Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre: Aufstieg und Dilemma einer hybriden Disziplin [1. Aufl.] 9783839413302

Betriebswirtschaftliches Expertenwissen ist heute allgegenwärtig - über seine disziplinäre Basis ist jedoch kaum etwas b

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Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre: Aufstieg und Dilemma einer hybriden Disziplin [1. Aufl.]
 9783839413302

Table of contents :
INHALT
Einleitung
Forschungsstand und theoretische Vorüberlegungen
1. Soziale Welt der Wissenschaft
Wissenschaftliche Felder, Wissenskulturen
2. Wissenschaftliches Handeln
Disziplinäre und professionelle Handlungslogiken
Wissenschaftsberuf als Spannungsbewältigung
Autonomie und Interesselosigkeit
3. Wissenschaft und Hochschule im Wandel
Vergesellschaftlichung der Wissenschaft?
Fragestellung und Vorgehen
I. HISTORISCHE HERLEITUNGEN
I.I Innenansichten: Im Spannungsfeld von Zwecklehre und Wissenschaftsdisziplin
1. Entstehungskontext
Anfänge der Handelswissenschaften in der Schweiz
Erste Institutionalisierungserfolge
2. Ein akademisches Bildungs- und Reformprojekt
Gemeinwohlorientierung
Reformbestrebungen und Standespolitik
Sachverständnis anstelle von praktischen Routinen
3. Reine Wissenschaft oder Kunstlehre?
Wirklichkeitskonstatierung statt privater Interessenpolitik
Streit um die Privatwirtschaftslehre
4. Konsolidierungsprobleme und Praxisorientierung
Stockender Institutionalisierungsprozess
Zwischen Theorie und Praxis
5. Von der disziplinären Abschließung zur interdisziplinären Öffnung
Neuverhandlung der paradigmatischen Grundlagen
Mehrdimensionalität der Unternehmung
Funktionalität der Hochschule
6. Ausbau und Ausdifferenzierung
Umstrukturierungen der Wissenschaftsgemeinschaft
Fragmentierung oder kognitive Schließung?
7. Positionierungen im Wissenschaftsfeld
I.II Außenorientierungen: Intellektualisierung, Verberuflichung und Verwissenschaftlichung
1. Anschlüsse an das kaufmännische Bildungswesen
Professoren zwischen Handelsschule und Hochschullehre
Netzwerk der kaufmännischen Bildung
2. Verwissenschaftlichung der Betriebsführung
Rationalisierungsbewegung und Betriebswissenschaft
Neue Wirtschaftsexperten
3. Akademisierung der Wirtschaftseliten
Management nach amerikanischem Vorbild
Betriebswirtschaftslehre für Führungskräfte
Masters of Business?
4. Expansion des betriebswirtschaftlichen Sachverstands
Ein Massenstudienfach
Konkurrenz der Wirtschaftsexperten
5. Koalitions- und Konkurrenzbeziehungen zur Praxis
II. FALLPORTRAITS
Wissenschaftspraktiken im aktuellen Kontext
Sample, Interviewführung und Interviewanalyse
1. Erscheinungsformen einer angewandten Wissenschaft
Ein Wirtschaftstechniker
Orientierung am klinischen Wissenschaftsmodell
Praktische Reflexionslehre
Vergleich
2. Positionierungen zwischen. Wissenschaftssystem und Berufspraxis
Ein reiner Wissenschaftler
Distanzierung vom selbstreferentiellen Wissenschaftssystem
Das Synergiemodell
Vergleich
3. Reputationskriterien im Wandel
Lokale und internationale Orientierungen
Portfoliodenken
Vergleich
4. Wissenschaftsberuf im heteronomen Feld
Wächter des Universitären
Konvergenzmodus
Schlussbetrachtungen
Eine praktische Wissenschaft
Betriebswirtschaftslehre als hybride Disziplin
Verschiebungstendenzen in den Sozialwissenschaften
Dank
Abkürzungen
Literatur
ANHANG

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Susanne Burren Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre

2009-12-10 14-40-14 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0332228287731970|(S.

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Susanne Burren (Dr. rer. soc.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Forschung und Entwicklung der Pädagogischen Hochschule in Aarau (Schweiz). Ihre Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftsforschung, Hochschul- und Bildungssoziologie.

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Susanne Burren

Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre Aufstieg und Dilemma einer hybriden Disziplin

2009-12-10 14-40-14 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0332228287731970|(S.

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Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Inauguraldissertation zur Erlangung der Würde eines Doctor rerum socialium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern. Die Fakultät hat diese Arbeit am 16.10.2008 auf Antrag der beiden Gutachter Prof. Dr. Claudia Honegger und Prof. Dr. Peter Wagner als Dissertation angenommen, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Auffassungen Stellung nehmen zu wollen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Satz: Susanne Burren Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1330-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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INHALT

Einleitung

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Forschungsstand und theoretische Vorüberlegungen 1. Soziale Welt der Wissenschaft Wissenschaftliche Felder, Wissenskulturen 2. Wissenschaftliches Handeln Disziplinäre und professionelle Handlungslogiken Wissenschaftsberuf als Spannungsbewältigung Autonomie und Interesselosigkeit 3. Wissenschaft und Hochschule im Wandel Vergesellschaftlichung der Wissenschaft?

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Fragestellung und Vorgehen

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I. HISTORISCHE HERLEITUNGEN I.I Innenansichten: Im Spannungsfeld von Zwecklehre und Wissenschaftsdisziplin 1. Entstehungskontext Anfänge der Handelswissenschaften in der Schweiz Erste Institutionalisierungserfolge 2. Ein akademisches Bildungs- und Reformprojekt Gemeinwohlorientierung Reformbestrebungen und Standespolitik Sachverständnis anstelle von praktischen Routinen 3. Reine Wissenschaft oder Kunstlehre? Wirklichkeitskonstatierung statt privater Interessenpolitik Streit um die Privatwirtschaftslehre 4. Konsolidierungsprobleme und Praxisorientierung Stockender Institutionalisierungsprozess Zwischen Theorie und Praxis

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5. Von der disziplinären Abschließung zur interdisziplinären Öffnung Neuverhandlung der paradigmatischen Grundlagen Mehrdimensionalität der Unternehmung Funktionalität der Hochschule 6. Ausbau und Ausdifferenzierung Umstrukturierungen der Wissenschaftsgemeinschaft Fragmentierung oder kognitive Schließung? 7. Positionierungen im Wissenschaftsfeld

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I.II Außenorientierungen: Intellektualisierung, Verberuflichung und Verwissenschaftlichung 1. Anschlüsse an das kaufmännische Bildungswesen Professoren zwischen Handelsschule und Hochschullehre Netzwerk der kaufmännischen Bildung 2. Verwissenschaftlichung der Betriebsführung Rationalisierungsbewegung und Betriebswissenschaft Neue Wirtschaftsexperten 3. Akademisierung der Wirtschaftseliten Management nach amerikanischem Vorbild Betriebswirtschaftslehre für Führungskräfte Masters of Business? 4. Expansion des betriebswirtschaftlichen Sachverstands Ein Massenstudienfach Konkurrenz der Wirtschaftsexperten 5. Koalitions- und Konkurrenzbeziehungen zur Praxis

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II. FALLPORTRAITS Wissenschaftspraktiken im aktuellen Kontext Sample, Interviewführung und Interviewanalyse 1. Erscheinungsformen einer angewandten Wissenschaft Ein Wirtschaftstechniker Orientierung am klinischen Wissenschaftsmodell Praktische Reflexionslehre Vergleich 2. Positionierungen zwischen Wissenschaftssystem und Berufspraxis Ein reiner Wissenschaftler Distanzierung vom selbstreferentiellen Wissenschaftssystem Das Synergiemodell Vergleich

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3. Reputationskriterien im Wandel Lokale und internationale Orientierungen Portfoliodenken Vergleich 4. Wissenschaftsberuf im heteronomen Feld Wächter des Universitären Konvergenzmodus

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Schlussbetrachtungen Eine praktische Wissenschaft Betriebswirtschaftslehre als hybride Disziplin Verschiebungstendenzen in den Sozialwissenschaften

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Dank

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Abkürzungen

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Literatur

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ANHANG

EINLEITUNG

„Echte Wissenschaft ist aber nicht weltfremd; sie fördert im Gegenteil die Erkenntnis der Welt und zeigt uns, wie wir das Bestehende benützen und nach unseren Wünschen und Bedürfnissen umwandeln können. Der Gedanke strebt zur Tat. So sollen auch die Handelswissenschaften nicht nur den Geist bilden, sondern ihn auch zu Taten anleiten, auch der Praxis dienen.“1

„Der Gedanke strebt zur Tat“ – diese Worte von Johann Friedrich Schär, dem ersten Schweizer Professor für Handelswissenschaften, können sowohl als wissenschaftspolitische Aufforderung wie auch als beschreibende Beobachtung der wissenschaftlich-industriellen Zustände um 1900 gelesen werden. Anfangs des 20. Jahrhunderts konnte bereits auf eine lange Geschichte der technisch-praktischen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zurückgeblickt werden. Gerade für die erste Phase der neuzeitlichen Wissenschaft im 17. Jahrhundert lässt sich kaum eine institutionalisierte Trennung zwischen reiner Forschung und angewandter technischer Entwicklung ausmachen. Erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wurde die Idee einer Einheit von Wahrheit und Nützlichkeit zunehmend in Frage gestellt. In Deutschland führte die humboldtsche Universitätsreform um 1800 zur scharfen Trennung zwischen den Institutionen der freien Wissenschaftstätigkeit und jenen der technischpraktischen Wissensvermittlung.

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Schär, 1904: 4. 9

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Im späten 19. Jahrhundert etablierten sich technische Anwendungsformen im gesellschaftlichen Leben als Ausdruck der stattfindenden Rationalisierungs- und Intellektualisierungsprozesse. Es entstanden ganze Industriezweige, die auf wissenschaftlichen Entdeckungen basierten und auf neue Forschungsergebnisse angewiesen waren. In dieser Zeit übernahm Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Errichtung von Technikerund Ingenieurausbildungen auf Hochschulniveau. Während die humboldtsche Trennung von Hochschule und Technik für die älteren Universitäten beibehalten wurde, repräsentierten die technischen Hochschulen einen alternativen Hochschultypus. Er setzte sich zwar mit Erfolg durch, blieb aber mit einem Defizit behaftet. Gerade aus akademischer Perspektive wies die Nutzenorientierung weiterhin ein gewisses Stigma auf. In der intellektuellen Werteskala der akademischen Milieus in Deutschland wie auch anderswo in Europa stellten Praxisprobleme und Anwendungsfragen oftmals Themen minderen Rangs dar.2 Mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung expandierte in Europa neben den technischen Ausbildungsgängen im 19. Jahrhundert auch das kaufmännische Bildungswesen. Im deutschsprachigen Raum wurden zunächst erste Handelsmittelschulenschulen, gegen Ende des Jahrhunderts dann ebenfalls Handelshochschulen und andere Institutionen eines höheren kaufmännischen Bildungswesens eröffnet. Ab 1903 wurden in der Schweiz die ersten handelswissenschaftlichen Universitätslehrstühle eingerichtet. Die an den Universitäten zuvor stiefmütterlich behandelten kaufmännischen Wissensbestände erhielten damit einen eigenständigen – obgleich nicht unumstrittenen – Platz im akademischen Feld. Es formierte sich allmählich ein neuer wirtschaftswissenschaftlicher Teilbereich, der sich nach mehrmaligen Umbenennungen („Handelswissenschaften“, „Handelsbetriebslehre“, „Einzelwirtschaftslehre“, „Privatwirtschaftslehre“) ab den 1920er Jahren unter der Bezeichnung „Betriebswirtschaftslehre“ als universitäre Fachdisziplin konsolidierte. Im Vergleich zu Deutschland weist die schweizerische Entwicklung eine Besonderheit auf. Das neue Fachgebiet nahm hier nicht den „Umweg“ über vom Universitätssystem weitgehend unabhängige Handelshochschulen, die in der Regel von lokalen, in Handelskammern organisierten Koalitionen der Wirtschaftsvertreter und der Stadtverwaltung getragen wurden.3 In der Schweiz institutionalisierten sich die Handelswissenschaften von Beginn weg als Teilbereich des universitären Curriculums. Einzig in der Stadt St. Gallen entstand 1899 eine disziplinär spezi-

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Felt/Nowotny/Taschwer, 1995: 183-186; Raphael, 1996: 170-171; Weingart, 2001: 178-184. Tribe, 1995: 101; Gaugler, 1998: 6.

EINLEITUNG

alisierte „Handelshochschule“ ohne universitäre Anbindung. 1903 richtete Zürich als erste Universität einen handelswissenschaftlichen Lehrstuhl ein. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden an den meisten schweizerischen Universitäten Lehrstühle und Abteilungen im Bereich der Handelswissenschaften eröffnet. Die Handelswissenschaften und die spätere Betriebswirtschaftslehre konstituierten sich als disziplinäres Feld im Spannungsbereich von Erkenntnisfindung und Erkenntnisverwendung. Bei Johann Friedrich Schär erhält diese doppelte Orientierung programmatischen Charakter, wenn er in seiner Antrittsrede an der Universität Zürich zur „Pflege der Handelswissenschaften an der Universität Zürich“ geltend macht: „So sollen auch die Handelswissenschaften nicht nur den Geist bilden, sondern ihn auch zu Taten anleiten, auch der Praxis dienen.“4 Die Etablierung und die Weiterentwicklung kaufmännischer Hochschulinstitutionen standen zudem in engem Zusammenhang mit der Frage nach den Bedingungen und den Möglichkeiten der sozialen Reproduktion der wirtschaftsbürgerlichen Elite in einer sich verändernden sozioökonomischen Umwelt. Dabei erlangte die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre weder den Status einer wirtschaftswissenschaftlichen Profession noch denjenigen eines Eliteausbildungsgangs nach dem Modell der französischen „Grandes Écoles“.5 Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, kann die historische Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre mit den Kategorien der Professionalisierungsgeschichte allein nicht adäquat gefasst werden. Es sind aber auch deutliche Unterschiede zu einer – auf die „freie“ Wissensproduktion fokussierten – wissenschaftlichen Disziplin auszumachen. Als hybride Disziplin war die Betriebswirtschaftslehre durch eine Doppelorientierung auf Wissenschaft und Praxis geprägt, während sie gleichzeitig divergente wissenskulturelle Muster und wissenschaftliche Denktraditionen in sich vereinte. Aktuelle Befunde der Wissenschaftsforschung verweisen darauf, dass die Leistungs- und Erfolgskriterien wissenschaftlichen Arbeitens in jüngerer Zeit einer Heterogenisierung unterworfen sind. Es ist vom Auftauchen neuer Wissenschaftsmodelle die Rede, in welchen die Wissenschaftsakteure ihre kognitiven und gesellschaftlichen Autoritätsansprüche entweder freiwillig aufgeben oder sich zunehmend zur Aufgabe dieser Ansprüche gezwungen sehen. Die Diagnose lautet, dass sich Wissenschaftler aufgrund eines wachsenden gesellschaftlichen Legitimationsdrucks verstärkt auf außerakademische Interessen und Zielsetzungen hin orientieren. Gemäß Peter Weingart kann spiegelbildlich zum mit Mo-

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Schär, 1904: 4. Franz, 1998; Koppetsch, 2000: 201-210. 11

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

dernisierungsdynamiken einhergehenden Prozess der „Verwissenschaftlichung der Gesellschaft“ gegenwärtig eine „Vergesellschaftung der Wissenschaft“ festgestellt werden. Unter Bezug auf die gesellschaftliche Funktionsdifferenzierung unterscheidet er zwischen den drei Teilprozessen einer Politisierung, einer Ökonomisierung und einer Medialisierung der Wissenschaft.6 Insbesondere der Aspekt der Ökonomisierung findet auch im Rahmen der aktuellen Diskussion über die „Wissensgesellschaft“ Berücksichtigung. So wird etwa der Frage nachgegangen, welche Veränderungen sich für das Wissenschaftssystem ergeben, wenn Wissen vermehrt als Produktionsfaktor konzeptualisiert, durch Marktmechanismen reguliert und intellektuellen Eigentumsrechten unterworfen wird.7 Während also in der Literatur ein Umbruch der Wissensordnung diagnostiziert wird, liefert die Betriebswirtschaftslehre das Beispiel eines Wissenschaftsfeldes, das bereits über eine längere Tradition der akademischen Außen- bzw. Praxisorientierung verfügt. Mit dem Vorwurf der „Profitlehre“ wurde das Fach in seiner Konstituierungsphase unter den Generalverdacht einer instrumentellen Ausrichtung auf die Interessen der Privatwirtschaft gestellt. Erst allmählich konnte es sich einen legitimen Platz im Wissenschaftssystem sichern. Heute verweist der Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre zu einem der meist gewählten Studienfächer auf ein großes gesellschaftliches Interesse an betriebswirtschaftlichen Wissensbeständen. Parallel dazu haben sich die Debatten über die wissenschaftliche Legitimität des Faches bis in die Gegenwart fortgesetzt. Die vorliegende Untersuchung der Betriebswirtschaftslehre fragt nach den Strukturmerkmalen einer Wissenskultur im Spannungsfeld von Wissenschaftlichkeit und Praxisorientierung. Insbesondere interessiert, ob und inwiefern sich in jüngerer Zeit in der Betriebswirtschaftslehre Anzeichen für einen Abbau der Spannungsdynamiken im Sinne der oben erläuterten Vergesellschaftungsthese ausmachen lassen. Diesem Fragekomplex wird sowohl aus historisch-genetischer als auch aus gegenwartsdiagnostischer Perspektive nachgegangen. Untersuchungsfeld ist der mit seinen neun kantonalen Universitäten und zwei eidgenössischen Institutionen vergleichsweise gut überschaubare schweizerische Universitätsraum. Dabei zeigen sich viele Verbindungen zur deutschen Betriebswirtschaftslehre. Es kommen aber auch Unterschiede zum Aus-

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Weingart, 2001: 18. Für eine zusammenfassende Darstellung vgl. Stehr, 2001 sowie den Sammelband der Heinrich Böll Stiftung, 2006.

EINLEITUNG

druck, die Anknüpfungspunkte für eine ländervergleichende Perspektive bieten. Die Forschungsarbeit entstand als ein Anschlussprojekt des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsverbunds „Discourses on Society. Pathways into the Future of the Social Sciences in Switzerland“. Diese Untersuchung wurde unter der Leitung von Frau Prof. Claudia Honegger (Institut für Soziologie, Universität Bern) zwischen 2000 und 2005 in Bern und in Lausanne durchgeführt.8 Der Forschungsverbund beschäftigte sich in vergleichender Perspektive mit der Analyse der Entstehung und Transformation der Geschichts-, Sozialund Wirtschaftswissenschaften in der Schweiz. Es ging darum, strukturelle Analogien beziehungsweise Differenzen auf der institutionellen und epistemologischen Ebene herauszuarbeiten. Mit Fokus auf die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre knüpft die vorliegende Arbeit an Forschungsdesiderate des Forschungsprojektes „Discourses on Society“ an, ohne dessen disziplinäre Vergleichsperspektive zu übernehmen. Die Untersuchungsarbeiten wurden ab 2002 durchgeführt. Die Betriebswirtschaftslehre ist in der Schweiz, wie in anderen Ländern auch, zu einem der größten universitären Fachgebiete angewachsen. Im Wintersemester 2007/08 studierten in der Schweiz 8’685 Personen Betriebswirtschaftslehre. Im Größenvergleich aller Fachrichtungen rangierte die Betriebswirtschaftslehre damit auf Platz zwei nach den Rechtswissenschaften (13’925 Studierende).9 Trotz ihrer beachtlichen Größe als Studienfach ist sowohl über die sozialen und kulturellen Bedingungen der Betriebswirtschaftslehre wie über ihre historische Entwicklung nur wenig bekannt. Zur Schweiz existiert keine monographische Darstellung und die Thematik fand bisher auch sonst kaum Beachtung. Zur deutschen Betriebswirtschaftslehre liegt etwas mehr Literatur vor, darunter eine interessante Monographie aus professionsgeschichtlicher Perspektive für den Zeitraum zwischen 1900 und 1945.10 Die jüngeren Transformationen sind auch für Deutschland bisher nicht aufgearbeitet worden.

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Vgl. Honegger et al., 2007 sowie Burren/Jurt, 2006 und Burren, 2007b. Bundesamt für Statistik: Studierende an den universitären Hochschulen, 2007/08, Basistabellen. Vgl. dazu auch Tabelle 5 im Anhang. 10 Franz, 1998. 13

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

Die Handelswissenschaften und die spätere Betriebswirtschaftslehre gehören zu einer Disziplinengruppe, die von der Wissenschaftssoziologie und -geschichte lange vernachlässigt wurde. Von einigen Ausnahmen abgesehen, waren Beiträge zur historischen Entwicklung der nicht naturwissenschaftlichen Fächer bisher hauptsächlich von einer legitimatorischen oder traditionsstiftenden Absicht geprägt.1 Erst in jüngerer Zeit wurden neben Monographien zu einzelnen Wissenschaftsbereichen auch interessante disziplinen- und ländervergleichende Beiträge zur Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften verfasst.2 In ihrem Überblickswerk zur Gesichte der modernen Sozialwissenschaften hoben Theodore Porter und Dorothy Ross sowohl die ausgeprägte Diversität als auch die „Familienähnlichkeiten“ innerhalb des sozialwissenschaftlichen Feldes hervor.3 Gemäß der Auswahl der in diesem Sammelband untersuchten Disziplinen zählen Porter und Ross die Statistik, die Psychologie, die Ökonomie, die Politikwissenschaft, die Soziologie, die Anthropologie und die Geographie zu den Sozialwissenschaften. Die „Managementlehre“ als angloamerikanisches Äquivalent der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre findet bei Porter und Ross als sozialwissenschaftliche Disziplin keine Berücksichtigung, sondern tritt unter dem Gesichtspunkt der praktischen Wissenschaftsanwendung in Erscheinung: Das entsprechende Kapitel trägt den Titel „Management and Accounting“ (Managementlehre und Rechnungswesen) und ist dem 1 2 3

Porter/Ross, 2003: 7. Wagner, 1990; Wagner/Wittrock/Whitley, 1991; Porter/Ross, 2003. Porter/Ross, 2003: 3. 15

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Thema „Sozialwissenschaft als Diskurs und Praxis im öffentlichen und privaten Leben“ zugeordnet.4 Als Auslöser für die Konstituierung der modernen Sozialwissenschaften wird der durch die industrielle Revolution hervorgerufene gesellschaftliche Bruch und daraus folgend „die soziale Frage als Problem der nationalen Organisation der bürgerlichen Gesellschaft“5 betrachtet. In diesem in Formierung begriffenen Disziplinenfeld nahm die Bearbeitung von Praxisproblemen von Beginn an einen hohen Stellenwert ein. Oftmals bestanden enge Bezüge zu den berufsbezogenen Ausbildungsfeldern der Wirtschafts-, Verwaltungs- und Politiklehre.6 Wie noch genauer erläutert wird, lassen sich die Wissensbestände der Handelswissenschaften nicht nur aufgrund ihres Applikationsbezugs, sondern auch durch ihre Bezugnahme auf soziale oder wirtschaftliche Reformbestrebungen gut in den Entstehungs- und Entwicklungskontext der Sozialwissenschaften einordnen. Während sich jedoch die meisten Sozialwissenschaften im Spannungsfeld von Wissenschaft und Staat positionierten, stellte für die Handelswissenschaften die private Wirtschaft das entscheidende Referenzsystem dar. Die in den handelswissenschaftlichen Fachkonzepten zum Ausdruck kommenden Vorstellungen über das Verhältnis zwischen Unternehmen, Gesellschaft und Staat waren aber durchaus auch in sozialpolitische Deutungstraditionen eingebunden und (wenn oftmals nur implizit) von entsprechenden Grundannahmen geprägt. Wie erwähnt, liegen erst einige wenige Untersuchungen zur Entwicklung der deutschsprachigen Handelswissenschaften und Betriebwirtschaftslehre aus wissenschaftshistorischer oder -soziologischer Perspektive vor. Zur Schweiz liefern zwei historische Untersuchungen detailliertere Informationen zur Frühphase der Betriebswirtschaftslehre. Dabei wurde insbesondere die Rolle des Faches im Kontext der wirtschaftlichen Rationalisierungsbestrebungen in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen aufgearbeitet.7 Eine Basler Dissertation unternimmt zudem für die Zeit bis 1970 einen Vergleich zwischen den schweizerischen, deutschen, österreichischen und amerikanischen Denktraditionen.8 Etwas häufiger finden sich Darstellungen zur Fachgeschichte in Deutschland bzw. zum gesamten deutschsprachigen Raum. Mit der am 4 5 6 7 8 16

Miller, 2003. Wagner, 1990: 68. Vgl. Wagner/Wittrock, 1991: 337-341 sowie die Beiträge von Gioli und Tribe im selben Band. Jaun, 1986; Leimgruber, 2001. Pfoertner, 2001.

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

wissenschaftstheoretischen Zugang von Thomas S. Kuhn orientierten Arbeit von Sönke Hundt existiert eine ältere monographische Darstellung der Theoriengeschichte der Betriebswirtschaftslehre für den Zeitraum zwischen 1900 und den 1970er Jahren.9 Die frühe Berufsgeschichte der deutschen Betriebswirte wird in einem Aufsatz von David Lindenfeld aufgearbeitet.10 Eine neuere Aufarbeitung der deutschen Fach- und Berufsgeschichte ist die bereits erwähnte Arbeit der Historikerin Heike Franz (Untersuchungsphase: 1900 bis 1945).11 Der englische Wirtschaftshistoriker Keith Tribe geht im Rahmen seiner Untersuchungen zur Diskursgeschichte der deutschen Wirtschaftswissenschaften auch auf die Gründung und Entwicklung der Handelshochschulen ein. Er schildert, wie sich aus dem Ausbildungsprogramm dieser Hochschulen allmählich die disziplinären Lehr- und Forschungsinhalte der späteren Betriebswirtschaftslehre herauskristallisierten.12 Daneben existieren verschiedene ländervergleichende Untersuchungen, die auch die Entwicklungen im deutschsprachigen Raum mitberücksichtigen. Die deutsche Soziologin Cornelia Koppetsch geht in ihrem Vergleich der deutschen und französischen Hochschultraditionen auch auf die Handelsausbildungen ein. Sie zeigt auf, dass die Entwicklung der Handelshochschulen (in Frankreich: „Écoles des Hautes Études Commerciales“) in beiden Ländern in wesentlichen Aspekten dem Vorbild der technischen Hochschulen folgte.13 Der amerikanische Historiker Robert R. Locke arbeitete in zwei ländervergleichenden Studien die theoriegeschichtlichen und institutionellen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA heraus. Während sich die deutsche Betriebswirtschaftslehre ab den 1940er Jahren zur Universitätsdisziplin weiterentwickelte, dominierte in Amerika das Modell der praxisbezogenen Wirtschaftshochschulen („Business Schools“), die als autonome Einheit einer Universität oder einer technischen Hochschule angegliedert sind.14 Neben Deutschland waren für die schweizerische Fachgeschichte auch die Entwicklungen in Frankreich relevant. Dies allerdings in deutlich weniger ausgeprägtem Masse, weil das Fachgebiet dort über keine 9 10 11 12

Hundt, 1977. Lindenfeld, 1990. Franz, 1998; vgl. auch Franz, 1994 sowie Franz/Kieser, 2002. Tribe, 1995. Die institutionelle Entwicklung der deutschen Handelshochschulen ist relativ gut dokumentiert; vgl. dazu: Hayashima, 1986, 1995; Henning, 1990; Zander, 2004; Pfeiff, 2006. 13 Koppetsch, 2000. 14 Locke, 1984; 1989. Der schwedische Autor Lars Engwall verfolgt in mehreren Publikationen zur Hochschulbildung von Unternehmern ebenfalls eine internationale Vergleichsperspektive: u.a. Engwall/Gunnarsson, 1994; Engwall/Negri/Zamagni, 1998. 17

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

vergleichbare wissenschaftliche Tradition verfügt. Wie die Soziologin Fabienne Pavis aufzeigt, kam es an den französischen Universitäten erst Ende der 1960er Jahre im Zuge von Restrukturierungen des Hochschulsystems zur allmählichen Etablierung einer „Sciences de gestion“. Als Vorbild dienten die erfolgreichen amerikanischen „Business Schools“ wie jene von Harvard oder des „Carnegie Institute of Technology“.15 Aus der deutlich umfangreicheren Literatur zum englischsprachigen Raum waren für die vorliegende Untersuchung die Beiträge von Richard Whitley über die an den angloamerikanischen „Business Schools“ betriebenen „Management Studies“ von besonderem Interesse. Whitley stellt die These auf, dass deren soziale und intellektuelle Organisation als „fragmented adhocracy“ charakterisiert werden kann. Der Begriff bezeichnet ein Konglomerat von vergleichsweise unabhängig funktionierenden Akteuren und kleinen Spezialistengruppen, deren wissenschaftliche Tätigkeit in hohem Grade durch lokale Bedingungen geprägt ist. In Wissenschaftsfeldern dieses Typs würden keine gemeinsamen Standards zur Beurteilung der Signifikanz und der Qualität von Forschungsprojekten existieren, sie entstünden in der Regel nach Ad-hocPrinzipien (Adhocratisierung). Dies gehe einher mit einer großen Vielfalt von theoretischen und methodologischen Orientierungen, die letztlich in einer multi-paradigmatischen intellektuellen Struktur resultierten (Fragmentierung). Typisch für eine „fragmentierte Adhocratie“ sei eine relative Offenheit gegenüber externen Einflüssen, was beispielsweise in der Schwierigkeit zum Ausdruck komme, Amateure von der Feldteilnahme auszuschließen.16 In einer Publikation aus den 1970er Jahren stellte Hans Ulrich – ein prominenter Schweizer Professor für Betriebswirtschaftslehre – fest, dass sich die zukunftsgerichtete Tätigkeit der Betriebswirtschaftslehre kaum mit einem historischen Interesse vereinbaren lasse: „Dem Betriebswirtschafter liegt die Geschichtsschreibung fern, ist er doch vollauf mit aktuellen Problemen der Gegenwart und dem Entwerfen möglicher Zukünfte beschäftigt.“17 Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ist diese Aussage jedoch nicht zutreffend. In der Anfangszeit wurde die wirtschaftswissenschaftliche Tradition der historisch-epistemischen Selbstdarstellung und Reflexion auch in der Betriebswirtschaftslehre gepflegt. Viele theoriegeschichtliche Publikationen dieser Zeit waren auf eine Konsolidierung und Kodifizierung des Fachgebietes ausgerichtet. Zu15 Chessel/Pavis, 2001; Pavis, 2003; vgl. zur betriebswirtschaftlichen Hochschulausbildung in Frankreich auch den Tagungsband von Gheorghiu/ de Saint Martin, 1997. 16 Whitley, 1984a, 1984b, 1986a, 1986b, 1988, 2000. 17 Ulrich, 1978: 169. 18

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

dem wurde, beispielsweise im Rahmen von genauen Bestimmungen des „Untersuchungs- und Erkenntnisobjekts“ der Betriebswirtschaftslehre, nach trennscharfen Abgrenzungskriterien zur Volkswirtschaftslehre gesucht. Nachdem sich das Fachgebiet in der ersten Hälfte des Jahrhunderts als eigenständige Wirtschaftswissenschaft etablieren konnte, lässt sich eine Abnahme von Publikationen dieser Art verzeichnen. In der neueren deutschsprachigen Fachliteratur finden historische Aspekte in Unterkapiteln von Lehrbüchern und Standardwerken Beachtung,18 selbständige Publikationen sind hingegen seltener anzutreffen.19 Zu einer gewissen Wiederbelebung der Fachgeschichte kam es, als Ende der 1990er Jahre in Deutschland und in der Schweiz das hundertjährige Jubiläum der ersten Handelshochschulen gefeiert wurde.20 Neben solchen historischen Betrachtungen existiert eine ganze Reihe von neueren Fachbeiträgen, die sich mit den Wissenschaftspraktiken der Betriebswirtschaftslehre und deren institutionellen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist die Debatte rund um die Anwendungsorientierung der Betriebswirtschaftslehre und die Gegenstandsangemessenheit ihrer gängigen Forschungszugänge.21 So machte der deutsche „Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft“ im Jahr 2007 das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Qualität (englisch: „rigour“) und Praxisrelevanz unter dem Titel „Rigour versus Relevance“ zum Thema seiner Jahrestagung. Dabei wurde konstatiert, dass sich der Graben zwischen Wissenschaft und Praxis (bzw. Wissensanwendung) in der Betriebswirtschaftslehre gegenwärtig weiter vertiefe. Gleichzeitig würden fachintern nur selten ernsthafte Überlegungen dazu angestellt, was von einer angewandten Wissenschaft tatsächlich zu erwarten sei.22 Von einigen betriebswirtschaftlichen Autoren und Autorinnen wird die Anwendungsfrage unter Rekurs auf neuere Ansätze der soziologischen Wissenschaftsforschung diskutiert. Sie machen geltend, für die 18 U.a. Wöhe, 1990; Schanz, 2004. In der vierbändigen Gesamtdarstellung von Schneider (2001) ist dem Themenbereich „Geschichte und Methoden der Wirtschaftswissenschaft“ ein einzelner Band gewidmet, der die Theoriegeschichte detailreich aufarbeitet. 19 Ulrich, 1978; Gaugler, 1988; Klein-Blenkers, 1988; Sundhoff, 1991; Witt, 1995; Brockhoff, 2002, 2009. 20 Wassmuth, 1997; Gaugler, 1998; Loitlsberger, 1999; Lingenfelder, 1999; Gaugler/Köhler, 2002. 21 Vgl. Wächter, 1995. 22 69. Wissenschaftliche Jahrestagung des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft „Rigour versus Relevance“. Universität Paderborn 31. Mai bis 2. Juni 2007. Zur selben Thematik vgl. Nicolai, 2004. 19

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Betriebswirtschaftslehre sei ein Wissenschaftsmodus in Anspruch zu nehmen, der sich nicht selbstreferentiell auf die wissenschaftliche Sphäre bezieht. Vielmehr stehe in ihrem Fach die kontextsensible Forschung in den heterogenen Feldern der Wissensanwendung im Vordergrund. Es wird aber auch der Schluss gezogen, „dass es in der Betriebswirtschaftslehre eine große Bandbreite an Forschungsstrategien mit unterschiedlichem Wissenschafts-Praxis-Verhältnis gibt“, und damit gegen das Postulat eines einheitlichen neuen Wissenschaftsmodus die Vielgestaltigkeit der aktuellen Fachperspektiven hervorgehoben.23 Von besonderem Interesse für die Untersuchung sind zudem Fachbeiträge, die sich mit den konkreten Erscheinungsformen und den Problemstellungen betriebswirtschaftlicher Praxisorientierung auseinandersetzen. So werden beispielsweise die sich verschärfenden Konkurrenzbeziehungen zwischen privatwirtschaftlicher Beratung und akademischer Wissensproduktion diskutiert, die durch den Boom der Unternehmensberatung seit den 1990er Jahren entstanden sind.24 Im selben Zusammenhang können Studien verortet werden, die dem Phänomen der „Managementmoden“ und der Zeitgeistgebundenheit betriebswirtschaftlicher Wissensinhalte gewidmet sind und damit insbesondere das Verhältnis zwischen Betriebswirtschaftslehre und populärem Managementdiskurs beleuchten.25 Gesamthaft betrachtet präsentiert sich Wissenschaftsforschung zur Betriebswirtschaftslehre als ein noch weitgehend offenes Feld. Wie der Überblick über den aktuellen Literaturstand verdeutlicht, bestehen nicht nur erhebliche Lücken in der Empirie, es machen sich zudem wesentliche theoretische Leerstellen bemerkbar. Zwar existieren gewisse Anschlüsse an die Professionalisierungstheorie und an die neuere Wissenschaftssoziologie, von eigentlichen Forschungstraditionen kann aber keine Rede sein. Im Folgenden wird deshalb etwas weiter in Theoriebereiche ausgeholt, die sich mit der Komplexität des modernen Wissenschaftssystems und seiner gesellschaftlichen Implikationen auseinandersetzen. Zunächst werden Ansätze diskutiert, die Wissenschaft als einen vielgestaltigen Sozialraum konzeptualisieren. Es wird aufgezeigt, dass die Grenzen der Wissenschaftssphäre keineswegs eindeutig feststehen, sie sind vielmehr Gegenstand von heftigen Debatten und stetigen Ausei23 Osterloh/Frost, 2003: 596. Im englischsprachigen Raum wird die Frage nach dem epistemischen Modus der „Management Studies“ bereits seit längerer Zeit diskutiert. Vgl.: Van Aken, 2002; Tranfield/Starkey, 1998. 24 Armbrüster/Kieser, 2001; Kieser, 2001. 25 Fink, 2003; Kieser, 2007; Voigt, 2007. Für die englischsprachige Literatur zum Thema „Managementmoden“ siehe Abrahamson, 1996; Abrahamson/ Fairchild, 1999. 20

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nandersetzungen (1. Soziale Welt der Wissenschaft). Anschließend richtet sich der Fokus stärker auf die Handlungsorientierungen wissenschaftlicher Akteure, wobei auch auf Zugänge aus der Professionssoziologie eingegangen wird. Dabei wird die Frage verfolgt, welche tradierten Rollenerwartungen und spezifischen Muster der Berufsführung für das Wissenschaftsfeld charakteristisch sind (2. Wissenschaftliches Handeln). Das Kapitel schließt mit Betrachtungen über die historischen Transformationsdynamiken des Wissenschaftssystems. Hier wird auch die bereits angesprochene These einer Vergesellschaftung der Wissenschaft weiter erläutert (3. Wissenschaft und Hochschule im Wandel).

1. Soziale Welt der Wissenschaft Ab den späten 1970er Jahren entstand insbesondere im englischsprachigen Raum eine neue Wissenschaftsforschung, die anhand von MikroStudien über die soziale Erkenntnisfabrikation die konkreten Praktiken der Wissenserzeugung in den Vordergrund ihrer Untersuchungen stellte. Gemeinsam war diesen Ansätzen, dass sie die These von der Einheit der Wissenschaft verbunden mit der Vorstellung einer singulären wissenschaftlichen Methode und positiver Kriterien der Wissenschaftlichkeit in Frage stellten. Sie bestritten, dass sich die Wissenschaftssphäre durch eine eigene Funktionslogik vom Bereich des Nicht-Wissenschaftlichen unterscheide. Separierungen zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft hätten keine epistemologische Grundlage, sondern seien vielmehr als Strategien zu betrachten, die von Wissenschaftlern eingesetzt würden, um ihre eigenen Geltungsansprüche zu legitimieren.26 Ein Vertreter dieses Forschungsprogramms ist der amerikanische Soziologe Thomas F. Gieryn. In einem Beitrag mit dem Titel „Boundaries of Science“ bezeichnet Gieryn Wissenschaft als einen „leeren Raum“, dessen Autorität sich erst durch die episodische Verhandlung seiner flexiblen und kontextabhängigen Grenzen konstituiert: „But what is ‚science‘? Nothing but a space, one that acquires its authority precisely from and through episodic negotiations of its flexible and contextually contingent borders and territories. Science is a kind of spatial ‚marker‘ for cognitive authority.“27 Mit dem Konzept des „boundary-work“ stellt Gieryn die Frage ins Zentrum seines Untersuchungsinteresses, wo Wissenschaft aufhört und Gesellschaft oder Technologie beginnt. Seine Aufmerksamkeit richtet

26 Heintz, 1993; Porter/Ross, 2003: 5. 27 Gieryn, 1995: 405. 21

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sich darauf, wie die Grenze zwischen Wissenschaft und Nicht-Wissenschaft durch distinktive Praktiken festgelegt wird. Gieryn bezichtigt die Vertreter einer essentialistischen Wissenschaftsforschung, selber an der Konstituierung und symbolischen Abgrenzung eines privilegierten Bedeutungsraums der Wissenschaftlichkeit teilzuhaben. Im Unterschied zu deren „großen Erzählungen“ über die Einmaligkeit der Wissenschaft fokussiere seine Forschungsperspektive auf die Rekonstruktion bzw. die Dekonstruktion alltäglicher Herstellungsprozesse:28 „Once the grand narratives of unique scientific ‚norms‘ and unique scientific ‚method‘ lost their compulsion, curiosity was unleashed about how scientist used ‚secular‘ ways of thinking and acting to build up their exceptionally authoritative systems of knowledge.“29 „Boundary-work“ wird bei Gieryn als strategisches Handeln verstanden. Dies ausgehend von der Feststellung, dass Akteure wissenschaftliche Grenzen ziehen, um ihre eigenen Ziele und Interessen verwirklichen zu können. Sie würden dann für die reine Wissenschaft einstehen, wenn sie ihre wissenschaftliche Autonomie und damit ihre Entscheidungsfreiheit bedroht sähen. In solchen Situationen würden sorgfältig Demarkationslinien zu Markteinflüssen oder politischen Ansprüchen gezogen und diese als verunreinigende, der Wahrheit nicht dienliche Einflussfaktoren deklariert. Wenn hingegen finanzielle Ressourcen auf dem Spiel stünden, seien dieselben Akteure bereit, den zuvor mit Vehemenz verteidigten Grenzen zwischen Wahrheit und politischer oder wirtschaftlicher Relevanz keine weitere Beachtung zu schenken. Gemäß Gieryn treten solche Grenzziehungsprozesse dann am deutlichsten zu Tage, wenn die impliziten Annahmen über den Inhalt der Wissenschaftlichkeit unter Explizierungsdruck geraten. Dies beispielsweise wenn die Glaubwürdigkeit umstritten ist oder wenn herrschende Annahmen über Grenzen plötzlich als nicht mehr anwendbar erscheinen.30 Wenn Gieryn darauf hinweist, dass die Territorien der Wissenschaft als höchst flexibel zu betrachten sind, stellt sich für ihn auch die Frage, für wen und mit welchen Konsequenzen solche Grenzsetzungspraktiken zur Anwendung kommen. Die jüngere Wissenschaftsforschung hat sich intensiv mit der Frage befasst, wie Akteure den von ihnen aufgebauten Wissenssystemen einen autoritativen Charakter verleihen, um sich dadurch gegenüber konkurrierenden Zugängen zu behaupten. So wurde aufgezeigt, dass die Strategie, Forschungsansätze und Technologien in immer größere über das akademische Feld hinausgehende Handlungs-

28 Gieryn, 1995: 394. 29 Shapin, 1995: 305. 30 Gieryn, 1999: 24. 22

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netzwerke einzubinden, wesentlich dazu beitragen kann, dass diese als „wissenschaftlich“ anerkannt werden: „When all the elements in a network act together to protect an item of knowledge, then that knowledge is strong and we come to call it scientific.“31 Von Autoren wie dem Franzosen Bruno Latour werden Wissenschaftsakteure als geschickte Manager umfassender Netzwerke beschrieben. Latour geht davon aus, dass sich wissenschaftliche Wahrheitsbehauptungen nicht auf die Formulierung von Theorien beschränken, sondern vielmehr als Prozesse der technischen und institutionellen Gestaltung der Gesellschaft zu betrachten sind. Die Umsetzung von Wissensinhalten in Anwendungskontexte trägt für Latour besonders zu deren Stabilisierung und Generalisierung bei. Sie führt erst dazu, dass aus der individuellen, lokal situierten Erfahrung eines einzelnen Wissenschaftlers öffentlich anerkanntes Wissen wird. Wissenschafts- und Technikentwicklung wird bei Latour zum Prozess der sozialen Aushandlung und Durchsetzung von Bedeutungen. Dahinter steht die Annahme, dass Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik usw. zwar analytisch unterschieden werden können, die empirische Praxis gesellschaftlicher Innovationen jedoch gerade durch das gleichzeitige Engagement in diesen verschiedenen Bereichen charakterisiert ist.32

Wissenschaftliche Felder, Wissenskulturen Auch in den wissenschaftssoziologischen Beiträgen von Pierre Bourdieu ist Wissenschaftlichkeit nicht einfach gegeben. In einem frühen Artikel zu den sozialen Bedingungen des wissenschaftlichen Fortschritts erläutert er, dass wissenschaftliche Felder Orte der ständigen Positionskämpfe darstellen, welche die Verteilung von wissenschaftlicher Autorität bzw. die Anerkennung von wissenschaftlicher Kompetenz in Form von Prestige betreffen. Die antagonistischen Kämpfe der beteiligten Akteure würden letztlich um verschiedene Wissenschaftsdefinitionen ausgetragen. Dabei gehe es den Akteuren darum, diejenigen Definitionen durchzusetzen, die ihnen am besten dienlich sind. Also in der Regel jene, die identisch sind mit ihren persönlichen Kompetenzen und ihrem Status als Absolventen einer bestimmten Bildungslaufbahn. Für Bourdieu stellen wissenschaftliche Felder von antagonistischen Strategien geprägte soziale Räume dar, in denen positionspolitische und wissenschaftliche Interessen untrennbar ineinander verwoben sind. Jede wissenschaftliche

31 Shapin, 1995: 308. 32 Latours Studien zu Louis Pasteur (1994, 2001) sind für diesen Ansatz exemplarisch. 23

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„Wahl“ – die Wahl des Untersuchungsgebietes, die Wahl der Methode, die Wahl des Publikationsortes – sei in gewisser Weise als politische Investitionsstrategie zu verstehen; sie verfolge letztlich die Zielsetzung, wissenschaftlichen Profit zu maximieren, d.h. den Akteuren wissenschaftliche Anerkennung zu verschaffen.33 Da im Wissenschaftsfeld keine übergeordnete Autorität existiert, die über Legitimitätsansprüche entscheiden kann, würden solche Ansprüche ihre Durchsetzungskraft einzig und allein durch die relative Stärke jener sozialen Gruppen gewinnen, deren Interesse sie repräsentieren. Die Struktur wissenschaftlicher Felder ist nach Bourdieu bestimmt durch die aus den vorangegangenen Auseinandersetzungen resultierende Verteilung des feldspezifischen Kapitals. Über ihre Objektivierung in Institutionen und Dispositionen wirkt sich diese Kapitalverteilung unmittelbar auf die Chancen der verschiedenen Akteure und Institutionen in den aktuell stattfindenden Kämpfen aus.34 Eine wichtige Objektivierungsform wissenschaftlicher Autorität, um die im akademischen Feld gerungen wird, findet sich in akademischen Titeln und Ämtern wie Lehrstuhlpositionen und anderen statutarischen Machtstellungen. In ähnlicher Weise wie die individuellen Akteure nehmen bei Bourdieu auch die einzelnen Fachgebiete unterschiedliche Positionen im sozialen Raum der Wissenschaft ein. Neben den hierarchischen Verhältnissen innerhalb der einzelnen Wissenschaftsfelder komme es somit auch zu einer „Hierarchie der Disziplinen“.35 Die entscheidende theoretische Verbindungsstelle zwischen dem wissenschaftlichen Feld und den auf den Erwerb von wissenschaftlicher Reputation ausgerichteten „strategischen“ Handlungen seiner Protagonisten übernimmt das Konzept des Habitus: Feldspezifische Dispositionen bzw. Habitusformationen bilden sich durch die unentwegte Einverleibung der Feldstrukturen in der wissenschaftliche Praxis aus. Abgesehen von der expliziten Vermittlung von Regeln, Normen, Rollen und Methodologien werden Habitusformationen hauptsächlich unbewusst eingeübt. Hier unterscheidet sich Bourdieus Ansatz wesentlich vom Ansatz der weiter oben vorgestellten neueren Wissenschaftsforschung. Bourdieus Protagonisten teilen trotz antagonistischer Handlungsmuster einen gemeinsamen Glauben. Als Teilnehmende desselben Spiels unterstellen sie sich grundsätzlich den Regeln des Feldes und der mit ihm verbundenen „Doxa“, d.h. den nicht hintergehbaren Ansichten und Meinungen,

33 Bourdieu, 1975: 22-23. 34 Ebd.: 24-27. 35 Bourdieu, 1992: 42, 1993: 108. 24

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welche die gemeinsam verwendete Interpretations- und Begründungslogik innerhalb einer Diskursgemeinschaft prägen. Zwischen Habitus und Feld besteht nach Bourdieu ein ontologisches Einverständnis, dem eine analytische Reduktion auf das bewusste Kalkül keineswegs angemessen ist. Nur wer die implizit vorausgesetzten Normen des Handelns im betreffenden wissenschaftlichen Feld selbst inkorporiert habe, könne auch als kompetenter Akteur am Spiel teilnehmen. Für Akteure, die den „Sinn für das Spiel besitzen“, würden die Ziele ihrer Praxis nicht zwingend auch Zwecke darstellen: „Sie können für diese Ziele zu sterben bereit sein, unabhängig von jedem Gedanken an finanzielle, karrierebezogene oder sonstige spezifische Profite. Ihre Beziehung zu dem betreffenden Ziel ist überhaupt nicht jenes bewusste Nutzenkalkül, das ihnen der Utilitarismus unterstellt.“36 Die neuere Wissenschaftsforschung hinterfragt den Sonderstatus der Wissenschaft. Pierre Bourdieu hingegen bezeichnet eine Perspektive als „reduktionistisch“, die bei der Analyse von Wissenschaftspraktiken die spezifischen Gesetzmäßigkeiten von Wissenschaftsfeldern nicht in Betracht zieht. Bourdieu wirft Wissenschaftssoziologen wie Bruno Latour vor, eine utilitaristische Perspektive einzunehmen und lehnt einen wissenschaftssoziologischen Zugang ab, der „aus dem ‚Wissenschaftskapitalisten‘ einen Kapitalisten wie jeden anderen macht“.37 Im Gegenzug nehmen die Vertreter der neuen Wissenschaftsforschung Anstoß an Bourdieus Konzeption eines autonomen oder zumindest teilautonomen Wissenschaftsfeldes.38 Diese leitet sich aus der Vorstellung ab, dass die Strukturgenese des Wissenschaftsfeldes als ein Prozess zu betrachten sei, der aufgrund zunehmender Arbeitsteilung und Professionalisierung die Tendenz zu wachsender Autonomie aufweise. Der Begriff des „Feldes“ verdeutlicht hier, dass dieser relativ autonome Raum als Mikrokosmos verstanden wird, der über eine eigene Gesetzlichkeit verfügt: „Er ist zwar, wie der Makrokosmos, sozialen Gesetzen unterworfen, aber es sind nicht dieselben. Obwohl er sich nie ganz den Zwängen des Makrokosmos entziehen kann, verfügt er doch über eine mehr oder weniger ausgeprägte Autonomie.“39 Tatsächlich beschränkt Bourdieu seine Perspektive nicht auf den autonomen Status des Wissenschaftsfeldes (oder dessen Subfelder), sondern er fasst insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Heteronomie ins Auge. Dabei äußere sich die Autonomie eines wissenschaftlichen Feldes in seiner „Brechungsstärke“ oder Überset36 37 38 39

Bourdieu, 1998a: 148. Bourdieu, 1998b: 27; Bourdieu, 2001. Mialet, 2001: 619. Bourdieu, 1998b: 18. 25

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zungsmacht, d.h. in seiner Fähigkeit, äußere Zwänge und Anforderungen oft bis zur Unkenntlichkeit umzugestalten. Im Unterschied dazu würden sich heteronome (feldexterne) Kräfte darin manifestieren, dass sich äußere, namentlich politische oder wirtschaftliche Einflüsse ungebrochen auf die Geschehnisse im Feld auswirken. Die von der Wissenschaftssoziologin Karin Knorr Cetina präsentierte Konzeption der „Wissenskulturen“ weist Ähnlichkeiten mit Bourdieus Wissenschaftsfeldern auf, ist aber weniger prämissenbelastet. Dies, weil hier keine spezifischen Handlungslogiken im Voraus festgesetzt, sondern vielmehr als empirisch erst zu erschließende Größe verstanden werden. Laut Knorr Cetina ist das Konzept weit genug gefasst, um sehr unterschiedliche Formen von Wissenspraktiken und den damit verbundenen Grundüberzeugungen erfassen zu können. Es soll aufgrund seiner Offenheit erleichternd zur Analyse des historischen Bezugs von Wissenskulturen zu ihrem sozialen Umfeld – dem Zusammenhang von Wissenschaft, Expertise und gesellschaftlicher Praxis – beitragen. Dabei streitet Knorr Cetina die Autorität der Wissenschaft nicht grundsätzlich ab, sie sieht diese aber durch die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft zunehmend in Frage gestellt: „Wenn das Argument über das Anwachsen von Expertensystemen richtig ist, wird ein Großteil dessen, was wir Gesellschaft nennen, durch solche wissensbezogene Lebenswelten konstituiert werden. In einer Wissensgesellschaft sind exklusive Definitionen von Expertensystemen und sozialen Kontexten sowie den entsprechenden Kulturen theoretisch nicht mehr länger adäquat.“40

Der Begriff der „Wissenskulturen“ bezeichnet ein Set von sozialen und symbolischen Praktiken, Mechanismen und Prinzipien, die Wissen generieren und validieren. Er bezieht sich auf epistemische Praktiken, die mit spezifischen Hintergrundüberzeugungen verbunden und mit Mechanismen der Tradierung verknüpft sind. Es handelt sich deshalb um „epistemische“ Praktiken, weil diese sich auf Verfahren zur Herstellung von Wissen, auf Wissensansprüche oder auf Wissensprodukte beziehen. Typischerweise werden solche Praktiken innerhalb von Bildungseinrichtungen (Lehre) oder in Gruppen von Meistern und Schülern tradiert. Die empirische Heterogenität wissenschaftlicher Praxisformen führt Knorr Cetina zum Postulat historisch und disziplinär unterschiedlich verfasster wissenschaftlicher Handlungssubjekte. Sie fordert dazu auf, die Hervorbringungsbedingungen von Wissen stets auch danach zu beur-

40 Knorr Cetina, 2002: 18. 26

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teilen, wie wissenschaftliche Akteure durch sie konstituiert werden.41 Mit den im Rahmen der neueren Wissenschaftsforschung intensiv betriebenen Mikro-Studien über die soziale Erkenntnisfabrikation seien zentrale Aspekte dessen, was Wissenschaft ausmacht, weitgehend aus dem Blickfeld geraten: „Dies führte zwar zu wichtigen Einsichten darüber, wie Akteure bestimmte Ergebnisse erreichen und verhandeln, aber es offerierte kaum Ertrag in Hinblick auf die Wissensmaschinerien, von denen diese Akteure selbst erst konstituiert werden.“42 Die Präferenzen und Orientierungen, die wissenschaftliches Handeln kennzeichnen, würden – so Knorr Cetina – bei diesem Forschungsansatz unterbelichtet bleiben und mit ihnen auch diejenigen Handlungsmuster und -strukturen, die generische Bestandteile spezifischer Wissensmaschinerien darstellen.

2. Wissenschaftliches Handeln Als kompetente Teilnehmer am akademischen „Spiel“ haben Wissenschaftsakteure Auffassungen darüber verinnerlicht, was wissenschaftliches Handeln bedeutet. Diese Hintergrundannahmen entfalten als spezifische Rollenerwartungen und tradierte Vorstellungen eine handlungsorientierende Wirkung. Unabhängig von seinen flexiblen Grenzen hat sich das Wissenschaftssystem historisch als gesellschaftlicher Teilbereich mit spezifischen Strukturgesetzlichkeiten bzw. objektiven Handlungsbedingungen und den sich daraus ergebenden Spielräumen konkret verwirklichter Lebenspraxis ausdifferenziert. Der Strukturfunktionalist Robert Merton hat in den 1940er Jahren eine Systematisierung der verschiedenen sozialen Werte und Normen unternommen, die er für das wissenschaftliche Handeln als konstitutiv erachtete. Dieses „Ethos der Wissenschaft“ verfügt über keine kodifizierte Form, vielmehr könne es – so Merton – aus einem „moralischen Konsensus“ abgeleitet werden, der alle Wissenschaftspraktiker miteinander verbindet.43 Das Wissenschaftsethos beinhaltet erstens einen wissenschaftlichen Universalismus. Er kommt darin zum Ausdruck, dass Wahrheitsbehauptungen unabhängig von den sozialen Eigenschaften 41 Im DFG Forschungskolleg 435 mit dem Titel „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“ kam ein verwandter aber doch etwas anders gelagerter Wissenskultur-Begriff zur Anwendung. Das Projekt fokussierte auf die Wechselwirkungen von Wissensarten und den Rückbezug des Wissens auf die gesellschaftliche Praxis. Vgl. Fried et al., 2003. 42 Knorr Cetina, 2002: 20. 43 Merton, 1973 >1942@: 269. 27

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ihrer Protagonisten (Rasse, Nationalität, Religion, Klasse – die Kategorie Geschlecht wird von Merton nicht erwähnt) nach unpersönlichen Kriterien beurteilt werden. Die zweite, als Kommunismus bezeichnete Norm, bezieht sich auf das gemeinsame Eigentum an wissenschaftlichen Produkten. Da wissenschaftliche Erkenntnisse immer das Resultat sozialer Kollaboration darstellt, müssen sie als Allgemeingut betrachtet werden. Ansprüche der Wissenschaftsakteure auf ihr intellektuelles Eigentum können nicht über ein Anrecht auf Annerkennung und Wertschätzung hinaus geltend gemacht werden. Eine dritte Norm umfasst die Interesselosigkeit wissenschaftlichen Handelns, wobei bereits Merton darauf hinweist, wissenschaftliche Gemeinwohlorientierung sei nicht als Altruismus misszuverstehen. Vielmehr müsse sie als ein Muster der institutionellen Kontrolle verstanden werden. Sie resultiere darin, dass es im Interesse der Wissenschaftler (und Professionellen) liege, sich interesselos zu verhalten, d.h. im Sinne des Allgemeinwohls und nicht des eigenen Vorteils zu handeln. Als vierte und letzte Norm wird von Merton der organisierte Skeptizismus genannt. Er schreibt vor, dass die Wissenschaft keine Spaltung zwischen dem Heiligen und dem Profanen gelten lasse. Sie dürfe keine Unterscheidung zwischen Bereichen akzeptieren, die unkritischen Respekt erfordern, und solchen, die objektiv analysierbar sind.44 Merton hat dieses Normensystem als zeitlos konstitutiv für die Wissenschaftstätigkeit angesehen. Wie wiederholt von Kritikern aufgezeigt, entspricht das System eher einer Idealvorstellung als den heterogenen Normen- und Wertgefügen realer Wissenschaftler. Außerdem vernachlässigt es die Wandelbarkeit der Wissenschaftsnormen.45 Im Folgenden werden Ansätze der Wissenschafts- und Professionssoziologie diskutiert, die sich mit den unterschiedlichen Handlungsdispositionen und Handlungslogiken im wissenschaftlichen Feld auseinandersetzen. Der professionssoziologische Ansatz erweist sich dabei als besonders interessantes Instrumentarium. Er lenkt den Blick auf die historische Ausdifferenzierung professioneller und wissenschaftlicher Handlungstypen und verweist auf die Wandelbarkeit und Diversität der entsprechenden Strukturen.

Disziplinäre und professionelle Handlungslogiken Professionen werden in der Soziologie in der Regel als klientenbezogene Dienstleistungen verstanden, die anhand einer wissenschaftlichen Exper-

44 Merton, 1973 >1942@: 270-278. 45 Felt/Nowotny/Taschwer, 1995: 61-63. 28

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tise erbracht werden, gemeinwohlorientiert sind und weder durch den Markt noch durch eine formale Bürokratie wirksam kontrolliert werden. Auf der Basis einer verbindlichen Professionsethik verwalten sich Professionen sowohl hinsichtlich ihrer Ausbildung als auch ihrer Berufsausübung auf einem monopolisierten Dienstleistungsmarkt autonom. In seiner klassischen Verwendung umfasst der Professionsbegriff die Berufe der Medizin, Theologie und Rechtswissenschaften. Von den Professionen werden die so genannten „Semiprofessionen“ unterschieden, die oftmals als „vermittelnde Professionen“ zwischen Professionen und Klienten treten (bspw. Krankenpflege, Apotheker, Notare). Ein anderes mögliches Charakteristikum von Semiprofessionen ist, dass sie trotz Klientenbezug ohne Einsozialisation in den wissenschaftlichen Diskurs auskommen müssen (Lehrerberuf).46 Die Kategorien der Professionellen und der Experten werden in der allgemeinen Verwendung oftmals unkritisch zusammengeworfen. Dabei geraten im Wesentlichen die Begriffe der Profession und der Professionalisierung durcheinander.47 Professionalisierung kann verstanden werden als ein Prozess der sozialen Verfestigung von Berufsrollen nach dem Vorbild der Professionen. In Professionalisierungsprozessen lassen sich verschiedene Wirkungsebenen unterscheiden. So beispielsweise die Systematisierung eines Wissensgebietes und dessen Weitervermittlung in institutionell spezialisierten Ausbildungen. Als weitere Elemente kommen Bestrebungen hinzu, berufliche Kompetenzen durch Lizenzen und allenfalls auch durch exklusive Berufsberechtigungen abzusichern. Professionalisierungsprozesse führen zu verschiedenen Formen der berufsförmigen Expertenschaft. Solche Expertenberufe können dann einen professionsähnlichen Status annehmen, wenn es ihnen gelingt, eine weit reichende Autonomie hinsichtlich der Gestaltung und Regelung ihrer berufseigenen Belange zu etablieren.48 Nach Rudolf Stichweh stellt die „Deprofessionalisierung“ der Wissenschaft, verstanden als deren Herauslösung aus dem Verbund vormoderner Professionen, „das fast auffälligste Phänomen im Prozess der Entstehung moderner Wissenschaft“49 dar. Die vormoderne Universität war hauptsächlich eine Institution professioneller Studien in den Bereichen Theologie, Recht oder Medizin. Die Fächer der philosophischen Fakultät waren den Professionen als Propädeutika oder als Hilfswissenschaften zugeordnet. Die in Deutschland im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert entstehende wissenschaftliche Universität führte zu einer 46 47 48 49

Vgl. Stichweh, 1994: 320-321; Oevermann, 1996: 140. Mieg, 2003: 21. Pfadenhauer, 2003: 30. Stichweh, 1994: 279. 29

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Umkehrung dieser Rangordnung. Sie gab Raum für die Ausbildung eines umfangreichen Systems wissenschaftlicher Disziplinen, denen die professionellen Wissenssysteme als Fälle der Anwendung wissenschaftlichen Wissens und der Ausarbeitung praxisbezogener Wissensbestände nachgeordnet wurden.50 In zeitgenössischen Wissenschaftsklassifikationen reflektierte sich dieser Umbruch in der Differenz von „freien“ (theoretisch und praktisch unabhängigen) und „gebundenen“ (theoretisch und/oder praktisch abhängigen) Wissenssystemen. Als Hort der „freien“ Wissenschaftlichkeit wurde die wissenschaftliche Disziplin nun zum Leitsystem der wissenschaftlichen Lehre- und Forschung, an dem sich tendenziell auch die Professionen auszurichten hatten. Aus dieser Entwicklung ergab sich eine latente Abhängigkeit der Professionen von den Disziplinen. Eine Entzugsmöglichkeit bot erst die Neukonstituierung der professionellen Kernproblematik entlang von Klientenorientierung und Handlungsbezug sowie innerorganisatorische Ausdifferenzierungsprozesse in Richtung Spezialschulen mit didaktischen Formen der Lehre. Es etablierte sich eine professionelle Kernrolle, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Professionen ihre Klienten durch Handeln beeindrucken und vertrauensmäßig binden. Gleichzeitig wurde die Handlungsorientierung zum destratifizierenden Merkmal der professionellen Leistungsrolle.51 Stichweh betrachtet wissenschaftliche Disziplinen und Professionen als zwei unterschiedliche Typen von Sozialsystemen mit differenten Struktureigentümlichkeiten. Im Vordergrund der Differenzbestimmung zwischen Disziplinen und Professionen steht bei ihm die wertende Unterscheidung von Wissen („freie“ Produktion von Wissen) versus Handeln („abhängige“ Anwendung von Wissen). In der Professionssoziologie von Ulrich Oevermann stehen sich wissenschaftliches und professionelles Handeln nicht gegenüber. Vielmehr wird die Handlungslogik der wissenschaftlichen Praxis aus einem zweistufigen Modell der Professionalisierung hergeleitet, in dem wissenschaftliches Handeln nur auf erster Stufe, die klientenorientierte Praxis der Professionellen jedoch auf zwei Stufen professionalisiert ist. Professionalisiertes Handeln wird bei Oevermann als eines bestimmt, das durch die Vermittlung zwischen Theorie und Praxis zur Bewältigung und Wiederherstellung einer „beschädigten Autonomie der Praxis“ beizutragen vermag: „Professionalisiertes Handeln ist wesentlich der gesellschaftliche Ort der Vermittlung von Theorie und Praxis unter den Bedingungen der verwissenschaftlichten Rationalität, das heißt unter

50 Stichweh, 1994: 282. 51 Ebd.: 293. 30

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Bedingungen der wissenschaftlich zu begründenden Problemlösung in der Praxis.“52 Die Problemfoki professionellen Handelns sind bei Oevermann auf drei mögliche Bezugspunkte ausgerichtet. Der erste Problemfokus zielt auf die Wiederherstellung der leiblichen und psychischen Integrität des Einzelnen ab. Dies beispielsweise bei einer durch Krankheit hervorgerufenen Beschädigung der Autonomie der individuellen Lebenspraxis. Der zweite Problemfokus bezieht sich auf die Gewährleistung von Recht und Gerechtigkeit „im Sinne eines die jeweils konkrete Vergemeinschaftung konstituierenden Entwurfs“. Hier geht es um die Klärung von strittigen Auslegungen dessen, was rechtens ist oder um die Korrektur von Rechtsverletzungen. Der dritte Problemfokus bezieht sich auf die „methodisch explizite Überprüfung von Geltungsfragen und -ansprüchen unter der regulativen Idee der Wahrheit“.53 Historisch, so argumentiert Oevermann, sei es unter den Bedingungen zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung und Rationalisierung in westlichen Gesellschaften zu einem Ausdifferenzierungsprozess der Entwürfe von Normalität, Geltung von Weltbildern und ihrer Begründungen gekommen: „Erst mit der Institutionalisierung der Erfahrungswissenschaften seit Ende des 17. Jahrhunderts und mit der Ausweitung des erfahrungswissenschaftlichen Ansatzes und Habitus auf die Totalität der erfahrbaren Welt in der humboldtschen Universität Anfang des 19. Jahrhunderts ist der universalistische wissenschaftliche Diskurs errichtet, der seinerseits erst den klassischen Professionen ihre wissenschaftliche Basis liefert, die sie zur vollen Professionalisierung ihrer Tätigkeit benötigen.“54

Mit dem dritten Problemfokus erfährt die wissenschaftliche Forschung und Lehre eine systematische Einbindung in den Bereich professionalisierungsbedürftigen Handelns. Gemäß Oevermann verfügen wissenschaftliche Erkenntnisleistungen über keinen konkreten Klientenbezug, sondern sind auf einen abstrakten Klienten in Gestalt der gesellschaftlichen Zukunft ausgerichtet. Im Sinne einer „prophylaktischen stellvertretenden Krisenbewältigung“ würden in der Wissenschaft Krisen der Geltung von Wissen falsifizierend simuliert.55 „Professionalisiertes wissenschaftliches Handeln liegt also genau dann vor, wenn Fragen sich nicht in Abhängigkeit von Krisen der Lebenspraxis ergeben,

52 53 54 55

Oevermann, 1996: 80. Ebd.: 88. Ebd.: 95. Münte/Oevermann, 2002: 167. 31

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sondern wenn wissenschaftliche Forschung die Krise selber erzeugt. Eine derartige Forschung simuliert das Scheitern von Lösungen, ist also nicht auf real erlebtes Leid angewiesen. Dabei verfährt sie mithilfe einer experimentellen Anordnung (Naturwissenschaften), oder sie macht sich daran, die objektiven Möglichkeiten der gesellschaftlichen Praxis zu rekonstruieren (Kulturwissenschaften).“56

Nach der Herleitung von Oevermann befindet sich die Wissenschaft in einem paradoxen Verhältnis zur gesellschaftlichen Lebenspraxis: Durch die wissenschaftliche Tätigkeit werde systematisch in Frage gestellt, was für die Praxis selbst nicht in Frage stehe. Die Problematisierung eingeschliffener Gewohnheiten entspreche keinen unmittelbaren Bedürfnissen der Praxis, vielmehr diene sie der gesellschaftlichen Krisenbewältigung erst in längerfristiger Perspektive. Oevermanns zweistufiges Modell der Professionalisierung lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wissenschaftliche Professionalität verstanden als die Fähigkeit, mit dem beschriebenen Paradoxon umzugehen, wird durch ein universitäres Studium dem Grundsatz nach angeeignet. Konkret klientenbezogene Professionen werden neben ihrem primären Status der Professionalisierung als akademische Studiengänge noch eigens auf zweiter Stufe professionalisiert (klinische Professionalität), damit sie in der Lage sind, ihre Dienstleistungen in jeweils konkrete Arbeitsbündnisse einzubringen. Die mit der ersten Stufe der Professionalisierung eingeübte Distanz zur Praxis muss dabei zumindest der Tendenz nach wieder überwunden werden.57 Der Wissenschaftsdiskurs ist für Oevermann deshalb als professionalisierungsbedürftige Praxis zu betrachten, weil hier ein unpersönliches, gemäß den Prinzipien von Sachhaltigkeit und Methodisierung exekutiertes, Handeln mit einer „durchaus einzigartigen, die ganze Person erfordernden bedingungslosen Hingabe an eine Sache paradoxal verknüpft“ wird.58 Auf diese Besonderheit des wissenschaftlichen Handelns wird im nächsten Abschnitt noch genauer eingegangen.

Wissenschaftsberuf als Spannungsbewältigung Nach Constans Seyfarth bieten Max Webers Überlegungen zum Wissenschaftsberuf wichtige Anknüpfungspunkte für eine idealtypische Explikation der Struktur berufsgemäßen wissenschaftlichen Handelns in Forschung und Lehre. Dabei steht die praktische Bewältigung elementarer 56 Streckeisen, 1999: 93. 57 Oevermann, 1996: 125. 58 Münte/Oevermann, 2002: 205. 32

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Spannungen im Vordergrund. So vermerkt Weber in seinem Aufsatz „Wissenschaft als Beruf“, dass sowohl Leidenschaft wie auch harte Arbeit die Wissenschaftstätigkeit bestimmen. In der Wissenschaft stelle der richtige Einfall die wichtigste Vorbedingung zur wertvollen Leistung dar. Dieser lasse sich aber weder mit „irgendwelchem kalten Rechnen“59 noch allein durch Leidenschaft erzeugen: „Der Einfall ersetzt nicht die Arbeit. Und die Arbeit ihrerseits kann den Einfall nicht ersetzen oder erzwingen, so wenig wie die Leidenschaft es tut. Beide – vor allem: beide zusammen – locken ihn. Aber er kommt, wenn es ihm, nicht, wenn es uns beliebt.“60 Neben den Spannungen zwischen außeralltäglicher Idee und harter Arbeit thematisierte Weber in seinem Aufsatz zum Wissenschaftsberuf auch jene zwischen Spezialisierung und Übergriffen auf fremde Gebiete, zwischen Leidenschaft und Distanz in der Forschung, zwischen persönlichen und unpersönlichen Elementen, aber auch zwischen Wertbeziehungen und Werturteilsfreiheit und letztlich zwischen dem Glauben an die Berechenbarkeit der Welt und dem Wissen um deren irrationale Mannigfaltigkeit. Seyfarth argumentiert, dass die Bewältigung dieser mehrfachen Spannungen bei Weber auf eine Erfolgs- und Selbstgewissheit des berufsgemäßen wissenschaftlichen Handelns hindeute. Damit würde auf den charismatischen Ursprung einer außerordentlichen Leistung verwiesen. Wie in anderen Berufen habe dieses Charisma allerdings auch im Wissenschaftsberuf eine Veralltäglichung erfahren.61 Mit dem Begriff des akademischen „Hasard“ charakterisiert Weber die „äußeren Bedingungen des Gelehrtenberufs“ und damit den Weg vom Assistenten zum Ordinariat als von einem Höchstmass an Unsicherheit und Zufall geprägt.62 In der Lesart von Ulrich Oevermann finden die von Weber angeführten Besonderheiten der wissenschaftlichen Karrierelogik ihre Entsprechung in einer kompensatorisch durch die Frustrationen und Unwägbarkeiten hervorgebrachten, „ins Weltfremde übergehenden Identifikation mit dem inneren Beruf von Wissenschaft“.63 Oevermann argumentiert, dass der äußere Beruf der Wissenschaft mit einer „inneren Berufung“ einhergehe, die ihren Ausdruck in einem spezifischen, den wissenschaftlichen Habitus prägenden Ethos finde. Der innere Beruf der Wissenschaft unterscheide sich deshalb von anderen Berufsgattungen, weil hier der Beruf im Sinne von „Vocatio“ (der Berufung auf einen bestimmten gesellschaftlichen Funktionsplatz) 59 60 61 62 63

Weber, 2002a >1919@: 245. Ebd.: 246. Seyfarth, 1989: 392. Weber, 2002a >1919@: 244. Oevermann, 2005: 16. 33

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ergänzt werde durch „Professio“, dem öffentlichen Bekenntnis zu einer Tätigkeit. Einem professionalisierten wissenschaftlichen Habitus liegt gemäß Oevermann die spezifisch-diffuse Einheit von Sachhaltigkeit und Involvierung des Wissenschaftlers als ganze Person zugrunde. „Der Forscher handelt auf der einen Seite unpersönlich gemäß dem Prinzip von Sachhaltigkeit und Methodisierung. In dieser Hinsicht ist er völlig austauschbar, exekutiert also eine soziale Rolle, die durch wissenschaftliche Methodologie und Professionsethik bestimmt und festgelegt ist. Aber er kann diese Rolle nur spielen bzw. es gehört konstitutiv zu ihr, in vollständiger, ausschließlicher Hingabe an die Sache zu handeln.“64

Forschungshandeln enthält immer sowohl standardisierbare als auch nicht-standardisierbare Komponenten, wobei die Gegensätzlichkeit von Routine und Leidenschaft für Oevermann eine widersprüchliche Einheit von „Rollenhandeln und Handeln als ganze Person“ impliziert. Es ist dieses widersprüchliche Zusammenspiel, welches das wissenschaftliche Handeln als professionalisierungsbedürftig ausweist. Von „deprofessionalisierenden“ Tendenzen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs spricht Oevermann dort, wo die Verwaltung den Wissenschaftsakteuren ihre eigenen Gesetze aufzuzwingen versucht und sie zu Entcharismatisierung und Bürokratisierung drängt. Damit kann sich im wissenschaftlichen Feld eine Handlungslogik etablieren, die alles Nicht-Standardisierbare dogmatisch erdrückt.65

Autonomie und Interesselosigkeit Die Ausdifferenzierung eines für das wissenschaftliche Handeln konstitutiven Bereichs der Bearbeitung von Geltungsfragen konnte sich historisch nur realisieren, indem eine Sphäre geschaffen wurde, die „von der Praxis sowohl der faktisch politischen Entscheidungen des Herrschers als auch der faktisch wirtschaftlichen Entscheidung des Kapitalien Besitzers oder Verwalters entbunden und relativ unabhängig ist“.66 Erst durch die Gewährleistung eines Freiraums für die Bearbeitung von Geltungsfragen wird gemäß Oevermann jene wissenschaftliche Pluralität möglich, die durch ihre bereitgestellte Problemlösungskapazität zur Selbsterneuerung der Gesellschaft beitragen kann. Dabei beruhe das Autonomiegebot auf Gegenseitigkeit. Es gelte nicht nur für die Wissen64 Oevermann, 1996: 105. 65 Oevermann, 2005: 41-51. 66 Oevermann, 1996: 86-87. 34

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

schaft, sondern auch für die Praxis. Wie Oevermann mit Nachdruck festhält, müssen es die Wissenschaftler stets der Praxis überlassen, welchen Gebrauch diese von den Forschungsergebnissen in konkreten Entscheidungssituationen machen wolle. Die Autonomie der Wissenschaft, verstanden als deren Befreitheit von allen konkreten Einreden und funktionalen Indienstnahmen durch die Praxis, stellt bei Oevermann eine Grundbedingung für die Realisierung des wissenschaftlichen Handlungstypus dar. Eng damit verbunden ist das Leitbild der Interesselosigkeit, das – trotz faktischer Unerreichbarkeit – konstitutiver Bestandteil des wissenschaftlichen Handelns ist. Während es in der Praxis unumgänglich sei, im Problemlösungsprozess die Perspektive, aus der heraus interessiert gehandelt wird, mit einzubeziehen, müsse in der Wissenschaft zugunsten der Unvoreingenommenheit von solchen Interessen abstrahiert werden: „Der wissenschaftliche Diskurs ist also in dieser idealisierenden Abstraktion von konkreten Interessen als einer Bedingung seiner Universalität zugleich eine Abstraktion von der Praxis. Der wissenschaftliche Diskurs konstituiert sich als paradoxale unpraktische Praxis.“67 Sowohl bei Oevermann wie auch beim bereits vorgestellten Autonomiemodell von Bourdieu geht die analytische Auseinandersetzung mit Fragen der Autonomie und der Interesselosigkeit oftmals fließend in normative Setzungen von Wissenschaftlichkeit über. Im Unterschied zu Oevermann richtet Bourdieu allerdings seinen Fokus auf den strategischen Aspekt der Interesselosigkeit. Dabei geht es ihm nicht um die Absenz von Interessen an sich, sondern vielmehr um ein für das Wissenschaftsfeld spezifische „Interesse an der Interesselosigkeit“, das in erster Linie dazu beiträgt, die profitorientierten Strategien der Akteure zu verschleiern.68 Sogar die reinste Sphäre der Wissenschaft ist gemäß Bourdieu durch Kämpfe, Strategien, Interessen und Profite bestimmt, allerdings – und da liegt für ihn der zentrale Punkt – handelt es sich hierbei um Interessen, die nicht mit jenen der „äußeren Welt“ identisch sind. Dies bedeutet auch, dass ökonomisches Profitstreben nicht zu den Interessen des Wissenschaftsfeldes gehört. Er zählt akademische Felder gemeinsam mit der Kultur, Literatur und Politik zu jenen sozialen Universen, „die sich auf der Basis einer Umkehrung des Grundgesetzes der ökonomischen Welt konstituieren und in denen das Gesetz des ökonomischen Interesses aufgehoben ist“.69

67 Oevermann, 1996: 99. 68 Bourdieu, 1975: 26. 69 Bourdieu, 1998a: 154. 35

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Das von Oevermann wie unter etwas anderen Vorzeichen auch durch Bourdieu vertretene Autonomieideal baut auf Vorstellungen auf, die von der historischen und soziologischen Geschlechterforschung kritisiert wurden. Dies unter Verweis auf den historischen Entstehungskontext des Wissenschaftsberufs. Durch die Akademisierung und die Verberuflichung der Wissenschaft im 19. Jahrhundert akzentuierte sich die Trennung zwischen wissenschaftlicher Praxis und lebensweltlichem Kontext. Damit wurden die Wissenschaftspraktiken aus ihren früheren, oftmals häuslichen Entstehungszusammenhängen gelöst. Sie spielten sich fortan vermehrt in der beruflichen Welt der Hörsäle und akademischen Institutionen ab, was einen weitgehenden Ausschluss der Frauen aus dem Wissenschaftsbetrieb zur Folge hatte.70 In ihren Überlegungen zur Kultur des wissenschaftlichen Objektivitätsideals erläutert die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston, wie sich im 19. Jahrhundert eine „a-perspektivische Objektivität“ als Credo des Wissenschaftlichen zu etablieren begann. Um eine Welt der Forschung jenseits von gesellschaftlichen Bezügen und Interessenlagen überhaupt denken zu können, sei ein neues Verständnis der Forschenden als „eigenschaftslose Beobachter“ zur Durchsetzung gelangt.71 Bettina Heintz macht geltend, dass zur „Persona“ des neuen Berufswissenschaftlers, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausbildete, „die Deutung wissenschaftlicher Tätigkeit als einer von allen lebensweltlichen Verstrickungen befreiten Obsession“ gehörte. Erst die von jeglichen weltlichen Verpflichtungen und Loyalitäten befreite Wissenschaftsperson konnte in angemessener Weise den geforderten Standpunkt der Objektivität repräsentieren. Wie Heintz argumentiert, haben sich solche Auffassungen von Wissenschaftlichkeit aus dem Fundus der Männlichkeitsstereotypen ihrer Zeit bedient. Das Bild des hyperrationalen Wissenschaftlers entsprach in verschiedener Hinsicht den Eigenschaften, die im Rahmen des Differenzmodells den Männern zugeschrieben wurden und für Frauen prinzipiell nicht zugänglich waren.72

3. Wissenschaft und Hochschule im Wandel Die humboldtsche Universitätsreform etablierte im 19. Jahrhundert die Universitäten als separate Sphäre der wissenschaftlichen Praxis. Damit einher ging eine tendenzielle Verberuflichung der Wissenschaftskarrie-

70 Wobbe, 2002: 1-28. 71 Daston, 1992, 2003. 72 Heintz, 2004: 54-56. 36

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

re. Während Forschung in England noch während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Angehörigen der vermögenden Oberschicht als Hobby oder zuweilen unter der Gefahr ökonomischer Deprivation betrieben wurde, entwickelte sich das Wissenschaftssystem im deutschsprachigen Raum zu einem Tätigkeitsbereich, der Ähnlichkeit mit einer Berufskarriere aufwies.73 Die Schaffung einer spezialisierten Berufsrolle umfasste eine Normierung der Qualifizierungswege und eine zunehmende Standardisierung der wissenschaftlichen Tätigkeit. Mit dem Erfordernis der Habilitationsschrift wurde die disziplinär spezifische Forschungsleistung zum karriererelevanten Selektionskriterium für den Eintritt in den Wissenschaftsberuf. Dies führte zur Auflösung älterer Universitätsstrukturen wie beispielsweise der Familienuniversität des 18. Jahrhunderts, in welcher ein Lehrstuhl vom Vater auf den Sohn oder auf andere Verwandte vererbt wurde. Es kam zu neuen Formen der sozialen Schließung des Berufsfeldes, die Ergänzung des Lehrkörpers durch Personen aus der Praxis wurde mehr und mehr zu einer Ausnahmeerscheinung.74 Wie der Historiker Hannes Siegrist bemerkt, war diese Entwicklung am ausgeprägtesten in Deutschland, während in liberalen Gesellschaften mehr Offenheit bestand für bürgerliche Praktiker, „die ihre Lehrstellung entweder aufgrund ihres besonderen Wissens oder aufgrund politischsozialer Patronage bekamen“. In der Schweiz, den USA oder in Italien waren gemäß Siegrist manche Universitätsprofessoren nebenher als Advokaten, beratende Ingenieure oder freie Ärzte tätig: „Während dort die praktische Ausübung einer Profession vielfach als Voraussetzung für die Anstellung als Professor galt, war der deutsche Universitätsprofessor stärker Vollzeit-Beamter, dessen Leben sich im Rahmen einer institutionalisierten Universitätslaufbahn abspielte.“75 Als wissenschaftlich führendes Land des 19. Jahrhunderts übte Deutschland mit seiner spezifischen Form der Universitätsorganisation eine starke Vorbildwirkung auf andere nationale Wissenschaftssysteme aus.76 Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts galten Universitäten in den deutschen Ländern als verstaubte Einrichtungen oder schlicht als „Beamtenmanufakturen“. Im Rahmen einer allgemeinen Reform des Erziehungswesens kam es dann zu einer Neukonstituierung der Universität entlang den neuen Bildungs- und Wissenschaftsauffassungen der humboldtschen Universitätsreform, die zuerst 1810 mit der Gründung der Universität Berlin umgesetzt wurde. Die philanthropische Erziehungs73 74 75 76

Ben-David, 1984: 108-123; Schmeiser, 1994: 30-42. Schmeiser, 1994: 30-33; Heintz, 2004: 50. Siegrist, 1988: 30. Ben-David, 1984: 104-138; Felt/Nowotny/Taschwer, 1995: 42. 37

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

idee der Spätaufklärung war auf die Kriterien der Nützlichkeit, der standesgemäßen Berufsbildung – kurzum der Ausbildung des Menschen zum gesellschaftlich „brauchbaren“ Bürger – ausgerichtet. Sie repräsentierte ein technizistisch-utilitaristisches Verständnis von Ausbildung. In Abgrenzung dazu entwickelte sich Ende des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum ein neuhumanistisches Bildungsideal, das in emanzipatorisch-individualistischer Absicht den Entfaltungsspielraum des Menschen in den Vordergrund rückte. In der Bildungsphilosophie von Wilhelm von Humboldt soll der einzelne Mensch zum Selbstdenken und Empfinden angeregt werden, dies mit der Zielsetzung, ihn sein Leben eigenverantwortlich in die Hand nehmen zu lassen. Dazu bedürfe es „der Ausbildung des Sinnes und des Augenmasses sowie der Fähigkeit, sich aus eigenen Beobachtungen Handlungswissen anzueignen“.77 Erziehung dürfe sich nicht ausschließlich an die Vernunft richten, sondern müsse – im Unterschied zum dualistischen Menschenbild der Spätaufklärung – den ganzen Menschen als Einheit aus Geist, Herz und Körper erfassen. Der Zweck des Menschen liege dabei nicht länger in dessen Brauchbarkeit für die Gesellschaft, sondern im Menschen selber, in dessen innerer und moralischer Bildung. Als Konsequenz seines Erziehungsideals priorisierte Humboldt die Bildung der Gesinnung und des Charakters gegenüber spezialisierten Berufsausbildungen. Durch Bildung sollten alle Menschen die Chance erhalten, sich selber zu entfalten. Ungeachtet dessen blieb das mit dem Bildungsdiskurs verbundene Gleichheitspostulat erheblichen Restriktionen unterworfen. So orientierte sich die Ausbildung der Mädchen in dieser Zeit kaum an den Idealen der Persönlichkeitsentwicklung und selbständigen Urteilskraft. Weil Allgemeinbildung weitgehend den Gymnasien und Universitäten vorbehalten war, blieb sie aufgrund der finanziellen Anforderungen im Wesentlichen auf vermögende Familien beschränkt. Bildung trug somit von Beginn an distinktive Züge.78 Der idealistisch imprägnierte neue Bildungsbegriff war mit einer Abstinenz gegenüber dem Politischen und einer Distanz gegenüber dem Ökonomischen verbunden: „Für den angestrebten Innovationsschub war es nach der Überzeugung der Reformer nötig, in einem neuen Schul- und Hochschulwesen einen neuen Menschentypus heranzuziehen, der sich von den traditionalen, und das hieß in erster Linie: partikularen (ständischen, regionalen, konfessionellen) Verwurze-

77 Sauter, 1989: 264. 78 Löw, 2003: 20-21. 38

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

lungen zu distanzieren vermochte und nach universalistischen Kriterien zu denken und zu handeln in der Lage war.“79

Der Bildungsbegriff ging ebenso „in Frontstellung gegen das unmittelbar Nützliche im bürgerlichen Erwerbsleben wie gegen die Politik einer allgemeinen Wohlfahrt durch den absolutistischen Staat“.80 Allerdings gab es neben Unterschieden auch Übereinstimmungen zu wirtschaftsbürgerlichen Positionen: Der Neuhumanismus grenzte zwar die Welt des Ökonomischen vordergründig aus, doch er teilte, wie dies der Kulturwissenschaftler Georg Bollenbeck ausführt, mit dem Wirtschaftsliberalismus die Vorstellung eines autonomen Individuums – „ein Individuum, das in geistiger wie materieller Hinsicht frei von alten Bindungen selbstverantwortlich handelt“. Als Hauptaufgabe der Universität definierte Humboldt die Wissenschaftstätigkeit als Prozess des Suchens nach Wahrheit und Erkenntnis. Wobei Wissenschaft hier als Ganzheit verstanden wurde. Im Unterschied zu einer auf „Spezialistentum“ ausgerichteten Hochschule sollte an den Universitäten die Reflexion auf Sinn und Synthese des Erkennens im Vordergrund stehen. Sie wurden damit zu Institutionen erklärt, die sich auf der Grundlage von zweckfreier Forschung und Reflexion auf das „Ganze“ damit beschäftigten, Bildung zu vermitteln.81 Der Fokus auf Ganzheit implizierte auch, dass, im Unterschied beispielsweise zu den Entwicklungen in Frankreich, an den neuhumanistischen Universitäten keine Ausgrenzung des Forschungsbereichs aus den Universitäten stattfand. Forschendes Lernen und wissenschaftliches Denken bildeten die beiden Schwerpunkte der neuen Institutionen. Zu dieser Konzeption gehörte, dass der Staat gegenüber der Universität eine dienende Rolle einnahm und sich jeder Einmischung in deren Autonomie enthielt. Allerdings bestand eine große Ambiguität hinsichtlich der politischen Neutralität der Universitäten, da sie in verschiedener Hinsicht dem absolutistischen Staat und der traditionellen Ordnung verpflichtet waren. Die akademische Freiheit blieb somit weitgehend an die Bedingung der Loyalität gegenüber den politischen Eliten gekoppelt.82 Die von Anfang an bestehenden Diskrepanzen zwischen den Idealen der Humboldt-Universität und den realen Universitätsstrukturen erfuhren mit dem Übergang ins 20. Jahrhundert eine zunehmende Verstär79 80 81 82

Harney/Zymek, 1994: 408. Bollenbeck, 1994: 127. Ebd.: 171-176. Ben-David, 1984: 135; vgl. auch Ringer, 1987 zu den geistesaristokratischen und obrigkeitsgläubigen Verformungen des Bildungsideals zwischen 1890 und 1933. 39

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

kung. Dabei verlor nicht nur die Einheit der Wissenschaften zugunsten spezialisierter Forschungstätigkeit an Bedeutung, auch die Verbindung von Lehre und Forschung wurde zunehmend aufgebrochen. Sie galt in einzelnen technisch- und naturwissenschaftlichen Bereichen bald als Hemmnis der Forschungseffizienz.83

Vergesellschaftlichung der Wissenschaft? Die Geschichte der deutschen Universitäten während des 20. Jahrhunderts kann auch als Geschichte des Spannungsverhältnisses zwischen den neuhumanistischen Idealen und den sich verändernden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Realitäten verstanden werden.84 Die außergewöhnliche Expansion der höheren Bildung in den 1960er Jahren und die damit verbundene Transformation zur Massenuniversität gingen mit einem Funktionswandel der Universitäten einher. Ihre Ausbildungsfunktion beschränkte sich nicht mehr auf die Reproduktion des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Ausbildung einer staatlichen Beamtenschaft, vielmehr sahen sich die Universitäten nun viel breiter gefächerten Bildungsansprüchen gegenüber.85 In den 1960er und 1970er Jahren wurde in Deutschland eine breite Debatte über die Erosion der bildenden und aufklärerischen Kraft der Universitätsidee geführt. Dies angesichts eines Strukturwandels, der in einer zunehmenden Ausdifferenzierung der Fächer, einer Institutionalisierung der Forschung und einer Verschulung der akademischen Ausbildung zum Ausdruck kam. Jürgen Habermas machte sich in dieser Zeit zum Anwalt einer Wissenschafts- und Technokratiekritik, die es sich zum Ziel setzte, „die Verschränkung von methodischen Grundlagen, globalen Hintergrundannahmen und objektiven Verwertungszusammenhängen“ aufzuklären.86 Im technokratischen Modell wird die Politik durch eine wissenschaftlich rationale Verwaltung ersetzt, sie wird völlig abhängig von wissenschaftlicher Expertise. In diesem Zusammenhang wurde besonders die politikorientierte Sozialforschung, die in den 1960er an Bedeutung gewann, mit dem Vorwurf konfrontiert, sich auf herrschaftskonforme Fragestellungen zu verpflichten. Die Diskussion drehte sich im Wesentlichen um die Frage, ob die Sozialwissenschaften einen Status als gesellschaftsverändernde, kritisch-emanzipative Kraft

83 84 85 86 40

Vom Bruch, 1999: 49. Ash, 1999: 10. Weingart, 2001: 187. Habermas, 1987.

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

für sich behaupten, oder in ihrer angewandten Form als „Sozialtechnologie“ politische Reformprozesse unterstützen sollte.87 Im gegenwärtigen Diskurs hat die Frage nach den politischen Instrumentalisierungen der Wissenschaft eine Ergänzung erfahren. Es wird nun vermehrt nach der gesellschaftlichen Legitimität des Wissenschaftssystems gefragt und nach Möglichkeiten gesucht, die soziale Distanz der Wissenschaft gegenüber anderen Gesellschaftsbereichen, insbesondere gegenüber der Ökonomie, zu verringern. Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur ab den 1990er Jahren ein Paradigmenwechsel vom wissenschaftspolitischen Steuerungs- zum Liberalisierungsmodell beschrieben. Die alten Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Staat würden gegenwärtig von einer Verflechtung der Universität mit der Wirtschaft abgelöst. Dabei komme es zu einer Verwischung der Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie zur Förderung anwendungsbezogener Wissenschaftsbereiche und berufsorientierter Studiengänge. In einer instrumentalistischen Sichtweise werde das Hochschulwesen heute vermehrt als Dienstleister der Wirtschaft angesehen. In diesem neuen Selbstverständnis, so die Argumentation, sähen sich die Universitäten einer Reihe von anspruchsberechtigten Kundengruppen (Studierende, Arbeitgeberschaft, Wirtschaft, Staat) gegenüber. Als unternehmerische Einheiten auf dem „freien Markt des Wissens“ würden Universitäten ihre Monopolposition verlieren und zunehmend in Konkurrenz zu anderen privaten Bildungsanbieter oder Wissensproduzenten treten. Gleichzeitig machten sich auch unter den staatlichen Hochschulinstitutionen vermehrte Konkurrenzverhältnisse bemerkbar.88 Während also diverse Autoren eine Ökonomisierung des Universitätssystems konstatieren, diskutieren andere die Frage, inwiefern die Universität ihre Bedeutung als bislang „dominante organisatorische Infrastruktur des Wissenschaftssystem“89 zu verlieren beginnt. Das Autorenteam Michael Gibbons, Helga Nowotny und Peter Scott postuliert, dass der soziale Ort der Wissenschaft gegenwärtig in viele gesellschaftliche Bereiche hinein diffundiere. Die im 19. Jahrhundert stattgefundene Ausdifferenzierung einer funktionsspezialisierten Sphäre der Wissenschaftstätigkeit sei neu in Regression begriffen. Unter diesen veränderten Bedingungen könnten Beurteilungs- und Relevanzkriterien von Wissenschaft nicht mehr ausschließlich innerhalb des akademischen Feldes festgelegt werden. Disziplinäre Codes und Praktiken würden zugunsten von Nutzenerwartungen der Anwendungsfelder an Bedeutung verlieren.

87 Vgl. dazu Habermas/Luhmann, 1971. 88 Slaughter/Leslie, 1997; Becher/Trowler, 2001. 89 Stichweh, 1994: 270. 41

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen setzen die Autoren dem traditionellen, disziplinär strukturierten Modus der Wissensproduktion, den sie als „Modus 1“ bezeichnen, einen neuen „transdisziplinären“ Modus der Wissensproduktion entgegen.90 Im disziplinären „Modus 1“ wird Wissenschaft nach einem spezifischen Ensemble von sozialen und kognitiven Normen und Praktiken betrieben; Wissenschaftsaktivitäten können nur dann Legitimität in Anspruch nehmen, wenn sie an diesen Normen ausgerichtet sind. Im „Modus 2“ kämen solche eindeutigen Abgrenzungen zum Verschwinden. Dies auch, weil sich an Wissenspraktiken solcher Art nicht ausschließlich Wissenschaftsakteure beteiligen würden.91 Die von Robert Merton aufgestellten Normen des wissenschaftlichen Handelns werden deshalb als anachronistisch bezeichnet, weil sie obsolet geworden seien und sich eine zu große Kluft zwischen den Regeln und dem tatsächlichen Verhalten beobachten lasse. Das Autorenteam folgert: „Das bedeutet nicht, dass die Wissenschaft in eine normative Leere gestürzt ist. Heutige Normen sind improvisiert, vielgestaltig, flüchtig und gelegentlich sogar in sich widersprüchlich. Das ist nicht unbedingt ein Alarmzeichen.“92 Der „Modus 2“ findet in erster Linie in den heterogenen Kontexten der Wissensanwendung statt. Die Teams, in denen solche Formen des Wissens produziert werden, sind in der Regel wenig institutionalisiert, sie bilden lockere Handlungszusammenhänge, welche die Grenzen etablierter Disziplinen und Praxisfelder übergreifen. Besonderer Stellenwert wird dabei der Überlegung zugewiesen, dass eine Wissensproduktion innerhalb von Anwendungskontexten die Sensibilität für die sozialen Implikationen steigere. Es wird postuliert, die Rahmenbedingungen des „Modus 2“ würden die beteiligten Akteure reflexiver machen, sie dazu bringen, der Gesellschaft Rechenschaft über ihr Tun abzulegen und soziale Verantwortlichkeit zu übernehmen. Mit ihrem Modell der „Triple-Helix“ verweisen Henry Etzkowitz und Loet Leydesdorff auf eine etwas andere Transformationsdynamik. Sie beschreiben eine wechselseitige Funktionsübernahme zwischen Universität, Staat und Wirtschaft bzw. Industrie, wobei eine allgemeine Tendenz zur Kommodifizierung des Wissens postuliert wird. Während Universitäten zunehmend unternehmerische Züge entwickeln würden, nähmen Firmen, die als wissensorientierte Organisationen handeln, zuweilen akademische Dimensionen an. Die angesprochene Neuorientierung der Universität auf den Markt bzw. auf die Wirtschaft finde ihren

90 Gibbons et al., 1994; Gibbons/Nowotny/Scott, 2004. 91 Gibbons et al., 1994: 1-3; Bender, 2001: 11. 92 Gibbons/Nowotny/Scott, 2004: 298. 42

FORSCHUNGSSTAND UND THEORETISCHE VORÜBERLEGUNGEN

Ausdruck in neuartigen (zuweilen aber auch althergebrachten) Vermittlungsmechanismen wie beispielsweise Transferbüros, Lizenzabteilungen, Forschungsinstitute oder Forschungskooperationen. Etzkowitz und Leydesdorff verweisen darauf, dass solche wissenschaftlichen Institutionalisierungsformen deshalb durch komplexe Interaktionsdynamiken zwischen den verschiedenen Interaktionspartner geprägt seien, weil diese sich auf jeweils unterschiedliche Referenzsysteme beziehen würden.93 Peter Weingart nennt zusammenfassend drei mögliche Konfliktlinien, die sich aus einer stärkeren Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft für das akademische System und dessen Hauptfunktionen der Forschung und Bildung ergeben können. Interessenkonflikte ergeben sich erstens in Bezug auf die Frage, ob die Ausbildungsinhalte der universitären Hochschulen in Zukunft auf Qualitätsstandards der disziplinären Wissensbestände oder auf jene der Wirtschaft bzw. des Arbeitsmarktes ausgerichtet sind. Zweitens stellt sich die Frage, ob über die Bestimmung von Wissenschaftszielen anhand von innerwissenschaftlichen Kriterien oder anhand von kommerziellen Kalkülen der Vermarktung und wirtschaftlichen Verwertbarkeit entschieden wird. Drittens stellt sich in Bezug auf die Verfügung über die Forschungsergebnisse die Frage, inwiefern die Interessen der Wissenschaft an öffentlicher Kommunikation oder jene der Wirtschaft an Geheimhaltung und an kommerzieller Nutzbarkeit zum Tragen kommen werden.94

93 Etzkowitz/Leydesdorff, 1997, 2001. 94 Weingart, 2003: 105. 43

FRAGESTELLUNG

UND

VORGEHEN

Die Betriebswirtschaftslehre nimmt als eine der Hauptproduzentinnen akademischer Bildungstitel in der schweizerischen Universitätslandschaft eine wichtige Position ein. Um die Implikationen des Größenwachstums dieses Fachbereiches besser verstehen zu können, sind genauere Kenntnisse über dessen Denk- und Deutungstraditionen erforderlich. Die Betriebswirtschaftslehre interessiert aber auch deshalb, weil sie trotz ihrer vollständigen Etablierung an den Universitäten einen akademischen Grenzbereich belegt. Seit ihren Anfängen bewegt sich die Betriebswirtschaftslehre im Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft als Gebrauchswert und Wissenschaft als ganzheitlicher Bildungs- und Lebensform. Die Utilitarismus-Frage war denn auch in der Fachgeschichte wiederholt Gegenstand heftiger Debatten. Bis heute kommt dem Zusammenhang von Erkenntnisfindung und Erkenntnisverwendung in der betriebswirtschaftlichen Forschungs- und Lehrtätigkeit eine große Bedeutung zu. Dabei zeigen sich Ähnlichkeiten zu anderen Wissenschaftsfeldern mit ausgeprägtem Handlungs- oder Berufsbezug (Professionen, technische Wissenschaften). Es werden aber auch wesentliche Strukturunterschiede sichtbar. Die Wissenschaftsakteure der Betriebswirtschaftslehre agieren an den Universitäten in einem Deutungsraum, der in seiner historischen Entwicklung wesentlich durch Leitbilder der „freien“ Lehre und handlungsentlasteten Forschungstätigkeit mitgeprägt wurde. Wie aufgezeigt, wird im Autonomiemodell postuliert, dass in der Wissenschaftssphäre die Gesetze des ökonomischen Interesses gänzlich aufgehoben sind. Die epistemischen Praktiken der Betriebswirtschaftslehre sind aber nicht einseitig auf wissenschaftliche Legitimität ausgerichtet. Sie orientieren sich auch an den Anforderungen und Interessen der für sie relevanten 45

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Praxisfelder und dabei insbesondere an jenen der Wirtschaft. Diese Doppelorientierung stellt die hohe Anforderung, die unterschiedlichen und zuweilen widersprüchlichen Wissensansprüche von Wissenschaft und Praxis miteinander zu vereinbaren. Die vorliegende Untersuchung geht der Frage nach, welche Konsequenzen sich aus dem Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Praxis für die betriebswirtschaftliche Wissenskultur ergeben. Dabei interessiert auch, ob in jüngerer Zeit eine Veränderung der Vereinbarkeitsproblematik beobachtet werden kann, die sich auf eine Neuordnung der Wissenschaftsverhältnisse und deren Annäherung an Gesellschaft und Ökonomie zurückführen lässt. Mit Bezug auf das Konzept der „Wissenskulturen“ wird Wissenschaft in der Untersuchung als empirisch zu erschließende, historisch wandelbare Größe verstanden. In der wissenskulturellen Untersuchungsperspektive richtet sich der Interessenfokus auf die sozialen und symbolischen Hervorbringungsbedingungen von Wissen. Zudem gilt die Aufmerksamkeit ebenso den Innenwelten solcher „Wissensmaschinerien“ – und damit der Komplexität und Diversität wissensbezogener Praxisformen und Orientierungsmuster – wie der Einbindung dieser Maschinerien in den gesellschaftlichen Kontext.1 Die Wissenskultur eines universitären Fachbereiches wird durch mehrere Akteurgruppen repräsentiert (Studierende, Mittelbau, Professoren). Die vorliegende Untersuchung richtet ihre Aufmerksamkeit auf die Gruppe der Professoren und Professorinnen. Wobei hier anzumerken ist, dass Frauen in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts als Professorinnen vertreten sind. Professoren und Professorinnen verkörpern den Wissenschaftsberuf in ihrem Fachgebiet. Sie können am aktivsten auf die Gestaltung der Fachwirklichkeit einwirken. Zudem fällt ihnen die Aufgabe zu, ihr Fachgebiet gegenüber anderen Disziplinen und gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Die Untersuchung ist in zwei Analysedimensionen gegliedert. Zum einen wird eine Perspektive der historisch-genetischen Rekonstruktion verflogt, zum anderen gilt die Aufmerksamkeit den Berufs- und Wissenschaftsauffassungen heutiger Fachvertreter und -vertreterinnen der Betriebswirtschaftslehre. Die Darstellung der Forschungsergebnisse folgt im Wesentlichen diesen beiden Untersuchungsdimensionen. Im Teil I (Historische Herleitungen) steht die Analyse historischer Entwicklungsprozesse im Vordergrund. Zunächst wird unter I.I (Innenperspektiven) nach den Verortungen der Handelswissenschaften und der späteren Betriebswirtschaftslehre im Wissenschaftssystem gefragt. Wie positionierten die betriebswirtschaftlichen Fachakteure ihre akademi1 46

Knorr Cetina, 2002: 11-15.

FRAGESTELLUNG UND VORGEHEN

schen Projekte im Spannungsfeld zwischen praktischen Zwecksetzungen und wissenschaftlichem Autonomiemodell? Neben solchen kognitiven Einordnungsprozessen richtet sich das Interesse auch auf die soziale Eingliederung der Betriebswirtschaftslehre in das schweizerische Wissenschaftsfeld. Dazu wird die Institutionalisierungsgeschichte von den ersten Lehrstühlen bis hin zur betriebswirtschaftlichen Fachdisziplin rekonstruiert. Diese Entwicklungen werden zu den Wissenschaftsprojekten der Fachakteure in Bezug gesetzt. Unter I.II (Außenorientierungen) richtet sich die Aufmerksamkeit der Studie auf die Außenbeziehungen der Betriebswirtschaftslehre zu den für sie relevanten Berufs- und Praxisfeldern. Es wird gefragt, wie betriebswirtschaftliche Wissensbestände über Prozesse der Intellektualisierung, Verberuflichung und Verwissenschaftlichung in die Praxis übertragen wurden. Zudem interessiert, welche Konsequenzen sich durch Allianzen und Koalitionsbeziehungen mit außeruniversitären Praxis- und Berufsfeldern für die betriebswirtschaftliche Fachentwicklung ergaben. In Teil II (Fallportraits) werden die Ergebnisse der historischen Analyse aufgenommen und einer Aktualisierung und Differenzierung unterzogen. Dies geschieht auf der Datenbasis von nicht-standardisierten Interviews mit Fachvertretern und Fachvertreterinnen aus verschiedenen Subdisziplinen der Betriebswirtschaftslehre. Anhand von themenbezogenen Fallportraits wird dabei der Frage nachgegangen, wie sich die heutigen Fachakteure der Betriebswirtschaftslehre im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Praxis positionieren. Für die historisch-genetische Analyse wurde eine Vorgehensweise gewählt, die zwei Interessenbereiche unterscheidet: Für den ersten Interessenbereich, die Rekonstruktion der fachbezogenen Deutungsinhalte, wurde auf publizierte Inauguralreden, Lehrbücher, Fachartikel und andere von Fachakteuren verfasste Beiträge mit programmatischem Inhalt zurückgegriffen. Der zweite Interessenbereich beinhaltet die historische Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Hochschul- und Fachinstitutionen. Für diesen Untersuchungsteil wurden Vorlesungs- und Professorenverzeichnisse, Instituts- und Universitätsgeschichten, Jubiläumsschriften sowie Zeitungsartikel und Internetauftritte ausgewertet. In beiden Interessenbereichen konnte auf die Bestände der „Schweizerischen Nationalbibliothek“ in Bern, des „Schweizerischen Wirtschaftsarchivs“ in Basel sowie diverser Universitätsbibliotheken und -archive zurückgegriffen werden. In die Untersuchung miteinbezogen wurden auch Fachperiodika, insbesondere die von der „Schweizerischen Gesellschaft für Betriebswirtschaft“ herausgegebene Fachzeitschrift „Die Unternehmung“ (gegründet 1947).

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DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Für den Zeitraum ab 1980 sind vom „Bundesamt für Statistik“ (BFS) nach Fachrichtung aufgeschlüsselte Zahlen zum Hochschulpersonal erhältlich. Aufgrund von Systemumstellungen lassen sich auf dieser Datenbasis für die Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre jedoch keine konsistenten Zeitreihen der Professoren und Professorinnen erstellen. So weist das BFS für die Universitäten Genf und Lausanne ab 1996 keine Zahlen zur Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre aus, sondern ordnet diese gesamthaft der Richtung „Wirtschaftswissenschaften fächerübergreifend/übrige“ zu. In der vorliegenden Untersuchung wurden Lehrstuhlauszählungen anhand einer – noch im Rahmen des Vorprojekts „Realities and Rationalities“ durchgeführten – Gesamterhebung der schweizerischen Lehrstühle von 1900 bis in die Gegenwart vorgenommen. Diese Erhebungsform ist allerdings mit einigen Ungenauigkeiten verbunden. Beispielsweise können bei einem Lehrstuhlwechsel Mehrfachzählungen nicht ganz ausgeschlossen werden. Außerdem ergeben sich in vielen Fällen Zuordnungsprobleme, da aufgrund der eruierbaren Angaben zur Lehrstuhlwidmung oder zum Lehrgebiet die Zugehörigkeit zur Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre nicht immer eindeutig erschlossen werden kann. In Anlehnung an die aktuelle Kategorisierungspraxis des BFS, in der die Lehrstühle für Betriebs- oder Wirtschaftsinformatik gesondert ausgewiesen sind, wurden Letztere nicht in die Erhebung der betriebswirtschaftlichen Lehrstühle mit aufgenommen. Für die Anfangsphase der Disziplin bis 1950 wurde die Erhebung zu den Lehrstuhlinhabern systematisch erweitert und zu biographischen Kurzportraits ausgebaut, die im Anhang aufgeführt sind.2 Ebenfalls im Rahmen der Untersuchungen zur historischen Entwicklung wurde eine sekundärstatistische Auswertung der Studierenden- und Absolventenzahlen in den Wirtschaftswissenschaften vorgenommen. Dies auf der Basis der jährlichen Vollerhebungen des Bundesamts für Statistik (BFS) und der Absolventenbefragungen, die im Zweijahresrhythmus ebenfalls vom BFS durchgeführt wird. Diese Zahlen beschränken sich auf den Zeitraum ab den 1980er Jahren. Die auf dieser Grundlage angefertigten statistischen Zeitreihen sind als tabellarische Darstellungen im Anhang aufgeführt.3 Für die Fallportraits wurden 16 Interviews mit Professoren und Professorinnen aus verschiedenen Subdisziplinen der Betriebswirtschaftslehre geführt. Im Vorprojekt „Realities and Rationalities“ sind zudem vier Expertengespräche mit externen Beobachtern aus anderen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fachbereichen geführt worden.

2 3 48

Vgl. Tabelle 3. Vgl. die Tabellen 4 und 5.

FRAGESTELLUNG UND VORGEHEN

Die Interviews mit den Betriebswirten und Betriebswirtinnen dauerten durchschnittlich eineinhalb Stunden. Sie wurden alle verschriftlicht und anhand von qualitativ-hermeneutischen Auswertungsmethoden analysiert. Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte nach Kriterien der qualitativen Fallauswahl. Sie basierte auf den durch die historische Untersuchung gewonnen Kenntnissen über die Feldstruktur der Betriebswirtschaftslehre.4

4

Eine genauere Erläuterung des Vorgehens für die Fallportraits erfolgt im Teil II, S. 161-163. 49

I. H ISTORISCHE H ERLEITUNGEN

I.I I N N E N A N S I C H T E N : IM SPANNUNGSFELD VON ZWECKLEHRE UND WISSENSCHAFTSDISZIPLIN

Die Entstehung der Handelswissenschaften ab 1900 führte im deutschsprachigen Raum zu einer Debatte um deren legitime Teilnahme am wissenschaftlichen Feld. Manche Hochschulvertreter und insbesondere Nationalökonomen verlegten sich auf den Standpunkt, eine Ausbildung für Kaufleute habe an den Universitäten nichts zu suchen.1 Etwas anders gelagert war die Kritik von Max Weber. Er warnte davor, dass mit akademischen Kaufmannsausbildungen eine pseudoaristokratische Gesinnung, wie er sie in den studentischen Korporationen lebendig sah, auf bürgerlich-gewerbliche Kreise übergreifen könnte.2 In einem Artikel mit dem Titel „Privatwirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre“ aus dem Jahr 1912 lieferte Lujo Brentano, Kathedersozialist und Vertreter der historischen Schule der Nationalökonomie, eine ausführliche Erläuterung seiner Vorbehalte gegenüber dem nun oftmals als „Privatwirtschaftslehre“ bezeichneten neuen Fachgebiet. Er unterscheidet in dieser Argumentationsschrift zwei Perspektiven, die sich seines Erachtens miteinander kaum vereinbaren lassen – jene der Wissenschaft und jene der unternehmerischen Sonderinteressen: „Es ist eben die Aufgabe der Vertreter der Wissenschaft ganz anders als die der Vertreter von Sonderinteressen. Jene haben die Gesamtheit ins Auge zu fassen, diese bloß einzelne bestimmte Privatwirtschaften.“3

1 2 3

Lindenfeld, 1990: 220-221; Franz, 1998: 78-82. Weber, 1998: 184; Hayashima, 1986; Mommsen, 1987: 101. Brentano, 1912: 4. 53

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Wissenschaftler seien sich bewusst, so argumentiert Brentano, dass es außer den Privatwirtschaften der Unternehmer noch „Privatwirtschaften anderer Staatsbürger“ gebe, deren Handeln und Interessen um so mehr Berücksichtigung verdienen, als sie die große Mehrheit des Volkes bilden. In deutlichem Unterschied zu einer solchen wissenschaftsspezifischen Perspektive würden die Unternehmer „in allen anderen außer den Privatwirtschaften, deren Interessen sie zu vertreten haben, andere Sonderinteressen sehen, denen gegenüber die Wahrnehmung des äußersten Vorteils Pflicht ist“.4 In Brentanos Interpretation legitimieren Unternehmer ihre Eigeninteressen, indem sie ihre individuelle Position generalisieren und diejenige der anderen als partikulär erklären. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen warnt er in aller Deutlichkeit vor einem akademischen Projekt, das nur den Unternehmer als Wirtschaftssubjekt anerkennt und diesen zum „Ausgangs- und Endpunkt“ seiner Betrachtungen erklärt. Eine so verstandene Privatwirtschaftslehre würde sich in einseitiger Weise mit unternehmerischen Sonderinteressen beschäftigen und damit, wie Brentano zum Schluss kommt, eine völlige „Entartung der Wissenschaft“ darstellen.5 Seine Kritik an der Privatwirtschaftslehre bezieht sich auf das Spannungsverhältnis von wissenschaftlichem Universalismus und unternehmerischem Partikularismus oder konkreter: auf den Unterschied zwischen einer auf das „Wohle der Gesamtheit“6 ausgerichteten Wissenschaftstätigkeit und einer unternehmerischen Zwecklehre. Brentanos Stellungnahme verdeutlicht in pointierter Weise, mit welchen Einordnungsproblematiken sich die frühen Vertreter einer akademischen Handels- und Unternehmerausbildung konfrontiert sahen. Die Historikerin Heike Franz kommt in ihrer Untersuchung zur Entwicklung in Deutschland zum Schluss, die frühe Betriebswirtschaftslehre habe sich in wesentlichen Aspekten an neuhumanistische Wissenschafts- und Bildungsvorstellungen angepasst. Als Reaktion auf die Anfeindungen seitens der traditionellen Bildungseliten sei es ab 1910 zu verstärkten Bestrebungen zur methodologischen Selbstvergewisserung und Standortbestimmung gekommen. Ein Prozess, „in dessen Verlauf sich die Vertreter der Betriebswirtschaftslehre nicht etwa um die Formulierung einer selbstbewussten Definition ihres Faches als anwendungsorientierte wirtschaftswissenschaftliche Disziplin bemühten, sondern sich im Gegenteil dem ‚feindlichen‘ soziokulturellen Umfeld anpassten, indem sie auch für ihr Fach den zentralen Stellenwert einer ‚zweckfreien For-

4 5 6 54

Brentano, 1912: 4. Ebd.: 6. Ebd.: 5.

INNENANSICHTEN

schung‘ reklamierten.“7 Erst nach der vollständigen Akademisierung der deutschen Betriebswirtschaftslehre in den 1920er Jahren, so konstatiert Franz, ließen sich Tendenzen der Spezialisierung und Expertisierung ausmachen, die in Richtung von veränderten wissenschaftlichen Leitbildern wiesen. In der Schweiz hatte der Neuhumanismus auf die Restrukturierung des Bildungswesens und die Einführung der Gymnasien im 19. Jahrhundert einen starken Einfluss. Allerdings kam es nicht zu einer so stark ausgeprägten Prestigedifferenz zwischen dem klassisch-humanistischen und dem technisch-realistischen Bildungsweg wie in Deutschland. Mit den kantonalen Universitäten Basel, Zürich, Bern, Genf, Lausanne, Neuenburg und Freiburg bestanden Ende des 19. Jahrhunderts in der Schweiz sieben neuhumanistische Volluniversitäten. Während eine ursprünglich geplante eidgenössische8 Universität verhindert wurde, war der technische Bildungsbereich seit der Gründung des „Eidgenössischen Polytechnikums“ im Jahr 1855 durch eine Institution mit nationalem Wirkungskreis vertreten. Wie der Historiker Albert Tanner bemerkt, war in der Schweiz das Studium an einer Universität in den meisten bürgerlichen Kreisen nicht angesehener als eine Ausbildung am Eidgenössischen Polytechnikum. Das neuhumanistische Bildungs- und Wissenschaftsideal war bereits im 19. Jahrhundert in verschiedener Hinsicht zur Diskussion gestellt.9 Wie im Folgenden dargelegt wird, passten sich die Fachvertreter in der Schweiz durchaus an zeitgenössische Leitbilder von Wissenschaftlichkeit an. Gleichzeitig nutzten sie bestehende Interpretationsspielräume und betätigten sich als engagierte Akteure der Erweiterung und Neuauffassung akademischer Orientierungsmuster. Als sich die Betriebswirtschaftslehre nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend als Fachdisziplin konsolidierte, setzten sich diese Abgrenzungs- und Zuordnungsbestrebungen unter veränderten Vorzeichen fort. In diesem Teil der Untersuchung werden solche, auf die Selbstverortung im Wissenschaftssystem gerichtete, „Innenperspektiven“ des betriebswirtschaftlichen Fachdiskurses beleuchtet. Im Kontext der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre wird der Frage nach den fachspezifischen Wissenschafts- und Bildungsvorstellungen und deren Transformationen nachgegangen. Es werden Institutionalisie7 8

9

Franz, 1998: 255. „Eidgenossenschaft“ ist ein schweizerischer Begriff für den Staat, der andere häufig gebrauchte Ausdruck dafür ist „Bund“. Der staatliche Aufbau der Schweiz ist föderalistisch und gliedert sich in die drei politischen Ebenen Bund, Kantone und Gemeinden. Tanner, 1995: 111; Brändli-Traffelet, 2002. 55

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rungsschritte im schweizerischen Feld rekonstruiert und zu den konzeptuellen Beiträgen der Fachakteure in Bezug gesetzt. Weil die Betriebswirtschaftslehre in der Schweiz gerade in der Anfangszeit über starke Verbindungen zum deutschsprachigen Ausland verfügte und auch später wesentlich durch deutsche Fachdiskurse mitgeprägt wurde, ist der Vergleich mit der Entwicklung in Deutschland für eine Erkundung der Besonderheiten des schweizerischen Feldes unabdingbar. Nach Ausführungen über den Entstehungskontext der technischkaufmännischen Hochschulbildungen in Europa und der Schweiz im besonderen (Kapitel 1) werden fünf historische Phasen der betriebswirtschaftlichen Fachgeschichte beleuchtet: In Kapitel 2 werden zwei Verwissenschaftlichungsprojekte aus der Konstituierungsphase der Betriebswirtschaftslehre am Anfang des 20. Jahrhunderts vorgestellt. Anschließend wird eine für die Fachgeschichte einflussreiche Debatte um den Wissenschaftsstatus des neuen Fachgebietes in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erörtert (Kapitel 3). Das nächste Kapitel setzt sich mit den Konsolidierungsproblemen der Betriebswirtschaftslehre in der Zwischenkriegszeit auseinander und erläutert eine Fachperspektive, die Verwissenschaftlichungsbestrebungen mit neuen Formen der forschungsbezogenen Praxiskooperation zu vereinbaren suchte (Kapitel 4). Nach dem Zweiten Weltkrieg verselbständigte sich die Betriebswirtschaftslehre in der Schweiz allmählich als universitäre Fachdisziplin. Bereits in den 1960er Jahren wurden diesem Prozess der disziplinären Schließung gegenläufige Bestrebungen zur interdisziplinären Öffnung entgegengesetzt. Wie aufgezeigt wird, geschah dies auch mit der Absicht, die Betriebswirtschaftslehre anwendungsorientierter zu gestalten (Kapitel 5). Kapitel 6 beschreibt den Wachstums- und Ausdifferenzierungsprozess, der die Fachentwicklung von den 1960er Jahren bis zum Ende des Jahrhunderts wesentlich prägte. Dieser Expansionsprozess ging mit einer weitgehenden Diversifizierung der betriebswirtschaftlichen Wissenskultur einher. Im abschließenden Kapitel 7 werden die einzelnen historischen Etappen einer vergleichenden Betrachtung unterzogen.

1. Entstehungskontext Im deutschsprachigen Raum formierte sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine so genannte „Handelshochschulbewegung“, die sich für die Einrichtung von kaufmännischen Hochschulausbildungen einsetzte. Gerechtfertigt wurde dieses bildungspolitische Projekt mit den zunehmenden Kompetenzanforderungen an die bisher praktisch ausgebildeten kaufmännischen Führungskräfte. Mehr und mehr fühle der Han56

INNENANSICHTEN

del, „dass auch er der Wissenschaft in hohem Grade bedürftig sei“,10 wurde im Rahmen der Verhandlungen um die neue schweizerische Bundesverfassung von 1874 argumentiert. Dabei wurde insbesondere auf die Internationalisierung der Handelsbeziehungen, die Entwicklungen im Transport- und Kommunikationswesen, die Zunahme der Großunternehmen und den Ausbau des schweizerischen Bank- und Börsenwesens verwiesen. Die politische Kontroverse um die akademische Ausbildung der Kaufleute fand in einer historischen Phase statt, die für die Entstehung der modernen Sozialwissenschaften als zentral angesehen wird. In dieser Zeit wurden sich die liberalen Eliten zunehmend bewusst, dass die Prozesse der Industrialisierung, Urbanisierung mitsamt der Entstehung einer organisierten Arbeiterklasse und deren Forderung nach einer gleichberechtigten Inklusion aller Gesellschaftsmitglieder die liberale Konzeptualisierung politischer Institutionen vor ernsthafte Probleme stellen konnte. Vor dem Hintergrund dieser Thematisierung der „sozialen Frage“ gelang es den sozialwissenschaftlichen Diskursen, sich als Wissensfelder darzustellen, die durch wissenschaftliche Mittel zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen können. Als Spezialform der reflexiven Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen standen die Sozialwissenschaften in Wechselbeziehung zu den Problemlösungsbestrebungen des politischen oder administrativen Feldes. Sie konnten institutionell von dieser Einbindung profitieren.11 Zeitgleich mit der Entwicklung neuer sozialwissenschaftlicher Modelle der gesellschaftlichen Ordnung wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch die Ausbildungsfunktion der Hochschulen einer Neubeurteilung und Erweiterung unterzogen. Wie Peter Wagner und Björn Wittrock argumentieren, sind die modernen Sozialwissenschaften bisher zu einseitig als Projekte der Wissenserweiterung verstanden worden. Deren Bedeutung als akademischer Ausbildungsbereich für das politische, administrative oder das kaufmännische Feld wurde weitgehend unterschätzt. So sei beispielsweise die Nationalökonomie noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht einseitig auf die analytisch-wissenschaftliche Durchdringungen der ökonomischen Sphäre ausgerichtet gewesen, sondern fungierte als „Politische Ökonomie“ auch als eine praktische Regierungswissenschaft.12 Die Vertreter der Handelshochschulbewegung machten hauptsächlich Ausbildungsbedürfnisse geltend, um die Notwendigkeit kaufmänni-

10 Schulze, 1912: 37; Debes, 1927. 11 Wagner/Wittrock, 1991; Wagner, 2003. 12 Wagner/Wittrock, 1991: 338. 57

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scher Hochschuleinrichtungen zu begründen. Die geforderten Bildungsangebote wurden aber auch in Bezug gesetzt zu drängenden gesellschaftlichen Problemstellungen und deren wirtschaftswissenschaftlicher Bewältigung. Was die Gestaltung der neuen Bildungsgänge betraf, so machte sich neben den bereits bestehenden bzw. in Entstehung begriffenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen ein zweiter Bezugspunkt bemerkbar: Die technischen Hochschulen lieferten Ende des 19. Jahrhunderts ein Vorbild für akademische Ausbildungsgänge, die wissenschaftliche Aspirationen und konkrete Wirtschaftsorientierung miteinander zu vereinbaren suchten. Als es ab 1900 im deutschsprachigen Raum zur Einrichtung von ersten handelswissenschaftlichen Hochschuleinrichtungen kam, waren diese sowohl von Strukturelementen der Sozialwissenschaften als auch von solchen der technischen Wissenschaften und den für sie charakteristischen Institutionalisierungsformen geprägt. In Deutschland und in der Schweiz waren im Verlauf des 19. Jahrhunderts höhere technische Schulen mit der Zielsetzung eingerichtet worden, den Technikern eine Ausbildung zu ermöglichen, die auf der Höhe des zeitgenössischen Fortschritts stehend den Anforderungen und Bedürfnissen der lokalen Industriebranchen entsprach. In Deutschland gelang es den technischen Lehranstalten zunächst nicht, die Prestigedifferenz zu den Universitätsausbildungen abzubauen. Ihre Angleichungsbestrebungen an die Universitäten trafen auf beträchtlichen Widerstand bei den Verfechtern der reinen und praxisfernen Wissenschaft.13 Andererseits wurden von akademischer Seite auch Stimmen laut gegen die Auslagerung der Ingenieurwissenschaften aus dem Universitätssystem. Es wurde befürchtet, dass sich das neue Fachgebiet zu stark von seinen wissenschaftlichen Grundlagen entferne. Außerdem würde den Studierenden der Technik durch die Auslagerung die Möglichkeit verwehrt, ihr Spezialwissen durch eine universitäre Allgemeinbildung ergänzen zu können.14 Erst um 1900 erhielten die technischen Hochschulen in Deutschland das Recht, einen Doktortitel zu verleihen und Habilitationen zu vergeben. Das 1855 gegründete schweizerische Eidgenössische Polytechnikum erhielt das Promotionsrecht 1909 vom Bundesrat zugesprochen. Drei Jahre später erfolgte der Namenswechsel zur „Eidgenössischen Technischen Hochschule“ (ETH). Wie Cornelia Koppetsch in ihrer vergleichenden Untersuchung der Entwicklungen an den deutschen und französischen Hochschulen aufzeigt, hatte die Tertiarisierung in Deutschland eine „Nivellierung der institutionellen und kognitiven Differenzen zwischen Technischen Hoch-

13 Koppetsch, 2000: 188-191. 14 Porter, 2004: 229. 58

INNENANSICHTEN

schulen und Universitäten zur Folge“.15 Koppetsch bezeichnet den Prozess, durch den sich die praxisbezogenen Wissensformen der technischen Hochschulen weitgehend dem disziplinären Modell anglichen als „nachträgliche Disziplinbildung“: Die deutschen Ingenieurschulen orientierten sich zunehmend weg von Anwendungsfragen hin zu einem auf Wissenserweiterung ausgerichteten Modus. Hier lässt sich ein deutlicher Unterschied zu den Entwicklungen in Frankreich ausmachen, wo Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild der traditionellen „Grandes Écoles“ staatliche Ingenieurhochschulen eingerichtet wurden. Diese waren in erster Linie auf die Sozialisationserfordernisse von Elitehochschulen und nicht auf Konformität mit disziplinären Wissenssystemen ausgerichtet. Die ersten Hochschulausbildungen für den Handel knüpften in Frankreich und in Deutschland an das Vorbild der Ingenieurschulen an. In Frankreich entstanden die ersten höheren Handelsschulen ab Mitte des 19. Jahrhunderts aus bereits bestehenden Handelsmittelschulen.16 Provinzielle französische Handelshochschulen überstiegen kaum das Mittelschulniveau. Die 1881 mit dem Status einer „Grande École“ gegründete „École des Hautes Études Commerciales“ (HEC) in Paris entwickelte sich hingegen bald zu einer landesweit anerkannten Ausbildungsinstitution.17 In Deutschland wurden ab 1898 in rascher Folge akademische Handelsausbildungen eingerichtet: Leipzig (1898), Frankfurt (1901), Köln (1901), Berlin (1906), Mannheim (1907/08), München (1910), Königsberg (1915), Nürnberg (1919). Diese Schulen wurden mehrheitlich nach dem Muster der technischen Hochschulen als vom Universitätssystem unabhängige Anstalten gegründet. In Aachen wurde 1898 eine an die dortige technische Hochschule angeschlossene Handelshochschule eröffnet.18 Die Trägerschaft der deutschen Handelshochschulen bestand in der Regel aus einer Koalition zwischen lokaler Kaufmannschaft und Stadtverwaltung. Sie unterstanden somit weder in der Lehrplangestaltung noch bei der Rekrutierung von Studierenden und des Lehrpersonals universitären Vorgaben. Erst in der Zwischen- und Nachkriegszeit wurden die Handelshochschulen ins universitäre System integriert.19

15 Koppetsch, 2000: 198. 16 „École Supérieure de Commerce“, Paris (1854). In Italien verlief die Entwicklung ähnlich. Die erste höhere Handelsschule war dort die „Scuola Superiore di Commercio“ in Venedig (1867). 17 Aufermann, 1954: 40-42; Koppetsch, 2000: 204-205. 18 Gaugler, 1998: 6; Zander, 2004. 19 Tribe, 1995: 101; Meyer, 1998: 25. 59

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Anfänge der Handelswissenschaften in der Schweiz In der Schweiz war die technisch-realistische Bildung von Beginn an besser in den Bildungskanon integriert als in Deutschland, was auch in der Entstehungsgeschichte von akademischen Handelsausbildungen zum Ausdruck kommt. Die schweizerische bildungspolitische Diskussion über die Einführung solcher Ausbildungsgänge war seit ihren Anfängen eng an jene über die technischen Hochschulausbildungen geknüpft. Die Bundesverfassung von 1848 sprach dem Staat das Recht zu, sowohl eine eidgenössische polytechnische Schule als auch eine nationale Universität einzurichten. Schon damals war der Wunsch aufgetaucht, dem geplanten Polytechnikum eine Handelsabteilung anzugliedern. Eine Eingabe der „Kaufmännischen Gesellschaft Zürich“ strebte Mitte der 1870er Jahre die Gründung einer vom Bund getragenen Handelshochschule an, als Alternative wurde ebenfalls die Schaffung einer entsprechenden Abteilung an der eidgenössischen polytechnischen Schule vorgeschlagen.20 In der Totalrevision der Bundesverfassung von 1874 wurde konkretisiert, dass neben dem nun bereits bestehenden Polytechnikum auch eine nationale Universität und andere Unterrichtsanstalten errichtet oder unterstützt werden können. Dieser Verfassungsbeschluss hatte verschiedene Aktivitäten zur Folge, die auf die Errichtung einer eigenständigen oder dem Polytechnikum angeschlossenen nationalen Handelshochschule abzielten. So erfolgte von Seiten der „Vereinigung ehemaliger Studierender des Eidgenössischen Polytechnikums“ ein Vorstoß beim Schweizerischen Schulrat, der 1879 abgelehnt wurde. 1890 publizierte der „Schweizerische Kaufmännische Verein“ (SKV) eine Denkschrift, die erneut forderte, dass dem Polytechnikum eine Handelshochschule anzugliedern sei.21 Bereits vor der Einrichtung der Handelswissenschaften an den schweizerischen Universitäten waren handelskundliche Wissensbestände als peripherer Teilbereich an den rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten unterrichtet worden. So hatte beispielsweise in den 1850er Jahren Hermann v. Marschall-Biberstein als Privatdozent für Nationalökonomie an der Universität Zürich regelmäßig Lehrveranstaltungen über das Handels-, Industrie- und Bankwesen abgehalten.22 Seit der Eröffnung des Eidgenössischen Polytechnikums im Jahr 1855 wurde dort auch Wirtschaftswissenschaft unterrichtet. Der aus Quesitz bei Leipzig

20 Junod, 1911; Schulze, 1912; Debes, 1927. 21 Thürer, 1974: 11-17; Rühli, 1978a: 4. 22 Rühli, 1983: 329. 60

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stammende Victor Böhmert war ab 1866 sowohl am Polytechnikum wie auch an der Universität Zürich als Professor für Nationalökonomie tätig. In einer programmatischen Publikation von 1872 mit dem Titel „Das Studium der Wirthschaftswissenschaften an den technischen Hochschulen“ forderte Böhmert für die Techniker und möglichen späteren Unternehmensführer einen wirtschaftswissenschaftlichen Lehrplan. Er machte geltend, dass technische Fähigkeiten von geringem Nutzen seien, wenn sie nicht mit ökonomischen Kenntnissen einhergehen würden: „Der Techniker hat es nicht bloß mit den todten Stoffen zu thun, die er benutzen und veredeln soll, nicht bloß mit den Kräften und Massen der Natur, sondern auch mit den lebendigen Menschenkräften, mit den menschlichen Bedürfnissen und mit dem menschlichen Verkehr; er soll nicht bloß das Wesen der „mechanischen“ Phänomene, sondern auch das Wesen der „wirthschaftlichen“ Erscheinungen kennen lernen und bei seinem Betrieb von dieser Erkenntnis ausgehen. Der Zweck jedes technischen Betriebs ist nicht die Production an sich, sondern eine wirthschaftlich erfolgreiche Production, welche Ertrag und Einkommen für den Producenten erzielt und dadurch allein der Cultur der Menschheit Dienste leistet.“23

Für Böhmert dienen die Errungenschaften der Technik in erster Linie dem ökonomischen Fortschritt, der bei ihm weitgehend mit der allgemeinen Wohlfahrt gleichgesetzt wird. Er macht aus seiner Begeisterung für den neuen Hochschultypus der technischen Hochschule keinen Hehl. Es sei – so argumentiert Böhmert – auf die Passivität der Universitäten zurückzuführen, dass diese nun „rivalisierende Bildungsinstitutionen ersten Ranges“ neben sich dulden müssten. An den Universitäten habe man etwas zu vornehm „auf den Lorbeeren altererbten Gelehrtentums“ ausgeruht, während in der Zwischenzeit „die jungen Disciplinen der Technik und Mechanik, der angewandten Physik und Chemie die Gestalt der Erde veränderten, dem Verkehr der Gedanken, der Personen und Güter ganz neue Bahnen anwiesen und die verschiedenen Völker zu einer Weltwirthschaft zusammenfügten.“24 Böhmert bezieht sich auf ein utilitaristisches Wissenschaftsmodell, das den wirtschaftlichen Nutzen der technischen Hochschulen vor die universitäre Gelehrsamkeit stellt. Dabei lässt er am hohen Bildungswert seines akademischen Projekts keine Zweifel aufkommen. Die Wirtschaftslehre, so legt er dar, sei „keineswegs eine rein materialistische Disciplin, sondern vielmehr eine Vergeistigung und Vertiefung des Erwerbslebens, indem sie die sittliche Grundlage, die tiefere Ordnung, den höheren Inhalt und genossen23 Böhmert, 1872: 6. 24 Ebd.: 3. 61

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schaftlichen Zusammenhang des menschlichen Schaffens darzustellen sucht.“25 Als Vertreter eines liberalen Wirtschaftsmodells sieht Böhmert die erzieherische Funktion seiner Lehre auch darin begründet, dass die herrschende Wirtschaftsordnung durch eine angemessenere Bildung der Unternehmerschaft auf eine solidere Grundlage gestellt werden soll. Als „Mittel zur Herstellung des Friedens zwischen Arbeit und Kapital“ wird der Wirtschaftslehre eine wichtige politische Aufgabe zugeteilt. Sie kann durch ihre aufklärerische Kraft zu einer sozialpolitischen Harmonisierung beitragen: „Die Noth und die Gährung im Arbeiterstande hat die allgemeine Aufmerksamkeit auf eine zweckmäßige Verfassung des industriellen Organismus hingelenkt. Versuche werden auf Versuche gehäuft, immer neue Anforderungen und Wünsche tauchen auf; aber nur die Wirthschaftslehre zeigt den Faden aus dem Labyrinth der darauf bezüglichen Bestrebungen und das Mittel zur Herstellung des Friedens zwischen Arbeit und Kapital.“26

In Böhmerts Argumentation vermittelt das Wirtschaftsstudium zukünftigen Unternehmern diejenigen theoretischen Kenntnisse und moralischen Grundhaltungen, deren sie bedürfen, um den Herausforderungen ihrer Zeit gewachsen zu sein. Sein Text liefert ein frühes Beispiel für die im Rahmen der Handelshochschulbewegung geäußerte Forderung nach einer „theoretisch gebildeten“ Unternehmerschaft. Zudem verweist der Artikel auf einen ersten Versuch, eine wirtschaftswissenschaftliche Unternehmerausbildung im ingenieurswissenschaftlichen Kontext des Eidgenössischen Polytechnikums zu verankern. Böhmert strebte dabei nicht nur eine Ergänzung der Technik durch wirtschaftswissenschaftliche Wissensbestände, sondern vielmehr eine Verbindung der beiden Bereiche im Sinne einer Wirtschaftstechnologie an.27

Erste Institutionalisierungserfolge Trotz verschiedener Vorstöße für eine von der Eidgenossenschaft getragene Handelshochschule kam letztlich weder die ursprüngliche Idee einer dem Polytechnikum angeschlossenen Anstalt zustande noch wurde eine nationale Handelshochschule ins Leben gerufen. Den Ausschlag hierfür gab ein Gutachten des „Schweizerischen Handels- und Industrievereins“ (Vorort) aus dem Jahr 1889. Der Wirtschaftsverband befürwortete zwar staatliche Unterstützungsleistungen für Fortbildungskurse von 25 Böhmert, 1872: 28. 26 Ebd.: 29. 27 Vgl. Jaun, 1986: 28. 62

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kaufmännischen Lehrlingen und Angestellten, die Subventionierung einer eidgenössischen Handelshochschule lehnte er hingegen ab. Aufgrund der ablehnenden Haltung des wichtigen Wirtschaftsverbands entschied sich der Bundesrat dazu, von der Einrichtung einer Handelshochschule abzusehen.28 In der Folge wurden die Bestrebungen für akademische Handelsausbildungen auf kantonaler Ebene weiter verfolgt. In Basel kam durch die Initiative einer kleinen Gruppe von Kaufleuten und Industriellen und in Zusammenarbeit mit Johann Friedrich Schär, Lehrer für „Handelswissenschaften“ an der oberen Realschule in Basel, ein großzügiges Projekt für eine Handelshochschule zustande. Das Projekt wurde vom Basler Großen Rat angenommen, jedoch 1903 in einer Volksabstimmung abgelehnt.29 In St. Gallen setzte sich der radikal-demokratische National- und Regierungsrat Theodor Curti als Direktor des Volkswirtschaftsdepartements für die Gründung einer Handelshochschule ein. Im Mai 1898 fasste der Große Rat von St. Gallen den Beschluss, eine „Verkehrsschule und höhere Schule (Akademie) für Handel, Verkehr und Verwaltung“ zu errichten, ein Jahr später wurde die Schule eröffnet. Ihre Finanzierung erfolgte über Unterstützungsbeiträge des Bundes sowie durch Beiträge des Kantons, der politischen Gemeinde, der Ortsbürgergemeinde und des „Kaufmännischen Direktoriums“. Bereits 1904 wurde die Handelsakademie von der Verkehrsschule getrennt, wobei der Kanton die Verkehrsschule übernahm und damit aus der Trägerschaft der Handelsakademie ausstieg.30 Im Kanton Zürich verlegte sich die Diskussion bald einmal auf die Idee, dass die Handelsfächer an der Universität und nicht am Polytechnikum eingerichtet werden sollten. Im Zürcher Regierungsrat wurde argumentiert, der Anschluss der Handelswissenschaften an die staatswissenschaftliche Fakultät der Universität biete sich deshalb an, weil dort die Handelspolitik bereits in der praktischen Volkswirtschaftslehre des Nationalökonomen Heinrich Herkner ihre Berücksichtigung finde. Diese Idee setzte sich schließlich durch: 1903 erhielt Zürich als erste Universität im deutschsprachigen Raum einen Lehrstuhl für Handelswissenschaften, gleichzeitig wurde ein handelswissenschaftliches Seminar eröffnet. Als erster Lehrstuhlinhaber wurde Johann Friedrich Schär berufen, der zuvor das Basler Handelshochschulprojekt maßgeblich mit gestaltet hatte.31 Nach dem Vorbild des Zürcher Lehrstuhls wurden bald auch an den anderen Schweizer Universitäten handelswissenschaftliche Ordinariate, 28 29 30 31

Schulze, 1912: 15-48; Debes, 1927: 33-34. Jaun, 1986: 28; Walter-Busch, 1998: 544. Thürer, 1974: 28; Hayashima, 1995. Rühli, 1978a; Walter-Busch, 1998: 544. 63

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Teil- oder Extraordinariate eingerichtet.32 1906 erhielt an der Universität Freiburg der aus Bordeaux stammende Doktor der Wirtschaftswissenschaften Max Turmann ein Extraordinariat für „Sciences commerciales“.33 Nach der Ablehnung des Handelshochschulprojekts stellte in Basel eine Stiftung des „Schweizerischen Bankvereins“ in Aussicht, bei der Einführung von handelswissenschaftlichen Vorlesungen an der Universität eine finanzielle Unterstützung zu leisten. Auf Wunsch der philosophischen Fakultät, der in Basel die Wirtschaftswissenschaften angegliedert waren, wurde dann aber kein Ordinariat für Handelswissenschaften geschaffen, sondern 1909 ein zweiter Lehrstuhl für Nationalökonomie und Statistik mit besonderer Berücksichtigung des Handels eingerichtet. Das Ordinariat wurde mit dem promovierten Nationalökonomen Julius Landmann besetzt, der später eine wichtige Rolle als finanzpolitischer Berater des Bundesrates übernehmen sollte.34 1913 wurde in Basel zudem eine handelswissenschaftliche Anstalt eingerichtet, die nur indirekt mit der Universität verbunden war. Die „Fachkurse zur Ausbildung von Handelslehrern und Bücherrevisoren“ sahen im Studienprogramm auch den Besuch von Vorlesungen und Übungen an der Universität vor.35 In Neuenburg wurde 1910 eine „Section des Sciences Commerciales“ eröffnet. Das erste Ordinariat für „Sciences commerciales“ und „Économie commerciale“ wurde mit dem Lausanner Georges Paillard besetzt, der an der Universität Zürich in Wirtschaftswissenschaften promoviert hatte. Ab 1911 war Paillard neben seiner Tätigkeit in Neuenburg auch an der neu geschaffenen „École des Hautes Études Commerciales“ (HEC) der Universität Lausanne als Extraordinarius für „Économie commerciale“ tätig. Ebenfalls im Extraordinariat war der als Mathematiker lizenzierte Westschweizer Léon Morf dort für den Fachbereich der „Technique commerciale“ zuständig.36 An der juristischen Fakultät der Universität Bern wurde mit der Zielsetzung, neben der Ausbildung von „höheren Kaufleuten“ auch eine „Vorbildung der Beamten und Juristen für das praktische wirtschaftliche Leben“ anzubieten, 1912 die „Abteilung für Handel, Verkehr und Verwaltung“ eröffnet. Den neu geschaffenen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Handelswissenschaften erhielt der deutsche Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften Moritz Rudolf Weyermann. Er gründete 1915 in Bern das handelswissenschaftliche Seminar.37 1915 entstand mit der Gründung der „Faculté des Sciences Éco32 33 34 35 36 37 64

Vgl. für eine Überblicksdarstellung Tabelle 2 im Anhang. Blümle/Roggo-Bertschy, 1989. Bonjour, 1960: 720-721; Jaun, 1986: 42-43. Eidgenössisches Handelsdepartement, 1914: 531-537. Université de Lausanne, 1937. Kipfer, 1949: 139-148; Universität Bern, 1984a: 617-621.

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nomiques et Sociales“ in Genf (der ersten wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Schweiz) auch ein „Institut des Hautes Études Commerciales“. Auf das Ordinariat für „Économie commerciale“ wurde der Zürcher Hans Töndury berufen. Er hatte nach einem philosophischen Doktorat in Basel und einem rechtswissenschaftlichen Doktorat in Lausanne seine Laufbahn als Professor für Nationalökonomie und Handelstechnik an der Handelsakademie in St. Gallen begonnen. Mit Töndury war in Genf ab 1915 der Genfer Handelslehrer und Doktor der Rechtswissenschaften Edouard Folliet als Professor für das Gebiet der „Technique commerciale“ tätig.38 Zwischen 1903 und 1915 wurden an allen schweizerischen Universitäten handelskundliche Lehrstühle oder Extra- bzw. Teilordinate eingerichtet. Die Lehrstühle erhielten in der Deutschschweiz zumeist die Bezeichnung Handelswissenschaften. In der Westschweiz waren sie den Lehrgebieten „Sciences commerciales“ bzw. „Économie commerciale“ und „Technique commerciale“ zugeordnet. Während die Eröffnung der Handelsakademie St. Gallen im Jahr 1899 im deutschen Kontext der Gründung von spezialisierten Handelshochschulen verortet werden kann, nahmen die weiteren Entwicklungen in der Schweiz einen anderen Verlauf. Akademische Bildungsmöglichkeiten für zukünftige Kaufleute wurden hier nicht an Spezialschulen, sondern durch die Integration der Handelswissenschaften in den universitären Lehrplan geschaffen. Dies geschah meistens an denselben staats- oder rechtswissenschaftlichen Fakultäten, wo bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Nationalökonomie verankert war.39 In der Westschweiz machte sich zudem eine Orientierung am französischen Modell bemerkbar. So wurde beispielsweise in Lausanne unter Verwendung der französischen Bezeichnung eine der juristischen Fakultät angegliederte „École des Hautes Études Commerciales“ (HEC) gegründet. Die Erweiterung des wirtschaftswissenschaftlichen Lehrangebots an den schweizerischen Universitäten war nicht ausschließlich auf die höhere Ausbildung von Kaufleuten ausgerichtet, sondern stand in der Regel auch den Studierenden der Rechtswissenschaften und anderer Studienrichtungen offen.40 Zwischen den Prüfungsreglementen, Studienprogrammen und Zertifikaten der einzelnen Universitätsabteilungen bestanden große Unterschiede. So war es an einigen Universitäten möglich, ein spezialisiertes Diplom, Lizenziat oder sogar ein Doktorat für

38 Université de Genève, 1959; Bergier, 1965. 39 Zur Geschichte der schweizerischen Nationalökonomie vgl. Jurt, 2007. 40 Paillard, 1911: 29-30; Universität Bern, 1984a: 618. 65

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Handelswissenschaften zu absolvieren, während an anderen nur in Wirtschafts- oder Staatwissenschaften abgeschlossen werden konnte.41 Wesentliche Unterschiede zeigten sich zwischen den universitären Handelswissenschaften und der Handelsakademie St. Gallen (1910 zur Handels-Hochschule umbenannt), die in ihren Anfängen noch große Ähnlichkeiten mit einer Mittelschule aufwies. Nur wenig St. Galler Professoren der ersten Generation verfügten über einen Doktortitel, eine Habilitation stellte die Ausnahme dar. Starkes Gewicht wurde auf den Sprachunterricht gelegt. Im Studienjahr 1902/03 wurden an der Handelsakademie neun verschiedene Fremdsprachen unterrichtet: Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Holländisch, Russisch, Arabisch sowie Deutsch für Studierende anderer Muttersprache. Daneben existierten Professuren für Volkswirtschaftslehre (Eduard Otto Schulze), für Rechtslehre (Giuseppe Berta) und für Verrechnungswissenschaft (Léon Gomberg). Die Maturität war an der St. Galler Schule keine Voraussetzung für die Zulassung zum nur vier Semester dauernden Studium. Erst 1915 wurde ein der kantonalen Handelsmaturität entsprechender Vorkurs eingeführt, der von allen Studienanwärtern ohne staatlich anerkanntes Reifezeugnis absolviert werden musste.42

2. Ein akademisches Bildungs- und Reformprojekt Der bekannteste Vertreter der ersten Generation von Schweizer Handelswissenschaftlern war der Zürcher Lehrstuhlinhaber Johann Friedrich Schär. Er war zum Zeitpunkt seiner Berufung bereits 58 Jahre alt und blickte auf eine bewegte Biographie zurück. 1846 geboren als Sohn eines Emmentaler Käsers und Senns, besuchte Schär das Lehrerseminar und bestand später an der Universität Bern das Patentexamen für Sekundar- und Gymnasiallehrer. Nach einiger Zeit im Lehrerberuf wechselte er sein Berufsfeld und wurde Geschäftsleiter einer Käseexportgesellschaft, daneben war er auch als Hotelier und Wirt sowie für kurze Zeit als Fabrikdirektor tätig. Nach geschäftlichen Misserfolgen kehrte Schär als Sekundarlehrer ins Lehramt zurück und wurde bald darauf zum Direktor der Mädchensekundarschule in Biel gewählt. 1882 trat er eine Stelle als Lehrer für Handelswissenschaften an der oberen Realschule in Basel an und blieb dort 21 Jahre lang tätig. 1903 erfolgte seine Berufung auf den ersten an einer Universität eingerichteten Lehrstuhl für Han-

41 Eidgenössisches Handelsdepartement, 1914: 26-27. 42 Thürer, 1974: 23-41. 66

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delswissenschaften in Zürich. Bereits drei Jahre nach seinem Amtsantritt folgte Schär einem Ruf an die neu gegründete Handelshochschule in Berlin. Dort verfasste er sein Hauptwerk „Allgemeine Handelsbetriebslehre“43, das heute als einer der Gründungstexte der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre gilt.44 Schär war nicht nur ein Pionier der Handelswissenschaften, er war zudem ein überzeugter Verfechter des Genossenschaftsgedankens. So präsidierte er denn auch während elf Jahren den „Verband schweizerischer Konsumvereine“, dabei handelte es sich um die Vorläuferorganisation der heutigen Detailhandelsgenossenschaft „Coop“.45 Anders als Victor Böhmert, bei dem sich Wissenschaft in erster Linie durch ihren Nutzen für die Gesellschaft legitimiert, bekennt sich Schär in seiner Antrittsrede an der Universität Zürich46 zu den akademischen Werten der freien Lehre und Forschung. Er fordert, die von ihm vertretene neue Wissenschaft solle „in die Seele der Studierenden den Sinn für Wahrheit und das Suchen nach Erkenntnis, den Trieb zur Forschung, kurz die lebendige Wissenschaft pflanzen“. Ebenso wie die Universität in ihrem Grundwesen nie nach einem unmittelbaren Nutzen gefragt habe, sei das „ideale Streben“ auch für die Handelswissenschaften handlungsleitend. Für Schär entstehen aus dem neuhumanistischen Wissenschaftsideal und dem Motiv einer Bildung durch Wissenschaft keine Gegensätze zum akademischen Projekt der Handelswissenschaften. Vielmehr sind es gemäß seinen Darlegungen genau solche Wissenschafts- und Bildungswerte, die den zukünftigen Kaufmann in besonderem Masse dazu befähigen sollen, die Welt nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten.47 Das Wissenschaftsprojekt von Schär ist durchaus auf die spezifischen Bedürfnisse zukünftiger Berufsleute in Handel und Gewerbe ausgerichtet. Dies allerdings explizit ohne die Vorgabe, „ausschließlich oder auch nur vorzugsweise dem Broterwerb zu dienen“. Mit der hohen Bewertung der Bildungsidee geht bei Schär eine ablehnende Haltung gegenüber eng angelegten universitären Fachausbildungen einher. So sieht er vor, dass die Studierenden neben der Handelsbetriebslehre als eigentlicher Kerndisziplin sowie den Handelstechniken Buchhaltung und

43 Johann Friedrich Schär, Allgemeine Handelsbetriebslehre, Leipzig 1918 (Erstausgabe 1911). 44 Zum Leben und wissenschaftlichen Werk von Johann Friedrich Schär siehe Schär, 1924; Käfer, 1946; Otto, 1957; Sundhoff, 1991: 161-196; Bieler/Widmer, 2003; Burren, 2007b. 45 Vgl. Schär, 1920 sowie Faucherre, 1946. 46 Publiziert 1904. 47 Schär, 1904: 4. 67

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kaufmännische Arithmetik auch Kurse in Nationalökonomie, Rechtsund Verkehrswissenschaften, Geographie, Sprachen und Geisteswissenschaften besuchen. Hauptzielsetzung des von Schär angestrebten Wissenschaftsprojektes ist es, zukünftige Praktiker mit einer höher geschulten „Beobachtungsgabe“, einer höher entwickelten „Denk- und Urteilskraft“ sowie den „daraus nach psychologischen Gesetzen resultierenden höheren Willenskräften und sittlichen Impulsen“ auszustatten.48 In der hier zum Ausdruck kommenden Wissenschaftsperspektive bezieht sich das neuhumanistische Universitätsideal, das die Erziehung zum reflexiven Denken in den Vordergrund stellt, sowohl auf den moralischen Wert als auch auf den praktischen Nutzen akademischer Bildung. Wie oben ausgeführt, macht Lujo Brentano einen deutlichen Gegensatz zwischen unternehmerischen Sonderinteressen und wissenschaftlicher Gemeinwohlorientierung geltend. Schär hingegen postuliert ein Passungsverhältnis zwischen der wissenschaftlichen und der kaufmännischen Perspektive. Diese Passung basiert im Wesentlichen darauf, dass in beiden Tätigkeitsfeldern die Fähigkeit zum kritischen Urteil, gutes Abstraktionsvermögen und eine daraus hervorgehende Innovationsfähigkeit von großer Bedeutung seien. Schär sieht Wissenschaft und Kaufmannsberuf deshalb eng miteinander verbunden, weil autonome Entscheidungs- und Innovationskraft in beiden Handlungsfeldern zentrale Handlungsdispositionen darstellen: „Die erste und höchste Aufgabe der Universität besteht in der Pflege der Wissenschaft und der Idealität, in der Heranbildung selbständig denkender, forschender, urteilender und handelnder Menschen. Auf niemand passt dies besser, als auf den echten Kaufmann, der aus der Erscheinungen Flucht das Wesentliche und Bleibende abstrahieren, die Geschehnisse des Tages seinen Plänen und Entschlüssen dienstbar machen, und unabhängig von Schablone und Gewohnheit das Neue und Werdende kritisch beurteilen, ja selbst Neues in lebensfähiges Dasein rufen muss.“49

Schär führt den Bildungswert akademischer Handelsausbildungen sowohl als Beleg für die akademische Würdigkeit des von ihm vertretenen neuen Fachbereichs wie auch als Argument für dessen gesellschaftliche Notwendigkeit an. Sein Westschweizer Kollege Georges Paillard macht eine ähnliche Perspektive geltend. Er erläutert in seiner Antrittsrede an der Universität Neuenburg, dass aus den von ihm vertretenen „Sciences commerciales“ gebildete Geschäftleute mit dem nötigen Maß an Weitsicht hervorgehen würden: 48 Schär, 1904: 24. 49 Ebd.: 15. 68

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„[...] l’enseignement commercial supérieur a chez nous un bel avenir et une belle tâche a accomplir. Il nous procurera des commerçants à la hauteur du rôle toujours plus complexe qui les attend; des hommes d’affaires cultivés, aux idées larges, plus accessibles à des considérations d’ordre général, plus disposés à discuter les grands problèmes de la vie économique et sociale en y voyant autre chose que leur intérêt immédiat.“50

In Paillards Argumentation werden Geschäftsleute durch wissenschaftliche Bildung in die Lage versetzt, von ihrer partikularistischen Position Abstand zu nehmen. Sie werden damit befähigt, die großen Probleme des ökonomischen und sozialen Lebens anders als nur in Bezug auf ihre unmittelbaren Eigeninteressen zu beurteilen.

Gemeinwohlorientierung Das von Schär und Paillard für die Handelswissenschaften geltend gemachte Motiv, die Gesellschaft mit „gebildeten Geschäftsleuten“ zu versorgen, kann im schweizerischen Fachdiskurs bis in die 1930er Jahre hinein nachgewiesen werden.51 Bei Schär beinhaltet dieses Motiv auch eine amelioristische – auf die Verbesserung der Wirtschaftspraxis ausgerichtete – Perspektive, die in seinen Schriften weiter ausgearbeitet und begründet wird. Der Berner Betriebswirtschafter Fritz Schönpflug vermerkt in seinen Betrachtungen zu Schärs Werk, dieser habe seine Handelsbetriebslehre als eine „Erzieherin“ verstanden.52 Im Einleitungskapitel seines Hauptwerks „Allgemeine Handelsbetriebslehre“ kommt Schär zum Schluss: „Es ist ganz selbstverständlich, dass eine schulgemäße, wissenschaftliche Behandlung des Handels nicht möglich ist, wenn man ihn als ein Gewerbe auffasst, das nur darauf ausgeht, Profit zu machen, d.h. durch allerlei erlaubte und unerlaubte Mittel, Kunstgriffe, Überredungskünste, Vorspiegelungen, Ausnützung der geistigen Überlegenheit über Unwissende und Unerfahrene usw., sich auf Kosten anderer zu bereichern.“53

Wissenschaft darf auch für Schär nicht auf ökonomische Eigeninteressen ausgerichtet sein. Die durch sie gewonnene geistige Überlegenheit soll nicht dazu dienen, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Um die Gemeinwohlorientierung des Handels unter Beweis zu stellen, setzt Schär

50 51 52 53

Paillard, 1911: 50. Debes, 1938: 11. Schönpflug, 1954: 112. Schär, 1918: 8. 69

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das Berufsmotiv der Kaufleute mit jenem der medizinischen Profession gleich: „Der Arzt stellt sich in den Dienst der leidenden Menschheit und wird dafür entsprechend honoriert. Ähnlich verhält es sich mit dem Kaufmann. Er stellt sich in den Dienst der Weltwirtschaft, versorgt jeden Konsumenten mit allen Gaben, die die gütige Natur auf weitem Erdrund hervorbringt, mit allen Produkten, die Menschenfleiß, Menschenkunst und Geschicklichkeit zu erzeugen vermögen.“54

In kritischer Distanzierung von einer einseitigen Profitorientierung wird dem Handel hier eine der Allgemeinheit dienende Versorgungsaufgabe zugeschrieben. Für den Nutzen, den der Kaufmann erbringt, darf er (ganz wie der Arzt auch) eine Entlöhnung in Anspruch nehmen. Der Erwerb bleibt jedoch sekundär, während das berufliche Tun primär auf den „Dienst an der menschlichen Gesellschaft“ ausgerichtet ist. Für Schär ist die Vereinbarkeit von volks- und privatwirtschaftlichen Interessen grundsätzlich unbestritten. Wie andere Handelswissenschaftler beschreibt auch er den Handel als Garant des Fortschritts, der allgemeinen Wohlfahrt, ja sogar als „Friedensstifter“.55 Während also der Handel an sich durchaus förderlich für das Gemeinwohl sei, gilt dies nicht automatisch auch für den einzelnen Kaufmann. Dieser könne nämlich erst dann als „nützliches Organ des Gesellschaftskörpers“ betrachtet werden, wenn er ganz spezifischen Anforderungen gerecht werde. Ihm obliege es, im Dienste von Produzenten und Konsumenten „den Güteraustausch und die Güterversorgung nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit zu gestalten, d.h. mit dem kleinsten Aufwand von Kraft, Mitteln und Zeit das höchste Maß an Nützlichkeit zu schaffen. Er muss zu der Einsicht kommen, dass er nur solange und insoweit Existenzberechtigung und Anspruch auf Erfolg haben kann, als er im Organismus der Volkswirtschaft nützliche, dem Ganzen zuträgliche und unentbehrliche Funktionen ausübt“.56 Für die Harmonisierung von Eigen- und Gemeininteressen wird bei Schär also nicht bereits durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ gesorgt. So warnt er denn auch ausdrücklich, das „privatwirtschaftliche Erwerbsprinzip“ könne zu Unwirtschaftlichkeit ausarten, wenn „Schmarotzer“ sich am Wirtschaftskörper gütlich tun. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn der Händler zu seinem Privatnutzen den Güteraustausch auf Kosten von Produzenten und Konsumenten verteuere, anstatt ihn durch wirtschaftlichen und zweckmäßigen Mittelein54 Schär, 1918: 9. 55 Ebd.: 4; vgl. auch Paillard, 1911: 21. 56 Schär, 1904: 14; die gleiche Passage findet sich in Schär, 1918: 6. 70

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satz zu verbilligen. Schär stellt die „Gewinntendenz im Handel“ nicht grundsätzlich in Frage, er geht aber davon aus, dass sich diese „den allgemein volkswirtschaftlichen Gesetzen unterordnen muss“. Dies bedeutet für ihn insbesondere, dass bei Produzenten und Konsumenten nur solange ein Bedarf an kaufmännischen Dienstleistungen besteht, als ihnen dadurch auch wirklich eine Verbilligung des Güteraustauschs gewährleistet wird.57 Wie Max Weber in „Wirtschaft und Gesellschaft“ zur Frage der Vergesellschaftung durch Tausch auf dem Markt ausführt, würden in der Konzeption des freien Marktes „Brüderlichkeits- und Pietätspflichten“ als Hemmungen der freien Entfaltung der „nackten Marktvergemeinschaftung“ und deren spezifischer Interessen angesehen.58 Moralische Verpflichtungen stünden hier grundsätzlich im Widerspruch zur freien Marktentfaltung. Im Unterschied dazu untersteht der Kaufmann bei Schär einer Sorgfalts- und Wirtschaftlichkeitspflicht, die sich am Motiv der allgemeinen Wohlfahrt orientiert. Er ist bei der wirtschaftlichen Gestaltung seiner Geschäftsprozesse – der rationalen Abwägung zwischen Ressourceneinsatz und Nutzen – dazu aufgefordert, dem Gemeinwohl stets Vorrang vor privatwirtschaftlichen Eigeninteressen zukommen zu lassen.

Reformbestrebungen und Standespolitik Die Handelsbetriebslehre von Schär strebt an, die „Irr- und Abwege des Handels und seine verschiedenen Auswüchse als solche kenntlich zu machen, um sie als solche auch bekämpfen zu können“.59 Wissenschaft und Bildung liefern hier die Grundlagen für eine rationalere und damit der Allgemeinheit dienlichere Handelspraxis. In Schärs Bildungsmotiv kommt dem Allgemeinwissen eine wichtige Rolle zu, gleichzeitig wird aber auch die Bedeutung technisch-mathematischer Kenntnisse in den Bereichen der „kaufmännischen Arithmetik“ und der Buchhaltung hervorgehoben.60 In der Geschichtsschreibung der Betriebswirtschaftslehre wird Schär zu den Vertretern des „ethisch-normativen“ Standpunkts gezählt. Die Vertreter dieses Standpunktes hätten angestrebt, „Normen für wirtschaftliches Handeln aus allgemein gültigen ethischen Grundwerten abzuleiten“.61 Dabei werden in erster Linie seine kostentheoretischen Überlegungen (Abhängigkeit der Kosten vom Beschäftigungsgrad) und 57 58 59 60 61

Schär, 1918: 99-102. Weber, 1956 [1922]: 490. Schär, 1918: 93. Schär, 1904: 18-19. Schanz, 2004: 103. 71

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seine Beiträge zu Buchhaltungs- und Bilanzierungsfragen (insbesondere sein „Kostensystem“) für die weitere Entwicklung des Faches als richtungweisend erachtet.62 Heike Franz erklärt in ihrer Untersuchung zur deutschen Betriebswirtschaftslehre das Motiv der sozialmoralischen Bildung mit dem – in Deutschland stark ausgeprägten – soziokulturellen Prestigegefälle zwischen Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum. Über die Annäherung an die neuhumanistischen Ideale der deutschen Bildungselite sollte der traditionellen Geringschätzung des Kaufmannsstandes energisch entgegengetreten und die Wirtschaftstätigkeit endlich auch als kulturelle Leistung erkannt werden: „Die Forderung nach einer akademischen Ausbildung für Kaufleute mit dem Ziel, die Kluft zwischen ‚Besitz und Bildung‘ zu verringern, kann als Ausdruck des gestiegenen Selbstbewusstseins zumindest einiger führender Wirtschaftsbürger gewertet werden, die auch in soziokultureller und politischer Hinsicht die Rolle spielen wollten, die ihrer zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung entsprach.“63

Wie Franz argumentiert, ging es den Vertretern des deutschen Wirtschaftsbürgertums somit weniger um eine verbesserte Ausbildung der leitenden Kaufleute als um die soziale Aufwertung des eigenen Standes im Sinne einer Angleichung an den gesellschaftlichen Status der klassischen Professionen. Dieselben Motive können für die Schweiz ausgemacht werden. Allerdings gilt es den Befund zu ergänzen mit dem, bei Johann Friedrich Schär deutlich zum Ausdruck kommenden, Reformargument. Es verweist darauf, dass die Akteure der Handelshochschulbewegung nicht nur die kaufmännische Perspektive repräsentierten, sondern durchaus auch kritische Positionen dazu einnahmen. Zumindest in der Schweiz lässt sich die Handelshochschulbewegung deshalb nicht ausschließlich als standespolitisches Projekt der Kaufleute erklären, sondern sie muss auch im weiteren Kontext bildungs- und wirtschaftspolitischer Reformbestrebungen gesehen werden. Vor diesem Hintergrund finden sich denn auch Erklärungsansätze dafür, weshalb dem Akademisierungsprojekt von privatwirtschaftlicher Seite oftmals Widerstand entgegengebracht wurde.64 In der Argumentation des Westschweizer Professors Georges Paillard erfährt die von Heike Franz beschriebene Motivlage eine interessan62 Wassmuth, 1997: 22. 63 Franz, 1998: 31. 64 Vgl. dazu die Ausführungen zu den Außenorientierungen der Betriebswirtschaftslehre im Teil I.II. 72

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te Umkehrung. Paillard macht geltend, nicht der Handel bedürfe der Wissenschaft, sondern die Wissenschaft bedürfe des Handels, um ihre Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft zu behalten. Er verweist auf den veränderten gesellschaftlichen Status der Kaufmannstätigkeit, um zum Schluss zu kommen, dass die frühere „Unwürdigkeit“ des Handels neuerdings von einer anderen Perspektive abgelöst werde: „Heute ist das, was man verachtet, der Müßiggang.“65 Deshalb werde der Handel nicht mehr als „parasitär“ gesehen, sondern vielmehr als produktive, der Güterversorgung dienende Kraft betrachtet. Zunehmend stelle sich die Frage, ob die demokratische Gesellschaft aus reinem „Traditionsgeist“ ein Hochschulsystem aufrechterhalten könne, das keinen offensichtlichen Nutzen aufweise. Im Kontext dieses Zeitgeists würden die Handelswissenschaften eine neue Bedeutung erhalten. Sie stellen für Paillard die Nützlichkeit der Universitäten unter Beweis und zeigen gleichzeitig deren Anpassungsfähigkeit an die in Veränderung begriffenen Bedürfnisse der modernen Gesellschaft: „Pour conserver sa place, pour devenir de plus en plus un centre de vie intellectuelle, l’Université a besoin de toutes les collaborations; n’en repoussons aucune, pourvu qu’elle soit honorable, et n’oublions pas que le concours de ceux qui tiennent les ‚routes de l’argent‘ sera d’autant plus éclairé et fertile que ceux-ci seront venus se former intellectuellement auprès de nos chaires.“66

Die frühen schweizerischen Repräsentanten der Handelswissenschaften konzeptualisierten die Universität als Stätten der Bildung durch Wissenschaft und verwiesen gleichzeitig auf den praktischen Nutzen akademischer Bildung. Mit ihrem Argument, dass wissenschaftlich gebildete Geschäftsleute fähigere Praktiker abgeben würden, transzendierten sie die Dichotomie zwischen neuhumanistischen Universitätsidealen und utilitaristischen Ausbildungszielen. Dem Vorwurf, eine Wissenschaft zu begründen, die unternehmerische Sonderinteressen vertritt, wurde sowohl durch Verweise auf die gesellschaftliche Bedeutung des Handels als auch auf dessen Reformierbarkeit durch die wissenschaftliche Bildung zukünftiger Kaufleute entgegengetreten. Wie aufgezeigt, waren die Argumentationen der schweizerischen Handelswissenschaftler von Konformität mit neuhumanistischen Bildungskonzeptionen geprägt, sie beinhalteten aber auch ein Modernisierungsmotiv. Im Vordergrund stand dabei die Abstimmung traditioneller Wissenschafts- und Bildungsauffassungen mit dem Wertesystem der kapitalistischen Gesellschaft und der neuen Wirtschaftswelt. 65 Paillard, 1911: 23, Übersetzung S.B. 66 Ebd.: 32. 73

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Sachverständnis anstelle von praktischen Routinen Wie Keith Tribe in seiner Untersuchung der deutschen Handelshochschulen aufzeigt, baute sich der handelswissenschaftliche Lehrplan im Wesentlichen aus Elementen des Curriculums der bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Handelsmittelschulen zusammen. Auch die Fachbezeichnung der Handelswissenschaften (Plural) wurde mit der Einführung akademischer Kaufmannsausbildungen nicht neu gewählt, sondern war bereits an den Handelsmittelschulen in Gebrauch. Das Fachgebiet fasste ein Konglomerat verschiedenster Wissenszweige zusammen, die auf den Handel Bezug nahmen. Es beinhaltete sowohl Elemente der Rechtswissenschaften als auch der Volkswirtschaftslehre, der Technologie und der Geographie. Ein früher Fachvertreter beschrieb die Lehrinhalte der Handelswissenschaften als offene Zusammenstellung von allem, „was dem Kaufmann irgendwie von Nutzen sein konnte“. Dazu gehörte auch die Handelswissenschaft (Singular) im engeren Sinn, welche die technischen Handelsfertigkeiten beinhaltete. Sie setzten sich zusammen aus „Korrespondenz, unter Einbeziehung von Teilen der Handelslehre und einer Art elementarer Geschäftstechnik häufig auch Kontorwissenschaft genannt, Buchhaltung und kaufmännisches Rechnen“.67 Die Übertragung dieses heterogenen und weitgehend praktisch orientierten Wissenskorpus auf die Hochschulstufe brachte große Probleme mit sich. Von Seiten der Universitäten wurde denn auch verschiedentlich die fehlende Wissenschaftlichkeit von Fächern wie Buchführung und Warenkunde kritisiert. Erste Versuche, eine eigentliche „kaufmännische Wissenschaft“ zu begründen und in eine einheitliche Systematik zu überführen, ließen nicht lange auf sich warten. Sie waren, wie Tribe für das deutsche Fallbeispiel aufzeigt, von Bestrebungen geprägt, das neue Wissensgebiet sowohl von der praktisch-technischen Orientierung der Handelsmittelschulen als auch von den Inhalten der Nationalökonomie und Rechtswissenschaften abzugrenzen.68 Neben Johann Friedrich Schär lieferte auch der St. Galler Professor Léon Gomberg frühe Beiträge zur Verwissenschaftlichung der Handelswissenschaften. Gomberg wurde 1866 in Russland geboren und studierte an den Universitäten Bern, Zürich und Genf. Nach einer Lehrtätigkeit an der Universität Genf als Dozent für „Économie commerciale“ übernahm er 1899 an der Handelsakademie in St. Gallen eine Professur für „Verrechnungswissenschaft, d.h. Buchführung und Finanzlehre“ und

67 Töndury, 1916: 7-8. 68 Tribe, 1995: 103. 74

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unterrichtete dort zudem russische Sprache und Literatur. 1905 verließ Gomberg St. Gallen und ließ sich in Genf als Revisor nieder. Er machte sich in seinem Fachgebiet mit Beiträgen zur Planungs- und Kontrollrechnung einen Namen.69 Während der Zeit an der Handelsakademie verfügte er über keinen Doktortitel. Seine Promotion erfolgte erst 1928 mit der Arbeit „Histoire critique de la théorie des comptes“, die er bei Hans Töndury in Bern einreichte.70 Gomberg publizierte seinen ersten Fachbeitrag 1903 im Rahmen eines Preisausschreibens des deutschen „Verbands für das Kaufmännische Unterrichtswesen“. Dieser hatte die folgende Preisaufgabe ausgeschrieben: „Wie ist die Handelsbetriebslehre (die Lehre von der Einrichtung und Führung eines Handelsgeschäfts) zur selbständigen Bedeutung zu erheben und in die natürliche Verbindung mit den übrigen kaufmännischen Unterrichtsfächern zu bringen?“71 Gombergs Antwort auf die Preisfrage trägt den Titel „Handelsbetriebslehre und Einzelwirtschaftslehre“ (1904). Die Schrift beschränkt sich nicht auf die vom deutschen Verband vorgegebene Frage nach einer eigenständigen Handelsbetriebslehre. Vielmehr sucht Gomberg nach Möglichkeiten, eine „allgemeine Betriebslehre, nicht nur für den Handel, sondern für alle Formen der wirtschaftlichen Tätigkeit, wo ein Zusammenwirken von Kapital und Arbeit eintritt“, auszuarbeiten.72 Damit unternimmt er einen wesentlichen Schritt, um das neue Fachgebiet von seiner einseitigen Ausrichtung auf den Handelsbetrieb herauszulösen und es mit den spezifischen Problemstellungen in Industriebetrieben in Verbindung zu bringen.73 Während bei Johann Friedrich Schär noch eindeutig der kaufmännische Betrieb im Zentrum steht, wählt Gomberg bewusst eine breitere Perspektive, die letztlich auf eine systematische Teilung der Wirtschaftswissenschaften in zwei Subdisziplinen hinausläuft: „In der Wirtschaftslehre muss die wirtschaftliche Tätigkeit von diesen zwei verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden: vom Standpunkte der Einzelwirtschaft, welche nach der Erlangung eines Wirtschaftsüberschusses aus ihrer Tätigkeit strebt, und vom Standpunkte der Volkswirtschaft, Sozialwirtschaft, die auf die Wahrnehmung des Gesamtinteresses zielt und leitende Normen zu suchen hat.“74

69 70 71 72 73 74

Schneider, 2001: 194. Aufermann, 1954: 34-35; Klein-Blenkers, 1988: 110-111. Gomberg, 1903: 3. Ebd.: 7. Vgl. Locke, 1984: 158-159. Gomberg, 1903: 9. 75

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Für Gomberg ist es die Aufgabe der Volkswirtschaftslehre, sich mit den Ergebnissen der Einzelwirtschaftstätigkeit zu beschäftigen und daraus wirtschaftspolitische Grundsätze abzuleiten. Sie habe dabei die Zielsetzung zu verfolgen, dass „die Tätigkeit des Einzelnen im Einklange mit der Volks- und der Sozialordnung steht, damit Volkswohlstand und Reichtum steigt“. Im Unterschied dazu sei der Einzelwirtschaftslehre die Aufgabe gestellt, „Grundsätze über die rationelle Organisation und Verwaltung der Einzelwirtschaft“ zu erarbeiten. Gombergs Beitrag zielt nicht nur auf eine selbständige Positionierung seines Fachbereichs, sondern auch auf eine Neufassung des Verhältnisses zur Volkswirtschaftslehre. Er macht geltend, dass es sich bei der von ihm angestrebten Einzelwirtschaftslehre gar um die eigentliche wirtschaftswissenschaftliche Grunddisziplin handle. Dies, weil sie sich mit dem gesamten Prozess beschäftige, der durch einzelwirtschaftliche Produktion und Verteilung zur Bedürfnisbefriedigung führe. Die Volkswirtschaftslehre müsse deshalb auf die Erkenntnisse der Einzelwirtschaftslehre aufbauen und nicht umgekehrt.75 Gomberg verbindet sein wirtschaftswissenschaftliches Projekt mit einem methodischen Anspruch, der sich vom oftmals gänzlich auf praktische Geschäftsroutinen ausgerichteten Zugang vieler seiner Fachkollegen abgrenzt. Aus der Reproduktion von herkömmlichen Regeln und Vorgehensweisen, so sein Argument, können keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gewonnen werden: „Der Empirismus, der auf dem Gebiet der kaufmännischen Disziplinen im allgemeinen noch herrscht, die vorwiegend schablonenmäßig, nach herkömmlichen Regeln behandelt werden und hauptsächlich auf die praktische Geschäftsroutine absehen, ohne die Ziele einer wissenschaftlichen Forschung im Auge zu behalten, konnte selbstverständlich zu keinen wissenschaftlichen Resultaten führen.“76

Im von Gomberg ins Auge gefassten Wissenschaftsprojekt sollen die Tätigkeiten von Einzelwirtschaften beobachtet, bewertet, in Statistiken erfasst und sowohl in Bezug auf ihre Typik beschrieben als auch auf die ihnen zugrunde liegenden Kausalzusammenhänge hin untersucht werden. Dabei will sich Gombergs Lehre nicht auf eine „spekulative“ Wissenschaftstätigkeit beschränken, sondern vielmehr Praktiker unterschiedlichster Art (Kaufleute, Industrielle, Landwirte, Finanzbeamte) zum richtigen Tun anleiten. Er hält denn auch fest: „Die Einzelwirtschaftsleh75 Gomberg, 1903: 14. 76 Ebd.: 8. 76

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re muss auch eine Anleitung zum positiven Können gewähren.“ Gerade weil sie sich mit wirklich existierenden Verhältnissen beschäftige, müsse sie „Positives beobachtend und untersuchend, auch dieses Positive leiten, führen, zustande bringen lehren“.77 Wie Gomberg geltend macht, können erst auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Bearbeitung einzelwirtschaftlicher Prozesse Regeln des vernünftigen Handelns abgeleitet werden. „Der Wirtschaftende muss nicht nur die Wirtschaftsführung als eingeübte Verfahrungsarten beim Vollzug der Operationen kennen, sondern das Wesen und die Bedeutung der von ihm vorzunehmenden und auszuführenden Operationen, ihre Wechselwirkungen und Ergebnisse verstehen, um vernünftig für sein eigenes Interesse und als Mitbürger seiner Gemeinde zu handeln.“78

Gombergs Ausführungen verdeutlichen die oben angesprochenen doppelseitigen Abgrenzungs- und Selbstbehauptungsbestrebungen: Um einen Anspruch als eigenständige Wissenschaft geltend zu machen, musste sich der junge Fachbereich gegenüber der wirtschaftswissenschaftlichen Schwesterdisziplin der Nationalökonomie und gegenüber den unwissenschaftlichen Handelsmittelschulen abgrenzen. Auch für Gomberg liegt in der Wissenschaftlichkeit der Einzelwirtschaftslehre deren besonderer Nutzen für die Praxis begründet. Eine wissenschaftliche Vorgehensweise ermöglicht es, praktische Routinen durch „rationelle Wahrnehmung“ und „Sachverständnis“ zu ersetzen. Im Unterschied zu den oben vorgestellten Fachvertretern, hält sich Gomberg nicht mit dem glorifizierenden Bild des gebildeten Geschäftsmannes auf. Während Schär und andere eine wirtschaftliche Betriebsführung als moralische, der allgemeinen Wohlfahrt dienliche Pflicht auffassen, verweist Gomberg die Wahrnehmung des Gesamtinteresses in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftspolitik und erklärt sie damit zum Untersuchungsgegenstand der Volkswirtschaftslehre. Sein akademisches Projekt ist auf eine durch wissenschaftlichen Sach- und Fachverstand rationalisierte Wirtschaftspraxis ausgerichtet. Es rekurriert nicht auf Bildungsideale, sondern auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Funktionalität des objektiven Tatsachenblicks. Sowohl die in Gombergs Text aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis zur nationalökonomischen Wissenschaftstradition wie auch jene nach einem adäquaten Wissenschaftsprogramm jenseits einer Kodifizierung von „praktischen Geschäftsroutinen“ wurden in den folgenden Jahrzehnten im Fachdiskurs eingehend diskutiert. Obwohl sich sein Be77 Gomberg, 1903: 13. 78 Ebd.: 16. 77

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griff der Einzelwirtschaftslehre nicht durchsetzte, nahm Gomberg mit seiner Lehre der einzelwirtschaftlichen Verhältnisse und Gesetze weitere Entwicklungen der Handelswissenschaften hin zur Privat- und schließlich zur Betriebswirtschaftslehre in wichtigen Aspekten voraus.

3. Reine Wissenschaft oder Kunstlehre? In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg erlebte die Debatte um die Systematik und die disziplinkonstituierenden Problemstellungen des nun häufig als „Privatwirtschaftslehre“ bezeichneten Wissensgebiets eine Intensivierung. An diesen Verhandlungen beteiligte sich auch Moritz Rudolf Weyermann, der 1912 in Bern auf einen neu eingerichteten Lehrstuhl für Nationalökonomie und Handelswissenschaften berufen wurde. Weyermann war 1879 in Elberfeld (Preußen) geboren. Er hatte nach seinem Maturitätsexamen eine kaufmännische Lehre absolviert und war im Bankbereich sowie als Prokurist einer Exporthandelsfirma tätig. Nach einem Studium in Zürich, München und Würzburg promovierte er 1902 mit der Arbeit „Das Verlagssystem der Lauschaer Glaswarenindustrie und seine Reformierung“ zum Doktor der Rechts- und Staatswissenschaften. Nach erneuter Praxistätigkeit habilitierte er sich in Freiburg im Breisgau und erhielt dort 1911 ein Extraordinariat. Bereits ein Jahr später wurde Weyermann auf den Lehrstuhl an der Universität Bern berufen und gründete dort 1915 das handelswissenschaftliche Seminar. Im Verlauf seiner Berner Lehrtätigkeit wandte sich Weyermann mehr und mehr der Nationalökonomie zu. 1929 folgte er einem Ruf an die Universität Jena, wo er bis zu seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten 1933 tätig blieb.79 Ähnlich wie bereits Johann Friedrich Schär verstand Weyermann sein Fachgebiet nicht als eigenständige Disziplin, sondern als Teilbereich der Volkswirtschaftslehre. In seiner Antrittsrede an der Universität Bern stellt Weyermann die Privatwirtschaftslehre als ein Wissenschaftsprojekt vor, das auf eine Erweiterung und gleichzeitige Vervollständigung der Volkswirtschaftslehre abzielt. Er ortet in der zeitgenössischen, vom historischen Ansatz dominierten Volkswirtschaftslehre ein deutliches Manko: Angesichts der tief greifenden wirtschaftlichen Transformationen, der Komplizierung und zunehmenden Privatisierung der wirtschaftlichen Organisation, der Zusammenschlüsse in der Industrie und der Konzentrationsprozesse im Bankenwesen sei das Desinteresse, das

79 Kipfer, 1949: 143-148; Universität Bern, 1984a: 618; Klein-Blenkers, 1988: 226-227; Schneider, 2001: 221. 78

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die historische Schule der „privatwirtschaftlichen Sachkunde“ entgegenbringe, als problematisch zu erachten. Weyermanns Wissenschaftsprojekt ergänzt die volkswirtschaftliche Makroperspektive, indem das Erkenntnisinteresse auf die ökonomische Tätigkeit der einzelnen „Wirtschaftssubjekte“ gerichtet wird. Konkret soll die Privatwirtschaftslehre erforschen, „wie die wirtschaftende Menschheit für sich sorgt, welchen Erwägungen sie dabei folgt, welche Mittel sie ergreift, welche Interessen und Gegeninteressen sich dabei in den wirtschaftenden Personen ausbilden.“80 Weyermann unterscheidet seine Perspektive nicht nur von jener der historischen Schule, sondern auch vom „abstrakten homo oeconomicus“ der klassischen englischen Nationalökonomie. Er stellt explizit nicht das ökonomische Profitinteresse ins Zentrum seiner Fachkonzeption. Seine Privatwirtschaftslehre ist vielmehr auf eine „Konkretisierung und Spezialisierung des homo oeconomicus“ und somit auf die Mannigfaltigkeit aller wirtschaftlichen Betätigungen ausgerichtet. Das Interesse gilt dabei nicht ausschließlich dem Unternehmererfolg, sondern vielmehr dem zur wirtschaftlichen Erfolgserzielung aufgewendeten „Apparat“ im weitesten Sinne und damit auch Aspekten wie dem Unternehmergeist und der Unternehmerüberlegungen. Dies unter der Grundannahme, dass der Sammelbegriff des „Unternehmers“ die Vielfalt der privatwirtschaftlich tätigen Individuen nur äußerst ungenau erfasse und es deshalb notwendig sei, zur Herausarbeitung einer Vielheit von Idealtypen wirtschaftender Menschen zu gelangen.81

Wirklichkeitskonstatierung statt privater Interessenpolitik Mit seinem Fachkollegen Hans Schönitz unternahm Weyermann vor seinem Amtsantritt in Bern in einer Publikation von 1912 den Versuch, eine wissenschaftliche Privatwirtschaftslehre zu begründen, die explizit auch für den Universitätsunterricht geeignet sein sollte. Dies geschah unter Verweis auf die zu diesem Zeitpunkt erst in der Schweiz bestehenden privatwirtschaftlichen Universitätslehrstühle. In dieser Schrift stellen Weyermann und Schönitz zunächst fest, dass der Großteil dessen, was gegenwärtig in ihrem Fachbereich gelehrt werde, das Gebiet der Wissenschaft verlassen habe und in dasjenige der „Kunstlehre“ hinüber getreten sei.82 Die beiden Autoren kritisieren aber nicht nur eine solche „Kunstlehre des Geldverdienens“, sie vertreten zudem den Standpunkt,

80 Weyermann, 1913: 14. 81 Ebd.: 40; vgl. dazu auch Weyermann/Schönitz, 1912: 29-37. 82 Weyermann/Schönitz, 1912: 10. 79

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dass auch die Nationalökonomie in ihren Erörterungen oftmals von praktischen Wertgesichtspunkten ausgehe. Dabei nehmen sie Bezug auf den von Lujo Brentano und anderen Nationalökonomen an die Privatwirtschaftslehre gerichteten Vorwurf der Vertretung von Sonderinteressen. Weyermann und Schönitz argumentieren, dass die Wirtschaftswissenschaften durch politische Wertungen und Parteinahmen in derselben Weise zur Kunstlehre degradiert würden wie durch die Eigeninteressen der Unternehmerschaft. Sie kommen zum Schluss: „was ist Politik und Wirtschaftspolitik anderes als Kunstlehre, Technik, das aufgestellte Ziel mit den angegebenen Mitteln zu erreichen?“83 In seiner Antrittsrede an der Universität Bern geht Weyermann genauer auf Brentanos Argument der Gemeinwohlorientierung ein. Er argumentiert, dass nicht erst die „plumpe private Interessenpolitik“ eine existentielle Gefährdung der Wirtschaftswissenschaften mit sich bringe, sondern bereits das Eindringen der Politik irgendwelcher Gattung in die Sphäre der Wissenschaft: „Man glaubt, einen grundsätzlichen Unterschied daraus konstruieren zu können, ob jemand einseitige Interessen vertreten wolle oder aber lediglich bestrebt sei, dem ‚Wohle des Ganzen‘ zu dienen. Das klingt prima facie sehr gut, hat etwas geradezu Bestechendes. Und doch fällt der Unterschied bei näherer Beleuchtung für die Frage der Wissenschaftlichkeit in Nichts zusammen, so bedeutend er für die Frage der Politik zweifellos ist. Wer wollte denn ‚wissenschaftlich‘ feststellen können, welche konkreten, materiellen, dauernden Merkmale der Begriff Allgemeinwohl, Volkswohl oder dgl. aufweist, d.h. Merkmale, die nicht auf eine bloße Nominaldefinition hinauskommen. […] Das ‚Gesamtwohl‘ usw. wird materiell immer eine Majoritäts- und Kompromissfrage bleiben.“84

Mit ihren Beiträgen verorten Weyermann und Schönitz die Privatwirtschaftslehre in der zeitgenössischen Debatte um Wertfreiheit in den Sozialwissenschaften. Mit Referenz auf Max Webers Aufsatz über die Objektivität sozialwissenschaftlicher Erkenntnis kommen die beiden Autoren zum Schluss, die Aufgabe einer Erfahrungswissenschaft könne nicht darin liegen, Normen und Ideale aufzustellen, aus denen für die Praxis Rezepte abgeleitet werden. Vielmehr sei die zweckbezogene Technik bzw. die Kunstlehre ganz aus dem Bereich der Wissenschaft auszugrenzen. Analog zu Webers Unterscheidung zwischen einer Erkenntnis des „Seienden“ und des „Seinsollenden“85 möchten Weyermann und Schö83 Weyermann/Schönitz, 1912: 45. 84 Weyermann, 1913: 23. 85 Weber, 2002b >1904@: 24 80

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nitz in der Privatwirtschaftslehre „Wirklichkeitskonstatierungen“ vornehmen und nicht Anleitungen zur besseren Wirtschaftsführung erteilen: „Ist die Privatwirtschaftslehre als Technik Unterweisung, wie man höchstmögliche Rentabilitätsziffern erzielen kann, so ist die Privatwirtschaftslehre als Wissenschaft Erfahrungs- und Wirklichkeitskonstatierung, Lehre vom Sein.“86 Im Gegensatz zur Kunstlehre ist Wissenschaft bei Weyermann und Schönitz auf einen Erkenntnisprozess bezogen, der einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben will und sich deshalb von subjektiven Wertungen abzugrenzen sucht.87 Mit dem Argument, ihre Wissenschaft sei „Selbstzweck, nicht Mittel zum Zweck der Bereicherung“88, übertragen die beiden Autoren das Wissenschaftsideal der zweckfreien Forschung und Reflexion auf das Lehr- und Forschungsprogramm ihrer Privatwirtschaftslehre. Weyermann und sein Koautor Schönitz schließen sich den Bestrebungen ihrer Zeit an, entgegen einer politischen Einbindung und Instrumentalisierung der Sozialwissenschaften Wissenschaftlichkeitsnormen zu etablieren, die an den Kategorien der Objektivität und Wertfreiheit ausgerichtete sind. Sie gehen davon aus, dass sich die Privatwirtschaftslehre nur dann einen Platz im Wissenschaftssystem sichern kann, wenn es ihr gelingt, sich vom Vorwurf jeglicher Interessengeleitetheit zu befreien. Ihre Figur des wertfreien Wissenschaftlers folgt weder der amelioristischen Bildungs- und Wissenschaftsauffassung von Fachvertretern wie Johann Friedrich Schär noch dem funktionalistischen Verwissenschaftlichungsmodell von Léon Gomberg.

Streit um die Privatwirtschaftslehre In der Fachgemeinschaft der Hochschullehrer lösten die wissenschaftstheoretischen Überlegungen von Weyermann und Schönitz vehemente Reaktionen aus. Eugen Schmalenbach, Professor an der Kölner Handelshochschule, verfasste eine Replik mit dem Titel „Die Privatwirtschaftslehre als Kunstlehre“.89 Schmalenbach, der 1919 mit der Angliederung der Handelshochschule an die neue Universität Köln zum Ordinarius der dortigen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät ernannt wurde, gilt als einer der wichtigsten frühen Fachvertreter im deutsch-

86 87 88 89

Weyermann/Schönitz, 1912: 53-54. Ebd.: 133. Ebd.: 59. Schmalenbach, 1911/12. 81

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sprachigen Raum. Er war auch Gründer und erster Herausgeber der „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung“ (ab 1906).90 In deutlicher Abgrenzung von Weyermann und Schönitz ordnet Schmalenbach der Privatwirtschaftslehre ein praktisches Erkenntnisinteresse zu. Er führt in seinem Artikel mehrere Gründe dafür an, weshalb die Privatwirtschaftslehre besser als Kunstlehre zu betrachten sei denn als Wissenschaft. Dabei macht er geltend, die Privatwirtschaftslehre beruhe auf einer gleichermaßen systematischen und vorurteilsfreien Vorgehensweise wie jede Wissenschaft. Sie sei somit ebenso „wissenschaftlich“, verfüge aber über einen großen zusätzlichen Vorteil: Weil die Privatwirtschaftslehre Verfahrensregeln einzig zum Zwecke des Gebrauchs aufstelle, würden ihre Geltungsaussagen in der Praxis einer stetigen experimentellen Überprüfung unterzogen. Daraus schließt Schmalenbach, dass eine Kunstlehre, die Verfahrensregeln und Lehrsätze für das praktische Verhalten aufstellt, zumindest als gleich- oder sogar als höherwertig zu betrachten ist als eine reine Wissenschaft. Einen anderen Grund, die Kunstlehre vor der Wissenschaft zu bevorzugen, findet Schmalenbach in deren ausgeprägter Leistungsorientierung: „Ich meine mich nicht zu täuschen, wenn ich annehme, dass in der Kunstlehre emsiger und zielbewusster gearbeitet wird. Das wäre kein Wunder. Wer sich Verfahrensregeln zum Problem setzt, der arbeitet außer für das Übrige sozusagen auf Bestellung, auf jeden Fall für den Markt. Darin liegt ein wichtiges Antriebsmittel. Wer solche Antriebsmittel nicht hat, pflegt mit mehr Ruhe und Beschaulichkeit zu arbeiten, als für die Sache unbedingt nötig ist; es fehlt ihm auch das stimulierende Bewusstsein der wirtschaftlichen Nützlichkeit. Das an seiner Stelle kultivierte Gefühl besonderer Vornehmheit scheint mir mehr zur Außen- als Innenwirkung geeignet zu sein.“91

Weil Wissen hier für den Markt produziert werde, bestünden in der Kunstlehre effektive Anreize zur raschen Leistungserstellung. Im Unterschied dazu macht Schmalenbach im Bereich der zweckfreien Wissenschaft eine Geisteshaltung aus, die er von einer überzogenen Geruhsamkeit geprägt sieht. Der Begriff der Kunstlehre beinhaltet bei Schmalenbach zwei Hauptaspekte. Er bezieht sich zum einen auf die Bearbeitung von Praxisproblemen anhand wissenschaftlicher Verfahren und kann damit im Bereich einer angewandten Wissenschaft verortet werden. Zum anderen 90 Heute trägt die Zeitschrift den Titel: „Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung“ (zfbf). Zu Leben und Werk von Eugen Schmalenbach siehe Kruk/Potthoff/Sieben, 1984. 91 Schmalenbach, 1911/12: 314. 82

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eröffnet eine Kunstlehre den Raum für einen Sondertypus von Hochschullehrer, der als privatwirtschaftlicher Experte über intensive Beziehungen zur Praxis verfügt. „In ihrer Mehrzahl pflegen das Leute zu sein, die sich in der Praxis betätigen. In der Privatwirtschaftslehre sehen wir sie als Gutachter, Revisoren, in Aufsichtsräten sich umtun. Das ist natürlich von erheblichem Einfluss auf die Lehrtätigkeit und Forschung; es erschließt ein Material, über das ein Stubengelehrter schlechterdings nicht verfügen kann.“92 Bereits in Schmalenbachs Beitrag von 1912 wird deutlich, dass er seine Kunstlehre zwar durchaus als Zwecklehre, aber keineswegs als unternehmerische Profitlehre verstanden haben will. Er ortet die Kernproblemstellung der Privatwirtschaftslehre nicht im Verdienstmotiv, sondern im Bereich der innerbetrieblichen Wirtschaftlichkeit: „Die Frage lautet tatsächlich nicht: Wie verdiene ich am meisten? Sondern: Wie finanziere ich diesen Gegenstand mit der größten Ökonomie? Wie bringe ich Nachfrage und Angebot am zweckmäßigsten zusammen?“93 Die wirtschaftliche Organisation des Betriebs wird hier zum Zentralproblem der Unternehmensführung erklärt und das Rechnungswesen als ihr wichtigstes Kontroll- und Überwachungsorgan betrachtet. In seinen späteren Schriften äußert sich Schmalenbach noch expliziter gegen eine vom unternehmerischen Gewinnprinzip ausgehende Privatwirtschaftslehre. Er wird zum Vertreter einer Wirtschaftlichkeitslehre, welche die Idee der Bedarfsdeckung und damit die Notwendigkeit, Menschen mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen, ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt. Dies unter dem Postulat, den wirtschaftlichen Betrieb ohne Rücksicht auf den Eigentümer fortan nur noch in seiner Eigenschaft als „Organ der Gemeinwirtschaft“ zu untersuchen. In einer Publikation von 1919 fordert Schmalenbach denn auch, dass die eigentliche privatwirtschaftliche Tätigkeit als Untersuchungsobjekt solange uninteressant bleiben müsse, als sie keine Konsequenzen nach sich ziehe, die durch Unproduktivität und Verschwendung das Gesamtwohl beeinträchtigen könnten.94 Schmalenbach erklärt die innerbetriebliche Wirtschaftlichkeit in seinen Schriften zu einem in sich gültigen und damit von unternehmerischen Sonderinteressen unabhängigen Gestaltungsziel. Im Unterschied dazu kann für Moritz Rudolf Weyermann das Projekt einer privatwirtschaftlichen Kunstlehre berechtigterweise als ein „Mittel zum Zweck der 92 Schmalenbach, 1911/12: 315. 93 Ebd.: 311. 94 Schmalenbach, 1926 [1919]: 94; Schmalenbach, 1920. Für eine detailliertere Diskussion von Schmalenbachs Ansatz vgl. Schönpflug, 1954 sowie Hundt, 1977. 83

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Bereicherung“ bezeichnet werden. Weyermann beharrt auf einer grundsätzlichen Unterscheidung von Sollregeln und Wirklichkeitskonstatierungen. Schmalenbach hingegen plädiert für eine wissenschaftliche Verfahrenslehre, die als Zwecklehre zwar der Praxis verpflichtet ist, sich aber gleichzeitig vom unternehmerischen Standpunkt abgrenzt und auf die Zielsetzung der Gemeinwohlförderung hin orientiert. Der gesellschaftliche Nutzen liegt hier jedoch nicht mehr – wie noch bei Schär – im moralischen Wert von wissenschaftlicher Bildung begründet. Das akademische Projekt von Schmalenbach beinhaltet vielmehr die Vision einer „technologisch gerichteten Wissenschaft“, die ihre Leistungsfähigkeit im Rahmen eines stetigen, produktiven Interaktionsprozesses mit der Praxis unter Beweis zu stellen hat.

4. Konsolidierungsprobleme und Praxisorientierung Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer erneuten Veränderung der Fachbezeichnung. Der Begriff der Privatwirtschaftslehre wurde nun zunehmend durch jenen der Betriebswirtschaftslehre abgelöst. Eugen Schmalenbach bezeichnete sich 1919 in der „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung“ erstmals als Professor für Betriebswirtschaftslehre. Dabei ging es ihm insbesondere darum, die von ihm vertretene Abstandsnahme von privatwirtschaftlichen Sonderinteressen auch im Namen des Faches zum Ausdruck kommen zu lassen.95 Im historischen Kontext von Inflation und Weltwirtschaftskrise kam es nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland zu einer Weiterentwicklung der theoretisch-methodischen Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre. Aufgrund der Geldwertschwankungen verloren die Kontrollinstrumente der Unternehmensführung, welche Preise als Messeinheiten enthalten, ihre Brauchbarkeit. In diesem Zusammenhang lieferten deutsche Betriebswirte wichtige Beiträge zur Eliminierung der Geldwertschwankungen aus Bilanz und Kostenrechnung. So entwarf der Frankfurter Professor Fritz Schmidt eine Messtheorie für den quellenmäßigen Reinertrag bei Änderungen des Preis- und Geldwerts. Eugen Schmalenbach und sein Schüler Walter Mahlberg entwickelten eine kaufkraftorientierte und damit inflationsbereinigte Rechnungslegung. Durch diese und andere Arbeiten waren in der Zwischenkriegszeit zunehmend die Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich die Betriebswirtschaftslehre zu einem eigenständigen – von der Nationalökonomie nun weitgehend 95 Hundt, 1977: 64-67. 84

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unabhängigen – disziplinären Bereich mit entsprechendem wissenschaftlichem Instrumentarium ausdifferenzieren konnte. Zahlreiche Veröffentlichungen, Kompendien und Wörterbücher aus dieser Zeit belegen zudem eine verstärkte Forschungsorientierung. Der prominente deutsche Fachvertreter Erich Gutenberg kommt zum Schluss, dass die Betriebswirtschaftslehre in dieser historischen Phase „zu sich selbst als Wissenschaft gefunden“ habe.96 Die wichtigen inhaltlichen Entwicklungen der Zwischenkriegszeit gingen in Deutschland mit dem Ausbau und der Tertiarisierung der betriebswirtschaftlichen Institutionen einher. Auf der Grundlage einer 1924 für Preußen beschlossenen Studienreform, die in den folgenden Jahren von den übrigen deutschen Staaten nachvollzogen wurde, kam es an den Handelshochschulen zu einer Angleichung der Studienzeit an diejenige der Universitäten, zudem wurde der Abschlusstitel „DiplomKaufmann“ neu als akademischer Grad anerkannt. Sukzessive erhielten die Handelshochschulen nun auch das Promotionsrecht und die Habilitation wurde für die Dozenten zur Pflicht erklärt.97 Wie Cornelia Koppetsch und andere Autoren aufzeigen, lässt sich für Deutschland eine Verschiebung vom praxisorientierten Schultypus der Handelshochschule hin zur wissenschaftlichen Universitätsdisziplin nachzeichnen. In der Zeit vom Ersten bis nach dem Zweiten Weltkrieg gaben die deutschen Handelshochschulen ihren eigenständigen Status allmählich auf und wurden entweder zu Universitäten umgebaut oder in solche inkorporiert. Im Zuge dieser Entwicklung kam es zu einer weitgehenden Distanzierung von der angewandten, unmittelbar an privatwirtschaftlichen Bedürfnissen orientierten, Wissenskultur der Handelshochschulen. Ähnlich wie zuvor bei den Ingenieurschulen wurden im Rahmen einer „nachträglichen Disziplinbildung“ praxisbezogene Wissensformen an den disziplinären Modus angeglichen.98 Die handelswissenschaftlichen Lehrstühle und Abteilungen an den Schweizer Universitäten waren von Beginn an ins Universitätssystem eingebunden und damit der direkten Konkurrenz zu den bereits etablierten Disziplinen ausgesetzt. Während sich die Betriebswirtschaftslehre in Deutschland in der Zwischenkriegszeit inhaltlich und institutionell konsolidierte, kam es in der Schweiz in derselben Zeitspanne zu einem Einbruch der anfänglichen Institutionalisierungserfolge. Von einigen Ausnahmen abgesehen, stagnierte der Ausbauprozess entweder oder es kam 96 Gutenberg, 1961: 14-15. Für eine genauere Schilderung dieser theoretischen Positionen vgl. Franz, 1998: 95-103 und Schneider, 2001: 201-211. 97 Franz, 1998: 111-179. 98 Koppetsch, 2000: 201-209; vgl. dazu auch Meyer, 1998 sowie Zander, 2004 zu Geschichte der einzelnen deutschen Handelshochschulen. 85

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gar zur Umbenennung von zuvor handelswissenschaftlichen Lehrstühlen und zu deren Neubesetzung mit Juristen oder Volkswirten. Diese Konsolidierungs- und Abgrenzungsprobleme erwiesen sich als folgenreich für die Autonomisierungsbestrebungen der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsdisziplin. In Deutschland orientierte sich das Fachgebiet nach der Abkehr von der nationalsozialistischen Betriebslehre ab dem Zweiten Weltkrieg konsequent am disziplinären Modell.99 In der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre standen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts praktische Gesichtspunkte stärker im Vordergrund.

Stockender Institutionalisierungsprozess Als Johann Friedrich Schär erst drei Jahre nach seiner Berufung nach Zürich 1906 an die neu gegründete Handelshochschule in Berlin wechselte, löste er mit seinem Weggang nicht nur heftige Kritik an seiner Person, sondern auch eine Debatte um das weitere Schicksal der Zürcher Handelswissenschaften aus.100 Als Nachfolger von Schär wurde der Winterthurer Doktor der Rechtswissenschaften Gottlieb Bachmann berufen. Er hatte an der kantonalen Handelsschule in Zürich Handelsfächer unterrichtet und war während kurzer Zeit als Anwalt tätig gewesen. Im Unterschied zum Praktiker und Autodidakten Schär sollte die akademische Vorbildung Bachmanns dem Fach eine bessere wissenschaftliche Anerkennung verleihen. Die Berufung brachte eine Neuausrichtung des Lehrstuhls hin zur juristischen Seite, was sich auch darin äußerte, dass die mit der Lehrstuhlgründung eingeführte handelswissenschaftliche Diplomprüfung wieder abgeschafft wurde. Bachmanns Tätigkeiten als Professor waren stark durch seine politischen und gesellschaftlichen Nebenaktivitäten beeinflusst. Einen Beitrag zum strukturellen Ausbau des Fachs leistete er mit der Gründung der bis 1995 unter diesem Titel existierenden Schriftenreihe „Mitteilungen aus dem Handelswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich“ (1908). Als Bachmann 1918 ins Direktorium der Schweizerischen Nationalbank berufen wurde und vom Professorenamt zurücktrat, wurde in Zürich erneut die Frage nach der Berechtigung des Fachgebietes aufgeworfen. Ein auf Anforderung der Erziehungsbehörden erstelltes Gutachten 99 Zur Fachgeschichte der deutschen Betriebswirtschaftslehre während des Nationalsozialismus liegen erst wenige Beiträge vor. Hundt, 1977, Franz, 1998 sowie Schneider, 2001 haben sich etwas eingehender mit der Thematik beschäftigt. Daneben existieren einzelne Artikel: u.a.. Potthoff, 2002. 100 Vgl. zu den folgenden Abschnitten die Kurzbiographien in Tabelle 3 im Anhang. Die Fachentwicklung an der Universität Zürich ist von Edwin Rühli in mehreren Publikationen aufgearbeitet worden (1978a, 1983). 86

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der Zürcher Handelskammer forderte 1919 die Besetzung des Lehrstuhls mit einem Nationalökonomen. Vor diesem Hintergrund fiel die Wahl auf einen Kandidaten, der über keine wissenschaftliche Ausstrahlung verfügte, dafür aber die schweizerische Wirtschaftspolitik genau kannte: Berufen wurde der Zürcher Werner Bleuler, der bisherige Generalsekretär des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements. Dies obwohl ebenfalls eine Bewerbung von Moritz Rudolf Weyermann vorlag, der sich als Wissenschaftler im deutschsprachigen Raum bereits einen Namen gemacht hatte. Die Kursänderung zeigte sich zudem in einer Umbenennung des Lehrstuhls, der nun die beiden Bereiche Nationalökonomie und Privatwirtschaftslehre umfasste. Parallel dazu war bereits 1915 ein zweites Ordinariat für Handelswissenschaften, speziell für „Handelstechnik und Methodik des Handelsfachunterrichts“, geschaffen und mit Otto Juzi besetzt worden. Es sollte trotz einer faktischen Zurückstufung der Handelswissenschaften eine kontinuierliche Hochschulausbildung für zukünftige Handelslehrer garantieren. Als der erste Zürcher Lehrstuhl nach dem frühen Tod von Bleuler im Jahr 1929 erneut zu besetzen war, wurde der Volkswirt Richard Büchner damit beauftragt, das Fachgebiet zusätzlich zu seinem eigentlichen Lehrbereich der praktischen Sozialökonomie im Nebenamt zu betreuen. Im Jahr 1942 unterbreitete das Erziehungsdepartement des Kantons St. Gallen der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich den Vorschlag, sich fortan ganz auf die Ausbildung der Juristen und Nationalökonomen zu beschränken, während die Handelshochschule im Gegenzug nur noch Studierende der Wirtschafts- und Verwaltungspraxis ausbilden würde. Die Zürcher Fakultät beantwortete diesen Vorschlag nicht nur mit Ablehnung, sondern nahm dies zum Anlass, den Ausbau der Handelswissenschaften nun selber an die Hand zu nehmen. Als Otto Juzi 1943 zurücktrat, setzte sich Richard Büchner dafür ein, alle Lehrveranstaltungen auf dessen Nachfolger zu vereinen, um damit die Entwicklung des Fachs an der Universität Zürich in neue Hände zu legen. 1944 wurde der aus St. Gallen stammende Handelslehrer Karl Käfer auf den Lehrstuhl berufen. Er hatte in Zürich studiert und dort eine Dissertation und eine Habilitation zu Themenbereichen der Betriebswirtschaftslehre vorgelegt. Mit Käfers Beförderung zum Ordinarius für „Privatwirtschaftslehre, Verrechnungslehre und Ausbildung der Handelslehrer“ (1946) setzte an der Universität Zürich, nach einer längeren Phase des faktischen Abbaus, in den 1940er und 1950er Jahren eine Zeit des Wiederaufbaus ein. Nicht nur die hier etwas eingehender geschilderten Entwicklungen in Zürich, sondern auch die Geschehnisse an den anderen Universitäten der Deutschschweiz belegen die Abbaudynamik in der Zwischenkriegszeit. 87

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In Basel war die Betriebswirtschaftslehre Ende der 1920er Jahre gar nicht und ab 1932 nur durch den Extraordinarius Theodor Brogle vertreten.101 In Bern verlegte Moritz Rudolf Weyermann – wie bereits erwähnt – seine Lehrtätigkeit immer mehr in die Nationalökonomie, so dass die Betriebswirtschaftslehre erst wieder ab 1928 mit seinem Nachfolger Hans Töndury als eigenes Lehr- und Forschungsgebiet vertreten war. Nach dem frühen Tod von Töndury im Jahr 1939 erhielt Alfred Walther in Bern einen Lehrauftrag für Betriebswirtschaftslehre, 1944 wurde er zum Ordinarius befördert.102 An den Universitäten der Westschweiz etablierte sich die Betriebswirtschaftslehre mit je einem (Freiburg, Neuenburg) Lehrstuhl bzw. mit zwei festen Lehrstühlen (Genf, Lausanne). Hier zeigte sich ab der Zwischenkriegszeit eine große Kontinuität bei den Lehrstuhlinhabern. Hinzu kam eine Lehrstuhlvererbung vom Vater an den Sohn nach dem Modell der Familienuniversität.103 Der 1920 berufene Neuenburger Ordinarius für „Économie commerciale“ Frédéric Scheurer übergab seinen Lehrstuhl nach fünfzehnjähriger Tätigkeit seinem Sohn (Frédéric Scheurer, fils). Dieser hatte den Lehrstuhl während 34 Jahren inne: von 1938 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1972. An der Universität Genf folgte auf Edouard Folliet, der von 1915 bis 1949 das Fachgebiet „Technique commerciale“ betreute, sein Sohn Pierre Folliet, der während 24 Jahren im Amt blieb. An der Handelshochschule St. Gallen war zwischen den beiden Weltkriegen ein Ausbau und eine Konsolidierung des betriebswirtschaftlichen Lehrbereichs zu verzeichnen. 1930 wurde eine dritte Professur für Betriebswirtschaftslehre geschaffen und mit Emil Gsell besetzt, der bis 1967 im Amt blieb. Neben ihm waren Robert Debes (Prof. von 1906 bis 1949) sowie Arthur Lisowsky (Prof. von 1932 bis 1952) für die Spezialgebiete Warenhandelsbetriebslehre, sowie Markt- und Werbewesen tätig. Ähnlich wie in Deutschland wurden in der Zwischenkriegzeit auch an der St. Galler Schule Bestrebungen zur Angleichung der Handelshochschule an das Universitätsmodell unternommen. 1931 erfolgte eine Anhebung der Studiendauer auf sechs Semester, 1934 erhielt die Schule das Habilitationsrecht und 1939 wurde die Promotionsordnung für die Verleihung des Doktors der Wirtschaftswissenschaften in Kraft gesetzt.104 Dieser akademische Status war einem neuen St. Galler Hochschulgesetz zu verdanken, das durch den Rechtswissenschaftler und spätere Rektor der Handelshochschule, Walter Hug, ausgearbeitet worden 101 102 103 104 88

Klein-Blenkers, 1988: 80. Kipfer, 1949: 148; Universität Bern, 1984a: 618. Baumgarten, 1997: 21. Burmeister, 1998: 83-105.

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war. Dieses Hochschulgesetz erklärte die Handelshochschule zur öffentlichrechtlichen Anstalt mit Promotionsrecht. Das Vorhaben war von schweizerischen Universitätsvertretern zunächst deutlich kritisiert worden, erste nach Verhandlungen im Rahmen der Schweizer Rektorenkonferenz konnten diese Bedenken weitgehend aus dem Weg geräumt werden.105 Wie der Historiker André Pfoertner bemerkt, setzte in St. Gallen während den 1930er Jahren eine Entwicklung zur akademischen Schule für zukünftige Wirtschaftspraktiker ein. Unter dem Rektorat von Walter Hug (1938-44) wurden die Weichen gestellt für einen Ausbau zur berufsorientierten Wirtschaftshochschule nach dem Vorbild amerikanischer „Business Schools“. Im Rahmen dieses Schulmodells erhielt das von den Universitäten bemängelte tiefe akademische Niveau eine neue Bedeutung als positives Distinktionsmerkmal. Die Handelshochschule wollte nicht das Universitätsmodell kopieren, sondern einen neuen Hochschultypus im schweizerischen Feld etablieren, der sich ganz der Ausbildung von Wirtschaftspraktikern widmen sollte.106 Derweil in St. Gallen ein institutioneller Sonderweg eingeschlagen wurde, war die Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten entweder von Stagnation oder gar von einer Abbaudynamik geprägt. Dies zeigte sich auch darin, dass die Betriebswirtschaftslehre an den schweizerischen Universitäten oftmals nicht als eigener Studiengang, sondern nur als integrierter Teil einer wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung unterrichtet wurde. In Deutschland trat ab 1924 eine einheitliche Prüfungsordnung für den Abschlusstitel „Diplom-Kaufmann“ in Kraft.107 Derweil kommt der Zürcher Professor Karl Käfer in einem Artikel von 1954 zum Schluss: „[…] ein eigentliches ‚Studium der Betriebswirtschaftslehre als Hauptfach‘ gibt es in der Schweiz kaum“.108 Einer Konsolidierung als Wissenschaftsdisziplin waren damit enge institutionelle Grenzen gesetzt. Die frühen schweizerischen Fachvertreter lieferten zwar wichtige inhaltliche Beiträge zum Akademisierungsprojekt der Betriebswirtschaftslehre, nach anfänglichen Institutionalisierungserfolgen machten sich in der Schweiz aber in Bezug auf die wissenschaftliche Verselbständigung und die Expansion der betriebswirtschaftlichen Universitätseinrichtungen deutliche Einschränkungen bemerkbar.

105 106 107 108

Walter-Busch, 1998: 570-571. Pfoertner, 2001: 208-212; vgl. auch Walter-Busch, 1998: 568-577. Franz, 1998: 145. Käfer, 1954: 152. 89

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Zwischen Theorie und Praxis Hans Töndury gilt durch seine Beiträge zur Methodologie und zum Rechnungswesen in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre als einer der wichtigsten Theoretiker der Zwischenkriegszeit. Dies obwohl er – auch aufgrund seines frühen Todes – nur eine Reihe kleinerer Schriften verfasst hat. So war es ihm nicht möglich, sein für die universitäre Lehre entwickeltes System der Betriebswirtschaftslehre in Buchform zu publizieren.109 Töndury wurde 1893 in Zürich geboren. Er studierte an den Universitäten Zürich und Berlin Theologie, anschließend in Basel, Bern und Lausanne Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Dabei absolvierte er ein erstes Doktorat in Basel („Resultate und Wirkungen der schweizerischen Alkoholgesetzgebung“) und ein zweites in Lausanne („Die Treuhand in rechtsvergleichender Darstellung“). Seine Berufslaufbahn als Hochschullehrer begann 1910 an der Handelshochschule St. Gallen, wo er als Professor für „Nationalökonomie und Handelstechnik“ tätig war. 1915 wurde er an der Universität Genf zum ersten Ordinarius für „Économie commerciale“ ernannt. 1928 folgte er als Nachfolger von Moritz Rudolf Weyermann einem Ruf nach Bern und übernahm dort den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre. Er gründete in Bern das betriebswirtschaftliche Seminar, das später zum betriebswirtschaftlichen Institut ausgebaut wurde.110 Neben seinen universitären Ämtern betätigte sich Töndury in verschiedenen Bereichen der schweizerischen Wirtschaft und Politik. So war er 1913 Mitbegründer des „Verbands Schweizerischer Bücherexperten“, 1918 beteiligte er sich an der Gründung der „École d’Étude Sociales pour Femmes“ in Genf. Zwischen 1918 und 1920 war er mit der Reorganisation des schweizerischen Konsularwesens betraut. Zudem war Töndury in der Rationalisierungsbewegung der 1920er Jahre aktiv, die im Teil I.II noch genauer vorgestellt wird. In einer Darstellung über den betriebswirtschaftlichen Unterricht an der Universität Bern von 1937 geht Töndury unter anderem auch auf die Unterschiede zwischen Fachhochschullehre und betriebswirtschaftlicher Universitätsdisziplin ein. Er argumentiert, die Berner Betriebswirtschaftslehre müsse als Universitätsdisziplin „im vermehrten Masse den systemhaften Zusammenhang mit den andern wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fächern betonen“. Während technische Kenntnisse in der universitären Lehre in den Hintergrund geschoben würden, gelte es dafür umso stärker „das Grundsätzliche und Allgemeingültige zu erkennen und hervorzuheben“. Ähnlich wie bereits sein Amtsvorgänger in

109 Käfer, 1954: 149. 110 Universität Bern, 1984a: 620. 90

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Bern, Moritz Rudolf Weyermann, grenzt auch Töndury den Universalitätsanspruch wissenschaftlicher Disziplinen von den oftmals partikularen Wissensbeständen der Fach- bzw. Handelshochschulen ab. Er macht dabei eine Aufgabenteilung zwischen dem auf Wissenserweiterung ausgerichteten disziplinären Zugang und den verschiedenen Formen der praktischen Zwecksetzung geltend: „Nicht unmittelbaren Berufsinteressen gilt es gerecht zu werden, im Vordergrund steht vielmehr eine möglichst tiefschürfende, gedankliche Durchdringung des herkömmlich überlieferten Stoffes, die allgemein von Bedeutung ist und allen dienen kann. Sache der Didaktik und der Praxis ist es dann, aus den auf diese Weise gewonnenen grundlegenden Erkenntnissen das für ihre jeweiligen Zwecke, z.B. für den Unterricht auf einer bestimmten Schulstufe oder für die Führung eines bestimmten Betriebes in Betracht fallende auszulesen und die notwendigen Einzelfolgerungen daraus zu ziehen.“111

In einem Beitrag aus dem Jahr 1933 mit dem Titel „Wesen und Aufgabe der modernen Betriebswirtschaftslehre“ befasst sich Töndury eingehender mit der Frage nach der „praktischen“ oder „theoretischen“ Zielsetzung seines Faches. Er argumentiert, dass „praktische Verhältnisse und Bedürfnisse auf der ganzen Linie für die Entstehung und die Orientierung der Betriebswirtschaftslehre maßgebend“ gewesen seien. Gleichzeitig hätten sich aber schon von Beginn an Bestrebungen bemerkbar gemacht, die zu behandelnden Fragen „mit wissenschaftlichen Methoden und mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu lösen“. Die Debatte um das Verhältnis von Theorie und Praxis sei damit zu einer der wichtigsten Auseinandersetzungen seines Fachbereichs geworden. Töndury selber vertritt in dieser Frage eine Position, die sich in vielen Aspekten auf Weyermanns Argumentation stützt, gleichzeitig aber auf eine Integration der beiden konträren Standpunkte ausgerichtet ist. Bereits bei seiner Einführung in die Thematik weist Töndury denn auch auf die untrennbare Verbundenheit von Theorie und Praxis hin: „Theorie und Praxis sind keine Gegensätze. Gegensätze können nur bestehen zwischen wesensgleichen Dingen, nicht aber zwischen solchen, die gänzlich anderer Natur sind. Nicht um einen Gegensatz handelt es sich bei der Gegenüberstellung von Theorie und Praxis, sondern um eine Wesensverschiedenheit. Praxis ist Handeln, Theorie ist Denken. Beide gehören durchaus verschiedenen Sphären an, aber sie sind untrennbar miteinander verbunden. Es gibt kein bewusstes Denken des Menschen, das nicht irgendwann einmal zu praktischem Handeln führen würde. Der Praktiker, der die Theorie ablehnt, handelt ebenso 111 Töndury, 1937: 1. 91

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töricht wie der Wissenschaftler, der den Zweck seiner Gedankenarbeit in dem Erkennen als solchem zu sehen müssen glaubt.“112

Während der „Praktiker“ in seinem Denken und Erkennen ein sowohl konkretes als auch unmittelbares Ziel vor Augen habe, arbeite der „Theoretiker“ in weiter Sicht auf das Ziel der allgemeinen Erkenntnis hin. Zwischen diesen beiden idealtypischen Positionen sind für Töndury aber durchaus Zwischenlagen möglich und genau diesen gilt denn auch seine besondere Aufmerksamkeit. Er beobachtet in der Unternehmenspraxis Tendenzen zur wirtschaftlichen Rationalisierung, die er als ein wachsendes Bedürfnis „nach tiefgreifender Erkenntnis und dementsprechender Gestaltung des ganzen Betriebs“ bewertet. Dabei würden wissenschaftliche Vorgehensweisen zunehmend die unternehmerische Intuition ersetzen: „Die starke Heranziehung der statistischen Methoden, die Ausbildung des zwischenbetrieblichen Betriebsvergleichs und anderer ähnlicher Einrichtungen sind Zeugen dieser Entwicklung. Der Wirtschafter von heute kann nicht mehr mit seinem Fingerspitzengefühl renommieren.“113 Töndury beschreibt den Rationalisierungsprozess als Ausdruck einer zeitgeistbedingten Verwissenschaftlichung des Wirtschaftshandelns. Interessant ist dabei, dass er auf Seiten der Wissenschaft auf einen Gegenprozess aufmerksam macht und so eine wechselseitige Annäherung von Wissenschaft und Praxis postuliert: „Wie die Praxis den Umkreis ihres Erkenntnisstrebens unter dem Druck der Verhältnisse außerordentlich erweitern und sich dadurch der Wissenschaft mehr und mehr nähern musste, so ist aber auch auf Seiten der Wissenschaft selbst, bei aller Ausrichtung auf das allgemeinste Ziel eine vermittelnde Haltung durchaus möglich und sogar geboten.“114

Der Anlass für eine solcherart „vermittelnde Haltung“ ist für Töndury auf den besonderen Untersuchungsgegenstand seines Wissenschaftsbereichs zurückzuführen. Aufgrund des in ständigem Wechsel begriffenen betrieblichen Geschehens sieht er für die Betriebswirtschaftslehre eine besondere Notwendigkeit, mit der Praxis in Kontakt zu bleiben und dabei auch deren Fragestellungen mit zu berücksichtigen. Als eine Konsequenz dieser speziellen Konstellation könnten sich in der Betriebswirtschaftslehre praktische und theoretische Zielsetzungen auf einer „mittleren Linie“ treffen. Weil die Praxis nach wissenschaftlichen Erkenntnis112 Töndury, 1933: 36. 113 Ebd.: 38. 114 Ebd.: 39. 92

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grundlagen für ihr Tun strebe und die Theorie gleichzeitig nach einer möglichst genauen Aufnahme des Seienden trachte, hält Töndury eine Zusammenarbeit zwischen beiden „zum mindesten in Bezug auf die Feststellung des Seienden und dessen erste Verarbeitung“ für möglich und auch für sinnvoll. Eine realitätsnahe Betriebswirtschaftslehre, die ihre wissenschaftlichen Theorien auf genauen Kenntnissen der empirischen Wirklichkeit aufbaut, kommt gemäß Töndury nicht umhin, mit ihrem Untersuchungsgegenstand und damit mit der Wirtschaftspraxis in einen engen Kontakt zu treten. Als Beispiel für positive Entwicklungen in diesem Bereich nennt er wissenschaftliche Hochschulinstitute, die in Zusammenarbeit mit Interessenverbänden zwischenbetriebliche Vergleiche oder Foren für den betrieblichen Erfahrungsaustausch organisieren.115 Das Annäherungsmodell von Töndury liefert Hinweise für die Lösung einer spezifischen Problemlage der betriebswirtschaftlichen Forschung: Privatwirtschaftliche Daten sind der Wissenschaft nicht immer frei zugänglich. Weil Informationsvorteile im Geschäftsgeschehen unter anderem auch dazu genutzt werden, die eigene Marktposition zu verbessern, ergeben sich Geheimhaltungsinteressen („Geschäftsgeheimnis“), die in einem gewissen Widerspruch zum freien wissenschaftlichen Informationsaustausch stehen. Die von Töndury angestrebte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaftspraxis verweist auf eine Kooperationssphäre, in der sich solche Interessengegensätze leichter bewältigen ließen. Solche Kooperationen von Wissenschaft und Praxis bedingen für Töndury allerdings eine entsprechende innere Haltung der Forschenden. Er hält fest, eine wissenschaftliche Betriebswirtschaftslehre dürfe sich bei ihrer Erkenntnissuche nicht beeinflussen lassen von den Verwertungsmöglichkeiten und -interessen der Praxis. Die Forschenden seien dazu aufgefordert, ihrer Arbeit nach „bestem Willen und Gewissen“ nachzukommen. Als Gegenstück zur von ihm geforderten Autonomie der Wissenschaftsakteure äußert sich Töndury aber auch gegen eine Bevormundung der Praxis durch die Wissenschaft: „Die Anwendung als solche liegt außerhalb des Bereiches der Wissenschaft, sie ist Sache des Willens der einzelnen Betriebe und kann als solche von mancherlei Faktoren bestimmt werden, die nicht zur Sache gehören.“116 Durch die Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit fanden wissenschaftliche Betriebsführungsmodelle vermehrte Aufnahme in die schweizerische Wirtschaftspraxis. Im Kontext der unternehmerischen Verwissenschaftlichungsbestrebungen ortete Töndury neue Ko-

115 Töndury, 1933: 44. 116 Ebd.: 46. 93

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operationsmöglichkeiten zwischen der Betriebswirtschaftslehre und dem Praxisfeld. Die von ihm befürwortete Zusammenarbeit beinhaltete jedoch eine klare Aufgabenteilung zwischen Wissenschaft und Praxis: Gemäß ihrem Charakter als Universitätsdisziplin sollte sich die Betriebswirtschaftslehre auf möglichst realitätsnahe Seinsaussagen beschränken. Fragen der Wissenschaftsanwendung wurden dabei der Praxis überlassen. Töndurys Vorgänger und Zeitgenossen brachten Fragen der wissenschaftlichen Legitimität vielfach mit einem Anspruch auf Gemeinwohlorientierung in Verbindung. Er hingegen machte – in Anlehnung an das Autonomiemodell von Moritz Rudolf Weyermann – für die Wissenschaftstätigkeit einen Anspruch auf weitgehende geistige Unabhängigkeit gegenüber außerwissenschaftlichen Wirkungsfaktoren geltend.

5. Von der disziplinären Abschließung zur interdisziplinären Öffnung In einem 1954 publizierten Beitrag zur Situation der Betriebswirtschaftslehre in der Schweiz teilte der Zürcher Professor Karl Käfer die generationelle Entwicklung der betriebswirtschaftlichen Hochschullehrer in drei Phasen ein. Auf Pioniere wie Schär oder Gomberg, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg als Professoren tätig waren, folgte eine zweite Generation, die ihre Ausbildung während jener Zeit absolvierte, als die Betriebswirtschaftslehre an den schweizerischen Universitäten erst schwach vertreten war. Die Akteure dieser zweiten Generation „fühlten sich demnach ursprünglich eher als Nationalökonomen“, widmeten auch ihre Dissertationen in der Regel nationalökonomischen Themen und wurden oftmals erst später, nach einer Tätigkeit in der kaufmännischen Praxis oder als Mittelschullehrer auf betriebswirtschaftliche Lehrstühle berufen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Wirken einer dritten wissenschaftlichen Generation. Sie hatte sich schon im Studium und in der Promotionsphase bewusst der Betriebswirtschaftslehre zugewandt, war vorher oder nachher in der Praxis tätig gewesen und trat schließlich „auf dem normalen Weg über eine betriebswirtschaftliche Habilitation und die Privatdozentenlaufbahn in die Tätigkeit als Professor ein“.117 Während sich die Betriebswirtschaftslehre in Deutschland bereits in der Zwischenkriegszeit als wissenschaftliche Disziplin konsolidiert hatte, begannen sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in der Schweiz solche Tendenzen bemerkbar zu machen. Das Fachgebiet verfügte nun über 117 Käfer, 1954: 153-154. 94

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eine wachsende Zahl promovierter Betriebswirte und damit über einen eigenen akademischen Nachwuchs. In diesem Kontext formierte sich die schweizerische Betriebswirtschaftslehre zu einem wissenschaftlichen Referenzraum, der von der Volkswirtschaftslehre zunehmend unabhängig wurde. Anbindungs- bzw. Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der Nationalökonomie hatte in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre längere Zeit eine wichtige Rolle gespielt. Nun richteten die Fachakteure ihre Bestrebungen vermehrt darauf, ihren fachdisziplinären Zusammenhang zu festigen. Mit der Gründung der schweizerischen Fachzeitschrift „Die Unternehmung“ (1947) und der „Vereinigung Schweizerischer Betriebswirtschafter“ (1952) wurden in der Nachkriegszeit neue nationale Instanzen der disziplinären Kommunikation und Repräsentation ins Leben gerufen. In Deutschland waren solche Institutionalisierungsschritte bereits früher vollzogen worden. Wie erwähnt, gründete Eugen Schmalenbach 1906 in Köln die „Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung“.118 Ab 1908 gab Heinrich Nicklisch in Leipzig gemeinsam mit anderen die „Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis“ heraus.119 Zudem wurde 1921 in Frankfurt am Main der für die Fachentwicklung im gesamten deutschsprachigen Raum wichtige „Verband der Dozenten für Betriebswirtschaftslehre“ ins Leben gerufen.120 In der Schweiz fungierte die ab 1907 herausgegebene „Schweizerische Zeitschrift für kaufmännisches Bildungswesen“ zunächst auch als Publikationsforum der Handelshochschulbewegung. Zwischen 1913 und 1935 wurde sie unter dem Namen „Schweizerische handelswissenschaftliche Zeitschrift“ geführt und kehrte anschließend wieder zum alten Namen zurück. Im Programm der ab 1947 vom Berner Ordinarius Alfred Walther herausgegebenen neuen Fachzeitschrift mit dem vollständigen Titel „Die Unternehmung. Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Organisation“ werden die Bestrebungen um wissenschaftliche Eigenständigkeit und Konsolidierung der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre deutlich zum Ausdruck gebracht. So ist im Einleitungstext der ersten Ausgabe vermerkt: „Lange genug ist es der Betriebswirtschaftslehre nicht gelungen, sich selbst ein solides theoretisches Fundament zu geben, so dass sie ständig in Gefahr schwebte, entweder in zusammenhangslose Teilgebiete zu zerfallen oder von der Nationalökonomie aufgesogen zu werden. Heute, in einer fortgeschrittenen Phase der betriebswirtschaftlichen Theoriebildung, ist es eine erste Aufgabe 118 Vgl. S. 82. 119 Heute: „Die Betriebswirtschaft“ (DBW). 120 Heute: „Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft“. 95

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ihrer Fachvertreter an den Universitäten, diese systematische Grundlegung der Betriebswirtschaftslehre zu fördern und auf dem mühsamen Weg einer einheitlichen Begriffsbildung unentwegt vorwärtszuschreiten.“

Die Fachzeitschrift wurde auch mit der Zielsetzung gegründet, als Kommunikationsforum die Annäherung zwischen Wissenschaft und Praxis weiter voranzutreiben. Im selben Text wird denn auch festgehalten: „Die ‚Unternehmung‘ will kein Korrespondenzblatt akademischer Fachgelehrter unter sich sein; ihre Herausgeber vertreten vielmehr die Ansicht, dass für die Betriebswirtschaftslehre die enge Verbindung zwischen Forschung, Theorie, Lehrtätigkeit einerseits und der Praxis andererseits eine Existenzfrage ist. Auf der Verbindung von streng logischem, objektivem und kritischem Denken des Gelehrten und der Erfahrung, dem Ausprobieren der Praxis, beruht der Erfolg der Betriebswirtschaftslehre. Diese beiden Glieder miteinander in engen Kontakt zu bringen, ist deshalb auch in erster Linie die Aufgabe, die sich unsere neue Zeitschrift stellt.“

Während bereits die frühen Handelswissenschaftler zur Tat anleiten wollten und damit ihr Fach durchaus als handlungsorientiert begriffen, wird hier das Leitbild eines Wissenschaftszusammenhangs gezeichnet, in welchem Wirtschaftsakteure (d.h. Praktiker) zur aktiven Teilnahme am Fachdiskurs aufgefordert sind. Das Postulat von Hans Töndury für eine gegenseitige Annäherung von Wissenschaft und Praxis erfährt damit eine Radikalisierung: Der enge Kontakt zur Wirtschaft gilt nicht nur als sinnvoll, sondern wird vielmehr zu einer Existenzbedingung der Betriebswirtschaftslehre erklärt. Das Programm der Fachzeitschrift „Die Unternehmung“ verdeutlicht, dass in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre zwei Prozesse parallel zueinander verliefen, die in der Wissenschaftsgeschichte oftmals als gegensätzlich erachtet werden. Gesamtdarstellungen wie Alfred Walthers zweibändiges Lehrbuch „Wirtschaftslehre der Unternehmung“121 verweisen nach dem Zweiten Weltkrieg auf eine zunehmende Kodifikation der betriebswirtschaftlichen Wissensinhalte, während sich gleichzeitig fachspezifische Karrierestrukturen etablierten und neue nationale Fachinstitutionen gegründet wurden. Parallel zu diesen intensivierten Bestrebungen um epistemische und institutionelle Abschließung der Betriebswirtschaftslehre wurde die Kommunikation mit wissenschaftsexternen Publikumsgruppen aber nicht abgebaut, sondern sie gewann eher noch an Bedeutung. 121 Walther, 1947, 1953. 96

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Neuverhandlung der paradigmatischen Grundlagen In Deutschland war der betriebswirtschaftliche Fachdiskurs nach dem Zweiten Weltkrieg von einem Autor dominiert. Erich Gutenberg, Professor für Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt am Main und ab 1951 Nachfolger von Eugen Schmalenbach an der Universität Köln, unternahm mit seinen „Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre“122 den Versuch einer umfassenden betriebswirtschaftlichen Theoriebildung auf der Grundlage des abstrakt-mathematischen Modellapparats der Mikroökonomik. In seiner Theorie der „Produktivitätsbeziehungen“ wird die betriebliche Leistungserstellung als eine Kombination von Elementarfaktoren (Arbeitsleistungen, Betriebsmittel, Werkstoffe) und „dispositivem Faktor“ (Geschäftsleitung) untersucht. Dieser Ansatz wurde in Deutschland zum ersten Lehrgebäude, das sich während längerer Zeit als dominantes Paradigma innerhalb des Fachgebiets durchsetzen konnte.123 Der betriebswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitsbegriff, wie er in der Zwischenkriegszeit unter anderen von Eugen Schmalenbach definiert worden war, erlebte mit Gutenberg eine neoklassische Umdeutung. Als effiziente Allokation vorgegebener Ressourcen unter den Bedingungen der Knappheit und des Maximierungspostulats wird Wirtschaftlichkeit bei Gutenberg durch die rationalen Wahlhandlungen einzelner Wirtschaftssubjekte verwirklicht. Während die betriebswirtschaftlichen Ansätze vieler Autoren der Zwischenkriegszeit von der Prämisse geprägt waren, dass die Vorgänge in einem einzelnen Betrieb nicht ohne systematischen Bezug zur Gesamtwirtschaft begriffen werden können, betonte Gutenberg die Systemindifferenz seiner Perspektive. Die Kritik des jeweiligen Wirtschaftssystems hatte in seiner Betriebswirtschaftslehre keine Basis mehr.124 Parallel zu den Rekonzeptualisierungen von Gutenberg lieferten in der Nachkriegszeit Erklärungsmodelle der US-amerikanischen Managementforschung wichtige Impulse für die Etablierung neuer Wissenschaftsansätze in der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre. Während des Zweiten Weltkrieges waren in England und den USA Forschungsteams von Mathematikern, Physikern und Statistikern angestellt worden, um Methoden zur Lösung strategischer kriegstechnischer Probleme, wie beispielsweise die Verwendung von Bombenflugzeugen zur Bekämpfung von Unterseebooten, zu entwickeln. Nach Kriegsende wurden die Computeranwendungen dieser Forschungsgruppen von der 122 Erschien in drei Bänden: „Die Produktion“ (1951), „Der Absatz“ (1955), „Die Finanzen“ (1969). 123 Schanz, 2004. 124 Gutenberg, 1961: 29-30; Hundt, 1977; Schneider, 2001: 251-257. 97

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Wirtschaft übernommen und auf Probleme der Planung und Kontrolle von Unternehmen übertragen. Mit größeren Forschungsaufträgen aus der Wirtschaft etablierte sich diese angewandte Form der Mathematik unter der Bezeichnung „Operations Research“ in den USA innert kurzer Zeit als ein Spezialgebiet der akademischen Managementforschung. In der Schweiz wurde dieser neue Ansatz ab Ende der 1950er Jahre besprochen und aufgenommen.125 Bereits 1961 kam es zur Gründung einer „Schweizerischen Vereinigung für Operations Research“.126 Ab den späten 1960er Jahren machte sich im schweizerischen Fachdiskurs eine zweite Strömung aus den USA bemerkbar. Unter Rekurs auf die angloamerikanische Literatur kam es zu einer Rekonzeptualisierung der Betriebswirtschaftslehre als Verhaltens- oder Sozialwissenschaft. Die neuen Perspektiven sollten die betriebliche Sach- und Sozialwelt gleichermaßen berücksichtigen und dabei praxisbezogene Problemlösungen in den Vordergrund stellen. Im Unterschied zu den disziplinären Abschließungsprozessen der Nachkriegszeit wurde nun aktiv eine kognitive Öffnung des Fachbereichs angestrebt und eine interdisziplinäre „Managementwissenschaft“ ins Auge gefasst. Parallel dazu erlebten die kritischen Auseinandersetzungen mit dem Rationalitätsbegriff der Ökonomik sowie die Abgrenzung zur Volkswirtschaftslehre eine Neuauflage. Im gesamten deutschsprachigen Raum kam es in den 1960er und 70er Jahren zu Neuverhandlungen der paradigmatischen Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre wie sie sich unter dem Einfluss von Gutenberg in der Nachkriegszeit herausgebildet hatten. Als Hauptvertreter dieser neuen Zugänge werden in betriebswirtschaftlichen Fachgeschichten jeweils drei Autoren genannt. Aus Deutschland sind dies Edmund Heinen, der Begründer des „entscheidungsorientieren“ Ansatzes, sowie Werner Kirsch, der das verhaltenstheoretische Modell der amerikanischen Theoretiker Richard Cyert und James March in die deutschsprachige Betriebswirtschaftslehre und insbesondere in die Entscheidungstheorie einführte. Als dritter Erneuerer machte sich der Schweizer Hans Ulrich mit seinem „systemorientierten“ Ansatz einen Namen.127

Mehrdimensionalität der Unternehmung Hans Ulrich, der von 1954 bis 1985 in St. Gallen als Professor tätig war, gilt bis heute als der renommierteste Schweizer Fachvertreter der Be125 Krelle/Künzi, 1958. 126 „Neue Zürcher Zeitung“ vom 4. August 1961: „Schweizerische Vereinigung für Operations Research“. 127 Wassmuth, 1997: 62-86; Schanz, 2004; Meffert, 2002. 98

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triebswirtschaftslehre. Er wurde 1919 in Brig als drittes Kind des Leiters des dortigen Telegraphen- und Telefonbüros geboren. Ulrich nahm zuerst ein ingenieurwissenschaftliches Studium an der ETH Zürich auf, später wechselte er in die Wirtschaftswissenschaften und an die Universität Bern. 1944 promovierte er dort mit der wissenschaftstheoretischen Arbeit „Nationalökonomie und Betriebswirtschaftslehre als Wirtschaftswissenschaften und ihr gegenseitiges Verhältnis“. Nach einer Anstellung in einem Organisationsbüro wurde Ulrich Assistent und Privatdozent bei Alfred Walther in Bern und war zwischen 1942 und 1952 erster Redaktor der Fachzeitschrift „Die Unternehmung“. 1947 habilitierte Ulrich mit der Schrift „Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Organisationslehre“. Nach einer zwischenzeitlichen Tätigkeit als Vizedirektor des Betriebswissenschaftlichen Instituts der ETH Zürich wurde er 1953 in Bern zum Extraordinarius für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Organisationslehre befördert. Ein Jahr später wechselte er auf einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre an die Handelshochschule St. Gallen. Die Annahme dieser Berufung verband er mit der Gründung eines „Instituts für Betriebswirtschaftslehre“ (IfB), dem er bis 1968 als Leiter vorstand.128 In einer vom Schweizerische Nationalfonds mitfinanzierten Arbeitsgruppe, die sich parallel zu den Vorarbeiten für die St. Galler Studienreform von 1966 mit der Entwicklung einer neuen „Gesamtkonzeption“ für die Betriebswirtschaftslehre beschäftigte, übernahmen Ulrich und seine Mitarbeiter vom IfB eine zentrale Rolle. Als ein Resultat dieser Arbeiten eröffnete das IfB 1968 die Schriftenreihe „Unternehmung und Unternehmensführung“, die mit dem Ziel antrat, betriebswirtschaftliches Grundwissen in geordneter Form darzustellen. Als erste Ausgabe dieser Reihe präsentierte Hans Ulrich unter dem Titel „Die Unternehmung als produktives soziales System“ einen umfassenden Neuentwurf der betriebswirtschaftlichen Lehr- und Forschungstätigkeit. Ein Schlusskapitel zum „betriebswirtschaftlichen Lehrsystem der Hochschule St. Gallen“ verdeutlichte zudem den direkten Zusammenhang zur Studienreform. Neben der später erschienenen „Unternehmungspolitik“ (1978) gilt „Die Unternehmung als produktives soziales System“ heute als Hauptwerk von Hans Ulrich. Ein wesentliches Element von Ulrichs Neukonzeption bestand in seiner Ablehnung des „wirtschaftlichen Gesichtspunktes“ als grundlegendes und damit identitätsstiftendes Element betriebswirtschaftlicher Wissenschaftspraxis:

128 Schwaninger, 2001. 99

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„Wie bereits angedeutet, gilt für zahlreiche Autoren nur eine Betrachtungsweise, die sich an einem Wirtschaftlichkeitsbegriff oder der ‚Aufwand-ErtragsBeziehung‘ orientiert, für die Betriebswirtschaftslehre als wissenschaftlich einwandfrei. Immer wieder wird in beschwörendem Ton gesagt, dass die Betriebswirtschaftslehre ihre ‚Identität‘ aufgeben würde, wenn sie von einer solchen Betrachtungsweise abgehen würde.“129

Die ökonomische Betrachtungsweise, so argumentiert Ulrich in seinem Buch, führe letztlich zu einer, „willkürlichen Auswahl aus den tatsächlichen in Unternehmungen auftretenden Problemen“. Eine solche Perspektive auf das Unternehmensgeschehen hätte eine „eindimensionale“ Hervorhebung von ökonomischen Problemaspekten zur Folge, die in Wirklichkeit „mehrdimensional“ seien. Ulrich kommt zum Schluss, sein Fachgebiet habe sich durch die ökonomische Betrachtungsweise in eine gefährliche Gegenposition zu den tatsächlichen Gestaltungsproblemen der unternehmerischen Wirklichkeit begeben: „Der Unternehmer wie der einzelne Mitarbeiter erscheint eben in dieser Betriebswirtschaftslehre nicht als reale Person, sondern als gedachter ‚homo oeconomicus‘, und es wird nicht das reale Verhalten von Menschen untersucht und erklärt, sondern dasjenige einer fiktiven Figur.“130 Im Mittelpunkt des Ulrichschen Ansatzes stehen Probleme der Gestaltung und Lenkung von Unternehmen, die hier als „produktive soziale Systeme“ verstanden werden. Dabei befasst er sich intensiv mit systemtheoretischen Erklärungsmodellen und versucht insbesondere, in den Sozialwissenschaften Anknüpfungspunkte für seine neue Betrachtungsweise zu finden. Mit seiner Betonung der Gleichartigkeit von biologischen und technisch-sozialen Funktionszusammenhängen verpflichtet sich Ulrich letztlich aber eher einem kybernetischen als einem sozialwissenschaftlichen Systembegriff.131 Die Kybernetik hatte sich in den 1940er und 1950er Jahren als Wissenschaft von Steuerungs- und Selbstregulationsmechanismen in technischen, biologischen und sozialen Systemen etabliert. Mit der „Managementkybernetik“ des Engländers Stafford Beer wurden kybernetische Ansätze im englischsprachigen Raum auf Handlungsprobleme im Unternehmen angewandt. Für Beer bestand das vordringliche Ziel einer „industriellen Kybernetik“ darin, die SelbstOptimierungsfähigkeit von Systemen zu entfalten.132

129 Ulrich, 1970: 34. 130 Ebd.: 34-35. 131 Talcott Parsons wird in „Die Unternehmung als produktives soziales System“ lediglich einmal erwähnt. 132 Pircher, 2004: 88-90. 100

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Ulrich ortet das Hauptpotential des Systemansatzes darin, im Gegensatz zu den abstrakten Modellen der dominanten wirtschaftswissenschaftlichen Ansätze die „reale Ganzheit“ von Unternehmen in einem wirklichkeitsnäheren Bild erfassen zu können. Die allgemeine Systemtheorie ermögliche einen einfachen Zugang zu unterschiedlichen disziplinären Wissensbeständen, außerdem erlaube es der Ansatz, die Außenbeziehungen der Unternehmen und deren Wechselwirkungen zur Gesellschaft besser konzeptualisieren zu können: „Das Verhalten der Unternehmung wird als Komplex kontinuierlicher Lernprozesse aufgefasst, und das System Unternehmung muss so gestaltet werden, dass diese Lernprozesse sich ungehindert abspielen können und zu einem dauernden dynamischen Gleichgewicht mit einer ebenfalls komplexen und lernenden Umwelt führen. Die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre besteht dann nicht mehr darin, fertige Problemlösungen anzubieten, sondern Modelle für die Gestaltung der Unternehmung und ihrer Subsysteme, welche genügend Ausgangsvarietät besitzen, um sich selbstdifferenzierend weiter zu entwickeln. Für unsere Absolventen wird es dann die wichtigste Fähigkeit sein, auf der Basis eines soliden kybernetischen und inhaltlichen Wissens solche Lernprozesse für Managementaufgaben entwerfen und handhaben zu können.“133

In Ulrichs systemtheoretischer Managementlehre werden Fragen der Wirtschaftlichkeit durch solche nach Steuerungsprozessen in dynamischen Unternehmen-Mensch-Umwelt-Beziehungen ersetzt. Der Ansatz erlaubt es, den Fokus auf die Funktionalität und insbesondere die Gestaltbarkeit von Systemen zur richten, während er gleichzeitig eine Öffnung der betriebswirtschaftlichen Perspektive gegenüber anderen Disziplinen zulässt. Er fügte sich damit in idealer Weise in den durch die amerikanischen Entwicklungen beeinflussten Trend der 1960er und 1970er Jahre zur Übernahme sowohl von betriebspsychologischen und -soziologischen Wissensbeständen als auch von computerunterstützten mathematischen Methoden ein.

Funktionalität der Hochschule In „Die Unternehmung als produktives soziales System“ formuliert Ulrich nicht nur eine neue theoretische Perspektive für die Betriebswirtschaftslehre, sondern baut diese auch in ein bildungs- und wissenschaftspolitisches Programm ein. In diesen zwei Unterfangen lässt sich eine gemeinsame Perspektive ausmachen: Ulrichs betriebswirtschaftliche Neukonzeption stellt die Frage nach der Funktionalität „produktiver 133 Ulrich, 2001 [1971a]: 39. 101

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sozialer Systeme“ in den Vordergrund, während sich seine Überlegungen zum Bildungssystem an der gesellschaftlichen Funktionalität von Hochschulausbildungen orientieren. Auf den ersten Seiten seines Buches setzt sich Ulrich eingehend mit der Frage nach der Aufgabe von betriebswirtschaftlichen Hochschulangeboten im Besonderen und Hochschulen im Allgemeinen auseinander: „Die Vorstellung vom Elfenbeinturm, in den sich die Wissenschaft zurückzieht, um sich ungestört von widrigen Umwelteinflüssen ihrer ‚eigentlichen Aufgabe‘ widmen zu können, mag für den einzelnen Wissenschafter ganz anziehend sein; für die Hochschule selbst wäre sie tödlich, denn wie jedes soziale Gebilde lebt sie für die Gesellschaft, deren aktives Glied sie sein muss. In der modernen Bildungsgesellschaft, in der sich Tausende junger Menschen um eine gehobene Bildung bemühen, wird von der Hochschule eine Ausbildung zum ‚gehobenen Beruf‘ verlangt. Es ist merkwürdig, wie lange sich wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultäten weigern, diesen Tatbestand anzuerkennen und ihm Rechnung zu tragen, obwohl nicht nur die Studenten, sondern die Gesellschaft schlechthin diese Berufsausbildung von der Hochschule erwarten.“134

Ulrich kritisiert hier das wissenschaftliche Autonomiemodell mit dem Argument, die Hochschule sei dazu verpflichtet, als aktives Glied in der Gesellschaft zu wirken. In seiner funktionalistischen Perspektive legitimiert sich der Hochschulbetrieb einzig durch konkrete Leistungen gegenüber der Gesellschaft, wobei der Fokus auf die Ausbildungsfunktion der Hochschulen gelegt wird. Die Zielsetzung der St. Galler Schule bestimmt Ulrich denn auch im Wesentlichen darin, eine zukünftige Leistungsklasse auf ihre spätere Berufsrolle als Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung vorzubereiten. Gemäß Talcott Parsons und Gerald Platt kommen in den amerikanischen „Professional Schools“ – zu denen auch die Hochschulen für Unternehmensführung, die so genannten „Business Schools“ gehören – „Wissen, Kompetenz und Dienstleistung im Fokus des Praktischen“ zusammen. Im Hochschultypus der „Professional Schools“ wird eine Reorganisation des Wissens hinsichtlich seiner Relevanz für praktische Ziele vorgenommen.135 Das von Ulrich für die St. Galler Betriebswirtschaftslehre formulierte Lehrkonzept ist diesem Modell der akademischen Berufsschule in wesentlichen Aspekten ähnlich. Dies zeigt sich beispielsweise, wenn Ulrich in kritischer Abgrenzung zu herkömmli-

134 Ulrich, 1970: 17. 135 Parsons/Platt, 1990: 307. 102

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chen, disziplinären Wissenschaftseinteilungen für eine Wissenschaftsgliederung entlang von Praxisproblemen eintritt: „Für den praktisch handelnden Menschen ist es letzten Endes gleichgültig, ob die von ihm verwendeten Erkenntnisse aus Soziologie, Psychologie, Nationalökonomie oder aus der ‚eigentlichen‘ Betriebswirtschaftslehre stammen; es ist ein Postulat der Ausbildungsökonomie, ihm alle zur Lösung seines Problems benötigten Erkenntnisse in zusammenhängend verarbeiteter, eben ‚problemorientierter‘ Form zu vermitteln. Von den heute üblichen Wissenschaftsgliederungen her gesehen ist deshalb unsere Lehre eine ‚angewandte Wissenschaft‘, welche aus verschiedenen Theorien stammende Erkenntnisse verarbeitet.“136

Ulrichs mehrdimensionale Betrachtungsweise von Unternehmen leitet sich aus den konkreten Handlungsproblemen zukünftiger Berufspraktiker ab. Dabei liegt die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre als „angewandte Wissenschaft“ darin, zwischen disziplinären Wissensbeständen und praktischen Führungsproblemen eine Vermittlungsrolle zu übernehmen. Die damit festgelegte Zwecksetzung wird von Ulrich nicht nur für die Lehrziele der Betriebswirtschaftslehre als bestimmend erachtet, sie wirkt sich auch ummittelbar auf deren Wissenschaftsziele aus: „Das Ziel der Betriebswirtschaftslehre als Wissenschaft besteht demgemäß darin, dieses für späteres praktisches Handeln notwendige Wissen zu gewinnen und in einer Anordnung darzustellen, welche auf typische Führungsprobleme ausgerichtet ist. Nach unserer Auffassung kann also das theoretische Ziel der Erkenntnisgewinnung nicht unabhängig vom pragmatischen Ziel der Erkenntnisverwendung bestimmt werden.“137

Mit seiner Forderung nach einer auf das „sinnvolle praktische Handeln“ und damit auf Erkenntnisverwendung ausgerichteten Wissenschaftstätigkeit betrat Ulrich kein Neuland. Wie aufgezeigt, verfügte dieser Zugang in der Betriebswirtschaftslehre über eine lange Tradition. Allerdings standen vor dem Zweiten Weltkrieg praxisbezogene Wissensbestände und Techniken im Vordergrund, welche die Unternehmerschaft in der Ausführung ihrer Aufgabe unterstützen sollten. Im Unterschied dazu erklärte Ulrich die Führungstätigkeit selber und die damit zusammenhängenden Problemstellungen zum Wissenschaftsobjekt der Betriebswirtschaftslehre. Mit dem neuen Lehr- und Forschungsprogramm von Hans Ulrich kam es zu einer erfolgreichen Umsetzung des Hochschulmodells, das in 136 Ulrich, 1970: 19. 137 Ulrich, 2001 [1971a]: 22. 103

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St. Gallen bereits in der ersten Hälfte des Jahrhunderts angestrebt worden war.138 Ulrichs Unternehmensführungslehre verfügte als „St. Galler Managementmodell“ bald über einen hohen Bekanntheitsgrad. Der Ansatz lieferte für die Selbst- und Fremdwahrnehmung der Hochschule als Kaderbildungsinstitution einen geeigneten Rezeptionsrahmen. Als 1971 die Jahrestagung des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule St. Gallen stattfand, präsentierte sich diese Institution als dynamische und erfolgreiche Hochschule, die zur schweizerischen Marktleaderin unter den Bildungsinstitutionen im Unternehmensführungsbereich aufgestiegen war.139 An der Universität Zürich beschäftigte sich das 1970 gegründete „Institut für Betriebswirtschaftliche Forschung“ unter der Leitung von Ordinarius Edwin Rühli ebenfalls eingehender mit Fragen der Unternehmensführung und suchte nach einem „geeigneten Ansatz für eine praxisnahe, wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Führungsphänomen“140. Auch der „Zürcher Ansatz zur Führungslehre“ lässt sich in die zeitgenössischen Bestrebungen um neue, auf die Führungsproblematik bezogene Fachperspektiven einordnen. An der Handelshochschule St. Gallen und dabei insbesondere am von Ulrich geleiteten IfB fand das praxisbezogene Wissenschaftsmodell der Unternehmensführungslehre seine konsequenteste Ausformung. Das Institut verfügte aufgrund der dort zahlreich durchgeführten Tagungen und Kurse sowie durch seine Beratungs- und Expertisetätigkeit für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen in der Praxis bald einmal über einen hohen Bekanntheitsgrad. Das IfB profilierte sich jedoch nicht nur in diesem Bereich. Es wurde mehr und mehr zum administrativen und geistigen Zentrum der St. Galler Betriebswirtschaftslehre und bald zum größten Institut der Hochschule.141 Parallel zur Einrichtung des neuen Lehrprogramms durch Hans Ulrich wurde in St. Gallen ab Ende der 1960er Jahre auch der institutionelle Ausbau stark vorangetrieben. Mit den ab 1966 fließenden Bundessubventionen für alle schweizerischen Hochschulen musste die HSG auf den bisher erhaltenen Beitrag des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit von damals jährlich etwa 300’000 Fr. verzichten.142 Sie erhielt aber dafür wie die kantonalen Universitäten auch Bundesbeiträge, die im Jahr 1966 noch 1.3 Millionen, 1967 bereits über 2 Millionen und 1968 nahezu 3 Millionen betrugen. Unter diesen Bedingungen konnten 138 139 140 141 142 104

Vgl. S. 89. Walter-Busch, 1998: 586-590. Rühli, 1978b: 125. Thürer, 1974: 132. Zur Bundessubventionspolitik vgl. S. 121-122.

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die Gehälter der St. Galler Professoren an diejenigen der kantonalen Universitäten angepasst werden. Zudem erhielten die Institute, die drei Viertel ihrer Einnahmen aus Expertisen, Beratungen und anderen Dienstleistungen gewannen, zusätzliche Mittel für eine nicht auftragsgebundene Forschungstätigkeit.143

6. Ausbau und Ausdifferenzierung Mit der Universitätsexpansion ab Ende der 1960er Jahre kam es in der Schweiz auch bei den betriebswirtschaftlichen Hochschulinstitutionen zu einem Ausbauprozess. Eine Auszählung der betriebswirtschaftlichen Lehrstühle an den Universitäten Genf, Lausanne, Freiburg, Bern, Zürich, Basel und an der Handelshochschule St. Gallen gibt einen Überblick über den Verlauf der Expansion: In der Phase zwischen 1920 und 1960 belief sich der Lehrstuhlbestand an den berücksichtigen sieben Hochschulen auf zehn Ordinariate. 1970 waren es bereits nahezu doppelt so viele. In den folgenden 30 Jahren kam es schließlich zu einem markanten Anstieg auf rund 65 Lehrstühle.144 Der personelle Ausbau der Betriebswirtschaftslehre war begleitet von Dynamiken der thematischen und methodischen Diversifizierung. Zum einen wurde der Untersuchungsbereich der Betriebswirtschafslehre einer Differenzierung nach so genannten betrieblichen Funktionsbereichen unterzogen. Zum anderen kam es zu Spezialisierungsprozessen, in denen Ausdifferenzierungen entlang von theoretischen Erklärungsmodellen oder auch von methodischen Verfahrensformen stattfanden. In der Fachterminologie wurde der funktionalen Differenzierung mit der Unterscheidung zwischen „allgemeiner“ und „spezieller“ Betriebswirtschaftslehre Rechnung getragen. Während die allgemeine Betriebswirtschaftslehre einer generalistischen Perspektive verpflichtet ist, handelt es sich bei den „speziellen Betriebswirtschaftslehren“ um Subdisziplinen, die sich mit einem bestimmten Betriebstyp („Institutionenlehren“) oder einer Betriebsfunktion („Funktionenlehren“) beschäftigen. Als Betriebstypen werden etwa die Industrie- oder Dienstleistungsbetriebe, die Banken oder die Versicherungen unterschieden. Die Funktionenlehren um143 Burmeister, 1998: 109-113. 144 Aufgrund der lückenhaften Datenlage wurde die Universität Neuenburg von der Zählung ausgenommen. An verschiedenen schweizerischen Universitäten sind innerhalb der betriebswirtschaftlichen Hochschulabteilungen auch Lehrstühle für Betriebs- resp. Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftsrecht angesiedelt. Sie wurden bei der Zählung nicht mitberücksichtigt. 105

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

fassen klassischerweise die Bereiche des Rechungswesens, der Organisationslehre, der Marktforschung, der Unternehmensführung, der Produktionswirtschaft, der Personalwirtschaft oder auch der betrieblichen Informatik.145 Von Beginn an war der Ausdifferenzierungsprozess auch Gegenstand fachinterner Bedenken und Vorbehalte. So wurde kritisiert, dass die mangelhafte Koordination zwischen den einzelnen Subfeldern das einseitige „Spezialistendenken“ fördere und damit den Zusammenhalt des Faches gefährde: „Die Betriebswirtschaftslehre ist sehr stark in spezielle Sachgebiete aufgegliedert. Der Mangel an Koordination hat auf den einzelnen Sachgebieten, beispielsweise in der Lehre vom Rechungswesen, nicht selten zu Formulierungen und Bearbeitung von Problemen geführt, die nur noch im Lichte des Spezialistendenkens beachtet wurden. Dafür wurden Probleme im Dunkeln gelassen, an deren Behandlung man in anderen Fachgebieten eigentlich sehr interessiert gewesen wäre.“146

An der Hochschule St. Gallen wurden in den 1960er Jahren die bestehenden drei Ordinariate für Betriebswirtschaftslehre auf vier ausgebaut und in Spezialbereiche ausdifferenziert. 1965 erhielt Friedrich Trechsel einen Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, der neben den Spezifizierungen auf Rechnungswesen und Datenverarbeitung auch die Unternehmensplanung umfasste. 1966 wurde Heinz Weinhold-Stünzi zum Ordinarius für „Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Absatzlehre“ befördert. Damit wurde in St. Gallen kein neues Spezialgebiet eingerichtet, sondern mehr als ein Jahrzehnt nach dem Rücktritt von Arthur Lisowsky, dem Schweizer Pionier der Absatz- und Werbelehre, wieder ein Lehrstuhl in diesem Gebiet geschaffen. Ähnlich wie bei der zusehends zum Marketing ausgebauten Absatz- und Werbelehre zählte die Hochschule St. Gallen auch beim Aufbau der Personallehre zu den Pionieren: 1970 wurde Charles Lattmann zum ersten schweizerischen Ordinarius für „Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Personalwesens“ befördert. Im selben Jahr wurde Hans Siegwart zum Ordinarius für Rechnungswesen ernannt. Auch in den 1980er und 1990er Jahren blieb St. Gallen die größte betriebswirtschaftliche Abteilung aller Schweizer Hochschulen. Im Jahr 2000 gab es an der nun zur Universität umbenannten St. Galler Hochschulinstitution 145 Bellinger, 1993: 67-83. 146 „National-Zeitung“ vom 10. Mai 1964: „Neue Tendenzen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung. Die Schweizerische Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaft feiert ihr hundertjähriges Jubiläum“. 106

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insgesamt neunzehn Lehrstühle für Betriebswirtschaftslehre und ihre Subdisziplinen. An der Universität Zürich machte sich der Ausbau- und Ausdifferenzierungsprozess dadurch bemerkbar, dass ab den 1960er Jahren Lehrstühle und Institute für spezialisierte Teilbereiche der Betriebswirtschaftslehre ins Leben gerufen wurden. 1963 wurde Hans-Paul Künzi zum Ordinarius für „Ökonometrie und betriebswirtschaftliche Verfahrensforschung“ befördert. Dieser zweite Lehrstuhl schuf die Grundlage für eine rasche Entwicklung der mathematischen Richtung, die später über die elektronische Datenverarbeitung in die heutige Betriebs- und Wirtschaftsinformatik mündete. 1967 gründete Künzi das „Institut für Operations Research und elektronische Datenverarbeitung“. Ende der 1960er Jahre wurde in Zürich die Institutionenlehre der Banken ausgebaut. Angeregt durch Gespräche zwischen dem „Verband Zürcherischer Kreditinstitute“, der Erziehungsdirektion des Kantons Zürich und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität wurde 1968 ein „Institut für schweizerisches Bankwesen“ eröffnet. Die Leitung des Instituts übernahm Ernst Kilgus. Zwei Jahre später gründete der seit 1968 als Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre tätige Edwin Rühli ein „Institut für Betriebswirtschaftliche Forschung“. In Zürich setzten sich Ausbaudynamiken in den folgenden Jahrzehnten ebenfalls fort. Bis ins Jahr 2000 stieg die Zahl der Zürcher Lehrstühle für Betriebswirtschaftslehre und ihrer Teilbereiche auf insgesamt neun an. In der Westschweiz erlebte die Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Genf und Lausanne ab den 1970er Jahren einen beachtlichen Ausbau. In Lausanne wurde 1969 ein dritter Lehrstuhl geschaffen und mit Pierre Goetschin besetzt. Er umfasste die Lehrgebiete „Entreprises internationales“ und „Politique de l’entreprise“. Edwin Borschberg erhielt 1973 einen Lehrstuhl für „Gestion commerciale“. 1978 wurde ausserdem Blaise Lara für die Lehrbereiche „Recherche opérationnelle statistique“ und „Méthodes quantitatives d’aide à la décision“ berufen. Ab dem gleichen Jahr lehrte Zuhayr Mikdashi in den Bereichen „Gestion bancaire“ sowie „Gestion du risque“. Die in der französischsprachigen Schweiz nun zunehmend als „Gestion“ (Leitung, Verwaltung) geführte Betriebswirtschaftslehre wuchs in Lausanne während den 1980er und 1990er Jahren auf neun Lehrstühle an. An der Universität Genf war das Fach in den 1970er Jahren vorübergehend nur durch einen Lehrstuhlinhaber vertreten. 1979 wurde André Bender zum zweiten Ordinarius für das Lehrgebiet „Finance d’entreprise“ ernannt, 1980 folgte Gérard Modoux für „Contrôle de gestion“, 1982 André Cottier für „Comptabilité générale“ und 1983 Gaston Cuendet für „Gestion“ und „Organisation“. Bis Ende der 1980er Jahre kam es 107

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

in Genf zu vier weiteren Neuberufungen, im Verlauf der 1990er Jahren kamen sieben weitere hinzu. Bis ins Jahr 2000 stieg die Zahl der Ordinariate für betriebswirtschaftliche Lehrbereiche an der Universität Genf auf insgesamt zwölf an. Die restlichen schweizerischen Universitäten verfügten während längerer Zeit über vergleichsweise kleine betriebswirtschaftliche Abteilungen. Der Ausdifferenzierungs- und Expansionsprozess setzte hier erst in den 1980er oder gar in den 1990er Jahren ein. Am ausgeprägtesten war die Verzögerung an der Universität Basel, wo Wilhelm Hill ab seiner Berufung im Jahr 1965 während fünfundzwanzig Jahren als einziger Lehrstuhlinhaber tätig war. Erst 1990 wurde der Deutsche Henner Schierenbeck als zweiter Ordinarius für die Bereiche Bankenmanagement und Controlling berufen. 1993 wurde der Lehrstuhl des abtretenden Hill von Werner Müller übernommen. Mit dem Wechsel erfolgte eine Umwidmung des Lehrstuhls von der, auf eine generalistische Perspektive verweisenden, Wirtschaftslehre der Unternehmung auf die beiden Spezialdisziplinen Organisation und Personalwesen. 1995 wurde schließlich in Basel ein dritter Lehrstuhl für Marketing und Unternehmensführung geschaffen und mit dem Deutschen Manfred Bruhn besetzt. In den 1990er Jahren gewann in der Schweiz neben den Volluniversitäten ein spezialisiertes Universitätsmodell an Bedeutung. 1995 ermöglichte in St. Gallen ein neues Universitätsgesetz die Umbenennung der bisherigen Hochschule zur Universität St. Gallen mit dem Beisatz „Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften“. Faktisch war die Hochschule bereits 1938 mit der Erlangung des Promotionsrechts in den Rang einer Universität erhoben worden. 1996 erhielt der Kanton Tessin eine Universität, die als teilspezialisierte Hochschulinstitution Ähnlichkeiten mit der HSG aufweist. Die „Università della Svizzera Italiana“ (USI) beschränkt sich auf die Disziplinen Architektur, Kommunikations- und Wirtschaftswissenschaften. Mit der Einrichtung von Lehrstühlen und eines Studiengangs für „Economia aziendale“ institutionalisierte sich die Betriebswirtschaftslehre damit neu auch in der italienischsprachigen Schweiz.

Umstrukturierungen der Wissenschaftsgemeinschaft Während sich die Pioniergeneration der schweizerischen Handelswissenschaftsprofessoren noch international zusammensetzte, war die Berufungspraxis ab der Zwischenkriegszeit durch eine starke Binnenorientierung geprägt. Es wurden nahezu keine ausländischen Professoren mehr auf Schweizer Lehrstühlen berufen. Hausberufungen stellten eher die Regel als die Ausnahme dar. Erst in den 1980er Jahren lassen sich so108

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wohl auf der Ebene der Feldzusammensetzung wie auch auf jener der Karriereverläufe erneute Ansätze einer Internationalisierung feststellen. Die Hausberufungspraxis wurde allmählich aufgegeben und zunehmend Professoren aus anderen Landesteilen oder dem Ausland berufen. Im Gegenzug gab es vermehrt Schweizer Fachvertreter, die nicht nur während des Studiums einige Jahre im Ausland verbracht hatten, sondern auch später als Professoren an ausländischen Universitäten tätig waren. Im Kontext einer sich verschärfenden Nachwuchsproblematik kam es im Verlauf der 1990er Jahren zu einer tief greifenden Umstrukturierung der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsgemeinschaft: Die neue Generation von Fachvertretern setzte sich zu einem großen Teil aus ausländischen Professoren und neu auch Professorinnen zusammen. An der Universität Genf gestaltete sich die Berufungspraxis am internationalsten. Hier stammte unter den in den 1990er Jahren neu berufenen Lehrstuhlinhabern und Lehrstuhlinhaberinnen nur eine Person aus der Schweiz, andere Herkunftsländer waren Frankreich, Großbritannien, Spanien, Kanada und die USA. Im Gegensatz zu den vielfältigen Herkunftsländern an den Westschweizer Universitäten, stammt die große Mehrheit der ausländischen Fachvertreter, die an Deutschschweizer Universitäten berufen wurden, aus Deutschland. Die deutschschweizerische Betriebswirtschaftslehre orientierte sich in ihren Anfängen stark an der Entwicklung in Deutschland. Gegenwärtig bewegt sie sich wieder aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg konsolidierten nationalen Feld hinaus in Richtung einer länderübergreifenden deutschsprachigen Fachgemeinschaft. Diese Veränderungsdynamik kommt auch im Bereich der betriebswirtschaftlichen Fachvereinigungen zum Ausdruck: 1989 ging aus der „Vereinigung schweizerischer Betriebswirtschafter“ eine „Schweizerische Gesellschaft für Betriebswirtschaft“ hervor. Seit den 1990er Jahren nimmt die Bedeutung der schweizerischen Fachgesellschaft tendenziell ab. Gleichzeitig fungiert der „Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft“ mit Sitz in Köln auch für die in der Schweiz tätigen Fachvertreter als wichtiges Forum. Neben der Internationalisierung kam es als zweite – wenn auch deutlich weniger ausgeprägte – Veränderungstendenz in den 1990er Jahre zu einer Öffnung gegenüber weiblichen Fachvertreterinnen. 1991 wurde in der Schweiz die erste Frau auf ein betriebswirtschaftliches Ordinariat berufen. Es handelte sich um die Deutsche Margit Osterloh, die an der Universität Zürich einen Lehrstuhl für „Organisation, Innovations- und Technologiemanagement“ antrat. Mittlerweile sind Professorinnen in der Betriebswirtschaftslehre zwar besser vertreten als beispielsweise in der Volkswirtschaftslehre, ihr Anteil ist mit rund 10 Prozent aber doch 109

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

bescheiden geblieben. Als Studentinnen und Doktorandinnen hingegen waren Frauen seit den Anfangszeiten der Betriebswirtschaftslehre präsent. An der Handelsakademie St. Gallen beispielsweise war von Beginn an der „Besuch der Anstalt auch weiblichen Personen gestattet“.147 Bis 1928 hatten in St. Gallen fünf Frauen das Handelslehrerdiplom und dreizehn ein kaufmännisches Diplom erworben. Bemerkenswert ist außerdem, dass bereits der zweite an der Handelshochschule St. Gallen vergebene Doktortitel von einer Frau erworben wurde (Hanny Thalmann, 1943).148

Fragmentierung oder kognitive Schließung? Bis Ende der 1980er Jahre hatte sich die Betriebswirtschaftslehre an den meisten Universitäten als Hauptfachstudiengang etabliert und damit als Disziplin auch in der Schweiz eine weitgehende institutionelle Selbständigkeit errungen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die bereits angesprochene Binnendifferenzierungsdynamik zunehmend auf der Ebene der Bildungszertifikate niedergeschlagen. An den meisten Universitäten werden heute Studienabschlüsse in betriebswirtschaftlichen Teilbereichen (wie Marketing, Führung, Organisation, Personal, Rechnungswesen oder „Banking“ bzw. „Finance“) angeboten. Das wachsende Spektrum der betriebswirtschaftlichen Fachinstitutionen förderte die Ausdifferenzierung des Feldes in verschiedene theoretisch-methodologische Programme, thematische Gebiete und voneinander weitgehend unabhängige Forschungsnischen. Versuche zur kognitiven Schließung des Wissensgebietes (wie der systemtheoretische Ansatz von Hans Ulrich), die in den vorangehenden Jahrzehnten noch Diskurs prägend gewesen waren, traten anfangs der 1990er Jahre in den Hintergrund. Die Pluralisierung der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsperspektiven lässt sich nicht nur für die Schweiz feststellen. Bereits in den 1960er Jahren wurde im englischsprachigen Fachdiskurs unter dem Stichwort des „Management Dschungels“ erstmals die unübersichtliche Vielfalt der Ansätze und Schulen beklagt.149 Die damit entfachte Debatte setzte sich bis in die Gegenwart fort. Etwas später wurden die Zerstückelungsdynamiken auch von deutschen Fachvertretern thematisiert. Der Münchner Professor Arnold Picot stellt in einem Überblicksbeitrag zu 147 Zitiert aus dem „Entwurf des Regierungsrates zum Beschluss betreffend die Einrichtung einer Verkehrsschule und höheren Schule (Akademie) für Handel, Verkehr und Verwaltung vom 6. Mai 1898“ in Hayashima, 1995: 73. 148 Thürer, 1974: 58-59; Burmeister, 1998: 81. 149 Koontz, 1961; vgl. auch Koontz, 1980. 110

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den neueren Entwicklungen der deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre fest, dass in den 1990er Jahren vergleichsweise wenige in sich geschlossene Gesamtdarstellungen des Fachbereiches entstanden seien. Zudem könne in dieser Phase eine Vielfalt von „fachlichen Richtungen und Perspektiven“ und ein „Pluralismus an Methoden und Denkrichtungen“ beobachtet werden.150 Diese Diversifizierungstendenzen lassen sich nach Picot sowohl auf die heteronomen Einflüsse anderer Disziplinen wie der Volkswirtschaftslehre und der Psychologie als auch auf eine stärkere internationale insbesondere US-amerikanische Ausrichtung der deutschen Betriebswirtschaftslehre zurückführen. Wie erläutert,151 hat der Organisationssoziologe Richard Whitley die Zersplitterung der angloamerikanischen Managementforschung in eine Vielzahl von untereinander wenig koordinierten wissenschaftlichen Subfeldern als „fragmented adhocracy“ beschrieben.152 Er erklärt die spezifische Struktur dieser Wissenschaftsfelder im Wesentlichen mit zwei Wirkungsfaktoren: Zum einen habe die wachsende Beliebtheit der betriebswirtschaftlichen Studiengänge einen beschleunigten Ausbau des Lehrkörpers nach sich gezogen. Unter den Bedingungen eines über eine längere Zeit fortgesetzten raschen institutionellen Ausbaus sei es zu einer Ausdifferenzierung der entsprechenden Fachgemeinschaften in eine Vielzahl von spezialisierten Organisationseinheiten gekommen. Zum anderen verweist Whitley auf eine mangelhafte disziplinäre Selbstkontrolle: Die engen Verbindungen zum wirtschaftlichen Feld sowie die Beeinflussungen durch verwandte, wissenschaftlich oftmals höher bewertete Disziplinen (wie etwa die Volkswirtschaftslehre) hätten zur Folge, dass es keiner Akteurgruppe gelungen sei, ihre wissenschaftlichen Standards durchzusetzen und damit die alleinige Feldkontrolle auszuüben. Whitley konstatiert, dass es in der angloamerikanischen Managementforschung nicht zu Spezialisierungsprozessen im Sinne einer feldinternen Arbeitsteilung gekommen sei, sondern zur raschen Ausdifferenzierung in untereinander wenig koordinierte Teilgebiete. In der Schweiz kam es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich zu einer institutionellen Verselbständigung der Betriebswirtschaftslehre. Parallel zu den Bestrebungen um disziplinäre Abschließung wurde dabei auch der Dialog mit den Praktikern gepflegt. Zudem wurde – wie der Ansatz von Hans Ulrich zeigt – gerne auf disziplinfremde Wissensbestände und Theorietraditionen Bezug genommen. Trotz erfolgreichem Institutionalisierungsprozess bildete sich keine autonome

150 Picot, 2002: 168. 151 Siehe S. 18. 152 Whitley, 1984a, 2000. 111

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Sphäre der betriebswirtschaftlichen Wissensproduktion aus. Unter den Bedingungen des fortgesetzten Fachausbaus kam es ab den 1960er Jahren im heteronomen Feld der Betriebswirtschaftslehre zu starken Fragmentierungstendenzen. Für die jüngste Zeit können allerdings auch gegenläufige Entwicklungen ausgemacht werden. In verschiedenen betriebswirtschaftlichen Teilbereichen wird gegenwärtig wieder vermehrt auf Erklärungsmodelle der Ökonomik Bezug genommen. Dies verweist in Richtung einer neuen Schließung der verschiedenen Subdisziplinen um den kognitiven Kern der ökonomischen Theorie. Nachdem sich die Betriebswirtschaftslehre als Fachdisziplin auch über die Abgrenzung von volkswirtschaftlichen Wissensbeständen ausdifferenziert hat, kam es in den 1990er Jahren neben Hybridisierungstendenzen zu Ansätzen einer neuen Einheit der Wirtschaftswissenschaften. Solche Entwicklungen können besonders im Bereich der „Neuen Institutionenökonomie“ festgestellt werden. Es handelt sich hierbei um eine Weiterentwicklung der neoklassischen Lehre zu einer Theorie der Institutionen unter den Bedingungen der Wettbewerbsordnung. Ursprünglich von Volkswirten entwickelt, gewann die Institutionenökonomie Ende der 1990er Jahre in der Betriebswirtschaftslehre stark an Einfluss. Zunehmendes Interesse an ihren Zugängen macht sich insbesondere in den betriebswirtschaftlichen Subdisziplinen der betrieblichen Finanzierungstheorie, dem Rechnungswesen aber auch der Unternehmensführungslehre und der Organisationslehre bemerkbar. Im Wesentlichen dreht sich die Diskussion um drei theoretische Modelle: Das „Prinzipal-Agenten-Modell“ behandelt die Rechte und Pflichten von Auftraggebern sowie der von diesen gegen Entgelt Beauftragten; die „Theorie der Verfügungsrechte“ beschäftigt sich mit den Handlungs- und Eigentumsrechten an Gütern; die „Transaktionskostentheorie“ erklärt, warum ökonomische Transaktionen in bestimmten Organisationsformen des Tausches (Markt, hierarchische Organisation) mehr oder weniger effizient organisiert sind.153 Die Tendenzen zur Reintegration der beiden wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen in eine neue, vereinheitlichte Wirtschaftswissenschaft werden auch kritisch beurteilt. In einem parodistisch überzeichneten Essay beschreibt beispielsweise der Mannheimer Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre Alfred Kieser die Entwicklungen als einen Prozess der „Infiltrierung“. Er unterstellt den Volkswirten, die Besetzung betriebswirtschaftlicher Professuren mit „ihresgleichen“ anzustreben. Dies mit der Zielsetzung, die „Substitution der Betriebs153 Schneider, 1999: 24-25; Schanz, 2004. 112

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wirtschaftslehre durch Mikroökonomie und damit den Ersatz der schnöden Profitlehre durch hehre Mathematik“ zu erreichen.154 In Kiesers Parodie ist es in erster Linie der institutionelle Erfolg der Betriebswirtschaftslehre, der den Neid und die „Infiltrationsgelüste“ der Schwesterdisziplin auslöste. Er beurteilt die Ökonomisierung und Mathematisierung der Betriebswirtschaftslehre deshalb als negative Entwicklungen, weil sie es mit sich bringen würden, dass sich sein Fachgebiet zunehmend von den Ansprüchen und Problemen der Praxis entferne.

7. Positionierungen im Wissenschaftsfeld In der Konstituierungsphase der Betriebswirtschaftslehre in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde intensiv über die Kriterien einer legitimen Teilnahme am Wissenschaftsfeld diskutiert. In den Anfängen wurde die Einbindung der Handelswissenschaften in das schweizerische Universitätssystem zügig vorangetrieben. Parallel dazu waren die Bestrebungen der Fachpioniere darauf ausgerichtet, ihr Fach akademisch zu etablieren. Es galt, ihm einen angemessenen Platz im Kreise der anerkannten Wissenschaften zu verschaffen, ohne gleichzeitig seinen praktischen Nutzen für die Gesellschaft in Frage zu stellen. Die frühen Fachakteure verlegten sich dabei auf unterschiedliche Strategien der kognitiven Einordnung in das wissenschaftliche Feld. Einige suchten die (oft kritisch-häretische) Anbindung an wissenskulturelle Muster und Wissenstraditionen der bereits besser etablierten Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Andere wiederum machten Positionierungen geltend, die – gerade auch in Abgrenzung von der Nationalökonomie – darauf abzielten, im Spannungsfeld von Zwecklehre und Wissenschaftsdisziplin einen eigenständigen epistemischen Modus zu begründen. Unter Bezugnahme auf die neuhumanistische Konzeption von Bildung durch Wissenschaft deklarierten Johann Friedrich Schär und andere die Handelswissenschaften als ein Bildungs- und Reformprojekt. In den handelswissenschaftlichen Universitätsausbildungen sollten den zukünftigen Kaufleuten sowohl die nötigen Bildungswerte als auch das entsprechende methodisch-technische Instrumentarium für eine bessere Gestaltung der Wirtschaftswelt vermittelt werden. Als wichtiges Argument für die Legitimität des neuen Fachgebiets wurde hierbei geltend gemacht, dass das handelswissenschaftliche Projekt keineswegs als eine einseitig auf die Unternehmerinteressen hin ausgerichtete Profitlehre zu betrachten sei. Während eine wissenschaftliche Verteidigung unterneh154 Kieser, 2002: 122. 113

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merischer Sonderinteressen als äußerst problematisch eingeschätzt wurde, galten praktische Relevanzsetzungen dann als erlaubt, wenn die gesellschaftliche und ökonomische Wohlfahrt im Vordergrund stand. Mit ihrer Akzentuierung der wissenschaftlichen Perspektive und der geltend gemachten Gemeinwohlorientierung wies diese Fachkonzeption charakteristische Eigenschaften eines Professionalisierungsprojekts auf. Eine etwas andere Motivlage zeigt sich im akademischen Projekt von Léon Gomberg. Seine Einzelwirtschaftslehre war darauf ausgerichtet, die althergebrachten praktischen Routinen der Geschäftswelt durch wissenschaftlichen Sach- und Fachverstand zu ergänzen und wenn möglich zu ersetzen. Gomberg verortete seine Bestrebungen zur Verwissenschaftlichung des neuen Fachgebietes nicht im Zusammenhang von allgemeinen Bildungswerten. Eine wissenschaftliche Perspektive auf das Geschäftsgeschehen bedeutete für ihn, diese Praktiken einer objektivierenden Beobachtung zu unterziehen und daraus Regeln für eine rationalere Gestaltung abzuleiten, die sowohl den Unternehmern selber als auch der Gesellschaft zugute kommen sollten. Trotz ihrer verschiedenen Zugangsweisen und differenten Zielsetzungen lässt sich in den akademischen Projekten von Schär und Gomberg eine Gemeinsamkeit ausmachen: In beiden ist die Wissenschaftstätigkeit letztlich auf praktische Zielsetzungen hin orientiert. Bei Schär können auch die aus dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess resultierenden Bildungswerte zu einer Verbesserung der Wirtschaftspraxis beitragen. Bei Gomberg wiederum sind wissenschaftliche Erkenntnisse stets funktional auf die Probleme der Praxis bezogen. In kritischer Abgrenzung zu solchen praktischen Interesseneinbindungen unternahm Moritz Rudolf Weyermann vor dem Ersten Weltkrieg den Versuch, das neue Fachgebiet zu autonomisieren. Weyermanns Privatwirtschaftslehre verstand sich als eine – in die Nationalökonomie eingebettete und sie ergänzende – Wirklichkeitswissenschaft. Der Fokus seines akademischen Projektes lag nicht auf Fragen der Wissensanwendung, sondern war vielmehr auf Möglichkeiten der Wissenserweiterung ausgerichtet. Im Unterschied zu einer privatwirtschaftlichen Zwecklehre orientierte sich diese Privatwirtschaftslehre am Ideal der zweckfreien Forschung und Reflexion. Wissenschaftlichkeit wurde hier nicht nach Nützlichkeitsaspekten beurteilt, sondern nach Kriterien der Unabhängigkeit und eines allgemeinen – sich in das Wissensganze einordnenden – Erkenntniswertes. In der Zwischenkriegszeit kam der institutionelle Ausbauprozess der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre weitgehend zum Stillstand. Das Fachgebiet geriet zudem unter verstärkten Konkurrenzdruck durch die etablierte Nationalökonomie und die Rechtswissenschaften. Vor dem 114

INNENANSICHTEN

Hintergrund solcher Konsolidierungs- und Abgrenzungsprobleme machten sich im Fachdiskurs Bestrebungen bemerkbar, das wissenschaftliche Autonomiemodell mit einem Anspruch auf Praxisnähe in Einklang zu bringen. Hans Töndury integrierte zwei zuvor eher kontroverse Fachpositionen, indem er geltend machte, die Betriebswirtschaftslehre könne ihre Erkenntnisinteresse gegenüber dem Einfluss praktischer Interessen abschließen und zugleich den vermehrten Dialog mit der Praxis suchen. Die von ihm angestrebten Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxis waren auf die Zielsetzung ausgerichtet, den zweckfreien wissenschaftlichen Erkenntnisprozess besser an die Verwissenschaftlichungsinteressen der Wirtschaftspraxis anzubinden. Töndurys Argumentation verweist auf eine konzeptuelle Verschiebung in der Diskussion um das Wissenschafts-Praxis Verhältnis. In der Anfangsphase der Fachgeschichte wurde eine intensive Debatte darüber geführt, ob praktische Wissenschaftsziele in der Betriebswirtschaftslehre einer wissenschaftlichen Verteidigung unternehmerischer Sonderinteressen gleichkämen. Solche Verhandlungen wissenschaftlicher Interessenpositionen verschwanden nun zunehmend aus dem Fachdiskurs. Ein neues Selbstverständnis als wertneutrale Experten ermöglichte es den betriebswirtschaftlichen Fachakteuren, den Austausch mit der Praxis zu suchen, ohne damit ihre wissenschaftliche Legitimität aufs Spiel zu setzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Schweiz mit der Gründung erster nationaler Fachinstitutionen der disziplinäre Konsolidierungs- und Verselbständigungsprozess vorangetrieben. Gleichzeitig kam es zu vermehrten Bemühungen, die Praxis in den Fachdiskurs zu integrieren. Ab den 1960er erweiterten neue, interdisziplinär angelegte Fachperspektiven nicht nur den Blick auf die betriebliche Sozialwelt, sondern auch auf die konkreten Handlungsprobleme in der Unternehmenspraxis. Hans Ulrich verfolgte mit dem „St. Galler Managementmodell“ ein Professionalisierungsprojekt, das auf einer funktionalistischen Wissenschaftskonzeption basierte. In kritischer Abgrenzung zu herkömmlichen, disziplinären Wissenschaftseinteilungen strebte Ulrich sowohl für den betriebswirtschaftlichen Lehr- als auch für den Forschungsbetrieb eine Neugliederung nach praktischen Problemstellungen an. Um eine zukünftige Leistungsklasse adäquat auf ihre spätere Berufsrolle als Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung vorzubereiten, war seine Rekonzeptualisierung der Betriebswirtschaftslehre darauf ausgerichtet, Unternehmen möglichst wirklichkeitsnah in ihrer Mehrdimensionalität erfassen zu können. Ab Ende der 1960er Jahren kam es in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre zu einem institutionellen Wachstums- und Ausdifferen115

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

zierungsprozess, der sich bis zum Ende des Jahrhunderts fortsetzte. Mit dem raschen Ausbau der Hochschulinstitutionen etablierten sich zum einen neue Akteurgruppen im betriebswirtschaftlichen Feld, zum anderen resultierte der Wachstumsprozess in einer markanten Pluralisierung der Wissenschaftsperspektiven. Im Verlauf der Fachgeschichte wurde jeweils zwischen praxisorientierten und wissenschaftsorientierten Positionen hin und her gewechselt. Die fragmentierte Feldstruktur der letzten Jahrzehnte verweist eher darauf, dass viele unterschiedliche Positionierungen nebeneinander bestehen. Wie im Teil II der Untersuchung noch genauer erläutert wird, bestätigt sich dieser Befund auch in den Interviews mit heutigen Fachakteuren. Mit der Kontroverse um die Ökonomisierung der Betriebswirtschaftslehre erfährt die Autonomisierungsfrage im betriebswirtschaftlichen Fachdiskurs gegenwärtig eine Wiederaufnahme. Dabei werden Befürchtungen laut, dass eine Annäherung an den epistemischen Modus der autonomeren Volkswirtschaftslehre die Betriebswirtschaftslehre von den Problemstellungen der Praxis entfremden könnte. Mit der These von der Vergesellschaftung der Wissenschaft wird postuliert, das Wissenschaftssystem orientiere sich aufgrund eines wachsenden gesellschaftlichen Legitimationsdrucks gegenwärtig verstärkt auf außerakademische Interessen und utilitaristische Zielsetzungen hin. Die historische Untersuchung der Betriebswirtschaftslehre zeigt, dass praxisbezogene Wissenschaftsmodelle hier bereits über eine mehr als hundertjährige Tradition verfügen. Am Beispiel der Betriebswirtschaftslehre verdeutlicht sich aber auch, dass Wissenschaftsprojekte gerade dadurch einen Anspruch auf gesellschaftliche Nützlichkeit geltend machen können, dass sie sich von praktischen Relevanzsetzungen abgrenzen. In der Fachgeschichte der Betriebswirtschaftslehre kommt eine historische Dynamik zum Ausdruck, die – nach dem Begriffspaar von Pierre Bourdieu – als ein Wechselverhältnis von wissenschaftlichen Autonomisierungsprojekten und heteronomen Bezügen auf das Praxisfeld beschrieben werden kann.155 Der fachdisziplinäre Konsolidierungsprozess ging in der Betriebswirtschaftslehre mit fortgesetzten Bemühungen einher, das Wissenschaftsfeld auf praktische Zielsetzungen hin zu orientieren. Im Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis konnten sich wissenschaftliche Abschließungsbestrebungen nicht längerfristig durchsetzen, praktische Relevanzsetzungen wurden aber oftmals auch nicht vorbehaltlos auf das Wissenschaftsfeld übertragen.

155 Vgl. hierzu Bourdieu, 1998b: 19. 116

I.II A U S S E N O R I E N T I E R U N G E N : INTELLEKTUALISIERUNG, VERBERUFLICHUNG UND VERWISSENSCHAFTLICHUNG

Die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Forderung nach akademischer Schulung für die kaufmännische Praxis kann in den breiteren Rahmen der für diese historische Phase charakteristischen Intellektualisierungs- und Verwissenschaftlichungsdiskurse eingeordnet werden. In diesem Zusammenhang wurde dem Erwerb von Bildungskapital eine wachsende Bedeutung für den legitimen Zugang zu gesellschaftlichen Elitepositionen zugeschrieben. Wie Max Weber aufgezeigt hat, wurden mit dem Modernisierungsprozess Bildung und Bildungspatente zu einem Medium der Monopolisierung von vorteilhaften gesellschaftlichen Positionen. Weber machte in allen Bereichen der spezialisierten Amtstätigkeit eine Tendenz zur „eingehenden Fachschulung“ aus. Auch die modernen Leiter und Angestellten privatwirtschaftlicher Betriebe sind davon nicht ausgenommen.1 Amtsautorität verknüpft sich in der Moderne mit dem Glauben an die Objektivität eines – durch Bildungspatente symbolisch zum Ausdruck gebrachten – Fachwissens. Im Rahmen eines wechselseitigen Zurechnungsprozess werden die fachlichen Kategorisierungen des Bildungssystems auf generalisierte soziale Kategorisierungsschemata bezogen und schlagen sich in den Stellenkategorien der Betriebswelt nieder. Diese zirkulären Kopiervorgänge begründen letztlich die Dynamik von Verberuflichungsvorgängen.2

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Weber, 1976 [1922]: 552. Weber, 1956 [1922]: 161-162; 1976: 576. Sowie Stock, 2005: 223-229. 117

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Die Privatwirtschaft stand einer Verfachlichung des kaufmännischunternehmerischen Erwerbsfeldes oftmals ambivalent gegenüber. Sie begrüßte zwar die Fachbildung der kaufmännischen Angestellten, aber nicht unbedingt jene der zukünftigen Betriebsleiter. Wie bereits erwähnt, sprach sich der schweizerische Handels- und Industrieverein (Vorort) in einem Gutachten zuhanden des Bundesrates vom 18. November 1889 gegen die Subventionierung einer eidgenössischen Handelshochschule aus. Der Vorort kam zum Schluss, eine solche Schule stelle kein Bedürfnis für die schweizerische Wirtschaft dar: „Wir wissen es wohl, dass die Idee viele Anhänger zählt. Es sind auf der einen Seite Theoretiker, welche übersehen, dass einer eigentlichen Handelshochschule bald genug der zu behandelnde Stoff ausginge; es sind auf der andern Seite Kaufleute, welche den kommenden Generationen das ihnen vielleicht entgangene vollste Maß von Bildungsmitteln zu bieten bemüht sind, die aber wahrscheinlich über dem Entwerfen eines Lehrplanes für zwanzigjährige und ältere Handelsstudenten ebenfalls in nicht geringe Verlegenheit gerathen würden.“3

Der Wirtschaftsverband hatte grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass angehende Kaufleute eine akademische Ausbildung genossen. Er stellte sich aber auf den Standpunkt, kaufmännische Wissensbestände würden sich nicht in sinnvoller Weise auf Hochschulstufe unterrichten lassen. Die Möglichkeit, diese Wissensbereiche zu einem eigenständigen akademischen Fachgebiet zusammenzufassen, zog der Vorort deshalb gar nicht in Betracht, weil er die eigentlichen kaufmännischen Kernfunktionen als nicht akademisierbar erachtete: „Das, was sich von merkantilen Dingen auf dieser Stufe noch dozieren ließe, fällt in das Gebiet der juristischen und staatswissenschaftlichen, sowie der philosophischen Fakultäten. Ein jeder Vater, der überhaupt in der Lage und Willens wäre, seinen Sohn auf die Hochschule zu schicken, thäte auch nach der Errichtung einer Handelshochschule entschieden besser daran, einer Universität den Vorzug zu geben.“4

In der Stellungnahme des Vororts kommt ein deutlicher Interessengegensatz zwischen der Wirtschaftspraxis und den Befürworten von akademischen Handelsausbildungen zum Ausdruck. Im Unterschied zur Haltung der Wirtschaftsvertreter suchten die Pioniere der Handelswis-

3 4

Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins. Bericht über Handel und Industrie der Schweiz im Jahre 1889. Zürich, 38. Ebd.

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AUSSENORIENTIERUNGEN

senschaften den Grundstein für eine eigentliche Kaufmannsdisziplin zu legen. Werden die Handelswissenschaften wie bei Johann Friedrich Schär als ein Bildungs- und Reformprojekt betrachtet, so erstaunt es nicht, dass ihre Fachvertreter stärker in die Netzwerke des in Aufbau begriffenen kaufmännischen Bildungswesens eingebunden waren als in diejenigen der Privatwirtschaft. Verbesserte Rahmenbedingungen, um ihre Verbindungen zur Privatwirtschaft auszubauen, boten sich der Betriebswirtschaftslehre im Rahmen neuer unternehmerischer Verwissenschaftlichungs- und Rationalisierungsinteressen in der Zwischenkriegszeit. In diesem zweiten historischen Teil der Untersuchung werden die Beziehungen der Betriebswirtschaftslehre zu den für sie relevanten Praxisfeldern nachgezeichnet. Dabei gilt die Aufmerksamkeit insbesondere der Einbindung betriebswirtschaftlicher Fachakteure in soziale Netzwerke und Diskursgemeinschaften außerhalb des wissenschaftlichen Feldes. Neben den im vorangehenden Kapitel geschilderten Dynamiken der innerwissenschaftlichen Positionierung haben Koalitions- und Konkurrenzbeziehungen mit außeruniversitären Handlungsfeldern die Fachentwicklung wesentlich mitgeprägt. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, gründet der Erfolg der Betriebswirtschaftslehre als universitärer Fachbereich auch auf Intellektualisierungs-, Verberuflichungs- und Verwissenschaftlichungsbestrebungen, die darauf ausgerichtet waren, den Praxisund Berufsbereich mit kodifizierten akademischen Wissensbeständen zu verknüpfen. Wie bereits Teil I.I basiert auch dieser Untersuchungsteil zu den „Außenorientierungen“ der Betriebswirtschaftslehre auf einer historischgenetischen Analyse. Sie umfasst die Zeitspanne von Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Es werden vier thematische Schwerpunkte gesetzt: Zunächst wird die Handelshochschulbewegung im Kontext einer allgemeinen Tendenz zur Verschulung der kaufmännischen Berufsbildungen verortet (Kapitel 1). Anschließend fokussiert die Untersuchung auf Verwissenschaftlichungsbestrebungen der schweizerischen Wirtschaftspraxis in der Zwischenkriegszeit und deren Verbindungen zur Betriebswirtschaftslehre (Kapitel 2). Im nächsten Kapitel wird der Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen akademischer Fachausbildungen für wirtschaftliche Führungskräfte nachgegangen und diese zur Rekonzeptualisierung der Betriebswirtschaftslehre als akademische Berufsausbildung für Wirtschaftseliten in Beziehung gesetzt (Kapitel 3). Im Folgenden richtet sich die Aufmerksamkeit erneut auf die Wachstumsprozesse der Betriebswirtschaftslehre. Während der Ausbau der universitären Infrastruktur (Lehrstühle, Institute) bereits thematisiert wurde, stehen nun die studentische Nachfrage nach betriebswirtschaftli119

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chen Wissensangeboten und die Expansion des außeruniversitären Bildungsmarktes im Vordergrund (Kapitel 4). Im Kapitel 5 werden diese vier thematischen Schwerpunkte verglichen und einer abschließenden Betrachtung unterzogen.

1. Anschlüsse an das kaufmännische Bildungswesen Wie der Westschweizer Fachpionier Georges Paillard argumentiert, sind die handelswissenschaftlichen Hochschuleinrichtungen in der Schweiz durch Druck von „unten“, als Reaktion auf den Ausbau des kaufmännischen Bildungswesens entstanden: „Les facultés commerciales suisses sont le résultat de la poussée de bas en haut et reposent sur un vaste système d’écoles inférieures et moyennes, dont elles forment le couronnement.“5 Ab den 1830er Jahren war es in der Schweiz zum Aufbau eines kaufmännischen Mittelschulwesens gekommen. Dabei wurde den kantonalen Mittelschulen neben den bestehenden literarischen und technischen Abteilungen neu auch so genannte Merkantil- oder Handelsabteilungen angegliedert. Als erste dieser Schulen wurde 1839 die Merkantilabteilung an der Zürcher Kantonsschule eröffnet. Danach kam es in rascher Folge zu weiteren Gründungen. So wurde 1842 eine Abteilung gleichen Namens an der Kantonsschule St. Gallen eingerichtet, 1856 erhielt das Gymnasium in Bern eine Handelsabteilung und 1882 wurde in Basel die „Kantonale Handelsschule“ als Abteilung der oberen Realschule eröffnet. In der französischsprachigen Schweiz wurden auch unabhängige Handelsschulen eingerichtet. Dies in Lausanne (1869 als Abteilung der „Kantonalen Industrieschule“ gegründet), Neuenburg (1883) und Genf (1888). In Bellinzona kam es 1895 zur Gründung der „Scuola Cantonale Superiore di Commercio“. Ab den 1870er Jahren wurden zudem in verschiedenen Schweizer Städten so genannte „Töchterhandelsschulen“ eingerichtet.6 Die Handelsschulen sollten der Berufspraxis vorausgehen und auf sie vorbereiten. Dies sowohl durch die Vermittlung von allgemeiner Bildung wie auch eines theoretischen Verständnisses der Handelsfächer. Neben diesen vollschulischen Typus der kaufmännischen Berufsbildung traten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Fortbildungskurse für die Weiterbildung von kaufmännischen Lehrlingen und Angestellten.

5 6

Paillard, 1911: 49. Bern: 1876; Basel, Zürich: 1894; Genf: 1898; Freiburg: 1906; St. Gallen: 1907.

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Am Anfang waren dies mehrheitlich Sprachkurse, später wurden sie durch Handelsfächer ergänzt. Träger dieser Fortbildungskurse waren – vor allem in der Deutschschweiz und im Tessin – die lokalen Sektionen des „Schweizerischen Kaufmännischen Vereins“ (SKV). Ab dem Frühjahr 1895 wurden vom SKV auch erste kaufmännische Lehrlingsprüfungen durchgeführt.7 Aus dem im 19. Jahrhundert vorangetriebenen Ausbau der Handelsschulen und aus deren Bedarf an akademisch ausgebildeten Handelslehrern ergaben sich wichtige Argumente für die Einführung kaufmännischer Hochschulausbildungen. Vor der Einrichtung erster Studienmöglichkeiten für Handelslehrer waren oftmals Autodidakten, Volksschullehrer mit Erfahrung in der kaufmännischen Praxis oder auch reine Praktiker als Lehrer für die Handelsfächer berufen worden.8 In den Kantonen Neuenburg (ab 1887), Bern (ab 1901) und Waadt (ab 1910) wurden zudem amtliche Prüfungen für Handelslehrer abgehalten. An der Universität Zürich stellte die Ausbildung von Handelslehramtskandidaten 1903 ein wichtiges Motiv für die Einrichtung eines handelswissenschaftlichen Lehrstuhls dar. Als der Lehrstuhl nach dem Weggang von Schär eine Neuausrichtung erfuhr, entschied sich der Regierungsrat zur Sicherung der Kontinuität bei der Handelslehrerausbildung dazu, 1912 ein zweites Ordinariat für „Handelswissenschaften speziell für Handelstechnik und Methodik des Handelsfachunterrichts für die Kandidaten des Handelslehramtes“ einzurichten.9 An der Handelshochschule in St. Gallen wurde 1911 ein Studienplan für Handelslehrer geschaffen; im Wintersemester 1912 begannen die ersten Kurse.10 Nachdem sich insbesondere der SKV für eine staatliche Subventionierung der kaufmännischen Berufsbildung ausgesprochen hatte, wurde in einem Bundesbeschluss vom 15. April 1891 festgehalten, dass „kommerzielle Bildungsanstalten“ Beiträge aus der Bundeskasse erhalten können.11 Im Januar 1909 legte eine neue Vollziehungsverordnung zu diesem Bundesbeschluss fest: „Der Bund leistet Beiträge an die kaufmännischen Bildungsanstalten (Handelsschulen, Handelshochschulen, kaufmännische Fortbildungsschulen) sowie an die Institutionen, welche die Förderung der Berufsbildung der jungen Kaufleute bezwecken.“12 7 8 9 10 11

Eidgenössisches Handelsdepartement, 1914: 8-17. Ebd.: 30-31; Fischer, 1946: 192. Rühli, 1978a: 20; vgl. dazu S. 87. Späni, 2007. Bundesbeschluss betreffend Förderung der kommerziellen Bildung. (Vom 15. April 1891). In: Schweizerisches Bundesblatt 1891, Band 2, Heft 16, S. 196-197. 12 Vollziehungsverordnung zum Bundesbeschluss über die Förderung der kommerziellen Bildung. (Vom 22. Januar 1909). In: Amtliche Sammlung 121

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Der Bundesbeschluss trug wesentlich zum raschen Ausbau des kaufmännischen Bildungswesens bei. Die staatlichen Subventionen konnten sich je nach Umständen bis auf die Hälfte der jährlich von den Kantonen, Gemeinden, Korporationen und Privaten aufgebrachten Gesamtausgaben belaufen.13 Zahlen aus dem Jahr 1914 zeigen, dass das Handelsdepartement an neun als Handelshochschulen deklarierte Institutionen (wozu auch die handelswissenschaftlichen Abteilungen der Universitäten zählten) insgesamt 108’775 Franken Bundessubventionen ausbezahlte. Die Gesamtausgaben dieser neun Institutionen beliefen sich auf 377’664 Franken. 1926 waren die Bundessubventionen für die Handelshochschuleinrichtungen bereits auf 184’010 Franken angestiegen, dies bei Gesamtausgaben von 781’986 Franken.14 Im Unterschied zu Deutschland, wo die Handelshochschulen in der Regel nicht staatlich gefördert wurden, erhielt der Ausbau der kaufmännischen Hochschulinstitutionen in der Schweiz durch die Bundessubventionen einen kräftigen finanziellen Impuls. Obwohl das anfängliche Großprojekt einer nationalen Handelshochschule an den Widerständen der Wirtschaftsvertreter scheiterte, waren es letztlich nicht nur kantonale Initiativen, sondern durchaus auch das staatliche Engagement, das dem Handelshochschulwesen in der Schweiz zum Durchbruch verhalf. Mit der Eröffnung handelswissenschaftlicher Universitätsabteilungen wurde dem kaufmännischen Bildungsweg eine tertiäre Stufe angegliedert. Das handelswissenschaftliche Studium stand prinzipiell auch den Inhabern von Maturitätszeugnissen der höheren Handelsschulen offen. Die kantonalen Handelsmaturitäten führten in der Regel zur „Fakultätsreife“. Sie berechtigten zum Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften an den staatswissenschaftlichen bzw. juristischen Fakultäten, an welchen die handelswissenschaftlichen Lehrstühle untergebracht waren, zum Besuch der Handelshochschule in St. Gallen, nicht aber zum freien Universitätszutritt. Seit 1918 wurde über eine eidgenössische Anerkennung der kantonalen Handelsmaturitäten diskutiert. Diese erfolgte allerdings erst Anfangs der 1970er Jahre als es mit der Revision der Maturitäts-Anerkennungsverordnung zur eidgenössischen Anerkennung und Umgestaltung der Handelsmaturität in den Maturitätstypus E (Wirtschaft) kam. Als Abschluss einer gymnasialen Maturitätsschule war die neue Wirtschaftsmatura mit einer allgemeinen Studienberechtigung verbunden.15 der Bundesgesetze und Verordnungen der schweizerischen Eidgenossenschaft 1910, Band XXV, S. 98. 13 Diener-Imhof, 1950: 189-194. 14 Cahn, 1928: 32. 15 Criblez, 2007. 122

AUSSENORIENTIERUNGEN

Professoren zwischen Handelsschule und Hochschullehre Unter den ersten Schweizer Hochschulprofessoren für Handelswissenschaften verfügten von insgesamt zehn Professoren sechs bei Amtsantritt über einen Doktortitel. Ein weiterer Professor (Léon Gomberg) erwarb seinen Titel, nachdem er bereits nicht mehr als Professor tätig war.16 Es überwogen Doktorate in Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften, wobei in den Promotionsarbeiten zumeist wirtschaftswissenschaftliche Schwerpunkte gesetzt wurden. Bereits für die erste Nachfolgegeneration stellte der Doktortitel – auch an der noch kaum akademisierten Handelshochschule in St. Gallen – die Norm dar. Im neuen Fachbereich der Handelswissenschaften betätigten sich also im wesentlichen Akademiker mit wirtschaftswissenschaftlicher oder juristischer Vorbildung. Dabei fällt auf, dass viele der frühen Fachakteure vor, während oder auch in Anschluss an ihre Professorentätigkeit an einer Handelsschule oder an der Handelsabteilung einer Oberrealschule tätig waren.17 In der Frühphase des Faches konnte das Handelslehreramt, allenfalls verbunden mit einem späteren Aufstieg zum Leiter einer Handelsschule, den akademischen Leistungsausweis sogar ersetzen. So verfügte Johann Friedrich Schär bei seiner Berufung auf den erster Lehrstuhl für Handelswissenschaften in Zürich zwar über langjähriger Erfahrung als Lehrer für Handelswissenschaften aber nicht über einen Doktortitel. Auch der Westschweizer Léon Morf wurde ohne Doktorat, aber dafür mit langjähriger Erfahrung im kaufmännischen Bildungswesen auf einen handelswissenschaftlichen Lehrstuhl berufen. Er leitete nach einer Anstellung als Lehrer an der „École de commerce“ in Neuenburg während sechs Jahren die „École de Commerce“ in Lausanne. 1911 wurde er an der dortigen Universität zum Professor für „Technique commerciale und 1912 zum Präsidenten der „École des Hautes Études Commerciales“ (HEC) ernannt. Die Berufsbiographien der frühen Fachvertreter zeigen, dass die handelswissenschaftlichen Hochschulinstitutionen nicht nur die Schulabgänger der Handelsschulen als Studierende aufnahmen, sondern auch einen Teil ihrer Lehrkräfte aus dieser Schulstufe rekrutierten. Allerdings führte der Berufsweg nicht ausschließlich von den Handelsschulen an die Universität. Er konnte durchaus auch in der umgekehrten Richtung verlaufen. So übernahmen gleich drei St. Galler Fachvertreter nacheinander, nämlich Hans Boller (Professor von 1915-19), Oscar Fischer (Professor von 1920-26) und Theodor Brogle (Professor von 1926-31),

16 Vgl. S. 75. 17 Vgl. hierzu Tabelle 3 im Anhang. 123

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im Anschluss an ihre Hochschullehrertätigkeit das Rektorat einer Handelsschule. Boller wurde Rektor der Töchterhandelsschule in Luzern, Fischer leitete die Töchterhandelsschule in Zürich und Brogle übernahm das Rektorat der Kantonalen Handelsschule in Basel, bevor er in Basel erneut eine Professur antrat. Weiter kam es auch vor, dass Hochschulprofessoren – wie Georges Paillard in Lausanne oder Max Turmann in Freiburg – gleichzeitig einen Universitätslehrstuhl inne hatten und an einer Handelsschule tätig waren. Der Werdegang des Zürcher Professors Karl Käfer zeigt, dass auch in der Zwischen- und Nachkriegszeit betriebswirtschaftliche Berufskarrieren von der Handelsschule in die akademische Lehre verlaufen konnten. Der 1898 in St. Gallen geborene Käfer war nach Erwerb des Sekundarlehrerpatents mehrere Jahre als Lehrer für Mathematik, Naturwissenschaften und Handelsfächer tätig, daneben arbeitete er in der Privatwirtschaft. Die Laufbahn als Wirtschaftswissenschaftler schlug Käfer erst relativ spät ein, als er sich 1930 im Alter von 32 Jahren an der rechtsund staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich immatrikulierte. 1932 wurde er von der Gewerbeschule der Stadt Zürich zum Hauptlehrer für geschäftskundliche Fächer gewählt, daneben setzte er sein Studium fort. Käfer erwarb an der Universität Zürich 1939 das Diplom für das höhere Lehramt, wurde dort 1941 promoviert („Der Kettensatz, ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des kaufmännischen Rechnens“) und später auch habilitiert („Die Betriebsrechnung. Theorie, Methoden und Formen“). 1944 ernannte ihn die Universität Zürich zum außerordentlichen, zwei Jahr später zum ordentlichen Professor für Privatwirtschaftslehre.18 Als Wissenschaftler stieß Käfer mit seinen Arbeiten zur Konten- und Bilanztheorie international auf Resonanz. Seine Werke übten aber auch einen starken Einfluss auf die Praxis aus. Dies insbesondere mit dem seit 1947 immer wieder neu aufgelegten „Kontenrahmen für Gewerbe, Industrie und Handelsbetriebe“, der für Buchhalter, Bücherrevisoren und Handelslehrer gleichermaßen große Bedeutung erlangte. Zudem übernahm Käfer eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Schweizer Wirtschaftsgymnasien. Er erarbeitete einen Ideal-Lehrplan für eine Handelsausbildung mit Maturitätsabschluss, der die Schaffung von Gymnasien wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Richtung vorsah. Dieser Vorschlag wurde 1956 publiziert und unter dem Namen „Plan Käfer“ bekannt.19

18 Auf der Maur, 1968. 19 Kilgus, 1978; Weilenmann, 1979. 124

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Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich Beispiele für die berufsbiographische Verflechtung von Handelsschule und akademischer Lehre. Ab den 1960er Jahren fungierten dabei die „Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen“ (HWV) als wichtige Zwischenstationen vor einem – zuweilen erst spät erfolgenden – Einstieg ins Hochschullehreramt.20 Dies verdeutlicht die Laufbahn des 1928 im Thurgau geborenen Max Boemle. Er studierte in St. Gallen Betriebswirtschaftslehre und schloss dort mit dem Handelslehrerdiplom ab. Von 1953 bis 1969 war Boemle als Handelslehrer an der kaufmännischen Berufsschule in Bern tätig. 1955 promovierte er in St. Gallen mit der Untersuchung „Aktienzertifikate, Interims- und Lieferscheine: Rechtsvergleichende Darstellung“. Ab 1969 leitete Boemle während zwanzig Jahren die Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule in Bern. Sein 1961 erstmals erschienener Lehrbuchklassiker „Unternehmensfinanzierung“ liegt mittlerweile in der 14. Auflage vor. Das Buch wird von schweizerischen Fachleuten, Fachschülern und Studierenden gleichermaßen als Standardwerk genutzt. Ab 1979 hatte Boemle an der Universität Freiburg einen Lehrauftrag inne. 1985 wurde er dort zum Titularprofessor und 1989 – im Alter von 61 Jahren – zum ordentlichen Professor für Finanzierung und Rechnungswesen ernannt.21

Netzwerk der kaufmännischen Bildung Johann Friedrich Schär wird in historischen Fachdarstellungen gerne als besonders praxiserfahren charakterisiert.22 Er verfügte über Kenntnisse des Käsereiexportgeschäfts sowie über praktische Erfahrungen als Hotelbesitzer, Wirt und auch als Fabrikdirektor. Allerdings war Schär nur während insgesamt vier Jahren vollamtlich in der Privatwirtschaft tätig. Vor und nach dieser von geschäftlichen Misserfolgen gezeichneten Lebensphase ging er seinem erlernten Beruf als Lehrer nach. In seiner autobiographischen Selbstdarstellung tritt Schär als begeisterter Pädagoge in Erscheinung, wobei sich sein erzieherisches Engagement nach langjährigen Tätigkeiten als Volksschul-, Seminar- und Sekundarlehrer zunehmend in den Bereich des kaufmännischen Bildungswesens verlegte. So machte er als Direktor der Mädchensekundarschule in Biel (18801882) den Vorschlag, dass seiner Schule eine Handelsklasse anzugliedern sei. Dies geschah, wie er in der Autobiographie ausführt, mit „Rücksicht auf die Bedürfnisse der Industriestadt, in der auch die Frauen

20 Vgl. zu den HWV-Schulen auch S. 150. 21 Volkart, 1998. 22 Käfer, 1946: 2; Otto, 1957; Sundhoff, 1991: 166. 125

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tätigen Anteil an der Arbeit nehmen“.23 Schär legte damit den Grundstein für die „Töchterhandelsschule Biel“, die sich 1908 auch den Knaben öffnete und zur „Handelsschule Biel“ ausgebaut wurde.24 Während seiner Zeit als Handelslehrer, begann sich Schär auch als Autor von Lehrbüchern für den kaufmännischen Unterricht zu betätigen. So publizierte er die „Kaufmännischen Unterrichtsstunden“ (1893-1896) oder die „Einfache und doppelte Buchhaltung“ (1895). Der Vergleich der Berufsbiographien schweizerischer Fachpioniere zeigt, dass die handelswissenschaftlichen Hochschulinstitutionen in der Schweiz nicht im Sinne von „Praktikerschulen“ mit akademischen Laien eingerichtet wurden, die sich durch ihre Berufserfolge in der Privatwirtschaft oder auch in der Verwaltung für die Lehre qualifizierten. Zwar finden sich einige Professoren, die über Berufserfahrung in der Praxis verfügten, dabei handelte es sich aber zumeist um kürzere Arbeitseinsätze. Hingegen zeigt sich eine gute Einbindung der frühen Fachvertreter in den Verschulungs- und Verberuflichungszusammenhang des im Aufbau begriffenen kaufmännischen Bildungswesens. Ähnlich wie Schär waren auch andere Professoren vor und nach ihrem Amtsantritt als Handelslehrer und Lehrbuchautoren im institutionellen Kontext der kaufmännischen Mittelschulen verankert. Die handelswissenschaftlichen Hochschulinstitutionen übernahmen besonders in der Deutschschweiz die hauptsächliche Zuständigkeit für die Ausbildung der Handelslehrer. Ihnen kam damit auch die Funktion zu, im Sinne einer professionellen Elite den Zugang von Neueinsteigern in den Lehrbereich der kaufmännischen Bildung zu regulieren. Die fortgesetzten berufsbiographischen Verbindungen zwischen Mittel- und Hochschulen verweisen auf die geringe soziale Abgeschlossenheit dieser akademischen Elitegruppe. Solche Verbindungen machen die engen Beziehungen zwischen den verschiedenen Niveaus des kaufmännischen Bildungswesens (Berufsschule, Handelsschule, Universität) sichtbar. Ein gemeinsames Netzwerk der kaufmännischen Bildungsinstitutionen mit vergleichsweise hoher vertikaler Durchlässigkeit erlaubte nicht nur den einzelnen Akteuren den Wechsel zwischen den verschiedenen Tätigkeitsfeldern, es schuf auch gute Bedingungen für den Transfer von Wissensinhalten zwischen den verschiedenen Bildungsstufen.

23 Schär, 1924: 305. 24 Eidgenössisches Handelsdepartement, 1914: 338. 126

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2. Verwissenschaftlichung der Betriebsführung Am Beispiel der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert schildert der Wirtschaftshistoriker Alfred Chandler mit seinem Konzept der „Managerial Revolution“ den Aufstieg eines neuen „ökonomischen Menschen“: des auf Leitungs- oder auch auf mittlerer Führungsebene angestellten Managers, der zum strukturbestimmenden Element moderner Großunternehmen wurde.25 In der Schweiz erlebten die Industriebetriebe vor dem Ersten Weltkrieg eine beschleunigte Entwicklung hin zum modernen Unternehmertum. Es entstanden neue Industriezweige, die nicht nur einen hohen technischen Komplexitätsgrad aufwiesen, sondern aufgrund ihrer oftmals multinationalen Wachstumsstrategien mit verteilten Standorten auch über zunehmend komplexe Organisationsstrukturen verfügten. In diesen rasch wachsenden Betrieben stieß die Führung durch einen einzelnen Unternehmer oder durch eine kleine Verwandtengruppe bald einmal an ihre Grenzen. Die neuen Betriebsstrukturen erforderten eine Differenzierung der Unternehmensleitung nach funktionalen und hierarchischen Kriterien unter Beizug von Experten. In vielen Fällen resultierte daraus ein Wechsel des Führungsmodells. Familienfirmen wurden umgebaut in von Managern ohne großen Kapitalbesitz geführte Aktiengesellschaften und damit der Übergang vom traditionellen „Eigentümerkapitalismus“ zum „Managerkapitalismus“ eingeleitet. An Stelle des familialen Patriarchalismus etablierten sich nun auch in der Schweiz neue Leitlinien unternehmerischen Handelns. Wie der Historiker Ulrich Pfister vermerkt, ging der Ausbau der früher stark personalisierten Unternehmensführung durch eine formale Betriebsorganisation einher mit der Ausdifferenzierung des unternehmerischen Handelns zu einem „eigenen sozialen Feld mit spezifischen Diskursen, Wissensbeständen und Handlungsregulativen“.26 Die Entstehung einer akademischen Unternehmerslehre Anfang des 20. Jahrhunderts kann sowohl als Motor wie auch als Reflex dieser Entwicklungen gesehen werden. Im größeren Ausmaß fanden wissenschaftliche Perspektiven in der Schweiz allerdings erst ab der Zwischenkriegszeit mit der in Amerika entwickelten „wissenschaftlichen Betriebsführung“ Eingang in die Unternehmenspraxis.27 In seinen Hauptwerken „Shop Management“ (1903) und „The Principles of Scientific Management“ (1911) präsentierte der amerikanische Ingenieur und Unternehmensberater Frederick Winslow Taylor sein Programm einer wissen-

25 Chandler, 1977. 26 Pfister, 1998: 38. 27 Siegrist, 1981; Jaun, 1986. 127

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schaftlichen Betriebsführung („Scientific Management“). Auf der Grundlage von Zeit- und Bewegungsstudien entwickelte er verschiedene Verfahren zur Beschleunigung des Produktionsprozesses bei einer gleichzeitigen Verringerung der Stückkosten. Wichtige Bestandteile seines Betriebsmodells waren die Intensivierung der Arbeitsteilung, die Einführung von Akkordarbeit und Prämienlöhnen, die Verschriftlichung der Arbeitsanordnungen und ein buchhalterisches System, das den Anforderungen der genauen Messung und Vergleichbarkeit des erzielten Produktivitätsfortschrittes entsprechen konnte.28 In seinen Hauptintentionen verwies das tayloristische Programm jedoch weit über solche technisch-organisatorischen Maßnahmen zur Rationalisierung der betrieblichen Produktionsabläufe hinaus: nämlich auf die Bewältigung des Interessengegensatzes zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Methoden der wissenschaftlichen Betriebsführung sollten über wesentliche betriebliche Produktivitätssteigerungen letztlich zu Wohlstand und sozialem Frieden führen. So machte Taylor in „The Principles of Scientific Management“ geltend: „The principal object of management should be to secure the maximum prosperity for the employer, coupled with the maximum prosperity for each employee.“29 Der Schweizer Professor für Betriebswirtschaftslehre Hans Töndury wies auf einen zweiten zentralen Aspekt des Rationalisierungstopos hin, wenn er argumentierte: „Rationalisieren heißt auf wissenschaftliche Beobachtung und Analyse abstellen, heißt mit anderen Worten alle zu lösenden Fragen zu objektivieren. Diese Objektivierung ist es, die die Rationalisierung auch zu einem Element des Friedens macht oder machen kann.“30 Mit dem tayloristischen Projekt wurden metrisierende und standardisierende Praktiken (Messungen, Zählungen und Experimente), die über den Objektivitätsanspruch naturwissenschaftlicher Vorgehensweisen verfügten, ins Repertoire der Betriebsführung eingeführt. Die Figur des Unternehmensführers war jedoch denkbar schlecht dazu geeignet, den Standpunkt wissenschaftlicher Unparteilichkeit zu repräsentieren. Der tayloristische Experte hingegen verlieh den unternehmerischen Entscheidungen die Aura der wissenschaftlichen Objektivität. Als Laienhandeln deklariert, wurde der traditionelle Modus der Unternehmensführung nun mit Ineffizienz und Willkür gleichgesetzt, während der neue Modus der wissenschaftlichen Betriebsführung in Richtung eines ökonomischen und sozialen Modernisierungsprozesses verwies.31 28 29 30 31

Merkle, 1980. Taylor, 1947 >1911@: 9. Töndury, 1929: 41. Merkle, 1980: 15; Miller, 2003: 567-568; vgl. auch Miller/Rose, 1994.

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Vor dem Hintergrund der Verwissenschaftlichungs- und Rationalisierungsdiskurses der Zwischenkriegszeit konkretisierten sich für die schweizerischen Betriebswirte die Möglichkeiten, als Sachverständige der Betriebsführung in der Privatwirtschaft agieren zu können. Allerdings war der Bedarf der Betriebe an kaufmännischem Personal mit einer Hochschulausbildung in der Zwischenkriegszeit noch bescheiden. Wie König, Siegrist und Vetterli in ihrer Untersuchung zur Geschichte der schweizerischen Angestellten aufzeigen, wurden Mittel- und Hochschulabsolventen häufiger für technische als für kaufmännisch-administrative Funktionen rekrutiert.32 Der Taylorismus förderte den Aufbau neuer sozialer Netzwerke, welche die Wirtschaftspraxis mit betriebswirtschaftlichen Expertenfeldern verbanden. Zudem war das tayloristische Programm mit der Forderung verbunden, dass an die Stelle der traditional oder charismatisch legitimierten Herrschaft im Unternehmen szientistisch abgestütztes Fachwissen und neutraler Sachverstand treten müssten. Die Bearbeitung von Betriebsführungs- und Organisationsproblemen wurde damit zur Sphäre der wissenschaftlichen Expertise erklärt. Dies begünstigte die Entstehung von neuen Formen des wirtschaftsnahen Expertentums und trug dazu bei, dass längerfristig eine Transformation der unternehmerischen Karrieremuster eingeleitet wurde.

Rationalisierungsbewegung und Betriebswissenschaft Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in verschiedenen europäischen Ländern Vereinigungen für die Verbreitung und die praktische Umsetzung von Rationalisierungsmassnahmen nach den Vorgaben der wissenschaftlichen Betriebsführung gegründet. Neben diesen nationalen Initiativen formierte sich in den 1920er Jahren eine internationale Rationalisierungsbewegung. 1924 wurde in Prag ein erster internationaler Kongress für wissenschaftliche Betriebsführung unter dem Patronat des späteren amerikanischen Präsidenten Herbert Hoover und des damaligen tschechoslowakischen Präsidenten Thomas Masaryk durchgeführt. Weitere internationale Rationalisierungskongresse folgten in Brüssel, Rom, Paris und London. Ab 1926 wurden diese Konferenzen vom „Conseil International pour l’Organisation Scientifique“ (CIOS) durchgeführt.33 Wie der Historiker Rudolf Jaun argumentiert, nahm die Rationalisierungsbewegung in der Schweiz „ihren Anfang als Reaktion auf die krisenhaften wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen am

32 König/Siegrist/Vetterli, 1985: 124. 33 ASOS, 1970; Leimgruber, 2001: 37. 129

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Ende des Ersten Weltkriegs und in den frühen 1920er Jahren.“34 Sie war auch eine reformerisch ausgerichtete Reaktion auf die Arbeiterbewegung und auf das „bürgerliche Trauma“ des Landesgeneralstreiks von 1918. Die Bewegung verfügte sowohl über eine lebensreformerische als auch über eine gesellschaftsreformerische Anhängerschaft, in der gewerkschaftliche Orientierungen mitvertreten waren. Im Unterschied zu Deutschland, wo Anfang der 1920er Jahre ein zentrales „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit“ geschaffen wurde, institutionalisierte sich die Bewegung in der Schweiz zunächst in Form eines losen Netzwerkes wirtschaftsnaher Vereinigungen. Diese beschäftigten sich mit der Organisation von Studienreisen in die USA, der Durchführung von Vortragszyklen und Kursen zu amerikanischen Methoden der Unternehmensführung und förderten den Erfahrungsaustausch unter Industriellen. 1917 organisierte William Rappard, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Genf, gemeinsam mit der amerikanischen Botschaft den Amerikabesuch von zwei schweizerischen Journalistengruppen. Ziel dieser Aktion war es, in Politik und Unternehmenswelt ein positives Bild der Vereinigten Staaten zu vermitteln. In der Folge dieser Besuche entstand 1919 mit den „Swiss Friends of the United States of America“ (SFUSA) die erste Vereinigung des schweizerischen Taylorismus. Ihre Gründer gehörten zur Mehrzahl zürcherischen Kaufmanns- und Industriellenkreisen an. Die Mitgliedschaftsklausel der SFUSA schrieb das Schweizer Bürgerrecht und einen Auslandaufenthalt in den USA vor. 1926 kam es zur Gründung der „Kommission für Rationelles Wirtschaften“ als einer Arbeitsgruppe innerhalb der SFUSA. Sie sollte sich der systematischen Verbreitung der wissenschaftlichen Betriebsführung widmen. Zunehmend wurden nun auch Sachverständige und Wissenschaftsvertreter in die Vereinigung aufgenommen.35 Im Zusammenhang des Rationalisierungsdiskurses etablierte sich an den technischen Hochschulen des deutschsprachigen Raums die neue Disziplin der Betriebswissenschaft. Sie verstand sich in der tayloristischingenieurialen Tradition als Lehre von der wirtschaftlichen Organisation der Produktionsmittel. In der Schweiz schlossen sich in den 1920er Jahren maßgebende Industrievertreter zu einer Förderungsgesellschaft für die Gründung einer betriebswissenschaftlichen Einrichtung an der ETH in Zürich zusammen. Als Resultat dieser Bestrebungen wurde 1929 das „Betriebswissenschaftliche Institut“ (BWI) ins Leben gerufen. Es handelte sich dabei um eine der ETH angeschlossene, halbprivate Anstalt,

34 Jaun, 1986: 15. 35 Ebd.: 93-111. 130

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die sowohl durch die Privatwirtschaft wie auch durch den Staat finanziert wurde. Die Leitung des Instituts wurde dem Professor für Nationalökonomie Eugen Böhler übertragen. Als Leiter der vorerst einzigen „Abteilung für Allgemeine Betriebsforschung“ fungierte der Privatdozent Alfred Walther, der später in Bern mit einem Ordinariat für Betriebswirtschaftslehre die Nachfolge von Hans Töndury antrat. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde Walther als erster Herausgeber von „Die Unternehmung“ sowie als Autor einer Gesamtdarstellung zur „Wirtschaftslehre der Unternehmung“36 zu einem zentralen Akteur der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre.37 Er hatte an der ETH Bauingenieur studiert und arbeitete dann längere Zeit in der Bau- und Fabrikindustrie. Später war er auch als wirtschaftlicher Berater in staatlichen Betrieben und industriellen Unternehmen tätig.38 Der erste Lehrstuhl für Betriebswissenschaften wurde an der ETH im Jahr 1931 eingerichtet und mit dem Westschweizer Ingenieur und Firmendirektor René de Vallière besetzt. Das Betriebswissenschaftliche Institut sollte als Bindeglied zwischen der Schweizer Industrie und der technischen Hochschule fungieren. Es war geplant, dass die Industrie Problemstellungen aus den Bereichen Betriebsorganisation, Rechnungswesen, Baubetrieb, Fabrikbetrieb, Werkstatttechnik und Herstellungsverfahren, Psychotechnik und Arbeitshygiene sowie dem Normenwesen an das Institut herantragen sollte. Während der zeitgleich mit der Institutsgründung einsetzenden Wirtschaftskrise zeigte die Privatwirtschaft allerdings nur noch wenig Interesse an Rationalisierungsfragen. In dieser Zeit hatten alle Einrichtungen der Rationalisierungsbewegung mit massiven Problemen zu kämpfen, weil die wirtschaftliche Krise in der öffentlichen Debatte oftmals mit Fehlrationalisierungen erklärt wurde. Erst ab den 1930er kam es zu einer engen Zusammenarbeit des Instituts mit der schweizerischen Maschinenindustrie. Trotz Anfangsschwierigkeiten konnte sich das auf die Interessen der Großindustriellen zugeschnittene Betriebswissenschaftliche Institut in der Folge als wichtigste schweizerische Rationalisierungsinstanz etablieren.39

36 37 38 39

Walther, 1947, 1953. Siehe zu Alfred Walther auch S. 96. Kipfer, 1949: 148; Jaun, 1986: 119. Zur Geschichte des Betriebswissenschaftlichen Instituts siehe Dänzer, 1955; Jaun, 1986: 112-123; Gugerli/Kupper/Speich, 2005: 184-189. 131

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Neue Wirtschaftsexperten In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts belegten die Absolventen des eidgenössischen Polytechnikums in Zürich und der ab 1874 gegründeten kantonalen technischen Mittelschulen als formal qualifizierte Techniker und Ingenieure zunehmend die höheren Angestelltenpositionen in der schweizerischen Industrie. Als Betriebstechniker mit Vorgesetztenfunktion im Fabrikationsbetrieb oder als leitende Bürotechniker nahmen sie oftmals eine Mittelstellung zwischen der Unternehmensleitung und den Angestellten oder Arbeitern ein. Ab dem Ersten Weltkrieg eröffneten sich den Ingenieuren mit der wissenschaftlichen Betriebsführung neue Möglichkeiten, sich als wissenschaftlich legitimierte „Schiedsrichter“ zwischen Arbeit und Kapital ein Tätigkeitsfeld in der Industrie zu sichern.40 Damit kam es in der Schweiz zu ähnlichen Entwicklungen, wie sie Luc Boltanski für Frankreich aufzeigt. Die Ingenieure wurden dort zum Zentrum einer heterogenen, „zwischen den Klassen“ angesiedelten, sozialen Gruppierung. Sie standen in diesem Amalgam für hohe Qualifikationen, fachliche Kompetenz, hohes Sozialprestige und für die sozialtechnische Modernisierung. Als Professionelle mit akademischem Abschluss repräsentierten die französischen Ingenieure außerdem einen, durch Bildungspatente zum Ausdruck gebrachten, Übergang zum meritokratischen Gesellschaftsprinzip.41 Unter Anknüpfung an das Projekt der Standardisierung und kalkulatorischen Verwissenschaftlichung der Unternehmensprozesse etablierten sich im Rationalisierungsdiskurs der Zwischenkriegszeit neben den Ingenieuren auch andere Expertengruppen. So unternahmen die Vertreter der neuen „angewandten Psychologie“ oder der „Psychotechnik“ Bestrebungen, ihre Wissensbestände systematisch in den Dienst der Industrie zu stellen. Die 1922 eröffnete und von Léon Walther geleitete technopsychologische Abteilung des „Institut Rousseau“ in Genf und das 1923 durch Jules Suter gegründete „Psychotechnische Institut“ in Zürich wurden zu wichtigen Einrichtungen der schweizerischen Rationalisierungsbewegung.42 Mit den Bücherexperten und den Werbefachleuten setzten sich in der Zwischenkriegszeit zwei weitere Felder der wirtschaftsnahen Expertise durch, die eng mit der Betriebswirtschaftslehre verbunden sind. Das Fachgebiet der Werbung fand parallel zu seiner Etablierung im Berufsfeld auch Aufnahme in das Curriculum der betriebswirtschaftlichen

40 König/Siegrist/Vetterli, 1985: 348; Leimgruber, 2001. 41 Boltanski, 1990. 42 Messerli, 1996. 132

AUSSENORIENTIERUNGEN

Hochschulinstitutionen: An der Handelshochschule St. Gallen wurde 1932 ein Ordinariat für Warenhandelsbetriebslehre, Markt- und Werbewesen geschaffen und mit Arthur Lisowsky besetzt, der zum bekanntesten Vertreter der schweizerischen Werbelehre wurde. An der Universität Neuenburg war Frédéric Scheurer (fils) ab 1938 auch mit dem Lehrbereich „Publicité commerciale“ betraut. Die Bücherexperten üben als Berufsgruppe eine teilweise gesetzlich vorgeschriebene Kontrollfunktion im Bereich der Buchführung aus. Im Rahmen des Treuhandwesens sind sie auch als freiberufliche Berater tätig. In der betriebswirtschaftlichen Lehre und Forschung verfügen Buchführungsprobleme verfügten bereits seit den Anfangszeiten über einen hohen Stellenwert. Als 1913 die Berufsvereinigung des „Treuhandverbands Schweizerischer Bücherrevisoren“ gegründet wurde, betätigten sich Professoren der Handelswissenschaften und späteren Betriebswirtschaftslehre als treibende Kräfte. Bereits ein Jahr später erfolgte die Umbenennung in „Verband Schweizerischer Bücherexperten“ (VSB). Der Verband verzichtete auf eine vollständige Akademisierung der Bücherexperten-Laufbahn und wählte den Weg einer, sowohl an Praktiker als auch an Personen mit akademischer Vorbildung gerichteten, Fachprüfung. In der Zwischenkriegszeit konnten sich die Bücherexperten eine zentrale Position auf dem Beratungsmarkt sichern. Obwohl die Bestrebungen des Verbands für ein Funktionsmonopol nicht von Erfolg gekrönt waren, setzten sich die Diplome der Bücherexperten auf dem Arbeitsmarkt durch und wurden von den Arbeitgebern auch höher honoriert.43 Im Rahmen der Rationalisierungsbestrebungen wurden Wissensbestände mit betriebswirtschaftlichem Referenzrahmen zu neuen Berufsfeldern der wirtschaftsnahen Expertise ausgebaut. Gleichzeitig betätigten sich die Hochschullehrer der Betriebswirtschaftslehre selber als Sachverständige für Rationalisierungsfragen. Wie der Historiker Matthieu Leimgruber in seiner Untersuchung über die 1928 gegründete Westschweizer Rationalisierungskommission („Commission Romande de Rationalisation“) zeigt, waren verschiedene Betriebswirtschaftsprofessoren der französischsprachigen Schweiz in der Rationalisierungsbewegung aktiv. So war der Neuenburger Ordinarius für „Économie commerciale“ Frédéric Scheurer (père) ein Vorstandsmitglied der Westschweizer Rationalisierungskommission. Er hielt an der Universität eine regelmäßige Lehrveranstaltung zu „Organisation rationnelle des usines“. Als Präsident des „Verbands Schweizerischer Bücherexperten“ (VSB) fungierte Scheurer zudem als Bindeglied zwischen dieser Berufsgruppe 43 König, 1990; Leimgruber, 2001: 89-103. 133

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und den Handelswissenschaften. Edouard Folliet, Professor für „Technique commerciale“ an der Universität Genf, war Gründungsmitglied des VSB. Sein Genfer Berufskollege Claudius P. Terrier, Professor für Économie commerciale“, belegte in derselben Vereinigung das Amt des Vizepräsidenten. Beide waren auch Mitglieder der Westschweizer Rationalisierungskommission.44 Unter den Professoren an den Universitäten der Deutschschweiz interessierte sich besonders der bereits vorgestellte Hans Töndury für die Rationalisierungsfrage.45 Als Professor für Betriebswirtschaftslehre betreute er in Bern Dissertationen zu zentralen Fragestellungen der wissenschaftlichen Betriebsführung wie beispielsweise der Arbeitsrationalisierung oder den Prinzipien der „Fliessarbeit“. Töndury war Gründungsmitglied des VSB und Mitglied der innerhalb der SFUSA gegründeten „Kommission für Rationelles Wirtschaften“. 1929 übernahm er vom Berner Nationalökonomen Naum Reichesberg die Schriftenleitung der kathedersozialistisch ausgerichteten Zeitschrift „Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik“, die er unter neuem Titel und mit abgeändertem Programm als „Schweizerische Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Arbeitsgestaltung“ weiterführte.46 An der Handelshochschule St. Gallen wurden die wissenschaftliche Betriebsführung und die Rationalisierungsthematik von verschiedenen Professoren sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule aktiv vertreten. Der Betriebswirtschaftsprofessor Robert Debes führte in St. Gallen Lehrveranstaltungen zu Frederick Winslow Taylor und Henry Ford durch und verfasste Publikationen zu Fragen der „rationellen Buchhaltung“. Zudem unternahm Debes mit Unterstützung der Handelshochschule eine Studienreise in die USA.47 Sein Fachkollege Emil Gsell vertrat die Handelshochschule an verschiedenen Kongressen der internationalen Rationalisierungsbewegung. Am Kongress des „Conseil International pour l’Organisation Scientifique“ 1935 in London referierte Gsell über die von Gottlieb Duttweiler praktizierten Rationalisierungen im Lebensmittel-Einzelhandel bei der Migros.48 Die Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit bot eine Plattform für den intensivierten Austausch zwischen Vertretern der Privatwirtschaft, der Hochschulen und unternehmensnahen Expertengruppen. Neben interessierten Unternehmern waren Professoren der Ingenieurwissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre, aber auch Psychotech44 45 46 47 48

Leimgruber, 2001. Vgl. zu Hans Töndury auch S. 90-94. Jaun, 1986: 49-51. Ebd.: 49. Pfoertner, 2001: 225-228.

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AUSSENORIENTIERUNGEN

niker, Bücherexperten und Werbefachleute in den Organen der Rationalisierungsbewegung aktiv. Die „Kommission für Rationelles Wirtschaften“, die „Commission Romande de Rationalisation“ und das Betriebswissenschaftliche Institut übernahmen dabei die Funktion, rationalisierungsbezogene Wissens- und Deutungsinhalte zwischen verschiedenen Handlungsfeldern zu übersetzen. In diesem Kontext boten sich der Betriebswirtschaftslehre gute Möglichkeiten, ihre Wissensbestände in ein breites Netzwerk der unternehmensnahen Expertise einzubinden und sich dadurch als akademisch legitimierte Sachverständigengruppe der Betriebsführung zu etablieren.

3. Akademisierung der Wirtschaftseliten Vor den ersten kaufmännischen Bildungseinrichtungen geschah die Ausbildung zukünftiger Kaufleute durch Angewöhnung und Übung in der Betriebspraxis. Söhne aus vermögenden Familien verbrachten zudem oft einige Zeit im Ausland, um sich die für die internationale Handelstätigkeit wichtigen Fremdsprachenkenntnisse zu erwerben. Abgesehen von der Ausbildung der Handelslehrer und der wirtschaftlichen Bildung von Juristen und Beamten wurden die handelswissenschaftlichen Hochschuleinrichtungen mit der Absicht geschaffen, eine spezialisierte Ausbildung für die zukünftigen Eliten des Kaufmannsberufs anzubieten. Dabei blieb für die Befürworter einer Akademisierung des kaufmännischen Werdegangs unbestritten, dass eine Hochschulausbildung die Praxiserfahrung nicht ersetzen könne. So vermerkte etwa Johann Friedrich Schär: „Wir sind weit entfernt, zu glauben, dass wir auf dem Wege der Hochschulbildung fertige Kaufleute heranbilden können.“49 Der Hochschule kommt für Schär die Aufgabe zu, den nötigen Bildungshintergrund zu vermitteln und die geistig-moralische Entwicklung der Studierenden zu fördern. Der eigentliche Kaufmannsberuf hingegen müsse wie bisher in der Praxis und allenfalls durch den Aufenthalt in fremden Ländern erlernt werden. Weiter stand für ihn fest, dass eine kaufmännische Laufbahn nur dann zum Erfolg führen könne, wenn der Beruf durch die „nötigen Charaktereigenschaften“ bereits im Lernenden angelegt ist. Die von Schär und anderen frühen Repräsentanten der Handelswissenschaften geforderte Akademisierung des Kaufmannsberufs war nicht darauf ausgerichtet, angehende Verantwortungsträger in Handel und Wirtschaft in eine konkrete Berufstätigkeit einzuführen. Im Unterschied zu den klassischen Professionen (Mediziner, Juristen, Theologen) mit ih49 Schär, 1904: 23-24. 135

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rem Quasi-Monopol für ein bestimmtes Tätigkeitsfeld bewegten sich Akademiker mit einer handelswissenschaftlichen und später betriebswirtschaftlichen Ausbildung auf offenen Beschäftigungsmärkten. Wer sich nicht dem Handelslehrerberuf zuwandte, sondern auf eine Stellung in der Privatwirtschaft oder in der öffentlichen Verwaltung aspirierte, sah sich auf dem Arbeitsmarkt einer breiten Konkurrenz von unterschiedlichsten Qualifikationsträgern gegenüber. In ihrer Untersuchung zu den deutschen Diplom-Kaufleuten beurteilt Heike Franz den beruflichen Erfolg der Handelshochschulabsolventen mit kaufmännischem Diplom als wenig zufrieden stellend. In der Zeitschrift des „Verbands Deutscher Diplom-Kaufleute“ häuften sich vor dem Ersten Weltkrieg Klagen über die Schwierigkeiten der Handelshochschulabsolventen, eine ihrer Ausbildung angemessene Stellung zu finden. Franz kommt zum Schluss, dass es den Diplom-Kaufleuten zwar gelang, in den privaten Unternehmen Fuß zu fassen, aber nur wenige von ihnen erreichten wirtschaftliche Führungsstellen. Dies lasse sich unter anderem mit der einseitigen Konzentration des kaufmännischen Studiums auf den Bereich des Rechnungswesens begründen: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Diplom-Kaufleute fand ihre Beschäftigung in den expandierenden Buchhaltungs- und Rechnungsabteilungen der Unternehmen. Dabei handelte es sich gerade um diejenigen Unternehmensbereiche, in denen kaum eine Möglichkeit bestand, in Führungspositionen aufzusteigen.50 In der Schweiz, wo an vielen Hochschulen keine spezialisierten Bildungsabschlüsse für Handelswissenschaften existierten und es auch keinen entsprechenden Berufsverband gab, lässt sich der berufliche Erfolg oder Misserfolg dieser Akademikergruppe nur schwer ermitteln. Wie die Historiker König, Siegrist und Vetterli aufzeigen, waren in den schweizerischen Unternehmen Angestellte mit wirtschaftswissenschaftlichen Bildungsabschlüssen bis nach dem Zweiten Weltkrieg nicht häufig anzutreffen. Gegen die Heranziehung von Hochschulabsolventen mit wirtschaftswissenschaftlicher Qualifikation sprach laut den Autoren die Erfahrung der Unternehmensleiter, dass gelernte und erfahrene Kaufleute – allenfalls in Zusammenarbeit mit Ingenieuren – die wirtschaftlichen und Managementprobleme eines Unternehmens auch ohne die Unterstützung von weiteren akademischen Spezialisten lösen konnten. Hinzu sei ein für die Schweiz „lange Zeit typischer Pragmatismus“ gekommen, der hohe Ausbildungskosten oder eine stärkere Akademisierung generell skeptisch beurteilte und gerne vermieden habe.51

50 Franz, 1998: 180-253. 51 König/Siegrist/Vetterli, 1985: 434-435. 136

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Damit zeigte sich eine Koppelungsproblematik zwischen der öffentlichen Bildungsinstitution Universität und dem privatwirtschaftlichen Feld, die nicht nach dem professionellen Vorbild der berufsgruppeninternen Regulation aufgelöst werden konnte.52 Hochschulen, die nach dem Modell von „Praktikerschulen“ organisiert waren, versuchten diese Koppelungsproblematik durch eine Einbindung der Berufseliten in die Bildungsinstitution zu bewältigen. Die Handelswissenschaften verfügten zwar über gute Verbindungen zur kaufmännischen Berufsbildung, aber nicht unbedingt zur Privatwirtschaft. Ab den 1940er Jahren wurden vermehrt auch Hochschullehrer berufen, die in der Wirtschaft bereits Führungspositionen eingenommen hatten. So verfügte beispielsweise Alfred Walther an der Universität Bern (Professor von 1940-55) über langjährige Erfahrung in der Bau- und Fabrikindustrie und war dort meist in leitender Stellung tätig gewesen. Maurice Bourquin war als Bücherexperte bis zum Vizedirektor des Lausanner Treuhandbüros „FIDES“ aufgestiegen, bevor er 1943 an der Universität Lausanne eine Professur für „Technique commerciale“ übernahm. Der St. Galler Professor Christian Gasser hatte vor seinem Amtsantritt im Jahr 1948 in leitender Stellung im Versicherungsbereich gearbeitet. Nach einigen Jahren im Professorenberuf wechselte er zurück in die Privatwirtschaft. Als Praktiker schlechthin galt Gassers Fachkollege Hans Mötteli. Dieser war zunächst beim Steueramt des Kantons Zürich als Steuerkommissär angestellt gewesen, hatte dann als Prokurist und Direktionssekretär in die Sulzer AG und anschließend während zehn Jahren als kaufmännischer Direktor bei der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. gearbeitet. Nach langjähriger Praxistätigkeit übernahm Mötteli 1949, im Alter von 52 Jahren, an der Hochschule St. Gallen eine Professur für „Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Industriebetriebslehre“.

Management nach amerikanischem Vorbild Nach einer Blütezeit der wissenschaftlichen Betriebsführung kam es in den USA ab den 1920er Jahren zu einer Neuorientierung der Theoriebildung, die durch Erkenntnisse aus der angewandten Psychologie ausgelöst wurde. Insbesondere die Arbeiten des Psychologen Elton Mayo (bekannt ist seine „Hawthorne-Studie“) verhalfen einer multidisziplinären Betrachtungsweise der betrieblichen Arbeitsbeziehungen zum Durchbruch. Sie fokussierte auf die Psycho- und Soziodynamiken in der Arbeitswelt. In Abgrenzung zu den technizistischen und ökonomistischen 52 Vgl. Stichweh, 1994: 328. 137

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Konzeptionen der wissenschaftlichen Betriebsführung wurden unter dem Leitbegriff der „Humanbeziehungen“ („Human Relations“) verstärkt die interpersonale Ebene des Betriebsgeschehens und dabei insbesondere Fragen der Loyalitäts- und Motivationsförderung in den Vordergrund gestellt.53 Mit Taylors Programm waren technisch-organisatorische Problemstellungen der Unternehmensführung durch standardisierte Untersuchungsverfahren bearbeitet worden. Neu wurden nun auch die psychologischen und die sozialen Dimensionen der Unternehmen einer wissenschaftlichen Beurteilung und Bearbeitung unterzogen. Mit derselben Zielsetzung, die Produktivität von Unternehmen zu steigern, traten neben die Experten des „Scientific Management“ die Sachverständigen der „Human Relations“. Parallel zu dieser Transformation der Expertenfelder kam es in den USA zur Bündelung der Verwissenschaftlichungsbestrebungen im neuen Fächerkomplex der Unternehmensführungslehre. Unter Fachbezeichnungen wie „General Management“, „Top Management“, „Enterprise Direction“ oder auch „Business Policy“ entwickelte sich eine Reihe von Subdisziplinen, die sich mit den Aufgaben, Rollen und Funktionen der Unternehmensleitung auseinandersetzten.54 Diese Fachbereiche wurde in den USA in der Regel im Rahmen der Studienrichtung „Business Administration“ unterrichtet. Sie konnten nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend auch auf Postgraduiertenstufe (Abschlusstitel: „Master of Business Administration“, MBA) absolviert werden.55 In Europa kam es nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext von Bestrebungen zur wirtschaftlichen Produktivitätsförderung zu einer Wiederaufnahme der Rationalisierungsthematik. Eine wichtige Rolle übernahmen die von den USA durchgeführten Produktivitätsförderungsprogramme, welche die Professionalisierung der europäischen Unternehmensführer und Manager voranzutreiben suchten. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Aktivitäten des „United States Technical Assistance and Productivity Program“ (USTA&P) noch auf das Hauptziel der technologischen Modernisierung Europas ausgerichtet. Bereits in den frühen 1950er Jahren verlagerte das Programm seine Schwerpunkte auf die Aus- und Weiterbildung von europäischen Führungskräften. Dies geschah sowohl auf Grund von Nachhaltigkeitsüberlegungen als auch deshalb, weil man zum Schluss gekommen war, dass die Hauptproblematik der europäischen Industriebetriebe nicht auf deren

53 Waring, 1991: 13-19. 54 Locke, 1989: 163. 55 Rühli, 1978b: 123; Locke, 1989: 159-164. 138

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technische Rückständigkeit zurückzuführen sei. Studien aus den frühen 1950er Jahren verwiesen auf einen deutlichen „Management-Gap“ zwischen den beiden Kontinenten. Europäische Führungskräfte verfügten zwar über gute praktische Fähigkeiten, waren aber in der Regel kaum mit den spezialisierten Wissensbeständen vertraut, die in den USA mittlerweile als Grundelemente einer sach- und fachgerechten Unternehmensführung angesehen wurden.56 Im Unterschied zu den USA wurden an den Hochschulen des deutschen Sprachraums Fragen der Unternehmensführung und Unternehmenspolitik in Lehre und Forschung während langer Zeit vernachlässigt. Dies änderte sich erst in den 1960er und 1970er Jahren mit Ansätzen wie der vorgestellten systemorientierten Unternehmensführungslehre von Hans Ulrich. Noch bevor sich die schweizerische Betriebswirtschaftslehre eingehender mit der Thematik zu beschäftigen begann, waren in den 1940er und 1950er Jahren außerhalb der Universitäten erste Initiativen unternommen worden, um eine Unternehmensführungslehre nach amerikanischem Vorbild zu etablieren. Vor dem Hintergrund der auch in der Schweiz stattfindenden Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung sowie des gesuchten Anschlusses an die von den USA dominierte Weltwirtschaft erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Rationalisierungsthematik eine Wiederaufnahme, es wurden auch neue spezialisierte Fachausbildungen für das unternehmerische Feld eingerichtet. 1949 wurde in Genf ein „Comité National Suisse d’Organisation Scientifique“ (CNSOS) als schweizerische Gruppe innerhalb der internationalen Rationalisierungskommission gegründet. 1951 übernahm das CNSOS die Funktion eines schweizerischen Produktivitätszentrums und machte sich die Koordination all jener Aktivitäten zur Aufgabe, die das „moderne Gedankengut zur Steigerung der Produktivität“ durchsetzen sollten.57 Die Schlüsselfunktionen in diesem losen Dachverband wurden von Mitarbeitern des „Betriebswissenschaftlichen Instituts“ (BWI) der ETH Zürich besetzt. Mit der Wiederbelebung der Rationalisierungs-Netzwerke wurde auch die bereits in der Zwischenkriegszeit gepflegte Tradition der amerikanischen Studienreisen wieder aufgenommen. 1953 beauftragte Eberhard Schmidt, der damalige Direktor des BWI, seinen Vizedirektor Hans Ulrich, an einer Studienreise in die USA teilzunehmen. Durch Anschauungsunterricht an Hochschulinstitutionen wie dem „Massachusetts Institute of Technology“ und der „Harvard University“ sollte Ulrich sich

56 Gourvish/Tiratsoo, 1998. 57 „Comité National Suisse d’Organisation Scientifique“, 1952, S. 5: „Produktivitäts-Tagung“. 139

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über die amerikanischen Weiterbildungsangebote für Unternehmensführungskräfte in Kenntnis setzen, um nach seiner Rückkehr in die Schweiz die Ausarbeitung eines solchen Kursangebotes selber an die Hand nehmen zu können. Als Resultat dieser Studienreise wurden 1954 erstmals die „Schweizerischen Kurse für Unternehmensführung“ als gemeinsames Projekt des BWI, der „Schweizerischen Stiftung für angewandte Psychologie“ und der St. Galler Betriebswirtschaftslehre durchgeführt. Ab 1957 wurde die selbsttragende „Vereinigung Schweizerischer Kurse für Unternehmensführung“ mit der Durchführung der Kurse betraut.58 Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen sich in der Schweiz auch internationale Anbieter von Aus- und Weiterbildungen im Bereich der Unternehmensführungslehre zu betätigen. So entstand 1946 in Genf das „Centre d’Études Industrielles“, das ab 1954 mit der Universität zusammenarbeitete. Das Zentrum wurde durch verschiedene multinationale Unternehmen finanziert und kooperierte auch mit den in Genf anwesenden internationalen Organisationen, insbesondere mit der „Kommission zur Produktivitätssteigerung“ der „Organization for European Economic Co-operation“ (Marshall-Plan).59 In Lausanne entstand aus einer Initiative von Nestlé und der „Harvard Business School“ 1957 ein „Institut pour l’Étude des Méthodes de Direction de l’Entreprise“ (IMEDE). Der Lehrkörper des IMEDE setzte sich aus Professoren und Managern zusammen. Die Ausbildungsprogramme waren nach dem Vorbild der „Harvard Business School“ aufgebaut und wurden größtenteils von Professoren aus Harvard geleitet.60 Die Institution verstand sich von Beginn an als international ausgerichtete Kaderschule, wobei das Hauptgewicht der Ausbildung auf den Lehrbereich der so genannten Unternehmenspolitik („Business Policy“) gelegt und die Vermittlung einer generalistischen Führungsperspektive angestrebt wurde.61

Betriebswirtschaftslehre für Führungskräfte In den ersten Jahrgängen der ab 1947 erscheinenden schweizerischen Fachzeitschrift für Betriebswirtschaftslehre („Die Unternehmung“) nahm die Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen und wissenschaftli58 Pfoertner, 2001: 160-164. Im Jahr 2003 feierten die „Schweizerischen Kurse für Unternehmensführung“ unter dem Motto „Netzwerke leben“ ihr 50jähriges Jubiläum. 59 Leimgruber, 2001: 146. 60 Graves, 1962. 1990 fusionierten das Lausanner IMEDE und die zum „International Management Institute“ umbenannte Genfer Institution zum heute noch bestehenden renommierten „International Institute for Management and Development“ (IMD). 61 Learned, 1962: 53. 140

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chen Entwicklungen der USA viel Platz ein. In zahlreichen Beiträgen wurden dem schweizerischen Publikum amerikanische Forschungs- und Lehrdesiderate wie beispielsweise die wissenschaftliche Betriebsführung, das Marketing oder der „Harvard-Fallstudienansatz“ vorgestellt. Zwischen 1950 und 1957 existierte in den Buchbesprechungen zudem eine eigene Sektion für amerikanische Literatur. Ab 1948 publizierte „Die Unternehmung“ eine ganze Reihe von Amerikaberichten von Schweizer Studienreisenden.62 Diese Berichte setzten sich mit verschiedenen Aspekten des als „Produktivitätswunder“ bezeichneten amerikanischen Wirtschaftsmodells auseinander. In diesem Zusammenhang wurden auch die Strukturunterschiede zwischen der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre und den amerikanischen Ausbildungsangeboten im Bereich des Fachs „Business Administration“ eingehend diskutiert. Dies beispielsweise von Hans Ulrich, der in einem 1953 erschienenen Artikel mit dem Titel „Gedanken zur Hochschulausbildung von Betriebswirtschaftern“ von den Eindrücken seiner AmerikaReise berichtete. Ulrich konstatierte die Skepsis schweizerischer Unternehmer gegenüber akademischen Berufsausbildungen und plädierte in seinem Beitrag für ein Gegenmodell. Er schlug vor, die betriebswirtschaftlichen Bildungseinrichtungen nach dem amerikanischen Modell der praxisnahen akademischen Berufsschulen („Business Schools“) umzugestalten: „Mancher Unternehmensleiter oder sonstwie gehobene Chef im praktischen Wirtschaftsleben wird vielleicht denken, Hochschulausbildung sei eine rein theoretische Angelegenheit, und wird sich an diesen Fragen desinteressieren. Leider trifft dies heute für unsere schweizerischen Verhältnisse noch in großem Ausmaße zu, ist aber für das schnell voraneilende und sehr praxisnahe Amerika nicht mehr so. Wie auch der Redaktor auf seiner soeben erst beendeten mehrwöchigen Studienreise durch die ‚Praxis der USA-Wirtschaft‘ feststellen konnte, ist dort der enge Kontakt der Praxis mit der Ausbildung eine der Voraussetzungen für das Sich-Behaupten der einzelnen Unternehmungen im schnellen Vorschreiten der Entwicklung. Das zeigt, wie auch für unsere schweizerischen Verhältnisse die betriebswirtschaftliche Ausbildung des Nachwuchses an den Hochschulen von der gesamten Wirtschaftspraxis selber ernsthaft geprüft und künftig nach der praktischen Seite hin beeinflusst und unterstützt werden muss. Erst dann kann auch bei uns die Betriebswirtschaftslehre zu dem werden, was sie eigentlich sein könnte und sollte, d.h. zu einer Unternehmensführungslehre.“63

62 U.a. Steiner, 1948; Bernhard, 1950; Hegner, 1953. 63 Ulrich, 1953: 97. 141

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Mit seinem Vorschlag zur Reinterpretation der Betriebswirtschaftslehre als Unternehmensführungslehre machte Ulrich ein im deutschsprachigen Raum noch weitgehend ungenutztes Potential aus: Durch mehr Praxisnähe sollte die Betriebswirtschaftslehre gegenüber unternehmerischen Professionalisierungsbestrebungen anschlussfähiger gemacht werden. Die dafür notwendigen Veränderungen ortete Ulrich in erster Linie im Bereich des akademischen Lehrbetriebs und der Ausbildungsziele. So stellte er denn auch fest, das Ausbildungsmodell der Unternehmensführungslehre könne nicht darin bestehen, jungen Menschen „irgendwelches Wissen“ zu vermitteln. Vielmehr müssten die Hauptanstrengungen darauf gerichtet sein, „sie zu nützlichen Mitarbeitern in Unternehmungen und Betrieben zu erziehen“.64 Die von Ulrich vorgebrachte Argumentation kann als kritische Distanzierung von der – im Vergleich zu amerikanischen Ansätzen – oftmals als theorielastig bezeichneten Wissenschaftstradition der deutschen Betriebswirtschaftslehre verstanden werden. Sein Reinterpretationsprojekt verpflichtete sich einem praktischen Ausbildungsziel: der akademischen Berufsbildung von zukünftigen Unternehmensführern. In den Jahren 1956 und 1957 erschien in „Die Unternehmung“ auch ein über mehrere Zeitschriftennummern hin fortgesetzter Bericht zur „Ausbildung von Unternehmensleitern an USA-Colleges und -Universitäten“. Verfasst wurde er von Cäsar Stucki, Handelslehrer an der kantonalen Handelsschule in Zürich. Stucki hatte bei Alfred Walther an der Universität Bern studiert, das dortige Handelslehrerdiplom erworben und in Wirtschaftswissenschaften promoviert. Ab 1956 war er zudem mit Franz Hegner Redaktor der Zeitschrift „Die Unternehmung“. Auch Stucki berichtete der Leserschaft von seinen im Rahmen einer AmerikaReise gewonnenen Einsichten. Der Beitrag setzt sich mit der Organisationsform der „Business Schools“ auseinander. Er hebt hervor, dass diese Institutionen durch die amerikanische Geschäftswelt eine große Anerkennung und Förderung erfahren würden. Dabei werden die amerikanischen Unternehmensleiter dem schweizerischen Publikum als eine Gruppe von akademisch ausgebildeten Spezialisten vorgestellt, die ähnlich wie die Mediziner Wissensbestände aus unterschiedlichen Disziplinen zu einer spezifischen Berufsrolle zusammenfügen: „In diesem Sinne könnte man beim Unternehmungsleiter von einem Spezialisten sprechen, und zwar von einem solchen besonderer Art, wie ihn etwa der Mediziner verkörpert, der sich nicht für Histologie, Physiologie, Chemie, Bo-

64 Ulrich, 1953: 101. 142

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tanik, Bakteriologie usw. an sich interessiert, sondern nur im Zusammenhang mit seinem speziellen Berufsziel.“65

Sowohl der Beitrag von Stucki als auch jener von Hans Ulrich zeugen davon, dass Fachvertreter der Betriebswirtschaftslehre bereits in den 1950er Jahren erste Bestrebungen unternahmen, um amerikanische Modelle einer akademischen Unternehmensführungslehre dem schweizerischen Publikum näher zu bringen. In der Absicht, die Unternehmen besser an die dynamischen Märkte anzupassen kam es in den meisten westeuropäischen Ländern ab den 1960er Jahren zu wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen. Mit dem Größenwachstum der Unternehmen steigerte sich auch die Komplexität der zu bewältigenden Aufgaben und Funktionen, und es begannen sich neue Modelle der Unternehmensorganisation herauszubilden. Die herkömmlichen Betriebsstrukturen wurden zunehmend durch multidivisionale Organisationsformen ersetzt. Dieser Prozess der produktbezogenen organisatorischen Dezentralisierung ging einher mit der Zentralisierung von spezifischen Kontrollfunktionen in den Unternehmensspitzen. Als eine Konsequenz dieser Neustrukturierung erhielten planende, kontrollierende, steuernde und verwaltende Funktionen in der Betriebsführung eine größere Bedeutung als technische oder funktionale Kompetenzen.66 Vor dem Hintergrund dieser wirtschaftlichen Veränderungen verbesserten sich auch die Möglichkeiten der betriebswirtschaftlichen Fachakteure, durch eine Rekonzeptualisierung ihres Faches als Unternehmensführungslehre neue Anschlüsse an die Wirtschaftspraxis zu finden. Ende der 1960er Jahre mündeten Ulrichs Bestrebungen zur Reformierung der Betriebswirtschaftslehre in seinen systemorientierten Managementansatz und in das damit verbundene St. Galler Lehrmodell.67 Er deklarierte sein Programm als eine an den praktischen Problemen der Unternehmensführung orientierte Gestaltungslehre. Dabei setzte er sich insbesondere mit der Frage nach der Berufsrolle und dem Berufserfolg der Betriebswirte als Spezialisten der Unternehmensführung auseinander. In einem Artikel aus dem Jahr 1972 spricht Ulrich sich explizit für eine Verberuflichung der Unternehmensführung aus: „Historisch betrachtet wurde bis vor kurzem die Führung von Unternehmen teils als Vorrecht und Verpflichtung, teils als Berufung bestimmter Personen aufgefasst, nicht als lernbarer, vielen offener Beruf. Als Vorrecht und Verpflichtung insofern, als das Recht auf die Einnahme der höchsten Führungspo65 Stucki, 1956: 146. 66 Plumpe, 1996: 54. 67 Siehe dazu S. 101-105. 143

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sition mit dem Eigentum verknüpft war und sich auf eine kleine Schicht von Eigentümern beschränkte, als Berufung insofern, als für nachgeordnete Führungspositionen bestimmte angeborene Eigenschaften als notwendige, schicksalhaft gegebene Voraussetzungen angesehen wurden.“68

In einem anderen Text argumentiert Ulrich, dass sich mit einem steigenden Bedarf an höheren und mittleren Führungskräften in modernen Unternehmen zwar die Auffassung durchgesetzt habe, Unternehmensführung sei lernbar, die Ideologie des „Zum-Führen-geboren-Seins“ habe sich aber hartnäckig am Leben erhalten.69 In Abgrenzung zu einem dem Eigentümer zugeschriebenen Recht auf Herrschaft in Unternehmen fordert er für die moderne Leistungsgesellschaft, dass „Führung“ zum erlernbaren Beruf erklärt wird. Ulrichs Modell einer verberuflichten Unternehmensführung verweist auf zwei zentrale Transformationsdimensionen: Auf die wachsende Bedeutung von Qualifikationen (Bildungspatenten) und damit des akademisch legitimierten Sachverstands einerseits, auf die Versachlichung (und akademische Legitimierung) von Führungskompetenzen andererseits. Mit dem von Ulrich formulierten Wissenschafts- und Lehrprogramm bewarb sich die Betriebswirtschaftslehre um einen Platz als meritokratisch legitimierte Reproduktionsinstanz für Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung.

Masters of Business? Eine vom Autorenteam Richard Whitley, Alan Thomas und Jane Marceau in den 1980er Jahren durchgeführte Untersuchung mit dem Titel „Masters of Business? Business Schools and Business Graduates in Britain and France“ geht der Frage nach dem Berufserfolg der Absolventen von Ausbildungen im Bereich der Unternehmensführungslehre nach. Dies am Beispiel der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Ländern nach amerikanischem Vorbild gegründeten „Business Schools“. Die Studierenden dieser Schulen erwarben in der Regel den Bildungstitel „Master of Business Administration“ (MBA). Wie die Autoren aufzeigen, standen die Träger dieser Bildungspatente auf dem Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu Autodidakten wie auch zu den Absolventen der traditionellerweise für Spitzenpositionen qualifizierenden ingenieur- oder rechtswissenschaftlichen Hochschulausbildungen. Das Autorenteam kommt zum Schluss, dass das Interesse an

68 Ulrich, 2001 [1971b]: 95. 69 Ulrich, 2001 [1972]: 106. 144

AUSSENORIENTIERUNGEN

akademisch gebildeten Führungskräften in der Privatwirtschaft zwar gestiegen, die Entscheidungskompetenz über den Zugang zu betrieblichen Elitepositionen damit aber keineswegs an die Bildungsinstitutionen abgegeben worden sei: „The education system is far from monopolizing access to particular parts of the elite managerial structure and still less of dominating promotion and selection policies and chances of access to the few positions at board level in major concerns.“ 70 Wie neuere Studien zur Rekrutierung von Wirtschaftseliten aufzeigen, stärkt die Informalität der Auslesmodi in den Unternehmen die soziale Selektivität gegenüber der Geltung formaler Bildungstitel. Für den Zugang zu unternehmerischen Spitzenpositionen ist deshalb bis in die Gegenwart der standesgemäße Habitus entscheidend geblieben. Weiterhin kommen Kriterien der sozialen Herkunft vor jenen des beruflichen Bildungshintergrunds eine Vorrangstellung zu.71 Eine Untersuchung von Hans Hollenstein aus dem Jahr 1987 liefert Hinweise darauf, dass der Berufserfolg der schweizerischen Betriebswirte in wirtschaftlichen Kaderpositionen bis in die 1980er Jahre bescheiden blieb. Gemäß dieser Untersuchung verfügte nur rund die Hälfte der schweizerischen „Spitzenmanager“ überhaupt über einen Studienabschluss. Darunter waren die Ingenieurwissenschaftler mit 39 Prozent am besten vertreten, 35 Prozent hatten ein wirtschafts- oder sozialwissenschaftliches Studium absolviert, die Juristen folgten mit 24 Prozent auf Platz drei. Bei den Wirtschaftswissenschaftlern überwogen die Absolventen der Hochschule St. Gallen mit 33 Prozent.72 In einer neueren Studie (2005) kommt der Freiburger Professor für Betriebswirtschaftslehre Eric Davoine zum Schluss, dass mittlerweile gut 79 Prozent aller in Schweizer Unternehmen tätigen „Topmanager“ über einen Universitätsabschluss verfügen.73 Darunter sind die Wirtschaftswissenschaftler mit mehr als 40 Prozent am besten vertreten, als nächstes folgen die Naturwissenschaftler mit gut 30 Prozent, gefolgt von den Juristen mit 15 Prozent. „Topmanager“, die ihre Universitätsabschlüsse in der Schweiz erworbenen haben, besuchten hauptsächlich die ETH Zürich (25%) oder die 1995 zur Universität umbenannte St. Gallener Hochschule (21%). Die anderen universitären Hochschulen stellten jeweils nur rund fünf

70 Whitley/Thomas/Marceau, 1981: 214. 71 Boltanski, 1990: 111-159; Hartmann, 2001. 72 Hollenstein, 1987: 98-122. Die Studie berücksichtigt die in der Schweiz domizilierten Großfirmen mit 1000 und mehr Mitarbeitern. Sie beruht auf den Angaben von rund 500 Spitzenmanagern. 73 Davoine, 2005. Die Studie beruht auf den biographischen Daten von über 700 Managern der 100 führenden Firmen des „Swiss Performance Index“ (SPI). 145

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Prozent der in der Schweiz erworben Abschlüsse. Die Rolle der Universität St. Gallen als wirtschaftswissenschaftliche „Kaderschmiede“ wird auch durch diese neue Untersuchung bestätigt. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass insgesamt nur 50 Prozent der Universitätsdiplome in der Schweiz erworben wurden. Dies entspricht auch dem Umstand, dass nur 59 Prozent der „Topmanager“ in Schweizer Unternehmen schweizerischer Nationalität sind. Nach wie vor stellen wirtschaftswissenschaftliche bzw. betriebswirtschaftliche Bildungspatente weder eine Voraussetzung noch eine Garantie für den Zugang zum Topmanagement dar. Die Zahlen von Davoine verweisen aber darauf, dass sich die Betriebswirte ab den 1990er Jahren in den Elitepositionen der Schweizer Wirtschaftspraxis durchsetzen konnten. Trotzdem ist in der öffentlichen Diskussion wie auch im betriebswirtschaftlichen Fachdiskurs die Frage nach der Erlernbarkeit des Unternehmerberufs umstritten geblieben. Weiterhin ist nicht geklärt, welche Bedeutung in den Wirtschaftsberufen der akademischen Ausbildung und welche der praktischen Einsozialisation in die berufliche Tätigkeit zukommen sollen. Im Rahmen der Auseinandersetzung um die sozialen und moralischen Kompetenzen von Führungskräften erlebt diese Thematik gegenwärtig eine Neuauflage. Dabei wird geltend gemacht, dass im Hochschulstudium zwar einiges an relevanten Fachkenntnissen aber nicht die für eine zukünftige Führungspersönlichkeit mindestens ebenso wichtigen professionellen Haltungen und ethischen Einstellungen vermittelt würden.74

4. Expansion des betriebswirtschaftlichen Sachverstands Hans Ulrich thematisierte bereits Ende der 1960er Jahre den Wachstumserfolg der Betriebswirtschaftslehre als Studienfach. Sein Fachgebiet habe es innert weniger Jahrzehnte geschafft, einen „hohen Prozentsatz aller Studienbeflissenen“ anzuziehen. Allerdings werde diese Veränderung „erstaunlicherweise oft nicht genügend beachtet“.75 In einem Artikel von 1978 beschrieb Ulrich die enorme Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre folgendermaßen: „Von einem belächelten Nebenfach in einem wirtschaftswissenschaftlichen Schmalspurstudium ist sie zu einem anerkannten Lehrgebiet geworden, das in zunehmendem Masse die

74 Vgl. hierzu Mintzberg, 2005 sowie Khurana, 2007. 75 Ulrich, 1970: 98. 146

AUSSENORIENTIERUNGEN

Ausbildungsgrundlage für die Führungskräfte in Staat und Wirtschaft darstellt.“ 76 Wie aufgezeigt, ist in der Schweiz die Infrastruktur der betriebswirtschaftlichen Hochschulinstitutionen seit den 1960er Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. Dieser Ausbau konnte aber nicht mit der Expansion der Studierendenzahlen Schritt halten. In den 1970er Jahren hatten die ansteigenden Studierendenzahlen noch den Charakter einer Erfolgsmeldung, bald einmal wurde allerdings auch auf die problematischen Seiten dieses Expansionsprozesses verwiesen. Eine im Auftrag der „Vereinigung Schweizerischer Betriebswirtschafter“ durchgeführte Untersuchung kam Ende der 1980er Jahre zum Schluss, dass die hohen Studierendenzahlen eine erhebliche Belastung für das Hochschulpersonal darstellten. Der Anteil der Betriebswirte an den Wirtschaftsstudierenden wird in dieser Untersuchung auf 60 bis 80 Prozent geschätzt, während derjenige der Betriebswirtschaftsprofessoren als „deutlich niedriger“ bezeichnet wird. Er betrage für die ganze Schweiz weniger als 50 Prozent.77 In der Schweizer Presse war zur selben Zeit gar von einer „Krise der universitären Managementausbildung“ die Rede. Als „Boomdisziplin“ habe die Betriebswirtschaftslehre enorme Mühe, die sich verdoppelnden Studentenzahlen der letzten Jahre zu bewältigen.78 Auch in den folgenden Jahrzehnten änderte sich an der Unterdotierung der Betriebswirtschaftslehre mit Lehrpersonal wenig. In einem Bericht von 2002 kam die Rektorenkonferenz der Schweizer Universitäten zum Schluss, dass sich das Betreuungsverhältnis in den Sozial-, Geistesund Wirtschaftswissenschaften in der Phase zwischen 1980 und 2000 sogar empfindlich verschlechtert habe. Der Bericht weist für die Wirtschaftswissenschaften in dieser Zeitspanne einen Zuwachs von 15 Studierenden pro Professor oder Professorin nach.79 Bei dieser Zahl bleiben allerdings die großen Unterschiede zwischen den einzelnen wirtschaftswissenschaftlichen Fächern, d.h. insbesondere zwischen der Volks- und der Betriebswirtschaftslehre, ausgeblendet.

Ein Massenstudienfach Die Hochschulexpansion hat sich ab den 1960er Jahren auch in den Wirtschaftswissenschaften in steigenden Studierendenzahlen niedergeschlagen. Allerdings wies der Fachbereich bis in die 1980er Jahre noch 76 Ulrich, 1978: 177. 77 Pasquier, 1988. 78 „Der Bund“ vom 1. Mai 1989: „Krise der universitären Managementausbildung“. 79 CRUS, 2002: 14. 147

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ein unterdurchschnittliches Wachstum auf. Die Zahl der Wirtschaftsstudierenden an den kantonalen Universitäten nahm zwischen 1960 und 1980 um rund 170 Prozent zu. Im Vergleich dazu stiegen die Gesamtstudierendenzahlen der kantonalen Universitäten im selben Zeitraum um rund 240 Prozent an.80 Gesonderte Zahlen für die Betriebswirtschaftslehre liegen für diese Zeitspanne keine vor, weil das Bundesamt für Statistik bis zur Revision des Fächerkatalogs von 1997 die Fachrichtungen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre nicht getrennt, sondern gesamthaft in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften erhoben hat. Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass sich die Studierenden in der Fachrichtung Betriebswirtschaftslehre von Mitte der 1960er Jahre bis Mitte der 1980er Jahre annähernd verfünffacht haben.81 Seit Ende der 1980er Jahre zählt die Betriebswirtschaftslehre in Deutschland zu den populärsten akademischen Ausbildungsgängen.82 Mit einer sekundärstatistischen Auswertung konnte im Nationalfondsprojekt zur Entwicklung der schweizerischen Wirtschaftswissenschaften eine Aufschlüsselung der Absolventenzahlen in den Studienbereichen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre ab 1982 vorgenommen werden. Die Zählung umfasst die Absolventenzahlen aller universitären Hochschulen der Schweiz und damit auch jene der ehemaligen Hochschule und jetzigen Universität St. Gallen.83 Die Berechnung zeigt, dass die Zahl der Studienabsolventen in Betriebswirtschaftslehre zwischen 1982 und 1994 von 340 auf 955 angestiegen ist: Während zwölf Jahre zuvor erst 5.8 Prozent aller Studierenden im Fach Betriebswirtschaftslehre abschlossen, waren es 1994 ganze 11.4 Prozent. Bis 2004 blieben die Abschlusszahlen der Betriebswirtschaftslehre dann etwa auf gleicher Höhe. 2006 zeigt sich eine scheinbar markante Verschiebung gegen unten: Das Total der Lizenziate und neu auch der Mastertitel in Betriebswirtschaftslehre ging auf das Niveau von Ende der 1980er Jahre zurück. Der Grund dafür liegt darin, dass sich nun zunehmend das zweitstufige Studiensystem der Bologna-Reform bemerkbar machte. Werden die Bachelortitel in die Berechnung miteinbezogen, so lässt sich bis 2008 in absoluten Zahlen ein Anstieg der betriebswirtschaftlichen Abschlüsse auf 1’809 verzeichnen, während sie anteilsmäßig auf 9 Prozent zurückgingen.

80 Ritzmann-Blickenstorfer, 1996: 1152-1185. 81 Gaugler (1998) gibt unter Bezug auf die amtliche Statistik für die BRD die folgenden Zahlen an: 1951/52: 7’066, 1964/65: 16’340, 1974/75: 27’585, 1985/86: 79’711. 82 Gaugler, 1998: 15; Meffert, 2002: 138. 83 Siehe Tabelle 4 im Anhang. 148

AUSSENORIENTIERUNGEN

Bei der Umsetzung der Bologna-Reform positionierten sich in der Schweiz insbesondere die Universität St. Gallen und das Departement für Betriebswirtschaftslehre der Universität Bern als Pionierinstitutionen, die das Bologna-Modell bereits auf das Wintersemester 2001/02 einführten. Nach Ablauf der Mindeststudiendauer von drei Jahren wurde 2004 erstmals eine größere Anzahl von universitären Bachelorabschlüssen ausgestellt. 2006 wurden in der Betriebswirtschaftslehre mehr Bachelortitel (825) als Lizenziate oder Mastertitel (720) vergeben. Dies verweist auf die zügige Umsetzung der Bologna-Reform in diesem Fachbereich. Inwiefern ein Großteil der Betriebswirte mit einem Bachelorabschluss auch in Zukunft auf den Mastertitel verzichten wird, kann aufgrund des kurzen Beobachtungszeitraums gegenwärtig noch nicht beurteilt werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass sich Bachelorabsolventen nach einiger Zeit in der Berufspraxis dazu entschließen, für einen Mastertitel in Betriebswirtschaftslehre an die Universität zurückzukehren. Im Untersuchungszeitraum von 1982 bis 2008 war die Betriebswirtschaftslehre die weitaus am häufigsten gewählte Abschlussrichtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaften.84 Der Vergleich der Abschlussrichtungen über den gesamten Zeitraum hinweg zeigt, dass die Volkswirtschaftslehre nur einen geringen Anstieg der Absolventenzahlen zu verzeichnen hat. 1982 schlossen an den universitären Hochschulen 152 Studierende in Volkswirtschaftslehre ab, 2008 waren es 187 Lizenziate und Masterabschlüsse. Unter Einbezug der Bachelortitel beläuft sich die Zahl auf 438 Abschlüsse. Im Vergleich der Fachrichtungen aller Fakultäten wurden 2008 am meisten Lizenziate und Mastertitel in den Rechtswissenschaften vergeben (1’469). Darauf folgte – wie in den Jahren zuvor – die Betriebswirtschaftslehre (967 Lizentiate und Master) und an dritter Stelle die Politikwissenschaft (732 Lizentiate und Master). Zu den besonders absolventenstarken Fächern gehören außerdem die Humanmedizin und die Psychologie. Ab 1997 werden vom Bundesamt für Statistik auch Zahlen zum Geschlechterverhältnis der Studierenden in den einzelnen Fachrichtungen der Wirtschaftswissenschaften erhoben. In der Betriebswirtschaftslehre stieg der Anteil der Studentinnen innerhalb von zehn Jahren von 24.2 auf 32.3 Prozent an.85 Er lag im Studienjahr 2007/08 etwas über dem durchschnittlichen Frauenanteil in den Wirtschaftswissenschaften von rund 31 Prozent. Im Vergleich zum Frauenanteil von nahezu 50 Prozent, der sich bei einer Berechnung aller Studienrichtungen für die schweize-

84 Siehe Tabelle 4 im Anhang. 85 Siehe Tabelle 5 im Anhang. 149

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

rischen Universitäten ergibt, waren die Studentinnen in der Betriebswirtschaftslehre allerdings stark untervertreten.86 Wie die statistischen Berechnungen zeigen, ist die Betriebswirtschaftslehre in der Schweiz spätestens seit den 1990er Jahren zu einem der wichtigsten Produzenten akademischer Bildungstitel aufgestiegen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Betriebswirte nicht nur – wie weiter oben dargelegt – vermehrt im Topmanagement vertreten sind, sondern allgemein ein zunehmend wichtiges Rekrutierungsfeld für die Besetzung gesellschaftlicher Elitepositionen in Wirtschaft und Staat darstellen. Eine Untersuchung des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2006 weist für Absolventen und Absolventinnen der Wirtschaftswissenschaften die zweitbesten beruflichen Aufstiegschancen nach jenen der Rechtswissenschaften nach.87 Im Vergleich der verschiedenen universitären Fachrichtungen zählen sie zudem ein Jahr nach Abschluss des Studiums mit einem mittleren Bruttoeinkommen von 80’000 Franken zu den Bestverdienern unter den akademischen Neueinsteigern ins Berufsleben.88

Konkurrenz der Wirtschaftsexperten In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts expandierte in der Schweiz nicht nur die Betriebswirtschaftslehre, es wurden auch weitere Institutionen der kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Aus- und Weiterbildung eingerichtet. Mit dem Ziel, jüngeren Kaufleuten mit Lehrabschluss oder einem Handelsschuldiplom Weiterbildungsmöglichkeiten an einer höheren Bildungsanstalt anzubieten, kam es ab den 1960er Jahren zur Eröffnung von so genannten „Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen“ (HWV). Als erste solche Schule wurde 1968 die vom „Schweizerischen Institut für Höhere Kaufmännische Bildung“ und dem „Kaufmännischen Verein Zürich“ getragene HWV Zürich gegründet. Diese neuen Ausbildungsgänge hatten bald einen regen Zustrom von Studierenden zu verzeichnen. Sie wurden mit dem Bildungstitel „Betriebsökonom HWV“ abgeschlossen. Eine HVW Ausbildung sollten den Studierenden sowohl wirtschaftswissenschaftliche Grundkenntnisse als auch eine erweiterte Allgemeinbildung vermitteln und sie dazu befähigen, anspruchsvolle Aufgaben in Wirtschaft und Verwaltung zu übernehmen. Zum Unterschied zwischen der HWV Ausbildung und einem Universi86 Eine detaillierte Analyse zur historischen Entwicklung der Geschlechterverhältnisse bei den deutschen Betriebswirtschaftsstudierenden liefert die Untersuchung von Carl/Maier/Schmidt, 2008. 87 BFS, 2006a: 20-21; Zahlen für 2005. 88 BFS, 2006b: 24; Zahlen für 2005. 150

AUSSENORIENTIERUNGEN

tätsstudium wurde im „Plan der höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschule“ vermerkt:89 „Selbstverständlich kann die HWV niemals ein Universitätsstudium ersetzen. Wohl werden die Absolventen der HWV zum selbständigen Denken erzogen, es ist aber nicht Zweck der Schule, in wissenschaftliches Arbeiten einzuführen. Vielmehr soll recht praxisnah ein solides, allerdings breites Fachwissen gelegt werden.“90

Ab Mitte der 1990er Jahren kam es zur Integration der Höheren Wirtschafts- und Verwaltungsschulen in den in der Schweiz neu eingerichteten Ausbildungstypus der Fachhochschulen. Die Fachhochschulreform verfolgte unter anderem die Zielsetzung, das Berufsbildungssystem durch den Anschluss an den tertiären Hochschulbereich aufzuwerten. Nach dem Motto „gleichwertig, aber andersartig“91 bieten die Fachhochschulen explizit berufsorientierte Ausbildungen auf der außeruniversitären Tertiärstufe an, die sich insbesondere an Berufsmaturanden richten. Abgesehen von den Diplomausbildungen haben die schweizerischen Fachhochschulen den Auftrag, auch Leistungen in den Bereichen „Weiterbildung“, „angewandte Forschung und Entwicklung“, „Dienstleistungen zugunsten Dritter“ sowie „nationaler und internationaler Wissenstransfer“ zu erbringen.92 Im Vorfeld der neuen Fachhochschulgesetzgebung wurde die Frage diskutiert, ob durch den Transfer von Ausbildungsgängen an die Fachhochschulen eine Reduktion der Studierendenzahlen an den Universitäten angestrebt werden solle. Der Schweizerische Wissenschaftsrat machte in diesem Zusammenhang insbesondere bei der Betriebswirtschaftslehre ein Handlungspotential aus. Er schlug vor, kurz- oder mittelfristig einzelne Ausbildungen im Bereich der Betriebswirtschaft in den Fachhochschulbereich einzugliedern. Das 1995 verabschiedete Fachhochschulgesetz enthielt jedoch keine Grundsatzentscheide zu Fragen der Neuverteilung von Studiengängen mit Doppelangebot. Im selben Jahr wurde von der Schweizerischen Hochschulkonferenz die Arbeitsgruppe „Universitäten – Fachhochschulen für Wirtschaft“ mit dem Auftrag einberufen, Fragen der Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen die89 „VAV Information. Organ des Schweizerischen Verbands akademischer Volks- und Betriebswirtschafter“, September 1971: „Die HWV – ein neuer Zweig des beruflichen Bildungswesens“ sowie Pätzmann, 2005: 35. 90 Bataillard, 1966: 14. 91 Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zu einem Bundesgesetz über die Fachhochschulen (Fachhochschulgesetz vom 30. Mai 1994). 92 Bundesgesetz über die Fachhochschulen (Fachhochschulgesetz vom 6. Oktober 1995. Stand am 13. Juni 2006). 151

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

sen beiden Ausbildungstypen zu prüfen. Die Arbeitsgruppe führte ein Vernehmlassungsverfahren durch, das deutlich zum Ausdruck brachte, dass weder von Seiten der Universitätsvertreter noch von Seiten der angehenden Fachhochschulen der Transfer des Studiengangs Betriebswirtschaft an einen der beiden Hochschultypen ernsthaft in Betracht gezogen wurde.93 Mit der 2005 in Kraft getretenen Teilrevision des Fachhochschulgesetzes wurde an den Fachhochschulen analog zu den universitären Hochschulen die zweistufige Studienstruktur mit Bachelor- und Masterabschlüssen eingeführt. Die Abgrenzungsproblematik von Fachbereichen, welche – wie die Betriebswirtschaftslehre bzw. die Betriebsökonomie – sowohl an den universitären Hochschulen als auch an den Fachhochschulen vertreten sind, erfuhr damit eine Verschärfung. Abgrenzungsfragen haben auch deshalb an Relevanz gewonnen, weil sich betriebswirtschaftliche Qualifikationsmöglichkeiten auch an den Fachhochschulen als äußerst beliebt erweisen. Im Jahr 2008 schlossen 1147 Studierende ihr Fachhochschulstudium mit einem Bachelor im Bereich „Wirtschaft und Dienstleistungen“ ab, 1419 Studierende erwarben im selben Bereich ein Fachhochschuldiplom. Der weitaus größte Teil dieser Abschlüsse ging an Studierende der Betriebsökonomie.94 Parallel zu den Strukturveränderungen im Hochschulbereich hat in der Schweiz in den letzten Jahren der aus dem angloamerikanischen Raum stammende Bildungstitel „Master of Business Administration“ (MBA) deutlich an Bedeutung gewonnen. Der Titel MBA bezeichnete ursprünglich den erst in der Nachkriegszeit breit eingeführten Masterabschluss an einer amerikanischen „Business School“. Vor dem Zweiten Weltkrieg bot einzig die „Harvard Business School“ ein Masterprogramm an, während sich die anderen Institutionen auf die BachelorStufe beschränkten. Neben dem MBA als einem oft an eine gewisse Zeit der Berufspraxis anschließenden Vollzeitstudienprogramm etablierten sich an den amerikanischen Schulen bald auch andere Formen des Nachdiplomstudiums. Dabei handelt es sich um, in der Regel als „Executive-MBA“ (E-MBA) bezeichnete, kürzere Weiterbildungsprogramme für bereits erfahrene Führungskräfte.95 In jüngerer Zeit haben sich die schweizerischen Universitäten vermehrt in das ökonomisch einträgliche Segment des „Executive-MBA“ und in andere Formen der Weiterbildung für Führungskräfte eingeschaltet. Das macht sie zu Konkurrenten der vielen privaten Weiterbildungs-

93 Pätzmann, 2005: 46-53. 94 BFS, 2009. 95 Locke, 1989. 152

AUSSENORIENTIERUNGEN

institutionen, die über ähnliche Bildungsangebote verfügen. In dieser diffusen Wettbewerbssituation wird als Orientierungshilfe gerne auf internationale oder auch auf europäische Akkreditierungseinrichtungen zurückgegriffen. Außerdem sind die jährlich als „Hochschulrankings“ publizierten Rangierungen wichtiger Wirtschaftszeitungen von Bedeutung, beispielsweise jene der „Financial Times“ und der „Business Week“. Als weltweit bekannteste Akkreditierungsinstitution gilt die „Association to Advance Collegiate Schools of Business“ (AACSB). Sie begutachtet nur gesamte Schulen und keine einzelnen Studiengänge. In der Schweiz verfügen nur zwei Institutionen über eine AACSB Akkreditierung: Die Universität St. Gallen und die Privatschule IMD („International Institute for Management Development“) mit Sitz in Lausanne.96 Letztere wird neben dem französischen INSEAD („Institut Supérieur Européen d’Administration des Affaires“) und der „London Business School“ zu den höchstbewerteten europäischen Institutionen ihrer Art gezählt.97 Eine verschärfte Konkurrenzsituation zwischen öffentlichen und privaten Weiterbildungsangeboten zeigt sich im Raum St. Gallen. Hier besteht gegenwärtig eine ganze Reihe von privaten Institutionen, welche das – im Weiterbildungs- und Beratungsmarkt offenbar lukrative – Label „St. Gallen“ für sich in Anspruch nehmen. Neben der Universität besteht das „Malik Management Zentrum St. Gallen“, das von Fredmund Malik geführt wird. Malik, ein gebürtiger Österreicher, war einst Mitarbeiter von Hans Ulrich. Er hat an der Handelshochschule in St. Gallen promoviert und habilitiert. Seit 1986 ist er dort Titularprofessor für „Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Unternehmungsführungslehre“. Malik gehört zu den bekanntesten deutschsprachigen Autoren von Managementliteratur. Das von ihm geleitete „Management Zentrum“ wurde 1973 als Stiftung der „Gesellschaft zur Förderung der Betriebswirtschaftlichen Forschung“ an der St. Galler Hochschule gegründet und 1984 in eine private Aktiengesellschaft übergeführt. Daneben gibt es in St. Gallen eine „St. Galler Business School“, die von einem promovierten HSG-Absolventen geleitet wird. Außerdem existiert ein „Management Institut St. Gallen“, für das ebenfalls ein HSG-Absolvent als geschäftsführender Direktor zeichnet. Alle drei Einrichtungen werben mit dem von Hans Ulrich entwickelten systemorientierten St. Galler Management-Ansatz um Aufmerksamkeit.98 96 Vgl. dazu auch S. 140. 97 Schwuchow, 1995: 90. 98 „Handelszeitung“ vom 20. Februar 2002: „Streit ums St. Galler Bildungsmodell“; „Handelszeitung“ vom 13. März 2002: „Streit ums St. Galler Modell“. 153

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Die Expansion der Aus- und Weiterbildungsangebote im Bereich der Betriebswirtschaftslehre zeugt von einer anhaltenden gesellschaftlichen Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Techniken und Konzepten. Ähnliches lassen die steigenden Zahlen der Buchveröffentlichungen zu Managementfragen vermuten. Diese Wachstumsprozesse werden jedoch nicht alleine durch die universitäre Betriebswirtschaftslehre getragen, vielmehr sind Sachverständige unterschiedlichster Provenienz darin involviert. Neuerdings werden deshalb auch Stimmen von Fachvertretern der Betriebswirtschaftslehre laut, die ihren Elitenstatus im Feld der unternehmerischen Expertise in zunehmendem Masse durch außerakademische Experten (Autodidakten, Unternehmensberater mit unterschiedlichster Vorbildung, etc.) bedroht sehen.99 Dies verweist darauf, dass die Expansion des betriebswirtschaftlichen Sachverstands zwar durch die hohen Studierendenzahlen eine institutionelle Stärkung der Betriebswirtschaftslehre mit sich bringt; aufgrund der schwachen Abgeschlossenheit des betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsfeldes können daraus aber auch Abgrenzungsproblematiken und Kompetenzstreitigkeiten entstehen.

5. Koalitions- und Konkurrenzbeziehungen zur Praxis Als Projekt zur akademischen Ausbildung der Kaufleute wie auch später als universitäre Fachdisziplin schloss die Betriebswirtschaftslehre in ihrer historischen Entwicklung an gesellschaftliche Intellektualisierungsund Verwissenschaftlichungsprozesse an. Allianzen mit außeruniversitären bildungsinteressierten Gruppierungen wirkten sich für die Betriebswirtschaftslehre in verschiedener Hinsicht förderlich aus: Sie trugen dazu bei, den Sachverständigenstatus der Betriebswirtschaftslehre in der Wirtschaftspraxis zu sichern und betriebswirtschaftliche Rationalitätskonzepte als unverzichtbare Bestandteile einer kaufmännisch-unternehmerischen Fachschulung zu etablieren. Zudem konnten durch solche Allianzen wissenschaftsexterne finanzielle Ressourcen mobilisiert werden, die dem Fach innerhalb des Universitätssystems zu einer gewissen Unabhängigkeit verhalfen. Für die Einführung der Handelswissenschaften in der Schweiz erwies sich der Anschluss an ein Akteurfeld, das sich mit Fokus auf den Mittelschulbereich für die Verschulung der kaufmännischen Berufsaus-

99 Vgl. hierzu die auf S. 20 erwähnte betriebswirtschaftliche Fachliteratur zum Boom der Unternehmensberatung. 154

AUSSENORIENTIERUNGEN

bildungen einsetzte, als besonders relevant. Die staatlichen Subventionen für die kaufmännische Berufsbildung, die ab 1891 ausbezahlt wurden, bezweckten zwar in erster Linie die Förderung der kaufmännischen Mittelschulen, sie gaben aber auch einen wichtigen finanziellen Impuls für den Auf- und Ausbau der Handelswissenschaften. Als Tertiärstufe des kaufmännischen Bildungswesens waren die handelswissenschaftlichen Hochschulinstitutionen für die akademische Ausbildung der Handelslehrer zuständig. Dabei schloss sich das handelswissenschaftliche Feld anfangs kaum gegen den Mittelschulbereich ab. In einem stufenübergreifenden Netzwerk des kaufmännischen Bildungswesens bestanden enge Verbindungen zwischen Hochschullehre und Handelslehrerpraxis. Mit der Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit fanden wissenschaftliche Betriebsführungs- und Organisationsmodelle vermehrte Aufnahme in die schweizerische Wirtschaftspraxis. Die Bewegung formierte sich zu einem losen Netzwerk von Einflussgruppen und Einzelakteuren aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, an dem auch Fachakteure der Betriebswirtschaftslehre beteiligten waren. Im Rahmen des Rationalisierungsdiskurses konnten betriebswirtschaftliche Wissensbestände an die Verwissenschaftlichungsbestrebungen der Wirtschaftspraxis anschließen. Vor diesem Hintergrund begannen sich die Betriebswirte allmählich als akademisch legitimierte Sachverständigengruppe der Unternehmensführung in der Praxis zu etablieren. Zudem wurden Wissensbestände mit betriebswirtschaftlichem Referenzrahmen zu neuen Berufsfeldern der wirtschaftsnahen Expertise ausgebaut. Die Rationalisierungsbewegung bot einen geeigneten Rahmen für den Auf- und Ausbau von Koalitionsbeziehungen zwischen dem Wissenschaftsfeld der Betriebswirtschaftslehre und der Wirtschaftspraxis. Nach dem Zweiten Weltkrieg machten sich in der Schweiz vermehrt Bestrebungen bemerkbar, den beruflichen Kompetenzbereich der Führung und der verwaltenden Gestaltung von Betrieben zum Gegenstand spezialisierter akademischer Fachausbildungen zu erklären. Auch Fachvertreter der Betriebswirtschaftslehre schlossen sich diesem Professionalisierungsprojekt an. An der Hochschule in St. Gallen setzte sich Hans Ulrich intensiv mit der Frage nach der Berufsrolle und dem Berufserfolg der Betriebswirte als Spezialisten der Unternehmensführung auseinander. Er bemängelte, dass sich in den Unternehmen traditionale Herrschaftsformen hartnäckig am Leben erhalten würden, und forderte, dass Unternehmensführung („Management“) zum erlernbaren Beruf zu erklären sei. Ulrichs Überlegungen mündeten in der bereits im Teil I.I erläuterten Rekonzeptualisierung der Betriebswirtschaftslehre nach dem Lehr- und Forschungsmodell einer akademischen Berufsschule. 155

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden betriebswirtschaftliche Qualifikationen erfolgreich in das Beschäftigungssystem eingeführt. Die Betriebswirtschaftslehre etablierte sich zunehmend als Reproduktionsinstanz für Führungskräfte in Wirtschaft und Verwaltung. Indem sich den Betriebswirten nun zunehmend gute Erwerbsbedingungen außerhalb der akademischen Institutionen eröffneten, wurde eine wichtige Voraussetzung für das akademische Wachstum und die Stabilität der Disziplin erfüllt. Allianzen zum Wirtschaftsfeld haben – vermittelt über einen steigenden Bedarf an betriebswirtschaftlich geschulten Fachkräften – wesentlich zum Expansionsprozess der Betriebswirtschaftslehre in den letzten Jahrzehnten beigetragen. Im Kontext dieser Erfolgsgeschichte der Betriebswirtschaftslehre ergeben sich in den letzten Jahrzehnten aber auch fachspezifische Problemlagen, die durch die ausgeprägte Heteronomie der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftskultur erklärt werden können: Weil die Betriebswirtschaftslehre praktischen Relevanzsetzungen gegenüber offen ist, gerät sie leicht in Konkurrenz zu außerakademischen Wissensbeständen, die für sich selber auch einen Expertenstatus in Anspruch nehmen. Die Offenheit des betriebswirtschaftlichen Kommunikationssystems führt vor dem Hintergrund eines expandierenden Ausbildungs- und Beratungsangebots im Bereich der managerialen Expertise zu zunehmenden Abgrenzungsproblemen gegenüber außeruniversitären Sachverständigenfeldern der Unternehmensführung. Die Betriebswirtschaftslehre konnte im Verlauf ihrer Fachgeschichte förderliche Allianzen mit Praxisfeldern eingehen. Im Gegenzug gestaltete es sich für Universitätsakteure aber als schwierig – oder gar als unmöglich – einen exklusiven Autoritätsanspruch in Fragen der rationalen Wirtschafts- und Betriebsgestaltung geltend zu machen. Es zeigt sich, dass die für „fragmentierte Adhocratien“ charakteristischen Koalitionsbeziehungen mit außeruniversitären Feldern ambivalente Folgen haben: Sie können zur institutionellen Stärkung der betreffenden Wissenschaftsfelder beitragen, gleichzeitig bergen sie aber ein nicht unwesentliches Konkurrenzpotential in sich. Bedingt durch ihre Offenheit gegenüber heteronomen Relevanzsetzungen können sich solche Wissenschaftsfelder schlechter gegen die Geltungsansprüche von feldexternen Gruppen abgrenzen.

156

II. F ALLPORTRAITS

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN AKTUELLEN KONTEXT

IM

Auf der Datenbasis von themenzentrierten Interviews mit Professoren und Professorinnen aus verschiedenen Subdisziplinen der Betriebswirtschaftslehre richtet sich die Aufmerksamkeit im vorliegenden Untersuchungsteil auf die Sichtweisen und Interpretationsmuster der gegenwärtig in diesem Wissenschaftsfeld tätigen Akteure. Dabei werden vorangehend herausgearbeitete Befunde sowohl aktualisiert als auch konkretisiert und weiter differenziert. Anhand von Fallportraits werden die Spannbreite und die internen Divergenzen der betriebswirtschaftlichen Wissenskultur genauer beleuchtet. Wie die historische Analyse deutlich macht, führte der fachdisziplinäre Konsolidierungsprozess in der Betriebswirtschaftslehre nicht dazu, dass sich die betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsprojekte gegenüber den Relevanzsetzungen der Praxisfelder zunehmend abschlossen. Die Kommunikation mit wissenschaftsexternen Publikumsgruppen wurde im Verlauf der Disziplinbildung nicht abgebaut, sondern sie gewann eher noch an Bedeutung. Dies zeigt sich auch daran, dass Koalitions- und Konkurrenzbeziehungen zur Praxis die Fachentwicklung wesentlich mitgeprägt haben. Wie dargelegt wurde, hängt dieser Befund eng mit dem Status der Betriebswirtschaftslehre als einer „fragmentierten Adhocratie“ zusammen. Dabei handelt es sich um ein Wissenschaftsmodell, in dem sich aufgrund disziplin- und wissenschaftsfremder Einflussnahmen keine autonome Sphäre der Wissensproduktion ausbildet. Weil außerwissenschaftliche Adressatengruppen den wissenschaftlichen Fachkollegen weitgehend gleichgestellt sind oder sogar vorgezogen werden, gelangen kaum für alle verbindlichen Wissenschaftsstandards zur Durch159

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

setzung. Gute Außenkontakte zur Praxis ermöglichen es zwar, finanzielle Ressourcen unabhängig vom Wissenschaftssystem zu mobilisieren, gleichzeitig können sich zwischen wissenschaftlichen und praktischen Zielsetzungen aber auch grundlegende Spannungen ergeben.1 Im Rahmen der Interviewanalyse wird den Fragen nach solchen Vereinbarkeitsproblematiken weiter nachgegangen. Dabei interessiert auch, ob und inwiefern sich in der jüngeren Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre Veränderungen feststellen lassen, die einen Abbau der Spannungen zwischen Wissenschaft und Praxis zeigen und damit auf eine intensivierte Vergesellschaftungsdynamik verweisen. Dieser Untersuchungsteil ist in drei Themenblöcke unterteilt, welche die epistemischen Praktiken aktueller Fachakteure zur historischen Analyse in Bezug setzen. Innerhalb dieser Blöcke werden jeweils mehrere themenbezogene Fallportraits rekonstruiert und miteinander verglichen. Es werden die folgenden drei Themenbereiche untersucht: ‫ ޤ‬Im historischen Teil der Untersuchung zeigt sich, dass die betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsprojekte zwar mehrheitlich auf Anwendungsaspekte bezogen waren, es setzte sich aber kein bestimmter Modus der Wissenschaftsanwendung dauerhaft gegen die anderen durch. Vor diesem Hintergrund wird in Kapitel 1 der Frage nachgegangen, welche konkreten Formen das Anwendungspostulat der Betriebswirtschaftslehre in der Berufspraxis zeitgenössischer Akteure annimmt. ‫ ޤ‬Wie aufgezeigt, konstituierte sich die Betriebswirtschaftslehre zwischen Wissenschaftsbezug und Praxisnähe und blieb bis in die Gegenwart durch diese beiden Orientierungsmuster geprägt. Kapitel 2 setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich Fachakteure heute zwischen dem „Pol“ der Wissenschaft und jenem der Praxis verorten und inwiefern für sie eine Vereinbarkeit dieser beiden Positionen möglich ist. ‫ ޤ‬Die historischen Herleitungen verweisen darauf, dass die Strukturbedingungen im betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsfeld gegenwärtig einem Transformationsprozess unterliegen. Mit dem Stichwort der Internationalisierung werden im Fachdiskurs eine Ausdehnung der fachtypischen Kommunikationsräume und eine Neuordnung der fachspezifischen Kriterien des Reputationserwerbs thematisiert. Im Kapitel 3 wird der Frage nachgegangen, wie schweizerische Fachakteure diese Veränderungen deuten und welche Konsequenzen sich daraus in Hinblick auf die praxis- bzw. wirtschaftsnahe Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre ableiten lassen. 1

Whitley, 1984: 809-810.

160

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

Abgeschlossen wird die Interviewanalyse durch das Kapitel 4, in dem die Befunde aus den drei Themenblöcken unter der Fragestellung zusammengeführt werden, welche Konsequenzen sich daraus für den Wissenschaftsberuf im heteronomen Feld der Betriebswirtschaftslehre ergeben.

Sample, Interviewführung und Interviewanalyse Bei der Auswahl der Interviewpartner und Interviewpartnerinnen ging es darum, dass im Sinne eines „qualitativen Stichprobenplans“ verschiedene relevante Merkmale oder Merkmalskombinationen durch Einzelfälle vertreten sind. Die Zielsetzung bestand somit nicht in der maßstabsgetreuen Abbildung einer Grundgesamtheit.2 Befragt wurden insgesamt 16 Professoren und Professorinnen schweizerischer und ausländischer Herkunft aus zwei Sprachregionen (deutschsprachige und französischsprachige Schweiz). Dabei handelte sich um Ordinarien sowie in einem Fall um ein Extraordinariat mit Institutsleitungsfunktion. Berücksichtigung fanden die großen, an den meisten Universitäten vertretenen, betriebswirtschaftlichen Subdisziplinen (Rechnungswesen, Unternehmensführung, Marketing, Organisation und Personal). Bewusst wurden aber auch kleinere und teilweise nur lokal vertretene Fachgebiete ins Sample aufgenommen.3 Bei der Auswahl wurden drei heuristisch konstruierte Professorengenerationen unterschieden: Die „älteren“ Fachvertreter, die vor 1980 erstmals ein Professorenamt antraten und heute teilweise emeritiert sind; die Professoren der „mittleren Generation“, die zwischen 1980 und 1995 ins Amt traten; sowie die „junge Generation“, die erst ab der Jahrtausendwende ins Professorenamt eingetreten ist. Trotz des markanten Expansionsprozesses ab Ende der 1960er Jahre ist das schweizerische Feld der Betriebswirtschaftslehre mit seinen neun Universitätsstandorten (Basel, Zürich, Freiburg, Neuenburg, Lausanne, Bern, Genf, St. Gallen und seit 1996 Tessin) vergleichsweise überschaubar geblieben. Im Erhebungsjahr 2004 zählten diese neun Universitäten gegen 80 Ordinariate für Betriebswirtschaftslehre und ihre Subdisziplinen.4 In Bezug auf die Anonymisierung der geführten Interviews bringt die geringe Größe des schweizerischen Feldes der Betriebswirtschaftslehre allerdings einige Nachteile mit sich. So war es nicht möglich, die 2 3

4

Zu dieser methodischen Vorgehensweise siehe Kelle/Kluge, 1999. Aufgrund seiner epistemischen Besonderheiten und seines hohen Ausdifferenzierungsgrades wurde das Teilgebiet Wirtschafts- resp. Betriebsinformatik nicht in die Untersuchung mit einbezogen. Zu den Erhebungsproblemen bei der Berechnung der Lehrstuhlzahlen vgl. S. 48. 161

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

für die Fallauswahl berücksichtigten Merkmale in den Fallportraits auszuweisen. Deshalb wurden für die Darstellung der Fallportraits nicht nur die Namen geändert, sondern auch andere personenbezogene Informationen wie Angaben zum konkreten Lehr- und Forschungsgebiet, zur Hochschulzugehörigkeit sowie zum persönlichen Lebenslauf entweder weggelassen oder – wo aus Anonymisierungsgründen nötig – durch unspezifische Bezeichnungen ersetzt. In den Gesprächen wurden anhand eines qualitativen Interviewleitfadens Handlungsziele und Handlungsprobleme der Akteure diskutiert, die ihre Berufslaufbahn und ihre Tätigkeit an der Hochschule betreffen. Die rund eineinhalb Stunden dauernden Interviews umfassten Fragen zum beruflichen Werdegang, den persönlichen Arbeitsschwerpunkten und Forschungsinteressen, den Zielsetzungen in Lehre und Forschung sowie zu neueren Entwicklungen und Problemen der Betriebswirtschaftslehre. Die verschriftlichten Interviews wurden in verschiedenen Untersuchungsschritten einer fallvergleichenden Analyse unterzogen. Dabei diente das im Rahmen der Voruntersuchungen erarbeitete historische und theoretische Vorwissen zur Formulierung bedeutungsoffener heuristischer Kategorien. Durch Kodierung, Kategorisierung und die vergleichende Gruppierung des gesamten Interviewmaterials wurden die ursprünglichen Untersuchungskategorien differenziert und ergänzt.5 Für die Darstellung der Untersuchungsergebnisse wurden zu den drei oben erläuterten Interessenbereiche kontrastierende Fälle ausgewählt und zu themenbezogenen Fallportraits zusammengefasst. Im Anschluss daran erfolgte jeweils eine fallvergleichende Beurteilung. Dabei wurden die Portraits aufeinander bezogen sowie Gemeinsamkeiten und Kontraste im Gesamtkontext der Interviewanalyse herausgearbeitet. In den Fallportraits wurde eine methodische Herangehensweise gewählt, die sich am sequenzanalytischen Verfahren der objektiven Hermeneutik orientiert. Das Verfahren geht davon aus, dass „jedes Protokoll ausschnitthaft je konkrete Lebenspraxen authentisch ausdrückt, die sich darin verkörpern“.6 Interviewprotokolle gelten hierbei als verschriftlichte Form der Lebenspraxis. Es wird postuliert, dass sie – wie andere Handlungsverläufe auch – eine sequenzielle Struktur aufweisen, die durch eine regelhafte Verknüpfung jedes Einzelhandelns mit dem vorausgehenden Handeln gekennzeichnet ist. Ein Protokoll setzt sich somit aus Sequenzstellen zusammen, an welchen aus verschiedenen Anschlussmöglichkeiten eine Auswahl getroffen und damit ein neuer Spielraum zukünftiger Anschlüsse eröffnet wird. Vor dem Hintergrund dieser Über-

5 6

Vgl. dazu Strauss/Corbin, 1996; Kelle/Kluge, 1999. Oevermann, 2002: 6.

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legungen werden im sequenzanalytischen Verfahren der Textinterpretation auf einer Folie der abstrakt möglichen Handlungsentscheidungen jeweils diejenigen ermittelt, die im Interviewverlauf auch tatsächlich zum Ausdruck kommen. Dies beinhaltet, dass Textsequenzen jeweils in ihrer wörtlichen Abfolge auf die darin zum Ausdruck kommende Bedeutung hin zu explizieren sind.7 Die Vorgehensweise der objektiven Hermeneutik eignet sich besonders dazu, Hintergrundannahmen zu erschließen, die nicht einfach erfragt werden können, weil sie in den meisten Fällen nicht reflexiv verfügbar sind. Für das hier vorliegende Untersuchungsfeld der Hochschullehrer musste dieser Zugang etwas modifiziert werden. Der Wissenschaftsberuf ist mit einer hohen Bereitschaft zur reflexiven Betrachtung und Deutung der eigenen Situation verbunden. Hochschullehrer sind nicht nur Sachverständige ihres spezifischen Wissenschaftsbereichs, sondern aufgrund ihrer Wirkungsmacht und Handlungsautonomie im universitären Feld stets auch Experten „in eigener Sache“. In den geführten Interviews kommt der Expertenstatus der Professoren und Professorinnen insbesondere auch darin zum Ausdruck, dass disziplinenspezifische Sachverhalte und Problemlagen nicht nur beschrieben, sondern interpretiert und zuweilen auch anhand von theoretischen Kategorien durchleuchtet werden. Das Interesse der folgenden Kapitel gilt deshalb zum einen den Hintergrundannahmen und Konstruktionsprinzipien des in den Interviewprotokollen zum Ausdruck kommenden expertenspezifischen Deutungswissens. Zum anderen werden die Deutungen der Fachakteure selber im Sinne von Expertenmeinungen in die Analyse miteinbezogen.8

1. Erscheinungsformen einer angewandten Wissenschaft Die Betriebswirtschaftslehre hat sich in Abgrenzung zur Volkswirtschaftslehre historisch als anwendungsbezogene Wirtschaftswissenschaft positioniert. Als Vorbilder einer solchen praxisorientierten Wissenschaftsauffassung dienten den frühen Fachvertretern sowohl die klassischen Professionen, darunter insbesondere die Medizin, als auch die technischen Wissenschaften, die in der Schweiz in den Anfangszeiten der Handelswissenschaften mit der ETH bereits prominent vertreten wa-

7 8

Honegger/Schallberger/Bühler, 2002: 55-61; Wernet, 2000: 15-18. Vgl. die methodologischen Überlegungen zum „Experteninterview“ bei Bogner et al., 2005. 163

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ren. Wie aufgezeigt, wurden durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber geltend gemacht, wie sich Wissenschaft im Allgemeinen und wissenschaftliche Bildung im Speziellen auf praktische Problemstellungen beziehen lassen. In den 1970er Jahren hat Hans Ulrich dargelegt, dass die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre als „angewandte Wissenschaft“ darin bestehe, zwischen disziplinären Wissensbeständen und praktischen Führungsproblemen eine Vermittlungsrolle zu übernehmen. Seines Erachtens ist in der Betriebswirtschaftslehre das „theoretische Ziel“ der Erkenntnisgewinnung an das „pragmatische Ziel“ der Erkenntnisverwendung gebunden.9 In einem Fachverständnis als angewandete Wissenschaft kann die Vermittlung von Wissenschaft und Praxis als ein Kernelement der professionellen Leistungsrolle verstanden werden. Dass die Frage nach den Möglichkeiten und Bedingungen der Vermittlung zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Praxisproblemen keine triviale ist, verdeutlicht die umfangreiche Literatur zur Theorie des professionellen Handelns. Ulrich Oevermann bestimmt das professionelle Handeln als den gesellschaftlichen Ort der Vermittlung von Theorie und Praxis unter Bedingungen der verwissenschaftlichten Rationalität und meint damit eine wissenschaftlich begründete Lösung von Praxisproblemen. Diese Vermittlung geschieht bei den Professionen nicht innerhalb der Wissenschaft, sondern im konkreten Arbeitsbündnis mit dem Klienten. Die Fähigkeit zur Herstellung dieser Arbeitsbündnisse wird als spezifisch professionelle Kompetenz durch die habituelle Einübung der beruflichen Praxis erworben.10 Es entsprechen jedoch nicht alle Formen der Wissensanwendung dem Modell des professionellen Handelns: Bei der technischen Anwendung von Wissen ist die wissenschaftliche Erkenntnis nicht auf eine konkrete Lebenspraxis bezogen. Ingenieure müssen nicht zur Bewältigung existentieller lebenspraktischer Problemsituationen beitragen, sondern es ist für sie ausreichend, wissenschaftliche Erkenntnisse auf technische Problemstellungen zu beziehen. Für Oevermann bedingt deshalb die „ingenieuriale“ Wissensanwendung auch keine habituelle Einübung der beruflichen Praxis.11 Im Folgenden soll anhand von drei Fallbeispielen (Werner Seiler, Felix Meier und Franz Nussberger12) der Frage nachgegangen werden, welche konkreten Formen das Anwendungspostulat der Betriebswirtschaftslehre in der Berufspraxis individueller Akteure annimmt. Insbe9 10 11 12

Siehe S. 101-105. Oevermann, 1996: 79-80; zu dessen Professionssoziologie vgl. S. 30-32. Ebd.: 137-139. Wie bereits erwähnt, wurden die Namen aus Anonymisierungsgründen geändert.

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sondere interessiert, wie Wissenschaft und Praxis zueinander in Bezug gesetzt werden und wie die Möglichkeit einer Vermittlung zwischen diesen beiden Bereichen konzeptualisiert wird. Die Frage nach der Wissensanwendung bezieht sich dabei auf zwei unterschiedliche Dimensionen: In der forschungsbezogenen Dimension werden wissenschaftliche Erkenntnisse zu praktischen Problemstellungen in Bezug gesetzt. In der Lehrdimension gilt es, die Studierenden zur Vermittlung von Wissenschaft zu befähigen. In den Fallportraits werden jeweils beide Dimensionen nacheinander diskutiert.

Ein Wirtschaftstechniker Im Gespräch über seine Forschungsschwerpunkte verortet Professor Werner Seiler die von ihm hauptsächlich bearbeiteten Fragestellungen „im Schnittfeld zur Volkswirtschaftslehre“.13 Auf die Frage nach dem spezifisch betriebswirtschaftlichen Element seiner Arbeit reagiert er zunächst unschlüssig, um schließlich anzufügen: „Es ist natürlich immer die einzelwirtschaftliche Perspektive“. Mit dem folgenden Beispiel erläutert Seiler genauer, wie sich dies im Konkreten auf die Unterscheidung zwischen Volks- und Betriebswirtschaftslehre bezieht: Seiler: „Es könnte ja sein, dass der Verband X seinen Wohlstand dadurch mehrt, dass er die Allgemeinheit beraubt. Dann ist das für einen Volkswirt ein Problem, weil ihm geht es ja darum – sozusagen wohlfahrtsökonomisch – den Kuchen für alle größer zu machen. Betriebswirte sind ja eigentlich, unterstützen ja dieses Raubritter-Verhalten. Auch wenn sie einem Unternehmen Strategien empfehlen, geht es ja darum, sozusagen, dieses Unternehmen voranzubringen, und man bringt es ja immer auch auf Kosten anderer voran.“

Wie Seiler darlegt, beschäftigen sich beide wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen mit Fragen der konkreten Gestaltung der Wirklichkeit. Sie sind also gemäß der Unterscheidung von Max Weber nicht eigentliche „Wirklichkeitswissenschaften“, sondern auf einen praktischen Wertgesichtspunkt ausgerichtete Kunstlehren oder auch Techniken.14 In Seilers Ausführung geht die Volkswirtschaftslehre von einer Gestaltungshaltung aus, die den Wohlstand aller zum Ziel hat. Die Betriebswirtschaftslehre nimmt mit ihrer einzelwirtschaftlichen Perspektive einen deutlich anderen Wertgesichtspunkt ein: Sie liefert einzelnen Wirtschaftsakteuren Hilfeleistungen zur vorteilhafteren Geschäftsführung. 13 Interview vom 18.11.2003. 14 Weber, 2002b >1904@: 50; vgl. dazu auch die Ausführungen zum Begriff der Kunstlehre bei Moritz Rudolf Weyermann auf S. 80. 165

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Dabei kann nicht vorausgesetzt werden, dass sich das individuelle Gewinnstreben positiv auf das Allgemeinwohl auswirkt. Im historischen Teil der Untersuchung wurden Versuche vorgestellt, die Wissenschaftsperspektive der Betriebswirtschaftslehre mit Anforderungen der Gemeinwohlorientierung kompatibel zu machen. Seiler hingegen bekennt sich als Betriebswirt offen dazu, das einzelwirtschaftliche „Raubritter-Verhalten“ zu unterstützen. Wie sich in der Fortsetzung der Sequenz zeigt, geschieht dies allerdings auch bei ihm nicht ganz ohne Vorbehalte: Seiler: „Rentensuche ist immer Beschränkungen des Wettbewerbs herbeiführen, nur dann kann man etwas verdienen. Ob das dann aber der Allgemeinheit zugute kommt, ist eine andere Frage. Also die Volkswirte würden solche Untersuchungen immer mit der Frage quittieren: Aber ist das sinnvoll oder sollte man dagegen einschreiten? Die Frage verkneift man sich als Betriebswirt.“

Sich auf die partikularistische Perspektive der einzelnen Unternehmen einzulassen, bedingt für Seiler einen bewussten Akt der Impulsunterdrückung: des „Verkneifens“. Inkompatibilitäten zwischen den Rollenerwartungen des Wissenschaftsberufs und den Wissenschaftszielen der Betriebswirtschaftslehre werden damit angedeutet, aber nicht als unüberwindbare Diskrepanzen deklariert. In der Vorsetzung des Gesprächs kommt die Interviewerin auf die Gestaltungsthematik zurück: „Also häufig wird ja auch die Unterscheidung, wird eben der Anwendungsbezug der Betriebswirtschaftslehre in den Vordergrund gestellt.“ Seiler nimmt diesen Unterscheidungsvorschlag, der die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Disziplin von der Volkswirtschaftslehre abgrenzt, auf. Nachdem er zunächst beiden wirtschaftswissenschaftlichen Teildisziplinen jeweils unterschiedliche Gestaltungsziele zugewiesen hat, kommt er nun zu einer zweiten Unterscheidung nach Problemtypen. Als erstes erläutert er die konkrete Problemorientierung der Betriebswirtschaftslehre: Seiler: „Ich meine, es sind immer konkrete und nicht abstrakte Probleme. Abstrakte Probleme sind Probleme, die sich aus der Theorie ergeben, also die die Weiterentwicklung des Werkzeugs betreffen. Und das traue ich mir nicht zu, also ich glaube, dass die formale Ökonomie mittlerweile so stark und ausgeprägt ist, da bin ich zu schlecht oder: nicht ausgebildet darin.“

Abstrakte Probleme ergeben sich für Seiler aus der Theorie und betreffen in selbstreferentieller Weise die „Weiterentwicklung des Werkzeugs“, beziehen sich also auch wieder auf Theorie. Als Betriebswirt 166

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

will oder kann sich Seiler jedoch nicht mit der Weiterentwicklung von Theorien beschäftigen, sondern stellt deren Anwendung auf Problemstellungen der Praxis in den Vordergrund. So bemerkt er denn auch: „Man nimmt die Probleme aus der Praxis [lacht] mehr oder weniger. Das ist es!“ Indem Seiler Theorien als „Werkzeuge“ deklariert, schreibt er ihnen eine instrumentelle Funktion bei der Bewältigung von konkreten Praxisproblemen zu. Die beiden Problemtypen „abstrakt“ und „konkret“ verbinden sich so zu einem gemeinsamen Wirkungsmodell. Dabei kann anhand der Theorien ein Idealzustand bestimmt werden, der es ermöglicht, problematische Zustände der Praxis überhaupt erst erfassen zu können: Seiler: „[…] wenn Sie in ein Gebiet einsteigen, in ein Problem, müssen Sie ja irgendwie eine Schneise rein schlagen können und sagen: Was wäre zu erwarten, wenn sich die Akteure rational verhalten? Nur dann können Sie eine Abweichung feststellen. Sie brauchen ja ein Vorurteil, damit Sie das Problem überhaupt beschreiben oder begreifen können.“

Theorien beeinflussen die Wahrnehmung der Praxis, indem sie eine gewisse paradigmatische Rahmung – oder in Seilers Worten – ein „Vorurteil“ beinhalten. Sie setzen die von Unordnung und Komplexität gezeichnete Realität in ein Verhältnis zum verfügbaren Wissen und tragen damit zur Vermittlung von Wissenschaft und Praxis bei. Bei seiner Tätigkeit als Hochschullehrer setzt sich Seiler im Wesentlichen dieselben Ziele wie in seiner Forschungstätigkeit: „Sozusagen eine Mischung aus theoretisch einigermaßen stringenter Vorgehensweise mit Problemen, die die Praxis stellt.“ Der Einstieg in seine Lehrveranstaltungen suche er immer „problemorientiert“, ja sogar „hemdsärmlig“ zu gestalten. Erst auf der Grundlage der so dargelegten Beispiele und Anwendungsmöglichkeiten würden schließlich auch die nötigen „theoretischen Werkzeuge“ eingeführt. Um diese didaktische Vorgehensweise zu begründen, nimmt Seiler erneut Bezug auf seine oben erläuterte Unterscheidung zwischen dem abstrakten Theoriebezug der Volkswirtschaftslehre und dem konkretem Problembezug der Betriebswirtschaftslehre: Seiler: „Ich denke, wer sich nur für die Werkzeuge interessiert, der kann in der VWL das alles studieren. Und wer sich sozusagen nicht für den Hammer, sondern für das Nägelklopfen interessiert, der bekommt den Hammer beim Beklopfen. Das ist, glaube ich, mein Credo im Unterricht.“

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DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Hier wird die Metapher der Theorie als ein „Werkzeug“ konsequent in eine Metaphorik der Anwendung von Theorie – nämlich des „Nägelklopfens“ – überführt. Die Volkswirtschaftslehre bekommt eine Funktion als Grundlagenwissenschaft zugeschrieben. Sie liefert die theoretischen Werkzeuge. Die Aufgabe der Betriebswirtschaftslehre wiederum besteht darin, diese Theorien durch den Akt des Nägelklopfens in die Praxis umzusetzen. Seilers Bestrebungen als Hochschullehrer zielen darauf ab, das betriebswirtschaftliche Postulat der Anwendungsorientierung auf theoretische Grundlagen abzustützen. In diesem Anspruch sieht er denn auch den zentralen Unterschied zwischen Universität und Fachhochschule begründet. Er gibt an, seinen Studierenden im Unterschied zum Unterricht an den Fachhochschulen keine „Check-Listen“ oder „Prozesskataloge“ vermitteln zu wollen. Dies impliziere auch, in der universitären Lehre nicht soviel über „den Prozess“ selber zu sprechen, sondern mehr über „die Inhalte, die Prinzipien, die dahinter stehen“. Um die Grenze zur nicht-universitären Sphäre der Fachhochschule abzustecken, macht Seiler für die Betriebswirtschaftslehre eine spezifisch wissenschaftliche Kompetenz geltend. Sie besteht im Wesentlichen darin, aus konkreten Sachverhalten („Prozessen“) Prinzipien abzuleiten, die auch auf neue Zusammenhänge anwendbar sind. Seiler: „Und ich glaube, was man ihnen beibringen kann, ist diese Mischung aus Problemen, die sich stellen, und Werkzeugen, die man einsetzen kann. Wenn man das beherrscht, so – vor allem das Anwenderwerkzeug – dann kann man sie auch auf neue Zusammenhänge ebenfalls anwenden.“

Im Unterschied zu den theoretischen Abstraktionsleistungen der Volkswirtschaftslehre, konkretisiert Seiler die betriebswirtschaftliche Werkzeuganwendung als eine generalistische Form der Problemlösungskompetenz. Im Vergleich dazu werden die „Check-Listen“ und „Prozesskataloge“ der Fachhochschulen in den Bereich einer allzu eng angelegten Fachausbildung verwiesen. Mit Blick auf die zukünftige Berufsrolle seiner Studierenden liegt Seiler denn auch viel daran, die selbständige Anwendung von Theorien auf Praxisprobleme zu fördern. Dies geschehe beispielsweise, indem die Studierenden im Unterricht oder in Klausuren regelmäßig die praktische Arbeit mit einem „Werkzeug“ einüben. Angesichts der hohen Studierendenzahlen im Fachbereich Betriebswirtschaftslehre sieht er solchen Unterrichtsformen allerdings auch deutliche Grenzen gesetzt: „Das könnte man schon besser machen, wenn nicht zweihundertfünfzig oder vierhundert da sind.“

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Im Fallbeispiel von Werner Seiler wird die Betriebswirtschaftlehre nicht nur vom Sinn her als eine Kunstlehre deklariert, sondern durch die Metapher des „Nägelklopfens“ explizit dem Bereich der Technik zugeordnet. Durch das betriebswirtschaftliche „Nägelklopfen“ wird Wissenschaft in Form von theoretischen Desideraten auf konkrete Problemstellungen der Praxis angewandt. Dabei besteht ein enger Funktionszusammenhang zwischen der mit Theorieentwicklung beschäftigten Volkswirtschaftslehre und der auf Theorieanwendung spezialisierten Betriebswirtschaftslehre. In seiner Hochschullehre orientiert sich Seiler am Ideal einer generalistischen Problemlösungskompetenz. Die Ableitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Praxisprobleme soll im Unterricht so eingeübt werden, dass auch eine Übertragung von Wissensinhalten auf sich stetig verändernde Sachverhalte möglich ist.

Orientierung am klinischen Wissenschaftsmodell Das Gespräch mit Professor Felix Meier dreht sich während längerer Zeit um Fragen der Positionierung seiner wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung in der nationalen und internationalen Hochschullandschaft. Schließlich unterbricht Meier seine Ausführungen über die Vor- und Nachteile neuer Schwerpunktsetzungen überraschend mit der Grundsatzfrage: „Was mir wichtig erscheint, oder genauso wichtig scheint, ist die Frage: Was ist überhaupt Wissenschaft? Vor allem bei der Betriebswirtschaft.“15 Meiers Äußerung ordnet sein Fachgebiet grundsätzlich der Wissenschaft zu, verweist aber zugleich auf einen Spezifizierungsbedarf dieser Einordnung, zu dem er in der Folge auch ansetzt: Meier: „Ich persönlich – aber das ist nur meine persönliche Meinung – vergleiche eigentlich die Betriebswirtschaft mit der klinischen Medizin. Es ist nicht eben sehr konzeptuell. Was es braucht, ist eine gute, sehr gute Kenntnis (Lachen) des Patienten, sprich: der Firmen, der Wirtschaft. Also faktisches Wissen über dieses ‚Environment‘. Dann ein paar gute analytische Instrumente, die es erlauben, eine Diagnose zu stellen. Und dann ein paar gute Instrumente, Interventionsinstrumente.“

Meier stellt zunächst klar, dass es sich hier um seine „persönliche Meinung“ handle. Er vermeidet damit die Objektivsetzung seiner Wissenschaftsauffassung und verweist gleichzeitig auf eine Pluralität der Perspektiven. Seine Äußerung legt nahe, dass er alternative Deutungsweisen nicht nur als zulässig, sondern auch als sehr wahrscheinlich erachtet.

15 Interview vom 10.3.2004. 169

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In Analogie zur klinischen Medizin verortet Meier die Betriebswirtschaftslehre am Krankenbett des Patienten. Nicht geistige Entwürfe stünden dabei im Vordergrund („Es ist nicht eben sehr konzeptuell“), sondern „sehr gute Kenntnis des Patienten“ – an dessen Stelle hier die „Firmen“ oder die „Wirtschaft“ treten. Diesen Patienten gilt es in seiner Komplexität zu kennen und zu verstehen. Meier wählt den englischen Ausdruck „Environment“ – der sowohl Milieu als auch Umwelt bedeutet –, um den Patienten der Betriebswirtschaftslehre genauer zu spezifizieren. Seine Begriffswahl verweist darauf, dass Firmen nicht nur für sich allein stehen, sondern auch in Bezug auf ihre Wechselbeziehungen zu anderen Systemumwelten zu verstehen sind. Dies erfordert gemäß Meier „gute analytische Instrumente“, die es erlauben, „eine Diagnose zu stellen“. Um schließlich einen Genesungsprozess einleiten zu können, sind neben den bereits genannten Faktoren auch technische Hilfestellungen („Interventionsinstrumente“) unabdingbar. Mit seinem Gebrauch medizinischer Metaphern stellt Meier die klinische Praxis ins Zentrum seiner Darstellung des betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsmodus. Er ortet aber auch schwerwiegende Differenzen zwischen den epistemischen Praktiken der Betriebswirtschaftslehre und jenen der klinischen Medizin: Meier: „An Universitätskliniken, da haben sie jeden Tag ein Kolloquium zwischen dem Professor, sagen wir mal, der die Abteilung führt, den Oberärzten und Ärzten, den Krankenschwestern, Gästen, die da zugeladen werden usw. Und jeden Tag wird aus den praktischen Fällen Wissen entwickelt. Bei uns…, der Austausch findet praktisch überhaupt nicht statt.“

Nach Ulrich Oevermann werden im Rahmen der medizinischen Diagnose zum einen „die einzelnen Symptome differentiell in das Modell eines kohärenten, gesetzesmäßigen Geschehens“ eingerückt, die dem hypothetischen Typus einer Krankheit entsprechen. Zum anderen könne eine Diagnose nicht sachangemessen vorgenommen werden, wenn Symptome nicht „fallverstehend in den konkreten Kontext einer Lebens- und Traumatisierungsgeschichte des Patienten eingerückt“ werden.16 Die Diagnose besteht also aus einem zweigleisigen Prozess, durch den theoretisches Wissen in klientenbezogenes und damit fallverstehendes Wissen transformiert wird. Erst auf dieser Grundlage kann die Wahl einer adäquaten Interventionsstrategie erfolgen. In der medizinischen Klinik wird eine solche Vorgehensweise durch die Einübung der Berufspraxis am Krankenbett und durch Anschauungsunterricht weitervermittelt. Außerdem

16 Oevermann, 1996: 126. 170

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sorgt der Diskurs innerhalb einer eingeweihten Expertengemeinschaft (Professoren, Ärzte, Krankenschwestern) für eine wechselseitige Abstimmung und damit für eine Stabilisierung und Generalisierung des diagnostischen Wissens. Solche Formen der kollektiven Wissensbearbeitung, die – wie Meier geltend macht – im Rahmen von Kolloquien in der Medizin institutionalisiert sind und routinemäßig („jeden Tag“) stattfinden, würden in der Betriebswirtschaftslehre weitgehend fehlen. Meier konstatiert denn auch eine gravierende Vereinzelung der betriebswirtschaftlichen Wissensproduzenten: Meier: „Jeder tut da seine Sache. Da macht ein Professor ein ‚Consulting‘. Dann machen Doktoranden Doktorarbeiten. Dann machen Studenten Seminararbeiten. Und keiner…“//Interviewerin: „So zwischen Forschung und Lehre im Prinzip auch…“//Meier: „Da entwickelt sich nichts!“

Meier spricht in dieser Sequenz drei verschiedene Ebenen der Wissensproduktion an: Die universitäre Beratung in Form des vom Professor durchgeführten „Consulting“, die Forschungsarbeit der Doktoranden sowie die im Kontext der universitären Lehre und Erstausbildung stehenden Seminararbeiten der Studierenden. Aufgrund der isolierten Forschungstätigkeit dieser Einzelakteure gestalte es sich für die Betriebswirtschaftslehre schwierig, gemeinsame, für Lehre und Forschung verbindliche Wissensbestände aufzubauen. Meier sieht hier einen deutlichen Kontrast zur medizinischen Wissenschaft, die bereits über eine lange Tradition darin verfügt, aus der Beobachtung und Beratung am Krankenbett Aufschluss über Krankheiten zu gewinnen. Nach Ulrich Oevermann geschieht die Vermittlung von Wissenschaft und Praxis in der Klinik als wechselseitiger Prozess: Bei der Lösung von Praxisproblemen können gleichzeitig fallbezogene empirische Erkenntnisse gewonnen werden, die einen Einblick in die Gesetzmäßigkeiten eines Krankheitsverlaufs geben. Auch Meier verweist auf einen solchen wechselseitigen Vermittlungsprozess. In seiner Darstellung der klinischen Praxis werden wissenschaftliche Erkenntnisse sowohl auf Patienten bezogen und für ihren Genesungsprozess eingesetzt als auch aus den praktischen Fällen neue Erkenntnisse entwickelt. Dabei ortet er bei der Betriebswirtschaftslehre ein großes Defizit: „Wir müssen ja auch darum kämpfen, dass zum Beispiel Fallstudien überhaupt als Untersuchungsmethode wissenschaftlich anerkannt werden.“ Während es in der Medizin zur gängigen Forschungspraxis gehöre, Gesetzmäßigkeiten aus wenigen Einzelfällen („fünf Fälle von Keuchhusten“) herzuleiten, gelte dasselbe in der Betriebswirtschaftslehre als unwissenschaftlich. Hier er171

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

klärt sich nun, weshalb Meier in der eingangs zitierten Sequenz gegenüber einer Objektivsetzung seiner Wissenschaftsauffassung Vorbehalte anmeldete („aber das ist nur meine persönliche Meinung“). Er konstatiert für sein Fachgebiet eine zunehmende Verbreitung von theoretischmathematischen Untersuchungszugängen, was letztlich zu einer Marginalisierung der „mehr induktiven Methoden“ führen würde. In seiner Funktion als Hochschullehrer distanziert sich Meier vehement von Formen der kommerziellen Wissensvermittlung, wie er sie an privaten Wirtschaftshochschulen und „Business Schools“ praktiziert sieht: „Wissen verpacken [lacht] und gefällig anbieten, nicht. Und die machen das sehr gut! Aber wirklich eigenes Wissen vermitteln?“ Verpackt und gefällig angeboten werden Güter in der Regel mit dem Ziel, sie besser verkaufen und damit einen Gewinn erwirtschaften zu können. Wie Meier geltend macht, unterscheidet sich dieses „verpackte Wissen“ in zentralen Aspekten von „wirklich eigenem Wissen“. Dies begründet er damit, dass ein selbständiger Wissenserwerb immer auf das erkennende Subjekt zurück wirkt: Meier: „[…] mit diesem Wissen entwickeln [Sie] eine Geisteshaltung, die mir wichtig erscheint. Denn was ich hier geforscht habe, das hat die Welt nicht verändert. Aber ich habe damit einen Forschungsansatz in meinem Denken, der mir wichtig scheint. Nämlich eine gewisse, erstens mal eine gewisse Neugierde, dann eine gewisse intellektuelle Ehrlichkeit. Nicht zu meinen: Ja, weil ich ein bisschen weiß, weiß ich jetzt alles.“

Für Meier stehen weniger die Resultate der Forschungstätigkeit im Vordergrund als der damit verbundene Prozess der geistig-moralischen Entwicklung. Forschung initiiert hier eine wissenschaftliche Geisteshaltung, die er als „Forschungsansatz im Denken“ umschreibt. Dies beinhaltet einen neugierigen, aber auch selbstkritischen Umgang mit Wissen. Meiers Auffassung der Hochschullehre (und des eigenen Wissenschaftsberufs) orientiert sich in wesentlichen Aspekten am neuhumanistischen Wissenschaftsverständnis. Wie Rudolf Stichweh ausführt, beschränkt sich die universitäre Lehre im Neuhumanismus nicht auf Wissensvermittlung, sondern umfasst insbesondere auch eine selbstreferentielle Komponente. Dies entspricht einem Forschungsbegriff, der sich nicht auf die Entwicklung neuer Wissensinhalte (Innovationen) beschränkt, sondern der Kultivierung einer „kritischen Kompetenz“ den Vorzug gegenüber einer Anhäufung von immer umfangreicheren Wissensvorräten gibt.17

17 Stichweh, 1994: 228-245. 172

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Meier verfolgt in seiner Lehre die Zielsetzung, seinen Studierenden ein spezifisches Wissenschaftsethos zu vermitteln: „Und wenn wir den Studenten auch eine mehr wissenschaftlich orientierte Ausbildung geben wollen, dann deshalb! Damit die differenzierter denken, vorsichtig urteilen und weniger globalisieren.“ Ähnlich wie in der im historischen Teil vorgestellten Konzeption der „gebildeten Geschäftsleute“18 erachtet er eine solcherart wissenschaftliche Geisteshaltung als durchaus nützlich für die spätere Berufspraxis in der Betriebsführung. Angesichts des konstanten Entscheidungsdrucks, unter dem Manager in ihrem Berufsleben stehen, will Meier mit seiner Aufforderung zum differenzierteren Denken und vorsichtigen Urteilen dazu beitragen, dass in der Auseinandersetzung mit den komplexen Realitäten der beruflichen Praxis risikoreiche Abkürzungen verhindert werden: Meier: „Also zunächst die ganze Komplexität nicht zu vereinfachen, sondern zu komplizieren [lacht]. Und dann, und wenn man dann da ist, dann erst vereinfachen. Wenn Sie von Anfang an so denken, dann ist es sehr gefährlich, glaube ich. Aber irgendwann müssen Sie das tun. Insofern, wie gesagt, die Gefahr ist, dass man das mit dem Endpunkt zu sehr im Auge hat.“

Im Fallbeispiel von Felix Meier orientiert sich die Betriebswirtschaftslehre als angewandte Wissenschaft am Vorbild der klinischen Medizin. Idealerweise geschieht hier die Vermittlung von Wissenschaft und Praxis als wechselseitiger Prozess: Im Rahmen von kollektiven Beratungen werden wissenschaftliche Wissensbestände zur Lösung von Praxisproblemen eingesetzt, gleichzeitig sind diese Auseinandersetzungen mit praktischen Einzelfällen zentral für die Entwicklung von neuem Wissen. Diese Verschränkung von Wissensanwendung und Wissensproduktion ist höchst voraussetzungsvoll. Sie bedingt spezifische Formen der kollektiven Wissensbearbeitung (Expertenkolloquien), die zur Stabilisierung und Generalisierung der Wissensprodukte beitragen. Aufgrund der von Meier konstatierten Vereinzelung der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsakteure ergeben sich jedoch wesentliche Umsetzungsprobleme für das klinische Modell. Das Lehrmodell von Meier sieht – analog zum zweistufigen Professionalisierungsmodell von Ulrich Oevermann – sowohl eine gewisse Distanzierung von der Praxis als auch die klinische Überwindung dieser Distanz vor.19 Der Einübung einer spezifisch wissenschaftlichen Geisteshaltung kommt dabei ähnlich große Bedeutung zu wie der klinischen Einsozialisation in die fachtypischen Muster der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis. 18 Vgl. S. 69. 19 Vgl. S. 32. 173

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Praktische Reflexionslehre Nach seiner Doktorarbeit war Professor Franz Nussberger in einem Beratungsprojekt für ein internationales Unternehmen tätig. Er deklariert diese gemeinsam mit einem Betriebswirtschaftsprofessor durchgeführte Auftragsarbeit im Interview als „Schlüsselerlebnis“ seiner beruflichen Laufbahn.20 Nussberger schildert zunächst, wie viel Zeit er in dieses Beratungsprojekt investierte und wie er mit großer Begeisterung bei der Sache war: „Das war eine absolut tolle Erfahrung!“ Im Rahmen einer später durchgeführten Evaluation des Beratungsprojekts hat sich dann allerdings eine große Ernüchterung eingestellt: Nussberger: „Zwei Jahre meines Lebens habe ich daran gegeben. Und zwei Jahre später haben wir dann eine Erfolgskontrolle – eine Evaluation – gemacht und es war eine absolut enttäuschende Sache, dass man im Prinzip schon noch gewusst hat: Das sind interessante Kurse gewesen damals. Aber Verhaltensänderungen sind eigentlich nicht festzustellen gewesen.“

Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus setzte sich Nussberger im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung mit der Frage auseinander, wie solche Misserfolge zu erklären sind. Für ihn steht heute fest, dass das im damaligen Beratungsprojekt eingesetzte betriebswirtschaftliche Konzept in wesentlichen Aspekten an den tatsächlich vorliegenden Handlungsproblemen im Unternehmen vorbeizielte: Nussberger: „Das war das Konzept X, das ich gerade aus Amerika frisch nach Hause gebracht hatte. […] die Themen, die das Konzept vermittelt, die waren einfach in bestimmten Bereichen dieses Konzerns nicht anschlussfähig. Die Leute hatten andere Sorgen als das, was wir behandelt haben. Und die hatten andere Themen im Kopf.“

In Nussbergers Schlüsselerlebnis gelang die Vermittlung von wissenschaftlicher Theorie und Praxis deshalb nicht, weil sein Konzept nicht an die Problemlagen der Praktiker anschließen konnte. Es bleibt zunächst offen, inwiefern diese Passungsproblematik darauf zurückgeführt werden kann, dass damals nicht situationsadäquate – also nicht die richtigen – Konzepte zur Anwendung kamen. Erst im weiteren Verlauf des Interviews zeigt sich, dass seine Vorbehalte gegenüber der Anwendbarkeit von betriebswirtschaftlichen Gestaltungs- und Problemlösungsmodellen grundsätzlicherer Art sind.

20 Interview vom 4.6.2003. 174

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Der betreffende Gesprächsteil wird durch eine Frage der Interviewerin eingeleitet. Sie unterbricht Nussbergers Schilderung seiner verschiedenen Forschungsschwerpunkte und Projekttätigkeiten mit der Bemerkung: „Und wie sehen Sie denn in dem drin die Aufgabe der BWL?“ Zur Präzisierung ihrer Frage stellt die Interviewerin zwei Aufgabenbereiche zur Disposition. Sie setzt die Möglichkeit, „konkret Handlungsanleitungen zu geben“, einem Erkenntnisziel gegenüber, „das man vielleicht als Grundlagenwissen bezeichnen könnte“. Der in dieser Frage implizierte Gegensatz zwischen Praxis- und Wissenschafts- bzw. Theorieorientierung wird von Nussberger nicht bestätigt. Er lässt sich nicht auf die Wahlaufforderung der Interviewerin ein, sondern macht eine alternative Sichtweise geltend: Nussberger: „Jede Praxis ist ja, hat eine Theorie dahinter. Und die Theorie, die hinter der Praxis ist, die ist konstituierend dafür was an Realität entsteht, über das Handeln, über die Institutionalisierung von Handeln. So dass im Prinzip das gar kein Gegensatz ist, sondern für mich gerade das Interessante darin liegt, herauszufinden: Was sind denn die Theorien, die unsere Gesellschaft strukturieren?“

Die Praxis ist für Nussberger nicht Adressat der Forschung, sondern Bestandteil eines Untersuchungsinteresses, das er in der wechselseitigen Beeinflussung von Theorie und Praxis lokalisiert. Anders ausgedrückt ist sein Interesse auf „Theorien der Praxis“ gerichtet, die im Sinne von gesellschaftsstrukturierenden Wissensordnungen dem praktischen Handeln zugrunde liegen. Vor diesem Hintergrund kommt Nussberger erneut auf die in seinem Schlüsselerlebnis thematische Frage nach dem Passungsverhältnis von Theorie und Praxis zu sprechen. Nussberger: „Mich interessiert jetzt die Führungstheorie der Praxis und nicht die Führungstheorie des Forschers, der schauen geht, inwiefern kann ich da irgendwelche Kausalitäten bestätigen. Die Praxis ist wahnsinnig benevolent gegenüber den Forschern und wenn ich mit Fragebögen dahinter gehe, dann kann ich jede Theorie, kann ich eigentlich bestätigen.“

Nussberger kritisiert hier eine theoretisch-methodische Perspektive, die wissenschaftliche Konzepte von außen auf die Handlungslogik von Praktikern projiziert: „Der spiegelt mir eigentlich das, was ich ihm erzählt habe. Und deshalb muss ich eben in diese Praxis hinein, um rauszufinden: Wie ordnen die ihre Welt?“ In deutlicher Abgrenzung von solchen „Spiegelungen“, so macht er geltend, ziele seine eigene Vorgehensweise darauf ab, unternehmerische Wissensordnungen aus der 175

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Innenperspektive zu durchdringen und die ihnen zugrunde liegenden Logiken ausfindig zu machen. Aus dem Schlüsselerlebnis am Anfang seiner Berufskarriere leitet Nussberger eine epistemische Herangehensweise her, die für seine weitere Wissenschaftstätigkeit richtungweisend wurde. Wie er im Folgenden erläutert, beinhaltet seine Perspektive eine Rekonzeptualisierung der Wissenschaftsziele der Betriebswirtschaftslehre und damit verbunden auch der Vermittlungsmöglichkeiten von Wissenschaft und Praxis: Nussberger: „Und den Beitrag, den ich jetzt sehe, als Hochschullehrer und als Hochschulforscher, ist eigentlich, diese Zusammenhänge bewusst zu machen. Weil die sind ja so implizit, dass sie uns – nicht determinieren – aber einen ganz starken Einfluss auf uns haben. Es sind die impliziten Verständnisse von Menschen, von Managern von Unternehmungen, die uns zeigen, wie wir handeln sollen, die uns die Orientierung vermitteln. Aber die vermitteln die Orientierung auf eine Art und Weise, dass wir das gar nicht merken. Und wenn ich also etwas verändern will, oder wenn ich eine reflektiertere Praxis hinbringen will, dann muss ich diese Orientierungen nach vorne zerren und an die Oberfläche bringen und spiegeln und sagen: He, ist es das, was ihr meint? Ist das das, was ihr wollt? Seid ihr sicher, dass das funktioniert? Oder was sind die Kosten und Nutzen von solchen Wirklichkeitsauffassungen?“

Der von Nussberger zum Ausdruck gebrachte „Beitrag“ zielt darauf ab, die impliziten Verständnisse und Orientierungsmuster der Wirtschaftsakteure durch die wissenschaftliche Rekonstruktion der bewussten Bearbeitung zugänglich zu machen („dann muss ich diese Orientierungen nach vorne zerren“). Damit Veränderungsansätze gefunden werden können, gelte es, die Praktiker zunächst über ihre eigenen Vorverständnisse aufzuklären. Er strebt Veränderungen an, die nicht auf konkrete Gestaltungsziele ausgerichtet sind, sondern vielmehr auf eine „reflektiertere Praxis“ abzielen. Um dies zu bewerkstelligen, will Nussberger der Praxis einen Spiegel vorhalten und sie zur Selbstbetrachtung auffordern. Wie seine Frage nach „Kosten und Nutzen“ von Wirklichkeitsauffassungen zeigt, können dabei auch ganz konkrete ökonomische Rationalitätserwägungen zur Debatte stehen. Vermeintliche Sachzwänge werden in Nussbergers Perspektive als „so genannte Denkzwänge“ aufgedeckt. Seine Aufgabe als Wissenschaftler und Berater sieht er darin, die Praktiker zur Selbstreflexion anzuleiten, während Entscheidungen über Gestaltungsfragen ganz diesen selber überlassen werden: Interviewerin: „Ist das auch – wenn Sie jetzt ein Forschungsprojekt durchführen, wie jenes, das Sie vorher erwähnt haben – ist das denn auch ein Teil die176

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

ses Projektes, dass man direkt versucht, eben Verbesserungsvorschläge zu machen.“ Nussberger: „Nein, wir machen keine Verbesserungsvorschläge, sondern wir, spiegeln eigentlich nur, mit der Aufforderung: Jetzt hast du die Wahl! Jetzt musst du wählen! Jetzt kannst du nicht mehr so tun, als ob es einfach so wäre.“

Nussberger verbindet mit seinen Reflexionen keine unmittelbaren Verbesserungsvorschläge. Mit der Wendung „Jetzt hast du die Wahl!“ gibt er an, die Bewältigung von Entscheidungssituationen voll und ganz den Praktikern zu überlassen. Damit unterzieht er seinen beruflichen Aufgabenbereich gewissermaßen einer Selbstbeschränkung auf die kritischhinterfragende Rolle des Wissenschaftlers. Im Unterschied zum wissenschaftlichen Autonomiemodell, das gemäß Ulrich Oevermann seinen abstrakten Klienten in der gesellschaftlichen Zukunft findet,21 sind die praktischen Problemstellungen von Nussbergers Klienten jedoch sowohl konkret als auch gegenwartsbezogen. Mit seiner Arbeit als Hochschullehrer möchte Nussberger die Studierenden insbesondere zum kritischen Hinterfragen betriebswirtschaftlicher Instrumente und Theorien befähigen: Nussberger: „[…] dass wir den Studierenden eben klar sagen: Es gibt diese Instrumente, die musst du können, wenn du in die Praxis willst. Hinter jedem Instrument ist eine Theorie. Warum ist das wichtig? Und was führt zu was? Und hinter jeder Theorie ist eine Perspektive. Und wenn jetzt da Instrumente kommen, eines nach dem anderen – oder neue Konzepte, die eigentlich nur Begründung liefern für ein bestimmtes Instrument – ist es ganz wichtig, dass du auch in der Lage bist, auf die Perspektive zurück zu gehen und zu sagen: Was für eine Perspektive wird da eingenommen, von wem und warum? Dass du also ein reflektierender Praktiker wirst und diese Sachen, die kommen, auch beurteilen kannst. Dem nicht ausgeliefert bist und sagst: Das muss ich jetzt halt auch machen, weil es die anderen machen.“

Nussberger formuliert zunächst eine pragmatische Bildungshaltung, die sich an den Anforderungen des Arbeitsmarkts orientiert. Kenntnisse über die wesentlichen betriebswirtschaftlichen Instrumente sind dabei unabdingbar. Er nimmt aber auch auf den vorgehend hergeleiteten Reflexionsanspruch Bezug. Hier strebt er an, betriebswirtschaftliche Instrumente auf perspektivengebundene Theorien zurückzuführen und damit in ihrem Charakter als Resultat von spezifischen Interessenpositionen sichtbar zu machen („Was für eine Perspektive wird da eingenommen, von wem und warum?“). Nussberger formuliert ein Lehrziel des „reflek21 Münte/Oevermann, 2002: 167. 177

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

tierenden Praktikers“, der dem modischen Wechsel der managerialen Denkansätze seine eigene kritische Urteilskraft entgegenzusetzen vermag. Das Fallportrait von Franz Nussberger beschreibt die Erfahrung der gescheiterten Vermittlung von Theorie und Praxis. Das Schlüsselerlebnis seiner beruflichen Laufbahn hat ihm vor Augen geführt, dass zwischen den wissenschaftlichen Erklärungsmodellen der Betriebswirtschaftslehre und den Sinnstrukturen der Praxis Diskrepanzen vorliegen können, die Gestaltungsversuche ins Leere laufen lassen. Trotz dieser ernüchternden Erfahrung ist Nussbergers Wissenschaftstätigkeit weiterhin auf die Praxis ausgerichtet. Der von ihm zum Ausdruck gebrachte Modus der Wissenschaftsanwendung kann als praxisbezogene Umsetzung wissenschaftlicher Reflexivität bestimmt werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse dienen dabei nicht unmittelbar der Lösung von Praxisproblemen, sondern wirken indirekt – über einen Bewusstseinsbildungsprozess bei den Praktikern – auf die Gestaltung der Wirklichkeit ein. Dieses Modell verfolgt Nussberger auch in seiner Hochschullehre. Angesichts der sich in rascher Folge ablösenden betriebswirtschaftlichen Erklärungsansätze setzt er bei seinen Lehrzielen auf Reflexionsfähigkeit und kritische Urteilskraft.

Vergleich In den vorgestellten Fällen kommen drei Formen der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis zum Ausdruck. Der durch Werner Seiler repräsentierte sozial- bzw. wirtschaftstechnische Modus geht von einer relativ unproblematischen Gestaltbarkeit wirtschaftlicher Gebilde analog zur Gestaltbarkeit technischer Systeme durch die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus. In seiner Hochschullehre verbindet Seiler die technische Anwendung von theoretischen „Werkzeugen“ auf Praxisprobleme mit einem Abstraktionsanspruch, der die Studierenden zur Übertragung von Wissensinhalten auf sich stetig verändernde Sachverhalte befähigen soll. Im von Felix Meier repräsentierten Modus der klinischen Wissenschaft steht die wissenschaftsbasierte Lösung von Praxisproblemen in einem Wechselverhältnis zur wissenschaftlichen Erkenntnisfindung. Sowohl die Problemlösung als auch die Erkenntnisfindung werden dabei als voraussetzungsvolle Prozesse verstanden, die namentlich kollektive Formen der Wissensbearbeitung voraussetzen. In der Lehre sind die Bestrebungen von Meier darauf ausgerichtet, den Studierenden eine wissenschaftliche Geisteshaltung zu vermitteln, die zu differenzierterem Denken und vorsichtigen Urteilen anregt. Im klinischen Modell beteiligen sich die Studierenden zudem an jenen Experten178

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

foren, in welchen die wechselseitige Vermittlung von Wissenschaft und Praxis kollektiv umgesetzt wird. Bei Franz Nussberger wird die Vermittlung von Wissenschaft und Praxis zur prekären Aufgabe erklärt. Dementsprechend beschränkt sich der von ihm repräsentierte reflexive Modus denn auch auf Anwendungsformen, die nicht eine Praxisgestaltung an sich anstreben, sondern vielmehr auf einen Bewusstseinsbildungsprozess bei den Praktikern ausgerichtet sind. Dieses Reflexionsziel strebt Nussberger nicht nur in seiner Forschungs- und Beratungstätigkeit, sondern auch mit seiner Hochschullehre an. Dabei steht für ihn im Vordergrund, dass die Studierenden zum kritischen Hinterfragen betriebswirtschaftlicher Instrumente und Theorien befähigt werden. Anhand der hier vorgestellten Fallbeispiele werden drei Extrempositionen innerhalb eines breiten Spektrums der betriebswirtschaftlichen Vermittlung von Wissenschaft und Praxis herausgearbeitet. Im Fallbeispiel des ebenfalls befragten Professors Ernst Schoch zeigt sich eine Mischung von zwei der bereits besprochenen Formen. Bei Schoch wird der betriebswirtschaftliche Erkenntnisprozess als ein Mittel zum Zweck der Wirklichkeitsgestaltung deklariert. Das Wissenschaftsziel der Betriebswirtschaftslehre ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, aus Theorie und Forschung praktische Gestaltungsempfehlungen abzuleiten. Er hält diesbezüglich fest: „Am Ende machen wir eine Gestaltungsaussage.“22 In Schochs beispielhafter Aufzählung möglicher Gestaltungsaufforderungen nimmt die Wissenschaft gegenüber der Praxis eine autoritäre Rolle ein. Sie fordert: „Definieren Sie den Begriff!“, oder gibt die Anweisung: „Investieren Sie in!“ Der Erkenntnisfindungsprozess orientiert sich an spezifizierbaren Idealen und Normen des Wirtschaftshandelns, aus denen konkrete Handlungsanweisungen für die Praxis ableitbar sind. Schoch formuliert für die Betriebswirtschaftslehre verbindliche Gestaltungsziele: „Sie muss am Ende sagen: Wie hebe ich die Wirtschaftlichkeit?“ Oder als alternative Fragestellung: „Wie fördere ich soziale Effizienz und ökonomische Effizienz?“ Im Forschungsmodell von Schoch kommt eine Gestaltbarkeitsvision zum Ausdruck, die dem technischen Modus zugeordnet werden kann. In Bezug auf die Ausbildung späterer Berufspraktiker macht er jedoch eine andere Perspektive geltend: Während von ihm für die betriebswirtschaftliche Forschung keine wesentlichen Umsetzungsprobleme thematisiert werden, markiert diese Problematik bei Schoch das Kernelement der professionellen Leistungsrolle im Beruf des Unternehmensführers. Er stellt fest: „Die eigentliche Kunst des Managements ist die Umsetzung, intellektuell bringt man das noch fast jedem bei.“ Schoch erachtet es deshalb als nicht ausreichend, in der 22 Interview vom 30.7.2003. 179

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

universitären Lehre die Ableitung von Wissen auf Praxisprobleme einzuüben. Er möchte vielmehr praktische Einübungsmöglichkeiten in Form von Rollenspielen oder „realen Fallstudien“ fördern. Dies mit der Zielsetzung, die späteren Praktiker nicht nur intellektuell zu schulen, sondern ihre Führungskompetenzen zu entwickeln. Im Lehrmodell von Schoch kommt der Einsozialisation in den berufstypischen Umgang mit Praxisproblemen ein hoher Stellenwert zu. Es verfügt damit auch über Analogien zum Modus der klinischen Wissenschaft. Im historischen Teil der Untersuchung wurde aufgezeigt, dass sich die betriebswirtschaftlichen Fachvertreter oftmals auf die Vorbilder der technischen Wissenschaften oder der Medizin bezogen, um zu erläutern, dass sich der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit legitimerweise mit praktischen Zielsetzungen vereinbaren lasse. Wie die aktuellen Fallbeispiele zeigen, kann das Wissenschaftsmodell der Betriebswirtschaftslehre jedoch weder als Quasi-Profession noch als Sozialtechnologie adäquat festgelegt werden. Die Vielfalt der in den Interviews zum Ausdruck gebrachten Perspektiven verdeutlicht, dass sich in der Betriebswirtschaftslehre bisher kein eigenständiger Modus der Wissenschaftsanwendung ausgebildet hat. Weiterhin bestehen große fachinterne Unterschiede sowohl in Bezug auf die Formen der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis wie auch in Bezug auf die Frage, welche Aufgabe den betriebswirtschaftlichen Wissensbeständen in der Praxis überhaupt zukommen soll. In einem Artikel aus dem Jahr 1984 vertritt Richard Whitley die Auffassung, dass in der Managementforschung Analogien zum Wissenschaftsmodell der Naturwissenschaften und den damit einhergehenden Nützlichkeitsimplikationen vorherrschend seien.23 Der oben vorgestellte reflexive Modus zeigt dazu ein Gegenbeispiel. In diesem Modus ist die betriebswirtschaftliche Erkenntnisproduktion nicht darauf ausgerichtet, die soziale Welt der Unternehmen auf Gesetzmäßigkeiten hin zu untersuchen, die sich kontextunabhängig in den Anwendungsbereich rücktransferieren lassen. Nützlichkeitsbeurteilungen bleiben im reflexiven Modus vielmehr stets an die divergenten Deutungswelten der Praxis gebunden. Diese können nicht stellvertretend durch die Wissenschaftler vorgenommen werden. Fast alle der befragten Fachvertreter setzen ihre Wissenschaftstätigkeit – wenn auch in sehr unterschiedlicher Weise – zu praktischen Zielsetzungen in Beziehung. Eine teilweise Ausnahme zeigt das im nächsten Kapitel genauer vorgestellte Fallbeispiel des „reinen Wissenschaftlers“

23 Whitley, 1984b: 370. 180

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

Heinz Hoffmann.24 Als Theoretiker nimmt Hoffmann zwar konkrete Problemlagen der Praxis zum Anlass, um Forschungsprojekte durchzuführen. Er gibt aber an, die Resultate dieser Forschungstätigkeit seien hauptsächlich an die Wissenschaftsgemeinschaft adressiert. Während er sich somit in der Forschung weitgehend von praktischen Relevanzsetzungen distanziert, sieht sich Hoffmann in der universitären Lehre mit Anforderungen konfrontiert, die eine Praxisorientierung unumgänglich machen. Um die hohe Zahl ihrer Studienabsolventen auch auf dem Arbeitsmarkt unterbringen zu können, ist die Betriebswirtschaftslehre seines Erachtens dringend dazu angehalten, praktische Belange im Lehrbetrieb gebührend zu berücksichtigen. Hoffmann kommt zum Schluss: „Und insofern muss ich mich dieser Aufgabe einfach stellen und kann nicht meine Lehre machen, indem ich Theorie um ihrer selbst willen betreibe.“ Weil die beiden Bereiche Lehre und Forschung im universitären System miteinander verbunden sind, ergeben sich aus den unterschiedlichen Zielsetzungen von Hoffmann zuweilen Missverständnisse. Er beobachtet dies insbesondere in seinen Lehrveranstaltungen für fortgeschrittene Studierende, die „ein bisschen mehr in die akademische Richtung“ gehen würden. Hier ergeben sich zuweilen widersprüchliche Botschaften an die Studierenden. Sie entstehen aus der Unklarheit darüber, ob die Studierenden nun in erster Linie die Berufskompetenzen zukünftiger Praktiker, oder als Theoretiker die für eine Wissenschaftstätigkeit unabdingbaren Forschungskompetenzen erwerben sollen.

2. Positionierungen zwischen Wissenschaftssystem und Berufspraxis In Professionen wie der Medizin, der Theologie oder den Rechtswissenschaften existieren neben der wissenschaftlichen Elite akademisch vorgebildete Praxiseliten. Diese verdanken ihren Status der Tatsache, dass sie die Kernrolle der professionellen Arbeit in besonders exzellenter Weise ausüben. Oft werden diese Praktiker zusätzlich an die Universitäten berufen. Als Mittler zwischen universitärer Lehre und Beruf ermöglichen sie den Studierenden einen besseren Einblick in ihr späteres Tätigkeitsfeld und dienen gleichzeitig den Hochschulinstitutionen zur Pflege ihrer Außenkontakte.25 Wie im historischen Teil dargelegt, zeigen sich in den Berufsbiographien betriebswirtschaftlicher Hochschullehrer sowohl disziplinäre als auch professionelle Strukturelemente. In der ers-

24 Vgl. S. 183-187. 25 Stichweh, 1994: 286. 181

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ten Generation der Handelswissenschaftler stellten wissenschaftliche Qualifikationsausweise keine Voraussetzung für das Professorenamt dar. Trotzdem verfügte die große Mehrheit der schweizerischen Fachpioniere zumindest über einen Doktortitel. Bald einmal blieb das Feld für akademische Amateure weitgehend verschlossen: Zuweilen kam es zwar noch vor, dass Lehraufträge oder auch Extraordinariate explizit mit Praktikern besetzt wurden. Rein aufgrund ihres beruflichen Erfolges wurden Praktiker ohne wesentliche akademische Leistungsausweise aber kaum mehr auf einen betriebswirtschaftlichen Lehrstuhl berufen. Die soziale Schließung des betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsfeldes bedeutete jedoch keineswegs einen radikalen Ausschluss der Praktiker. Viele Hochschullehrer verfügten sowohl über einen Doktortitel als auch über Berufserfahrungen in einem Praxisfeld. In der Regel war dies entweder ein Lehrbzw. ein Rektoramt an einer kaufmännischen Mittelschule oder eine Tätigkeit in der Wirtschaft bzw. der Verwaltung. Im Sinne einer „mehrfachen Mitgliedschaft“ gehörten diese Akteure nacheinander oder zuweilen auch gleichzeitig verschiedenen Handlungsfeldern an. Neben ihrer Zugehörigkeit zum Wissenschaftsberuf waren sie noch in einem zweiten oder sogar dritten Berufsfeld tätig. Das berufsbiographische Muster der mehrfachen Mitgliedschaft verweist auf einen wissenskulturellen Kontext, der an seine Teilnehmenden doppelte Anforderungen stellt: Sie müssen sich sowohl als kompetente Wissenschaftler wie auch als fähige Praktiker ausweisen können. Es steht aber auch für wissenschaftliche Qualifizierungswege, die einen relativ geringen Grad an sozialer Abschließung und Normierung aufweisen. Die Berufsfelder der Wissenschaft und der Praxis sind gegeneinander nicht vollständig abgeschlossen. Als sich die schweizerische Betriebswirtschaftslehre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als fachdisziplinärer Zusammenhang konsolidierte, verlor dieses Muster zugunsten einer spezialisierten rein innerwissenschaftlichen Berufsbiographie tendenziell an Bedeutung. Es wurde aber nicht gänzlich aufgegeben. Im Folgenden soll anhand von drei Fallportraits (Heinz Hoffmann, Franziska Rösler, Rainer Kunz) der Frage nachgegangen werden, wie sich zeitgenössische Fachvertreter zwischen Wissenschaftssystem und Berufspraxis verorten. Welche Sinnzuschreibungen sind heute mit dem berufsbiographischen Muster der doppelten Mitgliedschaft gekoppelt? Welche Vereinbarkeitsprobleme ergeben sich zwischen einer spezialisierten wissenschaftlichen Berufsrolle und dem betriebswirtschaftlichen Anspruch auf eine praxisnahe Wissenschaftstätigkeit? Das erste der drei diskutierten Fallbeispiele zeigt einen Professor, der kaum über außerakademische Berufserfahrungen verfügt und für sich ein gravierendes 182

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

Praxismanko konstatiert. In den folgenden zwei Portraits sind die berufsbiographischen Darstellungen der Fachakteure durch eine jeweils unterschiedlich problematische Verbindung von Praxis- und Wissenschaftstätigkeit geprägt.

Ein reiner Wissenschaftler Als Professor Heinz Hoffmann im Interview darauf angesprochen wird, ob er im Verlauf seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit auch in der Praxis gearbeitet habe, reagiert er zunächst mit Unschlüssigkeit: „Nein (langgezogen). Erst nach… Im Grunde nach der Habilitation das erste Mal. Ich muss nachdenken, ob das stimmt. Aber wenn, dann war es vorher vernachlässigenswert. Wo ich im Zuge von so kleineren Beratungsprojekten, oder so etwas. Das ist sicherlich ein Defizit!“26 Es erstaunt, dass Hoffmann über die Chronologie seiner beruflichen Tätigkeit erst nach einigem Nachdenken genauer Auskunft geben kann. Dies obwohl das „Curriculum Vitae“ als chronologisierte Darstellung der Ausbildungs- und Berufslaufbahn für Wissenschaftler von zentralem Stellenwert ist und zur ständigen Reflexion über Fragen der biographischen Selbstdarstellung auffordert. Aus Hoffmanns Zögern könnte somit geschlossen werden, dass seine Praxistätigkeit in der Standardversion seiner berufsbiographischen Selbstdarstellung keine Erwähnung findet. Die Unschlüssigkeit könnte sich allerdings auch durch die uneindeutige Fragestellung erklären: Was bedeutet es denn überhaupt, „in der Praxis“ gearbeitet zu haben? Die Interviewerin präzisiert zwar ihre Frage mit dem Zusatz: „In einem Unternehmen oder in einer Verwaltung“. Trotzdem bleibt offen, ob beispielsweise Wochenend- oder Ferienanstellungen während der Studienzeit auch bereits zur Praxistätigkeit zu zählen sind. In seiner Antwort macht Hoffmann denn auch eine Unterscheidung zwischen Praxistätigkeiten, die es auch wirklich verdienen, im Interview erwähnt zu werden, und anderen „vernachlässigenswerten“ beruflichen Erfahrungen. Nicht ganz klar wird dabei, ob die von ihm genannten „kleineren Beratungsprojekte“ zu diesen vernachlässigenswerten Berufstätigkeiten zu zählen sind, oder ob sie sich auf seine Praxistätigkeit nach der Habilitation beziehen. Mit der Aussage „Das ist sicherlich ein Defizit!“ unterbricht Hoffmann die Ausführungen zu seiner Praxistätigkeit, indem er eine unzweifelhafte Problemlage benennt. Er sieht sich Ansprüchen gegenüberstellt, welchen die von ihm ausgewiesenen Praxiserfahrungen offenbar nicht Genüge leisten. Damit macht er für seine Berufsbiographie einen expli26 Interview vom 15.4.2004. 183

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ziten Mangel aus. Wie er in der Folge erklärt, begründet sich dieser Mangel aber letztlich durch einen beruflichen Erfolg, nämlich durch sein rasches Vorwärtskommen als Wissenschaftler. Hoffmans berufliche Karriere nahm eine stark „akademisch orientierte Entwicklung“. Er habe sich immer darauf konzentriert, „möglichst gradlinig und schnell durchzukommen“, dabei konnte er insbesondere auch bereits mit jungen Jahren ein Professorenamt antreten. Der zweckrationale Umgang mit zeitlichen Ressourcen erscheint bei Hoffmann als eine Leistung, die im akademischen Feld besonders honoriert wird. Allerdings steht gerade diese hohe Bewertung von Geradlinigkeit und Geschwindigkeit in Widerspruch zum zuvor konstatierten Praxisdefizit. Trotz erfolgreicher Wissenschaftskarriere bleibt für Hoffmann unbestritten, dass seine Berufsbiographie mit einem Mangel behaftet ist. Seine aus der spezifischen Logik des Wissenschaftssystems hergeleiteten berufsbiographischen Bewährungsstrategien scheitern vor den besonderen Anforderungen der Betriebswirtschaftslehre. In der Anschlusssequenz wiederholt er denn auch noch ein zweites Mal – und auf die Nachfrage der Interviewerin hin sogar ein drittes Mal – die bereits gemachte Feststellung: „Das ist ein Defizit!“ Nach dem Antritt seiner ersten Professorenstelle unternahm Hoffmann intensivierte Bestrebungen, um seine akademische Welt jener der Praxis anzunähern. Hoffmann: „Und ich habe also dann danach, als ich dann diese Professur hatte, sehr starken Wert darauf gelegt, möglichst viele Praxiskontakte zu haben und möglichst viel mitzubekommen, was in richtigen Unternehmen passiert [lacht]. Und nicht nur in denen aus den Theoriegebäuden. Das braucht man! Sonst ist man einfach im Hörsaal absolut unglaubwürdig.“

Während die weiter oben thematisierten Praxiserfahrungen eine konkrete Berufstätigkeit in der Wirtschaft oder Verwaltung voraussetzen, verweist der hier von Hoffmann verwendete Begriff des „Praxiskontakts“ in eine andere Richtung. Er zeigt Möglichkeiten auf, wie sich Wissenschaftsakteure über persönliche Kontakte mit Wirtschaftspraktikern deren Erfahrungswelt erschließen können. Dies mit der Zielsetzung, die abstrakte Welt der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie mit praktischen Erfahrungen aus dem Wirtschaftsleben zu ergänzen. In der Fachgeschichte der Betriebswirtschaftslehre wurde ein Anspruch auf Realitätsnähe oftmals als forschungspolitische Gegenposition zur von Abstraktion geprägten volkswirtschaftlichen Theorietradition geltend ge-

184

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

macht.27 In der oben stehenden Interviewsequenz zeigt sich Hoffmann jedoch nicht als Forschender um Realitätsnähe bemüht, sondern um als Hochschullehrer die nötige Glaubwürdigkeit vermitteln zu können. Dabei erachtet er direkte – oder allenfalls indirekt über Praxiskontakte gewonnene – Einsichten in die Erfahrungswelt der Wirtschaftspraktiker als unerlässlich, um den Studierenden eine authentische Sicht auf das Wirtschaftsgeschehen zu vermitteln: Hoffmann: „Man muss auch einfach ein bisschen einen Hintergrund haben. Man redet ja ansonsten… Also es kommen die Studenten dorthin, die in einem Unternehmen waren, also vielleicht in einem Praktikum, aber da bekommt man ja nun nicht gerade die Einsichten in die obersten Führungsebenen. Und dann steht da vorne ein Professor, der auch nie in einem Unternehmen war, und man redet wie die Blinden von der Farbe. Also das ist ein Problem. Und das ist ein Problem der Hochschulausbildung in der BWL meiner Meinung nach.“

Hier zeigt sich, dass Hoffmann das von ihm so stark empfundene Defizit seiner persönlichen Berufsbiographie auf eine Kernproblematik seines Fachgebietes zurückführt. Die von ihm geschilderten Rahmenbedingungen des akademischen Feldes sanktionieren eine Karrierelogik, die eine gravierende Inkompetenz der betriebswirtschaftlichen Hochschullehre zur Folge haben kann: Sie sprechen von Unternehmen „wie die Blinden von der Farbe“. Wissenschaft und Praxis stehen sich in Hoffmanns Betriebswirtschaftslehre als zwei Welten gegenüber, die nur schwer miteinander zu vereinbaren sind. Dabei bleibt letztlich ungewiss, ob Wissenschaftler auch wirklich kompetent über Unternehmensrealitäten sprechen und Studierende über sie unterrichten können, denn im Vergleich zu den Berufspraktikern weisen Wissenschaftler stets ein Praxisdefizit auf. Wie bereits angetönt, ist die wissenschaftliche Laufbahn für Hoffmann mit Spezialisierungsanforderungen verbunden, die eine multiple Mitgliedschaft in mehreren Berufsfeldern weitgehend verunmöglichen. Sich Praxiserfahrung zu erwerben, bedeutet in erster Linie Zeitverlust beim Wettbewerb um wissenschaftliches Prestige. So kommt er trotz des von ihm mehrfach thematisierten Praxisdefizits zum Schluss: „Also ich würde jedem Nachwuchswissenschaftler immer empfehlen: Konzentriere dich auf den akademischen Weg, lass die Praxis Praxis sein!“ Hoffmann führt das von ihm angesprochene „Problem der Hochschulausbildung in der BWL“ auf die widersprüchlichen Handlungsanforderungen des betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsberufs zurück: Während wissenschaftlicher Erfolg für ihn eine gewisse Praxisabstinenz 27 Vgl. S. 100. 185

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

bedingt, hängt die Glaubwürdigkeit als Hochschullehrer davon ab, realitätsnah aus der Wirtschaftspraxis berichten zu können. Aufgrund ihrer Spezialisierung auf den Wissenschaftsberuf können die Hochschullehrer jedoch nur schwer einem Auftrag gerecht werden, der in erster Linie in der Ausbildung von späteren Berufspraktikern besteht. Wie Hoffmann hervorhebt, wurden in der betriebswirtschaftlichen Hochschulausbildung bisher keine institutionellen Lösungen für dieses Dilemma gefunden. Bestrebungen um Praxisnähe sind als individuelle und schwer zu bewältigende Aufgabe dem Ermessenspielraum jedes einzelnen Professors überlassen: Hoffmann: „Ich mache das, weil ich merke, dass ich sonst schlecht in der Lehre bin. Und ich zwinge mich dazu, von Zeit zu Zeit immer wieder solche Projekte zu machen. Das ist aber… mich zwingt keiner dazu. Ich muss das selber machen. Wir sind von Seiten der Universität sehr lose angehalten, irgendwelche Transferleistungen zu erbringen. Und wenn wir sie nicht erbringen und uns statt dessen in der Selbstverwaltung engagieren oder eben Forschungsgelder akquirieren, bekommen wir einen Haufen Schulterklopfen von den Kollegen und sind eigentlich in dem System sogar renommierter, als wenn wir uns in der Praxis bewegen.“

In der Forschungstätigkeit von Hoffmann nimmt der – wie er es ausdrückt – „konkrete Unternehmensbezug“ keinen hohen Stellenwert ein. So bezeichnet er denn auch seine wissenschaftliche Perspektive als diejenige eines „Theoretikers“ im Unterschied zum „Empiriker“. Zwar versucht Hoffmann durchaus, Praxisvertretern, die mit Problemstellungen an ihn gelangen, „trotz des eigenen Nichtwissens noch irgend etwas mitzugeben“. Danach setze er sich aber jeweils an den Schreibtisch und sage sich: „Jetzt will ich es selber wissen!“ Die von Hoffmann untersuchten Fragestellungen haben zwar oftmals einen Bezug auf das konkrete Unternehmensgeschehen, sie werden von ihm dann allerdings in Hinblick auf Möglichkeiten der theoretischen Generalisierbarkeit bearbeitet. Im Vordergrund seiner Forschungstätigkeit steht das eigene Interesse an der wissenschaftlichen Wahrheitssuche – und nicht die Problemlösungsansprüche der Praxis. Dabei macht er jedoch auch geltend, dass Fragen von Praktikern ihn zuweilen zu besonders interessanten wissenschaftlichen Projekten geführt haben. Für Hoffmann ist unbestritten, dass Praxiskontakte sich positiv auf den Innovationsgehalt und die Originalität betriebswirtschaftlicher Forschungstätigkeit auswirken können. Aufgrund der Strukturdifferenzen von Wissenschaft und Praxis würden sich diese Erkenntnisprodukte aber nicht in den Handlungsrahmen der Praktiker zurücktransferieren lassen: 186

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

Hoffmann: „Die haben ja immer nur einen extrem kurzen Interessenhorizont. Also eine Frage ist bei Managern, die irgendwie ein Projekt bearbeiten, zwei Monate aktuell. Und danach ist das irgendwie gelöst, entweder zur Zufriedenheit oder nicht zur Zufriedenheit. Und dann geht das weiter bei denen. Und ich brauche, wenn ich fundiert über etwas nachdenken will, eine fundierte theoretische Arbeit erstelle, ein halbes Jahr. Und dann geht das wirklich nur noch in den akademischen Bereich.“

Während Praktiker unter ständigem Entscheidungsdruck stehen, bedingt wissenschaftliches Arbeiten, wie Hoffmann hier ausführt, einen gewissen zeitlichen Freiraum. Dieser wissenschaftliche Anspruch auf Handlungsentlastung bringt es für ihn zwangsläufig mit sich, dass seine Forschungsresultate in erster Linie an das Wissenschaftsfeld und nicht an die schnelllebige Praxis adressiert sind. Im Fallbeispiel von Heinz Hoffmann ist der Wissenschaftsberuf an erhebliche Spezialisierungserfordernisse gekoppelt. Wissenschaftliche Karriereentscheidungen sollten sich deshalb vornehmlich an der Strukturlogik einer handlungsentlasteten disziplinären Wissensproduktion orientieren. Bei Hoffmann kommt ein wissenschaftliches Autonomiemodell zum Ausdruck, welches das selbstinteressierte Spiel um wissenschaftliches Prestige ins Zentrum der Forschungstätigkeit stellt.28 Als Hochschullehrer wird diese Autonomie für ihn jedoch zu einem Defizit. Durch Kontakte mit Wirtschaftspraktikern unternimmt Hoffmann den Versuch, die spezifischen Erfahrungswelten, Interessenlagen und Problemstellungen der Unternehmenswelt in seiner Lehrtätigkeit zu berücksichtigen. Er kritisiert, dass in der betriebswirtschaftlichen Hochschullehre keine institutionellen Regelungen für die Pflege der Praxiskontakte bestehen. Angesichts des strukturlogischen Gegensatzes zwischen einer von Handlungsdruck entlasteten Theoriebildung und der unter ständigem Handlungszwang stehenden unternehmerischen Praxis sieht er solchen Annäherungsbestrebungen aber auch enge Grenzen gesetzt.

Distanzierung vom selbstreferentiellen Wissenschaftssystem Vor ihrer Tätigkeit als Professorin war Franziska Rösler längere Zeit in der Praxis tätig. Nach der Dissertation ging sie einer außerwissenschaftlichen Berufstätigkeit nach und qualifizierte sich parallel dazu als Wissenschaftlerin weiter. Auf die Frage, wie sie diese „Kombination“ von Beruf und wissenschaftlicher Arbeit erlebt habe, macht Rösler mit den Worten „Stress, wahnsinnigen Stress“ eine außerordentliche Belastungs28 Vgl. die Ausführungen zum Autonomiemodell auf S. 34-36. 187

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

erfahrung geltend.29 Ihre Schilderung dieser Mehrfachbelastung kann zugleich als Verweis auf eine außergewöhnliche Leistungsfähigkeit gelesen werden. Um den hohen Anforderungen gerecht zu werden, musste sie sich zeitlich ganz für ihre Arbeit einsetzen: „Ich habe einfach immer gearbeitet. Ich habe zwei Jahre, habe ich einfach keine Ferien gemacht.“ Zwischen der außeruniversitären Berufstätigkeit und dem Wissenschaftsbetrieb hätten sich, wie Rösler ausführt, aber durchaus auch Synergien ergeben. So wäre sie beispielsweise mit der Habilitation nicht so zügig vorangekommen, wenn sie nicht bereits gewusst hätte, „was wichtig ist und was weniger wichtig ist, und wie man das auf eine Reihe kriegt“. Sie schreibt es diesen im Praxisfeld erworbenen arbeitsorganisatorischen Kompetenzen zu, dass es ihr gelungen sei, gleichzeitig in der Berufspraxis und der Wissenschaft stehend, quasi eine doppelte Leistung zu erbringen. Rösler sieht aber nicht nur einen arbeitsorganisatorischen, sondern auch einen inhaltlichen Gewinn darin, als Forscherin selber Teil der Praxis zu sein: Rösler: „Was natürlich der Vorteil ist, wenn Sie in der Praxis sind: Sie wissen, welches die forschungsrelevanten Fragen sind. Das müssen Sie gar nicht überlegen, das fliegt Ihnen nur so zu. Und Sie denken: Hätte ich doch Zeit um… Das sollte man anschauen, das sollte man machen. Hingegen wenn Sie da in der Uni drin sind [klatscht in die Hände], dann saugen Sie sich jeweils die Frage aus den Fingern. Das muss man, ehrlich gesagt, sagen.“

Rösler sieht sich in der Praxis ohne ihr weiteres Dazutun mit einer Vielzahl von „forschungsrelevanten Fragen“ konfrontiert. Eine solche Positionierung bringt aber auch den großen Nachteil des ständigen Zeitmangels mit sich. Im Unterschied dazu macht sie an der Universität – wo die nötigen zeitlichen Ressourcen für Forschungsarbeiten zur Verfügung stünden – ein mühsames Ringen um Fragestellungen aus. Die universitäre Welt bleibt in Röslers Schilderung in sich abgeschlossen und ohne Zugang zu den vielfältigen Problemstellungen der lebendigen Praxis: Während in der Praxis die Zeit fehlt, fehlen an den Universitäten die relevanten Fragestellungen. Auf die Nachfrage der Interviewerin hin erweitert Rösler ihren Befund von der Betriebswirtschaftslehre auf den gesamten akademischen Forschungsbetrieb: Rösler: „Nein, das ist überall […], dass Sie sagen: Das ist eine Fragestellung, die wäre höchst interessant. Hat das schon jemand untersucht? Ah! Das hat noch gar niemand untersucht! Was untersuchen die denn eigentlich da? Weil Sie haben natürlich ganz andere Interaktionen. Mit ganz anderen ‚Stakehol29 Interview vom 8.3.2004. 188

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

ders‘. Das haben Sie an der Uni… Sie haben einfach die Studierenden und Assistierenden – ab und zu gehen Sie an einen Kongress. Aber dort hat es natürlich von morgens bis abends, und links und rechts, und oben und unten. Und das gibt natürlich ganz andere, ehm… Ja, wie soll ich sagen? Ganz andere Kombinationen.“

Mit der rhetorischen Frage „Was untersuchen die denn eigentlich da?“ formuliert Rösler eine pointierte Kritik an der fehlenden praktischen Relevanz der universitären Forschung. Der Grund dafür findet sie in den jeweils „anderen Interaktionen“ der Handlungsbereiche der Universität und der Praxis. Das universitäre Dasein ist in Röslers Schilderung im Wesentlichen von Selbstreferenzen bestimmt. Es beschränkt sich auf einen internen Austausch mit Studierenden, Assistierenden und wissenschaftlich Gleichgesinnten an Kongressen. In deutlichem Unterschied dazu ist die Welt der Praxis von lebendigen Kontakten und dem regen Austausch zwischen verschiedenen Interessenpositionen („Stakeholders“) geprägt. Durch das Eintauchen in diese vielfältigen „Kombinationen“ offenbaren sich für Rösler die wichtigen Problemstellungen der realen Welt. An der Universität hingegen müssen Fragestellungen erst mühsam konstruiert werden („dann saugen Sie sich jeweils die Frage aus den Fingern“). Die Verbindung von Berufspraxis und Forschung weist für Rösler ein erhebliches Potential auf: Im Unterschied zur universitären Abgeschiedenheit bürgt die Eingebundenheit der Forscherin in die heterogenen Felder der Wissensanwendung dafür, dass Problemlagen untersucht werden, die für die „Stakholders“ auch wirklich relevant sind. Rösler plädiert damit für ein Forschungsmodell, das unmittelbar an die Interessenpositionen der Praxis anschließt. In Umkehrung des wissenschaftlichen Autonomieideals wird Forschungsqualität nicht durch die Unabhängigkeit der Forschenden garantiert, sondern vielmehr durch deren Einbindung in die vielfältigen Abhängigkeiten der realen Welt. Wissenschaftliche Erkenntnisleistungen sind somit unmittelbar auf die konkreten Problemstellungen und Bedürfnisse der Praxis bezogen. Im von Rösler zum Ausdruck gebrachten Forschungsideal steht die Wissenschaft unter deutlichem Vergesellschaftungsdruck. Dabei zeigen sich Übereinstimmungen mit dem wissenschaftssoziologischen Modell des „Modus 2“, welches postuliert, dass Wissensproduktionen innerhalb von Anwendungskontexten die Sensibilität für soziale Implikationen steigerten. Immer engere Interaktionen zwischen Wissenschaft und Ge-

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sellschaft gelten dabei als Indikator für das Auftauchen einer neuen „kontextualisierten“ Form der Wissenschaftstätigkeit.30 Den positiven Effekten einer in der Praxis verorteten Forschungstätigkeit stehen für Rösler – wie bereits erwähnt – die negativen Bedingungen der ständigen Zeitknappheit und der Doppelbelastung gegenüber. Im weiteren Verlauf des Gesprächs kommt sie darauf zu sprechen, dass mit der Verbindung von Berufspraxis und Forschungstätigkeit noch weitere negative Konsequenzen einhergehen können: Rösler: „Ich habe nicht den Weg gewählt wie jemand, der seit Zwanzig immer im gleichen Gebiet arbeitet. Ich habe einen anderen Weg gewählt. Derjenige, der seit Zwanzig im selben Gebiet arbeitet, ist natürlich topp in diesem Gebiet und hoffentlich international ein ‚Crack‘ und überall angesehen und hat in den ‚A-Journals‘ publiziert.“

Röslers verweist auf die erheblichen Diskrepanzen zwischen ihrer durch Wissenschafts- und Praxistätigkeiten geprägten Berufslaufbahn und der Spezialisierungslogik der akademischen Karriere. Ihre retrospektiven Betrachtungen sind jedoch nicht von Reue geprägt, sondern sie unternimmt eine realistisch-selbstbewusste Einschätzung ihres alternativen Werdegangs. So vermerkt Rösler beispielsweise, dass die Entscheidung, sich nicht auf die wissenschaftliche Spezialisierungslogik einzulassen, ihr nicht von außen aufgezwungen wurde. Vielmehr stellte sie das Resultat eines von ihr bewusst vollzogenen Abwägungsprozesses dar: Rösler: „Ich habe einfach aufgehört an der Uni mit meinem Forschungsgebiet, weil ich gesagt habe: Wenn das so weiter geht, versteht mich in zwei Jahren, verstehen mich noch etwa zwanzig Leute auf dieser Welt. Nämlich alle, die dasselbe machen und finden: Es ist spannend, was die Rösler macht. Will ich das: Ja oder nein? Und dann habe ich gefunden: Nein, ich will nicht, dass mich nur noch zwanzig Leute verstehen, ich will, dass mich mehr Leute verstehen.“

Rösler Vorbehalte gegenüber der Spezialisierungslogik des wissenschaftlichen Feldes erscheinen zunächst als rein persönliche Präferenz („ich will nicht, dass mich nur noch zwanzig Leute verstehen“). Die Äußerungen implizieren aber auch eine kritische Perspektive. Ähnlich wie bereits in den weiter oben besprochenen Interviewsequenzen distanziert sich Rösler auch hier vom selbstreferentiellen Wissenschaftssystem. Wissenschaftliche Spezialisierung wird von ihr als Prozess der beruflichen Selbstisolation beschrieben und erinnert damit stark an den gängigen Ausdruck vom „Rückzug in den Elfenbeinturm“. In der Elfenbein30 Gibbons/Nowotny/Scott, 2004: 7. Siehe dazu auch S. 41-42. 190

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turm-Metapher läuft der wissenschaftliche Diskurs Gefahr, sich allein durch Selbstbestätigung aufrechtzuerhalten. Als harmonisches Spielfeld der gleich Interessierten immunisiert sich die Spezialistengemeinschaft gegenüber den Interessenansprüchen der realen Welt. Rösler erscheint ein solcher Rückzug als wenig verheißungsvoll. Sie kann sich nicht mit der von ihr beschriebenen Abschließungs-Logik des Wissenschaftssystems identifizieren. Diese Haltung spiegelt sich auch in ihrer beruflichen Laufbahn wieder: Durch die Verbindung von Wissenschaft und Praxistätigkeit kommt in Röslers Berufskarriere keine einseitige Abschließung, sondern eine vielseitige Offenheit zu Ausdruck. Sie weist aber auch darauf hin, dass Diskontinuitäten der Wissenschaftsbiographie mit einem erheblichen Preis verbunden sein können. Dies weil solche Diskontinuitäten es weitgehend verunmöglichen würden, Wissenschaftskapital kontinuierlich zu akkumulieren: „Das ist der Nachteil – Sie fangen immer wieder von unten an, […] Sie müssen wieder Ihre Position erarbeiten, die Position ist nicht gegeben.“ Ihren Amtsantritt als Universitätsprofessorin erlebte Rösler als Neuanfang, der für sie zunächst mit einigen Zweifeln verbunden war, die Zufriedenheit mit der neuen Situation stellte sich erst etwas später ein: „Ich habe zuerst gedacht: Nein, das ist es nicht!“ Dabei dominierte ein Gefühl der Fremdheit im universitären Feld: „Was machst du da? Ist das jetzt deine Welt?“ Anhand der bisherigen Ausführungen lassen sich für Röslers Fremdheitsgefühl zwei Erklärungen finden, die zueinander in engem Zusammenhang stehen: Es resultiert aus ihrer beruflicher Erfahrung als Grenzgängerin zwischen den Handlungsfeldern und widerspiegelt zugleich ihre kritische Distanzierung vom selbstreferentiellen Spezialistendiskurs der Universitätsakteure. Das Fallbeispiel von Franziska Rösler verweist auf eine Selbstpositionierung im Grenzbereich zwischen Wissenschaftsfeld und Berufspraxis. Rösler versteht sich zwar durchaus als Forscherin, dabei bewahrt sie aber auch als Professorin eine gewisse Distanz gegenüber den Relevanzsetzungen des Wissenschaftssystems. Autonome Wissenschaftstätigkeit ist für sie mit einem problematischen Verzicht auf praxisnahe Kontextualisierung verbunden. Ihre Kritik am wissenschaftlichen Autonomiemodell folgt dabei Argumentationsmustern, die – wie im historischen Teil aufgezeigt – im betriebswirtschaftlichen Fachdiskurs über Tradition verfügen. Rösler formuliert das Ideal einer in den Anwendungskontexten verorteten Wissenschaftstätigkeit. Sie benennt aber auch konkrete Problemlagen, die sich aus einer Zweifachpositionierung in Wissenschaft und Praxis für die Forschenden ergeben können. Dazu gehört neben Zeitmangel und Doppelbelastung ein – durch die Spezialisierungserfor-

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dernisse der akademischen Normalbiographie bedingtes – Defizit an wissenschaftlicher Reputation.

Das Synergiemodell Rainer Kunz nahm nach dem Doktorat eine Professorenstelle an einer privaten Hochschule für Wirtschaft an. Wie Kunz im Interview erklärt, war er während seiner Arbeit an der Hochschule, „formal gesprochen, nicht außerhalb der Hochschule tätig, also nicht in Unternehmungen, nicht in Verwaltungen“.31 Mit der Wendung „formal gesprochen“ verweist Kunz auf eine zweite, eher informelle Lesart seiner Berufsbiographie, die er folgendermaßen erläutert: „Aber natürlich nebenberuflich durch Beratungsprojekte, durch sonstige… Aufsichtsratsgremien oder Praxisprojekte. X ist eine sehr praxisbezogene Hochschule. Ist eine ‚Business School‘, Sie sehen es ja. Und von da her habe ich natürlich einen sehr engen Praxiskontakt gehabt.“ Kunz wählt den Begriff des „Nebenberufs“, um seine Tätigkeit außerhalb der Hochschule zu spezifizieren. Angestellte üben einen Nebenberuf entweder für einen zweiten Arbeitgeber oder in nebenamtlicher selbständiger Tätigkeit aus. Mandate als Unternehmens- bzw. Verwaltungsberater oder in Aufsichtsräten sind bei Hochschullehrern im Fachbereich Betriebswirtschaftslehre oft anzutreffen. Wie Kunz erwähnt, war er im Rahmen seiner nebenberuflichen Tätigkeit zudem an „Praxisprojekten“ beteiligt. Dieser Begriff bezieht sich in der Regel auf Lehr- oder Forschungsprojekte, die eine Kooperation mit Organisationen außerhalb der Hochschulinstitutionen umfassen. Im Forschungsbereich könnte es sich beispielsweise um eine Auftragsforschung handeln, die durch einen Kunden initiiert wird und für deren Durchführung dieser auch bezahlt. In auf die Lehre bezogenen Praxisprojekten könnten Studierende beispielsweise einen konkreten Auftrag bearbeiten, der ihnen von einem Unternehmen erteilt wurde. Dies mit der Zielsetzung, erste Kontakte zum späteren Berufsfeld herzustellen und die Übertragung akademischer Wissensinhalte auf die spezifischen Problematiken der beruflichen Praxis einzuüben. In beiden Beispielen bleiben Praxisprojekte an den institutionellen Rahmen der Hochschule gebunden. Dies ist bereits im Begriff selber angelegt, der außerhalb des Hochschulbereichs – also in der Praxis selber – keinen Sinn ergibt. Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass Kunz in der Aufzählung seiner Tätigkeiten außerhalb der Hochschule neben Beratungsprojekten und Aufsichtsratsgremien auch auf Praxisprojekte 31 Interview vom 26.5.2004. 192

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zu sprechen kommt. Zur weiteren Erläuterung der informellen Lesart seiner Berufsbiographie verweist Kunz auf das „sehr praxisbezogene“ Leitbild seiner „Business School“. Damit verdeutlicht sich, dass er seine Anstellung an der „Business School“ sowohl im Hochschulbereich als auch in der Praxis verortet. Er räumt zwar ein, dass er „formal gesprochen“ nicht außerhalb der Hochschule tätig war, führt aber zugleich eine zweite Sichtweise ein. Ungeachtet der „formalen“ Unterscheidung von Hochschule und Praxis macht er für seine Berufsbiographie eine weitgehende Konvergenz dieser beiden Handlungsbereiche geltend. Nach längerer Tätigkeit an der „Business School“ entschied sich Kunz schließlich zu einer beruflichen Veränderung. Er trat eine Stelle als Professor für Betriebswirtschaftslehre an einer Universität an. Diesen Schritt begründet er insbesondere auch mit der fehlenden Forschungsorientierung der „Business School“. Forschung sei dort „Privatsache jedes einzelnen Hochschullehrers“, erläutert Kunz. Wörtlich würde dies bedeuten, dass die Hochschullehrer nur privat, also außerhalb der Schule forschen dürfen. Im übertragenen Sinn kann damit aber auch zum Ausdruck kommen, dass der Entscheid zur Forschungstätigkeit „Privatsache“ ist, d.h., dass es der persönlichen Entscheidung jedes Hochschullehrers überlassen bleibt, ob er forschen will. In beiden Fällen wird Forschung als etwas dargestellt, das im institutionellen Rahmen der „Business School“ nur über einen schwachen, gegenüber der Lehre stark zurückgestuften, Status verfügt. Diese Marginalisierung der Forschungstätigkeit stellt Kunz in Kontrast zu seinem eigenen Enthusiasmus für die Forschung. Kunz: „Und mir macht Forschung sehr viel Spaß, wie den meisten Professoren. Deshalb habe ich gesagt: So, jetzt musst du wechseln. Du hast eine schöne Zeit da verlebt. […] Aber jetzt will ich doch lieber an eine forschungsorientierte Institution. Und so kam es eigentlich dann zu dem Wechsel. Und der Unterschied ist natürlich gravierend. Weil eine ‚Business School‘ und eine forschungsorientierte Universität, das sind Welten!“

Mit dem Übertritt ins Amt des Universitätsprofessors folgte Kunz einer beruflichen Bestimmung. Er wertet seine Leidenschaft für die Forschung als Zeichen einer inneren Berufung zur Wissenschaft. Die Veränderung stellte für ihn ein fast zwangsläufiger Schritt („jetzt musst du wechseln“) in Richtung einer stärkeren Selbstverwirklichung im Beruf dar. Universität und „Business School“ werden von Kunz als zwei sich radikal unterscheidende Milieus beschrieben und sein Übertritt wird als Wechsel in eine andere Welt deklariert. Im weiteren Verlauf des Interviews erfährt das dadurch angelegte Erklärungsmuster einer berufsbio193

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graphischen Zäsur jedoch keine Wiederaufnahme. In Kunzes Darstellungen seiner Professorentätigkeit dominiert nicht die Dissonanz der zwei Welten, sondern vielmehr deren harmonische Vereinbarkeit. Dies kommt deutlich zum Ausdruck, wenn er die Arbeitsschwerpunkte seines Lehrstuhls vorstellt: Kunz: „Also jeder Lehrstuhl hat zwei Kernaufgaben, das ist Lehre und Forschung. Lehre heißt Erstausbildung, Forschung heißt Promotion oder sonstige Forschungsprojekte. Durch meine Tätigkeit an der ‚Business School‘ habe ich noch zwei weitere Säulen und das ist die Weiterbildung und das ist die Beratung.“

Kunz scheint es gelungen zu sein, die in seiner außeruniversitären Tätigkeit erworbenen Kompetenzen in das Arbeitsprofil seines Lehrstuhls einzubauen. Es umfasst eine Aufgabenpalette, in der die von ihm selber berufsbiographisch repräsentierte Verbindung der divergenten Welten „Business School“ und Universität zum Programm erklärt wird. Im Vordergrund steht dabei ein Modell der Verflechtung von Forschung und kommerziellen Dienstleistungen: „So nach der Idee: Das, was wir irgendwo dann forschen, diskutieren wir in der Weiterbildung, praktizieren das in der Beratung. Um dann auch mehr Geld zu bekommen, meinetwegen für Mitarbeiter.“ Der hier angesprochene finanzielle Mehrwert dient keiner direkten ökonomischen Zielsetzung, sondern soll vielmehr durch Reinvestitionen zum Wachstum des Lehrstuhls und damit zu dessen Profilierung beitragen: „Wir positionieren uns als ein Lehrstuhl, der in diesen vier Feldern versucht, Synergieeffekte zu nutzen.“ Das von Kunz zum Ausdruck gebrachte akademische Programm führt die Kompetenzbereiche der „Business School“ (Weiterbildung und Beratung) und jene der Universität (Lehre und Forschung) in einem Modell der gegenseitigen Ergänzung zusammen. Dieses Synergiemodell beinhaltet eine spezifische Sichtweise des Verhältnisses zwischen der universitären Forschung und Praxis: Kunz: „Der Vorteil ist ja, dass die Dinge, die ich in der Forschung andenke oder die wir auch konzeptionell entwickeln, die werde ich ja, bevor ich dann zu [stark] nach außen dringe, in der Weiterbildung diskutieren. […] Und das sind Praktiker in erster Linie. Und von da her ist da schon in einer sehr frühzeitigen Phase ein Austausch und nicht erst dann, wenn wir vier Jahre geforscht haben. Und kommen dann mit den Ergebnissen raus aus dem Elfenbeinturm, den es hier an der Fakultät nicht gibt – hoffentlich!“

Ähnlich wie bei Franziska Rösler orientiert sich die Forschung bei Kunz hauptsächlich an den Relevanzsetzungen der Praxis. Während Rösler 194

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allerdings an den Universitäten eine störende Distanzierung von den Problemstellungen der realen Welt ausmacht, nimmt Kunz für sich in Anspruch, dass er sich aufgrund seiner Beratungs- und Weiterbildungstätigkeit in einem ständigen Dialog mit der Praxis befindet. Die Aufgabenpalette seines Lehrstuhls ist insbesondere auch darauf ausgerichtet, im universitären Umfeld ein Forschungsmodell zu realisieren, das sich den praktischen Anwendungskontexten gegenüber öffnet. Sein Synergiemodell soll eine kontinuierliche Begutachtung des Forschungsprozesses durch Praktiker erlauben. Es institutionalisiert einen Praxisdialog, der möglichen Vermittlungsproblemen zwischen den beiden Handlungsfeldern bereits im Forschungsprozess vorbeugen soll. Kunz schildert sein konkretes Vorgehen bei Forschungsprojekten in den Kategorien eines gegenseitigen Gebens und Nehmens von Wissenschaft und Praxis. Dies beispielsweise dann, wenn er ausführt, dass auf die Festlegung einer Problemstellung in der Regel die Suche nach einem Praxispartner erfolge: „Und dann suche ich immer Unternehmungen – meinetwegen – mit denen ich das machen kann. Die das vielleicht auch finanzieren.“ Erneut verweist Kunz hier auf die grundsätzliche Ökonomisierbarkeit universitärer Außenbeziehungen. Er macht aber auch geltend, dass seine Bestrebungen in diesem Fall explizit auf „Kostendeckung“ und nicht auf „Gewinnerzielung“ ausgerichtet seien. Kunz verortet seine Forschungstätigkeit in einem Reziprozitätsverhältnis zur Praxis. Im Rahmen eines nicht-gewinnorienterten Tauschhandels werden ökonomische Investitionen von Seiten der Unternehmen gegen forschungsbasiertes Verfahrenswissen eingetauscht. Als Gegenwert für ihr finanzielles Engagement im Forschungsprojekt wird das Unternehmen bei Projektabschluss über die Forschungsergebnisse informiert: Kunz: „Dann präsentiere ich die Ergebnisse bei denen und sage: So und so sieht das aus im Vergleich. Da seid ihr besser und da schlechter. Und dann fragen die: Was lernen wir jetzt daraus? Und dann sagen wir denen: Ja das und das musst du jetzt machen! Also so läuft das.“

Die Forschungstätigkeit von Kunz wird in der Regel nicht durch einen externen Auftraggeber initiiert. Dementsprechend übernehmen die Unternehmen auch nicht die vollen Forschungskosten. Vor dem Hintergrund seines Reziprozitätsmodells achtet Kunz jedoch darauf, dass er in seinen Absprachen mit den Unternehmen zumindest Kostendeckung erreichen kann. Trotz dieses grundsätzlichen Unterschieds zum privatwirtschaftlichen Modell der Auftragsforschung erhalten die Wissensprodukte im von ihm beschriebenen Zusammenspiel von Forschungsangebot und unternehmerischer Nachfrage einen warenförmigen Charakter. Dies 195

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impliziert insbesondere auch, dass in erster Linie diejenigen Forschungsprojekte zur Umsetzung kommen, für die auf Seiten der Praxis auch tatsächlich ein Bedürfnis (bzw. ein Absatzmarkt) vorhanden ist. Wissenschaftliche Relevanzsetzungen werden auf diese Weise bereits vor dem eigentlichen Forschungsprozess mit den Anwendungsinteressen der Praxis abgestimmt. Durch den Dialog in den Austauschforen der universitären Weiterbildung und Beratung setzt sich dieser Abstimmungsprozess fort. Das Fallbeispiel von Rainer Kunz zeigt eine zeitgenössische Version der bei betriebswirtschaftlichen Hochschullehrern häufigen berufsbiographischen Verbindung zu anderen Bildungsinstitutionen im Bereich der kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Bildung. Wie dargelegt, verortet Kunz seine Beschäftigung an der „Business School“ im Grenzbereich zwischen Hochschule und Berufspraxis, wobei er von einer weitgehenden Konvergenz dieser beiden Felder ausgeht. Nach seinem Wechsel an die Universität positioniert sich Kunz erneut zwischen zwei Handlungsfeldern. Er führt an seinem Lehrstuhl die Kompetenzbereiche der „Business School“ (Weiterbildung, Beratung) mit jenen der Universität (Forschung, Lehre) zusammen. Unter der Zielsetzung einer Harmonisierung von Wissenschaft und Praxis beschreibt sein Synergiemodell eine Funktionsübertragung zwischen „Business School“ und Universität. Marktorientierte Außenbeziehungen, wie sie für privatwirtschaftlich geführte „Business Schools“ charakteristisch sind, werden hier zum Modell für die universitäre Forschungstätigkeit erklärt.

Vergleich Die drei hier diskutierten Fallbeispiele nehmen in unterschiedlicher Weise auf das berufsbiographische Muster der mehrfachen Mitgliedschaft Bezug. Sowohl Franziska Rösler als auch Rainer Kunz verfügen neben ihrem Wissenschaftsberuf über langjährige Berufserfahrungen außerhalb der Universität. Dies unterscheidet sie von Heinz Hoffmann, der sich im Verlauf seines beruflichen Werdegangs hauptsächlich auf die Wissenschaft konzentrierte. Im Fallbeispiel des „reinen Wissenschaftlers“ Hoffmann erscheint das Konzept der mehrfachen Mitgliedschaft als eine lebenspraktisch kaum zu verwirklichende, idealistische Leitvorstellung. Er konstatiert aufgrund seiner fehlenden außerakademischen Berufserfahrung für sich ein erhebliches Praxisdefizit. Gleichzeitig verweist er auf die Spezialisierungserfordernisse der Wissenschaftskarriere, die eine Berufstätigkeit in der Praxis nahezu verunmöglichten. Ein ähnliches Dilemma schildert die „distanzierte Wissenschaftlerin“ Franziska Rösler. Sie schreibt einer doppelten Mitgliedschaft im Wis196

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senschafts- und Praxisberuf Idealcharakter zu, macht aber auch geltend, dass sich aus einer solchen Zweifachpositionierung erhebliche Schwierigkeiten ergeben: Als Forschende vermittelt ihr die Praxistätigkeit zwar einen unmittelbaren Zugang zu den relevanten Problemstellungen der realen Welt, doch ist sie gleichzeitig mit erheblichen Leistungserfordernissen und einem potentiellen Defizit an wissenschaftlichem Prestige verbunden. Einzig im „Synergiemodell“ von Rainer Kunz zeigt sich ein weniger ambivalentes Verhältnis zum Konzept der mehrfachen Mitgliedschaft. Die von Kunz ausgewiesene Praxistätigkeit an der „Business School“ wirkt sich auf seine Wissenschaftsziele nicht nachteilig aus. Er transferiert seine an der privaten Wirtschaftshochschule erworbenen Kompetenzen in den Universitätsbereich und baut sie in sein praxisbezogenes Wissenschaftsmodell ein. Die vorgesellten Fallbeispiele zeigen, dass sich aus den Spezialisierungsdynamiken im Wissenschaftsberuf der Betriebswirtschaftslehre deutliche Widersprüche zum weiterhin gültigen Anspruch auf Praxisorientierung ergeben können. Nicht nur bei Hoffmann und Rösler, sondern auch bei anderen der befragten Fachvertreter stehen Relevanzsetzungen der wissenschaftlichen Karriereplanung in einem Spannungsverhältnis zu praxisnahen Positionierungen. Dies zeigt sich beispielsweise bei Felix Meier, der – ähnlich wie Kunz – vor seiner Universitätsprofessur an einer privaten „Business School“ tätig war. Meier schreibt es diesem beruflichen Hintergrund zu, dass er im Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn gar nicht in die „Mühle ‚publish or perish‘“ hineingekommen sei. Der Vergleich mit anderen, insbesondere auch jüngeren Fachkollegen bringt Meier zu einer ernüchternden Feststellung: „Ich habe schon veröffentlicht, aber nicht so, dass ich heute bei uns ernannt werden würde. Ganz sicher nicht“. Für Meier geht die Tendenz in der Betriebswirtschaftslehre heute eindeutig in Richtung einer stärkeren Forschungsorientierung. Er macht für sich aber auch im Vergleich mit seinen Alterskollegen ein deutliches Forschungsdefizit aus. Ein berufliches Engagement in der Praxis kann deshalb eine Beeinträchtigung des wissenschaftlichen Vorankommens nach sich ziehen, weil sich die akademische Sphäre auch in der Betriebswirtschaftslehre zu einem spezialisierten Handlungsfeld ausdifferenziert hat. Von Akteuren wie Rainer Kunz wird das potentielle Defizit an wissenschaftlicher Reputation durch eine offensive Strategie ausgeglichen: Der Wissenschaftsberuf impliziert bei Kunz keine Distanzierung von der Praxis. Vielmehr sind seine beruflichen Bestrebungen als Wissenschafts-Organisator darauf ausgerichtet, ein Hochschulmodell zu realisieren, welches außer- und inneruniversitäre Handlungsfelder integriert. Er rückt die organisatorische Bewältigung einer in den Anwendungskontexten abge197

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stützten Wissenschaftstätigkeit ins Zentrum seiner Berufsrolle als Wissenschaftler. Wie aufgezeigt, weisen die Positionierungen betriebswirtschaftlicher Akteure zwischen dem autonomen „Pol“ der Wissenschaft und dem heteronomen „Pol“ der Praxis eine große Spannbereite auf. Im Autonomiemodell der Wissenschaft verfügt die kategoriale Differenz zwischen Wissenschaft und Praxis über eine positive Konnotation. Sie garantiert die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre. Im wissenskulturellen Kontext der Betriebswirtschaftslehre tritt aber oftmals die Kehrseite dieser Unabhängigkeit in den Vordergrund: die Entfremdung der akademischen Tätigkeit von den Gegebenheiten der realen Welt. Für „reine Wissenschaftler“ wie Heinz Hoffmann ergibt sich daraus die beschriebene Problemlage eines Praxisdefizits. Andere Fachvertreter verorten sich eher am „Pol“ der Praxis: Franziska Rösler distanziert sich mit ihrem Ideal einer Wissenschaftsverortung in den Anwendungskontexten kritisch vom Autonomiemodell. Trotzdem konstatiert sie zwischen Wissenschaft und Praxis grundsätzliche Differenzen, welche die Vereinbarkeit der in den beiden Sphären jeweils gültigen Handlungsprinzipien deutlich in Frage stellen. Bei Rainer Kunz kommt eine andere Perspektive zum Ausdruck: Handlungsprinzipien aus dem wirtschaftlichen Feld – insbesondere die Marktlogik der privatwirtschaftlichen Forschungsund Beratungstätigkeit – werden hier auf die Sphäre der Wissenschaft übertragen. Mit der von ihm vertretenen Funktionsübertragung zwischen „Business School“ und Universität erfahren gesellschaftliche oder hier konkret ökonomische Relevanzsetzungen im Wissenschaftssystem eine stärkere Gewichtung.

3. Reputationskriterien im Wandel Richard Whitley zeigt in seinen Untersuchungen auf, wie sich aus der amerikanischen Managementforschung nach dem Zweiten Weltkrieg ein internationales Feld des wissenschaftlichen Reputationserwerbs entwickelte, das von den nordamerikanischen Produzenten und deren Signifikanz- und Qualitätsstandards dominiert wurde. Bereits ab den 1960er Jahren stammten viele der in europäischen Ländern tätigen Professoren entweder selber aus den USA oder hatten zumindest einen Teil ihrer Ausbildung dort absolviert. Zudem etablierten sich in vielen Teilgebieten der Managementforschung amerikanische Zeitschriften als die prestigeträchtigsten und damit wichtigsten Publikationsforen.32 In der 32 Whitley, 1984a, 2000. 198

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deutschsprachigen Betriebswirtschaftslehre erfolgte der von Whitley beschriebene Internationalisierungsprozess zeitlich verzögert. Wie aufgezeigt, wurden in der Schweiz ab der Zwischenkriegszeit nahezu keine Lehrstuhlvertreter aus dem Ausland mehr berufen. In der Nachkriegszeit machten sich im schweizerischen Fachdiskurs zwar verstärkt USamerikanische Einflüsse bemerkbar, aber erst mit dem institutionellen Ausbau der Betriebswirtschaftslehre ab den 1980er Jahren setzte eine allmähliche Internationalisierung der Fachgemeinschaft ein. Heute stammt die Mehrheit der an schweizerischen Lehrstühlen tätigen Professoren und Professorinnen aus dem Ausland, wobei Deutsche den größten Anteil ausmachen. Für die Publikation ihrer Forschungsresultate wählen die Fachakteure in der Schweiz gerne deutsche Zeitschriften, in den letzten Jahren hat aber auch die Publikationstätigkeit in englischsprachigen „Journals“ an Bedeutung gewonnen.33 Der Internationalisierungsprozess verändert die Arenen der betriebswirtschaftlichen Fachkommunikation und führt zu einer Transformation der feldspezifischen Reputationskriterien. Dies, weil mit der zunehmenden Publikationstätigkeit in internationalen Zeitschriften auch neue Signifikanz- und Qualitätsstandards zur Durchsetzung gelangen, die eine Verschiebung bzw. eine Vereinheitlichung der wissenschaftlichen Hierarchisierungsprinzipien nach sich ziehen. Durch diese Entwicklungen wurde im Wissenschaftsfeld der Betriebswirtschaftslehre eine Umbruchsituation eingeleitet. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern der Internationalisierungsprozess eine Auflösung der lokalen und kulturellen Verankerungen der traditionell praxisnahen Betriebswirtschaftslehre nach sich zieht. Anhand von zwei Fallportraits (Viktor Beck, Andreas Moor) wird im Folgenden der Frage nachgegangen, wie sich Fachakteure im Internationalisierungsprozess verorten und welche Konsequenzen sie aus diesem Prozess für ihr Wissenschaftsfeld ableiten. Im Besonderen interessiert, welche Veränderungsaspekte sich in Bezug auf die Kommunikationsräume und die Reputationskriterien der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre ausmachen lassen. Mit den beiden Fallbeispielen werden zwei kontrastierende Internationalisierungsperspektiven genauer vorgestellt. Dabei handelt es sich zum einen um ein Szenario, welches die Aufteilung des betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsfeldes in zwei Lager – jenes der „Lokalen“ und jenes der „Internationalen“ – beschreibt. Zum andern wird anhand des Portfoliomodells das Szenario ei-

33 Vgl. zum Internationalisierungsprozess der Schweizer Betriebswirtschaftslehre auch Horvath/Weber/Wicki, 1996. 199

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ner kundengerechten Diversifizierung der betriebswirtschaftlichen Qualitätsbereiche erläutert.

Lokale und internationale Orientierungen Professor Viktor Beck bestimmt den zeitlichen Anfang des Internationalisierungsprozesses der Betriebswirtschaftslehre an seiner Universität mit der Feststellung: „Wir sind erst in den 90er Jahren in das hinein gekommen.“34 Vor der Internationalisierung, so führt Beck aus, sei die Situation in den Wirtschaftswissenschaften an seiner Universität von einer klaren Aufgabenteilung zwischen Volks- und Betriebswirtschaftslehre geprägt gewesen. Dabei habe insbesondere die hohe Lehrbelastung in der Betriebswirtschaftslehre dazu geführt, dass die betriebswirtschaftlichen Fachakteure explizit von Verwissenschaftlichungsansprüchen abgesehen hätten. Beck erläutert die damalige Positionierung der Betriebswirte folgendermaßen: „Und insofern hat man ihnen [den Volkswirten, S.B.] gesagt: Macht ihr eure ,Scientific Community‘ – wir machen die ganze Lehre mit der Praxis zusammen!“ Forschungsorientierung impliziert hier – so lässt dies der Begriff „Scientific Community“ vermuten – gleichzeitig Internationalität. Mit der von Beck zum Ausdruck gebrachten Aufgabenteilung wurde den Volkswirten eine Entlastung nicht nur von allen Belangen der Praxis, sondern auch weitgehend von der universitären Lehre vorgeschlagen. Im Gegenzug konnten bzw. sollten sie sich auf eine Forschungstätigkeit auf internationalem Niveau konzentrieren. Beck ordnet sich im Rahmen seines berufsbiographischen Rückblicks explizit einer praxisorientierten Betriebswirtschaftslehre zu. Dabei bringt er einen gewissen Stolz über seine damalige rege Expertisentätigkeit zum Ausdruck. Gleichzeitig zeigen sich in seinen retrospektiven Betrachtungen deutliche Ambivalenzen gegenüber einer praxisorientierten Wissenschaftspositionierung: Beck: „Und das hat mir sehr gefallen, dass man in der Praxis so akzeptiert gewesen ist. Und man hat sich dann etwas verführen lassen und so. Und hat dann gedacht: Ja, die Theoretiker und so. Und hat dann das etwas praxisorientiert gemacht. Man hat auch einen schönen Vergleich gehabt. Man konnte sagen: Das ist wie in der Medizin, da gibt es Grundlagenforschung und dann die klinische Forschung. Und da haben wir gesagt: Wir machen klinische Forschung.“

34 Interview vom 16.4.2003 durchgeführt gemeinsam mit Pascal Jurt. 200

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Wie Beck hervorhebt, ist es ihm damals gelungen, seine Forschungstätigkeit erfolgreich an die Praxis zu adressieren. Die dadurch erfahrene Anerkennung habe ihn jedoch in eine falsche Richtung gelenkt. Er hat sich durch die Praxis „etwas verführen lassen“ und gab den Anerkennungsmechanismen der Praxis den Vorzug gegenüber jenen der Wissenschaft. Diese Geringschätzung der „Theoretiker“ stellt er heute in Frage. Aus Becks kritischem Blick in die Vergangenheit geht deutlich hervor, dass er sich heute vom Modell der klinischen Forschung distanziert. Mit der Bemerkung „später habe ich mich dann etwas gewandelt“, macht er denn auch explizit auf seinen Positionswechsel aufmerksam. Im Zuge der Internationalisierung verlor das oben beschriebene Muster der Arbeitsteilung zwischen Volkswirtschaftslehre („Scientific Community“) und Betriebswirtschaftslehre (Lehre und Praxis) an Becks Universität zunehmend an Bedeutung. Mittlerweile bewege er sich gemeinsam mit seinen betriebswirtschaftlichen Fachkollegen in einem internationalen Wissenschaftsraum: „Wir sind total eingestiegen in die internationale Vernetzung und machen das mit. Und haben jedes Jahr ‚Papers‘ an den Kongressen – also doppelblind.“ Das von Beck vorgestellte Modell der „internationalen Vernetzung“ beschränkt sich nicht auf den Austausch von Forschungsresultaten über nationale Grenzen hinweg. Die regelmäßige Teilnahme an internationalen Kongressen impliziert vielmehr für die einzelnen Wissensproduzenten, sich voll und ganz auf einen spezifischen Modus der Qualitäts- und Signifikanzbeurteilung von Forschungsprodukten einzulassen („wir sind total eingestiegen“). Im Unterschied zur Praxisorientierung von Becks frühen Jahren treten für ihn nun Mechanismen der wissenschaftsinternen Kontrolle und Anerkennung in den Vordergrund. Das von ihm erwähnte „DoppelblindVerfahren“ beinhaltet eine spezifische Form des „Peer Review“ – also der Begutachtung durch wissenschaftliche Fachkollegen –, in dem weder die Identität des Gutachters noch jene des Begutachteten preisgegeben wird. Wie in anderen Disziplinen auch, wird im internationalisierten Forschungsfeld der Betriebswirtschaftslehre anhand solcher Begutachtungsformen darüber entschieden, ob Forschungsergebnisse an Kongressen präsentiert oder in Fachartikeln publiziert werden können. Dem Begutachtungsprozess kommt somit eine zentrale Rolle für den wissenschaftlichen Reputationserwerb zu. Für Beck stellt der Internationalisierungsprozess aufgrund dieses spezifischen Modus hohe Anforderungen an die beteiligten Akteure. Er belohnt sie aber auch mit einer sozialen und geistigen Öffnung der zuvor sehr engen Verhältnisse in der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre. So stellt Beck fest: „Und das macht einem den Horizont auf, wenn man hört, was die da alles machen.“ Besonders zum Tragen gekommen sei 201

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diese Öffnungsdynamik bei der Berufungspolitik an seiner Universität: Nachdem hier während langer Zeit „Inzucht“ betrieben worden sei, habe die Berufung von „Auswärtigen“ viele „neue Gedanken“ und „theoretische Herausforderungen“ mit sich gebracht. Im nationalen Vergleich der betriebswirtschaftlichen Institute macht Beck große Unterschiede im Grad der Internationalisierung aus. In seiner Erläuterung zum schweizerischen Feld erfährt die von ihm anfangs thematisierte Arbeitsteilung zwischen Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre eine Wendung gegen innen. Sie beschreibt nun die Verhältnisse innerhalb der schweizerischen Betriebswirtschaftslehre. So spricht Beck beispielsweise von einer „Zweiteilung“ gewisser betriebswirtschaftlicher Universitätsabteilungen. Dabei unterscheidet er zwischen Verharren im alten Muster und Öffnung gegenüber dem internationalen Wissenschaftsraum: „Ein Teil ist geblieben und ein Teil ist international geworden.“ Beck macht für das schweizerische Feld der Betriebswirtschaftslehre zwei unterschiedliche Orientierungsmuster aus. Er stellt den Betriebswirten, die „international in der ‚Scientific Community‘“ auftreten und sich damit insbesondere zum US-amerikanischen Raum hin orientieren, jene gegenüber, die – so die Wortwahl von Beck – „geblieben“ sind. Damit erfährt der Mobilitätsaspekt der Internationalisierung eine Unterstreichung. Während die einen in ihren lokalen Kontexten verwurzelt bleiben, bewegen sich die anderen in die weite Welt hinaus. Trotz seiner internationalen Tätigkeit fühlt sich Beck nicht gänzlich dem Lager der „Internationalen“ zugehörig. Vielmehr nimmt er für sich eine seltene Position zwischen den beiden Extrempositionen in Anspruch: „Es hat eigentlich schon etwas eine Aufteilung gegeben, mit wenigen Leuten, die sowohl als auch machen. Also ich habe mich zu den Leuten gerechnet, die sowohl als auch machen. Entschuldigen Sie, wenn ich das sage.“ Mit der Bescheidenheitsrhetorik der Äußerung „Entschuldigen Sie, wenn ich das sage“ betont Beck die Besonderheit seines Standpunktes noch zusätzlich. Wie oben dargelegt, muss er sich ganz auf den neuen Modus der Beurteilung und Präsentation von Forschungsprodukten einlassen, um international auftreten zu können. Daneben gelingt es ihm aber offenbar auch, seine alten Schwerpunkte fortzusetzen. Mit einer solchen Mittelposition grenzt er sich deutlich von denjenigen lokalen Akteuren ab, deren Tätigkeiten auf den nationalen Raum beschränkt bleiben: „Es gibt dann noch eine ganze Gruppe, die sich noch stark eigentlich in dem nationalen, nicht mal im deutschsprachigen, sondern im schweizerisch nationalen Bereich sich zuhause fühlt.“ Die von Beck hier angesprochene Gruppe der „Lokalen“ ist in

202

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doppelter Hinsicht im Rückstand. Sie hat weder die Öffnung zum deutschen noch zum internationalen Raum mit vollzogen. Im weiteren Verlauf des Gesprächs zeigt sich deutlich, dass für Beck die Entgegensetzung von „lokalen“ und „internationalen“ Akteuren nicht ganz mit jener zwischen Praxis- und Wissenschaftsorientierung gleichzusetzen ist. So macht er geltend, dass die schweizerische Betriebswirtschaftslehre trotz des Internationalisierungsprozesses im Kleinstaat Schweiz auch heute noch durch die engen Verbindungen der Wissenschaft zu anderen Gesellschaftsbereichen geprägt sei: Beck: „Ach, die Schweiz ist schon noch ein wenig schweizerisch. […] Ich habe immer gestaunt, wie meine Kollegen in Deutschland Mühe gehabt haben – sagen wir – mit der Praxis den Dialog zu führen. Während bei uns in diesen kleinen Verhältnissen, man ist so nahe aufeinander. Früher ist man miteinander im Militärdienst gewesen, jetzt sind sie miteinander im Rotary-Club, oder was weiß ich. Man kennt sich einfach. Und ein Anruf genügt, wenn ich jemand haben muss, der mir aus irgendeinem Gebiet der Praxis Auskunft geben muss, dann habe ich keine zehn Sekunden, um einen Namen zu sagen und kann hingehen. Und in Deutschland sind die Distanzen größer zwischen der Theorie und der Praxis.“

Wie Beck ausführt, wirken sich die engen Netzwerke der schweizerischen Eliten sowie die zur Verfügung stehenden Austauschforen (Militärdienst, „Rotary-Club“) förderlich auf die Verbindungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft aus. Sie unterstützen die Vermittlung von Theorie und Praxis. Beck bestätigt hier den Befund des historischen Teils der Untersuchung, dass sich die schweizerische Betriebswirtschaftslehre im Unterschied zu Deutschland näher zur Praxis positionierte, auch für die Gegenwart. Aus dieser schweizerischen Besonderheit ergibt sich für ihn nicht notwendigerweise ein Nachteil im internationalen Forschungsfeld. Er sieht durchaus Möglichkeiten, sich aus seiner praxisnahen Stellung heraus in der „Scientific Community“ zu bewähren. Beck nennt dazu das Beispiel von zwei Vorträgen, die er an internationalen Kongressen platzieren konnte: „Wir haben zwei Vorträge dort doppelblind durchgebracht. Und beide bauen eigentlich auf Workshops mit Firmen auf. Also sind in dem Sinne immer noch praxisbezogen, oder etwas höflicher gesagt: empirisch.“ Mit der Wendung „etwas höflicher gesagt“ charakterisiert Beck den Unterschied zwischen den Begriffen „praxisbezogen“ und „empirisch“ als reine Formfrage. Für ihn bezeichnen die zwei Begriffe im Prinzip dasselbe. In Abgrenzung zu einer stärker theoretisch ausgerichteten Fachtradition der Betriebswirtschaftslehre stehen beide Zugänge für die 203

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vom Anspruch auf Realitätsnähe geprägte Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit. Der Begriff der Praxisbezogenheit verweist hier aus dem Wissenschaftsfeld hinaus in den Bereich von konkreten Anwendungen. Der Empirie-Begriff bezieht sich auf eine wissenschaftsbezogene Forschungstätigkeit. Indem Beck die beiden Konzepte ineinander überleitet, gelingt es ihm, seine lokalen Praxiserfolge an den Kommunikationsraum der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft anzuschließen. Das Fallbeispiel von Viktor Beck zeigt einen anpassungsfähigen Akteur in einem sich stark transformierenden Wissenschaftsfeld. Im Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn zeichnet sich bei Beck eine deutliche Verschiebung der für ihn relevanten Kommunikationsarenen und Reputationskriterien ab. Zunächst favorisierte er die Praxisorientierung gegenüber der innerwissenschaftlichen Kommunikation, heute orientiert er sich an den Signifikanz- und Qualitätsstandards des internationalen Forschungsfelds. Beck positioniert sich aber nicht ausschließlich als „Internationaler“, sondern stellt sich vielmehr zwischen die von ihm beschriebenen zwei Lager. Die von ihm als selten ausgewiesene Zwischenposition geht bei Beck mit einer Angleichung von praxisorientierter und empirischer Forschung einher.

Portfoliodenken Mit den Worten „Ich habe gesehen, dass Sie sehr viel international publizieren“, wird Professor Andreas Moor von der Interviewerin als ein international agierender Wissenschaftler angesprochen. Daran schließt sie die Frage an: „Ist das allgemein ein Trend, dass an der Universität X eben die Zielsetzung ist, möglichst in den internationalen ‚Journals‘ zu publizieren?“35 Während Internationalität hier als Wahlmöglichkeit deklariert wird, macht Moor eine Unvermeidbarkeit des Internationalisierungsprozesses geltend: „Ja also, man kann das einfach… man kann sagen: Ich mag das, ich mag das nicht, aber man kann das einfach nicht stoppen.“ Dabei bleibt unklar, ob seine Äußerung „ich mag das“ unfertig abgebrochen und ein zweites Mal in der fertigen Variante von „ich mag das nicht“ wiederholt wurde. Eine andere Möglichkeit wäre die Gegenüberstellung zweier Einstellungen „ich mag das – ich mag das nicht“. Im ersten Fall wird eine internationalisierungskritische Haltung als Beanstandung des Unvermeidlichen dargestellt („man kann das einfach nicht stoppen“). Bei einer Kontrastsetzung von „ich mag das – ich mag das nicht“ liegt der Schwerpunkt der Aussage auf einer sachlichen Gegen35 Interview vom 4.5.2004. 204

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überstellung zweier möglicher Sichtweisen als gleichberechtigte Standpunkte. Weshalb aber hat der Internationalisierungsprozess überhaupt diesen Status der Unvermeidlichkeit erhalten? Um dies zu beantworten, geht Moor zunächst auf die Praxis der Hochschulrankings ein.36 Er versetzt sich dabei in die Rolle eines Studienanwärters auf der Suche nach der richtigen Universität: Moor: „Sie müssen sich vorstellen ein ‚Ranking‘ von einer Universität. Also wenn ich zum Beispiel heute studieren würde, […] dann würde ich sagen: Wo gehe ich studieren? Ich habe so und so viel Geld zur Verfügung. Ich könnte irgendwo studieren gehen. Und was schaue ich dann an? Ich schaue die ‚Rankings‘ an. Warum? Weil ich weiß: Von einer gut gerankten Universität habe ich viel mehr Job-Möglichkeiten und ich kriege ein höheres Salär.“

Mit beschränkten finanziellen Ressourcen möchte Moors Student einen möglichst hohen Nutzen in Form von späteren Erwerbsmöglichkeiten erzielen. Um seine Wahl auf rationale Entscheidungskriterien aufbauen zu können, benötigt der Student nicht nur Kenntnisse über den Preis, sondern auch über die Qualität der verschiedenen Bildungsangebote. Für Letzteres verlässt sich dieser auf die Informationsquelle der „Hochschulrankings“, weil sie ihm – so macht Moor geltend – zuverlässige Informationen über die Arbeitsmarkttauglichkeit der in Frage kommenden Bildungsangebote liefern. („Von einer gut gerankten Universität habe ich viel mehr Job-Möglichkeiten und ich kriege ein höheres Salär.“) In der Fortsetzung seiner Erläuterungen nimmt Moor einen Perspektivenwechsel vor. Während er bisher aus der Sicht des studentischen Nachfragers von Hochschulbildung gesprochen hat, begibt er sich nun in die Rolle des Bildungsanbieters: Moor: „Nun muss man dann fragen: Wovon hängt dieses ‚Ranking‘ ab? Ein wichtiger Teil ist selbstverständlich, was die Leute bis jetzt gemacht haben, beruflich, die von dieser Uni kamen. Die Zufriedenheit der Studenten und der Bekanntheitsgrad der ‚Faculty‘. Der Bekanntheitsgrad der ‚Faculty‘ kann man zum Teil erhöhen, indem man zum Beispiel gute Lehre macht und so. Und aktiv ist – also in der Lehre. Das muss man machen. Aber ganz klar eine wichtige Ausstrahlung hat der internationale Bekanntheitsgrad. Das heißt also: Wenn man einen Preis gewinnt, wenn man in einen ‚Editorial Board‘ geht, wenn man einer wichtigen Konferenz beitritt, dann hat das – und vor allem bei den ‚Journals‘ – dann hat das einen direkten Einfluss auf die ‚Rankings‘.“

36 Vgl. zum Hochschulranking auch S. 153. 205

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Wie Moor hier ausführt, ist die herrschende Rangierungspraxis auf ein ganzes Spektrum von Faktoren zurückzuführen. Als relevant für eine gute Rangierung nennt er den Arbeitsmarkterfolg der Studienabgänger, die Zufriedenheit der Studierenden und den Bekanntheitsgrad des Lehrkörpers („Faculty“). Wobei zu Letzterem die beiden Aspekte der Lehrqualität und des internationalen Wirkungskreises beitragen. Diese Aufzählung vereint inner- und außerakademische Beurteilungsdimensionen und verweist damit auf ein zentrales Merkmal der „Hochschulrankings“. Sie überführen Hierarchisierungsprinzipien und Relevanzsetzungen aus divergenten Handlungsfeldern (Wissenschaft, Wirtschaft, Bildungskonsumenten) in eine gemeinsame Rangordnung, die den Bildungsanbietern zur Beurteilung der Marktauglichkeit ihrer Bildungsprodukte dienen soll. Wie die Darstellung von Moor zum Ausdruck bringt, kann die wachsende Bedeutung der „Rankings“ in der Betriebswirtschaftslehre für die interne Strukturierung ihrer Fachinstitutionen durchaus folgenreich sein. Wenn eine betriebswirtschaftliche Hochschuleinrichtung bisher wenig Wert auf hohes wissenschaftliches Prestige legte und bei der Berufungspolitik dem guten Didaktiker vor dem international renommierten Forscher den Vorzug gab, so können sich in der von Moor erläuterten Rangierungslogik solche Schwerpunktsetzungen als verhängnisvoll erweisen. Als relevante Beurteilungsdimension für die Erstellung der Rangordnungen wird Internationalität für jede Hochschule unverzichtbar. Gleichzeitig stellt sie immer nur eine Beurteilungsdimension innerhalb eines ganzen Spektrums von Faktoren dar. Vor diesem Hintergrund relativiert sich für Moor denn auch die Bedeutung seiner eigenen, von der Interviewerin anfangs angesprochenen, internationalen Publikationstätigkeit: Moor: „Ich möchte eine Fußnote dazufügen, zu dem, was Sie gesagt haben, bezüglich: Ist es nicht eine Ausnahme, dass man soviel publiziert? Ich würde sagen, bei uns zum Beispiel am Institut versuchen wir, ein Portfoliodenken – und an der Universität X auch – ein Portfoliodenken zu haben. Weil wir können nicht nur Leute haben, die nur publizieren für die ‚Journals‘. Wir können nicht nur Leute haben, die einfach Beratungsprojekte machen. Wir können nicht nur gute Lehrer haben, sondern wir brauchen an der Uni ein Portfolio von Leuten.“

In der Finanzmarkttheorie bezeichnet der Portfolio-Begriff den Gesamtbestand an Wertpapieren eines Unternehmens oder eines Einzelinvestors. Durch die Kombination unterschiedlicher Anlagen soll eine möglichst optimale Vermögensstruktur dadurch realisiert werden, dass das 206

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Analagerisiko und die zu erwartende Rendite gegeneinander abgewogen werden. Bei Moor wird der Portfolio-Begriff zum Synonym für divergente, sich aber gegenseitig ausgleichende Wertbestände an Humankapital. Kriterien des wissenschaftlichen Reputationserwerbs werden von ihm gleichberechtigt neben jene der erfolgreichen Beratungstätigkeit oder der gelungenen Didaktik gestellt. Wenn sich das „Ranking“ – wie von Moor zum Ausdruck gebracht – als dominantes Hierarchisierungsprinzip im betriebswirtschaftlichen Feld etabliert, so repräsentiert das Portfoliodenken ein daran angepasstes Vorgehen bei der Anstellung von Universitätspersonal. Das Konzept beschränkt sich aber nicht auf diesen personalstrategischen Aspekt, sondern verweist auf eine allgemeinere Transformation der im betriebswirtschaftlichen Feld gültigen Hierarchisierungsprinzipien. In „fragmentierten Adhocratien“ stehen wissenschaftsinterne und wissenschaftsexterne Relevanzsetzungen relativ unkoordiniert nebeneinander. Wie aufgezeigt, kann es dabei zu Spannungen zwischen antagonistischen Handlungsanforderungen und Fragen der Prioritätensetzung kommen. Das von Moor vorgestellte „Portfoliomodell“ geht von einer harmonischen Ergänzung der drei Spezialisierungsbereiche Forschung, Beratung und Lehre aus. Dabei wird zur Koordination der unterschiedlichen Relevanzsetzungen in den einzelnen Spezialisierungsbereichen auf das Instrument des „Rankings“ zurückgegriffen. Das „Ranking“ liefert den einzelnen Fachakteuren Entscheidungsgrundlagen dafür, wie sie die Portfoliostrategie ihrer Hochschule zur Umsetzung bringen können. Nach den Ausführungen von Moor dienen „Rankings“ den Hochschulakteuren als rationale Orientierungsvorgaben, wenn es darum geht, inner- und außerakademischen Relevanzsetzungen gleichermaßen gerecht zu werden. Sie setzen dem fragmentierten Feldmodus der Betriebswirtschaftslehre eine heteronome Kontrollinstanz gegenüber, welche die divergenten epistemischen Muster marktgerecht (gemäß den Ansprüchen der Bildungskonsumenten und der Wirtschaft) koordiniert, ohne deren Vereinheitlichung anzustreben. Analog zum von ihm beschriebenen hochschulstrategischen Ergänzungsmodell (Forschung, Beratung, Lehre) verweist Moor auch bei seinen eigenen wissenschaftlichen Schwerpunkten auf unterschiedliche, sich aber gegenseitig ergänzende Tätigkeitsbereiche: Moor: „Wenn Sie ein bisschen eine Zeitreiheanalyse machen würden, dann sehen Sie, es gibt Pausen, Zyklen also, wo relativ viel mit Firmen passiert. Dann zieht man sich zurück und schreibt vielleicht mehr für die ‚Journals‘. Und dann geht man wieder in die Praxis rein. Und ich glaube, das ist wie eine Phasenbewegung. Das wird halt alles eigentlich zyklisch gemacht.“ 207

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Hier wird zunächst zwischen einem firmenbezogenen Aktionsbereich und einem wissenschaftsbezogenen Bereich der Publikation in internationalen „Journals“ unterschieden. An Stelle einer einseitigen Ausrichtung auf einen dieser zwei Bereiche richtet Moor seine Tätigkeit bewusst an mehrere Adressaten. Das Konzept der „Phasenbewegung“ und der Zyklusbegriff verweisen beide auf periodisch wiederkehrende Geschehnisse. Grundlagenforschung und angewandte Forschung werden damit zu einem Kreislauf zusammengeschlossen. Diese Phasenbewegung erlaubt es Moor auch, bei der Finanzierung von Forschungsprojekten auf unterschiedliche Finanzquellen zurückzugreifen: Moor: „Und die angewandten Forschungsthemen, die kann man anders finanzieren als die Grundforschungsthemen. Und die haben auch irgendwie ein breiteres Zielpublikum. Das heißt, im Prinzip ist es viel einfacher, hier bei der angewandten Forschung Geld rein zu bekommen. […] Aber selbstverständlich gibt es hier auch einen extremen Wettbewerb und es ist auch schwieriger, über diese Themen eine Universität zu positionieren und international auch anschlussfähig zu machen.“

Für Moor sind die praxisnahe Forschung und die Grundlagenforschung mit unterschiedlichen Herausforderungen und Problemstellungen verbunden: Während der eine Forschungstypus leichtere Finanzierbarkeit verspricht, bietet der andere bessere Möglichkeiten zur Positionierung im internationalen Wissenschaftsfeld. Moor verweist auf ein bereits bekanntes Entscheidungsdilemma, wenn er in Bezug auf die angewandte Forschungstätigkeit vermerkt: „Und wenn man so arbeiten muss, kann man zum Teil schwierig…, ist es schwierig, in den ‚Journals‘ zu publizieren.“ Anstatt aber die divergenten Handlungsanforderungen von praxisnaher Forschung und Grundlagenforschung als Spannungsbeziehung auszuweisen, steht bei ihm die zyklische Einheit von wissenschaftlichen und wissenschaftsexternen Forschungsadressaten im Vordergrund. Seine Ausführungen verweisen darauf, dass Wissenschaftler die widersprüchlichen Anforderungen und Interessen der unterschiedlichen Adressatenkreise anhand eines geschickten Managements der eigenen Forschungsstrategie für sich produktiv einsetzen können. Im Fallbeispiel von Andreas Moor wird für das betriebswirtschaftliche Feld eine Verwissenschaftlichungstendenz konstatiert, die nicht zur Praxisorientierung im Gegensatz steht. Moor bringt mit seinem Portfoliomodell die drei Bereiche der wissenschaftsbezogenen Forschung, der praxisbezogenen Forschung bzw. Beratung und der Hochschullehre als drei gleichberechtigte Qualitätsträger zu einer marktgerechten Ergänzung. Im undurchsichtigen Forschungs-, Beratungs- und Bildungsmarkt 208

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kommt den „Hochschulrankings“ die wichtige Funktion zu, zwischen der Nachfragerseite (Bildungskonsumenten und Wirtschaft) und der Anbieterseite (Hochschulen, Hochschulakteure) zu koordinieren. Das persönliche Portfolio von Moor umfasst sowohl wissenschafts- wie auch praxisorientierte Aktivitätsbereiche. Sein wissenschaftliches Tätigkeitsspektrum ist von Spezialisierungszyklen geprägt, in denen die unterschiedlichen Forschungstypen funktionsergänzend zusammengefasst werden.

Vergleich Der im ersten Fallportrait vorgestellte Viktor Beck schildert eine Zweiteilung der betriebswirtschaftlichen Kommunikationsräume. Er unterscheidet zwischen einer lokal- und damit auch eher praxisorientierten Akteurgruppe und einer zweiten, die sich beispielsweise über englischsprachige Kongressbeiträge und Publikationen in „Journals“ an einer internationalen betriebswirtschaftlichen Wissenschaftsgemeinschaft beteiligt. Gemäß dem von ihm dargelegten Teilungsszenario werden im Kommunikationsraum der „Internationalen“ die heterogenen Qualitätsund Signifikanzstandards der betriebswirtschaftlichen Wissenskultur durch einheitlichere Hierarchisierungsprinzipien abgelöst. Dabei kommt es zu einer Annäherung an Muster des wissenschaftlichen Reputationserwerbs, die bisher eher für die Volkswirtschaftslehre typisch waren.37 In diesem Modus wird die Qualität der akademischen Forschung im Wesentlichen nach der Anzahl Publikationen in angesehenen „Journals“ beurteilt. Auch akademische Positionen hängen maßgeblich von der Art und Zahl von Veröffentlichungen ab. Über die „Peer Review“-Verfahren der Zeitschriften koordinieren und kontrollieren angesehene Wissenschaftler als Gutachter die Forschungstätigkeit in ihrem Spezialgebiet. In diesem betriebswirtschaftlichen Lager könnte es somit längerfristig zu einer Angleichung an die deutlich weniger fragmentierte Feldstruktur der Volkswirtschaftslehre kommen. Neben dieser internationalisierten und wissenschaftsorientierten Betriebswirtschaftslehre existiert im Teilungsszenario von Beck ein zweites Lager, das seine Aktivitäten an lokale Publikumsgruppen und insbesondere an die Praxis adressiert. Es beschränkt seine wissenschaftliche Kommunikation auf den nationalen oder allenfalls den deutschsprachigen Raum. Sich selber ordnet Beck einer Mittelposition zwischen den beiden beschriebenen Lagern zu. Indem er dieser Positionierung Seltenheitswert zuschreibt, macht er für sich einen Ausnahmestatus geltend, der zur von ihm konstatierten Zweiteilung 37 Siehe Frey, 2005. 209

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

des schweizerischen Feldes der Betriebswirtschaftslehre nicht in Widerspruch steht. Im von Andreas Moor beschriebenen Portfoliomodell erscheinen die aktuellen Transformationen der betriebswirtschaftlichen Wissenskultur in einem deutlich anderen Licht. Ähnlich wie Beck konstatiert auch Moor für das betriebswirtschaftliche Feld divergente Orientierungsmuster. Er unterscheidet zwischen einer auf Beratungs- und damit Praxiserfolg ausgerichteten Wissenschaftstätigkeit und einer, die auf Bekanntheit im internationalen Wissenschaftsfeld ausgerichtet ist. Während sich bei Beck diese beiden Lager spalten, was Zwischenpositionen maßgeblich erschwert, verweist Moor auf deren gegenseitige Ergänzung und zyklische Verbundenheit. In der Portfoliostrategie von Moor ist das Handeln der Hochschulakteure auf einen Forschungs- und Bildungsmarkt bezogen, der neben akademischer Reputation auch Qualitätsausweise in den Bereichen der Beratung und der Lehre honoriert. Im Unterschied zum Teilungsszenario wird im Portfoliomodell die Diversität betriebswirtschaftlicher Wissenschaftspraktiken zum Programm erklärt. Es treten aber auch Mechanismen in Erscheinung, durch die das fragmentierte Wissenschaftsfeld der Betriebswirtschaftslehre einer verstärkten Koordination und Kontrolle unterzogen wird. Während Beck darlegt, wie mit dem „Peer Review“ ein Modus der wissenschaftlichen Selbstkontrolle an Bedeutung gewinnt, setzt Moor auf das wissenschaftsexterne Kontrollinstrument der „Rankings“. Die bei Moor ebenfalls wichtigen wissenschaftlichen Hierarchisierungsprinzipien werden dem marktbezogenen Instrument des „Rankings“ dabei tendenziell nachgeordnet. Diese zwei Fallbeispiele liefern zwei kontrastierende, aber jeweils in sich kohärente Schilderungen darüber, zu welchen Veränderungen die Internationalisierungsdynamik im fragmentierten Feld der Betriebswirtschaftslehre führen kann. Im ersten Fall resultiert sie in einer Zweiteilung der betriebswirtschaftlichen Wissenskultur. Es formiert sich eine neue Gruppe der „Internationalen“, die sich stärker an wissenschaftlichen Relevanzsetzungen ausrichtet. Im zweiten Fall geht der Internationalisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozess mit einer kundengerechten Diversifizierung der betriebswirtschaftlichen Qualitätsbereiche einher. Der Verwissenschaftlichungsdruck erfährt hier eine Modifizierung durch gesellschaftliche oder konkreter bildungsmarktbezogene Orientierungen. Sowohl im Internationalisierungsszenario von Viktor Beck als auch im Portfoliomodell von Andreas Moor wird geltend gemacht, dass der praxisbezogene Wissenschaftsmodus der Betriebswirtschaftslehre zwar an ein internationales Reputationssystem anschließbar sei, parallel dazu würden aber auch lokale Elemente beibehalten. Dieser Befund bestätigt 210

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sich in den Aussagen anderer Professoren und Professorinnen, die jeweils sehr unterschiedliche Betroffenheiten durch den Internationalisierungsprozess zum Ausdruck bringen. Von Bedeutung ist hier insbesondere auch die generationelle Zugehörigkeit. Für ältere Fachakteure ist es eher möglich, sich der Transformation der feldtypischen Hierarchisierungsprinzipien zu verweigern. Durch die Feldumbildung etablieren sich für die akademischen Lehrer und für ihren wissenschaftlichen Nachwuchs jeweils unterschiedliche Reputationskriterien. So kommt einer der befragten Professoren zum Schluss: „Heute muss man denen sagen: Ja, du musst nach Amerika! Damals hieß es: Du musst ein Held im deutschsprachigen Raum werden.“ Dieser Professor verzichtet bewusst darauf, sich am neuen Wissenschaftsspiel zu beteiligen, er gibt diese Aufgabe quasi stellvertretend an seine Schüler weiter. Im Unterschied dazu sieht sich die jüngere Generation aufgrund der Internationalisierung teils erheblichen Anpassungserfordernissen gegenüber. Ein anderer Fachvertreter führt dazu aus: „Die Konsequenz ist dann natürlich ein Bedeutungsverlust der deutschsprachigen Zeitschriften respektive der Signale, die man auf dem deutschsprachigen Markt erworben hat.“ Für diesen Professor impliziert die Transformation der betriebswirtschaftlichen Reputationskriterien eine radikale Abwertung seines bisher akkumulierten wissenschaftlichen Kapitals.

4. Wissenschaftsberuf im heteronomen Feld Nach Max Weber ist der Wissenschaftsberuf durch die praktische Bewältigung elementarer Spannungsverhältnisse geprägt.38 Werden diese Bewältigungsproblematiken allgemein als spezifisch-diffuse Einheit von Rollenhandeln und persönlichem Handeln charakterisiert, so zeigt sich für den Wissenschaftsberuf der Betriebswirte eine zusätzliche Herausforderung. Die von Weber aufgeführten Spannungen (außeralltägliche Idee und harte Arbeit, Leidenschaft und Distanz, persönliche und unpersönliche Elemente, Wertbeziehungen und Werturteilsfreiheit) sind hier in das übergeordnete Spannungsfeld von Wissenschaft und Praxis einbezogen. Im Unterschied zu den klassischen Professionen, die in ähnlicher Weise zwischen Wissenschaft und Praxis agieren, müssen die widersprüchlichen Handlungsanforderungen in der Betriebswirtschaftslehre individuell bewältigt werden. Wie vorangehend erläutert, bleibt es den einzelnen Akteuren überlassen, ihre Forschungs- und Lehrmodelle im Spektrum zwischen technischer Wissenschaft, Quasi-Profession und rei38 Vgl. dazu die Erläuterungen zum Wissenschaftsberuf auf S. 32-34. 211

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

ner Wissenschaft einzuordnen. Die großen wissenskulturellen Divergenzen dürften dazu beigetragen haben, dass sich in der Betriebswirtschaftslehre bisher kaum Institutionen der Praxisvermittlung etablieren konnten, wie sie beispielsweise in der Medizin mit der klinischen Forschung oder den klinischen Praktika vorliegen. Mit der Ausdifferenzierung und Spezialisierung des Wissenschaftsberufs verschärft sich in der Betriebswirtschaftslehre die Vereinbarkeitsproblematik von Wissenschaft und Praxis. Wie aufgezeigt, hat das berufsbiographische Muster der „mehrfachen Mitgliedschaft“ weiterhin Leitbildcharakter. Es besagt, dass der Wissenschaftsberuf der Betriebswirtschaftslehre zugleich Berufserfahrungen im Praxisfeld voraussetzt. Gleichzeitig stellt die Wissenschaftskarriere auch in der Betriebswirtschaftslehre hohe Spezialisierungserfordernisse, die es wesentlich erschweren, neben dem wissenschaftlichen Qualifizierungsweg einem Zweitberuf nachzugehen. Die betriebswirtschaftlichen Fachakteure sehen sich in Bezug auf ihre Selbstverortung im Wissenschaftsfeld vor eine schwierige Entscheidungssituation gestellt. Orientieren sie sich weitgehend am „Pol“ der Praxis, laufen sie Gefahr, Einbussen bei der Akkumulation von wissenschaftlicher Reputation auf sich zu nehmen. Positionieren sie sich am „Pol“ der Wissenschaft, so macht sich für sie umgekehrt ein Defizit an Praxiserfahrung bemerkbar, das insbesondere im Bereich der universitären Lehre zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führen kann. Einzig im Synergiemodell tritt diese Vereinbarkeitsproblematik in den Hintergrund. Die betriebswirtschaftliche Wissenschaftskarriere ist hier nicht einseitig auf die Publikation von Forschungsergebnissen und damit auf wissenschaftlichen Reputationserwerb ausgerichtet. Vielmehr werden wissenschaftsorganisatorische Kompetenzen ins Zentrum der Berufsrolle gerückt. Betriebswirtschaftliche Wissenschaftsakteure betätigen sich dabei in der Umsetzung eines Hochschulmodells, das sich den praktischen Anwendungskontexten gegenüber aktiv öffnet. Dies geschieht insbesondere über simulierte oder tatsächliche Marktbeziehungen zum außeruniversitären Umfeld. Eine zusätzliche Verschärfung erfahren die Spezialisierungsdynamiken im betriebswirtschaftlichen Feld dann, wenn Fachakteure ihre Wissenschaftstätigkeit zunehmend auf die internationale „Scientific Community“ ausrichten. Im schweizerischen Feld der Betriebswirtschaftslehre etabliert sich gegenwärtig ein neuer wissenschaftlicher Reputationsmodus. Er ist über das Instrument des „Peer Review“ auf innerdisziplinäre Selbstkontrolle hin orientiert. Daneben gewinnt mit den „Hochschulrankings“ auch ein neues wissenschaftsexternes Koordinationsinstrument an Bedeutung. Wissenschaftliche Kriterien werden bei den 212

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

„Rankings“ zwar durchaus mitberücksichtig, sie sind aber in ein Modell eingeordnet, das sich in erster Linie an den heteronomen (insbesondere arbeitsmarktbezogenen) Relevanzsetzungen der Bildungsnachfrager orientiert. In Bezug auf das Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Praxis können aufgrund der Interviewanalyse zwei epistemische Muster unterschieden werden. Im ersten Muster erfahren die Spannungsbeziehungen zwischen dem wissenschaftlichen Autonomiemodell und dem heteronomen Wissenschaftsmodus der Betriebswirtschaftslehre gegenwärtig eine Verschärfung. Die Fachakteure sehen sich einem erhöhten Verwissenschaftlichungsdruck ausgesetzt, unterstehen aber weiterhin dem für die Betriebswirtschaftslehre konstitutiven Anspruch auf Praxisorientierung. Kommerzialisierungs- und Vermaktlichungstendenzen führen in diesem Muster eher zu einer Intensivierung der Wissenschaftsorientierungen: Die Betriebswirtschaftslehre soll der zunehmenden Konkurrenz im Hochschulbereich durch eine Rückbesinnung auf das „genuin Universitäre“ (Franz Nussberger) entgegentreten. Im zweiten epistemischen Muster kommt es – entlang des Marktmodells – zu einer tendenziellen Nivellierung der Unterscheidungen zwischen universitären und außeruniversitären Relevanzsetzungen und damit zu einem Abbau der Spannungen zwischen Praxis- und Wissenschaftsorientierung. In diesem Konvergenzmodus orientieren sich die Wissenschaftsakteure nicht nur hinsichtlich der universitären Außenbeziehungen, sondern auch in ihren inneruniversitären Praktiken an den heteronomen Logiken des Forschungs- oder Bildungsmarktes. Diese beiden Muster werden in den folgenden zwei Abschnitten einander gegenübergestellt. Das geschieht unter Bezugnahme auf die bereits erfolgten Falldarstellungen, zudem wird ergänzendes Fallmaterial aus den Interviews beigezogen.

Wächter des Universitären Obwohl die Betriebswirtschaftslehre über eine lange Tradition im Bereich der kommerziellen universitären Dienstleistungen wie Auftragsforschung, Beratung oder Weiterbildung verfügt, zeigt sich in der Interviewanalyse, dass Kommerzialisierungsbestrebungen immer wieder Irritationen auslösen können. Universitätsakteure unternehmen Abgrenzungsbestrebungen, die darauf ausgerichtet sind, sich vom expandierenden Feld der außeruniversitären Wirtschaftsbildung und -beratung zu distanzieren. Eine andere Strategie besteht darin, zwischen verschiedenen Hochschuleinrichtungen entlang von Kriterien der „Wissenschaftlichkeit“ zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang erfährt die bereits 213

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

in der Gründungsphase der Betriebswirtschaftslehre geführte Debatte über die Kriterien einer legitimen Teilnahme am Wissenschaftsfeld eine Wiederaufnahme. Professor Felix Meier39 kritisiert die Nachdiplom-Ausbildungen für wirtschaftliche Führungskräfte, die gegenwärtig an vielen betriebswirtschaftlichen Universitätsabteilungen auf privatwirtschaftlicher Basis angeboten werden, als zu einseitig kommerziell motiviert. Er kommt zum Schluss, dass in diesem Bereich viel gemacht werde, „was überhaupt kein Niveau hat, was man also kaum noch als universitär ansehen kann und was einfach ‚Money Making‘ ist“. Meier zieht zwischen dem Bereich des Universitären und jenem des reinen Profits („Money Making“) eine eindeutige Grenze. Für ihn wird Kommerzialität dann problematisch, wenn sie in der universitären Praxis zu einem hauptsächlichen Handlungsmotiv wird. Wie im Fallportrait aufgezeigt, distanziert sich Meier vom Lehrmodell der privaten Wirtschaftshochschulen und „Business Schools“, das sich seines Erachtens darauf beschränkt, Wissen zu „verpacken“ und gefällig anzubieten. Forschung und Lehre gehören für ihn deshalb zusammen, weil der Erkenntnisprozess auf das erkennende Subjekt zurückwirkt und damit eine kritische Kompetenz kultiviert wird. Die Bildungs- und Forschungsangebote von Meiers betriebswirtschaftlicher Universitätsabteilung konkurrenzieren mit jenen von anderen Hochschulinstitutionen. In dieser Marktsituation verlegt er sich auf eine universitätspolitische Distinktionsstrategie. Er erklärt es zum exklusiven Zuständigkeitsbereich der Universitäten, eine wissenschaftlichselbstreflexive Geisteshaltung zu kultivieren. In seinen Bestrebungen dieser spezifisch universitären Leistungsrolle in der Betriebswirtschaftslehre gerecht zu werden, macht Meier allerdings auch wesentliche Kompatibilitätsprobleme aus: Meier: „Da sind wir natürlich bei der Betriebswirtschaft ein bisschen in Schwierigkeiten, insofern als es bei dem Manager ja eben um eine Entscheidung geht. Und es gibt ja nichts Reduktionistischeres als eine Entscheidung. Man macht eines nach dem anderen. Die tausend anderen [Dinge], die man auch hätte machen können, die macht man nicht.“

Die auf Entscheidung ausgerichteten Orientierungsmuster der Praktiker stehen hier im Widerspruch zum kritisch-reflexiven Zugang der Wissenschaft, der laut Meier dazu auffordert, „nicht zu vereinfachen, sondern zu komplizieren“. Wie im Fallportrait ausgeführt, will Meier angesichts des konstanten Entscheidungsdrucks im Managerberuf als Hochschul-

39 Vgl. zu Meier das Fallportrait S. 169-173. 214

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

lehrer dazu beitragen, risikoreiche Abkürzungen bei der Auseinandersetzung mit den komplexen Realitäten der beruflichen Praxis zu verhindern. Damit bezieht sich seine wissenschaftliche Praxis zwar auf das praktische Berufshandeln, Meier macht aber auch eine grundlegende perspektivische Differenz und damit eine Unvereinbarkeitsproblematik zwischen den beiden Handlungsfeldern geltend. Ähnlich wie andere der befragten Fachvertreter vertritt Meier die Sichtweise, dass sich die universitäre Betriebswirtschaftslehre im expandierenden Bildungs- und Beratungsmarkt durch ihre Wissenschaftlichkeit von anderen Angeboten absetzen sollte. Für ihn impliziert dies insbesondere eine Verbindung von Forschung und Lehre. In dieser Perspektive verschärfen sich mit dem gesetzlichen Forschungsauftrag der Fachhochschulen die Abgrenzungsprobleme der Universitäten. In der Diskussion um das Konkurrenzangebot der Fachhochschulen wird von den Fachakteuren zum einen der Reflexionsanspruch der Universitätsausbildungen hervorgehoben, zum anderen wird entlang der Unterscheidung von „konkret“ versus „abstrakt“ auf das höhere theoretische Niveau an den Universitäten hingewiesen. Letzteres birgt, wie im Fallportrait von Werner Seiler angesprochen,40 eine zweite Vereinbarkeitsproblematik in sich: Die Betriebswirtschaftslehre muss sich gleichzeitig vom abstrakten Wissenschaftsmodell der Volkswirtschaftslehre und vom konkreten Wissenschaftsmodus der Fachhochschulen abgrenzen. Im epistemischen Muster der „Wächter des Universitären“ betonen die Fachakteure die Sonderstellung der Wissenschaft. Die Differenz der Wissenschaftsperspektive zu jener der Praxis soll dabei produktiv als Reflexionsmöglichkeit oder Abstraktionskompetenz genutzt werden. In einem Artikel zur Praxisrelevanz seines Faches beschäftigt sich der deutsche Betriebswirtschaftsprofessor Alexander Nicolai mit der Frage, wie das „Schnittstellenmanagement“ zwischen Wissenschaft und Praxis zu bewältigen sei. Er kommt zum Schluss, dass „Wissenschaft nur dann leistungsfähig sein kann, wenn ihre relative Autonomie und ihre Grenzen aufrecht erhalten werden“. Aus dieser Einsicht resultiere nicht weniger Engagement in der Praxis, sondern „nur eine andere Form von Praxisengagement“.41 Nicolai fordert für die Betriebswirtschaftslehre eine epistemische Haltung, die wissenschaftliche Autonomisierungsbestrebungen mit dem Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz verbindet.

40 Vgl. S. 165-169. 41 Nicolai, 2004: 110. 215

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Konvergenzmodus Professor Rainer Kunz42 verweist in seinen berufsbiographischen Ausführungen auf die grundsätzliche Differenz zwischen Wirtschaftshochschule und forschungsorientierter Universität: „Eine ‚Business School‘ und eine forschungsorientierte Universität, das sind Welten.“ Im Synergiemodell von Kunz treten diese Differenzen jedoch zugunsten der harmonischen Vereinbarkeit dieser zwei Hochschultypen in den Hintergrund. Im Unterschied zur oben dargelegten kritischen Sichtweise von Felix Meier tragen kommerzielle Dienstleistungen bei Kunz dazu bei, dass wissenschaftliche Forschung nicht im selbstreferentiellen akademischen Feld stattfindet. So tragen beispielsweise die universitären Weiterbildungsangebote für Führungskräfte dazu bei, den Anwendungskontext der Wirtschaftswelt in den Wissenschaftsprozess einzubringen. Neben einem ökonomischen Motiv dienen die marktförmigen Außenbeziehungen der Universitäten hier ebenso der Interessenabstimmung zwischen Wissenschaft und Praxis. Bei Kunz übernimmt die Wissenschaft keine autoritative Rolle im epistemischen Prozess. Dementsprechend stehen für ihn wissenschaftliche Distinktionsbestrebungen, auch in Bezug auf die universitäre Lehre, nicht im Vordergrund. Sein Lehrziel, „den Studierenden strukturiertes Denken beizubringen“, orientiert sich an einem Modell der generalistischen Problemlösungskompetenz, während berufsbildbezogene Kompetenzen in den Bereich der Fachhochschulausbildung verwiesen werden. So argumentiert er: „Es kann nicht unser Ziel sein, fertige Berufsbilder zu bedienen.“ Zentrale Anforderung ist für Kunz, dass die Studierenden beim Eintritt in den Arbeitsmarkt keinen „Praxisschock“ erleben, sondern bereits mit den Problemstellungen der Praxis vertraut sind. Das Synergiemodell von Kunz ist darauf ausgerichtet, die Anwendungskontexte der Wirtschaftspraxis über Marktsimulationen oder tatsächliche Marktbeziehungen mit dem universitären Feld zu verbinden. Ähnliche Bestrebungen zeigen sich beim ebenfalls befragten Professor Manuel Dietrich. In seiner Lehrtätigkeit möchte Dietrich seine Studierenden für „ein Projekt oder ein Produkt“ begeistern und zwar mit der Zielsetzung, „dass sie auch etwas ‚Leadership‘ oder eben Unternehmertum in sich spüren und sagen: Doch, da steige ich ein! Da mache ich mit!“43 Dietrichs Begeisterungsmotiv steht nicht zu einer wissenschaftlichen „Hingabe an eine Sache“44 in Bezug, sondern wird durch den Beg-

42 Vgl. das Fallportrait zu Kunz S. 192-196. 43 Interview vom 17.5.2004. 44 Münte/Oevermann, 2002: 205. 216

WISSENSCHAFTSPRAKTIKEN IM AKTUELLEN KONTEXT

riff des „Unternehmertums“ explizit auf das Wirtschaftsfeld bezogen. In diesem universitären Lehrmodell soll in erster Linie eine unternehmerische Geisteshaltung kultiviert werden. In der Schilderung von Dietrich wird der Universitätsbetrieb zum unternehmerischen Labor: Im Rahmen von Projektarbeiten erleben und erproben die Studierenden hier Berufshaltungen, die für ihre spätere Praxistätigkeit erforderlich sind. Nicht nur im Lehrmodell nähern sich bei Dietrich universitäre Praktiken an jene der Wirtschaft an. Diese Logik zeigt sich vielmehr als verbindendes Element zwischen seinen verschiedenen Tätigkeitsbereichen. Unter dem Motto der „Kundenorientierung“ kommt es dabei zu einer weitgehenden Nivellierung der Unterscheidungen zwischen universitären und außeruniversitären epistemischen Praktiken: Dietrich: „Wir gehen eigentlich vom Kunden aus. Der Kunde hat bei uns ein Bedürfnis und möchte einen hohen Nutzen haben. Und wenn wir dem Kunden einen Dreiklang bieten können, wo er sagen kann: Ich kann bei euch in die Weiterbildung, ich kann bei euch Beratung haben. Dann kann ich in der Lehre selber vielleicht mal einen Vortrag [halten]. Ich habe nachher Studenten und Studentinnen, die mir helfen kommen und dann gleichzeitig auch noch den Riesenvorteil, dass ihr mich noch in ein Forschungsprojekt integriert.“

Im Fallbeispiel von Manuel Dietrich sind die universitären Bildungsund Wissenschaftspraktiken im Sinne von Marktangeboten auf die Interessenlagen der Kunden ausgerichtet. Wissenschaftliche Relevanzsetzungen treten in den Hintergrund. Auch der Bereich der universitären Erstausbildung ist weitgehend in dieses Dienstleistungskonzept eingebunden. Dies indem die Studierenden an Firmen vermittelt werden, wo sie – wie Dietrich erläutert – „Analysen machen, helfen gehen, umsetzen helfen“. Marktorientierte universitäre Dienstleistungsangebote erhalten im Lehrmodell des „unternehmerischen Labors“ einen besonderen Stellenwert, weil sie den Studierenden ein möglichst praxisnahes Einübungsumfeld bieten. Wie im historischen Teil der Arbeit dargelegt wurde, weist die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Autonomiemodell in der Betriebswirtschaftslehre eine historische Kontinuität auf, die von der Konstituierungsphase bis in die Gegenwart reicht. Unter den heutigen Fachakteuren kommt vermehrt ein epistemisches Muster zum Ausdruck, das eine Entautonomisierung der Wissenschaftssphäre nach dem Marktmodell beinhaltet. Während die „Wächter des Universitären“ für das Wissenschaftsfeld eine relative Autonomie in Anspruch nehmen, läuft die Wissenschaftstätigkeit im Konvergenzmodus mit der Praxis zusammen. Weil die Differenz zwischen praktischen und wissenschaftlichen 217

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Handlungslogiken hier verschwommen ist, zeigen sich – im Unterschied zum ersten Muster – denn auch keine wesentlichen Spannungsverhältnisse und Vereinbarkeitsprobleme.

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SCHLUSSBETRACHTUNGEN

Der Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre zu einer eigenständigen wirtschaftswissenschaftlichen Fachdisziplin und zu einer der beliebtesten universitären Studienrichtungen ist nicht reibungslos verlaufen. Die Doppelorientierung der Betriebswirtschaftslehre auf die Sphäre der Wissenschaft und auf jene der Praxis geht mit Vereinbarkeitsproblemen einher, die sowohl institutionell als auch von den einzelnen Fachakteuren schwer zu bewältigen sind. Ein Dilemma der Betriebswirtschaftslehre manifestiert sich in der fortgesetzten Debatte um deren wissenschaftliche Legitimität.1 Um im Wissenschaftssystem Legitimität zu gewinnen, gilt es die Unabhängigkeit von direkten Einflussnahmen durch die Praxis unter Beweis zu stellen. Gleichzeitig stellen praktische Relevanzsetzungen im Selbstverständnis der Betriebswirtschaftslehre als praxisorientierte Wissenschaft einen unverzichtbaren Referenzpunkt dar. Auch in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Legitimität sah und sieht sich die Betriebswirtschaftslehre mit einem Dilemma konfrontiert. Der Fachbereich konnte in den letzten Jahrzehnten seine Position als Reproduktionsinstanz für Wirtschafts- und Verwaltungseliten stärken. Die hohe gesellschaftliche Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Konzepten und Techniken zeigt, dass es der Betriebswirtschaftslehre gelungen ist, ihre Wissensbestände erfolgreich in die Praxis einzuführen. Aus dem steigenden Interesse an unternehmensbezogenem Sachwissen und entsprechenden Expertiseformen ergeben sich allerdings auch Nachteile für das

1

Diese Thematik verfügt im Fachdiskurs weiterhin über Aktualität. Exemplarisch zeigt dies eine neue Publikation von Klaus Brockhoff (2009), in der sich mehrere Kapitel mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Betriebswirtschaftslehre auseinandersetzen. 219

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

betriebswirtschaftliche Wissenschaftsfeld. Es gerät unter Konkurrenzdruck durch fachexterne Sachverständigenfelder der Unternehmensführung. In jüngster Zeit kommt es zur Neuauflage einer Debatte, die sich ebenfalls auf die gesellschaftliche Legitimität der Betriebswirtschaftslehre bezieht. In Zeiten der globalen Wirtschaftskrise wird einmal mehr die Frage nach dem ethisch-moralischen Gehalt akademischer Führungsausbildungen aufgeworfen. Die Kritik richtet sich insbesondere an die Universität St. Gallen als wirtschaftliche „Kaderschmiede“ mit europäischem Rang. In den Fallportraits wurden die Handlungsdilemmas betriebswirtschaftlicher Fachakteure beleuchtet und möglichen Bewältigungsstrategien nachgegangen. Durch die doppelseitige Orientierung auf Wissenschaft und Praxis sehen sich die Fachakteure mit Berufsanforderungen konfrontiert, die mitunter zueinander im Widerspruch stehen. Auffällig ist, dass sich im Unterschied zu den klassischen Professionen in der Betriebswirtschaftslehre weitgehend keine institutionellen Regelungen für die Wissenschafts-Praxisvermittlung etabliert haben. Die Fachakteure sind vor die individuelle Aufgabe gestellt, das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis in ihrem beruflichen Alltag immer wieder neu auszuloten. Einzig im Konvergenzmodell treten die Handlungsdilemmas in den Hintergrund. Hier werden die Differenzen zwischen Wissenschafts- und Praxissphäre weitgehend eingeebnet und die damit einhergehenden Vereinbarkeitsprobleme verlieren insgesamt an Bedeutung. Die beschriebenen Dilemmas widerspiegeln die spezifischen historisch-sozialen Bedingungen der betriebwirtschaftlichen Wissenskultur. Im Folgenden werden abschließend einige zentrale Aspekte der historisch-genetischen Entwicklung und der aktuellen Transformationen der Betriebswirtschaftslehre beleuchtet. Dabei ist das Interesse auch darauf gerichtet, wie das Fallbeispiel der Betriebswirtschaftslehre im wissenschaftssoziologischen Kontext zu verorten ist.

Eine praktische Wissenschaft Im Wissenschaftsprojekt der Betriebswirtschaftslehre nahm die Frage nach dem Theorie-Praxis-Verhältnis von Beginn an einen hohen Stellenwert ein. Charakteristisch für diese Verhandlungen war, dass Wissenschafts- und Praxisorientierung in der Regel nicht als Antagonismen dargestellt wurden, vielmehr suchten die Fachakteure nach Integrationsmöglichkeiten, die der Betriebswirtschaftslehre einen Status als praktische oder angewandte Wissenschaft zuschrieben. Dabei orientierten sie sich an den Wissenschaftsnormen ihrer Zeit, nutzten aber auch beste220

SCHLUSSBETRACHTUNGEN

hende Interpretationsspielräume und betätigten sich als Wegbereiter neuer Orientierungsmuster. Wie aufgezeigt, wurde das neuhumanistische Wissenschafts- und Bildungsmodell von der ersten Generation der betriebswirtschaftlichen Fachvertreter in wesentlichen Aspekten übernommen und um einen praktischen Fokus ergänzt. Im Neuhumanismus ist das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis aufgrund der Differenz zwischen zweckfreier wissenschaftlicher Reflexion und gesellschaftsbezogener Wissensanwendung von Spannungen geprägt. Das Beispiel der Handelswissenschaften verweist aber auch auf eine beträchtliche Adaptionsfähigkeit des neuhumanistischen Deutungsmusters. Bei den Fachpionieren der Handelswissenschaften verband sich das neuhumanistische Motiv der Bildung durch freie Wissenschaftstätigkeit und Wahrheitssuche mit dem Vorhaben, durch universitäre Ausbildungsgänge die Reformierung und Modernisierung der unternehmerischen Praxis voranzutreiben. Dabei wurde geltend gemacht, dass zukünftige Geschäftsleute durch die im Bildungsbegriff implizierte Geistesschulung in besonderem Maß dazu befähigt würden, sich in der Praxis zu bewähren. Das auf geistige Autonomie und kritische Reflexions- und Abstraktionsfähigkeit ausgerichtete wissenschaftliche Bildungsmodell wurde hier zu einer wichtigen Quelle der Urteilskraft und des Innovationsvermögens des Geschäftsmannes erklärt. In der betriebswirtschaftlichen Bezugnahme auf das neuhumanistische Deutungsmuster stellen Wissenschaft und Praxis zwei, von differenten Handlungslogiken und damit auch unterschiedlichen Relevanzsetzungen geprägte, Sphären dar. Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Sphären ist weniger direkt als vielmehr indirekt über Bildungseffekte vermittelt. Bereits in den Anfängen der Handelswissenschaften trat neben diese neuhumanistische Perspektive eine funktionalistische Auffassung des Zusammenhangs von Wissenschaft und Praxis. In diesem Deutungsmuster legitimiert sich die Wissenschaftssphäre in erster Linie durch ihren Beitrag zur Lösung von gesellschaftsbezogenen – im Fall der Betriebswirtschaftslehre ebenso unternehmensbezogenen – Problemstellungen. Die Fachakteure verfolgten hier das Projekt einer akademischen Zwecklehre, deren Aufgabe sie im Wesentlichen darin sahen, konkrete Leistungen für Wirtschaftspraxis und Gesellschaft zu erbringen. In der funktionalistischen Perspektive wurde ein direkter Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Praxis postuliert. Das bedeutet allerdings nicht, dass im Wissenschafts-Praxis-Verhältnis keine Spannungen angelegt waren. Auch in dieser Perspektive wurde das akademische Projekt der Betriebswirtschaftslehre zuweilen als gemeinwohlorientierte Reformlehre konzipiert und setzte sich dadurch kritisch von den Unternehmerinteressen ab. 221

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Nach dem Zweiten Weltkrieg machte sich im schweizerischen Fachdiskurs mit den Beiträgen von Hans Ulrich ein am funktionalistischen Deutungsmuster orientiertes Professionalisierungsvorhaben bemerkbar. Ulrichs umfassende Rekonzeptualisierung der Betriebswirtschaftslehre beinhaltete insbesondere auch ein, entlang der praktischen Handlungsprobleme zukünftiger Führungskräfte strukturiertes, Ausbildungs- und Forschungsprogramm. Während in der Lehre eine problembezogene Wissensvermittlung in den Vordergrund gestellt wurde, war der Forschungsbereich mit der Aufgabe betraut, das für das praktische Berufshandeln notwendige Wissen zu gewinnen, zu systematisieren und auf typische Praxisprobleme auszurichten. Trotz seiner konsequenten Praxisorientierung beinhaltet auch das Professionalisierungsmodell von Hans Ulrich Spannungsbeziehungen zum Praxisfeld: Als akademische Berufsausbildung steht die Betriebswirtschaftslehre hier mit ihrem rationalen Herrschaftsversprechen im potentiellen Widerstreit zu traditional und charismatisch legitimierten Herrschaftsformen im Unternehmen. Bereits im Rahmen der Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit hatten die schweizerischen Fachakteure ihre Bemühungen zur Allianzenbildung mit der Wirtschaftspraxis intensiviert. In diesem Kontext kam es zum Aufbau neuer Netzwerke, welche die Wirtschaftspraxis mit dem Wissenschaftsfeld verbanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Praktiker zur aktiven Teilnahme am Fachdiskurs aufgefordert, um eine bessere Abstimmung der betriebswirtschaftlichen Wissenschaftstätigkeit mit den Erfahrungswelten der Praxis zu erreichen. An den Universitäten gewannen forschungs- sowie beratungsbezogene Praxiskooperationen ebenso wie Weiterbildungsangebote für Führungskräfte im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Bedeutung. Eine Vorreiterrolle übernahm hier die Hochschule St. Gallen, wo bereits in den 1960er und 1970er Jahren Forschungsinstitutionen gegründet wurden, die sich zu einem erheblichen Teil durch Auftragsforschungen, Beratungen und andere Dienstleistungen finanzierten. Wie in der Interviewanalyse dargelegt, verstehen Fachakteure ihre Weiterbildungs- oder Beratungsleistungen auch als wichtige Instrumente des Praxisdialogs. Sie dienen der gegenseitigen Abstimmung von wissenschaftlichen und praktischen Relevanzsetzungen und damit der organisatorischen Bewältigung einer in den Anwendungskontexten abgestützten Wissenschaftstätigkeit. Parallel zu diesem praxisorientierten Organisationsmodell zeigt sich aber auch eine Anpassung bzw. Konkretisierung der funktionalistischen Perspektive. Wissenschaftliche Leistungen erhalten hierbei einen warenförmigen Charakter. Sie beweisen ihre Funktionalität durch die potentielle oder tatsächliche Verwertbarkeit auf Nachfragemärkten. Wie das Beispiel der „Hochschulrankings“ zeigt, 222

SCHLUSSBETRACHTUNGEN

orientieren sich Wissenschaftsakteure über das Marktmodell zunehmend an außeruniversitären Relevanzsetzungen. Im marktbezogenen Koordinations- oder Organisationsmodus von Wissenschaft kommt es zu einer tendenziellen Einebnung der Differenz zwischen Wissenschaft und Praxis. Für die Fachakteure kann daraus, wie aufgezeigt, ein Abbau der Spannungen zwischen wissenschaftlichen und praxisorientierten Relevanzstrukturen resultieren. Sowohl die historische Untersuchung wie auch die Interviewanalyse zeigen, dass die hier herausgearbeiteten drei Perspektiven (neuhumanistisch, funktionalistisch, marktbezogen) auch in Mischformen vorliegen und in Bezug auf die Lehre oder die Forschungstätigkeit jeweils unterschiedliche Ausprägungen aufweisen können.

Betriebswirtschaftslehre als hybride Disziplin In der Wissenschaftsforschung wird mit der Diagnose einer Vergesellschaftung der Wissenschaft gegenwärtig eine Erosion der für das wissenschaftliche Feld spezifischen Normen und Praktiken diagnostiziert. So wird darauf verwiesen, dass die vormalige Selbststeuerung der Wissenschaft durch vermehrte Fremdsteuerung ersetzt werde; praktisch relevante oder angewandte Wissenschaft werde zum dominanten Forschungsmodus erklärt.2 In diesem Zusammenhang vertritt das Autorenteam von Michael Gibbons, Helga Nowotny und Peter Scott die Ansicht, dass der alte, „disziplinäre Modus“ der Wissensproduktion durch den transdisziplinären Typus der „Modus 2 Wissenschaft“ abgelöst werde. Dabei postulieren sie ein neues Wissenschaftsverständnis: „Sie besetzt nicht mehr ein autonomes oder in irgendeiner Weise abgesondertes Terrain. Vielmehr ist Wissenschaft zu einer Kategorie der Überschreitung geworden und greift auf andere Bereiche über (als Ergebnis ihrer ‚Erfolge‘?), wobei sie ihrerseits von diesen anderen Bereichen absorbiert wird (als Ergebnis ihrer ‚Defizite‘?).“3 Richard Whitley hält solchen breit angelegten Wandlungsszenarien entgegen, das Wissenschaftssystem sei unter den Bedingungen des fortgesetzten Wachstums und der Ausdifferenzierung gegenwärtig vor allem durch einen starken Diversifizierungsprozess geprägt. Es sei deshalb nicht mehr möglich, die wissenschaftliche Wissensproduktion als eine spezifische Form der sozialen Aktivität zu charakterisieren, die durch einen spezifischen Kodex sozialer Normen bestimmt werde.4

2 3 4

Weingart/Carrier/Krohn, 2007: 11. Gibbons/Nowotny/Scott, 2004: 225-226. Whitley, 2000. 223

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Wie aufgezeigt wurde, ist es in den letzten Jahrzehnten in der Betriebswirtschaftslehre zu einem ausgeprägten Diversifizierungsprozess gekommen, der in der Feldstruktur einer „fragmentierten Adhocratie“ resultierte. Anhand der Fallportraits wurde dargelegt, dass in der Betriebswirtschaftslehre divergente wissenskulturelle Muster nebeneinander bestehen. Dabei kommen zwar in allen Fallbeispielen Relativierungen der wissenschaftlichen Autonomie zum Ausdruck, es findet sich aber kein einheitlicher epistemischer Modus der „Überschreitung“, wie er von Gibbons, Nowotny und Scott postuliert wird. Im heteronomen Wissenschaftsfeld der Betriebswirtschaftslehre stehen „reine Wissenschaftler“ mit hohem Autonomieanspruch neben Fachvertretern, die ihre epistemischen Praktiken eher am „Pol“ der Praxis positionieren. Diese divergenten epistemischen Muster widerspiegeln sich in den heterogenen sozialen Organisationsformen und in einem hohen Ausdifferenzierungsgrad der betriebswirtschaftlichen Hochschulinstitutionen. Der heteronome Wissenschaftsmodus der Betriebswirtschaftslehre ist in gewissem Sinne emblematisch für die gegenwärtig diagnostizierte Vergesellschaftlichung des Wissenschaftssystems. Die vorliegende Untersuchung zeigt allerdings, dass die mit dem wissenschaftlichen Handlungstypus verbundenen Wertvorstellungen und Normenerwartungen auch in der praxisbezogenen Betriebswirtschaftslehre über eine hohe Kontinuität verfügen. Das Fallbeispiel der Betriebswirtschaftslehre bestätigt in erster Linie die „Disunity of Science“ – die empirische Vielfalt wissenschaftlicher Vorgehensweisen und Orientierungsmuster.5 Auffällig ist dabei, dass diese Vielfalt im Beispiel der Betriebswirtschaftslehre in die Disziplin hinein verlegt ist. Wie oben aufgezeigt, machen sich im Fachbereich bereits seit einiger Zeit verstärkte wissenschaftliche Entgrenzungsprozesse bemerkbar. Es lassen sich aber auch gegenläufige Bestrebungen feststellen, in welchen gerade die Sonderstellung der Wissenschaft betont wird. Die Wissenskultur der Betriebswirtschaftslehre erweist sich somit als Mischform divergenter Wissenstraditionen und Wissenschaftshaltungen. Als hybride Disziplin repräsentiert sie weniger eine einseitige Vergesellschaftungstendenz als eine Mischform von praxis- bzw. gesellschaftsund wissenschaftsbezogenen Orientierungsmustern. Dabei spielen professionelle Elemente eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich darin, dass der Vermittlung von Wissenschaft und Praxis in der Betriebswirtschaftslehre ein großer Stellenwert zukommt. Professionsähnlich ist auch deren multiparadigmatische Bezugnahme auf unterschiedliche Grundlagendisziplinen. Die Hybridität der Betriebswirtschaftslehre manifestiert sich 5

Galison/Stump, 1995.

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SCHLUSSBETRACHTUNGEN

somit auch in der Überlagerung von disziplinären und professionellen Strukturmerkmalen. In der Untersuchung wurde aufgezeigt, dass diese Überlagerungslogik mit erheblichen Spannungsdynamiken einhergeht. Im marktbezogenen Koordinations- oder Organisationsmodus von Wissenschaft treten diese Spannungen für die Fachakteure in den Hintergrund. Das Marktmodell ist jedoch zugleich mit weitreichenden Konsequenzen für die betriebswirtschaftliche Wissenskultur verbunden. So fördert es beispielsweise die Konkurrenzproblematik der Betriebswirtschaftslehre. Es führt zu einer Nivellierung der kognitiven und institutionellen Unterschiede zwischen den verschiedenen (mehr oder weniger forschungsorientierten) Anbietern von unternehmensbezogenen Wissens- und Bildungsprodukten. Heute sind insbesondere die naturwissenschaftlichen Disziplinen zunehmend in Praxiskooperationen involviert. Diese können durch das Marktmodell zwar ebenfalls an Autorität verlieren, im naturwissenschaftlichen Bereich ist aber eine weniger ausgeprägte Konkurrenz der Experten zu erwarten als in der Betriebswirtschaftslehre mit ihren vergleichsweise diffusen Außengrenzen. Im Vergleich mit anderen Disziplinen und Professionen macht sich hier für die Betriebswirtschaftslehre der Umstand bemerkbar, dass ihre Verwissenschaftlichungs- und Professionalisierungsprojekte in der Praxis nur bedingt erfolgreich waren. Der Aufstieg der Betriebswirtschaftslehre hatte keine maßgebliche Verschiebung des Kräfteverhältnisses von der Wirtschaftspraxis zum wissenschaftlichen Feld zur Folge. Dies zeigt sich auch daran, dass betriebswirtschaftliche Wissensbestände von Seiten der Wirtschaftspraxis immer wieder in Zweifel gezogen oder schlicht als irrelevant erklärt werden.

Verschiebungstendenzen in den Sozialwissenschaften Im wissenschaftlichen Autonomiemodell gelten Wissenschaft und Praxis als gegensätzliche Handlungsbereiche. Es postuliert, dass Verwissenschaftlichungsprozesse mit einer Distanzierung von Praxiseinflüssen einhergehen müssen. Resultate der neueren Wissenschaftsforschung verweisen jedoch darauf, dass enge Verbindungen zu den Feldern der Praxis eine förderliche, wenn nicht gar notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Wissenschaftsprojekten darstellt. Dies wurde nicht nur für den Bereich der staatsbezogenen Sozialwissenschaften aufgezeigt, son-

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dern ebenfalls für die gemeinhin als besonders autonom erachteten Naturwissenschaften.6 Im Disziplinenfeld der Sozialwissenschaften nahm die Bearbeitung von Praxisproblemen schon immer einen hohen Stellenwert ein. Peter Wagner und Björn Wittrock zeigen in ihrer historisch-vergleichenden Untersuchung, dass sich die Legitimationsstrategien der sozialwissenschaftlichen Disziplinen Ende des 19. Jahrhunderts in zwei Haupttendenzen unterscheiden lassen: Zur Legitimierung ihrer akademischen Projekte verlegten sich die einen Akteure auf eine Verwissenschaftlichungsstrategie, während andere eine Strategie der Professionalisierung oder Praxisorientierung verfolgten. Wie die Autoren ausführen, können diese beiden Tendenzen jedoch nicht als zwei von einander unabhängige Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet werden. Vielmehr tendierten die sozialwissenschaftlichen Diskurse mal in die eine, mal in die andere Richtung. Die Akteure versuchten, diese zwei Möglichkeiten entweder zu kombinieren oder waren mit dem Dilemma konfrontiert, sich für eine von beiden entscheiden zu müssen. Mit ihrem Muster der Überlagerung von Verwissenschaftlichung und Professionalisierung fügt sich die Betriebswirtschaftslehre gut in diesen sozialwissenschaftlichen Entwicklungskontext ein. Aufgrund der Professionalisierungsbestrebungen kam es zu Allianzen mit dem Wirtschaftsfeld. Vermittelt über die steigende Nachfrage nach betriebswirtschaftlichen Bildungstiteln trieben solche Allianzen die Expansion der Betriebswirtschaftslehre wesentlich voran. Wie der historische Teil der vorliegenden Untersuchung zeigt, wurde das wissenschaftliche Projekt der Betriebswirtschaftslehre wesentlich durch ein Zusammenspiel von Allianzen und Spannungsbeziehungen zum Wirtschaftsfeld geprägt. Parallel dazu waren die schweizerischen Fachakteure in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darum bemüht, die Betriebswirtschaftslehre zu einem eigenständigen Wissenschaftsfeld und zu einer universitären Fachdisziplin auszubauen. In der historischen Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Disziplinen zeigen sich nicht nur Übereinstimmungen, sondern auch ausgeprägte interne Differenzen und Konkurrenzbeziehungen. Die Betriebswirtschaftslehre hat neben der dominanten Nationalökonomie lange Zeit um die Akzeptanz an den Hochschulinstitutionen gerungen. Erst in jüngerer Zeit konnte sie einen institutionellen Erfolg verbuchen, der auf eine Umkehrung der Hierarchieverhältnisse hin deutet: Als in den 1990er 6

Siehe zu den Sozialwissenschaften die bereits verschiedentlich erwähnten Arbeiten von Wagner, 1990 sowie Wagner/Wittrock/Whitley, 1991 sowie Porter 2003. Zur Konstituierungsphase der Naturwissenschaften vgl. exemplarisch Stewart, 1992.

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SCHLUSSBETRACHTUNGEN

Jahren ökonomische Erklärungsansätze im öffentlichen und politischen Diskurs an Bedeutung gewannen, steigerte sich bei den Studierenden das Interesse an der Volkswirtschaftslehre nur unwesentlich. Im Unterschied dazu nahmen in derselben Zeit die Studierendenzahlen in der praxisorientierten Betriebswirtschaftslehre deutlich zu. Auch die neueren wissenschaftspolitischen Steuerungsmodelle stärken die Betriebswirtschaftslehre. Dies beispielsweise, indem sie Finanzierungsmodelle beinhalten, welche die Ressourcenverteilung anhand der Studierendenzahlen bemessen. Die aktuellen hochschulpolitischen Transformationen verweisen auf eine Verschiebungstendenz, von welcher die Sozialwissenschaften gesamthaft betroffen sind. Im neuen Modell einer „unternehmerischen Universität“ wird nicht nur eine praktische Verwertbarkeit der Wissensprodukte gefordert, sondern eine Verbindung von akademischer Denkart und Dienstleistungsdenken angestrebt.7 Wie sich gezeigt hat, steht die Betriebswirtschaftslehre dieser Entwicklung nicht ohne Ambivalenzen gegenüber. Gleichzeitig verfügt sie über eine lange epistemische Tradition darin, im Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Praxis zu agieren. Mit dem neuen Hochschulmodell kommt es zu einer Veränderung der traditionellen Muster wissenschaftlicher Legitimität. Im Zusammenhang dieses Reorganisationsprozesses könnte die Betriebswirtschaftslehre gemeinsam mit anderen ähnlich heteronomen Sozialwissenschaften eine Vorreiterrolle übernehmen.

7

Vgl. Honegger et al., 2007: 340. 227

DANK

Ohne Mithilfe und Unterstützung von verschiedener Seite wäre diese Untersuchung nicht zustande gekommen. Von besonderer Bedeutung für meine Arbeit waren diejenigen Professoren und Professorinnen, die sich dazu bereit erklärt haben, ihre Erfahrungen mit der Wissenschaftskultur der Betriebswirtschaftslehre in Interviews mit mir zu besprechen. Diesen aus Anonymisierungsgründen hier nicht namentlich aufgeführten Gesprächspartnern und -partnerinnen gebührt mein ganz herzlicher Dank! Für ihre wertvolle Unterstützung und stets aufschlussreichen Hinweise und Überlegungen bedanke ich mich bei Claudia Honegger, der Betreuerin meiner Dissertation. Der Dank geht auch an den Zweitgutachter Peter Wagner, der mir wichtige Anregungen für die Ausarbeitung meines Forschungsvorhabens gegeben hat. Viele der Vorarbeiten, auf welchen die Dissertation aufbaut, habe ich in Zusammenarbeit mit Pascal Jurt, meinem Arbeitskollegen im Forschungsprojekt „Discourses on Society“ in Bern, erarbeitet. Unseren Diskussionen und dem kontinuierlichen Austausch unter Forschungskollegen hat diese Untersuchung einiges zu verdanken. Der Leiter des Lausanner Teilprojekts Hans-Ulrich Jost sowie seine Mitarbeiter Malik Mazbouri und François Vallotton lieferten mir mit ihrer historischen Sachkenntnis viele hilfreiche Hinweise. Dank gebührt auch dem Schweizerischen Nationalfonds, der es mir im Rahmen einer Abschlussfinanzierung ermöglichte, ein halbes Jahr an der University of California in Los Angeles am Lehrstuhl des Wissenschaftshistorikers Theodore Porter zu verbringen. Die kompetente Unterstützung und hilfreichen Kommentare von Theodore Porter haben meine Arbeit wesentlich vorangebracht. Den Mitgliedern der Seminar-

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gruppe „History of the Scientist“ und meiner Nachbarin in Los Angeles, Monika Gisler, danke ich für die anregenden Gespräche. Äußerst wertvolle Anregungen für die Fertigstellung der Untersuchung lieferten die Diskussionen mit dem Forschungsteam des Nationalfondsprojekts „Kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Bildung in der Schweiz – Rekonstruktion ihrer Ausdifferenzierung und Hierarchisierung“ (Leitung: Martina Späni, Lucien Criblez), in dem ich gegenwärtig tätig bin. Martina Späni danke ich ganz herzlich für die gute Zusammenarbeit und stete Unterstützungsbereitschaft. Im Rahmen meiner Forschungsarbeiten zur Fachgeschichte der Betriebswirtschaftslehre konnte ich mit Emil Walter-Busch (Universität St. Gallen) ein Expertengespräch führen. Mitarbeitende des Bundesamtes für Statistik haben mir freundlicherweise Datenmaterial zur Verfügung gestellt. Zudem wurde ich von verschiedenen Instituts-, Bibliotheks- und Archivmitarbeitenden bei der Recherche unterstützt. Ihnen allen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Meine Arbeitskolleginnen und -kollegen in Bern und Aarau, sowie meine Eltern und Freunde haben mich bei der Arbeit unterstützt. Andrea Hungerbühler, Simone Suter, Andrea Glauser und Anton Burren danke ich für die kritische Lektüre meiner Texte. Ganz besonderer Dank geht an Daniel Blumer und Zita Burren.

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ABKÜRZUNGEN

BFS CNSOS ETH EPFL HEC HSG HWV IfB IMEDE IMD MBA SFUSA SGB SGKB SKV VSB VSBW

Bundesamt für Statistik Comité National Suisse d’Organisation Scientifique Eidgenössische Technische Hochschule École Polytechnique Fédérale de Lausanne École des Hautes Études Commerciales Handelshochschule St. Gallen (ab 1962: Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule Institut für Betriebswirtschaftslehre der Handelshochschule St. Gallen Institut pour l’Étude des Méthodes de Direction de l’Entreprise International Institute for Management Development Master of Business Administration Swiss Friends of the United States of America Schweizerische Gesellschaft für Betriebswirtschaft Schweizerische Gesellschaft für kaufmännisches Bildungswesen Schweizerischer Kaufmännischer Verein Verband Schweizerischer Bücherexperten Vereinigung Schweizerischer Betriebswirtschafter

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LITERATUR

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247

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

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249

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Weber, Max 1976 [1922]: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Band 2. Tübingen. Weber, Max 1998: Wirtschaft, Staat und Sozialpolitik. Schriften und Reden 1900-1912. Hg. von Wolfgang Schluchter. Tübingen. Weber, Max 2002a >1919@: Wissenschaft als Beruf. In: ders.: Schriften zur Wissenschaftslehre. Stuttgart, 237-273. Weber, Max 2002b >1904@: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis. In: ders.: Schriften zur Wissenschaftslehre. Stuttgart, 21-101. Weilenmann, Paul 1979: Von den Handelswissenschaften 1903 zur Betriebswirtschaftslehre 1978. 75 Jahre Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich. Zürich. Weingart, Peter 2001: Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist. Weingart, Peter 2003: Wissenschaftssoziologie. Bielefeld. Weingart, Peter/Carrier, Martin/Krohn, Wolfgang 2007: Nachrichten aus der Wissensgesellschaft. Analysen zur Veränderung der Gesellschaft. Weilerswist. Werner, Christian 2000: Für Wirtschaft und Vaterland. Erneuerungsbewegungen und bürgerliche Interessengruppen in der Deutschschweiz 1928-1947. Zürich. Wernet, Andreas 2000: Einführung in die Interpretationstechnik der objektiven Hermeneutik. Opladen. Weyermann, Moritz 1913: Das Verhältnis der Privatwirtschaftslehre zur Nationalökonomie. Antrittsrede. Bern. Weyermann, Moritz/Schönitz, Hans 1912: Grundlegung und Systematik einer wissenschaftlichen Privatwirtschaftslehre und ihre Pflege an Universitäten und Fach-Hochschulen. Karlsruhe. Whitley, Richard 1984a: The Development of Management Studies as a Fragmented Adhocracy. In: Social Science Information 23, Nr. 4/5, 777-818. Whitley, Richard 1984b: The Scientific Status of Management Research as a Practically-Oriented Social Science. In: Journal of Management Studies 21, Nr. 4, 369-387. Whitley, Richard 1986a: The Structure and Context of Economics as a Scientific Field. In: Research in the History of Economic Thought and Methodology 4, 179-209. Whitley, Richard 1986b: The Rise of Modern Finance Theory. It’s Characteristics as a Scientific Field and Connections to the Changing Structure of Capital Markets. In: Research in the History of Economic Thought and Methodology 4, 147-178. 250

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251

A NHANG

ANHANG

Tabelle 1: Zeittafel 1839 1882 1891 1899 1902 1903 1906 1907 1908 1909 1910 1911 1912

1913

1915

1919 1926 1928 1929

1931 1934 1939 1946

Erste Merkantilabteilung an der zürcherischen Kantonsschule „Schweizerischer Kaufmännischer Verein“ Bundesbeschluss zur Förderung der kommerziellen Bildung Handelsakademie St. Gallen „Schweizerische Gesellschaft für kaufmännisches Bildungswesen“ Handelswissenschaftlicher Lehrstuhl und Seminar an der Universität Zürich (Johann F. Schär) Extraordinariat für „Sciences commerciales“ an der Universität Freiburg (Max Turmann) „Schweizerische Zeitschrift für kaufmännisches Bildungswesen“ (1913-1935 „Schweizerische handelswissenschaftliche Zeitschrift“) „Mitteilungen aus dem Handelswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich“ (Herausgeber: Gottlieb Bachmann) Lehrstuhl für Nationalökonomie und Statistik mit besonderer Berücksichtigung des Handels in Basel (Julius Landmann) „Section des Sciences Commerciales“ an der Universität Neuenburg (Georges Paillard); Wirtschaftsarchiv in Basel „École des Hautes Études Commerciales“ an der Universität Lausanne (Georges Paillard, Léon Morf) Abteilung für Handel, Verkehr und Verwaltung an der Universität Bern; Lehrstuhl für Nationalökonomie und Handelswissenschaften (Moritz Rudolf Weyermann) Fachkurse zur Ausbildung von Handelslehrern und Bücherrevisoren in Basel; „Treuhandverband Schweizerischer Bücherrevisoren“ (ab 1914: „Verband Schweizerischer Bücherexperten“) „Faculté des Sciences Économiques et Sociales“ an der Universität Genf; „Institut des Hautes Études Commerciales“ an der Universität Genf (Hans Töndury, Edouard Folliet); Handelswissenschaftliches Seminar an der Universität Bern „Swiss Friends of the United States of America“ Kommission für Rationelles Wirtschaften „Commission romande de rationalisation“ Betriebswissenschaftliches Institut der ETH Zürich; „Schweizerische Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Arbeitsgestaltung“ (betreut durch Hans Töndury) Lehrstuhl für Betriebswissenschaften am Betriebswissenschaftlichen Institut der ETH Zürich (René de Vallière) Habilitationsrecht an der Handelshochschule St. Gallen Promotionsordnung für die Verleihung des Doktors der Wirtschaftswissenschaften an der Handelshochschule St. Gallen „Centre d’Études Industrielles“ in Genf

255

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

1947 1949 1952 1954 1955 1957 1961 1962 1968 1972 1977 1987 1989

1990

1992 1995

1996

1997 2001

256

„Die Unternehmung. Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Organisation“ (erster Herausgeber Alfred Walther) „Comité National Suisse d’Organisation Scientifique“ „Vereinigung Schweizerischer Betriebswirtschafter“ Schweizerische Kurse für Unternehmensführung; Institut für Betriebswirtschaft an der Handelshochschule St. Gallen Forschungsstelle für „Operations Research“ und Ökonometrie an der Handelshochschule St. Gallen „Institut pour l’étude des méthodes de direction de l’entreprise“ (IMEDE) in Lausanne Schweizerische Vereinigung für „Operations Research“ Umbenennung der Handelshochschule St. Gallen in „Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“ Höhere Wirtschafts- und Verwaltungsschule Zürich Maturitätstypus E (Wirtschaft) wird eidgenössisch anerkannt „École des Hautes Études Commerciales“ der Universität Lausanne erhält Fakultätsstatus Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum an der Universität Basel „Vereinigung Schweizerischer Betriebswirtschafter“ wird zur selbständigen „Schweizerischen Gesellschaft für Betriebswirtschaft“; Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät an der Universität Freiburg Das Lausanner IMEDE und das Genfer „International Management Institute“ fusionieren zum „International Institute for Management and Development“ (IMD) Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät an der Universität Zürich Die Hochschule St. Gallen wird zur Universität St. Gallen umbenannt; Bundesgesetz über die Fachhochschulen („Fachhochschulgesetz“) „Università della Svizzera Italiana“ (Tessin) mit architektonischer, kommunikationswissenschaftlicher und wirtschaftswissenschaftlicher Abteilung in Lugano Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät in Basel Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät in Bern

ANHANG

Tabelle 2: Erste handelswissenschaftliche Ordinariate bzw. Extra- oder Teilordinariate Universität/ Hochschule

Jahr

Lehrstuhlinhaber

Widmung/Lehrgebiete

St. Gallen

1899

Léon Gomberg (kein Ordinariat)

Verrechnungswissenschaft, Buchführung und Finanzlehre, Russisch

1899

Gustav Werder (kein Ordinariat)

Handelswissenschaften, spanische, portugiesische und holländische Sprache

Zürich

1903

Johann Friedrich Schär

Handelswissenschaften

Freiburg

1906

Max Turmann (ab 1909 Ordinarius)

„Sciences commerciales“

Basel

1909

Julius Landmann

Nationalökonomie und Statistik mit bes. Berücksichtigung des Handels

Neuenburg

1910

Georges Paillard

„Sciences commerciales“, „Économie commerciale“

Lausanne

1911

Georges Paillard (ab 1922 Ordinarius)

„Économie commerciale“

1911

Léon Morf (ab 1921 Ordinarius)

„Technique commerciale“, „Comptabilité publique“, „Mathématique financières“

Bern

1912

Moritz Rudolf Weyermann

Nationalökonomie und Handelswissenschaften

Genf

1915

Hans Töndury

„Économie commerciale“

1915

Edouard Folliet

„Économie commerciale“

257

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Tabelle 3: Kurzbiographien der ordentlichen Professoren bis 1950 Schlüssel zum Aufbau der Biographien: 1 2 3 4 5 6

7 8 9 1 2 3 4 5 6

7 8 9 1 2 3 4 5 6

7 9

258

Name Vorname Geburtsjahr/Todesjahr Herkunftsland/Geburtsort/Kanton Jahr/Titel/Ort des akademischen Abschluss Jahr/Titel der Dissertation Bildungs- und Berufsbiographie aoP: außerordentliche Professur oP: ordentliche Professur Lehrgebiet als Schweizer Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre/ Ort/Amtsdauer wissenschaftliche, politische oder öffentliche Ämter Quellenangaben Bachmann, Gottlieb 1874-1947 Schweiz, Winterthur (ZH) 1898 Dr. jur., Zürich 1901 „Die Sonderrechte des Aktionärs.“ Rechtswissenschaftliches Studium in Zürich, Strassburg, Berlin und Leipzig. Gerichtssubstitut, Rechtsanwalt. Professor an der kantonalen Handelsschule Zürich. 1906 aoP, 1910-1918 oP in Zürich. Ab 1918 Mitglied des Nationalbankdirektoriums (ab 1925 Präsident). 1939 Präsident des Bankrates der Schweizerischen Nationalbank. Handelswissenschaften/Zürich/1910-1918 1911-1918 Mitglied, 1918/19 Präsident des großen Stadtrates in Winterthur. 1939-1943 Nationalrat. Bruckner (1938: 18); Rühli (1978a: 15-19). Blaser, Adolphe 1886-1945 Schweiz, Môtiers (NE) 1903 Sekundarlehrerdiplom Keine Dissertation 1896-1906 Lehrer an den „École de commerce“ in Neuenburg. 19071932 Lehrer an den „École de commerce“ in Lausanne (1911-1926 Direktor). 1912 aoP, 1930-1937 oP in Lausanne. 1928-1936 Präsident HEC Lausanne. Enseignement commercial, Comptabilité publique et introduction aux études commerciales supérieures/Lausanne/1930-1937 Robert/Panese (2000: 101).

ANHANG

1 2 3 4 5 6

7 9 1 2 3 4 6

7 8

9

1 2 3 4 5

Bleuler, Werner Adolf 1886-1928 Schweiz (ZH) 1911 Dr. oec., Zürich 1913 „Die Bank in Zürich 1836-1906.“ 1908 Diplom für das höhere Lehramt in Handelsfächer der Universität Zürich. Lehrer an der kantonalen Handelsschule in Zürich. Tätigkeit in der Handelsabteilung der eidgenössischen Bundesverwaltung. 1917-1920 Generalsekretär des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements. 1920-1928 oP in Zürich. Nationalökonomie und Privatwirtschaftslehre/Zürich/1920-1928 Rühli (1978a: 26-27). Boller, Hans 1879-1963 Schweiz, Basel (BS) Dr. phil. Studium an der Handelshochschule Venedig. Lehrer an der Handelsschule Bellinzona und am Technikum Winterthur. 1915-1919 oP in St. Gallen. Rektor der Töchterhandelsschule Luzern. Handelswissenschaften/St. Gallen/1915-1919 Ab 1919 Oberexperte an den schweizerischen kaufmännischen Lehrlingsprüfungen. Mitglied der Redaktionskommission der „Schweizerischen Handelswissenschaftlichen Zeitschrift“. Burmeister (1998: 230); Schweizerisches Zeitgenossen-Lexikon (1921: 58).

7 9

Borle, (Fritz-)Henri 1889-1966 Schweiz, Sonvilier (BE) 1925 Dr. oec., Zürich 1926 „Du lien d’interdépendance entre les changes sur l’étranger et les manifestations industrielles. Étude économique théorique du problème des changes étrangers dans leurs rapports avec l’industrie suisse.“ Studium in Zürich, Handelslehrerdiplom. Gymnasiallehrer in Bern. 1920 Lektor für Nationalökonomie, Handelstechnik und Handelsarithmetik an der Universität Bern. 1927-1928 Mitarbeiter im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank. 1932-1948 Privatdozent und Lehrbeauftragter an der Universität Bern. 1933 aoP, 1937-1958 oP in Lausanne. Institutions économiques, Économie nationale/Lausanne/1937-1958 Bruckner (1938: 63); Robert/Panese (2000: 138).

1 2 3

Bourquin, Maurice 1905-1965 Schweiz, Porrentruy (JU)

6

259

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

4 5 6

7 9 1 2 3 4 5 6

7 8

9

1 2 3 4 5 6 7 9 1 2 3 4 5 6 260

1936, Dr. sc. éc. et sociales, Lausanne 1937 „Méthodes modernes de répartition et de contrôle des frais généraux dans l’industrie.“ Studium an der HEC in Lausanne. Praktikum bei der Schweizerischen Volksbank, Bücherexperte, Vizedirektor des Treuhandbüros „FIDES“ (Lausanne). 1943 aoP, 1957-1965 oP in Lausanne. Technique commerciale/Lausanne/1957-1965 Leimgruber (2001: 127); Robert/Panese (2000: 148). Brogle, Theodor 1893-1959 Schweiz, Sisslen (AG) 1918 Dr. rer. pol., Bern 1920 „Die Ökonomik des schweiz. Wachswarengewerbes unter bes. Berücksichtigung des katholisch-kirchlichen Einschlags.“ Wirtschaftswissenschaftliches Studium in Zürich, Florenz, London, Berlin, Bern. 1916 Handelslehrerexamen in Berlin. 1921-1926 Lehrer an der kantonalen Handelsschule Zürich. 1926-1931 oP in St. Gallen. Ab 1931 Rektor der kantonalen Handelsschule Basel. 1932 aoP, 1951-1956 oP in Basel. Betriebswirtschaftslehre/St. Gallen/1926-1931 Betriebswirtschaftslehre/Basel/1951-1956 1931-1935 Präsident des schweizerischen Handelslehrervereins. Ab 1935 Direktor der Schweizer Mustermesse. 1947-1951 Nationalrat (Katholische Volkspartei). Burmeister (1998: 231); Klein-Blenkers (1988: 80-81); Bruckner (1938: 74). Debes, Robert 1878-1962 Deutschland, Wuppertal-Elberfeld 1908 Dr. oec. publ., Zürich 1909 „Banque de Commerce de Genève 1845-1907.“ Studium an der Handelshochschule Köln, an den Universitäten Freiburg im Breisgau und Zürich. Bankenpraxis. 1906-1949 oP in St. Gallen. Betriebswirtschaftslehre/St. Gallen/1906-1949 Burmeister (1998: 234). Klein-Blenkers (1988: 86-87). Fischer, Oscar 1885-1949 Schweiz, Bern (BE) 1908 Dr. oec. publ., Zürich 1909 „Die schweizerische Konsularreform und die Frage der Förderung unserer wirtschaftlichen Außeninteressen.“ Studium in Bern und Zürich. 1908/09 Bankenpraxis in London. Ab 1909

ANHANG

7 9 1 2 3 4 5 6

7 8 9 1 2 3 4 5 6 7 9 1 2 3 4 5 6 7 8

9

Handelslehrer am Städtischen Gymnasium in Bern. Dozent für Handelstechnik an der Universität Bern. 1920-1926 oP in St. Gallen. 1926-1949 Rektor der Töchter-Handelsschule Zürich. Handelswissenschaften/St. Gallen/1920-1926 Burmeister (1998: 237); Klein-Blenkers (1988: 106-107). Folliet, Edouard 1881-1972 Schweiz, Genf (GE) 1911 Dr. jur., Genf 1911 „La vérification des comptes dans les sociétés par actions.“ Studium in Zürich und Genf. Lehrer an der „École supérieure de commerce“, der „École secondaire et supérieure des jeunes filles“ und der „École d’administration“ in Genf. 1907 Advokat. 1915-1949 oP in Genf. Technique commerciale/Genf/1915-1949 Gründungsmitglied des „Verbands schweizerischer Bücherexperten“. Ducret (1969: 186); Bruckner (1938: 153). Folliet, Pierre 1909-1995 Schweiz, Genf (GE) 1947 Dr. ès sc. ec., Genf 1947 „Les tarifs d'impôts: Essai de mathématiques fiscales.“ Studium der Rechtswissenschaften und der „Sciences commerciales“ in Genf. Advokat und Wirtschaftsprüfer. 1949-1973 oP in Genf. Technique commerciale/Genf/1949-1968 Technique du bilan et da la fiscalité des entreprises/Genf/1969-1973 Ducret (1969: 186). Gasser, Christian 1906-1990 Schweiz, Schwarzenburg (BE) 1933 Dr. rer. pol., Bern 1933 „Das Problem der kaufmännischen Fachbildung in der Außenorganisation.“ (bei Hans Töndury) Studium in St. Gallen und Hartford (Connecticut/USA). Leitende Stelle im Versicherungsbereich. 1948-1953 oP in St. Gallen. Unternehmer. Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung der Versicherungsbetriebslehre/St. Gallen/1948-1953 Mitbegründer des schweizerischen „Efficency-Club“ sowie des „Bundes der Subventionslosen“. 1940 Mitbegründer des „Gotthard Bundes“. 1962-1967 Präsident der „Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie“. Burmeister (1998: 239); Werner (2000).

261

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

1 2 3 4 5 6

7

8 9 1 2 3 4 5 6

7 9 1 2 3 4 5 6

7 8 9

262

Golay, Jean(-Gustave) 1903-1988 Schweiz, Romainmôtier (VD) 1933 Dissertation an der HEC, Lausanne 1934 „La Banque Nationale Suisse régulatrice du marché monétaire de 1924 à 1931.“ Studium an der HEC in Lausanne sowie in Greifswald, Köln und Edinburg. Ab 1933 Lehrer an der „École nouvelle de Chailly“ in Lausanne. 1933-1934 Lehrer an der „École supérieure de commerce“ in Lausanne. 1949 aoP 1954-1973 oP in Lausanne. Introduction aux études commerciales supérieures, d’inventaires et bilans/Lausanne/1954-1958 Institutions économiques et analyse financière/Lausanne/1954-1973 Vizepräsident des IMEDE Gründungsrats. Präsident der „Schweizerischen Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaft“. Robert/Panese (2000: 521-522). Gomberg, Léon 1866-1935 Russland 1928 Dr. ès sc. ec., Genf 1929 „Historie critique de la théorie des comptes.“ (bei Hans Töndury) Studium in Bern, Zürich und Genf. Tätigkeit im russischen Ministerium. Ab 1898 Dozent für „Économie commerciale“ an der Universität Genf. 1896-1898 Tätigkeit als Revisor. 1899-1905 Professor in St. Gallen. Ab 1905 Revisor. Verrechnungswissenschaft, d.h. Buchführung und Finanzlehre/ St. Gallen/1899-1905 (kein Ordinariat) Aufermann (1954); Klein-Blenkers (1988: 110-111). Gsell, Emil 1899-1973 Schweiz, Busslingen (AG) 1927 Dr. oec. publ., Zürich 1927 „Die Arbeitslosenversicherung in Großbritannien.“ (bei Manuel Saitzew) Wirtschaftswissenschaftliches Studium in London, Genf, Zürich. Kaufmännische Praxis. 1928-1930 Professor für Handelsfächer an der kantonalen Handelsschule Zürich. 1930-1967 oP in St. Gallen. Betriebswirtschaftslehre/St. Gallen/1930-1967 Vertreter der Handelshochschule St. Gallen an Kongressen der Rationalisierungsbewegung. Burmeister (1998: 241); Klein-Blenkers (1988: 114-115).

ANHANG

1 2 3 4 5 6

7 8 9

1 2 3 4 5 6

7 8 9 1 2 3 4 5 6

7

Juzi, Otto 1876-1951 Schweiz (SG) 1902 Dr. phil. (Mathematik), Bern 1902 „Der Feuerbach’sche Kreis in variablen Dreiecken.“ Studium in Bern. Reallehrer in Altstätten (St. Gallen), Sekundarlehrer in Langenthal, Gymnasiallehrer in Biel und Zürich, Lehrer an der Kantonsschule Zürich (Handelsabteilung und Gymnasium). 1912 aoP, 1915-1943 oP in Zürich. Handelstechnik und Methodik des Handelsfachunterrichts für die Kandidaten des Handelslehramtes/Zürich/1915-1943 Mitglied der Kirchenpflege und der zürcherisch kantonalen Kirchensynode. Bruckner (1938: 273); Rühli (1978a: 20-23); Klein-Blenkers (1988: 142142). Käfer, Karl 1898-1999 Schweiz, St. Gallen (SG) 1941 Dr. oec. publ., Zürich 1941 „Der Kettensatz, ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des kaufmännischen Rechnens.“ 1918 Sekundarlehrerpatent in St. Gallen. Mehrjährige Wirtschaftspraxis. Lehrer für Mathematik, Naturwissenschaften und Handelsfächer. Studium an der Universität Zürich. 1932 Wahl zum Hauptlehrer für geschäftskundliche Fächer an der Gewerbeschule in Zürich. 1939 Diplom für das höhere Lehramt der Universität Zürich. 1944 aoP, 1946-1967 oP in Zürich. Privatwirtschaftslehre, Verrechnungslehre und Ausbildung der Handelslehrer/Zürich/1946-1967 Gutachter in Verwaltungen und Schulen, Initiator des Wirtschaftsgymnasiums. Auf der Maur (1968); Kilgus (1978). Landmann, Julius 1877-1931 Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) 1900 Dr. phil. hist., Bern 1900 „Die Principien der Diskontopolitik.“ Studium in Basel, Würzburg, Göttingen, Kiel und Bern. 1901-1906 Sekretär des internationalen Arbeitsamtes in Basel, 1906-1910 Sekretär der Schweizerischen Nationalbank. 1909-1927 oP in Basel. 1927-1931 Prof. am Institut für Weltwirtschaft der Universität Kiel. Nationalökonomie und Statistik mit besonderer Berücksichtigung des Handels/Basel/1909-1927 263

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

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264

1914-1923 Berater des Bundesrats in der Finanzgesetzgebung. 1919-1923 Berater der Regierung Liechtensteins. 1914-1925 Schriftenleiter der „Schweizerischen Zeitschrift für Statistik und Volkswirtschaft“. Regte die Gründung des Schweizerischen Wirtschaftsarchivs in Basel und der Schweizerischen Bankiervereinigung an. Bonjour (1960: 720-721); Schweizerisches Zeitgenossen-Lexikon (1921: 396). Lisowsky, Arthur 1895-1952 Polen, Posen/Poznan 1924 Dr. rer. pol., Leipzig „Die keramische Industrie in ihren Beziehungen zur Leipziger Messe unter besonderer Berücksichtigung der Porzellanindustrie.“ Studium der neueren Sprachen in Marburg und der Wirtschaftswissenschaften in Leipzig. 1927 Privatdozent an der Handelshochschule Leipzig. 1932-1952 oP in St. Gallen. Warenhandelsbetriebslehre, Markt- und Werbewesen/St. Gallen/ 1932-1952 Burmeister (1998: 253); Klein-Blenkers (1988: 156-157). Morf, Léon 1873-1954 Schweiz, La Chaux-de-Fonds (NE) 1904 Lizenziat in Neuenburg Keine Dissertation Studium an der Universität Neuenburg, Lehrer an der „École de commerce“ in Neuenburg. 1905-1911 Direktor der „École de commerce“ in Lausanne. 1911 aoP, 1921-1943 oP in Lausanne. 1912-1925 Präsident der HEC Lausanne. Bis 1927 Lehrer für Handelsfächer an der „École de commerce“ in Lausanne. Technique commerciale, Comptabilité publique, Mathématiques financières/Lausanne/1921-1943 Finanzberater der türkischen Regierung. Reorganisator. Abgeordneter des Bundes am internationalen Kongress für das kaufmännische Bildungswesen in Budapest. Gemeinderat in Pully (Waadt). Robert/Panese (2000: 886). Mötteli, Hans 1897-1962 Schweiz, Rüti (ZH) 1920 Dr. rer. cam., Zürich 1920 „Die schweizerische Auswanderung nach Nord-Amerika mit besonderer Berücksichtigung der Kolonie Neu-Glarus und der Auswanderungspropaganda von Nationalrat Dr. Joos.“

ANHANG

6

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7 8

9

1 2 3 5 6

7 8

9

Studium in Zürich. Steuerkommissär, Prokurist und Direktionssekretär der Sulzer AG. Kaufmännischer Direktor der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. 1949-1962 oP in St. Gallen. Betriebswirtschaftslehre insbesondere Industriebetriebslehre/ St. Gallen/1949-1962 Burmeister (1998: 257); Pfoertner (2001: 237). Paillard, Georges 1884-1932 Schweiz, Sainte-Croix (VD) 1908 Dr. oec., Zürich 1909 „La suisse et l’Union monétaire latine. Étude économique et juridique.“ Studium der Handelswissenschaften in Zürich. 1906 Handelslehrerdiplom. Hilfslehrer der kantonalen Handelsschule Zürich. 1908/09 Praktikum bei der Bank „Credito Italiano“ in Mailand. 1909-1919 Lehrer für „Branches commerciales“ und „Économie politique“ an der „École supérieure de commerce“ in Lausanne. 1910-1920 oP in Neuenburg. 1911 aoP, 1922-1932 oP in Lausanne. 1925-1928 Direktor der HEC Lausanne. Sciences commerciales, Économie commerciale/Neuenburg/1910-1920 Économie commerciale/Lausanne/1922-1932 1919 und 1920 Aufenthalte in Athen, um dort ein „Institut des Hautes Études commerciales“ einzurichten. Aktives Mitglied der „Schweizerischen Gesellschaft für kaufmännisches Bildungswesen“ (SGKB), Präsident der pädagogischen Kommission der SGKB. Comité de la Fondation Georges Paillard (1933: 13); Robert/Panese (2000: 940). Schär, Johann Friedrich 1846-1924 Schweiz, Ursellen (BE) Keine Dissertation Lehrerseminar, Patentexamen für Sekundar- und Gymnasiallehrer an der Universität Bern. Volksschullehrer, Seminarlehrer (Mathematik und Physik), Kaufmann (Käseexportgesellschaft), Hotelbesitzer, Wirt, Fabrikdirektor, Tätigkeit im Bankfach. Ab 1880 Direktor der Mädchensekundarschule in Biel. Ab 1882 Lehrer für Handelswissenschaften an der Oberen Realschule in Basel. 1903-1906 oP in Zürich. 1906-1919 Prof. für Handelswissenschaften an der Handelshochschule Berlin. Handelswissenschaften/Zürich/1903-1906 1892-1903 Präsident des „Verbands Schweizerischer Konsumvereine“. 1904-1906 Vizepräsident der Schweizerischen Gesellschaft für kaufmännisches Bildungswesen. Rühli (1978a); Schär (1924); Schweizerisches Zeitgenossen-Lexikon (1921: 585). 265

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

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9 1 2 3 4 5 6 7 9

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Scheurer, Frédéric (père) 1877-1939 Schweiz, Salvenach (FR) 1914 Dr. sc. com. et éc., Neuenburg 1914 „Les crises de l’industrie horlogère dans le canton de Neuchâtel (En tenant compte plus spécialement de La Chaux de Fonds).“ Handelslehrer. 1920-1935 oP in Neuenburg. Treuhandbüro in La Neuveville. Politique économique de la Suisse, Économie commerciale/Neuenburg/ 1920-1935 Präsident des „Verbands schweizerischer Bücherexperten“, Vorstandsmitglied der Westschweizer Rationalisierungskommission. Leimgruber (2001: 104). Scheurer, Frédéric (fils) 1905-1972 Schweiz, Zürich (ZH) Dr. sc. com. et éc., Neuenburg 1930 „Le commerçant dans le roman allemand de 1796 jusqu'à nos jours. Étude de la mentalité commerciale sur la base de documents littéraires.“ Studium in Neuenburg und an der Handelshochschule Berlin. Bücherexperte. 1938-1972 oP in Neuenburg. Publicité commerciale, Économie commerciale, Économie industrielle, Technique monétaire et bancaire/Neuenburg/1938-1972 Westschweizer Sekretär des „Verbands schweizerischer Bücherexperten“. Redaktor von „L’expert comptable suisse“. Präsident der Gesellschaft für Statistik und Volkswirtschaftslehre. Leimgruber (2001: 127); Bruckner (1938: 459). Schwarzfischer, Josef 1901-1991 Deutschland, München 1928 Dr. rer. pol., Freiburg 1929 „Der Aussenhandel Columbiens.“ Studium in Freiburg, Zürich, Berlin und Köln. Kaufmännische Tätigkeit im In- und Ausland. 1936 aoP, 1943-1971 oP in Freiburg. Betriebswirtschaftslehre/Freiburg/1943-1971 Blümle/Roggo-Bertschy (1989: 339); Bruckner (1938: 485); Ruffieux (1991: 991). Sganzini, Carlo 1881-1948 Schweiz, Vira Gamborogno (TI) 1912 Dr. phil., Bern 1913 „Mengen und Mächtigkeiten: Eine erkenntniskritische Studie.“

ANHANG

6

7 9 1 2 3 4 5

6

7

8

9

1 2 3 4 5 6

7 8

Studium an der Handelshochschule Leipzig und an den Universitäten Zürich, Bern, München. 1905-1910 oP in St. Gallen. 1915 Privatdozent für Philosophie und Psychologie in Bern. 1915-1923 Direktor des kantonalen Lehrerseminars in Locarno. 1923-1946 oP für Pädagogik und Philosophie in Bern. Handelsfächer und Handelsgeographie/St. Gallen/1905-1910 Burmeister (1998: 267). Töndury, Hans 1883-1938 Schweiz, Zürich (ZH) 1906 Dr. phil., Basel; 1912 Dr. jur., Lausanne 1907 „Resultate und Wirkungen der schweizerischen Alkoholgesetzgebung“ (Dr. phil.). 1912 „Die Treuhand in rechtsvergleichender Darstellung“ (Dr. jur.). Theologiestudium in Zürich und Berlin. Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften in Basel, Bern und Lausanne. Tätigkeit beim Kaufmännischen Verein Basel, Bankenpraxis in Lausanne. 1910-1915 oP in St. Gallen; 1915-1928 oP in Genf. 1928-1938 oP in Bern. Nationalökonomie und Handelstechnik/St. Gallen/1910-1915 Économie commerciale/Genf/1915-1928 Betriebswirtschaftslehre, allgemeine Wirtschaftslehre, Handels- und Gewerbepolitik, Handelswissenschaften/Bern/1928-1938 1913 Mitbegründer des „Verbands schweizerischer Bücherexperten“. 1918 Mitbegründer der „École d’études sociales pour femmes“ in Genf. 1918-1920 Reorganisation des schweizerischen Konsularwesens. 1928-1935 Herausgeber der „Schweizerischen Zeitschrift für Betriebswirtschaft und Arbeitsgestaltung“. Delegierter des Bundesrates an internationalen Wirtschaftskonferenzen (Genua, Den Haag). Klein-Blenkers (1988: 216-217); Bruckner (1938: 536-537); Schw. Industrie-Bibliothek (1947: 505); Universität Bern (1984b: 64); Université de Genève (1959: 144). Turmann, Max 1866-1943 Frankreich, Bordeaux Dr. ès sc. pol. et éc., Paris 1903 „Les Associations agricoles en Belgique.“ Geisteswissenschaftliches Studium in Bordeaux, Studium der Rechtswissenschaften in Paris. Dozent an der katholischen Universität Lille und der „École libre des sciences sociales“ in Paris. 1906 aoP, 1909-1936 oP in Freiburg. 1918-1936 o. Prof. an der ETH Zürich. Parallel zur Hochschullehrertätigkeit: Direktor der Mädchen-Handelsschule in Gambach. Sciences commerciales/Freiburg/1909-1936 1921/22 „Chevalier de la Légion d’honneur“, Paris. 267

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

9

Ruffieux (1991: 310, 576); Schweizerisches Zeitgenossen-Lexikon (1921: 683).

1 2 3 4 6

Walther, Alfred (Carl) 1886-1955 Schweiz, Zürich (ZH) 1909 dipl. Bauingenieur, ETH Zürich Studium an der ETH Zürich. 20 Jahre praktische Tätigkeit in der Bauund Fabrikindustrie. Ab 1926 betriebswirtschaftlicher Berater der Schweizerischen Bundesbahnen sowie anderer Bahnen, staatlicher Betriebe und zahlreicher industrieller Unternehmungen (Maschinen-, Textil-, Nahrungsmittel-, Bauindustrie). 1927-1939 Privatdozent für allgemeine Betriebswirtschaft am betriebswissenschaftlichen Institut der ETH Zürich. 1940 aoP, 1944-1955 oP in Bern. Betriebswirtschaftslehre/Bern/1944-1955 Ab 1940 Präsident der kantonalen Patentprüfungskommission für Handelslehrer in Bern. Bruckner (1938: 561); Universität Bern (1984b: 65).

7 8 9 1 2 3 4 5 6

7 9

268

Weyermann, Moritz Rudolf 1876-1953 Deutschland, Elberfeld 1902 Dr. jur. et rer. pol., Leipzig 1902 „Das Verlagssystem der Lauschaer Glaswarenindustrie.“ Maturitätsexamen, kaufmännische Lehre, Berufstätigkeit im Bankfach und als Prokurist einer Exporthandelsfirma. Studium in Zürich, München und Würzburg. Erneute Praxistätigkeit. 1911 aoP in Freiburg im Breisgau. 1912-1929 oP in Bern. 1929-1933 oP in Jena. Nationalökonomie und Handelswissenschaften/Bern/1912-1929 Klein-Blenkers (1988: 226-227); Kipfer (1949: 143).

ANHANG

Tabelle 4: Absolventen der Wirtschaftswissenschaften an den universitären Hochschulen der Schweiz 1982 1986 1990 1994 1998 2002

2006

2008

BWL Liz./Master % aller Fächer inkl. Bachelor % aller Fächer

340 5.8 ---

489 7.5 ---

814 10.5 ---

955 11.4 ---

919 10.0 ---

968 10.3 ---

720 7.1 1’545 10.2

967 8.4 1’809 9.0

VWL Liz./Master % aller Fächer inkl. Bachelor % aller Fächer

152 2.6 ---

176 2.7 ---

287 3.7 ---

327 3.9 ---

196 2.1 ---

182 1.9 ---

211 2.1 408 2.7

187 1.6 438 2.2

Betriebsinformatik Liz./Master % aller Fächer inkl. Bachelor % aller Fächer

20 0.3 ---

68 1.0 ---

98 1.3 ---

95 1.1 ---

87 0.9 ---

166 1.8 ---

138 1.4 156 1.0

104 0.9 145 0.7

Wirtschaftswiss. fächerüb./übrige Liz./Master % aller Fächer inkl. Bachelor % aller Fächer

212 3.6 ---

121 1.9 ---

257 3.3 ---

257 3.1 ---

144 1.6 ---

172 1.8 ---

240 2.4 440 2.9

276 2.4 571 2.8

Total Wirtschaftswiss. Liz./Master % aller Fächer inkl. Bachelor % aller Fächer

724 12.4 ---

854 1’456 1’634 1’346 1’488 13.1 18.8 19.5 14.7 15.8 -----------

1’309 12.9 2’549 16.8

1’534 13.3 2’963 14.7

Alle Fächer Liz./Master inkl. Bachelor

5’853 6’514 7’752 8’376 9’159 9’424 10’169 11’521 ------- 15’156 20’211

Quelle: BFS

269

DIE WISSENSKULTUR DER BETRIEBSWIRTSCHAFTSLEHRE

Tabelle 5: Studierende der Wirtschaftswissenschaften an den universitären Hochschulen nach Geschlecht 1997/98 1999/00 2001/02 2003/04 2005/06 2007/08 BWL Frauen Frauenanteil

4’553 1’100 24.2%

6’839 1’803 26.4%

6’444 1’887 29.3%

6’961 2’173 31.2%

7’581 2’433 32.1%

8’685 2’806 32.3%

VWL Frauen Frauenanteil

877 220 25.1%

909 237 26.1%

1’057 290 27.4%

1’374 396 28.8%

1’521 457 30.0%

1’519 461 30.3%

Betriebsinformatik Frauen Frauenanteil

734 107 14.6%

1’045 159 15.2%

1’379 220 16.0%

1’144 181 15.8%

808 129 16.0%

611 99 16.2%

Wirtschaftswiss. fächerüb./übrige Frauen Frauenanteil

6’079 1’538 25.3%

3’850 1’083 28.1%

4’972 1’532 30.8%

5’036 1’572 31.2%

4’351 1’300 29.9%

5’141 1’624 31.6%

Total Wirtschaftswiss. Frauen Frauenanteil

12’243 2’965 24.2%

12’643 3’282 26.0%

13’852 3’929 28.4%

14’515 4’322 29.8%

14’261 4’319 30.3%

15’956 4’990 31.3%

Alle Fächer Frauen Frauenanteil

93’387 40’314 43.2%

95’704 42’677 44.6%

99’569 109’334 112’396 116’906 46’275 52’592 55’173 58’058 46.5% 48.1% 48.9% 48.9%

Quelle: BFS.

270

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2009-12-14 14-50-03 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 032e228633926658|(S.

1-

3) ANZ1330.p 228633926666

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1-

3) ANZ1330.p 228633926666

2008-05-27 12-26-20 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 02a8179786122216|(S.

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) T00_02 seite 2 - 746.p 179786122240