Digitalisierung und Arbeitsrecht: Personalarbeit 4.0 – Gestaltung – Best Practices 9783504387372

Die Erstauflage ‚Digitalisierung und Arbeitsrecht‘ behandelt alle wichtigen Themen, die sich im Zuge der digitalen Trans

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Digitalisierung und Arbeitsrecht: Personalarbeit 4.0 – Gestaltung – Best Practices
 9783504387372

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Grimm · Singraven

Digitalisierung und Arbeitsrecht

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Digitalisierung und Arbeitsrecht Personalarbeit 4.0 · Gestaltung Best Practices herausgegeben von

Dr. Detlef Grimm und

Dr. Jonas Singraven bearbeitet von

Farzan Daneshian, LL.M. Rechtsanwalt, Köln

Dr. Stefan Freh Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Arne Gehrke, LL.M. Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Dr. Malte Göbel Rechtsanwalt, Köln

Dr. Detlef Grimm Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Dr. Simon Kohm Rechtsanwalt, Köln

Dr. Sebastian Pelzer Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

Dr. Patrick Pommerening Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz, Köln

Dr. Jonas Singraven Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

2022

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, 2022, Rz. …

2022

ÖKOSTROM mit

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-42068-0 ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

Vorwort Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt und das Arbeitsrecht beschäftigen die Beratungs– und Personalpraxis bereits geraume Zeit. Warum also ein weiteres Buch zum Thema? Das Buch behandelt in 29 Kapiteln alle wichtigen Herausforderungen und Trends, die sich im Zuge der digitalen Transformation ergeben. Ausgangspunkt ist dabei immer ein Sachproblem, also eine Umsetzungs- bzw. Gestaltungsherausforderung für die betriebliche Personalpraxis, und keine Rechtsfrage. Beantwortet werden jeweils drei Fragen: Worum geht es? Welche rechtlichen Probleme und Herausforderungen können sich ergeben? Wie können diese rechtlichen Probleme im Sinne einer Best Practice gelöst werden? Jedes Kapitel ist als in sich geschlossener Beitrag konzipiert. Dies soll dem fachlich vorgebildeten Anwender ermöglichen, sich mit dem behandelten Thema in kurzer Zeit vertraut zu machen. Ziel der Autoren, die das Buch in gemeinsamer anwaltlicher Beratungspraxis entwickelt haben, ist die Behandlung der rechtlichen Probleme und die Bereitstellung nutzbarer Muster und passender Vorschläge für die betriebliche Praxis. Die Beiträge stellen den Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur eingehend dar und ergreifen fundiert Position. In insgesamt 7 Teilen deckt das Buch ein umfassendes Spektrum aktueller Herausforderungen einer modernen Personalarbeit ab: – Teil 1 beschreibt gängige Modelle der Arbeitsflexibilisierung, welche durch immer mehr Unternehmen eingeführt und praktiziert werden. Hierzu gehören Home-Office und mobiles Arbeiten, Vertrauensarbeitszeit, ständige Erreichbarkeit über das Diensthandy, Desk-Sharing, Open-Spaces und Co-Working, Sabbaticals sowie agiles Arbeiten und SCRUM. – Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit wird durch digitale Kommunikationsmittel- und Plattformen spürbar erleichtert. Teil 2 erörtert rechtliche Herausforderungen, die sich bei der Zusammenarbeit mit Freelancern, Crowdworkern, in Matrixorganisationen und bei anderen unternehmensübergreifenden Mitarbeitereinsätzen stellen. – Teil 3 befasst sich mit der Gestaltung digitaler Prozesse. Dargestellt werden die Anforderungen an eine gesetzeskonforme Datenschutzorganisation, eine digitale Personalaktenführung, die Implementierung neuer Software-Anwendungen sowie die Mitarbeiterüberwachung. Innovative Konzepte wie Big-Data-Screening und People Analytics sowie die Steuerung der Arbeit durch künstliche Intelligenz (KI) werden ebenfalls erläutert. – Der Marktwert und die Bedeutung von Knowhow wachsen. Teil 4 befasst sich deshalb mit dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen und geistigem Eigentum. – Teil 5 erläutert die Arbeitsschutzanforderungen an einen Bürobetrieb. Während bei der Büroarbeit schwere Arbeitsunfälle zurückgehen, kommt es immer häufiger zu psychischen Erkrankungen. Whistleblowing-Hotlines werden eingerichtet, um Mitarbeitern die Anzeige von Mängeln und Rechtsverstößen zu erleichtern. – Die Digitalisierung steigert die Anforderungen an die Qualifikation von Mitarbeitern und provoziert einen "Kampf " um die besten Köpfe. Rechtliche Gestaltungsansätze bei der Personalentwicklung und beim Recruiting zeigt Teil 6 auf. – Teil 7 beantwortet die wichtigsten Rechtsfragen rund um das Web 2.0. Thematisiert werden die Internetpräsenz des Unternehmens, Social Media, die Internetnutzung durch Mitarbeiter sowie BYOD.

V

Vorwort

Breiten Raum nehmen Vorschläge zur Best Practice in der konkreten betrieblichen Umsetzung ein, die die unterschiedlichen Gestaltungsoptionen je nach personalpolitischer Zielrichtung erörtern. Das war uns ein besonderes Anliegen. Zahlreiche Formulierungsvorschläge zur Gestaltung von Verträgen, Dienstanweisungen, Guidelines, Merkblättern und Checklisten sind als Muster enthalten. Sämtliche Muster können über die Datenbank des Verlags Dr. Otto Schmidt komfortabel online genutzt werden. Sämtlichen Autoren gilt unser herzlicher Dank dafür, dass sie in diesem Handbuch ihr tiefes Knowhow in dieser Form an die Leser weitergeben. Die Zugangsdaten zu Werk und Mustern in der Datenbank befinden sich vorne im Buch. Natürlich ersetzt die Nutzung der Muster und Vorlagen nicht die individuelle Anpassung im Einzelfall und die Berücksichtigung neuer Rechtsentwicklungen. Aus diesem Grunde bleibt jeder Nutzer der Muster bei der Verwendung eigenverantwortlich und ist dazu aufgerufen, die Muster individuell zu prüfen und mit Blick auf die konkrete personalpolitische bzw. betriebliche Situation abzuändern. Herausgeber und Autoren hoffen, dafür eine praktisch verwertbare Arbeitshilfe zur Verfügung gestellt zu haben und der Zielsetzung des Werkes, über die rechtliche Darstellung hinaus konkreten Nutzen und Handlungsempfehlungen für die Betriebs- und Personalpraxis zu vermitteln, gerecht geworden zu sein. Allen Autoren danken wir herzlich für das Engagement bei der Erstellung der Erstauflage. Wir alle danken ganz herzlich dem Verlag, besonders Frau Sonja Behrens-Khaled für die Ermöglichung des Buches und Frau Friederike Voss für die ebenso aufmerksame wie kompetente verlegerische und redaktionelle Betreuung bei der Erstellung des Buches. Die Manuskripte wurden im Februar 2022 abgeschlossen. Für Kritik, Anregungen oder Hinweise aus dem Kreis der Nutzer sind wir sehr dankbar. Diese bitten wir an [email protected] zu senden. Köln, im März 2022

VI

Detlef Grimm Jonas Singraven

Inhaltsübersicht Ausführliche Inhaltsverzeichnisse finden sich jeweils am Anfang der einzelnen Kapitel. Seite

Vorwort . . . . . . . . . . Musterübersicht . . . . . Abkürzungsverzeichnis . Literaturverzeichnis . . .

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V IX XI XVII

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1 42 57 71 98 113

1. Teil Flexibilisierung der Arbeit §1 §2 §3 §4 §5 §6

Homeoffice und mobiles Arbeiten . . . . . . . Desk-Sharing, Open Space und Co-Working Vertrauensarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . Ständige Erreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . Sabbaticals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Agiles Arbeiten/SCRUM . . . . . . . . . . . . .

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2. Teil Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit und Freelancer § 7 Zusammenarbeit mit Selbständigen . . . . . . . . . § 8 Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze . § 9 Freelancer-Vermittlung durch Agenturen . . . . . § 10 Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Matrixorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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135 174 197 214 235

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247 274 289 317 336 345

3. Teil Digitale Prozesse und Datenschutz § 12 § 13 § 14 § 15 § 16 § 17

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation . . . . . Digitale Personalakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen Implementierung von Softwareanwendungen . . . . Big-Data-Screening und People Analytics . . . . . . Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz . .

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VII

Inhaltsübersicht

4. Teil Schutz von Knowhow Seite

§ 18 Schutz von Geschäftsgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19 Sicherung geistigen Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

355 375

5. Teil Arbeitsschutz 4.0 § 20 Arbeitsschutz im Bürobetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Psychische Belastungen und Krankheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22 Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

395 428 456

6. Teil Recruitment und Personalentwicklung § 23 § 24 § 25 § 26

Bewerbungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Headhunter und andere Recruitment-Berater . . . . . Personalentwicklungskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

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469 492 504 524

§ 27 Internetpräsenz und Social Media . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 28 Privatnutzung des Firmeninternets . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29 Bring Your Own Device (BYOD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

543 558 568

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

579

7. Teil Social Media und Web 2.0

VIII

Musterübersicht M 1.1 M 1.2 M 1.3 M 1.4 M 1.5 M 2.1 M 3.1 M 3.2 M 3.3 M 4.1 M 4.2 M 5.1 M 5.2 M 6.1 M 6.2 M 7.1 M 7.2 M 7.3 M 7.4 M 7.5 M 8.1 M 8.2 M 8.3 M 9.1 M 9.2 M 9.3 M 10.1 M 10.2 M 11.1 M 11.2 M 12.1 M 12.2 M 13.1

Betriebsvereinbarung – Arbeit im Homeoffice Zusatzvereinbarung – regelmäßige Homeoffice-Arbeit Dienstanweisung – Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice Prüfbogen – Gefährdungsbeurteilung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes Merkblatt – Arbeitsschutz und Arbeitszeit im Homeoffice Betriebsvereinbarung – Desk-Sharing/Open Space Arbeitsvertragsklausel Arbeitszeit/Überstunden Arbeitsvertragsklausel Ausschlussfrist Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit Betriebsvereinbarung zum Recht der Arbeitnehmer auf Nichterreichbarkeit Betriebsvereinbarung zur Festlegung von Erreichbarkeitszeiten Betriebsvereinbarung - Sabbatical Gehaltsverzichtsvereinbarung betr. Sabbatical Betriebsvereinbarung SCRUM Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines SCRUM-Teams Bewertungsbogen Scheinselbständigkeit Beratungsvertrag mit einem Freelancer Beratungsauftrag / Anschlussvertrag mit einem Freelancer Dienstanweisung – Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen Dienstanweisung externe Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer Vertragsklausel Leistungsbeschreibung unternehmensübergreifende Zusammenarbeit Vertragsklausel Leistungsbeschreibung im Brückenkopf-Modell Rahmenvertrag Ticket-System für unternehmensübergreifende Zusammenarbeit Agenturvertrag für Beratungsprojekte mit Freelancern Agentur-Rahmenvertrag mit Freelancern: Klausel arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Forderungen Projektvertrag mit einem Freelancer auf Grundlage eines Rahmenvertrags AGB zur Nutzung einer firmeneigenen Crowdworking-Plattform Konzernbetriebsvereinbarung interne Crowdwork Festlegung von Matrixstrukturen durch Bevollmächtigung Matrixklausel für Arbeitsvertrag Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO – Beschäftigtendaten Datenschutzrechtliche Mitarbeiter-Information über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten Betriebsvereinbarung zur Einführung einer digitalen Personalakte

Rz. 1.51 Rz. 1.54 Rz. 1.57 Rz. 1.59 Rz. 1.61 Rz. 2.56 Rz. 3.30 Rz. 3.32 Rz. 4.34 Rz. 4.75 Rz. 4.77 Rz. 5.28 Rz. 5.34 Rz. 6.32 Rz. 6.36 Rz. 7.58 Rz. 7.65 Rz. 7.67 Rz. 7.73 Rz. 7.75 Rz. 8.44 Rz. 8.47 Rz. 8.49 Rz. 9.29 Rz. 9.31 Rz. 9.35 Rz. 10.36 Rz. 10.38 Rz. 11.29 Rz. 11.31 Rz. 12.55 Rz. 12.59 Rz. 13.45

IX

Musterübersicht

M 14.1 M 14.2 M 14.3 M 14.4 M 15.1 M 15.2 M 17.1 M 18.1 M 18.2 M 19.1 M 19.2 M 20.1 M 20.2 M 21.1 M 21.2 M 21.3 M 23.1 M 23.2 M 24.1 M 24.2 M 25.1 M 25.2 M 26.1 M 27.1 M 27.2 M 27.3 M 28.1 M 29.1 M 29.2

X

Klausel zu Leistungs- und Verhaltenskontrollen für Betriebsvereinbarung Betriebsvereinbarung zur Gründung eines Compliance-Ausschuss Amnestievereinbarung Kostenübernahmevereinbarung für Rechtsanwaltsvergütung nach Amnestievereinbarung Rahmengesamtbetriebsvereinbarung – Einführung von IT-Systemen/ IT-Lenkungsausschuss Passus für Betriebsvereinbarung – Einführung von IT-Systemen/informelle Arbeitsgruppe Dienstanweisung zu Arbeitsanweisungen durch KI Betriebsvereinbarung zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen Geheimhaltungsverpflichtungserklärung für die Teilnahme im strategischen Leitungskreis Klausel zum Arbeitnehmererfindungsrecht für Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen – freie Mitarbeiter Übertragung von Unternehmenspflichten – Arbeitsschutz Rahmenbetriebsvereinbarung - Arbeitsschutz Einladungsschreiben betriebliches Eingliederungsmanagement Antwortformular zur Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement Vertraulichkeitserklärung anlässlich der Teilnahme am bEM-Verfahren Datenschutzinformation zur Verarbeitung von Bewerberdaten Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern Honorarklausel für Personalberatervertrag Rahmenvertrag Personalberatung- und Direktsuche (Headhunting) Regelungsabrede – Personalentwicklungskonzept Vereinbarung über befristete Beförderung auf Probe Klausel Rückzahlung von Weiterbildungskosten für Weiterbildungsvertrag Tätigkeitsvereinbarung Social-Media-Manager Mitarbeiter-Einwilligung in Veröffentlichung von Fotos und Videos Social-Media-Guideline Betriebsvereinbarung – Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel Betriebsvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte Individualvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte

Rz. 14.46 Rz. 14.48 Rz. 14.53 Rz. 14.55 Rz. 15.37 Rz. 15.39 Rz. 17.22 Rz. 18.28 Rz. 18.30 Rz. 19.54 Rz. 19.56 Rz. 20.66 Rz. 20.71 Rz. 21.44 Rz. 21.46 Rz. 21.48 Rz. 23.46 Rz. 23.49 Rz. 24.24 Rz. 24.29 Rz. 25.34 Rz. 25.37 Rz. 26.45 Rz. 27.21 Rz. 27.23 Rz. 27.25 Rz. 28.18 Rz. 29.22 Rz. 29.23

Abkürzungsverzeichnis A.A. abl. ABl. Abs. a.E. AEntG AG AGB AGG AiB AK AktG Alt. Anh. Anm. AnwBl. AO ArbG ArbGG AR-Blattei ArbN ArbnErfG ArbPlSchG ArbRAktuell ArbRB ArbSchG ArbStättV ArbuR Art. AÜ AuA AufenthG Aufl. AÜG AuR AuslG AZO

andere Ansicht ablehnend Amtsblatt Absatz am Ende Arbeitnehmer-Entsendegesetz Aktiengesellschaft; Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Arbeitsrecht im Betrieb (Zeitschrift) Anwalt und Kanzlei (Zeitschrift) Aktiengesetz Alternative Anhang Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitsrecht-Blattei Arbeitnehmer Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeitsrecht Aktuell (Zeitschrift) Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift) Arbeitsschutzgesetz Arbeitsstättenverordnung Arbeit und Recht (Zeitschrift), auch AuR Artikel Arbeitnehmerüberlassung Arbeit und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Aufenthaltsgesetz Auflage Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Arbeit und Recht (Zeitschrift), auch ArbuR Ausländergesetz Arbeitszeitordnung

BA BaFin BAG BAGE BArbBl. BAT BAuA BB BBG BBiG BC

Bundesagentur für Arbeit Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bundesarbeitsblatt Bundesangestelltentarifvertrag Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Berufsbildungsgesetz Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling

XI

Abkürzungsverzeichnis

BDSG BeckOGK BeckOK BEEG bEM betr. BetrAV BetrAVG BetrSichV BetrVG BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BMAS BMJ/BMJV BND BPersVG BR BR-Drucks. BSG BT BT-Drucks. BUrlG BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVV BYOD

Bundesdatenschutzgesetz Beck-online Großkommentar Beck’scher Online-Kommentar Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz betriebliches Eingliederungs-Management betreffend Betriebliche Altersversorgung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebssicherheitsverordnung Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium der Justiz/der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnachrichtendienst Bundespersonalvertretungsgesetz Betriebsrat Drucksache des Deutschen Bundesrates Bundessozialgericht Bundestag Drucksache des Deutschen Bundestages Bundesurlaubsgesetz Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages Bring Your Own Device

CB CCZ COPE CR CTA CV CYOD

Compliance Berater (Zeitschrift) Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Owned, Personally Enabled Computer und Recht (Zeitschrift) Contractual Trust Agreement Curriculum Vitae Choose Your Own Device

DB DesignG DGUV d.h. Diss. DPMA DrittelbG Drs./Drucks. DSGVO

Der Betrieb (Zeitschrift) Designgesetz Deutsche gesetzliche Unfallversicherung das heißt Dissertation Deutsches Patent- und Markenamt Drittelbeteiligungsgesetz Drucksache Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) Nr. 2016/679 vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG)

XII

Abkürzungsverzeichnis

DSK DStR DuD

Datenschutzkonferenz Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Datenschutz und Datensicherheit (Zeitschrift)

EFZG EGBGB ErwG EStG EuGH EuGVVO

Entgeltfortzahlungsgesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Erwägungsgrund Einkommensteuergesetz Europäischer Gerichtshof Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

EuZA EzA EzAÜG f./ff. FA FamFG FamG FGG FreizügG/EU FS

folgende(r)/fortfolgend(e) Fachanwalt Arbeitsrecht (Zeitschrift) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengericht Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Festschrift

GBR GDA GeschGehG GewArch GewO GG ggf. GGV GmbHG GRCh GS GVBl. GVG GWB GWG

Gesamtbetriebsrat Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie Geschäftsgeheimnisgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Europäische Grundrechtecharta Großer Senat Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz

HAG Halbs. HGB HinSchG-E HmbBfDI HR HwO

Heimarbeitsgesetz Halbsatz Handelsgesetzbuch Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf Hamburger Beauftragte/r für Datenschutz und Informationsfreiheit Human Resources Handwerksordnung

i.d.R. InsO i.S.v. i.V.m.

in der Regel Insolvenzordnung im Sinne von in Verbindung mit

XIII

Abkürzungsverzeichnis

JArbSchG JAV jM jurisPK JZ

Jugendarbeitsschutzgesetz Jugend- und Auszubildendenvertretung juris Monatszeitschrift juris Praxiskommentar Juristenzeitung (Zeitschrift)

KBR KI KSchG KSzW KWG

Konzernbetriebsrat Künstliche Intelligenz Kündigungsschutzgesetz Kölner Schriften zum Wirtschaftsrecht Kreditwesengesetz

LAG LAGE LASI LBfDI LDI LG LSG

Landesarbeitsgericht Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte Länderausschuss für Arbeitszeit und Sicherheitstechnik Landesbeauftrage/r für Datenschutz und Informationsfreiheit Landesbeauftragte/r für Datenschutz und Informationsfreiheit Landgericht Landessozialgericht

MarkenG MDR MiLoG MitbestG MitbestR MMR MuSchG

Markengesetz Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Mindestlohngesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer Mitbestimmungsrecht MultiMedia und Recht (Zeitschrift) Mutterschutzgesetz

NachwG NJOZ NJW NVwZ NZA NZA-RR NZG NZS NZWiSt

Nachweisgesetz Neue juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht/Rechtsprechungsreport Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

öAT OLG OLGR OSCI OVG OWiG

Zeitschrift für das öffentliche Arbeits- und Tarifrecht Oberlandesgericht OLGReport Online Services Computer Interface Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PatG PersR PersV

Patentgesetz Personalrat; Der Personalrat (Zeitschrift) Die Personalvertretung (Zeitschrift)

RdA RDG RDV

Recht der Arbeit (Zeitschrift) Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen Recht der Datenverarbeitung (Zeitschrift)

XIV

Abkürzungsverzeichnis

SaaS SchwarzArbG SE SG SGb SGB SGG SPA SprAuG StGB SvEV

Software as a Service Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Societas Europaea – Europäische Aktiengesellschaft Sozialgericht Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Schnellbrief für Personalmanagement und Arbeitsrecht Sprecherausschussgesetz Strafgesetzbuch Sozialversicherungsentgeltverordnung

TOM TTDSG TVG TzBfG

technische und organisatorische Maßnahmen Gesetz über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien Tarifvertragsgesetz Teilzeit- und Befristungsgesetz

UMV UmwG UrhG UStG

Unionsmarkenverordnung Umwandlungsgesetz Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuergesetz

VersR VwGO VwVfG VwVG

Versicherungsrecht (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verwaltungsvollstreckungsgesetz

WahlO, WO WBRL

Wahlordnung Richtlinie (EU) 2019/1937 des europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden – Whistleblowing-Richtlinie Gesetz zur Einrichtung und zum Betrieb eines Registers zum Schutz des Wettbewerbs um öffentliche Aufträge und Konzessionen

WRegG ZD ZDiW ZESAR ZfA ZIP ZPO ZTR ZWH

Zeitschrift für Datenschutz Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Tarifrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen

XV

Literaturverzeichnis Weitere Literatur ist in den ausführlichen Literaturübersichten zu Beginn der einzelnen Kapitel nachgewiesen. Anzinger/Koberski, ArbZG – Arbeitszeitgesetz, 5. Aufl. 2020 Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, 2. Aufl. 2022 Baeck/Deutsch/Winzer, Arbeitszeitgesetz: ArbZG, 4. Aufl. 2020 Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019 (siehe auch Noack/Servatius/Haas) Beck’sches Formularbuch Arbeitsrecht, hrsg. von Joppich/Klemm/Kornbichler/Mohnke/Neighbour/ Ohmann-Sauer/Schröder/Schwarz, 4. Aufl. 2022 BeckOK Arbeitsrecht, hrsg. von Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching (zitiert: BeckOK/ArbR) BeckOK Datenschutzrecht, hrsg. von Wolff/Brink (zitiert BeckOK DatenschutzR) BeckOK GeschGehG, hrsg. von Fuhlrott/Hiéramente (zitiert: BeckOK/GeschGehG) Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016 Buschmann/Ulber, Arbeitszeitrecht, 2019 Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2017 Däubler/Klebe/Wedde, BetrVG, 18. Aufl. 2022 (zitiert: DKW) Dauner-Lieb/Langen, Nomos Kommentar zum BGB, Band 2 Schuldrecht, 4. Aufl. 2021 Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl. 2018 Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, hrsg. von Müller-Glöge/Preis/Schmidt, 22. Aufl. 2022 (zitiert: ErfK) Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl. 2020 (zitiert: Fitting) Forgó/Helfrich/Schneider, Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl. 2019 Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2022 (zitiert: EuArbRK) Gola, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Aufl. 2018 Gola/Heckmann, Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl. 2019 Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwortkommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2017 Hahn/Pfeiffer/Schubert, Arbeitszeitrecht, 2. Aufl. 2018 Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020 (zitiert: HWK) Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, hrsg. von Körner/Leitherer/Mutschler/Rolfs, Loseblatt, 115. Aufl. 2021 Kohte/Faber/Feldhoff, Gesamtes Arbeitsschutzrecht, 2. Aufl. 2018 Kollmer/Klindt/Schucht, Arbeitsschutzgesetz: ArbSchG, 4. Aufl. 2021 Kramer, IT- Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019 Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung Bundesdatenschutzgesetz, 3. Aufl. 2020 Küttner, hrsg. von Röller, Personalbuch 2021, 28. Aufl. 2021 Maschmann/Sieg/Göpfert, Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2020 Müller-Glöge/Preis/Schmidt siehe Erfurter Kommentar Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, hrsg. von Kiel/Lunk/Oetker, Band I 5. Aufl. 2021, Band II 4. Aufl. 2018 (zitiert: MünchHBArbR) Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, hrsg. von Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, 9. Aufl. 2021 ff.

XVII

Literaturverzeichnis

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XVIII

1. Teil Flexibilisierung der Arbeit §1 Homeoffice und mobiles Arbeiten I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . 3. Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Arbeitsschutzvorgaben aa) ArbStättVO . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versicherungsschutz . . . . . . . . . . . cc) Arbeitsschutzrechtliche Sanktionsrisiken . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitszeitschutz . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1

1.7 1.8 1.16 1.17 1.25 1.26 1.28

4. Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . 5. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebsvereinbarung – Arbeit im Homeoffice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualvereinbarung zur Homeoffice-Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse . . . . . . . . . . . . . . 4. Gefährdungsbeurteilung des Homeoffice-Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . . . . . 5. Arbeitsschutzrechtliche Unterweisung 6. Mobileoffice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.33 1.43 1.48 1.49 1.52 1.55 1.58 1.60 1.62

Literatur: Albrecht, Die Einrichtung von Tele- und Außenarbeitsplätzen – Rechtliche und personalpolitische Anforderungen, NZA 1996, 1240; Aligbe, Die Bildschirmarbeit nach Wegfall der Bildschirmarbeitsverordnung, ArbRAktuell 2017, 585; Aligbe, Wichtige Aspekte der novellierten Arbeitsstättenverordnung, ArbRAktuell, 2016, 596; Aligbe, Arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen bei Telearbeitsplätzen, ArbRAktuell 2016, 132; Bayreuther, Dogmatik und Gestaltung der Homeoffice-Vereinbarung, NZA 2021, 1593; Bayreuther, Mitbestimmung bei mobiler Arbeit nach § 87 I Nr. 14 BetrVG, NZA 2021, 839; Bayreuther, Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung, NZA 2020, 1; Beck’scher Online-Kommentar Arbeitsschutzrecht, hrsg. von Schwab/Weber/Winkelmüller, zitiert: BeckOK Arbeitsschutzrecht; Benkert, Arbeitsrechtliche Aspekte einer Tätigkeit im Home-Office; NJW-Spezial 2019, 306; Bissels/Meyer-Michaelis, Arbeiten 4.0 – Arbeitsrechtliche Aspekte einer zeitlich-örtlichen Entgrenzung der Tätigkeit, DB 2015, 2331; Boemke/ Ankersen, Telearbeit und Betriebsverfassung, BB 2000, 2254; Bonanni/Kamps, Daten- und arbeitsschutzrechtliche Anforderungen an Home-Office-Vereinbarungen, ArbRB 2014, 83; Brors, Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Dokumentation der Arbeitszeit vor und nach der CCOO-Entscheidung des EuGH, NZA 2019, 1176; Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegweiser, Juli 2020; Dury/Leibold, „Home-Office“ und Datenschutz, ZD-Aktuell 2020, 04405; Frank/Heine, „Corona und die Detektive“? Corona und Keylogger!? – Kontrollmöglichkeiten in Zeiten von Home-Office, BB 2021, 248; Ganz, My Home(office) is my castle – Zum Recht des Betriebsrats und der Berufsgenossenschaft, Arbeitsplätze zu besichtigen, ArbRAktuell 2018, 35; Gilga, Beschäftigtendatenschutz und Covid-19: Daten sicher im Homeoffice?, ZD-Aktuell 2020, 07113; Grunau/ Ruf/Steffes/Wolter, Homeoffice bietet Vorteile, hat aber auch Tücken, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Kurzbericht November 2019; Günther/Böglmüller, COVID-19-Pandemie und Home-Office, ArbRAktuell 2020, 186; Heider, Videotelefonie im Homeoffice, NZA 2021, 1149; Heuschmid, Neujustierung des Arbeitszeitrechts und des Systems der Arbeitszeiterfassung durch den EuGH, NJW 2019, 1853; Hidalgo, Arbeitsschutz im Home Office – ein Lösungsvorschlag, NZA 2019, 1449; Hohenstatt/Sittard, Arbeitsrecht in Zeiten von Corona,2. Aufl. 2021; Höpfner/Daum, Die Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit, RdA 2019, 270; Hülsemann, Arbeiten von zu Hause aus? – Elemente einer Betriebsvereinbarung zur alternierenden Telearbeit, ArbRAktuell 2017, 483; Isenhardt, Homeoffice: Einrichtung und Ausgestaltung – Arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Leitfaden –, DB 2016, 1499; Kamann, Arbeitsvertragli-

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1

§ 1 Rz. 1.1

Homeoffice und mobiles Arbeiten

che Gestaltung von Telearbeitsverhältnissen, ArbRAktuell 2016, 75; Kollmer/Wiebauer/Schucht, Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), 4. Aufl. 2019; Kramer, IT-Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Kraus/Leister, Daten und Geheimnisschutz im Homeoffice – Schutzkonzept zur Vermeidung von Bußgeld- und Haftungsrisiken, CCZ 2021, 111; Krause, Arbeit anytime? Arbeitszeitrecht für die digitale Arbeitswelt, NZA-Beilage 2019, 86; Krieger/Rudnik/Povedano Peramato, Homeoffice und Mobile Office in der Corona-Krise, NZA 2020, 473; Lott, Work-Life Balance im Homeoffice: Was kann der Betrieb tun?, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut, Report Nr. 54, Januar 2020; Maaßen, „Angemessene Geheimhaltungsmaßahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352; Müller, Entzug und Anordnung einer Homeoffice-Tätigkeit durch Weisung des Arbeitgebers, DB 2019, 1624; Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis – Rechtshandbuch für die Arbeit 4.0, 1. Auflage 2019; Naber/Peukert/Seeger, Arbeitsrechtliche Aspekte des Geschäftsgeheimnisgesetz, NZA 2019, 583; Oberthür, Die Arbeitssicherheit im Mobile Office, NZA 2013, 246; Preis/ Seiwerth, Geheimnisschutz im Arbeitsrecht nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz, RdA 2019, 351; Raif/ Swidersky, Arbeit 4.0 – Typische Fehler in der digitalen Arbeitswelt vermeiden, GWR 2017, 351; Reinhard, Pflicht zur Arbeitszeiterfassung und Arbeit 4.0, Wird die Flexibilität abgeschafft oder unbezahlbar?, NZA 2019, 1313; Reinhard/Möller, Arbeitsrechtliche Compliance im Homeoffice, ArbRB 2021, 54; Richter, Arbeitsrechtliche Herausforderungen bei der Einführung und Durchführung von Homeoffice (Teil 1), ArbRAktuell 2019, 142; Richter, Arbeitsrechtliche Herausforderungen bei der Einführung und Durchführung von Homeoffice (Teil 2), ArbRAktuell 2019, 166; Rieble/Picker, Arbeitsschutz und Mitbestimmung bei häuslicher Telearbeit, ZfA 2013, 383; Schlottfeldt/Hoff, „Vertrauensarbeitszeit“ und arbeitszeitrechtliche Aufzeichnungspflicht nach § 16 II ArbZG, NZA 2001, 530; Schöllmann, Mobile Working, Telearbeit, Desksharing, NZA-Beilage 2019, 81; Scholtyssek/Judis/Krause, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz – Risiken, Chancen und konkreter Handlungsbedarf für Unternehmen, CCZ 2020, 23; Schrader, Aufzeichnung und Dokumentation der Arbeitszeit nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache CCOO, NZA 2019, 1035; Schucht, Compliance beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten – Das neue Arbeitsstättenrecht im Überblick, CCZ 2017, 120; Schulze/Ratzesberger, Telearbeit: Fluch oder Segen? – Mitbestimmung des Betriebsrats bei mobiler Arbeit; Schwede, Homeoffice wegen Covid-19 – Arbeitsschutzrechtliche Erwägungen, ArbRAktuell 2020, 160; Schwiering/Zurel, Das Homeoffice in der Arbeitswelt 2.0 – Rechtliche Rahmenbedingungen der Telearbeit, ZD 2016, 17; Spellbrink, Unfallversicherungsschutz bei Tätigkeiten im Home Office und bei Rufbereitschaft, NZS 2016, 527; Stück, Beendigung alternierender Telearbeit, ArbRAktuell 2014, 570; Ulber, Arbeitszeiterfassung als Pflicht des Arbeitgebers, NZA 2019, 677; Vogt/Sothmann, Von „Home-Office“ bis „Co-Working“ – Herausforderungen an der Schnittstelle zwischen Arbeits- und Datenschutzrecht, SPA 2019, 169; Voigt/Hermann/Grabenschröer, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz – praktische Hinweise zu Umsetzungsmaßnahmen für Unternehmen, BB 2019, 142; Wiebauer, Die Novelle der Arbeitsstättenverordnung 2016, NZA 2017, 220; Wiebauer, Arbeitsschutz und Digitalisierung, NZA 2016, 1430; Wiese, Personale Aspekte und Überwachung der häuslichen Telearbeit, RdA 2009, 344.

I. Worum geht es? 1.1 Für die Arbeit am eigenen, häuslichen Arbeitsplatz hat sich der Begriff „Homeoffice“ etabliert (das Gesetz spricht hingegen von Telearbeitsplätzen, § 2 Abs. 7 ArbStättV). In welchem Umfang häuslich gearbeitet wird, variiert von Unternehmen zu Unternehmen und innerhalb der Unternehmen von Mitarbeiter zu Mitarbeiter.

1.2 In der Personalpraxis wird üblicherweise zwischen drei Formen der Homeoffice-Arbeit unterschieden, nämlich ausschließlicher, gelegentlicher und alternierender Homeoffice-Arbeit. – Wenn Arbeitnehmer ausschließlich von zuhause aus arbeiten und kein Arbeitsplatz in der Betriebsstätte für sie vorgehalten wird, hat dies üblicherweise mit der Art ihrer Tätigkeit zu tun: In vielen Fällen geht es um Vertriebsmitarbeiter, die ein Vertriebsgebiet im Umfeld ihres Wohnortes betreuen. Teilweise ermöglichen Unternehmen ausschließliche Homeoffice-Arbeit, um Arbeitnehmer beschäftigen zu können, die nicht in räumlicher Nähe zur Niederlassung des Arbeitgebers wohnen und ihren Wohnort nicht wechseln wollen. Das Unternehmen spart bei ausschließlicher Homeoffice-Arbeit Raumkosten.

2

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I. Worum geht es?

Rz. 1.4 § 1

– Es gibt vielfältige Anlässe, weshalb Arbeitnehmer gelegentlich in Homeoffice-Arbeit tätig sind, die sonst eigentlich einen festen Arbeitsplatz in der Betriebsstätte haben: Teilweise kommt das Unternehmen anlassbezogenen Sonderwünschen der Arbeitnehmer entgegen. Oft geht es darum, dass Arbeitnehmer zuhause Mehrarbeit außerhalb der regulären Arbeitszeit leisten, die häufig nicht erfasst und vergütet wird. Im Zuge der Corona-Krise wurde die Homeoffice-Arbeit zum Zwecke des Infektionsschutzes in bislang unbekanntem Maße ausgeweitet1. – Bei der alternierenden Homeoffice-Arbeit werden Arbeitnehmer an bestimmten, regelmäßig wiederkehrenden Arbeitstagen von zuhause aus tätig oder haben jedenfalls die Möglichkeit, dies zu tun. Im Übrigen arbeiten sie in der Betriebsstätte. Alternierende Homeoffice-Arbeit wird meistens im Interesse des Arbeitnehmers abgestimmt2. Alternierende Homeoffice-Arbeit wird von Unternehmen vorrangig mit dem Ziel angeboten, die 1.3 Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen. Oft geht es darum, Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, die z.B. zum Zwecke der Kinderbetreuung auf Homeoffice-Arbeit angewiesen sind. Da gesellschaftlich mittlerweile der Doppelverdiener-Haushalt die Regel ist, sind viele Arbeitnehmer auf die Flexibilisierungsspielräume, welche Homeoffice ermöglicht, angewiesen und wären gezwungen, den Arbeitsplatz zu wechseln, würde der Arbeitgeber diesbezüglich nicht entgegenkommen. Die statistischen Befunde deuten außerdem an, dass transparente Homeoffice-Modelle geeignet sind, die Mitarbeiterzufriedenheit spürbar zu erhöhen. Zwar geben zwei Drittel der Beschäftigten, die derzeit nicht im Homeoffice arbeiten, an, kein Interesse daran zu haben3. Bei Beschäftigten, die gerne im Homeoffice arbeiten möchten und dies in Anbetracht ihrer Tätigkeit theoretisch auch könnten, sinkt die Zufriedenheit allerdings signifikant, wenn sich das Unternehmen diesem Wunsch verweigert4. Auch wird vermutet, dass jüngere Arbeitnehmergenerationen in besonderer Weise „Work-Life-Balance“ wünschen und die Forderungen nach dem Homeoffice stärker werden5. Insgesamt stehen Arbeitnehmer jedenfalls Arbeitgebern, die Homeoffice ermöglichen, zufriedener gegenüber6. Arbeitsschützer und Arbeitspsychologen halten es überwiegend für positiv, wenn Unternehmen Homeofffice-Arbeit zulassen. So erhalten Arbeitnehmer größere Spielräume, die Arbeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen7. Allerdings sehen sie auch Gefahren, da Homeoffice-Arbeit zur „Entgrenzung der Arbeit“ führen und zur „Selbstausbeutung“ anregen kann8. Die bedeutendsten Nachteile der Homeoffice-Arbeit liegen aus Unternehmenssicht darin, dass sie die Arbeitsabstimmung und die Überwachung der betreffenden Arbeitnehmer erschwert und zu einer Desintegration der Arbeitnehmer aus dem betrieblichen Sozialgefüge führen kann. Außerdem sind einige Arbeitnehmer nicht dazu in der Lage, sich selbständig im Homeoffice zu organisieren und dort strukturiert und ablenkungsfrei zu arbeiten. Im Zuge der Digitalisierung von Arbeit lässt sich ein immer größerer Anteil der Tätigkeiten im 1.4 Homeoffice verrichten. Sowohl die Zahl der Unternehmen, die Homeoffice anbieten, als auch die Zahl von Arbeitnehmern, die Homeoffice nutzen, steigt seit Jahren kontinuierlich an9. Während im Jahr 2013 unter den Beschäftigten in privatwirtschaftlichen Betrieben mit wenigstens 50 Mitarbeitern 19 Prozent von zu Hause aus arbeiteten, waren dies 2017 bereits 22 Prozent10. Vor der Co1 Krieger/Rudnik/Povedano Peramato, NZA 2020, 473. 2 Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1449); Richter, ArbRAktuell, 2019, 142; Lott, WSI Report Nr. 54, Januar 2020, S. 11. 3 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 1. 4 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 1. 5 Lott, WSI Report Nr. 54, S. 2 f. 6 Lott, WSI Report Nr. 54, S. 2. 7 Lott, WSI-Report Nr. 54/2020, 1 (2); Häcker, ArbRB 2019, 343 (343). 8 Lott, WSI-Report Nr. 54/2020, 1 (3); Häcker, ArbRB 2019, 343 (343). 9 Benkert, NJW-Spezial 2019, 306 (306); Ganz, ArbRAktuell 2018, 35 (35). 10 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 1.

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3

§ 1 Rz. 1.4

Homeoffice und mobiles Arbeiten

rona-Pandemie boten in Deutschland etwa ein Viertel der Betriebe generell die Möglichkeit zum Homeoffice an1. Vor allem größere Unternehmen waren Vorreiter. Während nur ein Fünftel der Betriebe mit weniger als 100 Mitarbeitern Homeoffice generell angeboten haben, erfolgte solch ein Angebot bei etwa jedem zweitem Betrieb mit über 500 Mitarbeitern2. Führungskräfte arbeiteten deutlich häufiger im Homeoffice als Arbeitnehmer ohne Führungsverantwortung3. Am verbreitetsten war die Homeoffice-Arbeit im Bereich von Marketing und Vertrieb4. In der Mehrzahl der Fälle wurden allerdings nur vereinzelte Stunden zuhause gearbeitet, ohne dass hierfür eine feste Abrede bestand5. Die statistischen Befunde zeigten vor der Corona-Pandemie noch, dass es sich bei ausschließlicher oder alternierender Homeoffice-Arbeit damals nicht um ein Massenphänomen handelte6. Im Zuge der Corona-Pandemie änderte sich dies grundlegend: Arbeitgeber begannen frühzeitig damit, Homeoffice-Arbeit als Mittel des Infektionsschutzes zu ermöglichen. Im Januar 2021 führte der Gesetzgeber dann eine vorübergehende Arbeitgeberpflicht ein, Homeoffice-Arbeit auf allen Arbeitsplätzen zu erlauben, bei denen keine betrieblichen Gründe entgegenstehen7. Etwa ein Viertel aller Beschäftigten arbeitete in dieser Zeit überwiegend oder vollständig im Homeoffice8. Es ist fest damit zu rechnen, dass diese Entwicklung über die Pandemie hinaus nachwirkt und zu einem Paradigmenwechsel geführt hat.

1.5 Von mobilem Arbeiten (auch Mobileoffice oder Mobile Working) spricht man, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit ohne festen örtlichen Bezug erbringt und z.B. im Hotel, Taxi, Zug, Park oder Café arbeitet9. Mobiles Arbeiten betrifft vor allem Arbeitnehmergruppen, die viele Dienstreisen unternehmen und häufig bei Kunden oder auf dem Weg zu Kunden arbeiten. Dass überhaupt mobil gearbeitet wird, ist überwiegend den Sachzwängen bei Dienstreisen geschuldet, und ist dann – da der Arbeitsplatz i.d.R. lediglich rudimentär eingerichtet werden kann – unter Effizienz-, Datenschutz- und Arbeitsschutzgesichtspunkten die zweite Wahl10. Einige, meist kleinere Unternehmen im Start-Up-Bereich erlauben ihren Arbeitnehmern dennoch die freie Wahl des Arbeitsortes, so dass die Mitarbeiter z.B. im geselligen Umfeld eines Cafés arbeiten dürfen. Ob sich dieser Ansatz ausbreitet, ist abzuwarten.

1.6 Neben verschiedenen praktischen Problemen wirft die Gestaltung der Homeoffice-Arbeit eine Reihe von Rechtsfragen auf. Welche rechtlichen Herausforderungen sich stellen und wie Unternehmen diese Herausforderungen lösen können, beantwortet dieses Kapitel.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Überblick 1.7 Die Einführung und Ausgestaltung von Homeoffice-Arbeit und mobiler Arbeit wirft die folgenden Rechtsfragen auf:

1 Dabei hält sich die Häufigkeit von Homeoffice-Arbeit bei Männern und Frauen die Waage, Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (142). 2 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 2. 3 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 3. 4 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 3. 5 Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht 11/2019, S. 3. 6 Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (81). 7 Ursprünglich § 2 Abs. 4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung a.F.; später § 28b Abs. 4 IfSG. 8 ifo institut/infas, Themenreport Corona-Datenplattform Juli 2021, Homeoffice im Verlauf der CoronaPandemie, S. 6. 9 Dzida/Beckmann, ArbRB 2018, 269 (269). 10 DGUV, Regel 115-401 Branche Bürobetrieb, S. 59 f.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.10 § 1

– Die Homeoffice-Arbeit und ihre Bedingungen müssen mit dem Arbeitnehmer vertraglich vereinbart und geregelt werden (dazu Rz. 1.8 ff.). – Vor allem bei regelmäßig genutzten Homeoffice-Arbeitsplätzen treffen den Arbeitgeber erhöhte Pflichten zum Arbeitsschutz (dazu Rz. 1.14 ff.). – Bei der Datenverarbeitung im Home- und Mobileoffice sind personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse in besonderer Weise gefährdet. Arbeitgeber sollten spezifische Datenschutzvorkehrungen treffen (dazu Rz. 1.31 ff.). – Die Ausgestaltung von Homeoffice-Regeln unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates (dazu Rz. 1.40 ff.).

2. Vertragliche Regelung Arbeitnehmer haben nach aktueller Rechtslage keinen allgemeingesetzlichen Anspruch auf Arbeit 1.8 im Homeoffice. Die Einführung eines Anspruchs auf Homeoffice-Arbeit wird zwar weiterhin aktiv in der Bundespolitik diskutiert1. Keiner der eingebrachten Gesetzesentwürfe wurde jedoch bislang verabschiedet. Arbeitnehmer können deshalb bis heute vom Arbeitgeber nicht einseitig verlangen, die Arbeitsleistung von zu Hause erbringen zu dürfen2. Umgekehrt hat auch der Arbeitgeber nicht das Recht (auch nicht in Ausübung seines allgemeinen Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO), gegen den Willen eines Arbeitnehmers die Arbeit im Homeoffice anzuordnen. Die Privaträume des Beschäftigten unterliegen nach Art. 13 GG grundrechtlichem Schutz. Diesen Schutz vermag das Weisungsrecht des Arbeitgebers nicht zu überwinden3. Aus diesem Grund kann der Arbeitsort nur auf Grundlage beiderseitiger Freiwilligkeit, also im Einvernehmen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ins Homeoffice verlegt werden. Mobile Arbeit außerhalb der Wohnung des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber hingegen in Wahrnehmung seines Direktionsrechts einseitig anordnen4.

1.9

Hinweis: Die Einführung eines Anspruchs auf Homeoffice-Arbeit wird in der Politik seit Jahren kontrovers diskutiert. Unter dem 2.10.2020 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen ersten Referentenentwurf für eine Gesetzesänderung, nach der Arbeitnehmer einen Anspruch auf 24 HomeofficeTage im Jahr erhalten sollten. Der Entwurf löste erhebliche Kritik aus und scheiterte – genauso wie ein Nachfolgeentwurf 5 – am Widerstand der Unionsparteien6. Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP planen in der aktuellen Legislaturperiode einen neuen Anlauf: Ausweislich des Koalitionsvertrags soll für Beschäftigte ein Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice geschaffen werden. Arbeitgeber sollen dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen dürfen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Konsequenz soll sein, dass ein Homeoffice-Verlangen nicht mehr sachfremd oder willkürlich abgelehnt werden darf 7. Ob, wann und in welcher Form dieses Vorhaben umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können mangels gesetzlichen Anspruchs in einem gemeinsamen Vertrag regeln, wie die Homeoffice-Arbeit durchgeführt werden soll. Sie können z.B. Vorgaben tref-

1 Vgl. dazu Schulze/Simon, ArbRAktuell 2021, 119. 2 Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143); Benkert, NJW-Spezial 2019, 306. 3 Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143); Benkert, NJW-Spezial 2019, 306; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.11.2018 – 17 Sa 562/18, dazu Stück, ArbRAktuell 2019, 47; Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186; Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143); Müller, DB 2019, 1624 (1626); als Reaktion auf die CoronaPandemie halten Mues/Müncheberg hingegen eine vorübergehende Versetzung in das Homeoffice für vom allgemeinen Weisungsrecht gedeckt, ArbRB 2020, 214 (217). 4 Dzida/Beckmann, ArbRB 2018, 269 (269). 5 Schulze/Simon, ArbRAktuell 2021, 119 (121). 6 Schulze/Simon, ArbRAktuell 2021, 119 (121). 7 Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Rz. 2257 ff.

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1.10

§ 1 Rz. 1.10

Homeoffice und mobiles Arbeiten

fen, wann der Arbeitnehmer erreichbar sein muss, wie er sich selbst organisieren muss und wer welche Zusatzkosten trägt. Wird keine Vereinbarung getroffen, muss der Arbeitnehmer die Kosten der Homeoffice-Arbeit immer dann selbst tragen, wenn diese in seinem eigenen überwiegenden Interesse liegt1. Liegt die Homeoffice-Arbeit dagegen im überwiegenden Arbeitgeberinteresse, z.B. weil der Arbeitgeber Raumkosten einsparen will, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach § 670 BGB die Zusatzkosten der Homeoffice-Arbeit erstatten, einschließlich eines angemessenen Anteils der Miete sowie der Mietnebenkosten2. Treffen die Arbeitsvertragsparteien keine Vereinbarung, kann unsicher sein, wessen Interesse überwiegt und ob Kosten erstattet werden müssen oder nicht.

1.11 Hinweis: Dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Regeln für Homeoffice-Arbeit in einem gemeinsamen Vertrag festlegen, kommt vor allem in Betrieben ohne Betriebsrat in Betracht. In mitbestimmten Betrieben liegt es näher, eine Betriebsvereinbarung zu schließen, welche Vorgaben für die Durchführung der Homeoffice-Arbeit festlegt (dazu Rz. 1.44 und Rz. 1.46 ff.). Die Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung entfalten gegenüber Arbeitnehmern unmittelbar zwingende Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Sie tragen durch betriebseinheitliche Geltung dem Gerechtigkeitsempfinden Rechnung. Außerdem können sie im Einvernehmen mit dem Betriebsrat jederzeit betriebseinheitlich abgeändert werden3. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass Klauseln einer Betriebsvereinbarung nicht der (strengen) AGB-rechtlichen Kontrolle nach den §§ 307 ff. BGB unterliegen und die Gestaltungsspielräume deshalb größer sind als im Arbeitsvertrag4.

1.12 Die Arbeit im Homeoffice stellt erhöhte Anforderungen an Disziplin, Motivation und Organisationsfähigkeit von Arbeitnehmern5. Häufig sind Arbeitnehmer in ihrer Privatwohnung größeren Ablenkungsmöglichkeiten ausgesetzt. Durch Vorgesetzte können sie nur eingeschränkt beaufsichtigt werden6. Dies bedeutet nicht, dass sie automatisch schlechter arbeiten: Viele Arbeitnehmer zeigen unter diesen Bedingungen große Arbeitsdisziplin. Einige Arbeitnehmer gehen sogar soweit, dass sie überhaupt keine Grenze zwischen Arbeit und Freizeit mehr ziehen und sich regelrecht „selbst ausbeuten“7. Einzelne Arbeitnehmer können sich jedoch außerhalb betrieblicher Strukturen nicht selbst organisieren oder nutzen die fehlende Beaufsichtigung durch den Arbeitgeber bewusst aus. Auch wenn den Arbeitnehmer überhaupt kein Verschulden trifft, kann sich in vielen Fällen erst nachträglich herausstellen, dass bestimmte Tätigkeiten (z.B. wegen unterschätztem Abstimmungsbedarf) für die Arbeit im Homeoffice ungeeignet sind. In solchen Fällen möchte der Arbeitgeber die abgesprochene Homeoffice-Arbeit wieder beenden. Bei Ausgestaltung der Homeoffice-Vereinbarung sollte der Arbeitgeber deshalb sicherstellen, dass er rechtlich zur einseitigen Beendigung der getroffenen Vereinbarung in der Lage ist8.

1.13 Es versteht sich nicht unbedingt von selbst, dass eine ursprünglich auf Dauer abgestimmte Arbeit im Homeoffice auf einseitigen Wunsch des Arbeitgebers wieder beendet werden darf. Zwar kann der Arbeitgeber durch Ausübung seines Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO grundsätzlich den Ort der Arbeitsleistung festlegen und auch nachträglich ändern9. Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Arbeitnehmer das Recht zur Homeoffice-Arbeit dauerhaft vertraglich zugesichert wurde. Eine solche Zusicherung kann sich auch durch Auslegung einer (z.B. mündlich und unbestimmt getroffenen) vertraglichen Abreden ergeben und liegt vor, wenn der Arbeitnehmer nach den Gesamtumständen da1 2 3 4 5 6 7

BAG v. 12.4.2011 – 9 AZR 14/10, juris Rz. 24. BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 657/02, ArbRB 2004, 172, Leitsätze. Hoppe in Kramer, B. Rz. 665. BAG v. 1.2.2006 – 5 AZR 187/05, ArbRB 2006, 170, Leitsatz. Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (76). Zu Überwachungsmöglichkeiten Frank/Heine, BB 2021, 248. Richter, ArbRAktuell 2019, 142. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, tun dies außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit, Lott, WSI Report Nr. 54, S. 10 f. 8 Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (84). 9 Vgl. mit Blick auf das Homeoffice LAG München v. 26.8.2021 – 3 SaGa 13/21, ArbRB 2021, 329, Leitsatz 1.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.16 § 1

rauf vertrauen durfte, dauerhaft zuhause arbeiten zu können und sich in dieser Erwartung erkennbar mit seiner Lebensplanung darauf eingerichtet hat1. Besteht eine solche Zusicherung, kann sich der Arbeitgeber nur durch Ausspruch einer Änderungskündigung wieder von ihr lösen. Da hohe Anforderungen an die soziale Rechtfertigung der Änderungskündigung gestellt werden, drohen dann aufwendige und komplizierte Rechtsstreitigkeiten2.

1.14

Hinweis: Stimmt ein Arbeitnehmer stets im Einzelfall mit seinem Vorgesetzten ab, wann er im Homeoffice arbeitet und wann nicht, so versteht sich bei diesen Abstimmungen von selbst, dass kein dauerhafter Anspruch auf Homeoffice-Arbeit eingeräumt werden soll3. Soll mit einem Arbeitnehmer hingegen eine langfristig ausgelegte Abrede zur alternierenden Homeoffice-Arbeit getroffen werden, empfiehlt es sich, textförmlich und eindeutig festzuhalten, unter welchen Bedingungen die Abrede wieder beendet werden kann. Der – rein rechtlich gesehen – unkomplizierteste Weg besteht darin, die Homeoffice-Absprache zu befristen. Die Vertragsparteien haben auf diese Weise die Möglichkeit, die Arbeit zum Ende der Befristungsperiode auf ihre Effektivität und Sinnhaftigkeit hin zu prüfen. Im Anschluss können sie aufgrund beiderseitiger Freiwilligkeit entscheiden, ob eine Fortsetzung erfolgen soll oder nicht. Der Arbeitgeber kann die Abrede so auslaufen lassen, ohne sein Verhalten in besonderer Weise rechtfertigen zu müssen.

Wird einem Arbeitnehmer das Recht, zuhause zu arbeiten, dauerhaft zugesagt, empfiehlt es sich, ei- 1.15 nen Widerrufsvorbehalt zu vereinbaren4. Auf diese Weise verhindert der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf häusliche Arbeit erhält, der nur noch unter den strengen Voraussetzungen einer Änderungskündigung beseitigt werden könnte. Der Widerrufsvorbehalt gibt dem Unternehmen die Möglichkeit, den Arbeitnehmer einseitig wieder zur Arbeit in der Betriebsstätte zu beordern, wenn betriebliche und arbeitsorganisatorische Notwendigkeiten dies gebieten. Zu beachten ist, dass der in einer Formularvereinbarung geregelte Widerrufsvorbehalt der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegt (§§ 307 ff. BGB) und ausreichend transparent und ausgewogen gestaltet werden muss. Dies setzt voraus, dass der Widerruf an Gründe gebunden wird und (zusätzlich) nur in Ausübung billigen Ermessens gem. § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB ausgesprochen werden darf, d.h. unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Arbeitnehmers im Einzelfall (z.B. dessen Anfahrtsweg zur Betriebsstätte, familiäre Belange wie Kinderbetreuung oder Angehörigenpflege, etc.). Formularklauseln, die den Widerruf nicht unter diese Voraussetzungen stellen, sind unwirksam (vgl. für ein Muster Rz. 1.54)5. Bestehen rechtliche Zweifel, ob ein vereinbarter Widerrufsvorbehalt rechtlich wirksam ist, kann die Änderungskündigung vorsorglich und hilfsweise ausgesprochen werden6. Der Betriebsrat ist nach § 99 BetrVG und bei Ausspruch einer Änderungskündigung außerdem nach § 102 BetrVG zu beteiligen (eingehend Rz. 1.44 f.).

3. Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen Bei der Arbeit im Homeoffice führen neben den allgemeinen Arbeitsschutzvorgaben (dazu Rz. 1.17 ff.) insbesondere die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) (Rz. 1.28 ff.) zu besonderen Gestaltungsherausforderungen.

1 2 3 4

Bayreuther, NZA 2021, 1593 (1595 f.). Müller, DB 2019, 1624 (1625 f.); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1500). Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (187). Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (84); Richter, ArbRAktuell 2019, 166 (168); skeptisch Bayreuther, NZA 2021, 1593 (1596). 5 LAG Düsseldorf v. 10.9.2014 – 12 Sa 505/14, ArbRB 2015, 10. 6 Zur vorsorglichen Änderungskündigung BAG v. 17.12.2015 – 2 AZR 304/15, ArbRB 2016, 169, Leitsatz.

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1.16

§ 1 Rz. 1.17

Homeoffice und mobiles Arbeiten

a) Allgemeine Arbeitsschutzvorgaben aa) ArbStättVO

1.17 Auch wenn der Arbeitnehmer in seinem privaten Wohnumfeld arbeitet, treffen den Arbeitgeber Arbeitsschutzpflichten. Dies folgt aus den § 618 BGB, § 3 ArbSchG1. Zeigen sich bei der HomeofficeArbeit erhebliche Gefährdungen, muss der Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, um diese Gefährdungen zu beseitigen oder wenigstens zu verringern. Da der Arbeitnehmer allerdings außerhalb der Zugriffs- und Kontrollsphäre des Arbeitgebers arbeitet, sind die Arbeitsschutzpflichten des Arbeitgebers abgeschwächt2.

1.18 Erhöhte Arbeitsschutzanforderungen stellen sich, wenn der Homeoffice-Arbeitsplatz in den Anwendungsbereich der ArbStättVO fällt. Ist dies der Fall, muss der Arbeitgeber für jeden Homeoffice-Arbeitsplatz eine separate Gefährdungsbeurteilung durchführen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 3 ArbStättVO), den Arbeitnehmer über Gefahren des Arbeitsplatzes unterweisen (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 6 ArbStättVO) sowie gewährleisten, dass die allgemeinen Arbeitsschutzanforderungen an Bildschirmarbeitsplätze gewahrt werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Anhang Nr. 6 ArbStättVO). Ob ein Homeoffice-Arbeitsplatz in den Anwendungsbereich der ArbStättVO fällt und diese Pflichten somit bestehen, würde sich eigentlich nach der Definition des Telearbeitsplatzes in § 2 Abs. 7 ArbStättVO richten. Diese Definition ist allerdings redaktionell so sehr missglückt3, dass sie mehr Unsicherheit erzeugt als beseitigt4. Nach dem Wortlaut der Vorschrift werden folgende Voraussetzungen aufgestellt: – Der Homeoffice-Arbeitsplatz muss im Privatbereich des Beschäftigten fest eingerichtet sein. Ein mobiler Arbeitsplatz ist deshalb kein Arbeitsplatz i.S.d. ArbStättVO5. Dem Arbeitgeber kann bei mobiler Arbeit nämlich nicht zugemutet werden, für jeden denkbaren mobilen Arbeitsplatz eine separate Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung vorzunehmen6. – Die wesentlichen Rahmenbedingungen der Homeoffice-Arbeit, wie z.B. zeitliche Lage, Dauer, technische Einrichtung und Ausstattung des Telearbeitsplatzes sollten in einer Vereinbarung geregelt sein7. Aber auch, wenn die häusliche Arbeit im Einvernehmen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig erwartet und vorausgesetzt wird (z.B. bei alternierender Arbeit im Homeoffice), ohne dass eine klare Vereinbarung besteht, gelten – über den Wortlaut des § 2 Abs. 7 ArbStättVO hinaus – dieselben Arbeitsschutzpflichten8. Kurzfristig im Einzelfall abgestimmte Homeoffice-Arbeit, die nicht auf Grundlage fester Rahmenbedingungen auf Dauer angelegt ist, fällt hingegen nicht in den

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8

Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188). Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188). Wiebauer, NZA 2017, 220 (222); Wiebauer in Kollmer/Wiebauer/Schucht, § 2 ArbStättV Rz. 77. Die Regierungsparteien haben vereinbart, die Definition während der laufenden Legislaturperiode neu zu fassen, vgl. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Rz. 2251 f. Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1451); Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188); Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1432); Schucht, CCZ 2017, 120 (123); Häcker, ArbRB 2019, 343 (345). Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188). Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1450); Faber/Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, Kommentierung Arbeitsstättenverordnung, Rz. 147. Dogmatisch wird dies auf unterschiedliche Weise begründet: Nach Wiebauer in Kollmer/Wiebauer/ Schucht, § 2 ArbStättV Rz. 74 ist eine konkludent getroffene Vereinbarung anzunehmen. Nach Faber/ Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, Kommentierung Arbeitsstättenverordnung Rz. 146 sowie Aligbe, ArbRAktuell 2016, 596 (598) würden sich in solchen Fällen gleichwertige Arbeitsschutzpflichten aus § 618 BGB und §§ 3, 5 ArbSchG ergeben, die im Lichte des Anhang Nr. 6 der ArbStättVO auszulegen sind.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.20 § 1

Anwendungsbereich der ArbStättVO1, sondern wird arbeitsschutzrechtlich genauso wie mobile Arbeit behandelt2. – Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 7 Satz 2 ArbStättVO wird vorausgesetzt, dass der Arbeitgeber die benötigte Ausstattung des Telearbeitsplatzes mit Mobiliar, Arbeitsmitteln einschließlich der Kommunikationseinrichtungen bereitstellt und installiert. Z.T. wird deshalb vertreten, dass die ArbStättVO nicht anwendbar sei, wenn der Arbeitnehmer den Homeoffice-Arbeitsplatz mit eigenem Mobiliar einrichtet3. Wäre dies zutreffend, könnte sich der Arbeitgeber den Arbeitsschutzpflichten ganz einfach entziehen, indem er (wie fast immer) die Homeoffice-Arbeit davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer seinen eigenen Schreibtisch nutzt. Die h.M. geht in europarechtskonformer Auslegung hingegen zutreffend davon aus, dass die Stellung des Mobiliars durch den Arbeitgeber keine Voraussetzung der Arbeitsschutzpflichten ist4. Arbeitet der Arbeitnehmer also nur vereinzelt und anlassabhängig zu Hause oder arbeitet er mobil 1.19 an ständig wechselnden Arbeitsplätzen außerhalb der Betriebsstätte, muss der Arbeitgeber nach zutreffender h.M. weder eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung des einzelnen Arbeitsplatzes durchführen, noch den Arbeitnehmer gesondert arbeitsschutzrechtlich unterweisen oder die Einhaltung der Arbeitsschutzanforderungen an Bildschirmarbeitsplätze nach Anhang Nr. 6 ArbStättVO im Detail sicherstellen. In solchen Fällen liegt nämlich kein Telearbeitsplatz i.S.d. § 2 Abs. 7 Satz 2 ArbStättVO vor. Allerdings entfallen die Arbeitsschutzpflichten nicht vollständig5. So empfiehlt sich eine allgemeine Beurteilung typischer Gefährdungen, die sich bei gelegentlicher Arbeit zuhause und mobilem Arbeiten ergeben6. Dies kann z.B. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung von Arbeitstätigkeiten erfolgen, bei denen gelegentliche Homeoffice-Arbeit oder mobile Arbeit (z.B. bei Dienstreisen) typischerweise vorkommt. Auf deren Grundlage sollte der Arbeitgeber als Maßnahme nach § 2 Abs. 1 ArbSchG u.a. für geeignete Arbeitsmittel (z.B. arbeitsschutzkonforme Notebooks7) sorgen und Vorkehrungen i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 ArbSchG treffen, damit die Arbeitnehmer beim Arbeitsschutz mitwirken8. Fällt ein Homeoffice-Arbeitsplatz in den Anwendungsbereich der ArbStättVO (Rz. 1.18), muss der Arbeitgeber für jeden einzelnen Homeoffice-Arbeitsplatz eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung durchführen, bevor der Arbeitnehmer die Arbeit dort aufnimmt (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 3 ArbStättVO). Diese Gefährdungsbeurteilung ist zu dokumentieren (§ 3 Abs. 3 ArbStättVO). Dabei steht der Arbeitgeber vor praktischen Herausforderungen, die sich daraus ergeben, dass der Homeoffice-

1 Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188); Schucht, CCZ 2017, 120 (123); Teuscher in BeckOK Arbeitsschutzrecht, § 2 ArbStättV Rz. 35.1; Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1454 ff.); Hoppe in Kramer, B. Rz. 652; Aligbe, ArbRAktuell 2016, 596 (598 f.); Reinhard/Möller, ArbRB 2021, 54 (57). 2 Teuscher in BeckOK Arbeitsschutzrecht, § 2 ArbStättV Rz. 35.1. 3 Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1451); ähnlich, allerdings differenziert Reinhard/Möller, ArbRB 2021, 54 (56). 4 Wiebauer, NZA 2017, 220 (222); Wiebauer in Kollmer/Wiebauer/Schucht, § 2 ArbStättV Rz. 74; Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 3 Rz. 368 f.; Schucht, CCZ 2017, 120 (123); vgl. auch die „Empfehlungen des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) zur Abgrenzung von mobiler Arbeit und Telearbeitsplätzen gemäß Definition in § 2 Abs. 7 ArbStättV“ vom 30.11.2016, BGBl. I 2681. 5 Vgl. insbesondere die „Empfehlungen des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) zur Abgrenzung von mobiler Arbeit und Telearbeitsplätzen gemäß Definition in § 2 Abs. 7 ArbStättV“ vom 30.11.2016, BGBl. I 2681. 6 Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (188); Raif/Swidersky, GWR 2017, 351 (353); strenger dagegen Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1431), nach dessen Ansicht der Arbeitgeber die mobil tätigen Arbeitnehmer individuell im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach ihren typischen Arbeitsorten befragen müsste. 7 Dazu DGUV, Information 215-410 Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung, S. 91 ff. 8 Teuscher in BeckOK Arbeitsschutzrecht, § 2 ArbStättV Rz. 35.1.

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1.20

§ 1 Rz. 1.20

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Arbeitsplatz außerhalb der Betriebsstätte liegt und rechtlich als Privatsphäre des Arbeitnehmers nach Art. 13 GG geschützt ist. Mit diesen Herausforderungen kann der Arbeitgeber verschiedentlich umgehen: – Der Arbeitgeber kann sich schuldrechtlich ein Zutrittsrecht durch den Arbeitnehmer einräumen lassen und ihn zuhause besuchen (bzw. durch einen zuständigen Vertreter wie einen Arbeitssicherheitsbeauftragen besuchen lassen), um dort die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen1. Da dies mit einem zeitaufwendigen Anfahrtsweg und einem sozial unerwünschten Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers verbunden wäre, sehen viele Unternehmen hiervon ab. – Arbeitsschutzaufgaben können delegiert werden. Es gilt als rechtlich zulässig, wenn der Arbeitnehmer die Gefährdungsbeurteilung seines Homeoffice-Arbeitsplatzes selbst durchführt2. Praktisch funktioniert dies am besten, indem der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen vorbereiteten Prüfungsbogen übergibt, den der Arbeitnehmer unter Beachtung seiner Mitwirkungspflicht aus § 15 Abs. 1 ArbSchG auszufüllen hat3 (vgl. für ein Muster Rz. 1.59). Den Arbeitgeber treffen keine Nachforschungspflichten und er kann auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben vertrauen, solange diese nicht offensichtlich widersprüchlich oder unwahr sind4. Bei dieser Praxis besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer unwahre Angaben macht, da er befürchtet, der Arbeitgeber würde die Arbeit im Homeoffice sonst nicht genehmigen. Dies kann der Arbeitgeber in Kauf nehmen, immerhin setzt sich der Arbeitnehmer dann eigenverantwortlich den Arbeitsschutzrisiken aus. Allerdings gefährdet eine mangelhafte Ausstattung des Arbeitsplatzes zugleich eine effektive und konzentrierte Arbeit und kann zu Leistungsdefiziten führen. – Der Arbeitgeber kann den Homeoffice-Arbeitsplatz mit Videokonferenztools (wie Skype, Microsoft Teams oder Zoom) über das Internet überprüfen. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber Angaben des Arbeitnehmers ohne größeren Zeitaufwand hinterfragen. Der Arbeitgeber kann sich auch Fotos zeigen lassen.

1.21 Inhaltlich muss die Gefährdungsbeurteilung überprüfen, ob der Arbeitsplatz den Anforderungen nach Anhang Nr. 6 ArbStättVO genügt und etwaige sonstige Gefährdungen drohen. Hiernach ist z.B. zu klären, ob der Arbeitsplatz ergonomisch eingerichtet ist, ob der Schreibtisch ausreichend groß und reflexionsarm ist, ob der Arbeitnehmer ausreichende Bewegungsflächen hat und ob eine angemessene Beleuchtung besteht. Der Anhang Nr. 6.4 Abs. 3 der ArbStättVO sieht außerdem vor, dass tragbare Bildschirmgeräte ohne Trennung zwischen Bildschirm und externem Eingabemittel (insbesondere Geräte ohne Tastatur) nur kurzfristig an Arbeitsplätzen betrieben werden dürfen. Arbeitet der Arbeitnehmer also regelmäßig im Homeoffice, reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber ihm hierfür einen Laptop zur Verfügung stellt. Sonstige Gefährdungen, die am Homeoffice-Arbeitsplatz typischerweise drohen, sind unangemessener Lärm (dazu ASR A3.7 „Lärm“) und unangemessene Hitze (dazu ASR A3.5 „Raumtemperatur“) (vgl. hierzu auch die Muster unter Rz. 1.59 und Rz. 1.61).

1.22 Erfüllt der Arbeitsplatz im Homeoffice diese Anforderungen nicht, hat der Arbeitgeber zwei Möglichkeiten, um gesetzeskonforme Zustände herzustellen: Zum einen kann der Arbeitgeber den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers neu ausstatten. Insbesondere wenn das Mobiliar den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht, kommt in Betracht, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen ge-

1 Isenhardt, DB 2016, 1499 (1501). 2 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1431); Wiebauer, NZA 2017, 220 (223); Krieger/Rudnik/Povedano Peramato, NZA 2020, 473 (479); Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143); Ganz, ArbRAktuell 2018, 35 (37); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1500); Kollmer in Kollmer/Klindt/Schucht, § 1 ArbSchG Rz. 79c. 3 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1431); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1500). 4 Krieger/Rudnik/Povedano Peramato, NZA 2020, 473 (479); Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4, Rz. 88; Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1431); Kollmer in Kollmer/Klindt/Schucht, § 1 ArbSchG Rz. 79c.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.25 § 1

eigneten Schreibtisch und Schreibtischstuhl überlässt. Stehen in der Wohnung des Arbeitnehmers allerdings schon keine geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung, hat der Arbeitgeber regelmäßige keine Abhilfemöglichkeiten. Alternativ kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Genehmigung einer regelmäßigen Homeoffice-Arbeit verweigern und verlangen, dass weiterhin in der Betriebsstätte an den dort arbeitsschutzkonform eingerichteten Bildschirmarbeitsplätzen gearbeitet wird. Weiter rechtfertigen muss der Arbeitgeber diese Entscheidung nicht, da der Arbeitnehmer ohnehin keinen gesetzlichen Anspruch auf die Arbeit im Homeoffice hat (dazu Rz. 1.8 f.). Dies ist für den Arbeitnehmer zwar häufig unbefriedigend. Allerdings hält der Arbeitgeber auf diese Weise die Vorgabe geltenden Arbeitsschutzrechts ein. Der Arbeitgeber ist im Anwendungsbereich der ArbStättVO verpflichtet, Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, arbeitsschutzrechtlich zu unterweisen (§§ 6, 3 Abs. 3 Nr. 2 ArbStättVO, § 12 Abs. 1 ArbSchG). Die Unterweisung muss erfolgen, bevor der Arbeitnehmer die Tätigkeit im Homeoffice aufnimmt (§ 12 Abs. 1 Satz 3 ArbSchG)1. Sie ist zu dokumentieren (§ 4 Abs. 1 DGUV-Vorschrift 1)2. Anschließend ist die Unterweisung jährlich zu wiederholen (§ 6 Abs. 4 ArbStättVO). Im Rahmen der Unterweisung müssen die konkreten Gefährdungen bei Homeoffice-Arbeit und die sich daraus ergebenden Verhaltensregeln erläutert werden. Typische Gegenstände der Unterweisung sind Hinweise dazu,

1.23

– wie die Arbeitnehmer ihre im Homeoffice befindlichen Arbeitsmittel ergonomisch richtig einstellen3, – dass gesetzliche Arbeitszeitvorgaben zwingend einzuhalten sind4, – welche Belastungen des Körpers mit Bildschirmarbeit auf Dauer verbunden sind sowie die Empfehlung, die Bildschirmarbeit regelmäßig durch andere Tätigkeiten zu unterbrechen (vgl. Anhang Nr. 6.1 Abs. 2 ArbStättVO)5.

1.24

Hinweis: Die Unterweisung kann anhand eines Merkblattes erfolgen6. Allein die Übergabe eines Merkblattes reicht indes nicht aus. Da die Unterweisung stets dialog- und beteiligungsorientiert zu erfolgen hat7, muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zumindest die Möglichkeit einräumen, Rückfragen zu stellen8.

bb) Versicherungsschutz Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unterliegt die Tätigkeit im Home- bzw. Mobileoffice dem Schutz 1.25 der gesetzlichen Unfallversicherung9. Kommt es zu Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, ist der Arbeitnehmer über die Berufsgenossenschaft versichert (§ 7 Abs. 1 SGB VII). In der Vergangenheit waren nicht sämtliche Unfälle, die sich im Zusammenhang mit Homeoffice-Arbeit ereigneten, vom Versicherungsschutz abgedeckt. Die Rechtsprechung wendet differenzierte Abgrenzungskriterien an, die dazu führen konnten, dass Versicherungsschutz überraschend versagt wurde10. Diese Versiche-

1 Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 2 Rz. 120. 2 Wiebauer, NZA 2017, 220 (223). 3 Aligbe, ArbRAktuell 2016, 132 (134); Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 3 Rz. 383; Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1454). 4 Müller, Homeoffice in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 3 Rz. 383; Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1453). 5 Hidalgo, NZA 2019, 1449 (1453). 6 Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4 Rz. 87. 7 Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 6. 8 Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 7. 9 Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143). 10 Vgl. BSG v. 31.8.2017 – B 2 U 9/16/R, Leitsatz; BSG v. 5.7.2016 – B 2 U 5/15 R, ArbRB 2016, 367 = juris Rz. 15; dazu Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (143); Spellbrink, NZS 2016, 527 (530).

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§ 1 Rz. 1.25

Homeoffice und mobiles Arbeiten

rungslücke wurde als ungerecht empfunden und löste politischen Handlungsdruck aus: Mit Wirkung zum 18.6.2021 hat der Gesetzgeber einen neuen § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII in das Gesetz eingefügt, nach dem bei mobiler Arbeit und Homeoffice-Arbeit künftig derselbe Versicherungsschutz wie innerhalb der Betriebsstätte besteht1. Seither greift der Versicherungsschutz auch bei Handlungen im Homeoffice, die nicht unmittelbar der Arbeitstätigkeit dienen, z.B. wenn sich der Arbeitnehmer Getränke an seinen Homeoffice-Arbeitsplatz holt oder die Toilette aufsucht2. cc) Arbeitsschutzrechtliche Sanktionsrisiken

1.26 Verletzt der Arbeitgeber bei der Organisation von Homeoffice-Arbeit seine arbeitsschutzrechtlichen Pflichten, drohen zwar rechtliche Sanktionen. Diese sind aber vergleichsweise überschaubar: – Eine zivilrechtliche Haftung des Arbeitgebers (§§ 618, 280 Abs. 1 BGB) kommt nur in selten Fällen in Betracht: Verunglückt der Arbeitnehmer im Homeoffice im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit, besteht Unfallversicherungsschutz und eine Direkthaftung des Arbeitgebers scheidet aus (vgl. §§ 104 ff. SGB VII)3. Zwar könnte die Berufsgenossenschaft als Unfallversicherungsträger den Arbeitgeber gem. § 110 SGB VII für entstehende Kosten in Regress nehmen, wenn dieser den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Bei der Verletzung von Arbeitsschutzvorgaben für die Organisation der Homeoffice-Arbeit kommt die Annahme grober Fahrlässigkeit allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Auch steht die fehlende Einhaltung von Arbeitsschutzvorgaben i.d.R. mit Unfällen im Homeoffice nicht im Zusammenhang. Schwere Unfälle ereignen sich im Homeoffice typischerweise nur dann, wenn der Arbeitnehmer stürzt. Dies hat aber meistens nichts damit zu tun, ob der Arbeitgeber seine Arbeitsschutzpflichten beachtet hat. Die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben für Homeoffice-Arbeit zielen im Schwerpunkt nämlich nicht auf die Vermeidung von Sturzgefahren, sondern – zumindest soweit es um den Anhang Nr. 6 der ArbStättVO geht – auf die menschgerechte Gestaltung der Arbeit (z.B. durch ergonomische Arbeitsplatzeinrichtung). In der eigenen Wohnung zu stürzen ist dagegen ein allgemeines Lebensrisiko und dem Arbeitgeber grundsätzlich nicht zuzurechnen. – Arbeitsschutzvorschriften entfalten über § 618 BGB auch individualvertragliche Wirkung zwischen dem Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer hat einen einklagbaren Anspruch auf Herstellung arbeitsschutzkonformer Zustände. Erfüllt der Arbeitgeber diese Ansprüche nicht, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung verweigern (§ 273 BGB)4. Meistens arbeiten die Arbeitnehmer jedoch auf eigenen Wunsch im Homeoffice und suchen deshalb keinen Konflikt mit dem Arbeitgeber über Arbeitsschutzfragen. – Die Aufsichtsbehörde kann den Arbeitgeber durch Verwaltungsakt zur Einhaltung von Arbeitsschutzvorgaben verpflichten (§ 22 ArbSchG). Stellt sie Arbeitsschutzverstöße fest, kann sie ein Bußgeld gegen den Arbeitgeber verhängen (§ 9 Abs. 1 ArbStättVO). Solange der Arbeitgeber keine ausdrückliche, vollziehbare Arbeitsschutzanordnung der Arbeitsschutzbehörde verletzt, darf das Bußgeld einen Betrag von 5.000 EUR nicht überschreiten (§ 25 Abs. 2 ArbSchG). – Der Betriebsrat kann die Einhaltung von Arbeitsschutzvorgaben für die Homeoffice-Arbeit über § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erzwingen.

1 BGBl. I 2021 Nr. 32, S. 1765. 2 Dazu Düwell, jurisPR-ArbR 21/2021 Anm. 1; anders war dies hingegen nach alter Rechtslage, vgl. BSG v. 5.7.2016 – B 2 U 5/15 R, ArbRB 2016, 367 = juris Rz. 31; Spellbrink, NZS 2016, 527 (530). 3 Oberthür, NZA 2013, 246 (248 f.). 4 BAG v. 19.2.1997 – 5 AZR 982/94, Leitsatz 1; BAG v. 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, Leitsatz 1, BB 1997, 208; Günther/Böglmüller, ArbRAktuell 2020, 186 (187).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.29 § 1

1.27

Hinweis: Hält der Arbeitgeber arbeitsschutzrechtliche Vorgaben für die Arbeit im Homeoffice nicht ein und legt auch der Betriebsrat auf die Einhaltung des Arbeitsschutzes keinen Wert, sind – wie beschrieben – die mit diesem Rechtsverstoß verbundenen rechtlichen Risiken überschaubar1. Die Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben liegt allerdings unter praktischen Gesichtspunkten im Eigeninteresse des Arbeitgebers: Es handelt sich um übliche und vernünftige Rahmenbedingungen für eine konzentrierte und effektive Schreibtischarbeit. Richtet der Arbeitnehmer keinen ordnungsgemäßen Heimarbeitsplatz ein, werden die unangemessenen Arbeitsbedingungen seine Arbeitsleistung häufig negativ beeinträchtigen. Unternehmerisch spricht deshalb viel dafür, dass der Arbeitgeber den Zustand der Heimarbeitsplätze überprüft. Die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben bieten für diese Beurteilung sachgerechte und objektiv anerkannte Wertmaßstäbe.

b) Arbeitszeitschutz Bei der Arbeit im Homeoffice ist das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ohne Einschränkung einzuhalten2. Folgende Arbeitszeitvorgaben stehen im Vordergrund:

1.28

– Der Arbeitnehmer darf täglich nicht länger als zehn Stunden arbeiten (§ 3 Satz 2 ArbZG). Innerhalb von 24 Wochen darf durchschnittlich nicht länger als acht Stunden werktäglich gearbeitet werden. Da auch der Samstag als Werktag gilt, ergibt sich eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden, die auf Dauer nicht überschritten werden darf 3. – Bei der Homeoffice-Arbeit muss der Arbeitnehmer regelmäßige Pausen einlegen, nämlich von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden. Jede Ruhepause muss mindestens 15 Minuten umfassen. Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause tätig sein (§ 4 ArbZG). – Nach jedem Arbeitstag muss der Arbeitnehmer eine Ruhezeit von 11 Stunden einhalten, bis er am nächsten Arbeitstag die Arbeit wieder aufnimmt (§ 5 Abs. 1 ArbZG). Dies ist vor allem für Arbeitnehmer ungünstig, die es bevorzugen, noch in der späten Abendstunde zu arbeiten (z.B. nachdem die Kinder im Bett sind) und am Morgen des Folgetages die Arbeit ebenfalls früh wieder aufnehmen wollen (z.B. während die Kinder in Kindergarten und Schule sind). Umstritten ist, ob bereits kurze Arbeitstätigkeiten von wenigen Minuten (z.B. E-Mails checken vor dem Zubettgehen) die Ruhezeit unterbrechen und von vorne beginnen lassen (eingehend Rz. 4.10 f.). – Das Arbeiten an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen ist grundsätzlich untersagt (§ 9 ArbZG). Der Arbeitgeber ist arbeitszeitrechtlich nicht dazu verpflichtet, dem Arbeitnehmer die Arbeitszeiten 1.29 und Pausen genau vorzugeben. Es ist ausreichend, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer anweist, seine Arbeitszeit4 und Pausen5 selbständig im Rahmen der Vorgaben des ArbZG festzulegen. Allerdings ist der Betriebsrat in mitbestimmten Betrieben gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 BetrVG zu beteiligen und kann strengere Arbeitszeitvorgaben einfordern (Rz. 1.44).

1 2 3 4 5

Ähnlich Reinhard/Möller, ArbRB 2021, 54 (56). Schöllmann, NZA-Beilage, 2019, 81 (82); Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433). Wank in ErfK, § 3 ArbZG Rz. 5; Gäntgen in HWK, § 3 ArbZG Rz. 3. Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (77). Zwar sieht § 4 ArbZG vor, dass Ruhepausen „im Voraus feststehen“ müssen. Dadurch soll aber nur gewährleistet sein, dass sich der Arbeitnehmer auf die Pausen einstellen kann. Dazu ist er jedenfalls dann in der Lage, wenn er die Lage der Pausen selbst bestimmt, so dass eine solche Delegation zulässig ist, Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 4 ArbZG Rz. 32; Kock in BeckOK/ArbR, § 4 ArbZG Rz. 6.

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§ 1 Rz. 1.30

Homeoffice und mobiles Arbeiten

1.30 Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen, auch wenn diese im Homeoffice arbeiten. Dies folgt aus § 16 Abs. 2 ArbZG und wurde zusätzlich durch Entscheidung des EuGH vom 14.5.20191 besonders herausgestellt (eingehend hierzu Rz. 3.10). In seiner Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass der Arbeitgeber ein zugängliches, objektives und sicheres System zur Erfassung der Arbeitszeit einrichten muss2. Allerdings ist der Arbeitgeber nach derzeitiger Rechtslage weder dazu verpflichtet, die Arbeitszeit elektronisch zu erfassen3, noch bestimmte Aufsichtspersonen mit der Arbeitszeiterfassung zu betrauen. Stattdessen darf der Arbeitgeber die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung mittels Weisung an den Arbeitnehmer selbst delegieren4. Der Arbeitnehmer kann seine Arbeitszeit im Homeoffice entweder in eine vorgesehene Software einpflegen oder händisch aufschreiben (z.B. auf Papier, in Excel-Dateien, etc.), sofern sie später in ein strukturiertes System übertragen wird5. Allerdings muss der Arbeitgeber die erfolgte Zeiterfassung stichprobenartig kontrollieren6. Durch diese Kontrollen soll sichergestellt werden, dass die erforderliche Zeiterfassung im Homeoffice auch wirklich durch den Arbeitnehmer durchgeführt wird7. Darüber hinaus müssen die Arbeitszeitaufzeichnungen auf Verstöße gegen das ArbZG überprüft werden, was ebenfalls stichprobenhaft oder durch einen elektronischen Automatismus erfolgen kann8.

1.31 Die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit – dies geht oft mit der Homeoffice-Regelung einher9 – bleibt auch nach der Entscheidung des EuGH vom 14.5.201910 möglich11. Vertrauensarbeitszeit ist in der Weise zulässig, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit selbst einteilt und erfasst12. Aber auch bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit ist die Arbeitszeit zu erfassen (eingehend zur Vertrauensarbeitszeit Rz. 3.8 ff.).

1.32 Bei Verstößen gegen gesetzliche Arbeitszeitvorgaben können Bußgelder i.H.v. bis zu 15.000 EUR verhängt werden (§ 22 ArbZG). Wiederholt der Arbeitgeber bzw. seine vertretungsberechtigten Organe (§ 14 StGB) den Verstoß beharrlich, kann dieses Verhalten nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 ArbZG als Straftat verfolgt werden. Mit einer Strafverfolgung ist jedoch allenfalls in Ausnahmefällen zu rechnen, z.B. wenn der Arbeitgeber sich laufend über direkte Aufforderungen der Arbeitsschutzbehörden hinwegsetzt und so eine „rechtsfeindliche Einstellung“13 zum Ausdruck bringt. Arbeitsschutzbehörden können den Arbeitgeber durch Erlass von Verwaltungsakten zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes anhalten und diese notfalls durch Zwangsvollstreckung durchsetzen (§ 17 Abs. 2 ArbZG)14.

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14

EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162 („Stechuhr-Urteil“). EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162 („Stechuhr-Urteil“). Krause, NZA-Beilage 2019, 86 (93). Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (77); Oberthür, NZA 2013, 246; Mues/Müncheberg, ArbRB 2020, 214 (217); Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); Schlottfeld/Hoff, NZA 2001, 530 (532); Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4 Rz. 94. Heuschmid, NJW 2019, 1853; a.A. Ulber, NZA 2019, 677 (678). Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (77); Oberthür, NZA 2013, 246; Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4 Rz. 94; zu weit ginge eine Verpflichtung des Arbeitgebers, die Aufzeichnung des Arbeitnehmers durch Kontrollbesuche in dessen Wohnung zu überprüfen, so aber Schrader, NZA 2019, 1035 (1039). Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW, Erlass v. 30.12.2013, II 2 – 8312, § 16 Ziff. 3. Schlottfeld/Hoff, NZA 2001, 530 (532). Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (82). EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162 („Stechuhr-Urteil“). Heuschmid, NJW 2019, 1853 (1854); Krause, NZA-Beilage 2019, 86 (94). Bayreuther, Rechtsgutachten BMAS, Identifizierung von rechtlichem Umsetzungs- und/oder Änderungsbedarf im deutschen Recht in Nachfolge des EuGH-Urteils vom 14.5.2019 (C-55/18 – CCOO, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162), S. 62. Wank in ErfK, § 23 ArbZG Rz. 3; Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 23 ArbZG Rz. 14. Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 23 ArbZG Rz. 22; Wichert in Boecken/Düwell/Diller/ Hanau, § 17 ArbZG Rz. 9.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.35 § 1

4. Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse Homeoffice-Arbeit erschwert die Geheimhaltung von personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen in mehrerlei Hinsicht:

1.33

– Beim Einsatz von häuslicher IT und dem Transfer elektronischer Daten aus der betrieblichen Sphäre auf den zuhause genutzten Computer und umgekehrt können sich IT-Sicherheitslücken ergeben. – Für Unterlagen in Papierform fehlt zuhause oft ein Konzept, um sie gesichert zu transportieren, abzulegen und zu entsorgen. – Der Arbeitnehmer unterliegt im Homeoffice nur einer begrenzten Überwachung. Diese Gelegenheit kann er ausnutzen und Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten stehlen. Auch wenn der Arbeitnehmer keine kriminellen Absichten verfolgt, besteht die Gefahr, dass er Sicherheitsvorgaben aus Bequemlichkeit vernachlässigt, sobald er sich im vertrauten häuslichen Umfeld keiner Kontrolle mehr ausgesetzt sieht. – Im häuslichem Umfeld können Dritte unbefugt Kenntnis von geheimzuhaltenden Daten erlangen, z.B. indem sie Gespräche mithören, dem Arbeitnehmer bei der Arbeit über die Schulter schauen oder eigenmächtig auf Unterlagen zugreifen. Beim mobilen Arbeiten können Hardware und Unterlagen zudem verloren gehen („im Hotel vergessen“) oder gestohlen werden. Um diesen Geheimhaltungsrisiken zu begegnen, sollten Unternehmen konzeptmäßig Geheimnisund Datenschutzmaßnahmen für die Homeoffice-Arbeit festlegen1. Datenschutzrechtlich ist der Arbeitgeber als Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO2 zur Einrichtung von Schutzvorkehrungen für die Homeoffice-Arbeit verpflichtet. Nach Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO muss der Arbeitgeber die Vertraulichkeit der Datenverarbeitung sichern und unbefugten Zugriffen sowie dem Verlust personenbezogener Daten vorbeugen3. Gemäß Art. 32 DSGVO erfolgt dies durch erforderliche technische und organisatorische Maßnahmen (sog. TOMs), mit denen das Unternehmen ein ordnungsgemäßes und angemessenes Datenschutzniveau zu gewährleisten hat4. Als Verantwortlicher muss der Arbeitgeber gegenüber den Datenschutzbehörden nachweisen können (Art. 24 DSGVO), dass er diesen Organisationspflichten nachkommt.

1.34

Nach Ansicht der Datenschutzbehörden darf der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern erlauben, personenbezogene Daten im Homeoffice und im Mobileoffice zu verarbeiten5. Selbst die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten i.S.d. Art. 9 DSGVO ist im Home- und Mobileoffice nicht prinzipiell ausgeschlossen6. Allerdings bewerten die Datenschutzbehörden bei der Homeoffice-Arbeit die Gefahr eines Datenmissbrauchs oder einer unzulässigen Einflussnahme durch Dritte als erhöht. Deshalb erwarten die Datenschutzbehörden, dass der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der zu verarbeitenden Daten und ihres Verwendungszusammenhangs sorgfältig und differenziert prüft, ob deren Verarbeitung außerhalb der Betriebsstätte geeignet ist, ohne dass es zu unverhältnismäßigen Risiken kommt7. Werden im Homeoffice personenbezogene Daten verarbeitet, denen eine erhöhte Sensibilität zukommt, wird durch die Datenschutzbehörden weitergehend verlangt, dass der Arbeitgeber ein ausgewogenes Konzept aufstellt, um den Datenschutzrisiken durch

1.35

1 2 3 4 5 6

Kraus/Leister, CCZ 2021, 111 (111 ff.); Reinhard/Möller, ArbRB 2021, 54 (56). Hoppe in Kramer, B. Rz. 642. Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (169). Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (170); Kraus/Leister, CCZ 2021, 111 (111). BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 7. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 10; Bonanni/ Kamps, ArbRB 2014, 83 (84). 7 BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 7 f.

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§ 1 Rz. 1.35

Homeoffice und mobiles Arbeiten

technische und organisatorische Maßnahmen (TOM) zu begegnen1. Einen starren Katalog von Geheimhaltungsmaßnahmen, die der Arbeitgeber zwingend ergreifen muss, geben die Datenschutzbehörden zwar nicht vor. Sie räumen dem Arbeitgeber einen Ermessensspielraum ein, in dessen Rahmen der Arbeitgeber Maßnahmen selbst auswählen und gestalten darf, um ein angemessenes Datenschutzniveau zu gewährleisten2. Allerdings haben die Datenschutzbehörden bestimmte Vorstellungen, welche Datenschutzmaßnahmen nach derzeitigem Stand der Technik üblich sind, an denen sich Arbeitgeber orientieren sollten.

1.36 Maßnahmen zum Schutz seiner Geschäftsgeheimnisse ergreift der Arbeitgeber im Eigeninteresse. Eine Rechtspflicht, eigene Geschäftsgeheimnisse zu schützen, besteht nicht. Nach § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG wird eine bestimmte Information allerdings nur dann als Geschäftsgeheimnis rechtlich geschützt, wenn ihr Inhaber sie durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen schützt. Sollte der Arbeitgeber kein angemessenes Schutzniveau durch organisatorische, technische oder vertragliche Maßnahmen sicherstellen, fallen die betreffenden Informationen nicht in den Schutzbereich des GeschGehG, egal wie sensibel sie sind3. Die Angemessenheit der zu treffenden Maßnahmen richtet sich nach der Bedeutung des Geschäftsgeheimnisses für das Unternehmen4. Je wichtiger eine Information für den Arbeitgeber ist, desto umfangreichere Schutzmaßnahmen muss er ergreifen5. Allerdings genießt der Arbeitgeber auch bei der Festlegung von Geheimnisschutzmaßnahmen einen weitreichenden Ermessensspielraum (eingehend Rz. 18.5 ff.).

1.37 Hinweis: Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Homeoffice ist von herausgehobener praktischer Bedeutung. Da Arbeitnehmer zuhause unbeaufsichtigt sind, kommen Datendiebstähle hier immer wieder vor, insbesondere wenn Arbeitnehmer einen Arbeitgeberwechsel zur Konkurrenz vorbereiten und Geschäftsgeheimnisse, z.B. Kundenlisten, dort verwerten wollen. Technische Vorkehrungen sind erforderlich, damit der Arbeitgeber dies effektiv verhindern kann und von Verstößen überhaupt erfährt.

1.38 Es macht keinen Unterschied, ob es sich um personenbezogene Daten oder Geschäftsgeheimnisse handelt: Um eine Geheimhaltung sicherzustellen, kommen im Ausgangspunkt dieselben technischen und organisatorischen Maßnahmen in Betracht. Diese Maßnahmen sollte der Arbeitgeber durch Weisung (§ 106 GewO) oder in einer Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 BetrVG) verbindlich und transparent festlegen. Der Arbeitgeber hat bei der Auswahl der Maßnahmen einen Gestaltungsspielraum und sollte darauf achten, dass sich die gewählten Maßnahmen störungsfrei in die betrieblichen Abläufe integrieren lassen. In der Gesamtschau müssen sich die Maßnahmen allerdings als angemessen erweisen.

1.39 Im ersten Schritt sollte der Arbeitgeber prüfen, ob es bestimmte Kategorien personenbezogener Daten oder Geschäftsgeheimnisse gibt, die so sensibel sind, dass ihre Datenverarbeitung im Homeoffice generell ausscheidet6. Ein besonderes Augenmerk sollte er hierbei auf die besonderen Kategorien personenbezogener Daten i.S.v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO, § 22 BDSG (ethnische Herkunft, Gewerkschaftszugehörigkeit, politische Ansichten und Meinungen, religiöse Anschauung, Gesundheitsdaten, biometrische Daten, Daten zur sexuellen Ausrichtung einer Person)7 sowie auf Sozialdaten i.S.d. § 35 Abs. 1 SGB X8 richten.

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BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 9. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 9. Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (584). BT-Drucks. 19/4724, 24 f.; Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (584). BT-Drucks. 19/4724, 24 f.; Maaßen, GRUR 2019, 352 (354). Hoppe in Kramer, B. Rz. 643. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 10. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 11.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.41 § 1

Die Datenschutzbehörden legen Unternehmen nahe, die Datenverarbeitung im Home- und Mobile- 1.40 office möglichst voll elektronisch und ohne Medienbruch auszugestalten. Das ist gewährleistet, wenn die schriftliche Kommunikation mit dem Arbeitgeber, die Entgegennahme von Aufgaben, der Umgang mit personenbezogenen Daten und die Übermittlung der Arbeitsergebnisse automatisiert mit Hilfe von IT-Einrichtungen und über verschlüsselte elektronische Kommunikationswege stattfindet1. Bei händischem Transport von Unterlagen bestünde demgegenüber ein ständiges Verlustrisiko. Es empfiehlt sich, die IT-Sicherheit im Heimarbeitsplatz durch Überlassung von einheitlich vorkonfigurierter IT-Hardware des Unternehmens sicherzustellen, deren Einsatz jedem Arbeitnehmer verbindlich vorgeschrieben wird2. Idealerweise wird die Zuteilung der IT-Hardware durch ein MobileDevice-Management zentral dokumentiert und gesteuert3. Ein generelles Verbot der Privatnutzung dieser Hardware ist unter dem Gesichtspunkt des Daten- und Geheimnisschutz zweckmäßig4. Die Datenschutzbehörden empfehlen, bei Einrichtung und Einsatz dieser IT-Hardware folgende technische Schutzmaßnahmen zu ergreifen: – Der Zugriff zu sensiblen Informationen über das Firmenintranet sollte nur mit PIN und hardwarebasiertem Vertrauensanker, wie z.B. dem Diensthandy, ermöglicht werden (sog. Zwei-FaktorAuthentifizierung). Auf diese Weise können Dritte sich auch dann nicht einwählen, wenn der Arbeitnehmer das Endgerät verliert oder es gestohlen wird. – Die Verbindung zum Firmenintranet ist technisch am besten geschützt, wenn sie über ein Virtual Private Network (VPN) hergestellt wird. Dies gebietet sich insbesondere, wenn der Arbeitnehmer bei mobiler Arbeit auf ein offenes WLAN z.B. in Hotel, Restaurant oder Bahn zurückgreift. – Empfohlen wird eine Verschlüsselung der Daten (Ende-zu-Ende) einschließlich Ablageverschlüsselung auf dem mobilen Gerät. – Die Datenschutzbehörden raten dazu, die Steuerung der Elektronik durch Spracherkennung auszuschließen, da sonst Dritte mithören könnten. – Wenn Daten ausnahmsweise mit mobilen Datenträgern wie USB-Sticks transportiert werden, sollten diese Datenträger verschlüsselt und passwortgesichert werden. – USB-Zugänge und andere Anschlüsse zum mobilen Gerät sperrt das Unternehmen idealerweise oder öffnet sie nur für abschließend definierte Firmen-USB-Sticks. Die Datenschutzbehörden raten grundsätzlich dazu, auch den Druckeranschluss zu sperren. Dadurch wird der Arbeitnehmer technisch daran gehindert, sich Daten vom mobilen Gerät privat zu kopieren oder auszudrucken und sie auf diese Weise zu stehlen. Dem Arbeitnehmer bleibt zwar weiterhin die Möglichkeit, Daten über das Internet zu versenden. Dies lässt sich aber besser nachverfolgen5. Teilweise ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer Unterlagen in Papierform zuhause verarbeitet. In diesem Fall erwarten die Datenschutzbehörden, dass geeignete häusliche Räumlichkeiten und Arbeitsmittel zur Verfügung stehen, in denen diese Unterlagen so verwahrt werden können, dass Mit-

1 BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 13 f. 2 Dem Einsatz von Hardware aus dem Eigentum des Arbeitnehmers (sog. BYOD, dazu Rz. 29.1 ff.) stehen die Datenschutzbehörden kritisch gegenüber, BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein DatenschutzWegeweiser, Stand Juli 2020, S. 16.; ebenso Bissels/Meyer-Michaelis, DB 2015, 2331 (2335); Dury/Leibold, ZD-Aktuell 2020, 04405. 3 BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 20. 4 BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 18. Wenn Arbeitnehmer Daten von der Unternehmenshardware kopieren und diese dort löschen, lässt sich technisch oft nur rekonstruieren, dass dies geschehen ist, nicht aber um welche Daten es sich gehandelt hat. Hier versuchen sich Datendiebe oft mit der Schutzbehauptung herauszureden, es hätte sich um ihre privaten Daten gehandelt. Durch ein generelles Verbot der Privatnutzung beugen Unternehmen dieser Schutzbehauptung vor. 5 BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 17 f.

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1.41

§ 1 Rz. 1.41

Homeoffice und mobiles Arbeiten

bewohner keinen Zugang zu ihnen erhalten. Der Arbeitgeber sollte deshalb verschließbare Behältnisse zur Verfügung stellen, in denen die Unterlagen aufbewahrt werden1. Es empfiehlt sich, dem Arbeitnehmer durch Weisung zu untersagen, Unterlagen mit schutzbedürftigen personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen außerhalb geschlossener Behältnisse zu transportieren und unbeaufsichtigt „herumliegen“ zu lassen“2. Diese Unterlagen dürfen zudem nicht im Hausmüll entsorgt werden.

1.42 Damit der Arbeitnehmer die Datenschutzpflichten auch dann ernst nimmt, wenn er zuhause unbeaufsichtigt ist, sollte der Arbeitgeber ihn durch Aufklärung, z.B. in Schulungen, sensibilisieren3 und aktiv kontrollieren. Um eine datenschutzkonforme Nutzung der mobilen Hardware sicherzustellen, empfehlen die Datenschutzbehörden, Protokollierungen einzurichten, anhand derer das Nutzerverhalten überwacht werden kann4. Der Arbeitgeber sollte insbesondere anhand von Logfiles erkennen können, wann der Arbeitnehmer elektronische Daten von Speichergeräten des Unternehmens herunterlädt. Darüber hinaus erwarten die Datenschutzbehörden, dass sich der Arbeitgeber vertraglich ein Zugangsrecht zur Privatwohnung des Arbeitnehmers einräumen lässt, damit er dessen Heimarbeitsplatz vor Ort kontrollieren kann5 (vgl. dazu auch Rz. 1.20 und Rz. 1.54).

5. Beteiligung des Betriebsrates 1.43 Bei der Einführung von Homeoffice-Arbeit und mobiler Arbeit kommen verschiedenste Beteiligungsrechte des Betriebsrates in Betracht. In der Vergangenheit verhielt es sich so, dass der Arbeitgeber die Entscheidung, ob ein Arbeitnehmer zuhause arbeiten darf oder im Betrieb erscheinen muss, grundsätzlich alleine treffen durfte6. Nach allgemeiner Ansicht war der Ort der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers nicht mitbestimmungspflichtig. Mit Erlass des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes hat der Gesetzgeber in § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG einen neuen Mitbestimmungstatbestand geschaffen: Seit dem 18.6.2021 ist die Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird – d.h. auch jeder Form von Homeoffice-Arbeit –, mitbestimmungspflichtig7. Ausweislich der Gesetzesbegründung8 wird die Entscheidung darüber, „ob“ einem Arbeitnehmer die Arbeit im Homeoffice oder mobil ermöglicht wird, weiterhin allein durch den Arbeitgeber getroffen. Der Betriebsrat kann rechtlich also weiterhin nicht erzwingen, dass bestimmten Arbeitnehmern die Homeoffice-Arbeit ermöglicht wird. Erst wenn der Arbeitgeber positiv beschlossen hat, dass bestimmte Arbeitnehmer im Homeoffice oder mobil arbeiten dürfen, bestimmt der Betriebsrat hinsichtlich der Ausgestaltung dieser mobilen Arbeit, also dem „wie“, mit. Dies gilt unabhängig davon, ob Homeoffice-Arbeit und mobile Arbeit regelmäßig oder nur zu besonderen Anlässen erbracht wird. Inhaltlich umfasst das Mitbestimmungsrecht Regelungen zu konkreten Anwesenheitspflichten in der Betriebsstätte des Arbeitgebers, zur Erreichbarkeit, zum Umgang mit Arbeitsmitteln der mobilen Arbeit und über einzuhaltende Sicherheitsaspekte9. Sobald der Arbeitgeber mobiles Arbeiten ermöglicht, kann der Betriebsrat verlangen, dass der Arbeitgeber diese Fragen mit ihm erörtert und bei Scheitern der Verhandlungen die Einigungsstelle anrufen10.

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BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 22 f. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 19. Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (170). BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 20. BfDI, Telearbeit und Mobiles Arbeiten, Ein Datenschutz-Wegeweiser, Stand Juli 2020, S. 20 f. ArbG Paderborn v. 6.5.1998 – 1 BV 5/98, juris Rz. 49; Isenhardt, DB 2016, 1499 (1501); Richter, ArbRAktuell 2019, 142 (144). BGBl. I 2021 Nr. 32, S. 1763; dazu Bayreuther, NZA 2021, 839. BT-Drucks. 19/28899, S. 23. BT-Drucks. 19/28899, S. 23. So schon unter der alten Rechtslage LAG Köln v. 23.4.2021 – 9 TaBV 9/21, ArbRB 2021, 237 (Windeln) = juris Rz. 41.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 1.45 § 1

Daneben bestehen eine Reihe weiterer Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, welche bei Fragestellungen, die mit der Arbeit im Homeoffice typischerweise einhergehen, zu bedenken sind. Schon vor Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ergab sich deshalb eine Art „verkapptes“ Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Homeoffice-Arbeit1. Folgende Mitbestimmungsrechte sind zu beachten:

1.44

– Der Betriebsrat ist bei Regelungen zur Arbeitszeitverteilung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 BetrVG zu beteiligen. Solange im Homeoffice nur innerhalb des Arbeitszeitrahmens gearbeitet wird, der mit dem Betriebsrat bereits einvernehmlich festgelegt wurde, ist keine erneute Beteiligung des Betriebsrates erforderlich. Sollen dem Arbeitnehmer zuhause allerdings – wie häufig – größere Gestaltungsspielräume für die Arbeitszeiteinteilung eingeräumt werden, bestimmt der Betriebsrat mit2. – Wenn der Arbeitgeber im Homeoffice technische Überwachungseinrichtungen einsetzt, bestimmt der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mit. Der Begriff der technischen Überwachungseinrichtung ist weit zu verstehen (eingehend Rz. 15.23). Der Mitbestimmungstatbestand wird bereits ausgelöst, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Firmencomputer für die Homeoffice-Arbeit einrichtet und überlässt. Auch der Einsatz einer elektronischen Arbeitszeiterfassung für die Homeoffice-Arbeit ist mitbestimmungspflichtig3. – Da die Arbeitsschutzvorgaben für die Homeoffice-Arbeit unter mehreren Gesichtspunkten Rahmenvorgaben enthalten, bei deren Umsetzung dem Arbeitgeber ein Ermessensspielraum zusteht, bestimmt der Betriebsrat bei der Ermessensausübung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mit4 (eingehend hierzu Rz. 20.22 ff.). Ermöglicht der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, von zuhause aus zu arbeiten, kann es sich um eine 1.45 Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG handeln, zu der der Betriebsrat nach § 99 BetrVG seine Zustimmung erteilen muss. Voraussetzung dafür, dass die Homeoffice-Arbeit als Versetzung gilt, ist, dass sie länger einen Monat vereinbart wird und sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers durch die Homeoffice-Arbeit so verändert, dass die Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist5. Davon ist zwar nicht auszugehen, wenn ein Arbeitnehmer nur gelegentlich aufgrund einzelfallbezogener Absprachen im Homeoffice arbeitet6. Um eine Versetzung handelt es sich auch dann nicht, wenn mit einem Arbeitnehmer, der schon in der Vergangenheit im Homeoffice arbeitete, andere Wochentage für die Homeoffice-Arbeit abgestimmt werden. Wird allerdings mit einem Arbeitnehmer, der bislang ausnahmslos im Betrieb gearbeitet hat, eine auf Dauer angelegte Vereinbarung getroffen, nach der er regelmäßig von zuhause aus arbeiten darf (insbesondere als alternierende Homeoffice-Arbeit), liegt eine Versetzung vor7. Gleiches gilt, wenn eine befristet getroffene Vereinbarung über alternierende Homeoffice-Arbeit verlängert wird. Der Umstand, dass ein Arbeitnehmer gelegentlich, z.B. im Zu-

1 Schulze, ArbRAktuell 2021, 211 (212). 2 Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell 2016, 109 (111); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1501); Bonanni/Kamps, ArbRB 2014, 83 (87). 3 Schmechel, NZA 2004, 237 (240); Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell 2016, 109, (111); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1501); Bonanni/Kamps, ArbRB 2014, 83 (87). 4 Schmechel, NZA 2004, 237 (240); Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell 2016, 109, (112); Isenhardt, DB 2016, 1499 (1501); Bonanni/Kamps, ArbRB 2014, 83 (87). 5 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 25/17, juris Rz. 21. 6 Isenhardt, DB 2016, 1499 (1502); Müller, Home Office in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 5 Rz. 580; Temming in Preis, II T 20 Rz. 75. 7 LAG Köln v. 14.8.2020 – 9 TaBV 11/20, juris Rz. 35; LAG Düsseldorf v. 10.9.2014 – 12 Sa 505/14, ArbRB 2015, 10 = juris Rz. 99; Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell 2016, 109, (112); Müller, Home Office in der arbeitsrechtlichen Praxis, § 5 Rz. 580; Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (84); Temming in Preis, II T 20 Rz. 72 u. 75.

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§ 1 Rz. 1.45

Homeoffice und mobiles Arbeiten

sammenhang mit Dienstreisen, oder freiwillig im Mobileoffice arbeitet, stellt dagegen keine wesentliche Änderung seiner Tätigkeit und damit keine zustimmungspflichtige Versetzung dar1.

1.46 Läuft die mit einem Arbeitnehmer befristet getroffene Vereinbarung über Homeoffice-Arbeit aus, ergeben sich keine Beteiligungsrechte des Betriebsrates, da der Betriebsrat im Vorfeld nur einem befristeten Einsatz zugestimmt hatte. Beendet der Arbeitgeber hingegen vorzeitig eine Homeoffice-Vereinbarung, indem er ein Widerrufsrecht ausübt, liegt hierin abermals eine Versetzung, die nach § 99 BetrVG beteiligungspflichtig ist2. Missachtet der Arbeitgeber das Beteiligungsrecht des Betriebsrates, ist der gegenüber dem Arbeitnehmer erklärte Widerruf individualrechtlich unwirksam3. Wird eine Homeoffice-Vereinbarung durch Änderungskündigung beendet (vgl. dazu Rz. 1.12 f.), ist der Betriebsrat außerdem nach § 102 BetrVG zu beteiligen4.

1.47 Hinweis: Typischerweise interessiert den Betriebsrat die Frage am meisten, welcher Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten darf und welcher nicht. Diese Frage führt immer wieder zu Gerechtigkeitsdiskussionen in der Betriebsöffentlichkeit. Regelmäßig setzt sich der Betriebsrat für einzelne Arbeitnehmer ein, die eine Erlaubnis zur Homeoffice-Arbeit anstreben. Doch auch der umgekehrte Fall ist vorstellbar, nämlich dass der Betriebsrat auf Beschwerden von Arbeitnehmern reagiert, welche mit der Homeoffice-Arbeit eines Kollegen nicht einverstanden sind, weil sie die Abläufe erschwert. Rein rechtlich verhält es sich jedoch so, dass der Betriebsrat bei diesen Fragen keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte hat, sondern es dulden muss, dass der Arbeitgeber alleine entscheidet (vgl. Rz. 1.43). Trotzdem bietet es sich schon aus unternehmenspolitischen Gründen an, einvernehmliche Regelungen mit dem eigenen Betriebsrat zu treffen (vgl. zu verschiedenen Vorteilen Rz. 1.11 und Rz. 1.49 f.). Neben mitbestimmten Regelungsfragen (Rz. 1.44 f.) und Verhaltenspflichten ist es sinnvoll, Ausschlussgründe in die Betriebsvereinbarung aufzunehmen, bei denen Homeoffice-Arbeit zwingend versagt wird. So lassen sich Versagungsentscheidungen betriebspolitisch leichter vermitteln. Davon, in einer Betriebsvereinbarung einen individualrechtlichen Anspruch auf Homeoffice-Arbeit einzuräumen, ist dagegen im Regelfall abzuraten.

III. Best Practice 1.48 Um Streitigkeiten und Missverständnissen vorzubeugen, ist Unternehmen zu empfehlen, für die Genehmigung von Homeoffice-Arbeit strukturierte Prozesse aufzusetzen: – In mitbestimmten Unternehmen ist es üblich und zweckmäßig, die Rahmenbedingungen der Homeoffice-Arbeit und die bei der Homeoffice-Arbeit zu beachtenden Pflichten in einer Betriebsvereinbarung festzulegen (dazu Rz. 1.49 ff.). – Arbeitet ein Arbeitnehmer regelmäßig im Homeoffice, sollten die Bedingungen in einer schriftlichen Individualvereinbarung festgehalten werden (dazu Rz. 1.52 f.). – Alle Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, sollten durch eine transparente und schriftliche Weisung zur Einhaltung der Geschäftsgeheimnis- und Datenschutzregeln des Unternehmens angehalten werden (dazu Rz. 1.55 ff.). – Bevor einzelnen Mitarbeitern eine regelmäßige Homeoffice-Arbeit genehmigt wird, muss in einer Gefährdungsbeurteilung überprüft werden, ob ihr Heimarbeitsplatz arbeits- und datenschutz-

1 Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (84). 2 LAG Köln v. 14.8.2020 – 9 TaBV 11/20, juris Rz. 35; LAG Düsseldorf v. 10.9.2014 – 12 Sa 505/14, ArbRB 2015, 10 = juris Rz. 99 ff.; Temming in Preis, II T 20 Rz. 72. 3 LAG Düsseldorf v. 10.9.2014 – 12 Sa 505/14, ArbRB 2015, 10 = juris Rz. 93 ff. 4 Schulze/Ratzesberger, ArbRAktuell 2016, 109 (112); Schmechel, NZA 2004, 237 (240 f.).

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III. Best Practice

Rz. 1.51 § 1

rechtlichen Mindestanforderungen genügt (dazu Rz. 1.58 f.). Außerdem ist der Arbeitnehmer arbeitsschutzrechtlich zu unterweisen (dazu Rz. 1.60 ff.). – Situationen, in denen Arbeitnehmer mobil arbeiten, sind vielgestaltig. Eine einheitliche Best Practice, wie mobile Arbeit reglementiert werden sollte, gibt es bislang nicht (dazu Rz. 1.62).

1. Betriebsvereinbarung – Arbeit im Homeoffice Zwar hat der Betriebsrat keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte bei der Frage, welcher Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten darf und welcher nicht (dazu Rz. 1.43). Da aber die Ausgestaltung der Homeoffice-Arbeit mitbestimmt ist (dazu Rz. 1.44 f.), kann der Betriebsrat verlangen, dass der Arbeitgeber mit ihm über die Rahmenbedingungen der Homeoffice-Arbeit verhandelt und hierzu eine Vereinbarung trifft. Auch der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, eine Betriebsvereinbarung zu schließen: Mit ihr können normativ-zwingende Regelungen (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG) für die Homeoffice-Arbeit aufgestellt werden; außerdem erreichen im Einvernehmen mit dem Betriebsrat getroffene Regeln eine höhere Akzeptanz durch die Belegschaft (eingehend Rz. 1.11 und Rz. 1.47). Der Abschluss einer Regelungsabrede wäre aus Arbeitgebersicht dagegen die zweite Wahl: Regelungsabreden können keine normativen Pflichten der Arbeitnehmer begründen, auf die es dem Arbeitgeber i.d.R. aber ankommt.

1.49

In den Verhandlungen mit dem Betriebsrat verfolgt der Arbeitgeber typischerweise folgende Rege- 1.50 lungsziele: – Einen Anspruch einzelner Arbeitnehmer auf Homeoffice-Arbeit will der Arbeitgeber i.d.R. nicht begründen. Da der Betriebsrat keine erzwingbaren Mitbestimmungsrechte hat, mit denen er einen solchen Anspruch einführen könnte, kann sich der Arbeitgeber in diesem Punkt durchsetzen. – Umgekehrt ist es sinnvoll, einen Katalog von Ausschlussgründen in die Betriebsvereinbarung aufzunehmen, bei deren Vorliegen Homeoffice-Arbeit zwingend untersagt werden muss. Dies erhöht die Akzeptanz, wenn der Arbeitgeber einzelnen Mitarbeitern das Arbeiten im Homeoffice nicht erlaubt. – Der Arbeitgeber möchte erreichen, dass der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte abschließend ausübt (vgl. dazu Rz. 1.43 f.). Wenn dies gelingt, ist der Betriebsrat künftig daran gehindert, den Arbeitgeber in die Einigungsstelle zu zwingen, um Gesichtspunkte der Homeoffice-Arbeit nachzuverhandeln1. – In der Betriebsvereinbarung sollten die arbeitsschutzrechtlichen sowie datenschutzrechtlichen Pflichten der Arbeitnehmer mit normativer Wirkung möglichst konkret festgelegt werden. – In der Betriebsvereinbarung kann der Arbeitgeber mit normativer Wirkung regeln, unter welchen Voraussetzungen er gegenüber einzelnen Arbeitnehmern eine genehmigte Homeoffice-Arbeit widerrufen darf.

1.51

Eine Betriebsvereinbarung, die diese Ziele umsetzt, kann wie folgt gestaltet werden:

M 1.1 Betriebsvereinbarung – Arbeit im Homeoffice Betriebsvereinbarung – Arbeit im Homeoffice Fassung … vom …

1 ArbG Paderborn v. 6.5.1998 – 1 BV 5/98, Leitsatz.

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§ 1 Rz. 1.51

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Präambel Die Betriebsparteien sind sich einig, dass Homeoffice-Arbeit ermöglicht werden soll, um selbständige und eigenverantwortliche Arbeit sowie die Vereinbarung von Arbeit, Familie und individueller Lebensführung zu fördern. Gleichzeitig muss sich die Homeoffice-Arbeit mit den betrieblichen Abläufen und den Vorgaben des Arbeitsschutzes, Datenschutzes und Geschäftsgeheimnisschutzes vereinbaren lassen. Um diese unterschiedlichen Ziele in Einklang zu bringen, legen die Betriebsparteien folgende Rahmenbedingungen für die Homeoffice-Arbeit fest: § 1 Geltungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer des Betriebs i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG, mit Ausnahme der leitenden Angestellten (im Folgenden: Mitarbeiter). § 2 Begriffsbestimmungen (1) Homeoffice im Sinne dieser Betriebsvereinbarung liegt vor, soweit der Mitarbeiter seine Arbeitsleistung in eigenen privaten Räumlichkeiten im Bereich seiner Wohnung erbringt (im Folgenden: Heimarbeitsplatz). (2) Regelmäßige Homeoffice-Arbeit liegt vor, wenn Arbeitgeber und Mitarbeiter eine feste, auf Dauer angelegte Vereinbarung getroffenen haben, aus der sich regelmäßige Zeiten ergeben, während denen der Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten darf 1. (3) Gelegentliche Homeoffice-Arbeit liegt vor, wenn der Mitarbeiter nicht aufgrund einer festen Vereinbarung nach Abs. 2 im Homeoffice arbeitet, sondern z.B. aufgrund besonderer Anlässe oder im Einzelfall getroffener Abstimmungen mit seinem Vorgesetzten. (4) Ausschließliches Homeoffice liegt vor, wenn ein Mitarbeiter keinen festen Arbeitsplatz in der Betriebsstätte hat, sondern ausschließlich von zuhause aus arbeitet. Die ausschließliche Homeoffice-Arbeit ist nicht Gegenstand dieser Betriebsvereinbarung2. (5) Die betriebliche Eingliederung des Mitarbeiters bleibt durch die Vereinbarung von Homeoffice unberührt. Alle einschlägigen gesetzlichen und betrieblichen Bestimmungen finden auf Mitarbeiter, die im Homeoffice tätig sind, weiterhin Anwendung, sofern nachfolgend nichts Abweichendes geregelt ist. § 3 Voraussetzungen gelegentlicher und regelmäßiger Homeoffice-Arbeit (1) Kein Mitarbeiter ist gegen seinen Willen dazu verpflichtet, im Homeoffice zu arbeiten. Ein Anspruch von Mitarbeitern auf Homeoffice-Arbeit besteht nicht, soweit nicht durch Arbeitgeber und Mitarbeiter aufgrund beiderseitiger Freiwilligkeit solch ein Anspruch ausdrücklich vereinbart wurde. Durch eine wiederholte, gleichförmige oder langfristige Zustimmungspraxis wird kein Anspruch auf deren Beibehaltung begründet; eine betriebliche Übung besteht und entsteht nicht3. Etwaige gesetzliche Ansprüche auf die Arbeit im Homeoffice bleiben durch diese Regelung unberührt4.

1 Es empfiehlt sich, innerhalb der Betriebsvereinbarung abzugrenzen, welche Regeln nur für die regelmäßige Homeoffice-Arbeit gelten und welche auch bei gelegentlicher Homeoffice-Arbeit angewendet werden sollen. Indem die Arbeitgeber für gelegentliche Homeoffice-Arbeit (z.B. beim Arbeitsschutz, vgl. dazu Rz. 1.18 f.) abgemilderte Vorgaben festlegen, können sie den bürokratischen Abstimmungsaufwand verringern. 2 Vor allem Außendienstmitarbeiter arbeiten oft von zuhause aus und haben keinen betrieblichen Arbeitsplatz. Da die Interessenlage und die Arbeitsprozesse bei dieser Form der Arbeit gänzlich andere sind, empfiehlt es sich, die Problematiken in der Verhandlung mit dem Betriebsrat auszuklammern. 3 Dass ein einklagbarer Anspruch auf Homeoffice-Arbeit nicht begründet wird, sollte herausgestallt werden. 4 Es ist vorstellbar, dass der Gesetzgeber künftig Ansprüche auf Homeoffice-Arbeit einführt (dazu Rz. 1.9). Die Betriebsvereinbarung sollte sich nicht in Widerspruch zu vorstellbaren künftigen Gesetzesänderungen setzen, da die Gesetzesänderung sonst die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung bedrohen könnte.

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III. Best Practice

Rz. 1.51 § 1

(2) Gelegentliche Homeoffice-Arbeit ist zulässig, soweit sie zwischen dem Mitarbeiter und seinem zuständigen Vorgesetzten im Einzelfall abgestimmt wurde. Getroffene Abstimmungen gelten nur zeitlich begrenzt und eine begründete Abstimmungspraxis kann durch den Vorgesetzten jederzeit beendet werden. (3) Auf formlosen Antrag des Mitarbeiters bei der Personalabteilung können Arbeitgeber und Mitarbeiter eine auf Dauer angelegte Vereinbarung treffen, die dem Mitarbeiter einen Anspruch auf regelmäßige Homeoffice-Arbeit einräumt. Die Vereinbarung wird textförmlich niedergelegt. Regelmäßige Homeoffice-Arbeit ist ausgeschlossen, wenn a) der Mitarbeiter sich in einer Einarbeitungsphase befindet, insbesondere als Praktikant, Werkstudent, dualer Student, Auszubildender, oder wenn das Arbeitsverhältnis des Mitarbeiters noch keine sechs Monate besteht, b) der Mitarbeiter über keine geeigneten privaten Räumlichkeiten verfügt, um einen Heimarbeitsplatz für regelmäßige Homeoffice-Arbeit einzurichten, insbesondere nicht so, dass er den einschlägigen arbeits- und datenschutzrechtlichen Vorgaben gerecht werden kann, c) die Tätigkeit des Mitarbeiters eine regelmäßige, tägliche Anwesenheit (z.B. zur Abstimmung mit Kollegen) in der Betriebsstätte voraussetzt; dies ist insbesondere bei Tätigkeiten in den Bereichen Haustechnik und Gebäudebetreuung, Empfang und Assistenz der Fall1; oder d) der Mitarbeiter in der jüngeren Vergangenheit gegen Arbeitszeitvorgaben, IT-Sicherheitsvorgaben, Daten- und Geheimnisschutzvorgaben oder vergleichbare Arbeitspflichten verstoßen hat und deshalb berechtigte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bestehen. Arbeitgeber und Mitarbeiter können die regelmäßige Homeoffice-Arbeit befristet oder unbefristet vereinbaren. Der Betriebsrat ist bei einem Wechsel des Mitarbeiters in regelmäßige Homeoffice-Arbeit nach den gesetzlichen Regelungen gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen2. Etwaige gesetzliche Ansprüche der Mitarbeiter auf die Erörterung einer Homeoffice-Vereinbarung bleiben unberührt und können im Rahmen der Abstimmung nach Satz 1 miterfüllt werden3. § 4 Allgemeine Pflichten bei Homeoffice-Arbeit Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, haben die folgenden Pflichten: a) Mitarbeiter müssen im Homeoffice zu denjenigen Zeiten erreichbar sein, bei denen die Erreichbarkeit mit Blick auf die von ihnen ausgeübte Tätigkeit auch sonst üblicherweise erwartet wird. Als erreichbar gelten die Mitarbeiter, wenn sie auch auf eilbedürftige Rückrufbitten, E-Mails und vergleichbare Anfragen innerhalb eines vertretbaren Zeitkorridors reagieren können und auch reagieren. b) Mitarbeiter müssen ihren Heimarbeitsplatz stets in geordneter und übersichtlicher Weise einrichten und diesen Zustand während der Arbeit im Homeoffice aufrechterhalten. c) Mitarbeiter müssen Vorgesetzte und Kollegen von sich aus informieren, insbesondere wie man sie erreichen kann, und erforderliche Abstimmungen herbeiführen, sodass die Arbeit im Homeoffice Arbeitsabläufe so wenig wie möglich stört oder erschwert. d) Mitarbeiter müssen von sich aus und in Abstimmung mit der IT-Abteilung sicherstellen, dass die für die Heimarbeit überlassene Soft- und Hardware funktionsfähig bleibt und den jeweils aktuellen betrieblichen Vorgaben entspricht, insbesondere indem sie regelmäßige Updates installieren lassen.

1 Idealerweise stimmt der Arbeitgeber bereits im Rahmen der Betriebsvereinbarung einen Katalog von Tätigkeiten ab, für die Homeoffice-Arbeit schlechthin nicht in Betracht kommt. So erspart er sich spätere Diskussionen mit Mitarbeitern aus diesen Bereichen. 2 Um dem Betriebsrat zu zeigen, dass der Arbeitgeber seine Beteiligungsrechte respektiert, empfiehlt es sich, Beteiligungsrechte in der Betriebsvereinbarung festzuhalten, die ohnehin bestehen. Erlaubt der Arbeitgeber regelmäßige Homeoffice-Arbeit, stellt dies i.d.R. eine Versetzung im Sinne von §§ 99, 95 Abs. 1 BetrVG dar (vgl. Rz. 1.45 f.). 3 Vorstellbar ist, dass der Gesetzgeber eine Pflicht des Arbeitgebers einführt, Homeoffice-Arbeit mit seinen Mitarbeitern zumindest zu erörtern (vgl. Rz. 1.9).

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§ 1 Rz. 1.51

Homeoffice und mobiles Arbeiten

e) Auch an Tagen, für die eigentlich Homeoffice abgestimmt ist, ist der Mitarbeiter auf Anordnung des Arbeitgebers (§ 106 GewO) verpflichtet, seine Arbeitsleistung in der betrieblichen Arbeitsstätte zu erbringen, soweit dies aus betrieblichen Gründen erforderlich und dem Mitarbeiter bei Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar ist. Zumutbar ist dem Mitarbeiter eine Anordnung i.d.R. nur dann, wenn sie ihm mit einem Vorlauf von zwei Arbeitstagen (z. B. Montag auf Donnerstag, Donnerstag auf Dienstag) zugeht oder wenn es zu unvorhergesehenen Eilfällen kommt. § 5 Ausstattung des Arbeitsplatzes; Arbeitsschutz (1) Der Arbeitgeber stellt dem Mitarbeiter folgende Arbeitsmittel auf eigene Kosten zur Verfügung: a) Einen Computer nebst zugehöriger Hardware, wie Bildschirm und Maus. Sofern der Mitarbeiter nur gelegentlich im Homeoffice arbeitet, kann ein Notebook überlassen werden. Mitarbeitern, die regelmäßige Homeoffice-Arbeit leisten, ist ein Computer mit getrenntem Bildschirm zu überlassen. Die Arbeitsmittel werden entsprechend der arbeits- und datenschutzrechtlichen Vorschriften durch den Arbeitgeber eingerichtet und mit der betriebsüblichen Software ausgestattet. b) Ein verschließbares Behältnis, in dem der Mitarbeiter geheimhaltungsbedürftige Unterlagen verwahren kann. Die sonstige Einrichtung (insbesondere das notwendige Mobiliar) wird durch den Mitarbeiter unter Beachtung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften gestellt, sofern Arbeitgeber und Mitarbeiter nicht auf freiwilliger Basis etwas Anderes abstimmen. (2) Der Mitarbeiter erhält einen Remote-Zugriff auf die Anwendungen und Daten des Arbeitgebers sowie seinen internen Desktop. Der Mitarbeiter hat sicherzustellen, dass Dritte den Remote-Zugang nicht nutzen können, insbesondere durch sichere Verwahrung der Zugangsdaten. Er hat ferner sicherzustellen, dass seine Internetverbindung in der häuslichen Arbeitsstätte einen reibungslosen Remote-Zugriff ermöglicht. Elektronische Dateien und Dokumente sind ausschließlich im System des Arbeitgebers abzulegen. (3) Bei der Gestaltung der häuslichen Arbeitsstätte finden die jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit Anwendung und diese sind durch den Arbeitgeber und den Mitarbeiter zu beachten. (4) Bevor ein Mitarbeiter regelmäßige Homeoffice-Arbeit aufnimmt1, a) prüft der Arbeitgeber durch eine Gefährdungsbeurteilung, ob der Heimarbeitsplatz den arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen, insbesondere nach Anhang Nr. 6 der Arbeitsstättenverordnung, entspricht. Im Regelfall wird diese Aufgabe auf den Mitarbeiter delegiert, der sie vollständig, sorgfältig und wahrheitsgemäß anhand des als Anlage 12 beigefügten Prüfbogens, der Teil dieser Betriebsvereinbarung ist und die für regelmäßige Homeoffice-Arbeit maßgeblichen Anforderungen enthält, durchführen muss. Der Arbeitgeber kann die Richtigkeit und Aktualität der Angaben des Mitarbeiters jederzeit überprüfen, indem er nach eigener Wahl sich den Heimarbeitsplatz durch den Mitarbeiter mit einer betrieblichen oder verkehrsüblichen Videokonferenz-Software zeigen lässt3 oder

1 Nach h.M. muss eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung des einzelnen Homeoffice-Arbeitsplatzes sowie eine spezifische arbeitsschutzrechtliche Unterweisung des Arbeitnehmers nur dann erfolgen, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig und nicht bloß gelegentlich im Homeoffice arbeitet (vgl. Rz. 1.18 ff.). 2 Um die Betriebsvereinbarung nicht mit arbeits- und datenschutzrechtlichen Detailvorgaben zu überfrachten, ist es sinnvoll, diese in Anlagen zur Betriebsvereinbarung näher auszuführen. Dadurch bleibt die Betriebsvereinbarung übersichtlich. Damit die in den Anlagen enthaltenen Arbeitsschutz- und Datenschutzpflichten von der normativen Wirkung der Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 BetrVG umfasst werden, empfiehlt sich eine Regelung, nach der auch die Anlagen Bestandteil der Betriebsvereinbarung sind. 3 Der Einsatz einer Videokonferenz-Software ist eine technische Überwachungseinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Deshalb muss der Betriebsrat ihrem Einsatz zustimmen, was mit der Regelung in der Betriebsvereinbarung erfolgt. Auch zu weiteren Anforderungen Heider, NZA 2021, 1149 (1149 ff.).

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III. Best Practice

Rz. 1.51 § 1

den Heimarbeitsplatz aufgrund einer Absprache mit dem Mitarbeiter1 vor Ort begeht. Sobald sich der Zustand des Heimarbeitsplatzes wesentlich ändert (zum Beispiel durch grundlegende Umgestaltung oder Wechsel des Raumes oder durch Umzug), zeigt dies der Mitarbeiter dem Arbeitgeber von sich aus unverzüglich an. Der Arbeitgeber entscheidet dann, ob es erforderlich ist, die Gefährdungsbeurteilung erneut durchzuführen. b) unterweist der Arbeitgeber den Mitarbeiter anhand des als Anlage 2 beigefügten Merkblattes, welches Teil dieser Betriebsvereinbarung ist, über die arbeitsschutzrechtlichen und arbeitszeitrechtlichen Anforderungen. Der Mitarbeiter ist verpflichtet, den Arbeitsplatz entsprechend dieser Anforderungen einzurichten und zu nutzen. (5) Die bei der Homeoffice-Arbeit entstehenden Kosten für die von ihm eingebrachten Arbeitsmittel und das Mobiliar sowie die Kosten für Räumlichkeiten, Internet und Strom trägt der Mitarbeiter2. § 6 Arbeitszeit (1) Die Arbeitszeitverteilung des Mitarbeiters im Homeoffice richtet sich nach den allgemeinen betrieblichen und tariflichen Bestimmungen, welche für die Tätigkeit des Mitarbeiters einschlägig sind3. (2) Abweichend von Abs. 1 können Arbeitgeber und Mitarbeiter bei regelmäßiger Homeoffice-Arbeit auf freiwilliger Basis Vertrauensarbeitszeit für vollständige Homeoffice-Arbeitstage vereinbaren, wenn sich die Tätigkeit des Mitarbeiters dafür eignet. In diesem Fall gilt das Folgende: a) Die Lage der Arbeitszeit sowie die Lage der Ruhepausen am Heimarbeitsplatz bestimmt der Mitarbeiter unter Beachtung der tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen und unter Einhaltung der Kernarbeitszeit sowie den Anforderungen an eine angemessene Erreichbarkeit nach § 4 a) selbst. b) Während der Kernarbeitszeit von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr und von 14:30 bis 16:30 Uhr muss der Arbeitnehmer im Homeoffice arbeiten, sofern sich dies nicht mit Teilzeitvereinbarungen widerspricht, die mit dem Mitarbeiter getroffen sind. c) An einem Homeoffice-Arbeitstag darf nur ein Gleitzeitplus von maximal 30 Minuten aufgebaut werden, sofern nicht durch den Arbeitgeber etwas anders angeordnet ist4, d) Der Arbeitgeber kann in Ausübung seines Direktionsrecht (§ 106 GewO) verbindliche Vorgaben zur Arbeitszeiteinteilung festlegen, sofern hierzu ein besonderes Bedürfnis besteht und derartige Anordnungen insgesamt der Ausnahmefall bleiben. Eine vereinbarte Vertrauensarbeitszeit kann beiderseitig in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 2 dieser Betriebsvereinbarung widerrufen werden. (3) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (insbesondere §§ 3 bis 5 ArbZG) einzuhalten und seine Arbeitszeiteinteilung so zu planen, dass sie im Rahmen der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes sinnvoll mit den betrieblichen Anforderungen vereinbart werden kann. Die genauen Anforderungen werden dem Mitarbeiter in dem als Anlage 2 beigefügten Merkblatt erläutert, das Teil dieser Betriebsvereinbarung ist. 1 Da die Privatwohnung unter dem Schutz von Art. 13 GG steht, ist zweifelhaft, ob eine Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber ein Zutrittsrecht einräumen kann. Den sicheren Weg geht der Arbeitgeber, indem er das Zutrittsrecht in einer Individualvereinbarung mit dem Arbeitnehmer regelt. 2 Eine solche Regelung empfiehlt sich, um etwaige Aufwendungsersatzansprüche nach § 670 BGB auszuschließen, vgl. BAG v. 14.10.2003 – 9 AZR 657/02, ArbRB 2004, 172, Leitsätze. 3 Teilweise sind mit dem Betriebsrat bereits in anderen Betriebsvereinbarungen flexible Gleitzeit- und Vertrauensarbeitszeitregelungen festgelegt, die dem Arbeitnehmer ausreichende Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeiteinteilung im Homeoffice einräumen. In diesem Fall ist es nicht erforderlich, gesonderte Arbeitszeitvorgaben für die Homeoffice-Arbeit mit dem Betriebsrat zu verhandeln. 4 Die Arbeitszeitverteilung ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG mitbestimmt. Soll der Arbeitnehmer im Homeoffice größere Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeiteinteilung erhalten, als bei der Arbeit in der Betriebsstätte – was sinnvoll ist, um ihm die Vereinbarung von Arbeit und Familie erleichtern – muss hierzu eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat getroffen werden. Diese Vereinbarung kann Teil der Betriebsvereinbarung Homeoffice sein.

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§ 1 Rz. 1.51

Homeoffice und mobiles Arbeiten

(4) Die Erfassung der täglichen Arbeitszeit in der häuslichen Arbeitsstätte erfolgt durch den Mitarbeiter über das jeweils aktuelle, in Abstimmung mit dem Betriebsrat betrieblich genutzte, softwarebasierte Arbeitszeiterfassungssystem, auf das der Mitarbeiter gemäß § 5 Abs. 2 einen Remote-Zugriff erhält. Ohne Erfassung der Arbeitszeit darf nicht gearbeitet werden1. § 7 Geschäftsgeheimnisse und Datenschutz (1) Der Mitarbeiter ist am Heimarbeitsplatz verpflichtet, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Geschäftsgeheimnisse des Arbeitgebers und geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten zu schützen, insbesondere vor dem Zugriff durch unbefugte Dritte. Neben den allgemeinen Geheimnisund Datenschutzvorgaben sind insbesondere die Vorgaben der als Anlage 3 beigefügten Dienstanweisung, welche Teil dieser Betriebsvereinbarung ist, zwingend zu beachten. (2) Damit der Arbeitgeber nachvollziehen kann, ob ein Mitarbeiter elektronische Dokumente mit personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen von betrieblichen Datenträgern herunterlädt und auf andere, z.B. auch private Datenträger überträgt, darf der Arbeitgeber automatisierte Protokollierungs- und Meldefunktionen auf der überlassenen Hardware installieren. Deren nähere Ausgestaltung erfolgt durch den Arbeitgeber und unterliegt der Geheimhaltung2. § 8 Umgang mit technischen Störungen (1) Technische Störungen am Heimarbeitsplatz, insbesondere eine nicht unerhebliche Störung/Unterbrechung der Internetverbindung, hat der Mitarbeiter dem Arbeitgeber (Vorgesetzten, Personalabteilung und bei Systemstörungen IT-Abteilung) unverzüglich anzuzeigen und etwaige Anweisungen auszuführen, die er von Seiten des Arbeitgebers erhält, um die Störung zu beseitigen (insbesondere in fernmündlicher Abstimmung mit der IT-Abteilung). (2) Ist die Arbeitsleistung in der häuslichen Arbeitsstätte aufgrund von Störungen nicht möglich, gilt folgendes: Der Mitarbeiter ist nur verpflichtet, am selben Tag zur Fortsetzung seiner Arbeit die betriebliche Arbeitsstätte aufzusuchen, wenn ihm dies unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zumutbar ist. Setzt der Mitarbeiter seine Arbeit nicht in der Betriebsstätte fort, gilt die Zeit der Dauer der Störung nur insoweit als Arbeitszeit, wie a) die Störung in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers fällt und ein Erscheinen in der Betriebsstätte nicht zumutbar war oder b) der Mitarbeiter am Heimarbeitsplatz erforderliche Tätigkeiten vornimmt, um die technische Störung zu beseitigen. Fällt die Störung in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers und setzt der Mitarbeiter seine Tätigkeit in der Betriebsstätte fort, gilt die für den Hinweg aufgewendete Fahrtzeit als Arbeitszeit. § 9 Beendigung der Homeoffice-Arbeit (1) Gelegentliche Homeoffice-Arbeit endet, sobald die Zeiträume, für die diese abgestimmt wurde, abgelaufen sind; das Recht von Mitarbeitern und Vorgesetzten, auf Grund beiderseitiger Freiwilligkeit erneut gelegentliche Homeoffice-Arbeit abzustimmen, bleibt unberührt. (2) Befristet vereinbarte, regelmäßige Homeoffice-Arbeit endet, sobald die vereinbarte Befristung ausläuft. Befristet und unbefristet vereinbarte regelmäßige Homeoffice-Arbeit kann sowohl von Seiten des Mitarbeiters als auch des Arbeitgebers mit einer Frist von 14 Tagen widerrufen werden. Der Arbeitgeber kann die Vereinbarung zur regelmäßigen Homeoffice-Arbeit nur dann widerrufen, wenn der Widerruf

1 Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer verpflichten, die anfallende Arbeitszeit zu dokumentieren. Eine elektronische Dokumentation ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt. Zwingend erforderlich ist sie nicht. Zulässig wäre auch, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten formfrei aufschreibt und an den Tagen, an denen er im Betrieb ist, nachträgt; vgl. auch Schöllmann, NZA-Beilage 2019, 81 (82). 2 Dies ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt und sollte daher in der Betriebsvereinbarung geregelt werden.

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III. Best Practice

Rz. 1.51 § 1

dem Mitarbeiter nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zugemutet werden kann (§ 106 GewO) und wenigstens einer der folgenden Widerrufsgründe vorliegt: a) Aufgrund konkreter Tatsachen ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Mitarbeiter seine Arbeitszeit im Homeoffice nicht ordnungsgemäß leistet oder ordnungsgemäß erfasst. b) Wegen einer mangelnden Erreichbarkeit des Mitarbeiters im Homeoffice während Zeiten, in denen Erreichbarkeit üblicherweise erwartet werden kann, werden betriebliche Abläufe wiederholt erheblich gestört. c) Es stellt sich heraus, dass der Heimarbeitsplatz nicht den gesetzlichen Anforderungen des Arbeitsschutzes oder den Anforderungen dieser Betriebsvereinbarung gerecht wird. d) Der Mitarbeiter verstößt nachweislich gegen spezifische Pflichten für Homeoffice-Arbeit, z.B. hinsichtlich des Datenschutzes oder der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen. e) Der Mitarbeiter wechselt auf eine andere Position und/oder sein Aufgabenbereich wird wesentlich geändert, wenn dies einvernehmlich erfolgt oder durch den Arbeitgeber unter Beachtung billigen Ermessens (§ 106 GewO) angeordnet wurde. f) Der Mitarbeiter zieht um. g) Die Fortsetzung der Homeoffice-Arbeit stellt sich aus sachlichem Grund, auch unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrung und des bislang gezeigten Verhaltens des Mitarbeiters, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sowie der Interessen der übrigen Mitarbeiter des Betriebes in einer Gesamtwertung als unverhältnismäßig belastend dar, weil die ordnungsgemäße Leistungserbringung, ein reibungsfreier Arbeitsablauf, die wechselseitige Abstimmung mit Vorgesetzten, Kunden und/oder Kollegen und/oder die Aufsicht über den Mitarbeiter unzumutbar beeinträchtigt ist1. Bei Erklärung des Widerrufs durch den Arbeitgeber oder unverzüglich, nachdem der Mitarbeiter einen Widerruf erklärt hat, ist der Betriebsrat nach den gesetzlichen Regelungen des § 99 BetrVG zu beteiligen2. (3) Der Mitarbeiter hat alle Arbeitsmittel, die ihm für die regelmäßige Homeoffice-Arbeit überlassen wurden, – innerhalb von 14 Tagen nach Erklärung des Widerrufs oder – innerhalb von 7 Tagen nach Auslaufen einer Befristung der regelmäßigen Homeoffice-Arbeit oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unaufgefordert am Ort der betrieblichen Arbeitsstätte zurückzugeben3. Für gelegentliche HomeofficeArbeit überlassene Arbeitsmittel müssen am Ort der Arbeitsstätte zurückgegeben werden, wenn der Arbeitgeber dies verlangt oder unaufgefordert, wenn wegen Änderungen im Arbeitsprozess HomeofficeArbeit für absehbare Zeit nicht mehr in Betracht kommt.

1 Der Arbeitgeber kann Widerrufsgründe für Homeoffice-Vereinbarungen in einer Betriebsvereinbarung regeln, die normativ auf geschlossene Individualvereinbarungen mit dem Mitarbeiter einwirken. Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung bietet den Vorteil, dass die Widerrufsklausel nicht der AGB-Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterliegt. Allerdings unterliegt auch der aufgrund einer Betriebsvereinbarung erklärte Widerruf stets der Ausübungskontrolle nach § 315 BGB, vgl. zu alledem BAG v. 1.2.2006 – 5 AZR 187/05, ArbRB 2006, 170. 2 Vgl. Rz. 1.46. 3 Arbeitet ein Arbeitnehmer überwiegend im Homeoffice statt in der Betriebsstätte, kann diese als Ort, von der aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, i.S.d. § 48 Abs. 1a ArbGG angesehen werden. Damit trotzdem das Gericht im Bezirk der Betriebsstätte örtlich für Klagen auf Herausgabe der überlassenen Arbeitsmittel zuständig ist, sollte die Betriebsstätte als Erfüllungsort i.S.d. § 29 ZPO definiert werden.

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§ 1 Rz. 1.51

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§ 10 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden und wirkt in diesem Fall nach1. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Folgende Anlagen sind Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung und geltend für jeden Mitarbeiter unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 BetrVG): – Anlage 1: Prüfbogen zur Gefährdungsbeurteilung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes – Anlage 2: Merkblatt Arbeitsschutz und Arbeitszeit im Homeoffice – Anlage 3: Dienstanweisung Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice … Ort, Datum … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

2. Individualvereinbarung zur Homeoffice-Arbeit 1.52 Solange ein Arbeitnehmer nur gelegentlich aufgrund einzelfallbezogener Abstimmungen mit seinem Vorgesetzten im Homeoffice arbeitet, ist es nicht erforderlich, nähere Regelungen über die hierbei wechselseitig bestehenden Rechte und Pflichten zu treffen. Denn es versteht sich von selbst, dass der Arbeitgeber diese Praxis im Konfliktfall jederzeit beenden könnte. Durch diese Beendigungsmöglichkeit ist der Arbeitgeber ausreichend abgesichert.

1.53 Arbeitet ein Arbeitnehmer dagegen regelmäßig zu gleichförmigen Zeiten zuhause, könnten Gerichte eine solche Praxis und die zugrunde liegende Abstimmung als verbindliche Abrede auslegen (§§ 133, 157 BGB), die dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf dauerhafte Homeoffice-Arbeit einräumt. Eine solche Abrede unterläge kündigungsschutzrechtlichem Bestandsschutz (Rz. 1.12 f.). Um die rechtlichen Konsequenzen steuern zu können, empfiehlt es sich für Arbeitgeber, eine textförmliche Individualvereinbarung zu schließen, in der die Bedingungen der Homeoffice-Arbeit einschließlich der Möglichkeiten der Beendigung transparent festgelegt werden. Die Vereinbarung kann wie folgt gestaltet werden:

1.54 M 1.2 Zusatzvereinbarung – regelmäßige Homeoffice-Arbeit Zusatzvereinbarung – regelmäßige Homeoffice-Arbeit Zwischen der … (nachfolgend: Arbeitgeber) und Herrn/Frau … (nachfolgend: Mitarbeiter),

1 Solange die Betriebsvereinbarung keinen Anspruch auf Homeoffice-Arbeit vorsieht, ergeben sich aus der Betriebsvereinbarung i.d.R. keine Risiken für den Arbeitgeber, die er nicht beherrschen kann. Der Arbeitgeber kann sich deshalb auf eine lange Kündigungsfrist und die Vereinbarung der Nachwirkung dieser Betriebsvereinbarung einlassen.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 1.54 § 1

wird auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung „Arbeit im Homeoffice“ in ihrer jeweils aktuellen Fassung die folgende Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag getroffen: § 1 Anspruch auf Homeoffice-Arbeit (1) Der Mitarbeiter ist berechtigt, an den folgenden Wochenarbeitstagen seine individuelle Arbeitsleistung in seiner häuslichen Arbeitsstätte (derzeitige Adresse: …) zu erbringen: l Montag

l Dienstag

l Mittwoch

l Donnerstag

l Freitag

An den übrigen Arbeitstagen arbeitet der Mitarbeiter am betrieblichen Arbeitsplatz, soweit zwischen den Parteien nichts Anderes abgestimmt ist. (2) Diese Vereinbarung tritt am … in Kraft und ist l bis zum … befristet1. l unbefristet. (3) Die während der Homeoffice-Arbeit zu beachtenden Rechte und Pflichten ergeben sich aus den jeweils maßgeblichen tariflichen und betrieblichen Regelungen sowie den Arbeitsanweisungen des Arbeitgebers. Für die Homeoffice-Arbeit gelten insbesondere die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung „Arbeit im Homeoffice“ in der jeweils gültigen Fassung. Die derzeit gültige Fassung der Betriebsvereinbarung ist dieser Vereinbarung als Anlage beigefügt. § 2 Arbeitsmittel und Räumlichkeiten Soweit in Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen sowie durch weitere Absprachen zwischen den Parteien nichts anderes bestimmt ist, trägt der Mitarbeiter die Kosten der von ihm in den Homeoffice-Arbeitsplatz eingebrachten Möbel und Arbeitsmittel sowie die Raum- und Betriebskosten (Miete, Internet, Strom)2. § 3 Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung (1) Soweit der Mitarbeiter berechtigt ist, seine Arbeitszeit am Homeoffice-Arbeitsplatz selbständig einzuteilen, ist er zugleich verpflichtet, die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (insbesondere §§ 3-5 ArbZG) einzuhalten und seine Arbeitszeiteinteilung so zu planen, dass die Arbeitszeiten im Rahmen der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes sinnvoll mit den betrieblichen Anforderungen vereinbart werden können. (2) Die Erfassung der täglichen Arbeitszeit in der häuslichen Arbeitsstätte erfolgt durch den Mitarbeiter über das jeweils betrieblich genutzte, softwarebasierte Arbeitszeiterfassungssystem. § 4 Zutrittsrecht des Arbeitgebers (1) Der Mitarbeiter räumt dem Arbeitgeber und den vom Arbeitgeber beauftragten Personen (insbesondere zuständigen Datenschutzbeauftragten und Betriebssicherheitsbeauftragten) das Recht ein, den eingerichteten Heimarbeitsplatz zu begehen und auf Einhaltung von Arbeitsschutz-, Datenschutz- und Geschäftsgeheimnisschutzvorgaben zu kontrollieren. Der Mitarbeiter trägt dafür Sorge, dass auch die

1 Es spricht viel dafür, Homeoffice beim ersten Probeversuch nur befristet zu vereinbaren und den Betriebsrat nur für eine befristete Versetzung auf einen Homeoffice-Arbeitsplatz gemäß §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG zu beteiligen. Dann kann der Arbeitgeber die Vereinbarung rechtssicher auslaufen lassen kann, wenn sich Probleme zeigen (Bayreuther, NZA 2021, 1593 (1596)). Wird Homeoffice hingegen unbefristet zugesagt, kann sie allenfalls durch Widerruf beendet werden. Der Widerruf führt leicht in einen Doppelkonflikt: Zuvor muss der Betriebsrat nach § 99 BetrVG beteiligt werden und kann sich dabei schützend vor den Mitarbeiter stellen, indem er seine Zustimmung zum Widerruf verweigert. Auch der Mitarbeiter kann die Wirksamkeit eines Widerrufs in Frage stellen und argumentieren, ein Widerrufsgrund läge nicht vor oder der Widerruf wäre ermessensfehlerhaft. 2 Treffen die Parteien eine solche Abrede nicht, läuft der Arbeitgeber in Gefahr, dass der Arbeitnehmer Aufwendungsersatzansprüche nach § 670 BGB geltend macht, vgl. Rz. 1.10.

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§ 1 Rz. 1.54

Homeoffice und mobiles Arbeiten

mit ihm in einer häuslichen Gemeinschaft wohnenden Personen mit dieser Zugangsregelung einverstanden sind. (2) Der Zutritt wird dem Mitarbeiter mit einer Frist von mindestens 48 Stunden im Voraus angekündigt. Der Mitarbeiter kann einem angekündigten Zutritt unverzüglich widersprechen, wenn berechtigte überwiegende Belange entgegenstehen. (3) Während der Homeoffice-Arbeit ist der Mitarbeiter verpflichtet, dem Arbeitgeber und den vom Arbeitgeber beauftragten Personen jederzeit mit einer verkehrsüblichen Videokonferenz-Software Einblick in seinen Heimarbeitsplatz zu ermöglichen. § 5 Beendigung der Homeoffice-Tätigkeit (1) Befristet vereinbarte, regelmäßige Homeoffice-Arbeit endet, sobald die vereinbarte Befristung abläuft. (2) Die vereinbarte Homeoffice-Arbeit kann von jeder Seite mit einer Frist von 14 Tagen widerrufen werden. Der Arbeitgeber kann die Vereinbarung zur regelmäßigen Homeoffice-Arbeit nur dann widerrufen, wenn der Widerruf dem Mitarbeiter nach Abwägung der Interessen von Arbeitgeber und Mitarbeiter zugemutet werden kann (§ 106 GewO) und einer der folgenden Widerrufsgründe vorliegt: a) Aufgrund konkreter Tatsachen ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Mitarbeiter seine Arbeitszeit im Homeoffice nicht ordnungsgemäß leistet oder ordnungsgemäß erfasst. b) Wegen einer mangelnden Erreichbarkeit des Mitarbeiters im Homeoffice während Zeiten, in denen Erreichbarkeit üblicherweise erwartet werden kann, werden betriebliche Abläufe wiederholt erheblich gestört. c) Es stellt sich heraus, dass der Heimarbeitsplatz nicht den gesetzlichen Anforderungen des Arbeitsschutzes oder den Anforderungen der einschlägigen Betriebsvereinbarungen gerecht wird. d) Der Mitarbeiter verstößt nachweislich gegen spezifische Pflichten für Homeoffice-Arbeit, z.B. hinsichtlich des Datenschutzes oder der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen. e) Der Mitarbeiter wechselt auf eine andere Position und/oder sein Aufgabenbereich wird wesentlich geändert, wenn dies einvernehmlich erfolgt oder durch den Arbeitgeber unter Beachtung billigen Ermessens (§ 106 GewO) angeordnet wurde. f) Der Mitarbeiter zieht um. g) Die Fortsetzung der Homeoffice-Arbeit stellt sich aus sachlichem Grund, auch unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrung und des bislang gezeigten Verhaltens des Mitarbeiters, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sowie der Interessen der übrigen Mitarbeiter des Betriebes in einer Gesamtwertung als unverhältnismäßig belastend dar, weil die ordnungsgemäße Leistungserbringung, ein reibungsfreier Arbeitsablauf, die wechselseitige Abstimmung mit Vorgesetzten, Kunden und/oder Kollegen und/oder die Aufsicht über den Mitarbeiter unzumutbar beeinträchtigt ist1.

1 Welche AGB-rechtlichen Anforderungen an die transparente Gestaltung eines Widerrufsvorbehaltes zu stellen sind, ist selbst zwischen den Senaten des BAG nicht ganz geklärt. Während sich der 5. Senat vergleichsweise großzügig zeigt und allgemeine Angaben zur Richtung, aus der der Widerruf möglich sein soll (z.B. „wirtschaftliche Gründe“) ausreichen lässt (BAG v. 21.3.2012 – 5 AZR 651/10, ArbRB 2012, 199 = juris Rz. 16), stellt der 9. Senat höhere Anforderungen. Nach dem 9. Senat können Widerrufsgründe gerade nicht derart weit gefasst werden, sondern dürfen ausschließlich typisierte Fallkonstellationen erfassen, in denen im Einzelfall stets ein Sachgrund für einen Widerruf besteht (BAG v. 13.4.2010 – 9 AZR 113/09, ArbRB 2010, 295 = juris Rz. 34 ff.). Damit die Klausel den gestellten, widersprüchlichen Anforderungen gerecht wird, aber gleichzeitig größtmögliche Flexibilität einräumt, sollte der Arbeitgeber eine möglichst weitgefasste Bandbreite von Widerrufsgründen so genau regeln, dass sie den Anforderungen des 9. Senats des BAG standhält. Zusätzlich kann eine weit gefasste Generalklausel aufgenommen werden, die allenfalls den Anforderungen des 5. Senats gerecht würde. Dabei sollte die Regelung insgesamt so formuliert werden, dass die Teilunwirksamkeit der Generalklausel bei Anwendung des bluepencil-Tests nicht zur Unwirksamkeit der übrigen Widerrufsgründe führte. Um die Vermutung des § 139 BGB abzubedingen, sollte unbedingt eine salvatorische Klausel in den Vertrag aufgenommen werden.

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III. Best Practice

Rz. 1.55 § 1

(3) Der Mitarbeiter hat alle Arbeitsmittel, die ihm für die regelmäßige Homeoffice-Arbeit überlassen wurden, – innerhalb von 14 Tagen nach Erklärung des Widerrufs oder – innerhalb von 7 Tagen nach Auslaufen einer Befristung der regelmäßigen Homeoffice-Arbeit oder bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unaufgefordert am Ort der betrieblichen Arbeitsstätte zurückzugeben. § 6 Schlussbestimmungen Sollten einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Parteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Vereinbarung enthaltenen Regelung. … Ort, Datum … Firma

… Mitarbeiter

Der Mitarbeiter bestätigt, dass ihm vom Arbeitgeber zum Zwecke der Homeoffice-Arbeit die folgenden Arbeitsmittel überlassen wurden: l Notebook

l Bildschirm

l Tower-PC

l Netzkabel

l Tastatur

l Maus

l Maus-Pad

l Internetstick

l Drucker

l Mobile Festplatte

l Bürostuhl

l Schreibtisch

l verschließbarer Schrank

l verschließbares Behältnis

l Sonstiges



… Ort, Datum … Mitarbeiter1

3. Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse Um den Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse im Homeoffice sicherzustellen, empfehlen sich spezifische und präzise Vorgaben, deren Beachtung der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer in jedem Einzelfall zwingend einfordert. Eine allgemein gehaltene Aufforderung, Daten angemessen zu schützen, wird sich dagegen in vielen Fällen nicht als effektiv erweisen. Dies hat folgende Gründe: – Die Einhaltung strenger Datenschutzvorgaben ist für den Arbeitnehmer oft lästig, insbesondere, wenn er im zeitlichen Zusammenhang mit der Homeoffice-Arbeit noch anderen privaten Aufgaben wie der Kinderbetreuung nachkommen muss. Lassen die Datenschutzvorgaben Ausle-

1 Solche Empfangsbekenntnisse muss der Arbeitnehmer gesondert unterzeichnen, damit sie wirksam sind (§ 309 Nr. 12 Halbs. 2 BGB).

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1.55

§ 1 Rz. 1.55

Homeoffice und mobiles Arbeiten

gungsspielräume zu, neigen viele Arbeitnehmer dazu, mit diesen Auslegungsspielräumen ihre Nachlässigkeit zu rechtfertigen. – Stiehlt ein Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse oder personenbezogene Daten arglistig, kann der Arbeitgeber oft nur Verstöße gegen Datenschutzvorgaben nachweisen, nicht aber den Diebstahl an sich. Dies reicht in Verbindung mit weiteren Begleitumständen z.T. aus, um eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen oder wenigstens, um Auskunftsansprüche nach § 8 Abs. 1 GeschGehG geltend zu machen (vgl. eingehend Rz. 18.14, Rz. 18.19). Voraussetzung dafür ist aber, dass die Datenschutzvorgaben eindeutig bestimmt sind. Andernfalls kann sich der Arbeitnehmer damit herausreden, er hätte sie anders interpretiert oder nicht verstanden. Z.B. sieht der Arbeitgeber anhand der elektronischen Protokollierung oft nur, dass der Arbeitnehmer einen privaten USB-Stick an Firmenhardware angeschlossen hat, aber nicht, welche Daten der Arbeitnehmer auf diesen USB-Stick kopiert und womöglich gestohlen hat. Dann kann der Arbeitgeber nur dann rechtliche Konsequenzen ziehen, wenn dem Arbeitnehmer der Anschluss privater Datenträger ausdrücklich verboten war. Der Arbeitgeber sollte die Datenschutzvorgaben daher als Dienstanweisung ausformulieren und sich vom Arbeitnehmer bestätigen lassen, dass dieser die Dienstanweisung gelesen und zur Kenntnis genommen hat.

1.56 Zur Einhaltung der Datenschutzvorgaben sollten sämtliche Arbeitnehmer angewiesen werden, die im Homeoffice arbeiten, auch solche Arbeitnehmer, die lediglich gelegentliche Homeoffice-Arbeit verrichten. Gerade bei unregelmäßiger Homeoffice-Arbeit besteht nämlich die Gefahr, dass diese nicht ordnungsgemäß organisiert, dokumentiert und überwacht wird, so dass Datenschutzverstöße umso stärker drohen. Um dies zu vermeiden, ist z.B. eine Handhabung vorstellbar, bei dem die ITAbteilung Hardware für die Homeoffice-Arbeit nur dann herausgibt, wenn der Arbeitnehmer zuvor den Erhalt der jeweils aktuellen Dienstanweisung gegenzeichnet. Die Dienstanweisung, welche die von den Datenschutzbehörden empfohlenen und erwarteten Datenschutzvorgaben umsetzt (vgl. Rz. 1.39 ff.), könnte wie folgt gestaltet werden:

1.57 M 1.3 Dienstanweisung – Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice Dienstanweisung1 – Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice … (Ort), … (Datum) Bei der Homeoffice-Arbeit gelten strenge Vorgaben zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse unseres Unternehmens sowie zum Schutz personenbezogener Daten. Um welche Vorgaben es sich handelt, stellt diese Dienstanweisung dar. Alle Mitarbeiter, die im Homeoffice-Arbeiten wollen, müssen diese Dienstanweisung deshalb sorgfältig lesen und in jedem Einzelfall zwingend beachten. Im Zeitalter der Digitalisierung ist der Datenhandel ein bedeutender Markt und in Teilen auch ein Schwarzmarkt. Aus diesem Grund sind konsequente Schutzvorkehrungen erforderlich, um zu verhindern, dass Geschäftsgeheimnisse unseres Unternehmens sowie personenbezogene Daten von Kunden, Geschäftspartnern und Kollegen gestohlen werden oder auf andere Weise abhandenkommen. Um sich am Markt zu behaupten und den Unternehmenswert zu erhalten, ist unser Unternehmen darauf angewiesen, Geschäftsgeheimnisse vor Mitbewerbern und anderen unbefugten Interessenten geheim zu halten. Der Schutz personenbezogener Daten erfolgt im Interesse aller Mitarbeiter und ist gesetzlich vorgeschrieben. Bei Verstößen drohen hohe Bußgelder. 1 Das Unternehmen sollte deutlich machen, dass es sich bei den Regeln zum Umgang mit personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen um wichtige und verbindliche Vorgaben handelt und der Mitarbeiter diese sorgsam lesen und umsetzen soll. Andernfalls unterschreiben einzelne Mitarbeiter diese womöglich blind. Um die Dringlichkeit zu bekräftigen, bietet es sich z.B. an, das Dokument als „Dienstanweisung“ zu bezeichnen.

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III. Best Practice

Rz. 1.57 § 1

Unser Unternehmen versucht seinen Mitarbeitern großzügig Homeoffice zu ermöglichen, insbesondere um einen flexiblen Ausgleich von Arbeit und Freizeit und die Vereinbarung der Arbeit mit familiärer Verantwortung zu erleichtern. Da unser Unternehmen die Bedingungen, unter denen zuhause gearbeitet wird, nur eingeschränkt kontrollieren und Datenschutzvorkehrungen nicht selbst einrichten kann, ergeben sich zusätzliche Risiken, dass Daten verloren gehen oder gestohlen werden. Um trotz dieser Risiken Homeoffice ermöglichen zu können, sind wir auf eine hohe Eigeninitiative und Selbstdisziplin aller Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, angewiesen, wenn es um den Schutz personenbezogener Daten und Geschäftsgeheimnisse geht. Bitte halten Sie deshalb nachfolgende Datenschutzvorgaben bei der Arbeit im Homeoffice stets ein, damit auch künftig Homeoffice-Arbeit ermöglicht werden kann. Verstöße gegen nachfolgende Bestimmungen können arbeitsrechtliche Konsequenzen haben (Entzug der Berechtigung zur Homeoffice-Arbeit, Abmahnung, Kündigung). Der vorsätzliche Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen (§ 23 GeschGehG) und der gewerbsmäßige Missbrauch personenbezogener Daten (§ 42 BDSG) stellen außerdem Straftaten darf, die durch Polizei und Staatsanwalt verfolgt und mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Sollten Sie Fragen zu dieser Dienstanweisung und begleitenden Maßnahmen haben, stehen Ihnen der Datenschutzbeauftragte unseres Unternehmens und die IT-Abteilung jederzeit gerne zur Verfügung. 1. Was sind Geschäftsgeheimnisse? Was sind personenbezogene Daten? Geschäftsgeheimnisse sind alle Informationen, die nur einem eingeweihten Kreis von Personen, z.B. Mitarbeitern unseres Unternehmens, bekannt sind und deren Kenntnis einen wirtschaftlichen Wert hat, sofern unser Unternehmen sie durch Geheimhaltungsmaßnahmen schützt und an der Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse hat. Dies betrifft z.B. – Informationen zur technischen Funktionsweise der Produkte unseres Unternehmens, z.B. Rezepte, Konzeptionen oder Softwarequellcodes, – strategische Geschäftsplanungen unseres Unternehmens, wie Roadmaps, neue Produktideen und Expansionsstrategien, – nicht veröffentlichte Zahlen und Daten aus dem Rechnungswesen unseres Unternehmens, insbesondere dem Controlling, der kaufmännischen Buchführung sowie der Planungsrechnung, – Kundenübersichten sowie Übersichten zu sonstigen Geschäftspartnern unseres Unternehmens, insbesondere mit konkreten Ansprechpartnern, Kontaktdaten und sonstigen nicht offenkundigen Kundenoder Geschäftspartnerdaten, – Bezugs- und Verkaufspreise sowie Preis- und Kostenkalkulationen unseres Unternehmens, die im Zusammenhang mit dem Bezug und Verkauf von Produkten, Diensten und sonstigen Leistungen als Kalkulationsgrundlage eine Rolle spielen können, – Verträge und sonstige Absprachen mit Kunden, Zulieferern und anderen Geschäftspartnern. Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine bestimmte oder identifizierbare Person beziehen. Der Begriff ist also ausgesprochen weit. Personenbezogene Daten sind z.B. – Name, Anschrift, Kontaktdaten und Alter einer Person, – der Umstand, dass eine Person Kunde oder Mitarbeiter unseres Unternehmens oder auch bloß Absender einer bestimmten E-Mail ist, – Alle Tätigkeiten einer Person, mit denen sie sich beruflich oder in ihrer Freizeit befasst. Personenbezogene Daten sind immer dann geheimhaltungsbedürftig, wenn ein Mitarbeiter im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für unser Unternehmen Zugang zu den personenbezogenen Daten erlangt hat und nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass die Person, auf welche sich die Daten beziehen, Einwände dagegen hätte, wenn ihre personenbezogenen Daten allgemein bekannt werden. 2. Wie ist mein Homeoffice-Arbeitsplatz einzurichten? Der Homeoffice-Arbeitsplatz ist in der Privatwohnung des Mitarbeiters in einem abgegrenzten Bereich einzurichten.

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§ 1 Rz. 1.57

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Allen Mitarbeitern, die im Homeoffice arbeiten, stellt der Arbeitgeber hierfür Firmen-PCs zur Verfügung, die einen geschützten Remote-Zugriff auf das Firmenintranet ermöglichen (i.d.R. über einen VPN-Client). Um den Remote-Zugriff zu ermöglichen, stellt die IT-Abteilung bestimmte Passwörter und andere Authentifizierungsmittel zur Verfügung (z.B. Internetsticks, Freigabe-Applikationen für das Diensthandy). Sofern der Firmen-PC nicht verwendet wird, müssen Aufzeichnungen von Passwörtern und andere Authentifizierungsmittel stets getrennt vom Firmen-PC verwahrt und versteckt werden. Zur Verwahrung von Papierunterlagen und mobilen Datenträgern, die Geschäftsgeheimnisse und geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten enthalten, überlässt der Arbeitgeber dem Mitarbeiter ein verschließbares Behältnis. Sofern der Mitarbeiter an diesen Unterlagen nicht gerade arbeitet, sind diese in dem Behältnis zu verwahren und das Behältnis ist zu verschließen. Schlüssel und Passwörter sind getrennt und versteckt zu verwahren, sodass Dritte keinen Zugriff erhalten. Während der Arbeit muss der Homeoffice-Arbeitsplatz in einem geordneten Zustand sein. Dies erfordert insbesondere, dass der Arbeitsbereich so freigeräumt wird, dass sich keine privaten Unterlagen und keine sonstigen privaten Gegenstände mit Arbeitsunterlagen und Arbeitsmitteln vermischen können. Nach Beendigung der Homeoffice-Arbeit oder vor längeren Pausen ist der Homeoffice-Arbeitsplatz zu räumen. Dies bedeutet, dass die Computerhardware heruntergefahren und Papierunterlagen sowie mobile Datenträger mit Geschäftsgeheimnissen und geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten im hierzu überlassenen Behältnis verschlossen werden. Passwörter, Schlüssel und Authentifizierungsmittel sind an den dafür vorgesehenen Orten versteckt zu verwahren. 3. Wie verarbeite ich Geschäftsgeheimnisse und personenbezogene Daten im Homeoffice? Die Verarbeitung von Geschäftsgeheimnissen und geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten im Homeoffice darf nur in dem hierfür vorgesehenen und eingerichteten Arbeitsbereich erfolgen. Während der Arbeit dürfen dritte Personen weder Zutritt noch Einsicht in diesen Arbeitsbereich erhalten. Geschäftsgeheimnisse und geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten dürfen dritten Personen auch nicht auf andere Weise zur Kenntnis gebracht werden. Geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse sind grundsätzlich elektronisch zu verarbeiten. Unterlagen in Papierform, aus denen geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten und Geschäftsgeheimnisse zu ersehen sind, dürfen nur dann angefertigt und ins Homeoffice verbracht werden, wenn dies aus sachlichen Gründen erforderlich ist. Allein der Umstand, dass ein Mitarbeiter aus persönlicher Neigung Unterlagen lieber in Papierform als am Bildschirm liest, rechtfertigt dies nicht. Zur Verarbeitung elektronischer Daten, die geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten oder Geschäftsgeheimnisse enthalten, darf jeder Mitarbeiter nur die überlassenen Firmen-PCs nebst der zugehörigen Hardware verwenden. Elektronische Dateien und Dokumente sind unter Verwendung des Remote-Zugriffs ausschließlich im Firmensystem abzulegen. Der Einsatz privater PCs und anderer Hardware ist zu diesem Zweck untersagt. Keinesfalls darf sich der Mitarbeiter auf privaten Datenträgern oder privaten Onlinespeichermedien Kopien der elektronischen Daten anfertigen. Es ist untersagt, die überlassenen Firmen-PCs nebst der zugehörigen Hardware für private Zwecke zu nutzen. Es ist ebenfalls untersagt, auf den Firmen-PCs eigenmächtig Software-Anwendungen zu installieren, die hierzu nicht betrieblich freigegeben wurden. Papierunterlagen, die geheimhaltungsbedürftige personenbezogene Daten oder Geschäftsgeheimnisse enthalten, dürfen nicht im privaten Hausmüll entsorgt werden, sofern sie nicht zuvor mit einem Aktenvernichter zerkleinert wurden. 4. Wie transportiere ich Dokumente mit Geschäftsgeheimnissen und personenbezogenen Daten von der Betriebsstätte in das Homeoffice und umgekehrt? Grundsätzlich sind Dokumente mit Geschäftsgeheimnissen und geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten elektronisch zu verarbeiten und hierzu über das Internet unter Einsatz des eingerichteten Remote-Zugriffs im Homeoffice aufzurufen. Der Transport von Dokumenten mit geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen in physischer Form, sei es auf mobilen Datenträgern, sei es mit Papierunterlagen, er-

34

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 1.59 § 1

folgt nur im Ausnahmefall, wenn dies aus besonderen Gründen erforderlich ist. In diesem Fall müssen die Dokumente stets in einem geschlossenen Behältnis transportiert werden. 5. Wie reagiere ich bei einem Verlust von Dokumenten oder anderen Sicherheitslücken? Sobald dem Mitarbeiter konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass – Unterlagen mit Geschäftsgeheimnissen oder geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten verloren gegangen sind, – unbefugte Dritte Einsicht in Unterlagen mit Geschäftsgeheimnissen oder geheimhaltungsbedürftigen personenbezogenen Daten genommen haben, – Bestandteile der überlassenen Firmen-Hardware gestohlen oder verloren gegangen sein könnten oder – Dritte möglicherweise Zugriff auf den überlassenen Firmen-PC haben, z.B. weil der Mitarbeiter SoftwareAnwendungen auf dem Firmen-PC bemerkt, die durch die Firma nicht eingerichtet wurden und bei denen es sich um Viren oder vergleichbare Schadsoftware handeln könnte oder weil Aufzeichnungen mit Passwörtern oder andere Authentifizierungsmittel nicht mehr auffindbar und deshalb möglicherweise gestohlen wurden oder verloren gegangen sind, muss der Mitarbeiter unverzüglich den zuständigen Vorgesetzten informieren. Mehrtätiges Abwarten in der Hoffnung, dass verschwundene Gegenstände doch noch auftauchen, ist nicht zulässig. Ich bestätige, dass ich vorstehende Dienstanweisung „Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice“ sorgfältig gelesen und zur Kenntnis genommen habe. … Datum, Ort

… Name des Mitarbeiters

… Unterschrift

4. Gefährdungsbeurteilung des Homeoffice-Arbeitsplatzes Arbeitet ein Arbeitnehmer regelmäßig im Homeoffice, muss für den Homeoffice-Arbeitsplatz vor 1.58 Aufnahme dieser Tätigkeit eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und deren Durchführung dokumentiert werden (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 3 ArbStättVO, vgl. Rz. 1.28 ff.). Da die Arbeitsschutzanforderungen an die Gestaltung von Homeoffice-Arbeitsplätzen einheitlich sind, kann die Gefährdungsbeurteilung nach einer einheitlichen Checkliste durchgeführt werden. Die Aufgabe, diese Checkliste auszufüllen, kann an den Arbeitnehmer delegiert werden, um den Prozess zu vereinfachen. Um die Angaben des Arbeitnehmers zu überprüfen, kann sich der Arbeitgeber den Homeoffice-Arbeitsplatz in einer Videokonferenz zeigen lassen oder zumindest die Vorlage von Fotos fordern (vgl. Rz. 1.20).

1.59

Die Checkliste kann wie folgt gestaltet werden:

M 1.4 Prüfbogen – Gefährdungsbeurteilung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes Prüfbogen – Gefährdungsbeurteilung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes Arbeitsschutzrechtliche Anforderung: I.

Arbeitsraum

I.1

Ist das Homeoffice in einem abgegrenzten Bereich in der Wohnung des Mitarbeiters eingerichtet?

gewahrt

nicht gewahrt

unsicher

Grimm/Singraven

35

§ 1 Rz. 1.59

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Arbeitsschutzrechtliche Anforderung: I.2

Hat der Arbeitsbereich mindestens eine Fläche von 8 m2?1

I.3

Verfügt der Arbeitsbereich wenigstens über ein Fenster, aus dem Tageslicht auf den eingerichteten Arbeitsplatz fällt2 und das sich zum Zwecke der Belüftung öffnen lässt?3

I.4

Kann der Arbeitsbereich so beheizt werden, dass die Temperatur ganzjährig zwischen 20 °C und 26 Grad liegt?4

I.5

Unterliegt der Arbeitsbereich keiner regelmäßigen Lärmbelastung?5

I.6

Bestehen keine Gefahrenquellen, die zu Unfällen führen können, wie z.B. Schränke, die umstürzen können, Stolperstellen, ungewöhnlich glatte Fußböden oder offene Stromkabel?6

II.

Ausstattung

II.1

Besteht eine gesicherte Stromversorgung und eine stabile, ausreichend schnelle Internetverbindung?

II.2

Steht ein Arbeitstisch zur Verfügung, der eine Breite von mindestens 120 cm, eine Tiefe von mindestens 80 cm7 und eine Höhe von ca. 72 cm aufweist? Löst die Arbeitsfläche des Arbeitstisches keine Direkt- und Reflexblendungen aus, wenn Licht darauf fällt?8

II.3

Steht ein vom PC getrennter und höhenverstellbarer Flachbildschirm zur Verfügung, der sich neigen lässt9? Ist die Bilddarstellung auf dem Flachbildschirm auch bei längerer Arbeit für das Auge angenehm?10

II.4

Stehen vom PC getrennte Maus und Tastatur zur Verfügung?11

II.5

Steht ein Schreibtischstuhl zur Verfügung, der kippsicher ist, eine höhenverstellbare Sitzfläche und Rückenlehne besitzt und wechselnde Sitzhaltungen ermöglicht?12

III.

Einrichtung und Nutzung

III.1

Wurde der Mitarbeiter in Hinblick auf die Homeoffice-Arbeit arbeitsschutzrechtlich unterwiesen?13

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

36

gewahrt

nicht gewahrt

unsicher

Ziff. 5 Abs. 4 ASR A1.2 „Raumabmessungen und Bewegungsflächen“. Ziff. 4 ASR A3.4 „Beleuchtung“. ASR A3.6 „Lüftung“. Vgl. ASR A3.5 „Raumtemperatur“. ASR A3.7 „Lärm“. § 3 ArbSchG. Anhang Ziff. 6.1 Abs. 6 ArbStättVO. Anhang Ziff. 6.1 Abs. 5 ArbStättVO. Anhang Ziff. 6.3 Abs. 1 ArbStättVO. Anhang Ziff. 6.2 ArbStättVO. Anhang Ziff. 6.3 Abs. 2 Nr. 1 ArbStättVO. DGUV, Information 215-410 Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung, S. 60 ff. § 1 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 3 ArbStättVO.

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III. Best Practice Arbeitsschutzrechtliche Anforderung: III.2

Ist der Arbeitsplatz wenigstens durch zwei Lichtquellen beleuchtet?1

III.3

Sind die Lichtquellen so eingerichtet, dass sie sich nicht im Bildschirm spiegeln, der Mitarbeiter bei der Arbeit aber auch nicht in Gegenlicht schaut (z.B. indem der Schreibtisch orthogonal zum Fenster aufgestellt ist)?2

III.4

Beträgt der Abstand zum Bildschirm 50–80 cm3, wenn der Mitarbeiter am Arbeitstisch sitzt? Steht dabei vor der Tastatur eine Tischfläche von 10–15 cm für das Auflegen der Hände zur Verfügung?4

III.5

Ist der Bildschirm so hoch eingestellt, dass bei der Schreibtischarbeit die Augen etwa auf Höhe des oberen Bildschirmrandes sind? Ist der Monitor so weit nach hinten geneigt sein, dass der Blick senkrecht auf den Bildschirm trifft?5

III.6

Ist die Bildschirmauflösung so eingestellt, dass der Text weder zu groß noch zu klein ist?6

III.7

Herrscht unter dem Arbeitstisch ausreichende Beinfreiheit?7

III.8

Hat der Mitarbeiter vor dem Arbeitstisch eine wenigstens 1,5 m2 große und 1 m tiefe Bewegungsfläche?8

IV.

Daten- und Geheimnisschutz

IV.1

Wurde der Mitarbeiter schriftlich über die vorgeschriebenen Vorkehrungen zum Schutz von personenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen im Homeoffice informiert?

IV.2

Steht ein verschließbares Behältnis zur Verfügung, in dem geheimhaltungsbedürftige Unterlagen verwahrt werden können?

IV.3

Ist entsprechend der Vorgaben der IT-Abteilung ein funktionierender Remote-Zugriff eingerichtet, mit dem der Mitarbeiter auf betriebliche Unterlagen zugreifen kann?

IV.4

Ist der Arbeitsbereich so freigeräumt, dass sich keine privaten Unterlagen und private Gegenstände mit Arbeitsunterlagen und Arbeitsmitteln vermischen können?

IV.5

Ist ein Prozess abgestimmt, um nicht mehr benötigte Papierunterlagen mit geheimhaltungsbedürftigen Informationen ordnungsgemäß zu vernichten (z.B. durch Aktenvernichter oder Verbringung in die Betriebstätte)?

gewahrt

nicht gewahrt

Rz. 1.59 § 1 unsicher

1 Anhang Ziff. 6.3 Abs. 8 Satz 1 ArbStättVO. 2 Anhang Ziff. 6.3 Abs. 8 Satz 2 ArbStättVO; DGUV, Information 215-410 Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung, S. 74 f. 3 DGUV, Information 215-410 Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung, S. 39. 4 Anhang Ziff. 6.1 Abs. 6 Satz 2 ArbStättVO. 5 Anhang Ziff. 6.1 Abs. 1 Satz 2 ArbStättVO. 6 Anhang Ziff. 6.2 Abs. 1 ArbStättVO. 7 DGUV, Information 215-410 Bildschirm- und Büroarbeitsplätze Leitfaden für die Gestaltung, S. 58 f. 8 Ziff. 5.1.1 ASR A1.2 „Raumabmessungen und Bewegungsflächen“.

Grimm/Singraven

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§ 1 Rz. 1.59

Homeoffice und mobiles Arbeiten

Arbeitsschutzrechtliche Anforderung: IV.6

gewahrt

nicht gewahrt

unsicher

Hat der Mitarbeiter einen geheimen Ort festgelegt, an dem er Aufzeichnungen von Passwörtern, Schlüssel und Authentifizierungsmittel getrennt von der Hardware verwahren kann und den Dritte, auch etwaige Mitbewohner nicht kennen?

Ich, … (Name des Mitarbeiters in Druckbuchstaben) habe den Prüfbogen vollständig ausgefüllt. Ich bestätige, dass ich meinen häuslichen Arbeitsplatz sorgfältigen überprüft und diesen Prüfbogen wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt habe. Soweit ich bei Fragestellungen Verständnisschwierigkeiten hatte, habe ich diese durch Rückfragen ausgeräumt oder die Spalte „unsicher“ angekreuzt. … (Ort, Datum)

… (Unterschrift des Mitarbeiters)

Ich, … (Name eines zuständigen Vorgesetzten oder Arbeitsschutzbeauftragten in Druckbuchstaben) bestätige, dass mir der Mitarbeiter seinen eingerichteten häuslichen Arbeitsplatz l in einer Videokonferenz l durch Fotos l bei einer Begehung vor Ort gezeigt hat und ich seine Angaben auf diesem Prüfbogen auf diese Weise jeweils gesondert überprüft habe. Dabei lag mir der ausgefüllte Prüfbogen vor. Meine Prüfung hat die Angaben des Mitarbeiters im Prüfbogen bestätigt. … (Ort, Datum)

… (Unterschrift des Vorgesetzten/Arbeitsschutzbeauftragten)

5. Arbeitsschutzrechtliche Unterweisung 1.60 Arbeitet ein Arbeitnehmer regelmäßig im Homeoffice, muss ihn der Arbeitgeber vor Aufnahme der Tätigkeit arbeitsschutzrechtlich unterweisen (§§ 6, 1 Abs. 3 Nr. 2 ArbStättVO, § 12 ArbSchG). Die Unterweisung muss zumindest insoweit interaktiv ausgestaltet werden, als dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit erhält, Fragen zu stellen (vgl. Rz. 1.23). Dies geht am schnellsten, wenn der zuständige Vorgesetzte dem Arbeitnehmer ein Merkblatt mit den maßgeblichen Informationen zur selbständigen Lektüre überlässt und ihm am nächsten Tag Fragen zu diesem Merkblatt beantwortet. Die Einhaltung des Prozesses ist z.B. durch Unterschrift auf dem Merkblatt zu dokumentieren (§ 4 Abs. 1 DGUVVorschrift 1).

1.61 Das Merkblatt kann wie folgt gestaltet werden: M 1.5 Merkblatt – Arbeitsschutz und Arbeitszeit im Homeoffice Merkblatt – Arbeitsschutz und Arbeitszeit im Homeoffice – zur arbeitsschutzrechtlichen Unterweisung nach § 6 ArbStättVO, § 12 ArbSchG vor Aufnahme einer regelmäßigen Arbeit im Homeoffice. Bei regelmäßiger Arbeit im Homeoffice ist der Mitarbeiter verpflichtet, seinen Arbeitsplatz in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Arbeitsschutzvorgaben einzurichten und die Arbeit selbständig gesetzeskonform zu organisieren. Die gesetzlichen Vorgaben dienen dem Schutz der körperlichen und psychischen Gesundheit des Mitarbeiters und beruhen auf gesicherten arbeitswissenschaftlichen und arbeitsmedizinischen Erkenntnissen.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 1.61 § 1

Nachstehende Vorgaben sind deshalb zu beachten: 1. Welche Räumlichkeiten eigenen sich für eine regelmäßige Arbeit im Homeoffice? Für die Homeoffice-Arbeit ist ein abgegrenzter Bereich einzurichten. Der Arbeitsbereich sollte folgende Merkmale aufweisen: – Ungehinderter Zugang (Mindestbreite 60 cm) zur Gewährleistung von Flucht- und Rettungswegen – Mindestgröße von 8 m2 – Möglichkeiten der Belüftung und Beheizung – Angemessene Temperierung (zu allen Jahreszeiten zwischen 20 °C und 26 °C) – Ausreichende Höhe (mind. 2 m) – Vorhandene Sichtverbindung nach außen (Fenster) – Freie Zugänglichkeit der Fenster, um diese zu öffnen, zu schließen und zu reinigen – Schutzvorkehrungen gegen Sonneneinstrahlung (Rollos, Jalousien, etc.) – Tragfähiger, ebener und rutschhemmender Fußboden (insbesondere keine Stolperstellen) – Keine permanente Lärmbelastung – Gewährleistung einer sicheren Stromversorgung, die ausreichend elektrisch abgesichert ist 2. Welches Arbeitsmittel und welches Mobiliar werden benötigt? Für die arbeitsschutzkonforme Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes, an dem der Mitarbeiter nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmäßig arbeitet, müssen zumindest folgende Arbeitsmittel zur Verfügung stehen: – Der Arbeitsraum muss über einen ausreichend großen Arbeitstisch verfügen, der den Mittelpunkt des Arbeitsplatzes bildet (Breite: ca. 120 cm bei der Verwendung eines Bildschirms und nur wenigen Unterlagen, andernfalls ca. 160 cm; Tiefe 80 cm). – Dieser Arbeitstisch sollte eine Höhe von 72 cm aufweisen. – Die Oberfläche des Arbeitstisches sollte keine Direkt- und Reflexblendungen auslösen. – Der Schreibtischstuhl sollte kippsicher sein (z.B. 5 Abstützpunkte bei Rollen). – Sitzfläche und Rückenlehne des Schreibtischstuhles sollten höhenverstellbar sein. – Der Stuhl sollte wechselnde Sitzhaltungen erlauben. – Der Arbeitsplatz-Computer muss über einen getrennten Flachbildschirm verfügen, der sich kippen und in der Höhe verstellen lässt. Das Bild auf dem Flachbildschirm sollte auch bei längerer Arbeit angenehm für die Augen sein. Auch getrennte Maus und Tastatur müssen zur Verfügung stehen. 3. Wie ist der Arbeitsplatz einzurichten? Der Arbeitsplatz ist ergonomisch einzurichten und so zu gestalten, dass konzentriertes, störungsfreies Arbeiten möglich ist. Dabei ist Folgendes zu beachten: – Der Arbeitsplatz sollte ausreichend beleuchtet sein und dazu insbesondere über mehrere Lichtquellen verfügen. – Geräte sind so aufzustellen, dass möglichst keine Fenster oder Lichtquellen sich darin spiegeln oder ins Gegenlicht geschaut werden muss. Tageslicht kommt am besten von der Seite (Aufstellen des Bildschirms 90 ° zum Fenster hin).

Grimm/Singraven

39

§ 1 Rz. 1.61

Homeoffice und mobiles Arbeiten

– Der Abstand zum Bildschirm sollte 50-80 cm betragen. Bei der nicht nur kurzfristigen Arbeit sollten eine separate Tastatur, Maus und auch ein separater Bildschirm statt eines Notebooks genutzt werden, da dies eine ergonomischere Arbeitshaltung ermöglicht. Vor der Tastatur sollte eine Tischfläche von 10-15 cm für das Auflegen der Hände zur Verfügung stehen. – Der Bildschirm sollte so eingestellt werden, dass der Mitarbeiter entspannt von oben auf den Bildschirm herabsieht (vergleichbar mit einer entspannten Haltung beim Lesen eines Buches). Dies wird erreicht, indem die Augen etwa auf Höhe des oberen Bildschirmrandes sind. Für optimales Sehen sollte der Monitor so weit nach hinten geneigt sein, dass der Blick senkrecht auf den Bildschirm trifft. So ist sichergestellt, dass der Kopf beim Blick auf den Monitor leicht gesenkt ist, was Verspannungen im Nacken und Rückenbereich vorbeugt. – Die Bildschirmauflösung sollte so eingestellt werden, dass angezeigte Texte nicht zu groß und nicht zu klein sind. Hierbei unterstützt auf Nachfrage die IT-Abteilung. – Die Arbeitsumgebung sollte insgesamt so beschaffen sein, dass der Mitarbeiter keinen offensichtlichen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt ist (z.B. durch offen liegende Stromkabel, Zugluft, wackelige Möbel, die umstürzen könnten, etc.). – Unter dem Arbeitstisch sollte ausreichend Beinfreiheit und um den Schreibtisch insgesamt ausreichende Bewegungsfreiheit herrschen. Vor dem Schreibtisch sollte eine wenigstens 1,5 m2 große und 1 m tiefe Bewegungsfläche zur Verfügung stehen. 4. Welche Arbeitszeitvorgaben bestehen bei der Arbeit im Homeoffice? Die Arbeitszeiteinteilung jedes Mitarbeiters richtet sich auch im Homeoffice nach den für ihn jeweils einschlägigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sowie den Anweisungen des Vorgesetzten. Wenn Sie unsicher sind, welche Vorgaben für Sie maßgeblich sind, wenden Sie sich bitte mit Ihren Fragen an Ihren Vorgesetzten oder die Personalabteilung. Bei der Arbeitszeiteinteilung sind die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zwingend einzuhalten. Soweit Mitarbeiter ihre Arbeitszeit im Homeoffice selbst gestalten können, müssen sie auch selbständig darauf achten, dass diese Vorgaben gewahrt werden und ihre Arbeitstage entsprechend planen. Folgende Vorgaben dürfen nicht verletzt werden: – Eine tägliche Arbeitszeit von 10 Stunden darf nicht überschritten werden. – Eine wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden darf im Durchschnitt nicht überschritten werden. – Der Mitarbeiter muss Ruhepausen von mindestens 30 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden und 45 Minuten bei einer Arbeitszeit von mehr als neun Stunden einlegen. Jede Ruhepause muss mindestens 15 Minuten umfassen. Länger als sechs Stunden hintereinander darf der Mitarbeiter nicht ohne Ruhepause arbeiten. – An Sonn- und Feiertagen darf grundsätzlich nicht gearbeitet werden. – Jeder Mitarbeiter muss nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden einhalten. Ist für den Folgetag ein frühzeitiger Arbeitsantritt vorgesehen, so muss der Mitarbeiter die Arbeit am Vortrag so rechtzeitig beenden, dass die gesetzlich vorgesehene Ruhezeit eingehalten werden kann. 5. Was ist bei der Arbeit im Homeoffice noch zu beachten? Ununterbrochene, überbeanspruchende Bildschirmarbeit kann zu Kopf- und Augenschmerzen führen oder eine Verspannung im Nacken- und Schulterbereich sowie des Arms, mit dem die Maus geführt wird, hervorrufen. Einer solchen Überbeanspruchung sollte der Mitarbeiter deshalb durch Ausgleichshandlungen vorbeugen. Wenn ein Mitarbeiter einen Arbeitstag länger am Bildschirm arbeiten muss, sollte er darauf achten, dass er diese Tätigkeit regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Erholungspausen unterbricht. Bei längerer Arbeit im Homeoffice sollte der Mitarbeiter öfter die Sitzhaltung ändern und Bewegungspausen machen, um Verspannungen in Nacken und Rücken vorzubeugen.

40

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 1.62 § 1

Durch regelmäßige sportliche Übungen (z.B. Yoga, Gymnastik, Schwimmen) lassen sich Muskelpartien trainieren und Gelenkpartien in ihrer Beweglichkeit stärken, die durch die einseitigen Belastungen bei Bildschirmarbeit sonst unterbeanspruch wären. Auf diese Weise kann der Mitarbeiter Haltungsschäden vorbeugen. 6. Wer hilft mir, wenn ich Fragen oder Probleme habe? Mitarbeiter, die technische Probleme oder Fragen bei der Einrichtung von Hard- und Software haben, können sich jederzeit an die IT-Abteilung wenden. Bei sonstigen arbeitsschutzrechtlichen Fragen und Problemen stehen die Sicherheitsbeauftragten des Betriebes, der Betriebsarzt oder die Fachkraft für Arbeitssicherheit zur Verfügung. Sollten sich bei Abstimmungsprozessen Schwierigkeiten ergeben, erhält jeder Mitarbeiter Unterstützung durch seinen Vorgesetzten oder die Personalabteilung. Ich … (Name des Mitarbeiters in Druckbuchstaben) habe das vorstehende Merkblatt Arbeitsschutz und Arbeitszeit im Homeoffice sorgfältig gelesen. Anschließend habe ich es am … (Datum) mit l meinem Vorgesetzten l dem zuständigen Arbeitsschutzbeauftragten … (Name in Druckbuchstaben) besprochen. Dabei hatte ich die uneingeschränkte Möglichkeit, Fragen zu stellen, die mir gründlich beantwortet wurden. … (Ort, Datum)

… (Unterschrift des Mitarbeiters)

6. Mobileoffice Fallkonstellationen, in denen Arbeitnehmer mobil arbeiten, sind vielfältig und unterschiedlich. Bislang ist es daher eher unüblich, dass Unternehmen einheitliche Prozessvorgaben für die Durchführung mobiler Arbeit festlegen. Stattdessen werden Vorgaben zur mobilen Arbeit in unterschiedlichen Sachzusammenhängen getroffen und sollten dann mitbedacht werden: – Anders als die Arbeit im Homeoffice (bei der Art. 13 GG zu beachten ist, vgl. Rz. 1.8) kann der Arbeitgeber mobile Arbeit in Ausübung seines allgemeinen Direktionsrechtes anordnen, sofern keine abweichenden vertraglichen oder kollektivrechtlichen Vorgaben bestehen. Einer Formularvereinbarung bedarf es hierzu nicht1. – Eine gesonderte Gefährdungsbeurteilung jedes denkbaren Mobileoffice-Arbeitsplatzes ist schwer möglich und jedenfalls nicht zumutbar (Rz. 1.19). Die Beurteilung der Gefährdungen mobiler Arbeit erfolgt üblicherweise als Unteraspekt im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung von beruflichen Positionen, bei denen mobile Arbeit geleistet werden muss. Alternativ kann das Unternehmen auch eine abstrakte und umfassende Gefährdungsbeurteilung zu den Risiken mobiler Arbeit durchführen. Vom Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung hängt ab, zu welchen Arbeitsschutzmaßnahmen sich das Unternehmen entschließt. – Regelungen zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen und personenbezogenen Daten, die außerhalb der Betriebsstätte transportiert oder verarbeitet werden, werden üblicherweise im Rahmen der allgemeinen Unternehmensrichtlinien zum Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz festgelegt. Da es sich bei mobiler Arbeit um eine typische Gefährdungssituation handelt, sollten die Richtlinien hierauf einen Schwerpunkt legen (vgl. Rz. 18.1 ff.). – In Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit legen die Betriebsparteien üblicherweise fest, wie die Arbeitszeit während Dienstreisen erfasst wird und welche Tätigkeiten während einer Dienstreise als Arbeitszeit gelten. 1 Hunold, NZA-RR 2018, 63 (63 ff.).

Grimm/Singraven

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1.62

§ 2 Rz. 2.1

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

§2 Desk-Sharing, Open Space und Co-Working I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Desk-Sharing und Open Space a) Individualrechtliche Umsetzung . . . . . b) Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Anforderungen . . . . . . . . c) Daten- und Geheimnisschutz . . . . . . . d) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 BetrVG (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG . . . . . . . (3) § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG . . . . . . . (4) § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG . . . . . . . bb) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 99, 95 BetrVG .

2.1

2.5 2.6 2.9 2.10 2.11 2.14 2.16 2.17 2.18 2.24 2.29 2.32

cc) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 111, 112 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Co-Working a) Individualrechtliche Umsetzung . . . . . b) Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Daten- und Geheimnisschutz . . . . . . . d) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 BetrVG (1) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG . . . . . . . (3) § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG . . . . . . . (4) § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG . . . . . . . bb) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 99, 95 BetrVG . cc) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 111, 112 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.35 2.39 2.41 2.42 2.44 2.45 2.46 2.47 2.49 2.50 2.52 2.55

Literatur: Grimm/Singraven, Desk-Sharing und Co-Working als neue Arbeitsplatz-Modelle, ArbRB 2019, 175; Günther/Böglmüller, Digital Leadership – Mitarbeiterführung in der Arbeitswelt 4.0, NZA 2017, 546; Kramer, IT-Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Kohte, Anmerkung zu LAG Düsseldorf v. 09.01.2018 – 3 TaBVGa 6/17, NZA-RR 2018, 368; Martin, Neue Bürokonzepte und Mitbestimmung, AiB 2007, 642; Meyer, Betriebsübergang 4.0, NZA 2020, 1273; Oltmanns/Fuhlrott, Desk-Sharing & Coworking-Spaces: Arbeitsrechtliche Besonderheiten zweier „moderner Arbeitsformen“, NZA 2018, 1225; Schulze/Volk, Agile Arbeitsmethoden und Mitbestimmung – Teil 2, ArbRAktuell 2019, 553; Steffan, Arbeitszeit(recht) auf dem Weg zu 4.0, NZA 2015, 1409; Stück, New Work – new rules? Ausgewählte arbeitsrechtliche Aspekte der Planung und Umsetzung moderner Bürokonzepte, ArbRAktuell 2018, 409; Vogt/Sothmann, Von „Home-Office“ bis „Co-Working“ – Herausforderungen an der Schnittstelle zwischen Arbeits- und Datenschutzrecht, SPA 2019, 169; Volk, Desk-Sharing und Gesundheitsschutz, ARP 2020, 157.

I. Worum geht es? 2.1 Desk-Sharing, Open Space und Co-Working sind moderne Arbeitsplatzkonzepte, die neben und insbesondere in Kombination mit dem „klassischen“ Homeoffice (dazu § 1) und dem Mobileoffice (dazu § 1) an Bedeutung gewinnen.

2.2 Desk-Sharing ist dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitgeber innerhalb eines Organisationsbereichs weniger Arbeitsplätze zur Verfügung stellt, als Mitarbeiter innerhalb dieses Bereichs tätig sind. Die Mitarbeiter haben damit keine festen „eigenen“ Arbeitsplätze mehr, sondern müssen sich

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Gehrke

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.5 § 2

jeweils zum Arbeitsbeginn einen Arbeitsplatz suchen1. Häufig wird das Desk-Sharing kombiniert mit einem Open Space-Konzept, in dem sich die Einzelarbeitsplätze innerhalb einer offenen Bürolandschaft befinden. Neben den Einzelarbeitsplätzen werden zusätzliche Arbeitsbereiche geschaffen (Arbeitsplätze für besonders konzentriertes Arbeiten, Meetingräume, Think Tanks, Quiet Spaces etc.), um etwa größere Besprechungen oder vertrauliche Gespräche und Telefonate zu ermöglichen2. Die tägliche Suche nach freien Arbeitsplätzen im Rahmen von Desk-Sharing/Open Space-Konzepten kann über eine entsprechende Buchungssoftware oder schlicht nach dem Prinzip ‚first come, first served‘ durchgeführt werden. Da die Arbeitnehmer keinen persönlichen Arbeitsplatz mehr haben, verfügen sie meist über einen Laptop, ein Mobiltelefon und oft auch über Rollcontainer vor Ort, in denen sie ihre persönlichen Sachen aufbewahren und an ihren tagesaktuellen Arbeitsplatz verbringen können3. Der Einführung von Desk-Sharing bzw. Open Space liegt auf Arbeitgeberseite häufig ein Rationalisierungsinteresse zugrunde. Durch die Reduzierung der Einzelarbeitsplätze, die aufgrund wechselseitiger Urlaube, krankheitsbedingter Abwesenheiten oder der Ermöglichung von Arbeit im Homeoffice/Mobileoffice numerisch ohnehin nicht erforderlich sind, lassen sich kostenintensive Bürokapazitäten sparen. Durch die Einführung offenerer Arbeitsplatzstrukturen soll zudem die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Mitarbeitern erleichtert werden4.

2.3

Co-Working-Konzepte gehen einen Schritt weiter und lassen die Grenzen der klassischen, räumlich 2.4 begrenzten Betriebsstätte noch ein Stück weiter verschwimmen. Beim Co-Working werden in der Regel durch externe Dienstleister vollständig eingerichtete Büroräume für die Mitarbeiter verschiedener Unternehmen sowie für Freiberufler oder Gewerbetreibende zur Verfügung gestellt5. Co-Working dient in der Regel nicht in erster Linie der Kostenreduzierung. Zwecke der Einführung von Co-Working sind vielmehr der Aufbau eines Netzwerks mit anderen Unternehmen und Unternehmern sowie die Nutzung von Denkanstößen und Inspiration für die eigenen Mitarbeiter6.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Einleitung Bei der Planung und Umsetzung moderner Bürokonzepte sind die folgenden rechtlichen Problemkreise zu bedenken: – Die Einführung entsprechender Konzepte muss individualrechtlich umsetzbar sein (dazu Rz. 2.7 f. und Rz. 2.40). – Der Einhaltung der arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen muss sichergestellt werden (dazu Rz. 2.9 ff. und Rz. 2.41). – Datenschutzrechtliche Vorgaben sind einzuhalten (dazu Rz. 2.14 f. und Rz. 2.42 f.). – Etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind zu berücksichtigen (dazu Rz. 2.16 ff. und Rz. 2.44 ff.).

1 2 3 4 5 6

Fuhlrott in Kramer, B. Rz. 26. Steffan, NZA 2015, 1409 (1415). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (175); Stück, ArbRAktuell 2018, 409 (409). Martin, AiB 2007, 642 (645). Fuhlrott in Kramer, B. Rz. 29. Fuhlrott in Kramer, B. Rz. 30.

Gehrke

43

2.5

§ 2 Rz. 2.6

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

2. Desk-Sharing und Open Space a) Individualrechtliche Umsetzung 2.6 Da Desk-Sharing überwiegend im Rahmen von bestehenden oder neu geschaffenen Open SpaceKonzepten praktiziert wird, werden beide Modelle nachfolgend einheitlich betrachtet.

2.7 Dem Arbeitgeber steht es grundsätzlich im Rahmen seines Weisungsrechts nach § 106 GewO frei, Desk-Sharing/Open Space einzuführen, sofern – was der Regelfall sein dürfte – der Arbeitsvertrag keine konkrete Verortung des Arbeitsplatzes innerhalb der Arbeitsorganisation festlegt1. Dem Arbeitgeber steht die unternehmerische Freiheit zu, Büroräume nach seiner Vorstellung einzurichten und zu strukturieren, um den arbeitstechnischen Zweck effektiv zu verfolgen. Er muss sich hierbei allerdings an die gesetzlichen Vorgaben, wie beispielsweise die Arbeitsstättenverordnung, halten. Dem Arbeitnehmer steht demgegenüber kein Anspruch auf einen festen „eigenen“ Arbeitsplatz im Betrieb zu2. Damit dürfte sich die Einführung von Desk-Sharing/Open Space grundsätzlich auch im Rahmen des billigen Ermessens nach § 315 Abs. 3 BGB halten3.

2.8 Problematisch kann die einseitige Anordnung allerdings gegenüber einem Mitarbeiter dann werden, wenn dieser ausnahmsweise Funktionen innehat, die eine besondere Geheimhaltung erfordern, er als Schwerbehinderter einen mit staatlichen Mittel geförderten Arbeitsplatz hat4 oder gesundheitliche Gründe besondere Anforderungen an den konkreten Arbeitsplatz stellen5. Im Hinblick auf das Bedürfnis der besonderen Geheimhaltung können grundsätzlich allerdings auch bestimmte Maßnahmen ergriffen werden, die eine Umsetzung von Desk-Sharing/Open Space-Konzepten ermöglichen. So können auch im Zusammenhang mit Desk-Sharing/Open Space-Konzepten abgetrennte Räume für vertrauliche Gespräche zur Verfügung gestellt werden. Daneben kann den Mitarbeitern auch weiterhin ein abschließbarer Schrank (Rollcontainer) überlassen werden. Der Zugang zum mitgenutzten stationären Computer und/oder Laptop dürfte in aller Regel ohnehin nur mit Benutzernamen und Passwort möglich sein.

b) Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 2.9 Dem Grunde nach unterscheiden sich die arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen an Desk-Sharing/ Open Space-Konzepte nicht von denen an klassische Büroarbeitsplätze. Einige Besonderheiten sind jedoch zu beachten. aa) Arbeitszeit

2.10 Zu berücksichtigen ist, dass sowohl die morgendliche Suche nach einem freien Arbeitsplatz als auch das regelmäßige Erfordernis des täglichen Aufräumens nach getaner Arbeit Arbeitszeit i.S.d. § 2 Abs. 1 ArbZG ist6. Entsprechende Zeiten sind also bei der Bestimmung der zulässigen täglichen (maximal 10 Stunden) und durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit (grundsätzlich 48 Stunden) zu berücksichtigen. Zeiterfassungssysteme, die den Arbeitsbeginn erst mit der aktiven Nutzung der einzelnen Arbeitsplätze beginnen lassen und die Arbeitsplatzsuche ausklammern, werden dem nicht gerecht. Im Hinblick auf die außerhalb des Arbeitsschutzes vorzunehmende vergütungsrechtliche Beurteilung, also die Frage, ob die Arbeitsplatzsuche sowie das Aufräumen des genutzten Arbeitsplatzes

1 2 3 4 5 6

Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (176). Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (551). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (176). Meyer, NZA 2020, 1273 (1276). Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1226); Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (176). Growe in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, § 2 ArbZG Rz. 4.

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Gehrke

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.14 § 2

vor Ort vergütungspflichtige Arbeitszeiten sind, gilt nichts Anderes. Entsprechende Zeiten sind grundsätzlich zu vergüten1. bb) Weitere Anforderungen Gemäß § 3 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Hierzu muss er gem. § 5 ArbSchG eine Gefährdungsbeurteilung durchführen. § 3 ArbStättV konkretisiert die Gefährdungsbeurteilung dahingehend, dass bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG festzustellen ist, ob die Beschäftigten Gefährdungen beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten ausgesetzt sind oder ausgesetzt sein können. Der Arbeitgeber hat bei der Gefährdungsbeurteilung die physischen und psychischen Belastungen sowie bei Bildschirmarbeitsplätzen, die im Rahmen der hier beleuchteten Arbeitsplatzkonzepte regelmäßig betroffen sind, insbesondere die Belastungen der Augen oder die Gefährdung des Sehvermögens des Beschäftigten zu berücksichtigen. Entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sind geeignete Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

2.11

Hinweis:

2.12

Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung kann bei der Einführung von Desk-Sharing/Open Space aufgrund verschiedener Aspekte erforderlich werden. So können entsprechende Bürokonzepte zu physischen und psychischen Belastungen für die Arbeitnehmer führen2. Im Hinblick auf potentielle physische Belastungen ist zu beachten, dass die geteilten Arbeitsplätze durch Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Körpergrößen und Physiognomien genutzt werden. Daher muss berücksichtigt werden, dass das Mobiliar und auch die Beleuchtung individuell angepasst werden können3. Nur so kann der Arbeitgeber sicherstellen, dass er die ergonomischen Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze gem. § 3a ArbStättV und 6.1. des Anhangs zu § 3 Abs. 1 ArbStättV erfüllt. Psychische Belastungen können sich zum einen daraus ergeben, dass der Arbeitnehmer sich stets um einen entsprechenden Arbeitsplatz kümmern muss, was im Einzelfall erheblichen Stress erzeugen kann4. Zum anderen kann es auch durch Lärm an den Gruppenarbeitsplätzen zu psychischen Belastungen kommen. Es sollten genügend Rückzugsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer gegeben sein (Quiet Spaces etc.).

Aus § 4 Abs. 2 ArbStättV ergibt sich zudem die Pflicht des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten den hygienischen Erfordernissen entsprechend gereinigt werden. Dies muss gerade auch bei gemeinsam genutzten Arbeitsplätzen und Arbeitsmitteln beachtet werden, so dass der Arbeitgeber ein Konzept zur Reinigung der Arbeitsplätze entwickeln muss. Dabei kann es aufgrund der Nutzung der Arbeitsplätze durch unterschiedliche Arbeitnehmer angezeigt sein, die sonst üblichen Reinigungsintervalle zu verkürzen und eine regelmäßige Desinfizierung der vorgehaltenen Arbeitsmittel sicherzustellen5.

2.13

c) Daten- und Geheimnisschutz Selbstverständlich sind bei der Einführung moderner Arbeitsplatzkonzepte die datenschutzrechtlichen Vorschriften der DSGVO und des BDSG zu beachten6. Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, die zur Gewährleistung eines angemessenen Datenschutzniveaus erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen. Von besonderer Bedeutung sind hier die Grundsätze des Art. 5 DSGVO, vor allem die nach Art. 5 Abs. 1 lit. f DSGVO zu gewährleistende Integrität und Vertraulichkeit der Daten. Ferner

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Kohte, NZA-RR 2018, 368 (374). Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (554). Kohte, NZA-RR 2018, 368 (374). Kohte, NZA-RR 2018, 368 (375); Volk, ARP 2020, 157 (158). Volk, ARP 2020, 157 (158). Dazu ausführlich Grimm in Tschöpe, Teil 6 F Rz. 25 ff. und Rz. 51 ff.

Gehrke

45

2.14

§ 2 Rz. 2.14

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

muss der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer im Hinblick auf die bei Desk-Sharing/Open Space entstehenden Besonderheiten entsprechend anweisen bzw. schulen1.

2.15 Diese Pflichterfüllung des Arbeitgebers kann sich erheblich erschweren, wenn Arbeitnehmer nicht mehr ausschließlich in einem abgetrennten ihnen persönlich zugewiesenen Raum arbeiten. Das Risiko einer Missachtung der entsprechenden Bestimmungen steigt. Desk-Sharing/Open Space-Lösungen ist es immanent, dass potentiell mehrere Personen Einsicht in den Bildschirm des Arbeitnehmers oder in seine Unterlagen erlangen können2. Um dieses Risiko zu verringern, sollte auf eine entsprechende Clean-Desk-Policy geachtet werden. Sämtliche von den Arbeitnehmern im Verlaufe eines Arbeitstages genutzten Unterlagen sollten also am Ende des Tages weggeräumt werden. Soweit Papierunterlagen erforderlich sind, ist darauf zu achten, dass ausreichend sichere Verwahrungsmöglichkeiten bereitgehalten werden und durch ein Zugriffskonzept sichergesellt wird, dass nur berechtigte Personen Zugriff auf entsprechende Unterlagen erhalten.

d) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 2.16 Die Einführung von Desk-Sharing und Open Space in Betrieben, in denen ein Betriebsrat besteht, kann Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen. Es kommen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus §§ 87, 99, 111 BetrVG in Betracht. aa) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 BetrVG (1) Einleitung

2.17 Bei der Einführung von Desk-Sharing/Open Space sind zunächst die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG zu beachten. Wenn ein Mitbestimmungsrecht i.S.d. § 87 BetrVG besteht und eine Einigung zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat über den Regelungsgegenstand nicht zustande kommt, so entscheidet gem. § 87 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Einigungsstelle. Der Betriebsrat kann zudem im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren gegen eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts vorgehen3. Nach ständiger Rechtsprechung besteht ein allgemeiner Unterlassungsanspruch bei Verletzung eines Mitbestimmungsrechts unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG4. Bei der Einführung von Desk-Sharing/Open Space kommen insbesondere die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 sowie Nr. 7 BetrVG in Betracht. (2) § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG

2.18 Problematisch und umstritten ist die Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht. Danach sind Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens des Arbeitnehmers im Betrieb, sofern ein Bezug zur betrieblichen Ordnung besteht, mitbestimmungspflichtig5. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht somit nur im Hinblick auf das sog. Ordnungsverhalten, nicht hingegen, soweit lediglich das Arbeitsverhalten betroffen ist6. Vom mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten sind beispielsweise allgemein verbindliche Verhaltensregeln erfasst, die das sonstige Verhalten der Arbeitnehmer beeinflussen und koordinieren sollen, sowie Maßnahmen, die der Aufrechterhaltung der Ordnung des Be-

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Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (170). Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (170). Fitting, § 87 BetrVG Rz. 596. Grundlegend hierzu: BAG v. 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, juris. Richardi/Maschmann in Richardi, § 87 BetrVG Rz. 176. BAG v. 25.9.2012 – 1 ABR 50/11, juris Rz. 14.

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Gehrke

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.22 § 2

triebs dienen sollen1. Sofern allerdings durch die Maßnahme oder Anordnung des Arbeitgebers die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert wird, ist das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen2. Hinsichtlich der Einführung von Desk-Sharing/Open Space ist zwischen der Anweisung des Arbeitgebers, sich einen freien Arbeitsplatz zu suchen, sowie der Anweisung, den Arbeitsplatz danach aufgeräumt zu hinterlassen (Clean-Desk-Policy) zu unterscheiden. Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt hierzu bislang nicht vor, sowohl in der Literatur als auch in instanzgerichtlichen Entscheidungen werden hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten.

2.19

Die Anweisung an den Arbeitnehmer, sich zukünftig täglich innerhalb eines dafür vorgesehenen Be- 2.20 reichs einen freien Arbeitsplatz zu suchen, dürfte im untrennbaren Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung stehen; sie ist zwingende Voraussetzung für deren ordnungsgemäße Erbringung. Die Suche nach einem Arbeitsplatz und die Auswahl des täglichen Wunscharbeitsplatzes stellen Konkretisierungen dar, in welchem Umfang welche Betriebsmittel zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung genutzt werden3. Die morgendliche Arbeitsplatzsuche dürfte daher dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten zuzuordnen sein4. Streitbarer stellt sich die Zuordnung der Anordnung dar, den Arbeitsplatz am Ende eines jeden Ar- 2.21 beitstages aufzuräumen (Clean-Desk-Policy)5. Gute Argumente sprechen dafür, auch das Aufräumen des Arbeitsplatzes als nicht mitbestimmte Arbeitsanweisung einzuordnen. Denn die entsprechende Arbeitsanweisung lässt sich im Rahmen des Direktionsrechts als täglich den Arbeitstag abschließende Arbeitsanweisung interpretieren, so dass das Arbeitsverhalten betroffen ist. Zudem dient die Maßnahme auch der Sicherstellung der Reinigung der im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Büroeinrichtung sowie dem Schutz vertraulicher Gegenstände und Informationen6. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich vom Arbeitnehmer auch Nebenarbeiten verlangen und Regelungen zum Umgang mit seinen Betriebsmitteln aufstellen7. Die Anweisung, den Arbeitsplatz täglich aufzuräumen, kann jedoch auch das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten betreffen, sofern von der Anweisung zum Aufräumen des Arbeitsplatzes auch die Anordnung erfasst ist, persönliche Gegenstände (Fotos, Souvenirs und andere persönliche Gegenstände) täglich wegzuräumen oder generell auf ein gewisses Maß zu beschränken. Denn diese Anordnung betrifft jedenfalls schwerpunktmäßig das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer und die Frage des Zusammenlebens im Betrieb8. Der Arbeitnehmer schafft sich durch persönliche Gegenstände einen individualisierten Arbeitsplatz, der sich von denen der anderen Mitarbeiter unterscheidet. Durch das Verbot oder die Beschränkung könnte damit das private Wirken der Arbeitnehmer und nicht die Erbringung der Arbeitsleistung an sich betroffen sein9.

2.22

Hinweis: Die Weisungen zur Suche und Nutzung des Arbeitsplatzes im Rahmen von Desk-Sharing/Open SpaceKonzepten sowie Anweisungen, wie der Arbeitsplatz am Ende eines Arbeitsplatzes zu hinterlassen sind, las-

1 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 64. 2 BAG v. 25.9.2012 – 1 ABR 50/11, juris Rz. 14. 3 ArbG Düsseldorf v. 19.10.2017 – 7 BVGa 17/17, juris Rz. 48 ff.; ArbG Düsseldorf v. 26.10.2017 – 7 BV 137/17, juris Rz. 47 ff. 4 LAG Düsseldorf v. 9.1.2018 – 3 TaBVGa 6/17, juris Rz. 58 f.; a.A. wohl: ArbG Stuttgart v. 13.12.2016 – 3 BVGa 20/16 (nicht veröffentlicht). 5 Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1228). 6 LAG Nürnberg v. 14.12.2016 – 4 TaBV 38/16, juris Rz. 49. 7 ArbG Düsseldorf v. 19.10.2017 – 7 BVGa 17/17, juris Rz. 56 ff.; ArbG Düsseldorf v. 26.10.2017 – 7 BV 137/17, juris Rz. 56 ff. 8 ArbG Würzburg v. 8.6.2016 – 12 BV 25/15, ArbRB 2016, 366 = juris Rz. 24. 9 LAG Nürnberg v. 14.12.2016 – 4 TaBV 38/16, juris Rz. 45.

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§ 2 Rz. 2.22

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

sen sich abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Weisung mitbestimmungsrechtlich unterschiedlich beurteilen. Je konkreter die entsprechende Weisung auf die Erbringung der tatsächlichen Arbeitsleistung beschränkt ist, desto wahrscheinlicher lässt sich eine solche Maßnahme dem mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten zuordnen.

2.23 Im Rahmen der Einführung von Open Space verbunden mit der Anweisung, die Kommunikation im Open Space Bereich so zu führen, dass die anderen Kollegen dadurch nicht gestört werden oder für Gespräche sog. Think Tanks (abgeschlossene und schallisolierte Raum-in-Raum-Einheiten) zu nutzen, lässt sich ebenfalls über ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG diskutieren. Ein Mitbestimmungsrecht besteht hier jedoch nicht, denn in diesen Fällen ist das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten betroffen. Gespräche und Telefonate am Arbeitsplatz stellen einen Teil der Arbeitsleistung dar, die durch diese Anordnung konkretisiert wird. Ebenso kann durch zu laute Gespräche die Erbringung der Arbeitsleistung der anderen Arbeitnehmer beeinträchtigt werden, so dass auch hier der Bereich der Arbeitserbringung betroffen ist1. (3) § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

2.24 Die Einführung von Desk-Sharing/Open Space kann auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen. Ein solches besteht für die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Entgegen dem Wortlaut genügt es bereits, wenn die technische Einrichtung objektiv zur Überwachung des Arbeitnehmers geeignet ist; auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an2.

2.25 Im Rahmen der Einführung des Desk-Sharing sind unterschiedliche technische Möglichkeiten denkbar, die ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG begründen. So können z.B. zentrale Computeranlagen, die die Nutzung(szeiten) der durch die Mitarbeiter mitgebrachten Laptops aufzeichnen, ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen, da es sich bei der Computeranlage um eine technische Einrichtung handelt, die die Dauer der Nutzung der persönlich zugewiesenen Computer und damit die Präsenz der einzelnen Arbeitnehmer am Arbeitsplatz aufzeichnet und überwacht3.

2.26 Ebenso kann im Rahmen des Desk-Sharing eine Software für die Suche des täglichen Arbeitsplatzes genutzt werden, über die der Arbeitnehmer einen freien Schreibtisch bucht. Sofern diese Software die Anwesenheitszeit und den konkreten Ort der Arbeitsleistung der einzelnen Mitarbeiter aufzeichnet, handelt es sich ebenfalls um eine technische Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, mit der Folge, dass der Betriebsrat grundsätzlich ein Mitbestimmungsrecht hat4.

2.27 Ein Mitbestimmungsrecht wird unter den vorgenannten Voraussetzungen jedenfalls dann ausgelöst, wenn eine neue technische Einrichtung eingerichtet werden muss, die zur Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Arbeitnehmer geeignet ist5. Eine Besonderheit gilt daher für die Fälle, in denen eine bereits existierende Software genutzt wird. Für die Frage des Mitbestimmungsrechts kommt es dann entscheidend darauf an, inwieweit eine bereits existierende und genutzte Software im Rahmen der Einführung von Desk-Sharing/Open Space verändert wird6. Ein Mitbestimmungsrecht ist jedenfalls für die Fälle anzunehmen, in denen durch die Änderung der Einrichtung die Möglichkeit besteht, dass eine Intensivierung der Überwachung erfolgt oder die Überwachung eine

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LAG Nürnberg v. 14.12.2016 – 4 TaBV 38/16, juris Rz. 48. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, ArbRB 2017, 174 = juris Rz. 22. ArbG Frankfurt/M. v. 8.1.2003 – 2 BVGa 587/02, juris Rz. 18. Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1229). Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (552). Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1229).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.30 § 2

neue Qualität bekommt1. Dies kann etwa der Fall sein, wenn eine bereits vorhandene Arbeitszeiterfassungssoftware durch erforderliche Modifikationen im Rahmen der Desk-Sharing-Einführung erstmals dazu genutzt wird, sämtliche Anwesenheitszeiten der Mitarbeiter zu erfassen. Sofern hingegen die Möglichkeit, die Präsenz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zu kontrollieren, schon vor Einführung des Desk-Sharing bestand, wird das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht erneut ausgelöst. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich die Mitarbeiter bereits vor Einführung des neuen Arbeitsplatzkonzepts an passwortgeschützten Computern einloggen und wieder ausloggen mussten2. Ob allein die durch die Einführung des Desk-Sharing entstehende Möglichkeit, zu registrieren, von 2.28 welchem genauen Arbeitsplatz aus der Arbeitnehmer arbeitet, ein Mitbestimmungsrecht auslöst, erscheint zweifelhaft. Dem lässt sich zunächst entgegenhalten, dass es in der Natur der Sache liegt, dass sich der Arbeitnehmer beim Desk-Sharing von einem der bereitgestellten Arbeitsplätze aus anmeldet. Rückschlüsse auf das Arbeitsverhalten und/oder das Ordnungsverhalten lassen sich daraus nur eingeschränkt ziehen. Zudem gibt es für die Wahl des konkreten Arbeitsplatzes unterschiedlichste Gründe3. Es kann sich bei dem konkret ausgewählten Arbeitsplatz um den vom Mitarbeiter bevorzugten Arbeitsplatz, den letzten freien Arbeitsplatz usw. handeln. (4) § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG Es ist ferner auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG denkbar. Danach besteht ein Mitbestimmungsrecht für Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften. Zwar stellt die Einführung des Desk-Sharing selbst keine Regelung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG dar, jedoch könnte im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang erfolgende Regelung von Hygienefragen bei der gemeinschaftlichen Nutzung von Betriebsmitteln ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bestehen.

2.29

Dagegen spricht jedoch, dass allein durch die Einführung des Desk-Sharing keine neue Regelungs- 2.30 bedürftigkeit entsteht, da bereits vorher Betriebsmittel (wie z.B. Türgriffe, Kopierer, Sanitäranlagen) durch die Arbeitnehmer gemeinschaftlich genutzt werden. Ein Regelungsbedarf für die Reinigung von gemeinschaftlich genutzten Betriebsmitteln besteht daher unabhängig von der Einführung des Desk-Sharing.4 Im Regelfall ist daher davon auszugehen, dass eine (erhöhte) konkrete Gefährdung der Mitarbeiter allein aufgrund der gemeinsamen Nutzung der Arbeitsplätze und Betriebsmittel (Tastatur, Maus etc.) im Rahmen des Desk-Sharing nicht besteht.5 Es kann aber im Einzelfall durchaus Konstellationen geben, in denen eine konkrete Gefahr für die Mitarbeiter entsteht, die dann auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösen würde. Solche Gefahren haben im Rahmen der zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses bestehenden pandemischen Lage aufgrund des Coronavirus SARS-CoV-2 besondere Bedeutung erlangt. Im Rahmen der Einführung von Desk-Sharing/ Open Space haben Arbeitgeber während der Pandemie regelmäßig Hygienekonzepte zu erarbeiten, um den Anforderungen der sich stetig ändernden Rechtsgrundlagen gerecht zu werden. So sind phasenweise direkte Kontakte zwischen den Arbeitnehmern im Betrieb – soweit möglich – zu vermeiden, um Ansteckungen zu verhindern. Soweit die entsprechenden Rechtsgrundlagen Gestaltungsspielräume lassen, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.

1 Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 59. 2 ArbG Düsseldorf v. 19.10.2017 – 7 BVGa 17/17, juris Rz. 63 ff.; Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1229). 3 Zum Ganzen: ArbG Düsseldorf v. 19.10.2017 – 7 BVGa 17/17, juris Rz. 63 ff. 4 ArbG Düsseldorf v. 19.10.2017 – 7 BVGa 17/17, juris Rz. 68 ff.; ArbG Düsseldorf v. 26.10.2017 – 7 BV 137/17, juris Rz. 66 ff. 5 LAG Düsseldorf v. 9.1.2018 – 3 TaBVGa 6/17, juris Rz. 55.

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§ 2 Rz. 2.31

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

2.31 Angesicht der möglichen physischen und psychischen Belastungen, die mit der Einführung von DeskSharing/Open Space einhergehen können, kann der Betriebsrat gem. § 5 ArbSchG, § 3 Abs. 3 ArbStättV zudem wohl vor Einführung des Desk-Sharing vom Arbeitgeber regelmäßig eine mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung verlangen1. bb) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 99, 95 BetrVG

2.32 Gemäß § 99 BetrVG besteht u.a. vor jeder Versetzung in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern eine Pflicht, den Betriebsrat über die beabsichtigte Versetzung zu unterrichten und um Zustimmung zu ersuchen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, muss der Arbeitgeber grundsätzlich ein Zustimmungsersetzungsverfahren beim ArbG anstrengen.

2.33 Nach der Legaldefinition des § 95 Abs. 3 BetrVG fällt unter die Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer von einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Der Arbeitsbereich umfasst nach der ständigen Rechtsprechung des BAG neben dem Ort der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den zugewiesenen Platz in der betrieblichen Organisation. Entscheidend für die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs spräche es, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit aus Sicht eines Dritten, der die betrieblichen Verhältnisse kennt, als eine andere Tätigkeit anzusehen ist. Dies kann sich aus Sicht des BAG aus einem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der damit verbundenen Verantwortung oder aus einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art und Weise, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, ergeben. Zudem kann dies bei einer Änderung der Stellung des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation, z.B. durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit, der Fall sein2.

2.34 Ob die Einführung von Desk-Sharing damit eine Versetzung i.S.d. § 99 BetrVG darstellt, ist eine Einzelfallentscheidung. Allein die Tatsache, dass der Arbeitnehmer fortan an einem Arbeitsplatz arbeiten muss, den er sich mit anderen Arbeitnehmern teilt und den er sich zu Beginn seiner Tätigkeit täglich neu suchen muss, wird für die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs nicht genügen3. Erst wenn weitere Umstände hinzutreten, kann dies anders zu beurteilen sein. So kann beispielsweise eine Versetzung zu bejahen sein, wenn es im Rahmen der Einführung des Desk-Sharing zu einem Ortswechsel kommt, der zu einem nicht unerheblich veränderten Anfahrtsweg4 oder einer schlechteren Verkehrsanbindung führt5. Ebenso kann es im Einzelfall durch Einführung des Desk-Sharing zur Zuweisung eines inhaltlich anderen Arbeitsbereichs kommen, weil sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Arbeitnehmers verändert hat6. cc) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 111, 112 BetrVG

2.35 In Unternehmen, die den Schwellenwert von in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern erreichen, kann im Rahmen der Einführung von Desk-Sharing/Open Space zudem ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats nach § 111 BetrVG bestehen. 1 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (554). 2 BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, ArbRB 2009, 362 = juris Rz. 28. 3 So auch Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1227); gegen das Vorliegen einer Versetzung beim Wechsel vom Großraumbüro zum Einzel-oder Zweierbüro: BAG v. 27.6.2006 – 1 ABR 35/05, ArbRB 2006, 362 = juris Rz. 14. 4 Das BAG nahm in diesem Zusammenhang eine Versetzung bei einem Anfahrts-/Anflugweg von mehr als 180 Kilometern und damit verbundenem erhöhten Zeitaufwand an: BAG v. 1.8.1989 – 1 ABR 51/88, juris Rz. 21 ff. 5 Fitting, § 99 BetrVG Rz. 144. 6 Thüsing in Richardi, § 99 BetrVG Rz. 116.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.40 § 2

Die fehlende Beteiligung des Betriebsrats in Form der Unterrichtung, Beratung und dem Versuch eines Interessenausgleichs bei einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG führt nicht zur individualrechtlichen Unwirksamkeit der Einführung der Maßnahme1. Sofern der Arbeitgeber die Betriebsänderung durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, kann dem Arbeitnehmer aber nach § 113 Abs. 3 i.V.m. § 111 BetrVG ein Nachteilsausgleich zustehen2. Umstritten ist hingegen, ob dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch zusteht, den er im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend machen kann und damit die Durchführung der Betriebsänderung verhindern kann bis die Beratung und Verhandlung über einen Interessenausgleich stattgefunden hat3. Wenn der Arbeitgeber seine Aufklärungs- oder Auskunftspflicht nach § 111 BetrVG nicht wahrheitsgemäß, vollständig oder rechtzeitig erfüllt, begeht er zudem nach § 121 BetrVG eine Ordnungswidrigkeit4.

2.36

Sofern die Einführung des Desk-Sharing/Open Space mit einer baulichen Veränderung eines bereits bestehenden Bürogebäudes, z.B. durch Schaffung größerer Büroflächen, einhergeht, so kann dies eine grundlegende Änderung der Betriebsanlage nach § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG darstellen, die als Betriebsänderung gilt5. Erforderlich ist neben der baulichen Veränderung der Betriebsanlage aber auch, dass diese grundlegend ist. Dies ist gegeben, wenn sie sich erheblich auf den Betriebsablauf, die Arbeitsbedingungen oder die Arbeitsweise der Arbeitnehmer auswirkt6. Ob dies der Fall ist, bedarf einer Entscheidung im Einzelfall. Allein die Vergrößerung einzelner Büros durch Entfernen von Zwischenwänden dürfte nicht ausreichen. Jedoch kann ein mit dem Umbau verbundener gebäudeinterner Umzug zu erheblichen Folgen für die Arbeitnehmer und damit zu einer grundlegenden Veränderung der Betriebsanlage führen7.

2.37

Zudem kann die Einführung von Desk-Sharing/Open Space auch als Einführung einer grundlegend 2.38 neuen Arbeitsmethode nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG zu bewerten sein. Die Arbeitsmethode bezeichnet die Art und Weise, eine Arbeit systematisch abzuwickeln, d.h. die Strukturierung des Arbeitsablaufs und den Einsatz technischer Hilfsmittel8. Arbeitnehmer, die aufgrund des neu eingeführten Desk-Sharing sich zu Beginn ihres Arbeitstages zunächst einen freien Arbeitsplatz suchen müssen oder sich im Voraus einen solchen buchen müssen, müssen ihren Arbeitsablauf neu strukturieren. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsweise der Arbeitnehmer, so dass in diesem Fall eine grundlegende neue Arbeitsmethode eingeführt wird9.

3. Co-Working a) Individualrechtliche Umsetzung Beim Co-Working werden in der Regel durch externe Dienstleister vollständig eingerichtete Büro- 2.39 räume für die Mitarbeiter verschiedener Unternehmen sowie für Freiberufler oder Gewerbetreibende zur Verfügung gestellt10. Die Anweisung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer, fortan in einem externen Co-Working Space zu arbeiten, ist in gewissen Grenzen grundsätzlich zulässig. Ausnahmen gelten hier nur, wenn dem

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Fitting, § 111 BetrVG Rz. 129. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 129. Spirolke in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 111 BetrVG Rz. 29. Annuß in Richardi, § 111 BetrVG Rz. 170. ArbG Frankfurt/M. v. 8.1.2003 – 2 BVGa 587/02, juris Rz. 14. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 95. ArbG Frankfurt/M. v. 8.1.2003 – 2 BVGa 587/02, juris Rz. 16. Fitting, § 111 BetrVG Rz. 98. ArbG Frankfurt/M. v. 8.1.2003 – 2 BVGa 587/02, juris Rz. 16. Fuhlrott in Kramer, B. Rz. 29.

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2.40

§ 2 Rz. 2.40

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

eine explizite Regelung im Arbeitsvertrag zum Arbeitsort entgegensteht1. In diesem Fall bedarf es eines Änderungsvertrags oder einer einseitigen Änderungskündigung. In jedem Fall muss eine Anweisung, zukünftig im Co-Working Space zu arbeiten, billigem Ermessen entsprechen. Hierbei ist davon auszugehen, dass dieses gewahrt wird, wenn der finanzielle und zeitliche Aufwand für den Arbeitnehmer, das Co-Working Space aufzusuchen, vergleichbar ist mit dem bisherigen Aufwand2. Eine Grenze wäre damit dann überschritten, wenn die Einführung des Co-Working dazu führt, dass der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr in zumutbarer Weise erreichen kann3.

b) Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 2.41 Im Hinblick auf den Arbeitsschutz bleibt der Arbeitgeber für dessen Einhaltung verantwortlich; hier ist die Verantwortlichkeit also nicht etwa auf den externen Dienstleister übertragen. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl der Co-Working Spaces auf die Einhaltung der Vorgaben der ArbStättV achten muss und die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitsschutzes beim externen Dienstleister stichprobenhaft überprüfen muss4. Daher sollte eine vertragliche Regelung mit dem Dienstleister zur Einhaltung des Arbeitsschutzes getroffen werden5. Im Falle von Verstößen sind Regress und – soweit vereinbart – Vertragsstrafen möglich.

c) Daten- und Geheimnisschutz 2.42 Auch soweit die Arbeitnehmer in den Räumlichkeiten eines externen Dienstleisters arbeiten, bleibt der Arbeitgeber verantwortliche Stelle i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO sowie Verantwortlicher nach § 1 Abs. 4 Nr. 1 BDSG. Dies führt dazu, dass er die gesetzlichen Vorgaben aus Art. 5, 24 DSGVO und § 26 BDSG wahren und entsprechende Schutzmaßnahmen treffen muss6.

2.43 Hinweis: Die Gefahr, dass Dritte Einsicht in schützenswerte Daten erlangen können, steigt bei dem Arbeitsmodell des Co-Working, da hier Arbeitnehmer aus unterschiedlichsten Unternehmen die gleiche Infrastruktur nutzen. So besteht insbesondere die Gefahr, dass Dritte Einsicht auf den Bildschirm nehmen, vertrauliche Informationen aus Telefonaten mithören oder durch die gemeinsame Benutzung von Kopierern, Druckern oder Papierkörben in den unbefugten Besitz solcher Daten kommen. Diese Gefahr muss mit entsprechenden geeigneten Maßnahmen (Sichtfolien auf den Bildschirmen, Aktenvernichter, Pull Printing/Secure & Pick-Up Printing, schalldichten Telefonkabinen) und Schulungen der Mitarbeiter eingedämmt werden7. Daneben kann auch die Installation von Programmen, mit denen eine Fernlöschung von Daten möglich ist, hilfreich sein8.

d) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 2.44 Die Einführung von Co-Working kann Mitbestimmungsrechte eines etwaigen Betriebsrats auslösen. Hier kommen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus den §§ 87, 99, 111 BetrVG in Betracht.

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Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (176). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (176). Oltmanns/Fuhlrott, NZA 2018, 1225 (1226). Vgl. Kohte in Kollmer/Klindt/Schucht, § 3 ArbSchG Rz. 49 ff. Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (178). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (178). Vogt/Sothmann, SPA 2019, 169 (170). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (178).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 2.48 § 2

aa) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 87 BetrVG (1) Einleitung Wie auch bei der Einführung von Desk-Sharing/Open Space sind bei der Einführung von Co-Working zunächst die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG zu beachten. Zu den Folgen unterlassener Mitbestimmung s. Rz. 2.17. Es kommen insbesondere die Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 sowie Nr. 7 BetrVG in Betracht.

2.45

(2) § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG Vorgaben zur Nutzung der und zum Umgang mit den Räumlichkeiten werden primär von dem ex- 2.46 ternen Anbieter gemacht, so dass ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ausscheidet1. In Bezug auf die Anweisung, in einem Co-Working Space zu arbeiten, ist ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ebenfalls abzulehnen, da durch die Weisung lediglich die Arbeitsleistung konkretisiert wird und damit der Bereich des mitbestimmungsfreien Arbeitsverhalten betroffen ist2. (3) § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG Im Hinblick auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist beim 2.47 Co-Working die Besonderheit zu beachten, dass hier nicht der Arbeitgeber, sondern der externe Dienstleister eine Überwachungsmöglichkeit hat3. Denn in den meisten Fällen stellt dieser eine Buchungssoftware hinsichtlich der vorhandenen Arbeitsplätze zur Verfügung und kann die eingegebenen Daten der Nutzer überwachen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird dadurch allerdings nicht ausgeschlossen, denn der Arbeitgeber kann sich in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten nicht in einer Weise binden, die eine Einflussnahme des Betriebsrats ausschließen würde. Der Arbeitgeber muss stattdessen durch eine entsprechende Vertragsgestaltung sicherstellen, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mitbestimmungsrechts gewährleistet ist4. Ein Fall des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG liegt also auch dann vor, wenn der Arbeitgeber im Einvernehmen mit einem Dritten seine Arbeitnehmer anweist, sich der Überwachung der technischen Einrichtung des Dritten zu unterwerfen. Für das Mitbestimmungsrecht ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber Einsicht in diese erfassten Daten erhält und das Mitbestimmungsrecht wird auch nicht durch die Tatsache ausgeschlossen, dass die Überwachung überwiegend oder ausschließlich im Interesse des Dritten erfolgt5. Sofern der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer also im Rahmen des Co-Working anweist, in dem Gebäude eines Dritten zu arbeiten, in dem dieser mittels einer technischen Einrichtung Daten über die dort tätigen Nutzer erfasst, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, denn es genügt, wenn sich der Arbeitgeber dazu entschließt, Daten über das Verhalten seiner Arbeitnehmer durch eine technische Einrichtung zu erfassen, auch wenn die Erfassung selbst durch einen Dritten vorgenommen wird6. Daher sollte der Arbeitgeber durch eine entsprechende vertragliche Regelung mit dem Dienstleister sicherstellen, dass der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht ausüben kann7.

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Fuhlrott in Kramer, C. Rz. 115. Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (177). Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (177). BAG v. 18.4.2000 – 1 ABR 22/99, juris Rz. 26; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (177). BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, juris Rz. 30; Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (177). BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, ArbRB 2004, 177 = juris Rz. 30. Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (177).

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2.48

§ 2 Rz. 2.49

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

(4) § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG

2.49 Auch für das externe Co-Working Space gilt, dass die Einführung als solche keine Regelungen über den Gesundheitsschutz nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG enthält, jedoch einzelfallabhängig mitbestimmte Hygienekonzepte und Gefährdungsbeurteilungen in Betracht kommen (s. Rz. 2.31)1. bb) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 99, 95 BetrVG

2.50 Gemäß § 99 BetrVG besteht vor jeder Versetzung in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmer eine Pflicht, den Betriebsrat über die beabsichtigte Versetzung zu unterrichten und um Zustimmung zu ersuchen. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, muss der Arbeitgeber grundsätzlich ein Zustimmungsersetzungsverfahren beim ArbG anstrengen.

2.51 Der Einsatz von Mitarbeitern in einem externen Co-Working Space wird regelmäßig eine mitbestimmungspflichtige Versetzung gem. §§ 99, 95 BetrVG darstellen, da sich der Arbeitsort des betreffenden Mitarbeiters dauerhaft und signifikant ändert. Gleiches gilt für die Arbeitsumstände, insbesondere aufgrund der Zusammenführung mit Arbeitnehmern anderer Unternehmen, Selbständigen, Freelancern etc. cc) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. §§ 111, 112 BetrVG

2.52 Bei der Einführung des Co-Working kann in Unternehmen, die den Schwellenwert von in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern erreichen, im Rahmen der Einführung ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrats nach § 111 BetrVG bestehen.

2.53 Durch die Arbeit in einem Co-Working Space wird die organisatorische Gestaltung der Arbeit geändert, so dass eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG vorliegt2. Denn auch bei CoWorking müssen die Arbeitnehmer ihren eigenen Arbeitsablauf signifikant ändern, da sie nun fortan nicht mehr in dem eigentlichen Betrieb bei ihrem Arbeitgeber arbeiten, sondern sich neu auf die Situation einstellen müssen, nunmehr mit Arbeitnehmern oder Freiberuflern, die nicht zu ihrem Betrieb gehören, gemeinsam in Büroräumen außerhalb ihres Betriebs zu arbeiten3.

2.54 Darüber hinaus liegt eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG vor, wenn es durch die dauerhafte Nutzung von Büros eines externen Co-Working-Anbieters zu einem erheblichen Entfernungsunterschied für die Arbeitnehmer kommt4.

III. Best Practice 2.55 Angesichts der Vielzahl möglicher Mitbestimmungsrechte bietet es sich in Betrieben mit Betriebsrat an, die Einführung von Desk-Sharing/Open Space über eine Betriebsvereinbarung zu regeln. Das folgende Muster enthält den Mindestumfang und muss einzelfallbezogen angepasst werden.

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Fuhlrott in Kramer, C. Rz. 124. Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 175 (178); Fuhlrott in Kramer, C. Rz. 129. Fuhlrott in Kramer, C. Rz. 129. Fuhlrott in Kramer, C. Rz. 130.

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III. Best Practice

Rz. 2.56 § 2

M 2.1 Betriebsvereinbarung – Desk-Sharing/Open Space

2.56

Betriebsvereinbarung – Desk-Sharing/Open Space1 Präambel Die Betriebsparteien sind sich einig, dass flexibel genutzte Arbeitsplätze (Desk-Sharing) in einer offenen Bürolandschaft (Open Space) eingeführt werden sollen, um unter Berücksichtigung der tatsächlichen Auslastung Bürokapazitäten zu sparen und den kommunikativen Austausch zwischen den Arbeitnehmer*innen zu fördern. Gleichzeitig muss sich das Desk-Sharing im Open Space mit den betrieblichen Abläufen und den Vorgaben des Arbeitsschutzes, Datenschutzes und Geschäftsgeheimnisschutzes vereinbaren lassen. Um diese unterschiedlichen Ziele in Einklang zu bringen, legen die Betriebsparteien folgende Rahmenbedingungen für das Desk-Sharing fest: § 1 Geltungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer*innen des Betriebs i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG, mit Ausnahme der leitenden Angestellten (nachstehend: Mitarbeiter). § 2 Begriffsbestimmung (1) Desk-Sharing im Sinne dieser Betriebsvereinbarung liegt vor, wenn ein Arbeitsplatz im Betrieb von mehreren Mitarbeitern wechselnd genutzt wird, ohne dass der Arbeitsplatz einem einzelnen Mitarbeiter dauerhaft zugewiesen ist. (2) Open Space im Sinne dieser Betriebsvereinbarung ist die Büroumgebung, in der sich vornehmlich Desk-Sharing-Arbeitsplätze befinden. § 3 Gegenstand (1) Diese Betriebsvereinbarung regelt das Desk-Sharing im Open Space, insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation, die Arbeitstätigkeit und psychosoziale Bedingungen. (2) Die Zuweisung der Desk-Sharing-Arbeitsplätze im Open Space an die einzelnen Mitarbeiter erfolgt durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen2. Der Betriebsrat ist bei einem Wechsel einzelner Mitarbeiter an einen Desk-Sharing-Arbeitsplatz vorab zu informieren. Eine Beteiligung nach den gesetzlichen Regelungen gemäß §§ 99, 95 BetrVG ist nur ausnahmsweise erforderlich, insbesondere wenn der Wechsel zu erheblichen Änderungen des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der damit verbundenen Verantwortung oder einer Änderung des Arbeitsorts oder der Art und Weise, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, führt3. § 4 Desk-Sharing-Arbeitsplätze (1) Die Desk-Sharing-Arbeitsplätze werden wie folgt ausgestattet: – Höhenverstellbarer Schreibtisch mit Stehpultoption 1 Um den Abbau der Präsenzzeiten der Mitarbeiter im Rahmen der Umsetzung des Desk-Sharing sicherstellen zu können, werden Desk-Sharing-Modelle häufig in Kombination mit Regelungen zur Einführung von Homeoffice/Mobileoffice in Betracht kommen. Insofern wird auf die Ausführungen und Muster zu § 1 verweisen. 2 Eine Festlegung der Desk-Sharing-Arbeitsplätze – etwa abteilungsbezogen oder gar bezogen auf eine konkrete Liste von Arbeitnehmern oder jedenfalls Positionsbeschreibungen –wäre ebenfalls denkbar, würde aber die Flexibilität des Arbeitgebers einschränken. 3 Eine pauschale Vereinbarung, dass eine Beteiligung des Betriebsrats gem. §§ 99, 95 BetrVG nicht erforderlich ist, dürfte nicht wirksam sein, so dass die nun vorgesehene Formulierung in erster Linie verdeutlicht, dass der Arbeitgeber die Beteiligungsrechte des Betriebsrats beachten wird, jedoch in der Regel davon ausgeht, dass die Zuweisung von Desk-Sharing-Arbeitsplätzen keine mitbestimmte Versetzung ist.

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§ 2 Rz. 2.56

Desk-Sharing, Open Space und Co-Working

– Ergonomisch anpassbarer Schreibtischstuhl – Anschlussmöglichkeit für Laptops Zwischen den Desk-Sharing-Arbeitsplätzen können Trennwände aufgestellt werden, um die Vertraulichkeit zu gewährleisten. (2) Mitarbeiter, die an Desk-Sharing-Arbeitsplätzen eingesetzt werden, erhalten – einen Laptop, – einen abschließbaren Rollcontainer zur Aufbewahrung ihrer Unterlagen, den sie nach Abschluss eines jeden Arbeitstags bis zum Beginn des neuen Arbeitstages im dafür vorgesehenen Depot abstellen können. § 5 Open Space Der Open Space besteht neben dem Desk-Sharing Bereich auch aus akustisch und visuell abgegrenzten Meeting-Räumen, die sowohl für interne Besprechungen als auch für ungestörte externe Telefonate genutzt werden können1. § 6 Anmeldung vor Arbeitsbeginn; Abmeldung nach Arbeitsende Jeder Mitarbeiter, der einen Desk-Sharing-Arbeitsplatz nutzt, hat sich vor Arbeitsbeginn einen freien DeskSharing-Arbeitsplatz auszusuchen und sich nach Anschluss seines Laptops im betrieblichen EDV-System anzumelden2. Nach Arbeitsende hat sich der Mitarbeiter aus dem betrieblichen EDV-System abzumelden. § 7 Clean-Desk-Policy nach Arbeitsende Jeder Mitarbeiter, der einen Desk-Sharing-Arbeitsplatz besetzt, ist verpflichtet, den Desk-Sharing-Arbeitsplatz, den er nutzt, bei Beendigung der Arbeitstätigkeit an einem Arbeitstag aufzuräumen und sämtliche Betriebsmittel sowie etwaige persönliche Gegenstände vollständig zu entfernen. Der Arbeitsplatz muss also in dem Zustand hinterlassen werden, in dem er vorgefunden wurde, sodass der Desk-Sharing-Arbeitsplatz unmittelbar durch einen anderen Mitarbeiter genutzt werden kann („Clean-Desk-Policy“). § 8 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Ort …, Datum … … Geschäftsführung Name des Unternehmens …

… Betriebsratsvorsitzende*r

1 Häufig wird sich die Aufnahme eines Lageplans als Anlage zur Betriebsvereinbarung anbieten. 2 Soweit hier eine Anmeldungs- oder Reservierungssoftware verwendet wird, sind die erforderlichen Abläufe zu beschreiben und ggf. die gespeicherten personenbezogenen Daten und deren Verarbeitung im Rahmen der Betriebsvereinbarung oder in einer beizufügenden Anlage unter Verwendung eines Berechtigungs- und Löschkonzepts zu spezifizieren.

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Gehrke

I. Worum geht es?

Rz. 3.2 § 3

§3 Vertrauensarbeitszeit I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 2. Öffentlich-rechtliche Arbeitszeitvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 a) Arbeitszeiterfassung . . . . . . . . . . . . . . 3.8 b) Arbeitszeiteinteilung . . . . . . . . . . . . . . 3.12 3. Individualvertragliche Rahmenbedingungen

4. 5. III. 1. 2.

a) Anordnung von Vertrauensarbeitszeit b) Missbrauchsrisiken . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitbestimmung des Betriebsrates . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arbeitsvertragsklauseln zur Missbrauchsvermeidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . .

3.15 3.17 3.22 3.23 3.25 3.26 3.33

Literatur: Bettinghausen, Pauschale Abgeltung von Überstunden und das Modell der Vertrauensarbeitszeit unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, BB 2019, 2740; Compensis, Vertrauensarbeitszeit – arbeitnehmerbestimmte Arbeitszeit (auch) im Arbeitgeberinteresse, NJW 2007, 3089; Grimm/Freh, Der EuGH und die Arbeitszeit, ArbRB 2019, 278; Krause, Arbeit anytime? Arbeitszeitrecht für die digitale Arbeitswelt, NZA-Beilage 2019, 86; Maier, Freie Arbeitszeiteinteilung von Wissensarbeitern – Selbstbestimmung oder Ausbeutung?, DB 2016, 2723; Steffan, Arbeitszeit(recht) auf dem Weg zu 4.0, NZA 2015, 1409; Wiebauer, Arbeitsschutz und Digitalisierung, NZA 2016, 1430.

I. Worum geht es? Praktiziert ein Betrieb das Modell der Vertrauensarbeitszeit, verzichtet der Arbeitgeber auf Arbeitszeitüberwachung und die Mitarbeiter organisieren ihre Arbeitszeiteinteilung selbst.

3.1

– Bei der Idealform der Vertrauensarbeitszeit würden weder Arbeitszeiten erfasst, noch Arbeitszeitkonten geführt. Der Arbeitgeber misst die Leistung seiner Mitarbeiter allein am Ergebnis und nicht mehr am Zeiteinsatz1. – Aufgrund rechtlicher und praktischer Hindernisse lässt sich dieses Ideal i.d.R. nur eingeschränkt verwirklichen: Verbreitet sind Modelle der Vertrauensarbeitszeit, bei denen eine Arbeitszeiterfassung zwar stattfindet, allerdings auf den Arbeitnehmer selbst delegiert wird und – genauso wie die Arbeitszeiteinteilung – durch den Arbeitgeber nicht überwacht wird2. – Kennzeichnendes Merkmal jedes Vertrauensarbeitszeit-Modells bleibt allerdings, dass den Mitarbeitern noch größere Freiheiten bei der Arbeitszeiteinteilung eingeräumt werden als in einem Gleitzeitsystem. Üblicherweise wird keine verbindliche Kernarbeitszeit vorgegeben, sondern die Arbeitszeiteinteilung annähernd vollständig in das Ermessen der Mitarbeiter gestellt3. Vertrauensarbeitszeit ist häufig Ausdruck der als New Work bezeichneten Unternehmens- und Arbeitskultur: Arbeitgeber, die Vertrauensarbeitszeit praktizieren, räumen ihren Mitarbeitern typischerweise weitere Flexibilisierungsspielräume ein, um eine eigenverantwortliche Arbeitsgestaltung zu

1 Reim in Kohte/Faber/Feldhoff, § 1 ArbZG Rz. 36; Steffan, NZA 2015, 1409 (1410); Compensis, NJW 2007, 3089 (3989 f.). 2 Schüren in MünchHBArbR, § 47 Rz. 23. 3 Schrader, NZA 2019, 1035 (1039).

Grimm/Singraven

57

3.2

§ 3 Rz. 3.2

Vertrauensarbeitszeit

ermöglichen: Häufig wird Vertrauensarbeitszeit mit dem Recht der Arbeitnehmer verbunden, selbst zu entscheiden, ob sie im Betrieb erscheinen oder von zuhause aus arbeiten (vgl. zum Homeoffice § 1, Rz. 1.1 ff.)1. Z.T. wird auf feste Büroarbeitsplätze ganz verzichtet und eine freie Arbeitsplatzwahl in Open Spaces innerhalb der Betriebsstätte ermöglicht (vgl. zu Open Spaces § 2, Rz. 2.1 ff.).

3.3 Mit der Einführung von Vertrauensarbeitszeit verfolgen Unternehmen das Ziel, die Motivation ihrer Mitarbeiter zu erhöhen und eine eigenverantwortliche Arbeitseinstellung zu fördern2.

3.4 Die Mehrheit der berufstätigen Deutschen würden es bevorzugen, nach dem Modell der Vertrauensarbeitszeit zu arbeiten3. Es gibt ihnen größere Freiheiten. Allerdings löst das Modell auch Befürchtungen aus: Im Vordergrund steht die Sorge, dass Vertrauensarbeitszeit die „Selbstausbeutung“ von Arbeitnehmern fördern könnte, weil sie bei der Leistungsbewertung das Arbeitsergebnis in den Vordergrund rückt. Dieser Bewertungsansatz verbunden mit der fehlenden Überwachung von Arbeitszeit könnte – so die Befürchtung – Mitarbeiter dazu zu verleiten, verstärkt unbezahlte und heimliche Mehrarbeit zu leisten, um sich gegenüber ihren Kollegen hervorzutun oder als leistungsschwache Mitarbeiter nicht negativ aufzufallen4. Allerdings werden Arbeitgeber bei eigenverantwortlichen Tätigkeiten höherer Art – für die Vertrauensarbeitszeit typischerweise in Frage kommt – ohnehin nicht umhinkommen, die Mitarbeiterleistung am Erfolg zu messen. Der Erfolg ist es letztlich, auf den es bei jeder Arbeit ankommt.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Überblick 3.5 Bei der Einführung von Vertrauensarbeitszeit sind folgende rechtliche Vorgaben zu beachten: – Auch wenn Vertrauensarbeitszeit angeordnet ist, muss der Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen und die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitvorgaben sicherstellen (dazu Rz. 3.6 ff.). – Um Vertrauensarbeitszeit anzuordnen, braucht der Arbeitgeber keine individualvertragliche Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers (dazu Rz. 3.15 ff.). – Vertrauensarbeitszeit kann psychische Belastungen nach sich ziehen, mit denen sich der Arbeitgeber arbeitsschutzrechtlich auseinandersetzen muss (dazu Rz. 3.22). – Vor Anordnung von Vertrauensarbeitszeit ist ein bestehender Betriebsrat zwingend zu beteiligen (dazu Rz. 3.23 f.).

2. Öffentlich-rechtliche Arbeitszeitvorgaben 3.6 Die Rahmenbedingungen, unter denen Arbeitgeber Vertrauensarbeitszeit überhaupt ermöglichen dürfen, werden durch das öffentliche Arbeitszeitrecht vorgegeben. Lediglich leitende Angestellte i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG sowie Chefärzte fallen nicht in den Anwendungsbereich des ArbZG (vgl. dort § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG). Im Übrigen müssen auch bei Führungskräften und Gutverdienern5 die Arbeitszeiten erfasst (dazu Rz. 3.8 ff.) und die gesetzlichen Vorgaben bei der Arbeitszeiteinteilung beachtet werden (dazu Rz. 3.12 ff.).

1 2 3 4 5

Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 48. Compensis, NJW 2007, 3089 (3990). Bitkom, New Work: Wie arbeitet Deutschland?, 2019, S. 15. Reim in Kohte/Faber/Feldhoff, § 1 ArbZG Rz. 38 ff.; Schüren in MünchHBArbR, § 47 Rz. 28. Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1434).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 3.9 § 3

Verstoßen Unternehmen gegen gesetzliche Arbeitszeitvorgaben, kann die Aufsichtsbehörde Bußgel- 3.7 der verhängen (§ 22 ArbZG). Bei Verstößen gegen Anweisungen und Aufforderungen der Aufsichtsbehörde sowie gegen die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung drohen Bußgelder bis zu einer Höhe von 30.000 t. Für alle übrigen Verstöße liegt der Bußgeldrahmen bei 5.000 t. Bei fahrlässigem Handeln wird der Bußgeldrahmen halbiert (§ 17 Abs. 2 OWiG). Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat einen offiziellen Bußgeldkatalog veröffentlicht1. Z.T. können die Arbeitsschutzbehörden für jeden Arbeitstag, an dem Arbeitsschutzvorgaben missachtet werden, von einem gesonderten Verstoß ausgehen (Tatmehrheit)2. Einzelne Verstöße, die über einen längeren Zeitraum immer wieder begangen werden, addieren sich dann auf. Deshalb können in einem einzelnen Bescheid Bußgelder festgesetzt werden, die deutlich über den gesetzlichen Bußgeldrahmen liegen3. Gemäß § 9 OWiG können die Bußgelder nicht bloß gegen das Unternehmen als Rechtsträger festgesetzt werden, sondern außerdem gegen gesetzliche Vertreter4 sowie verantwortliche Führungskräfte persönlich5. Werden Arbeitszeitverstöße beharrlich wiederholt oder die Gesundheit oder Arbeitskraft einzelner Arbeitnehmer durch den Verstoß gefährdet, käme sogar eine Strafverfolgung der verantwortlichen Führungskräfte gem. § 23 ArbZG in Betracht. Darüber hinaus können die Aufsichtsbehörden Unternehmen durch Verwaltungsakt die Einhaltung von Arbeitszeitvorgaben aufgeben (§ 17 Abs. 2 ArbZG). Diese Verwaltungsakte können die Aufsichtsbehörden im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen6 und hierbei (zusätzlich zu etwaigen Bußgeldern7) Zwangsgelder festsetzen.

a) Arbeitszeiterfassung Nach § 16 Abs. 2 ArbZG ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Mehrarbeit (d.h. Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden am Tag i.S.d. § 3 Satz 2 ArbZG) sowie Sonn- und Feiertagsarbeit8 aller Arbeitnehmer aufzuzeichnen und die Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Diese zwingende Pflicht zur Arbeitszeitaufzeichnung muss der Arbeitgeber auch dann beachten, wenn er ein Modell der Vertrauensarbeitszeit praktiziert9.

3.8

Allerdings ist es rechtlich zulässig, wenn der Arbeitgeber die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung an den Arbeitnehmer selbst delegiert10. Üblicherweise stellt der Arbeitgeber hierzu Zeiterfassungssoftware zur Verfügung, in welche die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten selbst einpflegen. Aber auch eine Erfassung auf Stundenzetteln oder in Excel-Dokumenten käme in Betracht. Allerdings kann sich der Arbeitgeber durch diese Delegation nicht vollständig seiner originären Letztverantwortung für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitvorgaben entledigen, sondern muss sicherstellen, dass die Arbeitszeiten auch tatsächlich aufgezeichnet werden11. Hierzu muss der Arbeitgeber die Zeiterfassungen seiner Arbeitnehmer wenigstens stichprobenartig kontrollieren12. Z.T. werden hö-

3.9

1 LASI, Handlungsanleitung „Bußgeldkataloge zum Arbeitszeit-, zum Jugendarbeitsschutz- und zum Mutterschutzrecht“, LV 60 2014. 2 LASI, LV 60 2014, Rz. 4.3. 3 LASI, LV 60 2014, Rz. 5.3. 4 LASI, LV 60 2014, Rz. 6.1. 5 LASI, LV 60 2014, Rz. 6.2. 6 Arndt-Zygar/Busch in Kohte/Faber/Feldhoff, § 17 ArbZG Rz. 46. 7 Arndt-Zygar/Busch in Kohte/Faber/Feldhoff, § 17 ArbZG Rz. 47. 8 Roloff in ErfK, § 16 ArbZG Rz. 3; Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 16 ArbZG Rz. 13. 9 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, Leitsatz. 10 LAG Berlin-Brandenburg v. 3.6.2010 – 15 Sa 166/10, juris Rz. 51; Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (77); Oberthür, NZA 2013, 246 (246); Mues/Müncheberg, ArbRB 2020, 214 (217); Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); Schlottfeld/Hoff, NZA 2001, 530 (532); Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4 Rz. 94. 11 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 16 ArbZG Rz. 14; Eylert, NZA-Beilage 2017, 95 (96). 12 Bayreuther, NZA 2020, 1 (7); Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kap. 4 Rz. 94; Kamann, ArbRAktuell 2016, 75 (77).

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§ 3 Rz. 3.9

Vertrauensarbeitszeit

here Kontrollanforderungen gestellt und verlangt, dass der Arbeitgeber sämtliche Arbeitszeitaufzeichnungen im Rahmen einer monatlichen Überprüfung gegenzeichnet1. Zu weit ginge es allerdings, vom Arbeitgeber Hausbesuche bei Arbeitnehmern zu verlangen, die im Homeoffice arbeiten2. Die gesetzlichen Vorgaben lassen es also nicht zu, Vertrauensarbeitszeit als eine gänzlich kontrollfreie Zeit auszugestalten. Legal kommt Vertrauensarbeitszeit in Deutschland nur als eine Arbeitszeit mit reduzierter Kontrolle in Betracht3.

3.10 Hinweis: Der EuGH sorgte mit einem Urteil vom 14.5.20194 für Aufsehen: Nach Ansicht des EuGH müssen alle EUMitgliedsstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit (d.h. nicht nur die Mehrarbeit) gemessen werden kann. Was dies genau bedeutet, stellte der EuGH nicht näher dar5. Insbesondere schließt der EuGH in seiner Entscheidung nicht aus, dass der Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht an die Arbeitnehmer selbst delegiert6. Auch nach der Entscheidung des EuGH bleibt die Delegation der Aufzeichnungspflicht voraussichtlich weiterhin zulässig. Das EuGH-Urteil befasst sich mit der Auslegung der Richtlinie RL 2003/88/EG. Der Wortlaut des § 16 Abs. 2 ArbZG wird den strengen, durch den EuGH gestellten Anforderungen nicht gerecht, sondern verlangt lediglich, das Mehrarbeitszeiten, nicht aber sämtliche Arbeitszeiten aufgezeichnet werden. Solange die weitergehenden, durch den EuGH gestellten Anforderungen allerdings nicht in nationales Recht transformiert wurden, erlangen sie für private Arbeitgeber in Deutschland keine unmittelbare Geltung7. Abzuwarten bleibt, ob, wann und in welcher Form der Gesetzgeber das ArbZG in Reaktion auf die EuGH-Entscheidung anpasst. Die Regierungskoalition aus SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP hat im Koalitionsvertrag vereinbart, die bestehende Rechtslage überprüfen zu wollen und ggf. anzupassen. Vertrauensarbeitszeit möchte sie aber in jedem Fall weiter ermöglichen8. Bis dahin ist vorstellbar, dass Aufsichtsbehörden und Gerichte unter Eindruck der EuGH-Judikatur im Wege einer europarechtskonformen Auslegung strengere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht von Arbeitgebern stellen, wenn sie von Arbeitnehmern gefertigte Arbeitszeitaufzeichnungen stichprobenhaft überprüfen9. Zu weit ginge es allerdings, sämtlich durch den EuGH aufgestellte Wertungen in die nationalen Rechtsvorschriften einfach „hineinzulesen“ (str.)10.

3.11 Weitergehende Aufzeichnungspflichten ergeben sich, wenn der Arbeitgeber – 450-Euro-Jobber i.S.d. § 8 SGB IV beschäftigt (§ 17 MiLoG), – in einer Branche nach § 2a SchwarzArbG (§ 17 MiLoG) tätig ist oder – Leiharbeitnehmer einsetzt (§ 17c AÜG).

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

60

Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (281); a.A. Bayreuther, NZA 2020, 1 (7). So aber Schrader, NZA 2019, 1035 (1039). Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 16 ArbZG Rz. 15; Bayreuther, NZA 2020, 1 (9). EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162 („Stechuhr-Urteil“). Kritisch z.B. Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (279); eingehend hierzu Litschen, öAT 2021, 92. Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280 f.); Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263 (264); zweifelnd Kaufmann, ArbRAktuell 2019, 277 (277). Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (279 f.). S. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Rz. 2246 ff. Es ist vorstellbar, dass angesichts der durch den EuGH aufgestellten Wertungen eine bloß stichprobenhafte Überprüfung selbstgefertigter Arbeitszeitaufzeichnungen des Arbeitnehmers nicht mehr ausreicht, vgl. Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (281). Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (279 f.); Leist, jurisPR-ArbR 22/2019 Anm. 1; Sittard/Esser, jM 2019, 284 (286); Winzer, ArbRAktuell 2020, 634 (634); Ubber, BB 2019, 1978 (1984); a.A. ArbG Emden v. 24.9.2020 – 2 Ca 144/20, ArbRB 2021, 71 (Markowski) = juris Rz. 60 ff.; Ulber, NZA 2019, 677 (680 f.); Schrader, NZA 2019, 1035 (1036).

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 3.16 § 3

In diesen Fällen muss der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der betroffenen Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre lang aufbewahren.

b) Arbeitszeiteinteilung Der Arbeitgeber darf seinen Arbeitnehmern nicht unbeschränkte Freiheiten bei der Einteilung ihrer Arbeitszeit einräumen. Auch wenn Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst einteilen, müssen sie die Vorgaben des ArbZG einhalten. Dies bedeutet:

3.12

– Der Arbeitnehmer darf täglich nicht länger als zehn Stunden arbeiten (§ 3 Satz 2 ArbZG). – Innerhalb von 24 Wochen darf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden1. – Länger als sechs Stunden hintereinander dürfen Arbeitnehmer nicht ohne Ruhepause tätig sein. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden muss der Arbeitnehmer mindestens 30 Minuten pausieren und bei längeren Arbeitszeiten mindestens 45 Minuten. Eine Pause muss mindestens 15 Minuten umfassen (§ 4 ArbZG). – Nach jedem Arbeitstag muss der Arbeitnehmer eine Ruhezeit von 11 Stunden einhalten, bis er am nächsten Arbeitstag die Arbeit wieder aufnimmt (§ 5 Abs. 1 ArbZG). – An Sonn- und Feiertagen darf grundsätzlich nicht gearbeitet werden (§ 9 BUrlG). Grundsätzlich darf der Arbeitgeber seine Mitarbeiter anweisen, ihre Arbeitszeit selbst einzuteilen und dabei selbständig auf die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben zu achten2. Allerdings muss er sicherstellen, dass die Arbeitnehmer seine Vorgaben auch umsetzen, indem er erfasste Arbeitszeiten zumindest stichprobenhaft kontrolliert und bei Arbeitszeitverstößen aktiv eingreift3.

3.13

Hinweis:

3.14

Wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst, können marktübliche Software-Produkte so eingerichtet werden, dass sie die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben automatisch prüfen.

3. Individualvertragliche Rahmenbedingungen a) Anordnung von Vertrauensarbeitszeit Die Einführung von Vertrauensarbeitszeit setzt keine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer voraus. Vielmehr kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Ausübung seines Direktionsrechtes (§ 106 GewO) die einseitige Anweisung erteilen, künftig seine Arbeitszeit (unter Berücksichtigung betrieblicher Erfordernisse sowie der Vorgaben des ArbZG, dazu Rz. 3.12 f.) selbst einzuteilen. Aufgrund seines Direktionsrechtes kann der Arbeitgeber ebenfalls einseitig anordnen, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit selbst erfassen muss4.

3.15

Die Anordnung von Vertrauensarbeitszeit ändert nichts am rechtlichen Charakter des Arbeitsver- 3.16 hältnisses. Zwar gilt die freie Arbeitszeiteinteilung als typisches Kennzeichen selbständiger Tätigkei-

1 Gragert/Katerndahl in MünchHBArbR, § 14 Rz. 34. 2 Dies wird zu Recht für selbstverständlich gehalten. Näher problematisiert wurde diese Thematik in Literatur und Rechtsprechung bislang allerdings eher am Rande, vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 27.4.2018 – 1 Sa 361/17, juris Rz. 41; Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 4 ArbZG Rz. 32. 3 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433); Schlottfeld/Hoff, NZA 2001, 530 (532); Krause, NZA-Beilage 2019, 86 (89); Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 4 ArbZG Rz. 32. 4 Bayreuther, NZA 2020, 1 (7).

Grimm/Singraven

61

§ 3 Rz. 3.16

Vertrauensarbeitszeit

ten. Wurde mit einem Mitarbeiter allerdings ausdrücklich ein „Arbeitsvertrag“ vereinbart, findet Arbeitsrecht Anwendung. Dies kann der Arbeitgeber nicht einseitig nachträglich ändern, indem er auf Arbeitszeitvorgaben verzichtet1.

b) Missbrauchsrisiken 3.17 Arbeitnehmer können die Spielräume, welche ihnen Vertrauensarbeitszeit einräumt, missbrauchen. Ein zentrales Risiko besteht darin, dass Arbeitnehmer eigenmächtig Überstunden leisten, obwohl keine betriebliche Notwendigkeit besteht. Einige Arbeitnehmer bauen auf diese Weise willkürlich erhebliche Arbeitszeitguthaben auf oder konfrontieren den Arbeitgeber erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit heimlich geführten Überstundenlisten, die der Arbeitgeber angeblich noch abgelten müsste. Überstunden sind auch bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit zu vergüten2. Ist die Vergütung von Überstunden nicht näher geregelt, ist gem. § 612 BGB der auch sonst übliche Stundenlohn zu leisten3.

3.18 Der Arbeitgeber muss Überstunden allerdings nur dann vergüten (oder einem Arbeitszeitkonto anrechnen), wenn er sie selbst veranlasst hat. „Aufgedrängte“ Überstunden muss er nicht bezahlen. Von einer Veranlassung der Überstunden durch den Arbeitgeber ist in folgenden Fällen auszugehen: – Der Arbeitgeber ordnet konkludent Überstunden an, wenn er Arbeitnehmern Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist4. – Überstunden gelten auch dann als durch den Arbeitgeber veranlasst, wenn er sie nachträglich billigt5. Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitgeber durch den Arbeitnehmer gefertigte Arbeitszeitaufzeichnungen abzeichnet6 oder wenn er die Überstunden als Saldo eines Arbeitszeitkontos vorbehaltlos ausweist7. Eine widerspruchslose Entgegennahme der vom Arbeitnehmer gefertigten Arbeitszeitaufzeichnungen reicht hingegen nicht aus8. – Der Arbeitgeber muss sich Überstunden auch dann anrechnen lassen, wenn er sie wissentlich duldet. Davon ist auszugehen, wenn er in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden für die Zukunft zu unterbinden9. Im gerichtlichen Verfahren trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Arbeitgeber von ihm geleistete Überstunden veranlasst hatte10.

1 Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 50; Maier, DB 2016, 2723 (2723); anders als Compensis andeutet (vgl. NJW 2007, 3089 (3991)) findet auch kein Werkvertragsrecht im Arbeitsverhältnis Anwendung. 2 BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 31. 3 BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 31; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361 = juris Rz. 18 ff. 4 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 17. 5 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 19; BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 44. 6 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 19; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 4.5.2021 – 5 Sa 343/20, Leitsatz 2. 7 BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, ArbRB 2016, 72 = juris Rz. 23; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 4.5.2021 – 5 Sa 343/20, juris Rz. 66. 8 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 19; BAG v. 25.5.2005 – 5 AZR 319/04, juris Rz. 22; a.A. ArbG Emden v. 24.9.2020 – 2 Ca 144/20, ArbRB 2021, 71 (Markowski) = juris Rz. 60 ff. 9 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 21; a.A. ArbG Emden v. 24.9.2020 – 2 Ca 144/20, ArbRB 2021, 71 (Markowski) = juris Rz. 60 ff. 10 BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 15; BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, ArbRB 2016, 72 = juris Rz. 29 ff.

62

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 3.22 § 3

Fordert der Arbeitnehmer im Klagewege Überstundenvergütung ein, müsste er dem Gericht eigent- 3.19 lich beweisen, dass er die geltend gemachten Überstunden auch tatsächlich abgeleistet hat. Trotzdem fordern die ArbG eine solche Beweisführung nur sehr selten: Stattdessen wird der Arbeitnehmer im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast privilegiert: Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast dadurch, dass er entweder vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet hat (z.B. unter Vorlage von Auszügen aus einer Zeiterfassung)1 oder indem er auf einen durch das Zeiterfassungssystem des Arbeitgebers vorbehaltlos ausgewiesenen Konto-Saldo hinweist2. Im Prozess kann der Arbeitgeber den Vortrag des Arbeitnehmers nur bestreiten, indem er substantiiert darstellt, wo genau die Stunden fehlerhaft erfasst bzw. durch Freizeit an anderen Tagen abgegolten worden sind. Allerdings kennzeichnet es die Vertrauensarbeitszeit, dass der Arbeitgeber im Regelfall nicht im Einzelnen weiß, wann der Arbeitnehmer genau arbeitet. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist jedoch unzulässig. Lässt sich der Arbeitgeber nicht substantiiert ein, gelten die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Arbeitsstunden als zugestanden3. Die Anordnung von Vertrauensarbeitszeit berührt nicht die Verpflichtung des Arbeitnehmers, Ar- 3.20 beitszeit im arbeitsvertraglich vereinbarten und nach Stunden bemessenen Umfang abzuleisten4. Wann immer Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten eigenverantwortlich aufzeichnen, besteht allerdings das Risiko, dass einzelne Arbeitnehmer die Arbeitszeiterfassung manipulieren und Zeiten eintragen, die sie nie abgeleistet haben. Im Falle von Vertrauensarbeitszeit besteht wegen der fehlenden Überwachung ein hohes Risiko, dass Arbeitnehmer mit solchen Manipulationen „durchkommen“. Die vorsätzliche Manipulation von Arbeitszeitaufzeichnungen bleibt trotzdem Arbeitszeitbetrug (§ 263 StGB). Kann der Arbeitgeber den Betrug nachweisen, ist eine fristlose Kündigung gerechtfertigt5. Schon bei dringendem Tatverdacht kann eine Verdachtskündigung gerechtfertigt sein6, wenn deren weitere Voraussetzungen vorliegen (dazu Rz. 14.33 ff.).

3.21

Hinweis: Wenn der Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto einführt, auf dem Mehrarbeitsstunden ausgewiesen werden, sollte er den Umgang mit Überstunden aktiv steuern. Dies gilt auch im Falle einer Vertrauensarbeitszeit. Lässt der Arbeitgeber es hingegen zu, dass die Arbeitnehmer eigenmächtig (auch durch falsche Eintragungen) große positive Überstunden-Salden aufbauen und weist der Arbeitgeber diese Überstunden-Salden in seinem System vorbehaltlos aus, muss er sie vergüten (vgl. Rz. 3.18). Die Verantwortung liegt bei den Führungskräften: Es ist die Aufgabe des direkten Vorgesetzten, rechtzeitig einzuschreiten, wenn die Arbeitszeitkonten einzelner Arbeitnehmer „explodieren“ oder wenn ihm auffällt, dass Arbeitnehmer falsche Arbeitszeiten eintragen und dadurch Arbeitszeitbetrug begehen.

4. Arbeitsschutz Vertrauensarbeitszeit kann psychische Belastungen nach sich ziehen und ist unter diesem Gesichtspunkt arbeitsschutzrechtlich relevant7. Da Vertrauensarbeitszeit bei Leistungsbewertungen die Arbeitsergebnisse in den Mittelpunkt rückt, kann sich der Leistungsdruck erhöhen. Außerdem helfen

1 BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 39. 2 BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, ArbRB 2016, 72 = juris Rz. 23. 3 BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 39; BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, ArbRB 2016, 72 = juris Rz. 23; BAG v. 18.4.2012 – 5 AZR 248/11, ArbRB 2012, 300 = juris Rz. 14; BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 347/11, ArbRB 2012, 301, Orientierungssatz 2. 4 BAG v. 15.5.2013 – 10 AZR 325/12, ArbRB 2013, 296 = juris Rz. 26. 5 BAG v. 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, ArbRB 2019, 100 = juris Rz. 17; BAG v. 26.9.2013 – 2 AZR 682/12, ArbRB 2014, 133 = juris Rz. 54; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 381/10, ArbRB 2012, 75 = juris Rz. 14. 6 Vgl. z.B. LAG Rheinland-Pfalz v. 21.7.2020 – 8 TaBV 12/19, juris Rz. 122 ff.; Hessisches LAG v. 7.2.2014 – 3 Sa 575/13, juris Rz. 68 ff.; LAG Sachsen v. 17.12.2009 – 1 Sa 383/09, juris Rz. 56 ff.; LAG Hamm v. 3.11.2005 – 15 Sa 1060/05, juris Rz. 50. 7 Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 48.

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3.22

§ 3 Rz. 3.22

Vertrauensarbeitszeit

einzelnen Arbeitnehmern zwingende Arbeitszeitvorgaben bei der Alltagsstrukturierung und Selbstdisziplinierung, die mit der Einführung von Vertrauensarbeitszeit entfallen. Allerdings bietet die Vertrauensarbeitszeit zugleich erhebliche, arbeitspsychologische Vorteile: Jeder Arbeitnehmer kann die Arbeitszeitverteilung selbst an seine eigenen – auch gesundheitlichen – Bedürfnisse anpassen. Wie mit diesen Problemstellungen insgesamt umgegangen wird, muss im Rahmen einer arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen (dazu eingehend Rz. 21.10 ff.) bewertet und entschieden werden.

5. Mitbestimmung des Betriebsrates 3.23 Einführung und Ausgestaltung von Vertrauensarbeitszeit unterliegt umfassend der Mitbestimmung des Betriebsrates. – Die Einrichtung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt1. Will der Arbeitgeber die Arbeitszeit in Formularen aus Papier, z.B. über Stundenzettel, erfassen, ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG2. – Zwar steht dem Betriebsrat kein förmliches Initiativrecht zu, mit dem er die Einführung einer Arbeitszeiterfassung verlangen kann3. Allerdings kann der Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG monatliche Auskunft über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit für jeden Arbeitstag verlangen4. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, entsprechende Arbeitszeitaufzeichnungen anzufertigen, damit er den Auskunftsanspruch des Betriebsrates erfüllen kann5. Auf diese Weise kann der Betriebsrat den Arbeitgeber indirekt zur Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung zwingen6. Bei der Ausgestaltung dieses Systems bestimmt der Betriebsrat dann gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 u. Nr. 6 BetrVG mit. – Legt der Arbeitgeber das Recht zur Arbeitszeiteinteilung in die Hände seiner Mitarbeiter, ist diese Organisationsentscheidung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 u. Nr. 3 BetrVG mitbestimmt7. Der Betriebsrat darf von seinem Mitbestimmungsrecht in der Weise Gebrauch gemachen, dass die Festlegung der Lage der Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst überlassen bleibt. Die Entscheidung, den Arbeitnehmern die Arbeitszeiteinteilung zu überlassen, stellt keinen unzulässigen Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dar8. – Bei Arbeitsschutzfragen ist der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen. Insbesondere kann der Betriebsrat verlangen, dass psychische Belastungen der Vertrauensarbeitszeit im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung untersucht werden (dazu Rz. 3.22, eingehend Rz. 20.33 und Rz. 21.10 ff.).

3.24 Der Arbeitgeber darf es nicht dulden, dass Arbeitnehmer eigenmächtig Arbeitszeiten leisten, die mit dem Betriebsrat nicht abgestimmt sind. Der Betriebsrat hat einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber das gemeinsam vereinbarte Arbeitszeitregime durchsetzt und durch aktives Einwirken Arbeitnehmer davon abhält, auch unbezahlte und nicht dokumentierte

1 Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263 (265); einschränkend Wiesenecker, BB 2020, 564 (565). 2 BAG v. 9.12.1980 – 1 ABR 1/78, Leitsatz; Fuhlrott/Garden, ArbRAktuell 2019, 263 (265). 3 LAG Niedersachsen v. 22.10.2013 – 1 TaBV 53/13, Leitsatz; Wiesenecker, BB 2020, 564 (565); a.A. LAG Hamm v. 27.7.2021 – 7 TaBV 79/20, ArbRB 2021, 303, Leitsatz. 4 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, Leitsatz. 5 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris Rz. 63 ff. 6 Brors, NZA 2019, 1176 (1178). 7 LAG Berlin v. 29.11.2005 – 7 TaBV 1471/05, juris Rz. 18 ff.; Compensis, NJW 2007, 3089 (3092); Steffan, NZA 2015, 1409 (1410); Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 54. 8 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris Rz. 66; BAG v. 18.4.1989 – 1 ABR 3/88, juris Rz. 30.

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III. Best Practice

Rz. 3.28 § 3

Überstunden zu leisten1. Handelt es sich bei den eigenmächtig erbrachten Überstunden allerdings bloß um Einzelfälle, die ohne Wissen und Mitwirkung des Arbeitgebers erfolgten, kann der Betriebsrat den Arbeitgeber hierfür nicht verantwortlich machen2.

III. Best Practice Um Missbrauchsrisiken bei der Einführung von Vertrauensarbeitszeit zu begrenzen, kann der Arbeitgeber vorbeugende Regelungen in den Arbeitsverträgen seiner Mitarbeiter treffen (dazu Rz. 3.26 ff.).

3.25

Besteht ein Betriebsrat, ist die Vertrauensarbeitszeit mitbestimmt (s. bereits Rz. 3.23) und wird üblicherweise in einer Betriebsvereinbarung geregelt (dazu Rz. 3.33 ff.).

1. Arbeitsvertragsklauseln zur Missbrauchsvermeidung Das Hauptrisiko bei praktizierter Vertrauensarbeitszeit besteht darin, dass Mitarbeiter ohne Abstim- 3.26 mung mit dem Arbeitgeber große Mengen an Überstunden aufbauen und – typischerweise erst nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses – deren Abgeltung fordern. Legt der Arbeitnehmer vor Gericht seine Arbeitszeiten substantiiert dar und ergeben sich hunderte von Überstunden, könnte der Arbeitgeber dies nur bestreiten, wenn er dazu in der Lage wäre, die „tatsächlichen“ Arbeitszeiten konkret zu schildern. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist nicht möglich (vgl. Rz. 3.20). Auch der Einwand, die Überstunden wären eigenmächtig und unabgestimmt geleistet worden und müssten deshalb nicht vergütet werden, ist unsicher: Die Rechtsprechung des BAG kennt zahlreiche Fallkonstellationen, in denen sie dem Arbeitgeber trotzdem zugerechnet werden (vgl. Rz. 3.18). Instanzgerichte sind teilweise noch strenger3. Der Arbeitgeber kann die Vergütungsansprüche für Überstunden begrenzen, indem er Abgeltungs- 3.27 klauseln in den Arbeitsvertrag aufnimmt. Allerdings sind hierbei die Grenzen des AGB-Rechts zu beachten: Nur bei Gutverdienern kann eine pauschale Abgeltung sämtlicher Überstunden im Arbeitsvertrag wirksam vereinbart werden. Liegt das Einkommen eines Arbeitnehmers oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (2022 in den alten Bundesländern: 84.600 EUR/Jahr), geht die Rechtsprechung selbst dann, wenn keine arbeitsvertragliche Regelung getroffen wurde, davon aus (§ 612 BGB), dass Überstunden nicht zu vergüten sind4. Bei Normal- und Geringverdienern kann eine pauschale Abgeltung sämtlicher Überstunden hingegen nicht wirksam vereinbart werden5. Selbst in einer Betriebsvereinbarung wäre eine solche Festlegung i.d.R. unzulässig6. Zulässig sind allerdings Klauseln, nach denen eine konkret definierte Höchstzahl von Überstunden mit dem Grundgehalt abgegolten ist. Bei solchen Klauseln kann der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss nämlich erkennen, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss7. Werden weitere Überstunden erforderlich, sind diese zu vergüten. Das BAG hält eine AGB-Klausel für zulässig, nach der bei einer 40-Stunden-Woche 20 Über-

1 2 3 4

BAG v. 29.4.2004 – 1 ABR 30/02, juris Rz. 118 ff. BAG v. 28.7.2020 – 1 ABR 18/19, ArbRB 2020, 337 (Hülbach) = juris Rz. 19 ff. Vgl. z.B. ArbG Emden v. 24.9.2020 – 2 Ca 144/20, ArbRB 2021, 71 (Markowski) = juris Rz. 60 ff. BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, ArbRB 2012, 232 = juris Rz. 21; BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361 = juris Rz. 17 ff. 5 BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361, Orientierungssatz 1; Lunk/Leder, NJW 2015, 3766 (3768). 6 Vgl. BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18, ArbRB 2019, 328 = juris Rz. 26 ff.; eingehend hierzu Bettinghausen, BB 2019, 2740 (2740 ff.). 7 BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361, Orientierungssatz 1.

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3.28

§ 3 Rz. 3.28

Vertrauensarbeitszeit

stunden pro Monat mit dem Grundgehalt abgegolten sind1. Klauseln, nach denen deutlich mehr als 10 Prozent der Regelarbeitszeit in Form von unbezahlten Überstunden abgerufen werden könnte, gingen nach h.M. allerdings zu weit2. Bei Geringverdienern darf eine Abgeltungsklausel außerdem nicht dazu führen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn oder die Grenze des sittenwidrigen Lohnwuchers unterschritten wird3. Voraussetzung für eine transparente Klauselgestaltung ist, dass der Arbeitsvertrag die wöchentliche Regelarbeitszeit definiert4.

3.29 Im Arbeitsvertrag kann der Arbeitgeber außerdem die Bedingungen festlegen, unter denen der Arbeitnehmer Überstunden leisten darf. Z.B. kann der Arbeitsvertrag vorsehen, dass Überstunden nur bei ausdrücklicher Anordnung oder Genehmigung durch den Vorgesetzten vergütet werden. Leistet der Arbeitnehmer eigenmächtig Überstunden, ohne dass diese ausdrücklich angeordnet wurden, muss der Arbeitgeber die Überstunden grundsätzlich nicht vergüten5. Werden die Arbeitsverhältnisse jedoch faktisch anders gelebt und nimmt der Arbeitgeber wissentlich und in großem Umfang Überstunden entgegen, die nie angeordnet wurden, wird er sie trotz abweichender arbeitsvertraglicher Regelung vergüten müssen (§ 242 BGB).

3.30 Eine Arbeitsvertragsklausel, welche die Vergütung von Überstunden weitreichend begrenzt, kann wie folgt formuliert werden:

M 3.1 Arbeitsvertragsklausel Arbeitszeit/Überstunden § (…) Arbeitszeit (1) Die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen beträgt 40 Stunden pro Woche. Die Verteilung der Arbeitszeit richtet sich nach den jeweiligen Vorgaben des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber kann Vertrauensarbeitszeit anordnen; soweit im Rahmen der Anordnung von Vertrauensarbeitszeit nichts anderes bestimmt wird, verteilt und dokumentiert der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit dann selbst, muss aber den betrieblichen Anforderungen sowie den gesetzlichen Vorgaben des ArbZG Rechnung tragen und von sich aus die vertraglich vereinbarte, regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit ableisten. (2) Bei entsprechendem betrieblichem Bedarf ist der Arbeitnehmer verpflichtet, in zumutbarem Maß innerhalb des arbeitszeitrechtlich zulässigen Rahmens Überstunden (ggf. auch an Wochenenden und Feiertagen) zu leisten. (3) Überstunden bis zu 20 Stunden pro Monat sind mit dem monatlichen Grundgehalt abgegolten6. Darüberhinausgehende Überstunden werden nur vergütet oder in Freizeit ausgeglichen, wenn sie ausdrücklich angeordnet oder vereinbart wurden. Der Umstand, dass der Arbeitgeber Überstunden im Rahmen der Arbeitszeiterfassung (auch im Rahmen des Saldos eines Arbeitszeitkontos) dokumentiert und ausweist, ist nicht als Genehmigung dieser Überstunden zu verstehen, sondern erfolgt unter dem Vorbehalt der nachträglichen Überprüfung, soweit hierbei nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird7. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien eine Reduzierung der regelmäßigen Arbeitszeit nach

1 BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 331/11, ArbRB 2012, 269, Leitsatz; kritisch Preis in Preis, II M 20 Rz. 13 f. 2 Lunk/Leder, NJW 2015, 3766 (3768); Schramm/Kuhnke, NZA 2012, 127 (128); ähnlich Preis in Preis, II M 20 Rz. 30; Richter/Schreynemackers, ArbRB 2019, 288 (290 f.); für eine 25-Prozent-Grenze dagegen Bauer/Merten, RdA 2012, 178 (179 f.). 3 Preis in Preis, II M 20 Rz. 15. 4 Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 51. 5 Preis in Preis, II M 20 Rz. 17 f.; Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204 (206). 6 Diese Klausel wird bei einer 40-Stunden-Woche für zulässig gehalten. Liegt die regelmäßige Wochenarbeitszeit niedriger, müssen auch die abgegoltenen Überstunden reduziert werden. Nach h.M. darf ein Volumen von 10 Prozent der regelmäßigen Wochenarbeitszeit nicht spürbar überschritten werden (vgl. Rz. 3.28). 7 Grundsätzlich darf der Arbeitnehmer die Ausweisung eines Arbeitszeitkontensaldos oder die Abzeichnung von Stundenzetteln durch Vorgesetzte als Genehmigung geleisteter Überstunden verstehen, BAG

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III. Best Practice

Rz. 3.33 § 3

Abs. 1, z.B. im Rahmen von Teilzeit, reduziert sich die Zahl der nach Satz 1 monatlich abgegoltenen Überstunden proportional.

Um sich zusätzlich abzusichern, empfiehlt es sich für Arbeitgeber, eine (AGB-rechtlich wirksame) Ausschlussfrist (auch Verfallsklausel genannt) in den Arbeitsvertrag auszunehmen1. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber verhindern, dass Arbeitnehmer über Jahre hinweg heimlich Überstunden privat aufschreiben und den Arbeitgeber erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit ihnen konfrontieren. Die Ausschlussfrist stellt sicher, dass Ansprüche auf Überstundenvergütung verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Verfallsklauseln bewirken allerdings nicht den Verfall eines ausdrücklich ausgewiesenen positiven Saldos eines Arbeitszeitkontos2. Lediglich der Anspruch auf Korrektur eines ausdrücklich ausgewiesenen Kontostandes des Arbeitszeitkontos kann dem Verfall unterliegen3.

3.31

Die Ausschlussfrist kann z.B. wie folgt gestaltet werden:

3.32

M 3.2 Arbeitsvertragsklausel Ausschlussfrist § (…) Ausschlussfrist (1) Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind von den Vertragsparteien innerhalb von drei Monaten4 nach ihrer Fälligkeit in Textform5 geltend zu machen. Erfolgt dies nicht, verfallen diese Ansprüche. (2) Dies gilt nicht bei unverzichtbaren Ansprüchen, z.B. auf den gesetzlichen Mindestlohn6, bei Ansprüchen wegen Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sowie bei vorsätzlichen7 Pflichtverletzungen.

2. Betriebsvereinbarung Besteht ein Betriebsrat, unterliegt Vertrauensarbeitszeit der Mitbestimmung. In einer Betriebsvereinbarung kann vereinbart werden, dass die Arbeitszeiteinteilung den Arbeitnehmern selbst überlassen bleibt8. Auch die Arbeitszeiterfassung muss mit dem Betriebsrat geregelt werden (vgl. Rz. 3.23).

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8

v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 19; BAG v. 23.9.2015 – 5 AZR 767/13, ArbRB 2016, 72 = juris Rz. 23. Diesen Grundsatz soll die Klausel abbedingen. Ob dies AGB-rechtlich möglich ist, wurde durch das BAG bislang nicht entschieden und ist deshalb sehr unsicher. Raif/Nann, ArbRAktuell 2016, 204 (206). BAG v. 20.11.2019 – 5 AZR 578/18, ArbRB 2020, 102 (Hülbach) = juris Rz. 25; BAG v. 20.6.2018 – 5 AZR 262/17, ArbRB 2018, 363 = juris Rz. 39. BAG v. 31.7.2014 – 6 AZR 759/12, juris Rz. 29 ff. Kürzere Ausschlussfristen als drei Monate können nicht in AGB, sondern allenfalls in Tarifverträgen vereinbart werden, BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, ArbRB 2006, 70, Leitsätze. Wegen § 309 Nr. 13 lit. b BGB darf Schriftform nicht verlangt werden. Unverzichtbare Ansprüche insbesondere auf den gesetzlichen Mindestlohn müssen von der Ausschlussfrist ausgenommen werden, sonst ist diese unwirksam; BAG v. 24.8.2016 – 5 AZR 703/15, ArbRB 2017, 4 = juris Rz. 22; BAG v. 22.10.2019 – 9 AZR 532/18, ArbRB 2020, 136 (Hülbach) = juris Rz. 39. Fälle der Vorsatzhaftung dürfen nicht Gegenstand der Ausschlussfrist sein, grundlegend BAG v. 28.9.2005 – 5 AZR 52/05, ArbRB 2006, 70 = juris Rz. 20. Dass die Ausschlussfrist nicht für vorsätzliche Ansprüche auf Schadensersatz gilt, muss in der Vertragsklausel ausdrücklich klargestellt werden, BAG v. 26.11.2020 – 8 AZR 58/20, ArbRB 2021, 132 (Hülbach), Leitsatz 1; BAG v. 9.3.2021 – 9 AZR 323/20, juris Rz. 14 ff. BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris Rz. 66; BAG v. 18.4.1989 – 1 ABR 3/88, juris Rz. 30.

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3.33

§ 3 Rz. 3.34

Vertrauensarbeitszeit

3.34 M 3.3 Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit Betriebsvereinbarung – Vertrauensarbeitszeit Fassung … vom (Datum) … Präambel Die Betriebsparteien wollen möglichst vielen Mitarbeitern eine Teilnahme am Modell der Vertrauensarbeitszeit ermöglichen. Auf diese Weise soll eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Arbeiten gefördert und die Vereinbarung der privaten Lebensgestaltung mit bestehenden Arbeitsanforderungen erleichtert und flexibilisiert werden. Allerdings wird kein Mitarbeiter dazu gezwungen, sich am Modell der Vertrauensarbeitszeit zu beteiligen. Vor diesem Hintergrund beschließen die Betriebsparteien, was folgt: § 1 Geltungsbereich; beiderseitige Freiwilligkeit (1) Der Arbeitgeber kann mit sämtlichen Arbeitnehmern des Betriebs i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG (nachgehend: Mitarbeiter) auf Grundlage beiderseitiger Freiwilligkeit vereinbaren, dass Vertrauensarbeitszeit praktiziert wird. Ausgenommen sind hiervon allerdings Mitarbeiter, die – im Schichtdienst arbeiten, – Assistenztätigkeiten ausführen, – aufgrund ihrer Tätigkeit zu festen Zeiten kurzfristig verfügbar sein müssen. Alle übrigen Mitarbeiter haben gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber mit ihnen mündlich die Möglichkeit der Vertrauensarbeitszeit erörtert; zum Erörterungsgespräch kann der Mitarbeiter ein Mitglied des Betriebsrates hinzuziehen. Soweit der Arbeitgeber Vertrauensarbeitszeit anbietet, erfolgt dies unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Billigkeit (§ 75 BetrVG)1. (2) Für Mitarbeiter, mit denen Vertrauensarbeitszeit vereinbart wurde, gelten die Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung. Die Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung treten dann an Stelle etwaiger abweichender betrieblicher Regelungen, insbesondere soweit es um die Arbeitszeiteinteilung und Arbeitszeiterfassung geht. Der Arbeitgeber informiert den Betriebsrat über alle Mitarbeiter, mit denen Vertrauensarbeitszeit vereinbart ist. (3) Eine vereinbarte Vertrauensarbeitszeit kann von Seiten des Arbeitgebers sowie des Mitarbeiters jederzeit mit einer Ankündigungsfrist von einem Monat zum Monatsende mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Der Widerruf von Seiten des Arbeitgebers ist nur dann zulässig, wenn der Widerruf dem Mitarbeiter nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zugemutet werden kann (§ 106 GewO) und wenigstens einer der folgenden Widerrufsgründe vorliegt: a) aufgrund konkreter Tatsachen ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Mitarbeiter seine Arbeitszeit nicht ordnungsgemäß leistet oder ordnungsgemäß erfasst, b) wegen einer mangelnden Erreichbarkeit des Mitarbeiters während Zeiten, in denen Erreichbarkeit üblicherweise erwartet werden kann, werden betriebliche Abläufe wiederholt erheblich gestört,

1 In einer Betriebsvereinbarung können diejenigen Arbeitnehmergruppen abschließend und verbindlich bezeichnet werden, für welche die Vertrauensarbeitszeit gelten soll. Oft bereitet eine generalisierende Gruppierung allerdings Schwierigkeiten, da es vom genauen Tätigkeitsinhalt sowie dem individuellen Verantwortungsbewusstsein der Arbeitnehmer abhängt, ob Vertrauensarbeitszeit praktisch funktioniert. Einen anderen Ansatz wählt diese Betriebsvereinbarung: Sie ermächtigt den Arbeitgeber dazu, mit allen Arbeitnehmern Vertrauensarbeitszeit zu vereinbaren, die dies wünschen. Ohne Zustimmung des Betriebsrates wäre eine solche Vereinbarung in mitbestimmten Betrieben nicht zulässig.

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III. Best Practice

Rz. 3.34 § 3

c) der Mitarbeiter verstößt bei seiner eigenständigen Arbeitszeiteinteilung nachweislich gegen zwingende Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes, d) der Mitarbeiter wechselt auf eine andere Position und/oder sein Aufgabenbereich wird wesentlich geändert, wenn dies einvernehmlich erfolgt oder durch den Arbeitgeber unter Beachtung billigen Ermessens (§ 106 GewO) angeordnet wurde, e) der Inhalt dieser Betriebsvereinbarung gilt nicht mehr oder wird grundlegend geändert, f) die Vertrauensarbeitszeit stellt sich aus sachlichem Grund, auch unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrung und des bislang gezeigten Verhaltens des Mitarbeiters, unter Abwägung der beiderseitigen Interessen sowie der Interessen der übrigen Mitarbeiter des Betriebes in einer Gesamtwertung als unverhältnismäßig belastend dar, weil die ordnungsgemäße Leistungserbringung, ein reibungsfreier Arbeitsablauf, die wechselseitige Abstimmung mit Vorgesetzten, Kunden und/oder Kollegen und/oder die Aufsicht über den Mitarbeiter unzumutbar beeinträchtigt ist. Jeder Widerruf ist dem Betriebsrat unverzüglich anzuzeigen1. (4) Diese Betriebsvereinbarung gilt nicht für leitende Angestellte2 i.S.d. § 5 Abs. 3 u. 4 BetrVG. § 2 Arbeitszeiteinteilung (1) Bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit teilt der Mitarbeiter seine Arbeitszeit selbständig ein. Bei der selbständigen Arbeitszeiteinteilung muss der Mitarbeiter folgende Vorgaben zwingend beachten: a) Der Mitarbeiter muss die arbeitsvertraglich geschuldete Wochenarbeitszeit in jeder Woche vollständig von sich aus ableisten. Ist der Mitarbeiter dazu in der Lage, die ihm zugewiesenen Arbeitsaufgaben in deutlich kürzerer Zeit angemessen zu bewältigen, muss er dem Arbeitgeber eigeninitiativ anzeigen, dass er für weitere Arbeitsaufgaben zur Verfügung steht3. b) Der Mitarbeiter darf nicht von sich aus Überstunden leisten, die nach seinem Arbeitsvertrag zu vergüten wären. Vergütungspflichtige Überstunden dürfen nur auf Anordnung des Arbeitgebers geleistet werden und setzen die Zustimmung des Betriebsrates voraus4. c) Der Mitarbeiter muss bei der Arbeitszeiteinteilung den betrieblichen Anforderungen Rechnung tragen und sich insbesondere erreichbar halten, soweit dies aus sachlichen Gründen geboten ist. d) Arbeitszeiten zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr dürfen nur auf Anordnung des Arbeitgebers geleistet werden und bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates5.

1 Vor allem für den Fall, dass sich Mitarbeiter als unzuverlässig erweisen, sollte sich der Arbeitgeber vorbehalten, die Vertrauensarbeitszeit wieder zu beenden. 2 Leitende Angestellte fallen nicht unter das Arbeitszeitgesetz (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG). Vertrauensarbeitszeit kann leitenden Angestellten deshalb einschränkungslos ermöglicht werden. 3 Dass Vertrauensarbeitszeit nicht das Recht einschließt, zeitlich insgesamt weniger zu arbeiten, wenn man seine Arbeit vorzeitig bewältigt, sollte klargestellt werden. Andernfalls kommt es in diesem Punkt leicht zu Missverständnissen. 4 Es empfiehlt sich grundsätzlich nicht, den Arbeitnehmern das Recht einzuräumen, eigenmächtig vergütungspflichtige Überstunden abzuleisten. Andernfalls würden diejenigen Arbeitnehmer, welche am langsamsten arbeiten, womöglich am Monatsende den höchsten Lohn erhalten. Allerdings sind nicht zwingend sämtliche Überstunden auch vergütungspflichtig (vgl. Rz. 3.27 ff.). Die Vereinbarung gibt Arbeitnehmern deshalb das Recht, insoweit Überstunden zu leisten, wie hierdurch keine Vergütungspflicht ausgelöst wird. Ob der Betriebsrat sich auf eine solche Regelung einlässt, ist Verhandlungssache. 5 Es spricht einiges dafür, Mitarbeitern die Nachtarbeit zu untersagen. Arbeitet ein Mitarbeiter bis tief in die Morgenstunden, dürfte er wegen der Pflicht zur 11-stündigen Ruhezeit (§ 5 Abs. 1 ArbZG) am Folgetag die Arbeit erst ausgesprochen spät aufnehmen. Bei vielen Arbeitnehmern dürfte zur Nachtzeit zudem die Konzentrationsfähigkeit gemindert sein. Eine gesetzliche Pflicht, Nachtarbeit zu verhindern, gibt es allerdings nicht (vgl. § 6 ArbZG). Arbeitgeber können deshalb auch größere Spielräume bei der Arbeitszeiteinteilung einräumen.

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§ 3 Rz. 3.34

Vertrauensarbeitszeit

e) Die Vorgaben des ArbZG sind in jedem Einzelfall zu beachten1. Dies bedeutet: – Der Mitarbeiter darf täglich nicht länger als zehn Stunden arbeiten. – Innerhalb von 24 Wochen darf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten werden. – Länger als sechs Stunden hintereinander darf der Mitarbeiter nicht ohne Ruhepause tätig sein. Bei einer Arbeitszeit von mehr als sechs bis zu neun Stunden muss für mindestens 30 Minuten pausiert und bei längeren Arbeitszeiten mindestens 45 Minuten pausiert werden. Eine Pause muss mindestens 15 Minuten umfassen. – Nach jedem Arbeitstag muss der Mitarbeiter eine Ruhezeit von 11 Stunden einhalten, bis er am nächsten Arbeitstag die Arbeit wieder aufnimmt. – Sonn- und Feiertagsarbeit darf nur auf Anordnung des Arbeitgebers geleistet werden und bedarf der Zustimmung des Betriebsrates. (2) Im Zeitkorridor von 9 Uhr bis 12 Uhr sowie von 14 Uhr bis 18 Uhr kann der Arbeitgeber im Einzelfall Arbeitszeit anordnen, soweit dies aus betrieblichen Gründen erforderlich ist und dem Mitarbeiter bei Abwägung der beiderseitigen Interessen zugemutet werden kann (§ 106 GewO). Die Anordnung soll möglichst frühzeitig angekündigt werden2. § 3 Arbeitszeiterfassung (1) Bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit erfassen Mitarbeiter ihre tägliche Arbeitszeit einschließlich aller Pausen3 selbständig, indem sie diese in das als Anlage 1 dargestellte, elektronische Formular eintragen4. Innerhalb von sieben Tagen nach Schluss jeden Monats muss die Arbeitszeiterfassung für den Monat abgeschlossen und dem Arbeitgeber vorgelegt werden. Für Mitarbeiter, die in Vertrauensarbeitszeit arbeiten, wird kein Arbeitszeitkonto geführt5. (2) Der Betriebsrat erhält auf Wunsch jederzeit Einblick in die Arbeitszeiterfassung6. Der Arbeitgeber ist allerdings berechtigt, die Aufzeichnungen jeweils nach Ablauf von zwei Jahren zu vernichten7. (3) Die Entgegennahme der Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber kann nicht als Genehmigung etwaiger Überstunden durch den Arbeitgeber verstanden werden8.

1 Vgl. Rz. 3.12 f. 2 Um z.B. Abstimmungen herbeizuführen, wird sich der Arbeitgeber auch bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit vorbehalten wollen, zu bestimmten Anlässen die Arbeitszeit vorzugeben. Da der Betriebsrat allerdings ein Mitbestimmungsrecht hat (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), müssen Rahmenbedingungen festgelegt werden, unter denen der Arbeitgeber dies darf. 3 Nach § 16 Abs. 2 ArbZG würde es ausreichen, wenn bloß Mehrarbeit, Sonntagsarbeit und Feiertagsarbeit dokumentiert wird (vgl. Rz. 3.8). Allerdings empfiehlt es sich für Arbeitgeber schon jetzt, die weitergehenden, europarechtlichen Dokumentationspflichten zu beachten (vgl. Rz. 3.10), da eine Gesetzesänderung mittelfristig wahrscheinlich ist. 4 Die Arbeitszeiterfassung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates (vgl. Rz. 3.22) und sollte daher in der Betriebsvereinbarung geregelt werden. 5 Führt der Arbeitgeber ein Arbeitszeitkonto, gelten grundsätzlich alle Überstunden, die im Arbeitszeitkonto als Saldo ausgewiesen werden, als genehmigt (vgl. Rz. 3.18). Damit der Arbeitgeber nicht ständig überprüfen muss, ob geleistete Überstunden legitim waren oder nicht, spricht viel dafür, kein Arbeitszeitkonto zu führen und vergütungspflichtige Überstunden nur unter sehr engen Voraussetzungen zuzulassen. 6 Der Betriebsrat hat einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der geleisteten Arbeitszeit (vgl. Rz. 3.23). Es spricht einiges dafür, in der Betriebsvereinbarung zu regeln, wie dieser Auskunftsanspruchs erfüllt wird. 7 Vgl. zu dieser Frist § 16 Abs. 2 ArbZG. 8 Vgl. zu dieser Problematik s. Rz. 3.18 und Rz. 3.21.

70

Grimm/Singraven

Ständige Erreichbarkeit

§4

§ 4 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden und wirkt in diesem Fall nicht nach1. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Folgende Anlagen sind Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung: Anlage 1: elektronisches Formular zur Arbeitszeiterfassung Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

(Firma) …

§4 Ständige Erreichbarkeit I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitszeitrechtliche Einordnung der ständigen Erreichbarkeit aa) Anordnung durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tätigwerden ohne Veranlassung . . b) Höchstarbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufzeichnungspflicht . . . . . . . . . . . . . d) Einhaltung von Ruhezeiten . . . . . . . . . e) Sonn- und Feiertagsarbeit . . . . . . . . . . f) Nachtarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Arbeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1

4.3 4.4

4.5 4.10 4.12 4.16 4.21 4.26 4.30 4.32 4.42 4.48

6. Rechtliche Umsetzung a) Direktionsrecht/Arbeitsvertrag . . . . . b) Betriebsvereinbarung . . . . . . . . . . . . aa) Beginn, Ende und Verteilung der Arbeitszeit – § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit – § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen – § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG . . . . . . dd) Gesundheitsschutz – § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Variante 1: Recht auf Nichterreichbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Variante 2: Erreichbarkeit innerhalb bestimmter Zeiträume . . . . . . . . . . . . .

4.52 4.56 4.59 4.60 4.61 4.62 4.66 4.69 4.76

1 Da die Betriebsvereinbarung Fragen der erzwingbaren Mitbestimmung zum Gegenstand hat, würde sie nachwirken (vgl. § 77 Abs. 6 BetrVG), wenn kein ausdrücklicher Ausschluss der Nachwirkung aufgenommen wird.

Grimm/Singraven und Freh

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§ 4 Rz. 4.1

Ständige Erreichbarkeit

Literatur: Baeck/Winzer, Aktuelle Herausforderungen des Arbeitszeitrechts – betriebsnahe Vereinbarungen als Lösungsansatz, NZA 2020, 96; Bissels/Domke/Wisskirchen, Blackberry & Co.: Was ist heute Arbeitszeit?, DB 2010, 2052; Buddenbrock/Manhart, Erreichbarkeit rund um die Uhr?, SPA 2014, 93; Däubler, Steuerung der Arbeitsmenge in der digitalisierten Welt?, ZTR 2016, 359; Falder, Immer erreichbar – Arbeitszeit- und Urlaubsrecht in Zeiten des technologischen Wandels, NZA 2010, 1150; Fröhlich, Arbeitszeit im digitalen Zeitalter, ArbRB 2017, 61; Göpfert/Schöberle, Recht auf Unerreichbarkeit?, ZIP 2016, 1817; Grimm/Freh, Der EuGH und die Arbeitszeit – Folgerungen aus dem Urteil vom 14.5.2019, ArbRB 2019, 278; Günther/ Böglmüller, Arbeitsrecht 4.0 – Arbeitsrechtliche Herausforderungen in der vierten industriellen Revolution, NZA 2015, 1025; Jacobs, Reformbedarf im Arbeitszeitrecht, NZA 2016, 733; Kohte, Arbeitsschutz in der digitalen Arbeitswelt, NZA 2015, 1417; Krause, Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf, NZA 2016, 1004; Krause, Herausforderung Digitalisierung der Arbeitswelt und Arbeiten 4.0, NZA-Beil. 2017, 53; Krause, Arbeit anytime? Arbeitszeitrecht für die digitale Arbeitswelt, NZA-Beil. 2019, 86; Legerlotz, Mitbestimmungsrechtliche Aspekte bei der Entgrenzung von Arbeit, ArbRB 2019, 121; Lichtenberg, Kurzfristige Urlaubsunterbrechung durch E-Mail-Lektüre, RdA 2020, 265; Maier, Freie Arbeitszeiteinteilung von Wissensarbeitern – Selbstbestimmung oder Ausbeutung?, DB 2016, 2723; Nebeling/Kruse, Zwischen „Stechuhr“ und ständiger Erreichbarkeit – Kann das deutsche Arbeitszeitrecht noch mithalten?, ARP 2020, 150; Neumann/Biebl, Arbeitszeitgesetz, 16. Aufl. 2012; Niklas, Was ist Arbeit(szeit)?, ArbRB 2019, 275; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 2. Aufl. 2017; Schlegel, Grenzenlose Arbeit, NZABeil. 2014, 16; Schrader/Teubert/Siegel, Was ist Arbeitszeit?, BB 2021, 1396; Steffan, Arbeitszeit(recht) auf wem Weg zu 4.0, NZA 2015, 1409; v. Steinau-Steinrück, Smartphone versus Arbeitsrecht, NJW-Spezial 2012, 178; Wank, Facetten der Arbeitszeit, RdA 2014, 285; Wiebauer, Arbeitsschutz und Digitalisierung, NZA 2016, 1430; Wiebauer, Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei Gefährdungsbeurteilung und Arbeitsschutzmaßnahmen, RdA 2019, 41; Wirtz, Gestaltungsmöglichkeiten bei der Verlängerung der täglichen Arbeitszeit nach dem ArbZG, BB 2014, 1397; Wisskirchen/Schiller, Aktuelle Problemstellungen im Zusammenhang mit „Bring Your Own Device“, DB 2015, 1163; Zöll/Kielkowski, Arbeitsrechtliche Umsetzung von „Bring Your Own Device“ (BYOD), BB 2012, 2625.

I. Worum geht es? 4.1 Die Digitalisierung der Arbeitswelt hat dazu geführt, dass die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit in den letzten Jahren mehr und mehr verschwommen sind. Mitarbeiter1 sind über Notebook, Tablet und Smartphone ständig online und erreichbar. In Kombination mit flexiblen Arbeitsmodellen trägt dies zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei. Viele Mitarbeiter schätzen, dass sie „von überall“ arbeiten können und nicht mehr an den Büro- oder Homeoffice-Arbeitsplatz gebunden sind. Die fehlende Trennung zwischen Beruf und Freizeit hat jedoch auch Schattenseiten. Wem es – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelingt, sich abends und am Wochenende von der Arbeit abzugrenzen, kann unter Dauerstress leiden, der schlimmstenfalls gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Folge hat. Einige Unternehmen haben dieser Entwicklung daher radikal entgegengewirkt. So hat Volkswagen schon 2011 die E-Mail-Synchronisierung mit den Mobilgeräten der tarifgebundenen Mitarbeiter zwischen 18:15 Uhr und 7:00 Uhr sowie am Wochenende abgeschaltet2. Noch rigoroser geht Daimler vor: E-Mails an Mitarbeiter, die eine Abwesenheitsschaltung aktiviert haben, werden gelöscht und müssen vom Absender noch einmal geschrieben werden3. Derartige Maßnahmen sind jedoch in vielen Unternehmen nicht umsetzbar. Auch bei VW betrifft die Regelung nur die Mitarbeiter im Tarifbereich. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter am nächsten Morgen von der Realität ein-

1 Soweit nachfolgend die männliche Form verwandt wird, sind hiermit stets sämtliche Geschlechter (m/ w/d) gleichermaßen gemeint. 2 Süddeutsche Zeitung online v. 3.10.2020: „Offline – und das ist auch gut so!“, https://www.sueddeutsche. de/digital/geplantes-eu-recht-aufs-abschalten-offline-und-das-ist-auch-gut-so-1.5048735, zuletzt abgerufen am 28.1.2022. 3 Spiegel online v. 17.2.2014: „Deutsche Konzerne kämpfen gegen den Handy-Wahn“, https://www.spie gel.de/karriere/erreichbar-nach-dienstschluss-maßnahmen-der-konzerne-a-954029.html, zuletzt abgerufen am 28.1.2022.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.3 § 4

geholt werden, wenn die seit der Server-Abschaltung angesammelten E-Mails auf einen Schlag in ihrem Postfach eingehen oder sie Beschwerden von Kunden erreichen, deren E-Mails gelöscht worden sind. Arbeitgeber müssen sich letztlich die Frage stellen, welche Kultur in ihrem Unternehmen herrschen soll und welche Erreichbarkeit mit Blick auf die Tätigkeiten der Mitarbeiter wirklich erforderlich ist. In vielen Bereichen, etwa im Dienstleistungsgewerbe, ist eine Erreichbarkeit über die tägliche „Normalarbeitszeit“ hinaus oftmals unerlässlich, jedenfalls ab einer bestimmten Position im Unternehmen. Hierfür müssen flexible Modelle gefunden werden. Das führt zu der Frage, wie diese modernen Arbeitsmodelle mit dem deutschen Arbeitszeitgesetz von 4.2 1994, dessen wesentliche Regelungen in den letzten Jahrzehnten kaum Veränderungen erfahren haben, vereinbar sind. Die starren Vorgaben zu Arbeits- und Ruhezeiten scheinen der Vereinbarung einer ständigen Erreichbarkeit von vornherein zu widersprechen; die Einzelheiten sind in der arbeitsrechtlichen Literatur umstritten und durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat in seinem „Weißbuch Arbeiten 4.0“ festgestellt, dass insoweit kein gesetzlicher Handlungsbedarf besteht1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer seien grundsätzlich nicht verpflichtet, für ihren Arbeitgeber in der Freizeit erreichbar zu sein. Etwas anderes gelte nur dann, wenn eine entsprechende vertragliche und rechtlich zulässige Vereinbarung bestünde2. In der Literatur wird verstärkt die Einräumung größerer Spielräume für eben solche Vereinbarungen durch den Gesetzgeber bzw. die EU gefordert3. Die Tendenz scheint eine andere zu sein: Das Europaparlament hat jüngst ein „Grundrecht auf Nichterreichbarkeit“ für Telearbeiter gefordert; die EUKommission soll eine entsprechende Richtlinie vorschlagen4.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 1. Einleitung Das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit stellt Arbeitgeber und Berater insbesondere vor folgende rechtliche Herausforderungen: – Um Erreichbarkeitszeiten vertraglich oder durch Betriebsvereinbarung ausgestalten zu können, müssen diese zunächst arbeitszeitrechtlich eingeordnet werden (dazu Rz. 4.4 ff.). Es stellt sich zudem die Frage, ob das ständige Bereithalten zur Arbeit und das gelegentliche dienstliche Tätigwerden mit dem geltenden Arbeitszeitgesetz überhaupt in Einklang zu bringen sind, insbesondere im Hinblick auf Höchstarbeits- und Ruhezeiten (dazu Rz. 4.12 ff.). – Unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung ist zu klären, ob und wie Erreichbarkeitszeiten und die während dieser Zeiten anfallenden dienstlichen Tätigkeiten zu vergüten sind (dazu Rz. 4.32 ff.). – Arbeitnehmer sind teilweise sogar im Urlaub ständig erreichbar, insbesondere, wenn ihnen Dienstgeräte zur Verfügung gestellt werden, die auch privat genutzt werden. Dies kann sich auf die Erfüllung des Urlaubsanspruchs auswirken (dazu Rz. 4.42 ff.). – Die ständige Erreichbarkeit kann bei Arbeitnehmern Stress auslösen und dadurch zur psychischen Belastung werden. Dem muss der Arbeitgeber durch arbeitsschutzrechtliche Maßnahmen entgegenwirken (dazu Rz. 4.48 ff.).

1 2 3 4

Weißbuch Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Seite 119. Weißbuch Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Seite 119. S. etwa Jacobs, NZA 2016, 733; Baeck/Winzer, NZA 2020, 96. Pressemitteilung des Europäischen Parlaments v. 21.1.2021, https://www.europarl.europa.eu/news/de/ press-room/20210114IPR95618/parlament-recht-auf-nichterreichbarkeit-soll-in-der-eu-grundrechtwerden, zuletzt abgerufen am 28.1.2022.

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4.3

§ 4 Rz. 4.3

Ständige Erreichbarkeit

– Regelungen zur Erreichbarkeit können auf unterschiedliche Art und Weise rechtlich umgesetzt werden (dazu Rz. 4.52 ff.). Existiert ein Betriebsrat, sind dessen Mitbestimmungsrechte zu wahren (dazu Rz. 4.58 ff.).

2. Arbeitszeit 4.4 Mit Ausnahme von leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG und Chefärzten fallen Arbeitnehmer privater Unternehmen unter das Arbeitszeitgesetz. Die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes ist nur insoweit disponibel, als dies im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Der Arbeitnehmer kann auf seine Einhaltung nicht verzichten. Das Arbeitszeitgesetz soll den Arbeitnehmer auch gegen seinen Willen schützen. Da die ständige Erreichbarkeit in der oben beschriebenen Form ein relativ neues Phänomen ist, stellt sich die Frage, ob und inwieweit sie mit den öffentlich-rechtlichen Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu vereinbaren ist. Hinweis: Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind gem. § 22 ArbZG bußgeldbewehrt. Der Bußgeldrahmen ist zum 1.1.2021 verdoppelt worden. Es drohen nunmehr Geldbußen von bis zu 30.000 EUR pro Verstoß. Dies gilt insbesondere für Verstöße gegen die zulässigen Höchstarbeitszeiten (§ 3 ArbZG), Pausenzeiten (§ 4 ArbZG), Mindestruhezeiten (§ 5 ArbZG) sowie das Beschäftigungsverbot an Sonn- und Feiertagen (§ 9 ArbZG). Bei vorsätzlichen Verstößen, die mit einer Gefährdung der Gesundheit oder Arbeitskraft der Arbeitnehmer einhergehen, und bei beharrlich wiederholten Verstößen kommt sogar eine Strafbarkeit gem. § 23 ArbZG in Betracht.

a) Arbeitszeitrechtliche Einordnung der ständigen Erreichbarkeit aa) Anordnung durch den Arbeitgeber

4.5 Bevor einzelne Problemfelder der ständigen Erreichbarkeit dargestellt werden, ist zunächst zu klären, wie die Erreichbarkeitszeiten als solche arbeitszeitrechtlich einzuordnen sind. Sie stellen unstreitig keine „Vollarbeit“ dar. Reine Freizeit sind sie jedoch auch nicht, da der Arbeitnehmer theoretisch jederzeit mit betrieblichen Themen, Kundenanfragen etc. konfrontiert werden könnte. Das deutsche Arbeitszeitrecht kennt verschiedene Zwischenformen, die Bereitschaftsdienste. Anerkannt sind die Arbeitsbereitschaft, der Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft1.

4.6 Arbeitsbereitschaft ist nach der Definition des BAG die „Zeit wacher Achtsamkeit im Zustande der Entspannung“2. Die Arbeitsbereitschaft beansprucht den Arbeitnehmer erheblich weniger als die Vollarbeit und ermöglicht somit einen Entspannungszustand3. Der Arbeitnehmer muss sich jedoch an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten und zur selbständigen sofortigen Fortsetzung des Arbeitsprozesses bereit sein. Typische Beispiele sind Notfallsanitäter und Pförtner, die zwar durchgehend einsatzbereit sind, jedoch tätigkeitsbedingt Leerlauf-Phasen haben4. Arbeitsbereitschaft ist arbeitszeitrechtlich wie Vollarbeit zu behandeln, kann jedoch aufgrund der insgesamt geringeren Beanspruchung des Arbeitnehmers gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 4a und Abs. 2a ArbZG eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit durch Tarifvertrag oder durch Betriebsvereinbarung auf der Grundlage eines Tarifvertrags rechtfertigen.

4.7 Den Bereitschaftsdienst definiert das BAG als „die Zeitspanne, während derer der Arbeitnehmer, ohne daß er unmittelbar am Arbeitsplatz anwesend sein müßte, sich für Zwecke des Betriebs an ei-

1 BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, ArbRB 2007, 67 = juris Rz. 40; Baeck/Deutsch/Winzer, § 2 ArbZG Rz. 27. 2 BAG v. 9.3.2005 – 5 AZR 385/02, juris Rz. 27 m.w.N. 3 BAG v. 17.7.2008 – 6 AZR 505/07, juris Rz. 20. 4 Spengler in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 2 ArbZG Rz. 5.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.8 § 4

ner vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb oder außerhalb des Betriebs aufzuhalten hat, damit er erforderlichenfalls seine volle Arbeitstätigkeit sofort oder zeitnah aufnehmen kann“1. Der Arbeitnehmer unterliegt also auch hier einer räumlichen Beschränkung, muss die Arbeit jedoch nicht von sich aus, sondern erst „auf Anforderung“ aufnehmen2. Typisches Beispiel ist die Tätigkeit von Krankenhausärzten, die sich im Krankenhaus oder in dessen unmittelbarer Nähe bereithalten müssen, um z.B. bei Einlieferung eines Patienten innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit zu sein. Auch Bereitschaftsdienstzeiten sind in vollem Umfang – also auch hinsichtlich der „inaktiven“ Phasen – Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes; das hat der EuGH im Jahr 2000 für die soeben genannten Krankenhausärzte ausdrücklich entschieden3. Das Arbeitszeitgesetz lässt jedoch auch insoweit gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 4a und Abs. 2a ArbZG eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit durch Tarifvertrag oder auf tarifvertraglicher Grundlage durch Betriebsvereinbarung zu. Die Rufbereitschaft unterscheidet sich vom Bereitschaftsdienst dadurch, dass sich der Mitarbeiter in der Zeit, für die sie angeordnet ist, nicht an seinem Arbeitsplatz aufhalten muss, sondern seinen Aufenthaltsort grundsätzlich selbst bestimmen kann4. Die Zeitspanne zwischen dem „Abruf“ durch den Arbeitgeber und der Arbeitsaufnahme darf allerdings nur so lang sein, dass hierdurch der Einsatz nicht gefährdet und im Bedarfsfall die Arbeitsaufnahme gewährleistet ist. Der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers darf also nur so weit vom Arbeitsplatz entfernt sein, dass er diesen „in angemessen kurzer Zeit“ erreichen kann5. Andererseits darf der Arbeitgeber den Aufenthaltsort des Arbeitnehmers durch Zeitvorgaben nicht zu sehr einschränken. Die Anweisung des Arbeitgebers, im Fall von Rufbereitschaft die Arbeit innerhalb von 20 Minuten nach Abruf aufzunehmen, hat das BAG als unwirksam erachtet. Der Arbeitnehmer müsse im Rahmen der Rufbereitschaft die Möglichkeit haben, sich in dieser an sich arbeitsfreien Zeit um persönliche und familiäre Angelegenheiten zu kümmern, an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen oder sich mit Freunden zu treffen. Dies sei bei einer zeitlichen Vorgabe von 20 Minuten zwischen Abruf und Arbeitsaufnahme nicht möglich. Bei einer solchen Zeitvorgabe sei der Arbeitnehmer faktisch gezwungen, sich in der unmittelbaren Nähe des Arbeitsplatzes aufzuhalten. Dies sei mit dem Wesen der Rufbereitschaft nicht zu vereinbaren6. Fahrzeiten von 25 bis 30 Minuten – so der Sachverhalt der konkreten Entscheidung – seien jedenfalls üblich und daher vom Arbeitgeber hinzunehmen7. In einer weiteren Entscheidung hat das BAG die Vorgabe des Arbeitgebers, innerhalb von 45 Minuten nach Abruf am Einsatzort eintreffen zu müssen, nicht beanstandet8. Im Ergebnis wird man sich an einer Untergrenze von 30 Minuten orientieren können9. Rufbereitschaftszeiten als solche sind grundsätzlich keine Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes10. Lediglich die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft tatsächlich zur Arbeitsleistung herangezogen wird, sind als Arbeitszeit anzusehen11. Der EuGH hat allerdings jüngst entschieden, dass dies auch anders zu beurteilen sein kann, wenn der Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeiten derart eingeschränkt ist (z.B. durch Zeitvorgaben oder Häufigkeit der Einsätze), dass seine Möglichkeiten, diese frei zu gestalten und seinen eigenen Interessen zu widmen, ganz erheblich beeinträchtigt sind12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BAG v. 18.2.2003 – 1 ABR 2/02, ArbRB 2003, 196 = juris Rz. 54. BAG v. 12.12.2021 – 5 AZR 918/11, juris Rz. 19. EuGH v. 3.10.2000 – C-303/98, ECLI:EU:C:2000:528 („SIMAP“), juris Rz. 52. BAG v. 31.1.2002 – 6 AZR 214/00, juris Rz. 22 m.w.N. BAG v. 19.12.1991 – 6 AZR 592/89, juris Rz. 25 m.w.N. BAG v. 31.1.2002 – 6 AZR 214/00, juris Rz. 22. BAG v. 31.1.2002 – 6 AZR 214/00, juris Rz. 22. BAG v. 22.1.2004 – 6 AZR 543/02, juris Rz. 35. So im Ergebnis auch Baeck/Deutsch/Winzer, § 2 ArbZG Rz. 50. BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, ArbRB 2007, 67 = juris Rz. 42. EuGH v. 3.10.2000 – C-303/98, ECLI:EU:C:2000:528 („SIMAP“), juris Rz. 52.

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4.8

§ 4 Rz. 4.9

Ständige Erreichbarkeit

4.9 Das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit lässt sich diesen sog. Bereitschaftsdiensten nicht ohne weiteres zuordnen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst im engeren Sinne scheiden schon deshalb aus, weil der Arbeitnehmer gerade nicht örtlich gebunden, sondern lediglich mit modernen Kommunikationsmitteln, insbesondere seinem Smartphone, mit der Büro-Infrastruktur verbunden ist. Es besteht vielmehr eine gewisse Ähnlichkeit zur Rufbereitschaft1. Allerdings muss der Arbeitnehmer – anders als bei der Rufbereitschaft – nicht innerhalb einer bestimmten Zeitspanne den Arbeitsplatz aufsuchen, sondern kann die Arbeit regelmäßig telefonisch oder per E-Mail erledigen. Dies kann er grundsätzlich von nahezu jedem Ort der Welt aus tun. Darüber hinaus wird die Erreichbarkeit regelmäßig nicht explizit angeordnet, sondern bei bestimmten Tätigkeiten oder ab einer gewissen Hierarchieebene schlichtweg erwartet2. Da der Arbeitnehmer im Zustand der „ständigen Erreichbarkeit“ insgesamt noch einmal deutlich freier in seiner Freizeitgestaltung ist als im Zustand der Rufbereitschaft, lässt sich die ständige Erreichbarkeit arbeitszeitrechtlich nur als arbeitsfreie Zeit einordnen. Lediglich die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme – etwa das Führen eines Telefonats oder die Beantwortung einer E-Mail – sind Arbeitszeit und auch als solche zu behandeln und zu vergüten. Man mag dies als „Rufbereitschaft neuer Art“ bezeichnen3; letztlich handelt es sich jedoch um ein eigenes arbeitszeitrechtliches Phänomen, auf das die Grundsätze der Rufbereitschaft übertragen werden können. Im Ergebnis gilt also: – Erreichbarkeitszeiten sind arbeitsfreie Zeit und damit Ruhezeit i.S.v. § 5 Abs. 1 ArbZG. – Erbringt der Arbeitnehmer während der Erreichbarkeitszeiten Arbeitsleistung, etwa durch das Führen eines dienstlichen Telefonats oder das Beantworten einer dienstlichen E-Mail, sind diese Zeiten Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes. bb) Tätigwerden ohne Veranlassung

4.10 Vorstehende Grundsätze gelten jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber die Erreichbarkeit außerhalb der üblichen Arbeitszeiten angeordnet hat. Wie aber verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer ohne ausdrückliche Anordnung abends einen Blick in sein E-Mail-Postfach wirft und sich veranlasst sieht, auf die E-Mail seines Vorgesetzten noch am Abend zu antworten? Die Behandlung dieser Konstellation ist umstritten. Während ein Teil der Literatur die Auffassung vertritt, in diesen Fällen sei das arbeitnehmerseitige Tätigwerden dem Arbeitgeber nicht zurechenbar4, geht der wohl überwiegende Teil der Literatur davon aus, dass auch ein „freiwilliges“, aber vom Arbeitgeber geduldetes Tätigwerden des Arbeitnehmers während seiner Freizeit als Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes anzusehen ist5. Unklarheiten hinsichtlich des Vorliegens einer entsprechenden

1 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433). 2 Anders der Sachverhalt der in diesem Zusammenhang z.T. zitierten Entscheidung des BAG v. 29.6.2000 – 6 AZR/98, wonach Verwaltungsangestellte des THW nach einem im Voraus festgelegten Plan angewiesen wurden, außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit ständig betriebs- und empfangsbereite Funktelefone mitzuführen. 3 So Wank, RdA 2014, 285 (289). 4 Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2054); von Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 178; Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163 (1167). 5 Falder, NZA 2010, 1150 (1152); Wank, RdA 2014, 285 (288); Schlegel, NZA-Beil. 2014, 16 (19); Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433); Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (56); Maier, DB 2016, 2723 (2725); Niklas, ArbRB 2019, 275 (277); Zöll/Kielkowski, BB 2012, 2625 (2628): jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer erbrachten Leistungen verwendet und hiervon profitiert, da er den Einsatz somit „genehmigt“.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.13 § 4

Weisung oder Erwartung sollen zu Lasten des Arbeitgebers gehen, der es in der Hand hätte, Freizeitarbeit generell zu untersagen1. Für die letztgenannte Ansicht spricht, dass Arbeitnehmer in ihrer Freizeit wohl in den seltensten Fäl- 4.11 len wirklich freiwillig tätig werden dürften. Fehlt es an einer ausdrücklichen oder konkludenten Weisung, wird zumindest eine gewisse Erwartungshaltung des Arbeitgebers existieren, die den Arbeitnehmer zum Tätigwerden veranlasst. Eine solche Erwartungshaltung kann ab einer bestimmten Hierarchieebene und Gehaltsstufe auch gerechtfertigt sein. In jedem Fall aber hat dies zur Folge, dass der Arbeitnehmer im betrieblichen Interesse tätig wird und der Arbeitgeber sich diese Tätigkeit grundsätzlich zurechnen lassen muss. Eine Ausnahme wird man dann machen müssen, wenn der Arbeitnehmer ohne jegliche Veranlassung („proaktiv“) tätig wird2. Diese Grenze ist freilich schwer zu ziehen und das veranlassungslose Tätigwerden des Arbeitnehmers im Streitfall regelmäßig nicht nachweisbar. Darüber hinaus trifft den Arbeitgeber die Pflicht, den Betrieb so zu organisieren, dass die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden. Das BAG hat ausdrücklich entschieden, dass der Arbeitgeber sich durch die Einführung eines Arbeitszeitmodells, bei dem auf die Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit verzichtet wird („Vertrauensarbeitszeit“), nicht von dieser Organisationspflicht befreien kann3. Die Wahl der geeigneten Mittel liegt in der Organisations- und Leitungsmacht des Arbeitgebers4. Da der Arbeitgeber die Einhaltung der Höchstarbeitszeit, Ruhezeiten etc. durch die Arbeitnehmer in ihrer Freizeit nicht überwachen kann, muss er verbindliche Regeln aufstellen, um seiner Organisationspflicht nachzukommen. Übertragen auf das Phänomen der ständigen Erreichbarkeit bedeutet dies, dass der Arbeitgeber die Freizeitarbeit verbieten oder zumindest arbeitszeitrechtskonform einschränken muss5. Unterlässt er dies, ist ihm die Tätigkeit der Arbeitnehmer außerhalb der üblichen Arbeitszeiten – mit Ausnahme der oben genannten Fälle des Tätigwerdens ohne jegliche Veranlassung – grundsätzlich zuzurechnen. Zudem handelt er fahrlässig i.S.d. § 22 Abs. 1 ArbZG, so dass die Erfüllung von Ordnungswidrigkeitentatbeständen in Betracht kommt, die Bußgelder von bis zu 30.000 EUR nach sich ziehen kann.

b) Höchstarbeitszeit Werden Arbeitnehmer außerhalb der vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit tätig, werden sie die vertraglich festgelegte Arbeitszeit in der Regel überschreiten. Denn typischerweise schließen sich die Erreichbarkeitszeiten an die „normale“ tägliche Arbeitszeit im Büro oder Homeoffice an. Dies führt zum einen zu der Frage, ob und wie diese Zeiten zu vergüten sind6. Zum anderen stellt sich die Frage nach den arbeitszeitrechtlichen Grenzen. Denn sämtliche Zeiten, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich eine Arbeitsleistung erbringt – auch wenn dies jeweils nur wenige Minuten sind –, gelten als „Vollarbeit“ und sind auf die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit anzurechnen.

4.12

§ 3 Satz 1 ArbZG sieht vor, dass die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten 4.13 darf. Sie darf gem. § 3 Satz 2 ArbZG nur dann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden; einer Rechtfertigung bedarf die Verlängerung nicht7. Der Werktag beginnt dabei nicht um 0:00 Uhr des jeweiligen Kalendertags, sondern mit dem individuellen Arbeitsbeginn des Arbeitnehmers und endet 24 Stunden später8. Wechselt der Arbeitsbeginn, et1 Schlegel, NZA-Beil. 2014, 16 (19); Falder, NZA 2010, 1150 (1152); Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433); Maier, DB 2016, 2723 (2725). 2 Schlegel, NZA-Beil. 2014, 16 (19); Kramer in Kramer, IT-Arbeitsrecht, Teil B Rz. 974. 3 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris Rz. 65. 4 BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris Rz. 66. 5 Vgl. Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433); Anzinger/Koberski, § 3 ArbZG Rz. 7a. 6 Dazu unter Rz. 4.32 ff. 7 Baeck/Deutsch/Winzer, § 3 ArbZG Rz. 24 m.w.N. 8 Roloff in ErfK, § 3 ArbZG Rz. 2; Baeck/Deutsch/Winzer, § 3 ArbZG Rz. 16 m.w.N.

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§ 4 Rz. 4.13

Ständige Erreichbarkeit

wa bei Gleitzeitmodellen, wechseln auch Beginn und Ende des arbeitszeitrechtlich maßgeblichen Werktags1.

4.14 Oft übersehen wird, dass „Werktage“ im Sinne des Arbeitszeitgesetzes alle Kalendertage mit Ausnahme der Sonn- und gesetzlichen Feiertage sind. Berechnungen sind also grundsätzlich die Tage Montag bis Samstag zugrundezulegen2. Hieraus errechnet sich eine zulässige durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden (6 × 8 Stunden), und zwar auch dann, wenn der Arbeitsvertrag lediglich eine Fünf-Tage-Woche vorsieht3. Aufgrund der Verlängerungsmöglichkeit auf bis zu 10 Stunden pro Werktag könnte mithin eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von bis zu 9,6 Stunden rechtswirksam vereinbart werden (48 Stunden/5 Tage = 9,6 Stunden)4. Selbst eine Vier-Tage-Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von zehn Stunden wäre dauerhaft zulässig, da – auf eine Arbeitswoche mit sechs Werktagen hochgerechnet – durchschnittlich lediglich 6,66 Stunden werktäglich gearbeitet würden5. Die meisten Arbeits- und Tarifverträge sehen allerdings eine deutlich darunterliegende feste Wochenarbeitszeit vor. An diese ist der Arbeitgeber grundsätzlich gebunden.

4.15 Ausgehend von einer Fünf-Tage-Woche ergeben sich damit für „ständig erreichbare“ Arbeitnehmer, die nicht leitende Angestellte i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG sind (vgl. § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG), grundsätzlich folgende arbeitszeitrechtliche Grenzen: – Die tägliche Arbeitszeit, einschließlich der Arbeitsleistung, die nach dem regulären Dienstschluss von zu Hause bzw. unterwegs aus erbracht wird, darf zehn Stunden täglich nicht überschreiten. – Die tägliche Arbeitszeit darf innerhalb eines Ausgleichszeitraums von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen im Durchschnitt maximal 9,6 Stunden pro Arbeitstag betragen. Bei einer in deutschen Unternehmen üblichen Wochenarbeitszeit von ca. 40 Stunden dürften diese Grenzen durch gelegentliche mobile Tätigkeit nach Dienstschluss in der Regel nicht überschritten werden. Eine andere Frage ist, ob Arbeitgeber ein Tätigwerden über die (tarif-)vertraglich festgelegte Arbeitszeit hinaus überhaupt verlangen dürfen. Dies hängt davon ab, ob eine Verpflichtung besteht, bei Bedarf Überstunden zu leisten, die sich wiederum aus Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag ergeben kann.

c) Aufzeichnungspflicht 4.16 Arbeitgeber sind gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG zur Aufzeichnung von Arbeitszeiten, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehen, verpflichtet. Die Aufzeichnungspflicht soll den Aufsichtsbehörden ermöglichen, die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes zu überwachen6. Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 ArbZG sind die Nachweise mindestens zwei Jahre aufzubewahren.

4.17 Aufgrund des klaren Wortlauts der § 16 Abs. 2 Satz 1, § 3 Satz 1 ArbZG greift die Aufzeichnungspflicht auch bei einer Fünf-Tage-Woche bereits ab Überschreitung einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden, nicht erst ab einer Überschreitung der im Ausgleichszeitraum durchschnittlich zulässigen 9,6 Stunden7. Für eine Bagatellgrenze lässt der Gesetzeswortlaut ebenfalls keinen Raum; die 1 Baeck/Deutsch/Winzer, § 3 ArbZG Rz. 17 m.w.N. 2 Baeck/Deutsch/Winzer, § 3 ArbZG Rz. 14. 3 LAG Saarland v. 9.4.2014 – 2 Sa 145/13, juris Rz. 66 f.; Anzinger/Koberski, § 3 ArbZG Rz. 20; BeckOK ArbR/Kock, Stand: 1.12.2021, § 3 ArbZG Rz. 1. 4 BeckOK ArbR/Kock, Stand: 1.12.2021, § 3 ArbZG Rz. 1. 5 LAG Saarland v. 9.4.2014 – 2 Sa 145/13, juris Rz. 67. 6 BT-Drucks. 12/5888, 31. 7 So ausdrücklich BeckOK ArbR/Kock, Stand: 1.12.2021, § 16 ArbZG Rz. 3 und stillschweigend wohl die ganz herrschende Literatur; Schlottfield/Hoff, NZA 2001, 530 (531), schlagen vor, die Aufzeichnungspflicht in diesen Fällen aus Vereinfachungsgründen erst nach Überschreitung der durchschnittlich zuläs-

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.20 § 4

acht Stunden überschreitende Arbeitszeit ist ab der ersten Minute aufzuzeichnen1. Dies gilt auch an Sonn- und Feiertagen, da es sich hierbei gerade nicht um Werktage handelt; die an diesen Tagen erbrachte Arbeitszeit geht also über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinaus2. Der Arbeitgeber darf die Aufzeichnungspflicht auf die Arbeitnehmer delegieren3, jedenfalls dann, wenn er die ordnungsgemäße Erfassung regelmäßig stichprobenartig kontrolliert4. Die Arbeitnehmer trifft eine Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB, im Rahmen des Zumutbaren bei der Erfüllung der Aufzeichnungspflichten mitzuwirken5.

4.18

Da Arbeitnehmer, die mobil arbeiten, der Kontrolle des Arbeitgebers entzogen sind, können und 4.19 müssen diese angehalten werden, die Zeiten der Tätigkeiten, die über eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehen, zu erfassen. Existiert ein softwarebasiertes Zeiterfassungssystem, ist dies ohne weiteres umsetzbar. Notfalls müssen die Zeiten mit Stift und Papier festgehalten werden. Arbeitgeber, die Aufzeichnungen nicht oder nicht richtig erstellen (bzw. erstellen lassen) oder nicht für die vorgeschriebene Dauer aufbewahren, handeln gem. § 22 Abs. 1 Nr. 9 ArbZG ordnungswidrig. Es drohen Bußgelder i.H.v. bis zu 30.000 EUR.

4.20

Hinweis: Im Zusammenhang mit den Aufzeichnungspflichten des Arbeitgebers hat ein Urteil des EuGH vom 14.5.20196 große Aufmerksamkeit erfahren. Der EuGH hat entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber verpflichten müssen, ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ einzurichten, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Nach Auffassung des EuGH ist die Einführung eines solchen Systems erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der in der RL 2003/88/EG („Arbeitszeitrichtlinie“) und die in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta (GRCh) verankerten Rechte auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten sicherzustellen. Nur so könnten die Zahl der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Lage sowie die über die gewöhnliche Arbeitszeit hinausgehende, als Überstunden geleistete Arbeitszeit objektiv und verlässlich ermittelt werden7. Der Gesetzgeber muss die Aufzeichnungspflicht nun neu regeln. Bis dahin treffen Arbeitgeber keine unmittelbaren Handlungspflichten8. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 16 Abs. 2 ArbZG dahingehend, dass eine Aufzeichnungspflicht über die dort geregelten Fälle hinaus gilt, ist nach überwiegender Auffassung nicht möglich9.

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sigen 9,6 Stunden täglich greifen zu lassen. Dies ließe sich jedoch mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren. Anzinger/Koberski, § 16 ArbZG Rz. 11; Schliemann, ArbZG, 3. Aufl. 2017, § 16 ArbZG Rz. 6; Buschmann in Buschmann/Ulber, § 16 ArbZG Rz. 13; Spengler in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 16 ArbZG Rz. 18; a.A. Baeck/Deutsch/Winzer, § 16 ArbZG Rz. 21: geringfügige Überschreitung unerheblich. Baeck/Deutsch/Winzer, § 16 ArbZG Rz. 23; Spengler in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 16 ArbZG Rz. 20. LAG Niedersachsen v. 8.11.2004 – 5 TaBV 36/04, juris Rz. 47; LAG Berlin-Brandenburg v. 3.6.2010 – 15 Sa 166/10, juris Rz. 51; LAG Rheinland-Pfalz v. 5.6.2013 – 8 Sa 571/12, juris Rz. 32; vgl. auch BT-Drucks. 16/1685, 13. LAG Niedersachsen v. 8.11.2004 – 5 TaBV 36/04, juris Rz. 47; Erlass des MAIS NRW v. 30.12.2013 (III 2 – 8312), S. 26. Zu § 17 MiLoG ArbG Berlin v. 17.4.2015 – 28 Ca 2405/15, ArbRB 2015, 201 = juris Rz. 45; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2. Aufl. 2017, § 17 MiLoG Rz. 50 m.w.N. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162. EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18, ECLI:EU:C:2019:402, ArbRB 2019, 162. Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (280); ebenso etwa Nebeling/Kruse, ARP 2020, 150 (153); Krause, NZABeil. 2019, 86 (94). Grimm/Freh, ArbRB 2019, 278 (279 f.); Roloff in ErfK, § 16 ArbZG Rz. 5, jeweils m.w.N.

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§ 4 Rz. 4.21

Ständige Erreichbarkeit

d) Einhaltung von Ruhezeiten 4.21 Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben. Die Ruhezeit wird im Arbeitszeitgesetz nicht definiert. Nach Art. 2 Nr. 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG ist darunter „jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit“ zu verstehen. Das BAG bezeichnet sie als den „arbeitsfreien Zeitraum zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der nächsten täglichen Arbeitszeit bzw. zwischen zwei Schichten desselben Arbeitnehmers“1. Zweck der Ruhezeit ist es, dem Arbeitnehmer Zeit zum Ausruhen und zur Erholung von der Arbeit zu verschaffen. Dies setzt voraus, dass der Arbeitnehmer innerhalb dieser Zeit nicht in einem Umfang beansprucht wird, der eine Einstufung als Arbeitszeit erfordert2. Nicht zur Ruhezeit zählen demnach „Vollarbeit“, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst, wohl aber Rufbereitschaftszeiten3.

4.22 In bestimmten Branchen darf die Ruhezeit um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn innerhalb eines Kalendermonats oder vier Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit ein Ausgleich erfolgt, § 5 Abs. 2 ArbZG. Darüber hinaus kann die Ruhezeit in Tarifverträgen oder aufgrund von Tarifverträgen – also bei Bestehen einer entsprechenden Öffnungsklausel im Tarifvertrag – in Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen um bis zu zwei Stunden verkürzt werden, wenn die Art der Arbeit dies erfordert und die Verkürzung innerhalb eines zu bestimmenden Zeitraums ausgeglichen wird, § 7 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG.4 Den Tarifvertragsparteien kommt hierbei ein weiter Beurteilungsspielraum zu5. In Betrieben nicht tarifgebundener Arbeitgeber kommt gem. § 7 Abs. 3 ArbZG unter bestimmten Voraussetzungen eine Übernahme tarifvertraglicher Regelungen durch Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen oder arbeitsvertragliche Regelungen in Betracht6.

4.23 Durch das BAG noch nicht entschieden und in der Literatur hoch umstritten ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Ruhezeit durch kurzzeitige Arbeitseinsätze unterbrochen werden darf, ohne dass die elfstündige Ruhezeit neu zu laufen beginnt und den Arbeitsbeginn am darauffolgenden Tag nach hinten verschiebt. Wird also die Ruhezeit durch ein zehnminütiges Telefonat mit dem Vorgesetzten oder das schnelle Beantworten einer E-Mail auf dem dienstlichen Smartphone um 22:00 Uhr unterbrochen, so dass der Arbeitnehmer seine Arbeit am nächsten Tag erst um 9:10 Uhr statt um 8:00 Uhr wieder aufnehmen darf? Eine starke Literaturauffassung geht davon aus, dass geringfügige Unterbrechungen der Ruhezeit oder Unterbrechungen, die den Arbeitnehmer kaum belasten, unschädlich sind und daher keinen Neubeginn der elfstündigen Ruhezeit des § 5 Abs. 1 ArbZG auslösen. Die Ruhezeiten vor und nach der Unterbrechung könnten vielmehr zusammengerechnet werden. § 5 Abs. 1 ArbZG und Art. 3 der RL 2003/88/EG seien insoweit teleologisch zu reduzieren7. Zur Begründung wird auf den Sinn und Zweck der Regelung (Erholung und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer) verwiesen; bloße kurzzei-

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BAG v. 22.7.2010 – 6 AZR 78/09, juris Rz. 16. BAG v. 22.7.2010 – 6 AZR 78/09, juris Rz. 16. Baeck/Deutsch/Winzer, § 2 ArbZG Rz. 57. So erlaubt z.B. § 2 I. Ziff. 4 des Manteltarifvertrags der Chemieindustrie ausnahmsweise eine Verkürzung der Ruhezeit durch Betriebsvereinbarung um bis zu zwei Stunden, wenn die Art der Arbeit dies erfordert und innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich erfolgt. 5 Anzinger/Koberski, § 7 ArbZG Rz. 34 m.w.N. 6 Dazu im Einzelnen Anzinger/Koberski, § 7 ArbZG Rz. 72 ff. 7 Baeck/Deutsch/Winzer, § 5 ArbZG Rz. 14 f.; Anzinger/Koberski, § 5 ArbZG Rz. 13 („nicht nennenswerte Arbeitsleistungen“); Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2054); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 178 (179); Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163 (1167); Günther/ Böglmüller, NZA 2015, 1025 (1028); Jacobs, NZA 2016, 733 (736 f.); Hanau, NZA 2016, 2613 (2617); Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 30; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1318); Kramer in Kramer, IT-Arbeitsrecht, Teil B Rz. 970.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.24 § 4

tige Unterbrechungen der Ruhezeit hätten keine Gesundheitsgefahren zur Folge1. Die äußerste Grenze der nicht erheblichen Unterbrechung der Ruhezeit wird bei 15 Minuten gesehen2. Bei längerer oder mehrfacher Unterbrechung solle hingegen regelmäßig eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle vorliegen3. Die Gegenauffassung lehnt eine Erheblichkeitsschwelle grundsätzlich ab4. Eine solche Unterscheidung sei praktisch nicht handhabbar und führe zu Rechtsunsicherheit5. Zudem kenne das europäische Recht, auf dem das deutsche Arbeitszeitrecht beruhe, keine Zwischenform zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit6. Schließlich wäre es systemwidrig, einerseits jede noch so geringfügige Tätigkeit – etwa den Bereitschaftsdienst – auf die Höchstarbeitszeitgrenzen anzurechnen und andererseits im Bereich der Ruhezeiten nach nennenswerten und nicht nennenswerten Arbeitsleistungen zu unterscheiden7. Im Ergebnis ist der ersten Auffassung der Vorzug zu geben. Die entscheidende Frage muss lauten: Wird der Arbeitnehmer durch die geringfügige Tätigkeit so sehr beansprucht, dass der Neubeginn einer elfstündigen Ruhezeit gerechtfertigt ist? Dies ist in den diskutierten Konstellationen gerade nicht der Fall. Die telefonische Beantwortung der Rückfrage eines Kollegen oder die kurze Beantwortung einer E-Mail wird die Erholung und die Gesundheit des Arbeitnehmers in aller Regel nicht beeinträchtigen. Erst wenn sich die Anfragen wiederholen oder sich der Arbeitnehmer länger in arbeitsbezogene Themen einarbeiten muss, wäre dies anders zu bewerten. In diesen Fällen nimmt jedoch auch die oben zitierte Literaturmeinung eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle an. Die Gegenauffassung verkennt, dass auch die kurzzeitige Arbeitsleistung „Vollarbeit“ darstellt und im Zeiterfassungssystem einzutragen ist. Sie soll lediglich nicht zu einer Unterbrechung der Ruhezeit gem. § 5 ArbZG führen8. Schließlich wird übersehen, dass ein Neubeginn der Ruhezeit oftmals auch nicht im Sinne der Arbeitnehmer sein wird. Denn dadurch verschiebt sich nicht nur der Arbeitsbeginn am folgenden Tag nach hinten, sondern grundsätzlich – je nach betrieblicher Arbeitszeitregelung – auch das Arbeitsende. Zuzugeben ist der Gegenauffassung, dass sich die Frage der Erheblichkeit nur durch eine Einzelfallbewertung beantworten lässt, weshalb eine gewisse Rechtsunsicherheit bleibt. Dieses Problem stellt sich im Bereich der Arbeitszeit jedoch vielfach, etwa bei der Frage, ob Reisezeiten als Arbeitszeit zu bewerten sind. Auch hier ist zu fragen, ob der Arbeitnehmer im konkreten Fall so beansprucht wurde (etwa durch das Lenken seines Fahrzeugs oder die Nachbereitung einer Besprechung im Zug), dass eine Bewertung als Arbeitszeit erforderlich ist. Solche Bewertungsspielräume wohnen dem Arbeitszeitrecht inne.

1 Baeck/Deutsch/Winzer, § 5 ArbZG Rz. 14; Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163 (1167). 2 Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 30. 3 Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163 (1167); Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 30; Reinhard, NZA 2019, 1313 (1318). 4 Falder, NZA 2010, 1150 (1152 f.); Wank, RdA 2014, 285 (289); Kohte, NZA 2015, 1417 (1423); Maier, DB 2016, 2723 (2726); Niklas, ArbRB 2019, 275 (277); Gäntgen in HWK, § 5 ArbZG Rz. 2; Buschmann in Buschmann/Ulber, § 5 ArbZG Rz. 14 ff.; BeckOK ArbR/Kock, Stand: 1.12.2021, § 5 ArbZG Rz. 7 und 7.3; Krause, NZA-Beil. 2017, 53 (57); Legerlotz, ArbRB 2019, 121 (122); wohl auch Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433) und Zöll/Kielkowski, BB 2012, 2625 (2628). 5 Falder, NZA 2010, 1150 (1152); Zöll/Kielkowski, BB 2012, 2625 (2628); Maier, DB 2016, 2723 (2726). 6 Maier, DB 2016, 2723 (2726). 7 Falder, NZA 2010, 1150 (1152); Maier, DB 2016, 2723 (2726); BeckOK ArbR/Kock, Stand: 1.12.2021, § 5 ArbZG Rz. 7. 8 Vgl. Baeck/Deutsch/Winzer, § 5 ArbZG Rz. 14a.

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4.24

§ 4 Rz. 4.25

Ständige Erreichbarkeit

4.25 Hinweis: Eine Erheblichkeitsschwelle wäre für die Praxis zwar wünschenswert. Sie setzt jedoch eine teleologische Reduktion von § 5 Abs. 1 ArbZG und Art. 3 der Arbeitszeitrichtlinie voraus. Nach diesen Vorschriften muss die Ruhezeit „ununterbrochen“ elf Stunden bzw. „elf zusammenhängende Stunden“ andauern. Es ist fraglich, ob BAG und EuGH eine solche teleologische Reduktion mitgehen würden1. Solange diese Rechtsfrage nicht abschließend entschieden ist, bleibt daher eine erhebliche Rechtsunsicherheit. Betriebliche Regelungen, durch die eine Erheblichkeitsschwelle eingeführt wird, könnten von ArbG für unwirksam befunden und von Arbeitsschutzbehörden als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeiten gewertet werden.

e) Sonn- und Feiertagsarbeit 4.26 Sonn- und Feiertagsarbeit ist gem. § 9 Abs. 1 ArbZG grundsätzlich untersagt. Arbeitnehmer dürfen an diesen Tagen von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr nicht beschäftigt werden. Das umfasst auch Rufbereitschafts- und vergleichbare Erreichbarkeitszeiten, da der Begriff der „Beschäftigung“ in § 9 Abs. 1 ArbZG weiter ist als der der Arbeit i.S.v. § 2 Abs. 1 ArbZG2. Auf den Arbeitsort kommt es dabei nicht an; auch die Arbeit im Homeoffice oder von unterwegs ist verboten3. Eine Anordnung des Arbeitgebers, an Sonn- und Feiertagen über das dienstliche Smartphone erreichbar zu sein und ggf. tätig zu werden, würde demnach grundsätzlich gegen das öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverbot verstoßen.

4.27 Nur in den in § 10 ArbZG normierten Ausnahmefällen, bei Erteilung einer behördlichen Ausnahmebewilligung gem. § 13 Abs. 3 Nr. 2 ArbZG oder in außergewöhnlichen Fällen bzw. Notfällen gem. § 14 Abs. 1 ArbZG dürfen Arbeitnehmer an diesen Tagen beschäftigt werden. Verstöße sind gem. § 22 Abs. 1 Nr. 5 ArbZG bußgeldbewehrt; es drohen Geldbußen von bis zu 30.000 EUR pro Verstoß. Ebenso wenig dürfen Arbeitnehmer freiwillig von sich aus tätig werden; das Arbeitszeitgesetz schützt sie gegen ihren Willen. Schon das bloße Zulassen oder Dulden einer eigeninitiativen Tätigkeit der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber stellt einen Verstoß gegen § 9 ArbZG dar4.

4.28 Hinweis: Nach h.M. reicht allerdings das bloße Verbieten von Sonn- und Feiertagsarbeit – etwa in einer Betriebsvereinbarung – nicht aus. Vielmehr muss der Arbeitgeber diese ggf. sogar aktiv verhindern5. Das setzt natürlich voraus, dass er hiervon überhaupt Kenntnis erlangt6.

4.29 In jedem Fall müssen mindestens 15 Sonntage im Jahr beschäftigungsfrei bleiben, § 11 Abs. 1 ArbZG. Zudem ist gem. § 11 Abs. 3 ArbZG für jeden Sonn- bzw. Feiertag ein Ersatzruhetag zu gewähren.

f) Nachtarbeit 4.30 Ist ein Arbeitnehmer „ständig“ erreichbar, umfasst dies grundsätzlich auch Zeiten, die nach dem Arbeitszeitgesetz in die Nachtzeit fallen. Nachtzeit ist gem. § 2 Abs. 3 ArbZG die Zeit von 23:00 bis 6:00 Uhr. Nachtarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes liegt vor, wenn mindestens zwei Stunden während der Nachtzeit gearbeitet wird, § 2 Abs. 4 ArbZG. Da bloße Erreichbarkeitszeiten keine Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes sind, kommt Nachtarbeit nur in Betracht, wenn Arbeitnehmer tatsächlich auf Veranlassung des Arbeitgebers tätig werden und die Tätigkeit mehr als zwei Stunden an1 2 3 4 5

Zweifelnd etwa Wank, RdA 2014, 285 (289); Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1433). BAG v. 22.9.2005 – 6 AZR 579/04, juris Rz. 27 f. Herbert in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 9 ArbZG Rz. 12. Roloff in ErfK, § 9 ArbZG Rz. 2; BayObLG v. 17.9.1981 – 3 Ob OWi 132/81, AP Nr. 27 zu § 3 LSchlG. Biebl in Neumann/Biebl, § 9 ArbZG Rz. 3; Baeck/Deutsch/Winzer, § 9 ArbZG Rz. 12; Herbert in Hahn/ Pfeiffer/Schubert, § 9 ArbZG Rz. 13; zweifelnd Schliemann, ArbZG, 3. Aufl. 2017, § 9 ArbZG Rz. 7. 6 Vgl. Herbert in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 9 ArbZG Rz. 13.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.33 § 4

dauert. Dies wird in den hier relevanten Konstellationen nur selten der Fall sein. Wenn der Arbeitgeber sich jedoch entscheidet, eine generelle Erreichbarkeit anzuordnen, muss er diesen Fall regeln, einschließlich der Gewährung eines Belastungsausgleichs gem. § 6 Abs. 5 ArbZG. Nach § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Arbeitgeber dem „Nachtarbeitnehmer“, soweit keine tarifvertragli- 4.31 chen Ausgleichsregelungen bestehen, für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Arbeitgeber hat ein Wahlrecht, wie er die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen kompensiert. Während der Freizeitausgleich zumindest bei zeitnaher Gewährung einen Beitrag zum Gesundheitsschutz leistet, soll der Nachtarbeitszuschlag die Arbeitsleistung verteuern, um Nachtarbeit weniger attraktiv zu machen und auf diesem Weg einzudämmen. Zudem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in gewissem Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen1. Das BAG hält einen Zuschlag von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt bzw. die Gewährung einer entsprechenden Anzahl von bezahlten freien Tagen grundsätzlich für angemessen. Nur bei besonderen Belastungen in qualitativer oder quantitativer Hinsicht, z.B. bei Dauernachtarbeit, soll Arbeitnehmern ein Anspruch i.H.v. 30 % zustehen2.

3. Vergütung Die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer während der Erreichbarkeitszeiten tatsächlich arbeitet, sind Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Die Zeiten, in denen der Arbeitnehmer lediglich erreichbar, in seiner Freizeitgestaltung jedoch frei ist, zählen arbeitszeitrechtlich als Ruhezeiten. Grundsätzlich davon zu trennen ist die Frage, ob und inwieweit diese Zeiten zu vergüten sind. Dies folgt in erster Linie aus den jeweils geltenden arbeits- oder tarifvertraglichen Regelungen.

4.32

Regelmäßig wird es sich bei den Zeiten, in denen der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung herangezo- 4.33 gen wird, um Überstunden handeln, da der Arbeitnehmer seine reguläre Arbeitszeit bereits abgeleistet hat3. Ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf Vergütung dieser Überstunden besteht, richtet sich nach den für den jeweiligen Arbeitnehmer geltenden Vorschriften. Existieren keine Regelungen hierzu, ist auf § 612 Abs. 1 BGB zurückzugreifen. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Die Vergütungserwartung ist anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt4. Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Überstunde zu vergüten ist, gibt es nicht. Dies gilt insbesondere bei „Diensten höherer Art“ oder wenn insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird5. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des BAG anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer eine Vergütung erhält, die die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet6, die im Jahr 2022 bei 84.600 EUR in den alten und 81.000 EUR in den neuen Bundesländern liegt. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Arbeitsentgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehöre zu den „Besserverdienern“, die aus Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt würden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehle regelmäßig die objektive Vergütungs-

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BAG v. 15.7.2020 – 10 AZR 123/19, ArbRB 2020, 365 (Marquardt) = juris Rz. 28. BAG v. 15.7.2020 – 10 AZR 123/19, ArbRB 2020, 365 (Marquardt) = juris Rz. 30 ff. v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2012, 178 (179). BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361 = juris Rz. 20. BAG v. 17.8.2011 – 5 AZR 406/10, ArbRB 2011, 361 = juris Rz. 20; BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, ArbRB 2012, 232 = juris Rz. 21. 6 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, ArbRB 2012, 232 = juris Rz. 21.

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§ 4 Rz. 4.33

Ständige Erreichbarkeit

erwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit1.

4.34 Hinweis: Ein Anspruch auf Vergütung kann im Einzelfall ferner daran scheitern, dass Überstunden durch eine wirksame vertragliche Regelung in einem bestimmten Umfang pauschal durch die Vergütung abgegolten sind.

4.35 Eine Vergütungspflicht des Arbeitgebers, monetär oder in Form von Freizeitausgleich, besteht in jedem Fall nur dann, wenn er die Überstunden veranlasst hat oder ihm diese zurechenbar sind. Andernfalls könnten Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihre Arbeitsleistung aufdrängen und die Höhe ihres Vergütungsanspruchs in Teilen selbst bestimmen2. Die Überstunden müssen daher vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sein; der Arbeitnehmer trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast3.

4.36 Ordnet der Arbeitgeber Erreichbarkeitszeiten ausdrücklich an und wird der Arbeitnehmer während dieser Zeiten für den Arbeitgeber tätig, ist die Rechtslage eindeutig: Die als Überstunden zu bewertenden Arbeitszeiten sind dem Grunde nach vergütungspflichtig. Schwieriger ist die Bewertung, wenn keine ausdrücklichen Regelungen existieren und Arbeitnehmer ohne (ausdrückliche) Veranlassung tätig werden. Dann kommen insbesondere eine konkludente Anordnung oder eine Duldung dieser Überstunden in Betracht.

4.37 Eine konkludente Anordnung von Überstunden liegt vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte4. Ist einem Arbeitnehmer z.B. aufgetragen worden, an einem bestimmten Tag einen Vertragsentwurf zu erstellen, der aber aufgrund einer noch ausstehenden Rückmeldung – etwa aus Gründen der Zeitverschiebung – erst nach Dienstschluss fertiggestellt werden kann, dürften die hierdurch entstehenden Überstunden zumindest konkludent angeordnet worden sein. Der Arbeitnehmer wird die Einzelheiten des Arbeitsauftrags jedoch im Streitfall darlegen und beweisen müssen.

4.38 Der Arbeitgeber duldet Überstunden, wenn er von diesen Kenntnis hat, sie hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden zukünftig zu unterbinden5. Ist es im Unternehmen üblich und bekannt, dass Arbeitnehmer auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten Arbeitsleistung erbringen und schreitet der Arbeitgeber hiergegen nicht ein, können vergütungspflichtige Überstunden vorliegen. Der Arbeitnehmer müsste im Streitfall darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst im nächsten Schritt müsste der Arbeitgeber darlegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat6.

1 2 3 4 5 6

BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 765/10, ArbRB 2012, 232 = juris Rz. 21. BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 13. BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 14 ff. BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 17. BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 21. BAG v. 10.4.2013 – 5 AZR 122/12, juris Rz. 21.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.44 § 4

4.39

Hinweis: Wollen Arbeitgeber das Entstehen vergütungspflichtiger Überstunden durch „Freizeitarbeit“ verhindern, sollten sie das Tätigwerden in der Freizeit entweder ausdrücklich verbieten oder transparente Regeln dazu aufstellen.

Unabhängig von der Vergütung der Überstunden, also der tatsächlichen Arbeitsleistung, steht es den Arbeits-, Betriebs- und Tarifvertragsparteien grundsätzlich frei, auch eine Vergütung der bloßen Erreichbarkeitszeiten zu vereinbaren und diese z.B. durch eine Zulage pauschal zu honorieren. Denn wird die Erreichbarkeit angeordnet oder zumindest erwartet, ist der Arbeitnehmer in seiner Freizeitgestaltung faktisch nicht völlig frei. Es muss zumindest eine Verbindung zum Internet bzw. Telefonnetz bestehen, damit er in der Lage ist, kurzfristig zu reagieren. Es ist angemessen, diese Freizeiteinbuße zu kompensieren. Eine Vergütungspflicht besteht jedoch nicht1.

4.40

Wird eine solche Vergütung für die Erreichbarkeitszeiten vereinbart, sollte klargestellt werden, wie diese sich zu der Vergütung für Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme verhält. Denn die Vergütung für Vollarbeit und die Pauschale für die Erreichbarkeitszeiten verfolgen unterschiedliche Leistungszwecke. Eine für die Erreichbarkeitszeiten vereinbarte Zulage ist daher während der Arbeitszeiten grundsätzlich nicht zu zahlen2.

4.41

4. Urlaub Die ständige Erreichbarkeit via Smartphone, Tablet etc. kann auch den Urlaub beeinträchtigen. Viele Arbeitnehmer nutzen ihr dienstliches Smartphone auch privat (oder umgekehrt3) und sind damit auch im Urlaub grundsätzlich erreichbar. Durch die tatsächliche Erreichbarkeit allein wird der Urlaubszweck freilich noch nicht eingeschränkt. Entscheidend ist, ob von dem Arbeitnehmer erwartet wird, tätig zu werden.

4.42

Nach der Rechtsprechung des BAG wird der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nur erfüllt, wenn 4.43 dieser unwiderruflich von der Arbeitspflicht befreit wird. Nur dann könne der Arbeitnehmer die Freizeit uneingeschränkt nutzen und müsse nicht damit rechnen, zur Arbeit gerufen zu werden4. Daraus folgt: Weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer an, während des Urlaubs oder an bestimmten Tagen seine E-Mails durchzusehen oder sich für dienstliche Telefonate bereitzuhalten, entfällt für diese Zeiten die Erfüllungswirkung des Urlaubs5. Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn der Arbeitnehmer sich nicht grundsätzlich zur Arbeitsleistung bereithalten muss, sondern nur bei bestimmten Anlässen kontaktiert wird oder sogar eigeninitiativ tätig wird. Führt also ein kurzer Anruf des Urlaubsvertreters, der eine Information benötigt, dazu, dass der gesamte Urlaubstag als nicht gewährt gilt? Die herrschende Meinung in der Literatur steht zu Recht auf dem Standpunkt, dass kurze, unerhebliche Unterbrechungen des Urlaubs unschädlich sind6. Zum Teil wird die Erheblichkeitsschwelle bei 10 bis 15 Minuten gezogen7. Allerdings kann auch ein zehnminütiges Telefonat dafür sorgen, 1 Krause in MünchHBArbR § 60 Rz. 13 unter Hinweis auf BAG v. 12.2.1969 – 4 AZR 308/68, juris Rz. 38 zur Rufbereitschaft; s. auch Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2055); Buddenbrock/Manhart, SPA 2014, 93 (94). 2 BAG v. 20.5.2010 – 6 AZR 1015/08, juris Rz. 10 zu Rufbereitschaftszulagen. 3 Zu Bring Your Own Device („BYOD“) s. § 29. 4 BAG v. 14.3.2006 – 9 AZR 11/05, ArbRB 2006, 291 = juris Rz. 17. 5 Vgl. BAG v. 20.6.2000 – 9 AZR 405/99, juris Rz. 28. 6 Falder, NZA 2010, 1150 (1156); Däubler, ZTR 2016, 359 (362); Kramer in Kramer, IT-Arbeitsrecht, Teil B Rz. 999; Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 75; Gaul, DB 2013, 60 (62); Klose in MünchHBArbR, § 86 Rz. 8; a.A. Lichtenberg, RdA 2020, 265 (265 f.). 7 Däubler, ZTR 2016, 359 (362); Kramer in Kramer, IT-Arbeitsrecht, Teil B Rz. 999 m.w.N.

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4.44

§ 4 Rz. 4.44

Ständige Erreichbarkeit

dass der Arbeitnehmer sich während der nächsten zwei Tage mit dem besprochenen Problem auseinandersetzt und die Beeinträchtigung des Erholungszwecks daher weit über diese zehn Minuten hinausgeht. Dies hängt aber wiederum auch von der persönlichen Konstitution des Arbeitnehmers ab. Man wird daher eine typisierende Einzelfallbetrachtung vornehmen müssen1. Dabei sind z.B. auch der Anlass der Kontaktaufnahme und die Position des Arbeitnehmers im Unternehmen zu berücksichtigen2. Einer wichtigen Führungskraft in exponierter Stellung ist es eher zuzumuten, für eine kurze Rücksprache zur Verfügung zu stehen, als Personen, deren Tätigkeit ohne weiteres von einem Urlaubsvertreter übernommen werden kann. Unabhängig davon wird man als Faustregel annehmen können, dass eine Urlaubsunterbrechung von höchstens 15 Minuten zum Führen eines Telefonats oder zum Beantworten einer E-Mail als nicht erholungsschädlich anzusehen ist. Dies kann wiederum anders zu beurteilen sein, wenn der Arbeitnehmer nicht einmal 15 Minuten, sondern über den Tag verteilt dreimal fünf Minuten in seinen Urlaubsaktivitäten unterbrochen wird3.

4.45 Wird der Arbeitnehmer ohne jede Veranlassung freiwillig tätig, kann dies die Urlaubsgewährung hingegen nicht beeinträchtigen4. Andernfalls hätte es der Arbeitnehmer in der Hand, durch sein eigeninitiatives Tätigwerden die Erfüllung des Urlaubsanspruchs zu verhindern5.

4.46 Da Urlaub grundsätzlich nur in vollen Tagen gewährt werden kann6, gilt stets der gesamte Urlaubstag als nicht erfüllt, auch wenn die tatsächliche Inanspruchnahme (insgesamt) nur einige Minuten gedauert hat7. Urlaubstage, die aufgrund erheblicher Unterbrechungen als nicht erfüllt anzusehen sind, muss der Arbeitgeber nachgewähren. In der Praxis werden allerdings die wenigsten Arbeitnehmer eine solche Nachgewährung tatsächlich einfordern8.

4.47 Hinweis: Gewährt der Arbeitgeber den Arbeitnehmern einen über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehenden vertraglichen Mehrurlaub, können hierüber abweichende Vereinbarungen getroffen werden9. Denkbar wäre z.B., konkret zu vereinbaren, in welchen Fällen der Urlaubsanspruch bei einer Inanspruchnahme während des Urlaubs als nicht erfüllt gilt. Es wären allerdings die strengen Anforderungen des AGB-Rechts einzuhalten. Eine zu starke Einschränkung des Erholungszwecks dürfte den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen und daher einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 BGB begründen. Zudem muss die vertragliche Regelung dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB gerecht werden. Es ist daher fraglich, ob derartige Regelungen überhaupt wirksam vereinbart werden können.

5. Arbeitsschutz 4.48 Nach § 618 Abs. 1 BGB muss der Arbeitgeber die Arbeitsleistung, die unter seiner Anordnung oder Leitung zu erbringen ist, so regeln, dass die Arbeitnehmer so gut wie möglich gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Dazu zählt auch, gesundheitsschädigenden Überanstrengungen der Arbeitnehmer entgegenzuwirken, und zwar auch dann, wenn es sich um hochbezahlte lei-

1 Falder, NZA 2010, 1150 (1156). 2 Klose in MünchHBArbR, § 86 Rz. 8. 3 Falder, NZA 2010, 1150 (1156); zu weitgehend Däubler, ZTR 2016, 359 (362), der vertritt, bei einer mehr als zweimaligen Inanspruchnahme verliere der gesamte restliche Urlaub seinen Charakter und müsse neu gewährt werden. 4 Gaul, DB 2013, 60 (62); Kramer in Kramer, IT-Arbeitsrecht, Teil B Rz. 992; Arnold/Winzer in Arnold/ Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 75; a.A. wohl Niklas, ArbRB 2019, 275 (277), der auch die bloße Duldung des Tätigwerdens durch den Arbeitgeber ausreichen lässt. 5 Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Arbeitsrecht 4.0, Kap. 3 Rz. 75. 6 BAG v. 19.6.2018 – 9 AZR 615/17, ArbRB 2018, 329 = juris Rz. 33. 7 Buddenbrock/Manhart, SPA 2014, 93 (95). 8 So auch die Feststellung von Däubler, ZTR 2016, 359 (362). 9 Gaul, DB 2013, 60 (62).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.51 § 4

tende Angestellte handelt1. So kann aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers z.B. folgen, dass er auf seine Arbeitnehmer dahingehend einwirken muss, dass diese Urlaub nehmen, bevor sie sich in einer die Gesundheit ernstlich gefährdenden Weise überarbeiten2. Rein praktisch wird sich oftmals das Problem stellen, dass der Arbeitgeber bzw. die jeweils verantwortlichen Vorgesetzten nicht mitbekommen, dass Arbeitnehmer ihre Belastungsgrenzen überschreiten. Der Arbeitgeber muss daher Vorkehrungen treffen, dies von vornherein zu vermeiden. Dies gilt umso mehr, als bloße Erreichbarkeitszeiten nicht als Arbeitszeit zählen, theoretisch also eine Erreichbarkeit rund um die Uhr angeordnet werden könnte3. Einen Mindestschutz gewährleistet bereits das Arbeitszeitgesetz, das klare – wenn auch teilweise zu starre – Regelungen zu Arbeitszeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten etc. enthält. Nach einer Stellungnahme der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stellen die derzeitigen arbeitszeitrechtlichen Rahmenbedingungen aus Sicht des Arbeitsschutzes einen Standard für eine gesunde und sichere Gestaltung der Arbeit dar4. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht auch innerhalb des durch das Arbeitszeitgesetz gesteckten Rahmens zu Überbelastungen der Arbeitnehmer kommen kann, denen der Arbeitgeber entgegenwirken muss. Relevant sind insbesondere psychische Belastungen, die schon dadurch entstehen können, dass Arbeitnehmer jederzeit „befürchten“ müssen, kurzfristig zur Arbeitsleistung herangezogen zu werden, wenn auch nur für einige Minuten.

4.49

Derartige psychische Belastungen sind das Hauptproblem der ständigen Erreichbarkeit. Der Arbeit- 4.50 geber muss diese bei seiner Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG5 berücksichtigen und daraus die entsprechenden Schlüsse für die Arbeitsorganisation ziehen, vgl. §§ 3, 4 Nr. 1 ArbSchG6. Denkbar sind z.B. eine Beschränkung der Erreichbarkeitszeiten und -tage7 sowie ein Ausgleich der geleisteten Überstunden in Freizeit. Zudem können die Vorgesetzten angewiesen werden, nur zurückhaltend von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, Arbeitnehmer in ihrer Freizeit zu kontaktieren. Aufgabe der Vorgesetzten ist es auch, die Arbeitsabläufe so zu organisieren, dass die anfallenden Tätigkeiten innerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit erledigt werden können. Ist dies auch bei bester Organisation nicht möglich, ist darüber nachzudenken, neues Personal einzustellen. Auf der anderen Seite ist auch zu bedenken, dass es vielen Arbeitnehmern nicht gelingt, nach Verlassen des Büros gänzlich abzuschalten und z.B. den abendlichen Blick in die E-Mails zu unterlassen. Auch dieser Hang zur Selbstgefährdung ist zu berücksichtigen. Äußerstenfalls muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer dadurch vor sich selbst schützen, dass er die relevanten Systeme, z.B. den E-MailServer, innerhalb bestimmter Zeiträume ausschaltet8.

1 Roloff in ErfK, § 618 BGB Rz. 11 unter Hinweis auf BAG v. 13.3.1967 – 2 AZR 133/66, MDR 1967, 699. 2 BAG v. 13.3.1967 – 2 AZR 133/66, MDR 1967, 699 = juris Rz. 27. 3 Däubler, ZTR 2016, 359 (361). 4 Beermann/Backhaus/Tisch/Brenscheidt, Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Arbeitszeit und gesundheitlichen Auswirkungen, Seite 2, abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Fo kus/Arbeitszeiten.html, zuletzt abgerufen am 28.1.2022; Witschen in BeckOGK ZivilR, Stand: 1.12.2021, § 618 BGB Rz. 119. 5 Dazu detailliert § 20. 6 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1435). 7 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1435). 8 Wiebauer, NZA 2016, 1430 (1435).

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4.51

§ 4 Rz. 4.52

Ständige Erreichbarkeit

6. Rechtliche Umsetzung a) Direktionsrecht/Arbeitsvertrag 4.52 Regelungen zur Erreichbarkeit können insbesondere im Arbeitsvertrag oder in Betriebsvereinbarungen getroffen werden. Denkbar ist auch eine Umsetzung im Wege des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts gem. § 106 GewO.

4.53 Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Die Anordnung von Erreichbarkeitszeiten betrifft die Arbeitszeit und ist daher grundsätzlich vom Direktionsrecht erfasst. Das Direktionsrecht kann allerdings durch die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen beschränkt sein. Ist die Lage der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag festlegt, z.B. durch Vereinbarung einer täglichen Arbeitszeit von 9:00 bis 17:30 Uhr einschließlich Pause, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, den Arbeitnehmer anzuweisen, sich nach 17:30 Uhr noch zur Arbeitsleistung bereitzuhalten. Der Arbeitgeber ist an die vertragliche Regelung gebunden1. Auch Überstunden darf der Arbeitgeber nicht im Wege des Direktionsrechts anordnen, wenn der Arbeitsoder Tarifvertrag dies nicht gestattet. Da die während der Erreichbarkeitszeiten erbrachte Arbeitsleistung regelmäßig über die vertraglich vereinbarte regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen wird, kann eine einseitige Anordnung auch hieran scheitern2.

4.54 Arbeitgeber, die eine über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit hinausgehende Erreichbarkeit bestimmter Arbeitnehmer für erforderlich halten, sollten daher schon bei der Vertragsgestaltung darauf achten, sich hinsichtlich der Dauer und Lage der Arbeitszeit nicht zu sehr einzuschränken. Bestenfalls vereinbaren sie schon im Arbeitsvertrag konkret, wann und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber zusätzliche Erreichbarkeitszeiten anordnen darf. Arbeitgeber, die gerade nicht wollen, dass Arbeitnehmer nach Dienstschluss noch tätig werden, können dies ebenfalls schon im Arbeitsvertrag regeln. Hat eine solche Regelung Eingang in den Arbeitsvertrag gefunden, ist sie allerdings nur noch schwer einseitig rückgängig zu machen. Der Arbeitgeber müsste eine Änderungskündigung aussprechen, die nur bei Vorliegen betriebs-, personen- und verhaltensbedingter Gründe wirksam wäre und daher in den seltensten Fällen Erfolg haben dürfte. Geht es dem Arbeitgeber darum, Arbeitszeitverstöße der Arbeitnehmer zu unterbinden und Verhaltensregeln aufzustellen, sollte auf dienstliche Anweisungen gem. § 106 GewO zurückgegriffen werden, die jederzeit abgeändert werden können.

4.55 Vertraglich zu regeln ist hingegen, ob und wie die Erreichbarkeitszeiten einerseits und die Zeiträume, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich tätig wird, andererseits, zu vergüten sind. Insoweit besteht ein großer Gestaltungsspielraum. Bei hochbezahlten Führungskräften dürfte die ständige Erreichbarkeit schlichtweg erwartet werden, ohne dass hierfür eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen wird. Aber auch in den Arbeitsverträgen von Arbeitnehmern, deren Vergütung unter der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, könnte ein bestimmter Umfang an Überstunden mit der Vergütung abgegolten werden. Das BAG hat eine Klausel, nach der bei einer 40-Stunden-Woche die ersten 20 Überstunden im Monat pauschal mit der Vergütung abgegolten sind, nicht beanstandet3. Regelmäßig wird eine solche Klausel ausreichen, das Entstehen zusätzlicher Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer zu verhindern, da die Erreichbarkeitszeiten als solche nicht zu vergüten sind. Den Arbeitsvertragsparteien steht es frei, alternative Vergütungsmodelle zu vereinbaren (zu den Einzelheiten der Vergütung s. unter Rz. 4.32 ff.).

1 Vgl. Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2053). 2 Vgl. Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2054). 3 BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 331/11, ArbRB 2012, 269 = juris Rz. 11 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 4.59 § 4

b) Betriebsvereinbarung Existiert ein Betriebsrat, ist die Betriebsvereinbarung das entscheidende Gestaltungsmittel, da dem Betriebsrat verschiedene Mitbestimmungsrechte zustehen.

4.56

Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine abschließende tarifvertragliche Regelung existiert. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen nicht, soweit Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, es sei denn, der Tarifvertrag lässt den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zu, § 77 Abs. 3 BetrVG. Fällt ein Betrieb in den räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags, können die im Tarifvertrag geregelten Arbeitsbedingungen nicht zum Gegenstand einer Betriebsvereinbarung gemacht werden (sog. Tarifsperre)1. Ist der Arbeitgeber nicht tarifgebunden, greift die Tarifsperre jedoch nicht in Bezug auf Angelegenheiten, die gem. § 87 Abs. 1 BetrVG der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen2.

4.57

Hinweis: Neben den zwingenden Mitbestimmungsrechten des § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat eine Überwachungspflicht. Gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Er muss also z.B. überprüfen, ob das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird. Um seine Aufgaben sachgerecht wahrnehmen zu können, steht ihm gem. § 80 Abs. 2 BetrVG ein Auskunftsanspruch zu. So muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat z.B. Auskunft über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer erteilen, damit dieser die Einhaltung der Ruhezeit gem. § 5 Abs. 1 ArbZG überprüfen kann3.

Folgende erzwingbare Mitbestimmungsrechte haben Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Einführung von Regelungen zur Erreichbarkeit der Arbeitnehmer zu beachten:

4.58

aa) Beginn, Ende und Verteilung der Arbeitszeit – § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat über den Beginn und das Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. Die Beteiligung des Betriebsrats soll das Interesse der Arbeitnehmer daran schützen, dass die Einteilung und Lage des jeweils geschuldeten Arbeitsvolumens eine sinnvolle Gestaltung der Freizeit erlauben4. – Das BAG hat bereits 1982 klargestellt, dass Rufbereitschaftszeiten dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG unterliegen, unabhängig davon, wie diese arbeitszeit- und vergütungsrechtlich zu bewerten sind. Der Betriebsrat habe daher auch über Beginn und Ende von Rufbereitschaftszeiten sowie die Verteilung dieser Zeiten auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen5. Zur Begründung hat das BAG angeführt, dass der Arbeitnehmer auch durch Rufbereitschaftszeiten in seiner Freizeitgestaltung eingeschränkt ist, da sein Aufenthaltsort noch in angemessener Entfernung zum Arbeitsort liegen muss, um im Bedarfsfall unverzüglich die Arbeit aufnehmen zu können6. In den hier relevanten Konstellationen ist die Freizeiteinschränkung zwar deutlich geringer, da der Arbeitnehmer die ggf. erforderliche Arbeitsleistung mittels seines Smartphones von zu Hause 1 2 3 4 5

BAG v. 15.5.2018 – 1 ABR 75/16, ArbRB 2018, 298 = juris Rz. 17. BAG v. 15.5.2018 – 1 ABR 75/16, ArbRB 2018, 298 = juris Rz. 17. BAG v. 6.5.2003 – 1 ABR 13/02, juris, Leitsatz. BAG v. 25.2.1997 – 1 ABR 69/96, juris Rz. 22. BAG v. 21.12.1982 – 1 ABR 14/81, juris Rz. 33; bestätigt durch BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 15/99, juris Rz. 39. 6 BAG v. 21.12.1982 – 1 ABR 14/81, juris Rz. 33.

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4.59

§ 4 Rz. 4.59

Ständige Erreichbarkeit

oder unterwegs aus erbringen kann. Völlig frei ist er dennoch nicht, da er zumindest darauf achten muss, dass er das Smartphone griffbereit hat und eine Telefon- und Internetverbindung besteht. Auch Regelungen zur Erreichbarkeit außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten kann der Arbeitgeber daher nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat treffen. Dies betrifft z.B. Beginn und Ende der Erreichbarkeitszeiten sowie den erfassten Personenkreis. – Ruhezeiten an sich unterliegen grundsätzlich nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. Da der Betriebsrat jedoch gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG über Beginn, Ende und Verteilung der Arbeitszeit mitbestimmen darf, kann er mittelbar auch die Ruhezeiten beeinflussen1. – Erfolgt eine Anordnung von Sonn- und Feiertagsarbeit nicht nur in besonderen individuellen Fällen, liegt also ein sog. kollektiver Bezug vor, ist der Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beteiligen und um Zustimmung zu ersuchen. Da Sonn- und Feiertagsarbeit oftmals kurzfristig angeordnet werden wird, sollten die Betriebsparteien einen Modus finden, das Zustimmungsverfahren möglichst informell zu halten. – Auch die Einführung und Lage von Nachtarbeit unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Da Nachtarbeit gem. § 2 Abs. 4 ArbZG erst dann vorliegt, wenn Arbeitnehmer mehr als zwei Stunden während des Zeitraums zwischen 23:00 und 6:00 Uhr tätig werden, werden Regelungen hierzu nur selten relevant sein. bb) Vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit – § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

4.60 Zudem besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Werden Arbeitnehmer während der Erreichbarkeitszeiten tätig, verlängert sich hierdurch vorübergehend die betriebsübliche Arbeitszeit2. Bei der Vereinbarung von Erreichbarkeitszeiten handelt es sich daher regelmäßig um eine vorsorgliche Regelung der Leistung von Überstunden3. Über deren Ausgestaltung hat der Betriebsrat mitzubestimmen. cc) Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen – § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG

4.61 Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmern Smartphones oder Tablets zur Verfügung, um außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten erreichbar zu sein, folgt ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG4. Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitgeber die Geräte lediglich zur dienstlichen Nutzung überlässt oder den Arbeitnehmern zusätzlich eine private Nutzungsmöglichkeit einräumt5. Smartphones sind dazu geeignet, das Verhalten und/oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. So erhält der Arbeitgeber z.B. durch die Synchronisation des Smartphones mit dem Firmenserver Zugriff auf die auf dem Smartphone gespeicherten Daten wie E-Mails und Kalendereinträge6. Ebenso mitbestimmungspflichtig ist daher die Nutzung privater Endgeräte für dienstliche Zwecke (Bring Your Own Device – „BYOD“)7. dd) Gesundheitsschutz – § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG

4.62 Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat „im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften“ über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Voraussetzung ist, dass eine gesetzliche Handlungspflicht

1 2 3 4 5 6 7

Roloff in ErfK, § 5 ArbZG Rz. 10; Jerchel in Hahn/Pfeiffer/Schubert, § 5 ArbZG Rz. 46. BAG v. 21.12.1982 – 1 ABR 14/81, juris Rz. 15 ff.; BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 15/99, juris Rz. 40 ff. Vgl. BAG v. 29.2.2000 – 1 ABR 15/99, juris Rz. 41. Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2055); Buddenbrock/Manhart, SPA 2014, 93 (95). Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2055). Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765 (769); Fitting, § 87 BetrVG Rz. 245. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 245; zu BYOD s. ausführlich § 29.

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III. Best Practice

Rz. 4.66 § 4

objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen1. Der Betriebsrat soll an betrieblichen Regelungen beteiligt werden, die der Arbeitgeber zwar auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Umsetzung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Mitzubestimmen hat der Betriebsrat bei der Ausfüllung dieses Spielraums2. Zu diesen Rahmenvorschriften zählen insbesondere § 5 ArbSchG über die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und § 3 ArbSchG über die Festlegung der erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes3. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung4 hat der Betriebsrat etwa darüber mitzubestimmen, welche Arbeitsplätze mit welchen Methoden auf welche möglichen Gefahrenursachen hin untersucht werden sollen5. Zur Ermittlung möglicher psychischer Belastungen, die mit der ständigen Erreichbarkeit einhergehen, bieten sich z.B. anonymisierte Mitarbeiterbefragungen an6. Bei der Ausgestaltung des Fragenkatalogs dürfte dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zustehen7.

4.63

Bei der Festlegung der erforderlichen Maßnahmen gemäß der Generalklausel des § 3 Abs. 1 Satz 1 4.64 ArbSchG hat der Arbeitgeber ein weiten Gestaltungsspielraum. Eben dieser Gestaltungsspielraum eröffnet Raum für die Mitbestimmung durch den Betriebsrat8. Voraussetzung ist, dass im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung eine Gefährdung festgestellt worden ist. Erst dann besteht eine konkrete gesetzliche Handlungspflicht des Arbeitgebers, deren Umsetzung einer Mitwirkung des Betriebsrats bedarf 9. Die Auswahl der erforderlichen Schutzmaßnahmen erfolgt sodann einvernehmlich; der Betriebsrat darf konkrete Maßnahmen vorschlagen10. Bezogen auf die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer können die Maßnahmen von einer Beschränkung der Erreichbarkeitszeiten bis hin zur Abschaltung der E-Mail-Server reichen. Gelingt eine einvernehmliche Regelung nicht, entscheidet die Einigungsstelle.

4.65

Hinweis: Dem Betriebsrat steht ein Initiativrecht zur Einführung betrieblicher Regelungen zum Gesundheitsschutz zu11. Er könnte also z.B. eine Beurteilung der psychischen Belastungen bei der Arbeit gem. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG erzwingen, indem er die Einigungsstelle zur Festlegung der erforderlichen Beurteilungsgrundsätze anruft12. Konkrete Schutzmaßnahmen kann der Betriebsrat hingegen erst verlangen, wenn im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung das Bestehen einer Gefährdung festgestellt worden ist13.

III. Best Practice In vielen Unternehmen ist die ständige Erreichbarkeit der Arbeitnehmer, zumindest ab einer bestimmten Hierarchieebene, selbstverständlich. Gleichwohl existieren meist keine (geschriebenen) Regelungen hierzu. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer sind sich der vielfältigen rechtlichen

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 18. BAG v. 15.1.2002 – 1 ABR 13/01, ArbRB 2002, 229 = juris Rz. 57. Wiebauer, RdA 2019, 41 (41). Zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung s. im Einzelnen § 20. BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 4/03, juris Rz. 52. Wiebauer, RdA 2019, 41 (42). Wiebauer, RdA 2019, 41 (42). Wiebauer, RdA 2019, 41 (42). BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 20. Wiebauer, RdA 2019, 41 (48). Fitting, § 87 BetrVG Rz. 288 m.w.N.; Wiebauer, RdA 2019, 41 (48) m.w.N. Wiebauer, RdA 2019, 41 (47 f.). Wiebauer, RdA 2019, 41 (48).

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4.66

§ 4 Rz. 4.66

Ständige Erreichbarkeit

Probleme, insbesondere in arbeitszeitrechtlicher Hinsicht, oftmals nicht bewusst. Auch würde niemand auf die Idee kommen, am nächsten Tag später im Büro zu erscheinen, weil er am Abend zuvor um 22:00 Uhr noch eine kurze E-Mail versendet hat. Regelmäßig wird es der Betriebsrat sein, der um eine Regulierung bemüht ist.

4.67 Hinweis: Bei Missachtung seiner Mitbestimmungsrechte kann der Betriebsrat im Wege des allgemeinen betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen den Arbeitgeber vorgehen und die Praxis der ständigen Erreichbarkeit und Freizeitarbeit so unterbinden. Ist der Arbeitgeber darauf angewiesen, dass bestimmte Mitarbeiter auch außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten erreichbar sind und ggf. tätig werden können, kann dies ganz gravierende Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der betrieblichen Organisation haben. In mitbestimmten Betrieben empfiehlt es sich daher, mit dem Betriebsrat einvernehmliche Regelungen zur Erreichbarkeit der Arbeitnehmer aufzustellen.

4.68 Nachfolgend werden zwei mögliche Ansätze dargestellt, wie die Erreichbarkeit der Arbeitnehmer außerhalb der Kernarbeitszeiten im Wege einer Betriebsvereinbarung geregelt werden könnte. Die Regelungsvorschläge gehen von einem klassischen Arbeitsmodell aus, wonach die Arbeitnehmer die vereinbarte tägliche Arbeitszeit vollständig und am Stück im Büro verbringen. Gelten im Betrieb bzw. Unternehmen abweichende Arbeitszeitmodelle, etwa Gleitzeit- oder Homeoffice-Regelungen sowie Regelungen zum mobilen Arbeiten, sind die entsprechenden Vereinbarungen zu harmonisieren.

1. Variante 1: Recht auf Nichterreichbarkeit 4.69 Das erste Beispiel sieht vor, dass Arbeitnehmer außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit grundsätzlich ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ haben und weder Anrufe entgegennehmen noch E-Mails beantworten müssen. Es wird jedoch kein „absolutes Kontaktverbot“ konstituiert. In Ausnahmefällen, wenn dringende betriebliche Gründe vorliegen, dürfen Vorgesetzte eine Erreichbarkeit gem. § 3 des Musters1 anordnen. Mögliche Ausnahmefälle können je nach Eigenart des Betriebs sehr unterschiedlich ausfallen und sollten anhand von Beispielen eingegrenzt werden. So wird späteren Streitigkeiten darüber, ob eine bestimmte Anordnung des Vorgesetzten unter die Ausnahmeregelung fällt, zumindest vorgebeugt. Da es sich stets um eine Ermessensentscheidung des Vorgesetzten handeln wird, lassen sich Konflikte jedoch nicht gänzlich ausschließen.

4.70 Ohne arbeitgeberseitige Veranlassung dürfen Arbeitnehmer gem. § 4 Abs. 1 grundsätzlich nicht tätig werden. Die Regelung soll vermeiden, dass dem Arbeitgeber die eigeninitiative Tätigkeit arbeitszeitrechtlich zugerechnet wird. Hinweis: Erlangt der Arbeitgeber Kenntnis von Verstößen der Arbeitnehmer, sollte er sich jedoch nicht auf diese Regelung verlassen, sondern die Arbeitnehmer zusätzlich konkret zur Unterlassung auffordern. Äußerstenfalls kommen Abmahnungen und – bei mehrfachen Verstößen – verhaltensbedingte Kündigungen in Betracht.

4.71 Ausnahmsweise dürfen Arbeitnehmer gem. § 4 Abs. 2 zur Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben von sich aus tätig werden. Was unter den unbestimmten Begriff der „unaufschiebbaren Aufgabe“ fällt, sollte wiederum durch Beispiele konkretisiert werden. Der Vorgesetzte ist über das Tätigwerden zu unterrichten, damit dieser kontrollieren kann, ob das Eingreifen gerechtfertigt war und die Arbeitszeit ordnungsgemäß im Zeiterfassungssystem eingetragen worden ist (vgl. § 16 Abs. 2 ArbZG).

4.72 § 5 Abs. 1 enthält Klarstellungen zur arbeitszeitrechtlichen Bewertung der Erreichbarkeitszeiten und Arbeitseinsätze sowie eine Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erfassung der Arbeitszeiten. Abs. 2

1 Die nachfolgend genannten §§ beziehen sich auf den Mustertext Variante 1, M 4.1.

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III. Best Practice

Rz. 4.75 § 4

nimmt den Arbeitnehmer für die Einhaltung der Höchstarbeitszeiten mit in die Verantwortung, was allerdings nichts daran ändert, dass die Letztverantwortung beim Arbeitgeber liegt. Abs. 3 verpflichtet zur Einhaltung der Ruhezeit gem. § 5 ArbZG und stellt klar, wann diese zu laufen beginnt. Optional können die Betriebsparteien sich zu der sehr streitigen Frage positionieren, wie mit kurzzeitigen Unterbrechungen der Ruhezeit umzugehen ist. Hier ist insoweit Vorsicht geboten, als eine Klärung durch die Rechtsprechung noch aussteht und mehr dafür spricht, dass die ArbG eine teleologische Reduktion des § 5 ArbZG nicht mitgehen würden. In § 6 wird klargestellt, dass die Zeiten, während derer Arbeitnehmer auf Grundlage der Betriebsver- 4.73 einbarung Arbeitsleistungen erbringen, als Überstunden gelten und als solche zu vergüten sind. Hinsichtlich der Vergütung sind viele unterschiedliche Regelungen denkbar. Das Muster enthält zwei kurze Regelungsvarianten. Existiert bereits eine Betriebsvereinbarung zu Überstunden, kann auch auf diese verwiesen werden. § 7 enthält Regelungen zur Erreichbarkeit während des Urlaubs. Eine Kontaktaufnahme durch den Arbeitgeber ist nur in dringenden Ausnahmefällen erlaubt. Überschreitet die Inanspruchnahme einen Zeitraum von 15 Minuten oder wird der Arbeitnehmer mehrfach kontaktiert, wird der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers an diesem Tag nicht erfüllt. Eine solche transparente Regelung ist sinnvoll, ihre Rechtmäßigkeit jedoch ebenfalls noch nicht durch die Rechtsprechung geklärt.

4.74

M 4.1 Betriebsvereinbarung zum Recht der Arbeitnehmer auf Nichterreichbarkeit

4.75

Betriebsvereinbarung zum Recht der Arbeitnehmer auf Nichterreichbarkeit Präambel Zur Sicherung einer angemessenen Work-Life-Balance und zur Vermeidung stressbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich die Betriebsparteien auf die nachfolgenden Regelungen zur Erreichbarkeit außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten geeinigt: § 1 Geltungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs mit Ausnahme der leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG sowie der Auszubildenden, Praktikanten und studentischen Hilfskräfte (nachfolgend aus Vereinfachungsgründen: „Arbeitnehmer“). § 2 Recht auf Nichterreichbarkeit (1) Arbeitnehmer haben das Recht, außerhalb ihrer individuellen täglichen Arbeitszeit nicht mehr erreichbar zu sein und nicht dienstlich tätig zu werden. Es müssen in dieser Zeit insbesondere keine dienstlichen Telefonate angenommen und keine dienstlichen E-Mails beantwortet werden. (2) Den Arbeitnehmern dürfen aufgrund der Wahrnehmung des Rechts gemäß Abs. 1 keine Nachteile entstehen. § 3 Ausnahmen (1) Entgegen § 2 darf eine Erreichbarkeit durch den jeweiligen Vorgesetzten ausnahmsweise angeordnet werden, wenn dies aufgrund dringender betrieblicher Gründe erforderlich ist. Dringende betriebliche Gründe liegen etwa dann vor, wenn [Beispiel: zu erwarten ist, dass nach Dienstschluss des Arbeitnehmers eine wichtige und unaufschiebbare Aufgabe zu erledigen sein wird]. (2) Der Vorgesetzte darf im jeweiligen Einzelfall nach billigem Ermessen bestimmen, gegenüber welchem/ welchen Arbeitnehmer/n und für welchen Zeitraum er die Erreichbarkeit anordnet. Er hat dabei die individuelle persönliche und familiäre Situation der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und dafür Sorge zu

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93

§ 4 Rz. 4.75

Ständige Erreichbarkeit

tragen, dass einzelne Arbeitnehmer nicht unbillig benachteiligt werden. Der Erreichbarkeitszeitraum endet in jedem Fall um [23:00 Uhr]1 eines Tages und beginnt frühestens um [7:00 Uhr] eines Tages. (3) An Sonn- und Feiertagen darf eine Erreichbarkeit nur angeordnet werden, wenn die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulässigkeit von Sonn- bzw. Feiertagsarbeit nach dem Arbeitszeitgesetz erfüllt sind (insbesondere §§ 10, 13, 14 ArbZG). § 4 Tätigwerden ohne arbeitgeberseitige Veranlassung (1) Den Arbeitnehmern ist es untersagt, außerhalb ihrer individuellen täglichen Arbeitszeit, an Samstagen sowie an Sonn- und Feiertagen ohne Veranlassung des Arbeitgebers bzw. einer ihnen gegenüber weisungsbefugten Führungskraft tätig zu werden. Die entsprechende Arbeitsleistung wird vom Arbeitgeber nicht geduldet. (2) Abweichend von Abs. 1 ist ein Tätigwerden ausnahmsweise zulässig, wenn dies zur Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben dringend erforderlich ist. Eine unaufschiebbare Aufgabe ist z.B. [Beispiel: die Beantwortung einer dringenden Kundenanfrage, die nicht auf den nächsten Werktag verschoben werden kann]. Der Arbeitnehmer hat seinen Vorgesetzten am nächsten Werktag unverzüglich über den Grund und die Dauer seines Tätigwerdens zu unterrichten. § 5 Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (1) Zeiten, in denen Arbeitnehmer während des angeordneten Erreichbarkeitszeitraums tatsächlich Arbeitsleistung erbringen, oder Zeiten, in denen Arbeitnehmer gemäß § 4 zur Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben tätig werden, sind Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes und vom Arbeitnehmer als solche zeitnah in der Arbeitszeiterfassungssoftware einzutragen. Bloße Erreichbarkeitszeiten gelten nicht als Arbeitszeit. (2) Arbeitnehmer haben etwaige in den Erreichbarkeitszeitraum fallende Tätigkeiten so zu organisieren und priorisieren, dass die gemäß § 3 ArbZG höchstzulässige tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden nicht überschritten wird. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sorgen gemeinsam dafür, dass die tägliche Arbeitszeit innerhalb des Ausgleichszeitraums des § 3 Satz 2 ArbZG acht Stunden täglich nicht überschreitet. (3) Arbeitnehmern steht in jedem Fall eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG zu. Diese beginnt spätestens mit der Beendigung der letzten als Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes zu qualifizierenden Tätigkeit eines Tages [optional: es sei denn, es handelt sich um eine einmalige geringfügige Tätigkeit (z.B. das Führen eines kurzes Telefonats oder das Verfassen einer kurzen E-Mail) und der Zeitaufwand hierfür beträgt maximal zehn Minuten; einmalige geringfügige Tätigkeiten gelten zwar als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, unterbrechen die Ruhezeit des § 5 Abs. 1 ArbZG jedoch nicht2]. Der Arbeitsbeginn am folgenden Tag verschiebt sich ggf. insoweit nach hinten, als dies zur Einhaltung der in § 5 Abs. 1 ArbZG gesetzlich vorgesehenen Ruhezeit von 11 Stunden erforderlich ist; die Fahrtzeit vom Wohnort zum Betrieb zählt dabei noch zur Ruhezeit. Der Arbeitnehmer muss diese Ruhezeit einhalten. § 6 Vergütung (1) Zeiten, in denen Arbeitnehmer während des angeordneten Erreichbarkeitszeitraums tatsächlich Arbeitsleistung erbracht haben, oder Zeiten, in denen Arbeitnehmer gemäß § 4 zur Erledigung unaufschiebbarer Aufgaben tätig werden, gelten als Überstunden.

1 Würden Arbeitnehmer nach 23:00 Uhr länger als zwei Stunden zur Arbeitsleistung herangezogen werden, würde es sich gemäß § 2 Abs. 4 und 5 ArbZG um Nachtarbeit handeln, die gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG ausgleichspflichtig wäre; s. dazu unter Rz. 4.30 f. 2 Es ist umstritten und durch die Rechtsprechung nicht geklärt, ob kurzzeitige Arbeitseinsätze die Ruhezeit gemäß § 5 ArbZG unterbrechen, vgl. dazu unter Rz. 4.23 ff. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein Gericht diese Regelung für unwirksam befinden würde.

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III. Best Practice

Rz. 4.76 § 4

(2) Die Vergütung der Überstunden richtet sich nach den jeweils geltenden arbeitsvertraglichen, betrieblichen oder tarifvertraglichen Regelungen. [Alternativ: Die Überstunden werden mit einem Überstundenzuschlag in Höhe von 20 % dem Überstundenkonto des Arbeitnehmers gutgeschrieben. Die Überstunden sind in Freizeit auszugleichen.] § 7 Inanspruchnahme während des Urlaubs (1) Der Arbeitgeber bzw. die jeweiligen Vorgesetzten haben dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeit so organisiert wird, dass Arbeitnehmer während ihres Urlaubs nicht kontaktiert oder gar tätig werden müssen. Dies ist insbesondere durch eine sachgerechte Verteilung der Urlaubszeiträume sowie Vertretungsregelungen sicherzustellen. (2) Arbeitnehmer dürfen nur in dringenden Ausnahmefällen im Urlaub dienstlich kontaktiert werden. Ein dringender Ausnahmefall liegt z.B. dann vor, wenn [Beispiel: der im Urlaub befindliche Arbeitnehmer als einziger Arbeitnehmer über eine bestimmte Information verfügt oder andere Arbeitnehmer sich zur Beantwortung einer bestimmten Frage über einen längeren Zeitraum einarbeiten müssten]. (3) Wird ein Arbeitnehmer ausnahmsweise während seines Urlaubs kontaktiert, ist dies für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs unschädlich, soweit die Inanspruchnahme einmalig erfolgt und der Arbeitsaufwand für den Arbeitnehmer bei objektiver Betrachtung nicht mehr als 15 Minuten beträgt. Geht der Arbeitsaufwand bei objektiver Betrachtung über 15 Minuten hinaus oder wird der Arbeitnehmer mehr als einmal kontaktiert oder in Anspruch genommen, gilt der jeweilige Urlaubstag als nicht gewährt.1 (4) Die vorstehenden Regelungen gelten entsprechend für Freizeitausgleichstage. § 8 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden. Sie wirkt nicht nach. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzende/r

2. Variante 2: Erreichbarkeit innerhalb bestimmter Zeiträume Das zweite Beispiel sieht die ausdrückliche Vereinbarung von zusätzlichen Erreichbarkeitszeiten für 4.76 eine bestimmte Abteilung vor, wobei diese durch feste Uhrzeiten klar begrenzt sind. Denkbar wäre z.B. auch, ein „rollierendes“ System einzuführen, wonach jeder Arbeitnehmer nur alle zwei Wochen zur erweiterten Erreichbarkeit herangezogen wird. Insoweit sind die Betriebsparteien in der Gestaltung frei. Ein Alternativvorschlag sieht vor, die Erreichbarkeitszeiten nicht von vornherein festzulegen, sondern den Vorgesetzten lediglich die Möglichkeit einzuräumen, diese im Einzelfall anzuordnen.

1 Es ist umstritten und durch die Rechtsprechung nicht geklärt, ob geringfügige Unterbrechungen des Urlaubs der Erfüllung des Urlaubsanspruchs entgegenstehen, vgl. dazu unter Rz. 4.44. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein Gericht diese Regelung für unwirksam befinden würde. Es ist jedoch gleichwohl sinnvoll, diesen nicht unüblichen Fall für die Praxis zu regeln.

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§ 4 Rz. 4.76

Ständige Erreichbarkeit

Die übrigen Regelungen entsprechen im Wesentlichen denen der Variante 1. Hinsichtlich der Vergütung sieht § 4 Abs. 3 des Musters vor, dass auch die Erreichbarkeitszeiten als solche mit einer Pauschale vergütet werden. Diese soll die – im Vergleich zur Rufbereitschaft geringen – Freizeiteinbußen kompensieren, die Arbeitnehmer dadurch erleiden, dass sie ihr Smartphone ständig einsatzbereit bei sich führen und eine Verbindung zum Telefonnetz und Internet aufrechterhalten müssen.

4.77 M 4.2 Betriebsvereinbarung zur Festlegung von Erreichbarkeitszeiten Betriebsvereinbarung zur Festlegung von Erreichbarkeitszeiten Präambel Zwischen den Betriebsparteien besteht Einigkeit, dass es grundsätzlich Aufgabe der Vorgesetzten ist, die Arbeit so zu organisieren, dass eine Beanspruchung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer außerhalb der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit nicht erforderlich ist. Gleichzeitig sind sich die Betriebsparteien jedoch auch einig, dass es zur Erfüllung des Serviceversprechens gegenüber unseren Kunden im Einzelfall geboten sein kann, diesen in dringenden Fällen auch außerhalb der normalen Arbeitszeiten zur Verfügung zu stehen. Ziel dieser Betriebsvereinbarung ist es, zur Sicherung einer angemessenen Work-Life-Balance und zur Vermeidung stressbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine ausgewogene und klare Regelung zu Erreichbarkeitszeiten zu treffen. § 1 Geltungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der [Beispiel: Abteilung Kundendienst] des Betriebs mit Ausnahme der leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG sowie der Auszubildenden, Praktikanten und studentischen Hilfskräfte (nachfolgend aus Vereinfachungsgründen: „ Arbeitnehmer “). § 2 Erreichbarkeit außerhalb der Kernarbeitszeiten (1) Die Arbeitnehmer der Abteilung Kundendienst müssen sicherstellen, grundsätzlich auch nach [19:00 Uhr], höchstens jedoch bis [22:00 Uhr] und frühestens ab [7:00 Uhr], für den Arbeitgeber und für Kunden erreichbar zu sein und erforderlichenfalls ihre Arbeit mobil aufnehmen zu können. Hierzu stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein Smartphone zur Verfügung, das ausschließlich zu dienstlichen Zwecken genutzt werden darf. Zwischen [22:00 Uhr] und [7:00 Uhr] besteht keine Verpflichtung der Arbeitnehmer, erreichbar zu sein und auf Anfragen des Arbeitgebers oder von Kunden zu reagieren. [Alternativ: Die Teamleiter der Abteilung Kundendienst sind berechtigt, anzuordnen, dass einzelne oder mehrere Arbeitnehmer auch nach [19:00 Uhr], höchstens jedoch bis [22:00 Uhr] und frühestens ab [7:00 Uhr], für den Arbeitgeber und für Kunden erreichbar sind und erforderlichenfalls ihre Arbeit mobil aufnehmen können. Die Teamleiter dürfen im jeweiligen Einzelfall nach billigem Ermessen bestimmen, gegenüber welchem/welchen Arbeitnehmer/n und für welchen Zeitraum sie die Erreichbarkeit anordnen. Sie haben dabei die individuelle persönliche und familiäre Situation der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und dafür Sorge zu tragen, dass einzelne Arbeitnehmer nicht unbillig benachteiligt werden.] (2) Die Arbeitnehmer sind in der Wahl ihres Aufenthaltsorts während der Erreichbarkeitszeiten frei, solange eine Verbindung zum Telefonnetz und Internet gewährleistet ist. (3) Samstage sowie Sonn- und Feiertage sind von den Erreichbarkeitszeiten ausgenommen. Die Arbeitnehmer verpflichten sich, an diesen Tagen keine Arbeitsleistung zu erbringen, es sei denn, sie werden ausnahmsweise vom Arbeitgeber hierzu aufgefordert. Für den Fall einer solchen Aufforderung durch den Arbeitgeber verpflichtet sich dieser, die entsprechenden Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten. (4) Die vorstehenden Regelungen gelten auch während Dienstreisen der Arbeitnehmer.

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III. Best Practice

Rz. 4.77 § 4

§ 3 Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes (1) Zeiten, in denen Arbeitnehmer während des angeordneten Erreichbarkeitszeitraums tatsächlich Arbeitsleistung erbringen, sind Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes und vom Arbeitnehmer als solche zeitnah in der Arbeitszeiterfassungssoftware einzutragen. Bloße Erreichbarkeitszeiten gelten nicht als Arbeitszeit. (2) Arbeitnehmer haben etwaige in den Erreichbarkeitszeitraum fallende Tätigkeiten so zu organisieren und priorisieren, dass die gemäß § 3 ArbZG höchstzulässige tägliche Arbeitszeit von zehn Stunden nicht überschritten wird. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sorgen gemeinsam dafür, dass die tägliche Arbeitszeit innerhalb des Ausgleichszeitraums des § 3 Satz 2 ArbZG acht Stunden täglich nicht überschreitet. (3) Arbeitnehmern steht in jedem Fall eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG zu. Diese beginnt spätestens mit der Beendigung der letzten als Arbeitszeit i.S.d. Arbeitszeitgesetzes zu qualifizierenden Tätigkeit eines Tages [optional: es sei denn, es handelt sich um eine einmalige geringfügige Tätigkeit (z.B. das Führen eines kurzes Telefonats oder das Verfassen einer kurzen E-Mail) und der Zeitaufwand hierfür beträgt maximal zehn Minuten; einmalige geringfügige Tätigkeiten gelten zwar als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes, unterbrechen die Ruhezeit des § 5 Abs. 1 ArbZG jedoch nicht1]. Der Arbeitsbeginn am folgenden Tag verschiebt sich ggf. insoweit nach hinten, als dies zur Einhaltung der in § 5 Abs. 1 ArbZG gesetzlich vorgesehenen Ruhezeit von 11 Stunden erforderlich ist; die Fahrtzeit vom Wohnort zum Betrieb zählt dabei noch zur Ruhezeit. Der Arbeitnehmer muss diese Ruhezeit einhalten. § 4 Vergütung (1) Zeiten, in denen Arbeitnehmer während des angeordneten Erreichbarkeitszeitraums tatsächlich Arbeitsleistung erbracht haben, gelten als Überstunden. (2) Die Vergütung der Überstunden richtet sich nach den jeweils geltenden arbeitsvertraglichen, betrieblichen oder tarifvertraglichen Regelungen. [Alternativ: Die Überstunden werden mit einem Überstundenzuschlag in Höhe von 20 % dem Überstundenkonto des Arbeitnehmers gutgeschrieben. Die Überstunden sind in Freizeit auszugleichen.]. (3) Zusätzlich zur Vergütung der Überstunden gemäß Abs. 2 erhalten die Arbeitnehmer pro Woche, in der sie gemäß § 2 nach dem Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit erreichbar sind, einen pauschalen Erreichbarkeitsbonus in Höhe von [Beispiel: 75,00 EUR]. § 5 Inanspruchnahme während des Urlaubs (1) Der Arbeitgeber bzw. die jeweiligen Vorgesetzten haben dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeit so organisiert wird, dass Arbeitnehmer während ihres Urlaubs nicht kontaktiert oder gar tätig werden müssen. Dies ist insbesondere durch eine sachgerechte Verteilung der Urlaubszeiträume sowie Vertretungsregelungen sicherzustellen. (2) Arbeitnehmer dürfen nur in dringenden Ausnahmefällen im Urlaub dienstlich kontaktiert werden. Ein dringender Ausnahmefall liegt z.B. dann vor, wenn [Beispiel: der im Urlaub befindliche Arbeitnehmer als einziger Arbeitnehmer über eine bestimmte Information verfügt oder andere Arbeitnehmer sich zur Beantwortung einer bestimmten Frage über einen längeren Zeitraum einarbeiten müssten]. (3) Wird ein Arbeitnehmer ausnahmsweise während seines Urlaubs kontaktiert, ist dies für die Erfüllung des Urlaubsanspruchs unschädlich, soweit die Inanspruchnahme einmalig erfolgt und der Arbeitsaufwand für den Arbeitnehmer bei objektiver Betrachtung nicht mehr als 15 Minuten beträgt. Geht der

1 Es ist umstritten und durch die Rechtsprechung nicht geklärt, ob kurzzeitige Arbeitseinsätze die Ruhezeit gemäß § 5 ArbZG unterbrechen, vgl. dazu unter Rz. 4.23 ff. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein Gericht diese Regelung für unwirksam befinden würde.

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§ 4 Rz. 4.77

Ständige Erreichbarkeit

Arbeitsaufwand bei objektiver Betrachtung über 15 Minuten hinaus oder wird der Arbeitnehmer mehr als einmal kontaktiert oder in Anspruch genommen, gilt der jeweilige Urlaubstag als nicht gewährt.1 (4) Die vorstehenden Regelungen gelten entsprechend für Freizeitausgleichstage. § 6 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden und wirkt in diesem Fall nach. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzende/r

§5 Sabbaticals I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 1. Sabbatical als Freistellungsphase . . . . . . . 5.4 2. Finanzierung des Sabbaticals – Wertguthaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 3. Rechtliche Anforderungen an Wertguthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.15 a) Arbeitsentgeltguthaben . . . . . . . . . . . . 5.16

III. 1. 2. 3.

b) Sozial-und steuerrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Insolvenzsicherung . . . . . . . . . . . . . . . d) Beteiligung des Betriebsrats . . . . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsvereinbarung zu Sabbaticals . . . . Vereinbarung zur Insolvenzsicherung . . . Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter . . .

5.17 5.20 5.25 5.26 5.27 5.29 5.33

Literatur: Hanau/Veit, Neues Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze, NJW 2009, 182; Huke/Lepping, Neue Rahmenbedingungen für die Insolvenzsicherung von Arbeitszeitkonten, ZIP 2009, 1204; Knospe, Die Verpflichtung zum Insolvenzschutz für Vertragsparteien einer Wertguthabenvereinbarung im Rahmen flexibler Arbeitszeitgestaltung, NZA 2006, 187; Küppers/Louven, Outsourcing und Insolvenzsicherung von Pensionsverpflichtungen durch Contractual „Trust“ Arrangements, BB 2004, 337; Passarge, Contractual Trust Agreements als Instrumente zur Insolvenzsicherung von Pensionsverpflichtungen, Wertguthaben aus Altersteilzeit und von Arbeitszeitkonten, NZI 2006, 20; Peiter/Westphal, Zeitwertkonten – Wertguthabenvereinbarung und Freistellungsphase, BB 2011, 1781; Portner, Steuerliche Behandlung von Zeitwertkonten-Mo-

1 Es ist umstritten und durch die Rechtsprechung nicht geklärt, ob geringfügige Unterbrechungen des Urlaubs der Erfüllung des Urlaubsanspruchs entgegenstehen, vgl. dazu unter Rz. 4.44. Es ist daher nicht auszuschließen, dass ein Gericht diese Regelung für unwirksam befinden würde. Es ist jedoch gleichwohl sinnvoll, diesen nicht unüblichen Fall für die Praxis zu regeln.

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Freh und Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 5.3 § 5

dellen BMF-Schreiben vom 17.6.2009, DStR 2009, 1838; Rolfs/Schmid, Sicherung von Betriebsrenten durch Contractual Trust Arrangements, ZIP 2010, 701; Rolfs/Witschen, Formbedürftigkeit von Wertguthabenvereinbarungen, NZA 2021, 1227; Rolfs/Witschen, Neue Regeln für Wertguthaben, NZS 2009, 295; Seel, Auszeit auf Zeit als Personalinstrument in der Krise – Woraus ist bei „Sabbaticals“ zu achten? DB 2009, 2210; Sterzinger, Steuerliche Behandlung von Zeitwertkonten, BB 2012, 2728; Wellisch/Machill, Bilanzierung von Wertkonten nach dem BilMoG, BB 2009, 1351.

I. Worum geht es? Hinter dem Begriff ‚Sabbatical‘ – einem Sabbat-Jahr – verbirgt sich der Wunsch nach einer längeren Auszeit vom Job. Befragungen zeigen, dass ein großer Teil der deutschen Beschäftigten gerne ein Sabbatical machen würde. In fast jedem zweiten Fall geht es den Befragten darum, eine längere Auslandsreise anzutreten1. Immerhin zehn Prozent der deutschen Beschäftigten haben bereits ein Sabbatical gemacht2. Dabei muss es nicht immer ein ganzes Jahr sein. In der Mehrzahl der Fälle beträgt die Dauer des Sabbaticals drei bis sechs Monate3. Eine längere Auszeit wäre für viele Beschäftigte schwer zu finanzieren.

5.1

Ob es den Beschäftigten gelingt, ihr Wunsch-Sabbatical zu verwirklichen, hängt wesentlich vom Arbeitgeber ab. Unternehmen können sich gegenüber Mitarbeitern und Bewerbern als besonders attraktive Arbeitgeber hervortun, indem sie Sabbaticals als festes Programm anbieten. Nur in einer Minderheit der Unternehmen werden Sabbaticals derzeit jedoch aktiv gefördert4.

5.2

Wenn Unternehmen Sabbaticals anbieten wollen, stellen sich zwei zentrale Organisationsherausforderungen: – In der Personalplanung scheidet ein Mitarbeiter vorübergehend aus, der nach einigen Monaten wieder voll zurückkehrt. Für die Zwischenzeit muss eine Vertretung organisiert werden, ohne dass die Stelle dauerhaft neu besetzt werden kann. – Unternehmen müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Sabbaticals gestalten. Wenn die Finanzierung der Sabbaticals über Wertguthaben beim Arbeitgeber erfolgen soll, sind die rechtlichen Rahmenbedingungen komplex. In diesem Fall müssen die Wertguthaben gegen eine mögliche Insolvenz des Unternehmens gesichert werden, wodurch Zusatzkosten entstehen. Was bei Gestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen im Einzelnen zu beachten ist, erläutert dieses Kapitel.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Beim Sabbatical handelt es sich um eine Freistellung von der Arbeitspflicht für einen bestimmten Zeitraum, die privatautonom vereinbart werden kann (dazu Rz. 5.4 ff.).

1 Viking, Sabbatical-Studie: Über 87 Prozent der Deutschen wollen Auszeit vom Job, 13.10.2017, https:// blog.viking.de/auszeit-studie/ (letzter Abruf 2.1.2022); Wimdu, Größte deutsche Sabbatical-Studie, 22.2.2016, https://www.wimdu.de/blog/groesste-deutsche-sabbatical-studie (letzter Abruf 2.1.2022); XING, XING Sabbatical-Studie, 18.1.2017, https://www.new-work.se/de/newsroom/pressemitteilungen/mel dung/xing-sabbatical-studie-zahlreiche-berufstaetige-wollen-auszeit-stossen-allerdings-auf-widerstaende/ (letzter Abruf 2.1.2022). 2 XING, XING Sabbatical-Studie, 18.1.2017. 3 Viking, Sabbatical-Studie: Über 87 Prozent der Deutschen wollen Auszeit vom Job, 13.10.2017. 4 Eine Förderung erfolgte 2017 nur in jedem fünften Unternehmen, ergab die Befragung von XING, XING Sabbatical-Studie, 18.1.2017.

Grimm/Singraven

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5.3

§ 5 Rz. 5.3

Sabbaticals

Der Arbeitnehmer genießt verschiedene steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Vorteile, wenn er seinen Lebensunterhalt in dieser Freistellungsphase aus Wertguthaben nach §§ 7b ff. SGB IV finanziert, die er bei seinem Arbeitgeber aufgebaut hat (dazu Rz. 5.7 ff.). Die zentrale rechtliche Herausforderung für den Arbeitgeber besteht darin, diese Wertguthaben in Einklang mit den maßgeblichen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben zu führen und sie gegen eine Insolvenz des Unternehmens abzusichern (dazu Rz. 5.15 ff.).

1. Sabbatical als Freistellungsphase 5.4 Im Kern ist das Sabbatical eine Freistellungsphase, in welcher die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers suspendiert wird. Für welchen Zeitraum der Arbeitnehmer eine solche Freistellungsphase antritt, können Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei vereinbaren. Sofern die Arbeitsvertragsparteien nichts anderes vereinbaren, bleibt es dann bei dem Grundsatz: „Ohne Arbeit, kein Lohn“: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer während der Zeit der Freistellung nicht vergüten1.

5.5 Während der Zeit der Freistellung erwirbt der Arbeitnehmer keine Urlaubsansprüche. Stattdessen ist bei unterjährigem Wechsel in ein Sabbatical der Umfang des Gesamtjahresurlaubsanspruchs für das betreffende Kalenderjahr unter Berücksichtigung der einzelnen Zeiträume der Beschäftigung und der auf sie entfallenden Wochentage mit Arbeitspflicht umzurechnen2. Auch Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 5 EFZG) stehen dem Arbeitnehmer während des Sabbaticals nicht zu3. Ansprüche auf jährliche Boni und andere Sonderzahlungen wie z.B. Weihnachtsgelder sind im Jahr eines Sabbaticals mit Rücksicht auf die Dauer der Freistellung anteilig zu kürzen4.

5.6 Sollen die Rahmenbedingungen für Sabbaticals als festes Programm gestaltet werden, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG zu, da es um Regelungen zur Verteilung der Arbeitszeit geht und für bestimmte Mitarbeiter die Arbeitszeit vorübergehend auf null gekürzt wird5. Schließt der Arbeitgeber hingegen im Einzelfall auf Sonderwunsch eines Arbeitnehmers eine Sabbatical-Vereinbarung ab, kann dies mitbestimmungsfrei erfolgen, da es an einem kollektiven Tatbestand fehlt6.

2. Finanzierung des Sabbaticals – Wertguthaben? 5.7 Die zentrale Gestaltungsherausforderung rührt daher, dass der Mitarbeiter während des Sabbaticals seinen Lebensunterhalt finanzieren muss. Theoretisch wäre es denkbar, dass der Arbeitnehmer hierzu eigenständig finanzielle Rücklagen anspart, aus denen er während der Freistellungsphase seinen Lebensunterhalt bestreitet. Konsequenz wäre allerdings, dass der Arbeitnehmer nach dem ersten Monat der Freistellungsphase den gesetzlichen Sozialversicherungsschutz verliert (vgl. § 7 Abs. 3 Satz 1 SGB IV) und damit auch seine gesetzliche Krankenversicherung.

5.8 Hinweis: Arbeitnehmer haben während des Sabbaticals nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V die Möglichkeit, sich freiwillig gesetzlich krankenversichern zu lassen, sollte der gesetzliche Krankenversicherungsschutz entfallen7.

1 Klagges in Schaub/Schrader/Straube/Vogelsang, Teil 2, Rz. 259. 2 Grundlegend, auch mit eingehender Darstellung der Berechnungsmaßgaben BAG v. 19.3.2019 – 9 AZR 315/17, ArbRB 2019, 97. 3 BAG v. 25.5.1983 – 5 AZR 236/80, Leitsatz, NJW 1984, 686. 4 Vgl. BAG v. 24.5.1995 – 10 AZR 619/94, NZA 1996, 31. 5 Seel, DB 2009, 2010 (2010). 6 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 16. 7 Karb in Conze/Karb/Wölk, Personalbuch Arbeits- und Tarifrecht öffentlicher Dienst, 6. Aufl. 2020, Rz. 2727.

100

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 5.13 § 5

Die Alternative besteht darin, dass der Arbeitnehmer seinen Lebensunterhalt während des Sabbaticals aus sog. Wertguthaben finanziert, die er zuvor bei seinem Arbeitgeber anspart. Dies erfolgt, indem Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine schriftliche Wertguthabenvereinbarung (§ 7b SGB IV) schließen. Ein gesetzlicher Kontrahierungszwang besteht nicht, so dass der Abschluss von Wertguthabenvereinbarungen sowohl von Seiten des Arbeitnehmers als auch des Arbeitgebers1 grundsätzlich freiwillig erfolgt. In der Wertguthabenvereinbarung wird geregelt, dass der Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum auf die Auszahlung eines Teils seines Gehaltes verzichtet (§ 7b Nr. 3 SGB IV)2. Der Arbeitgeber spart diese Gehaltsbestandteile als Wertguthaben für den Arbeitnehmer an und zahlt sie erst während der Freistellungsphase, also z.B. während des Sabbaticals, an den Arbeitnehmer in Raten aus3.

5.9

Der Abschluss einer Wertguthabenvereinbarung hat entscheidende sozialversicherungsrechtliche 5.10 und steuerliche Vorteile. Voraussetzung ist allerdings, dass die Wertguthaben im Einklang mit den strengen sozialversicherungsrechtlichen- und steuerrechtlichen Vorgaben ausgestaltet sind (vgl. dazu Rz. 5.17 ff.). Ist das der Fall, gilt folgendes: Einzahlungen in das Wertguthaben und damit die Ansparungen für die Freistellungsphase sind zunächst lohnsteuer- und sozialversicherungsfrei (§ 23b SGB IV). Fällig werdende Gehälter, auf die der Arbeitnehmer verzichtet, um sie dem Wertguthaben gutzuschreiben, werden zum Zeitpunkt dieser Gutschrift nicht besteuert. Stattdessen sind erst die Auszahlungen aus dem Wertguthaben während der Freistellungsphase lohn- und sozialversicherungspflichtig4. Gleichzeitig begründen diese Auszahlungen ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis (§ 7 Abs. 1a SGB IV), so dass der Arbeitnehmer auch während der Freistellungsphase seinen gesetzlichen Sozial- und insbesondere Krankenversicherungsschutz behält. Verglichen mit dem Arbeitnehmer, der eigenständig Rücklagen aus seinem Arbeitslohn bildet, um 5.11 das Sabbatical zu finanzieren, verschiebt und verändert die Finanzierung über ein Wertguthaben die Abgabenbelastung. Typischerweise spart der Arbeitnehmer durch das Wertguthaben Lohnsteuer ein: Im Rahmen seines Gehaltsverzichts verzichtet der Mitarbeiter automatisch auf denjenigen Gehaltsbestandteil, der sonst mit der höchsten einkommenssteuerrechtlichen Progressionsstufe belastet würde. Kommt derselbe Betrag innerhalb der Freistellungphase zur Auszahlung, ist das Einkommen des Arbeitnehmers typischerweise geringer, so dass die Auszahlung auch mit einer niedrigeren Steuerprogression belastet wird. Dadurch kann sich die Gesamtsteuerbelastung spürbar verringern.

5.12

Hinweis: Verzichtet ein Arbeitnehmer in Steuerklasse 1 bei einem Jahreseinkommen von 70.000 EUR über drei Kalenderjahre hinweg auf jährlich 16.000 EUR und zahlt sie in ein Wertguthaben ein, opfert er denjenigen Gehaltsbestandteil, der sonst mit dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent gem. § 32a Abs. 1 Ziff. 4 EStG belastet würde. Lässt er sich in einem anschließenden Freistellungskalenderjahr allein die nun angesparten 48.000 EUR auszahlen, würde derselbe Gehaltsbestandteil mit einer Lohnsteuer von nur noch knapp 18 Prozent belastet. Damit spart der Arbeitnehmer rund 10.000 EUR an Lohnsteuerkosten, verglichen mit einem Arbeitnehmer, der die besteuerten Lohnbestandteile selbst anspart und zurückgelegt.

Anders stellt sich das Bild bei den Sozialversicherungsbeiträgen dar. Zwar wird auch hier die Einzah- 5.13 lung auf das Wertguthaben abgabenfrei gestellt und stattdessen die Auszahlung mit Sozialversicherungsbeiträgen belastet (§ 23b Abs. 1, § 7 Abs. 1a SGB IV). Dies hat bei den Sozialversicherungsbeiträgen allerdings den umgekehrten Effekt: Die Gesamtsumme der abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge steigt in den meisten Fällen erheblich. Dies hängt damit zusammen, dass typischerweise Entgeltbestandteile in Wertguthaben eingezahlt werden, die sonst oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen gelegen hätten. Zahlt der Arbeitgeber die Gehaltsbestandteile in der Freistellungsphase

1 2 3 4

Huke/Lepping, ZIP 2009, 1204 (1207); Rolfs in ErfK, § 7f SGB IV Rz. 1. Dazu Rolfs in ErfK, § 7b SGB IV Rz. 5; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7b SGB IV Rz. 14. Zur dogmatischen Einordnung Peiter/Westphal, BB 2011, 1781 (1781). BFH v. 22.2.2018 – VI R 17/16, Leitsatz 1; Huke/Lepping, ZIP 2009, 1204 (1204).

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§ 5 Rz. 5.13

Sabbaticals

auf einem deutlich niedrigeren Gehaltsniveau aus, fallen sie typischerweise unter die Beitragsbemessungsgrenzen und werden sozialbeitragspflichtig1. Verzichtet der Arbeitnehmer auf Gehaltsbestandteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze und führt diese in ein Wertguthaben ein, muss der Arbeitgeber gem. § 7d Abs. 1 SGB IV auch einen Arbeitgeberanteil in das Wertguthaben einstellen, der sonst nicht angefallen wäre2. Für den Arbeitgeber entstehen dadurch Zusatzkosten, wenn er mit Arbeitnehmern Wertguthabenvereinbarungen schließt.

5.14 Hinweis: Die Steuerersparnis, die mit Wertguthaben einhergeht, wird durch Mehrkosten bei den Sozialversicherungsbeiträgen typischerweise aufgewogen. Ob es sich dennoch lohnt, Wertguthaben über den Arbeitgeber zu führen, statt auf eigene Rechnung zu sparen, ist abzuwägen. Aus Arbeitnehmersicht werden die Sozialversicherungsbeiträge nicht ohne Gegenleistung gezahlt: Er erwirbt in der Freistellungsphase den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung und außerdem Bausteine in der gesetzlichen Rentenversicherung. Außerdem werden die zusätzlichen Sozialversicherungsbeiträge hälftig durch den Arbeitgeber getragen. Deshalb ist es aber für den Arbeitnehmer nicht zwingend besser, das Sabbatical über ein Wertguthaben beim Arbeitgeber zu finanzieren. Spart er auf eigene Rechnung, kann er seine Ersparnisse weitaus flexibler einsetzen und in aller Regel mit höherer Rendite anlegen (vgl. dazu Rz. 5.23). Eine flexible Verwendungsmöglichkeit von Wertguthaben darf hingegen schon von Gesetzes wegen nicht vereinbart werden (vgl. dazu Rz. 5.18 f.). Aus Arbeitgebersicht bieten Wertguthabenvereinbarungen vor allem die Möglichkeit, einen Arbeitnehmer langfristig an das Unternehmen zu binden. Auf der Kehrseite gehen die Wertguthaben mit zusätzlichen Kosten und einem nicht unerheblichen Kontoführungsaufwand einher.

3. Rechtliche Anforderungen an Wertguthaben 5.15 Wie der Arbeitgeber die Wertguthaben zu führen hat, ist gesetzlich streng reguliert. Der Arbeitgeber muss beachten, dass – Wertguthaben als Arbeitsentgeltguthaben zu führen sind (vgl. § 7d SGB IV, dazu Rz. 5.16), – sich eine Vielzahl von sozial- und steuerrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung und Auszahlung der Wertguthaben stellen (dazu Rz. 5.17 ff.), – die Wertguthaben gegen eine Insolvenz des Arbeitgebers zu sichern sind (§ 7e SGB IV, dazu Rz. 5.20 ff.) und – der Betriebsrat beteiligt werden muss (§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, dazu Rz. 5.25).

a) Arbeitsentgeltguthaben 5.16 Wertguthaben sind nach § 7d Abs. 1 SGB IV als Arbeitsentgeltguthaben zu führen. Dies ist in § 7d Abs. 1 SGB IV seit dem 1.1.2009 zwingend geregelt3. Bis dahin war es verbreitet, Wertguthaben in Arbeitszeiteinheiten als „Zeitwertkonten“ zu führen. Der Gesetzgeber hat dies untersagt, um die Sozialversicherungsprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung zu erleichtern4. Das Konto muss dabei auch den Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ausweisen. Beitragsbemessungs-

1 Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur Sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 31.3.2009, Ziff. 4.1. 2 Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur Sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 31.3.2009, Ziff. 4.1. 3 Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze v. 21.12.2008 (BGBl. I 2940). 4 BT-Drucks. 16/10289, S. 16.

102

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 5.18 § 5

grenzen finden im Rahmen der Kontoführung keine Anwendung1. Wenigstens einmal im Jahr muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer textförmlich (§ 126b SGB IV) über die Höhe des Wertguthabens unterrichten (§ 7d Abs. 2 SGB IV). Aus begründetem Anlass kann der Arbeitnehmer zusätzliche Auskünfte einfordern, z.B. wenn er gedenkt, sein Wertguthaben in Anspruch zu nehmen2.

b) Sozial-und steuerrechtliche Anforderungen Für die Führung von Wertguthaben gelten eine Vielzahl sozialversicherungs- und steuerrechtlicher 5.17 Vorgaben3. Von Seiten der Finanzverwaltung und der Sozialversicherungsträger werden Wertguthaben mit gewissem Misstrauen betrachtet, da sie die Möglichkeit eröffnen, die Steuer- und Sozialversicherungspflichtigkeit bestimmter Einnahmen in andere Kalenderjahre zu verschieben und Sozialversicherungsschutz für Zeiten zu erwerben, in denen der Arbeitnehmer nicht arbeitet. Die sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Vorgaben sollen Gestaltungsmissbrauch vorbeugen. In der Konsequenz zwingt die Regulierung Arbeitgeber und Mitarbeiter in vielen Fällen zu einem unflexiblen und förmlichen Umgang mit den Wertguthaben. Werden die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben missachtet, gelten bereits die Einzahlungen in das Wertguthaben als steuer- und sozialversicherungspflichtiger Zufluss von Lohn und die vorbeschriebenen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Privilegien (vgl. Rz. 5.10 ff.) entfallen4.

5.18

Folgende Vorgaben sind zu beachten: – Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer keinen Anspruch auf jederzeitige Auszahlung des Wertguthabens einräumen. Stattdessen darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer grundsätzlich nur während der in § 7c SGB IV geregelten Fällen der Freistellung oder Arbeitszeitreduzierung einen Zugriff auf das Wertguthaben ermöglichen5. Möchte der Arbeitnehmer Zugriff auf sein Wertguthaben erhalten, weil er kurzfristig Geld braucht, ginge dies nur mit Einverständnis des Arbeitgebers. – Wird das in dem Wertguthaben angesparte Guthaben auch nur teilweise nicht für einen Unterhalt in einer Freistellungsphase, sondern anderweitig („planwidrig“) verwendet, z.B. aufgrund einer einvernehmlichen Abrede von Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder weil das Arbeitsverhältnis endet und der Arbeitgeber das Wertguthaben deshalb vollständig an den Arbeitnehmer auszahlt, kommt es zu einem sog. „Störfall“. Konsequenz ist, dass in diesem Moment das gesamte Werthguthaben steuer- und sozialbeitragspflichtig wird (vgl. § 23b Abs. 2 SGB IV)6. Für die Besteuerung wird dabei die Fünftelregelung nach § 34 EStG angewendet, wenn das Wertguthaben über einen längeren Zeitraum als ein Jahr angespart wurde. Damit besteht ein gewisses Steuerprivileg, welches die Steuerprogression abmildern kann7. – Das Wertguthaben darf keinen Betrag erreichen, den der Arbeitnehmer voraussichtlich nicht mehr bis zum gesetzlichen Renteneintritt in Anspruch nehmen kann. Dies wird angenommen, sobald aus dem Wertguthaben mehr als der ungekürzte Monatsdurchschnittslohn des Arbeitneh-

1 Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 4.1. 2 Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 7d SGB IV Rz. 9. 3 Die sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben ergeben sich aus den §§ 7 ff. SGB IV und dem Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeit-regelungen vom 31.3.2009. Die steuerrechtlichen Vorgaben hat das Bundesministerium für Finanzen in seiner Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5 über die Lohn-/einkommensteuerliche Behandlung sowie Voraussetzungen für die steuerliche Anerkennung von Zeitwertkonten-Modellen dargestellt. 4 Portner, DStR 2009, 1838 (1838). 5 Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.IV und C.I. 6 Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt C.II; Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 4.6.1 und 4.6.2. 7 Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt C.II.

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§ 5 Rz. 5.18

Sabbaticals

mers bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter hindurch geleistet werden könnte. Ab Überschreitung dieser Höchstgrenze werden alle weiteren Einzahlungen auf das Wertguthaben als steuerpflichtige Zuflüsse behandelt1. – Entgeltbestandteile, die sich der Arbeitnehmer während der Freistellungsphase auszahlen lässt, dürfen nicht unverhältnismäßig gering sein (§ 7 Abs. 1a Nr. 2 SBG IV). Auf diese Weise soll verhindert werden, dass sich der Arbeitnehmer gesetzlichen Krankenversicherungsschutz zu geringstmöglichen Beiträgen erschleicht. Die Auszahlungen während der Freistellungsphase müssen 450 EUR monatlich übersteigen (§ 7b Nr. 5 SGB IV). Außerdem muss das ausgezahlte Arbeitsentgelt mindestens 70 Prozent des durchschnittlich gezahlten Arbeitsentgeltes der unmittelbar vorangegangenen zwölf Kalendermonate erreichen2. – Auch unverhältnismäßig hohe Einkommen, die oberhalb des Regeleinkommens liegen, dürfen in der Freistellungsphase nicht ausgezahlt werden, um zu verhindern, dass die Arbeitsvertragsparteien das Wertguthaben schubweise auszahlen. Während der Freistellungsphase dürfen deshalb maximal 130 Prozent des durchschnittlich gezahlten Arbeitsentgelts der unmittelbar vorangegangenen zwölf Kalendermonate der Arbeitsphase ausgezahlt werden3. Schon eine Auszahlung von über 100 Prozent des vorherigen Arbeitsentgeltes gilt allerdings als sozialversicherungsrechtlicher Störfall, wenn durch sie eine Beitragsbemessungsgrenze durchschritten wird4. – Es dürfen keine Entgeltbestandteile in das Wertguthaben eingeführt werden, die bereits in der Vergangenheit fällig waren5. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen nicht die Möglichkeit erhalten, rückwirkend umzuschichten. – Wenn Wertguthaben in die betriebliche Altersversorgung übertragen werden, kommt es automatisch zu einem Störfall (vgl. § 23b SGB Abs. 3a Satz 2 SGB IV)6. – Das Wertguthaben darf nicht auf Dritte übertragen werden7. – Die Gehaltsverzichtsvereinbarung mit dem Arbeitnehmer muss vorsehen, dass mindestens die dem Wertguthaben zugeflossenen Lohnbeiträge wieder an den Arbeitnehmer zurückfließen (vgl. § 7d Abs. 3 SGB IV)8. Konsequenz ist, dass der Arbeitgeber Verlustrisiken übernehmen muss, wenn er sich dazu entscheidet, das Wertguthaben spekulativ anzulegen. Inflationsverluste muss der Arbeitgeber indes nicht ausgleichen. – Nicht erforderlich ist, dass das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Freistellung wieder fortgesetzt wird9. Der Arbeitnehmer darf sein Anstellungsverhältnis im Anschluss an das Sabbatical beenden.

5.19 Hinweis: Konsequenz dieser steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben ist, dass der Arbeitnehmer keine Möglichkeiten hat, kurzfristig auf sein Wertguthaben zuzugreifen, sondern lediglich starre Auszahlungswege wählen kann. Flexible Auszahlungsansprüche darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht einräu-

1 2 3 4 5 6 7

Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.I. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.4. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.4. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.4. Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.II. Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.0.2009 – IV C 5, Abschnitt A.III. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger zur Sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.1. 8 Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt V.1; Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 4.3.2. 9 Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.1.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 5.22 § 5

men. Zwar sind kurzfristige Auszahlungen jederzeit einvernehmlich möglich. Solche einvernehmlichen Auszahlungen führen allerdings zu einem Störfall, d.h. zur Abgabenbelastung des Gesamtguthabens.

c) Insolvenzsicherung Wertguthaben müssen zwingend gegen Insolvenz gesichert werden (§ 7e SGB IV). Nehmen Unter- 5.20 nehmen keine gesetzeskonforme Insolvenzsicherung vor, haften Organmitglieder, d.h. Geschäftsführer und Vorstände im Insolvenzfall persönlich für einen etwaigen Ausfall (§ 7e Abs. 7 SGB IV). Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber schriftlich aufgefordert, seinen Insolvenzsicherungspflichten nachzukommen und weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht innerhalb von zwei Monaten nach, dass er dieser Verpflichtung nachgekommen ist, kann der Arbeitnehmer die Wertguthabenvereinbarung mit sofortiger Wirkung kündigen. Außerdem kann die Deutsche Rentenversicherung die sofortige Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags fordern, wenn sie bei einer Betriebsprüfung feststellt, dass keine ausreichende Insolvenzsicherung vorhanden ist (§ 7e Abs. 6 SGB IV). Der Arbeitgeber kann verschiedene Wege der Insolvenzsicherung wählen. Keine geeigneten Vorkeh- 5.21 rungen sind bilanzielle Rückstellungen sowie zwischen Konzernunternehmen begründete Einstandspflichten (§ 7e Abs. 3 SGB IV). Stattdessen muss die Insolvenzsicherung über einen fremden und eigenständigen Rechtsträger erfolgen, der die Rolle des Insolvenzsicherers übernimmt (§ 7e Abs. 2 SGB IV). Aus steuerlichen Gründen darf der Arbeitnehmer dabei keinen jederzeit durchsetzbaren Direktanspruch gegen den Insolvenzsicherer auf Auszahlung des Guthabens erwerben1. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer unverzüglich über die gewählte Variante der Insolvenzsicherung unterrichten (§ 7e Abs. 2 SGB IV). Soll eine andere Insolvenzsicherungsvariante gewählt werden als ein Treuhandverhältnis, bedarf dies einer ausdrücklichen Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer (§ 7e Abs. 2 Satz 2 SGB IV).

5.22

Folgende Insolvenzsicherungsmodelle sind anerkannt: – Der Arbeitgeber kann das Wertguthaben auf ein von einem Treuhandunternehmen geführtes Treuhandkonto einzahlen. Der Rückzahlungsanspruch gegen das Treuhandunternehmen könnte theoretisch an den Arbeitnehmer verpfändet werden (§§ 1279 ff. BGB)2. In der Praxis vorherrschend sind allerdings Gestaltungen, bei denen Arbeitgeber und Treuhandunternehmen dem Arbeitnehmer im Wege eines Vertrages zugunsten Dritter einen Direktanspruch gegen das Treuhandunternehmen einräumen, der allerdings unter die aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) des Eintritts des Sicherungsfalls gestellt wird (sog. doppelseitige Treuhand bzw. „Contractual Trust Arrangements“, CTA)3. Konsequenz ist, dass der Arbeitnehmer einen Direktanspruch auf Auszahlung gegen das Treuhandunternehmen erwirbt, diesen Anspruch allerdings nur im Falle der Insolvenz seines Arbeitgebers durchsetzen kann (sog. „Sicherungstreuhand“). Gleichzeitig verwaltet der Treuhänder das Wertguthaben für den Arbeitgeber und erstattet ihm Auszahlungen an den Arbeitnehmer (sog. „Verwaltungstreuhand“). – Wenn eine große Zahl von Arbeitnehmern Wertguthaben anlegen, kann es für den Arbeitgeber sinnvoll sein, einen eigenen Insolvenzsicherungsverein zu gründen und eintragen zu lassen4. Hierzu müssen sich mindestens sieben freiwillige Mitarbeiter oder auch beliebige andere Personen bereit erklären, einen eingetragenen Verein zu gründen (§§ 55 ff. BGB). Als Vereinsvorstand könnte z.B. ein Betriebsratsmitglied eingesetzt werden. Der Verein bleibt gegenüber dem Arbeitgeberunternehmen rechtlich unabhängig und schließt mit diesem eine Treuhandabrede 1 Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung v. 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.4. 2 Rolfs/Schmid, ZIP 2010, 701 (702); Hahn, Flexible Arbeitszeit, Rz. 332; Küppers/Louven, BB 2004, 337 (342). 3 Küppers/Louven, BB 2004, 337 (342); Passarge, NZI 2006, 20 (23). Zur Insolvenzfestigkeit der doppelten Treuhand BAG v. 22.9.2020 – 3 AZR 303/18; BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 47/12. 4 Küppers/Louven, BB 2004, 337 (338); Passarge, NZI 2006, 20.

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§ 5 Rz. 5.22

Sabbaticals

(üblicherweise als doppelseitige Treuhand). Anschließend zahlt das Arbeitgeberunternehmen den Wertguthabenbetrag auf ein von dem Verein geführtes Konto ein. Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass die Tätigkeit des Vereins nicht vergütet werden muss und sich der Verein flexibel darum kümmern kann, die Einzahlungen gewinnbringend anzulegen. Für die Auszahlung der Wertguthabenbeträge kann sich der Verein der Lohnbuchhaltung des Arbeitgeberunternehmens bedienen. – Der Arbeitgeber kann die Wertguthabenbeträge auf ein Bankkonto, z.B. in einen Fond einzahlen. Dabei muss für jeden Arbeitnehmer ein gesondertes Bankkonto angelegt werden. Der Anspruch gegen die Bank wird an den Arbeitnehmer verpfändet (§§ 1279 ff. BGB)1. Die Verpfändung an den Arbeitnehmer ist der Bank anzuzeigen (§ 1280 BGB). Die Einrichtung dieser Insolvenzsicherung ist günstig und unbürokratisch. Sollen allerdings große Zahlen von Wertguthaben verwaltet werden, ist das Modell zu umständlich und deshalb auch unüblich. – Der Arbeitgeber kann das Wertguthaben für den Insolvenzfall durch eine Rückdeckungsversicherung sichern und den Anspruch gegen den Rückdeckungsversicherer an den Arbeitnehmer verpfänden. Zu ähnlichen wirtschaftlichen Konsequenzen führt es, wenn sich ein Dritter, z.B. eine Bank, auf Rechnung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer für das Wertguthaben verbürgt (§§ 765 ff. BGB)2.

5.23 Bei vielen Modellen zahlt der Arbeitgeber den Wertguthabenbetrag also auf ein Konto eines Insolvenzsicherers ein, so dass es zu Liquiditätsabfluss beim Arbeitgeberunternehmen kommt3. In gesetzlich definierten Grenzen kann der Arbeitgeber das für die Insolvenzsicherung eingesetzte Kapital über den Insolvenzsicherer spekulativ anlegen (vgl. § 7d Abs. 3 Satz 1 SGB IV). Der Arbeitgeber muss dabei allerdings gewährleisten, dass der Arbeitnehmer wenigstens den eingebrachten Wertguthabenbetrag zurückerhält und etwaige Spekulationsverluste ausgleichen, sollte es zu solchen kommen. Die Frage, ob etwaige Spekulationsgewinne oder Zinsen dem Arbeitgeber oder dem Arbeitnehmer zugutekommen, können die Arbeitsvertragsparteien frei vereinbaren4. Wird nichts vereinbart, steht jede Art von Rendite dem Arbeitgeber zu5. Stets dürfen nur 20 Prozent des Wertguthabens in Aktien oder Aktienfonds angelegt werden (§ 7d Abs. 3 Satz 1 SGB IV). Dies ist bei der derzeitigen Niedrigzinsphase ein erheblicher Nachteil, da sich Aktienfonds zusehends zur bevorzugten Anlageform entwickeln.

5.24 Hinweis: Bei der Bilanzierung der Wertguthaben räumt der Gesetzgeber ein besonderes Privileg ein. Grundsätzlich lässt es das deutsche Bilanzrecht nicht zu, Vermögensgegenstände auf der Aktivseite mit Verbindlichkeiten auf der Passivseite zu verrechnen (§ 246 Abs. 2 Satz 1 HGB). Nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB gibt es von diesem Grundsatz für Wertguthaben eine Ausnahme: Hier ist zulässig, die Verbindlichkeit aus dem Wertguthaben gegenüber dem Arbeitnehmer mit dem Deckungsanspruch gegen den Insolvenzsicherer zu saldieren6. Diese Verrechnung führt dazu, dass sich die Eigenkapitalquote des Unternehmens durch die Wertguthaben nicht verschlechtert7. Eine entsprechende Verrechnung lassen auch andere Rechnungslegungsstandards wie IFRS und IASB zu. Die Verrechnung kommt naturgemäß nur insoweit in Betracht, wie der Arbeitgeber Insolvenzsicherungskapital auf das Konto des Insolvenzsicherers überträgt, nicht dagegen bei Insolvenzsicherung durch Bürgschaft und Rückdeckungsversicherung.

1 Langohr-Plato/Morisse, BB 2002, 2330 (2331); Hahn, Flexible Arbeitszeit, Rz. 331. 2 Knospe, NZA 2006, 187 (191); Huke/Lepping, ZIP 2009, 1204 (1207); Hahn, Flexible Arbeitszeit, Rz. 331. 3 Knospe, NZA 2006, 187 (191). 4 Rolfs/Witschen, NZS 2009, 295 (300); Hanau/Veit, NJW 2009, 182 (185). 5 Rolfs/Witschen, NZS 2009, 295 (300); Hanau/Veit, NJW 2009, 182 (185). 6 BT-Drucks. 16/10067, 48; Wellisch/Machill, BB 2009, 1351 (1354). 7 Hennrichs in MünchKomm/BilanzR, § 246 HGB Rz. 246.

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III. Best Practice

Rz. 5.28 § 5

d) Beteiligung des Betriebsrats Da mit der Umwandlung von Lohnansprüchen in Wertguthaben die Art der Auszahlung von Arbeitsentgelt geregelt wird, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG zu1. Die Rahmenbedingungen der Wertguthaben sollten deshalb in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Die Insolvenzsicherung der Wertguthaben ist hingegen nicht mitbestimmt2.

5.25

III. Best Practice Arbeitgeber, die Arbeitnehmern die Möglichkeit eröffnen wollen, Wertguthaben aufzubauen und aus diesen Wertguthaben Sabbaticals zu finanzieren, müssen mit drei Beteiligten Vereinbarungen treffen: mit dem Betriebsrat (dazu Rz. 5.27 ff.), dem Insolvenzsicherer (dazu Rz. 5.29 ff.) und dem Arbeitnehmer selbst (dazu Rz. 5.33 f.).

5.26

1. Betriebsvereinbarung zu Sabbaticals Der erste Schritt besteht im Abschluss einer Betriebsvereinbarung, die die Rahmenbedingungen der Sabbaticals regelt. Es empfiehlt sich, die Rahmenbedingungen eingehend mit dem Betriebsrat zu besprechen, damit die Betriebsratsmitglieder das Konzept an die Belegschaft kommunizieren können und es angenommen wird. Da das Angebot von Sabbaticals im Interesse der Arbeitnehmer liegt, hat der Betriebsrat ein starkes Eigeninteresse daran, die Verhandlungen erfolgreich abzuschließen.

5.27

Eine geeignete Betriebsvereinbarung könnte wie folgt formuliert werden:

M 5.1 Betriebsvereinbarung – Sabbatical

5.28

Betriebsvereinbarung – Sabbatical Fassung … vom … Präambel Mit dieser Vereinbarung eröffnen Arbeitgeberin und Betriebsrat den Mitarbeitern die Möglichkeit, Entgeltbestandteile in arbeitgeberseitig verwaltete Wertguthaben einzuführen, um sie später zur Finanzierung eines Sabbaticals einzusetzen. Hierdurch soll die Motivation der Mitarbeiter erhöht und ein moderner, individualisierter Ausgleich von Arbeit und Freizeit ermöglicht werden. § 1 Führung der Wertguthaben (1) Für die Wertguthaben gelten die gesetzlichen Vorgaben nach § 7b SGB IV. Das Wertguthaben wird als Arbeitsentgeltguthaben auf einem besonderen Konto geführt3. (2) Das Wertguthaben unterliegt der in dieser Betriebsvereinbarung definierten Zweckbindung; § 7c Abs. 1 SGB IV gilt nicht4. Abweichungen von der Zweckbindung sind nur durch ausdrückliche Sonderverein-

1 2 3 4

Richter, ArbRAktuell 2018, 241 (242); Rittweger in BeckOK Sozialrecht, § 7b SGB IV Rz. 3a. Küppers/Louven, BB 2004, 337 (344); ähnlich Diller/Schaller, BB 2021, 1075. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben, § 7d Abs. 1 SGB IV. Grundsätzlich können Wertguthaben für sämtliche der in § 7c Abs. 1 SGB IV genannten Zwecke verwendet werden. In einer Vereinbarung können die möglichen Zwecke eingeschränkt werden (§ 7c Abs. 2 SGB IV). Das Muster sieht einschränkend vor, dass Wertguthaben nur für Sabbaticals eingesetzt werden dürfen.

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§ 5 Rz. 5.28

Sabbaticals

barung zwischen Arbeitgeberin und Mitarbeiter möglich. Der Mitarbeiter kann nicht einseitig verlangen, dass ihm das Wertguthaben ausgezahlt wird1. (3) Die Arbeitgeberin garantiert den Bestand des in das Wertguthaben eingebrachten Arbeitsentgeltguthabens. Haben zum Auszahlungszeitpunkt Anlageverluste den Stand des Guthabens verringert, muss die Arbeitgeberin den Verlust durch Nachschuss ausgleichen2. Die Arbeitgeberin muss keine inflationsbedingten Wertverluste ausgleichen3. Die Rendite aus den Wertguthaben steht der Arbeitgeberin als Ausgleich für den Kontoführungs- und Insolvenzsicherungsaufwand zu4. Über die Höhe der Wertguthaben informiert die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer wenigstens einmal im Jahr in Textform5. (4) Das addierte Arbeitsentgeltguthaben aller für einen Mitarbeiter bestehender Wertguthaben darf keinen Betrag erreichen, bei dessen Zugrundlegung mehr als der ungekürzte Monatsdurchschnittslohn bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter fortgezahlt werden könnte. Wird dieser Schwellenwert erreicht, sind weitere Einzahlungen in das Wertguthaben unzulässig6. (5) Treffen Mitarbeiter und die Arbeitgeberin einvernehmliche vertragliche Vereinbarungen über den Umgang mit einem Wertguthaben, übernimmt die Arbeitgeberin keine Haftung für etwaige hierbei entstehende Steuernachteile, soweit Arbeitgeberin und Mitarbeiter nicht ausnahmsweise etwas Anderes vereinbart haben. § 2 Aufbau der Wertguthaben (1) Mitarbeiter können Wertguthaben durch Gehaltsverzicht aufbauen. Um Entgeltbeträge in das Wertguthaben einzubringen, schließt der Mitarbeiter mit der Arbeitgeberin eine schriftförmliche (§ 126 BGB) Vereinbarung (Gehaltsverzichtsvereinbarung). (2) In der Gehaltsverzichtsvereinbarung wird einvernehmlich für eine definierte Frist ein monatlicher Gehaltsanteil als Arbeitsentgeltbetrag bestimmt, der dem Mitarbeiter nicht ausgezahlt, sondern in entsprechender Höhe dem Wertguthaben gutgeschrieben wird. Der Arbeitgeber steuert dem gutgeschriebenen Arbeitsentgeltbetrag den Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei, der im Wertguthaben gesondert ausgewiesen wird. (3) Voraussetzung für den Abschluss einer Gehaltsverzichtsvereinbarung ist, dass sich der Mitarbeiter in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet und die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG abgelaufen ist. § 3 Sabbatical (1) Ein Sabbatical ist ein Zeitraum, in dem der Mitarbeiter von der Arbeitsleistung freigestellt ist und anstelle von Lohnzahlungen Auszahlungen aus seinem Wertguthaben bezieht. Der Freistellungszeitraum kann direkt an das gesetzliche Renteneintrittsalter grenzen (sog. Vorruhestand). (2) Das Sabbatical wird angetreten, indem der Mitarbeiter beantragt, dass Bestandteile seines Wertguthabens im Rahmen eines Sabbaticals ausgezahlt werden sollen, und die Arbeitgeberin diesem Antrag stattgibt. In dem Antrag muss der Mitarbeiter bestimmen, in welchem Zeitraum das Sabbatical statt-

1 Ein unbedingter Auszahlungsanspruch darf dem Arbeitnehmer aus steuerrechtlichen Gründen nicht eingeräumt werden, vgl. Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung vom 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.IV und C.I. 2 Diese Bestandsgarantie ist gemäß § 7d Abs. 3 Satz 1 SGB IV gesetzlich vorgeschrieben. 3 Inflationsverluste werden nicht von der Bestandsgarantie umfasst, Rolfs in ErfK, § 7d SGB IV Rz. 1. 4 Grundsätzlich steht dem Arbeitgeber die Rendite zu, Rolfs/Witschen, NZS 2009, 295 (300); Hanau/Veit, NJW 2009, 182 (185). Bleibt es bei diesem Grundsatz, verlieren die Wertguthaben inflationsbedingt laufend an Wert und eigenen sich aus Arbeitnehmersicht nicht als sinnvolle langfristige Geldanlage. Wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern eine Verzinsung zusagt, werden die Wertguthaben wesentlich attraktiver. 5 Die Information ist nach § 7d Abs. 2 SGB IV gesetzlich vorgeschrieben. 6 Ab Erreichen des Schwellenwertes würden weitere Einzahlungen steuerlich nicht mehr anerkannt, Bundesministerium für Finanzen, Mitteilung vom 17.6.2009 – IV C 5, Abschnitt B.I.

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III. Best Practice

Rz. 5.28 § 5

finden soll und welcher Wertguthabenbetrag (ohne Arbeitgeberanteil am Sozialversicherungsbeitrag) während des Sabbaticals ausgezahlt werden soll. Der angegebene Wertguthabenbetrag wird während des Sabbaticals in monatlich gleichen Raten jeweils zum Ende jeden Monats unter Abzug der auf den Auszahlungsbetrag entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge an den Mitarbeiter ausgezahlt (monatlicher Unterhalt). Nachdem einem Antrag stattgegeben wurde, kann das Sabbatical nicht mehr einseitig, sondern nur noch in beiderseitigem Einvernehmen von Arbeitgeberin und Arbeitnehmer widerrufen oder abgebrochen werden1. (3) Der Antrag auf Antritt eines Sabbaticals muss folgende Voraussetzungen erfüllen: a) Der Antrag muss in Schriftform (§ 126 BGB) gestellt werden. b) Das Sabbatical darf höchstens sechs Monate2 umfassen und muss in vollen Monaten abgeleistet werden3. Eine längere Dauer des Sabbaticals ist zulässig, wenn es als Vorruhestand in Anspruch genommen wird. c) Der Antrag auf Antritt des Sabbaticals muss in einer Frist von vier Monaten zuzüglich der beantragten Dauer des Sabbaticals vor dem beantragten Antrittszeitpunkt des Sabbaticals gestellt werden4. d) Der monatliche Unterhalt darf maximal 130 % des durchschnittlich gezahlten Arbeitsentgelts der unmittelbar vorangegangenen zwölf Kalendermonate der Arbeitsphase erreichen. e) Der monatliche Unterhalt muss mindestens 70 % des durchschnittlich gezahlten Arbeitsentgelts der unmittelbar vorangegangenen zwölf Kalendermonate erreichen. f) Der monatliche Unterhalt muss stets mehr als 450 EUR monatlich betragen5. g) Dem beantragten Sabbatical dürfen keine dringenden betrieblichen oder in der Person des Mitarbeiters liegenden Gründe entgegenstehen. Der Arbeitgeber stellt entsprechende Formblätter zur Verfügung. (4) Die Arbeitgeberin muss die Prüfung des Antrages innerhalb von vier Wochen ab Antragseingang abschließen. Liegen die Voraussetzungen nach Abs. 3 vor, ist die Arbeitgeberin verpflichtet, dem Antrag stattzugeben6. Die Arbeitgeberin und der Mitarbeiter können einvernehmlich auf die in Abs. 3 genannten Voraussetzungen verzichten; dies geschieht schlüssig, wenn die Arbeitgeberin einem Antrag stattgibt, der die in Abs. 3 genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. (5) Führt der Mitarbeiter in einem Jahr ein Sabbatical durch, wird in diesem Jahr der Urlaubsanspruch des Mitarbeiters wegen der Zeiten, in denen er nicht arbeitet, anteilig gekürzt. Gleiches gilt für seine variablen Gehaltsbestandteile und andere jährlich ausgezahlte Lohnbestandteile; der Vorgesetzte muss bei der Festlegung von Jahreszielen auf das Sabbatical entsprechend Rücksicht nehmen7.

1 Ein einseitiger Widerruf vereinbarter Sabbaticals sollte ausgeschlossen werden, damit beide Parteien Planungssicherheit haben. 2 Wäre das Sabbatical zu lang, drohte dem Arbeitnehmer die betriebliche Desintegration. Der Arbeitgeber hat deshalb ein berechtigtes Interesse, die Höchstdauer der Sabbaticals zu beschränken. 3 Eine Regel, nach der das Sabbatical nur in vollen Monaten abgeleistet werden darf, erleichtert die Abrechnung. 4 Damit sich die Personalplanung auf das Sabbatical einstellen kann, sollte eine ausreichende Ankündigungsfrist vorgesehen werden. 5 Aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen darf dem Arbeitnehmer während des Sabbaticals weder ein zu hoher noch zu niedriger Betrag ausgezahlt werden, vgl. Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 3.3.4. 6 Das Recht des Arbeitnehmers, sein Wertguthaben in Anspruch zu nehmen, darf nicht in das Belieben des Arbeitgebers gestellt werden, Rolfs in ErfK, § 7c SGB IV Rz. 4. 7 Dies entspricht dem gesetzlichen Grundsatz, vgl. dazu Rz. 5.5. Durch Gewährung von Urlaubstagen oder Gehälter für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer ein Sabbatical wahrnimmt und nicht arbeitet, würde der Arbeitgeber das Sabbatical subventionieren.

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§ 5 Rz. 5.28

Sabbaticals

(6) Während des Sabbaticals ist die Arbeitgeberin nicht zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet; das Sabbatical verlängert sich auch nicht um Tage, an denen der Mitarbeiter erkrankt1. (7) Steht dem Mitarbeiter ein Firmenwagen als Gehaltsbestandteil zu, kann der Mitarbeiter verlangen, dass ihm der Firmenwagen gegen Abzug des in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG genannten Betrages vom monatlichen Unterhalt während des Sabbaticals zur Verfügung gestellt wird. In diesem Fall trägt der Mitarbeiter sämtliche Kosten für den Unterhalt, die Betankung und eine etwaige abweichende Besteuerung des Firmenwagens während des Sabbaticals. Im Übrigen besteht kein Anspruch auf Überlassung eines Firmenwagens; Mitarbeiter und Arbeitgeberin werden soweit erforderlich sachgerechte Vereinbarungen anstreben. § 4 Insolvenzsicherung (1) Das in das Wertguthaben eingebrachte Arbeitsentgeltguthaben wird durch die Arbeitgeberin mit geeigneten Vorkehrungen gegen Insolvenz gesichert. Die derzeit stattfindende Insolvenzsicherung über den Treuhänder … ist dem Betriebsrat bekannt und entspricht den gestellten Anforderungen. (2) Die Arbeitgeberin kann jederzeit eine andere Variante der Insolvenzsicherung wählen und die Bedingungen der Insolvenzsicherung nach eigenem Ermessen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben in den Einzelheiten konkretisieren. Die Arbeitgeberin informiert den Mitarbeiter textförmlich über die Vorkehrungen zur Insolvenzsicherung2 und holt dessen Zustimmung zum gewählten Insolvenzsicherungsmodell ein, soweit dies gesetzlich erforderlich ist3. (3) Im Falle einer zulässigen Auszahlung der Wertguthaben sind die begünstigten Mitarbeiter verpflichtet, alle Erklärungen gegenüber Treuhändern, Banken, Versicherern oder anderen an der Insolvenzsicherung beteiligten Dritten abzugeben, um die Auflösung der entsprechenden Insolvenzsicherung zu ermöglichen. § 5 Beendigung des Arbeitsverhältnisses (1) Endet das Arbeitsverhältnis, z.B. durch Kündigung, Tod, Eintritt der Invalidität oder Erreichen der Altersgrenze, bevor ein aufgebautes Wertguthaben abgebaut werden konnte, wird das Wertguthaben vollständig und in einer Rate zum Austrittsmonat an den Mitarbeiter ausgezahlt. Für etwaige Steuernachteile übernimmt die Arbeitgeberin keine Haftung. (2) Abweichend von Abs. 1 können Arbeitgeberin und Mitarbeiter im Falle einer ordentlichen Kündigung formfrei vereinbaren, dass das Wertguthaben bis zum Beendigungszeitpunkt durch Freistellung abgegolten wird. In diesem Fall werden durch die Freistellung zunächst Urlaubsansprüche, Gleitzeitkontenguthaben, Überstundenkonten und sonstige Zeitgutschriften abgegolten. Soweit dies geschehen ist, werden alle weiteren Gehaltszahlungen vom Wertguthaben abgezogen. Für den verbleibenden Restbetrag gilt Abs. 1. (3) Hiervon abweichend kann der Mitarbeiter in den gesetzlich vorgesehenen Fällen die Übertragung des Wertguthabens verlangen4. § 6 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und kann jederzeit mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Sie wirkt im Falle der Kündigung nach. (2) Einvernehmliche vertragliche Abreden zwischen der Arbeitgeberin und einem Mitarbeiter genießen Vorrang gegenüber dieser Betriebsvereinbarung. Einvernehmliche vertragliche Abreden zwischen der Arbeitgeberin und einem Mitarbeiter sind auch dann vorrangig, wenn sie zum Nachteil des Mitarbei-

1 2 3 4

Dies entspricht dem gesetzlichen Grundsatz, dazu Rz. 5.5. Diese Information ist nach § 7e Abs. 4 SGB IV gesetzlich vorgeschrieben. Vgl. § 7e Abs. 2 Satz 2 SGB IV. Vgl. dazu § 7f SGB IV.

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III. Best Practice

Rz. 5.31 § 5

ters in einzelnen Gesichtspunkten oder insgesamt von den Vorgaben dieser Betriebsvereinbarung abweichen; § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG gilt nicht1. (3) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung wirtschaftlich am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Vereinbarung enthaltenen Regelung. Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

2. Vereinbarung zur Insolvenzsicherung Im zweiten Schritt muss die Insolvenzsicherung der Wertguthaben sichergestellt werden. Hier trifft 5.29 das Unternehmen eine Grundentscheidung: Entweder überträgt das Unternehmen Vermögensgegenstände im Umfang der Wertguthaben auf einen Treuhänder oder es sichert die Wertguthaben durch Rückdeckungsversicherungen oder Bürgschaften ab. Bei einer Treuhandlösung muss das Unternehmen sofort erhebliche Liquidität opfern. Um eine Bürgschaft oder Rückdeckungsversicherung zu erhalten, reicht es hingegen, wenn das Unternehmen lediglich einen Teil des Wertguthabenbetrages als Kaution leistet2.

5.30

Dennoch bietet die Treuhandlösung mehrere Vorteile: – Die an den Treuhänder übertragenen Vermögensgegenstände dürfen nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB bilanziell mit den Verbindlichkeiten aus den Wertguthaben saldiert werden. Dadurch verbessert sich die Eigenkapitalquote (Rz. 5.24). – Viele Treuhandunternehmen übernehmen zugleich die Verwaltung der Wertguthaben. Gerade bei Störfällen ist die korrekte Berechnung der Sozialbeitragshöhe kompliziert3 und wird auf diese Weise an ein Unternehmen ausgelagert, das mit derartigen Berechnungen Routine hat4. – Die marktüblichen Gebühren für Bürgschaften oder Rückdeckungsversicherungen sind höher als für die Treuhand. Auf lange Sicht kann die Treuhand deshalb deutlich günstiger sein5. Das bevorzugte Treuhandmodell sind als doppelseitige Treuhand gestaltete CTAs (vgl. zu diesem Konstrukt Rz. 5.22). Dies hat den Grund, dass die Insolvenzsicherung bei der doppelseitigen Treuhand keine Verpfändung des Anspruchs gegen den Insolvenzsicherer an den Arbeitnehmer voraussetzt. Würde der Anspruch gegenüber dem Treuhänder an den Arbeitnehmer verpfändet, bedürfte die Auflösung der Treuhand einer Freigabeerklärung des Arbeitnehmers. Typischerweise soll die Treuhand in einzelnen Raten aufgelöst werden, da auch das Wertguthaben in Raten an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird. Ständige Freigabeerklärungen des Arbeitnehmers abzufragen, wäre dann

1 Es empfiehlt sich, den grundsätzlichen Vorrang der Betriebsvereinbarung (§ 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG) gegenüber Individualabreden mit dem Mitarbeiter abzubedingen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Arbeitgeber und Mitarbeiter wirksam Verwendungs- und Auszahlungsformen für das Guthaben vereinbaren können, die in der Betriebsvereinbarung nicht vorgesehen sind. Andernfalls ginge der Arbeitgeber ein Risiko ein, ließe er sich auf solche Vereinbarungen ein. 2 Knospe, NZA 2006, 187 (191). 3 Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 31.3.2009, Ziff. 4.6.2. 4 Knospe, NZA 2006, 187 (191). 5 Knospe, NZA 2006, 187 (191).

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5.31

§ 5 Rz. 5.31

Sabbaticals

ausgesprochen bürokratisch. Bei der doppelten Treuhand darf der Treuhänder das Treuhandvermögen auch ohne Freigabeerklärung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber auszahlen, wenn die hierfür vertraglich definierten Voraussetzungen vorliegen, d.h. üblicherweise, wenn der Arbeitgeber Auszahlungen aus dem Wertguthaben an den Arbeitnehmer belegt. Dies erleichtert den gesamten Prozess erheblich.

5.32 Dadurch, dass der Treuhänder die zu sichernden Vermögenswerte anlegt, erbringt er Finanzdienstleistungen i.S.d. Bankenrechts (§ 1 Abs. 1a Nr. 4, 5 und 8 KWG) und benötigt hierzu eine Erlaubnis der BaFin (§ 32 KWG)1. Als Treuhänder kommen deshalb vorrangig etablierte Bank- und Versicherungsinstitute in Betracht. Den CTAs werden deshalb üblicherweise die Vertragsbedingungen dieser Institute zugrunde gelegt. Die Institute zeigen sich in Verhandlungen allerdings bereit, Teile ihrer Vertragsbedingungen an Wünsche des Kunden anzupassen.

3. Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter 5.33 Wurden mit dem Betriebsrat die Rahmenbedingungen für Sabbaticals und Wertguthaben vereinbart und eine geeignete Insolvenzsicherung sichergestellt, können die Arbeitnehmer Einzahlungen in ihre Wertguthaben vornehmen. Dies erfolgt, indem die Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitgeber einen Verzicht auf die Auszahlung bestimmter Gehaltsbestandteile vereinbaren, die stattdessen dem Wertguthaben gutgeschrieben werden. Hierzu muss der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer eine schriftliche Vereinbarung abschließen (§ 7b Nr. 1 SGB IV). Dies muss nach h.M. in Schriftform (§ 126 BGB), d.h. mit Originalunterschriften der Vertragsparteien erfolgen2. Eine Gehaltsverzichtsvereinbarung kann wie folgt formuliert werden:

5.34 M 5.2 Gehaltsverzichtsvereinbarung betr. Sabbatical Gehaltsverzichtsvereinbarung Zwischen der … (nachfolgend: Arbeitgeberin) und Herrn/Frau … (nachfolgend: Mitarbeiter), wird auf Grundlage von § 2 der Betriebsvereinbarung „Sabbatical“ folgende Gehaltsverzichtsvereinbarung zum Aufbau eines Wertguthabens getroffen: Der Mitarbeiter verzichtet über einen Ansparzeitraum, welcher am … beginnt und am … endet, für jeden Monat auf einen Betrag von … EUR seines monatlichen Bruttofestgehaltes. Der Betrag wird dem bei der Arbeitgeberin geführten Wertguthaben des Mitarbeiters zuzüglich des Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag gutgeschrieben. Die Verwendungsmöglichkeiten und Verwendungsvoraussetzungen des Wertguthabens sowie alle weiteren Einzelheiten richten sich nach der Betriebsvereinbarung „Sabbatical“ in ihrer jeweils gültigen Fassung. Die derzeit gültige Fassung der Betriebsvereinbarung „Sabbatical“ ist dieser Gehaltsverzichtsvereinbarung als Anlage beigefügt.

1 BaFin, Merkblatt „Hinweise zur Erlaubnispflicht und zur möglichen Freistellung nach § 2 Abs. 4 KWG sog. Contractual Trust Arrangements zur Ausgliederung von Pensionsverpflichtungen und Verpflichtungen auf Grund von Altersteilzeitmodellen“ vom Dezember 2005; Mittermaier/Böhme, BB 2006, 203 (204). 2 Boecken in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 7b SGB IV Rz. 8; Stäbler in Krauskopf, § 7b SGB IV Rz. 4; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7b SGB IV Rz. 5. Nach zutreffender Gegenauffassung reicht Textform dagegen aus, Rolfs in ErfK, § 7b SGB IV Rz. 2; Rolfs/Witschen, NZA 2021, 1227 (1227 ff.).

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Grimm/Singraven

Agiles Arbeiten/SCRUM

§6

Die Arbeitgeberin teilt mit, dass die Insolvenzsicherung der Wertguthaben derzeit über eine doppelseitige Treuhand erfolgt. Die Arbeitgeberin überweist Geldbeträge im Umfang der Wertguthabenbeträge an den Treuhänder …. Dieser verwahrt und verwaltet die Geldbeträge, solange das Wertguthaben besteht. Grundsätzlich kann der Mitarbeiter nicht auf das verwahrte Geld zugreifen. Sollte allerdings das Insolvenzverfahren über die Arbeitgeberin eröffnet oder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse rechtskräftig abgewiesen werden, ist der Treuhänder verpflichtet, das verwahrte Geld an den Mitarbeiter auszuzahlen. Die Arbeitgeberin kann das Modell der Insolvenzsicherung im gesetzlich zulässigen Rahmen ändern. Sollte dies erfolgen, wird die Arbeitgeberin dem Mitarbeiter Mitteilung machen1. Ort …, Datum … … Firma

… Mitarbeiter

§6 Agiles Arbeiten/SCRUM I. 1. 2. II.

Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Grundidee agiler Arbeitsmethodik . . . . . . 6.2 SCRUM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9 Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.14 1. Verbindliche Anordnung des SCRUMVerfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.16 2. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . . 6.19

3. Scheinselbständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Regelung gegenüber den eigenen Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verträge zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit in der SCRUM . . .

6.23 6.29 6.30 6.33

Literatur: Günther/Böglmüller, Einführung agiler Arbeitsmethoden – was ist arbeitsrechtlich zu beachten? (Teil 1), NZA 2019, 273; Günther/Böglmüller, Einführung agiler Arbeitsmethoden – Risiken des Einsatzes von Fremdpersonal sowie betriebliche Mitbestimmung, NZA 2019, 417; Heise, Agile Arbeit, Scrum und Crowdworking – New Work außerhalb des Arbeitsrechts?, NZA-Beilage 2019, 100; Kühn/Weaver, Prozessund Produktgestaltung in agilen Projekten unter datenschutzrechtlichen Aspekten, BB 2019, 2485; Kühn/ Wulff, Scheinselbständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung bei Scrum, CR 2018, 417; Litschen/Yacoubi, Arbeitnehmerüberlassung und agile Prozess- und Organisationsmethoden, NZA 2017, 484; Schulze/Volk, Agile Arbeitsmethoden und Mitbestimmung – Teil 1, ArbRAktuell 2019, 404; Schulze/Volk, Agile Arbeitsmethoden und Mitbestimmung – Teil 2, ArbRAktuell 2019, 553; Sittard/Müller, Einführung agiler Arbeitsmethoden und betriebliche Mitbestimmung, ArbRB 2018, 381; Steffan, Transformation agiler Arbeitsformen, ArbRB 2020, 79.

1 Nach § 7e Abs. 4 SGB IV muss der Arbeitgeber schriftlich über seine Vorkehrungen zum Insolvenzschutz informieren. Dies kann z.B. in der Vereinbarung selbst erfolgen, Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7e SGB IV Rz. 24. Soll ein anderes Modell der Insolvenzsicherung als ein Treuhandverhältnis vereinbart werden muss dies mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden (§ 7e Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Soll ein Insolvenzsicherungsmodell umgesetzt werden, bei dem Ansprüche an den Arbeitnehmer verpfändet werden, muss auch hierzu eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer getroffen werden, Rolfs/Schmid, ZIP 2010, 701 (702).

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§ 6 Rz. 6.1

Agiles Arbeiten/SCRUM

I. Worum geht es? 6.1 Der Begriff „agiles Arbeiten“ bezeichnet Organisationsmethoden für die Projektarbeit kreativer Teams. Kennzeichen agiler Arbeit ist, dass bei der Projektsteuerung feste Prozesse etabliert werden, um den Projektplan und das angestrebte Projektziel während der Projektdurchführung fortwährend zu hinterfragen, anzupassen und zu verändern.

1. Grundidee agiler Arbeitsmethodik 6.2 Nach herkömmlicher Vorstellung sollen Produkte in festen, aufeinander aufbauenden Phasen entwickelt werden: Zunächst werden die Anforderungen an das Produkt definiert. Anschließend wird ein Plan zur schrittweisen Umsetzung entworfen. Erst wenn die Planungsphase beendet wurde, beginnt die Umsetzung des Projekts. Schließlich erfolgen Tests und Fehlerbehebungen. Zeigt sich in späteren Phasen, dass der Ausgangsplan nicht realisiert werden kann, sondern nachträglich angepasst werden muss, wird dies nach herkömmlicher Vorstellung als Misserfolg und Konsequenz einer Fehlplanung empfunden. In den Teams, die so denken, kommt in solchen Situationen schnell Frustration auf. Häufig wird mit Notlösungen ad hoc reagiert. Studien aus der Vergangenheit zeigen, dass z.B. im Bereich der Softwareentwicklung ein erheblicher Teil der Projekte ganz scheitert1. Dass sich ein ursprünglicher Projektplan nachträglich als ungeeignet herausstellt und sich das Team in den Folgeproblemen „verrennt“, ist bei komplexen Entwicklungsprojekten ein erhebliches betriebswirtschaftliches Risiko.

6.3 Agile Arbeitsmethoden gehen demgegenüber von der Annahme aus, dass sich kreative und komplexe Projekte ohnehin nie im Vorhinein vollständig planen lassen und regelmäßige Korrekturen der Ausgangsplanung nicht nur unvermeidlich, sondern wichtig sind. Deshalb werden systematisch Prozesse praktiziert, die es dem Team ermöglichen, Störpotentiale genauso wie Verbesserungspotentiale frühzeitig zu erkennen und konsequent zu reagieren.

6.4 Die Kernidee beim agilen Arbeiten besteht darin, nicht in fest abgegrenzten Phasen von Planung und Umsetzung zu arbeiten, sondern die Planungen abhängig von den Erkenntnissen aus dem Umsetzungsprozess stetig anzupassen. Um hierbei eine feste Struktur zu bewahren, wird inkrementell und iterativ vorgegangen2: – Inkrementell meint, dass das Produkt schrittweise in einzelnen, in sich funktionsfähigen Modulen (sog. Inkremente) entwickelt wird. – Iterativ meint in diesem Kontext, dass die Phasen von Planung, Umsetzung, Implementierung und Test fortlaufend, nämlich nach jedem Teilschritt wiederholt werden. Dadurch wird die Planung fortlaufend angepasst. Im Zuge dieses Anpassungsprozesses kann sich sogar das angestrebte Projektergebnis, z.B. Eigenschaften des geplanten Produktes, verändern.

6.5 Diese schrittweise Vorgehensweise stellt sicher, dass im Rahmen der Projektdurchführung rechtzeitig auf Störungen des Projekts reagiert und ggf. auch unvorhergesehene Potentiale realisiert werden können. Mittlerweile hält eine deutliche Mehrheit der deutschen Unternehmen Projekte, die agil durchgeführt werden, für erfolgreicher3. Vorteile, die agilen Arbeitsmethoden betriebswirtschaftlich zugeschrieben werden, sind: – qualitativ bessere Projektergebnisse,

1 Vgl. z.B. The Standish Group International Inc, CHAOS REPORT 2015; Becker/Huber, Die Bilanz des (Miss)-Erfolges in IT-Projekten, 2008. 2 Hoeren/Pinelli, MMR 2018, 199 (199 ff.). 3 Bitkom, Pressemitteilung vom 21.9.2018, https://www.bitkom-research.de/de/pressemitteilung/scrum-koe nig-unter-den-agilen-methoden (letzter Abruf 3.1.2021).

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I. Worum geht es?

Rz. 6.10 § 6

– schnellere Umsetzung der Projekte, – schnellere Reaktion auf erkannte Probleme, – einfachere Zusammenarbeit mit Freelancern, – höhere Mitarbeitermotivation durch höhere Eigenverantwortlichkeit1. Die ursprünglich aus der Software-Entwicklung stammenden agilen Arbeitsmethoden gelten als be- 6.6 währt und etablieren sich in immer weiteren Arbeitsfeldern und Branchen: Agile Arbeitsmethoden eignen sich überall dort, wo qualifizierte Mitarbeiterteams längerfristig ausgelegte, komplexe Projekte umsetzen und der Projekterfolg von der Kreativität der einzelnen Teammitglieder abhängt. Dafür kommen alle Bereiche der Produktentwicklung in Betracht und nicht nur diese: Auch Unternehmensberatungen können agil arbeiten, wenn sie Organisationskonzepte entwerfen, Marketingagenturen, wenn sie Kampagnen gestalten, oder Künstler bei Gemeinschaftsprojekten. Für fast alle Unternehmen stellt sich deshalb die Frage, ob sich zumindest einige ihrer Arbeitsprozesse durch den Einsatz agiler Methoden verbessern lassen. Wenn in der Praxis von agilen Arbeitsmethoden die Rede ist, geht es meistens um das SCRUM-Verfahren, ggf. mit einigen Abwandlungen. Nach Recherchen des Branchenverbandes Bitkom setzte 2018 bereits jedes zweite deutsche Unternehmen agile Methoden ein. 79 Prozent der deutschen Unternehmen nutzten dabei an SCRUM orientierte Verfahren. Weit abgeschlagen folgt das Kanban-Verfahren, das von immerhin 17 Prozent dieser Unternehmen eingesetzt wurde. Andere Verfahren führen eher eine Randexistenz2.

6.7

Hinweis:

6.8

Dieses Kapitel wird sich auf die praktisch im Vordergrund stehende Arbeit im SCRUM-Verfahren konzentrieren. Die Problemstellungen und Lösungsansätze lassen sich auf andere agile Arbeitsmethoden übertragen.

2. SCRUM Für das SCRUM-Verfahren3 gibt es ein offizielles Regelwerk, den SCRUM-Guide. Der SCRUMGuide wird durch die SCRUM-Erfinder Jeff Sutherland und Ken Schwaber mehrsprachig im Internet herausgegeben und periodisch aktualisiert4. Der SCRUM-Guide erläutert den methodischen Ablauf und die Rollen des SCRUM-Verfahrens auch für fachfremde Leser nachvollziehbar.

6.9

Hinweis:

6.10

Große Missverständnisse über den Charakter agiler Methoden erzeugt ein im Internet veröffentlichtes und häufig zitiertes „agiles Manifest“5. Dort wird gefordert, definierte Prozesse und Dokumentation nachrangig zu behandeln. Dies führt zu dem falschen Eindruck, bei agilen Methoden ginge es darum, Prozessvorgaben und Dokumentationspflichten zu lockern. Das genaue Gegenteil ist jedoch – zumindest bei Anwendung des SCRUM-Verfahrens – der Fall: SCRUM sieht ein strenges und formalisiertes Regelwerk und verbindliche Dokumentationspflichten vor, um allen Teammitgliedern und Außenstehenden stets einen transparenten Überblick über den Projektstand zu vermitteln. Dadurch schafft SCRUM ein Mehr an Struktur, erzeugt in der Kehrseite allerdings zusätzlichen Dokumentations- und Abstimmungsaufwand. Für kleine und übersichtliche Projekte, die in wenigen Wo-

1 Bitkom, Pressemitteilung vom 21.9.2018. 2 Bitkom, Pressemitteilung vom 21.9.2018. 3 Der Begriff SCRUM stammt aus dem Englischen und bedeutet zu deutsch „Gedränge“. Es handelt sich nicht um eine Abkürzung, d.h. den einzelnen Buchstaben kommt keine weitere Bedeutung zu. 4 https://www.scrumguides.org/. 5 https://agilemanifesto.org/.

Grimm/Singraven

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§ 6 Rz. 6.10

Agiles Arbeiten/SCRUM

chen umgesetzt werden können, ist dieser Aufwand oft unverhältnismäßig. Sinnvoll ist SCRUM bei komplexen1 Projekten, bei denen sich ein Team leicht „verrennt“, wenn es keinem strukturierten Ansatz folgt.

6.11 Im SCRUM-Verfahren wird nach folgenden Verfahrensregeln vorgegangen: 1. Das Team dokumentiert seinen Projektplan in einem sog. Product-Backlog, den es laufend aktualisiert, korrigiert und fortschreibt. Dabei zerlegt das Team den Projektplan in einzelne, getrennt dokumentierte Arbeitsschritte (sog. Backlog-Einträge). Jeder Backlog-Eintrag wird mit einer nachvollziehbaren Aufgabenbeschreibung versehen. Während diese Beschreibung am Anfang des Projektes für viele Backlog-Einträge noch vage ausfällt, wird sie im Verlauf des Projektes weiter verfeinert und verbessert. Die Bearbeitung eines Backlog-Eintrages kann erst beginnen, wenn dieser ausreichend konkret entworfen wurde und in einem überschaubaren Zeitfenster umgesetzt werden kann („ready“)2. 2. Der Product-Backlog ist für das gesamte Projektteam auf einem sog. Kanban-Board3 jederzeit transparent einsehbar. Das Kanban-Board wird entweder als physisches Wandboard in einem Besprechungssaal oder softwarebasiert in einem Workflow-Management-System (z.B. dem Tool Jira) geführt4. 3. Der Product-Backlog wird in sog. Sprints abgearbeitet. Dies sind zeitlich fest definierte Umsetzungsphasen von zwei Wochen bis maximal einem Monat, innerhalb derer das Team versucht, eine bestimmte Auswahl von Backlog-Einträgen (sog. Sprint-Backlog5) erfolgreich umzusetzen6. In einem als Sprint-Planning bezeichneten, maximal achtstündigen Meeting wird jeder Sprint sorgfältig geplant7: Die für jeden Sprint ausgewählten Backlog-Einträge sollen ein als Inkrement (vgl. Rz. 6.4) bezeichnetes, sachlich-zusammenhängendes Gesamtergebnis, idealerweise eine implementierbare Funktionalität, ergeben8. Jedes Teammitglied soll realistischerweise dazu in der Lage sein, die ihm zugewiesenen Backlog-Einträge im Verlauf des Sprints umzusetzen9. 4. Während eines Sprints trifft sich das Team täglich in 15-minütigen Meetings, die als DailySCRUM bezeichnet werden. Das Team plant in der Daily-SCRUM die Arbeit für die nächsten 24 Stunden und prüft die Arbeit der vorangegangenen 24 Stunden10. 5. Am Ende eines Sprints wird ein Sprint-Review abgehalten, um das Arbeitsergebnis zu überprüfen und den Product-Backlog bei Bedarf anzupassen. Hierbei handelt es sich um ein maximal vierstündiges Meeting, in dessen Mittelpunkt eine Präsentation der Ergebnisse gegenüber Außenstehenden stattfindet11. 6. In einem weiteren, maximal dreistündigen Meeting, dem Sprint-Retrospektive, überprüft das Team intern den bisherigen Arbeitsfortschritt und verbessert den Projektplan für den kommenden Sprint12. 7. Anschließend beginnt der Prozess wieder von vorne, nämlich mit einem Sprint-Planning und einem weiteren Sprint. 1 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 3. 2 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 11 f. 3 Der Name „Kanban-Board“ ist missverständlich, da „Kanban“ zugleich eine andere agile Arbeitsmethode bezeichnet. Dennoch hat sich die Bezeichnung etabliert. 4 Kühn/Weaver, BB 2019, 2485 (2488). 5 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 12. 6 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 8 ff. 7 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 9. 8 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 12 f. 9 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 9. 10 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 10. 11 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 10. 12 Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 10 f.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 6.14 § 6

Der Projektplan, welcher in dem Product-Backlog festgehalten wird, wird laufend angepasst. Prinzipiell sind dazu alle vorgesehen Meetings geeignet, d.h. Sprint-Planning, Daily-SCRUM, Sprint-Review und Sprint-Retrospektive. Auf diese Weise setzt das SCRUM-Team eine inkrementelle und iterative Arbeitsweise um (vgl. Rz. 6.4). Für SCRUM ist kennzeichnend, dass in einer bestimmten Rollenverteilung gearbeitet wird. Ein 6.12 SCRUM-Team besteht stets aus dem Product-Owner, den Developern sowie dem SCRUM-Master1. Ziel dieser Rollenverteilung besteht darin, ohne einen Projektleiter auszukommen und stattdessen auf das „Commitment“2 jedes Teammitgliedes zu setzen. – Der Product-Owner ist die Bezeichnung einer bestimmten Rolle, die durch einen Mitarbeiter repräsentiert wird. Es kommt nicht darauf an, ob ihm die Rechte an dem Produkt tatsächlich „gehören“. Der Product-Owner legt fest, „was“ erarbeitet werden soll. Er entscheidet über den Inhalt des Product-Backlog. Dabei kann er den Anregungen aus dem Entwicklerteam folgen. Auch kann er die konkrete Ausformulierung der Backlog-Einträge z.B. an den SCRUM-Master delegieren. Allerdings muss der Inhalt des Backlog stets durch den Product-Owner freigegeben werden und er ist für seinen Inhalt verantwortlich3. – Die eigentliche Projektumsetzung erfolgt durch das feststehende Team aus Developern, auch Entwicklungsteam genannt. Die Developer haben zwar üblicherweise spezialisierte Fähigkeiten, aber keine festen Rollen. Idealerweise organisieren sie sich selbst und empfangen keine Weisungen dahingehend, „wie“ sie vorzugehen haben4. – Der SCRUM-Master überwacht die Einhaltung der SCRUM-Regeln. Er stellt sicher, dass die Sprints eingehalten werden und die Meetings Sprint-Planning, Daily-SCRUM, Sprint-Review und Sprint-Retrospektive stattfinden. Außerdem ist er Berater und Coach in Hinblick auf das „Wie“ der Vorgehensweise. Er hat insoweit aber keine Weisungsrechte5.

6.13

Hinweis: Die Selbstorganisation des SCRUM-Teams ohne Hierarchien und Weisungen ist ein Ideal, von dem in der Praxis häufig abgewichen wird. Nicht selten besitzt der Product-Owner überlegene Berufserfahrung, betreut das SCRUM-Team eng und steuert den Prozess faktisch wie ein Projektleiter. Teilweise besetzen Unternehmen die Rolle des Product-Owner und des SCRUM-Master mit ein und derselben Person. Auch auf diese Weise kann inkrementell und iterativ gearbeitet werden. Werden unter solchen Bedingungen allerdings fremde Mitarbeiter oder Freelancer innerhalb der SCRUM eingesetzt, kommt es unweigerlich zu Rechtsverstößen (dazu Rz. 6.26).

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Komplexe Projekte, z.B. im Bereich der Softwareentwicklung, sind störanfällig und können katastro- 6.14 phal scheitern. Dies führt nicht selten zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden für die beteiligten Unternehmen. Werden Projekte von hoher wirtschaftlicher Bedeutung für das Unternehmen ohne strukturierten Ansatz „auf gut Glück“ angegangen, kann hierin eine Pflichtverletzung der geschäftsführenden Organe liegen, die gegenüber dem Unternehmen Schadensersatzpflichten auslöst (§ 43 GmbHG, § 93 AktG). Vorstände und Geschäftsführer sind dazu verpflichtet, innerhalb ihrer verantworteten Ressorts eine sachgerechte und effiziente Ablauforganisation zu schaffen (Unternehmens-

1 2 3 4 5

Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 5 ff. Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 4. Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 6. Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 6. Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 7.

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§ 6 Rz. 6.14

Agiles Arbeiten/SCRUM

organisationspflicht)1. Erwachsen aus den Pflichtenkreisen von Geschäftsführern oder Vorständen Schäden, müssen diese darlegen und beweisen, dass sie ihrer Organisationspflicht gerecht geworden sind; andernfalls haften sie2. Sie haben bei der Auswahl des Vorgehens allerdings ein Unternehmensermessen (sog. Business-Judgement-Rule)3. Entscheiden sie sich für die Anwendung des SCRUMVerfahrens, stellt dies eine betriebswirtschaftlich anerkannte Methode dar, mit der sie ihrer Organisationspflicht i.d.R. gerecht werden.

6.15 Bei der Einführung des SCRUM-Verfahrens stellen sich drei rechtliche Herausforderungen: – Damit das SCRUM-Verfahren funktioniert, müssen feste Regeln befolgt werden. Der Arbeitgeber sollte die Einhaltung dieser Regeln mit seinem Direktionsrecht (§ 106 GewO) verbindlich anordnen (dazu Rz. 6.16 ff.). – In mitbestimmten Betrieben ist der Betriebsrat zu beteiligen (dazu Rz. 6.19 ff.). – Das SCRUM-Verfahren lässt es zu, Freelancer und Arbeitnehmer fremder Unternehmen an der Projektarbeit zu beteiligen. Die genauen rechtlichen Voraussetzungen sind allerdings umstritten (dazu Rz. 6.23 ff.).

1. Verbindliche Anordnung des SCRUM-Verfahrens 6.16 Nach § 106 GewO legt der Arbeitgeber die Methoden fest, nach denen gearbeitet wird. In Ausübung dieses Direktionsrechtes kann der Arbeitgeber anordnen, dass im SCRUM-Verfahren vorgegangen wird. Im Einzelnen legt der Arbeitgeber fest, welche Projekte im SCRUM-Verfahren zu bearbeiten sind, welche Mitarbeiter innerhalb des SCRUM-Teams welche Rolle besetzen und welche SCRUMRegeln verbindliche Geltung haben4.

6.17 Zwar organisiert sich das SCRUM-Team bei idealer Umsetzung des SCRUM-Prozesses selbst und arbeitet weisungsfrei5. Dieser Umstand ist aber kein Anlass für den Arbeitgeber, auf sein Direktionsrecht förmlich zu verzichten. Der Arbeitgeber kann weisungsfreie Selbstorganisation ermöglichen, indem er von der Ausübung seines Direktionsrechts faktisch absieht. Es spricht nichts dagegen, wenn er sich das Recht vorbehält, bei besonderen Anlässen doch durch Weisungen einzugreifen6.

6.18 Durch seine Weisungen legt der Arbeitgeber fest, wie der SCRUM-Prozess im Einzelnen abzulaufen hat. Es liegt nahe, die Einhaltung der Rahmenregeln des SCRUM-Verfahrens, z.B. eine ordnungsgemäße Dokumentation von Backlog-Einträgen oder eine Anwesenheitspflicht bei der DailySCRUM, verbindlich anzuordnen. Dies ermöglicht es dem Arbeitgeber, Verstöße abzumahnen oder anderweitig zu sanktionieren. Dem Arbeitgeber steht es frei, den SCRUM-Prozess zu modifizieren, und teilweise von dem SCRUM-Guide durch ein selbst entworfenes Regelwerk abzuweichen. So kann der Arbeitgeber z.B. festlegen, dass anstelle eines SCRUM-Masters und eines Product-Owners ein Projektleiter dem Team vorsteht und die übrigen Teammitglieder durch Weisungen steuert. Auch unter diesen Bedingungen kann iterativ in Sprints gearbeitet werden (dazu bereits Rz. 6.13).

1 Zu § 43 GmbhG Ziemons in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, § 43 GmbHG Rz. 164 ff.; Fleischer in MünchKomm/GmbHG, § 43 GmbHG Rz. 59; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 GmbHG Rz. 29; zu § 93 AktG Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 56; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/ Lutter, § 99 AktG Rz. 9. 2 Für die GmbH BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, juris Rz. 4; BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, Leitsatz; für die Aktiengesellschaft z.B. BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, juris Rz. 14. 3 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 GmbHG Rz. 29. 4 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (277). 5 Heise, NZA-Beilage 2019, 100 (105). 6 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (275 f.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 6.21 § 6

2. Beteiligung des Betriebsrates Nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG hat der Betriebsrat bei Festlegung von Grundsätzen über die 6.19 Durchführung von Gruppenarbeit mitzubestimmen. Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt. Dieses Mitbestimmungsrecht wurde 20011 durch den Gesetzgeber eingefügt, um Arbeitnehmer vor der Selbstausbeutung durch Gruppendruck zu schützen2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Mitbestimmungsrechts werden durch das SCRUM-Verfahren erfüllt, wenn das SCRUM-Team in autonomer Selbstorganisation und ohne Projektleiter arbeiten soll (d.h. so, wie es der SCRUM-Guide im Ideal eigentlich vorsieht, vgl. Rz. 6.12). Dann darf SCRUM in mitbestimmten Betrieben nur mit Zustimmung des Betriebsrates eingeführt werden3. Das Mitbestimmungsrecht besteht dagegen nicht, wenn der Arbeitgeber das Entwicklerteam einem festen Projektleiter unterstellt (vgl. Rz. 6.13 und Rz. 6.18); dann nämlich würde die Arbeitnehmergruppe nicht mehr im Wesentlichen eigenverantwortlich tätig4. Ordnet der Arbeitgeber die Anwendung von SCRUM unter Missachtung des Mitbestimmungsrech- 6.20 tes des Betriebsrates an, ist seine Anordnung unwirksam5. Der Betriebsrat kann im Rechtswege verlangen, dass der Arbeitgeber die Anwendung der Arbeitsmethode unterlässt6. Umgekehrt hat der Betriebsrat kein Initiativrecht, mit dem er die Einführung von Gruppenarbeit und damit agile Arbeit erzwingen könnte. Gegen den Willen des Arbeitgebers findet keine agile Arbeit statt7. Daneben kommen zahlreiche weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrates in Betracht, die bei Einführung und Ausgestaltung des SCRUM-Verfahrens eine Rolle spielen können: – Soll der Product-Backlog elektronisch in einem Workflow-Management-System geführt werden, ist der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen8. Dieses Beteiligungsrecht besteht naturgemäß nicht, wenn der Product-Backlog physisch auf einer Pinnwand geführt wird. Bei der Ausgestaltung des Workflow-Management-Systems stellen sich eine Reihe von datenschutzrechtlichen Fragen: Da Workflow-Management-Systeme die Arbeitsleistungen jedes Mitarbeiters über längere Zeit individualisiert und sehr konkret dokumentieren, ist ihre Ausgestaltung datenschutzrechtlich problematisch (dazu Rz. 15.14 ff.). Gängige Workflow-Management-Systeme für agile Entwicklung bieten häufig Funktionalitäten zur statistischen Auswertung des Leistungsverhaltens der Mitarbeiter an: Mit diesen Funktionalitäten könnte der Arbeitgeber z.B. jederzeit abfragen, welcher Mitarbeiter die höchste Umsetzungsquote und den höchsten Erledigungswert bei den von ihm bearbeiteten Backlog-Einträgen hat. Solche Funktionalitäten müssen ggf. deaktiviert werden9. – Soll die Lage der Arbeitszeit flexibilisiert werden, um dem Team größere Agilitätsspielräume zu eröffnen, bedarf auch dies der Zustimmung des Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG)10. Regel1 Art. 1 BetrVerf-Reformgesetz v. 27.7.2001, BGBl. I 1852. 2 BT-Drucks. 14/5741, 47. 3 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (554 f.); Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (384); einschränkend Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (422); Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 134. 4 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (422); Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 134. 5 Sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung, grundlegend BAG v. 3.12.1991 – GS 2/90, Leitsatz 4b. 6 Zum allgemeinen Unterlassungsanspruch grundlegend BAG v. 3.5.1994 – 1 ABR 24/93, BB 1994, 2273. 7 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 574; Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (384). 8 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (554); Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (421); Steffan, ArbRB 2020, 79 (82). 9 Zu den datenschutzrechtlichen Problemen Kühn/Weaver, BB 2019, 2485 (2488 f.). 10 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (554); Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (421); Steffan, ArbRB 2020, 79 (82).

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6.21

§ 6 Rz. 6.21

Agiles Arbeiten/SCRUM

mäßig lässt sich agile Arbeit aber im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeitvorgaben umsetzen, insbesondere wenn im Einvernehmen mit dem Betriebsrat Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit (dazu Rz. 3.23) vorgesehen ist. – Die Einführung agiler Arbeitsmethoden stellt regelmäßig eine Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 4, § 112 BetrVG dar1. Die daraus erwachsenden Beteiligungsrechte des Betriebsrates sind jedoch regelmäßig von untergeordneter Bedeutung: Der Arbeitgeber ist vor Einführung verpflichtet, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln und eine Einigung zumindest zu versuchen; scheitert der Versuch, kann der Arbeitgeber einseitig agieren2. Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber einen Sozialplan abschließt, mit dem er wirtschaftliche Nachteile ausgleicht, die den Mitarbeitern aus der Anwendung agiler Arbeitsmethoden entstehen (§ 112 Abs. 4 BetrVG). Solche wirtschaftlichen Nachteile gibt es üblicherweise aber gar nicht3. – Ändert sich das Gesamtbild der Tätigkeit eines Arbeitnehmers für länger als einen Monat so wesentlich, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine „andere“ anzusehen ist, liegt eine zustimmungspflichtige Versetzung i.S.d. §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG vor4. Allein der Umstand, dass ein Softwareprogrammierer in Projekten agil arbeitet oder ein Projektleiter seine Mitarbeiter künftig in der Rolle eines „Product-Owner“ steuert, ist regelmäßig noch keine Versetzung5. Wird ein Mitarbeiter allerdings in einer gänzlich neuen Arbeitsumgebung eingesetzt6 oder erhält er eine im Vergleich zu seiner bisherigen Tätigkeit grundlegend andere Rolle, insbesondere die eines SCRUM-Masters, liegt eine Versetzung vor. – Sollen Mitarbeiter im Umgang mit agilen Arbeitsmethoden geschult werden, können Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 96 ff. BetrVG zu beachten sein7 (eingehend zu diesen Beteiligungsrechten Rz. 26.31 ff.).

6.22 Hinweis: Agile Arbeitsmethoden, die auf eigenverantwortliche Selbstorganisation der Mitarbeiter zielen, setzen voraus, dass sich die Mitarbeiter mit diesen Methoden identifizieren und sie für sinnvoll halten. Um die Identifikation der Belegschaft mit den agilen Arbeitsmethoden zu fördern, empfiehlt es sich, einen Konsens mit dem Betriebsrat anzustreben8. Sperrt sich der Betriebsrat, kann der Arbeitgeber den SCRUM-Prozess aber notfalls so ausgestalten, dass er keine echten Mitbestimmungsrechte berührt, insbesondere indem auf weisungsfreies Arbeiten verzichtet (dazu Rz. 6.19), das vereinbarte Arbeitszeitregime beachtet (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) und der Product-Backlog auf einer Pinnwand, statt in einer Software geführt wird (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Alternativ kann der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen, um eine Betriebsvereinbarung zu erzwingen.

1 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 404 (407 f.); Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (423); Sittard/Müller, ArbRB 2018, 381 (383). 2 Übergeht der Arbeitgeber den Verhandlungsanspruch des Betriebsrates, ist umstritten, ob der Betriebsrat die Einführung agiler Methoden dann durch einstweilige Verfügung untersagen könnte, Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 404 (407). Entsprechende Initiativen des Betriebsrates wären allerdings ungewöhnlich. 3 Den Abschluss eines Qualifizierungssozialplanes regen an Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (423). 4 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG v. 4.5.2011 – 7 ABR 3/10, juris Rz. 25; BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, ArbRB 2009, 362 = juris Rz. 28. 5 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (277); a.A. Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 553 (555). 6 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 273 (277). 7 Schulze/Volk, ArbRAktuell 2019, 404 (406); Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (421 f.). 8 Steffan, ArbRB 2020, 79 (82).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 6.25 § 6

3. Scheinselbständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung Beim Einsatz von Freelancern und Mitarbeitern fremder Unternehmen in einem Entwicklungs- 6.23 team drohen Rechtsverstöße: Werden Freelancer in ein Team aus Arbeitnehmern eingebunden, in dem sie als Mitglied arbeitsteilig mitarbeiten, führt dies i.d.R. zu Scheinselbständigkeit (dazu Rz. 7.14). Sollen Arbeitnehmer eines fremden Unternehmens in solchen Teams arbeitsteilig mitarbeiten, ohne dass das fremde Unternehmen über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügt, handelt es sich i.d.R. um illegale Arbeitnehmerüberlassung (dazu Rz. 8.15). Sehr umstritten und nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob von diesem Grundsatz eine Ausnahme zu machen ist, wenn das Team selbstorganisiert und weisungsfrei im SCRUM-Verfahren arbeitet. Die derzeit wohl herrschende Literaturauffassung bejaht dies zu Recht: Solange die institutionellen 6.24 Rahmenbedingungen der SCRUM-Methode gewährleisten, dass keine arbeitsrechtlichen Weisungen gegenüber Freelancern und fremden Arbeitnehmern ausgesprochen werden, können diese Externen ohne Rechtsverstoß in einem Entwicklerteam des eigenen Unternehmens als Mitglied mitwirken. Konstitutionelles Merkmal der Scheinselbständigkeit (§ 7 Abs. 1 SGB IV) sowie der Arbeitnehmerüberlassung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG) wäre nämlich, dass die externen Mitarbeiter durch arbeitsrechtliche Weisungen des eigenen Unternehmens koordiniert würden. Daran fehlt es, wenn das SCRUMVerfahren in seiner idealen Form, d.h. bei hierarchie- und weisungsfreier Selbstorganisation des Entwicklungsteams, umgesetzt wird1.

6.25

Hinweis: Das SCRUM-Verfahren ermöglicht nach h.L. eine Zusammenarbeit von eigenen Arbeitnehmern, Freelancern und Arbeitnehmern fremder Unternehmen in gemischten Teams. Diese rechtlichen Möglichkeiten bestünden bei herkömmlichen Organisationsmethoden grundsätzlich nicht. Setzten Unternehmen fremde Arbeitnehmer und Freelancer in gemischten SCRUM-Teams ein, gehen sie allerdings ein Rechtsrisiko ein: Die h.L. ist umstritten. Eine belastbare Rechtsprechung existiert bislang nicht. Das rechtliche Risiko ist besonders hoch, wenn externe Mitarbeiter in den Räumlichkeiten des Auftraggebers tätig werden, was typischerweise erforderlich ist, damit täglich eine Daily-SCRUM stattfinden kann (eine Alternative bieten Videokonferenzen). Denn äußerlich sieht es dann so aus, als wären die Freelancer wie normale Arbeitnehmer in die Belegschaft eingegliedert. Sollen Freelancer arbeitsteilig in ein Entwicklungsteam eingebunden werden, gibt es kaum eine legale Alternative zum SCRUM-Verfahren. Arbeitnehmer fremder Unternehmen können zwar alternativ im Wege der Arbeitnehmerüberlassung in gemischte Teams integriert werden. Dann allerdings wäre eine Vielzahl von Regeln zu beachten: – Das fremde Unternehmen müsste eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besitzen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG). – Die Grundsätze von „equal pay“ und „equal treatment“ wären einzuhalten (§ 8 AÜG). – Eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten dürfte nicht überschritten werden, was längerfristige Projekte gefährden kann (§ 1 Abs. 1b AÜG). Wegen des Zitiergebotes im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (§ 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG) müssen sich Unternehmen vor Aufnahme der Vertragsbeziehung stets entscheiden, ob sie innerhalb oder außerhalb des An-

1 Für die h.M. Heise, NZA-Beilage 2019, 100 (105 f.); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 120 ff.; Henssler, RdA 2017, 83 (90); unentschlossen Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (418 ff.); Kühn/Wulff, CR 2018, 417; Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (488 f.); wohl auch Steffan, ArbRB 2020, 79 (81); gegen die h.M. Hammann in Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rz. 203 ff. Nach der Gegenauffassung wäre erforderlich, dass das Gesamtprojekt in Einzelaufträge zerlegt wird (was mittels BacklogEinträgen geschieht) und diese Einzelaufträge dann gesondert an Freelancer oder fremde Unternehmen zur selbständigen Erledigung vergeben werden. Wäre diese Ansicht richtig, könnten externe Mitarbeiter nicht mehr vollwertige Mitglieder eines sich selbst organisierenden Entwicklerteams sein.

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§ 6 Rz. 6.25

Agiles Arbeiten/SCRUM

wendungsbereiches des AÜG zusammenarbeiten wollen. Anschließend müssen sie die Vertragsbeziehung immer so wie vereinbart leben. Andernfalls käme es zu Rechtsverstößen1.

6.26 Auch nach h.L. kommt der Einsatz fremder Arbeitnehmer oder Freelancer innerhalb des SCRUMVerfahrens aber nur in Betracht, wenn das SCRUM-Team auch tatsächlich selbstorganisiert und weisungsfrei arbeitet, also so wie es die SCRUM-Guide idealerweise vorsieht. Dies bedeutet, dass kein Projektleiter existieren darf. Der Product-Owner darf lediglich vorgeben, „was“ das Entwicklerteam zu erarbeiten hat2. Er darf – jedenfalls den externen Mitarbeitern – keine Vorgaben machen, „wie“ sie zu arbeiten haben. Auch der SCRUM-Master darf beim „wie“ nur beraten und coachen, aber nicht dirigieren. Diese Rollenverteilung darf zudem nicht nur auf dem „Papier stehen“, sondern muss tatsächlich gelebt werden. Würde sich der Product-Owner gegenüber den externen Mitarbeitern faktisch zum „Quasiprojektleiter“ aufschwingen, läge nach einhelliger Auffassung illegale Arbeitnehmerüberlassung oder Scheinselbständigkeit vor3. Gleiches wäre der Fall, wenn externen Mitarbeitern andere Aufgaben innerhalb des Betriebes des Auftraggebers zugewiesen würden, die mit dem SCRUM-Projekt nicht im Zusammenhang stehen4. Dann kommt es zu einer Vielzahl von Rechtsverstößen (vgl. für die drohenden Sanktionen bei Scheinselbständigkeit Rz. 7.25 ff. und bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung Rz. 8.18 ff.).

6.27 Die Deutsche Rentenversicherung stellt z.T. allerdings strengere Anforderungen als die h.L., wenn Freelancer in gemischten Entwicklungsteams tätig sind: Auch wenn keine Arbeitsanweisungen ausgesprochen werden, könne sich beim SCRUM-Verfahren das Weisungsrecht zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ (vgl. zu diesem Kriterium Rz. 7.12) verfeinern, was zur Scheinselbständigkeit führe. Davon sei nach einer veröffentlichten Auffassung der Deutschen Rentenversicherung auszugehen, wenn sich die Rolle der Freelancer innerhalb des SCRUM-Teams nach einer wertenden Gesamtbetrachtung als fremdbestimmt darstelle5. Um das Risiko zu vermeiden, dass die Deutsche Rentenversicherung in gemischten SCRUM-Teams tätige Freelancer als scheinselbständig einstuft, sind folgende Vorgaben sinnvoll: – Das Risiko der Scheinselbständigkeit würde erheblich vermindert, wenn die externen Mitarbeiter keine Gesamtmitverantwortung für das Entwicklungsprojekt übernehmen6, sondern lediglich einzelne Backlog-Einträge als Werkleistungen i.S.d. §§ 631 ff. BGB bearbeiten und hierzu jeweils im Einzelfall und auf freiwilliger Basis mit dem Product-Owner vereinbaren, welche Backlog-Einträge sie übernehmen7. Ist dies nicht möglich, sollten den externen Mitarbeitern zumindest festen Rollen innerhalb des Teams zugewiesen werden, auf deren Wahrnehmung ihre Verantwortung beschränkt wird8.

1 Eine in der Vergangenheit noch mögliche „Fallschirmlösung“ ist seit dem 1.4.2017 infolge einer Novelle des AÜG (dort § 1 Abs. 1 Satz 5) nicht mehr möglich (dazu Rz. 8.19). 2 Vgl. Anweisungen, die bloß erwartete Arbeitsergebnisse konkretisieren, führen weder zu Scheinselbständigkeit (dazu Rz. 7.13) noch zu illegaler Arbeitnehmerüberlassung (dazu Rz. 8.15), grundlegend BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, ArbRB 2018, 229, Leitsatz 2; wie hier auch Heise, NZA-Beilage 2019, 100 (106). 3 Heise, NZA-Beilage 2019, 100 (105 f.); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 120 ff.; Henssler, RdA 2017, 83 (91); Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (418 ff.). 4 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (419). 5 Vgl. Deutsche Rentenversicherung, summa summarum Ausgabe 4/2019, S. 4 ff. 6 Die Übernahme einer Gesamtmitverantwortung für ein Teamergebnis wird als Indiz für Scheinselbständigkeit gewertet, vgl. Deutsche Rentenversicherung, summa summarum Ausgabe 4/2019, S. 6. 7 Sogar für zwingend hält dies Hammann in Schüren/Hammann, § 1 AÜG Rz. 205; in solchen Fällen urteilte gegen Scheinselbständigkeit z.B. LSG Baden-Württemberg v. 18.5.2015 – L 11 R 4586/12, Leitsatz und juris Rz. 57. 8 So die Empfehlung von Kühn/Wulff, CR 2018, 417 (424).

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III. Best Practice

Rz. 6.31 § 6

– Idealerweise arbeiten die externen Mitarbeiter räumlich getrennt und nehmen nur per VideoKonferenz an der Daily-SCRUM teil1. – Eine Anwesenheitspflicht bei Daily-SCRUM-Meetings sollte es für externe Mitarbeiter nicht geben2. – Externe Mitarbeiter sollten keine Organisationsaufgaben übernehmen, bei denen sie sich mit einer Vielzahl von Personen abstimmen müssen, da dies als Indiz für eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers gewertet werden kann. Allerdings würde diese Gestaltung deutlich von der SCRUM-Guide abweichen. Die SCRUM-Guide sähe eigentlich vor, dass sich alle Mitglieder des SCRUM-Teams dem Gesamtprojekt „committen“, d.h. ergebnisbezogene Gesamtmitverantwortung übernehmen3. Zudem können vorstehende Vorgaben die organisatorische Abstimmung des Teams erschweren und zum Verlust von Agilitäts- und Effizienzvorteilen führen. Die Umsetzung stößt deshalb häufig auf Widerstand von Seiten der Entwickler. Wenige rechtliche Bedenken bestehen, wenn dem Entwicklerteam ausschließlich Arbeitnehmer eines Auftragnehmerunternehmens angehören und allein der Product-Owner dem Auftraggeberunternehmen angehört. Solange der Product-Owner in diesen Fällen nur das Arbeitsergebnis, vermittelt über Backlog-Einträge, vorgibt und das Entwicklerteam dieses eigenständig umsetzt, liegt nach allgemeiner Auffassung keine Arbeitnehmerüberlassung vor4.

6.28

III. Best Practice Das SCRUM-Verfahren wird nach formalen Regeln durchgeführt, die festgelegt werden müssen. Dies erfolgt gegenüber der eigenen Belegschaft durch arbeitsrechtliche Weisung (§ 106 GewO) oder in einer Betriebsvereinbarung (dazu Rz. 6.30 ff.). Werden innerhalb eines gemischten SCRUM-Teams Arbeitnehmer fremder Unternehmen oder Freelancer tätig, können die Regeln der Zusammenarbeit in schriftlichen Verträgen festgehalten werden (dazu Rz. 6.33 ff.).

6.29

1. Regelung gegenüber den eigenen Mitarbeitern Gegenüber der eigenen Belegschaft empfiehlt sich eine verbindliche Festlegung der SCRUM-Regeln. 6.30 Zwar organisiert das SCRUM-Team sein Vorgehen im Idealfall selbst und weisungsfrei. Der förmliche Ablauf des SCRUM-Verfahrens sollte allerdings nicht zur Disposition der Teammitglieder stehen, sondern eingehalten werden. Die SCRUM-Regeln können als bürokratisch und lästig empfunden werden. Eine verbindliche Festlegung dieser Regeln stärkt die Disziplin des SCRUM-Teams bei ihrer Einhaltung. Theoretisch könnte der Arbeitgeber Verstöße dann durch Abmahnungen ahnden.

6.31

Folgende SCRUM-Regeln sind zentral: – Alle geplanten Arbeitsschritte müssen durch nachvollziehbare Aufgabenbeschreibungen ordnungsgemäß innerhalb des Product-Backlog dokumentiert sein und laufend aktualisiert werden. Hierfür ist grundsätzlich der Product-Owner verantwortlich.

1 2 3 4

Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (419). Vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg v. 18.5.2015 – L 11 R 4586/12, Leitsatz und juris Rz. 57. Sutherland/Schwaber, SCRUM-Guide, deutsche Übersetzung, Version 3.3, Stand 22.12.2020, S. 4. Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (419); Litschen/Yacoubi, NZA 2017, 484 (487); Kühn/Wulff, CR 2018, 417 (423); vgl. hierzu auch LG Wiesbaden v. 30.11.2016 – 11 O 10/15, CR 2017, 298.

Grimm/Singraven

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§ 6 Rz. 6.31

Agiles Arbeiten/SCRUM

– Alle Meetings, nämlich Sprint-Planning, Daily-SCRUM, Sprint-Review und Sprint-Retrospektive müssen fristgerecht einberufen werden und stattfinden. Dies verantwortet grundsätzlich der SCRUM-Master. – Alle Mitglieder des Entwicklerteams müssen grundsätzlich an allen Meetings teilnehmen, damit zwischen den Teammitgliedern keine Missverständnisse hinsichtlich des Projektstandes und Projektplans aufkommen. Die verbindliche Festlegung der SCRUM-Regeln erfolgt in Betrieben ohne Betriebsrat durch Weisung des Arbeitgebers (§ 106 GewO, vgl. Rz. 6.16). Besteht ein Betriebsrat, kann eine solche Weisung regelmäßig nur mit Zustimmung des Betriebsrates ausgesprochen werden (vgl. Rz. 6.19 ff.). In mitbestimmten Betrieben besteht alternativ die Möglichkeit, zwingende Regeln in einer Betriebsvereinbarung festzulegen (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Die Betriebsvereinbarung zeigt der Belegschaft, dass Geschäftsführung und Mitarbeitervertretung den SCRUM-Prozess im Konsens für sinnvoll erachten. Dies erhöht die Chance, dass der Prozess durch die Mitarbeiter angenommen wird.

6.32 Eine Betriebsvereinbarung könnte z.B. wie folgt formuliert werden: M 6.1 Betriebsvereinbarung SCRUM Betriebsvereinbarung SCRUM Fassung … vom … Präambel Die Betriebsparteien sind übereinstimmend davon überzeugt, dass die Mitarbeiter des Unternehmens viele Projekte durch Anwendung des SCRUM-Verfahren effizienter und eigenverantwortlich bewältigen können. Um die Vorteile dieser modernen Arbeitsmethode nutzen zu können, legen sie Regeln für die Anwendung des SCRUM-Verfahrens in dieser Betriebsvereinbarung einvernehmlich und verbindlich fest. § 1 Anwendungsbereich (1) Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer des Betriebes gemäß § 5 Abs. 1 BetrVG. Die Arbeitgeberin weist ihre leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG an, sich ebenfalls an das in der Betriebsvereinbarung beschriebene, verbindliche Regelwerk zu halten. (2) Diese Betriebsvereinbarung findet auf Selbständige und Arbeitnehmer fremder Unternehmen (ausgenommen von Leiharbeitnehmern), die in SCRUM-Projekten mitwirken (externe Mitarbeiter), keine Anwendung. Externe Mitarbeiter sind nicht verpflichtet, die Vorgaben dieser Betriebsvereinbarung einzuhalten; die für externe Mitarbeiter maßgeblichen Rechte und Pflichten ergeben sich stattdessen aus gesondert vereinbarten Verträgen1. § 2 Initiierung eines SCRUM-Projekts (1) Die Arbeitgeberin legt nach billigem Ermessen fest (§ 106 GewO), welche Projekte im SCRUM-Verfahren bearbeitet werden (SCRUM-Projekte)2. Zulässig ist die Anwendung des SCRUM-Verfahrens bei allen

1 Rechtlich gesehen gelten Betriebsvereinbarungen nur für Arbeitnehmer, die in Betrieb eingegliedert sind (§ 5 Abs. 1, § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) und damit nicht für Selbständige und Arbeitnehmer fremder Unternehmen. Dies sollte auch so gelebt und kommuniziert werden, andernfalls wäre dies ein Indiz für Scheinselbständigkeit und illegale Arbeitnehmerüberlassung. 2 Der Betriebsrat bestimmt nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG nur bei der Festlegung der Grundsätze der Gruppenarbeit mit. Welche Projekte unter diesen Grundsätzen durchgeführt werden und welche Personen an den Projekten teilnehmen, entscheidet der Arbeitgeber allein (Clemenz in HWK, § 87 BetrVG

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 6.32 § 6

Projekten, die durch ein Mitarbeiterteam umgesetzt werden und deren voraussichtliche Dauer wenigstens zwei Monate überschreitet. (2) Bei Initiierung des Projekts stellt die Arbeitgeberin das SCRUM-Team zusammen und weist Mitarbeitern die folgenden Rollen zu: a) Product-Owner, b) SCRUM-Master, c) Mitglied des Entwicklerteams. Bevor das Projekt beginnt, müssen sämtliche Rollen besetzt werden. Eine Person darf jeweils nur eine Rolle besetzen. Es gibt für jedes Projekt jederzeit nur einen Product-Owner und einen SCRUM-Master. Das Entwicklerteam muss mindestens zwei Mitglieder haben. (3) Aus sachlichem Grund (§ 106 GewO) kann die Arbeitgeberin nach Beginn des Projekts Mitglieder des SCRUM-Teams aus dem Projekt abziehen, sie gegen andere Mitarbeiter auswechseln oder weitere Mitglieder zum Entwicklerteam hinzufügen. (4) Soweit sich die Zuweisung einer Rolle oder deren Aufhebung als Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellt, ist der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen. § 3 Anwendung von Jira (1) Zur Koordination von SCRUM-Projekten wird die Software Jira eingesetzt. Die Mitglieder des SCRUM Teams, der Arbeitgeber und der Betriebsrat erhalten Benutzerkonten in Jira. (2) Die Benutzerkonten der Mitglieder des SCRUM-Teams gewähren nur Einsicht in die in Jira hinterlegten Daten zu den SCRUM-Projekten, an denen sie jeweils selbst beteiligt sind. Damit sie den Stand sämtlicher Projekte jederzeit überprüfen und auswerten können und um die Auskunftsansprüche nach § 80 Abs. 2 BetrVG zu erfüllen, erhalten Arbeitgeber und Betriebsrat Benutzerkonten, die ihnen Einsicht in die in Jira hinterlegten Daten zu sämtlichen SCRUM-Projekte gewähren; ausgenommen sind nach Abs. 4 Satz 1 gesperrte SCRUM-Projekte. (3) Funktionalitäten in Jira, die automatisiert statistische Auswertungen mit Aussagen zum Leistungsverhalten individueller Mitarbeiter generieren, sind sowohl für die Mitarbeiter, den Arbeitgeber als auch den Betriebsrat zu deaktivieren. Der Arbeitgeber darf lediglich Funktionalitäten in Jira nutzen, die anonymisierte oder pseudonymisierte statistische Auswertungen generieren. (4) Zwei Jahre nach Abschluss jedes Projektes ist der Zugriff auf die gespeicherten Daten dieses Projektes technisch so zu sperren, dass ein Zugriff auf die Projektdaten nur nach dem Vier-Augen-Prinzip mit doppelter Passworteingabe möglich ist. Ein Zugriff auf die gespeicherten Projektdaten ist nur aus sachlichem Grund zulässig. In diesem Fall ist der Betriebsrat unverzüglich zu informieren. 15 Jahre nach Abschluss des Projektes sind die Projektdaten endgültig zu löschen, sofern nicht im Ausnahmefall aus besonderem Anlass eine längere Speicherung erforderlich ist. (5) Der Arbeitgeber ist berechtigt, neue Updates für Jira zu installieren und Jira auf sonstige Weise zu modifizieren, sofern sich die Funktionsweise gegenüber dem bei Unterzeichnung dieser Betriebsvereinbarung bestehenden Stand nicht grundlegend verändert und die Vorgaben nach Abs. 1 bis 4 eingehalten werden. (6) Soweit die Abs. 1 bis 5 spezifische Vorschriften i.S.d. Art. 88 DSGVO enthalten, haben sie den Charakter einer Ermächtigungsgrundlage gemäß § 26 Abs. 4 BDSG. Im Übrigen erfolgt jede Anwendung und jede Modifikation von Jira nur unter Einhaltung der allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben des § 26 Abs. 1 BDSG1.

Rz. 216; Fitting, § 87 BetrVG Rz. 572). Die Betriebsvereinbarung sollte dem Betriebsrat keinen weitergehenden Einfluss einräumen. 1 Die Nutzung einer Workflow-Management-Software ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt und bedarf der Beteiligung des Betriebsrates. Der Betriebsrat sollte sein Beteiligungsrecht im Rahmen der Betriebsvereinbarung ausüben. Dabei empfiehlt es sich, abstrakte und verbindliche Bestimmungen

Grimm/Singraven

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§ 6 Rz. 6.32

Agiles Arbeiten/SCRUM

§ 4 Product-Backlog (1) Die zur Bewältigung des SCRUM-Projektes durchzuführenden Arbeitsschritte werden in gesonderten Backlog-Einträgen beschrieben und in der Product-Backlog hinterlegt. Der Product-Backlog wird in Jira geführt. Einzelne Backlog-Einträge werden nach Epics1 kategorisiert. (2) Der Product-Backlog wird während des SCRUM-Projektes fortgeschrieben, angepasst und muss den Stand des Projektes sowie den jeweils aktuellen Stand seiner Planung jederzeit zutreffend, nachvollziehbar und angemessen abbilden. Alle Tätigkeiten, die das SCRUM-Team nach dem jeweils aktuellen Plan zur Umsetzung des Projekts ausführen muss, sind zumindest abstrakt darzustellen. (3) Die Aufgabenbeschreibung innerhalb sämtlicher Backlog Einträge muss sorgfältig erfolgen und für alle Mitglieder des SCRUM Teams verständlich und nachvollziehbar formuliert sein. Die Aufgabenbeschreibung muss so detailliert erfolgen, wie dies für den jeweiligen Projektstand sachgerecht und angemessen ist. Ist die Aufgabe im Backlog Eintrag so konkret beschrieben, dass die Anforderungen an eine erfolgreiche Umsetzung feststehen, und die Mitglieder des Entwicklerteams die Aufgabe voraussichtlich innerhalb eines Sprints umsetzen können, wird der Backlog Eintrag auf „ready“ gesetzt; in diesem Fall muss der Backlog Eintrag mit einer in Arbeitstagen bezifferten Aufwandsschätzung versehen werden. (4) Der Product-Owner hat die Letztentscheidungsbefugnis über den Inhalt des Product-Backlog und ist für die Einhaltung der Abs. 1 bis 3 verantwortlich. Mit seinem Einverständnis können Backlog-Einträge auch durch andere Mitglieder des SCRUM-Teams formuliert werden. Der Product-Owner kann Formulierungsaufgaben insbesondere an den SCRUM Master delegieren2. § 5 Sprints, Meetings (1) Die Bearbeitung der im Product-Backlog definierten Aufgaben erfolgt in festgelegten Sprints. Die geplante Dauer eines Sprints darf nicht kürzer als zwei Wochen und nicht länger als ein Monat sein. (2) Während des Sprints bearbeiten die Mitglieder des Entwicklerteams ausgewählte Backlog-Einträge, die auf „ready“ (§ 4 Abs. 3) gesetzt sind (Sprint-Backlog). Dies erfolgt nach den folgenden Maßgaben: a) Die Backlog-Einträge werden Mitgliedern des Entwicklerteams individuell in Jira zugeordnet. Einzelne Backlog-Einträge können auch mehreren Mitgliedern des Entwicklerteams zugeordnet werden. b) Jedem Mitglied des Entwicklerteams werden höchstens so viele Backlog-Einträge zugeordnet, wie es im Verlauf des Sprints realistisch umsetzen kann. c) Die Gesamtheit der für einen Sprint ausgewählten Backlog-Einträge soll ein sachlich zusammenhängendes Arbeitsergebnis ergeben, das einen maßgeblichen Projektfortschritt bewirkt (z.B. eine neue Funktionalität). d) Nach vorheriger Abstimmung mit dem SCRUM-Team im Rahmen der Daily SCRUM dürfen BacklogEinträge auch während eines Sprints angepasst, getauscht, hinzugefügt oder zurückgelegt werden. (3) Im Zusammenhang mit jedem Sprint finden verschiedene Arten von Meetings statt. Der SCRUM Master ist dafür verantwortlich, dass die Meetings einberufen werden, stattfinden und eine regelmäßige

aufzunehmen, die das Recht des Arbeitgebers, die Software zu modifizieren und zu nutzen, beschränken. Andernfalls kann die Vereinbarung als unzulässiger Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht und deshalb als unwirksam bewertet werden, vgl. BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, ArbRB 2013, 334. Zudem gebieten sich derartige Bestimmungen aus datenschutzrechtlichen Gründen (vgl. Rz. 6.21). Nur wenn die Betriebsvereinbarung ausreichend spezifische Datenschutzvorgaben enthält, kann sie als datenschutzrechtliche Ermächtigungsgrundlage i.S.d. § 26 Abs. 4 BDSG, Art. 88 DSGVO fungieren. 1 Als „Epic“ bezeichnet man im SCRUM-Prozess größere Aufgabeneinheiten, die in zahlreiche Unteraufgaben zerlegt werden müssen, um agil bearbeitet werden zu können. 2 Die sorgfältige Formulierung von Backlog-Einträgen kann als lästig empfunden werden und aus Bequemlichkeit „vor sich hergeschoben“ werden. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, zwingende Dokumentationspflichten festzulegen und Verantwortlichkeiten zu definieren.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 6.32 § 6

Teilnahme erfolgt. U.a. während der Meetings steht er dem Entwicklerteam als Berater und Coach zur Verfügung. Folgende Meetings sind durchzuführen: a) Der Ablauf jedes Sprints wird vor Beginn in einem Sprint-Planning nach Maßgabe von Abs. 2 sorgfältig geplant und seine Dauer im Rahmen des Abs. 1 Satz 1 verbindlich festgelegt. Das SprintPlanning dauert maximal 8 Stunden. b) An jedem Arbeitstag findet eine Daily SCRUM statt, in der der letzte Arbeitstag ausgewertet und der anstehende Arbeitstag geplant wird. Die Dauer der Daily SCRUM soll 15 Minuten nicht überschreiten. c) Nach Abschluss jedes Sprints wird dessen Ergebnis in einem Sprint-Review präsentiert und ausgewertet und der weitere Projektverlauf besprochen. Üblicherweise nehmen auch Außenstehende am Sprint-Review teil. Das Sprint-Review soll vier Stunden nicht überschreiten. d) Nach Abschluss jedes Sprints wird der Sprint in einem Sprint-Retrospektive ausgewertet und der Projektplan auf Grundlage der Auswertungsergebnisse verbessert. Das Sprint-Retrospektive dauert maximal drei Stunden. Für Mitglieder des Entwicklerteams und den SCRUM-Master besteht eine grundsätzliche Teilnahmepflicht an allen Meetings. Für den Product-Owner besteht eine grundsätzliche Teilnahmepflicht nur für das Sprint-Planning und das Sprint-Review. Eine Teilnahmepflicht besteht nicht, soweit ein Mitarbeiter durch Urlaub oder Krankheit an der Teilnahme gehindert ist oder der Teilnahme des Mitarbeiters ein dringender sachlicher Grund entgegensteht und sich das Mitglied im Voraus beim SCRUM-Master abmeldet; ob ein dringender sachlicher Grund besteht, entscheidet in Zweifelsfällen der SCRUM-Master1. § 6 Eigenverantwortliche Selbstorganisation; externe Mitarbeiter (1) Das Entwicklerteam organisiert sich selbst und arbeitet eigenverantwortlich; den Mitgliedern des Entwicklerteams sind innerhalb des Entwicklerteams keine festen Rollen zugewiesen. Mit Ausnahme von den in dieser Betriebsvereinbarung bezeichneten Fällen sollen nach Möglichkeit weder der SCRUM Master noch der Product-Owner arbeitsrechtliche Weisungen zu Art und Inhalt der Vorgehensweise erteilen. Die rechtliche Existenz des Weisungsrechtes nach § 106 GewO bleibt von dieser Bestimmung unberührt2. (2) Gegenüber externen Mitarbeitern dürfen durch Arbeitnehmer unseres Unternehmens in keinem Fall arbeitsrechtliche Weisungen ausgesprochen werden; Arbeitnehmern unseres Unternehmens steht gegenüber externen Mitarbeitern kein Weisungsrecht zu. Die für externe Mitarbeiter maßgeblichen Rechte und Pflichten und die durch sie zu übernehmenden Aufgaben ergeben sich aus gesondert vereinbarten Verträgen. Der SCRUM Master ist dafür verantwortlich, zu unterbinden, dass unzulässige arbeitsrechtliche Weisungen gegenüber externen Mitarbeitern ausgesprochen werden3. § 7 Arbeitszeiteinteilung Die Arbeitszeiteinteilung der Mitglieder des SCRUM-Teams richtet sich nach der „Betriebsvereinbarung Gleitzeit“ in ihrer jeweils gültigen Fassung.

1 Es ist wichtig, dass alle Mitglieder des SCRUM-Teams stets den aktuellen Stand kennen und wissen, was sie zu tun haben. Die Bekanntgabe der notwendigen Informationen in straff geführten Meetings ist effizient und vermeidet Missverständnisse durch intransparente Parallelkommunikation. Deshalb spricht einiges dafür, Anwesenheitspflichten festzulegen und durchzusetzen. 2 Ein symbolischer Hinweis, dass das Entwicklerteam sich idealerweise selbst organisiert, ist sinnvoll, um den Geist des SCRUM-Verfahrens herauszustellen. Für die Arbeitgeberseite empfiehlt es sich dagegen nicht, förmlich auf das Direktionsrecht nach § 106 GewO zu verzichten (dazu Rz. 6.17). 3 Externe Mitarbeiter dürfen nicht durch Weisungen gesteuert werden. Der Arbeitgeber sollte Regeln aufstellen, die dies unterbinden. Im SCRUM-Verfahren bietet es sich an, dem SCRUM-Master die Verantwortung zuzuweisen, Weisungen gegenüber externen Mitarbeitern zu unterbinden.

Grimm/Singraven

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§ 6 Rz. 6.32

Agiles Arbeiten/SCRUM

§ 8 Schulung Die Arbeitgeberin führt Schulungen zum Konzept und Ablauf des SCRUM-Verfahrens sowie zur Funktionsweise von Jira durch. Vor Durchführung jeder Schulung wird die Arbeitgeberin den Betriebsrat zeitnah informieren und sich auf Wunsch des Betriebsrates eingehend zum Schulungsablauf beraten. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 96 ff. BetrVG bleiben unberührt1. § 9 Auslegung dieser Betriebsvereinbarung; SCRUM-Guide Bei Zweifeln über die Auslegung dieser Betriebsvereinbarung ist dasjenige Verständnis maßgeblich, welches der jeweils gültigen offiziellen SCRUM-Guide2 sowie den branchenüblichen Gepflogenheiten für die Zusammenarbeit in SCRUM-Verfahren am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke. § 10 Schlussbestimmungen (1) Mündliche Nebenabreden zu dieser Betriebsvereinbarung bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieser Betriebsvereinbarung, einschließlich dieser Bestimmung, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. (2) Diese Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Sie wirkt im Falle der Kündigung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. (3) Sollte eine Bestimmung dieser Betriebsvereinbarung ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. Ort, … Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

2. Verträge zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit in der SCRUM 6.33 Wird unternehmensübergreifend im SCRUM-Verfahren gearbeitet oder wirken Selbständige am SCRUM-Projekt mit, ergeben sich Risiken illegaler Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselbständigkeit. Will das Unternehmen den rechtssicheren Weg gehen, dürften Arbeitnehmer fremder Unternehmen und Selbständige nicht als vollwertige Mitglieder in ein sich selbst organisierendes Entwicklerteam ohne feste Rollen aufgenommen werden. Stattdessen dürften diese externen Mitarbeiter nur abgegrenzte Aufgaben auf Werkvertragsbasis (§§ 631 ff. BGB) bearbeiten (vgl. Rz. 6.27).

6.34 Dies ist praktisch umsetzbar, schränkt allerdings die Flexibilität in der Zusammenarbeit ein: Wird im Rahmen des SCRUM-Verfahrens ein Workflow-Management-System eingesetzt, definiert das SCRUM-Team darin einzelne Arbeitsaufgaben in Backlog-Einträgen. Erst wenn die Aufgabenbeschreibung ausreichend konkret ist, um die Aufgabe in einem Sprint zu bewältigen, können diese Backlog-Einträge auf „ready“ gesetzt und bearbeitet werden (dazu Rz. 6.11). Zu diesem Zeitpunkt eignen sich die Aufgabenbeschreibungen gleichzeitig als Inhalt der Beschaffenheitsvereinbarung eines Gewerkes (§ 633 Abs. 2 BGB). Die Ausführung dieses Gewerkes kann an ein anderes Unternehmen fremdvergeben werden (vgl. zur Bedeutung konkreter Leistungsbeschreibungen als Mittel zur Vermeidung illegaler Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselbständigkeit Rz. 7.61; Rz. 8.41 ff.). Da die externen Mitarbeiter nur auf Basis konkret vereinbarter Aufträge tätig werden und nicht nach Wei-

1 Schulungen sind nach § 98 BetrVG beteiligungspflichtig, wenn sie nicht bloß Arbeitseinweisungen darstellen, sondern nach Inhalt, Art und Umfang den Charakter einer Bildungsmaßnahme haben. Die Abgrenzung ist kann im Einzelfall unsicher sein (vgl. Rz. 26.31 ff.). 2 Der Ablauf des SCRUM-Verfahrens wird in der offiziellen SCRUM-Guide nachvollziehbar definiert. Es bietet sich deshalb an, die SCRUM-Guide als Auslegungshilfe zu bestimmen.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 6.36 § 6

sung, kommt es bei einer derart gestalteten Zusammenarbeit weder zu Scheinselbständigkeit noch zu illegaler Arbeitnehmerüberlassung.

6.35

Hinweis: Dennoch stößt ein solcher Prozess oft auf Widerstand der Mitarbeiter. Er zieht nämlich erhebliche Agilitätsverluste nach sich und widerspricht der SCRUM-Guide (vgl. Rz. 6.27). Entscheidet sich das Unternehmen dennoch für diesen Prozess, muss es ihn gegenüber den Mitarbeitern durchsetzen. Halten sich die Mitarbeiter nicht an die Vorgaben und wird der Prozess nicht gelebt, kann er illegale Arbeitnehmerüberlassung und Scheinselbständigkeit nicht verhindern1. Eine weitere Herausforderung besteht darin, das strengere werkvertragliche Haftungsregime in Verhandlungen mit den Vertragspartnern durchzusetzen. Ggf. muss das Unternehmen diese Haftung durch höhere Vergütungssätze erkaufen. Zeigt es sich, dass der Prozess nicht umsetzbar ist, bleibt als Alternative, höhere rechtliche Risiken einzugehen. Nach h.L. können Freelancer und Mitarbeiter fremder Unternehmen auch ohne feste Aufgabenzuweisungen in einem SCRUM-Team tätig werden, solange dieses SCRUM-Team eigenverantwortlich, weisungsfrei und ohne einen Projektleiter tätig ist (vgl. Rz. 6.24 ff.). Dass ein so organisierter Prozess in einer Betriebsprüfung akzeptiert wird oder einer gerichtlichen Kontrolle standhält, ist allerdings nicht sicher.

Eine Zusammenarbeit des SCRUM-Teams mit einem fremden Unternehmen auf Werkvertragsbasis kann vertraglich wie folgt regelt werden:

M 6.2 Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines SCRUM-Teams Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines SCRUM-Teams zwischen der … nachfolgend: „Auftraggeber“ und … nachfolgend: „Auftragnehmer“ Präambel Der Auftraggeber entwickelt im SCRUM-Verfahren eine Update-Version der Software …. Alle Aufgaben, die das SCRUM-Team im Rahmen des Projektes zu bewältigen hat, werden als Backlog-Einträge entworfen, laufend fortgeschrieben und in dem in Jira geführten Product-Backlog dokumentiert. Über den Inhalt des Backlog entscheidet der Product-Owner des Auftraggebers. Betreut wird das SCRUM-Team durch den SCRUM-Master des Auftraggebers. Die Bearbeitung der Product-Backlog erfolgt in Sprints. Der Ablauf und die Dauer eines Sprints werden durch das SCRUM-Team des Auftraggebers in einem als Sprint-Planning bezeichneten Meeting geplant. Nach Abschluss des Sprints wird dessen Ergebnis in einem als Sprint-Review bezeichneten Meeting überprüft, welches ebenfalls das SCRUM-Team des Auftraggebers einberuft. Ist die Aufgabe im Backlog-Eintrag so konkret beschrieben, dass die Anforderungen an eine erfolgreiche Umsetzung feststehen, und die Aufgabe innerhalb eines Sprints umgesetzt werden kann, wird der BacklogEintrag auf „ready“ gesetzt. In diesem Fall wird der Backlog-Eintrag mit einer in Arbeitstagen bezifferten Aufwandsschätzung versehen. Anschließend kann die Aufgabe im Rahmen eines Sprints bearbeitet werden. Der Auftragnehmer unterstützt das Projekt mit eigenen IT-Spezialisten (nachgehend: Berater). Auf Grundlage dieses Rahmenvertrages vereinbaren die Parteien, dass der Auftragnehmer einzelne Backlog-Einträge als Werkverträge durch seine Berater bearbeitet.

1 Günther/Böglmüller, NZA 2019, 417 (429); eingehend hierzu auch Rz. 7.9 und Rz. 8.15.

Grimm/Singraven

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6.36

§ 6 Rz. 6.36

Agiles Arbeiten/SCRUM

Dies vorangestellt vereinbaren die Parteien, was folgt: § 1 Inhalt der Werkverträge (1) Die Parteien können vereinbaren, dass der Auftragnehmer Backlog-Einträge bearbeitet. Soweit die Parteien keine abweichende Absprache treffen, gilt für den Inhalt solcher Vereinbarungen das Folgende: a) Nach Abschluss der Vereinbarung bearbeitet der Auftragnehmer die bezeichneten Backlog-Einträge in eigener Verantwortung, b) auf die Vereinbarung finden die gesetzlichen Regeln des Werkvertragsrechts (§§ 631 ff. BGB) Anwendung, c) die Aufgabenbeschreibung des in Jira geführten Backlog-Eintrages ist als Beschaffenheit (§ 633 Abs. 2 BGB) geschuldet, d) das Werk gilt auch dann als erbracht, wenn der Berater im Rahmen seiner Bearbeitung erkennt, dass die im Backlog-Eintrag beschriebene Aufgabe aus objektiven Gründen ohne Anpassung nicht ausführbar oder nicht sinnvoll ist und er dem SCRUM-Team die Gründe hierfür nachvollziehbar berichtet1, e) überschreitet der zur Bearbeitung des Backlog-Eintrages eingesetzte Zeitaufwand (§ 2 Abs. 1 dieses Vertrages) des Auftragnehmers die für den Backlog-Eintrag in Jira angegebene Aufwandsschätzung, gilt § 649 BGB entsprechend; die Anzeige kann mündlich im Rahmen der Daily SCRUM erfolgen, f) die Abnahme des Werkes (§ 640 BGB) erfolgt im nächstfolgenden Sprint-Review und wird auf Wunsch des Auftragnehmers textförmlich bestätigt2; konnte das Werk bis dahin nicht umgesetzt werden, ohne dass der Auftraggeber dies gemäß §§ 276 ff. BGB vertreten muss, wird ein Zeitaufschub bis zum nachfolgenden Sprint-Review gewährt, g) als Erfüllungsort gilt die Betriebsstätte des Auftraggebers in …. Dieser Rahmenvertrag begründet weder für den Auftraggeber noch für den Auftragnehmer die Pflicht, vorgenannte Vereinbarungen in einem bestimmten Umfang oder mit einem bestimmten Inhalt einzugehen; beide Parteien sind frei darin, von der Gegenseite angebotene bzw. angefragte Leistungen anzunehmen oder abzulehnen. (2) Zur Erfüllung der Vereinbarung nach Abs. 1 setzt der Auftragnehmer Berater als Erfüllungsgehilfen ein (§ 278 BGB). Den Beratern werden Zugänge in Jira eingerichtet, mit denen sie den Product-Backlog des Projekts jederzeit uneingeschränkt einsehen können. Die Berater entscheiden im Verhältnis zum Auftraggeber selbst über das zur Erreichung des Leistungserfolges geeignete Vorgehen, können Art, Inhalt, Ort und die Zeiten ihrer Tätigkeit frei bestimmen und unterliegen nicht den Weisungen des Auftraggebers; es findet keine Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG statt. Der Product-Owner des Auftraggebers darf lediglich werkkonkretisierende Anweisungen i.S.d. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB aussprechen. Der Auftragnehmer wird das vertragsgemäße Tätigwerden der Berater sicherstellen und diese angemessen überwachen. Beschwerden über das Verhalten der Berater richtet der Auftraggeber an den jeweils zuständigen Projektverantwortlichen des Auftragnehmers. (3) Bei Abschluss der Vereinbarungen wird der Auftraggeber durch seinen für das Projekt verantwortlichen Product-Owner vertreten (§§ 164 ff. BGB); Product-Owner ist derzeit …

1 Für agile Arbeit ist kennzeichnend, dass sich der Ausgangsplan als undurchführbar herausstellen kann und deshalb angepasst werden muss (vgl. oben, Rz. 6.2). Kommt es dazu, kann dies rechtlich nicht als Leistungsstörung behandelt werden. 2 Gegenüber behördlichen Prüfern und Gerichten sollte sich zeigen lassen, dass der Vertrag tatsächlich wie ein Werkvertrag gelebt wurde. Dies erfolgt idealerweise durch textförmlich dokumentierte Abnahmen der erbrachten Werke.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 6.36 § 6

Die Abstimmung der Vereinbarungen nach Abs. 1 erfolgt üblicherweise im Rahmen der Sprint-Plannings. Die Berater des Auftragnehmers sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, an den Sprint-Plannings teilzunehmen. (4) Zur Auftragsdurchführung setzt der Auftragnehmer eigene Arbeitsmittel ein, sofern nicht im Ausnahmefall die Zurverfügungstellung von Arbeitsmitteln des Auftraggebers, insbesondere aus Gründen der IT-Sicherheit, erforderlich ist. Letzteres ist mit dem für das Projekt verantwortlichen SCRUM-Master des Auftraggebers abzustimmen. Dies ist derzeit … § 2 Vergütung; eingesetzte Berater (1) Die Vergütung der Berater erfolgt nach erforderlichem Zeitaufwand der Beratungstätigkeit, der in Stundensätzen abgerechnet wird. Die Abrechnung erfolgt monatlich unter konkreter Angabe desjenigen Backlog-Eintrages, für dessen Bearbeitung der Zeitaufwand angefallen ist. Die Vergütung wird 14 Tage nach Erhalt der Abrechnung fällig1. (2) Der Auftragnehmer setzt folgende Berater mit folgenden Stundensätzen ein: – …, Rolle: …2, … EUR/Stunde, zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer, – …, Rolle: …, … EUR/Stunde, zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer. Der Auftragnehmer kann nach vorheriger textförmlicher Zustimmung des Auftraggebers weitere Berater einsetzen oder die benannten Berater austauschen. In diesem Fall werden die Parteien einen mit Blick auf die Qualifikation des Beraters angemessenen Vergütungssatz vereinbaren. Der Auftraggeber kann seine Zustimmung nur verweigern, wenn berechtigte Interessen des Auftraggebers beeinträchtigt sind. Berechtigte Interessen sind vor allem dann beeinträchtigt, wenn die angedachten Mitarbeiter nicht über die erforderlichen Qualifikationen und Berufserfahrungen verfügen, die für die zuverlässige und erfolgreiche Bearbeitung der Backlog-Einträge geboten und üblich ist. (3) Fahrtzeit und Reisezeiten gelten als vergütungspflichtiger Zeitaufwand, soweit sie die tagesüblichen Hin- und Rückfahrzeiten zur Arbeitsstätte, welche die Parteien mit dem Umfang von einer Stunde pro Tag pauschalieren, überschreiten und zum Zwecke der Projektdurchführung erforderlich und angemessen sind. In diesem Fall wird der Auftraggeber anfallende Fahrt-, Reise- und Übernachtungskosten nach Vorlage entsprechender Belege unter folgenden Maßgaben erstatten: a) Fahrtkosten werden nur bis zur Höhe des günstigsten Tarifs (Mietwagen der Kompaktklasse, Bahnreisen in der 2. Klasse, Flugreisen in der Economy-Klasse) erstattet. Soweit bei der Reise eigene PKW de Berater eingesetzt werden, erfolgt die Fahrtkostenerstattung in Form einer Pauschale i.H.v. 0,30 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Kilometer. Der Berater muss vor Reiseantritt jeweils das für den Auftraggeber kostengünstigste Reisemittel ermitteln und, soweit dessen Einsatz im Einzelfall zumutbar ist, dieses nutzen. b) Hotelkosten erstattet der Auftraggeber bis zum regionalüblichen Tarif eines ordentlichen Mittelklasse-Hotels einschließlich des Frühstücks, höchstens aber bis zu einem Betrag von 100,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Übernachtung. c) Eine Kostenerstattung für sonstige aus Anlass der Reise anfallende Zusatzkosten, insbesondere Verpflegungsmehraufwendungen und Bewirtungskosten, wird nicht gewährt.

1 Aus den Rechnungen sollte ersichtlich werden, dass die externen Mitarbeiter an abgegrenzten und definierten Aufgaben gearbeitet haben. Dies erfolgt am besten durch Verweis auf die Bezeichnung des Backlog-Eintrages. 2 Die externen Berater sollten innerhalb des SCRUM-Teams definierte Rollen haben (z.B. Grafiker, SAPProgrammierer), um zu verdeutlichen, dass ihr Aufgabenbereich abgegrenzt ist (vgl. Rz. 6.27). Es empfiehlt sich, diese Rolle im Vertrag schriftlich festzuhalten.

Grimm/Singraven

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§ 6 Rz. 6.36

Agiles Arbeiten/SCRUM

d) Kosten für eine zusammenhängende Reise, die einen Betrag von 500,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer übersteigen, werden nur erstattet, soweit sie vor Reiseantritt durch den Auftraggeber genehmigt wurden1. (4) Mit den Ansprüchen nach Abs. 1 bis 3 sind dem Auftragnehmer alle aus der Erfüllung seiner Aufgaben und der Durchführung dieses Vertrages entstandenen Kosten abgegolten. (5) Der Auftragnehmer verpflichtet sich gegenüber dem Auftraggeber, während der vertraglich vereinbarten Einsätze sämtliche Entgeltforderungen der von ihm eingesetzten Berater zu erfüllen, einschließlich etwaiger Forderungen auf Zahlung von Sozialbeiträgen und Lohnsteuern. Insbesondere gilt hierbei das folgende: a) Setzt der Auftragnehmer Selbständige ein, überprüft er deren sozialversicherungsrechtlichen Status sorgfältig und laufend. Bestehen Unsicherheiten beim sozialversicherungsrechtlichen Status, wird der Auftragnehmer spätestens im ersten Monat nach Aufnahme der Tätigkeit ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einleiten. b) Wird der Auftraggeber für Lohnforderungen, Sozialbeitragsforderungen oder Lohnsteuerforderungen bezüglich der durch den Auftragnehmer eingesetzten Berater in Anspruch genommen, stellt der Auftragnehmer ihn von diesen Forderungen frei, gleich ob die Inanspruchnahme durch den Berater selbst, die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Finanzverwaltung oder sonstige Dritte erfolgt. Soweit der Auftraggeber Forderungen nach Satz 1 befriedigt, kann er den Auftragnehmer in Höhe der dafür aufgewendeten Zahlungen in Regress nehmen. Sollte sich ergeben, dass der Auftraggeber und der Auftragnehmer für Lohnforderungen nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AÜG, für Sozialbeitragsforderungen nach § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV oder für Lohnsteuerforderungen nach § 42d Abs. 6, Abs. 7 EStG gesamtschuldnerisch haften, wird abweichend von § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Auftragnehmer im Verhältnis zum Auftraggeber für die gesamten Kosten einstehen muss. c) Sämtliche Regelungen dieses Absatzes gelten unabhängig voneinander und unabhängig von der Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen. § 139 BGB findet keine Anwendung2. § 3 Laufzeit (1) Die Laufzeit dieses Rahmenvertrages ist unbefristet. Die Parteien sind jederzeit berechtigt, den Rahmenvertrag und die auf seiner Grundlage geschlossenen Werkverträge i.S.d. § 1 gemeinsam oder gesondert mit einer Frist von zwei Wochen zum Monatsende ordentlich zu kündigen. Ab Ausspruch der Kündigung ist der Auftragnehmer verpflichtet, angelaufene Projekte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in einen Stand zu versetzen, bei dem sie unter vertretbarem Einarbeitungsaufwand an Dritte übergeben und durch diese fortgeführt werden können; hierzu ist der Projektstand i.d.R. schriftlich zu dokumentieren. (2) Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. § 4 Haftung Die Haftung des Auftragnehmers richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften3.

1 Die für Arbeitnehmer maßgebliche Reisekostenrichtlinie sollte nicht auf externe Mitarbeiter angewendet werden. Dies würde illegale Arbeitnehmerüberlassung indizieren. Deshalb sollten die Vorgaben zur Reisekostenerstattung unmittelbar im Vertrag geregelt werden. 2 Vor allem bei IT-Projekten ist es nicht ungewöhnlich, dass beauftragte Fremddienstleister keine Arbeitnehmer, sondern Freelancer einsetzen. Sollten Gerichte oder Behörden die Zusammenarbeit als illegale Arbeitnehmerüberlassung bewerten, wären in deren Rahmen eingesetzte Freelancer scheinselbständig. Dem Auftraggeberunternehmen drohte in diesem Fall die Haftung für nichtabgeführte Sozialversicherungsbeiträge (§ 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV; dazu Rz. 9.9 ff.). Mit der Klausel sichert sich das Auftraggeberunternehmen vom Auftragnehmer die Kostenerstattung. Im Einzelnen zu dieser Klausel Rz. 9.30 f. 3 Viele Auftragnehmer fordern Haftungserleichterungen, insbesondere einen Ausschluss der Haftung für einfache Fahrlässigkeit.

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III. Best Practice

Rz. 6.36 § 6

§ 5 Geistiges Eigentum (1) Der Auftragnehmer überträgt dem Auftraggeber sämtliche Eigentumsrechte an Ergebnissen, die der Auftragnehmer oder die von ihm eingesetzten Berater während der Dauer dieses Vertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag haben. (2) Der Auftragnehmer überträgt dem Auftraggeber ab dem Zeitpunkt ihres Entstehens alle Rechte an urheberrechtsfähigen Werken, die der Auftragnehmer oder von ihm eingesetzte Berater in Erfüllung dieses Vertrages oder mit Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag geschaffen haben, einschließlich Software und, sofern eine Übertragung gesetzlich nicht statthaft ist, räumt er dem Auftraggeber die ausschließlichen inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte ein, diese Rechte für die Dauer der längst laufenden Schutzfrist auszuwerten und durch verbundene Unternehmen sowie durch Dritte und in Kooperation mit Dritten unter zustimmungsfreier Weiterübertragung der Rechte sowie Einräumung weiterer Nutzungsrechte auswerten zu lassen. Der Auftraggeber ist insbesondere ohne Einschränkung berechtigt, die Rechte in jeder körperlichen und unkörperlichen Form sowie auf jede nicht-kommerzielle und kommerzielle Weise auszuwerten und auswerten zu lassen, zu bearbeiten, in andere Darstellungsformen zu übertragen und auf sonstige Art und Weise zu verändern, weiterzuentwickeln und zu ergänzen, in unveränderter und veränderter Form zu vervielfältigen und zu verbreiten, vorzuführen, öffentlich zugänglich zu machen oder in sonstiger Weise öffentlich wiederzugeben sowie Ansprüche geltend zu machen. Die dem Auftraggeber verschafften Rechte erfassen alle technischen Verfahren, Erscheinungs- und Auswertungsformen und beziehen sich nach Maßgabe von § 31a UrhG und § 32c UrhG auch auf Nutzungsarten, die im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags noch unbekannt sind. (3) Die jeweilige Rechteverschaffung durch den Auftragnehmer ist durch die vereinbarte Vergütung abgegolten und erfolgt ohne zusätzliche Kosten für den Auftraggeber. (4) Der Auftragnehmer und die von ihm eingesetzten Berater übertragen dem Auftraggeber zudem alle Markenrechte, eingetragenen Designs, Gebrauchsmuster, Patente oder sonstige Schutzrechte, die an den Ergebnissen entstehen, die der Auftragnehmer oder die von ihm eingesetzten Berater während der Dauer dieses Vertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag haben. (5) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die von ihm eingesetzten Berater so weiterzuverpflichten, dass er den Verpflichtungen nach diesem Vertrag nachkommen kann. § 6 Geheimhaltung (1) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, alle Informationen und Tatsachen streng vertraulich zu behandeln, die er im Zuge der Durchführung dieses Vertrages auf direktem oder indirektem Wege vom Auftraggeber erhält. Davon ausgenommen sind Tatsachen und Informationen, a) die allgemein zugänglich sind, ohne dass dies auf eine Verletzung der nach diesem Vertrag geschuldeten Verpflichtung zur Geheimhaltung zurückzuführen ist, b) die sich bereits im Besitz des Auftragnehmers befanden, bevor sie ihm von dem Auftraggeber zugänglich gemacht wurden oder c) die der Auftragnehmer ohne jegliche Verwendungsbeschränkung von einem Dritten erhält, ohne dass dieser eine Geheimhaltungsverpflichtung verletzt. Die Beweislast dafür, dass eine der vorstehenden Ausnahmen vorliegt, obliegt dem Auftragnehmer. (2) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, ihm anvertraute personenbezogene Daten nur im Rahmen seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag zu verarbeiten oder verarbeiten zu lassen und das Datengeheimnis zu wahren. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes sowie der Datenund Systemsicherheit in einem angemessenen Verhältnis zum Schutzzweck und unter Beachtung des jeweils aktuellen Stands der Technik zu ergreifen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. (3) Der Auftragnehmer verpflichtet alle eingesetzten Berater in schriftlicher Form auf die Einhaltung dieser Geheimhaltungsbestimmungen nach Abs. 1 sowie auf das Datengeheimnis nach Abs. 2.

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§ 6 Rz. 6.36

Agiles Arbeiten/SCRUM

§ 7 Rückgabe- und Löschpflichten (1) Alle Unterlagen, Arbeitsmittel und Gegenstände des Auftraggebers sind spätestens bei Beendigung dieses Rahmenvertrages an den Auftraggeber herauszugeben. Bei Beendigung dieses Rahmenvertrages sind sämtliche noch beim Auftragnehmer oder den von ihm eingesetzten Beratern vorhandene Aufzeichnungen von gemeinhaltungsbedürftigen Tatsachen i.S.d. § 6 zu vernichten oder zu löschen (2) Sollte der Auftragnehmer selbständige Berater einsetzen, sind diese gemäß Abs. 1 unterzuverpflichten. § 8 Schlussbestimmungen (1) Sämtliche Änderungen und Ergänzungen dieses Rahmenvertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für die Änderung dieser Schriftformklausel1. (2) Dieser Rahmenvertrag ersetzt mit seiner Unterzeichnung alle bestehenden abweichenden vertraglichen Abreden zwischen den Parteien. (3) Sollte eine Bestimmung dieses Rahmenvertrags ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt die gesetzlich zulässige Bestimmung, die dem mit der unwirksamen Bestimmung Gewollten wirtschaftlich am nächsten kommt. Dasselbe gilt für den Fall einer vertraglichen Lücke. (4) Dieser Rahmenvertrag unterliegt ausschließlich dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Beratungsvertrag ist …. Dies gilt auch für Folgeverträge, soweit bei deren Abschluss nichts anderes bestimmt wird. Ort …, Datum … … Auftraggeber

… Auftragnehmer

6.37 Es versteht sich von selbst, dass die externen Mitarbeiter auch außerhalb ihrer Arbeit innerhalb des SCRUM-Projektes nicht in das eigene Unternehmen eingegliedert werden dürfen. Sie gehören zwar zum SCRUM-Team dazu – außerhalb der SCRUM-Sphäre sind sie jedoch Fremde und nicht Teil der eigenen Belegschaft. Dies bedeutet insbesondere, dass die externen Mitarbeiter nicht auf Zuruf für weitere Aufgaben außerhalb des SCRUM-Projektes herangezogen werden dürfen. Außerdem müssen die externen Mitarbeiter ihre Urlaubsplanung selbständig, bzw. mit ihrem eigenen Vertragsarbeitgeber abwickeln und sollten nicht an Fortbildungsmaßnahmen, Sozialveranstaltungen und anderen Programmen für die Stammbelegschaft des eigenen Unternehmens beteiligt werden. Um eine klare Trennung durchzusetzen, empfiehlt es sich, allgemeine Handlungsvorgaben zum Umgang mit externen Mitarbeitern aufzustellen (dazu Rz. 7.68 ff. und Rz. 8.52 ff.).

1 Das Schriftformerfordernis soll eine konkludente Abbedingung der Bestimmung des § 1 Abs. 2 erschweren und empfiehlt sich unter diesem Gesichtspunkt. Wird die vertragliche Vereinbarung jedoch nicht gelebt, kann allein diese Klausel nicht verhindern, dass Gerichte sie als Scheingeschäft (§ 117 BGB) werten und illegale Arbeitnehmerüberlassung annehmen.

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2. Teil Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit und Freelancer §7 Zusammenarbeit mit Selbständigen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Scheinselbständigkeit a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzungskriterien . . . . . . . . . . . . . c) Das Statusfeststellungsverfahren . . . . . 2. Sanktionen bei Scheinselbständigkeit . . . . a) Strafverfolgung und Bußgelder wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1 7.6 7.8 7.12 7.23 7.25

III. 1. 2. 3.

b) Die Nachforderung nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge . . . . . . . . c) Steuerrechtliche Sanktionen . . . . . . . d) Individualrechtliche Sanktionen . . . . e) Rechte des Betriebsrates . . . . . . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorprüfung und Vermeidung von Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . Umgangsregeln mit Selbständigen . . . . .

7.34 7.40 7.43 7.46 7.49 7.53 7.59 7.68

7.27

Literatur: Albrecht, Sanktionsrisiken im Zusammenhang mit dem Interim Management – Teil 1, NZWiSt 2018, 473; Becker, Scheinwerkverträge und Scheinselbstständigkeit – Externe Dienstleistungen im Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und Lebenswirklichkeit, DB 2015, 2267; Becker/Hennecke, Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV auf dem Prüfstand – Die Schwächen des aktuellen Verfahrens sowie mögliche Lösungsansätze, BB 2019, 820; Brock, Unternehmerrisiko als Voraussetzung für selbstständige Tätigkeit – Klarstellung durch das BSG, öAT 2019, 95; Krug/Pannenborg, Die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftungsrisiken für den Arbeitgeber im sog. „Arbeitsstrafrecht“ – Zur Sicherung von Abgabepflichten nach § 266a StGB und § 370 AO, ArbRAktuell 2019, 243; Maiß, Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV, ArbRAktuell 2011, 9; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009; Moderegger, Der Arbeitnehmerstatus projektbezogen eingesetzter IT-Spezialisten, ArbRB 2021, 16; Obenhaus, Umsatzsteuerliche Konsequenzen verdeckter Arbeitsverhältnisse, BB 2012, 1130; Real, Angst vor Scheinselbständigkeit – steuerrechtliche Risiken, DStR 2016, 2406; Uffmann, Aktuelle Fragen der Solo-Selbständigkeit, RdA 2019, 360; Uffmann, Projektbezogener Einsatz hochqualifizierten Fremdpersonals in der Compliancefalle?, NZA 2018, 265; Wittig, Die Strafbarkeit der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. §§ 266a Abs. 1, 27 StGB, ZIS 2016, 700; Zieglmeier, Die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung – ein unterschätztes Compliancerisiko, NJW 2015, 1914

I. Worum geht es? Rund 4 Mio. Menschen und damit ca. 10 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland sind selbständig1. Bei Hochqualifizierten ist die Selbständigenquote höher: Unter den Erwerbstätigen mit einer Meisterausbildung oder einem Hochschulabschluss lag sie 2016 bei knapp 17 Prozent2. Über 2 Mio. der Selbständigen sind sog. Solo-Selbständige ohne eigene Mitarbeiter3. Ähnlich wie Arbeitnehmer

1 BMAS, Forschungsbericht 514: Selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland, 2016, S. 13. 2 BMAS, Forschungsbericht 514: Selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland, 2016, S. 19, 20. 3 BMAS, Forschungsbericht 514: Selbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland, 2016, S. 13; dazu eingehend Uffmann, RdA 2019, 360.

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7.1

§ 7 Rz. 7.1

Zusammenarbeit mit Selbständigen

setzen sie ihre eigene Arbeitskraft ein, gehen aber keine Festanstellung mit ihren Auftraggebern ein. Vor allem in der IT-Branche ist die Zahl der Solo-Selbständigen hoch.

7.2 Für hochqualifizierte Spezialisten ist die Tätigkeit als Selbständige oft attraktiver als eine Festanstellung. Neben dem ideellen Motiv, „sein eigener Herr zu sein“, bietet die Selbständigkeit handfeste wirtschaftliche Vorteile: Meistens werden Selbständige außerhalb der üblichen Gehaltsschemata der Unternehmen angeworben und setzen in Verhandlungen mit Unternehmen deutlich höhere Entgeltansprüche als Arbeitnehmer durch. Außerdem sind die Einkünfte eines Selbständigen einer deutlich geringeren Abgabenlast ausgesetzt. Im Vergleich zu einem Arbeitnehmer genießen Selbständige folgende abgabenrechtliche Privilegien: – Selbständige sind nicht verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Dies bietet ihnen die Möglichkeit, ihre Altersvorsorge vollkommen privat auszugestalten1. – Selbständige dürfen eine Einnahmenüberschussrechnung erstellen (§ 4 Abs. 3 EStG). Hierbei können sie Ausgaben im Zusammenhang mit ihrer Erwerbstätigkeit als Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG) zum Abzug bringen. Einige Selbständige setzen viel Geschick ein, um sich „arm zu rechnen“. Da nur der Gewinn der Einkommenssteuer unterliegt, reduziert sich die Einkommenssteuerlast oft erheblich. Für Arbeitnehmer sind die Abzugsmöglichkeiten weitestgehend auf Werbungskosten (§ 9 EStG) beschränkt und deshalb geringer. – Selbständige sind bei Leistungen, die für ihr Unternehmen ausgeführt wurden, vorsteuerabzugsberechtigt (§ 15 UStG). Kauft ein Selbständiger Arbeitsmittel oder Leistungen für sein Gewerbe ein, erhält er die im Preis enthaltene Umsatzsteuer durch die Finanzverwaltung erstattet. Ein entsprechendes Privileg haben Arbeitnehmer im Umgang mit Werbungskosten nicht.

7.3 Hinweis: Oft haben Unternehmen nicht die Wahl, ob sie einen Mitarbeiter „frei“ oder als Arbeitnehmer anstellen. Regelmäßig sind es die Mitarbeiter selbst, die auf einen Status als Selbständige bestehen und eine Einstellung als Arbeitnehmer ablehnen. Dies gilt vor allem, wenn der Mitarbeiter ein Altersvorsorgekonzept außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung verfolgt. Hinzu kommt, dass bei Selbständigen, die über eine Agentur angeworben werden, der Vermittlungsvertrag mit der Agentur eine Einstellung als Arbeitnehmer üblicherweise untersagt (dazu Rz. 9.23).

7.4 Unternehmen sind vor allem dann auf die Zusammenarbeit mit Selbständigen angewiesen, wenn sie Spezial-Knowhow benötigen: Typischerweise suchen Unternehmen IT-Spezialisten, Ingenieure oder Interimsmanager mit sehr spezifischer Projekterfahrung. Auf diesen Fachgebieten finden sich oft keine qualifizierten Arbeitnehmer auf dem regulären Arbeitsmarkt und die Stellenausschreibungen der Unternehmen erzielen keine Resonanz2. In anderen Fällen geht es um einmalig anfallende Aufgaben und Projekte, für die keine dauerhafte Stelle geschaffen werden soll. Betriebsverfassungsrechtlich geht die Beauftragung eines Selbständigen schneller, als die Einstellung eines Arbeitnehmers: Vor Einstellung eines Arbeitnehmers müsste dessen Stelle in den meisten mitbestimmten Betrieben zunächst nach § 93 BetrVG3 ausgeschrieben und der Betriebsrat anschließend nach § 99 BetrVG4 betei-

1 Ausgenommen sind hiervon allerdings sog. arbeitnehmerähnliche Selbständige, die keine eigenen Mitarbeiter beschäftigen und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Diese müssen sich nach § 2 Nr. 9 SGB VI auf eigene Kosten rentenversichern, dazu Rz. 7.17. 2 Ende 2019 waren in der IT-Branche über 100.000 Stellen unbesetzt, https://www.bitkom.org/Presse/Presse information/Erstmals-mehr-100000-unbesetzte-Stellen-fuer-IT-Experten (letzter Abruf: 3.1.2022). 3 Werden Selbständige allerdings wie Arbeitnehmer, d.h. in aller Regel als Scheinselbständige, in das Unternehmen eingegliedert, besteht die Ausschreibungspflicht, BAG v. 27.7.1993 – 1 ABR 7/93, juris Rz. 30 ff.; vgl. allgemein zur Ausschreibungspflicht Rz. 23.35. 4 Zwar muss der Betriebsrat nach der Rechtsprechung des BAG ausnahmsweise dann gem. § 99 BetrVG beteiligt werden, wenn Selbständige wie Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert wer-

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.9 § 7

ligt werden. All dies muss nicht erfolgen, wenn das Unternehmen Selbständige beauftragt. Selbständige können sehr kurzfristig angeworben und eingesetzt werden. Offenkundiger Nachteil des Einsatzes von Selbständigen sind die ungleich höheren Kosten. Als Ge- 7.5 genleistung für ihre höhere Flexibilität beanspruchen Selbständige deutlich höhere Vergütungssätze als Arbeitnehmer. Bereits 2017 erhielten solo-selbständige IT-Spezialisten einen durchschnittlichen Stundensatz von 83 EUR, bzw. einen durchschnittlichen Tagessatz von 779 EUR1. Wirbt das Unternehmen Selbständige über eine Agentur an (dazu § 9), fordert die Agentur zusätzliche Vermittlungshonorare (eingehend Rz. 9.6 ff.) Aus betriebswirtschaftlichen Gründen sollten Unternehmen nach Möglichkeit vermeiden, Stellen dauerhaft mit vergleichsweise teuren Selbständigen zu besetzen. Dies ist die Herausforderung der Personalplanung und Personalentwicklung (zur Personalentwicklung vgl. § 25, Rz. 25.1 ff.). Dieses Kapitel stellt die rechtlichen Risiken dar, welche mit dem Einsatz von Selbständigen einhergehen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Das zentrale rechtliche Risiko beim Einsatz von Selbständigen liegt in der Gefahr der Scheinselbständigkeit. Behandelt das Unternehmen Mitarbeiter als selbständig, die rechtlich eigentlich als abhängige Beschäftigte i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV anzusehen sind (zur Abgrenzung Rz. 7.8 ff.), kommt es zu verschiedenen Rechtsverstößen. Insbesondere führt das Unternehmen keine Sozialversicherungsbeiträge ab, obwohl es dies nach § 28e Abs. 1 SGB IV eigentlich müsste (dazu Rz. 7.25 ff.). In diesem Fall spricht man – unabhängig davon, ob dies absichtlich oder ungewollt passiert – von Scheinselbständigkeit.

7.6

Hinweis:

7.7

Im Weiteren verwendet dieses Kapitel den gebräuchlichen Begriff „Freelancer“ für alle Mitarbeiter, die durch das Unternehmen wie Selbständige behandelt werden, unabhängig davon, ob sie bei zutreffender sozialversicherungsrechtlicher Einordnung selbständig oder scheinselbständig wären.

1. Begriff der Scheinselbständigkeit a) Grundlagen Der sozialversicherungsrechtliche Status eines Selbständigen unterscheidet sich grundlegend von 7.8 dem eines Arbeitnehmers: Von dem Lohn eines Arbeitnehmers muss das Unternehmen Sozialversicherungsbeträge an die Einzugsstellen abführen (eingehend dazu Rz. 7.27 ff.). Das Honorar eines Selbständigen ist dagegen sozialbeitragsfrei. Die Wahl dieses sozialversicherungsrechtlichen Status unterliegt nicht der Dispositionsfreiheit der Vertragsparteien. Schließen Unternehmen und Mitarbeiter ausdrücklich einen „Arbeitsvertrag“, liegt zwar grundsätzlich immer ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vor2. Umgekehrt gilt dies aber nicht: Selbst wenn sowohl der Mitarbeiter als auch das Unternehmen eine Zusammenarbeit auf Selbständigenbasis wollen, können sie diesen Status nicht privatautonom vereinbaren, solange die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Ausgangspunkt der sozialversicherungsrechtlichen

den, BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, ArbRB 2014, 296 = juris Rz. 21 ff. Richtigerweise handelt es sich dann allerdings um Scheinselbständigkeit, Kania in ErfK, § 99 BetrVG Rz. 8. 1 IfD Allensbach, Solo-Selbständige IT-Freelancer: Einkommenssituation und Altersverssorge, 2018, S. 20. 2 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 740/13, Orientierungssatz 1; LAG Düsseldorf v. 4.6.2020 – 3 Ta 155/20, Leitsatz 1; LAG Nürnberg v. 21.12.2007 – 7 Ta 208/07, Leitsatz; LAG Thüringen v. 6.2.1998 – 8 Ta 205/97, Leitsatz 1.

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7.9

§ 7 Rz. 7.9

Zusammenarbeit mit Selbständigen

Beurteilung ist zwar der in der vertraglichen Vereinbarung zum Ausdruck kommende Wille der Parteien, dem immerhin eine Indizwirkung zuerkannt wird1. Wenn es allerdings zu Divergenzen zwischen der gelebten Vertragspraxis und einer schriftlichen Vertragsvereinbarung kommt, geht die gelebte Praxis dieser Vereinbarung vor2. In solchen Fällen verstehen Gerichte die gelebte Praxis als konkludente Abbedingung des geschlossenen schriftlichen Vertrages3 oder sie unterstellen, dass der schriftliche Vertrag nur ein Etikettenschwindel und deshalb ein Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB ist4. Zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit reicht es also nicht, den Selbständigenstatus bloß in einer schriftlichen Vertragsurkunde festzuhalten, solange er dort nur „auf dem Papier steht“.

7.10 Der Begriff der abhängigen Beschäftigung umfasst grundsätzlich alle Arbeitsverhältnisse. Allerdings besteht kein vollständiger Gleichklang zwischen arbeitsrechtlichem Arbeitnehmer- und sozialversicherungsrechtlichem Beschäftigtenbegriff 5. Letzterer fällt etwas weiter aus und umfasst insbesondere auch den Fremdgeschäftsführer einer GmbH6. Darüber hinaus gewährt das BSG der Privatautonomie der Parteien einen geringeren Spielraum als die Arbeitsgerichte, um die Pflichtversicherungssysteme der Solidargemeinschaft zu schützen7. Dies führt dazu, dass die Sozialgerichte deutlich häufiger Scheinselbständigkeit feststellen als die Arbeitsgerichte (dazu Rz. 7.12).

7.11 Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind die Kernkriterien der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung, ob eine Tätigkeit nach Weisungen ausgeübt wird und ob eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers stattfindet. Ist dies in der tatsächlichen Vertragsdurchführung der Fall, liegt eine abhängige Beschäftigung vor. Diese abhängige Beschäftigung ist dann sozialbeitragspflichtig. Ob ein Mitarbeiter abhängig beschäftigt wird, lässt sich in der Praxis allerdings häufig nicht rechtssicher beantworten. Hintergrund ist, dass die Kernkriterien sehr wertungsabhängig sind und nur unter Zuhilfenahme weiterer Hilfskriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung anwendet werden können. Die Frage, ob Scheinselbständigkeit vorliegt, beurteilt sich bei dieser Abwägung danach, ob die Gesichtspunkte, die für eine selbständige oder für eine abhängige Tätigkeit sprechen, im Einzelfall wertungsmäßig überwiegen. Viele Freelancer finden sich nach dem Ergebnis dieser Abwägung allerdings in einem rechtlichen Grenz- und Graubereich wieder (vgl. auch Rz. 7.19).

b) Abgrenzungskriterien 7.12 Das wichtigste Kriterium zur Abgrenzung einer selbständigen Tätigkeit von einer abhängigen Beschäftigung ist die Weisungsabhängigkeit des Mitarbeiters. Bei der Frage, ob eine Tätigkeit nach Weisungen ausgeübt wird, kommt es darauf an, inwieweit die durch den Mitarbeiter geschuldete vertragliche Hauptleistung durch Weisungen des anderen Vertragspartners konkretisiert und definiert wird. Eine abhängige Beschäftigung liegt jedenfalls dann vor, wenn der Mitarbeiter seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen selbst bestimmen kann, sondern hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seiner Arbeit umfassenden Weisungen sowie ständiger Überwachung und Beaufsichtigung unterliegt8. Werden überhaupt keine Weisungen gegenüber dem Freelancer ausgesprochen, zieht die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung i.d.R. auch keine Scheinselbständigkeit in Betracht9.

1 Moderegger, ArbRB 2021, 16 (17). 2 St. Rspr. des BSG, z.B. BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 23; BSG v. 30.10.2013 – B 12 KR 17/11, juris Rz. 28. 3 BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, juris Rz. 16. 4 BSG v. 4.9.2018 – B 12 KR 11/17 R, juris Rz. 19. 5 BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 19. 6 BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 13/17 R, ArbRB 2018, 238, Leitsatz 1. 7 BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 19; dazu Moderegger, ArbRB 2021, 16 (16 f.). 8 Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 81. 9 Vgl. z.B. BAG v. 27.3.1991 – 5 AZR 194/90.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.14 § 7

Hier weicht die sozialgerichtliche Rechtsprechung entscheidend ab1: Insbesondere bei sog. Diensten höherer Art können Sozialgerichte auch dann Scheinselbständigkeit feststellen, wenn gegenüber dem Mitarbeiter im Arbeitsalltag überhaupt keine Weisungen ausgesprochen werden. Das BSG spricht in bestimmten Fallkonstellationen davon, dass sich das Weisungsrecht zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert habe2. Damit dürfte gemeint sein, dass ein Weisungsrecht nach der Natur der Vertragsbeziehung oder dem erkennbaren Willen der Parteien als existent vorausgesetzt ist und zwar so, dass es im Konfliktfall zum Tragen käme. Dass das Weisungsrecht im Arbeitsalltag nicht ausgeübt wird, weil ein hochqualifizierter Mitarbeiter eigenständig arbeitet und dabei schon „in vorauseilendem Gehorsam“ den Erwartungen des Weisungsberechtigten gerecht wird, spielt dann keine Rolle. Maßgeblich ist eine wertende Betrachtung des Gesamtbildes der Arbeitsleistung3. Zwingende Voraussetzung für eine abhängige Beschäftigung dürfte hingegen auch für das BSG weiterhin sein, dass ein Weisungsrecht zumindest in irgendeiner Form besteht und nicht vollständig entfällt4. Umgekehrt führt nicht jede Weisung automatisch zu einer abhängigen Beschäftigung. So kennt auch das Werkleistungsrecht ein Anweisungsrecht des Bestellers gegenüber dem Auftragnehmer (§ 645 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieses – für den sozialversicherungsrechtlichen Status unschädliche – Anweisungsrecht ist vom arbeitsrechtlichen Weisungsrecht abzugrenzen: Das Anweisungsrecht ist sachbezogen und ergebnisorientiert. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist dagegen personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert5. Mit dem Anweisungsrecht werden lediglich die Eigenschaften des Arbeitsergebnisses konkretisiert, welches der Selbständige verwirklichen soll. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht zielt darauf, das „wie“ der Vorgehensweise festzulegen.

7.13

Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers findet statt, wenn sich ein Mitarbeiter bei seiner Tätigkeit in eine vom Auftraggeber vorgegebene Organisations- und Ablaufstruktur einordnet6. Dieses Kriterium ist ebenfalls wertend geprägt.

7.14

– Einerseits kommt es auf die Tätigkeit selbst an: Kennzeichnend für eine Eingliederung ist, dass der Mitarbeiter seine Leistung innerhalb vorgegebener Organisationsabläufe erbringt und arbeitsteilig mit dem übrigen Personal in den vorgegebenen Strukturen des Vertragspartners zusammenarbeitet7. Unschädlich ist allerdings, wenn gegenüber einem Freelancer abstrakt-generelle Rahmenbedingungen und Eckpunkte seiner Tätigkeit vertraglich festgelegt werden und sein Handlungsspielraum sich dadurch verengt8. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Rahmenbedingungen vertraglich verhandelt und nicht einseitig vorgegeben werden. – Zum anderen kommt es darauf an, ob der Mitarbeiter äußerlich als Mitglied der Belegschaft des Auftraggebers erscheint, z.B. durch Auftreten im Namen des Auftraggebers9, das Tragen von Dienstkleidung, das Fahren eines Firmenfahrzeugs, die Aufnahme in einen Dienst-, Schicht- oder Vertretungsplan, die Vergabe einer Personalnummer oder den Eintrag in die betriebliche Telefon-

1 Eingehend zum Unterschied zwischen den arbeitsgerichtlichen und den sozialgerichtlichen Wertmaßstäben BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 16 ff. 2 Ständige Rechtsprechung des BSG, z.B. BSG v. 30.10.2019 – B 6 KA 40/18 B, juris Rz. 14; BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 29; BSG v. 14.3.2018 – B 12 R 3/17 R, juris Rz. 12. 3 BSG v. 14.3.2018 – B 12 R 3/17 R, juris Rz. 12. 4 BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 38/98 R, ArbRB 2001, 16 = juris Rz. 13; ähnlich BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 31. 5 So ausdrücklich BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, ArbRB 2018, 229, Leitsatz 2; ähnlich BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, juris Rz. 34; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 84. 6 BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 30; BSG v. 4.6.1998 – B 12 KR 5/97 R, juris Rz. 19; BSG v. 31.7.1974 – 12 RK 26/72, juris Rz. 16. 7 BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 30. 8 BSG v. 28.9.2011 – B 12 R 17/09 R, juris Rz. 19; BSG v. 12.2.2004 – B 12 KR 26/02 R, juris Rz. 29. 9 BSG v. 18.11.1980 – 12 RK 76/79, Orientierungssatz 1.

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§ 7 Rz. 7.14

Zusammenarbeit mit Selbständigen

liste1. Auch Mitarbeiter, die ausschließlich im Homeoffice tätig sind, können in eine fremde Betriebsorganisation eingegliedert sein, wenn sie durch technische Maßnahmen organisatorisch mit dem Betrieb verbunden sind und weitgehend vom betrieblichen Organisationsablauf geprägt werden2. Von einer Eingliederung wird i.d.R. auszugehen sein, wenn ein Mitarbeiter genauso behandelt wird, wie alle übrigen Mitglieder der Belegschaft auch. – Für eine Eingliederung spricht, wenn der Mitarbeiter Weisungen gegenüber Arbeitnehmern des Auftraggebers ausspricht und diese im Arbeitsalltag wie eine Führungskraft steuert, z.B. als sog. Interimsmanager3. Das disziplinarische Weisungsrecht des Arbeitgebers kann schon von Rechts wegen nicht auf einen fremden Dritten übertragen werden, der seinerseits nicht den Weisungen des Arbeitgebers untersteht, sondern frei entscheidet4. Dagegen wäre das fachliche Weisungsrecht des Arbeitgebers nach zutreffender Ansicht prinzipiell auf einen externen Dritten übertragbar (nämlich durch Bevollmächtigung gem. §§ 164 ff. BGB, vgl. dazu auch Rz. 11.6 f.)5. Solange ein Freelancer das fachliche Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeitern seines Auftraggebers nur zur Erfüllung definierter Projekte ausübt, für die der Freelancer verantwortlich ist, steht dies einer selbständigen Tätigkeit nicht entgegen6.

7.15 Ein wichtiges Hilfskriterium ist die Frage, ob der Freelancer nach der Natur der Vertragsbeziehung ein eigenes Unternehmerrisiko trägt7. Dies ist der Fall, wenn er eigenes Kapital, eigene Mitarbeiter oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr eines Verlustes einsetzt und der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel ungewiss ist8. Voraussetzung ist allerdings, dass diesem Risiko auch größere Freiheiten und Erwerbschancen gegenüberstehen9. Allein aus dem allgemeinen Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft ggf. nicht verwerten zu können, folgt deshalb kein Unternehmerrisiko bzgl. der einzelnen Einsätze10. Ein Unternehmerrisiko kann sich einerseits aus einer erfolgsbezogenen Vergütungsstruktur ergeben11. Zum anderen ergibt sich das Unternehmerrisiko aus eigenen Investitionen des Freelancers, z.B. in eigene Arbeitsmittel, eigene Mitarbeiter oder eine eigene Betriebsstätte. Beachtlich sind Investitionen allerdings nur, wenn Arbeitsmittel gezielt für die selbständige Tätigkeit angeschafft wurden und deshalb ein echtes Verlustrisiko besteht. Dies ist bei dem eigenen Pkw, dem eigenen Computer sowie dem eigenen Handy nicht indiziert12.

7.16 Trägt der Freelancer ein eigenes Unternehmerrisiko, spricht dies maßgeblich dafür, dass er selbständig ist. Fehlt es umgekehrt an einem Unternehmerrisiko, ist dies nach der neuen Rechtsprechung des BSG bei reinen Dienstleistungen, die im Wesentlichen nur Knowhow sowie Arbeitszeit und Arbeits1 LSG Nordrhein-Westfalen v. 26.7.2006 – L 17 U 64/05, juris Rz. 27; SG Detmold v. 25.3.2014 – S 22 R 1001/13. 2 Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 86; vorstellbar ist auch, dass ein ausschließlich im Homeoffice tätiger Programmierer zwar nicht als Arbeitnehmer, aber als Heimarbeiter sozialversicherungspflichtig ist, vgl. LSG Hessen v. 18.6.2020 – L 8 BA 36/19, NZS 2020, 775 und BAG v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, ArbRB 2017, 7. 3 LAG Köln v. 12.1.2010 – 12 Sa 429/09, juris Rz. 43; LAG Köln v. 24.8.1999 – 11 Ta 221/99, juris Rz. 3; Vogt/Geulen, ArbRAktuell 2019, 319 (321). 4 Andernfalls würde es zu illegaler Arbeitnehmerüberlassung oder einem Betriebsübergang nach § 613a BGB kommen. 5 SG Frankfurt v. 1.2.2018 – S 14 KR 84/13, juris Rz. 10; Oltmanns/Fuhlrott, DB 2016, 591 (592). 6 SG Frankfurt v. 1.2.2018 – S 14 KR 84/13, juris Rz. 10. 7 Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 86. 8 BSG v. 7.6.2019 – B 12 KR 8/18 R, juris Rz. 27; BSG v. 31.3.2015 – B 12 KR 17/13 R, juris Rz. 27; BSG v. 28.9.2011 – B 12 R 17/09 R, juris Rz. 25. 9 BSG v. 31.3.2017 – B 12 KR 16/14 R, juris Rz. 33; BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, ArbRB 2016, 206 = juris Rz. 36. 10 BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, ArbRB 2016, 206 = juris Rz. 36. 11 BSG v. 31.3.2015 – B 12 KR 17/13 R, juris Rz. 27. 12 BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13, juris Rz. 37.

140

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.19 § 7

aufwand voraussetzen, als statusneutral zu bewerten, d.h., es ist kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden1. So stellt es sich bei den meisten solo-selbständigen IT-Dienstleistern, Ingenieuren und Interimsmanagern dar. Tätigkeiten für wechselnde Auftraggeber sprechen für Selbständigkeit, wenn sie mit einem werben- 7.17 den Auftreten am Markt verbunden sind2. Fehlt es daran, können diese unterschiedlichen Tätigkeiten auch als parallele Teilzeittätigkeiten bzw. kurze aufeinander folgende Arbeitsverhältnisse und damit jeweils als abhängige Beschäftigungsverhältnisse angesehen werden3. Umgekehrt ist auch vorstellbar, dass ein Freelancer im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig wird, ohne dass eine abhängige Beschäftigung angenommen wird. Beschäftigt der Freelancer in einem solchen Fall keine eigenen Arbeitnehmer, erlangt er allerdings einen Sonderstatus als sog. arbeitnehmerähnlicher Selbständiger. Der arbeitnehmerähnliche Selbständige muss sich nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI auf eigene Kosten (§ 169 Nr. 1 SGB IV) gesetzlich rentenversichern (wofür der Auftraggeber unter keinem Gesichtspunkt verantwortlich ist und woraus ihm keine Haftung für Rentenversicherungsbeiträge droht4). Außerdem hat er gegen seinen Auftraggeber einen gesetzlichen Urlaubsanspruch (§ 2 Satz 2 BUrlG), der in der Praxis allerdings selten geltend gemacht wird5. Viele Freelancer schließen Verträge mit ihren Auftraggebern nicht in eigenem Namen. Stattdessen tre- 7.18 ten sie als Alleingeschäftsführer und Alleingesellschafter einer Ein-Mann-GmbH auf, auch mit dem Ziel, das Risiko der Scheinselbständigkeit zu verringern. In diesen Fällen wird der Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Ein-Mann-GmbH geschlossen und eine Vermittlung der Arbeitskraft des Alleingeschäftsführers vereinbart. In der Tat verringert eine solche Gestaltung das Risiko der Scheinselbständigkeit spürbar, schließt es aber nicht aus. Das BAG hat entschieden, dass bei der Überlassung eines Alleingeschäftsführers einer GmbH zur weisungsabhängigen Tätigkeit bei einem Auftraggeber weder das AÜG Anwendung findet noch automatisch ein Arbeitsverhältnis zum Auftraggeber begründet wird6. Anders ist dies allerdings, wenn die Gestaltung missbräuchlich und allein mit dem Ziel gewählt wird, zwingende soziale Schutzrechte zu umgehen. Ein solcher Missbrauch kann zur Folge haben, dass sich eine hieran beteiligte Person so behandeln lassen muss, wie sie bei Anwendung der umgangenen Vorschriften zu behandeln wäre7, d.h. sie würde als scheinselbständig angesehen. Wann genau ein solcher Missbrauch vorliegt, ist höchstrichterlich ungeklärt. Die Deutsche Rentenversicherung ist derzeit zurückhaltend und geht grundsätzlich davon aus, dass bei Beauftragung einer juristischen Person eine abhängige Beschäftigung im Verhältnis zum Auftraggeber ausscheidet8.

7.19

Kriterien, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen, sind: – Übertragung kleinteiliger, wechselnder Tätigkeiten „auf Zuruf“, – feste monatliche Vergütungssätze9, 1 BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, juris Rz. 42 f.; Brock, öAT 2019, 95. 2 Ständige Rechtsprechung des BSG, z.B. BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 33; BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, ArbRB 2016, 206 = juris Rz. 28. 3 BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R, ArbRB 2016, 206 = juris Rz. 28. 4 Rolfs in ErfK, § 2 SGB VI Rz. 7; Guttenberger in Kasseler Kommentar, § 2 SGB VI Rz. 40. 5 Ausführlich zum arbeitnehmerähnlichen Selbständigen Spinner in MünchKomm/BGB, § 611a BGB Rz. 130 ff.; Herrmann in Grobys/Panzer-Heemeier, „Arbeitnehmerähnliche Person“. 6 BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, ArbRB 2017, 137, Leitsätze 1 und 3. 7 BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, ArbRB 2017, 137 = juris Rz. 38 ff. 8 Vgl. GKV-Spitzenverband/Deutsche Rentenversicherung Bund/Bundesagentur für Arbeit, Statusfeststellung von Erwerbstätigen – Rundschreiben v. 21.3.2019, S. 10; ebenso das LSG Berlin-Brandenburg v. 5.11.2021 – L 26 BA 6/20, Leitsätze; einen Rechtsmissbrauch durch Gründung einer GbR als tatsächlich „leere Hülse“ sah hingegen das LSG Baden-Württemberg v. 25.10.2021 – L 8 BA 3118/20. 9 BSG v. 19.6.2001 – B 12 KR 44/00 R, juris Rz. 17; LSG Nordrhein-Westfalen v. 15.2.2017 – L 8 R 253/15, Leitsatz 2; LSG Baden-Württemberg v. 21.10.2014 – L 11 R 487/13, Leitsatz; einschränkend allerdings BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 3/17 R, juris Rz. 19.

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141

§ 7 Rz. 7.19

Zusammenarbeit mit Selbständigen

– Arbeitszeit- und Anwesenheitskontrollen1, insbesondere die Aufnahme in Dienstpläne2, – Abmahnungen3, – Tätigkeit nur für einen Auftraggeber4, – eigener Büroarbeitsplatz beim Auftraggeber, auf dem sich der Mitarbeiter fest einrichtet5, – Fehlen einer eigenen Betriebsstätte6, – arbeitsteiliges Zusammenwirken mit Mitarbeitern des Auftraggebers7, – Tätigkeit als Führungskraft, die Mitarbeitern des Auftraggebers Weisungen gibt (vgl. Rz. 7.14), – Fünf-Tage-Woche mit festen Uhrzeiten8, – Rechtspflicht und nicht bloß die Gepflogenheit, den eigenen Urlaub mitzuteilen9, – Bezugnahme auf arbeitsrechtliche Regelungen im schriftlichen Anstellungsvertrag10, – Auftreten nach außen im Namen des Auftraggebers11, z.B. durch Visitenkarten des Auftraggebers oder Verwendung einer internen E-Mail-Adresse mit Signatur des Auftraggebers, die keinen Hinweis enthält, dass es sich um einen Externen handelt12, – Zurverfügungstellung von Betriebsmitteln durch den Auftraggeber, die ein Selbständiger eigentlich selbst besitzen müsste, z.B. das Fahrzeug des Kurierfahrers13, – Eintrag in die betriebliche Telefonliste14, – Aufnahme in Organigramme15, – Zugang zu Sozialeinrichtungen des Unternehmens, wie Kantine, Mitarbeiterparkplätzen, Betriebssport oder Betriebsfeiern16, – Schlüssel oder eigene Zugangskarte zu den Betriebsräumen des Auftraggebers17, – arbeitnehmertypische Vergütungsbestandteile, wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Überstundenvergütung, Zielvereinbarungen, Tantieme nach Unternehmensumsatz, Boni nach Ermessen des Unternehmens, Dienstwagen, Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt18,

1 BAG v. 6.5.1998 – 5 AZR 247/97, Leitsatz, NZA 1999, 205. 2 BAG v. 17.4.2013 – 10 AZR 272/12, ArbRB 2013, 233 = juris Rz. 27; BAG v. 19.11.1997 – 5 AZR 21/97, Leitsatz, DB 1998, 1288. 3 LSG Nordrhein-Westfalen v. 28.9.2016 – L 8 R 762/14, juris Rz. 339. 4 Zieglmeier, NJW 2015, 1914 (1918). 5 SG Detmold v. 25.3.2014 – S 22 R 1001/13; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kapitel 8 Rz. 9. 6 BSG v. 1.12.1977 – 12/3/12 RK 39/74, BB 1978, 966. 7 BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 30; LSG Nordrhein-Westfalen v. 21.5.2014 – L 8 R 665/13, juris Rz. 117. 8 BSG v. 19.8.2003 – B 2 U 38/02 R, juris Rz. 32. 9 BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 8/01 R, juris Rz. 25. 10 BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 23. 11 BSG v. 18.11.1980 – 12 RK 76/79, Orientierungssatz 1. 12 SG Detmold v. 25.3.2014 – S 22 R 1001/13; Albrecht, NZWiSt 2018, 473 (474). 13 LSG Bayern v. 9.5.2012 – L 5 R 23/12, Leitsatz, NZS 2012, 908. 14 LSG Nordrhein-Westfalen v. 26.7.2006 – L 17 U 64/05, juris Rz. 27; Dahl, DB 2005, 1738 (1740). 15 Dahl, DB 2005, 1738 (1740); Zieglmeier, NJW 2015, 1914 (1918). 16 SG Detmold v. 25.3.2014 – S 22 R 1001/13; Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, Kapitel 8 Rz. 9. 17 SG Landshut v. 12.7.2013 – S 10 R 5063/12, juris Rz. 53. 18 Zieglmeier, NJW 2015, 1914 (1918).

142

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.20 § 7

– regelmäßige Teilnahme an Teambesprechungen abseits der eigentlichen Aufgaben, die von einer Integration in ein Team zeugen1, – lohnsteuerrechtliche Behandlung als abhängig Beschäftigter, wobei der Sicht der Finanzbehörden nur eine indizielle Bedeutung zukommt2, – direkter Wechsel von der freien Mitarbeit in ein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen (Selbständigkeit als zusätzliche Probezeit) oder umgekehrt3, – identische Tätigkeit mit anderen Arbeitnehmern oder Ausfüllung einer vakanten Stelle, die sonst mit Festangestellten besetzt wird4.

7.20

Für eine selbständige Tätigkeit sprechen dagegen: – freie Einteilung der Arbeitszeit, – freie Wahl des Arbeitsortes, – ergebnisbezogene Arbeitsweise, bei der zu bestimmten Stichtagen „geliefert“ und eine definierte Werkleistung „abgenommen“ wird5, – ein schriftlicher Vertrag, der ein selbständiges Tätigwerden regelt6, – besonderes Knowhow7, – Haftung bei Schlechtleistung8, – ein deutlich höheres Honorar als jenes vergleichbarer Arbeitnehmer9, – eine erfolgsabhängige Vergütung10, – werbendes Auftreten am Markt und Gewinnung mehrerer, wechselnder Auftraggeber11, – Anschaffung eigener Arbeitsmittel speziell für die selbständige Tätigkeit12, – eigene Mitarbeiter13, – Zusammenarbeit mit dem Ansprechpartner beim Auftraggeber „auf Augenhöhe“14, – Vertragsschluss mit einer Ein-Mann-GmbH des Freelancers (vgl. Rz. 7.18).

1 LSG Baden-Württemberg v. 30.7.2014 – L 5 R 3157/13, juris Rz. 81; LSG Baden-Württemberg v. 9.4.2014 – L 5 R 2000/13, juris Rz. 87; Dahl, DB 2005, 1738 (1740). 2 BSG v. 28.4.1964 – 3 RK 68/60, juris Rz. 27. 3 Zieglmeier, NJW 2015, 1914 (1918). 4 Dahl, DB 2005, 1738 (1740); Zieglmeier, NJW 2015, 1914 (1918). 5 LSG Baden-Württemberg v. 9.4.2014 – L 5 R 2000/13, juris Rz. 86. 6 BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, juris Rz. 16. 7 Uffmann, RdA 2019, 360 (368); Becker/Hennecke, BB 2019, 820 (822); Moderegger, ArbRB 2021, 16 (17). 8 Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 119. 9 BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, Leitsatz 1, BB 2017, 2555; eingehend dazu Timme, jM 2018, 68. 10 BSG v. 31.3.2015 – B 12 KR 17/13 R, juris Rz. 27. 11 BSG v. 19.6.2001 – B 12 KR 44/00 R, juris Rz. 17. 12 BSG v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13, juris Rz. 37. 13 BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, ArbRB 2017, 137 = juris Rz. 42; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 128. 14 BSG v. 14.3.2018 – B 12 KR 12/17 R, juris Rz. 35.

Grimm/Singraven

143

§ 7 Rz. 7.21

Zusammenarbeit mit Selbständigen

7.21 Statusneutral sind: – Vergütung nach Zeitaufwand, z.B. durch Tages- und Stundensätze1, auch soweit hierzu auf das Zeiterfassungssystem des Auftraggebers zurückgegriffen wird2, – gelegentliche Besprechungen mit Projektbezug3, – die Nutzung der IT-Systeme des Auftraggebers, wenn dies aus Gründen der IT-Sicherheit sachlich geboten ist (str.)4, – die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbotes entsprechend § 60 HGB5 für die Dauer der Tätigkeit.

7.22 Hinweis: Die Abgrenzung der selbständigen Tätigkeit von einer abhängigen Beschäftigung hängt durchgehend von weichen, wertungsabhängigen Kriterien ab6. Maßgeblich ist nach der Rechtsprechung des BSG eine Betrachtung des Gesamtbildes der Tätigkeit und eine Abwägung danach, ob die Merkmale, welche für oder gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen, im Einzelfall überwiegen7. In diesem Bereich mag es eindeutige Fälle geben: So ist ein Unternehmensinhaber, der eigene Betriebsräume anmietet und eigene Mitarbeiter beschäftigt, fast immer selbständig. Umgekehrt ist ein sog. „Honorararzt“, der nur seine Arbeitskraft einbringt und in die straff organisierte Krankenhaushierarchie eingegliedert wird, nahezu immer scheinselbständig8. Dazwischen gibt es einen merklichen Grenzbereich, in dem eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht und auch die Wertungen der Instanzgerichte abweichen. Hier lässt sich oftmals nicht sicher einschätzen, ob die Sozialgerichtsbarkeit einen Mitarbeiter als selbständig einschätzen würde oder nicht. Diese Rechtsunsicherheit ist ein allgemein bekanntes und anerkanntes politisches Problem9, mit dem Unternehmen in dieser Form leben müssen. Nach einer Studie von Ernst&Young aus dem Jahr 2015 besteht bei über 1,2 Mio. Freelancern in Deutschland ein hohes Risiko der Scheinselbständigkeit10. Um Grenzfälle handelt es sich in der Regel bei Spezialisten mit besonderem Knowhow, die zwar eigenständig arbeiten, aber weder über eine eigene Betriebsstätte außerhalb des Homeoffice noch eigene Mitarbeiter verfügen und ihr Honorar nach Zeitaufwänden abrechnen. Ein typisches Beispiel sind als Solo-Selbständige IT-Spezialisten11, die schon aus Gründen der IT-Sicherheit (u.a. zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, vgl. § 18, Rz. 18.1 ff.) fast immer mit den Computern und Software-Anwendungen des Auftraggebers arbeiten müssen12. 1 LSG Baden-Württemberg v. 14.3.2013 – L 11 KR 1396/12, juris Rz. 56; a.A. LSG Schleswig-Holstein v. 2.5.2019 – L 5 BA 37/19 B ER, juris Rz. 22; LSG Baden-Württemberg v. 18.7.2013 – L 11 R 1083/12, juris Rz. 38. 2 LSG Baden-Württemberg v. 14.5.2013 – L 11 KR 1396/12, juris Rz. 56. 3 BAG v. 9.6.2010 – 5 AZR 332/09, ArbRB 2010, 234 = juris Rz. 25; SG Duisburg v. 27.9.2018 – S 10 R 1172/14, juris Rz. 36. 4 SG München v. 19.1.2012 – S 56 R 978/10, ArbRB 2012, 147 = juris Rz. 46; ähnlich LSG Baden-Württemberg v. 20.4.2021 – L 9 BA 1381/18, juris Rz. 100; a.A. LSG Baden-Württemberg v. 9.4.2014 – L 5 R 2000/13, juris Rz. 83. 5 BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, juris Rz. 77; SG Düsseldorf v. 11.5.2005 – S 27 RA 227/01, juris Rz. 20; ArbG Frankfurt/O. v. 31.1.2001 – 1 Ca 1415/00, juris Rz. 47, 48. 6 Grundlegend BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 8/01 R, NZA 2002, 550. 7 Ständige Rechtsprechung des BSG, z.B. BSG v. 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R, juris Rz. 13; BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, juris Rz. 21. 8 BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R. 9 Uffmann, RdA 2019, 360 (363 f.); Becker, DB 2015, 2267 (2269 f.); Moderegger, ArbRB 2021, 16 (16 ff.). 10 Ernst& Young, Schein und Sein bei der Beauftragung von Externen, 2015, S. 6. 11 Vgl. zur instanzgerichtlichen Rechtsprechung zu IT-Freelancern insb. LSG Baden-Württemberg v. 20.4.2021 – L 9 BA 1381/18; LSG Baden-Württemberg v. 7.11.2017 – L 11 R 4543/16; LSG BadenWürttemberg v. 7.11.2017 – L 11 R 2507/16; LSG Baden-Württemberg v. 10.6.2016 – L 4 R 3072/15; LSG Baden-Württemberg v. 30.7.2014 – L 5 R 3157/13; LSG Baden-Württemberg v. 18.5.2015 – L 11 R 4586/12. 12 Moderegger, ArbRB 2021, 16 (16 ff.).

144

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.25 § 7

c) Das Statusfeststellungsverfahren Wenn Unternehmen oder der Freelancer eine rechtssichere Klärung des sozialversicherungsrecht- 7.23 lichen Status erreichen wollen, können sie jeweils nach § 7a SGB IV ein Anfrageverfahren (sog. Statusfeststellungsverfahren) bei der Clearing-Stelle der Deutschen Rentenversicherung Bund durchführen. Dazu müssen sie auf der Webseite der Deutschen Rentenversicherung veröffentlichte Formblätter ausfüllen und auf diese Weise die zu beurteilende Tätigkeit beschreiben. Der Antrag lässt sich elektronisch, nämlich durch Übermittlung dieser Formblätter an die E-Mail-Adresse der ClearingStelle, stellen. Die Clearing-Stelle fordert ggf. weitere Unterlagen an (§ 7a Abs. 3 SGB IV). Schließlich stellt sie den sozialversicherungsrechtlichen Status i.d.R. nach drei bis sechs Monaten1 durch Verwaltungsakt fest. Gegen diesen Bescheid kann Widerspruch eingelegt werden (§ 7a Abs. 6 SGB IV). Stimmt der Mitarbeiter zu und verfügt er über eine ausreichende Alters- und Krankenversicherung, kann die Sozialversicherungspflicht unabhängig vom Ausgang des Verfahrens für die Dauer des Ausgangsverfahren (nicht aber eines anschließenden Widerspruchs- oder Gerichtsverfahrens2) suspendiert werden (§ 7a Abs. 5 Satz 1 SGB IV).

7.24

Hinweis: Wenn Unternehmen eine grundlegende Klärung anstreben, weil sie nach einem dauerhaften Organisationskonzept Freelancer immer wieder unter gleichgelagerten Rahmenbedingungen einsetzen, kann die Durchführung des Statusfeststellungsverfahrens zweckmäßig sein. Seit einer zum 1.4.2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung3 ist es nunmehr möglich, eine gutachterliche Stellungnahme der Clearing-Stelle zu mehreren gleichgelagerten Auftragsverhältnissen zu beantragen (§ 7a Abs. 4b SGB IV n.F.), dies auch bereits, bevor die Tätigkeit aufgenommen wird (§ 7a Abs. 4a SGB IV n.F.). Im Übrigen macht die Praxis eher selten von Statusfeststellungsverfahren Gebrauch. Dies hängt zum einen mit dem bürokratischen Aufwand zusammen. Wegen der immerhin beträchtlichen Dauer der Verfahren ist häufig einer Entscheidung der Clearing-Stelle erst nach Aufnahme der Tätigkeit des Freelancers und damit mitten im Projekt zu rechnen. Fällt sie negativ aus, kann dies zum Abbruch des Projekts führen. Hinzu kommt, dass die Clearing-Stelle den Ruf hat, aufgrund fiskalischer Eigeninteressen der Deutschen Rentenversicherung Bund deutlich häufiger eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, als dies sachgerecht wäre4. Eine unabhängige Klärung ließe sich erst nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens durch die Sozialgerichte erreichen. Der damit verbundene Prozessführungsaufwand steht regelmäßig außer Verhältnis. Als Alternative zum Statusfeststellungsverfahren kann der Arbeitgeber eine Betriebsprüfung durch den regionalen Rentenversicherungsträger nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB IV beantragen. Nach einer Betriebsprüfung hat der Arbeitgeber einen Anspruch auf ein Feststellung durch Verwaltungsakt, wenn seine Statusbeurteilung durch den Prüfer für zutreffend befunden wurde5. Dies bietet den Vorteil, dass mit dem Prüfer von Angesicht zu Angesicht gesprochen werden kann. Mit den Sachbearbeitern der Clearing-Stelle lässt sich nur schriftlich oder telefonisch kommunizieren.

2. Sanktionen bei Scheinselbständigkeit Setzen Unternehmen Scheinselbständige ein, drohen ihnen verschiedenste behördliche und individualrechtliche Sanktionen: – Wegen des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen drohen Strafverfolgung (§ 266a StGB) und Bußgelder (§ 8 Abs. 3 SchwarzArbG) (dazu Rz. 7.27 ff.).

1 Maiß, ArbRAktuell 2011, 9 (11). 2 BSG v. 24.3.2016 – B 12 R 3/14 R, Leitsatz, NZA 2017, 232. 3 Art. 2c des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze v. 16.7.2021, BGBl. I 2021, S. 2970; dazu Bissels/Falter/Joch, ArbRAktuell 2021, 485. 4 Becker/Hennecke, BB 2019, 820 (821 ff.); Becker, DB 2015, 2267 (2268); Maiß, ArbRAktuell 2011, 9 (12). 5 BSG v. 19.9.2019 – B 12 R 25/18 R, ArbRB 2020, 12 (Lunk) = juris Rz. 30.

Grimm/Singraven

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7.25

§ 7 Rz. 7.25

Zusammenarbeit mit Selbständigen

– Nicht rechtzeitig abgeführte Sozialversicherungsbeiträge müssen mit erheblichen Aufschlägen nachgezahlt werden (dazu Rz. 7.34 ff.). – Von Seiten der Finanzverwaltung drohen steuerrechtliche Sanktionen (dazu Rz. 7.40 ff.). – Individualrechtlich kann sich ein Scheinselbständiger in ein Arbeitsverhältnis „einklagen“ (dazu Rz. 7.43 ff.). – Der Betriebsrat kann dem Unternehmen gerichtlich untersagen lassen, Scheinselbständige einzusetzen (dazu Rz. 7.46 f.).

7.26 Von Bedeutung ist, dass die Sanktionen z.T. Vorstände und Geschäftsführer persönlich treffen können, insbesondere wenn diese vorsätzlich gehandelt haben. Organmitglieder sind gesellschaftsrechtlich dazu verpflichtet, geltendes Sozialversicherungsrecht einzuhalten und dürfen deshalb prinzipiell keine Scheinselbständigen einsetzen.

a) Strafverfolgung und Bußgelder wegen nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge 7.27 Enthalten Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung vor, droht ihnen nach § 266a Abs. 1 StGB die Strafverfolgung und eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Zuständige Einzugsstelle sind nach § 28i SGB IV die zuständigen Krankenkassen. Bei juristischen Personen sind die Organmitglieder, d.h. Geschäftsführer und Vorstände, in Frage kommende Täter; gem. § 14 Abs. 1 StGB wird ihnen die Arbeitgebereigenschaft als besonderes persönliches Merkmal zugerechnet1. Ist jemand zwar nicht formell Organ, aber faktisch für die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge verantwortlich und in dieser Rolle geschäftsführungsbefugt, kommt eine Täterschaft nach § 14 Abs. 2 StGB in Betracht2.

7.28 Andere Mitarbeiter des Unternehmens können sich unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe gem. § 27 StGB strafbar machen3, z.B. für die Personalverwaltung und Lohnabrechnung zuständige Mitarbeiter4. Auch kommt eine Strafbarkeit des Scheinselbständigen selbst als Anstifter5 oder (psychischer) Gehilfe6 in Betracht – dies allerdings nur, wenn der Scheinselbständige die falsche Entgeltzahlungspraxis aktiv fördert und nicht bloß hinnimmt7. Voraussetzung für die Beihilfetat ist stets ein doppelter Gehilfenvorsatz8, d.h. der Vorsatz des Beihilfetäters muss sich auch auf eine vorsätzliche Haupttat des zuständigen Organmitgliedes erstrecken9. Weiß die Geschäftsführung gar nichts davon, dass Scheinselbständige eingesetzt werden, scheidet auch eine Strafbarkeit von Gehilfen aus, selbst wenn diese bösgläubig sind.

7.29 Die Strafnorm des § 266a Abs. 1 StGB ist ein echtes Unterlassungsdelikt10: Um den objektiven Tatbestand zu verwirklichen und Sozialversicherungsbeiträge „vorzuenthalten“, genügt es, dass der Arbeitgeber ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet, aber nicht von sich 1 BGH v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, juris Rz. 14. 2 BGH v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, juris Rz. 15 ff. 3 BGH v. 5.6.2013 – 1 StR 626/12, juris Rz. 9 ff.; BGH v. 12.9.2012 – 5 StR 363/12, ArbRB 2012, 371 = juris Rz. 18; BGH v. 14.6.2011 – 1 StR 90/11, NStZ 2011, 645. 4 BGH v. 12.9.2012 – 5 StR 363/12, ArbRB 2012, 371 = juris Rz. 18; LG Augsburg v. 15.1.2014 – 2 Qs 1002/14, juris Rz. 10; Wittig, ZIS 2016, 700 (703). 5 Wittig, ZIS 2016, 700 (702). 6 Wittig, ZIS 2016, 700 (702 f.). 7 OLG Stuttgart v. 17.4.2000 – 2 Ss 47/2000; Wittig, ZIS 2016, 700 (703). 8 LG Augsburg v. 15.1.2014 – 2 Qs 1002/14, juris Rz. 10. 9 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 30; allgemein Kühl in Lackner/ Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 27 StGB Rz. 7. 10 BGH v. 15.3.2012 – 5 StR 288/11, ArbRB 2012, 210 = juris Rz. 22.

146

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.31 § 7

aus sämtliche deshalb geschuldete Sozialversicherungsbeiträge gem. § 28e Abs. 1 SGB IV abführt. Das Vorenthalten erschöpft sich demnach in dem Fehlen des Eingangs der geschuldeten Beiträge zum Fälligkeitszeitpunkt bei der Einzugsstelle1. Die Anmeldung des Versicherungspflichtigen zur Sozialversicherung oder ein Einfordern von Sozialversicherungsbeiträgen durch die Einzugsstellen ist keine Voraussetzung der Strafbarkeit2. Der Arbeitgeber ist nach § 28a Abs. 1 SGB IV verpflichtet, von sich aus jede von ihm begründete abhängige Beschäftigung bei der Einzugsstelle zu melden. Wann immer ein Unternehmen Scheinselbständige einsetzt, verwirklicht sich deshalb automatisch der objektive Tatbestand des § 266a Abs. 1 StGB. Die entscheidende Folgefrage ist dann, inwieweit die Geschäftsführer, Vorstände oder sonstige, nach § 14 StGB verantwortliche Personen vorsätzlich gehandelt haben. Oft versuchen sich die Betroffenen gegenüber den Strafverfolgungsbehörden mit dem Einwand zu verteidigen, sie hätten sich über die zutreffende sozialversicherungsrechtliche Einordnung im Irrtum befunden und trotz Kenntnis aller maßgeblichen Sachverhaltselemente fälschlich geglaubt, der Scheinselbständige wäre tatsächlich selbständig. Angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheit beim Begriff der abhängigen Beschäftigung (dazu Rz. 7.22) kommen derartige Irrtümer auch tatsächlich und in der Praxis sogar sehr häufig vor. Der BGH hatte in der Vergangenheit die Ansicht vertreten, der Irrtum über die Sozialversicherungspflichtigkeit einer Tätigkeit stelle bloß einen unbeachtlichen Rechtsirrtum i.S.d. § 17 StGB dar3. Konsequenz dieser Rechtsprechung war, dass die Zusammenarbeit mit Freelancern weitreichend und in rechtspolitisch kaum tragbarer Weise kriminalisiert wurde. Dies sah schließlich auch der BGH ein und gab diese Rechtsprechung ausdrücklich auf4. Seither behandelt der BGH Irrtümer über die Pflicht, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, als vorsatzausschließende Tatbestandsirrtümer i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB. Der BGH hat angedeutet, hierbei dieselben Wertungsmaßstäbe anzuwenden, wie für den Vorsatz des Steuerhinterziehers5.

7.30

Dies hat folgende Konsequenzen:

7.31

– Ist der Arbeitgeber für die Problematik der Scheinselbständigkeit fachlich nicht sensibilisiert und sieht er überhaupt nicht, dass die Beschäftigung von Freelancern zu Verstößen gegen geltendes Sozialversicherungsrecht führen könnte, scheidet eine Strafbarkeit aus6. – Hat der Arbeitgeber hingegen die Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen und danach seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten sowie deren Verletzung billigend in Kauf genommen, liegt Vorsatz vor7. Dies gilt auch dann, wenn sich ein kaufmännisch erfahrener Arbeitgeber dem Problem bewusst verschließt und seinen Erkundigungspflichten nicht nachkommt8. – Folgt der rechtlich beratene Arbeitgeber nach sorgfältiger Prüfung einer vertretbaren Rechtsansicht über die zutreffende sozialversicherungsrechtliche Einordnung, schließt dies den Vorsatz aus9. 1 Radtke in MünchKomm/StGB, 3. Aufl. 2019, § 266a StGB Rz. 49. 2 Radtke in MünchKomm/StGB, 3. Aufl. 2019, § 266a StGB Rz. 49. 3 So noch BGH v. 7.10.2009 – 1 StR 478/09, Orientierungssatz 2, NStZ 2010, 337; BGH v. 4.9.2013 – 1 StR 94/13, juris Rz. 16. 4 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln), Leitsätze; bereits angekündigt durch obiter dictum in BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, Orientierungssatz, NStZ-RR 2018, 180. 5 BGH v. 24.1.2018 – 1 StR 331/17, juris Rz. 14, 15; BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 20. 6 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 26. 7 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 20. 8 BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 26. 9 Da der rechtlich beratene Arbeitgeber eine andere Rechtsauslegung fast immer für möglich halten muss, könnte er sonst nie ohne Vorsatz handeln. Das wäre kein sachgerechtes Ergebnis. So entsprechend zu

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147

§ 7 Rz. 7.31

Zusammenarbeit mit Selbständigen

– Wird in einer Vorprüfung des rechtlich beratenen Arbeitgebers hingegen ein hohes Risiko der Scheinselbständigkeit festgestellt und setzt sich der Arbeitgeber über diese Risikobeurteilung hinweg, handelt er mit Eventualvorsatz1. – Wählt der Arbeitgeber bewusst Gestaltungen und Geschäftspraktiken, um die Scheinselbständigkeit zu verschleiern, indiziert dies seinen Vorsatz2.

7.32 Kommt es nach § 266a StGB oder § 370 AO (dazu Rz. 7.41 f.) zu einer strafrechtlichen Verurteilung, wird diese Verurteilung in das Wettbewerbsregister eingetragen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und lit. b WRegG). Öffentliche Auftraggeber können dies zum Anlass nehmen, das Unternehmen aus Vergabeverfahren auszuschließen (§ 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB)3. Wird das Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs eines Unternehmens wegen des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB zu einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt, sieht das Gesetz den Ausschluss des Unternehmens aus dem Vergabeverfahren als Regelfall vor und zwar für eine Dauer von bis zu drei Jahren (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 SchwarzArbG).

7.33 Werden Scheinselbständige ohne nachweisbaren Vorsatz beschäftigt, besteht seit dem 18.7.20194 mit § 8 Abs. 3 SchwarzArbG ein Auffangtatbestand: Meldet der Arbeitgeber aus Leichtfertigkeit einen Scheinselbständigen entgegen § 28a Abs. 1 SGB IV nicht bei der Einzugsstelle an, begeht er eine Ordnungswidrigkeit. Die Regelung soll speziell Fälle erfassen, in denen der Arbeitgeber wegen eines Tatbestandsirrtums (bzw. weil ihm der Vorsatz nicht nachgewiesen werden kann) nicht nach § 266a StGB bestraft werden kann5. Die Geldbuße kann bis zu 50.000 EUR betragen (§ 8 Abs. 3 SchwarzArbG).

b) Die Nachforderung nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge 7.34 Stellen die behördlichen Einzugsstellen Fälle von Scheinselbständigkeit fest, fordern sie nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge nach. Die Zeiträume, für welche Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert werden, können weit in die Vergangenheit zurückreichen und werden nur durch die Verjährungsvorschriften beschränkt. Grundsätzlich verjähren die Beitragsforderungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 SGB IV). Wird dem Unternehmen bzw. seinen vertretungsberechtigten Organen oder anderen, für die Beitragsentrichtung zuständigen Mitarbeitern6 mit Blick auf die Scheinselbständigkeit hingegen Vorsatz nachgewiesen, verlängert sich die Frist auf 30 Jahre.

7.35 Beitragsbemessungsgrundlage der Sozialversicherungsbeiträge ist der Bruttolohn, höchstens allerdings bis zu bestimmten Beitragsbemessungsgrenzen, die jährlich neu festgelegt werden. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag beläuft sich auf ca. 40 Prozent und ist hälftig durch den Arbeitgeber (sog. Arbeitgeberanteil) sowie den Arbeitnehmer (sog. Arbeitnehmeranteil) zu tragen. Für 2022 wurden für die alten Bundesländer folgende Beitragssätze festgelegt:

1 2 3 4 5 6

§ 370 AO Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 506. Dieses zentrale Problem ist noch weitgehend ungeklärt. BGH v. 13.12.2018 – 5 StR 275/18, juris Rz. 42 ff. BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 26. Uffmann, NZA 2018, 265 (267). Eingefügt durch Art. 1 des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch v. 11.7.2019, BGBl. I 2019, S. 1066. BT-Drucks. 19/8691, 54. Vgl. zur Wissenszurechnung BSG v. 17.4.2008 – B 13 R 123/07 R; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 25 SGB IV Rz. 45.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Versicherungsart

Arbeitgeberanteil

Arbeitnehmeranteil

Beitragsbemessungsgrenze

Rz. 7.36 § 7

Höchstbetrag pro Jahr

Krankheit

7,3 Prozent + KV-Zusatzbeitrag

7,3 Prozent + KVZusatzbeitrag

58.050 EUR/Jahr

8.475,30 EUR + KV-Zusatzbeitrag

Pflege

1,525 Prozent1

1,525 Prozent

58.050 EUR/Jahr

1.770,52 EUR

Arbeitslosigkeit 1,2 Prozent

1,2 Prozent

84.600 EUR/Jahr

2.030,40 EUR

Rente

9,3 Prozent

9,3 Prozent

84.600 EUR/Jahr

Gesamt

19.325 Prozent + KV-Zusatzbeitrag

19.325 Prozent + KV-Zusatzbeitrag

15.735,60 EUR 28.011,82 EUR + KV-Zusatzbeitrag

Im Falle einer Nachforderung kann sich die Beitragslast, die das Unternehmen zu tragen hat, unter mehreren Gesichtspunkten erheblich erhöhen: – Nach § 28e SGB IV führt der Arbeitgeber als direkter Schuldner der Einzugsstelle2 den Gesamtsozialversicherungsbeitrag ab und zahlt dabei auch den Arbeitnehmeranteil. Der Arbeitgeber hat gegenüber dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils. Dieser Anspruch kann aber nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt, also durch Aufrechnung geltend gemacht werden (§ 28g Satz 2 SGB IV). Beschäftigen Unternehmen Scheinselbständige, unterbleibt dieser Abzug und das Honorar wird netto an den Scheinselbständigen ausgezahlt. Ein unterbliebener Abzug darf grundsätzlich nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden (§ 28g Satz 3 SGB IV). Konsequenz ist, dass das Unternehmen für den weiter zurückliegenden Zeitraum den Gesamtversicherungsbeitrag alleine tragen muss, so dass sich die Beitragslast verdoppelt. – Für jeden angefangenen Monat der Säumnis wird durch die Einzugsstellen i.d.R. routinemäßig ein Säumniszuschlag von einem Prozent des geschuldeten Sozialversicherungsbeitrages aufgeschlagen (§ 24 Abs. 1 SGB IV). Dies ist allerdings nur dann zulässig und gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber schuldhaft gehandelt hat. Schuldhaftes Handeln setzt nach neuerer Rechtsprechung des BSG wenigstens bedingten Vorsatz voraus3. – Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV wird in Fällen der Scheinselbständigkeit eine Nettolohnvereinbarung fingiert: Dies bedeutet, dass auf das an den Scheinselbständigen gezahlte Honorar fiktiv ein Lohnsteueranteil und ein Sozialversicherungsbeitrag aufgeschlagen und der Sozialversicherungsbeitrag anhand des sich ergebenden höheren Beitrages berechnet wird. Diese Fiktion, welche wirtschaftlich keinen Sinn ergibt, hat Sanktionscharakter. Aus diesem Grund reduziert das BSG den Anwendungsbereich der Vorschrift teleologisch und wendet sie lediglich auf Arbeitgeber an, die im Umgang mit Scheinselbständigen vorsätzlich gehandelt haben4. Im Umgang mit IT-Freelancern ist die Bedeutung der Vorschrift ohnehin überschaubar. Die Beitragslast wird nämlich absolut durch die Beitragsbemessungsgrenzen beschränkt. Diese erreichen IT-Freelancer typischerweise schon durch ihr normales Gehalt.

1 Kinderlose müssen zur Pflegeversicherung grundsätzlich einen Beitragszuschlag von weiteren 0,35 Prozent leisten (§ 55 Abs. 3 SGB XI). 2 Wehrhahn in Kasseler Kommentar, § 28e SGB IV Rz. 8; Kreikebohm in Kreikebohm, SGB IV, 3. Aufl. 2018, § 28e SGB IV Rz. 2. 3 BSG v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, Leitsatz 2; anders offenbar noch BSG v. 1.7.2010 – B 13 R 67/09 R, Leitsatz 1, SGb 2011, 223. 4 Grundlegend BSG v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, Leitsatz 2, NZA-RR 2012, 539.

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7.36

§ 7 Rz. 7.37

Zusammenarbeit mit Selbständigen

7.37 Ist ein Beschäftigter im laufenden Kalenderjahr für mehrere Arbeitgeber tätig und bezieht er Einkünfte, die in der Summe die Beitragsbemessungsgrenze übersteigen, so ist die Beitragslast zwischen den Arbeitgebern aufzuteilen, nämlich nach dem Verhältnis der Höhe der jeweils gezahlten Entgelte (§ 22 Abs. 2 SGB IV). Grundsätzlich muss die Einzugsstelle von Amts wegen ermitteln, ob ein Beschäftigter weitere sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ausübt (§ 26 Abs. 4 SGB IV)1.

7.38 Geschäftsführern, Vorständen und anderen Organmitgliedern droht die persönliche Haftung für nicht abgeführte Sozialversicherungsbeiträge, wenn sie Scheinselbständige einsetzen. Jeder Einsatz von Scheinselbständigen stellt einen Verstoß gegen die Legalitätspflicht und damit eine Pflichtverletzung i.S.d. § 43 Abs. 1 u. 2 GmbHG, § 93 Abs. 1 u. 2 AktG dar2. Ein Ermessensspielraum, der bei überwiegenden wirtschaftlichen Interessen den Einsatz von Scheinselbständigen rechtfertigen könnte, besteht für die Geschäftsführung nicht3. Handeln die Organmitglieder schuldhaft – was zu ihrem Nachteil vermutet wird4 – haften sie der Gesellschaft auf Schadensersatz.

7.39 Gleichzeitig haften Organmitglieder der Einzugsstelle ggf. persönlich auf Schadensersatz im Umfang der nichtabgeführten Sozialversicherungsbeiträge. Dies spielt vor allem dann eine Rolle, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig ist. Haben Organmitglieder vorsätzlich gehandelt, folgt die Haftung aus § 266a StGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB5. Wurden Beiträge vorsätzlich vorenthalten, kommt nach § 830 BGB prinzipiell auch eine Haftung von Beihilfetätern (dazu Rz. 7.28) in Betracht. I.d.R. dürfte es jedoch ermessensfehlerhaft sein, würden die Einzugsstellen nachgeordnete Sachbearbeiter in Anspruch nehmen, deren Gehälter regelmäßig weit außer Verhältnis zum entstandenen Schaden stehen. Noch nicht geklärt ist, ob auch in Fällen leichtfertigen Handelns eine persönliche Haftung nach § 8 Abs. 3 SchwarzArbG i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB stattfindet.

c) Steuerrechtliche Sanktionen 7.40 Der Scheinselbständigkeitsbegriff des Steuerrechtes und des Sozialversicherungsrechts sind weitgehend deckungsgleich6.

7.41 Der Arbeitgeber haftet neben dem Scheinselbständigen nach § 42d Abs. 1 u. 3 EStG als Gesamtschuldner für die abzuführende Lohnsteuer. Meistens kommt es allerdings nicht zu solch einer Haftung. Denn der Scheinselbständige führt i.d.R. von sich aus Einkommenssteuer ab und tilgt die Lohnsteuerschuld dadurch, auch dann, wenn seine Statusbeurteilung fehlerhaft ist7. Außerdem ist die Finanzverwaltung im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung grundsätzlich verpflichtet, den Scheinselbständigen vorrangig für ausstehende Lohnsteuerschulden in Anspruch zu nehmen8. Solange die Finanzverwaltung einen inländischen Wohnsitz des Scheinselbständigen ermitteln kann und dieser zahlungsfähig ist, wird sie ausstehende Lohnsteuerbeträge i.d.R. vom Scheinselbständigen

1 Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 22 SGB IV Rz. 62. 2 Vogel/Simon, CB 2017, 193 (196); Uffmann, RdA 2019, 360 (365). 3 Für die GmbH Altmeppen in Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 6; Noack/Servatius/ Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rz. 12; für die AG Fleischer in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 37. 4 BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, juris Rz. 28, 35; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, juris Rz. 23. 5 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, z.B. BGH v. 3.5.2016 – II ZR 311/14, ArbRB 2016, 238; BGH v. 11.6.2013 – II ZR 389/12. 6 BFH v. 25.6.2009 – V R 37/08, juris Rz. 22; Obenhaus, BB 2012, 1130 (1131). 7 BFH v. 10.6.1987 – I R 152/83, juris Rz. 16. 8 BFH v. 19.7.1995 – VI B 28/95, juris Rz. 15; BFH v. 15.11.1974 – VI R 167/73, juris Rz. 8; Eisgruber in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl. 2021, § 42d EStG Rz. 35; a.A. Krüger in Schmidt, EStG, 40. Aufl. 2021, § 42d EStG Rz. 31.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 7.44 § 7

selbst und nicht vom Arbeitgeber einfordern. Entzieht sich der Scheinselbständige allerdings der Einkommenssteuerlast ganz, droht dem Arbeitgeber ein erhebliches Haftungsrisiko1. Kommt es zu einer Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 4 AO) kann die unterlassene Lohnsteuerzahlung durch den Arbeitgeber bei Vorsatz als strafbare Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder bei Leichtfertigkeit als Steuerverkürzung (§ 378 AO) gewertet werden2. Ein weiteres steuerrechtliches Problem ergibt sich wegen der ausgewiesenen Vorsteuer auf den vom 7.42 Scheinselbständigen ausgestellten Rechnungen. Da Scheinselbständige keine Unternehmer i.S.d. § 2 UStG sind, müssen sie keine Umsatzsteuer abführen und dürfen die Umsatzsteuer nicht in Rechnung stellen. Erstattet ihnen das Unternehmen trotzdem die Umsatzsteuer und macht es Vorsteuerabzug gegenüber der Finanzverwaltung geltend, geschieht dies ebenfalls zu Unrecht, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG nicht vorliegen3. Dies legt das Unternehmen im Rahmen der Umsatzsteuer-Voranmeldung nach § 18 UStG nicht offen. Handelt das Unternehmen bei diesem unberechtigten Vorsteuerabzug vorsätzlich, begeht es eine strafbare Steuerhinterziehung (§ 370 AO)4. Bei leichtfertiger Begehung liegt eine Steuerverkürzung (§ 378 AO) vor, die als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße von bis zu 50.000 EUR geahndet wird. Außerdem muss das Unternehmen der Finanzverwaltung die zu Unrecht gezogene Vorsteuer zurückerstatten5.

d) Individualrechtliche Sanktionen Ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis stellt sich individualrechtlich meistens als Arbeitsverhältnis dar (vgl. Rz. 7.10). Konsequenz ist dann, dass sich ein Scheinselbständiger auf Arbeitnehmerrechte, allen voran Kündigungsschutz (§ 1 KSchG), berufen kann. Kommt es im Anstellungsverhältnis zum Konflikt, muss das Unternehmen befürchten, dass der Scheinselbständige diese Rechte ausübt und verlangt, dauerhaft als festangestellter Arbeitnehmer behandelt zu werden. Der Scheinselbständige kann u.a. Klage auf Feststellung einreichen, dass es sich bei dem bestehenden Vertragsverhältnis um ein Arbeitsverhältnis handelt6 und sich auf diese Weise in ein Arbeitsverhältnis „einklagen“. Kündigt das Unternehmen den Vertrag mit einem Scheinselbständigen oder lässt es eine Befristung auslaufen, kann der Scheinselbständige mit einer Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage reagieren7.

7.43

Wenn sich ein Scheinselbständiger in ein Arbeitsverhältnis einklagt, stehen ihm in der Arbeitnehmerrolle grundsätzlich nicht die vereinbarten (oft hohen, vgl. Rz. 7.5) Stundensätze eines Selbständigen zu. In Fällen der Scheinselbständigkeit ist die getroffene Vergütungsvereinbarung im Regelfall unwirksam. Der Scheinselbständige kann dann gem. § 612 BGB nur denjenigen Lohn fordern, den das Unternehmen vergleichbaren festangestellten Arbeitnehmern üblicherweise zahlt8. Hatte das Unternehmen in der Vergangenheit höhere Honorare geleistet, kann es die Differenz nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB vom Scheinselbständigen zurückfordern9.

7.44

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Eingehend Real, DStR 2016, 2406 (2407). Krug/Pannenborg, ArbRAktuell 2019, 243 (246); Obenhaus, BB 2012, 1130 (1132). Real, DStR 2016, 2406 (2407); Obenhaus, BB 2012, 1130 (1131). Obenhaus, BB 2012, 1130 (1132); allgemein Jäger in Klein, Abgabenordnung, 15. Aufl. 2020, § 370 AO Rz. 385. Eingehend Real, DStR 2016, 2406 (2407). BAG v. 22.4.1998 – 5 AZR 342/97; eingehend hierzu Hohmeister, NZA 1999, 1009. BAG v. 21.11.2017 – 9 AZR 117/17, juris Rz. 18. BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, ArbRB 2019, 359 = juris Rz. 23 ff. BAG v. 26.6.2019 – 5 AZR 178/18, juris Rz. 29 ff.; eingehend hierzu Legerlotz, ArbRB 2020, 352 (352 ff.).

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§ 7 Rz. 7.45

Zusammenarbeit mit Selbständigen

7.45 Hinweis: Klagt sich ein Freelancer in ein Arbeitsverhältnis ein, kann sich das Unternehmen wehren, indem es im Wege der Hilfswiderklage die Rückzahlung der Differenz zwischen den Freelancer-Honoraren und dem üblichen und i.d.R. niedrigeren Arbeitnehmerlohn einfordert.

e) Rechte des Betriebsrates 7.46 Der Betriebsrat kann den Einsatz von Scheinselbständigen unterbinden. Da Scheinselbständige wie normale Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert werden, müsste vor ihrer Einstellung eigentlich der Betriebsrat gem. § 99 BetrVG beteiligt werden1. Da das Unternehmen jedoch von echter Selbständigkeit ausgeht, erfolgt diese Beteiligung nicht2. Der Betriebsrat kann deshalb nach § 101 BetrVG verlangen, dass der Arbeitgeber die Scheinselbständigen aus dem Betrieb entfernt. Stellt sich der Verstoß im Gesamtbild als grobe Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten dar, ist dem Arbeitgeber gem. § 23 Abs. 3 BetrVG zusätzlich aufzugeben, auch künftig die Beschäftigung von Scheinselbständigen unter Zwangsgeldandrohung zu unterlassen3.

7.47 Damit der Betriebsrat prüfen kann, inwieweit ihm Beteiligungsrechte zustehen, hat er gegen den Arbeitgeber nach § 80 Abs. 1 BetrVG Anspruch auf Auskunft über alle für den Betrieb tätigen (vermeintlich) freien Mitarbeiter. Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber ihm eine Übersicht über die im Unternehmen tätigen freien Mitarbeiter vorlegt4.

7.48 Hinweis: In der Praxis bleiben viele Fälle der Scheinselbständigkeit unbemerkt. Dass dies so bleibt, kann ein Unternehmen aber nicht steuern, da eine Aufdeckung von unterschiedlichen Seiten droht. Die regionalen Rentenversicherungsträger führen (mit Vorankündigung, § 7 Abs. 1 BVV) periodische Betriebsprüfungen durch, in denen sie die ordnungsgemäße Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und (abhängig von der im Ermessen des Betriebsprüfers liegenden Schwerpunktsetzung5) auch Fälle möglicher Scheinselbständigkeit überprüfen (§ 28p SGB IV, §§ 7 ff. BVV). Eigentlich müssten diese Betriebsprüfungen bei jedem Unternehmen mindestens alle vier Jahre durchgeführt werden. Aufgrund von Kapazitätsmängeln bei den Rentenversicherungsträgern erfolgen die Prüfungen in der Praxis allerdings häufig seltener. Stichprobenhaft6 oder bei besonderen Anlässen (regelmäßig ohne Vorankündigung7) prüft außerdem die Abteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung, ob Arbeitgeber ihre sozialversicherungsrechtlichen Meldepflichten nach § 28a SGB IV erfüllen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG). Diese Prüfungen fokussieren sich auf die in § 2a Abs. 1 SchwarzArbG genannten Branchen, beschränken sich aber nicht auf diese. Auch die Finanzverwaltung stellt Scheinselbständigkeit fest, z.B. wenn sie die Steuererklärung der Scheinselbständigen oder die Berechtigung des Vorsteuerabzuges eines Unternehmens überprüft. Wird ein Fall der Scheinselbständigkeit aufgedeckt, informieren sich Rentenversicherungsträger (§ 71 SGB X), Zoll (§§ 2 Abs. 4, 15 ff. SchwarzArbG), Finanzverwaltung (§ 31a AO) und andere Behörden wechselseitig. Der Konflikt mit einer Behörde weitet sich dadurch schnell aus. Daneben besteht die Gefahr, dass Scheinselbständige selbst, ein Whistleblower oder der Betriebsrat Fälle der Scheinselbständigkeit gegenüber Behörden zur Anzeige bringen und dadurch Prüfungen oder Ermittlungen auslösen. Unternehmen, die Scheinselbständige beschäftigen, machen sich erpressbar.

1 2 3 4 5 6

BAG v. 13.5.2014 – 1 ABR 50/12, ArbRB 2014, 296 = juris Rz. 21 ff. Bei echter Selbständigkeit wäre eine Beteiligung des Betriebsrates nicht erforderlich, vgl. dazu Rz. 7.4. Grundlegend BAG v. 17.3.1987 – 1 ABR 65/85, Leitsatz 1, BB 1987, 1878. BAG v. 15.12.1998 – 1 ABR 9/98, BB 1999, 1497. Brand, NZS 2013, 641. Die Prüfung setzt keinen begründeten Anfangsverdacht voraus, FG Berlin-Brandenburg v. 4.11.2009 – 7 K 7024/07, juris Rz. 30; Obenhaus in Obenhaus/Brügge/Herden/Schönhöft, SchwarzArbG, 2016, § 2 SchwarzArbG Rz. 48; s. auch BR-Drucks. 815/05, 6. 7 Eine Vorankündigung ist nicht erforderlich, FG Hamburg v. 21.9.2011 – 4 V 148/11, Orientierungssatz 2; FG Berlin-Brandenburg v. 4.11.2009 – 7 K 7024/07, Leitsatz, BB 2010, 535.

152

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 7.50 § 7

III. Best Practice Es ist nicht möglich, das Risiko der Scheinselbständigkeit durch formalrechtliche Gestaltungen vertragsrechtlicher oder gesellschaftsrechtlicher Art kategorisch auszuschließen. Derartige Versuche erweisen sich oft sogar als kontraproduktiv: Ist offensichtlich, dass eine formalrechtliche Gestaltung allein deshalb gewählt wurde, um das Risiko der Scheinselbständigkeit zu begrenzen oder zu verlagern, dokumentiert sie die Bösgläubigkeit der handelnden Akteure. Dies kann als Indiz für vorsätzliches Handeln gewertet werden1 und führt dann zu umso schärferen Sanktionen (vgl. Rz. 7.30 und Rz. 7.36).

7.49

Um dem Risiko der Scheinselbständigkeit vorzubeugen, sind insbesondere die folgenden, formalrechtlichen Gestaltungen ungeeignet oder zumindest unsicher:

7.50

– Unzulässig und unwirksam sind Vereinbarungen mit einem Freelancer, die den Freelancer verpflichten, dem Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge zu erstatten, sollten Behörden ein scheinselbständiges Beschäftigungsverhältnis feststellen und das Unternehmen auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in Anspruch nehmen. Nach § 28g Satz 3 SGB IV kann der Anspruch des Arbeitgebers auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag nämlich nur im Wege des Lohnabzuges gegen den Arbeitnehmer geltend gemacht werden. Abweichende privatrechtliche Vereinbarungen zum Nachteil des Arbeitnehmers sind nach § 32 SGB I nichtig. Daraus folgt, dass Zahlungsansprüche gegen den Arbeitnehmer nicht begründet und erst recht der Arbeitgeberanteil nicht auf den Arbeitnehmer umgelegt werden kann2. – Ebenso wenig geeignet sind Vereinbarungen, die den Freelancer verpflichten, sich freiwillig auf eigene Kosten in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung anzumelden und dort Beiträge zu zahlen. Sollte der Freelancer als Scheinselbständiger tätig sein, würden diese freiwilligen Beiträge nämlich nicht die Beitragsschuld des Arbeitgebers tilgen. Dies folgt aus den Wertungen des § 28g Satz 3 SGB IV sowie dem Tilgungszweck der vom Scheinselbständigen geleisteten Zahlungen. Der Scheinselbständige leistet die Zahlungen mit dem Ziel, eine eigene Schuld zu tilgen. Da sich der Scheinselbständige als versicherungspflichtige Person aber nicht freiwillig versichern darf (vgl. § 7 Abs. 1 SBG VI3, § 9 SGB V), besteht diese Schuld nicht und die Leistungen erfolgen ohne Rechtsgrund. Konsequenz ist, dass dem Scheinselbständigen bei Feststellung der Scheinselbständigkeit Zahlungen auf eine freiwillige Kranken- und Rentenversicherung zurückerstattet werden (§ 26 Abs. 2 SGB IV)4, während der Arbeitgeber uneingeschränkt in Anspruch genommen wird. – Viele Freelancer gründen eine Ein-Mann-GmbH, um den Eindruck, dass sie ein selbständiges Gewerbe betreiben, zu bekräftigen. Nimmt der Freelancer die Gründung von sich aus vor und ist er unter der GmbH für wechselnde Auftraggeber tätig, spricht dies in der Tat gegen die Sozialbeitragspflichtigkeit der Tätigkeit (vgl. Rz. 7.18). Fordert hingegen das Unternehmen den Freelancer vor Aufnahme der Zusammenarbeit dazu auf, speziell zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit eine GmbH zu gründen, spricht viel dafür, dass dies als rechtsmissbräuchliche Gestaltung keinen Einfluss auf die Sozialbeitragspflicht hat (vgl. Rz. 7.18). Aus dem Handelsregister wäre jederzeit ersichtlich, dass die GmbH in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit Aufnahme der Tätigkeit gegründet wurde. Betrifft dies nicht nur einen, sondern eine Vielzahl beauftragter Freelancer gleichzeitig, kann dem Unternehmen ein missbräuchliches Vorgehen unterstellt werden. Noch kritischer ist die Rechtsform der Ein-Mann-UG: Die UG, deren Gründung anders als bei einer GmbH kein Mindeststammkapital voraussetzt (§ 5a GmbHG), dokumentiert für jeden Außenste1 2 3 4

BGH v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, ArbRB 2020, 10 (Windeln) = juris Rz. 26. Ohmann-Sauer in Beck’sches Formularbuch Arbeitsrecht, B.III. Nr. 15. Guttenberger in Kasseler Kommentar, § 7 SGB VI Rz. 4. Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 26 SGB IV Rz. 32; Wagner in BeckOK Sozialrecht, § 26 SGB IV Rz. 11.

Grimm/Singraven

153

§ 7 Rz. 7.50

Zusammenarbeit mit Selbständigen

henden erkennbar, dass dem angeblichen Freelancer jede Bereitschaft fehlt, signifikantes Kapital zum Aufbau eines echten Unternehmens einzusetzen. – Große praktische Bedeutung haben Gestaltungen, bei denen das Unternehmen, für das der Freelancer eigentlich tätig ist, keinen Direktvertrag mit dem Freelancer schließt. Ziel ist dabei häufig, die Gesellschaft vor rechtlichen Sanktionen zu schützen und diese Sanktionen auf andere Gesellschaften zu verlagern. Gelegentlich werden zu diesem Zweck neue Konzerngesellschaften gegründet. Gerade in der IT-Branche existieren zudem zahlreiche Unternehmen, deren hauptsächlicher Geschäftszweck darin besteht, Anstellungsverträge mit Freelancern zu schließen, die nie in diesen Unternehmen selbst, sondern unmittelbar bei Auftraggebern eingesetzt werden. Diese Gesellschaften haben selbst kaum Organisationsstrukturen, sondern sind nahezu „leere Hüllen“. Bis zum 1.4.2017 war diese Gestaltung geeignet, das Auftraggeberunternehmen vor Sanktionen zu schützen, wenn das Vertragsunternehmen über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügte (sog. Fallschirmlösung)1. Infolge einer zu diesem Stichtag wirksam gewordenen Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)2 ist dies nun nicht mehr der Fall: Seither muss nämlich jede Arbeitnehmerüberlassung ausdrücklich im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag als solche bezeichnet werden (sog. Zitiergebot, § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Von einer solchen Bezeichnung sehen die Vertragsunternehmen jedoch ab, weil sie offiziell die Rechtsauffassung vertreten, es würden keine Arbeitnehmer, sondern Selbständige überlassen (dazu eingehend Rz. 8.18 f.). Gliedert das Auftraggeberunternehmen den Freelancer mit Wissen des Vertragsunternehmens bei sich ein und erteilt es ihm Weisungen, liegt Scheinselbständigkeit vor und der Freelancer ist rechtlich als Arbeitnehmer anzusehen. In dieser Rolle wird er gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG an das Auftraggeberunternehmen überlassen. Diese Arbeitnehmerüberlassung ist stets illegal, da gegen das Zitiergebot nach § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG verstoßen wird. In der Konsequenz wird ein Arbeitsvertrag zwischen Auftraggeberunternehmen und Scheinselbständigen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1a, § 10 AÜG fingiert. Für die Sozialversicherungsbeiträge haften Vertragsunternehmen und Auftraggeberunternehmen nach § 28e Abs. 2 Satz 3 und 4 SGB IV als Gesamtschuldner. Dies gilt auch in Konzernverhältnissen: Das Konzernprivileg nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG (dazu eingehend Rz. 8.17) findet keine Anwendung, da der Scheinselbständige zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt würde. Wegen der Verstöße gegen das AÜG drohen zusätzliche Sanktionen, insbesondere Verfügungen der Bundesagentur für Arbeit (§ 17 Abs. 1 AÜG), Bußgelder (§ 16 Abs. 1 Nr. 1c AÜG) sowie der Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 SchwarzArbG) (eingehend hierzu Rz. 8.20).

7.51 Die allgemein und zu Recht empfohlene Best Practice geht anders vor: Zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit werden alle Vertragsbeziehungen zu freien Mitarbeitern gezielt so ausgestaltet und gelebt, dass sie materiell die Voraussetzungen echter Selbständigkeit wahren. Dies geschieht, indem die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit mit Rücksicht auf die verschiedenen Kriterien für und gegen Selbständigkeit entworfen werden (vgl. zu diesen Kriterien Rz. 7.12 ff.): Auch hierbei kommt der Vertragsgestaltung eine herausgehobene Bedeutung zu und zwar soweit es um die materiellen Vertragskomponenten geht: Diese müssen dem Charakter eines freien Dienst- oder Werkvertrages entsprechen und im Arbeitsalltag tatsächlich so, wie vertraglich definiert, gelebt werden. Die Best Practice wird in drei Schritten umgesetzt: – Vor Aufnahme jeder Vertragsbeziehung zu einem Freelancer sollte in einer rechtlichen Vorprüfung sichergestellt werden, dass die Vertragsbeziehung überhaupt als echte Selbständigkeit gelebt werden kann. Voraussetzung dafür ist, dass dem Freelancer seine Aufgaben durch Vertrag übertragen werden können und er sie nach Vertragsschluss selbständig umsetzen kann. Tätigkeiten

1 Uffmann, NZA 2018, 265 (267); Christ/Stoppelmann, CB 2016, 447 (448). 2 Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze v. 21.2.2017, BGBl. I 2017, S. 258.

154

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 7.55 § 7

hingegen, die zwingend in Abhängigkeit von arbeitsrechtlichen Weisungen ausgeführt werden müssen, können nicht von Selbständigen ausgeführt werden (dazu Rz. 7.53 ff.). – Auf Grundlage der Vorprüfung werden individuell angepasste Verträge aufgesetzt: Im Vertrag sollten die Hauptleistungen des Selbständigen konkret definiert werden, die dieser für das Auftraggeberunternehmen erbringen soll (sog. „Leistungsbeschreibungen“, dazu Rz. 7.59 ff.). – Unternehmen, die in größerem Umfang eng mit Selbständigen und Fremdpersonal anderer Unternehmen zusammenarbeiten, sollten zudem Regeln zum Umgang mit externen Mitarbeitern aufstellen und im Arbeitsalltag durchsetzen (dazu Rz. 7.68 ff.).

7.52

Hinweis: In größeren Unternehmen stoßen Vorgaben für die Beauftragung und Zusammenarbeit mit Selbständigen typischerweise auf Widerstand der Fachabteilungen. Dort werden die Vorgaben oft als bürokratisch und lästig empfunden. Die Rechtsabteilung sollte sich bei Einführung der Regelwerke mit den Fachabteilungen abstimmen, um sicherzustellen, dass deren Umsetzung im Arbeitsalltag praktikabel ist. Notfalls müssen allerdings Konflikte eingegangen werden, um die Regelwerke durchzusetzen. Andernfalls kommt es immer wieder vor, dass sich die Fachabteilungen nicht an die Vorgaben halten und diese irgendwann nur noch „auf dem Papier“ existieren.

1. Vorprüfung und Vermeidung von Weisungen Bevor Unternehmen Verträge mit Freelancern schließen, sollte eine Vorprüfung durch die Rechts- 7.53 oder Personalabteilung stattfinden, um Risiken der Scheinselbständigkeit auszuschließen oder wenigstens zu begrenzen. Dabei muss zum einen geklärt werden, ob die Aufgaben, die dem Freelancer übertragen werden sollen, überhaupt im Rahmen eines freien Dienst- oder Werkvertrages erbracht werden können. Notfalls müssen bei der angedachten Tätigkeit Einschränkungen oder Anpassungen vorgenommen werden. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Vertragsvorstellungen des Freelancers, insbesondere bei Vergütungsstruktur und Laufzeit, mit einer selbständigen Tätigkeit vereinbart werden können.

7.54

Hinweis: In Unternehmen, die regelmäßig mit Freelancern zusammenarbeiten, ist es sinnvoll, die Fachabteilungen verbindlich anzuweisen, dass sie zwei Wochen vor jedem Vertragsschluss mit einem Freelancer die Rechtsoder Personalabteilung informieren müssen. Andernfalls passiert es erfahrungsgemäß immer wieder, dass die Rechts- oder Personalabteilung erst so kurzfristig informiert wird, dass sie aus Zeitgründen auf den Vertragsinhalt oder die beabsichtigte Tätigkeit des Freelancers keinen Einfluss mehr nehmen kann, sondern vor vollendeten Tatsachen steht.

Der Freelancer darf nicht durch arbeitsrechtliche Weisung gesteuert werden (vgl. Rz. 7.12). Der In- 7.55 halt der Hauptleistungen, die der Selbständige erbringen muss, kann deshalb nicht einseitig durch das Unternehmen festgelegt werden, sondern er muss mit dem Freelancer „auf Augenhöhe“ ausgehandelt und vertraglich vereinbart werden. Einem Selbständigen können grundsätzlich nur längerfristig ausgelegte, definierte Aufgaben übertragen werden, die sich eigenverantwortlich umsetzen lassen. Dies sind typischerweise erfolgsbezogene Aufgaben, bei denen der Selbständige bestimmte Ergebnisse „abliefern“ muss, aber weitreichende Spielräume bei der Frage hat, „wie“ er diese Ergebnisse erarbeitet. In Betracht kommen z.B. handwerkliche Leistungen, Programmiercodes oder auch Konzepte und Gutachten. Unschädlich ist es, wenn das Unternehmen den Inhalt der Ergebnisse im Lauf der Vertragsbeziehung durch einseitige Vorgaben konkretisiert (vgl. Rz. 7.13). Allerdings dürfen dem Freelancer außerhalb der vertraglichen Vereinbarung nicht spontan Zusatzaufgaben zugewiesen werden, weil er „praktischerweise gerade Zeit hat“. Wechselnde kleinteilige Aufgaben, die „auf Zuruf“ zugeteilt werden, z.B. eine Assistenztätigkeit, können von Selbständigen prinzipiell nicht übernommen werden. Auch Aufgaben, die nur in engem arbeitsteiligem Zusammenwirken mit Arbeitnehmern des eigenen Unternehmens ausgeführt werden können, insbesondere die Übernahme bestimm-

Grimm/Singraven

155

§ 7 Rz. 7.55

Zusammenarbeit mit Selbständigen

ter Rollen in einem Team, scheiden für Selbständige aus (zu Besonderheiten des SCRUM-Verfahrens Rz. 6.23 ff.). Als kritisch ist es stets zu bewerten, wenn ein Freelancer Führungsaufgaben übernehmen soll, bei denen er Weisungsbefugnisse gegenüber Mitarbeitern des Auftraggeberunternehmens ausübt (dazu Rz. 7.14).

7.56 Idealerweise würde das Unternehmen mit dem Freelancer einen Werkvertrag i.S.d. §§ 631 ff. BGB vereinbaren, bei dem der Freelancer sämtliche Leistungen als Werkleistungen gegen Pauschalhonorare erbringt und Mängelgewährleistung schuldet (sog. On-Site-Werkvertrag1). Angesichts der damit verbundenen Haftungsrisiken sind die Freelancer typischerweise aber nicht bereit, zu diesen Bedingungen zu arbeiten und dies ist z.B. im IT-Bereich auch eher unüblich. Üblich sind Verträge, die offenlassen, ob ein Werk- (§§ 631 ff. BGB) oder Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) vorliegt und nach denen die Freelancer mit Tages- oder Stundensätzen vergütet werden.

7.57 Viele Unternehmen setzen vorformulierte Checklisten ein, mit denen anhand von Punkteschemata geprüft wird, ob die beabsichtigte Vertragsbeziehung ein niedriges, mittleres oder hohes Risiko der Scheinselbständigkeit mit sich bringt2. Mittlerweile stehen auch Legal-Tech-Tools zur Verfügung, die eine softwarebasierte Risikobewertung ermöglichen3. Auf diese Weise können transparente Prüfungsprozesse aufgesetzt werden. Die dokumentierte Prüfung hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Gelangt sie zu einem negativen Ergebnis und setzt sich das Unternehmen darüber hinweg und stellt den Freelancer trotzdem ein, indiziert dies Vorsatz i.S.d. § 266a StGB4 (dazu Rz. 7.30).

7.58 Eine mögliche Formulierung einer solchen der Checkliste könnte wie folgt aussehen: M 7.1 Bewertungsbogen Scheinselbständigkeit Bewertungsbogen zur Vorbeugung gegen Scheinselbständigkeit Die Beschäftigung von Scheinselbständigen ist illegal und kann schwerwiegende rechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Damit unser Unternehmen seiner sozialpolitischen Verantwortung gerecht wird, muss eine Zusammenarbeit mit Scheinselbständigen unbedingt vermieden werden. Ob sich die Vertragsbeziehung zu einem Freelancer als echte Selbständigkeit oder als illegale Scheinselbständigkeit darstellt, ist allerdings nicht in jedem Fall ohne weiteres zu erkennen. Bevor Verträge mit Freelancern geschlossen oder verlängert werden, müssen deshalb dieser Bewertungsbogen ausgefüllt und die sich ergebenden Risikopunkte errechnet werden. Ergeben sich weniger als drei Risikopunkte, ist das Risiko der Scheinselbständigkeit gering. Bei drei bis maximal acht Punkten besteht ein mittleres Risiko der Scheinselbständigkeit. Ab neun Punkten ist das Risiko der Scheinselbständigkeit hoch. Folgende Indizien sprechen für die Eingliederung eines Freelancers in die Betriebsorganisation unseres Unternehmens und damit für Scheinselbständigkeit: Indizien für Scheinselbständigkeit

Punkte

Der Freelancer ist ohne Unterbrechung länger als sechs Monate für unser Unternehmen tätig.

+2

Der Freelancer arbeitet i.d.R. fünf Tage die Woche für unser Unternehmen.

+2

Der Freelancer erhält von einer Führungskraft unseres Unternehmens regelmäßig Anweisungen, wann und wo er zur Arbeit zu erscheinen hat oder muss seine Urlaubstage durch eine Führungskraft unseres Unternehmens genehmigen lassen.

+3

1 2 3 4

Henssler, RdA 2017, 83. Reiserer, DStR 2016, 1613 (1616); Zieglmeier, DStR 2018, 619 (620). Bernhardt/Oechslen, DB 2019, M20-M21. BGH v. 13.12.2018 – 5 StR 275/18, juris Rz. 42 ff.

156

Grimm/Singraven

Ja

Nein

III. Best Practice Indizien für Scheinselbständigkeit

Punkte

Der Freelancer erledigt kleinteilige, wechselnde Aufgaben, deren Inhalt er spontan mit Mitarbeitern unseres Unternehmens abgestimmt.

+3

Der Freelancer wird in ein Team aus Arbeitnehmern unseres Unternehmens integriert und wirkt arbeitsteilig mit diesen zusammen.

+3

Dem Freelancer werden nicht bloß Ergebnisse vorgegeben, die er „abliefern“ muss. Führungskräfte unseres Unternehmens weisen ihn auch darin ein, „wie“ er seine Arbeit zu erledigen hat und erteilen fachliche Anweisungen.

+3

Der Freelancer wird in Dienstpläne aufgenommen, welche die Arbeitszeiteinteilung bestimmen.

+3

Die Aufgaben, welche durch den Freelancer zu bewältigen sind, stehen überwiegend noch nicht fest, sondern werden erst nachträglich bedarfsabhängig „gefunden“.

+2

Der Freelancer wird in Organigramme unseres Unternehmens aufgenommen, insbesondere solche, aus denen sich Weisungs- und Berichtslinien zwischen verschiedenen Hierarchieebenen unseres Unternehmens ergeben.

+2

Der Freelancer erhält einen festen Büroarbeitsplatz in Räumlichkeiten unseres Unternehmens, den er nach Arbeitsende nicht räumen muss, sondern bei dem er sich längerfristig einrichten kann.

+2

Der Freelancer wird in die offizielle interne Telefonliste aufgenommen.

+2

Der Freelancer nimmt an Betriebsfesten oder anderen sozialen Mitarbeiterveranstaltungen unseres Unternehmens teil. Er darf Unternehmenseinrichtungen für Mitarbeiter, wie z.B. das betriebliche Gesundheitszentrum oder den betrieblichen Kindergarten, nutzen. Er zahlt nicht den Gästepreis in der Kantine.

+2

Der Vertrag regelt feste Anwesenheitszeiten für den Freelancer oder sieht An- und Abmeldungspflichten sowie Erfassung der Anwesenheitszeiten im Arbeitszeitsystem unseres Unternehmens vor.

+3

Der Vertrag regelt nicht, welche Leistungen der Freelancer für unser Unternehmen erbringen soll.

+1

Der Freelancer wird „verplant“ oder bekommt Aufträge zugewiesen, ohne dass ernsthaft in Betracht kommt, dass er dies ablehnt.

+2

Der Vertrag überträgt dem Freelancer Aufgaben, die zwingend nur weisungsabhängig erbracht werden können (z.B. Assistenz, Sekretär).

+3

Die Verträge sehen eine feste Laufzeit und ein laufendes Festentgelt vor.

+2

Der Freelancer soll Mitarbeitern unseres Unternehmens Weisungen erteilen. Der eingesetzte Freelancer wird im Vertrag z.B. als „Interimsmanager“ oder als „Projektleiter“ bezeichnet.

+2

Unser Unternehmen verpflichtet sich, dem Freelancer relevante Arbeitsmittel zur Verfügung zu stellen.

+1

Der Freelancer erhält arbeitsvertragstypische Vergütungskomponenten, z.B. Gewinntantieme, Zielvereinbarungen, Ermessensboni oder Dienstwagen.

+2

Der Freelancer rechnet seine Spesen nach der internen Reisekostenrichtlinie unseres Unternehmens ab.

+2

Unser Unternehmen nimmt für den Freelancer die Reisebuchungen vor und bucht für ihn z.B. Flugtickets, Hotels etc.

+1

Rz. 7.58 § 7 Ja

Grimm/Singraven

Nein

157

§ 7 Rz. 7.58

Zusammenarbeit mit Selbständigen

Indizien für Scheinselbständigkeit

Punkte

Die Haftung des Freelancers für einfache Fahrlässigkeit ist im Vertrag ausgeschlossen. Stattdessen kommt nur eine Haftung für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz in Betracht.

+1

Unser Unternehmen schult den Freelancer oder nimmt vergleichbare Personalentwicklungsmaßnahmen vor.

+2

Der Freelancer nimmt an Besprechungen zu Themen teil, die nicht unmittelbar seine eigenen Projekte betreffen.

+1

Der Freelancer nimmt für unser Unternehmen eine Funktion war, welche in ähnlicher Form auch durch Festangestellte unseres Unternehmens wahrgenommen wird oder in der Vergangenheit wahrgenommen wurde.

+2

Der Freelancer wechselt in ein festes Arbeitsverhältnis bei unserem Unternehmen, ohne dass sich dabei seine Tätigkeit wesentlich ändert.

+3

Der Freelancer war bislang Arbeitnehmer unseres Unternehmens und wechselt in die Rolle eines Selbständigen, ohne dass sich seine Tätigkeit dabei wesentlich ändert.

+3

Der Freelancer hat dieselben Zugriffsberechtigungen im Unternehmensintranet wie normale Arbeitnehmer.

+1

Der Freelancer nutzt E-Mail-Postfächer unseres Unternehmens, die ihn nicht als extern ausweisen. Er nutzt die unveränderte E-Mail-Signatur unseres Unternehmens.

+2

Viele Mitarbeiter unseres Unternehmens, mit denen der Freelancer zusammenarbeitet, wissen nicht, dass er Freelancer ist und über keinen Arbeitsvertrag mit unserem Unternehmen verfügt. Die Mitarbeiter unseres Unternehmens gehen mit dem Freelancer genauso wie anderen Mitarbeitern um.

+3

Ja

Nein

Folgende Indizien sprechen gegen die Eingliederung eines Freelancers die Betriebsorganisation unseres Unternehmens und damit gegen Scheinselbständigkeit: Indizien gegen Scheinselbständigkeit

Punkte

Der Freelancer entscheidet frei, wann er arbeitet, wo er arbeitet und wann er Urlaub macht. Er muss lediglich Termine und Fristen einhalten.

-2

Der Freelancer unterhält eine eigene professionell gestaltete Webseite, über welche er Kunden akquiriert.

-1

Der Freelancer arbeitet aus dem Ausland. Er ist allenfalls zu seltenen Anlässen überhaupt in Betriebsstätten unseres Unternehmens vor Ort.

-3

Der Freelancer hat neben unserem Unternehmen weitere Kunden, für die er parallel und in erheblichem Umfang tätig wird.

-2

Der Freelancer unterhält eine eigene Betriebsstätte, von der aus er arbeitet und bei der es sich nicht bloß um sein Homeoffice handelt. Z.B. hat er ein eigenes Büro angemietet.

-2

Der Freelancer beschäftigt eigene Mitarbeiter.

-3

Projektaufträge werden dem Freelancer über ein Ticket-System angeboten. Das Ticketsystem ermöglicht dem Freelancer, Aufträge abzulehnen.

-2

158

Grimm/Singraven

Ja

Nein/ Unbekannt

III. Best Practice Indizien gegen Scheinselbständigkeit

Punkte

Der Freelancer trägt immer einen Gästeausweis, wenn er sich in den Räumlichkeiten unseres Unternehmens aufhält.

-1

Das mit dem Freelancer vereinbarte Entgelt liegt deutlich über dem Lohnniveau von Arbeitnehmern, die vergleichbare Tätigkeiten wahrnehmen.

-2

Mit dem Freelancer sind erfolgsabhängige Vergütungskomponenten vereinbart, die auf die Höhe seiner Vergütung erheblichen Einfluss nehmen können, z.B. Pauschalen oder Maximalentgelte („Caps“).

-2

Der Freelancer erhält keine zeitbezogene Vergütung. Stattdessen wird er leistungsbezogen bezahlt und zwar in der Form, dass für seine Leistungen vorab Festpreise vereinbart werden, die feststehen, bevor der Freelancer überhaupt seine Arbeit aufnimmt.

-2

Die durch den Freelancer zu übernehmende Aufgabe ist im Vertrag durch eine konkrete und nachvollziehbare Leistungsbeschreibung dargestellt.

-2

Der Freelancer hat sich gegen Haftungsrisiken aus dem Vertrag durch eine Haftpflichtversicherung abgesichert.

-1

Mit dem Freelancer ist ausdrücklich ein Werkvertrag mit dem Haftungs- und Mängelgewährleistungsregime der §§ 631 ff. BGB vereinbart worden.

-1

Der Freelancer setzt eigene Arbeitsmittel ein, die er speziell für seine gewerbliche Tätigkeit angeschafft hat (z.B. durch ihn selbst lizenzierte Software). PKW, Handy und Notebook zählen insoweit allerdings nicht.

-1

Der Freelancer arbeitet im Schnitt weniger als 25 Stunden in der Woche für unser Unternehmen. Bei der Verteilung seiner Arbeitszeit gibt es keine klaren Muster. Der Freelancer arbeitet z.B. an ständig wechselnden Wochenarbeitstagen und in manchen Wochen auch überhaupt nicht für unser Unternehmen.

-2

Der Freelancer ist fachlich hochspezialisiert und eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Unser Unternehmen benötigt sein Knowhow, über welches die Stammbelegschaft nicht verfügt. Der Freelancer erbringt lediglich Leistungen, die mit diesem Knowhow in Zusammenhang stehen.

-1

Rz. 7.58 § 7 Ja

Nein/ Unbekannt

Gesamtpunktestand: l gering

Das Risiko der Scheinselbständigkeit ist demnach:

l mittel l hoch … Ort …, Datum …

Unterschrift1

1 Die Frage, welcher Mitarbeiter den Prüfungsbogen unterzeichnet, ist organisatorisch von entscheidender Bedeutung. Z.B. kann vorgesehen werden, dass derjenige Mitarbeiter der Fachabteilung den Bewertungsbogen gegenzeichnen muss, der auch über den Vertragsschluss mit dem Freelancer entscheidet. In diesem Fall würde im Falle eines negativen Bewertungsergebnisses auch die Bösgläubigkeit dieses Mitarbeiters dokumentiert. Regelmäßig wird er sich dann nicht mehr „trauen“, den Freelancer unter unveränder-

Grimm/Singraven

159

§ 7 Rz. 7.59

Zusammenarbeit mit Selbständigen

2. Vertragsgestaltung 7.59 Dem in der Vertragsurkunde zum Ausdruck kommenden Willen der Parteien, einen freien Dienstoder Werkvertrag zu schließen, kommt bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung eine bestimmte Indizwirkung zu (vgl. Rz. 7.9). Vor allem ist die Vertragsurkunde i.d.R. das Erste, was der Prüfer der Rentenversicherung in einer Betriebsprüfung zu Gesicht bekommt. Zeigt der Vertragstext bereits glaubhaft, dass eine echte Dienst- oder Werkleistung erbracht werden soll, sieht der Prüfer regelmäßig von weiteren Ermittlungen ab. Umgekehrt können schlecht gestaltete Vertragsurkunde einen Anfangsverdacht wecken.

7.60 Für den Abschluss von Verträgen mit Solo-Selbständigen sollten Unternehmen ein geeignetes Standardvertragsmuster vorhalten. Bei Vertragsverhandlungen mit Solo-Selbständigen sind Unternehmen meistens dazu in der Lage, ihre Standardvertragsmuster durchzusetzen.

7.61 In die Vertragsurkunde sollten Leistungsbeschreibungen aufgenommen werden, die konkret definieren, welche Hauptleistungen der Selbständige zu erbringen hat. Diese Vereinbarung erfolgt naheliegender Weise in der schriftlichen Vertragsurkunde1. Fehlt eine solche Vereinbarung, ist dies zwar noch kein Indiz für Scheinselbständigkeit. Die Regelungslücke provoziert aber bei Betriebsprüfern den Verdacht, dass die Leistungsplichten des vermeintlich Selbständigen überhaupt nicht vertraglich vereinbart, sondern vor Ort „auf Zuruf“ zugeteilt werden2. Dann würde der Freelancer durch arbeitsrechtliche Weisungen gesteuert. Es läge Scheinselbständigkeit vor. Eine genaue Definition der zu erbringenden Leistungen im Vertrag vor Aufnahme der Tätigkeit beugt einer solchen Entwicklung der Vertragsbeziehung vor und vermeidet, dass Betriebsprüfer misstrauisch werden.

7.62 Hinweis: Vertragliche Leistungsbeschreibungen müssen möglichst konkret sein und dürfen sich nicht in abstrakten, inhaltslosen Wendungen erschöpfen. Dies bereitet in der Praxis einen erheblichen Aufwand. Die Rechtsoder Personalabteilung weiß üblicherweise nicht, zu welchen Zwecken Freelancer angeworben werden. Die Fachabteilungen müssen dazu angehalten werden, bereits vor Aufnahme der Vertragsbeziehung mit dem Freelancer abzustimmen und abzugrenzen, welche Aufgaben er erbringen soll. In der Kehrseite sollten die Anforderungen an den Detailgrad der Leistungsbeschreibungen nicht überspannt werden. Zwar wären die Leistungsbeschreibungen – rein rechtlich gesehen – umso besser, je detaillierter sie erfolgen. Werden allerdings zu hohe Anforderungen an den Detailgrad gestellt, überfordert dies die Beteiligten. Der Prozess wäre dann nicht mehr praktikabel. Idealerweise sollten die Aufgaben erfolgsbezogen formuliert werden, d.h. Arbeitsergebnisse beschrieben werden, die der Selbständige „abzuliefern“ hat. Schädlich wären hingegen Leistungsbeschreibungen, die zeigen, dass bei Vertragsschluss noch nicht feststeht, welche Leistungen der Selbständige eigentlich erbringen soll. Noch schädlicher sind Formulierungen, die andeuten, dass der vermeintlich Selbständige arbeitsteilig in ein Team eingegliedert oder Mitarbeitern des Unternehmens hierarchisch untergeordnet werden soll. Derartige Formulierungen sollten vermieden werden. Von der Verwendung folgender Formulierungen – die so oder ähnlich in der Praxis leider immer wieder auftauchen – ist dringend abzuraten: – „… Einzelheiten werden im Rahmen der operativen Umsetzung abgestimmt.“ – „Der Berater unterstützt …“ – „Der Berater arbeitet dem Projektleiter zu…“

ten Bedingungen einstellen. Diese Einschüchterungswirkung kann als gezieltes Steuerungsinstrument eingesetzt werden. 1 Becker, DB 2015, 2267 (2273). 2 Becker, DB 2015, 2267 (2273); Maiß, ArbRAktuell 2011, 9 (10); dagegen sprechen detaillierte Leistungsbeschreibungen entscheidend gegen Scheinselbständigkeit, wenn sie tatsächlich gelebt und durch den Freelancer eigenständig abgearbeitet werden, vgl. z.B. LSG Baden-Württemberg v. 7.11.2017 – L 11 R 2507/16.

160

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 7.65 § 7

– „Der Berater erbringt Unterstützungsleistungen…“ – „Der Berater erbringt Entwicklungsleistungen in Abstimmung mit den Mitarbeitern des Auftraggebers.“ – „Der Berater hilft bei der Entwicklung … mit“. – „Der Berater erbringt Entwicklungsleistungen in Zusammenarbeit mit der Fachabteilung des Auftraggebers.“

Erledigt ein Freelancer im Verlauf der Vertragsbeziehung gänzlich andere und weitaus vielfältigere 7.63 Aufgaben, als in den Leistungsbeschreibungen definiert, spricht dieser Umstand für Scheinselbständigkeit. Ändern sich die Aufgaben, die der Freelancer zu erbringen hat oder kommen neue Aufgaben hinzu, sollten die Leistungsbeschreibungen in Anschlussverträgen ergänzt und erweitert werden. Eine Alternative bestünde darin, dass das Unternehmen bei seiner regelmäßigen Zusammenarbeit mit bestimmten Freelancern elektronische Ticketsysteme einsetzt, über die dem Freelancer Aufgaben als Tickets angeboten werden. Das Ticketsystem muss dem Freelancer die Möglichkeit einräumen, angebotene Aufgaben nicht nur anzunehmen, sondern auch abzulehnen (vgl. eingehend zu Ticketsystemen Rz. 8.48 f.). Verträge mit Freelancern sollten grundsätzlich ein ordentliches Kündigungsrecht mit kurzer Kündigungsfrist vorsehen. Zusätzlich empfiehlt es sich, die Laufzeit des Vertrages kalendermäßig zu befristen. Dies erzeugt zwar zusätzlichen bürokratischen Aufwand, da immer wieder Anschlussverträge formuliert und unterzeichnet werden müssen. Allerdings überwiegen im Regelfall die Vorteile dieser Praxis:

7.64

– Der Freelancer sollte keine dauerhafte Position für das Unternehmen bekleiden, sondern definierte Leistungen erbringen. Dauert die Vertragsbeziehung länger, als zunächst angedacht, müssen i.d.R. auch die Leistungsbeschreibungen im Vertrag angepasst oder neue Aufgaben definiert werden. Dies sollte in einem Anschlussvertrag erfolgen. Befristete Verträge erzwingen den regelmäßigen Abschluss solcher Anschlussverträge. – Freelancer sind deutlich teurer als Arbeitnehmer, und sollten deshalb nur so kurz wie möglich eingesetzt werden. Die Befristung der Verträge stellt sicher, dass das Unternehmen regelmäßig hinterfragt, ob es den Freelancer noch braucht. In vielen Unternehmen muss für die Vertragsverlängerung ein neues Budget freigegeben werden. Die Befristung ist deshalb ein kaufmännisch sinnvolles Instrument der Budgetkontrolle. – Psychologisch bewirkt die Befristung, dass der Freelancer nicht vorschnell beginnt, sich als Teil der Belegschaft zu „fühlen“ und aus seiner Rolle als „Fremder“ herauszuwachsen. – In Fällen der Scheinselbständigkeit besteht die Gefahr, dass der Freelancer Kündigungsschutz beansprucht und das Unternehmen nicht mehr freiwillig verlassen will. In diesem Fall kann die Befristung den Vertrag notfalls nach §§ 14, 15 TzBfG auflösen, sofern die Schriftform (§ 14 Abs. 4 TzBfG) gewahrt ist1. Ein Mustervertrag mit einem Freelancer, der die vorbeschriebene Vertragspraxis umsetzt, könnte wie folgt aussehen:

M 7.2 Beratungsvertrag mit einem Freelancer Beratungsvertrag zwischen der

1 Vgl. z.B. BAG v. 22.4.1998 – 5 AZR 342/97.

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7.65

§ 7 Rz. 7.65

Zusammenarbeit mit Selbständigen

… nachfolgend: „Auftraggeber“ und … nachfolgend: „Berater“ Präambel Der Auftraggeber benötigt zur Umsetzung innovativer Vorhaben spezialisiertes Knowhow. Zu diesem Zwecke findet eine Zusammenarbeit mit dem Berater statt1. Der Berater erbringt für den Auftraggeber definierte Beratungsleistungen und ist auf die Entwicklung von SAP-basierter Software und auf SAP-basiertes Supply-Chain-Management spezialisiert. § 1 Beratungsgegenstand (1) Der Berater wird für den Auftraggeber die folgenden Beratungsleistungen erbringen (nachfolgend: „Beratungsprojekt“): – Entwicklung und Verschriftlichung eines Gesamtkonzepts zur Vergabe von Aufträgen über ein SAPbasiertes Ticketsystem an Auftragnehmer. – Entwicklung eines einfach zu handhabenden, SAP-basierten Ticketsystems, mit dem Auftragnehmern des Auftraggebers Aufträge angeboten und diese durch die Auftragnehmer angenommen werden können. Einzelheiten zu den Anforderungen ergeben sich aus der Anlage 1. – Der Berater wird die einzelnen Entwicklungsschritte zunächst in nachvollziehbaren Funktionsbeschreibungen abbilden und diese Funktionsbeschreibungen dem Ansprechpartner des Auftraggebers präsentieren. Nach Freigabe durch den Ansprechpartner des Auftraggebers wird er sie fachgerecht umsetzen. – Formulierung von Prozessbeschreibungen zum Umgang mit dem Ticketsystem nach dessen Freigabe. – Coaching der für die Beauftragung zuständigen Mitarbeiter des Auftraggebers im Umgang mit dem Ticketsystem und den entworfenen Prozessen2. Die Parteien gehen davon aus, dass der Berater das Beratungsprojekt mit einem Zeitaufwand von höchstens … Arbeitstagen i.S.d. § 3 Abs. 1 (nachfolgend: „veranschlagter Zeitaufwand“) und innerhalb der Laufzeit nach § 2 Abs. 1 vollständig umsetzt. Sobald für den Berater absehbar wird, dass er das Beratungsprojekt nicht im Rahmen des veranschlagten Zeitaufwandes oder innerhalb der vereinbarten Laufzeit umsetzen kann, wird er dies dem Auftraggeber unverzüglich anzeigen. Ist die Anzeige unterblieben oder widerspricht der Auftraggeber auf die Anzeige hin einer Fortsetzung des Projektes unverzüglich, kann der Berater für Zeitaufwände, die oberhalb des veranschlagten Zeitaufwandes liegen, keine Vergütung verlangen3.

1 Im Regelfall empfiehlt es sich, Verträge mit Freelancern als „Beratungsvertrag“ zu bezeichnen und den Freelancer „Berater“ zu nennen. Bei Bezeichnungen wie „freie Mitarbeiter“, „Freelancer“, „Subunternehmer“ oder „Interimsmanager“ drängt sich das Problem der Scheinselbständigkeit auf. 2 Die Aufgaben des Freelancers sollten in einer Leistungsbeschreibung definiert werden. Dies ist nur ein Beispiel für eine denkbare erfolgsbezogene Leistungsbeschreibung. Die Leistungsbeschreibungen müssen stets im Einzelfall erstellt werden. Dabei werden idealerweise Arbeitsergebnisse beschrieben, die der Freelancer „abliefern“ soll. Am besten wäre es, würde man mit dem Freelancer ausdrücklich einen Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB) schließen. Darauf lassen sich die Freelancer wegen des Haftungsrisikos aber üblicherweise nicht ein. Deshalb kann im Vertrag auch offengelassen werden, ob er ein Dienst- oder ein Werkvertrag ist. 3 Der Zeitaufwand des Projektes sollte mit ausreichender Verbindlichkeit definiert werden. Dies dient zum einen der Budgetkontrolle. Zum anderen bringt eine solche Regelung den ernsthaften Willen der

162

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III. Best Practice

Rz. 7.65 § 7

(2) Der Berater kann Zeit, Ort und Dauer seiner Tätigkeit frei bestimmen; er ist Weisungen des Auftraggebers hinsichtlich Ort, Zeit und Dauer der Tätigkeit sowie der Art und Weise der Durchführung nicht unterworfen1. Der Berater ist zu Weisungen an Arbeitnehmer des Auftraggebers nicht berechtigt. Zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des Auftraggebers ist der Berater nicht befugt. (3) Ansprechpartner des Auftraggebers für alle den Berater betreffenden Fragen ist …2 (4) Zur Auftragsdurchführung setzt der Berater eigene Arbeitsmittel ein, sofern nicht im Ausnahmefall die Zurverfügungstellung von Arbeitsmitteln des Auftraggebers, insbesondere aus Gründen der IT-Sicherheit, erforderlich ist. (5) Der Berater kann nach vorheriger textförmlicher Zustimmung des Auftraggebers eigene Mitarbeiter einsetzen. Der Auftraggeber kann seine Zustimmung nur verweigern, wenn berechtigte Interessen des Auftraggebers beeinträchtigt sind. Berechtigte Interessen sind vor allem dann beeinträchtigt, wenn die vom Berater eingesetzten Mitarbeiter nicht über die erforderlichen Qualifikationen und Berufserfahrungen verfügen, die für die zuverlässige und erfolgreiche Ausführung der Projekte gemäß Abs. 1 erforderlich sind. Eingesetzte Mitarbeiter bleiben Vertragspartner des Beraters; im Verhältnis zum Auftraggeber wird weder ein Arbeitsverhältnis begründet noch Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG betrieben3. (6) Der Berater ist berechtigt, für weitere Auftraggeber tätig zu werden. (7) Als Erfüllungsort gilt die Betriebsstätte des Auftraggebers in … § 2 Laufzeit (1) Die Laufzeit dieses Beratungsvertrages ist befristet und beschränkt sich auf den Zeitraum vom … bis einschließlich dem … Wird das Beratungsprojekt nach § 1 Abs. 1 bereits vorher abgeschlossen, endet der Beratungsvertrag vorzeitig. (2) Die Parteien sind jederzeit berechtigt, den Beratungsvertrag mit einer Frist von zwei Wochen zum Monatsende vorzeitig ordentlich zu kündigen. Ab Ausspruch der Kündigung ist der Berater verpflichtet, angelaufene Projekte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in einen Stand zu versetzen, bei dem sie unter vertretbarem Einarbeitungsaufwand an Dritte übergeben und durch diese fortgeführt werden können; hierzu ist der Projektstand i.d.R. schriftlich zu dokumentieren. (3) Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. § 3 Vergütung des Beraters (1) Die Vergütung des Beraters erfolgt nach erforderlichem Zeitaufwand der Beratungstätigkeit. Die Parteien vereinbaren einen Tagessatz i.H.v. … EUR4 zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer.

1 2 3 4

Vertragsparteien zum Ausdruck, die Aufgaben des Freelancers auf ein definiertes und erfolgsbezogenes Projekt einzugrenzen. Dass der Freelancer weisungsfrei arbeitet, sollte ausdrücklich im Vertrag erwähnt werden. Eine solche Regelung ist ein wesentliches Indiz gegen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung (vgl. Rz. 7.9). Da sich der Freelancer nicht in die Gesamtbelegschaft des Auftraggebers eingliedern darf, sollte er einen festen Ansprechpartner haben. Auch wenn der Freelancer nicht beabsichtigt, eigene Mitarbeiter einzusetzen, stellt diese Vertragsklausel heraus, dass die Vertragsbeziehung dafür grundsätzlich offen wäre. Dies kann als (schwaches) Indiz für Selbständigkeit gewertet werden. Durch die Vereinbarung von Tagessätzen anstelle von Stundensätzen wird verhindert, dass der Freelancer eine Überstundenvergütung erhält. So lassen sich Honorarforderungen ggf. drücken.

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§ 7 Rz. 7.65

Zusammenarbeit mit Selbständigen

(2) Der Berater wird seinen Zeitaufwand selbständig erfassen. Soweit der Berater zumindest den überwiegenden Teil eines Tages gearbeitet hat, wird seine gesamte Tätigkeit an diesem Tag pauschal mit einem vollen Tagessatz vergütet. Soweit der Berater an einem Tag in nicht überwiegendem, aber auch nicht unerheblichem Umfang gearbeitet hat, wird seine Tätigkeit an diesem Tag pauschal mit einem halben Tagessatz vergütet. Erbringt der Berater an einem Tag nur Tätigkeiten in unerheblichem Umfang, findet eine Vergütung nicht statt1. Die Abrechnung erfolgt monatlich unter nachvollziehbarer Angabe der Tätigkeitszeiten und der erbrachten Tätigkeitsinhalte. Die Vergütung wird 14 Tage nach Erhalt der Abrechnung fällig. (3) Fahrzeit und Reisezeiten gelten als vergütungspflichtiger Zeitaufwand, soweit sie die tagesüblichen Hin- und Rückfahrzeiten zur Arbeitsstätte, welche die Parteien mit dem Umfang von einer Stunde pro Tag pauschalieren, überschreiten und zum Zwecke der Projektdurchführung erforderlich und angemessen sind. In diesem Fall wird der Auftraggeber anfallende Fahrt-, Reise- und Übernachtungskosten nach Vorlage entsprechender Belege unter folgenden Maßgaben erstatten: a) Fahrtkosten werden nur bis zur Höhe des günstigsten Tarifs (Mietwagen der Kompaktklasse, Bahnreisen in der 2. Klasse, Flugreisen in der Economy-Klasse) erstattet. Soweit bei der Reise eigene PKW des Beraters eingesetzt werden, erfolgt die Fahrtkostenerstattung in Form einer Pauschale i.H.v. 0,30 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Kilometer. Der Berater muss vor Reiseantritt jeweils das für den Auftraggeber kostengünstigste Reisemittel ermitteln und, soweit dessen Einsatz im Einzelfall zumutbar ist, dieses nutzen. b) Hotelkosten erstattet der Auftraggeber bis zum regionalüblichen Tarif eines ordentlichen Mittelklasse-Hotels einschließlich des Frühstücks, höchstens aber bis zu einem Betrag von 100,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Übernachtung. c) Eine Kostenerstattung für sonstige, aus Anlass der Reise anfallende Zusatzkosten, insbesondere Verpflegungsmehraufwendungen und Bewirtungskosten, wird nicht gewährt. d) Kosten für eine zusammenhängende Reise, die einen Betrag von 500,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer übersteigen, werden nur erstattet, soweit sie vor Reiseantritt durch den Auftraggeber genehmigt wurden2. (4) Wenn der Berater weitere Mitarbeiter gemäß § 1 Abs. 5 einsetzt, vereinbaren die Parteien für deren Einsatz einen angemessenen Tagessatz i.S.d. Abs. 1. Im Übrigen gelten die vorstehenden Absätze entsprechend. (5) Mit dem Honorar sind alle dem Berater aus der Erfüllung seiner Aufgaben und der Durchführung dieses Vertrages entstandenen Kosten abgegolten. (6) Der Berater ist für die Entrichtung von Steuern auf seine Einkünfte nach diesem Vertrag selbst verantwortlich und wird den Auftraggeber auf dessen Verlangen von jedweder lohnsteuerlichen Haftung freistellen, nach Wahl des Auftraggebers durch Zahlung an den Auftraggeber oder an das zuständige Finanzamt. Stellt sich heraus, dass der Berater nicht umsatzsteuerpflichtig ist, hat der Berater dem Auftraggeber die zu Unrecht ausgewiesene und gezahlte Umsatzsteuer unverzüglich zu erstatten3. § 4 Haftung Der Berater haftet für Pflichtverletzungen nach den gesetzlichen Vorschriften der §§ 276 ff. BGB. Der Berater hat seine Haftpflicht mit einer Mindestversicherungssumme von 5.000.000,00 EUR je Schadenereignis

1 Die Regelung stellt klar, dass der Freelancer nicht nur volle Tage für den Auftraggeber arbeiten muss, sondern Gestaltungsfreiheiten bei seiner Arbeitszeiteinteilung hat. Dies ist wichtig, um die Freiheit des Selbständigen zu erhalten. Eine Alternative wäre, dass Stundensätze statt Tagessätzen vereinbart werden. 2 Die für Arbeitnehmer maßgebliche Reisekostenrichtlinie sollte nicht auf den Freelancer angewendet werden. Dies würde Scheinselbständigkeit indizieren. Deshalb sollten die Vorgaben zur Reisekostenerstattung unmittelbar im Vertrag geregelt werden. 3 Die Pflicht zur Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen kann hingegen nicht im Vertrag geregelt werden (vgl. Rz. 7.50).

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III. Best Practice

Rz. 7.65 § 7

für Personen- und Sachschäden (Grundversicherungssumme) zu versichern. Eine Kopie der Versicherungspolice ist dem Vertrag als Anlage 2 beigefügt1. § 5 Geistiges Eigentum (1) Der Berater überträgt dem Auftraggeber sämtliche Eigentumsrechte an Ergebnissen, die der Berater oder etwaige von ihm eingesetzte Mitarbeiter während der Dauer dieses Vertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag haben. (2) Der Berater überträgt dem Auftraggeber ab dem Zeitpunkt ihres Entstehens alle Rechte an urheberrechtsfähigen Werken, die der Berater oder von ihm eingesetzte Mitarbeiter in Erfüllung dieses Vertrages oder mit Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag geschaffen haben, einschließlich Software und, sofern eine Übertragung gesetzlich nicht statthaft ist, räumt er dem Auftraggeber die ausschließlichen inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte ein, diese Rechte für die Dauer der längst laufenden Schutzfrist auszuwerten und durch verbundene Unternehmen sowie durch Dritte und in Kooperation mit Dritten unter zustimmungsfreier Weiterübertragung der Rechte sowie Einräumung weiterer Nutzungsrechte auswerten zu lassen. Der Auftraggeber ist insbesondere ohne Einschränkung berechtigt, die Rechte in jeder körperlichen und unkörperlichen Form sowie auf jede nicht-kommerzielle und kommerzielle Weise auszuwerten und auswerten zu lassen, zu bearbeiten, in andere Darstellungsformen zu übertragen und auf sonstige Art und Weise zu verändern, weiterzuentwickeln und zu ergänzen, in unveränderter und veränderter Form zu vervielfältigen und zu verbreiten, vorzuführen, öffentlich zugänglich zu machen oder in sonstiger Weise öffentlich wiederzugeben sowie Ansprüche geltend zu machen. Die dem Auftraggeber verschafften Rechte erfassen alle technischen Verfahren, Erscheinungs- und Auswertungsformen und beziehen sich nach Maßgabe von § 31a UrhG und § 32c UrhG auch auf Nutzungsarten, die im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags noch unbekannt sind. (3) Die jeweilige Rechteverschaffung durch den Berater ist durch die vereinbarte Vergütung abgegolten und erfolgt ohne zusätzliche Kosten für den Auftraggeber. (4) Der Berater und etwaige von ihm eingesetzte Mitarbeiter übertragen dem Auftraggeber zudem alle Markenrechte, eingetragenen Designs, Gebrauchsmuster, Patente oder sonstige Schutzrechte, die an den Ergebnissen entstehen, die der Berater oder die von ihm eingesetzten Mitarbeiter während der Dauer dieses Beratungsvertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Beratungsvertrag haben. (5) Der Berater verpflichtet sich, etwaige von ihm eingesetzte Mitarbeiter so weiterzuverpflichten, dass er den Verpflichtungen nach diesem Beratungsvertrag nachkommen kann. § 6 Geheimhaltung (1) Der Berater verpflichtet sich, Geschäftsgeheimnisse des Auftraggebers sowie alle weiteren Informationen und Tatsachen streng vertraulich zu behandeln, die er im Zuge der Durchführung dieses Vertrages auf direktem oder indirektem Wege vom Auftraggeber erhält. Davon ausgenommen sind Tatsachen und Informationen, a) die allgemein zugänglich sind, ohne dass dies auf eine Verletzung der nach diesem Beratungsvertrag geschuldeten Verpflichtung zur Geheimhaltung zurückzuführen ist, b) die sich bereits im Besitz des Beraters befanden, bevor sie ihm von dem Auftraggeber zugänglich gemacht wurden oder c) die der Berater ohne jegliche Verwendungsbeschränkung von einem Dritten erhält, ohne dass dieser eine Geheimhaltungsverpflichtung verletzt.

1 Eine „ernstgemeinte“ Haftungsregelung spricht für Selbständigkeit. Dass die Haftungsregelung ernst gemeint ist, ließe sich insbesondere dadurch demonstrieren, dass der Selbständige eine Haftpflichtversicherung abschließt. Regelmäßig ist eine solche Bestimmung allerdings nicht durchsetzbar und der Selbständige besteht zusätzlich darauf, dass die Haftung für einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen wird.

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§ 7 Rz. 7.65

Zusammenarbeit mit Selbständigen

Die gesetzliche Beweislast bleibt unberührt1. (2) Der Berater ist verpflichtet, ihm anvertraute personenbezogene Daten nur im Rahmen seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag zu verarbeiten oder verarbeiten zu lassen und das Datengeheimnis zu wahren. Der Berater verpflichtet sich, die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes sowie der Daten- und Systemsicherheit in einem angemessenen Verhältnis zum Schutzzweck und unter Beachtung des jeweils aktuellen Stands der Technik zu ergreifen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. (3) Der Berater verpflichtet etwaige von ihm eingesetzte Mitarbeiter in schriftlicher Form auf die Einhaltung dieser Geheimhaltungsbestimmungen nach Abs. 1 sowie auf das Datengeheimnis nach Abs. 2. § 7 Rückgabe- und Löschpflichten Alle Unterlagen, Arbeitsmittel und Gegenstände des Auftraggebers sind spätestens bei Beendigung dieses Beratungsvertrages an den Auftraggeber herauszugeben. Bei Beendigung dieses Beratungsvertrages sind sämtliche noch beim Berater vorhandenen Aufzeichnungen von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen i.S.d. § 6 zu vernichten oder zu löschen. § 8 Schlussbestimmungen (1) Sämtliche Änderungen und Ergänzungen dieses Beratungsvertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dies gilt auch für die Änderung dieser Schriftformklausel2. (2) Dieser Beratungsvertrag ersetzt mit seiner Unterzeichnung alle bestehenden abweichenden vertraglichen Abreden zwischen den Parteien. (3) Sollte eine Bestimmung dieses Beratungsvertrages ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt die gesetzlich zulässige Bestimmung, die dem mit der unwirksamen Bestimmung Gewollten wirtschaftlich am nächsten kommt. Dasselbe gilt für den Fall einer vertraglichen Lücke. (4) Dieser Beratungsvertrag unterliegt ausschließlich dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Beratungsvertrag ist …. Dies gilt auch für Folgeverträge, soweit bei deren Abschluss nichts Anderes bestimmt wird. Ort …, Datum … … Auftraggeber

… Berater

7.66 Werden mit dem Freelancer Anschlussverträge geschlossen, empfiehlt es sich, eine abgekürzte Vertragsformulierung zu verwenden, die inhaltlich auf den Erstvertrag verweist. Auf diese Weise wird möglichst wenig Anlass gegeben, die bereits ausgehandelten Vertragsbedingungen noch einmal nachzuverhandeln und z.B. eine Erhöhung des Vergütungssatzes zu fordern. Anschlussverträge können wie folgt formuliert werden:

1 Eingriffe in die gesetzliche Beweislastverteilung würden wegen der Wertungen des § 309 Nr. 12 BGB die Wirksamkeit der Klausel gefährden. 2 Die fehlende Berechtigung der Parteien, den schriftlichen Vertrag konkludent abzubedingen, erschwert es, dass der Selbständige in der tatsächlichen Umsetzung der Vertragsbeziehung in die Scheinselbständigkeit „hineinwächst“, vgl. BSG v. 30.4.2013 – B 12 KR 19/11 R, juris Rz. 14. Deshalb sollte eine doppelte Schriftformklausel aufgenommen werden.

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III. Best Practice

Rz. 7.68 § 7

M 7.3 Beratungsauftrag/Anschlussvertrag mit Freelancer

7.67

Beratungsauftrag Herr … (nachfolgend: „Berater“) hat aufgrund des Beratungsvertrages vom … bereits Beratungsprojekte für die … (nachfolgend: „Auftraggeber“) umgesetzt. Der Berater nimmt folgenden weiteren Beratungsauftrag des Auftraggebers an. Für den Beratungsauftrag gelten die Vertragsbedingungen des Beratungsvertrages vom … (nachfolgend: „Allgemeine Vertragsbedingungen“) entsprechend, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wird. (1) Der Berater wird für den Auftraggeber die folgenden Beratungsleistungen erbringen (nachfolgend: „Beratungsprojekt“): Rollout der Ticketsystem-Software bei den folgenden Kunden des Auftraggebers: – …, Kundenauftrag beigefügt als Anlage 1 – …, Kundenauftrag beigefügt als Anlage 2 Der Berater gewährleistet die erfolgreiche Abnahme des Rollouts durch die bezeichneten Kunden. (2) Die Parteien gehen davon aus, dass der Berater das Beratungsprojekt mit einem Zeitaufwand von höchstens … Arbeitstagen i.S.d. § 3 Abs. 1 der Allgemeinen Vertragsbedingungen (nachfolgend: „veranschlagter Zeitaufwand“) und innerhalb der Laufzeit nach untenstehendem Abs. 4 vollständig umsetzt. Sobald für den Berater absehbar wird, dass er das Beratungsprojekt nicht im Rahmen des veranschlagten Zeitaufwandes oder innerhalb der vereinbarten Laufzeit umsetzen kann, wird er dies dem Auftraggeber unverzüglich anzeigen. Ist die Anzeige unterblieben oder widerspricht der Auftraggeber auf die Anzeige hin einer Fortsetzung des Projektes unverzüglich, kann der Berater für Zeitaufwände, die oberhalb des veranschlagten Zeitaufwandes liegen, keine Vergütung verlangen. (3) Ansprechpartner des Auftraggebers für alle den Berater betreffenden Fragen ist … (4) Die Laufzeit dieses Beratungsauftrages ist entsprechend § 2 Abs. 1 der Allgemeinen Vertragsbedingungen befristet und beschränkt sich auf den Zeitraum vom … bis einschließlich dem … (5) Ergänzend treffend die Parteien die folgenden Vereinbarungen: … … … Ort …, Datum … … Auftraggeber

… Berater

3. Umgangsregeln mit Selbständigen Im Wege arbeitsrechtlicher Weisung (§ 106 GewO) sollten Unternehmen Regeln zum Umgang mit Freelancern festlegen, um zu gewährleisten, dass auch in der tatsächlichen Vertragsdurchführung deren Selbständigkeit respektiert wird. Es empfiehlt sich, die Regeln schriftlich auszuformulieren, sie

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7.68

§ 7 Rz. 7.68

Zusammenarbeit mit Selbständigen

im Rahmen von Schulungen zu erläutern und das Regelwerk beharrlich durchzusetzen. Dazu gehört auch, dass die Geschäftsführung bei Verstößen einschreitet. Die Regeln müssen unterbinden, – dass arbeitsrechtliche Weisungen gegenüber Freelancern ausgesprochen werden (dazu Rz. 7.12 f.) und – dass die Freelancer in die eigene Belegschaft eingegliedert werden (dazu Rz. 7.14). Es empfiehlt sich, einheitliche Regeln für den Umgang mit Selbständigen und mit Arbeitnehmern fremder Unternehmen, die auf Basis von Dienst- oder Werkverträgen auf dem eigenen Betriebsgelände tätig sind, festzulegen. Im letzten Fall muss vermieden werden, dass es zu illegaler Arbeitnehmerüberlassung kommt. Die Vermeidung illegaler Arbeitnehmerüberlassung richtet sich nach denselben Kriterien, die auch zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit maßgeblich sind (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG) (dazu Rz. 8.14 ff. und Rz. 8.51 ff.).

7.69 Führungskräften muss untersagt werden, Freelancern Weisungen zu erteilen, wie diese ihre Arbeit zu bewältigen haben. Einerseits müssen technische Arbeitsanweisungen unterbleiben. Anderseits muss das Recht des Freelancers, seine Arbeitszeit und seinen Arbeitsort frei zu wählen, respektiert werden. Zudem dürfen Freelancern neben den vertraglich vereinbarten Aufgaben keine Zusatzaufgaben zugewiesen werden. Eine permanente Überwachung des Freelancers hat zu unterbleiben.

7.70 Von ebenso großer Bedeutung sind Regeln, die einer Eingliederung der Freelancer in die Belegschaft entgegenwirken. Freelancern sollten keine Büroarbeitsplätze zu Verfügung gestellt werden, auf denen sie sich fest einrichten; sie dürfen bei Bedarf allenfalls Pool-Arbeitsplätze besetzen, die nach Dienstschluss wieder zu räumen sind. Die Freelancer dürfen sich idealerweise nicht frei auf dem Betriebsgelände bewegen und auf Arbeitsmittel des Unternehmens zugreifen, sondern lediglich in Abstimmung mit einem festen Ansprechpartner des Auftraggebers. Um ihre Rolle als Außenstehende hervorzuheben, kann es sinnvoll sein, die Freelancer zum Tragen von Besucherausweisen zu verpflichten, wenn sie sich auf dem Betriebsgelände aufhalten. Von Betriebsfeiern, Betriebssport und anderen Betriebsveranstaltungen sollten Freelancer ausgeschlossen werden. Auch dürfen sie das Unternehmen nicht nach außen repräsentieren, z.B. indem sie Visitenkarten des Unternehmens erhalten.

7.71 Hinweis: Psychologisch muss allen Beteiligten jederzeit bewusst sein, dass die Freelancer nicht zur Belegschaft „dazugehören“, sondern „Fremde“ sind. Ein solches Regelwerk stößt zwar nicht auf Sympathie („Apartheid“). Wird aber keine Distanz geschaffen, kommt es bei längerer Anwesenheit von Freelancern auf dem Betriebsgelände nach und nach zu einer sozialen Annährung an die Stammbelegschaft, die schließlich in eine vollständige Eingliederung münden kann. Außerdem muss sich das Unternehmen bewusst sein, dass die Betriebsprüfung der Rentenversicherung üblicherweise mit einer Begehung der Betriebsstätte beginnt. Zeigt sich dabei, dass für vorgebliche Freelancer feste Büroarbeitsplätze inmitten der Stammbelegschaft eingerichtet wurden und die Freelancer weder äußerlich noch innerhalb der alltäglichen Arbeitsabläufe von Mitarbeitern des Unternehmens abzugrenzen sind, drängt sich der Verdacht der Scheinselbständigkeit sofort auf.

7.72 Wird das Regelwerk in einer Dienstanweisung oder einer Handlungsrichtlinie ausformuliert, ist darauf zu achten, dass diese Handlungsrichtlinie zugleich als Beweismittel gegenüber Behörden und Gerichten dienen soll. Deshalb sollte die Formulierung nicht den Eindruck erwecken, dass das Unternehmen Scheinselbständigkeit als eigenes, strukturelles Problem wahrnimmt. Stattdessen sollte ein bloß vorbeugender Charakter des Regelwerkes zum Ausdruck kommen. Eine Formulierung könnte wie folgt aussehen:

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 7.73 § 7

M 7.4 Dienstanweisung – Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen

7.73

Dienstanweisung – Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Unternehmen wird in einigen Bereichen durch selbständige Auftragnehmer unterstützt, die bei bestimmten Projekten auch auf unserem Betriebsgelände tätig werden. Außerdem wirken in verschiedenen Projekten Mitarbeiter fremder Unternehmen mit (nachfolgend zusammengefasst als „Externe“ bezeichnet). Diese Externen unterliegen – anders als z.B. Leiharbeitnehmer – nicht der Personaldisposition unseres Unternehmens. Unser Unternehmen muss im Umgang mit Externen Entwicklungen vorbeugen, die dazu führen könnten, dass Externe zu eng in die Belegschaft unseres Betriebes eingegliedert werden und ihre Selbständigkeit verloren geht. Falls selbständig eingestufte Auftragnehmer tatsächlich nicht (mehr) selbständig tätig wären (sog. „Scheinselbständigkeit“), hätte dies gravierende steuer- und sozialversicherungsrechtliche Folgen. Diese können auch strafrechtliche Relevanz erlangen. Gliedern wir Mitarbeiter fremder Unternehmen zu eng in unsere Betriebsorganisation ein, kann dies als illegale Arbeitnehmerüberlassung gewertet werden. Um diesen rechtlichen Risiken vorzubeugen, sind die nachfolgenden Vorgaben durch alle Mitarbeiter zwingend zu beachten. Bitte lesen Sie diese Dienstweisung deshalb gründlich! 1. Verträge mit Solo-Selbständigen, also selbständigen Auftragnehmern, die keine eigenen Mitarbeiter beschäftigen, dürfen nur in Abstimmung und mit Unterstützung der Rechtsabteilung geschlossen werden. Dies gilt auch, wenn Solo-Selbständige über Agenturen angeworben werden. Zu diesem Zweck muss die Rechtsabteilung spätestens zwei Wochen vor Beginn der Tätigkeitsaufnahme des Solo-Selbständigen informiert werden. Die Rechtsabteilung wird vorsorglich prüfen, ob Risiken der Scheinselbständigkeit bestehen und diesen Risiken im Rahmen der Vertragsgestaltung vorbeugen. Die Beurteilung der Frage, ob ein Mitarbeiter selbständig oder Arbeitnehmer ist, richtet sich allerdings nicht nur nach der vertraglichen Vereinbarung: Falls die praktische Zusammenarbeit von der vertraglichen Vereinbarung abweicht, ist allein die praktische Zusammenarbeit für die Beurteilung des steuerund sozialversicherungsrechtlichen Status eines Mitarbeiters maßgeblich. Deshalb müssen alle Mitarbeiter in der Zusammenarbeit mit Selbständigen bestimmte Regeln einhalten. Auch wenn selbständige Auftragnehmer teilweise in den Räumlichkeiten unseres Unternehmens tätig sind, unterliegt ihr Einsatz grundsätzlich anderen Bedingungen als die Tätigkeit von Arbeitnehmern unseres Unternehmens oder von Leiharbeitnehmern. 2. Jedem Selbständigen, der auf unserem Betriebsgelände tätigt wird, muss ein bestimmter Ansprechpartner als Projektverantwortlicher in unserem Unternehmen zugeordnet werden. Der Ansprechpartner ist dafür verantwortlich, dass die hier dargestellten Regeln in der Zusammenarbeit mit dem Selbständigen stets eingehalten werden. Verstöße muss er unterbinden oder – sollte er dazu nicht von sich aus in der Lage sein – der Rechtsabteilung melden. 3. Alle Mitarbeiter (also nicht nur der Projektverantwortliche) sind verpflichtet, bei der Zusammenarbeit mit Externen alles zu unterlassen, was deren vertraglich vereinbarte Freiheit und Selbständigkeit einschränkt. Dies bedeutet konkret Folgendes: – Wenn sich Externe auf dem Betriebsgelände aufhalten, müssen sie stets einen Besucherausweis tragen. – Externe dürfen sich nicht frei auf dem Betriebsgelände bewegen, sondern nur in Abstimmung mit einem bei unserem Unternehmen angestellten Projektverantwortlichen. Eine Kooperation mit den Externen, etwa durch Mitteilung von Informationen, findet nur in dem Umfang statt, der zuvor mit dem Projektverantwortlichen abgestimmt wurde. Ohne Aufforderung durch den jeweiligen Projektverantwortlichen hat jede Kooperation mit den Externen zu unterbleiben; die durch den Projektverantwortlichen mitgeteilten Grenzen und Regeln für die Kooperation sind einzuhalten.

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§ 7 Rz. 7.73

Zusammenarbeit mit Selbständigen

– Die Externen haben nicht das Recht, Mitarbeitern unseres Unternehmens Anweisungen zu erteilen. Sie sind daher nicht verpflichtet und berechtigt, Anweisungen der Externen zu befolgen. In Zweifelsfällen ist der Projektverantwortliche zu kontaktieren. – Die Externen werden nur im Rahmen vertraglich definierter Projekte eingesetzt. Sie dürfen für andere, nicht vertraglich vereinbarte Aufgaben (auch wenn es nur um Kleinigkeiten geht) nicht herangezogen werden. Jede Weisung, solche Aufgaben wahrzunehmen, ist unzulässig. Auch „informelle“ Bitten, solche Aufgaben wahrzunehmen, haben zu unterbleiben. Freiwillige Hilfsangebote der Externen sind zurückzuweisen und der Rechtsabteilung zu melden. – Etwaige Arbeitsmittel, die Externe für die Erledigung der Aufträge benötigen, werden ihnen grundsätzlich nicht von unserem Unternehmen zur Verfügung gestellt. Externe sind gehalten, diese selber vorzuhalten. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn Externe dies ausdrücklich mit ihrem jeweiligen Projektverantwortlichen abgesprochen haben. In diesem Fall erhalten sie die Arbeitsmittel aber nur in Abstimmung mit dem zugeordneten Projektverantwortlichen und beschaffen sich Arbeitsmittel aus dem Eigentum unseres Unternehmens nicht etwa selbst. – Die laufende Einholung von Berichten oder eine regelmäßige Kontrolle der Tätigkeit einzelner Externer hat zu unterbleiben. Die Externen haben die vertraglich vereinbarten Ergebnisse zu liefern; diese sind den Projektverantwortlichen unseres Unternehmens vorzulegen. Wie die Externen bei der Erstellung dieser Ergebnisse vorgehen, liegt in ihrem eigenen Ermessen. – Jegliche Einflussnahme hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer und Art der Leistungserbringung Externer ist untersagt! Externe sind nicht verpflichtet, Weisungen entgegenzunehmen oder zu befolgen, sondern strukturieren ihre Arbeit zeitlich, örtlich und inhaltlich selbst. Die Arbeitszeit wird durch Externe selbst erfasst. Zeitlich bindende Vorgaben für Meetings, Telefonate u.ä. haben zu unterbleiben. Solche Termine sind mit Externen zu vereinbaren, deren Zeitdisposition zu respektieren ist. – Eine Aufnahme Externer in etwa vorhandene Dienstpläne und/oder Vertretungsregelungen darf in keinem Falle erfolgen. Außerhalb von im Einzelfall vereinbarten Terminen können Sie von Externen nicht erwarten, dass diese sich auf einem bestimmten Arbeitsplatz bereithalten oder auf dem Betriebsgelände aufhalten. Eine dauernde Dienstbereitschaft Externer besteht nicht. – Externe erhalten keine Visitenkarten unseres Unternehmens. Externen werden keine Telefondurchwahlen zugewiesen. Externe werden nicht in Organigramme des Unternehmens aufgenommen. – Eine Tätigkeit von Externen in den Räumlichkeiten unseres Unternehmens findet nur dann statt, wenn dies aus arbeitstechnischen Gründen zwingend erforderlich ist. In diesem Fall wird Externen keine persönliche Zugangskarte erstellt, sondern allenfalls eine beschränkte Gästezugangskarte vorübergehend überlassen. In allen Gebäuden werden in einem abgegrenzten Bereich Poolarbeitsplätze eingerichtet, die durch Externe bei Bedarf in Absprache mit den ihnen zugewiesenen Ansprechpartnern genutzt werden können. Externen ist es zu untersagen, sich feste Arbeitsplätze einzurichten; sie müssen genutzte Büroarbeitsplätze am Ende jedes Arbeitstages vollständig räumen und verlassen. – Externe sind nicht Teil der Belegschaft und erhalten deshalb keine Vergünstigungen, die Belegschaftsangehörigen zugewiesen sind. Sie dürfen nur Gästeparkplätze nutzen. In der Kantine zahlen sie den Gästepreis. An Betriebsfeiern, Schulungsveranstaltungen und Veranstaltungen des Betriebssports nehmen sie nicht teil. 4. Sollten Ihnen Verstöße gegen diese Vorgaben zur Zusammenarbeit mit selbständigen Auftragnehmern oder anderen Externen auffallen, informieren Sie die Rechtsabteilung bitte unverzüglich. Mit der Einhaltung dieser Verhaltenspflichten leisten Sie Ihren wichtigen Beitrag dazu, dass auch in Zukunft Scheinselbständigkeit in unserem Hause vermieden wird. Hierfür danken wir Ihnen! …, Geschäftsführer1

1 Es ist sinnvoll, dass die Regeln unmittelbar durch die Geschäftsführung festgelegt und durchgesetzt werden. Nicht selten empfinden Mitarbeiter der Fachabteilungen die Regeln als lästig und wehren sich da-

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 7.75 § 7

Eine verbreitete Praxis besteht darin, Regeln zum Umgang mit Freelancern und Mitarbeitern fremder Unternehmen einerseits und Leiharbeitnehmern anderseits gegenüberzustellen, z.B. tabellarisch. Diese Regeln sind genau gegensätzlich: Während Freelancer gerade nicht wie normale Arbeitnehmer behandelt werden dürfen, damit es nicht zu einer Eingliederung in die eigene Belegschaft kommt, werden Leiharbeitnehmer mit normalen Arbeitnehmern typischerweise gleichgestellt. Z.T. ist dies bei Leiharbeitnehmern sogar gesetzlich vorgeschrieben (§§ 8, 13b AÜG).

7.74

M 7.5 Dienstanweisung – Externe Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer

7.75

Dienstanweisung – Externe Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer Diese Organisationsweisung stellt verbindliche Vorgaben für den Einsatz von externen Mitarbeitern auf, die aufgrund von Werk- oder Dienstverträgen (nachgehend „externe Mitarbeiter“) oder als Leiharbeitnehmer für unser Unternehmen tätig sind. Die Vorgaben müssen durch alle Mitarbeiter unseres Unternehmens bei der Zusammenarbeit unbedingt beachtet werden. Externe Mitarbeiter

Leiharbeitnehmer

Beauftragung/Vertrags- Die Beauftragung externer Mitarbeiter ergestaltung folgt in Abstimmung mit der Rechtsabteilung. Da die Einzelheiten der Beauftragung unter Umständen in detaillierten Projektverträgen festgeschrieben werden müssen, muss die Rechtsabteilung mindestens zwei Wochen vor Beginn des Einsatzes angesprochen und über alle Einzelheiten der beabsichtigten Projektdurchführung informiert werden.

Die Einstellung von Leiharbeitnehmern ist in Abstimmung mit der Personalabteilung durchzuführen.

Aufgabenzuweisung

Die durch externe Mitarbeiter zu erledigenden Aufgaben werden in den zugrundeliegenden Dienst- oder Werkverträgen vereinbart. Zusätzliche Aufgaben dürfen den externen Mitarbeitern nicht mündlich zugewiesen werden. Wie sie die Aufgaben erledigen, liegt im Ermessen und in der Verantwortung der externen Mitarbeiter.

Leiharbeitnehmer werden durch einen Vorgesetzten, der Mitarbeiter unseres Unternehmens ist, angewiesen und gesteuert. Sie haben alle Dienstanweisungen zu beachten, die auch für Mitarbeiter unseres Unternehmens gelten.

Zeiterfassung

Externe Mitarbeiter erfassen ihre Arbeitszeiten selbständig.

Leiharbeitnehmer nehmen an der Zeiterfassung unseres Unternehmens zur Kontrolle der Anwesenheit und zur Stundenabrechnung teil.

Zugangsberechtigung

Externe Mitarbeiter dürfen sich auf dem Betriebsgelände unseres Unternehmens nicht frei, sondern nur in Abstimmung mit dem für sie zuständigen Projektverantwortlichen bewegen. Nur wenn dies wegen der Rahmenbedingungen ihres Einsatzes unerlässlich ist, kann externen Mitarbeitern vorüber-

Leiharbeitnehmer können sich auf dem Betriebsgelände unseres Unternehmens genauso frei bewegen wie andere Arbeitnehmer unseres Unternehmens in vergleichbarer Stellung auch. Jedem Leiharbeitnehmer wird grundsätzlich ein für ihn persön-

gegen. Wird der Prozess auf einer niedrigeren Hierarchieebene (z.B. der Personalabteilung) festgelegt, fehlt ihr u.U. die Autorität, um sich durchzusetzen.

Grimm/Singraven

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§ 7 Rz. 7.75

Zusammenarbeit mit Selbständigen Externe Mitarbeiter

Leiharbeitnehmer

gehend ein Gästezugangschip überlassen werden, der Zugang zu Räumlichkeiten unseres Unternehmens gewährt.

lich erstellter Zugangschip mit einem eigenen Foto ausgehändigt.

Besucherausweis

Externe Mitarbeiter müssen Besucherausweise sichtbar tragen, wenn sie sich auf dem Betriebsgelände unseres Unternehmens bewegen.

Leiharbeitnehmer tragen keinen Besucherausweis, sobald sie ihre Beschäftigung in unserem Unternehmen aufgenommen haben.

Arbeitsmittel

Externe Mitarbeiter müssen grundsätzlich ihre eigenen Arbeitsmittel einsetzen, insbesondere eigene Notebooks und eigene Diensttelefone. Im Ausnahmefall, nämlich, wenn dies aus IT-sicherheitstechnischen Gründen geboten ist (z.B. wenn ein Zugriff auf die internen SAP-Datenbanken unseres Unternehmens erforderlich ist), wird den externen Mitarbeitern ein Notebook mit einem speziell für sie eingerichteten beschränkten Gäste-Account zur Verfügung gestellt. Für die Einrichtung des Gäste-Accounts ist die IT-Abteilung zuständig.

Leiharbeitnehmern werden sämtliche Arbeitsmittel durch unser Unternehmen zu Verfügung gestellt.

Telefon- und E-MailVerzeichnis

Externe Mitarbeiter werden nicht in die internen Telefon- und E-Mail-Verzeichnisse aufgenommen. Muss ein Mitarbeiter unseres Unternehmens aus konkretem Anlass mit dem externen Mitarbeiter zusammenarbeiten, sind Telefonnummern und E-Mail-Adressen wechselseitig auszutauschen.

Leiharbeitnehmer werden bei Aufnahme ihrer Beschäftigung in das interne Telefon- und E-MailVerzeichnis unseres Unternehmens aufgenommen.

Visitenkarten

Externe Mitarbeiter erhalten keine auf unser Unternehmen ausgestellten Visitenkarten.

Leiharbeitnehmern können auf unser Unternehmen ausgestellte Visitenkarten zur Verfügung gestellt werden, wenn dies für ihre Tätigkeiten erforderlich oder zweckmäßig erscheint.

E-Mail

Ist es für die Tätigkeit des externen Mitarbeiters erforderlich, dass er regelmäßig E-Mails mit Dateianhängen an Mitarbeiter unseres Unternehmens versendet, die nach den geltenden IT-Sicherheitsregeln abgefangen würden, kämen die E-Mails von außen, wird dem externen Mitarbeiter ein interner Gäste-E-Mail-Account erstellt. Die Gäste-E-Mail-Adresse lautet: … Der externe Mitarbeiter verwendet die folgende E-Mail-Signatur: Vorname Name Partner Im Auftrag von/on behalf of …

Jedem Leiharbeitnehmer wird ein interner E-Mail-Account erstellt. Die E-Mail-Adresse lautet: … Der Leiharbeitnehmer verwendet die nach der jeweils maßgeblichen Corporate-Design-Richtlinie vorgegebene E-Mail-Signatur für Angestellte unseres Unternehmens.

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III. Best Practice

Rz. 7.75 § 7

Externe Mitarbeiter

Leiharbeitnehmer

Arbeitszeit/Arbeitsort

Mit Ausnahme von konkret abgestimmten Terminen teilen externe Mitarbeiter ihre Arbeitszeit selbst ein und können frei darüber entscheiden, von welchem Ort aus sie ihre Arbeitsleistungen erbringen. Externe Mitarbeiter können Räumlichkeiten und das Betriebsgelände unseres Unternehmens jederzeit nach eigenem Ermessen verlassen und müssen sich nur dann abmelden, wenn in dem Tätigkeitsbereich eine Anwesenheitsfeststellung aus Sicherheitsgründen erforderlich ist.

Arbeitszeit und Arbeitsort von Leiharbeitnehmern richten sich nach den betriebsüblichen Vorgaben und den Anweisungen ihrer Vorgesetzten in unserem Haus.

Betriebsveranstaltung

Externe Mitarbeiter werden nur im Ausnahmefall zu Betriebsveranstaltungen unseres Unternehmens, wie z.B. Betriebsfesten, Weihnachtsfeiern oder Schulungen, eingeladen, nämlich, wenn sie auf diesen Veranstaltungen eine bestimmte Funktion im Interesse unseres Unternehmens erfüllen. Andernfalls nehmen sie nicht teil.

Leiharbeitnehmer müssen zu denselben betrieblichen Veranstaltungen eingeladen werden, wie andere Arbeitnehmer in vergleichbarer Stellung auch. Eine Benachteiligung findet nicht statt.

Organigramme/Mitarbeiterübersichten

Externe Mitarbeiter werden nicht in die Organigramme oder Mitarbeiterübersichten unseres Unternehmens aufgenommen, da sie weder eine feste Funktion wahrnehmen, noch in die Weisungshierarchien unseres Unternehmens eingegliedert sind.

Der Name von Leiharbeitnehmern kann in Organigrammen und Mitarbeiterübersichten aufgeführt werden.

Buchung Dienstreisen

Externe Mitarbeiter buchen vor der Aufnahme von Dienstreisen Hotels und Beförderungsmittel nach den mit ihnen vertraglich abgestimmten Vorgaben selbst und rechnen die Kosten gegenüber unserem Unternehmen ab.

Die Vorgaben für die Buchung von Dienstreisen ergeben sich aus der jeweils maßgeblichen Reisekostenrichtlinie unseres Unternehmens. Die Buchung erfolgt grundsätzlich über die jeweils zuständigen Sekretariate.

Ort …, Datum … … Geschäftsleitung

… Rechtsabteilung

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§ 8 Rz. 8.1

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

§8 Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 1. Vermeidung illegaler Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 a) Regulative Vorgaben des AÜG . . . . . . 8.5 b) Abgrenzung von Leiharbeit und sonstigen Fremdpersonaleinsätzen . . . 8.7 c) Sanktionen bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.18 2. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . . 8.22 3. Sonstige rechtliche Herausforderungen a) Arbeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.25

III. 1.

2. 3.

b) Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geistiges Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermeidung von Weisungen . . . . . . . . . . a) Vertragliche Leistungsbeschreibungen b) Brückenkopf-Modell . . . . . . . . . . . . . c) Ticket-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kombinierte Abstimmungsverfahren . Festlegung und Durchsetzung von Umgangsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinschaftsbetrieb als Alternative? . . .

8.28 8.31 8.34 8.38 8.41 8.45 8.48 8.50 8.51 8.54

Literatur: Greiner, Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung – Abgrenzungsfragen und aktuelle Rechtspolitik, NZA 2013, 697; Grimm/Linden, Die Überlassung von Maschinen mit Bedienpersonal Mietvertrag oder Arbeitnehmerüberlassung, ArbRB 2014, 115; Grimm/Linden, Abgrenzung von Werk- und Dienstvertrag zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung, ArbRB 2013, 341; Henssler, Fremdpersonaleinsatz durch On-Site-Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung – offene Fragen und Anwendungsprobleme des neuen Rechts, RdA 2017, 83; Kainer/Schweipert, Werkverträge und verdeckte Leiharbeit nach dem neuen AÜG, NZA 2017, 13; Klösel/Mahnhold, Contractor Compliance im neuen AÜG, BB 2017, 1524; Koller-van Delden/Gallini, Gemeinschaftsbetrieb statt Arbeitnehmerüberlassung Die Kooperation im Gemeinschaftsbetrieb zur Vermeidung von Arbeitnehmerüberlassung und Überlassungshöchstdauer, DStR 2017, 206; Lembke, Der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen von freier Mitarbeit, Werkverträgen und Leiharbeit Die Sicht eines unternehmensberatenden Anwalts, NZA 2013, 1312; Maiß/Juli, Auskunftsansprüche des Betriebsrats bei dem Einsatz von Fremdpersonal, ArbRAktuell 2012, 162; Maschmann, Fremdpersonaleinsatz im Unternehmen und die Flucht in den Werkvertrag, NZA 2013, 1305; Moderegger, Das neue Fliegen ohne Fallschirm beim Fremdpersonaleinsatz, ArbRB 2018, 215; Saager/Schmuck, Illegale Arbeitnehmerüberlassung und ihre Rechtsfolgen im Überblick Konzernleihe oder Gemeinschaftsbetrieb als Vermeidungsstrategie auch bei grenzüberschreitendem Einsatz am Beispiel eines Kraftfahrers im europaweiten Einsatz, NJOZ 2020, 417; Schönhöft/Oelze, Der gewillkürte Gemeinschaftsbetrieb – Möglichkeiten des drittbezogenen Personaleinsatzes unter Beteiligung einer Personalführungsgesellschaft, BB 2016, 565; Schütt/Rothe, Der Wechsel von der Arbeitnehmerüberlassung zum Werkvertrag – Möglichkeiten und Grenzen, SPA 2019, 89; Seel, Neue Risiken bei der Arbeitnehmerüberlassung – „Gemeinschaftsbetrieb“ als Alternative?, öAT 2017, 48; Willemsen/Mehrens, Beabsichtigte Neuregelung des Fremdpersonaleinsatzes – Mehr Bürokratie wagen?, NZA 2015, 897; Willemsen/Mehrens, Arbeitnehmerüberlassung versus Dienstleistung Plädoyer für eine wertschöpfungsorientierte Abgrenzungsmethodik, NZA 2019, 1473; Zieglmeier, Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des AÜG 2017 Reichweite der Bindungswirkung einer europäischen A-1-Bescheinigung, DStR 2016, 2858.

I. Worum geht es? 8.1 Der Trend zur unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit und Vernetzung ist ungebrochen: Unternehmen lagern betriebliche Teilfunktionen auf Subunternehmer und Dienstleister aus oder führen im Rahmen von Joint Ventures Projekte gemeinsam durch. Neue und bessere digitale Kom-

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.3 § 8

munikationsmittel erleichtern die Abstimmung zwischen Unternehmen und eröffnen wachsende Optimierungspotentiale. Für Unternehmen gibt es vielfältige Anlässe, eine enge Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen einzugehen. Arbeitsrechtliche Fragestellungen kommen auf, sobald die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit durch Erwägungen der Personalplanung motiviert ist:

8.2

– Häufig können Subunternehmer und andere Drittdienstleister bestimmte betriebliche Teilfunktionen preislich günstiger ausführen als das Personal des eigenen Unternehmens. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Drittdienstleister niedrigere Lohnkosten aufwenden müssen, z.B. weil sie deutlich günstigere Tarifverträge abgeschlossen haben oder nicht tarifgebunden sind. Teilweise gründen tarifgebundene Unternehmen eigene Tochtergesellschaften ohne Tarifbindung, um bestimmte Teilfunktionen auszulagern. Outsourcing und unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze sind deshalb beliebte Mittel der Tarifflucht1. Vor allem Dax-Unternehmen und andere Großkonzerne sowie öffentliche Unternehmen lagern – motiviert durch ihr hohes eigenes Lohnniveau – immer mehr Teilfunktionen aus. – Der Bedarf nach Knowhow wächst und wird variantenreicher und spezifischer. Vor allem im Projektgeschäft sind viele Unternehmen auf wechselndes Knowhow angewiesen, über das sie oft selbst nicht verfügen und welches sie nicht dauerhaft benötigen. In diesen Fällen bietet sich die Zusammenarbeit mit Dienstleistern an, die über entsprechend qualifiziertes und spezialisiertes Personal verfügen. – Oft wollen sich Unternehmen auch bei dichter Auftragslage nicht die arbeitsrechtlichen Pflichten aufladen, die mit der Einstellung zusätzlichen Personals einhergingen. Wegen des Kündigungsschutzrechts könnten sie Eigenpersonal nämlich nicht ohne rechtliches Risiko wieder abbauen. Durch Einschaltung von Subunternehmern können im Bedarfsfall flexibel Zusatzkapazitäten aktiviert werden, die keine Fixkosten verursachen, wenn man sie nicht braucht. Subunternehmen geben Unternehmen metaphorisch gesprochen „Luft zum Atmen“2. – Teilweise beauftragen seriöse Unternehmen externe Dienstleister für Geschäftspraktiken, die ihnen selbst aus Compliance-Gründen zu heikel wären. So sind in der IT-Branche, aber auch in prekären Niedriglohnsektoren (z.B. bestimmten Bereichen der Baubranche und bei bestimmten Zustelldienstleistern) eine Vielzahl von Scheinselbständigen tätig. Viele Unternehmen, die selbst Hemmungen haben, Direktverträge mit Scheinselbständigen zu schließen, sind durchaus bereit, mit Subunternehmen oder sonstigen Auftragnehmern zusammenzuarbeiten, die Scheinselbständige einsetzen (dazu auch Rz. 7.50).

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Arbeitsrechtliche Herausforderungen stellen sich bei der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit, sobald die eigenen Arbeitnehmer in den direkten Kontakt mit den Mitarbeitern von Fremdfirmen treten und sich im Arbeitsalltag mit diesen Mitarbeitern abstimmen müssen. Dies ist vor allem dann zu erwarten, wenn Mitarbeiter fremder Unternehmen auf dem eigenen Betriebsgelände („on-site“) tätig werden. – Das arbeitsrechtliche Kernproblem liegt in der Gefahr, gegen die Vorgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) zu verstoßen (dazu Rz. 8.4 ff.).

1 Lembke, NZA 2013, 1312 (1312); Henssler, RdA 2017, 83 (84); Koch in Schaub, Tarifflucht; Winter/Zimmer/Heuschmid/Klein in Däubler, Tarifvertragsgesetz, 4. Aufl. 2016, § 1 TVG Rz. 812 ff.; Greiner, NZA 2013, 697 (697). 2 Willemsen/Mehrens, NZA 2015, 897 (897); Lembke, NZA 2013, 1312 (1312 f.).

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8.3

§ 8 Rz. 8.3

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

– Der Betriebsrat ist über alle Fremdpersonaleinsätze auf dem Betriebsgelände zu unterrichten. Beteiligungsrechte erlangt er hingegen nur, wenn sich die Fremdpersonaleinsätze als Arbeitnehmerüberlassung darstellen (dazu Rz. 8.22 f.). – Bei der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit können sich außerdem besondere arbeitsschutz-, datenschutz- und urheberrechtliche Fragestellungen ergeben (dazu Rz. 8.24 ff.).

1. Vermeidung illegaler Arbeitnehmerüberlassung 8.4 Fremdpersonaleinsätze können entweder innerhalb oder außerhalb des Anwendungsbereichs des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) stattfinden. Im ersten Fall spricht man von Arbeitnehmerüberlassung (oder synonym von Leiharbeit oder Zeitarbeit). Arbeitnehmerüberlassung ist gesetzlich reguliert. Für die Zusammenarbeit außerhalb des Anwendungsbereichs des AÜG gibt es hingegen keine einheitliche Bezeichnung, da sie gesetzlich weder reguliert noch definiert ist (dazu Rz. 8.5 f.). Bei der Vertragsgestaltung haben Unternehmen kein Wahlrecht, ob sie Arbeitnehmerüberlassungsregeln anwenden wollen oder nicht (dazu Rz. 8.7 ff.). Werden Arbeitnehmer überlassen, ohne dabei die gesetzlichen Regularien zu beachten (sog. illegale Arbeitnehmerüberlassung), drohen verschiedene Sanktionen (dazu Rz. 8.18 ff.).

a) Regulative Vorgaben des AÜG 8.5 Bei der Arbeitnehmerüberlassung überlässt das eine Unternehmen (sog. Verleiher) einem anderen Unternehmen (sog. Entleiher) seine eigenen Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer. Der Entleiher setzt die überlassenen Leiharbeitnehmer im Rahmen eigener Projekte ein und steuert sie selbst. Die Arbeitnehmerüberlassung ist durch das AÜG streng reguliert. Finden unternehmensübergreifende Arbeitseinsätze im Anwendungsbereich des AÜG statt, gelten folgende gesetzliche Vorgaben: – Unternehmen dürfen ihre Arbeitnehmer nur dann an andere Unternehmen überlassen, wenn sie über eine behördliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Die Erlaubnis wird nach § 2 AÜG bei der zuständigen Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit beantragt (§ 17 AÜG). Die Erlaubnis muss jedem Unternehmen auf Antrag erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund nach § 3 AÜG vorliegt1. Wenn die Bundesagentur für Arbeit keine Anhaltspunkte für Versagungsgründe hat, erhalten Unternehmen eine für ein Jahr befristete (§ 2 Abs. 4 AÜG) Erlaubnis. – Die Arbeitnehmerüberlassung muss im Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher ausdrücklich als solche bezeichnet werden (sog. Zitiergebot, § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). – Bevor ein Arbeitnehmer überlassen wird, muss der Verleiher diesen Arbeitnehmer gegenüber dem Entleiher durch Angabe von Vor- und Zuname2 konkretisieren (§ 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG). Die Konkretisierung darf nicht vergessen werden. Aus Nachweisgründen erwartet die Bundesagentur für Arbeit, dass die Konkretisierung zumindest in Textform3 erfolgt und der Beleg aufbewahrt wird4. – Die Überlassung eines Leiharbeitnehmers an einen bestimmten Entleiher darf eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten nicht überschreiten (§ 1 Abs. 1b AÜG). – Der Verleiher muss den Leiharbeitnehmern mindestens das gleiche Gehalt zahlen, welches auch die Stammbelegschaft des Entleiher-Unternehmens erhält („equal pay“, § 8 AÜG). Der Equal-

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Ulrici in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 2 AÜG Rz. 3. Koch in BeckOK/ArbR, § 1 AÜG Rz. 149. Koch in BeckOK/ArbR, § 1 AÜG Rz. 154. Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.7 Abs. 3.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.8 § 8

Pay-Anspruch kann nach aktueller Rechtslage1 nur noch teilweise durch Tarifvertrag abbedungen werden (§ 8 Abs. 2 AÜG), nämlich grundsätzlich nur noch für eine Einsatzdauer von neun Monaten (§ 8 Abs. 4 AÜG). – Den Leiharbeitnehmern dürfen auch im Übrigen keine wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen gewährt werden als der Stammbelegschaft des Entleihers, z.B. wenn es um die Gewährung von Urlaub oder den Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen geht („equal treatment“, § 8 Abs. 1 Satz 1, § 13b AÜG). – Sind die Vorgaben von Equal Treatment und Equal Pay nicht durch Tarifvertrag abbedungen, muss im schriftförmlich geschlossenen Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher angegeben werden, welche besonderen Merkmale die für den Leiharbeitnehmer vorgesehene Tätigkeit hat, welche berufliche Qualifikation dafür erforderlich ist, sowie welche im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gelten (§ 12 Abs. 1 AÜG)2. Dies bereitet merklichen bürokratischen Aufwand. – Führt der Verleiher Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß ab, haftet der Entleiher neben ihm wie ein selbstschuldnerischer Bürge gegenüber der Einzugsstelle (§ 28e Abs. 2 SGB IV). Stellt der unternehmensübergreifende Arbeitseinsatz hingegen keine Arbeitnehmerüberlassung dar, gelten diese Vorgaben nicht. Die Arbeitseinsätze sind dann auch nicht durch andere, vergleichbare gesetzliche Vorgaben reguliert. Stattdessen können die beteiligten Unternehmen normale Dienstund Werkverträge schließen und deren Inhalt privatautonom gestalten. Eine Zusammenarbeit auf Dienst- und Werkvertragsbasis ist weder genehmigungspflichtig, noch müssen ein bestimmtes Lohnniveau oder bestimmte Überlassungsfristen eingehalten werden. Eine Haftung des Auftraggebers für nichtabgeführte Sozialversicherungsbeiträge des Auftragnehmers scheidet aus.

8.6

b) Abgrenzung von Leiharbeit und sonstigen Fremdpersonaleinsätzen Nicht jeder drittbezogene, unternehmensübergreifende Arbeitseinsatz stellt eine Arbeitnehmerüberlassung dar. Ob die Vorgaben des AÜG Anwendung finden, richtet sich nach der spezifischen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen den beteiligten Unternehmen und den unternehmensübergreifend eingesetzten Arbeitnehmern.

8.7

Bei der Arbeitnehmerüberlassung erschöpft sich die Pflicht des Verleihers in der Zurverfügungstellung von Personal. Anders als bei der bloßen Personalvermittlung3 sind die Leiharbeitnehmer allerdings während des Fremdpersonaleinsatzes durch Arbeitsverträge beim Verleiher angestellt. Für die Dauer der Arbeitnehmerüberlassung stellt der Verleiher diese Leiharbeitnehmer dem Entleiher zur Verfügung und tritt sein Arbeitgeberdirektionsrecht (§ 611a Abs. 1 Satz 2 BGB, § 106 GewO) an den Entleiher ab. Gleichzeitig erfüllt der Verleiher weiterhin die Lohn-, Urlaubs- und Entgeltfortzahlungsansprüche der Leiharbeitnehmer. Von nun an ist es Sache des Entleihers, die überlassenen Leih-

8.8

1 § 8 AÜG wurde zum 1.4.2017 durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze v. 21.2.2017 (BGBl. I 2017, 258) entsprechend neu gefasst. 2 Die Erfüllung dieser Pflicht ist bürokratisch sehr aufwendig und im Alltag kaum zu bewältigen, Seel, öAT 2017, 48 (49). Nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht führt ein Verstoß gegen die Pflicht nach § 12 Abs. 1 Satz 3 AÜG nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags, sondern schafft lediglich einen Anspruch des Verleihers auf Ausstellung und Übergabe einer vollständigen Urkunde, Ulrici in Boecken/Düwell/ Diller/Hanau, § 12 AÜG Rz. 12; a.A. Brors in Schüren/Hamann, § 12 AÜG Rz. 13. 3 Bei der Personalvermittlung schließt der Arbeitnehmer hingegen einen Arbeitsvertrag mit dem Auftraggeber des Personalvermittlers, für den er tätig wird. Eingehend zu diesem Geschäftsmodell Vielmeier, RdA 2019, 371.

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§ 8 Rz. 8.8

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

arbeitnehmer unter Ausübung des abgetretenen Direktionsrechts anzuweisen und zu steuern1. Der Verleiher ist nicht für den Arbeitserfolg der Leiharbeitnehmer verantwortlich und haftet auch nicht, wenn die Leiharbeitnehmer Pflichten gegenüber dem Entleiher verletzen2. Er hat seine Pflicht dadurch erfüllt, dass er die Leiharbeitnehmer ordnungsgemäß ausgewählt und dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat3. Der wirtschaftliche Erfolg des Arbeitseinsatzes liegt in der Verantwortungs- und Organisationssphäre des Entleihers.

8.9 Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Auftraggeber aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen organisiert das Auftragnehmer-Unternehmen die Arbeitseinsätze seiner Arbeitnehmer selbst, um die nach dem Vertrag geschuldeten Dienste oder Werke gegenüber dem Auftraggeber zu erbringen. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Auftragnehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Es liegt demnach in der Verantwortungssphäre des Auftragnehmer-Unternehmens, die eingesetzten Arbeitnehmer so anzuweisen und zu steuern, dass der wirtschaftliche Erfolg erreicht wird, den es seinem Auftraggeber schuldet4.

8.10 Allerdings können sich Unternehmen nicht etwa durch freie Rechtswahl im gemeinsamen Vertrag aussuchen, ob die gemeinsame Zusammenarbeit als Arbeitnehmerüberlassung behandelt werden soll oder nicht. Über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet der tatsächliche Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge oder eine äußere Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht. Weist dieser Geschäftsinhalt die Merkmale einer Arbeitnehmerüberlassung auf, findet das AÜG Anwendung. Der Geschäftsinhalt kann sich sowohl aus den ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch aus der praktischen Durchführung des Vertrags ergeben. Widersprechen sich beide, so ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgebend, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind und was sie folglich wirklich gewollt haben. Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp5. Wählen Unternehmen also eine Form der Zusammenarbeit, die in der tatsächlichen Durchführung dem Charakter der Arbeitnehmerüberlassung entspricht, werden ihnen die Regularien und das Rechtsfolgenregime des Arbeitnehmerüberlassungsrechts aufgezwungen6.

8.11 Hinweis: Es kommt in der Praxis immer wieder vor, dass Unternehmen „auf dem Papier“ Dienstverträge mit Geschäftspartnern schließen, bei denen die tatsächliche Durchführung des Vertrages eigentlich einer Arbeitnehmerüberlassung entspricht. Dann findet das AÜG Anwendung und die beteiligten Unternehmen verstoßen – unausweichlich (vgl. Rz. 8.18 f.) – gegen AÜG-Vorgaben. Oft werden die häufig gutgläubigen Unternehmen durch diese Rechtsfolge selbst überrascht. Die größte Compliance-Herausforderung bei unternehmensübergreifenden Personaleinsätzen liegt darin, eine solche „verdeckte Arbeitnehmerüberlassung“7 zu vermeiden.

8.12 Das AÜG reguliert im Ausgangspunkt keine Geschäftsbeziehungen, in denen der Auftraggeber bestimmte Leistungserfolge erwartet, deren Erreichung der Auftragnehmer selbständig organisieren muss, so dass nicht die Überlassung von Personal, sondern die Erbringung von Leistungen im Mittelpunkt steht. Dies ist

1 2 3 4

Maschmann, NZA 2013, 1305 (1308); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (14). Greiner, NZA 2013, 697 (700); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (14). BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, ArbRB 2018, 229 = juris Rz. 27; Greiner, NZA 2013, 697 (700). BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, ArbRB 2018, 229 = juris Rz. 27; Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (341); Henssler, RdA 2017, 83 (86); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (13 f.). 5 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11, juris Rz. 21; BAG v. 14.6.1984 – 2 AZR 215/83, Orientierungssatz; dazu Maschmann, NZA 2013, 1305 (1306); Moderegger, ArbRB 2018, 215 (215). 6 Henssler, RdA 2017, 83 (86). 7 Vgl. zum Begriff z.B. BAG v. 12.7.2016 – 9 AZR 352/15, ArbRB 2016, 355.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.13 § 8

z.B. der Fall, wenn ein Handwerksunternehmen eine bestimmte Verrichtung vornehmen soll und der Auftraggeber keine eigenen Handwerker beschäftigt. Dann greift der Auftraggeber nicht in die Personaldisposition des Auftragnehmers ein und will dies auch nicht. Gleichzeitig kommt es kaum zur Verflechtung der Belegschaften beider Unternehmen. In diesen Fällen findet das AÜG eindeutig keine Anwendung und Verstöße gegen das AÜG drohen nicht. Diese Formen der Zusammenarbeit bereiten deshalb selten arbeitsrechtliche Probleme. In vielen Fällen ist jedoch nicht eindeutig, ob eine bestimmte Form der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit in den Anwendungsbereich des AÜG fällt oder nicht. Dies gilt vor allem für unternehmensübergreifende Personaleinsätze, bei denen das Interesse des Auftraggebers am Zugang zum Personal des Auftragnehmers ein Hauptmotiv darstellt, aber die beteiligten Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben für Arbeitnehmerüberlassung aus unterschiedlichsten Gründen nicht einhalten können oder wollen. In der Praxis treten insbesondere folgende Konstellationen immer wieder auf: – Bei vergleichsweise kurzen, untergeordneten Arbeitseinsätzen im fremden Unternehmen steht der bürokratische Aufwand der Einhaltung formaler AÜG-Vorgaben oft außer Verhältnis. Dazu müssten die Unternehmen extra eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beantragen, Lohnansprüche an die EqualPay-Vorgaben anpassen und korrekte Arbeitnehmerüberlassungsverträge formulieren. Dies ist kurzfristig oft nicht möglich und wegen des Aufwandes nicht gewollt. – Als Mittel der Tarifflucht (zum Begriff Rz. 8.2), also wenn es dem tarifgebundenen Auftraggeber darum geht, einen tarifungebundenen „billigen“ Subunternehmer mit niedrigeren Personalkosten einzusetzen, eignet sich die Arbeitnehmerüberlassung nach aktueller Rechtslage kaum noch1. Zum einen kann der Equal-Pay-Anspruch grundsätzlich nur noch für neun Monate tariflich abbedungen werden (§ 8 Abs. 4 AÜG). Zum anderen ist die Einsatzdauer insgesamt auf 18 Monate befristet (§ 1 Abs. 1b AÜG). Bei der Tarifflucht geht es jedoch üblicherweise darum, bestimmte Funktionen dauerhaft durch Fremdpersonal ausführen zu lassen2. – Geht es dem Auftraggeber darum, das Knowhow bestimmter, hoch qualifizierter Arbeitnehmer vorübergehend für bestimmte Projekte zu nutzen, müssten die Projekte bei einer Zusammenarbeit auf Leiharbeitsbasis innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen werden (§ 1 Abs. 1b AÜG). Andernfalls würde der Knowhow-Träger inmitten des Projektes ausscheiden und der Projekterfolg gefährdet. Für längere Projekte eignet sich die Leiharbeit daher nur begrenzt. – Teilweise können gar nicht alle Aspekte einer Zusammenarbeit als Leiharbeit ausgestaltet werden, weil der Auftragnehmer seine Mitarbeiter für bestimmte Aufgaben selbst steuern muss, während bei anderen Aufgaben eine Überlassung an den Auftraggeber in Betracht käme, z.B. bei gemeinschaftlichen Projekten zweier Unternehmen. Nach aktueller Rechtslage setzt das AÜG jedoch voraus, dass stets sauber abgegrenzt wird, ob ein Arbeitnehmer gerade als Leiharbeitnehmer für den Auftraggeber tätig ist oder nicht. Zum einen muss die Person des Leiharbeitnehmers nämlich vor jedem Einsatz konkretisiert werden (§ 1 Abs. 1 Satz 6 AÜG). Zum anderen muss im Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher eindeutig bezeichnet sein, wo Leiharbeit stattfindet und wo nicht (§ 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Wechselt die Rolle der Mitarbeiter während eines Projektes laufend, ist die Einhaltung dieser Vorgaben nicht praktikabel (vgl. zur unternehmensübergreifenden agilen Arbeit Rz. 6.23 ff.). – Geht es dem Auftraggeber darum, Risiken der Scheinselbständigkeit auf ein Auftragnehmer-Unternehmen auszulagern, um nicht direkt mit den (vermeintlichen) Freelancern kontrahieren zu müssen, kommt Arbeitnehmerüberlassung nicht in Betracht. Die Arbeitnehmerüberlassung müsste im Vertrag

1 Der Gesetzgeber hatte das AÜG durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze v. 21.2.2017 (BGBl. I 2017, 258) mit Wirkung zum 1.4.2017 neu gefasst, wesentlich mit dem Ziel, die Tarifflucht durch Leiharbeit zu verhindern. 2 Theoretisch wäre es vorstellbar, zwei Leiharbeiter im Wechsel nach einem „Karussell“-Verfahren periodisch zwischen Entleihern hin- und her zu schieben, um die Überschreitung der zeitlichen Grenzwerte zu vermeiden. Ungeachtet der rechtlichen Bedenken gegen eine solche Missbrauchsstrategie (vgl. z.B. Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (207)) erscheint sie meist unpraktikabel, weil die Leiharbeitnehmer sich immer wieder aufs Neue einarbeiten müssten und sich auf eine solche Praxis auch nicht einlassen.

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8.13

§ 8 Rz. 8.13

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

mit dem Verleiher ausdrücklich als „Arbeitnehmer“-Überlassung – und eben nicht als Selbständigenüberlassung – bezeichnet werden (§ 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Außerdem haftet der Auftraggeber subsidiär für nichtabgeführte Sozialversicherungsbeiträge (§ 28e Abs. 2 SGB IV). Unseriösen Verleiherunternehmen, die z.B. Sozialversicherungsbeiträge nicht ordnungsgemäß abführen, kann die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis darüber hinaus versagt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) oder widerrufen werden (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AÜG). Die Bundesagentur für Arbeit führt regelmäßige AÜG-Betriebsprüfungen bei Unternehmen durch, denen eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erteilt wurde. In diesen Grenzfällen empfiehlt es sich, dass Auftraggeber und Auftragnehmer ihre Vertragsbeziehung zielgerichtet in einer Weise ausgestalten, dass sie nicht in den Anwendungsbereich des AÜG fällt. Hierzu hat sich eine Best Practice etabliert (dazu Rz. 8.34 ff.).

8.14 Die Abgrenzung von Arbeitnehmerüberlassungsverträgen von Dienst- und Werkverträgen muss in Grenzfällen besonders sorgfältig vorgenommen werden. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG kommt es auf zwei Kriterien an, nämlich ob bei der tatsächlichen Durchführung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit Arbeitnehmer in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert sind und ob sie den Weisungen des Auftraggebers unterliegen. Zu diesen Kriterien hat sich mittlerweile eine umfangreiche Judikatur etabliert. In uneindeutigen Fällen gibt eine wertende Gesamtabwägung aller maßgeblichen Abgrenzungskriterien den Ausschlag1.

8.15 – Weisungen des Auftraggebers gegenüber den Arbeitnehmern des Auftragnehmers begründen nur dann eine Arbeitnehmerüberlassung, wenn sie arbeitsrechtlichen Charakter haben. Dabei ist das arbeitsrechtliche Weisungsrecht vom werkvertraglichen Anweisungsrecht (vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB) abzugrenzen. Die werkvertragliche Anweisung ist sachbezogen sowie ergebnisorientiert und dabei gegenständlich auf die zu erbringende Werkleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ist demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert. Es beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und zielt vielfach auf die Motivation des Mitarbeiters2. Unschädlich sind demnach Anweisungen an Arbeitnehmer des Auftragnehmers, mit denen vorgegeben wird, welche Ergebnisse diese für den Auftraggeber zu erarbeiten haben. Zur Arbeitnehmerüberlassung führen Weisungen, mit denen diesen Arbeitnehmern vorgegeben wird, „wie“ sie bei der Erarbeitung dieser Ergebnisse vorzugehen haben. Allerdings verfließen arbeitsrechtliche Weisung und werkvertragliche Anweisung im Grenzbereich: Es kann zu doppelfunktionalen Weisungen kommen, bei denen ergebnisbezogene Anweisungen arbeitsrechtliche Vorgaben zur Vorgehensweise (dem „wie“) implizieren3. – Leiharbeitnehmer werden in die Betriebsorganisation des Einsatzbetriebes vollständig eingegliedert. Eine vollständige Eingliederung in den Einsatzbetrieb liegt vor, wenn der Entleiher – so das BAG wörtlich – „den Arbeitnehmer seinen Vorstellungen und Zielen gemäß innerhalb seiner Betriebsorganisation wie eigene Arbeitnehmer zur Förderung seiner Betriebszwecke einsetzt“4. Von einer Eingliederung ist i.d.R. auszugehen, wenn Arbeitnehmer des Auftragnehmers arbeitsteilig mit den Arbeitnehmern des Auftraggebers zusammenarbeiten5. Denn bei einer solchen Verzahnung der Belegschaften kann der Auftragnehmer i.d.R. keine eigene Erfolgsverantwortung übernehmen und keine eigenständigen Personaldispositionen treffen, sondern hat diese Organisationsmacht faktisch an den Auftraggeber abgegeben (vgl. allerdings zur unternehmensübergreifenden agilen Arbeit Rz. 6.23 ff.). Zum anderen kommt es auf den äußerlichen Umgang mit den Ar-

1 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6 Abs. 3. 2 BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, Orientierungssatz 2, ArbRB 2018, 229; dazu Moderegger, ArbRB 2018, 215 (217). 3 Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (342); Willemsen/Mehrens, NZA 2019, 1473 (1474). 4 BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, juris Rz. 13; BAG v. 6.11.1978 – 5 AZR 261/77, juris Rz. 69. 5 Deinert, RdA 2017, 65 (67).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.15 § 8

beitnehmern des Auftragnehmers an. Leiharbeitnehmer werden üblicherweise genauso behandelt, wie die eigenen Stammarbeitnehmer, d.h. sie tragen dieselbe Betriebskleidung, haben dieselben Zugangsrechte zu Räumlichkeiten, sitzen in denselben Büros, nehmen an derselben Personaleinsatzplanung teil und erhalten dieselben Schulungen und Vergütungen. Bei Fremdpersonal, das auf Dienst- und Werkvertragsbasis eingesetzt wird, ist dies gerade nicht der Fall1. – Indizien, die für Arbeitnehmerüberlassung sprechen, sind die Stellung von Material und Arbeitsmitteln durch das Auftraggeber-Unternehmen2, Übernahme von Tätigkeiten, die vormals von Arbeitnehmern des Auftraggeber-Unternehmens ausgeführt wurden3 sowie die Delegation nicht erfolgsbezogener, einfacherer Arbeiten wie z.B. Schreibarbeiten, Botendienste und Dateneingabe sowie Kleinstaufgaben, die keinen eigenständigen Projektcharakter haben4. Nicht automatisch für Arbeitnehmerüberlassung spricht, wenn sich der Arbeitnehmer regelmäßig in den Betriebsräumen des Auftraggebers aufhält und dort auch an regelmäßigen Besprechungen teilnimmt. Ist dies durch die Vornahme und Abstimmung der zu erbringenden Werk- oder Dienstleistung bedingt, handelt es sich nicht um ein Indiz für Arbeitnehmerüberlassung. Für Arbeitnehmerüberlassung spricht die Anwesenheit in den Betriebsräumen des Auftraggebers und die Teilnahme an dortigen Besprechungen allerdings dann, wenn sich darin eine Personalhoheit des Auftraggeber-Unternehmens ausdrückt, z.B. weil der Arbeitnehmer auch an Besprechungen ohne Projektbezug teilnimmt5. – Für einen Werk- oder Dienstvertrag spricht, wenn der Auftragnehmer ein definiertes Werkergebnis abliefern soll, idealerweise verbunden mit einer erfolgsabhängigen Vergütung6. Dies gilt vor allem dann, wenn sich der Auftragnehmer im Vertrag mit dem Auftraggeber einem strengen Haftungsregime unterwirft und dieses Haftungsregime (z.B. durch freiwilligen Abschluss einer Haftpflichtversicherung oder durch wiederholt ausgeübte Mängelgewährleistungsrechte) aktiv gelebt wird7. Bei der Arbeitnehmerüberlassung haftet der Auftragnehmer hingegen nur für die Auswahl der Leiharbeitnehmer, nicht dagegen für ihren Arbeitserfolg8. – Weicht die tatsächliche Durchführung vom geschlossenen schriftlichen Vertrag der Parteien ab, ist erstere maßgeblich. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Abweichung in der tatsächlichen Durchführung mit Kenntnis und Billigung der zum Vertragsschluss berechtigten Personen erfolgt und einen Rückschluss auf ihren wirklichen Willen zulässt9. Weichen nicht zum Vertragsschluss berechtigte Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen in einzelnen Exzessen von den vereinbarten Bedingungen der Zusammenarbeit ab (z.B., indem sie Arbeitnehmern des Auftragnehmers im Einzelfall eigenmächtig Direktanweisungen erteilen), führt dies noch nicht automatisch zur Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts10. Kommt dies allerdings ständig vor, ohne dass die Leitungspersonen der beteiligten Unternehmen das Verhalten aktiv untersagen und ggf. durch Sanktionen unterbinden, wird ihnen unterstellt, dass sie die Abweichung bewusst dulden

1 Um Indizien für Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden, sollte bei der Gestaltung von Fremdpersonaleinsätzen aufgrund von Werk- oder Dienstverträgen eine Gleichbehandlung mit der eigenen Belegschaft gezielt unterbunden werden (dazu Rz. 8.51 ff.). 2 BAG v. 15.6.1983 – 5 AZR 111/81, juris Rz. 19; BAG v. 30.1.1991 – 7 AZR 497/89, juris Rz. 51. 3 BAG v. 14.6.1984 – 2 AZR 215/83, juris Rz. 61. 4 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.1 Abs. 4. 5 BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, ArbRB 2018, 229 = juris Rz. 49; BAG v. 9.11.1994 – 7 AZR 217/94, juris Rz. 29. 6 BAG v. 6.11.1978 – 5 AZR 261/77, juris Rz. 65; BSG v. 11.2.1988 – 7 RAr 5/86, juris Rz. 20. 7 Willemsen/Mehrens, NZA 2019, 1473 (1475); Greiner, NZA 2013, 697 (699). 8 BAG v. 6.11.1978 – 5 AZR 261/77, juris Rz. 70. 9 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11, juris Rz. 21; zweifelnd, ob dieses Erfordernis nach neuer Rechtslage noch gestellt wird, Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (14). 10 Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (342); Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1525).

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§ 8 Rz. 8.15

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

und billigen. Der schriftliche Vertrag wird dann als unbeachtliches Scheingeschäft (§ 117 BGB) behandelt und die rechtliche Bewertung knüpft allein an die tatsächliche Durchführung an1. Je nachdem, welche Indizien überwiegen, ist die Rechtsbeziehung entweder als Arbeitnehmerüberlassung oder als Dienst- oder Werkvertrag zu qualifizieren.

8.16 Hinweis: Das sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis wird im Ausgangspunkt nach den gleichen Kriterien von einer selbständigen Tätigkeit abgegrenzt (vgl. dazu Rz. 7.11 ff.), wie die Arbeitnehmerüberlassung von einer Tätigkeit auf Basis von Werk- und Dienstverträgen. Maßgeblich ist in beiden Fällen, ob der betreffende Mitarbeiter durch Weisungen des Auftraggebers gesteuert und in dessen Betriebsorganisation eingegliedert wird (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, § 7 Abs. 1 SGB IV, § 611 Abs. 1 BGB). Allerdings ergeben sich erhebliche Wertungsverschiebungen daher, dass der Begriff der Arbeitnehmerüberlassung vorrangig durch die großzügigere Judikatur des BAG geprägt wird, während über die Sozialversicherungspflicht vorrangig das sehr viel strengere BSG entscheidet. Während das BAG Arbeitnehmerüberlassung i.d.R. nur dann annimmt, wenn einem Mitarbeiter arbeitsrechtliche Weisungen von Seiten des Auftraggebers erteilt werden2, kann nach der Rechtsprechung des BSG auch in anderen Fällen eine Sozialversicherungspflicht aus einer „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“3 hergeleitet werden (vgl. dazu Rz. 7.12).

8.17 Aus dem Gesetz und der Judikatur des BAG ergeben sich bestimmte Anwendungsbereichsausnahmen des AÜG. Selbst wenn sich die tatsächliche Durchführung des Vertrages als Arbeitnehmerüberlassung darstellt, kommt das Arbeitnehmerüberlassungsrecht in folgenden Ausnahmekonstellationen gleichwohl nicht zur Anwendung: – Das AÜG gilt nicht, wenn die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen i.S.d. § 18 AktG erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zwecke der Arbeitnehmerüberlassung eingestellt und beschäftigt wird (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG). Werden Arbeitnehmer aufgrund desselben Arbeitsverhältnisses im Laufe ihrer Anstellung für unterschiedliche Konzernunternehmen tätig, muss der Arbeitgeber deshalb keine versehentlichen Verstöße gegen das AÜG befürchten. Diese Ausnahmevorschrift vermeidet deshalb unnötige bürokratische Förmlichkeiten4. Die Ausnahme gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft für andere Konzerngesellschaften als seinen Vertragsarbeitgeber tätig ist und von vornherein zur Überlassung eingestellt wurde. Dadurch wird verhindert, dass Konzernunternehmen durch Gründung von Personalführungsgesellschaften einen Formmissbrauch betreiben, um gesetzliche Vorschriften zu umgehen5. – Das Arbeitnehmerüberlassungsrecht gilt ebenfalls nicht, wenn eine Überlassung nur gelegentlich erfolgt und der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 AÜG). Gemeint ist, dass die Überlassung aus besonderem, unvorhergesehenem Anlass und ohne jede Wiederholungsabsicht vorgenommen wird6. Eine dauerhafte Zusammenarbeit lässt sich aufgrund dieser Ausnahme nicht einrichten. Selbst für Kurzeinsätze gilt die Ausnahme nicht, wenn sie sich konzeptmäßig wiederholen. – Keine Arbeitnehmerüberlassung liegt vor, wenn der Auftraggeber im Rahmen eines gemischten Vertrages eine Maschine mietet und der Auftragnehmer ihm als untergeordnete Nebenleistung besonders qualifiziertes Bedienungspersonal für diese Maschine zur Verfügung stellt. Voraussetzung ist allerdings, dass die überlassene Maschine entsprechend kompliziert zu bedienen ist und

1 LAG Baden-Württemberg v. 1.8.2013 – 2 Sa 6/13, juris Rz. 119 ff.; Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1527). 2 Vgl. BAG v. 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, juris Rz. 26 ff. 3 Eingehend hierzu BSG v. 4.6.2019 – B 12 R 11/18 R, juris Rz. 16 ff. 4 So das Regelungsziel des Gesetzgebers, BT-Drucks. 10/3206, S. 33. 5 BT-Drucks. 10/3206, S. 33. 6 Wank/Roloff in ErfK, § 1 AÜG Rz. 77.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.20 § 8

eine besondere Qualifikation voraussetzt1. Dies ist bei einem Flugzeug2 oder Bagger3 der Fall, bei einem Lkw4 oder Laptop5 hingegen nicht. – Arbeitnehmerüberlassung liegt ebenfalls dann nicht vor, wenn mehrere rechtlich selbständige Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG begründet haben und Arbeitnehmer durch einen einheitlichen Leitungsapparat gemeinsam führen6. Voraussetzung dafür ist, dass nicht ein Unternehmen dem anderen Personal für dessen Betriebszwecke zur Verfügung stellt, sondern beide Unternehmen aufgrund einer Führungsvereinbarung durch einen gemeinsamen Personaleinsatz gemeinsame Betriebszwecke verfolgen7 (dazu eingehend Rz. 8.54 ff.). – Bei Auszubildenden, die in einem unternehmensübergreifenden Verbund (§ 10 Abs. 5 BBiG) ausgebildet werden8, findet Arbeitnehmerüberlassungsrecht keine Anwendung.

c) Sanktionen bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung Unternehmensübergreifende Zusammenarbeit, die sich in der tatsächlichen Durchführung als Ar- 8.18 beitnehmerüberlassung darstellt, aber von den beteiligten Unternehmen im zugrunde liegenden Vertrag nicht als solche behandelt wird, verstößt immer gegen das AÜG (sog. „illegale Arbeitnehmerüberlassung“). Dies gilt schon deshalb, weil die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG im zugrunde liegenden Vertrag nicht als solche bezeichnet ist9. Allein dieser Fehler reicht aus, damit auf die Vertragsbeziehung der Großteil der Sanktionsinstrumentarien des AÜG Anwendung finden. Der Verstoß findet in dem Moment statt, wo ein Arbeitnehmer aufgrund der fehlerhaften Verträge tatsächlich an den illegalen Entleiher überlassen und bei diesem eingegliedert wird10.

8.19

Hinweis: Der Gesetzgeber hat das Zitiergebot in § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG mit Wirkung zum 1.4.2017 neu in das Gesetz eingefügt, um die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung generell zu untersagen11. Damit wurde die zuvor verbreitete Praxis unterbunden, dass Auftragnehmer sich eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis auf Vorrat beschaffen, um für den Fall abgesichert zu sein, dass Gerichte die von ihnen praktizierte – und im Vertrag meist als Werk- oder Dienstleistung bezeichnete – Zusammenarbeit als Arbeitnehmerüberlassung bewerten (sog. „Fallschirmlösung“)12.

Werden Arbeitnehmer illegal überlassen, drohen den beteiligten Unternehmen, d.h. sowohl dem illegalen Verleiher als auch dem illegalen Entleiher, die folgenden Sanktionen: 1 BAG v. 17.2.1993 – 7 AZR 167/92, juris Rz. 46; BAG v. 22.2.1994 – 7 AZR 77/93, juris Rz. 18, 19; Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.5 Abs. 2; dazu eingehend Grimm/Linden, ArbRB 2014, 115 (115 ff.). 2 BAG v. 17.2.1993 – 7 AZR 167/92, Leitsatz; BAG v. 22.2.1994 – 7 AZR 77/93, juris Rz. 19. 3 BAG v. 17.2.1993 – 7 AZR 167/92, juris Rz. 44. 4 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.5 Abs. 2. 5 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.5 Abs. 2. 6 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, juris Rz. 24; BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, juris Rz. 18 ff. 7 Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (210). 8 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.2 Abs. 13; Waas in Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 1 AÜG Rz. 35; Kock in BeckOK Arbeitsrecht, Stand: 1.6.02021, § 1 AÜG Rz. 26. 9 Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (207). 10 BAG v. 20.1.2016 – 7 AZR 535/13, juris Rz. 46 ff. 11 So der erklärte Wille des Gesetzgebers, BT-Drucks. 18/9232, Seite 16. 12 Zieglmeier, DStR 2016, 2858 (2860); Uffmann, NZA 2018, 265 (267); Christ/Stoppelmann, CB 2016, 447 (448); Moderegger, ArbRB 2018, 215 (215).

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183

8.20

§ 8 Rz. 8.20

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

– Der Arbeitsvertrag zwischen einem illegal überlassenen Arbeitnehmer und seinem illegalen Verleiher wird kraft Gesetzes unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 u. 1a AÜG). Gleichzeitig wird ein Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitnehmer und dem illegalen Entleiher kraft Gesetzes fingiert (§ 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Aus dem fingierten Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer gegenüber dem illegalen Entleiher Anspruch auf dieselben Entgeltleistungen und sonstigen Arbeitsbedingungen, wie vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihers auch (§ 10 Abs. 1 Satz 4 AÜG). Hatte ihm der illegale Verleiher bislang einen niedrigeren Lohn ausgezahlt, kann der Arbeitnehmer Gehaltsnachzahlungen im Umfang der Differenz fordern1. War der durch den illegalen Verleiher gezahlte Lohn hingegen höher, kann der Leiharbeitnehmer auch vom illegalen Entleiher weiterhin diesen höheren Lohn verlangen (§ 10 Abs. 1 Satz 5 AÜG). Für die Lohnansprüche einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuerlast haften der illegale Entleiher und der illegale Verleiher als Gesamtschuldner (§ 10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 2 Satz 3 u. 4 SGB IV, § 42d Abs. 5 Satz 5 EStG). Der Leiharbeitnehmer kann die rechtliche Existenz des Fiktionsarbeitsverhältnisses im Klagewege feststellen lassen2 und sich auf diesem Wege in ein Arbeitsverhältnis „einklagen“3. – Verfügt der illegale Verleiher über keine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis, ist auch der Vertrag zwischen dem illegalen Verleiher und dem illegalen Entleiher unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG)4. – Nimmt die Bundesagentur für Arbeit als zuständige Aufsichtsbehörde (§ 17 Abs. 1 AÜG) von einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung Kenntnis, muss sie den Arbeitseinsatz durch Bescheid untersagen und die Untersagung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen (§ 6 AÜG). – Wegen der Verstöße werden sowohl gegen den illegalen Verleiher als auch den illegalen Entleiher behördliche Bußgelder verhängt (vgl. § 16 AÜG). Für die schweren Delikte ist die Zollverwaltung zuständig und verhängt Bußgelder, die bei der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung ohne Erlaubnis bis zu 30.000 EUR betragen können. Daneben können für geringere Delikte auch durch die Bundesagentur für Arbeit Bußgelder verhängt werden. Die wirtschaftliche Belastung durch die Bußgeldbeträge ist dabei oft nicht das Schmerzlichste: Beträgt der Bußgeldbetrag mehr als 200 EUR, wird die Ordnungswidrigkeit in das Gewerbezentralregister eingetragen (§ 149 Abs. 2 Nr. 3 GewO). Sobald der Bußgeldbetrag 2.500 EUR überschreitet, werden Unternehmen von vielen Vergabeverfahren über öffentliche Aufträge ausgeschlossen (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 AÜG). Ein solcher Ausschluss kann für Unternehmen existenzgefährdend sein.

8.21 Hinweis: Viele Fälle verdeckter illegaler Arbeitnehmerüberlassung bleiben unbemerkt und werden nicht sanktioniert. Zwar wird bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem überlassenen Arbeitnehmer und dem Entleiher fingiert. In vielen Fällen erahnen die Arbeitnehmer aufgrund mangelnder Rechtskenntnis aber nicht einmal, dass dieses fingierte Arbeitsverhältnis existiert, und sie haben oft auch kein Interesse an einem Arbeitsverhältnis mit dem illegalen Entleiher. Oftmals kann sich die Situation aber auch anders darstellen: – In den Wirtschaftsbereichen nach § 2a SchwarzArbG finden regelmäßige anlasslose Prüfungen der Zollverwaltung statt. Illegale Arbeitnehmerüberlassung wird dann konsequent geahndet. – Gehört illegale Arbeitnehmerüberlassung zu einer ständigen Praxis des Unternehmens – egal ob das Unternehmen als illegaler Entleiher oder Verleiher auftritt – ist die Gefahr groß, dass sich irgendwann in

1 Ulrici in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 10 AÜG Rz. 24. 2 BAG v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, juris Rz. 22 ff. 3 Dabei trägt der Arbeitnehmer die Beweislast, dem Arbeitgeber kann allerdings eine sekundäre Darlegungslast zukommen, Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (343 f.). 4 Vgl. zur Rückabwicklung der Vertragsbeziehung nach dem Recht der ungerechtfertigten Bereicherung BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, BGHZ 75, 299.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.24 § 8

der Belegschaft herumspricht, dass diese Praxis rechtlich unzulässig ist. Von da an kann jeder unzufriedene Mitarbeiter gegenüber den Behörden anonym Anzeige erstatten. – Lagert ein tariflich gebundenes Unternehmen bestimmte Teilfunktionen zum Zwecke der Tarifflucht an einen tariflich ungebundenen, „billigen“ Subunternehmer oder eine tariflich ungebundene Tochtergesellschaft aus, muss es damit rechnen, dass die Gewerkschaften und Betriebsräte diese Organisationsmaßnahme rechtlich prüfen und hinterfragen. Liegt verdeckte, illegale Arbeitnehmerüberlassung vor, fordern Gewerkschaften und Betriebsräte die betroffenen Arbeitnehmer nicht selten dazu auf, im Massenverfahren den Klageweg zu beschreiten. – Will ein illegaler Verleiher einen illegal überlassenen Arbeitnehmer kündigen, steht er rechtlich vor einem kaum lösbaren Problem: Der Arbeitnehmer kann dann nämlich rechtlich gegen den Verleiher, also seinen Geschäftspartner, vorgehen und sich auf das Fiktionsarbeitsverhältnis berufen.

2. Beteiligung des Betriebsrates Der Betriebsrat hat beim Einsatz von Fremdpersonal nur dann mitzuentscheiden, wenn die betref- 8.22 fenden Personen in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert und dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen werden. In diesem Fall ist der Betriebsrat nach § 99 BetrVG, § 14 Abs. 3 AÜG zu beteiligen. Zwar gehört die Frage, ob sich die förmliche Rechtsbeziehung als Arbeitnehmerüberlassung oder als Dienst- oder Werkvertrag darstellt, in diesem Kontext streng genommen nicht zum Prüfungsprogramm1. Dennoch sind die Abgrenzungskriterien in der Sache weitestgehend dieselben: Bei verdeckter, illegaler Arbeitnehmerüberlassung liegt i.d.R. auch eine Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG vor2. Arbeitgeber, die Fremdpersonal im Wege der verdeckten, illegalen Arbeitnehmerüberlassung einsetzen, beteiligen ihren Betriebsrat jedoch i.d.R. nicht in der vorgesehenen Weise. Dann kann der Betriebsrat nach § 101 BetrVG gerichtlich beantragen, dass der Fremdpersonaleinsatz aufgehoben und zwangsweise beendet wird3. Im Rahmen des gerichtlichen Beschlussverfahrens wird von Amts wegen aufgeklärt (§ 83 Abs. 1 ArbGG), ob beim Fremdpersonaleinsatz eine Eingliederung unter das Weisungsregime des Arbeitgebers erfolgt4. Wird das Fremdpersonal dagegen (insbesondere bei echten Dienst- oder Werkverträgen) nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterworfen, stehen dem Betriebsrat bei dem Fremdpersonaleinsatz keine Mitwirkungsrechte zu. Weder ist eine Beteiligung nach § 99 BetrVG vorgesehen, noch fallen die Arbeitnehmer fremder Unternehmen sonst in die Zuständigkeit des Betriebsrates. Der Betriebsrat muss den Einsatz dulden. Ggf. kann er in Ausübung seiner Beratungsrechte nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, §§ 92, 92a BetrVG versuchen, den Arbeitgeber mit Argumenten beeinflussen. Zwingen kann er den Arbeitgeber jedoch nicht5.

8.23

Um prüfen zu können, ob ein Fremdpersonaleinsatz ggf. als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung durchgeführt wird und deshalb Beteiligungsrechte nach §§ 99, 101 BetrVG in Betracht kommen, steht dem Betriebsrat ein Unterrichtungsanspruch gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zu6. Nach ausdrücklichem Gesetzeswortlaut erstreckt sich der Unterrichtungsanspruch auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Voraussetzung des Unterrichtungsanspruchs ist lediglich, dass der Betriebsrat von den begehrten Informationen nicht bereits Kenntnis hat und eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit besteht, dass es sich beim Fremdpersonaleinsatz um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung handeln könnte7. Der Betriebsrat kann dann

8.24

1 Vgl. BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 59/14, ArbRB 2017, 108 = juris Rz. 24 ff.; BAG v. 5.12.2012 – 7 ABR 17/11, juris Rz. 23. 2 So auch Hamann, jurisPR-ArbR 17/2017 Anm. 4. 3 BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 61/97, juris Rz. 39. 4 BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 61/97, juris Rz. 41 ff. 5 Maschmann, NZA 2013, 1305 (1311). 6 BAG v. 31.1.1989 – 1 ABR 72/87, juris Rz. 12. 7 Maiß/Juli, ArbRAktuell 2012, 162 (163 f.).

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§ 8 Rz. 8.24

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

auch die Vorlage der zugrunde liegenden Verträge mit den Fremdfirmen sowie anderer schriftlicher Unterlagen, die aus Anlass des Fremdpersonaleinsatzes angefertigt wurden, verlangen (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG)1. Wegen § 79 BetrVG kann der Arbeitgeber dem Betriebsrat keine Geheimhaltungserwägungen entgegenhalten2. Allerdings muss der Arbeitgeber zum Zwecke der Auskunft keine schriftlichen Unterlagen erstellen oder von der Fremdfirma beschaffen, die bei ihm selbst nicht vorhanden sind3.

3. Sonstige rechtliche Herausforderungen a) Arbeitsschutz 8.25 Wird das Personal fremder Unternehmen in enger räumlicher Nähe zur eigenen Belegschaft tätig, müssen sich beide Unternehmen zum Arbeitsschutz abstimmen (§ 8 Abs. 1 ArbSchG, § 6 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1; dazu auch Rz. 20.1 ff.). Werden die Mitarbeiter des fremden Unternehmens auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers tätig, darf der Auftraggeber nur Unternehmen beauftragen, die über die für die geplanten Arbeiten erforderliche Fachkunde verfügen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BetrSichV). Außerdem muss der Auftraggeber das fremde Unternehmen über die von seinen Arbeitsmitteln ausgehenden Gefährdungen und über spezifische Verhaltensregeln informieren (§ 13 Abs. 1 Satz 2 BetrSichV, § 8 Abs. 1 ArbSchG). Umgekehrt muss auch der Auftragnehmer über Gefahren informieren, die von seiner Tätigkeit ausgehen (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BetrSichV, § 8 Abs. 1 ArbSchG).

8.26 Ergeben sich erhöhte Gefährdungslagen, kann es abhängig von den Umständen des Einzelfalls erforderlich werden, dass beide Unternehmen gemeinschaftliche Arbeitsschutzmaßnahmen ergreifen. In Betracht kommende Maßnahmen sind – die Bestimmung eines gemeinsamen Koordinators, welcher die Arbeiten beider Unternehmen arbeitsschutzrechtlich aufeinander abstimmt (§ 6 Abs. 1 Satz 2 DGUV Vorschrift 1); bei der Verwendung von Arbeitsmitteln, die eine erhöhte Gefährdung für Beschäftigte mit sich bringen, muss ein Koordinator schriftlich bestellt werden (§ 13 Abs. 3 BetrSichV), – gemeinsam durchgeführte Gefährdungsbeurteilungen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BetrSichV), – gemeinsam eingeleitete Schutzmaßnahmen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 BetrSichV, § 8 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG).

8.27 Außerdem muss sich der Auftraggeber vergewissern, dass die Beschäftigten des Auftragnehmers während ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb angemessene Anweisungen erhalten (§ 8 Abs. 2 ArbSchG, § 6 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1). Dies sollte bei einer Zusammenarbeit auf Dienst- oder Werkvertragsbasis erfolgen, indem der Auftraggeber vor Arbeitsaufnahme mit dem zuständigen Vorgesetzten des Auftragnehmers die erforderlichen Anweisungen abspricht und sich dies schriftlich bestätigen lässt4. Nicht zu empfehlen ist dagegen, dass der Auftraggeber die einzelnen Arbeitnehmer des Auftragnehmers selbst überwacht und die arbeitsschutzrechtlichen Weisungen selbst ausspricht. Dies könnte nämlich als Indiz für (illegale) Arbeitnehmerüberlassung gewertet werden. Bei einer Zusammenarbeit auf Dienst- oder Werkvertragsbasis bleibt die arbeitsschutzrechtliche Hauptverantwortung weiterhin bei den jeweiligen Vertragsarbeitgebern der beteiligten Arbeitnehmer.

1 BAG v. 31.1.1989 – 1 ABR 72/87, Leitsätze, DB 1989, 982. 2 BAG v. 31.1.1989 – 1 ABR 72/87, juris Rz. 17. 3 LAG Baden-Württemberg v. 19.7.2017 – 21 TaBV 15/16, Leitsatz 2; Maiß/Juli, ArbRAktuell 2012, 162 (165). 4 Otto in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 8 ArbSchG Rz. 5.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 8.32 § 8

b) Datenschutz Werden bei einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit personenbezogene Daten zwischen den beteiligten Unternehmen ausgetauscht, stellen sich – je nach Art und Umfang – besondere datenschutzrechtliche Herausforderungen. Hintergrund ist, dass die beteiligten Unternehmen i.d.R.1 jeweils eigene datenschutzrechtliche Verantwortliche i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO darstellen, die sich wechselseitig als Dritte i.S.d. Art. 4 Nr. 10 DSGVO gegenübertreten.

8.28

Leitet ein Unternehmen personenbezogene Daten – sei es von Kunden, Geschäftspartnern oder Arbeitnehmern – an einen Dritten weiter, muss es den Betroffenen darüber aufklären, dass er mit dieser Datenweitergabe zu rechnen hat (Art. 13 Abs. 1 lit. e, Art. 14 Abs. 1 lit. e DSGVO). Werden einem Unternehmen personenbezogene Daten von einem Dritten zur Verfügung gestellt, muss das empfangende Unternehmen die jeweils Betroffenen darüber informieren und ihnen die vorgeschriebenen Datenschutzhinweise erteilen (Art. 14 DSGVO).

8.29

Auch materiell ergeben sich besondere Datenschutzanforderungen: Gibt ein Verantwortlicher per- 8.30 sonenbezogene Daten an einen Dritten weiter, verlassen diese Daten die vom Verantwortlichen kontrollierte Organisationssphäre. Deshalb besteht ein erhöhtes Missbrauchspotential. Vor diesem Hintergrund sind erhöhte Anforderungen an die materielle Rechtfertigung der Datenweitergabe zu stellen. Insbesondere sollte der Verantwortliche prüfen, ob der Dritte einen angemessenen Datenschutzstandard (z.B. angemessene technische und organisatorische Maßnahmen i.S.d. Art. 32 DSGVO, dazu Rz. 12.32 ff.) etabliert hat. Ob die Datenweitergabe zulässig ist, richtet sich nach einer wertenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung der Sensibilität der weitergegebenen Daten, dem sachlichen Interesse an der Datenweitergabe sowie den durch den Empfänger ergriffenen Vorkehrungen zur Sicherung eines angemessenen Datenschutzniveaus.

c) Geistiges Eigentum Werden im Rahmen einer unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit Ergebnisse erarbeitet, an denen Urheberrechte oder andere geistige Eigentumsrechte erworben werden können, sollte der Auftraggeber sicherstellen, dass er diese geistigen Eigentumsrechte zuverlässig erwirbt. Erstellen Arbeitnehmer in Ausübung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten urheberrechtsfähige Werke, gehen die Gerichte von einem stillschweigenden Einvernehmen aus, dass der Arbeitgeber die Nutzungsrechte erwirbt2. Ein vom Arbeitnehmer erstelltes Design steht kraft Gesetzes gem. § 7 Abs. 2 DesignG dem Arbeitgeber zu3. Macht der Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindung, kann der Arbeitgeber diese durch Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer in Anspruch nehmen (§ 6 ArbnErfG). Deshalb ist in den meisten Fällen gewährleistet, dass der Arbeitgeber die geistigen Eigentumsrechte an Werken seiner Arbeitnehmer erwirbt (ausführlich, auch unter Hinweis auf etwaigen Schutzlücken, Rz. 19.9 ff.).

8.31

Wer die geistigen Eigentumsrechte an Werken von Leiharbeitnehmern erwirbt, ist dagegen weit- 8.32 gehend ungeregelt und in der Rechtsprechung vielfach noch nicht geklärt. Für Leiharbeitnehmer stellt § 11 Abs. 7 AÜG lediglich klar, dass der Entleiher ihre patent- oder gebrauchsmusterfähigen Erfindungen durch Erklärung in Anspruch nehmen kann. Im Übrigen kann Unsicherheit darüber aufkommen, ob die geistigen Eigentumsrechte dem Verleiher oder dem Entleiher zustehen. Deshalb

1 In bestimmten Fällen ist auch vorstellbar, dass das Auftragnehmer-Unternehmen Auftragsverarbeiter des Auftraggebers ist (Art. 28 DSGVO) oder beide Unternehmen für die verarbeiteten personenbezogenen Daten gemeinsam verantwortlich (Art. 26 DSGVO) sind. 2 BAG v. 13.9.1983 – 3 AZR 371/81, Leitsatz 2, BAGE 44, 113; BGH v. 22.2.1974 – I ZR 128/72, Leitsatz 1, DB 1974, 1242. 3 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 7 UrhG Rz. 7.

Grimm/Singraven

187

§ 8 Rz. 8.32

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

sollte im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag die vollständige Übertragung dieser geistigen Eigentumsrechte an den Entleiher geregelt werden.

8.33 Noch größere Unsicherheiten bestehen beim Fremdpersonaleinsatz auf Grund von Dienst- oder Werkverträgen. Können sich aus den Leistungen des Auftragnehmers geistige Eigentumsrechte ergeben, sollten die Vertragsparteien sorgfältig regeln, welcher Vertragspartei diese im Einzelnen zustehen.

III. Best Practice 8.34 Entscheiden sich Unternehmen, Personal im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zu vermitteln, sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen im AÜG streng reguliert. Gestaltungsmöglichkeiten bestehen lediglich in engen Grenzen.

8.35 Besondere Gestaltungsherausforderungen ergeben sich, wenn zwei rechtlich selbständige Unternehmen in ihrer Zusammenarbeit die Anwendung der AÜG-Regulierung vermeiden wollen (zu möglichen Motiven Rz. 8.13). Die allgemeine Empfehlung lautet in diesen Fällen, einen Dienst- oder Werkvertrag zu schließen (sog. „On-Site-Werkvertrag“)1. Der Dienst- oder Werkvertrag wird allerdings nur dann durch Gerichte oder Behörden anerkannt, wenn er in der Umsetzung auch tatsächlich als solcher gelebt wird. Stellt sich die tatsächliche Vertragspraxis dagegen als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung dar (Rz. 8.10), ist diese stets illegal (Rz. 8.18) und löst Sanktionen nach dem AÜG (Rz. 8.20) und Beteiligungsrechte des Betriebsrates (Rz. 8.22) aus.

8.36 Um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden, müssen Unternehmen also sicherstellen, dass der tatsächliche Arbeitseinsatz nicht die Charakteristika von illegaler Arbeitnehmerüberlassung aufweist. Viele Dienst- oder Werkverträge sind rechtlich unbedenklich, weil sich das Risiko illegaler Arbeitnehmerüberlassung schon angesichts der Interessenlage der zusammenarbeitenden Unternehmen nicht stellt. Gegenstand der Compliance sind hingegen Grenzfälle, bei denen die Zusammenarbeit wesentlich durch den Wunsch des Auftraggebers geprägt wird, Personal des Auftragnehmers einzusetzen (vgl. Rz. 8.12 f.). Unternehmen vermeiden in diesen Grenzfällen die Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsrechts, indem sie sowohl die vertraglichen Rahmenbedingungen als auch die tatsächlichen Prozesse der Zusammenarbeit mit dem Ziel ausgestalten, die rechtlichen Kriterien von Arbeitnehmerüberlassung nicht zu erfüllen. Bei dieser Gestaltung muss zweierlei sichergestellt werden: 1. Bei der Zusammenarbeit muss vermieden werden, dass Mitarbeiter des Auftraggebers den Arbeitnehmern des Auftragnehmers arbeitsrechtliche Weisungen erteilen, da dies das Hauptkriterium für Arbeitnehmerüberlassung ist. Dennoch muss den Arbeitnehmern des Auftragnehmers irgendwie kommuniziert werden, was sie zu tun haben, damit die Zusammenarbeit praktisch funktioniert. Dazu muss eine Kommunikationsmethode gewählt werden, die keinen Weisungscharakter hat. Diese Kommunikationsmethode sollte vertraglich definiert und als fester Prozess der Zusammenarbeit etabliert werden (dazu Rz. 8.38 ff.). 2. Zum anderen muss unterbunden werden, dass die beteiligten Mitarbeiter in der tatsächlichen Zusammenarbeit vom vereinbarten Prozess abweichen oder die Arbeitnehmer des Auftragnehmers auf andere Weise in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert werden. Hierzu sollten feste Umgangsregeln aufgestellt und durchgesetzt werden (dazu Rz. 8.51 ff.).

8.37 Ist die Zusammenarbeit zwischen beiden Unternehmen hingegen überhaupt nicht vorstellbar, ohne Arbeitnehmer beider Unternehmen in denselben Betrieb unter dieselbe Leitungsorganisation ein-

1 Henssler, RdA 2017, 83.

188

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 8.41 § 8

zugliedern, sollten die Unternehmen prüfen, ob stattdessen die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs in Frage kommt (dazu Rz. 8.54 ff.).

1. Vermeidung von Weisungen Da die Mitarbeiter des Auftraggebers im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags die Arbeitnehmer des Auftragnehmers nicht direkt anweisen dürfen, muss ein anderer Weg gefunden werden, ihnen die Arbeitsaufgaben zu kommunizieren. Folgende Abstimmungsverfahren gelten als rechtlich zulässig:

8.38

– detaillierte Leistungsbeschreibungen im schriftlichen Vertrag oder dessen Zusatzvereinbarungen, welche die Arbeitnehmer des Auftragnehmers eigenständig umsetzen (dazu Rz. 8.41 ff.), – die Abstimmung des Aufgabeninhalts über eine Leitungsperson des Auftragnehmers als exklusiven Ansprechpartner, der dann die weiteren Arbeitnehmer des Auftragnehmers eigenständig anweist (sog. Brückenkopfmodell, dazu Rz. 8.46 ff.), – Ticket-Systeme (dazu Rz. 8.48 f.), – Kombinationsvarianten (dazu Rz. 8.50). Bei der Vertrags- und Prozessgestaltung muss eine Kommunikationsform gewählt werden, die in der tatsächlichen Umsetzung auch praktikabel ist und nicht zu unverhältnismäßigen Effizienzverlusten führt. Dass den Mitarbeitern des Auftraggebers die direkte Anweisung einzelner Arbeitnehmer des Auftragnehmers untersagt ist und stattdessen ein festgelegter Kommunikationsweg eingehalten werden muss, wird oft als umständlich und lästig empfunden. Dass die Abstimmung teilweise umständlicher wird, lässt sich bei der Gestaltung eines legalen Prozesses nicht immer vermeiden. Allerdings lässt sich der Zusatzaufwand mit durchdachter Prozessgestaltung verringern. Dies erhöht die Chance, dass der Prozess angenommen und im Arbeitsalltag tatsächlich eingehalten wird.

8.39

Auftraggeber und Auftragnehmer sollten die gewählte Kommunikationsform im gemeinsamen, 8.40 schriftlichen Vertrag festhalten1. Auch wenn letztlich die gelebte Vertragspraxis für die rechtliche Einordnung maßgeblich ist, so kommt dem schriftlichen Vertragsinhalt gleichwohl eine wesentliche Indizwirkung zu.

a) Vertragliche Leistungsbeschreibungen Weisungen können vermieden werden, wenn die Vertragsparteien bereits in den schriftlichen Vertrag 8.41 alles Wesentliche hineinschreiben, was die Arbeitnehmer des Auftragnehmers bei der Vertragsausführung zu beachten haben. Im Ideal wird das Auftragnehmerverhalten mit einer detaillierten Leistungsbeschreibung vollständig „durchprogrammiert“, so dass keine wesentliche Zusatzkommunikation mehr erforderlich ist2. Selbst wenn der Detailgrad der Leistungsbeschreibungen dem Auftragnehmer keine wesentlichen eigenen Handlungsspielräume mehr belässt, ist dies unschädlich und führt nicht zu Arbeitnehmerüberlassung3. Als zusätzliches Indiz gegen eine Arbeitnehmerüberlassung wird gewertet, wenn der Auftragnehmer bei Verfehlung der definierten Leistung haftet (z.B. nach dem Mängelgewährleistungsregime der §§ 633 ff. BGB) und diese Haftung auch aktiv gelebt wird (vgl. Rz. 8.14). In den Vertragsverhandlungen mit dem Auftragnehmer ist ein strenges Haftungsregime allerdings vielfach nicht durchsetzbar.

1 Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1527 f.). 2 Maschmann, NZA 2013, 1305 (1309). 3 BAG v. 18.1.2012 – 7 AZR 723/10, ArbRB 2012, 268 = juris Rz. 33; BAG v. 31.3.1993 – 7 AZR 338/92, Leitsatz, DB 1993, 2337.

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§ 8 Rz. 8.42

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

8.42 Leistungsbeschreibungen bieten sich vor allem dann an, wenn das Unternehmen des Auftragnehmers bestimmte Ergebnisse erarbeiten und abliefern soll (z.B. bestimmte Software-Komponenten). In diesem Fall haben sie i.d.R. den Charakter von werkvertraglichen Beschaffenheitsvereinbarungen i.S.d. § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB. Leistungsbeschreibungen kommen allerdings auch dann in Betracht, wenn das Auftragnehmer-Unternehmen durchgängig bestimmte gleichförmige Dienstleistungen erbringen soll, die sich nicht ändern und deshalb einheitlich definiert werden können. Nicht geeignet sind Leistungsbeschreibungen hingegen im Rahmen dynamischer Projekte, bei denen sich die Aufgaben des Auftragnehmers laufend ändern. Auch durch die Formulierung von Leistungsbeschreibungen können zudem keine Kleinst-Projekte (z.B. eine einzelne Schweißnaht) auf Werkvertragsbasis an ein fremdes Unternehmen „outgesourced“ werden1.

8.43 Eine typische Dienstleistung, die häufig an Drittunternehmen ausgelagert wird, ist der Objektschutz durch Wachpersonen. Hintergrund ist das niedrige Lohnniveau im Wachgewerbe. Für tarifgebundene Unternehmen ist es oft günstiger, einen externen Wachdienst zu beauftragen, als selbst Wachleute einzustellen und auf dem eigenen Tarifniveau zu vergüten. Sofern keine Weisungen ausgeübt werden, sondern die Aufgaben der Wachleute in einer Leistungsbeschreibung definiert sind, liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor2. Am Beispiel von Wachdienstleistungen soll illustriert werden, wie eine mögliche Leistungsbeschreibung formuliert werden kann:

8.44 M 8.1 Vertragsklausel Leistungsbeschreibung unternehmensübergreifende Zusammenarbeit Leistungsbeschreibung unternehmensübergreifende Zusammenarbeit (1) Der Auftragnehmer stellt sicher, dass die Eingangsbereiche der in der Anlage 1 bezeichneten Betriebsstätten während ihrer jeweiligen Öffnungszeiten durchgängig durch mindestens eine Wachperson besetzt sind. (2) Als Wachperson dürfen durch den Auftragnehmer entsprechend den Anforderungen nach § 34 Abs. 1a GewO nur Personen eingesetzt werden, die die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen und durch eine Bescheinigung der Industrie- und Handelskammer nachgewiesen haben, dass sie über die für die Ausübung des Gewerbes notwendigen rechtlichen und fachlichen Grundlagen unterrichtet worden sind und mit ihnen vertraut sind. Der Auftraggeber kann jederzeit verlangen, dass ihm die Bescheinigung für eingesetzte Wachpersonen vorgelegt wird. (3) Die Wachperson muss während ihrer Einsätze folgende Aufgaben und Anforderungen erfüllen: a) Die Wachperson muss stets die gebotene Höflichkeit und einen angemessenen Respekt gegenüber ihrem jeweiligen Gegenüber zeigen und darf bei sich ergebenden Konflikten nur das mildeste, geeignete Mittel einsetzen, um diese sicher zu lösen. b) Die Wachperson trägt stets einen sichtbaren Ausweis und angemessene, gedeckte Kleidung. Männliche Wachpersonen tragen Krawatte, ein weißes Hemd, ein dunkles Sakko, eine entsprechend dunkle Hose sowie schwarze Schuhe. Weibliche Wachpersonen tragen eine weiße Bluse, einen dunklen Blazer, eine entsprechend dunkle Hose sowie schwarze Schuhe. c) Die Wachperson muss eingreifen, wenn im Umfeld der Betriebsstätte Personen erkennbar gegen die Hausordnung verstoßen oder Personen die Sicherheit und Ordnung in der Betriebsstätte, das Eigentum oder andere berechtigte Interessen des Auftraggebers (z.B. durch belästigendes Verhalten, Diebstahl, Vandalismus oder Spionage) gefährden (nachgehend: ordnungswidriges Verhalten) und das ordnungswidrige Verhalten durch geeignete Maßnahmen unterbinden.

1 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.6.1 Abs. 4. 2 BAG v. 31.3.1993 – 7 AZR 338/92, juris Rz. 27.

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III. Best Practice

Rz. 8.45 § 8

d) Die Wachperson wird sämtliche Personen, welche die Betriebsstätten betreten, sorgfältig beobachten. Ergeben sich aufgrund eigener Beobachtung oder auf Anzeige von Mitarbeitern des Auftraggebers Anhaltspunkte für ein ordnungswidriges Verhalten oder dessen Beabsichtigung, wird die Wachperson diesen Verdacht, z.B. durch Befragung der verdächtigten Person, aufklären. Erscheint dies zur Aufklärung geboten, kann sie sich ausnahmsweise und vorübergehend vom Eingangsbereich der Betriebstätte entfernen. e) Zur Erfüllung ihrer Pflichten wird die Wachperson ermächtigt, die Ausübung des Hausrechts des Auftraggebers auszuüben. In Ausübung des Hausrechts darf sie Personen aus der Betriebsstätte verweisen und diesen Verweis notfalls durch physischen Zwang durchzusetzen. Die Wachperson darf sich bei der Ausübung des Hausrechts allerdings nicht über ausdrückliche Vorgaben des Betriebsstättenleiters des Auftraggebers oder seines jeweils zuständigen Stellvertreters hinwegsetzen; erscheint zweifelhaft, ob der Verweis einer bestimmten Person aus der Betriebsstätte im Einzelfall nach der Interessenlage des Auftraggebers angemessen ist, sind der Betriebsstättenleiter oder sein jeweils zuständiger Stellvertreter zu Rate zu ziehen. Die Wachperson ist verpflichtet, eine bestimmte Person der Betriebsstätte zu verweisen und diesen Verweis durchzusetzen, wenn der Betriebsstättenleiter des Auftraggebers oder sein jeweils zuständiger Vertreter ausdrücklich hierzu auffordert. f) Die Wachperson stellt sicher, dass die Betriebsstätten nach Ende ihrer Öffnungszeit wie vorgesehen verschlossen werden und durch Unbefugte nicht mehr betreten werden können. g) Die Wachperson darf sich nur im Ausnahmefall und dann nicht länger als 10 Minuten vom Eingangsbereich der Betriebsstätte entfernen, um dringenden und unaufschiebbaren persönlichen Bedürfnissen nachzugehen, und muss auch dann für Mitarbeiter des Auftraggebers erreichbar und eingriffsbereit sein. h) Fällt eine Wachperson aus, z.B. weil sie aus gesundheitlichen oder psychischen Gründen nicht mehr dazu in der Lage ist, ihren Aufgaben gegenwärtig nachzukommen, wird der Auftragnehmer sie unverzüglich durch eine andere, geeignete Wachperson ersetzen. Ist eine Betriebsstätte deshalb vorübergehend nicht mit einer geeigneten Wachperson besetzt, wird der Auftragnehmer dem Auftraggeber unverzüglich Anzeige machen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, erfolgt die Anzeige beim Betriebsstättenleiter oder seinem jeweils zuständigen Stellvertreter. Der Auftragnehmer stellt sicher, dass die von ihm eingesetzten Wachpersonen die vorstehenden Aufgaben und Anforderungen erfüllen und wird hierzu die notwendigen arbeitsrechtlichen Weisungen aussprechen. Der Auftraggeber ist gegenüber den Wachpersonen nicht zum Ausspruch arbeitsrechtlicher Weisungen berechtigt und darf ihnen insbesondere keine anderen oder zusätzlichen Aufgaben übertragen.

b) Brückenkopf-Modell Setzt der Auftragnehmer mehrköpfige Teams von Mitarbeitern ein, können Weisungen vermieden werden, indem der Auftraggeber die Projektaufgaben jeweils nur mit einer definierten, „zwischengeschalteten“ Leitungsperson des Teams abstimmt1 (sog. Brückenkopf-Modell2). Diese Leitungsperson setzt dann die getroffenen Abstimmungen gegenüber den übrigen Teammitgliedern durch Ausspruch arbeitsrechtlicher Weisungen selbständig um. Ist eine solche Abstimmung vertraglich vereinbart und wird sie so wie vereinbart auch tatsächlich umgesetzt, erbringt der Auftragnehmer erfolgsbezogene Organisationsleistungen. Arbeitnehmerüberlassung liegt dann nicht vor3. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Abstimmungen mit der Leitungsperson in Anweisungen erschöpfen, „was“ das Team des Auftragnehmers zu tun hat (vgl. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Auftraggeber darf hingegen nicht vorgeben, „wie“ der Auftragnehmer sein Personal zu disponieren hat. Die Personaldisposition muss in der eigenen Verantwortungssphäre des Auftragnehmers stattfinden, in die

1 Maschmann, NZA 2013, 1305 (1309). 2 Schütt/Rothe, SPA 2019, 89 (90). 3 BAG v. 18.1.2012 – 7 AZR 723/10, ArbRB 2012, 268 = juris Rz. 28; BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 61/97, juris Rz. 52.

Grimm/Singraven

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8.45

§ 8 Rz. 8.45

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

der Auftraggeber nicht eingreifen darf 1. Degradiert der Auftraggeber die Leitungsperson des Auftragnehmers hingegen zu einem „Sprachrohr“ ohne eigene Entscheidungsmacht, liegt (illegale) Arbeitnehmerüberlassung vor2.

8.46 Nach diesem Prinzip vergeben die meisten Unternehmen Reinigungstätigkeiten an Dienstleistungsunternehmen: Arbeitnehmerüberlassung wird hierbei vermieden, da das Auftraggeber-Unternehmen Anweisungen i.S.d. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB nur gegenüber dem Vorgesetzten der Reinigungskolonne ausspricht. Doch auch komplexere Projekte, z.B. in der Software-Entwicklung, lassen sich auf diese Weise unternehmensübergreifend koordinieren: Solange der Auftraggeber nur mit einem Teamleiter abspricht, welche Software-Funktionalitäten der Auftragnehmer im Rahmen eines größeren Projektes entwickeln soll, und dieser Projektleiter die Absprachen durch eigenverantwortliche Anweisung an sein Team umsetzt, liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor.

8.47 Die Abstimmung von Projektaufgaben mit einer definierten Leitungsperson kann z.B. durch folgende Vertragsklausel vereinbart werden:

M 8.2 Vertragsklausel Leistungsbeschreibung im Brückenkopf-Modell Leistungsbeschreibung im Brückenkopf-Modell (1) Der Auftragnehmer stellt sicher, dass an jedem Arbeitstag eine Leitungsperson in der Betriebsstätte vor Ort ist, die dem Auftraggeber als ausschließlicher Ansprechpartner zur Verfügung steht und bevollmächtigt ist, namens des Auftragnehmers vertragliche Vereinbarungen i.S.d. Abs. 2 zu schließen. Die Rolle dieser Leitungsperson nimmt üblicherweise …3 wahr. Sollte die übliche Leitungsperson ausgetauscht werden oder im Falle einer Verhinderung durch einen Stellvertreter vertreten werden, wird der Auftragnehmer dem Auftraggeber unverzüglich Anzeige machen. (2) Der Auftraggeber vereinbart ausschließlich mit der jeweils zuständigen Leitungsperson die maßgeblichen Einzelheiten zu den Aufgaben, die durch den Auftragnehmer auszuführen sind. Getroffene Vereinbarungen sind rechtsverbindlich (§ 311 BGB); auf Wunsch des Auftraggebers werden sie textförmlich festgehalten. Im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen und nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) ist der Auftraggeber gegenüber der Leitungsperson dazu berechtigt, konkretisierende Anweisungen auszusprechen, mit denen die Anforderungen an die durch den Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen näher festgelegt oder angepasst werden. (3) Der Auftragnehmer ist dafür verantwortlich, dass die getroffenen Vereinbarungen und Anweisungen nach Abs. 2 erfolgreich umgesetzt werden und organisiert sein Personal (§ 278 BGB) zu diesem Zweck eigenständig. Der Auftraggeber ist nicht berechtigt, arbeitsrechtliche Weisungen gegenüber dem Personal des Auftragnehmers auszusprechen. Der Auftragnehmer wirkt darauf hin, dass sein Personal den vereinbarten Berichtsweg einhält; insbesondere wird er verhindern, dass andere Personen, als die jeweils bestimmten Leitungspersonen an Mitarbeiter des Auftraggebers herantreten und eigenmächtige Parallelabsprachen treffen, die zu Missverständnissen über den Vertragsgegenstand und die Aufgabeninhalte und Pflichten des Auftragnehmers führen können. Eine Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erfolgt nicht4.

1 Exemplarisch und eingehend zur Abgrenzung LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 30.9.2014 – 2 Sa 77/14. 2 Maschmann, NZA 2013, 1305 (1309). 3 Der jeweilige Ansprechpartner sollte im Vertrag ausdrücklich genannt werden. Dies zeigt, dass beabsichtigt ist, den Vertrag tatsächlich zu leben und eine vorgesehene Leitungsperson tatsächlich existiert. 4 Vielfach empfiehlt es sich, im Vertrag ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine Arbeitnehmerüberlassung beabsichtigt ist (Henssler, RdA 2017, 83 (91)). Zur Bestimmung des Geschäftsinhalts ziehen die Ge-

192

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 8.49 § 8

(4) Der Auftragnehmer stellt sicher, dass sein in der Betriebsstätte des Auftraggebers tätiges Personal die dort maßgebliche Hausordnung (Anlage 1), die zum Zwecke des Arbeitsschutzes erforderlichen spezifischen Verhaltensregeln (Anlage 2)1 und die allgemein üblichen Umgangsregeln beachtet und sich außer bei wichtigem Grund nur in denjenigen Bereichen aufhält, für die ein Zugangsrecht des Auftragnehmers abgestimmt wurde. (5) Auf Initiative des Auftragnehmers stimmen sich die Parteien vor Aufnahme der ersten Tätigkeit und anschließend bei Bedarf, wenigstens aber einmal im Quartal, zu Fragen des Arbeitsschutzes ab und unterrichten sich wechselseitig über die mit den Arbeiten verbundenen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten (§ 8 Abs. 1 ArbSchG). Der Auftragnehmer trifft gegenüber seinem Personal eigenständig angemessene Anweisungen hinsichtlich der Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit; auf Nachfrage wird die Leitungsperson des Auftragnehmers dem Auftraggeber mitteilen, wann und in welcher Form dies erfolgt ist, damit dieser sich gesetzeskonform vergewissern kann (§ 8 Abs. 2 ArbSchG).

c) Ticket-Systeme Ein weiteres Kommunikationsverfahren, um die Aufgabeninhalte zwischen Auftragnehmer und Auf- 8.48 traggeber abzustimmen ohne dabei Weisungen auszusprechen, ermöglichen Ticket-Systeme. Dabei pflegt der Auftraggeber definierte Aufgaben als Tickets in ein softwarebasiertes Kommunikationssystem ein. Arbeitnehmer des Auftragnehmers nehmen diese Tickets über die Software an und bearbeiten sie. Jedenfalls sofern innerhalb der Organisationssphäre des Auftragnehmers selbständig entschieden wird, welcher Arbeitnehmer jeweils welches eingepflegte Ticket annimmt und bearbeitet, liegt keine Arbeitnehmerüberlassung vor. Denn solange keine Direktbeauftragung einzelner Arbeitnehmer des Auftragnehmers erfolgt, bleibt die Personaldisposition des Auftragnehmers eigenständig2. Einzelheiten regeln die Vertragsparteien hierzu in einem Rahmenvertrag. Die Arbeit mit Ticket-Systemen bietet sich für (IT-)Supportdienstleistungen an und ist in diesem Bereich auch üblich.

8.49

Der Rahmenvertrag kann z.B. wie folgt gestaltet werden:

M 8.3 Rahmenvertrag Ticket-System für unternehmensübergreifende Zusammenarbeit Rahmenvertrag Ticket-System für unternehmensübergreifende Zusammenarbeit (1) Die durch den Auftragnehmer zu bearbeitenden Aufträge werden über ein Ticket-System abgestimmt, welches die Vertragsparteien gemeinsam einrichten. (2) Der Auftraggeber pflegt Aufträge in das Ticket-System ein und definiert dabei die zu erbringenden Leistungen. Wird ein Ticket über einen durch den Auftragnehmer verwalteten Account angenommen, kommt hierdurch ein verbindlicher Vertrag über diese Leistung zustande (§ 311 Abs. 1 BGB). Sofern sich aus der Natur der im Ticket definierten Leistung nichts anderes ergibt, handelt es sich hierbei um einen Werkvertrag (§ 631 BGB). Die Werkleistung gilt als abgenommen (§ 640 BGB) und die geschuldete Leistung als abschließend ausgeführt, sobald das Ticket innerhalb des Systems von Seiten des Auf-

richte ausdrücklich getroffene Vereinbarungen heran, BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11, juris Rz. 21. Zwar kommt es für die rechtliche Einordnung in letzter Konsequenz darauf an, wie der Vertrag tatsächlich durchgeführt wird, wenn sich tatsächlich Durchführung und ausdrückliche getroffene Vereinbarung widersprechen. Ein solcher Widerspruch lässt sich aber oft nicht eindeutig feststellen. 1 Diese Information ist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 BetrSichV ausdrücklich vorgesehen und erfolgt zu Nachweiszwecken bereits im Vertrag. 2 LAG Baden-Württemberg v. 1.8.2013 – 2 Sa 6/13, ArbRB 2013, 261 = juris Rz. 95; Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1527 f.).

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§ 8 Rz. 8.49

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

traggebers geschlossen wird. Der Auftragnehmer kann verlangen, dass ein Ticket geschlossen wird, sobald die erbrachte Leistung alle definierten Anforderungen erfüllt. (3) Der Auftragnehmer entscheidet selbständig, welcher von ihm eingesetzte Mitarbeiter den Auftrag annimmt und diesen als sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) bearbeitet. Der Auftragnehmer trifft hierzu die erforderlichen arbeitsrechtlichen Weisungen. Nach Annahme des Tickets wird der Mitarbeiter des Auftragnehmers unverzüglich telefonischen Kontakt mit der sich aus dem Ticket ergebenden Kontaktperson des Auftraggebers zum Zwecke der Auftragsklärung aufnehmen. Der Auftraggeber ist nicht berechtigt, arbeitsrechtliche Weisungen gegenüber einzelnen Mitarbeitern des Auftragnehmers zu erteilen. (4) Beide Vertragsparteien werden darauf hinwirken, dass Aufträge nur über den in Abs. 2 definierten Kommunikationsweg vereinbart werden. Keinesfalls werden Mitarbeiter des Auftragnehmers Auftragsangebote bevorzugt und schneller bearbeiten, die auf anderem Wege an sie herangetragen werden; der Auftragnehmer wird seine Mitarbeiter konsequent dazu anhalten, solche Kontaktaufnahmen zurückzuweisen.

d) Kombinierte Abstimmungsverfahren 8.50 Je nachdem, welche Art von Zusammenarbeit die beteiligten Unternehmen im Einzelfall beabsichtigen, bietet es sich an, die verschiedenen Kommunikationsverfahren zu kombinieren. So ist z.B. denkbar, dass detaillierte Leistungsbeschreibungen (vgl. Rz. 8.41 ff.) nicht bereits zu Vertragsbeginn formuliert, sondern durch Ansprechpartner von Auftraggeber und Auftragnehmer nach dem Brückenkopf-Modell (vgl. Rz. 8.45 ff.) in periodischen Meetings laufend aktualisiert und angepasst werden. Ebenso ist denkbar, dass Aufträge grundsätzlich über Tickets (vgl. Rz. 8.48 f.) definiert werden, allerdings im Falle von Unklarheiten und Konflikten ein fester und klar bestimmbarer Ansprechpartner des Auftragnehmers nach dem Brückenkopf-Modell zur Verfügung steht. In der Gesamtschau muss ein Prozess entworfen werden, der im Arbeitsalltag auch tatsächlich gelebt werden kann und nicht unnötig umständlich ist.

2. Festlegung und Durchsetzung von Umgangsregeln 8.51 Arbeitnehmer des Auftragnehmers dürfen sich nicht in die Belegschaft des Auftraggebers eingliedern. Insoweit gilt das Gegenteil wie bei Leiharbeitnehmern: Während der Leiharbeiter während seiner Einsätze üblicherweise genauso behandelt wird, wie ein Mitglied der Stammbelegschaft und dies z.T. sogar gesetzlich vorgeschrieben ist (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 13b AÜG), muss bei der Zusammenarbeit auf Dienst- und Werkvertragsbasis zu jedem Zeitpunkt deutlich werden, dass die Mitarbeiter des Auftragnehmers „Fremde“ sind, die nicht zur Belegschaft „dazugehören“. Da dies intuitiv schwer nachzuvollziehen ist, empfiehlt es sich für Auftraggeber-Unternehmen, feste Regeln zum Umgang mit Externen festzulegen, die auf dem eigenen Betriebsgelände tätig sind.

8.52 Dabei gelten dieselben Maßstäbe wie im Umgang mit Solo-Selbständigen, die zur Vermeidung von Scheinselbständigkeit ebenfalls nicht in den Betrieb des Auftraggebers eingegliedert werden dürfen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV). Deshalb empfiehlt es sich für Unternehmen, die Regeln für den Umgang mit Solo-Selbständigen und Mitarbeitern fremder Unternehmen einheitlich aufzustellen und bekannt zu geben. Wie diese Regeln möglicherweise formuliert werden können, wird unter Rz. 7.68 ff. eingehend dargestellt. Die wichtigsten üblichen Vorgaben werden an dieser Stelle kurz zusammengefasst: – Außerhalb der abgestimmten Projekte dürfen externen Mitarbeitern keine Zusatzaufgaben übertragen werden. Auch sonst dürfen sie niemals arbeitsrechtlich angewiesen werden. – Externe Mitarbeiter sollten nicht die Befugnis erhalten, sich frei auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers zu bewegen und eigenmächtig auf dessen Arbeitsmittel zuzugreifen. Stattdessen sollte ein fester Ansprechpartner des Auftraggebers hierzu einschränkende Regeln vorgeben. 194

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 8.53 § 8

– Idealerweise sollten externe Mitarbeiter auf dem Betriebsgelände des Auftraggebers stets einen Besucherausweis tragen. – Externe Mitarbeiter sollten nicht auf der Webseite, in Organigrammen, Telefonlisten oder vergleichbaren Mitarbeiterübersichten des Auftraggebers auftauchen. – Externe Mitarbeiter sollten weder die E-Mail-Adresse, E-Mail-Signaturen noch die Visitenkarten des Auftraggebers nutzen. Ist dies im Ausnahmefall erforderlich, sollten angepasste E-Mail-Adressen, Signaturen oder Visitenkarten ausgestellt werden, die externe Mitarbeiter als Fremdpersonal kennzeichnen. – Keinesfalls dürfen Arbeitszeiten externer Mitarbeiter im Rahmen der Dienst- und Schichtplanung des Auftraggebers festgelegt werden. Auch an der Arbeitszeiterfassung des Auftraggebers sollten sie nicht teilnehmen. – Vergünstigungen für die Belegschaft des Auftraggebers, wie die Einladung zu Schulungen und Betriebsfesten oder der kostenfreie Zugang zum Betriebssport sollte externen Mitarbeitern vorenthalten werden. Externe Mitarbeiter dürfen nur auf Gästeparkplätzen parken und müssen in der Kantine den Gästepreis zahlen. – Keinesfalls sollten externen Mitarbeitern eigene Büros inmitten der Stammbelegschaft eingerichtet werden. Entweder stellt man ihnen bei Bedarf Pool-Arbeitsplätze zur Verfügung, die nach Dienstende wieder zu räumen sind, oder bestimmten Auftragnehmer-Unternehmen werden (ggf. gegen Mietzahlung) abgegrenzte Bürotrakte zur Verfügung gestellt, in denen sich ihre Mitarbeiter zusammengefasst einrichten können1.

8.53

Hinweis: Eine zentrale Herausforderung besteht darin, sicherzustellen, dass die vereinbarten Kommunikationsprozesse und Regeln im Arbeitsalltag auch gelebt und eingehalten werden. Vor allem bei einer längerfristigen Zusammenarbeit lernen sich die Belegschaften der beteiligten Unternehmen irgendwann persönlich näher kennen und freunden sich untereinander an. Damit wächst die Gefahr, dass die vorgesehenen Kommunikationswege umgangen werden und Mitarbeiter des Auftraggebers „auf dem kurzen Dienstweg“ Arbeitnehmer des Auftragnehmers direkt ansprechen, „wenn es mal schneller gehen soll“2. Geschieht dies nicht nur im Ausnahmefall, sondern so regelmäßig, dass es geradezu typisch für die Vertragsbeziehung wirkt3, liegt verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vor4. Um dies zu verhindern, sollten die beteiligten Unternehmen bei solchen Verstößen einschreiten, diese konsequent unterbinden und notfalls sanktionieren. Außerdem sollten die Arbeitsplätze der Mitarbeiter von Auftragnehmer und Auftraggeber soweit als möglich räumlich voneinander getrennt werden. Um das Problembewusstsein der beteiligten Vorgesetzten zu schärfen, können Schulungen durchgeführt werden5. Verstoßen einzelne Mitarbeiter trotz konsequenter Gegenmaßnahmen im Ausnahmefall gegen die Vorgaben, kann dieses Verhalten den Unternehmen nicht zugerechnet werden6. Es kommt immer wieder vor, dass die operativen Fachabteilungen die vorgegebenen Kommunikationsregeln als überflüssige Bürokratie ablehnen, sich aus mangelnder Einsicht über die Regeln hinwegsetzen oder diese sogar betriebspolitisch bekämpfen. Wegen dieses Konfliktpotentials kann ein rechtskonformer Prozess nicht allein durch die Personal- oder Rechtsabteilung durchgesetzt werden, sondern benötigt den Rückhalt der Geschäftsführung.

1 Vgl. z.B. Schindele, ArbRAktuell 2015, 363 (365); Christ in Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2021, § 65 Rz. 34; Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (343). 2 Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (207). 3 Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1527). 4 LAG Baden-Württemberg v. 1.8.2013 – 2 Sa 6/13, juris Rz. 98 ff. 5 Grimm/Linden, ArbRB 2013, 341 (342 f.); Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1528). 6 Klösel/Mahnhold, BB 2017, 1524 (1528).

Grimm/Singraven

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§ 8 Rz. 8.54

Unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsätze

3. Gemeinschaftsbetrieb als Alternative? 8.54 Das AÜG findet keine Anwendung, wenn der unternehmensübergreifende Mitarbeitereinsatz im Rahmen eines Gemeinschaftsbetriebes stattfindet (vgl. Rz. 8.16). In diesem Fall können die Arbeitnehmer beider Unternehmen vollständig in den Gemeinschaftsbetrieb eingegliedert und durch gemeinschaftliche Weisungen beider Arbeitgeber gesteuert werden, ohne dass diese Praxis als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung gewertet werden kann1. Eine Abgrenzung beider Belegschaften bedarf es im Arbeitsalltag nicht. Auch findet der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt Anwendung, so dass anders als bei Leiharbeit (vgl. dort § 8 AÜG) die Vertragsbedingungen und das Lohnniveau beider Belegschaften abweichen dürfen2. Erscheinen die Kommunikations- und Umgangsregeln, die bei der Zusammenarbeit auf Dienst- und Werkvertragsbasis eingehalten werden müssten, zu sperrig und unflexibel, kommt die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs als Alternative in Betracht3. In der Software-Entwicklung ist z.B. vorstellbar, dass zwei Unternehmen jeweils ausgewähltes Fachpersonal in einen Gemeinschaftsbetrieb entsenden, wo dann unter einheitlicher Leitung gemeinschaftlich das Software-Produkt entwickelt wird.

8.55 Allerdings stellen sich an die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes mehrere Anforderungen, die in vielen Fällen unternehmensübergreifender Zusammenarbeit schlechthin nicht erfüllt werden können: – Kennzeichnende Voraussetzung des Gemeinschaftsbetriebs ist ein einheitlicher Leitungsapparat, durch den die beteiligten Unternehmen die personelle Leitungsmacht gemeinschaftlich ausüben. Dieser Leitungsapparat wird geschaffen, indem beide Unternehmen (auch konkludent) eine Führungsvereinbarung schließen4 (i.d.R. in Form einer GbR5). Dabei muss die gemeinsame Leitung den Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen Angelegenheiten umfassen, d.h. neben der Dienstplanung, Versetzung und Arbeitszeitfestlegung auch die Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern6. – Bei der Ausübung dieser gemeinsamen Leitung müssen beide Unternehmen beteiligt werden und hierbei eigene Betriebszwecke verfolgen. Anders als bei der Arbeitnehmerüberlassung darf sich die Tätigkeit des einen Unternehmens nicht darin erschöpfen, Personal zur Verfügung zu stellen, über dessen Einsatz das andere Unternehmen alleine entscheidet7. Dies bedeutet aber auch, dass eine Auftraggeber-Auftragnehmer-Rollenverteilung zwischen beiden Unternehmen schwer vorstellbar ist. Denn beide Unternehmen entscheiden in Hinblick auf die Personaldispositionen des jeweils anderen Unternehmens – bis hin zu Einstellungen und Entlassungen – mit und agieren zumindest graduell auf Augenhöhe8. In dieser Form muss die Zusammenarbeit auch tatsächlich gelebt werden – andernfalls würde die Führungsvereinbarung als Scheingeschäft (§ 117 BGB) behandelt. Dies ist eine beachtliche Hürde: Da im Regelfall unternehmensübergreifender Zusammenarbeit ein Unternehmen lediglich bestimmte Leistungen des anderen Unternehmens nachfragt, diesem aber keine Entscheidungsmacht über das eigene Personal einräumen will, kommen Gemeinschaftsbetriebe häufig nicht in Betracht. 1 BAG v. 25.10.2000 – 7 AZR 487/99, juris Rz. 24; BAG v. 3.12.1997 – 7 AZR 764/96, juris Rz. 18 ff.; Kollervan Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (209 f.); Groeger, ArbRB 2017, 216. 2 BAG v. 12.12.2006 – 1 ABR 38/05, juris Rz. 21 ff.; BAG v. 19.11.1992 – 10 AZR 290/91, Leitsatz; Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (565). 3 Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (565); Saager/Schmuck, NJOZ 2020, 417 (419). 4 Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (566); Seel, öAT 2017, 48 (50). 5 Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (209); Seel, öAT 2017, 48 (50). 6 BAG v. 23.9.2010 – 8 AZR 567/09, juris Rz. 42; Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (566); Koller-van Delden/ Gallini, DStR 2017, 206 (209); Groeger, ArbRB 2017, 216 (217). 7 Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (567); Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (209). 8 Koller-van Delden/Gallini, DStR 2017, 206 (210).

196

Grimm/Singraven

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

§9

– Für mitbestimmte Betriebe hätte die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebes gravierende betriebsverfassungsrechtliche Konsequenzen. Es gibt zwei Möglichkeiten, einen Gemeinschaftsbetrieb mit einem fremden Unternehmen zu gründen: Entweder wird dessen Betrieb(steil) mit dem eigenen, bestehenden Betrieb zusammengefasst, der sich dabei zum Gemeinschaftsbetrieb wandelt. Alternativ wird ein Betriebsteil vom eigenen bestehenden Betrieb abgespalten und in einen neu zu gründenden Gemeinschaftsbetrieb eingebracht. Sowohl bei der Betriebszusammenfassung (§ 21a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BetrVG) als auch bei der Betriebsspaltung (§ 21a Abs. 1 BetrVG) müssen umgehend Betriebsratsneuwahlen eingeleitet und ein einheitlicher Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebs gebildet werden, der die Belegschaften beider Unternehmen vertritt1. Bestehende Betriebsvereinbarungen verlieren regelmäßig ihre Wirksamkeit2. In beiden Fällen kommt es zu einer Betriebsänderung, zu der Interessenausgleichsverhandlungen geführt und Sozialpläne vereinbart werden müssen (§§ 111, 112 BetrVG)3. Auch ist vorstellbar, dass es zu einer Tarifkollision nach § 4a TVG kommt4. Wegen dieser betriebspolitischen Hürden ist die Gründung eines Gemeinschaftsbetriebs oft zu aufwendig, wenn nur eine vorübergehende Zusammenarbeit für ein zeitlich und inhaltlich begrenztes Projekt beabsichtigt ist.

8.56

Hinweis: Innerhalb von Konzernen ist die Gründung von Gemeinschaftsbetrieben oft ein geeignetes Mittel, um über das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG hinaus konzernübergreifende Personaleinsätze zu ermöglichen5. Da Arbeitnehmern im Gemeinschaftsbetrieb abhängig von ihrem jeweiligen Vertragsarbeitgeber unterschiedliche Gehälter gezahlt werden dürfen, kommt der Gemeinschaftsbetrieb hier z.B. als Mittel der Tarifflucht in Betracht6. Da im Konzern ohnehin gleichgelagerte Interessen verfolgt werden, besteht häufig die Möglichkeit, gemeinschaftliche personelle Leitungsapparate für mehrere Konzerngesellschaften einzurichten. Im Übrigen werden Gemeinschaftsbetriebe bislang eher selten bewusst geschaffen, um unternehmensübergreifende Zusammenarbeit rechtlich zu gestalten.

§9 Freelancer-Vermittlung durch Agenturen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Übliche Vertragsstruktur bei FreelancerVermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das Risiko der Scheinselbständigkeit . . . .

9.1 9.3 9.4 9.9

a) Herkömmliche Auffassung in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . b) Gegenauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Regelungsfragen . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9.10 9.14 9.16 9.19 9.25

Literatur: Lanzinner/Nath, Beitragsrechtliche Folgen der verdeckten Überlassung von Scheinselbständigen – Teil II, NZS 2015, 251; Niklas, „Contracting“ nach der Reform des AÜG, ArbRB 2018, 54; Niklas/Schauß,

1 2 3 4 5 6

Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (569). Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (569); eingehend hierzu Schönhöft/Brahmstaedt, NZA 2010, 851 (552 ff.). Schipp, ArbRB 2019, 212 (214); Seel, öAT 2017, 48 (50). Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (569). Saager/Schmuck, NJOZ 2020, 417 (419); Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (570). Schönhöft/Oelze, BB 2016, 565 (570).

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§ 9 Rz. 9.1

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

Die Arbeitnehmerüberlassung ist endlich – was kommt dann?, BB 2014, 2805; Reufels, Personaldienstleistungen, 2. Aufl. 2018; Uffmann, Projektbezogener Einsatz hochqualifizierten Fremdpersonals in der Compliancefalle?, NZA 2018, 265; Ulber/Ulber, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3. Aufl. 2020; van Venrooy, Missbrauch des Dienstverschaffungsvertrags Selbständigen-„Contracting“ – ein Irrweg, NZA 2011, 670; Vogt/Deepen, Interimsmanagement im Spannungsfeld zwischen selbständiger und abhängiger Beschäftigung, ArbRAktuell 2012, 573

I. Worum geht es? 9.1 Freelancer werden beauftragt, um Spezialprobleme zu lösen, für die ihren Auftraggebern das Knowhow fehlt. Oft benötigen die Unternehmen dieses Knowhow akut. Typischerweise soll es dann schnell gehen und für lange Personalsuche oder Einarbeitung ist keine Zeit. Das Unternehmen muss kurzfristig einen Freelancer finden, der seinem Anforderungsprofil genau entspricht. Hierzu bietet sich die Kontaktaufnahme mit einer Agentur (auch Provider genannt) an, die darauf spezialisiert ist, Freelancer-Kontakte zu vermitteln. Da die Nachfrage nach Spezial-Knowhow seit Jahren wächst, drängen mittlerweile Agenturen in allen Größen und Fachrichtungen an den Markt, bei denen Unternehmen die Dienste von Interimsmanagern, Beratern und anderen Freelancern nachfragen können.

9.2 Freelancer lassen sich bei den Agenturen unter Angabe ihres Lebenslaufs registrieren. Wenn Unternehmen einen bestimmten Spezialisten suchen, können sie sich entweder registrierte Kandidaten aus dem Pool der Agentur vorstellen oder – wenn sich dort kein geeigneter Kandidat findet – ihren Auftrag über die Agentur ausschreiben lassen. Für die meisten Unternehmen ist es sinnvoll, mit einer Vielzahl von Agenturen gleichzeitig zusammenzuarbeiten. So erhalten die Unternehmen nicht nur Zugriff auf einen größeren Kandidaten-Pool. Gleichzeitig wächst auch die Verhandlungsmacht gegenüber den Agenturen, da viele Freelancer gleich bei mehreren Agenturen registriert sind und – sollte man sich mit einer Agentur nicht einig werden – über eine andere Agentur beauftragt werden können. Allerdings wird es so oder so für das Unternehmen teuer: Neben dem ohnehin schon hohen Honorar des Freelancers muss es auch die Agentur bezahlen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 9.3 Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden in einem Vertrag zwischen dem Unternehmen und der Agentur festgelegt (dazu Rz. 9.4 ff.). Obwohl das Unternehmen i.d.R. keinen Direktvertrag mit dem Freelancer schließt, drohen Haftungsfolgen, wenn der Freelancer als Scheinselbständiger tätig wird (dazu Rz. 9.9 ff.). Daneben müssen mit der Agentur eine Vielzahl weiterer rechtlicher Gesichtspunkte geregelt werden, die für die Zusammenarbeit mit dem Freelancer maßgeblich sind (dazu Rz. 9.19 ff.).

1. Übliche Vertragsstruktur bei Freelancer-Vermittlung 9.4 Prinzipiell wäre vorstellbar, dass das Kunden-Unternehmen einen Direktvertrag mit dem Freelancer schließt, der durch die Agentur gegen ein Honorar vermittelt wird (sog. angelsächsisches Modell)1. Dieses Modell ist auf dem deutschen Markt allerdings unüblich2.

1 Vogt/Deepen, ArbRAktuell 2012, 573 (573 ff.); Buschbaum/Klösel, NJW 2012, 1482 (1482). 2 Buschbaum/Klösel, NJW 2012, 1482 (1482).

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 9.6 § 9

Fast alle Agenturen arbeiten nach dem holländischen Modell1: Hierbei schließt der Freelancer einen Vertrag mit der Agentur und die Agentur einen Vertrag mit dem Kunden-Unternehmen. Einen Direktvertrag zwischen Kunden und Freelancer gibt es nicht. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang von Contracting2.

9.5

In der Beziehung zum Kunden verpflichtet sich die Agentur beim holländischen Modell, die Dienstleistung des Freelancers zur Verfügung zu stellen. Hierbei gibt es zwei marktübliche Gestaltungsmodelle:

9.6

1. Beim ersten Modell verpflichtet sich die Agentur aufgrund eines Dienstleistungsvertrags (§ 611 BGB) selbst dazu, gegenüber ihrem Kunden bestimmte, vertraglich definierte Dienstleistung zu erbringen. Den Freelancer setzt die Agentur als ihren Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) und Subunternehmer ein3. In diesem Fall haftet gegenüber dem Kunden i.d.R. allein die Agentur für Pflichtverletzungen des Freelancers4. In der Praxis kommt eine Haftung der Agentur allerdings nur selten in Betracht. Auf Werkverträge, mit denen sie nicht nur Dienste, sondern die Erreichung bestimmter Erfolge (§§ 633 ff. BGB) zusagen würden, lassen sich Agenturen i.d.R. nicht ein. Außerdem fordern die Agenturen fast immer, dass ihre Haftung im Vertrag mit dem Kunden auf Fälle grober Fahrlässigkeit und Vorsatz beschränkt wird. Die meisten Kunden geben nach und akzeptieren die von der Agentur geforderten Haftungsbeschränkungen. 2. Beim zweiten Modell verpflichtet sich die Agentur in Form eines Dienstverschaffungsvertrags lediglich dazu, die Dienstleistung des Freelancers zu vermitteln, und steht nicht selbst für diese Dienstleistung ein5. Zu welchen Rechtsfolgen diese Gestaltung führt, ist unklar. Da es ebenfalls zu keinem Vertrag zwischen Kunden und Freelancer kommt, bleibt ungeregelt, auf welcher Rechtsgrundlage und durch welche Person die eigentliche Dienstleistung gegenüber dem Kunden geschuldet wird oder ob die Dienstleistung gar im „rechtsfreien Raum“ erbracht werden soll. Anders als bei einem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (vgl. dazu Rz. 8.8) kann die Agentur kein Weisungsrecht an den Kunden übertragen, da es ein solches Weisungsrecht gegenüber einem Selbständigen gerade nicht geben kann und darf. Teilweise wird vorgeschlagen, den Vertrag zwischen Freelancer und Agentur als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) auszulegen, der zu Direktansprüchen des Kunden führt6. Dabei stellt sich allerdings das Problem, dass i.d.R. weder der Kunde den Vertrag zwischen Freelancer und Agentur, noch der Freelancer die vertraglichen Zusagen der Agentur gegenüber dem Kunden im Wortlaut kennen. Die Agenturen halten die Verträge bewusst geheim, da sie ihre Marge gegenüber den weiteren Beteiligten nicht offenlegen wollen7. Auch durch Auslegung lässt sich deshalb kaum ermitteln, welches Rechtsfolgenregime durch die beteiligten Parteien gewollt ist. Aus gutem Grund gilt diese Gestaltung als rechtlich zweifelhaft und unsauber8. Im Gegenzug vergütet das Unternehmen die Leistung des Freelancers durch Entgeltleistungen gegenüber der Agentur. Dies erfolgt üblicherweise nach dem Umfang der Einsatzzeiten des Freelancers mit Stunden- oder Tagessätzen9.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Buschbaum/Klösel, NJW 2012, 1482 (1482); Vogt/Deepen, ArbRAktuell 2012, 573 (575). Der Begriff ist allerdings wenig scharf gefasst, vgl. Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 2. Uffmann, NZA 2018, 265 (266); Niklas, ArbRB 2018, 54 (54). Buschbaum/Klösel, NJW 2012, 1482 (1484). Uffmann, NZA 2018, 265 (266); Niklas/Schauß, BB 2014, 2805 (2807); Niklas, ArbRB 2018, 54 (54); Wank/Roloff in ErfK, § 1 AÜG Rz. 32. Specovius/Uffmann, ZIP 2016, 295 (303 ff.); van Venrooy, NZA 2011, 670 (678); a.A. Niklas/Schauß, BB 2014, 2805 (2808); Niklas, ArbRB 2018, 54 (57). van Venrooy, NZA 2011, 670 (672). So auch van Venrooy, NZA 2011, 670 (670 ff.); Niklas/Schauß, BB 2014, 2805 (2808); Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 68. Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 28.

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§ 9 Rz. 9.7

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

9.7 Hinweis: Üblich und sinnvoll ist es, dass Unternehmen und Agentur zunächst einen Rahmenvertrag schließen, in dem die allgemeinen Bedingungen der Zusammenarbeit geregelt werden (vgl. für ein Muster Rz. 9.29). Anlässlich des Einsatzes einzelner Freelancer schließen Unternehmen und Agentur auf Grundlage des Rahmenvertrages dann konkretisierende Einzelverträge1. In den Einzelverträgen legen die Parteien üblicherweise nur noch die Person des Freelancers, den Inhalt des zu übernehmenden Projektes, die Stunden- bzw. Tagessatzhöhe, ein Stunden- bzw. Tageskontingent und die Laufzeit fest (vgl. für ein Muster Rz. 9.35).

9.8 Der Freelancer verpflichtet sich gegenüber der Agentur vertraglich, die vereinbarten Dienste gegenüber dem Kunden-Unternehmen zu erbringen. Außerdem verpflichtet er sich zur Geheimhaltung und überträgt gewerbliche Schutzrechte, die durch seine Tätigkeit entstehen2. Im Gegenzug zahlt ihm die Agentur ebenfalls ein zeitbezogenes Honorar nach Stunden- oder Tagessätzen. Die Agentur generiert ihre Marge, indem sie vom Kunden-Unternehmen höhere Stundensätze fordert, als sie selbst an die Freelancer zahlt.

2. Das Risiko der Scheinselbständigkeit 9.9 Unter Unternehmen ist der Irrtum weit verbreitet, beim holländischen Modell (vgl. Rz. 9.5 ff.) würden ihnen keine Risiken der Scheinselbständigkeit drohen, wenn sie Freelancer bei sich eingliedern. Sie hätten ja keinen Direktvertrag mit dem Freelancer geschlossen. Das ist rechtlich falsch. Gliedern die Unternehmen einen Freelancer wie einen Arbeitnehmer bei sich ein, der durch eine Agentur vermittelt wurde, haften sie der Einzugsstelle unmittelbar für Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuern und verletzen – da zumindest Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden – diese Pflicht. Rechtlich umstritten ist lediglich, wie diese Rechtsfolge dogmatisch begründet wird und ob die Agentur als Gesamtschuldnerin neben dem Unternehmen für ausstehende Sozialversicherungsbeiträge miteinstehen muss.

a) Herkömmliche Auffassung in Literatur und Rechtsprechung 9.10 Die herkömmliche Auffassung in Literatur und Rechtsprechung geht davon aus, dass die Vermittlung eines Freelancers durch eine Agentur eine illegale Arbeitnehmerüberlassung darstellt, wenn der Freelancer wie ein Arbeitnehmer in das Kunden-Unternehmen eingegliedert wird und deshalb als scheinselbständig anzusehen ist3. Zwar ist im Vertrag zwischen Agentur und Freelancer stets ausdrücklich geregelt, dass der Freelancer seine Dienste „selbständig“ erbringen soll. Wird dieser Vertrag allerdings faktisch anders gelebt, ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung für seine rechtliche Einordnung nicht die vertragliche Bezeichnung, sondern die gelebte Vertragsdurchführung maßgeblich. Die Vertragsparteien können keine zwingenden Arbeitnehmerschutzrechte durch bloße Bezeichnungen im Text der Vertragsurkunde umgehen4 (eingehend hierzu Rz. 7.9 ff.). Demnach wäre der Freelancer rechtlich gesehen als Arbeitnehmer der Agentur anzusehen.

9.11 Die Agentur als Vertragsarbeitgeber setzt den Arbeitnehmer jedoch nicht selbst ein und übt insbesondere das Arbeitgeberdirektionsrecht (§ 106 GewO) nicht selbst gegenüber ihm aus. All dies er1 Niklas, ArbRB 2018, 54 (54). 2 van Venrooy, NZA 2011, 670 (672). 3 Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG), § 1 Rz. 1.1.2 Abs. 9; LSG Bayern v. 18.11.2014 – L 5 R 1071/12, juris Rz. 42; LAG Baden-Württemberg v. 1.8.2013 – 2 Sa 6/13, ArbRB 2013, 302; Vogt/Geulen, ArbRAktuell 2019, 319 (322); Vogt/Deepen, ArbRAktuell 2012, 573 (575); Ulber/Ulber, Einleitung C. Rz. 104; Waas in Thüsing, AÜG, 4. Aufl. 2018, § 1 AÜG Rz. 63; van Venrooy, NZA 2011, 670 (672); ähnlich LSG Baden-Württemberg v. 10.6.2016 – L 4 R 3072/15, juris Rz. 74. 4 BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, juris Rz. 47; BAG v. 28.5.1986 – 7 AZR 25/85, juris Rz. 49, 50; BAG v. 14.2.1974 – 5 AZR 298/73, Leitsatz 2.

200

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 9.14 § 9

folgt durch einen fremden Rechtsträger, nämlich das Kunden-Unternehmen. Die herkömmliche Auffassung nimmt deshalb an, dass der Arbeitnehmer gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG an das Kunden-Unternehmen als Leiharbeitnehmer überlassen wurde. Diese Arbeitnehmerüberlassung ist stets illegal, da sie entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 AÜG im Vertrag zwischen Agentur und Kunden-Unternehmen nicht als solche bezeichnet ist und die Agentur i.d.R. auch über keine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfügt (allgemein hierzu Rz. 8.18). Ist das der Fall, kommt es zu folgenden Rechtsfolgen: Der Vertrag zwischen Agentur und Kunden- 9.12 Unternehmen ist unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Der Arbeitsvertrag zwischen der Agentur und dem scheinselbständigen Freelancer ist ebenfalls unwirksam (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 und 1a AÜG). Stattdessen wird kraft Gesetzes ein Arbeitsvertrag zwischen dem Kunden-Unternehmen und dem Scheinselbständigen fingiert (§ 10 AÜG). Aus diesem Fiktionsarbeitsverhältnis schuldet das Kunden-Unternehmen dem Freelancer unmittelbar die Vergütung einschließlich der darauf abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer. Denn selbstverständlich ist das Entgelt eines Scheinselbständigen – anders als bei einem echten Selbständigen – gem. § 7 Abs. 1 SGB IV sozialbeitragspflichtig. Da aber weder die Agentur noch das Kunden-Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge abführen, verletzen sie diese Pflicht und verwirklichen einen Bußgeldtatbestand (§ 8 Abs. 3 SchwarzArbG). Handelt das Kunden-Unternehmen vorsätzlich – was allerdings nur dann der Fall ist, wenn seine Organe nachweisbar diese Sozialbeitragspflicht nach einer Parallelwürdigung in der Laiensphäre erkennen und vorhersehen, – handelt es sich sogar um eine Straftat (§ 266 StGB) (vgl. eingehend zu möglichen und weiteren Sanktionen Rz. 7.25 ff.). Die illegale Arbeitnehmerüberlassung ist zusätzlich bußgeldbewehrt (§ 16 AÜG, vgl. auch Rz. 8.20). Liegt eine illegale Arbeitnehmerüberlassung vor, haftet das Kunden-Unternehmen allerdings nicht al- 9.13 lein. Stattdessen haftet die Agentur neben dem Kunden-Unternehmen für Entgeltansprüche des Scheinselbständigen, Sozialversicherungsbeiträge sowie etwaige nichtgezahlte Lohnsteuer als Gesamtschuldnerin mit. Dies folgt aus den Sonderregeln nach § 10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 2 Satz 3 u. 4 SGB IV sowie § 42d Abs. 5 Satz 5 EStG. Das bereits durch die Agentur an den Scheinselbständigen gezahlte Entgelt darf der Scheinselbständige behalten; es tilgt zugleich dessen Lohnansprüche gegenüber dem Kunden-Unternehmen1. Für die ausstehenden Sozialversicherungsbeitragsansprüche können sowohl Kunden-Unternehmen als auch Agentur im Außenverhältnis jeweils uneingeschränkt in Anspruch genommen werden (§ 421 BGB). Zwischen Agentur und Kunde richtet sich die Kostentragung nach den Regeln des Gesamtschuldnerausgleichs: Grundsätzlich kann derjenige, welcher die Sozialbeitragspflicht gegenüber der Einzugsstelle bezahlen muss, vom anderen Schuldner die Erstattung der Hälfte der dafür aufgewendeten Kosten verlangen (§ 426 BGB).

b) Gegenauffassung Die im Vordringen befindliche Gegenauffassung stellt hingegen in Frage, dass bei einer Eingliederung des Freelancers in den Betrieb des Kunden die Voraussetzungen einer (illegalen) Arbeitnehmerüberlassung erfüllt werden2. Nach dieser Auffassung könne es der Agentur nicht zugerechnet werden, wenn das Kunden-Unternehmen den Freelancer in der tatsächlichen Vertragsdurchführung – entgegen der ausdrücklich getroffenen vertraglichen Abrede im Agenturvertrag – durch Weisungen steuere und wie einen Arbeitnehmer bei sich eingliedere. Zwar richte sich die rechtliche Einordnung der Vertragsbeziehung grundsätzlich danach, wie die Vertragsbeziehung tatsächlich durchgeführt werde, sollte diese tatsächliche Durchführung von ausdrücklichen Bezeichnungen in den geschlossenen Verträgen abweichen. Dies gelte nach ausdrücklicher Rechtsprechung des BAG allerdings nur 1 BGH v. 8.11.1979 – VII ZR 337/78, juris Rz. 19 ff. 2 LAG Düsseldorf v. 21.7.2015 – 3 Sa 6/15, juris Rz. 45; OLG Frankfurt v. 12.7.1989 – 7 U 230/88, BB 1990, 778, Leitsatz; Lanzinner/Nath, NZS 2015, 251 (253); Uffmann, NZA 2018, 265 (271 f.); Niklas/Schauß, BB 2014, 2805 (2808); Lembke, NZA 2017, 1 (2); Lembke, NZA 2013, 1312 (1314); Hamann in Schüren/ Hamann, § 1 AÜG Rz. 198.

Grimm/Singraven

201

9.14

§ 9 Rz. 9.14

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

dann, wenn diese tatsächliche Durchführung „mit Kenntnis und Billigung der zum Vertragsschluss berechtigten Personen“ erfolge1. Hier müsse nach einem „verleiherbezogenen Ansatz“2 auf die Perspektive der Agentur abgestellt werden: Die Agentur wisse i.d.R. nicht, wie der vermittelte Freelancer beim Kunden tätig sei, und selbst wenn sie dies wüsste und hinnähme, könne ihr nicht unterstellt werden, dass sie eine Eingliederung des Freelancers in eine Scheinselbständigenrolle dadurch billigen würde.

9.15 Allerdings ziehen die Vertreter dieser im Vordringen befindlichen Gegenauffassung überwiegend nicht die Konsequenz, dass überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt werden müssten. Stattdessen unterstellen Vertreter dieser Auffassung, dass das Kunden-Unternehmen mit dem Freelancer stillschweigend ein eigenständiges Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis vereinbart (§§ 133, 157 BGB), wenn es diesen als Scheinselbständigen bei sich eingliedert. Aus diesem stillschweigend vereinbarten Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis sei allein das Kunden-Unternehmen zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet3. Die Agentur sei dagegen nicht verantwortlich und könne auch nicht in Mithaftung genommen werden4. Das Kunden-Unternehmen hafte allein und sei allein den behördlichen Sanktionen wegen Scheinselbständigkeit ausgesetzt.

c) Eigene Stellungnahme 9.16 Diese Gegenauffassung überzeugt nicht. Sie spricht die Agenturen von ihrer Verantwortung für die tatsächliche Durchführung der geschlossenen Verträge frei, obwohl die Betreuung der geschlossenen Verträge die Hauptaufgabe der Agentur im Rahmen ihrer Dreiecksbeziehung zu Freelancer und Kunden ist. Wohlgemerkt bezahlt die Agentur den Freelancer laufend für seine Dienste. Gleichzeitig rechnet sie diese Dienste gegenüber dem Kunden-Unternehmen ab. Damit bringt die Agentur auch zum Ausdruck, dass sie die geleisteten Dienste als vertragskonform billigt. Zudem wäre allein die Agentur als Vertragspartner des Freelancers und nicht der Kunde dazu in der Lage, den sozialversicherungsrechtlichen Status in einem Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV zu klären. Es kann die Agentur grundsätzlich nicht entlasten, wenn sie sich nicht damit befasst, was der Freelancer eigentlich für den Kunden tut, und dies deshalb nicht weiß. Alles andere hätte die bemerkenswerte Konsequenz, dass sich die Agentur allein durch „weggucken und wegducken“ ihrer Verantwortung für die Einhaltung öffentlich-rechtlicher Pflichten entziehen könnte und das kann nicht sein. Fast alle Agenturen kennen die Problematik der Scheinselbständigkeit genau und meist besser als ihre Kunden. Gleichzeitig tragen die Agenturen die Verantwortung dafür, einen geeigneten und zuverlässigen Freelancer für ein bestimmtes, mit dem Kunden abgestimmtes Projekt auszuwählen. Dabei kann von der Agentur zumutbar erwartet werden, dass sie prüft, ob das Projekt überhaupt als selbständige Dienstleistung durchführbar ist. Der Agentur ist ebenfalls zuzumuten, dass sie den Freelancer im Hinblick auf die Risiken der Scheinselbständigkeit instruiert und während der Projektdurchführung zumindest durch regelmäßige Rückfragen überwacht. Unterlässt die Agentur solche zumutbaren Einwirkungshandlungen, muss – auch durch Freelancer und Kunde – davon ausgegangen werden, dass sie eine Eingliederung des Freelancers in den Kundenbetrieb im Rahmen der Vertragsdurchführung bewusst in Kauf nimmt und auf diese Weise konkludent billigt (§ 157 BGB). Dadurch wirkt sie an der illegalen Überlassung eines Scheinselbständigen mit und „verdient“ es deshalb, gesamtschuldnerisch nach § 10 Abs. 3 AÜG, § 28e Abs. 2 Satz 3 u. 4 SGB IV sowie § 42d Abs. 5 Satz 5 EStG5 in Mithaftung genommen zu werden.

1 Z.B. BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 395/11, juris Rz. 21. 2 Lembke, NZA 2013, 1312 (1314); Uffmann, NZA 2018, 265 (271 f.). 3 Lanzinner/Nath, NZS 2015, 251 (253 f.); Niklas/Schauß, BB 2014, 2805 (2808); Hamann in Schüren/Hamann, § 1 AÜG Rz. 198; Uffmann, NZA 2018, 265 (272); anders allerdings LAG Düsseldorf v. 21.7.2015 – 3 Sa 6/15, juris Rz. 45. 4 Lanzinner/Nath, NZS 2015, 251 (253 f.). 5 Ebenso Ulber/Ulber, Einleitung C. Rz. 104; ähnlich Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 87.

202

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 9.21 § 9

Konstruiert erscheint hingegen der Vorschlag, im Falle einer Eingliederung des Freelancers stets ei- 9.17 nen konkludent geschlossenen Arbeitsvertrag zwischen Freelancer und Kunden zu unterstellen. Denn selbst wenn in dieser Beziehung eine faktische Eingliederung stattfindet, fehlt dabei im Regelfall jeder Rechtsbindungswille. Typischerweise verbieten nämlich die Agenturverträge dem Kunden eine arbeitsvertragliche Direktanstellung des Freelancers und weder Freelancer noch Kunde ziehen in Betracht, diese vertragliche Vorgabe zu verletzen. Anders stellt es sich allerdings dar, wenn Freelancer und Kunden-Unternehmen kollusiv zusammenarbeiten und Vorgaben der Agentur zur Vertragsdurchführung bewusst und heimlich missachten. In solchen Fällen begründen sie eine neue Form der Zusammenarbeit, die außerhalb des Anwendungsbereichs des Agenturvertrages liegt und der Agentur demnach nicht zugerechnet werden kann. Diese Zusammenarbeit wäre als Arbeitsvertrag zu qualifizieren, aus dem allein das Kunden-Unternehmen die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen schuldet1.

9.18

Hinweis: Für die Compliance-Politik des Unternehmens spielt es keine wesentliche Rolle, welche der streitenden Auffassungen sich letztlich durchsetzt. Entscheidend ist nur, dass sich das Risiko der Scheinselbständigkeit ebenso stellt, wenn Freelancer nicht auf Grundlage von Direktverträgen, sondern über eine Agentur angeworben werden. Das Kunden-Unternehmen muss dann genauso vermeiden, den Freelancer einzugliedern oder durch Weisungen zu steuern, als hätte es einen Direktvertrag geschlossen.

3. Sonstige Regelungsfragen Da das Kunden-Unternehmen keinen Direktvertrag mit dem Freelancer schließt, muss es die wesentlichen Geschäftsbedingungen der Vertragsbeziehung im Agenturvertrag festlegen. Soweit es zur Einhaltung dieser Geschäftsbedingungen erforderlich ist, muss die Agentur den Freelancer entsprechend „unterverpflichten“, damit er die vereinbarten Vorgaben einhält.

9.19

Wichtig ist, dass das Kunden-Unternehmen eine Übertragung von urheberrechtlichen Nutzungs- 9.20 rechten und sonstigen gewerblichen Schutzrechten im Vertrag mit der Agentur sicherstellt, die durch die Tätigkeit des Freelancers hervorgebracht werden. Das Unternehmen kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgehen, dass sich diese Rechteübertragung „konkludent“ von selbst vollzieht. Da eine Verfügung zugunsten Dritter nicht anerkannt wird, kann der Freelancer gewerbliche Schutzrechte mangels Direktvertrag nicht unmittelbar an den Kunden übertragen2. Vielmehr werden die gewerblichen Schutzrechte in zwei Schritten übertragen: Der Freelancer ermächtigt die Agentur zunächst vertraglich, die gewerblichen Schutzrechte an den Kunden zu übertragen. Diese Übertragung erfolgt im Anschluss durch vertragliche Vereinbarung zwischen der Agentur und dem Kunden-Unternehmen. Auch Datenschutz- und Geschäftsgeheimnisschutzvorgaben werden dem Freelancer in seinem Ver- 9.21 trag mit der Agentur auferlegt. Üblicherweise garantiert die Agentur die Verschwiegenheit des Freelancers gegenüber dem Kunden und verspricht, dass der Freelancer alle Unterlagen und Daten nach Abschluss des Projektes herausgibt oder vernichtet, die er zur Ausführung seines Einsatzes durch den Kunden erhalten hat3. Faktisch lässt sich die Einhaltung solcher Garantien aber kaum kontrollieren. Gleichzeitig ist das Risiko, dass ein Freelancer, der ständig für wechselnde Kunden tätig ist, Geschäftsgeheimnisse eines Kunden stiehlt, um sie für einen anderen Kunden zu verwenden, vergleichsweise hoch. Deshalb kann auf faktische Schutzvorkehrungen nicht verzichtet werden. Die meisten Unternehmen verlangen, dass Freelancer ausschließlich mit Unternehmenshardware arbeiten, die an das IT-Sicherheitssystem des Unternehmens angeschlossen ist. Dagegen wird dem Freelancer unter-

1 Ebenso Ulber/Ulber, Einleitung C. Rz. 105. 2 van Venrooy, NZA 2011, 670 (672). 3 van Venrooy, NZA 2011, 670 (672).

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§ 9 Rz. 9.21

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

sagt, sich elektronische Kopien von Unternehmensdaten auf seinem privaten Computer anzufertigen. Zwar kann dies als (schwaches) Indiz für Scheinselbständigkeit gewertet werden1. Meist ist das Geheimnisschutzinteresse in diesem Zusammenhang jedoch von größerem Gewicht.

9.22 Als weiteres Mittel des Geschäftsgeheimnisschutzes kann das Unternehmen verlangen, dass sich der Freelancer für die Dauer des Projektes einem Wettbewerbsverbot unterwirft. Ohne eine explizite Regelung würde das Wettbewerbsverbot des § 60 HGB nicht gelten2. Ein vereinbartes Wettbewerbsverbot wird in aller Regel nicht als Indiz für Scheinselbständigkeit gewertet3. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot kann dem Freelancer hingegen nur gegen Zahlung einer erheblichen Karenzentschädigung auferlegt werden (§ 138 BGB i.V.m. dem Rechtsgedanken der §§ 74 HGB ff.)4. Zur Zahlung einer solchen Karenzentschädigung sind meistens weder die Kunden noch die Agenturen bereit. Deshalb beschränkt sich die Geltungsdauer des Wettbewerbsverbotes grundsätzlich auf die Dauer des Auftrages und bietet nur einen begrenzten Schutz.

9.23 Üblicherweise bestehen die Agenturen auf eine Klausel im Rahmenvertrag, die dem Kunden eine Direktbeauftragung des Freelancers (egal ob als Selbständiger oder als Arbeitnehmer) untersagt und ihn im Falle eines Verstoßes zur Zahlung einer Vertragsstrafe oder Vermittlungsprovision verpflichtet (sog. Umgehungsverbot)5. Diese Unterlassungspflicht reicht zeitlich normalerweise deutlich über die Dauer des Auftrages hinaus. Dieses Regelungsanliegen der Agentur erscheint i.d.R. legitim, da Freelancer und Kunden-Unternehmen die Agentur sonst leicht um ihre Marge bringen könnten. Allein das vertragliche Umgehungsverbot vermag Kunde und Freelancer daran zu hindern, den laufenden Vermittlungsvertrag mit der Agentur sofort zu kündigen und anschließend aufgrund eines Direktvertrages, ohne Beteiligung der Agentur, zusammenzuarbeiten.

9.24 Die Vermittlung der einzelnen Freelancer erfolgt üblicherweise für eine fest vereinbarte Laufzeit und im Rahmen dieser Laufzeit begrenzt für ein bestimmtes Stunden- oder Tagesbudget. Zusätzlich wird im Rahmenvertrag fast immer festgelegt, dass die Vermittlungsverträge sowohl durch die Agentur als auch den Kunden jederzeit mit vergleichsweise kurzer Frist ordentlich gekündigt werden können. Denn sowohl Agentur als auch Kunde haben ein Interesse daran, sich bei Konflikten mit dem eingesetzten Freelancer schnell von den geschlossenen Verträgen lösen zu können.

III. Best Practice 9.25 Die Risiken der Scheinselbständigkeit stellen sich unabhängig davon, ob das Unternehmen einen Direktvertrag mit einem Freelancer schließt oder der Freelancer über einen Vertrag mit der Agentur vermittelt wird. Deshalb sollten Unternehmen gegenüber allen Freelancern einheitliche ComplianceMaßnahmen anwenden, um Scheinselbständigkeit wirksam zu vermeiden, egal ob diese über eine Agentur vermittelt oder über einen Direktvertrag angeworben werden. Hierbei handelt es sich vorrangig um drei Maßnahmen (dazu eingehend Rz. 7.51 ff.): – Vor dem Einsatz jedes Freelancers sollte in einer Vorprüfung geklärt werden, ob die Tätigkeit, für welche der Freelancer beauftragt ist, überhaupt als freie Dienstleistung ausführbar ist. Dies ist bei erfolgsbezogenen Projekten, die der Freelancer eigenverantwortlich umsetzen kann, regelmäßig der Fall. Dagegen können wechselnde Unterstützungstätigkeiten innerhalb eines arbeitsteiligen

1 LSG Baden-Württemberg v. 9.4.2014 – L 5 R 2000/13, juris Rz. 83; a.A. SG München v. 19.1.2012 – S 56 R 978/10, ArbRB 2012, 147 = juris Rz. 46. 2 Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 32. 3 BAG v. 15.12.1999 – 5 AZR 3/99, juris Rz. 77; SG Düsseldorf v. 11.5.2005 – S 27 RA 227/01; ArbG Frankfurt/O. v. 31.1.2001 – 1 Ca 1415/00, juris Rz. 47, 48. 4 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, 8. Aufl. 2019, Rz. 1118; Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 34 ff. 5 Schmülling in Reufels, Teil B Rz. 30.

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III. Best Practice

Rz. 9.29 § 9

Teams des Auftraggebers grundsätzlich nicht als selbständige Dienstleistung erbracht werden (dazu eingehend Rz. 7.53 ff.). – Es empfiehlt sich, betriebsinterne Regeln zum Umgang mit Freelancern aufstellen, um eine Eingliederung der Freelancer in die eigene Belegschaft zu verhindern (dazu eingehend Rz. 7.68 ff.). Diese Umgangsregeln sollten unabhängig davon durchgesetzt werden, ob der Freelancer auf Grund eines Direktvertrages eingesetzt oder über eine Agentur vermittelt wird. – Das Unternehmen sollte sicherstellen, dass die schriftlichen Vertragsunterlagen, die dem Einsatz zugrunde liegen, eine selbständige Tätigkeit abbilden und keine Anhaltspunkte für Scheinselbständigkeit liefern. Zu diesem Zweck sollte in den Verträgen insbesondere in schriftlichen Leistungsbeschreibungen festgelegt werden, welche Aufgaben der Freelancer umzusetzen hat. Anders als bei der Direktbeauftragung des Freelancers müssen die Vertragsbedingungen mit der Agentur verhandelt und formuliert werden (vgl. dazu Rz. 9.26 ff.). Wenn das Unternehmen die Zusammenarbeit mit einer Agentur in Betracht zieht, sollten also zunächst die Vertragsbedingungen der gemeinsamen Zusammenarbeit festgelegt werden. Sinnvoll und üblich ist es, zunächst einen Rahmenvertrag zu verhandeln, der die allgemeinen Vertragsbedingungen für sämtliche künftigen Freelancer-Einsätze festlegt. Für jeden Freelancer-Einsatz wird aufgrund des Rahmenvertrages ein weiterer Einzelvertrag geschlossen. Auch für die Einzelverträge sollten sich Agentur und Unternehmen auf ein Standardmuster einigen.

9.26

Hinweis:

9.27

Die meisten Agenturen kennen die Problematik der Scheinselbständigkeit gut und wollen sie im Eigeninteresse vermeiden. Für Bemühungen, Scheinselbständigkeit durch sorgfältige Vertragsgestaltung vorzubeugen, sind die Agenturen deshalb aufgeschlossen. Anders als viele Selbständige sind die Agenturen aber selten bereit, die AGB ihrer Kunden-Unternehmen einschränkungslos zu akzeptieren. Stattdessen legen sie bei der Vertragsgestaltung Wert darauf, ihre eigenen Haftungsrisiken soweit als möglich auszuschließen. Da ein wirksames Haftungsregime allerdings ein wesentliches Indiz gegen Scheinselbständigkeit wäre, steht dieser Wunsch der Agenturen dem Regelungsziel entgegen. In diesem Punkt ergeben sich die entscheidenden Konfliktfelder bei der Vertragsverhandlung.

Im Rahmenvertrag treffen Agentur und Kunden-Unternehmen die Grundentscheidung, ob sich die 9.28 Agentur in Form eines Dienstvertrags selbst zur Erbringung der vertraglichen Leistungen verpflichtet und den Freelancer als ihren Erfüllungsgehilfen und Subunternehmer einsetzt oder ob lediglich ein Dienstverschaffungsvertrag im Hinblick auf die Leistungen des Freelancers vereinbart werden soll. Da das Vertragskonstrukt des Dienstverschaffungsvertrages als rechtlich unsauber gilt (vgl. Rz. 9.6) und bei Behörden und Betriebsprüfern schon deshalb Misstrauen in eine redliche Vertragsgestaltung wecken kann, empfiehlt es sich, Dienstverträge zu vereinbaren.

9.29

Der Rahmenvertrag kann z.B. wie folgt gestaltet werden:

M 9.1 Agentur-Rahmenvertrag für Beratungsprojekte mit Freelancern Rahmenvertrag für Beratungsprojekte zwischen der … nachfolgend: „Auftraggeber“ und … nachfolgend: „Auftragnehmer“

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§ 9 Rz. 9.29

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

Präambel Der Auftraggeber benötigt zur Umsetzung innovativer Vorhaben spezialisiertes Knowhow, vor allem im Bereich der IT. Zu diesem Zwecke findet eine Zusammenarbeit mit dem Auftragnehmer statt. Der Auftragnehmer berät den Auftraggeber zu definierten Projekten und setzt hierzu hochspezialisierte Experten (nachfolgend: „Berater“1) ein. Die allgemeinen Bedingungen, unter denen diese Beratungsleistungen erbracht werden, legen die Parteien in diesem Rahmenvertrag fest. § 1 Projektinhalte (1) Der Auftragnehmer wird den Auftraggeber im Rahmen definierter Projekte beraten. Für jedes Projekt schließen die Parteien einen gesonderten Projektvertrag2, auf dessen Inhalt die Bestimmungen dieses Rahmenvertrages Anwendung finden, soweit im Projektvertrag nichts Abweichendes vereinbart ist. (2) Dieser Rahmenvertrag begründet weder für den Auftraggeber noch für den Auftragnehmer die Pflicht, Projektverträge in einem bestimmten Umfang oder mit einem bestimmten Inhalt einzugehen; beide Parteien sind frei darin, von der Gegenseite angebotene bzw. angefragte Beratungsleistungen anzunehmen oder abzulehnen. (3) Die einzelnen Beratungsprojekte werden je nach Inhalt der angeforderten Beratungsleistung als Dienstverträge (§§ 611 ff. BGB) oder als Werkverträge (§§ 631 ff. BGB) vereinbart. Gegenstand und Ziel der Beratungsleistungen werden in den Projektverträgen festgelegt und spezifiziert. Ist nach Auftragsbeschreibung in einem Projektvertrag ein Erfolg geschuldet, findet insoweit Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) Anwendung3. § 2 Projektdurchführung (1) Der Auftraggeber wird die Beratungsleistung durch Berater erbringen, die auf hohem Niveau qualifiziert und auf das jeweilige Beratungsbedürfnis fachlich spezialisiert sind. Die Parteien können im Projektvertrag Name und/oder Qualifikation des Beraters näher definieren. (2) Der Auftragnehmer benennt im Projektvertrag jeweils einen Ansprechpartner, der für sämtliche Vertragskommunikation in Bezug auf den Projektvertrag zuständig und bevollmächtigt ist (nachfolgend: „Projektverantwortlicher des Auftragnehmers“)4. (3) Die in den Projekten eingesetzten Berater entscheiden im Verhältnis zum Auftraggeber selbst über das zur Erreichung des Projekterfolgs geeignete Vorgehen, können Art, Inhalt, Ort und die Zeiten ihrer Tätigkeit frei bestimmen und unterliegen nicht den Weisungen des Auftraggebers. Der Auftragnehmer wird das vertragsgemäße Tätigwerden der Berater sicherstellen und diese angemessen überwachen. Beschwerden über das Verhalten der Berater richtet der Auftraggeber an den jeweils zuständigen Projektverantwortlichen des Auftragnehmers.

1 Es empfiehlt sich, die Freelancer „Berater“ zu nennen. Bei Bezeichnungen wie „freie Mitarbeiter“, „Freelancer“, „Subunternehmer“ oder „Interimsmanager“ drängt sich das Problem der Scheinselbständigkeit auf. Gleichermaßen sollte nicht von einer „Agentur“, sondern von einem „Auftragnehmer“ gesprochen werden. 2 Vom Wording her empfiehlt es sich, Einzelverträge, mit denen der Einsatz bestimmter Freelancer vereinbart wird, als „Projektverträge“ zu bezeichnen. Dadurch wird hervorgehoben, dass die Bewältigung eines bestimmten Projektes und nicht die Überlassung einer bestimmten Person im Vordergrund steht. 3 Werkverträge sprechen gegen Scheinselbständigkeit, da der Freelancer schon nach der Natur des Vertrages erfolgsbezogen arbeitet und eine strenge erfolgsbezogene Haftung nach §§ 633 ff. BGB Anwendung findet. Aus diesem Grund lassen sich Agenturen allerdings vielfach nicht auf Werkverträge ein. 4 Die Agentur sollte einen Projektverantwortlichen für die Vertragskommunikation benennen, der auch den Einsatz des Freelancers überwacht und für etwaige Beschwerden Ansprechpartner ist. Solange derartige Themen nämlich nicht mit dem Freelancer vor Ort, sondern über den Umweg der Agentur erörtert werden, spricht dies gegen eine Eingliederung des Freelancers in die Belegschaft des Auftraggebers.

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III. Best Practice

Rz. 9.29 § 9

(4) Der Auftragnehmer ist während der laufenden Projekte berechtigt, andere als die im Projektvertrag benannten Berater einzusetzen und die im Projektvertrag benannten Berater auszutauschen, soweit diese über die im Vertrag vereinbarte Qualifikation verfügen. Der Auftraggeber kann dem Einsatz nachträglich eingesetzter Berater widersprechen, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte begründete Zweifel an deren Eignung bestehen; nach Ausspruch eines berechtigten Widerspruchs darf der Auftragnehmer den Berater nicht weiter einsetzen und für dessen weitergehende Zeitaufwände keine Vergütung mehr verlangen. (5) Der Auftraggeber benennt im Projektvertrag einen Ansprechpartner, an den sich die im jeweiligen Projekt tätigen Berater ausschließlich wenden, sobald Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers erforderlich werden (nachfolgend: „Projektverantwortlicher des Auftraggebers“)1. Auf Anfrage bei dem Projektverantwortlichen des Auftraggebers ist der Auftraggeber verpflichtet, den Beratern die für die Ausführung der Projekte erforderlichen Informationen und Unterlagen zur Verfügung zu stellen und, soweit erforderlich, Zugang zu seinen Räumlichkeiten zu gewähren. Weder der Auftragnehmer noch dessen Berater erhalten direkte Weisungsbefugnisse gegenüber Mitarbeitern des Auftraggebers oder das Recht auf eigenmächtigen Zutritt zu dessen Räumlichkeiten oder auf eigenmächtigen Zugriff auf dessen Betriebsmittel. (6) Arbeitsmittel stellt grundsätzlich der Auftragnehmer zur Verfügung; eine Kostenbeteiligung des Auftraggebers bei der Beschaffung von Arbeitsmitteln erfolgt nur, soweit diese ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart wurde2. (7) Als Erfüllungsort gilt die Betriebsstätte des Auftraggebers in …, soweit sich aus der Natur des Projekts oder den ausdrücklichen Abreden der Parteien nichts anderes ergibt. § 3 Laufzeit der Projektverträge (1) Die Projektverträge enden, sobald der durch den Auftragnehmer verantwortete Projekterfolg erreicht ist bzw. mit Ablauf der vereinbarten Zeit. Soweit es sich bei dem Projektvertrag um einen Werkvertrag handelt, ist der Projekterfolg erreicht, wenn das Werk abgenommen (§ 640 BGB) und mangelfrei (§§ 633 ff. BGB) ist. (2) Die Parteien sind berechtigt, den Projektvertrag mit einer Frist von zwei Wochen zum Monatsende vorzeitig ordentlich zu kündigen. Bei Ausspruch der Kündigung ist der Auftragnehmer verpflichtet, das Projekt bis zum Ablauf der Kündigungsfrist in einen Stand zu versetzen, bei dem es unter vertretbarem Einarbeitungsaufwand an Dritte übergeben und durch diese fortgeführt werden kann; hierzu ist der Projektstand i.d.R. textförmlich zu dokumentieren. Die ordentliche Kündigung durch den Auftragnehmer ist ausgeschlossen, a) soweit eine Übergabe des Projekts nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht möglich oder zumutbar erscheint, es sei denn, der Auftragnehmer verzichtet auf seine bislang in dem Projekt erworbenen Vergütungsansprüche oder b) sobald ein vereinbartes Cap gemäß § 4 Abs. 6 erreicht ist oder vorhersehbar wird, dass das Projekt nicht vor Erreichung des Caps abgeschlossen werden kann. (3) Das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt.

1 Auch der Auftraggeber sollte einen Ansprechpartner benennen, an den sich der Freelancer exklusiv wenden muss, wenn er z.B. Zugriff auf Arbeitsmittel des Auftraggebers oder Zugang zu dessen Räumlichkeiten benötigt. Würde dem Freelancer hingegen ermöglicht, sich – wie ein normaler Arbeitnehmer – frei in den Räumlichkeiten des Auftraggebers zu bewegen und dessen Arbeitsmittel zu nutzen, kann dies zu einer Eingliederung in die Belegschaft des Auftraggebers führen. 2 Es empfiehlt sich, zumindest als Grundsatz festzuhalten, dass der Freelancer grundsätzlich mit eigenen Arbeitsmitteln bzw. den Arbeitsmitteln des Auftragnehmers arbeiten muss. Allerdings muss in der Vertragsdurchführung meistens eine weitreichende Ausnahme gemacht werden: Typischerweise nutzen Freelancer aus Gründen der IT-Sicherheit die Computer des Auftraggebers (vgl. Rz. 9.21).

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§ 9 Rz. 9.29

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

§ 4 Vergütung des Auftragnehmers (1) Die Vergütung des Auftragnehmers erfolgt nach dem Zeitaufwand der von ihm eingesetzten Berater. In den Projektverträgen vereinbaren die Parteien für die Projektdurchführung den jeweiligen Vergütungssatz nach Qualifikation und ggf. Name des Beraters. Der Vergütungssatz wird als Stundensatz zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer bestimmt. (2) Der Auftragnehmer muss den Zeitaufwand der von ihm eingesetzten Berater selbständig erfassen. Die Abrechnung erfolgt monatlich unter nachvollziehbarer Angabe der Tätigkeitszeiten und der erbrachten Tätigkeitsinhalte. Die Vergütung wird 14 Tage nach Erhalt der Abrechnung fällig. (3) Fahrtzeit und Reisezeiten gelten als vergütungspflichtiger Zeitaufwand, soweit sie die tagesüblichen Hin- und Rückfahrtzeiten zur Arbeitsstätte, welche die Parteien mit dem Umfang von einer Stunde pro Tag pauschalieren, überschreiten und zum Zwecke der Projektdurchführung erforderlich und angemessen sind. In diesem Fall wird der Auftraggeber anfallende Fahrt-, Reise- und Übernachtungskosten nach Vorlage entsprechender Belege unter folgenden Maßgaben erstatten: a) Fahrtkosten werden nur bis zur Höhe des günstigsten Tarifs (Mietwagen der Kompaktklasse, Bahnreisen in der 2. Klasse, Flugreisen in der Economy-Klasse) erstattet. Soweit bei der Reise eigene PKW des Auftragnehmers eingesetzt werden, erfolgt die Fahrtkostenerstattung in Form einer Pauschale i.H.v. 0,30 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Kilometer. Der Berater muss vor Reiseantritt jeweils das für den Auftraggeber kostengünstigste Reisemittel ermitteln und, soweit dessen Einsatz im Einzelfall zumutbar ist, dieses nutzen. b) Hotelkosten erstattet der Auftraggeber bis zum regionalüblichen Tarif eines ordentlichen Mittelklasse-Hotels einschließlich des Frühstücks, höchstens aber bis zu einem Betrag von 100,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer pro Übernachtung. c) Eine Kostenerstattung für sonstige, aus Anlass der Reise anfallende Zusatzkosten, insbesondere Verpflegungsmehraufwendungen und Bewirtungskosten, wird nicht gewährt. d) Kosten für eine zusammenhängende Reise, die einen Betrag von 500,00 EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer übersteigen, werden nur erstattet, soweit sie vor Reiseantritt durch den Auftraggeber genehmigt wurden1. (4) Im Falle, dass ein Berater gemäß § 2 Abs. 4 ausgetauscht wird, vereinbaren die Parteien auch für die nachträglich eingesetzten Berater einen angemessenen Vergütungssatz, der sich an der Qualifikation der nachträglich eingesetzten Berater und dem bislang in dem jeweiligen Projekt vereinbarten Vergütungsniveau orientiert. Für den Einarbeitungsaufwand der nachträglich eingesetzten Berater steht dem Auftragnehmer nur dann eine Vergütung zu, wenn dies ausdrücklich zwischen den Parteien vereinbart wurde. (5) Der voraussichtliche Gesamtaufwand nach § 4 Abs. 1 wird für jedes Projekt im Projektvertrag festgehalten. Sobald für den Auftragnehmer absehbar ist, dass dieser Gesamtaufwand angesichts des noch erforderlichen Zeitaufwandes um mehr als 25 Prozent überschritten wird, hat der Auftragnehmer dies dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen. Die Parteien werden Verhandlungen über eine Anpassung des Gesamtaufwandes aufnehmen. (6) Die Parteien können im Projektvertrag eine Obergrenze für die maximale Höhe der Gesamtvergütungsansprüche nach § 4 Abs. 1 für das jeweilige Projekt vereinbaren (nachfolgend: „Cap“); sobald das Cap erreicht ist, erhält der Auftragnehmer für weitergehende Zeitaufwände keine Vergütung mehr, hat aber dennoch die Pflicht, das Projekt gemäß § 3 Abs. 1 zu beenden2.

1 Die für Arbeitnehmer maßgebliche Reisekostenrichtlinie sollte nicht auf den Freelancer angewendet werden. Dies würde Scheinselbständigkeit indizieren. Deshalb sollten die Vorgaben zur Reisekostenerstattung unmittelbar im Vertrag geregelt werden. 2 I.d.R. lassen sich Agenturen nicht auf Caps ein, da sie den Gesamtaufwand der Projekte gar nicht einschätzen können. Würden Caps vereinbart, wäre dies ein starkes Indiz gegen Scheinselbständigkeit, da der Auftragnehmer eine Erfolgsverantwortung übernimmt.

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III. Best Practice

Rz. 9.29 § 9

§ 5 Haftung Der Auftragnehmer haftet für Pflichtverletzungen der eingesetzten Berater nach den Grundsätzen der §§ 276, 278 BGB1. § 6 Geistiges Eigentum (1) Der Auftragnehmer überträgt dem Auftraggeber sämtliche Eigentumsrechte an Ergebnissen, die der Auftragnehmer oder die von ihm eingesetzten Berater während der Dauer dieses Vertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag haben. (2) Der Auftragnehmer überträgt dem Auftraggeber ab dem Zeitpunkt ihres Entstehens alle Rechte an urheberrechtsfähigen Werken, die der Auftragnehmer oder von ihm eingesetzte Berater in Erfüllung dieses Vertrages oder mit Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag geschaffen haben, einschließlich Software und, sofern eine Übertragung gesetzlich nicht statthaft ist, räumt er dem Auftraggeber die ausschließlichen inhaltlich und räumlich unbeschränkten Rechte ein, diese Rechte für die Dauer der längst laufenden Schutzfrist auszuwerten und durch verbundene Unternehmen sowie durch Dritte und in Kooperation mit Dritten unter zustimmungsfreier Weiterübertragung der Rechte sowie Einräumung weiterer Nutzungsrechte auswerten zu lassen. Der Auftraggeber ist insbesondere ohne Einschränkung berechtigt, die Rechte in jeder körperlichen und unkörperlichen Form sowie auf jede nicht-kommerzielle und kommerzielle Weise auszuwerten und auswerten zu lassen, zu bearbeiten, in andere Darstellungsformen zu übertragen und auf sonstige Art und Weise zu verändern, weiterzuentwickeln und zu ergänzen, in unveränderter und veränderter Form zu vervielfältigen und zu verbreiten, vorzuführen, öffentlich zugänglich zu machen oder in sonstiger Weise öffentlich wiederzugeben sowie Ansprüche geltend zu machen. Die dem Auftraggeber verschafften Rechte erfassen alle technischen Verfahren, Erscheinungs- und Auswertungsformen und beziehen sich nach Maßgabe von § 31a UrhG und § 32c UrhG auch auf Nutzungsarten, die im Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags noch unbekannt sind. (3) Die jeweilige Rechteverschaffung durch den Auftragnehmer ist durch die vereinbarte Vergütung abgegolten und erfolgt ohne zusätzliche Kosten für den Auftraggeber. (4) Der Auftragnehmer und die von ihm eingesetzten Berater übertragen dem Auftraggeber zudem alle Markenrechte, eingetragenen Designs, Gebrauchsmuster, Patente oder sonstige Schutzrechte, die an den Ergebnissen entstehen, die der Auftragnehmer oder die von ihm eingesetzten Berater während der Dauer dieses Vertrages erstellen und welche einen Bezug zu den Aufgaben nach diesem Vertrag haben. (5) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die von ihm eingesetzten Berater so weiterzuverpflichten, dass er den Verpflichtungen nach diesem Vertrag nachkommen kann. § 7 Geheimhaltung (1) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, alle Informationen und Tatsachen streng vertraulich zu behandeln, die er im Zuge der Durchführung dieses Vertrages auf direktem oder indirektem Wege vom Auftraggeber erhält. Davon ausgenommen sind Tatsachen und Informationen, a) die allgemein zugänglich sind, ohne dass dies auf eine Verletzung der nach diesem Vertrag geschuldeten Verpflichtung zur Geheimhaltung zurückzuführen ist, b) die sich bereits im Besitz des Auftragnehmers befanden, bevor sie ihm von dem Auftraggeber zugänglich gemacht wurden oder c) die der Auftragnehmer ohne jegliche Verwendungsbeschränkung von einem Dritten erhält, ohne dass dieser eine Geheimhaltungsverpflichtung verletzt. Die gesetzliche Beweislast bleibt unberührt2.

1 Die Agenturen fordern im Regelfall, dass ihre Haftung auf Fälle grober Fahrlässigkeit und Vorsatz beschränkt wird. 2 Eingriffe in die gesetzliche Beweislastverteilung würden wegen der Wertungen des § 309 Nr. 12 BGB die Wirksamkeit der Klausel gefährden.

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§ 9 Rz. 9.29

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

(2) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, ihm anvertraute personenbezogene Daten nur im Rahmen seiner Tätigkeit im Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag zu verarbeiten oder verarbeiten zu lassen und das Datengeheimnis zu wahren. Der Auftragnehmer verpflichtet sich, die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes sowie der Datenund Systemsicherheit in einem angemessenen Verhältnis zum Schutzzweck und unter Beachtung des jeweils aktuellen Stands der Technik zu ergreifen, aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. (3) Der Auftragnehmer verpflichtet alle eingesetzten Berater in schriftlicher Form auf die Einhaltung der Geheimhaltungsbestimmungen nach Abs. 1 sowie auf das Datengeheimnis nach Abs. 2. § 8 Rückgabe- und Löschpflichten (1) Sobald ein Projektvertrag gemäß § 3 geendet hat, sind sämtliche im Zusammenhang mit dem Projekt überlassenen Unterlagen, Arbeitsmittel und sonstigen Gegenstände des Auftraggebers an diesen herauszugeben. Zum Zwecke des Projekts anvertraute Aufzeichnungen von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen i.S.d. § 7 Abs. 1 oder von personenbezogene Daten i.S.d. § 7 Abs. 2 sind unverzüglich zu vernichten oder zu löschen. (2) Alle übrigen Unterlagen, Arbeitsmittel und Gegenstände des Auftraggebers sind spätestens bei Beendigung dieses Rahmenvertrages an den Auftraggeber herauszugeben. Bei Beendigung dieses Rahmenvertrages sind sämtliche noch beim Auftragnehmer oder den eingesetzten Beratern vorhandene Aufzeichnungen von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen i.S.d. § 7 Abs. 1 oder von personenbezogene Daten i.S.d. § 7 Abs. 2 zu vernichten oder zu löschen (3) Der Auftragnehmer verpflichtet alle eingesetzten Berater in schriftlicher Form auf die Einhaltung dieser Regelungen. § 9 Wettbewerbsverbot Weder der Auftragnehmer noch der Auftraggeber unterliegen hinsichtlich der Tätigkeiten aus diesem Vertrag einem Wettbewerbsverbot. § 10 Schlussbestimmungen (1) Dieser Rahmenvertrag ersetzt mit seiner Unterzeichnung alle bestehenden abweichenden vertraglichen Abreden zwischen den Parteien. Dies gilt auch für Abreden zu bereits laufenden Beratungsprojekten, soweit sie zu den Regelungen dieses Rahmenvertrages in Widerspruch stehen. (2) Dem Auftraggeber ist es untersagt, eingesetzte Berater für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Abschluss eines Projektvertrages ohne zugrundeliegenden Vertrag mit dem Auftragnehmer oder dessen anderweitige Zustimmung bei sich einzusetzen (Abwerbungsverbot). Verstößt der Auftraggeber gegen dieses Abwerbungsverbot, ist er verpflichtet, eine einmalige Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 EUR an den Auftragnehmer zu entrichten. Mit Zahlung dieser Vertragsstrafe sind alle Ansprüche des Auftragnehmers aus dem Verstoß abgegolten1. (3) Dieser Rahmenvertrag ist mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende ordentlich kündbar. Die Bestimmungen des Rahmenvertrages gelten auch nach Ablauf der Kündigungsfrist in Projektverträgen fort, die vor Ablauf der Kündigungsfrist durch die Parteien eingegangen wurden und über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus andauern, soweit in den Projektverträgen nichts Abweichendes bestimmt wurde. (4) Sollte eine Bestimmung dieses Rahmenvertrages ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt die gesetzlich zulässige Bestimmung, die dem mit der unwirksamen Bestimmung Gewollten wirtschaftlich am nächsten kommt. Dasselbe gilt für den Fall einer vertraglichen Lücke.

1 Es empfiehlt sich, von einem Abwerbungsverbot statt von einem Umgehungsverbot zu sprechen. Denn Umgehungsverbote indizieren, dass bloße Personalvermittlung betrieben wird. Um diese Indizwirkung zu vermeiden, sollte das Abwerbungsverbot im Vertrag auch nicht zu sehr hervorgehoben werden.

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III. Best Practice

Rz. 9.31 § 9

(5) Dieser Rahmenvertrag sowie sämtliche auf seiner Grundlage abgeschlossenen Projektverträge unterliegen ausschließlich dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Rahmenvertrag oder in Verbindung mit diesem Rahmenvertrag sowie den auf seiner Grundlage abgeschlossenen Projektverträge ist …. (6) Sämtliche Änderungen und Ergänzungen dieses Rahmenvertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Ort …, Datum … … Auftraggeber

… Auftragnehmer

Agentur und Kunden-Unternehmen steht es frei, im Rahmenvertrag eine Regelung darüber zu tref- 9.30 fen, welche Vertragspartei die Sozialversicherungsbeiträge tragen muss, sollten Behörden einen Freelancer-Einsatz als Scheinselbständigkeit bewerten und Sozialversicherungsbeiträge einfordern. Selbstverständlich entfaltet eine solche Regelung nur im Innenverhältnis zwischen den Vertragsparteien und nicht gegenüber den Behörden Wirkung. Meistens gestaltet es sich allerdings schwierig, in Verhandlungen mit der Agentur ein Einvernehmen über die Kostentragungspflicht zu erzielen, da sich Interessen von Agentur und Kunden-Unternehmen in diesem Punkt diametral entgegenstehen. Teilweise werden präventive Regelungen über die Kostentragung etwaiger Sozialversicherungsbeiträge für kontraproduktiv gehalten, da Behörden sie als Indiz für vorsätzliches Handeln werten könnten. Solange derartige Regelungen allerdings lediglich als abstrakte Vorsichtsmaßnahme in einen allgemeinen Rahmenvertrag aufgenommen und nicht mit Blick auf einen konkreten Einsatz vereinbart werden, kann ihnen eine solche Indizwirkung nicht zugesprochen werden.

9.31

Eine mögliche Formulierung könnte z.B. wie folgt gestaltet werden:

M 9.2 Agentur-Rahmenvertrag mit Freelancern: Klausel arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Forderungen Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Forderungen (1) Der Auftragnehmer verpflichtet sich gegenüber dem Auftraggeber, während der vertraglich vereinbarten Einsätze sämtliche Entgeltforderungen der von ihm bei dem Auftraggeber eingesetzten Berater zu erfüllen, einschließlich etwaiger Forderungen auf Zahlung von Sozialbeiträgen und Lohnsteuern. Setzt der Auftragnehmer Selbständige ein, überprüft er deren sozialversicherungsrechtlichen Status sorgfältig und laufend. Bestehen Unsicherheiten beim sozialversicherungsrechtlichen Status, wird der Auftragnehmer spätestens im ersten Monat nach Aufnahme der Tätigkeit ein Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung Bund einleiten1. (2) Wird der Auftraggeber für Lohnforderungen, Sozialbeitragsforderungen oder Lohnsteuerforderungen bezüglich der durch den Auftragnehmer bei dem Auftraggeber eingesetzten Berater in Anspruch genommen, stellt der Auftragnehmer ihn von diesen Forderungen frei, gleich ob die Inanspruchnahme durch einen Berater selbst, die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Finanzverwaltung oder sonstige Dritte erfolgt. Soweit der Auftraggeber Forderungen nach Satz 1 befriedigt, kann er den Auftragnehmer in Höhe der dafür aufgewendeten Zahlungen in Rückgriff nehmen. Sollte sich ergeben, dass der Auftraggeber und der Auftragnehmer für Lohnforderungen nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AÜG, für Sozialbeitragsforderungen nach § 28e Abs. 2 Satz 4 SGB IV oder für Lohnsteuerforderungen nach § 42d Abs. 6,

1 Wenn die Vertragsparteien im Vertrag eine Kostentragungspflicht für den Fall der Scheinselbständigkeit aufnehmen, sollten sie im Vertrag ihren Willen dokumentieren, Scheinselbständigkeit zu vermeiden. Andernfalls könnte der Eindruck entstehen, sie nähmen Scheinselbständigkeit bewusst in Kauf.

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§ 9 Rz. 9.31

Freelancer-Vermittlung durch Agenturen

Abs. 7 EStG gesamtschuldnerisch haften, wird abweichend von § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt, dass der Auftragnehmer im Verhältnis zum Auftraggeber für die gesamten Kosten einstehen muss. (3) Sämtliche Regelungen in Abs. 1 und Abs. 2 gelten unabhängig voneinander und unabhängig von der Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen. § 139 BGB findet keine Anwendung1.

9.32 Aufgrund des vereinbarten Rahmenvertrages werden Einzelverträge abgeschlossen, welche die konkreten Bedingungen des Einsatzes des jeweiligen Freelancers definieren. In den Einzelverträgen werden der Name des Freelancers sowie dessen Stunden- oder Tagessatz festgelegt. Um Scheinselbständigkeit zu vermeiden, darf das Kunden-Unternehmen dem Freelancer keine Aufgaben durch Weisung übertragen. Allenfalls wäre es zulässig, dass das Kunden-Unternehmen die Ziele, welche der Freelancer im Rahmen übernommener Aufgaben erreichen soll, durch Anweisungen i.S.d. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB konkretisiert (vgl. zur Abgrenzung Rz. 7.13 und Rz. 8.15). Deshalb empfiehlt es sich, dass das Kunden-Unternehmen die Aufgaben des Freelancers stattdessen mit der Agentur vereinbart. Dies erfolgt, indem entsprechende Leistungsbeschreibungen in den Einzelvertrag aufgenommen werden2.

9.33 Dabei ist darauf zu achten, dass diese Leistungsbeschreibungen erfolgsbezogene Projekte beschreiben, die im Wege selbständiger Dienst- und Werkleistungen umgesetzt werden können. Würde die Leistungsbeschreibung hingegen zum Ausdruck bringen, dass der Freelancer in einem arbeitsteilig arbeitenden Team „mitarbeitet“ oder „unterstützt“, kann dies als Indiz für Scheinselbständigkeit gewertet werden. Ebenfalls kontraproduktiv sind offene Leistungsbeschreibungen, die erkennen lassen, dass noch nicht feststeht, was der Freelancer eigentlich tun soll oder sogar betonen, dass dies erst „vor Ort abgestimmt“ wird3.

9.34 Die Einzelverträge sollten zeitlich befristet werden. Dies ist zum einen aus betriebswirtschaftlichen Gründen zur Budgetkontrolle sinnvoll. Zum anderen besteht bei zeitlich unbefristeten Verträgen die Gefahr, dass der Freelancer irgendwann andere Aufgaben übernimmt als die, die anfänglich in den Leistungsbeschreibungen definiert wurden, und er auf diese Weise nach und nach in die Belegschaft des Auftraggebers eingegliedert wird. Durch befristete Verträge wird sichergestellt, dass Agentur und Kunden-Unternehmen zu periodischen Anlässen prüfen, ob die Leistungsbeschreibung noch aktuell ist oder das Projekt bereits vollständig umgesetzt wurde. Sollte der Freelancer dann für andere Aufgaben eingesetzt werden, muss eine neue, angepasste Leistungsbeschreibung formuliert werden.

9.35 Auf Grund des Musterrahmenvertrages (vgl. Rz. 9.29) können die Einzelverträge z.B. wie folgt gestaltet werden:

M 9.3 Projektvertrag mit einem Freelancer auf Grundlage eines Rahmenvertrags Projektvertrag aufgrund des Rahmenvertrages vom …

1 Sollten Behörden oder Gerichte den Einsatz des Freelancers als illegale Arbeitnehmerüberlassung bewerten, wäre der Vertrag zwischen Kunde und Agentur i.d.R. nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG unwirksam. Gerade für diesen Fall wäre die Regelung zur Kostentragung der Sozialversicherungsbeiträge geschaffen. Deshalb sollte sichergestellt sein, dass diese Regelung nicht ebenfalls von der Unwirksamkeitsfolge erfasst wird. Hierzu sollte § 139 BGB ausdrücklich abbedungen werden. 2 Vogt/Deepen, ArbRAktuell 2012, 573 (575). 3 Vogt/Deepen, ArbRAktuell 2012, 573 (574).

212

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 9.35 § 9

Aufgrund des Rahmenvertrages für Beratungsprojekte vom … (nachfolgend „Rahmenvertrag“) schließen … (nachfolgend: „Auftragnehmer“) und … (nachfolgend: „Auftraggeber“) den folgenden Projektvertrag für ein Beratungsprojekt: Für diesen Projektvertrag gelten die Vertragsbedingungen des Rahmenvertrages in seiner aktuellen Fassung (nachfolgend: „Allgemeine Vertragsbedingungen“), soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt wird. (1) Der Auftragnehmer setzt zur Erfüllung des Beratungsvertrages die folgenden Berater (§ 2 Abs. 1 des Rahmenvertrages) ein, für deren Zeitaufwände die Parteien die folgende Vergütung in Stundensätzen (§ 4 Abs. 1 des Rahmenvertrages) vereinbaren und deren Gesamtaufwand (§ 4 Abs. 5 des Rahmenvertrages) wie folgt prognostiziert wird: … … EUR zzgl. der gesetzlichen Umsatzsteuer/Stunde voraussichtlicher Gesamtaufwand: … Stunden (2) Der Auftragnehmer wird durch diese Berater für den Auftraggeber die folgenden Beratungsleistungen erbringen (nachfolgend: „Beratungsprojekt“): – Entwicklung und Verschriftlichung eines Gesamtkonzepts zur projekt- und kundenübergreifenden Steuerung der SQA-Mitarbeiter – Coaching aller für den Auftraggeber tätigen SQA-Mitarbeiter anhand des Gesamtkonzeptes nach dessen Freigabe – Formulierung von Prozessbeschreibungen zum SQA-Gesamtkonzept nach dessen Freigabe1 (3) Projektverantwortlicher des Auftragnehmers gemäß § 2 Abs. 2 des Rahmenvertrages ist … (4) Projektverantwortlicher des Auftraggebers gemäß § 2 Abs. 5 des Rahmenvertrages ist … (5) Die Laufzeit dieses Beratungsprojekts ist entsprechend § 3 Abs. 1 des Rahmenvertrages befristet und beschränkt sich auf den Zeitraum vom … bis einschließlich …, sofern der vereinbarte Projekterfolg nicht früher erreicht wird. (6) Ergänzend treffend die Parteien die folgenden Vereinbarungen: … … … Ort …, Datum … … Auftraggeber

Ort …, Datum … … Auftragnehmer

1 Dies ist nur ein Beispiel für eine erfolgsbezogene Leistungsbeschreibung. Die Leistungsbeschreibungen müssen stets im Einzelfall erstellt werden.

Grimm/Singraven

213

§ 10

Crowdwork

§ 10 Crowdwork I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interne Crowdwork a) Einführung interner CrowdworkRegeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Externe Crowdwork via eigener Plattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendbarkeit deutschen Rechts auf externe Crowdwork . . . . . . . . . . b) Rechtsverhältnis zu den Crowdworkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz von Geschäftsgeheimnissen . . d) Datenschutzrechtliche Aspekte . . . . . e) Rechtserwerb am Arbeitsergebnis . . .

10.1 10.5 3. 10.6 10.7 10.9 10.10 10.12 10.21 10.23 10.25

lII. 1. 2.

f) Haftung des Crowdworkers . . . . . . . g) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Externe Crowdwork via Fremdplattform als Intermediär a) Direkte und indirekte Crowdwork . . b) Risiko: Illegale Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtserwerb am Arbeitsergebnis . . . d) Haftung bei direkter und indirekter Crowdwork . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Best Practice Firmeneigene, externe CrowdworkingPlattform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsvereinbarung zum internen Crowdworking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

10.27 10.29

10.30 10.31 10.32 10.34

10.35 10.37

Literatur: Bayreuther, Arbeitnehmereigenschaft und die Leistung fremdbestimmter Arbeit am Beispiel des Crowdworkers, RdA 2020, 241; BITKOM, Crowdsourcing für Unternehmen (2014); Bourazeri, Neue Beschäftigungsformen in der digitalen Wirtschaft am Beispiel soloselbstständiger Crowdworker, NZA 2019, 741; Brose, Von Bismarck zu Crowdwork: Über die Reichweite der Sozialversicherungspflicht in der digitalen Arbeitswelt, NZS 2017, 7; Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht, SR Sonderband Juli 2016, 1; Däubler/Klebe, Crowdwork: Die neue Form der Arbeit – Arbeitgeber auf der Flucht, NZA 2015, 1032?; Frank/ Heine, Crowdworker mit einem Fuß im Arbeitsrecht?, NZA 2020, 292; Fuhlrott/Bodendieck, Crowdworking: Auslaufmodell oder Arbeitsform der Zukunft?, ArbRAktuell 2020, 639; Fuhlrott/Oltmanns, Der Crowdworker – (K)ein Arbeitnehmer?, NJW 2020, 958; Gärtner, Rechtsgeschäftliche Bindungsformen bei Crowdwork, Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, 2019, S. 160; Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten; Hötte, Crowdsourcing – Rechtliche Risiken eines neuen Phänomens, MMR 2014, 795; Kocher/Hensel, Herausforderungen des Arbeitsrechts durch digitale Plattformen – ein neuer Koordinationsmodus von Erwerbsarbeit, NZA 2016, 984; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Loseblatt, 112. Aufl. 2021; Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, 2020, Studie der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 436; Martina, Crowdworker: Arbeitnehmer, Heimarbeiter oder Solo-Selbstständige?, NZA 2021, 616; Meyer-Michaelis/Falter/Schäfer, Rechtliche Rahmenbedingungen von Crowdworking – Chancen und Risiken dieser Möglichkeit von Fremdpersonaleinsatz, DB 2016, 2543; Pacha, Crowdwork: Arbeitsrechtlicher Schutz einer neuen Beschäftigungsform, Diss. 2018; Riesenhuber, Arbeitnehmer(ähnlicher) Schutz von Crowd-Dienstleistern?, ZfA 2021, 5; Ruland, Beschäftigungsverhältnis oder „Neue Selbständigkeit“?, NZS 2019, 681; Schubert, Neue Beschäftigungsformen in der digitalen Wirtschaft – Rückzug des Arbeitsrechts?, RdA 2018, 200; Thüsing/HütterBrungs, Crowdworking: Lenkung statt Weisung – Was macht den Arbeitnehmer zum Arbeitnehmer?, NZARR 2021, 231; Waltermann, Abhängige Beschäftigung in der digitalisierten Arbeitswelt, NZA 2021, 297; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker: Eine Untersuchung am Beispiel ausgewählter Plattformen, Diss. 2019; Wedde, Individual- und kollektivrechtliche Fragen, AiB extra Sept. 2015, 26; Wisskirchen/Schwindling, Crowdworking im Lichte des Arbeitsrechts, ZESAR 2017, 318.

214

Pelzer

I. Worum geht es?

Rz. 10.4 § 10

I. Worum geht es? Beim Phänomen der sog. Crowdwork schreibt ein Unternehmen Projekte oder Aufträge gegenüber 10.1 einer (unbestimmten) Menge von potentiellen Auftragnehmern (Crowd) über eine digitale Plattform aus1. So erlangt das Unternehmen Zugriff auf die kollektive Intelligenz, Kreativität und Arbeitsleistung einer nahezu unbegrenzten Menge potentieller Auftragnehmer2. Je nach konkreter Aufgabengestaltung kann der Crowdworker die Aufgaben entweder alleine wettbewerbsorientiert oder in Zusammenarbeit mit anderen Crowdworkern erledigen3. Die Verbreitung und Bedeutung der Crowdwork in Deutschland ist aufgrund der Heterogenität der Gruppe schwierig zu bestimmen. Nach Schätzungen des aktuellen Crowdworking-Monitors von Februar 20194 sind etwa 4,8 % der über 15-Jährigen in Deutschland zumindest gelegentlich als Crowdworker tätig. Das entspricht rund drei bis vier Millionen Personen5. Zu den Kernbranchen der Crowdwork zählen die Medien-, Informations- und Kommunikationsbranche. Die Art der ausgeschriebenen Aufgaben an die Crowd kann dabei stark variieren. Einerseits können komplexe Aufgaben in mehrere (Kleinst-) Aufgaben zerstückelt werden. Diese können meist ohne besondere Qualifikation erledigt werden. Beispiele für sog. Mikrotasks sind etwa

10.2

– das Sammeln von Daten zur Optimierung von Software, – Texterstellung und Übersetzungen (Produktbeschreibungen und Ähnliches), – Crowdtesting neuer Software zur Fehleridentifikation bzw. Optimierung, – sog. Influencer-Marketing, Produktplatzierung in den sozialen Medien, – einfache Recherchen und Auswertungen. Andererseits können auch anspruchsvollere Tätigkeiten, die ein hohes Maß an Expertise erfordern (sog. Makroaufgaben), ausgeschrieben werden6. Beispiele sind etwa

10.3

– Co-Creation als Innovationstreiber innerhalb der Produktentwicklung, – Einsatz im Kreativbereich, etwa im Bereich Logo- bzw. Produktdesign, – Programmierungen. Hinsichtlich der Erscheinungsformen von Crowdwork ist zudem, je nach dem Adressatenkreis des Crowdworking-Aufrufs, zwischen interner und externer Crowdwork zu unterscheiden: – Beim internen Crowdworking ruft ein Unternehmen die eigene Belegschaft dazu auf, sich auf einer digitalen Plattform um dort ausgeschriebene Arbeitsaufträge zu bewerben7. Die Nutzung der Belegschaft als interne Crowd wird bspw. bei IBM praktiziert8. Die Aufgabenzuteilung basiert auf einer offenen Ausschreibung (Open-Call-Verfahren) der jeweiligen Aufgabe. Es findet ein Selbstselektionsprozess seitens der Belegschaft statt: Die belegschaftsangehörigen Arbeitnehmer können freiwillig und eigenständig entscheiden, ob sie sich um eine Aufgabe bewerben wollen9. 1 BITKOM, Crowdsourcing für Unternehmen, S. 5; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958; Solmecke in Kramer, Kap. A Rz. 19; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 231. 2 BITKOM, Crowdsourcing für Unternehmen, S. 5. 3 Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kap. 2 Rz. 65; Bourazeri, NZA 2019, 741 (743); Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 8; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1033). 4 Stand: 17.1.2022. 5 Serfling, Crowdworking-Monitor Nr. 2, S. 12 ff. 6 Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kap. 2 Rz. 65; Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958. 7 Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (319). 8 IG Metall, Crowdsourcing Beschäftigte im globalen Wettbewerb um Arbeit – am Beispiel IBM, S. 24 f. 9 Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, S. 17.

Pelzer

215

10.4

§ 10 Rz. 10.4

Crowdwork

Hierbei sind allerdings nicht alle Arten von Aufgaben für die Auslagerung in die interne Crowd geeignet. Insbesondere produktionsnahe Tätigkeiten setzen häufig Qualifikationen, Fähigkeiten sowie Ausrüstung voraus. Daraus folgt, dass sich produktionsnahe Tätigkeiten selten für interne Crowdwork eignen1. Zur Identifizierung ungenutzter Personalressourcen kann eine Skill-Datenbank helfen, in der Erfahrungen, Qualifikationen und sonstige Fähigkeiten der Belegschaft dokumentiert werden (ausführlich dazu § 25, insb. Rz. 25.3 und Rz. 25.17). Gerade bei größeren Innovations- und Entwicklungsprojekten kann die interne Crowd in unterschiedlichen Phasen (bspw. als Produkttester) einbezogen werden2. – Das externe Crowdworking richtet sich demgegenüber an außerhalb des Unternehmens stehende Personen. Es handelt sich um eine Sonderform des Fremdpersonaleinsatzes: Das Unternehmen schreibt an eine unbestimmte Vielzahl von Internetnutzern eine Aufgabe über eine digitale Plattform aus3. Beim externen Crowdworking können abhängig von der konkreten Ausgestaltung verschiedene Vertragsbeziehungen entstehen: Bei direktem Crowdworking ohne Zwischenschaltung einer Fremdplattform entsteht die vertragliche Beziehung direkt mit dem Crowdworker. Häufiger wird der Crowdwork-Aufruf über die Plattform eines Drittanbieters (bspw. Amazon Mechanical Turk, twago, Clickworker etc.) geschaltet. In diesem Fall ist, je nach Rolle der Fremdplattform, zwischen indirekter und direkter Crowdwork zu unterscheiden.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 10.5 Bei der Ein- und Durchführung von interner und externer Crowdwork stellen sich folgende Rechtsfragen: – Die Einführung interner Crowdwork stellt eine neue Form der Arbeitsorganisation dar. Sie bringt vielfältige Regelungsfragen mit sich. Insbesondere das Verhältnis zur regelmäßig geschuldeten Arbeitsleistung und damit einhergehende Weisungsbefugnisse müssen geklärt werden und bedürfen ggf. einer vertraglichen Regelung. Bei der Ausgestaltung dieser Regelungen sind zudem die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten (dazu Rz. 10.7). – Bei externen Crowdworking-Aufrufen über eine eigene Plattform sind vielfache vertragliche Regelungen, insbesondere hinsichtlich Daten- und Geheimnisschutz, Rechtserwerb an den Arbeitsergebnissen und Haftung der Crowdworker erforderlich. Über all dem schwebt das Damoklesschwert der Scheinselbständigkeit (dazu Rz. 10.12 ff.). – Bei Zwischenschaltung einer Fremdplattform ist zwischen direkter und indirekter Crowdwork je nach der Rolle der Plattform zu unterscheiden. Je nach Geschäftsmodell der Plattform variieren die vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten (dazu Rz. 10.30 ff.).

1. Interne Crowdwork a) Einführung interner Crowdwork-Regeln 10.6 Durch internes Crowdworking werden der eigenen Belegschaft Arbeitsaufträge über eine digitale Plattform angeboten (vgl. im Einzelnen Rz. 10.1). Interne Crowdwork kann sowohl bei komplexen als auch weniger komplexen Aufgaben eingesetzt werden4. Gerade wenn längerfristige komplexe Projekte ausgeschrieben werden, kann eine Verzahnung mit betriebsinternem SCRUM erfolgen5. Über 1 2 3 4

Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, S. 23. Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, S. 23. Deinert, RdA 2017, 65 (68). So etwa die sog. „Blue Communities“ bei IBM, dazu ausführlich: IG Metall, Crowdsourcing Beschäftigte im globalen Wettbewerb um Arbeit – am Beispiel IBM, S. 22 ff. 5 Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 65.

216

Pelzer

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.7 § 10

die Plattform kann sich die Belegschaft auf Rollen im SCRUM-Team bewerben (näher dazu § 6, insb. Rz. 6.30). Die Einführung interner Crowdwork lässt die Stellung der Beteiligten als Arbeitnehmer unberührt: Es entsteht kein neues selbständiges Vertragsverhältnis neben dem Arbeitsvertrag1. Soweit die Teilnahme an internen Crowdworking-Programmen freiwillig ist, ist auch keine Änderung des Arbeitsvertrags erforderlich, § 364 Abs. 1 BGB. Der Arbeitgeber kann die Betroffenen jederzeit von der Crowdwork abziehen und wieder mit ihren betrieblichen Tätigkeiten beschäftigen2. Allerdings bestehen interne Regelungsfragen u.a. hinsichtlich3 – der Weisungsbefugnis des Vorgesetzten, – Berechtigung und Verpflichtung zur Durchführung von Crowdwork, – des Verhältnisses zu den ordentlichen Arbeitsaufgaben, – Vergütungsfragen.

b) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Die Einführung interner Crowdwork kann je nach Ausgestaltung vielfach echte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen: – Soll die Lage der Arbeitszeit flexibilisiert werden, um größere Spielräume zu eröffnen, bedarf es der Zustimmung des Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Regelmäßig lässt sich interne Crowdwork aber im Rahmen der vereinbarten Arbeitszeitvorgaben umsetzen, insbesondere wenn in Abstimmung mit dem Betriebsrat Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit (dazu § 3) vorgesehen ist. – § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG greift, soweit neue Softwaretools wie bspw. eine App/digitale Plattform mit der Crowdwork implementiert werden sollen. Der Betriebsrat kann im Rahmen dessen u.a. darüber mitbestimmen, welche personenbeziehbaren Daten erfasst werden, wann sie zu löschen sind und wer Zugriff auf die Daten hat4. – Gerade bei Einführung interner Crowdwork kann es sich anbieten, durch Sondervergütungen ein Anreizsystem zu schaffen5. In diesem Fall ist insbesondere § 87 Abs. 1 Nr. 10 und ggf. Nr. 11 BetrVG zu beachten. – Ein weiterer Einsatzbereich interner Crowdwork kann das sog. Crowdstorming sein. Dabei handelt es sich um eine Sonderform des Brainstormings mit dem Ziel, gemeinsam Innovationen und Ideen zu generieren. Bei der Einführung von Crowdstorming ist allerdings § 87 Abs. 1 Nr. 12 BetrVG zu beachten. Zum betrieblichen Vorschlagswesen gehören alle Systeme und Methoden, durch die Vorschläge der Arbeitnehmer zur Vereinfachung oder Verbesserung der betrieblichen Arbeit angeregt, gesammelt und bewertet werden6. Wesentlich ist, dass es sich um eine zusätzliche Leistung handelt, welche nicht bereits aufgrund des Arbeitsvertrags geschuldet wird7. – Nach § 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG hat der Betriebsrat über die Grundsätze der Durchführung von Gruppenarbeit mitzubestimmen. Gruppenarbeit im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn im Rahmen des betrieblichen Arbeitsablaufs eine Gruppe von Arbeitnehmern eine ihr übertragene Gesamtaufgabe im Wesentlichen eigenverantwortlich erledigt. Je nach Gestaltung der internen

1 Deinert, RdA 2017, 65 (68); Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (8); Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 35; Fitting, § 5 BetrVG Rz. 85b m.w.N. 2 Däubler, SR Sonderband Juli 2016, 1 (36). 3 Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 36. 4 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1041). 5 Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, S. 61. 6 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 539. 7 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 539.

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10.7

§ 10 Rz. 10.7

Crowdwork

Crowdwork kann dieses Mitbestimmungsrecht gerade bei komplexen Crowdwork-Aufgaben greifen. – Erfolgt das Crowdworking (auch) im Rahmen von „mobiler Arbeit, die mittels Informationsund Kommunikationstechnik erbracht wird“, besteht hinsichtlich der Ausgestaltung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG. – Um eine Vergabe einfacher betrieblicher Arbeitsaufgaben an die Crowdworker zu ermöglichen, ist häufig die Zerlegung eines umfangreichen Projekts in kleine Teilaufgaben erforderlich. Um später die einzelnen Teilergebnisse zu einem verwertbaren Gesamtergebnis zusammenzuführen, muss ein einheitliches Niveau der Aufgabenerledigung sichergestellt werden. Mit der Aufgabenzerstückelung geht also das Bedürfnis nach Kontrolle bei der Durchführung der Arbeit sowie der Qualität der erbrachten Leistungen einher1. Soweit für die Leistungsbewertung der einzelnen Crowdworker allgemeine Beurteilungsgrundsätze angewendet werden, sind die § 94 Abs. 1, 2 BetrVG zu berücksichtigen2. Allgemeine Beurteilungsgrundsätze in diesem Sinne sind Regelungen, die eine Bewertung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer objektivieren und nach einheitlichen Kriterien ausrichten sollen3. – Daneben kann die flächendeckende Einführung interner Crowdwork zu einem Qualifizierungsdefizit gerade von älteren Beschäftigten führen, so dass §§ 96 ff. BetrVG nicht unberücksichtigt bleiben dürfen4. – Wird durch die Einführung der Crowdwork die Tätigkeit eines Arbeitnehmers nachhaltig geändert, kann im Einzelfall eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG vorliegen5. Dafür muss sich das Gesamtbild der Tätigkeit für länger als einen Monat so wesentlich ändern, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine „andere“ anzusehen ist6. Dies kann bspw. dann der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer für längere Zeit mit einem umfangreichen Crowdwork-Projekt befasst ist und dafür von seiner ursprünglichen Tätigkeit umfassend freigestellt wird. – Führt die interne Crowdwork dazu, dass Arbeitnehmer in fremden Betrieben oder anderen Konzernunternehmen eingesetzt werden, besteht das Risiko einer Eingliederung in den fremden Betrieb7 (ausführlich zum unternehmensübergreifenden Mitarbeitereinsatz § 8). Damit ist verbunden, dass der interne Crowdworker z.B. an einem Prämiensystem des fremden Betriebes teilnimmt und die Mitbestimmungsrechte des dortigen Betriebsrats ausgelöst werden können8. – Hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten sind § 111 Satz 3 Nr. 4 und 5 BetrVG zu beachten („grundlegende Änderung der Arbeitsorganisation“ bzw. „Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden“). Nach der Rechtsprechung erfordert dies grundsätzlich eine qualitative Bewertung, wobei sich die Wesentlichkeit auch aus der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer oder dem Gewicht der Auswirkungen auf die Beschäftigten ergeben kann9.

10.8 Hinweis: Die Einführung interner Crowdwork im Unternehmen kann viele Vorteile für Arbeitgeber und Beschäftigte bringen. Aus Arbeitgebersicht entsteht so ein „flexibler Ressourcenpool“, der es ermöglicht, Kapazitäts1 2 3 4 5 6

Wedde, AiB extra Sept. 2015, 26 (28). Wedde, AiB extra Sept. 2015, 26 (31); Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1041). BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 49/12, NZA-RR 2014, 356. Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1041). Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1041). Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. z.B. BAG v. 4.5.2011 – 7 ABR 3/10, juris Rz. 25; BAG v. 23.6.2009 – 1 ABR 23/08, ArbRB 2009, 362 = juris Rz. 28. 7 Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (319). 8 Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (319). 9 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 12/14, ArbRB 2016, 268 = ArbRB 2016, 234 = NZA 2016, 894 (896).

218

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.10 § 10

schwankungen auszugleichen. Zudem können so das Knowhow im Unternehmen gehalten und Abhängigkeiten von externem Sachverstand vermieden werden. Allerdings sind präzise Rahmenbedingungen erforderlich, um Ressourcenkonflikte zu vermeiden1. Hierfür bietet sich der Abschluss einer normativ geltenden Betriebsvereinbarung an, zumal vielfach Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ausgelöst werden.

2. Externe Crowdwork via eigener Plattform Neben der internen Crowdwork kommt in der Praxis deutlich häufiger die sog. externe Crowdwork vor (vgl. Rz. 10.1). Dabei kann das Unternehmen entweder Aufgaben selbst auf einer eigenen Plattform ausschreiben oder einen Drittanbieter hinzuziehen. Beim direkten Crowdworking ohne Zwischenschaltung einer Drittanbieterplattform entsteht die vertragliche Beziehung des Unternehmens direkt mit dem Crowdworker. Hinsichtlich des Zustandekommens der Einzelverträge stellt das Inserieren der Aufträge auf der Plattform weder ein verbindliches Angebot an die Crowd noch eine Auslobung i.S.v. § 657 BGB dar2. Darin liegt lediglich eine invitatio ad offerendum, da sich das Unternehmen nicht mehrfach binden möchte und gerade bei komplexen Aufträgen vor Vertragsschluss ein Interesse an der Identität und Qualifikation des Crowdworkers hat3. Die Einzelverträge kommen also erst mit Übersendung der Arbeitsergebnisse durch den Crowdworker und Annahme selbiger durch das Unternehmen zustande4. Neben den Einzelverträgen muss der Crowdworker eine Rahmenvereinbarung abschließen, um Zugang zur Plattform zu erhalten. Diese regelt u.a. die Modalitäten der Auftragsvergabe. Eine Pflicht zum Tätigwerden oder ein Anspruch auf Zuteilung von Aufträgen ist vertraglich regelmäßig nicht vereinbart5.

10.9

a) Anwendbarkeit deutschen Rechts auf externe Crowdwork Bei externen Crowdworking-Aufrufen kann das internationale Privatrecht eine Rolle spielen. Wenn über das Internet eine Aufgabe an die Crowd ausgeschrieben wird, werden weltweit potentielle Crowdworker adressiert6. Das anwendbare Recht ergibt sich aus der Rom I-VO als universell geltendes Kollisionsrecht. Nach Art. 3 Rom I-VO können die Vertragsparteien eine Rechtswahlvereinbarung treffen. Diese gilt bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts vorrangig (sog. Primat der Rechtswahl)7. Ist eine Rechtswahlvereinbarung unterblieben, ist die statusrechtliche Einordnung des Crowdworkers entscheidend. Dabei gilt regelmäßig nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht des Staates, indem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat8. Wird der Crowdworker nur gelegentlich oder unentgeltlich tätig, bestimmt sich das anwendbare Recht nach Art. 6 Abs. 1 lit. a Rom I-VO nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verbrauchers. Für die seltenen Fälle, in denen das Rechtsverhältnis mit dem Crowdworker als Arbeitsverhältnis ausgestaltet ist, gilt Art. 8 Rom I-VO.

1 Leimeister/Durward/Simmert, Die interne Crowd, S. 61. 2 Werner in Arnold/Günther, Kap. 5 Rz. 130; Hötte, MMR 2014, 795 (797); Meyer-Michaelis/Falter/Schäfer, DB 2016, 2543 (2544); dazu auch Gärtner, Rechtsgeschäftliche Bindungsformen bei Crowdwork, in Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, 2019, S. 160 (166 ff.). 3 Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 77; Lingemann/Chakrabarti in Arnold/ Günther, Kap. 2 Rz. 81. 4 Gärtner, Rechtsgeschäftliche Bindungsformen bei Crowdwork, in Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, 2019, S. 160 (175). 5 Fuhlrott/Bodendieck, ArbRAktuell 2020, 639. 6 Es besteht die Möglichkeit, die Crowdworking-Aufrufe territorial auf bspw. Deutschland oder das Gebiet der Europäischen Union zu beschränken. 7 Ferrari in Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, Art. 3 VO (EG) 593/2008 Rz. 1; Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1039). 8 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1039); Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 26 f.

Pelzer

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10.10

§ 10 Rz. 10.11

Crowdwork

10.11 Hinweis: Unabhängig von der konkreten statusrechtlichen Einordnung ist bei plattformbasiertem Arbeiten davon auszugehen, dass der Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes regelmäßig auch den gewöhnlichen Arbeitsort darstellt und daher faktisch die engste Beziehung zum Recht dieses Staates begründet ist1. Dennoch sollten Unternehmen sicherheitshalber eine Rechtswahlklausel in ihre AGB aufnehmen.

b) Rechtsverhältnis zu den Crowdworkern 10.12 Schreibt das Unternehmen über eine firmeneigene Plattform Aufträge an die Crowd aus, lautet im Hinblick auf die zivilrechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses die zentrale Frage, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, weil der Crowdworker gem. § 611a Abs. 1 Satz 1 BGB zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Daneben stellt sich die Frage der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung. In der Praxis werden externe Crowdworker regelmäßig als (im sozialversicherungsrechtlichen Sinne selbständige) freie Dienstleister oder Werkunternehmer behandelt. Je nach praktischer Gestaltung drohen aber die mit dem Arbeitnehmerstatus einhergehenden Rechte des Crowdworkers sowie das Risiko der Scheinselbständigkeit. Darunter versteht man die Behandlung von Mitarbeitern als „selbständig“, obwohl diese eigentlich als abhängige Beschäftigte i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV anzusehen sind (ausführlich zu den Rechtsfolgen der Scheinselbständigkeit § 7, insb. Rz. 7.6 ff. und Rz. 7.25 ff.). Ob durch die Auftragsvergabe über die Plattform tatsächlich ein Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, ist anhand von § 611a Abs. 1 BGB bzw. § 7 Abs. 1 SGB IV zu bestimmen2. Dafür sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers erforderlich. Der Beschäftigte muss einem Direktionsrecht seines Vertragspartners unterliegen. Dieses kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer, Ort oder sonstige Modalitäten der zu erbringenden Tätigkeit betreffen3. Daneben ist die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation als Bestätigung der Fremdbestimmtheit erforderlich für ein Arbeitsverhältnis4. Hinsichtlich der Crowdwork ist hier zwischen zwei möglichen Anknüpfungspunkten zu unterscheiden: Der Crowdworker wird neben den Einzelaufträgen auch eine Rahmenvereinbarung mit dem Unternehmen abschließen müssen, um Zugang zur Plattform und den Einzelaufträgen zu bekommen. Ein Beschäftigungsverhältnis kann potentiell jeweils zeitlich befristet durch die Einzelaufträge oder durch die Rahmenvereinbarung entstehen.

10.13 Die Kriterien der Eingliederung und Weisungsbindung zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und abhängiger Beschäftigung sind allerdings konkretisierungsbedürftig. Ob eine Tätigkeit abhängig oder selbständig verrichtet wird, entscheidet sich im Rahmen einer typologischen Gesamtabwägung des Einzelfalls danach, welche Merkmale überwiegen5. Diese Abwägung erfolgt anhand einer Vielzahl von Indizien (s. dazu Rz. 7.12 ff.). Auch wenn der vertraglichen Vereinbarung eine Indizwirkung zukommt, ist bei der Gesamtabwägung auf die tatsächliche Vertragsdurchführung abzustellen6. Im

1 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1039); Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (7). 2 Es handelt sich um eigenständige Begriffe; in aller Regel decken sich zivil- und sozialversicherungsrechtliche Bewertung aber jedenfalls insoweit, als, wer Arbeitnehmer ist, nahezu ausnahmslos auch sozialversicherungsrechtlich Beschäftigter ist, vgl. nur Thüsing/Hütter-Brungs, NZA-RR 2021, 231 (237); Preis in ErfK, § 611a BGB Rz. 17. 3 Rolfs in ErfK, § 7 SGB IV Rz. 9; Stäbler in Krauskopf, § 7 SGB IV Rz. 9; parallel Preis in ErfK, § 611a BGB Rz. 32 ff. 4 Rolfs in ErfK, § 7 SGB IV Rz. 12. 5 Rolfs in ErfK, § 7 SGB IV Rz. 12; Lüdtke/Winkler in Winkler, SGB IV, 3. Aufl. 2021, § 7 SGB IV Rz. 11; Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 98. 6 BSG v. 1.12.1977 – 12/3/12 RK 39/74, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 27; Rolfs in ErfK, § 7 SGB IV Rz. 17; für das Arbeitsverhältnis nun kodifiziert in § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB, vgl. dazu Preis in ErfK, § 611a BGB Rz. 43 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.14 § 10

Rahmen der Gesamtabwägung bei der Crowdwork sind folgende Indizien besonders zu berücksichtigen: – Hinsichtlich der inhaltlichen Weisungsbindung bei Einzelaufträgen besteht die Besonderheit, 10.14 dass gerade bei Mikro-Aufgaben i.d.R. die Aufgabe sehr detailliert beschrieben wird. Die einzelnen Arbeitsschritte sind bereits genau vorgegeben. Weitere Weisungen werden dadurch in der Regel überflüssig1. Das Fehlen von Weisungen spricht dabei gegen eine abhängige Beschäftigung: Die zweiseitig vertraglich vereinbarten Modalitäten der Leistungserbringung stellen gerade keine einseitigen Weisungen dar2. Der Crowdworker ist grundsätzlich frei, wann und wo er den übernommenen Auftrag erfüllen will. Werden dem Crowdworker allerdings nach Abschluss des Vertrags enge Durchführungsanweisungen ausgeteilt, kann dies für eine inhaltliche Weisungsbindung sprechen3. Dass für die Ausführung der Einzelaufträge ein Endtermin vorgesehen ist, führt nicht zu einer Weisungsbindung in zeitlicher Hinsicht. Auch bei Dienst- und Werkverträgen werden Leistungszeiträume vereinbart4. Regelmäßig scheiden die Einzelverträge als Anknüpfungspunkt für eine abhängige Beschäftigung aus. – Ein wesentliches Merkmal für eine persönliche Abhängigkeit stellt das Bestehen einer Arbeitspflicht dar5. Auch wenn eine Arbeitspflicht in den Rahmenverträgen regelmäßig nicht vereinbart wird, kann diese auch faktischer Natur sein und sich aus der Vertragsdurchführung ergeben6. Kritisch ist der Aufbau einer „Drucksituation“ zur kontinuierlichen Übernahme von Aufträgen. Diese Drucksituation kann etwa durch ein Anreizsystem für die Übernahme besonders vieler Aufträge, bzw. spiegelbildlich ein Sanktionensystem bei längerer Untätigkeit oder bei Ablehnung vorgeschlagener Aufträge aufgebaut werden. Kritik begegnen auch sog. „Gamification“-Elemente. Diese dienen dazu, Anreize durch spielerische Elemente (z.B. Sammeln von Erfahrungspunkten, Aufstieg zu höheren Levels) zu setzen. Dadurch sollen der natürliche Spieltrieb der Crowdworker geweckt und eine Motivation zur fortgesetzten Annahme von Aufträgen („tasks“) gesetzt werden. Setzt bspw. der Zugang zu besonders lukrativen Aufträgen oder die Möglichkeit, mehrere Aufträge parallel bearbeiten zu können, ein gewisses „Level“ voraus, entsteht so ein erheblicher Druck zum regelmäßigen Tätigwerden. Ob dies und die damit verbundene „Lenkung“ des Crowdworkers zu einem solchen Maß an Fremdbestimmtheit führt, dass es die Annahme eines Arbeitsverhältnisses bzw. einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung rechtfertigt, ist umstritten7. Das BAG hat in seinem vielbeachteten Urteil vom 1.12.2020 unter Verweis auf frühere Judikate zunächst hervorgehoben, dass sich die Weisungsgebundenheit auch „aus einer detaillierten und den Freiraum für die Erbringung der geschuldeten Leistung stark einschränkenden rechtlichen Vertragsgestaltung oder tatsächlichen Vertragsdurchführung ergeben kann“8. Auch tatsächliche Zwänge durch eine vom Auftraggeber geschaffene Organisationsstruktur könnten, so das BAG im Leitsatz, geeignet sein, den Beschäftigten zu dem gewünschten Verhalten zu veranlassen, ohne dass dazu konkrete Weisungen ausgesprochen werden müssten. Das Urteil hat erhebliche Kritik erfahren, etwa von Thüsing/Hütter-Brungs, die überzeugend monieren, dass sich das BAG vom

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Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958 (961). Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (21). Bayreuther, RdA 2020, 241 (243). BAG v. 11.8.2015 – 9 AZR 98/14, ArbRB 2016, 35 = NZA-RR 2016, 288 (291). BAG v. 21.5.2019 – 9 AZR 295/18, NZA 2019, 1411 (1414); BAG v. 15.2.2012 – 10 AZR 111/11, NZA 2012, 733 (735). 6 Schubert, RdA 2020, 248 (250). 7 BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, ArbRB 2021, 3 (Schewiola) = ArbRB 2021, 131 (Jacobi) = NZA 2021, 552; im zugrunde liegenden Fall hatte der Auftraggeber die Zusammenarbeit mit den Crowdworkern so gesteuert, dass diese nur durch die fortlaufende Auftragsübernahme Zugang zu „besseren“ Aufgaben erhielten. Entgegen der Vorinstanzen bejahte des BAG die Arbeitnehmereigenschaft des klagenden Crowdworkers, vgl. LAG München v. 4.12.2019 – 8 Sa 146/19, ArbRB 2020, 138 (Grimm) = NZA 2020, 316. 8 BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, ArbRB 2021, 3 (Schewiola) = ArbRB 2021, 131 (Jacobi) = NZA 2021, 552, juris Rz. 33.

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§ 10 Rz. 10.14

Crowdwork

Wortlaut des § 611a Abs. 1 BGB löst und für die Weisungsgebundenheit letztlich eine reine Lenkung ausreichen lässt1. – Weiteres Indiz für eine abhängige Beschäftigung können die fortlaufende Leistungsbewertung und Kontrolle der Einzelaufträge sein2. Ähnlich wie bei reinen Home-Office-Arbeitsplätzen stellen umfangreiche digitale Kontrollmöglichkeiten ein Indiz für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses dar3. Eine solche Kontrolle kann etwa über Feedback-, Bewertungs-, Rating- und Reputationssysteme erfolgen. Wesentlich ist, dass dieses System über eine allgemeine Qualitätskontrolle hinausgeht4. Daneben kommen insbesondere Zwischenkontrollen über Screenshots oder Tracking zum Zwecke der Aufgabenüberwachung in Betracht. – Eine betriebliche Eingliederung ist gerade bei weisungsarmen Tätigkeiten von besonderer Bedeutung5. Indiz hierfür ist etwa die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung. Auch das kontinuierliche Tätigwerden für einen Arbeitgeber kann zur Eingliederung in eine fremde Betriebsorganisation führen, wenn der Auftragnehmer wirtschaftlich nicht frei über seine Arbeitszeit verfügen kann und er bei Ausführung der Aufträge an enge Vorgaben bezüglich der Arbeitsschritte durch den Auftraggeber gebunden ist6. Nimmt ein einzelner Crowdworker automatisch gebündelt Aufträge mit einem engen zeitlichen Rahmen an, um höhere Stundenlöhne zu erzielen, kann diese konsekutive Leistungserbringung zur Eingliederung in die Betriebsorganisation führen7. – Daneben kann auch die (Mit-)Nutzung der (digitalen) betrieblichen Infrastruktur des Auftraggebers für eine Eingliederung sprechen: Wenn die Tätigkeit durch technische Maßnahmen organisatorisch mit dem Betrieb verbunden und weitgehend vom betrieblichen Organisationsablauf geprägt ist, steht es einer betrieblichen Eingliederung nicht entgegen, dass die Arbeit ortsungebunden verrichtet wird8. Allerdings stellt die bloße Pflicht zur Nutzung der Plattform kein Indiz für eine betriebliche Eingliederung dar9. Dafür bedarf es einer weitergehenden Einbindung in betriebliche Abläufe, etwa durch zeitliche und räumliche Vorgaben der Auftragserbringung10.

10.15 Hinweis: Die Abgrenzung von selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung im Rahmen der Crowdwork hängt von einer Vielzahl wertungsabhängiger Einzelfaktoren ab. Regelmäßig wird es sich bei den Crowdworkern um Selbständige handeln. Dies folgt daraus, dass es meist an der betrieblichen Eingliederung fehlt und die Crowdworker typischerweise weisungsfrei tätig werden. Darüber hinaus erfolgt die Auftragsübernahme weit überwiegend lediglich punktuell11. Im Einzelfall kann allerdings auch eine abhängige Beschäftigung vorliegen, wie das jüngste Urteil des BAG zur Crowdwork zeigt. Auch wenn dieses Anlass zur Kritik gibt, wird sich die Praxis darauf einstellen müssen. Insbesondere werden Auftraggeber von Mikrojobs, die den Arbeitnehmer- und Beschäftigtenstatus „ihrer“ Crowdworker vermeiden wollen, zukünftig die von ihnen eingerichteten Crowdwork-Systeme und die dort installierten Anreize zum kontinuierlichen Tätigwerden entschärfen müssen. Denn solange diese so konstruiert sind, dass sie de facto einen starken Druck auf den Crowdworker ausüben, regelmäßig tätig zu werden, drohen die mit dem Arbeits- und Sozialrecht ein-

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Thüsing/Hütter-Brungs, NZA-RR 2021, 231 (233 ff.). Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (22). Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 231. Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kap. 2 Rz. 89; Kocher/Hensel, NZA 2016, 984 (989); Bayreuther, RdA 2020, 241 (243). Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958 (961 f.). Bayreuther, RdA 2020, 241 (247). Fuhlrott/Bodendieck, ArbRAktuell 2020, 639 (641); Bayreuther, RdA 2020, 241 (243). Rolfs in ErfK, § 7 SGB IV Rz. 12; Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 226; Stäbler in Krauskopf, § 7 SGB IV Rz. 10. Hierzu Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (323); Schubert, RdA 2020, 248 (252); Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (25); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kap. 2 Rz. 88. Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (24).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.18 § 10

hergehenden Folgen für das Schutzniveau des Crowdworkers und die finanzielle Abwicklung der Zusammenarbeit.

Die Verträge über die einzelnen Aufträge sind regelmäßig je nach Art der Aufgabe als Dienst- oder 10.16 Werkverträge einzustufen1. Auch bei kompetitiven Einzelverträgen wie Designwettbewerben handelt es sich nicht um Preisausschreibungen. Vielmehr stellen auch sie Werkverträge dar, die erst mit Annahme des Ergebnisvorschlags durch das Unternehmen zustande kommen2. Regelmäßig treten die Crowdworker in Vorleistung und tragen einseitig das Risiko, für ihre geleistete Arbeit keine Vergütung zur erhalten3. Der Dienstvertrag (und gem. § 648 BGB auch der Werkvertrag) kann jederzeit gekündigt werden. Auf den Rahmenvertrag findet § 621 Nr. 5 Halbs. 2 BGB keine Anwendung. Hier ist lediglich § 671 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berücksichtigen, wonach nicht zur Unzeit gekündigt werden darf. Der Crowdworker hat damit praktisch kaum Kündigungsschutz. Neben der Eigenschaft der Crowdworker als Selbständiger oder Arbeitnehmer kommt die Einord- 10.17 nung als sog. arbeitnehmerähnliche Person in Betracht. Diese sind in bestimmten Bereichen Arbeitnehmern gleichgestellt. Sie genießen etwa einen Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub, § 2 Abs. 2 BUrlG4. Unvorteilhaft für den Crowdworker ist allerdings, dass dieser als arbeitnehmerähnlicher Selbständiger verpflichtet ist, sich auf eigene Kosten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern, § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. § 12a TVG definiert arbeitnehmerähnliche Personen als Personen, die wirtschaftlich abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sind, wenn sie aufgrund von Dienst- oder Werkverträgen für eine andere Person tätig sind und die geschuldete Leistung persönlich und im Wesentlichen ohne Mitarbeit von eigenen Arbeitnehmern erbringen. Dabei hat die Tätigkeit entweder überwiegend für einen Auftraggeber zu erfolgen oder muss der Auftragnehmer im Durchschnitt mehr als die Hälfte des Entgelts von einem Auftraggeber beziehen. Wirtschaftliche Abhängigkeit ist gegeben, wenn der Beschäftigte auf die Verwertung seiner Arbeitskraft und die Einkünfte zur Sicherung seiner Existenzgrundlage angewiesen ist5. Seine Einkünfte muss der Beschäftigte dabei überwiegend aus einem Vertragsverhältnis beziehen6. Bei Ausschreibung der Aufträge über eine unternehmenseigene Plattform ist Arbeitnehmerähnlichkeit zwar durchaus möglich, aber eher als Sonderfall einzuordnen. Dies folgt daraus, dass ein Crowdworker in aller Regel für eine Vielzahl von Unternehmen tätig wird7. Die Einordnung als arbeitnehmerähnliche Person scheidet in jedem Fall aus, wenn die Crowdwork nur einen Nebenverdienst zu einem bestehenden Arbeitsverhältnis darstellt8.

10.18

Hinweis: Verdienstobergrenzen Um im Einzelfall finanzielle Abhängigkeiten einzelner Crowdworker gar nicht erst entstehen zu lassen, kann in der Rahmenvereinbarung die Verdienstmöglichkeit bzw. die Anzahl möglicher Aufträge gedeckelt werden. So wird der Crowdworker „gezwungen“, zur Bestreitung seines Lebensunterhalts für weitere Unternehmen oder Plattformen tätig zu werden.

1 Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 42; Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 87. 2 Meyer-Michaelis/Falter/Schäfer, DB 2016, 2543 (2544); Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 85 f. 3 Rickert/Kocher, ZUM 2020, 833 (834). 4 Neumann in Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 2 BUrlG Rz. 67. 5 BAG v. 2.10.1990 – 4 AZR 106/90, AP TVG § 12a Nr. 1. 6 Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 147. 7 LAG Hessen v. 14.2.2019 – 10 Ta 350/18, NZA-RR 2019, 505 (508); Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958 (963); Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 59; Bourazeri, NZA 2019, 741 (744); Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (38). 8 Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (325).

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§ 10 Rz. 10.19

Crowdwork

10.19 Weiterhin wird vereinzelt eine Einordnung der Crowdworker als „in Heimarbeit Beschäftigte“ i.S.d. § 2 Abs. 1 HAG diskutiert. Nach § 2 Abs. 1 HAG ist Heimarbeiter, wer in selbstgewählter Arbeitsstätte (eigene Wohnung oder Betriebsstätte) allein oder mit seinen Familienangehörigen im Auftrag von Gewerbetreibenden oder Zwischenmeistern erwerbsmäßig arbeitet, jedoch die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem unmittelbar oder mittelbar auftraggebenden Gewerbetreibenden überlässt. Die Einordnung einzelner Crowdworker als Heimarbeiter i.S.d. HAG kann erhebliche Auswirkungen haben. Zum einen sind Heimarbeiter nach § 12 Abs. 2 SGB IV Beschäftigten gleichgestellt, so dass sie sozialversicherungspflichtig sind. Hier besteht eine latente Strafbarkeitsgefahr aus § 266a StGB. Weiterhin würden hauptberufliche Crowdworker, die ihre Tätigkeit in der Hauptsache für den Betrieb ausüben, als Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gelten. Folge wäre, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats Anwendung finden, insbesondere § 99 BetrVG sowie die entsprechende Antragsmöglichkeit auf Erlass eines Zwangsgelds nach § 101 BetrVG.

10.20 – Entscheidendes Merkmal der Heimarbeit ist, ob die Leistung in einer „selbstgewählten“ Arbeitsstätte erbracht wird1. Demnach scheidet ortsgebundene Crowdwork (bspw. die Überprüfung, ob Werbung vorschriftsgemäß auf bestimmten Verkaufsflächen ausgestellt ist) in jedem Fall aus2. – Die Heimarbeit muss zudem erwerbsmäßig erfolgen, also auf eine bestimmte Dauer angelegt sein3. Abzulehnen ist ein Heimarbeitsverhältnis dann, wenn der Crowdworker nur sehr unregelmäßig und in großen Abständen für das Unternehmen tätig wird4. Weit überwiegend werden Crowdworker für eine Vielzahl von Auftraggebern tätig, so dass es an der Dauerhaftigkeit der Heimarbeit fehlt5. – Nach überzeugender (wohl) h.M. steht das Vergabesystem der Heimarbeit der Anwendung auf moderne Crowdwork entgegen. Heimarbeit setzt nach § 11 HAG die Ausgabe von Arbeiten voraus. An die Plattformbeschäftigten wird aber in der Regel keine Arbeit ausgegeben, sondern sie wählen unter den zur Verfügung stehenden Aufträgen selbständig aus, welche sie bearbeiten wollen6. Die Einordnung als Heimarbeiter scheitert nach der hier vertretenen Auffassung daran, dass sich der Crowdworker selbst um Aufträge bemüht und die Arbeit nicht durch einen Auftraggeber zugewiesen bekommt7. Darüber bestehen vielfache praktische Anwendungsprobleme des HAG auf moderne Crowdwork8.

c) Schutz von Geschäftsgeheimnissen 10.21 Mit dem Outsourcing bestimmter Aufgaben gehen aus Sicht des Geschäftsgeheimnisschutzes Risiken einher. Diese resultieren daraus, dass Zuverlässigkeit und Integrität des einzelnen Crowdworkers 1 Preis in ErfK, § 1 HAG Rz. 1. 2 Frank/Heine, NZA 2020, 292 (294). 3 Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 62. 4 Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 62; wobei bis zu einer gewissen Grenze auch die Unregelmäßigkeit des Tätigwerdens unschädlich ist: BAG v. 14.6.2016 – 9 AZR 305/15, ArbRB 2017, 7 = NZA 2016, 1453 (1457); Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 157. 5 Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 159. 6 Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1036); Wisskirchen/Schwindling, ZESAR 2017, 318 (325). 7 So auch Riesenhuber, ZfA 2021, 5 (41); Fuhlrott in Kramer, Kap B Rz. 38; für das Sozialrecht: Brose, NZS 2017, 7 (13); Zieglmeier in Kasseler Kommentar, § 7 SGB IV Rz. 231; a.A. Giesen/Kersten, Arbeit 4.0, 2018, S. 110 f.; Pacha, Crowdwork: Arbeitsrechtlicher Schutz einer neuen Beschäftigungsform, S. 221 ff.; Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 66 f.; Waltermann, NZA 2021, 297 (300). 8 Ausführlich: Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 163 f.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.25 § 10

in aller Regel nicht überprüft werden können. Bei Offenlegung von sensiblen Informationen an die Crowdworker zum Zwecke der Aufgabenerfüllung ist zu berücksichtigen, dass die Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses aus § 2 Nr. 1 GeschGehG die Geschäftsgeheimniseigenschaft einer Information an das Vorliegen „angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen“ knüpft. Der Schutz der sensiblen Information als Geschäftsgeheimnis durch das GeschGehG hängt regelmäßig von der Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen ab (zu den Einzelheiten s. § 18 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen).

10.22

Hinweis: Bei der Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gegenüber dem Crowdworker kommt als angemessene Geheimhaltungsmaßnahme insbesondere der Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung in Betracht1. Wenn die Projektbeschreibung selbst die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen erforderlich macht, bietet es sich an, bereits die Einsichtsmöglichkeit der Projektbeschreibung von der Unterzeichnung eines (vertragsstrafebewehrten) Non-Disclosure-Agreements abhängig zu machen2.

d) Datenschutzrechtliche Aspekte Unternehmen müssen bei der Vergabe von Crowdworking-Aufträgen zudem datenschutzrechtliche 10.23 Vorschriften berücksichtigen, wenn bspw. personenbezogene Daten für Analyse- oder Recherchearbeiten an Crowdworker übermittelt werden. Je nach Auftrag kommt es dabei zu einer Verarbeitung und Speicherung von personenbezogenen Daten auf dem privaten Endgerät des Crowdworkers. Dadurch wird der Crowdworker als Auftragsverarbeiter des Unternehmens tätig (Art. 28 DSGVO)3. Das Unternehmen bleibt für die weitergegebenen personenbezogenen Daten datenschutzrechtlich verantwortlich (Art. 24, Art. 4 Nr. 7 DSGVO). Crowdworker und Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, eine Auftragsverarbeitungsvereinbarung abzuschließen, die den Vorgaben nach Art. 28 Abs. 3 DSGVO gerecht wird. Eine Alternative kann in der Anonymisierung der weitergebenen personenbezogenen Daten liegen. In diesem Fall muss der Unternehmer sicherstellen, dass eine Zuordnung der Daten zu einer Person nicht mehr oder nur noch mit einem erheblichen und unverhältnismäßig großen Aufwand möglich ist.

10.24

Hinweis: Ferner muss das Unternehmen auch etwaige datenschutzrechtliche Belange der Crowdworker beachten und einen datenschutzkonformen Umgang mit den personenbezogenen Daten der Crowdworker gewährleisten. Daneben sind auch die Grenzen für etwaige Maßnahmen der Überwachung und Kontrolle der Crowdworker zu beachten.

e) Rechtserwerb am Arbeitsergebnis Überdies muss das Unternehmen sicherstellen, dass es auf die ggf. immaterialgüterrechtlich geschützten Arbeitsergebnisse der Crowdworker zugreifen kann. Hierbei kann es sich um sehr unterschiedliche Leistungen handeln wie bspw. Texte, Software, Logos, Designs etc. Im Rahmen dessen sind potentielle Urheberrechte bzw. andere gewerbliche Schutzrechte zu beachten. So kann bei Software ein Schutz nach § 69a UrhG und bei Texten, Logos oder anderen kreativen Leistungen ein Schutz nach § 2 UrhG vorliegen4. Designs können nach § 2 DesignG und technische Verfahren und Konstruktionen nach § 1 PatG geschützt sein. Die gesetzlichen Regelungen weisen das Schutzrecht

1 Maaßen, GRUR 2019, 352 (360); Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (121). 2 Dies ist auch bei externer Crowdwork unter Einschaltung einer Plattform möglich, s. etwa sog. „vertrauliche Projekte“ bei twago: https://www.twago.de/pricing/client (zuletzt abgerufen am 17.1.2022). 3 Allgemein zur Datenverarbeitung durch Freelancer: Conrad, DuD 2019, 134 (135). 4 Dazu: Spindler in Schricker/Loewenheim, UrhG, 6. Aufl. 2020, § 69a UrhG Rz. 1; Ahlberg in BeckOK UrhR, 32. Edition (Stand: 15.9.2021), § 2 UrhG Rz. 7 ff.

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10.25

§ 10 Rz. 10.25

Crowdwork

regelmäßig dem Schöpfer bzw. dem Erfinder zu (§ 7 Abs. 1 DesignG; § 6 PatG etc.). Da es sich bei den Crowdworkern regelmäßig nicht um Arbeitnehmer des Unternehmens handelt, finden die §§ 5 f. ArbNErfG, § 43 UrhG u.Ä. keine Anwendung1. Folglich ist eine vertragliche Regelung hinsichtlich des unternehmerseitigen Zugriffs auf die Arbeitsergebnisse erforderlich.

10.26 Hinweis: Während eine vollständige Übertragung des Urheberrechts nach § 29 Abs. 1 UrhG ausscheidet, kann der Crowdworker dem Unternehmen ein unbeschränktes Nutzungsrecht an den Arbeitsergebnissen einräumen. Eine entsprechende Regelung kann bereits in die Rahmenvereinbarung zwischen Crowdworker und Unternehmen aufgenommen werden. In diesem Fall sind insbesondere die AGB-rechtlichen Grenzen zu berücksichtigen. Um einen Verstoß gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 11 Satz 2 UrhG zu vermeiden, muss auch bei Nichtverwertung des Arbeitsergebnisses des Crowdworkers eine Vergütung vereinbart werden. Andernfalls widerspricht die Regelung der gesetzlichen Grundwertung, dass jeder Urheber einen Anspruch auf angemessene Vergütung hat2. Um das Entstehen des Vergütungsanspruchs zu verhindern, bietet es sich an, das dingliche Rechtsgeschäft, bspw. die Lizenzierung, unter die aufschiebende Bedingung der Abnahme zu stellen3.

f) Haftung des Crowdworkers 10.27 Durch den Einsatz von Crowdworkern ergeben sich Haftungsrisiken. Grundsätzlich haftet der Crowdworker dem Unternehmen nach allgemeinen Regeln, insbesondere nach §§ 280 ff. BGB i.V.m. dem Werk- oder Dienstvertrag sowie nach §§ 823 ff. BGB. Risiken ergeben sich dann, wenn die Crowdworker im Rahmen ihrer Tätigkeit selbst Rechte Dritter verletzen (z.B. Nutzung fremder Software, Urheberrechtsverletzung). Verwendet das Unternehmen anschließend das Arbeitsergebnis, drohen Schadensersatz- und Beseitigungsansprüche des Dritten.

10.28 Hinweis: Zur Risikominimierung sollte das Unternehmen die Möglichkeit von entsprechenden Freistellungsklauseln prüfen. Hinsichtlich der tatsächlichen Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen bestehen einige Tücken. Für die klageweise Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs sind Identität und Anschrift des Crowdworkers unabdingbar. Andernfalls fehlt der von § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geforderte Soll-Inhalt der Klageschrift und eine Zustellung der Klage ist nicht möglich. Ein möglicher Lösungsansatz ist es, die Freischaltung des Nutzungskontos für die Plattform von der Übermittlung geeigneter Nachweise abhängig zu machen. Diese müssen belegen, dass die angegebenen personenbezogenen Daten korrekt sind.

g) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 10.29 Handelt es sich bei den Crowdworkern um Selbständige, kommen nur eingeschränkt Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in Betracht. Allerdings kann der Betriebsrat durch seine Auskunftsansprüche oder durch gerichtliche Anträge nach § 101 Satz 1 Alt. 1 BetrVG überprüfen, ob es sich bei den Crowdworkern tatsächlich um Selbständige handelt. Im Einzelfall kann bei der Vergabe größerer Aufgabenkomplexe an externe Crowdworker eine interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung nach § 111 Satz 3 Nr. 3, 4 oder 5 BetrVG vorliegen4. Allerdings wird das Ausmaß der „crowdgesourcten“ Aufgaben die Schwelle zur Betriebsänderung in den seltensten Fällen überschreiten5.

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Werner in Arnold/Günther, Kap. 5 Rz. 129. Meyer-Michaelis/Falter/Schäfer, DB 2016, 2543 (2545); Hötte, MMR 2014, 795 (797 f.). Werner in Arnold/Günther, Kap. 5 Rz. 142. Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1041). Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 58 f.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 10.31 § 10

3. Externe Crowdwork via Fremdplattform als Intermediär a) Direkte und indirekte Crowdwork Neben der Möglichkeit, über eine unternehmenseigene Plattform direkt einen Crowdwork-Aufruf zu 10.30 starten, kann auch eine Drittanbieter-Plattform involviert werden1. Innerhalb dieser Dreieckskonstellation ist zwischen direktem und indirektem Crowdworking zu unterscheiden. Die Einteilung richtet sich nach der Rolle der Plattform2. Maßgeblicher Unterschied ist die Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen auf rechtsgeschäftlicher Ebene. – Bei direkter Crowdwork fungiert die Plattform nur als Vermittler. Sie übernimmt keine weiteren Aufgaben, sondern stellt lediglich die digitale Plattform zur Verfügung. Die Verträge über die Aufgaben und Projekte kommen direkt zwischen Crowdworker und Auftraggeber zustande. Die Plattform agiert dabei i.d.R. als Stellvertreter oder Empfangsvertreter des Auftraggebers3. Bei direktem Crowdworking wird der Crowdworker so regelmäßig für eine Vielzahl verschiedener Auftraggeber tätig, auch wenn er nur auf einer Plattform angemeldet ist. Folglich ist der Crowdworker regelmäßig weder Arbeitnehmer noch arbeitnehmerähnliche Person: Es ist weder eine persönliche noch wirtschaftliche Abhängigkeit von einem einzelnen Unternehmen oder von der Plattform gegeben4. – Auf rechtsgeschäftlicher Ebene entsteht beim indirekten Crowdworking keine Rechtsbeziehung zwischen dem Unternehmen und dem Crowdworker. Die Verträge entstehen ausschließlich zwischen dem Crowdworker und der Plattform auf der einen Seite sowie dem Unternehmen und der Plattform auf der anderen Seite5. Dem Crowdworker ist der Endkunde meist nicht einmal bekannt6. Ebenso wenig hat das Unternehmen Kenntnis von der Person des Crowdworkers7. Die Plattform übernimmt regelmäßig weitergehende Aufgaben wie etwa die Auswahl der Crowdworker, die Zerstückelung des Projekts in einzelne ausschreibungsfähige Aufgaben oder die konkrete Aufgabeneinteilung8. Je nach Ausgestaltung kann in Ausnahmefällen auch ein Arbeitsverhältnis zwischen Plattform und Crowdworker zustande kommen, wenn die tatsächliche Durchführung der Rahmenvereinbarung eine faktische Arbeitspflicht und Weisungsbindung des Crowdworkers darstellt9. Insoweit sei auf die Ausführungen zu den Crowdworking-Aufrufen über eine unternehmenseigene Plattform (s. Rz. 10.14 ff.) verwiesen. Regelmäßig handelt es auch in dieser Konstellation bei den Crowdworkern um Selbständige.

b) Risiko: Illegale Arbeitnehmerüberlassung Im Rahmen der indirekten Crowdwork kann das Risiko einer verdeckten, illegalen Arbeitnehmerüberlassung entstehen. Handelt es sich bei dem Crowdworker um einen (scheinselbständigen) Arbeitnehmer der Plattform, ist darauf zu achten, dass der Crowdworker nicht als Leiharbeitnehmer eingesetzt wird. Voraussetzung dafür ist, dass der Crowdworker in die Betriebsorganisation des Auftraggebers eingegliedert wird und dessen Weisungen unterliegt, § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. In aller Regel ist der Crowdworker ortsungebunden tätig und hat weder Kontakt mit dem Auftraggeber noch

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958. Fuhlrott in Kramer, Kap B Rz. 35. Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 77. LAG Hessen v. 14.2.2019 – 10 Ta 350/18, NZA-RR 2019, 505 (508); Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958 (963). Schubert, RdA 2018, 200 (202). Fuhlrott/Oltmanns, NJW 2020, 958 (962); Ruland, NZS 2019, 681 (683). Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 77. Schubert, RdA 2018, 200 (202); Heise in Maschmann/Sieg/Göpfert, Kap. 255 Rz. 42; Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kap. 2 Rz. 65. BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, ArbRB 2021, 3 (Schewiola) = ArbRB 2021, 131 (Jacobi).

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227

10.31

§ 10 Rz. 10.31

Crowdwork

kennt er dessen Identität. Folglich ist die Gefahr der Eingliederung und damit einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung gering. Im Regelfall erteilt das Unternehmen dem Crowdworker auch keine arbeitsbezogenen Weisungen1. Bei ortsgebundener Crowdwork kann dies im Einzelfall anders sein. Dann ist eine strikte Trennung zur Belegschaft erforderlich (dazu Rz. 7.14). Kommt es zu einer Arbeitnehmerüberlassung, fingiert § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG auf Rechtsfolgenseite das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers.

c) Rechtserwerb am Arbeitsergebnis 10.32 Auch bei Einschaltung einer Plattform muss der Rechtserwerb an den Arbeitsergebnissen des Crowdworkers sichergestellt werden. Beim indirekten Crowdworking muss die Plattform Rechtsinhaber oder Inhaber einer ausschließlichen Lizenz mit der Möglichkeit zur Weiterlizenzierung geworden sein, um dem Unternehmer ein Nutzungsrecht vermitteln zu können2.

10.33 Hinweis: Die dafür erforderliche Zustimmung des Urhebers nach §§ 34, 35 UrhG kann antizipiert durch Einwilligung erfolgen. Die Einwilligung kann auch in Form von AGB vorgesehen werden3. Bei einem gemeinsamen Crowdwork-Projekt bedarf die Plattform bzw. das Unternehmen der Einwilligung der Crowdgemeinschaft und/oder der einzelnen Crowdworker4.

d) Haftung bei direkter und indirekter Crowdwork 10.34 Auch bei Einschaltung einer externen Plattform stellen sich Haftungsfragen. Bei der indirekten Crowdwork kommt direkt mit dem Plattformanbieter ein Vertragsverhältnis in Form eines Dienstoder Werkvertrags zustande. Daraus ergibt sich eine direkte vertragliche Haftung der Plattform5. Etwaige Schlechtleistungen und Pflichtverletzungen des Crowdworkers können der Plattform als Leistungsschuldner dann nach § 278 BGB zugerechnet werden6. Bei direkter Crowdwork scheidet eine solche Zurechnung aus. Die Beziehung zwischen Unternehmen und Vermittlerplattform ist als Geschäftsbesorgungs- bzw. Dienstverschaffungsvertrag ausgestaltet7. Hierbei hat die Plattform gegenüber dem Unternehmen nicht dafür einzustehen, dass die von ihm eingesetzten Crowdworker ordentliche Arbeit leisten8.

lII. Best Practice 1. Firmeneigene, externe Crowdworking-Plattform 10.35 Bei der Ausgestaltung einer eigenen Crowdworking-Plattform (s. auch Rz. 10.7 ff.) ist ein besonderer Fokus auf die Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu legen. Unter den zahlreichen Regelungsfragen ist insbesondere – und: mit Blick auf die tatsächliche Durchführung und Durchführbarkeit der Vereinbarung – das Risiko der Scheinselbständigkeit zu beachten: Es müssen materiell die Vo1 Henssler/Roth, Formen von Erwerbstätigkeit und Anpassungsbedarf des Arbeitnehmer- und Betriebsbegriffs unter arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten, S. 43; Heise in Maschmann/Sieg/ Göpfert, Kap. 255 Rz. 45. 2 Hötte, MMR 2014, 795 (797). 3 LG Berlin v. 5.6.2007 – 16 O 106/07, ZUM-RD 2008, 18 (23); Hötte, MMR 2014, 795 (797). 4 Werner in Arnold/Günther, Kap. 5 Rz. 141. 5 Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 77 in Fn. 203. 6 Engert, AcP 2018, 305 (312). 7 Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 77 in Fn. 204. 8 Spinner in MünchKomm/BGB, 8. Aufl. 2020, § 611a BGB Rz. 30.

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lII. Best Practice

Rz. 10.36 § 10

raussetzungen echter Selbständigkeit gewahrt bleiben (s. dazu allgemein Rz. 7.14 ff., insb. Rz. 7.20). Folglich muss vermieden werden, dass es zu einer Weisungsabhängigkeit und betrieblichen Eingliederung des Crowdworkers kommt. Es ist auf eine Reihe von Besonderheiten bei Gestaltung der Crowdwork Rücksicht zu nehmen (vgl. Rz. 10.13): Der Inhalt der Hauptleistung sollte gerade bei Mikroaufgaben so genau beschrieben sein, dass weitere einseitige Weisungen entbehrlich sind. Generell muss gewährleistet bleiben, dass der Crowdworker keine einseitigen Weisungen hinsichtlich Durchführung, Zeit, Dauer, Ort oder sonstigen Modalitäten der zu erbringenden Tätigkeit erhält. Im Zuge dessen ist darauf zu achten, dass dem Crowdworker Spielräume bei der Aufgabenerfüllung gelassen werden und es nicht zu einer arbeitsvertragstypischen dauerhaften Leistungsbewertung und Leistungskontrolle kommt. Weiterhin darf die Organisationsstruktur der Plattform nicht darauf abzielen, dass der Crowdworker zur fortlaufenden Auftragsübernahme angehalten wird. Entsprechende Anreizsysteme mit Belohnungen für die Übernahme besonders vieler Aufträge oder Sanktionssysteme für die Ablehnung von Aufträgen sind besonders risikoreich und sollten vermieden werden. Um dem Entstehen persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit der Crowdworker im Einzelfall zu entgehen, ist darauf zu achten, dass die Crowdworker nicht zu viele Aufträge für das Unternehmen erfüllen. Dies kann über eine Deckelung der möglichen Aufträge geschehen. Neben den Einzelverträgen spielt dabei insbesondere die vertragliche Gestaltung der Rahmenvereinbarung eine wesentliche Rolle. Eine Rahmenvereinbarung/AGB zur Nutzung einer firmeneigenen Crowdworking-Plattform kann bspw. wie folgt formuliert werden.

M 10.1 AGB zur Nutzung einer firmeneigenen Crowdworking-Plattform

10.36

AGB zur Nutzung einer firmeneigenen Crowdworking-Plattform Fassung … vom … § 1 Anwendungsbereich (1) Diese Allgemeinen Geschäfts- und Nutzungsbedingungen (die „Nutzungsbedingungen“) gelten für die Installation und Nutzung der Anwendersoftware „…“ für Smartphones (die „App“) und die Nutzung der Website des Auftraggebers (die „Website“) sowie für die vertraglichen Beziehungen zwischen der … (Firma, Adresse) („Auftraggeber“) und den Auftragnehmer*innen (nachfolgend zur besseren Lesbarkeit „Auftragnehmer“, jedoch unter Einschluss aller Geschlechter). (2) Der Auftraggeber unterhält eine Website und eine App, mittels derer angemeldete Auftragnehmer dem Auftraggeber die Erbringung verschiedener Leistungen anbieten können. Über die Website und die App schreibt der Auftraggeber sog. Tasks (der „Auftrag“) aus. § 2 Benutzerkonto (1) Die Möglichkeit, sich auf Aufträge zu bewerben, setzt die Anmeldung als Auftragnehmer voraus. Die Anmeldung ist kostenlos. Sie erfolgt durch Eröffnung eines Accounts. Mit der Anmeldung stimmt der Auftragnehmer diesen Nutzungsbedingungen zu. Ein Account ist nicht übertragbar. (2) Der Auftragnehmer ist verpflichtet, die bei der Einrichtung des Accounts angeforderten persönlichen Daten ordnungsgemäß, richtig und wahrheitsgemäß anzugeben. Der Auftraggeber behält sich vor, die Freischaltung im Einzelfall von der Übermittlung geeigneter Nachweise abhängig zu machen, die belegen, dass die angegebenen Daten korrekt sind. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, gegebenenfalls erforderliche Anpassungen der Daten unverzüglich vorzunehmen. (3) Bei der Einrichtung des Benutzerkontos sind eine frei wählbare Benutzerkennung und ein Passwort anzugeben. Die gewählte Benutzerkennung darf keine Rechte verletzen, insbesondere Namens- oder Markenrechte Dritter, und nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Der Auftragnehmer übernimmt die Verantwortung für die Vertraulichkeit und Sicherheit des Accounts. (4) Das Anlegen mehrerer Accounts für dieselbe Person ist unzulässig. Ebenso unzulässig ist die Nutzung eines Accounts durch mehrere Personen.

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§ 10 Rz. 10.36

Crowdwork

§ 3 Zustandekommen von Verträgen (1) Mit der Freischaltung des Accounts seitens des Auftraggebers erhält der Auftragnehmer die Möglichkeit, die Plattform und die App zu nutzen und dem Auftraggeber Angebote auf die ausgeschriebenen Aufträge zu machen. Ein weitergehendes Vertragsverhältnis zwischen dem Auftragnehmer und Auftraggeber kommt durch die Freischaltung nicht zustande. (2) Das Einstellen der Aufträge seitens des Auftraggebers auf der Website oder der App stellt noch kein verbindliches Angebot dar. Es handelt sich vielmehr um eine „Einladung zum Angebot – invitatio ad offerendum“1. (3) Über die App kann der Auftragnehmer die Anforderungen des Auftrags erfahren und ein Angebot auf Abschluss des Auftrags nach Maßgabe dieser Nutzungsbedingungen abgeben. Mit der Annahme dieses Angebots seitens des Auftraggebers entsteht ein Vertragsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer. Das Vertragsverhältnis zwischen Auftraggeber und den Auftragnehmern wird durch diese Nutzungsbedingungen in der jeweils gültigen Fassung geregelt. (4) Der Auftragnehmer kann sich pro Monat maximal auf … (Zahl) Aufträge bewerben; die Gesamtvergütung darf … (Betrag) EUR pro Monat nicht überschreiten2. § 4 Vertragsdurchführung (1) Kommt ein Vertrag durch Annahme des Auftraggebers zustande, werden dem Auftragnehmer die erforderlichen Daten auf der Website und der App zur Verfügung gestellt. Durch die Angebotsannahme entsteht kein Erfüllungsanspruch des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer, dass dieser den Auftrag gemäß den vorgegebenen Konditionen bearbeitet3. (2) Im Gegenzug ist der Auftraggeber nicht zur Abnahme der Leistung verpflichtet, wenn diese nicht den Konditionen entspricht, die in der Auftragsbeschreibung angegeben sind. Insbesondere werden Leistungen nicht mehr angenommen, wenn der mitgeteilte Zeitraum zur Leistungserbringung überschritten wird. (3) Erfolgt die Leistungserbringung innerhalb des Zeitraums, wird dem Auftragnehmer die in der Auftragsbeschreibung genannte Vergütung auf sein Benutzerkonto vorläufig gutgeschrieben. Eine Abnahme der Leistung ist hiermit noch nicht verbunden. (4) Die abgelieferten Resultate werden im Folgenden durch den Auftraggeber überprüft. Die Abnahme erfolgt innerhalb von fünf Werktagen4. Zeigen sich hierbei Mängel, ist der Auftragnehmer zur Nacherfüllung innerhalb einer angemessenen Frist verpflichtet. (5) In speziellen Einzelfällen gibt es keine Möglichkeit der Nachbesserung, etwa wenn Projekte zu einem bestimmten Zeitpunkt final fertig gestellt sein müssen. In diesem Fall ist eine ausdrückliche Projektzusatzvereinbarung in den entsprechenden Projektbeschreibungen enthalten. (6) Erfolgt die Abnahme durch den Auftraggeber (innerhalb von fünf Werktagen nach Ablieferung der Leistung), wird dem Auftragnehmer die in der Auftragsbeschreibung genannte Vergütung endgültig auf sein Benutzerkonto gutgeschrieben.

1 Zur Bedeutung der Rahmenvereinbarung bei der Bestimmung des Rechtsbindungswillens bezüglich der Einzelverträge: Gärtner, Rechtsgeschäftliche Bindungsformen bei Crowdwork, in: Neue Arbeitsformen und ihre Herausforderungen im Arbeits- und Sozialversicherungsrecht, S. 160 (173 f.). 2 So wird verhindert, dass der Crowdworker konsekutiv nur für das eine Unternehmen tätig wird und „Auftragsketten“ entstehen. Ziel der Klausel ist es, das Entstehen einer (wirtschaftlichen) Abhängigkeit einzelner Crowdworker zu verhindern. 3 Durch den Verzicht auf einen einklagbaren Erfüllungsanspruch wird die Gefahr der Scheinselbständigkeit der Crowdworker entschärft. Allerdings kann hier auch ein Erfüllungsanspruch vorgesehen werden. 4 Genauer zu den AGB-rechtlichen Schranken von Abnahmefristen Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 111 f.

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lII. Best Practice

Rz. 10.36 § 10

§ 5 Besondere Wettbewerbsaufträge (1) Abweichende Regeln gelten für sog. Wettbewerbsaufträge. Diese sind auf der Website bzw. der App gesondert gekennzeichnet. Bei Wettbewerbsaufträgen können mehrere konkurrierende Auftragnehmer bis zum Ende der Projektfrist Ergebnisvorschläge einreichen. Der Auftraggeber wählt aus diesen Ergebnisvorschlägen nach Ablauf der Projektfrist einen Gewinner aus. (2) Hat ein Auftragnehmer seinen Vorschlag eingereicht, wird dieser nur als Voransicht präsentiert und kann vom Auftraggeber noch nicht verwendet werden. (3) Ein Vertragsverhältnis und ein Anspruch auf Zahlung einer Vergütung entsteht erst mit Annahme des Ergebnisvorschlags durch den Auftraggeber. § 6 Rechte an Projektergebnissen (1) Der Auftragnehmer sichert mit Übermittlung des Ergebnisses an den Auftraggeber zu, dass die übermittelten Leistungen bzw. Daten frei von Rechten Dritter sind und insbesondere keine Urheber- und/ oder Markenrechtsverletzungen enthalten, sowie dass Persönlichkeitsrechte Dritter gewahrt oder nicht berührt wurden. Der Auftragnehmer ist zum Ersatz von Kosten verpflichtet, die dem Auftraggeber dadurch entstehen, dass der Auftragnehmer durch Dritte berechtigter Weise auf Grund von Inhalten in Anspruch genommen wird, die der Auftragnehmer erstellt hat. Dies gilt nicht, wenn der Auftragnehmer die entsprechende Rechtsverletzung nicht zu vertreten hat. Es ist hierbei alleinige Aufgabe des Auftragnehmers, sich gegebenenfalls die notwendigen Einwilligungen etwaiger Rechteinhaber einzuholen. (2) Mit der Übermittlung der Daten an den Auftraggeber räumt der Auftragnehmer dem Auftraggeber die ausschließlichen, räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkten Nutzungs- und Verwertungsrechte an diesen Daten ein, soweit dies gesetzlich möglich und zulässig ist. Diese Einräumung der Nutzungsund Verwertungsrechte steht als dingliches Rechtsgeschäft unter der aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) der Abnahme. Zudem verzichtet der Auftragnehmer auf sein Namensnennungsrecht gemäß § 13 UrhG. Der Auftragnehmer bedarf zur weiteren Ausübung von Nutzungs- und Verwertungsrechten in jedem Fall der Zustimmung des Auftraggebers. Der Auftragnehmer erteilt dem Auftraggeber ferner die Erlaubnis, eingereichte Inhalte, die der Auftragnehmer bei der Ausführung von Aufträgen bereitstellt, zu modifizieren, weiterzugeben oder zu verkaufen. Der Auftragnehmer erhält das Recht, Einspruch gegen die Verwendung der zur Verfügung gestellten Daten zu erheben, wenn diese nachweislich schädlich für den Ruf, den Namen, den Wert oder die Ehre des Auftragnehmers sein könnte. § 7 Haftung (1) Der Auftragnehmer stellt den Auftraggeber von sämtlichen Schadensersatzansprüchen, Haftungsansprüchen und jedweden Kosten frei, die dem Auftraggeber durch ein pflichtwidriges Handeln des Auftragnehmers entstehen. Dies gilt nicht, soweit der Auftragnehmer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Soweit sich aus diesen Nutzungsbedingungen und insbesondere aus den nachfolgenden Regelungen nichts anderes ergibt, haftet der Auftraggeber nach den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften. (3) Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Auftraggeber nur bei Verletzung vertragswesentlicher Pflichten (Kardinalpflichten), wobei die Haftung in diesem Fall auf die Höhe des vertragstypischen, vorhersehbaren Schadens beschränkt ist. Im Übrigen haftet der Auftraggeber nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sowie bei Schäden, die infolge der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit entstehen. § 8 Beendigung des Vertrags (1) Der Auftraggeber behält sich das Recht vor, jederzeit und ohne Angabe von Gründen Accounts zu kündigen. Der Auftragnehmer kann seinen Account auf der Website oder über die App selbst deaktivieren und erhält daraufhin keine neuen Aufträge oder Push-Benachrichtigungen mehr. Der Auftraggeber behält sich unter Beachtung der geltenden Datenschutzgesetze das Recht vor, die persönlichen Daten

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231

§ 10 Rz. 10.36

Crowdwork

des Auftragnehmers für bis zu sechs weitere Monaten zu speichern, nachdem der Auftragnehmer den Account deaktiviert hat1. (2) Jeder Auftragnehmer hat die Möglichkeit, seinen Account und damit den Vertrag für den Zugang zur und die Nutzung der Website und der App ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Die Kündigung seitens des Auftragnehmers erfolgt über die Website oder direkt über die App. Eine Kündigung ist nur wirksam, wenn die Absenderadresse mit der vom Auftragnehmer hinterlegten E-Mail-Adresse identisch ist. Die Kündigung seitens des Auftraggebers erfolgt ebenfalls per E-Mail an die vom Auftragnehmer hinterlegte E-Mail-Adresse. § 9 Schlussbestimmung, Rechtswahlklausel (1) Auf diese Rahmenvereinbarung sowie die jeweiligen Einzelaufträge findet das Recht der Bundesrepublik Deutschland Anwendung. (2) Sollten eine oder mehrere Bestimmungen dieser Rahmenvereinbarung ganz oder teilweise rechtsunwirksam sein, so wird dadurch die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmungen tritt rückwirkend eine inhaltlich möglichst gleiche Regelung, die dem Zweck der gewollten Regelung am nächsten kommt.

2. Betriebsvereinbarung zum internen Crowdworking 10.37 Bei Einführung interner Crowdwork greifen regelmäßig erzwingbare Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (dazu Rz. 10.3 ff.). Der Betriebsrat kann folglich verlangen, dass der Arbeitgeber mit ihm über die Rahmenbedingungen der internen Crowdwork verhandelt und hierzu eine Vereinbarung trifft. Aufgrund der vielfachen Regelungsfragen bei Einführung interner Crowdwork besteht ein arbeitgeberseitiges Interesse daran, diese Vereinbarung in Form einer Betriebsvereinbarung zu schließen: Hierdurch können unmittelbar und zwingend auf die Arbeitnehmer einwirkende Regelungen geschaffen werden (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG). Wesentlich ist, dass der Arbeitgeber mit dem zuständigen Konzern-, Gesamt- oder lokalen Betriebsrat verhandelt. Hiervon hängt die Wirksamkeit der Vereinbarung ab2. Dabei ist für jedes ausgelöste Mitbestimmungsrecht die Zuständigkeit gesondert festzustellen. Eine Abgrenzung erfolgt primär anhand des (über-)örtlichen Bezugs der geplanten Regelung. Entscheidend für die interne Crowdwork ist u.a., wie flächendeckend innerhalb des Konzerns bzw. des Unternehmens Crowdwork eingeführt werden soll3. Für die Zuständigkeit von Gesamtbetriebsrat bzw. Konzernbetriebsrat verlangt die Rechtsprechung zwingende sachliche (insb. technische) oder rechtliche Gründe für eine betriebs- bzw. unternehmensübergreifende Regelung. Regelmäßig wird für die unternehmens- bzw. konzernweite Einführung interner Crowdwork über eine einheitliche digitale Plattform der Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat nach § 51 bzw. § 58 BetrVG zuständig sein.

10.38 M 10.2 Konzernbetriebsvereinbarung interne Crowdwork Konzernbetriebsvereinbarung interne Crowdwork Fassung … vom …

1 Zur AGB-rechtlichen Zulässigkeit von Kündigungsregelungen ausführlich Walzer, Der arbeitsrechtliche Schutz der Crowdworker, S. 118 ff. 2 Werner, NZA-RR 2019, 1. 3 Allgemein: Werner, NZA-RR 2019, 1 (2).

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lII. Best Practice

Rz. 10.38 § 10

Präambel Interne Crowdwork stellt eine neue Form der Organisation der innerbetrieblichen Zusammenarbeit und der Wissenstransferprozesse dar: Durch Interne Crowdwork soll ungenutztes Fach- sowie persönliches Erfahrungswissen der Mitarbeiter nutzbar gemacht werden. Die Betriebsparteien legen die Regeln für die Interne Crowdwork in dieser Betriebsvereinbarung einvernehmlich und verbindlich fest. § 1 Anwendungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer*innen (nachfolgend zur besseren Lesbarkeit „Arbeitnehmer“, „Mitarbeiter“ oder „Beschäftigte“, jedoch unter Einschluss aller Geschlechter) der Betriebe gemäß § 5 Abs. 1 BetrVG. Der Arbeitgeber weist die leitenden Angestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG an, sich ebenfalls an das in der Betriebsvereinbarung beschriebene, verbindliche Regelwerk zu halten. § 2 Definition Interne Crowdwork (1) Bei Interner Crowdwork im Sinne dieser Betriebsvereinbarung schreibt der Arbeitgeber unternehmensintern Aufträge an die Belegschaft aus. Auf diese Aufträge können sich die Mitarbeiter „bewerben“ und während der Arbeitszeit vorrangig oder anstelle ihrer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung („ordentliche Aufgaben“) bearbeiten. Die Aufträge werden zentral auf einer digitalen Crowdwork-Plattform konzernweit ausgeschrieben. (2) Bei der Internen Crowdwork ist der Teilnehmerkreis auf die Mitarbeiter der teilnehmenden Unternehmen der … -Gruppe begrenzt. Externe Crowdwork (Vergabe interner Tätigkeiten an eine externe Crowd mit dem Ziel, bislang interne Tätigkeiten extern bearbeiten zu lassen) ist kein Bestandteil dieser Konzernbetriebsvereinbarung. § 3 Grundsätze und Bedingungen Interner Crowdwork (1) Der Arbeitgeber legt nach billigem Ermessen fest (§ 106 GewO), welche Projekte im Rahmen der Internen Crowdwork bearbeitet werden können. Er schreibt die entsprechenden Aufträge („Tasks“) auf der digitalen Crowdwork-Plattform konzernweit aus. Die Mitarbeiter können sich im Wege der Selbstselektion auf die Tasks bewerben. (2) Die Beteiligung der Arbeitnehmer an Interner Crowdwork ist freiwillig. Beschäftigte erfahren durch die Beteiligung oder Nicht-Beteiligung an Interner Crowdwork keinerlei Nachteile. (3) Möchte der Arbeitnehmer eine Aufgabe im Rahmen der Internen Crowdwork durchführen, so hat er dies bei seinem Vorgesetzten anzuzeigen und sich auf den Task zu bewerben. Bei Annahme des Arbeitnehmers für den entsprechenden Task hat der Vorgesetzte dem Arbeitnehmer im Rahmen seines Weisungsrechts die Erfüllung der Crowdwork-Aufgabe zuzuweisen, soweit nicht die Erfüllung der ordentlichen Aufgaben vorrangig ist. Für die Dauer der Erfüllung der Crowdwork-Aufgabe unterliegt der Arbeitnehmer den Weisungen des Crowdmanagers. Aus sachlichem Grund (§ 106 GewO) kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer von der Internen Crowdwork abziehen. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere in der vorrangigen Erfüllung der ordentlichen Aufgaben des Arbeitnehmers. (4) Soweit sich die Zuweisung einer längerfristigen Crowdwork-Aufgabe oder deren Aufhebung als Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellt, ist der Betriebsrat gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen. (5) Die Einführung der Internen Crowdwork führt nicht zu Änderungen der Betriebsorganisation. (6) Die Beteiligung von Beschäftigten an der Internen Crowdwork findet in der Arbeitszeit statt. Die Zeit der Plattformarbeit ist Arbeitszeit. (7) Mit dem jeweiligen Entgelt des Arbeitnehmers sind auch die Arbeiten abgegolten, die der Arbeitnehmer in Erfüllung von Aufgaben ausführt, welche über die digitale Crowdwork-Plattform ausgeschrieben und ihm zugeordnet wurden. Eine gesonderte Vergütung der Crowdwork Aufgaben erfolgt nicht.

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233

§ 10 Rz. 10.38

Crowdwork

§ 4 Nutzung der digitalen Crowdwork-Plattform (1) Für die Durchführung der Internen Crowdwork wird eine digitale Plattform genutzt. Auf dieser Plattform werden alle verfügbaren Tasks ausgeschrieben. Sie sind konzernweit für alle angemeldeten Arbeitnehmer einsehbar. Die Bewerbung auf dort ausgeschriebene Tasks erfolgt zentral über die Plattform. Die Anforderungen und der Inhalt des Crowdwork-Auftrags finden sich in der Auftragsbeschreibung. Grundsätzlich ist die Plattform nicht für Dritte zugänglich, mit Ausnahme der Administratoren. (2) Der Zugang zur digitalen Crowdwork-Plattform setzt das Bestehen eines Benutzerkontos voraus. Die Erstellung dieses Benutzerkontos seitens des Arbeitnehmers erfolgt freiwillig. Bei der Einrichtung des Benutzerkontos sind eine frei wählbare Benutzerkennung und ein Passwort anzugeben. Die gewählte Benutzerkennung darf keine Rechte verletzen, insbesondere Namens- oder Markenrechte Dritter, und nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Der Arbeitnehmer übernimmt die Verantwortung für die Vertraulichkeit und Sicherheit seines Benutzerkontos. (3) Die Offenlegung des Klarnamens von Pseudonymen kann der Arbeitgeber bei Vorliegen eines sachlichen Grundes verlangen. Insbesondere erfolgt eine Offenlegung dann, wenn Personen unter Pseudonym andere Personen beleidigen oder in anderer Weise den achtsamen und wertschätzenden Umgang verletzen oder arbeitsvertragliche Geheimhaltungspflichten verletzen. (4) Die Benutzerkonten auf der digitalen Crowdwork-Plattform gewähren nur Einsicht in die hinterlegten Daten zu den internen Crowdwork-Projekten, an denen die Benutzer jeweils selbst beteiligt sind. Damit sie den Stand sämtlicher Projekte jederzeit überprüfen und auswerten können und um die Auskunftsansprüche nach § 80 Abs. 2 BetrVG zu erfüllen, erhalten Arbeitgeber und Konzernbetriebsrat Benutzerkonten, die ihnen Einsicht in die auf der Plattform hinterlegten Daten zu sämtlichen Projekten gewähren. (5) Zwei Jahre nach Abschluss jedes Projektes ist der Zugriff auf die gespeicherten Daten dieses Projektes technisch so zu sperren, dass ein Zugriff auf die Projektdaten nur nach dem Vier-Augen-Prinzip mit doppelter Passworteingabe möglich ist. Ein Zugriff auf die gespeicherten Projektdaten ist nur aus besonderem sachlichen Grund zulässig. In diesem Fall ist der Betriebsrat unverzüglich zu informieren. 15 Jahre nach Abschluss des Projektes sind die Projektdaten endgültig zu löschen, sofern nicht im Ausnahmefall aus besonderem Anlass eine längere Speicherung erforderlich ist. (6) Funktionalitäten in der Plattform, die automatisiert statistische Auswertungen mit Aussagekraft zum Leistungsverhalten individueller Mitarbeiter generieren, sind sowohl für die Mitarbeiter und den Arbeitgeber als auch den Konzernbetriebsrat zu deaktivieren. Der Arbeitgeber darf lediglich Funktionalitäten in der Plattform implementieren, die anonymisierte statistische Auswertungen generieren. (7) Soweit die Abs. 1 bis Abs. 6 spezifische Vorschriften i.S.d. Art. 88 DSGVO enthalten, haben sie den Charakter einer Ermächtigungsgrundlage gemäß § 26 Abs. 4 BDSG. Im Übrigen erfolgen jede Anwendung und jede Modifikation der Plattform nur unter Einhaltung der allgemeinen datenschutzrechtlichen Bestimmungen, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben des § 26 Abs. 1 BDSG. § 5 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres gekündigt werden und wirkt in diesem Fall nach. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Ort …, Datum … … Geschäftsführung

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… Konzernbetriebsratsvorsitzende*r

I. Worum geht es?

Rz. 11.2 § 11

§ 11 Matrixorganisationen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 1. Gestaltung von Berichtslinien . . . . . . . . 11.6 2. Betriebsverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . 11.14 a) Beteiligung in personellen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.15

3. III. 1. 2.

b) Weitere Mitbestimmungsfragen . . . . Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . Best Practice Bevollmächtigung der Matrixmanager . . Matrixklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11.17 11.20 11.25 11.30

Literatur: Bachner, Die Matrixorganisation in der Betriebsverfassung, NZA 2019, 134; Engels, Das BAG und die Matrixstruktur, NZA 2020, 699; Fritz, Die Führungskraft in der Matrixorganisation, NZA-Beilage 2018, 98; Geppert, Überprüfung der Modelle zur Datenübermittlung in Drittländer, ZD 2018, 62; Günther/ Böglmüller, Digital Leadership – Mitarbeiterführung in der Arbeitswelt 4.0, NZA 2017, 546; Kort, MatrixStrukturen im Fokus neuerer arbeitsrechtlicher Betrachtung, BB 2021, 1204; Kort, Matrix-Strukturen und Betriebsverfassungsrecht, NZA 2013, 1318; Lingemann/Steinhauser, Betriebsverfassungsrechtliche Einstellungen im entgrenzten Betrieb, NZA 2020, 87; Maschmann/Fritz, Matrixorganisationen, 1. Aufl. 2019; Maschmann, Das Weisungsrecht im Matrix-Konzern, NZA 2017, 1557; Meyer, Von Mehrfachbeschäftigungsverhältnissen bis hin zu Matrix-Strukturen im Konzern – Herausforderungen auch für den Arbeitsrechtler, NZA 2013, 1326; Müller-Bonanni/Mehrens, Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen funktionaler Konzernsteuerungsmodelle, ZIP 2010, 2228; Reinhard, Betriebsverfassung in der Matrix, ArbRB 2019, 369; Rieble, Mitbestimmung in komplexen Betriebs- und Unternehmensstrukturen, NZA-Beilage 2014, 28; Schockenhoff, Haftung und Enthaftung von Geschäftsleitern bei Compliance-Verstößen in Konzernen mit Matrix-Strukturen, ZHR 180 (2016), 197; Schrader, Ist der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff noch zeitgemäß?, NZA 2019, 951; Witschen, Matrixorganisationen und Betriebsverfassung, RdA 2016, 38; Wybitul/Ströbel/Ruess, Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer, ZD 2017, 503.

I. Worum geht es? Matrixorganisationen kennzeichnen sich durch überschneidende Berichtslinien. Mitarbeiter erhalten ihre Arbeitsanweisungen nicht nur von Führungskräften, die in der Berichtslinie des örtlichen Standortleiters stehen, sondern zugleich von einem fachlich zuständigen Matrixmanager1, der unabhängig vom örtlichen Standortleiter agiert. Der Mitarbeiter wird damit „Diener zweier Herren“2. Der Matrixmanager ist typischerweise nicht vor Ort und teilweise sogar vom Ausland aus tätig3. In Konzernstrukturen gehört der Matrixmanager oft einer anderen Konzerngesellschaft an und Arbeitsanweisungen überschneiden gesellschaftsrechtliche Grenzen4.

11.1

In einer schulbuchmäßig organisierten Matrix findet eine sich kreuzende Gliederung der Berichtslinien des Unternehmens Anwendung. So kann das Unternehmen z.B. einmal nach Produktgruppen und einmal nach Regionen gegliedert werden. Jede Produktgruppe erhält einen eigenen Spartenleiter und jede Region erhält einen eigenen Regionalleiter. Die Mitarbeiter der einzelnen Standorte emp-

11.2

1 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (99); Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 5 ff.; Kort, BB 2021, 1204 (1204). 2 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (99); Maschmann, NZA 2017, 1557 (1557). 3 Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 23. 4 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (99); Kort, BB 2021, 1204 (1204).

Grimm/Singraven

235

§ 11 Rz. 11.2

Matrixorganisationen

fangen dann sowohl Weisungen vom Spartenleiter, wenn es um produktbezogene Fragen geht, und Weisungen vom Regionalleiter in regionalen Angelegenheiten. Eine andere, verbreitete Einteilung besteht darin, das Unternehmen (ggf. zusätzlich) nach Funktionen zu gliedern, z.B. Entwicklung, Produktion, Vertrieb und HR1.

11.3 Da moderne IT die Kommunikation zwischen Ortsabwesenden in hohem Maße erleichtert, breiten sich Matrixorganisationen in der weltweiten Unternehmenslandschaft erheblich aus2. Begonnen hat diese Entwicklung bereits in den 1960er-Jahren3. Allerdings ist die reine, schulbuchmäßige Matrix der Ausnahmefall. Üblicherweise werden nur Teilbereiche des Unternehmens als Matrix organisiert4, während im Übrigen eine traditionelle „Top-Down-Organisation“ aufrechterhalten bleibt. Häufig bilden sich Matrixstrukturen ohne planvolles Gesamtkonzept, weil in Einzelfällen doppelte Berichtslinien für zweckmäßig gehalten werden und der Konzern so nach und nach in die Matrix „hineinwächst“5.

11.4 Entscheidender Vorteil von Matrixorganisationen ist die Entlastung der Unternehmensleitung. Da eine weitreichende Bandbreite von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf die Matrixmanager delegiert werden kann, wird es für die Unternehmensleitung leichter, sich auf die übergreifende, strategische Unternehmensentwicklung zu konzentrieren6. Idealweise bringen die Matrixmanager aufgrund ihrer unterschiedlichen Perspektiven dynamische Impulse in die Gesamtorganisation ein und machen diese innovativer und selbstkritischer7. Auch lassen sich Matrixmanager bei Bedarf schnell auswechseln, da sie nicht vor Ort tätig sein müssen, sondern auch durch einen Kollegen ersetzt werden können, der von einem anderen Standort und ggf. sogar vom Ausland aus arbeitet. Diesen Vorteilen steht der offenkundige Nachteil gegenüber, dass ständige Kompetenzkonflikte in den sich überschneidenden Berichtslinien drohen8. Kommen häufige Wechsel unter den Stelleninhabern der verschiedenen Matrixmanagerpositionen hinzu, entsteht bei den Mitarbeitern vor Ort schnell Unsicherheit darüber, was ihre Vorgesetzten von ihnen eigentlich erwarten. Betriebswirtschaftlich sollte die Matrix deshalb sorgfältig konzipiert werden, damit ihre Vorteile die Nachteile überwiegen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 11.5 Arbeitsrechtlich gesehen ist das Besondere bei Matrixorganisationen, dass Arbeitnehmer Weisungen von Führungskräften empfangen, die nicht ihrem Betrieb angehören und die häufig bei einer anderen Konzerngesellschaft angestellt sind9. – Die Berichtslinien innerhalb der Matrix werden ausgestaltet, indem die beteiligten Unternehmen Matrixmanagern Weisungsrechte übertragen (dazu Rz. 11.6 ff.). – Der Umstand, dass Weisungen die herkömmlichen Betriebs- und Unternehmensgrenzen überschreiten, wirft betriebsverfassungsrechtliche Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeiten und Beteiligungsrechte der örtlichen Betriebsräte (dazu Rz. 11.14 ff.).

1 Witschen, RdA 2016, 38 (40); Schrader, NZA 2019, 951 (956). 2 Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (548); Bachner, NZA 2019, 134 (134); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2229). 3 Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 36. 4 Witschen, RdA 2016, 38 (39); Kort, BB 2021, 1204 (1204 f.). 5 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (99); Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 21; Schockenhoff, ZHR 180 (2016), 197 (199). 6 Witschen, RdA 2016, 38 (39); Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 33. 7 Witschen, RdA 2016, 38 (40); Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 33. 8 Witschen, RdA 2016, 38 (40); Steger in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 34. 9 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (99).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 11.8 § 11

– Da personenbezogene Arbeitnehmerdaten im Rahmen komplexer Unternehmens- und Konzernverflechtungen weitergegeben werden, stellen sich datenschutzrechtliche Herausforderungen (dazu Rz. 11.20 ff.).

1. Gestaltung von Berichtslinien Die Ermächtigung der Matrixmanager, Weisungen gegenüber betriebs- und unternehmensfremden 11.6 Mitarbeitern auszusprechen, erfolgt durch Bevollmächtigung gem. §§ 164 ff. BGB1. Die Bevollmächtigung wird durch diejenige Konzerngesellschaft erteilt, die Vertragsarbeitgeber derjenigen Mitarbeiter ist, welche die Weisungen empfangen und ausführen sollen2. Gegenstand der Vollmacht ist es, das Arbeitgeberweisungsrecht des Vertragsarbeitgebers (§ 106 GewO) in dessen Namen auszuüben. Die Vollmachtserteilung kann durch Bekanntmachung gegenüber der Gesamtbelegschaft erfolgen (§ 167 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Die Mitteilung ist an keine Form gebunden (§ 167 Abs. 2 BGB)3. Der Vertragsarbeitgeber kann den Matrixmanager auch dann zur Ausübung des fachlichen Weisungsrechtes bevollmächtigen, wenn dieser Matrixmanager bei einer anderen Konzerngesellschaft beschäftigt ist4. Nach zutreffender h.M. ist es allerdings nicht zulässig, einem unternehmensfremden Matrixmanager das Recht zu verleihen, vom disziplinarischen Weisungsrecht des Arbeitgebers Gebrauch zu machen5. Denn die Übertragung des disziplinarischen Weisungsrechtes an ein fremdes (Konzern-)Unternehmen würde entweder zu einem Betriebsübergang (§ 613a BGB) oder zur Begründung eines Doppelarbeitsverhältnisses mit diesem fremden (Konzern-)Unternehmen führen6. Das disziplinarische Weisungsrecht umfasst die Befugnis, namens des Arbeitgebers zu kündigen, abzumahnen, Urlaub zu genehmigen, Versetzungsentscheidungen zu treffen und Änderungsverträge in Hinblick auf den Arbeitsvertrag zu schließen7. Diese Befugnisse dürfen allein durch den Vertragsarbeitgeber eines Arbeitnehmers und dessen Mitarbeiter wahrgenommen werden.

11.7

Hinweis:

11.8

Theoretisch kann ein Matrixmanager, der einer anderen Konzerngesellschaft angehört, auch auf anderem Wege ermächtigt werden, Weisungen gegenüber Arbeitnehmern auszusprechen, als durch Bevollmächtigung. Entsprechende Ansätze erweisen sich jedoch sämtlich als umständlich und deshalb wenig praxisgerecht: – Stimmt der Arbeitnehmer zu (§ 613 Satz 2 BGB), kann der Vertragsarbeitgeber sein Weisungsrecht an eine andere Konzerngesellschaft abtreten8. Dann allerdings handelt es sich um Arbeitnehmerüberlassung9. Zwar kennt das Arbeitnehmerüberlassungsrecht nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ein Konzernprivileg. Dieses Konzernprivileg gilt aber nicht, wenn der Arbeitnehmer von vornherein zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird, wozu unter solchen Bedingungen auch eine Tätigkeit in der Ma-

1 Kort, NZA 2013, 1318 (1319 f.); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (100); Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (548); Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 21. 2 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (100). 3 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 22. 4 Bachner, NZA 2019, 134 (134); Maschmann, NZA 2017, 1557 (1558); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (100); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 141. 5 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 7; Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 140; Bachner, NZA 2019, 134 (137); einschränkend Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2229), welche die Übertragung des Abmahnungsrechts, nicht aber des Kündigungsrechts für zulässig halten. 6 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 7. 7 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 6. 8 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1558); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2229 f.). 9 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1558); Bachner, NZA 2019, 134 (136); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2229 f.).

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§ 11 Rz. 11.8

Matrixorganisationen

trix gezählt werden kann1. Dann müssten die strengen gesetzlichen Regularien für Arbeitnehmerüberlassung eingehalten werden, was aufwendig und bürokratisch wäre (vgl. Rz. 8.5). – Ein Arbeitnehmer, der im Rahmen einer Matrixstruktur tätig ist, kann auch mit mehreren Konzerngesellschaften parallel nebeneinander bestehende Arbeitsverhältnisse vereinbaren (Doppelarbeitsverhältnisse)2. Dies würde zu erheblichen Folgeproblemen führen, da der Konzern nicht nur beide Arbeitsverhältnisse verwalten, sondern auch deren Verhältnis zueinander bestimmen müsste. – Die Rechtsprechung des BAG kennt ein einheitliches Arbeitsverhältnis im Konzern, bei dem sich der Arbeitsvertrag als Mehrpersonenvertrag darstellt und mehrere Konzernunternehmen als Arbeitgeber dieses Vertrags auftreten. Diese Konzerngesellschaften sind dann Gesamtgläubiger der Arbeitsleistung und Gesamtschuldner des Lohnanspruchs3. Konsequenz ist allerdings, dass Änderungsverträge, Aufhebungsverträge und die Arbeitgeberkündigung stets der Zustimmung sämtlicher, am Vertrag beteiligter Konzerngesellschaften benötigen4. Immer dann, wenn ein neues Konzernunternehmen in die Matrixstruktur und demnach in den Mehrpersonenvertrag aufgenommen werden soll, müssten Änderungsverträge mit allen betroffenen Arbeitnehmern geschlossen werden.

11.9 Umstritten ist, ob die Unterwerfung von Arbeitnehmern unter die Weisungsmacht eines unternehmensfremden Matrixmanagers einer vertraglichen Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer bedarf. Dafür könnte sprechen, dass nach § 613 Satz 2 BGB ohne Zustimmung des Arbeitnehmers der Anspruch auf dessen Arbeitsleistung nicht auf Drittunternehmen übertragen werden dürfte5. Nach zutreffender h.M. wird der Anwendungsbereich der Vorschrift durch Matrixstrukturen jedoch nicht berührt. Denn ein Arbeitnehmer, der Weisungen des Matrixmanagers ausführt, dient zugleich dem Betriebszweck seines eigenen Vertragsarbeitgebers. Ist der Vertragsarbeitgeber nämlich als Konzernunternehmen in eine Matrixstruktur eingegliedert, stellt es einen eigenen Betriebszweck des Vertragsarbeitgebers dar, Funktionen innerhalb der Konzernmatrix wahrzunehmen. Auch wenn der Arbeitnehmer Weisungen eines durch den Vertragsarbeitgeber bevollmächtigten Matrixmanagers wahrnimmt, dient er somit seinem Vertragsarbeitgeber und keinem Dritten6.

11.10 Hinweis: Um sicherzugehen, kann der Arbeitgeber in seine Formulararbeitsverträge Matrixklauseln oder Konzernversetzungsklauseln aufnehmen, die klarstellen, dass Arbeitnehmer bei Bedarf auch für andere Konzernunternehmen tätig werden müssen7. Eine Konzernversetzungsklausel würde allerdings den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen erschweren. Besteht eine Konzernversetzungsklausel, müssen Arbeitnehmern nach h.M. im gesamten Konzern vorhandene freie Arbeitsplätze angeboten werden, bevor der Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen in Frage käme8.

11.11 In seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung, durch welche der Vertragsarbeitgeber dem Matrixmanager Vollmacht erteilt (§ 167 Abs. 1 BGB), bestimmt er auch, wie weit diese Vollmacht reicht9. Auf diese Weise können die Kompetenzen des Matrixmanagers definiert werden. Kompetenzwidrige Weisun-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (549); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2230). Kort, NZA 2013, 1318 (1320); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 131. BAG v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, DB 1982, 1569. BAG v. 27.3.1981 – 7 AZR 523/78, DB 1982, 1569, Leitsatz 5. Maties in BeckOGK/BGB, § 611a BGB Rz. 729; Maties in Auer-Reinsdorff/Conrad, Handbuch IT- und Datenschutzrecht, 3. Aufl. 2019, § 37 Rz. 191; Kort, BB 2021, 1204 (1206). BAG v. 10.3.1998 – 1 AZR 658/97, NZA 1998, 1242 (1243) = juris Rz. 25; Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2229); Kort, NZA 2013, 1318 (1319); Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (548); Maschmann, NZA 2017, 1557 (1558); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (100). Kort, NZA 2013, 1318 (1320); Lingemann/Chakrabarti in Arnold/Günther, Kapitel 2 Rz. 141; Günther/ Böglmüller, NZA 2017, 546 (548). BAG v. 23.3.2006 – 2 AZR 162/05, ArbRB 2007, 8 = juris Rz. 21; Meyer, NZA 2013, 1326 (1328). Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (548); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (102).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 11.14 § 11

gen des Matrixmanagers sind solange schwebend unwirksam, bis der Vertragsarbeitgeber sie (i.d.R. durch Erklärung seines Geschäftsführers) nachträglich genehmigt (§ 185 BGB)1. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Matrix Weisungen von unterschiedlichen Stellen empfängt, birgt stets die Gefahr, dass Weisungen einander widersprechen und kollidieren. In diesem Fall gelten folgende Regeln:

11.12

– Oft ergibt die Auslegung der Weisungen (§ 133 BGB), dass kein echter Widerspruch vorliegt, weil eine generelle Weisung nach ihrem Sinn und Zweck spezielleren Weisungen gar nicht entgegenstehen soll2. – Die Vollmacht, das Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO auszuüben, schließt grundsätzlich auch das Recht ein, bestehende Daueranweisungen zu ändern, aufzuheben und sie durch neue Anweisungen zu ersetzen. Erlässt ein Matrixmanager bewusst eine Weisung, die mit einer älteren Weisung des Vertragsarbeitgebers kollidiert, setzt sich grundsätzlich diese neue Weisung gegenüber einer älteren Weisung durch3. – Allerdings kann der Vertragsarbeitgeber, der die Reichweite des Weisungsrechts durch Vollmacht definiert, auch andere Kollisionsregeln festlegen4. Kommt es zu einem Konflikt zwischen der Geschäftsführung als außenvertretungsberechtigtem Organ des Vertragsarbeitgebers und einem bevollmächtigten Matrixmanager, setzt sich im Konfliktfall die Geschäftsführung durch, da sie die Vollmacht des Matrixmanagers grundsätzlich frei widerrufen (§ 168 Satz 2 BGB) und deshalb auch im Einzelfall beschränken kann. Macht die Geschäftsführung ausreichend deutlich, dass bestimmte Weisungen nicht zur Disposition des Matrixmanagers stehen sollen, ist dies auch so. – Allerdings ist vorstellbar, dass die Geschäftsführung zwischen den Konzernunternehmen bestehende Verträge, gesellschaftsrechtliche Weisungen, die Gesellschaftssatzung oder Pflichten aus einem Beherrschungsvertrag (§ 308 AktG) verletzt, wenn sie eigenmächtig in die Kompetenzen des Matrixmanagers eingreift, je nachdem, inwieweit dort Loyalitätspflichten gegenüber dem Matrixmanager definiert sind5. Weisungen, die gegen gesetzliche Verbote verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig6. Arbeitnehmer müssen und dürfen7 sie nicht befolgen. Zu solchen Weisungen kann es innerhalb einer Matrix insbesondere deshalb kommen, weil ausländische Matrixmanager die deutsche Rechtsordnung nicht im Detail kennen. Da die Geschäftsführung als vertretungsberechtigtes Organ des Vertragsarbeitgebers einer Legalitätspflicht unterliegt, muss sie darauf hinwirken, dass gesetzeswidrige Weisungen – auch solche, die von Matrixmanagern stammen – durch ihre Arbeitnehmer nicht ausgeführt werden8.

11.13

2. Betriebsverfassungsrecht Regiert ein Matrixmanager von einem fremden Standort aus in einen örtlichen Betrieb hinein, für den ein örtlicher Betriebsrat gebildet ist, stellen sich betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Grundsätzlich stellt die Matrixstruktur das Mandat des örtlichen Betriebsrates nicht in Frage. Weder löst sich der Betrieb durch die betriebsübergreifenden Handlungen des Matrixmanagers in der Matrix auf, noch wird ein Gemeinschaftsbetrieb mit dem Konzernunternehmen des Matrixmanagers gebil1 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1559 f.); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (101). 2 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1560); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (102). 3 A.A. Maschmann, NZA 2017, 1557 (1560), der Weisungskonflikte grundsätzlich nach der Konzernhierarchie auflösen will. 4 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1560). 5 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1561). 6 Maschmann, NZA 2017, 1557 (1561); Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (100). 7 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (101). 8 Schockenhoff, ZHR 180 (2016), 197 (213 ff.).

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11.14

§ 11 Rz. 11.14

Matrixorganisationen

det1. Die Rechtsprechung des BAG behandelt Matrixmanager insoweit, wie diese in einen fremden Betrieb hineinregieren, als in diesen fremden Betrieb eingegliedert2. Selbst wenn die örtliche Betriebsleitung den Matrixmanager nicht steuern kann, weil sie ihm hierarchisch nicht übergeordnet ist3, hat dies zur Konsequenz, dass die Handlungen des Matrixmanagers – betriebsverfassungsrechtlich gesehen – der örtlichen Betriebsleitung zugerechnet werden.

a) Beteiligung in personellen Angelegenheiten 11.15 Wird einem Matrixmanager die Kompetenz übertragen, in einen fremden Betrieb hineinzuregieren, liegt betriebsverfassungsrechtlich eine Einstellung des Matrixmanagers in diesen fremden Betrieb vor4. Dass der Matrixmanager zugleich in demjenigen Betrieb eingestellt ist, bei dem er örtlich einen Arbeitsplatz hat, steht der Einstellung nicht entgegen; der Matrixmanager gehört parallel mehreren Betrieben an5. Der Betriebsrat des örtlichen Betriebes ist vor dieser Einstellung nach § 99 BetrVG zu beteiligen. Ein etwaig bestehender Gesamt- oder Konzernbetriebsrat ist nicht zuständig, da es sich um eine örtliche Angelegenheit handelt6. Zu beachten ist, dass der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung nicht deshalb verweigern darf, weil die Stelle des Matrixmanagers im Vorfeld nicht nach § 93 BetrVG betriebsintern ausgeschrieben wurde. Denn die Ausschreibung muss nur dann erfolgen, wenn in dem örtlichen Betrieb überhaupt ein neuer Arbeitsplatz geschaffen werden soll und dies ist mit Blick auf die Stelle des Matrixmanagers gerade nicht beabsichtigt7. Keine Beteiligung des örtlichen Betriebsrates findet allerdings statt, wenn es sich bei dem Matrixmanager um einen leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 und 4 BetrVG handelt. Dies wird bei Matrixmanagern regelmäßig der Fall sein8. In diesem Fall muss der örtliche Betriebsrat lediglich nach § 105 BetrVG informiert werden9.

11.16 Umgekehrt bedeutet dies, dass Arbeitnehmer, die der Weisungsmacht eines betriebsfremden Matrixmanagers unterworfen werden, dadurch nicht in dem Betrieb eingestellt werden, von dem aus der Matrixmanager diese Weisungen erlässt. Sie bleiben allein ihrem örtlichen Betrieb zugeordnet. Im Regelfall handelt es sich auch um keine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG, sondern um einen bloßen Vorgesetztenwechsel10. Für Mitarbeiter, die der Weisungsmacht des Matrixmanagers unterwor-

1 Vgl. zur konzernunternehmensübergreifenden, internationalen Matrix, LAG Köln v. 17.7.2020 – 9 TaBV 73/1, juris Rz. 35 ff. Dies gilt jedenfalls, sofern dem Matrixmanager kein disziplinarisches Weisungsrecht übertragen wird, Günther/Böglmüller, NZA 2017, 546 (548); Kort, BB 2021, 1204 (1207 und 1210); Reinhard, ArbRB 2019, 369 (370); zweifelnd hingegen Schrader, NZA 2019, 951 (958). 2 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300, Leitsatz 1; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan) = juris Rz. 17. 3 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300 = juris Rz. 23; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan), Orientierungssatz 2; a.A. Kort, BB 2021, 1204 (1210); Reinhard, ArbRB 2019, 369 (371). 4 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300, Leitsatz 1; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan) = juris Rz. 17; zur konzernunternehmensübergreifenden, internationalen Matrix LAG Köln v. 17.7.2020 – 9 TaBV 73/1, juris Rz. 45 ff. 5 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300 = juris Rz. 24; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan), Orientierungssatz 1; Kort, BB 2021, 1204 (1208 f.). 6 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300 = juris Rz. 33 ff.; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan), Orientierungssatz 1. 7 BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300 = juris Rz. 41 ff. 8 Fritz, NZA-Beilage 2018, 98 (98); dazu auch Witschen, RdA 2016, 38 (46). 9 Bachner, NZA 2019, 134 (136). 10 Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2231); Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 27; Kort, BB 2021, 1204 (1211); a.A. Bachner, NZA 2019, 134 (135).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 11.19 § 11

fen werden, muss das Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG deshalb grundsätzlich nicht durchgeführt werden.

b) Weitere Mitbestimmungsfragen Auch wenn Unternehmen oder Konzerne als Matrix organisiert sind, ändert dies nichts an dem 11.17 Grundsatz, dass die Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten den örtlichen Betriebsräten zugewiesen ist. Die Zuständigkeit von Gesamt- oder Konzernbetriebsräten bleibt weiterhin die Ausnahme (§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 2 BetrVG). Allein der Wunsch des Arbeitgebers, eine Regelung lieber mit dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat auszuhandeln, kann deren Zuständigkeit nicht begründen1. Allerdings können sich aus einer Matrixstruktur Sachzwänge ergeben, die es notwendig machen, dass bestimmte Regelungsfragen unternehmens- oder konzernweit einheitlich geregelt werden. Nur wenn die Funktionsweise der Matrix eine betriebsübergreifend einheitliche Regelung sachlich erzwingt, kann sich eine originäre Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats ergeben2.

11.18

Hinweis: Theoretisch könnte der Arbeitgeber die Struktur seiner Betriebsräte anpassen, indem er Zuordnungsvereinbarungen nach § 3 BetrVG als Tarifvertrag oder durch Betriebsvereinbarung schließt. Ist das Unternehmen tarifgebunden, muss die Zuordnungsvereinbarung zwingend in der Form eines Tarifvertrags geschlossen werden, so dass eine sachlich und örtlich umfassend tarifzuständige3 Gewerkschaft beteiligt werden muss. Für die Tarifbindung reicht bereits, dass im Unternehmen irgendeine Frage tarifvertraglich geregelt ist, wobei der Tarifvertrag allerdings aufgrund normativer Wirkung i.S.d. § 4 TVG und nicht bloß aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme gelten muss4. Dass es überhaupt sinnvoll wäre, in einer Matrixstruktur von der – auch in der Matrix grundsätzlich funktionsfähigen – gesetzlichen Betriebsratsstruktur abzuweichen, muss für die meisten Fälle bezweifelt werden5. Insbesondere lassen sich die überschneidenden Kompetenzen der Matrixmanager nicht in entsprechenden überschneidenden Betriebsratszuständigkeiten abbilden, da das Betriebsverfassungsrecht dem zwingenden Prinzip folgt, dass für jede Organisationseinheit immer nur ein örtlicher Betriebsrat zuständig sein kann6. Hinzu kommt, dass Entscheidungsprozesse in Matrixstrukturen häufig dynamisch angepasst werden, während eine Zuordnungsvereinbarung auf Dauer angelegt werden muss, um sinnvoll funktionieren zu können7.

Die Übertragung des fachlichen Weisungsrechts auf den Matrixmanager ist für sich genommen nicht nach § 87 BetrVG mitbestimmt8. Die Einführung einer Matrixorganisation kann sich allerdings als Betriebsänderung i.S.d. §§ 111, 112 BetrVG darstellen, wenn sie auf betrieblicher Ebene eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation oder des Betriebszwecks nach sich zieht9. Für die Verhandlung eines Interessenausgleichs und Sozialplans wäre dann der Konzern- oder Gesamt1 LAG Nürnberg v. 23.2.2021 – 6 TaBV 1/21, ZIP 2021, 1461 = juris Rz. 37 ff.; LAG Düsseldorf v. 4.2.2013 – 9 TaBV 129/12, juris Rz. 63 ff.; Bachner, NZA 2019, 134 (139); Witschen, RdA 2016, 38 (48); MüllerBonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2233); vgl. auch BAG v. 12.6.2019 – 1 ABR 5/18, ArbRB 2019, 300 = juris Rz. 33 ff.; BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 13/18, ArbRB 2020, 9 (Steffan), Orientierungssatz 1. 2 Witschen, RdA 2016, 38 (48); Rieble, NZA-Beilage 2014, 28 (29). 3 BAG v. 29.7.2009 – 7 ABR 27/08, ArbRB 2010, 11 = juris Rz. 24. 4 BAG v. 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, ArbRB 2013, 272 = juris Rz. 40. 5 Kort, NZA 2013, 1318 (1321 f.); Kort, BB 2021, 1204 (1207 f.); Witschen, RdA 2016, 38 (44); Rieble, NZABeilage 2014, 28 (30). 6 Rieble, NZA-Beilage 2014, 28 (29); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2233); Reinhard, ArbRB 2019, 369 (370). 7 Rieble, NZA-Beilage 2014, 28 (30). 8 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 26; Kort, BB 2021, 1204 (1209). 9 Kort, NZA 2013, 1318 (1320, 1326); Kort, BB 2021, 1204 (1211 f.); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2230); zweifelnd Bachner, NZA 2019, 134 (138 f.);

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11.19

§ 11 Rz. 11.19

Matrixorganisationen

betriebsrat zuständig, da die Matrixorganisation naturgemäß nach einem konzernweit oder wenigstens unternehmensweit einheitlichen Gesamtkonzept errichtet werden muss1. Durch die bloße Einführung einer Matrixorganisation entstehen Mitarbeitern im Regelfall keine unmittelbaren wirtschaftlichen Nachteile, die im Rahmen eines Sozialplanes ausgeglichen werden müssten – darauf, dass Matrixmanager später Entscheidungen treffen könnten, die solche Nachteile nach sich ziehen, kommt es nicht an2. Dem Beteiligungsrecht kommt deshalb nur eine untergeordnete Bedeutung zu.

3. Datenschutzrecht 11.20 Matrixstrukturen bringen es mit sich, dass Entscheidungen in der Personalführung aus den örtlichen Betriebseinheiten herausgenommen und auf eine überbetriebliche Unternehmens- oder Konzernebene verlagert werden. Anders als die Führungskräfte in den Betrieben vor Ort, begegnet der Matrixmanager den Mitarbeitern, die er anweist, nur im Ausnahmefall von Angesicht zu Angesicht und lernt sie oft nur oberflächlich persönlich kennen. Damit er trotzdem erfährt, mit wem er es vor Ort zu tun hat, müssen personenbezogene Mitarbeiterdaten gesammelt und dem Matrixmanager i.d.R. elektronisch zugänglich gemacht werden.

11.21 Jeder Transfer personenbezogener Daten innerhalb der Matrixstruktur muss für die betroffenen Mitarbeiter transparent und nachvollziehbar sein. Geheimdatenbanken darf der Konzern nicht führen (Art. 5 Abs. 1 lit. a DSGVO). Besteht die Matrixorganisation aus mehreren Konzernunternehmen, stellt sich die Frage, ob diese Konzernunternehmen Beschäftigtendaten in gemeinsamer Verantwortung gem. § 26 DSGVO verarbeiten (vgl. Rz. 12.8 ff.). Ist dies nicht der Fall, ist jede Weiterleitung personenbezogener Mitarbeiterdaten an einen Matrixmanager einer fremden Konzerngesellschaft eine Datenweitergabe an einen externen Dritten3. Konsequenz ist, dass der Vertragsarbeitgeber seinen Mitarbeiter nach Art. 13 Abs. 1 lit. e, Art. 14 Abs. 1 lit. e DSGVO darüber informieren muss, dass und welche personenbezogenen Daten in einer Matrix weitergegeben werden. Das Konzernunternehmen des Matrixmanagers, welches die personenbezogenen Daten erhält, muss den Mitarbeitern mitteilen, welche Kategorien personenbezogener Daten es von ihnen erhalten hat und sie gem. Art. 13, 14 DSGVO über die Art und Weise der Verarbeitung informieren. Um diesen Informationspflichten gerecht zu werden, kann der Konzern konzerneinheitliche Datenschutzerklärungen erstellen, die den Mitarbeitern alle vorgeschriebenen Einzelheiten über den Datentransfer in der Matrix erläutern.

11.22 Materiell bedarf jede Datenübermittlung an den Matrixmanager einer datenschutzrechtlichen Rechtfertigung gem. § 26 Abs. 1 BDSG, Art. 6 DSGVO. Dies gilt unabhängig davon, ob der Datentransfer innerhalb des Organisationsbereichs eines Verantwortlichen liegt oder an dritte Konzernunternehmen erfolgt4. Informationsbedürfnisse, die sich aus dem Organisationskonzept der Matrix ergeben, stellen zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse dar, welches Datenübermittlungen rechtfertigen kann. Allerdings gilt dies nur insoweit, wie die übermittelten Daten jeweils erforderlich sind5.

11.23 Werden personenbezogene Daten an Konzernunternehmen außerhalb der europäischen Union übermittelt, d.h. in sog. Drittländer, müssen die Voraussetzungen nach Art. 44 ff. DSGVO vorliegen. Bewertet die EU-Kommission das Datenschutzniveau des betreffenden Drittlandes durch Angemessenheitsbeschluss förmlich als angemessen (Art. 45 DSGVO), ergeben sich keine erhöhten Anforderungen. Andernfalls hat der Konzern die Pflicht, geeignete Garantien für die Datenübermittlung zu schaffen. Z.B können zwischen den Konzernunternehmen von der EU-Kommission vorformulierte 1 2 3 4 5

Kort, NZA 2013, 1318 (1320); Müller-Bonanni/Mehrens, ZIP 2010, 2228 (2232 f.). Kort, NZA 2013, 1318 (1320). Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 5 Rz. 2. Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 5 Rz. 32. Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 5 Rz. 111.

242

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 11.27 § 11

Standarddatenschutzklauseln vereinbart werden (Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO)1. In jedem Fall müssen alle Mitarbeiter über den Transfer ihrer personenbezogenen Daten in ein Drittland informiert werden (Art. 13 Abs. 1 lit. f, Art. 14 Abs. 1 lit. f DSGVO). Unter gemeinsam verantwortlichen (Art. 26 DSGVO) Konzernunternehmen ist die Einrichtung von 11.24 konzernweiten „Skill-Datenbanken“ nach § 26 Abs. 1 BDSG zulässig, um Stellen entsprechend im Konzern vorhandener Fähigkeiten so gut wie möglich besetzen zu können2. Stehen sich die Konzernunternehmen hingegen in einer Drittbeziehung gegenüber, kann die Zulässigkeit zweifelhaft sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich aus den Datenbanken aussagekräftige Informationen über die Persönlichkeit der betroffenen Arbeitnehmer ergeben3. Überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass nur pseudonymisierte Informationen in die Skill-Datenbank aufgenommen werden dürfen und der Vertragsarbeitgeber die hinter dem Pseudonym verborgene Identität seiner Arbeitnehmer erst auf konkrete Anfrage eines fremde Konzernunternehmens offenlegen darf 4. Anders ist dies hingegen, wenn Mitarbeiter darin einwilligen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a, Art. 7 DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG), dass ihre persönliche Identität in der Skill-Datenbank offengelegt wird5 (vgl. eingehend zu den datenschutzrechtlichen Anforderungen an Skill-Datenbanken, Rz. 25.17).

III. Best Practice 1. Bevollmächtigung der Matrixmanager Unternehmen, die Matrixstrukturen aufbauen, sollten ihre Berichtslinien transparent regeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Matrix mehrere Konzernunternehmen umfasst und arbeitsrechtliche Weisungen gesellschaftsrechtliche Grenzen überschreiten. In diesem Fall sollte nachvollziehbar festgelegt werden, auf welcher rechtlichen Grundlage der Matrixmanager dazu ermächtigt ist, in fremde Konzernunternehmen „hineinzuregieren“.

11.25

Fehlt es an eindeutigen Festlegungen, müsste diese Frage im Streitfall durch Auslegung des stillschweigenden Erklärungsverhaltens der verschiedenen Konzerngesellschaften geklärt werden (§§ 133, 157 BGB). Richtigerweise wäre in den meisten Fällen von einer konkludenten Bevollmächtigung (§§ 164 ff. BGB, dazu Rz. 11.6) des Matrixmanagers durch den Vertragsarbeitgeber auszugehen, ggf. im Wege einer Duldungsvollmacht6. Darauf, dass Gerichte im Streitfall die Konzernverhältnisse tatsächlich so verstehen, können sich Arbeitgeber jedoch nicht verlassen. Ebenso ist vorstellbar, dass Gerichte die schwebende Unwirksamkeit der Weisungen des Matrixmanagers annehmen (dazu Rz. 11.11). Auch könnte nach dem Verständnis des Richters ein Fall (illegaler) Arbeitnehmerüberlassung, Doppelarbeitsverhältnisse7 oder ein einheitliches Arbeitsverhältnis im Konzern8 vorliegen (zu diesen Gestaltungen Rz. 11.8). Diesem Beurteilungsrisiko sollten sich Konzerne nicht aussetzen.

11.26

Hinweis:

11.27

Sind in Konzernstrukturen die Berichtslinien zwischen den Konzernunternehmen nicht eindeutig geregelt und werden zwischen den verschiedenen Konzernunternehmen übergreifende Weisungen ausgesprochen,

1 Eingehend zu alledem Geppert, ZD 2018, 62 (62 ff.); Wybitul/Ströbel/Ruess, ZD 2017, 503 (503 ff.). 2 Grimm in Tschöpe, 6. Teil F. VII. Rz. 287. 3 Seifert in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 88 DSGVO Rz. 179; Riesenhuber in BeckOK Datenschutzrecht, 38. Ed. Stand: 1.11.2021, § 26 BDSG Rz. 183. 4 Seifert in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 88 DSGVO Rz. 179; Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 120. 5 Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 1 Rz. 118. 6 Kort, NZA 2013, 1318 (1319 f.). 7 Dazu Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 126 f. 8 Dazu Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 113 ff.

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§ 11 Rz. 11.27

Matrixorganisationen

führt dies typischerweise im Kündigungsrechtsstreit zu Problemen. Oft ist nicht klar, mit welchem Konzernunternehmen das Arbeitsverhältnis des zu kündigenden Mitarbeiters besteht und welches Konzernunternehmen demnach die Kündigung erklären (oder einen etwaigen Aufhebungsvertrag gegenzeichnen) muss. Normalerweise wäre dies der Vertragsarbeitgeber. Sollte es allerdings innerhalb des Konzern zu einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung gekommen sein, hätte diese ein fiktives Arbeitsverhältnis mit einer anderen Konzerngesellschaft begründet (§§ 9, 10 AÜG). Liegen Doppelarbeitsverhältnisse vor, müssten diese gesondert beendet werden1. Bei der Beendigung eines einheitlichen Konzernarbeitsverhältnisses ist dagegen erforderlich, dass alle daran beteiligten Konzernunternehmen gemeinsam mitwirken2.

11.28 Im Regelfall empfiehlt es sich, den Matrixmanager durch Vollmacht gem. §§ 164 ff. BGB zu ermächtigen. Andere rechtliche Gestaltungsvarianten sind dagegen in den meisten Fällen unnötig kompliziert und aufwendig (vgl. Rz. 11.8). Um Transparenz zu schaffen, sollte die Vollmacht durch ausdrückliche Erklärung der jeweiligen Vertragsarbeitgeber der weisungsunterworfenen Arbeitnehmer gem. § 167 Abs. 1 BGB erteilt werden. Dabei ist zudem zu definieren, wie weit die Vollmacht reicht. Die Erteilung der Vollmacht ist an keine Form gebunden. Die Erklärung kann also in einer Rundmail an die Gesamtbelegschaft erfolgen (vgl. Rz. 11.6).

11.29 Folgende Formulierung wäre denkbar: M 11.1 Festlegung von Matrixstrukturen durch Bevollmächtigung Betreff: Wichtig: Neue unternehmensübergreifende Berichtslinien innerhalb unseres Konzerns Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ich möchte Sie namens Ihres Arbeitgeberunternehmens, der … (nachgehend „Ihr Arbeitgeberunternehmen“)3 darüber informieren, dass innerhalb unseres Konzerns unternehmensübergreifende Berichtslinien festgelegt wurden. Bitte lesen Sie diese E-Mail deshalb gründlich. Als zusammenfassende Organisationseinheiten des Konzerns, dem Ihr Arbeitgeberunternehmen angehört, wurden die Segmente – „Entwicklung“, – „Produktion“, – „Vertrieb“ – „IT-Systeme“ und – „Human Resource“ gebildet. Für die Segmente werden konzernweit autorisierte Leitungspersonen als zuständige Segmentleiter benannt. Der innerhalb unseres Konzerns jeweils benannte Segmentleiter ist durch Ihr Arbeitgeberunternehmen stets bevollmächtigt (§ 164 Abs. 1 BGB)4, fachliche Arbeitsanweisungen (§ 106 GewO) gegenüber allen Mitarbeitern auszusprechen, die im sachlichen Zusammenhang mit seinem Segment stehende Arbeitsaufgaben ausführen. Insbesondere gilt dies für alle Mitarbeiter, deren Haupttätigkeit einem der genannten Segmente

1 Dazu Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 259 ff. 2 Dazu Maschmann in Maschmann/Fritz, Kapitel 3 Rz. 257 f. 3 Das Rundschreiben muss durch diejenige Konzerngesellschaft herausgegeben werden, die Vertragsarbeitgeber der weisungsunterworfenen Arbeitnehmer ist, denn nur diese Gesellschaft ist berechtigt, andere Personen zur Ausübung ihres Arbeitgeberdirektionsrechts (§ 106 GewO) zu bevollmächtigen. 4 Auch wenn der Verweis auf Rechtsvorschriften den Lesefluss stört, empfiehlt er sich. Denn das Rundschreiben soll gerade Klarheit hinsichtlich der rechtlichen Grundlage der Weisungsmacht der Matrixmanager schaffen.

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III. Best Practice

Rz. 11.29 § 11

zuzuordnen ist. Für diese Mitarbeiter hat der Segmentleiter die Stellung eines weiteren Fachvorgesetzten. Bitte behandeln Sie ihn deshalb auch so. Als Arbeitnehmer sind Sie verpflichtet, die fachlichen Arbeitsanweisungen Ihres zuständigen Segmentleiters umzusetzen. Erteilt der Segmentleiter Ihnen fachliche Arbeitsanweisungen, so geschieht dies namens Ihres Arbeitgeberunternehmens1, sofern nicht ausnahmsweise anderes zum Ausdruck gebracht wird. Das fachliche Weisungsrecht des Segmentleiters beschränkt sich auf segmentbezogene Sachfragen und Aufgaben2. Es besteht unabhängig davon, ob der Segmentleiter Mitarbeiter Ihres Arbeitgeberunternehmens ist oder einer anderen Konzerngesellschaft angehört. Wechseln Segmentleiter, geht das fachliche Weisungsrecht stets auf den jeweiligen Funktionsnachfolger über3. Wer die unterschiedlichen Segmente jeweils leitet, wird jederzeit aktualisiert auf der Webseite unseres Konzerns sowie in Rundschreiben bekannt gegeben. Derzeit sind folgende Segmentleiter benannt: – Herr Theodor Tüftler leitet das Segment „Entwicklung“, – Herr Schorsch Schrauber leitet das Segment „Produktion“, – Frau Dr. Dorothea Dealer leitet das Segment „Vertrieb“, – Herr Baltasar Bug leitet das Segment „IT-Systeme“ und – Herr Michael Menschlich leitet das Segment „Human Resource“ … Ihre arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten werden durch diese Organisationsentscheidung nicht verändert. Auch die Kompetenzen Ihrer bisherigen Vorgesetzten bleiben unberührt. Angelegenheiten, die nicht fachbezogen sind, sondern Ihre persönliche Stellung im Unternehmen betreffen, z.B. ihre persönliche Entwicklung, Urlaubserteilung, Vertragsangelegenheiten und Ähnliches sind weiterhin ausschließlich mit ihren bisherigen Vorgesetzten zu erörtern4. Wir freuen uns, dass unsere Unternehmensgruppe auf diese Weise noch stärker zusammenwächst und alle Mitarbeiter schnellere und direktere Berichtswege nutzen können. Für alle Fragen stehen Ihnen die Mitarbeiter der Personalabteilung jederzeit gerne zur Verfügung. Mit freundlichem Gruß … …5

1 Der bei einer fremden Konzerngesellschaft angestellte Matrixmanager muss ausreichend zum Ausdruck bringen, dass er die Weisung nicht im Namen dieser fremden Konzerngesellschaft, sondern im Namen des Arbeitgeberunternehmens ausspricht (sog. Offenkundigkeitsprinzip, § 164 Abs. 2 BGB). Da dafür im Arbeitsalltag keine Zeit ist, sollte dies bereits im Zusammenhang mit der Bevollmächtigung verdeutlich werden. 2 Die Reichweite des Weisungsrechtes des Matrixmanagers sollte definiert werden. 3 Die Bevollmächtigung sollte nicht personenbezogen, sondern funktionsbezogen erfolgen. Andernfalls müsste die Vollmacht immer neu erklärt werden, wenn die Person eines Matrixmanagers wechselt. 4 Nach h.M. kann das disziplinarische Weisungsrecht nicht an einen Matrixmanager im Wege der Bevollmächtigung übertragen werden. Würde dies trotzdem versucht, kann dies unabsehbare rechtliche Folgen nach sich ziehen, z.B. die Unwirksamkeit der Vollmacht (§ 139 BGB) oder die Begründung von Gemeinschaftsbetrieben oder Betriebsübergängen (vgl. Rz. 11.7). Deshalb empfiehlt sich – auch zur Information der Mitarbeiter – die Klarstellung, dass das disziplinarische Weisungsrecht weiterhin beim Vertragsarbeitgeber bleibt. 5 Das Rundschreiben muss durch vertretungsberechtigte Organe derjenigen Konzerngesellschaft versandt werden, welche Vertragsarbeitgeber der weisungsunterworfenen Arbeitnehmer ist.

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§ 11 Rz. 11.30

Matrixorganisationen

2. Matrixklauseln 11.30 Bislang ist nicht abschließend geklärt, ob und in welchen Situationen die Bevollmächtigung eines unternehmensfremden Matrixmanagers wegen § 613 Satz 2 BGB der Zustimmung der weisungsunterworfenen Arbeitnehmer bedarf (Rz. 11.9). Um hier sicherzugehen, kann eine Matrixklausel in die Standardarbeitsvertragsmuster aufgenommen werden. Auf diese Weise wäre zudem sichergestellt, dass neu ins Unternehmen eintretende Arbeitnehmer stets über die Berichtslinien informiert sind.

11.31 Die Matrixklausel kann wie folgt formuliert werden: M 11.2 Matrixklausel für Arbeitsvertrag § (…) Matrixorganisation im Konzern (1) Als zusammenfassende Organisationseinheiten des Konzerns, dem der Arbeitgeber angehört, sind derzeit die Segmente – „Entwicklung“, – „Produktion“, – „Vertrieb“ – „IT-Systeme“ und – „Personal“ gebildet, für die konzernweit autorisierte Leitungspersonen als zuständige Segmentleiter benannt werden (Matrixorganisation). Der im Konzern jeweils benannte Segmentleiter ist durch den Arbeitgeber bevollmächtigt (§ 164 Abs. 1 BGB), dem Arbeitnehmer namens des Arbeitgebers fachliche Arbeitsanweisungen zu erteilen (§ 106 GewO), soweit a) die Haupttätigkeit des Arbeitnehmers dem Segment des Segmentleiters zugeordnet ist oder der Arbeitnehmer aus anderem Grund Arbeitsaufgaben ausführt, die mit dem Segment in sachlichem Zusammenhang stehen, b) die Arbeitsanweisung segmentbezogene Sachfragen und Aufgaben zum Gegenstand hat und c) die Ausführung der Arbeitsanweisung dem Arbeitnehmer unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zugemutet werden kann. Dies gilt unabhängig davon, ob der Segmentleiter Mitarbeiter des Arbeitgebers ist oder einer anderen Konzerngesellschaft angehört. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, arbeitsrechtliche Weisungen (§ 106 GewO) des Segmentleiters auszuführen, die aufgrund der Vollmacht ausgesprochen werden. Erteilt der Segmentleiter dem Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Weisungen, so geschieht dies namens des Arbeitgebers, sofern nicht ausnahmsweise anderes zum Ausdruck gebracht wird. § 613 Satz 2 BGB wird insoweit abbedungen. Ein disziplinarisches Weisungsrecht besitzt der Segmentleiter aufgrund seiner Funktion als Segmentleiter nicht. (2) Der Arbeitgeber ist jederzeit berechtigt, die Matrixorganisation aufzuheben oder ihre Struktur durch Festlegung anderer Organisationseinheiten oder anderweitig zu ändern, soweit hierdurch die Interessen der Arbeitnehmer nicht unzumutbar beeinträchtigt werden (§ 106 GewO).

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3. Teil Digitale Prozesse und Datenschutz § 12 Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 1. Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 2. Datenschutzbeauftragter . . . . . . . . . . . . 12.15 3. Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.20 4. Datenschutzkonforme Ausgestaltung der Verarbeitungstätigkeiten . . . . . . . . . 12.22

5. Technische und organisatorische Maßnahmen (TOM); Datenpannen . . . . . . . 6. Individualansprüche der Beschäftigten . 7. Datenschutzerklärung . . . . . . . . . . . . . . 8. Dokumentations- und Rechenschaftspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Festlegung von Befugnissen und Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung gesetzeskonformen Datenschutzmanagements . . . . . . . . . . . . . . . .

12.32 12.38 12.44 12.47 12.50 12.51 12.56

Literatur: Artikel-29-Datenschutzgruppe, Leitlinien in Bezug auf Datenschutzbeauftragte (WP 243); Behling, Die datenschutzrechtliche Compliance-Verantwortung der Geschäftsleitung, ZIP 2017, 697 (698); Grimm/ Kühne, § 15 FAO Selbststudium – Erfüllung der Informations- und Unterrichtungspflichten gegenüber Beschäftigten nach der DSGVO – Wie geht das?, ArbRB 2018, 185; Grimm in Tschöpe, Beschäftigtendatenschutz und Social Media, 6. Teil F; Kort, Der Beschäftigtendatenschutz gem. § 26 BDSG-neu, ZD 2017, 319; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, 4. Aufl. 2020; Lezzi/Oberlin, Gemeinsam Verantwortliche in der konzerninternen Datenverarbeitung, ZD 2018, 398; Schreiber, Gemeinsame Verantwortlichkeit gegenüber Betroffenen und Aufsichtsbehörden, ZD 2019, 55; Umnuß, Corporate Compliance Checklisten, 4. Aufl. 2020; von dem Bussche/Voigt, Konzerndatenschutz, 2. Aufl. 2019; Wybitul, Der neue Beschäftigtendatenschutz nach § 26 BDSG und Art. 88 DSGVO, NZA 2017, 413.

I. Worum geht es? Bei nahezu allen Handlungen, Planungen und Prozessen in Unternehmen werden personenbezogene Daten verarbeitet. Schon vor über 30 Jahren, am 1.1.1978, trat in Deutschland die erste Fassung des Bundesdatenschutzgesetzes in Kraft1. Seither ist die Verarbeitung personenbezogener Daten umfassend reguliert. Inhaltlich handelt es sich beim Datenschutzrecht deshalb um eines der Rechtsgebiete mit dem weitreichendsten Anwendungsbereich.

12.1

Dennoch führte das Datenschutzrecht bis vor einigen Jahren in der Beratungs- und Unternehmens- 12.2 praxis ein Schattendasein. Das lag vor allem daran, dass Unternehmen bei Datenschutzverstößen keine abschreckenden Sanktionen zu fürchten hatten. Den Datenschutzbehörden fehlte es an einer ausreichenden personellen Ausstattung, um Datenschutz flächendeckend durchzusetzen. Selbst wenn – in seltenen Fällen – Datenschutzverstöße sanktioniert wurden, durften Bußgelder einen Betrag von 300.000 EUR nicht überschreiten (vgl. § 43 Abs. 3 BDSG a.F.). Dies änderte sich, als der europäische Gesetzgeber mit Wirkung zum 25.5.2018 die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft setz1 BGBl. I Nr. 7 v. 1.2.1977, S. 201.

Singraven/Kohm

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§ 12 Rz. 12.2

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

te. Zeitgleich wurde das BDSG neu gefasst. Seither können die Datenschutzbehörden wegen einzelner materieller Datenschutzverstößen Bußgelder i.H.v. 20.000.000 EUR oder bis zu 4 % des Jahressumsatzes (Art. 83 Abs. 5 DSGVO) gegen Unternehmen verhängen. Nun bauen die Datenschutzbehörden ihre Kapazitäten laufend aus und verhängen Bußgelder in teils siebenstelliger Höhe. Seither stellt das Datenschutzrecht eine Kernherausforderung jeder Unternehmens-Compliance dar und muss unbedingt ernst genommen werden.

12.3 Neben den Daten von Kunden und Geschäftspartnern verarbeiten Unternehmen vor allem die personenbezogenen Daten ihrer Bewerber, Arbeitnehmer und sonstiger Beschäftigter. Im Umgang mit diesen Daten drohen nicht nur Sanktionen der Datenschutzbehörden. Auch viele Betriebsräte setzen sich intensiv für den Beschäftigtendatenschutz ein und konfrontieren die Unternehmensleitung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Datenschutzanforderungen und -verstößen. Elektronische Datenverarbeitungsprozesse können nur unter Beteiligung von Betriebsräten eingeführt werden, wenn sie Arbeitnehmerdaten betreffen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, dazu eingehend Rz. 15.23 ff.). Dies kann lange Verhandlungen mit den Betriebsräten über die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben nach sich ziehen. Deshalb hat sich der Beschäftigtendatenschutz zu einem eigenständigen Rechtsgebiet entwickelt, der in vielen Unternehmen und Unternehmensgruppen eigenständig organisiert wird. Typischerweise wird die operative Hauptverantwortung der Personalabteilung zugewiesen.

12.4 Um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden, genügt es nicht, dass Unternehmen nur auf besonders sensible Daten ein Augenmerk haben. Stattdessen müssen Unternehmen sicherstellen, dass alle praktizierten Datenverarbeitungsprozesse transparent, vertraulich und nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben organisiert sind, soweit sie personenbezogene Daten und speziell Beschäftigtendaten zum Gegenstand haben. Dies kann nur gelingen, wenn Unternehmen eine Datenschutzorganisation aufbauen und methodisches Datenschutzmanagement betreiben. Was mit Blick auf Beschäftigtendaten erforderlich ist, erläutert dieses Kapitel.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 12.5 Um eine gesetzeskonforme und gleichzeitig gut zu handhabende Datenschutzorganisation einzurichten, muss der Arbeitgeber die folgenden Maßnahmen ergreifen: 1. Zunächst müssen in einer Unternehmensgruppe diejenigen Rechtsträger bestimmt werden, welche datenschutzrechtlich verantwortlich bzw. ggf. gemeinsam verantwortlich sind (dazu Rz. 12.6 ff.). 2. Für den Verantwortlichen muss in den meisten Fällen ein Datenschutzbeauftragter (Art. 37–39 DSGVO) bestellt werden (dazu Rz. 12.15 ff.). 3. Sämtliche Datenverarbeitungstätigkeiten, die das Unternehmen praktiziert, sind in dem Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 DSGVO) zu erfassen (dazu Rz. 12.20 f.). 4. Jede Verarbeitungstätigkeit muss datenschutzkonform ausgestaltet werden (§ 26 BDSG). Zu diesem Zweck müssen insbesondere angemessene Löschfristen für die erhobenen Daten (Art. 17 DSGVO) implementiert werden (dazu Rz. 12.22 ff.). 5. Außerdem muss das Unternehmen angemessene technische und organisatorische Maßnahmen (sog. TOM, Art. 32 DSGVO) ergreifen, um die Datensicherheit zu gewährleisten, auch um u.a. Datenschutzverstößen seiner Mitarbeiter oder Dritter entgegenzuwirken. Für den Umgang mit „Datenpannen“, die trotzdem nicht ausgeschlossen werden können, muss ein fester Prozess etabliert werden (dazu Rz. 12.32 ff.). 6. Im Unternehmen sollte eine zentrale Stelle eingerichtet werden, gegenüber der die Beschäftigten ihre Auskunftsansprüche und sonstigen Individualansprüche gem. Art. 15 ff. DSGVO geltend machen können (dazu Rz. 12.38 ff.).

248

Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.9 § 12

7. Sobald die Festlegungen getroffen sind, müssen alle Arbeitnehmer und Bewerber in Datenschutzerklärungen ordnungsgemäß über die Datenverarbeitungstätigkeiten des Unternehmens informiert (Art. 13, 14 DSGVO) werden (dazu Rz. 12.44 ff.). 8. Sämtliche Maßnahmen zum Datenschutz müssen unternehmensintern in einer Form dokumentiert werden, die eine Rechenschaft erlaubt (Art. 5 Abs. 2 DSGVO) (dazu Rz. 12.47 ff.).

1. Datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit Adressat aller datenschutzrechtlichen Organisations- und Handlungspflichten ist der Verantwortliche nach Art. 4 Ziff. 7 DSGVO. Der Begriff des Verantwortlichen bestimmt zum einen, welche Stelle die datenschutzrechtlichen Organisationspflichten erfüllen muss1. Zum anderen legt der Begriff des Verantwortlichen fest, auf welche Datenverarbeitungsvorgänge sich diese datenschutzrechtlichen Pflichten beziehen, nämlich sämtliche Datenverarbeitungsvorgänge, die dem Herrschaftsbereich des Verantwortlichen deshalb zuzurechnen sind, weil sie seinem tatsächlichen Einfluss unterliegen2. Bevor für diesen Herrschaftsbereich eine ordnungsgemäße Datenschutzorganisation errichtet werden kann, muss deshalb zunächst der Verantwortliche bestimmt und dessen Herrschaftsbereich abgegrenzt werden.

12.6

„Verantwortlicher“ ist jede Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel („Ob“ und „Wie“) der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet (Art. 4 Ziff. 7 DSGVO). Unter der DSGVO ist nicht erforderlich, dass diese Stelle eine natürliche oder juristische Person ist3.

12.7

Von großer Bedeutung ist, dass auch mehrere juristische Personen, insbesondere mehrere Konzern- 12.8 gesellschaften, für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten ihrer Beschäftigten gemeinsam verantwortlich sein können, nämlich, wenn sie gemeinsam die Zwecke und Mittel der Verarbeitung festlegen (Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO). Voraussetzung hierfür ist, dass alle Beteiligten bei der Festlegung dieser Zwecke zu einem maßgeblichen Teil mitentscheiden4. Ob gemeinsame Verantwortlichkeit vorliegt oder nicht, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen ab und kann nicht etwa frei vereinbart werden5. Konzernunternehmen können allerdings gestalterisch tätig werden, um die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse zu beeinflussen, z.B. indem sie unternehmensübergreifende Abstimmungsverfahren einrichten und regulieren oder – wenn sie eine gemeinsame Verantwortlichkeit vermeiden wollen – unterbinden.

12.9

Hinweis: In vielen Fällen empfiehlt es sich, mehrere Konzerngesellschaften rechtlich und tatsächlich als gemeinsam Verantwortliche i.S.d. Art. 26 DSGVO zusammenzufassen. Zumindest im Umgang mit den Informationspflichten nach Art. 13, 14 DSVGO bietet dies erhebliche Vorteile: Diese Informationspflichten werden bei jeder Datenerhebung einer Stelle ausgelöst, die als eigenständiger Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Ziff. 7 DSGVO gilt6. Stehen sich Konzernunternehmen als Dritte gegenüber, müssen die betroffenen Beschäftigten anlässlich jeder Datenübermittlung im Konzern gesondert gem. Art. 14 DSGVO informiert werden7. Da-

1 Kühling/Buchner in Kühling/Buchner, Art. 4 Nr. 7 DSGVO Rz. 6; Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 4 Nr. 1 DSGVO Rz. 20; Schild in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 4 DSGVO Rz. 88 DSGVO. 2 Schild in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 4 DSGVO Rz. 93c. 3 Kort, ZD 2017, 319 (323); Wybitul, NZA 2017, 413 (414); Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 4 Nr. 7 DSGVO Rz. 13 ff. 4 Schreiber, ZD 2019, 55; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 40; Hartung in Kühling/Buchner, Art. 26 DSGVO Rz. 12. 5 Piltz in Gola, Art. 26 DSGVO Rz. 10. 6 Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 14 DSGVO Rz. 10. 7 Knyrim in Ehmann/Selmayr, Art. 14 DSGVO Rz. 8.

Singraven/Kohm

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§ 12 Rz. 12.9

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

gegen ist die Datenübermittlung nicht gesondert informationspflichtig, wenn die Konzernunternehmen als gemeinsam Verantwortliche organisiert sind. Dies ist ein erheblicher Vorteil der gemeinsamen Verantwortung.

12.10 Hochumstritten ist hingegen, ob sich die materiellen Rechtfertigungsanforderungen an eine Konzerndatenübermittlung absenken, wenn sich die Konzernunternehmen als gemeinsam Verantwortliche und nicht als Dritte gegenüberstehen. Richtigerweise bedarf die Konzerndatenübermittlung wie jede Datenverarbeitungstätigkeit einer materiellen Rechtfertigung, deren Anforderungen allerdings abgeschwächt sind, da die personenbezogenen Daten nicht die Kontroll- und Verantwortungssphäre der gemeinsam Verantwortlichen verlassen1. Letztlich sind Unternehmen hier gut beraten, keine pauschale Absenkung anzunehmen, sondern eine Einzelfallbeurteilung vorzunehmen. Datenschutzbehörden können gemeinsam Verantwortliche bei Datenschutzverstößen des jeweils anderen Konzernunternehmens in Anspruch nehmen, wobei sie allerdings ihr Auswahlermessen sachgerecht ausüben müssen2. Gegenüber der betroffenen Person haften gemeinsam Verantwortliche als Gesamtschuldner (Art. 26 Abs. 3, Art. 82 Abs. 4 DSGVO).

12.11 Besteht zwischen Konzernunternehmen keine gemeinsame Verantwortlichkeit, beurteilt sich die Zulässigkeit des Datentransfers nach den (erhöhten) Anforderungen der Datenübermittlung an einen Dritten. Das übermittelnde Konzernunternehmen ist allerdings nur für die Rechtmäßigkeit des Datenübermittlungsvorganges als solchen verantwortlich. Ist die Datenübermittlung zulässig, kann es für die weitergehende datenverarbeitende Tätigkeit des Dritten nicht mehr verantwortlich gemacht werden.

12.12 Besteht im Konzern eine übergreifende Personalabteilung bei der Konzernmutter oder als SharedService-Center, auf deren Personaldatenbestände sämtliche Tochtergesellschaften zugreifen, werden die Personaldaten durch die beteiligten Konzerngesellschaften i.d.R. im Wege gemeinsamer Verantwortlichkeit nach Art. 26 DSGVO verarbeitet3. Anders stellt es sich dagegen dar, wenn ein Tochterunternehmen, z.B. in einem anderen Mitgliedsstaat der EU, die Personalverwaltung eigenständig organisiert und abwickelt. Solche Tochterunternehmen sind Dritte. Prinzipiell ist auch denkbar, dass die Personalabteilung voneinander unabhängigen Konzerngesellschaften jeweils als Auftragsverarbeiter i.S.d. Art. 28 DSGVO zuarbeitet. Dazu müsste die Personalabteilung allerdings der einseitigen Weisungsmacht der Konzerngesellschaften unterworfen werden, was eher ungewöhnlich wäre4. Die Einordnung hängt letztlich von der Gestaltung und insbesondere dem zugewiesenen Aufgabenbereich ab.

12.13 Gemeinsam Verantwortliche müssen in einer transparenten Vereinbarung festlegen, wer von ihnen welche datenschutzrechtlichen Verpflichtungen erfüllt (Art. 26 Abs. 1 Satz 2, 3 u. Abs. 2 DSGVO). Eine bestimmte Form ist dabei nicht vorgeschrieben. Aus Nachweisgründen empfiehlt sich aber eine Vereinbarung in Schrift- oder Textform5. Insbesondere muss transparent festgelegt werden, welche Gesellschaft die Individualansprüche der betroffenen Personen nach Art. 13 ff. DSGVO erfüllt. Diese Festlegungen müssen den betroffenen Personen bekannt gemacht werden (Art. 26 Abs. 2 Satz 2 DSGVO), damit sie wissen, an welche Stelle sie sich mit ihren Ansprüchen wenden sollten. Bindend ist diese Festlegung für die betroffenen Personen allerdings nicht (Art. 26 Abs. 3 DSGVO).

1 Wie hier Martini in Paal/Pauly, Art. 26 DSGVO Rz. 3a; gegen jedes Rechtfertigungserfordernis Piltz in Gola, Art. 26 DSGVO Rz. 8; differenzierend BeckOK Datenschutzrecht/Spoerr, Stand: 1.11.2021, Art. 26 DSGVO Rz. 23; genauso hohe Anforderungen wie bei Übermittlung an einen Dritten stellen dagegen Hartung in Kühling/Buchner, Art. 26 DSGVO Rz. 27; Dovas, ZD 2016, 512 (515). 2 Schreiber, ZD 2019, 55 (59); Martini/Fritzsche, NVwZ 2015, 1497 (1499). 3 Hartung in Kühling/Buchner, Art. 26 DSGVO Rz. 18; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 40; Lezzi/Oberlin, ZD 2018, 398 (403). 4 Petri in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 28 DSGVO Rz. 24. 5 Hartung in Kühling/Buchner, Art. 26 DSGVO Rz. 52; Piltz in Gola, Art. 26 DSGVO Rz. 14.

250

Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.15 § 12

Hochumstritten war in der Vergangenheit1, ob der Betriebsrat ein eigenständiger Verantwortlicher ist oder ob er als unselbständiger Teil der Datenschutzorganisation des verantwortlichen Arbeitgebers gilt. Der deutsche Gesetzgeber hat versucht, diese Frage im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes2 zu regeln. In einem neuen § 79a Satz 2 BetrVG ist nunmehr festgelegt, dass Datenverarbeitungen des Betriebsrates dem Arbeitgeber zugerechnet werden und allein der Arbeitgeber als Verantwortlicher i.S.d. Art. 4 Nr. 7 DSGVO gilt. Unklar bleibt allerdings, wie dies praktisch funktionieren soll: Der Arbeitgeber wird dadurch nämlich für Datenverarbeitungen in der vor seinem Zugriff geschützten Betriebsratssphäre verantwortlich gemacht, die er – zumindest nach bisheriger Rechtslage – nicht kontrollieren kann. Z.T. wird deshalb vertreten, dem Arbeitgeber müsse wegen des Geltungsvorranges des europäischen Datenschutzrechtes nunmehr ein Weisungsrecht gegenüber dem Betriebsrat in Fragen der Datenverarbeitung zuerkannt werden3. Dies dürfte zu weit gehen. Richtigerweise hat der Arbeitgeber nur die Möglichkeit, bei (allzu gravierenden) Datenschutzverstößen durch den Betriebsrat den Ausschluss der verantwortlichen Betriebsratsmitglieder aus dem Betriebsrat oder die Auflösung des Betriebsrates insgesamt zu beantragen (§ 23 Abs. 1 BetrVG)4. Fest steht darüber hinaus, dass der Arbeitgeber Auskunftsansprüche des Betriebsrates, z.B. nach § 80 Abs. 2 BetrVG, weder erfüllen muss noch erfüllen darf, wenn sie sich auf besonders sensible personenbezogene Daten beziehen und innerhalb der Betriebsratsorganisation keine ausreichenden Datenschutzmaßnahmen implementiert sind5. Außerdem muss der Betriebsrat dem Arbeitgeber seine Datenverarbeitungstätigkeiten mitteilen, damit der Arbeitgeber diese in das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (dazu Rz. 12.20) aufnehmen kann6. Der Betriebsrat wird durch den Datenschutzbeauftragten des Arbeitgebers beraten und überwacht. Allerdings darf der Datenschutzbeauftragte dem Arbeitgeber keine Informationen zukommen lassen, die Rückschlüsse auf den Meinungsbildungsprozess des Betriebsrates zulassen7.

12.14

2. Datenschutzbeauftragter Nichtöffentliche Stellen, die in der Regel mindestens zwanzig Personen ständig mit der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten beschäftigen, müssen in Deutschland einen Datenschutzbeauftragten bestellen (§ 38 BDSG i.V.m. Art. 37 Abs. 4 DSGVO). Da der Begriff der automatisierten Verarbeitung weit gefasst ist, betrifft dies alle Unternehmen mit mindestens zwanzig Büroarbeitsplätzen8.

1 Dafür LBfDI Baden-Württemberg, 34. Tätigkeitsbericht 2018, S. 37 f.; LBfDI Thüringen, 1. Tätigkeitsbericht zum Datenschutz nach der DS-GVO 2018, S. 65 f.; LAG Sachsen-Anhalt v. 18.12.2018 – 4 TaBV 19/17, juris Rz. 51; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 15.5.2019 – 3 TaBV 10/18, juris Rz. 21; Kurzböck/ Weinbeck, BB 2020, 500 (500 f.); Maschmann, NZA 2020, 1207; Kleinebrink, DB 2018, 2566; Kort, ZD 2017, 319 (323); Wybitul, NZA 2017, 413 (414); Gola in Gola, Art. 4 DSGVO Rz. 56; unsicher Althoff, ArbRAktuell 2018, 414; a.A. LAG Hessen v. 10.12.2018 – 16 TaBV 130/18, juris Rz. 34; Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 154; Raschauer in Sydow, Art. 4 DSGVO Rz. 131; Hartung in Kühling/Buchner, Art. 4 Nr. 7 DSGVO Rz. 11; Bonanni/Niklas, ArbRB 2018, 371. 2 BGBl. 2021 I Nr. 32, S. 1762 ff. 3 Schulze, ArbRAktuell 2021, 211 (212). 4 Dazu ArbG Iserlohn v. 14.1.2020 – 2 BV 5/19, ZD 2020, 595. 5 BAG v. 9.4.2019 – 1 ABR 51/17, ArbRB 2019, 268, Leitsatz; einschr. LAG Köln v. 19.7.2019 – 9 TaBV 125/18, juris Rz. 49 ff. 6 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28899, 22. 7 Dazu Düwell, jurisPR-ArbR 21/2021 Anm. 1. 8 Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, § 38 BDSG Rz. 7 ff.; Kühling/Sackmann in Kühling/ Buchner, § 38 BDSG Rz. 11.

Singraven/Kohm

251

12.15

§ 12 Rz. 12.16

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

12.16 Der Datenschutzbeauftragte steht als Instrument der Selbstkontrolle des Unternehmens neben der Fremdkontrolle durch die Aufsichtsbehörde1. Der Datenschutzbeauftragte kann Beschäftigter des Unternehmens sein (sog. „interner Datenschutzbeauftragter“) oder aufgrund eines Werk-/Dienstvertrages (sog. „externer Datenschutzbeauftragter“) tätig werden (Art. 37 Abs. 6 DSGVO). Ein Konzern kann sich auch einen Gruppendatenschutzbeauftragten bestellen, vorausgesetzt dieser kann von jeder Niederlassung aus leicht erreicht werden (Art. 37 DSGVO). Dafür genügt nach zutreffender h.M., dass der Datenschutzbeauftragte fernmündlich zuverlässig erreichbar ist; örtliche Präsenz ist nicht erforderlich2. Eine juristische Person kann kein Datenschutzbeauftragter sein3.

12.17 Der Datenschutzbeauftragte muss die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderliche Fachkunde und Zuverlässigkeit besitzen (Art. 37 Abs. 4 DSGVO). Dies sind Kenntnisse im Datenschutzrecht, hinreichende Kenntnis über die Techniken der Datenverarbeitung und Verständnis der betrieblichen Abläufe4. Er kann auch nebenamtlich tätig sein, sofern die notwendigen Ressourcen damit sichergestellt sind. Ferner darf das Unternehmen keine Person zum Datenschutzbeauftragten ernennen, die aufgrund ihrer Tätigkeit für das Unternehmen einem Interessenkonflikt unterliegt (Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO). Tätigkeiten, die zu einem Interessenkonflikt führen können, sind z.B. – Leitung des Unternehmens, – Leitung der IT-Abteilung, – Leitung der Personal-Abteilung – Beschäftigung in der IT-Abteilung, wenn in Wahrnehmung der Aufgabe Datenverarbeitungsprozesse wesentlich bestimmt oder beeinflusst werden5.

12.18 Der Datenschutzbeauftragte hat von Gesetzes wegen die Aufgabe, die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Prozesse zu überwachen und die Unternehmensleitung proaktiv auf etwaige Datenschutzmängel aufmerksam zu machen (Art. 39 Abs. 1 lit. a DSGVO). Außerdem berät (Art. 39 Abs. 1 lit. a DSGVO) er, indem er die Anfragen der Unternehmensleitung in Datenschutzanliegen beantwortet. Nach überwiegender Ansicht ist der Datenschutzbeauftragte allerdings kein Überwachungsgarant, der dafür einstehen muss, dass die Datenschutzorganisation „korrekt läuft“6. Auch

1 Heberlein in Ehmann/Selmayr, Art. 37 DSGVO Rz. 9; Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, Art. 37 DSGVO Rz. 1 f. 2 Artikel-29-Datenschutzgruppe, Leitlinien in Bezug auf Datenschutzbeauftragte (WP 243), Rz. 2.3; LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 11; Wybitul/von Gierke, BB 2017, 181 (183); Scheja in Taeger/Gabel, Art. 37 DSGVO Rz. 52; Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, Art. 37 DSGVO Rz. 42; Thode, CR 2016, 714 (717); Lachenmann, ZD-Aktuell 2017, 04257; a.A. Paal in Paal/Pauly, Art. 37 DSGVO Rz. 10; Bergt in Kühling/Buchner, Art. 37 DSGVO Rz. 28. 3 LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 15; Heberlein in Ehmann/ Selmayr, Art. 37 DSGVO Rz. 43; Helfrich in Sydow, Art. 37 DSGVO Rz. 118; Drewes in Simitis/Hornung/ Spiecker, Art. 37 DSGVO Rz. 49; a.A. Baumgartner/Hansch, ZD 2019, 99 (102); Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, Art. 37 DSGVO Rz. 69; Scheja in Taeger/Gabel, Art. 37 DSGVO Rz. 80 ff. 4 Reichold in MünchHBArbR, § 96 Rz. 98; LDI NRW, Häufig gestellte Fragen zu Datenschutzbeauftragten (FAQ), 08/2019, S. 13, 14. 5 LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 21 f.; Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, Art. 38 DSGVO Rz. 35 ff.; Heberlein in Ehmann/Selmayr, Art. 38 DSGVO Rz. 22; Bergt in Kühling/Buchner, 2Art. 38 DSGVO Rz. 40; Paal in Paal/Pauly, Art. 38 DSGVO Rz. 14; Drewes in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 38 DSGVO Rz. 55. 6 LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 27; Lantwin, ZD 2017, 411 (413); von dem Bussche in Plath, Art. 39 DSGVO Rz. 5; Becker in Plath, Art. 41 DSGVO Rz. 7; Drewes in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 39 DSGVO Rz. 2; Wolff in Schantz/Wolff, Das neue Datenschutzrecht, 1. Aufl. 2017, Rz. 911; Haag in Forgó/Helfrich/Schneider, Kapitel 3 Rz. 77; Helfrich in Sydow, Art. 39 DSGVO Rz. 72; Heberlein in Ehmann/Selmayr, Art. 39 DSGVO Rz. 10; andere Auffassung Wybitul, BB

252

Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.19 § 12

ist der Datenschutzbeauftragte von Gesetzes wegen nicht dazu verpflichtet, selbständig Datenschutzmaßnahmen umzusetzen und z.B. das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten zu führen oder Betroffenenrechte nach Art. 15 ff. DSGVO zu erfüllen1. Allerdings ist es umgekehrt nicht ausgeschlossen, dass der Datenschutzbeauftragte neben seinen gesetzlichen Datenschutzaufgaben noch weitere Aufgaben und Pflichten übernimmt (Art. 38 Abs. 6 DSGVO). Nach zutreffender h.M. kann das Unternehmen dem Datenschutzbeauftragten deshalb die Aufgabe, (bestimmte) Datenschutzmaßnahmen selbst umzusetzen, als Zusatzaufgabe übertragen2. Ist der Datenschutzbeauftragte Arbeitnehmer, erfolgt diese Aufgabenübertragung durch arbeitsrechtliche Weisung. Der Arbeitgeber kann den Datenschutzbeauftragten dann anweisen, z.B. das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten selbst zu führen, und dem Datenschutzbeauftragen vorgeben, wie er dabei vorzugehen hat. Soweit der Datenschutzbeauftragte dagegen seine gesetzlichen Kernaufgaben wahrnimmt, insbesondere die datenschutzrechtliche Überwachung und Beratung, agiert er weisungsfrei (Art. 38 Abs. 2 DSGVO)3 und berichtet unmittelbar an die Unternehmensleitung. Die Benennung des Datenschutzbeauftragten erfolgt formfrei, sollte unter Zweckmäßigkeitsgesichts- 12.19 punkten allerdings schriftlich dokumentiert werden4. Wird ein bisher im Unternehmen beschäftigter Arbeitnehmer bestellt, liegt eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG vor. Der Betriebsrat kann bei fehlender Fachkunde und Zuverlässigkeit der Bestellung nach § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG widersprechen5. Die Bestellung des externen oder internen Datenschutzbeauftragten kann (nur) widerrufen werden, wenn ein wichtiger Grund für den Widerruf i.S.d. § 626 BGB gegeben ist (§ 38 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG)6. Die wichtigen Gründe müssen sich aus der Funktion oder Tätigkeit (z.B. Unzuverlässigkeit) ergeben. Das Arbeitsverhältnis des betrieblichen Datenschutzbeauftragten kann während der Bestellung zum Datenschutzbeauftragten und innerhalb eines Jahres nach der Beendigung der Bestellung nur aus wichtigem Grund gem. § 626 BGB gekündigt oder abberufen werden (§ 38 Abs. 2 BDSG i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG). Das gilt ab dem Zeitpunkt der Benennung und somit auch während einer vereinbarten Probezeit7. Während der Dauer des Vertretungsfalls und für eine Nachwirkungsperiode von einem Jahr gilt der Sonderkündigungsschutz auch für einen stellvertretenden Datenschutzbeauftragten8. Die Entscheidung, zukünftig Datenschutzaufgaben durch einen externen Dritten wahrnehmen zu lassen, stellt auch in einer Konzernstruktur keinen Grund für die Abberufung des internen Datenschutzbeauftragten dar9. Derzeit ungeklärt ist, ob der Sonder-

1 2

3 4 5 6 7 8 9

2016, 1077 (1078); Niklas/Faas, NZA 2017, 1091 (1096); Kremer in Laue/Kremer, Das neue Datenschutzrecht in der betrieblichen Praxis, 2. Aufl. 2019, § 6 Rz. 60; Bergt in Kühling/Buchner, Art. 37 DSGVO Rz. 55; Wybitul/von Gierke, BB 2017, 181 (182). LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 27; Bergt in Kühling/ Buchner, Art. 39 DSGVO Rz. 22; Klug in Gola, Art. 39 DSGVO Rz. 2. Artikel-29-Datenschutzgruppe, Leitlinien in Bezug auf Datenschutzbeauftragte (WP 243), Rz. 4.4; Bergt in Kühling/Buchner, Art. 39 DSGVO Rz. 22; Marschall/Müller, ZD 2016, 415 (419); zurückhaltend wegen der Gefahr von Interessenkonflikten Baumgartner/Hansch, ZD 2019, 99 (100); Behling, ZIP 2017, 697 (699); ablehnend Heberlein in Ehmann/Selmayr, Art. 39 DSGVO Rz. 21. Artikel-29-Datenschutzgruppe, Leitlinien in Bezug auf Datenschutzbeauftragte (WP 243), Rz. 3.3; Moos in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2019, Art. 38 DSGVO Rz. 17; Heberlein in Ehmann/Selmayr, Art. 39 DSGVO Rz. 14. LDI NRW, Datenschutzbeauftragte – Antworten auf häufig gestellte Fragen, S. 31; Bergt in Kühling/ Buchner, Art. 37 DSGVO Rz. 32. BAG v. 11.11.1997 – 1 ABR 21/97, juris Rz. 38; Däubler in Däubler/Wedde/Weichert/Sommer, EUDSGVO und BDSG, 2. Aufl. 2020, Art. 37 DSGVO Rz. 20. Zu den Kriterien Lembke in HWK, Art. 39 DSGVO Rz. 27 m.w.N. LAG Nürnberg v. 19.2.2020 – 2 Sa 274/19, RDV 2020, 208 = juris Rz. 67; ArbG Dortmund v. 20.2.2013 – 10 Ca 4800/12, Orientierungssatz 2, RDV 2013, 319; Franzen in ErfK, § 38 BDSG Rz. 10. So das ArbG Hamburg v. 13.4.2016 – 27 Ca 486/15, ArbRB 2016, 231, Leitsatz 2. BAG v. 23.3.2011 – 10 AZR 562/09, ArbRB 2011, 258, Orientierungssatz 3.

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253

§ 12 Rz. 12.19

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

kündigungs- und Abberufungsschutz des Datenschutzbeauftragten europarechtskonform ist; diese Frage hat das BAG dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt1.

3. Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten 12.20 Beschäftigt der Verantwortliche 250 oder mehr Mitarbeiter (Art. 30 Abs. 5 DSGVO)2, muss er sämtliche Datenverarbeitungstätigkeiten, die er praktiziert, in einem schriftlich zu führenden Verzeichnis aller Verarbeitungstätigkeiten tabellarisch dokumentieren (Art. 30 Abs. 1 DSGVO)3. Erfasst werden müssen sämtliche Verarbeitungstätigkeiten, bei denen personenbezogene Daten automatisiert verarbeitet oder in einem Dateisystem gespeichert werden (Art. 2 Abs. 1 DSGVO)4. In der Praxis muss unter Berücksichtigung der Unternehmensstrukturen entschieden werden, ob die Auflistung anhand tatsächlicher Arbeitsprozesse erfolgt oder ggf. auch anhand der genutzten IT-Systeme; gesetzliche Vorgaben dazu gibt es nicht. Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (Art. 4 Nr. 1 DSGVO), unabhängig davon, ob diese in irgendeiner Form sensibel sind (z.B. Name, Aussehen, beliebige Eigenschaften oder Tätigkeiten der Person)5. Im Verzeichnis sind zu jeder Verarbeitungstätigkeit die in Art. 30 Abs. 1 Satz 2 DSGVO enumerativ aufgeführten Angaben aufzunehmen, namentlich Zwecke, betroffene Personen, Datenkategorien, Empfängerkategorien, Löschfristen, etwaige technische und organisatorische Schutzmaßnahmen und eine etwaige Übermittlung in Staaten außerhalb der europäischen Union. Das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten ist als Ausgangspunkt jeder datenschutzrechtlichen Überprüfung durch Datenschutzbehörden gedacht (Erwägungsgrund 82 DSGVO)6. Fehlen in der Dokumentation wesentliche Verarbeitungstätigkeiten, liegt darin regelmäßig ein gewichtiger Verstoß gegen die DSGVO.

12.21 Es versteht sich von selbst, dass sämtliche praktizierten und somit im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten dokumentierten Datenverarbeitungstätigkeiten materiell-rechtlich zulässig sein müssen (dazu Rz. 12.22 ff.). Anlässlich der Zusammenstellung des Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten sollten Unternehmen also die Rechtmäßigkeit sämtlicher Datenverarbeitungstätigkeiten hinterfragen und einzelne Verarbeitungsvorgänge nötigenfalls anpassen oder ganz einstellen (Gap-Analyse).

1 BAG v. 27.4.2021 – 9 AZR 621/19 (A), ZD 2021, 704. 2 Die Verpflichtung soll auch für kleinere Unternehmen bereits dann gelten, wenn sie besondere Kategorien personenbezogener Daten i.S.d. Art. 9 DSGVO verarbeiten (Art. 30 Abs. 5 Halbs. 2 DSGVO). Dies wäre aber streng genommen bei jedem Unternehmen der Fall, da im Zusammenhang mit der Abführung der Kirchensteuer durch die Lohnbuchhaltung stets personenbezogene Daten verarbeitet werden, aus denen die religiöse Überzeugung hervorgeht. 3 Auch wenn die genannte Mitarbeiterzahl nicht erreicht wird, müssen Unternehmen angesichts der allgemeinen datenschutzrechtlichen Rechenschaftspflicht die Art und Weise und Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung dokumentieren (Art. 5 Abs. 2 DSGVO). In der Praxis wird man hier also regelmäßig nicht wesentlich hinter den Maßstäben des Art. 30 DSGVO zurückbleiben können. 4 DSK, Hinweise zum Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten, Art. 30 DS-GVO, S. 1. Die Datenschutzbehörden haben mittlerweile Musterverzeichnisse veröffentlicht, vgl. das Muster der LDI NRW, abrufbar unter: https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Datenschutz/submenu_Verzeichnis-Verarbeitungstaetigkeiten/in dex.php (letzter Abruf 18.1.2022); ebenfalls existieren zahlreiche Softwareanwendungen am Markt, deren Anschaffung und Fragen die Pflege betreffend aber sehr gut vorab abgewogen werden müssen. 5 Schild in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 4 DSGVO Rz. 21a; Karg in Simitis/Hornung/ Spiecker, Art. 4 DSGVO Rz. 22. 6 DSK, Hinweise zum Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten, Art. 30 DS-GVO, S. 2; Hartung in Kühling/Buchner, Art. 30 DSGVO Rz. 12. In der Praxis werden derzeit gleichwohl nicht gesamte Verzeichnisse von den Behörden angefordert.

254

Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.25 § 12

4. Datenschutzkonforme Ausgestaltung der Verarbeitungstätigkeiten Der Verantwortliche muss sicherstellen, dass sämtliche von ihm praktizierten Verarbeitungstätigkeiten datenschutzkonform ausgestaltet werden. Die im Verzeichnis nach Art. 30 DSGVO dokumentierten Verarbeitungstätigkeiten sollten also sämtlich geprüft werden und müsse angepasst oder eingestellt werden, wenn sie sich nicht als gesetzeskonform erweisen (dazu schon Rz. 12.21).

12.22

Soweit es um die Verarbeitung von Beschäftigtendaten geht, richten sich die Anforderungen an eine datenschutzrechtliche Ausgestaltung nach § 26 BDSG. Nach § 26 Abs. 1 BDSG dürfen personenbezogene Beschäftigtendaten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für die Begründung, Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses oder zur Erfüllung gesetzlicher oder kollektivvereinbarungsrechtlicher Arbeitgeberpflichten erforderlich ist. Der Anwendungsbereich des BDSG geht beim Beschäftigtendatenschutz über den Geltungsbereich der DSGVO hinaus und erfasst nach § 26 Abs. 7 BDSG sämtliche Datenverarbeitungstätigkeiten, unabhängig davon, ob diese automatisiert erfolgen oder dazu führen, dass personenbezogene Daten in Dateisystemen gespeichert werden. Jede Verarbeitung, die personenbezogene Arbeitnehmerdaten zum Gegenstand hat, muss deshalb erforderlich sein, auch bloßes Nachfragen oder Nachschauen des Vorgesetzten1.

12.23

„Erforderlich“ versteht sich als die strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes2: Die Datenverarbeitung muss zur Verwirklichung legitimer Zwecke des Arbeitgebers überhaupt geeignet sein und das mildeste aller gleich effektiven Mittel darstellen. Sie muss darüber hinaus im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Maßnahme ist unzulässig, wenn das Interesse des Arbeitnehmers am Ausschluss der Erhebung oder Verwendung seiner personenbezogenen Daten die Verarbeitungsinteressen des Arbeitgebers überwiegt. Die Voraussetzung der Erforderlichkeit darf dabei nicht zu eng verstanden werden, etwa in dem Sinne, dass Erforderlichkeit nur vorliegt, wenn die Datenbeschaffung oder -verwendung „zwingend geboten“ oder gar unverzichtbar ist3. Der Arbeitgeber soll die Daten vernünftigerweise benötigen4. Zur alten Rechtslage ließ das BAG5 unter Hinweis auf die Wirtschaftlichkeit des EDV-Einsatzes bereits die generelle Möglichkeit genügen, dass die Daten im Verlauf des Arbeitsverhältnisses erforderlich werden können. Die Anforderungen steigen allerdings, je intensivere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten mit einer Datenverarbeitung verbunden sind.

12.24

Datenschutzrechtlich kritisch sind Datenverarbeitungstätigkeiten, welche

12.25

– personenbezogene Daten zum Gegenstand haben, die sich auf das Intim- oder Privatleben von Arbeitnehmern beziehen, zu den in Art. 9 DSGVO genannten besonderen Kategorien personenbezogener Daten gehören (Gesundheitsdaten, rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, Gewerkschaftszugehörigkeit, genetischen Daten, biometrischen Daten, Sexualleben und sexuelle Orientierung) oder unter anderen Gesichtspunkten sensibel sind, z.B. eine Profilbildung mittels Persönlichkeitsmerkmalen erlauben6, – heimlich erfolgen (vgl. Rz. 14.8),

1 Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 4; Gola in Gola/Heckmann, § 26 BDSG Rz. 11. 2 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, ArbRB 2014, 70, Orientierungssatz 3; Franzen in ErfK, § 26 BDSG Rz. 10 f. 3 Franzen in ErfK, § 26 BDSG Rz. 9; Lembke in HWK, Art. 88 DSGVO Rz. 23. 4 Lembke in HWK, Art. 88 DSGVO Rz. 23. 5 BAG v. 22.10.1986 – 5 AZR 660/85, ZIP 1987, 1006; zustimmend Franzen in ErfK, § 26 BDSG Rz. 9. 6 Wie beispielsweise im Rekordfall des HmbBfDI, https://datenschutz-hamburg.de/pressemitteilungen/ 2020/10/2020-10-01-h-m-verfahren (letzter Abruf 23.1.2022).

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§ 12 Rz. 12.25

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

– sich als intensive Dauerüberwachung der Beschäftigten darstellen, insbesondere weil sie Beschäftigte einem ständigen und spürbaren Beobachtungsdruck aussetzen (vgl. dazu Rz. 14.19 ff.), – große Datenmengen zum Gegenstand haben, die automatisiert durch Screening-Verfahren ausgewertet werden (vgl. dazu Rz. 16.18), – zur Weitergabe von Beschäftigtendaten an Dritte (insbesondere andere Unternehmen) führen, so dass die Daten die kontrollierte Sphäre des Verantwortlichen verlassen1.

12.26 Derartige Datenverarbeitungstätigkeiten sind nicht schlechthin unzulässig. Allerdings sollte sich der Verantwortliche im Rahmen seines Datenschutz-Compliance näher mit solchen Datenverarbeitungstätigkeiten auseinandersetzen und sie kritisch hinterfragen. Zulässig sind diese Tätigkeiten nur, wenn sie entweder durch ein gewichtiges Unternehmensinteresse gerechtfertigt werden oder die betroffenen Beschäftigten in diese Verarbeitungstätigkeiten einwilligen (Art. 6, 7 DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG). Außerdem müssen die Datenverarbeitungstätigkeiten im Einzelfall angemessen ausgestaltet werden: Zum einen dürfen nicht mehr personenbezogene Daten verarbeitet werden als dies erforderlich ist. Auch der Personenkreis, der an der Datenverarbeitung beteiligt wird, muss auf ein Minimum reduziert werden („need to know“-Prinzip). Zum anderen sollten Schutzvorkehrungen ergriffen werden, um Missbrauch vorzubeugen. Bei der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten i.S.d. Art. 9 DSGVO ist nach § 26 Abs. 2 Satz 3, § 22 Abs. 2 BDSG ausdrücklich vorgeschrieben, dass der Verantwortliche zu diesen Zwecken angemessene und spezifische Schutzmaßnahmen ergreifen muss. In Betracht kommen nach Vorstellung des Gesetzgebers z.B.: – technisch-organisatorische Maßnahmen, – Maßnahmen, die gewährleisten, dass nachträglich überprüft und festgestellt werden kann, ob und von wem personenbezogene Daten eingegeben, verändert oder entfernt worden sind (z.B. durch Logfiles), – Sensibilisierung der an Verarbeitungsvorgängen Beteiligten, – Benennung eines Datenschutzbeauftragten, – Beschränkung des Zugangs zu den personenbezogenen Daten, – Pseudonymisierung personenbezogener Daten, – Verschlüsselung personenbezogener Daten, – Sicherstellung der Fähigkeit, Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Belastbarkeit der verwendeten Systeme und Dienste, – Einrichtung eines Verfahrens zur regelmäßigen Überprüfung, Bewertung und Evaluierung der Wirksamkeit der technischen und organisatorischen Maßnahmen oder – spezifische Verfahrensregelungen.

12.27 Erfolgen die Datenverarbeitungstätigkeiten mit Hilfe technischer Einrichtungen – dies ist immer der Fall, wenn personenbezogene Arbeitnehmerdaten elektronisch gespeichert werden –, bestimmt der Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Datenverarbeitungstätigkeit mit (§ 87 Abs. 1 BetrVG, eingehend Rz. 15.23 ff.).

12.28 Nach Art. 17 DSGVO muss der Verantwortliche alle gespeicherten personenbezogenen Daten von sich aus (d.h. ohne Antrag des Betroffenen)2 löschen, wenn die personenbezogenen Daten für die

1 Problematisch ist z.B. die Weitergabe von personenbezogenen Beschäftigtendaten im Rahmen einer zur Vorbereitung eines Unternehmenskaufs durchgeführten Due Diligence, dazu Grimm in Tschöpe, Teil 6 F. Rz. 218 ff. 2 Herbst in Kühling/Buchner, Art. 17 DSGVO Rz. 8 ff.; Paal in Paal/Pauly, Art. 17 DSGVO Rz. 20.

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Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.30 § 12

Zwecke, für die der Verantwortliche sie erhoben hat, nicht mehr notwendig sind (sog. „Recht auf Vergessen werden“). Dies gilt unabhängig davon, ob die personenbezogenen Daten in irgendeiner Form sensibel sind oder nicht. Um dieser Pflicht gerecht zu werden, ist unerlässlich, dass Verantwortliche Löschkonzepte mit standardisierten Löschfristen entwerfen und auf deren Grundlage automatisierte Löschroutinen für elektronisch gespeicherte personenbezogene Daten implementieren (vgl. auch Art. 5 Abs. 1 lit. e DSGVO)1. Arbeitgeber, die ihre Akten elektronisch führen, sind dabei im Vorteil. Die Löschung muss dazu führen, dass die personenbezogenen Daten endgültig nicht mehr zugänglich sind. Backups darf es nicht geben2. Erfolgt die Löschung durch eine automatisierte technische Routine, muss dies entsprechend technisch sichergestellt werden.

12.29

Hinweis:

12.30

Dass die Löschung unumkehrbar ist, bedeutet auch, dass Unternehmen ihre personenbezogenen Daten keinesfalls voreilig löschen sollten. Stattdessen empfiehlt es sich, differenzierte Löschkonzepte zu erstellen, welche sämtliche Aufbewahrungsinteressen des Arbeitgebers ermitteln und angemessen berücksichtigen3. Zu beachten ist zunächst, dass für viele Datenkategorien gesetzliche Aufbewahrungspflichten gelten (Art. 17 Abs. 3 lit. b DSGVO). Löscht der Arbeitgeber die Daten vor Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist, drohen ihm Bußgelder. Aufbewahrungspflichten bestehen z.B. bei – Arbeitszeitaufzeichnungen (§ 16 Abs. 2 ArbZG), auch von Leiharbeitnehmern (§ 17c AÜG), – steuerrelevanten Unterlagen (§ 147 Abs. 1, Abs. 3 AO), – Lohnberechnungsunterlagen und Lohnkonten (§ 41 EStG, § 28f Abs. 1, § 25 Abs. 2 SGB IV) und – Aufzeichnungen zu Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung (§ 11 Abs. 2 Satz 2 BetrAVG). Außerdem muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass sich aus dem Arbeitsverhältnis vielfältige Rechtsstreitigkeiten entwickeln können, für die er verschiedenste Aufzeichnungen womöglich noch als Informationsquelle oder Beweismittel benötigt. Rechtstreitigkeiten drohen prinzipiell bis zum Ablauf der Verjährungsfristen aller Ansprüche von Arbeitnehmern. Damit der Arbeitgeber im Fall einer rechtlichen Auseinandersetzung nicht „blind“ ist und in Beweisnot gerät, empfiehlt es sich deshalb, Informationen die im Zusammenhang mit Arbeitnehmeransprüchen stehen, generalisiert bis zum Ablauf dieser Verjährungsfristen aufzubewahren, auch wenn konkret drohende Rechtsstreitigkeiten nicht zu ersehen sind4 (Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO). Der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis beendet wurde, erzwingt noch nicht bei sämtlichen Beschäftigtendaten die Löschung. Viele Arbeitnehmeransprüche sind erst drei Jahre nach Schluss des Jahres der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verjährt (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB). Mit der Geltendmachung von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung ist allerdings noch Jahrzehnte später zu rechnen (§ 18a BetrAVG).

1 So auch Dzida, BB 2018, 2677 (2680); Herbst in Kühling/Buchner, Art. 17 DSGVO Rz. 20; Paal in Paal/ Pauly, Art. 17 DSGVO Rz. 20. 2 Leeb/Lorenz, ZD 2018, 573 (574); Herbst in Kühling/Buchner, Art. 17 DSGVO Rz. 48. 3 Vgl. für geeignete Löschfristen zu unterschiedlichen Datenkategorien Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 144; weitgehend zustimmend Faas/Henseler, BB 2018, 2292 (2296); ähnlich Haußmann/Karwatzki/Ernst, DB 2018, 2697 (2701). 4 Zweifelnd im Hinblick auf die Frage, ob bereits die abstrakte Möglichkeit eines Rechtsstreites die Speicherung rechtfertigt, hingegen Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 56, der sich für eine einzelfallbezogene Bewertung ausspricht. Diese ließe sich allerdings nicht praktikabel umsetzen. Die Regelungsstruktur der DSGVO zeigt vielmehr, dass für einheitliche Datenverarbeitungsvorgänge – auch zum Zwecke der Transparenz – grundsätzlich einheitliche Löschfristen definiert werden sollen und eine einzelfallbezogene Bewertung gerade nicht verlangt wird (vgl. nur Art. 13 Abs. 2 lit. a, Art. 14 Abs. 2 lit. a, Art. 30 Abs. 1 lit. f DSGVO); wie hier auch Dzida, BB 2018, 2677 (2680); Kamlah in Plath, Art. 17 DSGVO Rz. 6 u. Rz. 20; Jacobi/Jantz, ArbRB 2017, 22 (24).

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§ 12 Rz. 12.31

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

12.31 Abhängig von der Art der Datenschutztätigkeit müssen ggf. datenschutzrechtliche Spezialregeln beachtet werden: – Setzt der Verantwortliche ein fremdes Unternehmen als Auftragsverarbeiter ein, welches personenbezogene Daten für ihn verarbeitet, muss er mit diesem Auftragsverarbeiter einen Vertrag schließen, der die Anforderungen nach Art. 28 Abs. 3 DSGVO erfüllt (Rz. 15.11). – Hat eine Form der Verarbeitung, insbesondere bei Verwendung neuer Technologien, aufgrund der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen zur Folge – die Datenschutzbehörden geben zu solchen Datenverarbeitungen Positivlisten heraus – muss der Verantwortliche vor deren Inbetriebnahme nach Art. 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchführen (Rz. 15.33 f.). – Werden personenbezogenen Daten – auch innerhalb eines Konzerns – in sog. Drittländer außerhalb der Europäischen Union übermittelt (Art. 44 DSGVO), muss im Vorfeld geprüft werden, ob die EU-Kommission das Datenschutzniveau des betreffenden Drittlandes durch Angemessenheitsbeschluss förmlich als angemessen bewertet (Art. 45 DSGVO). Liegt kein Angemessenheitsbeschluss vor, müssen geeignete Garantien für die Datenübermittlung vorgesehen werden. Üblich ist, dass von der EU-Kommission vorformulierte Standarddatenschutzklauseln vereinbart werden (Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO)1.

5. Technische und organisatorische Maßnahmen (TOM); Datenpannen 12.32 Datenschutzverstöße drohen nicht nur durch Verarbeitungstätigkeiten, die der Verantwortliche ausdrücklich anordnet. Der Verantwortliche muss damit rechnen, dass seine Mitarbeiter personenbezogene Daten eigenmächtig erheben, zweckentfremden oder anderweitig missbrauchen. Kommt es zum Datenschutzverstoß, werden dem Verantwortlichen die Handlungen seiner Mitarbeiter grundsätzlich zugerechnet2. Auch ist vorstellbar, dass sich Dritte Zugang zu erhobenen personenbezogenen Daten verschaffen, z.B. als Hacker, Einbrecher oder nur durch einen neugierigen Blick über den Schreibtisch ihres Gegenübers. Kommt es wegen eigenmächtigen Handelns Dritter zu einem Datenleck, kann dem Verantwortlichen vorgeworfen werden, dass sein Datenschutzniveau nicht den gesetzlichen Anforderungen nach Art. 32 DSGVO genügt. Auch in diesen Fällen drohen dem Verantwortlichen behördliche Sanktionen3. Unabhängig von spezifischen Verarbeitungstätigkeiten, die ein Verantwortlicher durchführt, muss der Verantwortliche deshalb angemessene technische und organisatorische Maßnahmen (TOM) ergreifen, um personenbezogene Daten vor eigenmächtigen Handlungen seiner Mitarbeiter und Dritter zu schützen.

12.33 Zum einen sind personenbezogene Daten durch technische Maßnahmen zu schützen (Art. 32 Abs. 1 DSGVO). Im Vordergrund steht die IT-Sicherheit. Hierzu gehört, dass Computer mit Passwörtern geschützt werden, Netzwerkverbindungen verschlüsselt werden (z.B. VPN) sowie Maßnahmen ergriffen werden, um die Installation von Schadsoftware auf Computern, die am betrieblichen Intranet teilnahmen, zu verhindern. Größeren Unternehmen wird empfohlen, ein Informations-Sicherheits-Management-System (ISMS) einzurichten, d.h. fachkundige Mitarbeiter mit der Daueraufgabe zu betrauen, IT-Risiken in strukturierten Prozessen zu analysieren, durch Maßnahmen zu beseitigen und das Ergebnis periodisch zu auditieren4.

1 Eingehend zu alledem Geppert, ZD 2018, 62 (62 ff.); Wybitul/Ströbel/Ruess, ZD 2017, 503 (503 ff.). 2 Vgl. zur Zurechnung von Handlungen der eigenen Mitarbeiter Holländer in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 83 DSGVO, Rz. 8 ff. 3 Jandt in Kühling/Buchner, Art. 32 DSGVO Rz. 40a. 4 Schmitz/v. Dall’Armi in Forgó/Helfrich/Schneider, Teil XII Kapitel 1 Rz. 26 ff.; Rath/Kuß in Umnuß, Kapitel 8 Rz. 7 ff.; Hansen in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 32 DSGVO Rz. 57.

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Singraven/Kohm

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.35 § 12

Daneben sollten räumliche Zugangshindernisse errichtet werden, z.B. verriegelte Türen, die nur mit individuellen elektronischen Schlüsselkarten geöffnet werden können1. Dies gebietet sich jedenfalls für solche Bereiche, in denen personenbezogene Daten in Papierakten verwahrt werden. Zum anderen muss der Verantwortliche personelle Maßnahmen ergreifen (Art. 32 Abs. 4 DSGVO). Zahlreiche Datenschutzverstöße ergeben sich, da Mitarbeiter für den Datenschutz nicht ausreichend sensibilisiert sind. Teilweise geschehen Datenschutzverstöße aus guter Absicht von Mitarbeitern, die betriebliche Abläufe beschleunigen wollen und es z.B. „praktisch“ finden, sensible personenbezogene Daten allgemein bekannt zu geben, damit „jeder informiert ist“. Andere Mitarbeiter wollen unbedingt eine „spannende Anekdote“ erzählen und legen dabei sensible personenbezogene Daten offen. Damit die Belegschaft den Datenschutz ernst nimmt, sollten Unternehmen folgende Maßnahmen ergreifen:

12.34

– Üblich ist, eine Datenschutzrichtlinie als allgemeine verbindliche Dienstanweisung herauszugeben2, die alle Mitarbeiter lesen und gegenzeichnen müssen. Dies kann mit der Androhung von arbeitsrechtlichen Sanktionen verbunden werden, sollten Mitarbeiter gegen die Richtlinie verstoßen. Bekräftigt die Datenschutzrichtlinie lediglich eine allgemeine Pflicht, gesetzlichen Datenschutzvorgaben einzuhalten, kann der Arbeitgeber die Datenschutzrichtlinie einseitig erlassen3. Legt das Unternehmen dagegen konkretisierende Handlungsvorgaben fest, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen4, kommt eine Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht5. – Daneben empfehlen sich Mitarbeiterunterweisungen und -schulungen zum Umgang mit Datenschutzvorgaben, insbesondere die Schulung von Führungskräften und solchen Mitarbeitern, die schwerpunktmäßig mit der Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten beauftragt sind6. Die Durchführung der Schulungen ist grundsätzlich mitbestimmungsfrei7. – Zeigen sich Verstöße gegen einschlägige Datenschutzvorgaben, muss das Unternehmen eingreifen und den Verstoß unterbinden. Dies kann durch spezifische Einzelanweisung und in schweren Fällen durch Ermahnung, Abmahnung und Kündigung erfolgen8.

12.35

Hinweis: Die Implementierung und Überprüfung der technischen und organisatorischen Maßnahmen (TOM) erfolgt üblicherweise anhand von – durchaus umfangreichen – Checklisten. U.A. die Datenschutzbehörden haben geeignete Checklisten veröffentlicht, an denen sich Unternehmen orientieren können9.

1 Martini in Paal/Pauly, Art. 32 DSGVO Rz. 29; Hansen in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 32 DSGVO Rz. 69. 2 Martini in Paal/Pauly, Art. 32 DSGVO Rz. 66; Jandt in Kühling/Buchner, Art. 32 DSGVO Rz. 38. 3 Reinhard, NZA 2016, 1233 (1233 f.). 4 Hansen in Simitis/Hornung/Spiecker, empfiehlt, im Rahmen der Dienstanweisung die im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten als Basis der Dienstanweisung zu verwenden, Art. 32 DSGVO Rz. 70. 5 Reinhard, NZA 2016, 1233 (1234). 6 Jandt in Kühling/Buchner, Art. 32 DSGVO Rz. 38; Hansen in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 32 DSGVO Rz. 70. 7 Grundsätzlich handelt es sich bei Compliance-Schulungen nicht um Bildungsmaßnahmen i.S.d. § 98 BetrVG, eingehend hierzu Rz. 26.31. 8 Martini in Paal/Pauly, Art. 32 DSGVO Rz. 66. 9 Vgl. Bayerisches Landesamt für Datenschutzaufsicht, Good Practice bei technischen und organisatorischen Maßnahmen Generischer Ansatz nach Art. 32 DS-GVO zur Sicherheit, https://www.lda.bayern.de/me dia/checkliste/baylda_checkliste_tom.pdf (letzter Abruf 23.1.2022); Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt, Checkliste zur Dokumentation der getroffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen gem. DS-GVO, https://datenschutz.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Landesaem ter/LfD/PDF/binary/Informationen/Internationales/Datenschutz-Grundverordnung/Checkliste_TOM/ Checkliste_toM_nach_DS-GVO.pdf (letzter Abruf 23.1.2022).

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§ 12 Rz. 12.36

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

12.36 Im Falle einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten (sog. „Datenpanne“) muss der Verantwortliche den Vorfall unverzüglich und möglichst binnen 72 Stunden nach Kenntnisnahme bei der zuständigen Aufsichtsbehörde melden (Art. 33 DSGVO). Der Schutz personenbezogener Daten kann durch Vernichtung, Verlust, Veränderung, unbefugte Offenlegung oder unbefugten Zugang verletzt werden (Art. 4 Nr. 12 DSGVO). In solchen Fällen besteht nur dann keine Meldepflicht, wenn der Vorfall voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen führt. Ein solches Risiko besteht nicht, wenn der Verantwortliche im Rahmen einer Prognose annähernd sicher ausschließen kann, dass der Vorfall physische, materielle oder immaterielle Schäden für den Betroffenen nach sich zieht1. Bei der Prognose sind allerdings nicht nur die Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch die Schwere eines möglichen Schadens zu berücksichtigen2. Geht mit der Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten sogar ein hohes Risiko für die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen einher, muss der Verantwortliche neben der Aufsichtsbehörde zusätzlich die Betroffenen selbst benachrichtigen (Art. 34 DSGVO) und dies ebenfalls unverzüglich. Damit der Verantwortliche diesen Melde- und Benachrichtigungspflichten im Ernstfall rechtzeitig nachkommen kann, sollte er einen ordnungsgemäßen Meldeprozess festlegen3.

12.37 Hinweis: Die Aufsichtsbehörden mussten nach dem Inkrafttreten der DSGVO mit einem massiv erhöhten Aufkommen an Meldungen kämpfen, da zahlreiche Unternehmen offenbar dazu übergegangen waren, sämtliche Zwischenfälle zu melden. Daher haben die Behörden Mitteilungen veröffentlicht, wonach Unternehmen dazu angehalten werden, potentielle Datenpannen sorgsam auf eine Meldepflicht zu untersuchen.

6. Individualansprüche der Beschäftigten 12.38 Nach Art. 15 ff. DSGVO räumt die DSGVO Individualansprüche ein, die durch (ehemalige) Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber geltend gemacht werden können4. Im Vordergrund stehen die Rechte auf Auskunft (Art. 15 DSGVO) und Löschung (Art. 17 DSGVO) personenbezogener Daten. Die weiteren in Betracht kommenden Individualansprüche auf Berichtigung (Art. 16 DSGVO), Einschränkung der Verarbeitung (Art. 18 DSGVO), Datenübertragbarkeit (Art. 20 DSGVO) sowie das Widerspruchsrecht (Art. 21 DSGVO) stehen in der Praxis im Hintergrund5.

12.39 Allen diesen Ansprüchen ist gemein, dass der Verantwortliche auf eingehende Anträge von Arbeitnehmern unverzüglich reagieren muss (Art. 12 Abs. 3 u. 4 DSGVO). Grundsätzlich muss er binnen eines Monats entweder das Begehren des Arbeitnehmers erfüllen oder, wenn er den Anspruch zurückweist, den Arbeitnehmer über die Gründe hierzu unterrichten und eine Rechtsbehelfsbelehrung erteilen. Nur wenn eine Bearbeitung des Antrages wegen dessen Komplexität oder wegen einer zeitgleich großen Zahl von Antragseingängen binnen Monatsfrist nicht möglich ist, kann die Frist um maximal zwei Monate verlängert werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber den Antragsteller vor Fristablauf über diese Fristverlängerung informiert und sie begründet. Versäumt der Arbeitgeber diese Fristen, muss er nicht nur mit hoheitlichen Sanktionen durch die Datenschutzbehörden (Art. 83, 58 DSGVO) rechnen6. Vorstellbar ist auch, dass die (ehemaligen) Arbeitnehmer immaterielle Schadensersatzansprüche geltend machen und in Geld zu entschädigen sind (Art. 82 DSGVO)7.

1 2 3 4

Reif in Gola, Art. 33 DSGVO Rz. 26 ff.; Martini in Paal/Pauly, Art. 32 DSGVO Rz. 22 ff. Martini in Paal/Pauly, Art. 32 DSGVO Rz. 23. Behling, ZIP 2017, 697 (703). LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, juris Rz. 198; ArbG Düsseldorf v. 5.3.2020 – 9 Ca 6557/18, ArbRB 2020, 269 (Jacobi) = juris Rz. 14. 5 Eingehend zu diesen Rechten Grimm in Tschöpe, 6. Teil F. VII. Rz. 162 ff. 6 Franck in Gola, Art. 12 DSGVO Rz. 55 f.; Heckmann/Paschke in Ehmann/Selmayr, Art. 12 DSGVO Rz. 59. 7 LAG Niedersachsen v. 22.10.2021 – 16 Sa 761/20, ZD 2022, 61 = juris Rz. 179 ff.; ArbG Düsseldorf v. 5.3.2020 – 9 Ca 6557/18, ArbRB 2020, 269 (Jacobi) = juris Rz. 105.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 12.43 § 12

12.40

Hinweis: Welche Motivation sich hinter Individualanträgen nach Art. 15 ff. DSGVO verbirgt, ist für den Arbeitgeber schwer zu durchschauen. Oft legt es der Antragsteller auf einen Konflikt mit dem Unternehmen an und beabsichtigt von vornherein, einen gerichtlichen Rechtsstreit oder eine Beschwerde gegenüber den Datenschutzbehörden vorzubereiten. Unternehmen sollten die Anträge deshalb ernst nehmen und sorgfältig sowie rechtskonform bearbeiten. Es besteht nämlich eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nachträglichen gerichtlichen oder behördlichen Überprüfung des Unternehmenshandelns kommt. Die Praxis zeigt, dass es bei der Beantwortung in hohem Maße auch auf die Kommunikationsfähigkeit des Unternehmens ankommt, auch und vor allem mit Blick auf den Umfang der Auskunft.

Bei kleinen Unternehmen werden Anträge nach Art. 15 ff. DSGVO derzeit noch so selten gestellt, dass sich die Unternehmensleitung persönlich um jeden Vorgang kümmern kann. Dagegen können große Unternehmen ihre Pflichten nur dann rechtzeitig und rechtskonform erfüllen, wenn sie feste Zuständigkeiten und Prozesse für die Bearbeitung der Anträge festlegen1. Das sollte Teil jeder Datenschutzorganisation sein. Sind (z.B. im Konzern) mehrere Unternehmen als gemeinsam Verantwortliche nach Art. 26 DSGVO verbunden, müssen sie diese Zuständigkeiten in einer transparenten Vereinbarung im Verhältnis zueinander regeln (Art. 26 Abs. 1 Satz 2 DSGVO) (vgl. dazu das Muster unter Rz. 12.55).

12.41

Wenn es um Arbeitnehmer geht, kann der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO besondere He- 12.42 rausforderungen schaffen: Die Auskunft ist im ersten Schritt darauf gerichtet, ob der Verantwortliche überhaupt personenbezogene Daten der betroffenen Person verarbeitet (Art. 15 Abs. 1 Halbs. 1 DSGVO). Verarbeitet der Verantwortliche personenbezogene Daten, hat die betroffene Person im zweiten Schritt Anspruch auf Informationen über Verarbeitungszwecke, verarbeitete Datenkategorien, Empfänger, Speicherdauer, Datenherkunft sowie ihre weitergehenden Rechte. Diese in Art. 15 Abs. 1 Halbs. 2 DSGVO genannten Auskunftsinhalte gehen nicht über die ohnehin bestehenden Informationspflichten nach Art. 13, 14 DSGVO hinaus, sondern bleiben hinter diesen sogar zurück2. Der Arbeitgeber kann den Auskunftsanspruch deshalb prinzipiell durch Vorlage seines allgemeinen datenschutzrechtlichen Informationsschreibens für Beschäftigte (vgl. dazu Rz. 12.44 ff. sowie das Muster unter Rz. 12.59) erfüllen. Dieses muss er ggf. aktualisieren oder ergänzen, soweit sich seit der Datenerhebung Veränderungen ergeben haben oder das Informationsschreiben Mängel aufweist3. Bis hierhin ist die Auskunftserteilung also im Regelfall noch nicht problematisch. Entscheidend ist, dass der Arbeitgeber nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO außerdem Kopien sämtlicher personenbezogener Daten zur Verfügung stellen muss, die Gegenstand seiner Verarbeitung sind. Bei wörtlichem Verständnis der Vorschrift wären jedwede personenbezogenen Daten zu der betroffenen Person erfasst, die innerhalb der Organisation des Verantwortlichen irgendwo i.S.d. Art. 2 Abs. 1 DSGVO automatisiert verarbeitet oder in Datensystemen gespeichert werden4. Dieses Verständnis würde den Auskunftsanspruch allerdings ins Unzumutbare ausufern lassen. Streng genommen müsste der Arbeitgeber dann z.B. jede E-Mail mit dem Namen der betroffenen Person herausgeben, die sich bei irgendeinem Mitarbeiter des Unternehmens im dienstlichen E-Mail-Postfach befände. Dies wäre unmöglich und ginge zu weit. Deshalb kann der Arbeitgeber verlangen, dass der antragsstellende Beschäftigte präzisiert, auf welche Information oder welche Verarbeitungsvorgänge sich sein Auskunftsersuchen konkret bezieht, bevor er dem Auskunftsersuchen nachkommt (vgl. Erwägungsgrund 63 DSGVO)5. Dies folgt analog § 275 Abs. 2 BGB aus dem auch europarechtlich an-

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Behling, ZIP 2017, 697 (702 ff.). Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 15 Rz. 10 DSGVO. Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 15 Rz. 15 DSGVO. Vgl. OLG Köln v. 26.7.2019 – 20 U 75/18, ArbRB 2019, 338 = juris Rz. 302 ff. LAG Niedersachsen v. 9.6.2020 – 9 Sa 608/19, juris Rz. 66 ff.; Lentz, ArbRB 2019, 150 (152); Wybitul/ Brams, NZA 2019, 672 (676); Franck in Gola, Art. 15 DSGVO Rz. 38. Bei Bewerbern dürfte das aber nicht der Fall sein, da der Arbeitgeber nur über eine überschaubare Menge an Informationen verfügt,

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12.43

§ 12 Rz. 12.43

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

erkannten Grundsatz von Treu und Glauben1. Nimmt der Beschäftigte keine Präzisierung vor, kann der Arbeitgeber die Auskunft auf solche personenbezogenen Daten beschränken, welche für die Leitungsorganisation des Verantwortlichen unter vertretbarem Aufwand zentral zugänglich sind, d.h. ohne dass sie dafür aufwendige interne Ermittlungen betreiben muss (also insbesondere die in der Personalakte, der Akte der Lohnbuchhaltung und den Arbeitszeitaufzeichnungen enthaltenen personenbezogenen Daten)2.

7. Datenschutzerklärung 12.44 Gemäß Art. 13, 14 DSGVO müssen alle betroffenen Personen über Verarbeitungstätigkeiten informiert werden, die ihre personenbezogenen Daten betreffen. Im Bereich des Beschäftigungsdatenschutzes handelt es sich um alle Mitarbeiter des Unternehmens (Arbeitnehmer, Auszubildende, Praktikanten) sowie sämtliche Bewerber (vgl. auch § 26 Abs. 8 BDSG).

12.45 Die Information muss vor oder (spätestens) bei Erhebung der personenbezogenen Daten erfolgen3, d.h. spätestens ab Aufnahme der Arbeitstätigkeit. Es ist nicht praktikabel, bei jedem Datenerhebungsvorgang gesondert zu informieren. Stattdessen empfiehlt es sich für Arbeitgeber, umfassende Informationsschreiben (sog. „Datenschutzerklärungen“) zu erstellen, welche die nach Art. 13, 14 DSGVO vorgeschriebenen Informationspflichten vorab für sämtliche Datenverarbeitungsvorgänge erfüllen, die im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses in Betracht kommen4. Diese Informationsschreiben sollte der Arbeitgeber an neu einzustellende Arbeitnehmer als „Beipackzettel“5 zum Arbeitsvertrag übergeben und an die Altbelegschaft in alljährlich aktualisierten Fassungen als Rundmail6 übermitteln. Für den Bewerbungsprozess müssen gesonderte Unterrichtungsschreiben erstellt werden (dazu Rz. 23.45 f.).

12.46 Wie detailliert die Information erfolgen muss, ist bislang noch ungeklärt. Die derzeit überwiegende Auffassung in der Literatur verlangt vollständige und so detaillierte Angaben, dass sich der betroffene Mitarbeiter ein Bild machen kann, mit welchen Datenverwendungen zu rechnen ist7. Nur eine Mindermeinung hält formelhafte Wendungen für ausreichend8. Will der Arbeitgeber den sicheren Weg gehen, sollte er das Informationsschreiben anhand seines Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten nach Art. 30 DSGVO formulieren und für jeden dort aufgeführten Datenverarbeitungsprozess, der Beschäftigtendaten betrifft, Datenkategorien, Zweck, Rechtsgrundlage, Mitteilungspflichten bzw. Quellen, Empfänger und Löschfrist benennen9.

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8 9

Dzida, BB 2018, 2677 (2679); ähnlich Bayerisches Landesamt für Datenschutzaufsicht, Tätigkeitsbericht 2017/18, S. 47 f.; vgl. zur prozessualen Geltendmachung im Wege einer Stufenklage BAG v. 27.4.2021 – 2 AZR 342/20, ArbRB 2021, 233 (Zhou/Wybitul); vgl. auch BAG v. 16.12.2021 – 2 AZR 235/21. Franck in Gola, Art. 15 DSGVO Rz. 38. ArbG Düsseldorf v. 5.3.2020 – 9 Ca 6557/18, Leitsatz 2, ArbRB 2020, 269 (Jacobi) = juris Rz. 92. Schmidt-Wudy in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 13 DSGVO Rz. 79; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 78. Kritisch zur Information „auf Vorrat“ jedoch Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 12. Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DSGVO kann die Übermittlung „gegebenenfalls auch elektronisch“ erfolgen. ArbG Düsseldorf v. 5.3.2020 – 9 Ca 6557/18, ArbRB 2020, 269 (Jacobi) = juris Rz. 65 f.; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 25; Schmidt-Wudy in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: 1.11.2021, Art. 14 DSGVO Rz. 45; Knyrim in Ehmann/Selmayr, Art. 13 DSGVO Rz. 37; Ingold in Sydow, Art. 13 DSGVO Rz. 15; Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 12. So Schaffland/Holthaus in Schaffland/Holthaus/Schaffland, DS-GVO BDSG, Loseblatt, Stand: 2021, Art. 13 DSGVO Rz. 11; „Schlagworte“ sollen ausreichen nach Kamlah in Plath, Art. 13 DSGVO Rz. 11. Ausführliches Muster und zum Löschkonzept Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 185. Zu Speicherdauer und Löschfristen auch Haußmann/Karwatzki/Ernst, DB 2018, 2697; Faas/Henseler, BB 2018, 2292.

262

Singraven/Kohm

III. Best Practice

Rz. 12.50 § 12

Im Informationsschreiben müssen die Beschäftigten außerdem über ihre Rechte nach Art. 15 ff. DSGVO belehrt werden.

8. Dokumentations- und Rechenschaftspflichten Die DSGVO legt den Verantwortlichen eine allgemeine Rechenschaftspflicht auf (Art. 5 Abs. 2 12.47 DSGVO). Diese wird in der Praxis oftmals stiefmütterlich behandelt bzw. vernachlässigt, gehört aber zu den bedeutendsten datenschutzrechtlichen Aufgaben und Herausforderungen für Unternehmen. Unternehmen müssen sich bewusst machen, dass es sich bei der Dokumentationspflicht nicht um eine bloße Formalie handelt und ein Verstoß hiergegen keine Bagatelle darstellt. Im Kern besagt die Rechenschaftspflicht gem. Art. 5 Abs. 2 DSGVO, dass sämtliche vom Verantwortlichen getroffenen Maßnahmen zur Sicherstellung des Datenschutzes nachgewiesen werden müssen. Ein Auswuchs ist das Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten. Sie geht aber noch weiter und verklammert alle bestehenden datenschutzrechtlichen Verpflichtungen: Auch alle Anfragen, Beschwerden, Auskunftsersuchen, sämtliche Abwägungen und Entscheidungen im Bereich Datenschutz müssen nachweisbar sein. Zudem muss das Unternehmen über dokumentierte Prozesse verfügen, vor allem im Bereich Auskunftsersuchen, Datenpannen oder Einwilligungswiderrufe. Das kann in praktischer Hinsicht nur erfolgen, indem sie in Text- oder Schriftform niedergeschrieben werden. Dass sich eine oder mehrere Personen schlicht Gedanken über einen Sachverhalt gemacht haben und diese bei Nachfrage wiedergeben können, reicht nicht aus. Zu bemerken ist, dass kritische Sachverhalte auch aus anderen, z.B. gesellschaftsrechtlichen, Gesichtspunkten dokumentiert und nachgehalten werden sollten, vor allem in haftungsträchtigen Fällen (Schadensersatz, Bußgeldhaftung etc.). Ein weiteres maßgebliches Ziel der Dokumentationspflicht ist, dass der Datenschutz nicht dem Zu- 12.48 fall überlassen wird. Alle notwendigen Prozesse und Strukturen sollen transparent festgeschrieben sein, um ein planvolles Vorgehen zu garantieren und eine Art Qualitätssicherung im Bereich Datenschutz zu erreichen.

12.49

Hinweis: Gerade bei Anfragen von Behörden aufgrund von Beschwerden ist es zwingend notwendig, die eigenen Entscheidungen anhand einer umfassenden Dokumentation begründen bzw. Vorwürfe entkräften zu können. Verfestigt sich bei einer Behörde hingegen der Eindruck, dass datenschutzrechtliche Entscheidungen nach dem „Prinzip Zufall“ getroffen werden und Verstöße daher vorprogrammiert sind, wird das in jedem Fall negativen Einfluss auf etwaige Bußgelder haben und die Behörde ggf. ermutigen, ihre Ermittlungen auf andere Bereiche auszuweiten.

III. Best Practice Ordnungsgemäßer Datenschutz, insbesondere der Schutz von Beschäftigtendaten, wird im Unternehmen auf zwei Ebenen organisiert: – Zunächst muss die oberste Managementebene entscheiden1, welche Stelle im Unternehmen für die Umsetzung der gesetzlichen Datenschutzvorgaben zuständig ist und ihr entsprechende Befugnisse zuweisen. Im Konzernverbund muss häufig eine Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortung der Konzernunternehmen nach Art. 26 DSGVO getroffen werden, nämlich immer dann, wenn Beschäftigtendaten in gemeinsamer Verantwortung mehrerer Konzernunternehmen verarbeitet werden (dazu Rz. 12.51 ff.). – Die Umsetzung des Datenschutzmanagements erfolgt in einem fortlaufenden, iterativen Prozess, bei dem die zuständige Stelle praktizierte Datenverarbeitungsprozesse des Unternehmens

1 Egle/Zeller in von dem Bussche/Voigt, Teil 2 Kapitel 2 Rz. 20.

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12.50

§ 12 Rz. 12.50

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

fortlaufend neu erfasst, korrigiert und überwacht sowie die Beschäftigten über diese Datenverarbeitungsprozesse informiert (dazu Rz. 12.56 ff.).

1. Festlegung von Befugnissen und Zuständigkeiten 12.51 Ein verbreitetes Missverständnis besteht darin, dass der Datenschutzbeauftragte den Datenschutz für die gesamte Unternehmensgruppe „macht“. Sofern keine ausdrücklichen Festlegungen getroffen sind, wäre der Datenschutzbeauftragte nämlich nicht einmal befugt, eigenmächtig datenschutzrechtliche Anordnungen zu treffen und umzusetzen. Von Gesetzes wegen beschränken sich seine Aufgaben auf die Überwachung und Beratung (vgl. Art. 39 DSGVO). Sollte er weitere Aufgaben übernehmen, muss dies beschlossen werden (vgl. Rz. 12.18).

12.52 Stattdessen liegt die originäre Verantwortung für die Einhaltung des gesetzlichen Datenschutzes bei den geschäftsführenden Organen der Gesellschaft, also dem Geschäftsführer (§ 43 GmbHG) oder Vorstand (§ 93 AktG)1. Dies folgt aus der allgemeinen Legalitätspflicht der geschäftsführenden Organe: Sie müssen darauf hinwirken, dass das von ihnen geleitete Unternehmen alle öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllt2, zu denen auch das Datenschutzrecht gehört3. Selbstverständlich müssen die geschäftsführenden Organe das Datenschutzmanagement nicht eigenhändig betreiben, sondern können diese Aufgabe auf ihnen unterstellte Mitarbeiter delegieren4. Die konkrete Ausgestaltung dieser Delegation können die geschäftsführenden Organe nach Vorgaben der sog. „Business Judgement Rule“ frei konzipieren5. Soweit eine Umsetzungsverantwortung für den Datenschutz übertragen werden soll, setzt dies aber mindestens voraus, dass – die nachgeordneten Mitarbeiter, die mit dieser Aufgabe betraut werden, nach ihren fachlichen und persönlichen Fähigkeiten für die Aufgabe geeignet sind, – eine ordnungsgemäße Einweisung in die Aufgabe erfolgt und – die Mitarbeiter mit ausreichenden Entscheidungsbefugnissen, Budgets, Mitarbeitern und sonstigen Ressourcen ausgestattet werden, so dass sie ihrer Umsetzungsverantwortung praktisch gerecht werden können.6

12.53 Doch auch durch eine ordnungsgemäße Delegation können sich die geschäftsführenden Organe ihrer Verantwortung für den Datenschutz nicht vollständig entledigen. Stattdessen wandelt sich die Umsetzungsverantwortung infolge ihrer Delegation in eine Überwachungsverantwortung7. Nicht erforderlich ist es, dass die Verantwortung für den Datenschutz als Gesamtpaket übertragen wird. So liegt z.B. nahe, die Verantwortung für den Beschäftigtendatenschutz abzutrennen und dem Personalleiter aufzuerlegen, da der Beschäftigtendatenschutz typischerweise eigenständig, nämlich in Abstimmung mit den Betriebsräten organisiert wird (vgl. Rz. 12.3).

12.54 Bevor in Konzernstrukturen ein Datenschutzmanagement eingerichtet wird, ist stets zu prüfen, inwieweit zwischen Konzernunternehmen eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die Verarbeitung personenbezogener Daten nach Art. 26 DSGVO besteht. Die gemeinsame Verantwortlichkeit muss nicht sämtliche Datenverarbeitungstätigkeiten umfassen, sondern kann sich auch auf bestimmte Daten1 Egle/Zeller in von dem Bussche/Voigt, Teil 2 Kapitel 2 Rz. 20 ff. 2 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, juris Rz. 22; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 87; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 GmbHG Rz. 11; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 26. 3 Behling, ZIP 2017, 697 (698). 4 Behling, ZIP 2017, 697 (698). 5 Schulz, BB 2017, 1475 (1478). 6 Dworschak/Umnuß in Umnuß, Kapitel 1 Rz. 205 ff.; Ziemons/Pöschke in BeckOK/GmbHG, Stand: 1.8.2021, § 43 GmbHG Rz. 233 ff.; Urban, GWR 2013, 106 (106). 7 Urban, GWR 2013, 106 (106).

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III. Best Practice

Rz. 12.55 § 12

kategorien, z.B. Beschäftigtendaten, beschränken. Dies ist in einem Konzern mit konzerneinheitlicher Personalabteilung typischerweise der Fall. Verarbeiten mehrere Unternehmen personenbezogene Daten in gemeinsamer Verantwortung, sind sie gesetzlich dazu verpflichtet, die Aufgabenverteilung beim Datenschutz in einer gemeinsamen Vereinbarung transparent zu regeln (dazu Rz. 12.8 ff.). In einem Unterordnungskonzern, bei dem die Personalabteilung bei der Konzernmutter eingerichtet ist, kann die gemeinsame Verantwortlichkeit für den Beschäftigtendatenschutz wie folgt vereinbart1 werden:

M 12.1 Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO – Beschäftigtendaten

12.55

Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO – Beschäftigtendaten Zwischen der … – nachgehend: „Muttergesellschaft“ sowie der … der … – nachgehend gemeinsam: „Tochtergesellschaften“ wird folgende Vereinbarung gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO geschlossen, um die gemeinsamen Rechte und Pflichten im Rahmen der gemeinsam verantwortlichen Verarbeitung von Beschäftigtendaten zu regeln. § 1 Anwendungsbereich Diese Vereinbarung regelt die Rechte und Pflichten der Verantwortlichen (nachgehend auch „Parteien“ genannt) bei der gemeinsamen Verarbeitung personenbezogener Daten. Diese Vereinbarung findet auf alle Tätigkeiten Anwendung, bei denen die Parteien oder durch sie beauftragte Auftragsverarbeiter personenbezogene Daten von Beschäftigten der Parteien (§ 26 Abs. 8 BDSG), einschließlich Bewerbern und ehemaligen Beschäftigten, verarbeiten (nachgehend: „Beschäftigtendaten“). Für die Verarbeitung sonstiger personenbezogener Daten gilt diese Vereinbarung nicht. § 2 Hauptpflichten (1) Im Rahmen der gemeinsamen Verantwortlichkeit richtet die Muttergesellschaft strukturierte Datenverarbeitungsprozesse, Datenbanken und sonstigen Dateisysteme ein (nachgehend „zentrales Datenmanagement“), in denen Beschäftigtendaten der Parteien zentral erhoben, verarbeitet und gespeichert werden. Die Muttergesellschaft ermöglicht den Tochtergesellschaften die Verarbeitung der Beschäftigtendaten, indem sie elektronische Zugriffe für die Tochtergesellschaften auf das zentrale Datenmanagement einrichtet und die Tochtergesellschaften bei der Datenverarbeitung durch ihre Mitarbeiter, insbesondere solche der Personalabteilung, unterstützt. Im Rahmen der gesetzlichen Datenschutzvorgaben legt die Muttergesellschaft Datenschutzmaßnahmen (z.B. Zugriffsbeschränkungen, Löschroutinen) und verbindliche Datenschutzregeln für die Verarbeitung aller Beschäftigtendaten nach billigem Ermessen fest (§ 315 BGB).

1 Eine allgemeine Vorlage für Vereinbarungen i.S.d. Art. 26 Abs. 1 Satz 1 DSGVO gibt der LfDI BadenWürttemberg heraus und diese kann als Orientierungshilfe empfohlen werden, https://www.badenwuerttemberg.datenschutz.de/mehr-licht-gemeinsame-verantwortlichkeit-sinnvoll-gestalten/(letzter Abruf 18.1.2022). Die Vorlage ist jedoch anpassungsbedürftig.

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§ 12 Rz. 12.55

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

(2) Die Tochtergesellschaften und die Muttergesellschaft sind verpflichtet, das von der Muttergesellschaft eingerichtete zentrale Datenmanagement wie vorgesehen zu nutzen und die personenbezogenen Daten ihrer Beschäftigten dort einzupflegen; soweit im Rahmen des zentralen Datenmanagements Systeme und Prozesse geschaffen wurden, dürfen die Tochtergesellschaften ohne Genehmigung der Muttergesellschaft keine Parallelprozesse oder Parallelsysteme einrichten oder betreiben. Die Tochtergesellschaften und die Muttergesellschaft müssen die von der Muttergesellschaft festgelegten Datenschutzmaßnahmen umsetzen und die von der Muttergesellschaft festgelegten Datenschutzregeln befolgen. (3) Jede Partei gewährleistet die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere die Rechtmäßigkeit der durch sie auch im Rahmen der gemeinsamen Verantwortlichkeit durchgeführten Datenverarbeitungen. Soweit die Muttergesellschaft keine verbindlichen Datenschutzregeln festgelegt hat, gestalten die Tochtergesellschaften ihre Datenverarbeitungstätigkeit eigenverantwortlich in einer gesetzeskonformen Weise aus; bestehen hinsichtlich ihrer datenschutzrechtlichen Pflichten Zweifel oder Unsicherheiten, kontaktieren die Tochtergesellschaften die Personalabteilung der Muttergesellschaft oder den Datenschutzbeauftragten. Die Parteien tragen dafür Sorge, dass nur personenbezogene Daten erhoben werden, die erforderlich sind und beachten stets den Grundsatz der Datenminimierung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. § 3 Datenschutzerklärung (1) Die Muttergesellschaft erstellt Datenschutzerklärungen, mit denen die Parteien ihre Informationspflichten gemäß Art. 13 und 14 DSGVO gegenüber allen Beschäftigten erfüllen und stellt sicher, dass den Beschäftigten diese Datenschutzerklärungen rechtzeitig mitgeteilt werden; dies kann auch auf Onlineplattformen erfolgen. Die Muttergesellschaft aktualisiert diese Datenschutzerklärungen periodisch. (2) Die Tochtergesellschaften sind verpflichtet, der Muttergesellschaft alle von ihnen praktizierten Datenverarbeitungstätigkeiten wahrheitsgemäß und vollständig anzuzeigen, damit die Muttergesellschaft in den erstellten Datenschutzerklärungen ordnungsgemäß Mitteilung machen kann. Die Tochtergesellschaften unterstützen die Muttergesellschaft dabei, die von der Muttergesellschaft erstellten Datenschutzerklärungen gegenüber ihren Mitarbeitern bekannt zu geben. § 4 Betroffenenrechte nach Art. 15-22 DSGVO (1) Die Muttergesellschaft richtet eine zentrale Auskunftsstelle ein, welche die Erfüllung der Rechte, welche Beschäftigten nach Art. 15-22 DSGVO zustehend (nachgehend: „Betroffenenrechte“), steuert. Die zentrale Auskunftsstelle verantwortet die gesetzeskonforme Bearbeitung geltend gemachter Betroffenenrechte und übernimmt die unmittelbare Kommunikation mit dem Antragsteller. Die Kontaktdaten der zentralen Auskunftsstelle gibt die Muttergesellschaft den Tochtergesellschaften bekannt. (2) Die Tochtergesellschaften werden Betroffenenrechte nicht eigenständig erfüllen. Beschäftigte können ihre Betroffenenrechte allerdings gegenüber allen Parteien geltend machen. Sollten Beschäftigte Betroffenenrechte gegenüber einer Tochtergesellschaft geltend machen, setzt die Tochtergesellschaft die zentrale Auskunftsstelle unverzüglich, d.h. grundsätzlich innerhalb von zwei Werktagen ab Antragseingang, von dem Antrag in Kenntnis. (3) Die Tochtergesellschaften haben gegenüber der Muttergesellschaft bei der Bearbeitung von Betroffenenrechten anweisungsgemäß mitzuwirken. Dies bedeutet insbesondere: a) Die Tochtergesellschaften stellen der zentralen Auskunftsstelle bei Bedarf die erforderlichen Informationen aus ihrem jeweiligen Wirkbereich zur Verfügung, insbesondere um eine Erfüllung des Auskunftsrechts nach Art. 15 DSGVO zu ermöglichen. b) Wenn die zentrale Auskunftsstelle auf Antrag des Betroffenen die Einschränkung von Verarbeitungstätigkeiten (Art. 18, 21 DSGVO) oder die Berichtigung (Art. 16 DSGVO) oder Löschung (Art. 17 DSGVO) von Beschäftigtendaten verlangt, setzten die Tochtergesellschaften dies unverzüglich um; zuvor sind sie im Rahmen angemessener Frist durch die Muttergesellschaft anzuhören, wenn eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Datenverarbeitungstätigkeit zu erwarten ist.

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III. Best Practice

Rz. 12.55 § 12

§ 5 Meldung von Fehlern und Unregelmäßigkeiten (1) Die Tochtergesellschaften informieren die Muttergesellschaft unverzüglich und vollständig, wenn sie bei der Prüfung der Verarbeitungstätigkeiten Fehler oder Unregelmäßigkeiten hinsichtlich datenschutzrechtlicher Bestimmungen feststellen. (2) Der Muttergesellschaft obliegen die aus Art. 33, 34 DSGVO resultierenden Melde- und Benachrichtigungspflichten gegenüber der Aufsichtsbehörde und den von einer Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten betroffenen Personen für sämtliche Wirkbereiche. Die Muttergesellschaft informiert die Tochtergesellschaft unverzüglich über die Meldung von Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten an die Aufsichtsbehörde. Die Tochterunternehmen leiten der Muttergesellschaft die zur Durchführung der Meldung erforderlichen Informationen jeweils unverzüglich zu. § 6 Bekanntgabe des Inhalts dieser Vereinbarung Die Muttergesellschaft verpflichtet sich, den wesentlichen Inhalt der Vereinbarung über die gemeinsame datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit den Beschäftigten zur Verfügung zu stellen (Art. 26 Abs. 2 DSGVO). Dies kann im Rahmen der Datenschutzerklärungen nach § 3 erfolgen. § 7 Datenschutz-Folgenabschätzung Ist eine Datenschutz-Folgenabschätzung gemäß Art. 35 DSGVO erforderlich, unterstützen sich die Parteien gegenseitig. § 8 Nachweise ordnungsgemäßer Datenverarbeitung Dokumentationen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 DSGVO, die dem Nachweis der ordnungsgemäßen Datenverarbeitung dienen, werden durch jede Partei entsprechend den rechtlichen Befugnissen und Verpflichtungen über das Vertragsende hinaus aufbewahrt. § 9 Anweisung von Mitarbeitern Die Parteien stellen innerhalb ihres Wirkbereiches sicher, dass alle mit der Datenverarbeitung befassten Mitarbeitenden die Vertraulichkeit der Daten gemäß Art. 28 Abs. 3, Art. 29 und Art. 32 DSGVO für die Zeit ihrer Tätigkeit wie auch nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses wahren und dass diese vor Aufnahme ihrer Tätigkeit entsprechend auf das Datengeheimnis verpflichtet sowie in die für sie relevanten Bestimmungen zum Datenschutz eingewiesen werden. § 10 Auftragsverarbeiter (1) Die Muttergesellschaft kann zur Verarbeitung von Beschäftigtendaten Auftragsverarbeiter einsetzen. Die Muttergesellschaft ist verpflichtet, namens der Verantwortlichen beim Einsatz von Auftragsverarbeitern im Anwendungsbereich dieser Vereinbarung einen Vertrag nach Art. 28 DSGVO abzuschließen. Hierzu ist die Muttergesellschaft durch die Tochtergesellschaften ermächtigt (§ 167 BGB). Tochtergesellschaften dürfen im Anwendungsbereich dieser Vereinbarung nur mit Zustimmung der Muttergesellschaft eigene Auftragsverarbeiter beauftragen. (2) Die Parteien informieren sich gegenseitig rechtzeitig über jede beabsichtigte Änderung in Bezug auf die Hinzuziehung oder Ersetzung von als Subunternehmer eingesetzten Auftragsverarbeitern und beauftragen nur solche Subunternehmer, die die Anforderungen des Datenschutzrechts und die Festlegungen dieses Vertrages erfüllen. Nicht als Leistungen von Subunternehmern im Sinne dieser Regelung gelten Dienstleistungen, die die Vertragsparteien bei Dritten als Nebenleistung zur Unterstützung der Auftragsdurchführung in Anspruch nehmen, beispielsweise Telekommunikationsdienstleistungen und Wartungen. Die Parteien sind jedoch verpflichtet, zur Gewährleistung des Schutzes und der Sicherheit der personenbezogenen Daten auch bei fremd vergebenen Nebenleistungen angemessene und gesetzeskonforme vertragliche Vereinbarungen zu treffen sowie Kontrollmaßnahmen zu ergreifen.

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§ 12 Rz. 12.55

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

§ 11 Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten Die Parteien nehmen die Verarbeitungstätigkeiten in das Verarbeitungsverzeichnis nach Art. 30 Abs. 1 DSGVO auf, auch und insbesondere mit einem Vermerk zur Natur des Verarbeitungsverfahrens in gemeinsamer oder alleiniger Verantwortung, soweit sie gesetzlich dazu verpflichtet sind, ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten zu führen. § 12 Haftung für Schäden (1) Unbeschadet der Regelungen dieses Vertrages haften die Parteien für den Schaden, der durch eine nicht der DSGVO entsprechende Verarbeitung verursacht wird, im Außenverhältnis gemeinsam gegenüber den betroffenen Personen. (2) Im Innenverhältnis haften die Parteien, unbeschadet der Regelungen dieses Vertrages, nur für Schäden, die innerhalb ihres jeweiligen Wirkbereiches entstanden sind. § 13 Aufnahme weiterer Tochterunternehmen in diese Vereinbarung Die Muttergesellschaft wird durch die Tochtergesellschaften dazu ermächtigt (§ 167 BGB), weitere Gesellschaften, mit denen eine gemeinsam verantwortliche Verarbeitung von Beschäftigtendaten i.S.d. Art. 26 DSGVO erfolgt, als weitere Tochtergesellschaften durch Vertrag in diese Vereinbarung aufzunehmen. Eine rechtsgeschäftliche Mitwirkung der übrigen Tochtergesellschaften bedarf es hierzu nicht. § 14 Schlussbestimmungen (1) Jede Tochtergesellschaft kann diese Vereinbarung mit einer Frist von zwei Wochen textförmlich kündigen. Die Muttergesellschaft kann diese Vereinbarung jederzeit gegenüber jeder Tochtergesellschaft gesondert mit einer Frist von zwei Wochen textförmlich kündigen. Eine Kündigung nach Satz 1 und Satz 2 hat zur Folge, dass die Tochtergesellschaft mit Ablauf der Kündigungsfrist aus dieser Vereinbarung ausscheidet, die Geltung der Vereinbarung zwischen der Muttergesellschaft und den übrigen Tochtergesellschaften jedoch unberührt bleibt. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung unwirksam oder undurchführbar sein oder nach Vertragsschluss unwirksam oder undurchführbar werden, bleibt davon die Wirksamkeit der Vereinbarung im Übrigen unberührt. An die Stelle der unwirksamen oder undurchführbaren Bestimmung soll diejenige wirksame und durchführbare Regelung treten, deren Wirkungen der wirtschaftlichen Zielsetzung am nächsten kommen, die die Vertragsparteien mit der unwirksamen bzw. undurchführbaren Bestimmung verfolgt haben. Die vorstehenden Bestimmungen gelten entsprechend für den Fall, dass sich der Vertrag als lückenhaft erweist. Ort …, Datum … … …



2. Umsetzung gesetzeskonformen Datenschutzmanagements 12.56 Die Umsetzung der gesetzlichen Datenschutzvorgaben kann nicht in einem einmaligen Kraftakt erfolgen, sondern setzt ein iteratives Vorgehen und kontinuierliche Anpassungs- und Verbesserungsprozesse durch ein Datenschutzmanagement voraus1.

12.57 Nachdem Datenschutzmaßnahmen eingeführt und eine Zeit lang angewendet wurden, muss das Datenschutzmanagement sie periodisch überprüfen. Hierbei muss geklärt werden, ob und inwieweit die Datenschutzmaßnahmen im Arbeitsalltag aktiv gelebt und eingehalten werden und ob sie sich als wirksam erweisen. Halten sich Mitarbeiter nicht an beschlossene Vorgaben, müssen ggf. per-

1 Egle/Zeller in von dem Bussche/Voigt, Teil 2 Kapitel 2 Rz. 20 ff.

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III. Best Practice

Rz. 12.59 § 12

sonelle Maßnahmen ergriffen werden (vgl. Rz. 12.34). Möglicherweise zeigen sich in der praktischen Umsetzung auch Mängel bei der beschlossenen Datenschutzmaßnahme selbst. Die Datenschutzmaßnahme sollte dann verbessert und neu erprobt werden1. Zudem ändern sich die durch die Unternehmen praktizierten Datenverarbeitungstätigkeiten laufend. Bei jeder neu eingeführten Software kommen z.B. neue Datenverarbeitungsvorgänge hinzu, die fast immer personenbezogene Beschäftigtendaten zum Gegenstand haben. Das Datenschutzmanagement muss Schritt halten.

12.58

– Jede neu eingeführte Datenverarbeitungstätigkeit ist im Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (Art. 30 DSGVO) ordnungsgemäß zu dokumentieren (vgl. Rz. 12.20 f.). Verarbeitungstätigkeiten, die nicht mehr praktiziert werden, sind aus dem Verzeichnis zu löschen. – Außerdem ist zu prüfen, ob neu eingeführte Datenverarbeitungsprozesse den gesetzlichen Datenschutzanforderungen gerecht werden. Ggf. müssen sie angepasst oder durch Datenschutzmaßnahmen ergänzt werden. In jedem Fall müssen Löschfristen für die im Rahmen des Datenverarbeitungsprozesses erhobenen personenbezogenen Daten implementiert werden (vgl. Rz. 12.22 ff.). – Schließlich müssen die Beschäftigten über jede neu erhobene Datenkategorie gem. Art. 13, 14 DSGVO informiert werden. Naturgemäß verarbeitet das Unternehmen bei jedem seiner Arbeitnehmer so viele unterschiedliche personenbezogene Daten, dass es nicht praktikabel wäre, gesondert zu informieren. Stattdessen empfiehlt es sich, dass die Unternehmen einheitliche Datenschutzerklärungen erstellen, welche über sämtliche praktizierten Datenverarbeitungstätigkeiten zusammengefasst informieren. Üblich ist es, eine solche Datenschutzerklärung getrennt für Arbeitnehmer und für Bewerber (zum Bewerberdatenmanagement vgl. Rz. 23.45 f.) zu erstellen. Da sich die praktizierten Datenverarbeitungstätigkeiten des Unternehmens ändern, müssen auch die Datenschutzerklärungen laufend angepasst werden. Neu eingestellten Arbeitnehmern werden die Datenschutzerklärungen üblicherweise als „Beipackzettel“2 zum Arbeitsvertrag übergeben. An Mitglieder der Stammbelegschaft kann die jeweils aktuelle Fassung der Datenschutzerklärung in periodischen Rundmails übermittelt werden3. Wie konkret im Rahmen der Datenschutzinformation informiert werden muss, ist zwar noch nicht abschließend geklärt. Die h.M. verlangt allerdings vollständige und detaillierte Angaben zu den einzelnen Datenverarbeitungstätigkeiten und rät zu einer Orientierung am Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten (vgl. Rz. 12.45). Nach der Best Practice sollte die Datenschutzinformation diesen Anforderungen gerecht werden und fällt dann sehr umfangreich aus4. Die Datenschutzerklärung für Mitarbeiter kann nach der Best Practice wie folgt gestaltet werden:

M 12.2 Datenschutzrechtliche Mitarbeiter-Information über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten Datenschutzrechtliche Information über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten Im Zusammenhang mit Ihrem Beschäftigungsverhältnis5 verarbeitet unser Unternehmen personenbezogene Daten von Ihnen. Wir möchten Sie gem. Art. 13, 14 der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) darü-

1 2 3 4 5

Egle/Zeller in von dem Bussche/Voigt, Teil 2 Kapitel 2 Rz. 20 ff.; Kreßel, NZG 2018, 841 (844). Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 DSGVO kann die Übermittlung „gegebenenfalls auch elektronisch“ erfolgen. Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 185 (185 ff.). Es empfiehlt sich, von einem Beschäftigungsverhältnis statt von einem Arbeitsverhältnis zu sprechen, damit die Datenschutzinformation inhaltsgleich auch gegenüber Auszubildenden und Praktikanten verwendet werden kann.

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12.59

§ 12 Rz. 12.59

Gesetzeskonforme Datenschutzorganisation

ber informieren, welche Stellen dafür verantwortlich sind, welche Rechte Ihnen zustehen und mit welchen Datenverarbeitungstätigkeiten Sie zu rechnen haben: I. Vorbemerkung Nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Hierbei handelt es sich z.B. um Vor- und Nachname, Geburtsdatum, private und dienstliche Kontaktdaten, Arbeitszeit und Vergütung. Eine Erhebung und Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten erfolgt ausschließlich im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben. Ihre personenbezogenen Daten dürfen nach geltendem Datenschutzrecht nur verarbeitet werden, wenn dies ein Gesetz ausdrücklich erlaubt oder anordnet oder wenn Sie wirksam eingewilligt haben. Die Verarbeitung Ihrer personenbezogenen Daten ist nach § 26 Abs. 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. b DGSVO insbesondere dann erlaubt, wenn dies für die Begründung, die Durchführung oder die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Das gleiche gilt, soweit die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen der verantwortlichen Stelle für andere Zwecke als das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass Ihr schutzwürdiges Interesse als Betroffener an dem Ausschluss der Verarbeitung oder Nutzung überwiegt (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. f DSGVO). Darüber hinaus treffen Arbeitgeber in vielen Fällen rechtliche Verpflichtungen, zu deren Erfüllung personenbezogene Daten berechtigterweise verarbeitet werden müssen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. c DSGVO). Auch auf der Grundlage von Kollektivvereinbarungen, insbesondere Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen, können personenbezogene Daten verarbeitet werden (Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 BDSG)1. II. Verantwortliche Stelle Verantwortliche gem. Art. 4 Nr. 7 DSGVO für die im Zuge Ihres Beschäftigungsverhältnisses erfolgenden Datenverarbeitungsvorgänge, sind mehrere Konzerngesellschaften unserer Unternehmensgruppe gemeinsam (Art. 26 DSGVO), nämlich als Muttergesellschaft die … sowie die Tochterunternehmen … …2 Welche Aufgaben die jeweiligen Konzerngesellschaften bei der gemeinsamen Datenverarbeitung übernehmen, ist zwischen den Konzerngesellschaften durch schriftliche Vereinbarung geregelt. – Gegenständlich bezieht sich die gemeinsame Verantwortlichkeit auf die Verarbeitung von sämtlichen personenbezogenen Daten aller Beschäftigten der Konzerngesellschaften. – Der Grund für die gemeinsame Datenverarbeitung liegt darin, dass bei der Muttergesellschaft ein zentrales Datenmanagement für Beschäftigtendaten und eine zentrale Personalabteilung eingerichtet ist. – Zwischen den Konzerngesellschaften ist festgelegt, dass die Muttergesellschaft dafür zuständig ist, einheitlich strukturierte Datenverarbeitungsprozesse, Datenbanken und sonstige Dateisysteme einzurichten. Die Tochtergesellschaften werden diese Einrichtungen nutzen und die personenbezogenen Daten

1 Im Eingangsteil bietet sich eine nähere Erläuterung der Rechtsgrundlagen an. Bislang ist umstritten, inwieweit eine für Laien verständliche Darlegung der Rechtslage gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO erforderlich ist. Dazu Paal/Hennemann in Paal/Pauly, Art. 13 DSGVO Rz. 16. 2 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a, Art. 14 Abs. 1 lit. a DSGVO müssen der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen benannt werden. Ist der Arbeitnehmer bei einem Tochterunternehmen angestellt und die Personalabteilung bei einer Konzernmutter angesiedelt, handeln beide Unternehmen i.d.R. als gemeinsam Verantwortliche i.S.d. Art. 26 DSGVO (vgl. Rz. 12.12). Dies erleichtert den Datenaustausch. Die Konzernunternehmen müssen ihre Beziehung allerdings in einer vertraglichen Vereinbarung regeln.

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ihrer Beschäftigten dort einpflegen. Die Datenverarbeitung durch die Tochtergesellschaften wird durch Mitarbeiter der Muttergesellschaft, insbesondere aus der Personalabteilung, unterstützt. Außerdem legt die Muttergesellschaft Datenschutzmaßnahmen und Datenschutzvorgaben fest, die alle Tochterunternehmen befolgen und umsetzen. – Ihre datenschutzrechtlichen Ansprüche können Sie sowohl gegenüber Tochtergesellschaften als auch gegenüber der Muttergesellschaft geltend machen. Anträge, die bei Tochtergesellschaften eingehen, werden an die Muttergesellschaft weitergeleitet. In jedem Fall werden Ihre Anträge durch die Muttergesellschaft bearbeitet, die zu diesem Zweck an Sie herantritt. Hierzu ist bei der Muttergesellschaft eine zentrale Stelle eingerichtet. Dankbar wären wir Ihnen, wenn Sie diese Stelle bei Geltendmachung von Ansprüchen direkt kontaktieren. Sie erreichen diese unter ….1 Für alle datenschutzbezogenen Anliegen können Sie sich jederzeit gerne an den Konzerndatenschutzbeauftragten wenden, dessen Name und Kontaktdaten stets auf unserer Unternehmenswebseite bekannt gegeben werden (derzeit unter …). Konzerndatenschutzbeauftragter ist zurzeit …2 III. Ihre datenschutzrechtlichen Ansprüche Soweit personenbezogene Daten verarbeitet werden, die sich auf Sie als natürliche Person beziehen, stehen Ihnen gegenüber der verantwortlichen Stelle verschiedene datenschutzrechtliche Ansprüche zu. Sie haben nach Maßgabe von § 34 BDSG, Art. 15 DSGVO das Recht auf Auskunft, z.B. über die zu Ihrer Person gespeicherten Daten und deren Herkunft, die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung3. Darüber hinaus haben Sie ggf. nach Maßgabe von § 35 BDSG, Art. 15-18 DSGVO Anspruch auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung Ihrer personenbezogenen Daten. Gemäß § 36 BDSG, Art. 21 DSGVO können Sie der Verarbeitung der Sie betreffenden personenbezogenen Daten jederzeit widersprechen. Außerdem können Sie gem. Art. 20 DSGVO den Erhalt und die Übertragung der Daten auf eine andere verantwortliche Stelle verlangen, z.B. auf einen neuen Arbeitgeber4. Schließlich haben Sie nach Art. 77 DSGVO das Recht zur Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzbehörde5. Am Sitz unseres Unternehmens zuständig ist der …6 IV. Übersicht über relevante Datenverarbeitungsvorgänge Wir geben Ihnen einen Überblick über die Datenverarbeitungsvorgänge, die im Verlauf des Beschäftigungsverhältnisses Ihre personenbezogenen Daten betreffen können:

1 Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 2 DSGVO ist den Betroffenen das wesentliche aus der Vereinbarung der gemeinsam verantwortlichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das wichtigste ist, dass den Betroffenen die Anlaufstelle transparent mitgeteilt wird, bei der sie ihre Betroffenenrechte geltend machen können, Lezzi/Oberlin, ZD 2018, 398 (401 f.). 2 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. b, Art. 14 Abs. 1 lit. b DSGVO müssen Name und Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten mitgeteilt werden. 3 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. b, Art. 14 Abs. 2 lit. c DSGVO muss über das Auskunftsrecht des Art. 15 DSGVO belehrt werden. 4 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. b, Art. 14 Abs. 2 lit. c DSGVO ist über die Rechte auf Berichtigung, Löschung, Einschränkung, Widerspruch sowie der Datenübertragbarkeit zu belehren. 5 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. d, Art. 14 Abs. 2 lit. e DSGVO ist auf das bestehende Beschwerderecht bei der zuständigen Datenschutzbehörde hinzuweisen. 6 Ob die Kontaktdaten der Aufsichtsbehörde angegeben werden müssen, ist umstritten, aber aus Vorsichtsgründen mit der h.M. zu empfehlen, vgl. Paal/Hennemann in Paal/Pauly, Art. 13 DSGVO Rz. 29; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 39; a.A. Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 24.

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– Ihre Bewerbungsunterlagen1 werden zu Ihrer Personalakte genommen. Es handelt sich dabei um Unterlagen, welche Sie uns im Zuge des Bewerbungsprozesses übermittelt haben2. Die Bewerbungsunterlagen werden verwendet, um im Rahmen von Personalentscheidungen, Personalbeurteilungen und Personalplanungen über Ihr Persönlichkeitsprofil und Ihre Qualifikationen zu unterrichten. Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung sind Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. b DSGVO, § 26 Abs. 1 BDSG3. Die Bewerbungsunterlagen werden regulär gelöscht, sobald Ihr Beschäftigungsverhältnis beendet ist und seit Schluss des Jahres der Beendigung weitere drei Jahre verstrichen sind4. – Ihre Arbeitszeit sowie Krankheits-, Urlaubs- und sonstige Abwesenheitszeiten werden erfasst. Eine Arbeitszeiterfassung ist gesetzlich vorgeschrieben und Sie müssen daran teilnehmen5. Sie dient der Überwachung der gesetzlichen Arbeitszeitvorgaben, der Berechnung von Lohnansprüchen und der Kontrolle und statistischen Erfassung der Anwesenheitszeiten als Grundlage für Personalentscheidungen und Personalplanungen, als Arbeitszeitbeleg für gerichtliche und außergerichtliche Rechtsstreitigkeiten sowie für Steuer-, Sozialversicherungs- und Wirtschaftsprüfungen. Ihre An- und Abwesenheitszeiten können Kunden und anderen Geschäftspartnern zu Abstimmungszwecken mitgeteilt werden6. Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung sind Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. b u. lit. c DSGVO, § 26 Abs. 1 u. 3 BDSG. Eine reguläre Löschung erfolgt drei Jahre nach Schluss des Jahres, in dem der Lohnanspruch für die erfassten Arbeitszeiten fällig geworden ist. – [… An dieser Stelle sind alle weiteren praktizierten Datenverarbeitungstätigkeiten des verantwortlichen Arbeitgebers entsprechend der spezifischen Situation im Unternehmen anzugeben bzw. zu beschreiben und transparent zu erläutern7.] Im Verlauf Ihres Beschäftigungsverhältnisses können weitere personenbezogene Daten automatisiert erhoben oder in Dateisystemen gespeichert werden8. Relevante personenbezogene Datenkategorien können insbesondere Angaben, Dokumentationen, Berichte und Gutachten zu Prozessen, organisatorischen Festlegungen, Aufgaben und Arbeitsleistungen sein, an welchen Sie als Beschäftigter unseres Unternehmens beteiligt sind, sowie sämtliche sonstigen Personaldaten. Sollten unternehmensübergreifende Vorgänge betroffen sein, kann eine Weitergabe der erhobenen Daten an andere Konzernunternehmen, an Kunden oder Geschäftspartner erfolgen, soweit diese Weitergabe erforderlich und gem. Art. 6 DSGVO, § 26 Abs. 1 BDSG datenschutzrechtlich zulässig ist. Wenn dies eine ordnungsgemäße Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten erfordert oder Sie durch Vorgesetzte angewiesen werden, besteht eine Rechtspflicht zur Mitteilung Ihrer personenbezogenen Daten.

1 Nach Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO müssen die Kategorien der zu verarbeitenden Daten benannt werden. 2 Nach Art. 14 Abs. 2 lit. f DSGVO ist bei nicht vom Beschäftigten erhobenen Daten über deren Quelle zu informieren. 3 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO ist über die Zwecke und Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung zu informieren. 4 Der Verantwortliche muss nach Art. 13 Abs. 2 lit. c, Art. 14 Abs. 2 lit. a DSGVO die Speicherdauer angeben. In diesem Punkt muss die Datenschutzerklärung exakt an die bestehenden Löschkonzepte angepasst werden. 5 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. e DSGVO ist bei einer Datenerhebung beim Beschäftigten darüber zu informieren, ob er zur Mitwirkung an der Datenerhebung verpflichtet ist. 6 Angegeben werden muss gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. e, Art. 14 Abs. 1 lit. e DSGVO, an welche Kategorien von Empfängern personenbezogene Daten weitergegeben werden. 7 Eine rechtssicher formulierte Datenschutzerklärung erläutert sämtliche Datenverarbeitungsprozesse, die im Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten nach Art. 30 DSGVO aufgeführt sind und Beschäftigtendaten betreffen. Dies hat zur Folge, dass die Datenschutzerklärung unvermeidlich mehrere Seiten umfasst (vgl. Rz. 12.46). 8 Die Datenschutzerklärung sollte sicherheitshalber mit einem „generalklauselartigen“ Auffanghinweis abgeschlossen werden. Ob dieser Hinweis ausreicht, um für weitere, nicht im Einzelnen benannte Datenverarbeitungsprozesse die Informationspflichten nach Art. 13, 14 DSGVO zu erfüllen, ist aber unsicher und zweifelhaft. Er kann deshalb eine sorgfältige und vollständige Information nicht ersetzen.

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Außer bei Ihnen selbst werden personenbezogene Daten auch aus allgemein zugänglichen Quellen sowie über andere Mitarbeiter erhoben. Zwecke, zu denen personenbezogene Daten unter diesen Bedingungen erhoben werden können, sind – die Erfüllung des Arbeitsvertrags einschließlich der Erfüllung gesetzlicher und kollektivrechtlicher Pflichten, – Zwecke des Managements, der Prozessoptimierung und der Organisation der Arbeit, – Wirtschafts- und Personalplanung, – Vorbereitung von Personal- und sonstigen Unternehmensentscheidungen, – Sicherung von Belegen für gerichtliche und außergerichtliche Rechtsstreitigkeiten sowie für Wirtschafts-, Steuer-, Sozialversicherungs- und sonstige Prüfungen, – Sicherheits-, Qualitäts-, Verhaltens- und Leistungskontrollen, – Sicherstellung von Gesundheit, Gleichheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, – Schutz des Eigentums und sonstiger Rechte des Arbeitgebers oder der Kunden und Geschäftspartner, – Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses sowie – Inanspruchnahme der Rechte der Beschäftigten. Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitungsvorgänge sind Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit. b u. lit. f DSGVO, § 26 Abs. 1 u. 3 BDSG. Die erhobenen personenbezogenen Daten werden gelöscht, sobald der Vorgang abgeschlossen ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr rekonstruiert werden muss. Dies ist i.d.R. der Fall, wenn die Verjährungsfristen für etwaige aus dem Vorgang resultierende Rechtsansprüche abgelaufen ist. Nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre; abhängig von der Rechtsnatur der infrage kommenden Ansprüche können aber auch Verjährungsfristen von bis zu 30 Jahren maßgeblich sein. Aus Handels-, Sozial- und Steuergesetzen können sich für bestimmte Unterlagen zudem bis zu zehnjährige Aufbewahrungspflichten ergeben, die unser Unternehmen zwingend beachten muss. In Betracht kommt, dass elektronisch gespeicherte Daten durch Auftragsverarbeiter z.B. im Rahmen von Cloud-Dienstleistungen verwaltet werden. Sämtliche Auftragsverarbeiter werden gem. Art. 28 DSGVO durch detaillierte vertragliche Garantien dazu verpflichtet, mit technischen und organisatorischen Maßnahmen den Schutz Ihrer personenbezogenen Daten sicherzustellen. Personenbezogene Daten können zudem an zuständige Behörden und Gerichte sowie an Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater und vergleichbare, zur Geheimhaltung verpflichtete Dienstleister mit besonderer Vertrauensstellung übermittelt werden. Eine Weitergabe Ihrer personenbezogenen Daten an Dritte erfolgt in jedem Fall nur insoweit, wie dies zur Erreichung der angegebenen Verwendungszwecke erforderlich und nach Art. 6 DSGVO, § 26 Abs. 1 BDSG datenschutzrechtlich zulässig ist. Hiermit bestätige ich, dass ich die vorstehende datenschutzrechtliche Information sorgfältig gelesen und zur Kenntnis genommen habe. Ort …, Datum …

… Unterschrift1

1 Eine Empfangs- und Lesebestätigung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben und verzichtbar. Sie ist aber aus Dokumentationszwecken sinnvoll.

Singraven/Kohm

273

§ 13 Rz. 13.1

Digitale Personalakte

§ 13 Digitale Personalakte I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff und Grundlage der Personalakte 2. Inhalt der Personalakte . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Aktenführung . . . . . . . . a) Wahrheitspflicht/Richtigkeit . . . . . . . b) Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertraulichkeit/Datenschutz . . . . . . . 4. Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.1 13.5 13.6 13.11 13.12 13.13 13.14 13.15 13.19

5. 6.

7. III.

a) Einhaltung Schriftform/Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . b) Beweiswert und Prozessuales . . . . . . Aufbewahrungspflichten . . . . . . . . . . . . Rechte des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . a) Einsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berichtigungsanspruch . . . . . . . . . . . c) Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . . Rechte des Betriebsrats . . . . . . . . . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13.20 13.25 13.29 13.30 13.31 13.33 13.35 13.36 13.42

Literatur: Besgen/Prinz, Arbeiten 4.0, 4. Aufl. 2018; Diller/Schuster, Rechtsfragen der elektronischen Personalakte, DB 2008, 928; Franzen, Das Verhältnis des Auskunftsanspruchs nach DSGVO zu personalaktenrechtlichen Einsichtsrechten nach dem BetrVG, NZA 2020, 1593; Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl. 2020; Gola, Handbuch Beschäftigtendatenschutz, 8. Aufl. 2019; Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2017, Edition 16; Herfs-Röttgen, Rechtsfragen rund um die Personalakte, NZA 2013, 478; Hitzelberger-Kijima, Die elektronische Personalakte, öAT 2016, 87; Kiel/Lunk/Oetker, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Individualarbeitsrecht I, Band 1, 5. Aufl. 2021; Kort, Rechte des Betriebsrats auf Daten der elektronischen Personalakte – Aufgabenerfüllung der Personalvertretung und Arbeitnehmerdatenschutz, ZD 2015, 3; Kramer, IT-Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Lemke, Datenschutz in der Betriebsratsarbeit, 2. Aufl. 2019, Edition 25; Lüthge/Springer, Vollständige Digitalisierung von Personalakten: Rechtslage, Risiken und Sicherheitsvorkehrungen bei der Vernichtung von Unterlagen mit Schriftformerfordernis, BB 2017, 1397; Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Aufl. 2022; Poguntke/von Villiez, Digitale Dokumente und elektronischer Rechtsverkehr im Arbeitsrecht, NZA 2019, 1097; Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 17. Aufl. 2022; Röller, Küttner Personalbuch, 28. Aufl. 2021, Stand: 26.3.2021; Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Band 1, 9. Aufl. 2021; Schaub/Koch, Arbeitsrecht von A-Z, 25. Aufl. 2021; Sörup/Zikesch, Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch im Beschäftigtenverhältnis (Teil 2), ArbRAktuell 2020, 382; Taeger/Pohle, Computerrechts-Handbuch, Werkstand: 36. EL Februar 2021; Thüsing/Rombey, Die „schriftlich oder elektronisch“ erteilte Einwilligung des Beschäftigten nach dem neuen Formerfordernis in § 26 II 3 BDSG, NZA 2019, 1399; Zöll/Schönbach, Die digitale Personalakte, AuA 2018, 217.

I. Worum geht es? 13.1 Die Digitalisierung schreitet in allen Bereichen unaufhaltsam voran und dürfte spätestens mit Beginn der Corona-Pandemie den Arbeitsalltag der meisten Arbeitnehmer verändert haben; insbesondere die Remote-Tätigkeit – überwiegend aus dem Homeoffice – hat einen regelrechten Schub erhalten. Hierbei hat sich außerdem gezeigt, dass die Digitalisierung von Arbeitsabläufen zum einen die Arbeit deutlich effizienter macht, zum anderen in der neuen Arbeitswelt unabdingbar ist.

13.2 Während in vielen Bereichen ohnehin nahezu ausschließlich digital gearbeitet wird, die Arbeit also mit dem Smartphone, Laptop und/oder Tablet verrichtet wird, gibt es einen Bereich, der strukturell etwas „hinterherhinkt“: Die Personal- bzw. HR (Human Resources) -Abteilung (um in der Sprache der modernen Arbeitswelt zu bleiben). HR-Mitarbeiter brauchen für ihre Tätigkeit täglich Zugriff auf Personalakten, die aber weitestgehend nur in Papierform („physische Personalakte“) vorliegen. Zwar behelfen sich viele HR-Abteilungen damit, dass sie die wesentlichen Dokumente einscannen 274

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.6 § 13

und diese dann per E-Mail verschicken bzw. auf einem (ggf. allgemein zugänglichen) Laufwerk als „normale“ Dateien abspeichern. Dabei handelt es sich jedoch um eine Notlösung, die beachtliche Risiken birgt. Das nachfolgend besprochene Verständnis einer digitalen Personalakte entspricht vielmehr dem einer Personalverwaltungssoftware, in der Daten und Dokumente zentral (auf einem Server oder in einer Cloud) gespeichert werden und auf die nur über die entsprechende Software im Rahmen definierter Berechtigungsprofile Zugriff genommen werden kann. Physische Personalakten sind gerade bei mittleren und größeren Unternehmen mit hunderten oder 13.3 gar tausenden Mitarbeitern wenig praktikabel. Neben der hierfür erforderlichen Bürofläche bindet die physische Personalakte die HR-Mitarbeiter örtlich an den Betrieb, wodurch bspw. eine Tätigkeit im Homeoffice deutlich erschwert wird. Die digitale Personalakte hingegen hat zahlreiche Vorteile, die sich teilweise erst bei näherer Betrachtung zeigen:

13.4

– Der auffälligste Vorteil ist die erhebliche Platzersparnis, die regelmäßig zu einer beachtlichen Mietersparnis im Hinblick auf die erforderliche Bürofläche führt. – Mit der Digitalisierung (inkl. entsprechender Back-ups) kann regelmäßig eine größere Sicherheit der Dokumente in dem Sinne erreicht werden, dass ein Verlust oder eine Beschädigung weniger wahrscheinlich ist als bei der physischen Personalakte. – Es wird ein höherer Grad an Vertraulichkeit erreicht, da durch technische Maßnahmen – insbesondere Berechtigungsprofile – sichergestellt werden kann, dass nur berechtigte Personen Zugriff auf die sensiblen Daten nehmen können. – Vertraulichkeit und Datenschutz können im Übrigen auch durch die Kategorisierung einzelner Teile der Personalakte in verschiedene Vertraulichkeitsstufen sichergestellt werden. – Die Erfüllung von Auskunftsansprüchen ist deutlich einfacher und effizienter möglich. – Die Arbeitsabläufe werden stark vereinfacht, bspw. durch die Möglichkeit einer automatischen Suche nach Stichwörtern innerhalb der digitalen Personalakte. – Von besonderem Wert ist die ständige Zugriffsmöglichkeit von überall (bspw. Homeoffice), auch von mehreren Mitarbeitern gleichzeitig. – Je nach Software und Verknüpfung mit weiteren Anwendungen (bspw. digitale Arbeitszeiterfassung), kann die digitale Personalakte Arbeitgebern relativ einfach Analysen ermöglichen und das Controlling im Personalbereich signifikant verbessern.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Um die Gesamtproblematik und die rechtlichen Herausforderungen bei der Einführung und Verwendung einer digitalen Personalakte verstehen zu können, ist es unabdingbar, ein Verständnis für den Begriff der Personalakte und deren rechtlichen Hintergründe zu erlangen. Daher werden im Folgenden die wesentlichen rechtlichen Grundsätze zur Personalakte im Allgemeinen sowie die sich bei der Einführung bzw. dem Führen einer digitalen Personalakte ergebenden rechtlichen und praktischen Herausforderungen, wenn vorhanden, im Speziellen erläutert.

13.5

1. Begriff und Grundlage der Personalakte Zwar wird das Vorhandensein einer Personalakte in einigen gesetzlichen Regelungen vorausgesetzt (so bspw. in § 83 BetrVG, § 3 Abs. 5 TVöD-AT), es existiert jedoch weder eine Legaldefinition der Personalakte noch ist das Vorhalten einer Personalakte für den Arbeitgeber verpflichtend. Vielmehr

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275

13.6

§ 13 Rz. 13.6

Digitale Personalakte

steht es dem Arbeitgeber frei, eine Personalakte zu führen. Dies ergibt sich aus seiner betrieblichen Leitungs- und Organisationsmacht1. Aufgrund dieser ist der Arbeitgeber auch berechtigt, die Form sowie die für die Aktenführung verantwortlichen Personen zu bestimmen. Da allerdings eine effiziente Personalplanung und -verwaltung ohne Personalakten kaum vorstellbar ist, ist in der Praxis die Personalakte fester Bestandteil einer jeden HR-Abteilung.

13.7 In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung hat die Rechtsprechung eine inzwischen weitestgehend gefestigte Definition der Personalakte entwickelt. So unterscheidet die Rechtsprechung zwischen der sog. formellen sowie der materiellen Personalakte.

13.8 Unter der Personalakte im formellen Sinn ist die Ansammlung derjenigen Schriftstücke und Unterlagen zu verstehen, welche der Arbeitgeber als „Personalakte“ führt und die dieser als Bei-, Nebenoder Sonderakten zugeordnet ist2. Derartige Aktenbestände sind äußerlich erkennbar in Ordnern, Heftern oder Blattsammlungen geführt, entsprechend gekennzeichnet und nach der Art ihrer Registrierung oder Aufbewahrung als zueinander gehörend bestimmbar3.

13.9 Die Zugehörigkeit zu der Personalakte im materiellen Sinn bestimmt sich hingegen nach inhaltlichen Kriterien. Danach sind Personalakten eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen, ohne dass es auf eine äußere Zuordnung ankommt4. Daher gehören auch außerhalb der eigentlichen Personalakte geführte Neben- oder Sonderakten zur Personalakte im materiellen Sinn5. Hierunter fallen grundsätzlich alle den Arbeitnehmer betreffenden tatsächlichen Angaben oder Dokumente. Das sind u.a. die Bewerbungsunterlagen, Arbeitsbescheinigungen, Personalfragebögen, der Arbeitsvertrag samt aller Zusatzvereinbarungen sowie sämtliche Aufzeichnungen, die bei der Durchführung des Arbeitsverhältnisses angefertigt werden (wie z.B. über Zeiten der Arbeitsunfähigkeit inklusive der entsprechenden Bescheinigungen, Lohn- und Gehaltsbescheinigungen, Aufzeichnungen zum Urlaub sowie der Arbeitszeit im Allgemeinen, Bescheinigungen und/oder Zeugnisse über die Teilnahme an Fortbildungen o.Ä., sonstiger Schriftwechsel zwischen den Arbeitsvertragsparteien)6. Auch individuelle Bewertungen seitens des Arbeitgebers über den Arbeitnehmer sind Bestandteil der Personalakte7. Soweit es um die Personalakte geht, ist aus rechtlicher Sicht immer die materielle Personalakte entscheidend8.

13.10 Dementsprechend sollten Arbeitgeber zur Vermeidung von Streitigkeiten und um selbst ein klares Bild vom Inhalt der Personalakte zu haben, dafür Sorge tragen, dass alle zur materiellen Personalakte gehörenden Unterlagen sich auch tatsächlich in der formellen Personalakte wiederfinden. Im Übrigen ist es, um die vorgenannten Grundsätze und insbesondere die Rechte des Arbeitnehmers nicht zu umgehen, dem Arbeitgeber nicht gestattet, eine geheime Personalakte zu führen9. Für die digitale Personalakte ergeben sich im Hinblick auf diese Grundsätze keine Besonderheiten.

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 6. BAG v. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09, ArbRB 2011, 101 = juris Rz. 13. BAG v. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09, ArbRB 2011, 101 = juris Rz. 13. BAG v. 16.11.2010 – 9 AZR 573/09, ArbRB 2011, 101 = juris Rz. 13. Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 3. Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 3. Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 4. Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 1. BAG v. 16.10.2007 – 9 AZR 110/07, ArbRB 2008, 134 = juris Rz. 28; Feichtinger/Esskandari in Grobys/ Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 5.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.15 § 13

2. Inhalt der Personalakte Da es weder eine gesetzliche noch eine vertragliche Pflicht zum Führen einer Personalakte gibt, kann es naturgemäß auch keine zwingenden Inhalte einer Personalakte geben. Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Daten, ohne die eine ordnungsgemäße Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht möglich wäre und die daher Inhalt einer jeden Personalakte sein sollten; hinzu kommen Unterlagen, für die sich eine Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht aus dem Gesetz ergibt. Typischerweise finden sich in der Personalakte die erforderlichen Daten zum Zwecke der Durchführung einer Sozialauswahl (Alter, Unterhaltspflichten, Dauer der Betriebszugehörigkeit, etwaige Schwerbehinderung), der korrekten Lohnabrechnung (Kirchenzugehörigkeit und Sozialversicherungsdaten), der Erfüllung gesetzlicher Pflichten (bspw. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, die ggf. zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verpflichten), der Arbeitsvertrag samt etwaiger Änderungs- und Ergänzungsvereinbarungen, Bewerbungsunterlagen sowie Nachweise über weitere Fortbildungen und Qualifikationen.

13.11

Im Übrigen sind die nachfolgenden Grundsätze der Aktenführung zu beachten.

3. Grundsätze der Aktenführung Hinsichtlich der Art und Weise der Aktenführung haben sich in Ermangelung gesetzlicher Vorgaben in der Rechtsprechung gewisse Grundsätze der Personalaktenführung herausgebildet.

13.12

a) Wahrheitspflicht/Richtigkeit Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass die Angaben in der Personalakte richtig sind und der Wahrheit entsprechen1. Dieser Grundsatz betrifft im Wesentlichen die in der Personalakte enthaltenen Tatsachen, gilt aber grundsätzlich auch für dienstliche Beurteilungen. Bei diesen ist allerdings nur eine eingeschränkte Überprüfbarkeit dahingehend möglich, ob ein fehlerfreies Verfahren durchgeführt und allgemeine Beurteilungsmaßstäbe eingehalten wurden und das Ergebnis sich auf richtige Tatsachen stützt2.

13.13

b) Vollständigkeit Die Personalakte muss vollständig sein in dem Sinne, dass nicht durch die Nichtaufnahme oder Entfernung bestimmter Unterlagen ein verzerrtes Bild und hierdurch eine unzutreffende Beschreibung des Arbeitnehmers entsteht3. Im Grundsatz bleibt es allerdings in der Entscheidungsmacht des Arbeitgebers, zu bestimmen, welche Dokumente und Daten er in die Personalakte aufnehmen möchte4. Auch hat er ein legitimes Interesse daran, dass die Personalakte möglichst lückenlos über die Person des Arbeitnehmers und dessen dienstliche Laufbahn Aufschluss gibt5. Einmal aufgenommene Daten oder Unterlagen können jedoch nicht ohne Weiteres wieder entfernt werden6.

13.14

c) Vertraulichkeit/Datenschutz Besonders wichtig ist der Grundsatz der Vertraulichkeit. Dieser gebietet es, zum einen den unbe- 13.15 rechtigten Zugriff intern oder gar durch Dritte zu verhindern sowie zum anderen den Kreis der Zu1 Raif in Kramer, B. Individualarbeitsrecht, Rz. 1010. 2 BAG v. 18.11.2008 – 9 AZR 865/07, ArbRB 2009, 135 = juris Rz. 26; Feichtinger/Esskandari in Grobys/ Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 41; Herfs-Röttgen, NZA 2013, 478 (479). 3 Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 11; Herfs-Röttgen, NZA 2013, 478 (480). 4 Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 6. 5 BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, ArbRB 2007, 97 = juris Rz. 23. 6 Reichold in MünchHBArbR, § 95 Rz. 11.

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277

§ 13 Rz. 13.15

Digitale Personalakte

griffsberechtigten möglichst klein zu halten1. Hierzu hat der Arbeitgeber technische und organisatorische Maßnahmen zu treffen. So sind die Personalakten so aufzubewahren, dass ein Zugriff durch Unbefugte schwerlich möglich ist (üblicherweise durch Aufbewahrung in einem abgeschlossenen Aktenschrank in einem abgeschlossenen Büro). Außerdem sind die Arbeitnehmer, denen der Umgang mit den Personalakten ermöglicht wird, auf einen vertraulichen Umgang hinzuweisen und entsprechend zu schulen2. Zu beachten ist weiterhin, dass es abgestufte Vertraulichkeitsanforderungen je nach Sensibilität der Unterlagen und Informationen geben kann3. Dabei muss gewährleistet sein, dass bei der Bearbeitung von alltäglichen Personalangelegenheiten nicht zufällig in besonders sensible Teile der Personalakte Einsicht genommen werden kann; darunter fallen insbesondere Gesundheitsdaten4. Bei einer physischen Personalakte wird dies üblicherweise dadurch erreicht, dass die sensiblen Daten entweder in einer schwer zugänglichen Zweit- oder Beiakte aufbewahrt werden oder die Akte selbst einen zusätzlichen geschützten Teil enthält, beispielsweise einen abgeschlossenen Umschlag im hinteren Teil.

13.16 Während der Arbeitgeber bereits arbeitsvertraglich zum vertraulichen Umgang mit den Daten der Arbeitnehmer verpflichtet ist, sind daneben selbstverständlich noch die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften nach dem BDSG und der DSGVO zu beachten. Hierbei sind die in § 12 beschriebenen Anforderungen einzuhalten5. Hinweis: Auch bei einer lediglich physischen Aktenführung haben Arbeitgeber die Anforderungen der DSGVO und des § 26 BDSG zu beachten6. Physische Akten enthalten ebenfalls personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO, die zwar nicht automatisiert verarbeitet, aber in einer strukturierten Sammlung und damit in einem Dateisystem gem. Art. 4 Nr. 6 DSGVO geführt werden.

13.17 Insbesondere für die Einhaltung der Vertraulichkeit sowie des Datenschutzes eignet sich die digitale Personalakte hervorragend. Denn in dieser können zum einen die einzelnen Teile der Personalakte in sensible und sehr sensible Daten kategorisiert werden; zum anderen kann durch ein differenziertes Berechtigungskonzept sichergestellt werden, dass nur berechtigte Mitarbeiter im erforderlichen Maße auf die Personalakte bzw. Teile davon Zugriff nehmen können.

13.18 Die genaue Ausgestaltung des Berechtigungskonzepts ist von den konkreten Gegebenheiten im Betrieb bzw. Unternehmen abhängig und daher individuell festzulegen. Dabei ist im ersten Schritt der Inhalt der Personalakte zu kategorisieren; neben der Kategorisierung in sensible und sehr sensible Daten ist auch eine aufgabenbezogene Kategorisierung denkbar, bspw. für „Lohnbuchhaltung“ oder „Personalentwicklung“. Im nächsten Schritt sind die verschiedenen technischen Zugriffsmöglichkeiten (Lesen, Hinzufügen, Ändern, Herunterladen, Löschen von Daten oder Dokumenten) zu bestimmen. Anschließend werden die einzelnen Berechtigungsprofile definiert (welche Zugriffsmöglichkeit auf welche Kategorie) und zugewiesen. Berechtigungsprofile, die typischerweise immer eingerichtet sein sollten, sind „Arbeitnehmer“, „Lohnbuchhaltung“, „HR-Abteilung/Mitarbeiter“, „Vorgesetzter/Geschäftsführung“.

1 BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, ArbRB 2007, 97 = juris Rz. 24. 2 Vgl. BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, ArbRB 2007, 97 = juris Rz. 24. 3 BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, ArbRB 2007, 97 = juris Rz. 25; vgl. Feichtinger/Esskandari in Grobys/ Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 22. 4 BAG v. 12.9.2006 – 9 AZR 271/06, ArbRB 2007, 97 = juris Rz. 25 f. 5 Bei Bestehen einer übergreifenden Personalabteilung im Konzern s. insb. Rz. 12.12 ff. 6 Koch in Schaub/Koch, Personalakten.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.22 § 13

4. Formvorschriften Auch wenn die tägliche Arbeit im Unternehmen inzwischen nahezu ausschließlich digital abgewickelt wird, gibt das Gesetz für zahlreiche Rechtsgeschäfte eine bestimmte Form vor, die zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts eingehalten werden muss. Die größte Rolle spielt hierbei das Schriftformerfordernis i.S.d. § 126 BGB. Es ist unerlässlich, ein Grundverständnis für diese Formvorschriften zu haben, um die richtigen Abwägungsentscheidungen bei der Einführung der digitalen Personalakte zu treffen. Diese Formvorschriften sind aus zwei Blickwinkeln zu betrachten, die es zu unterscheiden gilt: Die rechtliche Wirksamkeit und die praktische Nachweisbarkeit.

13.19

a) Einhaltung Schriftform/Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts Das Schriftformerfordernis hat zur Folge, dass zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts die Einhaltung der Schriftform zwingend notwendig ist; ein nicht in Schriftform abgeschlossenes Rechtsgeschäft, bei dem ein Schriftformerfordernis besteht, ist grundsätzlich nichtig, § 125 BGB.

13.20

Soweit das Gesetz die Schriftform vorsieht, ist damit die Schriftform i.S.d. § 126 BGB gemeint. Danach liegt Schriftform vor bei eigenhändiger Namensunterschrift oder notariell beglaubigten Handzeichens auf der Urkunde (Letzteres spielt in der Praxis kaum eine Rolle). Daneben sieht das Gesetz aber auch die Möglichkeit einer der Schriftform nahezu gleichgestellten elektronischen Form vor, § 126 Abs. 3, § 126a BGB. Bei dieser handelt es sich aber nicht um eine einfache digitale Erklärung, sondern es ist eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich. Eine Erklärung per E-Mail erfüllt nicht diese Anforderungen. Auch bei einer eingescannten Unterschrift oder einem Scan eines eigenhändig unterschriebenen Dokuments liegt keine elektronische Form im Sinne des Gesetzes vor1. Es bedarf vielmehr spezieller Programme, die eine solche qualifizierte und geprüfte Signatur erzeugen können. Zudem bedarf es grundsätzlich des vorherigen Einverständnisses des anderen Vertragsteils, das Rechtsgeschäft in elektronischer Form abzuschließen2. Anderenfalls geht die Erklärung nicht wirksam zu3. Hinzu kommt, dass die elektronische Form der Schriftform nicht komplett gleichgestellt ist; die Er- 13.21 setzung der Schriftform durch die elektronische Form ist in einigen Normen ausdrücklich ausgeschlossen. Daher ist es für die Praxis – soweit der Gesetzgeber keine weitere Vereinfachung durchführt – empfehlenswert, nicht auf die elektronische Form, sondern bei vorgegebener Schriftform auf die „klassische“ Schriftform mit eigenhändiger Originalunterschrift zurückzugreifen. So wird insbesondere verhindert, dass ein Ausschluss der elektronischen Form im Einzelfall übersehen und das Rechtsgeschäft somit (teilweise) formunwirksam ist. Es gibt zahlreiche Vorschriften, bei denen die Einhaltung der Schriftform für die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts erforderlich ist. Bei den wesentlichen Formvorschriften handelt es sich um die Folgenden: – Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer innerhalb eines Monats nach Beginn des Arbeitsverhältnisses eine unterschriebene Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen auszuhändigen, wobei gemäß Satz 3 die elektronische Form ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für spätere Änderungen der wesentlichen Vertragsbedingungen, § 3 NachwG. Üblicherweise wird dieser Verpflichtung durch die Aushändigung eines schriftlichen Arbeitsvertrages nachgekommen, § 2 Abs. 4 NachwG; hierfür ist aber eben erforderlich, dass beim Arbeitsvertrag die Schriftform eingehalten wird.

1 Vgl. Giesen in Besgen/Prinz, § 8 Rz. 42. 2 Primaczenko/Frohn in BeckOGK BGB, Stand: 1.5.2020, § 126a BGB Rz. 20. 3 Einsele in MünchKomm/BGB, § 126 BGB Rz. 28 f.; Poguntke/von Villiez, NZA 2019, 1097 (1097 f.).

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13.22

§ 13 Rz. 13.22

Digitale Personalakte

– Die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bedarf ebenfalls der Schriftform, § 74 Abs. 1 HGB. Dies gilt auch für einen etwaigen Vorvertrag zum Abschluss eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots1. Ein nicht schriftlich vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nichtig, worauf sich beide Vertragsparteien berufen können2. – Auch der einseitige Verzicht des Arbeitgebers auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot bedarf zu seiner Wirksamkeit der Schriftform, § 75a HGB. – Die Befristung eines Arbeitsvertrags bedarf gem. § 14 Abs. 4 TzBfG der Schriftform. Wird die Schriftform nicht eingehalten, ist die Befristungsabrede unwirksam; der Arbeitsvertrag gilt als auf unbestimmte Zeit geschlossen, kann jedoch vor dem vereinbarten Ende – unter Berücksichtigung der allgemeinen Voraussetzungen – gekündigt werden, § 16 TzBfG. – Alle Beendigungstatbestände, insbesondere der Ausspruch einer Kündigung, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform, § 623 BGB; die elektronische Form ist ausgeschlossen. – Sowohl der Antrag des Arbeitnehmers auf Elternzeit bzw. eine Verringerung der Tätigkeit während der Elternzeit als auch die etwaige Ablehnung des Arbeitgebers müssen in Schriftform erfolgen, § 15 Abs. 7 Satz 1, Satz 5, § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG3. – Die Inanspruchnahme von Pflegezeit bzw. Familienpflegezeit hat schriftlich zu erfolgen, § 3 Abs. 3 Satz 1 PflegeZG, § 2a Abs. 1 Satz 1 FPfZG. – Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf ein schriftliches Arbeitszeugnis, § 109 Abs. 1 Satz 1 GewO. – Ein zweckbefristeter Arbeitsvertrag endet frühestens zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Erklärung des Arbeitgebers über den Zeitpunkt der Zweckerreichung, § 15 Abs. 2 TzBfG. – Auch Betriebsvereinbarungen sind erst mit der schriftlichen Niederlegung wirksam, § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.

13.23 Es ist nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung einzelne Formvorschriften etwas „lockert“, wie folgende Beispiele zeigen: So mussten Arbeitgeber bis Ende 2019 die Entscheidung über ein allgemeines Teilzeitbegehren des Arbeitnehmers, insbesondere dessen Ablehnung, in Schriftform erklären. Seit dem 1.1.2020 reicht jedoch die Textform, § 8 Abs. 5 TzBfG. Dies gilt entsprechend für die „Brückenteilzeit“ gem. § 9a TzBfG. Auch für die datenschutzrechtliche Einwilligungserklärung des Arbeitnehmers nach § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG war bis zum 25.11.2019 grundsätzlich die Schriftform vorgesehen. Seit dem 26.11.2019 kann diese jedoch auch elektronisch erfolgen, womit allerdings nicht die strenge elektronische Form i.S.d. § 126a BGB gemeint ist, so dass bspw. auch eine einfache E-Mail ausreicht4.

13.24 Hinweis: Neben den gesetzlichen Schriftformerfordernissen wird in der Praxis noch weit überwiegend vertraglich ein Schriftformerfordernis für etwaige Änderungen oder Ergänzungen des Arbeitsvertrages vereinbart. Ar-

1 Ittmann in BeckOGK HGB, Stand: 1.4.2021, § 74 HGB Rz. 26. 2 Ittmann in BeckOGK HGB, Stand: 1.4.2021, § 74 HGB Rz. 37. 3 Beim Elternzeitverlangen ist die Einhaltung der Schriftform noch aus einem zweiten Grund, nämlich dem damit einhergehenden Kündigungsschutz, besonders relevant: So hat das BAG in einem Urteil vom 10.5.2016 (Az.: 9 AZR 145/15, ArbRB 2016, 293) entschieden, dass die Schriftform nach § 126 BGB Wirksamkeitsvoraussetzung des Elternzeitverlangens ist. Fehlt es an einem wirksamen Elternzeitverlangen, bestehe auch nicht der besondere Kündigungsschutz nach § 18 BEEG. In dem zugrunde liegenden Fall wurde der Klägerin gekündigt, nachdem sie ihr Elternzeitverlangen per Fax einreichte. Das BAG entschied, dass der Elternzeitantrag form- und damit insgesamt unwirksam war. Damit kam die Klägerin auch nicht in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes nach § 18 BEEG. 4 Vgl. hierzu Thüsing/Rombey, NZA 2019, 1399, auch zu der Frage, ob es sich bei dem bisherigen Schriftformerfordernis tatsächlich um die Schriftform i.S.d. § 126 BGB handelte.

280

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.27 § 13

beitgeber sollten prüfen, ob dies noch wirklich zeitgemäß ist. In vielen Fällen dürfte eine Vereinbarung der Textform i.S.d. § 126b BGB die praktikablere Lösung sein.

b) Beweiswert und Prozessuales Neben der rechtlichen Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts ist es in der Praxis nicht minder wichtig, 13.25 dass der Arbeitgeber im Zweifel auch in der Lage ist, die Einhaltung des Formerfordernisses substantiiert darzulegen und zu beweisen. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts wird meist erst in einem Rechtsstreit relevant. Dabei gilt grundsätzlich, dass derjenige, der sich auf eine für ihn günstige Norm beruft, die sog. Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen trägt. Unter Darlegungslast ist die Pflicht zum substantiierten Sachvortrag zu verstehen. Dem folgt grundsätzlich auch die Beweislast für den Fall, dass der Sachvortrag von der Gegenseite bestritten wird. Ein Beweis ist also erst dann erforderlich, wenn die Gegenseite den eigenen Sachvortrag (zulässig) bestreitet.

13.26

Fallbeispiel: Arbeitgeber A und Arbeitnehmer B schließen zusätzlich zum Arbeitsvertrag ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ab. A händigt dem B ein unterschriebenes Exemplar der Vereinbarung zur Unterschrift aus. Von dem beiderseits unterschriebenen Dokument fertigt A für sich selbst nur einen Scan an und überlässt das Original dem B. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfährt A, dass B trotz des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bei einem Wettbewerber anfängt, und beantragt im einstweiligen Rechtsschutz den Erlass einer Unterlassungsverfügung. In der Antragsschrift legt er den Sachverhalt hinsichtlich des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, insbesondere der Einhaltung der Schriftform, dar. Alternative 1: B greift den dargelegten Sachverhalt nicht an und beruft sich nur auf rechtliche Gründe, weswegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot unwirksam sein soll. In diesem Fall wird das Gericht die Einhaltung der Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung auch ohne Vorlage des Originaldokuments bejahen. Alternative 2: B erklärt, die von A geleistete Unterschrift nicht selbst beobachtet zu haben und bestreitet mit Nichtwissen, dass es sich bei der Unterschrift auf dem Dokument um eine Originalunterschrift handelte. Weiter behauptet er, das Originaldokument zwischenzeitlich bei einem Umzug verloren zu haben. A hat als derjenige, der sich zu seinen Gunsten auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot beruft, das Vorliegen von dessen Voraussetzungen substantiiert dargelegt. Da jedoch die Einhaltung des Schriftformerfordernisses in Streit steht, muss er seine Darlegung nunmehr auch beweisen bzw. (im einstweiligen Rechtsschutz) glaubhaft machen. Da er mit Hilfe des Scans nicht die Originalunterschrift nachweisen kann, wird es ihm nicht gelingen, die Einhaltung der Schriftform zu beweisen. Bereits aus diesem formalen Grund wird A den Rechtsstreit verlieren.

Dieses Fallbeispiel veranschaulicht, dass der rechtswirksame Abschluss eines Rechtsgeschäfts nur wenig wert ist, wenn dieser nicht im Zweifel auch gerichtlich bewiesen werden kann. Zwar stellt in der arbeitsgerichtlichen Praxis die Einreichung von Originalurkunden und somit die 13.27 Erbringung eines echten Urkundenbeweises i.S.d. §§ 415 ff. ZPO – jedenfalls im Hauptsacheverfahren – die absolute Ausnahme dar; weit überwiegend wird nur eine Kopie eingereicht, ohne dass das Vorhandensein des Originals in Streit steht. Dies ist allerdings häufig dem Umstand geschuldet, dass üblicherweise Monate vergehen, bis sich beide Parteien zum Sachverhalt äußern müssen. Eine etwaige Beweisaufnahme erfolgt wiederum deutlich später. In der Regel schließen die Parteien schon vorher einen Vergleich, wodurch es zur einvernehmlichen Beendigung des Rechtsstreits kommt. Im einstweiligen Rechtsschutz kommt es hingegen innerhalb weniger Wochen oder sogar Tage zu einer mündlichen Verhandlung, in der der Rechtsstreit (vorläufig) entschieden wird. Dabei gilt der Grundsatz, dass nur präsente Beweismittel berücksichtigt werden können. Hier ist also in aller Regel die sofortige Vorlage von Originaldokumenten bzw. beglaubigten Kopien erforderlich, § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 2 ZPO. Daneshian

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§ 13 Rz. 13.28

Digitale Personalakte

13.28 Im Übrigen kann sich das Risiko, dass ein Arbeitnehmer im Einzelfall das Einhalten der Schriftform bestreitet, bei dem Wissen einer ausschließlich digital geführten Personalakte signifikant erhöhen. Zwar ist hier eine gewisse Skrupellosigkeit des Arbeitnehmers erforderlich, der sich bei einer solchen bewussten Lüge eines (versuchten) Prozessbetrugs strafbar machen kann. Auch hat der Arbeitnehmer nicht immer die Möglichkeit, einen bestimmten Sachverhalt einfach zu bestreiten, sondern muss selbst qualifiziert vortragen, so dass der Arbeitgeber nicht in jedem Fall in Beweisnot gerät1. Doch in der arbeitsgerichtlichen Praxis werden die prozessualen Grundsätze zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast nicht immer so genau beachtet, und auch die Aufrichtigkeit der Parteien ist bei Sachverhaltsangaben, die sich ohnehin nicht überprüfen lassen, nicht immer gegeben. Im Ergebnis ist also jedenfalls bei solchen Dokumenten, die typischerweise einen Streit entscheiden können, vorsorglich die Originalfassung aufzubewahren.

5. Aufbewahrungspflichten 13.29 Neben der praktischen Notwendigkeit der Personalakte für eine ordnungsgemäße Abwicklung des Arbeitsverhältnisses ergibt sich deren Notwendigkeit auch mittelbar aus diversen gesetzlichen Vorschriften, die Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten für den Arbeitgeber normieren2. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Personalakte physisch oder digital geführt wird. Insoweit ändert sich durch die Einführung einer digitalen Personalakte grundsätzlich nichts an den Aufbewahrungspflichten des Arbeitgebers. Positiv ist, dass inzwischen die wesentlichen Unterlagen und Nachweise nicht mehr im Original aufbewahrt werden müssen, sondern auch eine elektronische Archivierung möglich ist. Hierbei muss jedoch teilweise sichergestellt sein, „dass die Wiedergabe oder die Daten 1. mit den empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefen und den Buchungsbelegen bildlich und mit den anderen Unterlagen inhaltlich übereinstimmen, wenn sie lesbar gemacht werden, 2. während der Dauer der Aufbewahrungsfrist jederzeit verfügbar sind, unverzüglich lesbar gemacht und maschinell ausgewertet werden können.“3 Wie die Aufbewahrung im Einzelnen zu erfolgen hat, ist für das Steuerrecht in den Vorschriften der „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff (GoBD)“4 geregelt. Daher muss die (elektronische) Archivierung der Unterlagen diesen anspruchsvollen Vorgaben genügen. Eine den GoBD entsprechende Regelung für das Sozialversicherungsrecht gibt es zwar nicht, ein Hinweis in der Gesetzesbegründung verweist jedoch auf das Lohnsteuerrecht, so dass man sich auch hier an den Regelungen der GoBD orientieren kann. Dies gilt auch für die Aufbewahrungspflichten des Handelsrechts. Im Regelfall sollte die Software einer digitalen Personalakte diesen Anforderungen genügen.

6. Rechte des Arbeitnehmers 13.30 Die Personalakte ist für das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers von großer Bedeutung, da sie dem Arbeitgeber als Grundlage für Personalentscheidungen dient. Neben dem Aspekt der Vertraulichkeit hat der Arbeitnehmer daher ein gesteigertes Interesse daran, sowohl den Inhalt seiner Personalakte zu kennen als auch die Möglichkeit zu haben, etwaige Unrichtigkeiten zu korrigieren. Hierzu werden ihm vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung die nachfolgenden Rechte eingeräumt.

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S. die ausführliche Analyse von Lüthge/Springer, BB 2017, 1397. Vgl. Übersicht bei Zöll/Schönbach, AuA 4/18, 217 (219). BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450 Rz. 118. BMF v. 14.11.2014 – IV A 4 - S 0316/13/10003, BStBl. I 2014, 1450.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.34 § 13

a) Einsichtsrecht Ein Arbeitnehmer i.S.d. § 5 BetrVG hat nach § 83 Abs. 1 BetrVG einen Anspruch auf Einsicht in die über ihn geführte Personalakte; dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob ein Betriebsrat besteht oder der Betrieb überhaupt betriebsratsfähig ist1. Auch leitende Angestellte haben ein Einsichtsrecht gem. § 26 Abs. 2 Satz 1 SprAuG. Die Ausübung des Einsichtsrechts kann während der Arbeitszeit erfolgen und ist für den Arbeitnehmer insoweit kostenfrei2. Der Arbeitnehmer darf sich auf eigene Kosten Notizen, Abschriften oder Kopien seiner Personalakte machen3. Einen Anspruch auf Überlassung einer ausgedruckten Kopie oder der Personalakte selbst hat er nicht4. Diese Rechte stehen ihm auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu, soweit die Personalakte beim Arbeitgeber noch geführt wird bzw. nicht vernichtet worden ist5.

13.31

Mit Einführung einer digitalen Personalakte kann das Einsichtsrecht des Arbeitnehmers in der Weise gestaltet werden, dass ihm ein entsprechendes Zugriffsrecht eingeräumt wird6. Hierzu muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer über einen PC oder sonstiges Bildschirmausgabegerät den Zugriff ermöglichen7. Sollte die Wiedergabe auf dem Bildschirm zum Zweck der Einsicht nicht ausreichen, kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, einen lesbaren Ausdruck der Datei zu gewähren8. Eine automatische Protokollierung des Zugriffs auf die Personalakte dürfte bei einer dauerhaften Zugriffsmöglichkeit zulässig sein9.

13.32

b) Berichtigungsanspruch Der Arbeitnehmer hat aufgrund der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB) einen nebenvertraglichen Anspruch auf Korrektur bzw. Entfernung unrichtiger Angaben oder Unterlagen aus seiner Personalakte10. Die Darlegungs- und Beweislast für die Unrichtigkeit liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer11. Die größte Praxisrelevanz im Zusammenhang mit Änderungen der Personalakte hat das Begehren des Arbeitnehmers auf Entfernung einer Abmahnung. Hierauf hat der Arbeitnehmer einen Anspruch aus seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht i.V.m. § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Abmahnung entweder formell unzulässig ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, inhaltlich unbestimmt ist, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt12. Hier trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Abmahnung gerechtfertigt ist13.

13.33

Schließlich ist der Arbeitgeber gem. § 83 Abs. 2 BetrVG verpflichtet, schriftliche Erklärungen des Arbeitnehmers auf dessen Verlangen zum Inhalt der Personalakte hinzuzufügen. Bei einer digitalen Personalakte ist die gewünschte Erklärung entsprechend digital mit dem Dateisatz der Personalakte abzuspeichern14. Die Erklärung muss sich zwar auf den Inhalt der Personalakte, aber nicht zwingend auf ein konkretes Dokument oder einen Vorgang beziehen15. Auch hat der Arbeitnehmer das Recht,

13.34

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Fitting, § 83 BetrVG Rz. 1. Kania in ErfK, § 83 BetrVG Rz. 4. Kania in ErfK, § 83 BetrVG Rz. 4. Fitting, § 83 BetrVG Rz. 11. Feichtinger/Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 54. Vgl. LAG Hessen v. 29.1.2013 – 13 Sa 263/12, juris Rz. 107. Sörup/Zikesch, ArbRAktuell 2020, 382 (383). Sörup/Zikesch, ArbRAktuell 2020, 382 (383). Vgl. Gola, Hdb. BDS, Rz. 2403. Feichtinger/Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 38. Feichtinger/Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 38. Schmidt in Küttner, Abmahnung, Rz. 38. Schmidt in Küttner, Abmahnung, Rz. 42. Fitting, § 83 BetrVG Rz. 14. Feichtinger/Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 36.

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§ 13 Rz. 13.34

Digitale Personalakte

den Inhalt der Personalakte durch das Hinzufügen von Unterlagen (z.B. Zeugnissen) zu ergänzen1. Der Arbeitgeber muss diese Erklärung selbst dann zur Personalakte nehmen, wenn sie objektive Tatsachen enthält, die der Arbeitgeber für unrichtig hält2. Das Recht des Arbeitnehmers auf Ergänzung der Personalakte reicht aber nur soweit, wie ein Zusammenhang zu seinem Arbeitsverhältnis besteht; insofern steht dem Arbeitgeber ein Prüfungsrecht zu3.

c) Auskunftsanspruch 13.35 Neben die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers treten die allgemeinen datenschutzrechtlichen Ansprüche, insbesondere der Auskunftsanspruch nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Danach hat der Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch darüber, ob ihn betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden – was immer der Fall sein wird. Dem folgend hat der Arbeitnehmer vor allem ein Recht auf Auskunft über diese Daten, den Zweck ihrer Verarbeitung sowie die Kategorien der verarbeiteten personenbezogenen Daten. Unterstützt wird der Auskunftsanspruch nach Abs. 1 durch den Anspruch nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO auf Zurverfügungstellung einer Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind. Weder beim Anspruch auf Auskunftserteilung noch auf Kopie der personenbezogenen Daten ist geklärt, wie weit diese Ansprüche reichen. In Bezug auf die Personalakte dürfte davon auszugehen sein, dass sowohl ein vollumfänglicher Auskunftsanspruch zum Inhalt als auch ein Recht auf Überlassung einer (lesbaren) Kopie besteht4.

7. Rechte des Betriebsrats 13.36 In Betrieben, in denen ein Betriebsrat existiert, kommen im Zusammenhang mit der digitalen Personalakte gewisse (Mitbestimmungs-) Rechte des Betriebsrats in Betracht. Je nachdem, wie das Unternehmen und dessen Personalabteilung strukturiert sind, kann auch ein etwaig bestehender Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zuständig sein, wenn die digitale Personalakte betriebsübergreifend eingeführt wird5. Im Folgenden werden die möglichen Rechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit der digitalen Personalakte dargestellt.

13.37 Sollten Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Einführung einer digitalen Personalakte eine Datenerhebung mittels Personalfragebögen beabsichtigen, ist die vorherige Zustimmung des Betriebsrats gem. § 94 Abs. 1 BetrVG erforderlich. Eine Datenerhebung ohne die Zustimmung des Betriebsrats ist unzulässig; solchermaßen erhobene Daten dürfen vom Arbeitgeber nicht gespeichert bzw. müssen gelöscht werden6.

13.38 Verknüpft der Arbeitgeber die digitale Personalakte mit abstrakten Regelungen, die über den beruflichen Fortgang des Arbeitnehmers entscheiden können, könnte es sich dabei um allgemeine Beurteilungsgrundsätze i.S.d. § 94 Abs. 2 BetrVG handeln. Darunter fallen solche Regelungen, die für eine objektive und einheitliche Bewertung der Leistung und des Verhaltens eines Arbeitnehmers sorgen sollen (bspw. ein Beurteilungsverfahren, Festlegung der materiellen Kriterien für die Beurteilung etc.)7. Die Aufstellung solcher allgemeinen Beurteilungsgrundsätze bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

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Fitting, § 83 BetrVG Rz. 14. Fitting, § 83 BetrVG Rz. 14. Feichtinger/Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 36. Lachenmann in Besgen/Prinz, § 11 Rz. 42; a.A. Franzen, NZA 2020, 1593 mit stichhaltigen Argumenten für eine Verdrängung des Art. 15 DSGVO durch § 83 Abs. 1 BetrVG. 5 Vgl. LAG Düsseldorf v. 23.6.2020 – 3 TaBV 65/19, ArbRB 2021, 108 (Esser). 6 Thüsing in Richardi, § 94 BetrVG Rz. 52 f. 7 Thüsing in Richardi, § 94 BetrVG Rz. 58.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 13.41 § 13

Soweit die digitale Personalakte auch als Mittel der Personalplanung eingesetzt wird, bspw. um zu 13.39 bestimmen, welcher Arbeitnehmer an welcher Fortbildungsmaßnahme teilnehmen soll, ist der Betriebsrat gem. § 92 BetrVG zu beteiligen1. Am weitreichendsten ist jedoch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 13.40 BetrVG. Danach besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung müsste der Begriff „bestimmt“ eher als „geeignet“ gelesen werden, da die Rechtsprechung bereits bei einer konkreten Überwachungsmöglichkeit das Mitbestimmungsrecht bejaht2. Auch bei Software handelt es sich um technische Einrichtungen im Sinne der Vorschrift3. Fraglich ist daher nur, ob die digitale Personalakte auch dazu geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung des Arbeitnehmers zu überwachen. Dies wird teilweise unter Bezugnahme auf ein älteres BAG-Urteil4 verneint, wenn lediglich Statusdaten erhoben und verarbeitet werden, ohne dass aus diesen Daten programmmäßig Aussagen über Leistung oder Verhalten gezogen werden5. Unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten und der grundsätzlich gegebenen Verknüpfung von Daten ist eine Überwachungsmöglichkeit und damit ein Mitbestimmungsrecht jedoch richtigerweise zu bejahen6. Zum einen können selbst bei der reinen Verarbeitung von Statusdaten jedenfalls die protokollierten Zugriffe der HR-Mitarbeiter ausgewertet und somit indirekt Rückschlüsse über deren Leistung gezogen werden. Zum anderen bietet die digitale Personalakte – je nach Ausgestaltung – vielfältige Verknüpfungs- und Auswertungsmöglichkeiten zahlreicher Daten. So können in einer digitalen Personalakte die Arbeitszeit samt Überstunden, Urlaub, Krankheit, etwaige Zielerreichungen, Familienstatus, Alter, Qualifikation, Teilnahme an internen oder externen Fortbildungen sowie Veranstaltungen, Reisekostenabrechnungen, Dienstbeurteilungen etc. erfasst und hieraus umfangreiche Rückschlüsse auf Verhalten und Leistung des Arbeitnehmers gezogen werden. Somit unterliegt die Einführung und Ausgestaltung der digitalen Personalakte der zwingenden Mitbestimmung, so dass mit dem Betriebsrat hierzu eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden sollte. Schließlich hat der Betriebsrat gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG u.a. die Aufgabe, darüber zu wachen, 13.41 dass die zugunsten der Belegschaft geltenden Vorschriften, in diesem Zusammenhang insbesondere der Datenschutz nach DSGVO und BDSG, eingehalten werden. Gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom Arbeitgeber zu unterrichten, soweit dies für die Wahrnehmung seiner Aufgaben erforderlich ist. Insoweit dürfte der Betriebsrat insbesondere in Bezug auf die Ausgestaltung und Sicherstellung der Vertraulichkeit sowie des Datenschutzes weitgehende Informationsrechte haben. Diese müssen aber stets zur Wahrnehmung der Überwachungsfunktion erforderlich und angemessen sein. Im Zweifel muss der Betriebsrat den (wahrscheinlichen) Aufgabenbezug und die Erforderlichkeit der gewünschten Information für die Wahrnehmung der Betriebsratsaufgaben darlegen7. Auch wenn dem Betriebsrat zur Ausübung seiner Rechte im Einzelfall ein (beschränktes) Einsichtsrecht in die Personalakte zustehen kann, verstößt ein dauerhaft und vorbehaltlos gewährter Zugriff auf die digitale Personalakte im Rahmen einer Betriebsvereinbarung gegen § 75 Abs. 2 BetrVG und ist daher unzulässig8.

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Imping in Taeger/Pohle, 70.11 Rz. 31; Diller/Schuster, DB 2008, 928 (929). Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 55. Vgl. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 225. BAG v. 22.10.1986 – 5 AZR 660/85, BAGE 53, 226 = juris. Imping in Taeger/Pohle, 70.11 Rz. 31; Diller/Schuster, DB 2008, 928 (928 f.). Fitting, § 87 BetrVG Rz. 235; Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 52; Werner in BeckOK/ArbR, 62. Edition Stand: 1.12.2021, § 87 BetrVG Rz. 95; Raif in Kramer, B. Individualarbeitsrecht, Rz. 1046; Feichtinger/ Esskandari in Grobys/Panzer-Heemeier, Personalakte Rz. 61; Lemke Ziff. 59; Hitzelberger-Kijima, öAT 2016, 87 (88). 7 Kort, ZD 2015, 3 (4 f.). 8 LAG Düsseldorf v. 23.6.2020 – 3 TaBV 65/19, ArbRB 2021, 108 (Esser).

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§ 13 Rz. 13.42

Digitale Personalakte

III. Best Practice 13.42 Für eine moderne und effiziente HR-Abteilung, in der auch eine Remote-Tätigkeit möglich sein soll, ist die digitale Personalakte zwingend. Keinesfalls sollten Unternehmen die Mitnahme von Personalakten nach Hause oder das Versenden einzelner Bestandteile der Personalakte per E-Mail zulassen. Aufgrund der praktischen Risiken bei der Beweisführung in potentiellen Gerichtsverfahren sollte auf physische Dokumente nicht vollständig verzichtet werden. Empfehlenswert ist daher das Anlegen einer digitalen Personalakte als „führende“ Akte, wobei aber die wichtigsten Dokumente, insbesondere diejenigen, die der Schriftform unterliegen, weiterhin in Papierform aufbewahrt werden. Diese können anderweitig, ggf. sogar extern, archiviert und gelagert werden, da sie nicht für die tägliche Arbeit, sondern nur im „Notfall“ gebraucht werden. Natürlich muss gesichert sein, dass neu aufzubewahrende Originaldokumente tatsächlich ihren Weg in die physische Akte finden. Außerdem sollte sich aus der digitalen Personalakte ergeben, welche Dokumente auch physisch aufbewahrt werden.

13.43 Hinsichtlich Auswahl, Anpassung und Implementierung der konkreten Software gelten die Ausführungen in Rz. 15.1 ff.

13.44 Existiert im Betrieb ein Betriebsrat, so sollte die Einführung und Anwendung der digitalen Personalakte gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im Rahmen einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Der genaue Inhalt einer solchen Betriebsvereinbarung hängt sehr von den individuellen Gegebenheiten im Betrieb sowie der genauen Personalaktensoftware ab. Eine solche Betriebsvereinbarung könnte (vereinfacht) aussehen wie folgt:

13.45 M 13.1 Betriebsvereinbarung zur Einführung einer digitalen Personalakte Betriebsvereinbarung – Einführung einer digitalen Personalakte Präambel Um den Herausforderungen der digitalen Transformation gemeinsam zu begegnen und eine effiziente Tätigkeit in der modernen Arbeitswelt zu gewährleisten, gleichzeitig aber einen ausreichenden Datenschutz sicherzustellen, beschließen die Betriebsparteien, das bisherige physische Personalaktensystem durch eine Personalaktensoftware weitestgehend zu ersetzen. Mit dieser Zielsetzung beschließen die Betriebsparteien das Folgende: § 1 Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich (1) Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Unternehmens einschließlich der zur Berufsbildung Beschäftigten mit Ausnahme der leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG (im Folgenden zur besseren Lesbarkeit „Mitarbeiter“, jedoch unter Einschluss aller Geschlechter). (2) Diese Betriebsvereinbarung regelt in sachlicher Hinsicht die Einführung und Anwendung der Personalaktensoftware „…“ von … (im Folgenden: „digitale Personalakte“). § 2 Aktenführung/Digitalisierung (1) Der Arbeitgeber wird dafür Sorge tragen, dass auch bei der digitalen Personalakte die allgemeinen Grundsätze der Richtigkeit, Vollständigkeit und Vertraulichkeit, insbesondere bzgl. Gesundheitsdaten, gewahrt werden. (2) Soweit der Arbeitgeber die Digitalisierung der physischen Personalakten von einem externen Dienstleister als Auftragsverarbeiter im Sinne des Art. 28 DSGVO durchführen lässt, hat er auf Anforderung des Betriebsrats diesem den entsprechenden Vertrag vorzulegen.

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III. Best Practice

Rz. 13.45 § 13

(3) Der Arbeitgeber wird frühestens zwei Monate nach Abschluss dieser Betriebsvereinbarung mit der etwaigen Vernichtung von Unterlagen in Papierform beginnen, damit den Mitarbeitern noch ausreichend Gelegenheit bleibt, ihr Einsichtsrecht in Bezug auf ihre physische Personalakte geltend zu machen und etwaige Einwände gegen die Vernichtung zu erheben. Soweit für die Vernichtung der Unterlagen ein Dritter beauftragt wird, gilt Abs. 2 entsprechend. (4) Dem Arbeitgeber bleibt es gestattet, die Originale der in der digitalen Personalakte abgespeicherten Dokumente, insbesondere zum Nachweis der Einhaltung von Formerfordernissen (z.B. Schriftform), weiter in Papierform aufzubewahren. In der digitalen Personalakte muss kenntlich gemacht werden, welche Dokumente vom Arbeitgeber weiterhin in Papierform aufbewahrt werden. § 3 Updates Die Betriebsparteien sind sich einig, dass der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte in Hinblick auf die Einführung, den Betrieb und die Änderung der digitalen Personalakte abschließend ausgeübt hat und der Arbeitgeber die digitale Personalakte verwenden darf. Die Betriebsparteien sind sich einig, dass der Arbeitgeber, z.B. im Rahmen von Updates, unwesentliche Änderungen an der digitalen Personalakte einseitig vornehmen darf, den Betriebsrat jedoch hierüber in Textform unterrichten muss. Eine wesentliche Änderung, für die der Betriebsrat erneut beteiligt werden muss, liegt hingegen vor, wenn – die Änderung der digitalen Personalakte grundlegend andere Datenverarbeitungsvorgänge ermöglicht, die mit erheblichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern verbunden sind, die in dieser Intensität oder in vergleichbarer Qualität zuvor nicht möglich waren; – die digitale Personalakte infolge der Änderung um neue und grundlegend anders gelagerte Funktionen erweitert wird, welche die Einsatzfelder der digitalen Personalakte im Rahmen der Betriebsorganisation spürbar verändern (z.B. Verknüpfung mit der Arbeitszeiterfassungssoftware). § 4 Allgemeine Datenschutzvorgaben (1) Beim Betrieb und der Gestaltung der digitalen Personalakte sind sowohl der Arbeitgeber als auch alle zugangsberechtigten Mitarbeiter1 gemäß Abs. 2 lit. c dazu verpflichtet, die gesetzlichen Datenschutzvorgaben, insbesondere nach § 26 BDSG, einzuhalten. Es gelten die gesetzlichen Grundsätze der Zweckbindung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit, das heißt: – alle Verarbeitungen personenbezogener Daten müssen festgelegten Zweckbestimmungen folgen; – Datenverarbeitungen erfolgen transparent; – es werden nur mitarbeiterbezogene Daten verarbeitet, die zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben erforderlich sind. (2) Ergänzend und als Konkretisierung des gesetzlichen Datenschutzes stellen die Betriebsparteien die folgenden, spezifischen Datenschutzvorgaben i.S.d. Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 BDSG für den Betrieb und die Gestaltung der digitalen Personalakte auf: a) Die digitale Personalakte darf grundsätzlich nur insoweit zu Zwecken der Leistungs- und Verhaltenskontrolle verwendet werden, wie dies ihrer originären Zweckbestimmung entspricht. Abweichend von Satz 1 dürfen in der digitalen Personalakte gespeicherte Daten auch unter Zweckänderung zur Verhaltenskontrolle ausgewertet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass Beschäftigte im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat oder eine anderweitige schwere Pflichtverletzung begangen haben, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und die schutzwürdigen Interessen der Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegen, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Strafverfolgungsbehörden kann Zugang zu den in der digitalen Personalakte gespeicherten per-

1 Durch die DSGVO wird nur der Arbeitgeber als Verantwortlicher zum Datenschutz verpflichtet. Da Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend gegenüber einzelnen Arbeitnehmern wirken (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), können durch die Betriebsvereinbarung unmittelbare Datenschutzpflichten der Arbeitnehmer begründet werden.

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§ 13 Rz. 13.45

Digitale Personalakte

sonenbezogenen Daten gewährt werden, sofern vorstehende Voraussetzungen vorliegen oder die Strafverfolgungsbehörden dies im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages zulässigerweise verlangen. b) Soweit die digitale Personalakte dies in der Anbieterkonfiguration technisch zulässt, richtet der Arbeitgeber für alle in der digitalen Personalakte gespeicherten Beschäftigtendaten automatisierte Löschroutinen ein. Die Löschfristen werden durch den Arbeitgeber nach Maßgabe von Art. 17 DSGVO typisiert. Mitarbeitern ist es untersagt, weitere Kopien von personenbezogenen Daten aufzubewahren, die der automatisierten Löschung unterliegen, sofern nicht eine über die Löschfrist hinausgehende Aufbewahrung nach Art. 17 DSGVO gerechtfertigt ist. c) Mitarbeiter erhalten nur insoweit Zugang zur digitalen Personalakte, als dies jeweils zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendig ist. Der Arbeitgeber wird hierzu die Inhalte der Personalakte nach Ihrer datenschutzrechtlichen Sensibilität kategorisieren und Berechtigungsprofile erstellen, die einen typisierten berechtigten Zugriff sicherstellen. Der Arbeitgeber wird den Betriebsrat über die Festlegung der Berechtigungsprofile informieren. Dies gilt auch für etwaige Änderungen oder Anpassungen. d) Administrationsrechte für die Konfiguration der digitalen Personalakte werden ausschließlich für abschließend definierte und passwortgeschützte Administratorkonten eingerichtet. Die Passwörter werden konzeptmäßig geschützt und hierzu lediglich abschließend definierten Mitarbeitern zur Kenntnis gebracht und in zugangsgeschützten Bereichen (z.B. Tresoren, geschützten Datenträgern) verwahrt. e) In der digitalen Personalakte gespeicherte Beschäftigtendaten dürfen keinesfalls für folgende Zwecke verarbeitet oder sonst wie verwendet werden: – Mobbing, gezieltes Bloßstellen und vergleichbare verletzende persönliche Angriffe; – Befriedigung bloßer Neugierde hinsichtlich personenbezogener Daten, die der Mitarbeiter nach seinem vermutlichen oder erklärten Willen geheim halten will; – Veröffentlichung nicht öffentlicher personenbezogener Daten, insbesondere im Internet, ohne dass dies der Durchführung des Arbeitsverhältnisses dient; – Anlegung geheim gehaltener Übersichten, Akten oder sonstiger geheim gehaltener Dateisysteme mit Informationen über die Persönlichkeit oder das Privatleben von Mitarbeitern. (3) Verantwortliche Stelle gemäß Art. 4 Nr. 7 DSGVO für die im Zuge des Arbeitsverhältnisses erfolgenden Datenverarbeitungsvorgänge, gegenüber der die Betroffenenrechte nach § 5 geltend zu machen sind, ist der Arbeitgeber, die … Die Mitarbeiter können sich bei datenschutzbezogenen Anliegen an den Datenschutzbeauftragten wenden, dessen Kontaktdaten stets auf der Webseite unseres Unternehmens bekanntgegeben werden (derzeit unter …). § 5 Rechte der Mitarbeiter (1) Die Mitarbeiter haben nach Maßgabe von Art. 15 DSGVO das Recht auf Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten und deren Herkunft, die Empfänger, an die die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung. (2) Darüber hinaus haben Mitarbeiter nach Art. 16-18 DSGVO Ansprüche auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung ihrer personenbezogenen Daten. Wurden die personenbezogenen Daten an Dritte weitergegeben, sind die Dritten über die Ausübung dieser Rechte gemäß Art. 19 DSGVO zu informieren. (3) Mitarbeiter können gemäß Art. 20 DSGVO die Übertragung ihrer Daten auf einen anderen Verantwortlichen verlangen, beispielsweise auf einen neuen Arbeitgeber nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. (4) Mitarbeiter können nach Maßgabe der in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DSGVO geschilderten Interessenabwägung der Verarbeitung der sie jeweilig betreffenden personenbezogenen Daten widersprechen, es sei denn, schutzwürdige Gründe des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses überwiegen oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen (so Art. 21 Abs. 1 Satz 2 a.E. DSGVO).

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Daneshian

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

§ 14

(5) Mitarbeiter haben nach Art. 77 DSGVO das Recht zur Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzbehörde. Zuständig am Sitz des Arbeitgebers ist die … (Bsp. NRW: Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Kavallerie Straße 2-4, 40213 Düsseldorf, [email protected]). § 6 Schnittstellen zu anderen System Die digitale Personalakte kann mit Hilfe von Schnittstellen mit anderen Systemen verknüpft werden, wodurch ein Austausch von Beschäftigtendaten zwischen den Systemen ermöglicht wird. In Anlage [x] dieser Betriebsvereinbarung findet sich eine Auflistung sämtlicher Schnittstellen unter Angabe der übergehenden Datenkategorien sowie des Zwecks der Verarbeitung. § 7 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft und kann schriftlich unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Jahresende gekündigt werden. Sie wirkt bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung oder einem verbindlichen Spruch der Einigungsstelle nach. (2) Abweichende Vereinbarungen von dieser Betriebsvereinbarung sind nur aufgrund einer Betriebsvereinbarung zulässig, die ordnungsgemäß zu beschließen und insbesondere schriftlich niederzulegen ist. (3) Sollte eine Bestimmung dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, wird die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen hiervon nicht berührt. Die Betriebsparteien werden an Stelle der unwirksamen Klausel eine rechtswirksame Regelung treffen, die der unwirksamen Klausel inhaltlich so nahe wie möglich kommt. Das Gleiche gilt für den Fall einer etwaigen Regelungslücke. … Ort … Geschäftsführung

… Datum … Betriebsratsvorsitzender

Anlagen: – … – …

§ 14 Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 1. Ermittlung bei konkretem Verdacht; heimliche Überwachungsmaßnahmen . . 14.5 2. Präventive und routinemäßige Datenerhebungen; Dauerüberwachung . . . . . . 14.18

3. Unternehmensinterne Ermittlungen . . . a) Mitarbeiterbefragungen . . . . . . . . . . b) Auswertung von E-Mail-Postfächern III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . 2. Durchführung der Ermittlungen . . . . . .

14.24 14.27 14.36 14.41 14.42 14.49

1 Nach Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 DSGVO muss der Arbeitgeber alle Arbeitnehmer über diese Rechte aufklären. Dies kann auch in einer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ordnungsgemäß bekanntgemachten Betriebsvereinbarung erfolgen.

Daneshian und Grimm/Singraven

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§ 14 Rz. 14.1

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

Literatur: Fuhlrott/Oltmanns, Arbeitnehmerüberwachung und interne Ermittlungen im Lichte der Datenschutz-Grundverordnung, NZA 2019, 1105; Grimm, Rechtsanwaltliche Begleitung von Mitarbeiterbefragungen bei unternehmensinternen Ermittlungen und Kostenübernahme, NZA 2019, 1534; Grimm/Freh, Mitarbeiterbefragungen und Mitwirkung des Betriebsrates, KSzW 2012, 88; Grimm/Freh, Rechte des Betriebsrats bei unternehmensinternen Ermittlungen, ArbRB 2012, 241; Janssen, Befragungstaktik und Aussagepsychologie bei unternehmensinternen kartellrechtlichen Untersuchungen, CCZ 2016, 270; Klinkhammer, Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch von Verdachtskündigungen, ArbRAktuell 2020, 7; Krug/ Skoupil, Befragungen im Rahmen von internen Untersuchungen, NJW 2017, 2374; Lembke, Die Verdachtskündigung in Rechtsprechung und Praxis, RdA 2013, 82; Naber/Ahrens, Befragung von Mitarbeitern im Rahmen von Internal Investigations – Vorgehensweise und aktuelle Herausforderungen, CCZ 2020, 36; Ott/Lüneborg, Internal Investigations in der Praxis – Umfang und Grenzen der Aufklärungspflicht, Mindestaufgriffsschwelle und Verdachtsmanagement, CCZ 2019, 71; Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 3. Aufl. 2021; Wybitul/Böhm, E-Mail-Kontrollen für Compliance-Zwecke und bei internen Ermittlungen, CCZ 2015, 133; Zimmer/Heymann, Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei unternehmensinternen Ermittlungen, BB 2010.

I. Worum geht es? 14.1 Ohne Überwachung sind Arbeitsverhältnisse nicht vorstellbar. Wenn der Arbeitgeber nicht regelmäßig prüft, ob seine Arbeitnehmer ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen, lässt die Arbeitsdisziplin häufig nach. Einzelne Arbeitnehmer fühlten sich gar ermuntert, Straftaten und Pflichtverletzungen zum Nachteil des Unternehmens zu begehen. Um dies zu vermeiden, etablieren fast alle Unternehmen feste Kontrollroutinen und Dokumentationsvorgaben. Zeigen sich Anhaltspunkte für schwerwiegende Verstöße einzelner Mitarbeiter, insbesondere Straftaten, steht das Unternehmen unter Handlungsdruck und sollte umgehend Ermittlungen einleiten, um den Vorfall aufzuklären.

14.2 Die digitalen Technologien eröffnen Arbeitgebern immer neue Überwachungsmöglichkeiten. Schon heute stehen Technologien zur Verfügung, die – theoretisch – eine lückenlose Überwachung des gesamten Arbeitsverhaltens jedes Mitarbeiters ermöglichen und dies sogar heimlich, ohne dass der Mitarbeiter hiervon erfährt. Zwar strebt kaum ein Arbeitgeber nach solcher Totalkontrolle. Dennoch werden die technologischen Möglichkeiten als erhebliche Bedrohung für die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern empfunden. Deshalb haben Gesetzgeber und Gerichte reagiert und die Überwachungsbefugnisse der Arbeitgeber umfassend reguliert. Der hohe Stellenwert des Datenschutzes ist mittlerweile in das allgemeine Bewusstsein durchgedrungen. Nicht nur Behörden, sondern auch Arbeitnehmer und Betriebsräte fordern deshalb von Arbeitgebern die Einhaltung des Datenschutzes ein.

14.3 Allerdings sind die bestehenden Datenschutzregulierungen alles andere als eindeutig. Dies gilt vor allem für die Schlüsselregelung in § 26 BDSG. Welche Datenerhebungen im Einzelfall zulässig sind und welche nicht, hängt von wertenden Kriterien und insbesondere einer Interessenabwägung nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten im Einzelfall ab. Bei vielen Unternehmen herrscht Verunsicherung bei der Frage, welche Überwachungsmaßnahmen sie überhaupt noch nutzen dürfen und welche nicht. Dieses Kapitel gibt einen Überblick.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 14.4 Überwachungsmaßnahmen sind datenschutzrechtlich sensibel, – sobald sie heimlich durchgeführt (dazu Rz. 14.5 ff.) oder – als Dauerüberwachung eingerichtet werden (dazu Rz. 14.18 ff.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.7 § 14

Eine Vielzahl datenschutzrechtlicher Herausforderungen stellt sich, wenn das Unternehmen groß angelegte interne Ermittlungen einleitet, die sich gegen eine unbekannte Gruppe von Verdächtigen inmitten der Belegschaft richten (dazu Rz. 14.24 ff.).

1. Ermittlung bei konkretem Verdacht; heimliche Überwachungsmaßnahmen Hat der Arbeitgeber den Verdacht, dass Arbeitnehmer ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen 14.5 oder unzureichende Leistungen erbringen, darf er Maßnahmen zur Aufklärung ergreifen. Verhaltens- und Leistungskontrollen im Arbeitsverhältnis sind legitime Zwecke der Datenverarbeitung1. Allerdings rechtfertigt nicht jedes Aufklärungsinteresse jede Überwachungsmaßnahme. Sind Überwachungsmaßnahmen mit einem intensiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer verbunden, stellen sich erhöhte Anforderungen an ihre datenschutzrechtliche Rechtfertigung. Dies gilt vor allem für heimliche Überwachungsmaßnahmen. Nachdem die DSGVO Geltung erlangt hatte, wurde in der Literatur zunächst eingehend diskutiert, ob sie heimliche Überwachungsmaßnahmen des Arbeitgebers generell verbietet. Aufgrund des Wortlautes der Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 DSGVO könnte sich ein generelles Verbot heimlicher Mitarbeiterkontrollen ergeben2, weil keine gesetzliche Regelung zur Gestattung heimlicher Kontrollen i.S.d. Art. 23 Abs. 1 DSGVO vorliegt3. Im Ergebnis herrscht mittlerweile aber Einigkeit, dass zwar hohe Rechtfertigungsanforderungen an verdeckte Überwachungsmaßnahmen gestellt werden müssen, diese aber in bestimmten Fällen – wie bisher – zulässig sein können4. In der Gesamtschau dürften sich die Anforderungen nicht wesentlich geändert haben, welche die Rechtsprechung schon in der Vergangenheit mit Blick auf § 32 BDSG a.F. entwickelt hatte.

14.6

Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber Beschäftigtendaten verarbeiten darf, ergeben sich aus § 26 BDSG. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen Beschäftigtendaten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses verarbeitet werden, soweit dies zur Durchführung oder Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.

14.7

Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten zur Aufdeckung von Straftaten allerdings nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn „zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat“ und die Datenverarbeitung darüber hinaus „nicht unverhältnismäßig“ ist. Im Anwendungsbereich der Vorschrift werden also erhöhte Voraussetzungen an die Zulässigkeit der Datenverarbeitung gestellt. Nähme man diese Vorschrift wörtlich, würden ihre erhöhten Voraussetzungen stets und ausschließlich für Datenverarbeitungen zur Aufdeckung von Straftaten gelten, während bei der Aufdeckung einfacher und i.d.R. geringfügiger Pflichtverletzungen weniger strenge datenschutzrechtliche Restriktionen zu beachten wären. Dies kann nach den Wertungen des übergeordneten Verhältnismäßigkeitsprinzips allerdings nicht richtig sein. Im Rahmen einer Interessenabwägung wären bei dem Verdacht einer Straftat einschneidende Eingriffe in Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern nämlich eher gerechtfertigt, als wenn z.B. bloße Bagatellverstöße im Raum stünden. Deshalb hatte sich das BAG schon beim gleichlautenden § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG a.F. zu Recht5 über den Wortlaut der Regelung hinweggesetzt und hält die Frage, ob Straftaten im Raum stehen oder nicht, in der Sache für nebensächlich. Statt auf die die Rechtsnatur des im

1 Zöll in Taeger/Gabel, § 26 BDSG Rz. 42; Franzen in ErfK, § 26 BDSG Rz. 22. 2 Byers, NZA 2017, 1086 (1088); Maschmann, NZA Beilage 4/2018, 115 (118). 3 Maschmann, NZA Beilage 4/2018, 115 (118), nach dem § 26 Abs. 1 BDSG als Befugnisnorm nicht genügt. 4 Fuhlrott/Oltmanns, NZA 2019, 1105 (1110); Byers/Wenzel, BB 2017, 2036 (2039); Byers, NZA 2017, 1086 (1089 f.); Tiedemann in Sydow, Art. 88 DSGVO Rz. 19; Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 46. 5 Eine unzulässige Rechtsfortbildung sieht hingegen Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 58.

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§ 14 Rz. 14.7

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

Raum stehenden Delikts stellt das BAG auf die Qualität des durch den Arbeitgeber beabsichtigten Eingriffs ab.

14.8 Unabhängig davon, ob eine Straftat vermutet wird, wendet das BAG die Maßstäbe des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG immer dann an, wenn der Arbeitgeber besonders intensive Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmers vornimmt, insbesondere durch heimliche Überwachungsmaßnahmen1. Dies ist z.B. – bei der heimlichen Öffnung des Spinds eines Arbeitnehmers2, – der heimlichen Einsichtnahme in E-Mail-Postfächer3, – der heimlichen Videoüberwachung4, – des verdeckten Einsatzes eines Keyloggers5, – der heimlichen GPS-Ortung6 oder – der Observation durch einen Detektiv7 der Fall8. Generell unzulässig ist allerdings das heimliche Mithören von Telefongesprächen (§ 201 StGB)9.

14.9 Solche Eingriffe kommen nicht nur bei dem Verdacht einer Straftat in Betracht. Auch andere schwerwiegende Pflichtverletzungen, wie z.B. unerlaubte Konkurrenztätigkeit, können heimliche Überwachungsmaßnahmen rechtfertigen, wobei das BAG die Aufklärungsmaßnahmen in diesem Fall – ohne dass sich die Anforderungen in der Sache ändern – auf § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG als Ermächtigungsgrundlage stützt10. Bei Bagatellverstößen scheiden heimliche Überwachungsmaßnahmen hingegen von vornherein aus.

14.10 Umgekehrt fallen Aufklärungsmaßnahmen mit geringem Belastungsgrad, durch welche die Beschäftigten weder kontrolliert noch überwacht werden (z.B. die Anhörung), nicht in den insoweit teleologisch zu reduzierenden Anwendungsbereich der Vorschrift. Dies gilt auch dann nicht, wenn sie auf die Aufdeckung einer Straftat zielen11. Gleiches gilt für stichprobenartige Kontrollen der Beschäftigten durch den Arbeitgeber und Maßnahmen der Compliance12. Normale Aufklärungsmaßnah-

1 BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, BB 2017, 2364 = juris Rz. 30; dazu Grimm, ArbRB 2017, 300 (301). 2 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, ArbRB 2014, 70 = juris Rz. 25 ff. 3 EGMR v. 5.9.2017 – 61496/08 (Ba˘rbulescu), ZD 2017, 571; BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 29 f.; LAG Hessen v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130; nicht aber die offen angekündigte Einsichtnahme in ein E-Mail-Postfach, vgl. BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, ArbRB 2019, 200 = juris Rz. 54. 4 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 22; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, ArbRB 2017, 36 = juris Rz. 28. 5 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 33. 6 Byers, NZA 2017, 1086 (1087). 7 BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, ArbRB 2017, 300 = juris Rz. 30; BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13, ArbRB 2015, 262 = juris Rz. 19. 8 BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 74 ff.; a.A. Lembke, RdA 2013, 82 (87). 9 Schrader/Mahler, NZA-RR 2016, 57 (61). 10 Grundlegend BAG v. 29.6.2017 – 2 AZR 597/16, BB 2017, 2364 = juris Rz. 30; dazu Grimm, ArbRB 2017, 300 (301). 11 BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 74 ff.; BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 31. 12 Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 59; eingehend Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 2 Rz. 3 ff.; § 3 Rz. 25 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.13 § 14

men sind im Ausgangspunkt nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig, unterliegen also dem gegenüber § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG weniger strengen Maßstab der bloßen Erforderlichkeit1. Zwingende Voraussetzung für verdeckte Überwachungsmaßnahmen ist, dass der Verdacht einer Straftat oder einer schwerwiegenden Pflichtverletzung durch tatsächliche Anhaltspunkte begründet ist (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG). Aufgrund vager Anhaltspunkte, allgemeiner Mutmaßungen oder bloßer „Intuition“ dürfen heimliche Überwachungsmaßnahmen also nicht eingeleitet werden. Der Verdacht braucht allerdings nicht den Grad eines dringenden Tatverdachts erreichen; einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass Straftaten oder Pflichtverletzungen begangen wurden, bedarf es nicht. Es genügt ein „einfacher“ Verdacht im Sinne eines durch benennbare konkrete Tatsachen belegten Anfangsverdachts2. Der Verdacht muss sich nicht gegen einen bestimmten Arbeitnehmer richten. Ausreichend ist, dass er sich auf einen abgrenzbaren Personenkreis bezieht3. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG sieht vor, dass der Arbeitgeber die tatsächlichen Anhaltspunkte, auf welche er seinen Verdacht stützt, dokumentiert.

14.11

Der heimliche Zugriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers ist im Regelfall nicht erforderlich, 14.12 wenn der Arbeitnehmer bei einer offen durchgeführten Maßnahme noch die Möglichkeit hätte, sie durch Einräumen des Vorwurfs abzuwenden4. Allein der Wunsch des Arbeitgebers, die „unbequeme“ Konfrontation des Arbeitnehmers so lange wie möglich aufzuschieben, rechtfertigt heimliches Vorgehen nicht. So hält das BAG die heimliche Spindkontrolle für unverhältnismäßig, um einen durch den Arbeitnehmer mutmaßlich gestohlenen Gegenstand aufzufinden. Der Arbeitgeber hat nämlich die Möglichkeit, den Arbeitnehmer vor seinem Spind mit dem Tatvorwurf zu konfrontieren und ihn zur freiwilligen Herausgabe des Gegenstandes aufzufordern. Dieses Mittel wäre milder, da es dem kooperativen Arbeitnehmer die Einsichtnahme in seine Privatsphäre erspart. Umgekehrt stellt der offene Zugriff i.d.R. auch keinen so intensiven Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers dar, dass er nur aufgrund von tatsächlichen Anhaltspunkten i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG vorgenommen werden darf. So stellen sich an die Kontrolle des E-Mails-Postfachs keine besonderen Anforderungen, wenn diese dem Arbeitnehmer im Vorfeld angekündigt wird und der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einräumt, private Daten im Vorfeld entsprechend zu kennzeichnen5. Auch die stichprobenhafte Kontrolle der Verlaufsdaten des Internetbrowsers ist ohne Anfangsverdacht zulässig, wenn offen angekündigt wird, dass solche Stichproben erfolgen6. Der Betriebsrat hat bei der Einleitung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen mitzubestimmen, wenn zu deren Durchführung technische Überwachungseinrichtungen eingesetzt werden sollen (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Will der Arbeitgeber Überwachungseinrichtungen einsetzen, die es bislang nicht gab (z.B. eine verdeckte Überwachungskamera aufstellen), muss der Betriebsrat dies genehmigen. Will der Arbeitgeber heimlich Daten auswerten, die auf mitbestimmten IT-Systemen gespeichert sind (z.B. den E-Mail-Postfächern der Arbeitnehmer oder dem Festplattenspeicher ihrer Dienstrechner), richtet es sich nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung, mit dem das jeweilige ITSystem eingeführt wurde, ob der Arbeitgeber hierbei einseitig handeln darf oder eine gesonderte Genehmigung des Betriebsrates braucht7.

1 BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, ArbRB 2019, 200 = juris Rz. 54; vgl. die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung, BT-Drucks. 16/13657; eingehend Thüsing/Schmidt, NZA 2017, 1027. 2 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 22. 3 BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, ArbRB 2012, 295 = juris Rz. 30; BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 22. 4 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, ArbRB 2014, 70 = juris Rz. 31; LAG Rheinland-Pfalz v. 25.11.2014 – 8 Sa 363/14, DuD 2015, 700 = juris Rz. 162. 5 BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, ArbRB 2019, 200 = juris Rz. 54. 6 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, DB 2017, 2488 = juris Rz. 31; dazu eingehend Laber/Santon, ArbRB 2019, 60 (61 f.). 7 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 58 ff.

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14.13

§ 14 Rz. 14.14

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

14.14 Hinweis: Normale Überwachungsmaßnahmen wie Beobachten und Herumfragen sind datenschutzrechtlich unbedenklich, solange sie aus unwillkürlichem Anlass durchgeführt werden. Will der Arbeitgeber allerdings eine eingriffsintensive heimliche Überwachungsmaßnahme, z.B. eine verdeckte Kameraüberwachung, den heimlichen Einblick in ein E-Mail-Postfach oder die Beauftragung eines Detektives, einleiten, muss er prüfen, ob ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte den Anfangsverdacht (1) einer schweren Pflichtverletzung oder Straftat begründen (2). Da er die Anhaltspunkte dokumentieren muss (3), sollte er einen entsprechenden Aktenvermerk fertigen, bevor er Maßnahmen einleitet. All dies folgt aus den Wertungen des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Außerdem muss die heimliche Überwachungsmaßnahme erforderlich sein (4). Es darf kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Aufklärung des Tatvorwurfes geben. Insbesondere die offene Durchführung der Maßnahme kommt häufiger in Betracht, als man auf den ersten Blick glaubt. Denn der emotional nachvollziehbare Wunsch, erst den Sachverhalt auszuermitteln, bevor man sich auf eine Konfrontation mit dem Arbeitnehmer einlässt, stellt kein rechtlich schutzwürdiges Interesse dar. Schließlich benötigt der Arbeitgeber die Genehmigung des Betriebsrates, wenn er Überwachungsmaßnahmen wie Kameras oder Keylogger einsetzen will, die technische Überwachungseinrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG darstellen (5).

14.15 Greift eine Überwachungsmaßnahme in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers auf unverhältnismäßige Weise ein, so dass eine materielle Grundrechtsverletzung vorliegt, ist ein Beweis- und Sachvortragsverwertungsverbot im Prozess gegen diesen Arbeitnehmer der Regelfall, da die Beweisverwertung den Grundrechtseingriff sonst „perpetuieren und vertiefen“ würde. Typischerweise geht es um Fallkonstellationen, in denen Arbeitgeber heimliche Überwachungsmaßnahmen ergreifen, obgleich es an einem Anfangsverdacht i.S.d. Art. 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG fehlte1, oder in denen eine verdeckte Maßnahme nicht erforderlich war2. Eine Ausnahme von dem dann geltenden Beweisverwertungsverbot käme nur in Betracht, wenn weitere „über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten“ und diese besonderen Umstände „gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung als gerechtfertigt ausweisen“3.

14.16 Anders stellt es sich dar, wenn die Ermittlungsmaßnahme lediglich gegen formelle („einfache“) Datenschutzvorgaben verstoßen hatte, die prozessuale Verwertung der erlangten Erkenntnisse für sich genommen allerdings keine Grundrechte verletzt oder die Grundrechtsverletzung perpetuiert4. Hat der Arbeitgeber lediglich das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG übergangen5, erhobene Daten unter Missachtung von Löschfristen aufbewahrt6, Grundrechte Dritter verletzt, die nicht prozessbeteiligt sind7, Dokumentationspflichten nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG8 nicht umge1 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 15 ff. 2 BAG v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12, ArbRB 2014, 70 = juris Rz. 18 ff. 3 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 18; BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, ArbRB 2017, 36 = juris Rz. 24. 4 So ganz deutlich BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 14; dazu Grimm, ArbRB 2018, 258 und Fuhlrott/Oltmanns, NZA-RR 2018, 596 (598). 5 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, ArbRB 2017, 36 = juris Rz. 44; BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, DB 2008, 1633 = juris Rz. 26; ArbG Karlsruhe v. 15.9.2015 – 2 Ca 122/15, ZD 2016, 304 (Leitsatz). Fraglich ist, ob sich durch ausdrückliche Regelung in einer Betriebsvereinbarung ein Beweisverwertungsverbot begründen ließe, ablehnend Fuhlrott/Oltmanns, NZA 2018, 413. 6 BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 30: Die überlange Speicherdauer begründet kein Verwertungsverbot, weil der „rechtmäßig gefilmte Vorsatztäter“ (so das BAG) nicht geschützt werden soll: „Datenschutz ist nicht Tatenschutz“ so Orientierungssatz 3. Das ändere sich auch nicht durch den Zeitablauf. So zuvor schon LAG Rheinland-Pfalz v. 25.10.2017 – 7 Sa 407/16, ZD 2018, 325. 7 BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 33. 8 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 37; BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 33; Fuhlrott/Oltmanns, NZA-RR 2018, 596 (598).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.19 § 14

setzt oder sonstige datenschutzrechtliche Ordnungsvorschriften verletzt1, dürfen die gewonnen Erkenntnisse im Prozess gleichwohl verwertet werden.

14.17

Hinweis: Decken heimliche Überwachungsmaßnahmen eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers auf, will der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer fristlos kündigen und ggf. sogar Schadensersatzansprüche geltend machen. Dies führt regelmäßig zu gerichtlichen Verfahren, in denen der Arbeitgeber die Pflichtverletzung beweisen muss. Dem Arbeitgeber ist grundsätzlich davon abzuraten, (häufig aufwendige) verdeckte Überwachungsmaßnahmen einzuleiten, wenn kein ausreichender, durch Tatsachen belegter Anfangsverdacht besteht oder die Maßnahme nicht erforderlich ist. Denn andernfalls muss der Arbeitgeber damit rechnen, dass sich alle Bemühungen letztlich als vergeblich erweisen, da die erlangten Erkenntnisse nicht zulässig in ein gerichtliches Verfahren eingeführt werden können. Womöglich muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer sogar ein Schmerzensgeld zahlen2. Übergeht der Arbeitgeber hingegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates oder verletzt er formelle Datenschutzvorgaben, sind keine vergleichbaren Sanktionen zu fürchten. Gewonnene Erkenntnisse können gleichwohl im Gerichtsverfahren verwertet werden. Oft bleibt aber ein politischer Schaden.Wird der Arbeitnehmer durch eine materiell zulässige Ermittlungsmaßnahme einer schwerwiegenden vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt, kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Erstattung der für die Ermittlung aufgewendeten und erforderlichen Kosten (z.B. Honorare für Anwälte3 und Detektive4) verlangen.

2. Präventive und routinemäßige Datenerhebungen; Dauerüberwachung Geschäftsführung und Vorstand sind dazu verpflichtet, für die von ihnen geführten Unternehmen ei- 14.18 ne angemessene Compliance-Organisation einzurichten5. Dies erfordert es i.d.R., präventive Überwachungsmaßnahmen aufgrund definierter Routinen festzulegen6. Die Compliance-Pflicht kann dabei in ein Spannungsverhältnis mit den Datenschutzpflichten des Unternehmens geraten. Bei der präventiven Routine-Compliance werden personenbezogene Daten aus der Arbeits- und Sozialsphäre der Arbeitnehmer erhoben. Solange die Compliance-Prozesse in ihren Grundzügen offen und willkürfrei eingerichtet werden, bestehen regelmäßig keine erhöhten datenschutzrechtlichen Anforderungen7. Anders ist es allerdings zu bewerten, wenn für sich genommen geringfügige Eingriffe in der Sozialsphäre eines Arbeitnehmers als Dauerzustand eingerichtet sind und dadurch zusammengenommen Gewicht erlangen. Hohe Rechtfertigungsanforderungen stellt das BAG an eine ununterbrochene technische Überwachung des Arbeitsplatzes, der sich der Arbeitnehmer nicht entziehen kann, wenn diese einen dauerhaften „psychischen Anpassungsdruck“ schafft8 oder geeignet ist, ein „lückenloses Profil“ des Arbeitnehmers zu erstellen9. Dies droht z.B. durch – die laufende Videoüberwachung eines Arbeitsplatzes,

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Fuhlrott, NZA 2017, 1308 (1311) zum Keylogger-Urteil des BAG. BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1007/13, ArbRB 2015, 262. BAG v. 29.4.2021 – 8 AZR 276/20, ArbRB 2021, 161 = juris Rz. 24 ff. BAG v. 26.9.2013 – 8 AZR 1026/12, Leitsatz, DB 2014, 429. LG München I v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, Leitsatz 1, ZIP 2014, 570; Hoffmann/Schieffer, NZG 2017, 401. Hoffmann/Schieffer, NZG 2017, 401 (406); Hölters in Hölters, AktG, 4. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 87. BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, ArbRB 2019, 200 = juris Rz. 54. BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, RDV 2005, 216 = juris Rz. 24; BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, ArbRB 2004, 366 = juris Rz. 21. BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 33.

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14.19

§ 14 Rz. 14.19

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

– die durchgehende Protokollierung der Tastatureingaben eines Arbeitnehmers mittels eines Keyloggers1, – die ständige automatisierte Leistungskontrolle des gesamten Arbeitsverhaltens eines Sachbearbeiters durch eine Software, mit der er arbeitet2 (vgl. zur Überwachung durch Software auch Rz. 15.14 ff.), – die Aufzeichnung sämtlicher Telefongespräche eines Callcenter-Mitarbeiters für unvorhersehbare stichprobenartige Kontrollen3 oder – die Dauerbeobachtung der Fahrtrouten von Speditionsfahrzeugen mittels GPS zum Zwecke der Leistungskontrolle4 (dazu näher Rz. 14.22).

14.20 Der ununterbrochene Einsatz von Maßnahmen der Dauerüberwachung ist nach § 26 Abs. 1 BDSG unzulässig, wenn er keinen besonderen Anlass hat (sog. Verbot der Totalüberwachung)5. Liegen hingegen konkrete Anhaltspunkte für eine begangene Straftat i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG vor, sind Maßnahmen der repressiven Dauerüberwachung auch heimlich zulässig6. Die Generalüberwachung der gesamten Belegschaft rechtfertigt sich zwar i.d.R. nicht7. Allerdings muss die Überwachungsmaßnahme auch nicht in der Weise beschränkt werden, dass von ihr ausschließlich Personen erfasst werden, bezüglich derer bereits ein individuell konkretisierter Verdacht besteht8.

14.21 Weitgehend ungeklärt ist dagegen, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber eine präventive Dauerüberwachung einrichten darf, ohne dass besondere Anhaltspunkte auf eine bereits begangene Straftat hindeuten. Um präventive Dauerüberwachung vor § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG rechtfertigen zu können, muss der Arbeitgeber in jedem Fall einen besonderen Kontrollanlass haben. Der Anlass kann bei einer Videoüberwachung z.B. in einem erhöhten Diebstahlrisiko bestehen9. Das Mithören von Gesprächen eines Call-Center-Mitarbeiters kann sich rechtfertigen, da dem Arbeitgeber i.d.R. keine andere Kontrollmöglichkeit zur Verfügung steht10. Präventive Maßnahmen der Dauerüberwachung müssen stets offen durchgeführt werden, d.h. den betroffenen Arbeitnehmern muss zumindest abstrakt bekannt gegeben werden, dass die Maßnahmen durchgeführt werden11. Die Eingriffsintensität der Maßnahmen lässt sich häufig erheblich eingrenzen, indem die Überwachungsmaßnahme auf bestimmte Zeitabschnitte oder räumliche Bereiche begrenzt wird, die der Arbeitnehmer kennt. Auf diese Weise sieht sich der Arbeitnehmer einem „psychischen Anpassungsdruck“ nur vorübergehend ausgesetzt und weiß, wann bzw. wo er sich von diesem Überwachungsdruck „erholen“ kann. Die Videoüberwachung bestimmter Arbeitsbereiche (z.B. einer Kasse) stellt z.B. dann keinen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter dar, wenn die Mitarbeiter sich während ihrer Arbeit auch in Arbeitsbereichen aufhalten können, die nicht videoüber-

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10 11

BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, Leitsatz, ArbRB 2017, 331. BAG v. 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 18 ff. Kort, RdA 2018, 24 (28). Kort, RdA 2018, 24 (27); Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 129, 130; Däubler, NZA 2017, 1481 (1484); a.A. Göpfert, DB 2016, 1015 (1017). Kort, RdA 2018, 24 (24). BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 28 ff. LAG Baden-Württemberg v. 6.5.1998 – 12 Sa 115/97, Leitsatz 1, BB 1999, 1439. BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 848/15, ArbRB 2017, 36 = juris Rz. 28. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 43 f.; LAG Köln v. 6.7.2018 – 9 TaBV 47/17, NZA-RR 2018, 599 = juris Rz. 59; OVG Saarland v. 14.12.2017 – 2 A 662/17, CR 2018, 505 = juris Rz. 45; Thüsing/Schmidt, NZA 2017, 1027 (1028 ff.); Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 122; s. auch ArbG Frankfurt/M. v. 8.11.2013 – 22 Ca 9428/12, ZD 2014, 633 = juris Rz. 61. Kort, RdA 2018, 24, 28. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 44; Grimm/Göbel, jM 2018, 155 (157); Dzida/Klopp, ArbRB 2017, 376 (378); Byers/Wenzel, BB 2017, 2036 (2038); Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 130.

296

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.24 § 14

wacht sind, und wissen, wo diese „überwachungsfreien Zonen“ sind1. In Call-Centern lassen sich die Zeitfenster abschließend festlegen und bekannt geben, in denen mit einer Aufzeichnung von Telefongesprächen zu rechnen ist. Die GPS-Ortung von Speditionsfahrzeugen stellt keine unzulässige Dauerüberwachung dar, soweit 14.22 es dem Arbeitgeber nur um eine Ortung des Fuhrparkes geht und die Ortungsdaten grundsätzlich nicht mit den personenbezogenen Daten der Fahrer verknüpft werden. Die Ortungssoftware darf deshalb keine technischen Funktionen beinhalten, mit denen für individuell bestimmte Fahrer Aufzeichnungen über deren Geschwindigkeit oder die Dauer von Fahrtunterbrechungen angefertigt werden2. Bestehen allerdings konkrete Anhaltspunkte i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG, dass ein Fahrer während seiner Fahrt eine Straftat oder schwere Pflichtverletzung begangen hat, dürfen die GPS-Aufzeichnungen ausnahmsweise mit den Dienstplänen verknüpft werden, um nachzuprüfen, wann er mit welchem Fahrzeug wo unterwegs war3. Durch die Erteilung einer Einwilligung des Arbeitnehmers lässt sich die Dauerüberwachung prinzi- 14.23 piell rechtfertigen4. Allerdings entbindet auch eine Einwilligung den Arbeitgeber nicht von jedweden Schutzpflichten im Hinblick auf die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers5. Die Rechtfertigung der Dauerüberwachung kann auch durch eine Betriebsvereinbarung erfolgen. Dabei unterliegen Betriebsvereinbarungen, die eine Dauerüberwachung ermöglichen, einer strengen Inhaltskontrolle nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO und § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG6 (dazu eingehend Rz. 15.27 f.).

3. Unternehmensinterne Ermittlungen Beim Verdacht von Straftaten und (vor allem kartellrechtlichen) Ordnungswidrigkeiten kann es er- 14.24 forderlich werden, umfangreiche unternehmensinterne Ermittlungen durchzuführen, um die Schuldigen zu finden und das Ausmaß des Verstoßes aufzuklären7. Vorstand und Geschäftsführung tragen eine Legalitätsorganisationspflicht: Sie müssen darauf hinwirken, dass das von ihnen geleitete Unternehmen alle öffentlich-rechtlichen Pflichten erfüllt8. Zeigen sich ihnen Anhaltspunkte für Straftaten oder andere Verstöße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, müssen sie den Vorfall aufklären. Bleiben sie untätig, verletzen sie ihre Amtspflichten und haften selbst auf Ersatz entstehender Schäden (§ 43 GmbH, § 93 AktG, § 34 GenG)9. Ebenso muss der Aufsichtsrat tätig werden, wenn

1 BAG v. 28.3.2019 – 8 AZR 421/17, NZA 2019, 1212 = juris Rz. 41. 2 Landesdatenschutzbeauftragte Nordrhein-Westfalen, Datenschutz- und Informationsfreiheitsbericht 2019 der LDI NRW, S. 65 f.; Landesdatenschutzbeauftragte Rheinland-Pfalz, Ich weiß wo du letzten Donnerstag gewesen bist! Heimliche Ortung der Beschäftigten durch Arbeitgeber, https://www.datenschutz.rlp.de/ de/themenfelder-themen/gps-ortung/ (letzter Abruf: Januar 2022). 3 Landesdatenschutzbeauftragte Rheinland-Pfalz, Ich weiß wo du letzten Donnerstag gewesen bist! Heimliche Ortung der Beschäftigten durch Arbeitgeber, https://www.datenschutz.rlp.de/de/themenfelder-the men/gps-ortung/ (letzter Abruf: Januar 2022). 4 OVG Saarland v. 14.12.2017 – 2 A 662/17, CR 2018, 505 = juris Rz. 65. 5 BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, ArbRB 2004, 366. 6 BAG v. 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 18 ff.; BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 34/03, RDV 2005, 216. 7 Zusammenfassend Grimm/Freh, KSzW 2012, 88; Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499. 8 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, ZIP 2012, 1552 = juris Rz. 22; Spindler in MünchKomm/AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 87; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 GmbHG Rz. 11; Grigoleit/ Tomasic in Grigoleit, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 26. 9 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143 = juris Rz. 13; Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71 (72); Fleischer in MünchKomm/GmbHG, 3. Aufl. 2019, § 43 GmbHG Rz. 134 ff.; Beurskens inNoack/Servatius/Haas, § 43 GmbHG Rz. 10 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG Rz. 12; Hölters in Hölters, 4. Aufl. 2022, § 93 AktG Rz. 87.

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297

§ 14 Rz. 14.24

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

ihm Anhaltspunkte für ein strafbares oder grob pflichtwidriges Verhalten des Vorstandes vorliegen1. Bei der Frage, wie die interne Untersuchung durchgeführt werden soll, steht den Organen hingegen ein Ermessensspielraum zu. Sie dürfen den Ermittlungsprozess unter Beachtung der Business-Judgement-Rule eigenständig gestalten2.

14.25 Zur Durchführung der internen Ermittlung werden Ermittlungsteams gebildet, die bei schweren Vorfällen häufig – um die Unabhängigkeit der Ermittlung sicherzustellen – durch externe Berater (z.B. Rechtsanwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfer) begleitet werden3. Vor allem, wenn sich die Ermittlung gegen eine unbekannte Gruppe von Verdächtigen inmitten der Belegschaft richtet, stellen sich datenschutzrechtliche Herausforderungen, da eine Vielzahl von Daten von potentiell unschuldigen Mitarbeitern erhoben und verarbeitet werden müssen. Typischerweise verheimlichen die Ermittler ihr Vorgehen und ihren Erkenntnisstand dabei gegenüber der Belegschaft so weit wie möglich. Wüssten die Täter nämlich, wo die Ermittlungen stehen und welche weiteren Ermittlungsmaßnahmen geplant sind, bestünde die Gefahr, dass sie die Ermittlungen durch Verdunkelungshandlungen gefährden und z.B. Zeugen beeinflussen oder Daten löschen und vernichten. Wird durch den Aufsichtsrat wegen möglicher Pflichtverletzungen der Geschäftsführung ermittelt, empfiehlt es sich für den Aufsichtsrat häufig, die Geschäftsführung und alle leitenden Angestellten des Unternehmens pauschal als Verdächtige zu behandeln; typischerweise berichten die externen Ermittler dann direkt und ausschließlich an den Aufsichtsrat und die Mitglieder der Geschäftsführung sowie die leitenden Angestellten werden generell von den Ermittlungen ausgeschlossen4. All dies ist datenschutzrechtlich zu rechtfertigen.

14.26 Die wichtigsten Aufklärungsmaßnahmen der Ermittler sind i.d.R. Befragungen von Mitarbeitern (dazu Rz. 14.27 ff.) und Auswertungen der E-Mail-Kommunikation sowie vergleichbarer elektronischer Aufzeichnungen (dazu Rz. 14.36 ff.).

a) Mitarbeiterbefragungen 14.27 Welche rechtlichen Anforderungen und Rahmenbedingungen bei Mitarbeiterbefragungen gelten, hängt davon ab, ob die Befragung lediglich auf Informationsgewinnung zielt (dazu Rz. 14.28 ff.) oder ob die Befragung eine Verdachtskündigung vorbereiten soll, weil der befragte Mitarbeiter selbst dringend verdächtig ist und eine letzte Chance erhalten soll, sich zu entlasten (dazu Rz. 14.33 f.).

14.28 Gegen die Zulässigkeit von normalen Mitarbeiterbefragungen zur Informationsgewinnung bestehen keine grundsätzlichen Bedenken5. Grundsätzlich sind Arbeitnehmer nach § 666 BGB i.V.m. § 675 BGB analog sowie aus §§ 611, 241 Abs. 2 BGB bzw. § 242 BGB zur umfassenden Auskunft und Rechenschaft über Vorgänge verpflichtet6. Ein Arbeitnehmer ist über alle Vorgänge auskunftspflichtig, die er bei Gelegenheit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber erfahren hat, auch wenn diese Umstände ihn selbst betreffen7.

1 OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 176/10, ZIP 2012, 2299 = juris Rz. 36; Grunewald, NZG 2013, 841 (845). 2 Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71 (72). 3 Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (39). 4 Ott/Lüneborg, CCZ 2019, 71 (75). 5 So aber Tinnefeld/Petri/Brink, MMR 2010, 727 (732). 6 BAG v. 7.9.1995 – 8 AZR 828/93, DB 1996, 634 = juris Rz. 25 ff.; Grimm, NZA 2019, 1534 (1535); Grimm/Freh, KSzW 2012, 88 (88 f.); Schneider, NZG 2010, 1201 (1204); Grimm/Freh, ZWH 2013, 89 f.; Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1501); Mengel, NZA 2017, 1494 (1498); Röß, NZA 2021, 675 (675 f.). 7 BAG v. 1.6.1995 – 6 AZR 912/94, DB 1995, 2317 = juris Rz. 35.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.32 § 14

Ungeklärt ist, ob das Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung im Hinblick auf Pflichtverletzungen auch im Zivilrecht anwendbar ist1. Ein Teil der Literatur2 nimmt in Anlehnung an § 9 Abs. 9 WpHG hinsichtlich der Begrenzung der arbeitsvertraglichen Mitwirkungs- und Auskunftspflicht an, dass diese nicht besteht, wenn dadurch die Gefahr einer straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung geschaffen wird. Inwieweit diese Grundsätze im Beschäftigungsverhältnis als Folge von Ermittlungen und anschließenden Befragungen der Mitarbeiter gelten, ist gegenwärtig noch ungeklärt3. Teilweise bestehen kollektiv-rechtliche Regelungen, die eine Pflicht zur Selbstbelastung ausschließen4. Die h.M. lehnt dagegen mit Recht ab, in Fällen einer möglichen Selbstbezichtigung die Auskunftspflicht des Arbeitnehmers einzuschränken5.

14.29

Ob der Arbeitnehmer bei der Befragung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ein Betriebsratsmitglied 14.30 hinzuziehen kann, ist umstritten, aber zu verneinen, weil es sich nicht um Beratungs- und Führungsgespräche handelt6. Ebenfalls umstritten ist, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitnehmer für den Fall einer möglichen strafrechtlichen Selbstbelastung die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts verlangen kann7. Nach zutreffender Ansicht besteht nach dem Grundsatz der Waffengleichheit ein Recht, einen eigenen Anwalt hinzuzuziehen, wenn die Befragung durch einen Syndikusrechtsanwalt des Unternehmens oder durch externe Rechtsanwälte erfolgt8. Vielfach wird vertreten, dass der Arbeitgeber dann nach § 670 BGB auch die Kosten für die Hinzuziehung des Rechtsanwalts tragen muss9. Ein Kostenübernahmeanspruch kommt nach zutreffender Ansicht allerdings nur in Betracht, wenn der Befragte nicht als Täter, sondern als Zeuge befragt wird und seine Aussage also im Aufklärungsinteresse des Unternehmens liegt10.

14.31

Hinweis:

14.32

In der Praxis steht die Frage im Vordergrund, wie das Unternehmen Arbeitnehmer möglichst zeitnah „zum Reden bringt“ und sie zu einer offenen und möglichst umfassenden Aussage veranlasst. Zwar kann das Unternehmen Abmahnungen aussprechen, wenn ein Arbeitnehmer nicht, unvollständig oder nicht wahrheitsgemäß aussagt (vgl. Rz. 14.28 f.). Regelmäßig kann das Unternehmen allerdings nicht sicher feststellen, ob eine Aussage wahr und vollständig ist. Viele Mitarbeiter sagen unvollständig aus, weil sie Angst haben, „zwischen die Fronten zu geraten“ und in Konflikte verwickelt zu werden, die sie nicht beherrschen können. Hier kann es zweckmäßig sein, ihnen die Kostenübernahme für einen Rechtsanwalt zuzusagen. Teilweise haben die Mitarbeiter allerdings auch Angst, dass eigene Verhaltensweisen als pflichtwidrig bewertet und sanktioniert werden könnten. Geht es dabei nur um untergeordnete Rechtsverstöße, sind Am-

1 Schrader/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965; Müller-Bonanni, AnwBl. 2010, 651 (653); Dann/Schmitt, NJW 2009, 1851 (1853). 2 Schneider, NZG 2010, 1201 (1204); Müller-Bonanni, AnwBl. 2010, 651 (653). 3 Henssler, NZA-Beilage 2/2018, 31 (37). 4 Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1501). 5 Schrader/Thoms/Mahler, NZA 2018, 965 (970); Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (41); Lützeler/MüllerSartori, CCZ 2011, 19 (20). 6 Henssler, NZA-Beilage 2/2018, 31 (38); Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374 (2376); Müller-Bonanni, AnwBl. 2010, 651 (653); Grimm/Freh, ArbRB 2012, 241 (242); differenziert Röß, NZA 2021, 675 (676 f.). 7 Bejahend LAG Berlin-Brandenburg v. 6.11.2009 – 6 Sa 1121/09, Leitsatz, ArbuR 2010, 78; a.A. Dzida/ Klopp, ArbRB 2017, 116 (117). Zur Anhörung bei der Verdachtskündigung Mengel/Ulrich, NZA 2006, 240 (244). 8 BRAK-Stellungnahme 35/2010 v. November 2010, S. 10; Henssler, NZA-Beilage 2/2018, 31 (38); Mengel, NZA 2017, 1494 (1499). 9 BRAK-Stellungnahme 35/2010 v. November 2010, S. 10; Hauschka/Moosmayer/Lösler/Wessing, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 46 Rz. 69; a.A. Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1503); Klengel/ Mückenberger, CCZ 2009, 81 (82); Göpfert/Merten/Siegrist, NJW 2008, 1703 (1708 f.); Dzida/Klopp, ArbRB 2017, 116 (118). 10 Grimm, NZA 2019, 1534 (1537); Grimm/Freh, KSzW 2012, 88 (90).

Grimm/Singraven

299

§ 14 Rz. 14.32

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

nestieprogramme1 und Kronzeugenregelungen sinnvoll, wenn sie angemessen und zum Wohle des Unternehmens eingesetzt werden2. Solche Regelungen lassen sich besser verhandeln, wenn der Betreffende anwaltlich vertreten ist.

14.33 Andere Anforderungen gelten, wenn die Anhörung der Vorbereitung einer Verdachtskündigung dient und der befragte Mitarbeiter selbst dringend verdächtig ist und eine letzte Chance erhalten soll, sich zu entlasten. In diesem Fall ist das Unternehmensinteresse ein anderes: Es geht dann weniger darum, Informationen zu erhalten, als eine Kündigung so vorzubereiten, dass sie sich gerichtsfest begründen lässt. Der rechtliche Hintergrund ist die Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess. Hat ein Arbeitnehmer eine Straftat oder sonstige schwere Pflichtverletzung zum Nachteil des Unternehmens begangen, würde dieser Umstand zwar regelmäßig eine fristlose, verhaltensbedingte Tatkündigung rechtfertigen. Allerdings müsste der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess den Vollbeweis für diese Pflichtverletzung erbringen3. Gelingt es dem Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess – auch durch Lügen – gewisse Restzweifel beim Gericht zu streuen, verliert der Arbeitgeber den Prozess. Die Beweislast des Arbeitgebers wird faktisch abgeschwächt, wenn er die Kündigung als Verdachtskündigung ausspricht. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein aufgrund objektiver Tatsachen bestehender dringender Verdacht (überwiegende Wahrscheinlichkeit!), dass ein Arbeitnehmer eine schwere Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis begangen hat, die Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so stören kann, dass eine (auch fristlose) Kündigung gem. § 626 BGB, § 1 KSchG gerechtfertigt ist4. Der Arbeitgeber muss dann keinen Vollbeweis für diese Pflichtverletzung, sondern lediglich für die verdachtsbegründenden Tatsachen erbringen. Voraussetzung der Verdachtskündigung ist allerdings, dass der Arbeitgeber vor Kündigungsausspruch alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen und den Arbeitnehmer insbesondere angehört hat5.

14.34 Die Anhörung vor der Verdachtskündigung muss bestimmten rechtlichen Anforderungen genügen, damit sie den Gerichten ausreicht. Wird das Anhörungsverfahren diesen Anforderungen nicht gerecht, kann eine später ausgesprochene Kündigung nicht als Verdachtskündigung gerechtfertigt werden, sondern der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzprozess den Vollbeweis der Pflichtverletzung erbringen. Folgende Anforderungen sind bei der Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zu beachten: – Sobald der Sachverhalt im Übrigen ausermittelt ist, muss die Anhörung des Arbeitnehmers unverzüglich erfolgen. Im Allgemeinen darf der Arbeitgeber mit der Anhörung dann nicht mehr länger als eine Woche warten6. Sobald die Anhörung erfolgt ist, hat der Arbeitgeber weitere zwei Wochen (§ 626 Abs. 2 BGB) Zeit, um den Betriebsrat anzuhören und die Kündigung auszusprechen7. – Das Anhörungsverfahren kann mündlich oder schriftlich durchgeführt werden8.

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Lützeler/Müller-Sartori, CCZ 2011, 19 (25); zu den Inhalten Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374 (2377). Im Einzelnen Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1504). BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, ArbRB 2009, 196 = juris Rz. 33. BAG v. 17.3.2016 – 2 AZR 110/15, EzA § 626 BGB 2002 Nr 56 = juris Rz. 39; BAG v. 18.6.2015 – 2 AZR 256/14, NZA 2016, 287 = juris Rz. 21. BAG v. 25.11.2010 – 2 AZR 801/09, ArbRB 2011, 167 = juris Rz. 16; BAG v. 23.6.2009 – 2 AZR 474/07, ArbRB 2009, 356 = juris Rz. 51. BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, ArbRB 2016, 70 = juris Rz. 54; BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12, ArbRB 2014, 294, Orientierungssatz 1. BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, ArbRB 2016, 70 = juris Rz. 54; eingehend zum Fristbeginn bei umfangreichen unternehmensinternen Ermittlungen Horstmeier, BB 2021, 1140. Klinkhammer, ArbRAktuell 2020, 7 (8); Lembke, RdA 2013, 82 (87).

300

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.35 § 14

– Im Rahmen des Anhörungsverfahrens muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den Tatvorwurf schildern und dabei diejenigen Anknüpfungstatsachen nennen, aus denen er seinen Verdacht herleitet. Dies muss so konkret erfolgen, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt ist, den Verdacht zu entkräften und die Anknüpfungstatsachen z.B. zu bestreiten1. Allerdings muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht zwingend die Originalbeweismittel, z.B. Videoaufnahmen oder Fotos, vorlegen2. Eine Information über die Verdachtsmomente kann unterbleiben, wenn der Arbeitnehmer zu Beginn des Gesprächs sofort erklärt, er werde sich ohnehin nicht zum Vorwurf äußern3. – Im Zusammenhang mit dem Anhörungsverfahren darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht bewusst täuschen. Eine unzulässige Täuschung läge z.B. vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer unter falschen Vorwänden zum Anhörungsgespräch lockt oder die Existenz von Beweismitteln behauptet, die es tatsächlich nicht gibt4. In der Literatur ist umstritten, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit einem Anhörungsgespräch überrumpeln darf oder ob er ihn bereits im Vorfeld über das Gesprächsthema unterrichten und ihm die Vorbereitung ermöglichen muss5. Nach maßgeblicher und überzeugender Rechtsprechung des BAG muss das Gesprächsthema vor dem Gespräch nicht angekündigt werden, so dass eine Überrumpelung möglich ist6. Ist der Arbeitnehmer allerdings psychisch blockiert oder macht er im Gespräch geltend, sich unter diesen Bedingungen nicht auf das Gespräch einlassen zu wollen, sondern sich erst mit einer Vertrauensperson beraten oder anderweitig vorbereiten zu wollen, muss der Arbeitgeber ihm diese Möglichkeit einräumen7. – Der Arbeitnehmer hat das Recht, einen Rechtsanwalt8 zu dem Gespräch hinzuzuziehen. Nach zutreffender Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer allerdings nicht über dieses Recht belehren9. – Dem Arbeitnehmer darf im Anhörungsverfahren nicht der Eindruck vermittelt werden, er könne die spätere Kündigung ohnehin nicht mehr abwenden, egal wie er sich einlässt10. Keine Rolle spielt allerdings, ob der Arbeitgeber nach seiner inneren Überzeugung bereits fest entschlossen ist, die Kündigung auszusprechen11. – Da der Arbeitgeber die Beweislast dafür trägt, dass er die Anhörung anforderungsgemäß durchgeführt hat, sollte er das Anhörungsverfahren detailliert dokumentieren, z.B. durch ein Gesprächsprotokoll, welches die Vernehmungspersonen hinterher gegenzeichnen12. – Datenschutzrechtlich ist die Anhörung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG gerechtfertigt13. Fraglich ist, ob dem Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ein echtes Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung der Befragungen zukommt. Nach zutreffender Ansicht ergibt sich ein echtes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nur dann, wenn die Befragung mittels standardisierter Personal-

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BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, ArbRB 2008, 233 = juris Rz. 15. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 48. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, ArbRB 2008, 233 = juris Rz. 15. Lembke, RdA 2013, 82 (88). Unzulässig wird die Überrumpelung gehalten von Eylert, NZA-RR 2014, 393 (402); Schrader/Thoms/ Mahler, NZA 2018, 965 (972). BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 62. BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 62; LAG Düsseldorf v. 25.6.2009 – 5 TaBV 87/09, NZA-RR 2010, 184 = juris Rz. 36. BAG v. 13.3.2008 – 2 AZR 961/06, ArbRB 2008, 233 = juris Rz. 18. BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 62. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 48. BAG v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18, ArbRB 2018, 258 = juris Rz. 48. Klinkhammer, ArbRAktuell 2020, 7 (8). BAG v. 12.2.2015 – 6 AZR 845/13, ArbRB 2015, 164 = juris Rz. 78 ff.

Grimm/Singraven

301

14.35

§ 14 Rz. 14.35

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

fragebögen durchgeführt würde (§ 94 BetrVG), sonst aber nicht1. Mit Blick auf den Ablauf der Ermittlung hat der Betriebsrat Informationsrechte nach § 80 Abs. 2 BetrVG2. Allerdings kann der Betriebsrat nur diejenigen Informationen verlangen, welche er braucht, um das Vorliegen von Mitbestimmungstatbeständen und die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben zu prüfen. Eine umfassende Auskunft über den inhaltlichen Stand der Ermittlungen steht dem Betriebsrat dagegen nicht zu3.

b) Auswertung von E-Mail-Postfächern 14.36 Erhöhte Anforderungen stellen sich an die Auswertung von E-Mail-Postfächern. Durch eine verbreitete Literaturauffassung wird vertreten, dass Arbeitgeber, die ihren Arbeitnehmern die Privatnutzung des betrieblichen Internets und des dienstlichen E-Mail-Accounts erlauben, hierdurch den Geltungsbereich des Fernmeldegeheimnisses gem. § 3 Abs. 1 u. 3 Nr. 2 TTDSG eröffnen würden. Konsequenz dieser Sicht wäre, dass es sich bei der Einsichtnahme in das E-Mail-Postfach um eine Straftat i.S.d. § 206 StGB handelte und eine Rechtfertigung ohne Einwilligung des Arbeitnehmers so gut wie nie in Betracht käme4. Die instanzgerichtliche Rechtsprechung war dieser Ansicht bislang zwar zu Recht nicht gefolgt5. Der Meinungsstreit wird dennoch bis heute kontrovers geführt, sodass die Rechtsunsicherheit fortbesteht (eingehend hierzu Rz. 28.10).

14.37 Screent der Arbeitgeber die elektronischen Datenbestände nach sachbezogenen und nicht nach personenbezogenen Suchbegriffen, ist dies bei berechtigtem Anlass gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig und setzt keinen konkreten Anfangsverdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus6. Bezieht sich eine systematische und umfassende Auswertung elektronischer Daten hingegen auf einen bestimmten Mitarbeiter – insbesondere dessen gesamtes E-Mail-Postfach – und wird sie dem Mitarbeiter im Vorfeld nicht angekündigt, sondern ohne sein Wissen durchgeführt, müssen durch den Arbeitgeber greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür dokumentiert sein, dass dieser Mitarbeiter an einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder Straftat beteiligt war7. Bei internen Untersuchungen soll aufgeklärt werden, ob es neben dem Hauptverdächtigen weitere Tatbeteiligte und Mitwisser im Unternehmen gegeben hat. Werden zu diesem Zweck E-Mail-Postfächer ausgelesen, stellt sich die datenschutzrechtliche Frage, wie weit der Kreis der Verdächtigen zulässigerweise gezogen werden darf 8. Die bestehenden Verdachtsmomente belasten i.d.R. nicht alle Mitarbeiter in gleichem Maße. Nach 1 Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1854); Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (38); Grimm/Freh, KSzW 2012, 88 (95); Röß, NZA 2021, 675 (680 f.). 2 Grimm/Freh, ArbRB 2012, 241 (242); Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1855). 3 BAG v. 23.3.2021 – 1 ABR 31/19, ArbRB 2021, 235 (Esser) = juris Rz. 28 ff. 4 Kiparski, CR 2021, 482 (485); Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 17; vgl. zur Vorgängerregelung § 88 TKG a.F. Brühl/Sepperer, ZD 2015, 415 (416); Sassenberg/Richter, BB 2013, 889; Brink/Wirtz, ArbRAktuell 2016, 255; Brink/Schwab, ArbRAktuell 2018, 111 (112); Mengel, BB 2004, 1445 (1449); Stefan/Ernst, NZA 2002, 585 (587); Hilber/Frik, RdA 2002, 89 (93); a.A. Fokken, NZA 2020, 629 (633); Herrmann/ Zeidler, NZA 2017, 1499 (1500); Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 3. Aufl. 2021, § 3 Rz. 79 ff.; Wybitul, NJW 2014, 3605 (3607); Dzida/Klopp, ArbRB 2015, 83 (84); Fülbier/Splittgerber, NJW 2012, 1995 (1999); Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290 (2292); Haußmann/Krets, NZA 2005, 259 (260). 5 Vgl. die Rechtsprechung zur Vorgängerregelung § 88 TKG a.F.: LAG Berlin-Brandenburg v. 16.2.2011 – 4 Sa 2132/10, Leitsatz 1, DB 2011, 1281; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, Leitsatz 3, CR 2016, 520; LAG Niedersachsen v. 31.5.2010 – 12 Sa 875/09, NZA-RR 2010, 406, Orientierungssatz 1; VG Karlsruhe v. 27.5.2013 – 2 K 3249/12, CR 2013, 428 = juris Rz. 65; ähnlich LAG Hessen v. 5.8.2013 – 7 Sa 1060/10, ZD 2014, 377 = juris Rz. 63; LAG Hessen v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, ZD 2019, 323 = juris Rz. 70 ff.; LAG Hamm v. 10.7.2012 – 14 Sa 1711/10, Leitsatz 2, CCZ 2013, 115. 6 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2019 – 5 Sa 226/18, ZD 2019, 369, Orientierungssatz 6. 7 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 29 f.; LAG Hessen v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, ZD 2019, 323 = juris Rz. 84 ff. 8 Mengel, NZA 2017, 1494.

302

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 14.40 § 14

der Rechtsprechung des BAG1 muss sich ein Verdacht, der Überwachungsmaßnahmen wie die Auswertung von E-Mails legitimiert, auf einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern beziehen. Er darf sich nicht in allgemeinen Mutmaßungen erschöpfen, muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Somit darf der E-Mail-Verkehr der Gesamtbelegschaft nicht „ins Blaue hinein“ ausgeforscht werden. Stattdessen müssen die Ermittler den Kreis der Verdächtigen nach nachvollziehbaren Kriterien abgrenzen. Sie dürfen dabei auch solche Beteiligten in den Kreis der Verdächtigen einbeziehen, bei denen sich nach allgemeinem Erfahrungswissen und den konkreten betrieblichen Gegebenheiten bloß eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit der Tatbeteiligung vermuten lässt. Ergeben sich auf Grundlage der Funde weitere Verdachtsmomente, kann der Kreis der Verdächtigen schrittweise ausgeweitet werden. Auch wenn der Kreis der Verdächtigen möglichst eingegrenzt werden muss, ist es übrigens nicht zwingend notwendig, dass nur E-Mails von Personen ausgewertet werden, bezüglich derer bereits ein konkretisierter Verdacht besteht2. Auch die Korrespondenz der Verdächtigen mit anderen Personen kann z.B. gelesen werden. Um den Umstand zu kompensieren, dass einige der untersuchten Personen wahrscheinlich unschuldig sind, sollten für die Auswertung des E-Mail-Verkehrs strenge Datenschutzpflichten aufgestellt und ein abschließend definiertes Team von Ermittlern eindringlich auf diese Verhaltensregeln verpflichtet werden (dazu Rz. 14.56).

14.38

Die Auswertung von E-Mail-Postfächern im Rahmen unternehmensinterner Untersuchungen ist 14.39 nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig3. I.d.R. hat der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht bereits durch Abschluss einer Betriebsvereinbarung ausgeübt, welche die Nutzung von EDV-Arbeitsplätzen im Allgemeinen und des dienstlichen E-Mail-Verkehrs im Besonderen legitimiert. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber E-Mail-Postfächer dann ohne Zustimmung des Betriebsrates auswerten darf, richtet sich i.d.R. nach dem Inhalt dieser Betriebsvereinbarung, welche ggf. auszulegen ist4. Legitimieren bestehende Betriebsvereinbarung die Auswertung der E-Mails nicht, muss die Zustimmung des Betriebsrates im Einzelfall eingeholt werden, bevor die Auswertung erfolgt. Entsprechende Anforderungen stellen sich, wenn der Arbeitgeber andere elektronische Aufzeichnungen auswerten will und dadurch einen erheblichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte einzelner Arbeitnehmer vornimmt. Dies gilt z.B. bei der Auswertung des Festplattenspeichers der Dienstrechner einzelner Arbeitnehmer, von Datenpaketen, die sie über das Firmeninternet versenden, oder der GPS-Daten der von ihnen genutzten Fahrzeuge (Rz. 14.8). Dagegen dürfen Aufzeichnungen, die mit Wissen des Arbeitnehmers gezielt zu dessen Kontrolle angelegt wurden, wie Kassendokumentationen, Buchungsbelege, Spesenabrechnungen, Tätigkeitsberichte oder Arbeitszeitaufzeichnungen unabhängig davon ausgewertet werden, ob ein Anfangsverdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG besteht und der Betriebsrat seine Zustimmung erteilt.

1 BAG v. 21.6.2012 – 2 AZR 153/11, ArbRB 2012, 295 = juris Rz. 30; BAG v. 20.10.2016 – 2 AZR 395/15, ArbRB 2017, 101 = juris Rz. 22; speziell zur Auswertung von E-Mails vgl. BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 29. 2 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 28. 3 Grimm/Freh, ArbRB 2012, 241 (243); Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1855). 4 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 58 ff.; LAG Köln v. 19.7.2019 – 9 TaBV 125/18, ZD 2020, 262 = juris Rz. 85 ff.; Zimmer/Heymann, BB 2010, 1853 (1855); Haußmann, ArbRAktuell 2021, 466 (466 ff.).

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14.40

§ 14 Rz. 14.41

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

III. Best Practice 14.41 Wenn Rechtsverstöße oder Verdachtsmomente bekannt werden, die interne Ermittlungen erzwingen, geschieht dies oft plötzlich und unerwartet. Anschließend sehen sich alle Beteiligten unter hohem Aufklärungsdruck und müssen umgehend handeln. Solange noch kein Anlass für eine Ermittlung ersichtlich ist, empfiehlt es sich für Arbeitgeber, Vorbereitungsmaßnahmen zu ergreifen. Vor allem zwei Tätigkeitsfelder gibt es hierbei: – Zum einen sollten Unternehmen heutzutage eine zentrale Datensicherung für E-Mails und Festplattendaten besitzen. Für den Fall, dass Arbeitnehmer diese Daten von ihrem eigenen Arbeitsrechner löschen, sollte es Backups geben. – Zum anderen empfiehlt es sich, mit dem Betriebsrat im Vorfeld die Rahmenbedingungen einer internen Untersuchung zu regeln (dazu Rz. 14.42 ff.). Für die Durchführung der internen Ermittlungen selbst gibt es eine anerkannte Best Practice, an der sich das Unternehmen orientieren sollte (dazu Rz. 14.49 ff.).

1. Beteiligung des Betriebsrates 14.42 Die Auswertung elektronischer Daten ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt. Der Betriebsrat kann dieses Mitbestimmungsrecht ausüben, indem er mit dem Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung oder Regelungsabrede abstrakte Vorgaben festlegt, in deren Rahmen der Arbeitgeber die Auswertung einseitig vornehmen darf. Wurden solche Vorgaben nicht festgelegt, muss der Betriebsrat im Einzelfall beteiligt werden und den Auswertungen zustimmen.

14.43 Hat der Betriebsrat eines größeren Betriebes viele Mitglieder, schafft die Beteiligung des Betriebsrates im Einzelfall praktische Probleme: Bevor der Betriebsrat die Ermittlung genehmigt, fordert er den Arbeitgeber in aller Regel auf, ihm bestehende Verdachtsmomente umfassend mitzuteilen (vgl. zu den Grenzen des Auskunftsanspruchs des Betriebsrates allerdings Rz. 14.35). Der Arbeitgeber kann sich oft nicht darauf verlassen, dass wirklich sämtliche Betriebsratsmitglieder Stillschweigen wahren. Zwar sind die Betriebsratsmitglieder eigentlich nach §§ 79, 120 BetrVG zur Verschwiegenheit verpflichtet. Allerdings sind die Verdachtsmomente sowie damit verbundene Gerüchte und Spekulationen oft so „spannend“, dass einzelne Betriebsratsmitglieder sie nicht für sich behalten können. Auch ist vorstellbar, dass einzelne Betriebsratsmitglieder mit den Tätern bekannt und befreundet sind und ihnen deshalb einen „Tipp“ geben. Will der Arbeitgeber also vermeiden, dass seine Ermittlungen frühzeitig bekannt werden und möglicherweise Detailwissen über den Ermittlungsstand bis zum Täter durchdringt, sollte er vorbeugende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung treffen.

14.44 Hinweis: Im Notfall ist vorstellbar, dass der Arbeitgeber die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates einfach übergeht. Ein Beweisverwertungsverbot für erlangte Daten folgt daraus nicht (dazu Rz. 14.16). Meist kann der Betriebsrat die Missachtung seiner Mitbestimmungsrechte nicht verhindern. Obwohl ihm ein Unterlassungsanspruch gegen mitbestimmungswidrig durchgeführte interne Untersuchungen zusteht, erlangt der Betriebsrat i.d.R. nicht rechtzeitig einen Titel, um diesen Unterlassungsanspruch zu vollstrecken. Dies wäre allenfalls im Verfahren der einstweiligen Verfügung denkbar. Dagegen wäre ein im Hauptsacheverfahren gestellter Unterlassungsantrag des Betriebsrates erst nach rechtskräftigem Abschluss sämtlicher Instanzenzüge und keinesfalls vorläufig vollstreckbar (Umkehrschluss zu § 85 Abs. 1 Satz 2 BetrVG)1. Faktisch kann der Arbeitgeber die interne Untersuchung meist abschließen, bevor der Betriebsrat einen Unterlassungstitel erlangt.

1 Treber/Vogelsang in HWK, § 85 ArbGG Rz. 2; Schoob in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 85 ArbGG Rz. 2.

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III. Best Practice

Rz. 14.46 § 14

Empfehlenswert ist ein solches Vorgehen jedoch selten1. Wenn Unternehmen gezwungen sind, groß angelegte interne Untersuchungen durchzuführen, ist das Vertrauen in die Unternehmenskultur oft in Gefahr. In diesen Fällen benötigt die Geschäftsführung die Unterstützung des Betriebsrates, um dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Durch Übergehung von Mitbestimmungsrechten würde die Geschäftsführung dagegen in einer unternehmenspolitisch ohnehin schwierigen Situation einen weiteren betriebspolitischen Konflikt provozieren.

Für den Arbeitgeber wäre die unkomplizierteste Lösung, wenn der Betriebsrat ihm im Rahmen einer 14.45 Betriebsvereinbarung das Recht einräumt, Ermittlungen, bei denen der Arbeitgeber auf elektronisch gespeicherte Beschäftigtendaten zugreift, einseitig und ohne gesonderte Beteiligung des Betriebsrates durchzuführen. In der Vergangenheit wurde instanzgerichtlich die Ansicht vertreten, dass der Betriebsrat dem Arbeitgeber ein so weitgehendes Recht gar nicht einräumen dürfte, da hierin ein unzulässiger Verzicht auf das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG läge2. Das BAG hat jüngst deutlich entschieden, dass der Betriebsrat den Arbeitgeber durchaus zum einseitigen Vorgehen ermächtigen darf, solange dies nur unter gewissen einschränkenden Voraussetzungen erfolgt, z.B. den Vorgaben des § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG3. Denn der Betriebsrat darf Mitbestimmungsrechte ausüben, indem er Rahmenvorgaben aufstellt, die dem Arbeitgeber einen Spielraum zum einseitigen Handeln lassen4.

14.46

Eine geeignete Klausel in einer Betriebsvereinbarung kann z.B. wie folgt gestaltet werden:

M 14.1 Klausel zu Leistungs- und Verhaltenskontrollen für Betriebsvereinbarung Leistungs- und Verhaltenskontrollen (1) Technische Einrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, deren Einsatz mit Zustimmung des Betriebsrates erfolgt (nachfolgend IT-Systeme), dürfen nur insoweit zu Zwecken der Leistungs- und Verhaltenskontrolle verwendet werden, wie dies ihrer originären Zweckbestimmung entspricht (z.B. insoweit, wie das IT-System der Dokumentation von Arbeitsleistungen oder Arbeitszeiten oder Compliance-Zwecken dient). (2) Abweichend von Abs. 1 dürfen IT-Systeme auch unter Zweckänderung zur Verhaltenskontrolle ausgewertet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass Beschäftigte im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat oder eine anderweitige schwere Pflichtverletzung begangen haben, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und die schutzwürdigen Interessen der Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegen, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Unter diesen Voraussetzungen ist der Arbeitgeber insbesondere berechtigt, Nutzungsprotokollierungen in Log-Dateien sowie Bediener- und Auslastungsstatistiken auszuwerten, Sicherungsbackups der Daten zu erstellen, Dritte mit der Auswertung der Daten zu beauftragen sowie spezielle Software-Anwendungen für die automatisierte Auswertung einzusetzen5. (3) Strafverfolgungsbehörden kann Zugang zu in IT-Systemen gespeicherten personenbezogenen Daten gewährt werden, sofern vorstehende Voraussetzungen vorliegen oder die Strafverfolgungsbehörden dies im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages zulässigerweise verlangen.

1 Grimm/Freh, ArbRB 2012, 241 (244). 2 LAG Köln v. 19.7.2019 – 9 TaBV 125/18, ZD 2020, 262 = juris Rz. 89; ebenso die Vorinstanz, ArbG Köln v. 26.6.2018 – 16 BV 327/17, juris Rz. 37. 3 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 56 ff., insb. Rz. 72; dazu Haußmann, ArbRAktuell 2021, 466 (467 f.). 4 Allgemein schon BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, ArbRB 2013, 334 = juris Rz. 17. 5 Der Einsatz spezieller Screening-Software dürfte gesondert mitbestimmungspflichtig sein und ist daher zu regeln, Grimm/Freh, ArbRB 2012, 241 (242).

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§ 14 Rz. 14.47

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

14.47 Viele Betriebsräte sind nicht dazu bereit, dem Arbeitgeber derart weitgehende, einseitige Handlungsspielräume bei der Auswertung elektronischer Daten einzuräumen, sondern fordern eine Beteiligung im Einzelfall. Damit Arbeitgeber, die einem größeren Betriebsrat gegenüberstehen, nicht das gesamte Betriebsratsgremium einbeziehen müssen (vgl. zu damit verbundenen Risiken Rz. 14.43), bietet es sich an, für die Beteiligung einen gemeinsamen Ausschuss von Arbeitgeber und Betriebsrat zu gründen (§ 28 Abs. 2 BetrVG). Der Betriebsrat kann die in den Ausschuss entsandten Betriebsratsmitglieder dazu ermächtigen, sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im Zusammenhang mit internen Ermittlungen abschließend auszuüben. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Betriebsausschuss besteht (§ 28 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 BetrVG)1. Ein Betriebsausschuss ist bei mindestens neun-köpfigen Betriebsräten von Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern zu bilden (§ 9 BetrVG i.V.m. § 27 BetrVG). Lässt sich der Betriebsrat auf diese Praxis ein, muss der Arbeitgeber lediglich die (üblicherweise zwei) vom Betriebsrat entsandten Ausschussmitglieder informieren. Dadurch wird die Durchführung der Ermittlung und ihre Geheimhaltung erheblich erleichtert.

14.48 In einer Betriebsvereinbarung kann diese Praxis wie folgt geregelt werden: M 14.2 Betriebsvereinbarung zur Gründung eines Compliance-Ausschusses Betriebsvereinbarung – Gründung eines Compliance-Ausschusses – Fassung … Präambel Damit unser Unternehmen im Ernstfall interne Ermittlungen schnell und diskret durchführen kann und um personenbezogene Daten im Zusammenhang mit internen Ermittlungen zu schützen, gründen die Betriebsparteien einen Compliance-Ausschuss und legen für dessen Tätigkeit das Folgende fest: § 1 Anwendungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer des Betriebes gemäß § 5 Abs. 1 BetrVG einschließlich der in den Betrieb eingegliederten Leiharbeitnehmer (nachgehend: Arbeitnehmer). § 2 Compliance-Ausschuss (1) Die Betriebsparteien gründen hiermit einen Compliance-Ausschuss als gemeinsamen Ausschuss i.S.d § 28 Abs. 2 BetrVG. Dem Compliance-Ausschuss gehören zwei Vertreter des Arbeitgebers sowie zwei vom Betriebsrat bestimmte Betriebsratsmitglieder als ständige Ausschussmitglieder an. Werden Ausschussmitglieder ausgewechselt, ist dies der anderen Betriebspartei unverzüglich anzuzeigen. (2) Der Compliance-Ausschuss tritt auf Antrag eines jeden Mitgliedes unverzüglich zusammen. Das zusammentreten des Compliance-Ausschusses wird geheim gehalten, sofern der Compliance-Ausschuss nicht ausdrücklich etwas anderes abstimmt. (3) Der Compliance-Ausschuss entscheidet darüber, ob Ermittlungsmaßnahmen im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG2 ergriffen werden, um im Arbeitsverhältnis begangene Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern aufzuklären. Hierzu kann der Compliance-Ausschuss insbesondere beschließen: a) dass in sämtlichen elektronischen Einrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gespeicherte, personenbezogene Daten ausgewertet werden, b) dass Sicherungsbackups von gespeicherten, personenbezogenen Daten erstellt werden,

1 Reichold in HWK, § 28 BetrVG Rz. 7; Fitting, § 28 BetrVG Rz. 44; Koch in ErfK, § 28 BetrVG Rz. 2. 2 Bei sonstigen Ermittlungsmaßnahmen ist eine Beteiligung des Betriebsrates nicht vorgeschrieben.

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III. Best Practice

Rz. 14.48 § 14

c) dass gespeicherte personenbezogene Daten an Dritte, z.B. Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfer, zum Zwecke der Auswertung weitergegeben werden, d) dass zur automatisierten Auswertung gespeicherter, personenbezogener Daten spezielle SoftwareAnwendungen eingesetzt werden, e) dass, auch heimlich, neue Überwachungseinrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingesetzt werden, z.B. versteckte Kameras oder Keylogger, sofern der Einsatz nur vorübergehend angesichts eines bestimmten Verdachtes erfolgt. Die Betriebsratsmitglieder im Compliance-Ausschuss sind dazu ermächtigt, in diesem Zusammenhang bestehende Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates, insbesondere nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, endgültig und abschließend durch den Abschluss von Regelungsabreden auszuüben. Gelangt der Compliance-Ausschuss nicht zu einer Einigung, entscheidet auf Antrag die Einigungsstelle. (4) Bei seinen Entscheidungen wird der Compliance-Ausschuss den gesetzlichen Datenschutzvorgaben, insbesondere nach § 26 BDSG, Rechnung tragen. § 3 Gefahr im Verzug (1) Ist die Einberufung des Compliance-Ausschusses unter Beteiligung der Ausschussmitglieder des Betriebsrates kurzfristig unmöglich, z.B. weil die Ausschussmitglieder des Betriebsrates verhindert sind, und würde nach dem derzeitigen Sach- und Kenntnisstand des Arbeitgebers durch weiteres Abwarten der Ermittlungserfolg erheblich gefährdet, darf der Arbeitgeber a) Auswertungen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 lit. a einseitig vornehmen, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffenen Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat oder andere schwere Pflichtverletzung begangen haben, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der Arbeitnehmer an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind, b) Sicherungs-Backups nach § 2 Abs. 3 Satz 2 lit. b einseitig erstellen. (2) Der Arbeitgeber informiert alle Mitglieder des Compliance-Ausschusses unverzüglich über Maßnahmen nach Abs. 1. Der Compliance-Ausschuss entscheidet, inwieweit die getroffenen Maßnahmen aufrechterhalten und fortgesetzt werden. § 4 Geheimhaltung (1) Damit der Erfolg interner Ermittlungen nicht gefährdet wird und um die personenbezogenen Daten betroffener Arbeitnehmer zu schützen, bewahren alle Mitglieder des Compliance-Ausschusses über die Ermittlungstätigkeit des Ausschusses und die zu Ermittlungszwecken durch den Compliance-Ausschuss erhobenen und verarbeiteten Informationen Stillschweigen. (2) Die Betriebsratsmitglieder im Compliance-Ausschuss geben Informationen, von denen sie im Rahmen der Ausschussarbeit erfahren und an denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht, nur im Ausnahmefall an die übrigen Betriebsratsmitglieder weiter, nämlich nur dann, wenn dies zur Durchführung von Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz zwingend erforderlich ist1. (3) Nach Abschluss jeder internen Ermittlung werden die zum Zwecke der Ermittlung erhobenen personenbezogenen Daten gelöscht, sofern nicht ein Aufbewahrungsinteresse i.S.d. Art. 17 Abs. 3 DSGVO besteht; der Compliance-Ausschuss stellt den Abschluss jeder internen Ermittlung durch Beschluss fest. Mitgliedern des Compliance-Ausschusses ist es untersagt, Kopien von personenbezogenen Daten aufzubewahren, die der Löschung nach Satz 1 unterliegen.

1 Sinn und Zweck der Betriebsvereinbarung besteht darin, zu verhindern, dass stets das gesamte Betriebsratsgremium Kenntnis von allen Verdachtsmomenten erhält. Da der Betriebsrat seinerseits Datenschutzmaßnahmen ergreifen muss, um dem Grundsatz der Datensparsamkeit Rechnung zu tragen, sollte er für dieses Anliegen Verständnis zeigen.

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§ 14 Rz. 14.48

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

§ 5 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. (2) Diese Betriebsvereinbarung kann mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresende gekündigt werden. Sie wirkt im Falle der Kündigung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. (3) Sollte eine Bestimmung dieser Betriebsvereinbarung ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. … Ort … Geschäftsführung

… Datum … Betriebsratsvorsitzender

2. Durchführung der Ermittlungen 14.49 Sobald interne Ermittlungen eingeleitet werden, sollte im ersten Schritt ein definiertes Ermittlerteam zusammengestellt werden. Reicht der Verdacht (z.B. bei einem groß angelegten Kartellverstoß) bis in die obersten Führungsebenen des Unternehmens hinein, kann es zweckmäßig sein, externe Ermittler, z.B. Rechtsanwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfer, zu beauftragen, damit nicht versehentlich belastete Personen oder deren Freunde und Sympathisanten in das Ermittlerteam berufen werden. Die Beauftragung externer Ermittler kann auch sinnvoll sein, um qualifizierte Spezialisten im Team zu haben oder um ausreichende personelle Kapazitäten zu erhalten, die es braucht, um umfangreichen E-Mail-Verkehr und andere elektronische Daten auszuwerten1. Stehen dagegen Delikte von vergleichsweise geringem Gewicht im Raum, wie der Arbeitszeitbetrug eines einzelnen Mitarbeiters einer unteren Hierarchieebene, ist es i.d.R. ausreichend, wenn die Ermittlung durch zwei bis drei Mitarbeiter des eigenen Unternehmens geführt wird. In jedem Fall sollte das Team abschließend definiert werden. Nur Mitglieder des definierten Ermittlerteams sollten die Ermittlungsstrategie kennen und Zugang zum ermittelten Informationsstand erhalten. Damit dies so bleibt, sollten die Teammitglieder von Anfang an zu unbedingtem Stillschweigen angehalten werden. „Sickern“ hingegen unkontrolliert Informationen an die Betriebsöffentlichkeit durch, führt dies – da Ermittlungen immer als spannend gelten – schnell zu Gerüchten, die unabsehbare Eigendynamik entwickeln können.

14.50 Weiter stellt sich die Frage, ob die Ermittlung generell geheim gehalten werden soll oder offen durchgeführt wird. Ist die Geheimhaltung unternehmenspolitisch und praktisch möglich, bietet sie eine Reihe von Vorteilen: – Die Ermittlung kann ohne großes Aufsehen abgebrochen werden, wenn sich der Anfangsverdacht nicht bestätigt. – Solange die Beschuldigten von der Ermittlung nichts wissen, besteht nicht die Gefahr, dass sie mit Verdunkelungshandlungen reagieren und Beweismittel vernichten oder Zeugen beeinflussen. – Wird wegen Dauerdelikten ermittelt, besteht die Chance, die arglosen Beschuldigten „auf frischer Tat zu ertappen“, z.B. durch Beobachtung oder indem das Unternehmen verdeckt Kameras aufstellt. Erfahren die Beschuldigten davon, dass die Ermittlung stattfindet, empfiehlt es sich im Regelfall, die Beschuldigten für die Dauer der Ermittlung von der Arbeitsleistung freizustellen und ihnen Zugangskarten, Firmenhandys und Firmennotebooks abzunehmen. Dies sollte schnellstmöglich erfolgen, damit sie keine Verdunkelungshandlungen mehr vornehmen können.

1 Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (39).

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III. Best Practice

Rz. 14.53 § 14

Aus taktischer Sicht empfiehlt es sich, Zeugen vor Verdächtigen zu befragen, damit das Unternehmen bei der Befragung der Verdächtigen auf möglichst viele Informationen zurückgreifen kann1. Jede Befragung sollte durch zwei Personen durchgeführt werden, von denen einer das Gesprächsprotokoll führt2. Es ist sinnvoll, befragte Zeugen aufzufordern, dass Protokoll zu prüfen und zu unterschreiben3. Dann können die Zeugen später leichter an ihrer Aussage festgehalten werden. Andernfalls besteht stets die Gefahr, dass zunächst aussagewillige Gesprächspartner später „zurückrudern“, wenn sie befürchten, als Belastungszeugen „zwischen die Fronten zu geraten“.

14.51

Um die Aussage eines Kronzeugen zu erhalten, der andernfalls aus Angst vor Selbstbelastung schweigen würde, kann es gerechtfertigt sein, eine Amnestievereinbarung anzubieten4. Diese kann wie folgt gestaltet werden:

14.52

M 14.3 Amnestievereinbarung

14.53

Amnestievereinbarung zwischen der … nachfolgend: „Arbeitgeber“ und … nachfolgend: „Arbeitnehmer“ Der Arbeitgeber führt eine interne Ermittlung durch. Gegenstand der internen Ermittlung ist der Verdacht, dass die (… Shadow Consulting GmbH) Scheinrechnungen an den Arbeitgeber ausgestellt hat, die durch Mitarbeiter des Arbeitgebers in dem Wissen, dass es sich um Scheinrechnungen handelte, beglichen wurden5 (nachgehend: Ermittlungsgegenstand). Der Arbeitnehmer sagt gegenüber dem Arbeitgeber als Kronzeuge aus. Im Gegenzug garantiert ihm der Arbeitgeber nach Maßgabe folgender Regelungen Amnestie: (1) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, dem Arbeitgeber spätestens bis zum … (Stichtag) alle ihm zu diesem Stichtag bekannten Informationen mitzuteilen, aus denen sich möglicherweise Erkenntnisse schlussfolgern lassen, die für den Arbeitgeber bei der Aufklärung des Ermittlungsgegenstands relevant sind. Relevant sind insbesondere Erkenntnis über – mit dem Ermittlungsgegenstand im Zusammenhang stehende begangene oder geplante Straftaten, Ordnungswidrigkeiten sowie Verletzungen von arbeits- und sonstigen zivilrechtlichen Pflichten (nachgehend: Delikte), sowie deren Art, Ausmaß und Begehungsweise, – Personen, die an Delikten im Zusammenhang mit dem Ermittlungsgegenstand, gleich ob als Täter oder Teilnehmer, gleich ob als Arbeitnehmer oder als Externe, gleich ob vorsätzlich oder fahrlässig, beteiligt sind (nachgehend: Beteiligte), – inwieweit Beteiligte als Netzwerk zusammenwirken, und, sollte dies der Fall sein, alle sonstigen Delikte, die durch dieses Beteiligtennetzwerk zum Nachteil des Arbeitgebers oder seiner verbundenen Unternehmen begangen wurden oder geplant sind,

1 2 3 4 5

Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (40). Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (42). Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (42). Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (39); Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374 (2377). Dies ist nur ein Beispiel. Der Ermittlungsgegenstand sollte greifbar umrissen werden, da er zugleich die Reichweite der Aussagepflicht des Kronzeugen wie auch die Reichweite des Amnestiewirkung bestimmt.

Grimm/Singraven

309

§ 14 Rz. 14.53

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

– den Umstand, dass bestimmte Personen, welche konkret als Verdächtigte in Betracht kommen, tatsächlich keine Beteiligten sind oder ohne Vorsatz gehandelt haben1. Die Mitteilung darf nur gegenüber Mitarbeitern und Beratern des Arbeitgebers erfolgen, für die dem Arbeitnehmer angezeigt wurde, dass sie mit der Durchführung der internen Ermittlung betraut wurden (nachgehend: Ermittler). (2) Auf Nachfrage der Ermittler wird der Arbeitnehmer die nach Abs. 2 mitgeteilten Informationen nach seinem Kenntnisstand erschöpfend erläutern und etwaige Unterlagen vorlegen, die sich in seinem Besitz befinden und als Beleg in Betracht kommen. (3) Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, über alle Informationen über den Ermittlungsgegenstand und die zur Aufklärung des Ermittlungsgegenstandes vorgenommenen Ermittlungshandlungen, über die er im Zusammenhang mit seiner Rolle als Kronzeuge erfährt, Stillschweigen zu bewahren und diese nicht gegenüber anderen Personen als den Ermittlern sowie den vom Arbeitnehmer mandatierten und zum Stillschweigen verpflichteten Rechtsanwälten offenzulegen. Ausgenommen sind hiervon Informationen, – die allgemein zugänglich sind, ohne dass dies auf eine Verletzung der nach dieser Amnestievereinbarung geschuldeten Verpflichtung zum Stillschweigen zurückzuführen ist, – die der Arbeitnehmer ohne jegliche Verwendungsbeschränkung von einem Dritten erhält, ohne dass dieser eine Geheimhaltungsverpflichtung verletzt2. (4) Der Arbeitgeber garantiert dem Arbeitnehmer, dass er gestützt auf Handlungen, Duldungen und Unterlassungen des Arbeitnehmers, die im Zusammenhang mit dem Ermittlungsgegenstand stehen, nicht die folgenden rechtlichen Sanktionen gegenüber dem Arbeitnehmer ergreifen wird: – Abmahnungen, – Kündigungen, – Geltendmachung von Schadensersatz- und vergleichbaren Ausgleichsansprüchen, – Kürzung oder Zurückhaltung von fixen oder variablen Lohnansprüchen, – Stellung von Strafanträgen3. (5) Der Arbeitgeber garantiert dem Arbeitnehmer, dass Handlungen, Duldungen und Unterlassungen des Arbeitnehmers, die im Zusammenhang mit dem Ermittlungsgegenstand stehen, bei der Formulierung von Arbeitszeugnissen nicht berücksichtigt werden. (6) Die Garantien nach Abs. 4 und Abs. 5 gelten nicht, wenn – der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner Rolle als Kronzeuge gegenüber den Ermittlern unwahre Tatsachen mitteilt, obwohl er mit der Möglichkeit rechnen muss, dass die Ermittler aus den unwahren Tatsachen Schlussfolgerungen zum Ermittlungsgegenstand ziehen, – der Arbeitnehmer ihm bekannte Informationen nach Abs. 1 bis zum Stichtag nicht mitteilt, obwohl diese erkennbar wesentlich sind, – der Arbeitnehmer der Pflicht zur Erörterung und Vorlage von Unterlagen nach Abs. 2 trotz wiederholter Aufforderung nicht nachkommt,

1 Die Auskunftspflicht des Kronzeugen sollte möglichst weit gefasst werden, da die Ermittler oft gar nicht vorhersehen können, wie weit der Vorfall reicht, wegen dessen sie ermitteln. 2 Da nicht feststeht, inwieweit der Kronzeuge jede Solidarität mit dem Täternetzwerk abgebrochen hat, sollten die Ermittler vorsichtig sein, dass er nicht als „Doppelagent“ die Ermittlung „unterwandert“ und die Täter mit Informationen versorgt. Mindestens sollte er deshalb schuldrechtlich zum Stillschweigen verpflichtet werden. 3 Zu weit gehen würde hingegen, wenn der Arbeitgeber garantiert, überhaupt keine nachteiligen Maßnahmen zu ergreifen. Der Umstand, dass der Kronzeuge Mitglied des Täternetzwerkes war, wird sich bei Entscheidungen über eine etwaige Beförderung z.B. schwerlich ignorieren lassen.

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III. Best Practice

Rz. 14.55 § 14

– der Arbeitnehmer den Ermittlern keine wesentlichen Informationen nach Abs. 1 mitteilt, welche die Ermittler vor dem Stichtag nicht ohnehin schon kannten1, – sich herausstellt, dass der Arbeitnehmer Haupttäter ist. Haupttäter ist der Arbeitnehmer, wenn der Unrechtsgehalt seines Tatbeitrages den Unrechtgehalt der Tatbeiträge jedes einzelnen weiteren Beteiligten erheblich überwiegt2. (7) Weitergehende Abreden sind nicht getroffen. Sollte eine Bestimmung dieser Vereinbarung ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. … Ort … Arbeitgeber

… Datum … Arbeitnehmer

Beauftragt der Kronzeuge nicht von sich aus einen Rechtsanwalt, sollte das Unternehmen erwägen, 14.54 ihm die Kostenübernahme für einen eigenen Rechtsanwalt zuzusagen. Denn ohne anwaltliche Beratung werden viele Mitarbeiter die Tragweite und Bedeutung einer Amnestievereinbarung nicht verstehen und vom Unternehmen vorlegten Formularvereinbarungen nicht vertrauen. Die Kostenübernahme kann mit folgender Vereinbarung zugesagt werden3:

M 14.4 Kostenübernahmevereinbarung für Rechtsanwaltsvergütung nach Amnestievereinbarung

14.55

Kostenübernahmevereinbarung für Rechtsanwaltsvergütung zwischen der … nachfolgend: „Arbeitgeber“ und … nachfolgend: „Arbeitnehmer“ Der Arbeitgeber führt eine interne Ermittlung durch. Gegenstand der internen Ermittlung ist der Verdacht, dass die (… Shadow Consulting GmbH) Scheinrechnungen an den Arbeitgeber ausgestellt hat, die durch Mitarbeiter des Arbeitgebers in dem Wissen, dass es sich um Scheinrechnungen handelte, beglichen wurden4. Zwischen den Parteien wird mit Blick auf die Beauftragung eines Rechtsanwalts durch den Mitarbeiter als Begleitung des Mitarbeiters bei der unternehmensinternen Mitarbeiterbefragung als rechtsanwaltlicher Zeugenbeistand im Rahmen der Untersuchung vereinbart:

1 Die Amnestieregelung darf keine Anwendung finden, wenn der vermeintliche Kronzeuge wesentliche Informationen zurückhält, lügt oder überhaupt nichts Verwertbares mitteilt. Andernfalls hätte er kaum einen Anreiz, gegenüber den Ermittlern vollständig auszusagen. 2 Unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten wäre es schwer vermittelbar, wenn ausgerechnet dem Kopf des Täternetzwerkes Amnestie zugesagt würde und deshalb nur die Mittelsmänner bestraft werden. Da die Ermittler vor Vernehmung des Kronzeugen oft nicht vorhersehen können, wer der Kopf ist, spricht einiges dafür, einen Ausschluss in die Amnestievereinbarung aufzunehmen. 3 Nach Grimm, NZA 2019, 1534 (1538). 4 Dies ist nur ein Beispiel. Der Ermittlungsgegenstand sollte greifbar umrissen werden, da er zugleich die Reichweite des Mandats des Rechtsanwalts begrenzt.

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§ 14 Rz. 14.55

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

(1) Die Tätigkeit des vom Mitarbeiter beauftragten Rechtsanwalts wird ausschließlich als Zeugenbeistand im Rahmen der oben bezeichneten Mitarbeiterbefragung erbracht. Beiden Parteien ist bewusst, dass der Arbeitgeber die Kosten nach Maßgabe der nachfolgenden Bedingungen aus Fürsorgegesichtspunkten übernimmt und der Kostenübernahmeanspruch des Mitarbeiters entfällt, falls von dieser Vereinbarung abgewichen wird. Dies gilt auch, wenn sich eine Abweichung von dieser Vereinbarung nachträglich herausstellt. Daher werden beide Parteien den Umfang der Kostenübernahme auf das für den Untersuchungsgegenstand Erforderliche und Angemessene begrenzen. (2) Anwaltliche Kosten der Vertretung oder Beratung in Ordnungswidrigkeitsverfahren und/oder strafrechtlichen Ermittlungsverfahren werden auf der Grundlage dieser Vereinbarung nicht durch den von Mitarbeiter beauftragten Rechtsanwalt abgerechnet. Es besteht demzufolge kein Anspruch des Mitarbeiters auf die Kostenübernahme durch den Arbeitgeber. Gleiches gilt für anwaltliche Vertretung oder Beratung in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, sofern sich die arbeitsrechtlichen Fragenstellungen nicht unmittelbar aus Anlass der Mitarbeiterbefragung ergeben und zum Zwecke ihrer Durchführung behandelt werden. (3) Die Kostenübernahme ist zunächst auf ein Kontingent von 10 Stunden begrenzt. Der Mitarbeiter wird den Arbeitgeber über das Erreichen des Stundenkontingents so rechtzeitig unterrichten, dass durch den Arbeitgeber ein weiteres Stundenkontingent schriftlich oder in Textform genehmigt werden kann. Ohne diese Genehmigung besteht kein Kostenerstattungsanspruch des Mitarbeiters gegenüber dem Arbeitgeber. (4) Anstelle der gesetzlichen Gebühren wird der Mitarbeiter maximal eine Vergütung in Höhe von 280 EUR zuzüglich Umsatzsteuer pro Stunde der Tätigkeit des Rechtsanwalts vereinbaren. Sekretariatskosten und sonstige Büro- und Kopierkosten1 werden vom beauftragten Rechtsanwalt nicht gesondert in Rechnung gestellt. Reisekosten bedürfen der Einwilligung des Arbeitgebers. (5) Die Abrechnung durch den beauftragten Rechtsanwalt erfolgt anteilig je angefallene 0,1 Stunde, wobei Einzeltätigkeiten jeweils tageweise aufaddiert werden. Die Abrechnung enthält einen nach Tag, Zeitaufwand und stichwortartig nach Gegenstand der Tätigkeit gesonderten Nachweis der Tätigkeit, die dem Arbeitgeber vom Mitarbeiter zur Verfügung gestellt wird und die Abgrenzung der Tätigkeiten nach Abs. 2 ermöglicht. (6) Erst nach Eingang der ordnungsgemäßen Abrechnung gem. Abs. 5 bei dem Arbeitgeber besteht ein Anspruch des Mitarbeiters auf Übernahme der Rechtsanwaltskosten gegenüber dem Arbeitgeber. Der Arbeitgeber kann die Abrechnung in einem angemessenen Zeitraum, der nicht länger als vier Wochen beträgt, prüfen2. Unbeschadet dessen ist der Arbeitgeber auch nach Ablauf der in S. 2 genannten Frist zu weiteren Nachfragen berechtigt. Erweist sich, dass die Grundsätze dieser Vereinbarung durch den Mitarbeiter oder Rechtsanwalt nicht eingehalten wurden, ist der Arbeitgeber berechtigt, die diesbezüglich zu Unrecht erfolgten Zahlungen vom Mitarbeiter zurückzufordern und auch mit Entgeltansprüchen des Mitarbeiters aufzurechnen. (7) Der Arbeitgeber kann im freien Ermessen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen dieser Vereinbarung einen Vorschuss an den Mitarbeiter oder den Rechtsanwalt leisten. (8) Die Parteien werden sich alle zur Durchführung dieser Vereinbarung erforderlichen Informationen erteilen. Unberührt bleibt die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht in dem zwischen Mitarbeiter und Rechtsanwalt bestehenden Mandatsverhältnis. (9) Weitergehende Abreden sind nicht getroffen. Gerichtsstand und Erfüllungsort ist ….

1 Hinsichtlich der Erstattung von Kopierkosten kann auf Nr. 7000 VV RVG verwiesen werden, wenn das Unternehmen die Kosten übernehmen möchte, was insbesondere in umfangreichen Ermittlungsverfahren Voraussetzung für eine angemessene anwaltliche Begleitung des Mitarbeiters ist. 2 Die Prüfung sollte im eigenen Interesse des Unternehmens zügig erfolgen, weil sonst das Aussageverhalten des Mitarbeiters im weiteren Verlauf der Untersuchung beeinträchtigt werden kann. Gegebenenfalls können Teil- und/oder Vorbehaltszahlungen erbracht werden.

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III. Best Practice … Ort … Arbeitgeber

Rz. 14.58 § 14

… Datum … Arbeitnehmer

Eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen, wie die heimliche Auswertung von E-Mails, Festplatten und Logdateien sowie die heimliche Beobachtung von Mitarbeitern, auch durch Detektive, oder das Aufstellen verdeckter Kameras, sollten erst eingeleitet werden, wenn greifbare Indizien ermittelt wurden, die einen gesteigerten Anfangsverdacht begründen. Andernfalls können diese Maßnahmen als datenschutzrechtswidrig bewertet werden und erlangte Erkenntnisse unterliegen Beweisverwertungsverboten (vgl. Rz. 14.8 ff.). Die Indizien, auf welche die Ermittler ihren Anfangsverdacht stützen, sind nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zu dokumentieren, z.B. in einem Aktenvermerk. Außerdem müssen die Ermittler vor Einleitung der Maßnahmen das Beteiligungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG beachten (dazu Rz. 14.13 und Rz. 14.42 ff.). Wird nicht bloß gegen eine bestimmte Person, sondern gegen einen oder gar mehrere unbekannte Täter ermittelt, verbietet es sich aus datenschutzrechtlichen Gründen, die Auswertung von E-Mails, Festplatten und Logdateien willkürlich in alle Richtungen zu betreiben. Nach den Regeln der datenschutzrechtlichen Verhältnismäßigkeit ist stattdessen ein abgestuftes Vorgehen geboten:

14.56

– Es ist auch ohne Anfangsverdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig, einen großen Datenbestand des Unternehmens (z.B. Log-Dateien oder die E-Mail-Postfächer aller Mitarbeiter) nach sachbezogenen Kriterien (z.B. sachbezogenen Suchbegriffen1 oder statistisch auffällig häufige Korrespondenz mit dem Hauptverdächtigen) auszuwerten (Screening) (dazu Rz. 14.37). Ergeben sich bei einzelnen Mitarbeitern Auffälligkeiten, kann dies zum Anlass genommen werden, sie in einen engeren Kreis von Verdächtigen aufzunehmen. – Ein konkreter Anfangsverdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist allerdings erforderlich, wenn gezielt mit Blick auf bestimmte Mitarbeiter E-Mail-Postfächer, Datenübermittelungen und Festplatten systematisch ausgewertet und diese so individuell „durchleuchtet“ werden. Der Kreis der Verdächtigen, gegenüber denen solche Maßnahmen ergriffen werden, sollte zu jedem Zeitpunkt nach sachbezogenen Merkmalen und abhängig vom konkreten Anfangsverdacht abgegrenzt sein2. Dies kann z.B. eine persönliche oder funktional-organisatorische Nähebeziehung zum Hauptverdächtigen sein. Mitarbeiter, die mit der Auswertung von E-Mails oder vergleichbaren persönlichen Informationsbeständen betraut werden, sollten im Vorfeld auf Verhaltensregeln verpflichtet werden. So müssen die Teammitglieder unbedingte Diskretion nach außen wahren, dürfen keine E-Mails auslesen, die offenkundig private oder irrelevante Inhalte haben, und sollten in strukturierten, dokumentierten Verfahren vorgehen, statt nach Belieben zu „stöbern“3.

14.57

Sobald alle anderen vernünftigen Ermittlungsansätze ausgeschöpft wurden und sich ein dringender 14.58 Tatverdacht ergeben hat, sind die Beschuldigten zu befragen. I.d.R. beabsichtigt das Unternehmen, den Beschuldigten fristlos zu kündigen, wenn ein dringender Tatverdacht durch diese Befragung nicht ausgeräumt werden sollte. Damit diese fristlose Kündigung einer gerichtlichen Rechtskontrolle mit den bestmöglichen Chancen standhält, sollte die Befragung des Beschuldigten so gestaltet werden, dass sie den durch die BAG-Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine Verdachtskündigung standhält (vgl. dazu die Zusammenfassung in Rz. 14.34). Daraus folgt zunächst, dass die Befragung des Beschuldigten innerhalb einer Woche nach Abschluss der übrigen Ermittlungen durchgeführt oder zumindest anberaumt werden muss. Zögern die Ermittler an dieser Stelle, wird die Kün-

1 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2019 – 5 Sa 226/18, ZD 2019, 369, Orientierungssatz 6. 2 BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 29 f. 3 Wybitul/Böhm, CCZ 2015, 133 (138); Wybitul, NJW 2014, 3605 (3610).

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§ 14 Rz. 14.58

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

digungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB durch das Anhörungsgespräch nicht gehemmt und im Weiteren dann regelmäßig versäumt.

14.59 Hinweis: Wurde die Wochenfrist versäumt, empfiehlt es sich, die Ermittlungen wieder aufzunehmen und weitere Ermittlungshandlungen einzuleiten, z.B. die erneute Befragung bestimmter Zeugen. Sofern es sich dabei nicht um offenkundig sinnlose Maßnahmen handelt, setzen sie die Frist erneut in Gang. Die Rechtsprechung gesteht den Ermittlern nämlich einen gewissen Ermessensspielraum bei der Tiefe und Sorgfalt ihrer Sachaufklärung zu.

14.60 Ziel der Befragung sollte außerdem sein, weitere Erkenntnisse zu erhalten. Anders als bei der Vernehmung eines Zeugen müssen die Ermittler von vornherein davon ausgehen, dass der Beschuldigte lügt. Idealerweise gelingt es ihnen im Gespräch, die Ausreden und Lügen des Beschuldigten so deutlich zu widerlegen, dass er die Tat schließlich einräumt. Die Ermittler kommen allerdings schon dann entscheidend voran, wenn sich der Beschuldigte auf bestimmte konkrete Behauptungen zum Tathergang festlegt, auf die sie ihn „festnageln“ können.

14.61 Die entscheidende Herausforderung bei einer Lügengeschichte besteht darin, sich ihren Inhalt auszudenken. Wer zu erdachten Geschichten befragt wird, muss nicht nur den Kern der Lüge erfinden, sondern eine vollständige Rahmenhandlung mit sämtlichen Nebendetails – und zwar ohne sich dabei in Widersprüche zu verwickeln. Um überzeugend zu lügen braucht es neben Intelligenz vor allem Zeit – Zeit nämlich, in der die Lüge ausgedacht und im Kopf wiederholt durchgespielt wird. Ein gerichtliches Verfahren zieht sich über mehrere Monate hin, in denen der Arbeitnehmer in jedem Fall ausreichend Zeit findet, an einer maßgeschneiderten Ausrede zu tüfteln. Hört das Unternehmen den Beschuldigten frühzeitig an und lässt er sich ein, ist die Lügengeschichte meist weniger durchdacht und leichter angreifbar. Aus demselben Grund ist es deshalb auch besser, den Beschuldigten in einem mündlichen Gespräch anzuhören, statt – was rechtlich gesehen prinzipiell zulässig wäre – im schriftlichen Verfahren1.

14.62 Eine mündliche Befragung wird üblicherweise durch zwei Personen durchgeführt. Beide Personen sollten den Gesprächsablauf im Vorfeld gründlich planen und miteinander abstimmen.

14.63 Beide Gesprächsführer sollten darauf vorbereitet sein, in einem späteren Gerichtsverfahren als Zeuge zum Inhalt des Gespräches auszusagen. Sollte es dazu kommen, würde die gerichtliche Vernehmung erst Monate später erfolgen, wenn ihre Erinnerung an das Gespräch bereits nachgelassen hat. Die Gesprächsführer sollten das Gespräch deshalb zu Beweiszwecken in allen Details protokollieren2. Vor einer Zeugenvernehmung können sie das Protokoll nämlich als Gedächtnisstütze einsehen3. Ihre Zeugenaussage hat auch dann Beweiswert, wenn sie glaubwürdig bestätigen, dass sie das Protokoll damals nach bestem Wissen und Gewissen geführt haben.

14.64 Im Regelfall empfiehlt es sich, das Gespräch wie folgt aufzubauen: 1. War der Beschuldigte bislang freigestellt, sollte er schriftlich (mit Zugangsnachweis) zum Anhörungsgespräch geladen werden. Andernfalls kann das Unternehmen versuchen, den Beschuldigten mit dem Anhörungsgespräch zu überrumpeln. Zwar dürfte die Grenze des Zulässigen überschritten sein, wenn der Beschuldigte unter einem falschen Vorwand in das Gespräch gelockt wird4. Da nach der Rechtsprechung des BAG das Gesprächsthema des Anhörungsgesprächs jedoch nicht im Vorfeld bekannt gegeben werden muss (vgl. Rz. 14.34), wäre es rechtskonform, wenn das Unter-

1 2 3 4

Klinkhammer, ArbRAktuell 2020, 7 (8); Lembke, RdA 2013, 82 (87). Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374 (2378). Vgl. LAG Thüringen v. 15.2.2001 – 5 Sa 102/2000, Leitsatz 10, DB 2001, 1783. LAG Düsseldorf v. 25.6.2009 – 5 TaBV 87/09, Leitsatz 1, NZA-RR 2010, 184; Hunold, NZA-RR 2012, 399 (401); Eylert, NZA-RR 2014, 393 (402).

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III. Best Practice

Rz. 14.64 § 14

nehmen dem Beschuldigten zu Beginn des Arbeitstages lediglich mitteilt, dass ihn am Nachmittag desselben Tages „ein Personalgespräch“ erwartet. Dies hat den Vorteil, dass der Beschuldigte dann weder die Zeit hat, eine Lügengeschichte gründlich vorzubereiten noch Verdunkelungshandlungen vorzunehmen oder sich in eine Krankheit zu flüchten1. Lässt sich der Beschuldigte allerdings unter diesen Bedingungen nicht auf die Aussage ein, muss das Unternehmen seinen Forderungen entgegenkommen und notfalls einen weiteren Termin anberaumen, zu dem der Beschuldigte dann auch mit einem Rechtsanwalt erscheinen kann (vgl. Rz. 14.34). 2. Taktisch falsch wäre, den Beschuldigten gleich zu Beginn des Gesprächs aggressiv zu beschuldigen, ihn als „Lügner“ zu bezeichnen oder ihn gar anzuschreien. Derartige Verhör-„Strategien“ sieht man zwar immer wieder in Kriminalfilmen und dort mögen sie auch funktionieren. In der Realität führen sie aber meistens nur dazu, dass der Beschuldigte sich ungerecht behandelt fühlt, nichts mehr sagt und nach einem Anwalt verlangt. Deshalb sollten die Ermittler dem Beschuldigten wenigstens zu Beginn des Gesprächs freundlich und neutral gegenübergetreten2. Einerseits könnte der Arbeitnehmer tatsächlich unschuldig sein – dann sollte er die Möglichkeit erhalten, dies zu belegen. Andererseits lässt sich ein Lügner leichter „aufs Glatteis führen“, wenn man ihm den Eindruck vermittelt, er könne sich irgendwie aus der Situation „rausreden“. Es empfiehlt sich, das Gespräch mit einem unverfänglichen Small-Talk zu beginnen, um das Vertrauen des Beschuldigten zu gewinnen und sich ein Gefühl von der Sprechweise, Gestik und Mimik des Beschuldigten zu verschaffen, die er gebraucht, wenn er die Wahrheit sagt. Sobald jemand anfängt zu lügen, ergibt sich oft ein gewisser Strukturbruch3. 3. Das eigentliche Gespräch muss damit eröffnet werden, dass die Arbeitgebervertreter den Beschuldigten über den gegen ihn gerichteten Vorwurf belehren und darstellen, auf welche Verdachtsmomente sich der Vorwurf stützt. Es ist ein greifbarer Sachverhalt darzustellen, der den Vorwurf räumlich und zeitlich eingrenzt. Dies ist aus rechtlichen Gründen geboten. Andernfalls genügt die Anhörung den Anforderungen an eine Verdachtskündigung nicht. Dass und in welcher Form eine Aufklärung stattgefunden hat, sollte zu Nachweiszwecken protokolliert werden (vgl. Rz. 14.63). Von Täuschungen, z.B. dem Vortäuschen einer in Wahrheit nicht existierenden, erdrückenden Beweislage (z.B. in Anwendung der manipulativen sog. Reid-Methode4), ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich abzuraten, da dies die rechtliche Wirksamkeit der Anhörung in Frage stellen würde. 4. Die Befragung kann mit der Aufforderung an den Beschuldigten beginnen, den Ablauf des maßgeblichen Geschehens aus seiner eigenen Perspektive mit Nebendetails von Anfang bis Ende zu schildern („Schildern Sie uns den Ablauf Ihres Tages, von Moment an, wo sie das Haus verlassen haben.“). Dabei empfiehlt es sich, die Befragung durch offene W-Fragen („wann?“, „wo?“, „warum“, „womit?“) zu steuern, die der Beschuldigte nicht mit „ja“ oder „nein“, sondern nur durch detaillierte Schilderungen beantworten kann5. Dabei sollten die Ermittler solange weiter nachhaken, bis sie eine stimmige Vorstellung von dem Geschehensablauf vor ihrem geistigen Auge entwickeln oder – weil sie es mit einer Lüge zu tun haben – eben nicht. Der Lügner gerät durch diese Fragetechnik schnell in Bedrängnis, da er sich bei einer erfundenen Geschichte alle Details für die Antworten ausdenken müsste und das auf die Schnelle nicht kann. Ein Teil seiner Geschichte ist oft wahr und kann deshalb detailliert und flüssig geschildert werden. Sobald aber die Lüge beginnt, ergibt sich typischerweise ein Bruch. Oft weichen Lügner gestellten Fragen aus, werden aggressiv, wiederholen vorher zurechtgelegte Formulierungen immer und im-

1 2 3 4 5

Janssen, CCZ 2016, 270 (273); Lembke, RdA 2013, 82 (87). Janssen, CCZ 2016, 270 (270). Janssen, CCZ 2016, 270 (270). Dazu z.B. Eisenberg, JA 2013, 860 (862). Naber/Ahrens, CCZ 2020, 36 (41); Janssen, CCZ 2016, 270 (270 f.); Krug/Skoupil, NJW 2017, 2374 (2377).

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§ 14 Rz. 14.64

Mitarbeiterüberwachung und interne Ermittlungen

mer wieder ohne auf die gestellte Frage einzugehen oder behaupten, sich an Details nicht mehr erinnern zu können. Solche Lügensignale sollten durch die Ermittler sorgfältig protokolliert werden. Protokolliert werden sollten insbesondere sämtliche vermeintlichen Erinnerungslücken, die der Befragte behauptet. Zwar sind gewisse Erinnerungslücken menschlich und kommen auch bei der ehrlichen Aussage vor. Weiß der Befragte aber (abgesehen von der auswendig gelernten Kernhandlung) angeblich überhaupt keine Nebendetails mehr, flüchtete er sich in Erinnerungslücken, nachdem er auf Widersprüche in seiner Aussage aufmerksam gemacht wurde, oder kann er sich an Kerngesichtspunkte angeblich nicht mehr erinnern, die eigentlich im Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit gestanden haben müssten, ist das unglaubhaft. In einem späteren Gerichtsverfahren wäre die Protokollierung dieser Indizien ein wertvolles Beweismittel. 5. Ab diesem Punkt können die Ermittler den Beschuldigten offen mit der mangelnden Plausibilität seiner Aussage konfrontieren und versuchen, ihn davon zu überzeugen, die Tat zuzugeben. Hierzu können sie an seine Ehre appellieren („Zu Fehlern sollte man stehen!“) oder versuchen, auf emotionaler Ebene eine „goldene Brücke“ zu bauen („Machen wir nicht alle Fehler?“)1. Auch Suggestivfragen bieten sich an. Diese werden üblicherweise so aufgebaut, dass dem Beschuldigten nur die Wahl zwischen dem Eingeständnis der Tat oder dem Eingeständnis eines noch viel schlimmeren Verhaltens angeboten wird („Jetzt mal im Ernst: Betrügen Sie auf diese Weise schon seit Jahren oder war das ein einmaliger Vorfall, weil Sie in einer besonderen Drucksituation standen?“). 6. Anschließend empfiehlt es sich für die die Ermittler, das Gespräch zu unterbrechen und sich zur Beratung zurückzuziehen. Der Beschuldigte sollte in dieser Zeit warten. Anschließend können die Ermittler das Gespräch wieder aufnehmen, um z.B. weitere Details abzuklären. Nach Wiedereröffnung des Gespräches kommt allerdings auch in Betracht, dem Beschuldigen einen (vorbereiteten) Aufhebungsvertrag anzubieten oder (wenn kein Betriebsrat besteht und deshalb keine Anhörung nach § 102 BetrVG erforderlich ist) ihm eine (vorbereitete) Kündigung zu übergeben.

14.65 Hinweis: Selbst wenn das Unternehmen den Tatvorwurf sorgfältig ausermittelt hat und von der Schuld des Arbeitnehmers nach Durchführung des Anhörungsgespräches ohne Restzweifel überzeugt ist, sollte der Abschluss eines Aufhebungsvertrages in Betracht gezogen werden, um einen gerichtlichen Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Kündigungsschutzprozesse bergen immer ein Restrisiko für den Arbeitgeber, sind mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden und können – gerade wenn interne Ermittlungen schwere und peinliche Delikte durch Führungskräfte ans Tageslicht gefördert haben – durch die Presse beobachtet werden und zu Schlagzeilen führen, die nicht nur den Ruf des Arbeitnehmers, sondern auch des Unternehmens beschädigen. Andererseits ist die entschlossene Trennung vom delinquenten Mitarbeiter ein wichtiges generalpräventives Signal an die Belegschaft. Damit die Wirkung dieses Signals nicht konterkariert wird, sehen Unternehmen in Aufhebungsverträgen üblicherweise von einer Abfindung ab. Stattdessen bieten sie dem Arbeitnehmer die Gehaltsfortzahlung bis zu einem bestimmten Stichtag an und stellen ihn bis dahin frei. Unzulässig wäre es allerdings, Arbeitnehmer durch Androhung einer offensichtlich unzulässigen außerordentlichen Kündigung zur Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages zu drängen. In solchen Fällen wäre der Aufhebungsvertrag nach § 123 Abs. 1 BGB anfechtbar. Nicht erforderlich ist allerdings, dass die angedrohte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozess als rechtsbeständig erwiesen hätte – auch mit einer Kündigung, die zumindest eine gewisse Chance hätte, vor Gericht standzuhalten, darf gedroht werden2.

1 Janssen, CCZ 2016, 270 (273). 2 BAG v. 15.12.2005 – 6 AZR 197/05, ArbRB 2006, 227 = juris Rz. 23.

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Grimm/Singraven

I. Worum geht es?

Rz. 15.2 § 15

Besteht nach Abschluss des Anhörungsgesprächs weiterhin wenigstens der dringende Verdacht einer schweren Pflichtverletzung, hat das Unternehmen gem. § 626 Abs. 2 BGB vierzehn Tage Zeit, um eine fristlose Kündigung auszusprechen1. Ist ein Betriebsrat gebildet, der vor Kündigungsausspruch noch angehört werden muss (§ 102 BetrVG), besteht Zeitdruck: Die Anhörung des Betriebsrates sollte dann unverzüglich eingeleitet werden. Soll dem Arbeitnehmer gleichzeitig ein Aufhebungsvertrag angeboten und zu dessen Annahme eine Überlegungsfrist eingeräumt werden, ist eine sorgfältige und tagesgenaue Zeitplanung erforderlich.

14.66

§ 15 Implementierung von Softwareanwendungen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertrag mit dem Software-Anbieter . . . .

15.1 15.5 15.6

2. Datenschutzrechtliche Anforderungen . . 15.14 3. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . 15.23 III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.30

Literatur: Dahl/Brink, Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen in der Praxis, NZA 2018, 1231; Haußmann/Thieme, Reformbedarf und Handlungsoptionen in der IT-Mitbestimmung, NZA 2019, 1612; Heydn, Software as a Service (SaaS): Probleme und Vertragsgestaltung, MMR 2020, 435; Klingbeil/Kohm, Datenschutzfreundliche Technikgestaltung und ihre vertraglichen Implikationen, MMR 2021, 3; Körner, Beschäftigtendatenschutz in Betriebsvereinbarungen unter der Geltung der DS-GVO, NZA 2019, 1389; Schirmer/Isenmann, Digitale Arbeitswelten: Wohin geht die Reise?, NZA-Beilage 2019, 69; Schulze/Pfeffer, Datenschutzkonforme Rahmenbetriebsvereinbarung zur Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), ArbRAktuell 2017, 358; Stück, Datenschutz = Tatenschutz? Ausgewählte datenschutz- und arbeitsrechtliche Aspekte nach DSGVO sowie BDSG 2018 bei präventiver und repressiver Compliance, CCZ 2020, 77; Taeger/Pohle, Computerrechts-Handbuch, 36. Aufl. 2021; Wisskirchen/Schiller/Schwindling, Betriebliche Mitbestimmung bei IT-Applikationen – Ein deutscher Sonderweg und eine Innovationsbremse, BB 2019, 1460; Wurzberger, Anforderungen an Betriebsvereinbarungen nach der DS-GVO, ZD 2017, 258.

I. Worum geht es? Jeder zweite Beschäftigte arbeitet heutzutage an einem Computerarbeitsplatz2. Die Mehrzahl der Beschäftigten nutzt im Beruf mobile Geräte mit Internetzugang3. Software-Anwendungen sind damit die wichtigsten und meistgenutzten Arbeitswerkzeuge des modernen Arbeitnehmers.

15.1

Es versteht sich unter diesen Bedingungen von selbst, dass Erfolg und Effizienz der Arbeit maßgeb- 15.2 lich durch die Qualität der Software bestimmt werden, die ein Unternehmen einsetzt. Nur wenn Unternehmen ihre digitale Infrastruktur stetig verbessern, verändern und erweitern, bleiben sie auf lange Sicht wettbewerbsfähig4. Die Zahl der IT-Anwendungen, die Unternehmen jährlich einführen,

1 2 3 4

BAG v. 16.7.2015 – 2 AZR 85/15, ArbRB 2016, 70 = juris Rz. 54. Bitkom, Digital Office Index 2018, S. 37. Bitkom, Digital Office Index 2020, S. 28. Schirmer/Isenmann, NZA-Beilage 2019, 69 (71).

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§ 15 Rz. 15.2

Implementierung von Softwareanwendungen

wächst Jahr für Jahr. So berichtet z.B. die Robert Bosch GmbH, dass sie im Jahr 2015 die Einführung von rund 80 verschiedenen IT-Tools mit ihren Arbeitnehmervertretungen verhandelte, im Jahre 2018 waren es bereits 1951.

15.3 Die Implementierung neuer IT-Anwendungen gestaltet sich nicht einfach: Zunächst muss überhaupt erkannt werden, wo sich Arbeitsprozesse softwaregestützt verbessern lassen. Anschließend muss ein geeignetes Softwareprodukt ausgewählt werden, was ein detailliertes Verständnis für die Funktionsweise unterschiedlicher Konkurrenzprodukte voraussetzt. Erst im Anschluss beginnt die eigentliche Implementierung, bei der die Software angepasst und konfiguriert, Berechtigungen und Rollen verteilt, Datenmigration gesteuert, Mitarbeiter geschult und Tests durchgeführt werden. Nicht selten löst die Implementierung neuer Software-Anwendungen in gefestigten Arbeitsabläufen Widerstände aus, insbesondere wenn dies im laufenden Betrieb erfolgt. Das Stör- und Konfliktpotential ist beträchtlich.

15.4 Software-Implementierungsprojekte werden schwerpunktmäßig durch Teams von Projektmanagern, IT-Spezialisten und Vertriebsmitarbeitern des Software-Anbieters gesteuert. Der Prozess muss allerdings auch rechtlich begleitet werden, um zentralen Konfliktfeldern frühzeitig vorzubeugen. Dies gilt insbesondere bei der Beteiligung der zuständigen Betriebsräte, welche die Projekte fast immer mittragen müssen. Die Betriebsräte können den gesamten Implementierungsprozess blockieren, wenn sie ihre Anliegen übergangen sehen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 15.5 Die Implementierung von Softwareanwendungen wird durch die Rechtsbeziehung des Unternehmens zu unterschiedlichen Akteuren bestimmt: – Die Beziehung zum Software-Anbieter wird durch Kauf-, Werk-, Dienst- oder Mietvertrag geregelt (dazu Rz. 15.6 ff.). – Gegenüber der Belegschaft ist das Unternehmen zur datenschutzkonformen Ausgestaltung seiner Softwareanwendungen verpflichtet (dazu Rz. 15.14 ff.). – Schlüsselakteur ist der Betriebsrat, der fast jeden Einsatz neuer Softwareanwendungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG genehmigen muss und auch bei der Schulung der Belegschaft mitbestimmt (dazu Rz. 15.23 ff.).

1. Vertrag mit dem Software-Anbieter 15.6 Im Normalfall entwickelt das Unternehmen die Arbeitssoftware nicht selbst, sondern erwirbt sie über einen Softwareanbieter. Erwirbt das Unternehmen eine Standardsoftware, die es anschließend selbständig auf eigenen Rechnern installiert und in Betrieb nimmt, liegt ein Kaufvertrag (§§ 433 ff. BGB) vor2. Gegenüber dem Verkäufer der Software stehen dem Unternehmen Mängelgewährleistungsansprüche nach §§ 434 ff. BGB zu. Allerdings muss das Unternehmen darauf achten, die Software frühzeitig zu prüfen und etwaige Mängel an der Software rechtzeitig zu rügen, da andernfalls ein Verlust von Gewährleistungsrechte nach § 377 HGB droht3.

15.7 Oft ist das Unternehmen bei der Implementierung der Software auf die Unterstützung von Dienstleistern angewiesen. Wird ein Dienstleister damit beauftragt, die bereits von einem anderen Dritt-

1 Schirmer/Isenmann, NZA-Beilage 2019, 69 (71). 2 BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, CR 2000, 207 = juris Rz. 7; Schmidl in Dauner-Lieb/Langen, BGB, 4. Aufl. 2021, Anhang IV zu §§ 535–580a BGB: Software-Vertragsrecht, Rz. 64. 3 BGH v. 22.12.1999 – VIII ZR 299/98, CR 2000, 207 = juris Rz. 7.

318

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 15.10 § 15

unternehmen erworbene Software zu implementieren und an die betrieblichen Abläufe des Unternehmens anzupassen, handelt es sich insgesamt um einen Werkvertrag1. Um einen Werkvertrag handelt es sich aber auch dann, wenn das Unternehmen eine Standardsoftware von einem Veräußerer erwirbt und der Veräußerer im Vertrag zusätzlich die Verpflichtung übernimmt, seine Software in erheblichem Maße an besondere Wünsche des Erwerbers anzupassen (sog. Customizing)2. Ebenso liegt ein Werkvertrag vor, wenn ein Dienstleister eine gänzlich neue Software speziell nach den Wünschen des Erwerbers programmiert3. Mängelgewährleistungsrechte folgen in diesen Fällen aus §§ 631 ff. BGB. Bei der Vertragsgestaltung empfiehlt es sich, das durch den Dienstleister geschuldete Ergebnis des Implementierungs- und Customizing-Prozesses möglichst konkret zu definieren (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB). Zeigen sich Mängel, kann entweder die Abnahme (§ 640 Abs. 1 BGB) verweigert werden oder – insbesondere wenn die Software z.T. schon in Betrieb genommen ist – die Abnahme nur unter Vorbehalt (§ 640 Abs. 3 BGB) erklärt werden. Im letzten Fall kann der Auftraggeber einen angemessenen Teil der Vergütung zurückhalten (§ 641 Abs. 3 BGB). Dienstleistungen wie Software-as-a-Service (SaaS) und Application Service Providing (ASP), bei denen die Software auf Servern des Dienstleisters und nicht des Kunden betrieben wird, sind im Vormarsch. Es handelt sich um Formen des Cloud-Computing4. Der Kunde erwirbt aus den zugrunde liegenden Verträgen das Recht, über das Internet auf die Server des Anbieters zuzugreifen und die Software über einen bestimmten Zeitraum zu nutzen. Gleichzeitig entwickelt der Dienstleister die Software laufend fort und updatet sie. Solche Verträge unterliegen dem Mietrecht (§ 535 ff. BGB)5. Funktioniert die Software nicht ordnungsgemäß oder ist ein Zugriff auf die Server des Dienstleisters z.B. wegen Überlastung nicht möglich, liegt ein Mietmangel vor. Der Kunde kann eine Minderung des Mietzinses geltend machen (§ 536 Abs. 1 BGB) und Mängelbeseitigung verlangen (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB).

15.8

Hinweis:

15.9

In der Praxis sollte die Ausübung des Mietminderungsrechts allerdings gut überlegt werden. Zum einen trägt der Kunde die Beweislast, wenn er die Mangelhaftigkeit der Software behauptet6. Zum anderen kann der Softwaredienstleister tatsächliche oder vermeintliche Zurückbehaltungsrechte nach §§ 320, 273 BGB geltend machen und den Zugriff des Kunden auf die vermietete Software sperren. Oft kontrolliert er sämtliche gespeicherten Daten des Kunden. Dadurch kann er die betrieblichen Abläufe beim Kunden erheblich stören. Der Softwaredienstleister „sitzt“ deshalb bei rechtlichen Auseinandersetzungen faktisch „am längeren Hebel“.

Bei SaaS- und ASP-Verträgen passt der Dienstleister seine Standardsoftware häufig im Rahmen eines vorgeschalteten Implementierungsprojekts an die besonderen Wünsche des Kunden an. Dieses Implementierungsprojekt richtet sich nach Werkvertragsrecht7. Die ordnungsgemäße Durchführung des Implementierungsprojekts ist gleichzeitig Voraussetzung für eine vertragsgemäße Überlassung der Mietsache und damit für das Entstehen eines Mietzinsanspruchs8. Parallel angebotene Wartungs-, Support- und Hotline-Services unterliegen entweder dem Werkvertragsrecht (§§ 631 ff. BGB) oder

1 BGH v. 9.10.2001 – X ZR 58/00, CR 2002, 93 = juris Rz. 15. 2 BGH v. 5.6.2014 – VII ZR 276/13, CR 2014, 568 = juris Rz. 13; BGH v. 25.3.2010 – VII ZR 224/08, CR 2010, 422 = juris Rz. 14; a.A. Faas in Taeger/Pohle, Computerrechts-Handbuch, 36. EL 2021, 70.1 Rz. 15, der von einem Werklieferungsvertrag nach § 650 BGB ausgeht. 3 Schmidl in Dauner-Lieb/Langen, BGB, Anhang IV zu §§ 535–580a BGB: Software-Vertragsrecht, 4. Aufl. 2021, Rz. 17. 4 Nägele/Jacobs, ZUM 2010, 281 (282). 5 Entschieden für ASP-Verträge, BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = juris Rz. 11; gleiches gilt für SaaS-Verträge, vgl. Heydn, MMR 2020, 435 (439). 6 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = juris Rz. 22 ff. 7 Heydn, MMR 2020, 435 (438); vgl. BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = juris Rz. 21. 8 Heydn, MMR 2020, 435 (437 f.); vgl. BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = juris Rz. 27.

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15.10

§ 15 Rz. 15.10

Implementierung von Softwareanwendungen

dem Dienstvertragsrecht (§§ 611 ff. BGB), je nachdem, ob Fehlerbeseitigung als Erfolg geschuldet ist oder lediglich der Betrieb der Software erleichtert werden soll1.

15.11 Datenschutzrechtlich besteht bei SaaS- und ASP-Verträgen die Besonderheit, dass personenbezogene Daten von Arbeitnehmern des Kunden, welche die Software nutzen, auf Servern des Softwaredienstleisters gespeichert werden. Dadurch wird der Softwaredienstleister als Auftragsverarbeiter des Kundenunternehmens tätig (Art. 28 DSGVO)2. Das Kundenunternehmen bleibt für die personenbezogenen Daten seiner Arbeitnehmer datenschutzrechtlich verantwortlich (Art. 24, Art. 4 Nr. 7 DSGVO). Beide Unternehmen sind gesetzlich dazu verpflichtet, eine Auftragsverarbeitungsvereinbarung abzuschließen, die den Vorgaben des Art. 28 Abs. 3 DSGVO gerecht wird. Außerdem muss das Kundenunternehmen seine Arbeitnehmer darüber informieren, durch welchen Auftragsverarbeiter die Daten verarbeitet werden (Art. 13 Abs. 1 lit. e, Art. 14 Abs. 1 lit. e DSGVO)3 und – sollte dies der Fall sein – in welchem Drittland sich die Server des Auftragsverarbeiters befinden (Art. 13 Abs. 1 lit. f, Art. 14 Abs. 1 lit. f DSGVO). Datenschutzrechtliche Probleme können sich ergeben, wenn der Softwaredienstleister bei der Bereitstellung der Server Ketten von Subunternehmen einsetzt, was in der Praxis häufig geschieht4.

15.12 Nach Art. 25 Abs. 1 DSGVO ist der Verantwortliche verpflichtet, von ihm eingesetzte Softwareanwendungen durch geeignete technische und organisatorische Maßnahmen – wie z.B. Pseudonymisierung – dafür auszulegen, die geltenden Datenschutzgrundsätze, insbesondere die Pflicht zur Datenminimierung, wirksam umzusetzen („privacy by design“). Nach zutreffender h.M. strahlen die Wertungen dieser Vorschrift auf das schuldrechtliche Mängelgewährleistungsrecht (§ 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 536 Abs. 1 Satz 1, § 633 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB) aus und begründen dadurch Pflichten für den Hersteller und Vertreiber der Software (vgl. insbesondere ErwG 78 Satz 4 DSGVO): Eine Softwareanwendung, welche auf die Verarbeitung personenbezogener Daten zielt und sich für diesen Zweck nicht oder nur unter unzumutbarem Aufwand datenschutzkonform einsetzen lässt, ist mangelhaft, da sie sich nicht für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung legal eignet5. Das Kundenunternehmen kann deshalb vom Softwareanbieter eine datenschutzkonforme Anpassung der Software fordern und z.B. die Abmahne verweigern, bis diese umgesetzt ist.

15.13 Hinweis: Kaum ein Softwareanbieter räumt allerdings ein, dass seine Standardsoftwareanwendungen datenschutzwidrig sind. Typischerweise ergeben sich im Rahmen der Mängelgewährleistung deshalb juristische Auslegungsstreitigkeiten über das „richtige“ Verständnis des geltenden Datenschutzrechts. Um dies zu vermeiden, sollten Unternehmen im Vorfeld prüfen, ob und unter welchem Aufwand sich eine angebotene Standardsoftware datenschutzkonform konfigurieren lässt (zu den Anforderungen Rz. 15.14 ff.), bevor sie einen Vertrag mit deren Softwareanbieter schließen.

2. Datenschutzrechtliche Anforderungen 15.14 Typischerweise loggen sich Arbeitnehmer mit individualisierten Accounts oder mit ihnen persönlich zugewiesener Hardware in die Software-Anwendung des Unternehmens ein. Die Software erhebt und verarbeitet dann laufend die personenbezogenen Daten ihrer Nutzer. Konsequenz ist, dass ein erheblicher Teil der Arbeitstätigkeit von Arbeitnehmern in Softwareanwendungen dokumentiert und

1 Heydn, MMR 2020, 435 (439); vgl. BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, CR 2007, 75 = juris Rz. 21. 2 Gabel/Lutz in Taeger/Gabel, Art. 28 DSGVO Rz. 23; Heydn, MMR 2020, 435 (435). 3 Paal/Hennemann in Paal/Pauly, Art. 13 DSGVO Rz. 18; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 28; Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 16. 4 Heydn, MMR 2020, 435 (437 f.). 5 Klingbeil/Kohm, MMR 2021, 3 (4 ff.); Specht-Riemenschneider, MMR 2020, 73 (73); Mantz in Sydow, Art. 25 DSGVO Rz. 80; Auer-Reinsdorff, MMR 2015, 213 (214); ähnlich LG Flensburg v. 5.7.2013 – 4 O 54/11, GesR 2014, 305 = juris Rz. 32 ff.; eher zurückhaltend Hunzinger/Schuster, CR 2017, 141 (144).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 15.18 § 15

gespeichert wird und dieser Datenbestand eine effektive Überwachung der Arbeitnehmer ermöglicht1. Deshalb stellen sich an den Einsatz und die Ausgestaltung von Softwareanwendungen im Arbeitsverhältnis nach § 26 Abs. 1 BDSG datenschutzrechtliche Anforderungen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist es im Ausgangspunkt zulässig, dass ein erheblicher Teil der 15.15 Arbeitstätigkeit eines Arbeitnehmers in Softwareanwendungen erfasst und dokumentiert wird. So ist es aus Sicht des BAG z.B. zulässig, die Verlaufsdaten des Internetbrowsers eines Arbeitnehmers zu speichern, auch um sicherzustellen, dass der Arbeitnehmer während seiner Arbeitszeit nicht übermäßig privat „surft“2. Eine konkrete Gefahrenlage oder sonst einen konkreten Anlass bedarf es dafür nicht3. Voraussetzung ist allerdings, dass die Aufzeichnung des Arbeitsverhaltens durch die Software offen und transparent erfolgt und der Arbeitnehmer demnach weiß, welche Daten gespeichert und auf welche Weise diese durch den Arbeitgeber ggf. ausgewertet werden4. Durch eine Software vorgenommene Aufzeichnungen gegenüber den Arbeitnehmern geheim zu halten, wäre dagegen grundsätzlich nicht erforderlich und deshalb datenschutzrechtlich nicht zu rechtfertigen5. Doch auch offene Aufzeichnungen des Arbeitsverhaltens durch eine Software können nach der 15.16 Rechtsprechung des BAG unverhältnismäßig in die Persönlichkeitsrechte eines Arbeitnehmers eingreifen, wenn sie durch die Art und das Ausmaß ihrer Kontrollwirkung „solchen psychischen Anpassungsdruck erzeugen, dass die Betroffenen bei objektiver Betrachtung in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt sind“6. Eine derart unzulässige Dauerüberwachung kann sich zum einen daher ergeben, dass unverhältnismäßig viele Eingabedaten gespeichert werden. Der Einsatz eines Keyloggers, der alle Eingabedaten des Arbeitnehmers speichert, ist deshalb im Grundsatz unzulässig7. Die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer können zum anderen dadurch verletzt werden, dass die Software automatisierte Auswertungen ihres Leistungsverhaltens vornimmt. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn die Software dazu in der Lage ist, detailliert und umfassend das gesamte Leistungsspektrum eines Sachbearbeiters automatisiert zu bewerten und dadurch einen ständigen Anpassungsdruck an ein Kennzahlensystem zu erzeugen. Legt dieses Kennzahlensystem allein quantitative Kriterien zugrunde und berücksichtigt es qualitative Leistungen der Arbeitnehmer bei der Bewertung nicht, ist der Softwareeinsatz i.d.R. unzumutbar8. Stets kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Wertet die Software Leistungen des Arbeitnehmers grundsätzlich anonym aus und wird der Arbeitgeber nur dann über die Person des Arbeitnehmers informiert, wenn die Leistung des Arbeitnehmers hinter bestimmten Schwellenwerten zurückbleibt, kann eine automatisierte Leistungsbewertung durch eine Software zulässig sein9. Schafft der Einsatz einer Software aufgrund ihrer Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke 15.17 der Verarbeitung voraussichtlich ein hohes Risiko für die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern, kann es erforderlich sein, eine Datenschutz-Folgenabschätzung (Art. 35 DSGVO) durchzuführen. Wegen Art. 17 DSGVO darf die Software erhobene Daten nicht dauerhaft speichern. Gespeicherte personenbezogene Daten müssen durch den Verantwortlichen eigeninitiativ10 gelöscht werden, sobald es keine sachliche Rechtfertigung mehr dafür gibt, sie länger aufzubewahren. Datenschutzrecht1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Haußmann/Thieme, NZA 2019, 1612 (1613). BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 31. BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 31. BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 31; Stück, CCZ 2020, 77 (78); Laber/ Santon, ArbRB 2019, 60 (61 f.). Stück, CCZ 2020, 77 (78). BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, ArbRB 2017, 331 = juris Rz. 31; BAG v. 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 20. BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, Leitsatz, ArbRB 2017, 331. BAG v. 25.4.2017 – 1 ABR 46/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 22 ff. BAG v. 17.11.2016 – 2 AZR 730/15, ArbRB 2017, 72 = juris Rz. 27 ff. Herbst in Kühling/Buchner, Art. 17 DSGVO Rz. 8 ff.; Paal in Paal/Pauly, Art. 17 DSGVO Rz. 20.

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321

15.18

§ 15 Rz. 15.18

Implementierung von Softwareanwendungen

lich ist es zulässig, Lösch- und Aufbewahrungsfristen nach abstrakten Kriterien zu typisieren1. Dies erfolgt idealerweise durch automatisierte Routinen, die Daten nach einer bestimmten Zeit von selbst löschen2.

15.19 Hinweis: Bevor Unternehmen eine bestimmte Arbeitssoftware erwerben, sollten sie prüfen, ob die Software in der Standardkonfiguration die Implementierung angemessener Löschfristen unter vertretbarem Aufwand ermöglicht3.

15.20 Gemäß Art. 13, 14 DSGVO muss der Arbeitnehmer darüber informiert werden, welche Kategorien von Daten die Software erhebt, zu welchen Zwecken die Daten verarbeitet werden, ob diese Daten gegebenenfalls an Dritte, z.B. einen Clouddienstleister, weitergegeben werden und nach welcher Frist mit einer Löschung der Daten zu rechnen ist. Außerdem muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darüber informieren, ob er verpflichtet ist, die Software zu nutzen und dadurch an der Datenerhebung mitzuwirken oder ob der Einsatz der Software freiwillig ist (Art. 13 Abs. 2 lit. e DSGVO).

15.21 Hinweis: Aus Gründen der Praktikabilität empfiehlt es sich, eine einheitliche Datenschutzinformation für Beschäftigte zu erstellen, welche die vorgeschriebenen Angaben gem. Art. 13, 14 DSGVO für sämtliche Datenverarbeitungsprozesse enthält, mit denen der Arbeitnehmer im Verlauf seines Beschäftigungsverhältnisses zu rechnen hat4. Für jede Software gesondert zu informieren, erweist sich dagegen im Regelfall als zu aufwendig (vgl. dazu Rz. 12.45). Da ständig neue Software-Anwendungen entwickelt und eingeführt werden, muss die Datenschutzinformation periodisch angepasst und aktualisiert werden. Es ist z.B. denkbar, die Datenschutzinformation in periodischen Rundmails in einer jeweils aktualisierten Fassung bekannt zu geben.

15.22 Der Arbeitgeber darf in Software-Anwendungen gespeicherte personenbezogene Daten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG auswerten, um das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer zu kontrollieren, sofern er dabei offen und aus unwillkürlichem Anlass handelt. Dies gilt vor allem bei offenen Überwachungsmaßnahmen, die nach abstrakten Kriterien durchgeführt werden und keinen Arbeitnehmer besonders unter Verdacht stellen5. Dagegen sind heimliche und systematische Auswertungen elektronischer Daten, die sich gegen bestimmte Arbeitnehmer richten, die mit solcher Auswertung nicht rechnen, regelmäßig nur dann zulässig, wenn der Arbeitgeber den Anfangsverdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung aufklären muss und sich dieser Anfangsverdacht auf greifbare Tatsachen i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG stützen lässt (eingehend dazu Rz. 14.8 ff.)6.

3. Beteiligung des Betriebsrates 15.23 Wenn der Arbeitgeber Softwareanwendungen einführt, die als Arbeitsmittel eingesetzt werden sollen, hat der Betriebsrat nahezu umfassend gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen. Das BAG legt den Mitbestimmungstatbestand nämlich weit aus. Entgegen dem Wortlaut des Mitbestimmungstatbestandes genügt es, wenn eine Software oder andere technische Einrichtung objektiv dazu geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen; auf die Frage, ob der Arbeitgeber auch beabsichtigt, die Software zu Überwachungszwecken einzusetzen, kommt es nicht an7. Dies ist bei jeder Software der Fall, die personenbezogene Arbeitnehmerdaten erhebt oder

1 2 3 4 5 6

Vgl. für geeignete Löschfristen Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 144. Herbst in Kühling/Buchner, Art. 17 DSGVO Rz. 20; Paal in Paal/Pauly, Art. 17 DSGVO Rz. 20a. Zu praktischen Umsetzungsherausforderungen bei ERP-Systemen Hunzinger, CR 2018, 357 (364). Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 185. BAG v. 31.1.2019 – 2 AZR 426/18, ArbRB 2019, 200 = juris Rz. 54. EGMR v. 5.9.2017 – 61496/08 (Ba˘rbulescu), ZD 2017, 571; BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 29 f.; Hessisches LAG v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, NZA-RR 2019, 130. 7 Grundlegend BAG v. 9.9.1975 – 1 ABR 20/74, Leitsatz 1, DB 1975, 2233.

322

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 15.26 § 15

verarbeitet1. Eine Erheblichkeits- oder Geringfügigkeitsgrenze gibt es nicht2. Lediglich dann, wenn Arbeitnehmer ausnahmslos anonym auf die Software zugreifen – z.B. weil mehrere Mitarbeiter das Passwort für den Nutzeraccount kennen und ihn gemeinsam verwenden –, und die Software selbst unmittelbar keine personenbezogenen Arbeitnehmerdaten verarbeitet, scheidet eine Mitbestimmung des Betriebsrates aus3. In allen anderen Fällen darf der Arbeitgeber eine Software erst dann nutzen, wenn der Betriebsrat zugestimmt hat4. Soll in einem Unternehmen ein Softwaresystem eingeführt werden, das betriebsübergreifend ein- 15.24 gesetzt wird, und zwar so, dass in einem Betrieb erhobene Daten in einem anderen Betrieb verarbeitet werden, ist der Gesamtbetriebsrat gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG originär dafür zuständig, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auszuüben5. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates besteht dann umfassend und nicht bloß als Rahmenkompetenz; die örtlichen Betriebsräte können selbst für solche Detailfragen keine Beteiligung einfordern, die theoretisch in unterschiedlichen Betrieben unterschiedlich geregelt werden könnten6. Soll eine Software sogar konzernweit eingeführt werden, die konzernunternehmensübergreifend Daten verarbeitet, liegt die Zuständigkeit originär gem. § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG beim Konzernbetriebsrat. Es ist üblich, IT-Systeme konzern- oder wenigstens unternehmensweit einzuführen. Die meisten Software- und IT-Fragen müssen durch den Arbeitgeber deshalb mit dem Gesamt- oder dem Konzernbetriebsrat verhandelt werden, je nachdem ob die IT-Abteilung auf Unternehmens- oder Konzernebene angesiedelt ist, die über die Einführung neuer Software entscheidet7. Führt der Arbeitgeber eine Softwareanwendung ein, ohne den zuständigen Betriebsrat im Vorfeld zu 15.25 beteiligen, kann der Betriebsrat Unterlassung und Beseitigung verlangen8. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber eine Softwareanwendung in einer Art und Weise nutzt, die im Vorfeld nicht durch den zuständigen Betriebsrat gebilligt wurde9. Der Betriebsrat kann seinen Unterlassungsanspruch auch im Verfahren der einstweiligen Verfügung durchsetzen10. Arbeitsrechtliche Weisungen des Arbeitgebers an Arbeitnehmer, eine mitbestimmungswidrig eingeführte Softwareanwendung zu nutzen, sind rechtlich unwirksam11.

15.26

Hinweis: In vielen Unternehmen führt die Beteiligung des Betriebsrates zu erheblichen Verzögerungen bei der Einführung neuer Software- und IT-Anwendungen. Beteiligungsverfahren verzögern sich nicht nur deshalb, weil Betriebsräte sich prinzipiell gegen bestimmte Vorhaben des Arbeitgebers sperren, sondern auch, weil es in größeren Verhandlungsrunden oft nicht leicht fällt, unter allen Teilnehmern ein umfassendes Verständnis für die technische Funktionsweise komplexer Softwareanwendungen zu entwickeln. Dass sich Verhandlungen über die Einführung einer neuen IT-Anwendung über Zeiträume von mehr als einem Jahr erstrecken, ist keine Seltenheit. In anderen Ländern gibt es keine vergleichbaren Mitbestimmungstatbestände. Deshalb kommt es gerade bei internationalen Konzernen immer wieder vor, dass die deutschen Niederlassungen eine neue IT-Technologie als allerletzte einführen können. Der Mitbestimmungstatbestand des § 87

1 Clemenz in HWK, § 87 BetrVG Rz. 116; Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 57. 2 BAG v. 23.10.2018 – 1 ABN 36/18, ZD 2019, 131, Orientierungssatz. 3 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, ArbRB 2017, 174 = juris Rz. 26 ff.; Dahl/Brink, NZA 2018, 1231 (1232); unschädlich ist dann auch, ob die Software mittelbar zu Kontrollzwecken eingesetzt wird, z.B. wenn „Google Maps“ für die Überprüfung von Reisekostenanträgen der Arbeitnehmer einsetzt, BAG v. 10.12.2013 – 1 ABR 43/12, ArbRB 2014, 107 = juris Rz. 20. 4 Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 57. 5 BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, DB 2007, 1141 = juris Rz. 30. 6 BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06, DB 2007, 1141 = juris Rz. 35. 7 Dahl/Brink, NZA 2018, 1231 (1233). 8 Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2019, 1460 (1463). 9 LAG Köln v. 19.7.2019 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 82. 10 LAG Köln v. 8.3.2002 – 4 TaBV 2/02, BeckRS 2002, 30810804. 11 LAG Nürnberg v. 21.2.2017 – 7 Sa 441/16, Leitsatz, ArbRB 2017, 239.

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§ 15 Rz. 15.26

Implementierung von Softwareanwendungen

Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sieht sich deshalb einer erheblichen rechtspolitischen Kritik ausgesetzt und gilt seinen Kritikern als „Innovationshemmnis“, „deutscher Sonderweg“ und „Standortnachteil im internationalen Wettbewerb“1.

15.27 Nach Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 BDSG können Betriebsvereinbarungen prinzipiell so gestaltet werden, dass sie als eigenständige datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm bestimmte Verarbeitungen von Beschäftigtendaten legitimieren2. Dies erfolgt, indem die Betriebsvereinbarung konkludent oder ausdrücklich als datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm definiert wird3. Allerdings lässt sich der gesetzliche Datenschutz auf diese Weise nicht einfach abbedingen; stattdessen muss eine Betriebsvereinbarung, die als datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm wirken soll, ihrerseits ausreichende Datenschutzvorkehrungen vorsehen, die in ihrer Gesamtschau ein angemessenes Schutzniveau bieten (Art. 88 Abs. 2 DSGVO, § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG)4. Es ist sehr umstritten, ob es überhaupt zulässig wäre, in einer als Erlaubnisnorm wirkenden Betriebsvereinbarung ein weniger strenges Datenschutzniveau festzulegen, als dies die DSGVO sonst eigentlich vorsähe5. In jedem Fall wäre es nur in geringem Maße möglich, das europarechtliche Datenschutzniveau mit einer Betriebsvereinbarung „abzusenken“6. Auch wenn der Betriebsrat mitwirkt, lassen sich durch eine Betriebsvereinbarung deshalb die datenschutzrechtlichen Gestaltungsspielräume nicht spürbar vergrößern.

15.28 Hinweis: Angesichts der weitgehend ungeklärten Anforderungen ist es fraglich, ob die Ausgestaltung einer Betriebsvereinbarung als datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm überhaupt sinnvoll ist. Würden die Anforderungen nach Art. 88 Abs. 2 DSGVO, § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG nämlich – auch ungewollt – verletzt, wäre die Betriebsvereinbarung unwirksam7. Allerdings stellt es ein wertvolles Signal, z.B. in Gesprächen mit Datenschutzbehörden, dar, wenn der Betriebsrat als Interessenvertreter der Beschäftigten eine bestimmte Form der Datenerhebung ausdrücklich mitträgt.

15.29 Zum Umgang mit neu eingeführten Softwareanwendungen sind häufig Mitarbeiterschulungen erforderlich. Handelt es sich bei diesen Schulungen nicht bloß um kurze Arbeitseinweisungen, sondern um strukturierten Kursunterricht, bestimmt der Betriebsrat bei der Ausgestaltung der Schulungen nach § 98 BetrVG mit (vgl. eingehend Rz. 26.31 ff.). Nach § 97 Abs. 2 BetrVG käme sogar ein Initiativrecht des Betriebsrates in Betracht8, wenn sich infolge der Einführung von Software-Anwendungen die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer so ändert, dass ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben künftig nicht mehr ausreichen – der Betriebsrat könnte dann die Durchführung von Schulungsmaßnahmen gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen9. Damit ein solches Initiativrecht entsteht, müsste die Einführung der Software allerdings zu einer so grundlegenden und nachhaltigen Änderung der Tätigkeit von Arbeitnehmern führen, dass Qualifikations-

1 Wisskirchen/Schiller/Schwindling, BB 2019, 1460 (1460); Schirmer/Isenmann, NZA-Beilage 2019, 69 (71); Haußmann/Thieme, NZA 2019, 1612 (1617); Schipp, ArbRB 2016, 177 (179). 2 Wurzberger, ZD 2017, 258 (258); Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 11c f. 3 Wurzberger, ZD 2017, 258 (260); Grimm, ArbRB 2018, 78 (79). 4 Wurzberger, ZD 2017, 258 (259). 5 Dafür Riesenhuber in BeckOK Datenschutzrecht, 38. Ed. Stand: 1.11.2021, § 26 BDSG Rz. 54; Lembke in HWK, Art. 88 DSGVO Rz. 85, 86; Düwell/Brink, NZA 2017, 1081 (1083); Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 11e; a.A. Gräber/Nolden in Paal/Pauly, § 26 BDSG Rz. 49; Schrey/Kielkowski, BB 2018, 629 (630); Klocke, ZTR 2018, 116 (120); Körner, NZA 2019, 1389 (1390); Wurzberger, ZD 2017, 258 (263). 6 Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 11e. 7 BAG v. 29.6.2004 – 1 ABR 21/03, ArbRB 2004, 366 = juris Rz. 10; Seifert in Simitis, Art. 88 DSGVO Rz. 45. 8 Fitting, § 97 BetrVG Rz. 20; Reichold, NZA 2001, 857 (864); Eylert/Waskow in Boecken/Düwell/Diller/ Hanau, § 97 BetrVG Rz. 9. 9 Eylert/Waskow in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 97 BetrVG Rz. 9; Ricken in HWK, § 97 BetrVG Rz. 6 u. 11.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 15.33 § 15

defizite entstehen, die nicht bloß mit einer kurzen Einweisung überwunden werden könnten1. Solange es lediglich darum geht, dass andere Softwareanwendungen genutzt werden sollen als bisher, ist das nicht der Fall.

III. Best Practice Die zentrale rechtliche Hürde bei der Einführung neuer Softwareanwendungen besteht darin, die 15.30 Zustimmung des zuständigen Betriebsrates zu erhalten. Zwar kann der Arbeitgeber diese Zustimmung des Betriebsrates über das Einigungsstellenverfahren erzwingen (§ 76 BetrVG). Da im Einigungsstellenverfahren allerdings zahlreiche Detailfragen der Softwarekonfiguration kontrovers verhandelt werden und erfahrene Einigungsstellenvorsitzende, die sich mit IT-Technologie auskennen, eng ausgebucht sind und hohe Vergütungssätze fordern, wäre diese Lösung zeit- und kostenintensiv. Der einvernehmliche Weg ist deshalb besser. Angesichts der großen Zahl von IT- und Softwareanwendungen, die Unternehmen jährlich einführen, ist es von großer Wichtigkeit, dass Unternehmen auf diesem Feld eine konstruktive und routinierte Gesprächs- und Verhandlungskultur mit ihrem Betriebsrat entwickeln. Eigentlich dient das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG allein 15.31 dem Beschäftigtendatenschutz. Allerdings blockieren viele Betriebsräte neue IT-Technologien auch aus ganz anderen Beweggründen, z.B. weil die Einarbeitung in die neue Software durch Mitarbeiter als lästig empfunden wird oder weil der Betriebsrat befürchtet, dass die Software Arbeitsabläufe so viel effizienter macht, dass Arbeitsplätze wegfallen. Dagegen werden die Vorteile der neuen Technik oft unterschätzt: Meistens muss man sich erst in die Technik einarbeiten, um solche Vorteile zu erkennen. Diese Ausgangslage begünstigt eine negative Grundhaltung gegenüber neuer Technologie, auch in Betriebsratsgremien. Ziel des Arbeitgebers sollte deshalb sein, den Betriebsrat aus der Rolle eines „Kontrollgremiums“, das „blockiert“, herauszuholen und ihn in die Rolle eines Gestalters zu versetzen, der sich mit den Projekten idealerweise selbst identifiziert und sie erfolgreich umsetzen will. Dies kann am besten gelingen, wenn der Betriebsrat von Anfang an in die neuen IT-Projekte eingebunden wird und bereits bei der Auswahl unterschiedlicher Software-Anbieter mitreden kann. Um den Verhandlungsprozess mit dem Betriebsrat zu beschleunigen, empfiehlt sich, allgemeine Da- 15.32 tenschutzstandards (insbesondere, unter welchen Voraussetzungen Leistungs- und Verhaltenskontrollen unter Verwendung der Software zulässig sind) und andere allgemeine Regeln (z.B. Auskunftsansprüche des Betriebsrates, Dokumentationspflichten des Arbeitgebers) in einer Rahmenbetriebsvereinbarung IT-Systeme festzuhalten. Dies hat den Vorteil, dass Arbeitgeber und Betriebsrat über diese Standarddiskussionspunkte nicht bei jeder Softwareeinführung aufs Neue verhandeln müssen, sondern die Themen in einem einzigen Verhandlungslauf für alle künftigen Technologien klären können2. Der Abschluss einer solchen Rahmenbetriebsvereinbarung erfolgt allerdings nur auf freiwilliger Basis und kann nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden3. Setzt die Einführung einer neuen Software-Anwendung eine Datenschutz-Folgenabschätzung 15.33 (Art. 35 DSGVO) voraus (dazu Rz. 15.7), bietet es sich an, diese Datenschutz-Folgenabschätzung in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und dem Datenschutzbeauftragten (Art. 35 Abs. 2 DSGVO) zu erstellen. Im Rahmen der Datenschutz-Folgenabschätzung muss das Unternehmen folgende Themen behandeln:

1 LAG Hamm v. 8.11.2002 – 10 (13) TaBV 59/02, Leitsatz, NZA-RR 2003, 543; Fitting, § 97 Rz. 14; Mauer in BeckOK/ArbR, 62. Ed. Stand: 1.12.2021, § 97 BetrVG Rz. 2; Kania in ErfK, § 97 BetrVG Rz. 6. 2 Dahl/Brink, NZA 2018, 1231 (1233); Schulze/Pfeffer, ArbRAktuell 2017, 358 (358); zur Zulässigkeit einer solchen Regelungstechnik BAG v. 23.3.2021 – 9 TaBV 125/18, DB 2021, 1750 = juris Rz. 72. 3 Dahl/Brink, NZA 2018, 1231 (1233).

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§ 15 Rz. 15.33

Implementierung von Softwareanwendungen

– eine systematische Beschreibung der geplanten Verarbeitungsvorgänge und der Zwecke der Verarbeitung, – eine Bewertung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verarbeitungsvorgänge in Bezug auf den Zweck, – eine Bewertung der Risiken für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen und – die zur Bewältigung der Risiken geplanten Abhilfemaßnahmen. Hierbei handelt es sich durchweg um Problempunkte, welche die Betriebsparteien im Rahmen ihrer Verhandlungen ohnehin ausgiebig diskutieren. Deshalb liegt nahe, die Datenschutz-Folgenabschätzung und die Verhandlungsgespräche mit dem Betriebsrat als einheitlichen Vorgang durchzuführen.

15.34 Hinweis: In der Praxis machen Unternehmen meist einen weiten Bogen um die Datenschutz-Folgenabschätzung. Hintergrund ist, dass die Datenschutzbehörden fordern, dass Unternehmen im Rahmen von DatenschutzFolgenabschätzungen mit einer anerkannten Methode alle in Frage kommenden Risiken nach einer Schwellenwertanalyse systematisch und vollständig modellieren1. Dabei wünschen sich die Datenschutzbehörden, dass diese Risiken für jede Risiko-Kategorie nach festen Skalen in Form einer Risiko-Matrix dargestellt werden2. Die Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder hat ein „Standard-Datenschutzmodell“ entwickelt, welches aus den Anforderungen der DSGVO insgesamt sieben Gewährleistungsziele ableitet, die als Risiko-Kategorien bei der Schwellenwert-Analyse herangezogen werden können3. Insgesamt gelten die Anforderungen, welche die deutschen Datenschutzbehörden an eine korrekt durchgeführte Datenschutz-Folgenabschätzung stellen, allerdings als hoch und kompliziert. Deshalb fühlt sich die Praxis derzeit überfordert und hält die Datenschutz-Folgenabschätzung für eine Aufgabe, die allenfalls durch Spezialisten, aber nicht durch die eigentlichen Akteure bei Software-Implementierungsprojekten umgesetzt werden könnte. Bis sich ein anerkannter, praxisgerechter Ansatz herausbildet4 und in der Praxis beherrscht wird, muss leider abgewartet werden.

15.35 Die Gremien vieler Betriebsräte sind zu groß, um in einer Gesamtrunde konstruktiv über die technischen Feinheiten neuer Softwaretechnologien zu sprechen. In vielen Betrieben haben zudem nur eine Minderheit der Betriebsratsmitglieder überhaupt die Zeit und das Interesse, sich in die Funktionsweise neuer Software einzuarbeiten. Muss der Arbeitgeber die Verhandlungen mit dem Gesamt- oder Konzernbetriebsrat führen, kommt das Problem hinzu, dass dessen Mitglieder an unterschiedlichen Standorten arbeiten und sich deshalb erst nach aufwendiger Terminplanung zu gemeinsamen Verhandlungsrunden einfinden könnten. Die Gesprächsführung lässt sich unter diesen Bedingungen erheblich erleichtern, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat einen verkleinerten gemeinsamen Ausschuss (§ 28 Abs. 1 BetrVG) mit (z.B. jeweils zwei) Arbeitgeber- und Betriebsratsvertretern bilden5, statt die Verhandlungen stets in großer Runde zu führen. Idealerweise ermächtigt der Betriebsrat die von ihm entsandten Betriebsratsvertreter im Ausschuss, sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG selbständig durch Regelungsabrede6 auszuüben (§ 28 Abs. 2 BetrVG). Dies hat den Vor-

1 Vgl. Bayrischer Landesbeauftragter für den Datenschutz, Datenschutz-Folgenabschätzung Orientierungshilfe, S. 14. 2 Bayrisches Landesamt für Datenschutzaufsicht (DSFA), Durchführung einer Datenschutz-Folgenabschätzung nach Art. 35 DS-GVO in Anlehnung an die ISO/IEC 29134, S. 18. 3 Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder, Das StandardDatenschutzmodell Eine Methode zur Datenschutzberatung und -prüfung (https://www.datenschutz-mv. de/static/DS/Dateien/Datenschutzmodell/SDM-Methode_V20b.pdf; zuletzt abgerufen im Januar 2022). 4 Vgl. auch den Leitfaden des Branchenverbandes Bitkom, Rist Assessment & Datenschutz-Folgenabschätzung. 5 Dazu eingehend BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 25. 6 Betriebsvereinbarungen können hingegen niemals durch Ausschüsse abgeschlossen werden, sondern benötigen immer die Zustimmung des Gesamtgremiums des (Gesamt-)Betriebsrates, BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 25.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 15.37 § 15

teil, dass die IT-Projekte dann in einem kleinen Kreis mit spezialisierten Mitgliedern verhandelt werden können, die im besten Fall Spaß und Interesse an Software und technischen Innovationen haben. Der Arbeitgeber kann die Ausschussbildung allerdings nicht gegen den Willen des Betriebsrates erzwingen. Gemeinsame Ausschüsse können nur aufgrund einer freiwilligen Übereinkunft zwischen den Betriebsparteien und nicht durch Einigungsstellenspruch gebildet werden1. Die Bildung gemeinsamer Ausschüsse nach Art. 28 Abs. 1 BetrVG setzt zudem voraus, dass der Betriebsrat (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 BetrVG) (und gleichermaßen ein Gesamt- oder Konzernbetriebsrat2) wenigstens sieben Mitglieder hat. Erst ab neun (Gesamt-)Betriebsratsmitgliedern und einem bestehenden (Gesamt-)Betriebsausschuss ist es zulässig, den Ausschuss dazu zu ermächtigen, selbständig Mitbestimmungsrechte durch den Abschluss von Regelungsabreden auszuüben3.

15.36

Eine Rahmenbetriebsvereinbarung, durch die ein gemeinsamer Ausschuss von Arbeitgebervertretern und Gesamtbetriebsratsmitgliedern zur Regelung der Mitbestimmungsfragen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ermächtigt wird, kann unter diesen Bedingungen wie folgt gestaltet werden:

M 15.1 Rahmengesamtbetriebsvereinbarung – Einführung von IT-Systemen/ IT-Lenkungsausschuss

15.37

Rahmengesamtbetriebsvereinbarung – IT-Systeme Fassung … Präambel Um den Herausforderungen der digitalen Transformation gemeinsam zu begegnen und in dem Wissen, dass systematische Digitalisierungsprozesse der Schlüssel für jede wettbewerbsfähige und effiziente Unternehmensstruktur sind, gründen die Gesamtbetriebsparteien einen gemeinsamen IT-Lenkungsausschuss und legen in dieser Rahmengesamtbetriebsvereinbarung (RahmenGBV) Verfahrensvorgaben für die Einführung und Änderung von IT-Systemen sowie allgemeine Datenschutzvorgaben für deren Einsatz fest. Die Gesamtbetriebsparteien sind sich darüber einig, – dass im Zeitalter digitaler Transformation die proaktive und zügige Einführung und Anpassung neuer und sich stetig wandelnder IT-Technologien eine Herausforderung ist, der sich unser Unternehmen entschlossen stellt, mit dem Ziel, seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und den Arbeitsalltag aller Mitarbeiter fortlaufend zu erleichtern, – dass die Einführung und Anpassung von IT-Technologien in einem geordneten und kooperativen Abstimmungsverfahren zwischen den Gesamtbetriebsparteien erfolgen wird und die Gesamtbetriebsparteien bei Anwendung dieses Verfahrens Routine entwickeln,

1 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267 = juris Rz. 20. 2 Franzen in GK-BetrVG, § 51 BetrVG Rz. 47; Fitting, § 51 BetrVG Rz. 22; Mauer in BeckOK/ArbR, 62. Ed. Stand: 1.12.2021, § 51 BetrVG Rz. 12; Annuß in Richardi, § 51 BetrVG Rz. 22; nach anderer Auflassung genügt es dagegen, wenn das Unternehmen 100 Mitarbeiter beschäftigt, so Koch in ErfK, § 51 BetrVG Rz. 5; Deinert in DKW, 17. Aufl. 2020, § 51 BetrVG Rz. 78; Hohenstatt/Dzida in HWK, 9. Aufl. 2020, § 51 BetrVG Rz. 7. 3 Dies folgt daraus, dass gem. § 28 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3, § 27 Abs. 1 BetrVG ein Betriebsausschuss gebildet sein muss, BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 21. Vgl. für den Gesamtbetriebsrat § 51 Abs. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1, § 28 Abs. 1 u. 2 BetrVG, dazu Mauer in BeckOK/ArbR, 62. Ed. Stand: 1.12.2021, § 51 BetrVG Rz. 13; Fitting, § 51 BetrVG Rz. 23; Koch in ErfK, § 51 BetrVG Rz. 5; Deinert in DKW, § 51 BetrVG Rz. 80; ähnlich BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 21.

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§ 15 Rz. 15.37

Implementierung von Softwareanwendungen

– dass die technischen Feinheiten neuartiger IT-Technologien es erforderlich machen, einen spezialisierten gemeinsamen IT-Lenkungsausschuss zu gründen, damit sich dessen Ausschussmitglieder das notwendige Detailwissen erarbeiten können, um sachgerecht zu entscheiden, – dass die automatisierte Datenspeicherung und Verarbeitung effektive, aber auch praktikable Vorkehrungen erfordert, um die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter angemessen zu schützen, – dass Mitarbeiter regelmäßig neue Fähigkeiten erwerben müssen, um die neuartigen IT-Technologien zu bedienen und der Arbeitgeber sie bei dieser Herausforderung jederzeit durch Schulungen und andere Fördermaßnahmen unterstützt und begleitet, – dass Rahmenbedingungen für den Einsatz von IT-Technologien im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und Transparenz soweit als möglich vereinheitlicht werden sollen1. Mit dieser Zielsetzung beschließen die Gesamtbetriebsparteien was folgt: § 1 Persönlicher und sachlicher Geltungsbereich (1) Diese RahmenGBV gilt für alle Betriebe des Unternehmens, die in den Zuständigkeitsbereich des Gesamtbetriebsrats fallen (im Folgenden „unser Unternehmen“). (2) Diese RahmenGBV gilt für alle Mitarbeiter unseres Unternehmens einschließlich der zur Berufsbildung Beschäftigten mit Ausnahme der leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG (im Folgenden „Mitarbeiter“). (3) Diese RahmenGBV gilt in sachlicher Hinsicht für alle in unserem Unternehmen eingesetzten oder geplanten informations- und kommunikationstechnischen Systeme, welche personenbezogene Daten von Mitarbeitern erheben oder anderweitig verarbeiten und a)

deren Regelung originär in den Zuständigkeitsbereich des Gesamtbetriebsrates fällt (§ 50 Abs. 1 BetrVG), z.B., weil das System nach Konzept des Arbeitgebers betriebsübergreifend Beschäftigtendaten erheben soll und die in einem Betrieb erhobenen Daten ganz oder z.T. in einem anderen Betrieb verarbeitet werden,

b)

deren Regelung aufgrund einer Delegation örtlicher Betriebsräte (§ 50 Abs. 2 BetrVG) durch den Gesamtbetriebsrat erfolgen soll

(im Folgenden: „IT-Systeme“). § 2 IT-Lenkungsausschuss (1) Die Gesamtbetriebsparteien gründen hiermit einen IT-Lenkungsausschuss als gemeinsamen Ausschuss i.S.d. § 28 Abs. 2 BetrVG. Der Arbeitgeber und der Gesamtbetriebsrat bestimmen jeweils zwei Personen und für den Fall ihrer Verhinderung einen Stellvertreter und entsenden sie als ihre jeweiligen Vertreter und feste Mitglieder in den IT-Lenkungsausschuss2. Der IT-Lenkungsausschuss kann jederzeit weitere Personen als Berater ohne Stimmrecht hinzuziehen. (2) Der Gesamtbetriebsrat überträgt hiermit seinen Ausschussvertretern zur selbständigen Erledigung die Aufgabe, alle Mitbestimmungsrechte (insbesondere § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), die sich im Zusammenhang mit der Einführung, Änderung und Ausgestaltung von IT-Systemen ergeben, durch den Abschluss von Gesamtregelungsabreden3 auszuüben, soweit diese Gesamtregelungsabreden die übergeordneten

1 Wichtig ist, dass sich Betriebsrat und Arbeitgeberseite auf eine lösungsorientierte Verhandlungs- und Gesprächskultur und gemeinsame Grundüberzeugen im Umgang mit IT verständigen. Es empfiehlt sich, dieses Grundverständnis in einer Präambel niederzulegen. 2 Die Zahl der Ausschussmitglieder wird durch Betriebsrat und Arbeitgeber nach freiem Ermessen festgelegt. Die Betriebsratsmehrheit ist nicht dazu verpflichtet, auch Repräsentanten einer Minderheitenliste in den Ausschuss zu entsenden, BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 38 ff. Auf diese Weise kann eine störende Betriebsratsminderheit aus den Verhandlungen herausgehalten werden. 3 Der gemeinsame Ausschuss kann nicht dazu ermächtigt werden, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, DB 1994, 989 = juris Rz. 25.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 15.37 § 15

Vorgaben dieser RahmenGBV und anderer Gesamtbetriebsvereinbarungen beachten. Der Arbeitgeber ermächtigt seine in den Ausschuss entsandten Vertreter hiermit entsprechend. (3) Der IT-Lenkungsausschuss trifft seine Entscheidungen in förmlichen Ausschusssitzungen, die stets protokolliert werden; Ausschusssitzungen können auch per Videokonferenz durchgeführt werden. Der ITLenkungsausschuss entscheidet nur einvernehmlich mit den Stimmen beider Vertreter des Gesamtbetriebsrates1 und beider Vertreter des Arbeitgebers. Protokollierte einvernehmliche Entscheidungen des IT-Lenkungsausschusses über mitbestimmte Regelungsfragen i.S.d. Abs. 2 verstehen die Betriebsparteien (§§ 133, 157 BGB) als Abschluss einer Gesamtregelungsabrede gem. Abs. 2, soweit nicht im Ausnahmefall Abweichendes zum Ausdruck gebracht wurde. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sind diese Regelungsabreden mit der Frist nach § 77 Abs. 5 BetrVG kündbar und wirken im Falle ihrer Kündigung analog § 77 Abs. 6 BetrVG nach2. Die Regelungsabreden werden durch den Arbeitgeber umgesetzt. (4) Das Recht beider Gesamtbetriebsparteien, die Einigungsstelle anzurufen, um Streitfragen beizulegen, bleibt unberührt. § 3 Verfahren bei der Einführung und wesentlichen Änderung von IT-Systemen (1) Bei der Einführung und wesentlichen Änderung aller IT-Systeme gelten stets die folgenden allgemeinen Grundsätze: Die Einführung und wesentliche Änderung aller IT-Systeme erfolgt unter gemeinsamer und kooperativer Abstimmung der Mitglieder des IT-Lenkungsausschusses, welche den Arbeitgeber und den Gesamtbetriebsrat im Rahmen geordneter Verfahren verbindlich vertreten. Die Gesamtbetriebsparteien sind sich einig, dass der Gesamtbetriebsrat seine Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die Einführung, den Betrieb und die Änderung eines IT-Systems abschließend ausgeübt hat und der Arbeitgeber das IT-System betreiben darf, sobald das in Abs. 2 beschriebene Verfahren für dieses IT-System positiv abgeschlossen ist. Die Gesamtbetriebsparteien sind sich einig, dass der Arbeitgeber z.B. im Rahmen von Updates unwesentliche Änderungen an den auf diese Weise genehmigten IT-Systemen einseitig vornehmen darf. Eine wesentliche Änderung, für die der Gesamtbetriebsrat erneut beteiligt werden muss, liegt hingegen vor, wenn – die Änderung des IT-Systems grundlegend andere Datenverarbeitungsvorgänge ermöglicht, die mit erheblichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern verbunden sind, wenn Eingriffe in dieser Intensität oder in vergleichbarer Qualität mit dem ungeänderten IT-System noch nicht möglich waren, – wenn das IT-System infolge der Änderung um neue und grundlegend anders gelagerte Funktionen erweitert wird, welche die Einsatzfelder des IT-Systems im Rahmen der Betriebsorganisation spürbar verändern, – wenn die Änderung gegen spezifische Vorgaben für die Einrichtung oder den Betrieb des IT-Systems verstoßen würde, welche die Gesamtbetriebsparteien zuvor bei Genehmigung des IT-Systems aufgestellt hatten (nachgehend „Betriebsauflagen“). Besteht die Möglichkeit, dass die Änderung eines IT-Systems wesentlich ist, können alle Mitglieder des IT-Lenkungsausschusses eine förmliche Ausschusssitzung einberufen, um diese Frage zu prüfen. (2) Bei der Einführung und wesentlichen Änderung eines IT-Systems (nachgehend: „IT-Projekt“) gehen die Mitglieder des IT-Lenkungsausschusses grundsätzlich nach den folgenden fünf Verfahrensschritten vor: 1 Der gemeinsame Ausschuss kann Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nur mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrates in diesem Ausschuss ausüben, Fitting, § 28 BetrVG Rz. 44. Sind nur zwei Betriebsratsmitglieder entsandt, müssen also stets beide zustimmen. 2 Grundsätzlich wirken Regelungsabreden im Falle ihrer Kündigung nicht nach, BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, Leitsatz, ArbRB 2019, 365. Die Nachwirkung von Regelungsabreden muss deshalb ausdrücklich vereinbart werden, Denecke, jurisPR-ArbR 1/2020 Anm. 1. Dies festzulegen empfiehlt sich aus Arbeitgebersicht, da Regelungsinhalt der maßgeblichen Regelungsabreden die Genehmigung der IT-Systeme ist und sich die Arbeitgeberseite diese Genehmigungswirkung solange wie möglich erhalten will.

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§ 15 Rz. 15.37

Implementierung von Softwareanwendungen

Schritt 1: Der Arbeitgeber informiert den IT-Lenkungsausschuss rechtzeitig und umfassend über geplante IT-Projekte, bevor er mit deren Umsetzung beginnt und insbesondere bevor er externe Anbieter von IT-Systemen verbindlich beauftragt (Informations-Phase). Schritt 2: Der IT-Lenkungsausschuss setzt sich aufgrund der Information abstrakt mit datenschutzrechtlichen Risiken auseinander, die sich im Zusammenhang mit dem IT-Projekt stellen und stellt Vorüberlegungen an, durch welche Vorkehrungen, Konfigurationen oder sonstige Maßnahmen sich diese Risiken angemessen begrenzen lassen. Er kann auch zu dem Ergebnis gelangen, dass keine erheblichen Datenschutzrisiken ersichtlich sind. Der IT-Lenkungsausschuss verschriftlicht seine Vorüberlegungen, z.B. im Sitzungsprotokoll, und teilt sie dem Arbeitgeber mit (Vorüberlegungs-Phase). Schritt 3: Auf Grundlage der Mitteilung ermittelt der Arbeitgeber geeignete Anbieter von IT-Systemen und stimmt mit diesen ab, ob, in welcher Form und mit welchem Kostenaufwand diese ihre Produkte so konfigurieren können, dass den datenschutzrechtlichen Vorüberlegungen des IT-Lenkungsausschusses Rechnung getragen wird. Anschließend stellt der Arbeitgeber dem IT-Lenkungsausschuss geeignete Angebote vor. Die abschließende Auswahl eines externen Anbieters wird unter Beteiligung des IT-Lenkungsausschusses getroffen (Auswahl-Phase)1. Schritt 4: Bei der Konfiguration- und Einrichtung des IT-Systems wird der IT-Lenkungsausschuss umfassend beteiligt. Der IT-Lenkungsausschuss kann, wenn dies zweckmäßig erscheint, mit Zustimmung des Arbeitgebers insgesamt oder durch ausgewählte Ausschussmitglieder die direkte Kommunikation mit dem externen Anbieter des IT-Systems und dessen Rollout-Beauftragten übernehmen2. Der IT-Lenkungsausschuss wird sich unverzüglich zu allen Fragen der Einrichtung des IT-Systems vorabstimmen und Beschlüsse fassen, wenn und soweit dies von einzelnen Ausschussmitgliedern gewünscht wird. Der IT-Lenkungsausschuss wird vom Arbeitgeber jedenfalls dann informiert und um Abstimmung ersucht, wenn ein Testlauf des IT-Systems unter realen Arbeitsbedingungen erfolgt, wenn von vorabgestimmten Datenschutzvorgaben aus wirtschaftlichen, technischen, praktischen oder sonstigen Gründen abgewichen werden soll oder wenn sich bei der Art und Weise der Umsetzung des IT-Projektes wesentliche Abweichungen zum bisherigen Informationsstand des IT-Lenkungsausschusses ergeben. Der IT-Lenkungsausschuss insgesamt oder seine vom Gesamtbetriebsrat entsandten Ausschussmitglieder können jederzeit Dokumentationen3 sowie alle Informationen und Unterlagen vom Arbeitgeber anfordern, die zur Beurteilung des Projektes erforderlich sind (Konfigurations-Phase). Schritt 5: Sobald das IT-Projekt nach Auffassung und Mitteilung des Arbeitgebers soweit abgeschlossen ist, dass das IT-System allgemein und dauerhaft in Betrieb genommen werden kann, verschafft sich der IT-Lenkungsausschuss unverzüglich einen abschließenden Überblick und genehmigt das IT-System endgültig und insgesamt. Der IT-Lenkungsausschuss darf die Genehmigung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wegen Eigenschaften des IT-Systems verweigern, mit denen er sich zuvor im Rahmen von Vorabstimmungen einverstanden gezeigt hatte. Der IT-Lenkungsausschuss kann zusammen mit seiner Genehmigung zum Zwecke des

1 Bereits die Auswahl der Software sollte mit Zustimmung der Betriebsratsvertreter erfolgen, damit sie nicht später dem Arbeitgeber für sich ergebende Folgeprobleme die alleinige Verantwortung zuschieben können. 2 Idealerweise wirken die Betriebsratsmitglieder aktiv an der Umsetzung mit, da dies eine lösungsorientierte Denkweise und die Identifikation mit dem Projekt fördert. 3 Oft fordern Betriebsräte, dass umfangreiche Verfahrens- und Systembeschreibungen angelegt werden. Weil mit deren Erstellung aber ein erheblicher bürokratischer Aufwand verbunden ist (Schulze/Pfeffer, ArbRAktuell 2017, 358 (359)), sollten sich Arbeitgeber nicht voreilig auf allzu starre Vorgaben einlassen.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 15.37 § 15

Datenschutzes Betriebsauflagen für das IT-System festlegen, die er im Rahmen der Beschlussfassung formuliert und protokolliert (Abschluss-Phase). (3) Der IT-Lenkungsausschuss kann jederzeit beschließen, dass von dem Verfahren nach Abs. 2 abgewichen wird, z.B. um dieses zu vereinfachen oder um Besonderheiten des IT-Projektes Rechnung zu tragen. (4) Stellt der IT-Lenkungsausschuss fest, dass für das IT-Projekt gem. Art. 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt werden muss, wird der IT-Lenkungsausschuss das Verfahren nach Abs. 2 in einer Weise gestalten und dokumentieren, dass bei seiner Durchführung zugleich die formalen Anforderungen an die Datenschutz-Folgenabschätzung miterfüllt werden. Der IT-Lenkungsausschuss kann technische oder datenschutzrechtliche Berater beauftragen, die ihn bei dieser Aufgabe unterstützen. § 4 Allgemeine Datenschutzvorgaben1 (1) Beim Betrieb und der Gestaltung der nach Ziff. 3 genehmigten IT-Systeme sind sowohl der Arbeitgeber als auch alle Mitarbeiter2 dazu verpflichtet, die gesetzlichen Datenschutzvorgaben, insbesondere nach § 26 BDSG, einzuhalten. Es gelten die gesetzlichen Grundsätze der Zweckbindung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit, das heißt: – alle Verwendungen personenbezogener Daten müssen festgelegten Zweckbestimmungen folgen; – Datenverarbeitungen erfolgen transparent; – es werden nur mitarbeiterbezogene Daten verwendet, die zur Erfüllung der Arbeitsaufgaben erforderlich sind. (2) Ergänzend und als Konkretisierung des gesetzlichen Datenschutzes stellen die Gesamtbetriebsparteien die folgenden, spezifischen Datenschutzvorgaben i.S.d. Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 BDSG für den Betrieb und die Gestaltung der nach Ziff. 3 genehmigten IT-Systeme auf: a) Die IT-Systeme dürfen grundsätzlich nur insoweit zu Zwecken der Leistungs- und Verhaltenskontrolle verwendet werden, wie dies ihrer originären Zweckbestimmung entspricht (z.B. insoweit, wie das IT-System der Dokumentation von Arbeitsleistungen oder Arbeitszeiten oder Compliance-Zwecken dient). Abweichend von Satz 1 dürfen in IT-Systemen gespeicherte Daten auch unter Zweckänderung zur Verhaltenskontrolle ausgewertet werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass Beschäftigte im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat oder eine anderweitige schwere Pflichtverletzung begangen haben, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und die schutzwürdigen Interessen der Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegen, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind. Strafverfolgungsbehörden kann Zugang zu den in IT-Systemen gespeicherten personenbezogenen Daten gewährt werden, sofern vorstehende Voraussetzungen vorliegen oder die Strafverfolgungsbehörden dies im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages zulässigerweise verlangen. b) Soweit die IT-Systeme dies in der Anbieterkonfiguration technisch zulassen, richtet der Arbeitgeber für alle in den IT-Systemen gespeicherten Beschäftigtendaten automatisierte Löschroutinen ein. Die Löschfristen werden durch den Arbeitgeber nach Maßgabe von Art. 17 DSGVO typisiert. Mitarbeitern ist es untersagt, weitere Kopien von personenbezogenen Daten aufzubewahren, die der

1 Es ist üblich und zweckmäßig, einen einheitlichen Datenschutzstandard mit dem Betriebsrat zu verhandeln, der für alle IT-Systeme gilt. Nicht erforderlich ist es hingegen, die gesetzlichen Datenschutzvorgaben noch einmal vollständig in der Betriebsvereinbarung niederzulegen, jedenfalls dann nicht, wenn die Betriebsvereinbarung keine Erlaubnistatbestandswirkung i.S.d. Art. 88 DSGVO, § 26 Abs. 4 BDSG entfalten soll, Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 11f; a.A. offenbar Körner, NZA 2019, 1389 (1390). 2 Durch die DSGVO wird nur der Arbeitgeber als Verantwortlicher zum Datenschutz verpflichtet. Da Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend gegenüber einzelnen Arbeitnehmern wirken (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), können durch die Betriebsvereinbarung unmittelbare Datenschutzpflichten der Arbeitnehmer begründet werden.

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§ 15 Rz. 15.37

Implementierung von Softwareanwendungen

automatisierten Löschung unterliegen, sofern nicht eine über die Löschfrist hinausgehende Aufbewahrung nach Art. 17 DSGVO gerechtfertigt ist. c) Mitarbeiter erhalten nur insoweit Zugang zu IT-Systemen, als dies jeweils zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Aufgaben notwendig ist. Soweit dies technisch mit zumutbarem Aufwand umsetzbar ist, werden die Berechtigungen von Nutzerkonten entsprechend beschränkt. d) Administrationsrechte für die Konfiguration von IT-Systemen werden ausschließlich für abschließend definierte und passwortgeschützte Administratorkonten eingerichtet. Die Passwörter werden konzeptmäßig geschützt und hierzu lediglich abschließend definierten Mitarbeitern zur Kenntnis gebracht und in zugangsgeschützten Bereichen (z.B. Tresoren, geschützten Datenträgern) verwahrt. Der IT-Lenkungsausschuss wird darüber in Kenntnis gesetzt, welche Mitarbeiter die Passwörter kennen. e) In IT-Systemen gespeicherte Beschäftigtendaten dürfen keinesfalls für folgende Zwecke verarbeitet oder sonst verwendet werden: – Mobbing, gezieltes Bloßstellen und vergleichbare verletzende persönliche Angriffe; – Befriedigung bloßer Neugierde hinsichtlich personenbezogener Daten, die der Mitarbeiter nach seinem vermutlichen oder erklärten Willen geheim halten will; – Öffentlichmachung nicht öffentlicher personenbezogener Daten, insbesondere im Internet, ohne dass dies der Durchführung des Arbeitsverhältnisses dient; – Anlegung geheim gehaltener Übersichten, Akten oder sonstiger geheim gehaltener Dateisysteme mit Informationen über die Persönlichkeit oder das Privatleben von Mitarbeitern. § 5 Beteiligungsrechte der Betriebsräte; Schulungen (1) Mitbestimmungsrechte der örtlichen Betriebsräte bleiben durch diese RahmenGBV unberührt. (2) Der Gesamtbetriebsrat und die örtlichen Betriebsräte sind jederzeit berechtigt, die Einhaltung dieser RahmenGBV zu kontrollieren und zu überprüfen. Zur diesem Zweck wird der Arbeitgeber ihre Auskunftsansprüche (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) umfassend erfüllen und ihnen bei Bedarf aufgrund näherer Vereinbarungen sachverständige Auskunftspersonen (z.B. mit der Systemadministration oder Anwendungsentwicklung betraute Mitarbeiter) zur Verfügung zu stellen (§ 80 Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 BetrVG). Protokolle, Funktionsbeschreibungen und vergleichbare Unterlagen zur Funktionsweise der IT-Systeme stellt der Arbeitgeber erforderlichenfalls zur Verfügung (§ 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). (3) Der Arbeitgeber wird Mitarbeiter im Umgang mit neuen IT-Systemen und etwaigen neuen Funktionen dieser IT-Systeme angemessen schulen. Einzelheiten erörtert der Arbeitgeber mit dem jeweils zuständigen Gesamt- oder örtlichen Betriebsrat unter Beachtung der einschlägigen Beteiligungsrechte. Sofern infolge der Einführung eines IT-Systems Arbeitsplätze entfallen, was durch den Arbeitgeber nicht angestrebt wird, erörtert der Arbeitgeber mit dem jeweils zuständigen Gesamt- oder örtlichen Betriebsrat, ob eine Versetzung der betroffenen Mitarbeiter auf einen anderen Arbeitsplatz, gegebenenfalls zusammen mit einer Umschulung, in Betracht kommt. Die Gesamtbetriebsparteien setzen sich gemeinsam für sachgerechte Lösungen ein, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. § 6 Rechte der Mitarbeiter (1) Die Mitarbeiter haben nach Maßgabe von Art. 15 DSGVO das Recht auf Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten und deren Herkunft, die Empfänger, an die die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung. (2) Darüber hinaus haben Mitarbeiter nach Art. 16-18 DSGVO Ansprüche auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung ihrer personenbezogenen Daten. Wurden die personenbezogenen Daten an Dritte weitergegeben, sind die Dritten über die Ausübung dieser Rechte gem. Art. 19 DSGVO zu informieren. (3) Mitarbeiter können gem. Art. 20 DSGVO die Übertragung ihrer Daten auf einen anderen Verantwortlichen verlangen, beispielsweise auf einen neuen Arbeitgeber nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis.

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Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 15.38 § 15

(4) Mitarbeiter können nach Maßgabe der in Art. 21 Abs. 1 Satz 2 DSGVO geschilderten Interessenabwägung der Verarbeitung der sie jeweilig betreffenden personenbezogenen Daten widersprechen, es sei denn, schutzwürdige Gründe des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses überwiegen oder die Verarbeitung dient der Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen (so Art. 21 Abs. 1 Satz 2 a.E. DSGVO). (5) Verantwortliche Stelle gem. Art. 4 Nr. 7 DSGVO für die im Zuge des Arbeitsverhältnisses erfolgenden Datenverarbeitungsvorgänge, gegenüber der die Betroffenenrechte nach vorstehenden Absätzen geltend zu machen sind, ist der Arbeitgeber, die … Die Mitarbeiter können sich bei datenschutzbezogenen Anliegen an den Datenschutzbeauftragten wenden, dessen Kontaktdaten stets auf der Webseite unseres Unternehmens bekanntgegeben werden (derzeit unter …). (6) Mitarbeiter haben nach Art. 77 DSGVO das Recht zur Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzbehörde. Zuständig am Sitz des Arbeitgebers ist die …1. § 7 Schlussbestimmungen (1) Diese RahmenGBV tritt mit Unterzeichnung in Kraft und kann schriftlich unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Jahresende gekündigt werden. Sie wirkt bis zum Abschluss einer neuen RahmenGBV oder einem verbindlichen Spruch der Einigungsstelle nach. (2) Abweichende Vereinbarungen von dieser RahmenGBV sind nur aufgrund einer Gesamtbetriebsvereinbarung zulässig, die ordnungsgemäß zu beschließen und insbesondere schriftlich niederzulegen ist. (3) Sollte eine Bestimmung dieser RahmenGBV unwirksam sein oder werden, wird die Wirksamkeit der übrigen hiervon nicht berührt. Die Gesamtbetriebsparteien werden anstelle der unwirksamen Klausel eine rechtswirksame treffen, die der unwirksamen inhaltlich so nahe wie möglich kommt. … Ort … Geschäftsführung

… Datum … Gesamtbetriebsratsvorsitzender

Können Mitbestimmungsrechte des (Gesamt-/Konzern-) Betriebsrats nicht nach § 28 BetrVG auf ei- 15.38 nen gemeinsamen Ausschuss übertragen werden, weil der (Gesamt-/Konzern-) Betriebsrat nicht genügend Mitglieder hat, können die Betriebsparteien informelle Arbeitsgruppen bilden, denen keine eigene Rechtsnatur zukommt2. Auch auf diesem Wege ist es möglich, eine verkleinerte Verhandlungsrunde aus spezialisierten Gesamtbetriebsratsmitgliedern und Arbeitgebervertretern zusammenstellen, welche die Einführung der Software untereinander verhandeln. Voraussetzung ist dann allerdings stets, dass das Gesamtgremium des (Gesamt-/Konzern-) Betriebsrates dem Verhandlungsergebnis durch Beschluss seine förmliche Zustimmung erteilt. Andernfalls wären Einigungen einer informellen Arbeitsgruppe für die Betriebsratsseite nicht bindend. Auch in diesen Fällen empfiehlt es sich, das vorgesehene Verfahren in einer Betriebsvereinbarung festzuhalten, um den (Gesamt-/Konzern-) Betriebsrat wenigstens symbolisch an die Verhandlungsergebnisse zu binden, welche die informelle Arbeitsgruppe erarbeitet. Der entsprechende Passus in einer Rahmengesamtbetriebsvereinbarung kann wie folgt gestaltet werden: 1 Nach Art. 13 Abs. 2, Art. 14 Abs. 2 DSGVO muss der Arbeitgeber alle Arbeitnehmer über diese Rechte aufklären. Dies kann auch in einer gem. § 77 Abs. 2 Satz 3 BetrVG ordnungsgemäß bekannt gemachten Betriebsvereinbarung erfolgen. 2 Raab in GK-BetrVG, § 28 BetrVG Rz. 19; vgl. für den Gesamtbetriebsrat Annuß in Richardi, § 51 BetrVG Rz. 22; Franzen in GK-BetrVG, § 51 BetrVG Rz. 47.

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§ 15 Rz. 15.39

Implementierung von Softwareanwendungen

15.39 M 15.2 Passus für Betriebsvereinbarung – Einführung von IT-Systemen/informelle Arbeitsgruppe Passus für Rahmengesamtbetriebsvereinbarung – IT-Systeme … § (…) IT-Lenkungsausschuss (1) Die Gesamtbetriebsparteien gründen einen IT-Lenkungsausschuss als unförmliches Abstimmungs- und Arbeitsgremium, das Entscheidungen über die Einführung und Änderung von IT-Systemen abschließend vorbereitet. Der Arbeitgeber und der Gesamtbetriebsrat entsenden jeweils zwei Personen in den IT-Lenkungsausschuss. Die vom Gesamtbetriebsrat entsandten Ausschussmitglieder sollen zugleich Mitglieder des Gesamtbetriebsrates sein. Der IT-Lenkungsausschuss kann jederzeit weitere Personen als Berater ohne Stimmrecht hinzuziehen. (2) Der Arbeitgeber ermächtigt die von ihm entsandten Ausschussmitglieder, in seinem Namen Gesamtregelungsabreden abzuschließen, durch die der Gesamtbetriebsrat seine Mitbestimmungsrechte (insbesondere gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG), die sich im Zusammenhang mit der Einführung, Änderung und Ausgestaltung von IT-Systemen ergeben, ausübt. Die vom Gesamtbetriebsrat entsandten Ausschussmitglieder stellen durch Rücksprache mit den übrigen Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats sicher, dass sie jederzeit mit dem Rückhalt der Stimmmehrheit des Gesamtbetriebsrats handeln. (3) Der IT-Lenkungsausschuss trifft seine Entscheidungen in förmlichen Ausschusssitzungen, die stets protokolliert werden; Ausschusssitzungen können auch per Videokonferenz durchgeführt werden. Der ITLenkungsausschuss entscheidet nur einvernehmlich, also mit den Stimmen beider vom Gesamtbetriebsrat und beider vom Arbeitgeber entsandten Ausschussmitgliedern. (4) Das Recht beider Gesamtbetriebsparteien, die Einigungsstelle anzurufen, um Meinungsverschiedenheiten beizulegen, bleibt unberührt. § (…) Verfahren bei der Einführung und wesentlichen Änderung von IT-Systemen (1) Bei der Einführung und wesentlichen Änderung aller IT-Systeme gelten stets folgende allgemeine Grundsätze: Die Einführung und wesentliche Änderung aller IT-Systeme erfolgt in gemeinsamer und kooperativer Abstimmung von Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat, die über den IT-Lenkungsausschuss in einem geordneten Verfahren vorgenommen und schließlich durch den Gesamtbetriebsrat bestätigt wird. Die Gesamtbetriebsparteien sind sich einig, dass der Gesamtbetriebsrat seine Mitbestimmungsrechte im Hinblick auf die Einführung, den Betrieb und die Änderung eines IT-Systems abschließend ausgeübt hat und der Arbeitgeber das IT-System betreiben darf, sobald das in Abs. 2 beschriebene Verfahren für dieses IT-System positiv abgeschlossen ist. Die Gesamtbetriebsparteien sind sich einig, dass der Arbeitgeber z.B. im Rahmen von Updates unwesentliche Änderungen an den auf diese Weise genehmigten ITSystemen einseitig vornehmen darf. Eine wesentliche Änderung, für die der Gesamtbetriebsrat erneut beteiligt werden muss, liegt hingegen vor, wenn – die Änderung des IT-Systems grundlegend andere Datenverarbeitungsvorgänge ermöglicht, die mit erheblichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte von Mitarbeitern verbunden sind, wenn Eingriffe in dieser Intensität oder in vergleichbarer Qualität mit dem ungeänderten IT-System noch nicht möglich waren, – wenn das IT-System infolge der Änderung um neue und grundlegend anders gelagerte Funktionen erweitert wird, welche die Einsatzfelder des IT-Systems im Rahmen der Betriebsorganisation spürbar verändern, – wenn die Änderung gegen spezifische Vorgaben für die Einrichtung oder den Betrieb des IT-Systems verstoßen würde, welche die Gesamtbetriebsparteien zuvor bei Genehmigung des IT-Systems aufgestellt hatten (nachgehend „Betriebsauflagen“).

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III. Best Practice

Rz. 15.39 § 15

Besteht die Möglichkeit, dass die Änderung eines IT-Systems wesentlich ist, können alle Mitglieder des IT-Lenkungsausschusses eine förmliche Ausschusssitzung einberufen, um diese Frage zu prüfen. (2) Bei der Einführung und wesentlichen Änderung eines IT-Systems (nachgehend: „IT-Projekt“) gehen die Gesamtbetriebsparteien grundsätzlich nach den folgenden sechs Verfahrensschritten vor: Schritt 1: Der Arbeitgeber informiert den IT-Lenkungsausschuss rechtzeitig und umfassend über geplante IT-Projekte, bevor er mit deren Umsetzung beginnt und insbesondere bevor er externe Anbieter von IT-Systemen verbindlich beauftragt (Informations-Phase). Schritt 2: Der IT-Lenkungsausschuss setzt sich aufgrund der Information abstrakt mit datenschutzrechtlichen Risiken auseinander, die sich im Zusammenhang mit dem IT-Projekt stellen und stellt Vorüberlegungen an, durch welche Vorkehrungen, Konfigurationen oder sonstige Maßnahmen sich diese Risiken angemessen begrenzen ließen. Er kann auch zu dem Ergebnis gelangen, dass keine erheblichen Datenschutzrisiken ersichtlich sind. Der IT-Lenkungsausschuss verschriftlicht seine Vorüberlegungen, z.B. im Sitzungsprotokoll, und teilt sie dem Arbeitgeber mit (Vorüberlegungs-Phase). Schritt 3: Auf Grundlage der Mitteilung ermittelt der Arbeitgeber geeignete Anbieter von IT-Systemen und stimmt mit diesen ab, ob, in welcher Form und mit welchem Kostenaufwand diese ihre Produkte so konfigurieren können, dass den datenschutzrechtlichen Vorüberlegungen des IT-Lenkungsausschusses Rechnung getragen wird. Anschließend stellt der Arbeitgeber dem IT-Lenkungsausschuss geeignete Angebote vor. Die abschließende Auswahl eines externen Anbieters wird unter Beteiligung des IT-Lenkungsausschusses getroffen (Auswahl-Phase). Schritt 4: Bei der Konfiguration- und Einrichtung des IT-Systems wird der IT-Lenkungsausschuss umfassend beteiligt. Der IT-Lenkungsausschuss kann, wenn dies zweckmäßig erscheint, mit Zustimmung des Arbeitgebers insgesamt oder durch ausgewählte Ausschussmitglieder die direkte Kommunikation mit dem externen Anbieter des IT-Systems und dessen Rollout-Beauftragten übernehmen. Der IT-Lenkungsausschuss wird sich unverzüglich zu allen Fragen der Einrichtung des IT-Systems vorabstimmen und Beschlüsse fassen, wenn und soweit dies von einzelnen Ausschussmitgliedern gewünscht wird. Der IT-Lenkungsausschuss wird vom Arbeitgeber jedenfalls dann informiert und um Abstimmung ersucht, wenn ein Testlauf des IT-Systems unter realen Arbeitsbedingungen erfolgt, wenn von vorabgestimmten Datenschutzvorgaben aus wirtschaftlichen, technischen, praktischen oder sonstigen Gründen abgewichen werden soll oder wenn sich bei der Art und Weise der Umsetzung des IT-Projektes wesentliche Abweichungen zum bisherigen Informationsstand des IT-Lenkungsausschusses ergeben. Erhebt der Gesamtbetriebsrat gegen einen Testlauf, über den der IT-Lenkungsausschuss ordnungsgemäß informiert wurde, keine schriftlichen Einwände, ist eine gesonderte Beteiligung des Gesamtbetriebsrates bei dessen Durchführung nicht erforderlich. Der IT-Lenkungsausschuss insgesamt oder seine vom Gesamtbetriebsrat entsandten Ausschussmitglieder können jederzeit Dokumentationen sowie alle Informationen und Unterlagen vom Arbeitgeber anfordern, die zur Beurteilung des Projektes erforderlich sind (Konfigurations-Phase). Schritt 5: Sobald das IT-Projekt nach Auffassung und Mitteilung des Arbeitgebers soweit abgeschlossen ist, dass das IT-System ohne wesentliche Änderung allgemein und dauerhaft in Betrieb genommen werden kann, verschafft sich der IT-Lenkungsausschuss unverzüglich einen abschließenden Überblick und fasst protokolliert Beschluss ob und inwieweit er mit der Inbetriebnahme des IT-Systems einverstanden ist. Der IT-Lenkungsausschuss wird sein Einverständnis zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wegen Eigenschaften des IT-Systems verweigern, mit denen er sich zuvor im Rahmen von Vorabstimmungen einverstanden gezeigt hatte. Der IT-Lenkungsausschuss kann zusammen mit seinem Einverständnis zum Zwecke des Datenschutzes Betriebsauflagen für das IT-System festlegen, die er im Rahmen der Beschlussfassung formuliert und protokolliert.

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§ 15 Rz. 15.39

Implementierung von Softwareanwendungen

Die Gesamtbetriebsparteien verstehen den Beschluss des IT-Lenkungsausschusses als ein Angebot des Arbeitgebers an den Gesamtbetriebsrat (§§ 145, 133, 157 BGB), das IT-Projekt unter den bezeichneten Betriebsauflagen und den Bedingungen dieser RahmenGBV durch Gesamtregelungsabrede zu genehmigen; soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird, handelt es sich um Gesamtregelungsabreden, die auch im Falle ihrer Kündigung nachwirken (Abschluss-Phase). Schritt 6: Die vom Gesamtbetriebsrat entsandten Ausschussmitglieder stellen dem Gesamtbetriebsrat das IT-Projekt und die getroffene Abstimmung unverzüglich vor. Der Gesamtbetriebsrat fasst darüber Beschluss, ob er die Entscheidung des IT-Lenkungsausschusses bestätigt. Die Ausschussmitglieder wirken gegenüber dem Gesamtgremium auf eine positive Beschlussfassung hin. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende teilt den Inhalt des Beschlusses des Gesamtbetriebsrates allen Mitgliedern des IT-Lenkungsausschusses unverzüglich per E-Mail mit. Die Gesamtbetriebsparteien verstehen eine mitgeteilte Bestätigung als Annahme (§§ 133, 157 BGB) der Gesamtregelungsabrede (Bestätigungs-Phase). (3) Der IT-Lenkungsausschuss kann jederzeit beschließen, dass von dem Verfahren nach Abs. 2 abgewichen wird, z.B. um dieses zu vereinfachen oder um Besonderheiten des IT-Projektes Rechnung zu tragen. (4) Stellt der IT-Lenkungsausschuss fest, dass für das IT-Projekt gem. Art. 35 DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchgeführt werden muss, wird der IT-Lenkungsausschuss das Verfahren nach Abs. 2 in einer Weise gestalten und dokumentieren, dass bei seiner Durchführung zugleich die formalen Anforderungen an die Datenschutz-Folgenabschätzung miterfüllt werden. Der IT-Lenkungsausschuss kann technische oder datenschutzrechtliche Berater beauftragen, die ihn bei dieser Aufgabe unterstützen. …

15.40 Als Alternative zu einem gemeinsamen Ausschuss können die Betriebsparteien auch eine Dauereinigungsstelle einrichten (§ 76 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Auch dies ist allerdings nur durch freiwillige Betriebsvereinbarung möglich und kann weder durch ein Gericht noch durch eine andere Einigungsstelle erzwungen werden1. In der Dauereinigungsstelle können die Arbeitgebervertreter die Betriebsratsvertreter mit der Stimme des Einigungsstellenvorsitzenden überstimmen und auf diese Weise auch ohne Konsens IT-Systeme einführen. Nachteilig ist allerdings, dass durch die Einigungsstellenverfahren erhebliche Kosten auflaufen, da zumindest der Vorsitzende vergütet werden muss. Auch läuft das Einigungsstellenverfahren weitaus förmlicher und unflexibler ab als die gemeinsame Zusammenarbeit in einem Ausschuss, insbesondere da sich die Einigungsstelle bei Terminabstimmungen nach dem (oft eng getakteten) Terminkalender des Einigungsstellenvorsitzenden richten muss.

§ 16 Big-Data-Screening und People Analytics I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Big-Data-Screening zur Erstellung anonymer Statistiken . . . . . . . . . . . . . . .

16.1 16.6 16.7

2. Big-Data-Screening zur Vorhersage individuellen Verhaltens . . . . . . . . . . . . 16.10 3. Big-Data-Screening zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . 16.18 III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.19

1 BAG v. 26.8.2008 – 1 ABR 16/07, DB 2008, 2144, Orientierungssatz 3.

336

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I. Worum geht es?

Rz. 16.2 § 16

Literatur: Dzida, Big Data und Arbeitsrecht, NZA 2017, 541; Dzida, People Analytics im Personalbereich, ArbRB 2018, 179; Hoffmann, Möglichkeiten und Zulässigkeit von Künstlicher Intelligenz und Algorithmen im Recruiting – Personalsuche 4.0, NZA 2022, 19; Holthausen, People Analytics, KI und Gestaltung von Betriebsvereinbarungen – Grund-, arbeits- und datenschutzrechtliche An- und Herausforderungen, RdA 2021, 19; Kienbaum, Winning with People Analytics, 2020; Niklas/Thurn, Arbeitswelt 4.0 – Big Data im Betrieb, BB 2017, 1589; Raif/Swidersky, Arbeit 4.0 – Typische Fehler in der digitalen Arbeitswelt vermeiden, GWR 2017, 351; Rudkowski, „Predictive policing“ am Arbeitsplatz, NZA 2019, 72.

I. Worum geht es? Der Begriff Big Data bezeichnet große Mengen elektronischer Daten, die im Tagesgeschäft des Unternehmens angelegt werden und fortlaufend anwachsen. Häufig liegen diese Datenmengen ohne einheitliche Struktur auf unterschiedlichsten Laufwerken und Verzeichnissen und werden in ganz unterschiedlichen organisatorischen Zusammenhängen erhoben und verarbeitet. Ohne technische Hilfe wäre es unmöglich, einen Überblick über den Datenbestand zu bekommen.

16.1

Mit Screening-Algorithmen können Unternehmen ihren Big-Data-Bestand in seiner Gesamtheit 16.2 auswerten. Auf diese Weise lassen sich Querverbindungen zwischen Daten herstellen, die aus völlig unterschiedlichen Kontexten stammen (Data Mining)1. Ist der Datenbestand auf einem einheitlichen Server gespeichert, ist es selbstverständlich, dass Nutzer mit entsprechenden Zugriffsberechtigungen den Datenbestand nach Schlagworten durchsuchen und die Suchergebnisse nach Kriterien ordnen können. Eine Vielzahl der auf dem Markt verfügbaren Software-Anwendungen geht noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie screenen den Datenbestand mit selbständig arbeitenden Algorithmen und bringen auf diese Weise bestimmte und neuartige Erkenntnisse hervor: – Am häufigsten werden deskriptisch-statistische Analysen durchgeführt. Hierbei werden in den Daten enthaltene Informationen lediglich quantitativen Kategorien zugeordnet und anschließend z.B. in Diagrammen, Tabellen oder Grafiken dargestellt. Schlussfolgerungen muss der Leser aus diesen Statistiken selbst ziehen. – Weitergehende Erkenntnisse lassen sich mittels interferenz-statistischen Untersuchungen erzielen. Die Inferenzstatistik ermittelt abstrakte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge. Dies geschieht, indem Gemeinsamkeiten zwischen Trägern einer bestimmten Eigenschaft gesucht werden, die bei einer Vergleichsgruppe, welche den allgemeinen Durchschnitt repräsentiert, nicht vorliegen. Diese Gemeinsamkeiten stellt der Algorithmus als abstraktes Muster dar. Auf diese Weise werden abstrakte Erfahrungssätze generiert, nämlich dass zwischen der Mustergemeinsamkeit der Trägergruppe und der Eigenschaft (wahrscheinlich) ein Ursache-Wirkungszusammenhang besteht. Bei den Erfahrungssätzen handelt es sich um wenn-dann-Schemata, die von bestimmten Eigenschaften eines Trägers (Wenn-Seite) auf bestimmte andere Eigenschaften dieses Trägers schließen (Dann-Schluss). Der Erfahrungssatz ist umso zuverlässiger, je größer die Datenmenge ist, welche der interferenz-statistischen Auswertung zugrunde gelegt wurde, mit der der Erfahrungssatz ermittelt wurde2. – Mit Screening-Verfahren lässt sich individuelles Verhalten prognostizieren. Voraussetzung dafür ist, dass dem Screening-Algorithmus selbst validierte Erfahrungssätze zugrunde liegen. Typischerweise handelt es sich um Erfahrungssätze, die ihrerseits mittels intereferenz-statistischer Untersuchungen gewonnen wurden. Der Algorithmus wendet Erfahrungssätze automatisiert an, indem er sich durch Screening alle Informationen zusammensucht, die auf der Wenn-Seite des Erfahrungssatzes stehen, und anschließend den Dann-Schluss des Erfahrungssatzes zieht.

1 Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1589). 2 Holthausen, RdA 2021, 19 (20).

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§ 16 Rz. 16.3

Big-Data-Screening und People Analytics

16.3 Von People Analytics spricht man, wenn personenbezogene Mitarbeiterdaten durch Screening-Verfahren ausgewertet werden. Im Personalbereich bieten sich für Unternehmen verschiedene Einsatzfelder für Big-Data-Screening-Verfahren und People Analytics: – Durch systemisches, elektronisches Screening sämtlicher, durch das Unternehmen gespeicherter elektronischer Daten können im Rahmen interner Untersuchungen Vorfälle aus der Vergangenheit aufgeklärt werden1. So lassen sich die gespeicherten elektronischen Daten des Unternehmens schnell durchsuchen und E-Mails und sonstige elektronische Informationen aus unterschiedlichsten Kontexten auf einen Schlag zusammenführen. In einem vom LAG Rheinland-Pfalz entschiedenen Fall hatte die Arbeitgeberin z.B. den Verdacht, dass Daten ihrer Kunden an einen Wettbewerber weitergeleitet werden, der diese Kunden dann abwirbt. Als sie ihre Server- und Netzwerkprotokolle mit einer Stichwortsuche zu den Namen der abgeworbenen Kunden screente, stieß sie auf E-Mails eines Mitarbeiters, der Daten dieser Kunden an ein privates Postfach sowie an das Postfach des Wettbewerbers geschickt hatte2. – Unternehmen stehen vielfältige deskriptisch-statistische Analysetools zur Verfügung. In vielen Bereichen stimmen Mitarbeiter ihre Zusammenarbeit z.B. über Work-Flow-Management-Software ab (z.B. bei der Arbeit im SCRUM-Verfahren, dazu Rz. 6.21). Marktübliche Work-Flow-Management-Softwareanwendungen verfügen über Funktionen, mit denen das Arbeitsverhalten der Mitarbeiter jederzeit statistisch ausgewertet werden kann. Der Arbeitgeber kann sich dann in Diagrammen und Tabellen z.B. Erledigungsquoten oder durchschnittliche Zeitaufwände für bestimmte Aufgaben anzeigen lassen. – Mit People Analytics-Algorithmen können Unternehmen interferenz-statistische Auswertungen zu ihren Prozessen und Organisationsstrukturen erstellen lassen und auf diese Weise Schwachstellen erkennen. Hierbei werden zwar zahlreiche personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet. Das Ergebnis der Auswertung ist allerdings abstrakt und statistisch und bezieht sich nicht mehr auf einzelne Personen. Z.B. hatte die Bank of America im Rahmen einer Big-Data-Analyse ihre erfolgreichen mit weniger erfolgreichen Call-Centern verglichen. Hierbei zeigte sich, dass ein entscheidender Unterschiedsfaktor darin lag, wie intensiv die Kollegen während der Arbeit und in Pausen miteinander kommunizieren. In Reaktion auf diese Erkenntnis wurden in allen Call-Centern gemeinsame Pausen eingeführt, um die gemeinsame Kommunikation zu stärken. Dadurch verbesserte sich das Leistungsniveau nachhaltig3. – Als besonders heikel gilt, dass sich mit People Analytics-Algorithmen das Verhalten bestimmter Mitarbeiter oder Bewerber vorhersagen lässt. Z.B. lassen sich Bewerbungsunterlagen nach der voraussichtlichen Eignung bestimmter Kandidaten computergestützt vorsortieren. Um herauszufinden, welche Eigenschaften besonders geeignete Kandidaten typischerweise aufweisen, wird im ersten Schritt üblicherweise eine interferenz-statistische Auswertung der bestehenden Belegschaft vorgenommen. Durch Big-Data-Screening ermitteln Unternehmen hervorstechende personenbezogene Eigenschaften ihrer besonders erfolgreichen sowie der weniger erfolgreichen Mitarbeiter4. Anhand des so gewonnenen Erfahrungssatzes können im zweiten Schritt Bewerbungen bewertet und sortiert werden. Dies erfolgt, indem ein Algorithmus die Bewerbungen automatisiert nach den Eigenschaften screent, die man zuvor bei den besonders erfolgreichen Mitarbeitern gefunden hatte.

16.4 Diese technischen Möglichkeiten werden als ausgesprochen bedrohlich empfunden. Z.T. besteht die Angst, dass Mitarbeiter eines Tages der Kontrolle einer empathielosen KI unterstellt würden, die sie 1 Kort, RdA 2018, 24 (26). 2 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2019 – 5 Sa 226/18, ZD 2019, 369. 3 „This One Simple Management Change Saved Bank Of America $ 15 Million“, Business Insider v. 25.2.2014 (https://www.businessinsider.in/strategy/this-one-simple-management-change-saved-bank-ofamerica-15-million/articleshow/31007654.cms; zuletzt abgerufen: Januar 2022). 4 „Künstliche Intelligenz diskriminiert (noch)“, DIE ZEIT v. 18.10.2018; Dzida, NZA 2017, 541 (542).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 16.8 § 16

dann ohne Rücksicht auf die individuelle Persönlichkeit in statistisch typisierte Durchschnittskategorien „presst“. Gleichzeitig könnte durch das ständige Screenen einer immer detaillierteren elektronischen Datenspur jedes einzelnen Mitarbeiters eine Totalüberwachung eingerichtet werden, der nichts mehr entgeht. Um solche Extremszenarien geht es derzeit allerdings nicht. Die Einsatzfelder und Erkenntnisziele von People Analytics sind weitaus zurückhaltender. In den USA ist der Einsatz von People Analytics-Anwendungen bereits alltäglich1. Mittlerweile im- 16.5 plementieren auch in Deutschland immer mehr Unternehmen People Analytics-Anwendungen. In einer Befragung aus 2020 gaben bereits 51 Prozent der deutschen Unternehmen an, dass sie im HR-Bereich People Analytics für deskriptiv-statistische Auswertungen nutzen. 23 Prozent der Unternehmen nehmen interferenz-statistische Auswertungen vor. 13 Prozent setzten People Analytics-Anwendungen sogar zur Verhaltensvorhersage ein2. Langfristig planen 64 Prozent der deutschen Unternehmen, People Analytics als Bestandteil der Personalarbeit auf- und auszubauen3. Derzeit fürchten allerdings noch viele Unternehmen Widerstand aus der Belegschaft gegenüber der neuen Technologie und Konflikte mit datenschutzrechtlichen Vorgaben. Zudem mangelt es in vielen Unternehmen an fachlicher Expertise für die Implementierung der Software und viele Personaler vertrauen der Datenqualität der bislang am Markt verfügbaren Anwendungen nicht4. Dass sich People Analytics – soweit der Einsatz rechtlich zulässig ist – auf lange Sicht durchsetzen wird, ist trotz dieser Anfangsprobleme absehbar.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Wenn große Datenbestände mit Screening-Verfahren ausgewertet werden, muss sichergestellt sein, dass die gesetzlichen Vorgaben des Datenschutzrechts, des Antidiskriminierungsrechts sowie des Betriebsverfassungsrechts eingehalten werden. Welche datenschutzrechtlichen Anforderungen sich im Einzelnen stellen, richtet sich danach, ob durch das Screening-Verfahren

16.6

– anonyme Statistiken erstellt (dazu Rz. 16.7 ff.), – Vorhersagen zum Verhalten individueller Beschäftigter getroffen (dazu Rz. 16.10 ff.) oder – Pflichtverletzungen im Rahmen interner Untersuchungen aufgedeckt werden sollen (dazu Rz. 16.18).

1. Big-Data-Screening zur Erstellung anonymer Statistiken Statistiken selbst sind rechtlich unbedenklich, wenn sie anonymisiert sind. Dies gilt für deskriptive 16.7 Statistiken genauso wie für Interferenzstatistiken (vgl. zu diesen Begriffen Rz. 16.2). Rechtliche Anforderungen stellen sich allerdings an den Umgang mit den personenbezogenen Daten, durch deren Screening der Arbeitgeber die Statistiken generiert5. Die für statistische Auswertungen verwendeten personenbezogenen Daten müssen auf zulässige Weise erhoben werden. People Analytics-Verfahren knüpfen üblicherweise an Personaldaten (Betriebszugehörigkeit, Alter, Geschlecht, Qualifikation etc.), Leistungsdaten (Beförderungen, Vorgesetztenbewertungen, individuelle Umsätze etc.) sowie Verhaltensdaten (Arbeitsverhalten, Sozialverhalten) an6. Während dem Unternehmen die relevanten Personaldaten und Leistungsdaten überwiegend oh-

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Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1589). Kienbaum, Winning with People Analytics, 2020, S. 5. Kienbaum, Winning with People Analytics, 2020, S. 5. Kienbaum, Winning with People Analytics, 2020, S. 10. Buchner/Tinnefeld in Kühling/Buchner, Art. 89 DSGVO Rz. 15. Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1589 f.).

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16.8

§ 16 Rz. 16.8

Big-Data-Screening und People Analytics

nehin vorliegen, müssen die meisten Verhaltensdaten gesondert erhoben werden1. Zwar kann der Arbeitgeber grundsätzlich mit seinem Direktionsrecht anordnen, dass Mitarbeiter an einer Datenerhebung zu statistischen Zwecken mitwirken. Dabei muss der Arbeitgeber aber folgende rechtlichen Vorgaben beachten: – Besteht ein Betriebsrat, ist er bei der elektronischen Erhebung von Beschäftigtendaten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen2. Personalfragebögen sind nach § 94 BetrVG mitbestimmt3. Werden Interferenzstatistiken durch eine Software erstellt, die mit künstlicher Intelligenz arbeitet, kann der Betriebsrat nach § 80 Abs. 3 BetrVG stets die Beratung durch einen externen Sachverständigen einfordern (vgl. dazu eingehend Rz. 17.15). Sollen die interferenz-statistischen Erkenntnisse zur Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen oder Kündigungen herangezogen werden, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 95 Abs. 1, 2 und 2a BetrVG4). – Wünscht der Arbeitgeber, dass sich die Mitarbeiter bei der Datenerhebung einer Dauerüberwachung aussetzen, die schwerwiegend in ihre Persönlichkeitsrechte eingreift, ist eine datenschutzrechtliche Einwilligung (§ 26 Abs. 3 BDSG) der mitwirkenden Mitarbeiter erforderlich5. Dies ist z.B. der Fall, wenn mittels Wearables Bewegungsprofile von Arbeitnehmern erstellt, das Klangbild ihrer Stimme oder ihr Tippverhaltens auf der Tastatur erfasst oder ihr Internetverhalten oder ihre E-Mails systematisch ausgewertet werden sollen6. – Wurden personenbezogene Daten nicht für Analyseverfahren, sondern zu anderen Zwecken erhoben, muss der Arbeitgeber den Grundsatz der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 2 lit. b DSGVO) beachten. Nach Art. 6 Abs. 4 DSGVO muss die Zweckänderung insgesamt verhältnismäßig sein und darf nicht in einer Weise erfolgen, mit welcher der Mitarbeiter nicht rechnet7. Solange die Zweckänderung eine statistische Auswertung ermöglichen soll, ist sie zwar regelmäßig gem. Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO gerechtfertigt (str.)8. Unzulässig wäre es allerdings, würde der Arbeitgeber personenbezogene Daten in die Analyse mit einbeziehen, die das Unternehmen nicht im Zusammenhang mit der Beschäftigung der Mitarbeiter, sondern in einem beschäftigungsfremden Kontext erlangt hat (z.B. beim Betriebssport oder weil der Mitarbeiter zugleich Kunde des Unternehmens ist). Dagegen dürfen öffentlich zugängliche Daten für People Analytics-Verfahren verwendet werden9. – Nach Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO müssen die betroffenen Personen über den Verarbeitungszweck der zu erhebenden Daten und eine etwaige Zweckänderung bei der Verarbeitung von bereits erhobenen Daten informiert werden10.

16.9 Ist dies praktisch möglich, sollten Mitarbeiterdaten, die zum Zwecke einer statistischen Auswertung zusammengeführt oder gespeichert werden, pseudonymisiert werden. Insbesondere die Mitarbeiterklarnamen – auf die es nicht ankommt – sollten im auszuwertenden Datensatz nicht mehr enthalten

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Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1589 f.). Dzida, ArbRB 2018, 179 (182). Dzida, ArbRB 2018, 179 (182). Dies wurde durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz (BGBl. I 2021 Nr. 32, S. 1762 (1763)) in dem neuen § 95 Abs. 2a BetrVG ausdrücklich klargestellt. Vgl. dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28899, S. 23. Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1592 f.). Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1592 f.); Raif/Swidersky, GWR 2017, 351 (351). Rutkowski, NZA 2019, 72 (73); Holthausen, RdA 2021, 19 (24); Dzida, ArbRB 2018, 179 (181). Hense in Sydow, Art. 89 DSGVO Rz. 12. Strenger allerdings Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1595); für die Zulässigkeit einer Zweckänderung, wenn der Arbeitgeber die Mitarbeiter vorab informiert und ihnen hierbei die Möglichkeit zum Widerspruch einräumt, Hamann in Arnold/Günther, Kapitel 6 Rz. 78. Rutkowski, NZA 2019, 72 (73); Dzida, NZA 2017, 541 (545). Dazu Holthausen, RdA 2021, 19 (25).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 16.10 § 16

sein. Eine vollständige Anonymisierung der auszuwertenden Daten ist meisten nicht möglich. Denn für die meisten Fragestellungen müssen dem Algorithmus derart viele Informationen über jeden einzelnen Mitarbeiter mitgeteilt werden, dass dieser weiterhin identifizierbar bleibt. In solchen Fällen reicht die Pseudonymisierung der erhobenen Daten aus1. Wichtig ist allerdings, dass der Arbeitgeber den nichtanonymisierten Datensatz durch ausreichende Geheimhaltungsmaßnahmen vor unbefugtem Zugriff schützt.

2. Big-Data-Screening zur Vorhersage individuellen Verhaltens Screening-Verfahren gelten datenschutzrechtlich als besonders heikel, wenn sie auf die Prognose des Verhaltens einzelner Beschäftigter zielen. In diesen Fällen kann es unter mehreren Gesichtspunkten zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Beschäftigten kommen: – Der Einsatz von Algorithmen ist unzulässig, wenn sie über die betroffenen Mitarbeiter eine allzu große Menge von personenbezogenen Daten erheben oder durch Verknüpfung zusammenführen (z.B., indem sie deren dienstliche E-Mail-Postfächer und den sie betreffenden E-Mail-Verkehr anderer Mitarbeiter systematisch und automatisiert auswerten). Die Grenze ist dann überschritten, wenn sich die Mitarbeiter einer unzumutbaren Dauerüberwachung ausgesetzt sehen (vgl. zur Dauerüberwachung Rz. 14.19 ff.). Keinesfalls darf der Algorithmus personenbezogene Daten von Arbeitnehmern erheben, an denen ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht und nach denen der Arbeitgeber nach allgemeinen Grundsätzen nicht fragen dürfte (z.B. eine (geplante) Schwangerschaft, getilgte Vorstrafen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit)2. Nach h.M. sind allerdings Algorithmen zulässig, die das Internet automatisch nach öffentlich einsehbaren Informationen zu einem Beschäftigten screenen und diese zusammentragen3, sofern dies transparent und offen erfolgt4 und nicht der Bildung von Persönlichkeitsprofilen dient5. – Eine Persönlichkeitsdurchleuchtung, mit der die tieferliegende Persönlichkeit von Mitarbeitern erforscht werden soll, ist grundsätzlich unzulässig. Kernelement des Persönlichkeitsschutzes ist das Recht eines jeden Menschen, seine tieferliegende psychische Verfassung für sich zu behalten und Ausforschungsversuche zurückzuweisen6. Anders kann es aber im Ausnahmefall sein, nämlich wenn der Mitarbeiter eine Tätigkeit ausüben soll, für die eine bestimmte psychologische Charaktereigenschaft (z.B. eine erhöhte Stressresistenz) erforderlich ist, das technische Auswertungsverfahren transparent ausgestaltet ist, der Mitarbeiter das Ergebnis des technischen Auswertungsverfahren erfährt und Stellung zu diesem Ergebnis nehmen kann und die Letztentscheidung daraufhin durch einen Menschen getroffen wird7. – Der Einsatz von unseriösen und unzuverlässigen Prognosemethoden ist bereits deshalb unzulässig, weil sie zur Erreichung ihres Erkenntniszwecks gar nicht geeignet sind. Sie suggerieren lediglich eine Scheinobjektivität und provozieren so eine willkürliche und unbillige Behandlung. Das Gesetz verlangt, dass der eingesetzte Algorithmus nachweislich dazu geeignet ist, zukünftiges

1 2 3 4 5 6

Ähnlich Holthausen, RdA 2021, 19 (24 f.). Dzida, NZA 2017, 541 (543). Rudkowski, NZA 2019, 72 (74); Dzida, NZA 2017, 541 (545). Kort, RdA 2018, 24 (26). Rudkowski, NZA 2019, 72 (74); Kort, RdA 2018, 24 (26). BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, DB 1983, 2780 = juris Rz. 38; Grimm/Göbel, jM 2018, 278 (282); Dzida, NZA 2017, 541 (545); Rutkowski, NZA 2019, 72 (74); Kort, RdA 2018, 24 (26); Niklas/Thurn, BB 2017, 1589 (1592). 7 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, 4. Aufl. 2020, S. 35 f.; ähnlich Rudkowski, NZA 2019, 72 (76).

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16.10

§ 16 Rz. 16.10

Big-Data-Screening und People Analytics

Verhalten mit einer hinreichenden mathematisch-statistischen Wahrscheinlichkeit vorherzusagen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 BDSG)1.

16.11 Dagegen bestehen keine datenschutzrechtlichen Bedenken, wenn der Algorithmus lediglich anhand von wenigen und offen zutage liegenden Eigenschaften eines Beschäftigten Vorhersagen zu dessen Arbeitsverhalten trifft2. Unschädlich ist, ob die Erfahrungssätze, aus denen der Algorithmus seine Vorhersage herleitet, zuvor durch eine interferenz-statistische Big-Data-Analyse von personenbezogenen Daten der Gesamtbelegschaft entwickelt wurden. Denn grade dies spricht dafür, dass die vom Algorithmus zugrunde gelegten Erfahrungssätze statistisch validiert und deshalb tendenziell objektiv sind. Gäbe es den Algorithmus nicht, müsste die Prognose durch einen Menschen ohne solch eine Orientierungshilfe getroffen werden. Da Menschen Auswahlentscheidungen anhand ihrer individuellen Vorurteilsstruktur treffen würden, ließe dies nicht unbedingt eine bessere Behandlung von Mitarbeitern oder Bewerbern erwarten3.

16.12 Hinweis: Wenn hunderte von Bewerbungen eingehen, kann es auch für die Bewerber fairer sein, wenn ein Algorithmus vorsortiert. Der Personaler würde hinsichtlich der Bewerbungen, welche er überhaupt liest, so oder so eine Vorauswahl treffen. Steht ihm hierzu kein Algorithmus zur Verfügung, würde er sich an anderen und meist noch einseitigeren Kategorien orientieren, z.B. allein der Abschlussnote. Solange die Letztentscheidung durch einen Menschen getroffen wird, spricht deshalb nichts gegen den Einsatz des Algorithmus.

16.13 Der Algorithmus selbst darf keine Personalentscheidungen treffen, die gegenüber Mitarbeitern oder Bewerbern rechtliche Wirkung entfaltet oder sie in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigen könnte, z.B. indem er spürbare Auswirkungen auf ihre Karriereentwicklung hat (Art. 22 Abs. 1 DSGVO). Algorithmen dürfen in solchen Angelegenheiten nur Empfehlungen abgeben. Die Letztentscheidung muss ein Mensch treffen, der die Empfehlung des Algorithmus hinterfragt4.

16.14 Screening-Algorithmen, deren Empfehlungen als Entscheidungsgrundlage zum Umgang mit Mitarbeitern oder Bewerbern verwendet werden, dürfen nicht gegen Diskriminierungsverbote nach § 1 AGG verstoßen. Dies wäre der Fall, wenn sie systematisch die Benachteiligung von Bewerbern oder Mitarbeitern aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität empfehlen5. Eine solche Gefahr besteht vor allem bei selbstlernenden Algorithmen: In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass selbstlernende Algorithmen von sich aus „Vorurteile“ gegenüber bestimmten Rassen, Altersgruppen oder Geschlechtern entwickelt haben oder im Wege der mittelbaren Benachteiligung (§ 3 Abs. 2 AGG) negative Schlüsse aus Eigenschaften zogen, die typischerweise mit einer bestimmten Rasse, Altersgruppe oder einem Geschlecht verknüpft sind (eingehend dazu Rz. 17.12). Dies sollte im Vorfeld durch Programmierung ausgeschlossen werden6.

16.15 Dass ihre personenbezogenen Daten in einen Screening-Algorithmus eingepflegt werden, um ihr Verhalten zu prognostizieren, muss gegenüber Arbeitnehmern offengelegt werden (Art. 5 Abs. 1 lit. a, Art. 13, Art. 14 DSGVO).

16.16 Nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist der Betriebsrat bereits im Planungsstadium über eine angedachte Einführung von Screening-Verfahren zu unterrichten. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen durch den Betriebsrat ist bei der beabsichtigten Einführung oder Anwendung von Künstlicher Intel1 Rudkowski, NZA 2019, 72 (73). Die Vorschrift verpflichtet allerdings nicht zur Einholung von die Wissenschaftlichkeit der Verfahren bestätigenden Prüfsiegeln, Schulz in Gola, Art. 6 DSGVO Rz. 113. 2 Dzida, NZA 2017, 541 (545). 3 Haußmann, RdA 2019, 131 (133). 4 Rutkowski, NZA 2019, 72 (75); Holthausen, RdA 2021, 19 (25 f.); Dzida, ArbRB 2018, 179 (180). 5 Lewinski/de Barros Fritz, NZA 2018, 620. 6 Däubler in Däubler/Beck, AGG, 5. Aufl. 2022, § 7 AGG Rz. 66; Dzida, ArbRB 2018, 179 (181).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 16.18 § 16

ligenz stets erforderlich1. Soweit Screening-Verfahren elektronisch gespeicherte Mitarbeiterdaten verarbeiten, die sich auf deren Leistung oder ihr Verhalten beziehen, steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu2. Müssen Bewerber Angaben über elektronische Fragebögen in den Algorithmus einpflegen, muss der Betriebsrat vor ihrem Einsatz nach § 94 BetrVG zustimmen3. Das Prüfraster des Algorithmus, mit dem Bewerbungen dann sortiert werden, stellt sich regelmäßig als Einstellungsrichtlinie nach § 95 Abs. 1, 2 u. 2a BetrVG dar4. Bei Einstellung ist der Arbeitgeber nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zur umfassenden Unterrichtung über die die Bewerbung betreffenden Unterlagen verpflichtet. Dazu zählen nach zutreffender Auffassung die infolge der Anwendung der Recruiting-Software bzw. künstlicher Intelligenz gewonnenen Erkenntnisse und Kommentare der Recruiter5. Ob ein Einsichtsrecht des Betriebsrats mit Lesezugriff in das Bewerbungsmanagement-Tool besteht, ist umstritten6.

16.17

Hinweis: Der heimliche Einsatz von People Analytics ist unzulässig. Die offene Einführung ist betriebspolitisch allerdings spannungsreich, da Ängste vor einer „Totalüberwachung“ oder empathielosen „Robotervorgesetzten“ aufkommen können. Bevor Verhandlungen mit dem Betriebsrat aufgenommen werden, sollte der Arbeitgeber aus diesem Grund eine durchdachte Kommunikationsstrategie entwerfen, um solchen Ängsten vorzubeugen.

3. Big-Data-Screening zur Aufdeckung von Pflichtverletzungen Hat der Arbeitgeber den Verdacht, dass schwerwiegende Pflichtverletzungen zum Nachteil des Unternehmens begangen werden, kann er Screening-Verfahren einsetzen, um die Tat aufzudecken. Es ist moderner und üblicher Standard, dass alle Unternehmensdaten, insbesondere die E-Mails und die Inhalte der Festplatten aller Mitarbeiter, auf einem gemeinsamen Server gespeichert sind. Diesen Server kann der Arbeitgeber nach bestimmten Suchbegriffen durchforsten. Außerdem steht forensische Software zur Verfügung, die den Datenbestand nach komplexeren Fragestellungen und Kriterien screent. Solange das Screening-Verfahren nicht auf einen individuellen Mitarbeitern zielt, sondern mit seinen Suchbegriffen und Kriterien auf sachbezogene Umstände abstellt, lässt es sich datenschutzrechtlich nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG rechtfertigen7. Ergeben sich – auch infolge des sachbezogenen Screenings – tatsächliche Anhaltspunkte, die einen bestimmten Mitarbeiter in besonderer Weise belasten und so einen tatsachengestützten Verdacht gegen ihn begründen, ist es gem. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG gerechtfertigt, die Screening-Maßnahmen gezielt auf diesen Mitarbeiter auszurichten (d.h. z.B. auf seinen Namen, sein E-Mail-Postfach oder seine Festplatte). Ohne einen qualifizierten Anfangsverdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG wäre es dagegen unzulässig, den zu einem Mitarbeiter gespeicherten elektronischen Gesamtdatenbestand des Unternehmens ohne dessen Wissen systematisch auszuwerten8 (eingehend hierzu Rz. 14.37).

1 Hoffmann, NZA 2022, 19 (23). 2 Rutkowski, NZA 2019, 72 (77); Dzida, ArbRB 2018, 179 (182). 3 Göpfert/Dußmann, NZA-Beilage 2016, 41 (46); Dzida, ArbRB 2018, 179 (182); Hoffmann, NZA 2022, 19 (24). 4 Dzida, ArbRB 2018, 179 (182); Hoffmann, NZA 2022, 19 (24). 5 LAG Köln v. 15.5.2020 – 9 TaBV 32/19, NZA-RR 2021, 76 (78 f.); Hoffmann, NZA 2022, 19 (24). 6 Bejahend LAG Köln v. 15.5.2020 – 9 TaBV 32/19, NZA-RR 2021, 76 (79); zu Recht verneinend Hoffmann, NZA 2022, 19 (24). 7 LAG Rheinland-Pfalz v. 24.1.2019 – 5 Sa 226/18, ZD 2019, 369, Orientierungssatz 6. 8 Hessisches LAG v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, ZD 2019, 323 = juris Rz. 84 ff.; vgl. auch BAG v. 23.3.2021 – 1 ABR 31/19, ArbRB 2021, 235 (Esser) = juris Rz. 26 ff.

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16.18

§ 16 Rz. 16.19

Big-Data-Screening und People Analytics

III. Best Practice 16.19 Wenn Arbeitgeber People Analytics-Anwendungen einsetzen, muss danach unterschieden werden, ob die Anwendung statistische Erkenntnisse (dazu Rz. 16.20) ermitteln soll oder ob sie auf die Vorhersage des Verhaltens einzelner Mitarbeiter (dazu Rz. 16.21) zielt. Sollte die Anwendung beide Funktionen erfüllen, müssen diese Funktionen rechtlich gesondert bewertet werden.

16.20 Statistische Auswertungen sind rechtlich zulässig, wenn sich folgende Checkliste positiv beantworten lässt: – Sind die in die Anwendung einzupflegenden personenbezogenen Daten zulässig erhoben? Wurde bei Daten, die im Wege einer eingriffsintensiven Dauerüberwachung von Mitarbeitern erhoben wurden, zuvor die schriftliche oder textförmliche Einwilligung der betroffenen Mitarbeiter eingeholt? – Konnten die Betroffenen bei der Erhebung der maßgeblichen personenbezogenen Daten damit rechnen, dass diese Daten (auch) zum Zwecke statistischer Auswertung verarbeitet werden? Wurden Einwilligungen eingeholt, wo Mitarbeiter bei Daten, die ursprünglich zu anderen Zwecken erhoben worden waren, mit einer solchen Zweckänderung nicht rechnen konnten? – Wurden die Betroffenen ordnungsgemäß gem. Art. 13, 14 DSGVO informiert, insbesondere über den Zweck der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten?1 – Wurden ausreichende Maßnahmen implementiert, um die im Datensatz enthaltenen personenbezogenen Daten vor Missbrauch und dem Zugriff Unbefugter zu schützen? Wurde der Datensatz nach Möglichkeit pseudonymisiert, insbesondere, indem Klarnamen aus dem Datensatz entfernt wurden? Sind Löschfristen (Art. 17 DSGVO) für den Datensatz implementiert? – Sind die Ergebnisse, welche People Analytics-Anwendungen aus dem Datensatz generieren, vollständig anonymisiert, d.h. so abstrakt, dass kein Rückschluss auf einzelne Personen mehr möglich ist? – Ist vor der elektronischen Verarbeitung der Mitarbeiterdaten der zuständige Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden?

16.21 Die Rechtmäßigkeit des Einsatzes einer Software-Anwendung, mit der das Verhalten individueller Bewerber oder von Mitarbeitern vorhergesagt werden soll, kann summarisch anhand folgender Checkliste geprüft werden: – Erfolgt der Einsatz der Anwendung für die betroffenen Beschäftigten transparent und wurden die Beschäftigten ordnungsgemäß gem. Art. 13, 14 DSGVO über diese Form der Datenverarbeitung informiert? – Ist sichergestellt, dass die betroffenen Personen den (transparenten) Einsatz der Anwendung nicht als Dauerüberwachung empfinden, die sie im Arbeitsalltag spürbar unter Druck setzt oder anderweitig psychisch belastet? – Ist ausgeschlossen, dass die Anwendung personenbezogene Daten von Beschäftigten erhebt (oder sich deren Inhalt aus Indizien selbst erschließt), an denen die Beschäftigten ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse haben, z.B. Gewerkschaftszugehörigkeit, tatsächliche oder geplante Schwangerschaft, Krankheitsdiagnosen, weltanschauliche oder religiöse Überzeugungen sowie getilgte oder nicht im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis stehende Vorstrafen?

1 Im Ausnahmefall kann die Informationspflicht nach Art. 14 Abs. 5 lit. b DSGVO entfallen.

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Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz

§ 17

– Ist ausgeschlossen, dass die Anwendung eine Persönlichkeitsdurchleuchtung von Beschäftigten vornimmt oder ein psychologisches Persönlichkeitsprofil erstellt (vgl. für Fälle, in denen dies ausnahmsweise zulässig ist, Rz. 16.10)? – Ist ausreichend geprüft und gesichert, dass die durch die Anwendung ausgegebenen Verhaltensvorhersagen mit hinreichender, mathematisch-statistischer Wahrscheinlichkeit zutreffen? – Ist sichergestellt, dass stets ein Mensch die Letztentscheidung trifft und alle Empfehlungen der Anwendung bewusst hinterfragt, bevor er dies tut? – Ist (z.B. durch Programmierung oder nach der Natur der Sache) ausgeschlossen, dass die Anwendung bei ihren Wertungen Personen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt (dazu Rz. 16.14)? – Sind die verarbeiteten Datensätze und Verhaltensvorhersagen vor Missbrauch und dem Zugriff Unbefugter geschützt sowie mit angemessenen und automatisierten Löschfristen i.S.d. Art. 17 DSGVO versehen? – Wurde der zuständige Betriebsrat vor dem Einsatz der Anwendung ordnungsgemäß beteiligt (vgl. Rz. 16.16)? – Wurde geprüft, ob eine Datenschutz-Folgenabschätzung i.S.d. Art. 35 Abs. 1 DSGVO erforderlich ist und – sollte das der Fall sein – diese durchgeführt1?

§ 17 Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 1. Rechtsnatur der KI-gesteuerten Weisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6 2. Anforderungen nach der DSGVO . . . . . 17.10

3. 4. 5. III.

Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen . Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17.12 17.14 17.15 17.20

Literatur: Freyler, Robot-Recruiting, Künstliche Intelligenz und das Antidiskriminierungsrecht, NZA 2020, 284; Groß/Gressel, Entpersonalisierte Arbeitsverhältnisse als rechtliche Herausforderung – Wenn Roboter zu Kollegen und Vorgesetzten werden, NZA 2016, 990; Günther/Böglmüller, Künstliche Intelligenz und Roboter in der Arbeitswelt, BB 2017, 53; Höpfner/Daum, Der „Robo-Boss“ – Künstliche Intelligenz im Arbeitsverhältnis, ZFA 2021, 467; Joos, Einsatz von künstlicher Intelligenz im Personalwesen und Beachtung der DS-GVO und des BDSG, NZA 2020, 1216; Offensive Mittelstand, Umsetzungshilfen Arbeit 4.0 Künstliche Intelligenz für die produktive und präventive Arbeitsgestaltung nutzen: Hintergrundwissen und Gestaltungsempfehlungen zur Einführung der 4.0-Technologien, 2019; Steege, Algorithmenbasierte Diskriminierung durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz, MMR 2019, 715.

1 Dazu Holthausen, RdA 2021, 19 (31 f.).

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§ 17 Rz. 17.1

Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz

I. Worum geht es? 17.1 Dass Arbeitnehmer ihre Arbeitsanweisungen von einer künstlichen Intelligenz (KI) empfangen, war bislang allenfalls Zukunftsvision. Dabei wird es nicht mehr lange bleiben. Als eines der ersten Unternehmen weltweit gelang dem japanischen Technikkonzern Hitachi 2015 der erfolgreiche Feldtest einer KI, die als digitaler Vorgesetzter agiert. Die von Hitachi entwickelte Software H ist in der Lage, die Logistik von Lagerhäusern zu koordinieren und hierzu Handlungsanweisungen gegenüber Lagermitarbeitern auszusprechen. Anders als herkömmliche ERP-Systeme passt H seine Anweisungen eigenständig an unvorhergesehene Veränderungen an und optimiert Abläufe fortlaufend, indem die Software ihre immer weiterwachsenden Datenbestände auswertet. Nach eigenen Angaben von Hitachi ist es so frühzeitig gelungen, die Produktivität der Lagerhäuser um 8 Prozent zu steigern1.

17.2 Schon in der Vergangenheit gab es Situationen, bei denen Arbeitnehmer sich bei ihrer Arbeit nach automatisch ausgelösten Signalen richten. Bislang folgte die zugrunde liegende Software jedoch vorhersehbaren Wenn-Dann-Schemata: Typisch ist z.B. eine Software, die bei Eintritt bestimmter, voreingestellter Risikoparameter einen Alarm auslöst; in Reaktion auf den Alarm sind Arbeitnehmer angehalten, einen vorabgestimmten Notfallplan zu befolgen. Komplexe und dynamische Prozesse können durch solch schematische Automatismen nicht gesteuert werden.

17.3 KI geht einen entscheidenden Schritt weiter: Statt auf ein voreingestelltes „Wenn“ stets mit einem voreingestellten „Dann“ zu reagieren, agiert die KI autonom. Sie kann selbständig aus vergangenen Resultaten lernen, eigenes Erfahrungswissen entwickeln und Prozesse fortlaufend optimieren. Gleichzeitig wertet die KI hochkomplexe und in ihrer Zusammensetzung singuläre Sachlagen aus und trifft eigenständige Beurteilungsentscheidungen. Welche Schlüsse die KI zieht, ist für den Menschen nicht mehr vorhersehbar2. Die Rolle des Computerprogrammes wandelt sich vom Instrument zum Akteur. Auf diese Weise kann KI Prozesse wie ein Vorgesetzter steuern.

17.4 Vom „Terminator“ bis zur „Matrix“ ist die Unterdrückung der Menschheit durch außer Kontrolle geratene, intelligente Maschinen ein beliebtes Thema dystopischer Weltuntergangsgeschichten. Deshalb ruft die Herrschaft von KI über Menschen instinktiv negative Assoziationen hervor. Eine Machtergreifung der KI gehört jedoch in den Bereich der Fantasie und ist nichts, womit sich Unternehmen ernsthaft auseinandersetzen müssten. Allerdings stellen sich auch handfeste rechtliche Herausforderungen, wenn Unternehmen Arbeitsanweisungen durch eine KI erteilen lassen (möchten).

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 17.5 Folgende rechtliche Fragestellungen sind zu prüfen, bevor ein Unternehmen Vorgesetztenfunktionen auf eine KI überträgt: – Rechtsgeschäftlich ist es möglich, das Weisungsrecht des Arbeitgebers auf einen Computer zu übertragen (dazu Rz. 17.6 ff.). – Die Software muss dabei so ausgestaltet werden, dass sie den Anforderungen der DSGVO gerecht wird (dazu Rz. 17.10 f.).

1 Hitachi, Pressemitteilung v. 4.9.2015 (https://social-innovation.hitachi/en-vn/case_studies/instruction_ ai; letzter Abruf: Januar 2022); „Bei Hitachi ist jetzt der Kollege Computer Chef“, Welt v. 9.9.2015 (https://www.welt.de/wirtschaft/article146223548/Bei-Hitachi-ist-jetzt-der-Kollege-Computer-Chef.html; letzter Abruf: Januar 2022). 2 Bundesverband der Personalmanager, Zwischen Euphorie und Skepsis KI in der Personalarbeit, S. 12; Steege, MMR 2019, 715 (716); Joos, NZA 2020, 1216 (1216).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 17.9 § 17

– Die Algorithmen der Software dürfen nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung von Arbeitnehmern führen (dazu Rz. 17.12 f.). – Vor Einsatz der Software muss eine arbeitsschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden (dazu Rz. 17.14). – Beteiligungsrechte des Betriebsrates kommen unter mehreren Gesichtspunkten in Betracht (dazu Rz. 17.15 ff.).

1. Rechtsnatur der KI-gesteuerten Weisung Durch Ausübung seines Weisungsrechtes kann der Arbeitgeber Arbeitnehmer dazu verpflichten, den Anweisungen eines Computers Folge zu leisten1.

17.6

Teilweise wird vertreten, ein intelligenter Computer könne genauso wie ein menschlicher Vorgesetzter zur selbständigen Ausübung des Weisungsrechtes ermächtigt werden2. Streng genommen stellt die Ermächtigung eines menschlichen Vorgesetzten allerdings eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung i.S.d. §§ 167 ff. BGB dar3. Als Empfänger einer solchen Vollmacht kommen nur rechtsfähige Rechtssubjekte, also natürliche und juristische Personen sowie teilrechtsfähige Personengesellschaften, in Betracht4, nicht aber Computer und andere Maschinen. Der Computer kann deshalb Weisungen nicht als eigene rechtsgeschäftliche Erklärungen aussprechen5.

17.7

Allerdings kann der Arbeitgeber Arbeitnehmer rechtsgeschäftlich anweisen, den Handlungsaufforde- 17.8 rungen eines Computers Folge zu leisten. In diesem Fall handelt es sich bei den Handlungsaufforderungen des Computers zwar nicht um eigenständige Weisungen i.S.d. § 106 GewO. Missachtete der Arbeitnehmer die Handlungsaufforderungen, würde der Arbeitnehmer allerdings die übergeordnete Weisung seines Arbeitgebers verletzen6. Im Ergebnis kommt dies einer Ermächtigung des Computers gleich: Der Arbeitnehmer wird rechtlich dazu verpflichtet, die Handlungsaufforderungen des Computers umzusetzen. Allerdings ergeben sich einige feine Unterschiede: – Der Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer nicht verpflichten, den Handlungsaufforderungen des Computers „blind“ zu folgen. Stattdessen kann der Arbeitgeber mit seiner Weisung Bedingungen definieren, unter denen die Arbeitnehmer zur Befolgung der Handlungsaufforderungen des Computers verpflichtet oder auch nicht verpflichtet sind. So kann der Arbeitgeber z.B. festlegen, dass Handlungsaufforderungen des Computers dann nicht zu befolgen sind, wenn diese offenkundig widersinnig sind. Vorstellbar ist auch eine Weisung mit dem Inhalt, dass Handlungsaufforderungen des Computers lediglich als Empfehlungen in Erwägung zu ziehen sind, Arbeitnehmer sich aber aus sachlichen Erwägungen über diese Empfehlungen hinwegsetzen dürfen (vgl. Rz. 17.10). – Der Arbeitgeber muss sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausüben (§ 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB). Ob der Arbeitgeber die Weisung nach billigem Ermessen ausgesprochen hat, unterliegt der gerichtlichen Ausübungskontrolle (§ 315 Abs. 3 BGB)7. Da die einzelnen Handlungsaufforderungen des Computers keine Weisungen im Rechtssinne sind, werden sie nicht geson-

1 Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (994); Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (55); Arnold/Winzer in Arnold/ Günther, Kapitel 3 Rz. 270 ff. 2 Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (55); Arnold/Winzer in Arnold/Günther, Kapitel 3 Rz. 271. 3 Fritz in Maschmann/Fritz, Matrixorganisationen, 2019, Rz. D 142. 4 Schubert in MünchKomm/BGB, § 167 BGB Rz. 5. 5 Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (991). 6 Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (992). 7 BAG v. 24.5.2018 – 6 AZR 116/17, ZTR 2018, 518 = juris Rz. 39; BAG v. 18.10.2017 – 10 AZR 330/16, DB 2017, 2869 = juris Rz. 45.

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17.9

§ 17 Rz. 17.9

Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz

dert der Ausübungskontrolle unterzogen. Der gerichtlichen Rechtskontrolle unterliegt lediglich die übergeordnete Weisung des Arbeitgebers an die Arbeitnehmer, den Handlungsaufforderungen des Computers Folge zu leisten. Diese Weisung entspricht billigem Ermessen, wenn den Arbeitnehmern die Ausführung der Handlungsaufforderungen, welche die KI nach ihrer Programmierung hervorbringt, in der Gesamtheit zumutbar ist. Dabei ist dem Arbeitnehmer zuzumuten, für sich genommen widersinnigen Einzelaufforderungen der KI nachzukommen, um zu erproben, ob die KI auf lange Sicht selbständig aus ihren Fehlern lernt. Umgekehrt müssen Arbeitnehmer ihr Verhalten insgesamt nicht nach einer KI ausrichten, deren Weisungen in Einzelfällen Gefahren für Leib und Leben nach sich ziehen können, selbst wenn solche Gefahren bei der Mehrzahl der Weisungen nicht bestehen (§§ 622, 273 BGB).

2. Anforderungen nach der DSGVO 17.10 Nach Art. 22 Abs. 1 DSGVO dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht einer ausschließlich auf einer automatisierten Verarbeitung beruhenden Entscheidung unterworfen werden, die ihnen gegenüber „rechtliche Wirkung entfaltet“ oder sie in ähnlicher Weise „erheblich beeinträchtigt“. Gemeint sind Entscheidungen, durch die sich der rechtliche Status eines Arbeitnehmers verändert1 oder die andere relevante Folgen für die wirtschaftliche oder persönliche Selbstentfaltung der Arbeitnehmer nach sich ziehen2. Bei normalen fachlichen Arbeitsanweisungen, die lediglich die bestehenden Arbeitspflichten konkretisieren, ist dies nicht der Fall. Diese dürfen durch einen Computer ausgesprochen werden3. Dagegen darf das disziplinarische Weisungsrecht nicht auf einen Computer übertragen werden. Insbesondere Entscheidungen über – Abmahnungen, – Kündigungen, – Beförderungen, – Gehaltserhöhungen, – Einstellungen und – Versetzung in gänzlich andere Standorte und Tätigkeitsbereiche darf der Computer nicht autonom treffen4. Allerdings ist es zulässig, dass die KI-Vorschläge unterbreitet, sofern die Letztentscheidung durch einen Menschen in eigener Verantwortung getroffen wird, der die Vorschläge der KI hinterfragt5.

17.11 Soweit die KI personenbezogene Daten der Arbeitnehmer verarbeitet, müssen die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gewahrt werden. Welche Datenschutzvorkehrungen zu ergreifen sind, hängt davon ab, wie intensiv der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer ausfällt. Drei Intensitätsstufen sind zu unterscheiden: 1. Keine besonderen Datenschutzvorkehrungen müssen ergriffen werden, wenn die KI überhaupt nicht erkennt, welchem individuellen Arbeitnehmer sie Weisungen erteilt. So ist z.B. vorstellbar, dass sich der Arbeitnehmer bei Beginn seiner Schicht ein beliebiges Empfangsgerät aus einem Stapel herausgreift, über das er die Weisungen der KI empfängt, und dieses am Ende der Schicht zu-

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Martini in Paal/Pauly, Art. 22 DSGVO Rz. 26; Helfrich in Sydow, Art. 22 DSGVO Rz. 48. Martini in Paal/Pauly, Art. 22 DSGVO Rz. 27; Helfrich in Sydow, Art. 22 DSGVO Rz. 51. Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (56); Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (994). Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (56). Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (56); allgemein Buchner in Kühling/Buchner, Art. 22 DSGVO Rz. 15; Martini in Paal/Pauly, Art. 22 DSGVO Rz. 20.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 17.11 § 17

rücklegt. Sofern die KI lediglich weiß, dass das Empfangsgerät durch einen qualifizierten Arbeitnehmer aktiviert ist, der ihre Weisungen ausführt, aber nicht, um welchen Arbeitnehmer es sich handelt, verarbeitet sie nicht dessen personenbezogene Daten. Bei kleineren Arbeitnehmergruppen ließe sich zwar ggf. rekonstruieren, welcher Arbeitnehmer wann welche im System dokumentierte Arbeitsleistung erbracht hat. Allerdings wäre dies mit einem erheblichen Aufwand verbunden, so dass die personenbezogenen Daten durch Pseudonymisierung (Art. 4 Nr. 5 u. Art. 32 Abs. 1 Halbs. 2 lit. a DSGVO) i.d.R. ausreichend geschützt sind. 2. In den meisten Fällen wird der Arbeitnehmer über ein individualisiertes Benutzerkonto mit der KI kommunizieren, so dass die Software permanent personenbezogene Daten zu seinem Arbeitsverhalten verarbeitet. Solange die KI hierbei keine materiellen Beurteilungen über die Person des Arbeitnehmers vornimmt, sondern lediglich anhand äußerer Kriterien (Formalqualifikation, Auslastung, räumliche Nähe, Schichteinteilung) bewertet, ob sich der Arbeitnehmer für bestimmte Arbeitsaufträge eignet oder diese besser einem anderen Arbeitnehmer zugeteilt werden sollten, ist diese Datenverarbeitung legitim und geht nicht über notwendige Erwägungen hinaus, die auch jeder menschliche Vorgesetzte anstellen würde. Allerdings muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass die erhobenen umfangreichen Datenbestände vor einer Zweckentfremdung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO) geschützt werden, insbesondere indem er Zugriffsbeschränkungen einrichtet (Art. 32 DSGVO) und automatisierte Löschfristen implementiert (Art. 17 DSGVO). 3. Datenschutzrechtlich sensibel wäre hingegen, wenn die KI eine eigenständige Leistungsbewertung von Arbeitnehmern anhand von erhobenen Daten vornimmt. Bei der automatisierten Analyse und Prognose des Leistungsvermögens einzelner Arbeitnehmer handelt es sich um Profiling (ErwG 71 u. Art. 4 Nr. 4 DSGVO)1, an das sich besonders strenge Zulässigkeitsanforderungen stellen: Nach Art. 22 Abs. 1 DSGVO darf die KI auf Grund ihrer Profiling-Analyse keine automatisierten Entscheidungen treffen, welche sich erheblich beeinträchtigend auswirken, und z.B. keinen Arbeitnehmer eigenmächtig „auf die Ersatzbank setzen“, dessen Leistungsniveau sie für unterdurchschnittlich hält2. Die KI darf ihre Bewertung lediglich einem menschlichen Vorgesetzten vorstellen, der dann die weitergehenden Entscheidungen trifft (vgl. Rz. 17.10). Außerdem müssen die zur Prognose des Leistungsverhaltens genutzten Daten unter Zugrundelegung eines wissenschaftlich anerkannten mathematisch-statistischen Verfahrens nachweisbar hierzu geeignet sein (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 DSGVO). Schließlich darf die Leistungsbewertung zu keinem unverhältnismäßigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer führen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG)3. Während automatisierte Bewertungen zulässig sein dürften, die unmittelbar an die Arbeitserfolge anknüpfen, z.B. die Erfolgsquote und Schnelligkeit bei der Ausführung von Aufträgen, ist eine automatisierte Bewertung der psychischen Verfassung und Persönlichkeit von Arbeitnehmern i.d.R. nicht zulässig, insbesondere dann nicht, wenn Informationen außerhalb des Arbeitskontextes herangezogen würden, wie private Interessen und Neigungen4. Anders könnte dies nur sein, wenn Arbeitnehmer ausdrücklich in diese automatisierte Leistungsbewertung einwilligen (§ 26 Abs. 2 BDSG). In jedem Fall müsste der Arbeitgeber eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchführen (§ 35 Abs. 3 lit. a DSGVO).

1 2 3 4

Scholz in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 22 DSGVO Rz. 24. Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (994); allgemein Martini in Paal/Pauly, Art. 22 DSGVO Rz. 21. Scholz in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 4 Nr. 4 DSGVO Rz. 10. Ähnlich Groß/Gressel, NZA 2016, 990 (994 f.).

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§ 17 Rz. 17.12

Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz

3. Diskriminierungsverbote 17.12 Die KI darf bei ihren Entscheidungen nicht gegen Diskriminierungsverbote verstoßen (§ 7 AGG)1. Hierzu muss ausgeschlossen werden, dass ein selbstlernender Algorithmus von sich aus zu dem Schluss gelangt, dass Eigenschaften i.S.d. § 1 AGG – insbesondere Alter, Geschlecht oder Behinderungen – eine andere, benachteiligende Behandlung eines Arbeitnehmers rechtfertigen. Auf den ersten Blick scheint die Diskriminierung durch eine KI abwegig zu sein, weil diese – so glaubt man gemeinhin – objektiv und rational sein müsste. Allerdings existieren stochastisch-rationale Vorurteile2: So wird sich das Vorurteil, dass Arbeitnehmer über einem Lebensalter von 60 Jahren körperlich unterdurchschnittlich belastbar sind, in den Mehrzahl der Fälle als zutreffend erweisen. Dennoch darf die KI Arbeitnehmer dieses Alters nicht generell als unbelastbar „abstempeln“ und aussortieren, da eine solche Schubladenlogik nach § 1 u. § 7 AGG rechtlich missbilligt ist und körperlich fitten 60-Jährigen, die es ebenso gibt, nicht gerecht würde. Tatsächlich hatten selbstlernende Algorithmen in der Vergangenheit immer wieder eine diskriminierende Eigenlogik entwickelt, da es gerade dem Wesen von Algorithmen entspricht, Menschen Gruppen zuzuordnen und von der Gruppenzuordnung auf Eigenschaften zu schließen3 (zu dieser Logik Rz. 16.2). Dabei erfolgten z.B. Benachteiligungen nach Rasse4 oder Geschlecht5. Dies jedoch muss durch Programmierung ausgeschlossen werden.

17.13 Besondere Herausforderungen stellt der Umgang mit schwerbehinderten Arbeitnehmern. Für diese muss die KI einerseits leidensgerechte Beschäftigung zuweisen und dies andererseits so, dass sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können (§ 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX).

4. Arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 17.14 Der KI-gesteuerte Vorgesetzte stellt ein Arbeitsmittel dar (§ 2 Abs. 1 BetrSichV), vor dessen Einsatz eine arbeitsschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden muss6. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung muss ausgeschlossen werden, dass der Einsatz der KI Arbeitnehmer unzumutbar gefährdet (allgemein zur Gefährdungsbeurteilung vgl. Rz. 20.27 ff.). Zum einen darf die KI keine verbindlichen Arbeitsanweisungen erteilen, deren Ausführung mit Gefahr für Leib und Leben der betroffenen Arbeitnehmer einherginge. Zum anderen können sich aus dem Einsatz einer KI besondere psychische Belastungen ergeben (allgemein zur Gefährdungsbeurteilung von psychischen Belastungen vgl. Rz. 21.10 ff.): So kann es passieren, dass die KI durch eine Orientierung an standardisierten Prozessen und quantitativen Kriterien ein monotones Arbeitsumfeld erzeugt, individuelle Potentiale von Arbeitnehmern verkennt und im Arbeitsalltag ein Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation aufkommt, wenn die KI zum Hauptansprechpartner wird7. Dies kann unzumutbare psychische Belastungen auslösen, wenn Arbeitnehmer ausschließlich unter diesen Bedingungen arbeiten müssen. Notfalls muss der Arbeitgeber durch menschliche Intervention einen Ausgleich schaffen.

1 Eingehend Freyler, NZA 2020, 284 (284 ff.); Steege, MMR 2019, 715 (715); Lewinski/de Barros Fritz, NZA 2018, 620 (620 ff.). 2 Freyler, NZA 2020, 284 (285 f.). 3 Freyler, NZA 2020, 284 (285 f.). 4 Steege, MMR 2019, 715 (716). 5 „Amazon verwirft sexistisches KI-Tool für Bewerber“, Handelsblatt v. 12.10.2018 (https://www.handels blatt.com/technik/thespark/machine-learning-amazon-verwirft-sexistisches-ki-tool-fuer-bewerber/ 23179122.html?ticket=ST-538416-UxeKgzyBy1DU0tZRUK45-ap5; letzter Abruf: Januar 2022). 6 Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (54). 7 Offensive Mittelstand, Umsetzungshilfen Arbeit 4.0 Künstliche Intelligenz für die produktive und präventive Arbeitsgestaltung nutzen: Hintergrundwissen und Gestaltungsempfehlungen zur Einführung der 4.0-Technologien, 2019, S. 66.

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III. Best Practice

Rz. 17.20 § 17

5. Beteiligung des Betriebsrates Plant der Arbeitgeber den Einsatz von KI im Rahmen von Arbeitsabläufen, muss er den Betriebsrat 17.15 im Vorfeld rechtzeitig nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG unterrichten. Um sich mit der Funktionsweise der KI vertraut zu machen, hat der Betriebsrat nach § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG stets einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihm einen externen Sachverständigen zur Verfügung stellt. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz1 wurde eine gesetzliche Fiktion eingeführt, nach der die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen in diesen Fällen stets und unwiderleglich vermutet wird2. Der Betriebsrat darf den Sachverständigen allerdings weiterhin nicht selbst beauftragen. Vor dessen Einsatz muss der Betriebsrat eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber schließen, in welcher die Person und Vergütung des Sachverständigen festgelegt werden und sein Auftrag nach Umfang in Inhalt abgegrenzt wird3. Werden für Arbeitnehmer individuelle Benutzerkonten eingerichtet, über welche die KI ihr Arbeitsverhalten individuell erfasst, hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitzubestimmen. Das Beteiligungsrecht besteht hingegen nicht, wenn weder durch die Software noch anderweitig erfasst wird, welcher Arbeitnehmer „am anderen Ende der Leitung“ die Befehle der KI entgegennimmt und ausführt, so dass nur anonymisierte Arbeitnehmerdaten erhoben werden4 (vgl. Rz. 17.11).

17.16

Im Rahmen der arbeitsschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung ist der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen5.

17.17

Soweit die KI das Leistungsverhalten von Arbeitnehmern bewertet, handelt es sich um einen Beurtei- 17.18 lungsgrundsatz, der nach § 94 BetrVG nur mit Zustimmung des Betriebsrates eingeführt werden darf 6. Wirkt die KI, z.B. durch Abgabe von Empfehlungen, an Entscheidungen über die Einstellung, Versetzung, Umgruppierung und Kündigung von Arbeitnehmern mit, liegt ihren Entscheidungen i.d.R. eine Auswahlrichtlinie zugrunde. Der Betriebsrat ist in diesen Fällen nach § 95 Abs. 1 und 2 BetrVG zu beteiligen. Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber einen neuen § 95 Abs. 2a BetrVG eingefügt, der dies ausdrücklich klarstellt. Die Übertragung des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts auf eine KI stellt eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation dar. Nach §§ 111, 112 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat deshalb rechtzeitig und umfassend unterrichten, über einen Interessenausgleich verhandeln und in einem Sozialplan etwaige wirtschaftliche Nachteile ausgleichen.

17.19

III. Best Practice Da im deutschen Rechtsraum noch kein Unternehmen KI-gesteuerte Vorgesetzte eingeführt hat, konnte sich bislang keine Best Practice herausbilden. Die ersten Unternehmen, die dieses Experiment wagen, müssen damit rechnen, im Blickfeld der Öffentlichkeit zu stehen. Dabei werden sie auch auf Skepsis stoßen. Schon aus politischen Gründen bietet es sich deshalb an, zuständige Akteure eigeninitiativ und frühzeitig einzubinden, um Vertrauen zu schaffen.

1 BGBl. I 2021 Nr. 32, S. 1762 ff. 2 Vgl. zur Reichweite dieser Fiktion die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/28899, S. 22 f. 3 Vgl. BAG v. 11.11.2009 – 7 ABR 26/08, ArbRB 2010, 77 = juris Rz. 27; dazu, auch zu möglichen Verhandlungsstrategien des Arbeitgebers, Schulze, ArbRAktuell 2021, 211 (213). 4 Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 53. 5 Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (56). 6 Stück, ArbRAktuell 2020, 153 (155); Fitting, § 84 BetrVG Rz. 30.

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17.20

§ 17 Rz. 17.20

Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz

– Damit die Mitarbeiter des Unternehmens sich nicht in der Rolle eines „Versuchskaninchens“ sehen, sollten Betriebsräte frühzeitig eingebunden werden und für den ersten Testlauf ein Betrieb ausgewählt werden, der dem Vorhaben aufgeschlossen gegenübersteht. – Es empfiehlt sich, die Datenschutzbehörden schon bei Entwicklung der Software um Beratung zu bitten. Zwar sind die Datenschutzbehörden zur Beratung nicht verpflichtet, sondern lediglich befugt, Beratungsleistungen nach eigenem Ermessen zu erbringen, wenn sie das möchten1. Dass die Datenschutzbehörden derart innovative Projekte ignorieren, ist jedoch nicht zu erwarten. – Die Arbeitsschutzbehörden haben einen gesetzlichen Beratungsauftrag (§ 21 Abs. 3 ArbSchG). Um späteren Konflikten vorzubeugen, sollten sie ebenfalls frühzeitig informiert und – wenn sie dies einfordern – eingebunden werden.

17.21 Die Pflicht der Arbeitnehmer, sich nach den Arbeitsanweisungen einer KI zu richten, wird durch Dienstanweisung des Arbeitgebers angeordnet (vgl. Rz. 17.8). Diese kann wie folgt formuliert werden:

17.22 M 17.1 Dienstanweisung zu Arbeitsanweisungen durch KI Testlauf: KI-basierte Betriebsorganisation …2 Für Sie wurde ein Benutzerkonto in der Software … eingerichtet. Die Zugangsdaten erhalten Sie bei der ITAbteilung. Bitten stimmen Sie sich hierzu unverzüglich mit der IT-Abteilung ab. Ab dem … bitten wir Sie täglich bei Dienstbeginn, Ihr Benutzerkonto aufzurufen und sämtliche Arbeitsanweisungen auszuführen, die Ihnen die Software erteilt. Ihre Arbeitsausführung müssen Sie über die Benutzeroberfläche der Software auf die vorgesehene Weise dokumentieren. Sie werden gesondert zu einer Schulung eingeladen, welche Ihnen die Bedienung der Software erläutert. Bitte stellen Sie Ihre Teilnahme an dieser Schulung sicher. Grundsätzlich sind Arbeitsanweisungen der Software genauso verbindlich, wie die Anweisung von menschlichen Vorgesetzten. Es gelten aber folgende Ausnahmen: – Sollten Sie nicht dazu in der Lage sein, die Arbeitsanweisung auszuführen, können und müssen Sie dies in der Software dokumentieren. Informieren Sie bitte außerdem Ihren Vorgesetzten. – Wenn Ihnen Anweisungen der Software widersinnig und unlogisch erscheinen, informieren Sie bitte Ihren Vorgesetzten. Solange der Vorgesetzte Ihnen keine anderweitige Anweisung erteilt, sind die Anweisungen der Software dennoch so rechtzeitig auszuführen, wie die Software dies erwartet. – Arbeitsanweisungen der Software dürfen nicht ausgeführt werden, wenn dies zu Gefahr für Leib oder Leben führen könnte3 oder erkennbare schwere wirtschaftliche Schäden, insbesondere Sachschäden drohen. Schon wenn Sie dies für möglich halten, sollten Sie die Arbeitsanweisungen der Software nicht befolgen. Erhalten Sie von der Software solche Arbeitsanweisungen, müssen Sie Ihren Vorgesetzten unverzüglich informieren. Dokumentieren Sie bitte außerdem in der Software, dass Sie die Arbeitsanweisung aus diesem Grund nicht ausführen konnten. Sollten Sie Fragen oder Verbesserungsvorschläge haben, können Sie sich jederzeit gerne an die IT-Abteilung oder die Personalabteilung wenden, je nachdem ob es um technische oder organisatorische Anliegen geht.

1 Brink, ZD 2020, 59 (59 ff.). 2 Aus betriebspolitischen Gründen sollte eine solche Dienstanweisung mit einer erläuternden Einleitung versehen werden, in der den Mitarbeitern die Software und die mit ihrem Einsatz verbundenen Vorteile erläutert werden. 3 Aus Gründen des Arbeitsschutzes muss diese Einschränkung i.d.R. vorsorglich aufgenommen werden, da schwer vorhersehbar ist, auf welche „Ideen“ ein selbstlernender Algorithmus kommen kann.

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III. Best Practice

Rz. 17.22 § 17

Wir danken Ihnen sehr dafür, dass Sie an diesem zukunftsweisenden Projekt mitwirken. Auf diese Weise leisten Sie einen wichtigen Beitrag für den technischen Fortschritt in der Arbeitsgestaltung, von dem nicht nur unser Unternehmen, sondern auch die Wissenschaft profitiert. Mit freundlichen Grüßen … Geschäftsführer

… Betriebsratsvorsitzender1

1 Betriebspolitisch ist es ein erheblicher Gewinn, wenn der Betriebsrat das Vorhaben mitträgt. Die Unterstützung des Betriebsrates sollte kommunikativ unbedingt hervorgehoben werden.

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4. Teil Schutz von Knowhow § 18 Schutz von Geschäftsgeheimnissen I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 1. Implementierung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen . . . . . . . . . 18.5 2. Reaktionsmöglichkeiten bei Datendiebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.12 a) Fristlose Kündigung . . . . . . . . . . . . . 18.14

b) Strafanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zivilrechtliche Ansprüche gegen Rechtsverletzer . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice 1. Geheimnisschutzkonzepte . . . . . . . . . . . 2. Vereinbarung von Vertragsstrafen . . . . .

18.16 18.19 18.21 18.29

Literatur: Apel/Walling, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz: Überblick und erste Praxishinweise, DB 2019, 891; Bauer/Krieger/Arnold, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014; BeckOK UWG, hrsg. von Fritzsche/Münker/Stollwerck; Bitkom e.V., Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz im digitalen Zeitalter Studienbericht, 2015; Dann/Markgraf, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, NJW 2019, 1774; Eckhoff/Hoene, Geheimnisschutz durch Vertragsgestaltung?, ArbRB 2019, 256; Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, GeschGehG, 1. Aufl. 2020; Höfer, Regierungsentwurf zum Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) aus Geschäftsführersicht: Pflicht zum „Geschäftsgeheimnis-Management“, GmbHR 2018, 1195; Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb: UWG, 40. Aufl. 2022; Köhler/Häferer, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats im Zusammenhang mit Compliance-Systemen, GWR 2015, 159; Maaßen, „Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ für Geschäftsgeheimnisse, GRUR 2019, 352; Naber/Peukert/Seeger, Arbeitsrechtliche Aspekte des Geschäftsgeheimnisgesetzes, NZA 2019, 583; Ohly, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz im Überblick, GRUR 2019, 441; Partsch/Rump, Auslegung der „angemessenen Geheimhaltungsmaßnahme“ im Geschäftsgeheimnis-Schutzgesetz, NJW 2020, 118; Preis/Seiwerth, Geheimnisschutz im Arbeitsrecht nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz, RdA 2019, 351; Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, 1. Aufl. 2019; Richter, Das Geschäftsgeheimnisgesetz und dessen Ausstrahlung in das Arbeitsrecht, ArbRAktuell 2019, 375; Rosenkötter/Seeger, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz, NZBau 2019, 619; Scholtyssek/Judis/Krause, Das neue Geschäftsgeheimnisgesetz – Risiken, Chancen und konkreter Handlungsbedarf für Unternehmen, CCZ 2020, 23; Schulte, Mehr Schutz für Geschäftsgeheimnisse, ArbRB 2019, 143; Stück, Compliance und Mitbestimmung, ArbRAktuell 2015, 337.

I. Worum geht es? Knowhow ist ein wesentlicher Faktor für die Marktstellung von Unternehmen. Teilweise lässt sich 18.1 Knowhow durch Patente und andere gewerbliche Schutzrechte sichern. Für viele Arten von Knowhow gilt dies jedoch nicht. In einigen Fällen sehen Unternehmen von einer Schutzrechtsanmeldung sogar bewusst ab, da sie ihr Wissen im Anmeldeverfahren offenbaren müssten und dies nicht wollen1. Ihren Marktvorsprung können Unternehmen dann nur durch Geheimhaltung ihres Knowhows verteidigen.

1 Apel/Walling, DB 2019, 891 (891).

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§ 18 Rz. 18.2

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

18.2 Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist eine große praktische Herausforderung. Eine Studie des Verbandes Bitkom ergab, dass die Hälfte aller deutschen Unternehmen innerhalb der vorangegangenen zwei Jahre wissentlich Opfer von digitaler Wirtschaftsspionage, Sabotage oder Datendiebstahl geworden sind1. Jährliche Schäden werden auf 51 Milliarden EUR geschätzt2. Der mit Abstand wichtigste Täterkreis sind aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter der Unternehmen selbst3.

18.3 Die bekannten Fälle des Geheimnisdiebstahles sind nur die Spitze des Eisberges4. Lebensnah muss davon ausgegangen werden, dass Geschäftsgeheimnisse permanent gestohlen werden. Viele Mitarbeiter fertigen sich heimlich Privatkopien von Datenbeständen des Unternehmens an, auf die sie während ihrer Arbeit Zugriff haben. Da es sich meistens um digitale Daten handelt, geht das schnell und die Versuchung ist groß: Sobald sich ein Mitarbeiter im Büro alleine wähnt, kann er sich etliche Gigabyte Daten in wenigen Minuten auf ein privates Speichermedium kopieren und hat die Tat damit schon vollendet. Wenn die Mitarbeiter das Unternehmen verlassen und zur Konkurrenz wechseln, nehmen sie diese Daten mit und verwenden dort gestohlene Produktionsskizzen, Kundenlisten oder Entwürfe illegal weiter. Es handelt sich um Alltagskriminalität. Die meisten dieser Vorfälle bleiben unentdeckt. Das Ausmaß der Schäden kann nicht ermessen werden. Unternehmen, die in diesem Bereich keine Vorkehrungen treffen, sind leichte Opfer.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 18.4 Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen wird in Deutschland durch das Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) geregelt, welches am 26.4.2019 in Kraft getreten ist5. – Damit Geschäftsgeheimnisse überhaupt in den Anwendungsbereich des Geschäftsgeheimnisgesetzes fallen und rechtlich geschützt werden, müssen Unternehmen angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen für ihre Geschäftsgeheimnisse implementieren (dazu Rz. 18.5 ff.). – Verstoßen Arbeitnehmer gegen Geheimnisschutzvorgaben, können Arbeitgeber fristlose Kündigungen aussprechen, Strafanzeige erstatten und verschiedene Individualansprüche gegen den ‚Datendieb‘ durchsetzen (dazu Rz. 18.12 ff.).

1. Implementierung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen 18.5 In § 2 Nr. 1 GeschGehG ist der Begriff des Geschäftsgeheimnisses legal definiert. Es muss sich um eine wirtschaftlich wertvolle Information handeln, die auch in Fachkreisen nicht allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich ist und an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse besteht. Mit der seit dem 26.4.2019 geltenden Rechtslage kommt außerdem noch eine weitere Anforderung hinzu6: Als Geschäftsgeheimnisse gelten Informationen nur noch dann, wenn sie Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inha-

1 Bitkom e.V., Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz im digitalen Zeitalter Studienbericht, 2015, S. 8. 2 Bitkom e.V., Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz im digitalen Zeitalter Studienbericht, 2015, S. 17. 3 Bitkom e.V., Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz im digitalen Zeitalter Studienbericht, 2015, S. 20; Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, § 1 Rz. 92. 4 Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, § 1 Rz. 98. 5 Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/943 zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung v. 18.4.2019 (BGBl. I, 466). 6 Vgl. für die Abgrenzung zur alten Rechtslage Apel/Walling, DB 2019, 891 (892 ff.); Scholtyssek/Judis/ Krause, CCZ 2020, 23 (23 ff.); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (620); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (375 f.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 18.8 § 18

ber sind. Nur, wenn das Unternehmen solche angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen implementiert hat, kann es sich auf den Schutz des GeschGehG berufen und die dort geregelten Ansprüche geltend machen1. Im gerichtlichen Verfahren trägt das Unternehmen die Darlegungs- und Beweislast: Geheimnisschutzansprüche des Unternehmens sind nur begründet, wenn das Unternehmen dem Gericht darlegen und im Streitfall beweisen kann, mit welchen Maßnahmen es die streitgegenständlichen Geschäftsgeheimnisse angemessen schützt2.

18.6

Hinweis: Die Implementierung konzeptmäßiger Geheimhaltungsmaßnahmen gebietet sich auch aus praktischen Gründen. Fehlen solche Maßnahmen, bekäme das Unternehmen gar nicht mit, wenn Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse stehlen (vgl. schon Rz. 18.3). Schon deshalb wäre es an der Rechtsverfolgung gehindert.

Implementiert die Geschäftsführung eines Unternehmens keine angemessenen Geheimhaltungsmaß- 18.7 nahmen, liegt ein Verstoß gegen die kaufmännischen Sorgfaltsanforderungen vor. Kommt es deshalb zu Schäden, haften Vorstände (§ 93 AktG) und Geschäftsführer (§ 43 GmbHG) auf Schadensersatz3. Wie hoch die rechtlichen Anforderungen an angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen im Einzelfall genau sind, lässt sich allerdings schwer ermessen4. Richtigerweise muss kein optimaler Schutz gewährleistet sein, sondern es genügt ein noch vertretbares Mindestniveau5. Sofern das Unternehmen Geheimnisschutzmaßnahmen nach einem marktüblichen Gesamtkonzept implementiert und durchsetzt (dazu Rz. 18.21 ff.), sind die Anforderungen hinsichtlich der im Konzept definierten Informationen jedenfalls erfüllt. Grundvoraussetzung eines sachgerechten Geheimnisschutzes ist nach allgemeiner Ansicht, dass das Unternehmen zunächst definiert, welche Informationen es überhaupt als seine Geschäftsgeheimnisse betrachtet6. Um diese Geschäftsgeheimnisse vor Missbrauch durch die eigene Belegschaft zu schützen, kommen anschließend unterschiedliche Maßnahmen in Betracht, nämlich: – Vertragliche Regeln, wie Verschwiegenheitspflichten, Vertragsstrafen, Wettbewerbsverbote oder nachvertragliche Wettbewerbsverbote7; die Aufnahme von Verschwiegenheitsklauseln in den Arbeitsvertrag stellt für sich genommen allerdings noch keine ausreichende Geheimhaltungsmaßnahme dar8;

1 LAG Köln v. 2.12.2019 – 2 SaGa 20/19, ArbRAktuell 2020, 395 (Taut) = juris Rz. 25; Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (620); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (375 f.); Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23 (24); Schulte, ArbRB 2019, 143 (144). Noch nicht abschließend geklärt ist, ob der restriktive Begriff des Geschäftsgeheimnisses über das GeschGehG hinaus ausstrahlt, z.B. auf die allgemeine arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB oder auf die Geheimhaltungspflichten des Betriebsrates nach § 79 BetrVG. Dies wird zu bejahen sein, Preis/Seiwerth, RdA 2019, 351 (353). 2 LAG Düsseldorf v. 3.6.2020 – 12 SaGa 4/20, ArbRB 2020, 334 (Windeln) = juris Rz. 113 ff.; LAG Köln v. 2.12.2019 – 2 SaGa 20/19, ArbRAktuell 2020, 395 (Taut) = juris Rz. 25; Maaßen, GRUR 2019, 352 (360); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (375 f.); Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23 (25); Apel/Walling, DB 2019, 891 (894). 3 Höfer, GmbHR 2018, 1195 (1196); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775). 4 Maaßen, GRUR 2019, 352 (353); Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (584); Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23 (25); Apel/Walling, DB 2019, 891 (894 f.). 5 Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775 f.); Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (584). 6 Maaßen, GRUR 2019, 352 (356); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (376); Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Scholtyssek/Judis/ Krause, CCZ 2020, 23 (26); vgl. auch den Gesetzesentwurf, BT-Drucks. 19/4724, 24. 7 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (585); Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (120); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (376). 8 Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (121); Apel/Walling, DB 2019, 891 (895).

Grimm/Singraven

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18.8

§ 18 Rz. 18.8

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

– Sicherheitstechnische Maßnahmen, insbesondere durch IT-Technik und die Errichtung von Zugangssperren zu bestimmten Räumlichkeiten und Schränken1; – Handlungsanweisungen (§ 106 GewO) an die Belegschaft, die vorgeben, welchen Personen Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden dürfen (Need-to-Know) und in welcher Weise Geschäftsgeheimnisse im Übrigen zu nutzen, zu vervielfältigen und zu verwahren sind2, sowie – Maßnahmen der Personalführung, insbesondere die Benennung von Geheimnisschutzbeauftragten3, die Durchführung von Mitarbeiterschulungen4 und eine effektive Überwachung und die Sanktionierung von Verstößen5.

18.9 Handlungsanweisungen, wie mit Geschäftsgeheimnissen umzugehen ist, kommt dabei eine herausgehobene Bedeutung zu. Verstoßen Arbeitnehmer gegen solche Handlungsanweisungen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1-3 GeschGehG), gelten sie als Rechtsverletzer (§ 2 Nr. 3 GeschGehG)6. Die Konsequenz ist, dass dem Arbeitgeber Individualansprüche nach §§ 6 ff. GeschGehG gegenüber dem Rechtsverletzer zustehen.

18.10 Hinweis: Teilt das Unternehmen Geschäftsgeheimnisse mit externen Geschäftspartnern, sollte schwerpunktmäßig auf vertragliche Geheimhaltungsklauseln zurückgegriffen werden, um die Geschäftsgeheimnisse zu sichern7. Diese Geheimhaltungsklauseln sollten mit Vertragsstrafen versehen werden8. Der Geheimnisschutz zwischen Geschäftspartnern ist allerdings kein Schwerpunkt dieses Kapitels.

18.11 Besteht ein Betriebsrat, so bestimmt er bei der Festlegung von Geheimnisschutzmaßnahmen weitreichend mit. Ein Schwerpunkt des Geheimnisschutzes sind IT-Sicherheitsmaßnahmen, da Geschäftsgeheimnisse überwiegend als elektronische Daten gespeichert sind. Bei Ausgestaltung dieser IT-Sicherheitsmaßnahmen werden mitbestimmte technische Überwachungseinrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG eingeführt und angewendet. Darüber hinaus können Geheimhaltungsmaßnahmen das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer, insbesondere den Umgang der Belegschaftsangehörigen untereinander, betreffen. In diesen Fällen folgt ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dies ist z.B. der Fall, wenn standardisierte Meldeverfahren eingeführt werden sollen9.

2. Reaktionsmöglichkeiten bei Datendiebstahl 18.12 Bekommt ein Unternehmen mit, dass sich ein Arbeitnehmer unerlaubten Zugriff auf seine Geschäftsgeheimnisse verschafft hat, stehen ihm unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung: Das Unternehmen kann den Arbeitnehmer fristlos kündigen (dazu Rz. 18.14 f.), Strafanzeige erstatten (dazu Rz. 18.16 ff.) sowie verschiedene zivilrechtliche Ansprüche gegen den Arbeitnehmer durchsetzen (dazu Rz. 18.19 f.).

1 Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (121); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1776); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (376). 2 Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (120 f.); Maaßen, GRUR 2019, 352 (357 f.). 3 Maaßen, GRUR 2019, 352 (359). 4 Maaßen, GRUR 2019, 352 (359); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1776); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (376). 5 Maaßen, GRUR 2019, 352 (359); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621). 6 Hiéramente in BeckOK/GeschGehG, Stand: 15.12.2021, § 4 GeschGehG Rz. 60 ff., 68 f.; Barth in BeckOK UWG, Stand: 1.12.2021, § 4 GeschGehG Rz. 39. 7 Partsch/Rump, NJW 2020, 118 (121). 8 Apel/Walling, DB 2019, 891 (895). 9 BAG v. 21.7.2009 – 1 ABR 42/08, ArbRB 2009, 295 = juris Rz. 29 ff.; BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, ArbRB 2008, 371 = juris Rz. 68.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 18.14 § 18

18.13

Hinweis: Typischerweise fertigen Arbeitnehmer elektronische Privatkopien von Unternehmensdaten, die Geschäftsgeheimnisse enthalten. Unternehmen bekommen dies z.B. deshalb mit, weil die Arbeitnehmer dabei so große Datenpakete über das Firmeninternet versenden, dass ein voreingestellte Warnfunktion ausgelöst wird. Das Unternehmen will den Verstoß dann zu Abschreckungszwecken angemessen sanktionieren und zugleich herausfinden, welche Daten im Einzelnen betroffen sind. Der Arbeitnehmer soll außerdem dazu gezwungen werden, sämtliche gefertigten Kopien herauszugeben oder zu vernichten. Mit Gewissheit lässt sich letzteres Ziel allerdings kaum erreichen. Hat sich ein Arbeitnehmer elektronische Daten erst einmal privat kopiert, kann er in kürzester Zeit zahlreiche Sicherheitskopien auf unterschiedlichsten Datenträgern fertigen. Ob der Arbeitnehmer nicht ggf. noch weitere Sicherheitskopien der gestohlenen Geschäftsgeheimnisse versteckt hat (z.B. auf einen im Garten vergrabenen USB-Stick), kann das Unternehmen von da an unmöglich sicher ausschließen. Das Einzige, was Unternehmen erreichen können, ist eine ausreichende Abschreckungswirkung zu erzielen, unter deren Eindruck der Arbeitnehmer sich idealerweise nicht mehr traut, die gestohlenen Geschäftsgeheimnisse zu nutzen.

a) Fristlose Kündigung Der Diebstahl von Geschäftsgeheimnissen kann die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Ob dies der Fall ist, hängt allerdings von den Umständen des Einzelfalles ab. Kopiert sich ein Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse zwar formell pflichtwidrig, aber aus lauteren Motiven, z.B. um sie für die Homeoffice-Arbeit zu nutzen oder um sie in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber als Beweismittel zu verwenden, ist eine Kündigung i.d.R. nur nach vorangegangener Abmahnung zulässig1. Eine fristlose Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung kommt dagegen in folgenden Fällen in Betracht: – Stielt ein Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse nachweislich mit dem Ziel, diese Geschäftsgeheimnisse bei einem Konkurrenzunternehmen zu nutzen, sie einem Konkurrenzunternehmen zur Verfügung zu stellen oder seinem Arbeitgeber gezielt zu schaden, handelt es sich um eine Straftat (§ 23 Abs. 1 GeschGehG). Wegen deren Begehung ist die fristlose Kündigung (§ 626 BGB) im Regelfall gerechtfertigt2. – Regelmäßig wird der Arbeitgeber das Motiv des Arbeitnehmers nicht vollständig beweisen können, insbesondere wenn der Arbeitnehmer im Prozess Ausreden und Schutzbehauptungen vorträgt3. Besteht ein dringender Tatverdacht, dass der Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse für unlautere Ziele i.S.d. § 23 Abs. 1 GeschGehG kopiert hat, kommt dann allerdings eine fristlose Verdachtskündigung in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor Kündigungsausspruch ordnungsgemäß anhört (eingehend dazu Rz. 14.33 f.). – Ohne Rücksicht auf das Motiv des Arbeitnehmers ist eine fristlose Kündigung zudem gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer besonders große Mengen geschäftlicher Daten unter Verstoß gegen ein ausdrückliches und zwingendes Verbot privat kopiert4. – Eine fristlose Kündigung ist im Regelfall gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer geschäftliche Datenbestände des Arbeitgebers gezielt löscht5.

1 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, NJW 2015, 109 = juris Rz. 32. 2 BAG v. 8.5.2014 – 2 AZR 249/13, NJW 2015, 109 = juris Rz. 32. 3 Vgl. zur Darlegungs- und Beweislast in Kündigungsrechtsstreit BAG v. 12.5.2010 – 2 AZR 587/08, ArbRB 2011, 7 = juris Rz. 22; BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 1039/06, ArbRB 2009, 196 = juris Rz. 29 ff. 4 Hessisches LAG v. 29.8.2011 – 7 Sa 248/11, ZD 2012, 139 = juris Rz. 50. 5 Hessisches LAG v. 5.8.2013 – 7 Sa 1060/10, ZD 2014, 377 = juris Rz. 62; LAG Baden-Württemberg v. 17.9.2020 – 17 Sa 8/20, Leitsatz, RDV 2021, 105.

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18.14

§ 18 Rz. 18.15

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

18.15 Hinweis: In der Mehrzahl der Fälle werden Geschäftsgeheimnisse durch Arbeitnehmer gestohlen, die ihr Arbeitsverhältnis bereits gekündigt und eine Anschlussbeschäftigung bei einem Wettbewerber gefunden haben. Sie nutzen ihre letzten Arbeitswochen, um sich heimlich Kundenlisten, Programmieralgorithmen, technische Zeichnungen und ähnliche Daten privat zu kopieren. Diese Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber durch Ausspruch einer fristlosen Kündigung naturgemäß nicht abschrecken.

b) Strafanzeige 18.16 Findet der Arbeitgeber heraus, dass sich ein Arbeitnehmer elektronische Dokumente mit Geschäftsgeheimnissen heimlich auf einen privaten Datenträger kopiert hat, liegt i.d.R. der Anfangsverdacht für eine Straftat nach § 23 Abs. 1 GeschGehG vor. Auf Grundlage dieses Anfangsverdachtes kann die Staatsanwaltschaft eine Hausdurchsuchung nach §§ 102, 105 StPO in der Wohnung des beschuldigten Arbeitnehmers durchführen. Idealerweise beschlagnahmt (§ 94 StPO) die Staatsanwaltschaft dabei alle Datenträger und Unterlagen mit gestohlenen Geschäftsgeheimnissen. Um dies zu erreichen, kann das Unternehmen bei der Staatsanwalt Strafanzeige und Strafantrag (§ 158 StPO) stellen und die Hausdurchsuchung ausdrücklich anregen. Die Entscheidung, ob eine Hausdurchsuchung durchgeführt wird oder nicht, liegt allerdings im alleinigen Ermessen der Staatsanwaltschaft (§ 160 StPO) und kann durch das Unternehmen nicht erzwungen werden. Viele Staatsanwälte bleiben untätig.

18.17 Die Einleitung eines Strafverfahrens ist außerdem als Mittel der Abschreckung sinnvoll1. Zeigt sich der Arbeitnehmer kooperativ und gibt er die Unternehmensdaten sämtlich heraus, berücksichtigen die Strafverfolgungsorgane dies strafmildernd und können das Strafverfahren aus Opportunitätserwägungen (§§ 153, 153a StPO) ganz einstellen. „Mauert“ der Arbeitnehmer dagegen, sind schärfere strafrechtliche Sanktionen gerechtfertigt. Dies gibt dem Arbeitnehmer einen zusätzlichen Anreiz, zu kooperieren.

18.18 Hinweis: Viele Staatsanwaltschaften sind überlastet und reagieren auf Strafanzeigen nur schwerfällig. In diesen Fällen ist es oft zielführender, die Strafanzeige bei der Polizei zu erstatten (§ 158 StPO). Zwar wird der Durchsuchungsbeschluss durch die Staatsanwaltschaft beantragt (§ 105 StPO). Viele Staatsanwaltschaften sind aber eher zu einer schnellen Antragstellung bereit, wenn der Fall im Vorfeld durch die Polizei aufbereitet und vorangetrieben wurde. Nachdem das Unternehmen Strafanzeige erstattet hat, sollte es unbedingt telefonischen Kontakt mit den Sachbearbeitern der Strafverfolgungsbehörden halten. Auf diese Weise erfährt das Unternehmen kurzfristig, ob ein Durchsuchungsbeschluss beantragt werden soll oder ob die Strafverfolgungsbehörden dafür kein ausreichendes Aufklärungsinteresse sehen. Wenn die Strafverfolgungsbehörden eine Hausdurchsuchung durchführen wollen, muss das Unternehmen gegenüber dem beschuldigten Arbeitnehmer unbedingtes Stillschweigen bewahren und darf keinesfalls wegen des Verdachts an den Arbeitnehmer herantreten. Die Hausdurchsuchung soll den Arbeitnehmer nämlich überrumpeln, damit er Beweismittel nicht zuvor beiseiteschafft. Ist keine Hausdurchsuchung angedacht, kann das Unternehmen hingegen selbst Ansprüche gegen den Arbeitnehmer durchsetzen und diesen z.B. anhören oder eine einstweilige Verfügung beantragen. Einzelheiten sind mit den Strafverfolgungsbehörden abzustimmen.

c) Zivilrechtliche Ansprüche gegen Rechtsverletzer 18.19 Kann das Unternehmen dem Arbeitnehmer einen Verstoß gegen verbindliche Geheimhaltungspflichten (§ 4 Abs. 1 GeschGehG) nachweisen, gilt der Arbeitnehmer als Rechtsverletzter gem. § 2 Gesch-

1 Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (587).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 18.19 § 18

GehG. Gegenüber dem Rechtsverletzter stehen dem Arbeitgeber unterschiedliche zivilrechtliche Ansprüche zu. Findet das Unternehmen heraus, dass der Arbeitnehmer die Geschäftsgeheimnisse bei einem neuen Arbeitgeber rechtswidrig nutzt, können die Ansprüche auch gegen das neue Arbeitgeberunternehmen begründet sein (§ 12 GeschGehG)1. – Nach § 8 GeschGehG ist der Rechtsverletzter zur Auskunft verpflichtet. U.A. muss der Rechtsverletzter alle in seinem Besitz befindlichen Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe oder elektronische Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern, benennen und mitteilen, gegenüber wem er das Geschäftsgeheimnis bislang offenbart hat. Auf ein Verschulden des Rechtsverletzers kommt es nicht an2. – Gemäß § 7 Nr. 1 GeschGehG muss der Rechtsverletzter in seinem Besitz oder Eigentum stehende Dokumente, Gegenstände, Materialien, Stoffe oder elektronische Dateien, die das Geschäftsgeheimnis enthalten oder verkörpern, entweder vernichten oder herausgeben. Die Wahl liegt beim Anspruchsgläubiger, also beim berechtigten Inhaber des Geschäftsgeheimnisses3. Ob die Rechtsverletzung schuldhaft erfolgte, ist unerheblich4. – Ist eine Wiederholung des Verstoßes zu befürchten, kann der Inhaber des Geschäftsgeheimnisses einen Unterlassungsanspruch geltend machen (§ 6 GeschGehG). Ist die Rechtsverletzung nachgewiesen, wird die Wiederholungsgefahr widerleglich vermutet5. Der Unterlassungsanspruch kann auch dann geltend gemacht werden, wenn noch keine Verletzungshandlung begangen wurde, aber greifbare Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr sprechen6. Das rechtswidrige Verschaffen von Geschäftsgeheimnissen durch einen Arbeitnehmer (§ 4 Abs. 1 GeschGeG) kann die Erstbegehungsgefahr dafür indizieren, dass der Arbeitnehmer das Geschäftsgeheimnis in einem zweiten Schritt gegenüber Dritten offenlegt oder nutzt (§ 4 Abs. 2 GeschGehG). Auch dieser Anspruch besteht verschuldensunabhängig7. Der Rechtsverletzter kann die Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr allerdings durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausräumen8. – Hat der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt, haftet er dem Arbeitgeber auf Schadensersatz (§ 10 GeschGehG). Das Verschulden muss durch den Arbeitgeber bewiesen werden (§ 619a BGB)9. Regelmäßig lässt sich kein konkreter Vermögensschaden beziffern, der aus der Verletzungshandlung resultiert. Ggf. kann der Arbeitgeber in solchen Fällen Schadensersatz in Höhe einer hypothetischen Lizenzgebühr verlangen, nämlich dann, wenn ein Geschäftsgeheimnis gestohlen wurde, für dessen Überlassung die Vereinbarung einer Lizenzgebühr rechtlich möglich und verkehrsüblich ist10. Bei kaufmännischen Geschäftsgeheimnissen, wie z.B. Unternehmensstrategien, ist dies allerdings nur selten der Fall11. Alternativ kann bei der Schadensberechnung auf den Gewinn abgestellt werden, den der Verletzter aus dem gestohlenen Geschäftsgeheimnis zieht. Schließlich bleibt die Möglichkeit, für immateriellen Schaden Ersatz zu verlangen. Dazu muss dem Unternehmen ein immaterieller Schaden entstanden sein, z.B. durch Beschädigung sei-

1 Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23 (27 f.); Reinfeld, Das neue Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, § 4 Rz. 25 ff. 2 Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, § 7 GeschGehG Rz. 10. 3 Spieker in BeckOK/GeschGehG, Stand: 15.3.2020, § 7 GeschGehG Rz. 13. 4 Spieker in BeckOK/GeschGehG, Stand: 15.3.2020, § 7 GeschGehG Rz. 4. 5 Spieker in BeckOK/GeschGehG, Stand: 15.3.2020, § 6 GeschGehG Rz. 10. 6 Ohly in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, § 6 GeschGehG Rz. 41. 7 Hohn-Hein in BeckOK UWG, Stand: 1.12.2021, § 6 GeschGehG Rz. 8. 8 Spieker in BeckOK/GeschGehG, Stand: 15.3.2020, § 6 GeschGehG Rz. 11 ff. 9 Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (377). 10 Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, § 10 GeschGehG Rz. 48. 11 Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, § 10 GeschGehG Rz. 48.

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§ 18 Rz. 18.19

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

nes Rufes1. Kann das Unternehmen – wie sehr oft – nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer ein gestohlenes Geschäftsgeheimnis offengelegt, genutzt oder anderweitig weitergeleitet hat, scheidet der Ersatz eines immateriellen Schadens aus. – Vertragsstrafen wegen Verletzung von Geheimhaltungsvorgaben kann der Arbeitgeber nur dann verlangen, wenn solche Vertragsstrafen im Vorfeld ausdrücklich mit dem Arbeitnehmer vereinbart wurden (§ 339 BGB; vgl. für eine Mustervereinbarung Rz. 18.30).

18.20 Hinweis: Ansprüche auf Auskunft über rechtswidrig erlangte Geschäftsgeheimnisse, auf Unterlassung weiterer Verstöße sowie auf Vernichtung und Herausgabe der Aufzeichnungen kann der Arbeitgeber im Eilfall durch einstweilige Verfügung geltend machen. Ggf. ist der vorsitzende Richter bereit, ohne vorhergehende mündliche Verhandlung eine einstweilige Verfügung zu erlassen (§§ 922, 936 ZPO)2. Ob die Bereitschaft besteht, kann häufig im Vorfeld durch Telefonanruf beim zuständigen Eilrichter des zuständigen ArbG geklärt werden. Erlässt das Gericht die einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung, erfährt der Arbeitnehmer von ihr zunächst nicht. Dies gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, einen Gerichtsvollzieher hinzuzuziehen und den Arbeitnehmer mit einem vollstreckungsfähigen Herausgabetitel zu überrumpeln. Läuft alles planmäßig, lässt der Arbeitnehmer den Gerichtsvollzieher in seine Wohnung herein und gibt allen Datenkopien widerstandslos heraus.

III. Best Practice 1. Geheimnisschutzkonzepte 18.21 Für Unternehmen empfiehlt es sich, Maßnahmen zum Schutz ihrer Geheimnisse nach einem einheitlichen Gesamtkonzept festzulegen3. Nur auf diese Weise lässt sich gewährleisten, dass der Schutz effektiv ausgestaltet ist und durch Gerichte als ausreichend anerkannt wird (vgl. Rz. 18.5). Ihr Schutzkonzept sollten Unternehmen in Textform und in einer für jeden Leser verständlichen Weise darstellen. Nur wenn Arbeitnehmer die einschlägigen Geheimnisschutzregeln lesen und nachvollziehen können, können sie diese bewusst einhalten. Will das Unternehmen vor Gericht Ansprüche nach §§ 6 ff. GeschGehG geltend machen, muss es darlegen und beweisen, dass ausreichende Geheimnisschutzmaßnahmen implementiert sind. Dies ist mit geringem Aufwand und auch kurzfristig im einstweiligen Verfügungsverfahren möglich, wenn das Unternehmen eine textförmliche Darstellung seines Schutzkonzeptes als Beweismittel vorlegen kann4.

18.22 Besteht ein Betriebsrat, muss er bei Aufstellung des Schutzkonzeptes beteiligt werden, da mehrere Einzelfragen seiner Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 u. 6 BetrVG unterliegen (vgl. Rz. 18.11). Fehlt es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrates, sind mitbestimmte Handlungsanweisungen unwirksam und für die Arbeitnehmer unverbindlich5. Entweder vereinbart das Unternehmen sein Schutzkonzept deshalb in Form einer Betriebsvereinbarung oder es lässt das Schutzkonzept durch den Betriebsrat mit einer Regelungsabrede freizeichnen.

1 Kalbfus in Harte-Bavendamm/Ohly/Kalbfus, § 10 GeschGehG Rz. 82; Alexander in Köhler/Bornkamm/ Feddersen, § 7 GeschGehG Rz. 39 ff. 2 Richtigerweise ist der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung geboten, da der Arbeitnehmer Sicherheitskopien der gestohlenen Geschäftsgeheimnisse fertigen und diese verstecken würde, sobald er von der Einleitung des Verfahrens erfährt. 3 Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621). 4 Maaßen, GRUR 2019, 352 (360). 5 Sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Z.B. müssen Arbeitnehmer ohne Zustimmung des Betriebsrates keine IT-Anwendungen nutzen, die ihrer Kontrolle dienen, LAG Nürnberg v. 21.2.2017 – 7 Sa 441/16, Leitsatz, ArbRB 2017, 239.

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III. Best Practice

Rz. 18.24 § 18

Wenn das Unternehmen sein Schutzkonzept erstellt, muss es im ersten Schritt definieren, welche Informationen es überhaupt als seine Geschäftsgeheimnisse ansieht1. Üblich und sinnvoll ist dabei, die Geschäftsgeheimnisse nach bestimmten Geheimhaltungsstufen zu kategorisieren (z.B. Klasse 1, Klasse 2 und Klasse 3). Umso höher die Geheimhaltungsstufe für eine bestimmte Information ist, umso strengere Geheimhaltungspflichten sollten nach dem Konzept zur Anwendung kommen2.

18.23

Damit Geschäftsgeheimnisse angemessen geschützt werden können, muss das Unternehmen zunächst eine geeignete technische Infrastruktur schaffen. Dabei sollte sich das Unternehmen bewusst sein, dass das Hauptrisiko nicht von Hackern oder Industriespionen ausgeht, die sich in das Unternehmen einschleichen. Viel wahrscheinlicher sind Diebstähle durch Mitarbeiter des Unternehmens, die im ordentlichen Geschäftsgang ohnehin Zugriff auf Geschäftsgeheimnisse haben. Der typische Täterkreis sind Führungskräfte und andere höherqualifizierte Mitarbeiter, welche den Ehrgeiz und das kaufmännische Wissen besitzen, um Geschäftsgeheimnisse illegal zu verwerten. Folgende Maßnahmen sind im Regelfall sinnvoll:

18.24

– Für alle Mitarbeiter sollten individualisierte Benutzerkonten mit eigenen Passwörtern erstellt werden, mit denen sie die Unternehmens-IT nutzen. Aus Datenschutzgründen ist es üblich, für alle Computer Bildschirm- und Passwortsperren einzurichten, die sich automatisch einschalten, wenn der Mitarbeiter den Computer für eine bestimmte Zeit nicht nutzt. Für die Benutzerkonten sollten Zugriffsberechtigungen nach einem differenzierten Konzept erstellt werden. Zugriffe, Downloads und Veränderungen von Unternehmensdaten sollten mit Logfiles minutengenau dokumentiert werden. – Werden verdächtige oder ungewöhnlich große Datenpakete über das Internet versandt, sollte die IT-Abteilung durch einen geeigneten Algorithmus automatisiert gewarnt werden. Auf diese Weise werden viele Datendiebe erwischt. – Viele Datendiebe kopieren elektronische Daten mit Geschäftsgeheimnissen auf einen mobilen Datenträger, um sie zu stehlen. Hier besteht eine verbreitete Schutzlücke: In vielen Unternehmen kann die IT dann nur rekonstruieren, dass ein mobiler Datenträger an einen Unternehmenscomputer angeschlossen wurde, aber nicht, welche Daten auf ihn kopiert wurden. Das Unternehmen kann vorbeugen, indem es Softwareanwendungen vorinstalliert, die eine detailliertere Dokumentation ermöglichen, oder indem es USB-Anschlüsse für mobile Datenträger generell sperrt, die nicht durch die IT-Abteilung freigegeben wurden3. – Von den Unternehmensdaten sollten periodisch Sicherheitsbackups erstellt werden, damit Datendiebe die Datenbestände des Unternehmens nicht durch Löschung vernichten können. – Bereiche des Unternehmens, in denen Geschäftsgeheimnisse verwahrt werden, sollten für Außenstehende verschlossen werden. Sofern Mitarbeiter nur bei Einsatz individualisierter Chipkarten Zugang erhalten, lässt sich nachträglich rekonstruieren, wer noch zur späten Nachtzeit oder am Wochenende im Betrieb war. Auch eine Alarmanlage ist sinnvoll4. – Für Papierakten mit Geschäftsgeheimnissen sollten Tresore oder andere verschließbare Behältnisse zur Verfügung stehen. Möglich ist auch, diese in Räumen zu verwahren, zu denen nur wenige ausgewählte Mitarbeiter Zugang und Schlüssel haben. Vor der Entsorgung müssen die Papierakten im Aktenvernichter zerkleinert werden.

1 Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1775); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621). 2 Maaßen, GRUR 2019, 352 (356); Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Scholtyssek/Judis/Krause, CCZ 2020, 23 (26 f.). 3 Maaßen, GRUR 2019, 352 (357). 4 Maaßen, GRUR 2019, 352 (356).

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§ 18 Rz. 18.24

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

– Die IT-Technik des Unternehmens ist gegen Hackerangriffe zu schützen, indem Firewalls und Antivirenprogramme installiert werden und die Nutzerrechte der Mitarbeiteraccounts eingeschränkt werden1. Insbesondere sollten Mitarbeiter ohne Administrationsrechte nicht dazu berechtigt sein, (Schad-)Software zu installieren.

18.25 Selbst die beste technische Infrastruktur kann Geschäftsgeheimnisse nur schützen, wenn sie durch die Mitarbeiter sachgerecht genutzt wird. Um dies zu erreichen, muss das Unternehmen Handlungsvorgaben aufstellen, die Mitarbeiter bei der Nutzung von Geschäftsgeheimnissen beachten müssen. Diese Handlungsvorgaben haben zwei Ziele: Einerseits dürfen Geschäftsgeheimnisse nicht gegenüber Mitarbeitern und sonstigen Personen offengelegt werden, gegenüber denen die Offenlegung nicht erforderlich ist (sog. Need-To-Know-Prinzip)2. Zum anderen sollten Mitarbeiter, denen Geschäftsgeheimnisse offengelegt wurden, keine privaten Aufzeichnungen von diesen Geschäftsgeheimnissen fertigen dürfen, die sie später missbrauchen könnten. Die Schutzvorgaben dürfen den Arbeitsalltag allerdings nicht übermäßig belasten und sollten sich nicht wie eine bürokratische Schikane auswirken. Deshalb können für den Umgang mit Geschäftsgeheimnissen einer vergleichsweise geringen Sensibilität (hierzu sollten Schutzstufen definiert werden, vgl. Rz. 18.23) auch vergleichsweise lockere Regeln aufgestellt werden. Insgesamt empfiehlt es sich, zu folgenden Themenkomplexen Festlegungen zu treffen: – Es bedarf nachvollziehbarer Vorgaben, an wen Geschäftsgeheimnisse weitergegeben werden dürfen. Für Geschäftsgeheimnisse mit hoher Geheimhaltungsstufe können förmliche Freigabeverfahren eingerichtet werden. Zugriffsrechte innerhalb des Unternehmensintranets müssen entsprechend beschränkt werden3. – Es bedarf Festlegungen, auf welche Art von Datenträger elektronische Geschäftsgeheimnisse kopiert werden dürfen und auf welche Datenträger nicht. So ist z.B. eine Vorgabe zweckmäßig, dass Mitarbeiter nur mobile Datenträger nutzen dürfen, welche die IT-Abteilung zu diesem Zweck ausdrücklich freigibt. Es empfiehlt sich, das Abspeichern von Geschäftsgeheimnissen auf privaten Datenträgern und Cloudservern generell zu verbieten4. – Sind Geschäftsgeheimnisse in Papierakten dargestellt, muss festgelegt werden, wie die Papierakten zu beaufsichtigen, zu verwahren, zu transportieren und zu vernichten sind5. – Der Umgang mit externen Besuchern der Betriebsstätte sollte zumindest für Bereiche, in denen Geschäftsgeheimnisse verwahrt werden, geregelt sein6. – Allen Mitarbeitern kann die Pflicht auferlegt werden, Verstöße, von denen sie Kenntnis nehmen, zu melden. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, kann dies als Indiz für mittäterschaftliches Handeln gewertet werden. – Der Umgang mit Geschäftsgeheimnissen im Homeoffice ist zu regulieren. Hier besteht ein besonders hohes Risiko, dass Daten gestohlen werden (vgl. Rz. 1.33 ff.). – Das Unternehmen kann festlegen, dass Geschäftsgeheimnisse mit einem Vertraulichkeitsvermerk zu kennzeichnen sind. Dies sieht z.B. die Verschlusssachenanweisung der Bundesbehörden vor (vgl. § 20 VSA). Obligatorisch ist solche eine Kennzeichnung allerdings nicht7.

1 2 3 4 5 6 7

Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621). Maaßen, GRUR 2019, 352 (357); Ohly, GRUR 2019, 441 (444). Maaßen, GRUR 2019, 352 (357). Ohly, GRUR 2019, 441 (444). Maaßen, GRUR 2019, 352 (358). Maaßen, GRUR 2019, 352 (358). Vgl. die Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drucks. 19/4724, 24.

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III. Best Practice

Rz. 18.28 § 18

18.26

Hinweis: Viele der Schutzmaßnahmen entsprechen den technischen und organisatorischen Maßnahmen (TOM), die zum Schutz personenbezogener Daten implementiert werden müssen (Art. 32 DSGVO). Vorstellbar ist deshalb, insoweit Datenschutz und Geheimnisschutz in einem einheitlichen Konzept zu regeln.

Die maßgeblichen Regeln sollten allen Mitarbeitern in einer nachvollziehbaren Darstellung bekannt 18.27 gegeben werden. Darauf, dass die Mitarbeiter eine vorhandene Betriebsvereinbarung von sich aus lesen und einhalten, kann sich das Unternehmen nicht verlassen. Idealerweise führt das Unternehmen Schulungen durch, um seine Mitarbeiter mit den Anforderungen des Geheimnisschutzes vertraut zu machen1. Solange die Schulungen schwerpunktmäßig Informationsveranstaltungen mit Blick auf die Geheimnisschutzvorgaben des Unternehmens sind, handelt es sich um keine mitbestimmten Bildungsmaßnahmen i.S.d. § 98 BetrVG2 (vgl. eingehend zum Anwendungsbereich dieses Mitbestimmungstatbestandes Rz. 26.31). Geeignete Geheimnisschutzregeln können für ein kleineres Unternehmen, in dem die wichtigsten Prozesse durch den Geschäftsführer persönlich begleitet werden, durch folgende Betriebsvereinbarung festgelegt werden:

M 18.1 Betriebsvereinbarung zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen

18.28

Handlungsrichtlinie zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen Version 1.0 vom … Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, leider kommen Industriespionage und andere Formen des Diebstahls von Geschäftsgeheimnissen immer häufiger vor. Hierbei handelt es sich um Straftaten (§ 23 GeschGehG). Um sich am Markt zu behaupten und ihren Unternehmenswert zu erhalten, ist unser Unternehmen, die … (nachfolgend: „Gesellschaft“) unbedingt darauf angewiesen, ihre Geschäftsgeheimnisse vor Mitbewerbern und anderen unbefugten Interessenten geheim zu halten. Die Unternehmensleitung und der Betriebsrat haben deshalb gemeinsam Vorkehrungen und Maßnahmen abgestimmt, die erforderlich sind, um unsere Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Dabei sind wir auf Ihre Mitwirkung angewiesen. Welche Maßnahmen Anwendung finden, stellt diese Handlungsrichtlinie dar. Die Handlungsrichtlinie hat den Charakter einer Betriebsvereinbarung und findet ab sofort in den Arbeitsverhältnissen aller Mitarbeiter Anwendung3. Der Geschäftsführer weist hiermit auch die leitenden Angestellten ausdrücklich an, sämtliche Vorgaben in dieser Handlungsrichtlinie einzuhalten4. Wir bitten eindringlich darum, die Handlungsrichtlinie gründlich zu lesen und die dargestellten Vorgaben einschränkungslos umzusetzen, auch wenn dies im Einzelfall zusätzlichen Aufwand nach sich zieht. Die Handlungsrichtlinie ist zwingend. Die Geschäftsfüh-

1 Maaßen, GRUR 2019, 352 (359); Dann/Markgraf, NJW 2019, 1774 (1776); Rosenkötter/Seeger, NZBau 2019, 619 (621); Richter, ArbRAktuell 2019, 375 (376). 2 Reinhard, NZA 2016, 1233 (1236); a.A. Köhler/Häferer, GWR 2015, 159 (160); Stück, ArbRAktuell 2015, 337 (339). 3 Auch wenn die Geschäftsgeheimnis-Handlungsrichtlinie als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird, sollte sie nicht „zu juristisch“ formuliert werden. Nur wenn die Mitarbeiter die GeschäftsgeheimnisHandlungsrichtlinie auch lesen und verstehen, kann diese im Alltag gelebt werden. 4 Legt das Unternehmen seine Geheimnisschutzrichtlinie in einer Betriebsvereinbarung nieder, muss es daran denken, seine leitenden Angestellten gesondert zur Einhaltung dieser Betriebsvereinbarung anzuweisen (§ 106 GewO). Andernfalls würde die Betriebsvereinbarung nicht für die leitenden Angestellten gelten (§ 5 Abs. 3 BetrVG). Dabei sind es ausgerechnet die leitenden Angestellten, welche die besonders sensiblen Geschäftsgeheimnisse kennen und typischerweise das kaufmännische Wissen haben, wie sich diese Geschäftsgeheimnisse illegal verwerten lassen. Die Überwachung der leitenden Angestellten muss deshalb im Fokus des Geschäftsgeheimnisschutzes stehen.

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§ 18 Rz. 18.28

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

rung muss deshalb Verstöße gegen diese Handlungsrichtlinie zugleich als Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten werten. Neben dieser Handlungsrichtlinie gilt das Geschäftsgeheimnisgesetz, dessen Vorgaben durch diese Handlungsrichtlinie nicht eingeschränkt, sondern konkretisiert werden. Nur dann, wenn wir gemeinsam die Vorgaben dieser Handlungsrichtlinie entschieden umsetzen, können wir uns gegenüber Konkurrenten, illoyalen Geschäftspartnern und anderen unbefugten Nutzern unserer Geschäftsgeheimnisse auf den Schutz des Geschäftsgeheimnisgesetzes berufen und behördliche Unterstützung, z.B. durch Strafverfolgungsbehörden, erhalten. Auch deshalb ist die Einhaltung dieser Handlungsrichtlinie durch alle Mitarbeiter von großer Wichtigkeit. Wir danken allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufrichtig für ihre Bemühungen und ihren Einsatz. Sollten Sie Fragen haben, stehen Ihnen der Betriebsrat, die Personalabteilung und die IT-Abteilung gerne jederzeit zur Verfügung. Mit freundlichem Gruß … Geschäftsführer

… Betriebsratsvorsitzender

1. Geschäftsgeheimnisse 1.1 Klassifizierung Die Gesellschaft kennt drei Klassen von Geschäftsgeheimnissen, die geschützt werden müssen. Es handelt sich um – vertrauliche Informationen (Klasse 1), – sensible Informationen (Klasse 2), – streng geheime Informationen (Klasse 3), Voraussetzung dafür, dass eine Information als Geschäftsgeheimnis zu schützen ist, ist stets, dass die Information weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist, sodass die Information von wirtschaftlichem Wert ist. Allgemein bekannte Informationen sind dagegen keine Geschäftsgeheimnisse und müssen auch nicht geschützt werden. Als Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft gelten im Rahmen dieser Richtlinie auch Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen, die dem Konzernverbund der Gesellschaft angehören (sog. verbundene Unternehmen, § 271 Abs. 2 HGB). 1.2 Vertrauliche Informationen (Klasse 1) Als vertrauliche Informationen gelten: – Organigramme, – Schulungsunterlagen, – Arbeitsanweisungen, – Betriebsvereinbarungen, – Prozessbeschreibungen, – alle sonstigen internen Dokumente der Gesellschaft, die gegenüber Außenstehenden nicht veröffentlicht wurden und die der Information der Mitarbeiter dienen.

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1.3 Sensible Informationen (Klasse 2) Als sensible Informationen gelten: – Quellcodes, Software-Algorithmen, Rezepturen, Konstruktionszeichnungen und vergleichbare Konzeptionen von Produkten der Gesellschaft, – nicht offenkundige Informationen zur technischen Funktionsweise elektronischer Anwendungen, Internetplattformen und sonstigen Produkten der Gesellschaft, – strategische Geschäftsplanungen der Gesellschaft, insbesondere Roadmaps, neue Produktideen und Expansionsstrategien, – nicht veröffentlichte Zahlen und Daten aus dem Rechnungswesen der Gesellschaft, insbesondere dem Controlling, der kaufmännischen Buchführung sowie der Planungsrechnung, – Zusammenhängende Sammlungen von Kundendaten, auch soweit es sich um anonymisierte statistische Auswertungen handelt, – Kundenübersichten sowie Übersichten zu sonstigen Geschäftspartnern der Gesellschaft, insbesondere mit konkreten Ansprechpartnern und deren Kontaktdaten, – Bezugs- und Verkaufspreise sowie Preis- und Kostenkalkulationen der Gesellschaft, die im Zusammenhang mit dem Bezug- und Verkauf von Produkten, Diensten und sonstigen Leistungen als Kalkulationsgrundlage eine Rolle spielen können, – Passwörter und Zugangsschlüssel, mit deren Kenntnis auf geschützte Informationen der Gesellschaft zugegriffen oder geschützte Räumlichkeiten oder Behältnisse der Gesellschaft geöffnet werden können, – die konkrete Funktionsweise von Sicherheitsmaßnahmen der Gesellschaft, die darauf ausgelegt sind, Täter zu überrumpeln (z.B. Alarmanlagen), – Verträge und sonstige Absprachen mit Kunden, Zulieferern und anderen Geschäftspartnern. 1.4 Streng geheime Informationen (Klasse 3) Als streng geheime Informationen gelten: – Quell-Codes, Software-Algorithmen, Rezepturen, Konstruktionszeichnungen sowie vergleichbare Konzeptionen von Produkten der Gesellschaft, soweit die Produkte aufgrund dieser Konzeptionen besonders hervorstechende Eigenschaften oder Funktionen aufweisen, die Konkurrenzunternehmen nicht in vergleichbarer Weise reproduzieren können, solange sie das Geschäftsgeheimnis nicht kennen (sog. Kronjuwelen), – patentfähige Arbeits- und Zwischenergebnisse, für die spätestens bei Abschluss ihrer Entwicklung eine Patentanmeldung möglich wäre, aber (noch) nicht eingereicht ist, – interne Planungen, Kalkulationen, Taktiken und Strategien und vergleichbare Erwägungen im Rahmen konkret stattfindender Vertragsverhandlungen von erhöhter wirtschaftlicher Bedeutung, insbesondere Unternehmenskäufen, sowie im Rahmen gerichtlicher oder außergerichtlicher Rechtsstreitigkeiten, – Geschäftsaktivitäten der Gesellschaft, die ihrer Natur nach verheimlicht werden müssen, um erfolgreich sein zu können, wie z.B. heimliche Abwerbungen, heimliche Übernahmen oder die Vorbereitung auf Überrumpelung ausgelegter Expansionen und anderer Wettbewerbshandlungen, – Verträge der Gesellschaft mit Fremdkapitalgebern1.

1 Welche Informationen Geschäftsgeheimnisse sind und welcher Geheimhaltungsklasse die Informationen jeweils zugeordnet werden, sollte nicht durch Generalklauseln, sondern durch eine konkrete Aufzählung geregelt werden. Nur dann ist die Richtlinie ausreichend eindeutig. Die Aufzählung muss anhand der Geschäftsgeheimnisse und der Risikolage des jeweiligen Unternehmens angepasst werden, die im Rahmen einer sorgfältigen Gesamtprüfung zu ermitteln sind; Apel/Walling, DB 2019, 891 (894).

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2. Strukturelle Vorkehrungen 2.1 Räumliche Vorkehrungen Büroarbeitsplätze, an denen Daten verarbeitet werden, die Geschäftsgeheimnisse der Klasse 2 und 3 enthalten, werden nur in verschlossenen und für betriebsfremde Personen unzugänglichen Räumlichkeiten eingerichtet. Allen Mitarbeitern werden Chipkarten mit individuellen Sicherheitsschlüsseln (Schlüsselkarten) ausgehändigt, mit denen sie abhängig von ihrer Berechtigung verschlossene Türen öffnen können. Jeder Einsatz von einer Schlüsselkarte wird für einen Zeitraum von einem Jahr gespeichert. Den Verlust der individuellen Schlüsselkarte muss jeder Mitarbeiter unverzüglich melden. Wird externen Besuchern Zugang zu Räumlichkeiten ermöglicht, die für betriebsfremde Personen grundsätzlich verschlossen sind, sind die Besucher im Vorfeld bei der Rezeption ordnungsgemäß anzumelden. In den Betriebsstätten sind verschließbare und auch für Mitarbeiter der Gesellschaft grundsätzlich unzugängliche Räumlichkeiten eingerichtet. Ausdrucke, Aufzeichnungen und sonstige verkörperte Darstellungen, die Geschäftsgeheimnisse der Klasse 2 und 3 enthalten, dürfen grundsätzlich nur in solchen Räumlichkeiten aufbewahrt werden. Mitarbeiter, die Zugangsberechtigungen zu diesen Räumlichkeiten erhalten, werden durch den Geschäftsführer abschließend definiert und mit entsprechenden Schlüsseln oder Schlüsselkarten ausgestattet. Diese Mitarbeiter sind gleichzeitig dafür verantwortlich, die Aufsicht über die betreffende Räumlichkeit auszuüben und müssen diese verschließen, wenn sie nicht vor Ort sind. Mitarbeiter ohne Zugangsberechtigung dürfen sich nicht unbeaufsichtigt in diesen Räumlichkeiten aufhalten. 2.2 IT-Sicherheit Der Leiter der IT-Abteilung ist dafür verantwortlich, dass die EDV-Einrichtung der Gesellschaft und sämtliche Datenträger (z.B. Computer, Diensthandys, USB-Sticks, Cloud-Speicher, E-Mail-Postfächer) nach einem IT-Sicherheitskonzept entsprechend dem jeweils aktuellen Stand der Technik eingerichtet sind. Nur, wenn diese Einrichtung abgeschlossen ist, werden Datenträger durch die IT-Abteilung freigegeben und dürfen durch Mitarbeiter der Gesellschaft zur Bearbeitung und Speicherung von Geschäftsgeheimnissen genutzt werden. Zum IT-Sicherheitskonzept gehören in jedem Fall die folgenden Maßnahmen: – Jeder Mitarbeiter, der Geschäftsgeheimnisse elektronisch verarbeitet, erhält einen individualisierten und mit einem nur ihm bekannten Passwort gesicherten User-Account für seinen Firmencomputer. – Werden Firmencomputer über längere Zeit nicht genutzt, muss sich eine automatische Passwortsperre aktivieren. – Sämtliche Firmencomputer sind mit einer marktüblichen und aktuellen Firewall und Antivirensoftware auszustatten. – Sämtliche Diensthandys sind mit Passwörtern oder vergleichbaren Zugangssperren zu versehen, die jeweils nur durch den Mitarbeiter, dem das Diensthandy zugewiesen ist, und durch die IT-Abteilung geöffnet werden können. – Die E-Mail-Kommunikation wird durch eine automatisierte Software nach dem jeweils aktuellen Stand der Technik verschlüsselt. – Sämtliche USB-Sticks und sonstige mobilen Datenträger, die für die dienstliche Nutzung zugelassen sind, werden durch die IT-Abteilung registriert und gesondert freigegeben. Diese mobilen Datenträger dürfen nur in Abstimmung und mit Wissen der IT-Abteilung eingesetzt werden. Nach ihrer Verwendung sind sie durch den Mitarbeiter grundsätzlich an die IT-Abteilung zurückzugeben. – Die IT-Abteilung richtet geeignete und marktübliche Protokollierungsfunktionen ein, mit denen das Verhalten der Nutzer der Firmencomputer dokumentiert wird. Um kritisches Nutzerverhalten aufzudecken, werden automatisierte Warnmechanismen implementiert. Deren genaue Funktionsweise ist geheim1.

1 Auch Geheimhaltungsmaßnahmen, bei denen es sich nicht um Handlungsanweisungen an die Belegschaft handelt, sollten in der Richtlinie erwähnt werden. Maßnahmen der IT-Sicherheit sind nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt und müssen schon deshalb in Abstimmung mit dem Betriebsrat ge-

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Der Leiter der IT-Abteilung gibt in Abstimmung mit der Geschäftsführung und dem Betriebsrat eine Handlungsanweisung zum Umgang mit IT-Systemen der Gesellschaft heraus, die erforderliche und angemessene Vorgaben für deren Nutzung festlegt, insbesondere in Hinblick auf die IT-Sicherheit. 3. Allgemeine Schutzpflichten jedes Mitarbeiters Alle Mitarbeiter müssen Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft vertraulich behandeln und von sich aus die gebotenen, zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die Geheimhaltung der Geschäftsgeheimnisse sicherzustellen. Weder betriebsfremden noch betriebsangehörigen Personen dürfen Geschäftsgeheimnisse mitgeteilt, zur Verfügung gestellt oder auf andere Weise zugänglich gemacht werden, wenn es keinen sachlichen Grund gibt, der dies erfordert. Keinesfalls dürfen Geschäftsgeheimnisse veröffentlicht oder unkontrolliert für Außenstehende zugänglich gemacht werden. Sämtliche Pflichten zur Vertraulichkeit gelten auch nach der Beendigung des Anstellungsverhältnisses mit der Gesellschaft fort. 4. Schutz von Geschäftsgeheimnissen der Klasse 2 und 3 4.1 Unbedingte Diskretion gegenüber betriebsfremden Personen Ohne Zustimmung des Geschäftsführers ist es Mitarbeitern grundsätzlich untersagt, betriebsfremden Personen sensible oder streng geheime Informationen (Klasse 2 und 3) mitzuteilen, zur Verfügung zu stellen oder auf andere Weise zugänglich zu machen. Nur im Ausnahmefall, nämlich wenn besondere Eile besteht, der Geschäftsführer kurzfristig nicht erreicht werden kann und Gesellschaftsinteressen von höherem Gewicht dies erfordern, darf ein Mitarbeiter sensible oder streng geheime Informationen betriebsfremden Personen ohne Genehmigung zugänglich machen. In diesem Fall muss der Mitarbeiter dem Geschäftsführer unverzüglich nachträglich Anzeige machen. Keinesfalls dürfen Geschäftsgeheimnisse entgegen dem mutmaßlichen Willen des Geschäftsführers offenbart werden. Als betriebsfremde Personen gelten alle Personen, die weder Geschäftsführer, Arbeitnehmer oder Auszubildende der Gesellschaft sind, noch als Berufsgeheimnisträger (z.B. als Rechtsanwalt oder Wirtschaftsprüfer) für die Gesellschaft tätig werden. 4.2 Elektronisch gespeicherte Geschäftsgeheimnisse der Klasse 2 und 3 Elektronische Daten, die sensible oder streng geheime Informationen (Klasse 2 und 3) enthalten, dürfen ausschließlich auf geschützten Datenträgern der Gesellschaft gespeichert werden. Geschützte Datenträger sind nur solche Datenträger (z.B. Computer, Diensthandys, USB-Sticks, externe Festplatten, Cloudspeicher, E-Mail-Postfächer), welche durch die IT-Abteilung der Gesellschaft nach dem bestehenden IT-Sicherheitskonzept eingerichtet und zur dienstlichen Verwendung freigegeben wurden (vgl. dazu Abschnitt 2.2). Sobald der Mitarbeiter solche Datenträger nicht mehr benötigt, spätestens bei Beendigung seines Anstellungsverhältnisses, sind diese unaufgefordert an die Gesellschaft zurückzugeben. Dem Mitarbeiter ist es untersagt, Kopien von Daten, die sensible oder streng geheime Informationen enthalten (Klasse 2 und 3), auf anderen, z.B. privaten Datenträgern anzulegen; bereits existierende Kopien dieser Art sind umgehend und unwiederbringlich durch den Mitarbeiter zu löschen. Dem Mitarbeiter ist es ebenfalls untersagt, nicht freigegebene und insbesondere private USB-Sticks oder vergleichbare mobile Speichergeräte an Firmencomputer der Gesellschaft anzuschließen. Es ist ebenfalls untersagt, CD-Roms, DVDs und Blu-rays von Firmencomputern aus zu brennen oder anderweitig zu bespielen.

regelt werden. Zudem hat die Richtlinie eine Doppelfunktion: Sie soll als Beweismittel gegenüber Gerichten belegen können, dass das Unternehmen insgesamt angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen i.S.d. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG praktiziert (vgl. Rz. 18.21). Deshalb sollte sie alle praktizierten Geheimhaltungsmaßnahmen aufzeigen.

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Schutz von Geschäftsgeheimnissen

4.3 Geschäftsgeheimnisse der Klasse 2 und 3 in Papierform Ausdrucke, Aufzeichnungen in Papierform und sonstige verkörperte Darstellungen, die sensible oder streng geheime Informationen enthalten (Klasse 2 und 3), müssen grundsätzlich in den hierfür vorgesehenen, gesondert abschließbaren Bereichen in der Betriebsstätte der Gesellschaft aufbewahrt werden, die für die Gesamtbelegschaft nicht zugänglich sind (vgl. Abschnitt 2.1). Verkörperte Darstellungen von sensiblen oder streng geheimen Informationen dürfen nur vorübergehend zu einer konkreten Verwendung aus den geschützten Bereichen entfernt werden, und nur insoweit und solange, wie dies zu ihrer Verwendung erforderlich ist. Dabei dürfen sie nicht offen und unbeaufsichtigt abgelegt werden. Werden sie außerhalb der Betriebsstätte verwendet, müssen sie in Mappen, Ordnern oder vergleichbar strukturierten Sammlungen geführt und grundsätzlich in einem Koffer oder einer Tasche verwahrt werden. Ausdrucke, Aufzeichnungen und sonstige verkörperte Darstellungen, die sensible oder streng geheime Informationen enthalten, dürfen nicht mit dem Hausmüll entsorgt werden, sondern sind vor ihrer Entsorgung ordnungsgemäß zu vernichten. Dies erfolgt grundsätzlich, indem sie im Aktenvernichter geschreddert werden. Privatkopien dürfen nicht gefertigt werden. 5. Besondere Schutzpflichten für Geschäftsgeheimnisse der Klasse 3 Im Umgang mit streng geheimen Informationen (Klasse 3) sind ergänzend die folgenden Schutzvorgaben zwingend einzuhalten: 5.1 Diskretion auch gegenüber betriebsangehörigen Personen Streng geheime Informationen dürfen sowohl betriebsangehörigen als auch betriebsfremden Personen nur mit Zustimmung des Geschäftsführers mitgeteilt, zur Verfügung gestellt oder auf andere Weise zugänglich gemacht werden. Ohne Zustimmung des Geschäftsführers darf nur mit Personen zu streng geheimen Geschäftsgeheimnissen kommuniziert werden, die diese bereits zulässigerweise kennen. Besteht Unklarheit darüber, welche Personen von einem streng geheimen Geschäftsgeheimnis zulässigerweise wissen dürfen, muss dies sicherheitshalber beim Geschäftsführer erfragt werden, bevor ein streng geheimes Geschäftsgeheimnis offenbart wird. Bei E-Mail-Kommunikation, die streng geheime Informationen zum Gegenstand hat, ist vor der Versendung jeder E-Mail im Einzelfall zu prüfen, dass nur Personen im Verteiler (auch im CC!) sind, bei denen der Versender sicher weiß, dass sie vom Inhalt der streng geheimen Information wissen dürfen. 5.2 Aufzeichnungen in Papierform nur im Ausnahmefall Handschriftliche Notizen zu streng geheimen Informationen dürfen ohne Zustimmung eines Geschäftsführers nur als vorübergehende Gedächtnisstütze angelegt werden und sind nach ihrer Verwendung unverzüglich und ordnungsgemäß zu vernichten. Dies erfolgt grundsätzlich, indem sie im Aktenvernichter geschreddert werden. Im Übrigen dürfen Ausdrucke, Aufzeichnungen und sonstige verkörperte Darstellungen, die streng geheime Geschäftsgeheimnisse enthalten, nur mit Zustimmung des Geschäftsführers erstellt werden. 5.3 Umgang mit elektronischen Aufzeichnungen Elektronische Daten, die streng geheime Informationen enthalten, dürfen grundsätzlich nur auf passwortgesicherten Datenträgern gespeichert werden, die allein denjenigen Mitarbeitern zugänglich sind, die zulässigerweise von der streng geheimen Information wissen dürfen. Werden sie im Ausnahmefall auf einem nicht geschützten mobilen Datenträger, z.B. einem USB-Stick, gespeichert, muss sichergestellt sein, dass der mobile Datenträger für niemanden sonst außer dem Verwender zugänglich ist. Der Verwender muss den mobilen Datenträger stets unter seiner Obhut halten und die elektronischen Daten löschen, bevor er diese Obhut wieder aufgibt.

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6. Sonstige geheimhaltungsbedürftige Informationen Alle Mitarbeiter sind verbindlich angewiesen, auch sonstige im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der Gesellschaft stehende Tatsachen geheim zu halten, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt und damit nicht offenkundig sind und die nach dem erkennbaren Willen der Unternehmensleitung oder aufgrund eindeutiger wirtschaftlichen Interessenlage der Gesellschaft berechtigterweise geheim gehalten werden sollen, selbst wenn es sich bei diesen Tatsachen nicht um Geschäftsgeheimnisse im Sinne des Geschäftsgeheimnisgesetzes handelt1. 7. Schutzpflichten gegenüber Geschäftspartnern 7.1 Vereinbarung von Geheimhaltungsklauseln Werden Geschäftsbeziehungen mit Geschäftspartnern aufgenommen, wird durch den Geschäftsführer im Einzelnen geprüft, ob und in welchem Umfang die Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen an den Geschäftspartner erforderlich ist. Wird die Offenbarung von sensiblen oder streng geheimen Informationen (Klasse 2 und 3) im Verlauf der Geschäftsbeziehung voraussichtlich erforderlich, sind in die beiderseitigen Verträge angemessene Geheimhaltungsklauseln aufzunehmen. Erscheint dies nach Art und Umfang der Geschäftsgeheimnisse geboten und ist dies im Rahmen der Vertragsverhandlungen durchsetzbar, sind die Geheimhaltungsklauseln mit Vertragsstrafen zu versehen2. 7.2 Diskretion gegenüber Geschäftspartnern Mitarbeiter der Gesellschaft dürfen sensible oder streng geheime Informationen (Klasse 2 und 3) gegenüber Geschäftspartnern grundsätzlich nur mit Zustimmung des Geschäftsführers offenbaren. Insoweit gelten dieselben Vorgaben wie gegenüber allen anderen betriebsfremden Personen, so wie sie unter Abschnitt 4.1 dargestellt werden. 8. Meldepflicht 8.1 Verlust von Zugangsschlüsseln Jeder Mitarbeiter hat dem Geschäftsführer unverzüglich Anzeige zu machen, wenn er – Diensthandys, Firmennotebooks oder andere Datenträger mit Geschäftsgeheimnissen der Gesellschaft verliert, – Schlüsselkarten nach Abschnitt 2.1 oder andere Zugangsschlüssel zu geschützten Bereichen, Datenträgern oder dem Intranet der Gesellschaft verliert oder – Aufzeichnungen von Passwörtern zu geschützten Bereichen, Datenträgern oder dem Intranet der Gesellschaft verliert oder solche Passwörter unbefugten Personen aus anderen Gründen bekannt werden, z.B. weil der Mitarbeiter sie in einer Notlage mitteilen muss. 8.2 Verstöße durch Betriebsangehörige Erfahren Mitarbeiter, dass betriebsangehörige Personen gegen Vorgaben aus dieser Handlungsrichtlinie verstoßen haben, müssen sie dem Geschäftsführer unverzüglich Anzeige machen. Handelt es sich offenkundig bloß um einen Verstoß aus Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit, darf der verantwortliche Mitarbeiter angesprochen werden, bevor die Anzeige erfolgt. Dem verantwortlichen Mitarbei-

1 Nach zutreffender Ansicht können durch Vertrag oder Betriebsvereinbarung erweiterte Geheimhaltungspflichten auch in Hinblick auf Informationen begründet werden, die keine Geschäftsgeheimnisse i.S.d. GeschGehG sind, Naber/Peukert/Seeger, NZA 2019, 583 (585); Eckhoff/Hoene, ArbRB 2019, 256 (258). Zweck des GeschGehG und der zugrundeliegenden Richtlinie (EU) 2016/943 ist nämlich, den Geheimnisschutz zu stärken, nicht zu begrenzen. 2 Vgl. Rz. 18.9.

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ter darf die Möglichkeit zur Selbstanzeige eingeräumt werden, vorausgesetzt, er nimmt diese unverzüglich vor. Liegt stattdessen ein Verstoß vor, der möglicherweise zielgerichtet, z.B. zum Zwecke der Entwendung von Geschäftsgeheimnissen begangen worden ist, ist der Geschäftsführer stillschweigend in Kenntnis zu setzen, ohne dass der Verantwortliche von der Aufdeckung seines Verstoßes erfährt. In diesem Fall muss die Unternehmensleitung planmäßig Maßnahmen zur Datensicherung einleiten. 8.3 Verstöße durch Außenstehende Erfahren Mitarbeiter davon, dass betriebsfremde Personen – auch Geschäftspartner oder deren Angestellte – auf unzulässige Weise oder auf eine von der Unternehmensleitung tatsächlich und mutmaßlich nicht gewollte Art und Weise Zugang zu einem Geschäftsgeheimnis erlangt haben, müssen sie dem Geschäftsführer unverzüglich Anzeige machen. Erfahren Mitarbeiter davon, dass Geschäftspartner Geschäftsgeheimnisse unter Verstoß gegen eine vereinbarte Geheimhaltungsklausel verwerten, weitergeben oder anderweitig verwenden, ist der Geschäftsführer ebenfalls unverzüglich zu informieren. 9. Durchführungsbestimmungen Diese Handlungsrichtlinie gilt mit Unterzeichnung als Betriebsvereinbarung sowie als Arbeitsanweisung an die leitenden Angestellten auf unbefristete Dauer. Als Betriebsvereinbarung kann sie durch beide Betriebsparteien mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden und wirkt in diesem Falle nach. Gegenüber den leitenden Angestellten kann die Handlungsrichtlinie jederzeit einseitig durch die Geschäftsführung geändert werden. Diese Handlungsrichtlinie findet keine Anwendung, soweit Betriebsratsmitglieder Geschäftsgeheimnisse in Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit verarbeiten. Für diesen Fall beschließt der Betriebsrat gleichwertige eigene Geheimnisschutzregeln1. Sollte eine Bestimmung dieser Handlungsrichtlinie unwirksam sein oder werden, wird die Wirksamkeit der übrigen hiervon nicht berührt. Die Betriebsparteien werden an Stelle der unwirksamen Bestimmung eine rechtswirksame treffen, die der unwirksamen inhaltlich so nahe wie möglich kommt. … Ort, Datum … Geschäftsführer

… Betriebsratsvorsitzender

Ich, […] (bitte vollständigen Namen in Druckschrift einfügen), habe die vorstehenden Handlungsrichtlinie zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen sorgfältig gelesen und erkenne sie als für mich verbindlich an. … Ort, Datum … Unterschrift des Mitarbeiters2

1 Der Betriebsrat ist regelmäßig nicht bereit, sich Geheimhaltungsvorgaben zu unterwerfen, die durch Weisungen der Geschäftsleitung konkretisiert werden. Um eine Einigung mit dem Betriebsrat nicht zu gefährden, kann für die Betriebsratstätigkeit der Anwendungsbereich der Richtlinie eingeschränkt werden. 2 Zwar gelten Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer sie tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Damit die Geheimnisschutzmaßnahmen aber auch faktisch umgesetzt werden, sollte das Unternehmen auf eine Kenntnisnahme aktiv hinwirken. Dies kann z.B. erfolgen, indem von allen Arbeitnehmern eine Empfangs- und Lesebestätigung eingefordert wird. Gegenüber leitenden Angestellten, die nicht in den Anwendungsbereich der Betriebsvereinbarung fallen, ist dies ohnehin geboten.

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III. Best Practice

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2. Vereinbarung von Vertragsstrafen Dass der Arbeitnehmer Geschäftsgeheimnisse geheim halten muss, versteht sich von selbst (§ 280 18.29 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB) und muss deshalb nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag geregelt werden1. Eine Vertragsstrafe gegen den Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber im Fall eines Verstoßes allerdings nur dann fordern, wenn dies im Vorfeld ausdrücklich durch Vertrag vereinbart wurde. AGB-rechtlich werden Vertragsstrafenvereinbarungen mit Arbeitnehmern zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen für zulässig gehalten2. Der Abschluss einer gesonderten Geheimhaltungs- und Vertragsstrafenvereinbarung bietet sich an, wenn ein Arbeitnehmer an Projekten oder Arbeitsgruppen teilnehmen soll, in denen sensible Geschäftsgeheimnisse besprochen werden sollen3. Die Unterzeichnung einer Vertragsstrafenvereinbarung kann der Arbeitgeber zwar nicht erzwingen. Er kann die Unterzeichnung allerdings zur Voraussetzung dafür machen, dass ein Arbeitnehmer Zugang zu bestimmten Geschäftsgeheimnissen erhält und auf eine entsprechende Position befördert wird.

18.30

Die Vereinbarung kann wie folgt gestaltet werden:

M 18.2 Geheimhaltungsverpflichtungserklärung für die Teilnahme im strategischen Leitungskreis Geheimhaltungsverpflichtungserklärung für die Teilnahme im strategischen Leitungskreis Die Arbeitgeberin plant, ihren Mitarbeiter Name: Straße, Hausnummer: Postleitzahl, Ort:

… … …

nachstehend: Arbeitnehmer als Teilnehmer in den strategischen Leitungskreis aufzunehmen. Im Rahmen der Teilnahme im strategischen Leitungskreis wird der Arbeitnehmer von geschützten Geschäftsgeheimnissen, insbesondere Unternehmensstrategien und innovativen Produktideen der Arbeitgeberin, Kenntnis nehmen, die unter keinen Umständen außerhalb des geschlossenen Teilnehmerkreises Bekanntheit erlangen dürfen. Um die Geschäftsgeheimnisse der Arbeitgeberin zu schützen, verpflichtet sich der Arbeitnehmer durch diese Erklärung zur Geheimhaltung. Die Abgabe der Erklärung ist Voraussetzung für eine Teilnahme im strategischen Leitungskreis: 1. Der Arbeitnehmer ist zur Verschwiegenheit über alle Geschäftsgeheimnisse (§ 2 GeschGehG) der Arbeitgeberin sowie der mit ihr verbundenen Unternehmen i.S.d. § 271 Abs. 2 HGB sowie deren Geschäftspartnern verpflichtet. Außerdem ist der Arbeitnehmer zur Verschwiegenheit hinsichtlich sämtlicher kaufmännischer, technischer und persönlicher Vorgänge, welche im Zusammenhang mit der Tätigkeit für den strategischen Leitungskreis erörtert, mitgeteilt oder auf anderem Wege zugänglich gemacht werden, verpflichtet, sofern diese Informationen nicht ausnahmsweise allgemein bekannt sind und sofern ein Geheimhaltungsinteresse der Arbeitgeberin nicht ausnahmsweise von vornherein ausscheidet (nachgehend: vertrauliche Informationen). Im Zweifelsfall ist eine vorherige Weisung der Arbeitgeberin zur Vertraulichkeit der Informationen einzuholen4. Soweit es um Geschäftsgeheimnisse (§ 2 GeschGehG)

1 Ohly, GRUR 2019, 441 (444); Apel/Walling, DB 2019, 891 (896); Eckhoff/Hoene, ArbRB 2019, 256 (257). 2 Stoffels in Preis, Abschnitt II V 30 Rz. 72; Müller-Glöge in ErfK, § 345 BGB Rz. 21. 3 Ohly, GRUR 2019, 441 (444). 4 Derartige weitgefasste „Catch-All“-Klauseln unterliegen AGB-rechtlichen Bedenken. Allerdings ist eine spezifische und gleichzeitig umfassende Klauselformulierung kaum möglich, so dass viel dafür spricht, sich auf dieses Rechtsrisiko einzulassen, vgl. Jonas, DB 2020, 1738 (1740).

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§ 18 Rz. 18.30

Schutz von Geschäftsgeheimnissen

geht, gilt die Verschwiegenheitspflicht auch nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses insoweit fort, wie dies nach dem GeschGehG vorgesehen ist1. Gesetzlich zwingende Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht, insbesondere nach § 5 GeschGehG, bleiben durch diese Vereinbarung insgesamt unberührt. 2. Verschwiegenheit bedeutet, dass der Arbeitnehmer die betroffenen Informationen Dritten nicht zugänglich machen darf, es sei denn, dies entspricht dem erklärten oder aus objektiver Sicht mutmaßlichen Willen der Arbeitgeberin. Der Wille der Arbeitgeberin ergibt sich insbesondere aus den jeweils gültigen Weisungen und Richtlinien der Arbeitgeberin. In Zweifelsfällen ist eine Weisung der Arbeitgeberin einzuholen. Diese Verschwiegenheitspflicht besteht auch gegenüber anderen, nicht berechtigten Arbeitnehmern und sonstigen Mitarbeitern der Arbeitgeberin. Vertrauliche Informationen dürften allerdings solchen Arbeitnehmern stets mitgeteilt werden, die zum Teilnehmerkreis des strategischen Leitungskreises gehören. 3. Für jeden Fall einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen eine vorstehende Geheimhaltungsverpflichtung, die aus objektiver Sicht zum Zeitpunkt der Begehung potentiell zu nicht unerheblichen materiellen oder immateriellen Nachteilen für die Arbeitgeberin führen könnte, verpflichtet sich der Arbeitnehmer, eine Vertragsstrafe in Höhe eines durchschnittlichen Brutto-Monatsfestgehalts2 zu zahlen3, wobei allerdings höchstens eine Vertragsstrafe pro Kalendermonat verwirkt werden kann. Erstreckt sich eine Dauerverletzung zeitlich über mehrere Kalendermonate, wird die Vertragsstrafe für jeden angefangenen Kalendermonat, in dem die Dauerverletzung anhält, neu verwirkt4. Weitergehende Ansprüche auf Schadensersatz bleiben vorbehalten. 4. Geschäftsgeheimnisse und vertrauliche Informationen dürfen nicht kopiert, vervielfältigt oder anderweitig aufgezeichnet werden, soweit dies nicht dienstlich notwendig ist. Auf Aufforderung oder bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses sind sämtliche Aufzeichnungen zurückzugeben oder zu vernichten. Erfüllungsort ist der Unternehmenssitz der Arbeitgeberin. 5. Dem Arbeitnehmer ist bekannt, dass der Verrat von Geschäftsgeheimnissen eine Straftat ist und nach § 23 GeschGehG mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft wird.

1 Für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können umfassende „Catch-All“-Verschwiegenheitsvereinbarungen nicht mehr wirksam vereinbart werden, vgl. BAG v. 19.5.1998 – 9 AZR 394/97, juris Rz. 54. Allerdings gilt die Geheimhaltungspflicht für Geschäftsgeheimnisse i.S.d. GeschGehG schon deshalb fort, weil sie unmittelbar aus dem Gesetz folgt, dazu Eckhoff/Hoene, ArbRB 2019, 256 (258 f.). 2 Nach welcher Formel die Höhe der Vertragsstrafen bemessen werden kann, ist bislang ungeklärt, Preis/ Stoffels, Abschnitt II V 30 Rz. 73. In der Rechtsprechung des BAG wurden in der Vergangenheit in anderem Zusammenhang Vertragsstrafen bis zur Höhe eines Bruttomonatsgehalts gebilligt, BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 645/09, juris Rz. 43. Diesen Betrag verwendet die Best Practice als Orientierungswert (vgl. z.B. Bauer/Krieger/Arnold in Bauer/Krieger/Arnold, C Rz. 362; Pfalzgraf in Personal-Lexikon, 2021, Edition 34, Geheimhaltung – Geheimhaltungsvereinbarung). Der Begriff der „Bruttomonatsvergütung“ kann als intransparent angesehen werden, da nicht klar wird, inwieweit variable Vergütungsbestandteile erfasst werden, LAG Berlin-Brandenburg v. 12.11.2009 – 25 Sa 29/09, Leitsatz 2, GWR 2010, 302907. Durch eine Vertragsstrafe in Höhe einer Monatsfestvergütung werden zwar schwerkriminelle, gewerbsmäßige Datendiebe kaum abgeschreckt. Allerdings sendet der Arbeitgeber so ein deutliches Signal an alle übrigen Mitarbeiter, dass leichtfertiges „Geplauder“ über Geschäftsgeheimnisse nicht geduldet wird. 3 Aus Transparenzgründen sollte die Vertragsstrafenregelung optisch hervorgehoben werden. 4 Wird bei der Formulierung der Vertragsstrafenklausel nicht ausreichend zwischen Dauer- und Einzelverstößen differenziert, ist vorstellbar, dass Gerichte die Klausel wegen eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot nach § 307 BGB kassieren, Preis/Stoffels, Abschnitt II V 30 Rz. 73; vgl. zu einer ähnlichen Klausel im Bereich von Wettbewerbsverstößen BAG v. 14.8.2007 – 8 AZR 973/06, ArbRB 2008, 72 = juris Rz. 26 ff. Dies lässt sich vermeiden, indem die Regelung ausdrücklich bestimmt, dass höchstens eine Vertragsstrafe pro Monat verwirkt werden kann.

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I. Worum geht es?

Rz. 19.1 § 19

Ich erkenne die vorstehenden Verpflichtungen hiermit umfassend an. Ich werde die gebotene Vertraulichkeit stets sorgsam und gewissenhaft wahren. (Ort) …/(Datum) … … (Unterschrift des Arbeitnehmers)

§ 19 Sicherung geistigen Eigentums I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht . . a) Arbeitnehmererfinder aa) Diensterfindungen . . . . . . . . . . . bb) Freie Erfindungen . . . . . . . . . . . b) Freie Mitarbeiter, Organmitglieder etc. 2. Urheberrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besonderheiten für Urheber in Arbeits- und Dienstverhältnissen . . .

19.1 19.5 19.8 19.9 19.25 19.28 19.30 19.32

3. 4. 5. III. 1. 2.

b) Urheberrechtliche Grenzen der Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . Verwandte Schutzrechte . . . . . . . . . . . . Designrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Markenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Best Practice Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienst- und Werkverträge mit freien Mitarbeitern etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19.38 19.43 19.47 19.51

19.53 19.55

Literatur: Bartenbach/Volz, Arbeitnehmererfindungsgesetz (Kommentar), 6. Aufl. 2019; Bartenbach/Fock, Erfindungen von Organmitgliedern – Zuordnung und Vergütung, GRUR 2005, 384; Bayreuther, Zum Verhältnis zwischen Arbeits-, Urheber- und Arbeitnehmererfindungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Sondervergütungsansprüche des angestellten Softwareerstellers, GRUR 2003, 570; Boemke/Kursawe, Gesetz über Arbeitnehmererfindungen: ArbNErfG (Kommentar), 2015; Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz (Kommentar), 6. Aufl. 2018; Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, Designgesetz, Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (Kommentar), 6. Aufl. 2019; Fromm/Nordemann, Urheberrecht (Kommentar), 12. Aufl. 2018; Götting, Der Begriff des Geistigen Eigentums, GRUR 2006, 353; Katzenberger, Urheberrechtliche und urhebervertragsrechtliche Fragen bei der Edition philosophischer Werke, GRUR 1984, 319; Kiel/Lunk/ Oetker (Hrsg.), Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1: Individualarbeitsrecht I, 5. Aufl. 2021; Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, 3. Aufl. 2021; Osterrieth, Patentrecht, 6. Aufl. 2021; Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 10. Aufl. 2021; Schricker/Loewenheim, Urheberrecht (Kommentar), 6. Aufl. 2020; Schwab, Arbeitnehmererfindungsrecht (Kommentar), 4. Aufl. 2018; Ulrici, Das Recht am Arbeitsergebnis, RdA 2009, 92; Wandtke, Reform des Arbeitnehmerurheberrechts?, GRUR 1999, 390; Wandtke/ Bullinger, Praxiskommentar Urheberrecht, 5. Aufl. 2019.

I. Worum geht es? „Geistiges Eigentum“1 hat sowohl für einzelne Unternehmen als auch für die Gesamtwirtschaft eine immense Bedeutung. Nach einem gemeinsamen Bericht des Europäischen Patentamtes (EPA) und

1 Zum Begriff „geistiges Eigentum“ ausführlich Götting, GRUR 2006, 353.

Grimm/Singraven und Pommerening

375

19.1

§ 19 Rz. 19.1

Sicherung geistigen Eigentums

des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) betrug der Anteil der schutzrechtsintensiven Wirtschaftszweige an der Gesamtbeschäftigung in der EU zwischen 2014 und 2016 29,2 %, die Gesamtzahl der schutzrechtsabhängigen Arbeitsplätze beziffert der Bericht auf 83,8 Mio. (38,9 %). Im selben Zeitraum erbrachten schutzrechtsintensive Wirtschaftszweige einen Anteil von 45 % an der gesamten Wirtschaftsleistung (BIP) in der EU, was einem Geldwert von 6,6 Billionen EUR entspricht. Ein Vergleich der Ergebnisse der Untersuchungen mit denen einer Vorgängerstudie ergibt, dass der Beitrag schutzrechtsintensiver Wirtschaftszweige zur gesamten Wirtschaftsleistung in der EU gegenüber dem Zeitraum zwischen 2011 und 2013 zugenommen hat1.

19.2 Eine weitere gemeinsame Studie von EPA und EUIPO hat ergeben, das Unternehmen, die Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums sind, durchschnittlich 20 % höhere Einnahmen pro Mitarbeiter verzeichnen als Unternehmen ohne gewerbliche Schutzrechte. Ferner sind Inhaber von gewerblichen Schutzrechten in der Lage, ihre Mitarbeiter besser zu entlohnen: Unternehmen, die Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums sind, zahlen im Durchschnitt 19 % höhere Gehälter als Unternehmen ohne solche Rechte2. Im Hinblick auf den weiteren technologischen Fortschritt ist zu erwarten, dass die Zahl schutzrechtsintensiver Wirtschaftsbereiche auch in Zukunft wächst und die Bedeutung des geistigen Eigentums sowohl für die einzelnen Unternehmen als auch die Gesamtwirtschaft weiter zunimmt.

19.3 Seinen wirtschaftlichen Wert erlangt geistiges Eigentum insbesondere dadurch, dass die Rechtsordnung immaterielle Güter gegen eine freie Nutzung und Verwertung durch jedermann schützt. Sie gewährt dem Inhaber unter im Einzelnen festgelegten Voraussetzungen Ausschließlichkeitsrechte, die es dem Inhaber ermöglichen, die Verwertung der jeweils geschützten Immaterialgüter zu kontrollieren. So kennt die Rechtsordnung verschiedene gewerbliche Schutzrechte mit jeweils eigenem Schutzgegenstand. Dem Schutz immaterieller Güter dient daneben auch das Urheberrecht, das neben den gewerblichen Interessen die Beziehung des Urhebers zu seinem Werk schützt und auch eine starke persönlichkeitsrechtliche Komponente enthält.

19.4 Auch wenn der Begriff des geistigen Eigentums die unzweifelhaft bestehenden Unterschiede zwischen der Herrschaft des Sacheigentümers über bewegliche oder unbewegliche Sachen und der Herrschaft des Schutzrechtsinhabers über immaterielle Güter verwischen mag und umstritten ist3, weist er anschaulich den Weg zu einer zentralen Frage des Immaterialgüterrechts: Wem gehören die ideellen Güter, deren wirtschaftlicher Wert sich kaum mehr erfassen lässt? Die Frage wird besonders drängend, wenn immaterielle Güter – wie überwiegend – nicht im Eigen- sondern im Fremdinteresse geschaffen werden. Dabei geht es nicht um theoretische Betrachtungen, die Zuordnung immaterieller Güter und Werte hat unmittelbare wirtschaftliche Konsequenzen. So kann ein Unternehmen die von seinen Angestellten, Mitarbeitern und Beauftragten geschaffenen Immaterialgüter nur dann umfassend zum eigenen Vorteil verwerten, wenn es Inhaber entsprechender Rechte ist. Umgekehrt kann es den Unternehmenswert erheblich beeinträchtigen, wenn die Rechte an den genutzten immateriellen Gütern dem Unternehmen – möglicherweise entgegen jahre- oder jahrzehntelanger Annahme – nicht zustehen und sich herausstellt, dass dem Verkäufer Nutzungsrechte an den vermeintlich wichtigsten Vermögensgegenständen des Unternehmens nie wirksam eingeräumt oder übertragen worden sind. Ein

1 EPA/EUIPO, Schutzrechtsintensive Wirtschaftszweige und Wirtschaftsleistung in der Europäischen Union – Analysebericht auf Ebene der Wirtschaft, September 2019, S. 7 (abrufbar unter https://euipo.euro pa.eu/tunnel-web/secure/webdav/guest/document_library/observatory/documents/IPContributionStudy/ IPR-intensive_industries_and_economicin_EU/summary/IP_Contribution_Report_092019_execsum_de. pdf, zuletzt abgerufen am 3.2.2022). 2 EPA/EUIPO, Rechte des geistigen Eigentums und Unternehmensleistung in der EU – Analysebericht auf Unternehmensebene, Februar 2021 (Zusammenfassung), S. 5 ff. (abrufbar unter https://documents. epo.org/projects/babylon/eponet.nsf/0/7120D0280636B3E6C1258673004A8698/$File/ipr_performance_stu dy_executive_summary_de.pdf, zuletzt abgerufen am 3.2.2022). 3 S. Götting, GRUR 2006, 353 (355 f.) m.w.N.

376

Pommerening

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.8 § 19

solcher Befund kann Transaktionen zum Scheitern bringen oder im Extremfall den Fortbestand ganzer Geschäftsbereiche in Frage stellen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Das Entstehen von Rechten des geistigen Eigentums setzt eine anerkennenswerte Leistung voraus, die vielfach eine besondere persönliche Prägung durch denjenigen mit sich bringt, der das Immaterialgut hervorgebracht hat – sei es eine erfinderische Leistung auf technischem Gebiet im Patentund Gebrauchsmusterrecht, eine persönliche geistige Schöpfung auf kreativ-künstlerischem Gebiet im Urheberrecht oder eine gestalterische Leistung auf ästhetischem Gebiet im Designrecht. In all diesen Fällen lässt sich der Schaffensvorgang, der Voraussetzung für das Entstehen eines Rechts des geistigen Eigentums ist, nicht von der Person des Erfinders, des Urhebers oder des Entwerfers trennen1. Mit der Fertigstellung einer schutzfähigen Erfindung, der Schöpfung eines urheberrechtlich geschützten Werkes oder der Gestaltung eines neuen Designs, das über die erforderliche Eigenart verfügt, gehen ideelle Interessen einher, die die Rechtsordnung zugunsten der Erfinder, Urheber oder Entwerfer anerkennt und die zu den materiellen Interessen hinzutreten. In Fällen, in denen Immaterialgüter nicht im eigenen Interesse, sondern für jemand anderen geschaffen werden, muss die Rechtsordnung die verschiedenen vermögensrechtlichen und persönlichkeitsrechtlichen Interessen der Beteiligten zum Ausgleich bringen. Die Zuordnung der Rechte an immateriellen Gütern entscheidet darüber, unter welchen Voraussetzungen wessen Interessen an der Nutzung und Verwertung des immateriellen Guts Vorrang gebührt und ob und auf welche Weise die Interessen des jeweils anderen zu wahren oder auszugleichen sind2.

19.5

Die Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind durchaus konfliktträchtig, weil zentrale 19.6 immaterialgüterrechtliche Prinzipien in Widerspruch zu arbeitsrechtlichen Grundsätzen stehen. Das Arbeitsrecht beruht auf dem Gedanken, dass das Ergebnis der Arbeitsleistung ausschließlich dem Arbeitgeber zusteht, weil der Arbeitgeber den Arbeitslohn für die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer zahlt. Der Arbeitgeber soll daher über das Ergebnis der Arbeitsleistung zum einen frei verfügen können. Zum anderen ist die Arbeitsleistung mit dem Arbeitslohn vollständig abgegolten. Allein der Arbeitgeber trägt das volle Risiko der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Arbeitsleistung3. Hierzu stehen grundlegende Prinzipien des Rechts des geistigen Eigentums in einem Spannungsverhältnis. Im Patentrecht gilt im Ausgangspunkt das Erfinderprinzip (§ 6 PatG), im Urheberrecht das Schöpferprinzip (§ 7 UrhG) und im Designrecht das Entwerferprinzip (§ 7 Abs. 1 DesignG, Art. 14 Abs. 1 GGV). Dies bedeutet, dass das Recht auf das Patent, das Urheberrecht am Werk oder das Recht auf das Design grundsätzlich der natürlichen Person zusteht, die das jeweilige Immaterialgut geschaffen hat. Die Überleitung auf den Arbeitgeber oder den Auftraggeber bedarf daher einer besonderen gesetzli- 19.7 chen Anordnung oder eines Rechtsgeschäfts zwischen den Beteiligten. Es existieren im Recht des geistigen Eigentums allerdings keine Regeln, die für sämtliche Teilgebiete allgemein gültig wären. Im Gegenteil: Im Hinblick auf die Eigenarten des jeweils betroffenen Immaterialguts beantwortet das Recht des geistigen Eigentums die aus dem skizzierten Konflikt resultierenden Fragen unterschiedlich:

1. Patentrecht, Gebrauchsmusterrecht Den Konflikt zwischen arbeitsrechtlichen Prinzipien und zentralen Grundsätzen des Rechts des geistigen Eigentums löst für patent- oder gebrauchsmusterfähige Erfindungen und technische Verbes-

1 Ulrici, RdA 2009, 92 (94) m.w.N. 2 S. dazu Ulrici, RdA 2009, 92. 3 Bayreuther, GRUR 2003, 570 (571).

Pommerening

377

19.8

§ 19 Rz. 19.8

Sicherung geistigen Eigentums

serungsvorschläge von Arbeitnehmern das Gesetz über Arbeitnehmererfindungen (ArbnErfG). Fehlt es an der Arbeitnehmereigenschaft, müssen die Rechte an der Erfindung vertraglich übergeleitet werden.

a) Arbeitnehmererfinder aa) Diensterfindungen

19.9 Ist der Erfinder Arbeitnehmer im privaten oder öffentlichen Dienst, Beamter oder Soldat, gehen die Rechte an der Erfindung unter den im ArbnErfG genannten Voraussetzungen auf den Arbeitgeber über. Erforderlich ist hierfür zum einen, dass es sich um eine sog. Diensterfindung handelt und zum anderen, dass der Arbeitgeber entweder die Erfindung seines Arbeitnehmers durch eine einseitige Erklärung in Anspruch nimmt oder eine Frist von vier Monaten ab Eingang einer ordnungsgemäßen Erfindungsmeldung verstreichen lässt, nach deren Ablauf das Gesetz die Inanspruchnahme fingiert (s. Rz. 19.11 ff.). Allerdings wird der Arbeitgeber durch die Inanspruchnahme einer Diensterfindung nicht nur Inhaber aller vermögenswerten Rechte an der Erfindung, ihn treffen auch eine Reihe von Pflichten gegenüber dem Arbeitnehmer. Hierzu zählen insbesondere die Pflicht, die Erfindung zum Schutzrecht anzumelden sowie die Pflicht, den Arbeitnehmererfinder durch Zahlung einer besonderen Vergütung an den Früchten aus der wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung zu beteiligen (s. Rz. 19.17 ff.). Bei der Vertragsgestaltung ist zu berücksichtigen, dass die Vorschriften des ArbnErfG zuungunsten des Arbeitnehmers nicht abbedungen werden können (§ 22 Satz 1 ArbnErfG, s. dazu auch Rz. 19.24).

19.10 Der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des ArbnErfG orientiert sich an den im Arbeitsrecht entwickelten Grundsätzen. Arbeitnehmer im Sinne des ArbnErfG ist, wer aufgrund privatrechtlichen Vertrags oder eines diesem gleich gestellten Rechtsverhältnisses im Dienst eines anderen in persönlich abhängiger Stellung tätig ist1. Bei Auszubildenden, leitenden Angestellten, Praktikanten, Werksstudenten und Doktoranden ist die Arbeitnehmereigenschaft in jedem Einzelfall zu prüfen2. Nicht anwendbar ist das ArbnErfG auf Geschäftsführer einer GmbH, Vorstände einer AG, andere Organmitglieder von juristischen Personen oder auch persönlich haftende Gesellschafter eine KG3. Eine analoge Anwendung des ArbnErfG auf diese Personengruppen kommt nicht in Betracht. Sollen die Vorschriften des ArbnErfG Anwendung finden, muss deren Geltung individualvertraglich vereinbart werden (s. Rz. 19.28).

19.11 Im Hinblick auf die wechselseitigen Rechte und Pflichten trifft das ArbnErfG eine wichtige Weichenstellung. Es unterscheidet zwischen gebundenen Erfindungen (Diensterfindungen) und sonstigen, freien Erfindungen (§ 4 ArbnErfG). Diensterfindungen sind alle während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gemachten Erfindungen, die entweder aus der dem Arbeitnehmer im Betrieb oder in der öffentlichen Verwaltung obliegenden Tätigkeiten entstanden sind oder maßgeblich auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs oder der öffentlichen Verwaltung beruhen (§ 4 Abs. 2 ArbnErfG). Sie bilden den zentralen Gegenstand des Arbeitnehmererfinderrechts. Alle übrigen Erfindungen, die die vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllen, unterliegen als freie Erfindungen lediglich einer Mitteilungs- und Anbietungspflicht (s. Rz. 19.25 f.). Für die Beurteilung, ob im Einzelfall eine Diensterfindung oder eine freie Erfindung vorliegt, kommt es nicht entscheidend darauf an, wo und wann die Erfindung gemacht wurde oder darauf, ob die Erfindung in Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflich-

1 Osterrieth, Rz. 1227; s. auch BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GRUR 1990, 193 (193 f.) – Auto-Kindersitz; Bartenbach/Volz, § 1 ArbnErfG Rz. 9; Schwab, § 1 ArbnErfG Rz. 3. 2 Bartenbach/Volz, § 1 ArbnErfG Rz. 40 ff. 3 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GRUR 1990, 193 (193 f.) – Auto-Kindersitz; Bartenbach/Volz, § 1 ArbnErfG Rz. 68.

378

Pommerening

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.15 § 19

ten entstanden ist. Entscheidend ist allein, ob die Erfindung auf der tatsächlich zugewiesenen betrieblichen Tätigkeit oder den dort gewonnenen Erfahrungen beruht1. In sachlicher Hinsicht ist bislang ungeklärt, ob das Arbeitnehmererfindungsrecht unter Umständen auch für Softwareentwicklungen gelten kann. Grundsätzlich gehen sämtliche vermögensrechtlichen Befugnisse an einem Computerprogramm eines Arbeitnehmerprogrammierers gem. § 69b UrhG auf den Arbeitgeber über (s. Rz. 19.36). Für die Anwendung des ArbnErfG bleibt aber ggf. Raum, wenn die Entwicklung des Computerprogramms als Teil einer technischen Erfindung zu behandeln ist und die Entwicklung des Arbeitnehmers einen von § 69b UrhG nicht mehr erfassten weiteren Gegenstand erfasst, insbesondere zusätzlich einen das aus Sicht des Urheberrechts schutzfähige Werk übersteigenden technischen Anteil aufweist2.

19.12

Der Arbeitnehmer, der eine Diensterfindung gemacht hat, ist gem. § 5 ArbnErfG verpflichtet, sie unverzüglich dem Arbeitgeber gesondert in Textform zu melden und hierbei kenntlich zu machen, dass es sich um die Meldung einer Diensterfindung handelt (sog. Erfindungsmeldung). Mehrere Arbeitnehmer, die an dem Zustandekommen der Erfindung beteiligt waren, können die Meldung gemeinsam abgeben. Der Arbeitgeber hat den Zeitpunkt des Eingangs der Meldung dem Arbeitnehmer unverzüglich in Textform zu bestätigen (§ 5 Abs. 1 ArbnErfG). In der Meldung hat der Arbeitnehmer die technische Aufgabe, ihre Lösung und das Zustandekommen der Diensterfindung zu beschreiben. Ergänzend soll er vorhandene Aufzeichnungen der Erfindungsmeldung beifügen, soweit sie zum Verständnis der Erfindung erforderlich sind. Ferner soll die Meldung dem Arbeitnehmer dienstlich erteilte Weisungen oder Richtlinien, die benutzten Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs, die Mitarbeiter sowie Art und Umfang ihrer Mitarbeit angeben und hervorheben, was der meldende Arbeitnehmer als seinen eigenen Anteil ansieht (§ 5 Abs. 2 ArbnErfG).

19.13

Die inhaltlichen Anforderungen an die Erfindungsmeldung sollen es dem Arbeitgeber ermöglichen, ohne weitere Maßnahmen den Erfindungsinhalt zu ermitteln und ihn in die Lage versetzen, zu entscheiden, ob er die Erfindung in Anspruch nehmen will oder nicht3. Eine Meldung, die den genannten Voraussetzungen nicht entspricht, gilt als ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber nicht innerhalb von zwei Monaten erklärt, dass und in welcher Hinsicht die Meldung einer Ergänzung bedarf. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer, soweit erforderlich, bei der Ergänzung der Meldung zu unterstützen (§ 5 Abs. 3 ArbnErfG). Dieses Beanstandungsrecht des Arbeitgebers bleibt auch dann bestehen, wenn der Arbeitgeber die Inanspruchnahme erklärt oder die Erfindung zum Schutzrecht anmeldet4. Auch nach erklärter Inanspruchnahme oder Schutzrechtsanmeldung ist der Arbeitgeber auf die Informationen angewiesen. Nur so ist gewährleistet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer ihre wechselseitigen arbeitnehmererfinderrechtlichen Rechte wahrnehmen bzw. Pflichten erfüllen können.

19.14

Die Inanspruchnahme einer Diensterfindung erfolgt gem. § 6 Abs. 1 ArbnErfG durch eine Erklä- 19.15 rung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Die Inanspruchnahme gilt als erklärt, wenn der Arbeitgeber die Diensterfindung nicht bis zum Ablauf von vier Monaten nach Eingang der ordnungsgemäßen Erfindungsmeldung gegenüber dem Arbeitnehmer durch Erklärung in Textform freigibt (Inanspruchnahmefiktion)5. 1 OLG Frankfurt v. 22.1.2009 – 6 U 151/06, GRUR-RR 2009, 291 – Erfindungsanmeldung; Bartenbach/ Volz, § 2 ArbnErfG Rz. 22; Schwab, § 4 ArbnErfG Rz. 5 f. 2 Osterrieth, Rz. 1241 ff.; s. auch BGH v. 24.10.2000 – X ZR 72/98, GRUR 2001, 155, 157 – Wetterführungspläne I. 3 Osterrieth, Rz. 1246. 4 Osterrieth, Rz. 1247. 5 Die Fiktion der Inanspruchnahme gilt für alle Diensterfindungen, die seit dem 1.10.2009 gemeldet werden. Bei Diensterfindungen, die bis zum 30.9.2009 gemeldet wurden, musste der Arbeitgeber die Diensterfindung durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitnehmer in Anspruch nehmen. Relevant wird die frühere Rechtslage bezüglich „Alterfindungen“ beispielsweise noch im Rahmen von Unternehmenskäufen.

Pommerening

379

§ 19 Rz. 19.16

Sicherung geistigen Eigentums

19.16 Mit der Inanspruchnahme gehen alle vermögenswerten Rechte an der Diensterfindung gem. § 7 Abs. 1 ArbnErfG auf den Arbeitgeber über, der Arbeitgeber wird Rechtsnachfolger des Erfinders. Verfügungen, die der Arbeitnehmer über eine Diensterfindung vor der Inanspruchnahme getroffen hat, sind gegenüber dem Arbeitgeber gem. § 7 Abs. 2 ArbnErfG unwirksam, soweit seine Rechte beeinträchtigt werden. Das relative Verfügungsverbot i.S.d. § 135 BGB schützt den Arbeitgeber vor einer Beeinträchtigung seiner Rechte durch Verfügungen des Arbeitnehmers (insbesondere durch Abtretung der Erfinderrechte, Lizenzvergabe, Verpfändungen) oder durch Verfügungen im Wege der Zwangsvollstreckung und Arrestvollziehung1. Auch nach der Inanspruchnahme durch den Arbeitgeber verbleibt beim Arbeitnehmererfinder das sog. Erfinderpersönlichkeitsrecht, das das Recht des Erfinders auf Anerkennung als Erfinder gegenüber jedem Dritten, einschließlich dem Arbeitgeber, schützt. Es ist als höchstpersönliches Recht nicht übertragbar, unverzichtbar, unpfändbar und besteht auch nach Erlöschen eines Schutzrechts auf die Erfindung fort2.

19.17 Durch die Inanspruchnahme der Diensterfindung wird der Arbeitgeber zwar Inhaber aller vermögenswerter Rechte hieran, vollständig nach Belieben verfahren kann er mit der Erfindung seines Arbeitnehmers dennoch nicht. Der Arbeitgeber ist gem. § 13 Abs. 1 ArbnErfG allein berechtigt, aber auch verpflichtet, eine gemeldete Diensterfindung im Inland zur Erteilung eines Schutzrechts anzumelden. Dabei hat er eine patentfähige Diensterfindung grundsätzlich zur Erteilung eines Patents anzumelden. Wenn bei verständiger Würdigung der Verwertbarkeit der Erfindung der Gebrauchsmusterschutz zweckdienlicher erscheint, ist der Arbeitgeber ausnahmsweise berechtigt, im Hinblick auf die geringeren Kosten und dem schnelleren Ablauf des Eintragungsverfahrens die Erfindung zur Eintragung eines Gebrauchsmusters anzumelden.

19.18 Von einer Anmeldung zur Erteilung eines Patents kann der Arbeitgeber auch dann absehen, wenn berechtigte Belange des Betriebs es erfordern, eine gemeldete Diensterfindung nicht bekannt werden zu lassen (§ 17 Abs. 1 ArbnErfG), sondern geheim zu halten. Voraussetzung ist jedoch, dass der Arbeitgeber die Schutzfähigkeit der Diensterfindung gegenüber dem Arbeitnehmer anerkennt oder zur Herbeiführung einer Einigung über die Schutzfähigkeit der Diensterfindung die beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) errichtete Schiedsstelle anruft (§ 17 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ArbnErfG). Im Übrigen entfällt die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Anmeldung, wenn die Diensterfindung gem. § 8 ArbnErfG frei geworden ist oder der Arbeitnehmer der Nichtanmeldung zum Schutzrecht zustimmt (§ 13 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 ArbnErfG).

19.19 Gemäß § 14 Abs. 1 ArbnErfG ist der Arbeitgeber nach Inanspruchnahme der Diensterfindung berechtigt, diese auch im Ausland zur Erteilung von Schutzrechten anzumelden. Eine Verpflichtung, wie sie für Inlandsanmeldungen besteht, sieht das Arbeitnehmererfindungsrecht für Auslandsanmeldungen allerdings nicht vor. Sieht der Arbeitgeber von einer Auslandsanmeldung ganz oder teilweise ab, hat er die Diensterfindung dem Arbeitnehmer gem. § 14 Abs. 2 ArbnErfG für ausländische Staaten, in denen er Schutzrechte nicht erwerben will, freizugeben und dem Arbeitnehmer auf Verlangen den Erwerb von Auslandsschutzrechten zu ermöglichen.

19.20 Sobald der Arbeitgeber die Diensterfindung in Anspruch genommen hat, hat der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf angemessene Vergütung (§ 9 Abs. 1 ArbnErfG). Für die Bemessung der Vergütung sind gem. § 9 Abs. 2 ArbnErfG insbesondere die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Diensterfindung, die Aufgaben und die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb sowie der Anteil des Betriebs an dem Zustandekommen der Diensterfindung maßgebend. Die Einzelheiten der Bemessung der angemessenen Arbeitnehmererfindervergütung sind in den gem. § 11 ArbnErfG erlassenen „Richtlinien für die Vergütung von Arbeitnehmererfindungen im privaten Dienst“ geregelt.

1 Schwab, § 7 ArbnErfG Rz. 2. 2 BGH v. 20.6.1978 – X ZR 49/75, GRUR 1978, 583 (585) – Motorkettensäge; Bartenbach/Volz, § 7 ArbnErfG Rz. 24; Schwab, § 7 ArbnErfG Rz. 3; Kursawe in Boemke/Kursawe, § 7 ArbnErfG Rz. 28.

380

Pommerening

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.24 § 19

Für die Berechnung der Vergütung nach den Richtlinien ist zunächst der Erfindungswert nach dem erfassbaren betrieblichen Nutzen, im Wege der Lizenzanalogie oder einer globalen Schätzung zu ermitteln. Die Ermittlung im Wege der Lizenzanalogie stellt darauf ab, welche Lizenzsätze in den jeweiligen technischen Fachgebieten für vergleichbare Fälle in üblichen Lizenzverträgen in Ansatz gebracht werden. Der Erfindungswert wird sodann mit dem sog. Anteilsfaktor multipliziert. Der Anteilsfaktor berücksichtigt, dass die Erfindung aus der dem Arbeitnehmer im Betrieb obliegenden Tätigkeit entstanden ist oder maßgeblich auf Erfahrungen oder Arbeiten des Betriebs beruht. Die Höhe des maßgeblichen Anteilsfaktors bemisst sich nach den jeweiligen Anteilen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers beim Stellen der Aufgabe, der Mitwirkung des Betriebs bei der Lösung der Aufgabe sowie der Stellung des Erfinders im Betrieb. Sind mehrere Miterfinder am Zustandekommen der Erfindung beteiligt gewesen, reduziert sich die angemessene Vergütung auf den Miterfinderanteil des betroffenen Arbeitnehmers.

19.21

Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers entsteht nicht erst mit der Schutzrechtserteilung, son- 19.22 dern bereits mit der Inanspruchnahme. Dies gilt auch dann, wenn ein Patent im Ergebnis nicht erteilt wird. Es ist dem Arbeitnehmererfinder nicht zuzumuten, ihn bis zum Abschluss des Erteilungsverfahrens zu vertrösten, um ihn dann im Fall einer Versagung des Patents sogar völlig leer ausgehen zu lassen1. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass die Diensterfindung schutzunfähig ist und wird das Patent infolgedessen widerrufen bzw. für nichtig erklärt, entfällt zwar rückwirkend jeder Schutz. Der Vergütungsanspruch bleibt für die Vergangenheit jedoch bestehen und entfällt nur für die Zukunft, weil der Arbeitgeber bis dahin eine faktische Vorzugsstellung gegenüber Mitbewerbern hatte2. Die Dauer des Vergütungsanspruchs bemisst sich im Regelfall nach der Laufzeit des Schutzrechts3. Gemäß § 12 Abs. 1 ArbnErfG soll die Art und Höhe der Vergütung in angemessener Frist nach Inanspruchnahme der Diensterfindung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer festgestellt werden. Das Gesetz geht hierfür von zwei verschiedenen Möglichkeiten aus. Zum einen können Arbeitgeber und Arbeitnehmer Art und Höhe der geschuldeten Vergütung in einer Vereinbarung feststellen. Kommt eine Vereinbarung über die Vergütung in angemessener Frist nach Inanspruchnahme der Diensterfindung nicht zustande, hat der Arbeitgeber die Vergütung einseitig durch eine begründete Erklärung in Textform gegenüber dem Arbeitnehmer festzusetzen und entsprechend der Festsetzung zu zahlen (§ 12 Abs. 3 ArbnErfG). Ist der Arbeitnehmer mit der Festsetzung durch den Arbeitgeber nicht einverstanden, kann er innerhalb von zwei Monaten durch Erklärung in Textform widersprechen. Widerspricht er nicht, wird die Festsetzung für beide verbindlich (§ 12 Abs. 4 ArbnErfG).

19.23

Zieht der Arbeitgeber einen fortlaufenden Nutzen aus der Diensterfindung, etwa bei innerbetriebli- 19.24 cher Nutzung oder Lizenzvergabe an Dritte gegen laufende Lizenzgebühren, hat der Arbeitnehmer auch fortlaufend fällig werdende Ansprüche auf (weitere) Vergütung. Dies kann auf Seiten des Arbeitgebers einen beträchtlichen Verwaltungsaufwand erzeugen. Viele Arbeitgeber bevorzugen es daher, Pauschalvergütungsvereinbarungen zu treffen, die eine einmalige oder mehrmalige Zahlungen an den Arbeitnehmererfinder vorsehen. Solche Vereinbarungen sind nach Meldung einer Diensterfindung grundsätzlich zulässig (§ 22 Satz 2 ArbnErfG), stehen jedoch unter bestimmten Vorbehalten, die in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich, dem Schutz des Arbeitnehmers dienen. So sind Vereinbarungen über Diensterfindungen gem. § 23 Abs. 1 ArbnErfG unwirksam, soweit sie in erheblichem Maße unbillig sind. Dies ist dann der Fall, wenn von Anfang an ein objektiv ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen der vereinbarten und der nach den Vergütungsrichtlinien zu ermittelnden Erfindervergütung (s. Rz. 19.20 f.) bestand. Ändern sich nach Abschluss einer Pauschalvergütungsvereinbarung Umstände wesentlich, die für die Bemessung der Vergütung maßgebend waren, so dass nachträglich ein Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung eintritt, können Arbeitgeber 1 BGH v. 30.3.1971 – X ZR 8/68, GRUR 1971, 475 (477) – Gleichrichter. 2 BGH v. 6.2.2002 – X ZR 215/00, GRUR 2002, 609 (610) – Drahtinjektionseinrichtung. 3 BGH v. 28.4.1970 – X ZR 38/67, GRUR 1970, 459 (460) – Scheinwerfereinstellungsgerät.

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§ 19 Rz. 19.24

Sicherung geistigen Eigentums

und Arbeitnehmer gem. § 12 Abs. 6 ArbnErfG voneinander die Einwilligung in eine andere Regelung der Vergütung verlangen. bb) Freie Erfindungen

19.25 Hat der Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses eine freie Erfindung gemacht, hat er auch dies dem Arbeitgeber gem. § 18 Abs. 1 ArbnErfG unverzüglich durch Erklärung in Textform mitzuteilen. Eine Verpflichtung zur Mitteilung freier Erfindungen besteht gem. § 18 Abs. 3 ArbnErfG lediglich dann nicht, wenn die Erfindung offensichtlich im Arbeitsbereich des Betriebs des Arbeitgebers nicht verwendbar ist. Auch an die Mitteilung einer freien Erfindung stellt das Gesetz inhaltliche Anforderungen: Der Arbeitnehmer muss über die Erfindung und, wenn dies erforderlich ist, auch über ihre Entstehung so viel mitteilen, dass der Arbeitgeber beurteilen kann, ob die Erfindung frei ist. Nach Zugang der Mitteilung über eine freie Erfindung kann der Arbeitgeber innerhalb einer Frist von drei Monaten durch Erklärung in Textform gegenüber dem Arbeitnehmer bestreiten, dass die ihm mitgeteilte Erfindung frei ist. Bestreitet der Arbeitgeber innerhalb der Frist nicht, so kann die Erfindung nicht mehr als Diensterfindung in Anspruch genommen werden (§ 18 Abs. 2 ArbnErfG).

19.26 Neben der Mitteilungspflicht trifft den Arbeitnehmer, der eine freie Erfindung gemacht hat, eine Anbietungspflicht (§ 19 ArbnErfG). Danach hat der Arbeitnehmer, bevor er eine freie Erfindung während der Dauer des Arbeitsverhältnisses anderweitig verwertet, dem Arbeitgeber mindestens ein nicht-ausschließliches Recht zur Benutzung der Erfindung zu angemessenen Bedingungen anzubieten, wenn die Erfindung im Zeitpunkt des Angebots in den vorhandenen oder vorbereiteten Arbeitsbereich des Betriebs des Arbeitgebers fällt. Das Angebot kann gleichzeitig mit der Mitteilung nach § 18 ArbnErfG abgegeben werden (§ 19 Abs. 1 ArbnErfG). Nimmt der Arbeitgeber das Angebot innerhalb von drei Monaten nicht an, erlischt sein Vorrecht (§ 19 Abs. 2 ArbnErfG). Erklärt sich der Arbeitgeber fristgerecht zum Erwerb des ihm angebotenen Rechts bereit, macht er jedoch geltend, dass die Bedingungen des Angebots nicht angemessen seien, so kann das zuständige Gericht auf Antrag des Arbeitgebers oder des Arbeitsnehmers die Bedingungen festsetzen (§ 19 Abs. 3 ArbnErfG).

19.27 Gibt der Arbeitgeber eine Diensterfindung durch Erklärung in Textform frei, kann der Arbeitnehmer über die frei gewordene Diensterfindung verfügen, ohne dass er verpflichtet wäre, die freie Erfindung dem Arbeitgeber nochmals gem. § 18 ArbnErfG mitzuteilen oder ihm ein nicht ausschließliches Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen gem. § 19 ArbnErfG anzubieten.

b) Freie Mitarbeiter, Organmitglieder etc. 19.28 Ist der persönliche Anwendungsbereich des ArbnErfG aufgrund des Beschäftigungsstatus des Erfinders nicht eröffnet – was insbesondere bei freien Mitarbeitern und Organmitgliedern der Fall ist (dazu Rz. 19.10) –, kann der Unternehmensinhaber eine Erfindung, die der Erfinder im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für das Unternehmen gemacht hat, grundsätzlich nicht nach den Vorschriften des ArbnErfG in Anspruch nehmen. Zwar besteht die Möglichkeit, die Geltung der materiell-rechtlichen Vorschriften des Arbeitnehmererfinderrechts vertraglich zu vereinbaren1. Fehlt es an einer solchen Vereinbarung, müssen die Erfindungen dem Unternehmensinhaber auf anderem Wege zugeordnet werden. Die Parteien sind frei, eine solche Zuordnung vertraglich zu vereinbaren, etwa durch eine Übertragungspflicht oder eine Vorausabtretung im Dienstvertrag oder eine nachträgliche Übertragungsvereinbarung, aber auch durch konkludente Vereinbarung einer Anbietungs- oder Übertragungspflicht2.

1 Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384 (385). 2 Ausf. Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384 ff.

382

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.31 § 19

Ist der Erfinder zur Übertragung der Rechte an seiner Erfindung auf den Unternehmensinhaber verpflichtet, stellt sich des Weiteren die Frage, ob und in welcher Höhe er eine (zusätzliche) Vergütung hierfür verlangen kann. Enthält die Vereinbarung zwischen Erfinder und Unternehmensinhaber eine ausdrückliche Vergütungsregelung, die auch die Gegenleistung für die Übertragung beinhaltet, ist diese maßgeblich. Enthält der Vertrag eine solche ausdrückliche Vereinbarung nicht, kommt es darauf an, in welcher Rolle der Erfinder die Erfindung gemacht hat, was insbesondere bei Organmitgliedern relevant wird: Stellt die Tätigkeit des Organmitglieds im Forschungs- und Entwicklungsbereich eine laut Dienstvertrag zugewiesene Aufgabe dar, so ist die technische Neuentwicklung als Erfüllung des Vertragsinhalts anzusehen und bereits durch die vereinbarten Dienstbezüge abgegolten1. Ist dies hingegen nicht der Fall und liegen die eigenen Erfindungen des Organmitglieds außerhalb des vertraglich vereinbarten Tätigkeits- und Aufgabenbereichs, stellt die Entwicklung einer Erfindung eine Sonderleistung dar, die nicht von den regelmäßigen Dienstbezügen abgedeckt ist2. Ist eine Vergütung hierfür nicht vereinbart, steht dem Organmitglied in diesen Fällen regelmäßig ein Anspruch auf angemessene Vergütung nach § 612 Abs. 2 BGB zu3. In der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt ist, in welchen Grenzen Klauseln zulässig sind, die eine zusätzliche Vergütung des Organmitglieds für dessen Erfindung ausschließen, wenn es sich bei der Erfindung um eine Sonderleistung handelt. In der Entscheidung „Rollenantriebseinheit II“ hat der BGH jedenfalls hervorgehoben, dass ein Erfinder sein Recht in der Regel nicht ohne angemessenen Ausgleich aufgeben werde4.

19.29

2. Urheberrecht Das Urheberrecht entsteht mit der Schöpfung eines Werkes, in dem die individuelle Kreativität des Schöpfers zum Ausdruck kommt („persönliche geistige Schöpfung“, § 2 Abs. 2 UrhG)5. Urheber ist gem. § 7 UrhG stets der Schöpfer des Werkes. Inhaber des Urheberrechts kann nach deutschem Recht nur eine natürliche Person sein6. Das Urheberrecht ist vererblich (§ 38 Abs. 1 UrhG), im Übrigen aber grundsätzlich nicht übertragbar. Ein Übergang des Urheberrechts als solches ist nur möglich, wenn das Urheberrecht in Erfüllung einer Verfügung von Todes wegen oder an Miterben im Wege der Erbauseinandersetzung übertragen wird (§ 29 Abs. 1 UrhG).

19.30

Wirtschaftlich verwertbar – und insoweit verkehrsfähig – wird das Urheberrecht durch die Möglichkeit des Urhebers, Dritten konstitutiv Nutzungsrechte an dem urheberrechtlich geschützten Werk gem. § 31 UrhG einzuräumen. Mit der Einräumung von Nutzungsrechten werden einzelne Befugnisse aus dem Urheberrecht gelöst und als Gegenstand eines neuen Rechts dessen Inhaber zugewiesen, wobei ein Zusammenhang mit dem Stammrecht bestehen bleibt7. Die Einräumung eines Nutzungsrechts ist eine Verfügung über das Urheberrecht, die das Stammrecht belastet und zugleich ein neues Recht entstehen lässt8. Der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts kann gem. § 35 Abs. 1 UrhG mit Zustimmung des Urhebers von diesem Nutzungsrechte weiterer Stufen durch weitere konstitutive Rechtseinräumung ableiten. Einmal entstandene Nutzungsrechte können auch übertragen

19.31

1 Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384 (387); BGH v. 26.9.2006 – X ZR 181/03, GRUR 2007, 52 (53) – Rollenantriebseinheit II; BGH v. 11.4.2000 – X ZR 185/97, GRUR 2000, 788 (791) – Gleichstromsteuerschaltung; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/98, GRUR 2000, 49 (50) – Geschäftsführer-Erfindung. 2 Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384 (387); BGH v. 26.9.2006 – X ZR 181/03, GRUR 2007, 52 (53) – Rollenantriebseinheit II; BGH v. 22.10.1964 – Ia ZR 8/64, GRUR 1965, 302, 304 – Schellenreibungskupplung; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/98, GRUR 2000, 49 (50) – Geschäftsführer-Erfindung. 3 BGH v. 26.9.2006 – X ZR 181/03, GRUR 2007, 52 (53) – Rollenantriebseinheit II; BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GRUR 1990, 193 – Auto-Kindersitz. 4 BGH v. 26.9.2006 – X ZR 181/03, GRUR 2007, 52 (53) – Rollenantriebseinheit II. 5 Loewenheim/Leistner in Schricker/Loewenheim, § 2 UrhG Rz. 30; für Computerprogramme gelten gem. § 69a Abs. 3 UrhG modifizierte Maßstäbe, s. dazu Dreier in Dreier/Schulze, § 69a UrhG Rz. 25 ff. 6 Thum in Wandtke/Bullinger, § 7 UrhG Rz. 13 ff. 7 Loewenheim/J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 1. 8 Loewenheim/J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 1.

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§ 19 Rz. 19.31

Sicherung geistigen Eigentums

werden1, wobei hierfür gem. § 34 Abs. 1 UrhG grundsätzlich die Zustimmung des Urhebers erforderlich ist.

a) Besonderheiten für Urheber in Arbeits- und Dienstverhältnissen 19.32 An dieser Ausgangslage ändert sich auch dann nichts, wenn der Urheber Arbeitnehmer ist und das Werk in Erfüllung seiner Pflichten aus dem Arbeitsvertrag erstellt hat. Das gleiche gilt für freie Mitarbeiter und andere Nicht-Arbeitnehmer, die Werke in Erfüllung ihrer Pflichten aus einem Werkvertrag oder im Rahmen anderer Formen der Beauftragung schaffen2. Auch in diesen Fällen kommt das Schöpferprinzip im Ausgangspunkt uneingeschränkt zur Anwendung, so dass der ArbeitnehmerUrheber originärer Rechteinhaber ist. Der Arbeitgeber selbst kann „nur“ Inhaber von Nutzungsrechten werden, die ihm der Arbeitnehmer-Urheber an dem Arbeitsergebnis einräumt. Dies stellt § 43 UrhG klar, wonach die urheberrechtlichen Vorschriften über die Einräumung von Nutzungsrechten auch dann anzuwenden sind, wenn der Urheber das Werk in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus einem Arbeits- oder Dienstverhältnis geschaffen hat, soweit sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses nichts anderes ergibt.

19.33 Eine solche Besonderheit, die sich aus dem Inhalt oder dem Wesen des Arbeitsverhältnisses ergibt, besteht darin, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung im Interesse des Arbeitgebers erbringt und der Arbeitgeber das volle Risiko der wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Arbeitsleistung trägt. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass die von dem Arbeitnehmer in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis geschaffenen Arbeitsergebnisse auch dann dem Arbeitgeber zukommen, wenn es sich um urheberrechtlich geschützte Werke handelt. Kann der Arbeitgeber aufgrund urheberrechtlicher Bestimmungen nicht selbst originärer Rechteinhaber werden, muss er zumindest verlangen können, dass ihm diejenigen Nutzungsrechte eingeräumt werden, die er für seine unternehmerischen Zwecke benötigt.

19.34 Es entspricht daher allgemeiner Ansicht, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber stillschweigend Nutzungsrechte an allen vom Arbeitsvertrag erfassten Werken selbst dann einräumt, wenn eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag fehlt3. Damit stehen aber auch die Grenzen einer stillschweigenden Rechteeinräumung fest: Sie kommt nur in Betracht, wenn die Schaffung des Werkes durch den Arbeitnehmer zu dessen Aufgabenbereich im Rahmen des Arbeitsverhältnisses gehört, es sich bei dem geschaffenen Werk also um ein sog. Pflichtwerk handelt4. Dies ist dann der Fall, wenn das Werk während der Dauer des Arbeitsverhältnisses geschaffen wurde und auch im Übrigen ein innerer Zusammenhang zwischen arbeitsvertraglicher Pflichterfüllung und der Schaffung des Werkes besteht. Hierfür ist nicht erforderlich, dass der Arbeitsvertrag eine konkrete Verpflichtung zur Schaffung urheberrechtlich geschützter Werke enthält5. Eine Verpflichtung zur Einräumung von Nutzungsrechten kann auch dann bestehen, wenn dies nicht ausdrücklich vereinbart wurde und die Schaffung des Werkes einen Bereich betrifft, in dem regelmäßig keine schöpferischen Leistungen erbracht werden6. Ebenso wenig kommt es darauf an, wann und wo das Werk geschaffen wird oder

1 § 29 Abs. 2 UrhG gilt nur für das Urheberrecht als solches, nicht für hiervon abgeleitete Nutzungsrechte. 2 Thum in Wandtke/Bullinger, § 7 UrhG Rz. 16 ff. 3 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 29 ff.; Dreier in Dreier/Schulze, § 43 UrhG Rz. 18 ff.; Rojahn/Frank in Schricker/Loewenheim, § 43 UrhG Rz. 37 ff.; Wandtke in Wandtke/Bullinger, § 43 UrhG Rz. 46 ff. 4 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 14. 5 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 14. 6 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 16; BGH v. 24.10.2000 – X ZR 72/98, GRUR 2001, 155 (157) – Wetterführungspläne I; KG v. 3.7.1996 – 16 O 136/96, ZUM 1998, 167 – Softwareentwickler im Arbeitsverhältnis.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.36 § 19

ob der Arbeitnehmer bei der Schaffung des Werks auf Arbeitsmittel oder Ressourcen des Arbeitgebers zurückgreift1. Eine Verpflichtung zur Einräumung von Nutzungsrechten besteht nicht für solche Werke, die ein Ar- 19.35 beitnehmer in seiner Freizeit schafft, ohne dass ein innerer Zusammenhang zwischen arbeitsvertraglicher Verpflichtung und Werkschöpfung besteht. Diese Schöpfungen sind sog. freie Werke und stehen allein dem Arbeitnehmer zu. Im Ausgangspunkt das gleiche gilt für solche Werke, die der Arbeitnehmer-Urheber schafft und die im Arbeitsbereich des Unternehmens des Arbeitgebers verwendbar sind oder diesem Konkurrenz machen könnten. Erfolgt die Werkschöpfung, ohne dass ein innerer Zusammenhang mit den arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers besteht, ist das Werk ebenfalls zunächst frei. Diskutiert wird allerdings, ob in diesen Fällen eine Pflicht des Arbeitnehmers besteht, seinem Arbeitgeber das freiwillige Werk anzubieten: Die wohl h.M. bejaht eine solche Anbietungspflicht, wenn der Arbeitnehmer ein Werk während seiner Arbeitszeit oder mit Mitteln des Arbeitgebers schafft, da das Werk mit Hilfe der wirtschaftlichen Ressourcen des Arbeitgebers entstanden ist und der Arbeitgeber jedenfalls dann, wenn er das geschaffene Werk für seine betrieblichen Zwecke verwenden kann, aufgrund der Verwendung seiner Ressourcen als Ausfluss der arbeitsrechtlichen Treuepflicht auch eine Einräumung der für die Verwendung notwendigen Nutzungsrechte verlangen könne2. Nach teilweise vertretener Ansicht soll eine Anbietungspflicht auch dann bestehen, wenn der Arbeitnehmer ein freiwilliges Werk zuhause und unter Einsatz seiner privaten Mittel geschaffen hat3. Nach h.M. lässt sich eine Pflicht des Arbeitnehmers, seinem Arbeitgeber das Werk zur Nutzung anzubieten, in diesen Fällen hingegen nicht aus dem Arbeitsverhältnis herleiten. Auch begründe die arbeitsrechtliche Treuepflicht kein Verwertungsverbot zu Lasten des ArbeitnehmerUrhebers4. Allenfalls könne die Verwertung eines in Konkurrenz mit den im Arbeitsbereich des Arbeitgebers verwerteten Werken tretendes Werk über das Konkurrenzverbot unterbunden werden5. Höchstrichterlich entschieden sind diese Fragen nicht. Es empfiehlt sich daher, eine Vereinbarung im Arbeitsvertrag zu treffen, die die Gefahr schwieriger Abgrenzungsfragen verringert. Während § 43 UrhG Ausnahmen von den allgemeinen urheberrechtlichen Regeln nur vorsieht, wenn 19.36 und soweit Inhalt und Wesen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses dies erfordern, existiert für Software mit § 69b UrhG eine Sonderregelung. Wird ein Computerprogramm von einem Arbeitnehmer in Wahrnehmung seiner Aufgaben oder nach den Anweisungen seines Arbeitgebers geschaffen, ist ausschließlich der Arbeitgeber zur Ausübung aller vermögensrechtlichen Befugnisse an dem Computerprogramm berechtigt, sofern nichts anderes vereinbart ist (§ 69b Abs. 1 UrhG). Auch wenn auch für den Programmierer von Software das Schöpferprinzip gilt6, verschafft § 69b UrhG dem Arbeitgeber eine deutlich stärkere Rechtsposition, als ihm nach Anwendung der allgemeinen urheberrechtlichen Maßstäbe zukommen würde. Der Arbeitgeber erhält unabhängig von seinem Betriebszweck und etwaigen betrieblichen Notwendigkeiten ein unbeschränktes und unbefristetes ausschließliches Nutzungsrecht, das auch das Bearbeitungsrecht sowie die Befugnis zur Weiterübertragung bzw. zur Erteilung von Unterlizenzen beinhaltet7. Der gesetzlich normierte Übergang der

1 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 14; s. auch KG v. 3.7.1996 – 16 O 136/96, ZUM 1998, 167 – Softwareentwickler im Arbeitsverhältnis; OLG Nürnberg v. 18.2.1997 – 3 U 3053/96, ZUM 1999, 656 (657)– Museumsführer; Wandtke, GRUR 1999, 390 (391 ff.). 2 BGH v. 27.9.1990 – I ZR 244/88, GRUR 1991, 523 (528) – Grabungsmaterialien; A. Nordemann in Fromm/Nordemann, § 43 UrhG Rz. 25; Rojahn/Frank in Schricker/Loewenheim, § 43 UrhG Rz. 100 ff., jeweils m.w.N.; a.A.A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 27. 3 Dreier in Dreier/Schulze, § 43 UrhG Rz. 26; Czychowski in Fromm/Nordemann, § 69b UrhG Rz. 8. 4 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 26; Wandtke in Wandtke/Bullinger, § 43 UrhG Rz. 34; Schack, Rz. 1230. 5 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 26; Bayreuther in MünchHBArbR, § 99 Rz. 29; Schack, Rz. 1230; a.A. Wandtke in Wandtke/Bullinger, § 43 UrhG Rz. 34. 6 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 54; Dreier in Dreier/Schulze, § 69b Rz. 2. 7 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 55.

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§ 19 Rz. 19.36

Sicherung geistigen Eigentums

wirtschaftlichen Verwertungsrechte1 geht den im Übrigen zum Schutz des Urhebers geltenden Beschränkungen bei der Einräumung von Nutzungsrechten vor (s. Rz. 19.38 ff.)2. Der ArbeitnehmerUrheber behält keine Nutzungsrechte zurück3.

19.37 In persönlicher Hinsicht gelten die Sonderregeln der §§ 43, 69b UrhG für alle Arbeitnehmer, die mit einem Arbeitgeber durch einen Arbeitsvertrag gem. § 611a BGB verbunden und persönlich weisungsabhängig sind. Der Begriff des Arbeitsverhältnisses richtet sich nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen4. Mit „Dienstverhältnis“ sind lediglich öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse gemeint. Die Sonderregelungen gelten daher nur für Beamte, Richter und Soldaten5. Privatrechtliche Dienstverträge gem. § 611 BGB sind keine Dienstverhältnisse i.S.d. §§ 43, 69b UrhG. Für Urheber, die Werke aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages schaffen, ohne Arbeitnehmer im oben beschriebenen Sinne zu sein, gelten die §§ 43, 69b UrhG regelmäßig nicht. Eine Ausnahme gilt lediglich im Hinblick auf Geschäftsführer und Organmitglieder juristischer Personen, die – insoweit in Erweiterung des arbeitsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs – vom Anwendungsbereich der §§ 43, 69b UrhG erfasst werden6.

b) Urheberrechtliche Grenzen der Vertragsgestaltung 19.38 Aufgrund der Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs der §§ 43, 69b UrhG richtet sich die Einräumung von Nutzungsrechten an urheberrechtlich geschützten Werken, die von freien Mitarbeitern geschaffen werden, nach den allgemeinen urheberrechtlichen Regelungen. Bei der Vertragsgestaltung sind insoweit zahlreiche urheberrechtliche Besonderheiten zu beachten, die dem regelmäßig bestehenden Wunsch des Unternehmensinhabers, Inhaber sämtlicher Rechte an dem Leistungsergebnis zu werden, rechtliche Grenzen setzen. Da die entsprechenden Vorschriften den Urheber in seiner Beziehung zum Werk schützen und ihren Grund in den urheberrechtlichen Besonderheiten finden, gelten sie grundsätzlich auch in Arbeits- und Dienstverhältnissen.

19.39 Allen voran ist der Übertragungszweckgedanke zu beachten, der in § 31 Abs. 5 UrhG zum Ausdruck kommt und das gesamte Urhebervertragsrecht dominiert. Der Übertragungszweckgedanke besagt, dass der Urheber in Verträgen über sein Urheberrecht im Zweifel Nutzungsrechte nur in dem Umfang einräumt, den der Vertragsweck unbedingt erfordert7. Der Übertragungszweckgedanke ist Ausdruck eines allgemeinen urheberrechtlichen Grundsatzes, wonach die urheberrechtlichen Befugnisse die Tendenz haben, soweit wie möglich beim Urheber zu verbleiben8. Insbesondere für den Auftraggeber ist er ein zweischneidiges Schwert: Zum einen ermöglicht er eine Vertragsauslegung, nach der die Einräumung von Nutzungsrechten auch dann vereinbart ist, wenn eine ausdrückliche Bestimmung in diesem Sinne fehlt. So verstanden kann der Übertragungszweckgedanke durchaus dem Auftraggeber zugutekommen9. Im Übrigen dient der Übertragungszweckgedanke jedoch in erster Linie dem Schutz des Urhebers und soll dessen angemessene Beteiligung an den wirtschaftlichen Früchten der Verwertung seines Werkes sicherstellen (§ 11 Satz 2, § 32 UrhG)10.

1 Zur Rechtsnatur s. BGH v. 23.10.2001 – X ZR 72/98, GRUR 2002, 149 (152) – Wetterführungspläne II; A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 54 m.w.N. 2 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 56 m.w.N. 3 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 55. 4 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 7 m.w.N. 5 Dreier in Dreier/Schulze, § 43 UrhG Rz. 7; Rojahn/Frank in Schricker/Loewenheim, § 43 UrhG Rz. 10. 6 A. Nordemann/Obergfell in Loewenheim, § 69 Rz. 9. 7 BGH v. 27.3.2013 – I ZR 9/12, GRUR 2013, 1213 Tz. 32 – Sumo; BGH v. 28.10.2010 – I ZR 18/09, GRUR 2011, 714 Tz. 20 – Der Frosch mit der Maske m.w.N.; BGH v. 22.4.2004 – I ZR 174/01, GRUR 2004, 938 – Comic-Übersetzungen III; J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 35. 8 J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 35. 9 Diesen Aspekt betonen auch J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 35. 10 J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 35.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.42 § 19

Grundsätzlich gilt der Übertragungszweckgedanke umfassend, nämlich hinsichtlich der Fragen, ob 19.40 überhaupt ein Nutzungsrecht eingeräumt ist, ob es sich um ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht handelt, in welchem Umfang Nutzungsrechte eingeräumt werden, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht reichen und welchen Beschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt (§ 31 Abs. 5 Satz 2 UrhG)1. Ausgehend vom Charakter des § 31 Abs. 5 UrhG als Auslegungsregel, findet der Übertragungszweckgedanke lediglich dann keine Anwendung, wenn hinsichtlich Inhalt und Umfang der Nutzungsrechtseinräumung keine Zweifel bestehen. Dies begründet im Ergebnis eine Obliegenheit des Auftraggebers, den Umfang der Nutzungsrechtseinräumung genau zu bezeichnen, möchte er mehr Nutzungsrechte erhalten, als der Vertragszweck erfordert. Dem Auftraggeber und Nutzungsrechtserwerber trifft insoweit eine Spezifizierungslast. Erforderlich ist, dass die Nutzungsarten, für die Nutzungsrechte eingeräumt werden sollen, im Vertrag ausdrücklich einzeln aufgezählt werden. Pauschale Formulierungen helfen insoweit nicht entscheidend weiter und schließen eine am Vertragszweck orientierte Auslegung, insbesondere hinsichtlich des Umfangs der Nutzungsrechtseinräumung in Bezug auf die erfassten Nutzungsarten, nicht aus2. Eine weitere urheberrechtliche Besonderheit für die Vertragsgestaltung ergibt sich aus § 40a UrhG, 19.41 der den Urheber ebenfalls vor unangemessenen Buy-Out-Verträgen schützt. Hat der Urheber ein ausschließliches Nutzungsrecht gegen eine pauschale Vergütung eingeräumt, ist er gleichwohl berechtigt, das Werk nach Ablauf von zehn Jahren anderweitig zu verwerten. Für die verbleibende Dauer der Einräumung besteht das Nutzungsrecht nur als einfaches Nutzungsrecht fort (§ 40a Abs. 1 UrhG). Frühestens fünf Jahre nach Fristbeginn können die Vertragspartner die Ausschließlichkeit durch eine weitere Vereinbarung auf die gesamte Dauer der Nutzungsrechtseinräumung erstrecken (§ 40a Abs. 2 UrhG). Unter den in § 40a Abs. 3 UrhG genannten Voraussetzungen, mit denen der Gesetzgeber der Eigenart oder der Bestimmung einzelner Werke bzw. Werkarten Rechnung trägt, kann der Urheber ohne die Beschränkungen des Abs. 1 ein zeitlich unbeschränktes ausschließliches Nutzungsrecht bereits bei Vertragsschluss einräumen. § 40a UrhG gilt nur im Verhältnis zwischen Urheber und dem ersten Verwerter, auf Vereinbarungen zwischen Verwertern auf weiteren Stufen ist die Vorschrift nicht anwendbar3. In Arbeits- und Dienstverhältnissen findet § 40a UrhG grundsätzlich keine Anwendung, etwas anderes kann sich allenfalls aus besonderen Umständen im Einzelfall ergeben4. Von den genannten Vorschriften kann zum Nachteil des Urhebers nur durch eine Vereinbarung abgewichen werden, die auf einer gemeinsamen Vergütungsregel gem. § 36 UrhG oder einem Tarifvertrag beruht. Im Übrigen bestehen verschiedene weitere zwingende urheberrechtliche Vorschriften, die der Ver- 19.42 tragsgestaltung Grenzen setzen. Dies sind namentlich die Regelungen, die dem Urheber eine angemessene Vergütung für und Beteiligung an der wirtschaftlichen Verwertung seines Werkes sicherstellen sollen (§ 32 Abs. 3 Satz 1, § 32a Abs. 3 Satz 1, §§ 32b, 32c UrhG) und die Regelungen zur zwingenden Schriftform und zum Widerrufsrecht des Urhebers bei der Einräumung von Rechten an bei Vertragsschluss unbekannten Nutzungsarten (§ 31a UrhG). Darüber hinaus bestimmt § 34 Abs. 5 UrhG, dass der Urheber auch bestimmte Rechte im Zusammenhang mit der Übertragung von Nutzungsrechten nach § 34 Abs. 3 und 4 UrhG im Voraus nicht verzichten kann. Insgesamt unverzichtbar sind gem. § 40 Abs. 2 UrhG das Kündigungsrecht für künftige Werke gem. § 40 Abs. 1 UrhG, das Rückrufrecht wegen Nichtausübung gem. § 41 Abs. 4 UrhG und das Rückrufrecht wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 Abs. 2 UrhG. Nicht abdingbar ist schließlich das Recht gem. § 38 Abs. 4 UrhG. Schließlich können gesetzliche Vergütungsansprüche des Urhebers im Voraus nur an eine Verwertungsgesellschaft abgetreten werden (§ 20b Abs. 2 Satz 3, § 26 Abs. 3, Abs. 6, § 27 Abs. 1 Satz 3, § 63a Satz 2 UrhG). 1 2 3 4

J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 26 Rz. 37. Ausf. J.B. Nordemann/Ohly in Loewenheim, § 66 Rz. 5 ff. Peifer in Schricker/Loewenheim, § 40a UrhG Rz. 16. Wandtke in Wandtke/Bullinger, § 43 UrhG Rz. 73; kritisch Peifer in Schricker/Loewenheim, § 40a UrhG Rz. 15.

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§ 19 Rz. 19.43

Sicherung geistigen Eigentums

3. Verwandte Schutzrechte 19.43 Neben dem Urheberrecht an persönlichen geistigen Schöpfungen schützt das UrhG die Leistungen der Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70 UrhG), derjenigen, die das Erscheinen bzw. die öffentliche Wiedergabe nachgelassener Werke veranlasst haben (§ 71 UrhG) und der Lichtbildner (§ 72 UrhG), künstlerische Leistungen der ausübenden Künstler (§§ 73 ff. UrhG), unternehmerische Leistungen auf organisatorisch-technischen Gebiet, die von Veranstaltern (§ 81 UrhG), Tonträgerherstellern (§§ 85 f. UrhG), Sendeunternehmen (§ 87 UrhG), Filmherstellern (§ 94 UrhG) und Presseverlegern (§§ 87f ff. UrhG) erbracht werden, sowie Investitionsleistungen von Datenbankherstellern (§§ 87a ff. UrhG)1. Leistungsschutzrechte gewähren den jeweiligen Inhabern die im Gesetz ausdrücklich genannten Befugnisse, die grundsätzlich einzeln und getrennt abgetreten und verwertet werden können2. Lediglich die Leistungsschutzrechte der Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben gem. § 70 UrhG und der Lichtbildner gem. § 72 UrhG sind dem Urheberrecht stark angenähert. Für diese gelten die Bestimmungen für urheberrechtliche Werke entsprechend3. Inwieweit die für das Urheberrecht geltenden Bestimmungen auch für Leistungsschutzrechte gelten, ist jeweils gesetzlich geregelt.

19.44 Wenn und soweit die Leistungsschutzrechte eine unternehmerische Leistung schützen, wird der Rechtsträger des Unternehmens originärer Inhaber des Rechts. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung selbst von Arbeitnehmern ausgeübt wird. Urheberrechtliche Besonderheiten spielen insoweit keine Rolle. Es bleibt bei dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsatz, dass die Arbeitsleistung dem Arbeitgeber zusteht. Für die Vertragsgestaltung gegenüber Arbeit- oder Auftragnehmern stellen sich insoweit keine besonderen Herausforderungen.

19.45 Etwas anderes gilt jedoch in den Fällen, in denen das UrhG ein Leistungsschutzrecht für eine persönliche Leistung gewährt und originärer Rechteinhaber eine natürliche Person wird. Namentlich gilt dies für die Leistungsschutzrechte der Verfasser wissenschaftlicher Ausgaben (§ 70 Abs. 2 UrhG)4, der Lichtbildner (§ 72 Abs. 2 UrhG)5 und der ausübenden Künstler (§§ 74 bis 79 UrhG)6. Originärer Inhaber des Leistungsschutzrechts des Veranlassers des Erscheinens bzw. der öffentlichen Wiedergabe nachgelassener Werke gem. § 71 UrhG können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein7.

19.46 Entsteht das Leistungsschutzrecht originär in der Person des Arbeitnehmers, eines freien Mitarbeiters oder eines anderweitig Beauftragten, ist der Unternehmensinhaber auf einen abgeleiteten Rechtserwerb angewiesen. Gegenüber Arbeitnehmern findet § 43 UrhG auch bezüglich der vorgenannten Leistungsschutzrechte Anwendung. Abweichend von allgemeinen urheberrechtlichen Prinzipien (s. Rz. 19.30) kann der Unternehmensinhaber Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler auch translativ erwerben (§ 79 Abs. 1 UrhG)8. Die Einräumung von Nutzungsrechten ist gem. § 79 Abs. 2 UrhG gleichwohl möglich.

4. Designrecht 19.47 Das Design- bzw. Geschmacksmusterrecht schützt zweidimensionale oder dreidimensionale Erscheinungsformen eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, der Oberflächenstruktur oder der Werkstoffe des

1 2 3 4 5

Schack, Rz. 722. Schack, Rz. 724. Schack, Rz. 724. Thum in Wandtke/Bullinger, § 70 UrhG Rz. 23; Katzenberger, GRUR 1984, 319 (321). LG Berlin v. 30.5.1989 – 16 O 33/89, GRUR 1990, 270 – Satellitenfoto; Thum in Wandtke/Bullinger, § 72 UrhG Rz. 101. 6 Vgl. Schack, Rz. 757. 7 Thum in Wandtke/Bullinger, § 71 UrhG Rz. 32. 8 Schack, Rz. 760.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 19.51 § 19

Erzeugnisses selbst oder seiner Verzierung ergibt. Erzeugnis ist dabei jeder industrielle oder handwerkliche Gegenstand, einschließlich Verpackung, Ausstattung, grafischer Symbole und typografischer Schriftzeichen sowie Einzelteile, die zu einem komplexen Erzeugnis zusammengebaut werden sollen (§ 1 Nr. 1, Nr. 2 DesignG, Art. 3 lit. a, lit. b GGV). Grundsätzlich entsteht der Schutz des Designs durch Eintragung eines nationalen „eingetragenen 19.48 Designs“ in das Register beim DPMA gem. § 27 Abs. 1 DesignG oder eines in der gesamten Europäischen Union gültigen „eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters“ in das Register beim EUIPO gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b GGV. Daneben besteht auf Unionsebene ein auf drei Jahre beschränkter Schutz durch ein „nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster“, der – sofern das Design die Schutzvoraussetzungen erfüllt – gem. Art. 1 Abs. 2 lit. a GGV bereits dadurch entsteht, dass das Design der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Anders als im Urheberrecht (s. Rz. 19.30) genügt die Fertigstellung eines schutzfähigen Designs für das Entstehen des Schutzrechts nicht. Vergleichbar der Ausgangslage im Patent- und Gebrauchsmusterrecht (s. Rz. 19.9) stellt sich auch im Designrecht die Frage, wem das Recht auf das Schutzrecht zusteht, wenn im Rahmen fremdnütziger Tätigkeit ein schutzfähiger Entwurf entstanden ist. Im Designrecht gilt im Ausgangspunkt das Entwerferprinzip, weswegen das Recht auf das Design gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 DesignG und Art. 14 Abs. 1 GGV grundsätzlich dem Entwerfer oder seinem Rechtsnachfolger zusteht. Allerdings enthalten Art. 7 Abs. 2 DesignG und Art. 14 Abs. 3 GGV eine Sonderregelung für Arbeitnehmerentwerfer. Wird ein Design von einem Arbeitnehmer in Ausübung seiner Aufgaben oder nach den Weisungen seines Arbeitgebers entworfen, so steht das Recht auf das eingetragene Design bzw. das Gemeinschaftsgeschmacksmuster dem Arbeitgeber zu, sofern vertraglich nichts anderes vereinbart wurde. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber originärer Inhaber der Rechte an dem Design und auf das Schutzrecht wird, sofern der Entwurf in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis entstanden ist und auf den Aufgaben des Arbeitnehmers oder Weisungen des Arbeitgebers beruht1.

19.49

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil der Entwerfer nicht Arbeitnehmer ist oder es sich um 19.50 einen freien Entwurf handelt, bei dem der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis nicht gegeben ist2, muss der Unternehmensinhaber die Rechte an dem Entwurf auf vertraglichen Wege erwerben3.

5. Markenrecht Gegenstand des Markenrechts sind Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, 19.51 Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Klänge, dreidimensionale Gestaltungen sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen, die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (§ 3 Abs. 1 MarkenG; Art. 4 UMV). Der Schutz einer nationalen deutschen Marke entsteht durch die Eintragung eines Zeichens als Marke in das vom DPMA geführte Register (§ 4 Nr. 1 MarkenG), durch die Benutzung eines Zeichens im geschäftlichen Verkehr, soweit das Zeichen innerhalb beteiligter Verkehrskreise als Marke Verkehrsgeltung erworben hat (§ 4 Nr. 2 MarkenG) oder dadurch, dass eine Marke in Deutschland „notorisch bekannt“ i.S.d. Art. 6 bis der Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums ist (§ 4 Nr. 3 MarkenG). Daneben besteht die Möglichkeit, eine sog. Unionsmarke mit Wirkung in der gesamten Europäischen Union in das Register beim EUIPO eintragen zu lassen (Art. 6 UMV). Schließlich kann Markenschutz durch die internationale Registrierung einer Marke erlangt werden, deren Schutz nach den Regeln des Madrider Markenabkom1 S. hierzu Kühne/Meiser in Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, § 7 DesignG Rz. 24. 2 Zur Abgrenzung von freiem und gebundenem Entwurf s. Kühne/Meiser in Eichmann/Jestaedt/Fink/ Meiser, § 7 DesignG Rz. 25 f. 3 Kühne/Meiser in Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, § 7 DesignG Rz. 25.

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§ 19 Rz. 19.51

Sicherung geistigen Eigentums

mens oder dem Protokoll zum Madrider Markenabkommen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckt worden (§ 112 Abs. 1, § 124 MarkenG) ist bzw. in denen die Europäischen Union benannt ist (Art. 189 UMV).

19.52 Eine an eine anerkennenswerte Leistung einer natürlichen Person gebundene „Vorstufe“ der Marke – wie die Erfindung im Patent- und Gebrauchsmusterrecht oder den Entwurf im Designrecht – kennt das Markenrecht nicht. Zwar vermittelt die Markenanmeldung bereits vor Eintragung eine gewisse, selbstständig verkehrsfähige Rechtsposition (§ 31 MarkenG). Diese entsteht jedoch in der Person des Anmelders, bei dem es sich üblicherweise um den Unternehmensinhaber handelt. Der eingangs beschriebene Konflikt zwischen arbeitsrechtlichen und immaterialgüterrechtlichen Grundsätzen besteht im Markenrecht selbst daher nicht (dazu Rz. 19.6). Sofern das als Marke zu schützende Zeichen nicht selbst ein urheberrechtlich geschütztes Werk oder ein schutzfähiges Design ist, stehen dem Arbeitgeber die Rechte an dem Zeichen regelmäßig bereits nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen zu. Ist das Zeichen hingegen Gegenstand eines anderen gewerblichen Schutz- oder Urheberrechts, gelten die oben genannten Grundsätze.

III. Best Practice 1. Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern 19.53 Auch wenn dem Arbeitgeber bereits ohne ausdrückliche Vereinbarung regelmäßig jedenfalls die Nutzungsrechte an schutzfähigen Arbeitsergebnissen zustehen werden, die er für seine unternehmerischen Zwecke benötigt, empfiehlt es sich, im Arbeitsvertrag ausdrückliche Regelungen hinsichtlich der Rechte an Arbeitsergebnissen zu treffen. Hierdurch kann der Arbeitgeber seine Rechtsstellung verbessern, da er andernfalls insbesondere in Bezug auf urheberrechtlich geschützte Werke nur eine eingeschränkte Position erlangen würde. Die Anwendung des ArbnErfG kann im Arbeitsvertrag nicht abbedungen werden. Insoweit sind die oben dargestellten Rechte und Pflichten ergänzend zu beachten (s. Rz. 19.9 ff.). Sämtliche Streit- und Abgrenzungsfragen lassen sich aber auch bei einer ausführlichen Regelung, wie sie hier vorgeschlagen wird, nicht sicher vermeiden.

19.54 M 19.1 Klausel zu Rechten an Arbeitsergebnissen – Arbeitnehmer Klausel zu Rechten an Arbeitsergebnissen – Arbeitnehmer § (…) Rechte an Arbeitsergebnissen (1) Die Parteien sind sich einig, dass die Rechte an allen Arbeitsergebnissen, die vom Arbeitnehmer (i) in Ausübung der vertragsgegenständlichen Tätigkeiten, (ii) auf Weisung des Arbeitgebers, (iii) unter Verwendung von Material, Einrichtungen, Arbeitszeit oder anderer Ressourcen, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt oder (iv) in sonstiger Weise im Zusammenhang mit seiner Arbeit für den Arbeitgeber während der Laufzeit dieses Vertrags entwickelt, geschaffen oder erstellt werden („Arbeitsergebnisse“), dem Arbeitgeber zur umfassenden Verwertung zustehen, soweit sie die gegenwärtige oder künftige Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers oder seiner verbundenen Unternehmen betreffen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Arbeitsergebnisse allein oder gemeinsam mit anderen, während oder außerhalb der normalen Arbeitszeiten oder auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers (oder verbundener Unternehmen) oder außerhalb davon entwickelt, schafft oder erstellt1.

1 Die Klausel definiert den Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung. Die Definition geht zum Teil über die Ergebnisse hinaus, die der Arbeitgeber ohne vertragliche Vereinbarung beanspruchen könnte. Dies gilt insbesondere, soweit die Klausel zum einen auch solche Ergebnisse erfasst, die lediglich unter Verwendung von Ressourcen des Arbeitgebers entstehen, zum anderen die Verwertung der Ergebnisse in Geschäftsbereichen einschließt, in denen der Arbeitgeber erst in Zukunft tätig werden wird. Ein Bezug zum Arbeitsverhältnis und der Geschäftstätigkeit des Arbeitgebers bleibt dennoch gewahrt.

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III. Best Practice

Rz. 19.54 § 19

(2) Soweit dem Arbeitgeber die Rechte an den Arbeitsergebnissen nicht ohnehin zustehen, überträgt der Arbeitnehmer hiermit dem Arbeitgeber, jeweils mit Wirkung zum Zeitpunkt ihres Entstehens, alle bestehenden und künftigen übertragbaren Rechte und Ansprüche an den Arbeitsergebnissen (einschließlich aller Eigentums- und sonstigen Rechtspositionen an Ideen, Entwürfen und Gestaltungen) zur ausschließlichen, zeitlich und räumlich unbeschränkten und umfassenden Verwertung. (3) Wenn und soweit Rechte an Arbeitsergebnissen nicht als solche übertragbar sind, räumt der Arbeitnehmer hiermit dem Arbeitgeber, jeweils mit Wirkung zum Zeitpunkt des Entstehens, das ausschließliche, zeitlich und räumlich unbeschränkte Recht ein, die Arbeitsergebnisse in dem in Absatz 1 genannten Rahmen umfassend zu nutzen und zu verwerten1. Die Bestimmung des § 69b UrhG bleibt unberührt. (4) Die Rechteeinräumung umfasst ferner das Recht, die Arbeitsergebnisse unter Wahrung ihrer geistigen Eigenart zu ändern, zu übersetzen, zu bearbeiten, zu arrangieren oder auf andere Weise umzuarbeiten und die hierdurch umgearbeiteten Arbeitsergebnisse in der gleichen Weise wie die ursprünglichen Arbeitsergebnisse zu nutzen und zu verwerten. (5) Die vorstehende Rechteeinräumung umfasst auch die Rechte für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Nutzungsarten. Die Bestimmungen des § 31a UrhG bleiben unberührt2. (6) Der Arbeitgeber ist zur Übertragung der ihm übertragenen bzw. eingeräumten Rechte und/oder zur Einräumung von einfachen oder ausschließlichen Lizenzen an Dritte ohne weitere Zustimmung des Arbeitnehmers berechtigt. Der Arbeitgeber ist berechtigt, Rechtsverletzungen selbst zu verfolgen. (7) Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Eintragung von Schutzrechten auf Arbeitsergebnisse im eigenen Namen anzumelden. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, den Arbeitgeber bei der Anmeldung von Schutzrechten auf die Arbeitsergebnisse zu unterstützen. (8) Die übertragenen bzw. eingeräumten Rechte an den Arbeitsergebnissen bestehen auch für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fort. (9) Die Übertragung bzw. Einräumung von Rechten an den Arbeitsergebnissen sind mit dem Gehalt des Arbeitnehmers vollständig abgegolten. Anpassungs-, Vergütungs- und Beteiligungsansprüche, die dem Arbeitnehmer aufgrund der §§ 32, 32a, 32c UrhG oder anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften gegebenenfalls zustehen, bleiben unberührt3. (10) Die Bestimmungen des Arbeitnehmererfindungsgesetzes (ArbnErfG) zu Erfindungen und technischen Verbesserungsvorschlägen bleiben unberührt. Der Arbeitnehmer wird auf die Regelungen in § 5 und § 6 Abs. 2 ArbnErfG hingewiesen4.

1 Die Klausel stellt klar, dass die eingeräumten Nutzungsrechte zeitlich und räumlich unbeschränkt sind. Sie erfasst durch die Bezugnahme auf Absatz 1 auch Nutzungsrechte, die der Arbeitgeber für eine zukünftige Erweiterung seiner Geschäftstätigkeit benötigt. Die Klausel schließt die Anwendung des Übertragungszweckgedankens (hinsichtlich der erfassten Nutzungsarten) allerdings nicht aus. Hierzu müssten die Nutzungsarten (ggf. ergänzend) ausdrücklich einzeln aufgezählt werden. Standardklauseln, die branchen- und werkartübergreifend eingesetzt werden können, existieren nicht. 2 Die Klausel trägt dem Schriftformerfordernis des § 31a Abs. 1 Satz 1 UrhG Rechnung. Ein Widerruf des Urhebers gemäß § 31a Abs. 1 Satz 3 UrhG bleibt in den Grenzen des § 31a Abs. 1 Satz 4 UrhG möglich. Auf seine Rechte nach § 31a UrhG kann der Urheber im Voraus nicht verzichten. 3 Die §§ 32, 32a, 32c UrhG sollen dem Urheber eine angemessene Vergütung und Beteiligung an den Erträgen sichern, die der Verwerter aus der Nutzung des Werks erhält. Achtung: Maßstab für die Frage der Angemessenheit der Vergütung i.S.d. § 32 UrhG sind Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, nicht das Ausmaß der tatsächlichen Nutzung durch den Arbeitgeber. 4 In Bezug auf Erfindungen und technische Verbesserungsvorschläge gelten die Vorschriften des ArbnErfG, die bei Abschluss des Arbeitsvertrags gemäß § 22 Satz 1 ArbnErfG nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abbedungen werden können.

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§ 19 Rz. 19.55

Sicherung geistigen Eigentums

2. Dienst- und Werkverträge mit freien Mitarbeitern etc. 19.55 Im Verhältnis zu freien Mitarbeitern und anderen Personen, die für den Unternehmensinhaber erfinderisch, schöpferisch oder gestalterisch tätig werden, haben Vereinbarungen über die Rechte an Leistungsergebnissen noch größere Bedeutung. Die hier vorgeschlagene Klausel orientiert sich an dem obigen Vorschlag für Arbeitsverträge, weicht jedoch von diesem ab, soweit der unterschiedliche Beschäftigungsstatus eine Anpassung erfordert.

19.56 M 19.2 Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen – freie Mitarbeiter Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen – freie Mitarbeiter § (…) Rechte an Leistungsergebnissen (1) Die Parteien sind sich einig, dass die Rechte an allen Leistungsergebnissen, die vom Auftragnehmer (i) in Ausübung der vertragsgegenständlichen Tätigkeiten, (ii) nach Vorgaben des Auftraggebers, (iii) unter Verwendung von Material, Einrichtungen, Arbeitszeit oder anderer Ressourcen, die der Auftraggeber zur Verfügung stellt oder (iv) in sonstiger Weise im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Auftraggeber während der Laufzeit dieses Vertrags entwickelt, geschaffen oder erstellt werden („Leistungsergebnisse“), dem Auftraggeber zur umfassenden Verwertung zustehen, soweit sie die gegenwärtige oder künftige Geschäftstätigkeit des Auftraggebers oder seiner verbundenen Unternehmen betreffen. (2) Der Auftragnehmer überträgt hiermit dem Auftraggeber, jeweils mit Wirkung zum Zeitpunkt des Entstehens, alle bestehenden und künftigen übertragungsfähigen Rechte und Ansprüche an den Leistungsergebnissen (einschließlich aller Eigentums- und sonstigen Rechtspositionen an Ideen, Entwürfen und Gestaltungen) zur ausschließlichen, zeitlich und räumlich unbeschränkten und umfassenden Verwertung. (3) Wenn und soweit Rechte an den Leistungsergebnissen nicht als solche übertragbar sind, räumt der Auftragnehmer hiermit dem Auftraggeber, jeweils mit Wirkung zum Zeitpunkt des Entstehens, das ausschließliche1, zeitlich und räumlich unbeschränkte Recht ein, die Arbeitsergebnisse in dem in Absatz 1 genannten Rahmen umfassend zu nutzen und zu verwerten. (4) Die Rechteeinräumung umfasst ferner das Recht, die Leistungsergebnisse unter Wahrung ihrer geistigen Eigenart zu ändern, zu übersetzen, zu bearbeiten, zu arrangieren oder auf andere Weise umzuarbeiten und die hierdurch umgearbeiteten Leistungsergebnisse in der gleichen Weise wie die ursprünglichen Leistungsergebnisse zu nutzen und zu verwerten. (5) Die vorstehende Rechteeinräumung umfasst auch die Rechte für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Nutzungsarten. Die Bestimmungen des § 31a UrhG bleiben unberührt. (6) Der Auftraggeber ist zur Übertragung der ihm übertragenen bzw. eingeräumten Rechte und/oder zur Einräumung von einfachen oder ausschließlichen Lizenzen an Dritte ohne weitere Zustimmung des Auftragnehmers berechtigt. Der Auftraggeber ist berechtigt, Rechtsverletzungen selbst zu verfolgen. (7) Der Auftraggeber ist berechtigt, die Eintragung von Schutzrechten auf Leistungsergebnisse im eigenen Namen anzumelden. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, den Auftraggeber bei der Anmeldung von Schutzrechten auf die Leistungsergebnisse zu unterstützen. (8) Die übertragenen bzw. eingeräumten Rechte an den Leistungsergebnissen bestehen auch für die Zeit nach Beendigung der Zusammenarbeit fort.

1 Wird eine Pauschalvergütung vereinbart, greift außerhalb von Arbeitsverhältnissen regelmäßig § 40a UrhG. Danach ist die Ausschließlichkeit auf zehn Jahre begrenzt. Nach Ablauf der Frist steht dem Urheber ein Zweitverwertungsrecht zu.

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III. Best Practice

Rz. 19.56 § 19

(9) Die Übertragung und Einräumung von Rechten an den Leistungsergebnissen sind mit der Vergütung des Auftragnehmers vollständig abgegolten. Anpassungs-, Vergütungs- und Beteiligungsansprüche, die dem Auftragnehmer aufgrund der §§ 32, 32a, 32c UrhG oder anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften zustehen, bleiben unberührt. (10) Der Auftragnehmer wird die im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber erbrachten Leistungen nicht in gleicher oder abgeänderter Form für andere Auftraggeber verwenden.

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5. Teil Arbeitsschutz 4.0 § 20 Arbeitsschutz im Bürobetrieb I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Personelle Organisation . . . . . . . . . . . . . a) Verantwortliche Person des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sicherheitsbeauftragter . . . . . . . . . . . d) Ersthelfer und Brandschutzhelfer . . . e) Brandschutzbeauftragter . . . . . . . . . . f) Betriebsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Arbeitsschutzausschuss . . . . . . . . . . . 2. Gefährdungsbeurteilung und Handlungsschwerpunkte bei Büroarbeit a) Materielle Arbeitsschutzanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20.1 20.3 20.4 20.5 20.12 20.16 20.19 20.21 20.22 20.26

20.27

3. Ablauforganisation . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sanktionen bei Arbeitsschutzdefiziten . . a) Strafverfolgung bei Arbeitsunfällen . . b) Schadensersatzansprüche von Unfallopfern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sanktionen der Arbeitsschutzbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Individualansprüche einzelner Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beteiligungsrechte des Betriebsrates . f) Gewerbemietrechtliche Bedeutung des Arbeitsschutzes . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überbetrieblich: Festlegung der Verantwortlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 2. Innerbetrieblich: Umsetzung der Arbeitsschutzvorgaben . . . . . . . . . . . . . .

20.36 20.43 20.44 20.49 20.52 20.56 20.58 20.59 20.61 20.62 20.67

20.30

Literatur: Bauer/Günther/Böglmüller, Keine entgrenzte Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz, NZA 2016, 1361; Fröhlich/Hartmann, Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung, ArbRB 2009, 336; Grimm/Heppner, Serie: Arbeitsrecht 4.0 Psychische Belastungen am Arbeitsplatz, ArbRB 2016, 180, Grimm/Kühne, Arbeitsschutz schwer gemacht, ArbRB 2017, 219; Kohte, Arbeitsschutz in der digitalen Arbeitswelt, NZA 2015, 1417; Kollmer/Wiebauer/Schucht, Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), 4. Aufl. 2019; Lindemann/Polzer, Haftung des Arbeitgebers für Personenschäden des Arbeitnehmers bei (vorsätzlicher) Schädigung durch Arbeitskollegen, Vorgesetzte und Organmitglieder, DB 2017, 1087; Moderegger, Sicher in der Arbeit, ArbRB 2018, 320; Schipp, Das neue Arbeitsschutzkontrollgesetz, ArbRB 2021, 51; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009; Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019; Wiebauer, Strafbarkeit und bußgeldrechtliche Ahndung von Arbeitsschutzverstößen (Teil 1), ArbRAktuell 2017, 534; Wiebauer, Strafbarkeit und bußgeldrechtliche Ahndung von Arbeitsschutzverstößen (Teil 2), ArbRAktuell 2017, 562; Wiebauer, Behördliche Anordnungen im Arbeitsschutz, NVwZ 2017, 1653; Wilrich, Verantwortlichkeit und Pflichtenübertragung im Arbeitsschutzrecht, DB 2009, 1294.

I. Worum geht es? Klassische Zielrichtung des Arbeitsschutzrechts ist der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, insbesondere die Verhütung von Arbeitsunfällen1. In der Industrie- und Baubranche liegt auf der Hand,

1 Kohte in MünchHBArbR, § 172 Rz. 4.

Grimm/Singraven

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20.1

§ 20 Rz. 20.1

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

dass Arbeits- und Maschineneinsätze zu erheblichen Gefährdungen für Leib und Leben führen können und vorbeugende Arbeitsschutzkonzepte unerlässlich sind. Bei der zunehmend im Vordergrund stehenden „Bildschirmarbeit“1 im Büro sehen sich Beschäftigte dagegen Alltagsrisiken gegenüber, denen sie so oder ähnlich auch zuhause ausgesetzt sind. Lebensgefahr besteht so gut wie nie. Dies ist – neben dem technologischen Fortschritt – eine wesentliche Ursache dafür, dass die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle2 und erst recht der tödlichen Arbeitsunfälle3 seit Jahren kontinuierlich zurückgeht.

20.2 Dies ändert nichts daran, dass auch Bürobetriebe dazu verpflichtet sind, eine gesetzeskonforme Arbeitsschutzorganisation einzurichten und aufrecht zu erhalten. Unter dem Schlagwort „erweiterter Arbeitsschutzansatz“ gerät die Bildschirmarbeit in den zunehmenden Fokus der Arbeitsschützer: Ziel des erweiterten Arbeitsschutzansatzes ist es, über den Gesundheitsschutz hinaus die Arbeit „menschengerechter“ auszugestalten (vgl. § 2 Abs. 1 ArbSchG) und z.B. auch ergonomische und arbeitspsychologische Erkenntnisse zu berücksichtigen4. Unter diesen Gesichtspunkten werden gerade bei der Bildschirmarbeit besondere Risiken und Herausforderungen gesehen5, auf die Gesetzgeber und Arbeitsschutzbehörden durch fortschreitende Normsetzung reagieren.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 20.3 Im Ausgangspunkt muss jeder Arbeitgeber eine personelle Organisation schaffen, welche die gesetzlichen Arbeitsschutzvorgaben umsetzt und an die sich eine Vielzahl gesetzlicher Anforderungen stellt (dazu Rz. 20.4 ff.). Die sachliche Umsetzung des Arbeitsschutzes erfolgt im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen, bei denen Defizite erkannt und Abhilfemaßnahmen beschlossen werden (dazu Rz. 20.27 ff.). Um den gesetzlichen Arbeitsschutzanforderungen gerecht zu werden, muss jeder Betrieb eine funktionierende Ablauforganisation einrichten und dauerhaft aufrechterhalten (dazu Rz. 20.36 ff.). Bleiben die Arbeitsschutzmaßnahmen des Arbeitgebers hinter den gesetzlichen Anforderungen zurück, kommen zwar vielfältige gesetzliche Sanktionen in Betracht. Bei normaler Büroarbeit erscheinen diese Sanktionen in der Gesamtschau allerdings als beherrschbar (dazu Rz. 20.43 ff.).

1. Personelle Organisation 20.4 Welche Personen an der Arbeitsschutzorganisation des Unternehmens zu beteiligen sind, ist gesetzlich vorgeschrieben. Folgende Akteure wirken mit: – die für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen des Arbeitgebers (§ 13 ArbSchG, dazu Rz. 20.5 ff.), – der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit (§§ 1 ff. ASiG, dazu Rz. 20.12 ff.),

1 Kohte, NZA 2015, 1417 (1420 f.). 2 Bundesweit sank die Zahl meldepflichtiger Arbeitsunfälle je 1.000 Vollarbeiter zwischen 1996 und 2015 z.B. von 43,1 auf 23,3, vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Arbeitswelt im Wandel: Zahlen – Daten – Fakten, 2017, S. 13. 3 Bundesweit verstarben als Folge von Arbeitsunfällen im Jahr 1996 1.523 Menschen. Im Jahre 2016 waren es 605, vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Arbeitswelt im Wandel: Zahlen – Daten – Fakten, 2017, S. 14. 4 Schulze-Doll in Kohte/Faber/Feldhoff, § 2 ArbSchG Rz. 9 ff.; Kohte in MünchHBArbR, § 172 Rz. 5. 5 Kohte, NZA 2015, 1417 (1420 f.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.6 § 20

– Sicherheitsbeauftragte (§§ 22 f. SGB VII, dazu Rz. 20.16 ff.), – Ersthelfer (§ 26 UVV DGUV Vorschrift 1) und Brandschutzhelfer (Ziff. 7.3 ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“, dazu Rz. 20.19 f.), – der Brandschutzbeauftragte (dazu Rz. 20.21), – der Betriebsrat (§ 87 Abs. 1 Nr. 7, § 89 BetrVG, dazu Rz. 20.22 ff.), – der Arbeitsschutzausschuss (§ 11 ASiG, dazu Rz. 20.26).

a) Verantwortliche Person des Arbeitgebers Die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben liegt im Ausgangspunkt beim 20.5 Arbeitgeber (§ 3 Abs. 2, § 2 Abs. 3 ArbSchG sowie § 618 BGB). Wenn der Arbeitgeber – wie meistens – eine juristische Person ist, werden natürliche Personen für ihn tätig. Bestimmte natürliche Personen sind bereits von Gesetzes wegen für das Handeln des Arbeitgebers verantwortlich (gesetzlich Verantwortliche). Der Arbeitgeber kann durch Delegationsakte abweichende Verantwortlichkeiten festlegen und weiteren Personen arbeitsschutzrechtliche Verantwortung übertragen (gewillkürte Verantwortliche). Indem der Arbeitgeber weiteren Personen arbeitsschutzrechtliche Unternehmerpflichten überträgt, kann er die gesetzlich Verantwortlichen entlasten und enthaften sowie eine sachnähere oder aus anderen Gründen zweckmäßigere Zuständigkeitsverteilung einrichten. Rechtlich ist die Verantwortlichkeit im öffentlich-rechtlichen, im straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen sowie im privatrechtlichen Sinne zu unterscheiden. – Die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit (§ 13 ArbSchG) steht im Vordergrund. Sie bestimmt, wer Ansprechpartner der Arbeitsschutzbehörden ist (§ 22 Abs. 2 Satz 4 ArbSchG) und selbst als Adressat öffentlich-rechtlicher Pflichten in Betracht kommt. Insbesondere können Arbeitsschutzbehörden gegen den öffentlich-rechtlichen Verantwortlichen selbst Verfügungen erlassen und vollstrecken (§ 22 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG)1. Die Voraussetzungen einer öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit sind gesetzlich streng reglementiert, damit die Arbeitsschutzbehörden die betreffenden Personen identifizieren und effektiv mit ihnen zusammenarbeiten können2. – Die ordnungswidrigkeitenrechtliche Verantwortung richtet sich nach §§ 9, 130 OWiG und bestimmt, wessen Verhalten dem Unternehmen zugerechnet werden kann, wenn es um die Verhängung von Bußgeldern geht, und wer ggf. selbst als Bußgeldadressat in Betracht kommt3. Der Begriff reicht über die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit hinaus, da auch formfrei beauftragte Personen, die Arbeitsschutzaufgaben wahrnehmen, erfasst werden können4. Voraussetzung ist allerdings, dass die Personen durch den Arbeitgeber dazu berufen wurden, Arbeitsschutzaufgaben selbständig und eigenverantwortlich wahrzunehmen5. – Noch weiter reicht der Kreis potentiell strafrechtlich Verantwortlicher, wenn nach einem Arbeitsunfall wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder gar Tötung (§ 222 StGB) ermittelt wird. In diesem Zusammenhang kommen nicht nur Führungskräfte, sondern auch Kollegen derselben Hierarchieebene als potentielle Täter in Betracht, wenn sie durch sorgfaltswidriges Verhalten am Unfall beteiligt waren (dazu Rz. 20.44 ff.).

1 2 3 4 5

BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 52. Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 2. Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 5. Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 5. Zu den Anforderungen OLG Düsseldorf v. 12.12.2006 – 2 Ss (OWi) 124-06, 67/06, DAR 2007, 398 = juris Rz. 7.

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20.6

§ 20 Rz. 20.6

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

– Privatrechtlich ist der Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber seinen Arbeitnehmern zur Einhaltung des Arbeitsschutzes verpflichtet (§ 618 BGB)1. Die Arbeitnehmer wiederum sind gegenüber ihrem Arbeitgeber verpflichtet, diejenigen Arbeitsschutzaufgaben auszuführen, die ihnen der Arbeitgeber in Ausübung seines Direktionsrechtes (§ 106 GewO) zuweist. In Ausübung seines Direktionsrechtes kann der Arbeitgeber nicht nur die öffentlich-rechtliche Verantwortlichkeit übertragen2, sondern auch Neben-, Unter-, und Sonderaufgaben zuordnen sowie Sorgfaltspflichten festlegen.

20.7 Hinweis: Eine gesetzeskonforme Arbeitsschutzorganisation (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG) setzt voraus, dass der Arbeitgeber Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar und sinnvoll abgrenzt3. Im Ausgangspunkt empfiehlt sich meistens, eine sachgerechte Zuordnung der öffentlich-rechtlichen Verantwortlichkeit für sämtliche einzelnen (möglichst sinnvoll aufgegliederten) Bereiche des Unternehmens vorzunehmen und im Organigramm herauszustellen. Alle weiteren Aufgabenzuweisungen sollten sich zu dieser Grundstruktur nicht in Widerspruch setzen. Typischerweise üben die öffentlich-rechtlich Verantwortlichen für ihren Bereich das Direktionsrecht des Arbeitgebers aus (§ 106 GewO) und legen auf diese Weise die untergeordneten Arbeitsschutzaufgaben und Arbeitsschutzpflichten fest. Bestimmte Arbeitsschutzfunktionen müssen allerdings durch die Unternehmenszentrale einheitlich gesteuert und bereichsübergreifend festgelegt werden, z.B. wie die Bereichsverantwortlichen ausgewählt und wie sie überwacht werden.

20.8 Wer für den Arbeitgeber kraft Gesetzes die öffentlich-rechtliche Verantwortung für den Arbeitsschutz trägt, bestimmt sich nach § 13 Abs. 1 Nr. 1-4 ArbSchG. Für juristische Personen sind dies an erster Stelle die Organmitglieder, also Geschäftsführer und Vorstände (Nr. 2). Aber auch einfache Arbeitnehmer erlangen kraft Gesetzes arbeitsschutzrechtliche Verantwortung, wenn ihnen die Leitung eines gesamten Betriebs übertragen wurde (Nr. 4); maßgeblich ist dabei der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsrechtes4. Diese gesetzlichen Verantwortlichkeiten ergeben sich von selbst und setzen nicht voraus, dass die betroffenen Personen über eine besondere Fachkunde im Arbeitsschutz verfügen oder auch nur über ihre Verantwortung in Kenntnis gesetzt wurden5. Das Gesetz verlangt, dass die Personen aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung und Entscheidungsmacht von sich aus dazu in der Lage sind, sich das erforderliche Knowhow zu beschaffen.

20.9 Hinweis: Damit besteht die Gefahr, dass die betreffenden Personen durch ihre Arbeitsschutzpflichten „überrumpelt“ und überfordert werden oder Missverständnisse über die Reichweite ihrer Pflichten und Zuständigkeitsbereiche aufkommen. Zudem ist die gesetzliche Verantwortungsverteilung für viele Unternehmen strukturell nicht sachgerecht und vor allem nicht sachnah. Im Regelfall empfiehlt6 es sich deshalb, die verantwortlichen Personen durch Delegationsakte positiv zu bestimmen.

20.10 Nach § 13 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 ArbSchG kann der Arbeitgeber die öffentlich-rechtliche Verantwortung durch Ausübung seines Direktionsrechtes7 modifizieren und anderweitig zuteilen. Durch solche Delegationen werden weitere arbeitsrechtlich Verantwortliche bestimmt, die als Ansprechpartner der Arbeitsschutzbehörden und als Adressat ihrer Verfügungen in Betracht kommen8. Die gesetzlich Verantwortlichen bleiben infolge einer solchen Delegation zwar weiterhin verantwortlich – im Um1 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 4; Klindt in Kollmer/Klindt/Schucht, § 13 ArbSchG Rz. 4. 2 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 26. 3 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 53. 4 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 17. 5 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 55. 6 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 18; GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 1. 7 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 26. 8 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 29.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.11 § 20

fang der Delegation entfallen allerdings ihre Durchführungspflichten, die sich in Aufsichts- und Kontrollpflichten wandeln1. An die Delegation stellen sich folgende Anforderungen: – Die gewillkürten Verantwortlichen müssen speziell für die ihnen übertragenen Aufgaben über ausreichende Fachkunde und Zuverlässigkeit verfügen (§ 13 Abs. 2 ArbSchG)2. Für den Arbeitsschutz in Bürobetrieben werden die Anforderungen allerdings nicht überspannt. Ausreichend, allerdings auch zwingend erforderlich ist, dass die betroffenen Personen bezogen auf ihren Bereich geschult werden, z.B. durch den betrieblichen Arbeitsschutzbeauftragten oder einen externen Sachverständigen3. Erfolgt keine Schulung, ist die Delegation unwirksam. Unternehmen sollten deshalb festlegen, nach welchen Kriterien und durch wen der Schulungsbedarf ermittelt und turnusmäßige Schulungen angeboten werden4. – Die Delegation muss schriftlich (§ 126 BGB5) erfolgen (§ 13 Abs. 2 ArbSchG)6 und durch den Verpflichteten gegengezeichnet werden (§ 13 Satz 2 DGUV Vorschrift 1). Unmittelbar aus der schriftlichen Erklärung (und den ihr unmittelbar beigefügten Dokumenten) muss sich nachvollziehbar ergeben, für welche Aufgabe der gewillkürte Verantwortliche zuständig ist und für welche Aufgaben nicht7. Dabei soll die schriftliche Erklärung die Zuständigkeiten einerseits für die Arbeitsschutzbehörde transparent dokumentieren8 und dem gewillkürten Verantwortlichen andererseits eine Hilfestellung bieten9. Ist die schriftliche Erklärung unbestimmt und unklar, ist die Delegation unwirksam. – Die durch die Delegationsentscheidung geschaffenen Verantwortungsbereiche sollten abgegrenzt und aufeinander abgestimmt werden10. In der Gesamtschau muss für alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten sowie für alle Gefährdungen festgelegt sein, wer die maßgeblichen Gefährdungsbeurteilungen erstellt und wer die daraus hervorgehenden Arbeitsschutzmaßnahmen festlegt, durchführt und überprüft11. – Die gewillkürten Verantwortlichen müssen über ausreichend Zeit verfügen, um ihre Aufgaben im Arbeitsschutz wahrzunehmen. Ihnen müssen auch darüber hinaus ausreichende sachliche, finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung stehen12. – Überträgt der Arbeitgeber die Verantwortlichkeit aufgrund einer Einzelanordnung auf eine bestimmte Person, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates13. Der Betriebsrat ist allerdings nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber einem abstrakten Organisationskonzept folgt14. Wird das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates missachtet, sind die Weisungen des Arbeitgebers unwirksam15.

1 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 31; Wilrich, DB 2009, 1294 (1297); Moderegger, ArbRB 2018, 320 (322); zu den Anforderungen an die Kontrolle- und Überwachung GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 2. 2 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 54 ff. 3 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 59. 4 GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 3. 5 Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 28. 6 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 63. 7 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 62 ff. 8 Klindt in Kollmer/Klindt/Schucht, § 13 ArbSchG Rz. 10. 9 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 68. 10 GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 1. 11 GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 5. 12 GDA, Leitlinie Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, Element 1. 13 BAG v. 18.8.2009 – 1 ABR 43/08, Leitsatz, ArbRB 2010, 12. 14 BAG v. 18.3.2014 – 1 ABR 73/12, Leitsatz, ArbRB 2014, 233. 15 BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97, DB 1999, 438 = juris Rz. 33; Gutzeit in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rz. 669; Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 67; a.A. Richardi in Richardi, § 87 BetrVG Rz. 584.

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399

20.11

§ 20 Rz. 20.12

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

b) Betriebsarzt und Fachkraft für Arbeitssicherheit 20.12 Arbeitgeber sind verpflichtet, Betriebsärzte1 und Fachkräfte für Arbeitssicherheit2 zu bestellen. Dies gilt auch für Kleinbetriebe3. Bei der Bestellung gibt es drei Umsetzungsmöglichkeiten: Der Arbeitgeber kann die Betriebsärzte und Fachkräfte als Arbeitnehmer einstellen, als Freiberufliche dienstvertraglich verpflichten oder sich einem überbetrieblichen arbeitsmedizinischen und/oder sicherheitstechnischen Dienst anschließen (§ 19 ASiG)4.

20.13 Hinweis: Viele überbetriebliche Dienste bieten arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung als Komplettpaket an. Für kleinere und mittlere Unternehmen sowie für Bürobetriebe, für die der Arbeitsschutz keinen herausgehobenen Schwerpunkt bildet, bietet es sich an, auf einen überbetrieblichen Dienst zurückzugreifen und die Betreuungsleistungen dort einzukaufen5. Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit müssen dem Unternehmen in einem bestimmten Zeitumfang zur Verfügung stehen, welcher in der DGUV Vorschrift 2 detailliert geregelt ist. Wählt ein Bürobetrieb mit mehr als 10 Mitarbeitern die Regelbetreuung, sind für die Grundbetreuung feste Zeitkontingente vorzusehen6: Bürobetriebe gehören i.d.R. zu Betrieben der Gruppe III7. Konsequenz ist, dass der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit dem Betrieb im Rahmen der Grundbetreuung zusammengenommen 0,5 Stunden pro Jahr und pro Beschäftigten zu Verfügung stehen müssen. Dabei müssen auf Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit jeweils mindestens 0,2 Stunden pro Beschäftigten im Jahr entfallen8. Über die Grundbetreuung hinaus müssen im Rahmen einer weitergehenden, betriebsspezifischen Betreuung weitere Zeitkontingente in Anspruch genommen werden, wenn z.B. erhebliche betriebliche Veränderungen arbeitsschutzrechtlich zu begleiten sind. Der Bedarf ist mit dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit abzustimmen. Auch wenn das Unternehmen einen überbetrieblichen Dienst beauftragt, bleibt die arbeitsschutzrechtliche Umsetzungsverantwortung beim Arbeitgeber9. Dem überbetrieblichen Dienst kommt nur eine beratende und steuernde Funktion zu. Beim Arbeitgeber liegt es dagegen, die überbetrieblichen Dienste in ausreichendem Umfang zu beauftragen, die Letztentscheidung über die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen zu treffen und diese im Anschluss umzusetzen (vgl. § 8 Abs. 3 ASiG). Gesetzlich ist der Arbeitgeber außerdem verpflichtet, den Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit zu überwachen (§ 2 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 ASiG).

20.14 Der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit müssen über besondere arbeitsschutzrechtliche Fachkunde verfügen; der Betriebsarzt benötigt zudem eine ärztliche Approbation (§ 4 u. § 7 ASiG). Sowohl der Betriebsarzt als auch die Fachkraft für Arbeitssicherheit haben die gesetzlichen 1 Abgekürzt BetrA, auch Arbeitsmediziner, abgekürzt AM genannt. 2 Abgekürzt FASI oder Sifa. 3 § 2 DGUV Vorschrift 2; dazu BSG v. 2.11.1999 – B 2 U 25/98 R, SGb 2000, 274 = juris Rz. 22 ff.; Schucht in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Arbeitssicherheitsgesetz, Rz. 6. 4 Schucht in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Arbeitssicherheitsgesetz Rz. 27. 5 Hochheim in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 19 ASiG Rz. 1. 6 DGUV Vorschrift 2 Anlage 2. 7 Vgl. z.B. für Softwareentwickler Lfd-Nr. 1295 oder für IT-Dienstleister Lfd 1353 der DGUV Vorschrift 2 Anlage 2 Anhang 4. Beschäftigt der Betrieb allerdings nicht mehr als 50 Mitarbeiter, lassen es viele Berufsgenossenschaften zu, dass der Arbeitgeber das sog. Unternehmermodell wählt (DGUV Vorschrift 2 Anlage 3 zu § 2 Abs. 4). Beim Unternehmermodell absolviert ein Unternehmer, der das Unternehmen persönlich führt, bestimmte arbeitsschutzrechtliche Fortbildungen. Kann er die vorgeschriebenen Fortbildungen nachweisen, ist er nicht dazu verpflichtet, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit im Mindestumfang bestimmter Grundbetreuungskontingente zu beauftragen. Stattdessen darf er selbst nach billigem Ermessen darüber entscheiden, in welchem Umfang er Unterstützung durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit abruft. Das Unternehmermodell entbindet das Unternehmen allerdings nicht von der Pflicht, überhaupt Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. 8 DGUV Vorschrift 2 Anlage 2 Anhang 2. 9 Kothe in MünchHBArbR, § 176 Rz. 51.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.17 § 20

Aufgaben, den Arbeitgeber arbeitsschutzrechtlich zu beraten, die Einhaltung des Arbeitsschutzes zu überwachen und Mängel aufzuzeigen sowie darauf hinzuwirken, dass sich alle im Betrieb Beschäftigten entsprechend den Anforderungen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung verhalten, insbesondere indem sie Schulungen durchführen. Schwerpunkt der betriebsärztlichen Betreuung ist der Gesundheitsschutz; in diesem Rahmen führen sie arbeitsmedizinische Untersuchungen der Beschäftigten durch. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit unterstützt schwerpunktmäßig in Fragen der Arbeitssicherheit einschließlich der menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Sie überprüft Betriebsanlagen und technische Arbeitsmittel (§ 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 ASiG). Die gesetzlich vorgesehenen Aufgaben sind nicht abschließend definiert („insbesondere“) – sowohl dem Betriebsarzt als auch der Fachkraft für Arbeitssicherheit können bei Bedarf noch weitere Aufgaben übertragen werden. Der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit müssen durch das Unternehmen verpflichtet werden, über ihre Tätigkeit schriftlich zu berichten (§ 5 DGUV Vorschrift 2). Die Berichte sollten durch das Unternehmen zu Dokumentationszwecken ordnungsgemäß verwahrt werden. Die Bestellung erfolgt in Schriftform (§ 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 ASiG)1. Der Betriebsrat ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der abstrakten Vorfrage zu beteiligen, ob die Aufgaben des Betriebsarztes und der Fachkraft für Arbeitssicherheit durch einen Arbeitnehmer, Freiberufler oder überbetrieblichen Dienst wahrgenommen werden2. Nur wenn die Wahl auf die Bestellung eines Arbeitnehmers fällt, ist der Betriebsrat auch bei dessen Einstellung und Abberufung nach § 9 Abs. 3 ASiG zu beteiligen. Soll hingegen ein Freiberufler oder ein überbetrieblicher Dienst verpflichtet werden, trifft der Arbeitgeber die weitergehenden Auswahlentscheidungen und der Betriebsrat ist lediglich anzuhören3.

20.15

c) Sicherheitsbeauftragter Hat das Unternehmen mehr als 20 Beschäftigte, muss der Arbeitgeber Arbeitnehmer auswählen, die er zu Sicherheitsbeauftragten4 bestellt (§ 22 SGB VII). Deren Anzahl legt das Unternehmen nach pflichtgemäßem Ermessen gem. § 20 UVV DGUV Vorschrift 1 fest. Die Beauftragten müssen im Vorfeld keine besondere Fachkunde aufweisen, sondern lediglich mit den betrieblichen Verhältnissen vertraut sein5. Die anschließende Aus- und Fortbildung der Sicherheitsbeauftragten erfolgt durch die Berufsgenossenschaften als Unfallversicherungsträger, welche auch die Kosten der Schulungsveranstaltungen einschließlich Fahrt-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten tragen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2 Satz 1 SGB VII)6. Allerdings muss der Arbeitgeber die Sicherheitsbeauftragten für die Dauer der Schulung freistellen und ihnen das Arbeitsentgelt fortzahlen (§ 23 Abs. 3 SGB VII).

20.16

Die Sicherheitsbeauftragten werden beobachtend und beratend (§ 22 Abs. 2 SGB VII) tätig, tragen aber nicht die Verantwortlichkeit für den Arbeitsschutz und haben auch keine Weisungsbefugnisse7. Typischerweise informieren sie die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt über die betrieblichen Verhältnisse, sind bei der Erstellung der Gefährdungsbeurteilungen beteiligt und überwachen die Umsetzung der beschlossenen Abhilfemaßnahmen. Ihre genauen Aufgaben und Verantwortungen sollte die verantwortliche Person des Arbeitgebers durch Weisung transparent definieren8.

20.17

1 Bei fehlender Schriftform i.S.d. § 126 BGB ist die Bestellung unwirksam, vgl. Hochheim in Boecken/ Düwell/Diller/Hanau, § 2 ASiG Rz. 4 u. § 5 ASiG Rz. 3. 2 BAG v. 10.4.1979 – 1 ABR 34/77, Leitsatz, VersR 1979, 1158. 3 BAG v. 4.11.1980 – 1 ABR 53/78, juris Rz. 40; LAG Hamm v. 7.1.2008 – 10 TaBV 125/07, Orientierungssatz 2, juris. 4 Abgekürzt SiBe oder SiB. 5 Ricke in Kasseler Kommentar, § 22 SGB VII Rz. 3. 6 Kothe in MünchHBArbR, § 176 Rz. 60. 7 BSG v. 28.5.1974 – 2 RU 79/72, juris Rz. 23; Kohte/Kiesche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 SGB VII Rz. 8. 8 Die Delegation von Arbeitsschutz- und Unfallverhütungspflichten auf den Sicherheitsbeauftragten durch den Arbeitgeber ist nach zutreffender h.M. zulässig (vgl. zum Streitstand Klindt in Kollmer/Klindt/ Schucht, § 13 ArbSchG Rz. 49). Dies folgt schon daraus, dass er zugleich als weisungsabhängiger Arbeitnehmer tätig ist und in dieser Rolle Arbeitsschutzweisungen des Arbeitgebers erfüllen muss.

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§ 20 Rz. 20.18

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

20.18 Die Bestellung erfolgt durch formfreie, ausdrückliche Erklärung, zu der der Sicherheitsbeauftragte allerdings seine Zustimmung geben muss, da die Bestellung freiwillig ist1. Die nach § 22 Abs. 1 SGB VII vorgesehene Beteiligung des Betriebsrates verlangt nur, dass sich der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat berät; die Letztentscheidung trifft der Arbeitgeber dagegen alleine2. Allerdings bestimmt der Betriebsrat bei abstrakten Strukturfragen, insbesondere der Anzahl der Sicherheitsbeauftragten gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mit3. Der Sicherheitsbeauftragte darf wegen seiner Tätigkeit nicht benachteiligt werden (§ 22 Abs. 3 SGB VII); einen besonderen Kündigungsschutz erwirbt er allerdings nicht4.

d) Ersthelfer und Brandschutzhelfer 20.19 Unternehmen müssen dafür sorgen, dass in ausreichendem Umfang Ersthelfer zu Verfügung stehen. Grundsätzlich müssen 10 Prozent der Belegschaft zu Ersthelfern ausgebildet werden (§ 26 Abs. 1 UVV DGUV Vorschrift 1). Die Aus- und Fortbildung der Ersthelfer erfolgt genauso wie bei Sicherheitsbeauftragten über die Berufsgenossenschaften als Unfallversicherer (§ 23 SGB IV; vgl. Rz. 20.16)5 und muss alle zwei Jahre wiederholt werden (§ 26 Abs. 3 UVV DGUV Vorschrift 1). Das Unternehmen darf als Ersthelfer nur Personen einsetzen, die bei einer von dem Unfallversicherungsträger für die Ausbildung zur Ersten Hilfe ermächtigten Stelle ausgebildet worden sind oder über eine sanitätsdienstliche/rettungsdienstliche Ausbildung oder eine abgeschlossene Ausbildung in einem Beruf des Gesundheitswesens verfügen (§ 26 Abs. 2 UVV DGUV Vorschrift 1). Die Bestimmung der Ersthelfer erfolgt in Ausübung des Direktionsrechts, notfalls gegen den Willen der Beschäftigten6.

20.20 Daneben soll das Unternehmen fünf Prozent der Belegschaft zu Brandschutzhelfern schulen und die Schulung alle drei bis fünf Jahre auffrischen (Ziff. 7.3 ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“).

e) Brandschutzbeauftragter 20.21 Die gesetzliche Pflicht, einen Brandschutzbeauftragten zu bestellen, ergibt sich nur im Ausnahmefall aus besonderen Bestimmungen des Landesbaurechts. Ob der Arbeitgeber Brandschutzbeauftragte bestellt, ist im Übrigen eine Frage der Zweckmäßigkeit (vgl. Ziff. 7.4 ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“)7.

f) Betriebsrat 20.22 Nach §§ 89, 80 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG hat sich der Betriebsrat dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb eingehalten und der Arbeitsschutz gefördert wird. Bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz steht ihm im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften ein echtes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Zudem ist er neben dem Verantwortlichen des Arbeitgebers direkter Ansprechpartner der Arbeitsschutzbehörden (§ 89 Abs. 2 BetrVG).

1 Kohte/Kiesche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 SGB VII Rz. 12. Eine schriftliche Dokumentation empfiehlt sich indes. Hierzu stellt die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) Musterformulare zur Verfügung, https://www.gda-orgacheck.de/daten/gda/check_11.htm (letzter Abruf: 19.1.2022). 2 Fitting, § 89 BetrVG Rz. 34; Annuß in Richardi, § 89 BetrVG Rz. 34; Kohte/Kiesche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 SGB VII Rz. 24. 3 Kohte/Kiesche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 SGB VII Rz. 24. 4 Ricke in Kasseler Kommentar, § 22 SGB VII Rz. 7. 5 Schmitt in Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 23 SGB VII Rz. 4. 6 Leube, BB 1998, 1738 (1741). 7 Kollmer/Wiebauer/Schucht in Kollmer/Wiebauer/Schucht, ArbStättV, ASR A2.2 Rz. 7.4.

402

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.26 § 20

Echte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates kommen nur dort in Betracht, wo nicht bereits eine 20.23 zwingende gesetzliche Regelung besteht (vgl. § 87 Abs. 1 Halbs. 1 BetrVG). Obgleich die gesetzlichen Regelungen des Arbeitsschutzes zwingenden Charakter haben, gewähren sie dem Arbeitgeber allerdings in zahlreichen Fällen einen Ermessensspielraum bei der Frage, wie er seinen Handlungspflichten gerecht wird. Es handelt sich um ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften. Bei der Frage, wie dieser Spielraum auszufüllen ist, hat der Betriebsrat mitzubestimmen. Ein Mitbestimmungsrecht besteht immer dann, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen1. Das Mitbestimmungsrecht besteht allerdings nur mit Blick auf abstrakte Regelungsfragen. Einzelmaßnahmen des Arbeitgebers, z.B. die Übertragung von Arbeitsschutzaufgaben an bestimmte Personen, sind mitbestimmungsfrei2. Im Rahmen seines Mitbestimmungsrechtes steht dem Betriebsrat ein Initiativrecht zu, mit dem er die Aufstellung von Arbeitsschutznormen notfalls über die Einigungsstelle erzwingen kann3. Regelungsanordnungen des Arbeitgebers, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates missachten, sind unwirksam4. Die Mitregelungsbefugnis des Betriebsrates lässt die alleinige Verantwortung des Arbeitgebers für die Sicherstellung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes nach den einschlägigen Vorschriften unberührt5. Kann der Arbeitgeber dringende Arbeitsschutzregeln nicht aufstellen, weil die Beteiligung des Betriebsrates nicht abgeschlossen ist, stellt dies i.d.R. keinen Notfall dar, der zum einseitigen Handeln ermächtigt. Stattdessen dürfen unzumutbar gefährdete Arbeitnehmer ihre Arbeitsleistung wegen Nichterfüllung der Fürsorgepflicht verweigern (§ 273 Abs. 1, § 618 Abs. 1 BGB)6, bis das Beteiligungsverfahren abgeschlossen ist7.

20.24

Hinweis:

20.25

Der Arbeitgeber kommt nicht umhin, seinen Betriebsrat beim Arbeitsschutz eng einzubinden.

g) Arbeitsschutzausschuss Nach § 11 ASiG haben Arbeitgeber für Betriebe mit mehr als zwanzig Beschäftigten einen Arbeitsschutzausschuss zu bilden, der mindestens vierteljährlich zusammentritt. Ausschussmitglieder sind: – der Arbeitgeber oder ein mit ausreichender Handlungsvollmacht versehener Vertreter, typischerweise die für ihn verantwortliche Personen nach § 13 ArbSchG, – zwei Betriebsratsmitglieder, – der Betriebsarzt, – die Fachkraft für Arbeitssicherheit, – die Sicherheitsbeauftragten des Betriebes. 1 Ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, ArbRB 2019, 366 = juris Rz. 28; BAG v. 28.3.2017 – 1 ABR 25/15, ArbRB 2017, 271 = juris Rz. 18; BAG v. 15.1.2002 – 1 ABR 13/01, ArbRB 2002, 229 = juris Rz. 57. 2 BAG v. 30.9.2014 – 1 ABR 106/12, ArbRB 2015, 76 = juris Rz. 19; BAG v. 18.8.2009 – 1 ABR 43/08, ArbRB 2010, 12 = juris Rz. 23; dazu auch Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1362). 3 Clemenz in HWK, § 87 BetrVG Rz. 139; Gutzeit in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rz. 667; Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 67; Fitting, § 87 BetrVG Rz. 288. 4 BAG v. 16.6.1998 – 1 ABR 68/97, DB 1999, 438-439 = juris Rz. 33; Gutzeit in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rz. 669; Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 67; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1362); a.A. Richardi in Richardi, § 87 BetrVG Rz. 584. 5 Fitting, § 87 BetrVG Rz. 257. 6 BAG v. 19.2.1997 – 5 AZR 982/94, Leitsatz 1, DB 1997, 2623; BAG v. 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, Leitsatz 1, BB 1997, 208-210. 7 Gutzeit in GK-BetrVG, § 87 BetrVG Rz. 669; Richardi in Richardi, § 87 BetrVG Rz. 585.

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20.26

§ 20 Rz. 20.27

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

2. Gefährdungsbeurteilung und Handlungsschwerpunkte bei Büroarbeit a) Materielle Arbeitsschutzanforderungen 20.27 Die materielle Grundpflicht des Arbeitgebers legt die arbeitsschutzrechtliche Generalklausel des § 3 ArbSchG fest: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, im Rahmen des Angemessenen alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahren für die Gesundheit seiner Beschäftigten zu verhindern1. Was genau das bedeutet, wird für bestimmte Teilbereiche durch Rechtsverordnungen konkretisiert, die auf Grund von § 18 ArbSchG ergangen sind. Für die Büroarbeit relevant sind – die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), – die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), – die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV), – die Lastenhandhabungsverordnung (LasthandhabV).

20.28 Auch die spezielleren Arbeitsschutzverordnungen enthalten unbestimmte Generalklauseln und Ermächtigungsgrundlagen. Auf deren Grundlage erlässt das BMAS eine Vielzahl „technischer Regeln“ und aktualisiert diese laufend. Die technischen Regeln entfalten zwar keine zwingende Bindungswirkung. Allerdings haben sie den Charakter antizipierter Sachverständigengutachten und stellen in der Praxis ein entscheidendes Indiz für arbeitsschutzkonformes Handeln dar2. Für die Büroarbeit am wichtigsten sind die auf Grund von § 3a Abs. 1 ArbStättV ergangenen „Technischen Regeln für Arbeitsstätten“ (ASR), die z.B. zentimetergenaue Größenvorgaben für Arbeitsplätze und Fluchtwege enthalten. Ergänzend erlassen die Berufsgenossenschaften als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung auf Grund von § 15 SGB VII Unfallverhütungsvorschiften (UVV) als normativ verbindliches, autonomes Recht3.

20.29 Soweit keine konkreten Vorgaben bestehen, bleibt es bei der arbeitsschutzrechtlichen Generalklausel des § 3 ArbSchG: Der Arbeitgeber muss dann aufgrund eigener Erwägungen bestimmen, welche Gefährdungen für seine Beschäftigten bestehen und welche Abhilfemaßnahmen geboten sind. Stets muss der Arbeitgeber sein Ermessen4 sachgerecht ausüben. Er darf keine Gefährdung für seine Beschäftigten übersehen oder unverhältnismäßig gravierende Gefährdungen in Kauf nehmen.

b) Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen 20.30 Die materiellen Arbeitsschutzanforderungen werden im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen erfüllt. Die Gefährdungsbeurteilungen sind gesetzlich vorgeschrieben (Generalklausel: § 5 ArbSchG) und müssen dokumentiert werden (§ 6 ArbSchG). Die Gefährdungen sind tätigkeitsbezogen5 und umfassend zu beurteilen: Die Pflicht ist erst erfüllt, wenn der Arbeitgeber alle Aspekte der Tätigkeiten aller seiner Beschäftigten (einschließlich Leiharbeitnehmer, § 11 Abs. 6 AÜG) auf Gefährdungen untersucht und keine Gefährdung übersehen hat6. Zu beurteilen sind dabei insbesondere alle Gefährdungen, die durch den Einsatz von Arbeitsmitteln (§ 3 BetrSichV) sowie der Einrichtung und dem Betrieb der Arbeitsstätte (§ 3 ArbStättV) ausgehen. Dabei genießt der Arbeitgeber weitreichen-

1 2 3 4

Grimm/Kühne, ArbRB 2017, 219. Grimm/Kühne, ArbRB 2017, 219 (220). Grimm/Kühne, ArbRB 2017, 219 (220). Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 3 ArbSchG Rz. 8; Otto in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 3 ArbSchG Rz. 2. 5 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 45. 6 EuGH v. 15.11.2001 – C-49/00, CELEX 62000CJ0049; Wink in Kollmer/Klindt/Schucht, § 3 BetrSichV Rz. 2a; Kiel/Lunk/Oetker in MünchHBArbR, § 176 Rz. 22.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.31 § 20

de Ermessensspielräume bei der Gestaltung des Verfahrens und der Dokumentation; ein einzig richtiges Vorgehen gibt es nicht1. Fest steht allerdings, dass die Gefährdungsbeurteilung in sieben Prozessschritten durchzuführen ist: 1. Üblicherweise wird nicht eine Gefährdungsbeurteilung für den gesamten Betrieb durchgeführt. Stattdessen werden Gefährdungsbeurteilungen zu mehreren, spezifischen Gegenständen erstellt, z.B. bestimmten Arbeitsplätzen, Arbeitsbereichen, Tätigkeiten, Arbeitsmitteln, Räumlichkeiten oder Prozessen2. Bei seiner Einteilung ist der Arbeitgeber frei. Zusammen genommen müssen die Gefährdungsbeurteilungen aber lückenlos alle Aspekte der Tätigkeiten aller Beschäftigten abdecken. Gleichartige Arbeitsbedingungen dürfen dabei zusammengefasst beurteilt werden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG). Im ersten Schritt muss sich der Arbeitgeber deshalb einen Überblick über seinen Betrieb verschaffen, die verschiedenen Untersuchungsbereiche sowie Tätigkeiten ermitteln und auf diesem Wege Gleichförmigkeiten herausstellen, die sich zweckmäßiger Weise zusammengefasst beurteilen lassen. So plant der Arbeitgeber die Teilbereiche, für die Gefährdungsbeurteilungen erstellt werden. Gelingt es, von Anfang an eine sinnvolle Aufteilung zu entwerfen, wird der Prozess dadurch merklich übersichtlicher und effizienter3. 2. Anschließend führt der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung für die einzelnen Teilbereiche durch. Dabei geht es zunächst darum, sämtliche Gefährdungen und Belastungen zu ermitteln (Ist-Zustand). Eine Gefährdung verlangt noch keine Gefahr. Eine Gefährdung liegt bereits bei einer Sachlage vor, bei der Schadenseintritte oder gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich erscheinen, ohne dass bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder deren Eintrittswahrscheinlichkeit gestellt werden4. 3. Stehen die Gefährdungen und Belastungen fest, sind sie im nächsten Schritt nach ihrer Intensität zu beurteilen. Im Rahmen einer Risikoabschätzung werden Gefährdungen im Hinblick auf die mögliche Schadenshöhe und die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts in tatsächlicher Hinsicht klassifiziert5. Dies kann anhand von Risikokennzahlen oder einer Risikomatrix schematisiert werden6. Soweit existent, sollten bei dieser Beurteilung Technische Regeln, Unfallverhütungsvorschiften der Unfallversicherungsträger (vgl. Rz. 20.28), Grenzwerte oder anerkannte Regeln sonstiger Normungsinstitutionen (DIN, VDE) herangezogen werden7. Die Ermittlung dieser Regeln – die im Vorfeld oft nicht vollständig bekannt sind – ist ebenfalls Teil der Gefährdungsbeurteilung8. 4. Um erkannte Maßnahmen auf ein zumutbares Maß zu reduzieren, legt der Arbeitgeber Arbeitsschutzmaßnahmen fest. Dabei genießt er ein weitreichendes Entschließungs- und Gestaltungsermessen9, bei dessen Ausübung er auch Wirtschaftlichkeits- und Kostenerwägungen einfließen lassen darf 10. Dabei geben § 4 Nr. 2 u. 5 ArbSchG ein Schema für die Rangfolge der zu ergreifenden Maßnahmen vor11: Ideal wäre es, die Gefahrenquelle ganz zu beseitigen oder sie durch technische Schutzmaßnahmen (T) so zu verändern, dass von ihr keine oder nur noch reduzierte Ge1 BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, Leitsatz 2, ArbRB 2008, 299; Otto in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 5 ArbSchG Rz. 3. 2 Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht, § 5 ArbSchG Rz. 76 ff. 3 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 4 ArbSchG Rz. 42 ff. 4 Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht, § 5 ArbSchG Rz. 61. 5 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 60. 6 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 60. 7 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 61 f. 8 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 60 ff. 9 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 67. 10 Kohte in Kollmer/Klindt/Schucht, § 4 ArbSchG Rz. 10; Landmann in Rohmer/Wiebauer, GewO, 86. EL Februar 2021, § 3 ArbSchG Rz. 15. 11 Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 67.

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20.31

§ 20 Rz. 20.31

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

fahren ausgehen1. Kommt dies nicht in Betracht, sollte alternativ durch organisatorische Maßnahmen (O) der Zugang von Menschen zur Gefahrenquelle beschränkt oder wenigstens reduziert werden2. Nur als Notlösung sollten personelle Maßnahmen (P), wie Schutzausrüstung oder Unterweisungen, gewählt werden. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die Gefährdungen „auf null“ zu reduzieren. Er darf zumutbare Gefährdungen in Kauf nehmen, wenn er deren Beseitigung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens als unverhältnismäßig bewertet3. 5. Anschließend setzt der Arbeitgeber die beschlossenen Maßnahmen um. Die beschlossenen Maßnahmen sollten priorisiert und mit Umsetzungsfristen versehen werden4. 6. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen laufend auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Dies sollte turnusmäßig (i.d.R. alle zwei bis drei Jahre) sowie bei besonderen Anlässen (z.B. Beinahe-Unfällen) geschehen5. Dabei ist z.B. festzustellen, ob sich Mitarbeiter überhaupt an beschlossene Vorgaben halten. 7. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Überprüfungen und mit Blick auf betriebliche Veränderungen ist die Gefährdungsbeurteilung laufend fortzuschreiben6.

20.32 Hinweis: Beauftragt der Arbeitgeber einen überbetrieblichen Dienst, verfügt dieser in aller Regel über eine Reihe von Mustervorlagen für Gefährdungsbeurteilungen7, die eine große Bandbreite von typischen Tätigkeiten und Gefährdungen abdecken. Hierbei handelt es sich vielfach um checklistenartige Bewertungsbögen zu Prüfobjekten wie „Büroarbeitsplätzen“, „Firmenfahrzeugen“, „Außendiensten“, „Brandschutz“ u.Ä., bei deren Ausfüllung für die einzelnen Gefährdungen Ja/Nein-Felder oder Zahlenwerte angekreuzt und die zur Abhilfe beschlossenen Maßnahmen eingetragen werden. Die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften sind in diese Bewertungsbögen idealerweise bereits eingearbeitet und müssen deshalb nicht mehr gesondert ermittelt werden. Für ein normales Bürounternehmen decken die Standardbewertungsbögen oft die meisten einschlägigen Tätigkeiten und Gefährdungen ab. Stellen sich außergewöhnliche oder besonders komplexe Bewertungsfragen, müssen allerdings individualisierte, betriebsspezifische Gefährdungsbeurteilungen entworfen werden. Die Gefährdungsbeurteilungen werden überwiegend durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit des überbetrieblichen Dienstes durchgeführt. Dazu begeht sie die Betriebsstätte, führt Gespräche mit Mitarbeitern der zu beurteilenden Tätigkeitsgruppen und füllt die Bewertungsbögen aus. Üblicherweise wird sie durch Sicherheitsbeauftragte und Betriebsratsmitglieder des Unternehmens begleitet, mit denen sich die Fachkraft für Arbeitssicherheit bei den Beurteilungsentscheidungen bespricht. Die zu ergreifenden Maßnahmen werden im Anschluss mit der verantwortlichen Person des Arbeitgebers, die über die erforderlichen Entscheidungsbefugnisse und Budgetverantwortung verfügt, beschlossen. Im Rahmen der bestehenden Ermessensspielräume verhandeln dann typischerweise die Betriebsratsmitglieder mit dem Arbeitgebervertreter über einen angemessenen Interessenausgleich, der neben der Optimierung des Arbeitsschutzes auch Gesichtspunkte der Wirtschaftlichkeit und Kostenvermeidung berücksichtigt. Um die beschlossenen Maßnahmen zu überprüfen und die Gefährdungsbeurteilung fortzuschreiben, wird der Prozess turnusmäßig wiederholt. Hierzu sollten Fristen mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit abgestimmt und eingetragen werden. Alle Gefährdungsbeurteilungen legt der Arbeitgeber zentral ab und dokumentiert jeweils deren Überprüfungen und Fortschreibungen.

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Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 4 ArbSchG Rz. 53 ff. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 4 ArbSchG Rz. 56 f. Kohte in Kollmer/Klindt/Schucht, § 3 ArbSchG Rz. 20. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 72. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 78. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 78. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 82 ff.; Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht, § 5 ArbSchG Rz. 87.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.33 § 20

Werden neue Betriebsstätten bezogen, die Betriebsstätte baulich umgestaltet, neue Arbeitsmittel beschafft oder neue Arbeitsverfahren und -prozesse eingerichtet, sollten arbeitsschutzrechtliche Erwägungen bereits im Planungsstadium berücksichtigt werden.

Bei der Gefährdungsbeurteilung eines Bürobetriebes steht die Beurteilung der Büroarbeitsplätze im Vordergrund. Üblicherweise wird jeder Büroarbeitsplatz einzeln bewertet. Dabei sind u.a. folgende Anforderungen von Bedeutung: – Arbeitsplätze benötigen eine Sichtverbindung nach außen, durch die Tageslicht fällt (ASR A3.4 „Beleuchtung“). Gleichzeitig sind die Arbeitsplätze vor Sonneneinstrahlung zu schützen, z.B. durch Jalousien (ASR A3.5 „Raumtemperatur“). – Fenster müssen sich öffnen lassen (Ziff. 1.6 Anhang ArbStättV). Die Büroräume sind angemessen zu lüften, was i.d.R. durch Fensterlüftung erfolgen kann (ASR A3.6 „Lüftung“). – Der Arbeitsplatz darf keinem ständigen Lärm ausgesetzt sein, der die Konzentration unzumutbar stört. Ein Geräuschpegel von 46 dB(A) sollte nicht überschritten werden (ASR A3.7 „Lärm“), – Die Lufttemperatur muss wenigstens 20 Grad erreichen. Sollte die Lufttemperatur allerdings 30 Grad überschreiten, müssen Kompensationsmaßnahmen ergriffen werden, z.B. effektiveres Lüften, Lockerung der Bekleidungsregeln, Verlegung der Arbeitszeiten oder die Bereitstellung kalter Getränke1 (ASR A3.5 „Raumtemperatur“). – Jeder Arbeitsplatz muss mindestens eine Grundfläche von 8 bis 10 m2 (einschließlich Möblierung) sowie eine Bewegungsfläche von 1,5 m2 aufweisen. Die Bewegungsfläche muss wenigstens 1 m tief sein, insbesondere beim Abstand zwischen Schreibtisch und Wand (Ziff. 5 ASR A1.2 „Raumabmessungen und Bewegungsflächen“). Für Mitarbeiter mit Behinderung müssen je nach Bedarf zusätzliche Flächen und Hilfsmittel eingerichtet werden (ASR V3a.2 „Barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten“). – Jedem Arbeitsplatz muss eine Kleiderablage zur Verfügung stehen (Ziff. 3.3 Abs. 1 Anhang ArbStättV). – Schreibtische müssen eine ausreichend große Ablagefläche aufweisen, so dass sich der Mitarbeiter flexibel einrichten kann (Ziff. 6.1 Abs. 6 Anhang ArbStättV), – Sitzstuhl, Bildschirm und Schreibtisch sind nach ergonomischen Anforderungen einzurichten (Ziff. 6.1 Abs. 1 Anhang ArbStättV), – Der Bildschirm muss sich in seiner Neigung verstellen lassen (Ziff. 6.3 Abs. 1 Anhang ArbStättV) und eine angenehme Bildqualität bieten (Ziff. 6.2 Anhang ArbStättV). Außerdem dürfen die Oberflächen von Bildschirm und Schreibtisch keine störenden Reflexionen und Blendungen auslösen (Ziff. 6.4 Abs. 4 u. 5 Anhang ArbStättV). – Regale und Schränke sind so zu befestigen, dass sie nicht umkippen oder Trennbretter und Schubladen aus ihnen herausfallen können. – Für jeden Arbeitsplatz ist zu beurteilen, ob und welche Gefährdungen für Schwangere bestehen und welche Schutzmaßnahmen erforderlich würden, wenn Schwangere auf ihnen eingesetzt würden (§ 10 MuSchG). Bei der Beurteilung der Tätigkeit der Büromitarbeiter bilden psychische Belastungen einen wichtigen Schwerpunkt. Eine Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen ist zwingend vorgeschrieben (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG)2. Zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung können typische psychische Belastungen anhand von Checklisten oder mit Interviews bei Betriebsbegehungen

1 Zu rechtlichen Einordnung von Hitzewellen Kolbe, BB 2010, 2762. 2 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (180).

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20.33

§ 20 Rz. 20.33

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

abgefragt werden1. Es sind aber auch andere Beurteilungsverfahren vorstellbar, z.B. offene Diskussionen in Workshops oder anonyme Befragungen2 (eingehend hierzu Rz. 21.10 ff.).

20.34 Über die Büroarbeitsplätze hinaus ist die Arbeitsstätte auf Gefährdungen zu untersuchen (§ 3 ArbStättV), z.B. mit Blick auf folgende Themen: – Der Arbeitgeber muss Notfallmaßnahmen zur Ersten Hilfe, Brandbekämpfung und Evakuierung organisieren (§ 10 ArbSchG, §§ 22, 24-28 DGUV Vorschrift 1). Erste-Hilfe-Verbandskästen müssen abhängig von der Zahl der Beschäftigten in ausreichendem Umfang angeschafft und zugänglich gemacht werden (ASR A4.3 „Erste-Hilfe-Räume, Mittel und Einrichtungen zur Ersten Hilfe“). – Zum Zwecke des Brandschutzes müssen Alarmsysteme sowie ausreichend Feuerlöscher vorhanden sein. Des Weiteren sind Brandschutzmaßnahmen festzulegen und im Rahmen von Schulungen zu erproben. Jedes Unternehmen muss eine ausreichende Zahl von Brandhelfern einweisen (ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“; Ziff. 2.2 Anhang ArbStättV). Die Arbeitsstätte braucht Fluchtwege und Notausgänge, die zu kennzeichnen und ggf. durch Flucht- und Rettungspläne zu beschreiben sind (ASR A2.3 „Fluchtwege und Notausgänge, Ziff. 2.3 Flucht- und Rettungsplan“). – Fußböden dürfen keine Rutschgefahren und Stolperstellen aufweisen und sind mit Rücksicht auf diese Risiken zu reinigen (ASR A1.5/1.2 „Fußböden“). Verkehrswege sollten ausreichend breit sein und nur im Ausnahmefall Höhenunterschiede oder Schrägen aufweisen (ASR A1.8 „Verkehrswege“). – Den Mitarbeitern muss ein Pausenraum zugänglich sein (ASR A4.2 „Pausen- und Bereitschaftsräume“; Ziff. 4.2 Anhang ArbStättV), in den Tageslicht fällt (ASR A3.4 „Beleuchtung“). – Sanitärräume müssen über ausreichend Toiletten, Waschbecken und Bewegungsfläche verfügen und in hygienischem Zustand gehalten werden. Außerdem müssen sie einen angemessenen Schutz der Intimsphäre ermöglichen, insbesondere durch Trennung von Männern und Frauen (ASR A4.1 „Sanitärräume“; Ziff. 4.4 Anhang ArbStättV). – Aufzuganlagen müssen eine Vielzahl von Vorgaben erfüllen und werden üblicherweise gesondert geprüft (im Einzelnen TRBS 3121 „Betrieb von Aufzugsanlagen“). – Sämtliche Gemeinschaftsräume sind angemessen zu lüften (Ziff. 4.1 Anhang ArbStättV).

20.35 Selbst wenn keine komplexen Maschinen eingesetzt werden, ist eine Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsmittel zwingend vorgeschrieben (§ 3 BetrSichV). Im Büro spielen folgende Arbeitsmittel eine Rolle: – Ein kontrovers diskutiertes Thema ist die Frage, ob Tonerstaub und Emissionen von Druckern und Kopierern gesundheitsgefährdend sein können. Auch wenn die Risiken nach bisherigem Forschungsstand gering ausfallen, sollte sichergestellt werden, dass Drucker und Kopierer dem Stand der Technik entsprechen und die betroffenen Räume regelmäßig gelüftet werden. Außerdem sind die Tonerkartuschen ordnungsgemäß zu recyceln. Es kann sinnvoll sein, Umgangsregeln mit den Geräten in den Arbeitsschutzunterweisungen zu vermitteln3.

1 Für die einzelnen Gefährdungstypen haben die Arbeitsschutzbehörden eine offizielle Checkliste herausgegeben, vgl. GDA, Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, Anhang 3. 2 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182). 3 Vgl. zum empfohlenen Umgang mit Druckern und Kopierern Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Tonerstaub und Emissionen von Druckern und Kopierern am Arbeitsplatz, https://www.baua.de/ DE/Angebote/Publikationen/Fokus/artikel17.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Abruf: 26.1.2022); Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Drucker und Kopierer – Sicher bei der Arbeit nutzen,

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.38 § 20

– Aktenvernichter sind mit einem Warnhinweis zu versehen. Auf die Risiken bei der Benutzung von Aktenvernichtern werden die Beschäftigten idealerweise im Rahmen der Arbeitsschutzunterweisung informiert. – Papierschneider sollten über einen Handschutz verfügen. Es kann sinnvoll sein, die mit ihrem Einsatz verbundenen Risiken im Rahmen der Arbeitsschutzunterweisung zu problematisieren. – Zum Transport schwerer Gegenstände, wie z.B. größerer Aktenordner, sind Transporthilfen zur Verfügung zu stellen (§ 2 LasthandhabV). Die sachgemäße manuelle Handhabung von Lasten ist im Rahmen der Arbeitsschutzunterweisung zu erläutern (§ 4 LasthandhabV). – Im Umgang mit Trittleitern müssen Unterweisungen erfolgen, um Sturzgefahren vorzubeugen (TRBS 2121 Teil 2 „Gefährdung von Beschäftigten bei der Verwendung von Leitern“).

3. Ablauforganisation Der Arbeitgeber kann den gesetzlichen Anforderungen des Arbeitsschutzes nur gerecht werden, 20.36 wenn er bestimmte Arbeitsschutzprozesse einrichtet und dauerhaft umsetzt. Ob diese Prozesse eingehalten werden, sollte im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen überprüft werden. Die im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen beschlossenen Maßnahmen sind zu überwachen und periodisch auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse sind die Gefährdungsbeurteilungen fortzuschreiben (vgl. Rz. 20.31). Daneben müssen anlassbezogene Überprüfungen und Fortschreibungen der Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen werden, wenn sich die betrieblichen Gegebenheiten oder einschlägigen Rechtsvorschriften ändern oder es zu betrieblichen Vorfällen kommt, die dies gebieten1. Dieser Prozess wird üblicherweise mit der Fachkraft für Arbeitssicherheit abgestimmt.

20.37

Der Arbeitgeber hat die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit während ihrer Arbeitszeit ausreichend und angemessen zu unterweisen (§ 12 ArbSchG). Diese Unterweisung hat vor Arbeitsaufnahme jedes Arbeitnehmers zu erfolgen2 und ist wenigsten einmal im Jahr zu wiederholen3. Im Rahmen der Unterweisung müssen die Beschäftigten die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Eine schriftliche Unterweisung wäre also unzureichend, sofern keine Gelegenheit für Rückfragen angeboten würde4. Die Unterweisung findet bei voller Bezahlung während der Arbeitszeit statt5. Üblicherweise bestätigt jeder Mitarbeiter seine Teilnahme durch eine Unterschrift in der Teilnehmerliste. Nach § 81 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer einen Individualanspruch auf eine arbeitsschutzrechtliche Unterweisung6.

20.38

Die Inhalte der Unterweisung hängen von den konkreten Risiken des jeweiligen Betriebes und der Tätigkeit der Arbeitnehmer ab. Die Gefährdungen werden im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelt. Zu diesem Anlass werden auch Verhaltensregeln und erforderliche Schulungsinhalte festgelegt. Typische Themen der Unterweisung zur Büroarbeit sind Notfallmaßnahmen (§ 10 ArbSchG, §§ 22, 24-28 DGUV Vorschrift 1), Brandschutz (ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“), der ordnungsgemäße Umgang mit Arbeitsmitteln wie Leitern (TRBS 2121 Teil 2 „Gefährdung von Beschäftigten bei der Verwendung von Leitern“), Aktenvernichtern oder Papierschneidern, die Pflicht, Verkehrswege freizuhalten (Ziff. 5 Abs. 2 ASR A1.8 „Verkehrswege“) sowie die ordnungsgemäße Hand-

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https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis-kompakt/F43.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf: 26.1.2022). Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 74 ff. Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 11. Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 13. Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 6 f. Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, § 12 ArbSchG Rz. 10. Kania in ErfK, § 81 BetrVG Rz. 17.

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§ 20 Rz. 20.38

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

habung von Lasten (§ 4 LasthandhabV). Zur Vorbeugung gegen psychische Belastungen können Regeln für den sozialen Umgang zwischen Kollegen und zur Vermeidung und Bewältigung von Stress vermittelt werden.

20.39 Der Arbeitgeber muss die erforderliche arbeitsmedizinische Vorsorge (§ 11 ArbSchG) durchführen. Während ärztliche Pflichtvorsorgen (§ 4 ArbMedVV) im Bürobetrieb allenfalls in Ausnahmefällen geboten sind, muss der Arbeitgeber allen Mitarbeitern, die an Bildschirmen tätig sind, als Angebotsvorsorge (§ 5 ArbMedVV) die Durchführung einer medizinischen Augenuntersuchung anbieten (Teil 4 (2) Nr. 1 Anhang ArbMedVV). Das Angebot muss vor Aufnahme der Tätigkeit sowie anschließend in regelmäßigen Abstanden erfolgen (§ 5 Abs. 1 Satz 2 ArbMedVV) und ist typischerweise Bestandteil der Arbeitsschutzunterweisung. Darüber hinaus können Arbeitnehmer jederzeit den Wunsch auf eine arbeitsmedizinische Untersuchung äußern und haben dann einen Individualanspruch gegen den Arbeitgeber, diese durchzuführen (Wunschvorsorge, § 5a ArbMedVV)1. Ergibt die Augenuntersuchung, dass der Arbeitnehmer eine bestimmte Brille („Sehhilfe“) benötigt, ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, diese Brille zur Verfügung stellen und die Anschaffungskosten zu übernehmen (Teil 4 (2) Nr. 1 Anhang ArbMedVV). Das Modell wählt grundsätzlich der Arbeitgeber aus. Vereinbarungen mit dem Arbeitnehmer, dass dieser sich eine teurere Markenbrille aussuchen darf, wenn er im Gegenzug einen Teil der Kosten selbst trägt, sind aus unionsrechtlichen Gründen rechtlich unwirksam (Art. 9 Abs. 4 RL 90/270/EWG)2 und kommen nur als „Gentlemen’s Agreement“ in Betracht.

20.40 Mitarbeiter, die besondere Aufgaben im Rahmen des Arbeitsschutzes wahrnehmen, sind durch das Unternehmen gesondert aus- und fortzubilden. Diese Schulungen muss der Arbeitgeber periodisch wiederholen, um den Wissensstand aufzufrischen. Zu schulen sind die für den Arbeitsschutz verantwortlichen Personen des Arbeitgebers (§ 13 Abs. 2 ArbSchG, dazu Rz. 20.11), Sicherheitsbeauftragte (§ 22 SGB VII, dazu Rz. 20.16), Ersthelfer (§ 26 Abs. 1 UVV DGUV Vorschrift 1, dazu Rz. 20.19) sowie der Brandschutzhelfer (Ziff. 7.3 ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“, dazu Rz. 20.20). Werden Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit über einen überbetrieblichen Dienst oder als Freiberufler verpflichtet (dazu Rz. 20.12 f.), muss das Unternehmen ihnen die Schulungsteilnahme durch Freistellung ermöglichen (§ 2 Abs. 3 Satz 4 ASiG, § 5 Abs. 3 Satz 4)3. Kostenlose Veranstaltungen zur Aus- und Fortbildungen bieten die Berufsgenossenschaften als Unfallversicherungsträger an (§ 23 SGB VII).

20.41 Arbeits- und Wegeunfälle4 müssen erfasst, dokumentiert und systematisch ausgewertet werden. Idealerweise erfolgt auch eine Erfassung, Dokumentation und Auswertung von „Beinahe-Unfällen“. Die Arbeitnehmer sind also anzuweisen, alle Arbeits- und Wegeunfälle zu melden. Die („Beinahe“) -Unfälle geben zum einen Anlass, die Gefährdungsbeurteilungen zu überprüfen und fortzuschreiben5 (dazu Rz. 20.37). Zum anderen müssen Unternehmen gem. § 193 SGB VII Arbeitsunfälle gegenüber den Unfallversicherungsträgern sowie Arbeitsschutzbehörden anzeigen, wenn der Betroffene so verletzt wurde, dass er mehr als drei Tage arbeitsunfähig wird, oder wenn er gar verstirbt. Die Anzeige muss spätestens nach drei Tagen erfolgen, wobei der Unfalltag nicht mitzuzählen ist6. Der Betriebsrat ist zwingend zu informieren und muss die Anzeige gegenzeichnen. Die Anzeige erfolgt grundsätzlich auf einem Mustervordruck (Anlage 1 UVAV), der auf elektronischem Wege an die Behörden übermittelt wird (§ 5 UVAV).

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Bücker in Kohte/Faber/Feldhoff, § 11 ArbSchG Rz. 9. Kohte in Kollmer/Klindt/Schucht, § 3 ArbSchG Rz. 94. Hochheim in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 2 ASiG Rz. 17. Ricke in Kasseler Kommentar, § 193 SGB VII Rz. 3. Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 76. Ricke in Kasseler Kommentar, § 193 SGB VII Rz. 11.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.45 § 20

Arbeitet das Unternehmen in enger räumlicher Nähe1 mit Fremdfirmen zusammen, z.B. weil diese 20.42 auf dem Betriebsgelände tätig werden, muss eine gemeinsame Abstimmung beider Arbeitgeber über den Arbeitsschutz erfolgen, die eine wechselseitige Unterrichtung über denkbare Gefährdungen einschließt (§ 8 Abs. 1 ArbSchG, § 13 BetrSichV, § 6 Abs. 1 DGUV Vorschrift 1). Ob und in welchem Umfang gemeinsame Arbeitsschutzmaßnahmen zu ergreifen sind, hängt von den Erfordernissen des Einzelfalles ab2. Ggf. müssen gemeinsame Gefährdungsbeurteilungen erstellt (§ 13 Abs. 2 BetrSichV) oder ein unternehmensübergreifender Arbeitskoordinator bestellt werden (§ 13 Abs. 3 BetrSichV, § 6 Abs. 1 Satz 2 DGUV Vorschrift 1). Denjenigen Arbeitgeber, in dessen Betrieb Fremdfirmen tätig werden, trifft eine Überwachungspflicht: Er muss sich vergewissern, dass die Beschäftigten der anderen Arbeitgeber während ihrer Tätigkeit in seinem Betrieb angemessene Arbeitsschutzanweisungen erhalten (§ 8 Abs. 2 ArbSchG, § 6 Abs. 2 DGUV Vorschrift 1).

4. Sanktionen bei Arbeitsschutzdefiziten Im Falle von Verstößen gegen Arbeitsschutzvorgaben kommen vielfältige öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Sanktionen in Betracht, nämlich:

20.43

– Strafverfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung und Tötung (§§ 229, 222 StGB), wenn es zu schweren Unfällen kommt (dazu Rz. 20.44 ff.), – Schadensersatzansprüche, die ggf. im Wege des Regresses (§ 110 SGB VII) durch die Unfallversicherer gegen den Arbeitgeber geltend gemacht werden können (dazu Rz. 20.49 ff.), – Verfügungen und Bußgeldsanktionen der Arbeitsschutzbehörden (dazu Rz. 20.52 ff.), – legitime Arbeitsverweigerung (§§ 273, 618 BGB) durch die Beschäftigten (dazu Rz. 20.56 f.), – erzwingbare Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) des Betriebsrates (dazu Rz. 20.58), – mietrechtliche Mängelgewährleistungsansprüche (§§ 536 ff. BGB) gegen den Gewerberaumvermieter (dazu Rz. 20.59).

a) Strafverfolgung bei Arbeitsunfällen Verletzen sich Beschäftigte bei Arbeitsunfällen schwer, werden häufig strafrechtliche Ermittlungen 20.44 wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder gar fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) gegen beteiligte Führungskräfte und Kollegen eingeleitet3. Nach § 193 Abs. 7 SGB VII ist der Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitsunfälle gegenüber den Arbeitsschutzbehörden anzuzeigen. Gab es erhebliche Personenschäden, ermitteln Behördenmitarbeiter die Schadenshintergründe und fordern den Arbeitgeber auf, einschlägige Gefährdungsbeurteilungen vorzulegen, die einschlägigen Schutzmaßnahmen und Weisungen zu erläutern und die verantwortlichen Vorgesetzten zu benennen. Werden Sorgfaltsverstöße der unmittelbar beteiligten Personen aufgedeckt oder zeigen sich Arbeitsschutzdefizite in der Organisation des Unternehmens, kann dies einen Anlass für weitergehende strafrechtliche Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft bieten4. Nicht nur Führungskräfte, sondern auch Kollegen derselben Hierarchieebene kommen als Täter in Betracht. Eine Strafbarkeit wegen positiven Tuns kann aus eigenen sorgfaltswidrigen Verursachungsbeiträgen folgen. Auch dem Unterlassungstäter, der erforderliche Einweisungen, Beaufsichtigungen oder Absicherungen nicht vorgenommen hat, droht die Strafverfolgung. Eine strafrechtliche Garantenstellung i.S.d. § 13 StGB kann sich dabei – unabhängig vom Organigramm – aus jeder verant-

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Julius in Kohte/Faber/Feldhoff, § 8 ArbSchG Rz. 7 ff. Julius in Kohte/Faber/Feldhoff, § 8 ArbSchG Rz. 21 ff. Moderegger, ArbRB 2018, 320 (323). Grimm/Kühne, ArbRB 2017, 219 (221).

Grimm/Singraven

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20.45

§ 20 Rz. 20.45

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

wortlichen Rolle im Zusammenhang mit dem konkreten Unfallgeschehen ergeben1. Die Ermittlungen folgen dabei dem Prinzip „von unten nach oben“: Ausgehend von den unmittelbaren Unfallbeteiligten wird geprüft, ob eine ausreichende Einweisung und Überwachung erfolgte. Fehlte es daran, spricht dies für eine Sorgfaltspflichtverletzung des jeweils nächsthöheren Vorgesetzten. Diese Prüfung kann sich von Hierarchieebene zu Hierarchieebene bis zur Geschäftsführung fortsetzen2. Hat sich das Unfallopfer hingegen wissentlich über Arbeitsschutzvorgaben hinweggesetzt und das eigene Unglück in Kauf genommen, kann diese eigenverantwortliche Selbstgefährdung Dritten nicht zugerechnet werden3.

20.46 Für die Frage der Fahrlässigkeit spielt die Einhaltung einschlägiger arbeitsrechtlicher Vorgaben eine bestimmende, aber nicht die allein ausschlaggebende Rolle. Ein Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften zieht nicht zwingend den Vorwurf strafrechtlicher Fahrlässigkeit nach sich4. Der Verstoß indiziert aber nach ganz h.M. die Vorhersehbarkeit eines kausal verursachten Arbeitsunfalls5 und wird daher im Mittelpunkt strafrechtlicher Ermittlungen stehen. Daneben kann die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit auch bei Einhaltung aller formalisierten Sicherheitsvorschriften bejaht werden, wenn im Einzelfall außergewöhnliche Umstände ein durch diese Vorschriften nicht abgebildetes Sonderrisiko geschaffen haben, das der Täter erkennen musste6.

20.47 Nicht jeder im Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall aufgedeckte Sorgfaltsverstoß führt zu einer Strafbarkeit. Der Sorgfaltsverstoß selbst muss kausale Unfallursache sein, d.h. der Unfall dürfte sich bei einem hypothetisch gedachten pflichtgemäßen Verhalten nicht ereignet haben (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang)7. Ob dies so war, können die Strafverfolgungsbehörden oft nicht mehr aufklären. Zusätzlich muss die Unfallfolge dem Sorgfaltsverstoß objektiv zuzurechnen sein8.

20.48 Hinweis: Die im Falle eines Arbeitsunfalles drohende Strafverfolgung ist die schärfste und bedeutendste Sanktion9 gegen Unternehmen, die Arbeitsschutzvorgaben missachten, und entfaltet in der Praxis eine erhebliche Abschreckungswirkung. Zwar werden die Verfahren üblicherweise gegen Auflagen eingestellt und selbst im Falle einer Verurteilung fällt das Strafmaß oft vergleichsweise gering aus10. Dennoch bleibt ein erheblicher Reputationsschaden. Ob es zu strafrechtlichen Ermittlungen kommt, hängt wesentlich davon ab, wie sich das Unternehmen nach einem Arbeitsunfall gegenüber den Arbeitsschutzbehörden präsentiert. Ein ungeordnetes Auftreten und widersprüchliche Aussagen legen den Verdacht einer ungeordneten Arbeitsschutzorganisation nahe. Unternehmen sollten hier abgestimmt und strukturiert vorgehen. Keinesfalls dürfen Behördenmitarbeiter jedoch durch Falschangaben getäuscht werden, da dies als strafbare Strafvereitelung (§ 258 StGB) und damit als eigenständiges Delikt gewertet werden kann11.

1 Wiebauer, ArbRAktuell 2017, 562 (564); Wilrich, DB 2009, 1294 (1294). 2 Vgl. BGH v. 25.6.2009 – 4 StR 610/08, juris Rz. 24; LG Osnabrück v. 20.9.2013 – 10 KLs 16/13; OLG Stuttgart v. 5.4.2005 – 5 Ss 12/05, Die Justiz 2005, 434. 3 OLG Rostock v. 10.9.2004 – 1 Ss 80/04 I 72/04, Leitsätze, juris; Wiebauer, ArbRAktuell 2017, 562 (564); a.A. OLG Naumburg v. 25.3.1996 – 2 Ss 27/96, Leitsatz, NStZ-RR 1996, 229. 4 BGH v. 10.7.1958 – 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75. 5 OLG Karlsruhe v. 16.12.1999 – 3 Ss 43/99, Orientierungssatz 1, StraFo 2000, 94; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 222 StGB Rz. 6; Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, § 15 StGB Rz. 135. 6 BGH v. 25.9.1990 – 5 StR 187/90, NJW 1991, 501. 7 Grundlegend BGH v. 25.9.1957 – 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; dazu Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, § 15 StGB Rz. 173 ff. 8 Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, § 15 StGB Rz. 156 ff. 9 Grimm/Kühne, ArbRB 2017, 219 (221). 10 Selbst wenn schwere Sorgfaltsmängel zu einem Todesfall führen, bewegt sich das Strafmaß typischerweise im Bereich von Geldstrafen oder Bewährungsstrafen von bis zu sechs Monaten, vgl. LG Osnabrück v. 20.9.2013 – 10 KLs 16/13, juris. 11 LG Osnabrück v. 20.9.2013 – 10 KLs 16/13, juris.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.50 § 20

Der arbeitsschutzrechtliche Sonderstraftatbestand des § 26 ArbSchG spielt nur eine untergeordnete Rolle. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Verantwortlicher i.S.d. § 13 ArbSchG1 die Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung der Arbeitsschutzbehörde beharrlich und vorsätzlich2 wiederholt. Dieselbe Freiheitsstrafe droht, wenn der Verantwortliche i.S.d. § 13 ArbSchG durch vorsätzliche Zuwiderhandlung gegen eine Arbeitsschutzverordnung (z.B. BetrSichV, ArbStättV, ArbMedVV)3 das Leben oder die Gesundheit eines Arbeitnehmers vorsätzlich4 und konkret (d.h. durch billigendes Inkaufnehmen eines Beinahe-Unfalls)5 gefährdet.

b) Schadensersatzansprüche von Unfallopfern Kommt es wegen Verstößen gegen Arbeitsschutzgesetze zu Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten, 20.49 stehen den betroffenen Arbeitnehmern Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1, § 618 BGB zu. Neben der Arbeitgeberhaftung kommt eine deliktische Haftung6 von Organmitgliedern oder Führungskräften in Betracht, die gem. § 13 ArbSchG als Garanten7 für die Einhaltung der Schutzgesetze verantwortlich sind. In den meisten Fällen haftet jedoch allein die Berufsgenossenschaft als Träger der Berufsunfallversicherung. Dies folgt aus den §§ 104 ff. SGB VII: Sowohl arbeitsschutzwidrig veranlasste Arbeitsunfälle als auch Berufskrankheiten sind nämlich gem. § 7 SGB VII durch die Berufsunfallversicherung abgedeckt. Nur wenn Unternehmen den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben, sind sie ihren versicherten Beschäftigten gem. § 104 SGB VII zum Ersatz eines durch die Berufsunfallversicherung versicherten Personenschadens verpflichtet. In gleicher Weise ist nach § 105 SGB VII die Haftung für andere im Betrieb tätige Personen beschränkt, zu denen auch Organmitglieder8 gehören. Dass Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten vorsätzlich herbeigeführt werden, kommt praktisch so gut wie nie vor. Es genügt nämlich nicht, dass eine Arbeitsschutzbestimmung vorsätzlich verletzt wurde. Der Vorsatz müsste sich auf den Schadenseintritt selbst beziehen9. Haben Mitarbeiter den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt, sind sie der Berufsgenossen- 20.50 schaft gem. § 110 SGB VII regresspflichtig. Trifft der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ein Organmitglied, haftet nach § 111 SGB VII auch das Unternehmen als Rechtsträger. Ein Verstoß gegen eine Arbeitsschutzvorschrift allein reicht allerdings nicht aus, um den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu rechtfertigen. Stets ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden erforderlich10. War den verantwortlichen Personen der Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift nicht bewusst11 und musste sich ihnen die Gefahrenlage auch nicht aus anderen Gründen aufdrängen12, liegt kein subjektiv gesteigertes Verschulden vor.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Schmitz in Kohte/Faber/Feldhoff, § 26 ArbSchG Rz. 6. Schmitz in Kohte/Faber/Feldhoff, § 26 ArbSchG Rz. 13. Schmitz in Kohte/Faber/Feldhoff, § 26 ArbSchG Rz. 11. Schmitz in Kohte/Faber/Feldhoff, § 26 ArbSchG Rz. 13; Wiebauer, ArbRAktuell 2017, 562 (563). Schmitz in Kohte/Faber/Feldhoff, § 26 ArbSchG Rz. 12; Wiebauer, ArbRAktuell 2017, 562 (563). Klindt in Kollmer/Klindt/Schucht, § 13 ArbSchG Rz. 4; Kothe in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 4. BGH v. 25.6.2009 – 4 StR 610/08, juris Rz. 24; Kohte in Kohte/Faber/Feldhoff, § 13 ArbSchG Rz. 5. Giesen in HWK, § 105 SGB VII Rz. 3. Grundlegend BAG v. 10.10.2002 – 8 AZR 103/02, ArbRB 2003, 141 = juris Rz. 18; eingehend hierzu Lindemann/Polzer, DB 2017, 1087 (1088). BGH v. 8.10.1968 – VI ZR 164/67, Orientierungssatz, VersR 1969, 39; BGH v. 8.5.1984 – VI ZR 296/82, Orientierungssatz, VersR 1984, 775 = juris Rz. 19; BGH v. 18.11.2014 – VI ZR 141/13, VersR 2015, 193 = juris Rz. 21. Dazu BGH v. 8.5.1984 – VI ZR 296/82, VersR 1984, 775 = juris Rz. 19, 20. Dazu BGH v. 18.10.1988 – VI ZR 15/88, VersR 1989, 109 = juris Rz. 8; BGH v. 21.10.1980 – VI ZR 265/79, Orientierungssatz, VersR 1981, 75.

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§ 20 Rz. 20.51

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

20.51 Hinweis: Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit ist allerdings gerechtfertigt, wenn Mitarbeiter bewusst gegen Arbeitsschutzvorschriften verstoßen1. Meistens schützt auch eine vorhandene D&O-Haftpflichtversicherung verantwortliche Führungskräfte in solchen Fällen nicht. Typischerweise enthalten deren Versicherungsbedingungen nämlich eine Klausel, nach der Schadensfälle aufgrund „wissentlicher Pflichtverletzungen“ nicht abgedeckt sind2.

c) Sanktionen der Arbeitsschutzbehörden 20.52 Den Arbeitsschutzbehörden kommt die Aufgabe zu, Unternehmen beim Arbeitsschutz zu beraten und die Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorgaben zu überwachen3. Zu diesem Zweck haben sie die Befugnis, Betriebsstätten sowie Geschäfts- und Betriebsräume zu betreten und dort Unterlagen, Arbeitsmittel und Arbeitsschutzvorkehrungen zu prüfen (§ 22 Abs. 2 Satz 1 und 2 ArbSchG). Bis zum Jahr 2026 soll durch weiteren Kapazitätsaufbau in den Arbeitsschutzbehörden eine jährliche Mindestbesichtigungsquote von 5 Prozent aller Betriebe in jedem Bundesland erreicht werden (§ 21 Abs. 1a ArbSchG)4. Bislang wird eine solche Kontrolldichte allerdings bei weitem nicht erreicht. Der Arbeitgeber, vertreten durch seine verantwortliche Person, ist verpflichtet, diese Prüfungen nicht nur zu dulden, sondern auch aktiv zu unterstützen, z.B. indem er die Gewerbeaufsichtsbeamten begleitet, Auskunft erteilet und Besprechungsräume zur Verfügung stellt (§ 22 Abs. 2 Satz 3 und 4 ArbSchG)5. Er zieht nach § 89 Abs. 2 BetrVG auch den Betriebsrat hinzu.

20.53 Durch Verwaltungsakt6 können die Arbeitsschutzbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen anordnen, dass der Arbeitgeber und die für ihn verantwortliche Person Maßnahmen ausführen müssen, die zur Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften oder zur Abwendung einer besonderen Gefahr für Leben und/oder Gesundheit der Beschäftigten erforderlich sind (§ 22 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG). Die Anordnungen können gegen den Arbeitgeber und die für ihn verantwortliche Person im Wege des Verwaltungszwanges7 durchgesetzt werden. Führt der Arbeitgeber die Anordnungen nicht aus, kann die staatliche Arbeitsschutzbehörde die von der Anordnung betroffene Arbeit ganz untersagen (§ 22 Abs. 3 Satz 3 ArbSchG).

20.54 Die Arbeitsschutzbehörden8 können die Zuwiderhandlung gegen Arbeitsschutzverordnungen nach § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG mit Bußgeldern ahnden, wenn die Arbeitsschutzverordnungen dies vorsehen. Dies kommt z.B. bei Verstößen gegen die ArbStättV (dort § 9 Abs. 1 ArbStättV), die BetrSichV (dort § 22 Abs. 1 BetrSichV) oder die ArbMedVV (dort § 10 Abs. 1 ArbMedVV) in Betracht. Die Berufsgenossenschaften als Unfallversicherungsträger (§ 210 SGB VII, § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG)9 können gem. § 209 SGB VII Bußgelder verhängen, wenn Arbeitgeber Unfallverhütungsvorschriften verletzten oder Arbeitsunfälle entgegen § 193 SGB VII nicht ordnungsgemäß anzeigen.

20.55 Der Bußgeldrahmen reicht im Falle eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzverordnungen grundsätzlich nur bis zu einem Betrag von 5.000 EUR (vgl. § 25 Abs. 2 ArbSchG), im Falle eines Verstoßes gegen Unfallverhütungsvorschriften immerhin bis zu einem Betrag von 10.000 EUR (§ 209 Abs. 2 SGB VII). Damit sind die Kostenrisiken vergleichsweise überschaubar. Nur wenn der Arbeitgeber eine Maß-

1 2 3 4 5 6 7

Dazu BGH v. 8.5.1984 – VI ZR 296/82, VersR 1984, 775 = juris Rz. 19, 20. Rothenburg in Kubis/Tödtmann, Arbeitshandbuch für Vorstandmitglieder, 3. Aufl. 2022, § 11 Rz. 161. Arndt-Zygar/Busch in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 ArbSchG Rz. 10. Dazu Schipp, ArbRB 2021, 51 (53 f.). Arndt-Zygar/Busch in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 ArbSchG Rz. 13 ff. Eingehend zur den Voraussetzungen Wiebauer, NVwZ 2017, 1653. Dessen Rechtsgrundlagen finden sich im Verwaltungsvollstreckungsrecht des jeweiligen Bundeslandes, Kunz in Kollmer/Klindt/Schucht, § 22 ArbSchG Rz. 185. 8 Wiebauer, ArbRAktuell 2017, 534 (536). 9 Zakrzewski in Becker/Franke/Molkentin, SGB VII, 5. Aufl. 2018, § 209 SGB VII Rz. 1 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 20.59 § 20

nahme nicht ergreift, welche die Arbeitsschutzbehörde durch vollziehbaren Verwaltungsakt i.S.d. § 22 Abs. 3 Ziff. 1 ArbSchG zuvor ausdrücklich angeordnet hatte, kommen Bußgelder bis zu 30.000 EUR in Betracht.

d) Individualansprüche einzelner Arbeitnehmer Prinzipiell können sich auch betroffene Arbeitnehmer selbst gegen die Missachtung von Arbeitsschutzvorgaben durch ihren Arbeitgeber zur Wehr setzen. Öffentlich-rechtliche Arbeitsschutzvorschriften, deren Inhalt zugleich geeignet ist, Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung zu sein, entfalten eine Doppelwirkung: Gemäß § 618 BGB ist der Arbeitgeber zivilrechtlich gegenüber dem einzelnen Mitarbeiter verpflichtet, die Arbeitsschutzvorschrift einzuhalten1. Der Arbeitnehmer hat einen einklagbaren Erfüllungsanspruch auf Herstellung eines arbeitsschutzkonformen Zustandes2. Bleibt der Anspruch unerfüllt, kann der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nach § 273 BGB verweigern, während sein Lohnanspruch nach § 615 BGB fortbesteht3.

20.56

Hinweis:

20.57

Da der Arbeitnehmer den Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz beweisen müsste, kann ihm die Verweigerung der Arbeitsleistung allerdings nur in Ausnahmenfällen geraten werden. Scheitert der Nachweis, steht ihm kein Lohnanspruch zu4. Regelmäßig liegt eine Verletzung der Arbeitspflicht vor, die zu einer Kündigung berechtigen kann. Dass sich Arbeitnehmer auf einen solchen Konflikt einlassen, kommt deshalb selten vor.

e) Beteiligungsrechte des Betriebsrates Der Betriebsrat kann die Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben in Ausübung seines Mitbestimmungsrechtes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG erzwingen. Dies erfolgt i.d.R., indem der Betriebsrat die Einigungsstelle anruft (vgl. Rz. 20.22 ff. und Rz. 20.70). Stellt er Verstöße fest, zu deren Beseitigung der Arbeitgeber von sich aus nicht bereit ist, kann der Betriebsrat die Arbeitsschutzbehörde informieren und deren Einschreiten veranlassen (§ 89 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).

20.58

f) Gewerbemietrechtliche Bedeutung des Arbeitsschutzes Die h.M. geht zu Recht davon aus, dass die Wertungen des Arbeitsschutzrechts auf das Gewerbe- 20.59 mietrecht ausstrahlen. Werden Büroräume gewerberechtlich zum Zwecke des Gebrauchs als Arbeitsstätte vermietet, sind die arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der vertraglich vereinbarten Gebrauchstauglichkeit. Wurde zwischen den Mietvertragsparteien keine ausdrückliche Abrede getroffen und stehen die Räumlichkeiten aus Gründen, die in der Verantwortungssphäre des Vermieters liegen, nicht mit geltendem Arbeitsschutzrecht im Einklang (z.B. weil sich die Raumtemperatur erheblich über den 30-Grad-Grenzwert nach ASR A3.5 „Raumtemperatur“ aufheizt), liegt ein Mietmangel i.S.d. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB vor5. Der Arbeitgeber kann von sei1 Grundlegend BAG v. 10.3.1976 – 5 AZR 34/75, Leitsatz 1, VersR 1977, 147; s. auch Krause in HWK, § 618 BGB Rz. 6; Roloff in ErfK, § 618 BGB Rz. 4 f.; Fröhlich/Hartmann, ArbRB 2009, 336 (338). 2 Krause in HWK, § 618 BGB Rz. 28; Roloff in ErfK, § 618 BGB Rz. 15. 3 BAG v. 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, Leitsatz 1, DB 1996, 2446, juris; Krause in HWK, § 618 BGB Rz. 30; Roloff in ErfK, § 618 BGB Rz. 16. 4 BAG v. 8.5.1996 – 5 AZR 315/95, DB 1996, 2446 = juris Rz. 59 ff. 5 OLG Köln v. 28.10.1991 – 2 U 185/90, VersR 1993, 1112 = juris Rz. 12, 13; OLG Hamm v. 18.10.1994 – 7 U 132/93, Orientierungssatz 1, NJW-RR 1995, 143; OLG Düsseldorf v. 4.6.1998 – 24 U 194/96, MDR 1998, 1217 = juris Rz. 10, 11; OLG Rostock v. 29.12.2000 – 3 U 83/98, NJW-RR 2001, 802 = juris Rz. 12; OLG Rostock v. 17.5.2018 – 3 U 78/16, MDR 2018, 924 (925) = juris Rz. 47; LG Bielefeld v. 25.3.2003 – 3 O 411/01, Orientierungssatz 1, juris; OLG Karlsruhe v. 17.12.2009 – 9 U 42/09, MDR 2010, 564 = juris Rz. 43; OLG Naumburg v. 13.10.2009 – 9 U 45/09, NZM 2011, 35 = juris Rz. 72; Kollmer in Koll-

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§ 20 Rz. 20.59

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

nem Vermieter verlangen, dass dieser Maßnahmen zur Beseitigung des Mangels ergreift (§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) und die Miete mindern (§ 536 Abs. 1 Satz 2 BGB)1. Kommt der Vermieter mit der Mängelbeseitigung in Verzug, kann der Arbeitgeber den Mangel selbst beseitigen und vom Vermieter Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen (§ 536a Abs. 2 BGB), z.B. durch Aufrechnung gegen den Mietzinsanspruch2.

20.60 Hinweis: In der Gesamtschau sind die rechtlichen Risiken, die sich aus Verstößen gegen geltendes Arbeitsschutzrecht ergeben, für einen normalen Bürobetrieb i.d.R. beherrschbar. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich lediglich um Verstöße gegen einzelne Arbeitsschutzvorgaben handelt, die in Anbetracht der Vielzahl an Anforderungen auch bei engagierten Arbeitgebern gelegentlich vorkommen. Die schärfsten Sanktionen, nämlich eine Strafverfolgung wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung (vgl. Rz. 20.44 ff.) sowie ein Regress des Unfallversicherungsträgers für geleistete Schadensersatzzahlungen (vgl. Rz. 20.50), drohen nur, wenn es zu Unfällen mit erheblichen Personenschäden kommt. Solche Unfallereignisse sind in einem normalen Bürobetrieb die Ausnahme. Die für die Büroarbeit einschlägigen Arbeitsschutzvorgaben folgen überwiegend dem erweiterten Arbeitsschutzansatz (vgl. dazu Rz. 20.2) und zielen darauf, unter Berücksichtigung von arbeitsmedizinischen, ergonomischen und arbeitspsychologischen Erkenntnissen Arbeit menschengerechter auszugestalten. Bei einem Verstoß ergeben sich keine erhöhten Unfallrisiken. Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträger können vergangene Verstöße zwar durch die Verhängung von Bußgeldern ahnden. Diese fallen betragsmäßig jedoch überschaubar aus. Die weiteren Durchsetzungsinstrumente des Arbeitsschutzrechtes, nämlich Verfügungen der Arbeitsschutzbehörden, Erfüllungsansprüche der Beschäftigten und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zielen nicht darauf, Arbeitsschutzverstöße aus der Vergangenheit zu sanktionieren, sondern auf Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben für die Zukunft hinzuwirken. Werden sie geltend gemacht, bleibt dem Unternehmen i.d.R. ausreichend Zeit, um angemessen zu reagieren. Ein Hauptmotiv für Bürobetriebe, arbeitsschutzrechtliche Vorgaben von sich aus einzuhalten, ist deshalb weniger die Angst vor Sanktionen, sondern der Wunsch, sich am Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber gegenüber Belegschaft und Bewerbern zu positionieren. Die arbeitsschutzrechtlichen Normen und die Expertise von Fachkräften für Arbeitssicherheit und Betriebsärzten zeigen Unternehmen sinnvolle Ansatzpunkte auf, um die Arbeitsgestaltung und das Arbeitsklima im Eigeninteresse sowie im Interesse ihrer Mitarbeiter zu verbessern. Unternehmen, die abwarten, bis Arbeitsschutzbehörden oder Betriebsräte die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben im Konflikt erzwingen, verspielen diese Chance.

III. Best Practice 20.61 Arbeitsschutz sollte sachnah durchgeführt werden. Es empfiehlt sich deshalb, auf der überbetrieblichen Konzern- und Unternehmensebene lediglich Rahmenregeln zum Arbeitsschutz festzulegen (dazu Rz. 20.62 ff.). Die eigentliche Umsetzung der materiellen Arbeitsschutzvorgaben erfolgt innerhalb der Betriebe (dazu Rz. 20.67 ff.).

1. Überbetrieblich: Festlegung der Verantwortlichkeiten 20.62 Die Kernaufgabe des Arbeitsschutzes besteht darin, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen und abhängig von deren Ergebnissen Abhilfemaßnahmen zu beschließen und umzusetzen. Da die Gefährdungslagen einzelfallbezogen und mit Rücksicht auf die besonderen betrieblichen Verhältnisse beurteilt werden müssen, liegt es nahe, die Verantwortung für diesen Prozess auf Personen innerhalb

mer/Wiebauer/Schucht, Einführung ArbStättV Rz. 2; Faber/Feldhoff in Kohte/Faber/Feldhoff, ArbStättV Rz. 24; a.A. OLG Frankfurt v. 19.1.2007 – 2 U 106/06, NZM 2007, 330 = juris Rz. 64 ff.; Herrlein, NZM 2007, 719 (720); Wiebauer in Kollmer/Wiebauer/Schucht, § 3a ArbStättV Rz. 7. 1 Dazu BGH v. 15.12.2010 – XII ZR 132/09, NJW 2011, 514. 2 Dazu BGH v. 27.9.2017 – XII ZR 54/16, Orientierungssatz 3, ZMR 2018, 208.

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III. Best Practice

Rz. 20.64 § 20

der Betriebe zu delegieren, welche die besonderen betrieblichen Verhältnisse kennen und die Umsetzung beschlossener Maßnahmen vor Ort überwachen können. Die wichtigste Festlegung, die überbetrieblich getroffen werden muss, ist deshalb die Frage, wer innerhalb der Betriebe als verantwortliche Person des Arbeitgebers für die Durchführung des Arbeitsschutzes zuständig ist. Dies erfolgt üblicherweise durch schriftliche Delegationsbeschlüsse nach § 13 Abs. 2 ArbSchG.

20.63

Im Rahmen der Delegation ist folgendes zu beachten (vgl. eingehend hierzu bereits Rz. 20.11): – Zuständigkeiten der Verantwortungsträger sind eindeutig abzugrenzen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass für jeden Mitarbeiter und jeden räumlichen Bereich des Unternehmens auch irgendeine Person arbeitsschutzrechtlich verantwortlich ist. So darf das Unternehmen z.B. nicht vergessen, eine arbeitsschutzrechtlich verantwortliche Person für die Außendienstmitarbeiter festzulegen, selbst wenn diese i.d.R. von zuhause aus arbeiten und keiner bestimmten Betriebstätte zugeordnet sind (vgl. § 2 Abs. 7 ArbStättV, eingehend dazu Rz. 1.17 ff.) – Als verantwortliche Person des Arbeitgebers kommen üblicherweise nur Führungskräfte in Linienfunktion in Betracht, z.B. Betriebsleiter, Bereichsleiter oder Abteilungsleiter. Die verantwortliche Person des Arbeitgebers muss nämlich faktisch dazu in der Lage sein, über arbeitsschutzrechtliche Abhilfemaßnahmen selbständig zu entscheiden und diese umzusetzen. Dies setzt ausreichende Entscheidungskompetenzen, eigene Budgetspielräume sowie Weisungsbefugnisse voraus. Nicht zuletzt muss sie aufgrund ihrer Stellung und Persönlichkeit ausreichende Durchsetzungsfähigkeit besitzen. Die verantwortliche Person des Arbeitgebers muss neben ihren sonstigen Aufgaben ausreichend Zeit haben, um sich mit dem Arbeitsschutz zu befassen. Allerdings kann sie einen großen Teil der eigentlichen Arbeit an Sicherheitsbeauftragte, die Fachkraft für Arbeitssicherheit oder andere Mitarbeiter delegieren und sich schwerpunktmäßig darauf konzentrieren, in Abstimmung mit dem Betriebsrat die Letztentscheidung über vorgeschlagene Abhilfemaßnahmen zu treffen. – Die verantwortliche Person des Arbeitgebers muss im Arbeitsschutz qualifiziert sein. Dies setzt i.d.R. die Teilnahme an Schulungen voraus. – Die Delegation erfolgt durch schriftliche Erklärung (§ 126 BGB), welche die verantwortliche Person gegenzeichnen muss (§ 13 Satz 2 DGUV Vorschrift 1). Diese Erklärung muss eine genaue Abgrenzung der Aufgaben enthalten, auf welche sich die Verantwortlichkeit erstreckt. Nachdem die Delegation vorgenommen wurde, bleibt es Aufgabe der nach § 13 Abs. 1 Nr. 1-4 ArbSchG originär verantwortlichen Personen, die Verpflichteten zu überwachen (vgl. bereits Rz. 20.11). Hierzu sind überbetriebliche Prozesse einzurichten.

Sollte sich der Arbeitgeber entscheiden, bestimmte arbeitsschutzrechtliche Festlegungen betriebs- 20.64 übergreifend zu treffen und als Shared Service z.B. über eine Abteilung der Konzernzentrale zu steuern, muss eindeutig abgegrenzt werden, welche Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten auf der betrieblichen Ebene verbleiben und was stattdessen die Konzernzentrale regelt. Was unbedingt vermieden werden muss, ist ein Zuständigkeitschaos, bei dem sich – insgesamt oder in Bezug auf bestimmte Fragestellungen – letztlich niemand mehr verantwortlich fühlt oder die „auf dem Papier“ als zuständig benannten Stellen faktisch nicht zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen in der Lage sind. Um betriebsübergreifend einen einheitlichen Arbeitsschutzstandard zu gewährleisten, kommt z.B. in Betracht, die Betreuung durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte durch Beauftragung eines konzerneinheitlichen überbetrieblichen Dienstes zu steuern, der sich um alle Betriebe gleichzeitig kümmert. Auch ist vorstellbar, die Durchführung von Schulungen für die verantwortlichen Personen des Arbeitgebers, Arbeitssicherheitsbeauftragte, Ersthelfer und Brandschutzhelfer durch eine einheitliche Stelle zentral zu koordinieren. Sollte das Konzernunternehmen erwägen, Gefährdungsbeurteilungen zentral durchzuführen (z.B. für bestimmte Arbeitsmittel bei der betriebsübergreifenden Einkaufsabteilung), ist zu beachten, dass die Gefährdungsbeurteilungen immer tätigkeitsbezogen

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§ 20 Rz. 20.64

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

und somit auch mit Rücksicht auf die wechselnden betrieblichen Verhältnisse durchgeführt werden müssen1.

20.65 Hinweis: Um zu vermeiden, dass Delegationsbeschlüsse behördlich beanstandet werden, kann das Unternehmen auf die Mustervorlage der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zurückgreifen2. Hinter der GDA stehen Bund, Länder und Unfallversicherungsträger (vgl. § 20a ArbSchG)3, so dass diese Mustervorlage eine Art „behördliches Siegel“ besitzt. Allerdings ist die Mustervorlage aus kommunikativen Gründen nicht in jeder Hinsicht optimal. So nimmt die – allgemein gehaltene – Mustervorlage auf Besonderheiten des Arbeitgeberunternehmens keine Rücksicht und benennt die delegierten Aufgaben nur, erläutert sie aber nicht. Um den verantwortlichen Personen nachvollziehbar vor Augen zu führen, was konkret von ihnen zu erwarten ist, empfiehlt es sich deshalb, eigene, ausführlichere Formulierungen zu erstellen, die auf die konkreten Verhältnisse der eigenen Unternehmensgruppe und des Verantwortungsbereichs zugeschnitten sind. Auch das BVerwG erwartet, dass im Zusammenhang mit der Delegation durch hinreichend bestimmte Konkretisierung der Arbeitsschutzaufgaben eine Hilfestellung gegeben wird4.

20.66 Die schriftliche Delegation der arbeitsschutzrechtlichen Verantwortlichkeit an den Leiter einer Organisationseinheit, in der ausschließlich Bürotätigkeiten erbracht werden, kann z.B. wie folgt formuliert werden:

M 20.1 Übertragung von Unternehmenspflichten – Arbeitsschutz Übertragung von Unternehmenspflichten – Arbeitsschutz Sehr geehrte(r) … hiermit übertragen wir Ihnen in Ihrer Funktion als Leiter der Business Unit … gemäß § 13 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz für – alle Mitarbeiter der Business Unit …, die Ihrer Berichtslinie unterstellt sind, auch soweit diese außerhalb der Betriebsstätte z.B. im Homeoffice tätig sind (nachgehend: „von Ihnen verantwortete Mitarbeiter“)5, – die für die Business Unit … angemieteten Räumlichkeiten in der … einschließlich der zugehörigen Nebenräume, Zugangs- und Verkehrswege, Außenbereich und Parkplatzanlagen (nachgehend: „von Ihnen verantwortete Räumlichkeiten“)6, gemäß § 13 Abs. 2 Arbeitsschutzgesetz und § 13 DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ nachfolgend aufgeführte, dem Arbeitgeber hinsichtlich des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung obliegende Pflichten. Verstöße gegen diese Pflichten können zu Schadensersatzansprüchen und behördlichen Sanktionen führen. In Ihrem Verantwortungsbereich sind Sie unmittelbarer Ansprechpartner der Arbeitsschutz-

1 Wink in Kollmer/Klindt/Schucht, § 3 BetrSichV Rz. 1b; Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 47. 2 Abrufbar unter https://www.gda-orgacheck.de/daten/gda/check_11.htm (letzter Abruf: 26.1.2022). Ähnlich Siebert in Schaub/Schrader/Straube/Vogelsang, Arbeitsrechtliches Formular- und Verfahrenshandbuch, 14. Aufl. 2021, 2. Teil Rz. 413. 3 Kothe in MünchHBArbR, § 174 Rz. 111 ff. 4 BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 68. 5 Meistens ist es zweckmäßig, Führungskräften die Arbeitsschutzverantwortung nur für jene Mitarbeiter zu übertragen, die ihnen direkt unterstellt sind, um einheitliche Berichtslinien zu erhalten. 6 Auch wenn die arbeitsschutzrechtliche Verantwortung im Ausgangspunkt nach Mitarbeitergruppen abgegrenzt wird, kann es zu Kompetenzkonflikten führen, wenn Räumlichkeiten gruppenübergreifend genutzt werden. Aus diesem Grund empfiehlt es sich, ergänzend für sämtliche Räumlichkeiten Verantwortungen zu definieren. Wichtig ist, dass auch Randbereiche wie Kelleranlagen oder Parkplätze mit einbezogen werden.

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III. Best Practice

Rz. 20.66 § 20

behörden. Bitte lesen Sie diese Pflichtenübertragung deshalb gründlich und bearbeiten Sie die übertragenen Aufgaben mit größter Sorgfalt! 1. Überbetrieblicher Dienst Bei Wahrnehmung der übertragenen Pflichten werden Sie durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie einen Betriebsarzt des überbetrieblichen Arbeitsschutzdienstes … unterstützt und beraten, mit dem unsere Unternehmensgruppe in einer laufenden betriebsübergreifenden Vertragsbeziehung steht (nachgehend: „überbetrieblicher Dienst“). Allerdings liegt es dabei in Ihrer Verantwortung, die Tätigkeit des überbetrieblichen Dienstes zu überwachen, die Erfüllung der nachgehend beschriebenen Aufgaben sicherzustellen sowie erforderliche Maßnahmen zu beschließen und durchzuführen. Bitte nehmen Sie deshalb frühzeitig mit dem überbetrieblichen Dienst Kontakt auf und stimmen Sie die gemeinsame Zusammenarbeit ab1. Sollten Sie Fragen zu den vertraglichen Grundlagen und der üblichen Praxis der Zusammenarbeit haben, stehen Ihnen die Mitarbeiter der Personalabteilung jederzeit gerne zur Verfügung. Bitte stellen Sie sicher, dass die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt des überbetrieblichen Dienstes über ihre Tätigkeit in Ihrem Verantwortungsbereich mindestens einmal jährlich schriftlich berichten. Hierzu sind die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt gegenüber unserem Unternehmen vertraglich verpflichtet2. Die Berichte sind der Personalabteilung3 umgehend zuzuleiten, welche den Arbeitsschutz unternehmensgruppenweit überwacht. 2. Aufgaben 2.1 Gefährdungsbeurteilungen und Abhilfemaßnahmen4 Sie müssen sicherstellen, dass die von Ihnen verantworteten Mitarbeiter und alle weiteren Nutzer der von Ihnen verantworteten Räumlichkeiten keinen unzumutbaren Gefährdungen ausgesetzt sind (§ 3 ArbSchG). Um festzustellen, welche Gefährdungen drohen und welche Maßnahmen erforderlich sind, sind Sie verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen (§ 5 ArbSchG) und zu dokumentieren (§ 6 ArbSchG). Bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen werden Sie durch den überbetrieblichen Dienst unterstützt, der hierbei große Erfahrung besitzt. Außerdem können Sie Aufgaben auf Ihnen unterstellte Mitarbeiter, z.B. Sicherheitsbeauftragte, delegieren. Bei der Frage, in welcher Struktur, Reihenfolge und Methodik Sie die Gefährdungsbeurteilungen durchführen, haben Sie Gestaltungsspielräume. Sie können insbesondere auf Mustervorlagen zurückgreifen, die der überbetriebliche Dienst zur Verfügung stellt.

1 Das Muster geht davon aus, dass die Beauftragung eines überbetrieblichen Dienstes als betriebsübergreifender Shared Service durch die Konzernzentrale erfolgt. Um der Sorge des Verpflichteten entgegenzutreten, er könne durch die zu lösenden Aufgaben fachlich überfordert werden, wird von Anfang an darauf hingewiesen, dass mit dem überbetrieblichen Dienst ein ständiger Berater zur Verfügung steht, der zu den Einzelheiten berät und diese erläutert. Gleichzeitig muss allerdings klargestellt werden, dass die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitsschutzvorgaben weiterhin beim Verpflichteten verbleibt und er die Zusammenarbeit mit dem überbetrieblichen Dienst steuern muss. 2 In den Verträgen mit den überbetrieblichen Diensten sollte eine Pflicht aufgenommen werden, regelmäßige schriftliche Berichte abzugeben. 3 Mit der Aufgabe, den Arbeitsschutz überbetrieblich zu steuern und dessen Durchführung zu überwachen, sollte eine betriebsübergreifend einheitliche Stelle (typsicherweise in der Konzernzentrale) betraut werden. Das Muster geht davon aus, dass diese Aufgabe der Personalabteilung übertragen wurde. 4 Kernelement des Arbeitsschutzes sind die Gefährdungsbeurteilungen. Da viele Verpflichtete mit dem Konzept der Gefährdungsbeurteilung bei Antritt ihrer Tätigkeit nicht vertraut sind und sich überfordert fühlen könnten, wird eingangs darauf hingewiesen, dass der überbetriebliche Dienst sie hierbei begleitet. Gleichzeitig wird klargestellt, dass der Verpflichtete für die Durchführung verantwortlich ist. Damit er dieser Verantwortung gerecht werden kann, wird ihm erläutert, was eine Gefährdungsbeurteilung eigentlich ist und was im Ergebnis gewährleistet sein muss.

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§ 20 Rz. 20.66

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

Im Ergebnis muss allerdings sichergestellt sein – und dafür sind Sie verantwortlich –, dass alle Aspekte von allen Tätigkeiten der von Ihnen verantworteten Mitarbeiter, alle von diesen Mitarbeitern eingesetzten Arbeitsmittel sowie alle Tätigkeiten von Dritten in den von Ihnen verantworteten Räumlichkeiten beurteilt werden sowie, dass die dabei als erforderlich erkannten Maßnahmen beschlossen und durchgeführt werden. Jede Gefährdungsbeurteilung wird dabei in sieben Schritten durchgeführt. 1. Gleichartige Arbeitsbedingungen dürfen zusammengefasst beurteilt werden. Aufgrund einer Analyse der Betriebsorganisation sind Teilbereiche festzulegen, für die Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen sind. Dabei ist konzeptionell zu planen, welche Arten von Gefährdungsbeurteilungen insgesamt durchgeführt werden müssen, damit im Ergebnis alle relevanten Aspekte abgedeckt und beurteilt sind. 2. Anschließend sind die einzelnen Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Dabei müssen für den Teilbereich, auf den sie sich jeweils beziehen, zunächst sämtliche Gefährdungen und Belastungen ermittelt werden. 3. Stehen die Gefährdungen und Belastungen fest, sind sie nach ihrer Intensität abhängig vom drohenden Schaden und der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu beurteilen. Bei der Beurteilung sind auch einschlägige Rechtsvorschriften und sonstige anerkannte Normen heranzuziehen. 4. Aufgrund der Beurteilung müssen Sie die erforderlichen Maßnahmen beschließen, mit denen unzumutbare Gefährdungen und Belastungen ausgeschlossen oder auf ein zumutbares Maß reduziert werden. Bei der Frage, welche Maßnahmen erforderlich sind, haben Sie einen Ermessensspielraum. 5. Sie müssen sicherstellen, dass die beschlossenen Maßnahmen im Anschluss umgesetzt werden. 6. Die Wirksamkeit der beschlossenen Maßnahmen ist zu überprüfen. Dies sollte turnusmäßig (i.d.R. alle zwei bis drei Jahre) erfolgen. 7. Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den Überprüfungen und mit Blick auf betriebliche Veränderungen sind die bestehenden Gefährdungsbeurteilungen laufend fortzuschreiben und zu ergänzen1. 2.2 Mindestanforderungen an die personelle Organisation In Ihrem Verantwortungsbereich muss eine personelle Arbeitsschutzorganisation vorhanden sein, bei der mindestens folgende Funktionen dauerhaft besetzt und eingerichtet sind: – Sie müssen unter den von Ihnen verantworteten Mitarbeitern wenigstens einen Sicherheitsbeauftragten bestellen und entsprechend fortbilden lassen. Die Aufgaben des Sicherheitsbeauftragten legen Sie durch Weisung fest. – Mindestens 10 Prozent der von Ihnen verantworteten Mitarbeiter müssen als Ersthelfer geschult sein. Die Schulungen sind periodisch aufzufrischen2. – Mindestens 5 Prozent der von Ihnen verantworteten Mitarbeiter müssen als Brandschutzhelfer geschult sein. Auch diese Schulungen sind periodisch aufzufrischen3. – Sie müssen einen Arbeitsschutzausschuss einrichten, der mindestens viermal im Jahr tagt. Dem Arbeitsschutzausschuss gehören Sie persönlich, (wenn vorhanden) zwei Betriebsratsmitglieder, alle Sicherheitsbeauftragten sowie der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit des überbetrieblichen Dienstes an. Schulungen und Fortbildungen der Sicherheitsbeauftragten, Ersthelfer und Brandschutzhelfer werden durch die Personalabteilung zentral koordiniert und periodisch wiederholt, um das Wissen aufzufrischen.

1 Vgl. Rz. 20.37. 2 Nach § 26 Abs. 1 a UVV DGUV Vorschrift 1 reicht es für Verwaltungs- und Handelsbetriebe aus, dass 5 Prozent der Mitarbeiter zu Ersthelfern ausgebildet werden. Auch für andere Bürobetriebe lässt sich vertreten, dass dieser Schwellenwert ausreicht. 3 Nach Ziff. 7.3 ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“ sollen weitere Brandschutzhelfer geschult werden, wenn besondere Brandgefahren bestehen. Dies ist im Bürobetrieb in aller Regel nicht der Fall.

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III. Best Practice

Rz. 20.66 § 20

Bitte stellen Sie sicher, dass zu diesem Zweck alle benannten Sicherheitsbeauftragten, Ersthelfer und Brandschutzhelfer stets bei der Personalabteilung gemeldet sind1. 2.3 Mindestanforderungen an die Ablauforganisation2 Für Ihren Verantwortungsbereich müssen Sie zum Zwecke des Arbeitsschutzes eine Ablauforganisation einrichten und aufrechterhalten, die mindestens die folgenden Anforderungen erfüllt: – Alle von Ihnen verantworteten Mitarbeiter müssen vor erstmaliger Aufnahme ihrer Tätigkeit und zyklisch wiederkehrend mindestens einmal im Jahr sowie bei besonderen Ereignissen über die Gefährdungen am Arbeitsplatz und über die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Rahmen von Unterweisungen informiert werden (§ 12 ArbSchG). Die Teilnahme an der Unterweisung ist zu dokumentieren. Der erforderliche Inhalt der Unterweisungen wird im Rahmen der Gefährdungsbeurteilungen ermittelt. – In Abstimmung mit dem Betriebsarzt des überbetrieblichen Dienstes muss die vorgeschriebene arbeitsmedizinische Vorsorge veranlasst werden. Allen von Ihnen verantworteten Mitarbeitern, die an Büroarbeitsplätzen tätig sind, ist in regelmäßigen Abständen, z.B. im Rahmen der jährlichen Unterweisung, als Angebotsvorsorge eine Augenuntersuchung anzubieten. Weitere Untersuchungen sind als Wunschvorsorge auf Antrag der Mitarbeiter durchzuführen. – Alle Arbeits- und Wegeunfälle der von Ihnen verantworteten Mitarbeiter und innerhalb der von Ihnen verantworteten Räumlichkeiten müssen dokumentiert und ausgewertet werden. Wenn der Betroffene so verletzt wurde, dass er mehr als drei Tage arbeitsunfähig ist, sind die Unfälle gegenüber den Unfallversicherungsträgern sowie Arbeitsschutzbehörden form- und fristgerecht zu melden (§ 193 SGB VII). – Alle Büroarbeitsplätze und Gemeinschaftsräume müssen unter Beachtung der maßgeblichen arbeitsmedizinischen, d.h. insbesondere auch ergonomischen und arbeitspsychologischen Anforderungen eingerichtet werden. Dies gilt auch für regelmäßig genutzte Homeoffice-Arbeitsplätze. Es dürfen nur geeignete Arbeitsmittel eingesetzt werden. – Sie müssen eine wirksame Notfallorganisation schaffen, die im Bedarfsfall Erste Hilfe, Brandschutz und Evakuierung sicherstellt. – Eine periodische Überprüfung und Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilungen muss sichergestellt werden. Bitte stimmen Sie hierzu Fristen mit dem überbetrieblichen Dienst ab. 3. Befugnisse3 Um die vorstehenden Aufgaben zu erfüllen, sind Ihnen die folgenden Befugnisse erteilt: – Sie sind ermächtigt, gegenüber den von Ihnen verantworteten Mitarbeitern arbeitsrechtliche Weisungen zu erteilen. – Sie sind ermächtigt, das Hausrecht über die von Ihnen verantworteten Räumlichkeiten auszuüben, soweit dieses unserem Unternehmen zusteht. – Im Rahmen eines Jahresbudgets von … EUR zzgl. Mehrwertsteuer dürfen Sie selbständig notwendige Anschaffungen (z.B. Büromöbel, die bestimmte ergonomische Anforderungen erfüllen) tätigen und zusätzliche betriebsspezifische Betreuungsleistungen des überbetrieblichen Dienstes abfragen. – Sofern Anschaffungen über das vorgenannte Budget hinaus notwendig sind, ist unverzüglich die Personalabteilung zu informieren, welche die entsprechende Entscheidung zu treffen hat.

1 Das Muster geht davon aus, dass die Schulungen als Shared Service zentral durch die Personalabteilung organisiert werden. Diese Aufgabe kann auch dem Verpflichteten selbst übertragen werden. 2 Die Formulierung sollte dem Verpflichteten aufzeigen, auf welche Gegenstände in seinem Betrieb das Augenmerk zu richten ist, BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 68. Dabei geht das Muster von einem Bürobetrieb aus und setzt entsprechende Schwerpunkte. 3 Der Verpflichtete muss über ausreichende Befugnisse verfügen, um seiner Verantwortung gerecht werden zu können. Selbst wenn ihm die Befugnisse schon in anderen Zusammenhängen erteilt wurden, sollten sie im Formular nochmals gesondert hervorgehoben und bestätigt werden.

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§ 20 Rz. 20.66

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

4. Fortbildung1 Sie sind verpflichtet, sich über den aktuellen Inhalt der für Ihren Verantwortungsbereich einschlägigen Rechtsvorschriften zu informieren. Unsere Unternehmensgruppe stellt sicher, dass Sie sich das notwendige Wissen aneignen können, indem die Personalabteilung geeignete Lehrgänge und Schulungen für Sie organisiert. Sie sind verpflichtet, in ausreichendem Umfang an diesen Lehrgängen und Schulungen teilzunehmen, um alle erforderlichen Fachkenntnisse zu erwerben. Bitte stimmen Sie sich umgehend und regelmäßig mit der Personalabteilung ab, damit Ihr persönlicher Schulungsplan erstellt und durchgeführt werden kann. … Ort, Datum

… Unterschrift der Geschäftsführung2

Ich bestätige, dass ich die Pflichtenübertragung zur Kenntnis genommen und diese sorgfältig gelesen habe. Den Umfang der auf mich entfallenden Pflichten und Aufgaben verstehe ich. Offene Fragen wurden mir beantwortet3. … Ort, Datum

… Unterschrift des Verpflichteten4

2. Innerbetrieblich: Umsetzung der Arbeitsschutzvorgaben 20.67 Üblicherweise wird die innerbetriebliche Umsetzung der Arbeitsschutzvorgaben maßgeblich durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit gesteuert, die das überlegene fachliche Knowhow und entsprechende Routine besitzt und die Gefährdungsbeurteilungen vorantreibt. Die Sicherheitsbeauftragten des Betriebes informieren die Fachkraft für Arbeitssicherheit über die besonderen betrieblichen Verhältnisse. Da bei der Auswahl der Arbeitsschutzmaßnahmen regelmäßig ein Ermessensspielraum besteht, trifft die verantwortliche Person des Arbeitgebers aufgrund der Vorschläge der Fachkraft für Arbeitssicherheit die Letztentscheidung und weist die Umsetzung der Maßnahme an. Weigert sich die verantwortliche Person des Arbeitgebers, vorgeschlagene Maßnahmen umzusetzen, welche die Fachkraft für Arbeitssicherheit für dringend erforderlich hält, kann diese Druck aufbauen, indem sie die Geschäftsführung bzw. den Vorstand informiert oder dazu auffordert, ihren Vorschlag mit einer schriftlichen Begründung abzulehnen (§ 8 Abs. 3 ASiG).

20.68 In mitbestimmten Betrieben ist bei Arbeitsschutzfragen der Betriebsrat zu beteiligen, nämlich überall dort, wo im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Ermessensspielräume bestehen und Regelungen festgelegt und nicht bloß Einzelmaßnahmen getroffen werden sollen (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, vgl. Rz. 20.22 ff.). Da der Arbeitsschutz nicht nur Fragen der Unfallverhütung betrifft, sondern im Rahmen des erweiterten Arbeitsschutzansatzes alle Fragen der menschgerechten Gestaltung von Arbeitsbedingungen umfasst, reicht dieses Mitbestimmungsrecht bemerkenswert weit. Damit sich hier kein ständiges Konfliktfeld entwickelt, ist dem Arbeitgeber dringend zu empfehlen, für die Lösung von Arbeitsschutzproblemen eine routinierte und konstruktive Arbeitsbeziehung zu seinem Betriebsrat aufzubauen. Dies gelingt am besten, wenn der Betriebsrat zwei seiner Mitglieder als Spezialisten für den Arbeitsschutz auswählt und sie dauerhaft in die Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses des Ar-

1 Die fachliche Qualifikation des Verpflichteten muss durch Fortbildungen sichergestellt werden. Dass diese Fortbildungen angeboten und durchgeführt werden müssen, sollte im Formular dokumentiert sein. 2 Das Formular ist in Schriftform auszufertigen, d.h. es bedarf der Originalunterschrift des Verpflichtenden (§ 13 Abs. 2 ArbSchG). 3 Die Delegation muss adressatengerecht formuliert werden, sodass der Verpflichtete versteht, was von ihm erwartet wird (BVerwG v. 23.6.2016 – 2 C 18/15, ZTR 2016, 667 = juris Rz. 62 ff.). Das der Adressat den Inhalt der Delegation verstanden hat, muss er im Formular ausdrücklich bestätigen. 4 Die Verpflichtung muss durch den Verpflichteten gegengezeichnet werden (§ 13 Satz 2 DGUV Vorschrift 1).

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III. Best Practice

Rz. 20.71 § 20

beitgebers (§ 11 ASiG) entsendet (ggf. in Form eines Ausschusses nach § 28 BetrVG). Diese Betriebsratsmitglieder sollten bei allen arbeitsschutzrechtlichen Fragestellungen, insbesondere bei allen Gefährdungsbeurteilungen, von Anfang an eingebunden werden, damit Meinungsverschiedenheiten frühzeitig beigelegt und eine gemeinsame Linie abgestimmt werden kann.

20.69

Hinweis: Leider kommt es immer wieder vor, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zweckentfremdet wird, um eine Beteiligung an unternehmerischen Organisationsentscheidungen zu erzwingen, die im Kern mitbestimmungsfrei sind (z.B. die Personaldichte bestimmter Abteilungen)1. Hierzu können von Betriebsratsseite arbeitsschutzrechtliche Schein- und Randprobleme vorgeschoben werden, um die Anrufung einer Einigungsstelle zu rechtfertigen. Da der gerichtliche Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle nur dann abgelehnt werden darf, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist (§ 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG), bietet dieses Vorgehen einige Erfolgsaussichten. Zu Recht verlangt die h.M. im Anwendungsbereich der weitreichenden Generalklauseln nach § 3 Abs. 1 ArbSchG und § 3a Abs. 1 ArbStättV als Voraussetzung der Mitbestimmung, dass durch den Betriebsrat eine unmittelbare objektive Gesundheitsgefahr dargelegt wird2. Um solche Gesundheitsgefahren zu ermitteln, kann der Betriebsrat allerdings in einem vorgelagerten Schritt die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung verlangen3. Um diesen Anspruch auszuüben, muss er keine unmittelbare Gesundheitsgefahr aufzeigen. Der Betriebsrat hat allerdings keinen Unterlassungsanspruch gegen die Einführung neuer Arbeitsmittel oder neuer Arbeitsprozesse, nur weil der Arbeitgeber für diese noch keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat4.

Aus Sicht der Betriebsparteien spricht viel dafür, die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit im Arbeitsschutz in einer Betriebsvereinbarung zu regeln. Diese Rahmenbetriebsvereinbarung könnte wie folgt gestaltet werden:

20.70

M 20.2 Rahmenbetriebsvereinbarung – Arbeitsschutz

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Rahmenbetriebsvereinbarung – Arbeitsschutz – Fassung 1.0 vom … Präambel Mit dem gemeinsamen Ziel, Arbeitsunfällen und Gesundheitsbelastungen durch systematischen Arbeitsschutz entgegenzuwirken und bei der Lösung aufkommender Fragestellen effizient und konsequent zusammenzuarbeiten, legen die Betriebsparteien folgende Rahmenbedingungen für den Arbeitsschutz im Betrieb fest: § 1 Anwendungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer des Betriebes gemäß § 5 Abs. 1 BetrVG einschließlich der in den Betrieb eingegliederten Leiharbeitnehmer (nachgehend: Arbeitnehmer).

1 Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1367). 2 BAG v. 11.12.2012 – 1 ABR 81/11, ZTR 2013, 344, juris Rz. 20; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1364). 3 BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 13/03, ArbRB 2004, 336 = juris Rz. 44. 4 LAG Schleswig-Holstein v. 12.1.2021 – 1 TaBVGa 4/20, Leitsatz 1, ArbRB 2021, 106.

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§ 20 Rz. 20.71

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

§ 2 Arbeitsschutzpflichten jedes Arbeitnehmers1 Zur Gewährleistung eines konsequenten Arbeitsschutzes müssen alle Arbeitnehmer die folgenden Arbeitsschutzpflichten unbedingt und von sich aus erfüllen: a) Durch die Betriebsparteien festgelegte Arbeitsschutzmaßnahmen und Einzelanweisungen des Arbeitgebers sind in jedem Einzelfall sorgsam zu beachten. b) Erlangen Arbeitnehmer von Mängeln in der Arbeitsschutzorganisation Kenntnis, z.B. wiederholten Verstößen gegen festgelegte Arbeitsschutzmaßnahmen oder konkreten, erheblichen Gefahren für die Gesundheit, müssen sie diese unverzüglich den Sicherheitsbeauftragten des Betriebes melden. c) Alle Arbeitsunfälle und Wegeunfälle, die zu körperlichen Verletzungen geführt haben, müssen den Sicherheitsbeauftragten des Betriebes unverzüglich gemeldet werden. Gleiches gilt für Vorfälle, bei denen es beinahe zu Arbeitsunfällen mit erheblichen Verletzungen gekommen wäre und es nur noch vom Zufall abhing, dass kein Personenschaden eintrat (nachgehend: Beinahe-Unfälle). d) Am eigenen Arbeitsplatz sind mögliche Gefahrenquellen für die Gesundheit von Dritten eigenständig zu beseitigen. Dies betrifft insbesondere herumliegende Gegenstände, über die Personen stürzen könnten. Jeder Arbeitnehmer ist für seinen Arbeitsplatz verantwortlich. e) Treppenhäuser, Zugänge, Flure und andere Verkehrswege sind freizuhalten. Auf Verkehrswegen dürfen keine Gegenstände dauerhaft abgestellt werden, die diese unzumutbar verengen. Keinesfalls dürfen Gegenstände auf Verkehrswegen abgelegt werden, über die Passanten stürzen könnten. Alle Arbeitnehmer sind verpflichtet, von sich aus Hindernisse und Sturzgefahren auf Verkehrswegen zu beseitigen, sobald sie diese sehen. Dies gilt in besonderem Maße für Flucht- und Rettungswege. f) Nehmen Arbeitnehmer Kenntnis davon, dass Personen auf dem Betriebsgelände erste Hilfe benötigen, insbesondere weil diese Personen erkennbar nicht mehr dazu in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, sind umgehend Ersthelfer herbeizuholen und die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten. g) Nehmen Arbeitnehmer von einem Brandfall Kenntnis, müssen sie umgehend den nächsten erreichbaren Brandhelfer informieren und sicherstellen, dass ein Alarm ausgelöst wird. § 3 Unterweisungen; arbeitsmedizinische Vorsorge (1) Der Arbeitgeber wird alle Arbeitnehmer vor erstmaliger Aufnahme ihrer Tätigkeit in dem Betrieb und davon unabhängig wenigstens einmal im Jahr im Arbeitsschutz unterweisen (§ 12 ArbSchG). Die Teilnahme an den Unterweisungen ist verpflichtend und auf Unterschriftenlisten zu dokumentieren. (2) Inhalt der Unterweisungen sind wenigstens a) die Arbeitsschutzpflichten nach § 2, b) im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung ermittelte erhebliche Gefährdungen und beschlossene Abhilfemaßnahmen, welche für die Arbeitnehmer in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen relevant sind, c) die im Notfallplan vorgesehenen Brandschutz-, Evakuierungs- und Erste-Hilfe-Maßnahmen. Der Arbeitgeber stellt die Unterweisungsinhalte nach billigem Ermessen zusammen. Über Änderungsund Ergänzungswünsche des Betriebsrates entscheiden die Betriebsparteien einvernehmlich. (3) Anlässlich der Unterweisungen nach Abs. 2 bietet der Arbeitgeber die gesetzlich vorgesehene arbeitsmedizinische Vorsorge an (§ 5 ArbMedVV). Arbeitnehmern, die an Bildschirmarbeitsplätzen tätig sind, ist eine Augenuntersuchung anzubieten.

1 Legt der Arbeitgeber mitbestimmte Arbeitsschutzregeln ohne Beteiligung des Betriebsrates fest, sind seine Anordnungen unwirksam. In Betriebsvereinbarungen können unmittelbare und zwingende Arbeitnehmerpflichten festgelegt werden (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG), wobei nicht der Nachweis geführt werden muss, dass die Arbeitnehmer von ihrem Inhalt Kenntnis genommen haben (Fitting, § 77 BetrVG Rz. 126). Damit kein Streit über die Verbindlichkeit der wesentlichen Arbeitsschutzpflichten aufkommen kann, empfiehlt es sich deshalb, diese in einer Betriebsvereinbarung niederzulegen.

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III. Best Practice

Rz. 20.71 § 20

§ 4 Fachkraft für Arbeitssicherheit; Betriebsarzt (1) Der Arbeitgeber stellt sicher, dass der Betrieb durch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit und einen Betriebsarzt in ausreichendem Umfang betreut wird. Die Betriebsparteien sind sich einig, dass der Arbeitgeber diese Betreuung durch Beauftragung eines überbetrieblichen Dienstes gewährleistet. Vor Beauftragung des überbetrieblichen Dienstes ist der Betriebsrat rechtzeitig im Voraus zu informieren und anzuhören1. (2) Der Betriebsrat erhält die Kontaktdaten der Fachkraft für Arbeitssicherheit und des Betriebsarztes des überbetrieblichen Dienstes. Die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt werden vertraglich zur Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat verpflichtet. Sie unterrichten den Betriebsrat von sich aus über alle wichtigen Angelegenheiten des Arbeitsschutzes und werden den Betriebsrat auf sein Verlangen hin in Angelegenheiten des Arbeitsschutzes beraten2. § 5 Sicherheitsbeauftragte3 (1) Für den Betrieb werden zwei Sicherheitsbeauftragte bestellt. Den Sicherheitsbeauftragten werden die Rollen eines „ersten Sicherheitsbeauftragten“4 und eines „stellvertretenden Sicherheitsbeauftragten“ zugewiesen. Die personelle Auswahl erfolgt durch den Arbeitgeber unter geeigneten Arbeitnehmern, die wenigstens ein Jahr dem Betrieb angehören. Der Betriebsrat ist rechtzeitig vor der Bestellung zu informieren und anzuhören5. Name, Durchwahl und E-Mail-Adresse der Sicherheitsbeauftragten sind durch Aushang und Rundmail betriebsweit bekannt zu machen. Die Sicherheitsbeauftragten werden wenigstens einmal im halben Jahr aus- und fortgebildet (§ 23 SGB VII). (2) Der erste Sicherheitsbeauftragte hat folgende Aufgaben zu erfüllen: a) Er steht der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Betriebsarzt als Ansprechpartner zur Verfügung, erläutert ihnen die besonderen betrieblichen Begebenheiten und begleitet sie bei Betriebsbegehungen und Gefährdungsbeurteilungen. b) Er stellt sicher, dass alle erforderlichen Arbeitsschutzdokumentationen des Betriebes ordnungsgemäß geführt, verwahrt und verwaltet werden. Hierzu gehören die schriftlichen Berichte des Betriebsarztes sowie der Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Gefährdungsbeurteilungen, Anwesenheitsdokumentationen für Unterweisungen nach § 2 Abs. 1 sowie Dokumentationen aller Arbeits-, Wege-, und Beinahe-Unfälle. Der Betriebsrat ist jederzeit berechtigt, diese Dokumentationen einzusehen. c) Er meldet Arbeits- und Wegeunfälle, infolge derer der Betroffene mehr als drei Tage arbeitsunfähig wurde, form- und fristgerecht gegenüber den Unfallversicherungsträgern und Arbeitsschutzbehörden und setzt die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt von der Meldung in Kenntnis

1 Der Betriebsrat hat bei der Frage, ob ein überbetrieblicher Dienst beauftragt werden soll, ein echtes Mitbestimmungsrecht, das ausgeübt werden muss. Die anschließende Auswahl eines bestimmten überbetrieblichen Dienstes nimmt der Arbeitgeber vor. Hierbei ist der Betriebsrat lediglich zu hören (dazu Rz. 20.15). 2 Vgl. § 9 ASiG. 3 Die Aufgaben der Sicherheitsbeauftragten sind im Gesetz nur allgemein umrissen und können durch den Arbeitgeber zweckmäßigerweise durch Weisungen klarer ausgestaltet werden (h.M., vgl. Rz. 20.17). Handelt es sich nicht um Einzelanweisungen, sondern werden generelle Organisationsregeln getroffen, sind diese nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmt, Nitsche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 87 BetrVG Rz. 76; Kothe in MünchHBArbR, § 176 Rz. 60. Deshalb empfiehlt sich eine Festlegung in einer Betriebsvereinbarung. 4 Es ist zweckmäßig, eindeutige Verantwortlichkeiten festzulegen. Entweder werden den Sicherheitsbeauftragten dafür bestimmte abgegrenzte Verantwortungsbereiche oder abgestufte Primär- und Stellevertreterverantwortlichkeiten zugewiesen. 5 Eine weitergehende Beteiligung des Betriebsrates ist nach § 22 Abs. 1 SGB VII nicht vorgesehen (so die h.M., vgl. dazu Rz. 20.18).

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Arbeitsschutz im Bürobetrieb

(§ 193 SGB VII). Jede Meldung wird dem Betriebsrat vor Abgabe vorgelegt und durch ein Betriebsratsmitglied gegengezeichnet. Der Betriebsrat erhält eine Durchschrift1. d) Er führt selbständig regelmäßige Begehungen der Betriebsräume durch und prüft, ob Gefährdungen bestehen und beschlossene Arbeitsschutzmaßnahmen umgesetzt werden und wirken. Er wirkt auf Beseitigung der Defizite hin, indem er die verantwortlichen Arbeitnehmer und erforderlichenfalls die zuständigen Vorgesetzten informiert. Festgestellte Defizite von erheblichem Gewicht muss er dokumentieren und spätestens auf der jeweils nächsten Sitzung des Arbeitsschutzausschusses berichten. e) Er steht allen Arbeitnehmern als Ansprechpartner für Arbeitsschutzfragen und zur Meldung von Arbeitsschutzmängeln zur Verfügung. (3) Der stellvertretende Sicherheitsbeauftragte hat folgende Aufgaben zu erfüllen: a) Er vertritt den ersten Sicherheitsbeauftragten im Verhinderungsfall und nimmt dann die in Abs. 2 bezeichneten Aufgaben wahr. b) Er steht allen Arbeitnehmern als Ansprechpartner für Arbeitsschutzfragen und zur Meldung von Arbeitsschutzmängeln zur Verfügung. Sind die Meldungen begründet, informiert er unverzüglich den ersten Sicherheitsbeauftragten. c) Er führt das Protokoll auf den Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses. d) Er unterstützt den ersten Sicherheitsbeauftragten in gemeinsamer Abstimmung bedarfsabhängig. (4) Durch Einzelweisung kann der Arbeitgeber den Sicherheitsbeauftragten weitere Aufgaben übertragen. Zeiten, in denen die Sicherheitsbeauftragten Arbeitsschutzaufgaben wahrnehmen oder Fortbildungen besuchen, sind zu vergüten2. Der Arbeitgeber stellt sicher, dass den Sicherheitsbeauftragten neben ihren weiteren Arbeitsaufgaben im Rahmen ihrer regulären Arbeitszeit ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um ihren Arbeitsschutzaufgaben in angemessenem Umfang nachzukommen. Die Sicherheitsbeauftragten dürfen wegen der Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben nicht benachteiligt werden. (5) Sicherheitsbeauftragten stehen in dieser Funktion keine Weisungsbefugnisse zu3. § 6 Arbeitsschutzausschuss; Ermächtigung nach § 28 Abs. 2 BetrVG (1) Für den Betrieb wird ein Arbeitsschutzausschuss gebildet (§ 11 ASiG). Dem Arbeitsschutzausschuss gehören ein Vertreter des Arbeitgebers, zwei vom Betriebsrat bestimmte Betriebsratsmitglieder, die Betriebsärzte, die Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie die Sicherheitsbeauftragten an. (2) Der Arbeitsschutzausschuss tritt wenigstens viermal im Jahr, jeweils im ersten Monat jedes Quartals zusammen. Die Einberufung erfolgt durch den Arbeitgeber und wird rechtzeitig angekündigt. Aus begründetem Anlass können sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat zusätzlich die Einberufung außerordentlicher Ausschusssitzungen verlangen, die abhängig vom Anlass rechtzeitig durchzuführen sind. Die Ergebnisse und Beschlüsse jeder Ausschusssitzung sind zu protokollieren. (3) In mitbestimmten Angelegenheiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG trifft der Arbeitsschutzausschuss als gemeinsamer Ausschuss i.S.d. § 28 Abs. 2 BetrVG mit den Stimmen des Arbeitgebervertreters und der Betriebsratsmitglieder und unter Beratung der übrigen Sitzungsteilnehmer verbindliche Entscheidungen4. Der Betriebsrat überträgt hiermit den Betriebsratsmitgliedern im Ausschuss zur selbständigen Er1 § 89 Abs. 6 BetrVG. 2 Da die Tätigkeit des Sicherheitsbeauftragten als „Ehrenamt“ bezeichnet wird, könnte die Vergütungspflicht in Frage gestellt werden. Die Tätigkeit des Sicherheitsbeauftragten nicht zu vergüten, wäre allerdings nicht ratsam, da sich sonst schwerlich ein Mitarbeiter finden lässt, der die Aufgabe gewissenhaft übernimmt, Ricke in Kasseler Kommentar, § 22 SGB VII Rz. 3. 3 Kohte/Kiesche in Kohte/Faber/Feldhoff, § 22 SGB VII Rz. 8; Ricke in Kasseler Kommentar, § 22 SGB VII Rz. 6. 4 Es bietet sich an, die Betriebsratsmitglieder im Arbeitsschutzausschuss nach § 28 Abs. 2 BetrVG dazu zu ermächtigen, selbständig über Arbeitsschutzfragen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu entscheiden, Fitting,

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III. Best Practice

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ledigung die Aufgabe, das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG durch den Abschluss von Regelungsabreden1 auszuüben, soweit diese Regelungsabreden jederzeit mit der Frist des § 77 Abs. 5 BetrVG ohne Nachwirkung kündbar sind2. Der Arbeitgeber ermächtigt seinen in den Ausschuss entsandten Arbeitgebervertreter hiermit entsprechend. (4) Protokollierte Entscheidungen des Arbeitsschutzausschusses über nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmte Regelungsfragen, welche die Zustimmung der Betriebsratsmitglieder3 und des Arbeitgebervertreters erhalten, verstehen die Parteien als Abschluss einer Regelungsabrede gemäß Abs. 3, soweit nicht im Ausnahmefall Abweichendes zum Ausdruck gebracht wurde. Die Regelungsabreden werden durch den Arbeitgeber umgesetzt. § 7 Gefährdungsbeurteilungen4 (1) Die Durchführung der erforderlichen Gefährdungsbeurteilungen planen die Betriebsparteien gemeinsam und stimmen hierzu im Arbeitsschutzausschuss ein Gesamtkonzept ab. (2) Der Arbeitgeber führt die gebotenen Gefährdungsbeurteilungen durch (§ 5 ArbSchG) und dokumentiert diese (§ 6 ArbSchG). Mit dieser Aufgabe kann der Arbeitgeber insbesondere die Sicherheitsbeauftragten, die Fachkraft für Arbeitssicherheit sowie den Betriebsarzt betrauen. Bevor mit der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen begonnen wird, sind die im Arbeitsschutzausschuss vertretenen Betriebsratsmitglieder rechtzeitig zu informieren und erhalten die Möglichkeit, sich am Planungs- und Durchführungsprozess zu beteiligen. Die Beurteilungsergebnisse werden auf der nächsten Sitzung des Arbeitsschutzausschusses vorgestellt und erforderliche Maßnahmen nach gemeinsamer Beratung beschlossen. In Eilfällen ist eine außerordentliche Sitzung des Arbeitsschutzausschusses nach § 6 Abs. 2 Satz 3 einzuberufen. (3) Das Recht des Betriebsrates, nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG die Durchführung weiterer, erforderlicher Gefährdungsbeurteilungen zu verlangen, bleibt unberührt5.

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§ 28 BetrVG Rz. 38. Andernfalls müsste zu allen mitbestimmten Arbeitsschutzmaßnahmen noch ein gesonderter Beschluss des gesamten Betriebsratsgremiums eingeholt werden, bevor deren Umsetzung erfolgen könnte. Wurde der Ausschuss entsprechend ermächtigt, muss keine gesonderte Billigung seiner Entscheidungen durch Arbeitgeber und Betriebsrat mehr erfolgen, Fitting, § 28 BetrVG Rz. 39. Voraussetzung für die Ermächtigung des Ausschusses ist allerdings, dass dem Betrieb mehr als 200 wahlberechtigte Arbeitnehmer angehören (d.h. dass der Betriebsrat neun Mitglieder hat, § 9 BetrVG) und ein Betriebsausschuss gebildet ist (Fitting, § 28 BetrVG Rz. 40). Der Ausschuss wird durch freiwillige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ermächtigt (BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267), z.B. durch eine Klausel in einer Betriebsvereinbarung. Die Aufgabe, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, darf wegen der Wertung des § 27 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG nicht an einen Ausschuss übertragen werden, Reichold in HWK, § 27 BetrVG Rz. 6; Krois in MünchHBArbR, § 293 Rz. 61; a.A. Fitting, § 28 BetrVG Rz. 50. Es muss sichergestellt werden, dass sich der Betriebsrat durch Delegation von Beteiligungsrechten auf einen Ausschuss nicht den Kernbereich seiner Mitbestimmung entäußert, BAG v. 20.10.1993 – 7 ABR 26/93, Leitsatz 1, MDR 1994, 808; Reichold in HWK, § 27 BetrVG Rz. 6. Die Übertragung der Mitbestimmungsrechte erfolgt nicht an den Ausschuss, sondern lediglich an die Betriebsratsmitglieder innerhalb des Ausschusses. Deshalb muss der Beschluss stets von beiden Seiten mehrheitlich – und bei zwei Betriebsratsmitgliedern einvernehmlich – getragen werden, Krois in MünchHBArbR, § 293 Rz. 61; Wolmerath in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 28 BetrVG Rz. 19. Die Gefährdungsbeurteilungen bilden den Kern des Arbeitsschutzes. Die Betriebsparteien sollten daher bei der gemeinsamen Durchführung Routine entwickeln. Deshalb empfiehlt es sich, hierzu bereits bei Abschluss der Rahmenbetriebsvereinbarung eine Regelung abzustimmen. Da die Gefährdungsbeurteilungen in einem offenen Verfahren durchgeführt werden, das abhängig von dem zu beurteilenden Gegenstand variiert werden muss, sollte die Regelung in der Rahmenbetriebsvereinbarung offen ausfallen. BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 13/03, ArbRB 2004, 336 = juris Rz. 44.

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§ 20 Rz. 20.71

Arbeitsschutz im Bürobetrieb

§ 8 Schlussbestimmungen (1) Diese Rahmenbetriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. (2) Diese Rahmenbetriebsvereinbarung kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden. Sie wirkt im Falle der Kündigung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach. (3) Sollte eine Bestimmung dieser Betriebsvereinbarung ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

§ 21 Psychische Belastungen und Krankheiten I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.9 1. Strukturell: Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen a) Gefährdungsbeurteilung als Rechtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.10

b) Durchführung der Gefährdungsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individuell: Betriebliches Eingliederungsmanagement und Kündigung . . a) Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) . . . . . . . . . . . . . b) Krankheitsbedingte Kündigung . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21.16 21.23 21.24 21.36 21.39

Literatur: Anton-Dyck/Böhm, Vorwerfbarkeit von Pflichtverletzungen bei psychischen Erkrankungen – Auswirkungen auf die Zulässigkeit einer Abmahnung oder Kündigung, ArbRB 2018, 310; Balikcioglu, Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz – Die zunehmende Bedeutung der Psyche im Gesundheitsschutz, NZA 2015, 1424; Bissels/Falter, Ablauf und Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements, DB 2018, 1405; Ettlinger, Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Grundlegendes im Überblick und Neuerungen, BB 2021, 820; Faas/Henseler, Speicherdauer und Aufbewahrungsfristen unter der DSGVO, BB 2018, 2292; Franke, Feel-Good-Management – ein Berufsbild mit Zukunft?, SPA 2016, 45; Fritsche/Meckle, Employability 2.0 – Psychische Gefährdungsbeurteilung: Von der gesetzlichen Pflicht zum Wettbewerbsvorteil, BB 2015, 821; Gagel, Betriebliches Eingliederungsmanagement – Rechtspflicht und Chance, NZA 2004, 1359; Ginal/Raif, Das „Burn-Out- Syndrom“ – Präventions- und Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers, ArbRAktuell 2012, 472; Grimm/Heppner, Serie: Arbeitsrecht 4.0 – Psychische Belastungen am Arbeitsplatz – Die Gefährdungsbeurteilung gem. § 5 ArbSchG als geeignetes Gegenmittel?, ArbRB 2016, 180; Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2019 – Psychische Gesundheit und Arbeit, 2019; Knieps/Pfaff, Krise- Wandel – Aufbruch, BKK Gesundheitsreport 2021; Krause, Digitalisierung der Arbeitswelt – Herausforderungen und Regelungsbedarf, NZA 2016, 1004; Kraushaar, Krankenrückkehrgespräche und Betriebsrat, NZA 2005, 913; Mörcke, „Ich bin vollkommen ausgebrannt“ – Die „Volkskrankheit“ Burnout aus arbeitsrechtlicher Sicht, BC 2012, 122; Sasse/Schönfeld, Rechtliche Aspekte psychischer Belastungen im Arbeitsverhältnis, RdA 2016, 346; Schiefer, Das betriebliche Eingliederungsmanagement (bEM), RdA 2016, 196; Schmidt, Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis, 4. Aufl. 2018; vom Stein/ Rothe/Schlegel, Gesundheitsmanagement und Krankheit im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl. 2021; Stück, Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen in Recht und Praxis, ArbRAktuell 2015, 515; Windeln, Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung – Pflichten des Arbeitgebers gegenüber Schwerbehinderten und anderen

428

Grimm/Singraven

I. Worum geht es?

Rz. 21.3 § 21

Arbeitnehmern, ArbRB 2017, 113; Wortmann, Wirksames betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) unter Beteiligung des Betriebsrats, ArbRB 2018, 304.

I. Worum geht es? Psychische Erkrankungen haben sich in der jüngeren Vergangenheit dramatisch ausgebreitet. Allein im Zeitraum von 2008 bis 2011 stieg die Zahl der jährlichen Arbeitsunfähigkeitstage, die in psychischen Störungen und Verhaltensstörungen ihre Ursache hatten, von 41 Mio. auf 59 Mio. an, d.h. um 44 Prozent1. 2013 reagierte der Gesetzgeber. Durch Änderung des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtete er sämtliche Arbeitgeber ausdrücklich, psychische Belastungen ihrer Mitarbeiter im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen auszuwerten und zu verringern (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG)2. Der Trend hielt dennoch an: Für das Jahr 2020 stellte die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 118 Mio. Arbeitsunfähigkeitstage fest, die der Diagnosegruppe psychische Störungen und Verhaltensstörungen zuzuordnen waren. Es handelte sich um 16,8 Prozent sämtlicher Arbeitsunfähigkeitstage in diesem Jahr3.

21.1

Nach Muskel- und Skeletterkrankungen sind psychische Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Fehltage. Gleichzeitig sind sie mit Abstand der häufigste Grund für Frühverrentungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit4. Unter den psychischen Erkrankungen sind Depressionen und Angststörungen die häufigsten Auslöser5. Frauen sind generell gefährdeter als Männer6. Bemerkenswert ist, dass psychische Erkrankungen im Vergleich zu somatischen Erkrankungen deutlich seltener diagnostiziert werden. Im Jahr 2017 war lediglich jeder 18. Krankenversicherte wegen einer psychischen Erkrankung krankgeschrieben (5,5 %)7. Wenn allerdings Beschäftigte psychisch erkranken, ist der Arbeitsausfall i.d.R. deutlich länger. Im Jahr 2017 wurden psychisch erkrankte Arbeitnehmer durchschnittlich rund 35 Tage krankgeschrieben. Auch dieser Wert wächst8. Dies hat zur Konsequenz, dass psychische Krankheiten im Arbeitsverhältnis der Betroffenen häufig zu einem Thema werden, mit dem sich der Arbeitgeber individuell befassen muss.

21.2

Die Ursachen für diese Entwicklungen werden kontrovers diskutiert. Feststehen dürfte, dass ein beträchtlicher Teil des Wachstums auf ein verändertes und stärker sensibilisiertes Diagnoseverhalten

21.3

1 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2013, S. 56. 2 Arbeitsschutzgesetz v. 19.10.2013 (BGBl. I 3836). 3 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Berichtsjahr 2020, S. 45. 4 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit – Berichtsjahr 2020, S. 45; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Arbeitswelt im Wandel – Zahlen – Daten – Fakten – Ausgabe 2019, S. 55. 5 Rennert/Kliner/Richter in Knieps/Pfaff, Psychische Gesundheit und Arbeit – BKK Gesundheitsreport 2019, S. 75. 6 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA), Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011 – Unfallverhütungsbericht Arbeit, 2013, S. 57; Rennert/Kliner/Richter in Knieps/Pfaff, Psychische Gesundheit und Arbeit – BKK Gesundheitsreport 2019, S. 75. 7 Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Pressemitteilung v. 23.5.2019, „Die längsten Fehlzeiten weiterhin durch psychische Erkrankungen“, https://www.bptk.de/die-laengsten-fehlzeiten-weiterhin-durch-psy chische-erkrankungen/ (letzter Abruf: 25.1.2022). Auch insoweit ist die Tendenz steigend: Im Jahr 2000 war lediglich jeder 30. Versicherte (3,3 %) wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig. 8 Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), Pressemitteilung v. 23.5.2019, „Die längsten Fehlzeiten weiterhin durch psychische Erkrankungen“; Rennert/Kliner/Richter in Knieps/Pfaff, Krise – Wandel – Aufbruch, BKK Gesundheitsreport 2021, S. 93.

Grimm/Singraven

429

§ 21 Rz. 21.3

Psychische Belastungen und Krankheiten

zurückzuführen ist: Da die Charakteristiken von psychische Erkrankungen seit jüngerer Zeit zum Allgemeinwissen gehören und psychisch Erkrankte gesellschaftlich nicht mehr stigmatisiert werden, gehen Betroffene schneller und häufiger zum Arzt. Dadurch werden psychische Erkrankungen medizinisch und statistisch erfasst, die in der Vergangenheit im Dunkelfeld geblieben wären. Einige Fachleute vermuten deshalb sogar, dass es überhaupt keine reale Zunahme von psychischen Erkrankungen gebe1.

21.4 Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass die digitale Transformation unter mehreren Gesichtspunkten den Leistungsdruck im Arbeitsleben verstärkt. Dazu gehört, dass Arbeit überall dort anspruchsvoller wird, wo einfach gelagerte Tätigkeiten durch Automatisierung verdrängt werden. Bloße Präsenz, Zuverlässigkeit und das Befolgen von Anweisungen reicht für die meisten Funktionen nicht mehr aus. Immer mehr Beschäftigte werden immer stärker am Erfolg ihrer zunehmend komplexeren Tätigkeiten gemessen. Der moderne E-Mail-Verkehr verlangt vielen Arbeitnehmern hohe Erreichbarkeit und schnelle Reaktionen gegenüber unsichtbaren Kommunikationspartnern ab. Nicht zuletzt ist der Doppelverdienerhaushalt mittlerweile gesellschaftliches Leitbild und Regelfall. Vor allem Frauen werden durch Erwerbs- und Erziehungsarbeit doppelt beansprucht. Flexible Arbeitszeitmodelle und Erreichbarkeit im „Home-Office“ ermöglichen es einerseits, Arbeitszeit und Erziehungsaufgaben in Einklang zu bringen, bergen aber andererseits die Gefahr, dass dazwischen (zu) wenig Raum bleibt, „abzuschalten“2.

21.5 Keinesfalls lässt sich pauschal behaupten, dass Erwerbsarbeit die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Grundsätzlich dürfte das Gegenteil der Fall sein: Unter arbeitslos Gemeldeten ist der Anteil psychisch Erkrankter höher und nach einem Arbeitsplatzverlust verstärken sich psychische Krankheiten statistisch signifikant, während Arbeitsaufnahme die psychische Verfassung verbessert3. Insbesondere bei Depressionen hilft ein Arbeitsverhältnis bei der Lebensführung, da es dem Alltag eine feste Struktur gibt, aktiviert und für Erfolgserlebnisse sorgt4. Auch lässt sich nicht pauschal behaupten, dass Stress an sich schädlich ist. Viele Arbeitnehmer empfinden bei der Bewältigung von Termindruck, Parallelaufgaben und Arbeitsherausforderungen „positiven Stress“ und „blühen“ angesichts solcher Herausforderungen „auf“5. Dass ihnen wegen dieser Arbeitseinstellung irgendwann ein „Burnout“ droht, dürfte zu den wissenschaftlich mittlerweile widerlegten Mythen gehören6.

21.6 Arbeitsbelastung stellt allerdings eine Gefahr für die psychische Gesundheit dar, wenn Arbeitnehmer sie über längere Zeiträume als Überforderung empfinden und Versagensängste entwickeln. Zeigen Menschen individuell eine Veranlagung zu psychischen Erkrankungen, kann das Gefühl, durch die Arbeit überfordert zu sein, als Auslöser wirken7. Viele Menschen mit psychischen Vorerkrankungen haben gelernt, ihre Veranlagung im Arbeitsalltag zu beherrschen. Für diese Menschen birgt eine 1 Deutsche Rentenversicherung, Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung zur Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung, 2014, S. 9. 2 Gemeinsamen Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Psychische Arbeitsbelastung und Gesundheit, 2017, S. 5; Krause, NZA 2016, 1004 (1006); Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1424). 3 Knieps/Pfaff in Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2019 – Psychische Gesundheit und Arbeit, 2019, S. 29. 4 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt und betriebliche Wiedereingliederung, 2018, S. 25. 5 Deutsche Rentenversicherung, Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung zur Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung, 2014, S. 11; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1426). 6 Kritisch zum Schlagwort des sog. „Burnout-Syndrom“ Deutsche Rentenversicherung, Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung zur Bedeutung psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung, 2014, S. 12; a.A. Mörcke, der im „Burnout-Syndrom“ eine erhebliche Bedrohung der Arbeitnehmergesundheit sieht, BC 2012, 122. 7 Knieps/Pfaff in Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2019 – Psychische Gesundheit und Arbeit, 2019, S. 28.

430

Grimm/Singraven

I. Worum geht es?

Rz. 21.8 § 21

Überforderungssituation am Arbeitsplatz die Gefahr, dass sie „wieder aus der Bahn geworfen“ werden1. Gefährlich für die Betroffenen sind Teufelskreisläufe, bei denen Überlastungssituationen psychische Erkrankungen auslösen und diese wiederum die bereits vorhandene Überlastungserfahrung verstärken, so dass es zur fortlaufenden Verschlechterung der psychischen Verfassung kommt2. Als wichtigste Belastungsfaktoren, die zu kritischen Überforderungssituationen führen können, gelten: – Leistungsdruck und Arbeitsverdichtung, insbesondere, wenn diese mit der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes einhergehen, – Reibungen und Konflikte wegen schlecht organisierter Arbeitsprozesse sowie – soziale Konflikte mit Vorgesetzten, Kollegen und Kunden3. Paradoxerweise führt allerdings auch das Gegenteil zu einer psychischen Belastungssituation, nämlich Monotonie und stetig gleichförmige und abwechslungsarme Prozesse ohne soziale Interaktion4. Ebenso paradox wirken sich Flexibilisierungsspielräume bei der Arbeit aus: Einerseits ermöglichen sie es dem Arbeitnehmer, die Arbeit an seine persönlichen Bedürfnisse anzupassen. Andererseits können sie zu Entgrenzung der Arbeit und Kontrollverlust führen5. Der Grad der Belastung hängt dabei nicht am einzelnen Faktor, sondern wächst wesentlich, wenn mehrere dieser Faktoren zusammenkommen und sich wechselseitig ergänzen (potenzieren)6. Oft bringen erst Konflikte und Überforderungssituation aus dem Privatleben der Beschäftigen „das Fass zum Überlaufen“7. Ob und wann dies bei einem Beschäftigten geschehen kann, hängt von dessen individueller Veranlagung und dabei auch von biologischen und genetischen Faktoren ab8. Für das Unternehmen ist die individuelle Belastungsgrenze kaum vorherzusehen. Oft werden die Betroffenen selbst überrumpelt9.

21.7

Im Umgang mit psychischen Erkrankungen stellen sich für Unternehmen zwei zentrale Herausforderungen:

21.8

– Unter Fürsorgegesichtspunkten versuchen Unternehmen, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass psychischen Erkrankungen vorgebeugt und psychisch Kranke wieder eingegliedert werden können. Dabei stehen sie vor dem Grundproblem, dass sowohl die Ursachen als auch die Folgen von psychischen Erkrankungen schwer fassbar sind. – Arbeitnehmer, die unter psychischen Erkrankungen leiden, weisen regelmäßig hohe Arbeitsunfähigkeitszeiten auf (vgl. Rz. 21.2). Unternehmen entstehen dadurch hohe Entgeltfortzahlungskosten (§ 4 EFZG) und es ist ihnen in vielen Fällen nicht möglich, die ständig krankheitsbedingt ausfallenden Betroffenen bei wichtigen Projekten einzuplanen. Hinzu kommt, dass der Erkrankte auch während seiner Krankheitszeiten Urlaubsansprüche erwirbt und bei Rückkehr in den Be-

1 Zur Depression Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt und betriebliche Wiedereingliederung, 2018, S. 26 ff. 2 Knieps/Pfaff in Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2019 – Psychische Gesundheit und Arbeit, 2019, S. 28. 3 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt -Wissenschaftliche Standortbestimmung, 2017, S. 93 f. 4 Vgl. dazu die Checkliste der Gemeinsamen Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 21. 5 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), Psychische Gesundheit im Betrieb, 2019, S. 19; Lott, WSI-Report Nr. 54/2020, 1 (3); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (356); Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (181). 6 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt -Wissenschaftliche Standortbestimmung, 2017, S. 94. 7 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (347). 8 Knieps/Pfaff in Knieps/Pfaff, BKK Gesundheitsreport 2019 – Psychische Gesundheit und Arbeit, 2019, S. 28. 9 Ginal/Raif, ArbRAktuell 2012, 472 (474).

Grimm/Singraven

431

§ 21 Rz. 21.8

Psychische Belastungen und Krankheiten

trieb in Anspruch nehmen kann1. Verlieren Aufwand und Kosten jedes Verhältnis zur Arbeitsleistung, ziehen auch viele sozial engagierte Unternehmen die Trennung vom Betroffenen weiteren Fürsorgebemühungen vor.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 21.9 Im Umgang mit psychischen Erkrankungen sind Unternehmen rechtlich verpflichtet, sowohl strukturelle als auch individuelle Maßnahmen zu ergreifen: – Unternehmen müssen ihre betrieblichen Strukturen durch Gefährdungsbeurteilungen auf psychische Belastungsfaktoren untersuchen und anhand der Befunde ggf. Maßnahmen ergreifen (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). Auf diese Weise sollen Unternehmen psychischen Erkrankungen strukturell vorbeugen (dazu Rz. 21.10 ff.). – Fehlt ein Arbeitnehmer über längere Zeiträume aufgrund einer psychischen Erkrankung, muss das Unternehmen individuell reagieren und das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM, § 167 Abs. 2 SGB IX) durchführen. Erst, wenn dieses Verfahren gescheitert ist, kommt eine krankheitsbedingte Kündigung in Betracht (dazu Rz. 21.23 ff.)2.

1. Strukturell: Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen a) Gefährdungsbeurteilung als Rechtspflicht 21.10 Nach § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG sind Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, im Rahmen von Gefährdungsbeurteilungen die psychischen Belastungen ihrer Beschäftigten zu untersuchen3 (vgl. zur Gefährdungsbeurteilung allgemein Rz. 20.30 ff.). Großbetriebe mit mehr als 250 Beschäftigten sind dieser Pflicht überwiegend nachgekommen; Erhebungen der Arbeitsschutzbehörden ergaben, dass ca. 70 Prozent der Großbetriebe eine Gefährdungsbeurteilung erstellt haben, die psychische Faktoren berücksichtigt. In den meisten Kleinbetrieben fehlen solche Gefährdungsbeurteilungen dagegen4. Die Arbeitsschutzbehörden werten diesen Befund – sowohl bei Groß- als auch bei Kleinbetrieben – noch als defizitär und beabsichtigen, auf diesem Feld stärker initiativ zu werden5.

21.11 Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht, psychische Belastungsfaktoren im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung zu untersuchen, nicht nach, kann die Durchführung durch unterschiedliche Akteure erzwungen werden. – Alle Arbeitsschutzbehörden werden durch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) angehalten, Gefährdungsbeurteilungen der psychischen Belastungen zu überprüfen. Ist diese Gefährdungsbeurteilung nicht oder nicht angemessen erfolgt, sollen die Arbeitsschutzbehör1 Kann Urlaub krankheitsbedingt nicht in Anspruch genommen werden, darf der Arbeitnehmer ihn noch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres in Anspruch nehmen, grundlegend BAG v. 7.8.2012 – 9 AZR 353/10, ArbRB 2013, 4. Oft kehren Arbeitnehmer deshalb mit einem doppelten Jahresurlaubsanspruch aus einer Langzeiterkrankung zurück und können dann monatelang Urlaub nehmen. 2 Auch Balikcioglu sieht in Gefährdungsbeurteilung und bEM die „zwei Säulen“ des psychischen Gesundheitsschutzes, Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1424). 3 Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (821); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (347); Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1425). 4 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt -Wissenschaftliche Standortbestimmung, 2017, S. 93. 5 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in der betrieblichen Praxis – Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus einem Feldforschungsprojekt, 2020; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt -Wissenschaftliche Standortbestimmung, 2017, S. 93.

432

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.11 § 21

den – so die GDA wörtlich – „ggf. auch unter Ausschöpfung aller Instrumente des Verwaltungshandelns eine Nachverfolgung“ betreiben, „bis ein gesetzeskonformer Zustand erreicht“ wird. Dies kann zunächst durch Beratungen und Vereinbarungen mit dem Arbeitgeber erfolgen1. Die Arbeitsschutzbehörden können den Arbeitgeber allerdings auch durch Anordnung nach § 23 Abs. 3 ArbSchG verpflichten, die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen oder bestehende Mängel zu beseitigen2. Dabei dürfen die Arbeitsschutzbehörden dem Arbeitgeber nicht vorgeben, wie er die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen hat, sofern sich das arbeitgeberseitig gewählte Vorgehen im gesetzlichen Rahmen bewegt3. Hatte der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung in der Vergangenheit nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nur unvollständig dokumentiert, kann ein Bußgeld von bis zu 5.000 EUR verhängt werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ArbStättV i.V.m. § 25 Abs. 1 Nr. 1 ArbSchG). Wird einer vollziehbaren Anordnung der Arbeitsschutzbehörde zuwider gehandelt, kann das Bußgeld bis zu 30.000 EUR betragen (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG). – Der Betriebsrat hat ein arbeitsschutzrechtliches Initiativrecht (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) und kann vom Arbeitgeber verlangen, dass dieser eine Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen durchführt4. Sofern die Gefährdungsbeurteilung fehlt, ist das Initiativrecht an keine weiteren Voraussetzungen gebunden. Insbesondere muss der Betriebsrat nicht darlegen, dass objektive Gesundheitsgefahren bestehen, da die Frage, ob das der Fall ist, gerade durch die Gefährdungsbeurteilung geklärt werden soll5. Der Betriebsrat ist auch bei der Entscheidung zu beteiligen, wie, d.h. mit welchen Methoden und für welche Tätigkeitsgruppen, die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird6. Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht im Konfliktfall durchsetzen, indem er die Einigungsstelle anruft7. Die Einigungsstelle entscheidet dann über die Methoden und den Umfang der Gefährdungsbeurteilung. Sobald die Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde und objektive, konkrete Gesundheitsgefahren8 aufgedeckt hat, kann der Betriebsrat – sollten Verhandlungen mit dem Arbeitgeber abermals zu keiner Einigung führen – in einem zweiten Einigungsstellenverfahren erzwingen, dass Abhilfemaßnahmen ergriffen werden9. – Auch der einzelne Arbeitnehmer hat nach § 618 BGB i.V.m. § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG einen Individualanspruch, mit dem er die Durchführung einer fehlenden Gefährdungsbeurteilung verlangen kann10. Allerdings kann der Arbeitnehmer nicht verlangen, wie der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung methodisch durchzuführen hat. Diese Entscheidung liegt bei Arbeitgeber und Betriebsrat11.

1 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 13. 2 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182). 3 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182). 4 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (349); Stück, ArbRAktuell 2015, 515 (517). 5 BAG v. 8.6.2004 – 1 ABR 13/03, ArbRB 2004, 336 = juris Rz. 44. 6 BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, BAGE 168, 323 = juris Rz. 32; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182); Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1425); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (349). 7 Stück, ArbRAktuell 2015, 515 (517). 8 BAG v. 11.12.2012 – 1 ABR 81/11, juris Rz. 20; Bauer/Günther/Böglmüller, NZA 2016, 1361 (1364). 9 Die Einigungsstelle, welche die Vorgaben für die Gefährdungsbeurteilung aufstellt, kann grundsätzlich nicht im selben Einigungsstellenspruch festlegen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Denn dazu müsste sie dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung vorgreifen, BAG v. 19.11.2019 – 1 ABR 22/18, ArbRB 2020, 75 (Lunk) = juris Rz. 26 ff.; ähnlich BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 6/18, ArbRB 2019, 366 = juris Rz. 56. 10 BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, Leitsatz 1, DB 2008, 2030; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182); Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (824). 11 BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 1117/06, Leitsatz 2, DB 2008, 2030; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (182).

Grimm/Singraven

433

§ 21 Rz. 21.12

Psychische Belastungen und Krankheiten

21.12 Hinweis: Kommt ein Arbeitgeber seiner Verpflichtung, Gefährdungen für die psychische Gesundheit zu beurteilen, nicht nach, kann er gezwungen werden, dies künftig zu tun. In der Praxis erfolgt dies meist und mit hoher Regelmäßigkeit durch die Betriebsräte. Sanktionen, die für Versäumnisse aus der Vergangenheit drohen, sind dagegen überschaubar1. Aus rechtlicher Perspektive kann der Arbeitgeber abwarten und so lange untätig bleiben, bis einschlägige Ansprüche durch den Betriebsrat oder einzelne Arbeitnehmer gegen ihn geltend gemacht werden oder die Arbeitsschutzbehörde eine Anordnung erlässt. Ob dies betriebspolitisch und betriebswirtschaftlich zweckmäßig ist, erscheint je nach Größe und Struktur des Unternehmens fraglich. Zwar mag es zutreffen, dass psychische Erkrankungen viel stärker durch die individuelle Veranlagung einzelner Mitarbeiter als durch Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz verursacht werden. Doch viele der Belastungsfaktoren, die eine Gefährdungsbeurteilung aufdeckt, werden auch von psychisch robusten Mitarbeitern als störend empfunden und beeinträchtigen das Betriebsklima unnötig. Abhilfemaßnahmen nutzen deshalb nicht bloß einzelnen psychisch instabilen Mitarbeitern, sondern der Gesamtbelegschaft. Ein gutes Arbeitsklima liegt im Unternehmensinteresse und führt zu Effizienzvorteilen und einem Ansehensgewinn für das Unternehmen. Ob Arbeitnehmer mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden sind, kommunizieren sie im sozialen Umfeld und durch Bewertungsportale im Internet nach außen. Krankheiten verursachen erhebliche Kosten, nicht nur, wenn es sich um psychische Erkrankungen handelt, sondern auch, wenn sich Arbeitnehmer aus Frustration über die Arbeitsbedingungen in eine vorgeschobene Krankheit „flüchten“. Eine Gefährdungsbeurteilung, mit der Belastungsschwerpunkte ermittelt und abgemildert werden, beugt entsprechenden Konflikten vor und zeigt der Belegschaft, dass der Arbeitgeber auch auf emotionale Bedürfnisse eingeht und dabei systematisch und strukturiert handelt. Aufgrund dieser Gesichtspunkte sollten Arbeitgeber abwägen, in welcher Form und mit welchem Aufwand sie eine Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastungen durchführen2.

21.13 Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung sind Gefährdungen. Während unter einer Gefahr eine Sachlage zu verstehen ist, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens zu einem Schaden führt, liegt eine Gefährdung bereits in der Möglichkeit eines Schadens, ohne dass bestimmte Anforderungen an das Ausmaß des Schadens oder seine Eintrittswahrscheinlichkeit gestellt werden3. Eine mögliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit ist durch zahlreiche Faktoren vorstellbar. Dies hängt einerseits damit zusammen, dass selbst unscheinbare Einwirkungen Schädigungspotential erlangen können, wenn sie mit anderen Faktoren zusammenwirken und dadurch im Gesamtbild ein „toxisches“ Umfeld schaffen. Zum anderen ist die Veranlagung für psychische Erkrankungen individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt – Einflüsse, die der eine Arbeitnehmer sogar als angenehm empfindet, können für einen anderen unerträglich sein4. Als psychische Belastungen geltend nach DIN EN ISO 10075-1 deshalb (wertneutral) die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken5. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung muss für sämtliche Arbeitsbereiche und Tätigkeiten in Hinblick auf alle dort auftretenden psychischen Belastungen geprüft werden, ob diese zu Gefährdungen für die psychische Gesundheit führen können.

1 Theoretisch wäre vorstellbar, dass ein psychisch erkrankter Arbeitnehmer Schadensersatzansprüche gegen seinen Arbeitgeber nach §§ 618, 280 Abs. 1 BGB geltend macht, Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (824). Allerdings kann der Kausalitätsnachweis in der Regel nicht geführt werden. In Betracht kommen Schadensersatzansprüche realistischerweise vor allem dann, wenn der Arbeitgeber nachweislich Mobbinghandlungen durch Vorgesetzte duldet, die ihm nach § 278 BGB zugerechnet werden, BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 593/06, ArbRB 2008, 102 = juris Rz. 77 ff. 2 Vgl. Fritsche/Meckle, BB 2015, 821; Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (183). 3 Grimm/Heppner, ArbRB 2016, 180 (181); Kreizberg in Kollmer/Klindt/Schucht, § 5 ArbSchG Rz. 61. 4 Stück, ArbRAktuell 2015, 515 (516). 5 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 27.

434

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.14 § 21

Werden wesentliche Faktoren nicht berücksichtigt1 oder Arbeitsbereiche und Tätigkeiten vergessen2, bewerten die Arbeitsschutzbehörden die Gefährdungsbeurteilung als mangelhaft. Dabei prüfen die Arbeitsschutzbehörden anhand einer Checkliste, die nach den Themen „Arbeitsaufgabe“, „Arbeitsorganisation“, „erkennbare soziale Faktoren“ sowie „Arbeitsumgebung und Arbeitsmittel“ gegliedert ist3. Die Checkliste charakterisiert die Problemschwerpunkte wörtlich wie folgt: 1. Merkmalsbereich: Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe

Mögliche kritische Ausprägung

1.1 Vollständigkeit der Aufgabe

Tätigkeit enthält: – nur vorbereitende oder – nur ausführende oder – nur kontrollierende Handlungen

1.2 Handlungsspielraum

Der/die Beschäftigte(n) hat/haben keinen Einfluss auf: – Arbeitsinhalt – Arbeitspensum – Arbeitsmethoden/- verfahren – Reihenfolge der Tätigkeiten

1.3 Variabilität (Abwechslungsreichtum)

Einseitige Anforderungen: – wenige, ähnliche Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel – häufige Wiederholung gleichartiger Handlungen in kurzen Takten

1.4 Information/Informationsangebot

– – – –

1.5 Verantwortung

– unklare Kompetenzen und Verantwortlichkeiten

1.6 Qualifikation

– Tätigkeiten entsprechen nicht der Qualifikation der Beschäftigten (Über-/Unterforderung) – unzureichende Einweisung/Einarbeitung in die Tätigkeit

1.7 Emotionale Inanspruchnahme

– durch das Erleben emotional stark berührender Ereignisse (z.B. Umgang mit schwerer Krankheit, Unfällen, Tod) – durch das ständige Eingehen auf die Bedürfnisse anderer Menschen (z.B. auf Kunden, Patienten, Schüler) – durch permanentes Zeigen geforderter Emotionen unabhängig von eigenen Empfindungen – Bedrohung durch Gewalt durch andere Personen (z.B. Kunden, Patienten)

zu umfangreich (Reizüberflutung) zu gering (lange Zeiten ohne neue Information) ungünstig dargeboten lückenhaft (wichtige Informationen fehlen)

1 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 21. 2 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 25. 3 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 21.

Grimm/Singraven

435

21.14

§ 21 Rz. 21.14

Psychische Belastungen und Krankheiten

2. Merkmalsbereich: Arbeitsorganisation

Mögliche kritische Ausprägung

2.1 Arbeitszeit

– wechselnde oder lange Arbeitszeit – ungünstig gestaltete Schichtarbeit, häufige Nachtarbeit – umfangreiche Überstunden – unzureichendes Pausenregime – Arbeit auf Abruf

2.2 Arbeitsablauf

– Zeitdruck/hohe Arbeitsintensität – häufige Störungen/Unterbrechungen – hohe Taktbindung

2.3 Kommunikation/Kooperation

– isolierter Einzelarbeitsplatz – keine oder geringe Möglichkeit der Unterstützung durch Vorgesetzte oder Kollegen – keine klar definierten Verantwortungsbereiche

3. Merkmalsbereich: Soziale Beziehungen

Mögliche kritische Ausprägung

3.1 Kollegen

– – – –

3.2 Vorgesetzte

– keine Qualifizierung der Führungskräfte – fehlendes Feedback, fehlende Anerkennung für erbrachte Leistungen – fehlende Führung, fehlende Unterstützung im Bedarfsfall

4. Merkmalsbereich: Arbeitsumgebung

Beispiele für negative Wirkungen

4.1 Physikalische und chemische Faktoren

– Lärm – Beleuchtung – Gefahrstoffe

4.2 Physische Faktoren

– ungünstige ergonomische Gestaltung – schwere körperliche Arbeit

4.3 Arbeitsplatz- und Informationsgestaltung

– ungünstige Arbeitsräume, räumliche Enge – unzureichende Gestaltung von Signalen und Hinweisen

4.4 Arbeitsmittel

– fehlendes oder ungeeignetes Werkzeug bzw. Arbeitsmittel – ungünstige Bedienung oder Einrichtung von Maschinen – unzureichende Softwaregestaltung

5. Merkmalsbereich: Neue Arbeitsformen

– Beispiele für negative Wirkungen

Diese Merkmale sind nicht Gegenstand des Aufsichtshandelns, spielen aber für die Belastungssituation der Beschäftigten eine Rolle

– räumliche Mobilität – atypische Arbeitsverhältnisse, diskontinuierliche Berufsverläufe – zeitliche Flexibilisierung, reduzierte Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben

436

Grimm/Singraven

zu geringe/zu hohe Zahl sozialer Kontakte häufige Streitigkeiten und Konflikte Art der Konflikte: soziale Drucksituationen fehlende soziale Unterstützung

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.18 § 21

Die Gefährdungsbeurteilung muss sich nur auf die objektiven psychischen Belastungen erstrecken. 21.15 Hingegen muss die sog. psychische Beanspruchung, d.h. die unmittelbaren Auswirkungen der psychischen Belastungen bei den betroffenen Individuen, die von der subjektiven Veranlagung der Betroffenen und deren Bewältigungsstrategie abhängen, nicht in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden1. Zwar wird empfohlen, auch subjektiv empfundene Belastungen einzubeziehen, um ein vollständiges Bild zu erhalten2. Da es sich bei der individuellen psychischen Beanspruchung allerdings um sensible personenbezogene Daten handeln kann, muss den Vorgaben nach § 26 Abs. 1 u. 3 BDSG in diesem Fall sorgsam Rechnung getragen werden.

b) Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Wie jede Gefährdungsbeurteilung ist auch die Beurteilung psychischer Belastungen in sieben Schritten durchzuführen (vgl. allgemein Rz. 20.31): Der Arbeitgeber plant die Gefährdungsbeurteilung und legt Tätigkeitsbereiche fest, die zusammengefasst beurteilt werden (1). Anschließend ermittelt er für die jeweiligen Tätigkeitsbereiche die bestehenden Gefährdungen (2) und beurteilt diese nach ihrer Intensität (3) (dazu Rz. 21.17 f.). Anschließend beschließt der Arbeitgeber Arbeitsschutzmaßnahmen, um die erkannten Gefährdungen auszuschließen oder abzumildern (4) und setzt diese um (5) (dazu Rz. 21.20). Nachdem die Maßnahmen umgesetzt wurden, überprüft der Arbeitgeber turnusmäßig, inwieweit sich die Gefährdungslage verbessert hat (6) und schreibt auf Grundlage der Erkenntnisse die Gefährdungsbeurteilung fort (7) (dazu Rz. 21.21).

21.16

Bei der Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungsfaktoren stellt sich das Ausgangsproblem, dass keine physikalischen oder physischen Grenzwerte existieren, um psychische Belastungen objektiv zu messen3. Im Rahmen des Beurteilungsverfahrens dürfen die Beteiligten deshalb eigene Bewertungsentscheidungen treffen und müssen dies auch. § 5 ArbSchG als Rahmenvorschrift ausgestaltet ist, welche der Arbeitgeber in Abstimmung mit seinem Betriebsrat durch Ermessensentscheidungen ausfüllt. In Ausübung ihres Ermessens dürfen die Betriebsparteien die Beurteilungsmethoden selbst auswählen und die Gefährdungen bei Anwendung der Methode selbst gewichten4. Allerdings erwarten die Arbeitsschutzbehörden, dass die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung systematisch geplant wird5 und die Akteure eine transparente Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung (§ 6 ArbSchG) erstellen, aus der sich ergibt, auf welcher Grundlage sich die betrieblichen Akteure für welche Vorgehensweise und welches Instrument entschieden haben6.

21.17

Insgesamt gibt es drei anerkannte Methoden, um die Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, näm- 21.18 lich standardisierte schriftliche Mitarbeiterbefragungen, Beobachtungsinterviews sowie moderierte Analyseworkshops7: – Standardisierte schriftliche Mitarbeiterbefragungen sind die mit deutlichem Abstand am häufigsten genutzte Methode8. Hierbei werden alle Mitarbeiter aufgefordert, in einheitlichen Fragebögen für ihren jeweiligen Tätigkeitsbereich anzukreuzen, ob bestimmte Belastungen „beste-

1 2 3 4 5

Stück, ArbRAktuell 2015, 515 (516). Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (824). Blume/Faber in Kohte/Faber/Feldhoff, § 5 ArbSchG Rz. 64. Stück, ArbRAktuell 2015, 515 (516). Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 24. 6 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 18. 7 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, S. 9 f. 8 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Abschlussbericht zum GDA-Arbeitsprogramm Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung (Psyche), S. 12.

Grimm/Singraven

437

§ 21 Rz. 21.18

Psychische Belastungen und Krankheiten

hen“, „eher bestehen“, „eher nicht bestehen“ oder „gar nicht bestehen“1. Um Belastungsschwerpunkte zu ermitteln, werden die Bögen für jeden Tätigkeitsbereich gesondert ausgewertet. Bei der Auswertung der Fragebögen stellen sich datenschutzrechtliche Herausforderungen: Da Mitarbeiter, die eine hohe Zahl an Belastungen angeben, als Low-Performer stigmatisiert werden könnten, sollten die Befragungen anonym durchgeführt werden2. Um dies zu gewährleisten, beauftragen viele Unternehmen für die Durchführung der Befragung spezialisierte externe Dienstleistungsunternehmen3. Diese Dienstleistungsunternehmen werten die Fragebögen eigenständig aus und stellen dem Arbeitgeber nur das Ergebnis für die jeweiligen Tätigkeitsbereiche zur Verfügung4. Allerdings lässt sich durch dieses Vorgehen Anonymität nicht immer vollständig gewährleisten: Gehören nämlich einzelnen Tätigkeitsbereichen nur wenige Arbeitnehmer an, wäre ein Rückschluss auf die Person des Befragten möglich. Anonymität wird erst erreicht, wenn nur Tätigkeitsbereiche beurteilt werden, in denen mindestens fünf Arbeitnehmer tätig sind5. In kleinen Betrieben lassen sich anonyme Fragebögen deshalb meist nicht einsetzen. – Beim Beobachtungsinterview beobachten fachkundige Personen Mitarbeiter aller Tätigkeitsbereiche bei ihrer Arbeit und stellen ihnen in Kurzinterviews Fragen zu bestehenden psychischen Belastungen6. Diese Analysemethode ist am gründlichsten, aber auch am zeitaufwendigsten7. Es kann zweckmäßig sein, spezialisierte externe Dienstleister zu beauftragen, um das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen, die sich ggf. gegenüber Mitarbeitern des eigenen Unternehmens nicht offen äußern würden. – An moderierten Analyseworkshops nehmen Arbeitgebervertreter, Betriebsratsmitglieder, Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Mitarbeiter der Arbeitsbereiche teil, die jeweils beurteilt werden sollen. Aufgrund des Erfahrungswissens aller Teilnehmer werden für die einzelnen Arbeitsbereiche die bestehenden Belastungen und Gefährdungen beschrieben und beurteilt. Im Workshop können bereits Maßnahmenvorschläge erarbeitet werden, um die Gefährdungen abzumildern8. Es kann zweckmäßig sein, einen spezialisierten externen Dienstleister zu beauftragen, der die Rolle des Moderators übernimmt.

21.19 In größeren Unternehmen kann es geboten sein, einzelne Methoden zu kombinieren und die Gefährdungsbeurteilung mehrstufig durchzuführen. Typischerweise werden mit einer standardisierten schriftlichen Mitarbeiterbefragung zunächst Belastungsschwerpunkte ermittelt (sog. orientierte Analyse). Anschließend kann mit Beobachtungsinterviews oder in Workshops im Detail aufgeklärt werden, welche konkreten Probleme sich hinter den einzelnen Belastungsschwerpunkten jeweils verbergen9. In kleineren Betrieben können dagegen deutlich weniger aufwendige Verfahren praktiziert werden. In Betracht kommt z.B. ein einstufiges Workshop-Verfahren, zu dem Mitarbeiter aller Abteilungen hinzugezogen werden, um nach einem strukturierten Ablaufplan flächendeckend zu erörtern, welche Gefährdungen in den einzelnen Abteilungen bestehen, wie diese zu gewichten sind und wel-

1 Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1427); Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (823). 2 Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1427); Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (823). 3 Die Einschaltung eines externen Dienstleisters bietet zugleich den Vorteil, dass der Belegschaft signalisiert wird, in welch hohem Maße sich der Arbeitgeber bemüht, Balikcioglu in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Rz. 67; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1427). 4 Balikcioglu in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Rz. 65. 5 Balikcioglu in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Rz. 80. 6 Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (823). 7 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, S. 10. 8 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, S. 10; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1428); Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (823). 9 Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA), Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz, 2018, S. 18; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1428).

438

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.22 § 21

che Abhilfemaßnahmen ergriffen werden sollen1. Wichtig ist, dass das gewählte Konzept und die Ergebnisse stets sorgfältig dokumentiert werden und den Arbeitsschutzbehörden später zum Nachweis vorgelegt werden können. Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse werden Arbeitsschutzmaßnahmen festgelegt, um er- 21.20 mittelte Gefährdungen für die psychische Gesundheit abzumildern. Dies kann entweder im Arbeitsschutzausschuss (vgl. allgemein Rz. 20.26) oder in einem gesonderten Workshop erfolgen, an dem sowohl Arbeitgebervertreter als auch Betriebsratsmitglieder und ggf. externe Experten oder der Betriebsarzt teilnehmen. Typischerweise werden folgende Maßnahmen ergriffen, um psychische Belastungen abzumildern: – Rührt die psychische Belastung von den Inhalten einer bestimmten Tätigkeit her, sollten die Aufgaben neu zusammengesetzt werden. Sind Tätigkeiten zu monoton, sollten weitere Aufgaben hinzugefügt werden. Werden Arbeitnehmer überfordert, sollten Aufgaben reduziert werden oder Mitarbeiter größere Handlungsspielräume erhalten, durch die sie die Überforderung bewältigen können. Bestehen Unklarheiten bei der Aufgabenzuweisung, den Kompetenzen und der Verantwortung von Mitarbeitern, sollten transparente Organisationsstrukturen geschaffen werden. – Viele Arbeitgeber richten transparente Verfahren für die Einreichung sog. Überlastungsanzeigen ein, die Mitarbeiter nutzen können, welche nicht mehr dazu in der Lage sind, die ihnen übertragenen Aufgaben angemessen zu bewältigen. Zeigt ein Mitarbeiter seine Überlassung an, ist dessen Vorgesetzter gehalten, den Sachverhalt mit dem Mitarbeiter zu analysieren und die Ursachen möglichst umfassend auszuräumen2. – Im Unternehmen können Vertrauenspersonen oder Mentoren bestimmt werden, die bei sozialen Konflikten und Mobbing Gespräche und Mediation anbieten. – Stellen persönliche Konflikte zwischen Kollegen und Vorgesetzten einen Belastungsschwerpunkt dar, empfehlen sich Schulungen zum sozialen Umgang sowie zum Feedback- und Führungsverhalten. Je nach Unternehmenskultur können auch im Rahmen von arbeitsschutzrechtlichen Unterweisungen nach § 12 ArbSchG Regeln zum sozialen Umgang miteinander, zur konstruktiven Konfliktbewältigung und zum besseren Umgang mit Stressrisiken aufgestellt werden. – Physische Faktoren, welche die psychische Gesundheit beeinträchtigen, wie Lärm und Lichtverhältnisse, können mit physischen Maßnahmen beseitigt werden. – Durch das Angebot von Betriebssport und sozialen Aktivitäten kann der Arbeitgeber einen Ausgleich schaffen und den Zusammenhalt zwischen den Kollegen verbessern3. Die ergriffenen Maßnahmen sollten zyklisch auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Z.B. indem 21.21 der Arbeitgeber eine Mitarbeiterbefragung anhand desselben, standardisierten Fragebogens wiederholt, kann er erkennen, ob sich die Belastungen verringert haben. Außerdem können sich bei geänderten Arbeitsbedingungen neue Belastungen ergeben. Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilungen in einem geschlossenen Kreislauf periodisch fortschreiben4.

21.22

Hinweis: Die Gefährdungsbeurteilung dient in aller Regel nicht nur dem Zweck, organisationspsychologisch ordnungsgemäß zu handeln, sondern soll die Arbeitsbedingungen vielmehr unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten verbessern. Der Arbeitgeber sollte sich von Anfang an überlegen, welche Ziele er mit der

1 2 3 4

Fritsche/Meckle, BB 2015, 821 (823). Ginal/Raif, ArbRAktuell 2012, 472 (473). Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1426). Balikcioglu in Kollmer/Klindt/Schucht, A. Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Rz. 70; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1427).

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§ 21 Rz. 21.22

Psychische Belastungen und Krankheiten

Gefährdungsbeurteilung von psychischen Belastungen erreichen möchte. So kann es dem Arbeitgeber bei einem Minimalansatz bloß darum gehen, Fälle grober Missorganisation aufzudecken und seine gesetzlichen Pflichten zu erfüllen. Andere Arbeitgeber schaffen durch institutionalisiertes „Feel-Good-Management“1 eine besonders mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur, um sich spürbar von Konkurrenzunternehmen abzuheben. Die Mehrzahl der Unternehmen wählt einen Mittelweg.

2. Individuell: Betriebliches Eingliederungsmanagement und Kündigung 21.23 Erkrankt ein Arbeitnehmer psychisch und über längere Zeiträume, sollte der Arbeitgeber mit individuellen Maßnahmen reagieren. Gesetzlich vorgesehen ist das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (dazu Rz. 21.24 ff.). Eine krankheitsbedingte Kündigung kommt grundsätzlich nur in Betracht, wenn das betriebliche Eingliederungsmanagement ordnungsgemäß durchgeführt wurde und keinen Erfolg hatte (dazu Rz. 21.36 ff.)2.

a) Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) 21.24 Sobald die Arbeitsunfähigkeitszeiten eines Arbeitnehmers innerhalb eines Jahres den Schwellenwert von sechs Wochen überschreiten, ist der Arbeitgeber gem. § 167 Abs. 2 SGB IX gesetzlich verpflichtet, das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) einzuleiten. Dies gilt auch dann, wenn die Krankheitszeiten in keinem inneren Zusammenhang stehen und auf unterschiedlichen Diagnosen beruhen3. Psychische Erkrankungen führen allerdings schon für sich genommen oft zu Krankheitsepisoden, die länger als sechs Wochen andauern (vgl. Rz. 21.2).

21.25 Führt der Arbeitgeber kein bEM durch, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, zieht dieser Rechtsverstoß zwar im Regelfall keine unmittelbaren Sanktionen nach sich. Entscheidet sich der Arbeitgeber jedoch wegen des hohen Krankenstandes eines Arbeitnehmers dazu, diesem gegenüber eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, muss er deren soziale Rechtfertigung im Kündigungsschutzprozess darlegen. Nach der Rechtsprechung des BAG werden die Anforderungen an die prozessuale Darlegungslast in ganz erheblichem (und oft erdrückendem) Maße angehoben, wenn der Arbeitgeber vor Kündigungsausspruch kein ordnungsgemäßes bEM-Verfahren durchgeführt hatte; der Arbeitgeber verliert den Kündigungsschutzprozess dann meistens (vgl. Rz. 21.36). Spätestens vor Kündigungsausspruch gebietet es sich deshalb aus Rechtsgründen, das bEM-Verfahren anzubieten. Dabei muss das bEM-Verfahren entsprechend der gesetzlichen Vorgaben angeboten und durchgeführt werden. Jeder rechtlich relevante Fehler führt dazu, dass das angebotene bEM-Verfahren unbeachtlich ist und die Arbeitsgerichte die erhöhte prozessuale Darlegungslast auferlegen4.

21.26 Darüber hinaus können der Betriebsrat und im Falle eines schwerbehinderten Arbeitnehmers auch die Schwerbehindertenvertretung den Arbeitgeber im Wege des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens dazu verpflichten, ein bEM-Verfahren durchzuführen. Dem Arbeitgeber kann gerichtlich die Durchführung von bEM-Verfahren aufgegeben werden, wenn die Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX vorliegen und der Arbeitgeber gleichwohl nicht handelt (vgl. § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX)5.

1 Franke, SPA 2016, 45 (45). 2 Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen psychisch-krankheitsbedingter Pflichtverletzungen scheidet hingegen im Regelfall aus, da diese Pflichtverletzungen nicht „vorwerfbar“ sind, eingehend hierzu AntonDyck/Böhm, ArbRB 2018, 310. 3 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, ArbRB 2015, 198 = juris Rz. 28; BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 19. 4 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (350). 5 Kohte in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 7. Aufl. 2021, § 167 SGB IX Rz. 24; Schmidt, Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis, Rz. 811; Gagel, NZA 2004, 1359 (1361); Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (351).

440

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.30 § 21

Dem Arbeitnehmer steht hingegen kein Individualanspruch auf ein bEM zu, sodass er das bEM-Gespräch nicht einklagen kann1.

21.27

Hinweis: Solange der Arbeitgeber nicht beabsichtigt, in näherer Zeit eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, kann er – rein rechtlich betrachtet – in aller Regel sanktionsfrei von der Durchführung des bEM-Verfahrens absehen. Allerdings ist das bEM-Verfahren zugleich ein sachlich zweckmäßiges Personalführungsinstrument. Der Arbeitgeber sollte lange Krankheitszeiten – insbesondere, wenn diese Krankheitszeiten auf psychischen Erkrankungen beruhen – nicht ignorieren, sondern mit den betroffenen Arbeitnehmern strukturierte Mitarbeitergespräche führen. Hierzu ist das bEM-Verfahren die geeignete Form: Einerseits führt das bEM-Verfahren dem Arbeitnehmer auf angemessene Weise vor Augen, dass hohe Krankheitszeiten eine wirtschaftliche Belastung für das Unternehmen darstellen, die zu einer krankheitsbedingten Kündigung führen können. Gleichzeitig wird dem Arbeitnehmer in vertrauensbildender Art und Weise gezeigt, dass das Unternehmen bereit ist, gemeinsam einen Weg zu suchen, mit dem Arbeit und Krankheit vereinbart werden können. Viele Unternehmen machen mit den bEM-Verfahren deshalb gute Erfahrungen2.

Das Unternehmen kann dem Arbeitnehmer das bEM-Verfahren nur anbieten und seine Durchführung nicht erzwingen: Für den Arbeitnehmer ist die Durchführung des bEM-Verfahrens freiwillig. Im Rahmen des bEM-Verfahrens legt der Arbeitnehmer Gesundheitsdaten i.S.d. Art. 9 Abs. 1 DSGVO offen. Der Arbeitnehmer entscheidet, ob, in welchem Umfang und gegenüber welchen Beteiligten er zur Offenlegung bereit ist3.

21.28

Damit der Arbeitnehmer informiert entscheiden kann, ob er das bEM-Angebot annimmt, muss das 21.29 Unternehmen ihn über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie über Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten unterrichten (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Dies erfolgt üblicherweise in einer schriftlichen bEM-Einladung mit beigefügtem Einwilligungsformular (vgl. das Muster in Rz. 21.44). Nur wenn der Arbeitnehmer ordnungsgemäß aufgeklärt wurde und die Durchführung des bEM-Verfahrens trotzdem ablehnt, hat der Arbeitgeber seine Pflicht nach § 167 Abs. 2 SGV IX erfüllt. Ist die Aufklärung hingegen nicht oder nur unzureichend erfolgt, wird der Arbeitgeber genauso behandelt, als hätte er kein bEM angeboten4. Im Zusammenhang mit der Unterrichtung stimmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich 21.30 ab, welche Personen beim bEM-Verfahren beteiligt werden. Damit das bEM überhaupt durchgeführt werden kann, muss zumindest der Arbeitnehmer selbst und ein Arbeitgebervertreter teilnehmen5. Nach § 167 Abs. 2 Satz 2 SGB IX n.F. hat der Arbeitnehmer (erst seit dem 10.6.20216) das Recht, eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen7. Bei der Vertrauensperson kann es sich auch um eine Person außerhalb des Betriebes8 und nach h.M. auch um einen Rechtsanwalt9 handeln. Darüber hi1 Ausdrücklich nun BAG v. 7.9.2021 – 9 AZR 571/20, Leitsatz; ebenso schon LAG Nürnberg v. 8.10.2020 – 5 Sa 117/20, BB 2021, 381; Ettlinger, BB 2021, 820 (821); a.A. LAG Hamm v. 13.11.2014 – 15 Sa 979/14, ZTR 2015, 287; Gagel, NZA 2004, 1359 (1361). 2 Ähnlich Schmidt, Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis, Rz. 774; Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (351); Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1432). 3 Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1429). 4 BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, juris Rz. 32; BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 23; Bissels/Falter, DB 2018, 1405 (1406). 5 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (352). 6 Neu eingefügt durch Gesetz v. 2.6.2021 (BGBl. I 2021, S. 1387). 7 Schon in der Vergangenheit war es üblich, dass Arbeitgeber freiwillig diese Möglichkeit einräumen, Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (352). 8 Pflüger/Steinhausen in BeckOK Arbeitsschutzrecht, Stand: 15.1.2022, § 167 SGB IX Rz. 49. 9 Schwede, ArbRAktuell 2021, 312 (313); Rolfs in ErfK, § 167 SGB IX Rz. 5.

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§ 21 Rz. 21.30

Psychische Belastungen und Krankheiten

naus sieht das Gesetz vor, dass Mitglieder des Betriebsrates und bei schwerbehinderten Arbeitnehmern die Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen werden müssen1. Ungeschriebene Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Arbeitnehmer sein Einverständnis zu deren Teilnahme erteilt2. Der Arbeitnehmer ist im Rahmen der Unterrichtung darauf hinzuweisen, dass von einer Beteiligung des Betriebsrates abgesehen werden kann, wenn er das wünscht3. Erscheint dies zweckmäßig, können mit Einverständnis des Arbeitnehmers verschiedene weitere Personen teilnehmen. In Betracht kommen insbesondere die Teilnahme des Betriebsarztes und Mitarbeiter der gesetzlichen Rentenversicherung, der Krankenversicherungen und der Integrationsämter.

21.31 Lehnt der Arbeitnehmer nach ordnungsgemäßer Belehrung die Durchführung des bEM-Verfahrens ab, muss der Arbeitgeber erst4 wieder aktiv werden, wenn der Arbeitnehmer abermals in einem Jahr sechs Wochen krank wird und dadurch die Schwellenwerte des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX erneut überschreitet5.

21.32 Stimmt der Arbeitnehmer der Durchführung des bEM zu, ist der Arbeitgeber für eine ordnungsgemäße Durchführung des bEM-Verfahrens verantwortlich. Beim bEM handelt es sich jedoch nicht um ein formalisiertes Verfahren, sondern um einen unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozess, der herausfinden soll, mit welchen Maßnahmen die Krankheitszeiten des Arbeitnehmers künftig vermieden oder zumindest verringert werden können. Üblicherweise lädt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer und ggf. andere Beteiligte zu einem Erstgespräch ein, in dem der weitere Ablauf des bEM-Verfahrens individuell vereinbart wird. Bei der Wahl ihrer Vorgehensweise haben die Beteiligten einen weiten Handlungsspielraum. Das Gesetz schreibt weder bestimmte Mittel vor, die auf jeden – oder auf gar keinen – Fall in Erwägung zu ziehen sind, noch gibt es bestimmte Ergebnisse, die das Eingliederungsmanagement haben muss oder nicht haben darf 6. Der Arbeitgeber selbst ist nicht einmal verpflichtet, bestimmte Vorschläge zu unterbreiten7. Gewährleisten muss er lediglich einen fairen und sachorientierten Gesprächsrahmen, bei dem für jeden Beteiligten die Möglichkeit besteht, alle ihnen jeweils sinnvoll erscheinenden Gesichtspunkte und Lösungsmöglichkeiten in das Gespräch einzubringen. Schöpft der Arbeitnehmer diese Möglichkeiten nicht aus, trägt er selbst die Verantwortung dafür, wenn das bEM-Verfahren zu keinem konstruktiven Ergebnis führt8. In Abwägung mit dem Risiko, dass das bEM-Verfahren ggf. scheitert, kann der Arbeitnehmer selbst entscheiden, welche Gesundheitsdaten er im Rahmen des bEM gegenüber den anderen Beteiligten offenlegt – z.B. kann er die Krankheitsdiagnose auch für sich behalten und nur deren Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis schildern9.

21.33 Unter Beteiligung des Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 und 7 BetrVG)10 kann eine Verfahrensordnung für das bEM-Verfahren aufgestellt werden; eine Pflicht besteht hierzu allerdings nicht11. Zwingend erforderlich ist hingegen, dass der Arbeitgeber Maßnahmen zum Datenschutz ergreift und sicherstellt, dass im Rahmen des bEM-Verfahrens offengelegte Gesundheitsdaten über den Kreis der 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267 = juris Rz. 11. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267 = juris Rz. 11. BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267 = juris Rz. 11. BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 24. BAG v. 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, Leitsatz; LAG Düsseldorf v. 20.10.2016 – 13 Sa 356/16, ArbRB 2017, 173 = juris Rz. 36; LAG Schleswig-Holstein v. 3.6.2015 – 6 Sa 396/14, juris Rz. 113; Schmidt, Sozialversicherungsrecht in der arbeitsrechtlichen Praxis, Rz. 783. BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 18, 19. BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 19. BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 18. Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1429). BAG v. 13.3.2012 – 1 ABR 78/10, DB 2013, 1001 = juris Rz. 12; zu den Grenzen des erzwingbaren Mitbestimmungsrechtes BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ZTR 2016, 596; Wortmann, ArbRB 2018, 304; Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (353). BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 18.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.34 § 21

Beteiligten hinaus nicht nach außen dringen (§ 26 Abs. 1 u. 3 i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG1, eingehend Rz. 21.40 f.). Zum konstruktiven Umgang mit psychischen Erkrankungen kommen folgende Maßnahmen in Betracht, die im Rahmen des bEM diskutiert werden können: – Nach einer längeren psychischen Erkrankung kann eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess erwogen werden (§ 44 SGB XI; § 74 SGB V, sog. „Hamburger Modell“)2. So kann z.B. ein depressiver Mitarbeiter mit stufenweise steigender Arbeitszeit in kleinen Schritten an die Vollzeitarbeit herangeführt werden, um Überforderungsgefühlen und Versagensängsten vorzubeugen3. Für den Arbeitgeber bietet dies den Vorteil, dass i.d.R. ein Rechtsverhältnis eigener Art begründet wird, aus dem der Arbeitnehmer für die Dauer der Wiedereingliederung keine Lohnansprüche erwirbt4. Stattdessen erhält der Arbeitnehmer weiterhin Krankengeld von seiner Krankenkasse (§ 44 SGB V) oder – wenn die stufenweise Wiedereingliederung im Anschluss an eine Rehabilitation angetreten werden soll – Übergangsgeld von der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 71 Abs. 5 SGB IX)5. Um diese Finanzierungsvorteile zu erhalten, muss die stufenweise Wiedereingliederung (je nach Zuständigkeit) bei der Krankenkasse oder bei der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt werden, nachdem Arbeitnehmer, Arbeitgeber und ein beteiligter Arzt einen Stufenplan abgestimmt haben. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können – anders als alle anderen Arbeitnehmer6 – einen gesetzlichen Anspruch auf stufenweise Wiedereingliederung gegen ihren Arbeitgeber erwerben (§ 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX)7. – Ein häufig geeigneter Lösungsansatz ist die leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsumfeldes8. Dabei geht es nicht nur darum, dass der Arbeitgeber die Arbeitsanforderungen anpasst. Auch der Mitarbeiter sollte sich selbst reflektieren und seine eigene Stressbelastung bewusster steuern. Hierzu können Kurse zur Zeit- und Stressbewältigung besucht9 oder zusätzliche Handlungsspielräume eingeräumt werden. Für die Zusammenarbeit können Umgangsregeln abgestimmt werden, welche die Stressbelastung für den betroffenen Arbeitnehmer reduzieren. Es kann sinnvoll sein, den direkten Vorgesetzten zum bEM-Verfahren hinzuzuziehen, um die gemeinsame Arbeitsbeziehung zu besprechen10. – Außerdem sollte geprüft werden, ob es im Unternehmen sog. leidensgerechte Arbeitsplätze gibt, auf denen der Arbeitnehmer eingesetzt werden kann und deren Arbeitsbedingungen sich besser mit seiner psychischen Beeinträchtigung vereinbaren lassen11. Im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer kann auch der Wechsel auf einen geringwertigeren „Schonarbeitsplatz“ mit einer weniger stressbelastenden Tätigkeit vereinbart werden, auch unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer die damit verbundene Gehaltsreduzierung akzeptiert.

1 Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1430). 2 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (352). 3 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt und betriebliche Wiedereingliederung, 2018, S. 25. 4 BAG v. 28.7.1999 – 4 AZR 192/98, MDR 1999, 1510 = juris Rz. 20; BAG v. 29.1.1992 – 5 AZR 37/91, DB 1992, 1478 = juris Rz. 19. 5 Geiger, info also 2012, 195 (197). 6 Moderegger, ArbRB 2019, 314 (316). 7 BAG v. 13.6.2006 – 9 AZR 229/05, Leitsatz, ArbRB 2007, 34. 8 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (352); Ginal/Raif, ArbRAktuell 2012, 472 (474); Windeln, ArbRB 2017, 113. 9 Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt und betriebliche Wiedereingliederung, 2018, S. 26 ff. 10 Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1429). 11 Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (352).

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21.34

§ 21 Rz. 21.35

Psychische Belastungen und Krankheiten

21.35 Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, Maßnahmen umzusetzen, die durch die Beteiligten des bEM-Verfahrens empfohlen werden1. Er kann das bEM-Verfahren wegen eines inhaltlichen Dissens scheitern lassen2. Bieten bestimmte Maßnahmen allerdings realistische Erfolgsaussichten, die Arbeitsunfähigkeitstage des Arbeitnehmers zu reduzieren, kommt eine krankheitsbedingte Kündigung nicht Betracht, bevor diese Maßnahmen nicht erprobt wurden. Bis dahin wäre die krankheitsbedingte Kündigung nicht das mildeste geeignete Mittel zur Lösung der Vertragsstörung und deshalb bei Ausspruch unverhältnismäßig und unwirksam3. Den Arbeitgeber trifft vor diesem Hintergrund eine Umsetzungsobliegenheit.

b) Krankheitsbedingte Kündigung 21.36 Eine krankheitsbedingte Kündigung kann als personenbedingte Kündigung gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer über mehrere Jahre in hohem Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Die krankheitsbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn folgende drei Voraussetzungen vorliegen: 1. Erstens müssen Krankheitszeiten die betrieblichen Interessen so nachhaltig beeinträchtigen, dass dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung unter den derzeitigen Bedingungen auf Dauer nicht zugemutet werden kann. Eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen kann zum einen aus den unerwarteten Krankmeldungen des Arbeitnehmers resultieren, welche die Personalplanung erschweren. Allerdings werden vom Arbeitgeber grundsätzlich organisatorische Vorkehrungen erwartet, mit denen der Betrieb den krankheitsbedingten Ausfall eines einzelnen Arbeitnehmers abfangen kann. Das BAG erkennt zum anderen an, dass auch die Entgeltfortzahlungskosten an einen sich ständig krank meldenden Arbeitnehmer ein Maß erreichen können, ab dem das Arbeitsverhältnis dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden kann. Der typisierte Schwellenwert wird überschritten, wenn der Arbeitgeber länger als sechs Wochen im Jahr Entgeltfortzahlung wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers leisten muss4. Dieses Kriterium steht meist im Vordergrund. Allerdings kann es nicht schematisch angewendet werden. Maßgeblich ist eine wertende Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls, die in der Hand des zur Entscheidung berufenen ArbG liegt5. Liegen die Krankheitszeiten eines Arbeitnehmers deshalb nicht deutlich über diesem Schwellenwert, ist das Risiko hoch, dass eine ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung der gerichtlichen Rechtskontrolle nicht standhält. 2. Zweitens muss aufgrund einer negativen Gesundheitsprognose zu erwarten sein, dass sich die hohen Krankheitszeiten auch in Zukunft dauerhaft fortsetzen. Die negative Gesundheitsprognose, dass ein Arbeitnehmer in den kommenden Jahren durchgängig (deutlich) mehr als sechs Wochen im Jahr krank sein wird, ist i.d.R. gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer bereits in den letzten drei Jahren vor Kündigungsausspruch durchgängig in diesem Umfang erkrankt war. Allerdings ist nicht „starr“ auf die letzten drei Jahre abzustellen. Ausreichend für eine Indizwirkung sind hinreichende prognosefähige Fehlzeitenräume. Dies können zwar die letzten drei Jahre sein, müs-

1 Missverständlich insoweit BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, Orientierungssatz 2, ArbRB 2010, 170. 2 BAG v. 22.3.2016 – 1 ABR 14/14, ArbRB 2016, 267 = juris Rz. 11. Anders ist dies allerdings, wenn die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers (§ 618 BGB, § 164 Abs. 4 SGB IX) bestimmte dringende Maßnahmen nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zwingend gebietet, vgl. BAG v. 16.5.2019 – 8 AZR 530/17, BAGE 166, 379. 3 BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 21; LAG Schleswig-Holstein v. 11.4.2018 – 6 Sa 361/17, Orientierungssatz, juris. 4 BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 292/06, ArbRB 2008, 166 = juris Rz. 16; BAG v. 29.7.1993 – 2 AZR 155/93, Leitsatz, DB 1993, 2439; LAG Köln v. 20.11.2013 – 11 Sa 462/13, juris Rz. 31; keine Rolle spielt hingegen, ob ein erkrankter Arbeitnehmer weiterhin Sondervergütungen erhält, welche die Betriebstreue honorieren und in keiner synallagmatischen Beziehung zur Arbeitsleistung stehen, BAG v. 22.7.2021 – 2 AZR 125/21, Leitsatz, ArbRB 2021, 362. 5 Vgl. dazu LAG Hamm v. 20.8.2015 – 11 Sa 553/15, juris Rz. 48.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 21.36 § 21

sen es aber nicht. Ausreichend kann sowohl ein kürzerer als auch bei einzelnen Fehlzeiten erst ein längerer Zeitraum sein, um eine negative Prognose zu rechtfertigen1. Im gerichtlichen Verfahren kann der Arbeitnehmer die Indizwirkung, welche die Fehlzeiten aus der Vergangenheit begründen, erschüttern. Dazu muss er vortragen, dass sein behandelnder Arzt die Gesundheit positiv beurteile und mit einer baldigen Gesundung rechne. Außerdem muss er seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden, damit der Arbeitgeber diese Behauptung hinterfragen und eine Zeugenvernehmung des Arztes beantragen kann2. Da der Arbeitgeber die Beurteilung des Arztes vor Kündigungsausspruch i.d.R. nicht kennen kann und darf (insbesondere darf er aus datenschutzrechtlichen Gründen Informationen aus dem bEM-Verfahren nicht für die Kündigungsbegründung verwerten3), lässt sich vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nicht rechtssicher prüfen, ob diese einer gerichtlichen Rechtskontrolle standhalten wird. Allerdings ist bei Arbeitnehmern, die jahrelang unter psychischen Erkrankungen gelitten haben, in den meisten Fällen schwer vorstellbar, dass kurzfristig eine vollständige und nachhaltige Gesundung erreicht wird. 3. Drittens muss der Ausspruch der Kündigung verhältnismäßig sein. Dies setzt insbesondere voraus, dass kein milderes, geeignetes Mittel in Betracht kommt, um die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu beseitigen. Die Kündigung wäre unwirksam, könnte die Krankheit z.B. durch Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder durch Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ – Arbeitsplatz überwunden werden4. An dieser Stelle ist es von ausschlaggebender Bedeutung, ob der Arbeitgeber vor Kündigungsausspruch ein bEM-Verfahren durchgeführt hat. Zwar ist das bEM selbst kein milderes Mittel. Hat der Arbeitgeber allerdings ein bEM-Verfahren durchgeführt, das zu keinem positiven Ergebnis gelangt ist oder hat der Arbeitnehmer die Durchführung eines ordnungsgemäß angebotenen (dazu Rz. 21.28 f.)5 bEM-Verfahrens abgelehnt, kann der Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren pauschal vortragen, es gebe keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer6. Im Prozess liegt es dann beim Arbeitnehmer, andere Einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen7. Hat der Arbeitgeber hingegen das bEM-Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt, muss er im Prozess darlegen und beweisen, dass ein solches zu keinem positiven Ergebnis hätte führen können. Dazu muss der Arbeitgeber umfassend und konkret vortragen, warum weder der weitere Einsatz des Arbeitnehmers auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung und Veränderung möglich waren und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können8. Diese Anforderungen an die Darlegungslast gelten in großen Betrieben mit vielen Einsatzmöglichkeiten als erdrückend und na-

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BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, juris Rz. 24. BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, juris Rz. 20. Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, § 7 Rz. 28. BAG v. 13 5.2015 – 2 AZR 565/14, ArbRB 2015, 362 = juris Rz. 23 ff.; BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, ArbRB 2015, 198 = juris Rz. 38 ff. Erfolgte das bEM-Angebot hingegen nicht ordnungsgemäß, weil der Arbeitgeber den Arbeitnehmer z.B. nicht ausreichend über Art, Umfang und Ziele des bEM unterrichtet hatte, ist es unbeachtlich (vgl. Rz. 21.29). BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 20 ff.; BAG v. 10.12.2009 – 2 AZR 198/09, ArbRB 2010, 170 = juris Rz. 14; Schiefer, RdA 2016, 196 (202). Schiefer, RdA 2016, 196 (202); vgl. auch BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13, ArbRB 2015, 198 = juris Rz. 25. BAG v. 30.8.2017 – 7 AZR 204/16, ArbRB 2018, 72 = juris Rz. 52; BAG v. 24.3.2011 – 2 AZR 170/10, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 25.

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§ 21 Rz. 21.36

Psychische Belastungen und Krankheiten

hezu unerfüllbar1. Einem Arbeitgeber, der vor Kündigungsausspruch kein bEM-Verfahren durchgeführt hat, wird es im Prozess deshalb selten gelingen, die Kündigung gerichtsfest zu begründen.

21.37 Hinweis: Ob die krankheitsbedingte Kündigung einer gerichtlichen Kontrolle standhält, hängt von Faktoren ab, die der Arbeitgeber vor Kündigungsausspruch nicht vorhersehen kann. Hierzu gehört insbesondere die Stellungnahme des behandelnden Arztes des Arbeitnehmers. Auch eine gut vorbereitete krankheitsbedingte Kündigung ist deshalb bis zu einem gewissen Grad ein „Schuss ins Blaue“. Typischerweise wollen sich psychisch erkrankte Arbeitnehmer allerdings nicht dem Druck eines Kündigungsschutzverfahrens aussetzen. Häufig gelingt es deshalb, eine einvernehmliche Lösung zu finden (z.B. durch Abfindungsvergleich), die für das Unternehmen akzeptabel ist.

21.38 Psychische Erkrankungen können als Schwerbehinderung (ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50, § 2 Abs. 2 SGB IX) anerkannt werden oder eine Gleichstellung (ab einem GdB von 30, § 2 Abs. 3 SGB IX) rechtfertigen (sog. „seelische“ Beeinträchtigung, § 2 Abs. 1 SGB IX)2. Ausgeprägte depressive Störungen und Angststörungen können z.B. einen GdB von 30 bis 40 begründen und führen auf Antrag zu einer Gleichstellung (Ziff. 3.7 der GdS-Tabelle nach Anlage zu § 2 VersMedV). Leiden Betroffene gar unter Schizophrenie oder affektiven Psychosen, kommt eine Anerkennung als Schwerbehinderung und ein GdB von bis zu 100 in Betracht (Ziff. 3.6 der GdS-Tabelle nach Anlage zu § 2 VersMedV). Wurde durch behördlichen Bescheid festgestellt, dass ein Arbeitnehmer schwerbehindert oder gleichgestellt3 ist, muss vor Kündigungsausspruch eine Zustimmung des Integrationsamtes im sog. Präventionsverfahren eingeholt werden (§§ 168, 151 Abs. 2 SGB IX)4. Andernfalls ist die Kündigung unwirksam und kann Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG wegen Schwerbehindertendiskriminierung auslösen5. Außerdem ist vor Kündigungsausspruch neben dem Betriebsrat auch die Schwerbehindertenvertretung anzuhören (§ 178 Abs. 2 SGB IX)6. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der seine Schwerbehinderung bislang nicht offengelegt hatte, muss der Arbeitnehmer diese Schwerbehinderung innerhalb von drei Wochen nach Kündigungsausspruch offenlegen. Andernfalls verwirkt er sein Recht, sich auf die Schwerbehinderung zu berufen7.

III. Best Practice 21.39 Nach § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG ist der Arbeitgeber zwar verpflichtet, psychischen Belastungen am Arbeitsplatz durch Gefährdungsbeurteilungen und strukturelle Arbeitsschutzvorkehrungen vorzu1 Schiefer, RdA 2016, 196 (202); Bissels/Falter, DB 2018, 1405 (1410); Sasse/Schönfeld sprechen von einem „faktisch zwingenden Charakter“ des bEM, Sasse/Schönfeld, RdA 2016, 346 (347). 2 Jabben in BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.9.2020, § 2 SGB IX Rz. 4; Joussen in Dau/Düwell/Joussen/Luik, Sozialgesetzbuch IX, 6. Aufl. 2022, § 2 SGB IX Rz. 8. 3 Der Sonderkündigungsschutz findet nach § 173 Abs. 3 SGB IX nur Anwendung, wenn die Schwerbehinderung oder die Gleichstellung nachgewiesen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs durch Bescheid erfolgt sind oder der Bescheid zumindest drei Wochen vor Kündigungsausspruch beantragt war und später rückwirkend ergeht, BAG v. 29.11.2007 – 2 AZR 613/06, Orientierungssatz 2, ZTR 2008, 334; Rolfs in ErfK, § 168 SGB IX Rz. 4; Gutzeit in BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.6.2021, § 168 SGB IX Rz. 14. Die Feststellung durch Bescheid ist nicht erforderlich, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist, BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, ArbRB 2008, 265 = juris Rz. 15 ff.; Thies in HWK, § 168 SGB IX Rz. 13; Rolfs in ErfK, § 168 SGB IX Rz. 4; Gutzeit in BeckOK Sozialrecht, Stand: 1.6.2021, § 168 SGB IX Rz. 15. Psychische Erkrankungen sind allerdings selten offenkundig. 4 Zum Präventionsverfahren Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1431), vgl. für eine Übersicht zu weiteren Sonderregeln, die auf schwerbehinderte Arbeitnehmer Anwendung finden, Moderegger, ArbRB 2019, 314. 5 LAG Baden-Württemberg v. 17.5.2021 – 10 Sa 49/20, ArbRAktuell 2021, 559. 6 Dazu Grimm/Freh, ArbRB 2017, 16 (16 ff.). 7 BAG v. 22.9.2016 – 2 AZR 700/15, Orientierungssatz 1, ArbRB 2017, 74.

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III. Best Practice

Rz. 21.41 § 21

beugen. Die drohenden rechtlichen Sanktionen sind im Falle eines Verstoßes allerdings schwach (vgl. Rz. 21.11 f.). Ergreift der Arbeitgeber Maßnahmen, um psychischen Belastungen am Arbeitsplatz vorzubeugen, muss er deshalb nicht die „formalistische“ Einhaltung gesetzlicher Vorgaben in den Vordergrund stellen, sondern kann sich darauf fokussieren, einen betriebswirtschaftlichen „Mehrwert“ zu schaffen. Welches Vorgehen dann sinnvoll ist, hängt von der Art und Größe des Betriebes und den selbst gesetzten betriebswirtschaftlichen Zielen ab (vgl. Rz. 21.22). Typischerweise werden Gefährdungsbeurteilungen auf Initiative des Betriebsrates durchgeführt (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, vgl. Rz. 21.11). In diesem Fall kann der Arbeitgeber das Vorgehen nicht einseitig bestimmen, sondern muss ein Einvernehmen erreichen, mit dem er den Wünschen und Vorstellungen des Betriebsrates gerecht wird. Es gibt deshalb keine einheitliche Best Practice für den arbeitsschutzrechtlichen Umgang mit psychischen Belastungen. Das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) ist rechtlich vorgeschrieben 21.40 (§ 167 Abs. 2 SGB IX) und zugleich ein sachlich sinnvolles Personalführungsinstrument im Umgang mit Mitarbeitern, die einen hohen Krankenstand aufweisen (vgl. Rz. 21.27). Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Krankenstand von psychischen Leiden oder anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen herrührt. Es empfiehlt sich deshalb für die meisten Unternehmen, die bEM-Verfahren nach einem definierten Prozess konsequent durchzuführen, sobald eine rechtliche Pflicht hierzu besteht. An den festzulegenden Prozess stellen sich folgende Mindestanforderungen: – Das bEM-Verfahren ist durchzuführen, wenn ein Mitarbeiter in einem Jahr länger als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Das Unternehmen sollte deshalb systematisch prüfen, ob Krankheitszeiten einzelner Mitarbeiter diesen Schwellenwert überschreiten. Dies erfolgt idealerweise automatisch durch die Personalverwaltungssoftware. Es empfiehlt sich, auf den gesetzlichen Schwellenwert abzustellen, da auf diese Weise Gleichbehandlung gewährleistet ist und ein objektives und vertrauensbildendes Kriterium gegenüber den Arbeitnehmern und dem Betriebsrat kommuniziert werden kann1. – Überschreiten die Krankheitszeiten eines Mitarbeiters den Schwellenwert, ist dem Betroffenen die Durchführung des bEM-Verfahrens anzubieten, üblicherweise durch Einladung zu einem Erstgespräch. In diesem Zusammenhang ist der Betroffene schriftlich und ordnungsgemäß über die Ziele des bEM sowie über Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten zu unterrichten (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Um zu gewährleisten, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden, sollte der Arbeitgeber ein vorformuliertes Standardformular für die bEM-Einladung verwenden (vgl. für ein mögliches Muster Rz. 21.44). – Außerdem muss der Arbeitgeber das bEM-Team zusammenstellen, welches am bEM-Verfahren teilnimmt. Neben dem Betroffenen nehmen mindestens ein Arbeitgebervertreter und – mit Einverständnis des Betroffenen – ein Betriebsratsmitglied teil. Üblicherweise tritt ein Mitglied der Betriebsleitung als Arbeitgebervertreter auf, welches über die Befugnis verfügt, die im bEM beschlossenen Maßnahmen selbst umzusetzen. Größere Unternehmen bestimmen zum Teil feste bEM-Beauftragte und lassen sie gezielt schulen. Wenn der betroffene Arbeitnehmer dies wünscht, kann er eine Vertrauensperson seiner Wahl mitnehmen. Die Hinzuziehung weiterer Beteiligter ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und hängt von den Wünschen und dem Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers ab (vgl. Rz. 21.30). Aus datenschutzrechtlichen Gründen sollten alle Mitglieder des

1 Balikcioglu empfiehlt dagegen, das bEM-Verfahren schon früher einzuleiten, nämlich z.B. dann, wenn bei einem Mitarbeiter psychische Symptome wie „erhöhte Gereiztheit“ auffallen, und Mitarbeiter zu schulen, „entsprechende Zeichen zu erkennen“, Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1430). Ein Arbeitgeber, der so vorgeht, läuft allerdings Gefahr, von Mitarbeitern als übergriffig empfunden zu werden, und agiert in einem datenschutzrechtlichen Grenzbereich, da er intime Gesundheitsdaten möglicherweise gegen den Willen des Betroffenen erhebt. Nach § 26 Abs. 7 BDSG ist dies rechtfertigungsbedürftig, selbst wenn die erhobenen Daten nirgendwo schriftlich dokumentiert werden.

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21.41

§ 21 Rz. 21.41

Psychische Belastungen und Krankheiten

bEM-Teams (außer dem Betroffenen und der von ihm selbst gewählten Vertrauensperson) eine Geheimhaltungserklärung unterzeichnen (vgl. für ein mögliches Muster Rz. 21.48). – Wie das bEm-Verfahren im Einzelnen durchgeführt wird, legt das bEM-Team individuell im Erstgespräch fest. Durch Betriebsvereinbarung kann eine feste Verfahrensordnung festgelegt werden (vgl. Rz. 21.33). Allerdings ist das bEM-Verfahren einem starren Regelwerk nur begrenzt zugänglich, sondern gesetzlich als offener Prozess konzipiert, der dem Einzelfall Rechnung tragen muss (vgl. Rz. 21.32). Verfahrensordnungen und Ablaufvorgaben sind deshalb entbehrlich und für viele Fragen gar nicht möglich. – Aufstellen und durchsetzen muss der Arbeitgeber allerdings Regeln zum Datenschutz: Bei Einleitung des Verfahrens muss eine von der Personalakte getrennte bEM-Akte angelegt werden, in der die geheimhaltungsbedürftigen bEM-Unterlagen (Atteste zur Krankheitsdiagnose, Gesprächsprotokolle) verwahrt werden1. Zur Personalakte werden nur diejenigen Unterlagen genommen, aus denen sich die unmittelbaren Konsequenzen des bEM-Verfahrens für das Arbeitsverhältnis ergeben. Hierzu gehören Schriftstücke, aus denen sich ergibt, dass das bEM ordnungsgemäß eingeleitet wurde (z.B. das bEM-Einladungsschreiben mit Einwilligung), ein Verweis, dass parallel eine bEM-Akte geführt wird, Festlegungen, welche im Arbeitsverhältnis zu beachtenden Maßnahmen im Rahmen des bEM beschlossen wurden, sowie der Vermerk zum Ergebnis, mit dem das bEM abgeschlossen wurde2. Durch den Arbeitgeber muss festgelegt werden, wo die bEM-Akte abgelegt wird, so dass Unbefugte keinen Zugriff erhalten. Dafür müssen besondere Schutzvorkehrungen festgelegt werden, da die bEM-Akte Gesundheitsdaten enthält (§ 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. § 22 Abs. 2 Nr. 5 BDSG)3. Außerdem muss eine Frist festgelegt werden, nach deren Ablauf die bEM-Akte vernichtet wird (Art. 17 DSGVO)4.

21.42 Das bEM-Einladungsschreiben muss einer Reihe von gesetzlichen Anforderungen gerecht werden. Dies gelingt nur, wenn Unternehmen sorgfältig konzipierte und vorformulierte Standardformulare einsetzen. Zum einen müssen die Belehrungspflichten nach § 167 Abs. 2 SGB IX erfüllt, d.h. über die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie über Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen werden. Weist das Einladungsschreiben insoweit Mängel auf, ist die bEM-Einladung rechtlich unbeachtlich. Zum anderen ergeben sich aus Art. 13, 14 DSGVO zusätzliche datenschutzrechtliche Belehrungspflichten. Missachtet das Unternehmen diese Pflichten, verstößt es gegen geltendes Datenschutzrecht und setzt sich der Sanktionsandrohung der DSGVO aus.

21.43 Häufig sendet das Unternehmen dem erkrankten Arbeitnehmer das Einladungsschreiben per Post nach Hause und setzt ihm eine Frist, in der er erklären soll, ob er am bEM-Verfahren teilnimmt oder nicht. Dabei sollte das Unternehmen beweissicher dokumentieren, dass der Arbeitnehmer das Einladungsschreiben erhalten hat, z.B. durch eine Versendung per Einschreiben mit Rückschein5. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Unternehmen den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündi-

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Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, 2. Aufl. 2021, § 21 Rz. 236; Ettlinger, BB 2021, 820 (823). Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, 2. Aufl. 2021, § 21 Rz. 240. Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, 2. Aufl. 2021, § 21 Rz. 236. Nach h.M. darf die Aufbewahrungsfrist für die bEM-Akte bis zu drei Jahre betragen, Faas/Henseler, BB 2018, 2292 (2296); Däubler, Gläserne Belegschaften?, 9. Aufl. 2021, Rz. 399g; Kraushaar, NZA 2005, 913 (915); ähnlich Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, § 21 Rz. 243; Anton-Dyck/Böhm, ArbRB 2020, 281 (282). Richtigerweise ist allerdings eine Frist von bis zu fünf Jahren angemessen, Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 144 (145). Anton-Dyck/Böhm halten sogar eine Aufbewahrung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses für gerechtfertigt, vgl. Anton-Dyck/Böhm, ArbRB 2020, 280 (283). Die besseren Gründe sprechen dafür, dass der Arbeitgeber die Frist einheitlich und generalisiert festlegen darf. Andernfalls könnte aus der Länge der außerhalb der bEM-Akte notierten Löschfrist ein Rückschluss auf Genesungserwartung gezogen werden. 5 Bissels/Falter, DB 2018, 1405 (1408).

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III. Best Practice

Rz. 21.44 § 21

gung beabsichtigt, sollte der Arbeitnehmer die Antwortfrist verstreichen lassen. Denn das Unternehmen muss damit rechnen, dass der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess – auch wahrheitswidrig – bestreitet, das bEM-Einladungsschreiben erhalten zu haben. Kann das Unternehmen den Zugang des Einladungsschreibens im Kündigungsschutzprozess nicht beweisen, führt dieser Umstand im Regelfall zum Prozessverlust.

21.44

Das bEM-Einladungsschreiben kann wie folgt lauten:

M 21.1 Einladungsschreiben betriebliches Eingliederungsmanagement Prävention bei längerer Arbeitsunfähigkeit gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX – betriebliches Eingliederungsmanagement Einladung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements Sehr geehrte (r) …, innerhalb der letzten zwölf Monate waren Sie nach unseren Berechnungen insgesamt … Tage1 arbeitsunfähig erkrankt. Das bedauern wir sehr. Wir möchten als Ihr Arbeitgeber gemeinsam mit Ihnen nach Lösungen zu suchen, um Ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen möglichst zu überwinden und herauszufinden, mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und Ihr Arbeitsplatz erhalten werden kann. Aufgrund Ihrer Erkrankungen gehören Sie zu dem Personenkreis, für den nach § 167 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) vorgesehen ist. Der Gesetzgeber hat dieses bEM als eine besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zum Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz festgelegt. Zur Durchführung des bEM bieten wir Ihnen hiermit einen Termin für ein gemeinsames Erstgespräch an. Das Gespräch soll stattfinden am … Wenn Sie mit der Durchführung des bEM-Verfahrens einverstanden sind, der angebotene Termin für Sie aber zeitlich nicht in Betracht kommt, bitten wir Sie, unverzüglich mit uns in Kontakt zu treten, um einen Ersatztermin abzustimmen. Im Folgenden möchten wir Sie gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweisen. 1. Ziele des bEM Ziel des bEM ist es, unter Einbeziehung aller infrage kommenden Beteiligten die Möglichkeiten zu klären, wie Ihre Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und Ihr Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Die gesetzliche Regelung über das bEM räumt Ihnen einen Anspruch ein, dies gemeinsam mit uns als Ihrem Arbeitgeber zu erörtern. Mit dem bEM soll insbesondere festgestellt werden, auf Grund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist, und es soll herausgefunden werden, ob und ggf. welche Möglichkeiten bestehen, um diese Ausfallzeiten zu verringern und so eine Kündigung zu vermeiden. Es geht mithin um die Grundlagen Ihrer Weiterbeschäftigung. Für Erkrankungen gibt es viele Ursachen, aber auch vielfältige Hilfen und Unterstützung mit dem Ziel einer erfolgreichen und dauerhaften Rückkehr in den Arbeitsprozess. Das bEM ist ergebnisoffen. Sie können also

1 Es empfiehlt sich, die Zahl der Krankheitstage jeweils in das Formular einzuarbeiten und als Kerninformation voranzustellen, damit von Anfang an vor Augen geführt wird, worin das Problem besteht. Der Arbeitnehmer soll sehen, dass das Unternehmen seinen hohen Krankenstand zur Kenntnis nimmt und eine Lösung erwartet.

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§ 21 Rz. 21.44

Psychische Belastungen und Krankheiten

jederzeit gerne in das Verfahren auch Ihre eigenen Vorschläge einbringen. Auch ist die Durchführung des bEM für Sie freiwillig und von Ihrer vorherigen Zustimmung (Einwilligung) abhängig. Wir weisen Sie darauf hin, dass Sie nicht verpflichtet sind, das Angebot des bEM anzunehmen. Sie können das Gesprächsangebot auch ohne Angabe von Gründen ablehnen sowie Ihre Zustimmung auch im Nachhinein jederzeit widerrufen und das Verfahren somit abbrechen; in diesem Fall wird das bEM nicht durchgeführt bzw. nicht fortgesetzt. 2. Art und Umfang der erhobenen und verwendeten Daten Zum Zweck der Durchführung des bEM werden die Angaben, die im Rahmen des bEM erhoben und verwendet werden, den am Prozess Beteiligten bekannt gemacht. Es werden allerdings nur solche Daten erhoben und verwendet, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Genesung und Gesundhaltung dienendes bEM durchführen zu können. Die in diesem Verfahren erhobenen Informationen werden selbstverständlich vertraulich behandelt und nicht für andere Zwecke verwendet. Ärztliche Angaben zu Krankheitsdiagnosen werden nicht in die Personalakte übernommen. Auch weitere Schriftstücke, die aus Anlass des bEM erstellt oder eingereicht werden, werden in einer gesonderten, von der Personalakte getrennten, speziellen bEM-Akte aufbewahrt. Die bEM-Akte wird vor dem Zugriff Unbefugter geschützt. Wir weisen Sie darüber hinaus darauf hin, dass Sie im gesamten Verfahren nicht verpflichtet sind, die Diagnose(n) Ihrer Erkrankung(en) mitzuteilen. Wenn das bEM-Verfahren abgeschlossen ist und weitere drei Jahre verstrichen sind, werden wir die bEM-Akte vernichten1. In die Personalakte werden im Rahmen des bEM ausschließlich folgende Daten/Unterlagen übernommen: – Durchschriften von Einladungsschreiben zum bEM und eventuell Vermerk über telefonischen oder persönlichen Erstkontakt – Zustimmung/Ablehnung bzw. sonstige Reaktion des/der Betroffenen – Ein Verweis auf die getrennt geführte bEM-Akte – Übersichten zu im Rahmen des bEM beschlossenen Maßnahmen, die im Arbeitsverhältnis umgesetzt werden sollen – Abschlussvermerk Mit der Durchführung des bEM dürfen nur Personen betraut werden, die zuvor schriftlich zur Vertraulichkeit verpflichtet wurden. Im bEM-Gespräch, bei der darauffolgenden Planung und Durchführung von Eingliederungsmaßnahmen im Rahmen eines individuellen Maßnahmenplans sowie bei der anschließenden Durchführung des Maßnahmenplans werden mit Ihrer Einwilligung vom Arbeitgeber die nachfolgend genannten personenbezogenen Daten erhoben und verwendet: – Personal- und Sozialdaten, insbesondere: Name, Geburtsdatum, Beschäftigungsdauer, Schwerbehinderung/Gleichstellung, Familienstand etc., – Daten zu Fehlzeiten, insbesondere: Anzahl und Verteilung der Arbeitsunfähigkeitstage in den letzten zwölf Monaten und in vorangegangenen Zeiträumen, Arbeitsunfälle etc., – Gesundheitsdaten, insbesondere: bestehende Leistungspotenziale, gesundheits- oder schwerbehinderungsbedingte Leistungseinschränkungen, Gesundheitsstand, Kuren, Heilbehandlungen, Diagnosen, Krankheitsursachen, ärztliche Atteste etc., – Tätigkeitsdaten: insbesondere ausgeübte Tätigkeit, Arbeitsplatz- und Tätigkeitsanalysen, Gefährdungsbeurteilungen, Arbeitsschutzdatenberufliche Qualifizierung etc., – Ablaufdaten: insbesondere Verläufe und Ergebnisse von bEM-Verfahren, von Arbeitsversuchen und von Maßnahmen zur stufenweise Wiedereingliederung sowie sonstiger arbeitsplatzbezogener Maßnahmen, innerbetriebliche Umsetzung, Anpassungen des Arbeitsplatzes oder der Arbeitsbedingungen etc.

1 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. a DSGVO ist über die Löschfrist zu informieren, welche das Unternehmen festgelegt hat.

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III. Best Practice

Rz. 21.44 § 21

Die Daten werden vertraulich und unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen behandelt und nur für die nachstehenden Zwecke erhoben und verwendet1: – Zur Beratung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann. – Zur Feststellung, welche arbeitsbezogenen Maßnahmen ergriffen werden können, zur Zusammenfassung dieser Maßnahmen in einem Maßnahmenplan und zur Durchführung dieses Maßnahmenplans. – Zur Feststellung, inwieweit der Maßnahmenplan durchgeführt wurde und inwieweit das bEM erfolgreich war. Die Datenerhebungen im Rahmen des bEM-Verfahren erfolgen nur, soweit Sie hierzu zuvor Ihre datenschutzrechtliche Einwilligung erklären. Daten, die im Rahmen des bEM erhoben und verwendet werden, dürfen auch nur nach Ihrer vorherigen Einwilligung an Dritte (z.B. Rehabilitationsträger) weitergegeben werden. Zur Abgabe der Einwilligung haben wir im Antwortformular eine Formulierungshilfe vorformuliert. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 9 Abs. 2 lit. a DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 2 BDSG ist Ihre Einwilligung Rechtsgrundlage der Datenverarbeitungsvorgänge im Rahmen des bEM-Verfahrens2. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Bitte beachten Sie, dass im Falle der generellen Verweigerung der Einwilligung oder Ihres generellen Widerrufs das bEM nicht durchgeführt bzw. nicht fortgesetzt werden kann. Sie können alle Ihre Person betreffenden Dokumente und Daten einsehen. Bei Gesundheitsdaten handelt es sich nach Art. 9 DSGVO um eine besonders geschützte Datenkategorie. Die Erhebung von Gesundheitsdaten erfolgt grundsätzlich bei Ihnen persönlich und unter Ihrer freiwilligen Mitwirkung. Nur wenn Sie Ärzte, z.B. den Betriebsarzt, gesondert von der Schweigepflicht entbinden, können Gesundheitsdaten bei diesen direkt erhoben werden. Die meisten anderen erforderlichen Daten sind uns i.d.R. bereits aus anderen Zusammenhängen bekannt. Wenn Sie der Durchführung des bEM zustimmen, werden diese Daten im Rahmen des Erforderlichen auch zur Durchführung des bEM herangezogen und verwendet3. Soweit die uns bekannten Daten unvollständig oder unrichtig sind, bitten wir Sie, die erforderlichen ergänzenden Angaben zu machen. Eine Datenerhebung gegen oder ohne Ihren Willen findet nicht statt. Um klären zu können, welche Maßnahmen mit Rücksicht auf Ihre gesundheitliche Verfassung zweckmäßig erscheinen, ist es allerdings i.d.R. erforderlich, dass die am bEM-Verfahren Beteiligten bestimmte Daten, insbesondere Gesundheitsdaten, kennen. Können wesentliche Daten nicht erhoben werden, gefährdet dies den Erfolg des bEM-Verfahrens4. 3. Verantwortlicher und datenschutzrechtliche Ansprüche Verantwortlich gemäß Art. 4 Nr. 7 DSGVO für alle Datenverarbeitungsvorgänge im Zuge des bEM ist Ihr Arbeitgeber, die …5 Für alle datenschutzbezogenen Anliegen können Sie sich an den Datenschutzbeauftragten Ihres Arbeitgebers wenden. Der zuständige Datenschutzbeauftragte ist …, Datenschutzbeauftragte/r, …6. 1 Über die Zwecke der Datenverarbeitung ist nach Art. 13 Abs. 1 lit. c DSGVO zu informieren. 2 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO muss über die Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung informiert werden. 3 Nach Art. 14 Abs. 2 lit. f DSGVO ist über Quellen zu informieren, aus denen erhobene Daten stammen. 4 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. e DSGVO ist darüber zu belehren, ob der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche mögliche Folgen es für ihn haben könnte, wenn er die Bereitstellung der personenbezogenen Daten verweigert. 5 Wegen Art. Art. 13 Abs. 1 lit. a, Art. 14 Abs. 1 lit. a DSGVO müssen die Kontaktdaten des datenschutzrechtlich Verantwortlichen genannt werden. 6 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. b, Art. 14 Abs. 1 lit. b DSGVO müssen der Datenschutzbeauftragte und dessen Kontaktdaten genannt werden.

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§ 21 Rz. 21.44

Psychische Belastungen und Krankheiten

Soweit Daten verwendet werden, die sich auf Sie als natürliche Person beziehen, stehen Ihnen gegenüber dem Verantwortlichen verschiedene datenschutzrechtliche Ansprüche zu. Sie haben nach Maßgabe von § 34 BDSG, Art. 15 DSGVO das Recht auf Auskunft über die zu Ihrer Person gespeicherten Daten und deren Herkunft, die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung. Darüber hinaus haben Sie gegebenenfalls nach Maßgabe von § 35 BDSG, Art. 15–18 DSGVO ggf. Anspruch auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung Ihrer personenbezogenen Daten. Gemäß § 36 BDSG, Art. 21 DSGVO können Sie der Verarbeitung der Sie betreffenden personenbezogenen Daten jederzeit widersprechen. Außerdem haben Sie gemäß Art. 20 DSGVO das Recht, Daten, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben, in einem strukturierten, gängigen und maschinell lesbaren Format zu erhalten bzw. – soweit technisch machbar – zu verlangen, dass die Daten einem Dritten übermittelt werden1. 4. Bitte um Einwilligung Wir bitten Sie, mitzuteilen, ob Sie mit der Durchführung des bEM einverstanden sind. An dem Gespräch wird als Vertreter unseres Unternehmens […] teilnehmen2. Bitte teilen Sie bis dahin auch mit, ob Sie mit der Teilnahme eines Vertreters des Betriebsrates und – sollten Sie schwerbehindert oder einem Schwerbehinderten gleichgestellt sein – mit der Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung einverstanden sind. Sie können außerdem gerne eine Person Ihres Vertrauens hinzuziehen und haben das Recht hierzu. Ob darüber hinaus die Hinzuziehung interner oder externer Fachkräfte, z.B. des Betriebsarztes, einer Fachkraft für Arbeitssicherheit oder eines Mitarbeiters des Integrationsamtes erforderlich ist, sollten wir gemeinsam klären. 5. Bitte um ergänzende Informationen Bitte lassen Sie uns auch wissen, ob nach Ihrer Ansicht Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben gemäß § 167 Abs. 2 Satz 4, § 49 Abs. 1 SGB IX in Betracht kommen. In diesem Fall würden wir – Ihre Einwilligung vorausgesetzt – das Integrationsamt zu den Terminen hinzuziehen. Gemäß § 49 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. 6. Antwortformular Wir bitten Sie darum, für Ihre Antwort das beigefügte Formular „Antwortformular und Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten“ zu verwenden3. Wenn Sie das bEM durchführen wollen, ist im Antwortformular hierzu eine datenschutzrechtliche Einwilligung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7, Art. 9 Abs. 2 lit. a DSGVO i.V.m. § 26 Abs. 2 BDSG vorformuliert. Bitte kreuzen Sie dann die jeweils zutreffenden Felder an und schicken Sie es uns unterschrieben zurück. Hierfür bedanken wir uns im Voraus. Sollten wir bis zum …4 keine Antwort von Ihnen erhalten, gehen wir davon aus, dass Sie der Durchführung des bEM nicht zustimmen. In diesem Fall müssen wir Ihnen das bEM nicht erneut anbieten, sondern können von der Durchführung absehen.

1 Wegen Art. 13 Abs. 2 lit. b u. d, Art. 14 Abs. 2 lit. c u. e DSGVO muss eine datenschutzrechtliche Rechtsbelehrung erteilt werden. 2 Aus Gründen der Transparenz empfiehlt es sich, die auf Arbeitgeberseite mitwirkenden Teilnehmer des bEM-Verfahren von Anfang an zu benennen. Welche Teilnehmer durch den Betriebsrat entsandt werden, kann der Arbeitgeber dagegen nur begrenzt beeinflussen. 3 Das Belehrungsschreiben und der Rückantwortbogen, mit dem die datenschutzrechtliche Einwilligung erteilt wird, sollten aufeinander abgestimmt und bezogen sein. 4 Für die Rückantwort sollte eine Frist gesetzt und über die Folgen des Fristversäumnisses belehrt werden. Andernfalls stünde nicht fest, was passiert, wenn der Arbeitnehmer auf das Einladungsschreiben nicht reagiert, vgl. zu dieser Situation auch Bissels/Falter, DB 2018, 1405 (1408).

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III. Best Practice

Rz. 21.46 § 21

Die Ihnen mit der Rücksendung des Antwortformulars entstandenen Kosten erstatten wir Ihnen unter Vorlage entsprechender Nachweise gerne. Noch einmal möchten wir betonen, dass es das Ziel des bEM ist, zu Ihrer Gesundung beizutragen und somit für die Zukunft Fehlzeiten zu verhindern und daher gemeinsame Maßnahmen zu erarbeiten, dieses Ziel zu erreichen. Sollten Sie das Gesprächsangebot nicht annehmen, entstehen Ihnen zwar zunächst keine unmittelbaren beruflichen Nachteile. Wir müssen Sie allerdings darauf hinweisen, dass Sie es uns im Falle einer Ablehnung des bEM erheblich erschweren, Ihre Arbeitsbedingungen an Ihre gesundheitlichen Bedürfnisse und Einschränkungen anzupassen. Sollte für uns angesichts Ihrer Erkrankungen dauerhaft keine Möglichkeit ersichtlich werden, Sie auf wirtschaftlich sinnvolle Art in unserem Unternehmen einzusetzen, kann eine krankheitsbedingte Kündigung gerechtfertigt und auch geboten sein1. Sollten Sie schwerbehindert oder einem Schwerbehinderten gleichgestellt sein, leiten wir einen Ausdruck dieses Anschreibens der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX zu. Wenn Sie uns bislang eine etwaige Schwerbehinderung oder Gleichstellung noch nicht angezeigt haben, bitten wir Sie, dies nun aus diesem Anlass zu tun. Mit freundlichen Grüßen … beigefügte Anlage: 1) Antwortformular

Üblich und zweckmäßig ist es, der bEM-Einladung ein Antwortformular beizufügen, in dem eine datenschutzrechtliche Einwilligung gem. Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7, 9 Abs. 2 lit. a DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG vorformuliert ist. Indem der Arbeitnehmer dieses Formular ausfüllt und zurücksendet, kann er seine Einwilligung in die Durchführung des bEM-Verfahren insgesamt sowie in die Teilnahme bestimmter Personen erteilen, aber auch verweigern.

21.45

M 21.2 Antwortformular zur Einladung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement

21.46

Antwortformular und Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten Persönlich/Vertraulich … Antwortformular und Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten Prävention bei längerer Arbeitsunfähigkeit gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX – betriebliches Eingliederungsmanagement Ihr Name, Vorname (bitte in Druckbuchstaben): … Ihre Adresse: … Beschäftigt im Unternehmen (bitte auch Standort angeben): … Vorgesetzte/r: … Betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX Ich wurde über die Ziele und das Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements umfassend informiert. Ich nehme Ihr Gesprächsangebot zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements im Sinne von § 167 Abs. 2 SGB IX

1 Diese Belehrung ist nach Art. 13 Abs. 2 lit. e DSGVO vorgeschrieben.

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§ 21 Rz. 21.46

Psychische Belastungen und Krankheiten

l an. l nicht an. Durch behördlichen Bescheid ist anerkannt, dass l ich schwerbehindert bin. l ich einem Schwerbehinderten gleichgestellt bin. l Die Anerkennung der Schwerbehinderung/Gleichstellung ist derzeit behördlich beantragt, das Antragsverfahren ist aber noch nicht abgeschlossen. l Nichts davon trifft auch mich zu. Ich bin weder schwerbehindert noch gleichgestellt. l Ich möchte keine Angaben zu einer etwaigen Schwerbehinderung/Gleichstellung machen1. Leistungen zur Teilhabe im Arbeitsleben kommen bei mir l in Betracht l nicht in Betracht. Zusätzliche freiwillige Angaben: … … … An dem Gespräch sollen neben den im Informations- und Einladungsschreiben benannten Personen2 folgende Personen teilnehmen: l Vertreter des Betriebs-/Personalrats l der Werks- oder Betriebsarzt, l Vertreter der Schwerbehindertenvertretung (bitte nicht ankreuzen, wenn Sie weder schwerbehindert noch einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind) l Gleichstellungsbeauftragte, l interne Fachkräfte wie z.B. Sicherheitsbeauftragte, l externe Fachkräfte wie z.B. aus dem Integrationsamt oder einer Servicestelle. Darüber hinaus wünsche ich als persönliche Vertrauensperson die Teilnahme von: l … Mir ist bekannt, dass ich die vorstehenden Erklärungen jederzeit widerrufen kann. Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten Ich habe das beigefügte Informations- und Einladungsschreiben „Prävention bei längerer Arbeitsunfähigkeit gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX – betriebliches Eingliederungsmanagement“ sorgfältig gelesen. Ich habe

1 Es ist sinnvoll, anlässlich des bEM-Verfahrens vorsorglich noch einmal abzufragen, ob der Betroffene schwerbehindert oder gleichgestellt ist. Zum einen kommt dann die Beteiligung eines Mitgliedes der Schwerbehindertenvertretung am bEM-Verfahren in Betracht. Zum anderen kann sich der Arbeitgeber darauf einstellen, unter welchen formellen Voraussetzungen ggf. eine krankheitsbedingte Kündigung möglich wäre (dazu Rz. 21.38). 2 Die Arbeitgebervertreter sollten bereits im Einladungsschreiben benannt werden und dem Arbeitnehmer nicht zur Disposition stehen. Nur wenn der Arbeitnehmer von sich begründete Einwände gegen einzelne Personen vorbringt, sollte erwogen werden, bestimmte Personen auszuwechseln. In jedem Fall müssen aber Arbeitgebervertreter am bEM-Verfahren teilnehmen, da nur der Arbeitgeber die Befugnis hat, über die Umsetzung der im bEM-Verfahren erörterten Maßnahmen zu entscheiden.

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III. Best Practice

Rz. 21.48 § 21

zur Kenntnis genommen, dass zur Durchführung des bEM beabsichtigt ist, meine personenbezogenen Daten, insbesondere Gesundheitsdaten, in der dort dargestellten Art und Weise zu den dort benannten Zwecken zu verarbeiten. Hierbei können die im vorgenannten Einladungsschreiben benannten sowie die von mir in diesem Formular gewünschten Personen auch Einzelheiten über meine Krankheitsdiagnose erfahren. Ich habe verstanden, dass die Erhebung und Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten zu Zwecken des bEM nur mit meiner Einwilligung erfolgen wird. Ich weiß allerdings, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur erfolgsversprechenden Durchführung des bEM erforderlich ist, und, dass das bEM auch meinen eigenen Interessen, insbesondere dem Erhalt meines Arbeitsverhältnisses, dient. Eine einmal erteilte Einwilligung1 kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen und ein begonnenes Verfahren somit abbrechen. In diesem Wissen erkläre ich, dass ich gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. a, Art. 7, 9 Abs. 2 lit. a DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG in die dargestellte Verarbeitung meiner personenbezogenen Daten l freiwillig einwillige. l nicht einwillige. l nur teilweise freiwillig einwillige, nämlich unter folgenden Einschränkungen: … … … Mit freundlichen Grüßen … Ort, Datum

… Unterschrift

Es sollten nur solche Personen am bEM-Verfahren teilnehmen, die zuvor eine schriftliche Vertraulichkeitserklärung unterzeichnet haben. Anders als dies in § 5 BDSG a.F. noch vorgesehen war, gibt es unter der aktuellen Rechtslage zwar keine ausdrückliche Pflicht mehr, mit der Datenverarbeitung beschäftigte Personen auf ein „Datengeheimnis“ zu verpflichten. Allerdings muss der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 3 i.V.m. § 22 Abs. 2 BDSG bei der Verarbeitung von Gesundheitsdaten angemessene und spezifische Maßnahmen ergreifen, um den Datenschutzinteressen der betroffenen Person Rechnung zu tragen. Als angemessene Maßnahme ist geboten, von allen Teilnehmern des bEM-Verfahrens Vertraulichkeitserklärungen einzuholen, um sie für den Datenschutz besonders zu sensibilisieren (§ 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BDSG)2.

21.47

M 21.3 Vertraulichkeitserklärung anlässlich der Teilnahme am bEM-Verfahren

21.48

Vertraulichkeitserklärung anlässlich der Teilnahme am bEM-Verfahren Es ist beabsichtigt, … an Verfahren des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) zu beteiligen. Zu diesem Anlass verpflichtet er/sie sich, die im Zusammenhang mit der Beteiligung an bEM-Verfahren erlangten vertraulichen Informationen streng vertraulich zu behandeln und sie ohne Einwilligung des Betroffenen Dritten, also Personen, die nicht dem jeweiligen bEM-Team angehören, weder weiterzuleiten noch auf sonstige Weise zugänglich zu machen. Um dies sicherzustellen, sind bEM-Unterlagen, die vertrauliche Informationen enthalten, ausschließlich in einer für jedes bEM-Verfahren gesondert anzulegenden bEM-Akte zu verwahren, in welche Dritte keine Ein-

1 Aus Gründen der Transparenz ist die Einwilligungserklärung vom übrigen Formular abgegrenzt und hervorgehoben. Nach Art. 7 Abs. 2 DSGVO muss die Einwilligung nämlich durch eine Darstellung in leicht zugänglicher Form von übrigen Erklärungsinhalten abgrenzbar sein. 2 Joussen in vom Stein/Rothe/Schlegel, § 7 Rz. 21; Balikcioglu, NZA 2015, 1424 (1430).

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§ 21 Rz. 21.48

Psychische Belastungen und Krankheiten

sicht erhalten dürfen. Ohne Einwilligung des Betroffenen dürfen an Dritte nur Informationen weitergegeben werden, deren Kenntnis für diese unerlässlich ist, nämlich, dass ein bEM-Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet wurde und durchgeführt wird, welche im Arbeitsverhältnis zu beachtenden Maßnahmen im Rahmen des bEM beschlossen wurden und mit welchem Ergebnis das bEM gegebenenfalls abgeschlossen wurde. Keinesfalls dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen Informationen nach außen dringen, die einen Rückschluss auf dessen diagnostizierte Erkrankung zulassen. Diese Schweigepflicht gilt für sämtliche bEM-Verfahren, an denen der/die Verpflichtete beteiligt wird, und bleibt auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zeitlich unbeschränkt bestehen1. … Ort, Datum … Unterschrift des Unternehmens/Arbeitgebers

… Ort, Datum … Unterschrift des/der Verpflichteten

§ 22 Whistleblowing I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 1. Gegenwärtige Regelungen zum Whistleblowing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.3 2. Errichtung und Nutzung eines Meldesystems im Unternehmen nach der WBRL a) Interne Meldekanäle . . . . . . . . . . . . . 22.7 b) Externe Meldekanäle . . . . . . . . . . . . . 22.13 c) Ausnahmeregel für Offenlegung . . . . 22.15 3. Sachlicher Anwendungsbereich der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.16

4. Persönlicher Anwendungsbereich der WBRL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Voraussetzung für den Schutz von Hinweisgebern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wie werden Hinweisgeber geschützt? . . . lII. Best Practice: Was gilt es vor Umsetzung der Richtlinie zu tun? 1. Direktwirkung von Richtlinien bei nicht fristgerechter Umsetzung . . . . . . . . . . . . 2. Folgen für juristische Personen des öffentlichen Sektors . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen für juristische Personen des Privatsektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22.18 22.19 22.22

22.26 22.27 22.29

Literatur: Altenbach/Dierkes, EU-Whistleblowing-Richtlinie und DSGVO, CCZ 2020, 126; Brinkmann/ Blank, Umsetzungspflichten für Unternehmen aus der EU-Whistleblowing-Richtlinie, BB 2021, 2475; Colneric/Gerdemann, Die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht, 1. Aufl. 2020; Dilling, Der Schutz von Hinweisgebern und betroffenen Personen nach der EU-Whistleblower-Richtlinie, CCZ 2019, 214; Dohrmann, Die geplante Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie aus arbeitsrechtlicher Sicht, RdA 2021, 326; Dzida/Granetzny, Die neue EU-Whistleblowing-Richtlinie und ihre Auswirkungen auf Unternehmen, NZA 2020, 1201; Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, Die Whistleblower-Richtlinie der EU: Die neuen Regeln und deren Auswirkungen auf Unternehmen des privaten Sektors, DB 2019, 1665; Forst, Die Richtlinie der Europäischen Union zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Whistleblowing-Richtlinie), EuZA 2020, 823; Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2022, zitiert: Bearbeiter in EuArbRK; Garden/Hiéramente, Die neue Whistleblowing-

1 Eine genaue Erläuterung, wie weit die Pflicht zur Vertraulichkeit reicht, erscheint zweckmäßig, damit die bEM-Teilnehmer wissen, über welche Fragen sie mit Außenstehenden sprechen dürfen und über welche nicht.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 22.2 § 22

Richtlinie der EU – Handlungsbedarf für Unternehmen und Gesetzgeber, BB 2019, 963; Gerdemann, Revolution des Whistleblowing-Rechts oder Pfeifen im Walde?, RdA 2019, 16; Gerdemann/Spindler, Die Europäische Whistleblowing-Richtlinie und ihre Folgen für das deutsche Gesellschaftsrecht, ZIP 2020, 1896; Grimm/Singraven, Die neue Whistleblowing-Richtlinie der EU, ArbRB 2019, 241; Holle, Konzernweite Hinweisgebersysteme nach der Whistleblowing-Richtlinie, ZIP 2021, 1950; Schiefer, Arbeitsrechtliche Vorhaben der „Ampel-Koalition“ (2021-2025), DB 2022, 53; Steinhauser/Kreis, Die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie als Herausforderung für Gesetzgeber und Unternehmen, EuZA 2021, 423; Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 3. Aufl. 2021; Wisskirchen/Körber/Bissels, „Whistleblowing“ und „Ethikhotlines“, BB 2006, 1567.

I. Worum geht es? Das Phänomen des sog. Whistleblowing umschreibt die Meldung eines Missstands oder eines Fehlverhaltens in einem Unternehmen oder einer öffentlichen Stelle durch einen Hinweisgeber, auf welches er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit aufmerksam geworden ist1. Es können verschiedene Formen des Whistleblowings unterschieden werden2:

22.1

– Bei internem Whistleblowing wendet sich der Meldende mit seinem Verdacht an eine innerorganisatorische Stelle oder an einen beauftragten externen Dritten3. Typische Adressaten sind die Compliance-Abteilung, Vorgesetzte und externe Ombudspersonen4. – Bei externem Whistleblowing erfolgt die Meldung gegenüber einer außerhalb der Organisation stehenden Meldestelle, regelmäßig gegenüber den Strafverfolgungsbehörden5. – Die Offenlegung beschreibt das öffentliche Zugänglichmachen von Informationen, also Meldungen gegenüber der Öffentlichkeit oder gegenüber von Medienvertretern.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Wesentliche Neuerungen im Umgang mit Whistleblower-Sachverhalten ergeben sich aus der Richt- 22.2 linie (EU) 2019/1937 des europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (im Folgenden: „WBRL“). Die WBRL hätte zum 17.12.2021 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ein entsprechender Referentenentwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (im Folgenden: „HinSchG-E“6) ist in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert. Bisher fehlt es an einem nationalen Umsetzungsakt. Nach dem Koalitionsvertrag 2021-2025 soll die WBRL „rechtssicher und praktikabel“ umgesetzt werden, wobei nicht nur Verstöße gegen EU-Recht Gegenstand der Meldung sein sollen, sondern auch „erhebliches Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt“7. Diese aktuelle Situation führt zu Folgefragen. – Die Zulässigkeit von Whistleblowing ist in Deutschland aktuell nur fragmentarisch geregelt und richtet sich maßgebend nach von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (dazu Rz. 22.3).

1 2 3 4

Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423. Gerdemann, RdA 2019, 16. Brinkmann/Blank, BB 2021, 2475 (2478); Kerwer in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 1 KSchG Rz. 1067. Moosmayer, Compliance, 4. Aufl. 2021, § 4 Rz. 181 f.; Kerwer in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 1 KSchG Rz. 1051. 5 Gerdemann, RdA 2019, 16. 6 Abrufbar unter: https://www.whistleblower-net.de/wp-content/uploads/2021/02/2020_11_26-Referenten entwurf-Whistleblowing-BMJV-1.pdf, Stand Februar 2021. 7 Koalitionsvertrag 2021-2025 der Ampel-Koalition vom 24.11.2021, S. 111, Rz. 3728-3733; krit. Schiefer, DB 2022, 53 (60).

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§ 22 Rz. 22.2

Whistleblowing

– Neue Herausforderungen für Unternehmen ergeben sich aus den Anforderungen der WBRL. Der (gescheiterte) Referentenentwurf zum HinSchG-E kann hierzu eine erste Orientierung bieten (dazu Rz. 22.6). – Durch den Ablauf der Umsetzungsfrist wird relevant rückt in den Fokus, was bereits jetzt – noch vor Erlass eines nationalen Umsetzungsgesetzes – aus Unternehmenssicht zu tun ist (dazu Rz. 22.26).

1. Gegenwärtige Regelungen zum Whistleblowing 22.3 Aktuell fehlt es in Deutschland an einem umfassenden Whistleblowing-Gesetz. Aufgrund europarechtlicher Vorgaben finden sich einzelne, bereichsspezifische Rechtsakte zum Whistleblowing. Regelungen finden sich etwa in: § 17 Abs. 2 ArbSchG; § 67 Abs. 2 BBG; § 48 GWG; § 23 Abs. 3 WpHG; § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 KWG; § 4d FinDAG; §§ 13, 17 AGG sowie §§ 84 ff. BetrVG1. In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage hat die Rechtsprechung Leitplanken im Umgang mit Whistleblowern entwickelt.

22.4 Ohne weitere Voraussetzungen ist die Abgabe einer internen Meldung zulässig. Im Einzelfall kann den Arbeitnehmer sogar eine Meldepflicht treffen2. Die arbeitsvertragliche Treue- und Loyalitätspflicht verpflichtet die Arbeitnehmer, Risiken oder drohende Schäden zu melden, um bedeutende Schädigungen des Arbeitgebers abzuwenden3. Diese Pflicht kann der Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts, bspw. hinsichtlich des Meldeadressaten, konkretisieren4. Vor Abgabe einer externen Meldung ist in aller Regel eine interne Meldung erforderlich (sog. Vorrang der innerbetrieblichen Klärung)5. Dieses Erfordernis entfällt nur in Ausnahmefällen, etwa: – wenn für den Meldenden die Gefahr eigener Strafverfolgung besteht oder – der Arbeitgeber an der jeweiligen Straftat beteiligt ist oder – die Straftat in Kenntnis oder mit Duldung des Arbeitgebers erfolgt und eine interne Abhilfe des Vorwurfs nicht zu erwarten ist oder – eine schwerwiegende Straftat in Rede steht6.

22.5 Die Rechtsprechung beurteilt die Zulässigkeit einer externen Meldung anhand einer umfassenden Interessenabwägung. Grundlage bildet eine Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 20017. Es spricht dem Einzelnen darin ein Grundrecht auf Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtstaatsprinzip zu8. Dieses umfasst auch die Abgabe einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber9. Das BAG hat diesen Ansatz weiterentwickelt10. Das Anzeigerecht des Arbeitnehmers kann allerdings mit seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Abs. 2 BGB in Konflikt geraten. Nach der Formel des BAG darf eine Anzeige keine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten sein, wobei das BAG eine Reihe von Kriterien entwickelt hat, u.a.:

1 Garden/Hiéramente, BB 2019, 963 (965); Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423 (425 f.). 2 BAG v. 18.6.1970 – 1 AZR 520/69, NJW 1970, 1861; zur Zulässigkeit weitergehender WhistleblowerKlauseln: Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 2009, Kap. 1 Rz. 25 ff. 3 Kerwer in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 1 KSchG Rz. 1070. 4 Wisskirchen/Körber/Bissels, BB 2006, 1567 (1571). 5 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, ArbRB 2004, 134 = NZA 2004, 427 (430). 6 BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, ArbRB 2004, 134 = NZA 2004, 427 (430). 7 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474. 8 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474 (3476). 9 BVerfG v. 2.7.2001 – 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474 (3476). 10 Dazu Gerdemann, RdA 2019, 16 (17); Sagan in Preis, W 20 Rz. 15.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 22.8 § 22

– die Berechtigung der Anzeige1, – die Motivation des Anzeigenden2, – das Vorliegen eines innerbetrieblichen Abhilfeversuchs3, – die Interessen der Allgemeinheit an der Aufdeckung von Rechtsverstößen und Missständen4. Erfolgt eine Meldung unter Anwendung dieser Grundsätze rechtmäßig, dann stellt jeder arbeitsrechtliche Nachteil, bspw. der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB dar. Das Benachteiligungsverbot bietet indes nur geringen Schutz. Der Arbeitnehmer müsste dafür den Kausalzusammenhang zwischen der unzulässigen Maßregelung und der zulässigen Rechtsausübung (also der zulässigen Meldung) darlegen und beweisen5. Das wird nur selten gelingen.

22.6

2. Errichtung und Nutzung eines Meldesystems im Unternehmen nach der WBRL a) Interne Meldekanäle Wesentliche Neuerungen finden sich in der WBRL. Art. 8 Abs. 1, 3 und 9 WBRL verpflichten erstmalig alle juristischen Personen des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern6 und juristische Personen des öffentlichen Sektors unabhängig von ihrer Größe7 zur Errichtung und zum Betrieb interner Meldekanäle. Diese Pflicht gilt für juristische Personen des privaten Sektors mit mehr als 250 Arbeitnehmern und Behörden bereits ab dem 17.12.2021. Für Unternehmen mit zwischen 50 und 249 Arbeitnehmern greift die Pflicht erst zum 17.12.2023 (Art. 26 Abs. 2 WBRL). Art. 8 Abs. 5 Satz 1 WBRL konkretisiert die Vorgabe der Richtlinie dahingehend, dass der Meldekanal entweder intern von einer Person bzw. Abteilung oder extern von einem Dritten betrieben werden kann.

22.7

Art. 8 Abs. 6 Satz 1 WBRL gestattet juristischen Personen des privaten Sektors, die zwischen 50 und 22.8 249 Arbeitnehmer beschäftigen, sich die Ressourcen für die Entgegennahme von Meldungen und für eventuelle Untersuchungen zu teilen. Strittig ist, ob die Vorgaben der WBRL im Konzern einheitlich erfüllt werden können, wenn ein Unternehmen mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt8. Teilweise wird aus Art. 8 Abs. 6 Satz 1 WBRL der Umkehrschluss gezogen, dass Unternehmen mit mehr als 250 Arbeitnehmern in jedem Fall einen eigenen Meldekanal errichten müssen9. Nach der überzeugenden Gegenansicht können auch konzernangehörige Unternehmen „Dritte“ i.S.v. Art. 8 Abs. 5 Satz 1 WBRL sein10. Sie können die Verpflichtung zur Einrichtung eines Meldekanals für andere Konzernunternehmen wahrnehmen, auch wenn ein Unternehmen mehr als 250 Arbeitnehmer be-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, ArbRB 2017, 170 = NZA 2017, 703. BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, ArbRB 2004, 134 = NZA 2004, 427 (430). BAG v. 3.7.2003 – 2 AZR 235/02, ArbRB 2004, 134 = NZA 2004, 427 (430). BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, ArbRB 2017, 170 = NZA 2017, 703 Rz. 14, in Umsetzung der Vorgaben aus EGMR v. 21.7.2011 – 28274/08 (Heinisch/Deutschland), NZA 2011, 1269. Grimm/Singraven, ArbRB 2019, 241 (242); Garden/Hiéramente, BB 2019, 963 (965). Als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Arbeitnehmerzahl bietet sich die Regelbeschäftigung an, dazu: Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423 (428); Colneric/Gerdemann, S. 43 f. Art. 8 Abs. 9 Unterabs. 1 WBRL räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern oder sonstige juristische Personen mit weniger als 50 Arbeitnehmern von der Verpflichtung ausnehmen. Ausführlich zum Meinungsstand: Holle, ZIP 2021, 1950 (1951 f.). Federmann/Racky/Kalb/Modrzyk, DB 2019, 1665 (1666, 1671); ähnlich: Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 (1905). Holle, ZIP 2021, 1950 (1952); Forst, EuZA 2020, 283 (293).

Grimm/Singraven

459

§ 22 Rz. 22.8

Whistleblowing

schäftigt1. Allerdings sind separate Meldekanäle zu unterhalten, soweit die Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 6 Satz 1 WBRL nicht erfüllt sind2. Überschreitet ein Konzernunternehmen die Grenze von 250 Arbeitnehmern, ist der Meldekanal dieses Unternehmens organisatorisch abzutrennen. Diese organisatorische Trennung kann beispielsweise durch unterschiedliche Telefonnummern oder Mail-Adressen erfolgen3.

22.9 Das Verfahren für interne Meldungen und Folgemaßnahmen wird in Art. 9 WBRL geregelt. Der Meldekanal muss so ausgestaltet sein, dass die Vertraulichkeit der Identität des Meldenden und des von der Meldung Betroffenen gewahrt bleiben. Das heißt konkret, dass nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff auf diese Kanäle verwehrt bleiben muss. Weitergehend muss die interne Meldestelle innerhalb von sieben Tagen eine Eingangsbestätigung abgeben und den Hinweisgeber innerhalb von drei Monaten ab der Eingangsbestätigung Rückmeldung zu den ergriffenen Maßnahmen geben. Die Meldung unterliegt nach Art. 16 WBRL dem Vertraulichkeitsgebot und muss nach Art. 18 WBRL dokumentiert werden. Dabei sind nach Art. 17 WBRL die Regelungen des Datenschutzrechts zu wahren.

22.10 Hinweis: Die WBRL enthält keine Regelung darüber, ob die von einer Meldung betroffene Person, deren personenbezogene Daten verarbeitet werden, hierüber gem. Art. 14 DSGVO informiert werden muss. Bei der Bewertung ist das Vertraulichkeitsgebot aus Art. 9 Abs. 1 lit. a; Art. 16 Abs. 1 WBRL im Hinblick auf die Identität des Hinweisgebers zu berücksichtigen. Dieses kann die Unterrichtungspflicht gem. Art. 14 Abs. 5 lit. c DSGVO einschränken4. Offen ist, ob die von der Meldung betroffene Person einen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO hat. Dieses Auskunftsrecht steht dem Betroffenen grds. in Form des arbeitnehmerseitigen Auskunftsanspruchs gem. Art. 15 Abs. 1 Halbs. 2 DSGVO zu. Es erstreckt sich gem. Art. 15 Abs. 1 lit. g DSGVO auch auf alle Informationen über die Herkunft der Daten, also möglicherweise auch auf die Person des Hinweisgebers. Nach überzeugender Auffassung kann das Vertraulichkeitsgebot aus Art. 16 Abs. 1 WBRL als entgegenstehendes Recht eines Dritten i.S.v. § 34 Abs. 1 BDSG i.V.m. § 29 Abs. 1 Satz 2 BDSG den Auskunftsanspruch einschränken und den Auskunftsanspruch ausschließen5. Durch das BAG ist dies noch nicht entschieden.

22.11 Das Unternehmen ist verpflichtet, angemessene Folgemaßnahmen zu ergreifen. Folgemaßnahmen sind nach Art. 5 Nr. 12 WBRL die Maßnahmen, die der Empfänger einer Meldung zur Prüfung der Stichhaltigkeit der Meldung und Unterbindung des gemeldeten Verhaltens ergreift. Als Folgemaßnahme kommen insbesondere interne Ermittlungen (dazu Rz. 14.24) in Betracht.

22.12 Der Pflichtenkatalog aus Art. 8, 9 WBRL hat Einfluss auf die Legalitätsorganisationspflicht der unternehmerischen Leitung. Die unternehmerischen Leitungsorgane müssen durch organisatorische Vorkehrungen die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben innerhalb des Unternehmens gewährleisten6. De lege lata besteht keine allgemeine Pflicht zur Implementierung eines internen WhistleblowingKanals7. Im Anwendungsbereich der WBRL wird sich dies zukünftig ändern. Die Mindestvorgaben der WBRL für interne Meldungen und einzuleitende Folgemaßnahmen konkretisieren die Legalitätsorganisationspflicht. Die unternehmerischen Leitungsorgane müssen die Funktionsfähigkeit der Whistleblowing-Stelle einschließlich der Einhaltung verfahrensbezogener Mindeststandards laufend kontrollieren und sicherstellen8.

1 2 3 4 5

Holle, ZIP 2021, 1950 (1952); Forst, EuZA 2020, 283 (293). Holle, ZIP 2021, 1950 (1952). Forst, EuZA 2020, 283 (294). Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126 (127). Altenbach/Dierkes, CCZ 2020, 126 (127); dazu auch: LAG Baden-Württemberg v. 20.12.2018 – 17 Sa 11/18, NZA-RR 2019, 242 (250). 6 Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 (1903). 7 Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 (1903). 8 Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 (1907).

460

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 22.16 § 22

b) Externe Meldekanäle Bisher wurden Meldungen an Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden als externe Meldung verstanden1. Die Richtlinie fasst den Adressatenkreis für externe Meldungen enger und verpflichtet nach Art. 11 WBRL die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Meldestellen und Verfahren für externe Meldungen. Die Mitgliedstaaten haben dafür „zuständige Stellen“ zu benennen, errichten und auszustatten.

22.13

Hinweis: §§ 19–22 HinSchG-E regelten die Errichtung und Zuständigkeit externer Meldestellen. Eine externe Meldestelle auf Ebene des Bundes sollte bei dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) angesiedelt werden. Das Modell einer zentralen Anlaufstelle sollte Zuständigkeitsfragen verhindern und Hinweisgeber davor bewahren, schon im Vorfeld einer Meldung den Mut zu verlieren, einen Verstoß zu melden.

Wesentliche Neuerung stellt die Abkehr vom sog. Eskalationsmodell dar. Die WBRL sieht kein Stu- 22.14 fenverhältnis zwischen dem internen und externen Meldekanal vor. Art. 10 WBRL eröffnet dem Hinweisgeber ein Wahlrecht und somit die Möglichkeit, eine Meldung direkt und ohne weitere Voraussetzungen gegenüber der externen Meldestelle abzugeben. Im Anwendungsbereich der WBRL besteht kein Vorrang eines innerbetrieblichen Klärungsversuchs2. Allerdings sollen nach Art. 7 Abs. 2 WBRL Hinweisgeber „ermutigt“ werden, vorrangig den internen Meldekanal zu nutzen. Wie die vorrangige Inanspruchnahme interner Meldewege gefördert werden soll, beantwortet die Richtlinie nicht. Insoweit kommen bspw. finanzielle Anreize für die vorrangige Nutzung interner Meldekanäle in Betracht3.

c) Ausnahmeregel für Offenlegung Art. 5 Nr. 6 WBRL definiert die „Offenlegung“ als öffentliches Zugänglichmachen von Informationen über Verstöße. Adressat der Offenlegung ist die Öffentlichkeit. Ein bestimmter Meldeweg ist nicht vorgeschrieben4. Eine Offenlegung ist als ultima ratio nach Art. 15 WBRL nur ausnahmsweise zulässig, wenn:

22.15

– auf eine „ordnungsgemäße“ interne oder externe Meldung innerhalb der Fristen des Art. 9 Abs. 1 lit. f WBRL bzw. Art. 11 Abs. 2 lit. d WBRL keine geeigneten Maßnahmen getroffen wurden (Art. 15 Abs. 1 lit. a WBRL) oder – ein „hinreichender Grund zur Annahme“ eines kollusiven Zusammenwirkens von Behörde und Unternehmen besteht (hierzu nennt Art. 15 Abs. 1 lit. b ii) WBRL beispielhafte Fallgruppen) oder – eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses vorliegt, bspw. eine Notsituation oder die Gefahr irreversibler Schäden (Art. 15 Abs. 1 lit. b i) WBRL).

3. Sachlicher Anwendungsbereich der WBRL Art. 2 Abs. 1 WBRL i.V.m. Teil I, II Anhang zur WBRL definieren einen Katalog von EU-Rechtsakten aus bestimmten Rechtsgebieten, die den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie bestimmen. Erfasst werden u.a.: – Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten, 1 2 3 4

Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423 (429). Fest in EuArbRK, Art. 6 RL (EU) 2019/1937 Rz. 15. Fest in EuArbRK, Art. 7 RL (EU) 2019/1937 Rz. 11; Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201 (1203). Colneric/Gerdemann, S. 64.

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22.16

§ 22 Rz. 22.16

Whistleblowing

– Umweltschutz, – Produktsicherheit und -konformität und – Verbraucherschutz. Soweit innerhalb dieser Rechtsgebiete sektorspezifische Regeln über Meldungen von Rechtsverstößen bestehen, gehen diese der WBRL vor, Art. 3 Abs. 1 WBRL. Neben Fragen nationaler Sicherheit (Art. 3 Abs. 2 WBRL) sind auch Verstöße gegen das Arbeitsrecht der EU nicht vom Anwendungsbereich der WBRL erfasst1.

22.17 Hinweis: Art. 2 Abs. 2 WBRL und Erwägungsgrund 5 WBRL geben dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, den Schutz von Hinweisgebern auf andere, nationale Rechtsgebiete zu erstrecken. Auch der Anwendungsbereich des HinSchG-E wurde umfassend gewählt und erweiterte den Regelungsansatz der Richtlinie auf rein nationale Sachverhalte. § 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG-E erfasste insgesamt Meldungen über straf- oder bußgeldbewehrte Verstöße. § 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E schloss alle „sonstige Verstöße gegen Gesetze, Rechtsverordnungen und sonstige Vorschriften des Bundes und der Länder sowie unmittelbar geltende Rechtsakte der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft“ ein. Auch die Ampel-Koalition hat sich einer „überschießenden Umsetzung“ verschrieben. Im Koalitionsvertrag 2021-2025 heißt es hierzu: „Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt.“2. Daher ist zu erwarten, dass der Anwendungsbereich weit sein wird und mit Sicherheit Normen des personen- und tätigkeitsbezogenen Arbeitsschutzes und auch Verstöße gegen das BetrVG und TVG sowie das BDSG, das AEntG sowie das MiLoG erfassen wird. Auch die im Zusammenhang mit der Nutzung neuer Arbeitsformen und –methoden sowie digitaler Arbeitsmittel bestehenden Arbeitsschutzvorschriften werden aller Voraussicht nach Gegenstand von Meldungen bei Verstößen sein. Meldesysteme bzw. -kanäle werden sich effizient nur digital einrichten lassen.

4. Persönlicher Anwendungsbereich der WBRL 22.18 Art. 4 WBRL regelt den persönlichen Schutzbereich der WBRL. Erfasst werden Hinweisgeber, die im privaten oder öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben. Dies erstreckt sich auf: – Arbeitnehmer i.S.v. Art. 45 AEUV einschließlich Beamte – Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs-, oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören (also insb. Vorstände und Geschäftsführer)3 – Ehemalige Arbeitnehmer (Art. 4 Abs. 2 WBRL), Stellenbewerber (Art. 4 Abs. 3 WBRL) – Weitere Beschäftigte (Praktikanten, Leiharbeitnehmer, Freiwillige, Selbständige) Daneben werden auch Mitarbeiter von Auftragnehmern und Lieferanten erfasst. Weitergehend erstreckt Art. 4 Abs. 4 WBRL den Schutz auf sog. Mittler bzw. Unterstützer des Hinweisgebers.

5. Voraussetzung für den Schutz von Hinweisgebern 22.19 Voraussetzung des Schutzes durch die WBRL ist, dass nach Art. 6 Abs. 1 lit. b WBRL der Hinweisgeber seinen Verdacht entweder intern (Art. 7 WBRL) oder extern (Art. 10 WBRL) gemeldet bzw.

1 Erwägungsgrund 21 zur WBRL; Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423 (426). 2 Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 111, Rz. 3728-3733. 3 Hierzu vertiefend Gerdemann/Spindler, ZIP 2020, 1896 (1899 f.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 22.22 § 22

offengelegt (Art. 15 WBRL) hat. Offen ist, ob ein Hinweisgeber auch dann geschützt ist, wenn er eine Meldung nicht über die vorgesehenen internen oder externen Meldekanäle abgibt1. Zudem muss der Hinweisgeber nach Art. 6 Abs. 1 lit. a WBRL einen „hinreichenden Grund zur An- 22.20 nahme“ haben, dass die gemeldete Information über den Verstoß der Wahrheit entsprach und in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Gutgläubige Hinweisgeber werden geschützt, auch wenn sich die Meldung im Nachhinein als falsch oder nicht nachweisbar herausstellt2. Wann ein „hinreichender Grund“ vorliegt, lässt die Richtlinie offen. Ziel der Regelung ist nach Erwägungsgrund 32 WBRL der Ausschluss böswilliger und missbräuchlicher Meldungen3. Nach Erwägungsgrund 43 WBRL sollen auch unbegründete Spekulationen und Gerüchte keinen Schutz genießen. Allerdings ist auch die Meldung ungenauer Informationen geschützt, was zu Abgrenzungsfragen führen wird. Im Ergebnis werden Hinweisgeber bis zur Grenze der groben Fährlässigkeit geschützt4. Vor Abgabe der Meldung treffen den Hinweisgeber gewisse Sorgfalts- und Überprüfungspflichten5. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage spielen die Motive des Whistleblowers keine Rolle für den Schutz durch die WBRL6.

22.21

Hinweis: Art. 6 Abs. 2 WBRL überlässt es den Mitgliedstaaten, ob diese auch eine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise implementieren wollen. Unabhängig davon ist ein unternehmerisches Leitungsorgan zur Nachverfolgung von substantiierten Hinweisen auf Fehlverhalten verpflichtet, um eine Haftung des Unternehmens und ggf. eine persönliche Haftung nach §§ 130, 30, 9 OWiG abzuwenden. Das Leitungsorgan trifft eine anlassbezogene Nachforschungspflicht7. Konkrete Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß können sich dabei auch aus einer anonymen Meldung ergeben8.

6. Wie werden Hinweisgeber geschützt? Art. 19 ff. WBRL ordnet Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber an. Direkte und indirekte Repressalien (einschließlich der Androhung und des Versuchs) sind nach Art. 19 WBRL verboten. Repressalien sind nach Art. 5 Abs. 11 WBRL direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen im beruflichen Kontext, die durch eine interne oder externe Meldung oder Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann. Davon erfasst sind u.A.: – Suspendierungen, Kündigungen oder vergleichbare Maßnahmen – Herabstufung oder Versagung einer Beförderung – Änderungen der Arbeitsbedingungen – Negative Leistungsbeurteilungen oder Ausstellung schlechter Arbeitszeugnisse (darunter dürften auch Abmahnungen sowie sonstige Rügen wie Ermahnungen zu fassen sein)

1 2 3 4 5

Dazu Colneric/Gerdemann, S. 63 f. Erwägungsgrund 32 WBRL; Dohrmann, RdA 2021, 326 (327 f.). Erwägungsgrund 32 WBRL. Forst, EuZA 2020, 283 (297). EGMR v. 16.2.2021 – 23922/19 (Gawlik/Liechtenstein), ArbRB 2021, 67 (Einfeldt) = NVwZ 2021, 1043 Rz. 48; zur Berücksichtigung im Rahmen der WBRL: Steinhauser/Kreis, EuZA 2021, 423 (427); kritisch zum Urteil Gerdemann, NJW 2021, 2324. 6 Erwägungsgrund 32 der WBRL a.E. 7 Allgemein dazu BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, NZG 2019, 225 (228); Oetker in Henssler/Strohn, Gesesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG Rz. 22. 8 Colneric/Gerdemann, S. 137; Dilling, CCZ 2021, 60 (63).

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463

22.22

§ 22 Rz. 22.22

Whistleblowing

– Diskriminierungen, benachteiligende oder ungleiche Behandlung – Nichtverlängerungen oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags – Nötigungen, Einschüchterungen, Mobbing oder Ausgrenzungen – Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu Recht erwarten durfte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten zu bekommen

22.23 Nach Art. 21 WBRL ist der Umsetzungsgesetzgeber verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien zu ergreifen. Dies schließt nach Art. 21 Abs. 6 WBRL neben dem leichten Zugang zu Abhilfemaßnahmen auch einstweiligen Rechtschutz ein. Von herausragender Bedeutung ist die in Art. 21 Abs. 5 WBRL vorgesehene Beweiserleichterung in gerichtlichen Verfahren, die in der Praxis zu einer Beweislastumkehr führt.

22.24 Legt der Hinweisgeber dar, – eine Meldung nach Art. 5 Nr. 3 WBRL oder Offenlegung nach Art. 5 Nr. 6 WBRL vorgenommen zu haben, – einen Nachteil i.S.v. Art. 5 Nr. 11 WBRL erlitten zu haben und – und es bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen der Meldung oder Offenlegung und der erlittenen Benachteiligung, so wird zugunsten des Hinweisgebers vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung ist. Darlegung ist hier als Glaubhaftmachung zu verstehen, wobei der Maßstab des § 495 Abs. 1 ZPO, § 46 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG nicht heranzuziehen ist1. Im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung genügt es, dass die Benachteiligung zeitlich nach der Meldung oder Offenlegung eingetreten ist und ein kausaler Zusammenhang unter allen Umständen des Einzelfalls überwiegend wahrscheinlich ist2. Diese Vermutungstatsachen müssen dargelegt und bewiesen werden, wobei die bloße Möglichkeit einer Ursächlichkeit nicht ausreicht3. Der Benachteiligende muss dann nachweisen, dass die Maßnahmen durch hinreichende Gründe gerechtfertigt waren und es sich nicht um eine unzulässige Repressalie nach Art. 19 WBRL handelt4. Das setzt voraus, dass noch nicht einmal eine Teilkausalität besteht5. Ein non-liquet geht also zu Lasten des Arbeitgebers.

22.25 Art. 21 Abs. 2, 7 WBRL normiert einen weitgehenden Haftungsdispens für Hinweisgeber, wenn diese eine ordnungsgemäße Meldung abgegeben haben. Hiervon sieht Art. 21 Abs. 4 WBRL drei Ausnahmen vor: – Kein Dispens, wenn die Beschaffung der betreffenden Informationen oder der Zugang zu diesen als solche eine eigenständige Straftat darstellt;

1 Fest in EuArbRK, Art. 21 RL (EU) 2019/1937 Rz. 47. 2 Fest in EuArbRK, Art. 21 RL (EU) 2019/1937 Rz. 47 unter Bezugnahme auf EuGH v. 19.4.2012 – C-415/10 – Meister, Rz. 42, ArbRB 2012, 135 = NZA 2012, 493 zu Art. 8 Abs. 1 RL 2000/43/EG, Art. 10 Abs. 1 RL 2000/78/EG und Art. 19 Abs. 1 RL 2006/54/EG. 3 Fest in EuArbRK, Art. 21 RL (EU) 2019/1937 Rz. 47. 4 Dzida/Granetzny, NZA 2020, 1201 (1204) zur Schaffung günstiger Beweislagen für das Unternehmen durch interne Dokumentation z.B. von Leistungsmängeln im Zusammenhang mit einer verhaltensbedingten Kündigung. 5 Mit Hinweis auf Erwägungsgrund 93 Satz 2 der WBRL Fest in EuArbRK, Art. 21 RL (EU) 2019/1937 Rz. 50.

464

Grimm/Singraven

lII. Best Practice: Was gilt es vor Umsetzung der Richtlinie zu tun?

Rz. 22.27 § 22

– sowie für Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung im Zusammenhang stehen (Art. 21 Abs. 4 Alt. 1 WBRL) oder – Handlungen oder Unterlassungen, die für die Aufdeckung eines Verstoßes nicht erforderlich sind (Art. 21 Abs. 4 Alt. 2 WBRL). Art. 21 Abs. 3 WBRL erstreckt den Schutz auf Nachforschungshandlungen im Vorfeld der Meldung oder Offenlegungen1.

lII. Best Practice: Was gilt es vor Umsetzung der Richtlinie zu tun? 1. Direktwirkung von Richtlinien bei nicht fristgerechter Umsetzung Die Umsetzungsfrist der WBRL in Art. 26 Abs. 1 WBRL ist am 17.12.2021 abgelaufen. Allerdings kann eine europäische Richtlinie u.U. auch ohne nationalen Umsetzungsakt Rechtswirkungen entfalten. Eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien kommt nach der Rechtsprechung des EuGH in Betracht, wenn

22.26

– die Umsetzungsfrist abgelaufen ist2 und – die Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden ist3 und – die Richtlinienbestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist4. Diese unmittelbare Wirkung beschränkt sich auf das sog. Vertikalverhältnis, also das Verhältnis zwischen Staat und Bürger5. Eine Direktwirkung von Richtlinien im Horizontalverhältnis zwischen Privaten, also z.B. im Verhältnis Arbeitnehmer zu Arbeitgeber, findet grundsätzlich nicht statt6.

2. Folgen für juristische Personen des öffentlichen Sektors Demnach sind juristische Personen des öffentlichen Sektors seit dem 18.12.2021 dazu verpflichtet, die inhaltlich unbedingten und hinreichend bestimmten Vorgaben der WBRL umzusetzen. Juristische Personen des öffentlichen Sektors sind etwa Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, sowie Behörden7. Nach Art. 8 Abs. 9 WBRL werden auch die im Eigentum oder unter Kontrolle einer juristischen Person des öffentlichen Sektors stehenden juristischen Personen des Privatrechts erfasst8.

1 Erwägungsgrund 92 der WBRL, Fest in EuArbRK, Art. 21 RL (EU) 2019/1937 Rz. 12; Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3490). 2 EuGH v. 18.12.1997 – C-129/96, ECLI:EU:C:1997:628, EuZW 1998, 167 Rz. 43. 3 EuGH v. 26.2.1986 – 152/84, ECLI:EU:C:1986:84, NJW 1986, 2178 Rz. 46. 4 EuGH v. 26.2.1986 – 152/84, ECLI:EU:C:1986:84, NJW 1986, 2178 Rz. 46; Höpfner in EuArbRK, Art. 288 AEUV Rz. 34. 5 Höpfner in EuArbRK, Art. 288 AEUV Rz. 34. 6 EuGH v. 7.8.2018 – C-122/17, IWRZ 2019, 76 Rz. 42; eine Ausnahme gilt nach der Rechtsprechung des EuGH bei sog. „grundrechtskonkretisierenden Richtlinien“. Der EuGH lässt bei grundrechtskonkretisierenden Richtlinien einen Rückgriff auf das durch die Richtlinie konkretisierte Grundrecht zwischen Privaten zu, EuGH v. 22.11.2005 – C-144/04, ArbRB 2006, 3 = NZA 2005, 1345 – Mangold. Faktisch führt dies oft zu einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinien zwischen Privaten. 7 Gerdemann, NVwZ 2021, 1721 (1722). 8 Fest in EuArbRK, Art. 8 RL (EU) 2019/1937 Rz. 26.

Grimm/Singraven

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22.27

§ 22 Rz. 22.28

Whistleblowing

22.28 Konkret treffen die juristischen Personen des öffentlichen Sektors folgende Pflichten aus der WBRL1: – die Pflicht zur Errichtung interner Meldekanäle (Art. 8 Abs. 1, 9 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. a WBRL); – die Pflichten im Umgang mit einer Meldung (Art. 9 Abs. 1 lit. b, lit. c und lit. f, Abs. 2, Art. 16 Abs. 1, Art. 17, 18 WBRL); – die Pflicht zur Durchführung angemessener Folgemaßnahmen (Art. 9 Abs. 1 lit. d WBRL); Daneben erstreckt sich die unmittelbare Anwendbarkeit auch auf das Verbot von Repressalien (Art. 19 WBRL), inklusive der Beweislastumkehr (Art. 21 Abs. 5 WBRL)2.

3. Folgen für juristische Personen des Privatsektors 22.29 Die WBRL findet im horizontalen Verhältnis keine unmittelbare Anwendung. Allerdings können einzelne Regelungen im Verhältnis zwischen Privaten mittelbar über die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts Wirkung entfalten3. Im Anwendungsbereich der WBRL ist § 241 Abs. 2 BGB an die Vorgaben der Richtlinie anzupassen und auf diese Weise können die Vorgaben der Richtlinie auf ein Arbeitsverhältnis einwirken. Die Motive des Hinweisgebers für die Meldung müssen bei der Frage, ob eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung vorliegt, unberücksichtigt bleiben4. Allerdings bleibt es zunächst beim Vorrang der innerbetrieblichen Klärung vor Abgabe einer externen Meldung5. In Ermangelung einer externen Meldestelle i.S.v. Art. 13 WBRL fehlt es an einem richtlinienkonformen Adressaten für externe Meldungen. Das in Art. 10 WBRL vorgesehene Wahlrecht des Hinweisgebers läuft bis zur Umsetzung der WBRL leer.

22.30 Ohne nationales Umsetzungsgesetz sind juristische Personen des privaten Sektors nicht unmittelbar aus Art. 8 f. WBRL verpflichtet, einen internen Meldekanal zu implementieren6. Unternehmen mit 50-249 Arbeitnehmern können infolge der längeren Umsetzungsfrist bis 17.12.2023 erst mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes (also etwa des HinSchG) verpflichtet sein, interne Meldekanäle einzurichten. Ungeachtet dessen macht es Sinn, die Implementation der Meldekanäle bereits jetzt zu konzipieren, organisatorisch vorzubereiten und abzuwägen, ob ggf. schon jetzt mit dem Betriebsrat im Hinblick auf die Meldewege die betriebsverfassungsrechtlich notwendige Einigung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG herbeizuführen ist, weil sich das Meldeverfahren auf das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten bezieht7.

22.31 Datenschutzrechtlich steht das Ziel des internen, anonymen Meldekanals im Spannungsverhältnis zu den Datenschutzgrundsätzen nach Art. 5 DSGVO. Die Datenverarbeitung ist nach der DSGVO zu dokumentieren, was die Anonymität der internen Meldung beeinträchtigen kann8. Die Dokumentationspflicht ist eine andere als die nach der WBRL. Manche bewerten das Ziel der Datentransparenz und Datenminimierung im Hinblick auf die Vermeidung unnötiger Weiterleitung von Daten dann als problematisch, wenn die Meldungen an externe Ombudspersonen weitergeleitet werden9. Empfohlen wird, dass das Hinweisgebersystem bzw. der interne Meldekanal mit Blick auf die Anonymität der Meldung nicht Bestandteil der Webseite oder des Unternehmens-Intranets sein sollte und dies

1 2 3 4 5 6 7

Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3492). Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3492). Ausführlich hierzu Höpfner in EuArbRK, Art. 288 AEUV Rz. 37 ff. So Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3494). A.A. Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3494). Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3491). BAG, Beschl. v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, ArbRB 2008, 371 = NZA 2008, 1248 (1253); Maschmann in Richardi, § 87 BetrVG Rz. 198 m.w.N.; Fitting, § 87 BetrVG Rz. 71. 8 Müller, öAT, 2022, 30 (32). 9 Müller, öAT, 2022, 30 (32).

466

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lII. Best Practice: Was gilt es vor Umsetzung der Richtlinie zu tun?

Rz. 22.32 § 22

auch ausdrücklich kenntlich gemacht wird1. Notwendig ist zudem eine gesonderte Datenschutzfolgenabschätzung nach Art. 35 DSGVO. Daneben wird die in Art. 21 Abs. 5 WBRL vorgesehene Beweislastumkehr in Gerichtsverfahren, in denen sich Whistleblower gegen angebliche (unzulässige) Repressalien ihres Arbeitgebers wegen der Meldung von Verstößen wenden, bereits jetzt im Rahmen von § 612a BGB zu berücksichtigen sein2. Es ist seit dem 18.12.2021 Aufgabe des Arbeitgebers, darzulegen und zu beweisen, dass eine für den Arbeitnehmer nachteilige Maßnahme (z.B. Kündigung) nicht Folge der bzw. Reaktion auf die Meldung ist (dazu Rz. 22.23 f.).

1 So Müller, öAT, 2022, 30 (32). 2 Gerdemann, NJW 2021, 3489 (3494).

Grimm/Singraven

467

22.32

6. Teil Recruitment und Personalentwicklung § 23 Bewerbungsverfahren I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.2 1. Vermeidung unzulässiger Diskriminierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.3 2. Speicherung von Bewerbungsunterlagen/Bewerberportale . . . . . . . . . . 23.9 a) Zulässige Verarbeitungszwecke und Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.12 b) Berechtigungskonzept . . . . . . . . . . . . 23.15 c) Löschkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23.16

d) Datenschutzinformation . . . . . . . . . . 3. Umgang mit Bewerberdaten im Bewerbungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besondere Auswahlverfahren . . . . . . . . . 5. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewerberdatenbank und Bewerberportal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23.20 23.22 23.26 23.32 23.40 23.41 23.47

Literatur: Abel, Automatisierte Entscheidungen im Einzelfall gem. Art. 22 DS-GVO – Anwendungsbereich und Grenzen im nicht-öffentlichen Bereich, ZD 2018, 304; Baumgartner/Sitte, Abmahnungen von DSGVO-Verstößen – Angekündigte Abmahnwelle wird wohl ausbleiben, ZD 2018, 555; Bettinghausen, Die geschlechtsneutrale Stellenausschreibung unter Berücksichtigung des dritten Geschlechts, BB 2018, 372; Bettinghausen/Wiemers, Bewerberdatenschutz nach neuem Datenschutzrecht, DB 2018, 1277; Dzida, Der neue Beschäftigtendatenschutz – Erste Erfahrungen aus der Praxis, BB 2018, 2677; Ernst, Social Networks und Arbeitnehmer-Datenschutz, NJOZ 2011, 953; Faas/Henseler, Speicherdauer und Aufbewahrungsfristen unter der DSGVO, BB 2018, 2292; Gola, Das Internet als Quelle von Bewerberdaten, NZA 2019, 654; Göpfert/Dußmann, Recruiting und Headhunting in der digitalen Arbeitswelt – Herausforderungen für die arbeitsrechtliche Praxis, NZA-Beilage 2016, 41; Greßlin, Umgang mit Bewerberdaten – was geht und was geht nicht?, BB 2015, 117; Grimm/Kühne, Datenschutz und Datenschutzerklärung für Bewerber, ArbRB 2018, 245; Grimm/Göbel, Das Arbeitnehmerdatenschutzrecht in der DSGVO und dem BDSG neuer Fassung, jM 2018, 278; Günther/Böglmüller, Künstliche Intelligenz und Roboter in der Arbeitswelt, BB 2017, 53; Hafenmayer, Bewerbungsunterlagen: Einsichtnahmerechte einzelner Personengruppen, DB 2019, 2354; Jacobi/Jantz, Löschpflichten nach der EU-Datenschutzgrundverordnung, ArbRB 2017, 22; Kamanabrou, Die arbeitsrechtlichen Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, RdA 2006, 321; Kamps/ Bonanni, Der datenschutzrechtliche Beipackzettel zum Arbeitsvertrag, ArbRB 2017, 119; Köhler, Die DSGVO – eine neue Einnahmequelle für gewerbsmäßige Abmahner?, ZD 2018, 337; König, Beschäftigtendatenschutz, 2020; Korinth, Entschädigungsklagen von (Schein-)Bewerbern, ArbRB 2019, 82; Kort, Eignungsdiagnose von Bewerbern unter der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), NZA-Beilage 2016, 62; Lezzi/Oberlin, Gemeinsam Verantwortliche in der konzerninternen Datenverarbeitung, ZD 2018, 398; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, 4. Aufl. 2020, Michel/Wiese, Zur rechtlichen und psychologischen Problematik graphologischer Gutachten, NZA 1986, 505; Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2021; Ohly, UWG-Rechtsschutz bei Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung?, GRUR 2019, 686; Rockstroh/Leuthner, Nutzung von cloud-basierten RecruitingManagement-Plattformen – Datenschutzkonformer Einsatz im Konzern, ZD 2013, 497; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Aufl. 2021; Schreiber, Wettbewerbsrechtliche Abmahnung von Konkurrenten wegen Verstößen gegen DS-GVO, GRUR-Prax. 2018, 371; Wolff, UWG und DS-GVO: Zwei separate Kreise?, ZD 2018, 248.

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§ 23 Rz. 23.1

Bewerbungsverfahren

I. Worum geht es? 23.1 Die Betreuung und Durchführung von Bewerbungsverfahren ist eine Kernaufgabe jeder Personalabteilung. Üblicherweise richten Personalabteilungen standardisierte Prozesse ein, nach denen Stellenanzeigen geschaltet, Bewerbungsgespräche terminiert und die Bewerber eingestellt werden. Dabei unterstützen heutzutage elektronische Software-Anwendungen, insbesondere Bewerberdatenbanken und Bewerberportale. Bei der Ausgestaltung ihrer Prozesse sollte die Personalabteilung beachten, dass sich an Bewerbungsverfahren und die Konfiguration von Bewerberdatenbanken eine Vielzahl rechtlicher Anforderungen stellen. Einen Überblick gibt dieses Kapitel.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 23.2 Das Bewerbermanagement jedes Unternehmens muss folgende rechtliche Anforderungen beachten: – Weder in Stellenanzeigen noch im Verlauf des Bewerbungsverfahrens dürfen Bewerber aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität diskriminiert werden (dazu Rz. 23.3 ff.). – Die Bewerberportale und Bewerberdatenbanken, in denen eingehende Bewerbungsunterlagen gespeichert werden, müssen datenschutzkonform ausgestaltet werden (dazu Rz. 23.9 ff.). – Auch an den weiteren Umgang mit Bewerberdaten im Verlauf des Bewerbungsverfahrens stellen die Datenschutzbehörden strenge Datenschutzanforderungen (dazu Rz. 23.22 ff.). – Einige Arbeitgeber erwarten von ihren Bewerbern, dass diese an besonderen Bewerberauswahlverfahren, wie z.B. psychischen Tests, Assessmentcentern oder technischen Persönlichkeitsanalysen teilnehmen. Welche datenschutzrechtlichen Anforderungen für diese Verfahren gelten, ist im Einzelnen umstritten (dazu Rz. 23.26 ff.). – Der Betriebsrat ist für Bewerber zwar grundsätzlich nicht gem. § 5 Abs. 1 BetrVG zuständig. Dennoch stehen dem Betriebsrat in Hinblick auf das Bewerbungsverfahren viele wichtige Beteiligungsrechte zu (dazu Rz. 23.32 ff.).

1. Vermeidung unzulässiger Diskriminierungen 23.3 Unternehmen dürfen Bewerber bei der Besetzung von Stellen grundsätzlich nicht aus Gründen der Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligen (§ 7 Abs. 1, §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Satz 1 AGG). Nur im Ausnahmefall können solche Benachteiligungen gerechtfertigt werden, nämlich wenn es einen legitimen und gewichtigen Sachgrund für die Ungleichbehandlung gibt und sie im Einzelfall verhältnismäßig ist (§§ 8, 10 AGG). Andernfalls handelt es sich immer dann um eine unzulässige Benachteiligung, wenn der Arbeitgeber einen Bewerber wegen Eigenschaften ablehnt, die mit einem Merkmal i.S.d. § 1 AGG unmittelbar zusammenhängen (sog. unmittelbare Benachteiligung, § 3 Abs. 1 AGG) oder mit den Merkmalen typischerweise und überwiegend verknüpft sind (sog. mittelbare Benachteiligung, § 3 Abs. 2 AGG): – Eine Benachteiligung wegen der Schwanger- oder Mutterschaft ist eine Benachteiligung wegen des Geschlechts (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AGG).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.5 § 23

– Will ein Arbeitgeber nur Berufseinsteiger einstellen, handelt es sich um eine mittelbare Altersdiskriminierung, da berufserfahrene Arbeitnehmer typischerweise ältere sind1. – Der Arbeitgeber darf von Bewerbern einschlägige Berufserfahrung einfordern, auch wenn dieses Kriterium jüngere Bewerber benachteiligt. Diese Benachteiligung ist nämlich gem. § 10 Satz 1 u. 2 Nr. 2 AGG gerechtfertigt, sofern die Anforderungen nicht völlig willkürlich gestellt werden2. – Zulässig ist es, für eine Stelle deutsche Sprachkenntnisse vorauszusetzen. Hierbei handelt es sich um keine mittelbare Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft3. Anders ist dies allerdings, wenn der Arbeitgeber explizit Deutsch als „Muttersprache“ verlangt4. – Zulässig sind Fragen zu Staatsangehörigkeit, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis von Ausländern. Unternehmen dürfen Nicht-EU-Ausländer ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nämlich nicht beschäftigen (§ 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 4a AufenthG)5. Stellen Unternehmen einen Nicht-EU-Ausländer ein, ohne zuvor dessen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis zu prüfen, handeln sie fahrlässig6 und begehen eine Ordnungswidrigkeit, sollte die Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis tatsächlich fehlen. – Öffentliche Arbeitgeber sind nach § 165 SGB IX dazu verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Für private Arbeitgeber besteht keine solche Pflicht7. Zwar muss ein Merkmal i.S.d. § 1 AGG die Ablehnung eines Bewerbers kausal motiviert haben, damit eine unzulässige Benachteiligung vorliegt. Für den Kausalzusammenhang ist allerdings nicht erforderlich, dass dieses Merkmal das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv im Auswahlprozess gewesen ist. Bloße Mitursächlichkeit im Rahmen eines Bündels von Beweggründen, die letztlich zur Ablehnung des Bewerbers geführt haben, genügt für einen Rechtsverstoß8. Ob der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ist für den Verstoß unerheblich9.

23.4

Im Ausgangspunkt trägt der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass die Ablehnung seiner Bewer- 23.5 bung (auch) auf unzulässigen Motiven beruht10. Gelingt dem Arbeitnehmer allerdings der Nachweis von Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals mit überwiegender Wahrscheinlichkeit11 vermuten lassen, dreht sich die Darlegungs- und Beweislast vollständig (!) um, also nicht nur im Wege eines Anscheinsbeweises12 (§ 22 AGG). Dann muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass seine Beweggründe legitim waren. Das in der Praxis wichtigste Indiz für eine unzulässige Benachteiligung eines Bewerbers ist die diskriminierende Ausschreibung einer Stelle (§ 11 AGG)13.

1 BAG v. 18.8.2009 – 1 ABR 47/08, Leitsatz, ArbRB 2010, 76; BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, Orientierungssatz 2, ArbRB 2013, 136. 2 Kamanabrou, RdA 2006, 321 (330). 3 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 418/15, juris Rz. 41. 4 BAG v. 15.12.2016 – 8 AZR 418/15, juris Rz. 39. 5 Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 30. 6 BayObLG v. 27.3.2000 – 3 ObOWi 15/2000, juris Rz. 6. 7 Korinth, ArbRB 2019, 82 (84). 8 BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 736/15, ArbRB 2017, 202 = juris Rz. 25; BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, ArbRB 2017, 40 = juris Rz. 62; BAG v. 26.6.2014 – 8 AZR 547/13, ArbRB 2014, 365 = juris Rz. 34. 9 BAG v. 17.8.2010 – 9 AZR 839/08, ArbRB 2011, 37 = juris Rz. 29, 48. 10 Roloff in BeckOK/ArbR, Stand: 1.12.2021, § 22 AGG Rz. 3. 11 BAG v. 29.6.2017 – 8 AZR 402/15, ArbRB 2017, 365 = juris Rz. 47; BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, ArbRB 2016, 323 = juris Rz. 54. 12 BAG v. 29.6.2017 – 8 AZR 402/15, ArbRB 2017, 365 = juris Rz. 48; BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, ArbRB 2016, 323 = juris Rz. 54. 13 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, Leitsatz 2, ArbRB 2016, 323.

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471

§ 23 Rz. 23.6

Bewerbungsverfahren

23.6 Hinweis: Kommt es, z.B. wegen einer diskriminierenden Stellenausschreibung, zu einer Beweislastumkehr i.S.d. § 22 AGG, verliert der Arbeitgeber im Regelfall den Gerichtsprozess. Der Gegenbeweis wäre allenfalls mit hohem Aufwand zu erbringen. Die Rechtsprechung stellt schon hohe Anforderungen an die substantiierte Darlegung eines legitimen Ablehnungsmotivs1. Viele Unternehmen werden bereits Schwierigkeiten haben, vor Gericht ausreichend genau zu schildern, wie sich ihr Willensbildungsprozess bei Ablehnung der Bewerbung vollzogen hat. Sodann kann der klagende Bewerber den Arbeitgebervortrag mit Nichtwissen bestreiten. Der Arbeitgeber müsste nun den Beweis führen, dass das verbotene Merkmal unter keinem Gesichtspunkt – auch nicht als Nebenaspekt im Rahmen des Motivbündels (vgl. Rz. 23.4) – für seine Entscheidung mitursächlich war2. Üblicherweise muss er dazu die Zeugenvernehmung der Personen anbieten, welche die Auswahlentscheidung getroffen haben. Können sich diese Personen nicht mehr daran erinnern, was sie motiviert hatte, oder ist sich das Gericht letztlich nicht sicher, ob es den Behauptungen der Zeugen Glauben schenken kann (non liquet), wird der Diskriminierungsklage stattgegeben.

23.7 Liegt eine unzulässige Diskriminierung vor, hat der diskriminierte Bewerber zwar keinen Anspruch auf Einstellung (§ 15 Abs. 6 AGG). Allerdings kann er eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§ 15 Abs. 3 AGG). Diesen Entschädigungsanspruch muss der Arbeitnehmer binnen zwei Monaten nach Ablehnung seiner Bewerbung geltend machen (§ 15 Abs. 4 AGG) und binnen drei weiterer Monate einklagen (§ 61b ArbGG). Kann der Arbeitgeber beweisen, dass der Arbeitnehmer auch bei benachteiligungsfreier Entscheidung nicht eingestellt worden wäre3, z.B. weil es nachweislich einen eindeutig besser qualifizierten Bewerber gab4, ist der Entschädigungsbetrag auf maximal drei Monatsgehälter begrenzt (§ 15 Abs. 2 AGG). Die Regelentschädigung liegt dann bei ein bis zwei Monatsgehältern5. Andernfalls können Gerichte auch höhere Entschädigungen zusprechen. Typischerweise wird das Unternehmen drei bis vier Monatsgehälter zahlen müssen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Bewerber bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre6.

23.8 Hinweis: Dass sich an ernst gemeinte Bewerbungen Diskriminierungsklagen anschließen, weil sich ein Bewerber im Verlauf des Verfahrens diskriminiert fühlt, kommt praktisch selten vor. Suchen Bewerber ernsthaft nach einem Job, haben sie meistens keine Energie für Diskriminierungsklagen und kein Interesse daran, durch solche Klagen in ihrer Zielbranche für Aufsehen zu sorgen. In der Praxis stehen Diskriminierungsklagen routinierter Diskriminierungskläger (sog. „AGG-Hopper“) im Vordergrund, die im Internet gezielt nach diskriminierenden Stellenausschreibungen suchen und sich von vornherein allein mit dem Ziel, Entschädigungsansprüche geltend zu machen, auf diese Stellen bewerben. Zwar ist dieses Vorgehen mangels „Ernstlichkeit“ der Bewerbung eigentlich rechtsmissbräuchlich7. Allerdings trägt der Arbeitgeber für den Rechtsmissbrauchseinwand im Prozess die Beweislast und kann die hohen gestellten Nachweisanforderungen i.d.R. nicht erfüllen. Selbst bei routinierten und in der Presse bekannten Diskriminierungsklägern hat das BAG den Nachweis eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens nicht als erfüllt angesehen8.

1 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, ArbRB 2016, 323 = juris Rz. 89. 2 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, ArbRB 2017, 40 = juris Rz. 96 f. 3 BAG v. 17.8.2010 – 9 AZR 839/08, ArbRB 2011, 37 = juris Rz. 62; BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, juris Rz. 102; BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13, juris Rz. 162. 4 BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 406/14, juris Rz. 102. 5 Vgl. Steinau-Steinrück/Schneider in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 15 AGG Rz. 6; Deinert in Däubler/ Beck, AGG, 5. Aufl. 2022, § 15 AGG Rz. 94. 6 Deinert in Däubler/Beck, AGG, 5. Aufl. 2022, § 15 AGG Rz. 94. 7 EuGH v. 28.7.2016 – C-423/15, Leitsatz, ArbRB 2016, 259; Steinau-Steinrück/Schneider in Boecken/ Düwell/Diller/Hanau, § 15 AGG Rz. 7. 8 BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13, juris Rz. 134 ff.; BAG v. 11.8.2016 – 8 AZR 4/15, ArbRB 2017, 40 = juris Rz. 55 ff.

472

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.10 § 23

Arbeitgeber sollten ihr Augenmerk deshalb schwerpunktmäßig auf die Stellenausschreibungen richten und Mitarbeiter, die diese Stellenausschreibungen formulieren, rechtlich instruieren (vgl. für eine Musterinstruktion Rz. 23.49). Zum einen müssen Stellenausschreibungen geschlechtsneutral formuliert werden. Dafür genügt es, dass hinter einer männlich Berufsbezeichnung (z.B. „Schlosser“) der Zusatz „(m/w/d)“1 angefügt wird. Die Stellenausschreibung muss hingegen nicht umfassend „gegendert“ werden2, solange nur deutlich wird, dass weibliche Bewerber ebenfalls in Frage kommen. Der häufigste Fehler liegt allerdings bei der Altersdiskriminierung. Der Arbeitgeber darf Stellen nicht ausschließlich nur für „Berufseinsteiger“ ausschreiben. Will der Arbeitgeber deutlich machen, dass für eine Stelle keine Berufserfahrung verlangt wird, sollte er stattdessen die Formulierung „als Berufseinsteiger oder mit Berufserfahrung“ wählen. Der Arbeitgeber sollte in seinen Stellenanzeigen nicht von einem „jungen und dynamischen Team“ sprechen3 oder vergleichbare Andeutungen machen, die ältere Bewerber abschrecken könnten, da auch dies als altersdiskriminierend gewertet werden kann.

2. Speicherung von Bewerbungsunterlagen/Bewerberportale Die meisten Unternehmen verwenden heutzutage für ihr Bewerberdatenmanagement zentrale Be- 23.9 werberdatenbanken, in die alle eingehenden Bewerbungen eingepflegt werden. Über die Datenbank können Mitarbeiter des Unternehmens eingegangene Bewerbungen nach Suchbegriffen ordnen und das Auswahlverfahren beschleunigen. Üblich ist es, dass Unternehmen auf ihrer Webseite Bewerberportale einrichten. Dort geben Bewerber ihre Bewerberdaten in vorgegebene Masken ein und fügen Anschreiben, Lebenslauf und Urkunden als Anlage bei4. Die Informationen überträgt das Bewerberportal dann automatisch in die Bewerberdatenbank des Unternehmens. Bewerbungen, die in Papierform oder per E-Mail eingehen, missachten die Unternehmen entweder ganz oder arbeiten sie von Hand in die Bewerberdatenbank ein. Datenschutzrechtlich ist der Einsatz zentraler Bewerberdatenbanken sinnvoll, da sich so eine unternehmenseinheitliche Ablageplattform für alle Bewerbungsunterlagen festlegen lässt. Dies verhindert, dass Bewerbungsunterlagen unkontrolliert „durchs Haus wandern“, weil niemand weiß, wo sie hingehören. Außerdem können elektronische Löschfristen automatisiert und einheitlich in die Datenbank implementiert werden (dazu Rz. 23.16 ff., vgl. zu Löschfristen allgemein Rz. 12.28).

23.10

Hinweis: Auf die datenschutzkonforme Ausgestaltung ihrer Bewerberportale sollten Unternehmen ein besonderes Augenmerk richten. Das Bewerberportal ist ihr datenschutzrechtliches Aushängeschild. Mit nur einigen Mausklicks lässt sich auf der Unternehmenswebseite sofort einsehen, ob das Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen berücksichtigt oder nicht. Nach sehr umstrittener, aber in der Rechtsprechung vorherrschender Ansicht können Wettbewerber Unternehmen wegen DSGVO-Verstößen auf ihrer Webseite gem. §§ 3a, 8 UWG wettbewerbsrechtlich abmahnen5.

1 Vgl. zur alten Rechtslage BAG v. 23.11.2017 – 8 AZR 604/16, Orientierungssatz 1, NJW 2018, 1497. Das „d“ bei „(m/w/d)“ steht anerkannter Weise für „divers“. Damit sind nicht etwa Transsexuelle gemeint, die sich dem zu ihrem biologischen Geschlecht jeweils entgegengesetzten Geschlecht zugehörig fühlen (vgl. § 1 Transsexuellengesetz), sondern Personen, die sich gar keinem „binären“ Geschlecht zuordnen lassen wollen. Z.T. wird es für erforderlich gehalten, durch ein „d“ deutlich zu machen, dass auch diese Personen als Stellenbewerber in Frage kommen, LAG Schleswig-Holstein v. 22.6.2021 – 3 Sa 37 öD/21, ArbRB 2021, 229; Bettinghausen, BB 2018, 372 (374 f.); Korinth, ArbRB 2019, 82 (83); ähnlich LG Frankfurt v. 3.12.2020 – 2-13 O 131/20, FamRZ 2021, 989-992. Aus Gründen der Vorsicht empfiehlt sich dies. 2 BAG v. 23.11.2017 – 8 AZR 604/16, Orientierungssatz 1, NJW 2018, 1497. 3 BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, ArbRB 2016, 323 = juris Rz. 74 f. 4 Rockstroh/Leuthner, ZD 2013, 497 (497). 5 Vgl. OLG Hamburg v. 25.10.2018 – 3 U 66/17, GesR 2019, 398; OLG Naumburg v. 7.11.2019 – 9 U 6/19, Orientierungssatz 2, WRP 2020, 110; LG Würzburg v. 13.9.2018 – 11 O 1741/18 UWG, Orientierungssatz, WRP 2018, 1400; Wolff, ZD 2018, 248; a.A. Ohly, GRUR 2019, 686; Schreiber, GRUR-Prax. 2018, 371; Köhler, ZD 2018, 337; Baumgartner/Sitte, ZD 2018, 555.

Grimm/Singraven

473

§ 23 Rz. 23.11

Bewerbungsverfahren

23.11 An die Ausgestaltung der Bewerberdatenbank stellen sich folgende Datenschutzanforderungen: – Wenn Bewerbungen auch für Stellen herangezogen werden sollen, auf die sich der Bewerber nicht ausdrücklich beworben hat, muss der Bewerber eine Einwilligung hierzu erteilen (dazu Rz. 23.12 ff.). – Der Zugriff auf Bewerberdatenbanken ist nach Berechtigungskonzepten zu beschränken (dazu Rz. 23.15). – Für gespeicherte Bewerbungsunterlagen sind Löschfristen festzulegen (dazu Rz. 23.16 ff.). – Bewerber müssen in einer Datenschutzerklärung gem. Art. 13, 14 DSGVO über die Funktionsweise der Datenbank und den Umgang mit ihren Bewerbungsunterlagen informiert werden (dazu Rz. 23.20 f.).

a) Zulässige Verarbeitungszwecke und Einwilligung 23.12 Unternehmen dürfen Bewerbungen nur für diejenigen Zwecke verarbeiten, für die der Bewerber seine Bewerbung angedacht hat. Bewerben sich Kandidaten auf eine bestimmte, ausgeschriebene Stelle, darf die Bewerbung auch nur im Verfahren um die Besetzung genau dieser Stelle verarbeitet werden1. Das Unternehmen darf unter Verwendung der eingereichten Bewerbungsunterlagen nicht eigeninitiativ nach anderen, für den Bewerber in Frage kommenden Stellen suchen. Anders ist dies, wenn der Bewerber ausdrücklich eine datenschutzrechtliche Einwilligung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. a, Art. 7 DSGVO) erteilt. Mit der Einwilligung des Bewerbers darf die Bewerbung in einen Bewerberpool aufgenommen werden, auf den das Unternehmen sowie weitere Unternehmen desselben Konzerns zugreifen, wenn sie künftig nach geeigneten Kandidaten für eine offene Stelle suchen2.

23.13 Hinweis: Üblich ist es, dass Bewerberportale so konfiguriert werden, dass die Einwilligung dort durch Mausklick nach dem Opt-In-Verfahren (Erwägungsgrund 32 der DSGVO) erteilt werden kann. Diese Praxis ist rechtlich zulässig3. Unzulässig wäre es hingegen, wenn das Einwilligungsfeld bereits in der Voreinstellung markiert ist und durch den Bewerber deaktiviert werden müsste, wenn er keine solche Einwilligung erteilen will („ Opt-Out“)4. Bewerben sich Mitarbeiter per E-Mail, können sie die Einwilligung auch im E-Mail-Anschreiben erklären. Um Bewerber zur Abgabe der Einwilligungserklärung zu motivieren, können Unternehmen in den Stellenausschreibungstexten und ggf. in einer automatisierten Antwort-E-Mail ausdrücklich zur Abgabe der Einwilligung auffordern.

23.14 Initiativbewerbungen, die sich auf keine bestimmte Stelle beziehen, dürfen einem größeren Kreis von Führungskräften zur Verfügung gestellt werden, damit ermittelt werden kann, ob es irgendwo im Unternehmen eine geeignete Stelle gibt. Dies entspricht nämlich dem offenkundigen Willen des Initiativbewerbers5.

b) Berechtigungskonzept 23.15 Es versteht sich von selbst, dass Unternehmen nicht jedem neugierigen Mitarbeiter die Möglichkeit einräumen dürfen, nach Belieben in der Bewerberdatenbank zu „stöbern“. Stattdessen darf der Zu-

1 LBfDI Hessen, Tätigkeitsbericht 2016 Rz. 4.8.4.1; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 31; Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (246). 2 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 32; Bettinghausen/Wiemers, DB 2018, 1277 (1278); Rockstroh/Leuthner, ZD 2013, 497 (500); Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). 3 Bettinghausen/Wiemers, DB 2018, 1277 (1279). 4 Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (246); allgemein Specht in Specht/Mantz, Handbuch europäisches und deutsches Datenschutzrecht, 2019, § 9 Rz. 35. 5 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 32.

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Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.18 § 23

griff auf die Bewerberdatenbank nur aufgrund eines Berechtigungskonzepts eingeräumt werden1. Das Berechtigungskonzept muss den Zwecken folgen, für die eingehende Bewerbungen jeweils verarbeitet werden dürfen (Rz. 23.12 ff.): Grundsätzlich sollten nur diejenigen Führungskräfte Zugriff auf die Unterlagen eines Bewerbers erhalten, die am Bewerbungsverfahren des Bewerbers beteiligt sind. Darf eine Bewerbung allerdings zur Suche nach anderen in Frage kommenden Stellen verarbeitet werden, weil der Bewerber eine entsprechende Einwilligung erteilt oder eine Initiativbewerbung eingereicht hat, darf sie einem größeren Kreis von Führungskräften offengelegt werden. Mitarbeiter der Personalabteilung, welche eine Vielzahl von Bewerbungsverfahren übergreifend steuern, dürfen weitergehende Berechtigungen erhalten.

c) Löschkonzept Nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO müssen Löschfristen für Bewerbungsunterlagen eingerichtet werden. 23.16 Wie lange Bewerbungsunterlagen aufbewahrt werden dürfen, hängt davon ab, ob die Bewerbung nur für eine bestimmte Stelle verarbeitet werden darf oder ob es aufgrund einer Einwilligung oder bei einer Initiativbewerbung zulässig ist, den Bewerber für einige Zeit in einen Kandidatenpool aufzunehmen. Idealerweise sind die Löschfristen als elektronischer Automatismus in die Bewerberdatenbank implementiert. Bewirbt sich ein Bewerber auf eine bestimmte Stelle, dürfen die Bewerbungsunterlagen auch nach 23.17 Absage gem. Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO aufbewahrt werden, da das Unternehmen sie ggf. noch dazu benötigen könnte, sich gegen eine Diskriminierungsklage zu verteidigen2. Gelingt es einem Bewerber nämlich, Anhaltspunkte i.S.d. § 22 AGG für eine mögliche Diskriminierung zu beweisen, muss das Unternehmen den Nachweis führen, dass eine Absage insgesamt nicht aus diskriminierenden Erwägungen erfolgte. Dazu muss es vor Gericht regelmäßig den gesamten Bewerbungsprozess rekonstruieren und alle anderen eingegangenen Bewerbungen vorlegen3. Dies könnte das Unternehmen nicht, wenn die Bewerbungen bei Eingang der Diskriminierungsklage bereits gelöscht wären. Nach h.M. dürfen Bewerbungsunterlagen nach Absage des Bewerbers deshalb maximal noch sechs Monate gespeichert werden4. Initiativbewerbungen und Bewerbungen, in denen der Bewerber in die Verarbeitung der Unterlagen 23.18 zur Besetzung aller in Betracht kommender Stellen eingewilligt hat, dürfen zum Zweck der Stellenbesetzung für eine Zeit von sechs Monaten bis höchstens einem Jahr in einem Bewerberpool gespeichert werden. Spätestens dann ist der Bewerbungsinhalt veraltet und nicht mehr für Einstellungsentscheidungen geeignet5. Werden die Bewerbungsunterlagen aus dem Bewerberpool für ein laufendes Bewerbungsverfahrens zu einer bestimmten Stelle hinzugezogen, dürfen sie allerdings zusätzlich so lange aufbewahrt werden, bis dieses Bewerbungsverfahren abgeschlossen ist6 und bis zu sechs weitere Monate verstrichen sind. Dies rechtfertigt sich daher, dass die Bewerbung innerhalb dieser sechs Monate ggf. noch zur Verteidigung gegen eine Diskriminierungsklage benötigt wird (dazu bereits Rz. 23.6 f.).

1 2 3 4

Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (246); eingehend hierzu Hafenmayer, DB 2019, 2354 (2354 ff.). LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 32. BAG v. 19.5.2016 – 8 AZR 470/14, ArbRB 2016, 323 = juris Rz. 89. LBfD Bayern, Tätigkeitsbericht 2011/2012, S. 62; Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 144 (145); Jacobi/Jantz, ArbRB 2017, 22 (24); Faas/Henseler, BB 2018, 2292 (2296); a.A. LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 31 f.: vier Monate nach Absage. 5 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 32 f.; für eine Speicherdauer von max. sechs Monaten bei Initiativbewerbungen, wenn keine gesonderte Einwilligung vorliegt LBfD Bayern, Tätigkeitsbericht 2011/2012, S. 62; Bettinghausen/Wiemers, DB 2018, 1277 (1278). 6 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 32 f.

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§ 23 Rz. 23.19

Bewerbungsverfahren

23.19 Sobald Bewerber eingestellt wurden, dürfen die Bewerbungsunterlagen zur Personalakte genommen werden. Dies ist jedenfalls für die Inhalte zulässig, die für das Anstellungsverhältnis relevante Informationen über das Persönlichkeitsprofil und die Qualifikation des Mitarbeiters enthalten1. Zu diesem Anlass sollten die Bewerbungsunterlagen allerdings aus der Bewerberdatenbank gelöscht werden. In der Personalakte dürfen die Bewerbungsunterlagen so lange aufbewahrt werden, bis das Arbeitsverhältnis beendet und seit Schluss des Jahres der Beendigung weitere drei Jahre verstrichen sind2. Spätestens dann sind die Bewerbungsunterlagen endgültig zu löschen.

d) Datenschutzinformation 23.20 Im Bewerbungsverfahren erhebt das Unternehmen Daten beim Bewerber als Betroffenem nach Art. 13 DSGVO. Sollen ggf. Informationen aus Sekundärquellen eingeholt werden, ist nach Art. 14 DSGVO zu informieren3. Zu diesem Zweck sollten alle Unternehmen eine gut sichtbare Datenschutzinformation für Bewerber auf ihrer Webseite (z.B. innerhalb des Bewerberportals) veröffentlichen, welche die vorgeschriebenen Informationen enthält4.

23.21 Hinweis: Idealerweise wird zusätzlich in einer automatisierten E-Mail zur Bestätigung des Bewerbungseingangs auf die Datenschutzerklärung verwiesen.

3. Umgang mit Bewerberdaten im Bewerbungsverfahren 23.22 Mit Bewerbungsunterlagen muss sorgfältig umgegangen und Vertraulichkeit bezüglich der darin enthaltenen Informationen gewahrt werden. Damit Löschfristen – wenn sie als automatischer Mechanismus in der Bewerberdatenbank implementiert sind – nicht unterlaufen werden, muss sichergestellt werden, dass Mitarbeiter keine weiteren Kopien der Bewerbungsunterlagen aufbewahren. – Elektronische Kopien von Bewerbungsunterlagen außerhalb der zentralen Bewerberdatenbank müssen – wenn man sie überhaupt zulässt – bei Abschluss des Bewerbungsverfahrens gelöscht werden5. – Ausdrucke von Bewerbungsunterlagen in Papierform müssen im Aktenvernichter sorgfältig vernichtet oder zurückgegeben werden. Sie dürfen keinesfalls im Originalzustand in öffentlichen Müllcontainern entsorgt werden6.

23.23 Im Bewerbungsgespräch sind keine Fragen erlaubt, die auf Informationen zielen, die entweder für das Beschäftigungsverhältnis nicht relevant sind oder für das Beschäftigungsverhältnis nicht verarbeitet werden dürften, weil dies zu einer unzulässigen Diskriminierung i.S.d. § 7 Abs. 1, § 1 AGG führen würde7. Unzulässig sind z.B. Fragen nach getilgten Vorstrafen, Intimleben, weltanschaulicher Überzeugung, Gewerkschaftszugehörigkeit und Schwangerschaft. Gleichermaßen unzulässig sind

1 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 31; Greßlin, BB 2015, 117 (119); Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (246). 2 Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 144 (145); Faas/Henseler, BB 2018, 2292 (2296). 3 Bettinghausen/Wiemers, DB 2018, 1277 (1281). 4 Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (2467); Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). 5 Rockstroh/Leuthner, ZD 2013, 497 (500); Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (247). 6 LBfDI Rheinland-Pfalz, Datenschutzbericht 2008/2009, S. 51 f.; Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (247). 7 Für Übersichten zu zulässigen und unzulässigen Fragen vgl. LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 24 ff.; Kort, NZA 2017, 62 (67 ff.); Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, Stand: 1.11.2021, § 26 BDSG Rz. 73 ff.; Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 39 f.; Linck in Schaub, ArbRHdB, § 26 Rz. 22 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.25 § 23

Fragen nach Familienplanung und Familienstand, da sie indirekt mit der sexuellen Identität eines Bewerbers verknüpft sind1. Stellt der Arbeitgeber solche Fragen im Bewerbungsverfahren, darf der Arbeitnehmer lügen und verstößt dadurch nicht gegen vorvertragliche Treuepflichten2. Offenbart der Bewerber ungefragt Informationen, die der Arbeitgeber nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG oder § 7 Abs. 1, § 1 AGG nicht verarbeiten dürfte, müsste der Arbeitgeber sie streng genommen bei der Auswahlentscheidung ausblenden („Schwere im Kopf“)3 und darf sie jedenfalls nicht dokumentierend erfassen. Offenbart ein Arbeitnehmer allerdings ungefragt sein Sexualleben, darf der Arbeitgeber dies als unangemessenes Sozialverhalten (unabhängig von der Art des Sexuallebens) negativ berücksichtigen. Umstritten ist, welche Sekundärquellen der Arbeitgeber heranziehen darf, um sich über Bewerber zu informieren, ohne diese selbst zu fragen.

23.24

– Datenschutzbehörden vertreten die Rechtsansicht, personenbezogene Bewerberdaten dürften nur aus Karrierenetzwerken wie z.B. LinkedIn und XING, nicht aber sonstigen sozialen Netzwerken wie Facebook erhoben werden4. Dass der Arbeitgeber gegenüber solchen öffentlichen Informationen (vgl. Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO) die Augen verschließen müsste, erscheint allerdings lebensfremd und überzeugt deshalb nicht (dazu eingehend Rz. 27.16). – Datenschutzbehörden sind z.T. der Ansicht, eine Anfrage bei ehemaligen Arbeitgebern wäre ohne Einwilligung des Bewerbers unzulässig5. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Unternehmen haben ein berechtigtes Interesse daran, einen unabhängigen Eindruck vom Bewerber zu gewinnen6. Einen Vorrang der Direkterhebung kennt die DSGVO anders als § 4 Abs. 2 BDSG a.F. nicht mehr. Wenn sich der ehemalige Arbeitgeber auf eine Anfrage äußern möchte, ist dies Ausübung von Meinungsfreiheit und verletzt nicht die nachwirkende Treuepflicht7. – Unzulässig sind hingegen Backgroundchecks, mit denen ein Bewerber nicht rechnet und die er mit Recht als unangemessenen Eingriff in seine Privatsphäre empfinden muss. Datenschutzwidrig wären z.B. umfangreiche Befragungen im sozialen Umfeld des Bewerbers, Befragungen des Bewerbers unter falschen Vorwand oder die Kontaktaufnahme über soziale Netzwerke mittels eines Fakeaccounts, um sich Zugang zu geschützten Informationen des Bewerbers zu verschaffen8. Möchte das Unternehmen einen externen professionellen Anbieter beauftragen, einen Backgroundcheck des Bewerbers durchzuführen, benötigt es hierfür die Einwilligung des Bewerbers9.

23.25

Hinweis: Um in größeren (Konzern-) Unternehmen die Einhaltung der wichtigen Datenschutzvorgaben im Zusammenhang mit Bewerbungsverfahren sicherzustellen, empfiehlt es sich, Mitarbeiter anhand einer Compliance-Richtlinie zu instruieren (dazu Rz. 23.47 ff.).

1 Melms/Felisiak in Moll, § 9 Rz. 84; Linck in Schaub, ArbRHdB, § 26 Rz. 28 f. 2 BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 270/11, juris Rz. 28; grundlegend BAG v. 5.12.1957 – 1 AZR 594/56, Leitsätze, BB 58, 232. 3 Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (71). 4 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 29; ebenso Maschmann in Kühling/Buchner, § 26 BDSG Rz. 35. 5 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 30. 6 So auch Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 29; Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, Stand: 1.11.2021, § 26 BDSG Rz. 98; Grimm/Kühne, ArbRB 2018, 245 (247). 7 BAG v. 18.12.1984 – 3 AZR 389/83, DB 1985, 2307 = juris Rz. 11 f. 8 Dazu Gola, NZA 2019, 654 (656); Riesenhuber in BeckOK DatenschutzR, Stand: 1.11.2021, § 26 BDSG Rz. 101; Ernst, NJOZ 2011, 953 (956). 9 Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 30.

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§ 23 Rz. 23.26

Bewerbungsverfahren

4. Besondere Auswahlverfahren 23.26 Will der Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens besondere Auswahlverfahren praktizieren, müssen diese Auswahlverfahren aufgrund des gesetzlichen Erlaubnistatbestandes des § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein. Eine Einwilligung des Bewerbers kann die Teilnahme an besonderen Bewerberauswahlverfahren i.d.R. nicht rechtfertigen. Denn die Einwilligung des Bewerbers erfolgt in solchen Fällen grundsätzlich nicht freiwillig (Art. 7 Abs. 4 DSGVO), da der Bewerber damit rechnen müsste, dass seine Bewerbung abgelehnt wird, wenn er sich auf das Auswahlverfahren nicht einlässt1.

23.27 Unzulässig ist eine automatische und endgültige Entscheidungsfindung durch eine künstliche Intelligenz, die bestimmten Stellenbewerbern von sich aus absagt (Erwägungsgrund 71 Satz 1 sowie Art. 22 Abs. 1 DSGVO)2. Dagegen ist eine künstliche Intelligenz, die Bewerbungen lediglich vorsortiert und die endgültige Entscheidung einem menschlichen Recruiter überlässt, datenschutzrechtlich erlaubt3. Umstritten ist dabei, inwieweit der Algorithmus Informationen aus dem Privatleben der Bewerber verarbeiten darf, wenn diese in der Bewerbung angegeben oder im Internet offen einsehbar sind (dazu auch Rz. 16.10; eingehend zur Entscheidungsfindung durch eine KI Rz. 17.10 ff.). Jedenfalls darf die künstliche Intelligenz keine Informationen verarbeiten, nach denen der Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren auch nicht fragen dürfte (vgl. Rz. 23.23), selbst wenn diese Informationen durch den Bewerber von sich aus in der Bewerbung angegeben würden4.

23.28 Psychologische Tests, mit denen die Persönlichkeitsstruktur des Bewerbers durch psychologische Methoden untersucht wird, sind grundsätzlich nicht gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG erforderlich und deshalb datenschutzrechtlich unzulässig. Anders kann dies sein, wenn die Stelle des Bewerbers eine besondere psychische oder stressbezogene Belastbarkeit voraussetzt und der Test gezielt auf die Stelle zugeschnitten ist5. Unzulässig sind psychologische Tests allerdings stets, wenn ihr Aussagegehalt wissenschaftlich nicht validiert ist, wie z.B. die graphologische Untersuchung der Handschrift eines Bewerbers6. Generell erlaubt sind dagegen sog. „psychologische Tests“, bei denen es tatsächlich nur um die Abfrage von Wissen, der Motivation oder der Intelligenz des Bewerbers geht7. Der Arbeitgeber darf von Bewerbern die Teilnahme an einem Assessment-Center einfordern. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass in seinem Rahmen keine manipulativen oder anderweitig unzulässigen Methoden und Eingriffe praktiziert werden, sondern das Assessment-Center insgesamt nach einem anerkannten und sachgerechten Standard ausgestaltet ist8.

23.29 Verfahren der technischen Persönlichkeitsanalyse werden durch § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG grundsätzlich nicht gerechtfertigt9. Solche Verfahren sind beispielsweise Online-Persönlichkeitstests, Sprachanalysen und E-Mail-Analysen10. Im Ausnahmefall kann der Einsatz allerdings dann zulässig sein, wenn

1 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 35; Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (65). 2 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 36; Abel, ZD 2018, 304 (306); Buchner in Kühling/Buchner, Art. 22 DSGVO Rz. 16. 3 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 36; Günther/Böglmüller, BB 2017, 53 (56); s. auch Rz. 16.12. 4 LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 36. 5 Franzen, NZA 2013, 1 (2); Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (70); Melms/Felisiak in Moll, § 9 Rz. 118; König in König, Beschäftigtendatenschutz, § 4 Rz. 32; Fitting, § 94 Rz. 26. 6 Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (70); König in König, Beschäftigtendatenschutz, § 4 Rz. 32; zur fehlenden wissenschaftlichen Validität Michel/Wiese, NZA 1986, 505 (505 ff.); für die Zulässigkeit solcher Test bei Vorliegen einer Einwilligung des Bewerbers noch BAG v. 16.9.1982 – 2 AZR 228/80, juris Rz. 38, 39. 7 Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (70). 8 König in König, Beschäftigtendatenschutz, § 4 Rz. 32; Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (71). 9 Grimm/Göbel, jM 2018, 278 (282); wohl auch Dzida, BB 2018, 2677 (2683), der auf im Einzelfall vorliegende berechtigte Interessen bei Persönlichkeitstests und Sprachanalyse hinweist. 10 Beschreibung bei Dzida, BB 2018, 2677 (2682 f.).

478

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.32 § 23

– das Unternehmen gegenüber den Datenschutzbehörden darlegen kann, dass die konkrete Analysetiefe der Software für die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses vollumfänglich erforderlich ist, – Vorkehrungen getroffen sind, um unrichtige personenbezogene Daten zu korrigieren, – der Bewerber spezifisch über das Ergebnis der Analyse unterrichtet wird, – der Bewerber außerdem die Möglichkeit erhält, gegenüber dem Ergebnis der Auswertung einen abweichenden Standpunkt selbst darzulegen, sowie – das Ergebnis der Analyse in jedem Einzelfall menschlich überprüft wird1. Bevor er technische Verfahren der Persönlichkeitsanalyse einsetzt, muss der Arbeitgeber nach Art. 35 Abs. 3 lit. a DSGVO eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchführen, da mit dem Verfahren durch automatisierte Datenverarbeitung eine systematische und umfassende Bewertung persönlicher Aspekte natürlicher Personen vorgenommen würde2.

23.30

Hinweis: Große Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammenhang die Entwicklung einer Software namens „Precire“ hervorgerufen: Precire sollte anhand ca. 15 Minuten langer Telefongespräche Aussagen über das Persönlichkeitsprofil des Gesprächsteilnehmers treffen. Der Inhalt des Gesprächs war dabei egal, weil Precire die Spracheigenschaften, aber nicht den Sinn des Gesagten analysierte. Die gemessenen Eigenschaften glich die Software dann mit 5.000 gespeicherten Datensätzen ab und traf innerhalb von Minuten Aussagen über Charakterzüge des Gesprächsteilnehmers, wie Belastbarkeit, Durchsetzungsvermögen, Fleiß, Ehrgeiz und darüber, wie sympathisch er wahrgenommen wird3. Zuletzt sprangen allerdings wichtige Investoren von dem Projekt ab. Die Zukunft von Precire ist ungewiss.

Auf der Grundlage der EG-Verordnungen VO (EG) 2580/2001 und VO (EG) 881/2002 verlangt das Außenwirtschaftsgesetz Mitarbeiterscreenings in Bezug auf sog. Terrorlisten4. Aufgrund des sog. Bereitstellungsverbotes darf in diesen Listen genannten Personen und Organisationen weder direkt noch indirekt Geld zur Verfügung gestellt werden. Verstöße gegen das Bereitstellungsverbot sind in § 34 AWG sanktioniert. Auch die Zollbehörden verlangen als Voraussetzung für das sog. AEO-Zertifikat (Authorised Economic Operator), dass der Antragsteller in sicherheitsrelevanten Bereichen tätige Arbeitnehmer einer solchen Sicherheitsüberprüfung unterzieht. Dies ist insbesondere für Unternehmen der Außenwirtschaft relevant und erforderlich i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG5. Diese Rechtslage wird in der datenschutzrechtlichen Literatur z.T. kritisiert6, gibt der Praxis aber Planungssicherheit.

23.31

5. Beteiligung des Betriebsrates Bewerber sind keine Arbeitnehmer i.S.d. § 5 BetrVG. Der Betriebsrat ist deshalb grundsätzlich nicht für Bewerber zuständig. Insbesondere kann der Betriebsrat hinsichtlich des Umgangs mit Bewerbern keine echten Mitbestimmungsrechte geltend machen und bestimmt z.B. bei der Verarbeitung elektronischer Bewerberdaten nicht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mit7. Allerdings stehen dem Be1 2 3 4

LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 35 f. Grimm/Göbel, jM 2018, 278 (282); Dzida/Groh, ArbRB 2018, 179 (181). Grimm/Göbel, jM 2018, 278 (282). Otto/Lampe, NZA 2011, 1134; Kirsch, ZD 2012, 519; Behling, NZA 2015, 1359; Byers/Fetsch, NZA 2015, 1364. 5 BFH v. 19.6.2012 – VII R 43/11, juris Rz. 12 ff.; Traut, RDV 2014, 119 (119 ff.); Kort, NZA 2017, 62 (70); Byers/Fetsch, NZA 2015, 1364 (1364 ff.); Behling, NZA 2015, 1359 (1361); a.A. Gundelach, NZA 2018, 1606 (1606 f.). 6 Gundelach, NZA 2018, 1606 (1606 f.); Kirsch, ZD 2012, 519 (519 ff.); Gleich, DB 2013, 1967 (1970). 7 Kort, NZA-Beilage 2016, 62 (65).

Grimm/Singraven

479

23.32

§ 23 Rz. 23.32

Bewerbungsverfahren

triebsrat wichtige andere Beteiligungsrechte zu, die sich auf Bewerbungs- und Einstellungsverfahren beziehen.

23.33 Der Einsatz von Personalfragebögen, auch, soweit sie nur durch Bewerber beantwortet werden sollen, die noch nicht im Betrieb eingestellt sind, bedarf der Zustimmung des Betriebsrates (§ 94 Abs. 1 BetrVG)1. Gleiches gilt für die Aufstellung allgemeiner Beurteilungsgrundsätze für Bewerber (§ 94 Abs. 2 Alt. 2 BetrVG)2. Als Personalfragebogen gelten auch die Masken im Bewerberportal, in welche ein Bewerber persönliche Angaben einpflegt, um seine Bewerbung zu registrieren3. Nach ganz h.M. fallen außerdem sämtliche standardisierten Bewerbertestverfahren4 unter das Zustimmungserfordernis, z.B. einheitlich praktizierte psychologische Eignungstests5, Assessment-Center6 oder Algorithmen, nach denen Bewerbungen bewertet und sortiert werden7. Auch wenn der Arbeitgeber Richtlinien für die Auswahl von Bewerbern aufstellt, benötigt er die Zustimmung des Betriebsrates (§ 95 Abs. 1 BetrVG)8. Hat der Betrieb mehr als 500 Arbeitnehmer, steht dem Betriebsrat ein Initiativrecht zu und er kann verlangen, dass Regeln über die Bewerberauswahl bei Einstellungen festgelegt werden (§ 95 Abs. 2 BetrVG)9. Der Betriebsrat kann im Einigungsstellenverfahren durchsetzen, dass die Auswahlrichtlinie als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wird10.

23.34 Darüber hinaus kann die Bewerberdatenbank nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt sein, nämlich dann, wenn sie Nutzerdaten von Arbeitnehmern des Betriebes erhebt, die sich mit individualisierten Accounts in die Datenbank einloggen (dazu allgemein Rz. 15.23). Terrorlistenscreening ist auch bei bereits eingestellten Mitarbeitern betriebsverfassungsrechtlich mitbestimmungsfrei, da die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation kein betriebliches, sondern ein außerbetriebliches Verhalten ist11.

23.35 Nach § 93 BetrVG kann der Betriebsrat verlangen, dass Stellen im Betrieb (nicht aber im gesamten Unternehmen oder Konzern12) vor ihrer Besetzung auch innerbetrieblich ausgeschrieben werden. Dies gilt auch für Stellen, die eigentlich mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen13. Wie die Ausschreibung erfolgt, legt der Arbeitgeber fest. Die innerbetriebliche Ausschreibung muss allerdings so erfolgen, dass alle als Bewerber in Betracht kommenden Arbeitnehmer des Betriebes die Möglichkeit haben, von der Stellenausschreibung Kenntnis zu nehmen. Regelmäßig ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die Ausschreibung in der Weise bekannt gemacht wird, in der auch sonst Bekanntgaben gegenüber der Gesamtbelegschaft erfolgen14. Nicht ausreichend ist dagegen die Veröffentlichung der Stellenanzeige im Bewerberportal, auf das auch externe Bewerber Zugriff haben. Üblicherweise ist ein innerbetrieblicher Ausschreibungszeitraum von zwei Wochen angemessen15.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15

BAG v. 21.9.1993 – 1 ABR 28/93, Leitsatz 1, CR 1994, 632. Mauer in BeckOK/ArbR, Stand: 1.12.2021, § 94 BetrVG Rz. 4; Fitting, § 94 BetrVG Rz. 29. Göpfert/Dußmann, NZA-Beilage 2016, 41 (45). Fitting, § 94 BetrVG Rz. 26; Kania in ErfK, § 94 BetrVG Rz. 2. Fitting, § 94 BetrVG Rz. 26; Franzen, NZA 2013, 1 (3). Fitting, § 94 BetrVG Rz. 26; Kania in ErfK, § 94 BetrVG Rz. 2; allgemein bejaht für Beurteilungsverfahren BAG v. 17.3.2015 – 1 ABR 48/13, Leitsatz, ArbRB 2015, 202; differenzierend Ricken in HWK, § 93 BetrVG Rz. 3. Göpfert/Dußmann, NZA-Beilage 2016, 41 (46). Fitting, § 95 BetrVG Rz. 7; Kania in ErfK, § 95 BetrVG Rz. 6. Fitting, § 95 BetrVG Rz. 15; Kania in ErfK, § 95 BetrVG Rz. 8; Ricken in HWK, § 95 BetrVG Rz. 11. Kania in ErfK, § 95 BetrVG Rz. 5. BAG v. 19.12.2017 – 1 ABR 32/16, Leitsatz, ArbRB 2018, 170. Fitting, § 93 BetrVG Rz. 10; Kania in ErfK, § 93 BetrVG Rz. 7; Ricken in HWK, § 93 BetrVG Rz. 13. BAG v. 1.2.2011 – 1 ABR 79/09, Leitsatz, ArbRB 2011, 203. BAG v. 6.10.2010 – 7 ABR 18/09, ArbRB 2011, 109 = juris Rz. 69. BAG v. 6.10.2010 – 7 ABR 18/09, Leitsatz, ArbRB 2011, 109.

480

Grimm/Singraven

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 23.39 § 23

Einen Grundsatz, dass offene Stellen vorrangig mit betriebsangehörigen Bewerbern zu besetzen sind, gibt es nicht1.

23.36

Hinweis: Durch die Pflicht zur innerbetrieblichen Ausschreibung verzögern sich Stellenbesetzungen. Auch wenn das Unternehmen bereits mit einem geeigneten Kandidaten in Kontakt steht und für diesen Kandidaten eine Stelle gezielt schaffen und zuschneiden will, muss diese Stelle erst zwei Wochen ausgeschrieben und der Betriebsrat noch eine weitere Woche gem. § 99 Abs. 1 BetrVG angehört werden, bevor die Einstellung erfolgen darf.

Bevor der Arbeitgeber einen Bewerber einstellt, muss er den Betriebsrat gem. § 99 Abs. 1 BetrVG unterrichten und um Zustimmung – auch zu dessen Eingruppierung – ersuchen. Im Rahmen der Unterrichtung muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Bewerbungsunterlagen aller Stellenbewerber vorlegen2, einschließlich etwaiger Test- und Übungsergebnisse, die der Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens erhebt3. Angefertigte Kurznotizen zum Bewerber müssen dem Betriebsrat nur dann vorgelegt werden, wenn der Arbeitgeber sie bis zum Abschluss des Auswahlverfahrens aufbewahrt, nicht dagegen, wenn er sie umgehend vernichtet4. Verwendet der Arbeitgeber eine elektronische Bewerberdatenbank, muss er den Betriebsrat über sämtliche in der Datenbank hinterlegte Angaben, Informationen und Bewertungen des Bewerbers informieren5. Die Unterrichtung kann erfolgen, indem der Arbeitgeber dem Betriebsrat einen Lesezugriff für die Bewerberdatenbank einrichtet6. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sollten die Lesezugriffsrechte des Betriebsrates allerdings inhaltlich und zeitlich beschränkt werden7.

23.37

Der Arbeitgeber darf den Bewerber erst einstellen, sobald der Betriebsrat der Einstellung zugestimmt oder innerhalb einer Woche nach ordnungsgemäßer Unterrichtung die Zustimmungsverweigerung nicht rechtswirksam erklärt hat (§ 99 Abs. 3 BetrVG). Der Betriebsrat darf seine Zustimmung zur Einstellung nur aus gesetzlich vorgesehenen Gründen verweigern (vgl. § 99 Abs. 2 BetrVG) und nicht nach Belieben. Im Zusammenhang mit seiner Zustimmungsverweigerung muss der Betriebsrat einen gesetzlichen Grund angeben, auf den er seine Zustimmungsverweigerung stützt. Fehlt es an der Angabe, ist die Zustimmungsverweigerung unwirksam8. Allerdings muss der Verweigerungsgrund nicht im Detail substantiiert und das Gesetz auch nicht wörtlich zitiert werden – es genügt, wenn sich die durch den Betriebsrat mitgeteilte Begründung einem der gesetzlichen Zustimmungsverweigerungsgründe zuordnen lässt9. Ein Nachschieben weiterer Zustimmungsverweigerungsgründe ist nach Ablauf der Wochenfrist nicht mehr zulässig10.

23.38

Hinweis:

23.39

Im Konfliktfall ist es Arbeitgebern i.d.R. nicht zu empfehlen, dass Beteiligungsrecht des Betriebsrates nach § 99 BetrVG einfach zu unterlaufen. Der Betriebsrat kann dann ein gerichtliches Verfahren einleiten und einen Antrag auf Aufhebung der Einstellung sowie auf Zwangsgeldandrohung stellen (§ 101 BetrVG). Im 1 BAG v. 18.11.1980 – 1 ABR 63/78, juris Rz. 29. 2 BAG v. 21.10.2014 – 1 ABR 10/13, juris Rz. 29. 3 BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, ArbRB 2005, 237 = juris Rz. 44; BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, juris Rz. 33; BAG v. 10.11.1992 – 1 ABR 21/92, Leitsatz 1, DB 1993, 1141. 4 BAG v. 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, ArbRB 2005, 237 = juris Rz. 40. 5 LAG Köln, Beschl. v. 15.5.2020 – 9 TaBV 32/19, Leitsatz, ArbRB 2020, 339 (Markowski). 6 Hafenmayer, DB 2019, 2354 (2357); LAG Köln v. 15.5.2020 – 9 TaBV 32/19, Orientierungssatz 2, ArbRB 2020, 339 (Markowski). 7 Hafenmayer, DB 2019, 2354 (2357); LAG Köln v. 15.5.2020 – 9 TaBV 32/19, ArbRB 2020, 339 (Markowski) = juris Rz. 59. 8 BAG v. 24.7.1979 – 1 ABR 78/77, Leitsätze, BB 1980, 104. 9 BAG v. 6.8.2002 – 1 ABR 49/01, ArbRB 2003, 75 = juris Rz. 41. 10 BAG v. 17.11.2010 – 7 ABR 120/09, Orientierungssatz 2, DB 2011, 884; BAG v. 18.8.2009 – 1 ABR 49/08, ArbRB 2010, 47 = juris Rz. 23.

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481

§ 23 Rz. 23.39

Bewerbungsverfahren

Rahmen dieses gerichtlichen Verfahrens kann der Arbeitgeber weder geltend machen, dass kein Zustimmungsverweigerungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 2 BetrVG vorlag, noch im Wege der Widerklage die Ersetzung der Zustimmung nach § 99 Abs. 4 BetrVG beantragen1. Mit beiden Einwänden würde er durch das Gericht nicht gehört. Stattdessen verliert der Arbeitgeber das gerichtliche Verfahren zwingend und muss den eingestellten Bewerber wieder entlassen. Eine einstweilige Verfügung kann der Betriebsrat allerdings nicht auf § 101 BetrVG stützen2. Meistens empfiehlt es sich, den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß und vollständig zu informieren (notfalls kann noch im laufenden gerichtlichen Verfahren nachinformiert werden3). Lehnt der Betriebsrat die Einstellung ab, kann der Arbeitgeber die Rechtsauffassung vertreten, dass es aus sachlichen Gründen dringend erforderlich sei, die Einstellung vorläufig vorzunehmen (§ 100 Abs. 1 BetrVG) und den Betriebsrat über diese Rechtsauffassung unverzüglich unterrichten (§ 100 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Bestreitet der Betriebsrat darauf die dringende Erforderlichkeit, muss der Arbeitgeber binnen drei Tagen (!) einen gerichtlichen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates stellen (§ 99 Abs. 4 BetrVG) und zugleich die gerichtliche Feststellung beantragen, dass eine vorläufige Einstellung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war (§ 100 Abs. 2 Satz 2 u. 3 BetrVG). Dann darf der Arbeitgeber den eingestellten Bewerber schon während des Gerichtsverfahrens zumindest solange beschäftigen, bis einer der beiden Anträge rechtskräftig abgelehnt wurde, d.h. bei Einlegung von Rechtsmitteln i.d.R. deutlich über ein Jahr. Kann der Betriebsrat vor Gericht nicht belegen, dass ein gesetzlicher Zustimmungsverweigerungsgrund i.S.d. § 99 Abs. 2 BetrVG vorlag, wird die Zustimmung ersetzt und der Arbeitgeber darf den Bewerber nunmehr dauerhaft einsetzen. Den Arbeitgeber trifft keine Obliegenheit, ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer Einstellung – egal ob berechtigt oder unberechtigt – kann der Arbeitgeber den eingestellten Bewerber entweder in der Wartezeit grundlos (§ 1 Abs. 1 KSchG)4 oder – wenn die Wartezeit bereits abgelaufen ist – betriebsbedingt kündigen5.

III. Best Practice 23.40 Um ein ordnungsgemäßes Bewerberdatenmanagement einzurichten, muss der Arbeitgeber, – eine datenschutzkonforme Bewerberdatenbank und ein datenschutzkonformes Bewerberportal einrichten (dazu Rz. 23.41 ff.) und – seine Mitarbeiter, welche die Bewerbungsverfahren betreuen, zum datenschutzkonformen Umgang mit Bewerberinformationen, zur Einhaltung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) sowie zur Wahrung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates instruieren (dazu Rz. 23.47 ff.).

1. Bewerberdatenbank und Bewerberportal 23.41 Bewerberdatenbank und Bewerberportal müssen datenschutzkonform ausgestaltet werden. I.d.R. erfordert dies, dass – Zugriffs- und Berechtigungsschranken bestehen (vgl. Rz. 23.15),

1 BAG v. 18.7.1978 – 1 ABR 43/75, Leitsatz 3, NJW 1979, 671. 2 LAG Hamm v. 26.2.2007 – 10 TaBV Ga 3/07, Orientierungssatz, NZA-RR 2007, 469; Hessisches LAG v. 15.12.1987 – 4 TaBV Ga 160/87, Orientierungssätze, NZA 1989, 232; Kania in ErfK, § 101 BetrVG Rz. 3; Thüsing in Richardi, § 101 BetrVG Rz. 8. Lediglich, wenn sich der Verstoß des Arbeitgebers als außergewöhnlich grob darstellt, kommt ein Verfügungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG in Betracht. 3 BAG v. 9.3.2011 – 7 ABR 127/09, Orientierungssatz 2, BB 2011, 2164. 4 Thüsing in Richardi, § 99 BetrVG Rz. 331. 5 Melms/Felisiak in Moll, § 10 Rz. 324; Ricken in HWK, § 99 BetrVG Rz. 96; Kania in ErfK, § 99 BetrVG Rz. 45; Thüsing in Richardi, § 99 BetrVG Rz. 331.

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III. Best Practice

Rz. 23.46 § 23

– das Bewerberportal es im Opt-in-Verfahren ermöglicht, in die Verarbeitung eingereichter Bewerberdaten auch für Stellen einzuwilligen, auf die sich der Bewerber nicht ausdrücklich beworben hat (vgl. Rz. 23.12 f.), – gesetzeskonforme, automatisierte Löschfristen für alle eingereichten Bewerbungen implementiert sind, die sich nach dem Stand der jeweiligen Bewerbungsverfahren und den Einwilligungen der Bewerber richten (vgl. Rz. 23.16 ff.), – im Bewerberportal eine Datenschutzinformation für Bewerber gem. Art. 13, 14 DSGVO veröffentlicht ist, die unkompliziert eingesehen und abgerufen werden kann (vgl. Rz. 23.20 bzw. für ein Muster Rz. 23.46). Die meisten Unternehmen lassen sich ihre Bewerberdatenbanken und Bewerberportale von 23.42 Dienstleistern zur Verfügung stellen. Typischerweise geschieht dies mit Cloud-Lösungen im Wege der Auftragsverarbeitung1. Dabei speichert der Dienstleister die Bewerbungen auf eigenen Servern für das Unternehmen und räumt dem Unternehmen Zugriff auf seine Datenbanken ein. Die Standardsoftware des Dienstleisters wird bei üblichen „Software as a Service“-Verträgen (SaaS) an das Webseitendesign und die Wünsche des Kunden angepasst und in die Unternehmenswebseite eingearbeitet. Rechtsgrundlage der Vertragsbeziehung ist dann ein Software-Mietvertrag. Bevor das Unternehmen den Vertrag schließt, sollte es überprüfen, dass die Standardsoftware des Dienstleiters ohne unverhältnismäßigen Aufwand datenschutzkonform angepasst werden kann. Der Softwaredienstleister ist zwar aufgrund der Auftragsverarbeitungsvereinbarung (Art. 28 Abs. 3 Satz 2 lit. e DSGVO) sowie der mietrechtlichen Mängelgewährleistung i.V.m. den Grundsätzen nach Art. 25 DSGVO verpflichtet, zumindest notwendige Funktionalitäten zur Verfügung zu stellen, um ein datenschutzkonformes Bewerbermanagement zu ermöglichen. Statt sich darüber zu streiten, was genau das heißt, sollte der Arbeitgeber besser von vornherein ein geeignetes Softwareprodukt auswählen (eingehend zu SaaS-Verträgen Rz. 15.8 ff.). Da das Bewerberportal als Personalfragebogen i.S.d. § 94 Abs. 1 BetrVG gilt, muss der Betriebsrat seinem Einsatz zustimmen (vgl. Rz. 23.33).

23.43

Hinweis:

23.44

In vielen Betrieben wissen allerdings weder Arbeitgeber noch Betriebsräte von der Existenz des Beteiligungsrechts nach § 94 Abs. 1 BetrVG, so dass eine Beteiligung unterbleibt. Da der Betriebsrat nicht konkludent auf Beteiligungsrechte verzichten kann, ist der Betriebsrat in solchen Fällen nicht gehindert, seinen Beteiligungsanspruch jederzeit nachträglich geltend zu machen.

Selbst erstellen muss das Unternehmen seine Datenschutzinformation für Bewerber, welche im Bewerberportal veröffentlicht wird. Die Datenschutzinformation muss gegenüber den Bewerbern alle in Art. 13, 14 DSGVO genannten Angaben enthalten und kann z.B. wie folgt gestaltet werden:

23.45

M 23.1 Datenschutzinformation zur Verarbeitung von Bewerberdaten

23.46

Datenschutzrechtliche Information zur Verarbeitung von Bewerberdaten Wir freuen uns, dass Sie sich für eine Stelle in unserem Unternehmen bewerben möchten. Damit wir Sie an Bewerbungsverfahren für eine bestimmte Stelle beteiligen können, sind verkehrsübliche und aussagekräftige Bewerbungsunterlagen erforderlich, die Ihre personenbezogenen Daten enthalten2.

1 LBfDI Hessen, Tätigkeitsbericht 2016 Rz. 4.8.4.2; Rockstroh/Leuthner, ZD 2013, 497 (497 f.). 2 Der Bewerber muss gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. e DSGVO darüber informiert werden, ob und inwieweit die Bereitstellung personenbezogener Daten erforderlich ist und welche Konsequenzen es hätte, wenn er bestimmte personenbezogene Daten nicht zur Verfügung stellt, Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). I.d.R. wird dem Bewerber ohnehin bewusst sein, dass ohne aussagekräftige Bewerbungsunterlagen

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§ 23 Rz. 23.46

Bewerbungsverfahren

Zu Ihren personenbezogenen Daten gehören z.B. Ihr Name, Ihre Kontaktdaten und Ihre Bewerbungsunterlagen, bestehend aus Ihrem Anschreiben, Lebenslauf sowie den üblichen Nachweisen und Zeugnissen. Der Schutz Ihrer personenbezogenen Daten hat für uns höchsten Stellenwert. Damit Sie nachvollziehen können, was mit Ihren Daten passiert, beantwortet Ihnen diese Datenschutzinformationen, worauf Sie bei der Einreichung von Bewerbungsunterlagen achten sollten, wie Ihre Daten durch unser Unternehmen verarbeitet werden und auf welche Weise Sie auf die Datenverarbeitung Einfluss nehmen können. I. Worauf sollte ich bei Einreichung meiner Bewerbung achten? Wir sind Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Bewerbung über das Bewerberportal auf der Webseite unseres Unternehmens einreichen. Auf diese Weise erleichtern Sie uns die Datenverarbeitung. Wir bieten Ihnen allerdings auch die Möglichkeit an, Ihre Bewerbungsunterlagen per E-Mail oder in Papierform an uns zu übersenden. Wenn Sie Ihre Bewerbungschancen erhöhen wollen, sollten Sie darin einwilligen, dass wir Ihre Bewerbungsunterlagen auch zur Besetzung anderer Stellen heranziehen dürfen als diejenigen, auf die Sie sich ausdrücklich beworben haben. Dann können wir Ihnen von uns aus weitere Stellen anbieten. Diese Einwilligung können Sie entweder über den dafür vorgesehenen Einwilligungsbutton in unserem Bewerberportal oder alternativ in Ihrem Bewerbungsanschreiben oder per E-Mail erteilen. Sie können Ihre Einwilligung jederzeit widerrufen. Senden Sie uns zur Erklärung des Widerrufs einfach eine E-Mail …. Wenn Sie die Einwilligung nicht erteilen oder nachträglich widerrufen, entstehen Ihnen dadurch im Bewerbungsverfahren um diejenige Stelle, auf die Sie sich ausdrücklich beworben haben, keine Nachteile. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie uns keine Dateianhänge mit Viren, Trojanern und anderer schädlicher Software übermitteln. Wenn Ihrer Bewerbung Anlagen in ungewöhnlichen Dateiformaten beigefügt sind, müssen Sie damit rechnen, dass unsere Antivirensoftware die Bewerbung abfängt und Sie keine Rückmeldung erhalten. Verwenden Sie deshalb sicherheitshalber Standardformate (z.B. PDF). Achten Sie zum Schutz Ihrer personenbezogenen Daten bitte darauf, dass Sie in Ihren Bewerbungsunterlagen keine Angaben zu folgenden besonders sensiblen Themen machen: – Ihre politische, religiöse oder weltanschauliche Überzeugung, – Ihre etwaige Gewerkschaftszugehörigkeit, – Informationen zu Ihrer Gesundheit oder einer etwaigen Schwangerschaft, – Angaben zu Sexualleben oder sexueller Orientierung, – Angaben zu Ihrer spezifischen ethnischen Herkunft1. Ihre Staatsangehörigkeit und Ihr Geburtsland dürfen Sie hingegen selbstverständlich nennen. II. Wie werden meine Daten verarbeitet? Wenn Sie das Karriereportal auf unserer Webseite nutzen, werden Ihre Eingaben in unserer Bewerberdatenbank erfasst. Unsere Bewerberdatenbank wird cloudbasiert durch unseren Auftragsverarbeiter, die … betrieben. Der Auftragsverarbeiter stellt nur Software und Rechenkapazitäten zur Verfügung und nimmt auf das Bewerbungsverfahren keinen sonstigen Einfluss. Hierbei handelt es sich um eine Auftragsverarbeitung i.S.d. Art. 28 DSGVO. Der Auftragsverarbeiter ist durch detaillierte vertragliche Garantien dazu verpflichtet,

ein Bewerbungsverfahren nicht sinnvoll durchgeführt werden kann. Die Angaben hierzu können deshalb jedenfalls knapp ausfallen kann (vgl. Art. 13 Abs. 4 DSGVO). 1 Durch Datenschutzbehörden wird z.T. gefordert, dass ein besonders hoher Schutzbedarf festgelegt werden müsse, wenn Angaben i.S.d. Art. 9 DSGVO in der Bewerbung enthalten sind, vgl. LBfDI Hessen, Tätigkeitsbericht 2016, Rz. 4.8.4.1. Da es für Unternehmen aber in einem teilautomatisierten Prozess schwerlich praktikabel ist, auf solche Angaben besondere Rücksicht zu nehmen, erscheint es sinnvoll, Bewerber von vornherein dazu aufzufordern, solche Angaben nicht in ihre Bewerbungsschreiben aufzunehmen.

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III. Best Practice

Rz. 23.46 § 23

mit technischen und organisatorischen Maßnahmen den Schutz Ihrer personenbezogenen Daten sicherzustellen1. Wenn Sie uns Bewerbungsunterlagen nicht über das Karriereportal, sondern per Post oder per E-Mail übersenden, werden wir die übermittelten Daten ebenfalls in unsere Bewerberdatenbank einpflegen und die Originale anschließend vernichten bzw. löschen. Für welche Stellen wir Ihre Bewerbung verarbeiten und wie lange wir Ihre Unterlagen aufbewahren, hängt davon ab, mit welchem Ziel Sie sich bei uns bewerben: – Grundsätzlich ziehen wir Ihre Bewerbungsunterlagen nur zur Entscheidung über die Besetzung derjenigen Stelle heran, auf welche Sie sich ausdrücklich beworben haben2. Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung ist § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG3. – Sollte das Bewerbungsverfahren nicht zu Ihrer Einstellung führen, werden wir Ihre Bewerberdaten regulär löschen und vernichten, sobald seit der Absage weitere vier Monate verstreichen4. – Wenn Sie darin eingewilligt haben, dass wir Ihre Bewerbungsunterlagen auch zur Besetzung anderer Stellen verwenden dürfen, können wir Ihre Bewerbungsunterlagen im Rahmen von Besetzungsentscheidungen über sämtliche in Betracht kommende Stellen berücksichtigen. Wir werden Ihre Bewerberdaten in automatisierten Suchläufen für ausgewählte Entscheidungsträger unserer Unternehmensgruppe zur Abfrage zur Verfügung stellen, damit diese sich über Ihr Persönlichkeitsprofil und Ihre Qualifikationen informieren können. Rechtsgrundlage dieser Datenverarbeitung ist § 26 Abs. 1 u. 2 BDSG. Wir werden Ihre Bewerberdaten bei Widerruf der Einwilligung oder regulär nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten ab Eingang Ihrer Bewerbung löschen und vernichten, nicht jedoch, bevor Ihre Beteiligung an sämtlichen Bewerbungsverfahren, zu denen Ihre Bewerbungsunterlagen bis dahin hinzugezogen wurden, abgeschlossen ist und seitdem eine Frist von vier Monaten verstrichen ist. – Wenn Sie bei uns eine Initiativbewerbung einreichen, die sich auf keine bestimmte Stelle bezieht, können wir Ihre Bewerbungsunterlagen im Rahmen von Besetzungsentscheidungen über sämtliche in Betracht kommende Stellen in unserer Unternehmensgruppe hinzuziehen. Wir werden die Bewerberdaten in automatisierten Suchläufen für ausgewählte Entscheidungsträger unserer Unternehmensgruppe zur Abfrage zur Verfügung stellen, damit diese sich über Ihr Persönlichkeitsprofil und Ihre Qualifikationen informieren können. Rechtsgrundlage der Datenverarbeitung ist § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG. Wir werden Ihre Bewerberdaten nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten ab Eingang Ihrer Bewerbung regulär löschen und vernichten, nicht jedoch, bevor Ihre Beteiligung an sämtlichen Bewerbungsverfahren, zu denen Ihre Bewerbungsunterlagen bis dahin hinzugezogen wurden, abgeschlossen ist und seitdem eine Frist von vier Monaten verstrichen ist. Im Verlauf des Bewerbungsverfahrens können wir zum Zwecke des Verfahrens weitere personenbezogene Daten bei Ihnen persönlich, aus allgemein zugänglichen Quellen oder bei ehemaligen Arbeitgebern und Ausbildern erheben5. Um uns einen Überblick über unser Bewerberspektrum zu verschaffen, können wir Informationen zu den eingehenden Bewerbungen statistisch auswerten. Hierzu können wir auch nach Lö-

1 Über den Auftragsverarbeiter als Empfänger i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. e DSGVO ist zu informieren, Paal/ Hennemann in Paal/Pauly, Art. 13 DSGVO Rz. 18; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 28; Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 16. Bei Auftragsverarbeitern im außereuropäischen Ausland ist eine weitergehende Information nach Art. 13 Abs. 1 lit. f DSGVO erforderlich. 2 Über die Zwecke der Datenverarbeitung ist zu belehren, Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO. 3 Die Rechtsgrundlagen der Datenverarbeitung sind nach Art. 14 Abs. 2 lit. f DSGVO anzugeben. 4 Über die Löschfristen ist nach Art. 13 Abs. 2 lit. a DSGVO aufzuklären, Kamps/Bonanni, ArbRB 2017, 119 (122). 5 Im Fall einer Datenerhebung bei Dritten ist nach Art. 14 Abs. 2 lit. f DSGVO über die Quellen zu informieren, Bettinghausen/Wiemers, DB 2018, 1277 (1278).

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§ 23 Rz. 23.46

Bewerbungsverfahren

schung Ihrer Bewerbungsunterlagen anonymisierte Daten einbehalten, die keinen Rückschluss auf Ihre Person zulassen1. Sollte ein Bewerbungsverfahren zu einer Einstellung führen, werden wir Ihre Bewerbungsunterlagen in Ihre Personalakte aufnehmen, um zum Zweck der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses Ihr Profil und Ihre Qualifikationen zu dokumentieren. Rechtsgrundlage hierfür ist § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG. In diesem Fall informieren wir Sie in einer gesonderten Datenschutzerklärung über die weitergehenden Verarbeitungszwecke und die maßgeblichen Löschfristen. III. Wer ist für die Verarbeitung meiner Daten verantwortlich? Für die Verarbeitung Ihrer Bewerberdaten sind mehrere Konzerngesellschaften unserer Unternehmensgruppe gemeinsam verantwortlich (Art. 4 Nr. 7, Art. 26 DSGVO), nämlich als Muttergesellschaft die … sowie die Tochterunternehmen …2. Welche Aufgaben die jeweiligen Konzerngesellschaften bei der gemeinsamen Datenverarbeitung übernehmen, ist zwischen den Konzerngesellschaften durch schriftliche Vereinbarung geregelt3. – Gegenständlich bezieht sich die gemeinsame Verantwortlichkeit auf die Verarbeitung sämtlicher personenbezogener Daten von den Bewerbern und sonstigen Beschäftigten der Konzerngesellschaften. – Der Grund für die gemeinsame Datenverarbeitung liegt darin, dass bei der Muttergesellschaft ein zentrales Datenmanagement für Bewerberdaten und andere Beschäftigtendaten sowie eine zentrale Personalabteilung eingerichtet ist. – Zwischen den Konzerngesellschaften ist festgelegt, dass die Muttergesellschaft dafür zuständig ist, einheitlich strukturierte Datenverarbeitungsprozesse, Datenbanken und sonstigen Dateisysteme einzurichten. Die Tochtergesellschaften werden diese Einrichtungen nutzen und die personenbezogenen Daten ihrer Beschäftigten dort einpflegen. Die Datenverarbeitung durch die Tochtergesellschaften wird durch Mitarbeiter der Muttergesellschaft, insbesondere aus der Personalabteilung, unterstützt. Außerdem legt die Muttergesellschaft Datenschutzmaßnahmen und Datenschutzvorgaben fest, die alle Tochterunternehmen befolgen und umsetzen. – Ihre datenschutzrechtlichen Ansprüche können Sie sowohl gegenüber Tochtergesellschaften als auch gegenüber der Muttergesellschaft geltend machen. Anträge, die bei Tochtergesellschaften eingehen, werden an die Muttergesellschaft weitergeleitet. In jedem Fall werden Ihre Anträge durch die Muttergesellschaft bearbeitet, die zu diesem Zweck an Sie herantritt. Hierzu ist bei der Muttergesellschaft eine zentrale Stelle eingerichtet. Dankbar wären wir Ihnen, wenn Sie diese Stelle bei Geltendmachung von Ansprüchen direkt kontaktieren. Sie erreichen diese unter ….4

1 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. c, Art. 14 Abs. 1 lit. c DSGVO ist über sämtliche Zwecke zu informieren, für die die personenbezogenen Daten des Bewerbers verarbeitet werden. 2 Nach Art. 13 Abs. 1 lit. a, Art. 14 Abs. 1 lit. a DSGVO müssen der Name und die Kontaktdaten des Verantwortlichen benannt werden. Ist der Arbeitnehmer bei einem Tochterunternehmen angestellt und die Personalabteilung bei einer Konzernmutter angesiedelt, handeln beide Unternehmen i.d.R. als gemeinsam Verantwortliche i.S.d. Art. 26 DSGVO (vgl. Rz. 12.8). In diesem Fall müssen die Namen und Kontaktdaten sämtlicher Unternehmen angegeben werden, die als gemeinsam Verantwortliche personenbezogene Daten des Bewerbers verarbeiten. 3 Dass Muster geht davon aus, dass bei der Konzernmutter eine Personalabteilung eingerichtet ist, die für alle Tochterunternehmen zuständig ist und eine gemeinsame Verantwortlichkeit zwischen den Konzernunternehmen wie in Rz. 12.55 geregelt ist. 4 Nach Art. 26 Abs. 2 Satz 2 DSGVO ist den Betroffenen das Wesentliche aus der Vereinbarung der gemeinsam verantwortlichen Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Das Wichtigste ist, dass den Betroffenen die Anlaufstelle transparent mitgeteilt wird, bei der sie ihre Betroffenenrechte geltend machen können, Lezzi/Oberlin, ZD 2018, 398 (401 f.).

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III. Best Practice

Rz. 23.47 § 23

Für alle datenschutzbezogenen Anliegen können Sie sich jederzeit gerne an den Konzerndatenschutzbeauftragten wenden, dessen Name und Kontaktdaten stets auf unserer Unternehmenswebseite bekannt gegeben werden (derzeit unter …). Konzerndatenschutzbeauftragter ist zurzeit … IV. Welche Rechte stehen mir zu? Soweit personenbezogene Daten verarbeitet werden, die sich auf Sie als natürliche Person beziehen, stehen Ihnen gegenüber den Verantwortlichen verschiedene datenschutzrechtliche Ansprüche zu. Sie haben nach Maßgabe von § 34 BDSG, Art. 15 DSGVO das Recht auf Auskunft, z.B. über die zu Ihrer Person gespeicherten Daten und deren Herkunft, die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, an die Daten weitergegeben werden, und den Zweck der Speicherung1. Darüber hinaus haben Sie ggf. nach Maßgabe von § 35 BDSG, Art. 15-18 DSGVO Anspruch auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung Ihrer personenbezogenen Daten. Gemäß § 36 BDSG, Art. 21 DSGVO können Sie der Verarbeitung der Sie betreffenden personenbezogenen Daten jederzeit widersprechen. Außerdem können Sie gemäß Art. 20 DSGVO den Erhalt und die Übertragung der Daten auf eine andere verantwortliche Stelle verlangen, z.B. auf einen neuen Arbeitgeber2. Schließlich haben Sie nach Art. 77 DSGVO das Recht zur Beschwerde bei der zuständigen Datenschutzbehörde3. Am Sitz unseres Unternehmens zuständig ist der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen, Kavallerie Straße 2-4, 40213 Düsseldorf, [email protected]. Wir erfüllen sämtliche der Ihnen zustehenden Rechte unentgeltlich und unverzüglich. Wenden Sie sich hierzu und bei allen weiteren Fragen bitte unter den oben angegebenen Kontaktdaten direkt an uns oder auch an unseren Datenschutzbeauftragten.

2. Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern Bewerbungsunterlagen sind datenschutzrechtlich sensibel. Gleichzeitig sind sie für neugierige Kollegen oft ausgesprochen interessant. Für größere Unternehmen, bei denen viele unterschiedliche Personen in Bewerbungsprozesse eingebunden werden, empfiehlt es sich deshalb, in einer Richtlinie zwingende Datenschutzregeln zum Umgang mit Bewerbungsunterlagen aufzustellen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Bewerbungsunterlagen unkontrolliert durch die E-Mail-Verteiler des Unternehmens wandern („Guck dir den mal an!“). Erfahren Bewerber davon, dass mit ihren Unterlagen nicht ordnungsgemäß umgegangen wird, drohen Beschwerden bei den Datenschutzbehörden. Gibt das Unternehmen eine Richtlinie zum Umgang mit Bewerberdaten heraus, bietet sich bei dieser Gelegenheit an, auch mit Blick auf weitere gesetzliche Vorgaben, insbesondere das AGG und die Beteiligungsrechte des Betriebsrates, Hilfestellungen zu geben.

1 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. b, Art. 14 Abs. 2 lit. c DSGVO muss über das Auskunftsrecht des Art. 15 DSGVO belehrt werden. 2 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. b, Art. 14 Abs. 2 lit. c DSGVO ist über die Rechte auf Berichtigung, Löschung, Einschränkung, Widerspruch sowie auf Datenübertragbarkeit zu belehren. 3 Nach Art. 13 Abs. 2 lit. d, Art. 14 Abs. 2 lit. e DSGVO ist auf das bestehende Beschwerderecht bei der zuständigen Datenschutzbehörde hinzuweisen. 4 Der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Nordrhein-Westfalen ist als Datenschutzbehörde zuständig, wenn der Sitz des Unternehmens in NRW liegt. Ob die Kontaktdaten der Aufsichtsbehörde angegeben werden müssen, ist umstritten, aber aus Vorsichtsgründen mit der h.M. zu empfehlen, vgl. Paal/Hennemann in Paal/Pauly, Art. 13 DSGVO Rz. 29; Bäcker in Kühling/Buchner, Art. 13 DSGVO Rz. 39; a.A. Franck in Gola, Art. 13 DSGVO Rz. 24.

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23.47

§ 23 Rz. 23.48

Bewerbungsverfahren

23.48 Wenn in einer Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern Kriterien vorgegeben werden, nach denen Bewerber ausgewählt werden sollen, ist der Betriebsrat nach § 95 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen. Ist das nicht der Fall, stehen dem Betriebsrat keine Beteiligungsrechte zu. Insbesondere besteht kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da die ordnungsgemäße Durchführung von Bewerbungsverfahren für die beteiligten Mitarbeiter dem Arbeitsverhalten und nicht dem Ordnungsverhalten zuzurechnen ist.

23.49 Die Compliance-Richtlinie kann wie folgt formuliert werden: M 23.2 Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern Handlungsrichtlinie zum Umgang mit Bewerbungsverfahren, Bewerbungsunterlagen und Bewerbern Version 1.0 vom … Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Beteiligung an Bewerbungsverfahren ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Im Umgang mit Bewerbern gelten zwingende gesetzliche Regeln des Datenschutzrechts, des Antidiskriminierungsrechts, des Betriebsverfassungsrechts und des Ausländerrechts. Um uns in der Außendarstellung gegenüber Bewerbern als integres und gut strukturiertes Unternehmen zu präsentieren, müssen alle am Bewerbungsverfahren beteiligten Mitarbeiter die gesetzlichen Vorgaben kennen und stets sorgsam einhalten. Welche Pflichten zwingend1 zu beachten sind, stellen wir Ihnen in dieser Handlungsrichtlinie dar. Lesen Sie diese Handlungsrichtlinie bitte gründlich, bevor Sie für unser Unternehmen das erste Mal an einem Bewerbungsverfahren teilnehmen. Für Ihren gewissenhaften Einsatz bei der Einhaltung dieser Handlungsrichtlinie danke ich Ihnen herzlich. Scheuen Sie sich nicht, an die Mitarbeiter der Personalabteilung heranzutreten, wenn Sie weitergehende Fragen haben. Mit freundlichem Gruß … Personalleitung 1. Wie sind Stellen auszuschreiben? Beim Erstellen und Schalten von Stellenanzeigen unterstützt Sie die Personalabteilung. Treten Sie also rechtzeitig mit uns in Kontakt. Für jede Stellenanzeige gelten folgende rechtliche Regeln: 1.1 Auf Diskriminierungsverbote besonders achten! Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stellt gesetzliche Vorgaben für Stellenausschreibungen auf. Diese Vorgaben sind ausgesprochen streng (!) und es kann leicht passieren, dass sie aus Versehen missachtet werden, obwohl überhaupt keine Diskriminierung von Bewerbern beabsichtigt ist. Deshalb ist besondere Sorgfalt geboten! Unter keinem Gesichtspunkt darf eine Stellenausschreibung – auch nur versehentlich – den Eindruck erwecken, Bewerbern würde im Verlauf des Bewerbungsverfahrens aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung oder ihrer sexuellen Identität eine Benachteiligung drohen. Stellenausschreibungen müssen deshalb geschlechtsneutral formuliert werden. Fügen Sie stets hinter die Stellenbezeichnung den Zusatz „(m/w/d)“ hinzu, um zu zeigen, dass sowohl männliche, weibliche wie auch diverse Bewerber in Frage kommen.

1 Die Handlungsrichtlinie sollte deutlich machen, dass es sich um eine zwingende Dienstanweisung handelt. Insbesondere, wenn es durch einzelne Mitarbeiter zu Verstößen gegen Datenschutzrecht kommt, sollte das Unternehmen nämlich gegenüber den Datenschutzbehörden darstellen können, dass es durch Bekanntgabe verbindlicher Instruktionen organisatorisch alles getan hatte, um dies zu verhindern.

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III. Best Practice

Rz. 23.49 § 23

Besondere Vorsicht ist bei Altersdiskriminierung geboten: Formulierungen, die den Eindruck erwecken könnten, Bewerber höheren Alters seien nicht erwünscht (z.B. „wir sind ein junges und dynamisches Team“), sollten unbedingt vermieden werden. Solange es nicht um Ausbildungsstellen geht, dürfen Stellenausschreibungen nicht allein für „Berufseinsteiger“ ausgeschrieben werden (auch nicht bei Trainee-Stellen!1), da dadurch ältere Bewerber diskriminiert würden. Wenn Sie in der Stellenausschreibung deutlich machen wollen, dass Berufserfahrung für die Stelle nicht vorausgesetzt wird, verwenden Sie z.B. die Formulierung „als Berufseinsteiger oder mit Berufserfahrung“. Umgekehrt dürfen Sie eine angemessene Berufserfahrung als Einstellungskriterium einfordern, auch wenn dies jüngere Bewerber benachteiligt. Dies ist gesetzlich ausdrücklich erlaubt. 1.2 Innerbetriebliche Ausschreibung ist zwingend! Alle Stellen müssen zwingend für zwei Wochen auf übliche Weise im betrieblichen Intranet ausgeschrieben werden, bevor eine Besetzung der Stelle in Betracht kommt. Dies wird durch den Betriebsrat berechtigterweise verlangt. Dies gilt auch dann, wenn die Stelle mit einem Leiharbeitnehmer besetzt werden soll oder wenn gar keine externe Stellenanzeige erfolgt, weil man bereits auf andere Weise den Kontakt mit einem geeigneten Interessenten hergestellt hat. Ausgenommen von der Ausschreibungspflicht sind allerdings Stellen für leitende Angestellte oder GmbH-Geschäftsführer2. 2. Welche Regeln gelten für den Umgang mit Bewerbungsunterlagen? 2.1 Bewerbungsunterlagen sind geheim zu halten! Bewerbungsunterlagen geben einen intimen Einblick in das Persönlichkeitsprofil eines Bewerbers und sind deshalb datenschutzrechtlich ausgesprochen sensibel. Der Inhalt von Bewerbungsunterlagen ist deshalb unbedingt geheim zu halten. Solange ein Bewerber nicht final eingestellt wurde, darf der Inhalt von Bewerbungsunterlagen anderen Personen nur dann offenbart werden, wenn diese selbst am Bewerbungsverfahren oder bei der Auswahlentscheidung beteiligt sind. Im Übrigen darf grundsätzlich nur anonymisiert über bestimmte Bewerber gesprochen werden, z.B. um sich Ratschläge bei Dritten einzuholen. 2.2 Bewerbungsunterlagen gehören in die Bewerberdatenbank! Bewerbungsunterlagen sollen grundsätzlich nur in der zentralen Bewerberdatenbank gespeichert und aufbewahrt werden. Bewerben sich Bewerber über das Bewerberportal auf unserer Unternehmenswebseite, werden die Bewerbungsunterlagen automatisiert in die Bewerberdatenbank eingepflegt. Bewerbungen per E-Mail sind unverzüglich händisch in die Bewerberdatenbank einzupflegen; anschließend ist die E-Mail final zu löschen (und nicht nur in den Papierkorb zu verschieben). Bewerbungen per Post sind ebenfalls händisch in die Bewerberdatenbank einzupflegen und anschließend im Aktenvernichter zu vernichten. Wenn Ihnen Zugangsrechte für die Bewerberdatenbank eingeräumt wurden, dürfen Sie Ihre Zugangsdaten keinesfalls anderen Mitarbeitern zur Verfügung stellen. Diese sind geheim zu halten. Bei Einstellung eines Bewerbers sind dessen Bewerbungsunterlagen insoweit in die Personalakte zu übernehmen, wie dies sinnvoll ist, um zum Zwecke der Durchführung des Arbeitsverhältnisses über seine Person und Qualifikation zu informieren. 2.3 Kopien und Aufzeichnungen sind zu vernichten! Am Bewerbungsverfahren beteiligte Personen dürfen sich bei begründetem Anlass Ausdrucke von Bewerbungsunterlagen fertigen, z.B. um sie im Bewerbungsgespräch bei sich zu führen oder um das Lesen der Bewerbungsunterlagen zu erleichtern. Die Ausdrucke sind geheim zu halten und so zu verwahren, dass Unbefugte nicht Einsicht nehmen können. Sobald diese Ausdrucke nicht mehr benötigt werden, sind sie un-

1 BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, Orientierungssatz 2, ArbRB 2013, 136; BAG v. 26.1.2017 – 8 AZR 848/13, juris. 2 Dieser Hinweis ist nur dann geboten, wenn ein Betriebsrat besteht und der Betriebsrat die innerbetriebliche Ausschreibung von Stellen gemäß § 93 BetrVG förmlich verlangt hat (vgl. Rz. 23.35). Andernfalls kann eine innerbetriebliche Stellenausschreibung unterbleiben.

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§ 23 Rz. 23.49

Bewerbungsverfahren

verzüglich im Aktenvernichter zu vernichten, spätestens jedenfalls dann, wenn dem Bewerber abgesagt wurde. 2.4 Wie ist mit sonstigen Notizen und Unterlagen zum Bewerber umzugehen? Legen Sie als Beteiligter am Bewerbungsverfahren Notizen oder sonstige Unterlagen zum Bewerber an, müssen Sie entscheiden, ob diese Unterlagen nach der Verwendung unverzüglich im Aktenvernichter vernichtet werden oder ob sie die Unterlagen in eine Bewerberakte aufnehmen, um sie später – z.B. bei der finalen Auswahlentscheidung – noch einmal zu prüfen. Im zweiten Fall müssen die Notizen und Unterlagen allerdings vor Einstellung des Bewerbers auch dem Betriebsrat vorgelegt werden, damit er ordnungsgemäß über den gesamten Bewerbungsprozess informiert ist. Erst wenn dies erfolgt ist, sind die Unterlagen zu vernichten. 3. Welche Umgangsregeln gelten gegenüber Bewerbern? 3.1 Prüfung der Arbeitserlaubnis bei Nicht-EU-Ausländern Ausländer mit der Staatsangehörigkeit eines EU-Lands dürfen in Deutschland uneingeschränkt arbeiten1. Gleiches gilt für Ausländer, welche die Staatsangehörigkeit der Schweiz2, Norwegens, Islands oder Liechtensteins besitzen3. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass ein Bewerber Nicht-EU-Ausländer ist, muss vor der Arbeitsaufnahme zwingend geklärt werden, ob der Bewerber über einen Aufenthaltstitel und eine Arbeitserlaubnis verfügt. Die entsprechenden Dokumente müssen durch den Bewerber vorgelegt werden. Dies sollte bereits im Bewerbungsgespräch angesprochen werden. Zwar werden hierdurch ausländische Bewerber ungleich behandelt. Dies ist allerdings ausnahmsweise nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch zwingend geboten. Denn die Beschäftigung von Ausländern ohne Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis wäre eine Ordnungswidrigkeit4 und kann in bestimmten Fällen sogar strafbar5 sein. 3.2 Keine Diskriminierung! Unser Unternehmen behandelt Bewerber unabhängig von Alter, Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung oder sexueller Identität gleich. Solche Eigenschaften einer Person dürfen aus gesetzlichen Gründen keinen Einfluss auf die Auswahl eines Bewerbers haben. Gegenüber Bewerbern darf nicht der Eindruck entstehen, dass dies anders wäre. Deshalb darf nach solchen Eigenschaften und Merkmalen, die mit den Eigenschaften unmittelbar zusammenhängen, im Bewerbungsgespräch grundsätzlich nicht gefragt werden. Ausgenommen sind Fragen zur Aufklärung einer Arbeitserlaubnis bei EU-Ausländern (vgl. oben, Abschnitt 3.1). Unzulässig sind Fragen nach geplanter oder tatsächlicher Schwangerschaft einer Bewerberin, nach ehelichen und partnerschaftlichen Verhältnissen oder nach der Meinung zu kontroversen politischen oder ideologischen Themen. Auch nach gesundheitlichen Einschränkungen von Bewerbern darf grundsätzlich nicht gefragt werden, es sei denn, es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Bewerber wegen dieser Einschränkungen für seine Tätigkeit schlechthin nicht geeignet ist (z.B. ein blinder Fahrer). Offenbart ein Bewerber von sich aus solche Informationen, kann hierauf höflich eingegangen werden (Small-Talk). Allerdings darf nicht zu weiteren Details näher nachgefragt oder die Information in herausgehobener Weise problematisiert oder thematisiert werden, so dass der Bewerber den Eindruck bekommen könnte, hiervon hänge der Erfolg seiner Bewerbung ab. Wird einem Bewerber abgesagt, ist für diese Absage grundsätzlich keine Begründung anzugeben. Es kommt immer wieder vor, dass Rechtsanwälte auch gut gemeinte Begründungen „verdrehen“ und vermeintliche Diskriminierungsabsichten in scheinbar unverfängliche Angaben „hineinlesen“. Auf dieser

1 § 2 FreizügG/EU. 2 § 28 AufenthaltsVO, 3 Staatsangehörige der sog. EWR-Staaten genießen nach § 12 FreizügG/EU die gleichen Freizügigkeitsrechte wie EU-Bürger. 4 § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III i.V.m. § 4a AufenthG. 5 § 10 SchwarzArbG, § 15 AÜG.

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III. Best Practice

Rz. 23.49 § 23

Grundlage werden immer wieder Entschädigungsansprüche gegen Unternehmen geltend gemacht. Unterschätzen Sie bitte dieses Risiko nicht und gehen Sie es nicht unnötig ein. Wenn ein Bewerber um eine Begründung für eine Absage bittet, können Sie entgegnen, dass unser Unternehmen „aus Rechtsgründen leider generell keine Angaben zum Grund von Bewerberabsagen machen kann“. 3.3 Rücksicht auf die Privatsphäre beim Bewerberinterview Es steht Unternehmen nicht frei, Bewerber im Bewerberinterview nach Belieben auszufragen. Das Datenschutzrecht erlaubt nur Fragen zu Themen, an denen Unternehmen ein berechtigtes Interesse haben. Dies sind grundsätzlich nur Themen, die in einem sachlichen Zusammenhang mit der angedachten Beschäftigung stehen. Höfliche Gespräche über Hobbys und soziales Engagement sind zwar unbedenklich, um den Bewerber näher kennen zu lernen. Dagegen dürfen Fragen zu privaten Verhältnissen, die nach allgemeinem sozialen Empfinden als übergriffig gelten, auch im Bewerbungsgespräch nicht gestellt werden. Z.B. dürfen Bewerber nicht zu Einzelheiten ihrer sozialen und familiären Beziehungen ausgefragt werden. Fragen zur Gewerkschaftszugehörigkeit eines Bewerbers sind unzulässig. Nur soweit ein Bezug zur angedachten Stelle besteht, dürfen Bewerber nach etwaigen Vorstrafen gefragt werden1 und dies auch nur insoweit, wie diese Vorstrafen noch nicht getilgt sind2. Fragen zu privaten Vermögensverhältnissen sind nur bei Führungskräften und Arbeitnehmern in Vertrauensposition zulässig und dürfen nicht weiter gehen, als dies erforderlich ist, um eine Überschuldung des Bewerbers auszuschließen3. 3.4 Welche Hintergrundrecherchen zu Bewerbern sind zulässig? Um sich von Bewerbern ein Bild zu machen, dürfen Sie in beruflichen sozialen Netzwerken recherchieren (z.B. bei Xing und LinkedIn) und die dort veröffentlichten Informationen der Bewerber einsehen. Keinesfalls dürfen Sie Bewerber oder deren Angehörige und Freunde täuschen, um an Informationen zu gelangen. Z.B. wäre es unzulässig, Bewerbern in einem sozialen Netzwerk eine Freundschaftseinladung unter einem Fakeaccount zu schicken, um Einsicht in Informationen zu erlangen, die der Bewerber dort nur für ausgewählte Freunde veröffentlicht hat. Ebenso dürfen Sie den Bewerber nicht unter falschen Vorwänden ansprechen, um ihm Aussagen zu entlocken, die er sonst nicht Preis geben würde. Auch ist es unzulässig, eigenmächtig Befragungen im sozialen Umfeld des Bewerbers durchzuführen. Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber eines Bewerbers sind nur aus besonderem Anlass zulässig, z.B. wenn begründete Zweifel an der Richtigkeit des Lebenslaufs bestehen oder Anspielungen in Arbeitszeugnissen darauf hindeuten, dass es in einem vergangenen Arbeitsverhältnis einen schweren Konflikt gegeben hat4. Dies liegt z.B. nahe, wenn in vorgelegten Arbeitszeugnissen kein Beendigungsgrund angegeben ist oder wenn ein vorangegangenes Beschäftigungsverhältnis mitten im Monat zu einem „krummen Datum“ beendet wurde (dies passiert typischerweise bei fristlosen Kündigungen). Keinesfalls dürfen die Arbeitgeber von Bewerbern angesprochen werden, die sich aus einem laufenden Beschäftigungsverhältnis bewerben. 3.5 Wer trägt die Kosten für die Anreise des Bewerbers anlässlich eines Bewerbungsgesprächs? Bewerber, die an Bewerbungsgesprächen teilnehmen, haben Anspruch auf Erstattung ihrer zu diesem Anlass aufgewendeten, erforderlichen Kosten. Hierzu gehören die Kosten der Anreise, Kosten für eine ggf. erforderliche Übernachtung sowie Mehrkosten für die Verpflegung5. Verpflegungsmehraufwendungen können nach den einschlägigen, steuerlichen Pauschalbeträgen abgerechnet werden. Im Übrigen erfolgt die Erstattung nur auf Vorlage von Belegen durch den Bewerber.

1 2 3 4

BAG v. 6.9.2012 – 2 AZR 270/11, Orientierungssatz 2, ZTR 2013, 270. BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1071/12, ArbRB 2014, 327 = juris Rz. 41 ff. BAG v. 25.4.1980 – 7 AZR 322/78, juris Rz. 32. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Nachfrage beim ehemaligen Arbeitgeber zulässig ist, ist umstritten (vgl. Rz. 23.24). 5 BAG v. 29.6.1988 – 5 AZR 433/87, Orientierungssatz 1, NZA 1989, 468.

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§ 23 Rz. 23.49

Bewerbungsverfahren

4. Wie ist der Betriebsrat einzubinden? Bevor Mitarbeiter eingestellt werden, bei denen es sich nicht um leitende Angestellte oder GmbH-Geschäftsführer handelt, muss der Betriebsrat zwingend beteiligt werden. Dies erfolgt in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung. Treten Sie also rechtzeitig mit uns in Kontakt. Zwar trifft der Arbeitgeber die Auswahl, welcher Bewerber eingestellt werden soll. Der Betriebsrat muss vorher aber umfassend über das Bewerbungsverfahren informiert werden. Hierzu sind ihm die Bewerbungsunterlagen aller Bewerber für die ausgeschriebene Stelle vorzulegen. Außerdem sind dem Betriebsrat etwaige Notizen zu den Bewerbern vorzulegen, sofern es sich nicht bloß um Mitschriften handelt, die sofort vernichtet wurden. Hat ein Bewerber an etwaigen Tests oder besonderen Auskunftsverfahren teilgenommen, sind die Ergebnisse dem Betriebsrat ebenfalls mitzuteilen. Sobald der Betriebsrat unter Vorlage dieser Informationen um Zustimmung zur Einstellung des Bewerbers ersucht wurde, hat er eine Woche Zeit, sich zu äußern. Wenn der Betriebsrat zustimmt oder sich im Zeitrahmen von einer Woche nicht äußert, kann der Bewerber eingestellt werden. Verweigert der Betriebsrat dagegen ausdrücklich seine Zustimmung zur Einstellung, muss das weitere Vorgehen im Einzelfall abgestimmt werden.

§ 24 Headhunter und andere Recruitment-Berater I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.4 1. Der „CV-Dealer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24.5 2. Der klassische Headhunter . . . . . . . . . . 24.12

3. III. 1. 2.

Personalvermittlung durch Leiharbeit . . Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag mit einem „CV-Dealer“ . . . . . . . Exklusiver Direktsuche-Auftrag für einen Headhunter . . . . . . . . . . . . . . . . .

24.18 24.22 24.23 24.25

Literatur: Bissels/Ziegelmayer/Kiehn, Gesucht, gefunden, angesprochen: Rechtliche Tücken des „Active Sourcing“, BB 2013, 2869; Gade/Helfritz/Murmann, Recruiting zwischen Executive Search und Digitalisierung, Business & Management – Vol. 1/3 (2018); Göpfert/Dußmann, Recruiting und Headhunting in der digitalen Arbeitswelt – Herausforderungen für die arbeitsrechtliche Praxis, NZA-Beilage 2016, 41; Haake, „Mitarbeiterabwerbung unter Vermeidung offener Identität kann wettbewerbsrechtlich unzulässig sein“, BB 2013, 2900; Oberthür, Delegation der AGG-Haftung bei externem Personalrecruitment, ArbRB 2007, 86; Petry, Marktstudie Headhunting in Deutschland, 2015; Lüders in Reufels, Personaldienstleistungen, Abschnitt D. Personalberatung, Arbeits- und Personalvermittlung; Wittekindt, Woran erkennt man einen guten Headhunter?, SPA 2018, 9.

I. Worum geht es? 24.1 Unternehmen beauftragen Personalberater als Headhunter, um die Suche nach passgenauen Kandidaten für Fach- oder Führungsposition zu unterstützen (sog. Direktsuche). Andere Personalberatungsunternehmen führen eigene Kandidatenpools und bieten sie interessierten Unternehmen zur Einsichtnahme an. Auf diese Weise können Unternehmen Stellen kurzfristig besetzen, für die andernfalls wegen ihrer spezifischen Anforderungen oder wegen Bewerbermangels nur schwer ein geeigneter Kandidat gefunden werden könnte.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 24.6 § 24

Schwerpunkt der Headhuntertätigkeit ist das Topmanagement (sog. Executiv-Search). 65 Prozent 24.2 der Stellen im Top-Management werden mit Unterstützung externer Personalberater besetzt1. Im Bereich des mittleren Managements sind Personalberater zwar nur an knapp fünf Prozent der Stellenbesetzungen beteiligt2. Allerdings nehmen auch hier fast drei Viertel der Unternehmen zumindest gelegentlich die Dienste von Personalberatern in Anspruch3. Wenn Unternehmen Personalberater beauftragen, ist ihnen die Geschwindigkeit am wichtigsten, mit der die offene Stelle besetzt wird4. Hauptnachteil beim Einsatz von Headhuntern sind die hohen Kosten5. Darüber hinaus sind viele unseriöse Unternehmen im Personalberatermarkt tätig. Die deutliche Mehrzahl der Personaler hat bereits Erfahrungen mit unseriösen Headhunting-Methoden machen müssen6. Die Zusammenarbeit mit Personalberatern bietet deshalb Konfliktpotential.

24.3

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Um das Recruitment der Unternehmen zu unterstützen, bieten externe Personalberater unterschiedliche Dienstleistungen an:

24.4

– Sog. „CV-Dealer“ (CV = Curriculum Vitae) stellen einen Pool von Kandidaten zusammen, die sich bei ihnen registrieren. Auf Anfrage von Unternehmen stellen sie den Kontakt zu diesen Kandidaten her. Im Gegenzug verlangen sie, dass die Unternehmen ihnen im Falle der Einstellung eine Provision bezahlen. „Echte“ Beratungsleistungen stehen hier im Hintergrund (dazu Rz. 24.5 ff.). – Headhunter übernehmen für Unternehmen die Direktsuche nach maßgeschneiderten Kandidaten für eine vakante Stelle und beraten zur Kandidatenauswahl (dazu Rz. 24.12 ff.). – Personalvermittler stellen Unternehmen Mitarbeiter auf Leiharbeitsbasis zu Verfügung. Sind die Leiharbeitnehmer dazu bereit, kann das Unternehmen sie gegen eine Vermittlungsgebühr in eine Festanstellung übernehmen (dazu Rz. 24.18 ff.).

1. Der „CV-Dealer“ Im Branchenjargon bezeichnet der Begriff des „CV-Dealers“ – zu deutsch „Lebenslauf-Händler“ – einen Personalvermittler, der weder das Unternehmen noch den zu vermittelnden Kandidaten merklich berät. Beim CV-Dealer registrieren sich interessierte Kandidaten mit ihren Lebensläufen. Die Vermittlungsleistung des CV-Dealers erschöpft sich im Wesentlichen darin, diese Lebensläufe Unternehmen anonymisiert z.B. in Reaktion auf offene Stellenanzeigen oder schlicht auf gut Glück zuzuleiten und auf Nachfrage von Unternehmen Einblick in seinen Kandidatenpool zu geben7. Vergütet wird der CV-Dealer durch Provisionen der Unternehmen, die er einfordert, wenn die Unternehmen einen der angebotenen Kandidaten bei sich einstellen. Üblich sind Provisionen im Umfang von 15 bis 35 Prozent des Jahresgehaltes eines vermittelten Kandidaten.

24.5

Hinweis:

24.6

Im Rechtsverkehr treten CV-Dealer unter der Bezeichnung „Personalberater“, „Personalvermittler“ oder „Headhunter“ auf. Der Begriff des CV-Dealers ist abwertend gemeint und als Selbstbezeichnung unüblich. Die Geschäftspraxis der CV-Dealer hat aus verschiedenen Gründen einen schlechten Ruf:

1 2 3 4 5 6 7

Gade/Helfritz/Murmann, S. 5. Gade/Helfritz/Murmann, S. 5. Gade/Helfritz/Murmann, S. 15. Gade/Helfritz/Murmann, S. 6. Petry, S. 16. Petry, S. 19. Wittekindt, SPA 2018, 9.

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§ 24 Rz. 24.6

Headhunter und andere Recruitment-Berater

– CV-Dealer prüfen vielfach nicht näher, inwieweit ihre registrierten Kandidaten zuverlässig und qualifiziert sind und ob sie wirklich zur Stelle des Unternehmens passen. Oft sind sie nur an einem schnellen Vertragsschluss interessiert und legen weder gegenüber den Unternehmen noch den Kandidaten auf eine längere Kundenbindung wert. – Es sollte Unternehmen skeptisch stimmen, wenn sich Kandidaten über einen CV-Dealer auf offene Stellenausschreibungen vermitteln lassen, statt sich selbständig zu bewerben. – Teilweise tricksen CV-Dealer Kandidaten aus, täuschen ihnen vor, dass sie im Exklusivauftrag eines Unternehmens handeln, um sie auf diese Weise zur Registrierung in ihrem Kandidatenpool zu verleiten. In einigen Fällen missbrauchen sie personenbezogene Daten ihrer Kandidaten. Bei der Vermittlung von Arbeitnehmern im mittleren oder unteren Lohnsegment lohnt aufwendige Personalberatung jedoch häufig nicht und es kommt auch nicht darauf an, einen maßgeschneiderten Spezialisten zu finden. Dann kommt die Zusammenarbeit mit CV-Dealern als Notlösung in Frage, um offene Stellen schnell zu besetzen.

24.7 Das Unternehmen schließt mit dem CV-Dealer einen Maklervertrag (§§ 652 ff. BGB1). Der Vertragsschluss kommt formfrei durch Angebot und Annahme zustande und kann auch konkludent erfolgen2. Allerdings kommt es nicht allein deshalb zum konkludenten Vertragsschluss, weil der CVDealer dem Unternehmen unaufgefordert und ohne vorangegangene Geschäftsbeziehung den Lebenslauf eines Kandidaten nebst seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen übermittelt und das Unternehmen den Kandidaten daraufhin eigeninitiativ kontaktiert und einstellt. In diesem Fall mangelt es an einer Annahmeerklärung des Unternehmens. Aus diesem Grund übersenden die meisten CVDealer Lebensläufe in anonymisierter Form und fordern eine ausdrückliche Vertragsannahme ein, bevor sie die Identität der dahinter befindlichen Kandidaten preisgeben.

24.8 Der CV-Dealer erwirbt seinen Provisionsanspruch, wenn infolge seiner Vermittlung ein Anstellungsvertrag mit einem angebotenen Kandidaten zustande kommt (§ 652 BGB). Ob der Anstellungsvertrag anschließend in der Probezeit sofort gekündigt wird, ist unerheblich, solange er nur einmal rechtswirksam war3. Dass seine Vermittlungsleistungen für den Anstellungsvertragsschluss kausal war, muss zwar vor Gericht grundsätzlich der CV-Dealer beweisen4. Kommt der Anstellungsvertrag mit einem Kandidaten allerdings innerhalb eines Jahres zustande, nachdem der Kandidat dem Unternehmen durch den CV-Dealer vorgestellt wurde, wird der Kausalzusammenhang prozessual vermutet5. Das Unternehmen kann die Kausalitätsvermutung im Gerichtsprozess nur dann widerlegen, wenn es zeigen kann, dass es bereits vorher mit dem Kandidaten in Kontakt stand, oder, dass ihm der Kandidat durch einen anderen Personalvermittler angeboten wurde6. In den AGB von CV-Dealern oft enthaltene Klauseln, nach denen die Kausalitätsvermutung unwiderleglich ist, sind nach § 307 BGB unwirksam7.

24.9 Die Höhe der Provision des CV-Dealers richtet sich nach der getroffenen Vereinbarung. Ist die vertraglich vereinbarte Vergütung allerdings unverhältnismäßig hoch, kann sie gem. § 655 BGB auf einen angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Eine Provision i.H.v. 25 Prozent eines Bruttojahresgehalts des Kandidaten ist allerdings selbst dann nicht unverhältnismäßig hoch, wenn sich ein Kandidat als ungeeignet herausstellt und das Unternehmen gegenüber dem Kandidaten unverzüglich ei-

1 OLG Hamm v. 30.11.2006 – 24 U 65/06, NJOZ 2008, 2002; OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, NJW-RR 2014, 825 = juris Rz. 26. 2 OLG Hamm v. 30.11.2006 – 24 U 65/06, NJOZ 2008, 2002. 3 OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, Orientierungssatz 1, NJW-RR 2014, 825. 4 BGH v. 6.7.2006 – III ZR 379/04, VersR 2006, 1494 = juris Rz. 18. 5 BGH v. 17.10.2018 – I ZR 154/17, VersR 2019, 1017 = juris Rz. 12. 6 Roth in MünchKomm/BGB, § 652 BGB Rz. 206. 7 OLG Hamm v. 27.10.2014 – 18 U 22/14, Orientierungssätze, juris.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 24.12 § 24

ne Probezeitkündigung ausspricht1. Wurde im Vertrag keine bestimmte Vergütungshöhe festgelegt, kann der CV-Dealer einen marktüblichen Lohn verlangen (§ 653 BGB)2. Es gibt keine Garantiehaftung des CV-Dealers dafür, dass die von ihm vermittelten Kandidaten für 24.10 die vorgesehene Stelle objektiv geeignet sind3. Grundsätzlich hat der CV-Dealer nur die Pflicht, angebotene Kandidaten einer Eignungsprüfung zu unterziehen. Dafür genügt es allerdings, dass er sie gründlich befragt und ihre Bewerbungsunterlagen prüft4. Stellt das Unternehmen nachträglich fest, dass der vermittelte Kandidat ungeeignet ist, kann es allerdings selten beweisen, dass der CV-Dealer diese Prüfungspflicht verletzt hatte. Denn auch das Unternehmen führt mit dem Kandidaten ein Vorstellungsgespräch und prüft dessen Bewerbungsunterlagen. Wenn dem Unternehmen im Rahmen dieser Vorprüfung keine Eignungsmängel auffallen, spricht alles dafür, dass sie auch dem CV-Dealer nicht hätten auffallen müssen5.

24.11

Hinweis: Stellen sich vermittelte Kandidaten nach Einstellung als ungeeignet heraus, verweigern verärgerte Unternehmen gegenüber den CV-Dealern vielfach die Provisionszahlung. Ein solches Vorgehen bietet selten Erfolgsaussichten, wenn zuvor ein Maklervertrag aufgrund verkehrsüblicher AGB des CV-Dealers geschlossen wurde (für eine alternative Vertragsgestaltung vgl. Rz. 24.23 f.). Die meisten CV-Dealer sind zahlungsunwillige Kunden gewöhnt, haben Routine mit rechtlichen Auseinandersetzungen und bestreiten umgehend den Rechtsweg. Auch wenn das Geschäftskonzept der CV-Dealer „windig“ wirken mag – vor Gericht obsiegen sie trotzdem.

2. Der klassische Headhunter Headhunter werden von Unternehmen beauftragt, um Fach- und Führungskräfte für bestimmte, herausgehobene Positionen zu suchen. Regelmäßig sind sie als Experten auf bestimmte Branchen, Funktionen und Regionen spezialisiert6. Bevor die Kandidatensuche beginnt, besprechen sie sich mit dem Unternehmen über die Anforderungen der zu besetzenden Stelle und erstellen ein definiertes Profil7. Üblich ist es, dass der Headhunter einen Exklusivauftrag erhält und das Unternehmen auf die öffentliche Ausschreibung der Stelle und die Beauftragung weiterer Headhunter verzichtet8. Anschließend ermittelt der Headhunter systematisch die für die zu besetzende Stelle in Frage kommenden Kandidaten und erstellt eine sog. Search-List9. Dafür verschafft sich der Headhunter einen Überblick über Konkurrenzunternehmen, in denen als Kandidaten in Frage kommende Mitarbeiter beschäftigt sein könnten10. Außerdem verfügen etablierte Headhunter aufgrund von Kontaktaufnahmen und Vermittlungen aus der Vergangenheit über ein Netzwerk in der maßgeblichen Branche11. Die erstellte Search-List arbeitet der Headhunter ab, indem er die Kandidaten sämtlich anspricht und anfragt, ob sie bereit wären, sich abwerben zu lassen. Hierfür benötigt er ca. 4 bis 6 Wochen. Üblicherweise stellt der Headhunter dem Unternehmen ca. zwei bis vier geeignete Kandidaten vor12.

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OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, Orientierungssatz 2, NJW-RR 2014, 825. OLG Hamm v. 30.11.2006 – 24 U 65/06, NJOZ 2008, 2002. OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, NJW-RR 2014, 825 = juris Rz. 28. OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, NJW-RR 2014, 825 = juris Rz. 33. OLG Düsseldorf v. 21.2.2014 – 7 U 145/12, NJW-RR 2014, 825 = juris Rz. 34. Lüders in Reufels, D Rz. 42. Wittekindt, SPA 2018, 9. Petry, S. 15. Lüders in Reufels, D Rz. 258; Wittekindt, SPA 2018, 9. Lüders in Reufels, D Rz. 258. Wittekindt, SPA 2018, 9. Wittekindt, SPA 2018, 9.

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24.12

§ 24 Rz. 24.13

Headhunter und andere Recruitment-Berater

24.13 Vergütet werden Headhunter häufig nach dem sog. Retained-Search-Modell in drei Raten: Die erste Rate wird bei Auftragserteilung, die zweite Raten bei Vorstellung der Kandidaten und die dritte Rate bei Einstellung fällig1. Der Gesamtbetrag liegt bei durchschnittlich 25 Prozent des Jahresbruttogehaltes des einzustellenden Kandidaten2.

24.14 Der Vertrag mit einem klassischen Headhunter unterliegt grundsätzlich dem Maklerrecht (§§ 652 ff. BGB). Wird dem Headhunter allerdings ein exklusiver Alleinauftrag erteilt oder wird der Vergütungsanspruch des Headhunters nach dem Retained-Search-Modell (vgl. Rz. 24.13) teilweise an die Auftragserteilung, teilweise an die Kandidatenvorstellung und teilweise an den Vertragsschluss geknüpft, so liegt ein typengemischter Vertrag vor: – Nimmt der Headhunter einen exklusiven Alleinauftrag an, liegt ein Maklerdienstvertrag vor, aufgrund dessen der Headhunter nach § 611 BGB zu angemessenem Tätigwerden verpflichtet wird3. Ist bereits die Annahme eines Exklusivauftrags durch den Headhunter vergütungspflichtig, folgt hieraus ebenfalls, dass der Makler nach Maßgabe des Dienstvertragsrechts angemessen tätig werden muss4. – Wird die Vergütung des Headhunters (teilweise) daran geknüpft, dass er dem Unternehmen eine Auswahl interessierter und geeigneter Kandidaten vorstellt, handelt es sich um einen Maklerwerkvertrag5, auf den die Vorschriften nach §§ 631 ff. BGB einschließlich des werkvertraglichen Mängelgewährleistungsrechts Anwendung finden6. Konsequenz ist, dass der Headhunter nach § 634 BGB für die objektive Eignung der von ihm vorgestellten Kandidaten verantwortlich ist. Die Anforderungen an die Eignung eines Kandidaten dürfen allerdings nicht überspannt werden. – Soweit Vergütungsansprüche an den erfolgreichen Vertragsschluss mit einem Kandidaten geknüpft sind, findet Maklerrecht nach §§ 652 ff. BGB Anwendung.

24.15 Bei der Suche nach geeigneten Kandidaten muss der Headhunter datenschutzrechtliche Vorgaben beachten. Unstreitig ist der Headhunter dazu berechtigt, in Frage kommende Kandidaten über berufsbezogene soziale Netzwerke (Xing, LinkedIn) zu recherchieren und anzusprechen, denn dazu sind diese Netzwerke dar7. Ob und in welcher Form der Headhunter dagegen über private soziale Netzwerke (Facebook) Kontakt mit Kandidaten aufnehmen darf, ist rechtlich umstritten (vgl. Rz. 27.16). Datenschutzrechtswidrig und sogar strafbar handelt der Headhunter dann, wenn er Bewerber- und Mitarbeiterlisten „unter der Hand“ von illoyalen Unternehmensmitarbeitern aufkauft, die auf diese Daten Zugriff haben (§ 42 Abs. 2 BDSG). Stets agiert der Headhunter datenschutzrechtlich als eigenständiger Verantwortlicher i.S.d. § 4 Nr. 7 DSGVO. Solange das beauftragende Unternehmen von Datenschutzverstößen des Headhunters nicht weiß und sie auch nicht zielgerichtet veranlasst hat, haftet es für diese Datenschutzverstöße deshalb nicht.

24.16 Selbstverständlich ist es wettbewerbsrechtlich zulässig, Mitarbeiter fremder Unternehmen abzuwerben8. Viele Headhunter rufen in Frage kommende Kandidaten am Arbeitsplatz an, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Auch dies ist wettbewerbsrechtlich im Grundsatz erlaubt9. Dies gilt selbst

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Wittekindt, SPA 2018, 9. Petry, S. 8; Wittekindt, SPA 2018, 9. Vgl. zu Alleinaufträgen an Makler BGH v. 8.4.1987 – IVa ZR 17/86, MDR 1987, 913 = juris Rz. 12. Vgl. BGH v. 21.10.1987 – IVa ZR 103/86, ZIP 1988, 158 = juris Rz. 22. Vgl. zum Maklerwerkvertrag BGH v. 21.10.1987 – IVa ZR 103/86, ZIP 1988, 158 = juris Rz. 22. BGH v. 21.10.1987 – IVa ZR 103/86, ZIP 1988, 158 = juris Rz. 35. Bissels/Ziegelmayer/Kiehn, BB 2013, 2869 (2870); Göpfert/Dußmann, NZA-Beilage 2016, 41 (43 f.). BGH v. 9.2.2006 – I ZR 73/02, juris Rz. 18 = ArbRB 2006, 206. BGH v. 4.3.2004 – I ZR 221/01, Leitsatz 1, MDR 2004, 1070; BGH v. 9.2.2006 – I ZR 73/02, juris Rz. 19 = ArbRB 2006, 206.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 24.18 § 24

dann, wenn der Headhunter sich unter Verheimlichung seiner wahren Identität durch die Telefonzentrale des Arbeitgeberunternehmens durchstellen lässt (sehr str.)1. Um unlauteren Wettbewerb handelt es sich allerdings, wenn – sich der Headhunter bei einem solchen Gespräch darüber hinwegsetzt, dass der Arbeitnehmer fehlendes Interesse bekundet2, – der Headhunter das Gespräch über eine knappe Stellenbeschreibung hinaus in zeitlicher Hinsicht ausdehnt und so den Arbeitnehmer von der Arbeit abhält3, – der Headhunter das Arbeitgeberunternehmen durch diffamierende oder unwahre Äußerungen herabsetzt4 oder – er den Arbeitnehmer dazu verleitet, vor Ablauf der mit seinem Arbeitgeberunternehmen vereinbarten Kündigungsfrist vorzeitig unter Vertragsbruch aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden5. Unlautere Wettbewerbshandlungen eines Headhunters werden dem Unternehmen zugerechnet, welches ihn beauftragt hat (§ 8 Abs. 2 UWG)6. Der Arbeitgeber des abgeworbenen Arbeitnehmers kann gegenüber dem beauftragenden Unternehmen Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsansprüche geltend machen (§§ 8, 13 UWG). Schadensersatzansprüche kommen gegenüber dem beauftragenden Unternehmen allerdings nur dann in Betracht, wenn das beauftragende Unternehmen selbst vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (§ 9 UWG), z.B. weil es von den unlauteren Praktiken seines Headhunters wusste; ein Verschulden des Headhunters wird seinem Auftraggeber nicht zugerechnet7.

24.17

Hinweis: Seriöse Headhunter legen auf eine gute und langfristige Kundenbeziehung wert. Kommt es zu Störungsfällen, lassen sie sich deshalb oft auf Kompromisse ein, um Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

3. Personalvermittlung durch Leiharbeit Personalvermittler stellen Kundenunternehmen Arbeitnehmer auf Leiharbeitsbasis zur Verfügung. Hierbei schließt der Personalvermittler selbst den Arbeitsvertrag mit dem Kandidaten und nicht das Kundenunternehmen, welches den Kandidaten bei sich einsetzt. Mit dem Kundenunternehmen vereinbart der Personalvermittler einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (§ 1 AÜG) (eingehend zur Arbeitnehmerüberlassung Rz. 8.5 ff.). Das Kundenunternehmen zahlt an den Personalvermittler ein Honorar, welches über dem Lohn liegt, den der Personalvermittler an den Kandidaten zahlt. Aus der Differenz generiert der Personalvermittler seine Gewinnmarge.

1 Haake, BB 2013, 2900; a.A. LG Bonn v. 3.1.2013 – 14 O 165/12, Orientierungssatz, BB 2013, 2900; Bissels/ Ziegelmayer/Kiehn, BB 2013, 2869 (2874). 2 BGH v. 4.3.2004 – I ZR 221/01, Leitsatz 2, MDR 2004, 1070. 3 BGH v. 4.3.2004 – I ZR 221/01, MDR 2004, 1070; BGH v. 9.2.2006 – I ZR 73/02, juris Rz. 21 = ArbRB 2006, 206. 4 Bissels/Ziegelmayer/Kiehn, BB 2013, 2869 (2874). 5 Jänich in MünchKomm/UWG, Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Nr. 4 UWG Rz. 89; a.A. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, 40. Aufl. 2022, § 4 UWG Rz. 4.36a. Das Ausnutzen des eigeninitiativen Vertragsbruchs durch den Mitarbeiter ist in jedem Fall zulässig, Götting/Hetmank in Fezer/Büscher/Obergfell, Lauterkeitsrecht: UWG, 3. Aufl. 2016, § 4 UWG Rz. 113b. 6 BGH v. 9.2.2006 – I ZR 73/02, juris Rz. 17 = ArbRB 2006, 206; Göpfert/Dußman, NZA-Beilage 2016, 41 (45). 7 BGH v. 9.2.2006 – I ZR 73/02, juris Rz. 24 = ArbRB 2006, 206.

Grimm/Singraven

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24.18

§ 24 Rz. 24.19

Headhunter und andere Recruitment-Berater

24.19 Hinweis: Viele Personalvermittlungs- bzw. Personalberatungsunternehmen bieten eine sog. „vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung“ an. In diesen Fällen ist die Übernahme in eine Festanstellung von Seiten des Personalberatungsunternehmens und des Kandidaten gewünscht und wird aktiv gefördert1.

24.20 Der Personalvermittler kann rechtlich nicht verhindern, dass das Aufraggeberunternehmen den Kandidaten abwirbt und einen Direktvertrag mit ihm schließt, statt ihn dauerhaft zu höheren Kosten zu entleihen. Abwerbeverbote können nämlich nicht wirksam vereinbart werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 u. 4 AÜG). Allerdings sind Vereinbarungen, nach denen das Auftraggeberunternehmen dem Personalvermittler eine Vermittlungsgebühr zahlen muss, wenn es einen Leiharbeitnehmer bei sich einstellt, grundsätzlich zulässig (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 AÜG) und üblich. Allerdings ist eine Vermittlungsgebühr nur dann wirksam vereinbart und bei Einstellung des Kandidaten geschuldet, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: – Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag2 muss überhaupt wirksam geschlossen sein. Dazu muss der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag einschließlich sämtlicher seiner Nebenabreden3 in Schriftform niedergelegt sein (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG). Der Personalvermittler muss außerdem eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung besitzen (§ 1 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). – Außerdem darf die im Vertrag vorgesehene Vermittlungsgebühr nicht unangemessen hoch ausfallen. Angemessen ist eine Vermittlungsgebühr nur dann, wenn sie nach der Verleihdauer – degressiv – gestaffelt ausgestaltet ist, weil sich die in der Verleihvergütung einkalkulierten Kosten des Verleihers (für die Auswahl, Gewinnung und Bereithaltung des Leiharbeitnehmers) mit zunehmender Dauer der Arbeitnehmerüberlassung amortisieren und der mit dem Wechsel des Arbeitnehmers verbundene wirtschaftliche Nachteil durch die Verleihvergütung fortschreitend kompensiert wird4. Bei einer Übernahme in den ersten drei Monaten hält der BGH eine Vermittlungsgebühr im Umfang von zwei Bruttomonatsgehältern noch für angemessen5. Für die Folgemonate muss die Vermittlungsgebühr schrittweise abgesenkt werden. Sieht der Vertrag eine unangemessen hohe Vermittlungsgebühr vor, ist die Klausel insgesamt unwirksam. Der Entleiher muss dann überhaupt keine Vermittlungsgebühr zahlen6.

24.21 Hinweis: Ist der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag insgesamt nicht wirksam geschlossen oder sieht er eine unangemessen hohe Vermittlungsgebühr vor, stehen dem Personalvermittler weder Vermittlungsgebühren noch Schadensersatzansprüche oder Maklerhonorare zu, wenn das Unternehmen einen Direktvertrag mit dem Kandidaten schließt und den Personalvermittler auf diese Weise „ausbootet“. Die Übernahme ist dann kostenfrei möglich.

1 Lüders in Reufels, D Rz. 57. 2 Vgl. für ein Muster Lingemann in Bauer/Lingemann/Diller/Haußmann, 7. Aufl. 2021, Arbeitnehmerüberlassung M 10.2. 3 BGH v. 2.12.2004 – IX ZR 200/03, WM 2005, 82 = juris Rz. 13 u. 16. 4 BGH v. 11.3.2010 – III ZR 240/09, Leitsatz = ArbRB 2010, 146; BGH v. 10.11.2011 – III ZR 77/11, juris Rz. 18 = ArbRB 2012, 48. 5 BGH v. 10.11.2011 – III ZR 77/11, juris Rz. 22, 23 = ArbRB 2012, 48; eine Vermittlungsgebühr oberhalb von zwei Bruttomonatsgehältern (z.B. 2,4) gilt dagegen als unangemessen, OLG Oldenburg v. 30.10.2014 – 1 U 42/14, juris Rz. 26. 6 BGH v. 11.3.2010 – III ZR 240/09, juris Rz. 18, 19 = ArbRB 2010, 146.

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III. Best Practice

Rz. 24.25 § 24

III. Best Practice Konflikten mit Headhuntern und anderen Personalberatern lässt sich vorbeugen, wenn von Anfang an Verträge ausgehandelt werden, die den Interessen des Unternehmens ausreichend Rechnung tragen. Die Interessenlage unterscheidet sich, je nachdem,

24.22

– ob das Unternehmen lediglich einen Kandidaten aus dem Pool eines CV-Dealers einstellen will (vgl. Rz. 24.23 f.) oder – ob es einem Headhunter einen Exklusivauftrag erteilt, um unter Zeitdruck gezielt eine offene Stelle zu besetzen (vgl. Rz. 24.25 ff.).

1. Vertrag mit einem „CV-Dealer“ Schließt das Unternehmen einen Vertrag mit einem CV-Dealer, besteht sein Hauptrisiko darin, dass 24.23 sich der vermittelte Kandidat als gänzlich ungeeignet erweist. Wird für diesen Fall keine besondere vertragliche Abrede getroffen, müsste das Unternehmen den CV-Dealer auch dann vergüten, wenn es den vermittelten Kandidaten sofort wieder kündigt (vgl. Rz. 24.8 ff.). Deshalb empfiehlt es sich nicht, die AGB des CV-Dealers blind zu unterschreiben. Besser steht das Unternehmen dar, wenn es z.B. eine Regelung verhandelt, nach welcher der CV-Dealer keine Vergütung erhält, wenn der Kandidat bereits in den ersten Wochen des Anstellungsverhältnisses wieder gekündigt wird. Der Vertrag kann im Übrigen knapp formuliert werden. Die für das Unternehmen maßgebliche Passage im gemeinsamen Vertrag kann wie folgt formuliert werden:

M 24.1 Honorarklausel für Personalberatervertrag

24.24

§ (…) Honorar des Personalberaters (1) Der Personalberater erhält einen Anspruch auf Honorar, wenn der Auftraggeber oder eines der mit ihm verbundenen Unternehmen infolge seiner Vermittlung einen Arbeitsvertrag, Anstellungsvertrag, Dienstvertrag oder sonstigen vergleichbaren Vertrag mit einem von dem Personalberater vorgestellten Kandidaten schließt. Der Honoraranspruch ist ausgeschlossen, wenn sich der Kandidat als objektiv ungeeignet für die vorgesehene Stelle erweist. Die fehlende objektive Eignung des Kandidaten wird unwiderleglich vermutet, wenn innerhalb der ersten zwei Monate nach Tätigkeitsaufnahme von Seiten des Auftraggebers oder des Kandidaten die Kündigung des vermittelten Vertragsverhältnisses erklärt wird; maßgeblich ist der Zugang der Kündigungserklärung beim Kandidaten. (2) Der Honoraranspruch umfasst 15 Prozent des Bruttojahreszielgehaltes (Grundgehalt zzgl. etwaiger Zulagen und üblicher Provisionen und Tantiemen) des eingestellten Kandidaten. Der Honoraranspruch ist fällig, wenn seit der Tätigkeitsaufnahme des Kandidaten zwei Monate verstrichen sind. (3) Mit dem Honorar nach Abs. 1 u. 2 sind alle weiteren Leistungen des Personalberaters, die dieser im Rahmen eines Auftrages erbringt, abgegolten. Seine Spesen und sonstigen Aufwendungen trägt der Personalberater selbst.

2. Exklusiver Direktsuche-Auftrag für einen Headhunter Erteilt das Unternehmen einem Headhunter einen Exklusivauftrag, ist es darauf angewiesen, dass dieser schnell und zielgerichtet tätig wird. Da das Unternehmen die Stelle nicht anderweitig ausschreibt oder weitere Headhunter beauftragt, würde die Stelle unbesetzt bleiben, wenn der Headhunter nicht tätig wird.

Grimm/Singraven

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24.25

§ 24 Rz. 24.25

Headhunter und andere Recruitment-Berater

Eine vertraglich getroffene Exklusivitätsvereinbarung ist regelmäßig nach § 297 Nr. 4 SGB IV unwirksam. Es ist jedoch unschädlich, sie aus symbolischen Gründen in den Vertrag aufzunehmen, da die Unwirksamkeit dieser Klausel nicht zur Unwirksamkeit des Gesamtvertrages führt (vgl. § 139 BGB)1.

24.26 Mit Headhunting-Unternehmen ist es üblich, eine Nachbesetzungsgarantie für den Fall zu vereinbaren, dass das Anstellungsverhältnis mit einem eingestellten Kandidaten in den ersten sechs Monaten nach Einstellung wieder gekündigt wird. In diesem Fall muss das Headhunting-Unternehmen die Vermittlungsleistungen kostenfrei oder zu einer verringerten Gebühr erbringen, um einen Nachfolger zu finden. Eine solche Vertragsregelung ist sinnvoll, damit der Headhunter einen ausreichenden Anreiz hat, die Eignung der von ihm vermittelten Kandidaten zu hinterfragen2.

24.27 Bei Honorarabreden bevorzugen Unternehmen eine Honorierung, die schwerpunktmäßig an den Erfolg der Vermittlungsleistung anknüpft3. Auf eine reine Erfolgsvergütung lassen sich viele Headhunter allerdings nicht ein. Erfolgt die Vergütung nach dem Retained-Search-Modell in drei unterschiedlichen Raten, von denen nur die letzte an den Vermittlungserfolg anknüpft (vgl. Rz. 24.13), kann diese letzte Rate relativ hoch angesetzt werden, um einen möglichst hohen Erfolgsanteil beim Honorar auszuhandeln. Problematisch sind Vergütungsabreden, die unmittelbar an die Vergütung des eingestellten Kandidaten anknüpfen. Denn der Kandidat handelt sein Gehalt mit dem Unternehmen frei aus. Knüpft die Vergütung des Headhunters an dieses Verhandlungsergebnis an, gibt dies dem Headhunter einen Fehlanreiz, möglichst „teure“ Kandidaten zu vermitteln oder diesen unter der Hand gar „Tipps“ für die Gehaltsverhandlung zu geben.

24.28 Unternehmen bauen mit ihren Headhuntern eine Vertrauensbeziehung auf und legen es deshalb auf eine längerfristige Zusammenarbeit an. Aus diesem Grund bietet es sich an, das rechtliche Verhältnis in einem übergreifenden Rahmenvertrag4 zu regeln. Dieser kann wie folgt formuliert werden:

24.29 M 24.2 Rahmenvertrag Personalberatung- und Direktsuche (Headhunting) Rahmenvertrag Personalberatung und Direktsuche zwischen der … nachfolgend: „Auftraggeber“ und der … nachfolgend: „Headhunter“ Präambel Der Headhunter berät den Auftraggeber auf Anfrage bei der Besetzung vakanter Stellen und spricht in dessen Auftrag geeignete Kandidaten an. Die Rahmenbedingungen der gemeinsamen Zusammenarbeit legen die Parteien in diesem Rahmenvertrag fest.

1 Abler in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III, 7. Aufl. 2021, § 297 SGB III Rz. 13; Winkler in Böttiger/Körtek/Schaumberg, Sozialgesetzbuch III, 3. Aufl. 2019, § 297 SGB III Rz. 9; Lüders in Reufels, D Rz. 98. 2 Lüders in Reufels, D Rz. 78. 3 Petry, S. 15. 4 Lüders in Reufels, D Rz. 54.

500

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 24.29 § 24

§ 1 Geltungsbereich (1) Die Bestimmungen dieses Rahmenvertrages gelten, soweit der Auftraggeber den Headhunter (auch formfrei) damit beauftragt, ihn bei der Besetzung einer freien Stelle zu unterstützen und die Parteien im Zusammenhang mit der Beauftragung nicht ausdrücklich abweichende Abreden treffen (nachfolgend: Einzelauftrag). (2) Aufgrund dieses Rahmenvertrages ist weder der Auftraggeber dazu verpflichtet, den Headhunter zu beauftragen, noch der Headhunter dazu verpflichtet, Einzelaufträge des Auftraggebers anzunehmen. § 2 Pflichten des Headhunters (1) Im Rahmen eines Einzelauftrages wird der Headhunter die folgenden Leistungen erbringen: a) Der Headhunter erstellt in Abstimmung mit dem Auftraggeber ein klar definiertes Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle und legt gemeinsam mit diesem ein realistisches Jahreszielgehalt fest, zu dem die Stelle besetzt werden soll (nachgehend: Stellendefinition). b) Der Headhunter ermittelt durch systematische Marktrecherche die im Einzugsgebebiet des Auftraggebers in Frage kommenden, besten Kandidaten für die zu besetzende Stelle, prüft deren Unterlagen, führt mit den Kandidaten Kennenlern- und Auswahlgespräche durch und stellt dem Auftraggeber auf dieser Grundlage eine Auswahl von mindestens drei an einer Einstellung interessierten, objektiv besonders geeigneten Kandidaten vor (nachgehend: Kandidatenvorstellung). Für die vorgelegte Kandidatenvorstellung geltend die §§ 633 ff. BGB. Sobald das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle definiert ist, muss der Headhunter unverzüglich tätig werden und sollte die Kandidatenvorstellung innerhalb von acht weiteren Wochen vorlegen. Der Headunter wird sein Vorgehen dokumentieren und dem Auftraggeber jederzeit umfassend zu Stand und Inhalt Auskunft erstatten. c) Der Headhunter berät den Auftraggeber bei der Auswahl der Kandidaten und steht dem Auftraggeber jederzeit und kurzfristig für Abstimmungsgespräche zur Verfügung. Erfüllungsort ist der Sitz des Auftraggebers. (2) Der Headhunter wird über den Inhalt seines Auftrages Stillschweigen wahren. Er darf seinen Auftraggeber und den konkreten Inhalt der zu besetzenden Stelle nur gegenüber den ihm hierzu benannten Mitarbeitern des Auftraggebers sowie gegenüber den in Frage kommenden Kandidaten offenbaren und letzteren auch nur dann, wenn die Kandidaten gegenüber dem Headhunter auf eine erste Anfrage hin ernsthaftes Interesse an der Stelle gezeigt haben. (3) Der Headhunter wird bei allen Handlungen, insbesondere der Ansprache von Kandidaten die einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Vorgaben nach dem UWG einhalten1. (4) Der Headhunter wird bei der Suche nach Kandidaten die Vorgaben des AGG jederzeit einhalten und Handlungen schon dann unterlassen, wenn diese geeignet sind, für sich genommen oder in einer Gesamtschau eine Vermutung für unzulässig diskriminierendes Verhalten i.S.d. § 22 AGG zu begründen2. (5) Der Headhunter nimmt keine Vergütungen oder sonstige vergleichbare Leistungen von Seiten der zu vermittelnden Kandidaten an.

1 Bei Wettbewerbsverstößen des Headhunters kann das beauftragende Unternehmen wettbewerbsrechtlich abgemahnt werden (vgl. Rz. 24.16). Hat es den Headhunter vertraglich zur Einhaltung des UWG verpflichtet, kann das Unternehmen die durch berechtigte Abmahnungen verursachten Kosten im Wege des Schadensersatzes auf den Headhunter abwälzen. 2 Bei der Einstellung von Bewerbern wird der Headhunter diskriminierungsrechtlich als Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers tätig. Verstöße durch den Headhunter gegen das AGG würden dem Unternehmen zugerechnet. Für diesen Fall sollte sich das Unternehmen deshalb vertraglich absichern, Oberthür, ArbRB 2007, 86 (86 ff.); Lüders in Reufels, D Rz. 81 ff.

Grimm/Singraven

501

§ 24 Rz. 24.29

Headhunter und andere Recruitment-Berater

§ 3 Pflichten des Unternehmens/Exklusivität (1) Einzelaufträge werden dem Headhunter exklusiv erteilt. Das Unternehmen unterlässt es, weitere Headhunter mit der Besetzung einer auftragsgegenständlichen Stelle zu beauftragen, eine auftragsgegenständliche Stelle auszuschreiben oder sonstige eigene Aktivitäten zum Zwecke der Besetzung einer auftragsgegenständlichen Stelle zu ergreifen, die mit dem Headhunter nicht abgestimmt sind1. (2) Das Unternehmen wird im Umgang mit den personenbezogenen Daten vorgestellter Kandidaten die gesetzlichen Datenschutzvorgaben einhalten. Insbesondere wird es in Hinblick auf den Umstand, dass Kandidaten Interesse an der Stelle gezeigt haben sowie mit Blick auf ihre Bewerbungsunterlagen, strengste Geheimhaltung wahren. (3) Das Unternehmen wird dem Headhunter im Rahmen jedes Einzelauftrages einen Ansprechpartner benennen, der dem Headhunter für Rücksprachen in Hinblick auf die Anforderungen an den Kandidaten und die Stelle zur Verfügung steht und der selbst maßgeblich bei der Auswahl des Kandidaten mitentscheidet2. § 4 Kündigung von Einzelaufträgen (1) Das Unternehmen kann jeden Einzelauftrag jederzeit ordentlich mit sofortiger Wirkung kündigen. Hiervon abweichend ist die ordentliche Kündigung ausgeschlossen, sobald der Headhunter gem. § 2 Abs. 1 lit. b dieses Rahmenvertrages mit der Marktrecherche bzw. Kandidatensuche begonnen hat und seither noch keine acht Wochen verstrichen sind. Die ordentliche Kündigung eines Einzelauftrages berührt die Honoraransprüche des Headhunters nicht, die dieser bereits in Ausführung des Einzelauftrages erworben hatte, bevor die Kündigung des Einzelauftrages ausgesprochen wurde. (2) Der Headhunter kann einen angenommenen Einzelauftrag nur dann ordentlich kündigen, wenn – der Auftraggeber Anforderungen an die gewünschten Kandidaten stellt, die offensichtlich nicht erfüllt werden können, und der Headhunter den Auftraggeber hierüber zuvor aufgeklärt hatte, – der Headhunter dem Unternehmen gem. § 2 Abs. 1 lit. b wenigstens drei objektiv besonders geeignete und an einer Einstellung interessierte Kandidaten vorgestellt hatte und das Unternehmen diese sämtlich ablehnt, – der Auftraggeber zwingend erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlässt und der Headhunter dem Auftraggeber zu deren Erbringung eine angemessene Frist gesetzt hatte. Die ordentliche Kündigung ist innerhalb einer Woche zu erklären, nachdem der Headhunter von dem Kündigungsgrund nach Satz 1 Kenntnis erlangt hat3. (3) Das Recht zur außerordentlichen Kündigung gem. § 314 BGB bleibt unberührt. (4) Jede Kündigung muss in Textform erklärt werden. § 5 Honorar des Headhunters (1) Der Headhunter erhält für jeden Einzelauftrag ein Honorar i.H.v. höchstens 20 Prozent des für die Stellenbesetzung festgelegten Jahreszielgehaltes (§ 2 Abs. 1 lit. a dieses Rahmenvertrages), das in drei Raten erworben und fällig wird. a) Die erste Rate i.H.v. 5 Prozent des festgelegten Jahreszielgehaltes wird fällig und erworben, sobald der Prozess der Stellendefinition abgeschlossen ist oder der Auftraggeber den Einzelauftrag vor Abschluss der Stellendefinition ordentlich kündigt. Im letzten Fall richtet sich das für die Bemessung

1 Dieser Exklusivitätsklausel droht nach § 297 Nr. 4 SGB III die Unwirksamkeit (vgl. Rz. 24.25). Ob die Klausel wirksam ist, kann dem Unternehmen allerdings egal sein, da nur der Headhunter Rechte aus ihr erwerben würde. 2 Um Fragen zu den Anforderungen an den Kandidaten zuverlässig und kurzfristig klären zu können, ist der Headhunter auf einen Ansprechpartner im Unternehmen angewiesen, der selbst maßgeblich an der Einstellungsentscheidung mitwirkt, Wittekindt, SPA 2018, 9 (10). 3 Da sich das Unternehmen auf einen exklusiv beauftragten Headhunter verlässt, sollte diesem nur im Ausnahmefall die ordentliche Kündigung des laufenden Auftrages ermöglicht werden.

502

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 24.29 § 24

der Honorarhöhe maßgebliche Jahreszielgehalt nach den Vorstellungen des Auftraggebers, welches dieser im Vorfeld der Beauftragung objektiv erkennbar angedacht hatte. b) Die zweite Rate i.H.v. 5 Prozent des festgelegten Jahreszielgehaltes wird fällig und erworben, sobald drei Kandidaten gem. § 2 Abs. 1 lit. b dieses Rahmenvertrages vorgestellt wurden, spätestens aber, sobald die dritte Rate fällig ist. c) Die dritte Rate i.H.v. 10 Prozent des festgelegten Jahreszielgehaltes wird erworben und fällig, sobald der Auftraggeber oder eines der mit ihm verbundenen Unternehmen infolge der Vermittlung des Headhunters einen Arbeitsvertrag, Anstellungsvertrag oder Dienstvertrag oder sonstigen vergleichbaren Vertrag mit einem von dem Headhunter vorgestellten Kandidaten schließt. (2) Mit dem Honorar nach Abs. 1 sind alle weiteren Leistungen des Headhunters, die dieser im Rahmen eines Auftrages erbringt, abgegolten. Seine Spesen und sonstigen Aufwendungen trägt der Headhunter selbst. § 6 Nachbesetzungsgarantie (1) Kündigt ein gem. § 5 Abs. 1 lit. c dieses Rahmenvertrages eingestellter Kandidat seinen Vertrag mit dem Auftraggeber innerhalb der ersten sechs Monate seiner Tätigkeit oder wird der Vertrag durch den Auftraggeber in diesem Zeitrahmen gekündigt, ist der Headhunter zur Nachbesetzung der Stelle verpflichtet; maßgeblich ist der Zugang der Kündigungserklärung. Zum Zwecke der Nachbesetzung wird der Headhunter die nach § 2 Abs. 1 dieses Rahmenvertrages geschuldeten Leistungen abermals und kostenfrei erbringen. Dies wird der Headhunter unbegrenzt wiederholen, sollten die Vertragsverhältnisse mit dem im Zuge der Nachbesetzung durch den Headhunter vorgestellten und darauf eingestellten Kandidaten abermals entsprechend Satz 1 beendet werden. (2) Kommt der Headhunter den Pflichten nach Abs. 1 trotz angemessener Fristsetzung durch den Auftraggeber nicht nach, kann der Aufraggeber den Einzelauftrag außerordentlich kündigen. In diesem Fall muss der Headhunter sämtliche für den Einzelauftrag bezogenen Honorare zurückgewähren. (3) Die Nachbesetzungsgarantie nach Abs. 1 besteht nicht, wenn der Auftraggeber die Kündigung durch ein grobes Verschulden herbeigeführt hat. Ein grobes Verschulden des Auftraggebers wird vermutet, wenn auf derselben Stelle drei Kandidaten hintereinander innerhalb der ersten sechs Monate ihrer Tätigkeit gekündigt werden oder kündigen. § 7 Schlussbestimmungen (1) Dieser Rahmenvertrag ist mit einer Frist von vier Wochen zum Monatsende ordentlich kündbar. Die Bestimmungen des Rahmenvertrages gelten auch nach Ablauf der Kündigungsfrist in Einzelaufträgen fort, die vor Ablauf der Kündigungsfrist durch die Parteien eingegangen wurden und über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus andauern, soweit bei Abschluss der Einzelaufträge nichts Abweichendes bestimmt wurde. (2) Sollte eine Bestimmung dieses Rahmenvertrages ganz oder teilweise unwirksam sein oder werden, so wird hiervon die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht berührt. An die Stelle der unwirksamen Bestimmung tritt die gesetzlich zulässige Bestimmung, die dem mit der unwirksamen Bestimmung Gewollten wirtschaftlich am nächsten kommt. Dasselbe gilt für den Fall einer vertraglichen Lücke. (3) Dieser Rahmenvertrag sowie sämtliche auf seiner Grundlage abgeschlossenen Einzelaufträge unterliegen ausschließlich dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Rahmenvertrag oder in Verbindung mit diesem Rahmenvertrag sowie den auf seiner Grundlage abgeschlossenen Einzelaufträgen ist …. (4) Sämtliche Änderungen und Ergänzungen dieses Rahmenvertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das Schriftformerfordernis gilt nicht, sofern eine Abweichung von den Vorgaben des Rahmenvertrages bei der Abstimmung von Einzelaufträgen ausdrücklich vereinbart wurde. Ort …, Datum … … Auftraggeber

… Headhunter

Grimm/Singraven

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§ 25 Rz. 25.1

Personalentwicklungskonzepte

§ 25 Personalentwicklungskonzepte I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.4 1. Individualrechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.5 2. Diskriminierungsverbote . . . . . . . . . . . . 25.14 3. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25.17 4. Beteiligung des Betriebsrates . . . . . . . . . 25.18

a) Unterrichtung des Betriebsrates . . . . b) Echte Mitbestimmungsrechte . . . . . . c) Beteiligung bei Beförderungen und Versetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarung mit dem Betriebsrat . . . . . 2. Individualvereinbarungen zur Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25.19 25.22 25.29 25.31 25.32 25.35

Literatur: Berkowsky, Die Änderungskündigung, NZA-RR 2003, 449; Braun/Wisskirchen, Konzernarbeitsrecht, 2015; Däubler, Zielvereinbarungen als Mitbestimmungsproblem, NZA 2005, 793; Franzen, Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung nach § 97 II BetrVG, NZA 2001, 865; Gaul, Arbeitnehmer erproben, beurteilen und entwickeln, NZA-Beilage 2016, 56; Gröne/Sura, Mitbestimmung des Betriebsrats bzgl. der Herausnahme von Arbeitnehmern bei Gehaltsanpassungen, DB 2017, 1721; Kort, Neuer Beschäftigtendatenschutz und Industrie 4.0, RdA 2018, 24; Mentzel, Personalentwicklung, SPA 2013, 33; Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2021; Olbert-Bock, Baukasten für ein strategisches Personalentwicklungskonzept, KMU-Magazin Nr. 6/2010, 70; Roloff, Der betriebsverfassungsrechtliche Erfüllungsanspruch, RdA 2015, 252; Schulze, Entwurf des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes, ArbRAktuell 2021, 211; Wollwert, Ordnungsgemäße Unterrichtung und Zustimmungsverweigerung bei gebündelten personellen Einzelmaßnahmen, DB 2012, 2518; Zimmer, Systematische Personalentwicklung – unternehmensinternes Konzept zur Qualifikation, DStR 1994, 800.

I. Worum geht es? 25.1 Während einfach gelagerte Tätigkeiten fortlaufend durch Automatisierung verdrängt werden, wächst der Wettbewerb um qualifizierte Fach- und Führungskräfte. Gleichzeitig sind Fach- und Führungskräfte zunehmend bereit, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn ihnen das eigene Unternehmen keine attraktive Entwicklungs- und Karriereperspektive bietet. Für Führungskräfte wird ein möglicher Karriereweg zwar durch die Organigramme des Unternehmens vorgezeichnet. Allerdings sind die Voraussetzungen für eine Beförderung oft unbekannt und undefiniert. Welche Entwicklungsmöglichkeiten für Fachkräfte bestehen, ist in vielen Unternehmen überhaupt nicht festgelegt und für die Betreffenden unberechenbar1. Sehen sich ambitionierte Mitarbeiter in einer Karrieresackgasse, gehen sie.

25.2 Immer mehr Unternehmen reagieren, indem sie transparente Konzepte zur Personalentwicklung (PE) aufstellen. Personalentwicklungskonzepte verfolgen eine doppelte Zielsetzung: Einerseits bringen Unternehmen, die ihre Belegschaft strategisch fortentwickeln, benötigte Fachqualifikationen selbst hervor. Andererseits zeigen Unternehmen ihren eigenen Mitarbeitern einen transparenten Entwicklungs- und Karrierepfad innerhalb der eigenen Organisation auf. Ambitionierte und dynamische Mitarbeiter lassen sich so besser an das Unternehmen binden. Außerdem führt es zu einem Motivationsschub, wenn Mitarbeiter sehen, welche Aufstiegsmöglichkeiten und Gehaltssprünge mit einer persönlichen Weiterentwicklung verbunden sein können. 1 Zimmer, DStR 1994, 800 (803 f.).

504

Grimm/Singraven

I. Worum geht es?

Rz. 25.3 § 25

25.3

Typischerweise haben Personalentwicklungskonzepte die folgenden Kernelemente: – Im Rahmen einer strategischen Bedarfsplanung untersucht der Arbeitgeber, welche fachlichen Qualifikationen im Unternehmen künftig benötigt werden und wo sich Mängel abzeichnen, gegen die die Personalentwicklung ansteuern soll1. Die Personalentwicklungsplanung muss aus der Gesamtstrategie des Unternehmens abgeleitet werden. – Bei tariflich ungebundenen Unternehmen werden für die Stellen Gehaltsbänder festgelegt, in deren Rahmen den Stelleninhabern Gehälter zugesagt und Gehaltserhöhungen zugesprochen werden können. Arbeitnehmer können dadurch abschätzen, welche Gehaltserhöhungen mit der Beförderung auf eine bestimmte Stelle verbunden sind. Üblich ist es, die einzelnen Stellen im Vorfeld nach einem Schema von Laufbahnstufen zu hierarchisieren, an welche die Gehaltsbänder anknüpfen2. – Für alle im Unternehmen vorhandenen Stellen werden Stellenprofile, Funktionsgruppen bzw. Rollen erstellt, aus denen sich die Anforderungen an die Qualifikation eines Stelleninhabers ergeben. Auf diese Weise wird Arbeitnehmern aufgezeigt, welche Qualifikationen sie noch erwerben müssten, um auf eine bestimmte Stelle (i.d.R. einer höheren Laufbahnstufe) befördert zu werden. Idealerweise ergeben sich aus den Stellenprofilen nachvollziehbare Karrierepfade, die dem Mitarbeiter eine langfristige und attraktive Entwicklungsperspektive im Unternehmen aufzeigen. – Typischerweise werden mit Mitarbeitern im Jahresfeedback-Gespräch Zielvereinbarungen abgeschlossen, die mit den persönlichen Entwicklungszielen verknüpft sind. – Unternehmen stellen feste Leitfäden für Jahres- und Zwischenfeedback-Gespräche auf. In den Fördergesprächen mit dem Vorgesetzten muss sichergestellt werden, dass für den Mitarbeiter im Rahmen einer persönlichen Laufbahnplanung sinnvolle Entwicklungsziele definiert und ein entsprechender Förder- und Fortbildungsbedarf ermittelt wird3. Dabei muss nicht zwingend der Aufstieg auf eine höher angesiedelte Stelle angestrebt werden. Auch die Umschulung eines Mitarbeiters, dessen Stelle im Zuge des technologischen Fortschrittes entfällt, kann als Ziel definiert werden4. Bei ehrgeizigen Mitarbeitern geht es dagegen darum, welche Beförderungsstellen realistischerweise in Betracht kommen und auf welchem Wege der Mitarbeiter Qualifikationen erwerben kann, die für die von ihm angestrebte Beförderungsstelle vorausgesetzt werden. Üblicherweise findet in den Feedbackgesprächen auch eine Mitarbeiterbeurteilung statt, damit der Mitarbeiter weiß, wo er steht5. – Außerdem werden in den Jahresfeedback-Gesprächen persönliche Weiterentwicklungsmaßnahmen festgelegt6. Neben der Teilnahme an Schulungen und dem Einstudieren bestimmter Verhaltensänderungen im Alltag kommen vielfältige weitere Maßnahmen in Betracht: Dem Mitarbeiter kann ein bestimmter Coach, Mentor oder Pate im eigenen Unternehmen zugewiesen werden. Der Mitarbeiter kann mit anderen Aufgaben, Projekten oder Tätigkeiten betraut werden, durch die er Erfahrungen erwirbt, die bei der angestrebten Beförderungsstelle vorausgesetzt werden7. Schließlich kann sich der Mitarbeiter in Abendschulen, durch ein Fernstudium oder schlicht im Selbststudium bestimmte Fähigkeiten eigenständig aneignen. Da das Feedback und Mentoring der Vorgesetzten eine ausschlaggebende Komponente für die Personalentwicklung ist, kann es sinnvoll sein, die Vorgesetzten ebenfalls gezielt zu schulen.

1 Olbert-Bock, KMU-Magazin Nr. 6/2010, 70 (72); Zimmer, DStR 1994, 800 (800); Mentzel, SPA 2013, 33 (33). 2 Zimmer, DStR 1994, 800 (803). 3 Olbert-Bock, KMU-Magazin Nr. 6/2010, 70 (72). 4 Gaul, NZA-Beilage 2016, 56 (60). 5 Zimmer, DStR 1994, 800 (801). 6 Zimmer, DStR 1994, 800 (802). 7 Zimmer, DStR 1994, 800 (804); Olbert-Bock, KMU-Magazin Nr. 6/2010, 70 (72).

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§ 25 Rz. 25.3

Personalentwicklungskonzepte

– Viele Unternehmen legen Skill-Datenbanken an, in denen Erfahrungen, Qualifikationen und sonstige Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter dokumentiert werden. In den Skill-Datenbanken kann bei der Stellenbesetzungs- und Nachfolgeplanung gezielt nach Mitarbeitern gesucht und diese können dann proaktiv angesprochen werden. Indem der Mitarbeiter erworbene Qualifikationen und Erfahrungen in diese Datenbanken einpflegt, steigert er seine Aufstiegschancen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 25.4 Im Zusammenhang mit der Personalentwicklung stellen sich verschiedene rechtliche Herausforderungen: – Individualrechtlich ist zu beachten, dass Beförderungen kündigungsschutzrechtlich abgesichert werden und deshalb selten korrigiert werden können (dazu Rz. 25.5 ff.). – Das Personalentwicklungskonzept darf nicht gegen gesetzliche Diskriminierungsverbote verstoßen (dazu Rz. 25.14 ff.). – Bei der Ausgestaltung von Skill-Datenbanken stellen sich datenschutzrechtliche Fragestellungen (dazu Rz. 25.17). – Dem Betriebsrat steht eine Vielzahl von Beteiligungsrechten zu (dazu Rz. 25.18 ff.).

1. Individualrechtliche Rahmenbedingungen 25.5 Das deutsche Kündigungsschutzrecht führt dazu, dass Karrieren in Unternehmen üblicherweise als Einbahnstraße verlaufen: Eine Degradierung von Mitarbeitern kommt so gut wie nie in Betracht. Einmal ausgesprochene Beförderungen werden vom kündigungsrechtlichen Bestandsschutz umfasst und können grundsätzlich nicht mehr korrigiert werden.

25.6 Der Kündigungsschutz sichert dabei nicht nur das Gehalt des Mitarbeiters, sondern auch die Wertigkeit seiner Stelle ab. Im Rahmen seines Versetzungsrechts kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer auch dann keine geringwertigere Tätigkeit zuweisen, wenn er die höhere Vergütung der bisherigen höherwertigen Tätigkeit weiterzahlt1. Die Wertigkeit einer Stelle bestimmt sich nach der auf den Betrieb abgestellten Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild2. Indem der Arbeitgeber im Rahmen seiner Personalentwicklungskonzepte einzelne Stellen hierarchisiert und unterschiedlichen Laufbahnstufen und Gehaltsbändern zuordnet, definiert er das Sozialbild und die Wertigkeit dieser Stellen. So ergeben sich hierarchische Ebenen, auf denen das Direktionsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) nur eine horizontale Versetzung zulässt.

25.7 Jede Versetzung eines Mitarbeiters auf eine Stelle mit anderer (höherer oder niedrigerer) Wertigkeit kommt grundsätzlich nur im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter oder im Wege der Änderungskündigung in Betracht. Die Änderungskündigung kommt allerdings selten in Betracht, da ein Kündigungsgrund erforderlich wäre (§ 2 KSchG i.V.m. § 1 KSchG). An diesen würden (i.d.R. zu) hohe Anforderungen gestellt. Insbesondere rechtfertigt der Umstand, dass sich ein Mitarbeiter auf einer Beförderungsstelle nicht bewährt hat, keine degradierende Änderungskündigung3. Ebenso kann ein 1 BAG v. 30.8.1995 – 1 AZR 47/95, PersR 1996, 74 = juris Rz. 25. 2 BAG v. 30.8.1995 – 1 AZR 47/95, PersR 1996, 74 = juris Rz. 25. 3 Theoretisch könnte der Nachweis, dass die Leistung eines Mitarbeiters im groben Missverhältnis zur Normalleistung anderer Stelleninhaber steht, eine personenbedingte Änderungskündigung rechtfertigen. Praktisch sind die Anforderungen an die prozessuale Darlegungslast des Arbeitgebers so hoch, dass er sie im Prozess nicht erfüllen kann, vgl. mit Blick auf die degradierende Änderungskündigung z.B. LAG Baden-Württemberg v. 17.3.2015 – 16 Sa 35/14, juris; allgemein zu den Anforderungen BAG v. 11.12.2003 – 2 AZR 667/02, ArbRB 2004, 263.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 25.11 § 25

Mitarbeiter, der arbeitsrechtliche Pflichten verletzt hat, nicht durch eine Degradierung im Wege der verhaltensbedingten Änderungskündigung „bestraft“ werden1. Praktisch kommen allenfalls betriebsbedingte Gründe, d.h. der Wegfall der bisherigen Stelle eines Arbeitnehmers, als Rechtfertigung einer Änderungskündigung in Betracht2. Darüber hinaus müsste im Zusammenhang mit der Änderungskündigung die Zustimmung des Betriebsrates nach §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG eingeholt werden3. Gegen den Willen eines Arbeitnehmers lässt sich die Degradierung daher kaum durchsetzen.

25.8

Hinweis: I.d.R. belasten Versuche des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer zwangsweise zu degradieren, das Arbeitsverhältnis so schwer, dass eine konstruktive Zusammenarbeit in der Zukunft nicht mehr vorstellbar ist. In der Praxis wird die Trennung (oft gegen Abfindung) der Änderungskündigung meistens vorgezogen.

Allerdings steht dem Arbeitgeber, der sicherstellen möchte, dass sich ein Arbeitnehmer auf einer Be- 25.9 förderungsstelle erst erprobt, das Instrument der Befristung zur Verfügung: Der Erprobungszweck rechtfertigt es nicht bloß, das Arbeitsverhältnis insgesamt (vgl. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG), sondern auch einzelne Arbeitsbedingungen, wie die Beförderung auf eine Stelle mit höherer Wertigkeit, für eine bestimmte Zeitspanne zu befristen4. Allerdings unterliegt die Befristung der AGB-Kontrolle und muss daher angemessen sein (§§ 307, 310 Abs. 3 BGB). I.d.R. darf die Erprobungsfrist sechs Monate nicht überschreiten5. Der kündigungsschutzrechtliche Bestandsschutz wird durch den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ergänzt und vervollständigt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es, Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer durch den Arbeitgeber selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln6. Hebt der Arbeitgeber Gehälter einer Mitarbeitergruppe nach einem generalisierenden Prinzip an, darf er nicht einzelne Mitglieder dieser Gruppe ohne sachlichen Grund von der Gehaltserhöhung ausnehmen7. Konsequenz ist, dass der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer auf eine bestimmte Laufbahnstufe befördert, diesen Arbeitnehmer auch an Gehaltserhöhungen teilhaben lassen muss, die dieser Laufbahnstufe nach einem generalisierenden Prinzip zugutekommen.

25.10

Ein Kernelement von Personalentwicklungskonzepten besteht darin, transparente Vergütungsregeln aufzustellen, typischerweise in Form von Gehaltsbändern. Nimmt der Arbeitgeber eine allgemeine Gehaltserhöhung vor, die mit einer allgemeinen Anhebung des Gehaltsbands für eine bestimmte Hierarchieebene verbunden ist, wird er i.d.R. einzelne Mitglieder dieser Hierarchieebene nicht so weitgehend von der Gehaltserhöhung ausnehmen dürfen, dass sie aus dem Gehaltsband herausfallen8. Jedenfalls wenn transparente Vergütungsregeln aufgestellt wurden, hat der Arbeitgeber wegen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht mehr das Recht zu einer „verdeckten Degradierung“, indem er bestimmte Mitarbeiter solange von Gehaltserhöhungen ausnimmt, bis die inflationsbedingte Lohnentwertung deren Vergütung faktisch auf das Niveau einer niedrigeren Hierarchieebene abschmilzt.

25.11

1 LAG Nürnberg v. 10.3.2009 – 7 Sa 31/08, Leitsatz, ZTR 2009, 338. 2 Berkowsky, NZA-RR 2003, 449 (457). 3 Vgl. zu den Rechtsfolgen einer verweigerten Zustimmung BAG v 22.4.2010 – 2 AZR 491/09, ArbRB 2010, 330. 4 BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 253/14, DB 2016, 1761; LAG Baden-Württemberg v. 11.2.2015 – 21 Sa 68/14, Orientierungssatz 5, ArbRAktuell 2015, 254. 5 BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 253/14, juris Rz. 40; LAG Baden-Württemberg v. 11.2.2015 – 21 Sa 68/14, Orientierungssatz 5, ArbRAktuell 2015, 254. 6 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, ArbRB 2015, 38 = juris Rz. 18; BAG v. 14.3.2007 – 5 AZR 420/06, Leitsatz, ArbRB 2007, 258. 7 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 6/13, ArbRB 2015, 38 = juris Rz. 19. 8 Vgl. BAG v. 27.4.2016 – 5 AZR 311/15, juris Rz. 38.

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§ 25 Rz. 25.12

Personalentwicklungskonzepte

25.12 Hinweis: Im Rahmen der Personalentwicklung sind Beförderungen und sonstige Hochstufungen eine Gradwanderung. Einerseits ist die realistische Aufstiegsperspektive ein zentraler Motivator für die Belegschaft. Andererseits muss der Arbeitgeber vermeiden, zu früh zu viele Hochstufungen zuzusagen. Denn ein Zurück gibt es wegen des kündigungsrechtlichen Bestandsschutzes nicht mehr.

25.13 Die Beförderung auf eine höherwertige Stelle kommt nur durch Abschluss eines Änderungsvertrags in Betracht, der allerdings in den meisten Fällen stillschweigend und konkludent vereinbart wird (vgl. Rz. 25.7). Selbst wenn der Arbeitgeber im Rahmen von Personalentwicklungskonzepten transparente Kriterien für die Besetzung bestimmter Stellen und die damit verbundenen Beförderungen aufstellt, können Arbeitnehmer aus diesen Kriterien keinen Anspruch auf eine Beförderung und damit auf Abschluss eines solchen Änderungsvertrages ableiten. Ein solcher Anspruch ergibt sich grundsätzlich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein bestimmter Mitarbeiter gemessen an den aufgestellten Kriterien objektiv besser qualifiziert erscheint als sämtliche Mitbewerber für eine ausgeschriebene Stelle. Denn dem privaten Arbeitgeber steht – mehr noch als dem öffentlichen Arbeitgeber1 – ein weiter Entscheidungsspielraum bei der Personalauswahl für Beförderungsstellen zu (zu beachten ist allerdings das Beteiligungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG, dazu Rz. 25.23). Dies kommt insbesondere darin zum Ausdruck, dass selbst ein rassistisch diskriminierter und objektiv bester Bewerber, der ohne die Diskriminierung die Stelle erhalten hätte, lediglich eine Entschädigung in Geld (vgl. § 15 Abs. 2 AGG), aber keinesfalls eine Einstellung auf die zu besetzende Stelle (§ 15 Abs. 6 AGG) verlangen könnte.

2. Diskriminierungsverbote 25.14 Nach §§ 7, 1 AGG darf das Personalentwicklungskonzept Mitarbeiter nicht aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligen. Der Arbeitgeber darf seiner Personalentwicklungsplanung insbesondere keine typisierten Annahmen zugrunde legen, die an Merkmale i.S.d. § 1 AGG anknüpfen, unabhängig davon, ob sich diese typisierenden Annahmen statistisch belegen lassen oder nicht. So darf der Arbeitgeber z.B. Frauen nicht generell wegen ihres Geschlechtes bei der Karriereförderung benachteiligen, weil er vermutet, Frauen würden ihre Karriere häufiger als männliche Arbeitnehmer zugunsten der Familienplanung unterbrechen2.

25.15 In bestimmten Fallgruppen sind Ungleichbehandlungen wegen Merkmalen nach §§ 7, 1 AGG indes gerechtfertigt: – Vom Arbeitgeber kann nicht erwartet werden, dass er ältere Arbeitnehmer, die kurz vor Eintritt in die Rente stehen, noch zeit- und kostenintensiv für Tätigkeiten fortbildet, die diese ohnehin nicht mehr in relevantem Umfang ausüben werden. Die damit verbundene Altersdiskriminierung ist nach § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt, wenn sie sich im Einzelfall als verhältnismäßig darstellt. Dies wäre hingegen nicht der Fall, würde Arbeitnehmern schon ab dem 55. Lebensjahr jede Fortbildung verweigert. – Nach § 4 Abs. 1 TzBfG ist die Benachteiligung von Teilzeitkräften grundsätzlich untersagt. Zudem kann die Benachteiligung von Teilzeitkräften als mittelbare Diskriminierung von Frauen angesehen werden, wenn Frauen im Unternehmen überproportional in Teilzeit arbeiten3. Dennoch ist es sachlich gerechtfertigt, Teilzeitbeschäftigte von Fortbildungsprogrammen für Führungspositionen auszunehmen, die wegen des Verantwortungsumfangs, insbesondere einem Bedürfnis nach

1 Vgl. dazu BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 226/05, juris Rz. 62; Sächsisches LAG v. 23.11.2004 – 7 Sa 406/04, juris Rz. 65. 2 Gaul, NZA-Beilage 2016, 56 (60). 3 EuGH v. 6.12.2007 – C-300/06 (Voß/Land Berlin), ECLI:EU:C:2007:757, Leitsatz, ArbRB 2008, 3.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 25.16 § 25

ständiger Erreichbarkeit, sinnvollerweise nur in Vollzeit ausgeübt und nicht geteilt werden können, solange die Teilzeitbeschäftigten nicht verbindlich erklären, auf Vollzeit aufstocken zu wollen1. – Nach § 5 AGG können durch sog. Positivmaßnahmen Merkmalsträger i.S.d. § 1 AGG bevorzugt werden, wenn sie auf bestimmten Hierarchieebenen unterrepräsentiert sind2. Typischerweise geht es darum, Frauen einen bevorzugten Zugang zu Führungspositionen zu eröffnen, wenn sie dort das Minderheitengeschlecht sind. Da dies in der Kehrseite mit einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung von Männern verbunden ist, müssen Positivmaßnahmen in verhältnismäßiger Weise ausgestaltet werden3. Zum einen muss die Maßnahme der Beseitigung eines tatsächlich bestehenden Defizits dienen. Zum anderen darf auch bei gleicher Qualifikation den weiblichen Bewerbern kein automatischer und unbedingter Vorrang eingeräumt werden. Stattdessen muss der Arbeitgeber für männliche Bewerber, die die gleiche Qualifikation wie die weiblichen Bewerber besitzen, in jedem Einzelfall sicherstellen, dass die Bewerbung Gegenstand einer objektiven Beurteilung wird. Im Rahmen der Beurteilung müssen alle die Person des Bewerbers betreffenden Kriterien berücksichtigt werden. Erst nach Abschluss dieser Beurteilung darf der Arbeitgeber der weiblichen Bewerberin aus geschlechtsbedingten Gründen den Vorrang einräumen4. – Nach § 164 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI sind schwerbehinderte Arbeitnehmer bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens bevorzugt zu berücksichtigen. Eine Pflicht zur Bevorzugung des schwerbehinderten Arbeitnehmers kommt allerdings nur bei gleicher Qualifikation in Betracht, d.h. wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer nach den allgemeinen Leistungskriterien im Vergleich mit den sonstigen Bewerbern gleichwertig ist und seiner Verwendung auf der betreffenden Stelle nicht billigenswerte und vernünftige Gründe, auch solche betrieblicher Art, entgegenstehen. Einen allgemeinen Beförderungsanspruch gibt es für schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht5. Dass das Entscheidungsermessen des Arbeitgebers auf null reduziert ist, so dass sich eine Rechtspflicht zur Beförderung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ergibt, kommt allenfalls im seltenen Ausnahmefall in Betracht.

25.16

Hinweis: Dass Arbeitnehmer Diskriminierungsklagen einreichen, die ernsthaft an einer Karriere im Unternehmen interessiert sind, kommt selten vor. Wer von seinem Arbeitgeber befördert werden will, verklagt diesen nicht. Häufiger ist zu beobachten, dass Arbeitnehmer, die das eigene Unternehmen ohnehin verlassen wollen, im Klagewege den Konflikt suchen und hoffen, der Arbeitgeber würde ihnen – z.B. auf richterliche Empfehlung in der Güteverhandlung vor dem ArbG – noch eine Abfindung anbieten, damit sie gehen. In diesem Fall bieten sich z.B. (konstruierte) Diskriminierungsvorwürfe als Aufhänger für Klagen an. Zwar werden Arbeitnehmer, die ihren Arbeitgeber unbedingt verklagen wollen, immer einen (konstruierten) Grund finden. Die beste Compliance kann dies nicht verhindern. Besonders schwer wiegt bei Diskriminierungsvorwürfen allerdings die politische Dimension und die sich daraus möglicherweise ergebende Öffentlichkeitswirksamkeit. Deshalb zeigen sich die meisten Unternehmen mit Blick auf Diskriminierungsverbote sehr sensibel.

1 Vgl. z.B. LAG Sachsen-Anhalt v. 27.1.2005 – 9 Sa 429/04, Leitsatz, juris. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2011 – 9 Sa 1771/10, Leitsatz 1, DB 2011, 2040. 3 Thüsing in MünchKomm/BGB, § 5 AGG Rz. 8; Roloff in BeckOK/ArbR, Stand: 1.12.2021, § 5 AGG Rz. 4 f.; Braun in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, § 5 AGG Rz. 5 ff. 4 EuGH v. 30.9.2004 – C-319/03; EuGH v. 6.7.2000 – C-407/98, ECLI:EU:C:2000:367; EuGH v. 28.3.2000 – C-158/97, ECLI:EU:C:2000:163; EuGH v. 11.11.1997 – C-409/95, ECLI:EU:C:1997:533; EuGH v. 17.10.1995 – C-450/93, ECLI:EU:C:1995:322; VGH BW v. 21.6.2011 – 4 S 1075/11, Leitsatz 4; Thüsing in MünchKomm/BGB, § 5 AGG Rz. 17; Braun in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, § 5 AGG Rz. 7. 5 Vgl. zur alten Rechtslage BAG v. 19.9.1979 – 4 AZR 887/77, juris Rz. 15 f.

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§ 25 Rz. 25.17

Personalentwicklungskonzepte

3. Datenschutz 25.17 Datenschutzrechtliche Fragen stellen sich, wenn Erfahrungen, Qualifikationen und sonstige Fähigkeiten der Mitarbeiter in Skill-Datenbanken eingepflegt werden, aus denen der Arbeitgeber im Rahmen seiner Stellenbesetzungsplanung gezielt Kandidaten heraussucht und anspricht. Die datenschutzrechtliche Zulässigkeit hängt davon ab, wer Einsicht in die Skill-Datenbank nehmen darf: 1. Solange die Skill-Datenbank nur durch das eigene Unternehmen genutzt wird, gilt sie datenschutzrechtlich als unproblematisch1. Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 26 Abs. 1 BDSG, die beruflichen Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu kennen, da andernfalls keine sinnvolle Personaleinsatzplanung möglich wäre. Allerdings sind personenbezogene Daten in der SkillDatenbank von einer erhöhten Sensibilität: Zum einen entfalten sie eine erhebliche Aussagekraft über die Persönlichkeit der Arbeitnehmer. Zum anderen haben diese Daten einen Wert auf dem Schwarzmarkt (nämlich für unseriöse Headhunter, vgl. Rz. 24.15), so dass Datendiebstahl vorstellbar ist. Der Kreis der Zugriffsberechtigten hinsichtlich der Skill-Datenbank sollte deshalb begrenzt und Zugriffe auf die Datenbank elektronisch dokumentiert werden. 2. Wird anderen Konzernunternehmen der Zugriff auf die Skill-Datenbank ermöglicht, stößt dies auf keine weitergehenden Bedenken, solange sich die Konzernunternehmen als gemeinsam Verantwortliche i.S.d. Art. 26 DSGVO und nicht als Dritte gegenüberstehen. Denn in diesem Fall legen die Konzernunternehmen gemeinsam einheitliche Datenschutzvorgaben fest und können deren Einhaltung wechselseitig kontrollieren (dazu eingehend Rz. 12.8 ff.). 3. Stehen sich Konzernunternehmen hingegen als Dritte (Art. 4 Nr. 10 DSGVO) gegenüber, stellen sich bei Einrichtung unternehmensübergreifender Skill-Datenbanken besondere datenschutzrechtliche Anforderungen. Denn in diesem Fall hat das Vertragsunternehmen nur einen begrenzten Einfluss darauf, wie die übrigen Konzernunternehmen die Daten aus der Skill-Datenbank verarbeiten und aus welchem Anlass sie auf die Skill-Datenbank zugreifen (dazu eingehend Rz. 12.10 f.). In diesem Fall wäre die Veröffentlichung der Skilldaten mit Einwilligung des Arbeitnehmers zulässig2. Regelmäßig werden Arbeitnehmer dazu bereit sein, diese Einwilligung zu erteilen, da sie ein Eigeninteresse an der Veröffentlichung haben. Durch die Veröffentlichung steigern sie ihre Karrierechancen. Allerdings kann die ordnungsgemäße Einholung der Einwilligung zu Praktikabilitätsproblemen führen3. Es liegt nahe, die Einwilligung zur Veröffentlichung der jeweils neu erworbenen Skills im Jahresfeedback-Gespräch mit dem Vorgesetzten als festen Prozess einzuholen. Ohne Einwilligung darf nach zutreffender h.M. dritten Konzernunternehmen nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, Arbeitnehmer-Profile in einer Skill-Datenbank anlasslos abzufragen4. Zulässig ist hingegen, die Arbeitnehmer-Profile für fremde Konzernunternehmen nur pseudonymisiert zu veröffentlichen. Sucht ein Konzernunternehmen eine Person mit bestimmten Fähigkeiten und findet es in der Datenbank ein geeignetes, pseudonymisiertes Profil, kann es bei der Personalabteilung des Arbeitgeberunternehmens nachfragen, wer sich hinter dem Profil verbirgt. Auf diese Weise kann das Arbeitgeberunternehmen prüfen, ob im Einzelfall ein berechtigtes Konzerninteresse (vgl. Erwägungsgrund 48 DSGVO) an der Datenweitergabe besteht5. Als Ermächtigungsgrundlage kann nach § 88 DSGVO i.V.m. § 26 BDSG eine Konzernbetriebsvereinbarung dienen. Allerdings müssen auch Regelungen in einer Konzernbetriebsvereinbarung

1 Gaul, NZA-Beilage 2016, 56 (60). 2 Seifert in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 88 DSVGO Rz. 179; Panzer-Heermeier in Braun/Wisskirchen, Teil I Rz. 222; Gola in Gola/Heckmann, § 26 BDSG Rz. 73. 3 Seifert in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 88 DSVGO Rz. 179. 4 Gola in Gola/Heckmann, § 26 BDSG Rz. 73; Gaul, NZA-Beilage 2016, 56 (61); Seifert in Simitis/ Hornung/Spiecker, Art. 88 DSVGO Rz. 179; Panzer-Heermeier in Braun/Wisskirchen, Teil I Rz. 218. 5 Panzer-Heermeier in Braun/Wisskirchen, Teil I Rz. 219; Seifert in Simitis/Hornung/Spiecker, Art. 88 DSVGO Rz. 179; ähnlich Gola in Gola/Heckmann, § 26 BDSG Rz. 73.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 25.20 § 25

dem Gebot der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen, so dass keine merkliche Absenkung des Datenschutzniveaus möglich ist (dazu eingehend Rz. 15.27 f.)1. 4. Sollen Konzernunternehmen auf die Skill-Datenbank zugreifen, die in einem Drittland ihren Sitz haben, also einem Land, das nicht Mitgliedstaat der EU ist, sind die zusätzlichen Voraussetzungen nach Art. 44 DSGVO zu beachten. Sollte für das Drittland kein Angemessenheitsbeschluss der EU-Kommission vorliegen (Art. 45 DSGVO), empfiehlt es sich i.d.R., eine Standarddatenschutzklausel (Art. 46 Abs. 2 lit. c DSGVO) zu vereinbaren (dazu eingehend Rz. 12.31).

4. Beteiligung des Betriebsrates Im Zusammenhang mit der Personalentwicklung ist der Betriebsrat unter zahlreichen Gesichtspunkten zu beteiligen:

25.18

– Der Betriebsrat ist über die Personalplanungen des Arbeitgebers umfassend und proaktiv zu unterrichten (§§ 92, 80 Abs. 1 BetrVG, dazu Rz. 25.19 ff.). – In Hinblick auf Regelungen, die im Rahmen von Personalentwicklungskonzepten getroffen werden, stehen dem Betriebsrat vielfältige echte Mitbestimmungsrechte zu (§§ 87, 95, 94, 98 BetrVG, dazu Rz. 25.22). – Bei Versetzungs- und Beförderungsentscheidungen ist der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen und kann überprüfen, ob die getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden (dazu Rz. 25.23).

a) Unterrichtung des Betriebsrates Nach § 92 BetrVG muss der Arbeitgeber seinen Betriebsrat umfassend über die Personalplanung 25.19 anhand von Unterlagen unterrichten und sich mit dem Betriebsrat über die erforderlichen Maßnahmen beraten. Der Arbeitgeber muss die Unterrichtung des Betriebsrates proaktiv und rechtzeitig vornehmen. Verschweigt der Arbeitgeber Personalplanungen, kann nach § 121 BetrVG ein Bußgeld verhängt werden. Solange keine Personalplanung existiert, sondern durch den Arbeitgeber nur Vorüberlegungen angestellt wurden, besteht noch keine Unterrichtungspflicht2. Der Arbeitgeber muss die Unterrichtung spätestens vorgenommen haben, bevor er endgültig über die Umsetzung der Planung entscheidet. Nur dann hat der Betriebsrat nämlich noch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen3. Die Personalplanung umfasst u.a. die Personalbedarfsplanung und die Personaldeckungsplanung4. Im Rahmen der Personaldeckungsplanung wird entschieden, ob der Personalbedarf extern durch Einstellungen oder Fremdpersonal gedeckt wird oder ob dies intern, also im Wege einer planmäßigen Personalentwicklung, erfolgen soll5. Im Rahmen der Personalplanung ist insbesondere die Berufsbildung mit dem Betriebsrat zu erörtern (§ 96 Abs. 1 BetrVG). Dabei muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Unterlagen vorlegen, die der Arbeitgeber selbst seiner Personalplanung zugrunde legt6. Dazu gehören auch Stellenbeschreibungen, die der Arbeitgeber entwirft7. Der Arbeit-

1 2 3 4 5 6

Panzer-Heermeier in Braun/Wisskirchen, Teil I Rz. 218; Gaul, NZA-Beilage 2016, 56 (61). Kania in ErfK, § 92 BetrVG Rz. 6. Fitting, § 92 BetrVG Rz. 28; Ricken in HWK, § 92 BetrVG Rz. 11. Kania in ErfK, § 92 BetrVG Rz. 5; Fitting, § 92 BetrVG Rz. 11 ff.; Ricken in HWK, § 92 BetrVG Rz. 4 f. Kania in ErfK, § 92 BetrVG Rz. 5; Fitting, § 92 BetrVG Rz. 15; Ricken in HWK, § 92 BetrVG Rz. 7. BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14, ZTR 2017, 384 = juris Rz. 13; BAG v. 19.6.1984 – 1 ABR 6/83, Leitsatz 2, BAGE 46, 142. 7 BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 49/12, DB 2014, 1382 = juris Rz. 15.

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25.20

§ 25 Rz. 25.20

Personalentwicklungskonzepte

geber muss seine Personalentwicklungspläne mit dem Betriebsrat erörtern und sich mit Vorschlägen des Betriebsrates (§ 92 Abs. 2 BetrVG) auseinandersetzen1.

25.21 Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nach § 80 Abs. 1 BetrVG weitere Informationen und Unterlagen anfordern, die er für erforderlich hält, um sein Vorschlagsrecht nach § 92 Abs. 2 BetrVG auszuüben. Dies gilt auch für Vorschläge, die darauf zielen, die bestehende und vom Arbeitgeber praktizierte Personalentwicklungsplanung zu ändern2.

b) Echte Mitbestimmungsrechte 25.22 Stellt der Arbeitgeber Rahmenregeln zur Personalentwicklung auf, kommen dem Betriebsrat unter mehreren Gesichtspunkten echte Mitbestimmungsrechte zu: – Der Betriebsrat hat mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen und Umgruppierungen aufstellen will (§ 95 Abs. 1 BetrVG) oder wenn er allgemeine Beurteilungsgrundsätze festlegt (§ 94 Abs. 2 Alt. 2 BetrVG). In Betrieben mit mehr als 500 Arbeitnehmern kann der Betriebsrat die Aufstellung von Auswahlrichtlinien sogar erzwingen (§ 95 Abs. 2 BetrVG). Auswahlrichtlinien sind Grundsätze, die der Entscheidungsfindung bei personellen Einzelmaßnahmen dienen sollen, wenn für diese mehrere Arbeitnehmer und Bewerber in Frage kommen, d.h. wenn sich Arbeitnehmer gegenüber dem entscheidenden Arbeitgeber in einer Konkurrenzsituation befinden3. Der Betriebsrat kann keine Auswahlrichtlinien verlangen, die so starr sind, dass dem Arbeitgeber kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt, um weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen4. Allgemeine Beurteilungsgrundsätze sind Regelungen, die eine Bewertung des Verhaltens oder der Leistung der Arbeitnehmer objektivieren und nach einheitlichen Kriterien ausrichten sollen5. Mitbestimmt sind nicht nur die materiellen Beurteilungsmerkmale, sondern auch die Ausgestaltung des Beurteilungsverfahrens6.

25.23 – Kein Mitbestimmungsrecht besteht allerdings bei der Erstellung von Anforderungsprofilen, Stellenbeschreibungen oder Funktionsbeschreibungen. Es unterliegt allein der Organisationsgewalt des Arbeitgebers, festzulegen, welche Funktionen innerhalb des Betriebes der Inhaber einer bestimmten Stelle zu erfüllen hat und welche Anforderungen er an den Inhaber stellen will7. Bestehen allerdings Auswahlrichtlinien, muss der Arbeitgeber deren Vorgaben beachten, wenn er konkrete Anforderungen für bestimmte Stellen definiert8.

25.24 – Legt der Arbeitgeber Gehaltsbänder fest, stellt er Entlohnungsgrundsätze i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auf 9. Zwar legt der Arbeitgeber das Gesamtbudget für Gehaltszahlungen einseitig fest. In den Gehaltsbändern kommt allerdings ein Verteilungsschlüssel zum Ausdruck, der den relativen Abstand einzelner Vergütungen im Betrieb zueinander festlegt. Diesen relativen Abstand

1 Ricken in HWK, § 92 BetrVG Rz. 7; Kania in ErfK, § 92 BetrVG Rz. 10. 2 BAG v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14, ZTR 2017, 384 = juris Rz. 21; BAG v. 31.1.1989 – 1 ABR 72/87, DB 1989, 982 = juris Rz. 21 ff. 3 BAG v. 31.5.2005 – 1 ABR 22/04, DB 2005, 2585 = juris Rz. 30. 4 BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 4/92, Leitsatz, DB 1993, 885. 5 BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 49/12, DB 2014, 1382 = juris Rz. 13. 6 BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 49/12, DB 2014, 1382 = juris Rz. 20. 7 BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 4/92, DB 1993, 885 = juris Rz. 29; BAG v. 23.2.1988 – 1 ABR 82/86, Leitsatz 1, DB 1988, 1452. 8 BAG v. 27.10.1992 – 1 ABR 4/92, juris Rz. 30. 9 BAG v. 26.10.2004 – 1 ABR 37/03, ArbRB 2005, 170 = juris Rz. 47; BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15, ArbRB 2017, 210 = juris Rz. 23 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 25.27 § 25

darf der Arbeitgeber nicht einseitig verschieben1. Allerdings ist der Arbeitgeber berechtigt, die Beträge aller Gehaltsbänder gleichmäßig nach einem einheitlichen Prozentsatz anzuheben oder abzusenken2. – Regeln über die Durchführung und den Ablauf von Mitarbeitergesprächen sollen nach instanz- 25.25 gerichtlicher Auffassung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmt sein3. Außerdem muss der Betriebsrat jedenfalls nach § 94 Abs. 2 BetrVG beteiligt werden, wenn das Mitarbeitergespräch als Verfahren ausgestaltet ist, das auf die Anwendung mitbestimmter Beurteilungsgrundsätze zielt4. Im Rahmen einer transparenten und systematischen Personalentwicklung geht es gerade darum, transparente Beurteilungsgrundsätze festzulegen, die im Personalgespräch strukturiert und – z.B. durch Bögen – formalisiert abgehandelt werden sollen. Solche Festlegungen darf der Arbeitgeber nicht einseitig treffen. Ist die Beurteilung entgeltrelevant, ergibt sich ein Mitbestimmungsrecht außerdem nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG5. – Die Rahmenbedingungen für Zielvereinbarungen und variable Vergütungsbestandteile sind nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und 11 BetrVG mitbestimmt6. Außerdem kommt ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 Abs. 2 BetrVG in Betracht.

25.26

– Nach § 98 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Festlegung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung ein echtes Mitbestimmungsrecht. Im Rahmen von Personalentwicklungskonzepten werden abstrakt-generelle Vorgaben zur Berufsbildung der Mitarbeiter aufgestellt, was nicht ohne Beteiligung des Betriebsrates zulässig ist7. Der Begriff der Berufsbildung ist weit zu verstehen. Er umfasst alle vom Arbeitgeber getragenen und veranstalteten Kurse, Lehrgänge und Schulungen, durch die Arbeitnehmer Qualifikationen für ihre Berufstätigkeit erwerben sollen8. Auch die Entscheidung, dass ein Mitarbeiter zur eigenen Fortbildung bestimmte Ausbildungsstationen durchlaufen soll, ist mitbestimmt9. Nach § 98 Abs. 3 BetrVG kann der Betriebsrat Teilnehmer für geplante Bildungsmaßnahmen vorschlagen. Dieses Vorschlagsrecht hat erzwingbaren Charakter, da der Betriebsrat nach § 98 Abs. 4 BetrVG die Einigungsstelle anrufen kann, wenn eine Einigung mit dem Arbeitgeber scheitert10 (dazu eingehend Rz. 26.32).

25.27

Außerdem kann der Betriebsrat nach § 98 Abs. 2 BetrVG der Bestellung einer mit der Durchführung der betrieblichen Berufsbildung beauftragten Person widersprechen oder ihre Abberufung verlangen, wenn diese die persönliche oder fachliche Eignung nicht besitzt oder ihre Aufgaben vernachlässigt. Dieses Beteiligungsrecht besteht bei allen Ausbildern, die mit der Durchführung einer Maßnahme der beruflichen Bildung beauftragt werden, auch im Falle einer Berufsausbildung außerhalb des BBiG11 und unabhängig davon, ob es sich um Betriebsinterne oder -externe, Honorarkräfte oder leitende Angestellte handelt (dazu eingehend Rz. 26.36)12. Führt der Arbeitgeber Maßnahmen durch, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit von Arbeitnehmern ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen, so erwirbt der Betriebsrat ein Initiativrecht und kann nach § 97 Abs. 2

1 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15, ArbRB 2017, 210 = juris Rz. 27. 2 Vgl. BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15, ArbRB 2017, 210 = juris Rz. 28; Gröne/Sura, DB 2017, 1721 (1721). 3 Hessisches LAG v. 6.2.2012 – 16 Sa 1134/11, Leitsatz 1, ArbRB 2012, 144. 4 BAG v. 14.1.2014 – 1 ABR 49/12, DB 2014, 1382 = juris Rz. 20. 5 Hesse/Tischer in Moll, § 23 Rz. 152. 6 LAG Saarland v. 18.1.2017 – 1 TaBV 1/16 Rz. 128 ff., juris; Däubler, NZA 2005, 793 (795). 7 Kania in ErfK, § 98 BetrVG Rz. 3. 8 Kreuder/Matthiessen-Kreuder in Düwell, Betriebsverfassungsgesetz, 5. Aufl. 2018, § 98 BetrVG Rz. 6. 9 BAG v. 3.12.1985 – 1 ABR 58/83, juris Rz. 27. 10 Kania in ErfK, § 98 BetrVG Rz. 16. 11 Fitting, § 98 BetrVG Rz. 13, 18. 12 Eylert/Waskow in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 98 BetrVG Rz. 9.

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§ 25 Rz. 25.27

Personalentwicklungskonzepte

BetrVG die Einführung von Berufsbildungsmaßnahmen verlangen1. Über Art und Umfang der Maßnahmen entscheidet auch dann die Einigungsstelle2. Zweck dieses Initiativrechts ist es, betriebsbedingte Kündigungen durch rechtzeitige Umschulung zu vermeiden3 (dazu eingehend Rz. 26.33). Bei allen übrigen Fragen der Berufsbildung kann der Betriebsrat verlangen, dass sich der Arbeitgeber mit ihm berät und sich mit den Vorschlägen des Betriebsrates auseinandersetzt (§ 96 Abs. 1 BetrVG). Durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz4 wurde ein neuer § 96 Abs. 1a BetrVG eingefügt, nach dem sowohl Arbeitgeber als auch Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen können, wenn eine Einigung nicht erreicht wird. Ein Einigungszwang besteht allerdings weiterhin nicht5. Erklärt der Arbeitgeber das Einigungsstellenverfahren für gescheitert, kann er sich im Anschluss mit seinen Vorstellungen durchsetzen6.

25.28 – Bei der Einführung von Skill-Datenbanken besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG7. Sollen die Skill-Datenbanken auf Konzernebene einheitlich ausgestaltet werden, ist der Konzernbetriebsrat zuständig (§ 58 BetrVG)8.

c) Beteiligung bei Beförderungen und Versetzungen 25.29 Will der Arbeitgeber Mitarbeiter befördern, stellt dies eine Versetzung nach § 95 Abs. 3 BetrVG dar. Der Betriebsrat ist nach § 99 BetrVG im Einzelfall zu beteiligen. Der Betriebsrat ist ebenfalls nach § 99 BetrVG zu beteiligen, wenn ein Mitarbeiter in ein anderes Gehaltsband umgruppiert wird9. Beide Maßnahmen fallen typischerweise zusammen10. Der Betriebsrat kann die Zustimmung verweigern, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in ein falsches Gehaltsband eingruppieren will11. Allerdings besteht kein Zustimmungsverweigerungsrecht, wenn der Betriebsrat meint, die Vergütungshöhe sei innerhalb des Gehaltsbandrahmens falsch bemessen12. Darüber hinaus steht dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht zu, wenn die Maßnahme gegen eine Auswahlrichtlinie verstößt, welche die Betriebsparteien zuvor aufgestellt hatten (§ 99 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG).

25.30 Hinweis: Eine funktionierende Personalentwicklung setzt Vertrauen der Mitarbeiter voraus: Die Mitarbeiter müssen sich darauf verlassen können, dass die vom Arbeitgeber aufgezeigte Entwicklungsperspektive kein leeres Versprechen ist, sondern realisiert werden kann, wenn sie den Ratschlägen ihrer Vorgesetzten folgen und Engagement im Job zeigen. Vor diesem Hintergrund ist der Arbeitgeber darauf angewiesen, dass der Betriebsrat sein Konzept zur Personalentwicklung insgesamt mitträgt. Solange das Personalentwicklungskonzept ganz oder teilweise zwischen den Betriebsparteien umstritten und umkämpft ist, können die Arbeitnehmer ihre Karriere nicht verlässlich auf seiner Grundlage planen. Nicht nur drohen dann widersprüchliche Kommunikation und Gerüchte. Der Betriebsrat kann einer arbeitgeberseitig zugesagten Beförderung im Rahmen des Betei-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Franzen, NZA 2001, 865 (866); Eylert/Waskow in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 97 BetrVG Rz. 9. Kania in ErfK, § 97 BetrVG Rz. 6. Fitting, § 97 BetrVG Rz. 10. BGBl. I 2021, Nr. 32, S. 1762 ff. BT-Drucks. 19/28899, 23. Schulze, ArbRAktuell 2021, 211 (214). Kort, RdA 2018, 24 (32). BAG v. 20.12.1995 – 7 ABR 8/95, Leitsatz, DB 1996, 1985. BAG v. 26.10.2004 – 1 ABR 37/03, ArbRB 2005, 170 = juris Rz. 44; LAG Hamm v. 22.3.2016 – 7 TaBV 50/15, juris. 10 Wollwert, DB 2012, 2518 (2518). 11 LAG Düsseldorf v. 31.1.2017 – 4 Ta 12/17, juris Rz. 11. 12 LAG Berlin-Brandenburg v. 25.4.2017 – 7 TaBV 1879/16, ZTR 2017, 629; LAG Düsseldorf v. 31.1.2017 – 4 Ta 12/17, juris Rz. 12.

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III. Best Practice

Rz. 25.33 § 25

ligungsverfahrens nach § 99 BetrVG – auch unter Vorwänden – die Zustimmung versagen und so den betroffenen Mitarbeiter zum Spielball der betriebspolitischen Auseinandersetzung machen.

III. Best Practice Die Rahmenbedingungen der Personalentwicklung werden mit dem Betriebsrat vereinbart (dazu Rz. 25.32 ff.). Auf individualrechtlicher Ebene vereinbart der Arbeitgeber mit den Mitarbeitern Beförderungen (dazu Rz. 25.35 ff.).

25.31

1. Vereinbarung mit dem Betriebsrat Es empfiehlt sich, die Rahmenvereinbarung zum Personalentwicklungskonzept als Regelungsabrede abzuschließen. Auch durch den Abschluss einer Regelungsabrede kann der Betriebsrat seine Mitbestimmungsrechte ausüben – eine Betriebsvereinbarung braucht es dazu nicht1. Folgende Erwägungen sprechen für die Form der Regelungsabrede:

25.32

– Personalentwicklungskonzepte enthalten typischerweise zahlreiche Vergütungsregelungen. Eine Betriebsvereinbarung birgt die Gefahr, dass Arbeitnehmer aus ihr unmittelbare und zwingende Vergütungsansprüche ableiten und durchsetzen, die der Arbeitgeber so möglicherweise gar nicht vorhergesehen hatte (§ 77 Abs. 4 BetrVG). So kann das Ermessen, das eine Betriebsvereinbarung bei der Gehaltsfestlegung im Rahmen von Gehaltsbändern einräumt, z.B. gerichtlich überprüft und die Gehaltsfestlegung des Arbeitgebers auf Antrag des Arbeitnehmers gerichtlich ersetzt werden (§ 315 BGB)2. Aus einer Regelungsabrede kann hingegen nur der Betriebsrat Erfüllungsansprüche erwerben3. Den Erfüllungsansprüchen des Betriebsrates kann sich der Arbeitgeber notfalls entziehen, indem er die Regelungsabrede ohne Nachwirkung kündigt4. – Hinzu kommt, dass Regelungen über Vergütungsansprüche in einer Betriebsvereinbarung regelmäßig gegen die Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen, nämlich dann, wenn vergleichbare Vergütungsregelungen in einem einschlägigen Tarifvertrag enthalten sind oder dort üblicherweise geregelt werden. Die Betriebsvereinbarung wäre in einem solchen Fall nichtig5. Da Regelungsabreden keine normative Wirkung entfalten, gilt die Tarifsperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG für sie nicht6. Stattdessen werden die Regelungsabreden umgesetzt, indem der Arbeitgeber Individualverträge mit dem Mitarbeiter schließt, z.B. über Gehaltserhöhungen7. Bevor eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat getroffen werden kann, muss das Personalentwicklungskonzept entworfen werden. Dies ist regelmäßig mit erheblichem Planungsaufwand und analytischen Herausforderungen verbunden. Idealerweise werden alle im Unternehmen vorhandenen Stellen erfasst und inhaltlich beschrieben. Dabei sollten die erforderlichen Qualifikationen für jede Stelle definiert und die Stellen einem Gehaltsband zugeordnet werden. Die Gehaltsbänder müssen gemessen an den gestellten Anforderungen und der auszuübenden Tätigkeit angemessen und marktgerecht sein. Idealerweise zeichnen die Stel-

1 BAG v. 10.3.1992 – 1 ABR 31/91, DB 1992, 1734 = juris Rz. 22; BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, BAGE 53, 42 = juris Rz. 104. 2 BAG v. 18.2.2015 – 4 AZR 778/13, DB 2015, 1972 = juris Rz. 47. 3 Roloff, RdA 2015, 252 (253); Fitting, § 77 BetrVG Rz. 217. 4 BAG v. 13.8.2019 – 1 ABR 10/18, Leitsatz, ArbRB 2019, 365. 5 BAG v. 17.1.2012 – 1 AZR 482/10, Orientierungssatz 2, ZTR 2012, 345; BAG v. 23.3.2011 – 4 AZR 268/09, juris Rz. 35; BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, ArbRB 2003, 267 = juris Rz. 46. 6 BAG v. 21.1.2003 – 1 ABR 9/02, Orientierungssatz 2, ArbRB 2003, 267; BAG v. 20.4.1999 – 1 ABR 72/98, Leitsatz 1, DB 1999, 1555; a.A. Richardi in Richardi, § 77 BetrVG Rz. 246. 7 BAG v. 16.9.1986 – GS 1/82, juris Rz. 104.

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25.33

§ 25 Rz. 25.33

Personalentwicklungskonzepte

len auch für Mitarbeiter, die keine Führungsverantwortung übernehmen wollen (beispielsweise wegen familienbedingter Teilzeittätigkeit oder anderer persönlicher Präferenzen), einen langfristigen und realistischen Karrierepfad auf, solange die Mitarbeiter ihre Fähigkeiten laufend weiterentwickeln und sich im Job engagieren. Sobald die Fachlaufbahn eines Mitarbeiters in eine „Sackgasse“ führt, muss der Arbeitgeber sonst damit rechnen, dass ihr Ehrgeiz spürbar abnimmt oder sie womöglich das Unternehmen verlassen. Gleichzeitig muss Laufbahnentwicklung im Interesse des Unternehmens liegen und Qualifikationen hervorbringen, die auch tatsächlich benötigt werden. Dazu muss anhand der langfristigen strategischen Unternehmensplanung antizipiert werden, welche Tätigkeiten und Fähigkeiten künftig vermehrt benötigt werden und welche nicht. Es empfiehlt sich, den Betriebsrat frühzeitig in diesen Planungsprozess einzubinden. Dies vermeidet nicht nur spätere Konflikte. Oft können Betriebsratsmitglieder auch wertvolle Impulse liefern.

25.34 Die Regelungsabrede könnte wie folgt formuliert werden: M 25.1 Regelungsabrede – Personalentwicklungskonzept Regelungsabrede – Personalentwicklungskonzept Fassung 1.0 vom … Präambel Um dem wachsenden Fachkräftebedarf im Zeitalter der Digitalisierung zu begegnen und allen Mitarbeitern transparente und strukturierte Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zu eröffnen, stellen die Betriebsparteien folgendes Personalentwicklungskonzept als Regelungsabrede auf: § 1 Anwendungsbereich Das Personalentwicklungskonzept gilt für alle Mitarbeiter des Betriebes, mit Ausnahme von Auszubildenden, Vertriebsmitarbeitern1 und Führungskräften2 (nachgehend: Mitarbeiter). § 2 Laufbahnstufen und Gehaltsbänder (1) Mitarbeiter werden in Laufbahnstufen eingruppiert. Für jede Laufbahnstufe ist ein Gehaltsband vorgesehen, in dessen Rahmen die Bruttojahresvergütung des Mitarbeiters einer Laufbahnstufe durch den Arbeitgeber festgelegt wird3. Die Festlegung des Gehaltes erfolgt nach Maßgabe von § 4. Die Bruttojahresvergütung wird als Festvergütung in monatlich gleichen Raten ausgezahlt; eine variable Vergütung ist nicht vorgesehen4.

1 Typischerweise folgt die Personalentwicklung und Gehaltsstruktur von Vertriebsmitarbeitern anderen Regeln und hängt wesentlich von den erzielten Vertragsabschlüssen und auf deren Grundlage berechneten Provisionen sowie von ihrem aufgebauten Kundenstamm ab. Dies spricht dafür, die Personalentwicklung von Vertriebsmitarbeitern gesondert zu regeln. 2 Die Personalentwicklung von Führungskräften folgt eigenen Regeln. Karrieremöglichkeiten ergeben sich aus dem Organigramm und den dort freiwerdenden Stellen. Führungskräfte auf der Ebene der leitenden Angestellten fallen nicht in die Zuständigkeit des Betriebsrates (§ 5 Abs. 3 BetrVG). Es spricht deshalb einiges dafür, die Personalentwicklung von Führungskräften gesondert zu regeln. 3 Die Festlegung des Gehaltes innerhalb des Gehaltsbandes sollte dem Arbeitgeber vorbehalten werden. Zwar ist die Aufstellung von Kriterien für die Eingruppierung innerhalb des Gehaltsbandes mitbestimmt, LAG Düsseldorf v. 10.8.2016 – 4 TaBV 135/15, Leitsatz 1, ZTR 2016, 660. Allerdings kann der Betriebsrat die Einhaltung dieser Kriterien im Beteiligungsverfahren nach § 99 BetrVG über die Eingruppierung jedenfalls dann nicht hinterfragen, wenn es sich um weiche Kriterien handelt (vgl. Rz. 25.23). 4 Variable Gehälter können als zusätzliches Steuerungsinstrument eingesetzt werden. Hängt die Variable jedoch von weichen Kriterien ab, zeigt die Erfahrung, dass Vorgesetzte in den meisten Fällen die volle va-

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III. Best Practice

Rz. 25.34 § 25

(2) Die Eingruppierung richtet sich nach den folgenden drei Qualifikationsmerkmalen: a) Einschlägige Fachqualifikation: Greifbare Fähigkeiten, Kenntnisse und Kompetenzen, die z.B. durch Ausbildungen, Fortbildungen und Erfahrungen gesondert erlernt werden müssen und die im Rahmen der Tätigkeit des Mitarbeiters zur Anwendung kommen. b) Eigenständigkeit: Das Maß, in dem die eigene Tätigkeit ohne fremde Aufsicht und auf Grundlage eigener Entscheidungen ausgeübt wird; alle Mitarbeiter sollten abhängig von ihrer beruflichen Erfahrung schrittweise an eine zunehmend eigenständige Arbeitsweise herangeführt werden, solange sie sich als zuverlässig und engagiert erweisen. c) Verantwortung: Das Maß an Schaden, welches droht, wenn der Mitarbeiter seine Aufgaben vernachlässigt oder Fehlentscheidungen trifft; Verantwortung wird Mitarbeitern abhängig von ihrer Fachqualifikation und Erfahrung, ihrer Persönlichkeit sowie der in der Vergangenheit gezeigten Zuverlässigkeit übertragen1. (3) Folgende Laufbahnstufen kommen in Betracht: Laufbahnstufe

Gehaltsband

Qualifikationsanforderungen

Master

9.000 bis 13.000 Gehaltspunkte

Der Mitarbeiter ist ein ausgewiesener Experte auf seinem Gebiet, arbeitet eigenständig und trägt eine erhebliche Verantwortung, die spürbare Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg unseres Unternehmens hat.

Senior Expert

8.000 bis 11.000 Gehaltspunkte

Der Mitarbeiter übt Tätigkeiten von mindestens herausgehobenem fachlichen Anspruch aus und besitzt hierbei längere einschlägige Berufserfahrung. Üblicherweise arbeitet er eigenständig und trägt dabei eine erhebliche Verantwortung.

Expert

7.000 bis 9.000 Gehaltspunkte

Die Tätigkeit ist von herausgehobenem fachlichem Anspruch, für die der Mitarbeiter eine spezialisierte Qualifikation auch aufgrund von Erfahrung erworben hat. Der Mitarbeiter arbeitet in vielen Bereichen eigenständig und trägt Verantwortung.

Professional

5.500 bis 8.000 Gehaltspunkte

Die Tätigkeit des Mitarbeiters ist fachlich anspruchsvoll und setzt eine herausgehobene Qualifikation voraus, typischerweise ein Hochschulstudium verbunden mit einschlägiger Berufserfahrung. Der Mitarbeiter arbeitet zum Teil eigenständig und nimmt auch verantwortungsvolle Aufgaben wahr.

riable Vergütung zusprechen, um keinen Konflikt mit dem Mitarbeiter zu provozieren, Zimmer, DStR 1994, 800 (801). Dies führt zu keiner gerechten Handhabung. Das Muster sieht stattdessen eine Honorierung der Mitarbeiterleistung durch Gehaltserhöhungen vor, die sich in einem ständigen Wettlauf mit der inflationsbedingten Gehaltsentwertung befinden (vgl. § 4 des Musters). Anders als bei dynamischer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag führen Gehaltsbandsysteme nämlich nicht zu automatischen Tarifsteigerungen. Üblich ist es, die Gehaltserhöhung mit der Notenbewertung im Jahresfeedbackgespräch zu verbinden, Hesse/Tischer in Moll, § 23 Rz. 146. 1 Damit dem Arbeitgeber bei seinen Personalentscheidungen ausreichende Ermessensspielräume bleiben, mit denen er Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen kann, liegt es nahe, Gehaltszumessungen und Beförderungen von weichen Kriterien abhängig zu machen. Starre und komplizierte Punktesysteme oder gar starre, aber gleichzeitig unterkomplexe Kriterien führen zu ungerechten und unzweckmäßigen Auswahlentscheidungen.

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§ 25 Rz. 25.34

Personalentwicklungskonzepte

Laufbahnstufe

Gehaltsband

Qualifikationsanforderungen

Advanced

4.000 bis 6.000 Gehaltspunkte

Die Tätigkeit des Mitarbeiters setzt eine besondere Qualifikation voraus, z.B. ein Hochschulstudium oder eine längere einschlägige Berufserfahrung. Dem Mitarbeiter können auch verantwortungsvolle Aufgaben zur eigenständigen Erledigung übertragen werden.

Basic

2.700 bis 4.500 Gehaltspunkte

Die Tätigkeit des Mitarbeiters geht mit der Einarbeitung in eine qualifizierte Tätigkeit einher. I.d.R setzt sie eine abgeschlossene Berufsausbildung voraus. Dem Mitarbeiter können Aufgaben zur eigenständigen Erledigung übertragen werden.

Support

1.700 bis 3.200 Gehaltspunkte

Für die Tätigkeit des Mitarbeiters wird keine besondere Qualifikation vorausgesetzt und er arbeitet üblicherweise unter enger Aufsicht.

Die vorstehend angegebenen Gehaltsbänder gehen von der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft aus. Für Teilzeitkräfte sind die Gehaltspunkte anteilig zu kürzen. (4) Der Arbeitgeber legt den Wert eines Gehaltspunktes einheitlich und gleichmäßig fest und kann den Wert eines Gehaltspunktes höchstens einmal im Jahr anpassen. Bei Inkrafttreten dieser Regelungsabrede beträgt der Wert eines Gehaltspunktes … EUR. Bevor der Arbeitgeber eine Anpassung beschließt, muss er den Betriebsrat rechtzeitig informieren und seine Planung mit dem Betriebsrat erörtern. Änderungen der Gehaltsbänder, die zu einer Verschiebung der Relationen führen, bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates1. (5) Mitarbeiter müssen mindestens das untere Gehalt des Gehaltsbandes ihrer Laufbahnstufe erhalten. Mitarbeiter, deren Bruttojahresvergütung das Gehaltsband ihrer Laufbahnstufe überschreitet, sind solange von Gehaltserhöhungen auszunehmen, bis sie wieder im vorgesehenen Gehaltsband liegt. Wird ein Mitarbeiter zum Zwecke der Erprobung vorerst nur befristet mit Tätigkeiten betraut, die üblicherweise in eine höhere Laufbahnstufe eingruppiert sind, bleibt er für die Dauer der Befristung seinem bisherigen Gehaltsband zugeordnet2. (6) Wird ein Mitarbeiter einer anderen Laufbahnstufe zugewiesen, ist der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen3. § 3 Funktionsgruppen (1) Die im Rahmen einer Fachlaufbahn in Frage kommenden Funktionsgruppen einschließlich deren Aufgabeninhalte und Qualifikationsanforderungen haben die Betriebsparteien in der Anlage 1 zusammengefasst4. Über eine Änderung oder Ergänzung der vorgesehenen Funktionsgruppen entscheiden die Betriebsparteien gemeinsam. (2) Mitarbeiter werden derjenigen Funktionsgruppe zugeordnet, mit deren Aufgabeninhalten die Haupttätigkeit des Mitarbeiters die größten Überschneidungen hat. Nur wenn im Ausnahmefall überhaupt keine der in der Anlage 1 vorgesehenen Funktionsgruppen in Betracht kommt, wird ein Mitarbeiter

1 Der Arbeitgeber sollte sich das Recht vorbehalten, die Gehaltsbänder einheitlich anzuheben. Sobald es allerdings zu einer Verschiebung der Relationen kommt, ist der Betriebsrat zu beteiligen. 2 Vgl. dazu das Muster zur befristeten Beförderung auf Probe unter Rz. 25.37. 3 Da die Eingliederung in ein anderes Gehaltsband eine Umgruppierung darstellt, folgt die Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrates bereits aus dem Gesetz (vgl. Rz. 25.23). 4 Nur wenn eine transparente Übersicht über infrage kommende Stellen (hier als „Funktionsgruppen“ bezeichnet) existiert, welche auch die Qualifikationsanforderungen für eine Stelle veranschaulicht, können Mitarbeiter bei ihrer Personalentwicklung gezielt auf höher eingegliederte Stellen hinarbeiten. Die Übersicht wird der Vereinbarung idealerweise als Anlage beigefügt.

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III. Best Practice

Rz. 25.34 § 25

der Funktionsgruppe Sonderaufgabe zugeordnet. Bei jeder Funktionsgruppenzuordnung oder Funktionsgruppenänderung eines Mitarbeiters ist der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen1. (3) Für die meisten Funktionsgruppen kommen mehrere Laufbahnstufen in Betracht. Das Spektrum der in Betracht kommenden Laufbahnstufen jeder Funktionsgruppe wird in der Anlage 1 definiert. Ob ein Mitarbeiter im Rahmen seiner Funktionsgruppe in die höheren Laufbahnstufen befördert wird, richtet sich nach den allgemeinen Qualifikationsanforderungen der Laufbahnstufe gemäß § 2 Abs. 3 sowie danach, ob der Mitarbeiter und seine Tätigkeit gemessen an einer Gesamtbewertung anhand der Kriterien nach § 2 Abs. 2 im Vergleich zu den anderen Mitarbeitern seiner Laufbahnstufe merklich überdurchschnittliche oder unterdurchschnittliche Qualifikationsanforderungen erfüllt. Im Regelfall kommt eine Beförderung nur stufenweise in Betracht. (4) Für die Funktionsgruppe Sonderaufgabe erfolgt die Eingruppierung anhand der allgemeinen Qualifikationsanforderungen der Laufbahnstufen gemäß § 2 Abs. 3 sowie im Rahmen eines wertenden Vergleichs mit den Gesamtverhältnissen im Betrieb. § 4 Eingliederung im Gehaltsband (1) Die Eingliederung eines Mitarbeiters im Rahmen des für ihn einschlägigen Gehaltsbandes richtet sich jeweils zu gleichen Teilen a) nach der persönlichen Weiterentwicklung des Mitarbeiters im Rahmen seiner persönlichen Entwicklungsplanung; bei der Bewertung kommt es in besonderem Maße darauf an, inwieweit der Mitarbeiter die mit ihm vereinbarten Jahresentwicklungsziele im vergangenen Jahr erfüllt oder ggf. sogar übererfüllt hat (nachgehend: Entwicklungsfortschritt), sowie b) nach den im vergangenen Jahr erzielten, im unmittelbaren Unternehmensinteresse liegenden Leistungserfolgen; bei der Bewertung kommt es in besonderem Maße darauf an, inwieweit der Mitarbeiter die mit ihm vereinbarten Leistungsziele im vergangenen Jahr erfüllt oder ggf. sogar übererfüllt hat (nachgehend: Jahresleistung). (2) Werden Gehaltspunkte der Gehaltsbänder nach § 2 Abs. 4 angehoben, wird diese Anhebung nicht automatisch an alle Mitarbeiter weitergegeben, sondern nur, soweit dies gemessen an ihrem Entwicklungsfortschritt und ihrer Jahresleistung sowie bei Vergleich ihrer Vergütung mit Arbeitnehmern in ähnlicher Situation angemessen erscheint2. § 5 Skill-Datenbanken (1) Durch den Mitarbeiter erworbene Fachqualifikationen (§ 2 Abs. 2 lit. a) werden, unabhängig davon, ob der Mitarbeiter sie bei seiner gegenwärtigen Tätigkeit einsetzt, in elektronische Skill-Datenbanken eingepflegt, sofern der Mitarbeiter dem nicht ausdrücklich widerspricht. Die Fachqualifikationen werden dabei mit den drei Niveaustufen Basic, Advanced oder Mastered bewertet. Die Skill-Datenbanken dienen der Dokumentation des Entwicklungsfortschritts des Mitarbeiters und der Personalplanung des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Skill-Datenbanken in Einklang mit den einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorgaben auszugestalten und insbesondere die Zugriffsrechte konzeptmäßig zu beschränken3.

1 Da es sich um eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG handelt, folgt das Beteiligungsrecht des Betriebsrates unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. Rz. 25.23). 2 Durch Gehaltserhöhungen wird in dem Muster nicht nur der Entwicklungsfortschritt, sondern auch die Jahresleistung eines Mitarbeiters honoriert. Da sich das Gehalt des Mitarbeiters inflationsbedingt, also um jährlich ca. 2 Prozent, entwertet, muss die Gehaltserhöhung höher ausfallen, damit sich die Einkommenssituation des Mitarbeiters im Vergleich zum Vorjahr wirtschaftlich verbessert. Zum Ausgleich der Inflation wird der Rahmen des Gehaltsbandes schrittweise erhöht, sodass ein Mitarbeiter, der keine oder nur unterdurchschnittliche Gehaltserhöhungen erhält, im Gehaltsband immer weiter zurückfällt, Hesse/Tischer in Moll, § 23 Rz. 147 f. 3 Da Skill-Datenbanken nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt sind, muss die Zustimmung des Betriebsrates zu ihrer Einführung eingeholt werden.

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§ 25 Rz. 25.34

Personalentwicklungskonzepte

(2) Beispiele für einige in Frage kommende Fachqualifikationen enthält die Anlage 2. Der Arbeitgeber kann weitere Fachqualifikationen ergänzen, die er für aussagekräftig und relevant hält. § 6 Persönliche Entwicklungsplanung; Mentoring (1) Jeder Mitarbeiter wird durch einen ihm zugewiesenen Mentor betreut und stimmt seine persönliche Entwicklungsplanung unter Berücksichtigung seiner persönlichen Wünsche mit diesem Mentor ab. (2) Gegenstand der persönlichen Entwicklungsplanung ist stets das Ziel, die derzeitige Tätigkeit des Mitarbeiters zu verbessern (nachgehend: Optimierungsplanung) und ggf. mittel- und langfristig einen durch den Mitarbeiter gewünschten Wechsel auf eine andere Tätigkeit, z.B. eine Beförderung in eine höher eingegliederte Funktionsgruppe, zu erreichen (nachgehend: Laufbahnplanung). (3) Mentor jedes Mitarbeiters ist grundsätzlich sein direkter Vorgesetzter1. Der Arbeitgeber kann nach Rücksprache mit dem Mitarbeiter einen anderen geeigneten Mentor bestimmen. Der Arbeitgeber wird die eingesetzten Mentoren gesondert schulen. § 7 Feedback-Gespräche (1) Im ersten Quartal jedes Jahres führt der zugewiesene Mentor mit jedem Mitarbeiter ein Jahresfeedbackgespräch. Im Rahmen des Gesprächs werden folgende Festlegungen getroffen: a) Der Mentor und der Mitarbeiter bewerten gemeinsam die Jahresleistung und den Entwicklungsfortschritt (§ 4 Abs. 1) im vorangegangenen Kalenderjahr. Der Mentor gibt jeweils eine Beurteilung der Jahresleistung und des Entwicklungsfortschritts anhand folgender Notenskala ab: – übertraf die Erwartungen, – erfüllte die Erwartungen, – erfüllte weitgehend die Erwartungen, – erfüllte die Erwartungen nicht. Auf Grundlage des beurteilten Entwicklungsfortschritts und der Jahresleistung gibt der Mentor eine Empfehlung für Gehaltserhöhungen im Rahmen des Gehaltsbandes und ggf. für die Beförderung in eine höhere Laufbahnstufe ab. Der Mentor kann diese selbst beschließen, soweit er hierzu befugt ist. b) Der Mentor stellt fest, welche zusätzlichen Fachqualifikationen der Mitarbeiter im vergangenen Jahr erworben oder verbessert hat. Diese werden in die Skill-Datenbank gemäß § 5 eingepflegt. c) Der Mentor und der Mitarbeiter besprechen, inwieweit es bei der derzeit ausgeübten Tätigkeit des Mitarbeiters noch Verbesserungspotentiale sowohl durch das Unternehmen als auch den Mitarbeiter gibt und entwerfen auf dieser Grundlage eine Optimierungsplanung. d) Der Mentor und der Mitarbeiter besprechen die Laufbahnplanung des Mitarbeiters und passen sie – sofern dies für erforderlich gehalten wird – abhängig von den Wünschen des Mitarbeiters, den Verhältnissen im Unternehmen und den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers an. Kommen der Mentor und der Mitarbeiter überein, dass der Mitarbeiter im Zeitfenster von ungefähr einem Jahr in eine andere Funktionsgruppe wechseln soll, erörtert der Mentor diesen Plan unverzüglich mit der Betriebsleitung. e) Um die Laufbahnplanung und die Optimierungsplanung zu unterstützen, legen der Mentor und der Mitarbeiter Fortbildungsmaßnahmen fest. Infrage kommende Fortbildungsmaßnahmen sind z.B.: – Die Übertragung von zusätzlichen Tätigkeiten an den Mitarbeiter, durch die er Erfahrungen sammelt, die für seine Laufbahnplanung, z.B. eine Beförderung, erforderlich werden. Sollte der Mitarbeiter zu diesem Zweck länger als einen Monat in eine andere Funktionsgruppe versetzt werden, ist der Betriebsrat nach § 99 BetrVG zu beteiligen.

1 Mentzel, SPA 2013, 33 (33).

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III. Best Practice

Rz. 25.34 § 25

– Die Teilnahme des Mitarbeiters an Schulungsveranstaltungen. Jedem Vollzeitmitarbeiter soll die Möglichkeit eröffnet werden, im Umfang von wenigstens fünf Arbeitstagen im Jahr unter Lohnfortzahlung an geeigneten Schulungen teilzunehmen. Teilzeitmitarbeitern soll dies anteilig ermöglicht werden. – Der Mitarbeiter kann entscheiden, sich außerhalb seiner Arbeitszeit selbständig fortzubilden. Soweit diese Fortbildungen im betrieblichen Interesse liegen, kann ein Kostenzuschuss für konkrete Bildungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber gewährt werden. Soweit zur Umsetzung der Schulungsmaßnahmen die Zustimmung weiterer Beteiligter erforderlich ist, holt der Mentor diese ein. f) Für das kommende Jahr vereinbaren der Mitarbeiter und der Mentor messbare Jahresentwicklungsziele und Jahresleistungsziele. Das Ergebnis des Jahresfeedback-Gesprächs ist in dem als Anlage 3 beigefügten Feedbackbogen zu dokumentieren. Ist der Mitarbeiter mit dem Ergebnis des Jahresfeedbackgesprächs ganz oder in Teilen nicht zufrieden, kann er dessen Besprechung mit dem Vorgesetzten seines Mentors verlangen. Der Mitarbeiter hat das Recht, zu dieser Besprechung ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen. (2) Im dritten Quartal des Jahres führen der Mentor und der Mitarbeiter ein formfreies ZwischenfeedbackGespräch, in dem sie den Fortschritt des Mitarbeiters bei der Verfolgung seiner Entwicklungsziele und Leistungsziele prüfen. Der Mentor dokumentiert, dass und wann dieses Gespräch stattgefunden hat. (3) Der Mentor steht dem Mitarbeiter auch außerhalb dieser Feedback-Gespräche als Ansprechpartner für dessen persönliche Entwicklungsplanung zur Verfügung1. § 8 Schlussbestimmungen (1) Die Betriebsparteien sind sich einig, dass der Betriebsrat seine einschlägigen Mitbestimmungsrechte mit Abschluss dieser Regelungsabrede für die Gegenstände, die in dieser Regelungsabrede geregelt sind, abschließend ausgeübt hat und es nunmehr Aufgabe des Arbeitgebers ist, diese umzusetzen. Soweit in der Regelungsabrede zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betriebsrat bei der Umsetzung zu beteiligen ist, führt der Arbeitgeber diese Beteiligung herbei. (2) Die Anlagen Anlage 1: Beschreibung der Funktionsgruppen Anlage 2: Beispiele für in Frage kommende Fachqualifikationen Anlage 3: Dokumentationsbogen für Jahresfeedbackgespräche sind verbindliche Bestandteile dieser Regelungsabrede. (3) Diese Regelungsabrede kann mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden. (4) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Regelungsabrede unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Vereinbarung enthaltenen Regelung.

1 Eine gemeinsame Karriereplanung in Entwicklungsgesprächen mit dem persönlichen Mentor oder Vorgesetzten ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Personalentwicklung (Zimmer, DStR 1994, 800; Mentzel, SPA 2013, 33). Gleichzeitig nimmt die Vorbereitung und Durchführung von Feedbackgesprächen die Vorgesetzten erheblich in Anspruch. Vorgesetzte sind deshalb stets der Versuchung ausgesetzt, Feedbackgespräche „vor sich her zu schieben“ oder bloß als oberflächliche „Pflichtübung“ abzuhandeln. Um das zu verhindern, können Unternehmen verbindliche zeitliche und inhaltliche Vorgaben für die Feedbackgespräche aufstellen.

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§ 25 Rz. 25.34

Personalentwicklungskonzepte

Ort, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

Anlage 1 – Beschreibung der Funktionsgruppen1 Funktionsgruppe: Personalreferent I.

Infrage kommende Laufbahnstufen: – Advanced – Professional

II.

Schwerpunktaufgaben: – Ermittlung von Mitarbeiterbedarf und Ausschreibung von Stellen – Begleitung und Koordination von Bewerbungsverfahren – Begleitung von Personalgesprächen – Gestaltung von Arbeitsverträgen – Implementierung, Koordination und Evaluation von Ausbildungsprogrammen – Begleitung betriebsverfassungsrechtlicher Fragestellungen

III. Erforderliche Qualifikationen: – Wirtschaftswissenschaftliches- oder juristisches Studium oder kaufmännische Ausbildung mit entsprechender Weiterbildung – Betriebswirtschaftliche Kenntnisse mit Schwerpunkt Personal – Juristische Kenntnisse mit Schwerpunkt Arbeitsrecht – Anwendungskenntnisse im SAP – Anwendungskenntnisse mit MS-Office – Souveräne Gesprächskompetenz, insbesondere Moderationstechnik und Konfliktlösungstechnik – Kompetenz in schriftlicher Kommunikation – Besprechungsmanagement Funktionsgruppe: Personaldisponent … Anlage 2: Beispiele für in Frage kommende Fachqualifikationen …2 Anlage 3: Dokumentationsbogen für Jahresfeedbackgespräche …3

1 Die Funktionsgruppen müssen individuell für das jeweilige Unternehmen ermittelt und zusammengestellt werden. Nachfolgendes Beispiel dient der Illustration, wie eine Funktionsgruppe möglicherweise definiert werden kann. 2 Die Übersicht über die Fachqualifikationen, welche für eine Dokumentation in der Skill-Datenbank in Frage kommen, muss individuell mit Blick auf das jeweilige Unternehmen erstellt werden. 3 Damit die jährlichen Feedbackgespräche ernst genommen werden, sollte ein Formular zu ihrer obligatorischen Dokumentation vorgegeben werden. Dessen Ausgestaltung unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates, sodass es der Vereinbarung als Anlage beigefügt werden sollte (vgl. Rz. 25.25).

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III. Best Practice

Rz. 25.37 § 25

2. Individualvereinbarungen zur Beförderung Die Beförderung eines Mitarbeiters auf eine höherwertige Stelle kommt nur im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter in Betracht und setzt demnach eine Arbeitsvertragsänderung voraus (vgl. Rz. 25.7). Allerdings kann diese Arbeitsvertragsänderung im Regelfall formfrei erfolgen. Eine konkludente Vertragsänderung ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nach Abstimmung mit dem Arbeitgeber eine höherwertige Stelle ausübt und zu diesem Anlass eine Gehaltserhöhung erhält.

25.35

Soll ein Mitarbeiter zunächst nur befristet und auf Probe befördert werden, sollte dies in einer textförmlichen Vereinbarung dokumentiert werden. Ohne eine solche Vereinbarung bestünde die Gefahr, dass der Mitarbeiter die Beförderungsstelle dauerhaft beansprucht und Kündigungsschutz geltend macht, wenn der Arbeitgeber die Erprobung als gescheitert ansieht (vgl. Rz. 24.9). Ein Schriftformerfordernis besteht allerdings auch dann nicht1. Die Vereinbarung kann wie folgt formuliert werden:

25.36

M 25.2 Vereinbarung über befristete Beförderung auf Probe

25.37

Befristete Beförderung auf Probe Zwischen der … (nachfolgend: Arbeitgeber) und Herrn/Frau … (nachfolgend: Mitarbeiter), wird vereinbart, dass der Mitarbeiter ab dem … eine Tätigkeit als … (Bezeichnung der Tätigkeit) ausübt, die mit einem erheblich höheren Verantwortungsumfang2 einhergeht. Zum Zwecke der Erprobung wird die Übertragung der höherwertigen Tätigkeit vorerst bis zum … befristet3. Für die Dauer der Erprobung bleibt das Gehalt des Mitarbeiters unverändert. Sollte sich der Arbeitgeber entscheiden, dem Mitarbeiter die höherwertige Tätigkeit dauerhaft zu übertragen, wird der Mitarbeiter anschließend in das Gehaltsband eingegliedert, welches für die höherwertige Tätigkeit üblich ist4. … Ort, Datum … Arbeitgeber

… Mitarbeiter

1 Insbesondere findet § 14 Abs. 4 TzBfG keine analoge Anwendung, vgl. BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 253/14, DB 2016, 1761 = juris Rz. 56 f. 2 In der Sache muss ein berechtigtes Erprobungsinteresse bestehen (BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 253/14, juris Rz. 45). Die Tätigkeit muss deshalb spürbar anders als die bisherige Tätigkeit des Mitarbeiters sein und neue Herausforderungen schaffen, welche eine Gefahr des Scheiterns mit sich bringen. Wird der Stelle des Mitarbeiters nur ein neuer, ausstrahlungskräftigerer „Titel“ verliehen, ohne dass sich seine Aufgaben inhaltlich ändern, fehlt es daran. 3 Grundsätzlich darf die Probezeit eine Dauer von sechs Monaten nicht überschreiten, BAG v. 24.2.2016 – 7 AZR 253/14, juris Rz. 40; LAG Baden-Württemberg v. 11.2.2015 – 21 Sa 68/14, Orientierungssatz 5, ArbRAktuell 2015, 254. 4 Der Arbeitgeber sollte sorgsam abwägen, ob er das Gehalt des Mitarbeiters schon während der Dauer der Erprobung erhöht. Gewöhnt sich der Mitarbeiter erst einmal an ein höheres Gehalt, ist das Konfliktpotential umso höher, sollte der Arbeitgeber die Erprobung später als gescheitert bewerten.

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§ 26 Rz. 26.1

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

§ 26 Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.4 1. Berufsausbildung nach dem BBiG . . . . . 26.5 2. Duales Studium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.12 3. Praktika, Trainee-Programme und Volontariate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.19

4. Weiterbildungen und Umschulungen im laufenden Arbeitsverhältnis . . . . . . . 26.24 5. Mitbestimmung des Betriebsrates bei Bildungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . 26.31 III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26.38

Literatur: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Aufl. 2021 (zitiert: Bearbeiter in APS); Bayreuther, Der gesetzliche Mindestlohn, NZA 2014, 865; Brecht-Heitzmann, Rechtlicher Status von Studierenden dualer Studiengänge, ArbuR 2009, 389; Brecht-Heitzmann, Die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien für Studierende der Berufsakademien, RdA 2008, 276; Burkard-Pötter/Sura, Das Praktikum im neuen Gewand – Praxiseinblicke zwischen Mindestlohn und prekärem Beschäftigungsverhältnis, NJW 2015, 517; Dorth, Gestaltungsgrenzen bei Aus- und Fortbildungskosten betreffenden Rückzahlungsklauseln, RdA 2013, 287; Düwell, Rückzahlung von verauslagten Bildungsinvestitionen, DB 2008, 406; Grimm in Lunk, AnwaltFormulare Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2020, Praxisintegrierendes duales Studium, § 1b Rz. 480 ff.; Grimm/Freh, Vertragsgestaltung bei dualen Studiengängen, ArbRB 2015, 316; Grimm/Linden, Teures Scheinpraktikum, ArbRB 2014, 51; Göpfert/Brune, Moderne Führungsinstrumente auf dem arbeitsrechtlichen Prüfstand, NZA-Beilage 2018, 87; Hoppe/Fabritius, Reichweite des Mitbestimmungsrechts bei der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen, ArbRAktuell 2012, 449; Joussen/Husemann/Mätzig, Fortbildungsveranstaltungen und das AGG – Zu Lücken und Weiterentwicklungsbedarf im Gleichbehandlungsrecht, RdA 2014, 279; Kleinebrink, Praktikanten- und Ausbildungsverhältnisse in dualen Studiengängen, ArbRB 2011, 58; Klinkhammer/Peters, Fortbildungsvereinbarungen – eine nützliche Investition mit Risiken, ArbRAktuell 2015, 369; Koch-Rust/Kolb/Rosentreter, Mindestlohn auch für dual Studierende?, NZA 2015, 402; Koch-Rust/ Rosentreter, Rechtliche Gestaltung der Praxisphase bei dualen Studiengängen, NJW 2009, 3005; Koch-Rust/ Rosentreter, Ausbildungsverträge bei praxisintegrierten dualen Studiengängen, NZA 2013, 879; Lembke, Der Mindestlohnanspruch, NJW 2016, 3617; Maties, Das Praktikum im neuen Gewand – Praxiseinblicke zwischen Mindestlohn und prekärem Beschäftigungsverhältnis, RdA 2007, 135; Moll, Münchener Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, 5. Aufl. 2021; Natzel, Duale Studiengänge – arbeitsrechtliches Neuland?, NZA 2008, 567; Natzel, Qualifizierung im tripolaren Rechtsverhältnis, NZA 2012, 650; Seibold/Stieler, Digitalisierung der Bürotätigkeiten, 2016, S. 19; Stuhr/Stuhr, Anspruch der Studenten auf Urlaub und Entgelt für die Tätigkeit im praktischen Studiensemester, BB 1981, 916; Wiese/Kreutz/Oetker/Raab/Weber/Franzen/Gutzeit/ Jacobs, Gemeinschaftskommentar Betriebsverfassungsgesetz (GK-BetrVG), 12. Aufl. 2022; Wohlgemuth/ Pepping, Berufsbildungsgesetz, 2. Aufl. 2020.

I. Worum geht es? 26.1 Der Digitalisierungstrend ändert Anforderungen an die Mitarbeiterqualifikation nachhaltig. Softwareanwendungen und andere Automatisierungsprozesse drängen Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen und hoher Gleichförmigkeit zurück1. Es kommt zu einem Rückgang der Beschäftigung bei Anwenderbranchen (z.B. einfachen Fertigungs-, Handels- und Dienstleistungsberufen) und einem Beschäftigungswachstum bei den Herstellerbranchen (z.B. den klassischen Industrie1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kompetenz- und Qualifizierungsbedarfe bis 2030, 2017, S. 12, https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/kompetenz-und-qualifizeirungsbedarfe.html (letzter Abruf: 28.1.2022).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.4 § 26

branchen, IT-Diensten, Unternehmensdiensten sowie Forschung und Entwicklung). Insgesamt wird Arbeit inhaltlich anspruchsvoller1. Unternehmen müssen an ihre Mitarbeiter höhere und andere Qualifikationsanforderungen stellen. 26.2 So erhöht sich die Nachfrage nach IT-Spezialisten, Berufen der Unternehmensführung und -organisation, Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Maschinentechnikern2. Mit den sich wandelnden Qualifikationsanforderungen hält der Arbeitsmarkt jedoch nicht Schritt. Bereits jetzt zeichnet sich bei diesen Tätigkeitsfeldern ein branchenübergreifender Fachkräftemangel ab. Schätzungen gehen dahin, dass 2030 bis zu vier Millionen Arbeitskräfte fehlen3. Gleichzeitig geht der Bedarf nach Hilfsarbeiten sowie Büro- und Sekretariatskräften spürbar zurück4. Bei den verbliebenen Tätigkeiten in diesem Bereich steigt das Anforderungsniveau immer weiter, da Routineaufgaben entfallen und stattdessen IT-Anwendungen beherrscht und Sonderprobleme gelöst werden müssen5. Ohne Weiterbildung verlieren Mitarbeiter den Anschluss an ihr eigenes, im Wandel befindliches Berufsbild6. Unternehmen reagieren durch Berufsbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen. Durch das Angebot 26.3 von Ausbildungsstellen, Praktika, dualen Studiengängen und Trainee-Programmen können Unternehmen Schul- und Hochschulabsolventen in den Berufseinstieg begleiten und sie auf diese Weise frühzeitig an sich binden. So können Unternehmen gezielt Berufseinsteiger mit ausgewählten Fachqualifikationen für sich gewinnen, vor allem dort, wo auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fachkräftemangel herrscht. Gleichzeitig bereiten Unternehmen durch Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen ihre Stammmitarbeiter auf sich wandelnde Berufs- und Qualifikationsanforderungen vor und verhindern, dass deren Knowhow veraltet. Um sich abzeichnenden Qualifizierungslücken rechtzeitig vorzubeugen, ist langfristig ausgelegte, strategische Planung erforderlich. Dabei sollten Unternehmen die rechtlichen Rahmenbedingungen kennen.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Um qualifiziertes Personal zu entwickeln, können Unternehmen unterschiedliche Bildungsmaßnahmen durchführen und sich an Bildungsmaßnahmen staatlicher und privater Bildungsträger beteiligen. In Betracht kommen: – die klassische duale Berufsausbildung nach dem BBiG (dazu Rz. 26.5 ff.), – duale Studiengänge (dazu Rz. 26.12 ff.), – Praktika, Trainee-Programme und Volontariate (dazu Rz. 26.19 ff.) sowie – Fortbildungen und Umschulungen im laufenden Arbeitsverhältnis (dazu Rz. 26.24 ff.). Bei sämtlichen betrieblichen Bildungsmaßnahmen ist der Betriebsrat nach § 98 BetrVG zu beteiligen (dazu Rz. 26.31 ff.).

1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kompetenz- und Qualifizierungsbedarfe bis 2030, 2017, S. 16, https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/kompetenz-und-qualifizeirungsbedarfe.html (letzter Abruf: 28.1.2022). 2 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Kompetenz- und Qualifizierungsbedarfe bis 2030, 2017, S. 13, https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/kompetenz-und-qualifizeirungsbedarfe.html (letzter Abruf: 28.1.2022); PWC/WiFOR, In Deutschland werden die Arbeitskräfte rar, 2016, S. 25, https://www.wi for.com/uploads/2020/05/Ostwald-et-al.-2016-Demografischer-Wandel-In-Deutschland-werden-Arbei. pdf (letzter Abruf: 28.1.2022). 3 PWC/WiFOR, In Deutschland werden die Arbeitskräfte rar, S. 25. 4 PWC/WiFOR, In Deutschland werden die Arbeitskräfte rar, S. 23 f. 5 Seibold/Stieler, Digitalisierung der Bürotätigkeiten, S. 19 f. 6 Göpfert/Brune, NZA-Beilage 2018, 87 (88).

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26.4

§ 26 Rz. 26.5

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

1. Berufsausbildung nach dem BBiG 26.5 Hinweis: Die klassische duale Berufungsausbildung nach dem BBiG genießt nach wie vor große Bedeutung. Trotz leicht rückläufiger Tendenz entschlossen sich in der Vergangenheit jedes Jahr deutlich über eine halbe Millionen Schulabsolventen für diesen Ausbildungsweg1. Im Jahr 2020 kam es allerdings zu einem historischen Einbruch bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen, deren Zahl auf 465.700 und damit um 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr fiel2. Ob dies durch die Sondersituation der Corona-Pandemie bedingt war oder ob sich insoweit ein längerfristiger Trend abzeichnet, bleibt abzuwarten.

26.6 Das BBiG regelt die Berufsausbildung (§ 1 Abs. 3 BBiG) außerhalb der Hochschulen (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 BBiG). Als Berufungsausbildung gelten Berufsausbildungsverträge und andere Vertragsverhältnisse, aufgrund derer einem Berufseinsteiger nach Schulabschluss erstmals eine breit angelegte berufliche Grundbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt werden3. Zweitausbildungen werden nicht erfasst, sondern gelten als Umschulungen (dazu Rz. 26.30). Soweit das zuständige Bundesministerium für anerkannte Ausbildungsberufe eine Ausbildungsordnung festgelegt hat (§ 4 Abs. 1, § 5 BBiG), darf für diesen Ausbildungsberuf nur noch nach dieser Ausbildungsordnung ausgebildet werden (§ 4 Abs. 2 BBiG). Die Vereinbarung anderweitiger Anlernverhältnisse ist dann unzulässig und wäre vertragsrechtlich unwirksam (§ 134 BGB)4. Jugendliche unter 18 Jahren dürfen ausschließlich in anerkannten Ausbildungsberufen ausgebildet werden (§ 4 Abs. 3 BBiG) und nicht anderweitig.

26.7 Bestehende Ausbildungsordnungen sehen typischerweise eine zwei- bis dreijährige (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BBiG) duale Berufsausbildung vor, bei der sich Praxisphasen in einem Unternehmen mit dem Besuch einer Berufsschule abwechseln. Es ist Aufgabe des Unternehmens, seine Auszubildenden im behördlichen Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse zu registrieren (§ 36 BBiG) und sie in der Berufsschule anzumelden. Der Auszubildende besucht die Berufsschule entweder regelmäßig ein- bis zweimal in der Woche (§ 15 Nr. 2 BBiG) oder – z.B. im Zusammenhang mit Prüfungen – als Block über mehrere Wochen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 BBiG). Unternehmen dürfen nur ausbilden, wenn sich ihre Betriebsstätte als Ausbildungsstätte eignet (§ 27 BBiG) und geeignete Ausbilder zur Verfügung stehen (§§ 28 ff. BBiG). Einer behördlichen Genehmigung bedarf es zum Ausbilden grundsätzlich nicht5. Bekommt die Aufsichtsbehörde allerdings mit, dass ein Unternehmen seine Ausbildungspflichten verletzt, kann sie Bußgelder verhängen (§ 101 BBiG) oder dem Unternehmen das Ausbilden untersagen (§ 33 BBiG).

26.8 Das Unternehmen schließt mit dem Auszubildenden einen privatrechtlichen Berufungsausbildungsvertrag (§ 10 BBiG). Der Berufsausbildungsvertrag kann formfrei wirksam vereinbart werden6, ist aber durch das Unternehmen zu Dokumentationszwecken schriftförmlich niederzulegen

1 Bundesministerium für Bildung und Forschung, Berufsbildungsbericht 2021, S. 43 f., https://www.bmbf. de/bmbf/de/bildung/berufliche-bildung/strategie-und-zusammenarbeit-in-der-berufsbildung/der-berufsbil dungsbericht/der-berufsbildungsbericht.html (letzter Abruf: 28.1.2022). 2 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 379 v. 11.8.2021, https://www.destatis.de/DE/Presse/Presse mitteilungen/2021/08/PD21_379_212.html (letzter Abruf: 28.1.2022). 3 BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 120/11, ZTR 2013, 342 = juris Rz. 11; einschränkend allerdings, wenn der Auszubildende unmittelbar an die Erstausbildung eine Zweitausbildung beginnt, BAG v. 3.6.1987 – 5 AZR 285/86, Leitsatz 1, NZA 1988, 66. 4 BAG v. 27.7.2010 – 3 AZR 317/08, Leitsätze, ArbRB 2010, 361. 5 Taubert in Taubert, Berufsausbildungsgesetz, 3. Aufl. 2021, § 27 BBiG Rz. 5; anders allerdings in den Fällen nach § 27 Abs. 3 u. 4 BBiG. 6 BAG v. 21.8.1997 – 5 AZR 713/96, Leitsatz 1, DB 1997, 2619; VGH Bayern v. 12.3.2019 – 22 ZB 18.2039, Orientierungssatz 1, GewA 2019, 195.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.9 § 26

(§ 11 BBiG). Auf den Berufsausbildungsvertrag finden gesetzliche Schutzvorschriften Anwendung, die nicht zum Nachteil des Auszubildenden abbedungen werden dürfen (§ 25 BBiG): – Der Ausbilder darf von dem Auszubildenden für die Ausbildung keine Entschädigung und kein sonstiges Lehrgeld1 verlangen (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). Auch eine Pflicht, später für den Ausbilder zu arbeiten oder eine Pflicht, Ausbildungskosten an den Ausbilder zurückzuzahlen, wenn der Auszubildende dies nicht tut2, kann im Ausbildungsvertrag grundsätzlich nicht vereinbart werden (§ 12 Abs. 1 BBiG). – Stattdessen muss der Ausbilder dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung gewähren, für die gesetzliche Mindestsätze vorgeschrieben sind (§ 17 BBiG). Diese liegen allerdings deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn3. Die Vergütung ist lohnsteuer- und sozialbeitragspflichtig4. – Für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und den Prüfungen muss der Auszubildende freigestellt werden (§ 15 Abs. 1 BBiG). Seine Vergütung ist für diese Zeit fortzuzahlen (§ 19 BBiG). – Ausbilder und Auszubildender vereinbaren eine Probezeit mit einer Dauer von einem bis höchstens vier Monaten (§§ 20, 22 BBiG), in der das Berufsausbildungsverhältnis grundlos5 und ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann. Anschließend kann das Berufsausbildungsverhältnis durch den Ausbilder nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). In diesem Fall müssen die Kündigungsgründe im Kündigungsschreiben angegeben werden (§ 22 Abs. 3 BBiG). – Das Berufsausbildungsverhältnis endet von selbst, wenn der Auszubildende die Ausbildung abschließt (§ 21 Abs. 1 u. 2 BBiG) oder die Abschlussprüfung endgültig nicht besteht6. Arbeitet er dann allerdings bei dem Ausbilder mit dessen Kenntnis7 weiter, wird ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit kraft Fiktion begründet (§ 24 BBiG). – Sonstige arbeitsrechtliche Schutzvorschriften gelten i.d.R. auch für den Auszubildenden (§ 10 Abs. 2 BBiG). Der Auszubildende erhält Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 1 Abs. 2 EFZG)8, Urlaub (§ 2 Satz 1 BUrlG)9 und er unterliegt dem ArbZG (§ 2 Abs. 2 ArbZG), ggf. dem Mutterschutz (§ 1 Abs. 1 MuSchG) sowie dem Beschäftigtendatenschutzrecht (§ 26 Abs. 8 Nr. 2 BDSG). – Sind Auszubildende noch nicht 18 Jahre alt, fallen sie in den Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes (JArbSchG). Jugendliche dürfen nicht mehr als acht Stunden täglich und nicht mehr als 40 Stunden wöchentlich beschäftigt werden (§ 8 Abs. 1 JArbSchG). Ihnen müssen längere und häufigere Ruhepausen eingeräumt werden (§ 11 JArbSchG). Samstagsarbeit von Jugendlichen ist nur sehr eingeschränkt zulässig (§§ 15, 16 JArbSchG). Der Betriebsrat ist für Auszubildende genauso zuständig, wie für Arbeitnehmer des Betriebes auch (§ 5 Abs. 1 BetrVG). Auszubildende nehmen an Betriebsratswahlen teil, sobald sie das 18. Lebensjahr

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BAG v. 28.7.1982 – 5 AZR 46/81, juris Rz. 12. Dorth, RdA 2013, 287 (289). Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 174 Rz. 63. Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 174 Rz. 77. BAG v. 8.12.2011 – 6 AZR 354/10, ArbRB 2012, 103 = juris Rz. 43. Nach § 37 BBiG kann die Abschlussprüfung zweimal wiederholt werden. Erfolgt die zweite Wiederholungsprüfung noch innerhalb der Höchstfrist von einem Jahr nach dem ursprünglich geplanten Ende der Ausbildung (§ 21 Abs. 3 BBiG), verlängert sich das Ausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden auch noch bis zu deren Abschluss, BAG v. 15.3.2000 – 5 AZR 622/98, Leitsatz 2; BAG v. 26.9.2001 – 5 AZR 630/99, Orientierungssatz, AuA 2002, 87; a.A. Biebl in APS, § 21 BBiG Rz. 21. 7 BAG v. 20.3.2018 – 9 AZR 479/17, Leitsatz 2, ArbRB 2018, 262. 8 Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 174 Rz. 76; a.A. Banke/Pepping in Wohlgemuth/Pepping, § 10 BBiG Rz. 34, nach denen § 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG als lex specialis dem EFZG vorgehen soll. 9 Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 174 Rz. 75.

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26.9

§ 26 Rz. 26.9

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

vollendet haben (§ 7 BetrVG)1. Nachdem sie dem Betrieb für sechs Monate angehört haben, können sie mit Vollendung des 18. Lebensjahrs in den Betriebsrat gewählt werden (§ 8 BetrVG). Gehören dem Betrieb fünf Arbeitnehmer an, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder Auszubildende, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, muss neben dem Betriebsrat eine Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) gebildet werden (§ 60 ff. BetrVG). Es ist Aufgabe des Betriebsrates, für die JAV-Wahl den Wahlvorstand zu bestellen (§ 63 Abs. 2 BetrVG). Die JAV hat gegenüber dem Arbeitgeber keine eigenen Mitbestimmungsrechte, sondern arbeitet mit dem Betriebsrat zusammen und wirkt auf diesen ein2. Zu diesem Zweck nehmen ihre Mitglieder an Betriebsratssitzungen (§ 67 BetrVG) und Besprechungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 68 BetrVG) teil.

26.10 Die Mitgliedschaft in der JAV verleiht Auszubildenden einen Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis: Auszubildende, die Mitglied des Betriebsrates oder der JAV sind, können innerhalb der letzten drei Monate ihrer Ausbildung schriftlich vom Arbeitgeber verlangen, dass er sie im Anschluss an die Ausbildung als Arbeitnehmer weiterbeschäftigt. Das gleiche Recht haben Auszubildende, deren Mitgliedschaft in diesen Gremien innerhalb eines Jahres vor Beendigung ihrer Ausbildung geendet hat. Der Anspruch besteht auch dann, wenn die Ausbildung erfolglos endet, weil der Auszubildende seine Abschlussprüfung endgültig nicht bestanden hat3. Durch das Verlangen wird kraft gesetzlicher Fiktion4 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber begründet (§ 78a Abs. 2 BetrVG). Der Arbeitgeber kann das Fiktionsarbeitsverhältnis nur verhindern, indem er rechtzeitig ein gerichtliches Verfahren vor dem ArbG einleitet und darin Tatsachen darlegt und beweist, aufgrund derer ihm die Weiterbeschäftigung der ehemaligen Auszubildenden nicht zugemutet werden kann (§ 78a Abs. 4 BetrVG). Unzumutbarkeit liegt z.B. vor, wenn der Auszubildende seine Abschlussprüfung endgültig nicht – also nicht bloß schlecht5 – bestanden hat6 oder kein freier Arbeitsplatz zur Verfügung steht7, wobei allerdings notfalls freie Arbeitsplätze durch Entlassung von Leiharbeitnehmern geschaffen werden müssen8.

26.11 Sollen Auszubildende im Anschluss an die Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übernommen werden, ist der Betriebsrat nach h.M. gem. § 99 BetrVG zu beteiligen, da es sich um eine Einstellung handelt9.

2. Duales Studium 26.12 Hinweis: Die Bedeutung des dualen Studiums befindet sich in einem kontinuierlichen Wachstum, auch wenn die Absolventenzahlen bei weitem nicht an das klassische Hochschulstudium oder Berufsausbildungen nach dem BBiG heranreichen: Während 2009 noch 48.796 Studierende in einen dualen Studiengang eingeschrie-

1 Podewin in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 7 BetrVG Rz. 2; anders ist dies lediglich bei Auszubildenden in einem reinen Ausbildungsbetrieb, BAG v. 16.11.2011 – 7 ABR 48/10, Orientierungssatz 1, juris. 2 Fitting, § 70 BetrVG Rz. 1. 3 Künzl in APS, § 78a BetrVG Rz. 76; Fitting, § 78a BetrVG Rz. 24. 4 Sittard in HWK, § 78a BetrVG Rz. 3; Kania in ErfK, § 78a BetrVG Rz. 4 f.; Fitting, § 78a BetrVG Rz. 29. 5 LAG Hamm v. 21.10.1992 – 3 TaBV 106/92, Leitsatz, DB 1993, 439. 6 LAG Niedersachsen v. 8.4.1975 – 2 TaBV 60/74, Leitsatz 4, BeckRS 1975, 30702718 = DB 1975, 1224. 7 BAG v. 16.1.1979 – 6 AZR 153/77, Leitsatz, DB 1979, 1138. 8 BAG v. 16.7.2008 – 7 ABR 13/07, Leitsatz, ArbRB 2009, 7; BAG v. 25.2.2009 – 7 ABR 61/07, Orientierungssatz 2, DB 2009, 1473. 9 LAG Hamm v. 14.7.1982 – 12 TaBV 27/82, Leitsatz, DB 1982, 2303; Thüsing in Richardi, § 99 BetrVG Rz. 46; Fitting, § 99 BetrVG Rz. 52.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.15 § 26

ben waren, stieg die Zahl bis 2019 auf 108.2021. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Unternehmen, die als Kooperationsunternehmen Dualstudierende beschäftigten, von 27.900 auf 51.0602. Schwerpunkte der dualen Studiengänge sind Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurswesen und Informatik3, also Berufsfelder, bei denen Fachkräftemangel herrscht. Für Unternehmen, die Fachkräftemangel in diesen Bereichen fürchten, liegt es deshalb nahe, sich einer geeigneten örtlichen Hochschule als Kooperationspartner für duale Studiengänge anzubieten.

Unter einem dualen Studiengang im engeren Sinne versteht sich ein Bachelorstudiengang auf Fachhochschulniveau im ersten Bildungsweg, bei dem sich Praxisphasen in einem Unternehmen mit Theoriephasen an einer Hochschule abwechseln. Üblich ist ein Rhythmus von drei Monaten Theorie und anschließenden drei Monaten Praxis4. Um dies zu ermöglichen, schließen Hochschulen mit interessierten Unternehmen öffentlich-rechtliche Kooperationsverträge ab, auf deren Grundlage ein gemeinsames Bildungskonzept abgestimmt wird. Der Studierende begründet durch seine Immatrikulation ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zum Hochschulträger. Mit dem Unternehmen schließt der Studierende parallel einen privatrechtlichen Durchführungsvertrag. Üblich ist es, dass der Studierende während des gesamten Studiums bei demselben Unternehmen tätig ist5.

26.13

Hinweis:

26.14

Daneben wird der Begriff des dualen Studiums auch für berufsintegrierende und berufsbegleitende Studiengänge verwendet. Diese dienen in der Regel der beruflichen Weiterbildung und zählen aufgrund der fehlenden inhaltlichen Verzahnung von theoretischer und praktischer Ausbildung nicht zu den dualen Studiengängen im engeren Sinne6.

Bei dualen Studiengängen im engeren Sinne ist zwischen dem sog. ausbildungsintegrierenden dualen Studium und dem praxisintegrierenden dualen Studium zu unterscheiden. Die Unterscheidung ist für die rechtliche Einordnung zentral: – Im Rahmen eines ausbildungsintegrierenden dualen Studiums wird sowohl Berufsausbildung als auch ein Hochschulstudium absolviert. Der Studierende erwirbt einen IHK/HWK-Abschluss und einen Bachelor-Abschluss. Für den – meist vorgelagerten – Ausbildungsteil gilt uneingeschränkt das BBiG7. Für das sich anschießende Studium gilt das BBiG gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht mehr8. – Beim praxisintegrierenden dualen Studium wird lediglich ein Fachhochschulabschluss erworben und das BBiG gilt generell nicht9.

1 Bundesinstitut für Berufsbildung, AusbildungPlus Duales Studium in Zahlen 2019, S. 12, https://www. bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16838 (letzter Abruf: 28.1.2022). 2 Bundesinstitut für Berufsbildung, AusbildungPlus Duales Studium in Zahlen 2019, S. 12, https://www. bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16838 (letzter Abruf: 28.1.2022). 3 Bundesinstitut für Berufsbildung, AusbildungPlus Duales Studium in Zahlen 2019, S. 20, https://www. bibb.de/dienst/veroeffentlichungen/de/publication/show/16838 (letzter Abruf: 28.1.2022). 4 Koch-Rust/Rosentreter, NJW 2009, 3005 (3006). 5 Brecht-Heitzmann, ArbuR 2009, 389 (390); Stuhr/Stuhr, BB 1981, 916 (918). 6 BSG v. 1.12.2009 – B 12 R 4/08 R, juris Rz. 19; Koch-Rust/Rosentreter, NJW 2009, 3005 (3006); Grimm/ Freh, ArbRB 2015, 316 (316); Kleinebrink, ArbRB 2011, 58 (59). 7 LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.1.2019 – 5 Sa 105/18, juris Rz. 85. 8 BAG v. 17.6.2020 – 7 ABR 46/18, juris Rz. 30 ff.; Natzel, NZA 2008, 567 (568); Grimm/Freh, ArbRB 2015, 316 (316); Kleinebrink, ArbRB 2011, 58 (59); LAG Hamm v. 13.10.2006 – 2 Ta 6/06, Orientierungssatz, juris. 9 BAG v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07, Orientierungssatz 1, DB 2009, 853; Hessisches LAG v. 5.6.2009 – 10 Sa 1875/08, Orientierungssatz, BeckRS 2011, 71637; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.1.2019 – 5 Sa 105/18, Leitsatz 1 und 2, ArbRAktuell 2019, 337; Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (879 f.); Grimm/ Freh, ArbRB 2015, 316 (316); dies gilt auch für ein Dualstudium an einer Berufsakademie, BAG v.

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26.15

§ 26 Rz. 26.16

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

26.16 Soweit das BBiG nicht gilt, stellt sich die Frage, ob die Vertragsbeziehung zum Unternehmen als Arbeitsvertrag zu qualifizieren ist. Dies ist höchstrichterlich noch nicht geklärt, aber nach zutreffender, umstrittener Ansicht zu bejahen1. Unabhängig davon, ob der Studierende als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist, fällt er jedenfalls in den Anwendungsbereich solcher Arbeitnehmerschutzvorschriften, die auch sonstige arbeitnehmerähnliche Ausbildungsverhältnisse erfassen, wie z.B. § 2 Abs. 2 ArbZG2, § 1 Abs. 2 EFZG3, § 20 BEEG4, § 1 MuSchG5, § 2 BUrlG6 und § 2 Abs. 2 ArbSchG7. Außerdem unterliegt der Vertrag mit einem Dualstudierenden einer strengen AGB-Kontrolle nach § 307 BGB, die auf die strukturelle Unterlegenheit des Studierenden gegenüber dem Unternehmen Rücksicht nehmen muss8. Das Mindestlohngesetz gilt dagegen für Dualstudierende nicht, so dass ihr Lohn frei vereinbart werden kann9. Zulässig ist es, den Vertrag auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Studiums zu befristen (§ 14 Abs. 1 Nr. 4 TzBfG)10. Sozialversicherungsrechtlich stehen Dualstudierende Auszubildenden mittlerweile gleich und sind umfassend sozialversicherungspflichtig11. Im Gegensatz zu anderen Studierenden sind sie nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB V von der Krankenversicherungspflicht befreit12.

26.17 Dualstudierende gelten betriebsverfassungsrechtlich als Arbeitnehmer i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG und fallen in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates13. Der Betriebsrat ist bei ihrer Einstellung nach § 99 BetrVG zu beteiligen. Als Einstellung i.S.d. § 99 BetrVG gilt einmalig der Abschluss des Durchführungsvertrages. Hingegen ist nicht jeder Wechsel von der Theoriephase an der Hochschule in die betriebliche Praxisphase als gesonderte Einstellung zu behandeln. Denn eine Einstellung liegt nicht vor, wenn nach einem Ruhen der Arbeitspflicht die Arbeit wieder aufgenommen wird, ohne dass zu diesem Anlass eine neue Vereinbarung geschlossen wird14. Wird der Studierende nach Abschluss des Studiums im Betrieb in ein Arbeitsverhältnis übernommen, ist der Betriebsrat allerdings erneut nach § 99 BetrVG zu beteiligen15. Vor einer Kündigung ist der Betriebsrat gem. § 102 BetrVG anzuhören16. Wie andere Arbeitnehmer auch können Dualstudierende an Betriebsratswahlen teil-

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27.9.2006 – 5 AZB 33/06, juris Rz. 11; BAG v. 16.10.2002 – 4 AZR 429/01, juris Rz. 29 ff.; Brecht-Heitzmann, RdA 2008, 276 (277 f.). LAG Sachsen-Anhalt v. 7.12.2006 – 9 Sa 304/06, juris Rz. 25 ff.; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.1.2019 – 5 Sa 105/18, juris Rz. 91; Grimm in Lunk, § 1b Rz. 484; Brecht-Heitzmann, RdA 2008, 276 (279 ff.); Brecht-Heitzmann, ArbuR 2009, 389 (389); Orlowski, Praktikanten- und Volontärverträge, 2014, S. 326 ff.; Stuhr/Stuhr, BB 1981, 916 (919); für einen privatrechtlichen Vertrag eigener Art hingegen LAG Hamm v. 13.10.2006 – 2 Ta 6/06, juris Rz. 29; Natzel, NZA 2008, 567 (568); Natzel, NZA 2012, 650 (653); Kleinebrink, ArbRB 2011, 58 (59); Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (880). BT-Drucks. 12/5888, 23; dazu Baeck/Deutsch/Winzer in Baeck/Deutsch/Winzer, § 2 ArbZG Rz. 99; Schliemann, ArbZG, 4. Aufl. 2018, § 2 ArbZG Rz. 117. Schliemann in HWK, § 1 EFZG Rz. 7; Reinhard in ErfK, § 1 EFZG Rz. 3. Vgl. Gaul in HWK, § 20 BEEG Rz. 1; Osnabrügge/Pauly in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 20 BEEG Rz. 2; Velikova in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, § 20 BEEG Rz. 1. BVerwG v. 26.8.1970 – V C 1.68, BB 1970, 1482 = juris Rz. 19 ff.; Hergenröder in HWK, § 1 MuSchG Rz. 3; Pepping in Rancke, Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit, 6. Aufl. 2021, § 1 MuSchG Rz. 48. Neumann in Neumann/Fenski/Kühn, BUrlG, 12. Aufl. 2021, § 2 BUrlG Rz. 60. Schulze-Doll in Kohte/Faber/Feldhoff, § 2 ArbSchG Rz. 18. Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (880); vgl. für einen Mustervertrag Grimm in Lunk, § 1b Rz. 487. So die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/2010, 21; ebenso Koch-Rust/Kolb/Rosentreter, NZA 2015, 402 (405); Franzen in ErfK, § 22 MiLoG Rz. 3; Sittard in HWK, § 22 MiLoG Rz. 26; Grimm/Freh, ArbRB 2015, 316 (317) a.A. Bayreuther, NZA 2014, 865 (871). Koch-Rust/Rosentreter, NJW 2009, 3005 (3007 f.). Gesetz v. 22.12.2011, BGBl. I 2011, 3057; vgl. § 5 Abs. 4a Nr. 2 SGB V. Peters in Kasseler Kommentar, § 6 SGB V Rz. 41. BAG v. 30.10.1991 – 7 ABR 11/91, DB 1992, 1635 = juris Rz. 20 ff. BAG v. 5.4.2001 – 2 AZR 580/99, DB 2001, 2403 = juris Rz. 30. So die ganz h.M. bei Übernahme aus einem Ausbildungsverhältnis, vgl. Rz. 26.11. LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.1.2019 – 5 Sa 105/18, Leitsatz 3, ArbRAktuell 2019, 337.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.20 § 26

nehmen und sich in den Betriebsrat wählen lassen. Außerdem nehmen Dualstudierende an der Wahl für die Jugend- und Auszubildendenvertretung teil, sofern sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben1. Anders als Auszubildende haben dualstudierende Betriebsrats- und JAV-Mitglieder allerdings keinen Anspruch nach § 78a Abs. 2 BetrVG darauf, dass der Arbeitgeber sie nach Abschluss der Ausbildung in ein Arbeitsverhältnis übernimmt2. Das Unternehmen zahlt dem Studierenden typischerweise auch während der Theoriephasen an der Hochschule eine feste monatliche Vergütung und übernimmt zusätzlich die Studiengebühren. § 12 BBiG findet auf Verträge mit Dualstudierenden keine Anwendung, soweit keine Ausbildung nach dem BBiG in das Studium integriert ist3. Das Unternehmen kann mit dem Studierenden vereinbaren, dass er diese Leistungen an das Unternehmen zurückzahlen muss, wenn er das Studium vorzeitig abbricht4 oder wenn das Unternehmen dem Studierenden im Anschluss an das Studium eine Übernahme in ein Arbeitsverhältnis zusagt und er dieses Angebot ablehnt5. Regelmäßig laufen Beträge von deutlich über 10.000 EUR auf 6. Für einen Berufseinsteiger erzeugt diese Kostendrohung einen starken Anreiz, auch nach dem dualen Studium beim Unternehmen zu bleiben. Die AGB-rechtlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Klauselgestaltung sind allerdings hoch (dazu Rz. 26.41 ff.).

26.18

3. Praktika, Trainee-Programme und Volontariate 26.19

Hinweis: Die Zahl der Studierenden steigt kontinuierlich. Im Wintersemester 2009/10 waren noch 2.121.190 Studierende in ein deutsches Hochschulstudium eingeschrieben, im Wintersemester 2019/20 waren es bereits 2.891.049. 61,5 Prozent dieser Einschreibungen bezogen sich auf eine Universität, 37,2 Prozent auf eine Fachhochschule und 1,3 Prozent auf eine Kunsthochschule7. Insgesamt wurden 512.285 Hochschulabschlüsse (Master, Bachelor, Staatsexamen, Promotion etc.) im Jahre 2019 erworben8. Kennzeichnend ist für die meisten akademischen Ausbildungsprogramme, dass sie kaum praktischen Erfahrungen unter realen Arbeitsbedingungen vermitteln. Hier kommen die Unternehmen ins Spiel: Um ihre mangelnden praktischen Erfahrungen zu kompensieren, absolvieren Studierende während ihres Studiums Praktika. Knapp die Hälfte der Hochschulabsolventen würde es zudem bevorzugen, im Anschluss an ihr Studium zunächst mit einem Traineeprogramm in das Berufsleben zu starten, wenn entsprechende Angebote zur Verfügung stünden9. In bestimmten Branchen werden Volontariate angeboten, um den Einstieg in das Berufsleben zu erleichtern.

26.20

Die rechtliche Qualifizierung eines Praktikumsvertrages fällt unterschiedlich aus: – Handelt es sich bei dem Praktikum nach der jeweiligen Ausbildungsordnung um ein Pflichtpraktikum für Schüler oder Studierende, fällt das Praktikum weder in den Geltungsbereich des BBiG (vgl. § 3 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 BBiG), noch liegt ein Arbeitsverhältnis vor10. Auch Ansprüche nach

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BAG v. 30.10.1991 – 7 ABR 11/91, Leitsätze 1 und 2, DB 1992, 1635. BAG v. 17.6.2020 – 7 ABR 46/18, Leitsatz, ArbRB 2020, 372 (Braun). ArbG Gießen v. 3.2.2015 – 9 Ca 180/14, juris Rz. 52; Natzel, NZA 2008, 567 (570). Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (883). ArbG Gießen v. 3.2.2015 – 9 Ca 180/14, juris Rz. 52; Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (881 ff.). Vgl. z.B. LAG Rheinland-Pfalz v. 28.8.2019 – 7 Sa 6/19, juris Rz. 23. Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 4.1 Wintersemester 2019/2020, S. 9. Statistisches Bundesamt, Fachserie 11 Reihe 4.2 Bildung und Kultur Prüfungen an Hochschulen, S. 12. 9 „Trainee-Stellen sind rar gesät“, Handelsblatt v. 1.9.2015, https://www.handelsblatt.com/karriere/handels blatt-jobturbo-trainee-stellen-sind-rar-gesaet/12236204.html?ticket=ST-3231014-kzxtzkKdoGJUN0F xIO5l-ap4 (letzter Abruf: 28.1.2022). 10 Grimm/Linden, ArbRB 2014, 51 (52); Burkard-Pötter/Sura, NJW 2015, 517 (518 f.).

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§ 26 Rz. 26.20

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

dem Mindestlohngesetz bestehen dann nicht (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 MiLoG). Dies gilt auch dann, wenn das Praktikum Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme in ein Studium ist1. – Steht bei einem freiwilligen Praktikum der Ausbildungs- und Lernzweck in der tatsächlichen Durchführung im Vordergrund, liegt ein Berufsausbildungsverhältnis nach § 26 BBiG vor2. Nahezu alle Schutzvorschriften für Auszubildende gelten deshalb auch für Praktikanten (vgl. dazu Rz. 26.8 ff.). Der Praktikumsvertrag kann ebenfalls mündlich geschlossen werden, muss aber nach § 2 Abs. 1a NachwG schriftlich niedergelegt werden. Im Vertrag kann eine Probezeit von maximal vier Monaten vereinbart werden, in der das Vertragsverhältnis grundlos sofort gekündigt werden kann (§§ 20, 26, 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG). Anschließend ist eine Kündigung durch das Unternehmen nur noch aus wichtigem Grund und mit schriftlicher Begründung möglich (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 3 BBiG). Der Praktikant hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung (§ 17 BBiG). Hat der Praktikant sein Studium bereits endgültig abgeschlossen oder dauert das Praktikum länger als drei Monate, hat der Praktikant Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 22 Abs. 1 Nr. 2 u. 3 MiLoG). Umstritten ist, ob Praktika, die bereits von Anfang an auf eine längere Dauer angelegt sind, bereits von Anfang an mindestlohnpflichtig sind oder erst ab dem vierten Monat3. – Vereinbaren die Parteien ausdrücklich, dass es sich bei dem Praktikumsvertrag um einen Arbeitsvertrag handeln soll4 oder liegt ein Scheinpraktikum vor, das nur vordergründig der Ausbildung dient, tatsächlich aber im Schwerpunkt auf die Erbringung von Arbeitsleistungen zielt, liegt ein Arbeitsverhältnis vor5. Zwingende Arbeitsschutzregeln lassen sich nämlich nicht durch eine abweichende Bezeichnung der Vertragsbeziehung umgehen. Wurde keine ausdrückliche Vergütungsvereinbarung getroffen oder ist die vereinbarte Vergütung so unverhältnismäßig niedrig, dass die Vergütungsvereinbarung als sittenwidrig und nichtig angesehen werden muss (§ 138 BGB)6, kann der Praktikant nach § 612 BGB die übliche Vergütung verlangen, die andere vergleichbare Arbeitnehmer auch erhalten7. In jedem Fall muss der gesetzliche Mindestlohn gezahlt werden8. Soweit ein Arbeitsverhältnis vorliegt, finden Vorschrift aus dem BBiG keine Anwendung (vgl. § 26 BBiG).

26.21 Traineeprogramme für Berufseinsteiger dauern üblicherweise ein bis zwei Jahre, in denen der Trainee unterschiedliche Abteilungen des Unternehmens durchläuft, dabei unterschiedlichen Mentoren zuarbeitet und parallel an Fortbildungskursen teilnimmt, die das Unternehmen ihm anbietet9. Häufig geht es um Managementaufgaben. Der genaue Ablauf wird von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausgestaltet. Trainees sind normale Arbeitnehmer10 und unterfallen nicht dem BBiG11. Zu beachten ist, dass der Charakter von Traineeprogrammen keine Altersdiskriminierung beim Zugang zu diesen Programmen rechtfertigt und entsprechende Stellen deshalb altersneutral ausgeschrie-

1 BAG v. 19.1.2022 – 5 AZR 217/21. 2 Grimm/Linden, ArbRB 2014, 51 (52); Burkard-Pötter/Sura, NJW 2015, 517 (518). 3 So ArbG Berlin v. 17.6.2016 – 28 Ca 2961/16, Leitsatz, juris; a.A. Franzen in ErfK, § 22 MiLoG Rz. 12. 4 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 694/12, Orientierungssatz 1, juris. 5 BAG v. 1.12.2004 – 7 AZR 129/04, AfP 2005, 408 = juris Rz. 20; Grimm/Linden, ArbRB 2014, 51 (51 f.). 6 Grimm/Linden, ArbRB 2014, 51 (54); Burkard-Pötter/Sura, NJW 2015, 517 (520); Maties, RdA 2007, 135 (139). 7 Grimm/Linden, ArbRB 2014, 51 (54); Burkard-Pötter/Sura, NJW 2015, 517 (520); Maties, RdA 2007, 135 (139). 8 Lembke, NJW 2016, 3617 (3618). 9 Maties, RdA 2007, 135 (141). 10 BAG v. 12.5.2005 – 2 AZR 149/04, DB 2005, 2141; Maties, RdA 2007, 135 (141); Pepping in Wohlgemuth/Pepping, § 26 BBiG Rz. 33. 11 Pepping in Wohlgemuth/Pepping, § 26 BBiG Rz. 33.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.26 § 26

ben werden müssen1. Stellenausschreibungen, die sich ausschließlich an „Berufseinsteiger“ richten, verstoßen gegen § 11 AGG2. Als Volontariate werden ein- bis zweijährige Ausbildungsprogramme bezeichnet, die auf ein abgeschlossenes Hochschulstudium aufbauen und die Fähigkeiten für eine qualifizierte Mitarbeit vermitteln sollen3. Typischerweise geht es um eher kreative Berufe, z.B. im Medien- und Kulturbereich. Solche Programme können in den Anwendungsbereich des BBiG fallen, wenn ein geordneter Ausbildungsgang vorgesehen und vertraglich oder tariflich geregelt ist4. Geht es dagegen schwerpunktmäßig darum, Arbeitsleistungen zu erbringen – was der Regelfall sein dürfte – handelt es sich um einen normalen Arbeitsvertrag5.

26.22

Praktikanten, Trainees und Volontäre fallen in den Zuständigkeitsbereich des Betriebsrates. Es 26.23 kommt nicht darauf an, ob ihr Beschäftigungsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Denn das BAG versteht den Begriff des „zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten“ i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG weit, so dass er alle Arten von betriebspraktischen Anlernverhältnissen – nicht nur solche i.S.d. BBiG – erfasst6.

4. Weiterbildungen und Umschulungen im laufenden Arbeitsverhältnis 26.24

Hinweis: Um ihre Mitarbeiter auf sich wandelnde technische und inhaltliche Arbeitsanforderungen vorzubereiten und das Qualifikationsniveau der Belegschaft oder ausgewählter Leistungsträger zu entwickeln, investieren Unternehmen in Weiterbildungsmaßnahmen. Die Weiterbildungsaktivitäten der deutschen Unternehmen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Im gesamten Jahr 2019 setzten Mitarbeiter durchschnittlich 18,3 Stunden für betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen ein, überwiegend während der bezahlten Arbeitszeit7. Um dies zu ermöglichen, investierten Unternehmen im selben Jahr durchschnittlich 1.236 EUR pro Mitarbeiter, wobei knapp die Hälfte dieser Kosten durch die Gehaltsfortzahlung während der Weiterbildungsmaßnahme entstand8. Der Umfang berufsbegleitender Fortbildungsmaßnahmen kann ganz unterschiedlich ausfallen und reicht von einstündigen Informationsveranstaltungen bis hin zu langfristig ausgelegten, berufsbegleitenden MBA-Studiengängen.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen Weiterbildungsmaßnahmen mit ihren Arbeitnehmern abstimmen, ergeben sich aus dem Arbeitsvertrag sowie privatautonom abgeschlossenen Weiterbildungsvereinbarungen. Die betriebliche Weiterbildung wird nicht durch das BBiG reguliert9. Zwar befasst sich das BBiG in seinem Kapitel 2 auch mit der beruflichen Fortbildung. Das BBiG stellt dabei aber keine verbindlichen Vorgaben für Unternehmen auf, die Fortbildungen durchführen.

26.25

Nach zutreffender h.M. kann der Arbeitgeber die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen einseitig anordnen, wenn diese Weiterbildungsmaßnahmen den Arbeitnehmer für Tätigkeiten qualifizieren

26.26

1 2 3 4 5 6 7

Dazu BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, ArbRB 2013, 136. BAG v. 24.1.2013 – 8 AZR 429/11, Orientierungssatz 2, ArbRB 2013, 136. Pepping in Wohlgemuth/Pepping, § 26 BBiG Rz. 26. BAG v. 1.12.2004 – 7 AZR 129/04, AfP 2005, 408 = juris Rz. 19. BAG v. 1.12.2004 – 7 AZR 129/04, AfP 2005, 408 = juris Rz. 20. BAG v. 25.10.1989 – 7 ABR 1/88, DB 1990, 1192 = juris Rz. 53. Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW-Weiterbildungserhebung 2020: Weiterbildung auf Wachstumskurs, 2020, S. 109, https://www.iwkoeln.de/studien/susanne-seyda-beate-placke-weiterbildung-auf-wachs tumskurs-493427.html (letzter Abruf: 28.1.2022). 8 Institut der deutschen Wirtschaft Köln, IW-Weiterbildungserhebung 2020: Weiterbildung auf Wachstumskurs, 2020, S. 110 f., https://www.iwkoeln.de/studien/susanne-seyda-beate-placke-weiterbildung-auf-wachs tumskurs-493427.html (letzter Abruf: 28.1.2022). 9 Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 (369).

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§ 26 Rz. 26.26

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

soll, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer in Ausübung seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) einseitig zuweisen dürfte1. Geht es hingegen darum, den Arbeitnehmer für anderweitige – insbesondere höherwertige – Tätigkeiten zu qualifizieren, muss die Qualifizierungsmaßnahme auf freiwilliger Basis mit dem Arbeitnehmer vereinbart werden2. Sofern der Arbeitgeber die Teilnahme an einer Weiterbildung mit seinem Direktionsrecht anordnet, handelt es sich bei den Zeiten der Weiterbildung um vergütungspflichtige Arbeitszeit3.

26.27 Treffen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine einvernehmliche Abrede über die Teilnahme an einer Weiterbildungsmaßnahme, die wegen des erzielten Qualifizierungsvorteils auch im Eigeninteresse des Arbeitnehmers liegt, können sie vereinbaren, dass die Weiterbildungszeiten keine vergütungspflichtigen Arbeitszeiten sind, sondern (auch teilweise) außerhalb der Arbeitszeit oder während einer unbezahlten Freistellung abzuleisten sind4. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer zudem vereinbaren, dass der Arbeitnehmer die Kosten der Weiterbildung ganz oder in Teilen übernimmt. Vorstellbar ist auch, dass die Arbeitsvertragsparteien lediglich einen unbezahlten Sonderurlaub oder ein Sabbatical (dazu eingehend Rz. 5.4 ff.) abstimmen, dessen zeitlichen Rahmen der Arbeitnehmer eigenverantwortlich zur Weiterbildung nutzt. Treffen die Parteien in ihrer Abrede keine ausdrücklichen Festlegungen, ist ihr Wille durch Auslegung zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien einen längerfristig ausgelegten Weiterbildungsvertrag, kann dieser Weiterbildungsvertrag grundsätzlich nur außerordentlich gekündigt werden5. Die ordentliche Kündbarkeit des parallel bestehenden Arbeitsvertrages bleibt zwar unberührt. Allerdings können sich die Anforderungen an die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erhöhen, wenn die Kündigung den Erfolg einer bereits begonnenen und aufwendigen Weiterbildung vereiteln würde.

26.28 Wann immer der Arbeitgeber während einer Weiterbildungsmaßnahme die Vergütung fortzahlt, handelt es sich um sozialversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitseinkommen6. Die Übernahme von sonstigen Weiterbildungskosten durch den Arbeitgeber ist steuer- und sozialbeitragsfrei. Zwar kann sich eine Weiterbildung in bestimmten Fällen abgabenrechtlich als Sachbezug des Arbeitnehmers darstellen, ist dann aber ausdrücklich gem. § 3 Nr. 19 EStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 SvEV von der Steuer- und Sozialbeitragspflicht befreit.

26.29 Beim Zugang zu Bildungsangeboten darf das Unternehmen nicht nach dem Geschlecht oder dem Alter seiner Mitarbeiter diskriminieren (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 AGG), z.B. weil es meint, Investitionen in ältere Arbeitnehmer oder Schwangere würden sich nicht mehr lohnen7. Lediglich, wenn ein Arbeitnehmer kurz vor dem Renteneintritt steht, kann sich dies anders darstellen. Unternehmen dürfen auch Arbeitnehmer, die überwiegend Nachtschichten absolvieren, aus diesem Grund nicht beim Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen benachteiligen (§ 6 Abs. 6 ArbZG).

26.30 Besonderheiten können für Umschulungen gelten. Zwar erwirbt der Arbeitnehmer durch die Umschulung eine gänzlich neue Berufsqualifikation. Dennoch handelt es sich nicht um eine Berufungsausbildung i.S.d. § 1 Abs. 3 BBiG, da dieser Begriff grundsätzlich nur die berufliche Erstausbildung erfasst (vgl. Rz. 26.6). Lediglich wenn ein Auszubildender unmittelbar im Anschluss an eine erste Berufsausbildung eine zweite Berufsausbildung beginnt und nie ernsthaft in seinem ersten Ausbil-

1 Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 (370); Göpfert/Brune, NZA-Beilage 2018, 87 (89); ArbG Bonn v. 4.7.1990 – 4 Ca 751/90, Orientierungssatz, NJW 1991, 2168. 2 Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 (370); Göpfert/Brune, NZA-Beilage 2018, 87 (90). 3 Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 (371). 4 Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 176 Rz. 9; Klinkhammer/Peters, ArbRAktuell 2015, 369 (370 f.). 5 Vgl. BAG v. 22.6.1972 – 2 AZR 346/71, Leitsatz 1, BAGE 24, 318; Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 176 Rz. 15. 6 Vogelsang in Schaub, ArbRHdB, § 176 Rz. 10. 7 Joussen/Husemann/Mätzig, RdA 2014, 279 (280 ff.).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 26.32 § 26

dungsberuf gearbeitet hatte, unterliegt die Zweitausbildung uneingeschränkt den Vorschriften des BBiG1. In allen anderen Fällen finden die Vorschriften des BBiG auf Umschulungen keine Anwendung2. Deshalb kann im Umschulungsvertrag z.B. ein ordentliches Kündigungsrecht vereinbart werden3. Der Umschulungsvertrag kann als Arbeitsvertrag vereinbart werden. Steht der Ausbildungszweck und nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund, kann alternativ ein Vertrag eigener Art geschlossen werden4. In diesem Fall muss keine Vergütung, insbesondere kein Mindestlohn gezahlt werden. Dient die Umschulung der Vermeidung von Arbeitslosigkeit, ist die Bundesagentur für Arbeit häufig dazu bereit, während der Dauer der Umschulung Arbeitslosengeld I oder II fortzuzahlen und die Umschulung durch weitere Kostenübernahmen zu fördern (§§ 144, 81 ff. SGB III). Ist die Umschulung auf einen anerkannten Ausbildungsberuf ausgerichtet, müssen Ausbildungsstätte und Ausbilder den Eignungsanforderungen nach §§ 27 ff. BBiG gerecht werden (vgl. § 60 BBiG).

5. Mitbestimmung des Betriebsrates bei Bildungsmaßnahmen Der Betriebsrat hat bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung um- 26.31 fangreiche Beteiligungsrechte gem. § 98 Abs. 1-5 BetrVG. Zur Berufsbildung gehören Berufungsausbildungen nach dem BBiG5, duale Studiengänge, freiwillige Praktika, Fortbildungen, Umschulungen sowie alle anderen Maßnahmen, die Arbeitnehmern i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG in systematischer, lehrplanartiger Weise Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die diese zu ihrer beruflichen Tätigkeit befähigen6. Dieselben Beteiligungsrechte bestehen gem. § 98 Abs. 6 BetrVG auch bei allen sonstigen Bildungsmaßnahmen des Arbeitgebers, d.h. solchen betrieblichen Bildungsmaßnahmen, die sich nicht auf die aktuelle oder zukünftige berufliche Tätigkeit des Arbeitnehmers beziehen, sondern anderen Lernzwecken, wie z.B. der Allgemeinbildung, dienen7. Nicht erfasst sind dagegen bloße Informationsveranstaltungen im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitsaufgabe des Arbeitnehmers, insbesondere Arbeitsplatzeinweisung nach § 81 BetrVG, sofern die Veranstaltungen nicht in dem Umfang einer systematischen Fortbildung oder Umschulung betrieben werden8. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein. Als beteiligungspflichtige Bildungsmaßnahmen anerkannt wurden z.B. freiwillige Computergrundkurse9, drei bis fünftägige Grundlagenkurse für Vertriebsmitarbeiter10, nicht dagegen die Einführung in die spezifische Funktionsweise von Produkten, die Vertriebsmitarbeiter vertreiben sollen11, oder eineinhalbstündige Einweisungen in Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz12. Soweit der Arbeitgeber Bildungsmaßnahmen durchführt, hat der Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht (§ 98 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 BetrVG). Ob der Arbeitgeber eine Bildungsmaßnahme überhaupt einführt, für welche Zwecke dies erfolgen soll und welche finanziellen Mittel13 hierfür bereit-

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

BAG v. 3.6.1987 – 5 AZR 285/86, Leitsatz 1, NZA 1988, 66. BAG v. 15.3.1991 – 2 AZR 516/90, Leitsatz 1, DB 1992, 896. Natzel in MünchHBArbR, § 150 Rz. 37. BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 120/11, DB 2013, 1307 = juris Rz. 41. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, Leitsatz 1, BB 1992, 565. BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, ArbRB 2005, 109 = juris Rz. 36; BAG v. 26.4.2016 – 1 ABR 21/14, juris Rz. 21. Thüsing in Richardi, § 98 BetrVG Rz. 71; Raab in GK-BetrVG, § 98 BetrVG Rz. 46; Kania in ErfK, § 98 BetrVG Rz. 18 ff. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, juris Rz. 43 f.; Raab in GK-BetrVG, § 98 BetrVG Rz. 47; Thüsing in Richardi, § 98 BetrVG Rz. 71. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, BB 1992, 565 = juris Rz. 45 ff. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, BB 1992, 565 = juris Rz. 51. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, BB 1992, 565 = juris Rz. 52. BAG v. 23.4.1991 – 1 ABR 49/90, BB 1992, 565 = juris Rz. 50. BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, ArbRB 2005, 109 = juris Rz. 47.

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26.32

§ 26 Rz. 26.32

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

gestellt werden, entscheidet der Arbeitgeber hingegen grundsätzlich allein1. Erst wenn sich der Arbeitgeber für die Einführung einer Bildungsmaßnahme entschieden hat, muss er den Betriebsrat bei deren Ausgestaltung (dem „wie“) beteiligen. Der Mitbestimmung unterliegen dann z.B. Ort, Dauer, Inhalt, Umfang und Vermittlungsmethodik2. Beauftragt der Arbeitgeber einen externen Dritten mit der Durchführung einer außerbetrieblichen Bildungsmaßnahme, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei deren Ausgestaltung allerdings nur dann, wenn der Arbeitgeber einen beherrschenden Einfluss auf diesen Dritten hat, andernfalls nicht3. Die Teilnehmer der Bildungsmaßnahme darf der Arbeitgeber grundsätzlich selbst auswählen4. Macht der Betriebsrat allerdings konkrete Vorschläge für Arbeitnehmer, die aus seiner Sicht an den Bildungsmaßnahmen beteiligt werden sollten, und lehnt der Arbeitgeber diese ab, z.B. weil er begrenzte Ausbildungsplätze mit anderen Arbeitnehmern besetzen will, muss die Einigungsstelle entscheiden (§ 98 Abs. 3 u. 4 BetrVG)5. Der Betriebsrat kann dagegen nicht verlangen, dass bestimmte Arbeitnehmer von der Bildungsmaßnahme ausgeschlossen werden6.

26.33 Nur im Ausnahmefall hat der Betriebsrat ein Initiativrecht7, mit dem er die Durchführung von Bildungsmaßnahmen über das Einigungsstellenverfahren erzwingen kann. Ein solches Initiativrecht kommt nach § 97 Abs. 2 BetrVG in Betracht, wenn der Arbeitgeber Maßnahmen plant oder durchführt, die dazu führen, dass sich die Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer ändert und ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht mehr ausreichen. Die Voraussetzungen sind hoch: Ursächlich für das Qualifikationsdefizit müssen die Maßnahmen des Arbeitgebers und nicht etwa persönliche Umstände und Lebensentscheidungen des Arbeitnehmers sein8. Die Maßnahmen des Arbeitgebers müssen zu einer so grundlegenden und nachhaltigen Änderung der Tätigkeit von Arbeitnehmern führen, dass Qualifikationsdefizite entstehen, die nicht bloß mit einer kurzen Einweisung überwunden werden könnten9. Nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung ist dies i.d.R. erst dann der Fall, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ohne die Weiterbildung personen- oder betriebsbedingt kündigen könnte10.

26.34 § 96 Abs. 1 BetrVG enthält einen Auffangtatbestand, der durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz11 entscheidend gestärkt wurde: Der Betriebsrat kann zu allen Fragen der Berufsbildung vom Arbeitgeber verlangen, dass man sich gemeinsam berät und der Arbeitgeber sich mit den Vorschlägen des Betriebsrates auseinandersetzt. Nach einem neuen § 96 Abs. 1a BetrVG kann der Betriebsrat (genauso wie der Arbeitgeber) nunmehr die Einigungsstelle anrufen, wenn eine Einigung in diesen Beratungsgesprächen nicht erreicht wird. Solange kein Fall des § 97 Abs. 2 BetrVG vorliegt (s. Rz. 26.33), besteht allerdings kein Einigungszwang12. Der Arbeitgeber kann das Einigungsstellenverfahren also scheitern lassen und anschließend allein seine eigenen Vorstellungen umsetzen13. Nach

1 BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, ArbRB 2005, 109 = juris Rz. 39; Hoppe/Fabritius, ArbRAktuell 2012, 449 (449). 2 BAG v. 24.8.2004 – 1 ABR 28/03, ArbRB 2005, 109 = juris Rz. 43 f.; Hoppe/Fabritius, ArbRAktuell 2012, 449 (449). 3 BAG v. 18.4.2000 – 1 ABR 28/99, Leitsatz 1, DB 2000, 2433. 4 BAG v. 8.12.1987 – 1 ABR 32/86, BAGE 57, 114 = juris Rz. 28. 5 BAG v. 8.12.1987 – 1 ABR 32/86, BAGE 57, 114 = juris Rz. 25 ff. 6 BAG v. 8.12.1987 – 1 ABR 32/86, BAGE 57, 114 = juris Rz. 28. 7 Franzen, NZA 2001, 865 (866); Eylert/Waskow in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 97 BetrVG Rz. 9. 8 Fitting, § 97 BetrVG Rz. 12; Raab in GK-BetrVG, § 97 BetrVG Rz. 20. 9 LAG Hamm v. 8.11.2002 – 10 (13) TaBV 59/02, Leitsatz, juris; Fitting, § 97 BetrVG Rz. 14; Mauer in BeckOK/ArbR, Stand: 1.12.2021, § 97 BetrVG Rz. 2; Kania in ErfK, § 97 BetrVG Rz. 6. 10 Thüsing in Richardi, § 97 BetrVG Rz. 11; a.A. Raab in GK-BetrVG, § 97 BetrVG Rz. 21. 11 BGBl. I 2021 Nr. 32, S. 1762 ff. 12 BT-Drucks. 19/28899, 23. 13 Schulze, ArbRAktuell 2021, 211 (214).

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III. Best Practice

Rz. 26.38 § 26

Vorstellung des Gesetzgebers sollte der Betriebsrat auf diese Weise ein zusätzliches Druckmittel erhalten, um „im Zeitalter der Digitalisierung“ auf zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen hinzuwirken1.

26.35

Hinweis: Solange Berufsbildungsmaßnahmen im Eigeninteresse der Mitarbeiter liegen, sitzt der Arbeitgeber in Verhandlungen mit seinem Betriebsrat am längeren Hebel, da der Betriebsrat die Einführung von Bildungsmaßnahmen nur im seltenen Ausnahmefall des § 97 Abs. 2 BetrVG gegen den Willen des Arbeitgebers erzwingen könnte: Der Arbeitgeber kann die Berufsbildungsmaßnahme verzögern oder ganz unterlassen, wenn der Betriebsrat ihm nicht entgegenkommt.

Der Betriebsrat kann der Bestellung einer mit der Durchführung der betrieblichen Berufsbildung beauftragten Person widersprechen oder die Abberufung dieser Person verlangen, wenn sie die persönliche oder fachliche Eignung nicht besitzt oder ihre Aufgabe vernachlässigt (§ 98 Abs. 2 BetrVG). Ob die als Ausbilder tätige Person als Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tätig ist oder in einer anderen Rechtsbeziehung zum Arbeitgeber steht, spielt keine Rolle2. Ebenfalls unerheblich ist, ob es um einen Ausbilder i.S.d. §§ 28 ff. BBiG geht oder die Bildungsmaßnahme außerhalb des Geltungsbereichs des BBiG stattfindet3. Bestellt der Arbeitgeber trotz eines Widerspruchs des Betriebsrates einen Ausbilder, kann der Betriebsrat einen gerichtlichen Unterlassungsantrag nach § 98 Abs. 5 BetrVG stellen. Nach sehr umstrittener, aber zutreffender Ansicht darf der Arbeitgeber den Ausbilder weiter einsetzen, bis der Betriebsrat auf diesem Wege mit Erfolg einen rechtskräftigen Unterlassungstitel erwirkt hat4. Zu beachten ist allerdings, dass die Einstellung eines Ausbilders bzw. die Versetzung eines Arbeitnehmers auf eine Ausbilderstelle zusätzlich gem. § 99 BetrVG beteiligungspflichtig sein kann und der Arbeitgeber insoweit im Vorfeld eine Zustimmung des Betriebsrates einholen muss5. Der Betriebsrat kann nach § 98 Abs. 2 BetrVG weder positiv die Bestellung eines bestimmten Ausbilders durch den Arbeitgeber verlangen noch die Abberufung eines Ausbilders durch den Arbeitgeber verhindern6.

26.36

Vertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Frage, wer die Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme trägt, insbesondere Rückzahlungsklauseln, sind nicht mitbestimmt7.

26.37

III. Best Practice Investitionen in die Qualifikation des eigenen Personals lohnen sich nur, wenn der Mitarbeiter dem eigenen Unternehmen treu bleibt. Wechselt der Arbeitnehmer nach Abschluss der Bildungsmaßnahme zur Konkurrenz, um seine neu erworbenen Fähigkeiten dort einzusetzen, hat das Unternehmen ein Eigentor geschossen. Es versteht sich von selbst, dass attraktive Arbeits- und Aufstiegsbedingungen (vgl. zu Personalentwicklungskonzepten Rz. 25.1 ff.) die beste Methode der Mitarbeiterbindung sind. Doch auch rechtliche Instrumentarien können eingesetzt werden, um Mitarbeiter nach dem

1 BT-Drucks. 19/28899, 23. 2 BAG v. 5.3.2013 – 1 ABR 11/12, DB 2013, 2157 = juris Rz. 17. 3 Fitting, § 98 BetrVG Rz. 18; Raab in GK-BetrVG, § 98 BetrVG Rz. 22; vgl. auch BAG v. 5.3.2013 – 1 ABR 11/12, DB 2013, 2157 = juris Rz. 12 ff. 4 Raab in GK-BetrVG, § 98 BetrVG Rz. 36; Thüsing in Richardi, § 98 BetrVG Rz. 37; a.A. Fitting, § 98 BetrVG Rz. 21; Kania in ErfK, § 98 BetrVG Rz. 12. 5 Fitting, § 92 BetrVG Rz. 23; Raab in GK-BetrVG, § 98 BetrVG Rz. 43. 6 Fitting, § 98 BetrVG Rz. 19. 7 Fitting, § 97 BetrVG Rz. 32; Raab in GK-BetrVG, § 97 BetrVG Rz. 24; Franzen, NZA 2001, 865 (870).

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26.38

§ 26 Rz. 26.38

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

Abschluss einer Aus- und Weiterbildungsmaßnahme von einem Wechsel zur Konkurrenz abzuhalten1.

26.39 Nach der Rechtsprechung des BAG kann der Arbeitgeber in vielen Fällen mit dem Mitarbeiter vereinbaren, dass der Mitarbeiter die Kosten einer Berufsbildungsmaßnahme zurückzahlen muss (sog. Rückzahlungsklausel), wenn er entweder – die Fortbildung auf eigenen Wunsch abbricht oder zum Abschluss der Fortbildung erforderliche Prüfungen endgültig nicht besteht und dies nachweislich auf eigenem Verschulden (und nicht Überforderung) beruht2 oder – der Arbeitnehmer im Anschluss an die Fortbildung kein Arbeitsverhältnis beim Arbeitgeber aufnimmt oder sein Arbeitsverhältnis beim Arbeitgeber von sich aus vorzeitig beendet. So lässt sich ein Anreiz setzen, nach Abschluss der Ausbildung beim eigenen Arbeitgeber zu bleiben und vorerst nicht zur Konkurrenz zu wechseln. Treffen die Arbeitsvertragsparteien keine ausdrückliche Rückzahlungsvereinbarung, muss der Arbeitnehmer die Kosten einer Fortbildung nicht erstatten3.

26.40 Rückzahlungsklauseln können immer dann zulässigerweise vereinbart werden, wenn eine Berufsbildungsmaßnahme nicht bloß im Arbeitgeberinteresse liegt, sondern zugleich die Arbeitsmarktchancen des Mitarbeiters spürbar verbessert4. Im Berufungsausbildungsvertrag nach dem BBiG sind Rückzahlungsvereinbarungen allerdings unzulässig (vgl. § 12 BBiG, dazu bereits Rz. 26.8). Im Vertrag über ein duales Studium ohne integrierte Berufsausbildung können Rückzahlungsklauseln dagegen vereinbart werden (vgl. Rz. 26.18), wenn der Arbeitgeber dem Studierenden einen Anspruch auf Übernahme in ein Arbeitsverhältnis für den Fall des erfolgreichen Abschlusses des Studiums einräumt und dieses Arbeitsverhältnis bereits im Vertrag nach Art und Inhalt hinreichend bestimmt wird5. Außerdem muss eine ausreichende Probezeit eingeräumt werden, in der der Studierende das duale Studium kostenfrei abbrechen kann, wenn er merkt, dass es ihm doch nicht liegt6.

26.41 Bei der Formulierung von Rückzahlungsklauseln muss der Arbeitgeber besondere Sorgfalt (!) walten lassen. Ist die Klauselformulierung bei Einzelfragen unklar oder geht sie nach wörtlichem Verständnis auch nur in Detailfragen zu weit, ist die Klausel meistens insgesamt unwirksam. Dann muss der Arbeitnehmer überhaupt nichts an den Arbeitgeber zurückzahlen, egal was er tut. Will der Arbeitgeber bei vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Rückzahlungspflicht vorsehen, muss die Klausel zwingend die folgenden Regelungen enthalten: – Die Rückzahlungspflicht darf nur ausgelöst werden, wenn der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in die Verantwortungssphäre des Arbeitnehmers fällt. Dies ist nicht der Fall,

1 Die Vereinbarung eines mehrjährigen Ausschlusses des ordentlichen Kündigungsrechts oder die Vereinbarung einer ungewöhnlich langen Kündigungsfrist wird sich in vielen Fällen allerdings als unbillig i.S.d. § 307 BGB und deshalb als unwirksam erweisen, so z.B. im Fall des LAG Baden-Württemberg v. 10.5.2021 – 1 Sa 12/21. 2 BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, Leitsatz 1, ArbRB 2011, 195; LAG Niedersachsen v. 29.10.2014 – 17 Sa 274/14, Leitsatz 1, ArbRAktuell 2015, 357. 3 Bengelsdorf in Moll, § 49 Rz. 257. 4 BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 40; BAG v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07, ArbRB 2009, 165 = juris Rz. 34. 5 BAG v. 18.3.2008 – 9 AZR 186/07, Leitsatz 2, ArbRB 2008, 360; BAG v. 18.11.2008 – 3 AZR 192/07, Orientierungssatz 2, ArbRB 2009, 165. 6 Koch-Rust/Rosentreter, NZA 2013, 879 (883).

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III. Best Practice

Rz. 26.42 § 26

wenn eine Arbeitnehmerkündigung durch den Arbeitgeber zurechenbar veranlasst wurde1 oder das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber ohne Verschulden des Arbeitnehmers aus personenbedingten Gründen2 oder betriebsbedingt3 gekündigt wurde. Für jede dieser Konstellationen – egal ob sie sich später realisiert – muss eine Rückzahlungspflicht eindeutig ausgeschlossen sein, sonst wäre die Klausel insgesamt unwirksam4. – Die einzelnen Positionen, die im Rückzahlungsfall gefordert werden können, müssen konkret bezeichnet werden und der Höhe nach zumindest in ihrer ungefähren Größenordnung umrissen sein5. Die Höhe des Rückzahlungsbetrages muss jedenfalls auf tatsächlich entstandene Kosten begrenzt werden, da andernfalls eine unzulässige Vertragsstrafe vorläge6. – Geht es um eine längerfristige Bildungsmaßnahme (z.B. ein mehrjähriges duales Studium), muss der Arbeitgeber, vor allem wenn es um eine für den Mitarbeiter gänzlich neue Tätigkeit geht, eine angemessene Überlegungsfrist einräumen, in der der Mitarbeiter prüfen kann, ob er für die Maßnahme geeignet ist und die erforderlichen Neigungen besitzt. In dieser Frist muss der Mitarbeiter die Bildungsmaßnahme ohne Kostenbeteiligung abbrechen dürfen7. Anders ist dies hingegen, wenn es um den Erwerb einer zusätzlichen Qualifikation innerhalb des eigenen Berufsbildes geht und der Arbeitnehmer im Vorhinein weiß, was im Rahmen der Fortbildung auf ihn zukommt8. – Die Rückzahlungspflicht darf nicht zeitlich unbegrenzt bestehen, sondern muss angemessen befristet werden9 (näher Rz. 26.41). Die Dauer, für die ein Arbeitnehmer nach Abschluss einer Bildungsmaßnahme einer Rückzahlungspflicht unterworfen werden darf, muss angemessen sein. Was angemessen ist, richtet sich nach der Dauer der Bildungsmaßnahme, wenn der Arbeitnehmer während der Bildungsmaßnahme unter Gehaltsfortzahlung von der Arbeitsleistung freigestellt ist10. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Arbeitnehmer die Weiterbildungskosten nach Abschluss der Maßnahme schrittweise im Arbeitsverhältnis abarbeitet. Deshalb muss die Höhe des Rückzahlungsbetrages über die Dauer der Rückzahlungsperiode schrittweise und anteilig gekürzt werden11. Dies ist im Weiterbildungsvertrag zu regeln. Wenn der Arbeitnehmer zwischen einzelnen Ausbildungsblöcken immer wieder die Arbeit im Unternehmen aufnehmen muss, ohne die Fortbildung bereits abgeschlossen zu haben, ist der Arbeitgeber allerdings nicht verpflichtet, schon wegen dieser Arbeitszeiten den Rückzahlungsbetrag zu kürzen, wenn die Lage der Ausbildungsblöcke fest vereinbart ist und nicht zur Disposition des Arbeitgebers steht12.

1 BAG v. 18.3.2014 – 9 AZR 545/12, Orientierungssatz 1, DB 2014, 1620; BAG v. 12.12.2013 – 8 AZR 829/12, Orientierungssatz 3, DB 2014, 723; BAG v. 28.5.2013 – 3 AZR 103/12, Orientierungssatz 1, DB 2013, 2152; BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, DB 2006, 2241 = juris Rz. 27. 2 BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 383/18, Leitsatz, ArbRB 2019, 166. 3 BAG v. 11.4.2006 – 9 AZR 610/05, DB 2006, 2241 = juris Rz. 27. 4 BAG v. 11.12.2018 – 9 AZR 383/18, ArbRB 2019, 166 = juris Rz. 28. 5 BAG v. 21.8.2012 – 3 AZR 698/10, ArbRB 2012, 363 = juris Rz. 18 f.; BAG v. 6.8.2013 – 9 AZR 442/12, ArbRB 2013, 361 = juris Rz. 13 ff. 6 BAG v. 21.11.2001 – 5 AZR 158/00, ArbRB 2002, 66 = juris Rz. 40; BAG v. 16.3.1994 – 5 AZR 339/92, juris Rz. 66; Düwell, DB 2008, 406 (409). 7 BAG v. 20.2.1975 – 5 AZR 240/74, juris Rz. 37. 8 BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 29 f. 9 BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, ArbRB 2009, 195 = juris Rz. 15. 10 BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 37; BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, ArbRB 2009, 195 = juris Rz. 18. 11 LAG Rheinland-Pfalz v. 3.3.2015 – 8 Sa 561/14, Leitsatz, AuR 2016, 123. 12 BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 42 ff.

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26.42

§ 26 Rz. 26.43

Personalqualifizierung durch Aus- und Weiterbildung

26.43 Für die Bemessung einer noch angemessenen Rückzahlungsdauer hat das BAG in Abhängigkeit von der Weiterbildungsdauer die folgenden Regelwerte festgelegt1: Fortbildungsdauer:

Zulässige Rückzahlungsdauer:

monatliche anteilige Kürzung des Rückzahlungsbetrages:

Bis zu einem Monat

sechs Monate

16

Bis zu zwei Monate

ein Jahr

1 12

drei bis vier Monate

zwei Jahre

1 24

sechs bis zwölf Monate

drei Jahre

1 36

Mehr als 24 Monate

fünf Jahre

1 60

/

/

/ /

/

26.44 Eine längere Rückzahlungsdauer kann zulässig sein, wenn der Arbeitgeber neben den Kosten der Gehaltsfortzahlung erhebliche zusätzliche Lehrgangsgebühren an den Schulungsanbieter zahlt. Das BAG hat angedeutet, dass Lehrgangsgebühren in Monatsgehälter des Arbeitnehmers umzurechnen sind und ein Monatsgehalt einem Monat Fortbildungsdauer i.S.d. obigen Tabelle entspricht. Endgültig geklärt ist dies jedoch nicht2. Bemisst der Arbeitgeber die Rückzahlungsdauer geringfügig zu lang, reduzieren die Gerichte sie (ausnahmsweise) nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung auf ein noch zulässiges Maß. Anders ist dies, wenn der Arbeitgeber die Rückzahlungsdauer deutlich zu lang bemisst. Dann ist die Rückzahlungsklausel insgesamt unwirksam3.

26.45 Bezahlt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine zweimonatige Weiterbildung im laufenden Arbeitsverhältnis, könnte eine Rückzahlungspflicht beispielhaft mit folgender Klausel vereinbart werden:

M 26.1 Klausel Rückzahlung von Weiterbildungskosten für Weiterbildungsvertrag Klausel zu Rückzahlung von Weiterbildungskosten § (…) Rückzahlungspflicht (1) Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber Fortbildungskosten zu erstatten, wenn er nach Ablauf einer Probezeit von zwei Wochen ab Beginn der Fortbildung4 auf eigenen Wunsch oder aus seinem Verschulden5 a) die Fortbildung abbricht, bevor ihm ein Abschlusszeugnis ausgestellt wurde, b) die Abschlussprüfung der Fortbildung endgültig nicht erfolgreich ablegt, c) aus dem Arbeitsverhältnis vor Ablauf des Kalendermonats, in dem das Abschlusszeugnis für die Fortbildung ausgestellt wird, ausscheidet.

1 BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, ArbRB 2009, 195 = juris Rz. 18. 2 BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, ArbRB 2009, 195 = juris Rz. 20. 3 BAG v. 14.1.2009 – 3 AZR 900/07, ArbRB 2009, 195 = juris Rz. 29 ff.; LAG Köln v. 28.5.2021 – 10 Sa 460/20, juris Rz. 46. 4 Ob eine solche Probezeit vorgesehen werden muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Hier hat das BAG noch keine klaren Konturen entwickelt, vgl. BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, ArbRB 2011, 195 = juris Rz. 29 f. Im Zweifelsfall sollte sicherheitshalber eine Probezeitregelung aufgenommen werden, um die Wirksamkeit der Klausel nicht zu gefährden. Die Länge der Probezeit muss in Abhängigkeit von der Länge der Fortbildung bemessen werden. 5 Vgl. zur Zulässigkeit dieser Formulierung BAG v. 19.1.2011 – 3 AZR 621/08, Leitsatz 1, ArbRB 2011, 195.

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III. Best Practice

Rz. 26.45 § 26

(2) Scheidet der Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch oder aus seinem Verschulden innerhalb von 12 Monaten nach Ablauf des Kalendermonats, in dem für die Fortbildung das Abschlusszeugnis ausgestellt wurde, aus dem Arbeitsverhältnis aus, so hat er dem Arbeitgeber für jeden Kalendermonat, der an diesem Zeitraum fehlt, 1/12 der Fortbildungskosten zu erstatten. (3) Fortbildungskosten i.S.d. Abs. 1 und Abs. 2 sind ausschließlich a) die Vergütung, welche der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während jener Zeiten fortzahlt, in denen der Arbeitnehmer zur Teilnahme an der Fortbildung einschließlich der Prüfungen freigestellt ist, mit Ausnahme des Arbeitgeberanteils an den Sozialversicherungsbeiträgen1, b) die durch den Arbeitgeber für die Fortbildung aufgewendeten Lehrgangs- und Prüfungsgebühren ohne Mehrwertsteuer in Höhe von … EUR2. (4) Erstattungsansprüche des Arbeitgebers sind bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen sofort fällig und können mit gleichartigen, pfändbaren Ansprüchen des Arbeitnehmers verrechnet werden.

1 Eine Erstattungspflicht für Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung kann wegen § 32 SGB I nicht wirksam vereinbart werden, BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 160/05, ZTR 2006, 503 = juris Rz. 35; Dorth, RdA 2013, 287 (289 f.). 2 Die Lehrgangsgebühren sollten so konkret wie möglich bezeichnet werden. Jedenfalls sind sie ihrer Größenordnung nach zu umreißen oder der Höhe nach zu deckeln (Rz. 26.40).

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7. Teil Social Media und Web 2.0 § 27 Internetpräsenz und Social Media I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27.4 1. Selbstdarstellung des Unternehmens im Internet a) Betreuung der Internetpräsenz durch Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . 27.5 b) Veröffentlichung von Mitarbeiterfotos und Videos . . . . . . . . . . . . . . . . 27.8 c) Stellung des Betriebsrates . . . . . . . . . 27.11

2. Eigenständige Nutzung von SocialMedia-Plattformen durch Mitarbeiter . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tätigkeitsvereinbarung mit einem Social-Media-Manager . . . . . . . . . . . . . . 2. Einwilligung in die Veröffentlichung von Fotos und Videos . . . . . . . . . . . . . . 3. Social-Media-Guidelines . . . . . . . . . . . .

27.13 27.19 27.20 27.22 27.24

Literatur: Assmus/Winzer, Mitarbeiterfotos im Intranet, auf Webseiten und in sozialen Netzwerken, ZD 2018, 508; Bissels/Lützeler/Wisskirchen, Facebook, Twitter & Co.: Das Web 2.0 als arbeitsrechtliches Problem, BB 2010, 2433; Bitkom, Social-Media-Trends 2018; Ernst, Social Networks und Arbeitnehmer-Datenschutz, NJOZ 2011, 953; Gabriel/Cornels, Social Media-Leitfaden für Arbeitgeber: Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis, MMR-Aktuell 2011, 316759; Göpfert/Wilke, Recherchen des Arbeitgebers in Sozialen Netzwerken nach dem geplanten Beschäftigtendatenschutzgesetz, NZA 2010, 1329; Günther/Lenz, Social Media-Auftritt des Betriebsrats – Was geht? Was geht nicht?, NZA 2019, 1241; Hoeren/Sieber/Holznagel, Handbuch Multimedia-Recht, Loseblatt, Stand September 2021; Hoffmann-Remy/Tödtmann, Sicherung der Arbeitgeberrechte an Social Media-Kontakten, NZA 2016, 792; Leist/Koschker, Social Media Guidelines: Chancen und Risiken des Mitmach-Webs im Betrieb verbindlich regeln, BB 2013, 2229; Lelley/Fuchs, My Space is not Your Space – Einige arbeitsrechtliche Überlegungen zu Social Media Guidelines, CCZ 2010, 147; Lützeler/Bissels, Social Media-Leitfaden für Arbeitgeber: Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis, ArbRAktuell 2011, 499; Münchener Anwaltshandbuch Urherber- und Medienrecht, hrsg. von Raue/Hegemann, 2. Aufl. 2017; Oberwetter, Soziale Netzwerke im Fadenkreuz des Arbeitsrechts, NJW 2011, 417; Spindler/Schmitz, Telemediengesetz, 2. Aufl. 2018; Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, 3. Aufl. 2021.

I. Worum geht es? Mittlerweile ist die Internetpräsenz für die meisten Unternehmen das wichtigste öffentliche Aushängeschild und weit bedeutender als Messen, Zeitungsannoncen oder Plakatwerbung.

27.1

Eine herausgehobene Rolle spielen soziale Medien. Die Öffentlichkeit, welche Unternehmen als Zielgruppe über soziale Medien erreichen können, ist gewaltig: Neun von zehn Internetnutzer sind in sozialen Netzwerken angemeldet. Im Durchschnitt nutzen sie drei soziale Netzwerke gleichzeitig. 38 Prozent der Internetnutzer können sich ein Leben ohne soziale Netzwerke nicht mehr vorstellen1. Unternehmen haben diese Chance erkannt: Bereits 2012 nutzte die Hälfte der deutschen Unterneh-

27.2

1 Bitkom, Social-Media-Trends 2018.

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§ 27 Rz. 27.2

Internetpräsenz und Social Media

men soziale Medien aktiv und zwar unabhängig davon, ob es sich um kleine oder große Unternehmen handelte1. Die Tendenz steigt seither.

27.3 Beim Umgang mit sozialen Medien stellen sich besondere Herausforderungen: – Social-Media-Angebote müssen permanent betreut und aktualisiert werden, damit sie einen guten Eindruck hinterlassen und das Interesse ihrer Zielgruppe aufrechterhalten. Nur dann eignen sie sich als Marketinginstrument. – Bei der Gestaltung der eigenen Webseite und dem Schalten von Online-Anzeigen kann das Unternehmen selbst kontrollieren, wie es sich repräsentiert. Anders ist dies in sozialen Medien. Hier darf sich jeder äußern. Wie die Internetöffentlichkeit auf das eigene Unternehmen reagiert, ist schwer berechenbar. Die Internetöffentlichkeit kann sich jederzeit gegen das eigene Unternehmen richten und – oft geschützt durch den Deckmantel der Anonymität – das Unternehmen und seine Marken mit aggressiver Kritik, Beschimpfungen, Boykottaufrufen und Falschbehauptungen angreifen (sog. Shitstorms). Solche Rufschädigungen drohen vor allem dann, wenn Mitarbeiter ihren Arbeitgeber durch unvorsichtige und unbedachte Beiträge in sozialen Medien in Verruf bringen und den Zorn der Internetöffentlichkeit provozieren. Davor sind Unternehmen selbst dann nicht geschützt, wenn sie sich überhaupt nicht aktiv in sozialen Medien engagieren. Jeder kann jeden gegen dessen Willen an die Internetöffentlichkeit zerren und dort kritisieren. Um eine Auseinandersetzung mit sozialen Medien kommen Unternehmen deshalb nicht mehr herum.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? 27.4 Im Umgang mit der Internetpräsenz des Unternehmens und sozialen Medien gibt es für die Personalabteilung zwei Handlungsfelder, die unterschiedliche rechtliche Herausforderungen stellen: – Wenn das Unternehmens seine Selbstdarstellung im Internet aufbaut, muss dies bei mehreren Fragestellungen arbeitsrechtlich begleitet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter betroffen sind (dazu Rz. 27.5 ff.). – Veröffentlichen Mitarbeiter des Unternehmens eigenmächtig unangemessene Beiträge in sozialen Medien, kann dies den Ruf des Unternehmens gefährden und sich arbeitsrechtlich als Pflichtverletzung darstellen (dazu Rz. 27.13 ff.).

1. Selbstdarstellung des Unternehmens im Internet a) Betreuung der Internetpräsenz durch Mitarbeiter 27.5 Der Arbeitgeber kann seine Mitarbeiter anweisen, die Webseite des Unternehmens und die Auftritte des Unternehmens auf Social-Media-Plattformen zu betreuen. Die Weisungsmacht des Arbeitgebers reicht grundsätzlich nicht so weit, dass er seine Mitarbeiter einseitig dazu verpflichten könnte, sich unter ihrem eigenen Klarnamen auf Social-Media-Plattformen anzumelden2. Ebenso wenig kann der Arbeitgeber Mitarbeitern, die unter ihrem Klarnamen bereits in Social-Media-Plattformen angemeldet sind, aufgeben, dort bestimmte im Sinne des Unternehmens liegende Meinungsäußerungen als vermeintlich eigene Ansichten zu posten3. In beiden Fällen stehen grundsätzlich die Persön-

1 Bitkom, Social Media in deutschen Unternehmen, 2012. 2 Göpfert/Wilke, NZA 2010, 1329 (1332 f.); Gabriel/Cornels, MMR-Aktuell 2011, 316759; Lützeler/Bissels, ArbRAktuell 2011, 499 (500); Oberwetter, NJW 2011, 417 (418); Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230); Oberthür in Kramer, IT-Arbeitsrecht, B. Rz. 937. 3 Gabriel/Cornels, MMR-Aktuell 2011, 316759.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 27.7 § 27

lichkeitsrechte der Arbeitnehmer entgegen. Erst recht würde der Arbeitgeber die Persönlichkeitsrechte seine Mitarbeiter verletzen, wenn er eigenmächtig in öffentlichen sozialen Netzwerken Profile seiner Mitarbeiter erstellt (vgl. § 12 BGB)1. Im Ausnahmefall besteht allerdings eine Pflicht, sich unter dem eigenen Namen in sozialen Netzwerken anzumelden, nämlich wenn dies nach der Natur der Tätigkeit des Arbeitnehmers für die Erfüllung seiner Arbeitspflicht erforderlich und üblich ist (z.B. bei einem Head Hunter)2 oder wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer dies vertraglich ausdrücklich vereinbaren3. Betreut ein Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber einen Social-Media-Account, stellt sich die Frage, ob 27.6 er den Account und dessen Follower mitnehmen darf, wenn er das Unternehmen verlässt. Ein Social-Media-Account weist i.d.R. keine ausreichende Schöpfungshöhe auf, um als urheberrechtsfähiges Werk zu gelten4. An dem Account können auch keine Eigentumsrechte i.S.d. § 903 BGB bestehen5. Dennoch kann es sich um einen Gegenstand handeln, den der Arbeitnehmer entsprechend § 667 BGB nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses herausgeben muss6. Dies hängt davon ab, wem der Account nach allgemeiner Verkehrsanschauung „gehört“. Wird der Account unter dem Unternehmensnamen und nicht dem Namen des Arbeitnehmers geführt, steht er jedenfalls dem Unternehmen zu7. Macht der Arbeitnehmer hingegen in Erfüllung seiner Arbeitspflicht unter seinem eigenen Namen z.B. auf Twitter oder Instagram Werbung für das Unternehmen und postet zusätzlich auch in seiner Freizeit Beiträge, auch solche mit privaten Inhalten ohne Unternehmensbezug, ist die Zuordnung schwierig. Dann gibt eine wertende Gesamtbetrachtung über die Frage den Ausschlag, ob das Unternehmen oder der Mitarbeiter den Account nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterführen darf 8. In diesen Fällen empfiehlt es sich, eine eindeutige vertragliche Vereinbarung zu treffen, die den weiteren Umgang mit dem Account und den darin enthaltenen Geschäftsdaten des Unternehmens sowie den personenbezogenen Arbeitnehmerdaten regelt9 (vgl. für ein Muster Rz. 27.20). Kein Herausgabeanspruch besteht jedenfalls, wenn der Arbeitnehmer seinen privaten Account in die Firma einbringt und dort auch beruflich nutzt, denn jedenfalls dann gehört er dem Arbeitnehmer allein10.

27.7

Hinweis: Wenn Unternehmen einen Social-Media-Manager erstmals mit dem Aufbau eines Social-Media-Marketings betrauen, wird diese Problematik oft unterschätzt. In der Anfangsphase haben die Accounts nur eine geringe Zahl von Followern und das Unternehmen ist froh, wenn der Account überhaupt Beachtung findet. Sobald die Follower-Zahl allerdings einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, kann sie exponentiell („viral“) weiterwachsen und sich in kurzer Zeit vervielfältigen. Instagram- Accounts mit einer großen Zahl von Followern haben einen hohen wirtschaftlichen Wert und machen ihre Inhaber in einigen Fällen reich und berühmt. Die Versuchung von Arbeitnehmern, diese Accounts und ihre Follower beim Ausscheiden aus dem Unternehmen zu „kapern“, ist deshalb hoch. Der Arbeitgeber hat ein großes Interesse daran, dies

1 Gabriel/Cornels, MMR-Aktuell 2011, 316759. 2 Oberwetter, NJW 2011, 417 (418 f.); noch großzügiger Traut in Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 14 Rz. 52, aus dessen Sicht die Nutzung von Social-Media-Plattformen als modernes Kommunikationsmittel für alle Mitarbeiter angeordnet werden kann, die beruflichen Außenkontakt pflegen. 3 Traut in Thüsing, § 14 Rz. 51; AGB-rechtliche Bedenken haben Göpfert/Wilke, NZA 2010, 1329 (1333). 4 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (793). 5 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (794). 6 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (793 ff.); Ernst, NJOZ 2011, 953 (957); Broy in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 70. 7 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (794); Ernst, NJOZ 2011, 953 (957); Broy in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 70. 8 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (794 f.); Ernst, NJOZ 2011, 953 (957); a.A. Solmecke in Hoeren/Sieber/Holznagel, Teil 21.1 Rz. 76, der Mischaccounts stets als allein dem Arbeitnehmer gehörend behandeln will. 9 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (797). 10 Broy in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 71.

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§ 27 Rz. 27.7

Internetpräsenz und Social Media

zu verhindern. Denn der ehemalige Arbeitnehmer würde den Account mit hoher Wahrscheinlichkeit wirtschaftlich verwerten, indem er unter den dort als Follower angemeldeten Stammkunden des Unternehmens nunmehr Werbung für Konkurrenzanbieter macht. Vor diesem Hintergrund kann es sinnvoll sein, wenn der Arbeitgeber schon in der Aufbauphase des Accounts präventive Vorkehrungen trifft. Neben rechtlichen Mitteln (Zuordnungsvereinbarungen, Vertragsstrafen, nachvertragliche Wettbewerbsverbote) bieten sich faktische Zugriffsbarrieren an: Solange der Social-Media-Account unter einer E-Mail-Adresse des Arbeitgebers angemeldet ist, die allein der Arbeitgeber kontrolliert, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer notfalls den Zugriff auf den Account entziehen. Rechtlich ist dies zugleich ein Indiz dafür, dass der Account dem Arbeitgeber gehört1.

b) Veröffentlichung von Mitarbeiterfotos und Videos 27.8 Wenn Unternehmen Fotos oder Videos ihrer Arbeitnehmer im Internet oder anderweitig veröffentlichen wollen, setzt dies aus datenschutzrechtlichen Gründen sowie gem. § 22 KunstUrhG die Einwilligung dieser Arbeitnehmer voraus2. Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses muss die Einwilligung gem. § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG eindeutig und in informierter Weise abgegeben werden3. Schriftform ist dagegen nicht mehr vorgeschrieben4. Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG n.F.5 kann die Einwilligung nach neuer Rechtslage auch elektronisch, also z.B. per E-Mail6 abgegeben werden7, nicht jedoch mündlich oder konkludent. Eine Formulareinwilligung muss so formuliert sein, dass der Arbeitnehmer erkennen kann, welche Fotos und welchen Umfang die Einwilligung erfasst8. Dann werden zukünftige sich wiederholende Verarbeitungsvorgänge von der Einwilligung umfasst. Veröffentlicht der Arbeitgeber im Internet Fotos, ohne über eine Einwilligung der Arbeitnehmer zu verfügen, kommen Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz in Betracht (Art. 82 Abs. 1 DSGVO)9.

27.9 Die Einwilligung sollte unbegrenzt und ausdrücklich erteilt werden. Die unbegrenzt erteilte Einwilligung erlischt nicht automatisch im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sofern der Arbeitnehmer nichts Gegenteiliges erklärt10. Davon unberührt bleibt aber das Recht des Arbeitnehmers aus Art. 7 Abs. 3 Satz 1 DSGVO, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen11. Im Jahr 2015 hatte das BAG zum KunstUrhG und BDSG a.F. entschieden, dass das Widerrufsrecht des Arbeitnehmers nach § 241 Abs. 2 BGB unter den Gesichtspunkten von Treu und Glauben beschränkt werden kann12. Ungeklärt ist allerdings, ob an dieser Rechtsprechung noch festgehalten werden kann, seit die DSGVO Geltung erlangt hat13. BDSG und DSGVO sind nun – anders als 2014 – nicht mehr subsidiär im Verhältnis zum KunstUrhG, sondern gehen vor14. Andererseits sind die Öffnungsklauseln der Art. 85 Abs. 1 DSGVO und Art. 88 DSGVO sowie das legitime praktische Interesse des Arbeitgebers an der weiteren Veröffentlichung des Mitarbeiterfotos im Internet oder bei der Nutzung für 1 Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (795). 2 BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13, DSB 2015, 175 = juris Rz. 21 ff.; Bonanni/Strauf, ArbRB 2014, 214; Assmus/Winzer, ZD 2018, 508 (511). 3 Kleinebrink, DB 2018, 1729 (1731). 4 Nach alter Rechtslage war Schriftform zwingend, vgl. BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13, Orientierungssatz 3, DSB 2015, 175; ArbG Lübeck v. 20.6.2019 – 1 Ca 538/19, Orientierungssatz 1, ZD 2020, 422. 5 Fassung vom 20.11.2019. 6 So explizit die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 19/11181, 19. 7 Thüsing/Rombey, NZA 2019, 1399 (1399 ff.); Franzen in ErfK, § 26 BDSG Rz. 43. 8 So zu Recht Aßmus/Winzer, ZD 2018, 508 (510); Kleinebrink, DB 2018, 1729 (1732 f.). 9 ArbG Lübeck v. 20.6.2019 – 1 Ca 538/19, Orientierungssatz 1, ZD 2020, 422. 10 BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13, Orientierungssatz 7, DSB 2015, 175; dazu Grimm, jM 2015, 374; LAG Köln v. 10.7.2009 – 7 Ta 126/09, RdV 2009, 283 f. 11 Darauf ist hinzuweisen (Art. 7 Abs. 3 Satz 3 DSGVO), dazu Kleinebrink, DB 2018, 1729 (1734). 12 BAG v. 19.2.2015 – 8 AZR 1011/13, DSB 2015, 175. 13 Remmertz, GRUR-Prax. 2018, 254 (256). 14 Aßmus/Winzer, ZD 2018, 508 (511).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 27.12 § 27

kostspielige Werbebroschüren oder -kampagnen zu berücksichtigen. Das spricht dafür, im laufenden Arbeitsverhältnis plausible und sachliche Gründe für den Widerruf zu verlangen, weil die Werbematerialen sonst zu vernichten, offline zu nehmen und zu löschen wären. Ein grundloser Widerruf soll daher auch nach neuem Recht ausscheiden1. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses spricht die Vermutung dafür, dass kein berechtigtes Interes- 27.10 se des Arbeitgebers an der weiteren Nutzung der Fotos besteht, weswegen im Regelfall die Interessenabwägung zugunsten des ausgeschiedenen Arbeitnehmers ausfallen wird2. Das Arbeitnehmerpersönlichkeitsrecht ist verletzt, wenn ein Arbeitgeber ausgeschiedene Arbeitnehmer auf seiner Homepage weiterhin mit Foto und Namen als Teil seiner Belegschaft präsentiert, weshalb dem betroffenen Arbeitnehmer ein ggf. im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzbarer Löschungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG zusteht3. Gleichberechtigt daneben steht der Löschungsanspruch aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO.

c) Stellung des Betriebsrates Bei der Gestaltung der Internetpräsenz können sich Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ergeben. Dies ist unter zwei Gesichtspunkten denkbar:

27.11

– Ist der Administrator-Account für die Internetpräsenz des Unternehmens einem bestimmten Mitarbeiter zugeordnet, dokumentiert er das Arbeits- und Leistungsverhalten dieses Arbeitnehmers und ist deshalb als technische Überwachungseinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG anzusehen. Nutzt dagegen eine Gruppe von Arbeitnehmern denselben Administrator-Account, so dass technisch nicht rekonstruiert werden kann, wer sich jeweils eingeloggt und die Internetpräsenz des Unternehmens bearbeitet hat, gilt dies nicht4. – Nach Auffassung des BAG wird die Webseite des Unternehmens – auch soweit sie auf einer Social-Media-Plattform wie Facebook betrieben wird – zur technischen Überwachungseinrichtung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, sobald das Unternehmen Besuchern die Möglichkeit gibt, Beiträge auf der Webseite zu veröffentlichen. Denn die Besucher könnten Postings zum Verhalten und zur Leistung der bei dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer einstellen, die je nach dem Inhalt dieser Besucher-Beiträge namentlich oder situationsbedingt einem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet werden könnten5. Der Betriebsrat darf das betriebliche Intranet für seine Veröffentlichungen und Bekanntgaben nut- 27.12 zen6. Das Recht auf eine allgemein zugängliche Internetseite, z.B. in einem Social-Media-Kanal, hat der Betriebsrat dagegen nicht7. Betriebsratsmitglieder und der Betriebsrat insgesamt verstoßen gegen ihre Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG), wenn sie betriebsinterne Vorgänge im Internet veröffentlichen. Der Betriebsrat darf nur im Ausnahmefall die außerbetriebliche Öffentlichkeit hinzuziehen, nämlich wenn sich der Arbeitgeber zuvor selbst an die außerbetriebliche Öffentlichkeit gewandt hatte und dies in einer Weise, die eine Antwort durch den Be-

1 Aßmus/Winzer, ZD 2018, 508 (513). 2 Aßmus/Winzer, ZD 2018, 508 (513); Kleinebrink, DB 2018, 1729 (1731); anders allerdings, wenn das Foto nur allgemeinen Illustrationszwecken dient und ehemalige Arbeitnehmer nicht herausgestellt werden, LAG Rheinland-Pfalz v. 30.11.2012 – 6 Sa 271/12, Leitsatz, ZD 2013, 286. 3 Hessisches LAG v. 24.1.2012 – 19 SaGa 1480/11, dazu ArbRB 2012, 204 (Grimm). 4 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, juris Rz. 26 ff. = ArbRB 2017, 174. 5 BAG v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, Leitsatz, ArbRB 2017, 174; kritisch Grimm/Kühne, jM 2017, 330. 6 BAG v. 3.9.2003 – 7 ABR 12/03, Leitsatz = ArbRB 2004, 72. 7 ArbG Paderborn v. 29.1.1998 – 1 BV 35/97, Orientierungssatz 1, DB 1998, 678; Günther/Lenz, NZA 2019, 1241 (1242 ff.); Köllmann, SPA 2020, 121 (123).

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§ 27 Rz. 27.12

Internetpräsenz und Social Media

triebsrat einfordert1. Allerdings handeln Betriebsratsmitglieder bei öffentlichen Stellungnahmen im Rahmen betrieblicher Auseinandersetzungen in ihrer amtlichen Funktion und müssen i.d.R. keine individualrechtlichen Sanktionen fürchten. Bei schweren Verstößen kommt ein Antrag nach § 23 Abs. 1 BetrVG in Betracht2.

2. Eigenständige Nutzung von Social-Media-Plattformen durch Mitarbeiter 27.13 Wenn Mitarbeiter Social-Media-Plattformen in ihrer Freizeit nutzen und dort ihre Meinung äußern, ist dies in den allermeisten Fällen unbedenklich. Immer wieder kommt es allerdings zu Beiträgen, mit denen einzelne Mitarbeiter dem Ruf ihres Arbeitgeberunternehmens schaden. Da es um außerbetriebliches Verhalten geht, stehen dem Arbeitgeber keine Weisungsrechte zu, mit denen er seinen Mitarbeiter Vorgaben für ihre private Nutzung der Social-Media-Plattformen machen kann3. Auch in einer Betriebsvereinbarung können für den außerbetrieblichen Bereich keine Vorgaben gemacht werden4. Verbindliche Vorgaben kann der Arbeitgeber nur insoweit unterbreiten, wie der Arbeitnehmer soziale Medien dienstlich nutzt5 oder wie Arbeitnehmer erlaubterweise über das Firmeninternet auf soziale Medien zugreifen6. Im letzten Fall bestimmt der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über den Inhalt der Nutzungsregeln mit7.

27.14 Hinweis: Um die Nutzung von sozialen Medien durch ihre Mitarbeiter zu lenken, stellen viele Unternehmen SocialMedia-Guidelines auf. Für die private Internetnutzung zuhause können die Social-Media-Guidelines allerdings nur unverbindliche Empfehlungen oder Hinweise auf die ohnehin geltende Rechtslage darstellen (dazu Rz. 27.24 f.).

27.15 Grundsätzlich kann sich der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berufen (Art. 5 Abs. 1 u. 2 GG). Deshalb ist der Arbeitnehmer insbesondere dazu berechtigt, seinen eigenen Arbeitgeber im Internet zu kritisieren8. Die Grenze des Zulässigen wird allerdings dann überschritten, wenn der Arbeitnehmer mit seinen Äußerungen die arbeitsvertragliche Treue- und Rücksichtnahmepflicht verletzt (§ 241 Abs. 2 BGB)9. Dies kommt in folgenden Fällen in Betracht: – Geht es dem Arbeitnehmer darum, spezifische Missstände im Betrieb zu thematisieren, ist er grundsätzlich gehalten, zunächst innerbetriebliche Kommunikationswege zu nutzen, bevor er diese Missstände nach außen, insbesondere ins Internet trägt. Anders ist dies, wenn eine inner-

1 Hessisches LAG v. 15.7.2004 – 9 TaBV 190/03, Leitsatz, RDV 2005, 170; ArbG Paderborn v. 29.1.1998 – 1 BV 35/97, Orientierungssatz 1, DB 1998, 678-679; ähnlich wohl BAG v. 18.9.1991 – 7 ABR 63/90, DB 1992, 434 = juris Rz. 26; vgl. auch LAG Düsseldorf v. 23.6.2020 – 14 TaBV 75/19, juris Rz. 164; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 11.7.2017 – 5 TaBV 13/16, ArbRAktuell 2017, 445 = juris Rz. 95; Hessisches LAG v. 7.3.2013 – 9 TaBV 197/12, juris Rz. 27; Günther/Lenz, NZA 2019, 1241 (1243 f.). 2 Eingehend zu den Reaktionsmöglichkeiten des Arbeitgebers, Günther/Lenz, NZA 2019, 1241 (1245); vgl. auch LAG Niedersachsen v. 6.12.2018 – 5 TaBV 107/17, juris. 3 Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230); Broy in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 70; vgl. allgemein BAG v. 28.5.2002 – 1 ABR 32/01, BAGE 101, 216 = juris Rz. 34 = ArbRB 2003, 41; a.A. Solmecke in Hoeren/Sieber/Holznagel, Teil 21.1 Rz. 77. 4 BAG v. 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, juris Rz. 58 = ArbRB 2008, 371. 5 Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230); Traut in Thüsing, § 14 Rz. 55. 6 Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230); Traut in Thüsing, § 14 Rz. 55. 7 Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230). 8 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, juris Rz. 62 = ArbRB 2015, 68; LAG Berlin-Brandenburg v. 18.8.2008 – 10 TaBV 885/08, juris Rz. 63 ff.; LAG Rheinland-Pfalz v. 25.9.2019 – 7 Sa 39/19, juris Rz. 70; Leist/ Koschker, BB 2013, 2229 (2230). 9 Leist/Koschker, BB 2013, 2229 (2230).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 27.15 § 27

betriebliche Klärung nicht zu erwarten steht oder wenn dem Arbeitnehmer der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung nicht zugemutet werden kann1. – Eine Kritik am Arbeitgeber selbst ebenso wie an Vorgesetzten und Kollegen verstößt gegen § 241 Abs. 2 BGB, wenn sie die Schwelle zur Schmähkritik oder Beleidigung überschreitet2. Auch wenn der Arbeitgeber als juristische Person organisiert ist, hat er Anspruch auf Achtung seines öffentlichen Ansehens3. Allerdings reicht der Schutz der Meinungsfreiheit weit. Selbst polemische und unsachliche Wortwahl kann noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein4. Eine Pflicht, sich mit Blick auf den eigenen Arbeitgeber in professionellem und zurückhaltendem Ton zu äußern, erkennt die Rechtsprechung bislang nicht an5. Äußert sich ein Arbeitnehmer in Beiträgen, die nur für eine begrenzte Zahl von „Freunden“ innerhalb seines sozialen Netzwerkes sichtbar sind, wiegt eine unsachliche Kritik weniger schwerwiegend6 und ggf. kann sich der Arbeitnehmer sogar auf den Schutz vertraulicher Kommunikation berufen7. – Verbreitet der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, kann er sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen8. Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sind allerdings dann durch die Meinungsfreiheit geschützt, wenn sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind9. Sind Äußerungen des Arbeitnehmers missverständlich, muss ihr Aussagegehalt im Zweifel so verstanden werden, dass er noch durch die Meinungsfreiheit gedeckten ist10. – Äußert sich der Arbeitnehmer im Internet strafbar, volksverhetzend oder fremdenfeindlich, verletzt er dadurch zugleich seine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber, wenn sich aus dem verwendeten Onlineprofil ein Bezug zum Arbeitgeberunternehmen herstellen lässt und auf diese Weise der Ruf des Unternehmens gefährdet wird. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer in der Uniform des Arbeitgebers abbilden lässt oder in seinem öffentlichen Profil seinen Arbeitgeber angibt11. In diesen Fällen kann eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sein (§ 626 BGB)12. Allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer ohne jeden Bezug zu seinem Arbeitgeber eine verfassungsfeindliche Gesinnung vertritt, rechtfertigt hingegen nur im Ausnahmefall eine Kündigung, nämlich wenn die Verfassungstreue unter besonderen Gesichtspunkten Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Berufsausübung ist13. – Es versteht sich von selbst, dass der Arbeitnehmer auch im Internet keine Geschäftsgeheimnisse seines Arbeitgebers verraten darf 14 (eingehend Rz. 18.12 ff.).

1 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, juris Rz. 63 = ArbRB 2015, 68; BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 646/11, Orientierungssatz 3, DB 2013, 1304. 2 BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, ZTR 2016, 341 = juris Rz. 37; BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, ZTR 2015, 405 = juris Rz. 20; BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, juris Rz. 26 = ArbRB 2006, 165. 3 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, juris Rz. 63 = ArbRB 2015, 68. 4 BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, ZTR 2015, 405 = juris Rz. 21 ff.; LAG Rheinland-Pfalz v. 25.9.2019 – 7 Sa 39/19, juris Rz. 70. 5 Anders z.T. die Literatur, die Arbeitnehmer bei Äußerungen über ihren Arbeitgeber im Internet einem Zurückhaltungsgebot unterwerfen will, vgl. Göpfert/Wilke, NZA 2010, 1329 (1331); einschränkend für berufsorientierte Netzwerke Gabriel/Cornels, MMR-Aktuell 2011, 316759. 6 Vgl. BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, juris Rz. 65 = ArbRB 2015, 68. 7 ArbG Bochum v. 9.2.2012 – 3 Ca 1203/11, juris Rz. 28. 8 BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, ZTR 2015, 405 = juris Rz. 17. 9 BAG v. 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, ZTR 2015, 405 = juris Rz. 17 ff. 10 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 505/13, Orientierungssatz 4, ArbRB 2015, 68. 11 Sächsisches LAG v. 27.2.2018 – 1 Sa 515/17, Leitsatz, K&R 2018, 430. 12 Sächsisches LAG v. 27.2.2018 – 1 Sa 515/17, Leitsatz, K&R 2018, 430. 13 LAG Köln v. 23.7.2020 – 8 Sa 57/20, juris Rz. 105 ff. 14 LAG Rheinland-Pfalz v. 25.9.2019 – 7 Sa 39/19, juris Rz. 70; Gabriel/Cornels, MMR-Aktuell 2011, 316759.

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§ 27 Rz. 27.15

Internetpräsenz und Social Media

– Wenn der Arbeitnehmer bei eigenmächtig verfassten Internetbeiträgen in einer Art und Weise auftritt, die bei Lesern den Eindruck erwecken kann, er handele im Namen und Auftrag seines Arbeitgeberunternehmens, kann hierin eine unzulässige Anmaßung des Unternehmensnamens i.S.d. § 12 BGB liegen1. Da der Arbeitnehmer i.d.R. nicht im geschäftlichen Verkehr handelt, unterliegt er dagegen nicht dem Geltungsbereich des Markenrechts (vgl. § 14 MarkenG)2. – Die Veröffentlichung von Fotos von Arbeitskollegen kann deren Recht am eigenen Bild (§ 22 KunstUrhG) verletzen. Eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten liegt darin aber nur, wenn die Veröffentlichung einen betrieblichen Bezug aufweist3. Dies ist der Fall, wenn Fotos von Arbeitskollegen im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit gefertigt wurden, da der Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, am Arbeitsplatz die Persönlichkeitsrechte seiner Mitarbeiter zu schützen4.

27.16 Recherchiert das Arbeitgeberunternehmen im Internet seinen eigenen Namen und stößt es dabei auf unzulässige Äußerungen seiner Arbeitnehmer, darf es diesen Zufallsfund datenschutzrechtlich verwerten (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG)5 und Konsequenzen ziehen. Gleiches gilt, wenn andere Mitarbeiter den Verstoß entdecken und den Arbeitgeber eigeninitiativ aufmerksam machen. Fraglich ist dagegen, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber datenschutzrechtlich dazu berechtigt ist, systematisch die Social-Media-Accounts seiner Arbeitnehmer einzusehen und gezielt nach Namen seiner Arbeitnehmer im Internet zu suchen. Eine verbreitete Auffassung geht davon aus, dass solche Überprüfungen anlasslos nur in Business-Netzwerken wie Xing und LinkedIn6 zulässig seien und im Übrigen einen konkreten Anfangsverdacht einer Straftat oder schweren Pflichtverletzung i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BGB voraussetzten7. Dies überzeugt nicht. Richtigerweise muss heutzutage jeder damit rechnen, dass der eigene Name durch Personen, mit denen er im Kontakt steht, „gegoogelt“ wird und Beiträge eingesehen werden, die man selbst in sozialen Netzwerken veröffentlicht hat (Art. 9 Abs. 2 lit. e DSGVO). Dies muss auch dem Arbeitgeber erlaubt sein8. Anders verhält es sich aber bei Informationen, die der Arbeitnehmer in sozialen Netzwerken nicht allgemein zugänglich macht, sondern lediglich für ausgewählte private Nutzer freischaltet (z.B. sog. „Freunde“). Zu solchen Informationen darf sich der Arbeitgeber (z.B. unter Verwendung eines Fakeprofils) keinen Zugang erschleichen9.

27.17 Auf Verstöße kann der Arbeitgeber mit Abmahnungen und ggf. mit einer verhaltensbedingten Kündigung reagieren. Außerdem folgt unmittelbar aus der arbeitsrechtlichen Treuepflicht, dass der Arbeitnehmer seine unzulässigen Beiträge aus dem Internet entfernen muss. Daneben kann der Arbeitgeber gegen den Betreiber der Social-Media-Plattform vorgehen und auf die Löschung rechtswidriger Inhalte hinwirken. Der Plattformbetreiber ist erst in dem Moment für die rechtswidrigen Beiträge seiner Nutzer verantwortlich, in dem er auf diese Beiträge aufmerksam gemacht wird,

1 2 3 4 5 6

Dazu BAG v. 9.9.2015 – 7 AZR 668/13, DB 2016, 719. BAG v. 9.9.2015 – 7 AZR 668/13, DB 2016, 719 = juris Rz. 14. LAG Rheinland-Pfalz v. 25.9.2019 – 7 Sa 39/19, juris Rz. 92. LAG Rheinland-Pfalz v. 3.11.2009 – 3 Sa 357/09, juris Rz. 41. Ernst, NJOZ 2011, 953 (957). Dass der Arbeitgeber berufsorientierte soziale Netzwerke durchsuchen kann, ist unstreitig, Riesenhuber in BeckOK Datenschutzrecht, § 26 BDSG Rz. 101; Göpfert, NZA 2010, 1329 (1330); Bissels/Lützeler/Wisskirchen, BB 2010, 2433 (2437). 7 Fuhlrott, NZA-RR 2020, 167; ähnlich Göpfert, NZA 2010, 1329 (1330); Kort, RdA 2018, 24 (25 f.); Bissels/ Lützeler/Wisskirchen, BB 2010, 2433 (2437). 8 Gola, NZA 2019, 654 (654 ff.); Riesenhuber in BeckOK Datenschutzrecht, § 26 BDSG Rz. 100; Ernst, NJOZ 2011, 953 (956). 9 Gola, NZA 2019, 654 (656); Riesenhuber in BeckOK Datenschutzrecht, § 26 BDSG Rz. 101; Ernst, NJOZ 2011, 953 (956).

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III. Best Practice

Rz. 27.20 § 27

z.B. durch eine Beschwerde des Arbeitgebers. Dann allerdings muss der Plattformbetreiber unverzüglich tätig werden und die Informationen prüfen, entfernen und dem verantwortlichen Nutzer ggf. den Zugang sperren („notice and takedown“)1. Werden rechtswidrige Beiträge unter einem pseudonymisierten Benutzeraccount (z.B. einem „Fa- 27.18 keprofil“) veröffentlicht, will das Unternehmen häufig herausfinden, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, um unmittelbare rechtliche Schritte gegen den Beitragsschreiber einleiten zu können. Dies gestaltet sich schwierig. Bevor der Betreiber einer Social-Media-Plattform Informationen zur Identität des Inhabers eines Benutzeraccounts überhaupt preisgeben darf, muss der Verletzte im Wege eines Auskunftsverfahren nach § 21 Abs. 2 und 4 TTDSG eine Anordnung des Landgerichtes erwirken. Die Anordnung darf nur dann ergehen, wenn der Beitrag eine Straftat i.S.d. § 1 Abs. 3 NetzDG verwirklicht, nicht bei sonstigen Verstößen gegen die arbeitsrechtliche Treuepflicht und auch nicht bei Verletzungen des Geschäftsgeheimnisgesetzes2. Selbst wenn das Unternehmen diese Hürde nehmen würde und der Plattformbetreiber darauf bereitwillig Auskunft erteilt, kennt der Plattformbetreiber die Identität des Nutzers oft selbst nicht. Um bei den meisten Social-Media-Plattformen einen Account zu erstellen, muss dort lediglich eine E-Mail-Adresse hinterlegt werden. Diese E-MailAdresse kann der Plattformbetreiber zwar mitteilen. Sie hilft dem Unternehmen aber kaum weiter, wenn sie ebenfalls unter einem Pseudonym angelegt wurde.

III. Best Practice Sozialen Netzwerken geben der Personalabteilung unterschiedliche Anlässe zur rechtlichen Gestaltung:

27.19

– Sollen Arbeitnehmer im Auftrag des Unternehmens z.B. als Social-Media-Manager in sozialen Netzwerken tätig werden, spricht viel dafür, die Rahmenbedingungen vertraglich zu reglementieren (dazu Rz. 27.20 f.). – Wann immer Fotos oder Videos von Arbeitnehmern im Internet oder anderweitig veröffentlicht werden sollen, braucht das Unternehmen eine schriftliche oder elektronische Einwilligung (dazu Rz. 27.22 f.). – Um den Umgang ihrer Arbeitnehmer mit sozialen Medien zu steuern, geben viele Unternehmen Social-Media-Guidelines heraus (dazu Rz. 27.24 f.).

1. Tätigkeitsvereinbarung mit einem Social-Media-Manager Sofern Social-Media-Accounts anonym unter dem Namen des Unternehmens geführt werden, kön- 27.20 nen Unternehmen Arbeitnehmer durch arbeitsrechtliche Weisung dazu verpflichten, diese Accounts zu betreuen. Sollen Arbeitnehmer für das Unternehmen dagegen unter ihrem eigenen Klarnamen Beiträge in sozialen Netzwerken veröffentlichen, z.B. zu Werbezwecken, liegt dies i.d.R. außerhalb der Weisungsmacht des Arbeitgebers und kann nur auf freiwilliger Basis erfolgen. Anders ist dies, wenn die Parteien eine ausdrückliche Vereinbarung schließen, die das Direktionsrecht des Arbeitgebers erweitert (vgl. Rz. 27.5). Zu diesem Anlass sollten die Arbeitsvertragsparteien außerdem festlegen, wie mit den Social-Media-Accounts bei Ausscheiden des Arbeitnehmers umzugehen ist (vgl. Rz. 27.6 f.).

1 Wagner, GRUR 2020, 447 (448); Ohly, GRUR 2017, 441 (448 f.); König/Stang in Münchener Anwaltshandbuch Urheber- und Medienrecht, § 31 Rz. 81. 2 Vgl. zur Vorgängerfassung § 4 TMG a.F. Schmitz in Spindler/Schmitz, § 14 TMG Rz. 57 f.

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§ 27 Rz. 27.21

Internetpräsenz und Social Media

27.21 Die Vereinbarung kann (z.B. als Klausel in einem Arbeitsvertrag) wie folgt gestaltet werden: M 27.1 Tätigkeitsvereinbarung Social-Media-Manager Vereinbarung über eine Tätigkeit als Social-Media-Manager § (…) (1) Die Parteien sind sich einig, dass der Arbeitnehmer im Internet, insbesondere in sozialen Netzwerken Beiträge im Auftrag des Arbeitgebers veröffentlichen wird, um die Marke des Arbeitgebers bekannt zu machen und zu repräsentieren. Der Arbeitgeber kann anordnen, dass sich der Arbeitnehmer zu diesem Zweck mit Accounts in sozialen Netzwerken anmeldet, die unter dem Klarnamen oder Teile des Klarnamens des Arbeitnehmers geführt werden, und dem Arbeitnehmer sonstige Vorgaben zur Ausgestaltung der verwendeten Accounts machen. Der Arbeitgeber kann außerdem anordnen, dass der Arbeitnehmer mit den verwendeten Accounts bestimmte Beiträge im Internet veröffentlicht oder die Veröffentlichung bestimmter Beiträge unterlässt. Alle Anordnungen muss der Arbeitgeber nach billigem Ermessen treffen und dabei auf die Interessen des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht nehmen; insbesondere wird der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht aufgeben, sich selbst in einer Art und Weise im Internet darzustellen, die den Ruf des Arbeitnehmers gefährden oder zu einer unangemessenen Entstellung der Arbeitnehmerpersönlichkeit führen würde (§ 106 GewO). Auch soweit der Arbeitgeber keine Anordnungen trifft, darf der Arbeitnehmer in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit keinesfalls Beiträge im Internet veröffentlichen, die darauf zielen, den Ruf des Arbeitgebers zu beeinträchtigen. (2) Alle Accounts, die der Arbeitnehmer in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit für die Teilnahme an sozialen Netzwerken oder anderweitig im Internet nutzt, stehen dem Arbeitgeber zu. Hiervon ausgenommen sind Accounts, a) die der Arbeitnehmer bereits vor Aufnahme seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber erstellt und in das Arbeitsverhältnis eingebracht hatte, b) die der Arbeitnehmer zu persönlichen Zwecken erstellt hat und allenfalls gelegentlich und mit deutlich untergeordnetem Gewicht für seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit nutzt, c) für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich abgestimmt haben, dass sie dem Arbeitnehmer zustehen; diese Accounts stehen dem Arbeitnehmer zu1. Die gesetzliche Beweislastverteilung bleibt unberührt2. (3) Steht ein Account dem Arbeitgeber zu, muss er unter der dienstlichen E-Mail-Adresse des Arbeitnehmers oder einer E-Mail-Adresse des Arbeitgebers angelegt werden. Der Arbeitnehmer überträgt dem Arbeitgeber ausschließliche, zeitlich, räumlich und inhaltlich unbeschränkte Nutzungs- und Verwertungsrechte für alle etwaigen nach dem Urhebergesetz schutzfähigen Eigenschaften dieser Accounts, einschließlich der Erlaubnis zur Bearbeitung. Gleichzeitig verzichtet der Arbeitnehmer ausdrücklich auf etwaige ihm als Urheber zustehende Rechte an den Accounts, insbesondere auf das Recht auf Na-

1 Die Vereinbarung sollte festlegen, wem die Accounts in sozialen Medien gehören. Da nicht im Einzelnen absehbar ist, welche Accounts im Verlauf der Tätigkeit erstellt werden und wie sich diese entwickeln, muss eine offene und präventive Regelung getroffen werden. Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, möglichst viele Accounts seiner Kontrolle zu unterwerfen. Fasst er die Klausel allerdings so weit, dass sie dazu führen könnte, dass er dem Arbeitnehmer private Accounts „wegnimmt“, an denen er überhaupt kein erkennbares berechtigtes Interesse hat, wäre sie unbillig und insgesamt unwirksam (§ 307 BGB), Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (797). 2 Diese Klarstellung ist mit Blick auf § 309 Nr. 12 BGB aufgenommen, um die Wirksamkeit der Klausel zu schützen. Eingriffe in die Beweislastverteilung sind gegenüber Arbeitnehmern und anderen Verbrauchern durch Klauselgestaltung nicht möglich, Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (799).

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III. Best Practice

Rz. 27.22 § 27

mensnennung, auf Bearbeitung und auf Zugang1. Auf Wunsch des Arbeitgebers, spätestens aber bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis, muss der Arbeitnehmer den Account an den Arbeitgeber herausgeben (§ 667 BGB). Vor Herausgabe des Accounts an den Arbeitgeber erhält der Arbeitnehmer auf Wunsch die Möglichkeit, von privaten Nachrichten und anderen privaten Informationen, die unter dem Account gespeichert sind, eine eigene Abschrift zu fertigen und private Nachrichten und andere privaten Informationen, bei denen dies zum Schutz seiner Privatsphäre geboten ist, von dem Account zu löschen2. Der Arbeitgeber darf die Accounts auch ohne Einbindung des Arbeitnehmers weiternutzen. Accounts, die in der Vergangenheit unter dem Klarnamen oder Teilen des Klarnamens des Arbeitnehmers geführt wurden allerdings nur dann, wenn a) der Arbeitgeber den Account so anpasst, dass dieser künftig nicht mehr unter Bestandteilen des Klarnamens, dem Profilfoto und anderen Kennzeichen der Person des Arbeitnehmers geführt wird, b) der Arbeitgeber ausreichend deutlich macht, dass der Account künftig durch eine andere Person bearbeitet wird, z.B. indem sich die neue Person durch einen Beitrag auf dem Account vorstellt und c) die Fortführung des Accounts durch einen anderen Nutzer nicht der Natur des Accounts oder der Natur des sozialen Netzwerkes in dem dieser Account angelegt ist, grundlegend widerspricht. Nutzt der Arbeitgeber einen Account, der unter dem Klarnamen oder Teilen des Klarnamens des Arbeitnehmers geführt wurde, nicht weiter, muss er den Account nach eigener Wahl unverzüglich löschen oder den Account an den Arbeitnehmer herausgeben, wobei er sich darauf gespeicherte geschäftliche Daten zuvor sichern darf. (4) Steht ein Account dem Arbeitnehmer zu, darf er den Account nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für eigene Zwecke weiterverwenden. Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber jederzeit Abschriften von geschäftlicher Korrespondenz, geschäftlichen Kontakten und anderen geschäftlichen Informationen, die auf dem Account gespeichert sind und die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber entstanden sind, zur Verfügung stellen oder, wenn dies unmöglich oder unzumutbar ist, dem Arbeitgeber auf andere geeignete Weise Auskunft über deren konkreten Inhalt erteilen3. (5) Sollte eine Bestimmung dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, wird die Wirksamkeit der übrigen hiervon nicht berührt. Die Arbeitsvertragsparteien werden an Stelle der unwirksamen Klausel eine rechtswirksame treffen, die der unwirksamen inhaltlich so nahe wie möglich kommt.

2. Einwilligung in die Veröffentlichung von Fotos und Videos Wann immer Fotos und Videos von Arbeitnehmern aufgenommen und durch den Arbeitgeber veröffentlicht werden sollen, muss zuvor eine schriftliche oder elektronische Einwilligung durch den Arbeitnehmer erteilt werden (vgl. Rz. 27.8). Folgendes Formular ist für die meisten Zwecke geeignet:

1 I.d.R. weist der Account keine ausreichende Schöpfungshöhe aus, um als urheberrechtsfähiges Werk angesehen zu werden. Da dies in Einzelfällen streitig werden kann, kann sich der Arbeitgeber mit einer Urheberrechtsklausel für diesen Fall absichern, Hoffmann-Remy/Tödtmann, NZA 2016, 792 (793). 2 Die Vereinbarung muss sicherstellen, dass auf die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers ausreichend Rücksicht genommen wird. 3 Führt der Arbeitnehmer seine Geschäftskorrespondenz über einen privaten Account in einem sozialen Netzwerk, muss der Arbeitgeber diese Korrespondenz auch nach Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis fortsetzen können. Deshalb hat der Arbeitgeber nach h.M. einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Geschäftskontakte und des Inhalts der Geschäftskorrespondenz, Broy in Weth/ Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 72; Oberwetter, NJW 2011, 417 (420). Sinnvollerweise sollte dieser Auskunftsanspruch in einer ausdrücklichen Vereinbarung nochmals bekräftigt werden, Ernst, NJOZ 2011, 953 (958).

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27.22

§ 27 Rz. 27.23

Internetpräsenz und Social Media

27.23 M 27.2 Mitarbeiter-Einwilligung in Veröffentlichung von Fotos und Videos Mitarbeiter-Einwilligung in die Erstellung und Veröffentlichung von Fotos und Videos Ihr Arbeitgeber beabsichtigt, Fotos und Videos zu erstellen und diese für Zwecke seiner Öffentlichkeitsarbeit, seiner Werbung sowie der Illustration seiner Publikationen zu verwenden. Bei Fotos und Videos, in denen Sie zu sehen sind, handelt es sich um rechtlich geschützte personenbezogene Daten. Durch Ihre Einwilligung legitimieren Sie deren Erstellung und Verarbeitung rechtlich. Um die Abgabe dieser Einwilligung bitten wir Sie. Verantwortliche Stelle gemäß Art. 4 Nr. 7 DSGVO für die im Zusammenhang mit den Fotos und Videos erfolgenden Datenverarbeitungsvorgängen ist Ihr Arbeitgeber. Einwilligungserklärung 1. Ich willige gegenüber meinem Arbeitgeber darin ein, dass zu den eingangs genannten Zwecken Fotos und Videos, auf denen ich zu sehen bin, erstellt werden dürfen. Voraussetzung ist, dass die Foto- bzw. Videoaufnahmen mit meiner Kenntnisnahme durchgeführt werden, die Zwecksetzung der Aufnahmen für mich erkennbar ist und ich nicht aktiv widerspreche1. 2. Ich willige gegenüber meinem Arbeitgeber weiterhin in die Nutzung, Vervielfältigung, Verbreitung, Ausstellung sowie die Bearbeitung der so erstellten Fotos und Videos zu den eingangs genannten Zwecken ein, soweit die Bearbeitung nicht entstellend ist. Soweit sich aus den Fotos und Videos Hinweise auf meine ethnische Herkunft, Religion, körperliche Konstitution oder Gesundheit ergeben (z.B. Hautfarbe, Kopfbedeckung, Körpergröße und -gewicht, Brille), bezieht sich meine Einwilligung auch auf diese Angaben. Insbesondere willige ich darin ein, dass diese Fotos und Videos im Rahmen der Zwecksetzung interessierten Dritten zur Verfügung gestellt werden und z.B. im Internet, im Intranet oder im Rahmen von Präsentationen veröffentlicht werden dürfen. Mir ist bekannt, dass Informationen im Internet weltweit zugänglich sind, mit Suchmaschinen gefunden, mit anderen Informationen z.B. über mich verknüpft sowie kopiert und weiterverbreitet werden können. Dies kann dazu führen, dass im Internet veröffentlichte Informationen auch nach ihrer Löschung auf der Ursprungs-Seite weiterhin aufzufinden sind. 3. Diese Einwilligung ist freiwillig. Ich kann sie ohne Angabe von Gründen verweigern, ohne dass ich deswegen Nachteile zu befürchten hätte. Ich kann diese Einwilligung zudem jederzeit ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, E-Mail) gegenüber meinem Arbeitgeber ganz oder auch nur teilweise widerrufen. Ausgenommen sind nur Fälle, in denen der Widerruf gegenüber meinem Arbeitgeber die Grundsätze von Treu und Glauben verletzen würde2. Fotos und Videos, auf denen ich erkennbar bin und die im Wesentlichen nur mich zeigen, werden bei Wirksamwerden des Widerrufs der Einwilligung unverzüglich aus dem Internetangebot, der Webseite und dem Intranet meines Arbeitgebers entfernt und sonstige, sich im Besitz meines Arbeitgebers befindliche Aufnahmen vernichtet. Sofern ich zusammen mit anderen Personen auf einem Foto oder in einem Video erkennbar bin, muss das Foto oder Video nicht entfernt werden, sondern es genügt, wenn ich aus 1 Sinn und Zweck der Formulareinwilligung besteht darin, das Formgebot nach § 26 Abs. 2 Satz 3 BDSG und damit eine Formalie zu erfüllen. Der Geltungsbereich der Einwilligung sollte möglichst weit gefasst werden, damit nicht ständig weitere Formulare gegengezeichnet werden müssen. Gleichzeitig versteht es sich von selbst, dass der Arbeitnehmer auch nach erklärter Einwilligung nicht gezwungen werden kann, gegen seinen Willen an Aufnahmen mitzuwirken, da die Einwilligung grundsätzlich frei widerruflich ist. Deshalb sollte die Einwilligung von Vornherein nur auf einvernehmliche Foto- und Videoaufnahmen beschränkt werden. 2 Der Arbeitgeber muss nach Art. 7 Abs. 3 Satz 3 DSGVO darüber aufklären, dass die Einwilligung frei widerruflich ist. Gleichzeitig verhält es sich nach h.M. jedoch so, dass das Widerrufsrecht durch die Grundsätze von Treu und Glauben beschränkt sein kann (Rz. 27.9). Erweckt der Arbeitgeber gegenüber seinen Arbeitnehmern allerdings den Eindruck, dass es eine solche Beschränkung nicht gebe, wird er sich auf die Grundsätze von Treu und Glauben später kaum berufen können. Deshalb sollte er im Formulartext wenigstens andeuten, dass eine solche Beschränkung in Betracht kommt.

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III. Best Practice

Rz. 27.25 § 27

dem Video herausgeschnitten oder unkenntlich gemacht werde (z.B. durch Verpixelung). Aufnahmen im Besitz meines Arbeitgebers, die diesen Anforderungen nicht genügen, wird mein Arbeitgeber vernichten. Mir ist bekannt, dass auch im Fall des Widerrufs die bis zum Zeitpunkt des Eingangs meines Widerrufs erfolgte Veröffentlichung der Fotos und Videos, auf denen ich zu sehen bin, rechtmäßig bleibt. Ort …, Datum … …1 (Unterschrift des Arbeitnehmers)

3. Social-Media-Guidelines Um zu verhindern, dass Arbeitnehmer geschäftsschädigende Äußerungen in sozialen Netzwerken 27.24 veröffentlichen, können Unternehmen Social-Media-Guidelines aufstellen. Dabei gibt es zwei unterschiedliche Gestaltungsansätze: – Social-Media-Guidelines können als verbindliche Regelwerke festgelegt werden, soweit sich ihr Geltungsbereich auf die dienstliche Nutzung von Social-Media-Angeboten oder die Nutzung über das Firmeninternet beschränkt. Schreiben Arbeitnehmer während ihrer Freizeit private Beiträge von zuhause aus, ist dieses Verhalten nicht reglementierbar. Besteht ein Betriebsrat, bestimmt er nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mit (vgl. Rz. 27.12). – Die weitaus verbreitetere Praxis besteht darin, Social-Media-Guidelines ohne rechtlichen Regelungsgehalt herauszugeben, die lediglich Hinweise auf die allgemeine Rechtslage enthalten oder durch unverbindliche Empfehlungen an den guten Willen der Arbeitnehmer appellieren2. Sofern die Social-Media-Guidelines keinen verbindlichen Regelungsgehalt entfalten, besteht nach zutreffender h.M. kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates3. Die Einbindung des Betriebsrates ist allerdings unternehmenspolitisch sinnvoll. Viele aggressive, beleidigende und unangemessene Internetkommentare werden in Affekthandlungen veröffentlicht. Oft bereuen die Schreiber ihre Wortwahl nachträglich. Um eigentlich einsichtige Mitarbeiter zu disziplinieren, genügt deshalb eine präventive Sensibilisierung für diese Problematik. Nicht immer lassen sich Mitarbeiter dazu motivieren, eine Social-Media-Guideline durchzulesen, die sich in Empfehlungen und Hinweisen erschöpft. Eine unbürokratische Methode, die Aufmerksamkeit auf die Guideline lenken, besteht darin, die Handlungsempfehlungen mit zugespitzten Beispielen für unangemessene Wortbeiträge zu versehen4. Dies bewirkt, dass die Guideline im Betrieb zum Gesprächsthema wird und auf Interesse stößt. Ob man auf dieses Stilmittel zugrückgreifen will, ist allerdings eine Frage des Geschmacks und der Unternehmenskultur. Eine Social-Media-Guideline, die lediglich die Rechtslage darstellt und unverbindliche Empfehlungen gibt, kann wie folgt formuliert werden:

1 Die Einwilligung muss entweder in Schriftform oder in elektronischer Form erteilt werden (vgl. Rz. 27.8). Entscheidet sich das Unternehmen für die Schriftform, muss das Formular im Original unterzeichnet werden. 2 Lützeler/Bissels, ArbRAktuell 2011, 499 (501); Broy in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B XI Rz. 99; Byers, SPA 2017, 37 (39); Byers/Mößner, BB 2012, 1665 (1666). 3 Lützeler/Bissels, ArbRAktuell 2011, 499 (501); Solmecke in Hoeren/Sieber/Holznagel, Teil 21.1 Rz. 79. 4 So auch Kremer/Sander in Koreng/Lachenmann, Formularhandbuch Datenschutzrecht, 3. Aufl. 2021, D.III.5. Social-Media-Guideline.

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27.25

§ 27 Rz. 27.25

Internetpräsenz und Social Media

M 27.3 Social-Media-Guideline Guideline zum Umgang mit sozialen Medien Version 1.0 vom … Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal ob Blogs, Youtube, Facebook, Twitter, Xing, LinkedIn oder Instagram. Als modernes und innovatives Unternehmen begrüßen wir es, wenn Sie sich mit Social Media-Angeboten im Internet vernetzen und gegenüber neuen Kommunikationsplattformen aufgeschlossen sind. Wir freuen uns besonders, wenn Sie unser Unternehmen im Internet ins Gespräch bringen, unsere Produkte bekanntmachen und uns als Arbeitgeber empfehlen. Bitte unterschätzen Sie dabei aber die Tücken sozialer Medien nicht! Das Internet vergisst nicht! Spätestens, wenn andere Nutzer Ihre Beiträge zitieren und vervielfältigen, können Sie Beiträge, die Sie nachträglich bereuen, nicht mehr löschen oder korrigieren. Einmal im Internet veröffentlichte Aussagen können Ihnen und unserem Unternehmen deshalb noch jahrelang nachhängen. Nicht selten ist die Kommunikation im Internet ausgesprochen aggressiv. Viele Nutzer treffen im Internet verletzende und beleidigende Aussagen, die sie Mitmenschen niemals direkt ins Gesicht sagen würden. Die Hemmschwelle ist niedriger, wenn man allein vor dem Computer sitzt. Machen Sie sich deshalb auch bei der Kommunikation im Internet bewusst, dass alles, was sie schreiben von Menschen gelesen wird, die Ihnen auch persönlich begegnen können. Äußern Sie sich nicht weniger respektvoll als im direkten Gespräch unter Anwesenden. Bedenken Sie auch, dass sich aggressive Stimmungen im Internet jederzeit gegen Sie selbst wenden könnten, auch in Ihrer Rolle als Mitarbeiter unseres Unternehmens. Provozieren Sie dies nicht. Weder Sie noch unser Unternehmen wollen Opfer eines Shitstorms werden. Das Internet ist zudem kein rechtsfreier Raum. Verletzende, beleidigende und unwahre Aussagen können die Persönlichkeitsrechte Ihrer Mitmenschen sowie den rechtlich geschützten Ruf von Unternehmen verletzen und in schweren Fällen sogar eine Strafverfolgung wegen Volksverhetzung, Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung nach sich ziehen. Als Arbeitnehmer haben Sie gegenüber unserem Unternehmen eine Loyalitätspflicht. Um ungewollten Konsequenzen vorzubeugen, bitten wir Sie, die folgenden fünf Gebote der Internetkommunikation gründlich zu lesen. Wir sind Ihnen sehr dankbar, wenn Sie diese fünf Gebote im Hinterkopf behalten, wenn sie soziale Medien nutzen: 1. Sie sind unserem Unternehmen zur Loyalität verpflichtet Aus Ihrem Arbeitsvertrag ergibt sich eine rechtliche Loyalitätspflicht gegenüber unserem Unternehmen. Sie dürfen deshalb keine unternehmensschädigenden Beiträge ins Internet einstellen. Bleiben Sie auch im Internet professionell. Selbstverständlich ist unser Unternehmen für Kritik jederzeit aufgeschlossen und nimmt Ihre Verbesserungsvorschläge ernst. Ihre Loyalitätspflicht verlangt von Ihnen allerdings, Missstände und Verbesserungsmöglichkeiten vorrangig betriebsintern bei den zuständigen Ansprechpartnern unseres Unternehmens zur Sprache zu bringen. Wenn Sie etwas stört, dürfen Sie interne Unternehmensangelegenheit deshalb nicht kurzerhand im Internet thematisieren und dort Ihrem Ärger Luft machen. Das wäre ein Verstoß gegen Ihren Arbeitsvertrag und bringt auch nichts. Schreiben Sie uns doch stattdessen einfach eine E-Mail. Erst recht dürfen Sie Ihren Arbeitgeber im Internet nicht beschimpfen, verächtlich machen oder seinen Ruf durch Verbreitung von Unwahrheiten beschädigen. Das gleiche gilt für den Ruf unserer Kunden und Geschäftspartner. Unterlassen Sie deshalb z.B. Aussagen der folgenden Art: – „OMG! Unser Antivirensystem ist völlig lückenhaft und keiner merkt’s. Nur eine Frage der Zeit, bis irgendwelche Scriptkiddies das mitbekommen und sich hier reinhacken!“ – „Ich arbeite nur, weil ich bezahlt werde!! Spucken und kotzen würd ich sonst auf den Laden hier:(“ – „Unsere Zulieferer von der Max Muster GmbH sind die größte Versagertruppe. Ich kann mich vor Lachen kaum halten, wenn ich diese peinlichen Clowns nur aufmarschieren sehe:D“

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III. Best Practice

Rz. 27.25 § 27

2. Geben Sie sich nicht als Sprecher unseres Unternehmens aus Sie dürfen sich nur dann im Namen unseres Unternehmens im Internet äußern, wenn Sie ausdrücklich dazu autorisiert wurden. Andernfalls muss jederzeit deutlich erkennbar sein, dass Ihre Beiträge allein Ihre privaten Ansichten und Meinungen wiedergeben und keine offiziellen Stellungnahmen unseres Unternehmens sind. Vermeiden Sie also z.B. Aussagen wie: „Unser Unternehmen freut sich, wenn sich hier partygeile Alphatypen bewerben, die nach Feierabend ordentlich die Sau rauslassen! Kommt zu uns! YEAAH PARTY!!!!“ Unterlassen Sie es, Ihre Social-Media-Profile mit Logos, Schriftzügen oder anderen Markenzeichen unseres Unternehmens zu markieren, da Sie dadurch zu Unrecht als offizieller Sprecher unseres Unternehmens erscheinen könnten. Stellen Sie auch sonst sicher, dass es nicht zu Missverständnissen und Verwechslungen kommen kann. Wenn unter irgendeinem Gesichtspunkt die Gefahr bestehen könnte, dass Sie mit einem offiziellen Sprecher unseres Unternehmens verwechselt werden könnten, sollten Sie Ihre Beiträge vorsichtshalber mit folgendem Hinweis markieren: „Mit den hier veröffentlichen Kommentaren drücke ich ausschließlich meine persönlichen Ansichten aus und gebe nicht die Ansichten meines Arbeitgebers oder anderer Unternehmen oder Organisationen wieder.“ 3. Setzen Sie weder ihren eigenen Ruf noch den Ruf unseres Unternehmens aufs Spiel Wenn Sie im Internet rassistische Äußerungen, Volksverhetzung, Aufrufe zur Gewalt, Drohungen mit Gewalt, Pornographie oder strafbare Inhalte veröffentlichen oder andere Personen in öffentlichen Internetbeiträgen vulgär beleidigen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn das Konsequenzen für Ihren Ruf hat. Grundsätzlich sind Sie für Ihren eigenen Ruf zwar selbst verantwortlich. Anders ist dies allerdings, wenn Sie sich im Internet als Mitarbeiter unseres Unternehmens zu erkennen geben, z.B. weil Sie Ihren Arbeitgeber in Ihrem Nutzerprofil öffentlich angeben. Dann fällt ein solches Verhalten auf unser Unternehmen zurück und verletzt deshalb Ihre arbeitsvertragliche Loyalitätspflicht. Unterlassen Sie dann bitte Aussagen der folgenden Art: – „Unsere Politiker sollte man sämtlich erhängen, häuten und pfählen, nutzlose Steuergeldschmarotzer.“ – „ICH HASSE KANAKEN!!!“ – „Ich mach dich kalt, reiß dich in Stücke und scheiß dann in deinen kopflosen Rumpf, du Opfer!!!!!1“ Selbstverständlich sehen wir es gerne, wenn Sie uns im Internet als Ihren Arbeitgeber benennen. Machen Sie sich aber bitte bewusst, dass Sie dann mit allem, was Sie tun, auch unser Unternehmen repräsentieren. Seien Sie also Vorbild. Lassen Sie sich nicht – erst recht nicht durch Trolle – zu unangemessenen Wortbeiträgen provozieren. 4. Nehmen Sie Rücksicht auf ihre Arbeitskollegen Unser Unternehmen trägt gegenüber allen Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht. Deshalb werden wir Mitarbeiter davor schützen, dass sie im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit Opfer von entwürdigenden persönlichen Angriffen werden. Das gilt auch dann, wenn persönliche Angriffe durch Kollegen in sozialen Netzwerken gestartet werden, egal ob öffentlich oder durch Privatnachrichten. Das heißt nicht, dass Sie Kollegen und Vorgesetzte nicht konstruktiv kritisieren dürften. Wir werden es aber nicht dulden, wenn Sie über Kollegen Kommentare verbreiten, die sich als Beleidigung, Diskriminierung, Bedrohung oder Mobbing darstellen oder wenn Sie über Kollegen unwahre oder ungeprüfte Gerüchte in die Welt setzen oder diese weiterverbreiten. Folgende Kommentare wären z.B. inakzeptabel: – „Nadine, jeder weiß, dass du nicht in unserer Abteilung, sondern auf dem Strich arbeiten würdest, wenn du nicht so hässlich wärst!“ – „Ich hab gehört, mein Chef, der Herr Manfred Müller, guckt nach Feierabend regelmäßig Kinderpornos auf seinem Firmenrechner.“ Beachten Sie auch, dass Fotos und Videos, auf denen Arbeitskollegen von Ihnen deutlich zu erkennen sind, durch deren Recht am eigenen Bild geschützt sind. Nur wenn Ihre Arbeitskollegen zustimmen, dürfen Sie solche Fotos und Videos im Internet veröffentlichen. Wenn Sie dies ohne Einwilligung tun, verletzen Sie de-

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Internetpräsenz und Social Media

ren Persönlichkeitsrechte. Handelt es sich um Fotos oder Videos, die im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit erstellt wurden, müssen wir das unterbinden. 5. Geschäftsgeheimnisse müssen geheim gehalten werden Keinesfalls dürfen Sie Geschäftsgeheimnisse unseres Unternehmens im Internet preisgeben. Unterlassen Sie deshalb z.B. Angaben über geplante Unternehmensstrategien, Verkaufsdaten, Kundenlisten, Finanzkennzahlen oder Produktentwürfe. Versuchen Sie niemals, andere Internetnutzer durch Ihr Spezialwissen über betriebsinterne Vorgänge zu beeindrucken. Welche Informationen unser Unternehmen als Geschäftsgeheimnis betrachtet, können Sie unseren Unternehmensrichtlinien zum Geschäftsgeheimnisschutz entnehmen1. Wenn Sie sich nicht sicher sind, vermeiden Sie es sicherheitshalber lieber ganz, im Internet über betriebsinterne Vorgänge zu kommunizieren. Dringen geheimhaltungsbedürftige Informationen nämlich nach Außen, kann der Schaden für unser Unternehmen beträchtlich sein. Dafür, dass Sie die gesetzlichen Vorgaben und unsere Empfehlungen bei der Nutzung sozialer Medien beherzigen, danken wir Ihnen. Sollten Sie Fragen, Anregungen oder Verbesserungsvorschläge haben, ist die Personalabteilung jederzeit gerne für Sie zu erreichen.

§ 28 Privatnutzung des Firmeninternets I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Erlaubnis und Regulierung der Privatnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28.1 28.4

2. Datenschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.10 3. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.12 III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28.15

28.5

Literatur: Barton, Betriebliche Übung und private Nutzung des Internetarbeitsplatzes – „Arbeitsrechtliche Alternativen“ zur Wiedereinführung der alleinigen dienstlichen Verwendung, NZA 2006, 460; Bertram, Offline – Verbot privater Internetnutzung am Arbeitsplatz jederzeit möglich?, GWR 2012, 388; Bloesinger, Grundlagen und Grenzen privater Internetnutzung am Arbeitsplatz, BB 2007, 2177; Brink/Schwab, Die private E-Mail-Nutzung am Arbeitsplatz, ArbRAktuell 2018, 111; Grobys, Nutzung von E-Mail/Internet am Arbeitsplatz, NJW-Spezial 2004, 273; Hoppe, Arbeitnehmerhaftung und ihre Auswirkungen auf die Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel, ArbRAktuell 2010, 388; Howald, Kündigung bei privater Nutzung von Handy und Internet, öAT 2014, 49; Koch, Rechtsprobleme privater Nutzung betrieblicher elektronischer Kommunikationsmittel, NZA 2008, 911; Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, 2016; Mengel, Kontrolle der E-mail- und Internetkommunikation am Arbeitsplatz, BB 2004, 2014; Müller, Beschäftigtendatenschutz im Arbeitsrecht: dienstliche und private Internet-Nutzung, öAT 2020, 26; Vietmeyer/Byers, Der Arbeitgeber als TK-Anbieter im Arbeitsverhältnis – Geplante BDSG-Novelle lässt Anwendbarkeit des TKG im Arbeitsverhältnis unangetastet, MMR 2010, 807; Waltermann, Anspruch auf private Internetnutzung durch betriebliche Übung?, NZA 2007, 529.

1 Eingehend dazu Rz. 18.21 ff.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 28.5 § 28

I. Worum geht es? Internetzugang ist mittlerweile so selbstverständlich, wie Strom und fließendes Wasser. Seit Unternehmen Flatrate-Verträge abschließen, entstehen durch den Umfang der Internetnutzung keine wesentlichen Zusatzkosten. Mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter greifen während ihrer Arbeit permanent mit Dienstrechner, Laptop oder Firmenhandy auf das Internet zu1. Deshalb spricht viel dafür, Mitarbeitern auch während der Arbeitspausen das private Surfen im Internet zu erlauben.

28.1

Studien zeigen, dass die Mitarbeiterzufriedenheit steigt, wenn Mitarbeiter in ihren Pausen oder nach Feierabend mit dem Firmencomputer im Internet surfen dürfen2. Nach einer Erhebung des Branchenverbandes Bitkom erlauben die meisten deutschen Unternehmen (59 Prozent) ihren Mitarbeitern diese Privatnutzung. Viele Unternehmen sehen dies aber anders: Knapp ein Drittel der Firmen (30 Prozent) verbietet ihren Mitarbeitern das private Surfen komplett3.

28.2

Die private Internetnutzung ist nicht frei von Konfliktfeldern. Einzelne Mitarbeiter surfen lieber, als 28.3 zu arbeiten. Außerdem können Mitarbeiter im Internet allerhand unternehmensschädliche Daten aufrufen und herunterladen, z.B. Viren, Raubkopien, Pornographie oder volksverhetzende Propaganda. Nicht zuletzt stellen sich datenschutzrechtliche Herausforderungen, wenn Mitarbeiter private Daten inmitten der geschäftlichen Daten des Unternehmens speichern.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Sollte der Arbeitgeber sich dazu entscheiden, seinen Arbeitnehmern die private Internetnutzung mit 28.4 dem Firmencomputer, Firmenhandy und anderer Firmenhardware zu erlauben, zieht dies mehrere arbeitsrechtliche Fragestellungen nach sich, die geregelt werden müssen: – Ob Arbeitnehmern die private Nutzung der Firmenhardware erlaubt ist, legt der Arbeitgeber durch arbeitsrechtliche Weisung fest. Wenn Nutzungsregeln aufgestellt werden sollen, bestimmt der Betriebsrat mit (dazu Rz. 28.5 ff.). – Nutzen Arbeitnehmer betriebliche Kommunikationsmittel privat, speichern sie personenbezogene Daten aus ihrer Privatsphäre auf der Hardware des Arbeitgebers. Daraus ergeben sich besondere Datenschutzanforderungen für den Arbeitgeber (dazu Rz. 28.10 f.). – Entstehen dem Unternehmen aus der Privatnutzung Schäden, z.B. weil die Unternehmens-IT mit Viren infiziert wird, stellt sich die Frage nach der Haftung der Arbeitnehmer (dazu Rz. 28.12 ff.).

1. Erlaubnis und Regulierung der Privatnutzung Trifft der Arbeitgeber keine Festlegungen zu der Frage, inwieweit die private Nutzung von Firmenhardware erlaubt ist, ist eine Privatnutzung der Firmenhardware nach Rechtsprechung des BAG grundsätzlich verboten, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise zusätzliche Kosten entstehen können und weil der Arbeitnehmer jedenfalls die Betriebsmittel unberechtigterweise in Anspruch nimmt4. Verstößt der Arbeitgeber gegen ein Verbot der Privatnutzung, stellt dies allerdings

1 Bitkom, Pressemitteilung v. 12.10.2012, https://www.bitkom-research.de/de/pressemitteilung/das-inter net-wird-zum-wichtigsten-arbeitsmittel (letzter Abruf: 19.1.2022). 2 „Surfen während der Arbeitszeit macht produktiv“, Wirtschaftswoche v. 5.8.2014, https://www.wiwo.de/ erfolg/beruf/studie-surfen-waehrend-der-arbeitszeit-macht-produktiv/10294024.html (letzter Abruf: 19.1.2022). 3 Bitkom, Pressemitteilung v. 12.10.2012. 4 BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, juris Rz. 22 = ArbRB 2006, 292; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, juris Rz. 24 = ArbRB 2006, 99.

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28.5

§ 28 Rz. 28.5

Privatnutzung des Firmeninternets

keinen absoluten Kündigungsgrund dar, der in jedem Fall ohne vorangegangene Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen kann1. Insbesondere, wenn mangels eindeutiger Festlegungen Unklarheiten und Missverständnisse über das Verbot der Privatnutzung aufkommen können, lässt dieser Umstand Verstöße des Arbeitnehmers in einem milderen Licht erscheinen2.

28.6 Durch Ausübung seines Direktionsrechtes (§ 106 GewO) kann der Arbeitgeber die private Nutzung seiner Kommunikationseinrichtungen grundsätzlich jederzeit erlauben oder verbieten3. Bei der Frage, ob die private Nutzung überhaupt erlaubt ist, besteht kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates4. Selbst wenn der Arbeitgeber die Privatnutzung in der Vergangenheit geduldet hat, folgt daraus keine Selbstbindung des Arbeitgebers im Wege einer betrieblichen Übung. Denn aus der Duldung ergibt sich in den meisten Fällen kein hinreichend bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungsgehalt über ihren Inhalt und Ausmaß und außerdem kommt eine betriebliche Übung bei bloßen Annehmlichkeiten wie der Internetnutzung grundsätzlich nicht in Betracht (str.)5. Auch wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmern die private Nutzung des Internets ausdrücklich gestattet, darf er diese Praxis grundsätzlich wieder ändern. Zu einer Selbstbindung des Arbeitgebers kann es im Ausnahmefall allerdings kommen, wenn eine ausdrückliche Gestattung der Privatnutzung in einer Art und Weise erfolgt, die der Arbeitnehmer als verbindliche Leistungszusage verstehen darf, z.B. weil eine Klausel in den Arbeitsvertrag aufgenommen wurde (§§ 133, 157 BGB)6.

28.7 Hinweis: Damit keine Unklarheiten darüber aufkommen können, ob die Erlaubnis der Privatnutzung durch den Arbeitgeber wieder aufgehoben werden darf, sollte der Arbeitgeber bei deren Bekanntgabe ausdrücklich klarstellen, dass er sich nicht selbst bindet. Dies kann z.B. geschehen, indem er die Privatnutzung ausdrücklich unter dem Vorbehalt der jederzeitigen Änderbarkeit erklärt oder indem er sie als „freiwillige“ Leistung bezeichnet. Wird die Erlaubnis im Rahmen einer Betriebsvereinbarung erteilt, kann der Arbeitgeber sie jederzeit durch Kündigung der Betriebsvereinbarung beseitigen, wenn für die Betriebsvereinbarung die Nachwirkung (§ 77 Abs. 6 BetrVG) ausgeschlossen ist.

28.8 Erlaubt der Arbeitgeber die private Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel, kann er durch Ausübung seines Direktionsrechtes Nutzungsregeln aufstellen. Besteht ein Betriebsrat, unterliegt die Aufstellung von Nutzungsregeln gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Ordnung des Betriebes) sowie § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (technische Einrichtungen) allerdings der Mitbestimmung7 und zwar unabhängig davon, ob es um eine betriebliche oder private Nutzung geht8.

28.9 Trifft der Arbeitgeber keine ausdrücklichen Festlegungen zu Art und Umfang der erlaubten Privatnutzung, müssen die Grenzen durch Auslegung sowie nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 241 Abs. 2 BGB) bestimmt werden. Grundsätzlich gelten dann folgende Verbote:

1 2 3 4 5

6 7 8

BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, Orientierungssatz 2, ArbRB 2013, 8. LAG Rheinland-Pfalz v. 13.11.2006 – 7 Sa 1029/05, Orientierungssatz 2, juris. LAG Hamm v. 7.4.2006 – 10 TaBV 1/06, juris Rz. 43 = ArbRB 2006, 356. LAG Hamm v. 7.4.2006 – 10 TaBV 1/06, Orientierungssatz 3, ArbRB 2006, 356; LAG Nürnberg v. 29.1.1987 – 5 TaBV 4/86, Orientierungssatz 2, NZA 1987, 572; Bloesinger, BB 2007, 2177 (2178). LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, juris Rz. 120; Grimm in Tschöpe, 6. Teil F. VII. Rz. 240; Waltermann, NZA 2007, 529 (530 ff.); Bloesinger, BB 2007, 2177 (2180); Tödtmann/Kaluza in Maschmann/Sieg/Göpfert, IT-Nutzung im Betrieb Rz. 59; Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 92; Baumgartner in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, IX Rz. 49; Koch, NZA 2008, 911 (912); Fülbier/Splittgerber, NJW 2012, 1995 (1998); a.A. Brink/Wirtz, ArbRAktuell 2016, 255 (255); Barton, NZA 2006, 460 (461). Baumgartner in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, IX Rz. 58. Müller, öAT 2020, 26 (29); Grobys, NJW-Spezial 2004, 273 (273); Bloesinger, BB 2007, 2177 (2179). Müller, öAT 2020, 26 (29).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 28.10 § 28

– Unerlaubt ist die Privatnutzung während der Arbeitszeit, da der Arbeitnehmer z.B. während des Surfens im Internet seine Arbeitsleistung nicht erbringt1. Surft der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit in exzessivem Umfang, ist eine fristlose Kündigung ohne vorhergehende Abmahnung gerechtfertigt2. Eine exzessive Privatnutzung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer ein Fünftel seiner Arbeitszeit mit privatem Surfen verbringt3. Eine Nutzungsdauer von 80–100 Stunden innerhalb eines Jahres liegt dagegen im Grenzbereich4. Ist ein Arbeitnehmer dazu berechtigt, seine Arbeitszeit selbst einzuteilen, darf er nach eigenem Ermessen die Arbeit zum privaten Surfen unterbrechen, sofern er die dabei verlorenen Zeiten nacharbeitet5. – Unzulässig sind Arten der Privatnutzung, durch welche dem Arbeitgeber erhebliche zusätzliche Kosten entstehen können. Z.B. darf der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht davon ausgehen, dass er in Privatnutzung seines Diensttelefons kostenpflichtige Nummern anrufen oder lange und kostenintensive Auslandstelefonate führen dürfte6. – Außerdem darf der Arbeitnehmer keine Datenmengen aus dem Internet herunterladen, wenn dadurch entweder die Gefahren möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des betrieblichen Systems zu befürchten sind oder wenn eine möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers droht, weil die Downloads strafbare oder pornographische (aber nicht bloß erotische7) Inhalte zum Gegenstand haben8. Lädt der Arbeitnehmer gelegentlich pornographische Bilder herunter, muss der Arbeitgeber vor Kündigungsausspruch zunächst abmahnen9. Eine fristlose Kündigung ist i.d.R. gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer „Raubkopien“ aus dem Internet lädt und dadurch strafrechtlich relevante Urheberrechtsverletzungen begeht10.

2. Datenschutzrecht Hoch umstritten ist, welche datenschutzrechtlichen Folgen sich ergeben, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmern die Privatnutzung des betrieblichen Internets erlaubt. Nach Auffassung der Datenschutzbehörden und einer verbreiteten Auffassung in der juristischen Literatur wird der Arbeitgeber hierdurch zum Anbieter von Telekommunikationsdiensten11. Der Meinungsstreit entzündete sich in der Vergangenheit an der unscharfen Legaldefinition des Diensteanbieter in § 3 Nr. 6 TKG a.F. Der Gesetzgeber hat diese Regelung zwar mit Wirkung zum 31.11.2021 aufgehoben und stattdessen in § 3 Abs. 2

1 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, Leitsatz 1, ZTR 2007, 626; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, juris Rz. 24 = ArbRB 2006, 99; Neu in Kramer, B. Rz. 203. 2 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, Leitsatz 2, ZTR 2007, 626; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, juris Rz. 24 = ArbRB 2006, 99. 3 Hessisches LAG v. 30.3.2015 – 17 Sa 1094/13, Orientierungssatz 2; ähnlich LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, Leitsatz 1, BB 2016, 891. 4 ArbG Wesel v. 21.3.2001 – 5 Ca 4021/00, Orientierungssatz, CR 2001, 861. 5 BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, juris Rz. 25 f. = ArbRB 2013, 8. 6 LAG Düsseldorf v. 16.9.2015 – 12 Sa 630/15, juris Rz. 32; Neu in Kramer, B. Rz. 203. 7 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, ZTR 2007, 626 = juris Rz. 25. 8 BAG v. 31.5.2007 – 2 AZR 200/06, Leitsatz 1, ZTR 2007, 626; BAG v. 7.7.2005 – 2 AZR 581/04, juris Rz. 24 = ArbRB 2006, 99. 9 BAG v. 19.4.2012 – 2 AZR 186/11, juris Rz. 28 = ArbRB 2013, 8. 10 Howald, öAT 2014, 49 (50). 11 So insb. die Datenschutzbehörden, vgl. Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, 2016, S. 7 ff.; LBfDI Baden-Württemberg, Ratgeber zum Beschäftigtendatenschutz, S. 17 f.; Brink/Schwab, ArbRAktuell 2018, 111 (113 f.); Brink/Wirtz, ArbRAktuell 2016, 255 (255 ff.); ebenso Brühl/Sepperer, ZD 2015, 415 (416); Sassenberg/ Richter, BB 2013, 889; Mengel, BB 2004, 1445 (1449); Stefan/Ernst, NZA 2002, 585 (587); Hilber/Frik, RdA 2002, 89 (93).

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28.10

§ 28 Rz. 28.10

Privatnutzung des Firmeninternets

Nr. 2 TTDSG neugefasst1. Geklärt wurde der Meinungsstreit hierdurch allerdings nicht2. Würde der Arbeitgeber unter diese Regelung fallen, unterläge die Telekommunikation des Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber dem Fernmeldegeheimnis. Das Fernmeldegeheimnis würde die gesamte Telekommunikation des Arbeitnehmers i.S.d. § 3 Abs. 1, § 2 Abs. 1 TTDSG i.V.m. § 3 Nr. 59 u. 60 TKG erfassen, d.h. nicht bloß E-Mails, sondern sämtliche Datenübermittlung im Zusammenhang mit der Internetnutzung3. Konsequenz wäre, dass jeder Zugriff des Arbeitgebers auf die betroffenen Daten nach § 206 StGB strafbar wäre, solange der Arbeitnehmer keine (frei widerrufliche4) Einwilligung erteilt5. Die bislang veröffentlichte Rechtsprechung sowie die herrschende Literaturauffassung sahen dies zwar anders und ordneten Arbeitgeber nicht als Dienstanbieter ein, wenn sie ihren Arbeitnehmern die Privatnutzung von Firmenhardware erlaubten6. Die jüngste Gesetzesänderung wird in der Literatur allerdings als Zeichen des Gesetzgebers interpretiert, dass er im Lager der Datenschutzbehörden steht und der erstgenannten Auffassung zuneigt7. Die Rechtslage ist deshalb weiterhin unsicher.

28.11 Nutzt der Arbeitnehmer Firmenhardware privat, ergeben sich unabhängig von Geltungsbereich des § 3 TTDSG erhöhte datenschutzrechtliche Anforderungen (§ 26 Abs. 1 BDSG). Denn bei der Privatnutzung speichert der Arbeitnehmer Daten aus seiner Privatsphäre auf Datenträgern des Arbeitgebers. Greift der Arbeitgeber auf den gespeicherten Datenbestand zu, muss er auf die Sensibilität dieser Daten Rücksicht nehmen. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber keine Daten öffnen und auswerten, die erkennbar privaten Inhalte haben8. Anders ist dies allerdings, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat, gerade die Privatnutzung zu kontrollieren. Ein Zugriff des Arbeitgebers auf private Kommunikation ist ausnahmsweise zulässig, wenn ein durch greifbare Tatsachen belegter Verdacht i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG besteht, dass diese private Kommunikation Straftaten oder andere schwere Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers belegt und deshalb als Beweismittel benötigt wird (vgl. Rz. 14.7 ff.). Auch ohne konkreten Anfangsverdacht darf der Arbeitgeber zudem die Browser-

1 BGBl. I 2021 Nr. 35 v. 28.6.2021, S. 1982 ff. 2 Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 24 f. 3 Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, 2016, S. 7; Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 7; Vietmeyer/Byers, MMR 2010, 807 (808); Mengel, BB 2004, 2014 (2020); vgl. auch BVerfG v. 6.7.2016 – 2 BvR 1454/13, juris Rz. 26. 4 Art. 7 Abs. 3 DSGVO, dazu Grobys, NJW-Spezial 2004, 273 (273). 5 Brink/Schwab, ArbRAktuell 2018, 111 (113 f.); Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, 2016, S. 7 ff. 6 Vgl. zur Rechtsprechung LAG Berlin-Brandenburg v. 16.2.2011 – 4 Sa 2132/10, Leitsatz 1, BB 2011, 2298; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, Leitsatz 3, BB 2016, 891; LAG Niedersachen v. 31.5.2010 – 12 Sa 875/09, juris Rz. 45; VG Karlsruhe v. 27.5.2013 – 2 K 3249/12, juris Rz. 57 ff.; ähnlich LAG Rheinland-Pfalz v. 4.12.2017 – 3 Sa 143/17, juris Rz. 136; Hessisches LAG v. 5.8.2013 – 7 Sa 1060/10, juris Rz. 70; Hessisches LAG v. 21.9.2018 – 10 Sa 601/18, juris Rz. 70 ff. Vgl. zur mittlerweile herrschenden Literaturauffassung Herrmann/Zeidler, NZA 2017, 1499 (1500); Thüsing in Thüsing, Beschäftigtendatenschutz und Compliance, § 3 Rz. 79 ff.; Stamer/Kuhnke in Plath, § 26 BDSG Rz. 100; Wybitul, NJW 2014, 3605 (3607); Dzida/Klopp, ArbRB 2015, 83 (84); Fülbier/Splittgerber, NJW 2012, 1995 (1999); Schimmelpfennig/Wenning, DB 2006, 2290 (2292); Haußmann/Krets, NZA 2005, 259 (260); Baumgartner in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, IX Rz. 82 ff.; Grobys, NJW-Spezial 2004, 273 (273); Laber/Santon, ArbRB 2019, 60 (61). 7 So Kiparski, CR 2021, 482 (485); Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 17. Richtigerweise lässt sich der Gesetzesbegründung, die sich mit dem Problem überhaupt nicht auseinandersetzt, kein greifbarer Regelungswille des Gesetzgebers entnehmen, vgl. BT-Drucks. 19/27441, dort insb. S. 34. Kritisch äußert sich zur fortbestehenden Rechtsunsicherheit auch die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Aufsichtsbehörden für Anbieter:innen von Telemedien ab dem 1. Dezember 2021 (OH Telemedien 2021), S. 4. 8 Wybitul, NJW 2014, 3605 (3610); Mengel in Mengel, Compliance und Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2009, Kapitel 4 Rz. 16.

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 28.13 § 28

Verläufe seiner Arbeitnehmer prüfen, um zu überwachen, ob Arbeitnehmer in exzessivem Umfang während ihrer Arbeitszeit im Internet surfen1. Voraussetzung ist dann allerdings, dass der Arbeitgeber im Vorfeld angekündigt hat, dass solche Kontrollen stattfinden (vgl. Rz. 14.21 und Rz. 15.15).

3. Haftung Verursacht der Arbeitnehmer in Ausübung betrieblich veranlasster Tätigkeiten2 Schäden, kommen ihm die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zugute. Dieses Haftungsprivileg gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer betriebliche Hardware für betriebliche Zwecke nutzt und dabei z.B. versehentlich einen Virus installiert3.

28.12

Bei Pflichtverletzungen (§ 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB) muss der Arbeitnehmer nur abhängig vom Grad seines Verschuldens Schadensersatz leisten: – Beruht der Sorgfaltsverstoß auf leichtester Fahrlässigkeit, haftet der Arbeitnehmer überhaupt nicht4. – Beruht der Sorgfaltsverstoß auf mittlerer Fahrlässigkeit, haftet der Arbeitnehmer nur für einen Teil des Schadens. Der Umfang der Haftung wird bestimmt, indem das erkennende Gericht Haftungsquoten nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsquoten bildet, wobei dem Arbeitnehmer jedenfalls keine existenzgefährdende Haftung auferlegt werden darf 5. – Bei grober Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer zwar grundsätzlich voll. Die Haftung kann aber selbst bei gröbster Fahrlässigkeit begrenzt werden, wenn sie gemessen am Einkommen des Arbeitnehmers existenzvernichtende Folgen für ihn hätte6. – Nur wenn der Arbeitnehmer nicht bloß die Pflichtverletzung, sondern auch den Schaden vorsätzlich verursacht, haftet er uneingeschränkt7. Die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs sind weder vertraglich noch kollektivrechtlich abdingbar8. Bei unerlaubter Privatnutzung betrieblicher Hardware gilt die Haftungsprivilegierung nach allgemeiner Ansicht nicht. Denn hierbei entstehende Schäden werden durch den Arbeitnehmer nicht in Ausübung einer betrieblich veranlassten Tätigkeit verursacht9. Verursacht der Arbeitnehmer im Rahmen erlaubter Privatnutzung Schäden, weil er sich sorgfaltswidrig verhält, ist umstritten, ob ihm das Haftungsprivileg zugutekommen kann. Teilweise wird vertreten, infolge der Erlaubnis müsse sich der Arbeitgeber die Privatnutzung des Arbeitnehmers betrieblich zurechnen lassen10. Lediglich, wenn der Arbeitnehmer durch seine Privatnutzung gegen eine für die Privatnutzung aufgestellte Nutzungsregel verstieße und sich dadurch gerade derjenige Schaden verwirklicht, den die Nutzungsregeln verhindern sollte, würde die Haftungsprivilegierung entfallen11. Diese Sicht überzeugt jedoch nicht. Da der Arbeitgeber keine Vorteile aus der Privatnutzung zieht, sprechen auch keine Billigkeits-

1 BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16, juris Rz. 31 = ArbRB 2017, 331; LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, BB 2016, 891; LAG Köln v. 7.2.2020 – 4 Sa 329/19, juris Rz. 131 ff. 2 BAG v. 12.6.1992 – GS 1/89, Leitsatz 1, DB 1993, 939. 3 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (389); Dickmann, NZA 2003, 1009 (1012). 4 BAG v. 12.6.1992 – GS 1/89, DB 1993, 939 = juris Rz. 11. 5 BAG v. 12.6.1992 – GS 1/89, Leitsatz 1, DB 1993, 939. 6 BAG v. 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, juris Rz. 25 ff. = ArbRB 2011, 135; BAG v. 15.11.2012 – 8 AZR 705/11, juris Rz. 25 ff. = ArbRB 2013, 105. 7 BAG v. 18.4.2002 – 8 AZR 348/01, Leitsatz, ArbRB 2002, 327. 8 BAG v. 5.2.2004 – 8 AZR 91/03, Leitsatz 1, DB 2004, 1266. 9 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (389 f.); Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kapitel 4 Rz. 154. 10 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (389). 11 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (389 f.).

Grimm/Singraven

563

28.13

§ 28 Rz. 28.13

Privatnutzung des Firmeninternets

gesichtspunkte dafür, ihm eine haftungsrechtliche Mitverantwortung für die Privatnutzung zuzuweisen, die die Kehrseite jeder Haftungsprivilegierung wäre1. Die Beweislast dafür, ob die schadensauslösende Nutzung des Arbeitnehmers zu privaten oder dienstlichen Zwecken erfolgte, liegt beim Arbeitgeber (§ 619a BGB)2.

28.14 Treten Schäden auf, weil der Arbeitgeber keine marktüblichen Sicherheitsmechanismen wie Virenschutzprogramme und Firewalls eingerichtet hat, trifft den Arbeitgeber ein Mitverschulden (§ 254 BGB)3.

III. Best Practice 28.15 Unternehmen können die Privatnutzung ihrer Firmenhardware insgesamt verbieten und würden den damit verbundenen Konfliktpotentialen so generell vorbeugen. Ein solches Verbot kann die Mitarbeiterzufriedenheit allerdings spürbar beeinträchtigen. Dürften Mitarbeiter speziell ihr Firmenhandy nicht privat nutzen, hätten sie zudem wenig Anreiz, dieses in ihrer Freizeit bei sich zu führen und sich erreichbar zu halten. Deshalb erlauben die Mehrzahl der Unternehmen eine private Nutzung ihrer Firmenhardware zumindest in gewissen Grenzen (vgl. Rz. 28.2).

28.16 Entscheiden sich Unternehmen zur Erlaubnis der Privatnutzung, würden sie dadurch nach Auffassung der Datenschutzbehörden und einer Mindermeinung in der juristischen Literatur zum Anbieter von Telekommunikationsdiensten i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG. Dies hätte zur Konsequenz, dass jede Auswertung von Kommunikationsdaten der Mitarbeiter das Fernmeldegeheimnis verletzen und eine Straftat (§ 206 StGB) darstellen würde (dazu Rz. 28.10). Auf solche Auswertungen können Unternehmen allerdings nicht verzichten. Damit Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Privatnutzung erlauben, bei solchen Auswertungen nicht im rechtlichen Graubereich agieren müssen, gibt es eine Lösung: Nach Auffassung der Datenschutzbehörden4 können Unternehmen, die gegenüber ihren Arbeitnehmern als Anbieter von Telekommunikationsdiensten anzusehen sind, Strafbarkeitsrisiken bei der Auswertung von Kommunikationsdaten vermeiden, wenn sie nach folgender Best Practice vorgehen: – Die private Nutzung von Firmenhardware wird nur unter der Bedingung (§ 158 BGB) erlaubt, dass Arbeitnehmer in die Auswertung ihrer Kommunikationsdaten gem. Art. 6 Satz 1 lit. a DSGVO, § 26 Abs. 2 BDSG einwilligen. Solange ein Arbeitnehmer eine solche Einwilligung nicht erklärt, bleibt ihm die Privatnutzung verboten. – Auf Grundlage der Einwilligung sind Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis nach § 3 TTDSG erlaubt5 und nicht nach § 206 StGB strafbar, da die Einwilligung ein tatbestandsausschließendes Einverständnis begründet6. – Widerruft der Arbeitnehmer seine Einwilligung, was er gem. Art. 7 Abs. 3 DSGVO jederzeit darf, verliert er mit Wirkung für die Zukunft die Berechtigung zur Privatnutzung. Von da an ist der 1 Günther/Böglmüller in Arnold/Günther, Kapitel 4 Rz. 159; so auch die Rechtsprechung zu Unfällen während Privatfahrten mit zur Privatnutzung überlassenen Dienstwagen, vgl. LAG Rheinland-Pfalz v. 9.10.2018 – 6 Sa 75/18, Orientierungssatz 1, juris; LAG Köln v. 15.9.1998 – 13 Sa 367/98, Leitsatz, MDR 1999, 684. 2 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (390). 3 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (390). 4 Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder, Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und anderen Internetdiensten am Arbeitsplatz, 2016, S. 7 ff. 5 Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 22. 6 Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 206 StGB Rz. 11; Altenhain in MünchKomm/StGB, 4. Aufl. 2021, § 206 StGB Rz. 43 f.

564

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 28.18 § 28

Arbeitgeber im Verhältnis zum Arbeitnehmer auch nach Mindermeinung kein Anbieter von Telekommunikationsdiensten mehr. Der Arbeitnehmer muss sofort alle privaten Daten von den Datenträgern des Arbeitgebers löschen und der Arbeitgeber darf aufgrund von § 26 Abs. 1 DSGVO auf diese Datenträger zugreifen. Unbegrenzt sollte Arbeitnehmern die Privatnutzung der Firmenhardware nicht ermöglicht werden. Um Missbrauch, Unsicherheiten und Sorgfaltsverstößen vorzubeugen, empfiehlt es sich, klare Nutzungsvorgaben festzulegen1. Dabei ist der Betriebsrat zu beteiligen (vgl. Rz. 28.8). Es liegt deshalb nahe, die Nutzungsregeln in einer Betriebsvereinbarung niederzulegen. Diese Nutzungsregeln sollten auch für die betriebliche Nutzung der Firmenhardware gelten, da sich die gleichen Risiken stellen.

28.17

Die Betriebsvereinbarung kann wie folgt formuliert werden:

28.18

M 28.1 Betriebsvereinbarung – Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel Betriebsvereinbarung – Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel Fassung 1.0 vom … Präambel Um allen Mitarbeitern die private Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel zu ermöglichen und das EDV-System vor Viren und anderen schädlichen Programmen zu schützen, legen die Betriebsparteien folgende Regeln fest: § 1 Geltungsbereich (1) Diese Betriebsvereinbarung gilt persönlich für alle Arbeitnehmer des Betriebs i.S.d. § 5 Abs. 1 BetrVG, mit Ausnahme der leitenden Angestellten (nachgehend: Mitarbeiter). (2) Diese Betriebsvereinbarung gilt sachlich für den Umgang mit – Firmen-PCs, – Bürotelefonen, – Diensthandys, – Firmen-Notebooks, – USB-Sticks, externen Festplatten und anderen mobile Datenträgern der Firma (nachgehend: betriebliche Kommunikationsmittel). § 2 Erlaubnis zur Privatnutzung (1) Mitarbeiter sind nur dann berechtigt, betriebliche Kommunikationsmittel einschließlich der hierauf vorinstallierten Software, des dienstlichen E-Mails-Accounts und des Firmeninternets für private Zwecke zu nutzen, wenn sie gegenüber dem Arbeitgeber die als Anlage 1 beigefügte, datenschutzrechtliche Einwilligung (§ 26 Abs. 2 BDSG) uneingeschränkt erklären2. Andernfalls ist ihnen die Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel ausschließlich zu betrieblichen Zwecken gestattet und jede private Nutzung untersagt. 1 Hoppe, ArbRAktuell 2010, 388 (390). 2 Allein die datenschutzrechtliche Einwilligung reicht in mitbestimmten Betrieben nicht aus, um den Zugriff des Arbeitgebers zu legitimieren. Da es sich bei betrieblichen Kommunikationsmitteln stets um technische Überwachungseinrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG handelt, muss auch der Betriebsrat zustimmen. Dies spricht dafür, das Formular, mit dem die Arbeitnehmer ihre Einwilligung erklären, mit dem Betriebsrat abzustimmen, z.B. indem es als Anlage einer Betriebsvereinbarung beigefügt wird.

Grimm/Singraven

565

§ 28 Rz. 28.18

Privatnutzung des Firmeninternets

(2) Die Abgabe der Einwilligung nach Abs. 1 ist freiwillig. Die Einwilligung kann jederzeit frei widerrufen werden (Art. 7 Abs. 3 DSGVO). Sobald die Einwilligung ganz oder teilweise wirksam widerrufen wurde, ist der Mitarbeiter nicht mehr berechtigt, betriebliche Kommunikationsmittel für private Zwecke zu nutzen und muss alle privaten Daten, die er auf betrieblichen Kommunikationsmitteln gespeichert hatte, gelöscht haben1. (3) Sobald das Beschäftigungsverhältnis eines Mitarbeiters endet, verliert er seine Berechtigung, betriebliche Kommunikationsmittel privat zu nutzen. Zuvor ist der Mitarbeiter verpflichtet, alle privaten Daten, die er auf betrieblichen Kommunikationsmitteln gespeichert hatte, zu löschen. § 3 Nutzungsregeln (1) Soweit Mitarbeiter betriebliche Kommunikationsmittel betrieblich oder privat nutzen, müssen sie die folgenden Regeln einhalten: a) Eine private Nutzung ist nur in einem Umfang zulässig, der die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen des Mitarbeiters nicht beeinträchtigt. Eine private Nutzung ist grundsätzlich nur außerhalb der Arbeitszeit, d.h. in den Pausen und nach Feierabend zulässig. b) Jede Nutzung darf die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit der betrieblichen Kommunikationsmittel nicht gefährden. Das Herunterladen von Programmen und die Installation dieser Programme auf betrieblichen Kommunikationsmitteln sind untersagt, sofern diese Programme nicht durch die IT-Abteilung freigegeben wurden. Vorinstallierte Programme dürfen nicht gelöscht werden. Das Log-in in private E-Mail-Konten der Mitarbeiter (z.B. web.de, google.com) über betriebliche Kommunikationsmittel ist strengstens untersagt, da auf diesem Wege Viren in das Netzwerk des Unternehmens gelangen könnten. Die Nutzung von We-Transfer, Drop-Box und ähnlichen Diensten ist aus diesem Grund ebenfalls untersagt. c) Um zu verhindern, dass Viren in das Unternehmensnetzwerk gelangen können, ist der Anschluss mobiler Datenträger (z.B. USB-Sticks, CD-Rom) an betriebliche Kommunikationsmittel untersagt, soweit diese Datenträger nicht durch die IT-Abteilung freigegeben wurden. Private Handys dürfen nicht, auch nicht zum Laden, mit betrieblichen Kommunikationsmitteln verbunden werden. Eine Ausnahme gilt ausschließlich für die Diensthandys, welche durch die IT-Abteilung unseres Unternehmens eingerichtet wurden. d) Die private Nutzung darf nicht dazu führen, dass unser Unternehmen möglichen Haftungsansprüchen ausgesetzt oder sein Ruf beeinträchtigt wird. Nutzer dürfen über die Browser deshalb nicht auf illegale Inhalte oder anderweitig unangemessenes Material zugreifen oder versuchen, darauf zuzugreifen. Verboten ist insbesondere: – das nicht beruflich veranlasste Herunterladen von Radioprogrammen, Filmen, MP3-Dateien, Spielen und Ähnlichem sowie die Verwendung von File-Sharing-Diensten, – das Aufrufen von Internetseiten mit Inhalten, die gegen Gesetze verstoßen oder die geeignet sind, den Betriebsfrieden zu stören, sowie das Herunterladen von Dateien und Dokumenten solchen Inhalts und das Versenden von E-Mails mit entsprechendem Inhalt; hierzu gehören insbesondere Inhalte, die sich gegen die Würde des Menschen richten sowie pornographische, gewaltverherrlichende, volksverhetzende, rassistische, verfassungsfeindliche oder sittenwidrige Inhalte, – das Starten oder Weiterleiten von Ketten-E-Mails, – die Nutzung kostenpflichtiger Inhalte sowie – die Teilnahme an interaktiven Spielen. e) Durch die private Nutzung dürfen dem Arbeitgeber keine zusätzlichen Kosten verursacht werden. Durch die private Nutzung der Diensthandys darf deren monatliches Datenvolumen nicht soweit aufgebraucht werden, dass eine weitergehende betriebliche Nutzung beeinträchtigt oder kosten1 Die Privatnutzung wird durch das Muster nur unter der Bedingung erlaubt, dass der Arbeitnehmer in den Zugriff des Arbeitgebers auf seine Telekommunikationsdaten einwilligt (dazu Rz. 28.16).

566

Grimm/Singraven

III. Best Practice

Rz. 28.18 § 28

pflichtig wird. Das Anrufen kostenpflichtiger Nummern oder das Führen kostenintensiver Auslandstelefonate ist bei der privaten Nutzung des Diensthandys untersagt. (2) Im Rahmen der gesetzlichen und insbesondere der datenschutzrechtlichen Vorgaben ist der Arbeitgeber berechtigt, übliche Protokollierungsfunktionen und Filterfunktionen einzurichten, die Datenübertragungen erfassen, dokumentieren, verhindern und ggf. automatisiert melden. Der Arbeitgeber darf die hierbei erhobenen Daten nach Maßgabe von § 26 BDSG auswerten, um die Einhaltung der Nutzungsregeln nach Abs. 1 durchzusetzen sowie Straftaten und andere schwere Pflichtverletzungen zu verhindern oder aufzuklären1. § 4 Schlussbestimmungen (1) Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Sie kann mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden und wirkt in diesem Fall nicht nach2. (2) Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, so bleiben die übrigen Bestimmungen in Kraft. Die Betriebsparteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmung eine Regelung zu finden, die der unwirksamen Bestimmung am nächsten kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer Regelungslücke wie auch im Fall der Nichtdurchführbarkeit einer in dieser Betriebsvereinbarung enthaltenen Regelung. Folgende Anlagen sind Bestandteil dieser Betriebsvereinbarung: Anlage 1: Formular – Einwilligung in Protokollierung und Datenzugriffe Ort …, Datum … … Geschäftsführung

… Betriebsratsvorsitzender

Anlage 1: Einwilligung in Protokollierung und Datenzugriffe Die Abgabe dieser Einwilligung ist freiwillig und Voraussetzung dafür, dass der Mitarbeiter – Firmen-PCs, – Bürotelefone, – Diensthandys, – Firmen-Notebooks, – USB-Sticks, externe Festplatten und andere mobile Datenträger der Firma (nachgehend: betriebliche Kommunikationsmittel) für private Zwecke nutzen darf. Die Einwilligung ist jederzeit frei widerruflich3. Sobald die Einwilligung ganz oder teilweise wirksam widerrufen wurde oder das Beschäftigungsverhältnis des Mitarbeiters endet, ist der Mitarbeiter nicht mehr berechtigt, betriebliche Kommunikationsmittel für private Zwecke zu nutzen und muss alle privaten Daten, die er auf betrieblichen Kommunikationsmitteln gespeichert hat, gelöscht haben.

1 Die Einrichtung von technischen Überwachungsfunktionen ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt. Oft tun sich Betriebsräte schwer damit, technische Leistungs- und Verhaltenskontrollen zuzulassen. Da der Betriebsrat aber nicht erzwingen kann, dass der Arbeitgeber die Privatnutzung der Firmenhardware erlaubt, kann der Arbeitgeber für diese Erlaubnis Gegenleistungen fordern. Eine solche Gegenleistung kann die Zustimmung des Betriebsrates zu technischen Verhaltenskontrollen sein. 2 Da die Erlaubnis der Privatnutzung ein freiwilliges Entgegenkommen des Arbeitgebers ist, spricht viel dafür, die Nachwirkung der Betriebsvereinbarung für den Fall der Kündigung auszuschließen. Auf diese Weise kann der Arbeitgeber die Erlaubnis jederzeit beenden. 3 Auf die Widerruflichkeit der Einwilligung muss ausdrücklich hingewiesen werden (Art. 7 Abs. 3 Satz 3 DSGVO).

Grimm/Singraven

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§ 28 Rz. 28.18

Privatnutzung des Firmeninternets

Auch soweit der Arbeitgeber aufgrund der Einwilligung personenbezogene Daten des Mitarbeiters verarbeitet, muss er auf die Persönlichkeitsrechte des Mitarbeiters Rücksicht nehmen und darf als privat gekennzeichnete Daten nur im Ausnahmefall öffnen, nämlich nur, wenn dies im Einzelfall notwendig ist. In diesem Wissen willige ich, … (Name des Mitarbeiters), gegenüber meinem Arbeitgeber darin ein, dass der Arbeitgeber meine private Nutzung des betrieblichen Internetzugangs protokollieren darf. Außerdem willige ich darin ein, dass der Arbeitgeber sämtliche auf den von mir genutzten betrieblichen Kommunikationsmitteln und sämtliche im Zusammenhang mit der Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel gespeicherten Daten Zugriff nehmen sowie Verbindungsdaten und Protokolle von Datenverarbeitungen und Datenübertragungen auswerten darf, wenn – ich abwesend und nicht erreichbar bin und weiteres Abwarten zu erheblichen Nachteilen für das Unternehmen oder andere Mitarbeiter führen kann, – der Arbeitgeber nach allgemeinen Kriterien Routinekontrollen und Stichproben durchführt, um die Einhaltung von Nutzungsvorgaben und Arbeitnehmerpflichten zu überwachen, – der Arbeitgeber zum Zwecke der technischen Fehlersuche, Fehlerbehebung oder zum Zwecke der IT-Sicherheitskontrolle Zugriff nehmen muss, – Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass ich gegen Nutzungsregeln und andere arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen habe oder – der Zugriff und Auswertung gemessen an den Wertmaßstäben des § 26 Abs. 1 BDSG in anderen Fällen als zulässig anzusehen ist. … Unterschrift des Mitarbeiters

Ort …, Datum …

§ 29 Bring Your Own Device (BYOD) I. Worum geht es? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.1 II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.3 1. Allgemeine rechtliche Anforderungen bei der Nutzung von Mobilfunkgeräten und PCs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.4 a) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 6 BetrVG . . . . . . . . . . . . . 29.5 b) Arbeitszeitrechtliche Probleme . . . . . 29.8 2. Rechtliche Anforderungen bei paralleler privater und dienstlicher Nutzung von Endgeräten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29.10 a) Der Arbeitgeber als Diensteanbieter i.S.d. § 3 TTDSG . . . . . . . . . . . . . . . 29.11

b) Urheberrechtliche Anforderungen . . c) Datenschutzrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entschädigungs- und Schadensersatzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Herausgabeansprüche und Fernzugriffsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betriebsvereinbarung Bring Your Own Device . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte . . . . .

29.12 29.13 29.17 29.19 29.20 29.21 29.23

Literatur: Arning/Moos, Bring Your Own Device, DB 2013, 2607; Fokken, Telekommunikationsrechtliche Pflichten des Arbeitgebers bei privater E-Mail-Nutzung der Mitarbeiter, NZA 2020, 629; Göpfert/Wilke, Nutzung privater Smartphones für dienstliche Zwecke, NZA 2012, 765; Gola, Handbuch Beschäftigten-

568

Grimm/Singraven und Göbel

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 29.4 § 29

datenschutz, 8. Aufl. 2019; König, Beschäftigtendatenschutz in der Beratungspraxis, 2020; Kramer, IT-Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2019; Reufels/Pütz, Einsatz privater Mobilgeräte im Arbeitsverhältnis (BYOD), ArbRB 2018, 26; Schiefer, Mobile Arbeit – Aktuelle Fragen und der 2. Referentenentwurf „Mobile-Arbeit-Gesetz“ (MAG), DB 2021, 114; Schreiber/Iziraren, Herausforderungen des Datenschutzrechts und der IT-Sicherheit bei der Umsetzung von Homeoffice, ZdiW 2021, 3; Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Daten- und Persönlichkeitsschutz im Arbeitsverhältnis, 2. Aufl. 2019.

I. Worum geht es? BYOD steht als Abkürzung für „bring your own device“ und bezeichnet in verschiedenen Spielarten eine Praxis, bei der ein Arbeitnehmer1 entweder sein privates Mobilfunkgerät oder seinen privaten PC für seine Arbeit nutzt oder ein seinem Unternehmen gehörendes Gerät auch privat nutzen darf. Letzteres wird als COPE (corporate owned, personally enabled) oder als CYOD (choose your own device) bezeichnet, wobei der Arbeitnehmer beim CYOD zwischen verschiedenen Geräten wählen darf, während er beim COPE ein Gerät fest zugewiesen bekommt2.

29.1

Die Vorteile des BYOD oder CYOD liegen auf der Hand: Beim BYOD spart der Arbeitgeber Kosten, 29.2 da er keine neuen Geräte anschaffen muss. Beim CYOD erhält der Arbeitnehmer kostenlos ein Handy oder einen PC. Außerdem ist die parallele dienstliche und private Nutzung häufig praktischer für den Arbeitnehmer als die Nutzung zweier Geräte, die er ständig mit sich herumtragen und auf die er sich einstellen muss.

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen? Bei genauerem Hinsehen stellt die parallele private und dienstliche Nutzung eines Endgeräts aller- 29.3 dings ein Konstrukt dar, das rechtlich und technisch mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist. Der Einsatz technischer Geräte selbst bereitet bereits einige (lösbare) rechtliche Probleme. Einigermaßen anspruchsvoll wird es aber, wenn die Geräte sowohl privat als auch beruflich genutzt werden dürfen. In der Praxis scheint es so, als würden die Probleme häufig ignoriert – die Nutzung von privaten Geräten für dienstliche Zwecke oder umgekehrt erfolgt dann auf Vertrauensbasis. Zu empfehlen ist das insbesondere angesichts der Herausforderungen des Datenschutzrechts und der erheblich gestiegenen Bedeutung dieses Rechtsgebiets seit Inkrafttreten der DSGVO nicht. Eher dürfte es geboten sein, angesichts der rechtlichen Herausforderungen der parallelen dienstlichen und privaten Nutzung von Endgeräten zu einer strikten Trennung zu raten. Etwaige rechtliche Defizite beim BYOD oder CYOD sind hier allerdings in der Praxis gegen Aspekte wie einfachere Handhabbarkeit und Mitarbeiterzufriedenheit abzuwägen.

1. Allgemeine rechtliche Anforderungen bei der Nutzung von Mobilfunkgeräten und PCs Nachfolgend werden zunächst die rechtlichen Anforderungen dargestellt, die bei der Einführung von dienstlich genutzten Handys und PCs zu beachten sind, unabhängig davon, ob die Geräte auch privat genutzt werden können.

1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Abschnitt auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. 2 So zumindest die Differenzierung bei Arning/Moos, DB 2013, 2607 (2607).

Göbel

569

29.4

§ 29 Rz. 29.5

Bring Your Own Device (BYOD)

a) Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 6 BetrVG 29.5 Die Einführung von Handys und PCs setzt in mitbestimmten Betrieben eine umfassende Beteiligung des Betriebsrats voraus1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist die Einführung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten der Arbeitnehmer zu überwachen, mitbestimmungspflichtig2. Das Mitbestimmungsrecht entsteht bei der Nutzung jeder technischen Einrichtung, die abstrakt eine Überwachung der Arbeitnehmer ermöglicht, unabhängig davon, ob die Überwachung auch bezweckt ist3. Die Nutzung eines Handys oder PCs bietet vielfältige solcher Überwachungsmöglichkeiten, da etwa Browserverläufe automatisch gespeichert werden können und bei zahlreichen Apps die Daten des letzten Logins festgehalten werden.

29.6 Das Mitbestimmungsrecht entsteht bei jeder Einführung und Änderung einer technischen Einrichtung4. Eine Änderung einer technischen Einrichtung erfolgt bei jedem Update einer Software, so dass der Arbeitgeber faktisch gezwungen ist, eine Betriebsvereinbarung über die Nutzung von Diensthandys und -pcs abzuschließen, in der die Veränderung von Applikationen geregelt wird. Andernfalls müsste der Betriebsrat vor jeder Installation einer Anwendung oder vor jedem Update erneut beteiligt werden5.

29.7 Neben der Einführung unterliegt auch die Nutzung von zumindest teilweise dienstlich genutzten technischen Geräten der Mitbestimmung durch den Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und ggf. Nr. 2 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG betrifft alle Fragen der Ordnung im Betrieb, die nicht vom üblichen Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf die Arbeitsverrichtung umfasst sind. Bei der Nutzung von Handys und PCs sind danach Regeln zur Datensicherheit oder Verschlüsselung, zum Nutzungsverhalten und Vorgaben zur Abgrenzung der privaten und dienstlichen Nutzung mitbestimmungspflichtig6. Darüber hinaus hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Arbeits- und ggf. Bereitschaftszeiten nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, das bei der Festlegung von Zeiten, in denen der Mitarbeiter für dienstliche Nachfragen und E-Mails noch oder nicht mehr zur Verfügung stehen muss, relevant ist7.

b) Arbeitszeitrechtliche Probleme 29.8 Die dienstliche Nutzung von Handys und PCs birgt arbeitszeitrechtliche Risiken, nicht nur, aber ganz besonders bei paralleler privater Nutzung. Nach § 3 Satz 1 u. 2 ArbZG darf die tägliche Arbeitszeit maximal zehn Stunden, im 6-Monats-Durchschnitt allerdings nicht mehr als acht Stunden pro Tag betragen. Liest und beantwortet ein Arbeitnehmer dienstliche E-Mails nach Ende seiner üblichen Arbeitszeit, leistet er zumindest dann Arbeit, wenn er zeitlich nicht nur völlig unerheblich beansprucht wird (weniger als 15 Minuten8 Zeitaufwand)9. Arbeitnehmer mit einer 40-Stunden-Woche dürfen daher, nachdem sie ihre Arbeit für den Tag niedergelegt haben, arbeitszeitrechtlich keine E-Mails mehr beantworten. Beantworten sie sie trotzdem, überschreiten sie die zulässige Höchstarbeitszeit, es sei denn, sie erhalten für das Beantworten der E-Mail an anderer Stelle Freizeitaus-

1 Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 686. 2 Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765 (769). 3 BAG, Beschl. v. 13.12.2016 – 1 ABR 7/15, ArbRB 2017, 174 = NZA 2017, 657 – 4. Orientierungssatz; vgl. Schwarze in Boecken/Düwelll/Diller/Hanau, § 87 BetrVG Rz. 150. 4 S. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 234. 5 Vgl. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 234; Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 700. 6 S. Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765 (770); Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 702. 7 Vgl. Kania in ErfK, § 87 BetrVG Rz. 25a. 8 So auch Wichert in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, § 5 ArbZG Rz. 8; Wirtz, BB 2014, 1397 (1401). 9 So Bissels/Domke/Wisskirchen, DB 2010, 2052 (2054); Wirtz, BB 2014, 1397 (1401); ohne jede Erheblichkeitsschwelle: Kock in BeckOK/ArbR, § 5 ArbZG Rz. 7; Falder, NZA 2010, 1150 (1152); Jacobs, NZA 2016, 733 (736); Wank, RdA 2014, 285 (288 f.).

570

Göbel

II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 29.11 § 29

gleich, so dass im 6-Monatsmittel keine Überarbeit entsteht. Außerdem beginnt die 11-stündige Ruhezeit des § 5 Abs. 1 ArbZG von neuem zu laufen, so dass ein Arbeitnehmer, der nachts um 0 Uhr noch eine E-Mail liest, am nächsten Tag erst um 11 Uhr wieder mit der Arbeit beginnen dürfte. Arbeitgeber, die tolerieren oder erwarten, dass ihre Arbeitnehmer nach Dienstende noch E-Mails 29.9 empfangen, begehen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, die nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 u. 3 ArbZG mit Bußgeldern von bis zu 15.000 EUR belegt werden können. Benutzt ein Arbeitnehmer ein Gerät parallel privat und beruflich, erhöht sich das Risiko solcher Verstöße. Eine Vereinbarung über die private Nutzung dienstlicher Geräte oder über die dienstliche Nutzung privater Geräte sollte daher unbedingt Regeln zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes, ein Verbot der Überarbeit und ein Gebot der Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen enthalten1.

2. Rechtliche Anforderungen bei paralleler privater und dienstlicher Nutzung von Endgeräten Die bisher aufgezeigten rechtlichen Herausforderungen bestehen unabhängig davon, ob ein Endgerät parallel dienstlich und privat oder nur dienstlich genutzt wird. Nachfolgend werden die (schwierigeren) rechtlichen Anforderungen des parallelen Einsatzes dienstlicher und privater Endgeräte dargestellt.

29.10

a) Der Arbeitgeber als Diensteanbieter i.S.d. § 3 TTDSG Nutzt ein Arbeitnehmer ein Endgerät sowohl für dienstliche als auch für private Zwecke, stellt sich 29.11 die Frage, ob der Arbeitgeber bei der Durchführung von Telefongesprächen an das Fernmeldegeheimnis des § 3 Abs. 1 TTDSG gebunden ist. Davon hängt ab, ob und unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber auf Kommunikations- und Verbindungsdaten zugreifen darf (§ 3 Abs. 3 TTDSG). Bis zum 1.12.2021 war das Fernmeldegeheimnis noch in § 88 TKG kodifiziert und wurde dann in den § 3 TTDSG übernommen. Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber es versäumt, bestehende Unsicherheiten darüber, ob der Arbeitgeber Telekommunikationsdiensteanbieter ist und damit an das Fernmeldegeheimnis gebunden ist, aufzulösen2. Die bisher geltenden Grundsätze und Ansichten können daher weiter herangezogen werden. Damit gelten für das Führen von Telefongesprächen durch Arbeitnehmer die folgenden Grundsätze: – Nutzt ein Arbeitnehmer ein Endgerät des Arbeitgebers ausschließlich dienstlich, ist der Arbeitgeber nicht Diensteanbieter i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG. Der Arbeitgeber erbringt in dieser Konstellation keine Dienste für einen „Dritten“, da der Arbeitnehmer als Teil des Unternehmens nach außen auftritt3. – Nutzt ein Arbeitnehmer dagegen ein privates Endgerät auch dienstlich, ist der Arbeitgeber ebenfalls nicht Anbieter i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG, da er in diesem Fall gar keine Dienste erbringt, sondern sich der Arbeitnehmer selbst um einen Mobilfunkvertrag bemüht hat4. – Problematisch ist es dagegen, wenn der Arbeitnehmer ein dienstlich bereitgestelltes Endgerät auch privat nutzen darf. Ob der Arbeitgeber in diesem Fall Diensteanbieter i.S.v. § 3 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG ist, ist umstritten. Die wohl überwiegende Auffassung ordnet den Arbeitgeber als Diens-

1 Ein Vorschlag für eine entsprechende Klausel ist in § 5 der unten (Rz. 29.22) vorgeschlagenen Betriebsvereinbarung enthalten. 2 Munz in Taeger/Gabel, § 3 TTDSG Rz. 24 f. 3 Grimm in Tschöpe, Teil 6 F Rz. 232; Vietmeyer/Byers, MMR 2010, 807 (808). 4 Wisskirchen/Schiller, DB 2015, 1163 (1163 f.).

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§ 29 Rz. 29.11

Bring Your Own Device (BYOD)

teanbieter ein1, obwohl einige Instanzgerichte die Frage bereits anders entschieden haben2. Überzeugender wäre es mit den Gerichten und einer im Vordringlichen befindlichen Ansicht die Diensteanbieterstellung des Arbeitgebers abzulehnen3. Das TTDSG dient nicht dem Zweck, das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu regeln, sondern betrifft ganz anders gelagerte Rechtsverhältnisse zwischen Diensteanbietern und ihren Millionen von Kunden. Solange allerdings keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage vorliegt, kann Arbeitgebern nicht geraten werden, die Pflichten von Diensteanbietern, insbesondere die Verpflichtung zum Schutz des Fernmeldegeheimnisses aus § 3 Abs. 3 TTDSG zu ignorieren, da sie sich dadurch dem Risiko aussetzen, sich nach § 206 StGB strafbar zu machen. – Bei der privaten Nutzung dienstlicher Endgeräte muss daher die Vorschrift des § 3 TTDSG eingehalten werden. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber sich nur in dem für die Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderlichen Maß Kenntnis von den Inhalten der Kommunikation verschaffen darf und dass er einmal erlangte Kenntnisse auch nur zur Gewährleistung der Diensteerbringung nutzen darf, § 3 Abs. 3 TTDSG. Eine darüber hinausgehende Einsicht in die Kommunikation bedarf der (jederzeit widerruflichen) Einwilligung des Arbeitnehmers.

b) Urheberrechtliche Anforderungen 29.12 Apps und Programme, die auf Endgeräten genutzt werden, sind als geistiges Eigentum der Programmierer nach Maßgabe der §§ 69a ff. UrhG urheberrechtlich geschützt. Die dienstliche Nutzung einer App setzt daher eine entsprechende Lizenz voraus, die sich häufig von der Lizenz zur privaten Nutzung unterscheidet („Business-Version“). Bei der parallelen dienstlichen und privaten Nutzung von Endgeräten muss daher sichergestellt werden, dass für die dienstliche Nutzung von Anwendungen die erforderlichen Berechtigungen vorhanden sind4. Andernfalls haften Arbeitnehmer und Arbeitgeber nach § 97 Abs. 1, § 99 UrhG für die Lizenzverletzungen, wobei es allerdings in einigen Fällen, etwa bei der parallelen privaten und dienstlichen Nutzung von Messengerdiensten, praktisch nur selten vorkommen dürfte, dass Lizenzverletzungen aufgedeckt und geahndet werden.

c) Datenschutzrechtliche Anforderungen 29.13 Die größte Herausforderung des parallelen privaten und dienstlichen Einsatzes von Endgeräten dürfte die datenschutzrechtskonforme Ausgestaltung der Nutzung sein. Das liegt zum einen daran, dass durch die DSGVO schon für sich genommen hohe Anforderungen an den Einsatz technischer Geräte gestellt werden, zum anderen daran, dass bei der parallelen dienstlichen und privaten Nutzung von Endgeräten die Datenschutzbelange von Kunden und Zulieferern denen der Arbeitnehmer gegenüberstehen.

29.14 Speichert ein Arbeitnehmer personenbezogene dienstliche Daten, etwa Kontakte, in seinem Handy ab, so muss anschließend ein Zugriff auf diese Daten durch Anwendungen, für die keine berufliche Verwendung besteht, verhindert werden. Andernfalls wäre jeder Zugriff eine Verletzung der Kundendaten, da keine Rechtfertigung für die Datenverarbeitung durch eine von einem Arbeitnehmer privat

1 Byers in Weth/Herberger/Wächter/Sorge, Teil B VIII Rz. 3; Panzer-Heemeier in Lunk, AnwaltFormulare Arbeitsrecht, § 2 IV., A Rz. 284; Brink/Schwab, ArbRAktuell 2018, 111; Frings/Wahlers, BB 2011, 3126; Deutsch/Diller, DB 2009, 1465. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 16.2.2011 – 4 Sa 2132/10, ArbRB 2011, 200 = BB 2011, 2298 (2300); LAG Berlin-Brandenburg v. 14.1.2016 – 5 Sa 657/15, ArbRB 2016, 104 = BB 2016, 891; LAG Niedersachsen v. 31.5.2010 – 12 Sa 875/09, ArbRB 2010, 300 = NZA-RR 2010, 406 (408); VG Karlsruhe v. 27.5.2013 – 2 K 3249/12, NVwZ-RR 2013, 797 (800); offenbar a.A.: Hessisches LAG v. 5.8.2013 – 10 Sa 601/18, BeckRS 2018, 36472 – Rz. 55. 3 Fokken, NZA 2020, 629 (633). 4 Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765 (767).

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II. Was sind die rechtlichen Herausforderungen?

Rz. 29.18 § 29

genutzte Anwendung (z.B. WhatsApp) besteht (vgl. Art. 6 DSGVO). Ein Zugriff auf dienstliche Daten kann mithilfe sog. Container-Apps verhindert werden, die einen separaten Daten-„Container“ innerhalb eines Endgerätes erzeugen. Anschließend kann der Zugriff auf die im Container gespeicherten Daten für ausgewählte Anwendungen separat erlaubt werden1. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber nach Art. 32 DSGVO geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten zu ergreifen. Darunter gehören insbesondere2:

29.15

– Schutz des Endgeräts vor unbefugtem Zugriff (Passwort, Gesichtserkennung, Fingerabdruck etc.) – Gesonderte Zugriffshürden für die Öffnung dienstlicher Programme (Passwort etc.) – Synchronisation der dienstlichen Daten mit dem Unternehmensserver – Fernlöschungsrechte – hierfür bieten sich Managementsoftwares (Mobile-Device-ManagementSystems) an, die einen Zugriff des Arbeitgebers auf ein Endgerät ermöglichen – verschlüsselte Datenübertragungen – Einrichtung einer Firewall und von Antivirenprogrammen – Sicherstellung ständiger Systemupdates Um die dauerhafte Einhaltung dieser Maßnahmen sicherstellen zu können, ist der Arbeitgeber faktisch verpflichtet, sich ein Zugriffsrecht auf die vom Arbeitnehmer genutzte Technik vertraglich zusichern zu lassen. Mithilfe dieses Zugriffsrechts muss der Arbeitgeber permanent eine technisch sichere Umgebung für personenbezogene Daten gewährleisten. Im Zusammenhang mit dem Zugriffsrecht ist problematisch, dass bei der parallelen Nutzung dienstlicher und privater Daten ein Zugriff des Arbeitgebers auf die privaten Daten des Arbeitnehmers ausgeschlossen werden muss. Andernfalls sind insbesondere Verstöße gegen das Fernmeldegeheimnis aus § 88 TKG zu befürchten, die nach § 206 StGB strafrechtlich verfolgt werden3. Bei der Installation von Programmen und Updates sowie bei etwaigen Kontrollzugriffen muss daher sichergestellt werden, dass der Arbeitgeber nicht auf Nachrichten, Browserverläufe oder Kontakte des Arbeitnehmers zugreift. Insoweit kann der Arbeitnehmer allerdings – jederzeit widerruflich – in die Verarbeitung der Daten einwilligen4.

29.16

d) Entschädigungs- und Schadensersatzpflichten Stellt der Arbeitnehmer ein privates Endgerät für die Erfüllung dienstlicher Aufgaben zur Verfügung, erhält er nach § 670 BGB analog einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen. Dieser Aufwendungsersatz ist praktisch am sinnvollsten mit einer pauschalen Beteiligung des Arbeitgebers an den Kosten, die dem Arbeitnehmer bei der dienstlichen Nutzung seines privaten Endgeräts entstehen, abzugelten5.

29.17

Außerdem hat der Arbeitnehmer im Rahmen der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs einen Anspruch auf Ersatz privater Endgeräte aus § 670 BGB analog, die während der Verrichtung dienstlicher Tätigkeiten beschädigt werden6.

29.18

1 2 3 4 5 6

Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 691. S. hierzu Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 689. Göpfert/Wilke, NZA 2012, 765 (767). Hoppe in Kramer, Teil B Rz. 698. Gola, Rz. 1112. Vgl. Schwab in NK/BGB, § 670 BGB Rz. 11.

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§ 29 Rz. 29.19

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e) Herausgabeansprüche und Fernzugriffsrechte 29.19 Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass er zur Sicherung der personenbezogenen Daten auf dem Endgerät des Arbeitnehmers die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen ergreifen kann. Dafür muss er sich (Fern-)Zugriffsrechte auf das genutzte Endgerät einräumen lassen. Auch eine Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten – sofern ernannt – ist sicherzustellen. Sofern das Gerät verloren geht, muss auch rechtlich eine Grundlage für eine Fernlöschung dienstlicher Daten geschaffen werden1.

III. Best Practice 29.20 Die Nutzung privater Endgeräte, die parallel privat und dienstlich genutzt werden, erfordert: – eine individualvertragliche Vereinbarung über den Einsatz eines privaten Endgeräts für dienstliche Tätigkeiten (der Arbeitgeber kann einen Arbeitnehmer nicht anweisen, private Endgeräte für dienstliche Tätigkeiten zu nutzen; die Pflicht zur Bereithaltung der Arbeitsmittel liegt grundsätzlich beim Arbeitgeber), – in mitbestimmten Betrieben: eine Betriebsvereinbarung, die die Bedingungen für die Nutzung privater Endgeräte regelt2, – in nicht mitbestimmten Betrieben: eine Nutzungsordnung, die diese Funktion erfüllt. Die nachfolgend vorgeschlagene Betriebsvereinbarung kann auch als Muster für vom Arbeitgeber ausgegebene „Nutzungsordnungen“ verwendet werden. In diesem Fall muss zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vertraglich die Geltung der Nutzungsordnung festgeschrieben werden.

1. Betriebsvereinbarung Bring Your Own Device 29.21 Die erforderlichen Betriebsvereinbarungen unterscheiden sich abhängig davon, ob eine Betriebsvereinbarung für BYOD, also die dienstliche Nutzung privater Endgeräte, oder für CYOD, die private Nutzung dienstlicher Endgeräte, gebraucht wird3.

29.22 M 29.1 Betriebsvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte Betriebsvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte Zwischen dem …-Unternehmen (nachfolgend: Unternehmen) und dem Betriebsrat/Gesamtbetriebsrat/Konzernbetriebsrat (nachfolgend: Betriebsrat) wird folgende Betriebsvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte getroffen.

1 Gola, Rz. 1114. 2 Die Nutzung von Endgeräten bietet vielfältige Möglichkeiten zur Überwachung von Arbeitnehmern, etwa weil Browser Verlaufsdaten speichern oder weil Apps es ermöglichen, zu kontrollieren, wann der letzte Login erfolgt ist. Wird über die Nutzung und Verwendung, insbesondere die Installation von Updates, keine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, müsste der Betriebsrat in mitbestimmten Betrieben vor jedem Update erneut beteiligt werden (Rz. 29.6), vgl. Fitting, § 87 BetrVG Rz. 234. 3 Das vorliegende Muster beruht auf den Vorschlägen für Betriebsvereinbarungen von Gola, Rz. 1115 und der Orientierungshilfe der Datenschutzaufsichtsbehörden zur datenschutzgerechten Nutzung von E-Mail und Internetdiensten am Arbeitsplatz, abrufbar unter https://www.datenschutzkonferenz-online. de/media/oh/201601_oh_email_und_internetdienste.pdf, Stand: Januar 2016.

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III. Best Practice

Rz. 29.22 § 29

§ 1 Geltungsbereich Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Beschäftigten des Unternehmens …, die mit dem Unternehmen die unter Anlage 1 beigefügte Vereinbarung über die Nutzung privater Handys, Laptops, PCs (nachfolgend: Endgeräte) abgeschlossen haben1. § 2 Allgemeine Grundsätze (1) Dienstliche Datenverarbeitungen und Kommunikation finden ausschließlich auf dienstlichen Endgeräten statt, es sei denn, die Nutzung privater Endgeräte ist durch das Unternehmen ausdrücklich genehmigt. Der Einsatz privater Endgeräte darf nur zugelassen werden, wenn dies der Erledigung der dienstlichen Tätigkeiten förderlich ist. (2) Die Gestattung der Nutzung privater Endgeräte begründet keinen Anspruch darauf, dienstliche Tätigkeiten im Home-Office zu verrichten. [optional: Für die Arbeit im Home-Office gilt ergänzend die Home-Office-Betriebsvereinbarung vom …] (3) Beschäftigte unterliegen keiner Verpflichtung, ihre privaten Endgeräte für die Verrichtung dienstlicher Tätigkeiten zur Verfügung zu stellen. Beschäftigten, die ihr privates Endgerät nicht für dienstliche Tätigkeiten nutzen möchten, wird ein dienstliches Gerät zur Verfügung gestellt. (4) Die dienstliche Nutzung privater Endgeräte erfolgt auf Grundlage der in Anlage 1 beigefügten Vereinbarung. Jede Partei kann diese Vereinbarung mit einer Frist von 4 Wochen zum Monatsende kündigen. Jede Partei kann die Vereinbarung darüber hinaus aus wichtigem Grund jederzeit fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund zur Kündigung durch das Unternehmen liegt insbesondere vor, wenn die Sicherheit der dienstlichen personenbezogenen Daten auf dem Endgerät des Arbeitnehmers gefährdet ist. § 3 Grundsätze des Datenschutzes (1) Für dienstliche Datenverarbeitungen ist das Unternehmen verantwortliche Stelle nach Art. 4 Nr. 7 DSGVO. Das Unternehmen ist daher verpflichtet, die Sicherheit der dienstlich zu verarbeitenden Daten auch auf den privaten Endgeräten sicherzustellen. Dafür gelten die folgenden Regeln: a) Zwischen dienstlichen und privaten Daten ist zu trennen. Dafür werden betriebsbezogene Daten in einem separaten Speicher abgelegt (sog. Datencontainer). Dieser wird mit einem Passwort geschützt, das in der Personalabteilung zu hinterlegen ist. b) Betriebliche personenbezogene Daten sind nur in notwendigem Umfang zu verarbeiten. Sie sind zu anonymisieren und zu pseudonymisieren, soweit dies der Verwendung der Daten nicht entgegensteht oder unverhältnismäßigen Aufwand erfordert. Betriebliche personenbezogene Daten, die auf dem privaten Endgerät nicht mehr länger benötigt werden, sind umgehend zu löschen. c) Der Arbeitnehmer schließt Dritte von der Nutzung seines privaten Endgerätes aus. d) Das Unternehmen ist berechtigt, Software (Firewalls, Antivirenschutz, Mobile-Device-ManagementSystems) auf dem Endgerät des Arbeitnehmers zu installieren, um die Sicherheit der dienstlichen personenbezogenen Daten zu gewährleisten. Diese Software darf von dem Arbeitnehmer nicht deinstalliert, deaktiviert oder sonst in ihrer Funktion behindert werden, solange dienstliche Daten auf dem Endgerät des Arbeitnehmers verarbeitet oder gespeichert werden. Vom Anbieter der Anwendungen oder vom Arbeitgeber angebotene Aktualisierungen für Sicherheitsanwendungen müssen vom Arbeitnehmer umgehend installiert werden2. e) Die Sicherung der privaten Daten des Arbeitnehmers obliegt diesem selbst.

1 Eine Pflicht zum Einsatz privater Endgeräte für dienstliche Tätigkeiten gibt es nicht. Die Arbeitsmittel sind grundsätzlich vom Arbeitgeber bereitzustellen, s. auch Gola, Rz. 1107 u. 1109; König, Beschäftigtendatenschutz, Rz. 50. 2 Diese Regelung ist von entscheidender Bedeutung. Ohne eine Regelung über die Installation von Updates entsteht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bei der Installation jedes Updates neu (Rz. 29.6).

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§ 29 Rz. 29.22

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(2) Das Unternehmen installiert eine Mobile-Device-Management-Software auf dem Endgerät des Arbeitnehmers, die die Ortung und Sperrung des Geräts und die Fernlöschung der darauf befindlichen dienstlichen Daten ermöglicht, wenn das Endgerät des Arbeitnehmers verloren geht. (3) Der Arbeitnehmer informiert das Unternehmern unverzüglich, wenn sein Endgerät verloren geht, wenn Dritte Zugriff auf darin verarbeitete Daten erhalten haben oder wenn er potenzielle Schadsoftware auf seinem Gerät entdeckt oder einen Datenverlust oder eine sonstige Gefahr für personenbezogene Daten befürchtet. [optional, sofern im Unternehmen ein Datenschutzbeauftragter ernannt ist: (4) Der Arbeitnehmer akzeptiert, dass die Verarbeitung dienstlicher Daten auf seinem privaten Endgerät der Kontrolle des Datenschutzbeauftragten unterliegt und ermöglicht die erforderlichen Kontrollen.] § 4 Zugriff auf das Endgerät des Arbeitnehmers (1) Zur Ermöglichung einer Prüfung, ob unberechtigte Zugriffe auf dienstliche personenbezogene Daten stattgefunden haben oder ob sich Schadsoftware auf dem Endgerät des Arbeitnehmers befinden, gestattet der Arbeitnehmer den Fernzugriff auf sein Endgerät. Ein Fernzugriff erfolgt nur, wenn der Arbeitnehmer diesem zustimmt, es sei denn, ein heimlicher Fernzugriff ist nach § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG zulässig. (2) Endet das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, hat er sämtliche dienstlichen Daten nach Wahl des Unternehmens zurückzugeben oder zu löschen. Über die Rückgabe oder Löschung wird ein vom Arbeitnehmer zu unterschreibendes Protokoll angefertigt. § 5 Arbeitszeit Der Arbeitnehmer beachtet bei der Verrichtung dienstlicher Tätigkeiten auf die Einhaltung der Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, dienstliche Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeiten zu beachten. An Sonn- und Feiertagen sowie im Urlaub sollen private Endgeräte nicht zur Verrichtung dienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. § 6 Aufwendungsersatz Das Unternehmen beteiligt sich an den Anschaffungs- und Unterhaltungskosten für dienstlich genutzte private Endgeräte durch Zahlung einer individuell zu vereinbarenden Pauschale. § 7 Inkrafttreten und Kündigung Diese Betriebsvereinbarung tritt zum … in Kraft. Sie kann von beiden Seiten mit einer Frist von sechs Monaten zum Quartalsende gekündigt werden. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt unberührt. § 8 Salvatorische Klausel Sollte eine Regelung in dieser Vereinbarung unwirksam sein oder werden, wird die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen dadurch nicht berührt. Das Unternehmen und der Betriebsrat verpflichten sich, in diesen Fällen eine Regelung aufzunehmen, die der ursprünglich gewollten Regelung möglichst nahe kommt. Sofern Bestimmungen in dieser Betriebsvereinbarung nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können, gelten sie hilfsweise als Regelungsabrede. Ort …, Datum …

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… Unterschriften

III. Best Practice

Rz. 29.23 § 29

2. Individualvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte M 29.2 Individualvereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte

29.23

Vereinbarung über die dienstliche Nutzung privater Endgeräte (Anlage … zur Betriebsvereinbarung …) Zwischen … (nachfolgend: Arbeitnehmer) und der … wird vereinbart, dass der Arbeitnehmer sein privates Mobiltelefon/seinen privaten Laptop/seinen privaten PC (Unzutreffendes streichen) nach Maßgabe der „Betriebsvereinbarung für die dienstliche Nutzung privater Endgeräte (BYOD)“ auch für die Verrichtung dienstlicher Tätigkeiten nutzt. Der Arbeitnehmer enthält dafür einen Aufwandsersatz in Höhe von … EUR/Jahr. Ort …, Datum …

… Unterschriften

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Stichwortverzeichnis Verfasserin: Heike Tillenburg, Ass.iur. Die Zahlen vor dem Punkt verweisen auf die Paragraphen, die Zahlen nach dem Punkt auf die Randzahlen innerhalb der Paragraphen. Zahlen mit dem Zusatz ‚M‘ beziehen sich auf ein Muster und geben die Nummer des Musters an, die aus der Kapitelzahl abgeleitet ist.

Abmahnung – unzulässige Internetbeiträge 27.17 Account s.a. Soziale Medien – Einsichtsrecht des Arbeitgebers 27.16 – Fakeprofil 27.18 – soziale Medien, Mitnahme 27.6 f. Agentur s.a. Freelancer – Projektvertrag mit einem Freelancer auf Grundlage eines Rahmenvertrags M 9.3, 9.35 – Rahmenvertrag für Beratungsprojekte mit Freelancern M 9.1, 9.29 – Rahmenvertrag, Freelancer-Vermittlung 9.7 – Vermittlung von Freelancern 9.2 ff. Agiles Arbeiten s.a. Scrum – Begriff 6.1 – Grundidee 6.2 ff. – inkrementell/iterativ 6.4 – Mitbestimmung, Betriebsänderung 6.21 – Schulung 6.21 Altersdiskriminierung – Bewerbungsverfahren 23.2 f. – Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern M 23.2, 23.49 – Personalentwicklungskonzept 25.15 – Stellenausschreibung 23.8 – Traineeprogramme 26.21 Altersvorsorge – Selbständigkeit 7.2 Amnestievereinbarung – interne Ermittlungen M 14.3, 14.53 – Kostenübernahmevereinbarung für Rechtsanwaltsvergütung M 14.4, 14.55 Änderungskündigung – Personalentwicklung 25.7 Anforderungsprofil – Mitbestimmung 25.23 Anhörung – Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats 14.35 – rechtliche Anforderungen 14.34 – Vorbereitung einer Verdachtskündigung 14.33 Antwortformular – betriebliches Eingliederungsmanagement M 21.2, 21.46 Application Service Providing – Softwareanwendungen 15.8 Arbeitgeber – als Diensteanbieter 29.11

– Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten 4.16 ff. – Haftung bei Homeoffice, Arbeitsschutz 1.26 – Nutzungsrechte, Urheberrecht 19.33 ff. – Pflichten bei Arbeitnehmererfindung 19.9 – Unterweisungspflicht, Arbeitsschutz 1.60 ff. – Verantwortlicher, DSGVO 1.34 – Zutrittsrecht bei Homeoffice 1.20 – Zutrittsrecht bei Homeoffice, Individualvereinbarung M 1.2, 1.54 Arbeitnehmer – Datendiebstahl 18.12 ff. – eigenständige Nutzung von Social-Media-Plattformen 27.13 ff. – Einwilligung in Veröffentlichung von Fotos und Videos M 27.2, 27.23 – Ersthelfer, Aus-/Fortbildung 20.19 f. – Handlungsvorgaben für Geheimnisschutz 18.25 – Internetkritik am Arbeitgeber 27.15 – Matrixklausel für Arbeitsvertrag, Konzern M 11.2, 11.31 – Organisationsfähigkeit bei Homeoffice 1.12 – People Analytics 16.3 – Schadensersatz, Arbeitsschutzdefizit 20.56 – ständige Erreichbarkeit 4.1 ff.; s.a. Erreichbarkeit, ständige – Urheberrecht 19.32 ff. – Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen 27.15 – Weisungen bei Matrixstrukturen 11.8 ff. Arbeitnehmererfindung – Ausnahme, freie Mitarbeiter/Organmitglieder 19.28 f. – Begriff des Arbeitnehmers 19.10 – Diensterfindung 19.9, 19.11 – Erklärung der Inanspruchnahme 19.15 ff. – freie Erfindung 19.11, 19.25 f. – Freigabe durch den Arbeitgeber 19.27 – Klausel für Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern M 19.1, 19.54 – laufende Lizenzgebühren 19.24 – Meldepflichten 19.13 – Patentanmeldung 19.18 – Pflichten des Arbeitgebers 19.9 – Softwareentwicklung 19.12 – Vergütung 19.20 ff.

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Stichwortverzeichnis Arbeitnehmerüberlassung – Abgrenzung zu Leiharbeit/sonstigen Fremdpersonaleinsätzen 8.7 ff. – Abgrenzung, Tätigkeit aufgrund Werk- oder Dienstvertrag 8.9 ff. – Abstimmung des Aufgabeninhalts, Brückenkopfmodell 8.45 ff. – Anweisungen 8.27 – Anwendungsbereichsausnahmen des AÜG 8.17 – Arbeitsschutz 8.25 ff. – Ausnahme, gelegentlicher Einsatz 8.17 – Ausnahme, Konzernunternehmen 8.17 – Begriff 8.5 – behördliche Erlaubnis 8.5 – Betriebsrat, Beteiligungsrechte 8.22 ff. – Datenschutz 8.28 ff. – Direktionsrecht 8.8 – Eingliederung in die Büroorganisation 8.15 – equal treatment/equal pay 8.5 – erhöhte Gefährdungslagen 8.26 – geistiges Eigentum 8.31 ff. – Gemeinschaftsbetrieb 8.17 – Gemeinschaftsbetrieb als Alternative 8.54 ff. – gemischte Verträge 8.17 – gesetzliche Vorgaben, AÜG 8.5 – illegale, Bußgeld 8.20 – illegale, Freelancer-Vermittlung 9.10 – illegale, indirekte Crowdwork 10.31 – illegale, Schwarzarbeit 8.21 – Indizien, Material/Arbeitsmittel 8.15 – Konkretisierung, Vor- und Zunahme 8.5 – kurze untergeordnete Arbeitseinsätze 8.13 – Leistungsbeschreibung, vertragliche 8.41 ff. – Objektschutz durch Wachpersonen 8.43 – Personalvermittlung durch Leiharbeit 24.18 ff. – Rahmenvertrag Ticket-System für unternehmensübergreifende Zusammenarbeit M 8.3, 8.49 – Reinigungstätigkeiten 8.46 – Risiken der Scheinselbständigkeit 8.13 – Sanktionen illegaler ~ 8.18 ff. – Scrum 6.23 ff. – Sozialversicherungsbeiträge 8.5 – Tarifflucht 8.13, 8.21 – Ticket-System 8.48 ff. – Untersagung durch Bundesagentur für Arbeit 8.20 – verdeckte ~ 8.10 – Vermeidung illegaler ~ 8.4 ff. – Vermeidung verdeckter ~ 8.36 – Vertragsklausel Leistungsbeschreibung im Brückenkopf-Modell M 8.2 – Vertragsklausel Leistungsbeschreibung unternehmensübergreifende Zusammenarbeit M 8.1 – Weisungen 8.15 – Weisungen, Vermeidung 8.38 ff.

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Arbeitsanweisungen s.a. KI-gesteuerte Arbeitsanweisungen – Dienstanweisung 17.21 – künstliche Intelligenz, KI 17.1 ff. Arbeitsbelastung – psychische Erkrankung 21.6 Arbeitsbereitschaft – Begriff 4.6 Arbeitsentgeltguthaben – Sabbatical 5.16 Arbeitserlaubnis – Compliance-Richtlinie, Bewerbungsverfahren M 23.2, 23.49 Arbeitsgruppe – Geheimhaltungsverpflichtungserklärung bei Mitarbeit in ~ M 18.2, 18.30 – Software-Implementierung 15.38 Arbeitsmittel – Dienstanweisung externe Mitarbeiter/Leiharbeitnehmer M 7.5, 7.75 – Gefährdungsbeurteilung 20.35 – Individualvereinbarung, Homeoffice M 1.2, 1.54 – Indizien, Arbeitnehmerüberlassung 8.15 Arbeitsplatz – Betriebsvereinbarung Desk-Sharing/Open Space M 2.1, 2.56 – Betriebsvereinbarung Homeoffice M 1.1, 1.51 – Büro, Gefährdungsbeurteilung 20.33 – Desk-Sharing/Open Space 2.18 ff. – Dienstanweisung, Einrichtung bei Homeoffice M 1.3, 1.57 – Freelancer 7.70 – Konzepte, moderne 2.1 – leidensgerecht, psychische Erkrankungen 21.34 – Merkblatt zur Einrichtung bei Homeoffice M 1.5, 1.61 – Mitbestimmung bei Co-Working 2.46 Arbeitsschutz – Abgrenzung, Zuständigkeit/Verantwortlichkeit 20.7 – Ablauforganisation 20.36 ff. – Arbeitnehmerüberlassung 8.25 ff. – Arbeits- und Wegeunfälle 20.41 – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.14 – arbeitsmedizinische Vorsorge 20.39 – Arbeitsunfall, Strafverfolgung 20.44 ff. – Aus-/Fortbildung 20.40 – Ausschuss 20.26 – Best Practice 20.61 ff. – Betriebsarzt 20.12 ff. – Betriebsrat 20.22 ff. – Betriebsrat, Beteiligung 20.68 – Betriebsrat, Einhaltung von Vorgaben 20.58 – Betriebsvereinbarung Homeoffice M 1.1, 1.51 – Brandschutzhelfer/-beauftragter 20.19 ff.

Stichwortverzeichnis – – – – – – – – –

Co-Working 2.41 Delegation 20.10 f. Delegation, Mitbestimmung 20.11 Delegation, Verantwortlichkeit 20.63 Desk-Sharing 2.9 ff. Ersthelfer 20.19 f. Fachkraft für Arbeitssicherheit 20.12 ff. Gefährdungsbeurteilung 20.3, 20.27 ff. Gefährdungsbeurteilung Homeoffice-Arbeitsplatz M 1.4, 1.59 – Gesundheitsschutz 20.1 – gewerbemietrechtliche Bedeutung 20.59 – Homeoffice 1.16 ff. – Individualansprüche einzelner Arbeitnehmer 20.56 ff. – innerbetrieblich, Umsetzung der Vorgaben 20.67 ff. – Konzern 20.61 ff. – Maßnahmen bei psychischen Erkrankungen 21.20 – materielle Anforderungen 20.27 ff. – Merkblatt zur Unterweisungspflicht im Homeoffice M 1.5, 1.61 – personelle Organisation 20.3 ff. – psychische Erkrankungen 21.39 – Rahmenbetriebsvereinbarung M 20.2, 20.71 – Sanktionen bei Defiziten 20.43 ff. – Schadensersatzanspruch von Unfallopfern 20.49 ff. – Sicherheitsbeauftragter 20.16 ff. – ständige Erreichbarkeit 4.48 ff. – überbetriebliche Festlegung 20.61 ff. – Übertragung von Unternehmenspflichten M 20.1, 20.66 – Unterweisungspflicht des Arbeitgebers 1.23, 1.60 ff., 20.38 – Verantwortlichkeit 20.5 ff. – Vertrauensarbeitszeit 3.22 Arbeitsschutzbehörde – Sanktionen 20.52 ff. Arbeitssicherheit, Fachkraft – Arbeitsschutzausschuss 20.26 – Beratungsaufgaben 20.14 – Bestellung durch Arbeitgeber 20.12 ff. – Betriebsrat 20.15 – innerbetriebliche Umsetzung 20.67 ff. – Rahmenbetriebsvereinbarung - Arbeitsschutz M 20.2, 20.71 – überbetriebliche Dienste 20.13 Arbeitsstätte – Gefährdungsbeurteilung 20.34 Arbeitsstättenverordnung – Arbeitsschutzpflichten bei Homeoffice 1.17 ff. Arbeitsunfall – Berufsunfallversicherung 20.49 f. – bewusster Verstoß gegen Schutzvorschriften 20.51

– deliktische Haftung von Organmitgliedern 20.49 – Schadensersatzanspruch von Unfallopfer 20.49 ff. – Strafverfolgung 20.44 ff. Arbeitsverhältnis – abhängige Beschäftigung 7.10 – Klage, illegale Arbeitnehmerüberlassung 8.20 – Klage, Scheinselbständigkeit 7.43 – Matrixstrukturen 11.8 – Softwareentwicklung 19.36 f. – Urheberrecht 19.32 ff. Arbeitsvertrag/Individualvereinbarung – Co-Working 2.39 f. – Desk-Sharing 2.6 ff. – Homeoffice-Arbeit M 1.2, 1.54 – Klausel, Ausschlussfrist M 3.2, 3.32 – Klausel, Vertrauensarbeitszeit 3.26 ff. – Regelung zur Erreichbarkeit 4.52 – urheberrechtliche Grenzen der Vertragsgestaltung 19.38 ff. Arbeitszeit s.a. Vertrauensarbeitszeit – Abgrenzung, Selbständigkeit 7.19 f. – Arbeits-/Rufbereitschaft/Bereitschaftsdienst 4.6 ff. – Beginn/Ende des Werktags 4.13 – Betriebsvereinbarung Homeoffice M 1.1, 1.51 – Betriebsvereinbarung Scrum M 6.1, 6.32 – Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit M 3.3, 3.34 – Desk-Sharing 2.10 – Einsatz dienstlicher Hardware 29.8 f. – Einteilung, Vertrauensarbeitszeit 3.12 ff. – Erreichbarkeitszeiten 4.9 – Höchstarbeitszeit 4.12 ff. – Homeoffice 1.28 ff. – Individualvereinbarung Homeoffice M 1.2, 1.54 – Merkblatt Homeoffice M 1.5, 1.61 – mobiles Arbeiten 1.62 – Nachtarbeit 4.30 f. – Sonn- und Feiertagsarbeit 4.26 ff. – ständige Erreichbarkeit 4.4 – Vergütung bloßer Erreichbarkeitszeiten 4.40 f. – Verstoß gegen Arbeitszeitgesetz 4.4 – Vertrauensarbeitszeit 3.1 ff. – vorübergehende Verlängerung 4.60 Aufhebungsvertrag – interne Ermittlungen 14.65 Aufsichtsbehörde – Einhaltung von Arbeitsschutzvorgaben 1.26 Auftragsverarbeitung – Bewerberdatenbank/-portal 23.42 – datenschutzrechtliche Spezialregeln 12.31 – Konzern 12.12 – Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55

581

Stichwortverzeichnis Aus-/Weiterbildung – arbeitsrechtliche Schutzvorschriften 26.8 – Arbeitsschutz 20.40 – Berufsausbildung, Begriff 26.6 – Betriebsrat 26.9 – Digitalisierung 26.1 – Direktionsrecht 26.26 – duale Berufsausbildung 26.7 – Ersthelfer 20.19 f. – Fachkräftemangel 26.2 – im laufenden Arbeitsverhältnis 26.24 ff. – Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV 26.9 – Jugendarbeitsschutz 26.8 – Kosten einer Weiterbildungsmaßnahme 26.37 – Mitbestimmung 25.27, 26.31 ff. – nach dem Berufsbildungsgesetz 26.5 ff. – Personalqualifizierung 26.1 ff. – Praktika, Trainee-Programme, Volontariate 26.19 ff. – privatrechtlicher Ausbildungsvertrag 26.8 – Rückzahlungsklausel Weiterbildungskosten M 26.1, 26.39, 26.45 – sozialversicherungs-/lohnsteuerpflichtiges Arbeitseinkommen 26.28 – Vergütung 26.8 – Weiterbeschäftigung 26.10 – Weiterbildungsvereinbarung 26.25 ff. – Widerspruchsrecht des Betriebsrats 26.36 Auskunftsanspruch – Beschäftigtendatenschutz 12.42 – Datendiebstahl 18.19

Bachelor – duales Studium 26.13 Beendigung der Homeoffice-Arbeit – Betriebsvereinbarung M 1.1, 1.51 – einseitige Beendigung 1.12 f. – Individualvereinbarung M 1.2, 1.54 Beförderung s.a. Personalentwicklung – Arbeitsvertragsänderung 25.35 – Befristung 25.9 – Befristung auf Probe 25.36 – Beteiligung des Betriebsrats 25.29 f. – Vereinbarung über befristete Beförderung auf Probe M 25.2, 25.37 Benutzerkonto – Crowdwork-Plattform, AGB M 10.1, 10.36 – Geschäftsgeheimnisschutz 18.24 Beratungsvertrag – Freelancer/Selbständigkeit M 7.2, 7.65 Bereitschaftsdienst – Begriff 4.7 Berufsunfallversicherung – Arbeitsunfall 20.49 f. 582

Beschäftigtendatenschutz s.a. Datenschutzorganisation – Auskunftsanspruch 12.38, 12.42 – Big-Data-Screening 16.8 – Datenweitergabe an Dritte 12.25 – Delegation der Umsetzungsverantwortung 12.53 – Individualansprüche der Beschäftigten 12.38 ff. – Information über die Datenverarbeitung M 12.2, 12.59 – kritische Verarbeitungstätigkeiten 12.25 f. – Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55 Beschuldigtenbefragung – Abschluss Aufhebungsvertrag 14.65 – Fristen 14.59 – Gesprächsaufbau 14.64 – Gestaltung 14.58 – Protokoll 14.63 – Vorbereitung 14.62 – Widerlegung von Ausreden und Lügen 14.60 Best Practice – Arbeitnehmerüberlassung 8.34 ff. – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.20 ff. – Arbeitsschutz 20.61 ff. – Berufsbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen 26.38 ff. – betriebliche Kommunikationsmittel 28.15 ff. – Bewerbungsverfahren 23.40 ff. – Big-Data-Screening 16.19 ff. – Crowdwork 10.35 ff. – Datenschutzorganisation 12.50 ff. – Desk-Sharing/Open Space 2.55 ff. – Endgerätenutzung dienstlich und privat 29.20 – Erreichbarkeitszeiten 4.66 ff. – Freelancer-Vermittlung 9.25 ff. – Geschäftsgeheimnisschutz 18.21 ff. – Headhunter 24.22 ff. – Homeoffice 1.48 ff. – Internetpräsenz 27.19 ff. – KI-gesteuerte Arbeitsanweisung 17.20 ff. – Matrixstrukturen 11.25 ff. – Mitarbeiterüberwachung 14.41 ff. – People Analytics-Anwendungen 16.19 ff. – Personalakte, digitale 13.42 ff. – Personalberatung, Headhunter 24.22 ff. – Personalentwicklung 25.31 ff. – Privatnutzung des Firmeninternets/der Firmenkommunikationsmittel 28.15 ff. – psychische Erkrankungen 21.39 ff. – Sabbatical 5.26 ff. – Scheinselbständigkeit 7.49 ff. – Schutz geistigen Eigentums 19.53 ff. – Scrum 6.29 ff. – Softwareanwendungen 15.30 ff. – soziale Medien 27.19 ff. – Vertrauensarbeitszeit 3.25 ff.

Stichwortverzeichnis – Whistleblowing 22.1 Betriebliches Eingliederungsmanagement, bEM 21.24 ff.; s.a. Einladungsschreiben, bEM – Ablehnung durch Arbeitnehmer 21.31 – Betriebsrat 21.26 – Datenschutz 21.41 – Einladungsschreiben M 21.1, 21.44 – Freiwilligkeit 21.28 – gesetzliche Vorgaben 21.25 – Sanktionen bei Fehlen 21.25 – stufenweise Wiedereingliederung 21.34 – Team 21.41 – Umgestaltung des Arbeitsumfeldes/Arbeitsplatzes 21.34 – Verfahren 21.40 ff. – Verfahrensordnung 21.33 – Vertraulichkeitserklärung anlässlich der Teilnahme M 21.3, 21.48 Betriebsänderung – Übertragung des fachlichen Weisungsrechts 11.19 Betriebsarzt – Arbeitsschutz 20.12 ff. – Arbeitsschutzausschuss 20.26 – Bestellung 20.15 – Rahmenbetriebsvereinbarung - Arbeitsschutz M 20.2, 20.71 – Schulungen 20.40 – überbetriebliche Dienste 20.13 Betriebsrat s.a. Mitbestimmung – Anhörung bei Verdachtskündigung 14.66 – Arbeitnehmerüberlassung, Beteiligung 8.22 ff. – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.15 ff. – Arbeitsschutz 20.22 ff. – Arbeitsschutz, Einhaltung von Vorgaben 20.58 – Arbeitsschutzausschuss 20.26 – Beförderung und Versetzung, Beteiligung 25.29 f. – betriebliches Eingliederungsmanagement 21.26 – betriebliches Intranet 27.12 – Bewerbungsverfahren, Beteiligung 23.32 ff., 23.44 – Big-Data-Screening 16.8 – Bildungsmaßnahmen 26.31 ff. – Bildungsmaßnahmen, Initiativrecht 26.33 – Bildungsmaßnahmen, Widerspruchsrecht 26.36 – datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit 12.14 – Datenverarbeitung mit Hilfe technischer Einrichtungen 12.27 – Desk-Sharing/Open Space 2.16 ff. – duales Studium 26.17 – Einführung interner Crowdwork 10.7 – Einstellung des Matrixmanagers 11.15 – gemeinsamer Ausschuss, Softwareanwendungen 15.35 – Geschäftsgeheimnisschutz 18.11

– – – –

heimliche Mitarbeiterüberwachung 14.13 Homeoffice 1.7 Homeoffice, Beteiligung 1.43 ff. informelle Arbeitsgruppen, Software-Implementierung 15.38 – innerbetriebliche Stellenausschreibungen 23.35 – Internetpräsenz des Unternehmens 27.11 ff. – Mitarbeiterbefragung 14.30 – Mitarbeiterüberwachung 14.42 ff. – Mitbestimmung, Befragung Verdachtskündigung 14.35 – Mitbestimmung, Matrixstrukturen 11.17 – Mitbestimmung, Sabbatical 5.25 – Mitbestimmung, Scrum 6.19 ff. – Personalakte, digitale 13.36 ff. – Personalentwicklung 25.18 ff. – Praktikum, Trainee-Programm, Volontariat 26.23 – Regelungsabrede - Personalentwicklungskonzept M 25.1, 25.34 – Scheinselbständigkeit 7.46 ff. – Schutzkonzept für Geheimhaltungsmaßnahmen 18.22 – Software-Implementierung 15.23 ff. – Überwachungspflicht Erreichbarkeitszeiten 4.57 – Unterrichtung über Personalplanung 25.19 – Unterrichtung/Zustimmung bei Einstellung 23.37 ff. – Vereinbarung Personalentwicklungskonzept 25.32 ff. – Vertrauensarbeitszeit 3.23 f. – Zuständigkeit für Auszubildende 26.9 Betriebsvereinbarung – Bring your own device M 29.1, 29.21 ff. – Crowdwork, intern 10.37 – Desk-Sharing/Open Space M 2.1, 2.56 – Einführung von IT-Systemen/IT-Lenkungsausschuss M 15.1, 15.37 – Erreichbarkeitszeiten 4.56 ff. – Festlegung von Erreichbarkeitszeiten M 4.2, 4.77 – Gründung eines Compliance-Ausschusses M 14.2, 14.48 – Homeoffice M 1.1, 1.51 – Homeoffice, Mitbestimmung 1.49 – Homeoffice, Regelungsziele 1.50 – interne Ermittlungen 14.48 – Klausel zu Leistungs- und Verhaltenskontrollen M 14.1, 14.46 – Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel M 28.1, 28.18 – Passus für ~, Einführung von IT-Systemen/informelle Arbeitsgruppe M 15.2, 15.39 – Personalakte, digitale M 13.1, 13.22, 13.40, 13.45 – Rahmenbetriebsvereinbarung - Arbeitsschutz M 20.2, 20.71

583

Stichwortverzeichnis – – – – –

Recht auf Nichterreichbarkeit M 4.1, 4.75 Sabbatical M 5.1, 5.27 f. Scrum M 6.1, 6.32 Software-Implementierung 15.27 f. Umgang mit Geschäftsgeheimnissen M 18.1, 18.28 – Vergütung, Tarifsperre 25.32 – Vertrauensarbeitszeit M 3.3, 3.34 Betriebsverfassungsrecht – Matrixorganisationen 11.14 ff. Betroffenenrechte – Beschäftigtendatenschutz - Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55 – Mitarbeiterinformation über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten M 12.2, 12.59 Bewerberportal – Auftragsverarbeitung 23.42 – Berechtigungskonzept 23.15 – Bewerberdatenbank 23.9 f. – Datenschutzinformation 23.20 f. – datenschutzkonforme Ausgestaltung 23.41 – Löschkonzepte/-fristen 23.16 ff. – Opt-in-Verfahren 23.41 – Personalfragebogen 23.33 – zulässige Verarbeitungszwecke und Einwilligung 23.12 ff. Bewerbungsgespräch – Privatsphäre, Compliance-Richtlinie 23.49 – zulässige/unzulässige Fragen 23.23 Bewerbungsunterlagen – Berechtigungskonzept 23.15 – Initiativbewerbungen 23.14 ff. – Löschkonzepte/-fristen 23.16 ff. – Personalakte 23.19 – Speicherung 23.9 ff. – Vertraulichkeit 23.22 – zulässige Verarbeitungszwecke und Einwilligung 23.12 ff. Bewerbungsverfahren – Aufenthalts-/Arbeitserlaubnis 23.3 – Backgroundcheck 23.24 – Berufseinsteiger/-erfahrung 23.3 – besondere Auswahlverfahren 23.26 ff. – Beteiligung des Betriebsrats 23.32 ff. – Beweislast 23.5 – Bewerberdatenbank 23.41 – Bewerberportal 23.9 ff., 23.41 – Bewerbungsgespräch 23.23 – Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern M 23.2, 23.47 ff. – Datenschutz 23.2 – Datenschutz-Folgenabschätzung 23.29 – Datenschutzinformation 23.20 f., 23.45 – Datenschutzinformation zur Verarbeitung von Bewerberdaten M 23.1, 23.46 – diskriminierende Stellenausschreibung 23.6

584

– Diskriminierungsverbote 23.2 ff. – Durchführung, Personalabteilung 23.1 – Einstellung, Unterrichtung/Zustimmung des Betriebsrats 23.37 ff. – Entschädigung diskriminierter Bewerber 23.7 – gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren 23.39 – innerbetriebliche Ausschreibung 23.35 – Kosten, Compliance-Richtlinie 23.49 – künstliche Intelligenz 23.27 – Mitarbeiterscreening, Außenwirtschaftsgesetz 23.31 – Personalfragebogen 23.33 – Persönlichkeitsanalyse 23.29 – psychologische Tests 23.28 – Rechtfertigung von Benachteiligungen 23.3 – rechtliche Anforderungen 23.2 ff. – Schwanger- oder Mutterschaft 23.3 – Soziale Netzwerke/Sekundärquellen 23.24 – Speicherung von Bewerbungsunterlagen 23.9 ff. – Sprachkenntnisse 23.3 – Umgang mit Bewerberdaten 23.22 ff. Big-Data-Screening – Aufdeckung von Pflichtverletzungen 16.18 ff. – Betriebsrat 16.8 – Dauerüberwachung 16.10 – Einsatzbereich 16.3 – Einwilligung, datenschutzrechtliche 16.8 – elektronische Daten im Unternehmen 16.1 – Erstellung anonymer Statistiken 16.7 ff. – Nachteile 16.4 – Persönlichkeitsdurchleuchtung 16.10 – rechtliche Herausforderungen 16.6 ff. – Screening-Algorithmen 16.2 – Vorhersage individuellen Verhaltens 16.10 ff. – zulässige Auswertungen, Checkliste 16.20 Brandschutz – Beauftragter 20.21 – Gefährdungsbeurteilung, Arbeitsstätte 20.34 – Helfer 20.19 f. – Schulungen 20.40 Bring your own device – Arbeitszeit 29.8 f. – Begriff 29.1 – Betriebsrat 29.5 ff. – Betriebsvereinbarung M 29.1, 29.22 – Herausgabe-/ Fernzugriffsanspruch gegen Arbeitnehmer 29.19 – Individualvereinbarung M 29.2, 29.23 – Schadensersatz 29.17 f. – Vorteile 29.2 Brückenkopf-Modell – Arbeitnehmerüberlassung 8.45 ff. Bußgeld – Datenschutzverstoß 12.2 – illegale Arbeitnehmerüberlassung 8.20 – Verstoß gegen Arbeitsschutz 20.55

Stichwortverzeichnis – Verstoß gegen Arbeitszeitgesetz 4.4 – Verstoß gegen Arbeitszeitvorgaben im Homeoffice 1.32 BYOD s. Bring your own device

Choose your own device

s.a. Bring your own device – Form des BYOD 29.1 Clean-Desk-Policy 2.19 ff. – in Betriebsvereinbarung Desk-Sharing/Open Space M 2.1, 2.56 Compliance-Maßnahmen – Betriebsvereinbarung zur Gründung eines Compliance-Ausschuss M 14.2, 14.48 – Freelancer-Vermittlung 9.25 – Mitarbeiterüberwachung 14.18 ff. Compliance-Richtlinien – Umgang mit Bewerbern M 23.2, 23.47 ff. Computer – Mitbestimmung, Desk-Sharing 2.25 Co-Working – Arbeitnehmerüberwachung 2.47 – Arbeitsplatzkonzept 2.1 – arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 2.41 – Daten- und Geheimnisschutz 2.42 f. – Gestaltung 2.4 – individualrechtliche Umsetzung 2.39 f. – Mitbestimmung des Betriebsrates 2.44 ff. – Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrates 2.52 – Versetzung 2.50 Crowdwork – Begriff 10.1 – Einführung interner Crowdwork-Regeln 10.6 – intern, Betriebsvereinbarung 10.37 – intern, Konzernbetriebsvereinbarung M 10.2, 10.38 – Klausel zu Nutzung der digitalen Plattform 10.38 – Mikrotasks/Makrotasks 10.2 f. – Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 10.7 – rechtliche Herausforderungen 10.5 Crowdwork, extern – AGB zur Nutzung einer firmeneigenen Crowdworking-Plattform M 10.1, 10.36 – Anwendbarkeit deutschen Rechts 10.10 – arbeitnehmerähnliche Position 10.17 – Arbeitspflicht, persönliche Abhängigkeit 10.14 – Aufenthaltsort/Arbeitsort 10.11 – Benutzerkonto 10.36 – betriebliche Eingliederung 10.14 – Datenschutz 10.23 f. – Dienst- oder Werkvertrag 10.16 – direkte und indirekte Crowdwork 10.30 – direkte und indirekte Crowdwork, Haftung 10.34 – Fremdplattform als Intermediär 10.30 ff.

– Geschäftsgeheimnisschutz 10.21 f. – Grundlagen 10.4 – Haftungsklausel 10.36 – Haftungsrisiken 10.27 f. – Heimarbeit 10.19 – illegale Arbeitnehmerüberlassung 10.31 – internationales Privatrecht 10.10 – Kündigungsschutz 10.16 – Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 10.29 – Plattform, firmeneigene 10.9 ff., 10.35 ff. – rechtliche Grundlagen 10.9 – Rechtserwerb am Arbeitsergebnis 10.32 – Rechtsverhältnis zu den Crowdworkern 10.12 – Rechtswahlvereinbarung 10.10 – Scheinselbständigkeit 10.12 – Urheberrecht 10.25 f. – Verdienstobergrenzen 10.18 – Weisungen 10.14 CV-Dealer – Haftung 24.10 – Honorarklausel für Personalberatervertrag M 24.1, 24.24 – Maklervertrag mit Unternehmen 24.7 – Personalvermittler 24.5 – Provisionsanspruch 24.8 f. – Prüfungstätigkeit 24.6 – Vertrag mit Unternehmen 24.23 f.

Darlegungs- und Beweislast – – – –

Anhörung bei internen Ermittlungen 14.34 Berichtigungsanspruch, Personalakte 13.33 Bewerbungsverfahren 23.5 f. Einladungsschreiben, betriebliches Eingliederungsmanagement 21.43 – Personalakte, digitale 13.25 ff. Datenbank – Auftragsverarbeitung 23.42 – Bewerberdatendank, Compliance-Richtlinie M 23.2, 23.49 – Bewerberportale 23.9 ff. – Bewerberportale, Berechtigungskonzept 23.15 – Bewerbungsverfahren 23.41 – Skill-Datenbanken, Personalentwicklung 25.17 Datendiebstahl – Auskunftsanspruch 18.19 – einstweilige Verfügung 18.20 – fristlose Kündigung 18.14 f. – Handlungsmöglichkeiten 18.12 ff. – Hausdurchsuchung 18.16 – Herausgabe-/Vernichtungsanspruch gegen Arbeitnehmer 18.19 – mobile Datenträger 18.24 – Strafanzeige 18.16 ff. – Versenden großer Datenpakete 18.24 – Vertragsstrafe 18.19 – zivilrechtliche Ansprüche gegen Rechtsverletzer 18.19 ff.

585

Stichwortverzeichnis Datenschutz – Arbeitnehmerüberlassung 8.28 ff. – betriebliches Eingliederungsmanagement M 21.1, M 21.2, 21.41, 21.44 ff. – Betriebsvereinbarung Bring your own device 29.22 – Bewerberdatenbank/-portal 23.9 f., 23.41 ff. – Bewerbungsverfahren 23.2 – Co-Working 2.42 f. – Crowdwork, extern 10.23 f. – Desk-Sharing/Open Space 2.14 f. – Freelancer-Vermittlung 9.21 – Headhunter 24.15 – Matrixstrukturen 11.20 ff. – mobiles Arbeiten 1.62 – Personalakte 13.15 – Personalentwicklung 25.17 ff. – Privatnutzung des Firmeninternets/der Firmenkommunikationsmittel 28.10 f. – Softwareanwendungen 15.14 ff., 15.37 Datenschutz, Homeoffice s.a. Homeoffice – Arbeitgeber als Verantwortlicher 1.34 – besondere Kategorien personenbezogener Daten 1.39 – Betriebsvereinbarung M 1.1, 1.51 – Dienstanweisung M 1.3, 1.57 – Gefährdungsbeurteilung M 1.4, 1.59 – Geschäftsgeheimnisschutz 1.37 – IT-Hardware, Mobile-Device-Management 1.40 – personenbezogene Daten 1.33 ff., 1.55 ff. – Sicherheitslücken, Dienstanweisung 1.57 – Unterlagen in Papierform 1.41 Datenschutzbeauftragter – Benennung 12.19 – Bestellung 12.5 – Festlegung von Befugnissen 12.51 ff. – intern/extern 12.16 – Kündigung 12.19 – nichtöffentliche Stellen 12.15 – Qualifikation 12.17 – Selbstkontrolle des Unternehmens 12.16 – Überwachungs-/Informationspflicht 12.18 – Umsetzung von Datenschutzmaßnahmen 12.18 – Versetzung 12.19 – Weisungen 12.18 Datenschutz-Folgenabschätzung – Bewerbungsverfahren 23.29 – Implementierung von Softwareanwendungen 15.17 – Softwareanwendungen, Inhalt 15.33 f. Datenschutzgrundverordnung – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.10 ff. – Datenschutzverstoß 12.2 Datenschutzinformation – Bewerbungsverfahren 23.45 – Verarbeitung von Bewerberdaten M 23.1, 23.46

586

Datenschutzorganisation s.a. Beschäftigtendatenschutz – Beschäftigtendatenschutz 12.3 – Checklisten 12.35 – Datenschutzbeauftragter 12.15 ff. – Datenschutzerklärung 12.44 ff. – Datenverarbeitung 12.1 – Dienstanweisung, Datenschutzrichtlinie 12.34 – Dokumentationspflicht 12.47 ff. – Einrichtung 12.5 ff. – Festlegung von Befugnissen 12.51 ff. – Individualansprüche der Beschäftigten 12.38 ff. – Informations-Sicherheits-Management-System, ISMS 12.33 – Mitarbeiterinformation über Verarbeitung von Beschäftigtendaten M 12.2, 12.59 – Rechenschaftspflicht 12.47 ff. – Schulungen 12.34 – technische und organisatorische Maßnahmen, TOM 12.5, 12.32 ff. – Umsetzung gesetzeskonformen Datenschutzmanagements 12.56 ff. – Verantwortlicher 12.5 ff. – Verarbeitung von Beschäftigtendaten 12.59 – Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55 – Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten 12.20 f. Datenschutzverstoß – Meldepflichten 12.36 – personelle Maßnahmen 12.34 – technische und organisatorische Maßnahmen, TOM 12.32 ff. – Zurechnung 12.32 Datenübermittlung – Konzern 12.10 Datenverarbeitung – besondere Kategorien personenbezogener Daten 12.25 – datenschutzkonforme Ausgestaltung 12.22 ff. – Dauerüberwachung 12.25 – Dienstanweisung Homeoffice M 1.3, 1.57 – Drittländer außerhalb der EU 12.31 – Erlaubnis, Homeoffice 1.35 – gesetzliche Aufbewahrungspflichten 12.30 – heimliche ~ 12.25 – kritische Verarbeitungstätigkeiten 12.25 f. – Löschkonzepte/-fristen 12.28 – mit Hilfe technischer Einrichtungen 12.27 – Recht auf Vergessenwerden 12.28 – Spezialregeln, datenschutzrechtliche 12.31 – Übersicht über relevante Vorgänge 12.59 – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 12.24 – Verwendung neuer Technologien 12.31 – Verzeichnis der Tätigkeiten 12.20 f. – Weitergabe an Dritte 12.25

Stichwortverzeichnis Delegation, Arbeitsschutz s.a. Arbeitsschutz – Fachkunde/Zuverlässigkeit 20.11 – öffentlich-rechtliche Verantwortung 20.10 f. – Zuständigkeit der Verantwortungsträger 20.63 Designrecht – Inhaber des Schutzrechts/Entwerferprinzip 19.49 – Registereintragung 19.48 – Schutz 19.47 ff. Desk-Sharing – Abgrenzung Open Space 2.2 – Abgrenzung Versetzung 2.32 ff. – als neue Arbeitsmethode 2.38 – Arbeitnehmerverhalten/Arbeitsplatz 2.18 ff. – Arbeitsplatzkonzept 2.1 ff. – arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 2.9 ff. – Arbeitszeit 2.10 – betriebliche Ordnung 2.18 – Betriebsänderung 2.37 – Betriebsvereinbarung M 2.1, 2.56 – Clean-Desk-Policy 2.19 ff. – Daten- und Geheimnisschutz 2.14 f. – Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen 2.24 ff. – Gefährdungsbeurteilung 2.11 ff. – Geheimhaltung 2.8 – Gestaltung 2.2 – individualrechtliche Umsetzung 2.6 ff. – Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats 2.16 ff., 2.32 – Schwerbehinderung 2.8 – Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Betriebsrates 2.35 ff. – Weisungsrecht 2.7 Dienstanweisung – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz M 17.1, 17.22 – Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz im Homeoffice M 1.3, 1.57 – externe Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer M 7.5, 7.75 – Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen M 7.4, 7.73 Diensterfindung s. Arbeitnehmererfindung Dienstleistungsvertrag – Freelancer-Vermittlung durch Agentur 9.6 Dienstverhältnis – Softwareentwicklung 19.36 f. – Tätigkeitsabgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung 8.9 ff. – Urheberrecht 19.32 ff. Dienstverschaffungsvertrag – Agentur, Freelancer-Vermittlung 9.6 Direktionsrecht – Arbeitnehmerüberlassung 8.8 – Datenschutz, Homeoffice 1.38 – mobiles Arbeiten 1.8, 1.62

– Privatnutzung der Firmenhardware 28.6 – Regelung zur Erreichbarkeit 4.52 – Scrum 6.15 ff. Diskriminierungsverbote – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.12 f. – Bewerbungsverfahren 23.2 ff. – Compliance-Richtlinie zum Umgang mit Bewerbern M 23.2, 23.49 – Entschädigung/Einstellung 23.7 – Personalentwicklungskonzept 25.14 ff. – Rechtfertigung von Benachteiligungen 23.3 – Stellenausschreibung, Beweislastumkehr 23.6 Dokumentationspflicht – Datenschutz 12.47 ff. Drittland – Datenübermittlung 12.31 Drucker – Gefährdungsbeurteilung 20.35 Duale Berufsausbildung 26.7 Duales Studium – anwendbare Vorschriften 26.16 – ausbildungsintegrierendes/praxisintegrierendes Studium 26.15 – Begriff 26.13 – Betriebsrat, Zuständigkeit 26.17 – Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV 26.17 – Rückzahlungsklausel 26.40 – Sozialversicherungsrecht 26.16 – Vergütung 26.18 – Wachstum 26.12

Eigentum, geistiges – – – – – – – – – – – –

Arbeitnehmererfindung 19.8 ff. Arbeitnehmerüberlassung 8.31 ff. Bedeutung 19.1 Begriff 19.4 Beratungsvertrag mit einem Freelancer 7.65 Designrecht 19.47 ff. Entstehen von Rechten 19.5 Freelancer-Vermittlung 9.29 Fremdpersonaleinsatz/Joint Ventures 8.33 Leiharbeitnehmer 8.32 Markenrecht 19.51 f. Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Scrum-Teams M 6.2, 6.36 – Schutz 19.53 ff. – Sicherung 19.1 f. – Urheberrecht 19.30 ff. – Verwertungsrecht 19.6 Eingliederung, betriebliche – Crowdworker, extern 10.14 – psychische Erkrankungen 21.23 ff. Einigungsstelle – Dauer~, Einführung von IT-Systemen 15.40

587

Stichwortverzeichnis Einladungsschreiben, bEM s.a. Betriebliches Eingliederungsmanagement, bEM – Anforderungen 21.41 – Antwortformular M 21.2, 21.46 – Beweislast, Dokumentation 21.43 – Prävention bei längerer Arbeitsunfähigkeit 21.44 Einstweilige Verfügung – Datendiebstahl durch Arbeitnehmer 18.20 Einwilligung – betriebliches Eingliederungsmanagement M 21.1, 21.44 – Betriebsvereinbarung Nutzung betrieblicher Kommunikationsmittel M 28.1, 28.18 – Bewerberportale 23.12 f. – Datenschutz, Big-Data-Screening 16.8 – Veröffentlichung von Fotos/Videos, Webseite M 27.2, 27.8 f., 27.23 Elternzeit – Vereinbarungen, digitale Personalakte 13.22 E-Mail-Postfach – Auswertung, interne Ermittlungen 14.36 ff. – Datenschutzpflichten 14.38 – externe Mitarbeiter/Leiharbeitnehmer 7.75 – heimliche Auswertung 14.56 f. – Mitbestimmung bei Auswertung 14.39 – sachbezogene/personenbezogene Suchbegriffe 14.37 – zentrale Datensicherung, Mitarbeiterüberwachung 14.41 Endgerätenutzung, dienstlich und privat – Arbeitgeber als Diensteanbieter 29.11 – Arbeitszeit 29.8 f. – Datenschutz 29.13 ff. – rechtliche Anforderungen 29.10 ff. – Schadensersatz 29.17 f. – Vereinbarung M 29.2, 29.23 Erfindungen s.a. Arbeitnehmererfindung – freie Mitarbeiter 19.28 f. – Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen freie Mitarbeit M 19.2, 19.56 – Organmitglieder 19.28 f. – Urheberrecht 19.30 ff. Erreichbarkeit, ständige – Arbeitgeberanordnung 4.5 ff. – Arbeitsschutz 4.48 ff. – Arbeitsvertrag 4.52 ff. – Arbeitszeit 4.1 ff. – arbeitszeitrechtliche Einordnung 4.5 ff. – arbeitszeitrechtliche Grenzen 4.15 – Aufzeichnung von Arbeitszeiten 4.16 ff. – Betriebsvereinbarung 4.56 ff. – Direktionsrecht 4.52 ff. – Gefährdungsbeurteilung 4.50 – Höchstarbeitszeit 4.12 ff. – Nachtarbeit 4.30 f. – Ruhezeiten 4.21 ff.

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– Sonn- und Feiertagsarbeit 4.26 ff. – Tätigwerden ohne Veranlassung 4.10 f. – Überstunden 4.33 – Urlaub 4.42 ff. – Vergütung 4.32 ff. – Zurechenbarkeit, Arbeitgeber 4.35 Erreichbarkeitszeiten – Beginn/Ende/Verteilung der Arbeitszeit 4.59 – Bestimmung von Zeiträumen 4.76 f. – Betriebsvereinbarung Festlegung von Erreichbarkeitszeiten M 4.2, 4.77 – Betriebsvereinbarung, Recht auf Nichterreichbarkeit M 4.1, 4.75 – Gesundheitsschutz 4.62 ff. – Recht auf Nichterreichbarkeit 4.69 ff. – technische Einrichtungen 4.61 – vorübergehende Verlängerung der Arbeitszeit 4.60

Festplatten – heimliche Auswertung 14.56 f. Firmeninternet – Nutzung für private Zwecke 28.1 Fotos – Mitarbeiter, Webseite 27.8 f. – Mitarbeiter-Einwilligung in Veröffentlichung M 27.2, 27.23 Freelancer – Anschlussvertrag 7.66 ff. – Arbeitseinsätze 9.1 – Beratungsauftrag/Anschlussvertrag mit Auftraggeber M 7.3, 7.67 – Beratungsvertrag mit Auftraggeber M 7.2, 7.65 – Bewertungsbogen zur Vorbeugung gegen Scheinselbständigkeit M 7.1, 7.58 – Dienstanweisung - Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen M 7.4, 7.73 – Eingliederung in die Belegschaft 7.70 – Ein-Mann-GmbH 7.18, 7.50 – Leistungsbeschreibung, Vertragsurkunde 7.61 – On-Site-Werkvertrag 7.56 – Regeln zur Abgrenzung, Leiharbeitnehmer 7.74 – Scheinselbständigkeit 9.9 ff. – Scheinselbständigkeit, Vorprüfung zur Vermeidung 7.53 – Scrum 6.23 ff. – Statusfeststellungsverfahren 7.23 f. – Unterbleiben von Arbeitsanweisungen 7.69 – Unternehmensrisiko 7.15 – Vermeidung von Weisungen 7.55 – Vermittlung durch Agentur 9.1 ff. – Verpflichtungen gegenüber Agentur 9.8 – vertragliches Kündigungsrecht 7.64 – Vertragslaufzeit 7.64 Freelancer-Vermittlung – Agentur, Beziehung zum Kunden 9.6

Stichwortverzeichnis – Agentur-Rahmenvertrag für Beratungsprojekte M 9.1, 9.29 – angelsächsisches/holländisches Modell 9.4 ff. – Datenschutzvorgaben 9.21 – Geschäftsgeheimnisschutzvorgaben 9.21 – illegale Arbeitnehmerüberlassung 9.10 – Klausel arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Forderungen M 9.2, 9.31 – Kunden-Unternehmen, wesentliche Geschäftsbedingungen 9.19 – Kündigung 9.24 – Leiharbeitnehmer 9.11 – Projektvertrag auf Grundlage eines Rahmenvertrags M 9.3, 9.35 – rechtliche Herausforderungen 9.3 ff. – Scheinselbständigkeit, Haftung 9.13 – urheberrechtliche Nutzungsrechte 9.20 – Vergütung 9.6 – Wettbewerbsverbot 9.22 Freistellung – Beschuldigter, interne Ermittlungen 14.50 Fremdenfeindlichkeit – Internetäußerungen von Arbeitnehmern 27.15

Gebrauchsmusterrecht – Arbeitnehmererfindung 19.8 ff. Gefährdungsbeurteilung – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.17 – Arbeitsmittel 20.35 – Arbeitsschutz 20.3, 20.27 ff. – Arbeitsstätte 20.34 – Büroarbeitsplatz 20.33 – Desk-Sharing/Open Space 2.11 ff. – Dokumentation 20.30 – Durchführung 20.30 ff. – Erreichbarkeitszeiten 4.62 ff. – Festlegung/Umsetzung von Schutzmaßnahmen 20.30 – Homeoffice 1.20 f. – Homeoffice, Dokumentation/Checkliste 1.58 ff. – Homeoffice, Prüfbogen M 1.4, 1.59 – Mitbestimmung bei Co-Working 2.49 – mobiles Arbeiten 1.62 – psychische Erkrankungen 21.39 – psychische Erkrankungen, Durchführung 21.16 ff. – psychische Erkrankungen, strukturelle Maßnahmen 21.10 ff. – psychische Erkrankungen, Wiederholung 21.21 – Rahmenbetriebsvereinbarung - Arbeitsschutz M 20.2, 20.71 – ständige Erreichbarkeit 4.50 – überbetrieblicher Dienst 20.32, 20.66 – Vertrauensarbeitszeit 3.22 Gehaltsverzichtsvereinbarung – Sabbatical M 5.2, 5.34

Geheimhaltung s.a. Geschäftsgeheimnis – Ansprüche bei Pflichtverstoß 18.19 ff. – Beratungsvertrag mit einem Freelancer 7.65 – Betriebsvereinbarung - interne Ermittlungen M 14.2, 14.48 – Desk-Sharing 2.8 – Freelancer-Vermittlung 9.29 – interne Ermittlungen 14.50 – Kategorisierung nach Stufen 18.23 – Klassifizierung von Geschäftsgeheimnissen M 18.1, 18.28 – Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Scrum-Teams 6.36 – Verpflichtungserklärung für die Teilnahme im strategischen Leitungskreis M 18.2, 18.30 Geistiges Eigentum s. Eigentum, geistiges Gemeinschaftsbetrieb – Alternative zu Arbeitnehmerüberlassung 8.54 ff. – Anforderungen 8.55 – Konzern 8.56 Geschäftsführer – Strafbarkeit, Scheinselbständigkeit 7.30 Geschäftsgeheimnis – Begriff 1.57, 18.5 – Betriebsvereinbarung Homeoffice M 1.1, 1.51 – Betriebsvereinbarung zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen M 18.1, 18.28 – Co-Working 2.42 f. – Definition 18.5 – Desk-Sharing/Open Space 2.14 f. – Gefährdungsbeurteilung Homeoffice, Prüfbogen M 1.4, 1.59 – Guideline zum Umgang mit sozialen Medien 27.25 – Handlungsanweisungen 18.9 – Homeoffice 1.55 ff. – Internetäußerungen von Arbeitnehmern 27.15 – Klassifizierung 18.28 – Papierform, Schutzklausel 18.28 – Schutzpflichten gegenüber Geschäftspartnern 18.28 – sensible Information 18.28 – streng geheime Information 18.28 – Teilung mit externen Geschäftspartnern 18.10 – Transport von Dokumenten, Dienstanweisung 1.57 – Verlust von Dokumenten, Dienstanweisung 1.57 – vertrauliche Information 18.28 Geschäftsgeheimnisschutz s.a. Datendiebstahl – Betriebsrat 18.11 – Betriebsvereinbarung zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen M 18.1, 18.28 – Crowdwork, extern 10.21 f. – Datendiebstahl durch Arbeitnehmer 18.12 ff. – Einsatz individualisierter Chipkarten 18.24 – Freelancer-Vermittlung 9.21 – Geheimhaltungsstufen 18.23

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Stichwortverzeichnis – – – – – –

gesetzliche Grundlage 18.4 ff. Hackerangriffe 18.24 Handlungsvorgaben für Mitarbeiter 18.25 Homeoffice 1.36 ff. Homeoffice, Dienstanweisung M 1.3, 1.57 Implementierung angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen 18.5 ff. – kaufmännische Sorgfaltsanforderungen 18.7 – Knowhow/Patente 18.1 – mobiles Arbeiten 1.62 – Schulungen 18.27 – schützenswerte Informationen 18.8 – Schutzkonzept 18.21 – Schutzkonzept, Betriebsratsbeteiligung 18.22 – technische Infrastruktur 18.24 – Verpflichtungserklärung für die Teilnahme im strategischen Leitungskreis M 18.2, 18.30 – Versenden großer Datenpakete 18.24 – Verstoß gegen Kopierverbot geschäftlicher Daten 18.14 – Vertragsstrafe 18.29 – Wirtschaftsspionage/Datendiebstahl 18.2 Geschmacksmusterrecht 19.47 ff. Gesundheitsschutz – Arbeitsschutz 20.1 – Erreichbarkeitszeiten 4.62 ff. – Mitbestimmung bei Co-Working 2.49 – Mitbestimmung bei Desk-Sharing 2.29 ff. – Unterweisungspflicht 20.38 Gewährleistungsrecht – Softwareanwendungen 15.12 Gewerbemietrecht – Arbeitsschutz 20.59 ff. Gleitzeit – Abgrenzung zu Vertrauensarbeitszeit 3.1

Hackerangriffe – Geschäftsgeheimnisschutz 18.24 Haftung – Abgrenzung, Selbständigkeit 7.20 – Beratungsvertrag mit einem Freelancer 7.65 – Crowdwork 10.27 ff. – CV-Dealer 24.10 – Klausel, externe Crowdwork 10.36 – Nachforderung nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge 7.38 – Privatnutzung des Firmeninternets/der Firmenkommunikationsmittel 28.12 f. Hardware der Firma – Betriebsvereinbarung - Privatnutzung M 28.1, 28.18 – Direktionsrecht 28.6 – Privatnutzung 28.5 – Privatnutzung, Diensteanbieter 28.16 – Privatnutzung, unerlaubte 28.13 – Privatnutzung, Verbot 28.16 590

Headhunter s.a. Personalberater – datenschutzrechtliche Vorgaben 24.15 – exklusiver Direktsuche-Auftrag 24.25 ff. – Kündigung 24.29 – Nachbesetzungsgarantie 24.26 – Rahmenvertrag Personalberatung- und Direktsuche M 24.2, 24.29 – Tätigkeit 24.12 – Vergütung 24.13 – Wettbewerbsrecht 24.16 Heimarbeit – Crowdwork, extern 10.19 Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 22.19 ff. Höchstarbeitszeit – ständige Erreichbarkeit 4.12 ff. Holländisches Modell – Freelancer-Vermittlung 9.5 f. – Risiko der Scheinselbständigkeit 9.9 ff. Homeoffice s.a. Datenschutz, Homeoffice – alternierend 1.3 – Anspruch 1.9 – Anspruch, Individualvereinbarung 1.54 – arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 1.16 ff. – arbeitsschutzrechtliche Unterweisung 1.60 ff. – Arbeitszeitschutz 1.28 ff. – Aufsichtsbehörde, Arbeitsschutzvorgaben 1.26 – Ausgestaltung 1.7 ff. – Beendigung 1.12 f. – Begriff 1.1 ff. – Betriebsrat, Beteiligungsrechte 1.43 ff. – Betriebsvereinbarung 1.49 – Bring your own device 29.1 ff. – Dienstanweisung Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz M 1.3, 1.57 – Einführung 1.7 ff. – Formen 1.2 ff. – Gefährdungsbeurteilung 1.20 f., 1.58 ff. – Geschäftsgeheimnis 1.36 ff., 1.55 ff. – Haftung des Arbeitgebers 1.26 – Individualvereinbarung 1.52 ff. – Individualvereinbarung, Muster M 1.2, 1.54 – Merkblatt bei Fragen und Problemen M 1.5, 1.61 – Mobileoffice/Mobileworking 1.5 – Nachteile 1.3 – Organisationsfähigkeit der Arbeitnehmer 1.12 – Pausen/Ruhezeiten 1.28 f. – Schutz personenbezogener Daten 1.33 ff., 1.55 ff. – Überprüfung des Arbeitsplatzes 1.20 – Versetzung 1.45 – Versicherungsschutz 1.25 – vertragliche Regelungen 1.8 – Vertrauensarbeitszeit 1.31 – Widerrufsvorbehalt 1.15 – Zeiterfassung 1.30 – Zutrittsrecht des Arbeitgebers 1.20

Stichwortverzeichnis Hygiene – Desk-Sharing 2.13

– Sicherheitsmaßnahmen, Geheimnisschutz 18.11 – wesentliche Änderungen 15.37

Insolvenzsicherung

Jugend- und Auszubildendenvertretung, JAV

– Betriebsvereinbarung, Sabbatical 5.28 – Vereinbarung zur Sicherung von Wertguthaben 5.29 ff. – Wertguthaben, Sabbatical 5.20 ff. Intermediär – Crowdwork via Fremdplattform 10.30 ff. Interne Ermittlungen s.a. Überwachung, Mitarbeiter; s.a. Beschuldigtenbefragung – Amnestievereinbarung M 14.3, 14.53 – Aufhebungsvertrag 14.65 – Auswertung elektronischer Aufzeichnungen 14.40 – Auswertung von E-Mail-Postfächern 14.36 ff. – Beschuldigtenbefragung 14.58 – Betriebsvereinbarung M 14.2, 14.48 – Durchführung 14.49 ff. – eingriffsintensive Maßnahmen 14.56 – Einschaltung externer Ermittler 14.49 – Ermittlungsteams 14.25, 14.49 – Freistellung des Beschuldigten 14.50 – Kostenübernahmevereinbarung für Rechtsanwaltsvergütung M 14.4, 14.55 – Kronzeuge 14.52 – Legalitätsorganisationspflicht 14.24 – Mitarbeiterbefragung 14.27 ff. – Stillschweigen 14.49 – Übergehen des Betriebsrats 14.44 – Zeugenbefragung 14.51 ff. Internetpräsenz – Bedeutung 27.1 – Fotos von Mitarbeitern 27.8 f., 27.22 f. – Handlungsfelder der Personalabteilung 27.4 – Mitarbeiter-Einwilligung in Veröffentlichung von Fotos und Videos 27.23 – Mitbestimmung des Betriebsrates 27.11 ff. – Recht am eigenen Bild 27.15 – Selbstdarstellung des Unternehmens 27.5 ff. – Videoveröffentlichung 27.8 f., 27.22 f. Internetzugang – Privatnutzung 28.1 ff. IT-Sicherheit – Geschäftsgeheimnisschutz 18.28 IT-Systeme – Arbeitsgruppen der Betriebsparteien bei Implementierung 15.38 – Dokumentation des Verhandlungsprozesses bei Implementierung 15.32 – Einführung, Gesamtbetriebsvereinbarung M 15.1, 15.37 – Einführung, Passus für Betriebsvereinbarung M 15.2, 15.39 – Konzern 15.24 – Lenkungsausschuss bei Implementierung 15.37

26.9

Keylogger – Dauerüberwachung 15.16 KI – Bewerbungsverfahren 23.27 KI-gesteuerte Arbeitsanweisung – Anforderungen nach der DSGVO 17.10 ff. – Anwendungsbereich 17.2 – arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 17.14 – Beteiligung des Betriebsrats 17.15 ff. – Dienstanweisung zu Arbeitsanweisungen M 17.1, 17.22 – digitaler Vorgesetzter 17.1 – Diskriminierungsverbote 17.12 f. – disziplinarisches Weisungsrecht 17.10 – Handlungsaufforderungen Arbeitgeber/Computer 17.8 f. – individualisiertes Benutzerkonto 17.11 – Leistungsbewertung 17.11 – personenbezogene Daten 17.11 – rechtliche Herausforderungen 17.5 ff. – Rechtsnatur 17.6 ff. – Sachverständigengutachten vor Einsatz 17.15 Knowhow – Geschäftsgeheimnisschutz 18.1 Kommunikationsmittel, betriebliche s.a. Endgerätenutzung, dienstlich und privat – Betriebsvereinbarung M 28.1, 28.18 – Firmeninternetzugang 28.1 ff. – Nutzungsregeln 28.8 – Nutzungsregeln, Mitbestimmung 28.8 – Privatnutzung 28.5 ff., 29.11 – Privatnutzung, Diensteanbieter 28.16 – unerlaubte Privatnutzung, Haftung 28.13 Konzern – Arbeitnehmerüberlassung 8.17 – Arbeitsschutz, Verantwortlichkeiten 20.61 ff. – Betriebsvereinbarung interne Crowdwork M 10.2, 10.38 – datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit 12.9 ff. – Datenübermittlung 12.10 – Festlegung von Matrixstrukturen M 11.1, 11.29 – Gemeinschaftsbetrieb, Personaleinsätze 8.56 – Matrixklausel für Arbeitsvertrag 11.31 – Matrixorganisationen 11.7 f. – Skill-Datenbanken 25.17 – Software-Implementierung 15.24 – Vereinbarung gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55 Kopierer – Gefährdungsbeurteilung 20.35 591

Stichwortverzeichnis Kosten – Rechtsanwalt, Mitarbeiterbefragung 14.31 – Rechtsanwaltsvergütung nach Amnestievereinbarung 14.55 – Weiterbildungsmaßnahme 26.37 Krankenversicherung – Sabbatical 5.8 Krankheitsbedingte Kündigung – Voraussetzungen 21.36 Kronzeuge – interne Ermittlungen 14.52 Kündigung – fristlos, Datendiebstahl 18.14 f. – Headhunter M 24.2, 24.29 – heimliche Überwachungsmaßnahmen 14.17 – Personalakte, digitale 13.22 – psychische Erkrankungen 21.36 ff. – Vorbereitung, Mitarbeiterbefragung 14.33 Kündigungsrecht – Datenschutzbeauftragter 12.19 – Freelancer, Vertragsgestaltung 7.64 – Freelancer-Vermittlung 9.24 – Konzernversetzungsklauseln 11.10 Kündigungsschutz – Gleichbehandlungsgrundsatz 25.10 – Personalentwicklung 25.5 Künstliche Intelligenz s. KI-gesteuerte Arbeitsanweisung

Laufbahn – Regelungsabrede - Personalentwicklungskonzept 25.34 Leichtfertigkeit – Scheinselbständigkeit 7.33 Leiharbeit – Personalvermittlung 24.18 ff. Leiharbeitnehmer – Abgrenzung zu Arbeitnehmerüberlassung 8.7 ff. – Abgrenzung zum Freelancer 7.74 – Eingliederung in die Büroorganisation 8.15 – Freelancer-Vermittlung 9.11 – geistiges Eigentum 8.32 Leistungsbeschreibung – Arbeitnehmerüberlassung 8.41 ff. – Selbständigkeit 7.61 Leistungsbewertung – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.11, 17.18 Leistungsdruck – psychische Erkrankung 21.6 Leistungsergebnis – freie Mitarbeiter 19.38 – Klausel zu Rechten an ~, freie Mitarbeit M 19.2, 19.56 Leistungskontrollen – Klausel Betriebsvereinbarung M 14.1, 14.46 – Softwareanwendungen 15.22 592

Leistungsschutzrechte – Befugnisse 19.43 – persönliche Leistung/originärer Rechtsinhaber 19.45 – Schutz unternehmerischer Leistung 19.44 Lenkungsausschuss – Betriebsvereinbarung Einführung von IT-Systemen M 15.1, 15.37 – Passus für Betriebsvereinbarung Einführung von IT-Systemen M 15.2, 15.39 Lizenzgebühren – Arbeitnehmererfindung 19.24 Lohnsteuer – Scheinselbständiger/Arbeitgeber 7.41 Löschen von Daten – angemessene Fristen 12.5 – Backup 12.29 – Bewerbungsunterlagen/Bewerberportal 23.16 ff. – gesetzliche Aufbewahrungspflichten 12.30 – personenbezogene Daten 12.28

Maklerrecht – CV-Dealer 24.7 – Headhunter 24.14 Markenrecht, Schutz 19.51 f. Matrixmanager – Beteiligung in personellen Angelegenheiten 11.15 ff. – Datenübermittlung 11.21 ff. – Kompetenzen im fremden Betrieb 11.14 ff. – leitender Angestellter 11.15 – Übertragung des fachlichen Weisungsrechts 11.19 – Vollmacht 11.11, 11.28 – Zuständigkeit für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten 11.17 ff. Matrixorganisationen – Arbeitnehmer, vertragliche Zustimmung 11.9 ff. – Begriff 11.1 – Betriebsverfassungsrecht 11.14 ff. – Datenschutzrecht 11.20 ff. – Festlegung von Matrixstrukturen in einem Unternehmen M 11.1, 11.29 – Gestaltung von Berichtslinien 11.6 ff. – Konzernversetzungsklauseln 11.10 – Matrixklausel für Arbeitsvertrag M 11.2, 11.31 – rechtliche Herausforderungen 11.5 ff. – Transparenz der Berichtslinien 11.25 – Vor- und Nachteile 11.4 – Weisungsrecht 11.6 ff. – Weisungsrecht, Verstoß gegen gesetzliche Verbote 11.13 – widersprechende/kollidierende Weisungen 11.12 Meldekanäle im Unternehmen – Whistleblowing 22.7 ff. Meldepflichten – Geschäftsgeheimnisschutz 18.28

Stichwortverzeichnis – Whistleblowing 22.4 Mitarbeit, externe – Betriebsvereinbarung Scrum M 6.1, 6.32 – Dienstanweisung M 7.5, 7.75 – Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Scrum-Teams M 6.2, 6.36 – Regeln zum Umgang, Vermeidung Scheinselbständigkeit 7.51 Mitarbeit, freie – Dienst- und Werkverträge, Leistungsergebnisse 19.55 f. – Erfindungen 19.28 f. – Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen M 19.2, 19.56 – Leistungsergebnisse 19.38 – urheberrechtliche Grenzen der Vertragsgestaltung 19.38 Mitarbeiterbefragung – Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess 14.33 – Gefährdungsfaktoren, psychische Erkrankungen 21.18 – Hinzuziehung des Betriebsrats 14.30 – interne Ermittlungen 14.27 ff. – Rechtsanwalt 14.31 – Selbstbezichtigung 14.29 – Vorbereitung einer Verdachtskündigung 14.33 Mitarbeitereinsatz, unternehmensübergreifend s.a. Arbeitnehmerüberlassung; s.a. Zusammenarbeit, unternehmensübergreifend – Arbeitnehmerüberlassung 8.4 ff. – arbeitsrechtliche Implikationen 8.3 ff. – Eingliederung in die Belegschaft 8.51 – Flexibilität 8.2 – Gemeinschaftsbetrieb als Alternative 8.54 ff. – kombinierte Abstimmungsverfahren 8.50 – Rahmenvertrag Ticket-System, Arbeitnehmerüberlassung M 8.3, 8.49 – Subunternehmer/Drittdienstleister 8.2 – Umgangsregeln 8.51 ff. – Zusammenarbeit und Vernetzung von Unternehmen 8.1 ff. Mitarbeitergespräch – Feedback-Gespräche, Regelungsabrede - Personalentwicklung M 25.1, 25.34 – Mitbestimmung 25.25 – Personalentwicklung 25.3 Mitarbeiterüberwachung s. interne Ermittlungen; s. Überwachung, Mitarbeiter Mitbestimmung s.a. Betriebsrat; s.a. Betriebsvereinbarung – agiles Arbeiten 6.21 – Arbeitnehmerüberwachung 13.40, 14.13 – Arbeitsschutz 20.22 ff. – Auswertung von E-Mail-Postfächern 14.39 – betriebliche Berufsbildung 25.27 – Bewerberdatenbank 23.34

– – – – – – –

Bildungsmaßnahmen 26.31 ff. Crowdwork, extern 10.29 Crowdwork, intern 10.7 Desk-Sharing, Arbeitsplatz 2.18 Desk-Sharing, soziale Angelegenheiten 2.17 Desk-Sharing, technische Einrichtungen 2.24 ff. Desk-Sharing, Unfall- und Gesundheitsschutz 2.29 ff. – Desk-Sharing/Open Space 2.16 ff. – Erreichbarkeitszeiten 4.56 ff. – Homeoffice 1.43 ff. – Homeoffice, Betriebsvereinbarung M 1.1, 1.49 – Internetpräsenz des Unternehmens 27.11 ff. – Klausel zu Leistungs- und Verhaltenskontrollen für Betriebsvereinbarung 14.46 – Mitarbeitergespräche 25.25 – Personalakte, digitale 13.36 ff. – Personalentwicklung 25.22 f. – Privatnutzung der Firmenkommunikationsmittel 28.8 – Rahmengesamtbetriebsvereinbarung Einführung von IT-Systemen/IT-Lenkungsausschuss M 15.1, 15.37 – Sabbatical 5.6, 5.25 – Scrum 6.15, 6.19 ff. – Skill-Datenbank 25.28 – Software-Implementierung 15.23 ff., 15.30 f. – Vertrauensarbeitszeit 3.23 f. – Vertrauensarbeitszeit, Betriebsvereinbarung M 3.3, 3.34 Mobile-Device-Management – Datenschutz, Homeoffice 1.40 Mobiles Arbeiten – Arbeitszeit 1.62 – Begriff 1.5 – Daten- und Geschäftsgeheimnisschutz 1.62 – Direktionsrecht 1.8, 1.62 – Gefährdungsbeurteilung 1.62

Nachbesetzungsgarantie – Headhunter 24.26, 24.29 Nachforderung, Sozialversicherungsbeiträge – Haftung 7.38 – mehrere Arbeitgeber 7.37 – Scheinselbständigkeit 7.34 ff. Nachtarbeit – Mitbestimmung 4.59 – ständige Erreichbarkeit 4.30 f. Nutzungsrechte s.a. Urheberrecht – Urheberrecht, Arbeitsverhältnis 19.33 ff. – Urheberrecht, freie Mitarbeit 19.38 – Urheberrecht, Übertragungszweckgedanke 19.39 f. – Verwertungsrecht, zeitliche Beschränkung 19.41 Objektschutz – Beispiel für Arbeitnehmerüberlassung 8.43 ff. 593

Stichwortverzeichnis Open Space s.a. Desk-Sharing – Abgrenzung zu Desk-Sharing 2.2 – Arbeitsplatzkonzept 2.1 – arbeitsschutzrechtliche Anforderungen 2.9 ff. – Betriebsvereinbarung M 2.1, 2.56 – Daten- und Geheimnisschutz 2.14 f. – Gefährdungsbeurteilung 2.11 ff. – individualrechtliche Umsetzung 2.6 ff. Organmitglieder – Erfindungen 19.28 f.

Patente – Anmeldung, Arbeitnehmererfindung 19.18 – Arbeitnehmererfindung 19.8 ff. – Geschäftsgeheimnisschutz 18.1 Pausen – Homeoffice 1.28 f. People Analytics – Begriff 16.3 – Einsatzbereich 16.3 – Nachteile 16.4 – Personal-/Leistungs-/Verhaltensdaten 16.8 – rechtliche Herausforderungen 16.6 ff. Personalakte – Abmahnung, Entfernung 13.33 – Aktenführungsgrundsätze 13.12 – Anforderungen der DSGVO 13.16 – Arbeitnehmerrechte 13.30 ff. – Arbeitsvertrag 13.11 – Aufbewahrungs- und Dokumentationspflichten 13.29 ff. – Auskunftsanspruch 13.35 – Berichtigungsanspruch 13.33 f. – Einsichtsrecht, leitende Angestellte 13.31 – Formvorschriften 13.19 ff. – im formellen/materiellen Sinn 13.7 ff. – Inhalt 13.11 – Nachweis der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften 13.20 – Sozialauswahl, Daten 13.11 – Vertraulichkeit/Datenschutz 13.15 – Vollständigkeit 13.14 – Wahrheitspflicht/Richtigkeit 13.13 Personalakte, digitale – Befristung des Arbeitsvertrages/Kündigung 13.22 – Begriff 13.6 – Berichtigungskonzept 13.17 f. – Betriebsvereinbarung M 13.1, 13.40, 13.45 – Beweiswert 13.25 ff. – Digitalisierung von Arbeitsabläufen 13.1 – Einsichtsrecht des Arbeitnehmers 13.31 – elektronische Archivierung 13.29 ff. – Niederschrift über wesentliche Vertragsbedingungen 13.22 – Originalfassung von Dokumenten 13.28 – Personalfragebogen 13.37

594

– Personalplanung 13.39 – Personalverwaltungssoftware 13.2 – Prozessuales 13.25 ff. – Rechte der Mitarbeiter 13.45 – Rechte des Betriebsrats 13.36 ff. – rechtliche Herausforderungen 13.5 ff. – Schriftformerfordernis 13.19 ff. – Updates 13.45 – Vorteile 13.4 – Wettbewerbsverbot 13.22 – Zeugnis 13.22 Personalberater – CV-Dealer 24.4 ff. – CV-Dealer, Honorarklausel für Personalberatervertrag M 24.1, 24.24 – Headhunter 24.1 Personaleinsatz, unternehmensübergreifend s. Arbeitnehmerüberlassung Personalentwicklung – Aufstellung von Konzepten 25.2 – Bedarfsplanung 25.3 – Beförderung/Hochstufung 25.12 f. – Beförderung/Versetzung 25.29 f. – Befristung von Beförderungsstellen 25.9 – Beteiligung des Betriebsrats 25.18 ff. – Fach- und Führungskräfte 25.1 – Gehalts-/Lohnstufen 25.3 – individualrechtliche Rahmenbedingungen 25.5 ff. – Individualvereinbarung zur Beförderung 25.35 ff. – Kündigungsschutz 25.5 – Mitarbeitergespräche 25.3 – Personalbedarfsplanung/-deckungsplanung 25.20 – rechtliche Herausforderungen 25.4 ff. – Skill-Datenbanken 25.3 – Vereinbarung über befristete Beförderung auf Probe M 25.2, 25.37 Personalentwicklungskonzept – Datenschutz 25.17 ff. – Diskriminierungsverbote 25.14 ff. – Positivmaßnahmen, Frauenquote 25.15 – Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen 25.15 – Regelungsabrede M 25.1, 25.34 – Regelungsabrede - Beschreibung der Funktionsgruppen 25.34 – schwerbehinderte Arbeitnehmer 25.15 – Skill-Datenbanken 25.17 – Teilzeitkräfte 25.15 – transparente Vergütungsregeln 25.11 – Vereinbarung mit dem Betriebsrat 25.32 ff. Personalfragebogen 23.33 Personalqualifizierung – Aus-/Weiterbildung 26.1 ff. – Bildungsmaßnahmen 26.4 ff.

Stichwortverzeichnis – Rückzahlungsklausel betr. Weiterbildungskosten M 26.1, 26.45 Personalvermittler – Leiharbeit 24.18 ff. Personenbezogene Daten s.a. Datenschutz; s.a. Datenschutzorganisation – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.11 – Betriebliches Eingliederungsmanagement 21.46 – Big-Data-Screening 16.8 – Datenpanne 12.36 – Datenschutz, Homeoffice 1.55 ff. – Datenschutzorganisation 12.1 ff. – Dienstanweisung Homeoffice M 1.3, 1.57 – Homeoffice 1.33 ff. – kritische Verarbeitungstätigkeiten 12.25 f. – Schutzmaßnahmen 12.32 – Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten 12.20 Persönlichkeitsanalyse – Bewerbungsverfahren 23.29 Praktikum – Betriebsrat, Zuständigkeit 26.23 – freiwilliges-/Pflichtpraktikum 26.20 – Praktikumsvertrag 26.20 – Studierende 26.19 Privatnutzung des Firmeninternets – Bedeutung/Kosten 28.1 – Datenschutzrecht 28.10 f. – Erlaubnis und Regulierung 28.5 ff. – Grenzen 28.9 – Haftung 28.12 f. – Konfliktfelder 28.3 – Mitarbeiterzufriedenheit 28.2 Probezeit – Berufsausbildungsvertrag 26.8 Product-Backlog – Betriebsvereinbarung Scrum 6.32 Profiling – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.11 Psychische Erkrankungen – Arbeitsbelastung 21.6 – Arbeitsschutzvorkehrungen 21.39 – Ausbreitung 21.1 – Best Practice 21.39 ff. – betriebliches Eingliederungsmanagement 21.23 ff., 21.40 f. – betriebliches Eingliederungsmanagement, Einladung M 21.1, 21.44 – digitale Transformation 21.4 – Dokumentation der Abhilfemaßnahmen 21.19 – Ermittlung und Beurteilung der Gefährdungsfaktoren 21.17 – Festlegung von Arbeitsschutzmaßnahmen 21.20 – Fürsorgegesichtspunkte 21.8 – Gefährdungsbeurteilung 21.39

– Gefährdungsbeurteilung als Rechtspflicht 21.10 ff. – Gefährdungsbeurteilung, Durchführung 21.16 ff. – Gefährdungsbeurteilung, Wiederholung 21.21 – krankheitsbedingte Kündigung 21.36 ff. – Mitarbeiterbefragung 21.18 – Schwerbehinderung 21.38 – somatische Erkrankungen 21.2 – strukturelle/individuelle Maßnahmen 21.9 ff. – Trennung vom Betroffenen 21.8 – Überlastungsanzeige 21.20 – Ursachen 21.3 – Wiedereingliederung 21.34

Recht auf Vergessen – Datenverarbeitung 12.28 Rechtsanwalt – Hinzuziehung, Mitarbeiterbefragung 14.31 – Kostenübernahmevereinbarung nach Amnestievereinbarung M 14.4, 14.55 Rechtswahl – Crowdwork, extern 10.10 Recruitment s. Headhunter Reinigungstätigkeiten – Beispiel für Arbeitnehmerüberlassung 8.46 Rentenversicherung – Betriebsprüfung, Scheinselbständigkeit 7.48 Rückzahlungspflicht s.a. Aus-/Weiterbildung – Berufsausbildungsvertrag 26.40 – Fortbildungsmaßnahmen 26.39 – Klausel, Weiterbildungsvertrag M 26.1, 26.45 – Sorgfalt bei Klauselformulierung 26.41 – Voraussetzungen 26.41 – Zeitraum 26.42 f. Rufbereitschaft – Begriff 4.8 – Sonn- und Feiertagsarbeit 4.26 Ruhezeiten – Einhaltung, ständige Erreichbarkeit 4.21 ff. – Erreichbarkeitszeiten 4.9 – Homeoffice 1.28 f. – Mitbestimmung des Betriebsrats 4.59 – Unterbrechung 4.23 ff. – Verkürzung und Ausgleich 4.22 – Vertrauensarbeitszeit 3.12 Sabbatical – – – – – – – – –

s.a. Wertguthaben Arbeitsentgeltguthaben 5.16 Auszahlung Wertguthaben 5.18 Bankkonto 5.22 Betriebsvereinbarung M 5.1, 5.27 f. Finanzierung durch Wertguthaben 5.7 ff. Freistellungsphase 5.4 ff. Gehaltsverzichtsvereinbarung M 5.2, 5.34 Gestaltung 5.1 f. Insolvenzsicherung 5.20 ff.

595

Stichwortverzeichnis – – – –

Krankenversicherung 5.8 Mitbestimmung 5.6, 5.25 rechtliche Herausforderungen 5.3 sozial- und steuerrechtliche Vorgaben 5.10 ff., 5.17 ff. – Treuhandkonto 5.22, 5.29 ff. – Urlaubsanspruch 5.5 – Vereinbarung mit dem Mitarbeiter 5.33 ff. Sanktionen – Arbeitszeit, Vertrauensarbeitszeit 3.7 – illegale Arbeitnehmerüberlassung 8.18 ff. – Scheinselbständigkeit 7.25 ff. – Verstoß gegen Arbeitszeitvorgaben im Homeoffice 1.32 Schadensersatz – Datendiebstahl durch Arbeitnehmer 18.19 – Unfallopfer, Arbeitsschutzdefizite 20.49 ff. – Veröffentlichungen, Webseite 27.8 Scheinselbständigkeit – Abgrenzungskriterien 7.12 ff. – Ausschlussversuche 7.49 – Betriebsprüfung 7.48 – Betriebsrat 7.46 ff. – Bewertungsbogen M 7.1, 7.58 – Crowdworker, extern 10.12 – Eingliederung in die Arbeitsorganisation 7.11 ff. – Einklagen in ein Arbeitsverhältnis 7.43 – Einzelfallentscheidung 7.22 – Erstattungspflicht von Sozialversicherungsbeiträgen, Vereinbarung 7.50 – Freelancer, Vermittlung durch Agentur 9.9 ff. – Grenzfälle, Spezialisten 7.22 – individualrechtliche Sanktionen 7.43 – Indizwirkung der Vertragsurkunde 7.59 – kein Direktvertrag mit Freelancer 7.50 – Nachforderung nicht abgeführter Versicherungsbeiträge 7.34 – On-Site-Werkvertrag mit Freelancer 7.56 – Ordnungswidrigkeit bei Leichtfertigkeit 7.33 – Risiken, Arbeitnehmerüberlassung 8.13 – Sanktionen 7.25 ff. – Scrum 6.23 ff. – sozialversicherungsrechtlicher Status 7.8 ff. – steuerrechtliche Sanktionen 7.40 – Strafbarkeit nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge 7.27 ff. – Übernahme weiterer Aufgaben 7.63 – ungeeignete formalrechtliche Gestaltungen 7.50 – Unternehmensrisiko 7.15 – Vermeidung von Weisungen 7.55 – Vertragsgestaltung 7.59 ff. – Verurteilung, Konsequenzen 7.32 – Vorprüfung 7.53 – Vorsatz, Geschäftsführer/Vorstand 7.30 – Weisungen 7.11 Schmähkritik – Internetäußerungen von Arbeitnehmern 27.15

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Schriftform – Personalakte 13.20 ff. Schulungen – Arbeitsschutz 20.40 – Betriebsvereinbarung Einführung von IT-Systemen/IT-Lenkungsausschuss 15.37 – Betriebsvereinbarung Scrum 6.32 – Geschäftsgeheimnisschutz 18.27 – Softwareanwendungen 15.29 Schutz von Hinweisgebern 22.19 ff.; s.a. Whistleblowing Schwerbehinderung – Arbeitsanweisungen durch künstliche Intelligenz 17.13 – betriebliches Eingliederungsmanagement 21.26 – Bewerbungsverfahren 23.3 – Desk-Sharing 2.8 – Personalentwicklungskonzept 25.15 – psychische Erkrankungen 21.38 Screening-Algorithmen – Aufdeckung von Pflichtverletzungen 16.18 ff. – deskriptisch-statistische Analysen 16.2 – Diskriminierungsverbote 16.14 – interferenz-statistische Untersuchungen 16.2 – Personalentscheidungen 16.13 Scrum – Anwendung von Software Jira 6.32 – Begriff 6.9 ff. – Betriebsvereinbarung M 6.1, 6.32 – Direktionsrecht/verbindliche Anordnung 6.15 ff. – Geheimhaltung, externe Mitarbeit 6.36 – geistiges Eigentum, externe Mitarbeit 6.36 – illegale Arbeitnehmerüberlassung 6.23 ff. – Mitbestimmung des Betriebsrates 6.15, 6.19 ff. – Product-Backlog 6.11 – Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Teams M 6.2, 6.36 – rechtliche Herausforderungen 6.14 ff. – Scheinselbständigkeit 6.23 ff. – Scrum-Guide 6.9 – Sprints 6.11 – Unternehmensorganisationspflicht 6.14 – Verfahrensregeln 6.11 – Vergütung, externe Mitarbeit 6.36 – Verträge, unternehmensübergreifende Zusammenarbeit 6.33 ff. – zentrale Regeln 6.31 Scrum-Team – Benutzerkonten 6.32 – Rollenverteilung 6.12 – Weisungsrecht 6.30 – Werkvertrag, unternehmensübergreifende Zusammenarbeit 6.36 Selbständigkeit s.a. Freelancer – Beispiele für abhängige Beschäftigung 7.19 – Beispiele für selbständige Tätigkeit 7.20

Stichwortverzeichnis – Beratungsauftrag mit Freelancer M 7.2, 7.65 – Beratungsauftrag/Anschlussvertrag mit Freelancer M 7.3, 7.67 – Dienstanweisung - externe Mitarbeiter M 7.5, 7.75 – Dienstanweisung - Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen M 7.4, 7.73 – Erfolgsbezogenheit der Aufgaben 7.62 – Leistungsbeschreibung 7.61 f. – Sonderstatus, arbeitnehmerähnlicher Selbständiger 7.17 – sozialversicherungs- und steuerrechtliche Aspekte 7.2 – Statusfeststellungsverfahren 7.23 f. – statusneutrale Aspekte 7.21 – Umgangsregeln mit Selbständigen 7.68 ff. – Vertragsgestaltung, Standardmustervertrag 7.59 ff. – wechselnde Auftraggeber 7.17 – Wettbewerbsverbot 7.21 – Zusammenarbeit mit Unternehmen 7.4 Sicherheitsbeauftragter 20.16 ff. – Arbeitsschutzausschuss 20.26 – Rahmenbetriebsvereinbarung Arbeitsschutz 20.71 Sicherheitslücken – Dienstanweisung Homeoffice 1.57 Skill-Datenbanken – Drittland 25.17 – Konzernunternehmen 25.17 – Mitbestimmung 25.28 – Personalentwicklung 25.17 – Regelungsabrede - Personalentwicklungskonzept M 25.1, 25.34 Social Media s. Soziale Medien Softwareanwendungen – agiles Arbeiten 6.2 ff. – Auswertung personenbezogener Daten 15.22 – Beschäftigtenüberwachung, Checkliste 16.21 – Datenschutz-Folgenabschätzung 15.17 – Datenschutzinformation 15.20 f. – datenschutzrechtliche Anforderungen 15.14 ff. – Dauerüberwachung 15.16 – Mängel 15.9 ff. – Mietminderung 15.9 – Mitbestimmung, Desk-Sharing 2.26 – Vorinstallation 18.24 – Wartungs-, Support- und Hotline-Services 15.10 Softwareanwendungen, Implementierung – Application Service Providing, ASP 15.8 – Arbeitswerkzeug 15.1 – Betriebsrat, Beteiligung 15.23 ff. – Betriebsrat, gemeinsamer Ausschuss 15.35 ff. – Betriebsrat, Zustimmung 15.30 – Betriebsvereinbarung 15.27 f.

– Dauereinigungsstelle 15.40 – Durchführung 15.4 – Einführung von IT-Systemen/informelle Arbeitsgruppe - Passus für Betriebsvereinbarung M 15.2, 15.39 – Einführung von IT-Systemen/IT-Lenkungsausschuss - Rahmengesamtbetriebsvereinbarung M 15.1, 15.37 – Konzern 15.24 – Mitarbeiterrechte 15.37 – Mitarbeiterschulungen 15.29 – rechtliche Herausforderungen 15.5 ff. – Software-as-a-Service, SAAS 15.8 – Standardsoftware 15.6 – Vertrag mit dem Software-Anbieter 15.6 ff. – wesentliche Änderungen von IT-Systemen 15.37 Softwareentwicklung – Arbeitnehmererfindung 19.12 – Urheberrecht, Arbeits-/Dienstverhältnis 19.36 f. Sonn- und Feiertage – Arbeitszeiten 4.26 ff. – Aufzeichnungspflicht von Arbeitszeiten 4.17 Soziale Angelegenheiten – Mitbestimmung bei Co-Working 2.45 – Mitbestimmung bei Desk-Sharing 2.17 Soziale Medien – Äußerungen der Arbeitnehmer 27.15 – Bedeutung im Unternehmen 27.2 – Betreuung und Aktualisierung 27.3 – eigenständige Nutzung von Plattformen durch Mitarbeiter 27.13 ff. – Guideline zum Umgang mit sozialen Medien M 27.3, 27.25 – Guideline, Lenkung der Mitarbeiternutzung 27.14 – Guideline, verbindliches/unverbindliches Regelwerk 27.24 f. – Kritik am Arbeitgeber 27.15 – Mitnahme des Accounts 27.6 f. – Tätigkeitsvereinbarung mit Social-Media-Manager M 27.1, 27.20 f. – unzulässige Beiträge, Entfernung/Abmahnung 27.17 – Verwertungsrecht von Zufallsfunden 27.16 Sozialversicherungsbeiträge – Agentur/Unternehmen, Freelancer-Vermittlung 9.9 – Arbeitnehmerüberlassung 8.5 – Beitragsbemessungsgrundlage 7.35 – Nachforderung, nicht abgeführte Beiträge 7.34 – Scheinselbständigkeit, Strafbarkeit 7.27 ff. Sozialversicherungsrecht – duales Studium 26.16 – Klausel Freelancer-Vermittlung 9.31 – Sabbatical 5.10 ff., 5.17 ff. – Selbständigkeit 7.2, 7.8 ff. – Weiterbildungsmaßnahme 26.28

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Stichwortverzeichnis Sprints – Scrum 6.11 Statistik – Big-Data-Screening 16.7 ff. – Screening Algorithmen 16.2 – zulässige Auswertungen, Checkliste 16.20 Statusfeststellungsverfahren – Selbständigkeit 7.23 f. Stellenausschreibung – Diskriminierungsverbote, Beweislastumkehr 23.6 – Formulierung 23.8 – innerbetrieblich 23.35 f. – Mitbestimmung 25.23 Steuerrecht – Sabbatical 5.10 ff. – Sanktionen bei Scheinselbständigkeit 7.40 – Selbständigkeit 7.2 – Weiterbildungsmaßnahme 26.28 Störungen, technische – Betriebsvereinbarung Homeoffice 1.51 Strafbarkeit – Scheinselbständigkeit 7.27 ff. Straftaten – Mitarbeiterüberwachung 14.7 f. Studiengebühren – duales Studium 26.18

Tatsachenbehauptungen, unwahre – Internetäußerungen von Arbeitnehmern 27.15 Technische und organisatorische Maßnahmen – Datenschutz, Homeoffice 1.35 – Datenschutzverstoß 12.32 – Datensicherheit 12.5 – Geschäftsgeheimnis, Homeoffice 1.38 – Geschäftsgeheimnisschutz 18.26 – Informations-Sicherheits-Management-System, ISMS 12.33 – räumliche Zugangshindernisse 12.33 – Vertraulichkeit der Personalakte 13.15 Telearbeitsplatz s.a. Homeoffice Traineeprogramme – Altersdiskriminierung 26.21 – Dauer 26.21 – Zeitpunkt 26.19 Treuhandkonto – Sabbatical 5.22, 5.29 ff.

Überbetrieblicher Dienst s.a. Arbeitsschutz – Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit 20.13 – Gefährdungsbeurteilung 20.32 – Übertragung von Unternehmenspflichten - Arbeitsschutz M 20.1, 20.66 Überstunden – Ausschlussfrist/Verfallklausel 3.31 – Duldung durch Arbeitgeber 4.38 598

– konkludente Anordnung 4.37 – Vergütung, Darlegungs- und Beweislast 3.19 – Vertrauensarbeitszeit 3.17 – Vertrauensarbeitszeit, Vertragsklauseln 3.26 ff. – Zeiten ständiger Erreichbarkeit 4.33 Überwachung, Mitarbeiter s.a. Interne Ermittlungen – Anfangsverdacht 14.11 – Beteiligung des Betriebsrats 14.42 ff. – Betriebsvereinbarung interne Ermittlungen M 14.2, 14.48 – Betriebsvereinbarung zur Gründung eines Compliance-Ausschuss 14.48 – Dauerüberwachung 14.18 ff. – Dauerüberwachung, Big-Data-Screening 16.10 – Dokumentation, Pflichtverletzung/Straftat 14.14 – GPS-Ortung von Fahrzeugen 14.22 – heimliche Auswertung, E-Mail/Festplatten 14.56 f. – heimliche Maßnahmen 14.5 ff. – heimliche Maßnahmen, Betriebsrat 14.13 – konkreter Verdacht 14.5 ff. – Leistungs- und Verhaltenskontrollen, Klausel Betriebsvereinbarung M 14.1, 14.46 – Mitbestimmung bei Co-Working 2.47 – Mitbestimmung bei technischen Einrichtungen 2.24 – Notwendigkeit 14.1 – präventive und routinemäßige Datenerhebung 14.18 ff. – rechtliche Herausforderungen 14.4 ff. – Schweigepflicht des Betriebsrats 14.43 – Softwareanwendungen 15.16 – Übergehen des Betriebsrats 14.44 – unternehmensinterne Ermittlungen 14.24 ff. – Unverhältnismäßigkeit, Grundrechtsverletzung 14.15 – Verhaltens- und Leistungskontrollen 14.5 – Vertrauensarbeitszeit 3.1 – Vorbereitungsmaßnahmen 14.41 ff. – zentrale Datensicherung 14.41 Umgangsregeln – Selbständigkeit 7.68 ff. – unternehmensübergreifender Mitarbeitereinsatz 8.51 ff. Umsatzsteuer – Scheinselbständigkeit 7.42 Umschulung – Begriff 26.29 – im laufenden Arbeitsverhältnis 26.24 ff. Unfallschutz – Mitbestimmung bei Desk-Sharing 2.29 ff. Unternehmen – Beratungsauftrag mit Freelancer M 7.2, 7.65 – Beratungsauftrag/Anschlussvertrag mit Freelancer M 7.3, 7.67

Stichwortverzeichnis – Berufsbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen 26.3 – Bewertungsbogen zur Vorbeugung gegen Scheinselbständigkeit M 7.1, 7.58 – Dienstanweisung - Umgang mit selbständigen Auftragnehmern und anderen Externen M 7.4, 7.73 – Dienstanweisung externe Mitarbeiter M 7.5, 7.75 – interne Ermittlungen 14.24 ff. – Internetpräsenz 27.1 – Prüfung bzgl. psychischer Erkrankungen 21.40 ff. – Scheinselbständigkeit, Freelancer-Vermittlung 9.9 ff. – soziale Medien 27.2 – Statusfeststellungsverfahren Selbständigkeit 7.23 – Umgangsregeln mit Selbständigen 7.68 ff. – Vermeidung von Scheinselbständigkeit 7.50 – Vertragsgestaltung bei Selbständigkeit 7.59 ff. Updates – Softwareanwendungen 15.8 Urheberrecht s.a. Eigentum, geistiges – Arbeitnehmerüberlassung 8.31 ff. – Besonderheiten in Arbeits- und Dienstverhältnissen 19.32 ff. – Crowdwork, extern 10.25 f., 10.32 – Freelancer-Vermittlung 9.20 – Grenzen der Vertragsgestaltung 19.38 ff. – Klausel für Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern M 19.1, 19.54 – Klausel zu Rechten an Leistungsergebnissen freie Mitarbeit M 19.2, 19.56 – Leistungsschutzrechte 19.43 f. – Nutzungsrechte für Unternehmen 19.33 – Schutz vor Buy-Out-Verträgen 19.41 – Softwareentwicklung 19.36 f. – verwandte Schutzrechte 19.43 ff. – wirtschaftliche Verwertbarkeit 19.31 Urlaub – Festlegung von Erreichbarkeitszeiten, Betriebsvereinbarung 4.77 – freiwillige Tätigkeit 4.45 – kurze Unterbrechung 4.44 – Nachgewährung 4.46 f. – Recht auf Nichterreichbarkeit, Betriebsvereinbarung 4.75 – Sabbatical 5.5 – ständige Erreichbarkeit 4.42 ff.

Verantwortlicher, DSGVO – – – – – –

Begriff 12.6 ff. Bestimmung 12.5 Betriebsrat 12.14 gemeinsame Verantwortlichkeit 12.8 ff. Konzern 12.9 Konzerndatenübermittlung 12.10

– Mitarbeiterinformation über die Verarbeitung von Beschäftigtendaten M 12.2, 12.59 – Vereinbarung gemeinsame Verantwortlichkeit M 12.1, 12.55 Verantwortlichkeit – Arbeitsschutz 20.5 ff. – Headhunter, Datenschutz 24.15 Verdachtskündigung – Anhörung des Betriebsrats 14.66 – Anhörung des Mitarbeiters 14.34 – Beweislastverteilung im Kündigungsschutzprozess 14.33 – Datendiebstahl 18.14 – Fristen 14.58 ff. – Mitarbeiterbefragung 14.27 – Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats 14.35 – Vorbereitung 14.33 Vergabeverfahren – Ausschluss bei illegaler Arbeitnehmerüberlassung 8.20 Vergütung – Arbeitnehmererfindung 19.20 ff. – Beratungsvertrag mit einem Freelancer 7.65 – Berufsausbildungsvertrag 26.8 – Crowdwork, extern 10.18 – CV-Dealer, Honorarklausel für Personalberatervertrag 24.24 – duales Studium 26.18 – Erreichbarkeitszeiten 4.40 f. – Festlegung von Erreichbarkeitszeiten, Betriebsvereinbarung 4.77 – Freelancer-Vermittlung 9.6, 9.29 – Gehalts-/Lohnstufen, Mitbestimmung 25.24 – Headhunter 24.13, 24.27, 24.29 – Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Scrum-Teams 6.36 – Recht auf Nichterreichbarkeit, Betriebsvereinbarung 4.75 – Regelungsabrede - Personalentwicklungskonzept 25.34 – Tarifsperre, Betriebsvereinbarung 25.32 – Zeiten ständiger Erreichbarkeit 4.32 ff. Verhaltenskontrollen – Klausel Betriebsvereinbarung 14.46 – Softwareanwendungen 15.22 – Softwareanwendungen, Checkliste 16.21 Versetzung – Begriff 2.33 – Beteiligung des Betriebsrats 25.29 f. – Datenschutzbeauftragter 12.19 – Homeoffice 1.45 – Mitbestimmung 25.23 – Mitbestimmung bei Co-Working 2.50 – Mitbestimmung bei Desk-Sharing 2.32 ff. – Personalentwicklung 25.7 – Scrum/agiles Arbeiten 6.21

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Stichwortverzeichnis Versicherungsschutz – Homeoffice 1.25 Vertragsstrafe – Datendiebstahl durch Arbeitnehmer 18.19 – Geschäftsgeheimnisschutz 18.29 Vertrauensarbeitszeit – Arbeitsvertragsklauseln zur Missbrauchsvermeidung 3.26 ff. – Arbeitszeiterfassung 3.8 – Begriff 3.1 – Betriebsvereinbarung 3.33 ff. – Individualvereinbarung 3.15 ff. – Klausel Arbeitszeit/Überstunden M 3.1, 3.30 – Mitbestimmung des Betriebsrates 3.23 f. – psychische Belastungen 3.22 – rechtliche Vorgaben 3.5 ff. – Überstunden, Missbrauchsrisiken 3.17 ff. – Zeiteinteilung 3.12 ff. Vertraulichkeit – bEM-Verfahren 21.48 – Bewerbungsunterlagen, Compliance 23.49 – Personalakte 13.15 Verzeichnis – Datenverarbeitungstätigkeiten 12.20 ff. – Übersicht über relevante Datenverarbeitungsvorgänge 12.59 Video – Mitarbeiter, Dauerüberwachung 14.19 – Mitarbeiter, Webseite 27.8 f. – Mitarbeiter-Einwilligung in Veröffentlichung M 27.2, 27.23 Volontariat – Dauer 26.22 – Einstieg ins Berufsleben 26.19 Vorgesetzter – künstliche Intelligenz, KI 17.1 Vorstand – Strafbarkeit, Scheinselbständigkeit 7.30

WBRL s.a. Whistleblowing – Folgen für juristische Personen 22.27 ff. – Hinweisgeberschutz 22.22 ff. – persönlicher Anwendungsbereich 22.18 – sachlicher Anwendungsbereich 22.16 f. Webseite s.a. Internetpräsenz – Betreuung durch Mitarbeiter 27.5 – Gestaltung und Kontrolle 27.3 Wegeunfälle 20.41 Weisungsrecht s.a. KI-gesteuerte Arbeitsanweisungen – Abgrenzungskriterien, Scheinselbständigkeit 7.12 ff. – an Datenschutzbeauftragten 12.18 – Arbeitnehmerüberlassung 8.15 – Crowdwork, extern 10.14 – Dienstanweisung, Datenschutzrichtlinie 12.34 – disziplinarisches ~ 17.10 600

– Einführung Desk-Sharing/Open Space 2.7 – Geschäftsgeheimnis 18.9 – Matrixorganisationen 11.6 ff. – Übertragbarkeit 17.5 – Übertragung auf Matrixmanager 11.19 – Umgangsregeln mit Selbständigen 7.68 ff. – Vermeidung, Scheinselbständigkeit 7.55 Weiterbeschäftigung – Anschluss an Ausbildung 26.10 Weiterbildung s. siehe Aus-/Weiterbildung Werktag – Beginn/Ende 4.13 – Begriff 4.14 Werkvertrag – Crowdwork, extern 10.16 – Tätigkeitsabgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung 8.9 ff. Wertguthaben s.a. Sabbatical – Arbeitsentgeltguthaben 5.16 – betriebliche Altersversorgung 5.18 – Betriebsvereinbarung Sabbatical 5.28 – Finanzierung, Sabbatical 5.7 ff. – Gehaltsverzichtsvereinbarung, Sabbatical 5.34 – Insolvenzsicherung 5.20 ff. – rechtliche Anforderungen 5.15 ff. – Übertragung auf Dritte 5.18 Wettbewerbsverbot – Abgrenzung, Selbständigkeit 7.21 – Freelancer-Vermittlung 9.22 – Personalakte, digitale 13.22 Whistleblowing 22.1 ff.; s.a. WBRL – Begriff 22.1 – Hinweisgeberschutzgesetz-Entwurf 22.2 – Meldekanäle, externe 22.13 – Meldekanäle, interne 22.7 ff. – Regelungen 22.3 – Richtlinie zum Schutz der Meldepersonen (WBRL) 22.2 Wiedereingliederung – psychische Erkrankungen 21.34

Zeiterfassung – Betriebsvereinbarung Vertrauensarbeitszeit M 3.3, 3.34 – externe Mitarbeiter/Leiharbeitnehmer 7.75 – Homeoffice 1.30 – Vertrauensarbeitszeit 3.8, 3.23 Zeugen – Befragung, interne Ermittlungen 14.51 ff. Zeugnis – Personalakte, digitale 13.22 Zugangsberechtigung – externe Mitarbeiter/Leiharbeitnehmer 7.75 Zusammenarbeit mit Selbständigen – Kosten 7.5 – Scheinselbständigkeit 7.6 ff. – Spezial-Knowhow/Flexibilität 7.4

Stichwortverzeichnis Zusammenarbeit, unternehmensübergreifend s.a. Mitarbeitereinsatz, unternehmensübergreifend – Agilitätsverlust 6.35 – Haftung 6.35

– Leistungsbeschreibung bei Arbeitnehmerüberlassung M 8.1, 8.44 – Rahmenwerkvertrag zur Unterstützung eines Scrum-Teams M 6.2, 6.36 – Scrum 6.33 ff.

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