Dienstleistungsengineering und -management: Data-driven Service Innovation [2. Aufl. 2020] 978-3-662-59857-3, 978-3-662-59858-0

Dieses Buch gibt eine fundierte und praxisbezogene Einführung in das Gebiet Dienstleistungsinnovation, -entwicklung und

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German Pages XIX, 463 [471] Year 2020

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Dienstleistungsengineering und -management: Data-driven Service Innovation [2. Aufl. 2020]
 978-3-662-59857-3, 978-3-662-59858-0

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIX
Front Matter ....Pages 1-1
Grundlagen (Jan Marco Leimeister)....Pages 3-41
Digitales und Services (Jan Marco Leimeister)....Pages 43-75
Service Engineering (Jan Marco Leimeister)....Pages 77-108
Service-Strategie (Jan Marco Leimeister)....Pages 109-139
Front Matter ....Pages 141-141
Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen zu innovativen Dienstleistungskonzepten (Jan Marco Leimeister)....Pages 143-174
Service Design (Jan Marco Leimeister)....Pages 175-214
Service-Modellierung (Jan Marco Leimeister)....Pages 215-277
Service Management und Service Operations (Jan Marco Leimeister)....Pages 279-342
Dienstleistungsqualität (Jan Marco Leimeister)....Pages 343-389
Front Matter ....Pages 391-391
Interaktionsarbeit in Dienstleistungen (Jan Marco Leimeister)....Pages 393-440
Back Matter ....Pages 441-463

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Jan Marco Leimeister

Dienstleistungsengineering und -management Data-driven Service Innovation 2. Auflage

Dienstleistungsengineering und -management

Jan Marco Leimeister

Dienstleistungsengineering und -management Data-driven Service Innovation 2., vollständig aktualisierte und erweiterte Auflage

Prof. Dr. Jan Marco Leimeister Direktor Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI HSG), Universität St. Gallen St. Gallen, Schweiz

ISBN 978-3-662-59857-3 ISBN 978-3-662-59858-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012, 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Für Steffi, Marilu, Emilia und Anton

Vorwort zur 2. Auflage

Was macht die großen Digital Player wie Google und Amazon so erfolgreich? Sie verstehen es, komplett neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle erfolgreich zu gestalten. Oder sie identifizieren Lücken in existierenden Geschäftsmodellen und schließen diese durch digitale Innovationen. Diese Innovationen sind meist Service-Innovationen. In diesem Kontext spielen die systematische Gestaltung und das Management von Dienstleistungen und Dienstleistungssystemen eine zentrale Rolle. Kern dieses Buches sind darum Methoden, Modelle und Werkzeuge, die anhand zahlreicher Praxisbeispiele anschaulich erläutert werden. Basierend auf aktuellster Forschung umfasst diese zweite Auflage u. a. folgende Neuerungen: • Konsequenter Fokus auf Daten als Grundlage vieler innovativer Dienstleistungen und Geschäftsmodelle sowie Erstellung und Analyse von Daten • Plattform-Logik und (soziotechnische) System-Perspektive für Dienstleistungssysteme • Agile Vorgehensmodelle, die der Praxis gerecht werden • Ganzheitliche Berücksichtigung von Dienstleistungsentwicklung und operativer Dienstleistungserbringung mittels DevOps • Fokus auf die Art der Arbeit, die für Dienstleistungen so wichtig ist: Interaktionsarbeit Dieses Buch versucht, Sie mit den Inhalten und Perspektiven zu versorgen, die Ihre bisherigen Kompetenzen im Sinne soziotechnischer Systemgestaltung optimal komplementieren. Gleichzeitig werden Sie für die systematische Gestaltung von innovativen Dienstleistungen sprech- und handlungsfähig gemacht. • Ist Ihr Fokus technischer Natur, gibt Ihnen dieses Buch wichtige Hinweise zu verantwortungsvollem Design von Dienstleistungssystemen. Ziel ist es, dass die Erkenntnisse nachhaltig im Unternehmen ankommen, also genutzt werden; über die reine Entwicklung neuer Dienstleistungen hinaus und den späteren Betrieb mitdenkend

VII

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Vorwort zur 2. Auflage

(wie dies bspw. im DevOps-Ansatz realisiert wird). Außerdem bringt Ihnen das Buch die Besonderheiten näher, die es bei stark menschzentrierter Interaktionsarbeit und deren Digitalisierung zu beachten gilt. • Ist Ihr Fokus nicht-technischer Natur, vermittelt Ihnen dieses Buch ein Grundverständnis technologischer Realitäten. Es macht Sie zum Gespräch mit technischen Ansprechpartnern fähig und vermittelt Ihnen das Wissen, stark technologie- und datengetriebene Dienstleistungen konzeptionell zu erarbeiten, bspw. durch deren Modellierung. • Ist Ihr Fokus bereits stark interdisziplinär, gibt Ihnen dieses Buch wichtige Anhaltspunkte, um Ihre Stärken zu festigen und allfällige Kompetenzlücken zu schließen. Veränderungen der Unternehmenswelt, wie das verstärkt interdisziplinäre, agile Arbeiten, sind hier ebenso zu nennen wie eine Vielzahl wertvoller Praxisbeispiele aus unterschiedlichen Branchen. Aufbau des Buches Das Buch startet mit einem Grundlagen-Kapitel zu Dienstleistungen und Dienstleistungssystemen und geht dann auf die Veränderungen ein, die sich durch Digitalisierung und Service-Orientierung durch alle Branchen und Bereiche ziehen. Anschließend wird auf die systematische Entwicklung von Dienstleistungen und entsprechende Vorgehensmodelle eingegangen, bevor mit dem Kapitel zur Service-Strategie ein erster großer Block seinen Abschluss findet. Die anschließenden Kapitel sind als Teil eines iterativen Lebenszyklus von Dienstleistungen zu verstehen, der in Abb. 1 abgebildet ist. Von der Service Innovation wird hier zum Design solcher Services übergegangen. Die Modellierung des Ist- und Soll-Zustands von Dienstleistungen und Dienstleistungssystemen wird ebenso behandelt wie relevante Konzepte rund um das Management und den operativen Betrieb von (IT-) Dienstleistungen. Auch Service-Qualität und entsprechende Ansätze, um diese zu messen und den jeweiligen Erfolg bewertbar zu machen, sind Teil dieses Zyklus. Arbeit im Dienstleistungskontext bedarf eines hohen Maßes an Interaktion sowie besonderen, dienstleistungsspezifischen Fertigkeiten und Kompetenzen. Diesem wichtigen Fakt ist das abschließende Kapitel gewidmet. Das Strukturbild der Kapitel in Abb. 2 verdeutlicht den Gesamtaufbau des Buches. Zur Historie dieser zweiten Auflage Bereits die erste Auflage dieses Buches wurde im Rahmen eines Pilotprojekts in Kooperation mit dem Service Center Lehre (SCL) der Universität Kassel entwickelt. Es erlaubte Mitarbeitenden und Doktorierenden meines Lehrstuhls, gleichzeitig mit einer didaktischen Weiterbildung die Kapitel des Lehrbuchs, entsprechende Zusatzmaterialien sowie eine dazu passende Lehreinheit inhaltlich zu erarbeiten.

Vorwort zur 2. Auflage

IX

Abb. 1   Strukturgebender Lebenszyklus für die systematische und iterative Gestaltung sowie das Management von Dienstleistungen

Für die zweite Auflage dieses Buches wurde ein weiterentwickeltes, wiederum weiterbildungsorientiertes Konzept verfolgt, das in zwei Phasen aufgeteilt war: In der ersten Phase wurden in einem Workshop sowohl didaktische Elemente als auch die konkrete Verfeinerung von übergeordneten Lernzielen für die aktuelle Auflage erarbeitet und in einer Schreibwerkstatt inhaltlich, sprachlich und didaktisch überprüft. Durch die didaktische Qualifizierung der Doktorierenden wird die Verbindung von Forschung und Lehre gestärkt, indem die Studierenden an aktuelle und relevante Inhalte der Forschung herangeführt werden. Darüber hinaus erfordert und bedingt eine studierendengerechte Aufbereitung der eigenen Forschungsinhalte auch eine Reflexion sowie Vertiefung und Verstetigung des Wissens der Doktorierenden. In einer zweiten Phase wurden die Inhalte in mehreren Review-Schleifen und iterativen Überarbeitungen geschärft, insbesondere durch Studierende als hauptsächlich Angesprochene dieses Buches. Das Feedback der Studierenden erfolgte im Rahmen der Veranstaltung „Dienstleistungsengineering und -management“ an der Universität Kassel im Sommersemester 2018. Die Einbindung der Feedbackschleifen sowie die fortlaufende Einbindung neuer, aktuellerer Beispiele datengetriebener bzw. datenbasierter Dienstleistungen schloss die zweite Phase ab.

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Vorwort zur 2. Auflage

Abb. 2   Strukturbild des Buchaufbaus inklusiver seiner Kapitel

Mein Dank gilt allen an der Erstellung des Werkes beteiligten wissenschaftlichen Mitarbeitenden an der Universität Kassel und der Universität St. Gallen. Dies sind Matthias Billert, Dominik Dellermann, David Durward, Christian Engel, Sissy-Josefina Ernst, Stefan Kleinschmidt, Robin Knote, Mahei Li, Nikolaus Lipusch, Volkmar Mrass, Jan Martin Persch, Sofia Schöbel, Benedikt Simmert, Thiemo Wambsganß, Naim Zierau sowie die insbesondere die für betreuende und koordinierende Aktivitäten zuständigen Dr. Philipp Ebel, Dr. Andreas Janson, Dr. Sarah Oeste-Reiß sowie Prof. Dr. Christoph Peters. Für das Projekt-Management der ersten Phase danke ich Volkmar Mrass, für die finale Qualitätssicherung Karen Eilers und Sofia Schöbel. Ein Dank geht auch an alle wissenschaftlichen Hilfskräfte, die im Prozess tatkräftig unterstützt haben; besonders hervorzuheben sind hier Elisabeth Akmeikina, Matthias Henschke und Florian Richter. Ebenso danke ich allen Studierenden, die im Rahmen der Lehrveranstaltung „Dienstleistungsengineering und -management“ im Sommersemester 2018 studentisches Feedback auf Zwischenversionen dieser zweiten Auflage gegeben haben.

Vorwort zur 2. Auflage

XI

Mein besonderer Dank gilt Prof. Dr. Christoph Peters, der neben wichtigen inhaltlichen und didaktischen Beiträgen insbesondere die Projektleitung übernommen und das Projekt zu einem erfolgreichen Ende geführt hat. Mein Dank geht außerdem an Susanne Kramer vom Springer Verlag für die gute Zusammenarbeit und ganz besonders an Dr. Christiane Borchard und Uwe Frommann vom Service Center Lehre der Universität Kassel, die nach Begleitung der ersten Auflage auch bei dieser zweiten Auflage tatkräftig unterstützt haben, u. a. im Rahmen der Lehrwerkstatt „Lernziele“ und der Organisation der Schreibwerkstatt, für deren Durchführung ich Frau Bertram danke. Zu guter Letzt: Alle Fehler gehen zu meinen Lasten. In der Hoffnung auf eine nutzenstiftende Lektüre und viele interessante Einblicke St. Gallen im November 2019

Jan Marco Leimeister

Inhaltsverzeichnis

Teil I Grundlagen und Einführung in das Dienstleistungsengineering und -management 1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Überblick über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1.1 Digitalisierung als Treiber von Dienstleistungen. . . . . . . . . . 4 1.1.2 Dienstleistungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1.3 Dienstleistungen im Kontext der Drei-Sektoren-Theorie . . . 11 1.1.4 Die Entwicklung von Dienstleistungen im internationalen Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.1.5 Servitization des Wertversprechens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.1.6 Die Rolle des Kunden Co-Creator/Prosumer. . . . . . . . . . . . . 16 1.2 Einordnung von Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2.1 Abgrenzung von Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.2.2 Eigenschaften von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2.3 Dienstleistungstypologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.2.4 Dienstleistungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2.5 Modularisierung von Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.6 Definition von Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3 Service Dominant Logic . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.3.1 Service Dominant Logic in Abgrenzung zu Goods Dominant Logic. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.3.2 Dienstleistungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2

Digitales und Services. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.1 Digitalisierung und digitale Güter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.2 Besonderheiten digitaler Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 XIII

XIV

Inhaltsverzeichnis

2.2.3 Technologische Trends der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . 48 2.2.4 Architektur digitaler Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3 Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.3.1 Netzwerkeffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.3.2 Lock-In-Effekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.3.3 Skaleneffekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.4 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung. . . . . . . . . . 58 2.4.1 Product-Service Systeme als hybride Leistungsbündel. . . . . 58 2.4.2 Neue Organisationslogik durch Digitalisierung. . . . . . . . . . . 63 2.5 Unternehmerische Handlungsfelder durch Digitalisierung. . . . . . . . . . 68 2.5.1 Interner Fokus: Digitale Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.5.2 Externer Fokus: Digitaler User . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.5.3 Leistungsergebnis: Smarte Produkte und Services . . . . . . . . 69 2.5.4 Digitales Business-Engineering-Konzept: House of Digital Business. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3

Service Engineering . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2 Notwendigkeit eines systematischen Service Engineerings . . . . . . . . . 79 3.2.1 Herausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.2 Nutzenpotenziale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.3 Lebenszyklus von Service. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.3 Einführung in das Service Engineering. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.3.1 Gestaltungsdimensionen des Service Engineerings. . . . . . . . 86 3.3.2 Aufgaben des Service Engineerings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3.4 Vorgehensmodelle des Service Engineerings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.4.1 Verschiedene Arten von Vorgehensmodellen. . . . . . . . . . . . . 91 3.4.2 Anwendung und Notwendigkeit von Agilität im Service Engineering. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.4.3 Aktuelle Entwicklungen: Datenschutz im Rahmen des Service Engineerings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.5 Rahmenmodell des Service Engineerings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

4 Service-Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2 Prozess der Dienstleistungsstrategieentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.2.1 Definition und Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.2.2 Phasen der Dienstleistungsstrategieentwicklung. . . . . . . . . . 112

Inhaltsverzeichnis

XV

4.3

Festlegung der Dienstleistungsstrategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3.1 Positionsbestimmung: Situationsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3.2 Strategische Ausrichtung: Visions- und Zielformulierung. . . 120 4.4 Planung des Dienstleistungsportfolios. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4.4.1 Orchestrierung der Leistungserbringung. . . . . . . . . . . . . . . . 125 4.4.2 Ökosysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.4.3 Hybride Leistungsbündel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 4.4.4 Solution Selling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.5 Planung der Dienstleistungsorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.5.1 Auswirkungen der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.5.2 Zusammenfassung von Strategien und organisatorischen Entwürfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.5.3 Veränderung der Organisationskulturen. . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Teil II Lebenszyklusphasen im Dienstleistungsengineering und -management 5

Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen zu innovativen Dienstleistungskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.2 Der Open-Innovation-Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 5.3 Der Dienstleistungsinnovationsprozess und die Einordnung von Integrationsmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5.4 Herausforderungen im „Fuzzy Front End“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 5.5 Lead User: Eigenschaften und Motive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 5.6 Instrumente von Open Innovation und deren Einsatz im Dienstleistungsinnovationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5.6.1 Lead User-Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 5.6.2 Ideenwettbewerbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 5.6.3 Ideen-Community . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 5.7 Exkurs: Analoge Methoden zur Kundeneinbeziehung. . . . . . . . . . . . . . 158 5.7.1 Brainstorming. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5.7.2 6-3-5-Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.8 Ansätze und Tools zur Konzeption Innovativer Dienstleistungen. . . . . 160 5.9 Tools zur Entwicklung von Dienstleistungsideen . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5.9.1 Value Proposition Canvas (VPC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5.9.2 Validierung der Value Proposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5.10 Service Innovation Canvas (SIC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.10.1 Aufbau des Service Innovation Canvas. . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.10.2 Einzelne Bestandteile des Service Innovation Canvas. . . . . . 166

XVI

Inhaltsverzeichnis

5.11 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 6

Service Design. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 6.2 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 6.3 Einführung in das Service Design. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6.3.1 Begriffsklärung, Zielsetzung und Charakteristika. . . . . . . . . 177 6.3.2 Service Design als Bestandteil des Service Engineerings. . . 182 6.4 Service Design-Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6.4.1 Personas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 6.4.2 Storyboards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6.4.3 Service Blueprint. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 6.4.4 Service-Prototypen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.4.5 Wizard of Oz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 6.4.6 User Journey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6.4.7 Integrierende Design-Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.5 St. Galler Business Innovation-Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 6.5.1 Tools zur Umsetzung von Design-Methoden. . . . . . . . . . . . . 202 6.6 Anwendungsbeispiel: Gestaltung einer mobilen Lerndienstleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6.7 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212

7 Service-Modellierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 7.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 7.2 Prozessorientierte Dienstleistungsbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 7.2.1 Dienstleistung als Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 7.2.2 Verknüpfung von Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7.3 Dokumentation von Dienstleistungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7.3.1 Modelle und Modellierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7.3.2 Modellierung von Prozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 7.3.3 Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung. . . . . . . . . . . . . 221 7.4 Analyse von Dienstleistungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7.4.1 Quality Function Deployment. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 7.4.2 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . 226 7.5 Gestaltung von Dienstleistungsprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 7.5.1 Referenzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 7.5.2 Verbesserung von Dienstleistungsprozessen. . . . . . . . . . . . . 229 7.6 Methoden zur Dienstleistungsmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 7.6.1 Ordnungsrahmen für Dienstleistungsmodellierung. . . . . . . . 232 7.6.2 Ausgewählte Konzepte und Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Inhaltsverzeichnis

XVII

7.7

Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 7.7.1 Service Blueprint-Ansätze als Grobkonzept . . . . . . . . . . . . . 237 7.7.2 Business Process Model and Notation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 7.8 Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung. . . 250 7.8.1 Sequenzdiagramm (SD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 7.8.2 Aktivitätsdiagramm (AD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 7.9 Implementierungsansätze von Prozessmodellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 7.9.1 XML Process Definition Language (XPDL). . . . . . . . . . . . . 260 7.9.2 Business Process Execution Language (BPEL). . . . . . . . . . . 261 7.9.3 Unified Service Description Language (USDL) . . . . . . . . . . 262 7.10 Business Process Management System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 7.11 Automatisierungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 7.11.1 Scripting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 7.11.2 Makros. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 7.11.3 Workflow Automation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.11.4 Robotic Process Automation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 7.11.5 Business Process Mining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 7.12 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 Anhang: Vollständige XML-Repräsentation des Beispiels „HelloWorld“. . . . . 273 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

8

Service Management und Service Operations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 8.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 8.2 IT-Service-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 8.2.1 IT-Service als elektronische Dienstleistung. . . . . . . . . . . . . . 281 8.2.2 Geschichte von ITIL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 8.2.3 IT-Service-Management mit ITIL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 8.3 DevOps. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 8.3.1 Grundlagen zu DevOps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 8.3.2 Der DevOps-Lifecycle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 8.3.3 Die Continuous Pipeline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 8.3.4 Microservices in der Cloud mittels DevOps . . . . . . . . . . . . . 313 8.3.5 Fallbeispiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 8.4 Service Analytics und Optimizations. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 8.4.1 Big Data und Analytics von IT-Services . . . . . . . . . . . . . . . . 315 8.4.2 Kapazitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 8.4.3 Service Supply Chain Relationships . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 8.4.4 Service Outsourcing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 8.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

XVIII

Inhaltsverzeichnis

9 Dienstleistungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 9.2 Grundlagen von Dienstleistungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 9.2.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 9.2.2 Begriffsdefinitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 9.2.3 Theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 9.2.4 Kundenzufriedenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 9.2.5 Einfluss von Technologie auf Dienstleistungsqualität. . . . . . 357 9.3 Qualität personenintensiver Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 9.3.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 9.3.2 SERVQUAL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 9.3.3 Critical-Incident-Technik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 9.3.4 Einschränkungen standardisierter Messmethoden. . . . . . . . . 367 9.4 Qualität technologieintensiver Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 9.4.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 9.4.2 Qualität von E-Services im Online-Handel. . . . . . . . . . . . . . 368 9.4.3 Qualität elektronischer Self-Services. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 9.4.4 Weitere Messmodelle für die Qualität technologieintensiver Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 373 9.5 Management der Dienstleistungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 9.5.1 Kundenzufriedenheit als strategisches Ziel. . . . . . . . . . . . . . 377 9.5.2 Maßnahmen für das Management der Dienstleistungsqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 9.5.3 Zukünftige Herausforderungen für das Dienstleistungsmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 9.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Teil III Dienstleistungen als Interaktionsarbeit 10 Interaktionsarbeit in Dienstleistungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 10.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 10.2 Theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 10.2.1 Einordnung der Interaktionsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 10.2.2 Gestaltung von Interaktionsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 10.3 Dienstleistung der Interaktionsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 10.3.1 Digitale Arbeitssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 10.3.2 Digitaler Service Encounter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 10.4 Gestaltung digitaler Interaktionsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 10.4.1 Ansatz des Service Engineerings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 10.4.2 Anforderungen an den Dienstleistungserbringer im digitalen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 10.4.3 Chancen und Risiken durch die Digitalisierung. . . . . . . . . . . 421

Inhaltsverzeichnis

XIX

10.5

Anwendungsbeispiele digitaler Interaktionsarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . 429 10.5.1 Gesundheits- und Pflegewesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 10.5.2 Kundenbetreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 10.5.3 Robo-Advisory. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 10.5.4 Sharing-Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461

Teil I Grundlagen und Einführung in das Dienstleistungsengineering und -management

1

Grundlagen

1.1 Überblick über das Kapitel und Lernziele Dienstleistungen sind heutzutage allgegenwärtig. Sie werden in unterschiedlichen Bereichen benötigt wie zum Beispiel im Transportwesen, der Gastronomie oder der Beratung. Besonders in den letzten Jahren hat die Bedeutung von Dienstleistungen immer weiter zugenommen. Dies kann unter anderem auf die zunehmende Digitalisierung von Märkten und Arbeitsprozessen zurückgeführt werden. Durch die Digitalisierung werden Märkte, Prozesse und Produkte verändert. Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle ändern sich, fallen weg oder entwickeln sich neu. Für Unternehmen eröffnen sich neue Möglichkeiten, Dienstleistungen anzubieten und bereitzustellen. Dieses Kapitel dient dazu, Dienstleistungen allgemein darzustellen. Innerhalb dieses Buches dienen Lernziele dazu, die Bestandteile der einzelnen Kapitel näher zu erläutern. Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele:

1. Sie können Dienstleistungen und Dienstleistungssysteme definieren, kennen unterschiedliche Definitionsansätze und können diese charakterisieren. 2. Sie können die Entwicklung des Dienstleistungssektors mithilfe der Drei-SektorenTheorie erläutern. 3. Sie können das Konzept der Servitization erläutern und anhand von Beispielen veranschaulichen. 4. Sie können den Unterschied zwischen der Goods Dominant Logic (GDL) und der Service Dominant Logic (SDL) anhand unterschiedlicher Dimensionen ableiten. 5. Sie können Wertschöpfungsprozesse in Dienstleistungssystemen aus Sicht der Value-Co-Creation beschreiben und gestalten.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_1

3

4

1 Grundlagen

6. Sie können beschreiben, welche Schritte zur Erstellung einer Dienstleistung nötig sind und diese definitorisch von Sachleistungen abgrenzen. 7. Sie können die Auswirkungen der Digitalisierung auf Dienstleistungen und Dienstleistungssysteme beschreiben und an einem Beispiel erläutern. 8. Sie kennen die Grundlagen von (Big) Data und Service Analytics und können deren Bedeutung für die Erstellung von Dienstleistungen erläutern.

Das Grundlagenkapitel besteht aus drei Teilen. Zuerst wird die Bedeutung von Dienstleistungen erklärt. Dies schließt die Definition eines Dienstleistungssystems ein. Darauf aufbauend wird die Drei-Sektoren-Theorie erklärt. Das Kapitel schließt mit der Erläuterung von Dienstleistungseigenschaften. Auf Grundlage der Eigenschaften wird eine Dienstleistungstypologie vorgestellt und der Prozess der Dienstleistungserbringung mit dem der Sachleistungserbringung verglichen. Danach wird auf das Prinzip der Modularisierung eingegangen, welches eine individuelle Anpassung von Dienstleistungen ermöglicht. Basierend darauf werden Dienstleistungen definiert. Im letzten Kapitel wird erklärt, was die Service dominant Logic (SCL) ist und welche Rolle Dienstleistungen hier spielen.

1.1.1 Digitalisierung als Treiber von Dienstleistungen Im Jahr 2017 arbeiteten fast 70 % der Erwerbstätigen in Deutschland im Dienstleistungssektor (Statistisches Bundesamt 2018a). Dies verdeutlicht, dass Dienstleistungen für unsere Gesellschaft immer wichtiger werden. Sowohl für Unternehmen als auch für private Verbraucher können Dienstleistungen viele Vorteile haben. Kunden können individualisierte und angepasste Leistungen erhalten und Unternehmen können wiederum Wettbewerbsvorteile erlangen. Dienstleistungen können dabei verschiedenste Ausprägungsformen haben. Neben traditionellen Dienstleistungen, wie beispielsweise einem Haarschnitt, gibt es immer mehr Dienstleistungen, die von Informationstechnologien (IT) geprägt sind (Engels et al. 2018). Ein Beispiel ist die Plattform Airbnb. Airbnb wurde im Jahr 2008 gegründet und ist eine Art elektronischer Markplatz für die Buchung und Vermietung von Unterkünften, ähnlich einem Computerreservierungssystem1. Hier besteht die Dienstleistung in der Vermietung von Zimmern, die online angeboten werden. Für das Angebot und den Austausch von Dienstleistungen können sowohl Unternehmen als auch Kunden miteinander interagieren. Neben dem Austausch von Dienstleistungen zwischen privaten Verbrauchern und Unternehmen können

1www.airbnb.de

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele

5

auch Unternehmen untereinander Dienstleistungen austauschen. Der Austausch von Dienstleistungen zwischen unterschiedlichen Parteien ist durch das Internet deutlich einfacher geworden. Viele Dienstleistungen werden bereits ausschließlich über das Internet bereitgestellt und bezogen. Durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien und durch die Digitalisierung wird die Interaktion zwischen Anbietern und Kunden sogar noch weiter beschleunigt. Auch das Thema Industrie 4.0 treibt die Entwicklung von Dienstleistungen weiter voran. Industrie 4.0 ist im Zuge der Digitalisierung entstanden und ermöglicht es, Systeme im Unternehmen stärker miteinander zu vernetzen (Abramovici 2018). Weiterhin können Leistungen durch die Berücksichtigung von Kundenwünschen optimiert und individuell angepasst werden. Dienstleistungen können in diesem Zusammenhang flexibler und ressourcenschonender erstellt werden. Durch den Einsatz von Industrie 4.0 sind Unternehmen in der Lage, ihre Wettbewerbsvorteile zu stärken. Die Komplexität von Dienstleistungen nimmt durch die stärkere Vernetzung und den erhöhten Datenaustausch immer weiter zu (Schüritz et al. 2017). Um dem Netzwerkgedanken gerecht zu werden und Dienstleistungen weiterhin optimal zu erstellen, ist es wichtig, dass Unternehmen sich dem Trend Industrie 4.0 anschließen. Dies erfordert unter anderem eine Anpassung von Prozessen innerhalb des Unternehmens. Demnach müssen nicht nur die Dienstleistungen angepasst werden; auch die Produktion unterliegt einigen Veränderungen. So werden innerhalb der Produktion vermehrt Maschinen eingesetzt, die ohne großes Zutun von Menschen tätig werden können (Tilley 2017). Durch Industrie 4.0 entsteht eine Vielzahl an neuen Dienstleistungen, die innerhalb eines Unternehmens eingebracht werden können, um das Unternehmensportfolio auszuweiten (Abramovici 2018). Ein weiteres Themengebiet, welches mit den Entwicklungen der Digitalisierung, wie z. B. Industrie 4.0, einhergeht, ist Big Data, das bereits 2013 im Gartner Hypecycle den „Gipfel“ des Hypecycles und somit ein Höchstmaß an Erwartungen erreichte (­Gartner 2013). Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2022 das Volumen verwertbarer, d. h. maschinenlesbarer Daten rund 44 Zetabyte betragen wird (Turner 2014). Definiert werden kann Big Data entlang der sogenannten drei Vs (Volume-VarietyVelocity) (Russom 2011):  Big Data  umfasst Datenbestände, die aufgrund ihres Umfangs (Volume), ihrer Unterschiedlichkeit (Variety) oder ihrer Schnelllebigkeit (Velocity) nur begrenzt oder nicht durch aktuelle Datenbanken und Daten-Management-Tools verarbeitet werden können und somit angepasste Werkzeuge und Methoden zur Wertgenerierung benötigen. (In Anlehnung an Enzyklopödie der Wirtschaftsinformatik 2017). In den letzten Jahren kamen zur ursprünglichen 3 V-Definition von Big Data noch Erweiterungen hinzu. Zum Beispiel unterscheidet die 4 V-Definition von Big Data neben „Volume“, „Variety“ und „Velocity“ noch „Veracity“. „Veracity“ bezieht sich hierbei auf das Phänomen der Datenintegrität, die z. B. durch Unvollständigkeiten, Inkonsistenzen etc. im Datensatz negativ beeinflusst wird (Gupta et al. 2012).

6

1 Grundlagen

Neben der vorher erwähnten Erhöhung der Komplexität birgt Big Data dahingehend mannigfaltige Möglichkeiten für die Verbesserung bestehender und die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Dienstleistungssysteme durch die Verwendung der Vielzahl an Daten, die z. B. durch Kunden (User-Generated Big Data) oder Maschinen erzeugt werden. Dennoch sind Daten, ohne dass weiterführende Analysemethoden auf diese angewendet werden, wie Benzin ohne einen Motor. Deshalb benötigen Daten sogenannte Service Analytics, um aus den Daten Informationen und aus den Informationen Wissen zu erstellen. Service Analytics kann hierbei wie folgt definiert werden:  Service Analytics  stellt den Prozess des Sammelns, Verarbeitens und Analysierens von Daten […] dar, welcher das Ziel verfolgt, eine Dienstleistung zu verbessern, zu erweitern oder zu personalisieren und dabei für beide, den Dienstleistungsanbieter und den Kunden, Wert zu schaffen. (Übersetzt aus dem Englischen aus Fromm 2012). Durch die Digitalisierung und die damit zusammenhängenden Entwicklungen wie Industrie 4.0 und Big Data verändern sich nicht nur Unternehmensprozesse. Auf der anderen Seite einer Dienstleistung steht der Kunde. Die Digitalisierung eröffnet auch hier neue Möglichkeiten, Produkte anzubieten. Dabei finden Informationstechnologien in Kombination mit Dienstleistungen auch immer stärker einen Zugang zu physischen Produkten. Beispielhaft ist hier die Verwendung von Kopierern in Unternehmen zu nennen. Kaum ein Unternehmen kauft und betreibt seine Kopierer noch selbst. Es gibt neue Lösungen, die es Unternehmen ermöglichen, nur für getätigte Kopien zu bezahlen (sogenannte Pay-per-Use Modelle). Reparatur- oder Wartungsinformationen (sogenannte Remote Services) werden automatisch an den Dienstleister weitergeleitet. Der Dienstleister kümmert sich um die Reparatur, indem er zum Beispiel einen Techniker ins Unternehmen schickt. Durch dieses Beispiel wird deutlich, dass die Software gewissermaßen der „Klebstoff“ zwischen dem physischen Produkt und der IT-Dienstleistung ist. Die Software sendet Informationen an den Dienstleister, der dadurch direkt handlungsfähig ist. Diese Kombination aus einem Sachgut und einer Dienstleistung wird als hybrides Produkt bezeichnet, welches im Verlauf des Kapitels näher erläutert wird. Das Beispiel des Kopierers verdeutlicht noch einen weiteren Aspekt, der im Zusammenhang mit Dienstleistungen wichtig ist. Die Relevanz von Dienstleistungen ist dadurch gestiegen, dass der reine Besitz eines Sachgutes an sich keinen Nutzen für den Abnehmer mehr darstellt. Der wirkliche Nutzen eines Gutes entsteht erst durch seine Verwendung. Hierbei ist es für den Abnehmer eines Produktes oftmals attraktiver, wenn die erworbenen Produkte zusammen mit Dienstleistungen angeboten werden. Dienstleistungen können den Nutzen eines Produktes steigern und das Kerngeschäft eines Unternehmens sinnvoll ergänzen und erweitern. Dies führt wiederum dazu, dass

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele

7

Produkte für Kunden attraktiver sind. Der Kunde spielt im Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen eine wesentliche Rolle. Durch die Ausweitung der Leistungen eines Unternehmens kann man den rückläufigen Umsätzen, welche durch Wettbewerbsdruck entstehen, entgegenwirken. Durch die verstärkte Anpassung von Leistungen an die Wünsche der Kunden wird eine engere Kundenbindung erreicht. Durch die stärkere Einbindung des Kunden in den Wertschöpfungsprozesse eines Unternehmens verändert sich die Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). Unternehmen können durch den intensiven Austausch mit Kunden einen Informationsvorsprung gewinnen. Dadurch ist es für Unternehmen möglich, Dienstleistungen marktgerechter zu gestalten und zu verbessern (Eggert et al. 2014). Der Wandel in der Betrachtungsweise von Leistungsprozessen und der Wertschöpfung sowie die zentrale Rolle der Kundenorientierung basieren auf dem Konzept der sogenannten Service Dominant Logic (kurz SDL), die in Abschn. 1.3 genauer erläutert wird. Dienstleistungen verändern besonders die Wertschöpfung und alle damit zusammenhängenden Prozesse im Unternehmen. Dies wird dadurch deutlich, dass Unternehmen ihre Angebote immer stärker an Dienstleistungen ausrichten. Genauer gesagt, entschließen sich immer mehr Unternehmen dazu, ihr Angebot verstärkt auf Dienstleistungen auszurichten, da sie sich ohne ein entsprechendes Angebot den Gegebenheiten auf dem Markt nicht anpassen können und Wettbewerbsvorteile verlieren. Dienstleistungen werden als sinnvolle Geschäftsmodellerweiterungen eingestuft mit der Absicht, den Umsatz und Gewinn eines Unternehmens zu steigern. Die verstärkte Einbringung von Dienstleistungen in das Produktportfolio von Unternehmen ist vor allem darin begründet, dass diese durch den erhöhten Wettbewerbsdruck gezwungen sind, sich von der Konkurrenz zu differenzieren (Wonner 2016). Damit eine Dienstleistung erstellt werden kann, ist das Zusammenwirken von unterschiedlichen Anbietern notwendig. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Dienstleistungssystem, welches im nächsten Abschnitt genauer erklärt wird.

1.1.2 Dienstleistungssysteme Dienstleistungen werden sowohl im Alltag als auch im beruflichen Kontext immer wichtiger. Sie sind ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft geworden. Wie sehr Dienstleistungen unseren Alltag prägen, wird anhand eines Beispiels deutlicher. Die Zusage zu einem Auslandssemester ist beispielsweise an eine Vielzahl von Dienstleistungen gebunden. Zuerst muss das zuständige Studierendensekretariat kontaktiert werden, damit Studierende sich an der ausländischen Hochschule einschreiben können. Bereits der Prozess der Einschreibung stellt eine Dienstleistung dar. Weiterhin muss eine Wohnung vor Ort organisiert werden. Dazu kann die Online-Plattform Airbnb genutzt werden. Die Unterkunft kann durch das Online-Angebot der Dienstleistung organisiert werden

8

1 Grundlagen

ohne dass in das betreffende Land gereist werden muss, in dem das Auslandssemester stattfindet. In einem weiteren Schritt muss ein Termin mit der Krankenversicherung vereinbart werden. Der Termin ist notwendig, damit vor Ort die Krankenversicherung gewährleistet ist. Auch hier handelt es sich um eine Dienstleistung, die von einer Krankenkasse angeboten wird. Nicht zuletzt muss ein Visum beantragt werden. Bei allen hier beschriebenen Prozessen handelt es sich um Dienstleistungen. Die Suche nach einer Wohnung im Internet ist nichts anderes als die Beanspruchung einer elektronischen Dienstleistung. Die Beantragung einer Krankenversicherung im Ausland ist eine Dienstleistung, die von einer Krankenkasse angeboten wird. Das Beispiel verdeutlicht, dass Dienstleistungen immer ein Bestandteil eines Dienstleistungssystems sind. In Hinblick auf die Dienstleistungserbringung schließt der Begriff des Dienstleistungssystems drei weitere Begriffe ein: Arbeit, Arbeitssystem, Informationssystem (Alter 2017). Unter Arbeit versteht man den Einsatz von Ressourcen, wie zum Beispiel Menschen, Zeit oder Geld. Arbeit verfolgt das Ziel, ein Produkt oder eine Dienstleistung für einen Kunden zu produzieren. Arbeitssysteme sind Systeme, in denen Individuen und/oder Maschinen arbeiten. In Arbeitssystemen werden durch den Einsatz von Informationen, Technologien oder anderen Ressourcen Produkte oder Dienstleistungen für interne oder externe Kunden erstellt (Alter 2017). Ein Arbeitssystem kann weiterhin externe Partner, wie beispielsweise andere Unternehmen, einschließen. Ein Informationssystem kann als eine Art von Arbeitssystem verstanden werden. Die Prozesse oder Aktivitäten in einem Informationssystem sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Informationen speichern, übertragen, verändern, darstellen oder abbilden (Alter 2008). Ein Dienstleistungssystem kombiniert ein Netzwerk aus Anbietern mit Dienstleistungsnehmern (oder auch Kunden genannt) (Vargo und Lusch 2016). Um den Aufbau eines Dienstleistungssystems zu verdeutlichen, dient Abb. 1.1 zur Veranschaulichung. Abb. 1.1 verdeutlicht, dass ein Dienstleistungssystem ein Netzwerk ist, das unterschiedliche Anbieter vereint und durch die Integration von Kunden eine Wertschöpfung schafft (Piller und Reichwald 2009). Innerhalb des Netzwerkes können unterschiedliche Anbieter miteinander kooperieren und Ressourcen und/oder Daten austauschen, damit die bestmögliche Dienstleistung für den Kunden erstellt werden kann. Durch den Netzwerkgedanken ändert sich die Einstellung gegenüber dem Kunden. Der Kunde wird ganzheitlich und über den gesamten Lebenszyklus der Dienstleistung eingebunden. Er tritt mit einem bestehenden Problem an ein Unternehmen heran. Zuerst wird der Kunde bei der Identifikation und Beschreibung des Problems integriert. Darauf aufbauend wird eine Anforderungsanalyse vorgenommen. Danach folgt die Planung und Einführung der Produktlösung bis hin zur Inbetriebnahme der maßgeschneiderten Lösung. Der Kunde steht demnach im Mittelpunkt der Dienstleistungserstellung. Das sogenannte Co-Creation (gemeinsame Erstellung) beschreibt die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Kunden, um ein gemeinsames Produkt zu entwickeln. Diesbezüglich ergibt sich für beide Seiten ein Mehrwert. Das Unternehmen kennt die Bedürfnisse der Kunden und der Kunde bekommt ein Produkt, das genau auf seine Wünsche angepasst wurde.

9

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele Leistungsergebnis

Leistungsentwicklung Dienstleistungssystem Ressourcen- und Datenaustausch

Anpassungen des Leistungsergebnisses

Anbieter 4

Anbieter 1

Leistung Leistungsbestandteil 1

Co-Creation

Leistungsbestandteil 2

Anbieter 2

Nutzer/Kunde

Anbieter 5

[….] Leistungsbestandteil n

Kontinuierliche Wertschöpfung

Anbieter n

Anbieter 3 Ressourcen- und Datenaustausch

Indirekter Einfluss auf das Leistungsergebnis

Abb. 1.1   Dienstleistungssysteme

Hierdurch entsteht eine Art Wertschöpfung, indem durch einen offenen Prozess Innovationen entstehen können. Somit ist der Kunde nicht mehr nur der passive Empfänger eines Produktes. Der Kunde greift aktiv in den Wertschöpfungsprozess ein und gestaltet Produkte mit. Dies kann man sich als eine Art der Arbeitsteilung vorstellen, indem der Kunde seine Ideen und Wünsche einbringt und das Unternehmen diese umsetzt und das entsprechende Produkt herstellt. Diese aktive Zusammenarbeit stärkt zum einen die Kundenbindung, zum anderen ist der Prozess der Co-Creation ebenfalls ein wirksames Marketinginstrument, mit dem ein Unternehmen seinen Ruf verbessern kann. Damit ist die Integration eines Kunden in den Erstellungsprozess noch lange nicht beendet. Der Kunde wird auch nach der Bereitstellung des Produktes vom Anbieter betreut. Ein Anbieter kann beispielsweise Reparatur- oder Garantieleistungen anbieten. Der Kunde hat einen indirekten Einfluss auf das Leistungsergebnis, da er während des gesamten Entwicklungsprozesses mitwirken und mitbestimmen kann. Anbieter eines Dienstleistungssystems tauschen sich aus. Sie agieren in einer Art Netzwerk miteinander. Der Austausch zwischen den Akteuren des Dienstleistungssystems kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. Zum einen tauschen die Anbieter Informationen und Daten aus, zum anderen werden auch Ressourcen ausgetauscht. Die eigentliche Erstellung liegt jedoch immer noch beim entsprechenden Anbieter. Dienstleistungen sind nicht als einzelne Leistungen zu betrachten. Sie sind vielmehr Bestandteil eines Systems, in dem sich mehrere Anspruchsgruppen untereinander abstimmen und miteinander kooperieren. Die Abstimmungen dienen dazu, eine Leistung an die Wünsche und Vorstellungen eines Kunden anzupassen und durch die Integration von unterschiedlichen Ressourcen zu vernetzen.

10

1 Grundlagen

Ein Beispiel für die Vernetzung von Ressourcen und die Anpassung von Dienstleistungen an Kundenwünsche sind die Angebote der Deutschen Telekom2. Im Segment der Geschäftskunden für kleine und mittelständische Unternehmen gehört die Telekom in Mittel- und Osteuropa zu den erfolgreichsten Anbietern von Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Unternehmen bietet seinen Geschäftskunden grenzübergreifende Telekommunikations- und IT-Dienste an. Dienstleistungen werden bei der Deutschen Telekom mit Hilfe von anderen auf Märkten vertrieben. Der Werbeslogan des Unternehmens „mit smarter IT lässt sich der Draht zum Kunden verbessern“3 verdeutlicht, dass die Deutsche Telekom durch die Zusammenarbeit mit anderen Netzwerkpartnern ein verbessertes Angebot ermöglicht. Die Deutsche Telekom hat unter anderem das Unternehmen Carglass mit iPads und Netzwerkzugängen ausgestattet. Hier erfolgt eine Kombination eines physischen Gutes (dem iPad), was vor Ort als zusätzliche Dienstleistung angeboten wird. (End) Kunden können die iPads und den kostenlosen HotSpot-Zugang nutzen, um vor Ort bei Carglass im Internet zu surfen und beanspruchen so eine extra angebotene Dienstleistung (Telekom 20174). Damit können Kunden die Wartezeit während der Reparatur überbrücken. Das Unternehmen Carglass bietet in Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom eine weitere Dienstleistung an. Über eine App können Kunden im Falle eines Steinschlages Mitarbeiter von Carglass zum Standort navigieren, an dem sie sich befinden. Die Dienstleistung besteht darin, dass ein Mitarbeiter von Carglass sich direkt zum Kunden begibt; dieser muss nicht in die Filiale und kann nach der Reparatur direkt weiterfahren. Auch hier unterstützt die Telekom das Unternehmen mit entsprechenden technischen Geräten und Apps. Die Telekom arbeitet also mit unterschiedlichen Unternehmen zusammen und kombiniert unterschiedliche Ressourcen, um die Wünsche von Kunden besser erfüllen zu können. Das Beispiel verdeutlicht den Charakter und Gedanken eines Dienstleistungssystems. Zusammenfassend kann ein Dienstleistungssystem wie folgt definiert werden:   Ein Dienstleistungssystem, oder auch Service System genannt, bildet das Zusammenwirken von Akteuren und Ressourcen im Rahmen der Erbringung einer Leistung ab, das durch ein Versprechen zwischen Anbietern und Nachfragern gekennzeichnet ist und durch das ein Mehrwert über die gemeinsame Wertschöpfung zwischen den Partnern entsteht. (in Anlehnung an Vargo und Lusch 2016).

2 https://geschaeftskunden.telekom.de/startseite/referenzen/unternehmensgroesse/grossunter-

nehmen/320238/autoglasservice-carglass.html 3 https://geschaeftskunden.telekom.de/startseite/referenzen/unternehmensgroesse/grossunter-

nehmen/320238/autoglasservice-carglass.html 4 https://geschaeftskunden.telekom.de/startseite/referenzen/unternehmensgroesse/grossunter-

nehmen/320238/autoglasservice-carglass.html

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele

11

Das Angebot und die Verbreitung von Dienstleistungen haben in den letzten Jahren immer weiter zugenommen. Dadurch, dass Dienstleistungen unseren Alltag, aber auch die Prozesse in Unternehmen, so stark prägen, können wir unsere heutige Gesellschaft als Dienstleistungsgesellschaft beschreiben. Eine Dienstleistungsgesellschaft ist dadurch charakterisiert, dass das Wachstum einer Wirtschaft überwiegend durch die Erstellung und den Konsum von Dienstleistungen getragen wird. Um diese Entwicklung zu verdeutlichen, wird nachfolgend die sogenannte Drei-Sektoren-Theorie erläutert.

1.1.3 Dienstleistungen im Kontext der Drei-Sektoren-Theorie Dienstleistungen haben sich nicht nur durch die Digitalisierung stärker auf Märkten etabliert. Durch die zunehmende Globalisierung bestehen ebenso neue Möglichkeiten, Dienstleistungen anzubieten, zu erweitern und zu vertreiben. Durch eine internationale Expansion von Dienstleistungen können Unternehmen konjunkturellen Schwankungen, die sich auf deren Umsätze auswirken können, entgegenwirken (Hogreve und Wonner 2014). Hierdurch nimmt die Komplexität und Volatilität von Märkten weiter zu, wodurch neue Möglichkeiten wirtschaftlicher Veränderungsprozesse für Unternehmen geschaffen werden (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). Weiterhin werden die Märkte und die Arbeitswelt durch die zunehmende Mobilität und die starke soziale Vernetzung von Individuen verändert (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). Unsere Märkte sind von drei Sektoren geprägt: dem primären, dem sekundären und dem tertiären Sektor. Die Sektoren haben sich im Verlaufe der Jahre unterschiedlich entwickelt. Die Entwicklungen sind unter anderem auf die wachsende Bedeutung von Dienstleistungen zurückzuführen. Die sogenannte Drei-Sektoren-Theorie wurde von Fourastié (1949) entwickelt und hängt eng mit dem Verhältnis von Angebot zu Nachfrage zusammen. Die drei Sektoren können wie folgt erklärt werden: • Der primäre Sektor konzentriert sich auf die Land- und Forstwirtschaft, wie auch auf die Tierhaltung, Fischerei und den Bergbau. Der primäre Sektor ist, gemessen am Entwicklungsstand des Volkseinkommens, auf dem niedrigsten Entwicklungsstand. • Eine Ebene höher, also im sekundären Sektor, wird ein fortgeschrittener Entwicklungsstand verzeichnet. Hierbei handelt es sich um die industrielle Produktion. Genauer gesagt befinden sich Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe im sekundären Sektor. Hierzu gehören unter anderem das Handwerk, die Produktion von Lebensmitteln oder die Automobilindustrie. • Der tertiäre Sektor umfasst Dienstleistungen. Dieser kann wiederum in zwei Teile unterteilt werden (Eurostat 2008). Der erste Teil fokussiert sich unter anderem auf das Gastgewerbe, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Information und Kommunikation wie auch Verkehr und Lagerei. Unter dem zweiten Bereich werden unter anderem Aspekte rund um die öffentliche Verwaltung, die Erziehung und den Unterricht wie auch Kunst, Unterhaltung und Erholung zusammengefasst.

12

1 Grundlagen

Die Drei-Sektoren-Theorie beruht auf drei Hypothesen, welche die Entwicklung und Verschiebung der Nachfrage in den drei Bereichen erklärt (Corsten and Gössinger 2007): die Nachfragehypothese, die Produktivitätshypothese und die Angebotshypothese. Die erste Hypothese ist die Nachfragehypothese. Diese orientiert sich an der Bedürfnishierarchie. In einem volkswirtschaftlichen Verständnis ist die Nachfrage nach Gütern des primären Sektors relativ unelastisch und konzentriert sich auf die Deckung des Grundbedarfes (Wildmann 2010). Mit zunehmendem Einkommen verschiebt sich die Nachfrage nach Gütern des täglichen Bedarfs (also dem primären Sektor) hin zu Industriegütern (also dem sekundären Sektor). In diesem Fall nimmt die Elastizität der Nachfrage zu. Die Zunahme der Elastizität beeinflusst die industriellen Güter und darauffolgend die Dienstleistungen (Wildmann 2010). Die zweite Hypothese ist die Produktivitätshypothese. Durch den zunehmenden technischen Fortschritt werden die drei Sektoren unterschiedlich geprägt und verändert. Im sekundären Sektor wirkt sich der technische Fortschritt arbeitssparend aus. Dadurch nehmen die Beschäftigungszahlen im sekundären Sektor ab. Im tertiären Sektor wirkt sich der technische Fortschritt gegenwärtig aus. Durch die erweiterten Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung steigt wiederum der Erwerbsanteil in diesem Sektor. Die dritte Hypothese ist die sogenannte Angebotshypothese. Durch die höhere Produktivität innerhalb des tertiären Sektors nimmt die Beschäftigungszahl zu. Innerhalb des sekundären Sektors nehmen die Beschäftigungszahlen ab, da durch die Arbeitseinsparung und den verstärkten Einsatz von Maschinen weniger menschliche Tätigkeiten notwendig sind. Diese Verschiebungen verdeutlichen die Entwicklung unserer Gesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft, da der Industriesektor (also der sekundäre Sektor) nicht mehr den größten Anteil der Wertschöpfung und der Erwerbstätigen hat (Bullinger and Scheer 2006). Durch derartige Verschiebungen sind Diskussionen in Bezug auf einen generellen Produktivitätsrückstand im tertiären Sektor entstanden. Dies hat sich jedoch als nicht zutreffend erwiesen, da beispielsweise die elektronische Datenverarbeitung, aber auch die Entwicklung von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien, zu Produktivitätszuwächsen bei der Erstellung von Dienstleistungen geführt haben5. Allgemein kann die Verschiebung der drei Sektoren als ein Maß für die Entwicklung von Dienstleistungen gesehen werden. Um die Entwicklung näher zu erläutern, werden nachfolgend die drei Sektoren anhand von unterschiedlichen Kriterien näher verglichen.

1.1.4 Die Entwicklung von Dienstleistungen im internationalen Vergleich Die Entwicklung des Dienstleistungssektors wird besonders in der Betrachtung der ­zeitlichen Entwicklung der drei Sektoren deutlich. Je stärker ein Sektor wächst, desto 5http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/drei-sektoren-hypothese.html

13

ERWERBSTÄTIGE IN DEUTSCHLAND

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele 80.00% 70.00% 60.00% 50.00% 40.00% 30.00%

20.00% 10.00% 0.00%

1950

1960

1970

1980

1990

2000

2010

2015

1. Sektor

24.60%

13.70%

8.40%

5.10%

3.50%

1.90%

1.60%

1.50%

2.Sektor

42.90%

47.90%

46.50%

41.10%

36.60%

28.50%

24.50%

24.40%

3. Sektor

32.50%

38.30%

45.10%

53.80%

59.90%

69.60%

73.90%

74.10%

Abb. 1.2   Entwicklung der Erwerbstätigkeit je Sektor. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018b)

mehr Bedarf an Personal ist notwendig. Das Personal ist innerhalb der jeweiligen ­Sektoren für die Produktion von unterschiedlichen Leistungen notwendig. Der Vergleich der Erwerbstätigkeit in den drei Sektoren verdeutlicht die Entwicklung der drei Sektoren Abb. 1.2 visualisiert, wie sich der Anteil an Erwerbstätigen im jeweiligen Sektor über die Jahre verändert hat. Abb. 1.2 zeigt deutlich, wie sich die Sektoren und die Beschäftigungszahlen entwickelt haben. Die Beschäftigungszahlen im ersten Sektor sind seit dem Jahr 1950 zurückgegangen. In den letzten Jahren ist die Anzahl an Erwerbstätigen jedoch nur noch schwach gesunken. Die Anzahl an Erwerbstätigen im zweiten Sektor ist in den letzten Jahren ebenfalls gesunken. Im Jahr 1950 lag diese bei 42,90 %, im Jahr 2015 dagegen nur noch bei 24,40 %. Im Vergleich zum ersten Sektor ist die Abnahme an Beschäftigten jedoch deutlich schwächer. Innerhalb des tertiären Sektors ist ein stetiger Anstieg der Erwerbstätigen zu verzeichnen. Der starke Anstieg wirkt sich sowohl auf den sekundären als auch auf den primären Sektor negativ aus. Der Anteil an Erwerbstätigen hat sich in beiden Sektoren bis heute zurückentwickelt. In den letzten Jahren sind die Veränderungen der drei Sektoren hinsichtlich der entsprechenden Erwerbstätigenzahlen nahezu gleichgeblieben. Weitet man die Betrachtungsweise aus und schaut sich an, inwieweit Dienstleistungen international eingesetzt werden, kann das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Vergleichsgröße genutzt werden. Das BIP ist das Maß für die gesamte wirtschaftliche Leistung in einem Land in einer Periode6. Das BIP ist demnach nichts anderes als ein Maß, welches die Produktion von Waren oder Dienstleistungen im Inland angibt. Davon abzuziehen sind Vorleistungen und Importe in ein Land. Das BIP kann anhand der drei Sektoren für alle unterschiedlichen Arten von Gütern berechnet werden und verdeutlicht deren Produktionsentwicklung. Abb. 1.3 veranschaulicht, wie sich das BIP auf die drei Sektoren in unterschiedlichen Ländern verteilt.

6http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/bruttoinlandsprodukt-bip.html

14

1 Grundlagen 100%

Anteil des BIP in % 2015

90% 80% 70% 60% 50% 40% 30%

20% 10% 0%

USA

China

Japan

Deutschland

Frankreich

Großbritannien

Brasilien

Russland

Indien

3. Sektor

77.98%

50.24%

73.41%

68.88%

78.76%

79.94%

72.68%

62.65%

52.97%

2. Sektor

20.69%

40.93%

25.47%

30.49%

19.50%

19.41%

22.35%

32.79%

29.58%

1. Sektor

1.33%

8.83%

1.11%

0.64%

1.74%

0.65%

4.97%

4.56%

17.45%

Abb. 1.3   Internationaler Vergleich BIP-Anteil nach Sektoren. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018b)

Gemessen am BIP weisen die Länder Großbritannien und USA den höchsten Anteil an Dienstleistungen auf. Abb. 1.3 zeigt außerdem, dass der Anteil am BIP in allen Ländern im tertiären Sektor am höchsten ist. Der primäre Sektor hingegen hat in allen Ländern einen sehr geringen Anteil. Der sekundäre Sektor hat bei allen Ländern einen vergleichsweise ähnlich hohen Anteil. Die Betrachtung der Entwicklung von Dienstleistungen im nationalen wie auch internationalen Bereich verdeutlicht, dass die Bedeutung von Dienstleistungen in den letzten Jahren immer weitergewachsen ist. Dienstleistungen als Bestandteil eines Dienstleistungssystems bieten Unternehmen die Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben und sich stärker auf die Wünsche des Kunden zu fokussieren. Hierdurch können wiederum höhere Umsätze realisiert werden, weshalb Unternehmen sich immer stärker auf die Produktion von Dienstleistungen fokussieren. Innerhalb des Kapitels wurde verdeutlicht, dass Dienstleistungen immer ein Bestandteil eines Dienstleistungssystems sind. Dieses System ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass Kunden aktiv in den Erstellungsprozess einer Dienstleistung eingreifen. Dienstleistungen haben sich im Verlauf der letzten Jahre sowohl national als auch international weiterentwickelt. Um in einem nächsten Schritt zu verstehen, warum Dienstleistungen sowohl für Kunden, Unternehmen als auch ein Land von Bedeutung sind, werden diese nachfolgend näher erklärt und beschrieben.

1.1.5 Servitization des Wertversprechens Beispiel Servitization

Der Kompressoren-Hersteller Kaeser vertreibt nicht mehr länger den Kompressor an den Endkunden, sondern wird zum Lieferanten von Druckluft. Der Kompressor wird beim Nutzer bereitgestellt, bleibt jedoch im Eigentum von Kaeser. Statt eines Produkts, nämlich des Kompressors, verkauft das Unternehmen nun einen Service, d. h. die Lieferung von Druckluft. Der Nutzer bezahlt somit nur noch nach tatsächlicher Nutzung.

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele

15

Wandel vom Produkt- zum Services-Angebot Die zunehmende Digitalisierung und insbesondere die Einbettung digitaler Komponenten (bspw. Sensoren) in physische Objekte (bspw. den Kompressor) ermöglichen neue Formen der Wertschöpfung für Unternehmen. Vor allem auch die mögliche digitale Vernetzung mit Kunden gibt traditionellen Produktanbietern Chancen zur sogenannten Servicetransformation bzw. Servitization, bei der ein Produkt- zu einem Service-Anbieter wird, indem er sein Produktportfolio um zusätzliche Services ergänzt (Braun et al. 2016).   Definition Servitization: Angebot umfangreicher Angebotspakete oder „Bündel“, bestehend aus einer kundenorientierten Kombination von Waren, Services, Support, Self-Services und Kenntnissen, mit dem Ziel, den Kernangeboten einen zusätzlichen Mehrwert hinzuzufügen (Vandermerwe und Rada 1988). Vandermerwe und Rada (1988) zeigen auf, dass ein Angebot von Bündeln aus Produkten und Services eine Wertsteigerung der eigentlichen physischen Kernprodukte herbeiführt. In der extremsten Form der Servitization dient das physische Produkt nur noch als Medium zur Services-Erbringung. Das Bereitstellungs- und Nutzungsangebot erfolgt dann komplett nutzungsbasiert. Gründe und Vorteile der Servitization Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum in Unternehmen zunehmend Services das Angebot physischer Produkte ergänzen bzw. teils sogar vollständig ersetzen. Zum einen kann ein ergänzendes Services-Angebot eine zusätzliche Einnahmequelle zum Kernprodukt darstellen oder aber auch eine Differenzierung zu Wettbewerbern ermöglichen (Bruhn und Hadwich 2017). Besonders im Falle der sinkenden Produktnachfrage bei konvergierenden Industrien stellen wiederkehrende Services eine lukrative Einnahmequelle dar. Ein weiterer Grund für das zunehmende Services-Angebot liegt an der Möglichkeit, zielgerichteter und flexibler auf die Bedürfnisse des Kundensegments eingehen zu können. Ein weiterer wichtiger Vorteil der Servitization zeigt sich in der kontinuierlichen Interaktion mit dem Nutzer. So werden produktbezogene Services oft als ein wichtiger Feedback-Prozess in der Produktentwicklung und Produktverbesserung angesehen (Brax und Jonsson 2009). Die Literatur gliedert die zuvor dargestellten Beweggründe von Unternehmen zur Servitization in drei zentrale Kategorien (Gebauer und Fleisch 2007). So wird zwischen strategischen, finanziellen und marketingorientierten Beweggründen unterschieden. Herausforderungen im Wandel zum Lösungsanbieter Das Angebot von Leistungsbündeln aus Produkten und komplementären Services als Systemlösung erzeugt starke Interdependenzen zwischen den einzelnen Komponenten des Bündels. Wenn einzelne Bestandteile des Leistungsangebots unzureichend auf die

16

1 Grundlagen

Bedürfnisse des Nutzers ausgerichtet sind, kann dies zu einem „Komplettversagen“ des Unternehmens führen (Neely 2008). Eine erfolgreiche Umsetzung einer solchen Servitization-Strategie erfordert daher einen verstärkten Fokus auf die Bedürfnisse des Marktes und des tatsächlichen Endnutzers, da ein Unternehmen auch nur bei tatsächlicher Nutzung Erlöse erzielen kann. Daher ist auch die Sicherstellung einer kontinuierlichen Nutzung des Services-Angebotes von zentraler Bedeutung (Vargo und Lusch 2008). Unternehmen stehen hierbei vor der Herausforderung, den Wert des Leistungsbündels für den Kunden herauszustellen und zu kommunizieren. Zudem müssen insbesondere traditionelle Produktanbieter die weitreichenden Auswirkungen einer Servitization auf betriebliche Abläufe sowie das Geschäftsmodell berücksichtigen. Weiterhin ist die Identifikation und Messung des konkreten Nutzens solcher Leistungsangebote schwierig (Vargo und Lusch 2008), da über die Profitabilität aus Produkten keine Rückschlüsse auf die Profitabilität einzelner Services gezogen und somit Produktmargen nicht mehr ausschließlich als Kennzahl betrachtet werden können. Das stellt Unternehmen vor die Herausforderung, traditionelle Annahmen der Geschäftslogik verwerfen zu müssen.

1.1.6 Die Rolle des Kunden Co-Creator/Prosumer Ein wichtiger Bestandteil des Servitization-Ansatzes ist der starke Kundenbezug. Während Kunden früher keinen Einfluss auf die Ausgestaltung von Leistungen eines Unternehmens hatten, so werden sie, ähnlich wie der SDL, unter dem Aspekt der Servitization generell stärker in den Prozess der Entwicklung von Lösungen einbezogen (Baines et al. 2009). Eine Vielzahl an neu gegründeten Unternehmen, wie beispielsweise FinTechs oder InsurTechs in der Finanzbranche, stellen die klassischen Branchenlogiken infrage. Ein konstituierendes Merkmal ist die Nähe zum Nutzer und seinen Bedürfnissen. Dies ermöglicht es, erfolgreicher mit der zunehmend fordernden Rolle des Kunden umzugehen. Gerade im Hinblick der Servitization nimmt der Nutzer eine deutlich aktivere Rolle in der Wertschöpfung ein und wird zum Co-Creator bzw. Prosumenten des tatsächlichen Wertversprechen (Bühler und Maas 2017). In der ersten Funktion bringt sich der Nutzer aktiv in die Wertschöpfung ein, indem er beispielsweise Feedback oder Verbesserungsvorschläge in der Interaktion mit dem Unternehmen liefert. Der Kunde ist nicht mehr nur Empfänger anonymisierter Produkte, sondern erhält vielmehr Leistungen und Lösungen, die auf seine konkreten Problemstellungen und Bedürfnisse zugeschnitten sind, auch wenn vereinzelte Teilkomponenten der Gesamtlösung von weiteren, gegebenenfalls im Wettbewerb stehenden Unternehmen bezogen werden müssen (Davies 2004). Dies erfordert von Unternehmen, eine stärkere emotionale Bindung zum Nutzer aufzubauen und aktiv in die Interaktion mit diesem zu treten (Bühler und Maas 2017). Somit entwickelt sich der

1.1  Überblick über das Kapitel und Lernziele

17

Fokus weg von einer auf Transaktionen basierenden Beziehung, hin zu einer relationsbasierten und auf Dauer ausgerichteten Beziehung zu dem Kunden (Bühler und Maas 2017). Im Zentrum aller Überlegungen stehen daher die Bedürfnisse des Kunden, der als „Wertschöpfer“ und „Co-Produzent“ angesehen wird und vom Anbieter selbst dabei unterstützt wird, seine Ziele und Bedürfnisse zu erlangen (Grönroos 2011). Insgesamt gilt: Je höher der Grad der Servitization ist, desto höher ist die Interaktion von Kunde und Anbieter (Abb. 1.4). Darüber hinaus wird der Nutzer selbst auch zum Prosumenten. Das bedeutet, dass der Nutzer nicht mehr nur einen Service konsumiert, sondern selbst auch als Produzent auftritt (Winter 2017). Beispiel hierfür ist etwa das soziale Netzwerk Instagram. Die Nutzer der App konsumieren diesen Service nicht nur, sondern produzieren auch aktiv Content in Form von Videos, Texten oder Bildern. Die Digitalisierung hat hierbei noch die Besonderheit, dass der digitale Nutzer nichtmehr kostenaufwendig angesprochen werden muss, sondern basierend auf Nutzungsdaten etc. direkt in die Wertschöpfung und Optimierung von Services mit eingebunden werden kann.

Verbreiterung der Interaktion von Transaktionen zu Beziehung, Umfang der Veränderung, Beteiligte der Veränderung

Kunden

niedrig

Anbieter

Grad der Servitization

Interaktionen größtenteils durch Transaktionen; einige zusätzliche dezentrale Services

Produkt- und Dienstleistungsangebot

hoch

Customization von Produkt und Service

Produkt + Service Co-designed; ganzheitliche Lösung Design

Herstellung

Bereitstellung

Nutzung

Unterstützung

Nutzungsende

Abb. 1.4   Kunden-Lieferantenschnittstelle der Servitization. (Quelle: Aufbauend auf Martinez et al. 2010)

18

1 Grundlagen

1.2 Einordnung von Dienstleistungen 1.2.1 Abgrenzung von Dienstleistungen Dienstleistungen stellen eine Art von Gütern dar. Grenzt man Dienstleistungen von anderen Gütern ab, werden deren Relevanz sowie deren Eigenschaften deutlicher (Bruhn und Meffert 2012). Eine Übersicht über die unterschiedlichen Gruppierungen ist in Abb. 1.4 ersichtlich. Jedes Gut ist ein Wirtschaftsgut. Unter Wirtschaftsgütern können im Allgemeinen Mittel verstanden werden, die ein Bedürfnis befriedigen. Ein Wirtschaftsgut kann als einzelnes Gut oder in Form eines Leistungsbündels angeboten werden. Da diese Abgrenzung auf alle Güter zutrifft, die auf einem Markt angeboten werden, kann man die reine Form eines Wirtschaftsgutes noch weiter unterteilen. Ein reines Wirtschaftsgut kann in ein Nominalgut oder ein Realgut unterteilt werden. Realgüter sind das Ergebnis eines Produktionsprozesses in Form von Gütern, welche auf dem Markt angeboten werden (Bruhn und Meffert 2012). Nominalgüter hingegen sind Geld oder in Geld ausgedrückte Nennwerte. Nominalgüter können weiterhin dadurch beschrieben werden, dass sie, ähnlich wie Dienstleistungen, einen immateriellen Charakter haben. Kauft man beispielsweise einen Fernseher, so handelt es sich bei dem Fernseher um das Realgut. Der Fernseher wird mit Geld bezahlt. Das Geld ist das Nominalgut. In diesem Fall wird das Realgut gegen ein Nominalgut getauscht. Realgüter können noch weiter unterteilt werden. Genauer gesagt kann ein Realgut entweder ein Sachgut oder eine Dienstleistung sein. Sachgüter sind materielle Gegenstände, die innerhalb eines Produktionsprozesses erstellt werden. Dienstleistungen grenzen sich insofern von Sachgütern ab, als dass sie immateriell sind. Eine Übersicht über die Arten gibt Abb. 1.4. Sachgüter und Dienstleistungen können darüber hinaus kombiniert werden. In diesem Fall handelt es sich um das Angebot eines Bündels, das aus mehreren Leistungen besteht. Dieses Bündel kann als hybrides Produkt (oder Gut) bezeichnet werden. Ein hybrides Produkt kann wie folgt definiert werden:   Ein hybrides Produkt ist eine Leistung, die aus mehreren Teilen besteht, die nicht mehr ohne Weiteres einzeln erkennbar sind, deren unterschiedliche Eigenschaften aber das hybride Produkt prägen (Leimeister und Glauner 2008, S. 248). Hybride Produkte werden synonym auch als hybride Leistungsbündel bezeichnet (Leimeister und Glauner 2008). In ähnlichen Zusammenhängen spricht man auch von Product-­Service Systems (siehe dazu Kap. 2). Diese zeichnen sich durch die Einbindung verschiedener Anspruchsgruppen in den Erstellungsprozess aus. Sie stellen ein System dar, das sowohl aus einem Sachgut- als auch einem Dienstleistungsanteil besteht. Sie werden definiert als „Kombinationen aus Sach- und Dienstleistungen, die am Markt als integrierte Leistungsbündel angeboten werden“ (Leimeister und Glauner 2008,

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

19

S. 248). Derartige Bündel zielen auf die kundenspezifische Lösung von Problemen ab. Genauer gesagt, ist ein hybrides Produkt ein individualisiertes Angebot für ein komplexes Kundenproblem bei dem die Kombination von unterschiedlichen Sachleistungen und Dienstleistungen einen höheren Wert schafft als die einzelnen Leistungen an sich. Sie bestehen somit aus einer Kombination von unterschiedlichen Leistungen, die nach der Erstellung nicht mehr voneinander entkoppelt werden können. Die Existenz von hybriden Leistungen nimmt immer stärker zu, so werden Sachgüter immer häufiger mit IT Dienstleistungen verbunden und an diese gekoppelt. Sogenannte „Smart Products“ bieten Sachleistungen in Kombination mit Apps oder ähnlichem an. Hundebesitzer, die in ihrer Abwesenheit ihren Hund beobachten und mit ihm kommunizieren möchten und dazu eine entsprechende Kamera kaufen, erwerben gleichzeitig eine App, mit der sie unterwegs in der Lage sind, den Hund zu beobachten und mit ihm zu reden. Zuvor (in Abschn. 1.1.3) wurden die drei Sektoren näher erläutert. Anhand der drei Sektoren können Sachgüter und Dienstleistungen noch genauer abgegrenzt werden (Bruhn 2016). Güter, die auf Konsumgütermärkten vertrieben und abgesetzt werden, sind meist Sachgüter, die einen materiellen Charakter aufweisen. Konsumgüter sind Güter, die für den privaten Ge- oder Verbrauch hergestellt und gehandelt werden. Dies sind Güter, die in Bezug auf die Drei-Sektoren-Theorie im ersten Sektor eingeordnet werden können. Bei Industriegütern handelt es sich hingegen um Güter, die für die Produktion eingesetzt werden. Dies können beispielsweise Rohstoffe, Hilfsstoffe, Halbfabrikate, Anlagen, Maschinen oder Zubehörteile sein. Im Vergleich zu Konsumgütern sind dies Güter, die nicht dazu dienen, die Grundbedürfnisse von Individuen zu befriedigen, da sie vorrangig zur Produktion von Konsumgütern eingesetzt werden. Mit Blick auf die drei Sektoren handelt es sich um Güter, die innerhalb des zweiten Sektors produziert, eingesetzt und vertrieben werden. Zuletzt gibt es den Markt der Dienstleistungen. In diesem Markt werden Güter vertrieben, die einen immateriellen Charakter haben. Hierbei handelt es sich um den dritten Sektor. Wie bereits angedeutet, sind Mischformen von unterschiedlichen Güterarten möglich. Dienstleistungen werden im Vergleich zu anderen Gütern als eine Art von Gütern beschrieben, die einen immateriellen Charakter haben. Die Immaterialität ist eine zentrale Eigenschaft von Dienstleistungen. Um Dienstleistungen genauer zu beschreiben, werden nachfolgend die einzelnen Eigenschaften erklärt.

1.2.2 Eigenschaften von Dienstleistungen Dienstleistungen können anhand von vier Eigenschaften näher beschrieben werden: Immaterialität, mangelnde Lagerfähigkeit, mangelnde Transportfähigkeit und Heterogenität. Diese vier Eigenschaften werden meist als IHIP (bezogen auf die englischen Begriffe Intangibility, Heterogeneity, Inseparability of Production and Consumption und Perishability) abgekürzt (Zeithaml et al. 1985).

20

1 Grundlagen

Die Grenzen zwischen einer Dienstleistung und anderen Leistungen sind in Bezug auf die Eigenschaften fließend. Eine der wichtigsten Eigenschaften von Dienstleistungen ist die Immaterialität. In diesem Zusammenhang wird oftmals auch von einer „Nichtgreifbarkeit“ von Gütern gesprochen. Dienstleistungen sind vorab und nachdem sie in Anspruch genommen werden bzw. worden sind, nicht sinnlich wahrnehmbar7. Sie sind im Vergleich zu anderen Gütern weder greif- noch sichtbar. Dienstleistungen verändern einen Zustand. Besonders Dienstleistungen, die in Bezug auf Informationsund Kommunikationstechnologien angeboten werden, weisen diese Eigenschaft auf. Besonders mobile Applikationen zeichnen sich durch Immaterialität aus. So können mobile Applikationen beispielsweise zum Lernen von Sprachen gekauft werden. Die käuflich erworbene Applikation bietet dem Käufer eine Vielzahl von entwickelten Übungen und Trainings, um eine bestimmte Sprache zu lernen. Dabei ist die entsprechende Leistung nicht greifbar, selbst wenn diese über ein mobiles Endgerät zur Verfügung gestellt wird. Eine weitere Eigenschaft von Dienstleistungen ist die mangelnde Lagerfähigkeit. Da es sich bei Dienstleistungen um die Erbringung und das Erleben eines Zustandes handelt, entfällt die Möglichkeit, sie zu lagern oder einen Vorrat anzusammeln. Im Vergleich dazu können Sachgüter gelagert werden. Diese Eigenschaft wird oftmals in Zusammenhang mit dem sogenannten uno-actu-Prinzip in Verbindung gebracht (Meffert und Bruhn 2006, S. 68). Das Prinzip besagt, dass die Produktion und der Verbrauch von Dienstleistungen häufig zur gleichen Zeit stattfinden. Sie erfolgen somit simultan. Damit Dienstleistungen fristgerecht und in einer ausreichenden Menge bereitgestellt werden können, sollten sämtliche Faktoren, die zur Produktion nötig sind, in ausreichender Anzahl verfügbar sein. Die Herausforderung besteht darin, dass keine Leerkosten entstehen, womit dem Kapazitätsmanagement im Dienstleistungsbereich eine wichtigere Rolle zukommt (Wonner 2016). Um in einem Restaurant ein Gericht zu verkaufen, muss es einen Gast geben. Der Gast konsumiert das Gericht vor Ort im Restaurant. Der Gast bestellt ein Gericht, welches während seiner Anwesenheit zubereitet wird. Das Gericht kann nicht gelagert werden, da das Restaurant nicht weiß, welche Gerichte an einem Tag bestellt werden und da es sich um verderbliche Waren handelt. Weiterhin werden Gerichte oftmals individuell an die Wünsche des Kunden angepasst, was nicht planbar ist. Dieses Kriterium trifft jedoch nicht mehr auf alle Arten von Dienstleistungen gleichermaßen zu. Eine weitere Eigenschaft ist die mangelnde Transportfähigkeit. Dienstleistungen werden oftmals sehr kurzfristig bereitgestellt. In Bezug auf die mangelnde Lagerfähigkeit werden die Anbieter eines Dienstleistungssystems wichtiger. Anbieter, die Teil eines

7http://www.wirtschaftslexikon24.com/e/immaterialit%C3%A4t/immaterialit%C3%A4t.htm

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

21

Dienstleistungssystems sind, sollten diesbezüglich auf die Standortauswahl achten. Durch einen geeigneten Standort kann die Erbringung sämtlicher Produktionsfaktoren einer Dienstleistung erleichtert werden, da diese kurzfristig bereitgestellt werden können. Auch die Transportfähigkeit sollte in Bezug auf die Existenz der Digitalisierung kritisch hinterfragt werden, welche viele Güter an sich verändert. Durch vorhandene Informations- und Kommunikationstechnologien ist es für Unternehmen in vielen Situationen einfacher, die Dienstleistung auch ohne die Überwindung einer Distanz oder die Einbringung eines Mitarbeiters vor Ort zu erbringen. Hier ist beispielsweise der Ausfall eines Autos zu nennen. Der Dienstleister, der dem Kunden vor Ort helfen soll, muss in kürzester Zeit vor Ort erscheinen, um das Auto zu reparieren. Die Heterogenität ist eine weitere Eigenschaft von Dienstleistungen. Diese besagt, dass das Ergebnis einer Dienstleistung sowohl vom Kunden als auch vom Erbringer der Dienstleistung abhängt. Dadurch, dass Kunden individuelle Wünsche äußern und ein wesentlicher Bestandteil der Endleistung sind, bedeutet dies eine erschwerte Standardisierbarkeit der Leistungen Zu nennen sind hier beispielsweise medizinische Leistungen, die an das Krankheitsbild eines Individuums angepasst werden müssen. So fällt jede Behandlung, jede Medizin, die verschrieben wird, jeweils anders aus und ist individuell abhängig vom Patienten. Diese Eigenschaft kann in Bezug auf die Digitalisierung und die sich verändernden Güter als weitestgehend stabil betrachtet werden. Dienstleistungen werden immer stärker in Zusammenarbeit mit Kunden erstellt. Die Rolle des Kunden bei der Erbringung einer Dienstleistung kann im weitesten Sinne auch als eine Eigenschaft von Dienstleistungen gesehen werden. Der Kunde gestaltet Dienstleistungen aktiv mit und hat einen hohen Einfluss auf das Endergebnis. Demnach geht es nicht nur um die reine Erbringung einer Leistung, sondern auch um den Prozess der Erbringung. Bezüglich der IHIP-Kriterien sollte weiterhin beachtet werden, dass Dienstleistungen oftmals an Sachleistungen gekoppelt sind, womit die Dienstleistung nicht mehr komplett immateriell ist. Bei einem Kinobesuch stellt das Anschauen des Filmes einen immateriellen Zustand dar. Der Besuch ist jedoch an einen Sitzplatz gebunden. Hier trifft der Zustand der Immaterialität nicht zu. Bei aller berechtigten Kritik ist jedoch zu betonen, dass die IHIP-Eigenschaften einen großen Beitrag für das Verständnis von Dienstleistungen geleistet haben und weiter leisten. Dabei ist zu empfehlen, diese Eigenschaften nicht grundsätzlich für alle Dienstleistungen ganzheitlich als gegeben anzusehen. Vielmehr sollten die IHIP-Eigenschaften dazu verwendet werden, in Bezug auf gegebene Dienstleistungen näher beleuchtet zu werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Dienstleistungen sich besonders durch die Eigenschaft der Immaterialität kennzeichnen lassen. Der Prozessgedanke sollte bei der Charakterisierung von Dienstleistungen nicht außer Acht gelassen werden. Da die Bedeutung von IT in Bezug auf Dienstleistungen immer wichtiger wird, wird im Folgenden eine Typologie vorgestellt, die Dienstleistungen anhand von bestimmten Kriterien näher abgrenzt. Diese Typologie beschreibt die Eigenschaften von Dienstleistungen nochmals aus einer anderen Perspektive und berücksichtigt die Rolle der IT.

22

1 Grundlagen

1.2.3 Dienstleistungstypologie Um Dienstleistungen anbieten zu können, muss ein Anbieter unterschiedliche Ressourcen bereitstellen. Anhand der Ressourcen, die bei der Erbringung einer Dienstleistung eingebracht werden, ist es möglich, Dienstleistungen zu typologisieren. Typologien teilen eine Menge von Objekten in Typen ein, wobei alle Objekte eines Typs gleiche oder ähnliche Merkmale besitzen (Miller et al. 1984). Typologien verfolgen neben diesem Aspekt jedoch auch noch einen Marketingaspekt. Die unterschiedlichen Segmente einer Typologie können dazu genutzt werden, um Produkte an ein bestimmtes Kundensegment anzupassen. Durch die genaue Beschreibung der Merkmale eines Produktes können Kunden und ihre Bedürfnisse gezielter angesprochen werden (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). Hierfür können spezifische Marketingstrategien entwickelt werden, wie zum Beispiel die Auswahl von geeigneten Vertriebskanälen oder eine spezifische Kundenansprache. Dienstleistungen können, neben der Unterscheidung nach dem Ressourceneinsatz, beispielsweise anhand ihrer Funktionen unterschieden werden. Genauer gesagt kann zwischen substitutiven und komplementären Dienstleistungen unterschieden werden (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). • Substitutive Dienstleistungen ersetzen in der Regel personenbezogene Dienstleistungen und werden dann genutzt, wenn es möglich ist, die Erbringung einer Dienstleistung vollständig zu automatisieren und IT-gestützt anzubieten. • Komplementäre Dienstleistungen ergänzen bereits bestehende Dienstleistungen oder ein bestehendes Gut. In diesem Fall spricht man von Product-Service Systems oder auch hybriden Produkten, die in Kap. 2 des Buches genauer beschrieben werden. Eine komplementäre Dienstleistung eines Autovermieters könnte beispielsweise die Buchung eines Hotels sein. Ein Beispiel für eine substitutive Dienstleistung findet sich im Bankenbereich. Um zum Beispiel eine Überweisung vornehmen zu können, bieten Banken heutzutage das Online-Banking an. Um eine Überweisung vorzunehmen, müssen Kunden nicht mehr in die Bankfiliale zu einem Schalter gehen. Sie können ihre Überweisung von überall aus online in Auftrag geben. Hier ist seitens des Anbieters keine personengebundene Leistung notwendig. Dies ist ein deutlicher Vorteil für den Anbieter wie auch den Kunden, denn beide sparen Zeit. Der Anbieter spart wiederum Personalkosten. Hierdurch wird deutlich, welche Ressourcen für die Erstellung und das Angebot einer Dienstleistung notwendig sind: Personen und Informationstechnologien (IT). Für die Erbringung einer Dienstleistung können personelle Ressourcen in unterschiedlichem Ausmaß in den Erstellungsprozess eingebracht werden. Gleiches gilt für IT. Verbindet man beide Arten von Ressourcen und fokussiert sich auf die Intensität des Personen- und Technologieeinsatzes, so entsteht eine ressourcenorientierte Typologie (Jaakkola et al. 2017). Abb. 1.5 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen IT- und Personeneinsatz bei der Dienstleistungserstellung. Durch die Zusammenführung entstehen wiederum unterschiedliche Segmente.

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

23

Wirtschaftsgüter

Gemischte Formen Leistungsbündel

Reine Formen

Nominalgüter

Sachgut (materiell)

Realgüter

Dienstleistung (imateriell)

Abb. 1.5   Güter und Leistungen im Überblick. (Quelle: In Anlehnung an Meffert und Bruhn 2012)

Insgesamt ergeben sich vier unterschiedliche Dienstleistungstypen: standardisierte Dienstleistungen, personenintensive Dienstleistungen, technologieintensive Dienstleistungen und wissensintensive Dienstleistungen: • Standardisierte Dienstleistungen sind durch einen niedrigen Technologie- und Personeneinsatz gekennzeichnet. Hierzu zählen beispielsweise Transport- oder Logistikleistungen. Güter werden mit Hilfe von Fahrzeugen zu einem bestimmten Ort geliefert. Dabei ist kein Einsatz von Technologien notwendig. Für den Transport an sich sind weiterhin wenig Personen nötig. Im Falle des Gütertransportes wird in erster Linie der Fahrer des Fahrzeuges involviert. • Das zweite Segment fasst personenintensive Dienstleistungen zusammen. Dies sind Dienstleistungen mit einem geringen IT-Einsatz und einem hohen Personeneinsatz. Zu nennen sind beispielsweise Catering-Leistungen. Das Catering schließt die Bewirtung eines Buffets und das Bedienen von Gästen ein. Um diese Leistung erbringen zu können, ist viel Personal innerhalb des Bedienungsprozesses oder der Zubereitung von Speisen bzw. Getränken notwendig. • Bei einem hohen Technologieeinsatz und einem geringen Personeneinsatz kann von technologieintensiven Dienstleistungen gesprochen werden. Hier ist die Energieverwaltung als ein Beispiel zu nennen. Diese bezieht sich auf den Betrieb von energietechnischen Versorgungsinhalten, damit der Kunde zu Hause Strom erhält. Dieser Dienstleistungstyp ist maßgeblich durch einen sehr hohen IT-Einsatz geprägt.

24

1 Grundlagen

• Zuletzt sind wissensintensive Dienstleistungen zu nennen, die sich durch einen hohen Technologie- und Personeneinsatz charakterisieren lassen. Hier können beispielsweise medizinische Leistungen genannt werden. Die Einbindung von Technologien bei der Erbringung einer Dienstleistung kann noch weitergetragen werden. Kombiniert man Technologien mit anderen Technologien (zum Beispiel über den Einsatz des Internets), kann eine weitere Form der Dienstleistung definiert werden. Hier werden keinerlei personelle Ressourcen eingebracht. Diesbezüglich spricht man von elektronischen Dienstleistungen (E-Services). E-Services können als selbstständige und marktfähige Leistungen angesehen werden, die durch die Bereitstellung von elektronischen Ressourcen des Anbieters mit Hilfe eines elektronischen Datenaustausches eine nutzenstiftende Wirkung hervorrufen (Bruhn 2008). Der Anbieter muss hierbei keinen Präsenz zeigen und kann sein Angebot unbegrenzt zur Verfügung stellen. Eine elektronische Dienstleistung ist unbegrenzt verfügbar und sie erfordert seitens des Anbieters lediglich das Einbringen der entsprechenden Maschinen (Bruhn 2008). Ein Beispiel hierfür wäre das Angebot von e-Learning-Kursen. Diese werden durch Lerndienstleister bereitgestellt und können von Kunden unbegrenzt und wiederholt in Anspruch genommen werden. Nachdem erläutert wurde, mit welchen Ressourcen Dienstleistungen erstellt werden können, wird als nächstes der Prozess der Erstellung einer Dienstleistung dargestellt.

1.2.4 Dienstleistungsprozesse Im vorherigen Kapitel (Abschn. 1.2.1) wurden Dienstleistungen von Sachleistungen abgegrenzt. Der Unterschied zwischen den beiden Leistungen wird besonders deutlich, wenn man sich den Prozess der Erbringung von Dienst- bzw. Sachleistungen genauer anschaut. Abb. 1.6 verdeutlicht die Unterschiede zwischen dem Prozess zur Erbringung von Sachleistung und dem zur Erbringung von Dienstleistungen. Der Prozess zur Erbringung einer Dienstleistung ist dadurch geprägt, dass der Kunde deutlich stärker innerhalb des gesamten Prozessverlaufes eingreifen kann. Innerhalb des Erstellungsprozesses einer Sachleistung wirkt der Kunde meist nur insofern mit, als dass er die erstellte Sachleistung am Ende konsumiert oder in Gebrauch nimmt. Eine Sachleistung wird einem Kunden in Form einer Ware, d. h. als materiell existierendes Gut, angeboten (Bullinger und Scheer 2006). Der Kunde kann das fertige Gut vor dem Kauf ansehen, ausprobieren und anfassen. Hierbei ist er nicht in den Prozess der Leistungserstellung eingebunden. Da das Gut nicht weiterverarbeitet wird, kann der Kunde in diesem Fall auch als Endkunde bezeichnet werden. Das Ergebnis des Erstellungsprozesses ist demnach sowohl für den Kunden als auch für das Unternehmen bekannt. Innerhalb des Prozesses zur Erbringung einer Sachleistung wird wiederum deren typische Eigenschaft dieser deutlich. Durch die Greifbarkeit und die Möglichkeit des Kunden, die Leistung vor dem Kauf auszuprobieren, ist das Ergebnis bekannt und er geht somit ein

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

Niedrig

Intensität des Personeneinsatzes

Hoch

25

Personenintensive Dienstleistungen

Wissensintensive Dienstleistungen

Catering Leistungen

Medizinische Leistungen

Standardisierte Dienstleistungen

Technologieintensive Dienstleistungen

Transport und Logisk

Energieverwaltung

Niedrig

Hoch

Intensität des Technologieeinsatzes Abb. 1.6   Ressourcentypologie. (Quelle: In Anlehnung an Jaakkola 2017)

geringes Risiko ein. Hier ist jedoch kritisch anzumerken, dass innerhalb des Erstellungsprozesses auch Dienstleistungen in Anspruch genommen werden können. Dies umfasst alle Dienstleistungen, die das Unternehmen für die Herstellung an sich benötigt, wie zum Beispiel die Arbeitsleistung, Informationen oder auch Nutzungsrechte (Bullinger und Scheer 2006). Ein Beispiel für den Prozess zur Erbringung einer Sachleistung ist die Herstellung von Kleidungsstücken, wie bspw. eines Pullovers. Die Form und Farbauswahl wie auch die einzelnen Größen des Pullovers sind bekannt und werden vom Unternehmen hergestellt. Danach werden die Pullover zur Weitergabe an Geschäfte vertrieben. Möchte sich ein Kunde einen der bereits hergestellten Pullover kaufen, kann er in ein beliebiges Geschäft gehen und dort einen Pullover auswählen. Er kann die Farbe, Form und Größe auswählen, die ihm zusagt. Der Kunde hat außerdem die Möglichkeit, den Pullover noch vor dem Kauf anzuprobieren. Der Prozess zur Erbringung einer Dienstleistung gestaltet sich im Vergleich zu Sachleistungen anders, da sich die Rolle des Kunden und des Endergebnisses verändern (Bullinger and Scheer 2006). Ein Unternehmen tritt mit unterschiedlichen Leistungsangeboten an einen Markt heran. Damit eine Dienstleistung entwickelt werden kann, wird

26

1 Grundlagen

vorausgesetzt, dass ein Kunde mit einer Anfrage an das Unternehmen herantritt. Der Kunde stimmt sich nach der Kontaktaufnahme mit dem Unternehmen (Dienstleister) in Bezug auf das Endergebnis ab. Vor der eigentlichen Produktion der Leistung erfolgt demnach eine Art Abstimmungsprozess zwischen dem Kunden und dem Unternehmen. Innerhalb dieser Abstimmung einigt sich der Kunde mit dem Unternehmen auf die Leistungsbestandteile des Endproduktes, sodass das Produkt seinen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Hierbei handelt es sich um den vorab erläuterten Prozess der Co-Creation, bei dem der Kunde aktiv bei der Gestaltung des Produktes mitwirken kann. Dies geschieht alles, bevor die endgültige Leistung überhaupt erstellt wird bzw. bevor das eigentliche Ergebnis bekannt ist. Eine Dienstleistung kann entsprechend dem Prinzip der Modularisierung aus verschiedenen Bausteinen bestehen. So kann ein Sachgut beispielsweise mit einer (oder mehreren) IT-Dienstleistung(en) kombiniert werden. Bevor die Dienstleistung produziert wird, wird vorausgesetzt, dass die Vorstellungen des Kunden realisierbar sind und sich innerhalb der Produktpalette des Unternehmens befinden. Auch wenn der Kunde aktiv in den Prozess eingreifen kann, ist die Umsetzung und Entwicklung dennoch an bestimmte Grenzen gebunden. Die Grenzen ergeben sich durch das Produktportfolio des Unternehmens. Der intensive Austausch zwischen dem Kunden und dem Unternehmen kann ebenso Risiken bergen. Denn bevor die Leistung erstellt wird, kann der Kunde, weil er beispielsweise unzufrieden ist, noch abspringen und die Leistung ablehnen. Bereits zu dem Zeitpunkt hat das Unternehmen jedoch unterschiedliche Ressourcen investiert. Allerdings kann, bevor die Leistung produziert wird, auch noch eine erneute Abstimmung und Anpassung der Leistung vorgenommen werden, wenn sich der Kunde beispielsweise umentschieden hat. Dabei können auch externe Faktoren eine wichtige Rolle spielen. Nach der Einigung mit dem Kunden wird die Leistung produziert. Dabei können die zuvor beschriebenen Ressourcen in unterschiedlichen Kombinationen zum Einsatz kommen. Ressourcen können hierbei auch Daten sein, sofern es sich um IT-Dienstleistungen handelt. Schließlich wird die erstellte Leistung an den Kunden weitergeben. Durch die aktive Einbindung des Kunden in den Erstellungsprozess wird nicht nur für den Kunden ein Mehrwert geschaffen. Für das Unternehmen sind die Wünsche und Vorstellungen der Kunden transparenter. Außerdem können so wertvolle und nachhaltige Kundenbeziehungen aufgebaut werden. Um entsprechende Misserfolge oder Unzufriedenheiten zu vermeiden, empfiehlt es sich, den Markt und die Kundenstrukturen genau zu analysieren, bevor Dienstleistungen von einem Unternehmen angeboten ­werden. Ein Beispiel für die Kundenintegration bei der Produktgestaltung ist bei dem Unternehmen DHL erkennbar. DHL bezieht seine Kunden schon in den frühen Phasen der Produkterstellung aktiv in den Prozess ein. Sie ermutigt ihre Kunden, Produkte selber zu gestalten und diese perfekt auf bestimmte Bedürfnisse hin anzupassen. Hierzu nutzt DHL Workshops, an denen Kunden und Service-Partner beteiligt sind. Die Workshops werden dazu genutzt, technische, ökonomische, soziopolitische und

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

27

kulturelle Trends zu untersuchen und zu verstehen8. Innerhalb eines solchen Workshops wurde beispielsweise der sogenannte Paketkopter 3.0 entwickelt9. Dieser wird eingesetzt, wenn ein Transport von Paketen aufgrund von schlechten Infrastrukturen nicht möglich ist oder zu lange dauert. Es handelt sich dabei um ein Fluggerät, welches nicht durch Hindernisse wie Wasser oder Berge behindert wird, da es nicht an das normale Straßennetz gebunden ist. Die Idee für den Paketkopter wurde gemeinsam mit DHL-Kunden entwickelt. Dadurch ist eine Lösung entwickelt worden, die aktiv zur Verbesserung der Infrastruktur in schwer erreichbaren Gebieten beiträgt und so einen Mehrwert für Menschen vor Ort schafft. Nachfolgend wird näher darauf eingegangen, welche Rolle die Modularisierung spielt, wenn es um die Anpassung und Gestaltung von Dienstleistungen geht.

1.2.5 Modularisierung von Dienstleistungen Durch die stärkere Einbringung von Kunden in den Erstellungsprozess von Dienstleistungen wird eine immer stärkere Individualisierung von Dienstleistungen notwendig. Die sogenannte Modularisierung bietet hierbei Unternehmen die Möglichkeit, Kunden individuelle Dienstleistungen gewissermaßen zu lassen und dabei gleichzeitig effizient zu agieren (Peters 2016). Dies kann besonders am Beispiel von medizinischen Leistungen verdeutlicht werden, denn jeder Patient hat eine andere Krankheitsgeschichte und benötigt eine individuell angepasste Leistung – sei es eine andere Behandlung, andere Medizin etc. (Peters und Menschner 2012). Genauer gesagt handelt es sich hierbei um die sogenannte Dekomposition: die Zerlegung einer Dienstleistung in Teilleistungen. Dieser Aspekt erleichtert die Erbringung einer Dienstleistung, die stark von der Zusammenarbeit mit Kunden geprägt ist. Es kann zwischen kundenspezifischen und standardisierten Dienstleistungen unterschieden werden. Kundenspezifische Dienstleistungen sind solche, die durch den Kunden und seine Wünsche und Vorstellungen individualisiert werden. Bei standardisierten Dienstleistungen handelt es sich um Dienstleistungen, die ohne große Anpassungen an den Kunden weitergegeben werden können. Werden beide Formen der Dienstleistungen über Teilleistungen miteinander vermischt, handelt es sich um modularisierte Dienstleistungen (vergleiche dazu Abb. 1.7).

8https://www.forbes.com/sites/christinecrandell/2016/06/10/customer_cocreation_secret_sau-

ce/#305ea2655b6d 9http://www.dpdhl.com/de/presse/pressemitteilungen/2016/einbindung_dhl_paketkopter_logistik-

kette_erfolgreich_getestet.html

28

1 Grundlagen Prozess zur Erbringung von Sachleistungen Leistungsergebnis bekannt

Bereitstellung

Erstellung der Leistung

Vertrieb/Weitergabe der Leistung

End-(Kunde)

Ressourcen

Prozess zur Erbringung von Dienstleistungen

Bereitstellung

Einigung End(Kunde) und Dienstleister

Bestandteil n […] Bestandteil 1 Erneute Abstimmung

Leistungskombination

Leistungsergebnis bekannt

Erstellung der Leistung

Vertrieb/Weitergabe der Leistung

Ressourcen End-(Kunde)

Externer Faktor

Abb. 1.7   Prozess der Dienstleistungserbringung im Vergleich. (Quelle: In Anlehnung an Bullinger und Scheer 2006)

Bei einer modularisierten Dienstleistung wird durch die Zusammenarbeit mit dem Kunden ein Leistungsbündel erstellt. Die erbrachte Dienstleistung hat den höchstmöglichen Nutzen für einen Kunden und wird ressourceneffizient erstellt. Das Prinzip der Modularisierung findet im Bereich der Dienstleistungen vielfach Anwendung. Die Modularisierung von Dienstleistungen kann man sich wie die Verwendung eines Baukastens vorstellen. Der Kunde nimmt sich einzelne Teile aus dem Baukasten und fügt diese nach seinen Vorstellungen zu einer Leistung zusammen. Der Charakter einer Modularisierung kommt besonders zur Geltung, wenn man an die Buchung einer Reise in einem Reisebüro denkt. Das Reisebüro kooperiert mit unterschiedlichsten Unternehmen wie Hotelketten, Airlines und lokalen Anbietern in unterschiedlichen Ländern. Bei Reisen können Zusatzleistungen hinzugebucht und individuell kombiniert werden. Eine Zusatzleistung ist beispielsweise eine Safari-Tour, die für eine Reise nach Afrika gebucht werden kann. Der Kunde kann sich im Reisebüro das Hotel, den Flug und alle Zusatzleistungen aussuchen und diese nach seinem Wunsch kombinieren. Dieses Ergebnis fällt bei einem anderen Kunden, der seinen Urlaub ebenfalls in Afrika verbringen möchte, unter Umständen ganz anders aus. Der andere Kunde sucht sich zum Beispiel eine andere Airline oder einen anderen Flug aus. Ihm werden die gleichen Teilleistungen zur Verfügung gestellt, die er jedoch anders zusammensetzt. Die Bestandteile eines Dienstleistungsprozesses können immer neu zusammengesetzt und kombiniert werden, sodass sich neue Dienstleistungen ergeben.

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

29

Für die Abbildung von derartigen Prozessabläufen können unterschiedliche Modelle genutzt werden. Ein bekanntes Modell ist das sogenannte Business Process Model Notation (BPMN), dessen Funktionsweise und Rolle in Kap. 7 näher erläutert wird. Das Prinzip der Modularisierung beruht auf zwei wesentlichen Grundprinzipien: lose Kopplung und Kohäsion. • Das erste Prinzip ist das der losen Kopplung. In Bezug auf die lose Kopplung geht es darum, dass die einzelnen Teile eines Moduls unabhängig voneinander sind. Ein einzelnes Element eines Moduls sollte demnach so aufgebaut sein, dass es woanders im gleichen Zustand bei anderen Modulen wieder einsetzbar ist. Damit dies gewährleistet werden kann, ist die Wahl der Schnittstelle bei der Unterteilung einer Dienstleistung sehr wichtig. Dabei muss die Schnittstelle so gewählt werden, dass Elemente, die eine starke Abhängigkeit voneinander haben, in einem Modul zusammengeführt werden. Ist dies erreicht und die Abhängigkeit zwischen den Elementen innerhalb eines Moduls stark, sind die Abhängigkeiten aus den jeweiligen Modulen heraus schwächer und somit die gewünschten Konstellationen, dass zwischen Modulen nur schwächere Abhängigkeiten zugelassen werden, gegeben. Weiterhin sollten diese verbliebenen Abhängigkeiten zwischen Modulen überschaubar gehalten werden (Bullinger und Scheer 2006). • Das zweite Prinzip ist das der Kohäsion (Bullinger und Scheer 2006). Dies steht für den intramodularen Zusammenhang zwischen einzelnen Elementen eines Moduls. Die internen Eigenschaften eines Moduls bleiben für die äußere Betrachtung verborgen, was wiederum durch die Kohäsion erklärt werden kann, denn diese beschreibt, in welchem Maß die Elemente in einem Modul zusammenhängen bzw. abhängig voneinander sind. Bei einer hohen Kohäsion ist es so, dass die betrachteten Elemente die gleiche oder sehr ähnliche Zielfunktionen haben, was wichtig ist, da so spezifische und an den Kunden angepasste Module entstehen können, die trotz ihrer Individualität wiederverwendbar sind. Der Aspekt der Modularisierung birgt einige Vorteile und Risiken (Bullinger und Scheer 2006). Für Unternehmen spielt die Modularisierung insofern eine Rolle, als dass sie mögliche Kosten senkt. Durch die Wiederverwendbarkeit von einzelnen Modulen können Dienstleistungen schneller für Kunden produziert werden. Weiterhin können mehrere Dienstleistungen gleichzeitig bereitgestellt werden. Außerdem können Verbesserungszyklen wie auch Innovationen durch die Modularisierung zielführender erbracht werden. Durch die benötigten klaren Definitionen und Beschreibungen von Schnittstellen, die für die Modularisierung notwendig sind, sowie den Abhängigkeiten in den kohäsiven Modulen, trägt die Modularisierung dazu bei, dass Informationen strukturierter dargestellt werden können.

30

1 Grundlagen

Ein Risiko besteht im Aspekt des verminderten Kundennutzens gegenüber vollständig auf den Kunden angepassten und individualisierten. Weiterhin können durch die eigentlich gewünschte lose Kopplung auch Redundanzen von Modulen entstehen. Diese beziehen sich auf die in den verschiedenen Modulen unabhängig voneinander vorgehaltenen Ressourcen, was somit Effizienznachteile hervorrufen kann. Durch die Wiederverwendbarkeit der Module entsteht außerdem das Risiko des Wettbewerbsnachteils durch Imitation. Damit einhergehend kann durch die sogenannte Dekomposition der Module das Bedürfnis beim Kunden entstehen, nur einzelne Teilleistungen in Anspruch nehmen zu wollen. Abb. 1.8 verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Dienstleistungen und Dienstleistungsmodulen sowie den entsprechend dahinterliegenden Dienstleistungsprozessen basierend auf Peters (2016).

Dienstleistung D

Dienstleistung

Dienstleistung A

Lane 1 Pool

Lane 2

Subprozess 2

Subprozess 3

Lane 3

Subprozess 1

Subprozess 4

Modulare Dienstleistungen

Dienstleistungsmodule

Dienstleistungsprozesse

Dienstleistung A

Dienstleistung B

Dienstleistung C

Abb. 1.8   Modularisierung von Dienstleistungen. (Quelle: Peters 2016)

1.2  Einordnung von Dienstleistungen

31

Nachdem innerhalb dieses Kapitels die Relevanz von Dienstleistungen verdeutlicht und die Eigenschaften erläutert wurden, kann eine Definition von Dienstleistungen vorgenommen werden. Diese wird im folgenden Abschnitt hergeleitet.

1.2.6 Definition von Dienstleistungen Die bisherigen Erläuterungen über Dienstleistungen machen es möglich, sich mit der Definition von Dienstleistungen näher auseinanderzusetzen. Die Definition soll für das ganze Buch gelten. Durch die Verdeutlichung der Relevanz von Dienstleistungen, wie auch deren Eigenschaften, lässt sich erkennen, um welche Leistungen es sich im Speziellen handelt. Bis heute existieren zahlreiche unterschiedliche Definitionen des Dienstleistungsbegriffes. Die Vielfältigkeit der Definitionen wird deutlich, wenn man sich Beiträge zum Thema Dienstleistungen genauer anschaut. Tab. 1.1 gibt einen Überblick über ausgewählte Definitionen des Dienstleistungsbegriffes. Die hier aufgeführten Definitionen verdeutlichen die Vielfältigkeit des Dienstleistungsbegriffes. Jede Definition hat einen anderen Fokus und eine andere Betrachtungsebene. Hartman und Gsell (2001) beziehen sich beispielsweise auf die Eigenschaften von Dienstleistungen, wohingegen Mödinger und Redling (2004) sich auf die Ressourcen beziehen, die zur Erbringung einer Dienstleistung notwendig sind. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Dimensionsebenen und Anwendungsfelder ist die Orientierung anhand einer vereinfachten Einordnung der Definitionen sinnvoll. Diesbezüglich bietet sich die Unterscheidung nach drei Merkmalen an: enumerative, negative und konstitutive Definitionen (Bruhn und Meffert 2006):

Tab. 1.1  Dienstleistungsdefinitionen Dienstleistungen sind immaterielle Beiträge zur Lösung von Kundenproblemen, die vom Lieferanten des Sachgutes erbracht werden

(Hartmann und Gsell 2001, S. 45)

Dienstleistungen sind Tätigkeiten und Leistungen, die im Zusammenhang mit Maschinen, Geräten, Systemen und Anlagen erbracht werden und die dem Anwender erst deren spezifische Nutzung ermöglichen

(Mödinger und Redling 2004, S. 1408)

Bei einer Dienstleistung handelt es sich um Aktivitäten oder Gruppen von Aktivitäten, die die Absicht haben, einen Vorteil für andere zu schaffen

(Alter 2017, S. 5)

Eine Dienstleistung ist die Anwendung von Kompetenzen zum Nutzen anderer Einheiten oder der Einheit selbst

(Vargo und Lusch 2016, S. 6)

32

1 Grundlagen

• Eine enumerative Dienstleistungsdefinition umfasst eine einfache Aufzählung von unterschiedlichen Dienstleistungskategorien. So kann man Dienstleistungen beispielsweise darüber definieren, dass sie einem bestimmten Wirtschaftsbereich zuzuordnen sind, wozu unter anderem die Bankenwirtschaft oder die Versicherungswirtschaft zählt (Kleinaltenkamp 1998). • Negativdefinitionen von Dienstleistungen ordnen diese im Vergleich zu Sachgütern ein. Somit sind Dienstleistungen alle Realgüter, die keine Sachgüter sind. Genauer gesagt, ist deren Gewinnung und Verarbeitung oder Bearbeitung nicht von Sachgütern abhängig (Rasmussen 1977). • Zuletzt konzentriert sich die konstitutive Definition von Dienstleistungen auf die unterschiedlichen Eigenschaften von Dienstleistungen. Wie zuvor erläutert, sind Eigenschaften von Dienstleistungen die Immaterialität, die mangelnde Lagerfähigkeit, die mangelnde Transportfähigkeit, die Heterogenität, die Rolle des Kunden und die Modularität. Die Verwendung einer enumerativen Definition scheint besonders aufgrund der zu allgemeinen Einordnung kaum sinnvoll. Eine negative Definition von Dienstleistungen zu verwenden scheint vor dem Hintergrund der unpräzisen Abgrenzung ebenfalls nicht passend zu sein. Da besonders die Eigenschaften von Dienstleistungen diese maßgeblich prägen, erscheint es sinnvoll, auf einer konstitutiven Definition aufzubauen. Wie zuvor erwähnt, können Dienstleistungen ebenfalls dadurch charakterisiert werden, dass Sie einem Dienstleistungssystem angehören. Innerhalb dieses Dienstleistungssystems kann ein Kunde mit einem oder auch mehreren Unternehmen interagieren, um eine Leistung zu erstellen, die sein Problem löst. Fasst man diese Aspekte zusammen, kann die nachfolgende Definition genutzt werden:  Dienstleistungen sind Aktivitäten oder eine Folge von (modularen) Aktivitäten, i. d. R. immaterieller Natur, die normalerweise in der Interaktion zwischen den beiden Komponenten eines Dienstleistungssystems stattfindet. Unter den beschriebenen Aktivitäten werden Folgen von Aktionen verstanden, die jeweils als Modul konzipiert wurden oder nicht. Dienstleistungsnehmer und Dienstleistungsanbieter sind die Komponenten eines Dienstleistungssystems. Ein Dienstleistungssystem wurde zuvor bereits als das Zusammenwirken von Akteuren und Ressourcen im Rahmen der Erbringung einer Leistung definiert, das durch ein Versprechen zwischen Anbietern und Nachfragern gekennzeichnet ist und durch das ein Mehrwert über die gemeinsame Wertschöpfung zwischen den Partnern entsteht. Genauer gesagt kann dieses als ein Netzwerk aus Menschen, Technologie und weiteren systeminternen und systemexternen Faktoren verstanden werden, das mittels gemeinsam benutzter Informationen/Informationsstrukturen zur gemeinsamen Wertschöpfung beiträgt. Der Aspekt der Wertschöpfung spielt auch im Zusammenhang mit Dienstleistungen und deren Unterscheidungen zu Sachgütern eine wichtige Rolle, die nachfolgend näher erläutert wird.

1.3  Service Dominant Logic

33

1.3 Service Dominant Logic 1.3.1 Service Dominant Logic in Abgrenzung zu Goods Dominant Logic Zuvor wurde bereits beschrieben, worum es sich bei einer Dienstleistung genau handelt und wie diese von anderen Leistungen abgegrenzt werden können. Diesbezüglich hat sich besonders die Wertschöpfung in Unternehmen verändert. Früher wurde innerhalb von Unternehmen der Fokus auf Produkte gelegt, die produziert und ohne Agieren des Kunden diesem zur Verfügung gestellt wurden. Die Wertschöpfung entstand somit durch die Produktion von Gütern. Heute greift der Kunde immer stärker in diesen Wertschöpfungsprozess mit ein. Dadurch, dass Leistungen immer nutzerzentrierter gestaltet werden, ist der Kunde derjenige, der einen wesentlichen Beitrag zur Wertschöpfung leistet. Aufgrund dieser Entwicklungen wurde die sogenannte „Service Dominant Logic (SDL)“ von Vargo und Lusch (2004) entwickelt. SDL betrachtet im Gegensatz zur „Goods Dominant Logic (GDL)“ den Prozess der Wertschöpfung in Dienstleistungssystemen. SDL wird dabei laut SD logic (Vargo und Lusch 2004) im Allgemeinen als die Anwendung von Kompetenzen (Wissen und Fähigkeiten) verstanden, die eingesetzt werden, um einer anderen Partei einen Vorteil zu verschaffen. Was sich hinter SDL verbirgt wird deutlicher, wenn man diese mit der GDL vergleicht. Dazu können unterschiedliche Merkmale herangezogen werden. Eine vergleichende Gegenüberstellung der beiden Prozesse ist in Tab. 1.2 einsehbar. Eine Dienstleistung kann einem normalen Sachgut im Rahmen der Wertschöpfung gegenübergestellt werden. Die SDL geht davon aus, dass Dienstleistungen das Kernelement einer Gesamtleistung darstellen und als Anwendung von Kompetenzen zur Erbringung einer Leistung verstanden wird. Innerhalb der GDL fokussiert sich der Prozess auf den Austausch von Gütern wie beispielsweise Sachgütern. Bei der GDL steht demzuTab. 1.2  GDL vs. SDL in Anlehnung an Vargo und Lusch (2004, 2016) Merkmale

Goods Dominant logic (GDL)

Service Dominant logic (SDL)

Einheit des Austausches

Gut

Dienstleistung

Rolle von Gütern

Endprodukte

Transportmittel für Dienstleistungen

Rolle des Kunden/Nutzers

Abnehmer von Gütern

Ko-Ersteller im Wertschöpfungsprozess

Erstellung der Wertschöpfung

Durch die Produktion von Gütern

Durch die Ko-Erstellung des Kunden/Nutzers

Beziehungsorientierung

Gering

Hoch

Quellen des wirtschaftlichen Wachstums

Besitz und Nutzung von natür- Anwendung von Wissen und lichen Ressourcen Fähigkeiten

Merkmale

Goods Dominant logic (GDL)

Service Dominant logic (SDL)

34

1 Grundlagen

folge das Endprodukt und bei der SDL das Transportmittel für Dienstleistungen im Zentrum der Betrachtung. Wie bereits erläutert, spielt der Kunde im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung eine wichtige Rolle. Er wird innerhalb des Wertschöpfungsprozesses integriert, sodass er als Ko-Ersteller agiert. Der Kunde kann genauer gesagt aktiv in den Produktionsprozess eingreifen, indem er seine Ideen, Wünsche und Rückmeldungen zu einem Produkt einbringt. Es entsteht eine Art Zusammenarbeit zwischen dem Kunden und dem Unternehmen. Diese wird durch die aktive Interaktion mit dem Kunden gekennzeichnet. Bei Gütern ist der Kunde lediglich der Abnehmer. Die Güter werden ohne eine vorherige Abstimmung mit dem Kunden produziert und zum Verkauf angeboten. Hierzu zählen beispielsweise Lebensmittel. Die GDL geht demnach von einer nur geringen Integration der Kunden aus, denn deren Integration in den Erstellungsprozess ist nicht zwingend notwendig. Bei der Erbringung einer Dienstleistung wird der Kunde von Beginn an in den Erstellungsprozess integriert. Letztlich sind im Rahmen der GDL der Besitz und die Nutzung von natürlichen Ressourcen die Quelle für das wirtschaftliche Wachstum eines Unternehmens. Innerhalb der SDL ist dies die Anwendung von Wissen und Fähigkeiten. Die SDL hat ihren Ursprung in zehn grundlegenden Prämissen (Fitzsimmons et al. 2006), von denen nun einige exemplarisch vorgestellt werden: • Güter sind Distributionsmechanismen für Dienstleistungsangebote. Der Wert sowohl haltbarer als auch verderblicher (Konsum)-Güter leitet sich aus deren Nutzen ab – die Dienstleistung, die bereitgestellt wird. Der Nutzen eines Autos ist beispielsweise nicht das Auto, sondern die Ermöglichung des Transports von einem Ort zum nächsten. • Der Konsument der Dienstleistung ist immer in den Prozess der Erstellung eingebunden. Er fungiert so als Miterbringer, im Englischen Co-Creator, der Dienstleistung. Diese Tatsache unterstreicht den Charakter jeglicher Wertschöpfung und wurde zuvor mit dem uno-actu-Prinzip erläutert. • Ein Unternehmen kann keinen Wert als solchen anbieten, jedoch einen Wertbeitrag leisten. Das Unternehmen kann also durch die Anwendung seiner Ressourcen gemeinsam und interaktionell mit dem Dienstleistungskonsumenten etwas schaffen, das einen Nutzen generiert. Jedoch ist ein Unternehmen nicht in der Lage einen solchen Nutzen allein zu stiften. Als Beispiel dient hier der vorhandene Sitz in einem Flugzeug, der erst dann von Wert ist, sobald ihn ein zahlender Kunde benutzt. • Die vorherrschende Sicht der SDL, nämlich die Fokussierung auf die Dienstleistung als zentrales Element des wirtschaftlichen Austauschs und der Wertschöpfung, ist von Natur aus kundenorientiert und relational, d. h. von den Beziehungen der am Erbringungsprozess Beteiligten abhängig. Dies folgt aus der Tatsache, dass der Kunde durch seine Nachfrage und in seiner Rolle als Miterbringer der Dienstleistung dieselbe in ihrer Ausprägung bestimmt und mitentwickelt. • Alle wirtschaftlichen und sozialen Akteure integrieren Ressourcen. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn die SDL als ganzheitliches Paradigma angesehen wird. So kann man die Vielzahl unterschiedlicher Dienstleister und deren Rolle im Wertschöpfungsprozess als Netzwerke sehen, die wiederum miteinander vernetzt sind. Dies spiegelt sich auch im Konzept des Dienstleistungssystems wider.

1.3  Service Dominant Logic

35

• Nutzen ist immer eindeutig durch den Nutznießer geprägt. Das bedeutet, dass der Nutzen somit spezifisch für den Nutznießer ist und auf dessen Erleben beruht. Der Nutzen ist vom Kontext abhängig und bestimmt sich durch die subjektive Wahrnehmung des Dienstleistungsnehmers. Zusammenfassend kann man festhalten, dass das Zusammenspiel von Unternehmen und Kunden innerhalb der Erbringung von Dienstleistungen eine wichtige Rolle spielt. Wie die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen einem Kunden und dem Anbieter bei der Erbringung bzw. Erstellung einer Dienstleistung genau aussehen, veranschaulicht Abb. 1.9. Auf der Seite des Anbieters existiert der Value-in-Exchange oder anders gesagt der Tauschwert. Es handelt sich um die Menge an Gütern oder Leistungen, die zwischen dem Anbieter und dem Kunden ausgetauscht werden. Der Tauschwert kann über den Preis eines Gutes beurteilt werden. Kauft man beispielsweise 1 Kilogramm Äpfel ist der Tauschwert der Preis pro Kilogramm. Das gleiche Prinzip gilt für jede Dienstleistung. Betrachtet man die SDL, so dienen Güter nur als Vehikel, um Dienstleistungen zu erbringen. Sie entstehen durch die Anwendung des Kunden und entfalten erst dadurch ihren vollen Wert. Die zuvor angesprochene Wertschöpfung findet vor diesem Hintergrund bei Dienstleistungen immer stärker auf der Seite des Kunden statt. In diesem Fall spricht man vom Co-Creation of Value. Der Kunde greift immer stärker in den Wertschöpfungsprozess und die Gestaltung von Produkten ein, wodurch er maßgeblich am Endergebnis beteiligt ist. Das Produkt wird wiederum vom Anbieter hergestellt. Diese aktive und gemeinsame Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen lässt sich sehr gut anhand von einigen Beispielen verdeutlichen. Ein Beispiel ist der Online Shop

Interakonssphäre Anbietersphäre

Kundensphäre

Idee Entwicklung

Konsum Design

Produk on

Generierung des Value-in-Exchange

Vertrieb

Verwendung/ Durchführung

Generierung des Value-in-Use (Value in Context)

Abb. 1.9   Dienstleistungssphären. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Bruhn und Hadwich 2017)

36

1 Grundlagen

mymuesli. Kunden können sich bei mymuesli ihr eigenes Müsli zusammenstellen. Bei der Zusammenstellung der Müsli-Bestandteile können sie zwischen einer Vielzahl an unterschiedlichen Zutaten auswählen. Ein ähnliches Prinzip wird über den Online Shop chocri verfolgt. Das Unternehmen bewirbt seinen Shop mit dem Slogan „Deine Schokolade – Unsere Mission“. Kunden können ihre eigene Schokolade durch die Auswahl und Kombination von unterschiedlichen Zutaten selbst kreieren. Zuletzt können Kunden über youtailor maßgeschneiderte Hemden erstellen und hierbei neben der Größe auch Stoffe selbst auswählen. Der Kunde wird mit Hilfe von genauen Anleitungen Schritt für Schritt durch den Erstellungsprozess geleitet. Auf der Seite des Kunden spricht man vom Value-in-Use oder anders gesagt vom Gebrauchswert. Dieser wird maßgeblich durch den Kunden bestimmt. Je höher der erlebte und wahrgenommene Gebrauchswert beim Kunden ist, desto zufriedener ist er mit der Leistung und dem Anbieter. Der Anbieter ist innerhalb der Erstellung derjenige, der eine Idee einbringt, die von der Entwicklung über das Design und die Produktion hin zum Vertrieb weiterführt. Es ist deutlich erkennbar, dass Zusammenarbeit durch unterschiedliche Beziehungen zwischen Objekten und Akteuren charakterisiert wird. Dabei sammeln beide Seiten Erfahrungen, die sowohl den Kunden als auch den Anbieter für alle künftigen Prozesse prägen und sein Handeln bestimmen. Hier wird oftmals von der sogenannten „Customer Experience“ gesprochen (dieser Aspekt wird in Kap. 9 näher erläutert), also der Schaffung einer positiven Erfahrung beim Kunden, um diesen emotional an das Produkt und den Anbieter zu binden (Bruhn und Hadwich 2017, 2018). Bei einem als hoch empfundenen Value-in-Use ist der Kunde zufriedener mit der Leistung. Ein zufriedener und somit loyaler Kunde kann wiederum aus Gesichtspunkten des Anbieters als ein Botschafter eingestuft werden, der sich gegenüber anderen potentiellen Kunden positiv über den Anbieter oder dessen Leistungen äußert. Die Autoren Vargo und Lusch (2016) gehen in Bezug auf den „Value-in-Use“ Begriff einen Schritt weiter und definieren diesen neu als „Value-in-Context“. Diesbezüglich gehen die Autoren davon aus, dass der Wert einer Leistung nicht nur auf die einzelnen Komponenten einer Leistung zurückzuführen ist, sondern sich auch in Abhängigkeit des jeweiligen Kontextes ergibt. Der „Value-in-Context“ bezieht sich auf die Integration von Ressourcen und die Nutzensituation. Die Autoren verdeutlichen den Unterschied zwischen „Value-in-Use“ und „Value-in-Context“ an einem Beispiel (Vargo und Lusch 2008, S. 414): Der Preis, den man für den Kauf eines Autos zahlt, ist der „Value-in-Exchange“. Der Nutzen, den der Käufer hat, der das Auto kauft, ist der „Value-in-Use“. Der eigentliche Nutzen ist jedoch an weitere Ressourcen und Kontextbesonderheiten gebunden, wie zum Beispiel Straßen, Benzin, den Fahrstil des Fahrers etc. Wird ein Auto für familiäre Aktivitäten, wie zum Beispiel ein Fußballspiel am Wochenende genutzt, entwickeln sich unterschiedliche Zustände des „Value-in-Use“, wenn man diesen mit den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder verbindet. Abschließend kann festgehalten werden, dass zur Erstellung einer Dienstleistung oftmals eine regelmäßige und teils intensive Interaktion zwischen dem Anbieter und dem Kunden notwendig ist. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Interaktionssphäre.

1.3  Service Dominant Logic

37

Dabei wird der Kunde immer stärker in die Prozesse des Anbieters einbezogen. Bei Sachleistungen findet eine Interaktion nur insofern statt, als dass der Kunde die bereits erstellte Leistung in einem Geschäft kauft. Handelt es sich um eine Dienstleistung, ist die Interaktion teilweise deutlich ausgeprägter, da der Kunde am Endergebnis der Leistungserstellung beteiligt ist. Er kann beispielsweise – bevor die Dienstleistung erstellt ist – seine Wünsche und Gedanken zur Gestaltung der Dienstleistung und zum Endergebnis äußern. Damit Dienstleistungen bereitgestellt werden können, muss der Anbieter jedoch einige Ressourcen einbringen, die von unterschiedlicher Art und in unterschiedlichem Ausmaß notwendig sind. Der Prozess der Erbringung spielt ebenfalls eine wichtige Rolle und hilft dabei, Dienstleistungen im Vergleich zu Gütern genauer zu beschreiben und zu verstehen. Zuletzt spielt das Ergebnis einer Dienstleistung eine wichtige Rolle. Denn bei der Erbringung einer Dienstleistung ist das Ergebnis, im Vergleich zu standardisierten Gütern, oft ungewiss. Bei einem standardisierten Gut, wie beispielsweise einem Toaster, weiß der Kunde, was er kauft und was er zu erwarten hat. Bei einer Dienstleistung, wie zum Beispiel einem Haarschnitt, ist das Ergebnis ungewiss. Beim genannten Friseurbesuch beschreibt der Kunde zwar zuvor seine Vorstellungen, es ist jedoch ungewiss, ob diese so umgesetzt werden, dass er zufrieden ist. Letztlich wird nachfolgend noch das Ergebnis von Dienstleistungen näher diskutiert, da Kunden dieses maßgeblich prägen können.

1.3.2 Dienstleistungsergebnisse Wie zuvor erwähnt, ist das Ergebnis einer Dienstleistungserbringung deutlich von dem einer Sachleistung zu unterscheiden. Das Ergebnis einer Sachleistung ist bekannt und erwartbar. Bei einer Dienstleistung ist das Ergebnis zu Beginn der Interaktion zwischen dem Unternehmen und dem Kunden unbekannt. Dadurch, dass in der Interaktion mit dem Kunden teils neuartige und innovative Leistungen entstehen, ist das Ergebnis erst nachträglich bekannt. Um die Zufriedenheit der Kunden zu gewährleisten und am Ende eine hochwertige Dienstleistung zu erbringen, spielt die Qualität der Dienstleistung eine wichtige Rolle. Entsprechend der ISO Norm 9000:2005 kann Qualität so beschrieben werden, dass diese sich aus eindeutig prüfbaren, einem Objekt innewohnenden Eigenschaften ableiten lässt. Die Definition ist jedoch sehr stark auf die Qualität von Sachleistungen ausgerichtet. Denkt man beispielsweise an den Kauf eines Smartphones, sind nach dieser Definition der ISO Norm der Leistungsumfang des Gerätes, wie beispielsweise die Größe des Speicherplatzes, die Akkulaufzeit oder ähnliche Dinge, zu verstehen. Die Qualität des Handys wird demnach nur anhand von Aspekten wie der Akkulaufzeit beurteilt. Die Farbe eines Handys wird hierbei nicht als ein Qualitätsmerkmal eingestuft. Die Definition ist jedoch auch auf Dienstleistungen übertragbar. Die Öffnungszeiten eines Restaurants und die die Preise für Gerichte lassen sich beide exakt angeben, da sowohl die Preise als auch die Öffnungszeiten nicht der Wahrnehmung einer einzelnen Person unterliegen.

38

1 Grundlagen

Der Charakter von Dienstleistungen an sich macht es schwierig, deren Qualität dieser zu beurteilen. Dies wird deutlich, wenn man sich die Eigenschaften von Dienstleistungen nochmal anschaut. Dienstleistungen lassen sich unter anderem durch die Eigenschaft der Immaterialität kennzeichnen. Diese Eigenschaft macht es schwierig, den Qualitätsbegriff für Dienstleistungen vollständig zu erfassen. Im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung spielt die Zufriedenheit von Kunden eine wichtige Rolle. Diese Zufriedenheit kann durch die Freundlichkeit eines Kundenberaters oder den Umgang mit Kundenbeschwerden beeinflusst werden. Dies wiederum beeinflusst die Qualität einer Dienstleistung. Derartige Aspekte sind besonders für Dienstleistungen von Bedeutung. Aus diesem Grund wurde von Bruhn (2008) eine erweiterte Qualitätsdefinition und zwar die der Dienstleistungsqualität definiert:  Dienstleistungsqualität ist die Fähigkeit eines Anbieters, die Beschaffenheit einer primär intangiblen und der Kundenbeteiligung bedürfenden Leistung gemäß den Kundenerwartungen auf einem bestimmten Anforderungsniveau zu erstellen. Sie bestimmt sich aus der Summe der Eigenschaften bzw. Merkmale der Dienstleistung, bestimmten Anforderungen gerecht zu werden. Die Definition verdeutlicht, dass die Erwartungen des Kunden ein wesentlicher Bestandteil bei der Erbringung von Dienstleistungen sind. Je besser die Erwartungen erfüllt werden, desto zufriedener ist der Kunde am Ende. Die Bedeutung und Relevanz der Dienstleistungsqualität wird in Kap. 9 genauer beschrieben.

1.4 Zusammenfassung Innerhalb dieses Kapitels wurde die Einordnung von Dienstleistungen vorgenommen. Dienstleistungen sind von Sachgütern abzugrenzen und weisen neben der Immaterialität unter anderem die Eigenschaft der eingeschränkten Lagerfähigkeit auf. Die SDL ist diesbezüglich ein Ordnungsrahmen, mit dem Dienstleistungen von anderen Leistungen abgegrenzt werden können. SDL verdeutlicht, dass dem Kunden im Prozess der Erstellung einer Dienstleistung eine wichtige Rolle zukommt. Durch die aktive Einbeziehung und Gestaltung von Leistungen gemeinsam mit dem Kunden können neuartige Ideen entstehen, mit denen ein Unternehmen sich besser im Markt etablieren kann. Der Kunde mit seinen Ideen und Vorstellungen ist somit für Unternehmen nicht nur ein Abnehmer von Gütern, sondern auch eine Art Ideen- und Innovationslieferant. Durch sein Mitwirken bei der Erstellung von Leistungen können innovative Produkte entwickelt werden und das Unternehmen kann sich höhere Umsätze sichern. Ein gutes Beispiel hierfür ist Tchibo. Tchibo ist in erster Linie für die Herstellung und den Vertrieb von Kaffee bekannt. Darüber hinaus entwickelt Tchibo gemeinsam mit seinen Kunden Produkte. Hierbei können Kunden Probleme beschreiben, die sie im Alltag haben. Zu ihrem Problem stellen sie gleichzeitig eine Problemlösung in Form eines Produktes vor.

Literatur

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Ein Beispiel hierfür wäre ein Halter, mit dem man gesammelte Plastikflaschen einfach transportieren kann, ohne dass man diverse Tüten oder Kisten benötigt. Die Idee und die Problemlösung werden über eine Plattform, die Tchibo anbietet, vorgestellt. Andere Nutzer können das vorgeschlagene Produkt bewerten. Die am besten bewerteten Ideen werden von Tchibo umgesetzt und im Handel zum Verkauf angeboten. Hierdurch wird deutlich, dass durch die Einbindung von Kunden und deren Ideen innovative Produkte und Dienstleistungen erstellt werden können, von denen beide Seiten am Ende profitieren. Damit ein Kunde zufrieden ist und seine Bedürfnisse befriedigt werden, wird dieser immer stärker in den Wertschöpfungsprozess eingebunden. Dies ist ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal, denn der Prozess der Dienstleistungserbringung ist, anders als bei Sachleistungen, mit einem offenen Endergebnis verbunden. Der Aspekt der Dienstleistungsinnovation wird in Kap. 5 genauer erläutert.

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2

Digitales und Services

2.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele In diesem Kapitel wird die Digitalisierung (Abschn. 2.2) und deren ökonomische Folgen (Abschn. 2.3) als wichtige Veränderungen für das Service Engineering eingeführt. Daraus ergeben sich für Unternehmen zentrale Veränderungen. Gleichzeit wird ein Wert für den Nutzer geschaffen, was sich dann in neuen Handlungsfeldern und Anforderungen für digitales Business widerspiegeln (Abschn. 2.5). Das House of Digital Business bietet dann den zentralen Rahmen für die Bespielung dieser neuen Handlungsfelder (Abschn. 2.5.4). Die Vernetzung und Digitalisierung - mit dem Kunden im Mittelpunkt – ändern dabei grundlegende Spielregeln. Alte Geschäftsmodelle, wie sie heute noch in vielen Bereichen zu finden sind, können mittlerweile längst überholt sein und neue digitale Marktakteure verändern traditionelle Industrien. Dies lässt sich vor allem durch die Eigenschaften digitaler Güter und Technologien sowie deren betriebswirtschaftliche Konsequenzen erklären. So wirken sich durch Digitalisierung die in Kap. 1 beschriebenen Phänomene Servitization und hybride Leistungsbündel auf das Aufkommen von Plattformen und Multi-Sided-Märkte aus. Diese Veränderungen eröffnen für Unternehmer neue Handlungsfelder sowohl auf der internen Prozessebene als auch auf der externen Interaktionsebene mit dem Nutzer, die häufig zu neuen Leistungsergebnissen in Form von smarten Produkten oder Services führen. Um diese Handlungsfelder erfolgreich bespielen zu können, müssen sich Unternehmen entlang aller Komponenten des Geschäfts anpassen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_2

43

44

2  Digitales und Services

Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele:

1. Sie können die begrifflichen und konzeptionellen Grundlagen von digitalen Gütern erläutern. 2. Sie können die wesentlichen Trends der Digitalisierung darstellen und anhand von Praxisbeispielen ihre Bedeutung für Dienstleistungen analysieren. 3. Sie können die wesentlichen Merkmale digitaler Dienstleistungen am Beispiel der Plattformökonomie ableiten. 4. Sie können darlegen, welche Rolle Netzwerkeffekte und Netzwerkmärkte für Dienstleistungen im Kontext der Digitalisierung spielen. 5. Sie können die Struktur und Merkmale von Multi-Sided-Märkten veranschaulichen und analysieren sowie anhand verschiedener Kriterien beurteilen. 6. Sie können das Konzept des Product-Service Systems (PSS) erläutern und dessen Vorteile aus Kunden- und Unternehmenssicht erläutern. 7. Sie können die unterschiedlichen Typen von Produkt-Service Systemen (PSS) nennen, erläutern und voneinander abgrenzen. 8. Sie können Cyber Physical Systems und das Internet der Dinge erklären und anhand konkreter Praxisbeispiele analytisch in deren Bestandteile unterteilen. 9. Sie können für ein ausgewähltes Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken der Digitalisierung seiner Leistungsergebnisse begründet beurteilen. 10. Sie können mögliche Anwendungspotenziale von Daten für Dienstleistungen beschreiben und bewerten.

2.2 Grundlagen 2.2.1 Digitalisierung und digitale Güter Die Digitalisierung der Gesellschaft verändert die Art und Weise, wie wir kommunizieren, konsumieren, arbeiten und leben. Der eigentliche Begriff der Digitalisierung hat hierbei jedoch mehrere Bedeutungen. Zum einen beschreibt die Digitalisierung die Verarbeitung und Speicherung von traditionell analogen Informationen durch IT. Hierbei dient die Digitalisierung insbesondere dazu, Prozesse zu (teil-) automatisieren und damit zu optimieren. Digitale Technologie dient in diesem Kontext als Zugangstechnologie, die es ermöglicht, bspw. Transaktionskosten zu senken und die Effizienz von Arbeitsprozessen zu steigern. Hierzu zählen etwa mittlerweile alltägliche Beispiele wie die E-Mail im Privathaushalt oder auch Unternehmenssoftware wie Office-Programme und Enterprise-Resource-Planning-Systeme. Die zweite Bedeutung des Begriffs der Digitalisierung, der insbesondere seit Beginn des 21. Jahrhunderts im Vordergrund steht, fokussiert sich auf die Autonomisierung, Flexibilisierung und Individualisierung durch

2.2 Grundlagen

45

disruptive Technologien wie etwa Mobile Computing, Sensorik etc., die es Unternehmen ermöglicht, innovative und smarte Wertversprechen sowie neue Geschäftsmodelle aufzubauen. Hier dient digitale Technologie als Kerntechnologie (Lerch et al. 2016).  Digitalisierung beschreibt die digitale Umwandlung bzw. Durchführung von Information und Kommunikation als Zugangstechnologie sowie die digital bedingte Veränderung von Geschäftsmodellen durch Automatisierung, Autonomisierung, Flexibilisierung und Individualisierung als Kerntechnologie (Aufbauend auf Lerch et al. 2016). Bei beiden Dimensionen der Definition von Digitalisierung stehen digitale Güter im Zentrum des ökonomischen Austausches. Die ausgetauschten Informationen in der heutigen Wissensgesellschaft werden aus ökonomischer Sicht als digitale Güter bezeichnet. Definiert sind sie wie folgt:  Digitale Güter liegen in immaterieller Form vor, das heißt sie werden vollständig als digitale Repräsentationen in Binärform gespeichert und können ohne Bindung an ein bestimmtes Trägermedium über ein Netzwerk - wie das Internet - entwickelt, vertrieben oder angewendet werden (Aufbauend auf Laudon et al. 2010; Clement und Schreiber 2013). Beispiele für digitale Güter umfassen Softwareprodukte wie Microsoft Office, aber auch Güter, die digitalisiert wurden oder digitale Duplikate von physischen Produkten darstellen. Zu letzterer Kategorie zählen beispielsweise Bücher, die nicht nur materiell, sondern auch digitalisiert als E-Book oder Hörbuch verfügbar sind. Zudem existieren digitale Services zur Verarbeitung von digitalen Informationen wie beispielsweise intelligente Assistenz Services wie Amazon Echo, das sprachgesteuerte intelligente Services für den Nutzer übernimmt. Bei all diesen Beispielen steht zusammenfassend die Übertragung von Daten und deren Eigentums- und Nutzungsrechten im Mittelpunkt (Peters 2010).

2.2.2 Besonderheiten digitaler Güter Mittlerweile verbreiten große Softwarehersteller wie SAP oder Microsoft den Großteil ihrer Softwareprodukte nur noch web-basiert über das Internet. Auch Branchen wie die Medienindustrie verschieben ihr Leistungsangebot zunehmend vom physischen Gut (bspw. CD) zum digitalen Gut (bspw. Streaming Service). Dies wird durch einen hohen Grad an Digitalisierung ermöglicht. Je nach Ausmaß der Digitalisierung werden digitale, semi-digitale, semi-physische und physische Güter unterschieden, wobei letztere drei Klassen als non-digitale Güter gesehen werden (Illik 2002). Diese Güterklassifizierung ist in Abb. 2.1 dargestellt.

46

2  Digitales und Services

Güter

Physische Güter

Semi-physische Güter

Semi-digitale Güter

Digitale Güter

Non-digitale Güter Digitalisierungsgrad

Abb. 2.1   Digitalisierungsgrad von Gütern. (Quelle: Aufbauend auf Illik 2002)

Eine Besonderheit bilden rein digitale Güter, d. h. Güter, die sich digital produzieren und über digitale Infrastruktur, wie etwa das Internet an Nutzer, vertreiben lassen. Wie bereits angedeutet, verändern solche digitalen Güter sowohl die Wertschöpfungslogik als auch die Wertschöpfungsstrukturen traditionell analoger (physischer) Industrien wie etwa der Medienindustrie, aber auch des klassischen Maschinen- oder Automobilbaus (bspw. Industrie 4.0). Diese gravierenden Veränderungen lassen sich insbesondere an den nachfolgend aufgelisteten, konstitutiven Eigenschaften digitaler Güter erklären. Wahrnehmungsunterschiede Digitale Güter können im Gegensatz zu physischen Gütern nur durch ein eingeschränktes Spektrum an Sinnen wahrgenommen und bewertet werden (Sehen und Hören) (Clement und Schreiber 2013). Diese Eigenschaften führen dazu, dass digitale Güter als eine Art Vertrauensgüter verstanden werden müssen, welche auch nach dem Kauf nicht sicher beurteilt werden können (Varian 1999). Zusätzlich zu den dadurch unvollständig wahrnehmbaren Informationen wie etwa Preis und Qualität eines Gutes, führt die fehlende physische Komponente zu einer erschwerten Vergleichbarkeit von Gütern, erhöht die Unsicherheit am Markt und entstehende Transaktionskosten (Schmidt 2007). Veränderbarkeit Digitale Güter lassen sich besonders leicht verändern sowie auf individuelle Bedürfnisse von Nutzern anpassen, weshalb es ermöglicht wird, auf einfachem Wege multiple und personalisierte Versionen eines digitalen Guts anzubieten (Clement und Schreiber 2013). Hierdurch entstehen auch sogenannte Verbundeffekte, welche die Kostenreduktion bei gleichzeitiger Produktion mehrerer Versionen beschreibt (Skiera et al. 2005). Durch diese Eigenschaft kann gezielter auf den individuellen Nutzen von Kunden eingegangen werden. Dies führt jedoch auch zu potenziell negativen Facetten wie etwa die einfache Kopierbarkeit, die besondere Schutzmechanismen erfordern (Clement und Schreiber 2013).

2.2 Grundlagen

47

Systemabhängigkeit Eine besonders wichtige Eigenschaft digitaler Güter stellt ihre Systemabhängigkeit und der damit verbundene Systemwettbewerb dar. Digitale Güter sind in der Regel in komplexe Leistungsbündel von komplementären und damit untereinander kompatiblen Gütern eingebettet. Dadurch wird das volle Maß an Nutzen für den Kunden erst durch die Gesamtheit des komplementären Bündels ausgeschöpft (Clement and Schreiber 2013). Der Nutzen von Herstellern wie Apple entsteht insbesondere durch das Zusammenspiel der einzelnen Angebote auf der mobilen Plattform, was besonders Netzwerkeffekte widerspiegelt (Buxmann et al. 2011). Nicht-Abnutzbarkeit Eine weitere Besonderheit digitaler Güter ist, dass sie ganz im Gegensatz zu physischen Gütern üblicherweise nicht von Abnutzung betroffen sind. Einen Wertverfall, der durch abnehmende Produktqualität über den Zeitverlauf der Nutzung bei physischen Produkten entsteht, gibt es daher in der Regel nicht (Urbach und Ahlemann 2017). Im Gegensatz zu physischen Produkten (bspw. Autos) entstehen somit weitestgehend keine Zweitmärkte (bspw. Gebrauchtwagen-Markt) für digitale Güter. Reproduzierbarkeit Einzigartig ist bei digitalen Gütern auch, dass diese sich einfach und vor allem ohne Qualitätseinbußen reproduzieren lassen (Buxmann et al. 2011). Dies kann für Anbieter von digitalen Gütern aber auch negative Konsequenzen haben, da der Aufwand des Kopierens und Vertreibens sehr gering ist und sich gleichzeitig die Unterbindung einer solch unbefugten Weitergabe als äußerst schwierig gestaltet (Clement and Schreiber 2013). Kostenstruktur Während die fixen Kosten, die etwa bei der Entwicklung digitaler Güter anfallen (bspw. Softwareentwicklung) häufig vergleichsweise hoch sind, stellen die variablen Kosten, welche durch die Reproduktion bzw. den Vertrieb dieser Güter über digitale Infrastrukturen entstehen, einen proportional äußerst geringen Anteil dar. In der extremsten Ausprägung tendieren die variablen Grenzkosten bei rein digitalen Gütern gegen Null (Clement und Schreiber 2013). Preisgestaltung Daraus resultierend werden bei digitalen Gütern auch die traditionell bekannten ökonomischen Gesetze und Strategien der Preisbildung aufgehoben. Eine kostenbasierte Preisstrategie würde beispielsweise aufgrund der minimalen variablen und Grenzkosten gegen Null gehen und zu einem komplett kostenlosen Angebot digitaler Güter führen. Dasselbe gilt für eine wettbewerbsorientierte Preisstrategie, die zu einem Preiskampf zwischen Wettbewerbern und somit wieder gegen eine kostenlose Bereitstellung digitaler

48

2  Digitales und Services

Güter führen würde. Diese Konsequenzen würden es für Unternehmen nahezu unmöglich machen, die hohen Fixkosten, die bei der Entwicklung digitaler Güter entstehen, zu decken. Jedoch erlaubt dies auch neue Gestaltungsformen, um Preise zu setzen und Erlöse zu generieren (Clement und Schreiber 2013). Beispiele sind etwa eine kostenfreie Nutzung digitaler Güter wie etwa die Suchmaschine Google oder soziale Medien wie Facebook und Instagram, die Erlöse über den Verkauf und die Platzierung von Werbung erzielen. Zudem bilden sich beispielsweise im Gaming- und App-Bereich immer öfter Freemium-Erlösmodelle, die die Grundversion eines digitalen Guts kostenlos zur Verfügung stellt und Erlöse durch das Angebot von Zusatz (sog. Premium)-Leistungen generiert. Diese Preisgestaltung wird auch immer häufiger in der (Unternehmens-) Software-Industrie angewandt (Gassmann et al. 2014). Positive Feedback-Effekte Sowohl die Kostenstrukturen als auch die neuen Gesetze der Preisgestaltung bei digitalen Gütern wirken sich gravierend auf die Wettbewerbslogik auf digitalen Märkten aus. Dominierenden Akteuren wie etwa Amazon, die einen Großteil der Marktanteile einnehmen, bietet sich bei zunehmen Absatzzahlen die Möglichkeit, die Stückkosten schneller zu senken als andere Wettbewerber. Diese dominanten Marktteilnehmer können somit sowohl höhere Gewinne erzielen als auch die Preise des angebotenen digitalen Guts senken. Ein solches Senken der Preise führt unter sonst gleichen Bedingungen dazu, dass sich die Marktanteile des Unternehmens weiter erhöhen. Dadurch entstehen sogenannte positive Feedback-Effekte, da das führende Unternehmen seine Preise noch weiter senken kann und dadurch nochmals an Marktanteilen gewinnt (Clement und Schreiber 2013). Diese positiven Feedback-Effekte führen dann häufig zu digitalen Monopolen, bei denen einzelne Unternehmen wie etwa Facebook, Apple oder Google eine nahezu alleinige Marktherrschaft ausüben können.

2.2.3 Technologische Trends der Digitalisierung Obwohl der Einfluss von IT seit Jahrzehnten stetig zunimmt, haben einige technologische Trends dazu geführt, dass die Digitalisierung zu gravierenden Veränderungen in der Geschäftswelt sowie im alltäglichen Leben führt. Röglinger und Urbach (2016) identifizieren sechs zentrale technologische Trends, die die Digitalisierung vorantreiben. Zum einem führen die individuelle Nutzung und Verfügbarkeit mobiler Smart Devices dazu, dass nahezu jeder mobile Endgeräte wie etwa Smartphones oder Smart Watches nutzt, um kontextsensitive und vor allem personalisierte Services zu nutzen (bspw. Fitnesstracker, Google Maps) (Lansiti und Lakhani 2014). Diese fungieren während ihrer Nutzung als Sensoren und generieren Unmengen an Daten, indem sie bspw. GPS-Ortung oder Ähnliches nutzen (Porter und Heppelmann 2014). Der zweite technologische Trend ist die zunehmende Nutzung von Social-Media-Plattformen wie Facebook, Twitter oder Skype sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Solche Plattformen ermöglichen eine schnelle, kostengünstige und asynchrone Kommunikation sowie die

2.2 Grundlagen

49

Zusammenarbeit über große Entfernungen hinweg (McAfee 2006). Als dritter technologischer Trend der Digitalisierung ist das Cloud Computing zu nennen. Diese innovative Entwicklung im Bereich der IT-Infrastruktur ermöglicht es, sowohl Speicherplatz und Rechenleistung als auch Entwicklungsumgebungen oder Endanwendungen schnell, kostengünstig und nutzungsabhängig zur Verfügung zu stellen (Krcmar et al. 2017). Die enorme Menge und Vielfalt strukturierter und unstrukturierter Daten, die durch die Nutzung von Smart Devices, Social-Media-Plattformen und Cloud Computing entstehen, können durch technologische Entwicklungen im Bereich der fortgeschrittenen Analytik schnell verarbeitet; gleichzeitig können entscheidungsrelevante Informationen generiert werden. Dieser Trend lässt sich unter dem Begriff „Big Data“ subsumieren (siehe auch Kap. 8) (Reichert 2014). Der fünfte Trend der Digitalisierung lässt sich vor allem im deutschsprachigen Raum auch zunehmend im industriellen Kontext (Industrie 4.0) finden. Die Vernetzung von physischen Objekten über digitale Infrastruktur im Internet der Dinge ermöglicht neue Interaktionen zwischen smarten Devices als auch Endnutzern und Unternehmen. Zuletzt ermöglicht diese Vernetzung auch die Entwicklung intelligenter Systeme, die vor allem in den Bereichen der Sensorik, der Robotik und des autonomen Fahrens neue Möglichkeiten für Unternehmen erschließen (Legner et al. 2017). Diese technologischen Trends der Digitalisierung führen nun dazu, dass sich neue Geschäftsmodelle und Märkte entwickeln, die traditionelle Industriegrenzen überschreiten und auch die Geschäftslogik etablierter Unternehmen infrage stellen. So kommt es immer häufiger dazu, dass sich Unternehmen wie BMW oder Audi mit Konkurrenten aus zuvor komplett unabhängigen Industrien konfrontiert sehen und nun etwa mit digitalen Unternehmen wie Google und Apple um die Vorherrschaft im Bereich des autonomen Fahrens ringen müssen.

2.2.4 Architektur digitaler Technologie Um zu verstehen, wie digitale Technologien zu solch gravierenden Veränderungen führen, ist es notwendig, neben den Eigenschaften digitaler Güter (Abschn. 2.2.2) auch die technologische Architektur digitaler Technologien zu verstehen. Darauf basierend lassen sich dann die Auswirkungen auf die Wertschöpfung, die Rolle des Kunden, die Organisationslogik und auf technische Architekturen von Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung verstehen. Architektur beschreibt in diesem Fall verschiedene Schichten eines Systems bei der Wertschöpfung, die durch standardisierte Schnittstellen lose miteinander verbunden sind. Bei digitaler Technologie ist vor allem besonders, dass Services nicht mehr notwendigerweise an ein bestimmtes physisches Device gebunden sind. So kann eine App oder Softwareanwendung beispielsweise in der Regel nicht nur auf einem Endgerät, sondern auch auf einer Vielzahl anderer Geräten genutzt werden. Zudem ist der Content, der bei der Nutzung von digitaler Technologie entsteht, nicht notwendigerweise vom dahinterliegenden Netzwerk abhängig. Benkler (2006) unterscheidet hierbei zwischen vier Schichten digitaler Technologie: Device, Netzwerk, Service und Content. Diese Architektur ist in Abb. 2.2 dargestellt.

50 Abb. 2.2   Architektur digitaler Technologien. (Quelle: Aufbauend auf Yoo et al. 2012)

2  Digitales und Services

SERVICE

CONTENT

DEVICE

NETWORK

Das Device beinhaltet ein physisches Endgerät (bspw. Smartphone), welches in der Regel über Sensorik verfügt und eine digitale Komponente in Form eines Betriebssystems (bspw. iOS) enthält. Dieses Betriebssystem ermöglicht die Anbindung und Kommunikation mit anderen Schichten digitaler Technologie. Die Netzwerkschicht beinhaltet zum einen physische IT Infrastruktur (bspw. Kabel oder Transmitter) sowie Netzwerkstandards (TCP/IP oder Peer-to-Peer-Protokolle). Auf der Service-Ebene werden dann tatsächliche Applikationen für den Endkunden angeboten. Dies kann bspw. das soziale Netzwerk Instagram sein. Die Content-Schicht digitaler Technologie beinhaltet zuletzt Daten wie etwa Texte, Bilder oder Videos, die im Falle von Instagram von Endkunden erstellt, gespeichert und geteilt werden. Aus dieser Architektur digitaler Technologien lassen sich einige gravierende Implikationen für Unternehmen als Bereitsteller digitaler Güter ableiten. Am Beispiel der Instagram-App zeigt sich etwa, dass dieser Service unabhängig vom tatsächlichen Device ist sowie für verschiedene Betriebssysteme angewendet werden kann. Die einzelnen Schichten digitaler Technologie werden an diesem Beispiel von unterschiedlichsten Unternehmen weitestgehend unabhängig voneinander bereitgestellt und sind nur durch gemeinsame Standards und Protokolle miteinander verbunden, ohne dass die anbietenden Unternehmen direkt miteinander kooperieren. Es zeigt sich hier, dass sowohl die Kontrolle über einzelne Schichten als auch das Wissen über einzelne Komponenten zwischen Unternehmen verteilt sind. Eine weitere Besonderheit ist die Generativität, die durch digitale Technologie ermöglicht wird. Beispielsweise können hierdurch Leistungsergebnisse entstehen, die so ursprünglich gar nicht vorgesehen waren. So bieten mittlerweile beispielsweise App-Anbieter medizinische EKG-Apps an, die über die Kamerafunktion von Smartphones Herzströme misst. Diese technischen

2.3  Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie

51

Möglichkeiten waren höchstwahrscheinlich bei der Entwicklung des Smartphones nicht intendiert, zeigen jedoch die generativen und oft nicht vorhersehbaren Möglichkeiten, die sich hierbei für die Wertschöpfung im Zeitalter der Digitalisierung ergeben.

2.3 Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie Die Eigenschaften digitaler Güter wie auch die dahinterliegenden Trends und die Architektur digitaler Technologie haben auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht starke Auswirkungen, die in diesem Kapitel weiter beleuchtet werden sollen. Das Internet hat die ökonomischen Regeln in vielen Märkten von Grund auf verändert und damit sowohl Chancen als auch Risiken geschaffen. Dies heißt, dass das Internet ein immer noch dynamischer Wachstumsmarkt ist, der einen Nährboden für innovative Geschäftsmodelle darstellt. Viele Unternehmen wie Amazon und Google haben bewiesen, dass internetzentrierte Unternehmen sehr erfolgreich sein können (McAfee und Brynjolfsson 2017). Daher bleibt die Einsicht, dass ein nachhaltiges Geschäftsmodell von fundierten ökonomischen Kenntnissen profitieren kann, weshalb sich im Folgenden mit den Grundlagen der Internetökonomie befasst wird. Grundsätzlich ist der Begriff „Internet“ in der Internetökonomie aber nur metaphorisch zu interpretieren und dient als Platzhalter für ein breites Spektrum an Informationstechnologien (Skiera et al. 2006). Diese Technologien helfen dabei, bestimmte Prozesse abzuwickeln. Sie betreffen zum Beispiel den Informationsaustausch und damit einhergehende Kommunikationsprozesse, die notwendig sind, um Transaktionen online abzuschließen. Der Transaktionsabschluss findet in der Internetökonomie über elektronische Märkte statt, beispielsweise eBay, sowie über weitere Plattformen und Netzwerke. Zentrales Ziel ist die Leistungserstellung und damit Generierung von ökonomischer Wertschöpfung. Im Folgenden wird die Internetökonomie zusammenfassend definiert.   Die Internetökonomie umfasst die ökonomische Nutzung des Internets, insbesondere Informations-, Kommunikations- und Transaktionsprozesse über elektronische Märkte, Plattformen und Netzwerke, um dadurch Wertschöpfung zu generieren (aufbauend auf Clement und Schreiber 2013). Modell der Internetökonomie Im Zentrum der Informationsökonomie steht die Netzwerkökonomie, welche die Nutzung von digitalen Netzwerken bei verschiedenen Anwendungs- und Nutzungsformen betont. Sie befasst sich zum einen mit transaktionsunabhängigen und zum anderen mit transaktionsabhängigen Anwendungsformen, die unter dem Begriff des E-Business zusammengefasst werden (Clement und Schreiber 2013). Die Netzwerkökonomie lässt sich wie folgt definieren:

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2  Digitales und Services

  Die Netzwerkökonomie umfasst den wirtschaftlich genutzten Bereich von Datennetzen, unter Bezugnahme auf verschiedene Anwendungsformen, welche zum Ziel haben, Informations- und Kommunikationsprozesse zu beeinflussen und im Rahmen des E-Business auch Transaktionen online abzuwickeln (Kollmann 2013). Wertschöpfungsnetzwerke Die Veränderungen durch die zunehmende Wichtigkeit der Internetökonomie betreffen nicht nur die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten oder das Aufkommen neuer Märkte, sondern auch die zugrunde liegenden Wertschöpfungsstrukturen (Zerdick et al. 2001). Diese neuen Strukturen einer vernetzten Welt lassen sich als komplexe Wertschöpfungsnetzwerke darstellen. Hierbei bilden sich häufig komplexe Netzwerke aus Anbietern, Kunden und Komplementären, die in der Regel um eine (technologische) Plattform entstehen (McAfee und Brynjolfsson 2017). Diese werden häufig auch als Service Systeme bezeichnet (vgl. Kap. 1 und Kap. 3). Solch ein Wertschöpfungsnetzwerk zeichnet sich zudem dadurch aus, dass Beschränkungen klassischer Wertschöpfungsketten sowie traditionelle Industriegrenzen wegfallen und damit eine größere Leistungsvielfalt und Flexibilität bei der Leistungserstellung von Unternehmen ermöglicht wird (Porter und Heppelman 2014). Hierzu gehört nicht nur die angedeutete Konvergenz verschiedener Sektoren, sondern auch die bereits erwähnte Einbeziehung des Nutzers in die Wertschöpfungsaktivitäten. Das Phänomen der Einbeziehung des Kunden wird auch unter dem Begriff Open Innovation im Sinne einer interaktiven Wertschöpfung diskutiert (Chesbrough 2006), womit Kunden in das Wertschöpfungsnetzwerk mit einbezogen werden, beispielsweise in der Ideengenerierung, der Entwicklung von Produkten oder im Übernehmen von Marketingaktivitäten durch virale Kommunikation.

2.3.1 Netzwerkeffekte Als Folge der beschriebenen ökonomischen Auswirkungen digitaler Güter in der Internetökonomie entstehen sogenannte Netzwerkeffekte. Diese lassen sich in externe, direkte und indirekte Effekte unterteilen und sind wie folgt definiert.   Externe Effekte äußern sich bei „unbeteiligten“ Wirtschaftssubjekten durch Kosten als negative externe Effekte oder durch einen Nutzen als positive externe Effekte, die durch die Produktion oder durch den Konsum von Gütern verursacht werden (Aufbauend auf Piekenbrock und Hennig 2013). Wenn ein Anbieter erst einmal einen dominierenden Marktanteil erreicht hat, sinken dessen Stückkosten bei steigendem Absatz schneller als die Stückkosten der Wettbewerber (Stelzer 2000). Als Konsequenz dieser Fixkostendegression hat der dominierende Marktteilnehmer

2.3  Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie

53

die Möglichkeit, entweder bei gleichbleibendem Preis seine Gewinne zu erhöhen oder die Preise zu senken. Bei letzterer Option wird sich dabei der Kreislauf schließen und der schon dominierende Marktteilnehmer wird seinen Marktanteil weiter ausbauen, was wiederum zu sinkenden Stückkosten führt (Shapiro und Varian 1999). Dieser Kreislauf positiver Feedback-Effekte (siehe auch Abschn. 2.2.2) führt dazu, dass dominierende Marktteilnehmer immer weiter in ihrer Marktstellung gestärkt werden, wohingegen unterlegene Marktteilnehmer immer mehr Anteile am Markt verlieren. Grundlage für viele Aktivitäten in der Internetökonomie ist das Vorliegen von Netzwerkeffekten. Diese werden im Folgenden definiert als ein Nutzen, welcher von der Anzahl der Nutzer in einem Netzwerk abhängt (Katz und Shapiro 1985). Wenn man diese Netzwerke und deren Effekte analysiert, können direkte und indirekte Netzwerkeffekte sowie Netzwerk-Externalitäten unterschieden werden. Direkte Netzwerkeffekte Direkte Netzwerkeffekte sind grundlegend auf Mitläufereffekte zurückzuführen und basieren auf technologischen Grundlagen im Netzwerk. Diese stellen sicher, dass eine Vergrößerung des Netzwerks durch einen neuen Nutzer für alle anderen Nutzer des Netzwerks einen gewissen Nutzen stiftet. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Wert einer mobilen Geräte-Plattform wie etwa Android als Netzwerkgut für einen Nutzer höher wird, da sich die gesamte Anzahl der Endgeräte mit diesem Betriebssystem im Netzwerk erhöht hat. Mit diesem Effekt hängt auch eine Standardisierung zusammen, auf die nachfolgend eingegangen wird. Wenn diese Nutzenzuwächse nicht oder nur teilweise durch eine ökonomische Gegenleistung abgegolten werden, spricht man von positiven Netzwerk-Externalitäten. Hier ist es auch möglich, dass durch die Vergrößerung eines Netzwerkes negative Externalitäten entstehen können, beispielsweise wenn ein Netzwerk wie etwa eine IT-Infrastruktur durch eine zu hohe Anzahl von Nutzern überlastet ist (Linde und Stock 2011). Indirekte Netzwerkeffekte Die indirekten Netzwerkeffekte entstehen hingegen nicht durch das Produkt als solches, sondern durch die darauf basierenden Anwendungen bzw. komplementären Güter und Services. Das heißt, die Verbreitung eines Betriebssystems führt zu einer höheren Anzahl an kompatiblen Anwendungssystemen. Dies erhöht auf indirektem Wege wiederum den Wert des Betriebssystems (Buxmann et al. 2011). Diese indirekten Netzwerkeffekte lassen sich überall in der Internetökonomie finden. Bezogen auf ein Unternehmen wie Amazon gehen die Effekte von der Entscheidung verschiedener Kunden des gleichen Anbieters aus. Diese Netzwerkeffekte lassen sich beispielsweise durch die Konsumenteninteraktion bei der Erstellung von Produktrezensionen oder durch Auswertung des Kaufverhaltens beobachten (Hasfeld 2005). Beide Aktivitäten erhöhen den Nutzen für Kunden von Amazon, da der Wert des Angebots durch viele positive Produktrezensionen oder passende Kaufempfehlungen wächst.

54

2  Digitales und Services

Beiden Effektformen liegt aber ein für die Internetökonomie üblicher Kreislauf positiver Netzwerkeffekte zugrunde. Diese sind in Abb. 2.3 zusammenfassend dargestellt. Hierdurch wird es ermöglicht, neben einem Basisnutzen, welchen ein Leistungsangebot für den Kunden erbringt, zusätzlich noch einen Netzwerknutzen zu erzielen. Das lässt sich etwa am Beispiel Amazon Alexa verdeutlichen. Während der smarte Assistent in seiner Grundfunktionalität einen Basisnutzen für den Kunden erbringt, entfaltet sich der vollständige Nutzen erst durch komplementäre Angebote von Drittanbietern (Apps). Mit zunehmender Anzahl an Nutzern der Services wird es für Drittanbieter auch zunehmend attraktiver, Apps für Alexa anzubieten, woraus wiederum der Wert des Netzwerks steigt. Dieser Effekt von Netzwerknutzen und Basisnutzen ist in Abb. 2.4 dargestellt.

Direkte Netzwerkeffekte Wert des Netzwerks steigt

Neue Nutzer kommen hinzu

Indirekte Netzwerkeffekte Wert des Netzwerks steigt

Anzahl komplementärer Produkte steigt

Neue Nutzer kommen hinzu

Abb. 2.3   Kreislauf positiver Netzwerkeffekte. (Quelle: Bansler und Havn 2004)

Kundennutzen

Netzwerknutzen Kernnutzen

Anzahl Kunden

Abb. 2.4   Der Zusammenhang von Netzwerkeffektnutzen und Basisnutzen. (Quelle: Buxmann et al. 2011)

2.3  Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie

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2.3.2 Lock-In-Effekte Wie in den vorherigen Abschnitten dargestellt, hängt der Wert eines Netzwerks stark von der Anzahl der Nutzer in einem Netzwerk ab. Dieser wird neben dem eigentlichen Kundennutzen deutlich davon beeinflusst, ob bestimmte Standards vorliegen, die ökonomische Akteure an das Wertschöpfungsnetzwerk binden. Diese Bindungen durch Standards werden Lock-In-Effekte genannt. Formen und Prozesse der Standardisierung Um es einer Vielzahl an Nutzern zu ermöglichen, an der Wortschöpfung zu partizipieren, sind Standardisierungsprozesse eine wichtige Grundlage, um wiederkehrende technische Probleme zu lösen; beispielsweise, wie verschiedene Systeme in einem Netzwerk zueinander kompatibel sind oder auch um eine schnelle und einfache Interoperabilität zwischen einer technischen Plattform und einer Endkunden-Applikation sicher zu stellen. Standards sind Konventionen darüber, wie sich wiederholt stellende technische Probleme zu regeln sind. Sie sollen im IuK-Bereich vor allem die Kompatibilität in der Zusammenarbeit von Systemkomponenten sicherstellen. Eine Norm stellt einen speziellen Standard dar, an dessen Entwicklung besondere Anforderungen hinsichtlich Konsenses und Autorisierung gestellt werden (Clement und Schreiber 2013). Die Verbreitung und Akzeptanz eines Standards durch möglichst viele Teilnehmer eines Markts ist von zentraler Bedeutung, da dies dazu führt, dass die Nutzer dieses Standards zunehmend an Macht im Markt gewinnen, während weniger dominante Standards häufig komplett aus dem Markt verdrängt werden. Standardisierung kann durch staatliche Eingriffe erfolgen, auf Basis einer freiwilligen Einigung oder aufgrund von Marktprozessen. Bezogen auf eine Standardisierung mittels Marktprozessen ist der sogenannte Standard-Krieg anzusprechen (siehe hierzu im Folgenden Stango 2004). Diese Standardisierungsprozesse verlaufen nicht kooperativ, sondern im Wettbewerb. Entstehen können solche Standard-Kriege, indem eine neue Technologie auf einen Markt kommt, welche völlig inkompatibel mit einer alten Technologie ist. Hierzu gehört der Wechsel von analogen zu digitalen Musiktechnologien. Die zweite Möglichkeit stellt das bewusste Design einer Inkompatibilität dar. Dieser Prozess lässt sich beispielsweise bei Spielekonsolen finden, welche absichtlich zueinander inkompatibel sind. Beispiel Standardisierung

Abseits populärer Technikbeispiele wie der Durchsetzung des Blu-Ray Formats gegen das konkurrierende HD-DVD Format oder dem langwierigen Prozess der Durchsetzung des Compact Disc Standards gegen ältere existierende Standards wie Langspielplatten und Audiokassetten und gegen aufkommende neue Standards wie die Digital Audio Cassette (Stango 2004), gibt es auch in der Internetökonomie Beispiele für die Setzung von Standards. eBay setzte beispielsweise Standards zum Bezahlen, indem es seinen eigenen Bezahldienst PayPal am Markt etablierte und mit vielen Erleichterungen einen Netzwerkwerknutzen schaffte.

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2  Digitales und Services

Konsequenzen von Standards Wenn sich Standards durchsetzen, sind die Nutzer eines Standards an diesen gebunden, da ein Wechsel mit signifikanten Kosten verbunden wäre, was unter dem Begriff des Lock-In beschrieben wird. Dieser Effekt liegt aber nicht nur bei der Durchsetzung von Standards vor, sondern immer, wenn Nutzer in irgendeiner Art an ein digitales Gut gebunden sind. Man spricht dabei von einer Art Systemintegration. Nutzer sind jedoch oftmals in der Lage, sich aus dieser Situation der Gebundenheit und des Lock-In zu lösen, indem sie beispielsweise von PCs mit Windows-Betriebssystem zu einem Apple mit Mac OS X wechseln. Gegen einen Wechsel sprechen aber Transaktionskosten, zu denen zum einen Kosten für die getätigten Investitionen in das alte Produkt gehören, die sogenannten versunkenen Kosten. Zum anderen kommen Kosten hinzu, die erst bei einem Wechsel zu einem neuen Produkt anfallen, beispielsweise die Überwindung alter Gewohnheiten, Lernaufwand, Kompatibilitätsprobleme und die eigentlichen Kosten, die für einen Wechsel anfallen. Diese können beispielsweise im Unternehmenskontext enorme Investments in die Anpassung des angebotenen Wertversprechens an den neuen technologischen Standard erzeugen (Clement und Schreiber 2013). Durch diese Wechselkosten entsteht der bereits oben beschriebene Lock-In-Effekt. Dieser impliziert dementsprechend auch, dass Nutzer sich aufgrund hoher Wechselkosten unter Umständen nicht für ein neues Produkt entscheiden, sondern sich weiterhin an das gewohnte System binden. Diese Entscheidung hängt dabei von der Höhe der Wechselkosten im Einzelfall ab. Das Ziel eines neuen Angebots für den Nutzer muss es daher sein, die Wechselkosten zu minimieren. Dieser Kreislauf ist Abb. 2.5 zusammenfassend dargestellt.

Zunehmende Integraon des Systems Steigende Kundenbindung

Erhöhung der Wechselkosten

Sinkende Wahrscheinlichkeit des Wechsels Abb. 2.5   Kreislauf von Lock-In Effekten. (Quelle: Stelzer 2000)

2.3  Betriebswirtschaftliche Folgen der Digitalisierung: Die Internetökonomie

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2.3.3 Skaleneffekte Eingangs wurde beschrieben, dass die Internetökonomie klassische ökonomische Annahmen umgestaltet. Wie bereits im vorigen Kapitel angedeutet, weist die Kostenstruktur digitaler Güter verhältnismäßig hohe Fixkosten auf, die durch die initiale Erstellung eines digitalen Guts entstehen, und vergleichsweise geringe variable bzw. Grenzkosten bei dessen Vervielfältigung. Bei zunehmendem Absatz kommt es somit zu einer ausgeprägten Kostendegression, die es einem Unternehmen ermöglicht, Skaleneffekten zu erzielen. Das bedeutet, dass ein höherer Absatz mit sinkenden Grenzkosten (bspw. für Reproduktion oder Vertrieb) einhergeht (Bakos und Brynjolfsson 2000). Diese Skaleneffekte führen in der Internetökonomie häufig dazu, dass in vielen Bereichen natürliche Monopole entstehen. Diese Marktform entsteht, wenn ein einzelnes Unternehmen durch Skaleneffekte effizienter in der Bedienung von Marktbedürfnissen ist als mehrere miteinander konkurrierende Unternehmen. Auf Dauer kann sich in einer solchen Situation oft nur ein Anbieter halten (Clement und Schreiber 2013). Beispiele stellen hier wieder dominante Akteure wie Amazon, Google oder Facebook dar. Ein klassisches Beispiel ist die Entwicklung einer Software, welche eine hohe Summe an Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen mit sich bringt. Die Vervielfältigung und der Vertrieb des fertigen, digitalen Guts als Datenträger oder Download führen im Ergebnis zu keinen oder nur sehr geringen Kosten. Ergebnis dieser Fixkostendegression pro erzeugter Einheit eines digitalen Guts sind Skaleneffekte (Stelzer 2000). Die Kostenfunktionen für physische und digitale Güter sind in Abb. 2.6 dargestellt.

Variable Kosten

Fixkosten Produktionsmenge

(Idealtypische) Kostenfunktion für digitale Güter

Produktionskosten

Produktionskosten

Lineare Kostenfunktion für physische Güter

Fixkosten («First Copy Costs») Produktionsmenge

Abb. 2.6   Kostenfunktionen von physischen und digitalen Gütern (Quelle: Eigene Darstellung)

58

2  Digitales und Services

Trotzdem gelten diese Regeln nicht für alle digitalen Güter. Ausnahmen stellen digitale Güter dar, weil die in Bezug auf die Entwicklung, Produktion oder den Absatz besonders hohe Anteile von personenbezogenen Services umfassen und/oder nicht in hoher Stückzahl produziert werden, wie beispielsweise Individualsoftware (Clement und Schreiber 2013).

2.4 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung 2.4.1 Product-Service Systeme als hybride Leistungsbündel 2.4.1.1 Product-Service Systems Neben der vollständigen Servitization (siehe hierzu auch Kap. 1) von Leistungsangeboten entstehen auch sogenannte Product-Service Systeme (PSS). Solche hybriden Produkte werden synonym auch als hybride Leistungsbündel bezeichnet (Leimeister und Glauner 2008). Diese beschreiben unterschiedliche Kombinationen von physischen Produkten und Services-Angeboten, die durch das Einbetten digitaler Technologien in Sachgüter ermöglichen, dem Nutzer hybride Leistungsbündel zur Verfügung zu stellen (Spohrer und Maglio 2010). Sie stellen soziotechnische Systeme dar, die sowohl aus einem Sachgut- als auch einem Dienstleistungsanteil bestehen und häufig durch viele verschiedene Akteure in komplexen Service Systemen erbracht werden. Diese Vielzahl an Akteuren in Service Systemen ist in Abb. 2.7 schematisch dargestellt.

Service Provider

So ware-Hersteller

Hardware-Hersteller

Plaorm Provider Abb. 2.7   Wertschöpfungsakteure in PSSs

2.4  Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung

59

Ein PSS ist ein individualisiertes Angebot für ein komplexes Kundenproblem, bei dem die Kombination von unterschiedlichen Sachleistungen und Services einen höheren Wert schafft als die einzelnen Leistungen an sich. PSS bestehen somit aus einer Kombination von unterschiedlichen Leistungen, die nach der Erstellung nicht mehr voneinander entkoppelt werden können. Entsprechend der Modularisierungslogik (Kap. 1) können die einzelnen Leistungen bei einem anderen Kunden jedoch entsprechend seiner Vorstellungen wieder neu und anders zusammengesetzt werden. PSS ermöglichen es dem Kunden einen höheren individuellen Nutzen zur Verfügung zu stellen. Daraus resultierend, können etwa auch von Unternehmen in traditionell physischen Industrien – wie etwa dem Maschinenbau – neue Marktpotenziale und höhere Gewinnmargen erzielt werden sowie effizientere Supply-Chains kreiert werden (Baines et al. 2007). Product-Service Systems ermöglichen es, innovative, funktions-, verfügbarkeits- und ergebnisorientierte Geschäftsmodelle zu entwickeln (Meier et al. 2010), die das Ziel verfolgen, Kundenbedürfnisse besser erfüllen zu können, um so einen erhöhten Kundenwert zu schaffen (Storbacka 2011). Besonders der Möglichkeit zur Innovation von Geschäftsmodellen kommt eine besondere Bedeutung zu. Durch die aktive Einbeziehung und Gestaltung von Leistungen gemeinsam mit dem Kunden können innovative Wertversprechen entstehen, mit denen ein Unternehmen sich besser im Markt etablieren und auch differenzieren kann. Denn durch innovative Leistungen kann ein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erlangen und sich somit von der Konkurrenz abheben. Nach Tukker (2004) können drei Arten von Product-Service Systems unterschieden werden. Diese können wiederum in mehrere, unterschiedliche Archetypen unterteilt werden. Je nach Art des Product-Service Systems ergibt sich die Intensität des Umfanges von Dienstleistungs- und Sachleistungskombinationen. Je höher beispielsweise ein Dienstleistungsanteil in einem Produkt ist, desto höher ist das Potenzial dieses Produktes gegenüber einer reinen Sachnutzung. Die erste Art fasst produktorientierte Product-Service Systems zusammen. Hierbei handelt es sich im Kern um den Verkauf von Sachgütern, wo eine extra Dienstleistung integriert wird. Dies wären beispielsweise Kleidungsstücke, die man vor dem Kauf anprobieren kann. Bei nutzenorientierten Product-Service Systems spielt das Sachgut zwar noch eine Rolle, allerdings wird dieses in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen zur Verfügung gestellt. Der Dienstleistungsanteil ist hier deutlich höher. Zu nennen ist ein Kopierer, der als Sachgut zwar gebraucht wird, deren eigentliche Leistung jedoch nach Betrieb (dem Kopieren) und Wartungsdienstleistungen abgerechnet wird. Zuletzt ist das ergebnisorientierte Product-Service System durch eine Einigung zwischen Kunde und Unternehmen geprägt, bei dem man sich gemeinsam auf eine Endleistung einigt. Hier ist das klassische Haareschneiden zu nennen. Die unterschiedlichen Arten und die daraus resultierenden Archetypen sind in Abb. 2.8 einsehbar. Dem produktorientierten Product-Service System sind zwei Archetypen zugeordnet. Der erste beschreibt produktbezogene Dienstleistungen. Sie treten gewissermaßen neben dem Verkauf von Produkten auf, damit deren Nutzung gewährleistet werden kann. Zu nennen ist hier beispielsweise die Rücknahme von Elektroartikeln, die nicht mehr nutzbar sind. Der zweite Archetyp ist die Beratungsleistung. Beratungsleistungen, die an Produkte gekoppelt sind, verfolgen den Sinn und Zweck, dass diese

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2  Digitales und Services

Bereitstellung von Betriebspersonal Eigentumsrecht Einführung des Services Bereitstellung des Servicepersonals Erlösmodell

Product-Service System Produktumfang (materiell)

Dienstleistungsumfang (immateriell)

Produktorientiert

Nutzenorientiert

Ergebnisorientiert

Kunde

Kunde

Anbieter

Kunde

Kunde

Anbieter

Kunde

Kunde/ Anbieter

Anbieter

Kunde

Anbieter

Anbieter

Kunde/ Anbieter

Anbieter

Anbieter

Basierend auf Anfrage

Basierend auf Verfügbarkeit

Basierend auf Ergebnis

Reiner Service Wert hauptsächlich in Dienstleitung

Produktionsverantwortung

Wert hauptsächlich im Produkt

Reines Produkt

Archetypen 1. produktbezogene Dienstleistungen

3. Leasingangebot

6. Aktivitätsmanagement/ Outsourcing

2. Beratungsdienstleistungen

4. Miet- und Sharingangebote

7. „Pay per service unit“

5. Produktpooling

8. funktionale Ergebnisse

Abb. 2.8   Arten von Product-Service Systems. (Quelle: In Anlehnung an Tukker 2004)

durch den Nutzer effektiver eingesetzt werden können. Für die nutzungsorientierten Product-Service Systems gibt es drei Archetypen. Der Dienstleistungsanteil ist hier im Vergleich zu produktorientierten Product-Service Systeme höher. Der erste Archetyp umfasst Produktleasing-Leistungen. Hierbei ist das Produkt weiterhin im Besitz des Anbieters, während der Kunde dieses gebraucht. Der Anbieter übernimmt bei einer Fehlfunktion oder dem Ausfall des Produktes die Reparatur oder ähnliches, was hier den Dienstleistungsanteil darstellt. Zu nennen ist hier das Leasing eines Autos. Der Kunde zahlt die Leasingraten an das Unternehmen, dafür dass er deren Fahrzeug gebraucht. Ähnlich verhält es sich beim zweiten Archetyp, dem Miet- und Sharing-­ Angebot. Auch hier ist der Anbieter der Eigentümer des Produktes und der Kunde überlässt diesem für die Nutzung einen vereinbarten Geldbetrag. Der Unterschied zum Produktleasing besteht darin, dass es sich um eine limitierte Nutzung handelt, die wiederum nicht nur auf einen Kunden eingeschränkt sein kann, da andere Kunden das Produkt zu einer anderen Zeit ebenfalls nutzen können. Hier kann die Autovermietung genannt werden. Ein Kunde mietet ein Auto für einen gewissen Zeitraum und gibt es danach wieder an den Vermieter ab. Sobald das Produkt von mehreren Käufern gleichzeitig genutzt wird, handelt es sich um den dritten Archetyp, dem Produktpooling. Ein Beispiel hierfür wären angebotene Uber-Fahrten, die für die gleiche (Teil-) Strecke mehrere Kunden befördern.

2.4  Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung

61

Ergebnisorientierte Product-Service Systems sind deutlich stärker von Dienstleistungen geprägt. Hier gibt es ebenfalls drei Archetypen. Der erste umfasst das Aktivitätsmanagement. Hierbei können Teile von Leistungen an Dritte gewissermaßen ausgelagert werden. Zu nennen ist hier beispielsweise die Reinigung von Büroräumen. Bei derartigen Leistungen ist der Dienstleistungsanteil deutlich stärker. Hier wird nicht wie bei den vorherigen beiden Archetypen ein Produkt zum Verkauf angeboten, sondern eine Dienstleistung. Die Dienstleistungen sind zumeist so stark mit dem Produkt verbunden, dass diese nicht mehr trennbar sind. Der zweite Archetyp ist die sogenannte „pay per service unit“. Hierbei kauft ein Kunde lediglich einen vordefinierten Leistungsumfang. Ein Beispiel hierfür ist die Service-Leistung eines Herstellers für Kopierer, der nicht nur das Gerät liefert, sondern auch sämtliches Zubehör wie beispielsweise das Papier, den Toner usw. Der dritte Archetyp bezieht sich auf funktionelle Ergebnisse. Dabei verpflichtet sich der Anbieter einer Leistung dazu, dem Kunden ein vordefiniertes Ergebnis zu liefern. Product-Service Systems verdeutlichen nochmal den Zusammenhang und die Bedeutung der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden. Für einen Kunden entsteht hierdurch der Vorteil, dass seine Wünsche und Bedürfnisse besser erfüllt werden können. Dies geht damit einher, dass er deutlich flexibler agieren kann. Denkt man an den Drucker, muss das Unternehmen als Kunde lediglich den Hersteller der Kopierer beauftragen. Das Unternehmen hat in dem Fall keine zusätzliche Arbeit mit der Beschaffung von Materialien wie Papier etc. da dies alles durch den Hersteller abgedeckt wird. Wie zuvor bereits angedeutet, ist der Aspekt der Qualität ebenfalls ein maßgeblicher Vorteil von Product-Service Systems. Da der Kunde in viele Prozesse früh einbezogen wird und diese aktiv mitgestaltet, hat dieser einen hohen Einfluss auf das Endergebnis und die damit verbundene Qualität. Für die Unternehmen bedeutet dies wiederum eine stärkere Übernahme von Verantwortung. Denn bei gewissen Leistungen müssen diese Produkte oder Dienstleistungen über einen gesamten Lebenszyklus bereitgestellt werden (Mont 2002). Im Falle der Übergabe an den Kunden, überträgt sich auch das Risiko, denn das Unternehmen hat in dem Fall keine direkte Kontrolle darüber, wie der Kunde das Produkt einsetzt und damit umgeht. Auch die Preissetzung gestaltet sich oftmals als schwierig, da Leistungen oftmals nicht direkt messbar sind, wodurch es schwieriger wird den entsprechenden Tauschwert festzulegen.

2.4.1.2 Smart Services Eine besondere Form von PSS, die durch eine steigende Einbindung von Daten in den Wertschöpfungsprozess erreicht wird, sind smarte PSS und daraus resultierende smarte Services. Die zunehmende Ausstattung der physischen Produkte in solchen PSS mit Sensorik ermöglicht es, dass PSS immer smarter werden und somit auch die Bereitstellung von smart Services ermöglichen (Kagermann et al. 2014). Der enorme Mehrwert von smarten Services entsteht vor allem aus Integration von verschiedensten Anbietern in smarten Service Systemen, die komplementäre Wertversprechen kombinieren. Die Vernetzung verschiedenster mit Sensorik ausgestatteter Produkte und verschiedener Akteure in einem Service System im Zusammenhang mit maschineller Intelligenz, die die

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2  Digitales und Services

dadurch entstehende Datenbasis auswertet, erlauben es, einen neuen Kundennutzen zu erzielen. Unternehmen sind somit in der Lage, durch smarte Services einen zusätzlichen oder gar völlig neuen Nutzen anzubieten. Hierzu zählen neben vorausschauender Überwachung oder intelligenter Wartung von Produktionsanlagen im industriellen Kontext auch smarte personalisierte Services (Quantified Self) im Sport oder Gesundheitsbereich (Bruhn 2016). Nach Allmendinger und Lombreglia (2005) zeichnen sich smarte Services durch einige Besonderheiten aus. Zum einen sind diese durch ihre kontextspezifische Erbringung extrem kunden- und nutzenzentriert. Solche Services werden vor allem durch die Nutzung großer Datenmengen, die durch Sensorik und Erhebung von Nutzungsdaten entstehen, smart und können bspw. personalisiert für den individuellen Nutzer angeboten werden. Darüber hinaus entstehen solche smarten Services durch die Kooperation von verschiedensten Akteuren und werden über digitale Plattformen zur Verfügung gestellt. Diese Veränderungen der Organisationslogiken werden im folgenden Kapitel dargestellt. Cyberphysische Product Service Systeme Ein besonderes Beispiel von PSS, das gerade im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff Industrie 4.0 zunehmend an Relevanz gewinnt, sind sogenannte cyberphysische Systeme. Dieser Begriff beinhaltet eine Kombination aus virtuellen (digitalen) und realen (physischen) Gütern zur Wertschöpfung (Kagermann et al. 2014). Die Vernetzung von Menschen, Maschinen und IT-Systemen ermöglicht es, somit nutzerorientierte hybride Leistungsbündel zu erstellen. Cyberphysische Systeme setzen sich aus Sensoren, Prozessoren, Kommunikatoren und Aktoren zusammen. Mittels Sensoren lassen sich somit Daten erfassen, Prozessoren werten diese aus und lösen bei Aktoren konkrete Handlungen aus. Die hierbei verwendeten Devices sind über Kommunikatoren miteinander vernetzt und ermöglichen die Interaktion untereinander. Die Architektur von cyberphysischen Systemen als hybride Leistungsbündel ermöglicht es, aktuell besonders Unternehmen im Bereich der Logistik und des Supply Chain Management bestimmte Beschaffungs- und Wartungsprozesse intelligent zu optimieren (bspw. Predictive Maintenance). Somit ermöglichen es solche smarten Produkte im Rahmen cyberphysischer Systeme, dem Nutzer auf verschiedenste Weise Wert zu bieten, indem Services zunehmend intelligent, personalisiert und dem Kontext angepasst bereitgestellt werden. Beispiel Siemens Mobility Services (Siemens 2018)

Siemens ist für seine breit aufgestellte Spartenstruktur bekannt. Unter anderem produziert das Unternehmen Züge für den Nah- und Fernverkehr. Neben dem klassischen Produktgeschäft hat Siemens sich in diesem Bereich mit Siemens Mobility Services auch zunehmend auf Cyber Physical Systems fokussiert. Beispielsweise

2.4  Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung

63

bietet Siemens Predictive Maintenance-Dienstleistungen, d. h. vorausschauende Wartung, zusätzlich zum physischen Produkt „Zug“, an. Hierbei sind die Züge mit einer Vielzahl interkonnektiver Sensoren ausgestattet, die Daten über den Materialverschleiß und das Fahrverhalten der Züge sammeln. Ziel ist es, die Verfügbarkeit der Züge auf 100 % zu erhöhen, Stillstandzeiten und Instandhaltungskosten signifikant zu reduzieren und weiterführend ein digitales cyberphysisches Ökosystem zu entwickeln, an welches weitere Applikationen angeknüpft werden können.

2.4.2 Neue Organisationslogik durch Digitalisierung 2.4.2.1 Plattformen Der Begriff Plattform, im weitestgehend technischen Verständnis, ist nicht neu, sondern findet besonders im industriellen Kontext seit Jahrzehnten Anwendung. So verwenden beispielsweise große Automobilhersteller technische Plattformen (bspw. Fahrwerk, Antriebsmodule), um ähnliche Fahrzeugmodelle unterschiedlicher Konzernmarken auf dieser Basis zu produzieren und somit Skaleneffekte zu erzielen (Winter 2017). Das gesamte Konstrukt der Plattform lässt sich wie folgt definieren:  Plattformen setzen sich aus einem technologischen Plattformkern sowie einer Peripherie aus externen Akteuren zusammen, die basierend auf dem Plattformkern ihr eigenes Leistungsangebot für den Endnutzer entwickeln bzw. vertreiben (aufbauend auf Tiwana 2013). Eine Typologie von Plattformen ist in Abb. 2.9 dargestellt. Alle Plattformen weisen zwei konstituierende Merkmale auf: Sie bestehen aus einem Plattformkern sowie einer Peripherie (Tiwana 2013). Der Plattformkern beschreibt eine technologische IT-Infrastruktur, die von einem dominanten Plattformanbieter bereitgestellt wird sowie Governance Strukturen (Funktionalitäten, Prozesse und Regeln), die die Interaktion mit bzw. auf der Plattform regeln. Der Plattformkern kann nun je

Abb. 2.9   Typologie von Plattformen. (Quelle: In Anlehnung an Evans und Gawer 2016)

Transakon

Integriert

Plaorm

Innovaon

Finanzierung

64

2  Digitales und Services

n­ achdem, ob es sich um eine Innovations-, integrierte, Transaktions- oder Innovationsplattform handelt, die nötige Infrastruktur für Transaktionen oder der technologische Kern, auf dessen Basis neue Innovationen entstehen, sein. Dieser Plattformkern wird dann externen Akteuren über Schnittstellen zugänglich gemacht. Auf Transaktionsplattformen handelt es sich hierbei häufig um eine einfache Registrierung mit Login, bei Innovationsplattformen über die bereits erwähnten APIs und SDKs. Durch diese externen Akteure, deren Ziel es ist, ihr eigenes Wertversprechen an Endkunden über die Plattform anzubieten bzw. zu entwickeln, entsteht um den Plattformkern die sogenannte Peripherie. Diese ist definiert als komplexes Wertschöpfungsnetzwerk – bestehend aus vielen, häufig auch heterogenen Drittanbietern. Dieses Wertschöpfungsnetzwerk wird in Anlehnung an die Biologie häufig auch als Ökosystem bezeichnet (Moore 1996). Durch diese Analogie wird auf die Dynamik, Komplexität und die sich ständig ändernden Grenzen des Wertschöpfungsnetzwerkes verwiesen. Abb. 2.10 verdeutlicht den generellen Aufbau von Plattformen. Plattformen gewinnen durch die Digitalisierung und die damit verbundene Servitization (Kap. 1) zunehmend an Bedeutung. In diesem Kontext werden Plattformen häufig auch als digitale Plattformen bezeichnet, die große Mengen an Daten über das Internet übertragen und monetisieren. Hierbei lassen sich vier generische Archetypen von Plattformen unterscheiden, die sich durch ihr primäres Ziel der Wertschöpfung unterscheiden: Transaktionsplattformen, Innovationsplattformen, integrierte Plattformen und Investment Plattformen (Evans und Gawer 2016). Transaktionsplattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschiedenste Individuen und Organisationen über die Plattformen miteinander in Verbindung bringen und diesen ermöglichen, ökonomische Transaktionen durchzuführen. Dazu zählen beispielsweise

Entwickler

Händler

Plaormkern

Dienstleister

Kunden Ökosystem (Peripherie) Abb. 2.10   Plattformkern und Peripherie. (Quelle: Aufbauend auf Tiwana 2013)

2.4  Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung

65

auch Freelancer Plattformen oder sogenannte Crowdwork Plattformen (Durward et al. 2016). Diese Art der Plattform reduziert somit Transaktionskosten, die bei der Anbahnung und Durchführung des Austauschs ohne diese Plattform entstehen würden (Rochet und Tirole 2003). Beispiele hierfür sind Uber, der Amazon Marktplatz oder eBay. Beispiel Amazon Transaktionsplattform

Amazon als elektronischer Marktplatz erzielt als Intermediär Gewinne, indem er allen Anbietern ermöglicht, auf ihrer eigenen Plattform Produkte anzubieten. Hierfür müssen die jeweiligen Anbieter eine Gebühr an Amazon entrichten, um von diesem Marktplatz zu profitieren. Amazon agiert dabei als angebotsseitiger elektronischer Markt. Durch die Plattform Amazon Marketplace ermöglicht Amazon ähnlich neutralen Marktplätzen das Angebot von vielen anderen Marktteilnehmern. Bei Innovationsplattformen hingegen steht der technische digitale Kern im Vordergrund, auf dessen Basis es einer großen Zahl an Innovatoren ermöglicht wird, komplementäre Güter anzubieten. Hier steht die technologische Innovation im Vordergrund, die nicht notwendigerweise vom Plattform-Anbieter ausgeht, sondern durch eine Vielzahl unabhängiger, unternehmensexterner Entwickler entsteht. Diesen wird es ermöglicht, über standardisierte Schnittstellen, sogenannte APIs (Application Programming Interfaces) oder SDKs (Software Development Kits) Zugriff auf die Plattform-Technologie zu erhalten und neue Produkte und Services zu entwickeln (Tiwana 2013). Werden zudem auf solchen Innovationsplattformen auch noch Transaktionen bspw. durch App Stores ermöglicht, spricht man von integrierten Plattformen. Beispiele hierfür sind etwa Apples iOS Plattform, die künstliche Intelligenz Plattform Amazon Alexa oder Microsoft Azure und SAP Hana (Evans und Gawer 2016). Beispiel Apples integrierte Plattform

Apple ermöglicht es als Plattformanbieter Drittanbietern, sogenannten App Entwicklern, ihre eigenen Applikationen für den Endnutzer zu entwickeln. Apple stellt damit den technologischen Kern sowie APIs und SDKs zur Verfügung, um ein Ökosystem aus App-Entwicklern aufzubauen. Zudem ermöglicht Apple auch den Vertrieb der Apps über einen App Store. Mit zunehmender Größe des Ökosystems steigt somit auch der Wert der Plattform selbst. Zuletzt ermöglichen digitale Plattformen auch die Abwicklung von Finanzierungen. Hierzu gehören etwa Crowdfunding-Plattformen, die es Projekten oder Start-Ups ermöglicht, durch einen offenen Aufruf an eine Vielzahl von Privatpersonen oder Kleininvestoren eine Finanzierung zu erhalten. Beispiel hierfür sind etwa Kickstarter oder durch das Aufkommen von Crypto-Währungen und der Blockchain auch Plattformen wie Coinbase, die die Finanzierung von Risikoprojekten ermöglichen.

66

2  Digitales und Services

2.4.2.2 Multi-Sided Märkte Merkmale von Multi-Sided Märkten Kennzeichnend für die Internetökonomie und Plattformen sind Multi-Sided Märkte, die einen vielfältigen Mehrwert aufweisen, die Wertschöpfungsprozesse stark beeinflussen und im Folgenden dargestellt werden. Während auf einseitigen Märkten die Nachfrage von der Höhe des Preises bestimmt wird, beeinflussen auf Multi-Sided Märkten sowohl die Preisstruktur als auch die Interaktion mehrerer Akteure den Markt. Diese Akteure sind häufig nicht direkt miteinander verbunden, sondern stehen durch andere Marktteilnehmer miteinander in Verbindung. Diese Form des Markes, die als peripheres Ökosystem um eine Plattform entsteht, wird durch einen Plattformanbieter koordiniert (Rochet und Tirole 2003). Dies zeigt sich wieder am Beispiel Apple. Obwohl die Anbieter komplementärer Apps nicht miteinander in Verbindung stehen, sind sie indirekt voneinander bzw. auch vom Anbieter komplementärer Güter und Nutzern abhängig. Nur wenn etwa Anbieter von Fitnesstrackern diese für die Plattform zur Verfügung stellen, können App-Entwickler Services, basierend auf den dabei generierten Daten, entwickeln. Auch werden nur dann ausreichend Nutzer die Apple-Plattform nutzen, wenn genügend Anbieter Apps auf dieser zur Verfügung stellen. Hier entfalten die bereits erwähnten indirekten Netzwerkeffekte ihre volle Wirkung. Abb. 2.11 verdeutlicht den schematischen Aufbau von Multi-Sided Märkten. Sharing of Value Proposion

Recommendaon

Owner

Seeker Access to Market

Access to Market

Offer

Request

Renng Fee

Service Fee

Renng Fee

Plaorm Abb. 2.11   Interaktionen auf Plattformen

2.4  Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wertschöpfung

67

Multi-Sided Märkte sind wie folgt definiert:  Multi-Sided Märkte bestehen aus mindestens zwei voneinander unabhängigen, komplementären Nutzergruppen, deren Erfolg wechselseitig voneinander abhängig ist und die über eine Plattform zusammengebracht werden (aufbauend auf Rochet und Tirole 2003). Multi-Sided Märkte entstehen um eine Vielzahl von Transaktionsplattformen wie etwa E-Commerce-Plattformen (bspw. eBay, Amazon), Makler-Plattformen (bspw. Immobilienscout), Werbe-Plattformen (bspw. Google) oder auch Zahlungs-Plattformen (bspw. PayPal). Ebenso lässt sich diese Marktform bei Innovationsplattformen, wie etwa Software-Plattformen (bspw. SAP Hana, Microsoft Azure) finden, die zusätzlich zum technologischen Kern auch noch einen Marktplatz (App Store) bereitstellen (Clement und Schreiber 2013). Struktur von Multi-Sided Märkten Bei Multi-Sided Märkten ist nicht nur die Preishöhe, sondern auch die Preisstruktur anderer Marktteilnehmer von Bedeutung. Der Plattformanbieter, der bei den Interaktionen als Intermediär fungiert, erzielt in der Regel Erlöse über Transaktionsgebühren und/oder Registrierungsgebühren (Clement und Schreiber 2013). Transaktionsgebühren ermöglichen es dem Plattformanbieter, die Interaktion zwischen einzelnen Marktteilnehmern zu kontrollieren, indem er diese durch die Höhe der Transaktionsgebühren koordiniert. Registrierungsgebühren werden unabhängig von einzelnen Transaktionen erhoben. Dieser Mechanismus ermöglicht es, den Zugang auf die Plattform für eine richtige Nutzergruppe zu limitieren. Für den Aufbau und erfolgreichen Betrieb einer Plattform ist es von zentraler Bedeutung, einen funktionierenden Multi-Sided Markt zu erschaffen, der für alle beteiligten Akteure nachhaltig Wert schafft. Hierzu muss besonders ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den beteiligten Marktseiten sichergestellt werden (Parker et al. 2016). Dies stellt Plattformanbieter häufig vor folgende Herausforderungen. Chicken-and-Egg-Problem Eine zentrale Herausforderung im Bereich jeder Plattform ist die im deutschen als „Henne-Ei-Problem“ bekannte Problematik. Wenn etwa die Angebotsseite nur eine geringe Anzahl Anbieter aufweist und somit die Menge an angebotenen Gütern verhältnismäßig gering ist, ist dieser Markt für die Nachfrageseite wenig attraktiv. Selbiges gilt natürlich auch, wenn es wenige potenzielle Kunden auf der Plattform gibt. In diesem Fall haben Anbieter nur wenig Anreize, ihre Güter auf der Plattform zu entwickeln und zu vertreiben. Wenn etwa wenige Nutzer die Apple-Plattform nutzen würden, wäre es für App-Anbieter kaum interessant, auf diesen Applikationen zu entwickeln und zu vertreiben. Andersherum wäre die Apple-Plattform auch für den Endnutzer uninteressant, wenn es nur eine sehr geringe Anzahl an Apps auf dieser gäbe. Plattformanbieter müssen daher einen gleichzeitigen Aufbau von Angebots- und Nachfrageseite sicherstellen.

68

2  Digitales und Services

Kritische-Masse-Problem Plattformen und Multi-Sided Märkte werden in der Regel sowohl für Angebots- als auch Nachfrageseite erst ab einer kritischen Größe interessant. Beim Markteintritt von neuen Anbietern stellt die bereits existierende Nutzerzahl eine zentrale Größe für die Attraktivität eines Marktes dar. Durch die bereits im vorherigen Kapitel beschriebenen Netzwerkeffekte lässt sich ableiten, dass je größer die Anzahl der Nutzer ist, desto attraktiver wird die Plattform auch für weitere Marktteilnehmer. Daher müssen Plattformanbieter sicherstellen, eine kritische Masse an Nutzern zu erreichen, um von Netzwerkeffekten zu profitieren.

2.5 Unternehmerische Handlungsfelder durch Digitalisierung Aus den vorigen Kapiteln lassen sich die drei Implikationen der Digitalisierung und Servitization, nämlich die Rolle des Kunden als Co-Creator, PSS als hybride Leistungsbündel und Plattformen als neue Organisationslogik, identifizieren. Daraus können entlang dreier Achsen Handlungsfelder für Unternehmen bei der Digitalisierung abgeleitet werden. Diese beeinflussen sich wechselseitig. Um diese Handlungsfelder erfolgreich bespielen zu können, müssen Unternehmen ihr gesamtes Geschäftsmodell im Rahmen von Business Engineering anpassen, um je nach Zielsetzung einzelne Bestandteile oder gar das gesamte Unternehmen an die neuen Anforderungen anzupassen. In Abb. 2.11 werden die Handlungsfelder der Digitalisierung dargestellt.

2.5.1 Interner Fokus: Digitale Prozesse Ein Handlungsfeld der Digitalisierung für Unternehmen ist der interne Fokus auf unternehmensinterne Backstage-Prozesse. Diese Ebene befasst sich mit der Automatisierung und Rationalisierung von Prozessen und ist der traditionelle Einsatzbereich von IT im Unternehmenskontext. Hierbei werden Routinetätigkeiten im kaufmännischen Bereich, wie etwa Buchhaltung, vollständig oder auch teilweise automatisiert. Die zunehmende Vernetzung von physischen Objekten, wie etwa Produktionsmaschinen, ermöglicht es, hier weiterhin auf innovative Weise enorme Effizienzvorteile zu erzielen und intelligente, teilautomatisierte Prozesse über Unternehmensgrenzen hinweg. Diese finden besonders im Supply Chain Management Anwendung und ermöglichen beispielsweise im Kontext von Predictive Maintenance, Störungen bei Maschinen bereits vor einem Vorfall vorherzusagen und somit intelligent Wartungen durchzuführen. Darüber hinaus ermöglichen Hersteller die automatische und vorausschauende Bestellung von Lagerbeständen.

2.5  Unternehmerische Handlungsfelder durch Digitalisierung

69

2.5.2 Externer Fokus: Digitaler User Das zweite Handlungsfeld der Digitalisierung fokussiert sich auf den Endnutzer und stellt diesen in den Mittelpunkt. Unternehmen müssen hier ihr Leistungsangebot nutzer-, nutzungs- und nutzenorientiert (U3- User-, Use-, Utility-Centricity) entwickeln. Die Bindung des Nutzers an das eigene Unternehmen gewinnt hierbei an zentraler Bedeutung, da Erlöse nur bei der tatsächlichen Nutzung eines Leistungsangebots entstehen. Hierfür brauchen Unternehmen neue nutzerzentrierte Vorgehensweisen und Methoden, um Services zu entwickeln. Dabei bietet die Digitalisierung enorme Potenziale, Services für den einzelnen User zu individualisieren. So nutzen etwa führende Werbeplattformen die Daten, die bei der Nutzung im Internet entstehen, um dem Endnutzer maßgeschneidert Werbung zur Verfügung zu stellen. Dies erhöht sowohl den Nutzen für den Kunden als auch die Effizienz des Vertriebs der Werbeschaltungen. Beispielsweise individualisieren Internetgiganten wie Google oder Amazon ihre Werbeangebote für den Nutzer. Ebenso können künstliche Intelligenzplattformen wie Amazon Alexa aus der direkten individuellen Interaktion mit dem Nutzer lernen, um Services-Angebote auf den Nutzer zuzuschneiden.

2.5.3 Leistungsergebnis: Smarte Produkte und Services Das dritte Handlungsfeld im Zeitalter der Digitalisierung umfasst insbesondere die Leistungssicht eines Unternehmens, die es ermöglich, basierend auf digitaler Technologie, smarte Produkte und Services zu entwickeln und dem Endnutzer neue Systemlösungen zu verkaufen. Dies bietet Unternehmen innovative Ansätze für neue Geschäftsmodelle. Insbesondere die in diesem Kapitel erläuterten cyberphysischen Systeme, die aus der Vernetzung von physischen Objekten durch digitale Technologien entstehen, können beispielsweise Leistungen, die früher als Produkt verkauft wurden nun vielmehr nutzungsbasiert als Service zur Verfügung stellen. Zudem ermöglichen es solche Systeme, dem Kunden durch Sensorik kontextsensitiv Nutzen zu bringen. So bietet etwa der Landmaschinenhersteller Claas, basierend auf einer leistungsfähigen IT und Sensorik-Architektur und einer Vielzahl von Daten, eine intelligente Steuerung von Dünge- und Ernteprozessen für Landwirte an.

2.5.4 Digitales Business-Engineering-Konzept: House of Digital Business Um sich auf den drei Achsen der Handlungsfelder im Zeitalter der Digitalisierung erfolgreich zu positionieren, müssen Unternehmen ihre Produkte und Services, Strategien, Prozesse, IT-Infrastruktur und Management gezielt an den neuen Bedürfnissen der Nutzer ausrichten, um nachhaltig Wert zu schöpfen. Als bewährter Ansatz hierzu hat sich im

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2  Digitales und Services

Digitales Business

Externer Fokus (Frontstage)

Digitaler Nutzer

«Smarte» Produkte & Services

Interner Fokus (Backstage)

Digitale Prozesse

Abb. 2.12   Handlungsfelder der Digitalisierung

Allgemeinen das Business-Engineering-Modell durchgesetzt (Österle 2013). Dieses wurde um einige Aspekte erweitert, um den Kontext der Digitalisierung gerecht zu werden. Das St. Galler House of Digital Business (nachfolgend vereinfachend House of Digital Business genannt) soll Unternehmen bei der Bewältigung dieser Aufgabe unterstützen, Das St. Galler House of Digital Business (Abb. 2.12) erweitert das traditionelle Business-Engineering-Modell um spezifische Aspekte, die der Digitalisierung gerecht werden. So enthält es zusätzlich die Säule des IT-Managements, das sich mit den Führungsaufgaben befasst (Österle 2013; Krcmar 2015). Hinzu kommt auch noch die Leistungssicht als weitere Säule, die sich auf die konkreten Produkte und Services eines Unternehmens fokussiert. Als übergreifenden Fokus stellt das Dach des Models die Nutzer-, Nutzungs- und Nutzenorientierung (U3- User-, Use-, Utility-Centricity) in den Vordergrund des BusinessEngineering-Ansatzes. Diese Zentrierung des Nutzers lässt sich vor allem durch die zunehmende Servitization erklären und soll die dominante Logik bei der Gestaltung aller Facetten von digitalem Business sein. Des Weiteren wird eine Lebenszyklus-Perspektive eingeführt. Die Digitalisierung bewirkt eine Beschleunigung in den Innovationszyklen und hat Einfluss auf alle Dimensionen des Modells. Daher sind Fragestellungen rund um eine konsequente und systematische Entwicklung und das Management von neuen Leistungsangeboten über den gesamten Lebenszyklus essenziell. Nutzer-, Nutzungs- und Nutzenorientierung Die Nutzer-, Nutzungs- und Nutzenorientierung stellt die handlungsleitende, dominante Denkweise des House of Digital Business dar, das in Abb. 2.13 dargestellt ist. Diese lässt sich besonders durch die Servitization sowie die Eigenschaften digitaler Güter erklären (Kap. 1). Unternehmen müssen daher gezielt die Bedürfnisse des Nutzers adressieren,

2.5  Unternehmerische Handlungsfelder durch Digitalisierung

U3 – User-, Use-, UtilityCentricity

71

Data

Business Strategy Managerial Functions

Organizational Structure & Business Processes

Products & Services

IT

Abb. 2.13   House of Digital Business

eine möglichst intensive Nutzung erreichen sowie einen klaren Mehrwert für den Nutzer bringen. Diese Facette zeigt sich bei allen Bestandteilen des House of Digital Business. So müssen etwa nicht nur das Leistungsergebnis, sondern auch die Prozesse der Nutzerinteraktion, der Strategie, der IT Infrastruktur oder die Denkweise des Managements im digitalen Zeitalter an den Leitsätzen der U3 orientiert sein. Leistungsergebnis: Digitale Produkte und Services Durch die Digitalisierung von physischen Produkten ermöglicht die starke Vernetzung einzelner Produktkomponenten und die Kombination durch komplementäre Services heute oft eine bessere Differenzierung vom Wettbewerb und eine höhere Kundenbindung besonders durch Flexibilisierung und Individualisierung. Apple hat zum Beispiel vorgemacht, wie hybride Leistungsbündel, bestehend aus IT-Hardware, Software und komplementären Angeboten, einen nachhaltigen Mehrwert für den Nutzer schaffen und diesen an das eigene Unternehmen binden (Bruhn und Hadwich 2017). Geschäftsstrategie Die Digitalisierung führt dazu, dass innovative Geschäftsmodelle die vorherrschende Logik der Strategie in ganzen Branchen verändert. Die Konsequenz sind diverse Initiativen, die zum Ziel haben, die Digitalisierung in verschiedenen Bereichen voranzutreiben und zu managen. Besonders hierbei ist, dass strategische Entscheidungen im Rahmen von komplexen Wertschöpfungsnetzwerken immer relevanter werden und häufig auch verlangen, dass Unternehmen beispielsweise mit Wettbewerbern kooperieren (Nalebuff und Brandenburger 2008).

72

2  Digitales und Services

Geschäftsprozesse und Aufbauorganisation Mit Blick auf den digitalen Nutzer gilt es, die existierenden Prozesse zu hinterfragen und neu zu gestalten. Besonders die Beobachtung, dass der digitale Nutzer als aktiver Teilnehmer in das Geschehen eingreifen möchte, anstatt nur passiver Konsument zu sein, ist hierbei von besonderer Bedeutung. Dies führt dazu, dass zum Beispiel Innovationsprozesse angepasst werden müssen, um den Nutzer explizit an verschiedenen Stellen einzubeziehen. Aber auch Arbeitsprozesse verändern sich mit zunehmender Digitalisierung. Sie werden häufig (teil-) automatisiert und laufen zunehmend auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Dies zeigt sich häufig auch in neuen digitalen Arbeitsformen wie etwa internem Crowdwork (Durward et al. 2016). Darüber hinaus hat die Digitalisierung auch einen Einfluss auf die Strukturen und Aufbauorganisationen in Unternehmen. So zeigt sich hier ein klarer Trend Richtung Agilität und Dezentralisierung. Informations- und Kommunikationstechnologie (IT) Die Digitalisierung zeigt sich insbesondere auch in Veränderungen der IT-Landschaft von Unternehmen. So werden mobile Endgeräte, die häufig private und geschäftliche Grenzen verschwimmen lassen, immer wichtiger. Diese Tendenz wird zum Beispiel unter dem Stichwort der Consumerization in der Literatur diskutiert (Weiß und Leimeister 2012). Darüber hinaus verändern auch technologische Neuerungen wie etwa Cloud Computing (zuvor beschrieben) die bestehende IT-Infrastruktur von Unternehmen. Solche Veränderungen in der IT-Infrastruktur werden in der Praxis durch den Ansatz der „bimodalen IT“ oder auch der „IT der zwei Geschwindigkeiten“ adressiert. Hierdurch werden zum einen eine sichere und stabile IT und zum anderen eine agile und innovationsgetriebene IT parallel betrieben (Urbach und Ahlemann 2016). Führungsaufgaben Die Digitalisierung wird bedeutenden Einfluss auf das Handeln und die Organisation von Unternehmen haben. Folglich wird dies auch Auswirkungen auf die klassischen Führungsaufgaben, wie das IT-Controlling, die IT-Governance oder das IT-Personal, haben. Eine zentrale Änderung der Rollen bei Führungsaufgaben spielt der Wandel des CIO, der zunehmend an Bedeutung gewinnt und vom Leiter der IT-Infrastruktur zum digitalen Strategietreiber in Unternehmen wird (Brenner und Witte 2007). Daten Darüber hinaus gewinnen auch Daten zunehmend an Bedeutung, was deren erfolgreiche Intergration in alle Bestandteile des House of Digital Business erfordert. In Zeiten der Digitalisierung und der mannigfaltigen Möglichkeiten, die sich durch den Einsatz von Big Data, Internet of Things und Cyber Physical Systems ergeben, durchziehen Daten jede Komponente des House of Digital Business. Hierbei ist darauf zu achten,

Literatur

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dass Daten und Analytics nicht nur unterstützende Funktionen (operand resourcesPerspektive), sondern gestaltende Funktionen (operant resources-Perspektive) im Sinne aktiver Initiierung von Veränderung und Wandel ausüben (Lusch 2015). Die in diesem Kapitel des Buches erläuterten Beispiele – siehe Siemens und Claas etc. – veranschaulichen die Anwendungspotenziale von Daten für Dienstleistungen in Zeiten der Digitalisierung.

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Service Engineering

3.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele Dieses Kapitel thematisiert die Notwendigkeit für die systematische Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen und Dienstleistungssystemen. Eine solche systematische Gestaltung und Entwicklung ist von sehr großer Bedeutung, zum einen aufgrund ihrer Komplexität, zum anderen, weil durch die Wettbewerbssituation, sich schnell ändernden Umweltbedingungen und Anforderungen sowie immer kürzeren Produktlebenszyklen ein enormer Innovationsdruck auf den Unternehmen lastet. Ein intelligentes und systematisches Management von Innovationen in Dienstleistungen kann für viele Unternehmen einen wettbewerbsentscheidenden Faktor darstellen. Jedoch ist die Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen für diese Unternehmen häufig auch eine herausfordernde Aufgabe. Dieser Herausforderung nimmt sich der Bereich des Service Engineerings an und versucht gezielt, das Management von Dienstleistungsentwicklungsprozessen sowie die systematische Entwicklung von Dienstleistungen auszugestalten und zu strukturieren. Dabei steht vor dem Hintergrund der immer wichtiger werdenden Plattformökonomie ebenfalls das systematische Engineering von Service Systemen im Fokus. Hierzu werden in diesem Kapitel die Grundlagen des Service Engineering sowie die Aufgaben und Herausforderungen erläutert. Zentral für das Service Engineering ist die Anwendung von Vorgehensmodellen. Die wichtigsten Vorgehensmodelle für das Service Engineering werden vorgestellt und verglichen. Abschließend wird ein Rahmenmodell für das Service Engineering sowie das Service Management entwickelt, welches in den folgenden Kapiteln weiter ausgeführt wird.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_3

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Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele:

1. Sie können die Notwendigkeit und den Nutzen des Service Engineerings für die Gestaltung von Dienstleistungen beschreiben und an Beispielen verdeutlichen. 2. Sie können die Gestaltungsdimensionen des Service Engineerings nennen und erläutern. 3. Sie können die Vorgehensmodelle im Service Engineering erklären, voneinander abgrenzen und für einen gegebenen Anwendungsfall auswählen und anwenden. 4. Sie können die Relevanz von Agilität für die Dienstleistungsentwicklung erläutern. 5. Sie können die Entwicklungsdauer einer Dienstleistung anhand vorliegender Daten und systematisch getroffener Annahmen abschätzen. 6. Sie können vorliegende Beispiele für die Entwicklung von Dienstleistungen auf die grundlegenden Vorgehensmodelle (linear, iterativ, Prototyping, agil) zurückführen und unterscheiden. 7. Sie können den Nutzen von Daten für die Entwicklung von Dienstleistungen anhand von Beispielen verdeutlichen.

Die digitale Transformation und sich schnell ändernde Umweltbedingungen stellen Organisationen vor große Herausforderungen. Die effiziente Reaktion auf komplexe und unvorhersehbare Änderungen der Umwelt kann zu einem wichtigen Faktor bei der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit werden (Ganguly et al. 2009). Durch das Eindringen neuer bzw. branchenfremder Unternehmen in etablierte Märkte (Edvardsson und Olsson 1996) und der damit verbundenen gesteigerten Transparenz der Märkte durch neue und innovative Technologien (Simmert et al. 2017), haben Kunden mehr Möglichkeiten denn je, das für sie passende Angebot zu wählen (Teece 2010). Infolge dieser Entwicklung und den immer homogener werdenden Produkten und Services kommt es zu einer Steigerung der Wettbewerbsintensität, bei der die Differenzierung von Wettbewerbern eine wichtige Rolle einnimmt (Schallmo 2013). Der Wettbewerb zieht sich durch alle Dienstleistungsbranchen und wird durch aktuelle, tiefgreifende Veränderungen der Unternehmensumwelt und immer neue technologische Entwicklungen sogar verschärft. Bestehende Dienstleistungskonzepte werden verändert, traditionelle Rollen und Strukturen werden aufgebrochen, sogar gänzlich neue Dienstleistungskonzepte und Service Systeme entstehen. Wie die vorangegangenen Ausführungen verdeutlicht haben, ist die Gestaltung neuer Dienstleistungsangebote wie auch die Anpassung bestehender Dienstleistungen an sich schnell ändernde Umweltbedingungen oder neue Technologien ein hochkomplexer Prozess, der die Berücksichtigung unterschiedlichster Akteure und Perspektiven notwendig macht. In diesem Zusammenhang sind viele Unternehmen noch nicht auf die schnelle und

3.2  Notwendigkeit eines systematischen Service Engineerings

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effiziente Entwicklung von Services eingestellt. Entsprechende Unternehmensstrukturen und -prozesse fehlen bzw. sind nicht ausreichend effizient abgebildet. Um Unternehmen für die strategische und operative Planung im Umgang mit Dienstleistungen das notwendige Wissen an die Hand zu geben und neben den Grundlagen des Service Engineerings auch konkrete Vorgehensmodelle im Rahmen eines systematischen Service Engineerings zu vermitteln, werden im ersten Abschnitt dieses Kapitels zunächst die Notwendigkeit und die Herausforderungen für eine systematische Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen thematisiert. Im zweiten Abschnitt erfolgt eine Einführung in den Bereich des Service Engineering. Hierzu werden verschiedene Aspekte und Begriffsverständnisse diskutiert und die Aufgabenstellung des Service Engineerings abgegrenzt. Der anschließende Abschnitt beschäftigt sich mit dem Lebenszyklus von Dienstleistungen im Kontext von ausgewählten Vorgehensmodellen im Service Engineering. Im letzten Abschnitt wird ein Rahmenmodell für das Service Engineering vorgestellt. Dies dient zur Einordnung verschiedener Tätigkeiten und gibt zugleich den Rahmen für die folgenden Kapitel vor.

3.2 Notwendigkeit eines systematischen Service Engineerings 3.2.1 Herausforderungen Obgleich die beschriebenen Entwicklungen viele Chancen bieten, ergeben sich auch Herausforderungen und Schwierigkeiten. Um am Markt einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil erzielen zu können, sind die Unternehmen gezwungen, regelmäßig neue Wege zu finden, durch Ihr Angebot einen Mehrwert für den Kunden erzeugen zu können. Viele Unternehmen sehen vor diesem Hintergrund in der stetigen Suche nach innovativen Dienstleistungsangeboten einen zentralen Erfolgsfaktor. Entsprechend gilt es, sich kontinuierlich an den Wünschen und Bedürfnissen der Kunden auszurichten, was zu einem hohen Innovationsdruck führt. Das Patentrecht bei Dienstleistungen bietet jedoch kaum Schutz vor Imitationen, sodass die große Gefahr von Nachahmungen verstärkt wird. Insofern ist die Fähigkeit, effizient und schnell neue Dienstleistungen entwickeln zu können, eine entscheidende Herausforderung sowie ein potenzieller Wettbewerbsvorteil für das Management von Unternehmen. Eine weitere Herausforderung im Unterschied zu Sachgütern ergibt sich aus der Immaterialität von Dienstleistungen. Eine unmittelbare Folge ist die stark eingeschränkte Patentierbarkeit von innovativen Dienstleistungen, denn bestehende Schutzrechte wie Patente oder Gebrauchsmuster lassen sich nur schwer auf Dienstleistungen anwenden. Daher besteht bei Dienstleistungen ständig die Gefahr von Imitationen durch Konkurrenten. Um diesem vorzubeugen, gibt es unterschiedliche Strategien. Eine Möglichkeit besteht darin, das Innovationsmanagement verstärkt auf ablauf- und prozessorientierte Innovationen auszurichten, da diese von Wettbewerbern nur erschwert eingesehen

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­ erden können. Eine zweite Strategie ist, auf eine verstärkte Kundenbindung zu setzen, w da diese wiederum eine Markteintrittsbarriere für Konkurrenten darstellt. Eine starke Kundenbindung korreliert mit wahrgenommener Dienstleistungsqualität. Wie im vorigen Punkt kann dies durch eine frühzeitige Einbindung der Kunden in den Erstellungsprozess gefördert werden. Durch die Gleichzeitigkeit von Erbringung und Konsum und der daraus resultierenden Nichtlagerfähigkeit klassischer Services sowie der einfachen Reproduzierbarkeit digitaler Güter ergeben sich zudem Herausforderungen für den Entwicklungsprozess, insbesondere in den Testphasen. Wesentliche Aufgabe der Testphasen ist es, zu überprüfen, wie sich das Entwickelte eignet, die mit der Innovation verfolgten Ziele zu erreichen. Dies lässt sich am einfachsten an einem Beispiel verdeutlichen. Eine Bank möchte ein neues Konzept für Anlageberatung und den Vertrieb von Finanzprodukten entwickeln. Während der Entwicklung stellt sich heraus, dass für das Kundenerlebnis mehrere Faktoren optimiert werden sollen. Einerseits soll das Ambiente in der Filiale, bestehend u. a. aus Einrichtung und Raumgestaltung, umgestaltet werden, um für ein gewisses Klientel attraktiver zu erscheinen. Andererseits sind die Kompetenz der Berater, das Eingehen auf diverse Kundenwünsche sowie der gesamte Beratungsprozess neu zu konzipieren. In den Frühphasen der Dienstleistungsentwicklung wurden hierzu verschiedene Ideen und Anforderungen erarbeitet sowie drei verschiedene Szenarien entwickelt. Um nun, entsprechend des klassischen Innovationsprozesses, die verschiedenen Szenarien zu testen, müssten zuerst drei verschiedene Filialen ausgestattet werden, um anschließend reale Kunden das neue Angebot ausprobieren zu lassen. Hier wird schnell deutlich, dass dies zum einen sehr aufwendig wäre; zum anderen ist es unmöglich, einzelne Situationen wiederholbar oder den Prozess modular zu gestalten, da sowohl das Ambiente als auch das Auftreten des individuellen Beraters Auswirkungen auf das Kundenerlebnis haben. Darüber hinaus sind quantitative Analysen so gut wie unmöglich. Neben diesen dienstleistungsspezifischen Herausforderungen gilt es für die Bank kontinuierlich regelmäßig neue und innovative Technologien im Dienstleistungsprozess zu berücksichtigen und so der Digitalisierung Rechnung zu tragen. Die dargelegten Herausforderungen des Service Engineerings orientieren sich an den in Kap. 1 vorgestellten Eigenschaften von Dienstleistungen.

3.2.2 Nutzenpotenziale Neben den im vorigen Abschnitt beschrieben Herausforderungen gilt es im Rahmen der Notwendigkeit eines systematischen Service Engineerings, insbesondere die Nutzenpotenziale zu betrachten. Um sich gegenüber den erläuterten Herausforderungen zu wappnen, brauchen Dienstleistungsanbieter ein strukturiertes und systematisches Innovations- und Entwicklungsmanagement, das auf die Eigenschaften von Dienstleistungen

3.2  Notwendigkeit eines systematischen Service Engineerings

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zugeschnitten ist. Hierzu gehören Methoden und Werkzeuge für eine systematische Planung und Erbringung von Dienstleistungen. Der Einsatz und die Umsetzung solcher Ansätze des Service Engineerings ermöglichen vielschichtige Potenziale (Klein 2007). Hierzu gehören eine Verbesserung der Erfolgsrate von Innovationen, ein gezielter Aufbzw. Ausbau von Geschäftsfeldern und die Verkürzung des Time-to-market (Zeithaml et al. 2009; Fähnrich und Meiren 2007). Weitere Potenziale werden in der R ­ eduzierung von Entwicklungskosten, einer Orientierung an Marktpreisen und damit einhergehend in Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen über den gesamten Entwicklungsprozess gesehen (Schreiner 2005). Zudem soll Service Engineering die Transparenz erhöhen, die Koordination der involvierten Personen erleichtern, und zudem eine Unterstützung des Entwicklungsprozesses durch den Einsatz leistungsfähiger IT-Systeme leisten (Klein 2007). Die Einführung des Service Engineerings in Unternehmen kann somit entscheidend dazu beitragen, dass diese sich dauerhaft von anderen Unternehmen abgrenzen und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil realisieren können. Durch den Einsatz von Service-Engineering-Methoden können enorme Potenziale gehoben werden. Diese können gegliedert werden in Kundenorientierung, Innovationskraft, Wirtschaftlichkeit und Qualität. Die Kundenorientierung spielt im Service Engineering eine besondere Rolle. Schon in der Phase der Ideenfindung ist es, wichtig, den Kunden zu integrieren. Dies erfolgt zum Beispiel durch Kundeninterviews, wodurch man genaue Informationen zu den Kundenbedürfnissen und -erwartungen erhält (Reckenfelderbäumer und Busse 2006). Zudem können durch die kontinuierliche Einbindung der Kunden in Innovationsprojekte Wettbewerbsvorteile realisiert werden, da neue innovative Dienstleistungen nicht mehr am Markt vorbei entwickelt werden und dieses die Akzeptanz der Dienstleistung am Markt erhöht. Gleichzeitig kann dies die „Time-to-Market“ reduzieren (Reckenfelderbäumer und Busse 2006) sowie die Erfolgswahrscheinlichkeit von Innovationsprojekten durch die Kundeneinbindung erhöhen und somit Kosten reduzieren. Die Innovationskraft steigt und somit auch die Realisierung und Anwendung von Innovationsstrategien. Das Wissensmanagement spielt im Service Engineering ebenfalls eine wichtige Rolle, denn Wissen dient als Produktionsfaktor, der essenziell zur Innovation neuer Services beiträgt (Kleinaltenkamp und Frauendorf 2006). Weiterhin können durch den gezielten Einsatz eines systematischen Service Engineerings hybride Leistungsbündel (Siehe Kap. 1 und Kap. 2) geschaffen werden, neue Geschäftsfelder aus- bzw. aufgebaut und durch eine gezielte Adressierung der Kundenwünsche höhere Gewinnmargen erreicht werden (Richter und Tschandl 2017; Schuh et al. 2016). Bezugnehmend auf die angeführten Aspekte und die in Kap. 2 eingeführten Handlungsfelder ist das historische Ziel des Service Engineerings die Realisierung von Rationalisierungseffekten im internen Fokus durch die gezielt ingenieursmäßige Konstruktion von Services. Demzufolge befasst sich das Service Engineering mit der Konstruktionslehre von Services unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus.

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3  Service Engineering

3.2.3 Lebenszyklus von Service Ein Lebenszyklus beschreibt im Allgemeinen die Zeitspanne von der Generierung bis zur Abschaffung eines Objektes, beispielsweise von Produkten oder Technologien. Lebenszyklusmodelle teilen dabei den Zeitraum eines Produktlebens in mehrere Phasen ein. Diese Modelle dienen der Orientierung und Erklärung betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge. Ebenso werden sie als Planungsgrundlage insbesondere im strategischen Management, z. B. zur Festlegung der Produktpolitik, herangezogen (Gronau et al. 2010). Im klassischen Produktlebenszyklusmodell wird die Zeitspanne zwischen Markteinführung und Degeneration dargestellt. Nicht berücksichtigt sind hierbei vorgelagerte Innovations- und Entwicklungsprozesse, mit denen noch kein Umsatz erzeugt wird, jedoch bereits Kosten entstehen. Der klassische Produktlebenszyklus umfasst dabei die Phasen Produkteinführung, Wachstum, Reife, Sättigung, Verfall und Absterbephase (Wöhe et al. 1993). Wie andere Produkte unterliegen auch Dienstleistungen einem Lebenszyklus. Dieser ist eng verknüpft mit den Phasen im Dienstleistungsentwicklungsprozess. Zur Veranschaulichung wird beispielhaft ein generisches Phasenmodell für das Service Engineering von Bullinger und Schreiner (2006) vorgestellt, dass die einzelnen Phasen des

Marktaustritt Implementierung

Markteinführung

Test

Start Ideen generieren

Pilot Test Anforderungen analysieren Ressourcen bereitstellen

Ideen bewerten

Detaillierte Spezifikation von Aktivitäten und Ressourcen

Analyse

Vorbereitung Konzeptionelle Entwicklung Abb. 3.1   Generisches Phasenmodell für das Service Engineering. (Quelle: Bullinger und Schreiner 2006)

3.3  Einführung in das Service Engineering

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Lebenszyklus von Dienstleistungen aufgreift (Abb. 3.1). Dieses gliedert sich in sechs Phasen, wobei die Möglichkeit eines Marktaustritts gegeben ist. In der Startphase werden verschiedene Dienstleistungsideen und -szenarien generiert und bewertet. In der sich anschließenden Analysephase werden Anforderungen erhoben, die für die spätere Realisierung der Dienstleistung zu beachten sind. Diese können sich sowohl von Kunden- als auch von Anbieterseite ergeben. Ein Rücksprung in die Startphase ist möglich, wenn keine geeigneten Ideen generiert wurden, andernfalls wird mit der detaillierten Dienstleistungskonzeption auf den verschiedenen Gestaltungsdimensionen (Potenzial, Prozess, Ergebnis, Markt) begonnen. In der Konzeptionsphase werden die Gestaltungsdimensionen zu einer Gesamtspezifikation zusammengefasst. Daran schließt sich die Vorbereitungsphase an, in der die Ressourcen, die für die Erbringung der Dienstleistung nötig sind, bereitgestellt werden. Nach einer Testphase wird das Dienstleistungskonzept letztendlich implementiert. Die Testphase dient vor allem dazu, eventuelle Schwachstellen aufzudecken und ggf. eine Überarbeitung der Dienstleistungskonzeption durchzuführen. Die einzelnen Phasen des Lebenszyklus werden nicht zwangsläufig in der dargestellten Reihenfolge durchlaufen (Bullinger und Schreiner 2006). Die Rücksprünge in den einzelnen Phasen bedeuten lediglich, dass im Verlauf eines Entwicklungsprojektes laufend Anpassungen erforderlich sind. Nach erfolgreicher Platzierung am Markt wird die Dienstleistung solange angeboten, bis sich abzeichnet, dass sie das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hat. Zusammenfassend gilt anzumerken, dass Dienstleistungsentwicklung als fortlaufende Aufgabe verstanden werden muss. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen folgende Punkte adressiert werden: Überflüssig gewordene Angebote müssen ersetzt, Wachstumspotenziale durch neue Dienstleistungen erschlossen werden, neue Ideen permanent generiert und in marktfähige Leistungsangebote umgesetzt werden (Bullinger und Schreiner 2006).

3.3 Einführung in das Service Engineering Die vorangegangenen Abschnitte haben gezeigt, dass der Bedarf nach einem systematischen Ansatz für die Entwicklung von Innovationen in Dienstleistungen sowie dem Management von Dienstleistungsentwicklungsprozessen besteht. Auf dieser Basis ist der Begriff Service Engineering entstanden. Unter dem Begriff Engineering wird im deutschen Sprachgebrauch im Allgemeinen ein ingenieursmäßiges Vorgehen verstanden. Dies beinhaltet das Anwenden von systematischen und methodischen Arbeitsweisen, die ein intuitives Vorgehen bei technischen Lösungen wesentlich ergänzen und die Entwicklung marktfähiger Produkte besser planbar und nachprüfbar machen (Booz, Allen und Hamilton 1982). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich der Dienstleistungsentwicklung ist im Vergleich hierzu relativ jung und begann erst in den 1980er Jahren (Scheuing und Johnson 1989; Shostack 1982). Der Begriff Service Engineering geht schließlich zurück auf Bullinger (1999) und ist folgendermaßen definiert:

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3  Service Engineering

 Service Engineering bezeichnet die systematische Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen unter Verwendung von geeigneten Vorgehensmodellen, Methoden und Werkzeugen. Die Anfänge der Forschung zur Dienstleistungsentwicklung finden sich in der Betriebswirtschaftslehre vor allem im Bereich des Dienstleistungsmarketings (z. B. Shostack 1982; Shostack 1984). Die Arbeiten betrachten hauptsächlich Fragen der Kundenzufriedenheit sowie der Dienstleistungsqualität, d. h. rücken die Betrachtung der Nachfrageseite in den Vordergrund. Dabei bleibt jedoch weitgehend unberücksichtigt, dass der wirtschaftliche Erfolg eines Leistungsangebots ebenso entscheidend von dessen Planung und Gestaltung abhängt (Haller 2005). Diesem Problem widmen sich verstärkt seit Anfang der 1990er Jahre verschiedene Forscher (z. B. Edvardsson und Olsson 1996; Ramaswamy 1996; Bullinger 1999). Viele Beiträge zum Service Engineering stammten zu Beginn aus dem Gebiet der Ingenieurswissenschaften (Bullinger und Spath 2002; Fähnrich und Meiren 2007), inzwischen gibt es jedoch auch zahlreiche Beiträge aus dem Gebiet der Wirtschaftsinformatik und des Information Systems Research (Rai und Sambamurthy 2006; Spohrer et al. 2007; Buhl et al. 2008). Dies ist darauf zurückzuführen, dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien den Dienstleistungssektor auf zweierlei Arten verändern: Einerseits ermöglicht IT bessere und strukturiertere Entwicklungsprozesse, andererseits entstehen durch diese Technologien neue Arten von Dienstleistungen, die vorher nicht möglich waren (Bullinger und Scheer 2006). Die Potenziale des intelligenten Einsatzes von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in der unternehmerischen Praxis sind unumstritten (Krcmar 2009). Hierzu gehören u. a. die Standardisierung und Unterstützung von Prozessen, Automatisierung und Integration (Davenport 1993). Der Einsatz dieser Technologien bietet daher auch enorme Potenziale für den Dienstleistungssektor. Einerseits ermöglicht IT neue Formen der Kooperation und Kommunikation in der Dienstleistungserbringung, andererseits ermöglicht IT Automatisierung, Standardisierung und neue Formen der Kundenintegration. Automatisierung durch IKT kann als Resultat einer verstärkten Industrialisierung des Dienstleistungssektors betrachtet werden (Fitzsimmons und Fitzsimmons 2011). Dies geht so weit, dass ganze Dienstleistungen nur durch den Einsatz von IT erbracht werden können (Spath et al. 2007). Aufgrund der oben benannten Besonderheiten werden unter dem Begriff New Service Development (NSD) diejenigen Ergebnisse zusammengefasst, die primär im angloamerikanischen Raum aus dem Forschungsumfeld des Dienstleistungsmarketings heraus erwachsen sind (Klein 2007). Aufgrund der oben geschilderten Besonderheiten lassen sich die Ansätze zur systematischen Produktentwicklung nicht eins zu eins übertragen, weshalb Ansätze wie das NSD entwickelt wurden (Riedl et al. 2011; Böhm et al. 2009). Der NSD-Ansatz erlaubt es, Dienstleistungen wie zum Beispiel Finanzdienstleistungen, Gesundheitsdienstleistungen, Telekommunikationsdienstleistungen oder Informationsdienstleistungen systematisch zu entwickeln.

3.3  Einführung in das Service Engineering

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Das NSD ist ein ganzheitlicher Ansatz, da er nahezu alle Lebensphasen einer Dienstleistung berücksichtigt. Das NSD geht von der Grundidee aus, dass Ideen für Dienstleistungsinnovationen aus mehreren Quellen stammen können. Nicht nur Kunden können Anregungen für Dienstleistungen formulieren, sondern auch Mitarbeiter, die im direkten Kundenkontakt stehen. Demgegenüber hat sich seit Beginn der 1990er Jahre hauptsächlich in Deutschland der Begriff des Service Engineerings etabliert. Der in der deutschen Wissenschaftsgemeinschaft vorherrschende Begriff des Service Engineerings ist ursprünglich motiviert durch den Transfer von Konzepten, Erkenntnissen und Methoden aus den Bereichen der Produktentwicklung und der Softwaretechnik auf den Bereich der Dienstleistungen (Bullinger und Scheer 2006). Seit den 2000er Jahren entstand zudem das Forschungsgebiet Service Science, Management und Engineering (SSME) (Maglio et al. 2006). Dieser Begriff wurde stark vom Unternehmen IBM geprägt und gefördert. Er versteht sich als interdisziplinärer Ansatz für die Gestaltung, Entwicklung, Einführung und den Betrieb von Dienstleistungssystemen. Während das klassische Service Engineering das Ziel hat, Services systematisch zu entwickeln und zu gestalten, rückt, bedingt durch die rasante Entwicklung der Plattformökonomie, auch das Service Systems Engineering in den Fokus von Wissenschaft und Praxis. So führt unter anderem die Entwicklung hin zu immer homogener werdenden Produkten (Teece 2010) zu begleitenden Services, die den Nutzen des Produktes unterstützen und vollends zur Geltung bringen können. Dies kann zu einem Wettbewerbsvorteil für die entsprechenden Unternehmen führen. Dabei ist weiterhin zu beachten, dass Kunden zukünftig nicht nur isolierte Dienstleistungen verlangen werden – vielmehr stehen Wertschöpfungsnetzwerke und -kooperationen, die komplexe Produkte und Services in Servicesystemen kombinieren, im Vordergrund (Haller 2017). Service Systeme lassen sich als komplexe soziotechnische Systeme zur interaktiven Wertschöpfung beschreiben (Siehe Kap. 2). Das systematische Engineering solcher Service Systeme zielt, analog zur Definition des Service Engineerings, auf die Entwicklung und Gestaltung von Service Systemen ab. Hierbei werden häufig entsprechende Vorgehensmodelle, Methoden und Werkzeuge des Service Engineerings auf das Service Systems Engineering übertragen (Böhmann et al. 2014). Um ein erfolgreiches Service Engineering zu gewährleisten, gilt es, die gesamte Organisation in die systematische Entwicklung und Gestaltung von Services einzubinden. Wie bereits im Rahmen der Lifecycle-Betrachtung angeklungen ist, gilt es dabei, alle Aktivitäten von der Ideenfindung über den möglichen Markteintritt (Haller 2017) als auch den Marktaustritt zu berücksichtigen und bereits in der Konzeptionsphase mit zu bedenken. Einen höchst relevanten Aspekt stellt dabei der Einbezug der Kunden in den Service-Engineering-Prozess dar (Haller 2017). So gilt es, die Interaktion zwischen allen Stakeholdern im Service System zu verstetigen und das Service Engineering auf den Kunden auszurichten.

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3  Service Engineering

3.3.1 Gestaltungsdimensionen des Service Engineerings Basierend auf den in Kap. 1 vorgestellten Dienstleistungsdefinitionen können bestimmte Aufgabenbereiche in der Dienstleistungsentwicklung identifiziert werden. Hieraus lassen sich mit der Potenzialdimension, der Prozessdimension, der Ergebnisdimension und der Marktdimension vier Gestaltungsdimensionen ableiten (vgl. Abb. 3.2), die jeweils eine andere Sicht auf die zu entwickelnde Dienstleistung liefern und Herausforderungen mit sich bringen. Potenzialdimension Die erste Gestaltungsdimension ist die Potenzialdimension.   Bei einer Potenzialdimension wird die Dienstleistung als menschliche oder maschinelle Leistungsfähigkeit interpretiert, mit der dann am Nachfrager oder an dessen Verfügungsobjekt eine gewollte Änderung bewirkt oder ein Zustand erhalten werden soll (Corsten und Gössinger 2007). Bei der Erstellung einer Dienstleistung werden verschiedene Elemente als Input eingebracht und miteinander kombiniert. Zu diesen Potenzialen gehören Humanressourcen, Maschinen, Informations- und Kommunikationssysteme sowie Informationsbestände (Bullinger und Scheer 2006). Diese können sowohl dem Dienstleistungsanbieter als auch dem Dienstleistungsnachfrager zugeordnet werden. Aus der begrenzten Lagerfähigkeit

Prozess Potenzial Anbieter

Ergebnis Dienstleistung

Kunde

Markt

Abb. 3.2   Die 4 Gestaltungsdimensionen im Service Engineering. (Quelle: Bullinger und Schreiner 2006)

3.3  Einführung in das Service Engineering

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von Dienstleistungen sowie einer unstetigen Nachfrage nach Dienstleistungen ergeben sich besondere Anforderungen an die Gestaltung der Potenzialdimension respektive Bereitstellung der Ressourcen. Orientiert sich die Ressourcen- und Kapazitätsplanung an einer möglichen Spitzenbelastung, werden Kosten durch Bereitstellung von Überkapazitäten verursacht. Plant man jedoch zu knapp, können Umsatzeinbußen sowie Unzufriedenheit bei den Kunden die Folge sein. Dies wird am Beispiel Gastronomie schnell deutlich. Sind viele Kellner und Köche vor Ort, herrscht jedoch nur wenig Betrieb, müssen diese trotzdem bezahlt werden, auch wenn sie nichts zu tun haben. Ist umgekehrt die Gaststube voll und sind zu wenig Service-Kräfte vor Ort, beschweren sich womöglich die Gäste aufgrund langer Wartezeiten und verlassen im schlimmsten Fall sogar das Restaurant. Ein zusätzliches Risiko besteht in der Potenzialqualität, die direkten Einfluss auf die wahrgenommene Dienstleistungsqualität hat. Dem Beispiel folgend hat die Qualifikation eines Kellners, z. B. Kenntnis der Speisekarte oder Freundlichkeit, besonderen Einfluss auf den Wohlfühlfaktor der Gäste. Die Gestaltung der Potenzialdimension muss daher darauf abzielen, die internen Ressourcen auf eine anforderungsgerechte Dienstleistungserbringung vorzubereiten (Bullinger und Schreiner 2006). Die Ressourcenplanung wird zusätzlich erschwert durch Informationsasymmetrien. Einerseits fehlt es dem Kunden an genauen Informationen über die Fähigkeiten und Qualifikationen des Dienstleistungsanbieters – andererseits hat der Anbieter einer Dienstleistung nur wenig Informationen über den tatsächlichen Leistungswillen und die Leistungsfähigkeit des Kunden. Dies stellt ein zusätzliches Risiko dar, insbesondere, wenn das Ergebnis der Dienstleistung stark von der Mitwirkung des Kunden abhängt. Prozessdimension Die zweite Gestaltungsdimension bezieht sich auf den Erstellungsprozess einer Dienstleistung.   Bei der Prozessdimension geht es um den Prozess der Erstellung der Dienstleistung. Dieser ist in der Regel von der Simultanität von Produkten und Absatz geprägt (Corsten und Gössinger 2007). Herausforderungen ergeben sich hier durch die Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess. Obwohl Interaktionen zwischen Anbieter und Nachfrager sowohl auf der Potenzial-, der Prozess- als auch auf der Ergebnisebene stattfinden, sind sie auf der Prozessebene von besonderer Bedeutung (Bullinger und Schreiner 2006). Hierfür ist es unabdingbar, dass der Kunde bereit ist, physisch, intellektuell oder emotional an der Dienstleistungserstellung mitzuwirken. Dabei ergeben sich ähnliche Herausforderungen wie in der Potenzialdimension. Zudem gibt es Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der Bereitschaft des Kunden, an der Erstellung mitzuwirken, als auch bezüglich seiner Fähigkeiten. Besonders kompliziert wird dies, wenn Dienstleistungsprozesse sehr individuell sind und durch viele Kundenkontaktpunkte gekennzeichnet sind (Reichwald und Piller 2009). Die Auslagerung von Aktivitäten auf den Kunden, oftmals auch als

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3  Service Engineering

Kundenintegration bezeichnet, kann jedoch zu Kosteneinsparungen beim Anbieter führen. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Möbelhaus IKEA. Dort holt der Kunde die Ware selbst aus dem Regal, scannt sie an der Kasse ein, transportiert sie im eigenen Auto nach Hause und baut die Möbel letztendlich noch zusammen. Der Kunde fungiert dabei für IKEA als „unbezahlter Mitarbeiter“ (Haller 2005). Der Vorteil dieser Auslagerung von Aktivitäten liegt in einer Vergrößerung der Leistungsmengen bzw. in der Möglichkeit, Preise zu senken. Jedoch beinhaltet sie auch Risiken hinsichtlich der vom Kunden wahrgenommenen Qualität der Dienstleistung. Ergebnisdimension Die dritte Gestaltungsdimension bezieht sich auf das Ergebnis einer Dienstleistung.   Das Ergebnis einer Dienstleistung ist entweder eine Änderung eines Zustands beim Kunden direkt oder bei einem von ihm zur Verfügung gestellten Objekt (Bullinger und Schreiner 2006). Beim Ergebnis einer Dienstleistung kann zwischen zwei verschiedenen Formen des Ergebnisses unterschieden werden: dem „prozessualen Endergebnis“ und der eigentlichen Wirkung der Dienstleistung, dem „Impact“ (Donabedian 1980). Das prozessuale Endergebnis fällt in der Regel zeitlich mit dem Abschluss der Dienstleistungserbringung zusammen. Der Impact hingegen ist die mittel- bis langfristige Wirkung der Dienstleistung, auf die der Dienstleister keinen unmittelbaren Einfluss hat. Folglich müssen beide Ergebnisdimensionen berücksichtigt werden. Dies stellt den Anbieter allerdings vor Herausforderungen, da bei vielen Dienstleistungen die Kunden einen erheblichen Einfluss auf die Qualität des Dienstleistungsergebnisses und damit auf den generierten Nutzen haben. Dies lässt sich am Beispiel beruflicher Weiterbildung zeigen. Das prozessuale Endergebnis stellt hierbei die durchlaufene Schulung und die Zufriedenheit des Kunden mit dem Kurs dar. Der Kunde bewertet also im ersten Schritt die Qualität der ihm zur Verfügung gestellten Lernumgebung. Die eigentliche Wirkung, der Impact der Weiterbildung, äußert sich hingegen im erzielten Lernerfolg sowie gegebenenfalls darin, wie der Kunde das Erlernte später im Beruf umsetzen kann. Darauf hat der Anbieter allerdings keinen direkten Einfluss. Insofern steht der Anbieter vor der Herausforderung, seine Kunden so anzuleiten, dass sie sich derart in die Dienstleistung einbringen, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Im Falle der Weiterbildung bedeutet dies, den Kunden zum selbstständigen Lernen und Anwenden des Wissens anzuregen. Ein weiterer Aspekt für die Gestaltung des Dienstleistungsergebnisses stellt die Standardisierung dar. Diese hat zum Ziel, einerseits das Ergebnis wiederholbar zu gestalten, also für gleichbleibende Qualität zu sorgen, andererseits Kostenvorteile zu realisieren. Die Dienstleistungsentwicklung muss daher den optimalen Trade-off zwischen Standardisierung und Individualisierung bestimmen können.

3.3  Einführung in das Service Engineering

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Marktdimension Als vierte Gestaltungsdimension muss der Markt, auf dem eine Dienstleistung angeboten werden soll, berücksichtigt werden.   Im Rahmen einer ganzheitlichen Dienstleistungsentwicklung befasst sich die Marktdimension mit der Marktfähigkeit von Services (Bullinger und Schreiner 2006). Beachtet man den Markt nicht, besteht die Gefahr, dass die Dienstleistungen nicht den Bedarfen entsprechen oder auf Veränderungen im Markt nicht angepasst werden. Die Integration von Marktinformationen in die Dienstleistungsentwicklung ist jedoch schwierig. Einerseits kann auf Methoden zurückgegriffen werden, die bereits bei der Produkt- und Softwareentwicklung erfolgreich zum Einsatz kommen. Hierzu zählt z. B. die Erstellung von Pflichtenheften. Auch partizipative Entwicklungsansätze wie Simulation und Prototyping können auf den Dienstleistungsbereich übertragen werden, um Marktfähigkeit und Benutzerakzeptanz zu testen. Dies ist jedoch aufgrund der Immaterialität von Dienstleistungen aufwendig (Burger et al. 2009). Das Kundenfeedback sowie positive und. negative Eindrücke bzw. Erfahrungen können direkt in den weiteren Entwicklungsprozess der Dienstleistung zurückgespielt werden. Jedoch bestehen auch hier Risiken, da die Kunden besonders bei radikalen Innovationen Dienstleistungen in der Regel an etablierten Dienstleistungen messen und Neuartiges aus Gewohnheit ablehnen (Bullinger und Schreiner 2006).

3.3.2 Aufgaben des Service Engineerings Ein zentraler Punkt vieler Service Engineering-Konzepte ist das prozessorientierte Verständnis ihrer Entwicklung. Erfolgreiches Service Engineering beinhaltet die gesamte Organisation des Entwicklungsprozesses neuer Dienstleistungsangebote (Goldstein et al. 2002). Das Aufgabenspektrum des Entwicklungsprozesses umspannt sämtliche Aktivitäten zwischen der Ideenphase und der Markteinführung. Edvardsson und Olsson (1996) erweitern dies um andere Bereiche wie Unternehmenskultur, Innovationsstrategie sowie eine unternehmenseigene Dienstleistungspolitik. Diese betreffen z. B. die Gestaltung der organisatorischen Rahmenbedingungen. Laut Fähnrich und Opitz (2006) umfasst das Service Engineering verschiedene Aufgaben (vgl. Abb. 3.3). Dies ist zum einen das Management von Dienstleistungsentwicklungsprojekten, zum anderen die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Hierfür werden Vorgehensmodelle, Methoden und Werkzeuge verwendet. Diese werden im Folgenden genauer beschrieben. Vorgehensmodelle im Service Engineering bilden einen Rahmen für den Dienstleistungsentwicklungsprozess. Sie legen einzelne Phasen fest, die durchlaufen werden. Dies beginnt in der Regel mit der Generierung einer Serviceidee und endet mit der Marktreife der Dienstleistung. Dabei kann auf verschiedene M ­ ethoden

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3  Service Engineering

Vorgehensmodelle

Methoden

Werkzeuge

Management von Dienstleistungsentwicklungsprozessen

Entwicklung von Dienstleistungsprodukten

Abb. 3.3   Strukturierung des Service Engineerings. (Quelle: Fähnrich und Opitz 2006)

zurückgegriffen werden, die die Aktivitäten in den einzelnen Phasen des Vorgehensmodells unterstützen und genauer ausdifferenzieren. Methoden sind definiert als konkrete Handlungsanweisungen, die Aktivitäten vorgeben, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Hierfür steht eine Vielzahl an unterschiedlichen Methoden zur Auswahl, z. B. zu Beginn schriftliche und mündliche Kundenbefragungen, Feedbackauswertungen des Außendienstes oder Lead-User-Konzepte. Diese dienen zur Ermittlung der Kundenanforderungen. In späteren Phasen, in denen die Dienstleistung genauer konzipiert wird, werden unter anderem Modellierungstechniken eingesetzt. Werkzeuge hingegen werden definiert als Informations- und Kommunikationssysteme, die den Gestaltungsprozess neuer Dienstleistungen unterstützen (Bullinger und Schreiner 2006). Dazu zählen beispielsweise Geschäftsprozessmanagement-Werkzeuge, Prozesssimulationen, Customer-Relationship-Management-Tools oder Projektmanagementsoftware. Diese dienen z. B. der Überwachung und Dokumentation des Entwicklungsprozesses und liefern Übersichten über das Entwicklungsvorhaben, Projektdaten oder Informationen über den Projektstatus.

3.4 Vorgehensmodelle des Service Engineerings Gemäß der Definition des Service Engineering bilden Vorgehensmodelle den Rahmen für einzelne Dienstleistungsinnovationsprojekte. Mit dem Begriff Vorgehensmodell wird in erster Linie ein Modell assoziiert, welches das Vorgehen zum Erreichen eines Zieles modellhaft abbildet und dabei abstrahiert. Vorgehensmodelle unterteilen Prozesse

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3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

und beschreiben diese in Phasen. Beispielhafte Phasen eines Vorgehensmodells sind die Lebensphasen eines Systems (Daenzer 1977), Schritte im Prozess zur Problemlösung (Lindemann 2009), Phasen der Softwareentwicklung (Balzert 2000) oder Phasen in der Dienstleistungsentwicklung (Bullinger und Schreiner 2006). Die Gesellschaft für Informatik (GI) veröffentlicht folgende Definition für den Begriff Vorgehensmodell: „Das Vorgehensmodell bildet das Referenzmodell der Anwendungsentwicklung. Es beschreibt auf abstrakte Weise (nicht als Projektplan), in welchen Stadien der Entwicklung und Nutzung sich ein Informationssystem befindet. Ziel der Vorgehensmodelle in der Dienstleistungsentwicklung ist es, sämtliche notwendigen Aktivitäten für die Dienstleistungsentwicklung festzulegen und diese zu Prozessschritten zusammenzufassen. Somit kann der Entwicklungsprozess systematisiert und der Formalisierungsgrad erhöht werden. Vorgehensmodelle bilden darüber hinaus den Rahmen für den Einsatz von Werkzeugen und Methoden, die einzelnen Phasen zugeordnet werden.

3.4.1 Verschiedene Arten von Vorgehensmodellen Grundsätzlich beschreiben die meisten Vorgehensweisen zum Service Engineering topdown Engineering-Prozesse, die den Weg vom Ideenmanagement bis zum Markteintritt beschreiben (Beverungen et al. 2018). Dabei können vier Formen von Vorgehensmodellen unterschieden werden: Lineare Modelle, iterative Modelle, Prototyping-Modelle und agile Vorgehensweisen (vgl. Abb. 3.4). Im Folgenden werden zu den verschiedenen Formen von Vorgehensmodellen die wichtigsten Vertreter vorgestellt und erläutert. Damit verbunden werden die jeweilig prädestinierten Einsatzgebiete sowie Vor- und Nachteile dargestellt.

Phase 1

Phase 1

Phase 1 Phase 1

Phase 2

Phase 3

Linear

Phase 2

Phase 2

Phase 3

Phase 5 Phase 4 Phase 3

Iterativ

Prototyping

Phase 4

Phase 2

Phase 3

Agil

Abb. 3.4   Arten von Vorgehensmodellen. (Quelle: In Anlehnung an Schneider et al. 2006)

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Ideenfindung und -bewertung

3  Service Engineering

Anforderungen

Design

Einführung

DLErbringung

Ablösung

Abb. 3.5   Modell zur Dienstleistungsentwicklung nach DIN (DIN 1998)

Lineare Vorgehensmodelle Das DIN-Phasenmodell (Abb.  3.5) startet mit der Phase der Ideenfindung und -bewertung. Dort werden Anregungen von Kunden, Wettbewerbern und aus der eigenen Organisation gesammelt und anschließend zu konkreten Ideen für neue Dienstleistungen weiterentwickelt. Für die Bewertung der Ideen sieht das Modell u. a. Machbarkeitsstudien und Szenariotechniken vor. In der zweiten Phase werden die Kundenanforderungen ermittelt. In der Designphase erfolgt die Konzeption der Dienstleistung. Hierbei werden die Potenzial-, Prozess- und Ergebnisdimension berücksichtigt. Das Modell erwähnt verschiedene Methoden, u. a. aus dem Bereich der prozess- und objektorientierten Modellierung (Siehe auch Kap. 7). Ebenso wird die Einbeziehung des Kunden in den Entwicklungsprozess gefordert. Die Einführungsphase beinhaltet schließlich die organisationalen Aspekte, die Bereitstellung von Ressourcen (z. B. der notwendigen Infrastruktur) sowie die Qualifizierung der Mitarbeiter. Das umgesetzte Dienstleistungskonzept aus der Designphase wird im Anschluss evaluiert, um gegebenenfalls notwendige Verbesserungsmaßnahmen einleiten zu können. Die letzten beiden Phasen können dem Dienstleistungsmanagement zugeordnet werden. Dies umfasst den Betrieb der Dienstleistung mit entsprechenden Strukturen sowie eine Rückkoppelung mit dem Entwicklungsprozess. Zudem fordert das DIN-Modell eine fortlaufende Kontrolle und Verbesserung der Dienstleistungserbringung sowie eine Ablösungsphase der Dienstleistung. Auffällig beim DIN-Modell ist, dass eine Testphase nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist und die Marktdimension nicht berücksichtigt wird (Schneider et al. 2006). Das Modell von Scheuing und Johnson hingegen wurde bereits 1989 entwickelt und zeichnet sich durch einen sehr hohen Detailgrad der einzelnen Phasen aus. Eine weitere Besonderheit liegt in der Betonung auf Testphasen, die eine durchgehende Bewertung von Arbeitsergebnissen vorsehen. Das Modell besteht aus 15 Phasen, die in vier Metaphasen zusammengefasst werden: Ausrichtung, Design, Tests sowie Einführung (vgl. Abb. 3.6). Die vier Metaphasen werden im Folgenden näher erläutert. Die erste Phase, Einführung, umfasst die Ziel- und Strategieformulierung. Hier erfolgt die Generierung ziel- und strategiekonformer Ideen. Dabei werden sowohl unternehmensinterne wie auch -externe Quellen, also Kunden, berücksichtigt. Diese Ideen werden im Anschluss einer ersten Bewertung unterzogen, wobei vor allem auf Realisierbarkeit sowie Profitabilität geachtet wird. Die Schritte 4 bis 8 werden der Design-Phase zugeordnet. Die Ideen aus der Phase Ausrichtung werden nun ausgearbeitet. Hierfür werden sie zu vollständigen Dienstleistungskonzepten weiterentwickelt und am Kunden getestet. Die Konzepte, die positiv bewertet wurden, werden anschließend sowohl einer Marktanalyse als auch einer Machbarkeitsanalyse unterzogen. In den weiteren Schritten der Design-Phase werden

93

3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

Ausrichtung

Design

1

Strategie- und Zielformulierung von neuen Diensten

9

Gestaltung und Test der DL-Prozesse und des Systems

2

Ideengenerierung

10

Überprüfung MarketingMix

3

Ideenbewertung und -selektion

11

Personalschulung

4

Konzeptentwicklung

12

Service-Tests und Probelauf

5

Konzepttests

13

Test Marketing

6

Marktanalyse

14

Markteinführung

7

Machbarkeitsanalyse

15

Beurteilung der Markteinführung

8

Gestaltung und Test der Dienstleistungen

Tests

Einführung

Abb. 3.6   Modell zur Dienstleistungsentwicklung nach Scheuing und Johnson. (Quelle: Scheuing und Johnson 1989)

die Konzepte weiter detailliert. Das Modell von Scheuing und Johnson berücksichtigt hierbei alle vier Gestaltungsdimensionen (siehe Abschn. 3.3.1) von Dienstleistungen, Potenzial, Prozess, Ergebnis sowie Markt. In der anschließenden Test-Phase wird die konzipierte Dienstleistung letztendlich erprobt und evaluiert. Die Ergebnisse dieser Testläufe offenbaren Verbesserungspotenziale an Produkt-, Prozess- und Ressourcenmodell und beinhalten eine Überprüfung des Marketing-Mix. In der letzten Metaphase Einführung erfolgt schließlich die Markteinführung der neuen Dienstleistung, gefolgt von einer Untersuchung, ob diese den an sie gestellten Anforderungen gerecht wird oder ob Anpassungen vorgenommen werden müssen. Dies ist wichtig, denn die tatsächlichen Marktbedingungen können in den Tests im Vorfeld nie vollständig simuliert werden. Das Modell von Scheuing und Johnson zeichnet sich durch seine Vollständigkeit bezüglich der einzelnen Phasen und seinen hohen Detaillierungsgrad aus. Jedoch hat es den Nachteil, dass Werkzeuge und Methoden nicht genannt oder beschrieben und auch Art und Intensität der Kundeneinbindung nicht näher erläutert werden (Schneider et al. 2006). Der Vorteil linearer Vorgehensmodelle liegt in einer hohen Prozesstransparenz. Da die Entwicklungsschritte in einer sequenziellen Abfolge durchlaufen werden, startet jede Phase erst dann, wenn die vorhergehende Phase abgeschlossen ist. Die Ergebnisse jeder Phase eignen sich daher auch gut als Meilensteine und erleichtern das Projektmanagement. Entsprechend kann der Managementaufwand linearer Modelle als eher gering bezeichnet werden. Weiterhin sind lineare Vorgehensmodell durch ihren strukturierten und kontrollierbaren Prozessablauf leicht verständlich. Der große Nachteil von linearen Modellen ist

94

3  Service Engineering

hingegen, dass es nicht vorgesehen ist, aufgrund sich ändernder Voraussetzungen oder Gegebenheiten in eine frühere Phase zurückzuspringen. Sie gelten daher als äußerst unflexibel und weniger geeignet für Entwicklungsprojekte in dynamischen oder unsicheren Märkten. So können Fehler in frühen Phasen oder sich schnell ändernde Umweltbedingungen und Anforderungen eine spätere Anpassung immens erschweren und so deutlich höhere Kosten verursachen. Dies wird insbesondere dadurch verschärft, dass dem Kunden der entsprechende Service so erst relativ spät im Prozess gezeigt werden kann und dessen Akzeptanz bzw. Änderungswünsche erst dann aufgenommen werden können. Als Einsatzgebiete kommen beispielsweise Entwicklungsszenarien in Betracht, die ein hohes Maß an Transparenz im Entwicklungsprozess erfordern. Weiterhin sind lineare Vorgehensmodelle insbesondere dann gefragt, wenn bei der Entwicklung klare Meilensteine und Qualitäts-Aspekte eingehalten werden müssen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn es sich um Services mit vorab klar definierten Anforderungen, stabilen Umweltbedingungen und definierten Prozessschritten handelt. Iterative Modelle Im Gegensatz zu linearen Phasenmodellen erlauben iterative Modelle ein mehrmaliges Durchlaufen einzelner Schritte während eines Entwicklungsprojektes. Das Modell von Kingman-Brundage und Shostack (1991) besteht aus den fünf Phasen Design, Implementierung, Dokumentation, Einführung und Audit. Diese sind teilweise weiter gegliedert (vgl. Abb. 3.7). Zu Beginn dieses Vorgehensmodells werden im Rahmen der Designphase die Schritte Definition, Analyse und Synthese so oft durchlaufen, bis ein taugliches

Phase 1

Phase 2

Phase N

Definition

Definition

Definition

Analyse

Analyse

Analyse

Synthese

Synthese

Synthese

Master Design

Design

Einführung

Implementierung Dokumentation

Aufgabenplanung

Abb. 3.7   Modell von Shostack und Kingman-Bundage (1991)

Audit DesignModifizierung

Finales Design

3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

95

Grundmuster für die zu entwickelnde Dienstleistung daraus hervorgegangen ist. Diese schrittweise Verbesserung der Ausgangsidee zeigt bereits den iterativen Charakter dieses Modells. Nachdem die Dienstleistungsidee so lange verfeinert wurde, bis ein brauchbares Masterdesign erstellt wurde, folgt in der zweiten Phase die Implementierung der neuen Dienstleistung. Dabei wird das Master-Design in operative Aufgaben, Funktionen und Anforderungen an die Einführung und Ausübung der Dienstleistung überführt. Die Phase der Dokumentation ist vergleichbar mit der Erstellung eines Benutzerhandbuchs für die Dienstleistung und das zu ihrer Entwicklung sowie der Erbringung notwendige System. Die Dokumentation umfasst Anweisungen, Zeitpläne und Regeln. Dies soll Außenstehenden ein Benutzerhandbuch zur Verfügung stellen. In der Einführungs-Phase wird die Dienstleistung erstmalig am Kunden erprobt. Hier zeigt sich, ob das zuvor in der Theorie entwickelte Konzept vom Markt akzeptiert wird. Durch ein Audit können bestehende Schwierigkeiten und Schwachstellen letztendlich identifiziert und beseitigt werden. Neben dem Vorgehensmodell lassen Shostack und Kingman-Brundage der Zusammenstellung von Entwicklerteams eine besondere Bedeutung zukommen. Negativ anzumerken ist diesem Modell, dass Ideengenerierung und -bewertung nicht Teil des Entwicklungsprozesses sind. Zudem fehlt eine Aufstellung geeigneter Methoden sowie Aussagen zur Kundenintegration in den Entwicklungsprozess. Die Nachteile linearer Vorgehensmodelle werden von iterativen Modellen adressiert, indem der Rücksprung in eine frühere Phase ausdrücklich gestattet ist. Somit ergibt sich eine flexiblere Vorgehensweise, die Änderungen von Anforderungen und Umweltbedingungen durch Rücksprünge in die jeweiligen Phasen adressieren kann. Analog zu den linearen Vorgehensmodellen gestaltet sich der Einbezug der Kunden in den frühen Phasen der Entwicklung schwierig. Ein zu häufiges Rückspringen durch beispielsweise ständig erforderliche oder gewünschte Anpassungen kann zu der Gefahr führen, dass der zu entwickelnde Service zu spät bzw. gar nicht realisiert werden kann. Als Einsatzgebiet sind für iterative Vorgehensmodelle somit relativ stabile Anforderungen und moderate Änderungen der Umwelt empfehlenswert. Ein weiteres Modell ist der NSD-Lifecycle-Prozess von Johnson et al. (2000). Dieser wird in Abb. 3.8 dargestellt. Dieses Modell geht darauf ein, dass Ideen für neue Dienstleistungsinnovationen aus mehreren Quellen stammen können. So können Kunden neue Anregungen für Dienstleistungen formulieren oder Mitarbeiter, die in direktem Kundenkontakt stehen, Beschwerden und Anregungen aufnehmen. Darüber hinaus können Kundendatenbanken gezielt nach neuen Ideen durchsucht werden. Weitere Quellen stellen demografische Trends sowie technologische Fortschritte dar. Zusammen formen diese Quellen den Input in der Design-Phase. Nach einer Sichtung werden die Ideen und daraus resultierende Konzepte in die Analysis-Phase weitergeleitet. Dort werden sie auf ihr wirtschaftliches Potenzial hin überprüft. Nach erfolgreicher Autorisierung kommen die Ideen und Konzepte in die Development-Phase. Dort werden verschiedenste Methoden angewandt, um das Potenzial der Dienstleistungsinnovation zu testen. Die Development-Phase ist in diesem Modell die kosten- und aufwandsintensivste (Fitzsimmons und Fitzsimmons 2011). Besteht eine Idee die Tests, wird sie letztendlich in der letzten Phase

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3  Service Engineering

Treiber Start

Design

Menschen Servicekonzeptelemente

Technologie

System

Werkzeuge Entwicklung

Analyse

Abb. 3.8   Der NSD-Lebenszyklus-Prozess nach Johnson et al. 2000

Full-Launch in den Markt eingeführt. Besonders hervorzuheben im NSD-Lifecycle-Prozess ist, dass er verschiedene Treiber (Enabler) während des gesamten Entwicklungsprozesses berücksichtigt. Hierzu gehören funktionsübergreifende Teams, Werkzeuge sowie eine Organisationskultur, die Innovation gegenüber aufgeschlossen ist. Zudem berücksichtigt das Modell in seinem Kern das Dienstleistungsprodukt, in Abb. 3.8 als Product gekennzeichnet, mit den Facetten People, Technology und Systems. Das Modell trägt somit der Tatsache Rechnung, dass sich ein finales Dienstleistungsprodukt aus den Faktoren Menschen (Kunden wie Angestellte), Systemen sowie der Integration technologischer Entwicklungen zusammensetzt. Prototyping-Modelle Noch einen Schritt flexibler gestalten sich Prototyping-Modelle. Hierbei wird iterativ der gesamte Entwicklungsprozess durchlaufen, jedoch werden in den ersten Iterationen nur Vorabversionen entwickelt, die noch nicht den gesamten geplanten Funktionsumfang besitzen. Diese Form eines Vorgehensmodells ermöglicht das frühzeitige Einbinden von Kundenfeedback und Testergebnissen in den weiteren Entwicklungsprozess. Typischerweise werden die Prototypen in jeder Iterationsschleife umfangreicher und komplexer und die Entwicklungszyklen länger.

3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

97

Agile Vorgehensweisen Die bereits beschriebene Entwicklung hin zu dynamischeren Märkten mit entsprechend schnelleren Lebenszyklen von Services auf Basis sich schnell ändernder Umweltbedingungen und immer neuer Kundenanforderungen wird von den bislang aufgezeigten linearen und iterativen Vorgehensmodellen nur bedingt aufgegriffen. Außerdem weisen diese im Rahmen des gestiegenen Innovationsdrucks nicht die notwendige Flexibilität auf. Vor diesem Hintergrund gilt es, diese neuen Anforderungen auch im systematischen Service Engineering aufzugreifen und zu adressieren. Das Konzept der Agilität wird dabei als Notwendigkeit zum erfolgreichen operieren am Markt verstanden (Kreuzer und Aschbacher 2014). Agilität kann in diesem Zusammenhang als Fähigkeit einer Organisation angesehen werden, schnell und flexibel die Veränderungen und Anforderungen der Organisationsumwelt wahrzunehmen und sich diesen anzupassen. So ist Agilität zu einem der Schlüsselinstrumente für Organisationen im Umgang mit umweltbedingten Anpassungen geworden (Ganguly et al. 2009). Während bei linearen und iterativen Vorgehensmodellen Anforderungen und mögliche Lösungsansätze bereits zu Beginn des Service Engineering Prozesses bekannt sind, steht es im Rahmen agiler Vorgehensweisen nicht im Fokus, entsprechende Unklarheiten vorab auszumerzen. Vielmehr werden mithilfe des agilen Vorgehens Zwischenergebnisse erstellt und anschließend analysiert. So entsteht über die Arbeitsschritte hinweg die notwendige Klarheit über Anforderungen und potenzielle Lösungen (Johannsen et al. 2017). Agile Software-Entwicklung basiert auf einer Vielzahl verschiedener agiler Methoden, die Agilität in den entsprechenden Organisationseinheiten ermöglichen sollen (Cohen et al. 2004; Iivari und Iivari 2011). Agile Vorgehensmodelle gelten als Oberbegriff für flexible und schlanke Prozesse zur systematischen Entwicklung. Dabei steht insbesondere ein geringer bürokratischer Aufwand im Rahmen eines iterativen Vorgehens im Vordergrund (Johannsen et al. 2017). Darüber hinaus steht mit der kontinuierlichen Prozessanpassung ein weiterer Aspekt im Fokus agiler Vorgehensweisen. So hat es die agile Vorgehensweise geschafft, auch in in anderen Org.bereichen Einzug zu finden (Rigby et al. 2016). Eines der am weitesten verbreiteten agilen Vorgehensmodelle ist Scrum. Scrum wurde erstmals im Jahr 1995 von Ken Schwaber vorgestellt und im Anschluss gemeinsam mit Jeff Sutherland weiter ausgearbeitet (Sutherland und Schwaber 1995). Der Begriff Scrum stammt aus dem Rugby und bedeutet so viel wie Gedränge. Scrum stellt keine klassische Vorgehensweise im Sinne eines fertigen Prozesses dar. Vielmehr stellt Scrum ein Framework, also ein Rahmenkonzept dar, das bei der Ausführung der Engineering-Aktivitäten strukturierende und organisierende Funktion aufweist. Dabei stehen insbesondere Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit im Vordergrund. Auf diese Weise können bewährte Service Engineering Methoden in den Scrum Prozess eingebettet werden. Die Hauptziele von Scrum bestehen in der flexiblen Reaktion auf Veränderungen, insbesondere von Kundenanforderungen, sowie einer schnellen Auslieferung erster Versionen mit enthaltenem Kundennutzen (Goll und Hommel 2015). Abb. 3.9 zeigt das schematische Vorgehen in Scrum.

98

3  Service Engineering

Scrum Master

Daily Scrum

Service Vision Service Owner

Sprint Scrum Team Sprint Retrospective Sprint Review Service Backlog

Sprint Planning Meeting

Sprint Backlog

Service Increment

Abb. 3.9   Scrum Prozess. (Quelle: In Anlehnung an Goll und Hommel 2015)

Das Projektteam definiert innerhalb der Bedingungen das auf das jeweilige Projekt zugeschnittene Entwicklungsvorgehen. Im Rahmen von Scrum werden auf Basis einer Service-Vision (Welche Vision habe ich für den geplanten Service?) User Stories (vgl. Kap. 6) zur Spezifikation von Anforderungen eingesetzt, die in der Sprache des Kunden/Stakeholders geschrieben werden. Diese Anforderungen werden im Service Backlog (Sammlung von Anforderungen an den Service) hinterlegt, erweitert und priorisiert. Der zentrale Entwicklungszyklus in Scrum wird von sogenannten Sprints (kurze Entwicklungszyklen) gesteuert. Für einen solchen Sprint wird ein Sprint Backlog (Sammlung von Anforderungen) erstellt. Dabei wird auf User-Stories zurückgegriffen, die während des Sprints umgesetzt werden sollen. Diese werden vom Team entsprechend der Prioritäten ausgewählt, die vom Service Owner (die Schnittstelle zum User) und vom Kunden festgelegt wurden. Dazu nimmt sich das Team in einem Sprint Planning Meeting aus dem Service Backlog die am höchsten priorisierten Aufgaben, die das Team in diesem Sprint für realistisch durchführbar hält und erstellt mit diesen einen Sprint Backlog. Zum Sprint organisiert sich das Entwicklungsteam selbst und verpflichtet sich, die Aufgaben zu erledigen (Commitmen/Selbstverpflichtung). Am Ende eines Sprints steht immer ein lauffähiges, getestetes, inkrementell verbessertes System oder ein entsprechender Service (Leimeister 2015). Im Anschluss an den erfolgten Sprint wird in einer Sprint Retrospective der Sprint im Hinblick auf zukünftige Prozessverbesserungen analysiert. In einem anschließenden Sprint Review wird den Beteiligten das Service Increment vorgestellt und das entsprechende Feedback in neue Anforderungen konsolidiert. Auf diese Weise kann der nächste Sprint geplant und durchgeführt werden.

3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

99

Die Vorteile agiler Vorgehensweisen liegen unter anderem in der frühzeitigen und iterativen Einbindung der Kunden, die als Kern vieler agiler Vorgehensweisen angesehen werden kann, und der entsprechend guten Berücksichtigung und Umsetzung der Kundenanforderungen im Rahmen iterativer Prozesse, die den Kunden häufig einbeziehen. So stellt bspw. im Rahmen von Scrum der Service Owner die Schnittstelle zum Kunden dar und ermöglicht durch seine Vermittlerfunktion den direkten Transfer von Anforderungen des Kunden an das Entwicklungsteam. In Verbindung mit schnellen Entwicklungszyklen kann so regelmäßig das direkte Kundenfeedback in die Entwicklung einfließen. Weiterhin stellen die schnellen Entwicklungszeiten mit dem Fokus auf die Entwicklung und Lieferung schneller Ergebnisse einen weiteren Vorteil dar. Während in klassischen Entwicklungsvorgehen die ersten Ergebnisse dem Kunden häufig erst gegen Ende des Entwicklungsprojektes zurückgespielt werden können, fokussieren agile Ansätze die schnelle Entwicklung von ersten Ergebnissen. Auf diese Weise können bspw. einzelne Bausteine eines Services bspw. vom Kunden getestet werden. Weiterhin können durch die schnelle Lieferung von ersten Ergebnissen aufwendige und teure Fehlentwicklungen vermieden werden. Häufig genannte Nachteile agiler Vorgehensweisen lassen sich in der mangelnden Dokumentation und der teils vernachlässigten Analysephase zu Beginn der Bearbeitung finden. Weiterhin erfordern agile Vorgehensmodelle ein hohes Maß an Eigenmotivation und Selbstorganisation der Teammitglieder. Abschließend muss für den gesamten Entwicklungsprozess die Verfügbarkeit des Kunden gewährleistet sein. Agile Vorgehensweisen eignen sich insbesondere, wenn Anforderungen an den zu entwickelnden Service im Vorfeld nicht eindeutig zu identifizieren sind und eine hohe Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass sich die Anforderungen im Zeitverlauf noch ändern werden (Johannsen et al. 2017). Zusammenfassende Betrachtung der Vorgehensmodelle Welche Art von Vorgehensmodell gewählt wird, hängt letztendlich von der Art und Komplexität der zu entwickelten Dienstleistung ab. So zeichnet sich das lineare Vorgehensmodell durch seine Einfachheit aus – bei komplexeren Dienstleistungsentwicklungsprojekten sind jedoch iterative oder insbesondere Prototyping- bzw. agile Modelle ratsam, da diese eine Fehlererkennung und -vermeidung in frühen Phasen befördern und die Einbindung der Kunden teilweise explizit integriert haben. In der Praxis sind trotz der Vorteile prototypischer und agiler Modelle sequenziell aufgebaute Modelle verbreitet. Dabei gilt es außerdem zu beachten, dass nicht jeder Service zwangsläufig einer agilen oder prototypischen Entwicklung bedarf. Weiterhin weisen die verschiedenen vorgestellten Vorgehensmodelle unterschiedliche Detailgrade auf. Darüber hinaus decken bestimmte Vorgehensmodelle (wie beispielsweise das DIN-Modell 1998) den gesamten Entwicklungsprozess inkl. des Managements der Services ab, während andere Vorgehensmodelle wie beispielsweise die agilen Vorgehensweisen den Entwicklern lediglich ein Framework zur Entwicklung an die Hand geben. Bezugnehmend auf den Digitalisierungswürfel kann mithilfe agiler Vorgehensweisen neben den bereits dargelegten Rationalisierungseffekten im internen Fokus auch der systematische Einbezug der Nutzer über den externen Fokus gelingen. Tab. 3.1 zeigt und vergleicht die vorgestellten Arten von Vorgehensmodellen anhand der erläuterten Kernaspekte.

Vorteile

Hohe Prozesstransparenz im Rahmen der Durchführung Geringer Managementaufwand durch klares Vorgehen und abgrenzbare Zuständigkeiten Ablauf und Durchführung leicht verständlich

Flexible Vorgehensweise, Rücksprünge in vorherige Phasen möglich

Sehr flexible Vorgehensweise Frühzeitige Einbindung von Kundenfeedback und Testergebnissen integriert Frühe Realisierung erster Prototypen

Frühzeitige und iterative Einbindung des Kunden integriert Schnelle Entwicklungszeiten und Ergebnisse Überaus flexible Vorgehensweise Geringer bürokratischer Aufwand

Modell

Linear

Iterativ

Prototyping

Agil

Stabile Anforderungen an den Service notwendig Anwendbar bei moderaten Änderungen der Umwelt Anwendbar bei moderaten Änderungen der Umwelt

Anforderungen nicht eindeutig zu identifizieren Hohe Wahrscheinlichkeit sich ändernder Anforderungen

Sehr aufwendige Vorgehensweise, besonders zu Beginn

Gefahr mangelnder Dokumentation Gefahr der Vernachlässigung der Analysephase Bedarf hohes Maß an Eigenmotivation und Selbstorganisation Verfügbarkeit des Kunden muss gewährleistet sein

Erfordert ein hohes Maß an Transparenz Einhaltung von klaren Meilensteinen und Qualitätsaspekten notwendig

Unflexible Vorgehensweise, Schritte strikt vorgegeben Weniger geeignet für dynamische und unsichere Märkte Später Notwendige Anpassung schwer/ teuer Früher Einbezug des Kunden schwierig Früher Einbezug des Kunden schwierig Gefahr, den Service zu spät/gar nicht zu realisieren durch zu häufige Rücksprünge in vorherige Phasen

Anwendung

Nachteile

Tab. 3.1  Vergleich der vorgestellten Arten von Vorgehensmodellen

100 3  Service Engineering

3.4  Vorgehensmodelle des Service Engineerings

101

3.4.2 Anwendung und Notwendigkeit von Agilität im Service Engineering Insbesondere große und etablierte Unternehmen profitieren von einem Mehr an Agilität in der systematischen Entwicklung und Gestaltung von Services. In der Versicherungsbranche ist dieser Wandel ebenfalls zu vernehmen. Ein großer etablierter Erstversicherer hat sich den Herausforderungen gestellt und seine Strukturen im Bereich der systematischen Entwicklung von IT-Services angepasst. Dabei stand neben den bereits angeführten Notwendigkeiten und Herausforderungen weiterhin die Fähigkeit zur Begeisterung des Kunden im Fokus der Bemühungen. So reicht es nicht mehr aus, funktionierende Services anzubieten. Vielmehr gilt es, die Kunden mit innovativen Services zu begeistern. Hierfür hat der angesprochene Erstversicherer zunächst seine Abteilung zur Softwareentwicklung von einer klassischen Vorgehensweise auf eine agile Vorgehensweise umgestellt. Hierfür wurde Scrum als Mittel der Wahl zur systematischen Gestaltung der IT-Services ausgesucht und konsequent in der IT-Service-Entwicklung angewandt. Diese Änderung adressiert dabei nach wie vor die klassische Sichtweise des Service Engineerings. In einem weiteren Schritt hat besagter Erstversicherer so genannte agile Trainingscenter eröffnet, in denen nicht nur auf Basis agiler Vorgehensweisen die entsprechenden IT-Services entwickelt werden. Im Rahmen dieser agilen Trainingscenter steht ebenfalls der Gedanke ganzer Ökosysteme von Services im Mittelpunkt. So werden im Rahmen der systematischen Entwicklung Service Systeme inklusive der notwendigen Schnittstellen untereinander entwickelt. In einem dritten Schritt kommt es im Rahmen der Trainingscenter zu einem regelmäßigen Austausch der beteiligten Mitarbeiter. Durch diesen Austausch tragen die Mitarbeiter aus dem agilen Trainingscenter das agile Mindset in die restliche Organisation. Auf diese Weise beginnt die unternehmensweite Transformation nach innen hin zu einem agilen Unternehmen.

3.4.3 Aktuelle Entwicklungen: Datenschutz im Rahmen des Service Engineerings Beispiele aus der jüngeren Praxis und Forschung beschäftigen sich damit, wie Daten gezielt und gewinnbringend für die Entwicklung neuer und die Verbesserung oder Erweiterung bestehender Dienstleistungen und Product-Service Systems (PSS) (Siehe Kap. 2) eingesetzt werden können. Eine kleine Auswahl an Beispielen soll die Bedeutung von Daten für das Service Engineering anschaulich verdeutlichen: Im Rahmen der frühen Phasen des Service Engineerings haben sich Ansätze entwickelt, automatisierte Datenerhebung zur Ermittlung von Kundenbedürfnissen zu verwenden. Auf der Basis von Onlinedaten, wie z. B. Tweets des Kurznachrichtendienstes Twitter oder Daten anderer sozialer Netzwerke, können unter Anwendung datengetriebener Algorithmik, wie z. B. Textmining, Kundenbedürfnisse aus den textuellen Daten extrahiert und als Basis kundenzentrierter

102

3  Service Engineering

Service Engineering-Verfahren verwendet werden (Kuehl 2016). Außerdem können diese sogenannten Netnografiewerkzeuge auch zur Identifizierung von Verbesserungsvorschlägen durch direkte Extraktion von Kundenäußerungen für bestehende Dienstleistungen und Dienstleistungssysteme eingesetzt werden (Okazaki et al. 2015). Ein weiteres Beispiel des Dateneinsatzes für das Service Engineering bezieht sich auf den Einsatz datengetriebener Simulationen möglicher Service-Konzepte, um diese in verschiedenen Kontexten testen und somit deren jeweilige Erfolgswahrscheinlichkeit besser einschätzen zu können (Wrasse et al. 2015). Es lassen sich viele weitere Beispiele nennen, die zeigen, dass es Bedarf in Praxis und Forschung gibt, die Chancen der Digitalisierung hin zu vermehrtem Einsatz datengetriebener Werkzeuge im Rahmen des Service Engineerings zu nutzen und somit kompetitive Vorteile zu erzielen. Die Auswahl erläuterter Beispiele sollen hier einen ersten Eindruck vermitteln, wie Daten potenziell die Entwicklung von Dienstleistungen unterstützen, aber auch mitgestalten können. Wie auch im Verlaufe des vorliegenden Buches deutlich wird, beeinflussen digitale Trends, wie der vermehrte Einsatz von Daten, alle Bereiche des Rahmenmodells des Service Engineerings, welches im Nachfolgenden vorgestellt wird und somit die weiterführenden Kapitel des Buches strukturiert.

3.5 Rahmenmodell des Service Engineerings Die meisten Vorgehensmodelle basieren direkt oder indirekt auf den Vorgehensmodellen zur Entwicklung von Produkten (Booz et al. 1982) und weisen daher eine gewisse Ähnlichkeit auf. Davon unterscheidet sich die Sichtweise auf agile Vorgehensweisen, die historisch der Softwareentwicklung zuzuschreiben sind. Die durch die besonderen Eigenschaften von Dienstleistungen verursachten Unterschiede werden jedoch erst deutlich, wenn man die Bedeutung einzelner Phasen oder die Umsetzung in der Praxis genauer betrachtet. Insbesondere ist es notwendig, für die einzelnen Phasen geeignete Methoden und Werkzeuge aus dem Service Engineering bereitzustellen. Gleichzeitig ermöglicht dieses Rahmenmodell die Zuordnung von Service-Engineering-Methoden und Werkzeugen. Um dies zu ermöglichen, wird nun ein Rahmenkonzept eingeführt, dass die zentralen Schritte im Dienstleistungsengineering und -management beinhaltet. Hierfür wurden die relevanten Schritte und Phasen der vorgestellten Vorgehensmodelle konsolidiert und im Rahmenkonzept vereinigt. In den folgenden Kapiteln werden dementsprechend unterschiedliche Methoden und Werkzeuge aus den einzelnen Prozessschritten vorgestellt. Wichtig ist es dabei, offen zu sein, welche Methoden und Werkzeuge in den jeweiligen Prozessschritten verwendet werden können. Dabei ist insbesondere auf die entsprechenden Rückkopplungsschleifen am Ende der Schritte und Phasen im Bereich des Service Engineerings zu achten. Auf Basis dieser Rückkopplungsschleifen gilt es zum einen, die Ergebnisse der Phase

3.5  Rahmenmodell des Service Engineerings

103

zu überprüfen. Sollte es hier zu Abweichungen kommen, gilt es iterativ die Lösung so lange zu bearbeiten, bis das entsprechende Qualitätsziel erreicht ist. Zum anderen gilt es im Rahmen der Rückkopplungsschleifen zu überprüfen, ob und in welchem Umfang der jeweilige Prozess zur Lösungsfindung anzupassen ist. Auf diese Weise wird eine schlanke und konsequente Durchführung des Rahmenkonzepts zum Service Engineering ermöglicht. Das Rahmenmodell ist in Abb. 3.10 illustriert. Das Rahmenmodell teilt sich in zwei Teile auf. Zu Beginn des Prozesses werden die Services und Service Systeme im Service Engineering entwickelt und gestaltet. Im zweiten Teil gilt es, die erstellten Services systematisch zu managen. Um die entsprechenden Methoden und Werkzeuge insbesondere im Bereich der Entwicklung und Gestaltung von Services erfolgreich nutzen zu können, gilt es, den Engineering-Prozess von Services sowohl inhaltlich als auch formal im Unternehmen zu verankern (Schuh et al. 2016). Dabei stellt besonders die Verstetigung eines agilen Mindsets im Unternehmen einen wichtigen Aspekt dar (Muduli 2013; Gloger 2017). Um ein agiles Mindset im Unternehmen zu ermöglichen, gilt es insbesondere für etablierte Unternehmen vorhandene Strukturen und Vorgehensweisen zu überdenken und anzupassen. Hierbei ist es von großer Wichtigkeit, die Mitarbeitenden mit ins Boot zu holen und das neue agile Mindset aus den Führungspositionen heraus vorzuleben. Mithilfe eines im Unternehmen sowie den Köpfen der Mitarbeitenden verankerten agilen Mindsets lassen sich die vollen Potenziale der agilen Vorgehensweisen nutzen. Für das vorliegende Rahmenmodell des Service Engineerings werden daher im Folgenden handlungsleitende Prinzipien dargestellt, die es bei der Anwendung zu beachten gilt. Anfang der 2000er Jahre ist die agile Softwareentwicklung in den Fokus der Forschung zur Agilität gerückt (Iivari und Iivari 2011; Conboy et al. 2005). Zurückführen lässt sich dies auf das in diesem Zeitraum veröffentlichte „Agile Manifest“ (Fowler und Highsmith 2001). Dieses Manifest führt, auf Basis von Kern-Prinzipien, zu einem Gedankenwechsel im Software Development hin zu einem schnellen, iterativen und kundenzentrierten Vorgehen. Die Prinzipien des agilen Manifestes lassen sich in den folgenden vier Kernthesen zusammenfassen: • • • •

Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge Funktionierende Software ist wichtiger als eine umfassende Dokumentation Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlungen Reagieren auf Veränderungen ist wichtiger als das Befolgen eines Plans

Auf Basis dieser vier Kernthesen hat sich ein so genannter „Way of Thinking“ agiler Vorgehensweisen entwickelt. Im Rahmen dieser Denkweise können unter anderem sechs Prinzipien agiler Vorgehensweisen ausgemacht werden, an denen sich Unternehmen orientieren können:

Einführung und Implementierung

Dienstleistungs -Strategie

Tests (Evaluierung und Pilotierung)

Modellierung und Spezifikation (Prozesse und Applikationsentwicklung)

Ausgestaltung einer Service-Idee

Konzept und SzenarioEntwicklung (Ideen, Anforderungen)

Startphase: Analyse

Engineering

Service

Abb. 3.10   Rahmenkonzept für Dienstleistungsengineering und –management. (Quelle: Eigene Darstellung)

Management

Service

Management und Betrieb

Performance Measurement und Qualitätsmessung

Verbesserungsmaßnahmen

Marktaustritt

104 3  Service Engineering

Literatur

• • • • • •

105

Realisiere schnelles Feedback Fokussiere Einfachheit innerhalb des Teams und bei jedem Teammitglied Verbessere den Service inkrementell Akzeptiere Verbesserungen bereits erstellter Artefakte Achte auf qualitativ hochwertige Arbeit Kommuniziere offen (Johannsen et al. 2017)

Neben den das Rahmenmodell überspannenden Prinzipien gliedert sich das Rahmenmodell des Service Engineering in die folgenden Phasen. Dabei werden die entsprechenden Methoden und Werkzeuge dargestellt und erläutert, die zur Erstellung und zum Management von Services angewendet werden können. Zu Beginn gilt es für Unternehmen, sich Gedanken über die strategische Ausrichtung und somit die Dienstleistungsstrategie zu machen. Die Aspekte zur Dienstleistungsstrategie werden in Kap. 4 dargestellt und diskutiert. Auf Basis der Dienstleistungsstrategie gilt es im ersten Schritt des Service Engineerings den gegenwärtigen Status zu analysieren und darauf basierend die relevanten Bereiche des Service Engineerings für das Unternehmen zu erschließen. Zusammenhang werden in der Konzept- und Szenario-Entwicklung erste Ideen und Anforderungen erhoben. Hierfür werden in Kap. 5 Methoden und Werkzeuge zur Service Ideation dargestellt und erläutert. Hierbei handelt es sich unter anderem um Open Innovation, Innovation Communities, Ideenwettbewerbe, Toolkits for Innovation und Lead-User-Methoden. Die entsprechenden Ideen und Konzepte werden darauf aufbauend in Kap. 6 im Rahmen des Service Designs weiterentwickelt. Auch hierfür werden Methoden und Werkzeuge, unter anderem Personas, Storyboards, Prototypen und Customer Journeys, vorgestellt. In der anschließenden Modellierung und Spezifikation der Services werden die Services dargestellt und modelliert. In Kap. 7 werden hierfür unter anderem Methoden zur Servicemodellierung erläutert. Nach der Einführung und Implementierung der Services gilt es, diese zu managen und den Betrieb zu gewährleisten. Hierfür werden in Kap. 8 Ansätze zum Management von Services wie ITIL und DevOps aufgezeigt und erläutert. In Kap. 9 wird daraufhin die Service-Qualität getestet, ein Performance Measurement durchgeführt und jeweilige Methoden und Werkzeuge aufgezeigt.

Literatur Balzert H (2000) Lehrbuch der Software-Technik – Software-Entwicklung. Spektrum Akademischer, Heidelberg Beverungen D, Lüttenberg H, Wolf V (2018) Recombinant Service Systems Engineering. Bus Inf Syst Eng 60(5):377–391 Böhm M, Leimeister S, Riedl C, Krcmar H (2009) Cloud Computing: Outsourcing 2.0 oder ein neues Geschäftsmodell zur Bereitstellung von IT-Ressourcen? Die Fachz Inform Manag Consult 24(2):6–14

106

3  Service Engineering

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4

Service-Strategie

4.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele Das Kapitel der Service-Strategie beschäftigt sich mit der Vorbereitung und Umsetzung von strategischen Entscheidungen in der Dienstleistungsbranche. Hierbei wird der Fokus auf das Verständnis der Zusammenhänge und die Festlegung der Dienstleistungsstrategie gelegt. Zunächst wird der Prozess der Strategieentwicklung skizzenhaft vorgestellt (Abschn. 4.2). Im Anschluss wird detailliert auf die einzelnen Phasen eingegangen. Es wird aufgezeigt, wie unternehmensinterne und -externe Einflussfaktoren auf die Dienstleistungsstrategie identifiziert und darauf aufbauend konkrete Ziele abgeleitet werden können (Abschn. 4.3). Darüber hinaus wird auch die praktische Ausgestaltung von Dienstleistungsstrategien in unterschiedlichen Kontexten mit Fokus auf der Planung des Dienstleistungsportfolios vorgestellt, welches die Positionierung im Dienstleistungsökosystem und die Orchestrierung der Leistungserbringung beinhalten (Abschn. 4.4). Schließlich wird die Planung der Dienstleistungsorganisation beschrieben. Dabei wird zum einen das Zusammenpassen von Strategien und organisatorischen Entwürfen begründet, zum anderen auch die Veränderung der Organisationskulturen und die Auswirkungen der Technologie diskutiert (Abschn. 4.5). Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele

1. Sie können die Bestandteile einer Dienstleistungsstrategie benennen und beschreiben. 2. Sie können eine Dienstleistungsstrategie mit Hilfe von Analyse- und Umsetzungstools planen. 3. Sie können ein Dienstleistungsportfolio planen und begründen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_4

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110

4 Service-Strategie

4. Sie können Porters Wettbewerbsmatrix sowie deren Ergänzung um Customer Intimacy erläutern und den Dimensionen des Digitalisierungswürfels zuordnen. 5. Sie können spezifische Dienstleistungskonzepte anhand der Komponenten der Service-Strategie analysieren. 6. Sie können auf Basis entsprechender Werkzeuge eine Strategie für eine beliebige Dienstleistung entwickeln und bezüglich ihrer Erfolgsaussichten bewerten. 7. Sie können das Potenzial von Daten als strategischem Differenzierungsmerkmal anhand von konkreten Beispielen beschreiben.

4.2 Prozess der Dienstleistungsstrategieentwicklung Die Dienstleistungsstrategie adressiert grundlegende Aspekte der Ausrichtung und Weiterentwicklung von Dienstleistungen. Somit stellt sie die Basis für ein zielgerichtetes Service Engineering dar, die kontinuierlich auf Grundlage neuer Erkenntnisse weiterentwickelt werden sollte. Der Erfolg eines Dienstleistungsunternehmens ist im hohen Masse davon abhängig, inwieweit das Angebot die Bedürfnisse und Wünsche der Kunden bedienen kann. Deshalb ist die wirkungsvolle und zugleich wirtschaftlich lohnende Befriedigung von Kundenbedürfnissen eine zentrale Fragestellung für die Strategieentwicklung. Sie zeigt, mit welchen Angeboten welche Bedürfnisse von welchen Kunden befriedigt werden sollen. Die Beantwortung dieser Frage gestaltet sich – wie dieses Kapitel zeigt – bei Dienstleistungen aus mehreren Gründen oft schwieriger als bei klassischen Konsumgütern. Dienstleistungen können im Gegensatz zu Produkten nicht auf Vorrat produziert werden und sind oft im hohen Grade ortsabhängig. Zudem erfordert die Dienstleistungserbringung eine hohe Beteiligung des Kunden (Ramaswamy und Ozcan 2018). Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der notwendigen Integration eines externen Faktors beim Dienstleistungserstellungsprozess. Bei vielen Dienstleistungen wirkt der Kunde mit seinen Anregungen und Wünschen im Prozess der Dienstleistungserbringung mit (Siehe auch Kap. 1) (Edvardsson et al. 2013). Für die Entwicklung der Dienstleistungsstrategie wird vor allem auf Methoden der klassischen Managementlehre zurückgegriffen. Dabei muss bei der Anwendung dieser Methoden auf den besonderen Charakter von Dienstleistungen eingegangen werden. Zunächst werden über eine auf die interne Perspektive ausgerichtete, Analyse des Unternehmens sowie über eine extern ausgerichtete Analyse des Wettbewerbsumfelds alle wichtigen Einflussfaktoren auf die Dienstleistungsstrategie bestimmt. Anschließend können über die Formulierung der Vision und der sich daraus ableitenden konkreten Zielvorstellungen grundlegende Entscheidungen bezüglich der Dienstleistungsstrategie

4.2  Prozess der Dienstleistungsstrategieentwicklung

111

getroffen werden. Darauf aufbauend lassen sich dann das Dienstleistungsportfolio sowie die Dienstleistungsorganisation konzipieren. Insgesamt werden in diesem Kontext die folgenden Methoden vorgestellt (Porter, Treacy & Wiersema, Kim & Mauborgne): • Unternehmensanalyse • Kritische Erfolgsfaktoren • Unternehmensanalyse (SWOT-Analyse) • Wettbewerbsanalyse (5-Forces-Analyse) • Umfeldanalyse (PESTLE-Analyse) • Visions- und Zielformulierung • Positionierungstools

4.2.1 Definition und Einordnung Eine gute Strategie gibt Auskunft darüber, wie sich eine Entität gegenüber anderen Anbietern über ein wettbewerbsfähiges Leistungsportfolio differenzieren kann. Die Strategie ist daher oftmals auf die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen ausgerichtet. Je nachdem, ob von Unternehmens-, Vertriebs-, Produkt- oder Dienstleistungsstrategien gesprochen wird, ändert sich der Gegenstand der strategischen Entscheidungen, wie Abb. 4.1 verdeutlicht. Wichtig ist dabei immer auch der Bezug und die Ableitung im Dienstleistungsportfolio und deren Auswirkungen auf die Dienstleistungsorganisation. Eine Dienstleistungsstrategie beinhaltet eine strategische Entscheidung zum Leistungs­ angebot eines Unternehmens auf der Geschäftsfeld- und Fachbereichsebene. In diesem Buch wird dabei Strategie als die kleinste Auswahl an Entscheidungen, um andere Entscheidungen optimal zu treffen (oder zu erzwingen) (Van Den Steen 2017) angesehen. Somit stellen die strategischen Entscheidungen im Unternehmen sicher, dass alle Entscheidungen einem gemeinsamen Gestaltungsrahmen zugrunde liegen. Unternehmensebene

Geschäftsfeldebene

Funktionsebene

Unternehmensstrategie

Geschäftsfeldstrategie

Fachbereichsstrategie

Operative Umsetzung

Abb. 4.1   Unternehmens-, Geschäftsfeld- und Fachbereichsstrategie

112

4 Service-Strategie

Strategische Entscheidungen sind dabei geprägt durch Langfristigkeit, Verpflichtung, Unsicherheit, Abhängigkeiten, Bedeutung und Wettbewerbseinfluss (Edvardsson et al. 2013). Strategische Entscheidungen bezüglich des Dienstleistungsportfolio betreffen beispielsweise die Fokussierung auf einen bestimmten Markt, bzw. Kundensegmente, die Auswahl und Ausgestaltung von Partnerschaften im Dienstleistungssystem und die konkrete Bestückung des Dienstleistungsportfolios.   Die Strategie eines Unternehmens ist die kleinste Auswahl an Entscheidungen, um andere Entscheidungen optimal zu treffen (oder zu erzwingen) (Van Den Steen 2017, S. 2016).

4.2.2 Phasen der Dienstleistungsstrategieentwicklung Der Strategieentwicklungsprozess kann in die folgenden Phasen unterteilt werden: • Festlegung der Dienstleistungsstrategie. Diese Phase umfasst im Wesentlichen die Erfassung des Status quo in Bezug auf das Unternehmen selbst als auch seine Umgebung. Dabei kommen unterschiedliche Werkzeuge wie die SWOT-Analyse (interne Perspektive) und die PESTLE-Analyse (externe Perspektive) zur Anwendung. Ziel ist, eine möglichst gute Grundlage für die Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen zu schaffen. Dabei verstehen wir unter Dienstleistungsinnovation einen Prozess, bei dem neuartige Ideen und neuartige Technologien zur Entwicklung von aus Sicht des Kunden verbesserten Dienstleistungen genutzt werden. Zudem werden aufbauend auf der Analyse des Status Quo eine Vision und dazugehörige konkrete Zielvorstellungen entwickelt (Berry et al. 2006). • Planung des Dienstleistungsportfolios. In dieser Phase werden grundsätzliche Entscheidungen über die Dienstleistungsprodukte und die jeweilige Leistungserbringung getroffen. Das Angebot vieler Unternehmen setzt sich in der Regel aus mehreren Dienstleistungen zusammen. Dabei kann zwischen Kernleistungen und zusätzlichen Leistungen, welche die Nutzung erleichtern und den Kundennutzen fördern, unterschieden werden. Die Planung des Dienstleistungsportfolios erfordert ein Verständnis dafür, wie Kern- und Zusatzleistungen kombiniert, sequenziert und bereitgestellt werden sollten, um ein auf die Bedürfnisse der Zielsegmente abgestimmtes Leistungsversprechen zu schaffen (siehe auch Ausführungen zu Modularisierung in Kap. 1). • Planung der Dienstleistungsorganisation. Im letzten Schritt der Strategieentwicklung werden – aufbauend auf den beiden zuvor durchlaufenden Phasen – grundsätzliche Entscheidungen über die Dienstleistungsorganisation selbst getroffen. Ziel ist es, die Aufbau- und Ablauforganisation möglichst so zu planen, dass die Entscheidungen bezüglich Strategie und Dienstleistungsportfolio bestmöglich umgesetzt werden können. Zudem wird in dieser Phase oft auch der Einfluss neuer technologischer Entwicklungen analysiert, um operative Entscheidungen über Investitionen in Struktur, Infrastruktur und Mitarbeiterentwicklung auf die Zukunft hin zu optimieren.

113

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

Diese drei Phasen bilden die konzeptionelle Grundlage dieses Kapitels und werden in den nächsten Abschnitten näher behandelt. Ein Überblick über die Phasen der Strategieentwicklung und ihre wichtigsten Elemente gibt Abb. 4.2.

4.3 Festlegung der Dienstleistungsstrategie 4.3.1 Positionsbestimmung: Situationsanalyse Eine gute Strategie baut auf einer Bestimmung des Status quo auf. Dazu gehört einerseits die Bestimmung der eigenen Stärken und Schwächen, aber andererseits auch die gründliche Analyse des Wettbewerbsumfelds. Ziel ist die Beantwortung der folgenden Fragen: „Lohnt es sich für ein bestimmtes Unternehmen, in einen bestimmten Dienstleistungsmarkt einzutreten und dort eine Dienstleistung anzubieten? Wie groß ist das Marktpotenzial der Dienstleistung? Stehen die erforderlichen Kernkompetenzen zur Umsetzung zur Verfügung? Wie viele Wettbewerber existieren bereits und bieten ähnliche Dienstleistungen an?“. Die Situationsanalyse hilft bei der Beantwortung dieser Fragen:   Die Situationsanalyse stellt die Grundlagen für die Ausarbeitung einer Zielsetzung und strategischen Ausrichtung dar. Sie setzt sich aus den Bereichen der Dienstleistungsmarktanalyse, der unternehmensinternen Analyse und der Wettbewerbsanalyse zusammen. Im Folgenden werden die Stärken- und Schwächenanalyse, die Analyse der kritischen Erfolgsfaktoren, die Wettbewerbsanalyse und die Umweltanalyse beschrieben, welche nicht nur im allgemeinen strategischen Management angewandt werden, sondern auch im strategischen Dienstleistungsmanagement eine wichtige Rolle spielen. Diese Instrumente konnten sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte trotz der Veränderungen im Marktgeschehen, des technologischen Fortschritts sowie der Umwälzung von Branchenstrukturen und Geschäftsmodellen etablieren. Für die Analyse der Schwächen und

Festlegung der Dienstleistungsstrategie •

Situationsanalyse als Grundlage für die strategische Zielsetzung



Nutzung von Inputs von Kunden, interner Analyse, Wettbewerbsanalyse und Trends



Ergebnis stimuliert Dienstleistungsinnovation

Planung des Dienstleistungsportfolios •

Grundsätzliche Entscheidungen über die Dienstleistungsprodukte und die Leistungserstellung



Besonderer Fokus auf die Organisation von unternehmensexterner Leistungserbringung und verschiedener Ausprägungen des Dienstleistungsangebots

Abb. 4.2   Schritte der Festlegung der Dienstleistungsstrategie

Planung der Dienstleistungsorganisation •

Analyse des Einflusses von technologischen Trends auf die Dienstleistungen



Grundsätzliche Entscheidung über die Aufbau- und Ablauforganisation



Besonderer Fokus auf das Zusammenpassen von Strategie und Organisation

114

4 Service-Strategie

Stärken eines Dienstleistungsunternehmens eignet sich insbesondere die SWOT-Analyse sowie eine Analyse der kritischen Erfolgsfaktoren (Kaplan 2008, S. 50). Die Wettbewerbsanalyse nach Porter (1998), die ihren Fokus insbesondere auf die Wettbewerbskräfte legt, basiert auf volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und hilft die Branche in dem ein Unternehmen aktiv ist zu strukturieren. Die Umweltanalyse ergänzt die beiden vorangestellten Modelle und ist ebenso wesentlich für eine erfolgreiche Marktausrichtung eines Dienstleistungsunternehmens.

4.3.1.1 Unternehmensanalyse Die SWOT-Analyse stellt Chancen und Risiken den Stärken und Schwächen gegenüber. Dadurch gelingt es ihr, Schlüsselkompetenzen, vorhandene Ressourcen und Synergien als Grundlage einer erfolgreichen Produktstrategie ausfindig zu machen (Meffert et al. 2015). SWOT steht dabei für Englisch Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen), Opportunities (Chancen) und Threads (Gefahren/Risiken). Bei den Chancen handelt es sich um Wachstumsmöglichkeiten. Solche Möglichkeiten können beispielsweise bisher ungenutzte Vertriebskanäle oder sich ändernde Bedürfnisse von Kunden darstellen. Die Risiken dagegen beziehen sich vor allem auf negative Marktentwicklungen, wie etwa das Sinken von Preisen oder den Eintritt von neuen Wettbewerbern. Auch können neue technologische Entwicklungen, wie beispielsweise im Bereich Künstlicher Intelligenz, dazu führen, dass Unternehmen ihr Angebot anpassen müssen (Meffert et al. 2015). Darauf aufbauend untersucht die Analyse der Stärken und Schwächen, inwiefern die Marktchancen mit vorhanden Kernkompetenzen und Ressourcen des Unternehmens übereinstimmen beziehungsweise was ein Unternehmen aufgrund seiner Stärken möglichen Marktrisiken entgegnen kann. Zu den Stärken zählen im Dienstleistungskontext traditionell vor allem personelle, organisationale und technologische Kapazitäten. Unternehmen, welche es versäumen, sich bezüglich all dieser Dimensionen ständig weiterzuentwickeln, geraten dabei schnell ins Hintertreffen. Dabei ist vor allem eine Fokussierung auf die Bedürfnisse des Kunden von größter Wichtigkeit (Meffert et al. 2015). Zur Vertiefung der mit der SWOT-Analyse gemachten Erkenntnisse kann es zudem hilfreich für ein Unternehmen sein, sich stärker mit seinen kritischen Erfolgsfaktoren auseinanderzusetzen. Unter den kritischen Erfolgsfaktoren (Critical Success Factors) versteht man diejenigen Eigenschaften eines Unternehmens, die besonderen Einfluss auf den Erfolg eines Dienstleisters haben und somit eine Marktführerschaft ermöglichen. Das Konzept der kritischen Erfolgsfaktoren wurde bereits in den 1960er Jahren von McKinsey & Co.’s D. Ronald Daniel eingeführt und ein Jahrzehnt später von John F. Rockart, einem Organisationstheoretiker und Dozenten an der Sloan School of Management des MIT, aufgegriffen und in die Managementlehre eingebracht. Ein Erfolgsfaktor kann eine bestimmte Aktivität, ein Verfahren oder auch gesamte organisationale Bereiche eines Dienstleisters darstellen. Erfolgsfaktoren kommen in Regel aus den Bereichen Service, Kommunikation, Personal und Positionierung (Rockart 1979). Zum Beispiel ist für

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

115

viele Unternehmen im Dienstleistungsbereich die Kundenorientierung der Mitarbeiter ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal. Die Unternehmen sollten ihren strategischen Gestaltungraum, bzw. ihre strategischen Ziele, an diese Faktoren ausrichten, da: • so die die Aktivitäten eines Unternehmens auf das richtige Ziel hin fokussiert werden, • der Aufbau von Kapazitäten anhand dieser Faktoren gesteuert werden kann, • und diejenigen Bereiche, die outgesourct werden können – weil sie nicht zentral für das Wertversprechen eines Unternehmens sind – leichter bestimmt werden können (Rockart 1979). Üblicherweise werden die kritischen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens in gemeinsamen Workshops der Unternehmensführung bestimmt. Zunehmend werden zur Unterstützung dabei aber auch Methoden der Service Analytics genutzt, die auf Big Data basieren (siehe dazu auch Kap. 1) (Troilo et al. 2017). Beispielsweise werden im IT-Service-Bereich die „Wartungs-Tickets“ über fortgeschrittene Text-Analytics-Applikationen auf Kernanliegen analysiert und so die Kernbedürfnisse der Kunden identifiziert. Diese Informationen eignen sich dann dazu, den eigenen Fortschritt bezüglich der kritischen Erfolgsfaktoren zu evaluieren, bzw. den Gestaltungsraum des Unternehmens neu abzustecken.

4.3.1.2 Wettbewerbsanalyse Nach Porters Modell der Wettbewerbsanalyse gibt es fünf Kräfte im Unternehmensumfeld, die sich auf den Wettbewerb auswirken und die Attraktivität einer Branche bestimmen (Reim et al. 2015): 1) die bestehende Konkurrenz am Markt, 2) die Bedrohung durch Substitute, 3) die Verhandlungsmacht der Kunden sowie 4) der Lieferanten und 5) der Markteintritt neuer Konkurrenten. Diese Faktoren können zu einem stärkeren Wettbewerb und damit zu einer geringeren Attraktivität für das Unternehmen, seine Aktivitäten auf diese Branche zu fokussieren, führen. In Bezug auf Dienstleistungen müssen dabei je nach Situation Besonderheiten beachtet werden, da diese sich zum Beispiel oft schwerer über technologisches Spezialwissen von Konkurrenten abgrenzen können. So sind im Allgemeinen die Markteintrittsbarrieren aufgrund von Economies of Scale im Produktbereich oft bedeutender als im Dienstleistungsbereich. Zudem basieren die Geschäftsmodelle in der Plattformökonomie auf Netzwerkeffekten, sodass sich neue Unternehmen erst einmal eine große Nutzerbasis aufbauen müssen, was oft mit hohen Kosten verbunden ist. Im Folgenden werden die Kräfte zunächst einzeln nacheinander beschrieben und daraufhin deren Zusammenspiel illustriert (Abb. 4.3). Wettbewerb existierender Unternehmen. Eine der fünf Kräfte, die über die Wettbewerbsintensität innerhalb der Branche bestimmen, lässt sich laut Porter anhand der Beziehung am Markt bereits existierender Unternehmen zueinander festmachen. Eine hohe

116

4 Service-Strategie

Bedrohung durch Ersatzprodukte und -dienste

Verhandlungsmacht der Kunden/Abnehmer

Wettbewerb in der Branche Rivalität zwischen existierenden Unternehmen

Verhandlungsmacht der Zulieferer

Drohender Markteintritt neuer Konkurrenten

Abb. 4.3   Das Modell der 5 Wettbewerbskräfte. (Quelle: Mintzberg et al. 2005, S. 101)

Wettbewerbsintensität ist meist das Ergebnis langsamen Marktwachstums innerhalb einer Branche, eines hohen Anteils vieler oder ähnlich ausgestatteter Unternehmen, hoher Fixund Lagerkostenanteil, hoher Differenzierungs- oder Umstellungskosten bei Abnehmern oder Heterogenität der Wettbewerber (Fitzsimmons et al. 2014; Mintzberg et al. 2008). Verhandlungsmacht der Zulieferer.  Eine weitere Wettbewerbskraft ist mit dem Blick auf die Verhandlungsmacht der Lieferanten erkennbar. Lieferanten haben dann eine besonders große Macht, wenn am Markt nur eine geringe Anzahl von Lieferanten existiert oder wenn es keine oder kaum Ersatzprodukte- oder Dienstleistungen gibt. Zudem stärkt sich ihre Position, wenn die zu liefernden Produkte nicht lagerfähig sind. Nehmen die zu liefernden Produkte zugleich eine herausragende Rolle für das Unternehmen oder die Branche ein, erhöht sich die Macht der Zulieferer aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses nochmals (Mintzberg et al. 2008; Fitzsimmons et al. 2014). Für viele Dienstleister, vor allem außerhalb der Industriebranche, ist die Verhandlungsmacht der Lieferanten zu vernachlässigen, da der Kern der Leistungserbringung meist vollständig vom Unternehmen selbst erbracht wird und nicht auf den Leistungen von Lieferanten basiert. Dies trifft vor allem auf die Digitalbranche zu, wo Unternehmen dazu übergehen, kritische Infrastruktur wie Server selbst zu unterhalten und damit auch die letzten der wenigen Abhängigkeitsverhältnisse aufzulösen.

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

117

Verhandlungsmacht der Kunden. Neben der Verhandlungsmacht der Lieferanten sind laut Porter aber auch Kunden entscheidend am Wettbewerb innerhalb einer Branche beteiligt. Kunden können Wettbewerber gegeneinander ausspielen, da sie immer auf der Suche nach noch günstigeren Preisen oder noch höherer Qualität sind. Die Macht der Kunden, ihre Wünsche und Forderungen auch durchzusetzen, ist umso größer, je wichtiger die Kunden für die Branche sind, beziehungsweise je unwichtiger die Branche für die Kunden ist (Mintzberg et al. 2008; Fitzsimmons et al. 2014). Ist beispielsweise ein Wechsel zu einem anderen Telekommunikationsanbieter mit finanzieller oder großer zeitlicher Belastung in Form einer einmonatigen Umstellungszeit, in der weder Internet noch Telefon genutzt werden kann, verbunden, ergibt sich ein großes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kunde und Unternehmen. Die Kunden werden in einem solchen Fall eher widerwillig wechseln und können so keinen Druck aufbauen, der sich in tieferen Preisen äußern könnte. Sind die Wechselbarrieren gering, ist der Preiskampf dagegen hoch. In der Plattformökonomie ist die Verhandlungsmacht der Kunden oft geringer, da als Währung Kundendaten gelten und der Kunde nicht direkt für die wahrgenommene Leistung mit Geld aufkommt. Zudem wirken Netzwerkeffekte, die den Wechsel zu einer Plattform, welche für den Kunden attraktivere Bedingungen bietet, aber über eine deutliche geringere Nutzerzahl verfügt, unattraktiv machen. Markteintritt neuer Konkurrenten.  Der potenzielle Markteintritt neuer Konkurrenten stellt eine weitere wichtige Wettbewerbskraft dar. Profitable Märkte, die hohe Erträge versprechen, locken potenzielle Konkurrenten an. Für bereits bestehende Unternehmen drohen Preisverfall, Verlust an Marktanteilen und Rentabilitätseinbußen. Hier muss mit hartem Preiskampf, z. B. in Form von sehr niedrigen Dumpingpreisen, zwischen bereits bestehenden Unternehmen gerechnet werden, der es den Neuzugängen nicht erlaubt, kostendeckend oder gar profitabel zu arbeiten. Zudem entscheiden existierende Eintrittsbarrieren darüber, ob es einem neuen Unternehmen leicht- oder schwerfällt, in den Markt einzutreten. Eintrittsbarrieren, wie beispielsweise Skaleneffekte, Produktdifferenzierung, Kapitalbedarf und Kundenloyalität, machen es neuen Unternehmen schwer, sich am Markt zu etablieren und konkurrenzfähig zu werden (Mintzberg et al. 2008; Fitzsimmons et al. 2014). In vielen Branchen bestehen hier besondere Risiken, da durch die Digitalisierung Markteintrittsbarrieren wegfallen. So muss beispielsweise eine Bank nicht mehr über ein weit verbreitetes Filialnetz verfügen, sondern kann wesentlich Funktionen über eine digitale Applikation abbilden. Ähnliche Mechanismen gelten auch in anderen Dienstleistungsbranchen. Zudem fällt es im Dienstleistungskontext schwer, potenzielle zukünftige Konkurrenten zu identifizieren, da die Qualität von Dienstleistungen nur abgeschätzt werden kann und somit kein allgemein gültiges Vergleichskriterium besteht. Substituierbare Dienstleistungen. Dienstleistungen, die dem Kunden den gleichen Nutzen bieten und für den gleichen oder einen geringeren Preis zu haben sind, können in Konkurrenz zueinander stehen, da der Kunde in der Regel nur eine der angebotenen

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4 Service-Strategie

Alternativen in Anspruch nehmen wird. Wettbewerb hängt also letztlich auch davon ab, ob es dem Kunden möglich ist, die angebotene Leistung durch ein gleichwertiges Substitut zu ersetzen (Mintzberg et al. 2008; Fitzsimmons et al. 2014). Je mehr Alternativen sich dem Kunden bieten, desto größer ist der Wettbewerbsdruck unter den Dienstleistungserbringern. Es lassen sich alternativ und peripher substituierbare Leistungen unterscheiden. Alternativ substituierbare Leistungen lassen sich vollständig durch andere Produkte ersetzen, periphere dagegen nur zum Teil, da mindestens ein Produktionsfaktor nicht ersetzt werden kann. Vor allem diejenigen Dienstleistungen, die nicht auf technischem Spezialwissen basieren, können der letzteren Gruppe zugezählt werden. In diesem Fall kann eine wichtige Strategie sein, sich über einen außergewöhnlichen Service zu differenzieren. Nach Porters Vorstellung agieren alle Unternehmen in dem Gefüge dieser beschriebenen fünf Kräfte. Während die Beschäftigung mit der Bedrohung durch substituierbare Produkte, mit der Verhandlungsmacht der Kunden, mit Eintrittsbarrieren potenzieller Konkurrenten und einer Auseinandersetzung mit den Rivalitäten am Markt existierender Dienstleister durchaus lohnenswert scheint, um Branche und Wettbewerbsintensität zu beschreiben, kann die Verhandlungsmacht der Lieferanten oft vernachlässigt werden. Lieferanten existieren im Dienstleistungserstellungsprozess nur insoweit, wie Teile der Dienstleistungserbringung zugekauft werden, da ansonsten die Leistung mit dem Kunden gemeinsam erstellt wird. Eine weitere Herausforderung stellt die Identifikation möglicher Konkurrenten dar, da sich die Qualität einer Dienstleistung schwer erfassen und damit auch vergleichen lässt.

4.3.1.3 Umfeldanalyse In der Trendanalyse werden vom Unternehmen unmittelbar abhängige Einflussfaktoren auf das Dienstleistungsgeschäft systematisch identifiziert und Trends abgeleitet, welche die Dienstleistungsstrategie beeinflussen können (Sternad 2015). Diese Trends dienen dazu, zur Auswahl stehende Handlungsalternativen im Lichte allgemeiner Entwicklungen gegeneinander abzuwägen. Für die strukturierte Analyse wird in diesem Buch die PESTLE-Analyse verwendet, die eine umfassende Sicht auf alle die Dienstleistungsstrategie betreffenden extern begründeten Einflussfaktoren ermöglicht. Die PESTLE-Analyse, die manchmal auch als PEST-Analyse bezeichnet wird, ist eine Methode aus dem Marketing. Darüber hinaus wird sie von Unternehmen als Instrument zur Analyse extern begründeter Faktoren im Kontext der Einführung neuer Projekte oder Dienstleistungen genutzt. PESTLE ist ein Akronym, das in seiner erweiterten Form „political, economic, socio-cultural and technological, legal and environenmental“ also politische, ökonomische, soziokulturelle, technologische, rechtliche und ökologische Einflussfaktoren miteinschließt. Als Ergebnis steht eine Abbildung aller relevanten Einflussfaktoren, welche die Dienstleistungsstrategie mitunter entscheidend prägen können. Es kann sein, dass die Bedeutung der einzelnen Faktoren in den verschiedenen Dienstleistungsbranchen unterschiedlich ist, aber es ist sehr sinnvoll, für jede Strategie, die ein Unternehmen entwickeln will, die PESTLE-Analyse durchführen. Tab. 4.1 gibt einen Überblick über die Bestandteile der Analyse.

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

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Tab. 4.1  Bestandteile der PESTLE-Analyse Kategorie der Analyse

Erläuterung

Politisch

Einflüsse, die bestimmen, inwieweit eine Regierung Einfluss auf die Wirtschaft oder eine bestimmte Branche nehmen kann

Ökonomisch

Determinanten der Wirtschaftsleistung, die sich direkt auf ein Unternehmen auswirken und langfristige Auswirkungen haben

Sozial

Faktoren, die das soziale Umfeld des Marktes hinterfragen und messen Einflussfaktoren wie kulturelle Trends, Demografie, Bevölkerungsanalyse

Technologisch

Trends hinsichtlich der Entwicklungen in der IT oder Entwicklungen in einer branchen- oder marktspezifischen Technologie

Rechtlich

Gesetze, die sich auf das Geschäftsumfeld in einem bestimmten Land auswirken und interne Richtlinien

Ökologisch

Faktoren, welche die ökologischen Belange der Dienstleistungserbringung betreffen

Politisch.  Die Entwicklung von supranationalen Institutionen und Organisationen (wie der Europäischen Union) und das damit wechselseitig abhängige Wachstum des Welthandels haben die politischen Rahmenbedingungen verändert. Die damit einhergehende Komplexität wirkt sich zunehmend auf den Handlungsspielraum von Organisationen aus. Politische Faktoren, die sich auf die Dienstleistungsstrategie auswirken können, umfassen die Steuerpolitik, Handelszölle usw., die eine Regierung im Laufe des Geschäftsjahres erheben kann und die das wirtschaftliche Umfeld in hohem Maße beeinflussen können. Ökonomisch.  Diese Faktoren beschreiben diejenigen ökonomischen Rahmenbindungen, die sich direkt auf ein Dienstleistungsunternehmen auswirken. So könnte sich beispielsweise eine Änderung der Inflationsrate auf die Preisgestaltung von Produkten und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft auswirken, da die Inflationsrate Einfluss auf die Kaufkraft eines Verbrauchers und somit auf die Nachfrage- und Angebotsmodelle hat. Andere wirtschaftliche Einflussfaktoren umfassen beispielsweise Zinssätze, Wechselkurse oder Wirtschaftswachstumsmuster. Sozial.  Soziokulturelle Faktoren sind solche, die vom (potenziellen) Kunden ausgehen. Das soziale Umfeld eines Marktes wird durch Einflussfaktoren wie kulturelle Trends, Demografie oder Bevölkerungsanalyse beschrieben. Beispielsweise ergebt sich die Nachtfrage für spezifische Dienstleistungen in vielen westlichen Ländern wie den USA aus der Ferienzeit. Diese Veränderungen können oft subtil und schwer vorhersehbar oder identifizierbar sein, bis sie plötzlich einen großen Einfluss gewinnen.

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4 Service-Strategie

Technologisch.  Dieser Bereich umfasst Faktoren, die sich aus der Entwicklung von Technologien ergeben. Es gibt zwei Arten des technologischen Wandels: Es kann zwischen solchen Entwicklungen in der IT unterschieden werden, welche einen generellen oder nur einen branchenspezifischen Einfluss haben; zum Beispiel Verbesserungen in der Dienstleistungserbringung oder dem Self-Service. So können IT-Entwicklungen das Dienstleistungsgeschäft branchen- und geschäftsübergreifend verändern, wie etwa der zunehmende Einsatz von Automation und Self-Service zeigt. Es kommt häufig vor, dass die potenzielle Nutzung der Technologie für Dienstleistungen nicht erkannt wird – zumindest solange, bis ein Wettbewerber mit einem neuen oder verbesserten Dienstleistungsportfolio auftaucht. Die Identifizierung solcher technologischen Fortschritte ist deshalb von entscheidender Bedeutung. Rechtlich.  Hierbei handelt es sich um rechtliche Rahmenbedingungen, die exogen als auch endogen begründet sein können. Es gibt Gesetze, die sich auf das Geschäftsumfeld in einem bestimmten Land auswirken, als auch Richtlinien, welche Unternehmen sich selbst setzen. Die juristische Analyse berücksichtigt diese beiden Blickwinkel und entwirft dann die Strategien im Lichte dieser Gesetzgebungen. Beachtet müssen zum Beispiel Verbraucherrecht, Sicherheitsstandards und Arbeitsrecht. Umwelt.  In diese Kategorie fallen alle ökologisch begründeten Einflussfaktoren. Diese Faktoren treten zunehmend in den Vordergrund strategischer Überlegungen, da viele Ressourcen knapper werden und die wachsende Umweltbelastung im öffentlichen Diskurs eine immer wichtigere Rolle spielt. Bestimmte Dienstleistungsbranchen – wie beispielsweise der Tourismus – sind dabei insbesondere von Umwelteinflüssen geprägt. Dabei gehören zu den Faktoren einer betriebswirtschaftlichen Umweltanalyse das Klima, das Wetter, die geografische Lage, die globalen Veränderungen des Klimas sowie der Umweltausgleich.

4.3.2 Strategische Ausrichtung: Visions- und Zielformulierung 4.3.2.1 Visions- und Zielformulierung Nach Abschluss der Situationsanalyse folgt die Visions- und Zielformulierung. Visionen stellen ein selbst gewähltes Bild der Zukunft dar. Die Visionsformulierung beantwortet die strategische Frage, was den Markenkern eines Dienstleistungsunternehmens ausmacht, wohin dieses sich darauf aufbauend entwickeln und wie diese Entwicklung vollzogen werden soll (McGrath und MacMillan 2000). Visionen bilden damit eine Idee ab – eine Idee darüber, wie das Dienstleistungsportfolio „aussehen“ soll. Visionen sind den Zielen übergeordnet. Aus den Visionen lassen sich Ziele ableiten. Aus Visionsbeschreibung und Zielsetzung sollen konkrete Handlungsempfehlungen für die Dienstleistungsstrategie abgeleitet werden.

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

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4.3.2.1.1 Visionsentwicklung In der Vision können wir abbilden, wie die Dienstleistung erbracht werden soll. Sie liefert einen ersten Anhaltspunkt darüber, nach welchem Dienstleistungsverständnis – welcher Philosophie – der Dienstleistungsanbieter sein Leistungsportfolio zusammenstellt und auf welchen Märkten er seine Dienstleistungen anbieten möchte (Fitzsimmons et al. 2014). Im Folgenden sind ein paar Beispiele für Visionen von Dienstleistungsunternehmen dargestellt: • der Anbieter der feinsten Schokolade in der Schweiz • die Management-Beratung für den deutschen Mittelstand • der größte Händler für Gebrauchtwagen in den USA 4.3.2.1.2 Zielformulierung Im Dienstleistungskontext lassen sich zwei Zielarten unterscheiden: Zielbasiskategorien und potenzial-, prozess- und ergebnisorientierte Ziele. Während die erste Zielart den generellen Erfolg eines Dienstleistungsunternehmens fokussiert, nimmt die zweite Zielart Bezug auf die Dienstleistungsqualität, die sich über Potenziale, Prozesse und Ergebnisse (PPE-Ansatz) definieren lässt. Unter Zielbasiskategorien fallen u. a. ökonomische Ziele, wie beispielsweise Gewinn, Umsatz oder Deckungsbeitrag. Des Weiteren können Rentabilitätsziele, wie Return on Investment (ROI) und Umsatzrentabilität sowie Marktstellungsziele, wie z. B. Marktanteil und Marktgeltung, ebenfalls unter die Basiskategorien von Zielen subsumiert werden. Unter potenzialorientierte Ziele fallen beispielsweise die Nutzung von Personalressourcen, Fach- sowie soziale Kompetenzen. Prozessorientierte Ziele betreffen Kundengewinnung, Kundenbindung und Integration des Kunden in den Leistungserstellungsprozess. Ergebnisorientierte Ziele decken die schnellere Bearbeitung eines Auftrages, die Perfektionierung einer Leistung oder die Erreichung eines höheren Informationsgehaltes bei der Erteilung von Auskünften ab (Meffert et al. 2015). Bezüglich der verschiedenen Zielarten lassen sich nun konkrete Ziele formulieren. Im Gegensatz zur Vision sind Ziele zu operationalisieren, das heißt in konkreten Messgrößen abzubilden. Ziele sind dann wirksam aufgestellt, wenn sie den s.m.a.r.t.-Kriterien entsprechen und wie folgt formuliert sind: • • • • •

s – pezifisch-konkret (präzise und eindeutig formuliert) m – essbar (quantitativ oder qualitativ) a – ttraktiv (positiv formuliert, motivierend) r – ealistisch (das Ziel muss erreichbar sein) t – erminiert (bis wann?)

Anhand der Ziele lässt sich überprüfen, ob die verfolgte Zielsetzung im Zielmarkt auch erreicht wurde und ob die Zielsetzung der Dienstleistungsstrategien auch zur Gesamtunternehmensstrategie passt (Meffert et al. 2015).

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4 Service-Strategie

Im Prozess der Zielformulierung muss insbesondere darauf geachtet werden, die Ziele in ein konsistentes Zielsystem zu überführen. Ein solches ist beispielsweise die Aufteilung auf Unternehmen, Kunden und Mitarbeiter betreffende Zielsetzungen. Zusätzlich zur Einteilung in verschiedene Zielarten unterstützt das Zielsystem bei der Strukturierung der Ziele und bildet sie in ihrem Wirkungszusammenhang ab. So kann leichter überprüft werden, ob ein Ziel erreicht wurde. Zudem lassen sich die Ziele über das Zielsystem besser steuern, da Zusammenhänge schneller gesehen werden (Meffert et al. 2015).

4.3.2.2 Positionierung Agieren Unternehmen auf unterschiedlichen Märkten mit differierenden Zielgruppen und einem vielschichtigen Leistungs- und Produktangebot, bedarf es für jede dieser Marktaktivitäten eine gesonderte Positionierung. Hierfür werden Unternehmen in strategische Geschäftsfelder eingeteilt. Damit ist vor der Festlegung der Geschäftsfelder zunächst der relevante Markt, in dem die Dienstleistung angeboten werden soll, zu bestimmen. Es ist sinnvoll, sich bei der Definition des relevanten Marktes auf die Sicht der Kunden zu beziehen, denn schließlich interessieren Nachfrage und Absatz der Leistung beziehungsweise des Produktes. Viele vom Unternehmen angebotene Dienstleistungen werden vom Kunden als austauschbar wahrgenommen. Nach Porters Überlegung ist das Vorliegen von Substituierbarkeit eines der Kriterien für eine geringere Attraktivität des Marktes, da Wettbewerb und damit Eintrittsbarrieren sehr hoch sind. Gemäß Porter (1998) würde man davon abraten, sich auf einen solchen Markt zu fokussieren. Hier sind die Ergebnisse aus der Situationsanalyse in die Festlegung des Zielmarktes mit einzubeziehen. Ist der relevante Markt gefunden, werden die strategischen Geschäftsfelder festgelegt. Es muss ein Gefühl dafür entstehen, welche Kunden welche Bedürfnisse haben und wie diese Bedürfnisse mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen befriedigt werden können. Im nächsten Schritt werden die definierten Geschäftsfelder nach den Funktionen der Dienstleistungen, der Zielgruppe, die diese Dienstleistung in Anspruch nehmen soll, und dem Einsatz von Technologien voneinander abgegrenzt. Letzteres Kriterium kommt nur als Differenzierungskriterium in Betracht, wenn der Technologieeinsatz eher als Hilfsmittel im Dienstleistungserbringungsprozess, wie beispielsweise bei einem Bankautomaten, zu verstehen ist. 4.3.2.2.1 Wettbewerbsstrategien Traditionell nach Porter wird die relative Position einer Dienstleistung innerhalb des Wettbewerbs bestimmt, ob die Rentabilität über oder unter vergleichbaren Dienstleistungen liegt. Es gibt also zwei grundlegende Arten von Wettbewerbsvorteilen, die eine Dienstleistung besitzen kann: Kostenführerschaft oder Differenzierung. Diese beiden Arten von Wettbewerbsvorteilen führen abhängig von der Breite des Angebotsspektrums zu drei generischen Strategien zur Erzielung überdurchschnittlicher Leistungen in einer Branche: Kostenführerschaft, Differenzierung und Fokussierung. Die Fokusstrategie hat zwei Varianten, Kostenfokus und Differenzierungsfokus.

4.3  Festlegung der Dienstleistungsstrategie

123

• Kostenführerschaft. In der Kostenführerschaft will ein Unternehmen zum Low-Cost-Produzenten seiner Branche werden. Die Kostenvorteile sind vielfältig und hängen von der Branchenstruktur ab. Dazu können das Streben nach Größenvorteilen, proprietären Technologien oder präferenziellem Zugang zu Rohstoffen gehören. Ein Low-Cost-Produzent sollte danach streben, möglichst viele Kostenvorteile zu erschließen und auszuschöpfen. Wenn ein Unternehmen die Kostenführerschaft erreichen und aufrechterhalten kann, wird es in seiner Branche überdurchschnittlich gut abschneiden, vorausgesetzt, es kann die Preise unter dem Branchendurchschnitt halten. • Differenzierung. In einer Differenzierungsstrategie strebt ein Unternehmen danach, bezüglich der Aspekte der Dienstleistungserbringung einzigartig zu sein, die von den Käufern geschätzt werden. Es wählt ein oder mehrere Attribute aus, die viele Kunden bei der Dienstleistung als wichtig empfinden, und positioniert sich eindeutig entlang dieser Bedürfnisse. Die Dienstleistung kann wegen ihrer Einzigartigkeit für einen Premium-Preis verkauft werden. • Fokus. Die generische Strategie der Fokussierung beruht auf der Wahl eines engen Wettbewerbsumfangs innerhalb einer Dienstleistung. Das Unternehmen wählt ein Segment oder eine Gruppe von Segmenten in der Dienstleistung aus und passt seine Strategie an, um sie unter Ausschluss anderer Segmente zu bedienen. Die Fokusstrategie hat zwei Varianten: a) Bei der Kostenfokussierung strebt ein Unternehmen einen Kostenvorteil in seinem Zielsegment an, während bei der b) Differenzierungsfokussierung ein Unternehmen eine Differenzierung in seinem Zielsegment anstrebt. Beide Varianten der Fokussierungsstrategie beruhen auf Unterschieden zwischen dem Zielsegment eines Unternehmens und dem andere Dienstleister. 4.3.2.2.2 Marktpositionierung Im Dienstleistungskontext setzt sich zunehmend das Modell der Wertedisziplinen zur Positionierung durch. Es beschreibt drei generische Wertdisziplinen (Zacharias et al. 2016), an denen sich ein Dienstleistungsunternehmen ausrichten kann: • Operative Exzellenz: Effiziente und effektive Arbeitsabläufe ermöglichen die Dienstleistungserbringung zu günstigen Preisen bei gleichbleibender Qualität. Der Fokus liegt auf Effizienz, Rationalisierung der Abläufe und dem Erreichen großer Volumen. • Produktführerschaft: Hierbei liegt der Fokus auf Innovation und Markenmarketing, um sich über die Dienstleistung selbst abzugrenzen. • Kundennähe: Bei dieser Disziplin ergibt sich der Vorteil aus der Kenntnis der Kunden aufgrund einer hervorragenden Kundenbeziehung. Ziel ist, Dienstleistungen auf die Bedürfnisse einzelner Kunden zuzuschneiden. Die Kundenbeziehung nimmt dabei im Zuge der Servitization (siehe hierzu auch Kap. 1) eine immer wichtigere Rolle ein.

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4 Service-Strategie

4.3.2.2.3 Neue Märkte erschließen Neben der Positionierung im Wettbewerb und auf dem Markt gibt es noch die Möglichkeit, eigene Märkte für eine Dienstleistung zu erschließen (Chan Kim und Mauborgne 2005). Ein wesentliches Merkmal dieser Strategie ist es, anstatt mit Unternehmen in bestehenden Märkten zu konkurrieren, neue Märkte zu schaffen und somit bestehenden Wettbewerb für die eigene Ausrichtung irrelevant zu machen. Um in einem neuen Markt Dienstleistungen anzubieten, sollten Dienstleistungsunternehmen eine zweigliedrige Strategie fahren – die bestmögliche Befriedigung von Kundenbedürfnissen bei gleichzeitiger Optimierung der Kosten. Die Logik hinter dieser Strategie scheint kontraintuitiv: Meistens geht es nicht um technologische Innovation. Oftmals ist die zugrundeliegende Technologie bereits existent und die Entwickler eines neuen Marktes kombinieren lediglich Technologie und Dienstleistung entsprechend eines oder mehrerer Kundenbedürfnisse neu. Für die Umsetzung dieser Positionierung sollte der Wettbewerb nicht als Benchmark genommen werden. Stattdessen geht es um die Veränderung des Wertangebots gegenüber dem Kunden. Hier sollte eine Differenzierung herausgestellt werden, welche die Konkurrenz irrelevant macht.

4.4 Planung des Dienstleistungsportfolios Unternehmen planen ihre Dienstleistungsprodukte und das Dienstleistungsportfolio, um sich von ihren Wettbewerbern abzugrenzen (Wirtz 2016). Ein Dienstleistungsprodukt beinhaltet ein definiertes und konsistentes Wertbündel für den Kunden (Harkonen et al. 2017). Im Fertigungskontext ist das Konzept von Wertbündeln leicht verständlich. Ähnlich können Unternehmen ihr Dienstleistungsportfolio differenzieren, welches dann Dienstleistungsprodukte mit verschiedenen Arten und Abstufungen von Dienstleistungen enthält. Zielsetzung der Planung des Dienstleistungsportfolios ist es, Leistungsbündel zu entwerfen, die sich deutlich voneinander unterscheiden lassen. Dienstleister stehen vor der Wahl, welche Produkte sie anbieten und in welcher Form sie diese ihren Kunden anbieten. Ein Dienstleistungskonzept definiert dabei die konkrete Ausprägung der Planung des Dienstleistungsportfolios und enthält das Wie und Was der Leistungserbringung und der Dienstleistungsprodukte (Goldstein et al. 2002). Zudem hilft es dabei, zwischen Kundenbedürfnissen und der strategischen Intention eines Unternehmens zu vermitteln. Um das Wesen der Dienstleistungen besser verstehen zu können, ist es sinnvoll, zwischen dem Kernprodukt und zusätzlichen Elementen zu unterscheiden, die die Nutzung erleichtern und den Kundennutzen erhöhen. Ein Serviceprodukt umfasst alle Elemente der Leistungserbringung, sowohl physisch als auch immateriell, die für den Kunden einen Mehrwert schaffen (Harkonen et al. 2017). Die Planung des Dienstleistungsportfolios ist eine komplexe Aufgabe, die ein Verständnis dafür erfordert, wie Kern- und Zusatzleistungen kombiniert, sequenziert und bereitgestellt werden sollten, um ein auf die Bedürfnisse der Zielsegmente abgestimmtes Leistungsversprechen zu

4.4  Planung des Dienstleistungsportfolios

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schaffen. Das Wertbündel des Dienstleistungsportfolios adressiert und integriert dabei drei Komponenten: 1) Kernprodukt, 2) Zusatzleistungen und 3) Lieferprozesse (Wirtz 2016). Diese können entweder allein oder in Gemeinschaft mit anderen Dienstleistern erbracht werden.   Das Dienstleistungskonzept definiert die Leistungserbringung und die Dienstleistungsprodukte in der Planung des Dienstleistungsportfolios und hilft dabei, zwischen Kundenbedürfnissen und der strategischen Intention eines Unternehmens zu vermitteln (Goldstein et al. 2002).

4.4.1 Orchestrierung der Leistungserbringung Viele Dienstleistungen basieren auf immer komplexer werdenden Wertschöpfungsprozessen, welche eine sorgfältige Orchestrierung der Leistungserbringung erfordern (Breidbach et al. 2016). Dies kann durch die Unterstützung des Lernprozesses des Kunden oder durch engagierte Mitarbeiter erreicht werden, die die Ressourcenintegration im Namen der Kunden erleichtern. Die Prinzipien der Service Dominant Logic (Kap. 1) spielen hier eine wichtige Rolle. Da die Kunden aufgrund unvollständiger Informationen nur begrenzt rational handeln, muss der Wertschöpfungsprozess aktiv orchestriert und erleichtert werden. Ein Beispiel hierfür sind bis ins Detail geplante Customer Journeys (Siehe auch Kap. 6) auf digitalen Plattformen. Um herauszufinden, wie sich Wertschöpfungsprozesse orchestrieren lassen, ist die Fokussierung auf die Akteure und ihre Rolle in einer Dienstleistung ein geeigneter Ausgangspunkt. Durch die Koordinierung und Erleichterung des Austauschs von Ressourcen zwischen voneinander abhängigen Akteuren erhöhen die organisierenden Dienstleister die Prozesseffizienz, was sich in einer verbesserten operativen Leistung einer Dienstleistung widerspiegelt. Die wichtigste Aufgabe in Dienstleistungssystemen ist die Organisation der Leistungserstellung für den Kunden (Breidbach et al. 2016). Der Kunde steht in dieser Betrachtung traditionell im Mittelpunkt. In den meisten Fällen werden Dienstleistungen nicht mehr in einer Eins-zu-eins-Beziehung zwischen dem Kunden und dem Dienstleiter erstellt, sondern von mehreren Dienstleistern (Teixeira et al. 2017). Dieser Trend hat seine Wurzeln in der Aufgabenteilung und geht davon aus, dass eine Erbringung effizienter Dienstleistungen von verschiedenen Spezialisten erbracht werden kann. Hinzu kommt, dass der Kunde Teil der Dienstleistungserstellung wird (von Bischhoffshausen et al. 2015). Die Lieferkette der Dienstleistungserbringung wird somit zunehmend komplexer und die Organisation der Leistungserstellung eine Herausforderung für die federführenden Dienstleister. Wenn es um die Analyse der Supply-Chain von Dienstleistern geht, gibt es in der Literatur eine interessante Zweiteilung (Stavrulaki und Davis 2014). Einerseits konzentriert sich die Dienstleistungsstrategie traditionellerweise auf

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4 Service-Strategie

die ­internen Abläufe des Unternehmens, wobei sie dazu tendiert, die Auswirkungen der vorgeschlagenen Strategien auf die Lieferkette zu ignorieren. Andererseits konzentrieren sich neuere Bemühungen, die die Sichtweise von Lieferketten über die Grenzen eines einzelnen Unternehmens hinaus erweitern, tendenziell fast ausschließlich auf die Supply-­ Chain-Prozesse, übersehen aber strategische Fragen. Die dafür aufkommenden Dienstleistungssysteme (Kap. 1) bestehen aus einem „Netzwerk aus Menschen, Informationen, Organisationen und Technologien, die gemeinsam zum gegenseitigen Nutzen beitragen“ (Maglio et al. 2015). Dienstleitungssysteme sind somit komplexe, sozio-technische Systeme, die interaktive und gemeinsame Wertschöpfung ermöglichen (Böhmann et al. 2014). Durch eine entsprechende Konfiguration von Akteuren und anderen Ressourcen wird die Wertschöpfung im Dienstleistungssystem ermöglicht. Die Fähigkeiten der Akteure, die Interaktion und das Engagement im Dienstleistungssystem sind von grundlegender Bedeutung für diese Wertschöpfung. Typischerweise gehören zu den Akteuren vor allem menschliche Agenten (mit Wissen und Fähigkeiten), die an der gemeinsamen Wertschöpfung teilnehmen (Böhmann et al. 2014). Immer mehr Dienstleistungssysteme haben essenzielle Technologie-Komponenten, die eine Koordinierung erleichtern (Barrett et al. 2015). Das Plattform-Business stellt eine mögliche Ausprägung der Orchestrierung dar. In diesem Fall wird die Leistungserstellung der Dienstleistung nicht selbst von dem hauptsächlichen Dienstleister erstellt, der Ansprechpartner des Kunden ist, sondern nur die Koordinierung über die Plattform übernommen. Die eigentlichen sekundären Dienstleister werden im Dienstleistungssystem so koordiniert, dass für den Kunden ein möglichst gutes Erlebnis zustande kommt (Teixeira et al. 2017). Beispiel Flixbus als Vermittlungsplattform für Busreisen

Die Flixmobility GmbH ist ein deutsches Fernbusunternehmen, das unter der Marke Flixbus Personenbeförderung über ihre Webseite anbietet. Das Unternehmen ist in Deutschland vor allem wegen des durch Geschäftsübernahmen erreichten großen Marktanteils bekannt. Gegenüber Endkunden bietet Flixbus auf seiner Plattform ein europaweites Liniennetz und ist somit Ansprechpartner und Single-Point-of-Contact. Das Geschäftsmodell von Flixbus basiert dabei darauf, dass das Unternehmen selber (praktisch) keine eigenen Busse oder Züge besitzt, sondern nur als Vermittler der Kundenbuchung auftritt. Die eigentliche Fahrtabwicklung wird durch lokale und eigenständige Busunternehmen durchgeführt. In dem Dienstleistungssystem ist Flixbus somit der primäre Dienstleistungserbringer. Die Leistungen von Flixbus umfassen dabei sowohl die Bus- und Informationsvermittlung als auch die Abwicklung aller Zahlungen und Tickets. Darüber hinaus orchestriert das Unternehmen aber auch die restliche Leistungserbringung der Fahrten und eine angenehme Reise für den Kunden. Das beinhaltet vor allem Leistungen im Partner- und Qualitätsmanagement, die einen eingeführten Qualitätsstandard durchsetzen.

4.4  Planung des Dienstleistungsportfolios

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4.4.2 Ökosysteme Dienstleistungen werden zunehmend in Dienstleistungssystemen (Kap. 1) und Ökosystemen angeboten, um dem Kunden ein gutes bzw. besseres Dienstleistungserlebnis zu ermöglichen. Eine Wertschöpfung im Dienstleistungssystem bedeutet dabei, dass nicht alle Leistungen von einem Dienstleister allein erbracht werden, sondern von verschiedenen Dienstleistern in Zusammenarbeit. Die Dienstleister orientieren sich dabei an einem Wertversprechen und arbeiten zusammen für die Erbringung dieses Wertes (Lusch et al. 2010). Eine Dienstleistungsbringung im Ökosystem dagegen ist die Erweiterung von Dienstleistung oder Dienstleistungsteilen durch komplementäre Dienstleistungen. Ursprung dieser Ökosystemsicht sind Gemeinschaften von Organismen in der Biologie, die über Zeit und Raum mit anderen Organismen und anderen Elementen des Systems interagieren (Lusch et al. 2016). Die Interaktionen führen zu Interdependenzen, die für die gemeinsame Anpassungsfähigkeit notwendig sind. Hier ist keine initiale Zusammenarbeit notwendig, sondern die Partner ergänzen das bestehende Angebot. Meist herrschen in Dienstleistungssystemen asynchrone Abhängigkeiten. In der Umsetzung sollte auch hier der Hinweis auf das Plattform-Geschäft gemacht werden. Plattformen sind im Sinne der Herkunft Träger für andere Komponenten. Dieses Konzept kann gerade auch in der Produktentwicklung wie z. B. auch bei Automobilherstellern beobachtet werden. Online-Plattformen der heutigen Zeit, wie z. B. Amazon, Youtube oder andere, sorgen dabei dafür, dass ihre Dienstleistungen Basis für weitere Geschäfte werden und bieten die Möglichkeit, das entstehende Ökosystem zu kontrollieren. Beispiel Apple als Ökosystemanbieter

Das Unternehmen und die Marke Apple sind im Moment vor allem als Mobiltelefonhersteller mit seinem iPhone in verschiedensten Versionen erfolgreich. Darüber hinaus konnte der Konzern aber durch die Lancierung seines eigenen Betriebssystems iOS erfolgreich ein geschlossenes Dienstleistungsökosystem aufbauen. Dabei hat die Zusammenarbeit im Ökosystem sowohl für den Hersteller als auch für zuarbeitenden Unternehmen Vorteile. Apple kann seinen Kunden nur eine beschränkte Anzahl an Applikationen zur Verfügung stellen und schafft über die Entwicklungsschnittstellen die Möglichkeit, die Anzahl der verfügbaren Software auf einem iOS-Endgerät zu kontrollieren. Die Entwickler profitieren von einer Umgebung, auf der durch eine standardisierte Schnittstelle viele potenzielle End-Kunden erreicht werden können. Das Erlebnis für die Kunden setzt sich derweil aus den verschiedenen digitalen Dienstleistungen der Applikationen zusammen. Die Zusammenarbeit der Unternehmen ist dabei für den Kunden nachrangig. Grundlage für den Wert eines Dienstleistungsökosystems ist der Wert für die Akteure (Vargo et al. 2017). Das Zusammenspiel von Dienstleistern mit anderen Akteuren in einem Ökosystem bestimmt dabei, welche Wertschöpfung generiert wird (Lusch et al. 2010).

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4 Service-Strategie

Der Wert eines Ökosystems für die Nutzer und Teilnehmer ist somit immer individuell. Der Wert wird dabei aus der Integration und dem Austausch zwischen den Akteuren erstellt. Es handelt sich somit immer um eine Co-creation des Wertes (Ramaswamy und Ozcan 2018). Der Wert kann dabei sowohl individuelle, soziale, technologische und kulturelle Komponenten haben. Die Auswirkungen der Digitalisierung (Abschn. 4.5.1) führen zu einer erhöhten Interaktion zwischen den verschiedenen Akteuren im Dienstleistungsgeschäft (Burton et al. 2017). Grund hierfür sind auch die Verknüpfungen und Erfassungen von Daten bei Partnern. Diese gehen mit einer Transparenz in der Leistungserbringung einher. Diese Transparenz von Informationen ermöglicht eine Optimierung der Dienstleistungsprozesse und fordert von der strategischen Umsetzung auch eine Evaluation der bisherigen Strukturen. Die Analyse und Beurteilung der Daten und Informationen wird dabei zu einer der wichtigsten Fähigkeiten. Dabei wird oft bemerkt, dass Prozesse in Dienstleistungsunternehmen im Vergleich zur Marktperformance nicht bestmöglich erstellt werden. Eine Innovation von Ökosystemen erfordert eine umfassende Rekonfiguration der Architektur, in der die interaktive Wertschöpfung mit einer Mehrzahl von Anspruchsgruppen erfolgt. Darüber hinaus stellen systemweite Eigenschaften neue Anforderungen an die Dienstleistungsarchitekturen. Beispielsweise führt die Anpassbarkeit von Dienstleistungssystemen an spezifische Nutzungskontexte und zukünftige Anforderungen zu höherer Komplexität und zu größeren Risiken. Technologie gewinnt für Dienstleistungssysteme rasant an Bedeutung. Die breite Verfügbarkeit von Daten und die wachsenden Möglichkeiten der Automatisierung erweitern die Möglichkeiten für innovative Dienstleistungssysteme erheblich. Die bessere Verzahnung maschineller und menschlicher Intelligenz erlaubt neue Formen der Ressourcenkombination und Dienstleistungserbringung. Dienstleistungssysteme werden dadurch zu einem zentralen Element industrieller Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle (Gassmann et al. 2017; Böhmann et al. 2014).

4.4.3 Hybride Leistungsbündel Auch das Angebot von Produktherstellern kann durch Dienstleistungsprodukte ergänzt werden. Da die produzierenden Unternehmen in einer immer wettbewerbsfähigeren, globalen Wirtschaft tätig sind, in der Produkte leicht kommerzialisiert werden können, ist es zu einer beliebten Strategie geworden, neue Dienstleistungen zum Kernproduktangebot hinzuzufügen (Kastalli und Van Looy 2013). Neben den Industriedienstleistungen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie von Industrieunternehmen erbracht werden, gehören hybride Leistungsbündel, die auch unter dem Begriff der Produkt-DienstleistungsSysteme bekannt sind. Diese sind definiert durch ein marktfähiges Set von Produkten und Dienstleistungen, die gemeinsam die Bedürfnisse des Nutzers erfüllen können. Das Produkt-/Dienstleistungsverhältnis in dieser Kombination kann variieren, entweder

4.4  Planung des Dienstleistungsportfolios

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in Bezug auf die Erfüllung der Funktion oder den wirtschaftlichen Wert (Mont 2002). So tritt an die Stelle der herkömmlichen materialintensiveren Nutzungsformen die Möglichkeit, die Bedürfnisse der Verbraucher durch die Bereitstellung von stärker entmaterialisierten Dienstleistungen zu befriedigen, die häufig auch mit Veränderungen in der Eigentümerstruktur verbunden sind. Verschiedene Ansätze und Trends, die mit dem Angebot von hybriden Leistungsbündeln einhergehen, werden in der Literatur auf verschiedenste Weise beschrieben (Mont 2002). Hierunter fallen: • der Verkauf der Verwendung des Produkts anstelle des Produkts selbst; • der Wandel zur Leasinggesellschaft; • die Substitution von Gütern durch Dienstleistungen; • eine Reparaturgesellschaft statt Wegwerfgesellschaft und • die Veränderung der Einstellung der Verbraucher von der Vertriebs- zur Serviceorientierung. Unter dem Begriff Industriedienstleistungen verstehen wir in diesem Buch alle Dienstleistungen von produzierenden Unternehmen an Unternehmenskunden, unabhängig davon, ob diese Dienstleistungen eigenständig oder kombiniert mit den Gütern der Unternehmen erbracht werden. Solche Dienstleistungen sind nicht homogen: Sie unterscheiden sich erheblich in ihrem Risikograd, ihrem Wettbewerbsniveau und ihrem Potenzial zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen (Oliva und Kallenberg 2003). In Anlehnung an Eggert et al. (2014) unterscheiden wir in diesem Buch zwischen hybriden Leistungen, die Produkte des Lieferanten unterstützen, und Leistungen, die das Handeln der Kunden unterstützen. Erstere unterstützen die Installation und Nutzung der Kernprodukte des Lieferanten und sorgen für deren ordnungsgemäßen Betrieb. Zu diesen gehören daher typischerweise Dienstleistungen wie Installation, Produktinspektionen, Reparatur oder Wartung von Geräten. Die letztgenannte Dienstleistungskategorie bezieht sich stattdessen auf das Verhalten des Kunden in Bezug auf das Produkt des Lieferanten. Dazu gehören in der Regel Angebote wie Prozessoptimierung, Forschung und Entwicklung, Unternehmensberatung oder der Betrieb ganzer Prozesse für den Kunden. Diese Arten von hybriden Leistungen ermöglichen verschiedene Umsatzmöglichkeiten und Geschäftsmodelle, die sich von traditionellen Dienstleistern und produzierenden Unternehmen abheben. Das bündeln von Produkten und Dienstleistungen zu einem ausgereiften Angebot bietet die Möglichkeit, die Kerngeschäftsprozesse der Kunden zu unterstützen. Häufig erfolgt die Realisierung mittels folgender vertraglicher und finanzieller Instrumente (Baines und Lightfoot 2013): • Leistungsanreize (d. h. Sanktionen, wenn das Produkt nicht in Betrieb ist); • Umsatzzahlungen strukturiert nach Produktnutzung (z. B. Power-by-the-Hour) und • langfristige vertragliche Vereinbarungen (d. h. üblicherweise fünf, zehn und 15 Jahre Laufzeit).

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Entsprechend der verschiedenen Arten der Ausprägungen im Kontinuum des Produkt-/ Dienstleistungsverhältnisses gibt es verschiedene Geschäftsmodelle in diesem Umfeld. In der produktorientierten (PO-) Kategorie von Geschäftsmodellen verpflichtet sich ein Anbieter, neben dem Verkauf eines Produkts auch eine produktbezogene Dienstleistung zu erbringen (Reim et al. 2015). Der Mehrwert für den Käufer bezieht sich auf die reduzierte Arbeit, die er selbst leisten muss und auf eine reduzierte Anzahl von Lieferanten. Wie für diese Kategorie charakteristisch, liegt der Schwerpunkt nach wie vor auf dem Verkauf eines Produktes, allerdings mit Zusatzleistungen. Die Eigentumsrechte dem Produkt gehen auf den Kunden über, und der Anbieter ist für die Erbringung der vereinbarten Leistungen verantwortlich. In der nutzungsorientierten (UO-)Kategorie der Geschäftsmodelle verkauft ein Anbieter kein physisches Produkt, sondern stellt das Produkt im Rahmen von Miet- oder Leasingverträgen zur Verfügung (Reim et al. 2015). In dieser Kategorie ist das Produkt zwar noch zentral, wird aber nicht an den Kunden verkauft, sondern die Nutzung bzw. Verfügbarkeit wird für einen bestimmten Zeitraum gewährleistet, in dem der Anbieter periodisch bezahlt wird. Das Eigentum an dem Produkt geht in diesem Fall nicht auf den Kunden über, und die Risiken und Verantwortlichkeiten für den Anbieter nehmen im Vergleich zu den Geschäftsmodellen der PO zu. Schließlich verpflichtet sich ein Anbieter in der ergebnisorientierten (RO-)Kategorie von Geschäftsmodellen, dem Kunden ein bestimmtes Ergebnis statt eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung zur Verfügung zu stellen (Reim et al. 2015). In diesem Modell wird das Ergebnis vereinbart, ohne dass die physikalischen Produkte definiert werden, die zur Erreichung des Ergebnisses verwendet werden. In diesen Fällen ist kein bestimmtes Produkt zwingend erforderlich, sondern der Lieferant wird für ein Ergebnis bezahlt, für das er die volle Verantwortung trägt. Die Eigentumsrechte verbleiben beim Anbieter – der Kunde zahlt nur für den Anbieter, der das vereinbarte Ergebnis liefert. In diesem Fall liegt die Gesamtverantwortung beim Anbieter. Beispiel Kuka als Anbieter von Produkt-Service Systemen

Der Augsburger Maschinenbauer Kuka stellt in seinem Kerngeschäft Industrieroboter und automatisierte Produktionsanlagen her. Damit zählt das Unternehmen zu den Hidden Champions in Deutschland. Die Kunden vertrauen Kuka deswegen, weil diese ihre Industrieroboter meist nicht als alleinstehendes Produkt verkaufen, sondern in Kombination mit Dienstleistungen, die eine optimierte und lange Lebensdauer der Roboter versprechen. Das Unternehmen bietet den Kunden verschiedene Dienstleistungen im Rahmen des Instandhaltungsmanagements an. Darunter fallen beispielsweise: die Instandhaltungsplanung, die Begleitung des Betriebs, die vorbeugende Wartung sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Maschinen und Anlagen, zudem aber auch das Management der Unterlieferanten und das Führen des Ersatzteillagers. In der weitgehendsten Ausprägung hat das zur Folge, dass Kuka die Fertigung des Kunden übernimmt, wie es z. B. bei der Karosseriefertigung des Jeep Wrangler der Fall ist.

4.4  Planung des Dienstleistungsportfolios

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4.4.4 Solution Selling Solution Selling zeichnet sich dadurch aus, dass Dienstleister einem Kunden anstelle einzelner Produkte ein Bündel von Dienstleistungsprodukten anbieten, um damit Kundenprobleme gezielt zu lösen. Dem Kunden wird anstatt eines Produktes oder einer Dienstleistung die Lösung seines Problems verkauft, also auf die grundsätzliche Zielsetzung des Kundenproblems eingegangen. Damit kann der Dienstleister dem Verdrängungs- und Preiswettbewerb entgehen, indem seine Dienstleistung weniger vergleichbar ist. Die Verantwortung und das Risiko liegen somit beim Dienstleister. Für den Dienstleister kann das aber auch die Möglichkeit für höhere Margen sein, da der Kunde aufgrund der Risikoübertragung bereit ist, mehr Geld zu bezahlen. Im Solution Selling gibt es eine Unterscheidung zwischen zwei verschiedene Arten von Lösungen, die verkauft werden. Die erste Form bezieht sich auf reine Dienstleister und im engeren Sinne auf die Problemlösung. Dabei werden auf den Kunden zugeschnittene Leistungen vom Dienstleister an den Kunden verkauft. Diese können mehrere Dienstleistungsprodukte enthalten oder auch mehrere Dienstleistungsmodule. Es wird dabei auf die Abstimmung des Werts der Dienstleistung für den Kunden geachtet. Das ist grundsätzlich ähnlich zu den wertorientierten Verkäufen (Terho, et al. 2012). Dies geht über die Darstellung des Nutzens eines Angebots für den Kunden hinaus. Die zentralen Aspekte des wertebasierten Verkaufsverhaltens sind das Verständnis des Kundengeschäfts und der damit verbundenen Wertschöpfungspotenziale, die proaktive Erarbeitung von aus Kundensicht substanziellen Wertansätzen und die Kommunikation des Wertschöpfungspotenzials an den Kunden. Dieses lösungsorientierte Geschäft hat auch in Produkt-Service Systemen starken Einzug gehalten und stellt damit die zweite Art von Lösungen dar. Die Unterscheidung zu Produkt-Service Systemen (Kap. 2.) ist, dass es losgelöst von festen Produkt-Dienstleistungsbündeln besteht. Es stellt somit eine Art Weiterentwicklung dar, die auf Basis der Problemlösung funktioniert und am Kundenwert orientiert ist. Der Kundenwert ist ein gleichzeitiger Eckpfeiler des B2B-Vertriebs und -marketings. Wenn Unternehmen Kaufentscheidungen treffen, streben sie letztlich nach Kundenwert, materialisiert als quantifizierbare Kostensenkung oder Umsatzsteigerung (Rockart 1979). Geschäftskunden suchen nicht nach Produkten wie Werkzeugmaschinen oder Software, sondern sie benötigen solche Einkäufe, um Geld zu sparen oder ihre Umsätze zu steigern. Zu den stärker formalisierten Bemühungen, Management- und technische Beratung für Firmenkunden anzubieten, gehört auch der Verkauf von Lösungen für teure Industrieanlagen und Dienstleistungen. Der Vertrieb solcher Lösungen läuft meist über Ingenieure vor Ort, die die Situation des Kunden analysieren und ihn dann beraten, welche Pakete von Maschinen und Dienstleistungsprodukten die besten Ergebnisse liefert. Einige Beratungsleistungen werden in der Hoffnung auf einen Verkauf kostenlos angeboten. In anderen Fällen ist der Dienst jedoch „entbündelt“ und es wird von den Kunden erwartet, dass sie dafür zahlen (z. B. für diagnostische Tests vor einer Operation oder eine Machbarkeitsstudie, bevor eine Lösung vorgeschlagen wird).

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4 Service-Strategie

4.5 Planung der Dienstleistungsorganisation Zweiter Teil der Strategieumsetzung ist die Planung der Dienstleistungsorganisation. Diese ist durch die Auswirkungen und Nutzung der Digitalisierung im Dienstleistungsgeschäft im Umbruch. Die Auswirkungen von vermehrtem Einsatz von Technik und Daten für die Dienstleistungserstellung und im Dienstleistungsportfolio stellen dabei neue Herausforderungen an die Dienstleistungsstrategie.

4.5.1 Auswirkungen der Digitalisierung Technologien und die steigende Digitalisierung gewinnen für Dienstleistungssysteme rasant an Bedeutung. Die breite Verfügbarkeit von Daten und die wachsenden Möglichkeiten der Automatisierung erweitern die Möglichkeiten für innovative Dienstleistungssysteme, neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsprozesse erheblich. So gehen zum Beispiel in einer von der Unternehmensberatung McKinsey durchgeführten Studie 71 % der Manager und Unternehmensentscheider davon aus, dass digitale Trends und Initiativen in den nächsten drei Jahren zu höheren Umsatzerlösen für ihr Geschäft führen werden (Bughin et al. 2017). Die bessere Verzahnung maschineller und menschlicher Intelligenz (siehe dazu auch Kap. 10) erlaubt neue Formen der Ressourcenkombination und Dienstleistungserbringung (Huang und Rust 2018). Dienstleistungssysteme werden dadurch zu einem zentralen Element industrieller Produktionsprozesse und Geschäftsmodelle (Böhmann et al. 2014). Die Technologien beinhalten die Informations- und Kommunikationstechnik, die notwendig ist für die Unterstützung der Bereitstellung der Dienstleistung. Diese kann sowohl Software als auch Hardware umfassen. Darüber hinaus ermöglicht die Digitalisierung des Dienstleistungsgeschäfts aber auch die Einbindung des Kunden in die Wertschöpfung (Bughin et al. 2017). Eine Nutzung oder Einbindung der Dienstleistungen in den Lebenszyklus von Kunden und Produkten ist dort sinnvoll, wie sie auch im Kap. 3 vorgestellt wurde. Herausforderungen entstehen dabei in der organisationalen Umsetzung dieses Wandels. Die neuen Strukturen müssen entsprechend an die Ressourcen angepasst werden. Der Arbeitskreis Organisation der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. skizziert daher die organisationalen Auswirkungen der Digitalisierung (Arbeitskreis Organisation der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. 2018). In dem Bericht zeigt sich, dass die Digitalisierung: • in vielen Unternehmensbereichen zu einer Beschleunigung und stärkeren Vernetzung von Geschäftsprozessen führen wird, • die Etablierung neuer sowie eine inhaltliche Neuausrichtung bestehender Stellen und Einheiten der Unternehmensorganisation zur Folge haben wird, • zu über Abteilungs- und Raumgrenzen hinweg verteilten Arbeitsstrukturen führen und damit neue Herausforderungen an die Unternehmensführung stellen wird,

4.5  Planung der Dienstleistungsorganisation

133

• die Frage aufwirft, inwieweit hierarchische durch netzwerkartige Strukturen substituiert oder ergänzt werden, und schließlich • Auswirkungen auf die organisatorischen Gestaltungsdimensionen der Spezialisierung, Zentralisation, Koordination und insbesondere der Standardisierung zeitigen wird. Die Technologie nimmt somit eine entscheidende Ressource in der Wertschöpfung der Dienstleistungsunternehmen und von Dienstleistungssystemen ein. Die Spezialisierung der Dienstleistungsunternehmen zeigt sich auch in der Nutzung von Technologien. Dabei erfolgt eine Unterscheidung zwischen technikbasierten Dienstleitungssystemen und technologiegestützten Dienstleitungssystemen. Basierend auf Trends wie dem Self-Service und der Automatisierung gibt es eine erhöhte Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in Dienstleistungssystemen. Automatisierung und die damit verbundene Verbesserung wird als eine der wichtigsten Prioritäten in diesem Umfeld von Führungskräften gesehen (Arbeitskreis Organisation der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. 2018). In technikbasierten Dienstleistungssystemen wird dies genutzt und die Wertschöpfung beruht primäre auf der IKT. Somit steht die effiziente Leistungserbringung im Mittelpunkt. Darunter fallen Dienstleistungen, die ohne direkten Kundeneinsatz erbracht werden können und in der die Kunden selbst die Wertschöpfung übernehmen. In den technologiegestützten Dienstleistungssystemen wird die Wertschöpfung der anderen Ressourcen durch IKT gefördert. Hier steht die Integration der einzelnen Teile des Dienstleistungssystems im Vordergrund. IKT bzw. technologische Entwicklungen sind in der wissenschaftlichen Literatur eine der am meisten diskutierten Dimensionen in Bezug auf Innovation in Dienstleistungssystemen (Peters et al. 2015). Der Diskurs behandelt die Frage, ob neue Technologien Dienstleistungsinnovationen in Dienstleistungssystemen, die Integration von Ressourcen und die Wertschöpfung verbessern und/oder erst ermöglichen. Die organisationale Integration von IKT in ein Dienstleistungssystem kann eine Herausforderung für die verschiedenen Akteure darstellen. IKTs sollten dabei nie Mitarbeiter ersetzen, sondern diese unterstützen. Diese Erkenntnis ist besonders relevant in Dienstleistungssystemen mit Fokus auf persönlicher Interaktion als wesentlichem Teil der Wertschöpfung (Kleinschmidt et al. 2016). Eine Innovation in Richtung eines technikbasierten Dienstleistungssystems kann die gesamte Dienstleistung verändern. Das intelligente Wechselspiel aus IKT- und personenbezogenen Dienstleistungen ist somit Kern der Gestaltungsaufgabe erfolgreicher Dienstleistungssysteme.

4.5.2 Zusammenfassung von Strategien und organisatorischen Entwürfen Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor die Herausforderung, sich (ständig) weiterzuentwickeln, um sich schneller neuen technologischen Trends und Entwicklungen anzupassen sowie den wachsenden Anforderungen der eigenen ­Mitarbeiter

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4 Service-Strategie

gerecht zu werden (Lusch et al. 2010). Traditionell haben ein Großteil der Unternehmen ihre Organisationsstrukturen lediglich auf Effizienz und Effektivität hin ausgelegt, was im Zuge der damit einhergehenden Arbeitsteilung zu komplizierten und isolierten Strukturen führte (Mills und Margulies 1980). Die auf diesen Strukturen basierenden Geschäftsmodelle sind zu starr, um auf diese teils unvorhergesehenen und disruptiven Entwicklungen zu reagieren sowie gleichzeitig die wachsende Nachfrage nach personalisierten Dienstleistungen zu bedienen (Gassmann et al. 2017). Unternehmen müssen deshalb nicht nur auf Effizienz, sondern auch auf Schnelligkeit, Agilität und Anpassungsfähigkeit ausgelegt sein, damit sie konkurrenzfähig und erfolgreich sein können. Dabei ist die gewählte Dienstleistungsstrategie für jedes Dienstleistungsunternehmen von entscheidender Bedeutung (Goldstein und Ward 2004). Die Dienstleistungsstrategie fördert intern die Entwicklung der organisatorischen Fähigkeiten, die zur Leistungserbringung der geplanten Dienstleistung eingesetzt werden. Extern beeinflusst die Dienstleistungsstrategie die Kundenerwartungen an die Dienstleistung. Investitionen in die Betriebsstruktur und -fähigkeiten sind wichtige Bestandteile einer Dienstleistungsstrategie. Diese Investitionen ermöglichen eine sofortige Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Hinblick darauf, was es durch seine Dienstleistungen leisten kann. Die Dienstleistungsstrategie beeinflusst zudem operative Entscheidungen über Investitionen in Struktur, Infrastruktur und Mitarbeiterentwicklung, die zu neuen oder veränderten Fähigkeiten führen. Die organisatorische Gestaltung und Veränderung können komplex sein. Viele organisatorische Veränderungen scheitern, weil sie auf eine Übung zur Kostensenkung reduziert werden und eine kosteneffiziente Dienstleistungsorganisation nicht einfach zu erreichen ist (Wirtz und Zeithaml 2018). Ein wichtiger Teil der Gestaltung der Anpassungsfähigkeit ist die Verlagerung von hierarchischen Organisationsstrukturen hin zu Modellen, die auf die Dienstleistungen und die Leistungen der Dienstleistungsunternehmen angepasst sind (Mills und Margulies 1980). Zur Umsetzung wird in der Dienstleistungsstrategie auf die kostengünstige Service-Exzellenz verwiesen (Wirtz und Zeithaml 2018). Diese bezieht sich auf einen Zustand, in dem ein Unternehmen gleichzeitig eine hohe Kundenzufriedenheit und eine hohe Produktivität bietet. Ein Unternehmen bietet demzufolge kostengünstige und zugleich qualitative hochwertige Dienstleistungen an, wenn es in Bezug auf beide Faktoren wettbewerbsfähig ist. Dies erfordert meist eine Doppelkulturstrategie, die sich in struktureller Ambidexterität manifestieren kann, d. h. die organisationale Trennung von Aktivitäten, die auf Exploration oder Exploitation ausgerichtet sind. Dies ermöglicht Unternehmen, zugleich Dienstleistungsqualität als auch Produktivität zu einem festen Bestandteil der Unternehmenskultur zu machen. Diese Form der Restrukturierung ermöglicht es Unternehmen, generische Dienstleistungsstrategien und die Dienstleistungsentwicklung einzusetzen und sich dabei auf exzellente Dienstleistungen zu konzentrieren. Eine besondere Ausprägung der Organisationsstruktur bei Dienstleistungsunternehmen ist die Shared Service-Organisation. Um einen größeren Erfolg bei diesen Bemühungen zu gewährleisten, ziehen viele Unternehmen die Möglichkeiten zur Digitalisierung in

4.5  Planung der Dienstleistungsorganisation

135

ihren Back-Office-Funktionen in Betracht, die in vielen Unternehmen von Shared-Services-Organisationen abgewickelt werden. Diese Gruppen verwalten und leisten in der Regel technische und administrative Unterstützung in Bereichen, die allen Geschäftsbereichen eines Unternehmens gemeinsam sind, wie z. B. Finanzen, Personalwesen und IT. In vielen Fällen unterstützen sie Kerngeschäftsfunktionen. In einem Finanzdienstleistungsumfeld kann beispielsweise die Shared-Services-Organisation mit der Bearbeitung von Kreditanträgen oder Versicherungsansprüchen beauftragt werden. Durch die Integration von Automatisierung, Virtualisierung, fortschrittlicher Analytik und anderen digitalen Technologien in ihren Betrieb können Shared-Services-Organisationen Prozesse rationalisieren. Diese Organisation kann es ihnen auch ermöglichen, bessere Entscheidungen zu treffen und die Qualität der internen und externen Kundeninteraktionen zu verbessern. Beispielhaft kann hierfür die Vertriebsstrategie von Dienstleistungsunternehmen herangezogen werden. Die meisten Verbraucher nutzen einen spezifischen (digitalen) Kanal, um mit Unternehmen zu interagieren. Dabei spielen mobile Geräte oder Laptops eine immer größere Rolle, da sie es den Kunden unter anderem ermöglichen, mit dem Unternehmen unkompliziert und ortsunabhängig in Kontakt zu treten (Huang und Rust 2013). Die meisten Unternehmen wiederum pilotieren neue Anwendungen, Produkte und digitale Tools, die es ihnen ermöglichen, Daten zu sammeln, zu analysieren und Erkenntnisse aus diesen Daten in entscheidende Maßnahmen im direkten Kundenkontakt umzusetzen, die zur Verbesserung der Interaktion mit Kunden und Geschäftspartnern beitragen können (Troilo et al. 2017). Shared-Services-Organisationen spielen in diesem digitalen Umfeld eine zentrale Rolle. Diese Gruppen bestehen, um das Management der internen Prozesse zu rationalisieren und die schnelle und effiziente Bereitstellung von Software und Dienstleistungen für die Kunden zu unterstützen. Zunehmend ist die von ihnen ausgeführte Backend-Arbeit entscheidend für die Erfassung von Daten, die das Mutterunternehmen nutzen kann, um noch bessere und nahtlosere Front-End-Erlebnisse zu schaffen. Auch Unternehmen in den meisten Branchen haben begonnen, die Möglichkeiten der digitalen Technologien zu erforschen – aber sie befinden sich noch in der Sondierungsphase. Eine weit verbreitete Adoption ist noch nicht erfolgt.

4.5.3 Veränderung der Organisationskulturen Viele Unternehmen agieren immer mehr als leistungsfähige Netzwerke, die durch Kultur, Informationssysteme und Talente koordiniert werden. Die Unternehmen konzentrieren sich auf die Neugestaltung der Organisation, statt ihre alte Organisation zu redefinieren (Mills und Margulies 1980). Das Konzept der Unternehmenskultur wird verwendet, um eine Reihe von mehr oder weniger gemeinsamen Normen und Werten zu beschreiben und kann auch auf die Dienstleistungsforschung angewendet werden (Heskett et al. 2008). Forscher gehen davon aus, dass Unternehmen gerade über die Aktivierung der Mitarbeiter eine Dienstleistungsorientierung entwickeln können. Die Verbindung der

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4 Service-Strategie

Organisationskultur und der Dienstleistungsstrategie besteht darin, dass es ein Mittel ist zur Schaffung und Verbesserung guter interaktiver Unternehmensperformance und der Umsetzung der Strategie. Das Thema Unternehmenskultur steht in engem Zusammenhang mit einem weiteren personalbezogenen Thema, dem internen Marketing, welches dazu dient, kundenbewusste Mitarbeiter zu gewinnen und zu binden (Meffert et al. 2015). Darüber hinaus ergibt sich daraus eine wertorientierte Führung, die auf den Kernwerten des Dienstleistungsunternehmens basiert. Kernwerte können dabei als kulturelle Ausdrucksformen der Dienstleistungskultur verstanden werden. Um dienstleistungsbezogene Leistungsergebnisse zu erreichen, gehen Unternehmen stärker auf das Dienstleistungsgeschäft ein und entwickeln eine Dienstleistungsorientierung in der Organisationsstruktur, im HR, den Prozessen und der Messung sowie den Vergütungen und der Unternehmensleitung. Neue Organisationsmodelle erfordern einen neuen Führungsansatz. Führungskräfte von vernetzten Teams in agilen Organisationen benötigen Fähigkeiten wie Verhandlungsgeschick, Belastbarkeit und Systemdenken (Weinreich 2016). In manchen Fällen sind die erfahrensten Führungskräfte und Geschäftsfeldleiter die falschen Leute, die die Verantwortung für digitale, agile und vernetzte Teams übernehmen. Stattdessen müssen Mitarbeiter befähigt werden, Entscheidungen zu treffen und sich auf Netzwerke von Interaktionen zu verlassen. Das bedeutet aber nicht, dass Menschen nicht länger für Ergebnisse verantwortlich sind. Ein Ziel eines agilen Netzwerks ist es, durch auf individuelle Personen zugeschnittene Zielsetzungen den Erfolg zu unterstützen (Heskett et al. 2008). Das dadurch entstehende Verantwortungsgefühl ist entscheidend für die Effektivität von Teams und Unternehmen. Einen starken Einfluss auf die Umsetzung solcher Dienstleistungskultur haben die Unternehmensphilosophie und die Vision der Unternehmen. Die Nutzung von Kultur, Informationssystemen und Talenten sollte dabei auf das Unternehmen abgestimmt werden und der formulierten Vision der Dienstleistungsstrategie entsprechen. Beispiel Dienstleistungskultur bei IKEA

Die Mission des Möbelunternehmens IKEA ist es, den Menschen einen besseren Alltag zu ermöglichen. Dabei teilt IKEA das Prinzip, dass alle in der Lage sein sollten ein Zuhause zu schaffen, dass sie sich wünschen und von dem sie träumen. Das Team von IKEA glaubt, dass Wert nur von einem Ort kommt, nämlich dem Herzen. Das Unternehmen teilt dabei gemeinsame Werte, die sich auch in den angebotenen Dienstleistungen widerspiegeln. Diese Werte sind unter anderem Miteinander und Begeisterung, Kostenbewusstsein, Respekt und Verantwortung, Einfachheit. IKEA achtet darauf, dass die Kultur zu jedem neuen Mitarbeiter und jedem neuen Produkt passt. Auf diese Weise wir der Kunde möglichst vor Ort vor Ort unterstützt, das perfekte Zuhause zusammenzustellen. Bei der Hilfestellung für den Kunden wird allerdings nur so weit gegangen, wie ein Kunde das selbst will. In den meisten Fällen wird bspw. der Aufbau der Möbel und Schränke durch den Kunden selbst vorgenommen.

Literatur

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4.6 Zusammenfassung Kap. 4 umfasst eine Einführung in die Inhalte und Dimensionen der Dienstleistungsstrategie. Strategie stellt für das Dienstleistungsunternehmen langfristige Entscheidungen zur Erreichung gesetzter Vorgaben dar. Jedem Strategieprozess geht eine Auseinandersetzung mit den Zielen voraus. Ziele sind in die Zukunft gerichtete Vorgaben und dienen als Leitplanken für die spätere Strategiearbeit. Die Strategiearbeit ist nur dann erfolgreich, wenn sie in ständiger Abstimmung mit Wettbewerbs-, Unternehmens- und Marktanalyse erfolgt. Hierbei unterstützen Analysemodelle aus dem allgemeinen strategischen Management, wie beispielsweise die SWOT-Analyse, die um Dienstleistungsspezifika zu ergänzen bzw. anzupassen sind. Nur unter Einbezug unternehmensinterner und -externer Einflussfaktoren können langfristige Pläne und Mittel, wie die der Geschäftsfeldstrategie, der Marktteilnehmerstrategie oder der Marketingmixstrategie zur Erreichung der gesetzten Vorgaben abgeleitet werden. Alle angestellten Überlegungen im Rahmen eines Strategiediskurses sind gut aufeinander und bezugnehmend auf die Gesamtunternehmensstrategie abzustimmen. Die Positionierung im Wettbewerb erfolgt dabei vor allem in den für den Kunden wichtigen Dimensionen. Darauf aufbauend muss die Dienstleistungsorganisation entwickelt werden, um zugleich eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie sowie die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an neue Entwicklungen sicherzustellen.

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Teil II Lebenszyklusphasen im Dienstleistungsengineering und -management

5

Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen zu innovativen Dienstleistungskonzepten

5.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele Dieses Kapitel behandelt das Thema Service Innovation, dem im Rahmen der systematischen Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen eine zentrale ­ Bedeutung zukommt. Vor dem Hintergrund des steigenden Wettbewerbs werden innovative Dienstleistungen immer wichtiger für den Unternehmenserfolg. Es ist dabei wichtig zu verstehen, dass Dienstleistungsinnovationen nicht ein Produkt des Zufalls sind, sondern mit den richtigen Ansätzen und Methoden aktiv herbeigeführt werden können. Ziel dieses Kapitels ist es, den Dienstleistungsinnovationsprozess näher zu erläutern und geeignete Methoden und Werkzeuge zu diskutieren, die zukünftigen Serviceentwicklern dabei helfen können, disruptive und innovative Dienstleistungsideen und Konzepte zu gestalten. Hierzu werden die Grundlagen offener Innovationsprozesse erläutert sowie die Merkmale innovativer Nutzer (sogenannter Lead User) diskutiert. Zudem werden die Lead User-Methode, Ideenwettbewerbe und Online Communities als die wichtigsten Werkzeuge offener Innovationsprozesse vorgestellt und anhand von Beispielen näher erläutert. Im zweiten Teil des Kapitels wird auf Ansätze und Werkzeuge zur Konzeption von innovativen Dienstleistungen eingegangen. Hierbei handelt es sich um Ansätze, die dabei helfen sollen, eine Dienstleistungsidee in ein implementierbares Dienstleistungskonzept zu überführen und zu testen. Werkzeuge, die dabei näher behandelt werden, sind das Value Proposition Canvas, der Mom-Test sowie das Service Innovation Canvas. Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele

1. Sie können die Phasen des Innovationsprozesses beschreiben und voneinander abgrenzen. 2. Sie können den Unterschied zwischen Invention und Innovation erläutern.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_5

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144

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

3. Sie können das Konzept offener Innovationsprozesse im Rahmen der Service Innovation erläutern und von geschlossenen Innovationsprozessen abgrenzen. 4. Sie können für vorgegebene Dienstleistungskontexte die Vor- und Nachteile von Closed vs. Open Innovation gegeneinander abwägen und sich begründet für einen Ansatz entscheiden. 5. Sie können die unterschiedlichen Werkzeuge offener Innovationsprozesse, z. B. die Lead User-Methode, anwenden. 6. Sie können auf Basis des Service Innovation Canvas eigene Dienstleistungsideen entwickeln und strukturiert kommunizieren. 7. Sie können auf Basis des Service Value Proposition Canvas eigene Wertversprechen für vorgegebene Dienstleistungskontexte entwickeln und strukturiert kommunizieren. 8. Sie können den Begriff der „Data-Driven Service Innovation“ definieren und die Besonderheiten gegenüber der traditionellen Service Innovation erklären.

Beispiel

Herr Berger ist IT Fachabteilungsleiter bei der Deutschen Bahn. Durch den immer stärker werdenden Fokus auf die digitale Transformation und des damit verbundenen stärker werdenden Wettbewerbs in der Transportindustrie, beauftragt das TopManagement der Bahn ihn und seine Abteilung, neue Dienstleistungsideen rund um die Bahn der Zukunft zu entwickeln. Der Fokus dieser neuen Dienstleistungsideen soll auf einer Verbesserung des Reiseerlebnisses für Passagiere liegen. Daraufhin führen Herr Berger und sein Team eine Wettbewerbsanalyse durch, die zeigt, dass sich Reiseunternehmen zunehmend durch die Erbringung von individualisierten Zusatzservices für Passagiere von der Konkurrenz differenzieren. Mit der Gewissheit, dass neue Dienstleistungen unabdingbar für den langfristigen Erfolg der Deutschen Bahn sind, stellt sich Herr Berger die Frage, wie er zu innovativen Dienstleistungsideen kommt. Die Bandbreite an potenziellen Lösungen scheint enorm und stellt Herrn Berger vor eine schwierige Herausforderung. Im Rahmen eines Workshops erzählt ihm sein Mitarbeiter, Herr Maier, von der Innovationsplattform „atizo“. Dabei handelt es sich um eine Open-Innovation-Plattform (Open Innovation bezeichnet das Öffnen b­ isher geschlossener Unternehmensgrenzen, um gemeinsam mit externen Partnern [z. B. Kunden] zu innovieren). Auf die Plattform stellen User Ihre Innovationsprojekte ein, woraufhin User sich zu den Projekten mit ihren eigenen Ideen einbringen können. Des Weiteren haben sie die Möglichkeit, andere Ideen zu kommentieren oder zu bewerten. Das bringt Herrn Berger auf eine Idee. Schon am nächsten Tag stellt er das Innovationsprojekt der Deutschen Bahn auf die Plattform von „atizo“. Dort können die User der „atizo“ Community ihrer Kreativität freien Lauf lassen und sich mit ihren Ideen zur Digitalisierung in Dienstleistungen bei der Deutschen Bahn einbringen.

5.1  Übersicht über das Kapitel und Lernziele

145

Fiktive Beispiele, wie dieses von Herrn Berger, finden sich in der realen Welt zuhauf. So hat der deutsche Medienkonzern Sky Deutschland im August 2016 einen Open Innovation Hub namens „Play“ ins Leben gerufen. Ziel dieser Initiative ist es, mit internen und externen Ideengebern zukunftsorientierte Innovationen aus den Bereichen Medien und Unterhaltung zu identifizieren und gemeinsam zu entwickeln. Dabei gibt Sky externen Ideengebern und Start-ups die Möglichkeit, ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in einem geschlossenen Gründungszentrum gedeihen und wachsen zu lassen. Die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa bietet seit 2016 „FlyingLab“ an, bei dem Passagiere hoch über den Wolken neue Produkte und Dienstleistungen testen und mit Experten diskutieren können. Das Prinzip, welches sich beide Unternehmen zunutze machen, um Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen zu sammeln, wird als Open Innovation bezeichnet. Dabei setzen beide Plattformen in der Phase der Ideengenerierung an, welche stets am Anfang bei der Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen steht. Zunächst sollen hier die Begrifflichkeiten der „Invention“ und der „Innovation“, welche häufig missverständlich als austauschbar angesehen werden, voneinander abgegrenzt und in Relation zueinander gesetzt werden. Hierzu sei die Definition von Innovation im Generellen nach Roberts (1988) gegeben:   Eine Innovation besteht aus der Generierung von Ideen bzw. einer Invention und der Konvertierung dieser Invention zu Geschäftsnutzen oder einer anderen nützlichen Anwendung. Zusammengefasst lässt sich dies mit folgender einfacher Gleichung darstellen: Innovation = Invention + Verwertung (frei übersetzt aus dem Englischen nach Roberts 1988). Somit bezieht sich der Prozess der Erfindung bzw. Invention darauf, Ideen zu entwickeln und zur Funktionsfähigkeit zu führen, während die Verwertung (Exploitation) sich auf die Kommerzialisierung der Invention im Markt fokussiert. Der Innovationsprozess umfasst holistisch das Geschehen von der Invention bis hin zur Verwertung bzw. Kommerzialisierung (Roberts 1988). Es existiert eine Vielzahl weiterer Innovationsdefinitionen, wie z. B. die folgende Definition nach Rogers (2003):   Eine Innovation ist eine Idee, ein Verfahren oder ein Projekt, welches von einem Individuum oder von einer Gruppe als neu wahrgenommen wird (Rogers 2003). Der wesentliche Aspekt einer Innovation ist nach Rogers (2003) somit der wahrgenommene Neuigkeitsgrad. Dies spiegelt sich auch in der folgenden Definition des Begriffs Dienstleistungsinnovation:  Dienstleistungsinnovation ist ein Ansatz für eine Leistungsverbesserung, welchen Kunden als ein Angebot mit einem neuen Anreiz wahrnehmen und der ihr Verhalten ebenso dramatisch beeinflusst wie das Verhalten der Wettbewerber (Berry et al. 2006a).

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Im Folgenden wird der Open-Innovation-Ansatz näher beleuchtet. Es handelt sich dabei um einen zentralen Ansatz für die Entwicklung von Dienstleistungsinnovationen, der vor allem in den frühen Phasen, z. B. im Rahmen der Ideengenerierung für Services zur Anwendung, gelingt. Daran anschließend werden die unterschiedlichen Methoden des Open-Innovation-Ansatzes erläutert und auf deren Vor- und Nachteile eingegangen.

5.2 Der Open-Innovation-Ansatz „Open Innovation“ ist ein Paradigma, welches von der ausschließlichen Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen in unternehmenseigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen weggeht (Reichwald und Piller 2009). Der Begriff geht auf Chesbrough zurück, der den Begriff wie folgt definiert:  Open Innovation ist die Nutzung von zweckmäßigen Wissenszu- und Abflüssen, um interne Innovationsprozesse zu beschleunigen und die Erweiterung des Marktes, um Innovationen extern zu nutzen. Open Innovation ist ein Paradigma, welches unterstellt, dass Unternehmen externe Ideen ebenso wie interne Ideen nutzen können und sollten, da sie danach streben, ihre Technologien zu verbessern (Chesbrough und Spohrer 2006). Beim Open-Innovation-Ansatz werden die Unternehmensgrenzen folglich durchlässig und der bisher geschlossene Innovationsprozess wird nach außen hin geöffnet. Dadurch können Unternehmen sowohl eigene sowie unternehmensfremde Ideen zur Marktreife weiterentwickeln als auch Innovationen außerhalb des eigenen Unternehmens, z. B. durch strategische Allianzen, kommerzialisieren. Dieser Vorgang wird in der Literatur auch als interaktive Wertschöpfung (Reichwald und Piller 2009) bezeichnet. Die von Chesbrough angesprochenen „inflows“ und „outflows“ beziehen sich auf die drei Kernprozesse von Open Innovation: 1) „Outside-In-Prozess“, 2) „Inside-Out-Prozess“und 3) „Coupled-Prozess“ (Gassmann und Enkel 2006) (Abb. 5.1). Die Netzwerk-/Kooperationspartner müssen gemäss dem Open-Innovation-Ansatz nach nicht nur zwingend Kunden sein. Es können auch Lieferanten, Forschungsinstitute, Mitarbeiter des Unternehmens und weitere externe Experten sein, die einen deutlichen Mehrwert für den Innovationsprozess leisten und aktiv Produkte und Dienstleistungen mitgestalten. Dass nicht nur Kunden als Netzwerk-/Kooperationspartner in Betracht kommen, ist vor allem vor dem Hintergrund sinnvoll, als das eine Gruppe von Menschen unter bestimmten Rahmenbedingungen bessere Ergebnisse liefern kann als jede einzelne Person für sich genommen – auch dann, wenn eine Person aus der Gruppe wesentlich intelligenter ist als der Rest der Gruppe. Insbesondere, wenn die Gruppe sehr heterogen bezüglich ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten ist und verschiedene Meinungen vertreten sind, sind die Ergebnisse einer Gruppe von hoher Qualität (Leimeister 2015). Dieses Phänomen wird als „Collective Intelligence“ bezeichnet.

147

5.3  Der Dienstleistungsinnovationsprozess …

Offen

Geschlossen Grenzen des Unternehmens

Neuer Markt Markt Ideen

Forschung

Entwicklung

Markt Ideen

Forschung

Entwicklung

Abb. 5.1   Closed vs. Open Innovation. (Quelle: Gassmann und Enkel 2006)

 Collective Intelligence bezeichnet eine Gruppe von Individuen, die gemeinsam Dinge tun, die intelligent erscheinen (Malone et al. 2009). Durch die Einbeziehung möglichst verschiedener Anspruchsgruppen in den Innovationsprozess können somit „neue Aspekte und Ansätze zum Vorschein kommen, die ein Problem oder Phänomen besser erklären bzw. lösen können“ (Leimeister 2015). Folglich ist das Prinzip „Collective Intelligence“ ein wesentlicher Baustein für Open Innovation, da Aufgaben an Akteure ausgelagert werden, damit diese konkrete Lösungen entwickeln. Die Vorteile für Unternehmen äußern sich u. a. in kürzeren Innovationszyklen. Des Weiteren kann der Entwicklungsprozess effizienter gestaltet und Unsicherheiten im Innovationsprozess reduziert werden (Gassmann und Enkel 2004; Chesbrough und Schwartz 2007; Reichwald und Piller 2009; Blohm et al. 2010). Abschließend ist festzuhalten, dass im individuellen Geschäftsfall von den Entscheidern abgewogen werden muss, ob Open oder Closed Innovation erfolgversprechender ist. Vor allem vor dem Hintergrund des Schutzes des geistigen Eigentums – Intellectual Property (IP) – müssen geeignete Schutz- und Evaluationsmechanismen im Kontext von Open Innovation entwickelt werden (Enkel 2006). Dies kann sich vor allem aus juristischer Perspektive komplexer gestalten als bei Closed Innovation, da sich die Anzahl der Stakeholder, die wiederum individuelle Rechtssubjekte sind, bei Open Innovation drastisch erhöht.

5.3 Der Dienstleistungsinnovationsprozess und die Einordnung von Integrationsmethoden Hat sich ein Unternehmen dazu entschieden, seine Unternehmensgrenzen gemäß dem Open-Innovation-Paradigma für Kunden zu öffnen, gilt es sich Gedanken darüber zu machen, in welcher Form Kunden am besten dazu beitragen können. Kunden lassen sich

148

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Frühe Phasen „fuzzy front-end“

Ideengenerierung und -bewertung

Konzepterarbeitung und Produktplanung

Entwicklung

Prototypenbau, Pilotanwendung, Testing

Produktion, Markteinführung und -durchführung

Abb. 5.2   Phasen des Innovationsprozesses. (Quelle: Herstatt 1999)

dabei in unterschiedlichen Phasen eines Dienstleistungsinnovationsprozesses einbinden (Bretschneider et al. 2007). Als schematische Darstellung soll der Prozess nach Herstatt (1999) dienen. Sein fünfstufiges Modell umfasst die Ideengenerierung und -bewertung, Konzeptbearbeitung, Entwicklung, den Prototypenbau und schließlich die Markteinführung. Die ersten beiden Phasen des Innovationsprozesses werden als Fuzzy Front End bezeichnet (siehe Abb. 5.2). Will man Kunden in den Dienstleistungsinnovationsprozess einbeziehen, ist es wichtig, dies schon während dieser frühen Phasen zu machen. Der Grund dafür ist, dass die ersten Prozessschritte maßgeblich den Erfolg der weiteren Prozessschritte des Innovationsprozesses bestimmen (Herstatt und Verworn 2007; Cooper 1990; Benedetto 1999). Die Einbeziehung von Kunden im Fuzzy Front End erlaubt es somit schon frühzeitig, auf Kundenwünsche einzugehen und soll verhindern, dass Dienstleistungen am Markt vorbei entwickelt werden. Trotz dieses Vorteils stellt die Ermittlung von Kundenbedürfnissen im Rahmen des „Fuzzy Front Ends“ eine große Herausforderung dar (Lüthje 2007; Herstatt und Verworn 2003).

5.4 Herausforderungen im „Fuzzy Front End“ Ein Problem, das sich im Rahmen der Kundeneinbeziehung ergibt, ist, dass dem durchschnittlichen Kunden unbefriedigte Bedürfnisse nicht bewusst sind, da seine Wahrnehmung an gewohnte Dienstleistungen und aktuelle Nutzungserfahrungen gebunden ist. Man spricht in diesem Zusammenhang oft von „functional fixedness“, die dazu führt, dass eine informelle, innovative Denkweise verhindert wird. Diese ist jedoch notwendig, um neue Dienstleistungsanwendungen und die dafür benötigten kreativen Problemlösungen zu erhalten (Franke et al. 2006). Außerdem „klebt“ bestimmtes Wissen am Kunden fest („sticky information“). Folglich ist es schwer, bestimmtes Wissen von Individuen hin zum Unternehmen zu transferieren (von Hippel 1994).

5.5  Lead User: Eigenschaften und Motive

149

Eine mögliche Lösung für diese Probleme bilden Instrumente aus dem Bereich Open Innovation (im Folgenden soll näher auf die Instrumente Lead User-Methode, Ideenwettbewerbe und Online Communities eingegangen werden), die es erlauben, Kundenbedürfnisse systematisch zu erfassen und in der Dienstleistungsideenentwicklung zu berücksichtigen. Um diese Instrumente effizient einsetzen zu können, ist es zunächst wichtig zu verstehen, dass sich nicht alle Kunden gleichermaßen für eine Einbeziehung in den Innovationsprozess eignen (von Hippel 1984).

5.5 Lead User: Eigenschaften und Motive Nicht alle Nutzer eignen sich für eine Beteiligung im Rahmen einer Open-Innovation-Strategie. Vielmehr empfiehlt es sich, sich auf qualifizierte, fortschrittliche Nutzer, die auch als Lead User bezeichnet werden, zu konzentrieren (von Hippel 1986). Eric von Hippel war der Erste, der innovative Anwender bzw. Kunden als Lead User bezeichnete. Dabei stellte er fest, dass die Anwender zwei Kerneigenschaften aufweisen: • „Sie sind an der Spitze eines wichtigen Markttrends und haben daher derzeit Bedürfnisse, die später von vielen Anwendern in diesem Markt wahrgenommen werden.“ • „Sie erwarten relativ hohen Nutzen aus der Erlangung einer bedarfsgerechten Lösung und können so innovativ sein.“ (von Hippel 2005) Demnach beteiligen sich Lead User aktiv an der Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen oder Prozessen. Dies unterscheidet sie von den repräsentativen Anwendern, den klassischen „Konsumenten“, deren Bezeichnung eher eine passive Haltung suggeriert. Repräsentative Anwender nutzen eine Dienstleistung und können gegebenenfalls kleine Verbesserungen anregen. Lead User können dagegen zukünftige Bedürfnisse und Entwicklungen erkennen und so zu radikalen Innovationen (Breakthrough-Innovationen) beitragen (Herstatt et al. 2007). „Durchschnittliche Kunden“ sind hierzu nicht in der Lage, weil sie bereits etablierte Lösungen benutzen, die ihre Sichtweise prägen. Somit sind sie auch nicht geeignet, um hoch innovative Lösungen zu entwickeln. Die Unterschiede zwischen „durchschnittlichem“ Kunden und einem Lead User sind in Tab. 5.1 zusammengefasst. Die grundsätzliche Beteiligung der Lead User an einem betrieblichen Innovationsprozess sowie Art, Umfang und Häufigkeit sind abhängig vom erwarteten Gesamtnutzen für den Lead User. Daher stellt sich die Frage, welche Gründe einen Lead User dazu bringen, seine Ideen preiszugeben und auf seinen Wettbewerbsvorteil zu verzichten. Die Literatur gibt als Antwort, dass es sowohl an den psychologischen, extrinsischen sowie auch intrinsischen Motiven liegt. Lead User sind daran interessiert, dass ihre Meinung und Probleme gehört und vor allem in konkrete Leistungen transferiert werden. Es ist also äußerst wichtig, dem Lead User das Gefühl zu vermitteln, dass seine Meinung und Mitarbeit für das Unternehmen sehr wichtig ist (Reichwald und Piller 2009).

150

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Tab. 5.1  Vergleich von „durchschnittlichen Kunden“ mit Lead Usern. (Quelle: Eigene Darstellung) «Durchschnittliche» Kunden

Lead User

• Erfahrungen mit geläufigen Lösungen prägen Sichtweise von neuen Entwicklungen (Functional Fixedness) • Oft nicht qualifiziert, um Ideen für innovative Lösungen zu entwickeln → radikal neue Ideen werden blockiert

• Besitzen relativ früh zukunftsrelevante Bedürfnisse, die zurzeit vom Markt nicht befriedigt werden • Erhalten einen hohen Nutzen durch die Problemlösung

Lead User verfügen sehr früh über Bedürfnisse, welche bisher vom Marktangebot nicht erfüllt werden. Daraus entsteht eine Unzufriedenheit, was die erforderliche Motivation begründet, Lösungsideen zu entwickeln und an einen Dienstleister weiterzugeben (Herstatt et al. 2007). Lead User treten dabei in den meisten Fällen aktiv an einen Unternehmer heran. Sie erhoffen sich dadurch, dass dieser ihre Ideen in ein konkretes Dienstleistungsangebot überführt, da der Unternehmer in der Regel im Besitz besserer Verfahren und Ressourcen ist. Weiterhin erzielen Lead User einen Nutzen, wenn ihnen die Mitwirkung das Gefühl von Spaß, Exploration und Kreativität vermittelt (Baumgartner und Steenkamp 1996). Bekommen Lead User durch ihre Mitwirkung an der Innovationsentwicklung ein positives Feedback, so kann die Zufriedenheit mit dem Prozess weiter ansteigen. Solche sozial-psychologischen Motive treten meist in einem Umfeld auf, in dem das Engagement für andere sichtbar ist, wie z. B. in der Einleitung vorgestellten Ideen-Community von „atizo“. Die Hoffnung auf soziale Anerkennung der Umwelt bezüglich des Ergebnisses kann den wahrgenommenen Nutzen der Interaktion weiter heben. Dieser Nutzenzuwachs hängt wiederum stark von den Kompetenzen der Lead User ab. Haben sie nicht die Fähigkeiten zur erfolgreichen Meisterung der Aufgabe oder ist gar die Aufgabe für den Beteiligten zu anspruchsvoll, so kann sich dies sogar negativ auf den Nutzen auswirken. Neben der Anerkennung und Bestätigung durch spätere Nutzer kann auch die Hoffnung auf monetäre Gegenleistungen ein Motiv darstellen. Als Beispiele können hierfür Rabatte, Gratisprodukte oder Zahlungen des Innovationsunternehmens aufgelistet werden. Darüber hinaus erwerben die Nutzer durch die Mitwirkung am Innovationsprozess Zusatzkompetenzen, die das Streben nach Karriereperspektiven unterstützen können. Bei der Integration von Lead Usern spielen solche monetären Anreize bis heute jedoch eine untergeordnete Rolle (Reichwald und Piller 2009). Durch die Einbindung der Lead User kann die Unsicherheit aus Nutzersicht in Bezug auf die Dienstleistungsentwicklung vermindert und gleichzeitig die Zufriedenheit mit einem Anbieter erhöht werden. Nutzer erhalten so außerdem einen besseren Einblick in die Prozesse und Ressourcen, die für die Erbringung einer Lösung notwendig sind.

5.6  Instrumente von Open Innovation …

151

Auf der anderen Seite entstehen dem Kunden natürlich Kosten durch die Beteiligung. Hierbei können neben den Transaktionskosten (Zeit und Aufwand) auch psychologische Kosten entstehen. Bei psychologischen Kosten handelt es sich um das wahrgenommene Risiko, welches der Kunde als Verlusterwartung definiert (Stone und Gronhaug 1993). Dabei können folgende fünf Risiken auf die Mitwirkung an einem Innovationsprozess übertragen werden: finanzielle, physische, soziale sowie das Zeit- und Leistungsrisiko (Kaplan et al. 1974). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich ein innovationsfähiger Kunde dann für die Mitwirkung am Innovationsprozess entscheidet, wenn der erwartete Nutzen aus der Beteiligung die erwarteten Kosten übersteigt. Beispiel

Neben der Nutzung einer Innovationscommunity, um Ideen für neue Dienstleistungsangebote der Bahn zu generieren, überlegen sich Herr Berger und sein Team, welche Lead User sie nutzen könnten, um zu innovativen Ideen zu gelangen. Eine Möglichkeit bilden Fahrgäste, die das Angebot der Bahn übermäßig nutzen und daher ein tiefes Verständnis hinsichtlich des Dienstleistungsangebots der Bahn besitzen. Zudem handelt es sich bei diesen Bahnfahrern um die Kunden, die am meisten von neuen Dienstleistungen profitieren würden. Zudem überlegt sich das Team von Herrn ­Berger, auch das Bahnpersonal nach Gewohnheiten der Fahrgäste zu befragen. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, innovative Nutzer zu finden, könnte man das Suchspektrum ausweiten und sich generell auf Vielreisende (per Flug, Bahn, und Schiff) konzentrieren. Dies würde es ihm ermöglichen, die Dienstleistungsangebote der Konkurrenten in die Analyse einzubeziehen.

5.6 Instrumente von Open Innovation und deren Einsatz im Dienstleistungsinnovationsprozess Die Literatur beinhaltet im Wesentlichen drei Methoden zum Open-Innovation-Ansatz. Dazu zählen die Lead User-Methode, Ideenwettbewerbe und Innovations-Communities. Jede dieser Methoden kann Dienstleistungsunternehmen dabei unterstützen, das Innovationspotenzial der Kunden zur Vergrößerung des eigenen Ideen- und Lösungsraums zu nutzen. Allerdings ist der Einsatz der Open-Innovation-Methoden nicht in jeder Phase des Dienstleistungsinnovationsprozesses sinnvoll. Vielmehr ist der Einsatz davon abhängig, welchen Beitrag die Kunden in den einzelnen Phasen des Dienstleistungsinnovationsprozesses leisten können. Dabei ist vor allem anzumerken, dass sich die Open-Innovation-Methoden schwerpunktmäßig auf die frühen Phasen, das heißt vor allem auf die Designphase zur Generierung und Bewertung von Ideen, konzentrieren. In Anlehnung an die Einteilung in Abschn. 5.2 werden im Folgenden die Open-Innovation-Methoden erläutert sowie ihre Rolle in der Dienstleistungsentwicklung dargestellt.

152

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

5.6.1 Lead User-Methode   Die Lead User-Methode geht auf von Hippel zurück (von Hippel 1988) und lässt sich anhand von zwei Sichtweisen definieren. Sie zielt in ihrer modernen Ausprägungsform darauf ab, innovative Kunden bzw. Nutzer, so genannte Lead User, systematisch zu identifizieren und in vom Unternehmen veranstaltete Innovationsworkshops zu integrieren. Innerhalb dieser Workshops werden dann gemeinsam von Lead Usern und Unternehmensmitarbeitern Ideen generiert sowie Konzepte zur Umsetzung entwickelt (von Hippel 1986; Bretschneider 2011). In Abschn. 5.5 wurden bereits die Eigenschaften und Motive von Lead Usern eingehend aufgeführt. Lead User werden oftmals aus ihrer intrinsischen Motivation heraus selbst aktiv, ohne dass ein (Dienstleistungs-) Unternehmen aktiv auf sie zugeht. Oftmals werden daher Lead User-Innovationen nur zufällig entdeckt oder Lead User präsentieren ihre Innovation direkt beim Unternehmen. Das Innovationspotenzial der Lead User lässt sich so jedoch nicht systematisch nutzen. Lead User Workshops setzen genau hier an. Die Lead User-Methode wird sehr erfolgreich in Unternehmen eingesetzt, um Innovationsideen zu generieren, weshalb diese Methode, wie auch die Ideenwettbewerbe, hauptsächlich in den Schritten (2) Ideengenerierung und (3) Ideenbewertung im Dienstleistungsinnovationsprozess angewandt werden können. Bei der Lead User-Methode werden vier aufeinander aufbauende Phasen (siehe Abb. 5.3) durchlaufen. In der ersten Phase bildet das Dienstleistungsunternehmen interdisziplinär besetzte Teams. Diese Teams entscheiden darüber, welcher Bereich im Unternehmen besonders für die Lead User-Methode prädestiniert ist. Kennzeichen dafür sind u. a. das Bestehen eines besonders hohen Innovationsdrucks in einem Unternehmensbereich und die Bereitschaft des Bereiches, Ressourcen für die Durchführung einer solchen Methode bereitzustellen. Ist ein Unternehmensbereich gefunden, werden in der zweiten Phase die zuvor definierten Projektziele aus der ersten Phase einer Trendanalyse unterzogen. Um festzustellen, ob die Projektziele einem Trend folgen, werden Literaturquellen und Datenbanken herangezogen, Interviews mit Experten durchgeführt sowie Techniken wie die Delfi-Methode und die Szenario-Analyse angewandt. Die identifizierten Trends bilden die Ausgangbasis für das Finden innovativer Nutzer, die genau diese Trends anführen – die sogenannten Lead User. Um in Phase drei die Lead User identifizieren zu können, müssen zunächst die innovativen von den weniger innovativen Nutzern abgegrenzt werden, wobei Methoden wie die Suchtechniken „Pyramiding“, „Screening“, und „Self-Selection“ diesen Prozess unterstützen. Bei der Suchtechnik des „Pyramidings“ werden ausgewählten Kunden in Innovationsprozesse einbezogen und erhalten die Möglichkeit, weitere Kunden für die Innovationsbeteiligung vorzuschlagen, welche sie für qualifiziert halten.

153

5.6  Instrumente von Open Innovation …

Schritt 1

Schritt 2 Identifikation von Bedürfnissen und Trends

Start des LeadUser-Projekts

• •



Bildung interdisziplinärer Teams Auswahl von Suchfeldern mit Nachhaltigkeitspotenzial Definition der Projektziele (inkl. Nachhaltigkeit)

Schritt 3



• •

Interviews mit Markt-, Technologie- und Umfeldexperten Scanning von Literatur, Internet, Datenbanken Selektion der wichtigsten Themen (Markt, Technologie, Gesellschaft, Ökologie)

Schritt 4

Identifikation von Lead-Usern und deren Ideen • •



Erstellen des Lead User-Profils Networking: Suche nach Usern im Zielmarkt sowie in analogen Märkten Vorgespräche, Findung und erste Evaluation der Ideen

Entwicklung von Lösungen (Workshops) •

• •

Planung/Durchführung eines Workshops mit Lead Usern/Mitarbeitern Weiterentwicklung der Innovationsideen Bewertung der Konzepte (Umsetzbarkeit, Marktpotenzial, Wirtschaftlichkeit, Umwelteffekte etc.)

Abb. 5.3   Phasen der Lead User-Methode. (Quelle: Herstatt et al. 2007)

Des Weiteren können durch das „Screening“ innovative Kunden mithilfe eines Fragebogens bezüglich ihrer subjektiven Eignung für eine Beteiligung an Innovationsprozessen befragt werden. Durch das individuelle Feedback werden potenzielle Lead User identifiziert. (Reichwald und Piller 2009) „Self-Selection“ bedeutet, dass innovative Kunden selbst aktiv werden und den Kontakt zum Unternehmen suchen. (Reichwald und Piller 2009) Ideenwettbewerbe (siehe dazu Abschn. 5.6.2) und Toolkits (siehe Abschn. 5.9) für Open Innovation sind Beispiele für eine Selbstselektion des Kunden. In der letzten Phase der Lead User-Methode werden die in Phase drei identifizierten Lead User zu einem Innovationsworkshop eingeladen, um innovative Lösungen zu den in Phase eins festgelegten Vorhaben zu entwickeln. Die vorangegangenen Phasen dienen demnach lediglich der Identifikation der Lead User und somit der Vorbereitung des Workshops. Typischerweise nehmen zehn bis fünfzehn Lead User sowie das unternehmensinterne Projektteam (siehe Phase eins) an einem Workshop teil und werden durch einen Moderator unterstützt (Reichwald und Piller 2009).

5.6.2 Ideenwettbewerbe Das Konzept von Ideenwettbewerben ist nicht neu. Bereits Napoleon setzte diese Methode ein. In der Zeit nach der französischen Revolution kämpften riesige Heere gegeneinander. Deren Versorgung konnte nicht allein durch Plünderungen gesichert

154

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

werden. Dieses Problem war umso dringender, als in Napoleons Heer mehr Soldaten an Unterernährung starben als durch den Feind. Daher kündigte Napoleon an, dass derjenige 12.000 Goldfranken erhalten würde, der Lebensmittel haltbarer machte. Nicolas Francois Appert erhielt dieses Preisgeld. Seine Idee war, Lebensmittel zukünftig in Flaschen abzufüllen. Anschließend wurden diese erhitzt und luftdicht verschlossen. Dieses Beispiel verdeutlicht die prinzipielle Funktionsweise von Ideenwettbewerben und spiegelt sich daher auch in folgender Definition wider:  Ein Ideenwettbewerb ist die Aufforderung eines privaten oder öffentlichen Veranstalters an die Allgemeinheit oder eine spezielle Zielgruppe, themenbezogene Beiträge innerhalb eines bestimmten Zeitraums einzureichen, die von Experten anhand verschiedener Beurteilungsdimensionen bewertet und leistungsorientiert prämiert werden (Walcher 2007; Ebner et al. 2008). Ideenwettbewerbe sind somit eine Methode, um Kunden in die frühen Phasen des Dienstleistungsinnovationsprozesses einzubeziehen, indem sie die Generierung von möglichst innovativen Ideen unterstützen. Der Wettbewerbscharakter, der vor allem durch die Prämierung der besten Idee entsteht, soll einerseits die Kreativität der Teilnehmer steigern und andererseits die Qualität der entwickelten Idee erhöhen (Bretschneider et al. 2009). Mittels Ideenwettbewerben lassen sich sowohl Bedürfnisinformationen als auch Lösungsinformationen erheben. Erstere lassen sich direkt aus den eingereichten Ideen ableiten. Letztere können dadurch gesammelt werden, dass die Teilnehmer zusätzlich Ideen zur Umsetzung ihres entwickelten Lösungsvorschlags angeben müssen (Bretschneider et al. 2009). Ein besonders interessantes Beispiel für den Einsatz von Ideenwettbewerben ist die Google Impact Challenge. Diese ruft auf ihrer Plattform Nutzer dazu auf, technologische Projektideen einzureichen mit dem Ziel, ein gesellschaftliches Problem zu lösen oder einen gesellschaftlich wünschenswerten Zustand zu erreichen. Die Bandbreite der Ideen ist relativ breit und behandelt unterschiedliche Themen wie Ökologie und Nachhaltigkeit, Bildung, Kultur sowie Migration und Inklusion. Die besten Projektideen werden von einer Jury prämiert und mit 20.000, 250.000 € oder sogar 500.000 € ausgezeichnet (Abb. 5.4) Einer der Preisträger des Wettbewerbs im Jahr 2018 ist die Online-Plattform „lernox“. Mithilfe dieser Plattform können Flüchtlinge die deutsche Sprache erlernen. Hierzu stellt die Plattform eigene Lernmaterialen bereit und hilft bei der Vernetzung mit professionellen Lehrkräften, die die Plattform kuratieren. Die Plattform sieht Sprache als den Schlüssel zur erfolgreichen Integration und bietet somit eine kostenlose und einfach zugängliche Möglichkeit, Deutsch als Zweitsprache zu lernen1.

1http://lernox.de/

5.6  Instrumente von Open Innovation …

155

Abb. 5.4   „Google Impact Challenge 2018“ (https://impactchallenge.withgoogle.com/deutschland2018)

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Methoden und Mechanismen aus dem Bereich Open Innovation vielfältig eingesetzt werden können. Mit dem Ideenwettbewerb verfolgt Google das Ziel, neue Ideen zu generieren und gleichzeitig zu einer sozial nachhaltigen Gesellschaft beizutragen. Unabhängig davon zeigt auch dieses Beispiel, dass sich Ideenwettbewerbe für die Generierung neuer Serviceideen eignen. Beispiel

Nach näherer Beschäftigung mit unterschiedlichen Innovationstools befasste sich Herrn Bergers Team auch kurz mit Innovationswettbewerben. Nach reichlicher Überlegung und zahlreichen Diskussionen entschied sich das Team für die Nutzung

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

einer externen Ideencommunity. Ausschlaggebend für die Entscheidung war dabei vor allem, dass man nach Ideen mit einem gemeinschaftlichen Charakter suchte (Ideenwettbewerbe basieren hingegen auf einem Wettbewerbsprinzip) sowie der geringere Organisationsaufwand und die tieferen Kosten, die mit externen Ideen-Communities verbunden sind (das Unternehmen muss keine eigene Plattform aufbauen bzw. keinen eigenen Wettbewerb veranstalten). Zudem stellte man fest, dass mit Innovationswettbewerben zumeist soziale bzw. gesellschaftliche Ziele verfolgt werden. Da das von Herrn Bergers Team zu entwickelnde Dienstleistungsangebot lediglich an B ­ ahnkunden gerichtet ist, erschien die Nutzung einer Ideen-Community die bessere Wahl.

5.6.3 Ideen-Community Die Ideen-Community ist eine Unterklasse von Innovations-Communities. Innovations-Communities sind „eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Akteuren, oft aus mehreren Unternehmen und verschiedenen Institutionen, die sich aufgabenbezogen zusammenfinden und ein bestimmtes Innovationsvorhaben vorantreiben“ (Gerybadze 2004; von Hippel 2005). Der Begriff der Ideen-Community ist wesentlich enger gefasst. Nach (Bretschneider 2011) ist unter eine Ideen-Community Folgendes zu verstehen:  Ideen-Communities werden von Unternehmen mit dem Ziel initiiert, ihren Kunden ein Forum zur Äußerung und gemeinschaftlichen Weiterentwicklung von Innovationsideen zur Verfügung zu stellen. In diesem Forum haben Kunden die Möglichkeit, auf einer Internet-Plattform Innovationsideen aus dem Unternehmensumfeld, das heißt zu bestimmten Produkten oder Geschäftsstrategien etc., einzustellen (Bretschneider 2011). Eine Ideen-Community lässt sich im Wesentlichen anhand von sechs Merkmalen charakterisieren (Tab. 5.2). So sind ausschließlich die Kunden eines (Dienstleistungs-) Unternehmens in einer Ideen-Community aktiv. Die entwickelten Innovationsideen lassen sich thematisch dem Dienstleistungsumfeld eines bestimmten Unternehmens zuordnen. Des Weiteren beschränken sich die Funktionen in einer Ideen-Community im Wesentlichen auf das Entwickeln von Ideen, der Kollaboration und der Ideenbewertung (Blohm et al. 2010). Ideen-Communities haben durch die stark gestiegene Verbreitung des Internets an Bedeutung gewonnen. Heutzutage handelt es sich bei Ideen-Communities auch oftmals um „virtuelle Communities“, weshalb die Mitglieder ortsunabhängig interagieren können. Darüber hinaus werden Ideen-Communities stets von einem (Dienstleistungs-)Unternehmen initiiert, weshalb die Unternehmen meist auch die Nutznießer der Innovationsideen sind. Innovations-Communities werden dagegen häufig auch von Kunden initiiert. Ein weiteres Merkmal ist, dass die Teilnehmer einer Ideen-Community nicht entlohnt werden. Außerdem finden sich in Ideen-Communities häufig Merkmale einer sozialen Beziehung zwischen den Teilnehmern (Bretschneider 2011).

5.6  Instrumente von Open Innovation …

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Tab. 5.2  Merkmale von Ideen Communities. Quelle: In Anlehnung an Bretschneider 2011 Merkmal

Erläuterungen

Merkmal 1: Kunden eines bestimmten Unternehmens als Akteure in Ideen-Communities

Bei den Teilnehmern in Ideen-Communities handelt es sich um Kunden eines bestimmten Unternehmens.

Merkmal 2: Innovationsideen aus dem Dienstleistungsumfeld

Innovationsideen aus dem Dienstleistungsumfeld eines bestimmten Unternehmens stellen den thematischen Bezugspunkt in Ideen-Communities dar.

Merkmal 3: Ideenentwicklung, -kollaboration und -bewertung als Schlüsselinteraktionen

Das Entwickeln von Innovationsideen, das Kollaborieren in Bezug auf Innovationsideen, welches sich im Kommentieren von Ideen manifestiert, sowie das Bewerten dieser Innovationsideen stellen die Schlüsselhandlungen der Teilnehmer an Ideen-Communities dar.

Merkmal 4: Einzelnes Unternehmen als Initiator und Betreiber einer Ideen-Community

Einzelne Unternehmen stellen die Initiatoren und Betreiber einer Ideen-Community sowohl aus technischer (durch die Bereitstellung und den technischen Betrieb einer Internetplattform) als auch aus organisatorischer Sicht (durch die operative Moderation) dar.

Merkmal 5: Unternehmen als Nutznießer der Innovationsideen

Die Unternehmen stellen die direkten Nutznießer der Innovationsideen dar, indem sie ausgewählte Ideen für die eigene Innovationsentwicklung heranziehen.

Merkmal 6: Keine Vergütung der Ideengeber

Für das Einreichen von Innovationsideen werden die Ideengeber nicht entgolten.

Merkmal 7: Soziale Beziehungen unter den Teilnehmern

Die Teilnehmer an Ideen Communities weisen Merkmale einer sozialen Beziehung untereinander auf, die aus den verschiedenen Interaktionen zwischen den Teilnehmern resultiert.

Wie bereits beim fiktiven Eingangsbeispiel erläutert, handelt es sich bei „atizo“ um eine Ideen-Community im Sinne des Open-Innovation-Ansatzes. Hierin können Firmen ihre Innovationsprojekte einstellen und planen, woraufhin User sich mit Ideen zu den Innovationsprojekten äußern können. Die Community kann daraufhin einzelne Ideen bewerten und kommentieren. Als Anreiz wird die beste Idee mit einem Geldbetrag prämiert. „atizo“ ist es ein gutes Beispiel dafür, wie Dienstleister aus den verschiedenen Branchen Open-Innovation-Methoden nutzen können, um Ideen für neue Dienstleistungen zu generieren und diese durch die Community bewerten bzw. mitentwickeln zu lassen.

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Abb. 5.5   Die Ideen-Community „atizo“ (atizo.com 2017)

Im Rahmen der „atizo“ Customer Co-Creation-Plattform sind Innovationsprojekte von Firmen ausgeschrieben (Abb. 5.5). Die Nutzer können sich einbringen, indem Sie Ideen zu den Innovationsprojekten kreieren und Beiträge von anderen Nutzern bewerten. Die finale Auswahl der Ideen erfolgt durch ein Expertengremium, das die besten Ideen prämiert. In einem zweiten Schritt werden dann gezielt User eingeladen, die die prämierte Idee in einem weiterführenden Workshop weiterentwickeln und zur Umsetzung bringen sollen.

5.7 Exkurs: Analoge Methoden zur Kundeneinbeziehung Die oben behandelten Open-Innovation-Methoden zielen vor allem darauf ab, eine große Menge an Teilnehmern in die Ideengenerierung einzubeziehen. Neben diesen – primär webbasierten – Methoden soll jedoch auch kurz auf analoge Methoden eingegangen werden, die sich vor allem für kleinere Gruppen eignen. Im Folgenden wird dabei kurz auf das Brainstorming und die 6-3-5-Methode eingegangen.

5.7.1 Brainstorming Brainstorming ist eine Methode, um eine große Anzahl von neuen, ungewöhnlichen Ideen für die Lösung eines Problems zu generieren. Die Methode ist zur Anwendung

5.7  Exkurs: Analoge Methoden zur Kundeneinbeziehung

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innerhalb einer Gruppe (5–20 Personen) entwickelt worden. Gründer dieser Methodik ist der Amerikaner Alex Faickney Osborn, der 1953 das Prinzip des Brainstormings veröffentlichte. Er stellte die These auf, dass durch den Einsatz von Brainstorming eine Gruppe ihren kreativen Output verdoppeln kann (Osborn 1963). Das Brainstorming kann in drei Phasen unterteilt werden, die Vorbereitung, die eigentliche Ideenfindung sowie die Sortierung und Bewertung der generierten Ideen. Phase 1 – Vorbereitung Im Vorfeld des Brainstormings muss das Kernproblem definiert werden. Dabei ist es wichtig, dass das Problem klar abgegrenzt und nicht zu umfangreich ist sowie einer Leitfrage unterliegt. Eine Leitfrage kann beispielsweise sein: „Welcher Service (Apps) auf Mobiltelefonen ist für Patienten hilfreich, jedoch noch nicht verfügbar?“ Phase 2 – Ideengenerierung Beim Brainstorming gelten grundsätzlich vier Regeln: • Quantität: Viele Ideen in kürzester Zeit entwickeln (Zeitrahmen ca. 5–30 min). • Keine Kritik: Kommentare, Korrekturen, Kritik sind verboten. • Kombinieren und Ideen erweitern: Kombinieren und Aufgreifen von bereits geäußerten Ideen ist erwünscht. • Ungewöhnliche Ideen: Freies Assoziieren und Fantasieren ist erlaubt. Die Teilnehmer nennen spontan Ideen und Fantasien. Dabei ist es explizit erwünscht, dass geäußerte Ideen aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Die generierten Ideen werden protokolliert. Phase 3 – Sortieren & Bewerten Die zuvor generierten Ideen werden von den Teilnehmern sortiert und können anschließend bewertet werden. Beim Sortieren geht es um die thematische Zugehörigkeit und das Aussortieren problemferner Ideen. Die Bewertung der Ideen kann von den Teilnehmern oder durch andere Abteilungen, Vorgesetzte oder externe Dienstleister durchgeführt werden.

5.7.2 6-3-5-Methode Die 6-3-5-Methode, auch Brainwriting genannt, basiert auf dem Konzept des Brainstormings und hat das Ziel, 108 Ideen mit 6 Teilnehmern in 30 min zu generieren (6 Teilnehmer, je 3 Ideen, 5-mal Weiterreichen). Die Methode ist von Rohrbach (1969) für die Ideengenerierung in kleinen Gruppen entwickelt worden. Auch bei dieser Methode steht die Quantität der Ideen und nicht die Qualität im Vordergrund (Rohrbach 1969). Im Idealfall hat das Brainstorming sechs Teilnehmer sowie einen Moderator. Die Teilnehmer erhalten ein Blatt mit 18 Kästchen (drei Spalten und sechs Reihen) in dem sie die ausformulierten Ideen in der ersten Reihe eintragen. Je nach ­Problemkomplexität

160

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

werden die Blätter alle fünf bis zehn Minuten im Uhrzeigersinn weitergereicht. Die bereits niedergeschriebenen Ideen sollen vom nächsten Teilnehmer aufgegriffen und wenn möglich weiterentwickelt werden. Am Ende können die Ideen von den Teilnehmern oder von Extern bewertet werden.

5.8 Ansätze und Tools zur Konzeption Innovativer Dienstleistungen Beispiel

Im Rahmen der Nutzung der „atizo“-Innovationscommunity erhielt Herr Berger eine Vielzahl an originellen Ideen. Diese wurden mit den Vorständen der Bahn im Rahmen eines Meetings besprochen, bevor man sich auf eine Dienstleistungsidee festlegte. Bei der Idee, die von Herrn Bergers Team weiterverfolgt und vorangetrieben werden soll, handelt es sich um die Einführung eines neuen Entertainmentangebots, basierend auf digitalen Medien. Dies stellt Herrn Bergers Abteilung vor eine neue Herausforderung. Einerseits gilt es, sich zu überlegen, wie ein Entertainmentservice im Detail ausgestaltet sein muss, damit er die Bedürfnisse der Kunden befriedigt. Des Weiteren muss sich Herr Bergers Team überlegen, wie die Dienstleistung in das bisherige Dienstleistungsangebot der Bahn passt und welcher Voraussetzungen es bedarf, um die Dienstleistung erbringen zu können. Glücklicherweise gibt es eine Reihe an Tools, die dabei helfen können, die Idee auszuarbeiten, mit Kunden zu testen und zu einem ganzheitlichen Dienstleistungsgeschäftsmodell weiterzuentwickeln. Die im Folgenden behandelten Konzepte zur Dienstleistungskonzeptionierung ­ bilden eine sinnvolle Ergänzung zu den zuvor behandelten Open-Innovation-Methoden. Sie bieten einen systematischen Ansatz, um Dienstleistungsideen weiterzuentwickeln und diese somit in ausgereifte Dienstleistungskonzepte zu überführen. Darüber hinaus erlauben diese Konzepte, im Gegensatz zu den Open-Innovation-Methoden, nicht nur auf die Kundenseite (im konkreten die Kundenbedürfnisse), sondern auch auf die Unternehmensseite zu fokussieren. Folglich können die Konzepte eine holistischere Perspektive bei der Entwicklung von Dienstleistungsideen einnehmen, indem sie auch die Rolle des Unternehmens (dessen bestehendes Wertangebot und dessen Kostenstruktur) sowie weitere Akteure, die zur Erbringung der neuen Dienstleistung notwendig sind, in den Analyserahmen einbeziehen. Im Folgenden soll dabei vor allem auf das Value Proposition Canvas und das Service Innovation Canvas eingegangen werden. Beide Konzepte lassen sich sowohl vor, nach oder ergänzend zu den Open-Innovation-Methoden anwenden. Im Rahmen dieses Kapitels soll jedoch chronologisch vorgegangen werden. Das heißt, nachdem Dienstleistungsideen mit Usern im Rahmen von Lead User-Methode, Ideen Community bzw. eines Ideenwettbewerbs generiert wurden, gehen wir in einem nächsten Schritt dazu über, bestimmte Ideen aufzugreifen und diese mittels der genannten Konzepte weiter auszuarbeiten.

5.9  Tools zur Entwicklung von Dienstleistungsideen

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5.9 Tools zur Entwicklung von Dienstleistungsideen Um eine Dienstleistungsidee zu testen, gilt es, in einem ersten Schritt die Dienstleistungsidee auszuarbeiten und in ein testbares und tragfähiges Konzept zu überführen. Konzepte, die sich hierfür besonders eignen, sind das Value Proposition Canvas (VPC) (Osterwalder et al. 2012) und das Service Innovation Canvas (SIC) (Lipusch et al. 2017), die im Rahmen der folgenden Kapitel behandelt werden.

5.9.1 Value Proposition Canvas (VPC) Das VPC eignet sich vor allem dazu, das Wertversprechen der Dienstleistungsidee nochmal systematisch zu erfassen und darzustellen. Es dient dazu, Dienstleistungen zu entwickeln, die der Kunde auch wirklich will. Es kann als Ausgangspunkt des Minimal Viable Service (MVS) dienen. Das VPC besteht dabei grundsätzlich aus zwei Seiten. Eine Seite beinhaltet das Kundenprofil, während die andere Seite das sogenannte ­Wertversprechen enthält. In der Regel beginnt ein Unternehmen damit, das Kundenprofil auszufüllen. Die Nummerierung in Abb. 5.6 zeigt die Reihenfolge, in der man ein VPC ausfüllen sollte. Man beginnt dabei mit den Kundenproblemen und arbeitet sich von dort zur Kundenlösung vor. Mit dem Ziel, eine kundenzentrierte Dienstleistung zu entwickeln, sollte sich ein Unternehmen vor allem Gedanken zu drei Aspekten machen: Kunden-Jobs, Schmerz und Nutzen, die ihren Ursprung in der geflügelten Phrase „Pain and Gain“ aus dem Englischen haben. 1. Kunden-Jobs Kunden-Jobs beinhalten alle Aufgaben, die ein Kunde erledigen möchte bzw. die Ergebnisse, die ein Kunde gerne erreichen möchte. Ziel ist, dass das Unternehmen versucht, seine Kunden und deren Bedürfnisse zu verstehen anstatt eine existierende Lösung auf mögliche Kunden zu transferieren. Das Endresultat bildet eine Liste, die Jobs bzw. Aufgaben bestimmter Kunden beinhaltet, und die nach Priorität sortiert ist. 2. Schmerz Schmerzen beinhalten die Kernprobleme, auf die Kunden bei der Ausübung ihrer Jobs bzw. Aufgaben stoßen. Hierbei kann es sich um negative Emotionen, unerwünschte Kosten oder Schwierigkeiten bei der Erledigung der Aufgaben handeln. Ein Unternehmen sollte sich dabei Gedanken machen, welche Faktoren den Kunden an der Ausübung seines Jobs hindern, oder welchen Risiken der Kunde ausgesetzt ist, die zu einem schlechten Ergebnis des Jobs führen könnten. Auch hier gilt es, die Schmerzen unterschiedlicher Kundensegmente im Rahmen einer Liste zu erfassen und in einer Rangfolge zu priorisieren.

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Kundenprofil

Wertversprechen Nutzen-S er

Nutzen

3 Kunden Job[s] 1

4

6

Produkte & Services Schmerz-Löser

Schmerz

2

5

Abb. 5.6   Value Proposition Canvas

3. Nutzen Nutzen beschreibt die positiven Aspekte und Vorteile, die sich Kunden im Rahmen der Erledigung ihrer Aufgaben und Jobs wünschen. Ähnlich wie bei den Schmerzen kann es sich dabei um positive Emotionen, Kosteneinsparungen, soziale Vorteile oder funktionelle Brauchbarkeit handeln. Um zu vermeiden, dass der Nutzen ein bloßes Spiegelbild der Schmerzen ist, empfiehlt es sich, zwischen hinreichendem Nutzen und Begeisterungsfaktoren zu unterscheiden. Unter hinreichendem Nutzen sind dabei vor allem Vorteile zu verstehen, die man sich im Rahmen der Verrichtung einer Aufgabe oder eines Jobs wünscht oder die man erwartet. Begeisterungsfaktoren hingegen zwingen einen, über den Tellerrand hinauszusehen. Hierbei handelt es sich um Vorteile, die über die Erwartungen hinausgehen und die den Kunden positiv überraschen. In einem zweiten Schritt sollte sich ein Unternehmen vor allem Gedanken um das Wertversprechen machen, das den Gegenpol zum Kundenprofil bildet. Das Wertversprechen beinhaltet dabei die Dienstleistungen, die die Kundenbedürfnisse adressieren sollen, die im Rahmen des Kundenprofils erfasst wurden. Auch hier sollte das Unternehmen drei Aspekte beachten: Produkte und Services, Schmerz-Killer und NutzenStifter. 4. Produkte und Services Hier gilt es sich Gedanken darüber zu machen, welche Dienstleistungen zur Erfüllung der Kunden-Jobs beitragen. Es gilt dabei, alle Dienstleistungen zu erfassen, die auf dem Wertversprechen des Unternehmens basieren. Wichtig ist dabei, stets den Zusammen-

5.9  Tools zur Entwicklung von Dienstleistungsideen

163

hang zu den Kunden-Jobs, Schmerzen und Nutzen zu berücksichtigen, da eine Dienstleistung losgelöst von den drei Punkten keinen unmittelbaren Wert schafft. 5. Schmerz-Löser Hier gilt es, sich Gedanken darüber zu machen, welche Aspekte der Dienstleistung Kunden dabei helfen, ein Problem zu lösen. Es gilt festzuhalten, wie Probleme bzw. Risiken eliminiert werden, die einen Kunden bei der Ausübung seines Jobs beeinträchtigen oder ein Ergebnis negativ beeinflussen. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass eine Dienstleistung niemals alle Probleme der Kunden lösen kann. Eine gute Dienstleistung versucht, die relevanten Probleme der Zielgruppe zu adressieren. 6. Nutzen-Stifter Unter Nutzen-Stifter werden Aspekte eines Dienstleistungsangebots verstanden, die einen Wert bzw. einen Gewinn für den Kunden schaffen. Es handelt sich dabei um konkrete Merkmale einer Dienstleistung, die den Nutzer zu seinem beabsichtigten Ziel bringt sowie einen konkreten/erwarteten Nutzen stiftet bzw. einen Nutzen stiften kann, der über die Erwartungshaltung des Nutzers hinausgeht und ihn somit positiv überrascht. Beispiel

Nachdem sich Herr Berger und die Vorstände darauf geeinigt haben, einen neuen Entertainmentservice, basierend auf digitalen Medien, zu entwerfen, geht es darum, die Serviceidee auszuarbeiten. Herr Berger und sein Team stehen nun vor der Herausforderung, eine erste Version der Serviceidee in strukturierter und ausgearbeiteter Form darzustellen. Herr Maier, ein eifriger Mitarbeiter aus Herrn Bergers Team, schlägt ihm vor, das Value Proposition Canvas zu verwenden. Dieses eignet sich vor allem, um kundenzentrierte Serviceideen zu entwickeln. Nachdem er sich mit dem neuen Tool vertraut gemacht hat, organisieren Herr Berger und sein Team einen Workshop mit Lead Usern (Kunden und Mitarbeitern der Bahn), um anhand des VPC eine erste Serviceidee auszuarbeiten. Im Rahmen des Workshops gelangt man dabei zu folgendem Ergebnis (Abb. 5.7).

5.9.2 Validierung der Value Proposition Um sicherzustellen, dass eine Dienstleistungsidee auch die tatsächlichen Bedürfnisse von Kunden widerspiegelt, gilt es, diese zu validieren. Die im Folgenden behandelten Konzepte orientieren sich am sogenannten „Mom Test“. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das darauf abzielt, die richtigen Testkunden ausfindig zu machen und diesen die richtigen Fragen zu stellen, mit dem Ziel, die Kundenannahmen einer Dienstleistungsidee zu verifizieren und anzupassen. Folglich eignen sich die vorgestellten Konzepte dazu, die mit dem VPC skizzierte Dienstleistungsidee zu validieren. Die Grundannahme hinter dem sogenannten „Mom Test“ ist, dass potenzielle Kunden oft

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Kundenprofil

Wertversprechen

- Bahnfahrt wird zum Erlebnis - Bahnfahrt dient der Erholung - Zeit lässt sich effizienter nutzen

- Eingeschränktes Medienangebot (nur Bahnzeitschri, Tageszeitungen) - Eingeschränkte Verfügbarkeit nicht digitaler Medien - Schlechte Internetverbindung

Kunden wollen Medien konsumieren, (Bücher, Musik, Filme, Nachrichten)

Digitales Medienangebot: - Nachrichten (Tagesschau) - Hörspiele - Zeitungskiosk - Spiele - Reisemagazin - etc.

- Integriertes Medienangebot (alle Medien an einem Ort) - Zusatzfunk’onen wie We“ervorhersage, Karte, Zuglaufleiste etc.

- Digitale Medien erlauben ein größeres Angebot an Medien und eine größere Verfügbarkeit der Medien - Digitale Medien laufen über das Portal der Bahn und sind daher stabiler (im Vergleich zur Nutzung von privatem WLAN)

Abb. 5.7   Beispiel eines ausgefüllten Value Proposition Canvas

nicht die Wahrheit sagen und dass konventionelle Marktforschungsmaßnahmen nur wenig geeignet sind, um dem entgegenzuwirken (Fitzpatrick 2013). Folglich sollte man beim Testen der Kundenannahmen genau darauf achten, wie Fragen gestellt werden. Zum Beispiel sollte man potenzielle Kunden nie fragen, ob die eigene Idee gut ist. Der Grund dafür ist, dass eine solche Frage darauf abzielt, ein positives Feedback zu bekommen. Die meisten Menschen wollen die Gefühle des Gegenübers nicht verletzen und werden im Zweifel auf diese Frage eine falsch-positive Antwort geben. Diese falsche Gefühlsäußerung kann das Gegenüber in die Irre führen, da Menschen nach Bestätigung suchen und diese Antworten als verlässliche Informationen einstufen. Neben falschen Komplimenten können auch allgemeine Aussagen zu falschen Schlussfolgerungen führen. Aussagen, wie „normalerweise“ oder „immer“ sowie Zukunftsversprechen („ich würde“, „ich werde“) und Hypothesen („ich müsste“, „ich sollte“) sind ungeeignet, da sie unverbindlich sind. Im Folgenden werden einige Regeln aufgeführt, die bei der Interviewführung befolgt werden sollten, um falsche Schlussfolgerungen des Interviewenden zu vermeiden: • Reden Sie mit dem Interviewpartner über sein Leben und nicht über Ihre Idee. • Fragen Sie nach konkreten Fällen aus der Vergangenheit und vermeiden Sie allgemeine Meinungen oder Vorstellungen über die Zukunft. • Testen Sie, ob den Interviewpartnern das Problem bewusst ist. • Offenbaren Sie niemals Ihre Idee.

5.9  Tools zur Entwicklung von Dienstleistungsideen

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• Reden Sie weniger und hören Sie mehr zu, • Verinnerlichen Sie sich die Position des Interviewpartners, bevor sie zur nächsten Frage übergehen. Diese Regeln sollen als Hilfestellung für Interviewfragen dienen, die ehrliche und verwertbare Informationen gewährleisten. Bei richtiger Anwendung stellt diese Vorgehensweise sicher, dass dem Interviewpartner nicht bewusst ist, dass mit ihm eine Dienstleistungsidee getestet wird. Fragen, die im Zusammenhang mit Ihrer Idee stehen und die anschließende Erklärung dieser Idee, sind wünschenswert. Fragestellungen in Bezug auf die Problemlösung dieser Ideen sind ebenfalls vorteilhaft. Zukunftsgerichtete und gefühlsbetonte Fragen sollen vermieden werden. Außerdem sollte man es unterlassen, sich von Kundenwünschen leiten zu lassen. Vielmehr zielt das vorgeschlagene Vorgehen darauf ab, durch Beobachtung und Interviews die Bedürfnisse zu erkennen und, basierend darauf, die eigene Lösung zu adaptieren oder eine neue zu entwickeln. Bei der Auswahl der Testkunden gilt es, sich auf kleine, aber aussagekräftige Kundensegmente zu fokussieren. Das heißt, gerade zu Beginn sollte es nicht das Ziel sein, einen breiten Markt zu adressieren, da dies davon abhält, die spezifischen Bedürfnisse einer Kundengruppe zu verstehen. Für das Kundensegment sollten die folgenden Fragen gestellt werden: • Warum sollte diese Person oder Gruppe meine Lösung haben wollen? Was ist ihr Problem oder Ziel? • Welche Person innerhalb dieser Gruppe möchte meine Lösung am meisten? • Würde jede Person innerhalb der Gruppe meine Lösung nutzen bzw. kaufen oder nur einige von ihnen? • Welche Strategien verfolgen die Personen bisher, um ihr Ziel zu erreichen oder ihr Problem zu lösen? • Welche Demografie weisen diese Personen auf, und wo können wir Personen mit einer ähnlichen Demografie finden? Abschließend sollte das richtige Umfeld geschaffen werden, um mit den potenziellen Kunden in Kontakt zu treten. Hier sollte darauf geachtet werden, formelle Treffen und sogenannte „cold-calls“ zu vermeiden. Vielmehr sollte man sich bemühen, Orte aufzusuchen, die es einem erlauben, mit potenziellen Kunden in ungezwungener Atmosphäre in Kontakt zu treten. Hierbei gilt es, sich Gedanken darüber zu machen, ob es nicht Personen im eigenen Umfeld gibt, die weiterhelfen können. Sollte das nicht der Fall sein, gilt es, sich in einem nächsten Schritt zu überlegen, wo aufgeschlossene und interessierte Kunden zu finden sind. Beispiele sind Messen, Konferenzen oder anderweitige Interessensgemeinschaften.

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

5.10 Service Innovation Canvas (SIC) Im Rahmen der Erstellung einer Dienstleistungsinnovation geht es nicht nur darum, die Dienstleistungsidee (d. h. das Wertversprechen oder im Englischen die Value Proposition) zu konzeptionieren und zu testen. Sondern auch, sich Gedanken zu machen, welche Bausteine notwendig sind, um die Dienstleistung erfolgreich zu erbringen (z. B. welche Partner bzw. Kanäle werden benötigt?) und wie sich mit der Dienstleistung Wert generieren lässt (d. h. wie lässt sich mit einer Dienstleistung Ertrag generieren?). Diese Aspekte sind vor allem im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit und Implementierung einer Dienstleistungsinnovation wichtig und sollten daher schon frühzeitig berücksichtigt ­werden. Eine Möglichkeit, diese Aspekte systematisch zu erfassen, bildet das im Folgenden vorgestellte Service Innovation Canvas (SIC). Es handelt sich dabei um ein Modell, das dazu dient, die Kernaspekte eines dienstleistungsbasierten Geschäftsmodells darzustellen. Dazu werden die Schlüsselkomponenten (Wertversprechen, Kundensegmente, Service-Orchestrator, Partner-Ökosystem, Werterbringung, Werterfassung, Technologie und Daten) des SIC näher erläutert.

5.10.1 Aufbau des Service Innovation Canvas Das SIC besteht im Grunde aus drei Schichten (siehe Abb. 5.8). Die vorderste Schicht enthält den Großteil an Informationen und bildet die Interaktionen (Werterbringung und Werterfassung) zwischen den unterschiedlichen Dienstleistungs-Stakeholdern (Service-Orchestrator, Kundensegmente und Partner-Ökosystem) ab, um das Wertversprechen für den Kunden zu erbringen. Folglich tragen alle beteiligten Stakeholder zu einer erfolgreichen Umsetzung des Dienstleistungsgeschäftsmodells bei. Durch diesen gemeinschaftlichen Ansatz können Risiken minimiert sowie neue Ressourcen zugänglich gemacht werden und somit die Dienstleistungserbringung optimiert oder neue Dienstleistungen angeboten werden. Zudem enthält das Modell zwei weitere Schichten (Technologie und Daten), die der technologischen sowie der datengetriebenen Natur digitaler Dienstleistungen Rechnung tragen. Die Nummerierung in Abb. 5.8 zeigt die Reihenfolge, in der man ein SIC ausfüllen sollte.

5.10.2 Einzelne Bestandteile des Service Innovation Canvas 1. Wertversprechen (Welchen Nutzen haben die Kunden und die Kooperationspartner?) Das Wertversprechen bezeichnet den Wert, den ein Service für ein bestimmtes Publikum bietet. Wie das Wertversprechen ermittelt wird, wurde bereits im Abschn. 5.9.1 dargelegt. Das Wertversprechen adressiert die Kundenbedürfnisse oder löst ein Kundenproblem und

167

5.10  Service Innovation Canvas (SIC)

Technologie

8

Daten 7 Kunden-Segmente

Service-Orchestrator 3

2

Werterfassung

Wertversprechen 1

6

Werterbringung 5

Partner-Ökosystem

4

Abb. 5.8   Service Innovation Canvas

ist somit einer der wichtigsten Bestandteile des SIC, der sich unmittelbar auf die Wahl eines Dienstleistungsanbieters auswirkt. Unternehmen müssen sich daher schon frühzeitig fragen, welchen Wert sie den Kunden vermitteln, welche Kundenbedürfnisse sie erfüllen und welche Dienstleistungspakete sie letzlich anbieten. Darüber hinaus ist es wichtig, den Mehrwert für jeden Teilnehmer, der an der Dienstleistungserbringung teilnimmt, zu berücksichtigen. Ist dies nicht der Fall, so ist das gesamte Dienstleistungsmodell gefährdet, da das zur Erfüllung der Dienstleistung erforderliche Netzwerk wahrscheinlich nicht lange bestehen bleibt. 2. Kundensegmente (Wer sind potenzielle Zielgruppen und welche Ressourcen bringen sie ein?) Das sind Teilnehmer, die ein Bedürfnis nach den bereitgestellten Werten haben. Kunden können dabei unterschiedliche Rollen einnehmen. Sie können Käufer einer Dienstleistung sein (z. B. typische Konsumenten), sie können aber auch eine aktivere Rolle einnehmen, in dem sie sich an der Erbringung der Dienstleistung beteiligen (sogenannte Prosumenten). Eine weitere Möglichkeit, Kunden zu unterscheiden, ist die Bildung sogenannter Kundensegmente. Die Kundensegmentierung kann dabei anhand verschiedener Dimensionen erfolgen. Ein Beispiel liefern Osterwalder und Pigneur (2010), die zwischen folgenden Segmenten unterscheiden:

168

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

• Massenmarkt (große Kundengruppen mit ähnlichen Bedürfnissen) • Nischenmarkt (spezifische Kundensegmente mit besonderen Anforderungen) • Segmentiert (Marktsegmente mit leicht unterschiedlichen Bedürfnissen) • Diversifiziert (zwei völlig unterschiedliche, nicht miteinander zusammenhängende Kundensegmente mit sehr unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen) • Multi Sided Platforms (siehe Kap. 2) (mindestens zwei voneinander abhängige Kundensegmente) Kunden nehmen im Rahmen der Dienstleistungserfüllung eine zentrale Rolle ein. Somit gilt es, auch Ressourcen zu berücksichtigen, die von Kunden eingebracht werden. Beispiele hierfür können Daten oder Zeit sein (im Rahmen von Self-Services z. B. liefert der Kunde personenbezogene Daten und spendet seine Zeit, in dem er bestimmte Arbeitsschritte der Dienstleistung selbst verrichtet). 3. Service-Orchestrator (Wer sind die Service-Orchestratoren und über welche Ressourcen verfügen sie?) Der Service-Orchestrator ist der Eigentümer oder, wenn man so will, der Hauptauftragnehmer der Dienstleistung. Er ist somit verantwortlich für die Koordination aller Stakeholder, die im Rahmen der Erstellung der Dienstleistung beteiligt sind (es handelt sich hierbei sowohl um Kunden als auch um Ökosystempartner), sowie das Management aller wertschöpfenden Aktivitäten (Werterbringung und Werterfassung) und der Ressourcen (z. B. Kapital, Partner, Dinge), die zur Erfüllung der Dienstleistung notwendig sind. Da der Service-Orchestrator die Hauptverantwortung für die Erbringung der Dienstleistung übernimmt, müssen seine Rolle und verfügbaren Ressourcen berücksichtigt werden. Ressourcen bezeichnen Kompetenzen oder Werkzeuge, die für das Funktionieren eines Dienstleistungsgeschäftsmodells ausschlaggebend sind. Ressourcen können dabei unterschiedlich charakterisiert werden. Ein Beispiel liefern Osterwalder und Pigneur (2010), die zwischen physischen Ressourcen (z. B. Maschinen), finanziellen Ressourcen (z. B. Kauffinanzierung), menschlichen Ressourcen (z. B. Wissenschaftler in einem Unternehmen) und intellektuellen Ressourcen (z. B. Marken) unterscheiden. 4. Partner-Ökosystem (Mit welchen Geschäftspartnern können fehlende Ressourcen zugänglich gemacht werden?) In diesem Baustein werden die Kooperationen mit anderen Serviceanbietern beschrieben, die eine Teilleistung der Dienstleistung erbringen und somit eine wichtige Funktion bei der Erfüllung der Dienstleistung einnehmen. Kooperationen zwischen unterschiedlichen Unternehmen haben verschiedene Gründe, wie beispielsweise fehlendes Knowhow oder das potenzielle Erreichen von Synergieeffekten. Sie bestimmen die Rolle des Partners. Darüber hinaus verfügen Partner über unterschiedliche Ressourcen, die für die Erbringung der Dienstleistung eine notwendige Voraussetzung sind. Beispiele hierfür können Dinge wie Infrastruktur (siehe AirBnB) oder Waren (siehe Amazon) sein. Partnerressourcen können aber auch Dienstleistungen, (z. B. Transportmöglichkeiten bei BlaBlaCar), digitale Produkte sowie Informationen (z. B. Rezensionen bei Amazon) umfassen.

5.10  Service Innovation Canvas (SIC)

169

5. Werterbringung (Welche Aktivitäten und Beziehungen sind im Rahmen der Dienstleistungserbringung zu berücksichtigen?) Werterbringung bezeichnet alle Aktivitäten und Beziehungstypen, die notwendig sind, um die Dienstleistung erbringen zu können. Somit handelt es sich um die wichtigsten Aufgaben, die Unternehmen, Partner und Kunden erfüllen müssen, damit die Dienstleistung erbracht werden kann. Dazu zählen unter anderem Aktivitäten wie die Ermittlung von Kundenbedürfnissen, die Erstellung der Dienstleistung, die Vermarktung der Dienstleistung, der Zukauf von Dienstleistungen, die Pflege von Kundenbeziehungen sowie viele weitere Aktivitäten. Neben den Aktivitäten dient die Dimension auch dazu, die Beziehungen mit den Kunden zu beschreiben. Diese können je nach Intensität unterschiedliche Ausprägungen annehmen (z. B. persönlich oder automatisiert). Das Unternehmen muss sich fragen, welche Art von Beziehungen für welche Kundengruppe erforderlich ist. Da im Rahmen der Dienstleistungserbringung mehrere Akteure involviert sind, muss sich ein Unternehmen zudem die Frage stellen, welche Aktivitäten von Kunden bzw. Partnern übernommen werden sollen und welche Aktivitäten der Service-Orchestrator erbringt. 6. Werterfassung (Welche Kosten sind im Rahmen der Dienstleistungserfüllung zu erfassen und wie werden diese finanziert?) Die Werterfassung bezieht sich auf die Art und Weise, mit der ein Unternehmen im Rahmen seines Dienstleistungsgeschäftsmodells Geld erwirtschaftet. Je nach Bedarf lassen sich verschiedene Ertragsarten differenzieren. So kann man zum Beispiel zwischen einmaligen und regelmäßigen Einnahmen unterscheiden (Osterwalder und Pigneur 2010). Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung stellen direkte und indirekte Erträge dar. Während direkte Erträge beim direkten Verkauf der Dienstleistung anfallen, handelt es sich bei indirekten Erträgen um Erträge, die aus anderweitigen Geschäften (z. B. aus der indirekte Monetarisierung durch Werbung) entstehen. 7. Daten (Welche Daten müssen im Rahmen der Dienstleistungserfüllung berücksichtigt werden?) Bei der Dimension „Daten“ handelt es sich um Informationen, die im Rahmen der Dienstleistungserbringung generiert und zwischen Akteuren ausgetauscht werden und die essenziell für die Erbringung der Dienstleistung sind. Daten unterscheiden sich grundsätzlich hinsichtlich ihres Formats und können sich auf Angaben zu Personen, Sachen oder Sachverhalten beziehen. Darüber hinaus genügt eine allgemeine Beschreibung der Daten im Rahmen der Erstellung des Service Innovation Canvas. Das heißt, es sollte überlegt werden, ob es sich um qualitative oder quantitative Daten, statische oder dynamische Daten handelt und welchen Verwendungszweck die Daten im Rahmen der Dienstleistungserbringung haben. Hierbei sei kurz auf neue Entwicklungen im Bereich sogenannter „datengetriebener Dienstleistungsinnovation“ („Data-Driven Service Innovation“) verwiesen: In Zeiten der Digitalisierung und der damit immer größer werdenden Flut an verwertbaren Daten, leistungsfähigen

170

5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

­ lgorithmen und Softwaretools entwickelt sich der Trend dahin, Daten vermehrt als A aktive, gestaltende Ressource in den Dienstleistungsinnovationsprozess einzubinden. Bei „datengetriebener Dienstleistungsinnovation“ handelt es sich folglich um die Unterstützung und Gestaltung des Dienstleistungsinnovationsprozesses durch und mit Daten. Technologische Entwicklungen im Bereich Big Data, Internet of Things und Cyber Physical Systems (Siehe Kap. 1) ermöglichen die Sammlung von Daten und die Bereitstellung datengetriebener Softwaretools, die den Dienstleistungsinnovationsprozess unterstützen, gestalten, aber auch Ergebnis eines solchen sein können. Im Unterschied zur klassischen Dienstleistungsinnovation bezieht sich hier der Begriff „Daten“ aber auf maschinenlesbare Daten, die einer automatisierten Analyse zugeführt werden können. 8. Technologie (Welche Technologien müssen im Rahmen der Dienstleistungserfüllung berücksichtigt werden?) Bei der Dimension Technologie handelt es sich um die technologische Infrastruktur, die für die Erbringung von Dienstleistungen notwendig ist. Technologie kann dabei je nach Dienstleistung eine unterschiedliche Rolle einnehmen. In manchen Fällen werden Dienstleistungen komplett über eine bestimmte technologische Infrastruktur abgewickelt (z. B. im Falle von Plattformen), während in anderen Fällen die technologische Infrastruktur lediglich einen Teilaspekt im Rahmen der gesamten Dienstleistungserbringung (z. B. Datenübertragungsstandards im Falle von mobilen End-Applikationen) erfüllt. Viele der genannten Dimensionen lassen sich auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen darstellen. Für welche Abstraktionsebene man sich entscheidet, bleibt dem Anwender des SIC überlassen und richtet sich auch nach dem Zweck, welcher mit der Geschäftsmodelldarstellung verfolgt wird. In der Regel ist es so, dass man mit einer sehr abstrakten Repräsentation seines Geschäftsmodells beginnt und sich im Rahmen mehrerer Überarbeitungen einer konkreteren Darstellung annähert. Beispiel

Herr Bergers Team überlegt sich nun, welche Schritte notwendig wären, um die neue Dienstleistungsidee erfolgreich umzusetzen. Hierbei muss sich das Team mit den erweiterten Rahmenbedingungen der Dienstleistungsidee befassen (z. B. welche Partner benötigt werden, um das Dienstleistungsangebot zu erbringen oder wie sich das neue Serviceangebot in die bestehenden Serviceangebote integrieren lässt). Um diese erweiterten Rahmenbedingungen systematisch zu strukturieren und zu analysieren, beschließt das Team, einen weiteren Workshop durchzuführen, in dem es anhand des Service Model Canvas die Dienstleistungsidee weiter ausarbeitet. Das Ergebnis des Workshops stellt sich wie folgt dar (Abb. 5.9):

171

5.11 Zusammenfassung

Mobile (LTE/UMTS), Portal, Datenbankstandard etc. Registrierungsdaten (Nutzer ID)

DB Systel GmbH - Rolle: public service provider - Ressourcen: Personal, Infrastruktur etc.

Direkte Einnahmen: - Erstellung zahlungspflich–ger Medienangebote Finanzierung durch Werbung: - Akquirierung von Werbepartnern

Digitales Medienangebot: - Nachrichten - Hörspiele - Zeitungskiosk - etc.

Deutsche Telekom, Vodafone etc. - Rolle: Netzbetreiber - Ressourcen: NetzDienste

- Erstellung des Mediencenters (Portals)

Geschä‘sreisende, Urlaubsreisende, Kinder etc. - Rolle: Konsumenten - Ermi—lung der Kundenbedürfnisse und Mediennutzungsgewohnheiten - Einkauf des MedienMaxdome angebots

- Rolle: Entertainmentprovider - Ressourcen: Medien

ORACLE, SAP, AWS etc. - Rolle: Infrastrukturprovider - Ressourcen: Dateninfrastruktur

Abb. 5.9   Beispiel eines ausgefüllten Service Innovation Canvas

5.11 Zusammenfassung In Kap. 5 wurde die Rolle des Innovationsprozesses im Rahmen der systematischen Erstellung von Dienstleistungen dargestellt. Des Weiteren wurde aufgezeigt, wie mittels des Open-Innovation-Ansatzes einzelne Phasen im Dienstleistungsinnovationsprozess unterstützt werden können. Dabei wurde u. a. auf die Bedeutung von Lead Usern und deren Eigenschaften und Motive für eine aktive Mitentwicklung an Lösungen für Dienstleistungsanbieter eingegangen. Darauf aufbauend wurden einige Methoden des Open-Innovation-Ansatzes, im speziellen 1) Ideenwettbewerbe, 2) Lead User-Methode und 3) Ideen-Communities näher erläutert und den einzelnen Phasen des Dienstleistungsinnovationsprozesses zugeordnet. Dabei hat sich gezeigt, dass die Methoden des Open-Innovation-Ansatzes hauptsächlich in den frühen Phasen des Dienstleistungsinnovationsprozesses eingesetzt werden können. Im zweiten Teil des Kapitels wurden Ansätze und Tools zur Weiterentwicklung und zur Konzeptionierung von Dienstleistungen behandelt. Dabei wurde insbesondere auf das Value Proposition Canvas eingegangen, das sich vor allem dazu eignet, eine Dienstleistungsidee in ein Dienstleistungskonzept zu überführen, um es schnell und systematisch mit dem Markt zu testen. Abschließend wurde auf das Konzept des Service

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5  Service Innovation: Von kundenzentrierten Dienstleistungsideen …

Innovation Canvas eingegangen, das sich vor allem dazu eignet, sich Gedanken über die Rahmenbedingungen von Dienstleistungen zu machen und folglich dazu dient, das VPC in ein noch holistischeres Dienstleistungskonzept zu überführen. Die in diesem K ­ apitel behandelten Ansätze und Konzepte erlauben es Dienstleistungsunternehmen, systematisch und kostengünstig Kunden in die Entwicklung von Dienstleistungsangeboten einzubeziehen. Die frühe Kundeneinbeziehung stellt dabei im Rahmen des Dienstleistungsengineerings einen wichtigen Erfolgsfaktor dar, da Kunden über ein hohes Maß an sogenannten Bedürfnis- und Lösungsinformationen verfügen, die für die Entwicklung innovativer Dienstleistungen notwendig sind.

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6

Service Design

6.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele Das Design ist ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung und somit ein w ­ ichtiger Aspekt für den Erfolg von Dienstleistungen. Um entscheiden zu können, ob eine Dienstleistung gut gestaltet worden ist, können Dienstleistungsentwickler a­llgemeingültige Leitlinien für gutes Design heranziehen. Das Service Design, welches qualitative Eigenschaften zwischen Mensch-Mensch- und Mensch-Computer-Beziehungen berücksichtigt, kann unterschiedlichen Designansätzen folgen. Den Kern des Kapitels bildet der kundenzentrierte Ansatz, der Standard-Service Design-Ansätze um die P ­ erspektive der vom Kunden wahrgenommenen Produkt- oder Serviceerfahrungen erweitert. Eine Gestaltungsherausforderung ist es, den Kunden der Dienstleistung, den Kontext, indem die Dienstleistung erbracht wird, den Anbieter sowie die Beziehungen zu anderen Dienst­ leistungen gleichermaßen zu berücksichtigen, um ungenutzte Wertschöpfungspotenziale zu erschließen. Damit dies gelingt, können unterschiedliche Design-Methoden zum Einsatz kommen. Hierzu zählen u. a. der Service Blueprint, das Service Prototyping oder Personas, wobei jede der Design-Methoden unterschiedliche Gestaltungsaspekte und Sichtweisen auf die Dienstleistung ermöglicht und daher in Kombination mit anderen Methoden verwendet werden sollte. Anhand eines Projekts, welches sich mit der Entwicklung einer mobilen Lernanwendung beschäftigt, wird vorgestellt und aufgezeigt, wie einzelne Methoden zur Gestaltung von Dienstleistungen eingesetzt werden können. Das Kapitel adressiert folgende Lernziele

1. Sie können „Nutzer-, Nutzungs- und Nutzenorientierung“ für das Design von Dienstleistungen an einem gegebenen Beispiel erläutern. 2. Sie können die Kriterien für „gutes Design“ erläutern.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_6

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3. Sie können unterschiedliche Designmethoden anhand ihrer Einsatzzwecke und Sichtweisen auf die Dienstleistung abgrenzen und entsprechend anwenden. 4. Sie können die verschiedenen Phasen des St. Galler Business Innovation-Ansatzes für eine bestimmte Dienstleistung anwenden. 5. Sie können selbstständig anhand von Service Design-Prinzipien einen Serviceprototypen entwerfen. 6. Sie können auf Basis einer Fallstudie eine Customer Journey erstellen. 7. Sie können die Vor- und Nachteile von Service Design Thinking aufzeigen und zu anderen Methoden, wie bspw. dem St. Galler Business Innovation-Ansatz, abgrenzen. 8. Sie können aufzeigen, an welchen Touchpoints Daten die Customer Journey für eine vorgegebene Dienstleistung unterstützen können.

6.2 Einleitung Wir leben im Zeitalter des Designs. Produkte, die Aufmerksamkeit erzeugen und aus der Masse herausragen, müssen sinnvoll gestaltet werden. Design begegnet uns in Form von materiellen und immateriellen Produkten jeden Tag und trägt stark dazu bei, wie ein Unternehmen oder eine Marke wirkt. Es gibt viele Definitionen von Design. Im weitesten Sinne ist Design eine kreative Tätigkeit, die das Gestalten oder Entwerfen von erfolgreichen, nützlichen und anmutigen, also wohl designten Produkten für den Kunden im Fokus hat (HosakRobb 2005). Während viele Menschen mit dem Begriff Design das Styling, die Produktkosmetik oder die Grafik assoziieren, kann es aber auch als eine Kompetenz zur Gestaltung von Schnittstellen zwischen einem Angebot und einem Nutzer, unter den Aspekten Funktionalität und Form, betrachtet werden (Mager 2007). Ursprünglich stammt der Begriff Design vom lateinischen Wort designare, was (be)zeichnen bedeutet. Im deutschen Sprachgebrauch werden unter der Bezeichnung Design vorwiegend gestalterisch-kreative Aspekte subsumiert, welche sich sowohl auf die Tätigkeit des Designens als auch auf das Produkt, also ein Produkt mit gutem Design, beziehen können. Folgendes Zitat verdeutlicht das erweiterte Verständnis von Design und seinen zugrundeliegenden Tätigkeiten:   „Design is about progress. It is the conceptualization and creation of new things: ideas, interactions, information, objects, typefaces, books, posters, products, places, signs, systems, services, furniture, websites, and more. Designers imagine and make. They also research and think. Skilled in one or more specialties of the discipline, designers use their abilities in collaboration with others. Designers want to make ideas real and to make a difference“ (School of Design/University of Illinois at Chicago 2017).

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Ein Unternehmen, welches sich wie kaum ein anderes das Design von Produkten zunutze machte und als wichtigen Bestandteil in seine Marken- und Marketingstrategie integrierte, ist Apple. Zu Zeiten, in denen jeder Computer beige und rechteckig war, entwickelte Apple den iMac, welcher in leuchtenden Farben und abgerundeten Formen die Konkurrenzprodukte altmodisch und unschick wirken ließ. Der iPod und auch das iPhone schlossen sich dieser Strategie an. Eine hochwertige und edle Gestaltung der Hardware in Kombination mit kurzen Zyklen, in denen Produktneuerscheinungen auf dem Markt kamen, erzeugten eine hohe Markenanziehung. Neben der Produktgestaltung spielt aber auch die Gestaltung neuer Konzepte eine Rolle, die das geplante Dienstleistungskonzept bereichern. In diesem Zusammenhang bewirkte die anfänglich notwendige iTunes-Anbindung Lock-In-Effekte (Kap. 2), die einen Wechsel zur Konkurrenz verhinderten. Neben Apple sind aber auch andere Unternehmen wie Google oder Facebook Beispiele dafür, wie durchdachtes Service Design, welches den Kunden in den Fokus der Dienstleistungsentwicklung stellt, maßgeblich zum Unternehmenserfolg beitragen kann.

6.3 Einführung in das Service Design Die Verbindung zwischen den Begriffen „Service“ und „Design“ ist nicht offensichtlich, geht jedoch aus dem erweiterten Verständnis für Design hervor. Demnach bezieht sich das Design nicht ausschließlich auf die Gestaltung eines Produktes, sondern bezeichnet vielmehr eine Kompetenz zur Gestaltung von Schnittstellen zwischen einem Angebot und einem Nutzer (Mager 2007). Es zeigt sich, dass sich durch das Zusammenbringen von Service und Design eine Chance für funktionale, formvollendete und innovative Dienstleistungen ergibt, welche eine Differenzierung gegenüber Wettbewerbern möglich macht (Mager 2007). Im folgenden Kapitel wird ein gemeinsames Begriffsverständnis für das Service Design entwickelt. Zudem werden Aufgaben und Zielsetzungen des Service Designs herausgestellt. Weiterhin wird das Service Design in den Kontext des Service-Engineering-Prozesses eingeordnet und Querbezüge zur Service Innovation und Modellierung aufgezeigt.

6.3.1 Begriffsklärung, Zielsetzung und Charakteristika Begriff Service Design Service Design erweitert bestehende Standard-Service Design-Ansätze um die Perspektive der vom Kunden wahrgenommenen Produkt- oder Serviceerfahrungen. Dies gilt auch für den dahinterliegenden Prozess, die Strategie und gegebenenfalls ein technisches System. Folgende Bestandteile sind für das Service Design wichtig:

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• Kunden oder Nutzer der Dienstleistung (Ziele, Bedürfnisse, Verhalten, Demografie, Psychografie) • Kontext (Wettbewerb, Gesetzgebung sowie politischer, wirtschaftlicher, sozialer und technologischer Kontext) • Service-Mitarbeiter oder Anbieter (Ressourcen, Einschränkungen, Prozesse und Systeme, Sprache) • Beziehungen (Schnittstellen mit anderen Dienstleistungen, anderen Anbietern von Dienstleistungen) Das Service Design beschreibt eine Phase des Service-Engineering-Prozesses. In dieser Phase werden Ideen entwickelt und diese bis zu einer funktionsfähigen Anwendung oder Dienstleistung verfeinert. Dabei ist es unbedeutend, ob es sich um eine neue Dienstleistung oder um die Verbesserung bzw. Weiterentwicklung einer bestehenden Dienstleistung handelt. Eine Definition des Begriffs findet sich in Becker et al. (2015):   Das Service Design kann verallgemeinert als „ein bewusst durchgeführter Dienstleistungsinnovationsprozess mit dem Ziel, bislang ungenutzte Wertschöpfungspotenziale zu erschließen“ verstanden werden (Becker et al. 2015, S. 6). Das Service Design spielt hierbei für die Service Innovation eine Schlüsselrolle, indem durch den Einsatz von nutzerzentrierten und mitgestalterischen Service Design-Methoden Kunden und deren Kontext verstanden, zukünftige Lösungen entworfen und prototypisch umgesetzt werden (Stickdorn und Schneider 2011). Gutes Design muss in das Wertesystem des Benutzers passen, den Nerv treffen, Wünsche, Bedürfnisse und Interessen befriedigen, funktional sein und zu einem positiven Erleben führen. Gutes Design soll aber auch als ein absatzförderndes Element betrachtet werden. Da es schwierig ist, gutes Design quantitativ zu messen und zu bewerten, richten sich Unternehmen und Designer nach Design-Thesen. Der Designer Dieter Rams hat zehn Thesen für gutes Design aufgestellt, welche auch noch viele Jahre nach ihrer Aufstellung der Industrie als Leitsätze für die Entwicklung ihrer Produkte dienen (Rams und Brandes 1990). Kriterien für gutes Design Gutes Design … … ist innovativ: Die Chancen, die die Technologie von heute und damit das Design bieten, sind längst nicht ausgeschöpft. … macht ein Produkt brauchbar: Man kauft ein Produkt, um damit einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Gutes Design optimiert die Brauchbarkeit. … ist ästhetisch: Die ästhetische Qualität des Gestalteten und die dadurch ausgelöste Faszination ist ein integraler Teil seiner Funktion und Brauchbarkeit. … macht ein Produkt verständlich: Es offenbart die Struktur des Produktes auf logische Art und Weise, bringt es sozusagen zum Sprechen.

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… ist unaufdringlich: Das Gestaltete soll sich unauffällig in seine Umgebung einfügen. … ist ehrlich: Design darf nicht missbraucht werden, d. h. es soll das Gestaltete nicht innovativer, leistungsfähiger oder teurer erscheinen lassen, als es in Wirklichkeit ist. … ist langlebig: Alles Modische veraltet schnell und fördert die Wegwerfgesellschaft. … ist konsequent bis ins letzte Detail: Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit sind ein Zeichen für Geringschätzung dem Gestalteten und dem Verbraucher gegenüber. … ist umweltfreundlich: Designer müssen ihren Beitrag zur Schonung unserer Rohstoffreserven und der Umwelt leisten. Dabei ist die visuelle Umweltverschmutzung nicht weniger schädlich als die physische Verschmutzung der Natur. … ist so wenig Design wie möglich: Zurück zum Puren, zum Einfachen. Zielsetzung des Service Designs Um ein vertieftes Verständnis für das Service Design zu erlangen, können unterschiedliche Perspektiven herangezogen werden, aus welchen ein Entwickler seine Dienstleistung während des Entwicklungsprozesses betrachten muss, um diese erfolgreich am Markt zu platzieren. Der Dienstleistungsentwickler nimmt die Perspektive des Kunden ein, um Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie aus Kundensicht nützlich, nutzbar und begehrenswert sind. Gleichzeitig sollen sie aus Anbietersicht effektiv, effizient und anders sein. Die Choreografie, Visualisierung und Formulierung von bisher unbekannten Lösungen, welche allen Anspruchsgruppen gerecht werden, wird zur Aufgabe des Service Designers. Das Ziel, eine Nutzer- Nutzungs- und Nutzenorientierung mit der entwickelten Dienstleistung zu erreichen, fasst die unterschiedlichen Perspektiven, die während der Dienstleistungsentwicklung eingenommen werden sollen, zusammen. Demnach ist es für den Designprozess von besonderer Bedeutung, dass die Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Kunden verstanden und diese Erkenntnisse in der Gestaltung umgesetzt werden (Mager und Gais 2009, S. 42). Um eine möglichst hohe Nutzungsorientierung zu erzielen, sollte die Dienstleistung die Bedürfnisse des Nutzers zu jeder Zeit und in jeder Situation angemessen adressieren können. Usability Studien können beispielsweise darin unterstützen, das Nutzungserlebnis sowie die Gebrauchstauglichkeit einer Dienstleistung zu optimieren. Letztere wird nach der Norm EN ISO 9241-110 durch sieben Grundsätze definiert, welche Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Lernförderlichkeit, Steuerbarkeit, Erwartungskonformität, Individualisierbarkeit und Fehlertoleranz einschließen. Neben diesen allgemeingültigen Grundsätzen gilt es ebenso, die konkreten Ziele der Nutzergruppe zu erheben und in die Gestaltung der Dienstleistung einfließen zu lassen. In diesem Zusammenhang wird von der Nutzerorientierung gesprochen, wobei es keinen prototypischen Nutzer gibt, der stellvertretend für alle Kunden steht. Vielmehr wird in der Entwicklung einer Dienstleistung das Konzept der Individualisierung fokussiert und Aspekte wie kulturelle Unterschiede, IT-Affinität, Alter oder Geschlecht in der Dienstleistungsentwicklung berücksichtigt. Zur Berücksichtigung dieser Aspekte werden die Kunden zunehmend als aktive Mitgestalter in die Dienstleistungsentwicklung involviert und weniger als passive Kunden verstanden.

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Vor dem Hintergrund der Nutzerorientierung können u. a. Methoden des Service Analytics (Siehe Kap. 1) eingesetzt werden, um Dienstleistungen datengetrieben zu entwickeln und zu verbessern. In diesem Zusammenhang werden Daten, die ein Kunde zum Beispiel im Internet bei der Nutzung einer Dienstleistung zurücklässt, durch Verfahren des Service Analytics systematisch erfasst und ausgewertet, um eine neue Dienstleistung unter dem Aspekt der Nutzerorientierung zu entwickeln oder eine Bestehende zu optimieren. Grundlage der Analyse sind oftmals sehr große Datenbestände, welche sowohl in strukturierter Form als auch unstrukturiert vorliegen können. So kann z. B. das Service Analytics Auskunft darüber geben, wie oft ein Feld geklickt wird und wie lange der durchschnittliche Nutzer eine Dienstleistung nutzt. Hingegen können A/B Tests, also Tests, die Varianten eines Systems testen und bewerten, zur Optimierung des Designs beitragen, indem sie aufzeigen, welche Gestaltungsausprägungen von den Kunden besser angenommen werden. Ergänzend können qualitative Daten aus Nutzerbefragungen oder Usability Tests analysiert werden, um Erkenntnisse über Ursachen für gewisse Handlungen, Erwartungen oder Wünsche der Kunden zu gewinnen. Ziel ist es, ein möglichst vollständiges Bild von der Nutzergruppe zu erhalten. Vorteil eines datengetriebenen Designs ist die Möglichkeit, Daten in Echtzeit zu analysieren und somit auf Veränderungen schnell reagieren zu können. Social Media, Wearables, Smart-Home-Technologien und Sensoren erlauben zudem die Sammlung unterschiedlichster Daten und somit vielfältiger Einblicke. Des Weiteren ermöglichen neue Analyseverfahren und Formen der Datenaufbereitung tiefe Einblicke in das Kundenverhalten, die durch klassische Formen der Kundenintegration nicht möglich gewesen wären (Woerner und Wixom 2015). Wie bereits erwähnt wurde, soll neben dem Kunden auch der Dienstleistungsersteller individuelle Ziele mit der Entwicklung der Dienstleistung erreichen und seine Angebote gewinnbringend am Markt platzieren können sowie einen Beitrag zu gesellschaftlichen Zielen leisten. Um eine hohe Nutzenorientierung mit einer Dienstleistung zu erreichen, werden neben den Kunden nun auch andere relevante Stakeholder fokussiert und die konkrete Dienstleistungsumsetzung geplant, wobei eine Nachhaltigkeit möglicher Investitionen nur mit entsprechenden Gewinnen erreicht werden kann (Leimeister 2015). Charakteristika von Service Design Die Methode des Service Designs unterliegt verschiedenen Charakteristika, die herangezogen werden können, um sich einem erweiterten Begriffsverständnis für das Service Design anzunähern. Nach Feldmann und Cardoso (2015) können fünf Charakteristika abgeleitet werden, auf die sich die Fachwelt zur Beschreibung von Service Design stützt. Service Design ist demnach: • personenzentriert • interaktiv • ganzheitlich • iterativ • prototypenbasiert

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Das Service Design betrachtet den Kunden auf einer individuellen Ebene. Während des Design-Prozesses versetzt sich der Designer in die Situation des einzelnen Kunden. Er betrachtet die entsprechende Dienstleistung also durch die „Kundenbrille“ und agiert personenzentriert. Ziel dieses Vorgehens ist es, ein möglichst genaues Bild davon zu erhalten, wie die Kunden die Dienstleistung wahrnehmen. Um dies zu erreichen, ist die ausgeprägte Interaktion von Designern und Kunden eine weitere wichtige Eigenschaft, da hierdurch ein umfassendes Verständnis der Servicewahrnehmung aus Sicht der Kunden erzielt wird. Durch die Beteiligung des Kunden kann externes Wissen erworben werden, welches es Unternehmen ermöglicht, das Kundenwissen für neue innovative Dienstleistungen auszunutzen (Patrício et al. 2017). In diesem Zusammenhang steht die von Teixeira et al. (2017) entwickelte MINDS-Methode, die sowohl eine Managementperspektive als auch eine Perspektive auf Mensch-Maschine-Schnittstellen im Service Design ermöglicht und die im weiteren Verlauf dieses Kapitels eingehend erläutert wird. Um dieses umfassende und tiefgehende Kundenverständnis zu erlangen, wird das Kriterium der Ganzheitlichkeit angewendet. Der Servicedesigner und die Entwickler versuchen zum einen, den Kunden in allen seinen Facetten, seine Eigenschaften und Charakterzüge zu verstehen, wobei auf eine Kundensegmentierung verzichtet wird und Kunden auf individueller Ebene betrachtet werden. Zum anderen soll ein Verständnis für den Einführungskontext der Dienstleistung erlangt werden (Feldmann und Cardoso 2015). Der ganzheitliche Ansatz kombiniert mehrere Fachbereiche wie Service Marketing, Service Operations und das Interaktionsdesign, welche durch designbasierte Ansätze und Methoden in die Gestaltung von Dienstleistungen integriert werden (Patrício et al. 2017; Patrício und Fisk 2013). Das umfassende Verständnis der Kunden sowie der Wirkungsweise der Dienstleistung in ihrem Einführungskontext stellt sich in den meisten Fällen als sehr komplexes Vorhaben dar. Um dieser Komplexität zu begegnen, nutzen Designer iterative Verfahren. Dabei kann der Design-Prozess als Kreislauf betrachtet werden. Es beginnt mit einem grundlegenden Verständnis von Kunden und Dienstleistung. Dies führt zur Entwicklung von ersten Ideen und Prototypen, die durch verschiedene Stakeholder getestet werden (vgl. Kap. 9, Service Testing Quality). Durch ihr Feedback entsteht wiederum ein tieferes Verständnis der Kunden sowie der Dienstleistung. Das Verfahren führt zu einer fortschreitenden Weiterentwicklung des Projekts. Dabei können gerade zu Anfang des Design-Prozesses Fortschritte klein und die Geschwindigkeit des Kreislaufs hoch sein. Dies kehrt sich mit wachsendem Fortschritt des Prozesses um. Die letzte wichtige Säule des Service Designs stellt die Verwendung von Prototypen dar. Sie werden über den gesamten Planungszeitraum verwendet, allerdings in verschiedenen Ausprägungen. Zu Anfang des Projekts werden viele Prototypen genutzt, die nur sehr einfach aufgebaut sind (Low-Fidelity), während mit dem Fortschritt des Projekts die Anzahl stetig reduziert wird und die Prototypen der finalen Version hinsichtlich ihrer Komplexität und Leistungsfähigkeit immer näherkommen (High-Fidelity) (vgl. Abschn. 6.4.4) (Erklärungen nach Feldmann und Cardoso 2015, S. 110).

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6.3.2 Service Design als Bestandteil des Service Engineerings Nach dem Rahmenmodell besteht ein idealtypisches Vorgehensmodell für die systematische Dienstleistungsentwicklung aus insgesamt zehn Phasen und zeigt den Verlauf einer Dienstleistungsentwicklung von der Generierung der Ideen bis hin zur Markteinführung der fertigen Dienstleistung (vgl. Kap. 3.) auf. Konkret bildet das Service Design die Schnittstelle zwischen der Ideenentwicklungsphase und der Service-Modellierung, wobei Ideenentwicklung und Design keine strikt unmittelbar folgenden Abläufe bilden, sondern vielmehr als eigener Zyklus zu verstehen sind. Für die Ideen- und Prototypenentwicklung werden bestimmte Methoden (vgl. Abschn. 6.4.4) eingesetzt, wobei unterschiedlichen Phasen des Service Engineerings jeweils unterschiedliche Methoden zugeordnet werden können. Einige Methoden können jedoch auch phasenübergreifend eingesetzt werden, wie z. B. der Service Blueprint (vgl. Abschn. 6.4.3), der sowohl im Service Design, als auch in der Phase der Modellierung angewendet werden kann. Generell ist es Aufgabe des Service Designs, Prototypen zu entwickeln und Ideen zu konkretisieren, welche der Phase der Ideengenerierung als Output entspringen. Hierbei ist es nicht von Bedeutung, ob es sich um eine Dienstleistungsinnovation oder um eine Verbesserung einer bestehenden Dienstleistung handelt. Bei einer Verbesserung können z. B. Service Blueprints, die ebenfalls im weiteren Verlauf des Kapitels noch eingehend erläutert werden, darin unterstützen, aktuelle Prozesse zu dokumentieren und Optimierungspotenzial ersichtlich zu machen; für Innovationen können hingegen Personas zur Zielgruppendefinition herangezogen werden. Die vielversprechendsten Ideen können in Prototypen umgesetzt werden, welche eine Visualisierung der Idee ermöglichen. Neben einer ersten Visualisierung können Prototypen jedoch auch herangezogen werden, um die gefundenen Lösungsmöglichkeiten zu evaluieren, wenngleich diese Evaluationen mit einer Unsicherheit hinsichtlich der tatsächlichen Zukunftsentwicklung der Dienstleistung durchgeführt werden muss. Je deutlicher im Vorfeld die Zielvorstellungen abgegrenzt wurden, desto realistischer lässt sich die Bewertung der Alternativen durchführen. Hierzu gehören beispielsweise auch klare Vorstellungen über den zu erreichenden Sollzustand. Ein Gestaltungskonzept, welches in den Phasen der Service Innovation und des Service Designs eine übergeordnete Rolle spielt, ist das Konzept des Minimal Viable Services (MVS) (Ries 2011), welche in der Überführung der Serviceidee in ein Servicekonzept Anwendung findet. Minimum Viable Service Ein Minimum Viable Service kann als „ein Service mit minimalen Anforderungen und Eigenschaften“ definiert werden (Maurya 2012; Olsen 2015). Das Konzept des Minimum Viable Services, das aus dem Lean Startup heraus entstanden ist, folgt damit dem „Build-Measure-Learn“-Zyklus, indem es darauf abzielt, bestimmte Aspekte eines Services

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zu geringen Kosten abzubilden, um diese in einem weiteren Schritt auf dem Markt zu testen. Das Konzept des Minimal Viable Services basiert hierbei auf dem Originalkonzept des Minimal Viable Products, welches im Folgenden definiert wird.   Ein Minimum Viable Service „[…] unterstützt Entrepreneure dabei, den Lernprozess so schnell wie möglich in Gang zu setzen. Es ist nicht unbedingt das denkbar kleinste Produkt, doch der schnellste Weg, die Bauen-Testen-Lernen-Feedbackschleife mit dem geringstmöglichen Aufwand zu durchlaufen“ (Ries 2012, S. 88). Im Rahmen der Erstellung eines Minimum Viable Service gilt es darauf zu achten, dass nur die Basisfunktionalitäten dargestellt und abgedeckt werden. Funktionalitäten, die wünschenswert, aber nicht notwendig sind, werden nicht integriert (Maurya 2012). Es handelt sich demnach bei einem Minimum Viable Service um keinen vollständig funktionsfähigen Serviceprototypen, sondern um eine erste minimal funktionsfähige Iteration eines Service, die es einem Unternehmen erlaubt, die Marktchancen eines Services abzuschätzen und grundlegende Geschäftshypothesen zu überprüfen (Ries 2012). Nachdem der Minimum Viable Service erstellt wurde, geht es in einem nächsten Schritt darum, das Feedback von Kunden einzuholen und daraus zu lernen. Hierzu sind besonders solche Verfahren geeignet, bei denen die Gedanken des Testenden verbalisiert und dokumentiert werden können (Olsen 2015). Das Feedback wird dann dazu genutzt, um den Minimum Viable Service Runde um Runde zu erweitern und zu verbessern. Mit einer steigenden Anzahl an Iterationen entwickelt sich der Minimum Viable Service von einem Low-Fidelity Konzept (Siehe Abschn. 6.3.1) zu einem Konzept höherer Güte. Ziel ist dabei jedoch nicht ein voll funktionsfähiger Service am Ende aller Iterationen, sondern so viel Wissen und Verständnis wie möglich aus den Interaktionen mit den Kunden zu ziehen, um damit die Lernkurve des Unternehmens zu maximieren (Ries 2012). Neben den Lerneffekten, die ein Minimum Viable Service erlaubt, spart die inkrementelle Entwicklung eines Minimalservices sehr viel Zeit und Geld und vermindert somit das finanzielle Risiko für Unternehmen. Darüber hinaus vermindert das Vorgehen das Risiko in Form von Services, die am Markt vorbeientwickelt werden. Folglich verhindert der Ansatz, dass Unternehmen all ihre Ressourcen in die Entwicklung eines Services stecken, den nach der Veröffentlichung niemand haben möchte.

6.4 Service Design-Methode Während des Service Design-Prozesses kommen verschiedene Service Design-Methoden zum Tragen. Beginnend mit der Identifikation von Nutzerwünschen und -bedürfnissen bis hin zur Gestaltung konkreter Prototypen werden diese Methoden genutzt, um den Designprozess durchzuführen und verschiedene Blickwinkel auf die Dienstleistungsgestaltung zu ermöglichen (vgl. Abschn. 6.3.1). Im Folgenden werden Personas, Storyboards, ­Service

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Blueprints, Service-Prototypen und die Methode des Wizard of Oz vorgestellt. Die in diesem Kapitel dargestellten Service Design-Methoden bilden nur einen kleinen Ausschnitt möglicher Vorgehensweisen zur Ausgestaltung und Verfeinerung von Serviceideen. Neben diesen isolierten Service Design-Methoden, die voneinander unabhängig angewandt werden können, gibt es weitere integrierende Ansätze zur Gestaltung von Dienstleistungen. Die MINDS-Methode sowie der St. Galler Business Innovation-Ansatz sind nachfolgend diesen integrierenden Methoden zugeordnet. Die MINDS-Methode stellt hierbei ein Konzept dar, welches aufzeigt, wie unterschiedliche Design-Methoden verwendet und miteinander kombiniert werden können, um unterschiedliche Sichtweisen auf die Dienstleistung zu ermöglichen. Der St. Galler Lean Startup-Ansatz gibt keine konkreten Methoden vor, sondern zeigt ein iteratives Verfahren, um schnell und mit geringem Ressourceneinsatz ein validiertes Dienstleistungskonzept zu erstellen.

6.4.1 Personas   Eine Persona ist eine präzise Beschreibung der Eigenschaften eines [fiktiven] Benutzers sowie dem, was sie/er erreichen will (Chang et al. 2008, S. 439). Personas sind fiktive Nutzerprofile von Dienstleistungsnutzern (Stickdorn und Schneider 2011) und pauschalisieren meist eine ganz bestimmte Nutzergruppe (Cooper 2004). Die Verwendung von Personas ermöglicht es Dienstleistungsentwicklern, sich in die Nutzer hineinzuversetzen und sich mit anderen Entwicklern über diese auszutauschen. Die Nutzergruppe „Auszubildende der KFZ-Mechatronik, welche noch nie selbst ein Fahrzeug gefahren sind“, könnte z. B. zu der Persona „Lian Ying“ zusammengefasst werden. „Lian Ying“ verfügt nun über konkrete Ziele, Erwartungen und Eigenschaften, die der von ihm repräsentierten Nutzergruppe entsprechen. Unter der Verwendung von „Lian Ying“ können sich Entwickler nun ein konkretes Bild von dieser Nutzergruppe machen. Die Persona „Lian Ying“ ist in Abb. 6.11 dargestellt und beschrieben. Verwendungszweck Personas werden dafür eingesetzt, die wahren Wünsche und Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzer aufzudecken, um deren Anforderungen in die Gestaltung einer Dienstleistung einfließen lassen zu können. Sie helfen darin, den Zielmarkt einer Dienstleistung in verschiedene Interessensgruppen aufzuteilen und unterschiedliche Sichtweisen auf eine Dienstleistung einzunehmen. Konkret geben Personas Auskunft über Aktivitäten, Einstellungen, Fähigkeiten und Motive von Nutzergruppen. Auch wenn Personas fiktive Charaktere darstellen, sind Motivationen und Reaktionen, die sie aufweisen, die realer Nutzer (Stickdorn und Schneider 2011).

6.4  Service Design-Methode

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Art und Weise der Verwendung Die Herausforderung für einen erfolgversprechenden Einsatz von Personas liegt in der richtigen Auswahl und Konsolidierung von ähnlichen Nutzern zu Nutzergruppen. Es soll darauf geachtet werden, dass die Bedürfnisse von Nutzern den Bedürfnissen einer großen Menge von Schlüsselanwendern zugeordnet werden können. Die Priorisierung der Nutzer sollte die wichtigsten Bedürfnisse für die Anwendung erfassen, ohne jedoch die Bedürfnisse nachrangiger Nutzer einzuschränken (Cooper et al. 2010). Stakeholder Maps, Interviews und Workshops können beispielsweise darin unterstützen, die richtigen Nutzergruppen für die Personas zu identifizieren (Stickdorn und Schneider 2011).

6.4.2 Storyboards   „Das Storyboard […] besteht […] aus einer Abfolge einzelner gezeichneter Szenenbilder mit textlicher Ablaufbeschreibung einer filmischen Geschichte, anhand derer ein Handlungsablauf frühzeitig und kostengünstig dargestellt und diskutiert werden kann.“ (Thesmann 2010, S. 228). Bei einem Storyboard handelt es sich um die Visualisierung eines Szenarios (Richter und Flückiger 2013; Thesmann 2010). Sie wurden ursprünglich für die Filmproduktion genutzt und erzählen eine Geschichte. Storyboards bestehen aus einer Abfolge an Zeichnungen oder Bildern, welche in Reihe gelegt eine Ereignissequenz darstellen. Das dargestellte Ereignis kann beispielsweise eine gewöhnliche Situation sein, in der die Dienstleistung genutzt wird (Stickdorn und Schneider 2011). Verwendungszweck Das Ziel von Storyboards ist es, darin zu unterstützen, Entscheidungen über mögliche Funktionen und die Gestaltung des Services zu treffen. Dabei ist es wichtig, dass plausibel begründet wird, warum die Personen in der Geschichte so handeln, wie sie es tun. Storyboards werden vorwiegend in der frühen Phase einer Ideenentwicklung genutzt, um Aspekte der User Experience in den Gestaltungsprozess einer Dienstleistung aufzunehmen (Richter und Flückiger 2013; Thesmann 2010). Der Ansatz eignet sich für die Dialogabfolge von Benutzerschnittstellen, für das Aufzeigen schwer verständlicher Konzepte und Sachverhalte sowie für die Verdeutlichung wichtiger Aspekte des Anwendungskontextes (Richter und Flückiger 2013, S. 49). Art und Weise der Verwendung Die Darstellungsmöglichkeiten reichen von skizzenartigen bis hin zu realistisch gestalteten Abfolgen, die z. B. mit Fotografien erstellt werden können. Ebenfalls gibt es die Möglichkeit, Storyboards elektronisch zu erstellen. Das am häufigsten verwendete

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Format ist das Comic-Strip-Format, in dem Designer in einer Bilderabfolge eine Situation, in der die Dienstleistung genutzt wird, zeichnen. In die bildliche Darstellung der Szenerie sind so viele Kontextinformationen wie möglich zu integrieren, damit sich die Leser in die dargestellte Situation hineinversetzen und somit Feedback geben können.

6.4.3 Service Blueprint   Ein Service Blueprint ist eine grafische Abbildung oder eine Karte, die das Dienstleistungssystem akkurat abbildet. Der Service Blueprint gewährleistet, dass alle involvierten Personen diese Dienstleistung verstehen und bearbeiten können, unabhängig von Position oder individuellem Standpunkt des Betrachters (Strydom 2004, S. 314). Der Service Blueprint ist ein Ansatz, der genutzt wird, um Prozesse, die durch die Dienstleistung unterstützt werden, darzustellen. Input- und Output-Faktoren oder aber die Dienstleistungsumgebung werden nicht betrachtet, sondern lediglich Prozessabfolgen (Feldmann und Cardoso 2015). Die Prozesse werden aus Perspektive der Nutzer, des Dienstleistungsbereitstellers und anderer relevanter Gruppen modelliert, wobei Interaktionspunkte genauso wie Hintergrundprozesse abgebildet werden (Stickdorn und Schneider 2011). Verwendungszweck Der Service Blueprint eignet sich sowohl für die Gestaltung neuer Prozesse als auch für die Optimierung bestehender Abfolgen. Der Service Blueprint gilt als eine leichtverständliche Möglichkeit, Prozesse eingängig darzustellen. Er dient dazu, neue Kunden einer Dienstleistung in die Prozessabfolge zu integrieren, Schwachstellen aufzuzeigen, parallele Prozesse kenntlich zu machen und für den Kunden sichtbare und nicht sichtbare Aktivitäten aufzudecken. Der Service Blueprint als Verfahren der Service-Modellierung wird in Kap. 7 dieses Buches vorgestellt. Art und Weise der Verwendung Der Service Blueprint ordnet einzelne Aktivitäten eines Prozesses in ihrer zeitlichen Abfolge. Hierzu werden die Aktivitäten entlang einer Zeitachse chronologisch modelliert (x-Achse). Interaktionspunkte mit Kunden, unterschiedlichen Nutzergruppen, Mitarbeitern oder ähnliches werden an der y-Achse festgehalten. Am höchsten Punkt der y-Achse wird die chronologische Handlung niedergeschrieben. Entlang dieser Handlung werden unterschiedliche Interaktionspunkte angesprochen. Stickdorn und Schneider (2011) empfehlen, den Service Blueprint einer Dienstleistung im Rahmen von abteilungsübergreifenden Workshops zu gestalten. Auf diese Weise werden zum einen möglichst viele Prozessperspektiven zusammengeführt, zum anderen werden sich die an der Dienstleistungsentwicklung beteiligten Personen ihren

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Verantwortlichkeiten bewusst. Der Service Blueprint ist ein „lebendes“ Dokument und sollte in regelmäßigen Abständen überarbeitet werden.

6.4.4 Service-Prototypen   Das Prototyping ist ein Vorgehen, welches Designideen zum Zweck der Evaluation externalisiert und konkretisiert (Muñoz und Miller-Jacobs 1992, S. 579). Unter Service-Prototypen werden prototypische Umsetzungen von Produkt- und Serviceideen verstanden, die eine Visualisierung der Dienstleistungsidee ermöglichen. Service-Prototypen können in der Genauigkeit, Komplexität und der Vollständigkeit der umgesetzten Dienstleistungsbestandteile stark variieren. Es werden Low-Fidelity, Medium-Fidelity und High-Fidelity Prototypen voneinander unterschieden. Nach Lim et al. (2008) können Prototypen auch als Filter betrachtet werden, die Produkt- und Leistungseigenschaften herausfiltern. Dabei wird zwischen verschiedenen Dimensionen von Prototypen unterschieden, die sowohl für Produkte und klassische Dienstleistungen als auch besonders für IT-gestützte Dienstleistungen gelten: • Erscheinung: die physischen Eigenschaften eines Prototyps (Form, Farbe, Gewicht, Haptik) • Daten: Informationsarchitektur (Datengröße, Datentyp, semantische Organisation der Daten) • Funktionen: Systemfunktionen • Interaktivität: Interaktivitätsgrad und wie Interaktionen mit dem Prototyp umgesetzt werden • Raumstruktur: Anordnung und Beziehungen der Schnittstellen oder Informationen, sowie deren räumliche Dimension (zwei- oder dreidimensional, materiell oder immateriell) Verwendungszweck Prototypen werden auch verwendet, um Lösungen für Probleme zu finden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Prototypen ein Instrument zur Überprüfung von Ideen und Konzepten sind und somit die Möglichkeit geben, mit Lösungsalternativen zu experimentieren und zu forschen (Buchenau und Fulton Suri 2000; Lim et al. 2008). Des Weiteren können mit Hilfe von Prototypen Ideen einfach, auch ohne Programmierkenntnisse, dargestellt und eine verständliche Form für die Kommunikation zwischen den einzelnen Stakeholdern herbeigeführt werden (Snyder 2003). Das Testen unterschiedlicher Prototypen im Feld kann zudem reichhaltige Einblicke in Nutzerverhalten und -reaktionen bieten, welche in der weiteren Dienstleistungsentwicklung berücksichtigt werden können (Stickdorn und Schneider 2011). Neben diesen Aspekten kann das Prototyping nach Arnowitz et al. (2010) darin unterstützen, Antworten auf nachfolgende Fragen zu finden:

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• • • •

Ist das Design für die Zielgruppe und den Einsatzzweck geeignet? Kann das Design wirtschaftlich rentabel erstellt werden? Wie reagieren Nutzer auf das Design? Welchem Ansatz kann gefolgt werden, um vom Konzept zum fertigen Produkt zu gelangen? • Welche Produktspezifikationen können aus den Prototypen abgeleitet werden? • Welche Zeit- und Budgetplanung sind für die Dienstleistung realistisch? Art und Weise der Verwendung In den ersten Durchläufen sehen Prototypen oftmals sehr einfach aus. Mit Hilfe von Mockups, wie beispielsweise Papierprototypen (Low-Fidelity), können Dienstleistungen und Benutzerschnittstellen kostengünstig dargestellt werden. Bei Änderungen können diese schnell angepasst oder neu gezeichnet werden. Technisch umgesetzte Prototypen (High-Fidelity) weisen hingegen einen höheren Detailgrad auf. Hier hat der Tester bereits das Gefühl, eine wahre Dienstleistung in den Händen zu halten. Workflows, Aspekte der Benutzerschnittstelle und das Gefallen an der Dienstleistung können mit High-Fidelity Prototypen untersucht werden. Neben diesen Umsetzungsarten kann ein Prototyp auch aus Holz oder Plastik bestehen oder mit Hilfe von verschiedenen computerbasierten Tools, wie z. B. Adobe Flash, erstellt werden.

6.4.5 Wizard of Oz   Der Wizard of Oz ist eine Methode, bei der Probanden dazu gebracht werden zu glauben, sie würden mit einem funktionsfähigen Prototyp eines Systems interagieren. In Wahrheit agiert jedoch ein Entwickler hinter den Kulissen stellvertretend für das System (Martin und Hanington 2012, S. 204). Die Methode Wizard of Oz wurde bereits in den 1980er Jahren von John F. Kelley entwickelt und beschreibt einen softwarebasierten Prototyp (Medium-Fidelity). Dieser sieht vor, dass ein Mensch, nämlich der Wizard (Zauberer), Aufgaben übernimmt, welche ansonsten das fertige System vornehmen würde und somit einem Nutzer vortäuscht, dass er einen funktionsfähigen Prototypen nutzt (Preim und Dachselt 2015). Verwendungszweck Das Wizard of Oz-Prototyping bietet sich vor allem für die Entwicklung interaktiver Systeme an, die z. B. über Spracherkennung oder Gestensteuerung verfügen (Preim und Dachselt 2015). Das Ziel dieser Methode ist es, menschliches Verhalten und typische Bediensituationen zu kategorisieren (Nieschulz et al. 2002). Unter Verwendung

6.4  Service Design-Methode

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des Wizard of Oz-Prototypings kann eine optimale Anpassung an die Erwartungen und Verhaltensweisen der Endnutzer erfolgen, da das menschliche Verhalten gegenüber dem IT-Artefakt und die Bediensituationen des Probanden analysiert werden können (Nieschulz et al. 2002). Insgesamt gilt die Vorbereitung von Wizard of Oz-Experimenten als zeitaufwendig (Preim und Dachselt 2015). Art und Weise der Verwendung Die Besonderheit dieser Methode liegt darin, dass eine Person an einem Computer sitzt, die noch niemals mit der neu entwickelten Software gearbeitet hat und nicht weiß, dass der Computer mit einem zweiten Computer verbunden ist. Die Steuerung des zweiten Computers übernimmt dabei häufig eine Person aus dem Entwicklerteam. Der Entwickler und der Proband sitzen entweder in zwei voneinander getrennten Räumen oder sind durch eine einseitig undurchsichtige Scheibe getrennt, sodass der Entwickler Gestik und Mimik des Probanden wahrnehmen und dokumentieren kann (Preim und Dachselt 2015). Eine modellhafte Darstellung eines Wizard of Oz Experimentalaufbaus zeigt Abb. 6.1: Der Proband geht davon aus, dass er mit dem Computer interagiert, wobei in Wirklichkeit der Entwickler die Interaktion beantwortet (Dahlbäck et al. 1993). Die Interaktionen werden während der Nutzung protokolliert und aufgezeichnet, damit im Folgenden eine Analyse vorgenommen werden kann. Wie diese Methode für die Forschung eingesetzt werden kann, zeigen Santhanam et al. (2016), die eine Abwandlung des Wizard of Oz-Verfahrens für ihre Untersuchungen nutzen.

Abb. 6.1   Modellhafter Aufbau eines Wizard of Oz-Experiments. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Preim und Dachselt 2015)

Eingabe Reaktion

190

6  Service Design

6.4.6 User Journey   Die „User Journey“ ist ein Werkzeug zur Konzeptualisierung des gesamten Nutzererlebnisses über den Kaufprozess. Der Prozess bildet das komplette Nutzererlebnis von Pre-Kaufphase, Kaufphase und Post-Kaufphase anhand verschiedener User Touch Points ab. In einer User Journey werden die Prozessschritte identifiziert, welche ein Nutzer durchläuft, während er eine Aufgabe (beispielsweise eine Online-Lieferdienstbestellung) in einem interaktiven System vornimmt. Die User Journey wird in einer User Journey Map visualisiert. Diese bietet dann eine Charakterisierung des Nutzungskontextes (Geis und Tesch 2019). Verwendungszweck Im Kontext von Service Design beschreibt die User Journey ein Werkzeug, mit welchem Designer in die Rolle der Persona eintauchen können, um diese genauer zu analysieren. Durch die Identifizierung der sogenannten User Touch Points in allen Phasen eines Kaufprozesses ist eine Beeinflussung des Nutzererlebnisses möglich. User Touch Points sind dabei Kontaktpunkte oder auch Kommunikationsstellen des Nutzers mit dem Anbieter (Dhebar 2013). Art und Weise der Verwendung Das Nutzererlebnis in einem Kaufprozess kann in drei Phasen beschrieben werden, in denen die Nutzer mit unterschiedlichen User Touch Points in Berührung kommen. Im Folgenden werden nun die drei Phasen des Kaufprozesses und die damit einhergehenden Charakteristiken erläutert (Temkin 2010). Pre-Kaufphase Die erste Stufe des Kaufprozesses umfasst alle Aspekte der Interaktion des Kunden mit der Marke, der Kategorie und der Umgebung vor einem Kaufvorgang. Die Phase könnte theoretisch die gesamte Erfahrung des Nutzers vor dem Kauf umfassen. Praktisch beinhaltet sie jedoch die Erfahrung des Kunden vom Beginn der Bedarfs-/Ziel-/ Impulserkennung bis zur Berücksichtigung der Setzung dieses Bedarf/Ziel/Impulses bei einem Kauf. In dieser Phase spielt insbesondere die Informationsbeschaffung eine übergeordnete Rolle. Hier spielen digitale Medien eine immer größere Rolle. Kaufphase Die zweite Stufe des Kaufprozesses umfasst alle Interaktionen des Nutzers mit der Marke und ihrem Umfeld während des Kaufs selbst, beispielsweise bei Auswahl, Bestellung oder Zahlung der Dienstleistung. Diese Phase ist sicherlich die zeitlich komprimierteste

6.4  Service Design-Methode

Pre-Kaufphase

Der Nutzer beginnt mit der Informaonsbeschaffung über Online-Lieferdienste bspw. über digitale Medien wie Social Media, Search Engins oder Vergleichsportale. Der Nutzer ist voreingenommen durch sein Umfeld, Freunde oder Vorerfahrungen.

191

Kaufphase

Der Kunde wählt einen geeigneten OnlineLieferdienst aus und bestellt sich anschließend ein Essen und bezahlt es mit einem OnlineBezahlsystem.

Post-Kaufphase

Der Nutzer empfängt das Essen an der Tür. Nach dem Konsum kann er den Lieferdienst online bewerten. Außerdem kann er seine Erfahrungen über seine Social-Media-Kanäle mit anderen potenellen Nutzern teilen.

Abb. 6.2   Darstellung einer User Journey am Beispiel einer Essensbestellung

Phase, dafür aber mit zentraler Bedeutung für den Kaufprozess. Auch in der Kaufphase spielen digitale Technologien eine immer wichtigere Rolle wie bspw. digitale Bezahlsysteme. Post-Kaufphase Die Post-Kaufphase umfasst die finale Stufe im Kaufprozess. Hier geht es insbesondere um die Nutzung und den Konsum der Dienstleistung. Ähnlich wie bei der Pre-Kaufphase kann sich diese Phase theoretisch vom Zeitpunkt des Kaufs bis zum Lebensende des Kunden erstrecken. Praktisch gesehen deckt sie jedoch eher die Nutzererfahrungen mit der Marke und der Dienstleistung nach dem Kauf ab. Die Dienstleistung selbst wird in dieser Phase zum kritischen Berührungspunkt (Lemon und Verhoef 2016). Die einzelnen Phasen der User Journey werden nochmal in Abb. 6.2 am Beispiel einer Online-Essensbestellung verdeutlicht.

6.4.7 Integrierende Design-Methoden Im Folgenden werden die MINDS-Methode, Design Thinking sowie der St. Galler Business Innovation-Ansatz als integrierende Methoden vorgestellt. Im Gegensatz zu den zuvor erörterten Service Design-Methoden handelt es sich bei den integrierenden Methoden um übergreifende Gestaltungs- und Entwicklungskonzepte, die Design-Methoden einbeziehen, um entweder unterschiedliche Sichtweisen auf die Dienstleistung zu ermöglichen oder möglichst ressourcenschonend zu gestalten.

192

6  Service Design

6.4.7.1 MINDS-Methode   Die MINDS-Methode verbindet Modelle der Management-Perspektive, die sich auf das Entwickeln neuer Wertversprechen und die Orchestrierung mehrerer Dienstleistungsschnittstellen fokussiert, mit Modellen der Interaction-Design-Perspektive, die sich mit der Technologienutzung und dem damit verbundenen Kontext befasst (Teixeira et al. 2017, S. 240). Die MINDS-Methode bzw. „Management and Interaction Design for Service“ nach Teixeira et al. (2017) verbindet Ansätze des Managements und des Interaction Designs, um technologisch komplexe und innovative Dienstleistungen zu gestalten, die gleichzeitig einen hohen Kundennutzen erfüllen. Im Rahmen der MINDS-Methode werden zum einen Modelle aus Management-Perspektive, welche sich darauf beziehen, neue Wertversprechen zu entwickeln, und zum anderen Modelle aus dem Bereich des Interaction Designs, die ihren Fokus auf die Nutzung von Technologie und den Nutzungskontext legen, miteinander verbunden. Die Ansätze der Management-Perspektive kommen dabei aus dem Service-, Marketing- und Operations-Management. Charakteristisch sind ihre prozessorientierten Modelle, die sich durch einen hohen Grad an Strukturiertheit und Systematisierung auszeichnen. Außerdem unterstützt diese Perspektive die Schaffung kreativer und innovativer Wertversprechen und beeinflusst verschiedene Schnittstellen und Akteure in den Bereichen Front- und Backstage. Die Interaction-Perspektive nutzt hingegen Ansätze aus dem Interaction Design, also einem designorientierten Technologiefeld. Das Interaction Design beschäftigt sich mit der Interaktion zwischen Mensch und digitalen Technologien und leistet daher einen wichtigen Beitrag zum Service Design, indem es in der Gestaltung von nützlichen und ansprechenden Technologie-Artefakten unterstützt (Kaptelinin und Nardi 2009; Teixeira et al. 2017). Die MINDS-Methode wurde selbst mit einem gestaltungsorientierten Forschungsansatz (Hevner et al. 2004; Peffers et al. 2007) erstellt und mehrfach erfolgreich in der Praxis getestet. Verwendungszweck Die MINDS-Methode dient dazu, die Lücke zwischen dem Service Design-Management und der Interaction-Perspektivee zu überbrücken. Dies ist erforderlich, da sich durch die rasante Geschwindigkeit der technischen Innovationen die Möglichkeiten und auch die Anforderungen der Nutzer erhöhen. Service Designer stehen also vor der Herausforderung, die neuen technischen Möglichkeiten zu nutzen, um komplexe Service Systeme aufzubauen und gleichzeitig die Nutzeranforderungen zu befriedigen. Um der höheren Komplexität dieser Anforderungen gerecht zu werden, kann der MINDS-Ansatz genutzt werden. Ziel ist, die vorhandenen Technologien optimal zu verwenden, um neue Dienstleistungsinnovationen zu erstellen. Durch das dreistufige Programm gelingt es,

6.4  Service Design-Methode

193

neue und innovative Modelle von Grund auf zu schaffen, von der Vor- und Grobplanung bis auf die detaillierte Ebene einzelner Aktionen. Zusätzlich werden bspw. auch neue Interaktionsmöglichkeiten (Facebook o. ä.) in das Dienstleistungsmodell einbezogen. Auch können so Dienstleistungen konzipiert werden, die die Nutzung und Interaktion verschiedener Oberflächen unterstützen (bspw. die gleichzeitige Nutzung von Smartphone und TV). Darüber hinaus ist der Ansatz allgemeingültig und kann daher auf eine große Zahl von Szenarien angewandt werden. Art und Weise der Verwendung Der integrierende Ansatz der MINDS-Methode zeigt sich besonders auf den verschiedenen Stufen der Methode. Das Grundgerüst bilden dabei drei Level: Dienstleistungskonzept, Dienstleistungssystem und Interaktionspunkte. Diese Stufen werden nacheinander durchlaufen, wobei auf jedem Level die Interaction und die Management-Perspektive berücksichtigt werden. Zur besseren Veranschaulichung wird der Prozess in der folgenden Abbildung dargestellt. Das Design des Dienstleistungskonzepts steht auf Level 1 im Vordergrund. Ziel dieses Schrittes ist es, den Nutzen herauszuarbeiten, den die geplante Dienstleistung den Kunden bieten soll. Die Instrumente, die hierfür verwendet werden, sind Ähnlichkeitsdiagramme (Interaction-Perspektive) sowie die Darstellung der Kundenwert-Konstellation (Management-Perspektive). Die Kundenwert-Konstellation wird so genutzt, dass die Aktivität, die durch die geplante Dienstleistung unterstützt werden soll, in ein Netzwerk aus Dienstleistungen eingebettet wird, die die Nutzererfahrung ebenfalls beeinflussen. Wenn bspw. „Urlaub machen“ die zu unterstützende Aktivität ist, dann besteht das Netzwerk aus zusätzlichen Dienstleistungen (z. B. Flug oder Hotel), die natürlich auch Einfluss auf den Kundennutzen (das Urlaubserlebnis) ausüben (Teixeira et al. 2017). Durch dieses Vorgehen wird herausgearbeitet, an welcher Stelle die neue Dienstleistung im Netzwerk verortet werden kann und wo Schnittstellen zu verwandten Dienstleistungen liegen. Die Ähnlichkeitsdiagramme unterstützen diese Methode, da sie als Instrument zum Brainstorming genutzt werden können. Sie ermöglichen es, neue Konzepte und Ideen zu finden, die das geplante Dienstleistungskonzept ggf. bereichern können. Die Kombination dieser beiden Methoden ermöglicht es, Dienstleistungsinnovationen zu schaffen und das geplante Dienstleistungskonzept grob zu definieren. Diese Stufe bildet die Grundlage für die detailliertere Ausarbeitung auf den folgenden Stufen. Nachdem auf Level 1 festgestellt wurde, wie die Dienstleistung auszusehen hat und was sie dem Kunden bieten soll, wird nun auf Level 2 das eigentliche Dienstleistungssystem modelliert. Es geht also in diesem Level darum, wie die Elemente des Systems abgestimmt werden müssen, um das im vorangegangenen Schritt definierte Dienstleistungskonzept zu ermöglichen. Dafür werden die Service System Navigation (Management-Perspektive) sowie Storyboards (siehe Abschn. 6.4.2) (Interaction-Perspektive) verwendet. Die Service System-Navigation dient dazu, die Aktivitäten des Nutzers zu modellieren und aufzuzeigen, wie der Nutzer mit verschiedenen Nutzeroberflächen

194

6  Service Design

(bspw. Tablet oder Smartphone) interagiert. Konkret wird also dargestellt, was der Kunde tut und welche Aktivitäten dadurch auf der Ebene der verschiedenen Oberflächen, Frontsowie Backstage, ausgelöst werden. Aus Sicht der Interaction-Perspektive werden Storyboards angewandt, die bereits in Abschn. 6.4.2 beschrieben wurden und ihre Stärke im Bereich der Visualisierung beisteuern. Durch die Kombination von Dienstleistungssystem-Navigation und Storyboards kann das Servicesystem umfassend modelliert werden. Durch die ausgeprägte visuelle Darstellung wird es zusätzlich möglich, potenzielle Probleme, aber auch ungenutzte Potenziale, frühzeitig aufzudecken und in der Gestaltung der Dienstleistung zu berücksichtigen. Auf Level 3 werden nun die Interaktionen zwischen Kunde und System auf einer detaillierteren Stufe modelliert. Dafür werden Interaktionsskizzen (Interaction-Perspektive) und Service-Experience-Blueprints (Management-Perspektive) verwendet. Die Interaktionsskizze stellt die konkreten grafischen Oberflächen für bestimmte Aktivitäten dar, mit denen der spätere Nutzer tatsächlich interagiert. Hier wird nun erstmals die Nutzeroberfläche „skizziert“, in der sich der Nutzer später bewegen wird. Der Service-Experience-Blueprint ergänzt die Darstellung der Interaktionsskizzen noch, indem mit ihm die Prozesse dargestellt werden, die parallel zur jeweiligen Aktion des Nutzers Front- und Backstage ablaufen. Der Unterschied zur Service System-Navigation besteht darin, dass nun jede Nutzeroberfläche separat angeschaut wird (bspw. nur das Smartphone) und die Front- und Backstage-Prozesse hierfür dargestellt werden. Die Kombination dieser zwei Instrumente ermöglicht es, eine Brücke zwischen der Dienstleistung, die in den vorangegangenen Schritten erdacht wurde, sowie den technischen Aspekten zu schlagen. Nachdem die Entwicklung diese drei Stufen durchlaufen hat, steht am Ende ein strukturiertes, systematisches und visuell starkes Modell (Teixeira et al. 2017) (Abb. 6.3).

Level 1

Design the service concept Level 2

Design the service system

Management Perspective

Interaction Design Perspective

Level 3

Affinity Diagram

Storyboard/Scenario New Service Ideas

Ideas

Design the service encounter UX/Wireframe Sketch

Storyboard Panel Activity

Interaction Flow & Presentation

Customer Action

Customer Action

Service Offering

Related Service

Service Interface

Supported Activity

Action

Backend System

Action

Customer Value Constellation

Service System Navigation

Abb. 6.3   MINDS-Methode nach Teixeira et al. (2017)

Service Interface Action

Backend System Action

Service Experience Blueprint

6.4  Service Design-Methode

195

6.4.7.2 Design Thinking Service Design Thinking entstand ursprünglich aus der Sichtweise der Produktinnovation aus einer technischen Perspektive – vorrangig getrieben von Larry Leifer und David Kelly von der der Stanford University (Stickdorn und Schneider 2012). Ihr Ansatz in der technischen Produktinnovation rückt den Kunden und dessen Bedürfnisse in den Mittelpunkt des Innovationsprozesses. Ähnlich wie in der Design-Theorie möchte man die eigentlichen Bedürfnisse (Needs) des Kunden und dessen Problem verstehen und darauf aufbauend eine Dienstleistung erstellen. In den meisten Unternehmen nähert man sich Innovationsprojekten traditionellerweise aus technologischer Sicht oder aus einer Managementperspektive an. Dabei wird oft auf die Schlüsselressourcen des Unternehmens fokussiert, darauf aufbauend ein Produkt oder eine Dienstleistung erschaffen und anschließend mit einem Ertragsmodell überprüft. Service Design Thinking verfolgt einen etwas anderen Ansatz: Man betrachtet den Kunden nicht auf Segmentebene, sondern auf individueller Ebene. Das bedeutet, dass sich die Service Designer bei der Erstellung neuer oder der Verbesserung bestehender Services in die Lage eines Kunden oder anderer Interessengruppen versetzen. Ziel ist es, beim Kunden das Begehren nach einer Dienstleistung zu wecken („desirability“). Dies kann man als das grundlegende Paradigma von Service Design Thinking ansehen. Design Thinking kann dabei aus drei Sichtweisen gesehen werden: Als Denkansatz/ Philosophie, als Prozess oder als Werkzeugkasten (Brenner und Übernickel 2016). Diese drei Perspektiven sollen nun kurz erläutert werden (Abb. 6.4).

Geschäft (Realisierbarkeit) Emoonale Innovaon Design Thinking

Prozessuale Innovaon

Nutzer (Begehrtheit) Funkonale Innovaon

Technologie (Machbarkeit)

Abb. 6.4   Design Thinking als nutzerzentrierte Methode

Erfahrungsbasierte Innovaon

196

6  Service Design

Design Thinking als Denkansatz Als Denkansatz zeichnet sich Design Thinking durch mehrere Schlüsselprinzipien aus: Eine Kombination aus divergentem und konvergentem Denken und eine starke Ausrichtung auf offensichtliche und auf latente Bedürfnisse von Nutzern. Ebenso spielt das schnelle Testen mit Prototypen eine zentrale Rolle. Wichtig ist, dass man zu Beginn des Innovationsprozesses den Lösungsraum weit aufspannt, um möglichst viel Raum auch für unkonventionelle Pfade zu lassen. Das konvergente Denken zielt anschließend auf das Erstellen von praktikablen Lösungen ab. „Fail often, fail early“ ist ein Leitsatz von Design Thinking, welcher beschreibt, dass mit möglichst vielen neuen Ideen experimentiert werden soll, um möglichst frühzeitig beim Testen mit dem Nutzer zu erkennen, ob eine Idee das Problem oder das Bedürfnisse beim Nutzer nicht erfüllt. Design Thinking als Prozess Design Thinking kann auch als eine Kombination aus einem Mikro- und einem Makroprozess betrachtet werden. Der Mikroprozess, dargestellt in der folgenden Abbildung, besteht als Innovationssprosses aus fünf Schritten, welche die Denkweise von Design Thinking charakterisieren. Begonnen wird mit der „Definition des Problems“. Hier soll eine konkrete Fragestellung mit genügend Innovationsraum formuliert werden, welche anschließend gelöst werden soll. Das Ziel von „Needfinding und Synthese“ ist es, die Bedürfnisse des Nutzers herauszufinden und anschließend zu aggregieren. Im dritten Schritt „Ideate“ sollen Lösungsideen gesammelt werden, um die zuvor herausgefundenen Bedürfnisse zu erfüllen. In „Prototyping“ werden diese Ideen nun physisch als Prototypen umgesetzt und schließlich in der Phase „Testing“ am Nutzer getestet (Abb. 6.5). Der Makroprozess besteht eher aus Meilensteinen. Die Meilensteine repräsentieren spezielle Prototypen eines Design-Thinking-Projektes, die in der jeweiligen Phase bestimmte Anforderungen erfüllen sollen. Beispielsweise geht es bei der Phase „Design Space Exploration“ darum, den Designraum des gestellten Problems zu untersuchen und kennenzulernen. Mit Recherche, Interviews oder durch das Eintauchen in Nutzerrollen soll das Problem erlebt und erkundet werden. Bei der „Darkhorse-Phase“ bzw. dem „Darkhorse-Protoypen“ geht es darum, mit viel Kreativität und ohne Randbedingungen verrückte Ideen auszuprobieren und diese als Prototypen bei den Nutzern zu testen. Der „Final Prototype“ hingegen zielt am Ende des Design-Thinking-Prozesses auf die Umsetzung aller Funktionen ab, die zur Erfüllung der realisierbaren Kundenbedürfnisse notwendig sind. Der Detaillierungsgrad dieses Prototyps muss extrem hoch sein, sodass umfassende Kundentests möglich sind. In jedem der prototyporientierten Makroschritte wird der Mikroprozess mehrfach durchgeführt. Darüber hinaus wird der Makroprozess in eine divergente und konvergente Phase unterteilt. Der Prozess ist in Abb. 6.6 nochmal visualisiert.

197

6.4  Service Design-Methode

Redefine the problem

Needfinding and instant expertise

Test Ideate

Prototype Abb. 6.5   Design-Thinking-Mikroprozess

# an Ideen

Funky Prototyp

Dark Horse Prototyp

Crical Funcon Prototyp Design Space Exploraon Prototyp

Funkonaler Prototyp

X-is finished Prototyp

Finaler Prototyp

Zeit Abb. 6.6   Design-Thinking-Makroprozess

198

6  Service Design

Design Thinking als Werkzeugkasten Als Werkzeugkasten bezeichnet Design Thinking die Anwendung zahlreicher Methoden und Techniken aus verschiedenen Disziplinen, beispielsweise aus dem Design, der Ingenieurwissenschaften, der Informatik oder der Psychologie. Darunter zählen Design-Methoden wie die Stakeholder Map, die Empathy Map, die Persona-Methode (Siehe Abschn. 6.4.1) oder die Customer Journey (Brenner und Übernickel 2016). Neben den drei Sichtweisen beschreiben Plattner et al. (2015), dass für den erfolgreichen Einsatz von Design Thinking vor allem die interdisziplinäre Zusammensetzung des Teams von zentraler Bedeutung ist. Um einem multiperspektivischen Verständnis einer Dienstleistung und ihres Umfelds Rechnung zu tragen und ein breiteres Spektrum an Ideen für mögliche Lösungen zu erhalten, ist es von zentraler Bedeutung ein Team aus möglichst heterogen Mitglieder zusammenzusetzen. Das Team braucht einen guten Mix aus Persönlichkeiten aus verschiedenen Ländern und Kulturen sowie eine besondere Heterogenität des Bildungshintergrunds bspw. aus Design, Informatik, Wirtschaft oder Ingenieurwesen.

6.5 St. Galler Business Innovation-Ansatz Bei dem St. Galler Digital Business Innovation-Ansatz handelt es sich um einen systematischen Ansatz zur Entwicklung und Evaluierung erster Serviceentwürfe, mit dem Ziel Entwicklungszyklen zu verkürzen und die damit verbundenen Kosten zu senken. Da der St. Galler Business Innovation Ansatz sowohl Schritte der Service Innovation, als auch der Service Design Phase umfasst, wird er an dieser Stelle separat dargestellt. Ähnlich wie beim Lean Start Up-Ansatz ist der Grundgedanke des Ansatzes, Innovation schlanker zu gestalten, d. h. den Dienstleistungsentwicklungszyklus zu verkürzen und den Ressourceneinsatz gering zu halten. Ziel ist es dabei, Fehlinvestitionen in Form von Dienstleistungen, die am Markt vorbei entwickelt werden, zu vermeiden. Dies wird dadurch erreicht, dass die Dienstleistung in inkrementellen Schritten entwickelt und an mehreren Zeitpunkten von den Kunden getestet wird. Der St. Galler Digital Business Innovation-Ansatz berücksichtigt zusätzlich zum Lean Start Up-Ansatz noch die internen Rahmenbedingungen großer Unternehmen. Entscheider sollen frühzeitig in den Innovationsprozess einbezogen und eine Kompatibilität mit unternehmensinternen Entscheidungsmustern soll gewährleistet werden. Beispielsweise soll frühzeitig abgestimmt werden, ob die neue Dienstleistung in das Portfolio bzw. in die strategische Ausrichtung des Unternehmens passt. Einen Überblick der Inhalte die im Rahmen des St. Galler Business Innovation Ansatz erarbeitet werden, liefert das St. Galler Business Innovation Canvas, welches in Abb. 6.7 dargestellt ist.   Der St. Galler Digital Business Innovation-Ansatz dient der agilen, ressourcenschonenden und fortlaufenden Innovationstätigkeit. Er baut auf bereits vorhandenen Management- und Produktentwicklungsideen, wie dem Lean Start Up, der Kundenentwicklung, der Designorientierung sowie agiler Softwareentwicklung auf und berücksichtigt gleichzeitig unternehmensinterne Rahmenbedingungen.

6.5  St. Galler Business Innovation-Ansatz

199

Entworfen für:

Digital Business Canvas

Entworfen von:

15 Ressourcen

Team 16

07 Markt

1-6 Wertversprechen 12 Kundenbeziehungen

10 Technologie

09 Ökosystem

11 Daten

13 Erlöse 14 Kosten

08 We bewerb

17 Nächste Schri e

Finanzierung 18

Abb. 6.7   St. Gallen Digital Business Innovation Canvas

Um die Komptabilität mit den unternehmensinternen Entscheidungsmustern zu gewährleisten, wird der klassischen Lean Start Up Ansatz um einen Makroprozess mit fünf Phasen erweitert: „Value Proposition“, „Externe Analyse“, „Proof-Of-Concept“, „Kommerzialisierung“ und „Realisierung“. Jede dieser Phasen beinhaltet wiederum den bekannten Mikroprozess mit den Elementen Build-Measure-Learn des Lean Start Up-Ansatzes. Dieser Zyklus wird in jeder Phase einmal durchlaufen. Die Dienstleistungsidee wird Schritt für Schritt in einen minimal lebensfähigen Service (build) überführt und dessen Wirksamkeit auf dem Markt gemessen bzw. getestet (measure), um anschließend daraus zu lernen (learn). Im Folgenden werden nun zunächst die fünf Phasen des Makroprozesses erklärt, die in Abb. 6.8 visualisiert sind. Anschließend wird der Mikroprozess mit Build-Measure-­ Learn und seine konkreten Aktivitäten erläutert. Makroprozess Der Makroprozess besteht aus fünf Phasen, die iterativ aufeinanderfolgen. Der Zyklus startet mit dem genauen Definieren des Wertversprechens (Value Proposition) einer bestimmten Dienstleistung für eine bestimmte Nutzergruppe. Anschließend soll mit Methoden der externen Analyse (bspw. SWOT-Analyse) geprüft werden, ob die definierte Value Proposition in eine bestehende Umgebung (bspw. in einen bestimmten Markt) passt. In der Phase „Proof-of-Concept“ soll schließlich ein Minimal Viable Prototype erarbeitet und dessen potenzielle Umsetzung und Einführung als Business

200

6  Service Design

Pitch Presentaon

Value Proposion

Customer Interviews

Environmental Assessment

Realizaon

Innovaon Accounng

SWOT

Commercializaon

Proof of Concept

MVP + Test Abb. 6.8   Makroprozess des St. Galler Business Innovation-Ansatz

Case evaluiert werden („Kommerzialisierung“). Die letzte Phase, „Realisierung“, hat das Ziel, internen Sponsoren mit einer Präsentation zu gewinnen und anschließend den Prototypen umzusetzen. Um die wichtigsten Informationen für die jeweilige Phase des Makroprozesses zu sammeln, stellt der St. Galler Business Innovation Ansatz einen User-Centered Service Canvas bereit, welcher die wichtigsten Leitfragen pro Phase enthält. Die Leitfragen sind in 16 Aktionsfeldern angeordnet und den jeweiligen Phasen zugeordnet (Abb. 6.9). In der „Value Proposition-Phase“ ist es beispielsweise wichtig, zunächst den Nutzer und dessen Herausforderungen zu definieren. Anschließend soll genau beschrieben werden mit, welchem Wertbeitrag und mit welchen möglichen Lösungen man dem Nutzer helfen kann. Der Canvas mit den einzelnen Aktivitäten und den konkreten Leitfragen pro Phase wird in Abb. 6.9 visualisiert. Im Mikroprozess werden Artefakte gebaut, die dabei helfen, die Leitfragen zu beantworten. Schließlich sollen diese getestet/gemessen werden und somit Rückschlüsse auf die Antworten der Leitfragen gezogen werden. Mikroprozess Eines der Grundprinzipien, das hinter dem St. Galler Business Innovation-Ansatz steckt, ist der Build-Measure-Learn-Zyklus aus Lean Startup.

6.5  St. Galler Business Innovation-Ansatz

• Für wen schaffen wir Wert? • Wer sind unsere wich gsten Kunden? • Bei welchen funk onalen Aufgaben unterstützen wir den Kunden bei der Umsetzung?

• Wer bezahlt eigentlich für unsere Lösung?

• Auf welchen Technologien baut unsere Lösung auf?

• Welche Art von Beziehung erwarten unsere Kunden?

• An welche Branche wenden wir uns?

• Wie ausgerei– sind diese Technologien?

• Wie gewinnen wir neue Kunden?

• Was ist unser Kunden-segment (B2B, B2C, B2G)?

• Müssen wir beim Einsatz dieser Technologien eine einsei ge Abhängigkeit eingehen?

• Wie können wir eine kon nuierliche Beziehung zu bestehenden Kunden au˜auen?

• Konzentrieren wir uns auf eine Nische oder einen Massenmarkt? • Was gibt dem Kunden ein schlechtes Gefühl? • Welchen Herausforderungen begegnen unsere Kunden? • Warum sind die aktuellen Lösungen unterdurchschnilich?

• Welchen Wert bieten wir unseren Kunden? • Welche Ergebnisse erwarteten unser Kunden? • Wie können wir das Leben der Kunden verbessern?

• Welche Produkt- und Servicepakete sollen wir jedem Kundensegment anbieten? • Welche Nebenprodukte und Dienstleistungen sollten wir anbieten?

201

• Welche Ressourcen benö gen wir, um unsere Lösung zu realisieren? • Über welche Ressourcen verfügen wir bereits? • Wie können wir benö gte Ressourcen erlangen?

• Wie verkaufen wir an unsere Kunden?

• Gibt es Zugangsbarrieren?

• Welche Profile sind die Schlüssel zum Erfolg in unserem Unternehmen? • Wer sind unsere Konkurrenten?

• Für welche Werte sind unsere Kunden bereit zu zahlen?

• Gibt es Ersatzprodukte und dienstleistungen?

• Was ist unser Umsatz-modell (Pay-per-Use, wieder-kehrende Zahlungen)?

• Was ist unser Webewerbsvorteil? • Wie schnell wird sich der Webewerb in unserem Markt intensivieren?

• Wie können wir uns vor dem Webewerb schützen?

• Welche Art von Daten benö gen wir, um unsere Lösung zu realisieren? • Wie bekommen wir diese Daten?

• Haben wir die notwendigen Leute, um das Team aufzubauen?

• Welche Preismechanismen gibt es bei uns? • Was treibt unsere Gewinne an (Umsatzvolumen, Fixkostendegression, etc.)?

• Wie sieht unsere Roadmap aus, um die Lösung zum Leben zu erwecken?

• Wem gehören diese Daten?

• Wer kann uns unterstützen und wie? • Treten wir in ein be-stehendes Ökosystem ein oder bauen wir ein neues auf? • Was bieten unsere Partner zur Realisierung unserer Lösung (Technik, Ak vitäten)?

• Gibt es rechtliche Einschränkungen bei der Verwendung der Daten?

• Was sind die Hauptkosten für unsere Lösung? • Welche Schlüsselressourcen sind am teuersten? • Welche Schlüsselak vitäten sind am teuersten?

• Wie viel Zeit/Geld braucht man, um unsere Lösung zu realisieren? • Wer kann uns diese Ressourcen zur Verfügung stellen?

Abb. 6.9   Aktionscanvas des St. Galler Business Innovation-Ansatz

  Der Lean Startup-Ansatz dient der Realisierung einer fortlaufenden Innovationstätigkeit. Er baut auf bereits vorhandenen Management- und Produktentwicklungsideen, wie dem Lean Manufacturing (schlanke Produktion), der Kundenentwicklung, der Designorientierung sowie agiler Softwareentwicklung auf (Ries 2012, S. 12). Das Ziel des Mikroprozesses besteht darin, die Leitfragen des Canvas nacheinander zu beantworten und sich auf diese Weise dem fertigen Dienstleistungsentwurf Schritt für Schritt anzunähern. Innerhalb des Mikroprozesses werden zunächst die Leitfragen des Canvas beantwortet (build). Diese Leitfragen werden dann mithilfe unterschiedlicher Artefakte in enger Interaktion mit zukünftigen Kunden bzw. mit Entscheidern innerhalb des Managements evaluiert (measure). Auf Basis der Evaluationsergebnisse erfolgt dann eine Anpassung des Canvases oder der Übergang in die nächste Phase des Makroprozesses (learn). Aus dem Gelernten sollen Rückschlüsse für die weitere Dienstleistungsentwicklung gezogen werden. Mit anderen Worten handelt es sich um einen Lernzyklus, der darauf abzielt, Dienstleistungsideen in konkrete Dienstleistungen zu überführen, Kundenreaktionen und Verhaltensweisen gegenüber der entwickelten Dienstleistung zu messen und dann zu entscheiden, ob die Dienstleistungsidee verworfen oder entsprechend des Kundenfeedbacks weiterentwickelt wird. Dieser Vorgang erfolgt in der Regel iterativ, bis er zu dem gewünschten Ergebnis (d. h. Lernerfolg) führt. Abb. 6.10 zeigt den Build-­ Measure-Learn-Zyklus. Die einzelnen Phasen werden anschließend genauer erörtert.

202

6  Service Design

Abb. 6.10   Build-MeasureLearn-Zyklus

1

Learn

Build

3 Measure

2

Build  In dieser Phase ist es das Ziel, die im Canvas bereitgestellten Leitfragen zur Entwicklung des Serviceentwurfs zu beantworten. Measure  In der zweiten Phase geht das Innovationsteam dazu über, zu messen, ob echte Fortschritte gemacht wurden oder nicht. Hierzu werden Artefakte gebaut, die dann innerhalb der Measure-Phase validiert werden. Wichtig zu verstehen ist hierbei, dass es sich um keine Dienstleistung im eigentlichen Sinne handelt, sondern um ein Artefakt (eine Repräsentation des Services) das sich relativ schnell und einfach erstellen lässt und das dazu dient, getroffene Annahmen oder Markthypothesen mit Kunden zu validieren. Je nachdem, mit welcher Intention das Artefakt gestaltet wurde, muss sich das Innovationsteam für eine geeignete Messmethode entscheiden (z. B. ein Experiment oder eine Befragung). Dies impliziert, dass man sich schon bei der Gestaltung des Artefakts Gedanken machen sollte, was gemessen werden soll bzw. ob sich das Artefakt eignet, um zuvor aufgestellte Hypothesen zu testen. Learn  In dieser Phase geht es darum, basierend auf den vorhergehenden Messungen, eine Entscheidung zu treffen. Hier muss das Innovationsteam die Entscheidung treffen, ob es an der bestehenden Dienstleistungsidee festhält oder ob es die Serviceidee verändert oder gar verwirft. Das Ziel des Build-Measure-Learn-Zyklus ist es nicht notwendigerweise, einen fertigen Endservice oder einen Dienstleistungsprototyp zu erstellen. Eher geht es darum, frühe Dienstleistungsideen und Konzepte zu validieren und das Lernen durch

6.5  St. Galler Business Innovation-Ansatz

203

i­nkrementelle und iterative Technik zu maximieren (Lernen könnte über Produktmerkmale, Kundenbedürfnisse, den richtigen Preis- und Vertriebskanal usw. geschehen).

6.5.1 Tools zur Umsetzung von Design-Methoden Um die oben beschriebenen Methoden anwenden zu können, stehen eine Vielzahl von Tools zur Verfügung. Neben kommerziellen Varianten gibt es häufig auch kostenfreie Programme, die ebenfalls gute Ergebnisse liefern. In Tab. 6.1 werden einige Tools aufgeführt, um einen kurzen Überblick zu ermöglichen.

Tab. 6.1  Liste möglicher Tools zur Unterstützung und Umsetzung von Design-Methoden Service Design- Tool Methode

Eigenschaften

Personals

Xtensio

Ermöglicht u. a. die Erstellung von Per- https://xtensio.com/ user-persona/ sonas mit Hilfe von Vorlagen, bietet die Möglichkeit, als Team auf einer Plattform zu arbeiten und lässt sich leicht als Slideshow oder PDF exportieren. Das Tool ist in seiner Basisversion kostenfrei nutzbar. Erweiterte Versionen sind kostenpflichtig

Storyboards

Boardo

Boardo unterstützt darin, bestehende Bilder um Animationen und Effekte zu ergänzen. Boardo ist kostenpflichtig

Storyboard Fountain

Opensource-Lösung, die es ermöglicht, www.storyboardSkizzen anzufertigen, diese mit Text zu fountain.com hinterlegen und in Form einer Geschichte anzuordnen

Realtime Board

www.realtimeboard. Bietet ein Whiteboard, welches das gleichzeitige Bearbeiten durch mehrere com Benutzer ermöglicht. Neben anderen Funktionen kann es u. a. zur Erstellung von Service Blueprints genutzt werden. Das Preismodell richtet sich nach der Anzahl der Teammitglieder, die am Blueprint arbeiten können

Service Blueprint

Quelle

www.proloststore. com/products/ boardo

(Fortsetzung)

204

6  Service Design

Tab. 6.1  (Fortsetzung) Service Design- Tool Methode

Eigenschaften

Quelle

ServicePrototypen

Origami Studio

Ermöglicht die Erstellung von Prototypen und das Arbeiten mit verschiedenen Layern ohne Programmierkenntnisse. Die ursprünglich von Facebook entwickelte Lösung ist kostenfrei verfügbar

www.origami. design

Framer

www.framer.com Ermöglicht die Erstellung von Prototypen ohne Programmierkenntnisse. Es werden eine Code- und eine Benutzerschnittstellenansicht geboten. Der Code wird durch Veränderungen der Benutzerschnittstelle selbstständig generiert. Probeversion kostenfrei

Justinmind

www.justinmind. Ermöglicht über ein einfaches Dragcom and-Drop Interface die Erstellung von Prototypen ohne Programmierkenntnisse. Testversion ist kostenfrei. Erweiterte Versionen sind kostenpflichtig

Bubble

Ermöglicht die Erstellung von Prototypen www.bubble.is/ ohne Programmierkenntnisse und bietet darüber hinaus Cloudanwendungen, um Apps etc. direkt zu hosten. Hobbyversion ist kostenfrei. Erweiterte Versionen sind kostenpflichtig

Pop

www.marvelapp. Ermöglicht die Erstellung von Protocom/pop/ typen ohne Programmierkenntnisse. Zwei Projekte sind kostenfrei. Erweiterte Versionen sind kostenpflichtig

DiaWOz-II

Bietet eine Softwareumgebung für Universität des mathematische und technische Wizard of Saarlandes | DepartOz-Studien ment for Information Systems. Vgl. Benzmüller et al. (2007)

Wizard of Oz

6.6 Anwendungsbeispiel: Gestaltung einer mobilen Lerndienstleistung Die nachfolgend gezeigte Gestaltung einer mobilen Lerndienstleistung erfolgte im Rahmen des Forschungsprojekts „kuLtig“, welches sich mit der systematischen Entwicklung und Pilotierung von Methoden und Modellen für kultursensitives Lerndienstleistungsengineering am Beispiel China befasst (projekt-kuLtig.de).

6.6  Anwendungsbeispiel: Gestaltung einer mobilen Lerndienstleistung

205

Kontext In China werden viele Ausbildungsberufe, wie z. B. der des KFZ Mechatronikers, nicht in Form einer dualen Ausbildung mit einer engen Verzahnung von Wissenserwerb und praktischer Anwendung gelehrt, sondern in schulischen Einrichtungen unterrichtet. Große Schülerzahlen und eine fehlende Anbindung innerschulischer Werkstätten an öffentliche Meisterbetriebe beeinflussen dabei die Aus- und Weiterbildung. Insbesondere in der Ausbildung von handwerklichen Berufen, die neben theoretischen Kenntnissen auch Analyse- und Problemlösefähigkeiten erfordern, fehlt es in Folge dieses Ausbildungssystems an realen Anwendungsszenarien, um solche Kompetenzen aufzubauen. Lösungsansatz Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurde Mobile Learning (d. h. E-Learning unter Nutzung mobiler Endgeräte) als Teil einer Lösung im Rahmen des Projekts kuLtig identifiziert, da es Lernenden erlaubt, orts- und zeitunabhängig zu lernen. In praktischen Trainings eingesetzt, kann Mobile Learning eine kontextuelle Wissensaneignung und direktes Feedback ermöglichen und somit den Kompetenzerwerb unterstützen. Gestaltung der mobilen Lerndienstleistung unter Zuhilfenahme verschiedener Design-Methoden Da in verschiedenen Kulturräumen zum einen anders gelernt wird und sich zum anderen die Nutzung von Informationstechnologien unterscheidet, wurde diese Problematik in der Entwicklung der mobilen Lerndienstleistung berücksichtigt. Die mobile Lerndienstleistung wurde im Rahmen eines gestaltungsorientierten Ansatzes (Peffers et al. 2007) auf Basis mehrerer Anforderungserhebungen nutzerzentriert und iterativ gestaltet. Um eine Grundlage für Nutzertests zu haben, wurde auf das Prototyping (Siehe Abschn. 6.4.4) zurückgegriffen, welches den gesamten Gestaltungsprozess begleitetet. Jeder Prototyp bildete den Ausgangspunkt für die jeweils nächste Prototypenentwicklung. Den Auftakt bildete ein papierbasierter Prototyp, welcher schrittweise technisch umgesetzt und verfeinert wurde (Abb. 6.11). Den Ausgangspunkt für den Entwicklungsprozess bildete das zuvor identifizierte Problem. Das Problem, welches in diesem Fall der Mangel an praktischen Übungsmöglichkeiten für Berufsschüler in China darstellte, hatte eine mobile Lerndienstleistung als Lösungsansatz zur Folge. Die entwickelten Prototypen wurden während der Entwicklung komplexer und

Phase

Artefakt

Low-Fidelity Prototyp

Problemidentifikation

Ableitung von Anforderungen (Theorie)

Erste Designiteration

High-Fidelity Prototyp

Vorstudie

Ableitung von Anforderungen

High-Fidelity Prototyp

Evaluation

Zweite Designiteration

Ableitung von Anforderungen

Evaluation

Dritte Designiteration

Abb. 6.11   Entwicklungsprozess der mobilen Lerndienstleistung. (Quelle: Eigene Darstellung)

206

6  Service Design

Abb. 6.12   Persona „Lian Ying“. Quelle: Eigene Darstellung mit xtensio. (vgl. Tab. 6.1)

leistungsfähiger. Sie näherten sich zunehmend der finalen mobilen Lerndienstleistung an. Neben dem Prototyping, welches eine frühzeitige Evaluation einzelner Entwicklungsschritte ermöglicht, kann die Zielgruppe durch den Einsatz unterschiedlicher Service Design Methoden in der Gestaltung der Lerndienstleistung integriert werden. Nachfolgende Abbildung zeigt eine Persona (Abschn. 6.4.1), welche einen Teil der Zielgruppe des chinesischen Berufsschülers der KFZ-Mechanik vertreten könnte (Abb. 6.12). Die Persona zeigt Lian Ying, einen Berufsschüler, der am Yizheng Technician College ausgebildet wird und den Wunsch nach mehr Praxiserfahrung hat. Der Lernstil von Lian Ying ist durch Frontalunterricht und den Einsatz von Schulbüchern geprägt. Lian Ying hat den Wunsch, während seiner Ausbildung mehr Praxiserfahrung zu sammeln, um bestmöglich auf die Herausforderungen des Berufsalltags vorbereitet zu sein. Die Persona Lian Ying steht hierbei stellvertretend für eine Gruppe an Berufsschülern der Kfz-Mechanik in China. Neben Personas, welche sich auf Schüler beziehen, kann beispielsweise auch eine Persona erstellt werden, welche den Lehrkörper repräsentiert und Erwartungen dieser Gruppe an die zu entwickelnde mobile Lerndienstleistung abbildet. Während Personas darin unterstützen, die mobile Lerndienstleistung passgenau für die Zielgruppe zu entwickeln, können Service Blueprints helfen, Prozessabfolgen der Dienstleistung auszugestalten. Nachfolgende Abbildungen (Abb. 6.13, 6.14) zeigen zwei Service Blueprints, wie sie in einer sehr frühen Phase in der Entwicklung der mobilen Lerndienstleistung erstellt werden. Der erste Service Blueprint legt dar, welche typischen Prozessschritte ein Training an chinesischen Berufsschulen ohne Einsatz einer mobilen Lerndienstleistung umfasst. Der dargestellte Service Blueprint unterscheidet hierbei zwei Interaktionsarten, da er an den didaktischen Kontext angepasst wurde, vgl. Wegener et al. (2012) und Wegener (2014).

6.6  Anwendungsbeispiel: Gestaltung einer mobilen Lerndienstleistung

207

Fehlende Gruppeninteraktion Gruppeninteraktion

Fehlende Übung und Problemorientierung

Zuhören

Nachbereitung

Prüfung

Interaktion Lehrer stellt den Lernstoff vor Abb. 6.13   Lernprozess in Chin. Berufsschultrainings (Status quo). (Quelle: Eigene Darstellung)

Befähigung zur Selbstregulierung

Praxisorientierung ermöglichen

Gruppeninteraktion Aneignung von Wissen mit der mobilen Lernanwendung

Interaktion

Interaktion mit der Gruppe ermöglichen

Sich mit anderen Lernenden freiwiliig messen Anwendung von Wissen auf praktische Problemstellungen

Selbstkontrolle

Problemlösung

Wiederholung bis zur vollständigen Problemlösung

Abb. 6.14   Berufsschultrainings mit der mobilen Lerndienstleistung. (Quelle: Eigene Darstellung)

208

6  Service Design

Der Service Blueprint legt dar, dass es im klassischen Lernprozess in den Berufsschulen in China keine Gruppeninteraktion gibt und es an praktischen Übungen fehlt. Ziel der mobilen Lerndienstleistung ist es, den Lernprozess hinsichtlich der identifizierten Probleme zu verbessern und diesen neu zu gestalten. Zusätzlich sollen zielgruppenspezifische Eigenschaften berücksichtigt werden. Dem neuen Lernprozess, welcher das Lehr-Lernszenario unter Verwendung der mobilen Lerndienstleistung darstellt, wird ebenfalls ein Service Blueprint zugrunde gelegt. Somit sind sowohl die Möglichkeiten geboten, Interaktionspunkte abzubilden als auch Hintergrundprozesse aufzuzeigen. Nachfolgender Service Blueprint zeigt den Lernprozess unter Berücksichtigung der mobilen Lerndienstleistung in China. Es wird ersichtlich, dass durch eine Integration der mobilen Lerndienstleistung in den regulären Lernprozess eine Möglichkeit der Selbstkontrolle sowie eine Basis geboten werden, sich mit anderen Lernenden zu messen. Letzteres wird nicht durch ein klassisches Ranking umgesetzt, da das Publizieren von schlechten Leistungen Schüler womöglich unter erhöhten Druck setzen könnte und das Risiko besteht, dass diese durch die Gefahr eines Gesichtsverlusts die mobile Lerndienstleistung nicht freiwillig nutzen würden. Neben der Darstellung von Prozessabfolgen ist der Service Blueprint um eine Darstellung eines frühen Low-Fidelity-Prototypen der mobilen Lerndienstleistung erweitert worden. Dies ermöglicht eine Zuordnung zwischen den Lernprozessschritten und der grafischen Benutzerschnittstelle der Lerndienstleistung. Während die entwickelten Prototypen für Evaluationen, wie z. B. Usability Tests herangezogen werden konnten, unterstützen Storyboards darin, die geplante Interaktion mit der mobilen Lerndienstleistung aufzuzeigen. Abb. 6.15 stellt einen Ausschnitt eines

Abb. 6.15   Ausschnitt eines Storyboards der mobilen Lerndienstleistung

Skizzieren und visualisieren eine bestimmte Interaktionsszene und ergänzt diese durch textbasierte Beschreibungen. Sie dienen daher der Entscheidungsunterstützung bei der Erstellung von Services

Bildet die Dienstleistungsprozesse ab, die durch das spätere System unterstützt werden sollen und zeigt auf, an welchen Stellen in der Erstellung der Dienstleistung welche Schritte durchgeführt werden

Umsetzung von Produkt- und Serviceideen in einem Prototyp, um Ideen und Lösungen zu erproben

Storyboards

Service Blueprint

Service- Prototypen

Prototypen decken nie die Komplexität eines ganzen Produktes ab, sondern stellen immer nur bestimmte Aspekte dar, die isoliert getestet werden können

Ermöglichen die Visualisierung von Ideen und geben die Möglichkeit, verschiedene Lösungsalternativen in einem geschützten Rahmen zu testen. Einfache Darstellung von Ideen, was auch die Kommunikation zwischen allen Beteiligten erleichtert

(Fortsetzung)

Die Erstellung ist sehr zeit- und arbeitsintensiv. Bei komplexen Prozessen kann der Service Blueprint sehr unübersichtlich werden

Die Prozesse werden aus Sicht aller relevanten Beteiligten modelliert; so können die Stellen gefunden werden, an denen eine Interaktion zwischen den Akteuren und dem System stattfinden. Ist eine leichte und allgemeinhin verständliche Möglichkeit, Prozesse darzustellen und eignet sich dazu, Schwachstellen in diesen aufzudecken

Interaktive Anwendungen können nur in Es kann bereits in frühen Entwicklungsphasen verwendet werden und unterstützt somit bei einer früh- geringem Umfang dargestellt werden, daher eigenen sie sich nicht für Usability-Tests zeitigen Bewertung und Problemaufdeckung; Storyboards erleichtern aufgrund ihres Aufbaus die Kommunikation zwischen allen Beteiligten und sind darüber hinaus schnell, einfach und kostengünstig herzustellen

Personas

Limitierung

Fiktive Nutzerprofile stehen exemp- Den Entwicklern wird ermöglicht; sich in die Nutzer Die Auswahl der Daten für die Erstellung von fiktiven Nutzerprofilen kann zu larisch für bestimmte Nutzergruppen, hineinzuversetzen und das System besser an deren Schwierigkeiten führen (Welche Personenso können unterschiedliche Wünsche Bedürfnissen auszurichten eigenschaften sollen in die Profile eingehen, und Bedürfnisse verschiedener welche nicht?) Nutzer in die System-Entwicklung einfließen

Potenziale

Funktion

Methode

Tab. 6.2  Design-Methoden im Überblick

6.7 Zusammenfassung 209

Verwendet die Perspektiven des Managements und des Interaction Designs, die jeweils in drei Stufen durchlaufen werden Am Ende steht ein strukturiertes, systematisches und visuell starkes Modell

MINDS-Methode

Systematischer Ansatz für die St. Gallener Business Innova- Entwicklung von Dienstleistungsprototypen oder Produkten, um tion- Ansatz Entwicklungszyklen zu verkürzen, Ressourcen zu sparen und unternehmensinterne Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Dies wird durch die schrittweise Entwicklung der Dienstleistung sowie regelmäßige Tests gewährleistet

Funktion

Probanden glauben, sie nutzen den funktionsfähigen Prototyp eines Systems, jedoch erfolgt die Steuerung des Systems (und somit die Interaktion mit dem Probanden) durch einen Entwickler Die Reaktionen (Verhalten, Gestik, Mimik) des Probanden können unbemerkt beobachtet werden

Methode

Wizard of Oz

Tab. 6.1   (Fortsetzung)

(Fortsetzung)

Aufgrund der verschiedenen Methoden aufwendig.

Verbindet mehrere Perspektiven und Methoden und eignet sich daher dazu, mit der zunehmenden Komplexität von Systemen umzugehen Möglichkeit der Vor-, Grob- und Feinplanung und als allgemeingültiger Ansatz geeignet, bei vielen Problemstellungen zum Einsatz zu kommen Das schrittweise Vorgehen im Makroprozess und der Build-Measure-Learn- Zyklus im Mikroprozess ergeben einen „proven candidate“, der eine solide Grundlage für die Entwicklung des angestrebten Marktservices darstellt Durch die regelmäßigen Tests der Dienstleistung, kann deren Entwicklung zielgerichtet gesteuert und Probleme frühzeitig behandelt werden. Gleichzeitig wird frühzeitig abgestimmt, ob die neue Dienstleistung in das Portfolio bzw. in die strategische Ausrichtung des Unternehmens passt

Limitierung Ist noch nicht vergleichbar mit dem finalen Endprodukt und ermöglicht daher noch keine abschließende Bewertung des Systems

Potenziale Ermöglicht die Simulation von Interaktionen zwischen Nutzer und System und eignet sich daher für Usability-Tests Ist in der Verwendung günstiger als High-FidelityPrototypen

210 6  Service Design

Möglichkeit, als Service Designer in die Rolle der Persona einzutauchen und deren Erfahrungen zu erleben

Detaillierte Analyse des Kaufprozesses mit Identifizierung aller relevanten User Touch Points möglich

Limitierung

UserJourney

Potenziale Sehr aufwendiger Prozess des NeedfinGeeignet, um besonders ausgefallene Lösungen zu entwickeln, die maßgeschneidert auf die Bedürfnisse dings, bei dem ein interdisziplinäres Team auch mal länger an einer Herausforderung von einzelnen Kunden zugeschnitten sind arbeiten muss Die Herausforderung besteht auch darin, wirklich die Philosophie des Design Thinking zu übernehmen und alte Denkweisen abzulegen

Funktion

Design Thinking Design Thinking ist als Philosophie, Prozess und als Werkzeugkasten zu verstehen. Man innoviert Dienstleistungen aus der individuellen Sicht einzelner Kundengruppen und greift dabei auf bestehende Designmethoden zurück

Methode

Tab. 6.1   (Fortsetzung)

6.7 Zusammenfassung 211

212

6  Service Design

Storyboards dar. Der Ausschnitt zeigt die mobile Lerndienstleistung, eingebettet in ein praktisches Training in den innerschulischen Werkstätten. Die Erstellung des Storyboards ermöglicht es, einzelne Phasen und Handlungen im Einführungskontext der mobilen Lerndienstleistung mit einzelnen Displayanzeigen in Verbindung zu bringen. Sie sind in Projekttreffen eine wichtige Gesprächs- und Diskussionsgrundlage.

6.7 Zusammenfassung Dieses Kapitel widmete sich dem Designprozess im Kontext des Service Engineerings. Der Blick durch die „Kundenbrille“ sowie die frühzeitige Einbindung des Kunden sind entscheidend für das Design einer erfolgversprechenden Dienstleistung, da der Nutzer in letzter Instanz darüber entscheidet, ob die Dienstleistung ein Erfolg wird oder nicht. Die entsprechenden Methoden, die in diesem Abschnitt vorgestellt wurden, dienen dabei einer ganzheitlichen Herangehensweise an den Designprozess und ermöglichen unterschiedliche Sichtweisen auf die Dienstleistung. Eine entwickelte Dienstleistung muss nicht nur für den Kunden nützlich und wünschenswert, sondern sollte zudem effizient sein und sich von Konkurrenzprodukten abheben, um aus wirtschaftlicher Sicht langfristig erfolgreich am Markt bestehen können. In Tab. 6.2 werden die in diesem Kapitel vorgestellten Service Design-Methoden zusammengefasst, Potenziale sowie Limitierungen aufgezeigt.

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6  Service Design

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7

Service-Modellierung

7.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele In diesem Kapitel werden die Grundlagen der Service-Modellierung vermittelt sowie der Dienstleistungsprozess in einzelne Prozessschritte unterteilt und analysiert. Neben den Grundlagen zu modellbasiertem Problemlösen werden insbesondere verschiedene Modellierungsstufen und deren Umsetzung bei der Dokumentation, Analyse und Gestaltung von Dienstleistungsprozessen erklärt. Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele

1. Sie können das Konzept modellbasierten Problemlösens erläutern und im konkreten Fall anwenden. 2. Sie können den Nutzen der Modellierung von Dienstleistungen in der Dienstleistungsentwicklung beschreiben. 3. Sie können die Vorteile von Modellierung zur Skalierung/Standardisierung und Qualitätssicherung von Dienstleistungen erklären und an Beispielen verdeutlichen. 4. Sie können Dienstleistungen prozessorientiert modellieren. 5. Sie können eine Dienstleistung vom Konzept bis zur Implementierung modellieren. 6. Sie können bewerten, welche Modellierungsansätze sich für die Grob- und Feinkonzeption einer Dienstleistung eignen. 7. Sie können die Eigenschaften eines Referenzmodells erläutern und Beispiele benennen. 8. Sie können Dienstleistungen mithilfe des Service Blueprinting und Business Process Modelling Notation modellieren.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_7

215

216

7 Service-Modellierung

9. Sie können sowohl die Datensicht von Dienstleistungen als auch potenzielle Ergänzungen von Datenkomponenten für eine Dienstleistung modellieren. 10. Sie können die datengetriebene Fehleranalyse auf Basis einer gegebenen Dienstleistungsmodellierung durchführen.

7.2 Prozessorientierte Dienstleistungsbetrachtung Wie in Kap. 1 vorgestellt, werden im Zeitalter der Digitalisierung Dienstleistungen immer wichtiger. Um Dienstleistungen jedoch besser greifbarer zu machen, können sie auch als Prozesse verstanden werden. Eine Dienstleistung wird immer in einem gewissen Zeitfenster erbracht. Als durchgehendes Beispiel wird in diesem Kapitel eine Beispieldienstleistung aus dem Mobilitätsbereich aufgegriffen: die ICE-Fahrt von Hamburg nach München. Der Dienstleistungsanbieter ist die Deutsche Bahn und der Dienstleistungsnehmer, auch als der Kunde bekannt, ist eine Privatperson. Die Dienstleistung beginnt zu einem bestimmten Zeitpunkt und endet zu einem bestimmten Zeitpunkt. Zum Beispiel beginnt die Zugfahrt des ICE 583 von Hamburg nach München um 06:59 Uhr, wenn der Zug in Hamburg losfährt, und endet um 12:40 Uhr mit der Ankunft des Zuges in München (Abb. 7.1). In diesem Zeitraum finden unterschiedliche Aktivitäten statt. Aktivitäten sind Tätigkeiten oder Arbeitsschritte, die zur Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind. Zum Beispiel sucht sich der Kunde während der Zugfahrt einen Platz und nimmt diesen ein, der Schaffner kontrolliert oder verkauft die Fahrkarte und am Zielort verlässt der Kunde den Zug wieder.

7.2.1 Dienstleistung als Prozess Die Realisierung des Wertes einer Dienstleistung steht oft vor der Eigenschaft, dass sich die Realisierung des Wertes und die Zeitspanne der Erbringung der Dienstleistung

1.

2.

3.

Abb. 7.1   Der Dienstleistungsprozess als Anleitung zur Dienstleistungserbringung. (Fotos: Santiago Llobet; Eugen Nosko; Honza Groh)

7.3  Dokumentation von Dienstleistungsprozessen

217

z­ wischen zwei Zeitpunkten erstrecken. Eine Start-Aktivität, welche die Dienstleistung auslöst, und eine Endaktivität bestimmen die beiden Zeitpunkte. Somit kann die Aktivität des Betretens des Zuges durch den Kunden als Start-Zeitpunkt angesehen werden. Das Verlassen des Zuges ist der End-Zeitpunkt. Eine Aktivität kann wie folgt definiert werden:   Alle Aktivitäten, die zur Erbringung der Dienstleistung notwendig sind, bilden den Dienstleistungsprozess. Prozesse, die hinter einer Dienstleistung stecken, sind vor allem für die Entwicklung und Verbesserung der Dienstleistung wichtig. Der Dienstleistungsprozess organisiert alle Aktivitäten, die für die Erbringung der Dienstleistung notwendig sind. Die Kundenintegration ist ein zentraler Bestandteil von Dienstleistungen (vgl. Kap. 1). Dazu gehören Aktivitäten des Anbieters, der die Dienstleistung bereitstellt, und die Aktivitäten des Kunden, der die Dienstleistung in Anspruch nimmt. Der Prozess birgt also auch eine zeitliche Komponente und entspricht dabei einem Ablaufplan, der zeigt, wie der Anbieter dem Kunden die Dienstleistung erbringen kann. Der Dienstleistungsprozess ist somit die Anleitung zur Dienstleistungserbringung.

7.2.2 Verknüpfung von Dienstleistungen Vor dem Hintergrund des prozessualen Charakters einer Dienstleistung kann die Dienstleistung aus mehreren Aktivitäten bestehen. Die Menge an Aktivitäten, die eine Dienstleistung umfasst, ist nicht festgelegt. Anbieter können zudem ihre Dienstleistungen mit den dazugehörigen Prozessen beliebig oft zu neuen Dienstleistungen kombinieren und integrieren. Zum Beispiel handelt es sich bei einer Zugfahrt um eine Dienstleistung. Für den Anbieter gibt es aber die Möglichkeit, die Zugfahrt um andere Aktivitäten oder Dienstleistungen zu erweitern. Kombiniert der Anbieter die Dienstleitungen Zugfahrt und Hotelübernachtung, kann er dem Kunden die Dienstleistung Städtereise anbieten. Um Dienstleistungen zu kombinieren, werden die Prozesse miteinander verknüpft. Die neue Dienstleistung besteht dann sowohl aus den Aktivitäten der ursprünglichen Dienstleistungen als auch aus der neu hinzugefügten Dienstleistung.

7.3 Dokumentation von Dienstleistungsprozessen Die Dokumentation spielt eine entscheidende Rolle bei der Kommunikation innerhalb eines Unternehmens. Was, wie und wann für die Erbringung der Dienstleistung benötigt wird, muss vorher geplant und dokumentiert werden. Diese Pläne beinhalten Modelle, welche in verschiedenen Modellierungssprachen geformt wurden.

218

7 Service-Modellierung

Dienstleistungsmodellierung unterstützt demnach durch die kompakte Darstellung komplexer Sachverhalte die Kommunikation über die Prozesse. Sie hilft, Transparenz zu schaffen, Funktionsweisen und Abläufe zu erklären, Sachverhalte und Lösungen zu analysieren und dabei Fehler zu identifizieren und einzugrenzen. Zusätzlich bildet sie die Grundlage für eine automatisierte Bearbeitung oder informationstechnische Unterstützung von Dienstleistungsprozessen. Im folgenden Abschnitt wird der Begriff des Modells erklärt und Grundsätze zur Modellierung vorgestellt.

7.3.1 Modelle und Modellierung 7.3.1.1 Modell als abstrahierte Darstellung Zur Dokumentation einer Dienstleistung muss der Ablauf, den der Dienstleistungsprozess repräsentiert, transparent gemacht werden. Dafür bietet es sich an, den Dienstleistungsprozess abstrahiert darzustellen, also zu modellieren. Das dabei entstehende Modell ist ein Abbild der Wirklichkeit. Ziel der Modellierung ist es, die Komplexität des Modells gegenüber der Realität auf relevante Attribute zu reduzieren.   Ein Modell ist ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit (Leimeister 2015). Um den Modellbegriff besser zu verstehen, werden die folgenden drei Elemente erläutert: Abbildungsregeln, Modellsubjekt und Adressat. Die Abbildungsregeln schreiben vor, wie die Wirklichkeit abzubilden ist. Das Modellsubjekt ist der Erzeuger eines Modells (Modellierer), der die Wirklichkeit mithilfe der Abbildungsregeln für einen Adressaten (Modellnutzer) abbildet (Krcmar 2009). Das Modell ist somit ein vereinfachtes Bild der Wirklichkeit und man reduziert mit dem Modell die Realität auf das nur für den Anwendungsfall Notwendige. Möchte zum Beispiel ein Autofahrer den Weg von Hamburg nach München planen, hat er theoretisch mehrere Möglichkeiten. Er kann sich natürlich den Weg im realen Gelände ansehen. Das dauert für die Strecke dementsprechend lang, dafür kann er sich über alle Details, wie Mittelstreifen und Leitplanken ausführlich informieren. Für die Planung des Weges ist das jedoch irrelevant. Eine nützliche Abstrahierung ist hier ein Foto aus der Vogelperspektive, mit dessen Hilfe der Autofahrer die beiden Orte und den Raum dazwischen überblicken kann. Auf einem Foto sind zum Beispiel Wälder, Flüsse und Straßen zu erkennen. Für die Planung interessieren den Autofahrer aber nur Straßen, eventuell sogar nur Autobahnen. Ein Modell mit relevanten Informationen ist daher eine Straßenkarte (vgl.Abb. 7.2). Sie ist ein vereinfachtes Abbild der Realität. Die dort vorhandenen Informationen genügen dem Autofahrer zur Planung des Weges.

7.3.1.2 Klassen von Modellen Je nachdem, weshalb die Modellierung durchgeführt wird, entstehen unterschiedliche Modelle. Diese kann man hinsichtlich des Verwendungszwecks in Kategorien

7.3  Dokumentation von Dienstleistungsprozessen

219

Abb. 7.2   Abbildung von Dienstleistungen mit Hilfe von Prozessmodellen

Abb. 7.3   Modell-Klassifikation nach Art des Verwendungszwecks. (Quelle: Eigene Darstellung)

zusammenfassen: deskriptive Ist-Modelle, welche die Realität abbilden, und präskriptive Soll-Modelle, die einen Vorbildcharakter haben (vgl.Abb. 7.3). Vermischen sich Abbild und Vorbild-Eigenschaften in einem Modell, handelt es sich um transiente Modelle. Neben dem Verwendungszweck lassen sich Modelle auch nach Abbildungsmedium oder möglichen Zustandsänderungen unterscheiden. Für eine ausführliche Darstellung sei auf Stachowiak (1973) verwiesen.

220

7 Service-Modellierung

7.3.1.3 Modellbasiertes Problemlösen Modelle werden zur Lösung von Problemen eingesetzt. Ohne den Einsatz von Modellen einen Ist-Zustand zu modifizieren und dann zu überprüfen, ob der Soll-Zustand funktioniert, kann sehr risikoreich sein. Modellbasiertes Problemlösen verfolgt einen anderen Ansatz. Aus dem Ist-Zustand mit dem Ausgangsproblem wird ein deskriptives (beschreibendes) Modell erstellt. Im Rahmen des Modells wird das reale Problem formuliert, analysiert und gelöst. Die Lösung wird dann als Modifikation im Modell durchgeführt. Am entstehenden präskriptiven (vorschreibenden) Modell können ­ anschließend die Modifikationen getestet werden. Erst wenn sich das Modell als fehlerfrei erweist, werden die Modifikationen in der Wirklichkeit realisiert. Die erarbeitete Lösung für das Ausgangsproblem wird damit in die Realität umgesetzt. 7.3.1.4 Qualitätseffekte Zu den Vorteilen des modellbasierten Problemlösens zählen Qualitätseffekte und Skaleneffekte. Die Lösung im Modell kann intensiv getestet werden, ohne dass es bei Fehlern in der Lösung zu Auswirkungen auf die Realität kommt. Gleichzeitig können auch mehrere Lösungen zu einem Problem getestet und verglichen werden. Somit lässt sich die Qualität der Lösung weiter steigern. 7.3.1.5 Wiederkehrende Probleme Die entworfene Lösung bleibt als Modell auch nach der konkreten Umsetzung erhalten. Tritt ein ähnliches Problem erneut auf, braucht die modellierte Lösung nur noch angepasst und übernommen zu werden. Somit treten bei der Bearbeitung ähnlicher Probleme Skaleneffekte auf. Vor allem kann die Lösung nun in der Praxis beobachtet und das Lösungsmodell angepasst werden. So sind Lerneffekte in der Lösung enthalten. Für häufig wiederkehrende Probleme existieren Referenzmodelle als Muster für gute Lösungen (Fettke und Loos 2005; Becker und Schütte 2004).

7.3.2 Modellierung von Prozessen 7.3.2.1 Prozessmodell Für die Darstellung von Dienstleistungsprozessen werden Prozessmodelle verwendet. Analog zum allgemeinen Verständnis von Modellen sind Prozessmodelle zweckorientierte Abbildungen von Prozessen, die einer bestimmten Systematik und Darstellungsform folgen. Sie stellen im Wesentlichen die zeitlich-sachlogische Abfolge der Aktivitäten dar (Abb. 7.1). Die Form der Darstellung in Modellen (Abbildungsregeln) wird durch die verwendete Modellierungssprache bestimmt. 7.3.2.2 Modellierungssprache Da die Modellierung von Dienstleistungsprozessen eine sehr gute Grundlage zur Kommunikation darstellt, die aber auch von unterschiedlichen Beteiligten verstanden

7.3  Dokumentation von Dienstleistungsprozessen

221

werden muss, gibt es für unterschiedliche Zwecke unterschiedliche Modellierungssprachen. Die einzelnen Modelle dienen somit nicht nur als Strukturierungs- und Analysemittel, sondern auch als gemeinsame Gesprächsgrundlage für alle Beteiligten. Mithilfe eines gemeinsam genutzten Modells, können so Missverständnisse vorgebeugt oder frühzeitig aufgedeckt werden. Damit auch jeder die Modelle gleich interpretiert, gibt es klare Regelungen, die auch als Modellierungssprachen bekannt sind. In dieser Modellierungssprache sind Symbole und Syntax der Modelle festgelegt. Ziel der Modellierungssprachen ist es, durch eine festgelegte Syntax und mit einem definierten Repertoire an Symbolen die Anwendbarkeit von Modellen zu erhöhen, diese wiederverwendbar zu machen und eine elektronische Bearbeitung zu unterstützen. Die Syntax entsprechen einer Grammatik, also den Regeln, wie die Zeichen angeordnet werden müssen, damit sie Sinn ergeben. Im Gegensatz zur Syntax steht die Semantik. Diese basiert zwar auf einer richtigen Syntax, beinhaltet jedoch die eigentliche Bedeutung der Zeichenfolge.

7.3.3 Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung Prozessmodelle sind das Ergebnis der Prozessmodellierung eines Modellierers. Bei allen Modellierungssprachen kann man feststellen, dass es bestimmte Prinzipien gibt, die immer Sinn machen. Um vor allem bei größeren Modellierungsprojekten mit unterschiedlichen Modellierern eine Vergleichbarkeit der Prozessmodelle sicherzustellen, empfiehlt es sich, einheitliche Modellierungsstandards einzuhalten. So kann die Verifikation der Modelle und die Interoperabilität zwischen den Projektmitgliedern erleichtert werden. Zu diesem Zweck wurden die Grundsätze ordnungsgemäßer Modellierung entwickelt (Becker et al. 1995) (Tab. 7.1).   Die Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung formulieren Richtlinien, die die Sicherstellung der Qualität adressieren. Das hierbei angesetzte Qualitätsverständnis geht über die Betrachtung der syntaktischen Korrektheit der Modelle hinaus und bezieht semantische, repräsentationale, organisatorische und ökonomische Aspekte mit ein (Becker et al. 1995). Die GoM bestehen aus sechs Grundsätzen, die in notwendig und ergänzend eingeteilt sind (Becker und Schütte 2004). Vergleichbar mit den G ­ rundsätzen

Tab. 7.1  Grundsätze ordnungsmäßiger Modellierung. (Quelle: In Anlehnung an Becker et al. 1995) Notwendige Grundsätze

Ergänzende Grundsätze

Grundsatz der Richtigkeit

Grundsatz der Klarheit

Grundsatz der Relevanz

Grundsatz der Vergleichbarkeit

Grundsatz der Wirtschaftlichkeit

Grundsatz des systematischen Aufbaus

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7 Service-Modellierung

ordnungsgemäßer Buchführung, welche die Transparenz in den Büchern über Einnahmen und Ausgaben von Unternehmen sicherstellen, erlauben die GoM eine qualitätsgerechte und vergleichbare Modellierung von Prozessen.

7.3.3.1 Grundsatz der Richtigkeit Der Grundsatz der Richtigkeit umfasst die formale und semantische Richtigkeit eines Modells. Das Modell ist formal richtig, wenn alle Regeln einer Modellierungssprache beachtet und umgesetzt sind. Mit einer fehlerfreien Syntax lässt ein Modell eine konsistente, vollständige und sinnvolle Aussage im Sinne der Modellierungssprache zu. Die formale Richtigkeit kann zweifelsfrei überprüft werden. Die semantische Richtigkeit ergibt sich dagegen aus einer Einigung der Projektbeteiligten. Sind diese sich einig, dass der Sachverhalt durch das Modell zutreffend wiedergegeben wird, kann es als richtig angesehen werden. Es muss also sowohl für den Modellierer als auch für den Modellnutzer die notwendigen Aussagen transportieren. Der Grundsatz der Richtigkeit ist erfüllt, wenn es sowohl im Bezug zum Sachverhalt als auch im Bezug zur Modellierungssprache richtig ist. 7.3.3.2 Grundsatz der Relevanz Der Grundsatz der Relevanz greift eine oben beschriebene Eigenschaft von Modellen auf. Modelle sollen nur Attribute enthalten, die für den Modellierer und Modellnutzer relevant sind. Dafür müssen sich der Modellierer und der Modellnutzer vorher auf die Modellierungsziele einigen. Aus diesen kann der Modellierer das Abstraktionsniveau des Modells festlegen. Um den Grundsatz der Relevanz zu erfüllen, muss ein Modell zwei Kriterien erfüllen. Zum einen muss es alle relevanten Attribute des Originals enthalten. Es dürfen also keine als relevant definierten Attribute der Realität im Modell fehlen. Zum anderen darf das Modell nur Attribute enthalten, die ein entsprechendes Pendant in der Realität haben. Zusätzliche Attribute verletzen, genau wie das Auslassen relevanter Attribute, den Grundsatz der Relevanz. 7.3.3.3 Grundsatz der Wirtschaftlichkeit Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit vervollständigt die notwendigen Grundsätze. Wirtschaftlichkeit bedeutet hierbei, dass die Modellierung im Sinne der ersten beiden Grundsätze sowie die Nutzung der Modelle kosteneffektiv ablaufen sollen. Dafür ist vor allem die Wahl einer geeigneten Modellierungssprache wichtig. Dabei kommt es neben den Sprachkenntnissen des Modellierers vor allem auf die Modellnutzer an. Sie sollen mithilfe der Modelle ihre Ziele effektiv und effizient erreichen können. 7.3.3.4 Grundsatz der Klarheit Die vorstehenden notwendigen Grundsätze werden durch folgende drei ergänzende Grundsätze komplettiert. Der Grundsatz der Klarheit verlangt, dass ein Modell ohne große Schwierigkeiten verständlich ist. Dazu zählen Lesbarkeit und Übersichtlichkeit. Diese werden zum Beispiel erhöht, wenn sich Elemente eines Modells nicht überlappen

7.4  Analyse von Dienstleistungsprozessen

223

und Verbindungen zwischen den Elementen sich nicht kreuzen. Um mehrere Prozessmodelle in einen Zusammenhang zu bringen, können Ordnungsrahmen eingesetzt werden (Meise 2001).

7.3.3.5 Grundsatz der Vergleichbarkeit Der Grundsatz der Vergleichbarkeit verlangt, dass ein gleicher Sachverhalt, der in unterschiedlichen Modellen abgebildet wird, vergleichbare Modelle erzeugen sollte. Die Modelle sollten auch unabhängig von der Modellierungssprache vergleichbar sein. Das wird zum Beispiel dadurch erreicht, dass Elemente mit gleicher Bedeutung in verschiedenen Modellen gleich benannt werden. 7.3.3.6 Grundsatz des systematischen Aufbaus Als abschließender Grundsatz verlangt der Grundsatz des systematischen Aufbaus, dass die Elemente eines Modells logisch angeordnet werden, sodass die Prozesse für den Betrachter schnell zugänglich sind. Die Systematik hängt dabei sehr stark von der Modellierungssprache ab. Zu beachten sind hier allgemeine Standards wie die vorherrschende Leserichtung, aber auch modellspezifische Besonderheiten. 7.3.3.7 Projektspezifische Konkretisierung der GoM Die sechs Grundsätze sind teilweise voneinander abhängig. Oben wurde die Wichtigkeit des prozessualen Charakters einer Dienstleistung erläutert. Ein systematischer Aufbau erhöht zum Beispiel die Klarheit des Prozessmodells. Für die Anwendung der Grundsätze ordnungsgemäßer Modellierung sind diese für ein bestimmtes Projekt und die eingesetzte Modellierungssprache zu konkretisieren. Solche Konventionen steigern dabei die Modellqualität und vermindern den Anpassungsaufwand von Modellen unterschiedlicher Modellierer (Becker et al. 1995).

7.4 Analyse von Dienstleistungsprozessen Jeder Dienstleistungsanbieter möchte mit seinem Portfolio genau das anbieten, was sich seine derzeitigen und potenziellen Kunden wünschen. Doch um sicher zu gehen, dass die Dienstleistung auch die Wünsche der Kunden erfüllt, werden Analyseansätze benötigt, die genutzt werden, um genau das sicherzustellen. Dazu gehören unter anderem auch der Quality-Function-Deployment (QFD)-Ansatz. Dieser analysiert systematisch das eigene Angebot und vergleicht es mit externen Faktoren, um sicherzustellen, dass auch weiterhin das getan wird, was den größten Nutzen verspricht und die Datenqualität bestehen bleibt. Doch mögliche Fehlerquellen bei der Erbringung sowie bei der Zusammensetzung von Dienstleistungen können kritisch für die Zufriedenheit der Kun­den sein. Sowohl als Vorbeugung als auch zur Verbesserung von bestehenden Dienstleistungsprozessen stellen wir die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse ­ (FMEA) vor. Beide Analysemethoden sind wichtig, da die Kosten, einen verärgerten

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7 Service-Modellierung

Kunden wieder gutzustimmen, wesentlich aufwendiger sind, als vorbeugend zu handeln und sicherzustellen, dass die Dienstleistungen qualitativ hochwertig und zeitgerecht bereitgestellt werden. Die Dienstleistungserbringung wird durch den Dienstleistungsprozess bestimmt. Das Ergebnis ist somit in hohem Maße von den Aktivitäten im Dienstleistungsprozess abhängig. Nimmt der Kunde im Produktionsprozess von Sachgütern die Qualität noch mittelbar über das Produkt wahr, ist er im Dienstleistungsprozess unmittelbar in die Leistungserbringung integriert. Fehler können in vielen Fällen nicht nachträglich beseitigt werden. Eine unerwünschte Frisur oder ein verpasster Anschlussflug führen zu Missgunst und mitunter zu hohen Verlusten. Da der Kunde nicht vor dem Konsumieren testen und die Dienstleistung im Zweifel wieder umtauschen kann, ist es für den Dienstleistungserbringer wichtig, viele mögliche Fehler im Vorfeld abzufangen. Dazu findet sich in der VDI-Richtlinie 4003: Zuverlässigkeitsmanagement: eine Reihe von Methoden und Verfahren zur Zuverlässigkeitsanalyse, mit denen die Funktionszuverlässigkeit untersucht und bewertet, Schwachstellen erkannt und gezielt beseitigt werden können. Sie liefern in frühen Planungsphasen Vorhersagen über die zu erwartende Zuverlässigkeit einer Dienstleistung. Mit dem Quality Function Deployment (QFD) und der Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) werden zwei Methoden zur Zuverlässigkeitsanalyse vorgestellt, die bei der Analyse von Dienstleistungsmodellen eingesetzt werden. Die vorgestellten Verfahren werden in den nachfolgenden Abschnitten ausführlich erläutert.

7.4.1 Quality Function Deployment Wie erwähnt, bestimmt der Dienstleistungsprozess die Dienstleistungserbringung. Da die Qualität der Dienstleistung erst beim Erbringen der Dienstleistung vom Kunden wahrgenommen wird, kann man ihm vor der eigentlichen Dienstleistungserbringung nur Versprechen über deren Qualität machen. Als Dienstleistungserbringer liefert man somit in frühen Planungsphasen Vorhersagen über die zu erwartende Zuverlässigkeit einer Dienstleistung. Mit dem Quality Function Deployment (QFD) wird eine Methode zur Zuverlässigkeitsanalyse vorgestellt, die im Bereich von Dienstleistungen eingesetzt wird. Das vorgestellte Verfahren wird in den nachfolgenden Abschnitten ausführlich erläutert. Bereits in sehr frühen Phasen der Dienstleistungsentwicklung kann die Quality Function-Deployment-Methode (QFD) (Akao 2004) eingesetzt werden. Ziel ist die systematische Überführung von Kundenanforderungen in Funktionen der Dienstleistung. Dabei werden die Kundenanforderungen in mehreren Stufen in Zielgrößen (Zuverlässigkeitskenngrößen) für die Dienstleistung übersetzt (Eversheim et al. 2006). Ein QFD-Team sollte aus den Mitarbeitern bestehen, die unmittelbar an den Dienstleistungsprozessen beteiligt sind. Basis des QFD ist das sogenannte House of Quality (Hauser und Clausing 1988).

7.4  Analyse von Dienstleistungsprozessen

225

Dabei handelt es sich um eine Matrix, mit der die Zusammenhänge zwischen kundenorientierten Qualitätsanforderungen auf den Komponenten der Dienstleistung analysiert und visualisiert werden. QFD wird in folgenden Schritten ausgeführt, wobei die entsprechend nummerierten Felder des House of Quality (vgl. Abb. 7.4) nacheinander bearbeitet werden. Als erstes werden die kundenorientierten Qualitätsanforderungen in eine priorisierte Reihenfolge gebracht. Als Beispiel durchgehen wir die QFD anhand des angebotenen Transportservices der DB. Eine Anforderung des Kunden für die Zugfahrt könnte sein, dass er sein Ziel möglichst schnell erreicht. Dabei bietet „schnell“ noch Möglichkeiten zur Interpretation und stellt somit noch keine objektiv messbare Spezifikation dar (Eversheim et al. 2006). Eine weitere Anforderung könnte sein, das Ziel bequem zu erreichen. Diese Anforderung wird mit den anderen Anforderungen, wie einer flexiblen Abfahrtszeit, in Feld 1 des House of Quality eingetragen. In Feld 2 werden die Spezifikation der Dienstleistung, wie Aktivitäten des Dienstleistungsprozesses, Dienstleistungspotenziale und Dienstleistungsergebnisse, eingetragen. Dabei bietet es sich an, direkt die Aktivitäten der Dienstleistungserstellung zu adressieren. So lässt sich deren Einfluss direkt bestimmen. Beispiel: Zu den Aktivitäten gehören bei der Zugfahrt unter anderem: Zug betreten, Zug starten und Fahrkarte kontrollieren.

Abb. 7.4   House of Quality des Quality Function Deployment. (Quelle: in Anlehnung an Robert Schmitt, WZL/FrauenhoferIPT)

226

7 Service-Modellierung

In der Zusammenhangsmatrix im Feld 3 werden die Verknüpfungen zwischen den Anforderungen und den Aktivitäten visualisiert und gewichtet. Häufig wird eine dreistufige Skala genutzt, bei der 9 Punkte für eine starke, 3 Punkte für eine mäßige und 1 Punkt für eine schwache Wechselbeziehung vergeben werden (Eversheim et al. 2006). Lassen sich mehrere Qualitätsanforderungen nicht mit einer Aktivität verknüpfen oder werden unterschiedliche Facetten der Aktivität angesprochen, so ist entweder eine neue Aktivität für die Dienstleistungserbringung zu berücksichtigen oder eine Aktivität in detaillierte Aktivitäten zu verfeinern, bei denen eine Zuordnung möglich ist. Beispiel: Die Verknüpfung zwischen der geforderten schnellen Ankunft und dem Einsteigen kann als hoch interpretiert werden, da der Zugführer erst das Signal zur Abfahrt bekommt, wenn alle Fahrgäste vom Bahnsteig eingestiegen sind. Auch das Starten des Zuges hat, offensichtlich, einen großen Einfluss auf die Ankunftszeit. In Feld 4 werden die Qualitätsanforderungen der Kunden quantifiziert. Dort wird festgehalten welches Qualitätslevel sie erwarten beziehungsweise von Konkurrenten geboten bekommen. So kann ein Verständnis dafür erlangt werden, welche Qualitätslevel möglich sind beziehungsweise geliefert werden sollten. Beispiel: Die Strecke von Hamburg nach München kann neben dem Zug (5 h 41 Min.) ebenfalls mit dem Flugzeug (3 h 10 Min.inkl. Transfer und Check In) oder mit dem Auto (7 h 04 Min.) zurückgelegt werden. In Feld 5 werden die einzelnen Aktivitäten mit den Konkurrenten aus der Sicht des Dienstleistungsanbieters verglichen. Beispiel: So ist die Einstiegsgeschwindigkeit gegenüber dem Flugzeug wesentlich schneller, die Flexibilität des Startes gegenüber dem Auto aber geringer. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Dienstleistungsspezifikationen werden in einer Korrelationsmatrix im Feld 6 erfasst. Dabei können sich Funktionen zur Qualitätsverbesserung positiv wie auch negativ beeinflussen. Die Auswirkung ist bei der Festlegung von Zielwerten zu berücksichtigen. Zur Bestimmung der Bedeutung der Dienstleistungsspezifikationen werden die Korrelationen aus Feld 3 mit den Gewichten aus Feld 1 multipliziert und aufsummiert. Beispiel: Wie oben bereits erwähnt korrelieren das Starten des Zuges und das Einsteigen stark miteinander und könnte somit mit 9 Punkten bewertet werden. Diese Punkte zahlen dann auch auf Feld 7 ein. Dabei ergibt sich im Feld 7 für jede Dienstleistungsspezifikation eine Zahl, welche die Priorität für die weitere Analyse angibt (Eversheim et al. 2006). Im Feld 8 werden, unter Berücksichtigung der Bedeutung der Dienstleistungsfunktionen und der Beziehungen aus Feld 3, Zielwerte festgelegt. Die Erreichung der Zielwerte muss im Dienstleistungsprozess mit entsprechenden Maßnahmen sichergestellt werden.

7.4.2 Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse Aus dem Bereich des Qualitätsmanagements der industriellen Produktherstellung wird an dieser Stelle die Fehlermöglichkeits- und Einflussanalyse (FMEA) für die Analyse von Dienstleistungen näher vorgestellt. Neben zahlreichen Erweiterungen wurde sie auch

7.4  Analyse von Dienstleistungsprozessen

227

bereits für die Analyse von Geschäftsprozessen adaptiert (Goebbels und Jakob 2005) und lässt sich für die Analyse von Dienstleistungsprozessen anwenden (Bullinger und Scheer 2006; Chuang 2007). Sie ist in der DIN EN 60812 festgeschrieben. Ziel der FMEA ist es, Aussagen darüber zu treffen, wie und welche Fehler bei den einzelnen Aktivitäten auftreten können. So sollen bereits im Vorfeld der Dienstleistungserbringung riskante Situationen identifiziert und nach Möglichkeit vermieden werden (Eversheim 1997). Die FMEA kann in mehreren Schritten durchgeführt werden. Als erstes gilt es, mögliche Fehler zu erkennen. Dies geschieht mithilfe des modellierten Dienstleistungsprozesses. Anhand der Prozessdarstellung lassen sich die einzelnen Aktivitäten zur Erbringung der Dienstleistung isoliert und im Zusammenspiel betrachten. Wie im Zusammenhang mit der Dienstleistungsmodellierung schon mehrfach deutlich wurde, sind auch für die FMEA die Aktivitäten des Kunden von großer Bedeutung. Auch diese können Fehler machen, welche sich auf die Erbringung der Dienstleistung auswirken. Findet der Kunde das Kino nicht, ist das nicht unbedingt die Schuld des Kinobetreibers, aber er hat den finanziellen Verlust zu tragen. Somit sollten alle Aktivitäten des Dienstleistungsprozesses in der Analyse mitberücksichtigt werden. Die potenziellen Fehler können in das Prozessmodell eingetragen werden. Nachdem die Fehlermöglichkeiten erkannt wurden, werden diese nach Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet. Die Bewertung erfolgt auf einer Skala von 1 bis 10. Für die Bewertung eignen sich die Mitarbeiter, die direkt mit der Aktivität betraut sind. Für bereits angebotene Dienstleistungen kann die Häufigkeit des Fehlers auch direkt durch Befragung der Kunden oder Auswertung von Beschwerden erfasst werden. Die Kunden spielen somit im Bewertungsprozess eine wichtige Rolle. Für die Ermittlung der Fehlerhaftigkeit bei von Kunden ausgeführten Aktivitäten ist in der Regel die Befragung der Kunden unbedingt notwendig. Im nächsten Schritt ist der Kunde auch wieder zentraler Ansprechpartner. Hier ist einzuschätzen, welche Bedeutung beziehungsweise Folgen ein Fehler hat. Dafür kann der Kunde befragt werden, inwieweit entsprechende Fehler sein Qualitätsurteil beeinträchtigen. Die Bedeutung wird ebenfalls auf einer Skala von 1 bis 10 festgelegt. Das Produkt aus Bedeutung und Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt die Risikoprioritätszahl. Mit deren Hilfe lassen sich die Fehlermöglichkeiten priorisieren. Diese sollten nun auf ihre Ursachen überprüft werden. Im Idealfall lassen sich die Ursachen ganz vermeiden. Wenn das nicht möglich ist, dann sollte mindestens die Eintrittswahrscheinlichkeit so weit wie möglich reduziert werden. Den Kunden, der das Kino nicht findet, kann vielleicht durch Hinweistafeln im Umfeld oder durch eine Anfahrtsbeschreibung im aktuellen Programmheft geholfen werden. Zusätzlich ist es sinnvoll, die Folgen für den Kunden so weit wie möglich zu vermindern. Im Beispiel ist es für den Kunden natürlich ärgerlich, wenn er das Kino nicht findet und deshalb Zeit verschwendet hat. Soll er aber zusätzlich den vollen Ticketpreis zahlen, wie bei der Buchung über das Internet üblich, wird dies die Unzufriedenheit des Kunden erhöhen. Die Übersicht beider Verfahren ist nochmal in der Tab. 7.2 zur Übersicht dargestellt.

228

7 Service-Modellierung

Tab. 7.2  Verfahren zur Zuverlässigkeitsanalyse. (Quelle: Eigene Darstellung) QFD

FMEA

Ziel

Überführung von Qualitätsanforderungen in Funktionen der Dienstleistung

Präventive Vermeidung von Fehlern bei der Dienstleistungserbringung

Anwendung

Zur Analyse und folgenden, detaillierten Planung eines groben Dienstleistungsprozesses

Zur Analyse eines detaillierten Dienstleistungsprozesses

Voraussetzung

Kundenorientierte Qualitätsanforderungen

Detaillierter Dienstleistungsprozess

Vorgehen

Qualitätsanforderungen priorisieren Aktivitäten der Dienstleistung erfassen Beziehungen zwischen Anforderungen und Aktivitäten analysieren Aktivitäten bezüglich Anforderungen anpassen oder neue Aktivitäten integrieren

Mögliche Fehler im Prozess erkennen Eintrittswahrscheinlichkeit bewerten Bedeutung bewerten Risikoprioritätszahl berechnen Lösungsszenarien erarbeiten und umsetzen

Eine automatisierte Methode zur präventiven Vermeidung von Fehlern kann auch durch Predictive Maintenance erreicht werden. Hier wird versucht, durch Data Analytics Systemfehler anhand von statistischer Datenanalyse frühzeitig zu erkennen und somit einem Serviceausfall vorzubeugen.

7.5 Gestaltung von Dienstleistungsprozessen Neben der Dokumentation und der Analyse von Dienstleistungen unterstützen Modelle die Gestaltung von Dienstleistungen. Basierend auf Erfahrungswerten aus der Praxis und im Rahmen von Forschungsaktivitäten wurden Ansätze entwickelt, an denen man sich bei der Gestaltung von Dienstleistungen orientieren kann, um nicht nur potenzielle Risiken zu umgehen, sondern auch gute Praktiken direkt umzusetzen. Dabei wird der Dienstleistungsprozess bestimmt, mit dem die Dienstleistung für den Kunden erbracht wird. Es kann sich um die Verbesserung eines bestehenden Prozesses oder um die Gestaltung einer neuen Dienstleistung handeln. Wichtige Fragen bei der Gestaltung des Prozesses sind die Rolle des Kunden (vgl. Kap. 6) und der Grad der Automatisierung. Modelle werden bei der Gestaltung von Dienstleistungen auf drei Arten eingesetzt. Zum einen kann die Erstellung eines Modells als kreativer Prozess zur Problemlösung angesehen werden. Durch die Modellierung werden das Problem und die Lösung auf das Wesentliche reduziert. Zum anderen entstehen durch die Modellierung dokumentierte Lösungen, die für ähnliche Probleme wieder aufgegriffen werden können. Für häufig wiederkehrende Probleme existieren zudem Referenzmodelle, die besonders gute Lösungen für Probleme oder Klassen von Problemen beschreiben.

7.5  Gestaltung von Dienstleistungsprozessen

229

7.5.1 Referenzmodelle Die Wiederverwendbarkeit spielt in der Prozessmodellierung eine entscheidende Rolle. Referenzmodelle stellen Muster guter Lösungen für häufig auftretende Probleme oder Problemklassen dar. Der Einsatz begründet sich dadurch, dass Probleme, die in der Praxis auftreten, selten völlig neu sind. Ähnliche Dienstleistungsprozesse und Abläufe sind charakteristisch für ganze Unternehmensbranchen. Zum Beispiel gibt es unzählige Friseure in Deutschland, die ähnliche Dienstleistungen anbieten. Das gleiche gilt für Online-Shops im Internet. Sollen diese Dienstleistungen im Rahmen der Gestaltung modelliert werden, bietet es sich an, auf ein sogenanntes Referenzmodell zurückzugreifen. Referenzmodelle stellen idealtypische Modelle für eine Klasse zu modellierender Sachverhalte dar. Ein bekanntes Beispiel ist das SCOR-Modell, das zur Organisation der Supply Chain eingesetzt wird oder das in Kap. 8 vorgestellte ITEG. Ziel ist es, mit einfachen Modifizierungen ein Referenzmodell an den konkreten Sachverhalt anpassen zu können (Fettke und Loos 2005) (Abb. 7.5).   Ein Referenzmodell ist ein für einen ganzen Wirtschaftszweig erstelltes wiederverwendbares Modell, das als Ausgangslösung zur Entwicklung unternehmensspezifischer Modelle dient (vom Brocke und Fettke 2016). Durch den Einsatz von Referenzmodellen ergeben sich folgende Vorteile: Aufgrund der Vorlage können Aufwände für die Modellerstellung eingespart werden, die Modellerstellung wird aufgrund der Wiederverwendung beschleunigt, die Nutzung hochwertiger Referenzmodelle verbessert die Modellqualität und das Risiko, dass das Projekt scheitert, wird minimiert. (Becker und Knackstedt 2004). Vom Brocke (2003) erläutert anhand fünf verschiedener Mechanismen, der Konfiguration, Instanziierung, Aggregation, Spezialisierung und Analogie, wie man Referenzmodelle für bestimmte Zwecke gebrauchen kann. So kann ein Referenzprozess eines bestimmten Dienstleistungstyps, wie zum Beispiel für den Verkauf von Tickets allgemein, mithilfe einer Spezialisierung für einen besonderen Fall angewandt werden, wie zum Beispiel für den Verkauf von Zugtickets oder Bahntickets.

7.5.2 Verbesserung von Dienstleistungsprozessen Prozessmodelle von Dienstleistungsprozessen können genutzt werden, um die Dienstleistung zu verbessern oder neu zu gestalten. Veränderungen im Prozess dienen dabei vor allem der Reduzierung des eigenen Aufwands zur Erbringung der Dienstleistung (Schmelzer und Sesselmann 2008). Die verstärkte Einbindung des Kunden in die Dienstleistung ist eine Möglichkeit. Zum Beispiel kann der Kunde im Kino sein Popcorn selbst in die Tüte abfüllen, sodass der Mitarbeiter nur noch das Geld kassiert. Eine weitere Möglichkeit ist es, Barrieren in den Prozessen abzubauen, welche die Prozesszeiten verlängern.

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7 Service-Modellierung

Abb. 7.5   Anwendung von Referenzmodellen. (Quelle: Vom Brocke 2003)

Zum Beispiel kann ein schnellerer Ticket-Drucker für eine schnellere Bedienung der einzelnen Kunden sorgen und damit die Schlangen vor den Kassen verkürzen. Ein Prozess kann zusätzlich dahingehend verbessert werden, dass er weniger Variationen zulässt. Die Reservierung von Plätzen in einem Kino kann normalerweise vor Ort, per Telefon oder im Internet stattfinden. Werden Reservierungen nur noch per Internet zugelassen, brauchen die anderen Prozesse nicht mehr gepflegt zu werden und der Lernaufwand für neues Personal wird reduziert. Die Auslagerung von nicht wertbringenden Prozessteilen wird im Strategiekapitel behandelt. Ein Beispiel ist hier die Reinigung des Kinosaals. Sie ist zwingend notwendig, trägt aber nicht direkt zum Dienstleistungsergebnis bei und könnte somit gut an ein spezialisiertes Dienstleistungsunternehmen ausgelagert werden. Vollautomatisierung und/oder Orchestrierung von Dienstleistungen erlauben einen großen Effizienzgewinn (Böhmann 2004; Draeger et al. 2008). Eine individuelle Reiseplanung ermöglicht die Wiederverwendung von einzelnen Buchungsoptionen, bei denen ein Kunde sich für eine Bahn-Hotel-Kombination entscheidet, während ein anderer Kunde sich für die Flug-Mietwagen-Hotel-Kombination interessiert. Des Weiteren wird die Kreditkartenzahlung unabhängig von der ausgewählten Dienstleistung ermöglicht und in verschiedenen Dienstleistungen integriert. Viele alltägliche Dinge werden heute im Internet erledigt. Die Suche nach der nächsten Reise, das Konsumieren von Filmen oder das Abwickeln von Bankgeschäften per Online-Banking. Damit diese Dienstleistungen überhaupt angeboten werden können, sind umfangreiche IT-Infrastrukturen und IT-Systeme notwendig. Bei der Suche nach einer Reise zählt heutzutage nicht mehr nur das reine Angebot (Flugzeiten, Unterkunft,

7.6  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung

231

Verpflegung und Umgebung), sondern es wird vermehrt auf Bewertungen durch vorherige Kunden geachtet. Wie haben sie die Reise empfunden? Das Internet bietet hierfür neue Möglichkeiten – einerseits individuelle Such- und Vergleichsmöglichkeiten, andererseits können Kunden selbst Informationen über bereits konsumierte Güter und Dienstleistungen anderen im Netz zur Verfügung stellen, beispielsweise in Form von direkten Kundenbewertungen (vgl. entsprechende Bewertungsportale wie tripadvisor. com). Das Internet ermöglicht es, dass Kundenerfahrungen untereinander ausgetauscht und somit die individuellen Einschätzungen der Service-Qualität beeinflusst werden. Die Menge an und Zugänglichkeit zu ggf. kaufrelevanten Informationen ist im Internet um ein Vielfaches gestiegen. Zu den Dimensionen der Service Qualität gehören sowohl „weiche“ Dimensionen einer Reise, wie z. B. wahrgenommene Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Behaglichkeit oder Sauberkeit, als auch „harte“ Dimensionen, wie Lage, Kinderbetreuung oder Spielplatz. Beim Online-Banking hingegen wird vor allem auf Sicherheit Wert gelegt. Bei Finanztransaktionen sind hohe Sicherheitsstandards zwingend erforderlich, um das Vertrauen der Kunden in die Dienstleistungen, Systeme und Transaktionen zu ermöglichen. Das Internet ermöglicht es, rund um die Uhr den eigenen Kontostatus abzufragen oder Überweisungen durchzuführen. Bei beiden Dienstleistungen bilden IT-Systeme die Basis für das Dienstleistungsangebot über das Internet. Das nächste Kapitel betrachtet Methoden zur Modellierung von Dienstleistungen, bei denen die Interaktionen zwischen Dienstleistungsnehmern und Dienstleistungsanbietern im Vordergrund stehen. Im Anschluss wird auf die Modellierung von IT-Dienstleistungen fokussiert, bei denen insbesondere die Interaktion durch ein IT-System gestützt bzw. unterstützt wird. Hierzu werden vor allem der Bezug zu IT-Systemen und die damit verbundene Kundenkommunikation im Rahmen der Dienstleistungserbringung betrachtet. Dazu zählen nicht nur IT-Dienstleistungen, sondern auch IT-unterstützte Dienstleistungen. Die IT spielt in den genannten Beispielen eine zentrale Rolle. Die Systeme übernehmen bei der Erbringung der Dienstleistung eine wesentliche Aufgabe im Dienstleistungsprozess. Mithilfe der IT werden Aktivitäten teilweise oder ganz automatisiert. Das Internet hat den Markt und damit auch das Angebot von IT-Dienstleistungen deutlich vergrößert. Beispielsweise werden Produkte online gesucht, ausgewählt und gekauft, ohne dass ein Fachverkäufer bei der individuellen Beratung unterstützt. Möglichkeiten der erfolgreichen Gestaltung von Kundenbeziehungen, der Interaktion zwischen Beschäftigten, Unternehmen und Kunden sowie das dazugehörige Schnittstellenmanagement zu IT-Systemen sind zentrale Fragen für die Entwicklung von IT-Dienstleistungen.

7.6 Methoden zur Dienstleistungsmodellierung In diesem Buch werden Dienstleistungsprozesse aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Zum einen geht es um betriebswirtschaftliche Fragestellungen, zum anderen spielt die informationstechnische Umsetzung der Dienstleistungen eine wesentliche

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7 Service-Modellierung

Rolle. Die Modellierung von Dienstleistungen ist für alle Perspektiven anwendbar, verlangt aber nach unterschiedlichen Konzepten und Details, welche die dafür einzusetzende Modellierungssprache leisten können muss. Um einen Dienstleistungsprozess mit Informations- und Kommunikationstechnik ausführbar zu machen, muss dieser ausgehend von der betriebswirtschaftlichen Perspektive transformiert werden.

7.6.1 Ordnungsrahmen für Dienstleistungsmodellierung Für die Übersicht passender Modellierungssprachen wurde ein Ordnungsrahmen entwickelt (vgl. Scheer 2001). Der Ordnungsrahmen (Abb. 7.6) beschreibt dabei unterschiedliche Ebenen zur Umsetzung von Dienstleistungen – oder Teilen davon – in Computersysteme. Eine besondere Herausforderung ist an dieser Stelle die Überführung der Prozesse von einer Ebene zur nächsten, um das betriebswirtschaftliche Problem technisch umzusetzen. Für die Modellierung von Dienstleistungsprozessen können die vier Ebenen: Grobkonzept, Feinkonzept, IT-Konzept und technische Implementierung unterschieden werden. Welche Ebenen für eine bestimmte Dienstleistungsmodellierung notwendig sind, bestimmt sich durch das Ziel der Modellierung. In dem folgenden Kapitel stellen wir das Service Blueprint und die Business Process Model Notation (BPMN) als Modellierungsansätze für das Grobkonzept vor. Im Anschluss präsentieren wir, wie man BPMN auch zum Modellieren des Feinkonzepts anwenden kann.

7.6.1.1 Grobkonzept Auf der ersten Ebene werden grobe Prozesse der Dienstleistungen erstellt. Die entstehenden Prozessmodelle bieten eine schnelle Übersicht über die zugrunde liegende Dienstleistung (vgl. Freund et al. 2010). Sie betrachtet die Dienstleistung aus der

Abb. 7.6   Ordnungsrahmen für Modellierungssprachen zur Dienstleistungsmodellierung. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.6  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung

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betriebswirtschaftlichen Perspektive. Resultierende Modelle werden vor allem zur strategischen Betrachtung von Dienstleistungsprozessen in Unternehmen eingesetzt. Sie können eine einfache Übersicht über das Dienstleistungsportfolio bieten und erlauben das Kombinieren mehrerer Dienstleistungen.

7.6.1.2 Feinkonzept Eine weitere betriebswirtschaftlich-organisatorische Sicht wird im Feinkonzept erfasst. Die Modelle enthalten auf dieser Ebene alle Details, um auf Basis des Prozessmodells eine Dienstleistung zu realisieren. Damit die Modelle eindeutig interpretiert werden können, werden stärker formalisierte Modellierungssprachen eingesetzt. Wo Grob­ konzepte über die Zeit relativ stabil sind, findet sich jede Änderung am Prozess im Feinkonzept wieder. Für eine rein personenbasierte Dienstleistung ist das Feinkonzept die Ablaufanleitung. Handelt es sich um eine IT-gestützte Dienstleistung, sind für eine Umsetzung des Dienstleistungsprozesses jedoch weitere Ebenen nötig. Das Feinkonzept hat dabei die Aufgabe, als Vermittler zwischen den unterschiedlichen Denkweisen der Projektbeteiligten zu vermitteln (Scheer 2001). Es muss sowohl für Fachabteilungen verständlich sein als auch als Arbeitsgrundlage für die IT-Beteiligten dienen können. 7.6.1.3 IT-Konzept Das IT-Konzept ist auf der dritten Ebene die Fortführung des Feinkonzeptes bei der Modellierung IT-gestützter Dienstleistungsprozesse. Es beschreibt zusätzlich zum Ablauf relevante Daten und deren elektronische Verarbeitung (Scheer 2001). Die Verarbeitungsschritte dokumentieren hierbei die relevanten Eingangsdaten, das zu erzielende Ergebnis und die Form der Verarbeitung. Bei einer IT-gestützten Dienstleistung können sich dabei Schritte des Dienstleistungserbringers oder Kunden mit den Schritten der eingesetzten IT-Anwendungen abwechseln. 7.6.1.4 Implementierung Die Implementierung ist die Umsetzung der festgelegten Strukturen und Abläufe von Dienstleistungen in einem Anwendungssystem. Auf dieser Ebene wird die operative IT-Unterstützung im Dienstleistungsprozess bereitgestellt. Es handelt sich um keine Modellierung im klassischen Sinne, da die Prozesse auf dieser Ebene in einem IT-System implementiert und lauffähig sind. Die Ebenen dienen unterschiedlichen Zwecken, die mit der Modellierung verfolgt werden. Bei der Modellierung von Dienstleistungen im IT-Konzept bietet es sich an, mit der Modellierung im Grobkonzept zu beginnen. Durch die schrittweise Verfeinerung der Prozesse mithilfe des Feinkonzepts und des gewünschten IT-Konzepts können Probleme der Modellierung gelöst werden, ohne auf zu viele Details Rücksicht nehmen zu müssen. So wird im Grobkonzept der Umfang der Dienstleistung bereits deutlich definiert. Die Aktivitäten und Abläufe werden dann im Feinkonzept soweit verfeinert, dass der Dienstleistungsprozess allen Beteiligten genug Informationen zur Erbringung der Dienstleistung liefert. Für die IT-Unterstützung werden dann im IT-Konzept an den entsprechenden

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7 Service-Modellierung

Aktivitäten relevante Daten und Verarbeitungsschritte ergänzt. Das IT-Konzept dient in der Folge zur Implementierung der operativen IT-Unterstützung in ein Anwendungssystem. Um einen Dienstleistungsprozess beispielsweise zur strategischen Planung auf eine Ebene mit einfacher Darstellung zu bringen, kann dieser mithilfe der Ebenen Schritt für Schritt abstrahiert werden.

7.6.2 Ausgewählte Konzepte und Methoden Die Dienstleistungsmodellierung verfolgt, wie mit dem Ordnungsrahmen im vorherigen Abschnitt gezeigt, unterschiedliche Ziele und Aufgaben. Für diese Aufgaben wurden unterschiedliche Modellierungssprachen entwickelt. Diese stammen vor allem aus dem Bereich der Geschäftsprozessmodellierung. Der nachfolgende Abschnitt gibt eine Übersicht über verschiedene Methoden zur Dienstleistungsmodellierung, deren Eigenschaften und und die damit verbundenen Anwendungsgebiete. Ihr jeweiliger Einsatzbereich wird mit der Einordnung in den Ordnungsrahmen (Abb. 7.7) deutlich gemacht. Als Ursprung der Modellierung für Dienstleistungen gilt der Service Blueprint (SBP) (Shostack 1984; Zeithaml et al. 2009). Da er keine Symbole und Semantik definiert, handelt es sich beim Service Blueprint nicht direkt um eine Modellierungssprache, sondern um eine Methode zur Visualisierung der Kundenintegrationstiefe in einem Ablaufdiagramm. Die Verantwortungsbereiche der verschiedenen Prozessbeteiligten sind durch Linien grafisch voneinander getrennt. Als Symbole kennt der Service Blueprint in den einfachsten Formen nur Aktivitäten und direkte Verbindungen. Somit sind Modelle einfach zu erstellen und die modellierten Dienstleistungsprozesse sehr anschaulich. Durch die Unterteilung der Aktivitäten nach Prozessbeteiligten benötigen komplexe Prozesse viel Platz, was aber ab einer gewissen Größe für den Modellnutzer verwirrend sein kann. Zudem ist die Notation der Aktivitäten und Verbindungen nicht einheitlich festgelegt. Im Sinne des Ordnungsrahmens eignet sich das Service Blueprint für Grobprozesse auf fachlicher Ebene.

7.6.2.1 EPK Die Ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK) (Keller et al. 1992) ist eine semiformale Modellierungssprache, die vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet ist. Sie wird aufgrund ihrer leichten Verständlichkeit häufig für die IST-Erhebung von Prozessen eingesetzt. EPKs werden durch viele Modellierungswerkzeuge unterstützt. Die erweiterte Ereignisgesteuerte Prozesskette (eEPK) (Scheer 2001) ist dafür ausgelegt, zusätzlich zu den Abläufen der Prozesse auch weitere Elemente wie Attribute der Organisation oder Datenhaltung zu berücksichtigen. Ein Nachteil der EPK ist, dass sie außerhalb des deutschsprachigen Raums wenig verbreitet ist, da eine internationale Standardisierung fehlt. Mit ihr können sowohl Grob- als auch Feinkonzepte erstellt werden.

7.6  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung

235

Abb. 7.7   Modellierungsmethoden im Ordnungsrahmen. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.6.2.2 BPMN Die Business Process Model and Notation (BPMN) (White 2004a) ist ein internationaler Standard zur Prozessmodellierung. Die zweite Version wurde durch die Object Management Group (OMG) im Januar 2011 offiziell verabschiedet. BPMN enthält neben der grafischen Notation für Prozesse auch eine Ausführungssemantik. Sie macht mit BPMN modellierte Prozesse maschinell lesbar und mithilfe einer Process Engine ausführbar (Allweyer 2009; Freund et al. 2010). Somit lässt sich die BPMN neben dem Einsatz für Fein- und Grobkonzepte ebenfalls für IT-Konzepte anwenden. Aufgrund der internationalen Standardisierung und dadurch wachsenden Verbreitung der BPMN ist ihr innerhalb dieses Kapitels ein eigener Abschnitt gewidmet. 7.6.2.3 UML Die Unified Modeling Language (UML) (Booch et al. 1999) ist eine ebenfalls durch die OMG standardisierte Modellierungssprache für die Spezifikation von IT-Systemen. Die UML umfasst vierzehn Diagrammtypen, von denen sich sieben Verhaltensdiagramme zur Modellierung von Prozessen eignen. Diese sind jeweils sehr spezialisiert. Durch ihren Ursprung zur Spezifikation von Softwaresystemen eignet sich UML für das IT-Konzept, aber auch zur Modellierung im Feinkonzept. 7.6.2.4 Petri-Netze Einen einfachen Grundansatz mit einer übersichtlichen Anzahl an Grundelementen und wenigen, einfachen Prinzipien bieten die Petri-Netze. Die Prinzipien wurden vom Informatiker Carl Adam Petri in den 1960er Jahren entwickelt (Petri 1962). Die Tatsache,

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7 Service-Modellierung

dass sich Petri-Netze zur Modellierung und Simulation diskreter Zustandsübergänge eignen, ließ sie zur Grundlage vieler neuer Petri-Netz-Varianten werden. Sie gelten heute noch als Maßstab für Qualität und Ausdrucksmächtigkeit von Modellen (Girault und Valk 2003). Der Nachteil ist, dass Petri-Netze für reale Sachverhalte schnell komplex und somit schwer verständlich werden. Im Ordnungsrahmen können sie für das Feinkonzept und durch ihre Ausführbarkeit auch teilweise für das IT-Konzept verwendet werden.

7.6.2.5 USDL Die Unified Service Description Language (USDL) (Cardoso et al. 2009) ist eine plattformneutrale Dienstbeschreibungssprache. Im Rahmen des Forschungsprojektes Internet der Dienste ist die USDL entwickelt worden. Die USDL kann für unterschiedliche Dienstleistungen eingesetzt werden, insb. für die Modellierung von IT-Dienstleistungen, da sie sowohl IT- als auch betriebswirtschaftliche Aspekte abdeckt. Im Ordnungsrahmen kann sie für das IT-Konzept verwendet werden. 7.6.2.6 BPEL Die Business Process Execution Language (BPEL) ist Bestandteil der Gruppe der Webservice Spezifikationen (WS-*Spezifikationen). Die WS-*Spezifikationen umfassen unter anderem WS-Security, WS-Policy oder WS-Notification. Mit Webservices werden heterogene Systeme lose gekoppelt. Mithilfe von BPEL wird die Orchestrierung (wann was gebraucht wird) von lose gekoppelten Webservices zu einem komplexeren Dienst ermöglicht. Die aktuelle Version der BPEL ist Version 2.0 und kann im Ordnungsrahmen für das IT-Konzept verwendet werden. 7.6.2.7 XPDL Die XML Process Description Language (XPDL) ist ein Standard der Workflow Management Coalition (WfMC) und beschreibt ein Datenformat für ausführbare Prozessmodelle, das den Austausch dieser Modelle zwischen verschiedenen Werkzeugen ermöglichen soll. Die Entwicklung der XPDL ist eng mit jener der BPMN gekoppelt. Während BPMN eine standardisierte grafische Notation für Prozessmodelle bietet, stellt XPDL ein geeignetes Datenformat zur Speicherung und Übertragung dieser Prozessmodelle dar. Im Ordnungsrahmen kann XPDL für das IT-Konzept verwendet werden. In den beiden Bereichen Modellierung und Ausführung von Prozessen bietet die XPDL die Möglichkeit einer sauberen Trennung zwischen Entwicklung- und Ausführungsumgebung. Sie erlaubt damit die Nutzung von unterschiedlichen Werkzeugkombinationen aus beiden Bereichen. 7.6.2.8 BPMS Die Process Engine stellt nur den Ausführungsteil von Prozessen dar. Um die Prozesse zu erstellen, wird eine Modellierungsumgebung benötigt. In der Modellierungsumgebung werden die Prozesse aus Sicht der Fachabteilungen modelliert, wobei der

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

237

Bezug zur IT noch nicht gegeben ist. Dieser wird erst im Anschluss an das Feinmodell im IT-Konzept hinzugefügt. Des Weiteren wird noch eine Auswertungsmöglichkeit gebraucht, das Benchmarking. Übersichtliche Darstellungen stellen den aktuellen Status von laufenden und abgeschlossenen Prozessen dar. Abhängig von einzelnen Laufzeiten können Rahmenparameter definiert werden, bei denen Warnmeldungen ausgegeben werden. Das Konglomerat von Modellierungsumgebung, Process Engine, IT-Diensten und Benchmarking muss aufeinander abgestimmt sein. Sie werden innerhalb einer Business Process Management Suite (BPMS) gebündelt und angeboten. Wie der Überblick zeigt, haben die Modellierungssprachen unterschiedliche Vorund Nachteile bei der Dienstleistungsmodellierung. Die Auswahl und Einordnung der Methoden und Konzepte fasst die subjektive Sicht auf die Eigenschaften von Modellierungssprachen – aus der langjährigen Erfahrung des Autors in der Dienstleistungsmodellierung – zusammen.

7.7 Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept 7.7.1 Service Blueprint-Ansätze als Grobkonzept Die Methode des Service Blueprint wurde 1984 zur Beschreibung von Dienstleistungsprozessen vorgestellt (Shostack 1984) und in den nachfolgenden Jahren weiterentwickelt. Sie ist zum Ausgleich des Mangels an systematischen Methoden zur Dienstleistungsentwicklung eingeführt worden. Die Innovation war die Einbindung der Kunden und deren Sicht des Prozesses. Das entspricht im Besonderen dem definitorischen Merkmal der Integration des Kunden in die Leistungserbringung. Um Dienstleistungen mithilfe des Service Blueprints darzustellen, werden sie in ihre einzelnen Aktivitäten unterteilt und chronologisch sortiert. Für Aktivitäten gibt es keine einheitliche Notation im Service Blueprint. Theoretisch können die Prozesse innerhalb des Service Blueprint mit beliebigen Modellierungssprachen erstellt werden.

7.7.1.1 Klassischer SBP Für den klassischen Service Blueprint werden häufig einfache Rechtecke als Symbol für Aktivitäten verwendet, die mit Pfeilen verbunden sind, um den systematischen Ablauf der Prozesse zu verdeutlichen. Die Abfolge der Aktivitäten bildet nur einen Teilaspekt des Service Blueprint. Wesentlich ist die Unterscheidung verschiedener Ebenen. Die Ebenen geben an, inwieweit der Kunde in die betroffene Aktivität integriert ist. Im Modell werden die Ebenen durch Linien voneinander getrennt. Seit der Einführung des Service Blueprints wurden verschiedene Linien vorgeschlagen, die neue Ebenen voneinander abgrenzen (Abb. 7.8). Diese sind – abhängig vom Verwendungszweck der Modellierung – sinnvoll und somit optional. Da einheitliche, deutsche Bezeichnungen für die Ebenen und Linien

238

7 Service-Modellierung

fehlen, verwenden wir im Folgenden die originalen englischen Begriffe. Zusätzlich sollte vermerkt sein, dass in der Praxis zur Vereinfachung des Modells auch nur die Line of Interaction, Line of Visibility und Line of Internal Interaction ausreichend sind. 7.7.1.1.1 Line of Interaction Die Unterscheidung von Kundenaktivitäten und Anbieteraktivitäten war bei der Einführung des Service Blueprints in den 80er Jahren ein wichtiger Schritt im Bereich der Dienstleistungsentwicklung. Die Trennung verdeutlicht, dass im Rahmen der Dienstleistungserbringung der Kunde in den Prozess integriert ist. Die beiden Ebenen werden durch die Line of Interaction voneinander abgegrenzt (Shostack 1984). Die Aktivitäten werden den entsprechenden Ebenen so zugeordnet, dass Aktivitäten des Kunden und Aktivitäten des Anbieters optisch voneinander getrennt sind. Dadurch entsteht neben der Sicht des Anbieters auch die Sicht des Kunden auf den Prozess. Zudem wird neben der Kundenmitwirkung die Interaktion beider Parteien deutlich. Als einfaches Beispiel soll hier der Kinobesuch dienen. Der Kunde entscheidet sich für einen Film. Die passenden Eintrittskarten werden ihm vom Kinobetreiber verkauft. Anschließend muss der Kunde sich selbstständig zum richtigen Kinosaal begeben. Hat er Platz genommen, startet der Anbieter den Film. Am Ende verlässt der Kunde das Kino wieder. Hier wird deutlich, dass die Dienstleistung Kinobesuch weder ohne Aktivitäten des Anbieters (Film starten), noch ohne Aktivitäten des Kunden (Kinosaal aufsuchen) stattfindet. 7.7.1.1.2 Line of  Visibility Die Line of Visibility trennt die für den Kunden sichtbaren Anbieteraktivitäten von den unternehmensinternen, unsichtbaren Aktivitäten im Hintergrund (Kingman-Brundage 1989). Hier wird deutlich, dass nicht alle Aktivitäten vom Kunden wahrgenommen werden. Zum Beispiel werden beim Abspielen eines Films in traditionellen Kinos Filmrollen

Abb. 7.8   Linien und Ebenen im Service Blueprint. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

239

benötigt, die während des Films gewechselt werden müssen. Dazu wird unterbrechungsfrei zwischen zwei Projektoren umgeschaltet. Der Kinobesucher bemerkt vom Vorgang im Idealfall nichts. Diese Backstage-Aktivität liegt also außerhalb seiner Wahrnehmung. 7.7.1.1.3 Line of Internal Interaction Von den für Kunden nicht sichtbaren, primären Backstage-Aktivitäten können zudem sekundäre Support-Aktivitäten abgegrenzt werden. Verglichen mit dem Kundenkontakt und den damit verbundenen primären Backstage-Aktivitäten werden die Support-Aktivitäten von anderen Mitarbeitern ausgeführt. Die hier notwendige interne Interaktion zwischen den Mitarbeitern wird durch die Line of Internal Interaction verdeutlicht. Zum Beispiel kann die Reinigung des Kinosaals nach dem Film von speziellen Fachkräften vollzogen werden. Diese müssen entsprechend informiert werden, welche Kinosäle sie zu welchem Zeitpunkt reinigen sollen. 7.7.1.1.4 Line of Order Penetration Support-Aktivitäten, die speziell für einen Kunden ausgeführt werden, werden durch die Line of Order Penetration (Fließ und Kleinaltenkamp 2004) von kundenunabhängigen Aktivitäten getrennt. Alle unmittelbar kundeninduzierten Aktivitäten befinden sich oberhalb der auch als Vorplanungslinie bezeichneten Abgrenzung. Unterhalb befinden sich die sogenannten Potenzialaktivitäten. Sie können unabhängig von einem konkreten Kunden vordisponiert werden. Wird die angesprochene Reinigung des Kinosaals nur nötig, wenn auch wirklich ein Kunde im Kino anwesend war, so gibt es Aktivitäten, die unabhängig davon ausgeführt werden müssen. Zum Beispiel muss der Kinobetreiber bereits im Vorfeld die Filmrollen vom Verleiher beschaffen, wenn er diesen Film in seinem Programm anbieten will. 7.7.1.1.5 Line of Implementation Die Potenzialaktivitäten können wiederum unterteilt werden. Dafür trennt die Line of Implementation (Kingman-Brundage 1989) die Preparation-Aktivitäten von den Facility-Aktivitäten. Die Preparation-Aktivitäten oberhalb dieser Linie dienen dazu, den konkreten Leistungserbringungsprozess vorzubereiten. Die Facility-Aktivitäten sind diesen Aktivitäten vorgelagert. Hierbei geht es um die Beschaffung von Potenzial- und Verbrauchsfaktoren. Hierzu zählt zum Beispiel die Anschaffung eines neuen Projektors.

7.7.1.2 Information Service Blueprint Über die Jahre entstanden verschiedene Weiterentwicklungen und Anpassungen des SBP. Der Information Service Blueprint ist eine davon, dessen Vorteile u. A. darin bestehen, dass explizit der Bereitstellungsprozess der Dienstleistung intuitiv nachvollziehbar dargestellt wird (Shostack 1984). Zusätzlich war der klassische Service Blueprint sehr ­flexibel und konnte somit an verschiedene Dienstleistungstypen angepasst werden. Hierfür wurden Service Blueprint Frameworks als Referenzmodelle entwickelt. Im Unterschied zum BPMN werden Service Blueprint Frameworks eingesetzt, um die

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7 Service-Modellierung

­ undenzentriertheit der Dienstleistung zu unterstreichen. Im folgenden Kapitel stellen K wir exemplarisch ein Referenzmodell für informationsintensive Dienstleistungen vor, welches den Vorteil hat, verschiedene Softwaresysteme und die gesamte Dienstleistungserbringung holistischer darstellen zu können (Lim und Kim 2014). Informationsintensive Dienstleistungen sind Dienstleistungen, die darauf beruhen, dass der größte Mehrwert für den Kunden durch die Bereitstellung von Informationen erfolgt. Ein anschauliches Beispiel sind Apps, mit denen man neue Sprachen erlernen kann, mobile Navigations-Apps, die einem Nutzer von einem Standort zu einem Zielstandort führen oder Fitness-Wearables die Informationen über den Nutzer sammeln, diese in einer entsprechenden Applikation auswerten und dem Nutzer wieder zur Verfügung stellen. Jede dieser Apps bietet somit Dienstleistungen an. Um das Dienstleistungssystem, das zur Erbringung der Dienstleistungen nötig ist, zu strukturieren, kann der Information Service Blueprint herangezogen werden. Der Blueprint besteht aus sieben Zeilen: Customer Actions (Zeile 1), Information (Zeile 2), das Information Delivery System unterteilt in ICT Systems (Zeile 3) und Roles of Employees (Zeile 4) das Information Production System, ebenfalls – jedoch in umgekehrter Reihenfolge – unterteilt in Roles of Employees (Zeile 5) und ICT Systems (Zeile 6) sowie Partners (Zeile 7). Die oberste Zeile repräsentiert die Kundenaktivitäten (vgl. Abb. 7.9). Die zweite Zeile zeigt den Informationsinhalt. Die vier Zeilen der Information Production und Delivery Systems repräsentieren die Rollen des Mitarbeiters und der Informations- und Kommunikationssysteme, die für die Erstellung und Bereitstellung der Information benötigt werden. Die letzte Zeile beinhaltet die Partner des benötigten Anbieternetzwerks. Somit sind alle benötigten Akteure für die Bereitstellung eines informationsintensiven Dienstleistungssystems gegeben. In unserem Beispiel ist nur ein externer Anbieter für die Infrastruktur der Webseite zuständig. Nachdem die Kundenaktivitäten und die Anbieteraktivitäten visualisiert werden, müssen die Dienstleistungsphasen gefunden werden, um die Kundenaktivitäten zu strukturieren. Für die Erbringung der E-Learning-Dienstleistung sind folgende Phasen geeignet: Define, Prepare, Confirm, Execute, Monitor, Modify und Conclude (vgl. Abb. 7.9.). In der Abbildung ist anhand des Beispiels eines Online-Kurses die gesamte Dienstleistung inkl. ihrer Komponenten für den Kunden, also für den Lernenden, abgebildet. Dies umfasst die Erinnerungsmail am Kurs teilzunehmen, die Lehrinhalte anzuschauen, die Lerneinheiten auszuwählen, die Übungsaufgaben zu lösen, bis hin zum Feedback geben und sich aus dem Online-System auszuloggen. Zusätzlich werden im nächsten Schritt alle zusätzlich benötigten Aktivitäten modelliert. Durch die Strukturierung der gesamten Dienstleistung werden die qualitätsentscheidenden Interaktionsmöglichkeiten und Interdependenzen offengelegt. Da das Modell Information Service Blueprint ein Referenzmodell ist, kann das Grundkonzept auf unterschiedliche Anwendungsfälle angepasst werden. In Abb. 7.10. wird das oben vorstellte Referenzmodell jeweils an den Kontext angepasst (vom Brocke 2003). Was als Customization dargestellt wird, sind drei Beispiele, wie der Information Service Blueprint angewendet werden kann. Man kann sich der ­Kernstrukturen des Blueprints bedienen und je nach Bedarf entsprechend anpassen.

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

241

Abb. 7.9   Information Service Blueprint für ein E-Learning-Szenario. (Quelle: Lim und Kim 2014)

Abb. 7.10    Anpassung des Information Service Blueprint-Referenzmodells durch Analogie. (Quelle: Lim und Kim 2014)

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7 Service-Modellierung

Der ­Information Service Blueprint zeigt, wie anpassbar der Service Blueprint in der Praxis angewendet werden kann. Es kommt nicht darauf an, dass man sich rigide an die vorgegebenen Strukturen oder Lines of Interaction hält, sondern, dass man mithilfe des Modellierungsansatzes ein Artefakt zur Kommunikation und Interaktion hat, um die Komplexität eines Dienstleistungssystems zu reduzieren und leichter benutzbar zu machen.

7.7.2 Business Process Model and Notation Business Process Model and Notation (BPMN) ist ein internationaler Standard zur Prozessmodellierung. Die zweite Version wurde durch die Object Management Group (OMG) im Januar 2011 offiziell verabschiedet. BPMN enthält neben der grafischen Notation für Prozesse auch ein Metamodell samt Ausführungssemantik. Den Kern von BPMN bilden sequenzielle Abläufe von Prozessen, Ereignisse, Aktivitäten und Nachrichten. In Form von Diagrammen dargestellt, kann der Modellierer sowohl auf einem hohen Abstraktionsniveau des Grobkonzeptes als auch auf dem sehr detaillierten Niveau der Feinkonzepte Prozessmodelle formulieren. Die BPMN wird auf der Detailebene als Prozessnotation sowohl von Business-Spezialisten als auch IT-Spezialisten vermehrt eingesetzt. Dabei werden detaillierte Prozessmodelle als Grundlage zur systematischen Ausführung von Prozessen verwendet (Meis et al. 2010). In den folgenden Abschnitten wird die Notation der BPMN vorgestellt. Dabei wird zuerst gezeigt, wie Grobkonzepte mit einfachen Schritten und wenigen Symbolen dargestellt werden können. Der zweite Abschnitt erweitert die Symbolpalette, um Prozessmodelle auf der Ebene der Feinkonzepte zu gestalten. Die nötige Notation, die zur Modellierung von IT-Konzepten notwendig ist, wird ebenfalls behandelt. Der Ordnungsrahmen zur Dienstleistungsmodellierung macht deutlich, dass bei der Modellierung von Dienstleistungen ein Vorgehen von einer Ebene zur nächsten üblich ist. Somit steht dem Modellierer vor der Modellierung des Feinkonzeptes ein Grobkonzept zur Verfügung. Hier liegt es nahe, das Grobkonzept zu nutzen und zu verfeinern. Leider werden unter Berücksichtigung der Zielgruppe im Grobkonzept formale Regeln der Übersichtlichkeit geopfert, sodass die Modelle semantische Widersprüche besitzen. Eine direkte Verfeinerung ist damit nicht möglich und es wird empfohlen, das Feinkonzept in Anlehnung an das Grobkonzept von Grund auf neu zu entwerfen (Freund et al. 2010). Die Prozesse im Feinkonzept müssen demnach völlig neu nach den Regeln der BPMN modelliert werden, wobei natürlich das Grobkonzept als Hilfestellung dienen sollte. Dabei ist der Aufwand bei der Erstellung eines Feinkonzepts wesentlich höher als bei der Erstellung eines Grobkonzepts. Im Gegensatz zu diesem ziehen Änderungen im Prozess sofort Änderungen in der Modellierung des Feinkonzeptes nach sich. Das Grobkonzept bleibt davon häufig unberührt.

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

243

Die Möglichkeit, der BPMN Grobkonzept und Feinkonzept jeweils mit der Hilfe der gleichen Modellierungssprache zu gestalten, erweist sich in der Praxis als großer ­Vorteil. Zum einen brauchen Modellierer und Modellnutzer nur einen Regelsatz mit den zugehörigen Symbolen zu kennen, zum anderen sind die unterschiedlichen Prozesse einfacher vergleichbar. Gleichzeitig ist die Verwendung eines Werkzeuges für unterschiedliche Konzepte kosteneffizient.

7.7.2.1 BPMN-Grobkonzept Prozessmodelle auf der Ebene des Grobkonzepts beschreiben die Abläufe der Dienstleistungen so kompakt wie möglich. Der Modellnutzer wird dadurch befähigt, die Dienstleistung auf einen Blick zu erfassen und man hat eine Kommunikationsbasis, über diese unterschiedlichen Stakeholder sich fachlich austauschen können. Typische Modellnutzer sind hier die Führungskräfte in Unternehmen. Die Prozesse müssen somit ohne Vorkenntnisse in BPMN nachvollziehbar sein. Die formale Richtigkeit kann dabei für eine bessere Übersichtlichkeit verletzt werden. Somit müssen entsprechend Modelle des Grobkonzepts nicht vollständig mit den Spezifikationen der OMG übereinstimmen. Die Nutzung der Elemente der BPMN erleichtert aber die Weiterverarbeitung. Neben der leichten Verständlichkeit gibt es weitere Anforderungen für das Grobkonzept. Dazu gehört, dass der Kunde als wichtigster Teil im Dienstleistungsprozess modelliert und somit deutlich sichtbar werden sollte. 7.7.2.1.1 Symbolpalette BPMN unterscheidet bei den Symbolen die fünf Kategorien Flussobjekte, Teilnehmer, Verbinder, Datenobjekte und Artefakte. Flussobjekte bilden die Knoten im Prozessmodell, die durch die Verbinder miteinander verbunden werden. Mit sogenannten Pools und Lanes können Ressourcen und Prozessbeteiligte voneinander unterschieden werden. Andere Symbole fallen in die Kategorie der Artefakte, von denen die Datenobjekte in der zweiten BPMN-Version eine eigene Kategorie erhalten haben. Sie sind die im Prozess bearbeiteten Artefakte. Für Prozesse auf einem hohen Abstraktionsgrad werden nur wenige Symbole benötigt. Die nötigen Symbole der BPMN werden in diesem Abschnitt vorgestellt. Es ist im Endeffekt aber dem Modellierer überlassen, welche er verwendet und ob zusätzliche Symbole für den jeweiligen Zweck nötig sind. 7.7.2.1.2 Aktivitäten In der Kategorie der Flussobjekte stehen Aktivitäten, Ereignisse und Gateways zur Verfügung. Eine Aktivität repräsentiert eine Tätigkeit oder einen Arbeitsschritt im Dienstleistungsprozess. Eine elementare Aktivität wird als Aufgabe bezeichnet. Diese werden als Rechteck mit abgerundeten Ecken dargestellt. Verbergen sich mehre Aufgaben hinter einer Aktivität, kann sie als Teilprozess dargestellt werden. Die Notation unterscheidet

244

7 Service-Modellierung

Abb. 7.11   BPMN-Aktivitäten für das Grobkonzept

sich durch ein +-Symbol (Abb. 7.11). Die Bezeichnung der Aktivitäten ist nicht fest geregelt. Es empfiehlt sich aber, für Aufgaben die Kombination von Substantiv und Verb zu verwenden, bei Teilprozessen hingegen mit Substantivierungen zu arbeiten (Freund et al. 2010). 7.7.2.1.3 Ereignisse Ereignisse sind Flussobjekte, die während einer Dienstleistung auftreten. Das ist zum Beispiel das Eintreffen einer Nachricht oder das Erreichen einer bestimmten Uhrzeit. Ereignisse werden mit einem Kreis dargestellt. Bei den Ereignissen werden Start-, Zwischen- und Endereignisse unterschieden. Startereignisse stehen am Anfang des Prozesses, Endereignisse an dessen Ende. Der Rahmen eines Endereignisses ist in der Darstellung wesentlich stärker als die Linie des Startereignisses. Die erwähnten Nachrichten oder Zeiten können in den Ereignissen durch einen Briefumschlag oder eine Uhr verdeutlicht werden. Dabei stehen leere Umschläge für eingehende und gefüllte Umschläge für ausgehende Nachrichten. Andere, für den Prozess als notwendig betrachtete Rahmenbedingungen, die unabhängig vom Prozess erfüllt werden müssen, können durch Bedingungen dargestellt werden. Da sich hinter einer Bedingung verschiedene Rahmenbedingungen verbergen können, ist eine deutliche Bezeichnung hier zwingend notwendig. Zeit und Bedingungen können nur als Start- oder Zwischenereignis auftreten. Zwischenereignisse eignen sich dabei zur Markierung eines Status innerhalb des Prozesses (Abb. 7.12).

Abb. 7.12   BPMN-Ereignisse für das Grobkonzept

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

245

Abb. 7.13   BPMN Gateways für das Grobkonzept

7.7.2.1.4 Gateways Gateways stellen Entscheidungspunkte dar. Sie werden in der BPMN mit einer Raute gekennzeichnet. Die Art des Gateways wird durch das innerhalb der Raute verwendete Symbol bestimmt. Ein + bedeutet, dass parallel alle der abgehenden Teilprozesse gleichzeitig gestartet werden. Ist das Gateway leer oder enthält ein x, wird exklusiv genau einer der abgehenden Teilprozesse aktiv (Abb. 7.13). Bei der Zusammenführung wird beim exklusiven Gateway auf einen eingehenden Teilprozess gewartet, beim parallelen Gateway auf alle. 7.7.2.1.5 Teilnehmer In BPMN werden verschieden Prozessbeteiligte oder Ressourcen durch Lanes voneinander getrennt. Sie werden im Modell als Bahnen dargestellt (Abb. 7.14). Als einfaches Beispiel bietet sich bei einer Dienstleistung die Unterscheidung von Kunde und Anbieter an. Die Aktivitäten des Kunden werden, ähnlich wie beim Service Blueprint, in einer Lane modelliert, die Aktivitäten des Anbieters in einer anderen. 7.7.2.1.6 Verbinder Mit der Hilfe des Sequenzflusses werden die unterschiedlichen Flussobjekte zu Prozessen verknüpft. Sie werden als Pfeil dargestellt (Abb. 7.14.) und gehören zu den Verbindern. Das Beispiel in Abb. 7.15 zeigt den Dienstleistungsprozess des Kinobesuchs. Die Aktivitäten sind dabei nach Kunde und Anbieter getrennt. 7.7.2.1.7 Datenobjekte und Artefakte Wenn es sich als sinnvoll erweist, kann mit Hilfe von Datenobjekten die Art der Kommunikation verdeutlicht werden. Diese bestehen aus einem Datei-Symbol und sollten aussagekräftig beschriftet werden. Als Artefakt kann für Grobprozesse die Textanmerkung genutzt werden.

Abb. 7.14   BPMN Lane und Sequenzfluss

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7 Service-Modellierung

Abb. 7.15   Der Kinobesuch im Grobkonzept mit BPMN. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.7.2.2 BPMN-Feinkonzept Auf der Ebene der Feinprozesse kommt die ganze Vielfalt von BPMN zum Tragen. Die im Zusammenhang mit dem Grobkonzept vorgestellten Symbole und Regeln stellen nur einen Bruchteil des Sprachumfangs der BPMN dar. Die eingeführte Beschränkung aufgrund der Zielgruppe ist auf der Ebene des Feinkonzepts nicht mehr nötig. Das heißt natürlich nicht, dass der in den GoM definierte Grundsatz der Relevanz hier nichtig wäre. Dieser spielt im Gegenteil im Feinkonzept eine viel wichtigere Rolle. Wurde im Grobkonzept noch eine Auswahl empfohlen, muss der Modellierer hier selbst entscheiden, welche Symbole und Semantik für den Modellnutzer nützlich sind. Prozesse des Feinkonzepts werden für unterschiedliche Zwecke eingesetzt. Zum einen dienen sie als Ablaufbeschreibung und Arbeitsanleitung zur Dienstleistungserbringung und zum anderen sind sie Grundlage für die Gestaltung und Verbesserungen des Dienstleistungsprozesses. Für IT-gestützte Dienstleistungen ist das Feinkonzept die Schnittstelle zwischen IT- und Fachbeteiligten. Dementsprechend ist das Feinkonzept von großer Bedeutung für die Wirtschaftsinformatik als Vermittler zwischen betriebswirtschaftlichen Fragestellungen und IT-basierter Umsetzung. Im Rahmen dieses Lehrbuchs können nicht alle Konzepte und Symbole der BPMN vorgestellt werden. Im Folgenden werden die im Grobkonzept verwendeten Symbole erweitert, sodass Dienstleistungsprozesse vollständig und korrekt modelliert werden können. Für den gesamten Umfang der BPMN sei auf Freund et al. (2010) oder Allweyer (2009) verwiesen.

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

247

Abb. 7.16   BPMN-Aktivitäten für das Feinkonzept

7.7.2.2.1 Markierung von Aktivitäten Die Aktivitäten in der Kategorie der Flussobjekte können weiter differenziert werden. Für Aktivitäten gibt es definierte Markierungen (Abb. 7.16). Ein kreisrunder Pfeil markiert eine Schleife. Schleifen werden so lange ausgeführt, bis die definierte Bedingung gilt. Zum Beispiel schlägt der Ticketverkäufer dem Kunden so lange frei Plätze vor, bis dieser einen Platz akzeptiert. Die Bedingung kann als Anmerkung an die Aktivität gehängt werden. Eine parallele Mehrfachausführung wird durch drei senkrechte Balken gekennzeichnet. Es bedeutet, dass die Aktivität gleichzeitig von mehreren Teilnehmern ausgeführt wird. Im Kino sehen zum Beispiel alle Kunden den Film gleichzeitig. Als letzte Markierung wird hier die Tilde vorgestellt. Sie kennzeichnet Ad-Hoc-Aktivitäten. Die Ad-Hoc-Markierung ist vor allem bei Teilprozessen sinnvoll, bei denen die Reihenfolge der Aufgaben vorher unbekannt ist. Beispiel sind hier kreative oder wissensintensive Aktivitäten, bei denen die Beteiligten situativ entscheiden, welche Aufgaben ausgeführt werden müssen. 7.7.2.2.2 Aufgaben-Typen Neben den Markierungen existieren spezielle Typen, die den Charakter einer Aufgabe beschreiben. Sie gelten nicht für Teilprozesse. Mit dem Symbol einer Hand wird eine manuelle Aufgabe gekennzeichnet, die explizit ohne IT-Unterstützung stattfindet. Im Kino ist das zum Beispiel die Reinigung der Sitzreihen. Wird eine Aufgabe hingegen mit IT-Unterstützung von einer Person ausgeführt, wird diese als Benutzer mit einem Menschensymbol gekennzeichnet. Als Service Aufgabe mit zwei überlappenden Zahnrädern werden Aufgaben markiert, die entweder von einem Web Service oder anderen automatisierten Anwendungen durchgeführt werden. Reserviert der Kunde zum Beispiel einen Platz über das Internet, wird die Anfrage ohne Einbeziehung eines Mitarbeiters von der Web-Anwendung entgegengenommen und verarbeitet (Abb. 7.17).

248

7 Service-Modellierung

Abb. 7.17   Aufgaben-Typen im BPMN

Abb. 7.18   BPMN-Ereignisse für das Feinkonzept

7.7.2.2.3 Ereignisse Unterschiedliche Ereignisse wurden bereits im Rahmen des Grobkonzepts eingeführt. Diese sollen an dieser Stelle nur um einige wenige erweitert werden (Abb. 7.18). Signale sind vergleichbar mit Nachrichten. Der Unterschied besteht darin, dass Nachrichten direkt einem Empfänger zugeordnet werden. Signale, die mit einem Dreieck gekennzeichnet sind, können dagegen von unterschiedlichen Empfängern aufgenommen werden. Die Anzeige im Kino zum Beispiel, die den aktuellen Film ankündigt, ist nicht adressatenspezifisch. Jeder Interessierte kann auf das Signal reagieren. Zur Vereinfachung der Modellierung gibt es Link Ereignisse. Sie bestehen paarweise aus einem ausgefüllten Pfeil, der den Prozess unterbricht, und einem leeren Pfeil, der den Prozess wiederaufnimmt. Diese treten nur als Zwischenereignisse auf und können verwendet werden, um einen Prozess auf mehrere Seiten zu verteilen oder um innerhalb eines Prozesses Überschneidungen zu vermeiden. Für den Fall, dass in einer Aktivität etwas nicht funktioniert, gibt es Fehler. Fehler sind Ereignisse, die

7.7  Methoden zur Dienstleistungsmodellierung für das Grob- und Feinkonzept

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Abb. 7.19   BPMN Gateways für das Feinkonzept

durch einen Blitz gekennzeichnet werden und in definierten Fällen andere Teilprozesse auslösen können. Sie unterbrechen somit den laufenden Prozess. Das können auch andere Ereignisse. Dazu werden sie so modelliert, dass sie die Aktivitäten überlappen. Ein gestrichelter Rahmen bedeutet bei den angehefteten Ereignissen, dass diese den ursprünglichen Prozess nicht unterbrechen. 7.7.2.2.4 Ereignisbasierte Gateway Neben dem exklusiven und parallelen Gateway werden im Folgenden zwei weitere Gateways vorgestellt (Abb. 7.19). Das inklusive Gateway startet je nach Bedingung einen oder mehrere der ausgehenden Teilprozesse beziehungsweise vereinigt diese. Das ereignisbasierte Gateway löst den Teilprozess in Abhängigkeit davon aus, welches der folgenden Ereignisse als nächstes eintritt. Es wird durch ein Fünfeck umgeben von einem doppelten Kreis gekennzeichnet. Zum Beispiel verfallen im Kino reservierte Plätze, wenn der Kunde sich nicht eine halbe Stunde vor Vorstellungsbeginn an der Kasse meldet. Trifft er rechtzeitig ein, erhält er natürlich die Tickets für seine reservierten Plätze. Es gibt noch weitere ereignisbasierte wie auch normale Gateways in der BPMN. Zur vollständigen Übersicht sei auf Freund et al. (2010) verwiesen. 7.7.2.2.5 Pools und Sequenzflüsse Prozessbeteiligte werden in BPMN mit Lanes voneinander getrennt. Zusätzlich dazu gibt es Pools. Sie erstrecken sich über das ganze Modell und organisieren Verantwortlichkeiten. Einem Pool können mehrere Lanes zugeordnet werden. In BPMN kann ein Prozess mit den entsprechenden Sequenzflüssen nur innerhalb eines Pools bestehen. Der Pool ist verantwortlich für den Ablauf des Prozesses. Gibt es mehrere Verantwortliche, sind die verantworteten Teilprozesse in verschiedenen Pools zu modellieren. Anstelle der Sequenzflüsse verlaufen zwischen den Elementen unterschiedlicher Pools Nachrichtenflüsse. Nachrichtenflüsse werden durch die gestrichelte Linie des Pfeils deutlich. In Abb. 7.20 und 7.21 ist das Beispiel des Kinobesuchs als Feinkonzept dargestellt.

250

7 Service-Modellierung

Abb. 7.20   Ein Kinobesuch als Feinkonzept im BPMN. (Quelle: Eigene Darstellung)

Abb. 7.21   Fortsetzung – Ein Kinobesuch als Feinkonzept im BPMN. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.8 Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung Ein Grobkonzept ist wichtig, um einen Überblick zu bekommen, was alles gemacht werden muss und dass ein Konsens über die Anforderungen erstellt wird. Doch für die Umsetzung einer IT-gestützten Dienstleistung brauchen die Entwickler weitaus

7.8  Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung

251

s­ ystematischere Dokumente. Ein Fließtext und das Grobkonzept sind hierfür nicht ausreichend präzise. Hierfür werden in dem folgenden Kapitel weitere Modellierungssprachen vorgestellt, die in ihrer Gesamtheit ein sehr detailliertes und umfassendes Bild der Dienstleistung darstellen. Gerade die ausgewählten Modellierungsansätze sind aus dem Fundus der Unified Modeling Language ausgewählt worden und können oftmals für die Übergabe und Kommunikation mit IT-Fachleuten von Nutzen sein. Das vorangegangene Kapitel betrachtet Methoden zur Modellierung von Dienstleistungen, bei denen die Interaktionen zwischen Dienstleistungsnehmern und -anbietern im Vordergrund stehen. Im Folgenden wird die Modellierung von IT-Dienstleistungen fokussiert, bei denen insb. die Interaktion durch ein IT-System gestützt bzw. unterstützt wird. Hierzu werden vor allem der Bezug zu IT-Systemen und die damit verbundene Kundenkommunikation im Rahmen der Dienstleistungserbringung betrachtet. Dazu zählen nicht nur IT-Dienstleistungen, sondern auch IT-unterstützte Dienstleistungen. Die Aktivitäts- und Sequenzdiagramme lassen sich zur Modellierung von IT-Dienstleistungen oder hybriden Leistungsbündeln einsetzen (Becker et al. 2008; Weilkiens 2006, S. 200), da mit diesen die Abfolge von einzelnen Aktivitäten dargestellt werden können. Somit wird die Prozesssicht auf die IT-Dienstleistung beschrieben. Das Sequenzdiagramm und das Aktivitätsdiagramm stammen beide aus der Unified Modeling Language (UML) und haben gegenüber dem BPMN den Vorteil, dass sie in ausführbaren Code transformiert werden können. In den nächsten Abschnitten werden diese beiden Diagrammtypen näher erläutert. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit der UML findet sich in Hitz und Bernauer (2005) oder Grässle et al. (2007). Daraufhin wird die XML Process Definition Language vorgestellt.

7.8.1 Sequenzdiagramm (SD) Das Sequenzdiagramm ist ein Verhaltensdiagramm und zeigt einen genauen Nachrichtenfluss zum Beispiel von Systemen. Diese werden im Zeitalter von komplexer werdenden Dienstleistungssystemen, die aus einer Vielzahl von Softwaresystemen bestehen, wichtiger. Dadurch kann systematisch der Nachrichtenfluss strukturiert werden.

7.8.1.1 Chronologische Reihenfolge im Sequenzdiagramm Sequenzdiagramme dienen der Modellierung von Interaktionen. Eine Interaktion spezifiziert die Art und Weise, wie Nachrichten und Daten über die Zeit hinweg zwischen verschiedenen Interaktionspartnern in einem bestimmten Kontext ausgetauscht werden (Hitz und Bernauer 2005). Diese werden in Sequenzdiagrammen durch den Austausch von Nachrichten zwischen einzelnen Objekten, den Kommunikationspartnern, veranschaulicht (vgl. Abb. 7.22). Ein Objekt, z. B. ein Kunde, ein Lieferant oder ein System, wird in einem Sequenzdiagramm mit einer Lebenslinie dargestellt und die Nachrichten, z. B. Bestellungen, Anfragen, Wünsche, werden zwischen den Lebenslinien in chronologischer Reihenfolge ausgetauscht. Eine Lebenslinie ist die Dauer der Zeit, in

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7 Service-Modellierung

Abb. 7.22   Notation des UML-Sequenzdiagramms. (Quelle: Eigene Darstellung)

der ein Objekt für den betrachteten Aspekt relevant ist. Dabei ist ein Objekt der Sender und ein weiteres Objekt der Empfänger der Nachricht. Die Objekte können sowohl Sender als auch Empfänger sein. Nach erfolgreicher Übertragung einer Nachricht erfolgt implizit die Übermittlung einer Sendebestätigung, die den Empfang der Nachricht quittiert. Auf der Zeitlinie zeigen Aktionsbereiche die Aktivität eines Objekts. Dabei können Parallelitäten und Rekursionen dargestellt werden (vgl. Abb. 7.22).

7.8.1.2 Ereignistypen Die gesendete Nachricht löst ein Ereignis aus, das genau auf der Lebenslinie des adressierten Objekts eingetragen wird. Die übermittelten Parameter beeinflussen die weiteren Aktivitäten eines Objekts und lösen eine Reaktion aus, vorausgesetzt das Ereignis darf überhaupt adressiert werden. Zustandsinvarianten kontrollieren die Bedingungen zum Zeitpunkt des Aufrufs eines Ereignisses (Hitz und Bernauer 2005, S. 263). Die Reaktion eines Objekts kann zu einer Antwort oder zu weiteren Interaktionen mit anderen Objekten führen. Es gibt unterschiedliche Ereignisse, die von den Nachrichten adressiert werden können. Diese umfassen: • Ausführungsereignisse – Wird direkt vom Objekt ausgeführt – Wird an ein anderes Objekt delegiert • Erzeugungsereignisse – Erzeugt ein neues Objekt mit eigener Lebenslinie • Zerstörungsereignisse – Beendet die Lebenslinie eines Objekts und zerstört das Objekt • Empfangs- und Sendeereignisse – Ausgangsereignisse – Eingangsereignisse

7.8  Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung

253

Sequenzdiagramme ermöglichen die Schachtelung und Flusssteuerung mit Hilfe von Bedingungen, Schleifen und Verzweigungen. In Sequenzdiagrammen können Zeitangaben in Form von Zeitpunkten und Zeitintervallen berücksichtigt werden. Zeitpunkte werden dabei relativ zum Ereignis (z. B. Reaktion innerhalb von 30 s nach Betreten eines Ladenlokals) oder absolut (z. B. ab 11:00 Uhr wird kein Frühstück mehr angeboten) angegeben. Ein Zeitintervall besteht hingegen aus zwei Zeitpunkten und gibt die Ablaufdauer für einzelne Aktivitäten (z. B. Mindestens 15 s für die Gästekommunikation) oder für die Aktivitätszeiten (z. B. Zeitfenster von Angeboten) von Objekten an. Sequenzdiagramme ermöglichen die Schachtelung und Flusssteuerung mit Hilfe von Bedingungen, Schleifen und Verzweigungen. In Sequenzdiagrammen können Zeitangaben in Form von Zeitpunkten und Zeitintervallen berücksichtigt werden. Zeitpunkte werden dabei relativ zum Ereignis (z. B. Reaktion innerhalb von 30 s nach Betreten eines Ladenlokals) oder absolut (z. B. ab 11:00 Uhr wird kein Frühstück mehr angeboten) angegeben. Ein Zeitintervall besteht hingegen aus zwei Zeitpunkten und gibt die Ablaufdauer für einzelne Aktivitäten (z. B. mindestens 15 s für die Gästekommunikation) oder für die Aktivitätszeiten (z. B. Zeitfenster von Angeboten) von Objekten an.

7.8.1.3 Interaktionsoperatoren Für die Strukturierung und die Ablaufsteuerung von Sequenzdiagrammen werden Fragmente eingesetzt. Interaktionsoperatoren ermöglichen die Unterscheidung von zwölf kombinierbaren Fragmenten (vgl. Abb. 7.23). Abhängig von der Aufgabe der Interaktionsoperation werden drei Gruppen unterschieden (Verzweigungen und Schleifen, Nebenläufigkeit und Ordnung, Filterung und Zusicherung) (vgl. Abb. 7.23) (Hitz und Bernauer 2005). Ein Sequenzdiagramm kann wiederum auf ein Sequenzdiagramm referenzieren. Somit wird die Wiederverwendung, vor allem bei Standardabläufen (z. B. Anmeldung), ermöglicht. Folglich kann ein Sequenzdiagramm wiederum aus verschiedenen Sequenzdiagrammen bestehen. Wird auf ein weiteres Sequenzdiagramm referenziert, so wird dieses mit einem „ref“ (Abkürzung für reference) in einem Kästchen gekennzeichnet. 7.8.1.4 Beispiele als Sequenzdiagram Abb. 7.24 und 7.25 veranschaulichen die bereits erwähnten IT-Dienstleistungen in einem Sequenzdiagramm. Hierbei wird ersichtlich, dass der Kunde als Objekt mit einer eigenen Lebenslinie dargestellt wird. Bei der Bestellung der Kinotickets sind die beteiligten Akteure durch die Lebenslinien dargestellt (Abb. 7.24). Es wird deutlich, dass ein Mitarbeiter erst bei der Überprüfung der Kinotickets mit dem Kunden kommuniziert. Bei der Buchung des Flugtickets wird des Weiteren das Onlineportal der Fluggesellschaft für die Flugbuchung auf einer weiteren Lebenslinie dargestellt. Im Rahmen des Onlineportals werden in diesem vereinfachten Beispiel, neben dem Kunden, drei Objekte genutzt (Flug, Authentifizierung und Kreditkartenbuchung). Nach der erfolgreichen

254

7 Service-Modellierung

Abb. 7.23   Interaktionsoperatoren der UML-Sequenzdiagramme

IT-System

Kunde

Mitarbeiter

Programmübersicht wählen Programmangebot zurückgeben Sitzangebot einsehen

Kunde

Mitarbeiter

IT-System

Anmelden Buchung bestätigen Buchungsbestätigung

Programmübersicht wählen buchen

Sitzangebot einsehen

abmelden Ticket prüfen Gültigkeit zurückliefern Anweisung geben

Programmangebot zurückgeben

Anmelden Buchung bestätigen Buchungsbestätigung

buchen

abmelden

Ticket prüfen

Abb. 7.24   Beispiel Kinotickets in UML-Sequenzdiagrammdarstellung. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.8  Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung

255

Abb. 7.25   Beispiel Flugtickets als UML-Sequenzdiagrammdarstellung. (Quelle: Eigene Darstellung)

Suche und Auswahl eines Fluges wird nach einer Authentifizierung des Kunden der Flug reserviert und dieser nach Bezahlung fix gebucht. Es wird ersichtlich, dass die Interaktion durch den Kunden initiiert und anschließend die Suche durchgeführt wird. Die einzelnen Lebenslinien verdeutlichen, wann welches Objekt aktiviert und genutzt wird bzw. wieder beendet wird.

7.8.2 Aktivitätsdiagramm (AD) Das Sequenzdiagramm stellt meistens einen bestimmten Prozessweg dar. Doch ein Informationssystem muss oftmals dynamisch den Gegebenheiten entsprechend handeln. Hierfür helfen Aktivitätsdiagramme.

7.8.2.1 Dynamische Abläufe des Aktivitätsdiagramms Aktivitätsdiagramme dienen der Modellierung von dynamischen Abläufen im Informationssystem. Aktivitäten sind in diesem Zusammenhang nicht gleichzusetzen mit den Aktivitäten für Dienstleistungen aus Kap. 1. Aktivitätsdiagramme beschreiben aus Sicht des Informationssystems Aktivitäten mit nicht-trivialem Charakter. Die Notation für die Elemente der Aktivitätsdiagramme wird in Abb. 7.26 dargestellt.

256

7 Service-Modellierung

Abb. 7.26   Notationselemente des Aktivitätendiagramms. (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine Aktivität spezifiziert dabei die Menge von potenziellen parallelen, alternativen oder iterativen Abläufen. Eine Aktion ist hierbei ein Einzelschritt, der einen Ablauf unter Zeitverbrauch durchläuft und bei dem eine beobachtbare Veränderung im Prozess erbracht wird. Objektknoten repräsentieren an einer Aktion beteiligte Objekte wie z. B. Daten, Kunden, Mitarbeiter. Ein Aktivitätsdiagramm beschreibt mithilfe der Aktivitäten, Aktionen und Objektknoten die Realisierung eines bestimmten Verhaltens durch ein System indem es dafür den Rahmen und die geltenden Regeln vorgibt. Die Semantik der Modellierung von Aktivitäten lehnt sich stark an das Konzept der Petri-Netze an. Das bedeutet, dass insbesondere Marken (engl. Token) für die Bearbeitung von einzelnen Aktivitäten übernommen worden sind. Die Gesamtheit aller Token beschreibt den Zustand einer Aktivität. Die Bewegung jeder einzelnen Marke dokumentiert den Verlauf eines Kontrollflusses. Mehrere Kontrollflüsse können parallel ablaufen, wenn die entsprechenden Token vorliegen. Kontrollknoten dienen zur Synchronisierung und Parallelisierung oder zur Verzweigung und Zusammenführung. Außerdem werden sie zur Steuerung entsprechend der Erfüllung von Bedingungen, der mehrfachen Instanziierung, der asynchronen Unterbrechung bzw. des Abbruchs und der Parametrisierung der Kontrollflüsse benutzt. Bedingungen, Schleifen und Verzweigungen stellen sehr detailliert die Abläufe im Aktivitätsdiagramm dar. Mit Hilfe von Parallelisierung und Synchronisation wird dies ermöglicht. Ebenfalls lassen sich Datenflüsse mit Aktivitätsdiagrammen darstellen.

7.8  Modellierungsansatz für das IT-Konzept und die Implementierung

257

Abb. 7.27   Beispiel Kinotickets als Aktivitätsdiagramm. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.8.2.2 Beispiel als Aktivitätsdiagramm Bei den Beispielen in Abb. 7.27 und 7.28 wird klar, dass der Ablauf im Vordergrund steht. Die einzelnen Aktivitäten werden der Reihe nach durchlaufen und abgearbeitet. Aus dem Aktivitätsdiagramm wird erkenntlich, welche Aktivität folgt und vorgelagert ist. Bei dem Kinobesuch stehen die Auswahl der Sitzplätze und das Drucken des Kinotickets zu Hause im Vordergrund. Bei dem Beispiel Flugtickets wird zu Beginn der Flug gesucht, bevor anschließend die Authentifizierung vorgenommen wird. Liegt bereits eine Authentifizierung vor, wird direkt die Zusammenfassung angezeigt. Liegt keine Authentifizierung vor, so muss der Kunde sich authentifizieren. Aus dem Aktivitätsdiagramm geht hervor, dass nach einer misslungenen Authentifizierung der Vorgang abgebrochen wird. Nach erfolgreicher Anmeldung wird die Zusammenfassung angezeigt und die weiteren Schritte zur Vervollständigung der Buchung durchgeführt. Die Buchung endet mit der Abmeldung des Kunden. Die beiden Diagramme zeigen, wie der Modellierung von Dienstleistungsprozessen auch aus der Softwareentwicklung begegnet wird. Die UML wird gut durch unterschiedliche Systeme unterstützt und ermöglicht die maschinelle Ausführung von Prozessen. Daher stellen die beiden Verhaltensdiagramme die Abbildung von Dienstleistungsprozessketten auf der Ebene der IT-Konzeption bereit. Im Folgenden Kapitel wird gezeigt, wie sich die grafischen Modelle auf die Ebene der Implementierung überführen lassen.

258

7 Service-Modellierung

Abb. 7.28   Beispiel Flugtickets als Aktivitätsdiagramm. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.9 Implementierungsansätze von Prozessmodellen Die fachlichen Prozessmodelle sind vom Grobkonzept bis zum IT-Konzept des Ebenenmodells kontinuierlich verfeinert worden. Allerdings sind IT-Konzepte aufgrund ihrer grafischen Repräsentation nicht maschinell lesbar. Sie müssen daher in eine maschinell lesbare Repräsentation, den Beschreibungssprachen, überführt werden. Hierzu existieren Beschreibungssprachen, die die grafischen Prozessmodelle in maschinell lesbare Modelle überführen. Die Beschreibungssprachen verwenden hierzu eine auf XML aufgebaute Beschreibung. In Abb. 7.29 werden ausgewählte Beschreibungssprachen grafisch eingeordnet, sodass die Kommunikation zwischen Empfänger und Anbieter ermöglicht wird. Über eine Service-Registrierung können die Angebote seitens der Anbieter veröffentlicht und seitens der Empfänger gefunden werden. Anhand eines

7.9  Implementierungsansätze von Prozessmodellen

259

Abb. 7.29   Zusammenhang der Beschreibungssprachen. (Quelle: Eigene Darstellung)

k­urzen Beispiels wird der Zusammenhang der Beschreibungssprachen deutlich. Im Rahmen einer Adressverifizierung soll der Ort mit der Postleitzahl (PLZ) abgeglichen werden. Ein Dienst zur Ortsabfrage anhand einer PLZ kann über das Universal Description, Discovery and Integration (UDDI) gefunden werden. Die Kommunikation mit dem Dienst erfolgt über das XML-basierte Protokoll SOAP. Die Daten für den Dienst werden mit der Web Service Description Language (WSDL) beschrieben. Mit SOAP wird das Übertragungsprotokoll festgelegt und die WSDL beschreibt, wie die Daten verpackt sein müssen. Der Dienst kann daraufhin die Daten auspacken und verarbeiten, da mit der WSDL eine gemeinsame Kommunikationsbasis beschrieben wird. Wichtig für die Modellierung von IT-Dienstleistungen ist allerdings, wie verschiedene Dienste zusammenspielen können. Im Beispiel der Kinotickets werden mehrere Dienste genutzt (z. B. Freie Sitzplätze anzeigen, Tickets buchen, Kunden authentifizieren), die einen Ablauf von Aktivitäten darstellen. Die Zusammenstellung wird dabei von den Beschreibungssprachen wie der XML Process Definition Language (XPDL), der Business Process Execution Language (BPEL) oder der Universal Service Description Language (USDL) übernommen. Die XPDL dient primär als Austauschformat zwischen verschiedenen BPMN-Anwendungen. Des Weiteren kann sie aber auch ausgeführt werden. Die BPEL koppelt im Webserviceumfeld lose einzelne Webservices zusammen. Diese können wiederum mit BPEL verschachtelt werden. Bei der USDL wird ein

260

7 Service-Modellierung

­ ervice aus unterschiedlichen Gesichtspunkten betrachtet und beschrieben. Diese drei S Beschreibungssprachen werden im Folgenden näher betrachtet. Zusätzlich existieren noch weitere Beschreibungssprachen wie die java Process Definition Language (jPDL) die in der Java-Welt eingesetzt wird. Sie beschreibt die Prozessstruktur in XML, allerdings lassen sich direkt ausführbare Anweisungen mit der Programmiersprache Java beschreiben und an ein Element anhängen.

7.9.1 XML Process Definition Language (XPDL) Der Vorteil von stark formalisierten und maschinenlesbaren Sprachen besteht in deren Weiterverwertung, zum Beispiel durch andere Systeme, die mithilfe eines Kompilierers die Syntax der Sprache verstehen und automatisch das Modell weiterverarbeiten können. Dies ist gerade für die Automation entscheidend.

7.9.1.1 Abgrenzung der XPDL Die XPDL ist eine XML-basierte Sprache zur Beschreibung von Arbeitsabläufen. Die maschinenlesbare Prozessbeschreibung legt ihren Schwerpunkt auf die speicherbare Repräsentation von Prozessmodellen. Die Herausforderung besteht darin, aus dem Grobkonzept eine Prozessanwendung komplett auszuformulieren und in eine direkt maschinenlesbare Sprache zu überführen. Hierfür sind viele unterschiedliche Ansichten und Detaillierungsstufen zu berücksichtigen, um von einem Fachkonzept zu einem IT-Konzept zu gelangen. Die XPDL ist ein Standard der WfMC und beschreibt ein Datenformat für ausführbare Prozessmodelle, das den Austausch dieser Prozessmodelle zwischen verschiedenen Werkzeugen ermöglichen soll. Die erste Version von XPDL wurde im Oktober 2002 veröffentlicht. Die aktuelle Version 2.2 der XPDL liegt seit Februar 2012 vor. Die Entwicklung der XPDL ist eng mit der BPMN gekoppelt. Während BPMN eine standardisierte grafische Notation für Prozessmodelle bietet, stellt XPDL ein geeignetes Datenformat zur Speicherung und Übertragung dieser Prozessmodelle, auch schon vor BPMN 2.0, dar. Deshalb wurden bei der Entwicklung von XPDL 2.2 die Merkmale von BPMN berücksichtigt. 7.9.1.2 Einsatzgebiet der XPDL In den beiden Bereichen, Modellierung und Ausführung von Prozessen, bietet die XPDL die Möglichkeit einer sauberen Trennung zwischen Entwicklung- und Ausführungsumgebung. Die Entwicklungsumgebung wird während der Entwicklung von neuen Prozessen oder IT-Systemen eingesetzt. Hierbei können definierte Ausgangszustände angenommen werden und auch laufende Prozesse abgebrochen und neu gestartet werden. Dieses ist in der Ausführungsumgebung, welche die laufenden Prozesse beinhaltet, nicht möglich. Die XPDL erlaubt somit die Nutzung von unterschiedlichen Werkzeugkombinationen aus beiden Bereichen. Insbesondere bei der Ausführungsumgebung bestehen erhebliche Unterschiede bezüglich des Aufgabenbereichs und der Leistungsfähigkeit von Systemen. Dadurch unterscheiden sich die Inhalte der Prozessmodelle

7.9  Implementierungsansätze von Prozessmodellen

261

teilweise erheblich voneinander. Dem wurde bei der Entwicklung von XPDL Rechnung getragen, indem Erweiterungen in Form von anbieterspezifischen Attributen möglich sind. Übergreifend wird die XPDL eingesetzt als: • Austauschformat von Modellen zwischen unterschiedlichen (Modellierungs-) Werkzeugen • Export von Modellen in ein maschinell verarbeitendes Format für die Prozessausführung • Werkzeuge können die XPDL als direkte Ausführungssprache nutzen.

7.9.1.3 Austauschformat Als Austauschformat zwischen Werkzeugen werden die Modelle teilweise unterschiedlich dargestellt. Das liegt daran, dass die Hersteller teilweise eigene Zusatzattribute mit aufgenommen haben, die bei einem Export zu einem Fremdwerkzeug nicht immer richtig interpretiert werden. Ein Beispiel eines gleichen Prozesses modelliert mit verschiedenen Werkzeugen wird in WfMC (2011) geliefert. Im Detail ist aber zu berücksichtigen, welche anbieterspezifischen Attribute integriert sind. Stammen sowohl Entwicklungs- als auch Ausführungsumgebung von einem Anbieter, dann werden diese Attribute richtig interpretiert und werden in beiden Umgebungen berücksichtigt. Stammen hingegen beide Umgebungen von unterschiedlichen Herstellern, besteht die Gefahr, dass zur Prozesssteuerung relevante Attribute nicht in der Entwicklungs- bzw. Ausführungsumgebung berücksichtigt werden. Daher ist die Werkzeugkombination, trotz eines gemeinsamen Standards, aufeinander abzustimmen. Die XPDL wird von vielen Werkzeugen, wie zum Beispiel Active Endpoints ActiveVOS, IBM FileNet Business Process Manager 4.0, iGrafx oder Savvion Process Modeler, als Export und Import Funktion unterstützt. Eine ausführliche Liste aktueller Werkzeuge ist unter http://www. xpdl.org/cloudapps.html einzusehen.

7.9.2 Business Process Execution Language (BPEL) 7.9.2.1 Lose Kopplung von Webservices Die Web Services Business Process Execution Language (WSBPEL, oder kurz BPEL) ist eine XML-basierte Prozessausführungssprache zur Erreichung der Interoperabilität zwischen Webservices. Mit Webservices werden heterogene Systeme lose gekoppelt. Sie stellen eine einheitliche Sprache zur Kommunikation dar, ohne die zugrundeliegende Technologie der anderen Seite kennen zu müssen. Aufgrund einer klaren standardisierten Struktur von Web Services ist die Verbindung zwischen zwei Systemen leicht veränderund austauschbar. Daher kann mit Hilfe von BPEL die Zusammenstellung von lose gekoppelten Webservices zu einem komplexeren Dienst ermöglicht werden. Die aktuelle Version der WSBPEL ist Version 2.0. In Abb. 7.8 ist die Einordnung von BPEL in die Landschaft der Webservices ersichtlich.

262

7 Service-Modellierung

7.9.2.2 Orchestrierung Die Stärken von BPEL liegen in der Orchestrierung von Diensten, die in einer definierten Schnittstelle (z. B. Webservice Description Language (WSDL)) vorliegen. Im Zusammenhang mit BPEL dienen Web Services dazu, andere IT-Systeme in die Ausführung von Prozessen dynamisch einzubinden. Über die WSDL werden Schnittstelleninformationen zur Verfügung gestellt, die in einer Entwicklungsumgebung die verfügbaren Dienste aufzeigen. Die Informationen können alternativ manuell in der Entwicklungsumgebung eingetragen werden, allerdings ist dieses bei immer komplexeren und dynamischeren IT-Infrastrukturen nicht praktikabel. Einfacher ist hier die Verwendung einer Service Registry z. B. mit UDDI. Die UDDI kann man sich wie die Gelben Seiten vorstellen, in der es zu den unterschiedlichsten Themen die Kontaktdaten gibt. Zur Service-Implementierung können unterschiedlichste Programmiersprachen (z. B. Serverseitige Script-Sprachen wie PHP) oder anderen Konzepte eingesetzt werden. Wichtig ist der Zugang zu den Diensten über die einheitliche WSDL-Schnittstelle. 7.9.2.3 Blockformat BPEL ist ein standardisiertes Blockformat, d. h. es handelt sich hierbei um eine universell imperative Programmiersprache mit einer Blockstruktur. Sie weist allerdings einige Unterschiede bei der Verwendung von Werkzeuganbietern auf. So müssen in Ausführungsumgebungen definierte Attribute (z. B. zur Struktur oder zur Häufigkeit) vorhanden sein, damit ein Prozess ausgeführt wird. Werkzeughersteller erweitern, vergleichbar zur XPDL, die BPEL mit eigenen Attributen (z. B. für Benchmarkings). Folglich muss bei dem Austausch zwischen Werkzeugen auf die Ausführbarkeit der Prozesse geachtet werden. Daher ist auch bei der Verwendung von BPEL auf eine aufeinander abgestimmte Entwicklungs- und Ausführungsumgebung zu achten. Zum Verständnis von BPEL gehört, dass es sich dabei um eine universell imperative Programmiersprache mit einer Blockstruktur handelt. Es unterstützt die Kontrollstrukturen der Sequenz, Schleifen und Verzweigungen bei der synchrone und asynchrone Webservices kombiniert werden. Ein BPEL-Prozess kann wieder selbst ein oder mehrere Webservices darstellen und somit gegebenenfalls rekursiv verwendet werden. Hingegen bietet BPEL keine Benutzer-Interaktionen, sogenannte Human-Tasks, d. h. die Interaktionen in BPEL laufen rein maschinenbasiert.

7.9.3 Unified Service Description Language (USDL) 7.9.3.1 Plattformneutrale Dienstbeschreibungssprache USDL Die Unified Service Description Language (USDL) ist eine plattformneutrale Dienstbeschreibungssprache. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Internet der Dienste“ ist die USDL entwickelt worden (Barros und Oberle 2012). Vor allem bei standardisierten On-Demand-Diensten, welche bei Bedarf vom Kunden konsumiert werden können,

7.9  Implementierungsansätze von Prozessmodellen

263

schafft die USDL eine Basis zur breiten Nutzung webbasierter Dienste. Dienste sind aus verschiedenen Domänen, darunter Cloud Computing, Servicemarktplätze und Geschäftsnetzwerke, in Hinblick auf ihre Zugänglichkeit, Verwendung in neuen Zwecken und der Handelbarkeit innerhalb von „Internet der Dienste“ untersucht worden. Die USDL beschreibt betriebswirtschaftliche Semantik von Dienstleistungen in XML (vgl. Barros und Oberle 2012), in dem die beteiligten Akteure, Funktionen, Elemente und Aktivitäten strukturiert erfasst werden und setzt für die technische Kommunikation mit IT-Diensten auf WSDL. Die USDL kann somit für unterschiedliche Dienstleistungen eingesetzt werden, da die XML-Struktur flexibel auf die Anforderungen einer Dienstleistung reagieren kann (Abb. 7.30).

7.9.3.2 Module der USDL USDL liegt in der Version 3.0 vor und besteht aus neun Modulen, von denen jedes einzelne einen unterschiedlichen Aspekt der gesamten Dienstleistungsbeschreibung adressiert. Alle Module sind dokumentiert (vgl. Abb. 7.31). Im Zentrum der USDL steht das Modul „services“. Dieses Modul fügt alle Aspekte einer Dienstleistung aus den unterschiedlichen Modulen zusammen. Hierzu gehören die Versionierung und die Konsumierung der Dienstleistung und der Zugang zur Dienstleistung. Das Modul „foundation“ beinhaltet modulunabhängige, generische Konzepte wie Ort und Zeit. Diese sind nicht spezifisch für eine Dienstleistung. Daher werden sie in dem Modul „foundation“ als Basismodul zusammengefasst und für alle Module zur Verfügung gestellt. Die Verbindungen zwischen den Modulen „service“ und „foundation“ sowie der weiteren Module sind nicht explizit in die Abbildung mit aufgenommen. Das Modul „functional“ umfasst die Beschreibung der Vorteile, wie z. B. den Mehrwert einer Dienstleistung für einen Empfänger, wie z. B. dem Kunden. Ebenfalls umfasst das Modul die konzeptuelle Funktionalität und die technische Umsetzung der Dienstleistung sowohl für menschliche als auch technische Dienstleistungen. Das „interaction“-Modul beinhaltet detaillierte Angaben über die Interaktionen. Zum einen, welche Interaktionen möglich sind und zum anderen, wann diese durchzuführen sind. Ebenfalls werden Protokolle über die Interaktionen angelegt. Hierzu gehören beispielsweise Protokollvorlagen, die im Rahmen einer Beratung auszufüllen sind. Im Rahmen des Moduls „participant“ werden die Teilnehmer der Dienstleistung beschrieben. In Abhängigkeit von der Dienstleistung und des Geschäftsmodells sind verschiedene Teilnehmer, neben Kunde und Anbieter, möglich. Dabei werden auch einzunehmende Rollen (z. B. Lieferant) und Ressourcen (z. B. Parkerlaubnis) erfasst. Das „pricing“ Modul ermittelt den individuellen Preis. Der Preis wird dabei durch verschiedene Einflussfaktoren (Mengenrabatte, Kundengruppe, Angebote, Skonto usw.) beeinflusst und kann abhängig von verschiedenen Parametern erstellt werden. Innerhalb des Moduls „legal“ werden rechtliche Rahmenbedingungen (z. B. AGB) bezogen auf das deutsche Recht festgelegt. Hingegen werden Garantien und Gewährleistungen im Modul „service levels“ festgehalten (z. B. 24/7 Verfügbarkeit). Im Modul „technical“ werden die

264 Abb. 7.30   XML-Darstellung der USDL – Ausschnitt (vgl. Example Parking Permit des USDL-Editors)

7 Service-Modellierung

ORG-11876 hp://osccs.sme-rivercity.com/ Ministry of City Development Public Administraon



hp://www.citydev.rivercity.com url

communica[email protected] email

030 90139 3000 phone

Weatherly Street 6 River City Southbank 1234 River City USA





7.9  Implementierungsansätze von Prozessmodellen

265

Abb. 7.31   USDL-Module und ihre Abhängigkeiten. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an o.V. 2012)

technischen Zugangsbedingungen zur Nutzung der IT-Dienstleistung beschrieben. Die Standardisierung von USDL mittels einer W3C Incubator Group, die sich auf die Spezifizierung und die weitere Entwicklung von USDL als offenen Standard konzentriert, ist angestrebt. Ein kostenloser USDL-Editor1 (http://usdleditor.sourceforge.net/) (vgl. Barros und Oberle 2012) zur Erzeugung von USDL konformen Beschreibungen wird im Rahmen des Forschungsprojekts zur Verfügung gestellt (Abb. 7.32). Im oberen Bereich befindet sich die Menüleiste. Darunter werden wichtige Shortcuts zur Bedienung und Bearbeitung eines Service angeboten. Auf der linken Seite werden die verfügbaren Services in einer Baumstruktur aufgelistet, welche individuell aufgebaut werden kann. Nach Auswahl eines Service wird die zugehörige USDL in einer komfortablen Übersicht auf der rechten Seite angezeigt. Dabei kann zwischen den einzelnen Modulen des Service im unteren Bereich gewechselt werden. Das erleichtert dem Nutzer die Bearbeitung des Service und bietet gleichzeitig eine Orientierung, welche Module zu bearbeiten sind. Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, gerade im Bereich automatisierter Systeme, den Einsatz der USDL. Bei Cloud-Anwendungen, wie beispielsweise von Google Mail, wird eine Anwendung über einen zentralen Webzugang angeboten. Im Hintergrund arbeiten viele verschiedene Systeme zusammen, um die Anwendung anzubieten. Die Daten und Funktionen (z. B. Adressverwaltung, Email schreiben usw.) werden von verschiedenen Servern für alle Nutzer

266

7 Service-Modellierung

Abb. 7.32   Ausschnitt aus dem USDL-Editor

angeboten. Die Server synchronisieren sich untereinander, um allen Kunden einheitlich zu erscheinen und die gewohnte Dienstleistung anzubieten. Damit bei Engpässen (starke Nutzungsfrequenz) oder Erweiterungen (stark steigende Nutzer) die Dienstleistung schnell und bei gleicher Qualität angeboten werden kann, unterstützt die USDL die Dienstleistungsdefinition und -interpretation. Die mittels USDL beschriebene Dienstleistung wird auf weiteren Servern der Cloud erweitert und alle beteiligten Server verarbeiten die Anforderungen der Dienstleistung an das System. Eine maschinenlesbare Dienstleistungsdefinition bietet die Möglichkeit, dass alle Server die Dienstleistung in der gleichen Qualität anbieten.

7.10 Business Process Management System Die Business Process Engine oder kurz Process Engine ist ein Softwaresystem zur Ausführung von Geschäftsprozessen im Rahmen der Prozessautomatisierung. Dazu benötigt die Process Engine die Prozessmodelle als maschinenlesbares Modell in Form einer Beschreibungssprache, in der alle technischen Details, wie zum Beispiel die Serverbezeichnung, genaue Grenzwerte bei Entscheidungen oder der Umgang mit Fehlermeldungen und Sonderstatus zur Ausführung der Prozesse enthalten sind. Die Prozessinstanzen werden zur Laufzeit generiert, wobei die einzelnen Prozessschritte

7.10  Business Process Management System

267

Abb. 7.33   Typischer Ablauf einer Process Engine. (Quelle: Eigene Darstellung)

individuell ausgeführt werden. Das Online Banking stellt jedem Kunden individuell seine Kontodetails übersichtlich dar und gleichzeitig wird der Zugriff auf andere Konten verwehrt. Im Wesentlichen werden zwei Aktivitäten unterschieden: zum einen automatisiert durchgeführte Aktivitäten und zum anderen menschliche Aktivitäten. Zu den automatisiert durchgeführten Aktivitäten der BPMN zählen Serviceaufrufe, Auswertungen von Gateways oder Ereignissen. Die menschlichen Aktivitäten umfassen Benutzereingaben, die in der Regel mit Aufgabenlisten (z. B. der Eingabe von Kundendaten je Listenpunkt) hinterlegt sind. Anhand der Aufgabenliste kann der Benutzer seine weiteren Aufgaben abarbeiten (Freund et al. 2010). Einen Überblick über die einzelnen Schritte einer Process Engine wird in Abb. 7.33 gegeben. Die Process Engine unterstützt im Prozess nicht nur den Kontrollfluss, mit dem die Aktivitätenreihenfolge beschrieben, abgearbeitet und kontrolliert wird, sondern auch den Datenfluss, mit dem Daten im Verlauf des Prozesses beschrieben werden. Der Kontrollfluss beschreibt die Aneinanderreihung einzelner Aufgaben und berücksichtigt Entscheidungen (z. B. Buchungssumme über- bzw. unterhalb definierter Grenzen), um alternative Wege zu gehen. Somit bekommen Benutzer, neben der Abarbeitung von Aktivitäten, auch den aktuellen Status und die für ihre Aufgabe benötigten Daten in Form von Informationen bereitgestellt. Die Daten werden persistent, sprich dauerhaft, für den Prozess abgespeichert. Neben der Steuerung von Kontroll- und Datenfluss werden die Prozessmodelle verwaltet und Kennzahlen generiert. Diese werden zu Auswertungen im Rahmen des Benchmarkings verwendet. Die Process Engine stellt Durchlaufzeiten von Prozessen zur Verfügung oder liefert die Anzahl laufender Prozesse oder Prozessinstanzen. So können Muster erkannt werden, die beispielsweise zu einer Warnung führen, damit Kunden nicht zu lange auf eine Reaktion seitens des Dienstleisters warten.

268

7 Service-Modellierung

Die Prozessmodelle müssen für die Process Engine in einer maschinell lesbaren Ausführungssprache vorliegen. Die Grobmodelle und Feinmodelle von Prozessen reichen nicht aus, um von einer Process Engine ausgeführt zu werden (Freund et al. 2010). Die Modelle müssen alle technischen Details berücksichtigen, um von der Process Engine verstanden zu werden. Hierzu werden von den Werkzeugherstellern, wie JBoss jBPM oder Inubit BPM Suite, zum einen proprietäre Sprachen eingesetzt. Zum anderen wird auf die BPEL oder der XPDL zurückgegriffen. Mit der BPMN ist eine neue maschinell lesbare Ausführungssprache hinzugekommen, die zusätzlich die Modellierung von Prozessen berücksichtigt. Die Process Engine unterstützt nur den Ausführungsteil von Prozessen, sodass die Abfolge der Aktivitäten gemäß Prozessmodell umgesetzt wird. Um die Prozessmodelle zu erstellen, wird eine Modellierungsumgebung benötigt. In der Modellierungsumgebung werden die Prozesse aus der fachlichen Sicht heraus als Grobkonzept modelliert, wobei der Bezug zur IT noch nicht gegeben ist. Dieser wird erst im Anschluss an das Prozessmodell aus dem Feinkonzept im IT-Konzept hinzugefügt. Dies bedeutet, dass auch Fehlermeldungen, wie zum Beispiel die Fehleingabe bei der Authentifizierung oder Verbindungsausfälle bei der Kommunikation, über das Internet mit modelliert werden. Abhängig von einzelnen Prozesslaufzeiten können Rahmenparameter definiert werden, bei denen Warnmeldungen ausgegeben werden. Somit wird verhindert, dass ein Kunde länger als eine definierte Zeit auf eine Antwort seitens des Dienstleisters wartet (z. B. garantierte Antwort innerhalb von 5 min mit den gewünschten Kinotickets) oder ein Kunde nach einer definierten Zeit vom IT-System getrennt wird (z. B. automatischer Log-out beim Online Banking). Das Konglomerat von Modellierungsumgebung, Process Engine und IT-Diensten muss aufeinander abgestimmt sein. Sie werden innerhalb einer Business Process Management Suite (BPMS) gebündelt und angeboten. Es existieren mehr als 150 verschiedene Anbieter von BPMS (Intalio 2008; ISST 2010). BPMS sind sehr umfangreich und lohnen sich erst bei häufig auftretenden und gut standardisierten Prozessen. Eine Prozessautomatisierung ist daher nicht immer sinnvoll und nicht immer einer klassischen Softwareentwicklung vorzuziehen. Für die Einführung einer Prozessautomatisierung spricht ein häufiges Auftreten von Prozessen. Hierbei kommen viele Prozessinstanzen parallel zur Ausführung. Laufen die Prozesse kontinuierlich anders ab, dann ist von einer Process Engine oder BPMS abzuraten. Prozesse mit vielen gut strukturierten Daten (z. B. Adresse, Laufzeiten, Renditen, Entwicklungen) eignen sich gut zur Automatisierung, da IT-Systeme strukturierte Daten sicher verarbeiten. Sind hingegen physikalische Güter in den Prozess involviert, gestaltet sich die Prozessautomatisierung schwierig, da immer der Abgleich mit den physikalischen Gütern notwendig ist. Wird hingegen die Automatisierung von einzelnen Aktivitäten gesteigert, dann kann eine Prozess Engine oder BPMS vorteilhafter sein (Freund et al. 2010).

7.11 Automatisierungsansätze

269

7.11 Automatisierungsansätze Bestehende Prozesse in einem Unternehmen durch Technologien zu automatisieren stellt eine sinnvolle Vorgehensweise dar, bestehende Geschäftsprozesse so effizient wie möglich abzubilden. Unter den Automatisierungsverfahren in Unternehmen existieren einige vorherrschende Verfahren.

7.11.1 Scripting Scripting oder auch Scripts sind kleine Programme, die in einer Scriptsprache programmiert werden. Mithilfe eines Interpreters werden die Scripte ausgeführt. Sie werden typischerweise für kleine wiederkehrende Aufgaben eingesetzt. Mithilfe von Scripten und durch die mit der Scriptsprache ermöglichten Schleifen, können einfache Tasks schnell und effektiv den Arbeitsalltag vereinfachen. Typische Anwendungsfälle findet man auf Betriebssystemebene, in der Automatisierung von Infrastrukturservices oder in Webservices. Scripte können direkt ausgeführt werden, anders als konventionelle, höhere Programmiersprachen, die zuvor von einem Compiler geprüft und kompiliert werden müssen. Das erhöht die Anwenderfreundlichkeit und Flexibilität und führt zu einer schnellen Einsetzbarkeit. Der Nachteil einzelner Scripte entsteht aber auch eben durch die erhöhte Flexibilität. Scripte werden meistens schnell für den einzelnen Anwendungsfall geschrieben und sind dadurch anfälliger auf Fehler und nicht auf Wiederverwertbarkeit durch andere ausgelegt.

7.11.2 Makros Unter Makros versteht man eine Abfolge von Anweisungen, die beim Aufruf durchgeführt werden. Das heißt, dass das Makro in der Umgebung ausgeführt wird, wo es auch aufgerufen wurde. In der Microsoft-Office-Umgebung sind Makros sehr weit verbreitet und werden auf Basis der Programmiersprache Visual Basic for Application (VBA) geschrieben. Makros können dann in den meisten Office-Applikationen angewendet werden. Der Nachteil der Makros besteht aber eben auch darin, dass man an die Office-Produkte gebunden ist und andere Programme nur sehr schwer integriert werden können. Außerdem vermindert die Versionierung der Office-Applikationen ebenfalls die Interoperabilität zwischen den Produkten. Dies wird manchmal durch die Nutzung unterschiedlicher Office-Produkte innerhalb eines Unternehmens noch erschwert. Dadurch besteht die Gefahr, dass manche Makros der Software bei Mitarbeitern aufhören zu funktionieren.

270

7 Service-Modellierung

7.11.3 Workflow Automation Workflows bestehen aus formal beschriebenen Arbeitsanweisungen, die sich auf die operative Durchführungsebene (Arbeitsschritte, Aktivitäten) von Geschäftsprozessen beziehen. Dem auf der fachlich-konzeptionellen Ebene erstellten Geschäftsprozess gegenüberstehend, ist der Workflow auf der operativen Ebene. So kann ein Mitarbeiter auf einem so hohen Detaillierungsgrad auf der Work-Flow Ebene die konkreten Arbeitsanweisungen verstehen (Gadatsch 2017, S. 12). Im Gegensatz zu Workloadautomation liegt der Fokus bei Workflowautomation nicht auf der Automatisierung zwischen Informationssystemen, sondern auf einer ganzheitlichen Betrachtung von Geschäftsprozessen. Die in Abschn. 7.6.2.6 vorgestellte BPEL wird oftmals gebraucht, damit die Automatisierung durch geeignete Systeme stattfinden kann.

7.11.4 Robotic Process Automation Robotic Process Automation ist eine Technologie, die sich in das Thema Prozessautomatisierung eingliedert. Der Kern besteht in dem „Nachahmen“ menschlicher Interaktionen mithilfe von Softwarerobotern. Durch diese Nachahmung von Benutzereingaben über die Benutzeroberfläche einer Anwendung sind programmiertechnische Eingriffe für die Anbindung an unterschiedliche IT-Systeme nicht nötig. RPA-Software bietet für die gängigen IT-Systeme Konnektoren an, wodurch die Software mit den erforderlichen Systemen auf eine standardisierte Weise kommunizieren kann. So können bereits existierende Applikationen und Daten, die für einen Prozess benötigt werden, gesammelt und angepasst oder in das Zielsystem eingefügt werden. Ein Roboter kann völlig autonom einen Prozess starten, durchführen und auch beenden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, den Roboter zeitlich oder durch einen definierten Startpunkt zu steuern, zum Beispiel den Eingang einer Email mit einem bestimmten Betreff oder Absender (Lacity und Willcocks 2016). Wie in Tab. 7.3 zusammengefasst, unterscheiden sich Robert Process Automation von Business Process Management Systemen, indem sie auf die Automatisierung bestehender Prozesse mithilfe von bestehenden Applikationen spezialisiert sind. Hier wird direkt auf die Presentation Layer der Applikationen zugegriffen. Um Prozesse zu Reengineeren, werden im klassischen BPMS im Normalfall komplett neue Applikationen entwickelt, die auf dem Layer der Geschäftslogik agieren. Um den Ablauf einer Robot Process Automation zu verdeutlichen, wird in Abb. 7.34 ein Beispiel zur Erstellung einer Bestellung gezeigt. In diesem Beispiel bestellt ein Kunde über ein Webformular eine Ware. Die Bestellung wird per E-Mail an das Logistikzentrum gesandt. Der Softwareroboter

271

7.11 Automatisierungsansätze

Tab. 7.3  Unterschied von BPMS zu RPAs. (Quelle: In Anlehnung an Lacity und Willcocks 2016) Eigenschaft

BPMS

RPA

Geschäftsziel

Prozesse reengineeren

Bestehende Prozesse automatisieren

Technisches Ergebnis

Eine neue Anwendung erzeugen

Bestehende Anwendungen benutzen

Integrationsmethode

Zugang zur Geschäftslogik

Zugriff auf die Presentation Layer einer existierenden Anwendung

Entwickler

Software-Entwickler

Business Operations

Prüfanforderungen

Systemtest

Outout-verifizierung

Ja

Bestellung auslesen Kundenbestellung

Bestellung versendet

Kunde anlegen

Kundendatenbank

Neuer Kunde? nein

Bestellung in ERP einpflegen

Eingangsbestägung

Abb. 7.34   Typischer Ablauf einer Process Engine – Beispiel Erstellung einer Bestellung. (Quelle: Eigene Darstellung)

erkennt den Eingang der E-Mail, liest die relevanten Felder der Bestellung wie zum ­Beispiel Vorname und Nachname aus und fragt in der Kundendatenbank die Stammdaten ab. Ist der Kunde noch nicht registriert, legt der Roboter den Kundennamen, die Anschrift, E-Mail-Adresse und eine neue Kunden-ID an. Nachdem der Kunde in der Kundendatenbank hinterlegt wurde, wird die Bestellung in das ERP-System inklusive Kunden-ID eingepflegt. Der Roboter versendet eine Eingangsbestätigung an den Kunden mit Kunden-ID und einer Übersicht der bestellten Ware. Dieser Prozessablauf verdeutlicht, wie viele IT-Systeme auch bei trivialen Prozessen eingebunden sind. In diesem Beispiel kommen ein E-Mail-Programm, eine Kundendatenbank/CRM System und ein ERP-System zum Einsatz. Eine direkte Anbindung der einzelnen Systeme zueinander ist mit erhöhtem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Als Alternative zu der vollständigen IT-Integration kann die Erfassung der Bestellung manuell durch Mitarbeiter realisiert werden. Dies wiederum zieht erhöhte Prozesskosten und eine erhöhte Fehleranfälligkeit nach sich. Mithilfe des automatisierten Roboters ist die Möglichkeit gegeben, diesen manuellen Prozess in einem Bruchteil der Zeit, die ein menschlicher Mitarbeiter benötigen würde, abzuwickeln, die Fehleranfälligkeit auf nahezu null zu reduzieren und die Performance zu steigern, indem die Software 24 h und sieben Tage die Woche im Einsatz sein kann.

272

7 Service-Modellierung

7.11.5 Business Process Mining Van der Aalst (2016) definiert Business Process Mining als die Disziplin, die das Wissen von Informations- und Kommunikationstechnologien und der Betriebswirtschaftslehre vereint und wendet diese an operativen Unternehmensprozessen an. Um Prozesse zu modellieren werden traditionell eine Reihe von Interviews und Workshops durchgeführt, um daraus dann die Prozesse abzuleiten und zu modellieren. Da Unternehmen heutzutage jedoch einen Überschuss an Daten produzieren und oftmals sich dessen Mehrwert nicht bewusst sind, entstand die Disziplin des Business Process Mining. Diese macht sich die Datenvielfalt, die in Unternehmen vorherrscht, zunutze, indem man aus LogDateien Petri-Netze (Bi-partite Graphen) extrahiert, auf dessen Basis Prozesse ableitet werden können. Klassisch unterteilt man Process Mining in drei verschiedene Kategorien (van der Aalst 2011): Prozessidentifizierung, Konformitätscheck und Weiterentwicklung. In der ersten Phase werden induktiv aus den Daten Prozesse identifiziert. Dafür werden zuerst sequenzielle Einträge von Events (Aktivitäten) gesammelt. Ein Event zeichnet sich jeweils durch eine Entscheidung aus. Aus den Daten werden dann Petri-Netze gebildet, die den Prozessablauf darstellen. In der Konformitätscheckphase wird überprüft, ob die Prozesse im Unternehmen auch eingehalten werden. Man vergleicht also die Petri-Netze, mit den abgebildeten Logdaten. Es wird überprüft, ob die identifizierten Prozesse auch im Kontext des Unternehmens eingehalten werden oder gar Sinn machen. Die Weiterentwicklungsphase zeichnet sich durch eine Verbesserung oder Erweiterung der Geschäftsprozesse aus. Auf Basis der Ergebnisse der vorgelagerten Phase können die Geschäftsprozesse verbessert und optimiert werden. Der Vorteil des Business Process Minings besteht u. A. darin, dass die „gelebten Prozesse“ offengelegt und analysiert werden können. Zusätzlich haben sich im Zuge der datengetriebenen Dienstleistungsforschung auch mehrere probabilistische Ansätze durchgesetzt, um vorhersagende Modelle für Geschäftsprozesse zu entwickeln (Breuker et al. 2016).

7.12 Zusammenfassung Im Kap. 7 wurde die Modellierung von Dienstleistungen (Service-Modellierung) dargestellt. Hierbei wird die Dienstleistung in eine Reihe von Aktivitäten unterteilt, die zur Erbringung der Dienstleistung als Gesamtheit notwendig sind. Die Modellierung von Dienstleistungen ermöglicht eine höhere Dienstleistungsqualität und eine effizientere Bearbeitung wiederkehrender Probleme (Skaleneffekte). Die Definition der

Anhang: Vollständige XML-Repräsentation des Beispiels „HelloWorld“

273

Modelle erfolgt in speziellen, oft XML-basierten, Modellierungsprachen. Um eine gewisse Vergleichbarkeit und Interoperabilität zwischen verschiedenen Prozessmodellen sicherzustellen, sollte sich die Erstellung von Prozessmodellen an den Grundsätzen zur ordnungsgemäßen Modellierung (GoM) orientieren. Zudem empfiehlt es sich, Prozessmodelle nicht „from scratch“ zu entwerfen. Es existieren Referenzmodelle, die Muster und Lösungsansätze für unterschiedliche Problemklassen zur Verfügung stellen, welche in der jeweiligen Branche häufig auftreten. Aus diesen Referenzmodellen können mit vergleichsweise geringem Arbeitsaufwand unternehmensspezifische Modelle abgeleitet werden. In der zweiten Hälfte des Kapitels wird auf die konkrete Umsetzung der Modellierung eingegangen. Bezüglich des Ordnungsrahmens von Dienstleistungsmodellen kann zwischen mehreren Ebenen unterschieden werden: Grobkonzept, Feinkonzept, IT-Konzept und der eigentlichen Implementierung. Die Entscheidung für eine konkrete Modellierungssprache hängt von der Ebene ab, die modelliert werden soll. Für das Grobkonzept eigenen sich etwa der Service Blue Blueprint (SPB) oder die Business Process Model and Notation (BMPN), während für das IT-Konzept und die eigentliche Implementierung eher BPEL und XPDL geeignet sind. Abgesehen von diesen, explizit für die Modellierung vorgesehenen Sprachen, sind für allgemeinere Automatisierungen von Geschäftsprozessen vor allem drei Ansätze dominierend: Scriptsprachen, (VBA-) Makros und Workflow Automation (z. B. mit Hilfe von BPEL). Des Weiteren besteht die Möglichkeit Geschäftsprozesse mit Hilfe von Business Prozess Mining automatisiert zu identifizieren (und anschließend zu analysieren). Hierzu werden aus den Betriebsdaten (Log-Dateien, Emails etc.) eines Unternehmens automatisiert Petri-Netze abgeleitet, welche die Geschäftsprozesse abbilden.  Petri-Netze sind Graphen, die genau zwei Arten von Knoten kennen: Stellen und Transitionen. In einem Petri-Netz sind Kanten (Übergänge) nicht zwischen beliebigen Knoten möglich, sondern ausschließlich zwischen einer Stelle und einer Transition (oder umgekehrt).

Anhang: Vollständige XML-Repräsentation des Beispiels „HelloWorld“ Siehe Abb. 7.35.

274 Abb. 7.35   Vollständige XML-Repräsentation des Beispiels „HelloWorld“. (Quelle: Eigene Darstellung)

7 Service-Modellierung



flow1



System.out.println("Hello world");

flow1 flow2

flow2





















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8

Service Management und Service Operations

8.1 Übersicht über das Kapitel und Lernziele In diesem Kapitel werden die Aufgaben und Ziele des IT-Service-Managements sowie das Referenzmodell ITIL, ein De-Facto-Standard für das IT-Service-Management, erläutert. Darauffolgend wird der Begriff DevOps im Zusammenhang mit Microservices und der Cloud erklärt und dessen Bedeutung anhand eines Beispiels verdeutlicht. Anschließend wird erläutert, wie mittels Service Analytics aus großen Datenmengen (Big Data) Informationen gewonnen werden, um bei der Steuerung des Geschäftsfeldes bessere Entscheidungen treffen zu können. Des Weiteren werden Strategien vorgestellt, mit denen die Nachfrage nach Dienstleistungen und die verfügbaren Kapazitäten möglichst optimal im Rahmen des Kapazitätsmanagements aufeinander abgestimmt werden können. Im Anschluss werden die verschiedenen Beziehungen des Dienstleisters mit Kunden und Lieferanten, die für die erfolgreiche Erbringung der Dienstleistung notwendig sind, aufgezeigt. Diese umfassen, in Anlehnung an die Service Supply Chain, die für die Dienstleistung spezifischen Service Supply Relationships. Darauf aufbauend, werden Outsourcing-Strategien vorgestellt, bei denen Teilprozesse der Dienstleistungserbringung an einen externen Dienstleister ausgelagert werden können, und es wird aufgezeigt, wie die Auslagerung organisatorisch ausgestaltet sein kann. Dieses Kapitel adressiert folgende Lernziele

1. Sie können die Ziele und Aufgaben von IT-Service-Management erläutern. 2. Sie können den Unterschied des ITIL-Frameworks zu traditionellen IT-­ Betriebsmodellen erklären. 3. Sie können die einzelnen Phasen des ITIL-Service-Lifecycles benennen und als Referenzmodell für IT-Service-Management darstellen.

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2020 J. M. Leimeister, Dienstleistungsengineering und -management, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59858-0_8

279

280

8  Service Management und Service Operations

4. Sie können unterschiedliche Prozesse in den einzelnen Lebenszyklusphasen von IT-Services beschreiben. 5. Sie können die Prozesse, die für das Outsourcing infrage kommen, erkennen und kennen Outsourcing-Formen sowie ein Vorgehen für Outsourcing-Entscheidungen. 6. Sie können das DevOps-Konzept erläutern und die Voraussetzungen für dessen Einsatz erklären. 7. Sie können die mit DevOps einhergehenden Veränderungen sowie die Werkzeuge der DevOps-Toolchain erläutern. 8. Sie können die Vor- und Nachteile von DevOps in Bezug auf Service Operations und Service Design voneinander abgrenzen. 9. Sie können eine geeignete Strategie zum Kapazitätsmanagement für ein gegebenes Fallbeispiel begründet auswählen und anwenden. 10. Sie können bewerten, ob für ein gegebenes Fallbeispiel die Anwendung von Revenue Management sinnvoll erscheint.

8.2 IT-Service-Management Bei der Einführung von elektronischen Dienstleistungen wurden in der Vergangenheit von jeder IT-Organisation eigene Vorgehensweisen zur Umsetzung von IT-Prozessen geprägt, welche auf verschiedene Arten und Weisen verbessert werden sollten bzw. wurden. Dies führte dazu, dass elektronische Dienstleistungen nur schwierig an neue Anforderungen von IT-Organisationen angepasst werden konnten, etwa wenn sich Technologien veränderten und bestehende Systeme durch neue Kundenanforderungen umzubauen waren. Veränderungen waren nicht einfach einzuführen, da die Systeme sehr spezifisch und oftmals komplex zugeschnitten waren. Der Austausch von Dienstleistungen zwischen Organisationen stellte sich als schwierig dar, da jeder Betrieb sein eigenes Vokabular für das jeweilige System entwickelt hatte. Dies brachte eine Vielzahl von Problemen mit sich. So konnten beispielsweise Entscheidungen zur Zusammenarbeit an einem unterschiedlichen Vokabular zwischen Parteien scheitern, da sie einander nicht verstanden, beispielsweise, wenn eine IT-Organisation einen Teil eines Systems liefern sollte und eine andere IT-Organisation einen anderen Teil, relevante Prozessschritte zur Umsetzung des Gesamt-Systems aber zwischen den beiden Organisationen falsch kommuniziert wurden. Schließlich war eine einfache Handhabung elektronischer Dienstleistungen innerhalb einer IT-Organisation durch nicht vorhandene Strukturen erschwert, etwa wenn sich in einem großen Konzern in einzelnen IT-Teilbereichen eigene Insellösungen für Prozesse entwickelt hatten. In den 80er Jahren konzentrierte man sich dann erstmals darauf, durch die Einführung von Management-Methoden, dem sogenannten IT-Management, eine erste Strukturierung

8.2 IT-Service-Management

281

vorzunehmen. Das IT-Management fokussierte sich primär auf die Gestaltung von Datenmodellen. Zunächst war der Fokus daraufgelegt, diese Vorgehensweisen in Unternehmen zu etablieren. In den 90er Jahren erfolgte dann eine Neustrukturierung der Methoden und Konzepte in den Bereichen Planung, Entwicklung und Betrieb der IT, die sich bis heute erhalten haben (Zarnekow et al. 2005). Seit dem letzten Jahrzehnt haben elektronische Dienstleistungen einen verstärkten Kosten- und Qualitätsdruck erfahren. Durch diese neuen Anforderungen fand eine Neuausrichtung des IT-Managements statt. Das IT-Management orientierte sich zunehmend verstärkt am Markt, am Kunden und an einer dienstleistungsorientierten Veräußerung des IT-Angebots (Zarnekow et al. 2005). Das traditionelle IT-Management war aufgabenorientiert. Einzelne Teilbereiche einer IT-Organisation hatten bestimmte, genau abgesteckte Tätigkeitsbereiche, für die sie verantwortlich waren und dadurch ihre Aufgaben zugeordnet bekamen. Weiterhin war das IT-Management technologieorientiert. Es wurde versucht, den Wert neuer Technologien zu erkennen und diese schnell auf den Markt zu bringen. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Entwicklung. Dieser Schwerpunkt hat sich gewandelt. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass gerade die Aufrechterhaltung und der Betrieb der IT – und nicht deren Entwicklung – für ein Unternehmen zu kostenintensiv sind (Boehm und Basili 2005). Dadurch sind gerade längerfristige, kundenorientierte IT-Angebote für den Markt interessant geworden. De-Facto ist es durch die Standardisierung auf der Architekturebene seit dem letzten Jahrzehnt dazu gekommen, dass elektronische Dienstleistungen so sehr standardisiert sind, dass das einzige Differenzierungsmerkmal zwischen Wettbewerbern von elektronischen Dienstleistungen deren Kosten und Qualität sind. Es ist also notwendig, dass IT-Organisationen ihre elektronischen Dienstleistungen möglichst günstig verkaufen können. Das heißt, elektronische Dienstleistungen müssen möglichst günstig produziert und bereitgestellt werden. Durch diese neuen Rahmenbedingungen hat sich das traditionelle IT-Management zu einem serviceorientierten Management – dem IT-Service-Management (ITSM) – weiterentwickelt. Hierbei steht im Kern die Veräußerung von IT in Form von Dienstleistungen – also die IT-Services.

8.2.1 IT-Service als elektronische Dienstleistung IT-Services nach ITSM besitzen drei Komponenten: Personen, Prozesse und Technologie. Das heißt, dass elektronische Dienstleistungen als IT-Services nach ITSM verstanden werden können, da diese Begriffsdefinition, zusätzlich zu IT- und Personaleinsatz, das Vorhandensein eines Prozesses in die Begriffsbestimmung einbaut und IT als Teil von Technologie gesehen werden kann. 

Wichtig Eine ferngesteuerte Wartungsmaßnahme durch einen PC für einen Kunden ist ein IT-Service: Personen sind der Kunde und der Wartungstechniker in

282

8  Service Management und Service Operations

Form von Dienstleistungserbringer und Empfänger. Der PC ist die eingesetzte Technologie. Die Wartung für den Kunden entspricht dem Prozess. Der Techniker verwendet hierbei IT, um Wartungsmaßnahmen auf einem Gerät beim Kunden vor Ort durchzuführen. Dadurch handelt es sich ebenfalls um eine IT-unterstützte Dienstleistung, genauer eine IT-assistierte Dienstleistung, und folglich eine elektronische Dienstleistung. Ein Online-Elektroladen, in welchem sich der Kunde die Ware, die er kaufen möchte, selbst auswählt, fällt in den Begriff des Customer-Self-Service (CSS). Der Kunde bedient sich selbst mittels der IT. Involvierte Personen sind hierbei der Kunde und der Dienstleistungserbringer, der die Auswahl des Kunden im Hintergrund umsetzt. Der Prozess der Dienstleistungserbringung erfolgt durch die Interaktion des Kunden mit der IT und die Auslieferung an den Kunden. Die Technologie entspricht der Internetseite. Durch diese Kombination von Person, Prozessen und Technologie, gehört der CSS als elektronische Dienstleistung ebenfalls in die Definition eines IT-Services.

IT-Service Management (ITSM) Der eingeführte IT-Service-Begriff kann dazu verwendet werden, um ITSM zu ­definieren.  ITSM ist „die Implementierung und Verwaltung von qualitätsbasierten IT-Services, die den Anforderungen des Business gerecht werden. Das IT Service Management wird von IT-Service-Anbietern mithilfe einer geeigneten Kombination aus Personen, Prozessen und Informationstechnologie durchgeführt“ (OGC 2007). Business  Business wird hierbei definiert als „eine übergeordnete Unternehmenseinheit oder Organisation, die aus einer Reihe von Geschäftsbereichen besteht. Im Kontext von ITSM umfasst der Begriff ‚Business‘ den öffentlichen Bereich und nicht gewinnorientierte Organisationen ebenso wie Unternehmen. Ein IT-Service-Anbieter stellt IT-Services für einen Kunden innerhalb eines Business bereit. Der IT-Service-Anbieter kann dabei Teil desselben Business, das die Rolle des Kunden einnimmt (interner (IT-) Service-Anbieter), oder Teil eines anderen Business (externer (IT-) Service-Anbieter) sein“ (OGC 2007). Die Anwendung eines ITSM ermöglicht das Management aller Prozesse einer IT-Organisation, die miteinander operieren. Dieses Management der Prozesse gewährleistet die Qualität von laufenden IT-Services, welche auf mit dem Kunden vereinbarte Servicestufen abgestimmt sind (van Bon et al. 2002). Die Servicestufen werden vor der Einführung eines Service mit dem Kunden ausgehandelt und zumeist vertraglich festgehalten.

8.2 IT-Service-Management

283

Merkmale des ITSM Das ITSM kennzeichnet sich durch folgende vier Merkmale aus (Zarnekow et al. 2005): Marktorientierung, Serviceorientierung, Lebenszyklusorientierung und Prozessorientierung. Es orientiert sich nach den Wettbewerbsmechanismen des Marktes. IT-Services werden über marktorientierte Vertragsbeziehungen veräußert. Sie sind die Basis von IT-Organisationen als Lieferant von IT-Leistungen an Kunden geworden. Die IT-Organisationen stellen ein Angebotsportfolio auf, welches die Kunden, entsprechend ihrer Bedürfnisse nutzen können. Das Management der IT-Services wird im Gesamtlebenskontext betrachtet. Nicht mehr nur die Entwicklung steht im Fokus, sondern auch die Planung, die Einführung, der Betrieb, bis hin zur Ablösung von IT-Services. So werden beispielsweise Kostenaspekte von der Planung bis zur Beendigung von IT-Services in die Kalkulationen übernommen. Schließlich erfolgt eine Ausrichtung weg von einer funktionalen hin zu einer prozessorientierten IT-Organisation. Das heißt, nicht mehr bestimmte Organisationseinheiten, wie Entwicklung oder Support, stehen im Fokus des ITSM, sondern die zur Erfüllung der IT-Services notwendigen Prozesse. Das IT-Service-Management ermöglicht einen effizienteren Betrieb einer IT-Infrastruktur, wodurch die Kosten gesenkt werden können. Folglich sinkt die Wettbewerbsfähigkeit von IT-Organisationen, die ohne ITSM arbeiten. Dies hat dazu geführt, dass viele Betriebe auf ITSM umgestellt haben, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Ziele des IT-Service-Managements Das ITSM hat zwei primäre Ziele (Zarnekow et al. 2005): zum einen gilt es, IT-Services durchgängig an den Anforderungen der Kunden auszurichten, und zum anderen soll für eine fortlaufende Überwachung und Steuerung der IT-Services im Sinne der Kundenanforderungen gesorgt werden. Hierfür stellt das IT-Service-Management Vorgehensweisen bereit, um Prozesse in einer IT-Organisation bestmöglich auszuschöpfen. Es liefert Kennzahlen, mit denen die Qualität von Prozessen gemessen werden kann. Diese Messungen werden eingesetzt, um die Effizienz der Abläufe zu erhöhen. Die Verwendung von ITSM strukturiert die ablaufenden Prozesse, wodurch die Verwaltung und die Entwicklung von neuen IT-Services vereinfacht werden. Durch den Einsatz von ITSM strebt eine IT-Organisation einen klaren Dienstleistungs- und Kundenbezug an. Das IT-Service-Management liefert Modelle für die Zusammensetzung einer Aufbauorganisation, die von einer IT-Organisation umgesetzt werden können. Für das ITSM wurden seither unterschiedlichste Referenzmodelle entwickelt. Anforderungen für den Erfolg dieser Modelle betreffen zum einen formale, zum anderen pragmatische Aspekte (Hochstein und Hunziker 2003). Formale Anforderungen sind vor allem die Genauigkeit, mit der ein Referenzmodell beschrieben wird: sei es in den Zielen einzelner Prozesse, der Betrachtung der Gesamtheit voneinander abhängiger Prozesse, oder in der allgemeinen Konsistenz, in der ein Referenzmodell strukturiert ist.

284

8  Service Management und Service Operations

Pragmatische Anforderungen Pragmatische Anforderungen betreffen insbesondere die praktische Relevanz dargestellter Teile des Referenzmodells. Pragmatische Anforderungen können Kennzahlen für die Effizienz und die Effektivität einzelner Prozesse sein, die Beschreibung der Instrumente, um einzelne Managementprozesse effektiv und effizient gestalten zu können, die Flexibilität des Referenzmodells gegenüber Änderungen, die Klarheit und Einfachheit, in welcher es dokumentiert ist, oder wie es weiterentwickelt werden kann. Insbesondere aber die Verbreitung und Nutzung des Modells ist für die Qualität eines Referenzmodells von entscheidender Bedeutung, da nur weit verbreitete Referenzmodelle eine Vergleichbarkeit zwischen einer hohen Spanne von Organisationen erlauben und dadurch in ihrer Qualität durch Anpassung verbessert werden können. Einführung in ITIL Edition 2011   Das Akronym „ITIL“ steht für Information Technology Infrastructure Library und ist eine eingetragene Handelsmarke der Firma AXELOS Limited. ITIL ist ein Referenzmodell zur erfolgreichen Durchführung des IT-Service-Managements. Dabei ist es aber keine starre Gebrauchsanweisung, sondern ein Rahmenwerk, nach dem Organisationen das IT-Service-Management anhand ihrer Bedürfnisse gestalten können (GOV. UK 2011; Schernhammer 2014).

8.2.2 Geschichte von ITIL Die Geschichte von ITIL begann in den 80er Jahren, als man sich bewusst wurde, dass ein Referenzmodell zur Handhabung von IT-Infrastrukturen benötigt wird, um der bestehenden Problematik des unstrukturierten Managements von IT-Services entgegenzuwirken. Aus diesem Grund rief die britische Regierung eine Initiative ins Leben, aus der ITIL hervorging. ITIL wurde stetig weiterentwickelt und gilt seither als Quasistandard im IT-Service-Management. Entwickelt wurde ITIL von der damaligen britischen Behörde Central Computing and Telecommunications Agency (CCTA), die bis zum Jahr 2010 als Office of Government Commerce (OGC) bekannt war und seitdem Cabinet Office heißt. Seit dem Jahr 2013 ist AXELOS (ein Joint-Venture des Cabinet Offices und der Capita plc) Rechteinhaber der Marke „ITIL“ und für dessen Weiterentwicklung zuständig (GOV.UK 2011; Schernhammer 2014; Steinberg et al. 2013). Die aktuelle Fassung lautet ITIL Edition 2011 (ISO/IEC 20.000:2011). Es handelt sich hierbei nicht um eine neue Version des Standards, sondern um eine Überarbeitung der Version 3 aus dem Jahr 2007. In Version 2011 wurde die Struktur des Kapitels Service Strategy überarbeitet, um es verständlicher und nachvollziehbarer zu machen. Zudem wurden Struktur und Begrifflichkeiten einheitlicher gestaltet sowie einige Grafiken und die Beschreibung der Schnittstellen innerhalb des Lifecycles überarbeitet (Beims und Ziegenbein 2015).

8.2 IT-Service-Management

285

8.2.3 IT-Service-Management mit ITIL ITIL stellt ein Referenzmodell dar, mit dem IT-Services gestaltet werden können. Es bietet den Vorteil, dass es, unabhängig von der Größe einer Organisation, „effizient, zuverlässig und individuell anpassbar eingesetzt werden kann, um Verbesserungen in der Servicebereitstellung zu erzielen“ (Steinberg et al. 2013, S. viii). Es schafft ein einheitliches Vokabular, sodass es ein gemeinsames Verständnis über zuvor unterschiedlich verwendete Begrifflichkeiten gibt. Dies bietet den Vorteil, dass organisationsübergreifend die gleichen Begriffe verwendet werden – es wird sozusagen die „gleiche Sprache“ gesprochen (Beims und Ziegenbein 2015; Schernhammer 2014).

8.2.3.1 Der ITIL-Service-Lifecycle Das ITIL-Rahmenwerk beschreibt IT-Management-Prozesse zur Gestaltung von Kundenanforderungen an die zu erbringenden IT-Services und kann, entsprechend den Bedürfnissen einer Organisation, angepasst werden (Schernhammer 2014). ITIL definiert einen Service-Lifecycle mit fünf Phasen (Schernhammer 2014, S. 7): • • • • •

Service Strategy, Service Design, Service Transition, Service Operation und Continual Service Improvement.

In Abb. 8.1 wird der Zusammenhang der einzelnen Phasen des Lifecycles illustriert.

8.2.3.2 Die Phasen des ITIL-Service-Lifecycles Nach der Erläuterung des Service-Lifecycles im vorangegangenen Abschnitt, werden dessen einzelne Phasen in diesem Abschnitt näher beleuchtet. 8.2.3.2.1 Service Strategy Die Phase Service Strategy hilft dabei, das Service Management zu einem strategischen Kapital für die Organisation zu machen, indem lebenszyklusübergreifende Richtlinien und Prozesse definiert werden. Sie beschäftigt sich mit der Entwicklung von Märkten, Service Assets, dem Servicekatalog und der Implementierung einer Service Strategy im gesamten Service-Lifecycle. Hierzu gibt sie eine Anleitung zum Entwurf, der Entwicklung und der Implementierung. Die Service Strategy soll den Zusammenhang zwischen Services, Systemen sowie Prozessen und den Geschäftsmodellen, Strategien und Zielen in einer Organisation zu verstehen helfen (Schernhammer 2014).   Die Phase Service Strategy dient zum Entwurf einer umfassenden Strategie für IT-Services und das IT-Service-Management (Schernhammer 2014).

286

8  Service Management und Service Operations

Abb. 8.1   Die fünf Phasen des Service-Lifecycle-Modells. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Schernhammer 2014, S. 22)

2.

Service Design

3.

1.

Service Strategy

4.

Service Operaon

5.

Service Transion

Connual Service Improvement

Die Entwicklung einer umfassenden Service Strategy beinhaltet zudem ein Kosten- und Risiko-Management zur Erhöhung der operationellen Effektivität und der Unterstützung der Leistungsfähigkeit im Service-Management. Es geht hierbei um das strategische Denken und Handeln, um das Service-Management erfolgreich betreiben zu können. Es geht also darum, zu überlegen, was gemacht werden soll, bevor überlegt wird, wie es umzusetzen ist. Zu den Stakeholdern im Service-Management gehören (Schernhammer 2014, S. 28) • Kunden, sowohl intern als auch extern, • Anwender und • Supplier.   Definition „Stakeholder sind Interessenvertreter in Bezug auf eine Organisation, ein Projekt oder einen Service“ (Schernhammer 2014, S. 28). Die Arten von Stakeholdern sind wie folgt definiert: Kunden sind Personen, die Produkte, wie Waren oder Services, erwerben. Es wird zwischen internen und externen Kunden unterschieden. Interne Kunden sind Personen oder Abteilungen, die der Organisation des Service-Providers angehören. Bei externen

8.2 IT-Service-Management

287

Kunden hingegen handelt es sich um Kunden, die nicht in der Organisation angestellt sind, oder um andere Organisationen, „die eigene juristische Einheiten darstellen und Services im Rahmen von rechtsverbindlichen Verträgen vom Service Provider erwerben“ (Schernhammer 2014, S. 28). Bei Anwendern handelt es sich um „Personen, die IT-Services im Rahmen ihrer täglichen Aufgaben nutzen“ (Schernhammer 2014, S. 28). Ein Supplier ist „ein verantwortlicher Lieferant von Waren oder Services, die für die Erbringung von IT Services notwendig sind“ (Schernhammer 2014, S. 28). Ein Service Provider ist eine Organisation, die einen oder mehrere interne oder externe Kunden mit Serviceleistungen versorgt. Der Begriff Service Provider wird oft synonym für IT Service Provider verwendet (Schernhammer 2014). Mit der Service-Strategy-Phase sollen u. a. folgende Fragestellungen beantwortet werden (Schernhammer 2014, S. 28): • • • • •

Welche Services wollen wir für wen anbieten? Wie können wir uns von Wettbewerbern abheben? Wie können wir effektiven Mehrwert für Kunden und Stakeholder schaffen? Wie definieren wir Servicequalität? Wie können wir die richtige Entscheidung zur Wahl eines Weges für die Verbesserung der Servicequalität treffen? • Wie können wir entstandene Konflikte bei der Nachfrage nach geteilten Ressourcen lösen? Dabei fokussiert sich die strategische Betrachtung auf (Schernhammer 2014, S. 29) • • • •

die Entwicklung von internen und externen Märkten, Service Assets, die Implementierung der Strategie sowie das Financial Management, das Demand Management, das Service Portfolio Management und die Entwicklung der Organisation.

Service Assets, als entscheidende Aspekte der Service-Strategy, soll folgend genauer erläutert werden.   Definition Ein Asset „ist die Bezeichnung für irgendeine Ressource oder Fähigkeit“ (Schernhammer 2014, S. 29). Dies umfasst „alle Elemente, die zur Erbringung eines Services beitragen können“ (Schernhammer 2014, S. 29). Mögliche Typen von Assets sind Management, Organisation, Prozess, Wissen, Mitarbeiter, Informationen, Anwendungen, Infrastruktur sowie das finanzielle Kapital (Schernhammer 2014).

288 Abb. 8.2   Veranschaulichung von Ressourcen und Fähigkeiten in Service Assets. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Schernhammer 2014, S. 29)

8  Service Management und Service Operations

Fähigkeiten • • • •

Management Organisation Prozesse Wissen Service Assets

• • • •

Informationen Systeme Infrastruktur Kapital

Ressourcen

Die Elemente von Service Assets werden in Abb. 8.2 veranschaulicht.   Definition Eine Ressource „ist ein allgemeiner Begriff, der die IT-Infrastruktur, Personen, Geld und andere Elemente umfasst, die zur Erbringung eines IT Service beitragen können. Ressourcen werden als Assets einer Organisation betrachtet“ (Schernhammer 2014, S. 29). Eine Fähigkeit „ist die Befähigung einer Organisation, einer Person, eines Prozesses, einer Anwendung, eines Configuration Items oder eines IT Service zur Durchführung einer Aktivität. Fähigkeiten gehören nicht zu den greifbaren Assets einer Organisation“ (Schernhammer 2014, S. 29). „Configuration Items (Konfigurationselemente) sind alle Komponenten, die verwaltet werden müssen, um einen IT Service bereitstellen zu können“ (Schernhammer 2014, S. 92). Dies umfasst IT-Services, Hardware, Software, Gebäude, Personen, Dokumente etc. (Schernhammer 2014). Das Ziel eines Unternehmens ist es, Kunden möglichst langfristig an sich zu binden. Hierfür muss sich das Unternehmen von anderen Anbietern abheben. Wenn andere Anbieter über gleiche Ressourcen verfügen, gewinnt das Unternehmen, welches über eine effizientere Organisationsstruktur, bessere Prozesse und mehr Wissen verfügt. Die Leistung und Nutzung von Prozessen, Anwendungen und Infrastruktur müssen mit dem Service Level effektiv bedient werden (Schernhammer 2014).

8.2 IT-Service-Management

289

  „Unter einem Service Level versteht man messbare und nachweisbare Ergebnisse, die im Hinblick auf ein oder mehrere Service-Level-Ziele erreicht werden. Der Begriff ‚Service Level‘ wird im Sprachgebrauch häufig auch als Synonym für Service-Level-Ziel verwendet“ (Schernhammer 2014, S. 30). 8.2.3.2.1.1 Prozess Business Relationship Management

Um den Bedarf eines Kunden zu verstehen, ist eine gute Beziehung zwischen Kunden und Service Provider unabdinglich. Unterstützung hierfür bietet der Business-­ Relationship-Management-Prozess, der den Zweck hat, den Aufbau und die Pflege der Geschäftsbeziehungen zu verstehen sowie den Kundenbedarf und die Sicherstellung der Erfüllung sich ändernder Bedürfnisse zu ermitteln (Schernhammer 2014). Dies hat bspw. zum Ziel, dass der Service Provider die Kundenperspektive auf seine Services versteht und dementsprechend Service Assets priorisiert, wodurch eine höhere Kundenzufriedenheit erreicht werden kann. Es muss zudem sichergestellt werden, dass die Services und das Service Level einen Mehrwert schaffen. Gegebenenfalls ist es ratsam, formale Beschwerde- und Eskalationsprozesse zu etablieren, um dem Kunden eine Feedbackmöglichkeit zu geben und entsprechend darauf reagieren zu können (Schernhammer 2014).   Der Prozess Business Relationship Management „beschäftigt sich hauptsächlich damit, wie Services die Kundenanforderungen erfüllen“ (Schernhammer 2014, S. 37). Hierbei sind bspw. folgende Punkte wichtig (Schernhammer 2014, S. 37): • • • • •

Geschäftsergebnisse, die der Kunde mit dem Produkt erreichen möchte, dem Kunden angebotene Services, und wie sie von ihm genutzt werden, vereinbarte Service Levels zur Definition der Qualität der gelieferten Dienste, Möglichkeiten zur Optimierung von Services sowie das Ansehen des Service Providers beim Kunden.

8.2.3.2.1.2 Prozess Demand Management

Der Bedarf des Kunden an eine Serviceleistung ist für das Service Management von entscheidender Bedeutung. Hierfür wird das Demand Management eingesetzt, dass Geschäftsaktivitätsmuster strategisch analysiert und Services taktisch entsprechend verrechnet, z. B. zur Förderung der Nutzung zu bestimmten Zeiten mit einer geringeren Auslastung. Auf diese Weise lässt sich ein Leerlauf vermeiden, indem die Ressourcen effizienter zugewiesen werden; denn bei geringerer Auslastung entstehen Kosten, die der Kunde nicht gewillt ist zu übernehmen (Schernhammer 2014).   „Unter Demand Management versteht man Aktivitäten, die sich mit dem Bedarf des Kunden an Services befassen und auf diesen Bedarf sowie auf die Bereitstellung der Kapazität Einfluss nehmen, um diesem Bedarf gerecht zu werden“ (Schernhammer 2014, S. 38).

290

8  Service Management und Service Operations

8.2.3.2.1.3 Prozess Financial Management

Doch nicht nur die Ermittlung des Bedarfs des Kunden und die Lastverteilung sind wichtige Kriterien. Es ist ebenso wichtig, „dem Business und dem IT-Management eine Quantifizierung der monetären Werte von IT-Services und den dafür benötigten Assets“ (Schernhammer 2014, S. 39) zu liefern. Dies übernimmt der Prozess Financial Management (Schernhammer 2014).   Das Financial Management „umfasst alle Funktionen und Prozesse in Bezug auf die Verantwortung im Umgang mit den Anforderungen eines IT Service Providers an Budgetierung, Kosten- und Leistungsverrechnung. Es wird eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung gestellt, um Services zu planen, zu entwickeln und zu betreiben. Zugleich dient es der Kontrolle, dass nur Services angeboten werden, die wirtschaftlich sinnvoll sind. Auch wird das Gleichgewicht zwischen Kosten und Qualität, zwischen Angebot und Nachfrage sichergestellt“ (Schernhammer 2014, S. 39). Zur Erfüllung der Aufgabe des Financial Managements sind drei Unterprozesse definiert: Finanzplanung, Kostenrechnung und Leistungsverrechnung. Die Finanzplanung dient der Planung von Ausgaben, der Festlegung des Budgets sowie dessen fortlaufender Überwachung. Die Erfassung der Ausgaben und die Zuordnung der Kosten, z. B. auf den Kunden oder den Service, werden von der Kostenrechnung übernommen. Der Unterprozess Leistungsverrechnung übernimmt die Rechnungsstellung an die Kunden (Schernhammer 2014). Als Hilfsmittel zur Umsetzung des Financial Managements dienen Business Cases, deren Kernstück häufig eine Finanzanalyse ist. Hierbei werden Business-Case-Dokumente erstellt, die einer generellen Struktur entsprechen (Schernhammer 2014, S. 39–40): • Einleitung mit den Geschäftszielen, • Methoden und Ausnahmen zur Festlegung der Grenzen des Business Cases, wie bspw. der Zeitraum, in dem Kosten und Nutzen bestimmt werden, • Business-Auswirkungen über die zu erwartenden finanziellen und nicht finanziellen Ereignisse, • Risiken und Planungen für Notfälle sowie • Empfehlungen für bestimmte Aktionen.   „Ein Business Case ist ein Hilfsmittel zur Erleichterung der Entscheidungsfindung und Planung, bei der die wahrscheinlichen Folgen einer Geschäftsaktivität dargestellt werden“ (Schernhammer 2014, S. 39). 8.2.3.2.1.4 Prozess Service Portfolio Management

Ein weiterer Prozess in der Service Strategy ist das Service Portfolio Management. Es wird zur Verwaltung aller Services im gesamten Lebenszyklus verwendet und beinhaltet drei Kategorien (Schernhammer 2014, S. 34–35):

8.2 IT-Service-Management

291

• die Servicepipeline für alle Services in Entwicklung oder als Vorschlag vorliegend, • den Servicekatalog mit den in Betrieb befindlichen Services sowie • Services, die aus dem Angebot genommen wurden. Im Serviceportfolio sind Verpflichtungen und Investitionen des Providers für Kunden und Märkte enthalten; einschließlich vertraglicher Vereinbarungen, Neuentwicklungen und Serviceverbesserungspläne. Es enthält ebenso Services von beauftragten Drittunternehmen. Das Serviceportfolio soll helfen, die Investitionen zu priorisieren und deren Verteilung zu verbessern (Schernhammer 2014).   „Das Serviceportfolio ist die Gesamtheit aller Services, die von einem Service Provider verwaltet werden. Das Serviceportfolio wird für das Management des gesamten Lebenszyklus aller Services genutzt“ (Schernhammer 2014, S. 35) und umfasst die Kategorien Servicepipeline, Servicekatalog und stillgelegte Services (Schernhammer 2014). Die Servicepipeline enthält strategische Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten für Services, die sich in der Entwicklung oder im Entwurf befinden. Dieses Dokument wird für gewöhnlich nicht an Kunden weitergegeben.   „Die Servicepipeline ist eine Datenbank oder ein strukturiertes Dokument, in dem alle IT-Services aufgelistet sind, die zur Diskussion stehen oder sich in der Entwicklung befinden und noch nicht für den Kunden verfügbar sind. Die Servicepipeline bietet einen Überblick über mögliche zukünftige IT-Services und ist Teil des Serviceportfolios, der in der Regel nicht an die Kunden weitergegeben wird“ (Schernhammer 2014, S. 35). Der Servicekatalog ist dazu gedacht, dass er an Kunden weitergegeben wird. Er enthält den Teil des Serviceportfolios, der für den Kunden einsehbar ist. Der Servicekatalog dient dazu, dem Kunden eine Übersicht über die Fähigkeiten des Service Providers zu geben (Schernhammer 2014).   „Ein Servicekatalog ist eine Datenbank oder ein strukturiertes Dokument mit Informationen zu allen ‚Live IT Services‘, einschließlich der Services, die für das Deployment verfügbar sind“ (Schernhammer 2014, S. 36). 8.2.3.2.2 Service Design Die Phase Service Design gibt eine Anleitung zur Gestaltung und Entwicklung von Services und Service-Management-Prozessen. Sie hilft, neue oder geänderte Services in die Betriebsumgebung zu integrieren. Hierzu werden die Anforderungen an die ­entsprechenden Services aus dem Serviceportfolio entnommen. Das Ziel ist es, nicht nur die funktionalen, sondern auch die nicht funktionalen Anforderungen, wie Service-­ Management-Prozesse und deren Messgrößen, zu berücksichtigen (Schernhammer 2014).

292

8  Service Management und Service Operations

  Die Phase Service Design dient der „Konzeption und Integration von neuen oder geänderten Services in die Betriebsumgebung“ (Schernhammer 2014, S. 42). Im Service Design wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt, der für alle Designaspekte deren Konsistenz und die Integration der Aktivitäten und Prozesse der gesamten IT-Technologie sicherstellt. Wird ein einzelner Aspekt geändert, hat dies Auswirkungen auf alle anderen Aspekte. Aus diesem Grund sollten neue Anwendungen stets im Zusammenhang mit dem Gesamtservice, den Managementsystemen, Architekturen und Technologien entwickelt werden (Schernhammer 2014). Auf diese Weise ist es möglich, Services bereitzustellen, die qualitätsgerecht und kosteneffizienter sind (Schernhammer 2014). Die Vorteile des Service Designs sind u. a. (Schernhammer 2014, S. 43) • ein reduzierter Total Cost of Ownership (TCO), • eine verbesserte Servicequalität, • eine verbesserte Kosteneffizienz der Services bezüglich der Service Strategy, IT-Architektur und andere limitierende Faktoren, • eine effektivere Serviceleistung, • eine verbesserte Organisation der IT sowie • eine verbesserte Entscheidungsfindung und ein besseres Informationsmanagement.   „Bei Total Cost of Ownership (TCO) handelt es sich um eine Methodik, die für Investitionsentscheidungen verwendet wird. TCO beurteilt nicht nur die Anfangskosten oder den Kaufpreis von Configuration Items, sondern die Gesamtkosten über den kompletten Lebenszyklus (z. B. bei Hardware-Komponenten auch Lagerhaltung, Wartung, Support, Upgrade und Verschrottung)“ (Schernhammer 2014, S. 43). Im Service Design gibt es fünf Aspekte, die von großer Bedeutung sind (Schernhammer 2014, S. 44–48): • • • • •

das Design von Servicelösungen, das Design des Serviceportfolios, das Design der technischen Architektur und der Managementsysteme, das Prozessdesign und das Design von Messgrößen.

Beim Design von Servicelösungen müssen unterschiedliche Aspekte berücksichtigt werden. Dies betrifft bspw. die organisatorischen und technischen Auswirkungen der Lösung auf das Unternehmen, die wirtschaftliche Prüfung der Auswirkungen, die Prüfung der Prozesse und der Service-Management-Aktivitäten sowie die Minimierung von

8.2 IT-Service-Management

293

­ ervicerisiken. Des Weiteren müssen Service Design Packages (SDP) für das Testen, die S Einführung und den Betrieb einer Lösung sowie die Service Acceptance Creteria (SAC) zur Sicherstellung, dass der Service Provider in der Lage ist, den neuen oder geänderten Service bereitzustellen, erstellt werden (Schernhammer 2014). SDP werden wie folgt definiert:   Service Design Packages (SDP) sind „Dokumente, in denen alle Aspekte eines IT Service einschließlich dessen Anforderungen für jede Phase des Lebenszyklus des IT Service definiert sind. Ein Service Design Package wird für neue IT-Services, umfassende Changes und die Außerkraftsetzung von IT-Services erstellt“ (Schernhammer 2014, S. 44). Im Serviceportfolio werden alle Prozesse im Hinblick auf den Kundennutzen beschrieben. Es bildet die Hauptquelle mit Informationen zu den Anforderungen an Services und ist aus diesem Grund das wichtigste Managementsystem. Es hilft dabei, bspw. folgende Fragen zu klären (Schernhammer 2014, S. 45): • Warum sollte der Kunde diesen Service kaufen? • Warum sollte er den Service bei uns kaufen? • Welches sind unsere Stärken, Schwächen, Prioritäten und Risiken? Das Serviceportfolio wird zwar im Service Design entworfen, gehört aber in die Zuständigkeit der Service Strategy als Teil des Serviceportfolio-Management-Prozesses (Abschn. 8.2.3.2.1). Es ist wichtig, das Serviceportfolio genauso detailliert zu planen wie die anderen Services auch. Es sollte bspw. Informationen enthalten, wie (Schernhammer 2014, S. 46) • • • • • •

den Servicenamen, eine Servicebeschreibung, den Servicestatus, unterstützte Geschäftsprozesse, IT-Verantwortliche und die Servicekosten.

Das Design der technischen Architektur und der Managementsysteme definiert das strategische Vorgehen zur Entwicklung und Implementierung einer IT-Infrastruktur. Zur Erfüllung der Vorgaben zur Bereitstellung qualitativ hochwertiger Services ist es wichtig, Personen, Prozesse und Partner sowie Aspekte des technischen Designs zu berücksichtigen (Schernhammer 2014).

294

8  Service Management und Service Operations

   Definition Architektur, im Kontext des IT-Service-Managements, ist definiert als „die fundamentale Organisation eines Systems, eingebettet in Komponenten, den Beziehungen zueinander und zur Umwelt und den Prinzipien, die das Design unterstützten und seine evolutionäre Entwicklung begleiten“ (Schernhammer 2014, S. 46). Ein „System wird in diesem Zusammenhang verstanden als eine Sammlung von Komponenten, die organisiert werden, um spezifische Funktionen oder Funktionsbündel zu realisieren“ (Schernhammer 2014, S. 46). Im Prozessdesign werden Prozesse definiert. Prozesse sollten kontrollierbar sein, um sie steuern und wiederholt anwenden zu können. Die Ergebnisse eines Prozesses müssen messbar sein, um deren Nutzen ermitteln zu können. Dementsprechend sollte der Output betrieblichen Normen entsprechen, die von den Geschäftszielen abgeleitet werden. Das Messgrößendesign dient zur Festlegung der Überwachung und der Qualitätsmessung der Designprozesse. Die Details zur Messung und der Metrik werden im Continual Service Improvement (Abschn. 8.2.3.2.5) beschrieben. Da die Messgrößen und Metriken das Verhalten der Personen beeinflussen, die an den Prozessen beteiligt sind, ist es ratsam, die Metriken so auszuwählen, dass sie die am Prozess beteiligten Personen zum Erreichen der Unternehmensziele motivieren. In Tab. 8.1 werden die vier Typen von Metriken aufgeführt, die es ermöglichen, die grundsätzlichen Fähigkeiten zu messen. Beim Design von Messgrößen sollten u. a. folgende Punkte beachtet werden (Schernhammer 2014, S. 47): • • • •

die Nutzergerechtigkeit von Designlösungen, die Abstimmung des Designs auf einen bestimmten Qualitätslevel, die Passgenauigkeit von Designlösungen sowie die Erbringung der gewünschten Ziele.

Das Service Design definiert die Prozesse Design Coordination, Service Level, Service Catalogue, Availability Management, Capacity Management, Information Security

Tab. 8.1  Typen von Metriken zur Messung grundsätzlicher Fähigkeiten. (Quelle: Eigene Darstellung: Inhalt aus Schernhammer 2014, S. 48) Fortschritt

Im Rahmen des Prozesses erzielte Meilensteine und Lieferleistungen

Übereinstimmung

Übereinstimmung des Prozesses mit den Anforderungen an dessen Kontrolle und Lenkung; regulatorische Anforderungen an die den Prozess nutzenden Personen

Effektivität

Genauigkeit und Richtigkeit des bereitgestellten Prozesses; Liefern der richtigen Ergebnisse

Effizienz

Produktivität, Geschwindigkeit, Ergebnisumsatz und Ressourcenverbrauch des Prozesses

8.2 IT-Service-Management

295

Management, Supplier Management sowie IT Service Continuity Management (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.2.1 Prozess Design-Coordination

Zur Koordination der Erreichung der festgelegten Ziele dient der Design-CoordinationProzess. Er stellt das konsistente Design von Services, Service-Management, Architekturen, Technologien, Prozessen und Messgrößen sicher. Des Weiteren plant und koordiniert er Ressourcen, Capabilities und Design-Aktivitäten, bspw. über Projekte und Supplier. Ein weiteres Ziel ist die Verbesserung der Effizienz von Service Design-Aktivitäten und Prozessen (Schernhammer 2014).   „Der Prozess Design Coordination ist eine zentrale Koordinations- und Steuerungsstelle, die sicherstellt, dass die Ziele der Phase Service Design erreicht werden“ (Schernhammer 2014, S. 48). Die Sicherstellung der Zielerreichung erfolgt u. a. durch (Schernhammer 2014, S. 48) • • • •

die Unterstützung der Projekte, die Pflege von Richtlinien, Leitlinien und Standards, Koordination, Priorisierung und Zeitplanung der Service Design-Ressourcen sowie Review, Monitoring und Optimierung der Service Design-Aktivitäten und Prozesse.

8.2.3.2.2.2 Prozess Service Level Management

Das Service Level Management bildet die Kontakt- und Kommunikationsschnittstelle zwischen Kunden und dem IT Service Provider. Es ist für das Monitoring und die Berichterstattung in Bezug auf die Service Levels sowie die Durchführung von Kunden-Reviews zuständig. Die Regelung geschieht über vertragliche Vereinbarungen zwischen dem IT Service Provider und dem Kunden, dem IT Service Provider und einem anderen Teil der Organisation oder mit einem externen Dienstleister (Schernhammer 2014).   Das „Service Level Management (SLM) ist der Prozess, der für das Verhandeln von Service Level Agreements sowie deren Einhaltung verantwortlich ist“ (Schernhammer 2014, S. 49). Zu den Aufgaben des Service Level Managements zählen bspw. (Schernhammer 2014, S. 49) • • • •

die Entwicklung von Kundenbeziehungen, das Verhandeln und Vereinbaren von Anforderungen und Zielen, die Berichterstattung und Überwachung der Einhaltung der Service Level sowie der Entwurf und die Koordinierung von Verbesserungsplänen für Services.

296

8  Service Management und Service Operations

8.2.3.2.2.3 Prozess Service Catalogue Management

Das Service Catalogue Management dient zur Verwaltung von Services, die für den Kunden entwickelt wurden. Die in den Servicekatalog aufzunehmenden Einzelheiten sollten im Serviceportfolio festgelegt werden (Schernhammer 2014).   „Der Zweck des Service Catalogue Management ist es, eine einzige und einheitliche Quelle für Informationen zu allen vereinbarten Services bereitzustellen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass diese Informationsquelle allen berechtigten Nutzern zur Verfügung steht“ (Schernhammer 2014, S. 57). 8.2.3.2.2.4 Prozess Availability Management

Sowohl für den IT Provider als auch für den Kunden hat die Erreichung der vereinbarten Serviceziele höchste Priorität. Die Sicherstellung der Erreichung der Serviceziele geschieht im Availability-Management-Prozess. Dieser Prozess ist für die Organisation überlebenswichtig, denn die Erreichung der Ziele wirkt sich unmittelbar auf die Kundenzufriedenheit aus (Schernhammer 2014).   Das „Availability Management ist der Prozess, der für die Definition, Analyse, Planung, Messung und Verbesserung sämtlicher Aspekte in Bezug auf die Verfügbarkeit von IT-Services verantwortlich ist. Im Availability Management muss sichergestellt werden, dass die gesamte IT-Infrastruktur sowie sämtliche Prozesse, Hilfsmittel, Rollen etc. für die vereinbarten Service-Level-Ziele eine entsprechende Verfügbarkeit ermöglichen“ (Schernhammer 2014, S. 60). Hauptaspekte zur Messung von Verfügbarkeit sind Zuverlässigkeit, Ausfallsicherheit und Wartbarkeit. Zusätzlich ist auch die Servicefähigkeit von Lieferanten, wie die Einhaltung vertraglicher Vereinbarungen, wichtig. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die Services die vereinbarten Anforderungen des Business wirtschaftlich erfüllen können (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.2.5 Prozess Capacity Management

Zur Gewährleistung einer kostengerechten IT-Kapazität dient der Capacity-Management-Prozess. Er bildet den zentralen Ansprechpunkt für kapazitäts- und leistungsbezogene Sachverhalte. Zielsetzungen des Capacity Managements sind u.  a. (Schernhammer 2014, S. 64) • die Erstellung und Pflege eines Capacity-Plans, der die Anforderungen des Business abbildet, • die Unterstützung bei kapazitäts- und leistungsbezogenen Fragestellungen sowie • die Regelung der Kapazität von Ressourcen und Services zur Erfüllung der Leistungsergebnisse.

8.2 IT-Service-Management

297

  Das Capacity Management sorgt für die Sicherstellung, „dass die Kapazität von IT-Services und IT-Infrastruktur fähig ist, die vereinbarten Service-Level-Ziele auf kosteneffiziente und pünktliche Weise zu liefern“ (Schernhammer 2014, S. 64). Es berücksichtigt dafür „alle Ressourcen, die notwendig sind, um einen IT Service zu liefern, und plant die Kapazität dieser Ressourcen für kurze, mittlere und langfristige Business-Anforderungen“ (Schernhammer 2014, S. 64). 8.2.3.2.2.6 Prozess Information Security Management

Ein wichtiges Kriterium bei der Bereitstellung von Services ist die Informationssicherheit. Das Information Security Management regelt die Vertraulichkeit, die Integrität und die Verfügbarkeit von Assets, Informationen, Daten und IT-Services. Dabei muss auch der organisationsübergreifende Datenaustausch geregelt werden (Schernhammer 2014).  Der Prozess „Information Security Management (ISM) ist ein Framework von Richtlinien, Prozessen, Standards, Leitlinien und Hilfsmitteln, das sicherstellt, dass eine Organisation ihre Ziele in Bezug auf […] [die Informationssicherheit] erreichen kann“ (Schernhammer 2014, S. 66). Das Information Security Management soll u. a. Folgendes bezwecken (Schernhammer 2014, S. 67): • die „On-Demand-Bereitstellung“ von Informationen, • die Weitergabe von Informationen nur an Berechtigte sowie • die Sicherstellung der Korrektheit und Vollständigkeit von Informationen.

8.2.3.2.2.7 Prozess Supplier Management

Zur erfolgreichen Bereitstellung von Services ist es unabdinglich, dass die beteiligten Supplier ihre vertraglichen Pflichten erfüllen. Hierfür wird der Supplier-Management-Prozess eingesetzt. Das Ziel ist die Betreuung von Lieferanten und deren gelieferte Services, damit die gelieferten Leistungen der gewünschten Qualität entsprechen. Zusätzlich ist auf ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis beim Einkauf von Leistungen zu achten (Schernhammer 2014).    Definition „Der Prozess Supplier Management ist verantwortlich dafür sicherzustellen, dass alle Verträge mit Suppliern die Anforderungen des Business unterstützen und alle Supplier ihre vertraglichen Verpflichtungen einhalten“ (Schernhammer 2014, S. 70). „Ein Supplier (= Lieferant) ist eine Drittpartei, die für die Bereitstellung von Waren oder Services verantwortlich ist, die für die Erbringung von IT-Services benötigt werden. Zu den Suppliern zählen u. a. Hardware- und Softwareanbieter, Netzwerk- und Telekommunikationsanbieter oder Outsourcing-Organisationen“ (Schernhammer 2014, S. 70).

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8  Service Management und Service Operations

Zu den Zielsetzungen des Supplier Managements gehören bspw. (Schernhammer 2014, S. 71) • die Verhandlung über kostengünstige Leistungen mit den Lieferanten, • der Aufbau und die Pflege von Beziehungen zu Lieferanten sowie • die Vereinbarung der Leistungsqualität.

8.2.3.2.2.8 Prozess IT-Service Continuity Management

Beim Angebot von IT-Services kann es zu Problemen kommen, die schwerwiegende Auswirkungen auf das Unternehmen haben können. Die Verwaltung dieser Risiken übernimmt das IT Service Continuity Management, mit dem Ziel, technische Service-­ Einrichtungen, wie z. B. Computer, Netzwerke und Datenspeicher, bei einem Notfall in der festgelegten Zeit wiederherzustellen (Schernhammer 2014).   Das „IT Service Continuity Management (ITSCM) ist der Prozess, der für die Verwaltung von Risiken verantwortlich ist, die zu schwerwiegenden Auswirkungen auf IT-Services führen können. Das ITSCM stellt sicher, dass der IT Service Provider stets ein Mindestmaß an vereinbarten Service Levels bereitstellen kann, indem die Risiken auf ein akzeptables Maß reduziert werden und eine Wiederherstellungsplanung für IT-­ Services erfolgt“ (Schernhammer 2014, S. 72). Zielsetzungen des IT Service Continuity Management sind u. a. (Schernhammer 2014, S. 72) • die Erstellung und Pflege von IT-Service-Continuity- und IT-Recovery-Plänen, • die Durchführung von regelmäßigen Simulationen, wie sich Änderungen auf das ITSCM auswirken, und wie dadurch Notfälle entstehen können, sowie • in allen Bereichen des Business und der IT mit Rat und Richtlinien zur Seite stehen. 8.2.3.2.3 Service Transition Zur Weiterentwicklung der angebotenen Leistungen ist es notwendig, regelmäßig neue Service Releases in die Betriebsumgebung zu implementieren und Änderungen bestehender Services einzuplanen. Diesem Zweck dient die Service-Transition-Phase (Schernhammer 2014).    Definition Die Phase Service Transition dient der Planung und Durchführung von Service-Änderungen sowie der erfolgreichen Implementierung von Service Releases in die Betriebsumgebung (Schernhammer 2014, S. 78). „Ein Release ist eine Zusammenstellung von Hardware, Software, Dokumentationen, Prozessen oder anderen Komponenten, die für die Implementierung eines oder mehrerer

8.2 IT-Service-Management

299

Changes an IT-Services erforderlich sind. Die Inhalte eines Releases werden als Einheit verwaltet, getestet und implementiert“ (Schernhammer 2014, S. 78). Durch Anwendung der Service-Transition-Phase können Kosten, Zeit, Ressourcenaufwand und auch Risiken der Inbetriebnahme oder Änderungen von Services besser beurteilt werden, womit es möglich ist, eine größere Anzahl an erfolgreichen Änderungen durchzuführen. Dadurch werden Änderungen transparenter und sind nachvollziehbarer. Weitere Vorteile sind bspw. die Möglichkeit der wiederholten Nutzung von Service Transition Assets, die Minimierung des Transitions- und Testaufwandes sowie ein kosteneffizienterer Betrieb (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.3.1 Prozess Transition Planning and Support

Die Planung für die Service Transition und die Koordination der benötigten Ressourcen werden im Prozess Transition Planning and Support durchgeführt. Weitere Ziele dieses Prozesses sind u. a. die Etablierung von neuen und geänderten Services, die Bereitstellung von klaren und umfassenden Plänen für Kunden und Business-Projekte sowie die Überwachung und Verbesserung der Service-Transition-Leistung. Auch die Mitteilung von Schwierigkeiten, Risiken und Abweichungen an Stakeholder und Entscheidungsträger gehören zu den Zielen des Prozesses (Schernhammer 2014).   Der Prozess Transition Planning and Support dient der Durchführung der Planung und der Koordination der benötigten Ressourcen. Wichtige Ziele sind u. a. die Planung und Koordination von Ressourcen und Aktivitäten sowie die Überwachung und Verbesserung der Leistung der Service Transition (Schernhammer 2014, S. 78–79). 8.2.3.2.3.2 Prozess Change Management

Das Change Management koordiniert Änderungsanträge („Requests for Changes“) für IT-Services und stellt die kontrollierte Aufzeichnung, Bewertung, Planung, Implementierung und Überprüfung von Changes sicher. Oberste Prämisse des Change Managements ist eine möglichst flexible und dynamische Reaktion auf Business-Anforderungen, ohne dabei die Stabilität der produktiven IT-Umgebung zu gefährden (Schernhammer 2014).    Definition Das „Change Management ist der Prozess, der für die Steuerung des Lebenszyklus aller Changes verantwortlich ist. Wichtigstes Ziel ist die Durchführung von lohnenden Changes bei minimaler Unterbrechung der IT-Services“ (Schernhammer 2014, S. 79). „Ein Change ist das Hinzufügen, Modifizieren oder Entfernen eines Elements, das Auswirkungen auf die IT-Services haben könnte. Der Umfang der Changes sollte sämtliche IT-Services, Configuration Items, Prozesse, Dokumentationen etc. einschließen“ (Schernhammer 2014, S. 79).

300

8  Service Management und Service Operations

Da den IT-Services komplexe Technologien zugrunde liegen, können Veränderungen weitreichende Folgen haben. Zur Vermeidung von Incidents, die bei Changes ausgelöst werden können und nachteilig für das Business sind, ist eine kontrollierte Durchführung der Changes notwendig. Dies macht das Change Management zu einem wichtigen Prozess bei Änderungen von registrierten Service Assets und Configuration Items im gesamten Service-Lebenszyklus (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.3.3 Prozess Service Asset and Configuration Management

Damit eine Organisation effizient und effektiv arbeiten kann, müssen ihre Assets verwaltet und organisiert werden. Hierfür gilt es, die Configuration Items zu identifizieren, zu steuern und auch zu überprüfen. Das Service Asset and Configuration Management trägt die Verantwortung für die Vollständigkeit der Service Assets und Configuration Items über den gesamten Lebenszyklus hinweg (Schernhammer 2014).    Definition Das „Service Asset and Configuration Management ist der Prozess, der sowohl für das Configuration Management als auch für das Asset Management verantwortlich ist“ (Schernhammer 2014, S. 91). Das „Configuration Management ist der Prozess, der für die Pflege von Informationen zu Configuration Items einschließlich der zugehörigen Beziehungen verantwortlich ist, die für die Erbringung eines IT Service erforderlich sind“ (Schernhammer 2014, S. 91). „Configuration ist die allgemeine Bezeichnung für eine Gruppe von Configuration Items, die zusammen für die Erbringung eines IT Service oder eines umfangreichen Teils eines IT Service eingesetzt werden“ (Schernhammer 2014, S. 91). Ziele des Service Asset and Configuration Managements sind u. a. die Unterstützung der Kontrollziele und Anforderungen des Kunden und der Service-Management-Prozesse sowie die Minimierung von Qualitäts- und Konformitätsproblemen durch unsaubere Konfigurationen von Services und Assets (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.3.4 Prozess Release and Deployment Management

Der Prozess Release and Deployment Management dient zur Einführung von Releases in die Produktionsumgebung. Hierfür ist es u. a. notwendig, Release- und Deployment-Pläne mit den Kunden und Stakeholdern abzustimmen. Ein Ziel des Release and Deployment Managements ist bspw. die Sicherstellung klarer Release- und Deployment-Pläne, anhand derer die Kunden ihre Change-Projekte abgleichen können (Schernhammer 2014).  Definition Der Prozess Release and Deployment Management „ist auf die Fähigkeit ausgerichtet, einen Service gemäß Service Design aufzubauen, zu testen und zu liefern, der

8.2 IT-Service-Management

301

die Anforderungen der Stakeholder und die gewünschten Ziele liefert“ (Schernhammer 2014, S. 95). „Unter Deployment wird die Aktivität verstanden, die für den Übergang neuer oder geänderter Hardware, Software, Dokumentation, Prozesse etc. in die Live-Umgebung verantwortlich ist“ (Schernhammer 2014, S. 96).

8.2.3.2.3.5 Prozess Knowledge Management

Das Knowledge Management dient zur Steigerung der Effizienz durch die Nutzung von bereits vorhandenem Wissen, damit dieses nicht neu entwickelt werden muss. Wissen entsteht durch die Kombination von Informationen über Erfahrung, Situation, Interpretation und Reflektion und wird von Mitgliedern der Organisation sowie durch die Analyse von Datenquellen generiert. Erkennt man nicht nur, wie etwas gemacht wird, sondern auch warum es die richtige Lösung ist, ist dies die Erlangung von Weisheit (Schernhammer 2014).   Das „Knowledge Management (Wissensmanagement) ist ein Prozess, der für die Sammlung, die Analyse, das Speichern und die gemeinsame Nutzung von Wissen und Informationen innerhalb einer Organisation verantwortlich ist“ (Schernhammer 2014, S. 101). Das Knowledge Management ist u. a. für das Speichern von Daten, die Analyse, Darstellung und Transformation von Daten in Informationen sowie die Identifikation relevanter Daten zuständig (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.4 Service Operation Die Service-Operation-Phase prognostiziert und bewertet den Servicenutzen, der in der Service Strategy modelliert und im Service Design sowie der Service Transition entworfen wurde. Das Ziel der Service Operation ist die Koordination und Ausführung von Aktivitäten und Prozessen, die benötigt werden, um Services bereitzustellen. Hierzu werden Pläne, Entwürfe und Optimierungen ausgeführt und gemessen. Dies soll den Nutzen sichtbar machen (Schernhammer 2014).   „Das Ziel von Service Operation ist es, die Aktivitäten und Prozesse zu koordinieren, die erforderlich sind, um Services zu einem abgestimmten Service Level zu betreiben und an interne oder externe Kunden zu liefern“ (Schernhammer 2014, S. 106). Service Operation betreibt die Technik, die zum Leisten und Unterstützen des Services benötigt wird (Schernhammer 2014, S. 106). Damit die Phase Service Operation ihre Ziele erfüllen kann, ist eine gute Kommunikation zur Abstimmung mit anderen Teams und Abteilungen innerhalb des Service-Teams sowie mit Nutzern und internen Kunden notwendig (Schernhammer 2014).

302

8  Service Management und Service Operations

Zur Kommunikation sind u. a. folgende Kommunikationstypen festgelegt (Schernhammer 2014, S. 107): • • • • •

betriebliche, routinemäßige Kommunikation, Kommunikation zur Schichtübergabe, Kommunikation in Projekten, Kommunikation bezüglich Changes, Ausnahmen und Notfällen sowie Kommunikation von Strategie und Design gegenüber Service Operation Teams.

Die Kommunikation kann über die unterschiedlichsten Kommunikationswege erfolgen. Dies sind bspw. (Schernhammer 2014, S. 107). • E-Mail, • SMS-Nachrichten, • Instant Messaging, • Voice over IP (VoiP) und • Telefonkonferenzen. Zur Durchführung von effektiver Kommunikation gehören bspw. (Schernhammer 2014, S. 107). • • • • •

das Erstellen einer Agenda, die Sicherstellung, dass sich die Teilnehmer gegenseitig kennen, die Bereitstellung der benötigten Dokumente, die Erstellung eines Protokolls zur Dokumentation der Gespräche sowie die Förderung der aktiven Teilnahme der Gesprächsteilnehmer, indem sie aktiv in die Besprechung mit einbezogen werden.

Der Ablauf der Phase Service Operation ist in Abb. 8.3 dargestellt. Der Erstkontakt für alle Anfragen der Nutzer – der sog. „Single Point of Contact“ – ist der Service Desk. Alle Anfragen werden zu Beginn als „Incident“ eingestuft. Die Mitarbeiter des Service Desks entscheiden anhand der Beschreibung, um welche Art der Anfrage es sich handelt und leiten die Nutzeranfrage dann an den entsprechenden Prozess weiter (Schernhammer 2014). Folgend werden die wichtigsten Begrifflichkeiten der Service Operation definiert.    Definition Der Service Desk ist der Erstkontakt für alle Nutzeranfragen („Single Point of Contact“). Die Mitarbeiter kategorisieren die Anfragen und leiten sie an den ­entsprechenden Prozess (Incident Management, Request Fulfillment, Access Management oder Change Management) weiter (Schernhammer 2014). „Ein Incident ist eine nicht geplante Unterbrechung eines IT Service oder eine Qualitätsminderung eines IT Service. Auch ein Ausfall eines Configuration Items ohne direkte

8.2 IT-Service-Management

Ergebnisse:

Funkon:

303

Nutzeranfragen: • Incidents, • Service Requests, • Zugriffsanforderungen, • Beschwerden etc. Service Desk

Prozesse:

Problem Management Incident Management

Request Management Access Management

Change Management Abb. 8.3   Ablauf der Service Operation-Phase. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung Schernhammer 2014, S. 108)

Auswirkungen auf einen Service ist ein Incident (Beispiel: ein Ausfall einer oder mehrerer Festplatten in einer gespiegelten Partition)“ (Schernhammer 2014, S. 108). „Service Requests sind Anfragen von Anwendern (z.  B. bezüglich Information, Beratung […] [und] Zugriff). Sie werden über den Request-Fulfillment-Prozess abgebildet“ (Schernhammer 2014, S. 109). Service Requests stellen, im Gegensatz zu Incidents, keine Unterbrechung des Services dar (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.4.1 Prozess Incident Management

Der Prozess Incident Management spielt in der Service-Operation-Phase eine besondere Rolle und ist einer der ersten Prozesse, der in Service-Management-Projekten implementiert wird (Schernhammer 2014).   Das Incident Management hat die wichtige Aufgabe, „den normalen Servicebetrieb so schnell wie möglich wiederherzustellen und die negativen Auswirkungen einer Störung für den Business-Betrieb so gering wie möglich zu halten. Dies geschieht, um den bestmöglichen Level an Servicequalität und Verfügbarkeit zu erzielen“ (Schernhammer 2014, S. 108). Das Incident Management hat für das Business einen entscheidenden Nutzen, indem es Incidents erkennt und beseitigt, IT-Aktivitäten anhand von Business-Prioritäten

304

8  Service Management und Service Operations

ausrichtet, Verbesserungen von Services sowie mögliche Service- und Trainingsanforderungen identifiziert (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.4.2 Prozess Problem Management

Im Problem-Management-Prozess werden Probleme analysiert, um Ursachen für Incidents zu finden, und diese so früh wie möglich vorherzusehen und verhindern zu können. Die Prozesse Incident Management und Problem Management sind eng miteinander verzahnt. Wird im Incident Management ein Incident erkannt, wird im Problem Management nach einer bekannten Lösung gesucht, die das Problem behebt (Schernhammer 2014).    Definition „Problem Management ist der Prozess, der für die Verwaltung des Lebenszyklus aller Probleme verantwortlich ist. Wichtigstes Ziel des Problem Managements ist es, Incidents zu verhindern bzw. die Auswirkungen von Incidents, die nicht verhindert werden können, zu minimieren“ (Schernhammer 2014, S. 115). „Ein Problem ist die Ursache für einen oder mehrere Incidents. Zum Zeitpunkt der Erstellung eines Problem Records ist die Ursache in der Regel unbekannt. Für die weitere Untersuchung ist der Problem-Management-Prozess verantwortlich“ (Schernhammer 2014, S. 115). „Ein Problem Record bezeichnet die zu einem Problem gesammelten Informationen. Der Datensatz (Record) enthält alle Details zu einem Problem. Jeder Problem Record dokumentiert den Lebenszyklus eines einzelnen Problems“ (Schernhammer 2014, S. 118). Ist ein Problem bekannt, aber noch keine vollständige Lösung vorhanden, kann ein Workaround angewendet werden, der die Auswirkungen des Problems mildert oder das Problem umgeht, bis eine Lösung verfügbar ist (Schernhammer 2014).   „Ein Workaround dient der Reduzierung oder Beseitigung der Auswirkungen von Incidents oder Problemen, für die noch keine vollständigen Lösungen verfügbar sind (z. B. durch einen Neustart eines ausgefallenen Configuration Items)“ (Schernhammer 2014, S. 117). 8.2.3.2.4.3 Prozess Request Fulfillment

Der Prozess Request Fulfillment verwaltet die eingegangenen Service Requests. Da sich viele Service Requests ständig wiederholen, ist es sinnvoll, ein Request-Modell zu entwerfen, um solche Requests schnell beantworten zu können und mögliche Eskalationswege festzulegen (Schernhammer 2014).   „Request Fulfillment ist der Prozess, der für das Management des Lebenszyklus aller Service Requests verantwortlich ist“ (Schernhammer 2014, S. 120).

8.2 IT-Service-Management

305

8.2.3.2.4.4 Prozess Event Management

Der Event-Management-Prozess sorgt für die betriebliche Überwachung und die Steuerung von IT-Services. In der Regel werden Events durch eine automatisierte Überwachung erzeugt, z. B. mittels Monitoring-Werkzeuge (Schernhammer 2014).    Definition „Event Management ist ein Prozess, der für die Verwaltung von Events während ihres Lebenszyklus verantwortlich ist. Das Event Management ist eine der wichtigsten Aktivitäten des IT-Betriebs“ (Schernhammer 2014, S. 120). „Ein Event ist eine Statusänderung, die für die Verwaltung eines Configuration Items oder IT Service von Bedeutung ist. Der Begriff ‚Event‘ bezeichnet darüber hinaus einen Alarm (Alert) oder eine Benachrichtigung durch einen IT Service, ein Configuration Item oder ein Monitoring Tool“ (Schernhammer 2014, S. 120). „Ein Alarm ist eine Warnmeldung, dass ein Grenzwert erreicht oder eine Änderung vorgenommen wurde bzw. dass ein Ausfall aufgetreten ist“ (Schernhammer 2014, S. 120). 8.2.3.2.4.5 Prozess Access Management

Damit Nutzer auf Services und Daten zugreifen können, müssen sie mit den entsprechenden Rechten ausgestattet werden, z. B. Lese- und Schreibzugriff oder die Berechtigung, Änderungen durchzuführen. Hierfür ist der Access-Management-Prozess zuständig (Schernhammer 2014).   Definition Das „Access Management ist der Prozess, der für die Zulassung oder Nutzung von IT-Services, Daten und anderen Assets durch Anwender verantwortlich ist. Das Access Management bietet Unterstützung beim Schutz der Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Assets, indem sichergestellt wird, dass nur berechtigte Anwender auf die jeweiligen Assets zugreifen oder Änderungen an diesen vornehmen können“ (Schernhammer 2014, S. 121). „Rechte sind Berechtigungen oder Befugnisse, die einem Anwender oder einer Rolle gewährt werden, beispielsweise die Berechtigung zum Modifizieren bestimmter Dateien oder zur Autorisierung eines Change“ (Schernhammer 2014, S. 122). Synonyme für das Access Management sind bspw. Berechtigungs-Management und Identitäts-Management (Identity Management) (Schernhammer 2014). 8.2.3.2.5 Continual Service Improvement Eine Organisation ist stets bestrebt, ihre bereitgestellten IT-Services zu verbessern. Die Phase Continual Service Improvement sucht nach Verbesserungsmöglichkeiten, um die Implementierungen der anderen Phasen des ITIL-Service-Lifecycles optimieren zu können. Ziele sind u. a. (Schernhammer 2014, S. 136)

306

8  Service Management und Service Operations

• die Prüfung, Analyse und Betrachtung von Verbesserungsmöglichkeiten, • die Identifikation und Implementation von Aktivitäten zur Steigerung der Servicequalität sowie • die Sicherstellung der Nutzung von Qualitätsmanagementmethoden zur Verbesserung von Service-Management-Aktivitäten.   Die Phase Continual Service Improvement „ist verantwortlich für die Verwaltung von Verbesserungen in IT-Service-Management-Prozessen und IT-Services. Dabei wird die Performance des IT Service Providers kontinuierlich gemessen und Verbesserungen an Prozessen, IT-Services und der IT-Infrastruktur werden vorgenommen, um die Effizienz, Effektivität und Wirtschaftlichkeit zu steigern“ (Schernhammer 2014, S. 136).

8.2.3.3 Fallbeispiel: Nutzung von ITIL aus der Kundenperspektive Im Folgenden soll in einem Fallbeispiel die Verwendung der einzelnen Prozesse von ITIL aus Kundensicht verdeutlicht werden. Ein Lehrstuhl eines Professors mit 20 Mitarbeitern und 40 Hilfskräften möchte bei dem Hochschulrechenzentrum der Universität ein Mailing und Calendering-System beantragen. Ein zuständiger Mitarbeiter schickt also eine Anfrage an das Hochschulrechenzentrum (HRZ): „Wie können Sie uns weiterhelfen?“ Die Universität hat 300 Lehrstühle, insofern ist diese Anfrage für das Hochschulrechenzentrum kein Einzelfall. Um die IT-Services effektiv und effizient zu erbringen und die von den Kunden gewünschte Servicequalität gewährleisten zu können, hat das HRZ vor 3 Jahren ITIL eingeführt. Das HRZ bietet dem Lehrstuhl an, sich in dem vom Service Catalogue Management des HRZs zur Verfügung gestellten Service Catalogue über deren Angebot der IT-Services zu informieren. Der Lehrstuhl entscheidet sich im Service Catalogue, zwei IT-Services zu beantragen. Zum einen ein Calendering-System, mit welchem Termine koordiniert werden können, zum anderen ein Mailing-Angebot, mit dem es sich den Aufwand sparen kann, einen eigenen Mail-Server zu betreiben. Alle gewünschten Qualitätskriterien des E-Mail-Services und des Calendering-Services, wie Speicherplatz, erwartete Verfügbarkeit des Systems, Betriebszeit der Mail- und Calendering-Server, Arbeitszeiten des Service- bzw. Supportcenters für Anfragen an das HRZ, Ausfallzeit der Server, Festlegung der Zeit, in welcher ein Techniker innerhalb einer bestimmten Zeit vor Ort sein muss, und die maximal zulässige Zeit, bis ein gemeldetes Problem gelöst sein muss, werden durch Service Level Agreements mit dem HRZ vereinbart. Beispielsweise gewährleistet das HRZ, wenn Mails nicht versendet oder empfangen werden können, dass dieses Problem innerhalb von zwei Stunden behoben wird. Es werden drei Service Levels für den Mail-Server festgelegt: der Professor soll sieben Terabyte Speicherplatz erhalten, die er verwenden kann; maximal 25 wissenschaftliche Mitarbeiter bekommen zwei Terabyte zugesichert, und es wird für 50 Hilfskräfte ein Mail-Platz mit einem Gigabyte zur Verfügung gestellt. Nach zwei Monaten Nutzung bemerkt ein Mitarbeiter des Lehrstuhls, dass seit diesem Tag Mails teilweise nicht empfangen werden. Er meldet die Problematik dem HRZ und

8.2 IT-Service-Management

307

fordert eine Lösung an. Der Service Desk des HRZs nimmt die Anfrage als ein Ticket entgegen, dokumentiert und klassifiziert den Vorfall. Hierfür zieht er die Configuration-Management-Datenbank zurate. Je nach Vorfall kann durch dieses Verfahren identifiziert werden, ob es sich um einen Störfall, ein Problem oder eine Änderungsanfrage handelt. In diesem Fall erkennt der Service Desk, dass es sich um einen Störfall handelt, und leitet den Vorfall an einen Mitarbeiter des Incident Management weiter. Der Mitarbeiter prüft den Vorfall, hat aber keine bekannte Lösung. Die Anfrage wird von ihm, einem Mitarbeiter des First Level Supports, an einen Mitarbeiter des Second Level Supports weitergeleitet. In dieser zweiten Stufe erfolgt nun eine Analyse und Diagnose, indem der zugeordnete Mitarbeiter den Störfall genauer untersucht. Da wiederum keine Lösung für das Problem identifiziert werden kann, gibt der Mitarbeiter die Anfrage an einen Kollegen des Problem Managements weiter. Dieser untersucht abermals, ob es für dieses Problem eine Lösung gibt. Er findet heraus, dass auf dem Server, auf dem die Mails liegen, der entsprechende Daemon (das im Hintergrund laufende Programm, das eingehende Mails empfängt) in unbestimmten Abständen durch ein anderes Programm deaktiviert wird. Zur Behebung modifiziert er das störende Programm, sodass dieses den Daemon nicht mehr deaktivieren kann. Der Server verzeichnet danach wieder Maileingänge. Nachdem der Mitarbeiter des Problem Managements den Fehler gefunden hat, gibt er einen Änderungsvorschlag für zukünftige Systeme an das Change Management weiter und trägt den Fehler in die Datenbank des Configuration Managements als Known Error ein. Schließlich informiert er den Lehrstuhl, dass der Fehler behoben wurde. Die Behebung des Fehlers hat weniger als 2 h gedauert. Damit wurden die vereinbarten Service Level Agreements nicht überschritten. Das HRZ hat seinen Vertrag folglich eingehalten.

8.2.3.4 Herausforderungen bei der ITIL-Einführung Wie im dargestellten Fallbeispiel erkenntlich, besitzt ITIL die Vorteile eines standardisierten Umsetzungsplanes für IT-Infrastrukturen. Nichtsdestotrotz treffen IT-Organisationen bei der Einführung auch auf Herausforderungen. ITIL enthält viele Informationen, die sich eine IT-Organisation zu Beginn erst aneignen muss. Eine noch größere Hürde besitzen IT-Organisationen, die kein oder ein anderes ITSM-Referenzmodell eingesetzt haben. Dies begründet den nur langsamen Umstieg auf ITIL, und warum es sich für eine IT-Organisation als schwierig gestaltet, zu wechseln. Neben dem Aufbau von Wissen, welches von Mitarbeitern der IT-Service-AnbieterOrganisation benötigt wird, besitzt ITIL eine weitere Herausforderung. ITIL definiert nicht, wie das Referenzmodell implementiert werden soll. Es besagt also nicht, wie IT-Services im Detail umzusetzen sind. Intuitiv gesprochen, liefert es also nur Rezepte, aber nicht die genaue Umsetzung des Gerichts, dies bleibt der IT-Organisation überlassen. Diese muss entscheiden, wie die Implementierung umgesetzt werden soll. Dies kann IT-Organisationen insbesondere bei der Fülle des Materials der Bücher von ca. 1700 Seiten überfordern.

308

8  Service Management und Service Operations

Insgesamt ist anzumerken, dass Organisationen weniger Probleme mit der Einführung neuer ITIL-Prozesse haben, je höher bereits bestehende Reifegrade einer Implementierung von ITIL in der IT-Organisation sind (Marrone und Kolbe 2011). Dies liegt daran, dass Mitarbeiter nach der Einführung von ITIL eher erkennen, welche Vorteile dieses Referenzwerk besitzt und dadurch die Hemmschwelle, sich mit dieser Materie auseinanderzusetzen, in der Organisation sinkt.

8.3 DevOps DevOps ist ein Kunstwort aus den Begriffen Development und Operations. „Development“ steht für die Entwicklung der Software und „Operations“ für ihren Betrieb (Thomas et al. 2017). Ziel von DevOps ist es, die Weiterentwicklung der Software zu beschleunigen und die benötigte Zeit zur Bereitstellung („Time to Market“) zu verkürzen, um dem Nutzer Produkte und neue Funktionalitäten schneller zur Verfügung stellen zu können. In der heutigen, schnelllebigen Zeit ist dies essenziell für ein Unternehmen, um am Markt bestehen zu können (Lichtenberger 2017).

8.3.1 Grundlagen zu DevOps DevOps ist kein festgelegter Standard; es handelt sich vielmehr um einen Ansatz, mit dem die Entwicklung von Software und deren Bereitstellung beschleunigt und effizienter gestaltet werden soll. In Abb. 8.4 wird der Werdegang von der traditionellen Entwicklung hin zu DevOps visualisiert. Die traditionelle Softwareentwicklung, die nach einem fixen Plan abläuft, ist nicht mehr zeitgemäß. Immer mehr Nutzer wollen individuellere Lösungen, wodurch sich die Anforderungen an die Software ständig ändern. Um mit dem Wandel schritthalten zu können, wurden die Vorgehensweisen zur agilen Softwareentwicklung entworfen. Doch nicht nur die ständigen Anforderungsänderungen sind relevant; auch die Bereitstellung neuer Software und Funktionalitäten soll stets schneller geschehen. Um dies zu bewerkstelligen, wurde der DevOps-Ansatz entwickelt. DevOps soll sowohl für eine agile Entwicklung als auch für eine agile Bereitstellung der Software sorgen (Lichtenberger 2017; Poojary 2016). In der traditionellen Arbeitsweise gibt es eine strikte Rollenverteilung. Der Manager gibt vor, was wann getan werden soll, und die Teammitglieder führen die Anweisungen aus. Doch diese Struktur ist nicht flexibel genug, um mit den Änderungsanforderungen mitzuhalten. In der agilen Arbeitsweise (z. B. mit Scrum, siehe Kap. 3) gibt es kleinere Teams, die sich selbst organisieren, und dadurch schneller auf Änderungen reagieren können. Mit DevOps wurde die Wertschöpfungskette um das Continuous Delivery erweitert, mithilfe dessen der Graben zwischen der Entwicklung und dem Betrieb geschmälert und für einen reibungslosen Übergang gesorgt werden soll (Lichtenberger 2017).

309

8.3 DevOps

Tradionelle Sowareentwicklung z.B. Wasserfallmodell

• Alle Anforderungen sind klar und fixiert • Stabile Produktdefinion

Agile Sowareentwicklung z.B. Scrum

• Anforderungen ändern sich regelmäßig • Entwicklung muss agil sein

DevOps - Ansatz

• Anforderungen ändern sich regelmäßig • Entwicklung muss agil sein • Betrieb muss agil sein

Abb. 8.4   Die Evolution der Softwareentwicklung. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Poojary 2016)

DevOps ist ein kontinuierlicher Prozess der Entwicklung und der Bereitstellung von Software. Änderungen aufgrund von Nutzeranfragen sowie Änderungen, die während des Betriebs erkannt werden, fließen wieder in die Entwicklung ein. Somit ergibt sich ein Zyklus der Entwicklung und der Bereitstellung, der immer wieder durchlaufen wird (Poojary 2016). Um den Wandel zur agilen Arbeitsweise zu schaffen, gilt es, im Unternehmen eine DevOps-Kultur zu etablieren und die Organisations- und Führungsstile entsprechend anzupassen. Oft hilft dabei ein gezieltes Change-Management, um Mitarbeiter bei dem Wandel mitzunehmen und zu begleiten. Es gilt, den Manager, der bestimmt, was zu tun ist, durch Mentoren zu ersetzen, die die Teams leiten, indem sie Visionen ­vorgeben und die richtigen Fragen an das Team stellen (Lichtenberger 2017). Ebenso wichtig bei der Einführung von DevOps ist es, gemeinsame Metriken (KPIs) zur Messung des Erfolgs von Entwicklung und IT-Betrieb zu definieren, um ein bereichsübergreifendes Verständnis zu gewährleisten.

8.3.2 Der DevOps-Lifecycle Der Ablauf von DevOps wird „Lifecycle“ genannt und besteht aus einer Reihe an Werkzeugen – der sog. Toolchain –, die aufeinanderfolgend angewendet werden (Poojary 2016). Da es sich um einen Zyklus handelt, der immer wieder durchlaufen wird, wird der Lifecycle für gewöhnlich in der Form eines Unendlichkeitssymbols dargestellt, siehe Abb. 8.5.

310

8  Service Management und Service Operations

Abb. 8.5   Der DevOps-Lifecycle. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Poojary 2016)

Connuous Feedback

Plan

Code

Build

Test

Release

Operate

Deploy

Monitor

Connuous Development

Connuous Integraon Connuous Deployment Connuous Delivery Connuous Pipeline

Connuous Monitoring

Abb. 8.6   Die Continuous Pipeline. (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Lichtenberger 2017, Abb. 2, S. 248)

8.3.3 Die Continuous Pipeline Der DevOps-Lifecycle wird mittels der Continuous Pipeline, auf der sich die Tools wiederfinden, kontinuierlich durchlaufen (Lichtenberger 2017) (Abb. 8.6).

8.3.3.1 Continuous Development Das Continous Development enthält die Tools Plan und Code. Diese Tools dienen der Festlegung der Anforderungen an das Endprodukt und der Implementierung der Anwendung. Zur Umsetzung der Entwicklung nach der agilen Methode Scrum

8.3 DevOps

311

(siehe Kap. 3) kann bspw. Jira1 verwendet werden, um die Sprints und User-Storys zu definieren (Poojary 2016). 8.3.3.1.1 Tool Plan Im Planungsprozess werden die Anforderungen an die zu entwickelnde Software definiert. Begonnen werden kann mit einer Mindmap, in der die Funktionalitäten der zu entwickelnden Software gesammelt werden, die anschließend weiter zu sog. User Storys ausgearbeitet werden. Die User Storys werden im Product Backlog gesammelt (siehe Kap. 3) und dienen als Basis zur Durchführung des nächsten Schritts auf der Toolchain (Rubin 2013). 8.3.3.1.2 Tool Code Bei der Programmierung der Anwendung kommen für gewöhnlich sog. integrierte Entwicklungsumgebungen (Integrated Development Environments (IDE)) zum Einsatz, die den Entwickler mittels syntaktischer und semantischer Vervollständigung beim Programmieren sowie bei der Durchführung von Refactoring-Maßnahmen unterstützen. Die Verwaltung des Quellcodes kann bspw. mit dem freien Quellcodeverwaltungstool Git2 geschehen (Poojary 2016).

8.3.3.2 Continuous Integration Das Continuous Integration erweitert das Continuous Development um die Tools Build und Test (Poojary 2016). 8.3.3.2.1 Tool Build Beim Kompiliervorgang (Build) wird der Quellcode in ausführbaren Byte- oder Maschinencode kompiliert oder in eine andere Hochsprache übersetzt (z. B. von TypeScript nach JavaScript). Ein kontinuierliches Kompilieren kann realisiert werden, indem ein Kompiliervorgang automatisch ausgelöst wird, wenn ein Entwickler neuen oder geänderten Quellcode in die Quellcodeverwaltung eincheckt (Poojary 2016). 8.3.3.2.2 Tool Test Nach dem Build erfolgt das Testen der Software. Dies soll sicherstellen, dass die Anwendung korrekt funktioniert, also die Klassen und Methoden korrekt implementiert sind. Für die Implementierung von Testcases kann bei Java-Projekten bspw. das Framework JUnit3 verwendet werden (Poojary 2016).

1https://www.atlassian.com/software/jira. 2https://git-scm.com/ 3https://junit.org/

312

8  Service Management und Service Operations

8.3.3.2.3 Continuous Deployment Mit dem Continuous Deployment wird in den Operations-Teil von DevOps übergegangen. Es erweitert die Continuous Integration um die Tools Release und Deploy (Poojary 2016). 8.3.3.2.4 Tool Release Nach dem Abschluss des Schrittes der Continuous Integration, also dem erfolgreichen Kompilieren und Testen des Programms, erfolgt dessen automatisierte Freigabe, um das Programm auf Test- und/oder Produktivsystemen bereitzustellen (Poojary 2016). 8.3.3.2.5 Tool Deploy Der Bereitstellungsprozess des freigegebenen Programms wird „Deployment“ genannt (Poojary 2016). Anhand der Informationen in der Quellcodeverwaltung kann bestimmt werden, auf welchem System das Programm automatisch bereitgestellt wird, bspw. „testing“ oder „stable“. Zur Bereitstellung von Webanwendungen in der Cloud kann bspw. Docker4 verwendet werden. Mit diesem Tool werden vorkonfigurierbare Container automatisch auf dem Server deployt und stehen unmittelbar zur Verfügung (Docker 2017).

8.3.3.3 Continuous Delivery Das Continuous Delivery fasst die drei Pipelineschritte Continuous Development, Continuous Integration sowie Continuous Deployment zusammen und sorgt für eine ­automatisierte Abfolge des Kompilierens, des Testens und des Deployments (Bensberg und Buscher 2017). Hierfür kann bspw. das freie Tool Jenkins5 verwendet werden, das die Vorgänge automatisch bei einem Check-in in die Quellcodeverwaltung anstößt (Poojary 2016). 8.3.3.4 Continuous Monitoring Der letzte Schritt der Continuous Pipeline ist das Continuous Monitoring mit den Tools Operate und Monitor (Poojary 2016). 8.3.3.4.1 Tool Operate Wie der Name „Operate“ bereits andeutet, handelt es sich hierbei um den Betrieb der deployten Software. Der Nutzer erwartet, dass die Software einwandfrei läuft und, falls nötig, auf Fehler schnell reagiert wird. 8.3.3.4.2 Tool Monitor Zur Überwachung der Software während des Betriebs dient das Monitoring. Hierbei wird bspw. die Performance der Anwendung beobachtet und auftretende Fehler oder ein

4https://www.docker.com/ 5https://jenkins.io/

8.3 DevOps

313

unerwartetes Verhalten der Anwendung erfasst. Auch die Aufnahme von Feedback durch Nutzer gehört zum Monitoring. Auffälligkeiten werden in einem Issuetracker, wie bspw. Jira, YouTrack6 oder Bugzilla7, festgehalten und fließen beim erneuten Durchlaufen des Lifecycles in das Continuous Development mit ein (Continuous Feedback) (Poojary 2016). Aufgrund der agilen Arbeitsweise kann effizient auf Änderungen reagiert und die aktualisierte Software dem Kunden schnell bereitgestellt werden.

8.3.4 Microservices in der Cloud mittels DevOps Zur Anwendung von DevOps eignen sich vorzugsweise Microservices. Hierbei wird eine komplexe Software in kleinere Komponenten aufgeteilt, die als eigenständige Services betrieben werden. Folglich sind Microservices kleiner als eine große, monolithische Anwendung und bestehen aus weniger Quellcode, wodurch Build-, Test- und Deployment-Prozesse beschleunigt werden können (Farcic 2016). Verkomplizierend wirkt allerdings, dass die erstellten Microservices meist unterschiedliche Abhängigkeiten aufweisen und überdies in unterschiedlichen Programmiersprachen geschrieben sein können. Dies macht die Verwaltung der benötigten Laufzeitumgebungen, Frameworks und Bibliotheken komplexer als bei einer einzelnen Anwendung. Aus diesem Grund werden sogenannte Container verwendet, in denen alle Abhängigkeiten integriert sind – sie enthalten also alles, was zum Betrieb des entsprechenden Microservices benötigt wird. Solch ein Container kann deployt werden, ohne dass die Abhängigkeiten beim Deployment-Prozess aufwendig mitgepflegt werden müssen (Farcic 2016). Dieses Szenario, also das Bereitstellen von vorkonfigurierten Containern, ist prädestiniert für den Einsatz in der Cloud. Einzelne Container können, bspw. mittels Docker, bereitgestellt und bei Bedarf durch eine aktualisierte Version ausgetauscht werden (Docker 2017). Wenn in der Cloud zusätzliche Server (meist virtuelle Maschinen) erstellt werden, werden die Container auf diesen Servern deployt und stehen unmittelbar zur Verfügung.

8.3.5 Fallbeispiel Ein mittelständischer IT-Dienstleister ist in den Bereichen Softwareentwicklung, Test und Deployment, Service-Management für Webanwendungen sowie in der Beratung tätig. Der Fokus liegt auf der Entwicklung webbasierter Lösungen für Kunden in unterschiedlichen Branchen (Alt et al. 2017).

6https://www.jetbrains.com/youtrack/ 7https://www.bugzilla.org/

314

8  Service Management und Service Operations

Aufgrund der Digitalisierung änderten sich im Laufe der Zeit die Anforderungen der Kunden nach mehr Mobilität und Agilität bei der Entwicklung und Bereitstellung neuer Leistungen. Um sich im globalen Wettbewerb behaupten zu können, streben die Kunden eine verbesserte Automation und Integration ihrer Geschäftsprozesse an, welche die Bereitstellung neuer Leistungen beschleunigt. Um dies zu ermöglichen, müssen die Produkte schnellstmöglich um neue Funktionalitäten erweitert werden. Hierunter soll die Stabilität der Webanwendungen jedoch nicht leiden. Um dies zu ermöglichen, hat der IT-Dienstleister in einem längerfristigen Programm DevOps eingeführt (Alt et al. 2017). In Tab. 8.2 wird eine Auswahl an Kundenprojekten gezeigt, die der IT-Dienstleister mittels DevOps realisiert. Zur Automation von Tests und Deployment wurde eine Delivery Pipeline entwickelt, in der festgelegt ist, welche Schritte in den unterschiedlichen DevOps-Phasen aufeinander folgen. Ein großes Problem bei der Bereitstellung von Aktualisierungen und neuen Funktionen sind die Zielkonflikte zwischen den verschiedenen Abteilungen. Die Softwareentwickler möchten eine schnelle Bereitstellung neuentwickelter Funktionen; die Service-Manager und Administratoren hingegen möchten einen störungsfreien Betrieb ohne ständige Änderungen. Die Einführung von DevOps hat dazu beigetragen, diese Konflikte zwischen den Abteilungen zu minimieren, indem Erfordernisse des Betriebs, wie bspw. Sicherheit, Lastverteilung und Monitoring, berücksichtigt werden, und die Qualität durch automatisierte Tests sichergestellt wird (Alt et al. 2017). Die Erfahrung beim Einsatz von DevOps hat gezeigt, dass die Übernahmezeit neuer Releases von zuvor mehreren Monaten auf bis zu wenige Stunden gesunken ist, und dies, ohne die Zuverlässigkeit der Leistungen zu mindern. DevOps ermöglicht, neben der Erhöhung der Innovationsdynamik beim Kunden, auch enorme Kosteneinsparungen; Kunden berichten über Einsparungen von bis zu 75 % (Alt et al. 2017). Tab. 8.2  Auswahl an DevOps-Projekten eines IT-Dienstleisters. (Quelle: in Anlehnung an Alt et al. 2017, S. 40, Tab. 4.2) Kunde

Projektbeschreibung

Ziele bezüglich DevOps

Großes Logistikunternehmen

Erneuerung der Internetplattform und mobiler Apps

Zur Ermöglichung kürzerer Releaseund Update-Zyklen bei stabilem Betrieb

Großes Mobilfunkunternehmen

Entwicklung, Test und Deployment einer Webanwendung

Automatische Bereitstellung von virtuellen Maschinen; Vereinheitlichung der Deployment-Konfiguration bereits in der Entwicklungsphase

Globales Erdölunternehmen

Migration einer bestehenden Webseite auf eine neue Umgebung

Unterbrechungsfreie Übernahme der Webseite in eine Betriebsumgebung mit sehr hoher Verfügbarkeit; der Fokus liegt zudem auf Tests und Qualitätsmanagement

8.4  Service Analytics und Optimizations

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8.4 Service Analytics und Optimizations Zu Beginn dieses Abschnitts wird der Umgang mit großen Datenmengen in Verbindung mit Analytics von IT-Services beschrieben. Es wird verdeutlicht, welche Bedeutung die Daten für ein Unternehmen haben, und welche Informationen aus ihnen gewonnen werden können. Daraufhin werden Strategien vorgestellt, mit denen die Nachfrage nach Dienstleistungen und die verfügbaren Kapazitäten möglichst optimal im Rahmen des Kapazitätsmanagements aufeinander abgestimmt werden können. Im Anschluss werden die verschiedenen Beziehungen des Dienstleisters mit Kunden und Lieferanten, die für die erfolgreiche Erbringung der Dienstleistung notwendig sind, aufgezeigt. Diese umfassen die für die Dienstleistung spezifischen Service Supply Relationships. Darauf aufbauend, werden Outsourcing-Strategien vorgestellt, bei denen Teilprozesse der Dienstleistungserbringung an einen externen Dienstleister ausgelagert werden können. Zudem wird aufgezeigt, wie die Auslagerung organisatorisch ausgestaltet sein kann.

8.4.1 Big Data und Analytics von IT-Services Der Begriff Big Data steht für das Speichern, Verwalten, Analysieren und Visualisieren großer Datenmengen, die sich auf konventionelle Weise nicht mehr verarbeiten lassen. Daten lassen sich in drei Kategorien einteilen: Datenursprung (Variety), Zeitrelevanz (Velocity) und Datenvolumen (Volume), siehe Abb. 8.7. Daten können unterschiedlichsten Ursprungs sein (Alpar et al. 2016, S. 269): • Sensordaten, bspw. von RFID-Systemen, GPS-Sensoren, Audio- und Videoströmen, • webbasierte Inhalte, wie User Generated Content, Foren- und Blogeinträge, Social-Media-Inhalte und E-Mails, sowie • verhaltensbasierte Daten, bspw. von Kauftransaktionen, Logfiles, Click-Streams und Likes. Zeitrelevante Daten können bspw. periodisch ermittelte Daten sein, aber auch durch Sensoren erfasste Echtzeitdaten, wie Temperatur oder Geschwindigkeit. Das Datenvolumen reicht von kleinen Datenmengen, wie Klickpfade auf Webseiten, bis hin zu großen Datenmengen, die in sozialen Netzwerken oder auf Videoplattformen generiert werden (Alpar et al. 2016; Klein et al. 2013). Zudem lässt sich die Zusammensetzung der Daten unterscheiden: es gibt strukturierte und unstrukturierte Daten. Strukturierte Daten können bspw. Kundenstammdaten sein (Vorname, Nachname, Straße, Postleitzahl und Ort). Eine E-Mail enthält bspw. sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Daten. Der Kopf der Nachricht ist strukturiert und enthält Daten, wie den Namen des Absenders und die E-Mail-Adresse. Der Inhalt der

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Data Velocity

MB GB

TB

PB

Data Volume

Data Variety Abb. 8.7   Das 3-V-Modell der Big Data. (Quelle: Klein et al. 2013, Abb. 1, S. 320)

Nachricht ist jedoch unstrukturiert und kann Text, Bilder, Dateianhänge u. a. enthalten (Klein et al. 2013). Schätzungen zufolge verdoppelt sich das Datenvolumen alle zwei Jahre. Es wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 weltweit ein Datenvolumen von über 40.000 Exabyte (40.000.000.000.000 Gigabyte) aufkommen wird. Diese gigantischen Datenmengen lassen sich auf konventionelle Weise nicht mehr verarbeiten. Hier bedarf es anderer Analysemethoden, wie z. B. Business Analytics. Bei der Bereitstellung von Dienstleistungen müssen die Unternehmen viele Entscheidungen treffen. Dies betrifft u. a. die Gestaltung der Dienstleistungsportfolios, das Kapazitätsund Ressourcenmanagement sowie die Einbringung der Kundenanforderungen in die Produkte. Um hierfür Informationen zu gewinnen, werden die gesammelten Daten im Rahmen der Service Analytics ausgewertet (Bruhn und Hadwich 2017). Die Business Analytics umfassen vier Methoden zur Analyse unterschiedlicher Sachverhalte (Bruhn und Hadwich 2017, S. 234–235): • Assoziationsanalyse: – Erkennung von Zusammenhängen zwischen Variablen, die bislang unbekannt oder nicht belegt waren.

8.4  Service Analytics und Optimizations

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• Klassifikationsanalyse: – Bestimmung von Variablen zur Klassifizierung von Datensätzen. • Clusteranalyse: – Unterteilung von Datensätzen in Gruppen, indem mittels Distanzmaßen die Ähnlichkeit von Objekten anhand verschiedener Parameter bestimmt wird. • Ausreißeranalyse: – Ermittlung von Datensätzen, die sich signifikant von anderen Datensätzen unterscheiden. Dies ermöglicht, gesicherte Aussagen über die Andersartigkeit von Datensätzen abzuleiten, bspw. zur Erkennung einer überdurchschnittlichen Profitabilität einer Dienstleistung in einer bestimmten Marktregion. Folgende drei grundsätzliche Problemklassen lassen sich mit den genannten Methoden bearbeiten (Bruhn und Hadwich 2017, S. 236): • Explorationsprobleme: – Finden von Mustern, wie bspw. die Erkennung relevanter Merkmahle. • Prognoseprobleme: – Prognostizierung von unbekannten Variablen, wie bspw. eine Prognose über die zukünftigen Umsätze einer Dienstleistung. • Optimierungsprobleme: – Erkennen von möglichen Verbesserungspotenzialen, bspw. durch die Optimierung von Dienstleistungen. Die Service Analytics lassen sich auf die Entwicklung von Dienstleistungen, die Erbringung von Dienstleistungen und deren Vertrieb anwenden (Bruhn und Hadwich 2017, S. 238–239): • Dienstleistungsentwicklung: – Festlegung von konkreten Leistungsangeboten durch Festlegen eines Portfolios und der Gestaltung der Dienstleistung. • Dienstleistungserbringung: – Erbringung der festgelegten Dienstleistungsqualität und der entsprechenden Profitabilität. • Dienstleistungsvertrieb: – Bereitstellung eines passenden Dienstleistungsangebots für die jeweiligen Nutzer. Data Mining und Knowledge Discovery Die Techniken des Data Mining und der Knowledge Discovery lassen sich insbesondere bei der Innovation, dem Management und dem Betrieb von Dienstleistungen anwenden. Ihre Bedeutung nimmt gerade in Bezug auf die Erstellung und den Betrieb von digitalen Dienstleistungen ständig zu. Anwendungsgebiete von Data Mining in Dienstleistungen sind beispielsweise Text Mining, wie Recommenderdienste oder Suchmaschinen,

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oder Zeitreihenanalyse wie Predictive Maintanence, Aktienkursvorhersagen oder Wetteranalysen. In der Literatur verwenden einige Autoren wie Kohavi et al. (2002) die Begriffe Analytics und Data Mining als Synonyme. Andere wie Davenport und Harris (2007) verwenden Analytics als Synonym für Business Intelligence, ein Begriff, der sich auf die Anwendungen und Best Practices zur Analyse von Informationen bezieht, um Geschäftsentscheidungen und -leistungen zu verbessern und zu optimieren. Deshalb werden im Folgenden kurz die Begriffe Data Mining, Knowledge Discovery und Analytics zu einander abgegrenzt.   Data Mining ist der Prozess der Extraktion nützlicher, oft bisher unbekannter, Informationen aus großen Datenbanken oder Datensätzen (Cardoso et al. 2015). Der Prozess der Entdeckung und Schaffung von nutzbarem Wissen aus großen Datensätzen und Dokumenten wird oft auch als Wissensextraktion oder Wissensentdeckung (Knowledge Discovery) bezeichnet. Knowledge Discovery beschreibt den übergeordneten Prozess der Identifizierung nützlichen Wissens aus Daten, während sich Analytik und Data Mining auf einen bestimmten Schritt in diesem Prozess beziehen.   Knowledge Discovery (KD) beschreibt den übergeordneten nicht-trivialen Prozess der Identifizierung gültiger, neuer, potenziell nützlicher und letztlich verständlicher ­Muster in Daten (Fayyad et al. 1996). Der KD-Prozess beginnt mit der Datenaufbereitung, der Datenauswahl, der Datenreinigung und der Einbeziehung geeigneter Vorkenntnisse, bevor Analyse-Techniken angewendet werden können. Nach der Anwendung dieser Techniken ist die richtige Interpretation der Ergebnisse unerlässlich, um sicherzustellen, dass nützliches Wissen aus den Daten gewonnen wird.

8.4.2 Kapazitätsmanagement Kapazität ist der maximale Output eines Systems Unter Kapazität ist der maximale Output eines Systems in einer bestimmten Periode unter gegebenen Rahmenbedingungen zu verstehen (Heizer und Render 1996). Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die zeitliche Dimension. So ist in einem Restaurant die Anzahl der Gerichte, die in einer bestimmten Zeitspanne zubereitet werden können, die limitierende Kapazität und nicht die Anzahl der vorhandenen Stühle. Der maximal erzielbare Output sollte sich dabei an den durchschnittlichen Arbeitsbedingungen orientieren, um so kostenintensive Überkapazitäten bzw. gewinnmindernde Unterkapazitäten zu vermeiden (Haller 2017).

8.4  Service Analytics und Optimizations

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Zwei verschiedene Arten von Kapazitätsmanagement Grundsätzlich gibt es zwei strategische Ansätze für das Kapazitätsmanagement von Dienstleistungen. Zum einen gibt es Strategien, nach denen bei gegebenen Ressourcen versucht wird, die Nachfrage bestmöglich zu steuern, um somit den maximalen Gewinn zu erzielen (Maximalprinzip). Zum anderen existieren Strategien, die versuchen, eine gegebene Nachfrage mit möglichst geringem Ressourcenaufwand zu bedienen (Minimalprinzip) (Gross und Yu 2001). Hier gilt es zu beachten, dass nicht alle Dienstleistungen unter identischen Rahmenbedingungen erbracht werden, und die Eignung einzelner Strategien zum Kapazitätsmanagement daher stark von der angebotenen Dienstleistung abhängt. Zur Veranschaulichung kann hier eine Bank mit einem Hotel verglichen werden. Die Filialbank muss z. B. mit der Herausforderung zurechtkommen, dass sich zu Stoßzeiten lange Warteschlangen bilden, und die Kunden unzufrieden sind, weil sie zu lange warten müssen. Bei Hotels hingegen wird es nur selten zu vergleichbaren Warteschlangen kommen. Dafür steht das Hotel vor der Herausforderung, jede Nacht alle Zimmer zu vermieten. Hierbei muss mit der Problematik umgegangen werden, dass einige Reservierungen nicht wahrgenommen werden und somit im schlimmsten Fall Zimmer leer stehen. Wie im weiteren Verlauf des Kapitels deutlich wird, bietet IT bei der Optimierung des Kapazitätsmanagements verschiedenste Vorteile. Erstens ermöglicht der intelligente Einsatz von IT eine bestmögliche Datensammlung und -auswertung8. Hier bietet IT eine Basis für verschiedenste Dienstleister, mithilfe derer das Kapazitätsmanagement optimiert werden kann. Zweitens ergeben sich durch den geschickten IT-Einsatz bei der Dienstleistungserbringung teilweise enorme Erlöspotenziale. Das kommt daher, dass IT-gestützte Dienstleistungen, z. B. der Abschluss eines Handyvertrags über das Internet, deutlich geringere Grenzkosten der Erbringung aufweisen als der klassische Vertragsabschluss in einem Shop. Drittens können reine IT-Dienstleistungen zumeist sehr stark standardisiert angeboten und auch modular miteinander gekoppelt werden, dadurch wird bei der Erbringung eine Effizienz erreicht, die am ehesten mit der von Sachgütern vergleichbar ist. Im Folgenden werden zuerst verschiedene Strategien für die Steuerung der Nachfrage und anschießend Strategien für die Steuerung der verfügbaren Kapazitäten präsentiert und an Beispielen zu den unterschiedlichen Arten von Dienstleistungen erläutert.

8.4.2.1 Strategien zur Steuerung der Nachfrage 8.4.2.1.1 Fünf Quellen kundeninduzierter Nachfrageschwankungen Da Dienstleister keine Lager anlegen können, müssen sie passende Strategien einsetzen, um die schwankende Nachfrage zu beeinflussen. Bevor jedoch geeignete Strategien abgeleitet werden können, ist es notwendig, sich mit den verschiedenen Arten von

8Mit

diesem Bereich befasst sich unter dem Schlagwort „Business Intelligence“ ein eigenes Fachgebiet innerhalb der Wirtschaftsinformatik.

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8  Service Management und Service Operations

Tab. 8.3  Quellen für kundeninduzierte Nachfrageschwankungen. (Quelle: in Anlehnung an Frei 2006) Quelle der kundeninduzierten Kunden.. Nachfrageschwankung

Beispiel

Ankunft

… wollen die Dienstleistung zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahrnehmen

Kunden koordinieren ihre Einkäufe nicht so, dass keine Warteschlangen entstehen und gleichzeitig alle Kassierer voll beschäftigt sind

Wunsch

… haben unterschiedliche In einem Urlaubshotel haben die Bedürfnisse Gäste viele unterschiedliche Wünsche

Fähigkeit

… können in unterschiedlichem Umfang an der Leistungserstellung mitwirken

Aufwand

… investieren nicht alle Ein Supermarktkunde bringt den Einden gleichen Aufwand bei kaufswagen nicht zur Sammelstelle der Leistungserbringung zurück

Subjektive Präferenzen

… haben unterschiedliche Einschätzungen darüber, was „guter“ Service bedeutet

Manche Patienten haben Probleme, ihre Beschwerden gut zu beschreiben, was zu Problemen beim Treffen der richtigen Diagnose führt

Manche Restaurantgäste bevorzugen es, wenn sich ein Kellner mit Vornamen vorstellt, andere bevorzugen einen distanzierteren Umgang

kundeninduzierten Nachfrageschwankungen und deren Gründen auseinanderzusetzen. Frei (2006) identifiziert fünf Quellen von Nachfrageschwankungen bei Dienstleistungen, die in Tab. 8.3 zusammengefasst sind. Grundsätzlich kann der Dienstleister diesen Schwankungen mit zwei verschiedenen Ansätzen begegnen. Zum einen kann er dem Kunden entgegenkommen und somit das Dienstleistungserlebnis auf Kosten der Effizienz des Erbringungsprozesses erhöhen. Zum anderen kann er sein Leistungsangebot einschränken und somit die Effizienz des Erbringungsprozesses auf Kosten der Dienstleistungsqualität erhöhen. Beide Ansätze können am Beispiel der Aufwandsschwankung veranschaulicht werden. Wenn der Kunde vergleichsweise wenig zum Erstellungsprozess beiträgt, hat der Dienstleister entweder die Möglichkeit, dies durch höhere eigene Leistung zu kompensieren oder zusätzliche Anreize zu schaffen, die den Kunden dazu motivieren sollen, mehr zur Leistungserstellung beizutragen (Fitzsimmons und Fitzsimmons 2013). Besonderes Potenzial hierbei liegt im intelligenten Einsatz von IT, wodurch die verschiedensten Kundengruppen mit einer Multi-Channel-Strategie inklusive verschiedener Anreizsysteme, entsprechend ihrer Bedürfnisse bedient werden können. So betreibt bspw. der Mobilfunkanbieter O2 eigene Shops, in denen Verträge abgeschlossen werden können, und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, dass der Kunde auch selbst vollautomatisch im Internet einen Vertrag abschließen kann. Da der Vertragsabschluss im Internet vollständig automatisiert werden kann, entstehen hier deutlich weniger Kosten pro Vertragsabschluss als in

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einem O2-Shop. Um Kunden dazu zu bewegen, einen Vertrag im Internet abzuschließen, werden Anreize gesetzt, z. B. erhalten Kunden bei Abschluss eines Onlinevertrags monatlich Frei-SMS, Freiminuten oder Rabatte auf den monatlichen Rechnungsbetrag. Im Folgenden werden konkrete Strategien erläutert, mit denen ein Dienstleister auf die kundeninduzierten Schwankungen reagieren kann. 8.4.2.1.2 Steuerung durch optimierte Terminvergabe Kunden von Dienstleistungen lassen sich zumeist verschiedenen Gruppen zuordnen. So vereinbaren zum Beispiel einige Patienten vorab einen Termin bei ihrem Arzt, während andere ohne Termin in die Praxis kommen. Hier ist es möglich, durch die Analyse des Verhaltens einzelner Kundensegmente Hinweise auf mögliche Ansatzpunkte zur Steuerung der Nachfrage zu identifizieren. Zur Veranschaulichung dieser Strategie dient folgendes Beispiel, nach Rising et al. (1973): Im Rahmen einer Analyse in einem Krankenhaus stellte sich heraus, dass die Anzahl der Patienten ohne Termin montags am höchsten ist. Da die Besuche von Patienten ohne Termin kaum beeinflussbar sind, entschied man sich, die Mehrzahl der vorab vergebenen Termine an das Ende der Woche zu verlegen, sodass am Anfang der Woche genügend Kapazität für die spontanen Patientenbesuche verfügbar ist. Diese Anpassung der Vergabestrategie von Terminen führte dazu, dass nach einem Zeitraum von zwei Monaten 13,4 % mehr Patienten behandelt werden konnten, wobei die Arbeitsstunden der Ärzte gleichzeitig um 5,4 % zurückgingen. Des Weiteren konnte die durchschnittliche Wartezeit für Patienten konstant gehalten und eine höhere Zufriedenheit der Ärzte beobachtet werden. Dieses Beispiel verdeutlicht den Mehrwert, den durch IT gesammelte Daten liefern können, indem sie die Entscheidungsfindung unterstützen und zu einer Verbesserung sowohl wirtschaftlicher als auch sozialer Faktoren beitragen können. 8.4.2.1.3 Steuerung durch finanzielle Anreize Eine weitere Möglichkeit, die schwankende Nachfrage zu beeinflussen, ist die Schaffung finanzieller Anreize, um bei einigen Kunden eine Änderung im Nachfrageverhalten zu erzeugen. So bieten zum Beispiel viele Reiseanbieter und Hotels spezielle Konditionen für Reisende außerhalb der Saison an, und Barbetreiber versuchen, z. B. mit Happy Hours, Kunden zu schwach ausgelasteten Zeiten anzulocken. Auf den ersten Blick ist diese Strategie fast identisch mit der zuvor erläuterten. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass es bei der vorherigen Strategie primär darum geht, eine gegebene Nachfrage insgesamt bestmöglich auf die verfügbare Zeit zu verteilen, um Spitzenlasten zu vermeiden. Bei der Steuerung durch finanzielle Anreize soll jedoch zu Zeiten geringer Nachfrage, eine zusätzliche Nachfrage durch Rabatte generiert werden, ohne dabei freie Kapazitäten während der Spitzenzeiten entstehen zu lassen. Diese Motivation zeigt sich beispielsweise darin, dass Fluggesellschaften oft einen Wochenendaufenthalt bei Sonderangeboten verlangen, damit diese Angebote für Geschäftsreisende – die aus beruflichen Gründen ohnehin fliegen – weniger attraktiv sind (Fitzsimmons und Fitzsimmons 2013).

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8.4.2.1.4 Schaffen alternativer Nachfrage Neben dem Schaffen finanzieller Anreize, können Dienstleister darüber hinaus auf eine weitere Art versuchen, alternative Nachfrage in Zeiten schwacher Kapazitätsauslastung zu generieren. Im Rahmen der Strategie des Schaffens alternativer Nachfrage werden potenzielle Kundengruppen angesprochen, die in den Spitzenzeiten nicht adressiert werden. So versuchen zum Beispiel Skigebiete, in denen in den Sommermonaten zu wenig Schnee liegt, spezielle Angebote für Wanderer und Bergsteiger zu schaffen, um so Kunden anzuziehen. Ähnlich bieten einige Hotels außerhalb der Urlaubssaison zusätzliche Räume an, z. B. für Konferenzen oder Schulungen. 8.4.2.1.5 Anbieten komplementärer Dienstleistungen Eine ähnliche Strategie ist das Anbieten komplementärer Dienstleistungen. Im Gegensatz zum Schaffen alternativer Nachfrage werden komplementäre Dienstleistungen jedoch parallel zur Hauptdienstleistung angeboten. Ein Angebot komplementärer Dienstleistungen kann drei verschiedene Zwecke verfolgen. Erstens kann es eventuelle Wartezeiten angenehmer gestalten und dadurch verhindern, dass Kunden sich entschließen, nicht zu warten. Hierfür können Restaurantbetreiber zum Beispiel einen ­Lounge-Bereich einrichten, der von Gästen, die auf einen Tisch warten müssen, genutzt werden kann. Zweitens kann damit erreicht werden, dass den Kunden ein ganzheitliches Dienstleistungserlebnis ermöglicht wird. Ein Beispiel hierfür ist das Erweitern von großen Einkaufszentren um Tankstellen und Restaurants, um den Kunden unnötige Wege zu ersparen. Drittens kann dieses Konzept von Dienstleistern zur Diversifizierung verwendet werden, indem idealerweise verschiedene Dienste angeboten werden, deren Nachfragekurven normalerweise antizyklisch verlaufen. So bieten viele Anbieter einer Finanzberatung auch eine Schuldenberatung an (Fitzsimmons und Fitzsimmons 2013). Durch die Modularisierung (siehe auch Kap. 1) ist es möglich, relativ schnell alternative oder komplementäre Module zu entwickeln und die angebotene Dienstleistung damit anzureichern. Als Beispiel könnte hier der Pay-TV-Sender „Sky“ genannt werden, der seinen Abonnenten zusätzlich zum Basispaket verschiedene Programmpakete anbietet, die weitere Inhalte, wie das HD-TV, freischalten. 8.4.2.1.6 Reservieren und Überbuchen Die Strategie des Reservierens und Überbuchens ist die wohl bekannteste Strategie aus dem Bereich der Steuerung der Nachfrage, da sie von vielen großen Dienstleistern, wie Fluggesellschaften und Hotels, angewandt wird. Kernidee dieser Strategien ist eine klar begrenzte Kapazität, z. B. Hotelbetten oder Sitze in einem Flugzeug, durch vorheriges Reservieren, wenn möglich vollständig, zu belegen. Dadurch kann der Dienstleister schon vor Inanspruchnahme einen Überblick über die zu erwartende Nachfrage erhalten und, falls notwendig, entsprechende Maßnahmen, wie Rabattaktionen zur Erhöhung der Nachfrage, einleiten. Problematisch ist jedoch, dass es oftmals vorkommt, dass Reservierungen nicht wahrgenommen werden, und die dadurch ungenutzten Kapazitäten zu Umsatzeinbußen des Dienstleisters führen. Um dieser Problematik entgegenzuwirken,

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wenden viele Dienstleister zusätzlich die Strategie des Überbuchens an. Dies bedeutet zum Beispiel, dass für 200 Plätze in einem Flugzeug 210 Reservierungen entgegengenommen werden. Die genaue Höhe der Überbuchung wird hierbei zumeist auf der Basis von Vergangenheitswerten bestimmt, die im Rahmen der Business Intelligence zur Verfügung stehen. Mithilfe dieser Strategie kann einerseits dem Problem der freien Kapazitäten entgegengewirkt werden, andererseits erschafft sie ein neues Problem. So kann es aufgrund der Überbuchungen dazu kommen, dass Kunden, die eine gültige Reservierung haben, nicht mehr bedient werden können, da bereits alle Kapazitäten vergeben sind. In diesem Fall werden für gewöhnlich Entschädigungen eingesetzt, um den entstandenen Schaden des Kunden abzumildern und zu versuchen, ihn trotz des Negativerlebnisses nicht als Kunden zu verlieren. Airlines bieten in solch einem Fall bspw. einen Platz im nächsten Flugzeug in Verbindung mit einer Entschädigungszahlung an. Somit bringt die Strategie der Überbuchung, neben dem Potenzial der Minimierung freier Kapazitäten, auch das Problem mit sich, dass durch zu hohes Überbuchen sowohl ein finanzieller als auch ein imagebezogener Schaden entsteht. Daher ist es für den Dienstleister essenziell, das richtige Maß an Überbuchungen zu wählen, um seinen Gewinn zu maximieren. Aufgrund der Bedeutung des Reservierens und Überbuchens für wichtige Branchen, wie z. B. die Tourismusbranche, wird das genaue Vorgehen im Folgenden an einem Rechenbeispiel näher erläutert. 8.4.2.1.7 Beispiel: Schneider Inn Hotelzimmer zu maximieren, ist der Besitzer der Meinung, dass zu oft Zimmer nicht belegt sind und damit Geld verschwendet wird. Als Hauptgrund für diese Situation wurden Reservierungen identifiziert, die von den Gästen aus verschiedenen Gründen nicht wahrgenommen werden konnten. Die kurzfristig frei gewordenen Zimmer konnten in solchen Fällen nur relativ selten noch vergeben werden. In der letzten Feriensaison waren stets alle Zimmer des Hotels reserviert und es wurde eine Statistik angelegt, welche die Verteilung der Eintrittswahrscheinlichkeiten für verschiedene Szenarien nicht wahrgenommener Reservierungen zeigt, siehe Tab. 8.4.

Tab. 8.4  Eintrittswahrscheinlichkeiten für verschiedene Anzahlen an nicht wahrgenommenen Reservierungen. (Quelle: in Anlehnung an Fitzsimmons und Fitzsimmons 2013) Nicht wahrgenommene Reservierungen (n)

Eintrittswahrschein- Anzahl an Überlichkeit (P) buchungen (ü)

Kumulierte Eintrittswahrscheinlichkeit (n