt fördern, den Zionismus.

Nach ihrer Immigration, so Zerubavel, seien die Einwanderer zu „jahrelanger Stummheit und Taubheit verdammt“.87 Eine ähnliche Kritik an dieser Politik, die den Neueinwanderern bei ihrer Absorption eine fremde Sprache aufzwang, ihnen somit ihre Ausdrucksfähigkeit nahm und sie in die Passivität drängte, wurde erneut im Zusammenhang mit der Gijus-Aktion, der Mobilisierung von DPs im wehrfähigen Alter für die israelischen Streitkräfte, geäußert.88 Im Januar 1949 hielt Nayvelt in München fest, dass man den Neueinwanderer nicht mobilisieren und gleichzeitig prüfen könne, ob „seine Zunge sauber sei“, bevor er sein Blut für das Vaterland opfere: „Man kann doch Hitler-Opfer, welchen durch das Lagerleben das Kulturleben vollständig entrissen wurde, nicht in Taubstummheit, in Unwissenheit über das Leben im Land halten.“89 In den ersten Jahren nach der Staatsgründung wurden, anders als noch in den 20er und 30er Jahren, jiddische Kultur und Kultureinrichtungen nicht mehr systematisch boykottiert und bedroht. Doch die Sprache sah man weiterhin als Gefahr für die Stabilität der nationalen Kultur und der hebräischen Nationalsprache an.90 Die Mapai-Presse in Israel definierte Jiddisch als Gastsprache, von der eine ernst zu nehmende kulturelle Gefahr ausging. Die weitaus gefährlichsten „Gäste“ seien jedoch die Schriftsteller und Künstler, da sie ständig fremd blieben. Man müsse sie übersetzen und schade damit der hebräischen Sprache.91 Für die Schriftsteller spielten die sprachpolitischen Entscheidungen der israelischen Regierung deshalb nicht nur im Hinblick auf die Integrationsarbeit für jiddischsprachige Einwanderer eine entscheidende Rolle. Sie waren auch untrennbar mit ihrer persönlichen beruflichen Zukunft verbunden. Levi Shalitan, Mitarbeiter der revisionistischen Undzer velt in München, hatte diese Fremdheit, mit der jiddische Sprache und Kultur in Israel weiterhin behaftet waren, während eines Besuches in Tel Aviv wahrgenommen. Vieles habe das Volk im Kampf für ein eigenes Land opfern müssen, hieß es bei ihm. Die jiddische Sprache sei eines dieser Opfer gewesen. Der Artikel, in dem er von seinen Begegnungen mit jiddischen Schriftstellern berichtete, musste allerdings in der Parteizeitung der Mapam in Deutschland erscheinen, nachdem Undzer velt die Veröffentlichung abgelehnt hatte. Besonde87 Zerubavel in Nayvelt, 21. 11. 1947. Zitiert nach: L., Nideriker yid – ba yidn, in: Der veker, Mai 1948. 88 Zertal, From Catastrophe to Power, 220 f. 89 Hadoar hetst kegn yidish . . ., in: Nayvelt, 7. 1. 1949. 90 Zum Sprachenkampf in Israel und den antijiddischen Aktionen siehe Shur, Gedud meginej hasafa; Pilovski, Tsvishn yo un neyn, 227–250; Segev, One Palestine, Complete, 263–269. 91 Hadoar hetst kegn yidish . . ., in: Nayvelt, 7. 1. 1949.

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ren Eindruck auf Shalitan machte die Begegnung mit dem Volksdichter Yoysef Papiernikov, der ihm voller Verbitterung eines seiner Gedichte mit dem Titel Tsar fun yidish (Jiddischer Schmerz) zu lesen gab und ihn so zum Nachdenken darüber brachte, ob es einen „Boykott gegen Jiddisch in Israel“ gebe. Damit kehrte Shalitan zu der Rhetorik zurück, die zwei Jahre zuvor die Frage um die Stellung des Jiddischen in Deutschland angestachelt hatte.92 Obwohl nicht alle Gesprächspartner Papiernikovs bittere Einschätzung teilten, so waren sich doch beinahe alle einig, dass Jiddisch in Israel kaum eine Zukunft haben würde. Relativ positiv äußerte sich im Vergleich zu ihm Mendel Mann, der 1948 aus Regensburg nach Tel Aviv ausgewandert war. Er fand Arbeit als Redaktionssekretär für Avrom Sutzkevers jiddische Literaturzeitschrift Di goldene keyt (Die goldene Kette), einer Zeitschrift, die seit Anfang 1949 durch die Histadrut, also dem Mapai-nahen Dachverband der Gewerkschaftsorganisationen, finanziert wurde und deren Publikation auch in Deutschland als Wendepunkt in der jiddisch-hebräischen Sprachpolitik galt.93 Drei Jahre später allerdings schlug Mann einen ganz anderen Ton an und beurteilte die israelische Haltung gegenüber dem Jiddischen als sehr viel intoleranter und befangener als die gegenüber anderen Sprachen. Zwei deutschsprachige Tageszeitungen erhielten weiterhin Lizenzen und fremdsprachige Bücher seien problemlos erhältlich, schrieb er im Spätsommer 1952 an Meylekh Tshemni in München, eine jiddische Tagespresse existiere dagegen offiziell nicht.94 Für die Schriftsteller bedeute dies das fast vollständige Scheitern ihrer Integration, was die Ursache sei für „ihre Apathie, Boshaftigkeit, Zerrissenheit und das Tragischste – die Unproduktivität“.95 Ein weiteres Jahr später richtete er sich an den ruhelosen Tshemni, der mittlerweile von seinem ersten Auswanderungsziel Argentinien nach Brasilien weiter gezogen war und versuchte diesen von seinem neuen Plan, nach Israel zu kommen, abzubringen: Willst Du nach Israel zu Besuch kommen? Ein Besuch ist gar keine schlechte Sache. Ein Schriftsteller, ein impulsiver wie Du dazu, sollte herkommen und etwas sehen, aber hüte Dich davor, und auch Gott soll Dich davor behüten, überstürzte Schritte zu unternehmen (andere Worte, als ich sie Dir nach Deutschland geschrieben habe). [. . .] Der Fall Jiddisch ist traurig, bitter und katastrophal. Außer Di goldene keyt gibt es hier gar nichts. Und die Keyt wird nicht gerne gesehen. Selten, sehr selten kommt es vor, dass ein Buchhändler sie ins Schaufenster stellt.

92 Shalit, Levi, Naye trit af alte vegn (mikoyekh yidish loshn in yidish land), in: Der morgn, 20. 5. 1949. 93 Elentsvayg, Yisroel, Di goldene keyt, in: Dos vort, 18. 2. 1949. 94 Vgl. Katz, Words on Fire, 319 f. 95 JNUL Arc. 4° 1533, Mendel Mann an Meylekh Tshemni, 6. 9. 1952.

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[. . .] Jiddische Bücher sieht man hier nicht, man will sie ganz einfach nicht in die Hand nehmen.96

Als jiddischer Schriftsteller in Tel Aviv fühlte er sich fremd, exotisch und unerwünscht, so wie sich, laut Mann, ein weißrussischer Schriftsteller in Warschau gefühlt haben müsse. Sein neues Buch sollte erst gar nicht auf Jiddisch erscheinen, sondern direkt ins Hebräische übersetzt werden, und unablässig sah er sich mit der Forderung konfrontiert, endlich auf Hebräisch zu schreiben.97 Nach einem Jahrzehnt in Israel entschied sich Mann dazu, nach Paris zu ziehen. Kurz vor seiner Auswanderung schrieb er verbittert an Tshemni: „Glaubst Du, dass die Atmosphäre in Rio schlechter ist als in Israel? Da irrst Du Dich sehr.“98 Resignation drückte auch ein anderer Dichter der Sche’erit Hapleta aus. Ausgerechnet Yitskhok Perlov, der zur zionistischen Avantgarde in Deutschland zählte, attackierte die Sprachpolitik Israels scharf.99 In einem Brief an die amerikanisch-jiddische Zeitung Der veker (Der Wecker) reagierte er 1951 auf eine Korrespondenz zwischen dem jiddischen Schriftstellerverband in Tel Aviv und dem Jüdischen Arbeiterkomitee in New York. Jacob Patt hatte auf die Bitte des Verbandes, sich in Israel für die Sprache einzusetzen, mit dem Vorschlag finanzieller Unterstützung durch die Gewerkschaftsorganisation in New York reagiert. Perlov kommentierte, dass mit Geld allein wenig auszurichten sei. Denn Jiddisch werde in Israel nicht nur unterdrückt, sondern durch die Staatsgewalt verboten. Das jiddische Repertoire seiner Frau, der Schauspielerin Lola Folman, werde durch die Polizei zensiert, Theatervorstellungen seien nur als Gastspiele geduldet.100 „Keiner kann die jiddischen Schriftsteller in Israel des Antizionismus und der Verleumdung gegen Israel verdächtigen. [. . .] Aber sie sind hierher gekommen, um in ihrer Sprache zu schaffen und nicht, um gegen die Polizei zu kämpfen.“ Perlov führte weiter an, dass es nicht nur um die Schriftsteller und bildenden Künstler gehe, „sondern um Abertausende Immigranten, die zu taubstummem Analphabetismus verurteilt sind. Mit ihrer verachteten ‚Diaspora-Sprache‘ und ‚Diaspora-Psychologie‘ werden sie hier in eine Ecke gedrängt, in der sie sich fühlen wie in der Diaspora [selbst].“101 Perlov Ebd., Mendel Mann an Meylekh Tshemni, 9. 8. 1953. Ebd. 98 Ebd., Mendel Mann an Meylekh Tshemni, 3. 3. 1957. In ähnlichem Ton auch ebd., 18. 6. 1958. 99 Perlov war Passagier der Exodus 1947 und hielt seine Erlebnisse für die DPs in Deutschland literarisch fest: Perlov, Ekzodus 1947; später auch Perlov, Di mentshn fun ekzodus. 100 Zwischen 1949 und 1951 waren Vorstellungen von israelischen jiddischen Theatergruppen durch die Zensurbehörde für Kino und Theater verboten worden. Ausländische Truppen durften in Israel gastieren, allerdings war ihr Aufenthalt auf sechs Wochen beschränkt. Siehe Rotman, Ways of Alienation. 101 Perlov, Yitskhok, Eyner fun di zekhtsik alarmirt, in: Der veker, August 1951. 96 97

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warnte davor, dass mit dieser Entwicklung der jiddischen Sprache und Kultur in Israel bald die letzte Stunde schlagen würde und nannte die Gründe, die ihn zehn Jahre später dazu bewegen würden, in die USA auszuwandern: Wieso die letzte Stunde? – Weil jiddische Schauspieler nicht länger hungern können, und deshalb auf Hebräisch radebrechen. Weil jiddische Schriftsteller, die hier kein Einkommen finden, nach Auswanderungsmöglichkeiten suchen, um nicht auszutrocknen und zu verdörren wie ein Dornbusch in der Wüste. Weil die Masseneinwanderung europäischer Juden schon aufgehört hat. Und die Hunderttausenden Neueinwanderer gewöhnen sich schon daran, die zwei deutschen Tageszeitungen zu lesen. Denn welcher Jude versteht schon kein Deutsch [. . .].102

In einem Land ohne Leser Dieser und ähnliche Berichte darüber, dass Jiddisch in Israel auf den Status einer Gastsprache verwiesen wurde und jiddische Kulturveranstaltungen nur inoffiziellen Charakter als vorübergehende Erscheinung für Neueinwanderer trugen, beunruhigte die jiddische Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten. Im Sommer 1951 schickte das Präsidium des Kulturkongresses, in dem unter anderem Jacob Patt, Shmuel Niger und H. Leyvik vertreten waren, deshalb ein Memorandum an den israelischen Premierminister David Ben-Gurion, in welchem auf den Generationenbruch aufmerksam gemacht wurde, der durch die Unterdrückung des kulturellen Erbes des aschkenasischen Judentums zwangsläufig eintreten müsse. Um den Neueinwanderern Integrationsmöglichkeiten, den Künstlern Ausdrucksmöglichkeiten und der jungen Generation einen Kontakt mit ihrem kulturellen Erbe zu bieten, verlangten sie neben einer jiddischen Tagespresse und einem festen Theaterensemble auch die Integration europäisch-jüdischer Geschichte und jiddischer Sprache in das Curriculum der öffentlichen Schulen sowie die Förderung neuer jiddischer Literatur. Das Memorandum forderte faktisch eine offizielle Anerkennung (nicht Gleichstellung) der Sprache ein, um damit auf die realen Probleme der Immigrantengesellschaft zu reagieren. Ben-Gurion antwortete umgehend und in schönstem idiomatischem Jiddisch auf die Forderungen und machte klar, dass die jiddische Sprache keinen Platz in der Gegenwart des nationalen Projektes habe. In einem zweiten Brief unterstrich er, dass niemand die historische Bedeutung dieser Sprache herabwürdigen könne. In Zukunft würde sie zum Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gemacht werden, jedoch nicht, wie die Verfasser des Memorandums forderten, als aktiv genutzte Sprache weitergeführt werden. Diesen Platz habe sie an das Hebräische abgetreten: „Vergangenheit – ja.

102

Ebd.

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Gegenwart – viel, viel weniger. Aber Zukunft? Die Zukunft gehört, glaube ich, auch in der Zerstreuung, dem Hebräischen“.103 Zwar hatte Ben-Gurion Unrecht mit seiner Annahme, dass auch in der Diaspora die Landessprachen vom Hebräischen abgelöst würden, doch auch Leyvik, Patt und Niger verloren ihren Kampf gegen die Windmühlen der Zeit. In der jüdischen Bevölkerung der USA war Jiddisch längst von Englisch als majoritärer Sprache abgelöst und auf die Funktion einer symbolischen Klammer zum kulturellen Erbe reduziert worden.104 Ihre Sprache wurde hier nicht unterdrückt, aber die jiddische Kultur, in die sich die Schriftsteller zu integrieren gehofft hatten, kämpfte um ihr eigenes Überleben. Wenn es auch dem einen oder anderen Schriftsteller ermöglicht wurde, von Zeit zu Zeit ein Werk herauszugeben, so waren dies philanthropische Unternehmen, die sich außerdem fast vollständig auf New York beschränkten. Den neu eingewanderten Schriftstellern boten die USA also wenig berufliche Perspektiven. Diese Erfahrung musste auch Yekhezkl Keytlman nach seiner Ankunft 1951 machen. Hier und dort – in den jiddischen Zeitungen von New York, Montreal und Havanna – wurden seine Erzählungen abgedruckt. 1952 gelang es ihm, ein Buch unter dem Titel Oysgehakte velder (Abgeholzte Wälder) zu veröffentlichen, doch Käufer dafür fand er, wie er in einem Brief an Philip Friedman beklagte, keine.105 Es war schließlich der Jüdische Kulturkongress, dessen Gründung 1948 unter den Schriftstellern in Deutschland zu teils zwiespältigen, teils negativen Reaktionen Anlass gegeben hatte, der Keytlman wie auch einigen seiner Berufskollegen aus der Sche’erit Hapleta Mitte der 50er Jahre die Möglichkeit bot, mit Publikationen an die jüngste Vergangenheit anzuknüpfen: 1954 beschloss der Kulturkongress, dessen Vorsitzender zum damaligen Zeitpunkt Jacob Patt war, verschiedene Projekte zur Stärkung jiddischer Literatur und Kultur in Angriff zu nehmen. Mit der finanziellen Unterstützung durch die Jewish Claims Conference konnten vier jiddische Sammelbände mit dem Titel Fun noentn over (Von der jüngsten Vergangenheit) herausgegeben werden. Unter anderem sind dort Yosef Gar und Norbert Horovits mit Aufsätzen über die Sche’erit Hapleta in Deutschland respektive über das jiddische DP-Theater vertreten. Yekhezkl Keytlman berichtete über die Geschichte seiner galizianischen Heimatstadt Mielec.106 Das größte Projekt des Kulturkongresses, an dem sich Keytlman beteilig-

103 Tamiment 7015, Box 59, Folder 14, MK 181, David Ben-Gurion an Kulturkongress, Jerusalem, 26. 8. 1951. Der gesamte Briefwechsel ist abgedruckt in Inyen yidish in Yisroel, in: Tsukunft (September 1951). 104 Shandler, Adventures in Yiddishland, 73–82. 105 YIVO 1258, Keytlman an Friedman, Philadelphia, 15. 6. 1953; ebd., 22. 6. 1953. 106 Keytlman, Di yidishe kehile in melits.

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te, war das bio-bibliographische Autorenlexikon Leksikon fun der nayer yidisher literatur (Lexikon der neuen jiddischen Literatur), dessen acht Bände zwischen 1956 und 1981 in New York erschienen. Die meisten Mitarbeiter, unter der ursprünglichen Redaktion von Shmuel Niger und Jacob Shatzky – beide verstarben vor der Veröffentlichung des ersten Bandes –, waren Schriftsteller, die den Holocaust in Europa überlebt hatten. Neben Schriftstellern der Sche’erit Hapleta in Polen zählten Yekhezkl Keytlman und Binyomen Elis zu ihnen. Mordkhe Bernstein, der zu diesem Zeitpunkt für das YIVO in Buenos Aires tätig war, trug zur Erschließung von Material zu den DP-Schriftstellern in Deutschland bei.107 Im Vorwort zum ersten Band schrieb Jacob Shatzky, dass es in der Absicht der Redaktion stehe, „den umgekommenen Schriftstellern möglichst viel Platz zu widmen, den Märtyrern, deren verwaistes Andenken der biographische Grabstein in dieser jiddischen Literatur-Sammlung (kinus) ist.“108 Auch für einige der DP-Literaten, so möchte man hinzufügen, sollte der kurze biographische Eintrag, oft auf Grundlage persönlicher Informationen zusammengestellt, zum letzten Beweis ihrer Existenz als jiddische Schriftsteller werden. Einige ihrer weiteren Publikationen wurden 1986 von Berl Kagan in seinem Leksikon fun yidish-shraybers verzeichnet. Dort, und in seinem unveröffentlichten Manuskript zu einem Zusatzband, finden sich manchmal auch Einträge zu ihren Sterbedaten.109 In vielen Fällen verliert sich ihre Spur allerdings ganz. Aus Schriftstellern ohne Sprache und ohne Leser wurden Immigranten, Überlebende.110 Nachsatz: Das persönliche Archiv des ruhelosen Meylekh Tshemni, eine Pappschachtel mit zwei Manuskripten und einem Stapel Briefe, die aus seinen Wanderjahren in Deutschland, Argentinien, Brasilien und Israel stammen, fand ich eher zufällig im Archiv der Hebräischen Nationalbibliothek in Jerusalem. Die genaue Herkunft der Schachtel mit der Archivnummer 4° 1533 ist unbekannt. Ein Mann, an dessen Namen sich die Archivarin nicht mehr erinnern konnte, wollte sie vor einigen Jahren an das Archiv verkaufen. Als man kein Interesse daran zeigte, ließ er die Schachtel liegen und ging.111

107 108 109

Shatzky, Hakdome, XVI. Ebd., XV. Kagan, Leksikon fun yidish-shraybers; YIVO 1332, Papers of Berl Kagan, Box I, leksikon

a–d. 110 Ein tragikomisches Denkmal hat ihnen Bashevis Singer in seinen Kurzgeschichten gesetzt, z. B. Bashevis, Yitskhok, Di kafeterye. 111 Mitteilung von Rivka Plesser, 13. 3. 2005.

To be an exiled writer is like being a dog or a man hurtled into outer space in a capsule (more like a dog, of course, than a man, because they will never retrieve you). And your capsule is your language. To finish the metaphor off, it must be added that before long the capsule’s passenger discovers that it gravitates not earthward but outward. Joseph Brodsky, The Condition We Call „Exile“1

Fazit und Ausblick

1945 hatte sich Mordkhe Shtrigler an die überlebenden Juden in Europa gewandt und sie dazu aufgerufen, aus eigener Kraft, gestützt durch die internationale jüdische Welt, die Scherben ihrer Kultur zusammenzutragen und wieder zusammen zu fügen. „Wir sind kein gänzlich verlassener Stamm inmitten der europäischen Völkerfamilie“, schrieb er in seinem Essay, „noch sind die Millionen Jiddisch Sprechenden und jüdisch Denkenden mit uns.“2 Der Verlust von Heim und Heimat und jahrelanges Leid hatten dem jungen Schriftsteller gezeigt, wie wichtig es war, die in Trümmern liegende europäisch-jüdische Kultur vor ihrem endgültigen Untergang zu bewahren. Ihr Erbe sollte die Grundlage für eine neue jüdische Identität bilden: Die Geschichte hat befohlen: Ihr dürft nicht untergehen! Und das werden wir zu unserem Lebensprogramm machen! Auf den Ruinen des alten Europa wird neues Leben erblühen, [. . .] ein Volk mit einem Namen: Der neue Jude!3

Shtriglers Rhetorik eines neu aufblühenden Lebens aus den Trümmern, die sich auch im Symbol der Sche’erit Hapleta wieder findet, führt zurück zur Frage nach kultureller Kontinuität und kulturellem Wandel, die zu Beginn dieser Arbeit aufgeworfen wurde. In ihrem Plädoyer für eine positive Lesart deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte spricht Ruth Gay von einem spontanen Aufblühen „authentische[r] Musik, Poesie, Theater und Literatur voller Kraft“ und einem „strahlende[n] Moment osteuropäisch jüdischen Lebens“.4 Zwar schätzt die neuere Forschung die kulturelle Leistung der She’erit Hapleta verhaltener 1 2 3 4

Brodsky, The Condition, 108. Shtrigler, Tsu aykh shvester un brider bafrayte, 12. Ebd. Gay, Das Undenkbare tun, 10.

Fazit und Ausblick

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ein, aber nach wie vor lässt sich die Tendenz beobachten, quantitative Aspekte gegenüber den qualitativen in den Vordergrund zu rücken und aus der reinen Zahl kultureller Äußerungen Rückschlüsse zu ziehen, ohne diese selber genau zu betrachten. Damit lässt sich der Anspruch, die Geschichte der Sche’erit Hapleta aus der Sicht der DPs zu schreiben, aber nicht erfüllen. Die reine Aufzählung von Kultureinrichtungen oder Zeitungstiteln kann eine vermeintliche kulturelle Renaissance nicht hinreichend belegen. Die vorliegende Arbeit hat versucht, durch das Lesen der Produkte literarischer und journalistischer Kreativität der Sche’erit Hapleta in der Amerikanischen Besatzungszone in ihrem breiteren Kontext einen neuen methodischen Zugang zur Beantwortung der Frage nach der kulturellen Verortung der DPs zu finden. Wie gezeigt wurde, leiteten DPs die Zeitungsredaktionen, die mit der journalistischen Arbeit an ihr berufliches Leben der Zwischenkriegszeit anknüpfen konnten. Auf den Bühnen des Repräsentanztheaters standen DPs, die den Applaus schon in Polen gewohnt gewesen waren. In den Selbstverwaltungsorganen saßen Männer, die ihren Parteien seit den 30er Jahren treu gewesen waren. Der Vergleich der DP-Camps mit dem vernichteten Shtetl – verstanden als Chiffre für die mannigfaltigen Lebensbereiche und -formen osteuropäischer Juden der Zwischenkriegszeit – ist auf den ersten Blick zutreffend. Dass diese simplifizierende Antwort einer näheren Überprüfung jedoch nicht standhält, zeigt sich an verschiedenen Aspekten: Erstens veränderte sich die ideologische Wertigkeit der jiddischen Kultur. Besonders die Parteien, deren Einfluss auf die Selbstverwaltungsorgane und gleichzeitig auch auf das öffentliche Leben in der Sche’erit Hapleta kontinuierlich stieg, gaben durch ihre Zeitungen und Bildungsprogramme die Richtung des kulturellen Wiederaufbaus vor. Dabei sind zwei Hauptzielsetzungen auszumachen, miteinander verbunden, aber nicht zwangsläufig ineinander übergehend. Zunächst sollte die kulturpolitische Erziehungsarbeit die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart stärken und damit gegen die ständige und zunehmende Gefahr der Demoralisierung ankämpfen. Jahre im Ghetto, im Exil, im Versteck und in den Konzentrationslagern hatten die überwiegend jugendliche Sche’erit Hapleta daran gehindert, einen normalen Bildungsweg zu gehen, und tiefe Wissenslücken hinterlassen, die nun durch die Vermittlung einer grundlegenden Bildung geschlossen werden sollten. Erst auf dieser Basis sollte und konnte dann eine jüdisch-nationale und zionistisch ausgerichtete Erziehung aufbauen. Der jiddischen Sprache kam in dieser Zielsetzung eine zentrale Rolle zu. Die Unvereinbarkeit von Ideal und Wirklichkeit hatte, besonders unter den sozialistischen Zionisten, bereits in der Zwischenkriegszeit eine pragmatische Sprachpolitik entstehen lassen. In ihren Bildungsprogrammen rückten sie davon ab, ausschließlich Hebräisch zu favorisieren.5 Die Sche’erit Hapleta orientierte 5

Mendelsohn, On Modern Jewish Politics, 30 und 57.

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Fazit und Ausblick

sich an der Vorkriegsdefinition, nach welcher Jiddisch als Sprache der Gegenwart und Hebräisch als die Sprache der Zukunft verstanden wurde. Doch im Vergleich zur Vorkriegszeit war es zu einer ideologischen Verschiebung gekommen. Der Sprachenkampf, in dem Jiddisch eng mit Bundismus und Diasporanationalismus assoziiert gewesen war, Hebräisch dagegen mit dem Zionismus, hatte für die Sche’erit Hapleta nach 1945 seine Basis verloren. Durch den Holocaust war für die zionistischen DPs das Scheitern von Assimilation manifest gemacht und damit die Ablehnung der Diaspora (schlilat hagola) bestätigt worden. Diese Ablehnung äußerte sich in der territorialen und kulturellen Abgrenzung von der Umgebungsgesellschaft, nicht aber in der Ablehnung des osteuropäisch-jüdischen Erbes. Die Sche’erit Hapleta war vielmehr unablässig damit beschäftigt, ihre Vergangenheit zu rekonstruieren und zu konstruieren. Diese Überbetonung der Verbindung zur Vergangenheit ist durch die spezifischen historischen Umstände zu erklären. Die explizite Forderung Shtriglers, durch die eigene Existenz an das Zerstörte zu erinnnern, wurde in der Sche’erit Hapleta axiomatisch verinnerlicht. Dass sich die DPs als legitime Erben des osteuropäischen Judentums verstanden und sich zu seinen Nachlassverwaltern aufschwangen, bietet daher eine Erklärung für die positive Besetzung jiddischer Sprache und Kultur. Jeder einzelne in der Sche’erit Hapleta symbolisierte und bestätigte als Letzter einer Familie, als Letzter eines Ortes, deren frühere Evidenz. In ihrer Rhetorik wiederholte sich daher die Forderung, zu erinnern und ein Denkmal zu setzen. Die DPs initiierten in Deutschland verschiedene Formen von Memorialisierungsprojekten. So begannen die historischen Kommissionen durch das Sammeln von Augenzeugenberichten, Bildmaterial, historischen Quellen, musealen Objekten bis hin zur Folklore die jüngste Katastrophe zu dokumentieren. Ebenfalls in den DP-Camps wurden populärhistorische Studien über die Vernichtung einzelner Gemeinden als Yizker-Bücher in Angriff genommen. Auch literarische Texte und selbst Zeitungsartikel konnten im Sinne des „missing gravestone syndrom“6 eine dokumentarische und kommemorative Funktion übernehmen. Die DPs waren Träger der Tradition und der Geschichte der Opfer und führten sie fort, während sie sie gleichzeitig quasi für sakrosant erklärten. Auch die kleine Gruppe jiddischer Schriftsteller und Journalisten in der Amerikanischen Besatzungszone sah es als ihre Aufgabe an, das kulturelle Erbe einer vernichteten Welt anzutreten, den Toten ein Denkmal zu setzen und damit die Verantwortung gegenüber dem Andenken an die Vergangenheit zu übernehmen.

6 Zitiert nach Young, The Texture of Memory, 7. Der Begriff geht zurück auf Jost Merloo, Delayed Mourning in Victims of Extermination Camps, in: Henry Krystal (Hg.), Massive Psychic Trauma. New York 1968, 74.

Fazit und Ausblick

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Ein weiterer differenziert zu beachtender Punkt ist die Qualität der kulturellen Leistungen der DPs. Angesichts der Mannigfaltigkeit kultureller Leistungen einer Gesellschaft von Opfern stellt sich immer wieder ein romantisierender oder heroisierender Blick auf die Sche’erit Hapleta ein. Dieser verleitet dazu zu übersehen, dass der gefällte Baum, als dessen neuer Trieb sich die osteuropäischen Juden in Deutschland verstanden, Luftwurzeln bildete, die verzweifelt nach einem neuen Nährboden suchten, den sie ansatzweise in der sich kulturell selbst tragenden Gemeinschaft der Sche’erit Hapleta fanden. Doch die Flüchtlingslager im Nachkriegsdeutschland ließen neuen kreativen Kräften kaum Platz zur Entfaltung. Die tägliche Sorge galt den grundsätzlichen materiellen Bedürfnissen, der Ausbildung, dem Aufbau familiärer und sozialer Strukturen. Die Möglichkeit einer künstlerischen Ausbildung und oft auch eines grundlegenden Kontakts mit Kunst war der jungen Bevölkerung der Lager in den Kriegsjahren verwehrt geblieben. So brachte die Gesellschaft im Transit kaum neue Kräfte, neue Talente, hervor. Literarisch aktiv waren in der Sche’erit Hapleta im Wesentlichen diejenigen, die es bereits in der Zwischenkriegszeit gewesen waren. Die kurze Zeit jiddischer Kultur in Deutschland war letztlich also viel mehr ein Moment der Genesung und der relativen Produktivität, als dass auch qualitativ von einer wirklichen Renaissance gesprochen werden könnte. Zuletzt war die jiddische Kultur der DPs tief von den Holocausterfahrungen geprägt. Persönliche und kollektive Traumata, ein Ergebnis der Kriegsjahre und der kaum zu ertragenden Gewissheit, dass Heimat und Familie unwiederbringlich verloren waren, ließ diesen letzten Trieb einer verlorenen Kultur eigenartige und bisweilen groteske Züge annehmen. Gleichsam als Phantomschmerz begleitete die Erinnerung an alles, was durch den Holocaust vernichtet worden war, die gesellschaftliche Entwicklung der Sche’erit Hapleta. In einer soziopolitischen Bestandsaufnahme wurde Ende 1946 in Ibergang die „Rückkehr zur Normalität unter unnormalen Umständen“ als essentieller Teil des Genesungsprozesses verstanden: Unser Volksorganismus [. . .] glaubt immer noch, dass er ganz ist. Der Einzelne in der Gemeinschaft spürt den eigenen, den persönlichen Verlust, aber die Gemeinschaft will von dem Verlust nichts wissen. [. . .] Die Gemeinschaft schafft in Miniatur all das, was einmal gewesen ist. Der verkleinerte Volksorganismus gibt sich aber keine Rechenschaft darüber ab, dass man nicht so schnell aufbauen kann wie zerstört worden ist. Deshalb kommen dabei eine ganze Reihe von Widersprüchlichkeiten (stires), Einseitigkeiten und Lächerlichkeiten heraus. Der Organismus nimmt eine Last auf sich, die er mit den nicht vorhandenen Händen tragen will, er will sich mit nicht vorhandenen Füßen bewegen [. . .].7

7

Szatner, M., Der zin fun undzer kijum, in: Ibergang, 17. 11. 1946.

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Fazit und Ausblick

Ironischerweise fand diese eigenartige Rekonstruktion und Rehabilitation nicht etwa in einem exterritorialen Raum statt, sondern ausgerechnet in dem Land, das die Vernichtung des europäischen Judentums in Gang gesetzt hatte. Ohne geographische Distanz ließ der oft unvermeidliche Kontakt mit der deutschen Bevölkerung ambivalente Handlungs- und Deutungsmuster im täglichen Umgang und in der künstlerischen Auseinandersetzung entstehen. Selbst die Landschaft, in der man sich bewegte, war historisch aufgeladen. Aus dieser manifesten Negation der gegenwärtigen Territorialität, der deutschen Diaspora, heraus wurde eine neue, zu erreichende Heimat geradezu zur moralischen Destination. Besonders für die Schriftsteller und Journalisten ist zwischen zwei Arten von neuer Beheimatung zu unterscheiden: Israel im Kontext einer zionistisch definierten Rückkehr aus der Diaspora zum einen und die Reterritorialisierung in der Transnationalität des Jiddischen zum anderen. Mit welcher immensen Enttäuschung die ersten Jahre nach dem Aufbruch in beide Destinationen für einige der Schriftsteller verbunden waren, soll hier abschließend im Rahmen der bisherigen Ausführungen noch einmal in Bezug auf die kulturelle Zugehörigkeit der Sche’erit Hapletah aufgegriffen werden: Die DPs kämpften für einen pluralistischen Staat Israel, der sie mit ihrer literarischen und kulturellen Tradition aufnehmen sollte. Die Entscheidung, sich für die jiddische Sprache, Literatur und Kultur einzusetzen, war für sie nach dem Holocaust nicht mehr an ideologische Überzeugungen gebunden. Vierzig Jahre nach der Czernowitzer Sprachkonferenz plädierten selbst überzeugte Jiddischisten nicht mehr für die Einführung des Jiddischen als Landessprache im neu entstehenden jüdischen Staat. Für die DPs war die Pflege des kulturellen Erbes kein politisches Programm, sondern notwendiger Teil ihrer eigenen Biographie und Identität angesichts der fast vollständigen Vernichtung. In der Tradition des osteuropäischen Zionismus stehend sahen sie darüber hinaus keinen Widerspruch zwischen der Kultur der Diaspora und einer zukünftigen israelischen Kultur, sondern betrachteten vielmehr die Diaspora als natürliche Quelle, die den Staat nähren sollte. Im Jischuw und im jungen Staat Israel war die Ablehnung der Diaspora dagegen zu einer Kritik am Diasporajudentum selber geworden. Durch die relative Isolation des Jischuw in Hinblick auf die Immigration während der Kriegsjahre war eine Generation herangewachsen, der die osteuropäischen Juden fremd geworden waren. Das Konzept der Schlilat hagola bekam damit einen neuen Definitionsrahmen.8 So wurde für einige der Schriftsteller nach ihrer Alija zur Gewissheit, was man bereits in den letzten Jahren in

8 Zur Entwicklung des Konzeptes siehe beispielsweise Shapira, Whatever Became of Negating Exile; Raz-Krakotzkin, Galut betoch ribonut.

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Deutschland vermutet und befürchtet hatte. Sie mussten zusehen, wie ihre eigene Sprache und Kultur in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen wurde. In Israel verhinderte man in den ersten Jahren nach der Staatsgründung gezielt, dass sich breitenwirksame Bereiche wie Theater und Tagespresse auf Jiddisch etablieren konnten. Die Gründung der Literaturzeitschrift Di goldene keyt und die Einrichtung des ersten Lehrstuhls für Jiddistik an der Hebräischen Universität in Jerusalem 1951 waren dagegen eine strategisch eingerichtete kulturelle Insel, deren Schaffung von offizieller Seite unterstützt wurde. So wurde die jiddische Sprache als Teil des jüdischen kulturellen Erbes anerkannt, ohne dass sie noch eine Gefahr hätte darstellen können, möglicherweise die Hegemonie des Hebräischen ins Wanken zu bringen.9 Es ging also darum, die jiddische Sprache und Kultur vor dem Vergessen zu retten, sie zu konservieren und zu bewahren, nicht aber darum, sie zu fördern und aktiv weiterleben zu lassen. Der unbeschreibbare, millionenfache Verlust bedeutete den Untergang einer literarischen Kultur, einer Sprache, eines territorialen Bezuges. Diese Leerstellen mündeten aber nicht bei allen Schriftstellern, trotz ihrer Unterstützung der zionistischen Idee, in logischer Konsequenz in die Emigration nach Israel. Es war der Platz in der jiddischsprachigen Welt – deren Teilhaber Shtrigler optimistisch auf Millionen bezifferte –, der für viele ein tröstlicher Gedanke war. Jiddisch als transnationale Sprache hatte nicht aufgehört zu existieren. Als Gruppe, aber auch auf individueller Basis, strebten die Schriftsteller der Sche’erit Hapleta eine Reintegration in den zeitgenössischen literarischen Diskurs an. Seit den ersten Tagen nach der Befreiung versuchten sie mit der jiddischsprachigen Welt, als deren Default-Zentrum sich New York herausgebildet hatte, in Kontakt zu treten. Einige der dort federführenden Schriftsteller und Journalisten waren in der Zwischenkriegszeit aus Polen nach Amerika gekommen und so den DP-Schriftstellern, wenn auch nicht immer persönlich, so doch namentlich bekannt. Doch mit dem Wissen über die realen Bedingungen der jiddischsprachigen Kultur und dem zunehmenden Bedeutungsverlust der jiddischen Presse für das amerikanische Judentum wuchs auch hier die Enttäuschung. In Shtriglers Vorstellung existierte eine jüdische Nation, in deren Mitte die Sche’erit Hapleta aufgenommen werden würde. Was in Wirklichkeit geschah, war ein für beide Seiten traumatisches Aufeinandertreffen der Juden im Jischuw beziehungsweise der amerikanischen Juden mit den letzten Zeugen einer Kultur, die ihnen fremd war, und einer Geschichte, mit der sich die jeweiligen Gesellschaften erst Jahre später aktiv auseinander setzten sollten. Dazu war es keine Begegnung zwischen Gleichen: Flüchtlinge, also entwurzelte Menschen ohne territorialen Bezug, wurden damals wesentlich

9

Rojanski, The Status of Yiddish in Israel, 56.

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stärker als heute als kulturell nackt angesehen.10 Doch die Sche’erit Hapleta war zwar entwurzelt, nicht aber wurzellos. Kulturelle Entfremdung und Verständigungsschwierigkeiten nicht nur auf linguistischem Terrain führten dazu, dass die ersten Jahre in Israel und den USA mit Enttäuschung und Frustration verbunden waren. Die ursprüngliche Erwartung der DPs, von der neuen Gesellschaft offenherzig aufgenommen zu werden und mit ihrem kulturellen Erbe und ihrer Geschichte einen Platz zu finden, erfüllte sich nicht. Israel verfolgte besonders in den ersten Jahren nach der Staatsgründung vehement eine Integrationspolitik. Die neuen Staatsbürger wurden dazu gedrängt, möglichst schnell ihre Vergangenheit vollständig hinter sich zu lassen und die Jischuw-Identität anzunehmen. Ihre persönlichen Erfahrungen während der Kriegsjahre und danach waren kein Thema öffentlicher Diskussion und öffentlichen Interesses.11 Auch die Lebensrealitäten der neuen US-Bürger waren während der ersten Jahre nicht einfach. Zwar scheint sich die weithin akzeptierte Vorstellung der „Unsichtbarkeit“ des Holocaust im öffentlichen Diskurs bis zum Wendepunkt 1967 als Mythos zu erweisen.12 Aber ebenso unpräzise ist die Darstellung einer erfolgreichen Integration der Holocaustüberlebenden in die amerikanische Gesellschaft. Weder die Hilfsorganisationen noch die jüdischen Gemeinden wollten sich dort mit deren Schicksal während und nach dem Krieg auseinandersetzen. Man hieß sie als Einwanderer willkommen, nicht aber als Überlebende.13 Wenn die Immigranten auch unterschiedliche Erfahrungen in ihren jeweiligen Immigrationsländern machten, waren die Folgen vergleichbar. In beiden Ländern fehlte das Verständnis für die DPs als Überlebende des Holocaust einerseits, andererseits als Träger des osteuropäisch-jüdischen Erbes. In der Emigration begannen die kulturellen Wurzeln der Sche’erit Hapleta daher schließlich zu verwittern, die Blätter zu verblassen. So vehement sie die deutsche Diaspora abgelehnt hatte, so war es doch in paradoxer Weise das Leben in DP-Camps, in deutschen Städten und Dörfern gewesen, das dieser Schicksals- und Gedächtnisgemeinschaft ermöglicht hatte, mit dem Wiederaufbau gesellschaftlicher Strukturen und dem Wiederaufnehmen kultureller Tätigkeit ein Stück Normalität und kultureller Autorität zurückzugewinnen – und damit den Rest der untergegangenen Kultur am Leben zu erhalten.

10 11 12 13

Marrus, The Unwanted, 8. Shapira, The Holocaust, 55 f. Diner, Post-World-War-II American Jewry. Cohen, Case Closed, 173–177.

Kurzbiographien1

Berlinski, Shloyme: Geboren 1900 in Kielce, Polen. Schrieb zunächst für Zeitungen wie Dos vort (Warschau) und Lodzher togblat. Veröffentlichte vor dem Krieg Indroysn (Warschau 1930), Tsu a nayer velt (Warschau 1933), A lebn geyt oyf (Warschau 1937, Neuauflage München 1948) sowie Geklibene dertseylungen (Minsk 1941). Während des Zweiten Weltkrieges in der UdSSR. Von 1946–1948 in Gräfelfing. Publizierte 1947 in München A dor fun breyshes. Emigrierte 1948 nach Israel. Sein Roman Di none wurde in den Zeitungen Letste nayes (Tel Aviv) und Forverts (New York) veröffentlicht, der Erzählband Yerushe 1956 in Buenos Aires, Bilder un dertseylungen 1958 in Tel Aviv. Einige seiner Bücher wurden ins Hebräische übersetzt. Berlinski starb 1959 in Tel Aviv. Bolel, Nosn: Geboren 1905 im litauischen Panevezys. In der Zwischenkriegszeit Mitarbeiter der Folkstsaytung in Kaunas. Überlebte den Krieg in mehreren Konzentrationslagern. 1946–1950 schrieb er regelmäßig Artikel in Undzer veg und bearbeitete politische Themen in der revisionistischen Zeitung Undzer velt. Emigrierte 1951 nach Israel, wo er Redaktionsmitglied der Tel Aviver Zeitung Letste nayes wurde. Verstorben 1982 in Johannesburg. Duniets, Mordkhe: Geboren 1922. Lebte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Volkovisk. Überlebte im Konzentrationslager. Nach der Befreiung Redakteur von Undzer hofenung in Eschwege bei Kassel. Emigrierte später in die Vereinigten Staaten. Elentsvayg, Yisroel: Geboren 1909 in Warschau. 1940–1945 in der UdSSR. 1946–1948 in den DP-Camps Pocking und Landsberg. Gründete zusammen mit Moyshe Lestni die Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung). Schrieb Feuilletons über Literatur, das Leben als Überlebender, Palästina 1 Neben Bibliothekskatalogen, Archivquellen, der DP-Presse, gängigen Nachschlagewerken, Datenbanken – besonders dem Index for Yiddish Periodicals (IYP) – liegen u. a. folgende Titel zu Grunde: Leksikon fun der nayer yidisher literatur; Leksikon fun yidish-shraybers (inkl. dem Manuskript für einen Zusatzband in YIVO RG 1332, Papers of Berl Kagan, Box I, leksikon a–d), Fuks, Lodzh shel mayle; Ravitsh, Meylekh, Mayn leksikon (3 Bd.), Montreal 1945–1958; Cohen, Sefer.

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und jiddisches Theater. Veröffentlichte in Undzer veg auch Lagerkorrespondenzen. Seit 1949 in den USA. 1948 erschien seine kritische Analyse der Sche’erit Hapleta unter dem Titel Der prints in blote in der Zeitschrift Hemshekh. Elis, Binyonim: Geboren 1907. Lebte in Lodz, Warschau und Vilnius. Während des Zweiten Weltkrieges in Sibirien. Veröffentlichungen: Heymloze (Warschau 1931), das Drama Ba der grenets (Warschau 1936), Shrek (Minsk 1941), in Deutschland der Erzählband In aza velt (Stuttgart 1948). Veröffentlichungen in Af der vakh und Bafrayung. Nach seiner Emigration in die USA erschienen Ba farsheydene tishn (New York 1955), Afn veg tsum bunker (New York 1962) und das Theaterstück Zeperirte (New York 1978). Verstorben 1984 in New York. Eplboym, Shmuel: Geboren 1910 in Drahitschyn, Weißrussland. 1941–1944 im Ghetto. Schloss sich dann den Partisanen und später der Roten Armee an. Nach 1945 in einem DP-Lager nahe München. Redakteur von Dos vort und der hebräischen Zeitschrift Nitzotz. Im Yizker-Buch Bukh Drohitshin erschien sein Beitrag Khurbn Drohitshin (Chicago 1958). 1948 Emigration nach Palästina. Feder, Zami: Geboren 1909 in Zawisza, Polen. Lebte in Berlin und Frankfurt. Nach der Machtergreifung der Nazis erzwungene Rückkehr nach Polen. Seit 1931 literarisch aktiv, veröffentlichte u. a. Reportagen in Di naye tsayt und schrieb Theaterstücke wie Hitleriade (UA 1934 in Polen), Afn veding keyn nayes (UA 1937 in Warschau) und Khinke pinke. Im Konzentrationslager organisierte er Aufführungen mit Stücken von Perets und Sholem Aleykhem. Nach der Befreiung Leiter des KZ-Theaters im DP-Camp Bergen-Belsen. Weil Originaltexte fehlten, schrieb er die Stücke anfangs aus dem Gedächtnis nieder. Beteiligte sich auch an der Bergen-Belsener DP-Zeitung Undzer shtime. 1946 erschien ebenfalls in Bergen-Belsen seine Zamlung fun katset- un geto-lider. Später schrieb er auch für die Londoner Zeitschrift Ilustrirter teater-shpigl sowie für die jiddische Presse in Israel, Frankreich und den USA. Lebte bis 1960 in Paris, danach Emigration nach Israel. Dort erschienen sein Erzählband Partizanen (Jerusalem 1971), Gebeylte foystn (Tel Aviv 1974, hebräische Übersetzung Tel Aviv 1979), Durkh 12 gehenem-fayern (Tel Aviv 1985, hebräische Übersetzung Tel Aviv 1988). 1987–1988 Publikation von Blutiker gerangl. Tsvishn mentsh un tayvl (hebräische Übersetzung Tel Aviv 1989 unter dem Titel Bejn adam lesatan). Feld, Ovadya (Sade): Geboren 1917 in Lublin. 1937–1939 Studium an der Hochschule für Journalismus in Warschau. Schrieb für die Studentenzeitung der Allgemeinen Zionisten. Überlebte den Zweiten Weltkrieg in Ta-

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dschikistan. 1946 Rückkehr nach Polen. Seit 1947 in Deutschland. Redakteur von Tsienistishe shtime und Undzer veg. 1951 Emigration nach Israel, wo er für Undzer haynt und Letste nayes und die polnische Noviny schrieb. Frank, Shloyme: Geboren 1902 in Lodz. Von 1929–1933 in Südamerika. Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen wie Hantverkertsaytung, Undzer ekspres, Moment, Hayntike nayes (alle Warschau), Pariser haynt, Lodzher tageblat, zudem Herausgeber von Klangen, einem Journal für Kunst und Kultur, und des Lodzher vegvayzer, einer Zeitschrift über das wirtschaftliche Leben in Lodz. Sein Buch Tsienistishe lider wurde 1934 in Lodz publiziert. Arbeitete im Lodzer Ghetto für eine illegale Radiostation. 1944 Deportation nach Auschwitz. Nach dem Krieg Redakteur der Zeitschrift Yidishe bilder. Edierte 1948 die Sammlung Yidishe poezye fun 20tn yorhundert. 1950 Emigration nach Israel, wo er Anfang der 50er Jahre seine Yidishe bilder für kurze Zeit weiter herausgab. Ab 1956 Redakteur und Herausgeber des Velt-zhurnal (Tel Aviv). 1958 erschien sein Togbukh fun lodzher geto. Verstorben 1966 in Israel. Friedman, Philip: Geboren 1901 in Lemberg. Studium der Geschichte in Lemberg und in Wien. War kurze Zeit Direktor der Tarbut-Schule in Volkovisk, später Lehrer in Konin und Lodz. Lektor der YIVO-Kurse in Vilnius (1935–1936) und Lektor für jüdische Wirtschaftsgeschichte am judaistischen Institut in Warschau (1938–1939). Überlebte den Holocaust versteckt in Polen und gründete nach der Befreiung in Lublin die Tsentrale historishe komisye. Gleichzeitig Lektor für jüdische Geschichte an der Universität Lodz (1945–1946). 1946 Auswanderung in Richtung Deutschland. 1946 Experte bei den Nürnberger Prozessen. Direktor der Schul- und Kulturabteilung des Joint in der Amerikanischen Besatzungszone. 1948 Emigration nach Amerika. Lektor für jüdische Geschichte an der ColumbiaUniversität in New York. 1949–1954 Direktor des jüdischen Lehrerseminars und ab 1954 bis zu seinem Tod Direktor der bibliographischen Abteilung von YIVO und Yad-Vashem. Grundlage dazu war das Material, das er mit Hilfe seiner Frau Ada Eber-Friedman im Laufe der Jahre sammeln konnte. Erste literarische Veröffentlichungen seit 1918 v. a. in zionistischen Jugendzeitschriften in Lemberg. Sein erster historischer Artikel Die Judenfrage im galizianischen Landtag in den Jahren 1861–68 erschien in deutscher Sprache in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 1928 in Breslau. Aufsätze u. a. auch in Yunger historiker, Haynt, YIVO-shriftn, YIVO-bleter. Mitherausgeber des Guide to Jewish History under Nazi Impact (New York 1960). Die Bibliographie seiner gesammelten Schriften (Writings of Philip Friedman. A Bibliography. New York 1959) zählt über 300 Einträge. Verstorben 1960 in New York.

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Gar, Yosef: Geboren 1905 in Kaunas, Litauen. Verbrachte den Ersten Weltkrieg in Minsk, danach Rückkehr nach Litauen. 1932 literarisches Debüt mit In kupe im Folksblat in Kaunas. Danach hauptsächlich Rezensionen und Essays über allgemeine jüdische Themen. Zeitweise Redakteur der Literaturseite des Folksblat; arbeitete zudem für die Brüsseler Belgishe bleter. Bis zu seiner Deportation nach Dachau 1944 im Ghetto Kaunas. Es gelang ihm, aus dem fahrenden Zug zu springen und in seine Heimatstadt zurückzukehren. 1945 gelangte er von Litauen über Polen nach Deutschland. Lebte drei Jahre in Landsberg und München. Schrieb dort regelmäßig für die Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung), Undzer veg und Yidishe shtime, Redakteur der Literaturzeitschrift Hemshekh. 1948 zunächst Emigration in die USA. Schrieb weiterhin für verschiedene jiddische Zeitungen wie Der tog, Forverts und Morgn-zhurnal (alle New York), Yidishe tsaytung (Buenos Aires) und Afrikaner yidishe tsaytung (Johannesburg). Zog später nach Israel. Zu seinen veröffentlichten Büchern zählen Umkum fun der yidisher Kovne (München 1948), In geloyf fun khoreve heymen (New York 1952), Azoy iz geshen in Lite (Tel Aviv 1965) sowie seine Autobiografie Viderklangen (Tel Aviv 1961–1971). Außerdem verfasste Gar zusammen mit Philip Friedman den Artikel Baltishe lender für die Algemeyne entsiklopedye, yidn (Bd. I). Ebenfalls mit Philip Friedman Herausgeber der Bibliografye fun yidishe bikher vegn khurbn un gvure (New York 1962), und später der Bibliografye fun artiklen vegn khurbn un gvure in yidisher periodik (New York 1966–1969). Gar ist Verfasser der Studie Bafrayte yidn, die in der Reihe Fun noentn over in New York erschien. Gelbart, Mendl: Geboren 1898 in Lodz. Publizierte Ende der 20er Jahre vor allem Essays und Buchrezensionen im Lodzher folksblat. Während des Zweiten Weltkrieges zunächst im Lodzer Ghetto. 1944 Deportation nach Auschwitz und von dort in andere Konzentrationslager. Nach dem Krieg bis 1948 in deutschen DP-Lagern. Arbeitete in Bad Reichenhall als Redakteur für die Zeitschrift Morgn und für die Khoydesh-bleter (München), wo er vor allem gesellschaftliche und literarische Aspekte behandelte. 1948 Rückkehr nach Lodz, wo er 1948/49 als Redaktionssekretär von Arbetervort tätig war. Zudem schrieb er auch für Dos naye lebn (Lodz). 1950 Emigration nach Israel. Dort arbeitete er für Zeitungen und Zeitschriften wie Lebnsfragn, Letste nayes und Heymish. Gelbart, Shmuel (Golburt): Geboren 1908 in Kaunas. Überlebte den Zweiten Weltkrieg im Ghetto von Kaunas und in verschiedenen Konzentrationslagern. Nach Kriegsende gelangte er nach München. Mitbegründer und Mitarbeiter von Tsienistishe shtime (München 1947–1949). Sein Buch Dos geto in flamen erschien 1948 in München. Emigration nach Israel. Verstorben 1986 in Cholon.

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Goldkorn, Yitshkok: Geboren 1913 in Szydłowiec. Seit 1930 in Lodz. Im selben Jahr erschienen einige seiner Gedichte in Weissenbergs Indzer hofenung (Warschau). Schrieb auch für Nayer folksblat (1931–1936) und Afn shteynernem bruk (Lodz 1935). 1938 publizierte er seinen ersten Lyrikband Nokturn. Lirishe lider (Lodz/Warschau). Überlebte den Zweiten Weltkrieg in Sibirien, Mittelasien und als Rotarmist bei Leningrad. 1946 nach Deutschland. Schrieb für verschiedene DP-Zeitungen und -Zeitschriften wie Bayfrayung, Nayvelt, Der morgn, Hemshekh, Yidishe bilder, Shriftn (alle München) sowie für die Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung). Später auch für die internationale jiddische Presse wie Ilustrirte literarishe bleter (Buenos Aires) und Montrealer shriftn. 1951 Emigration nach Kanada. Herausgeber und Redakteur des Montrealer Vidershtand (1957). Veröffentlichte zwei kritische Essaysammlungen über jiddische Literatur, Literarishe siluetn (München 1949) und Fun velt-kval (Tel Aviv 1963). Weitere Veröffentlichungen sind Lider (München 1950), Epigramatish (Montreal 1954), Lodzher portretn (Tel Aviv 1963), Zingers un zogers (Tel Aviv 1971), Heymishe un fremde. Literarishe etyudn (Buenos Aires 1975) und Der farkishefter yarid (New York 1976). Graubard, Baruch: Geboren 1900 in Skole, Ost-Galizien. Studierte an den Universitäten Wien und Lemberg Literatur, Geschichte und Pädagogik. Arbeitete als Lehrer und Hochschuldozent. Überlebte die Nazi-Okkupation mit seiner Familie auf der „arischen Seite“ Krakaus und im Versteck. Gelangte 1946 nach München, wo er einige Zeit für das Kulturamt beim Zentralkomitee tätig war und das Hebräische Gymnasium leitete. Beteiligte sich mit Artikeln und Feuilletons in Morgn, Bafrayung, Undzer haynt (alle München). Mitredakteur von Hemshekh (München). 1949 erschienen seine Satiren unter dem Titel Geven a sheyres-hapleyte (München). 1951 erhielt Graubard eine außerordentliche Professur für Judaistik in Marburg. Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde München. Unter anderem erschienen von ihm Gelesen in den Büchern Mose (München 1965) und Wort, das euer Leben ist. Aus der Glaubenserfahrung Israels (München 1974). 1965 Uraufführung seines Dramas Festung ohne Mauer in Tübingen. Verstorben 1976 in München. Grinszpan, Meir: Geboren 1900 in Kostopol, Ukraine. 1926 literarisches Debüt mit einem humoristischen Beitrag in Voliner vokh (Kaunas). Schrieb danach für die Voliner tsaytung, Di yidishe vokh, Voliner prese, Podlasher lebn, Shedletser vokhnblat. Während des Zweiten Weltkrieges in der UdSSR, danach im DP-Lager Neu-Ulm. Veröffentlichte in A heym und Undzer veg humoristische Gedichte und Erzählungen. 1947 erschien in Deutschland Majn sztetl Kostopol. Poeme. 1948 Emigration nach Israel, wo einige seiner Artikel in Letste nayes (Tel Aviv) erschienen. Sein Stück A khasene in Yisroel

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wurde 1959 in London uraufgeführt. Unveröffentlicht blieben die beiden Romane Oyfkum un umkum und Holoveshkes. Verstorben 1981 in Ramat Gan. Gutman, Meyer-Ber: Geboren 1897 in Lodz. Verkehrte in Theaterkreisen. Bis 1944 im Lodzer Ghetto, danach Deportation nach Auschwitz. Nach der Befreiung veröffentlichte er Artikel in den DP-Zeitungen Undzer shtime (Bergen-Belsen 1946) und St. Otilier bleter (1947). 1947 war Gutman Redaktionsmitglied von Tsoytn – zamlheft far literatur, kritik un geselshaftlekhe frages (Bergen-Belsen). 1947 erschien in Bergen-Belsen sein Buch Farvolknte teg. Blieb bis 1951 in Deutschland, dann Emigration in die USA. Haken, Vera: Geboren 1912 in Odessa. Seit 1922 in Czernowitz, wo sie Schauspiel studierte. Seit 1938 Regisseurin des Kleinkunsttheaters in Bukarest. In München Leiterin des Kleinkunsttheaters Di goldene pave. 1951 Emigration nach New York. War dort einige Zeit an der Folksbine tätig. Veröffentlichte Gedichte, Erinnerungen und Erzählungen in Tsukunft und Afn shvel (New York) sowie in Letste nayes (Tel Aviv). In Buchform erschien Kinder-yorn, yugnt-yorn mit Eliezer Shteynbarg (Tel Aviv 1969). Harshav, Benjamin (Hrushovski): Geboren 1928 in Wilna. Überlebte die Kriegsjahre in der Sowjetunion. Nach Kriegsende Mitglied einer zionistisch-sozialistischen Jugendorganisation in München. Schrieb dort auch für DP-Zeitschriften wie Af der vakh. 1948 erschien sein Erstlingswerk Shtoybn. Im selben Jahr Emigration nach Israel. Zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählen u. a. American Yiddish Poetry (Stanford 1986), The Meaning of Yiddish (Berkeley 1990), Avrom Sutskever – Selected Poetry and Prose (Berkeley 1991), Language in Time of Revolution (Berkeley 1993), Yehuda Amichai. Selected and Translated by Benjamin Harshav (New York 1993), The Meaning of Yiddish (Stanford 1999), Marc Chagall on Art and Culture (Standford 2003), Marc Chagall and the Lost Jewish World. The Nature of his Art and Iconography (New York 2006), Sing, Stranger: A Century of American Yiddish Poetry (Stanford 2006), Exploration in Poetics (Stanford 2007). Harshavs Bücher liegen in Übersetzungen in zahlreichen Sprachen vor. Bis 1987 lehrte er an der Universität in Tel Aviv, heute als Professor für Komparatistik und Slawistik in Yale. Begründer und Herausgeber von Zeitschriften wie Hasifrut, Poetics and Theory of Literature, Poetics Today. Halperin, Tsemakh-Moyshe (Tsemach Tsamriyon): Geboren 1919 im litauischen Rasein. Emigrierte 1936 nach Palästina, wo er sich 1941 der Jüdischen Brigade anschloss. Literarisches Debüt 1939 in Haboker. 1946 von der Revisionistischen Partei als Schaliach in die Amerikanische Besatzungszone entsandt. Dort schrieb er für Vidergeburt und Yeshurin (München), für

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Undzer front, Vokhnblat (Bergen-Belsen) und für Undzer tsil (Linz). 1948–1950 Redakteur der revisionistischen Zeitung Undzer velt. 1949 erschien in München sein Buch Vegvayzer. Später schrieb er auch für Di Afrikaner yidishe tsaytung und verschiedene hebräische Zeitungen und Zeitschriften. Kehrte 1951 nach Israel zurück und wurde Lehrer in Tiberias. Seine in München verfasste Doktorarbeit gab er 1976 in Haifa unter dem Titel Die hebräische Presse in Europa. Ein Spiegel der Geistesgeschichte des Judentums im Selbstverlag heraus. 1970 erschien seine Studie zur DP-Presse (Ha’itonut schel sche’erit hapleta kebitui lebe’ajoteha). 1975 folgte die Studie Pirke scho’a wesche’erit. Halperin, Meir: Geboren 1905 in Lodz. Frühe Gedichte wurden in Dos vort, Der Moment, Literarishe bleter und Vokhnshrift far literatur gedruckt. Erster Gedichtband unter dem Titel Lider (Warschau 1935). Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Flucht in die Sowjetunion. Nach Kriegsende Rückkehr nach Polen. Von dort aus nach Deutschland, wo er bis 1949 blieb. Sein zweiter Gedichtband A veg in der nakht erschien 1948 in München; 1982 wurde in Tel Aviv posthum A tir tsum droysn veröffentlicht. Die Gedichte Halperins wurden in Tsukunft (New York) und Letste nayes (Tel Aviv) gedruckt. 1950 Emigration nach Israel. Verstorben 1980. Hermanovitsh, Borekh (Baruch Hermon): Geboren 1909 in Lublin. In der Zwischenkriegszeit schrieb er für die Warschauer Zeitung Haynt. Überlebte den Zweiten Weltkrieg in verschiedenen KZs. Nach Kriegsende im Landsberger DP-Lager. Mitbegründer und Redakteur der Landsberger lagercajtung (später Jidisze cajtung). 1948 Emigration nach Israel. Journalist für Dawar, Hado’ar und andere hebräische und jiddische Zeitungen in mehreren Ländern. Verstorben 1955, nach einem Kuraufenthalt, auf dem Münchener Flughafen. Hibel, Ben-Tsien: Geboren 1909 in Warschau. Mitglied der Rechten Po’ale Zion. Schrieb Artikel über Literatur und Theater für die Warschauer Zeitung Dos vort. 1946 zunächst in Berlin, danach in München. Mitarbeiter von Undzer veg, für die er v. a. Theaterrezensionen und Literaturkritiken verfasste. Ab 1948 Mitredakteur von Shriftn far literatur, kunst un gezelshaftlekhe fragn (Kassel). Emigration in die USA. Verstorben 1974 in New York. Kaplan, Israel: Geboren 1902 in Volozhin. 1919 nach Kaunas, Studium der Geschichte. Erste Feuilletons im Kovner tog, später auch Artikel und Erzählungen in Yidishe shtime (Kaunas). Überlebte die NS-Okkupation in den Ghettos von Slobodka und Riga. Danach in den KZs Kaiserwald und Dachau. Auf dem Todesmarsch befreit. Leitete die Zentrale Historische Kommission in München. Redakteur der Zeitschrift Fun letstn khurbn. Ver-

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öffentlichte das Essay In der togteglekher historisher arbet (München 1947) und eine Sammlung von Ausdrücken aus der Ghetto- und KZ-Sprache, Dos folksmoyl in natsi-klem (München 1949). Mitarbeiter der DP-Zeitungen Undzer veg, Dos vort und Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung). 1949 Emigration nach Israel. Dort edierte er verschiedene Bände von Jahadut Lita (Tel Aviv) und schrieb hebräische Schulbücher. Zudem veröffentlichte er eine Reihe Erzählungen: Shliakh un umveg (Tel Aviv 1964), Geshlayder (Tel Aviv 1970), Tsaytnshnit (Tel Aviv 1976) und auf hebräisch Gur jeruschalmi we’od sipurim (Tel Aviv 1980). Verstorben 2003. Kelerikh, Malke: Geboren 1897 in Rowno. Ihre Erzählung Eygns erschien 1931 in Rowno, außerdem schrieb sie damals für Moment und Undzer ekspres (Warschau). Ihr 1948 in München erschienener Erzählband Tsurik tsum lebn wurde unter dem Titel Hakelew we’ani 1974 in Tel Aviv in hebräischer Übersetzung veröffentlicht. Keytlman, Yekhezkl: Geboren 1905 in Galizien. Literarisches Debüt im Vilner tog. 1931 erschien die Erzählung Unter di tslomim in Weissenbergs Sammelband Indzer hofenung. In Buchform folgt Mitn ponim tsu zikh. Noveln (Warschau 1932). Während des Zweiten Weltkrieges in Usbekistan. In der Nachkriegszeit in Deutschland. Mitredakteur der Regensburger Zeitung Undzer moment. Einzelne Artikel veröffentlichte er in Unzer haynt und Hemshekh. Der Erzählband Oysterlishe geshikhtn un andere dertseylungen erschien 1947 in Regensburg. 1951 Emigration in die USA. Im Folgejahr erschien Oysgehakte velder. Dertseylungen (New York/Philadelphia 1952). In Fun noentn over (New York 1955) erschien seine Studie Di kehile in Melits. 1964 trug er einen Text zum Galitsye gedenkbukh (Buenos Aires 1964) bei. 1967 wurde Keytlmans Buch Oyfn veg keyn Uman (New York) veröffentlicht. Außerdem als Mitarbeiter des Leksikon fun der nayer yidisher literatur tätig. Klugman, Shabse (Keschew): Geboren 1898 bei Kielce in einer chassidischen Familie. Arbeitete im Warschauer Büro des Keren Kajemet. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Polen, später im Ghetto von Kaunas, danach in DP-Lagern in Deutschland. Berichtete als Korrespondent für Undzer veg von den Nürnberger Prozessen. 1948 Emigration nach Palästina. Er war nach dem Krieg an vielen jiddischen und hebräischen Medien wie Dawar, Yidisher kemfer, Tsukunft, Folk un velt und Di goldene keyt beteiligt. Sein Text unter dem Titel Ketzon latewach erschien in zahlreichen Auflagen und Übersetzungen, in Jiddisch als Vi shof tsu der shkhite (Tel Aviv 1962). Verstorben 1981 in Tel Aviv.

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Kokhav, Meyer-Arye (Shtern): Geboren 1908 in Polen. Arbeitete als fahrender Händler und eröffnete später ein Geschäft für Küchengeschirr in Warschau. 1934 debütierte er in Weissenbergs Indzer hofenung. Während der Kriegsjahre in der Sowjetunion und seit 1946 in Deutschland. Schrieb einzelne Artikel in Undzer hofenung, Jidisze cajtung, Undzer veg, Hemshekh und Shriftn. 1949 Emigration nach Israel. Weitere Publikationen in Fareynikte arbeter-shtime (New York), Nayvelt, Lebnsfragn (Tel Aviv). Kroshnits, Mordkhe-Hilel: Geboren 1915 in Baranavichy, Weißrussland. 1931 literarisches Debüt in der Warschauer Zeitung Frayhayt. Danach Artikel, Erzählungen und Reportagen für Dos vort (Warschau), Oktiabr (Minsk) und Arbeter vort (Paris). Überlebte den Zweiten Weltkrieg in der UdSSR. Nach der Repatriierung kurz in Oberschlesien, dann in DP-Camps. Arbeitete in der Redaktion von Bafrayung (München). Schrieb auch für Nayvelt (Tel Aviv) und Forverts (New York). 1949 Emigration nach Israel. Er veröffentlichte die Gedenkbücher Krasnobrod (1956), Lubtsh un Relatitsh (1971), außerdem Eygns (1963), Natur und mentsh (1965), Erd (1967) und Doyres (1969, alle Haifa). Zudem ist Kroshnits in Rollanskys Anthologie In dem eygenem land (Buenos Aires 1973, Musterverk Bd. 55) vertreten. Lestni, Moyshe: Geboren 1907 in Prudnik. In der Zwischenkriegszeit Artikel für die Parteipresse der „radikal-zionistischen Organisation“. Überlebte den Holocaust in den Konzentrationslagern Majdanek, Buchenwald und Theresienstadt. Nach der Befreiung im DP-Camp. Von 1945–1947 Mitarbeiter der Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung), von 1947–1949 ihr Chefredakteur. Später Mitredakteur von Undzer veg, Hemshekh und Naye yidishe tsaytung. Schrieb vor allem politische Artikel, Lager-Erinnerungen, Literatur- und Tora-Abhandlungen und Artikel über jüdische Kulturgeschichte. 1951 Emigration nach Israel. 1952–1953 Redakteur von Dos vort (Tel Aviv) und Mitarbeiter von La’et sikna. Verstorben 1966. Libhaber, Mordkhe (Elihaw): Geboren 1917 in Markuszów bei Lublin. Erzählungen und Gedichte im jüdisch-polnischen Journal Opinia, Novellen Kazania auf Polnisch und Zamdn auf Jiddisch (Warschau 1938). Während des Zweiten Weltkrieges in der UdSSR, nach Kriegsende in Föhrenwald und München. Redakteur der landsmannschaftlichen Ibergang (1946–1948), außerdem Gedichte und Artikel in Undzer veg, Di tsienistishe shtime und Shriftn (München). 1949 Gedichtband Trit in shotn in München. 1951 Emigration in die USA. Hebräischlehrer und Rabbiner in St. Louis. Lifshits, Ruven: Geboren 1918 in Warschau. Debütierte mit satirischen Gedichten in der polnischen Zeitung Spilki. Vor dem Zweiten Weltkrieg schrieb er für polnische Revuetheater. War im Warschauer Ghetto und wur-

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de später in ein Konzentrationslager deportiert. Im Ghetto Wechsel von der polnischen zur jiddischen Sprache. Einige seiner Gedichte wurden zu Volksliedern. In den deutschen DP-Lagern agierte er als Mitbegründer des Revuetheaters Di goldene pave. Schrieb zahlreiche Stücke (zusammen mit Vera Haken), z. B. Az men lebt, derlebt men. Erste Veröffentlichungen nach dem Krieg 1946 in Undzer shtime in Bergen-Belsen. Außerdem Beiträge für das Vokhnblat (Bergen-Belsen), die Münchener Zeitungen Undzer veg und Dos vort und für die Zeitschrift Yidishe bilder. Seine Liedersammlung Lebedik amkho! erschien 1946 (Bergen-Belsen), Tsu zingen un tsu zogn wurde 1949 in München veröffentlicht. 1950 Emigration in die USA. Mali, Malasha: Geboren 1921 in Lodz. Schrieb 1938 für Bafrayung und Dos vort (beide Warschau). Lebte ab 1940 in der Sowjetunion. 1946 Rückkehr nach Polen. Von dort 1946 weiter in die Amerikanische Besatzungszone. 1947 Mitarbeit für die Khoydesh-bleter far literatur, ab 1948 auch für Bafrayung, Hemshekh, Der morgn und die Lodzer Zeitung Arbeter-vort. Erzählungen unter dem Titel Geviter (München 1948). Emigration nach Israel, wo sie für zahlreiche Publikationen schrieb, u. a. Yung-Yisroel, Nayvelt, Di goldene keyt (Tel Aviv). ´sk. Veröffentlichte zunächst GedichMann, Mendel: Geboren 1916 in Płon te, Erzählungen und Essays in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften wie Literarishe bleter, Folkstsaytung und Arbeter tsaytung. Bei Kriegsausbruch in Warschau. Flucht nach Brest-Litowsk und weiter ins Innere der Sowjetunion. Eintritt in die Rote Armee. Nach dem Einmarsch in Berlin im Mai 1945 ging Mann nach Lodz, wo 1945 seine Gedichtsammlung Di shtilkeyt mont als erster jiddischer Gedichtband im Nachkriegspolen veröffentlicht wurde. 1946 nach Regensburg. Redakteur von Der nayer moment (später Undzer moment). Veröffentlichte dort einen weiteren Gedichtband unter dem Titel Yerushe (1947). 1948 Emigration nach Israel. Ab 1949 Redaktionssekretär von Avrom Sutskevers Di goldene keyt. 1961 nach Paris. Herausgeber von Undzer vort sowie des jiddischen Teils von Sefer Plonsk wehaswiwa (1963). Beiträge in zahlreichen jiddischen Zeitungen und Zeitschriften (Die prese, Der tog, Di tsukunft, Nayvelt usw.), aber auch in der hebräischen Presse (Dawar, Al hamischmar). Zu seinen Buchpublikationen gehören die Kriegstrilogie Ba di toyern fun Moskve (New York 1956), Bay der Vaysl (Tel Aviv 1958) und Dos faln fun Berlin (New York 1960). Weitere Romane und Erzählbände sind Oyfgevakhte erd (1953), In a farvorloztn dorf (Buenos Aires 1954), Nakht iber Glushino (Tel Aviv 1957), Di gas fun bliendike mandlen (Buenos Aires 1958), Al naharoys Poyln (Paris 1962), Kerner in midber (Paris 1966), Der shvartser demb (Paris 1969), Mentshn fun Tengushay (Tel Aviv 1970), Fun Golan bis Sharm a-sheykh (Tel Aviv 1973) und die posthum veröffentlichte autobiographische Erzählung Di yidish-poylishe milhkome (Tel

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Aviv 1978). Verstorben 1975 in Paris. Seine Romane sind in englischer, französischer, deutscher und hebräischer Übersetzung erschienen. Mates, Ruven: Geboren 1890 in Siadi, Litauen. Besuch der Jeschiwa und des Hebräischen Lehrerseminars in Vilnius. Lehrer an einem Hebräischen Gymnasium in Siauliai, dem er bis 1939 als Direktor vorstand. Schrieb ab 1930 für die Jugendzeitschrift Shvalbn, später auch Gedichte und Artikel für Folksblat, Kinderblat, Yidishe shtime, Shtraln, Naye bleter (alle Kaunas) und Morgn-zhurnal (New York). Während des Krieges im Ghetto von Siauliai, später in den KZs Stutthof und Dachau. Nach Ende des Krieges in der Verwaltung von Undzer vort. Veröffentlichte Gedichte, Erzählungen und Artikel in Af der vakh, Undzer vort, Shriftn und Hemshekh (alle München) sowie in Kultur und Tsukunft (New York). 1948 Emigration nach Kapstadt, wo er Hebräisch unterrichtete. Mitarbeiter von Dorem Afrike und der hebräischen Zeitschrift Barkai (beide Johannesburg) und anderen Publikationen. Verstorben 1958 in Kapstadt. Mitlpunkt, Yoysef-Dovid: Geboren 1889 in Iz˙yce bei Lublin. Mehrfach im Gefängnis wegen revolutionärer Tätigkeit. Jurastudium in Kiew. Tätigkeit als Anwalt. Erste Texte im jiddisch-russischen Razsviet (St. Petersburg 1910). Publizierte außerdem vier Bücher in russischer Sprache und schrieb 1912 für die Warschauer Zeitungen Tsvaygn und Fraynt. Überlebte den Zweiten Weltkrieg in der UdSSR, danach in der Amerikanischen Besatzungszone. Lebte in den DP-Lagern Ulm und Leipheim. Mitarbeit in der Leipheimer Lagerzeitschrift A heym. Gedichtsammlung Untervegns (Ulm 1947). 1948 Emigration nach Israel. Regelmäßiger Mitarbeiter von Letste nayes. Schrieb auch für Nayvelt, Undzer haynt, Dos vort und Heymish sowie für mehrere hebräische Zeitungen wie Dawar, Al hamischmar und Haboker. Seine Bücher erschienen auf Jiddisch und Hebräisch: Me’at meharbe (Tel Aviv 1949, jiddische Version Fun alts tsu bislekh, Tel Aviv 1950), Me’achorej hasoreg (Tel Aviv 1953), Gezamlte shriftn (Tel Aviv 1954), Mi aschem? (Tel Aviv 1957, jiddische Version Ver iz shuldik, Tel Aviv 1958), Hasot hi haderech? (Tel Aviv 1962), Gezen, gehert un farshribn (Tel Aviv 1969). Verstorben 1974 in Cholon. Oleyski, Yankev: Geboren 1900 im litauischen Šaki. Vor dem Krieg literarische und journalistische Arbeiten im Folksblat (Kaunas). 1944 Deportation aus dem Ghetto von Kaunas in ein Vernichtungslager, jedoch gelang ihm unterwegs die Flucht. Als früherer Direktor der ORT-Schulen in Litauen half er beim Aufbau der Berufsschulen in den DP-Camps. Außerdem Redakteur der Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung) und Redaktionsmitglied der Fachzeitschrift Landvirtshaftlekher vegvayzer. 1949 Emigration nach Israel. 1951 erschien ein Beitrag von ihm im Sammelband Lite

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(New York): Der arbetsaynzats in Kovner geto. Außerdem Mitarbeit bei Khayim Yelin. Der geto-kemfer un shrayber (Tel Aviv 1975). Redakteur bei Jahadut Lita. Verstorben 1981 in Tel Aviv. Olitski, Mates: Geboren 1915 in Trisk, lebte später in Warschau. Überlebte den Krieg in der Sowjetunion. Erster Gedichtband In fremdn land (Eschwege 1948). Veröffentlichungen in Af der vakh. Emigration in die USA, Tätigkeit als Lehrer in New York. Zu seinen weiteren Veröffentlichungen zählen Freylekhe teg (New York 1962), Lider far yugnt (1974), Lider fun frier un itst (1980), Lid un esey (1988). Zusammen mit seinem Bruder, dem Dichter Leyb Olitski, veröffentlichte er 1967 Lider tsu a bruder. Geklibene lider. Perlov, Yithskhok: Geboren 1911 in Biała Podlaska, lebte später in Warschau. 1928 erschien erstmals eines seiner Gedichte in Literarishe bleter (Warschau). Mitarbeit für zahlreiche Zeitungen wie Haynt, Moment, Folkstsaytung und Ershter shnit. Außerdem Redaktionsmitglied von Zalbe akht, Shtile oyfn bruk und Varshever bleter (alle Warschau). Seine ersten Gedichtbände waren Untergang (1935) und Frundza verde (1934). 1936 veröffentlichte er den Roman Blondzhnde kayafn (Warschau). Zu seinen wichtigsten Bühnenstücken gehören Goldene zangen, ein Dreiakter aus dem Jahre 1938, Abi men zet zikh (1939) und Blinde pasazshirn (1939), alle vor dem Krieg in Polen aufgeführt. 1940 Flucht in die UdSSR. Nach dem Krieg kurzer Aufenthalt in Lodz, dann in Deutschland. Schrieb für die DP-Zeitungen Undzer veg, Bafrayung, Jidisze tsajtung und Vokhnblat sowie für ausländische Zeitungen und Zeitschriften. Passagier an Bord der Exodus 1947. Seine Erlebnisse verarbeitete er in Ekzodus 1947 (München 1947) und Di mentshn fun Ekzodus (Buenos Aires 1949). Ebenfalls in Deutschland erschienen Undzer regnboygn. Baladn un lider (München 1948) und Undzer like-khame. Lider 1939–1946 (München 1947). 1949 Emigration nach Israel. Seit 1961 in New York. 1952 erschienen der Roman Der tsurikgekumener und die Israel-Erzählung In eygenem land (Buenos Aires). 1954 folgte die Erzählung Matilde lebt (Buenos Aires), 1955 die Romane Dzhebelia (Buenos Aires) und Flora Ingber (Tel Aviv), 1959 der Roman Mayne zibn gute yor (Tel Aviv). Veröffentlichte außerdem die Erzählungen Di kenigin fun di zumpn und Der elnter dor im Forverts (New York). 1959 erschien seine jiddische Übersetzung von Boris Pasternaks Dr. Schiwago. Seine gesammelten Werke erschienen 1954 in Tel Aviv. Verstorben 1980 in New York. Rubinshteyn, Ruven: Geboren 1891 im litauischen Utian. Zunächst Redaktionsmitglied der russischen Zeitung Raszviet, seit 1915 publizierte er auf Jiddisch. 1918 ständiger Mitarbeiter des Petrograder togblat. Schrieb auch für Tsienistishe zamlbikher (St. Petersburg 1918). Wurde in der Zwischenkriegszeit zu den prominentesten jüdischen litauischen Intellektuellen ge-

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rechnet. War in seiner Heimatstadt Kaunas im journalistischen wie auch im gesellschaftspolitischen Bereich tätig: Redakteur der Tageszeitung Di yidishe shtime, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, Mitglied des Stadtrats, Jurist, Vorsitzender im Verband der jüdischen Volksbanken, Vorsitzender der zionistischen Organisation, des Sportclubs Maccabi, Delegat zu zionistischen Kongressen für die Allgemeinen Zionisten und Verbindungsmann zwischen dem neofaschistischen Regime der litauischen Nationalisten und der jüdischen Bevölkerung. Nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen wegen seiner politischen Tätigkeit inhaftiert und später deportiert. Bekam nach einigen Jahren das Recht, sich in der Sowjetunion frei zu bewegen. Gelangte mit der Bricha nach Deutschland, indem er sich als polnischer Repatriierter ausgab. Ab 1946 Redakteur von Undzer veg und Mitherausgeber der Zeitschrift Di velt. 1948 Emigration nach Israel. Beteiligte sich dort am Sammelband Jahadut Lita (Tel Aviv). Moderierte während vieler Jahre jiddische Nachrichtensendungen auf Kol Jisra’el. Verstorben 1967. Shalit, Levi (Shalitan): Geboren 1918 in Samare, Russland. Überlebte den Holocaust im Ghetto von Siauliai und im Konzentrationslager Dachau. Gründete nach dem Krieg die DP-Zeitung Undzer veg (München) und war dort als Redakteur tätig. 1947 erschien in München Meshiekhs-troymen in Leyviks dramatishe poemes, 1949 Azoy zenen mir geshtorbn. 1952 Emigration nach Johannesburg. 1953–1983 Herausgeber der Afrikaner yidishe tsaytung. Schrieb außerdem für zahlreiche andere Zeitungen und Zeitschriften wie Forverts, Letste nayes, Yidisher kemfer, Jewish Affair (Johannesburg). Als Bücher wurden veröffentlicht: A yid in der velt (Johannesburg 1972), Tsaytn dertseyln (Johannesburg 1974), Beyond Dachau (Johannesburg 1980) und Nesi’ot wesichronot (Ramat Hascharon 1987). Verstorben 1994 in Südafrika. Sheynzon, Yosef Dov: Geboren 1907 im litauischen Anikhst. Lebte in Kaunas, wo er für die Zeitung Yidishe shtime schrieb und als Hebräischlehrer tätig war. Überlebte drei Jahre im Ghetto Siauliai, wurde 1944 dann nach Dachau-Kaufering deportiert und von dort in die Tschechoslowakei. Nach Kriegsende in der Amerikanischen Besatzungszone. Schloss sich der Achida an. Mitarbeiter bei Dos vort und Nitzotz, veröffentlichte das Buch Yisroel in oyfboy (München 1948) und stellte die „A“-Haggada für die Pessachfeier 1946 in München zusammen. Entwarf außerdem verschiedene Titelblätter für DP-Publikationen. 1948 Emigration nach Kanada. Beteiligte sich dort an der kanadischen Publikation Keneder odler. Veröffentlichte zahlreiche hebräische Lehrbücher. Shlayen, Yehoshua (Schiloni): Geboren 1894 in Droshkopol, Wolhynien. Studium an einer Jeschiwa, danach Hebräischlehrer. Seit 1920 schrieb er für

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Lemberger togblat, Morgn, Undzer ekzpres (Warschau) und nach dem Krieg für Dos naye lebn (Lodz). Während des Krieges in einem ukrainischen Dorf bei einem Priester versteckt. 1947–1948 schrieb er für die Tsienistishe shtime (München). 1949 Emigration nach Israel. Artikel in Letste nayes. 1959 erschien sein autobiographisches Buch Eyner hot zikh geratevet (Tel Aviv). Die hebräische Version Echad schenimlat erschien bereits 1956. 1962–1963 Herausgeber einer unabhängigen Zeitschrift mit dem Titel Aspaklar hasman. Übersetzte unter anderem das Tagebuch der Anne Frank ins Jiddische (Tel Aviv 1958). Verstorben 1965 in Tel Aviv. Shrayer, Efroyim: Geboren 1911 in Galizien. Lebte in den 30er Jahren in Warschau. Schrieb für die Arbeter tsaytung und Fraye yugnt, für den amerikanischen Proletarisher gedank und für russische und ukrainische Parteiorgane. Verfasste die kunsttheoretischen Schriften Neorealizm in der kunst und Stefan Yaratsh, die allerdings unveröffentlicht blieben, und die Monografie Irena Eybler (Warschau 1939). Während des Zweiten Weltkrieges in der UdSSR als Soldat der Roten Armee. Nach Kriegsende nach Polen und danach nach Deutschland. 1948 erschien Problemen fun kinstlerishn shafn in München. 1950 Emigration nach Israel. Dort veröffentlichte er Ba heymishe shveln (Tel Aviv 1976) und Bleter fun mayn album (Tel Aviv 1978). Die Problemen wurden 1978 ins Hebräische übersetzt. In Tel Aviv erschienen auch Friling-bleter (1981) und Estetishe vertn (1966/1985). Shtrigler, Mordkhe: Geboren 1921 im polnischen Zamos´´c. Talmudstudium. Essayist, Erzähler und Dichter. Während seiner Zeit in Ghetto und KZ Wandlung zum Zionisten. Gab unmittelbar nach der Befreiung im KZ Buchenwald die einmalig erschienene Zeitung Tkhies hameysim heraus. Von 1945–1953 in Paris. Schrieb u. a. für Kiyem (Paris) und Tsukunft (New York) sowie für die von Opatoshu und Leyvik herausgegebenen Zamlbikher und besonders für die Pariser Undzer vort, die er mitredigierte. Häufige Themen waren die jüdische Identität, Zionismus, Israel und der Holocaust. Ab 1953 in New York, wo er für Forverts und Yidisher kemfer schrieb. Später Redakteur beider Zeitschriften. Schrieb auch für die hebräischen Zeitschriften Hado’ar, Mosnajim und Beterem. Größere Arbeiten wie Shayles-vetshuves vi a moker fun yidisher geshikhte erschienen im Forverts, Al tenach hascheni hachuli in Mosnajim. Tsvishn harts un tat (1968), Meshiekhs eyzl (1972), Fun onheyb biz onheyb (1973) und Tif in undz shtekt der novi (1975) erschienen in Yidisher kemfer, ebenso wie der unvollendet gebliebene Farshverer (1964/65). In Buchform publizierte er Tsu aykh shvester un brider bafrayte (New York 1945), In a fremdn dor (Paris 1947), Maydanek (Buenos Aires 1947), In di fabrikn fun toyt (Buenos Aires 1948), Di ershte libe fun Kopl Matsh (Paris 1948), Verk „tse“ (Paris 1950), Goyroles (Paris 1952), Shtern fartog (Buenos Aires 1952), Georemt mitn vint (Paris 1955), Shmuesn

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mit der tsayt (Buenos Aires), Indzlen af der erd (New York 1957). Verstorben 1998 in New York. Tshemni, Meylekh: Geboren 1910 in Warschau. Veröffentlichte in den 30er Jahren Reportagen, Skizzen und Erzählungen in den Zeitungen Folks-tsaytung, Undzer exzpres, Dos vort (Warschau) usw. 1939 Prosaband Di mishpokhe Fintster in Warschau. Überlebte den Zweiten Weltkrieg in der UdSSR, zunächst in Białystok, dann in Usbekistan. 1946 über Polen nach Deutschland, wo er bis 1952 als Mitarbeiter verschiedener Zeitungen blieb. Beiträge in Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung), Hemshekh, Dos vort, Undzer velt, Af der vakh, Shriftn und Naye yidishe tsaytung, in deren Redaktion er bis zu seiner Auswanderung beschäftigt war. Korrespondenzberichte erschienen in Morgn-zhurnal und Der tog (New York). 1948 bzw. 1949 erschienen die Erzählbände Teg azelkhe und Uzbekistan in München. 1952 Emigration nach Buenos Aires, wo er als Mitarbeiter bei Di prese tätig war. Im selben Jahr erschien seine Erzählung Poylishe yidn (Buenos Aires), 1956 Oysgevortselte (Buenos Aires). Von 1957–1959 in Rio de Janeiro. Dort Redaktionsmitglied von Di yidishe tsaytung. 1958 Emigration nach Israel. Seit 1960 Herausgeber des Journals Blitsn. Far polemik, literatur, kritik un kulturgezelshaftlekhe inyonim. In den Jahren 1971–1973 erschien außerdem Vunder in vander. Bletlekh fun mayn togbukh, september 1939–september 1969. Vaserman, Leyb: Geboren 1915 in der Ukraine. Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst in Deutschland. Literarisches Debüt im Sammelband Shriftn (München), zudem Essays und Gedichte für die Münchener DP-Zeitungen Undzer veg und Dos vort. 1949 erschien sein Buch Shtile likht (München). 1951 Emigration in die USA. Mitarbeiter für die amerikanisch-jiddischen Zeitungen Yidisher kemfer, Tsukunft, Undzer tsayt und Fraye arbeter shtime. 1966 erschien Mayne mes-lesn (New York). Vaynroykh, Hershl (Vinokur): Geboren 1903 in der Nähe von Kiew. Kindheit in Odessa. Von 1932–1938 in Birobidjan. Literarische Anfänge in russischer Sprache, unter dem Einfluss der jüdischen Sektion der kommunistischen Partei wandte er sich jedoch bald dem Jiddischen zu. Eine erste Erzählung Itke fun Shveypros erschien 1926 im Moskauer Emes, später schrieb er auch für die Zeitungen und Zeitschriften Shtern (Kharkov), Oktiabr, Yunger arbeter (Minsk) und Di royte velt (Kiew). Außerdem Hilfsredakteur des Birobidzhaner shtern. Vor dem Krieg erschienen seine Bücher Taygeberg (Minsk 1935), A brik iber der Bire (Minsk 1936) und Der ershter yeger (Minsk 1939). Während des Zweiten Weltkrieges zunächst in der Ukraine, dann im Minsker Ghetto. 1941 erschien Dos yingl fun Akhrimove (Minsk). 1942 Organisation einer Partisanengruppe. Kämpfte schließlich für die Rote Armee. 1946 über Rumänien nach Deutschland. 1947 Emigration nach Palä-

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stina und 1948 in die Vereinigten Staaten. In Deutschland schrieb er für die DP-Zeitung Undzer veg und veröffentlichte 1947 in München Erzählungen unter dem Titel Goles Bayern. In Amerika erschienen Blut af der zun (New York 1950), Durkh zibn fayern (New York 1951), Adamizm (New York 1954), Komisarn (Buenos Aires 1962) und Ven di zun fargeyt un di muze veynt (1982). Verstorben 1983 in New York. Volpe, Dovid: Geboren 1908 in Keidan, Litauen. 1930 Emigration nach Palästina. 1937 Rückkehr nach Litauen. Überlebte den Holocaust zunächst im Slobodker Ghetto und später im Konzentrationslager Dachau. Bis 1951 in München, dann Emigration nach Südafrika. Schrieb Gedichte, Erzählungen, Publizistik und Literaturkritik für die Münchener Zeitungen und Zeitschriften Undzer veg, Dos vort, Jidisze cajtung, Bafrayung, Undzer velt, Fun letstn khurbn. Später erschienen Beiträge in der Tel Aviver Zeitschrift Di goldene keyt und der Afrikaner yidishe tsaytung. Von 1955–1970 Redakteur von Dorem-Afrike. Volpe publizierte auch auf Hebräisch. In Buchform erschienen A volkn un a veg (Johannesburg 1978), A vort in zayn tsayt (Johannesburg 1984), Mit Avrom Sutskever iber zayn lidervelt (Johannesburg 1985), Heymen, khaloymes, koshmarn (Johannesburg 1987), Lider, poemes, esey krikveg (Johannesburg 1991) und zuletzt seine Autobiographie Ikh un mayn velt (2 Bd., Johannesburg 1997/1999). Vorzoger, Shloyme: Geboren 1917 in Chelm, Polen. Literarisches Debüt 1933 mit einem Gedicht in der Warschauer Zeitschrift Fraye yugnt. Später veröffentlichte man seine Gedichte auch in Der fraynt (Warschau). Während des Zweiten Weltkrieges in der Sowjetunion, nach der Befreiung kurz in Polen und danach in Deutschland. Schrieb für die DP-Zeitungen Bayfrayung, Af der vakh, Hemshekh (München), Oyfgang (Österreich) und später auch für Di Argentinishe yidishe tsaytung, Folksblat (Montevideo), für Undzer vort (Paris), Letste nayes, Di goldene keyt (Tel Aviv), Tsukunft (New York) usw. 1948 erschien sein Gedichtband Zayn (München). 1949 Emigration nach Israel. In Buchform erschienen Broyt (1960), Zamd (1963), Goyroles (1967), Yorn (1973) und Do geyt uf di zun (1975), 9 sipurim (hebräische Übersetzung, Jerusalem 1979), Hi (1982), Azoy tsu zogn (1985, alle Tel Aviv), Yomergezang (1987), Yuni 1941 (Tel Aviv 1988), Halina (1990, hebräische Übersetzung 1996), Doyres (Tel Aviv 1992) und Libshaft (Tel Aviv 1996). Yoakhimovitsh, Avrom: Geboren 1908 in Lodz. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Besitzer einer kleinen Fabrik. Erste Arbeiten im Sammelband Afn shteynernem brik (1927), zudem in den Lodzer Zeitungen und Zeitschriften Os, Lodzher folksblat, Dos lebn, Kvaln u. a. Sein Gedichtband Shtot in roykh erschien 1937 in Lodz. 1940–1944 im Lodzer Ghetto, wo er

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dem Kreis um die Schriftstellerin Mirjam Ulinover angehörte. Deportation nach Auschwitz und andere Konzentrationslager. Von 1945–49 in den DPCamps Landsberg und Regensburg, wo er hauptsächlich Gedichte für Zeitungen wie Landsberger lager-cajtung (später Jidisze cajtung), Bayfrayung, Der morgn und Undzer moment schrieb. Einige seiner Gedichte haben in Katsherginkis Liedersammlung Lider fun getos un lagern Eingang gefunden. 1949 Emigration in die USA. 1975 erschien Unter shtolenem bloy in New York, zudem schrieb er für zahlreiche New Yorker Publikationen wie Tsukunft, Undzer tsayt, Yidisher kemfer und kinder-zhurnal. 1979 erschien Yidish-ringen in New York. Verstorben 1982. Zaks, Yekhil: Geboren 1916 im litauischen Siauliai. Nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst Mitarbeiter der revisionistischen Parteiorgane, später bei Undzer veg. Schrieb vor allem Reportagen und Feuilletons. Emigrierte nach Südafrika.

Quellen und Literatur

1. Archivverzeichnis AJHS (American Jewish Historical Society), New York P-675 Lucy Schildkret Dawidowicz (1915–1990). Papers, 1938–1990. JNUL (Jewish National and University Library), Jerusalem Arc. 4° 1558 Yitskhok Goldkorn Arc. 4° 1795 Israel Kaplan Arc. 4° 1533 Meylekh Tshemni Arc. 4° 1683 Dovid Volpe Tamiment Library, New York RG 7015 Jewish Labor Committee (JLC) Wagner 127 Jacob Patt Wagner 232 Edward S. Goldstein-Papers USHMM (United States Holocaust Memorial Museum), Washington, D. C. 68.066 Selected Records from the JDC Archives, Jerusalem (Zitation erfolgt gemäß Signaturen des Joint-Archivs) YIVO (YIVO Institute for Jewish Research), New York RG 294.1 Leo W. Schwarz Papers, 1945–1949 RG 294.2 Displaced Persons Camps and Centers in Germany Records, 1945–1952 RG 315 H. Leyvik RG 360 Samuel Niger RG 451 Ephim Jeshurin RG 701 Yiddish Writers’ Union (Y. L. Perets shrayber fareyn) RG 1139 Abraham Cahan RG 1258 Philip Friedman RG 1332 Papers of Berl Kagan RG 1400 Bund Archives YU (Yeshiva University), New York Mordechai Bernstein-Collection, 1905–1965 YV (Yad Vashem), Jerusalem M.1.P Central Historical Commission: Collection about DPs 0.37 Displaced Persons Collection (Sheerit Hapletah)

Quellen und Literatur

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2. Gedruckte Quellen Die nachstehenden Bibliographien sollen ein möglichst vollständiges Bild aller DPDrucke in Deutschland präsentieren und schließen deshalb auch Veröffentlichungen aus der Britischen und Französischen Besatzungszone mit ein.1 Nicht in die Bibliographie aufgenommen sind Schulbücher.

2.1 Bücher Belletristik und Literaturkritik Berlinski, Shloyme, A dor fun breyshes. München 1947. [Undzer veg] –, A lebn geyt oyf. München 1948. [Po’ale Zion (z. s.)./Bafrayung] Binyomin [Benjamin Harshav], Shtoybn. Lider. München 1948. [Bafrayung/Dror] Elis, Binyomin, In aza velt. Dertseylungen. Stuttgart 1948. [Bafrayung/Dror] Goldkorn, Yitskhok, Literarishe siluetn. München 1949. –, Lider. München 1950. ´miech przez łzy. Z cycklu „Wspomnienia i refleksje“. München 1947. Goldring, Henryk, S [Selbstverlag] –, W spogakh wywiadu. München 1947. –, Di kultur-treger. München 1947. Graubard, Baruch, Geven a sheyres-hapleyte. Notitsbukh fun Moyshe Yoslen. München 1949. [Selbstverlag] Gutman, Meyer-Ber, Farvolknte teg (lider). Bergen-Belsen 1949. [Aleyn] Halpern, Meir, A veg in der nakht. München 1949. Horowitz, Zwi, Die Wachholders. Göttingen 1949. [Jüwa] Kelerikh, Malke, Tsurik tsum lebn. Dertseylungen. München 1948. [WIZO] Keytlman, Yekhezkl, Oysterlishe geshikhtn. Regensburg 1947. [Yidishe zetser] Kurland, Leyb, Forkhtike teg. Akhtsn dertseylungen. Landsberg 1948. [Jidisze cajtung] Libhaber, M., Trit in shotn. München 1949. [Ibergang] Lifshits-Green, Lebedik amkho. A zamlung lider. Bergen-Belsen 1946. Mali, Malasha, Geviter. München 1948. [Po’ale Zion (z. s.)/Bafrayung] Mann, Mendel, Yerushe. Lider. Regensburg 1947. [Yidishe zetser] Mitlpunkt, Yoysef, Untervegns. A grafomanishe lider-zamlung. Ulm 1947. [Selbstverlag] Olitski, Mates, In fremdn land. Eschwege 1948. [Ibergang/JLC] Orenstein, Benjamin, Virklekhkayt. Bamberg 1948. [Literarish-historishe byuro] Perlov, Yitskhok, Undzer like-khame. Lider 1939–1946. München 1947. [Po’ale Zion (z. s.)] 1 Neben Bibliothekskatalogen liegen folgende bibliographische Aufsätze und Studien zu Grunde: Baker, Jewish Displaced Persons Periodicals; Feldshu, Ben-Tsien, Sh’’h-bibliografye (1948); ders., Sh’’h-bibliografye (1949); Friedman, Dos gedrukte vort ba der sheyres hapleyte; Friedman/Gar, Bibliography of Yiddish Books; g–r [Yosef Gar], Bibliografishe notitsn, in: Undzer vort, 10. 1. 1947; ders., Bafrayte yidn (Teil I); Kosowski, Bibliografye; Kroshnits, Mordkhe, Bibliografishe notitsn, in: Hemshekh II (1949), 51–61; Shulik, Bibliografishe notitsn, in: Undzer veg, 6. 2. 1948; Shaykovski, Di yidishe prese; Tsamriyon, Ha’itonut.

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Quellen und Literatur

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2.2 Presse und periodische Ausgaben Schlüssel: Titel [Paralleltitel] (Erscheinungsort, Zusatzinformationen) Redaktion Erscheinungszeitraum Herausgeber (außer bei Parteipresse) a) Zentrale und überregionale Zeitungen: Naye yidishe tsaytung. Umparteyish-natsyonale vokhntsaytung fun der sheyres-hapleyte in Daytshland (München) Lestni, Moyshe/Tshemni, Meylekh/Gid, Marian 24. 11. 1950–1974 Gebrüder Garfinkiel Undzer veg (München) Shalitan, Levi, später: Rubinshteyn, Ruven, später: Nosn, Bolel/Hibel, Ben-Tsien/ Libhaber, Mordkhe 12. 10. 1945–1. 4. 1949 Lestni, Moyshe/Feld, Ovadya/Shvartsblat, Pinkhas 20. 1. 1950–28. 12. 1950 Zentralkomitee der befreiten Juden in der Amerikanischen Besatzungszone Undzer shtime [Unzer sztyme/Our Voice] (Bergen-Belsen) Olevski, Rafael/Rosenthal, David/Trepman, Paul 6. 7. 1946–30. 10. 1947, danach weitergeführt als % Vokhnblat Zentralkomitee der befreiten Juden in der Britischen Besatzungszone Vokhnblat. Organ fun der sheyres-hapleyte in der britisher zone (Bergen-Belsen) Olevski, Rafael/Rosenthal, David/Trepman, Paul 5. 12. 1947–18. 8. 1950 Zentralkomitee der befreiten Juden in der Britischen Besatzungszone Unzer (sic!) haynt. Umophengike tsaytshrift (München) Redaktionskollegium 15. 2. 1951–16. 3. 1951 Verlag und Buchdruckerei I. Gutman, München Yidishe tog tsaytung (München) Gawronsky, Meir/Kovalski, Yitskhok 26. 2. 1951–2. 3. 1951 k. A.

Quellen und Literatur

263

b) Zeitungen der Landsmannschaften: Ferband fyn Kielcer jidn yn di amerikaner zone Dajczlands. Biuletyn (Gauting) k. A. 1946–19. 8. 1947 Landsmannschaft Kielce Ibergang. Organ fun der federacje fun jidn fun Pojln in der amerik. zone (München) Libhaber, Mordkhe 17. 11. 1946–23. 9. 1948 Föderation polnischer Juden in der Amerikanischen Besatzungszone Viitorul nostru – Undzer cukunft. Organ al Evreilor Romani din zona Americana a Germaniei (München, rumänisch/jiddisch) Szajowicz, Phobus 1. 12. 1947–15. 6. 1948 Verband der rumänischen Juden in der Amerikanischen Besatzungszone Utunk. Az Amerikai Zónában élo magyarajkú zsidóság hetilapja (München) k. A. Januar 1947–Februar 1948 Zentralkomitee der ungarischen Juden in der Amerikanischen Besatzungszone c) Regionale und lokale Zeitungen: A heym [A Heim] (Leipheim) Szulewicz, Abraham 19. 2. 1946–8. 11. 1946 k. A. Af der fray (Stuttgart, handgeschrieben) Waks, Sam Dezember 1945–1946 k. A. Bamidbar. Fernvalder almanakh (Föhrenwald) k. A. September 1947 Kulturamt Föhrenwald Bamidbar. Yidisher lager Fernvald bay Volfratshausen (Föhrenwald) Shtayer, Menakhem 12. 12. 1945–4. 9. 1946 UNRRA Team 106 Biuletin [Landsberger Biuletin] (Landsberg) k. A. 1. 3. 1947–Juni 1947 UNRRA Team 1065 Biuletin (Bergen-Belsen) Feder, Zami/Vayntroyb, Shmuel 30. 10. 1945–k. A. Zentralkomitee in Bergen-Belsen

264

Quellen und Literatur

Dos fraye vort (Feldafing) Gawronsky, Meir 4. 10. 1945–16. 10. 1946, mit Beilage % Feldafinger magatsin UNRRA Frayhayt (Lampertheim) k. A. Pessach 1946/August 1946 k. A. Feldafinger magatsin. Ilustrirte monatlikhe baylage tsu ‚dos fraye vort‘ (Feldafing) Gawronsky, Meir 7. 12. 1945–4. 7. 1946 k. A. Der nayer moment (Regensburg) Silberberg, Nathan/Mann, Mendel/Keytlman, Yekhezkl 26. 3. 1946–30. 11. 1947, seit Anfang 1947: Undzer moment Zentralkomitee, Region Niederbayern und Oberpfalz Der morgn (Bad Reichenhall) Scharanski, J. 11. 1. 1947–26. 9. 1947 k. A. Jidisze cajtung [Yidishe tsaytung] (Landsberg) Hermanovitsh, Borekh/Lestni, Moyshe/Elentsvayg, Yisroel 25. 10. 1946–31. 12. 1948 k. A. Landsberger lager-cajtung (Landsberg) Valsonok, Rudolf/Hermanovitsh, Borekh/Lestni, Moyshe/Elentsvayg, Yisroel 8. 10. 1945–16. 10. 1946, danach weitergeführt als % Jidisze cajtung k. A. Shtutgarter byuletin (Stuttgart) k. A. 15. 10. 1948–14. 1. 1949 Jüdisches Komitee in Stuttgart Undzer hofenung. Vekhntlekhe tsaytung (Eschwege) Duniets, Mordkhe 4. 6. 1946–27. 11. 1947 Jüdisches Komitee in Eschwege bei Kassel Undzer lebn (Berlin) k. A. 2. 8. 1945–k. A. k. A. Undzer mut (Zeilsheim) Gittler, Sauko 20. 12. 1945–22. 2. 1946, danach weiter als % Untervegs Jüdisches Komitee Zeilsheim

Quellen und Literatur

265

Undzer vort (Bamberg) Yungshteyn, Moyshe 12. 3. 1946–5. 12. 1947 Zentralkomitee, Abteilung Franken, Sitz Bamberg Untervegs [Unterwegs]. Organ of the Liberated Jews of Frankfurt a. Main (Zeilsheim) Kronson, Abraham/Gittler, Sauko/Reichgot, Moses 4. 4. 1946–12. 12. 1947 Jüdisches Komitee Zeilsheim Zaltsshlirfer lebn (Bad Salzschlirf) k. A. Oktober 1946/Dezember 1946 Kulturamt des jüdischen Komitees in Bad Salzschlirf Weitere Lokalzeitungen existierten in: Gabersee Gauting Deggendorf Fürth Hof Windsheim Lampertheim Leipheim Neu Freimann Pocking St. Ottilien d) Parteipresse: Agudat Israel: Baderekh. Organ fun paley agudes Yisroel in goles Daytshland (München) Adler, Dovid April–Juni 1948 Dos yudishe (sic!) vort. Tsentral organ fun agudes Yisroel in Daytshland (Feldafing, später München) Burshtin, Aviezer/Fridenzon, Yoysef/Adler, Dovid 3. 3. 1946–25. 3. 1949, mit Beilage % Baderekh Ilustrirter p. a‘‘y-almanakh (München) Adler, David [ca. Juli/August] 1947 Kol Jisra’el bagola (München, hebräisch/jiddisch) Baram, Meyer 20. 8. 1946–31. 12. 1948 Merkaz agudes Yisroel. Byuletin (Feldafing) k. A. Februar 1946, danach weiter als % Merkaz hakibutsim

266

Quellen und Literatur

Merkaz hakibutsim shel paley agudes Yisroel (Feldafing) k. A. April 1946 Nicht regelmäßig erschienen: Byuletin fun tseirey agudes Yisroel Moria Hascha’ar (alle München) Allgemeine Zionisten und Hano’ar Hatzioni: Di tsienistishe shtime (München) Bergson, Gershon (Ben Harim), später: Feld, Ovadya 10. 10. 1946–23. 9. 1949 Nicht regelmäßig erschienen: Igeret lischluchim Ejn techijat ha’am bli techijat hasafa Hano’ar hatzioni Alon hamadrich Ketz hanedud (alle München) Bund: Der veker [Der Wecker]. Ershter-may-oysgabe fun ‚bund‘ in Daytshland (o. O.) k. A. Mai 1948 Spezialausgabe von Undzer shtime in Paris Dror: Dror. Iton hatnu’a beGermanija (Landsberg) Redaktionskollegium 25. 9. 1946–8. 7. 1947 Igeret (Holzhausen) Kibbuz Dror (Chana Senesch) in Holzhausen k. A. Nicht regelmäßig erschienen: Lahawut (Landsberg/München) Dror Habonim. Chaluc B’Bavaria (Landsberg, ungarisch) Lapid – Fáklya (Landsberg, ungarisch) Haschomer Haza’ir: Af der vakh. Mishmar (Bamberg/München) Luski, Simon 7. 11. 1947–6. 1. 1949

Quellen und Literatur

267

Byuletin. Vekhntlekhe oysgabe fun ts. k. fun der partey hashomer-hatsair behapole in Daytshland (München) k. A. ca. Mai 1947–Dezember 1948 Nicht regelmäßig erschienen: Igeret lechugim Byuletin fun hashomer hatsair Hed hagalil Hamitzpe Mischmar le’informatsja (alle München) Hásomer Hácáir (Windsheim, ungarisch) Histadrut Zionit Achida (ab Februar 1947 Po’ale Zion (z. s.)-Hit’achdut) und Nocham: Cum ojfboj. Wochn-szrift fun der ‚Histadrut Cijonit Achida‘ – snif Deggendorf (Deggendorf) Shtayer, Menakhem 4. 11. 1946–9. 2. 1947, erste Nummer als Mit a szarfn blik Dawar lejaldej sche’erit hapleta (München, hebräisch) Lestni, Moyshe 1949 Dos vort. Tsaytung far folksinteresn (München) Frenkel, Shlomo/Ushpiz, Meyer/Eplboym, Shmuel/Tshemni, Meylekh 6. 10. 1946–30. 9. 1949, mit Beilage % Dawar lejaldej sche’erit hapleta Nitzotz2 (München) Sheynzon, Dov/Frenkel, Shlomo/Lifshits, Yakov 1. 7. 1945–21. 4. 1948, mit Beilage % Osef chomer Nokham. Tsentraler organ fun noar khalutsi meukhad in Daytshland (München) Darner, Sholem 7. 6. 1946–28. 12. 1948 Osef chomer (München) Sheynzon, Dov/Frenkel, Shlomo/Lifshits, Yakov 1946–1947 Ha’owed (München) k. A. 19. 7. 1946–30. 8. 1946 Vidershtand (München) März 1947–2. 10. 1948

2

Zur Entstehungsgeschichte und früheren Ausgaben siehe Kapitel 1.1.

268

Quellen und Literatur

Histadrut Lochamim Iwriim (stand ideologisch der Achida nahe) Yedies. Informatsye-blat fun paley-tsien-hitakhdut in der britisher zone (Bergen-Belsen) k. A. 11. 3. 1947–2. 10. 1948 Linke Po’ale Zion: Nayvelt. Organ fun ‚paley tsien‘ (linke) in Daytshland (München) Shrayer, Efroyim/Frishman, N. 23. 7. 1946–6. 2. 1949 Nayvelt [Najwelt]. Yugnt oysgabe (München) k. A. k. A.–31. 12. 1948, erste Nummer unter dem Titel Bama’awak Borochow-Jugend in Deutschland Mapam: Der morgn [Der morgen] (München) Redaktionskollegium 25. 2. 1949–30. 12. 1949 Misrachi und Bnej Akiwa: Di yidishe shtime [Di jidishe stime] (München) Bistritser, Y. Y./Melamed, A. 16. 10. 1946–28. 1. 1949 Nicht regelmäßig erschienen: Bnej Akiwa baha’apala (München, hebräisch/jiddisch) Buletin Niw bnej akiwa Pinkas lemadrich (ungarisch) Hetilapjának magyarnyelvu ifjúsági melléklete a tnuat tora-vaavoda (ungarisch) Pachach [Partisanim, Chajalim, Chalutsim beGermanija]: Der yidisher kemfer (München) (hektographierte Vorläuferschrift von % Pachach) Pachach. Iton hatnu’a (München) Shteyngartn, Yisroel 18. 6. 1946–28. 12. 1948, letzte Nummer als Jedi’ot pachach Po’ale Zion (z. s.): Bafrayung [Bafrajung] (München) Piekatsh, Pesach/Orzitser, M./Fefer, Leyb 15. 1. 1947–5. 2. 1949

Quellen und Literatur

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Nicht regelmäßig erschien: Informatsye-byuletin (München) Revisionisten und Betar: Der emes (Bergen-Belsen) Kerbl, Y./Kosovski, Ben-Zion Dezember 1946 Informatsye-byuletin (Bergen-Belsen) Shadzunski, A. Juli 1947–August 1947 Hamedina [Hamdina] (München) Karnovski, Mordkhe 23. 12. 1945–28. 6. 1946, danach weiter als % Undzer velt Undzer front. Natsyonale vokhnshrift. Organ fun der tsienistish-revizyonistisher bavegung in der britisher zone fun Daytshland (Bergen-Belsen) Kosovski, Ben-Zion/Shadlunski, A. [ca. Februar-April] 1947–Februar 1949 Undzer velt. Natsyonale vokhnshrift far der sheyres-hapleyte (München, seit 26. 1. 1950 Paris) Karnovski, Mordkhe/Halperin, Moyshe 4. 6. 1946–4. 6. 1951 Tsum zig (Bergen-Belsen) Kovalski, Y. September 1946 Nicht regelmäßig erschienen: Igeret Informatsye-byueletin Brit-jeschurun Hamadrich Cherut Jeschurun Lanitzachon Medinati Moledet Sifrijat mafkidim Rak kakh – nayes fun kemfndn tsien Tara Noastra (rumänisch) e) Zeitschriften Khoydesh-bleter far literatur un kritik (München) Gelbart, Mendl August 1947 Bafrayung/Po’ale Zion

270

Quellen und Literatur

Fun letstn khurbn (München) Kaplan, Israel März 1947–Dezember 1948 ZHK Heftn far literatur, kultur un kritik (Regensburg) Mann, Mendel/Keytlman, Yekhezkl Juni/Juli 1947 Hemshekh (München) Gar, Yosef April 1948/Januar 1949 Erziehungskommission/Schriftstellerverband Netsakh Yisroel. Tsaytshrift far der sheyres-hapleyte (München) k. A. Mai 1948/Juni 1948–k. A. Wa’ad Hatzala Shriftn far literatur, kunst un gezelshaftlekhe fragen (München) Hibel, Ben-Tsien/Friedman, Philip 1948 Schriftstellerverband Tsoytn [Cojtn]. Belzener bletlekh: zaml-heft far literatur, kritik un gezelshaftlekhe fragn (Bergen-Belsen) Gutman, Meyer-Ber/Roznfeld, Avrom August/September 1947–1948 Velt. Umophengiker zhurnal far politik, literatur, kunst un sport (München) Feld, Ovadya/Libhaber, Mordkhe/Rubinshteyn, Ruven Dezember 1947/März 1948 Ibergang, Tsienistishe shtime, Undzer veg Velt shpigl [Welt szpigl]. Ilustrirter, literarish-visnshaftlekher zhurnal far ale, spetsyele oysgabe (Regensburg) Silberberg, Nathan Januar 1947 Yidishe bilder (Gräfelfing) Frank, Shloyme 1. 1. 1947–Oktober 1948 Yidishe historishe komisye in Getingen (Göttingen) k. A. 29. 7. 1947–20. 8. 1947 f) Varia Afn tsimbl. Zhurnal far humor un satire (o. O. [vermutlich München]) k. A. 1949

Quellen und Literatur

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Bilder-almanakh fun der tetikayt fun vad hatsole (München) k. A. k. A. Wa’ad Hatzala Dem shikers shtime (Waldstadt bei Pocking, handschriftlich) k. A. [vermutlich Yisroel Elentsvayg] k. A. Ilustrirter yoyvl-zhurnal, 1945–1946 (Feldafing) Abramovitsh, M./Borovik, L./Fingerhut, L. September 1946 Theateruppe Amcho in Feldafing Informatsye byuletin. Information Bulletin of the Central Committee of the Liberated Jews in Germany (München) k. A. k. A. – 4. 1. 1950 Kol Yisroel. Informatsye-byuletin (Bergen-Belsen) Gershonovitsh, M./Bloch, Sh. 28. 5. 1948–18. 6. 1948 Mobilisierungskommission in der Britischen Besatzungszone Monatsheft (Bergen-Belsen) Seif, L. Januar 1947–Oktober 1947 Kulturabteilung des Zentralkomitees Neue Welt. Mitteilungsblatt der jüdischen Gemeinden in Bayern (München) Landau, Ernst September 1947–1948 Tamus-Bulletin (Bergen-Belsen) Rosenfeld, Abraham 8. 7. 1946–November/Dezember 1946 (5),3 weiter als % Monatsheft Kulturabteilung des Zentralkomitees Bergen-Belsen Tkhies hameysim (Buchenwald, handschriftlich) Shtrigler, Mordkhe/Goldberg, Borekh 4. 5. 1945 Új Élet. A németországi magyarajkú zsidóság folyóirata (Kloster Indersdorf/Dachau) Schwarz, Joszef 1947–15. 8. 1947 g) Fachzeitschriften Dawar hamore baha’apala (Frankfurt, hebräisch/jiddisch) Murik, Ari/Murik, Avigdor/Blukher, Dusya 3 Die Nummer 2–5 erschienen unter den Titeln: Ab-Bulletin, Elul Bulletin, Bulletin für den Monat Tischrei 5707 und Bulletin für den Monat Cheschwan-Kislew.

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Quellen und Literatur

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Quellen und Literatur

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Shrayber un zhurnalistn-farband. Byuletin (München) k. A. 19. 1. 1948/28. 2. 1948 Schriftstellerverband Tekhnik un arbet (München) Rabinowitsch, Yankev November 1947–Dezember 1948 ORT Zentrale München Yidisher invalid. Monatlekher byuletin (München) k. A. Frühling 1948–k. A. Invalidenverband in der Amerikanischen Besatzungszone

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–, Jüdische Kultur in Bayern in der Nachkriegszeit, in: Treml, Manfred/Kirmeier, Josef, Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Aufsätze. München 1988, 517–526. Wisse, Ruth, A Prayer of Homecoming by Abraham Sutzkever, in: Cutter, William/Jacobson, David C. (Hg.), History and Literature. New Readings of Jewish Texts in Honor of Arnold J. Band. Providence 2002, 339–349. Woodridge, George, UNRRA. New York 1950. Writings of Philip Friedman. A Bibliography. New York 1955. Wyman, Mark, DP. Europe’s Displaced Persons, 1945–1951. Philadelphia 1989. Yantian, Nicholas, Studien zum Selbstverständnis der jüdischen „Displaced Persons“ in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Magisterarbeit, Berlin 1994. Young, James, The Texture of Memory. Holocaust Memorials and Meaning. New Haven 1993. Zadoff, Noam, Reise in die Vergangenheit, Entwurf einer neuen Zukunft. Gershom Scholems Reise nach Deutschland im Jahre 1946, in: Münchner Beiträge zur Jüdischen Geschichte 2 (2007), 67–80. Zertal, Idith, From Catastrophe to Power. Holocaust Survivors and the Emergence of Israel. Berkeley/Los Angeles 1998.

Orts- und Namensregister

Abramovitsh, Sholem Yankev 34, 83, 130–131, 157, 160 Achad Haam 24 Ainring 128 Argentinien 217–218, 223, 227 Auerbach, Philipp 83, 214 Auschwitz 21, 80, 118, 143, 172 Ayzland, Ruven 50

Clay, Lucius D. 54 Czernowitz 169, 232

Bad Reichenhall 9, 36, 52, 60, 148–149, 171, 179, 185–186 Bad Salzschlirf 36 Bamberg 56, 127 Bardini, Alexander 168–169 Baruch, Nathan 66 Bayern 9, 29, 31, 42, 53, 97, 137–138, 144, 146, 155, 162, 202, 214 Becker, Israel 167, 172 Ben-Gurion, David 9, 47, 148, 225–226 Bergen-Belsen 21, 49, 56 Berlin 36, 61, 70, 103, 128, 171, 173 Berlinski, Shloyme 69, 74, 77,79, 81–82, 84, 89, 95, 97, 118–119, 135, 152, 155, 235 Bernstein, Mordkhe 137, 217, 227 Bernstein, Phillip S. 64 Bialik, Chajim Nachman 24, 119, 157–158, 160, 184 Białystok 61, 74, 77, 126 Blumenfeld, Israel 173 Bolel, Nosn 211, 235 Brasilien 223, 227 Buchenwald 21. 23–27, 32, 45, 114, 143, 147, 219 Buchloe 133 Buenos Aires 17, 96, 216–219, 227 Bunin, Shmuel D. 95 Burshtin, Mikhl 73–74

Efros, Israel 47, 162, 178 Eggendorf 26 Elentsvayg, Yisroel 98, 235 Elis, Binyomin 121, 155, 227, 236 Eplboym, Shmuel 171, 236 Eschwege 37, 60 Eynhorn, Dovid 201

Carlebach, Ezriel 154

Dachau 21, 27–28, 31–34, 41, 49, 53, 61, 71, 73–74, 136, 147, 160, 197 Dawidowicz, Lucy 55–58, 70, 82 DeKoven Ezrahi, Sidra 110 Duniets, Mordkhe 235

Feder, Zami 236 Fefer, Leyb 104, 106 Fefer, Yehude 142–143 Feigenbaum, Moyshe Yosef 70, 113–114, 117 Feld, Ovadya 187, 199–200, 236–237 Feldafing 30, 35–36, 44, 46, 60, 67, 109, 178, 180, 186, 202, 204 Feldmoching 141 Feldshu, Ben-Tsien 107, 116 Feuerring, Maximilian 170, 207, 209 Föhrenwald 30, 47, 60, 67, 93–94, 126–127, 130, 178, 202, 204, 214, 219 Folman, Lola 89, 224 Frank, Shloyme 103, 166 Frankfurt 30, 35, 40, 47, 60, 173, 185, 203, 205 Fredersdorf, Herbert B. 172 Frenkel, Shlomo 27, 32–33 Friedman, Herbert 55–56 Friedman, Philip 55–57, 61, 69, 77, 79, 81–82, 84–85, 95, 107, 111, 114, 182, 226, 237

Orts- und Namensregister

Gaber, S. Lewis 86 Gar, Yosef 11, 61, 74, 81, 98, 114–115, 124, 134, 175–176, 203, 226, 238 Garfinkiel, Wolf 37 Gay, Ruth 12, 228 Gebirtig, Mordkhe 24 Gelbart, Mendl 80, 152, 238 Gelbart, Shmuel 238 Geringshof 26 Gid, Marian 45, 89, 93, 95, 213, 219 Glants-Leyeles, Arn 50, 168 Glatzer, Josef 142 Glik, Hirsh 92 Goldberg, Borekh 24–25 Goldfaden, Avrom 169 Goldkorn, Yitskhok 95, 152, 170, 183, 190, 213, 215–219, 239 Goldmann, Nachum 47 Goldstein, Marek 171 Gordin, Yankev 169 Graubard, Baruch 84, 89, 99, 118, 131, 137, 159, 168, 19–193, 195, 207–211, 213–216, 219, 239 Grese, Irma 142–143 Grinberg, Zalman 28–29, 162–163 Gringauz, Samuel 28, 133, 164–166, 191 Grinszpan, Meir 116, 239–240 Grossmann, Atina 7, 43, 134 Grünspan, Rachmil 123–124 Gutman, Meyer-Ber 240 Haber, Samuel 66, 71, 86, 205 Haken, Vera 169, 240 Halperin, Meir 77, 241 Halperin, Tsemakh-Moyshe 151, 212–213, 219, 240 Harrison, Earl G. 30–31, 43 Harshav, Benjamin 18–155 Heidenheim 53, 127, 203 Heijermans, Herman 168 Hermanovitsh, Borekh 241 Herzl, Theodor 9, 53, 136, 160, 220 Heymont, Irving 38, 44, 170 Hibel, Ben-Tsien 79, 83, 92, 101, 211–212, 241 Hirshbeyn, Perets 169 Horovits, Norbert 173, 226

285

Jerusalem 52, 55–56, 145, 227, 233 Johannesburg 17, 95, 97, 197 Kanada 50, 219 Kaplan, Israel 33, 42, 70, 74–75, 79, 81–82, 89–91, 111–116, 129, 138, 146–147, 152, 171, 241–242 Kasachstan 60, 77, 178 Katsherginski, Shmerke 127–128 Kaufbeuren 133 Kaufering, siehe Dachau Kaunas 27, 33, 41, 61–62, 74, 103, 114, 153, 197 Kelerikh, Malke 78, 120, 134, 242 Keytlman, Yekhezkl 61–62, 77, 84, 88–89, 125, 138–139, 152, 207, 213, 215–219, 226–227, 242 Klausner, Abraham J. 31, 39 Klugman, Shabse 242 Koch, Ilse 142, 143 Kokhav, Meyer-Arye 243 Kroshnits, Mordkhe-Hilel 189–190, 193, 195, 243 Krumbach 132 Külb, Georg 172 Laban, Hersh 79 Lampertheim 30, 36, 203 Landsberg 28, 30, 35–36, 38–39, 42, 44, 56, 60, 73, 80, 112, 129, 149–150, 170, 172, 185, 202, 213 Lau, Israel 24 Lechfeld 202, 204 Leipheim 36, 79, 127, 163 Lestni, Moyshe 184–185, 193–194, 206, 213, 218, 243 Levi, Primo 21, 109 Leyvik, H. 44, 47–50, 58, 79, 93–94, 162, 178, 183, 186, 216, 218, 220–221, 225–226 Libhaber, Mordkhe 62, 87–88, 122–124, 141, 158–159, 169, 174, 176, 201, 211, 215, 219, 243 Lifshits, Jakov 33 Lifshits, Ruven 206, 243–244 Litauen 27–28, 32, 366, 40, 62, 74, 79, 114, 129–130, 195, 219 Livneh, Eliahu 217

286

Orts- und Namensregister

Lodz 61, 76, 77, 80, 125 Lublin 63, 76 Majdanek 21, 45 Mali, Malasha 96, 152, 155, 244 Mankowitz, Zeev 163 Mann, Mendel 61–62, 77, 84, 104, 124, 135, 136, 151, 183, 215, 223–224 Maor, Harry 142 Mates, Ruven 136 Mendele Moykher Sforim, siehe: Abramovitsh, Sholem Yankev Mitlpunkt, Yoysef-Dovid 79, 100, 245 Möhlstraße 73, 75, 89, 131, 132 Moissi, Bettina 173 Moskau 61, 74, 77, 79 München 7, 9, 16, 19, 29, 32–37, 40–41, 43, 47, 52, 61–62, 65, 68–71, 73–74, 76, 79, 82–83, 86–90, 93–94, 97, 99, 102, 104, 111, 113, 126, 130–131, 133–134, 160, 162, 164, 167, 169, 171–173, 182–184, 189, 190–191, 197, 202–206, 208, 212–215, 219, 222–223 Neu Freimann 60, 202–203 New York 17–18, 21, 23, 45–46, 48–49, 51, 53–55, 79–81, 88, 92, 95–96, 105, 142, 151, 167, 174, 182–183, 186, 188–191, 201, 218–219, 221, 224, 226–227, 233 Niger, Shmuel 50, 95–96, 105, 225–227 Offenbach 54–58 Oleyski, Yankev 28, 245–246 Olitski, Baruch 126 Olitski, Leyb 59 Olitski, Mates 74, 84, 125, 139, 145, 152, 246 Orenstein, Benjamin 115 Palästina 9, 22, 26, 31–33, 41, 56–58, 67–68, 104, 126, 130, 140, 149–150, 152, 154–155, 165, 181–182, 187, 189, 220–221 Papiernikov, Yoysef 223 Paris 22, 26, 68–69, 82, 86, 95, 149, 182, 184, 187, 189–191, 212–213, 217 Patt, Jacob 51, 151, 181–182, 224–226

Perets, Yitskhok Leybush 146–147, 157–158, 160, 184 Perlov, Yitskhok 69, 77, 102, 155, 224, 246 Pinski, Dovid 50, 168 Pinson, Koppel S. 14–16, 54–57, 94, 113 Pintshevski, Moyshe 166–168 Pocking 60, 127, 143 Polen 25–26, 39–40, 45, 49–51, 57–61, 64, 67, 73, 74, 76–78, 80, 99, 104, 125–126, 128, 133, 148–149, 151–152, 158–159, 177–179, 185, 188, 195, 227, 229, 233 Regensburg 36, 40, 61, 84, 102, 104, 125, 136, 137, 152, 169, 183, 223 Rifkind, Simon H. 54 Riga 33, 103 Ringelblum, Emanuel 177 Roskies, David G. 110, 125 Rubinshteyn, Ruven 62, 80, 84, 103, 105–106, 149, 153–154, 176, 183, 211, 219–220 Schildkret, Lucy, siehe Dawidowicz, Lucy Scholem, Gershom 55–56. Schwarz, Leo W. 11, 94–95 Shafir, Shlomo, siehe Frenkel, Shlomo Shalit, Levi, siehe Shalitan, Levi Shalitan, Levi 31, 33–35, 43–45, 48–49, 53–54 Shatzky, Jacob 50, 116, 227 Shayver, Emma 47, 162, 178 Sheynzon, Yosef-Dov 160–161, 247 Shlayen, Yehoshua 247–248 Shmeruk, Chone 18, 52 Sholem Aleykhem 129–130, 157, 168, 184 Shrayer, Efroyim 84, 101, 106, 137–138, 155, 194, 201–202, 248 Shtayer, Menakhem 143–144 Shtrigler, Mordkhe 21–26, 71, 82, 228, 230, 233, 248 Sibirien 15, 59, 79, 125, 178 Sowjetunion 15, 19, 22, 26–27, 59, 60–62, 64, 69, 74, 76–77, 79–80, 95, 121–126, 151, 155, 157, 189 St. Ottilien 28–32, 68, 197 Streicher, Julius 47, 134

Orts- und Namensregister

Stuttgart 41, 52, 133, 173, 178, 180, 185 Südafrika 18, 93, 125, 197 Sutzkever, Avrom 82, 223 Tel Aviv 127, 218–224 Trunk, Y.Y. 50 Tsamriyon, Tsemach, siehe Halperin, Tsemakh-Moyshe Tshemni, Meylekh 80, 84, 88–89, 93–95, 101–102, 125–126, 130, 150, 205, 213–219, 223–224, 227 Ulinover, Mirjam 80 Ulm 79, 127, 130, 133 Usbekistan 60, 125–126 Ushpis, Meier 157 Vaserman, Leyb 249 Vaynroykh, Hershl 79, 96, 136, 144–145, 157–159, 182–183, 220–221, 249–250 Vilnius 54, 58, 63, 82, 96, 167–168, 177

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Volpe, Dovid 28, 31–32, 34, 74–76, 79, 81, 89, 95, 100, 138, 143, 145, 152, 171, 197–198, 219, 250 Vorzoger, Shloyme 89, 95, 119, 250 Wallenberg, Hans 70 Warschau 59, 61, 62, 74, 76–77, 82, 96, 104, 122–126, 152, 156, 164, 172, 218, 224 Wasseralfingen 127, 132, 141, 186 Weiden 143 Weinreich, Max 54–55 Wiesel, Elie 23 Wisse, Ruth Yoakhimovitsh, Avrom 80, 250–251 Zaks, Yekhil 251 Zeilsheim, siehe Frankfurt Zerubavel, Yakov 221–222 Zilberberg, Naftole 62

Abbildungsnachweis

Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5

Privataufnahme Familie Garfinkiel, München YIVO (YIVO Institute for Jewish Research) JNUL (Jewish National and University Library), Arc. 4° 1683, Dovid Volpe YIVO (YIVO Institute for Jewish Research) United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D. C.