Die Videothek: Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution [1. Aufl.] 9783839426289

In the age of the digital film, it seems amazing that the occurrence of its haptic form doesn't date back too far.

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Die Videothek: Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution [1. Aufl.]
 9783839426289

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vor dem Gang in die Videothek: Einleitung
I. Geschichtliche Entwicklung einer neuen Institution
1. Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich
1.1 Die Möglichkeiten des Mediums
1.2 Audiovisuelle Zeitmaschine und Durchlauferhitzer: der Videorecorder
2. Die Anfänge der Videodistribution
2.1 Gründungsmythen einer nicht geplanten Verwertungskette
2.2 Neues Medium in alter Institution: die Videokassette in der Bibliothek
2.3 Exkurs: Rückkehr des Biedermeier – Die Medienlandschaft der 1980er Jahre
3. Die Videothek – Zur Geschichte einer neuen Institution
3.1 Familienbetriebe und die Videothek an der Ecke
3.2 Die Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands e. V. (IVD)
3.3 Hetzkampagnen: die Verschärfung des Jugendschutzes 1985
3.4 Kassettenberg und Discountpreise: Videotheken (in der) Krise
3.5 Der Kampf um den indizierten Film I
3.6 Coverbetrug, Videopiraten und Kopierschutz
3.7 Der Kampf um den indizierten Film II
3.8 Die Videothek in den neuen Bundesländern
3.9 Ausblick auf die 1990er Jahre: Kaufkassette und andere Konkurrenten
II. Die mediale Praxis der Videothek
1. Vom Gang in die Videothek
1.1 Der Aufbau des Ortes: Familien- und Erwachsenenvideotheken
1.2 Die mediale Praxis des Gangs in die Videothek
1.3 Paratextuelle Attraktionen des Leihmarktes
2. Schauen und leihen, schauen und besitzen
2.1 „Vom mickrigen Bordellbesucher zum Eigner eines Harems“: der Sammler
2.2 Die Videothek als Archiv
2.3 Der Kassettenberg
3. Mediendistribution im Übergang
III. Die Videothek und das Wissen vom Film
1. Vorläufer einer neuen Genre-Etablierung
1.1 Das Autokino
1.2 Das Bahnhofskino
1.3 Die Midnight Movies
2. (Neue) Genres der 1980er Jahre
2.1 Video killed the Pornstar: der Pornofilm
2.2 Splatter und Action
2.3 Exkurs: die Bilder zum Film – Filmliteratur
2.4 Zur Filmsozialisation angehender Regisseure: Lernen aus der Videothek
3. Die Videothek im Spiegel der Konzepte
3.1 Das Narrativ der (privaten) Filmgeschichte
3.2 Die Möglichkeiten eines Kanons
3.3 Der Star zum Anfassen: das Starsystem der Videothek
3.4 Autorenfilm und Genrekino: Wiederholung alter Dichotomien
IV. Schlussbetrachtungen oder: e kind rewind!
1. Automaten, das Netz und Video-on-Demand: die Auflösung des Ortes?
2. Die Videothek nach ihrem Ende
V. Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Danksagung

Citation preview

Tobias Haupts Die Videothek

Locating Media | Situierte Medien

Band 7

Editorial Orts- und situationsbezogene Medienprozesse erfordern von der Gegenwartsforschung eine innovative wissenschaftliche Herangehensweise, die auf medienethnographischen Methoden der teilnehmenden Beobachtung, Interviews und audiovisuellen Korpuserstellungen basiert. In fortlaufender Auseinandersetzung mit diesem Methodenspektrum perspektiviert die Reihe Locating Media/Situierte Medien die Entstehung, Nutzung und Verbreitung aktueller geomedialer und historischer Medienentwicklungen. Im Mittelpunkt steht die Situierung der Medien und durch Medien. Die Reihe wird herausgegeben von Gabriele Schabacher, Jens Schröter, Erhard Schüttpelz und Tristan Thielmann.

Tobias Haupts (Dr.), Film- und Medienwissenschaftler, lehrt am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Film- und Genregeschichte sowie Distributionsformen des Films.

Tobias Haupts

Die Videothek Zur Geschichte und medialen Praxis einer kulturellen Institution

Diese Publikation ist in der Graduiertenschule »Locating Media/Situierte Medien«, seit 2012 DFG-Graduiertenkolleg »Locating Media«, an der Universität Siegen entstanden und wurde unter Verwendung der dem Graduiertenkolleg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Videothek Warstein, © Sabrina Klante Lektorat: Rosemarie Klein Satz: Annika Schaefer, Tobias Haupts Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2628-5 PDF-ISBN 978-3-8394-2628-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Gang in die Videothek: Einleitung | 9

I. Geschichtliche Entwicklung einer neuen Institution | 23 1.

Die Videokassette – ein neues Medium etabliert sich | 23

1.1

Die Möglichkeiten des Mediums | 23

1.2

Audiovisuelle Zeitmaschine und Durchlauferhitzer: der Videorecorder | 39

2.

Die Anfänge der Videodistribution | 56

2.1

Gründungsmythen einer nicht geplanten Verwertungskette | 56

2.2

Neues Medium in alter Institution: die Videokassette in der Bibliothek | 65

2.3

Exkurs: Rückkehr des Biedermeier – Die Medienlandschaft der 1980er Jahre | 80

3.

Die Videothek – Zur Geschichte einer neuen Institution | 91

3.1

Familienbetriebe und die Videothek an der Ecke | 91

3.2

Die Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands e. V. (IVD) | 104

3.3

Hetzkampagnen: die Verschärfung des Jugendschutzes 1985 | 110

3.4

Kassettenberg und Discountpreise: Videotheken (in der) Krise | 129

3.5

Der Kampf um den indizierten Film I | 139

3.6

Coverbetrug, Videopiraten und Kopierschutz | 158

3.7

Der Kampf um den indizierten Film II | 171

3.8

Die Videothek in den neuen Bundesländern | 177

3.9

Ausblick auf die 1990er Jahre: Kaufkassette und andere Konkurrenten | 189

II. Die mediale Praxis der Videothek | 197 1.

Vom Gang in die Videothek | 197

1.1

Der Aufbau des Ortes: Familien- und Erwachsenenvideotheken | 205

1.2

Die mediale Praxis des Gangs in die Videothek | 216

1.3

Paratextuelle Attraktionen des Leihmarktes | 228

2.

Schauen und leihen, schauen und besitzen | 244

2.1

„Vom mickrigen Bordellbesucher zum Eigner eines Harems“: der Sammler | 244

2.2

Die Videothek als Archiv | 252

2.3

Der Kassettenberg | 263

3.

Mediendistribution im Übergang | 269

III. Die Videothek und das Wissen vom Film | 273 1.

Vorläufer einer neuen Genre-Etablierung | 273

1.1

Das Autokino | 277

1.2

Das Bahnhofskino | 281

1.3

Die Midnight Movies | 285

2.

(Neue) Genres der 1980er Jahre | 290

2.1

Video killed the Pornstar: der Pornofilm | 290

2.2

Splatter und Action | 300

2.3

Exkurs: die Bilder zum Film – Filmliteratur | 315

2.4

Zur Filmsozialisation angehender Regisseure: Lernen aus der Videothek | 323

3.

Die Videothek im Spiegel der Konzepte | 335

3.1

Das Narrativ der (privaten) Filmgeschichte | 335

3.2

Die Möglichkeiten eines Kanons | 346

3.3

Der Star zum Anfassen: das Starsystem der Videothek | 355

3.4

Autorenfilm und Genrekino: Wiederholung alter Dichotomien | 361

IV. Schlussbetrachtungen oder: b e kind rewind! | 369 1.

Automaten, das Netz und Video-on-Demand: die Auflösung des Ortes? | 369

2.

Die Videothek nach ihrem Ende | 378

V. Anhang | 385 Literaturverzeichnis | 385 Abbildungsverzeichnis | 416 Danksagung | 418

Vor dem Gang in die Videothek: Einleitung „It’s a ritual and fun thing to go into a videotheque.”1 George Atkinson, US-amerikanischer VideothekenPionier, 1985

„Die Videothek steht vor dem Aus. Wer hätte gedacht, dass wir ihr einmal hinterhertrauern würden?“2 Tillmann Prüfer scheint mit dieser Feststellung, wie er sie in seiner Hommage an die Videothek im Zeitmagazin im November 2010 formulierte, einen offensichtlich unaufhaltsamen Trend beschreiben zu wollen. In einem Akt der Selbstkasteiung gibt er sich – und damit zugleich auch jedem anderen Mediennutzer – die Schuld, eher auf die Fähigkeiten des eigenen Breitbandanschlusses zu vertrauen als den Ort aufzusuchen, der die Menschen zusammenbrachte und zu „Teilnehmer[n] einer besonderen Veranstaltung“ werden ließ. „Der Leihausweis ist die Mitgliedskarte eines Clubs, dem sämtliche Gruppen angehören. Ob Frau oder Mann, ob arm oder reich, gebildet oder dumm: Alle brauchen Entertainment.“ Und alle suchten, so Prüfer weiter, diesen Ort auf, „der nie zu schlafen schien und der von Menschen betrieben wurde, die aussahen, als schliefen sie nie“3. Zumindest in Prüfers eigenem Erinnerungsoptimismus stellten Videotheken Orte dar, die stets gut besucht waren. Wenngleich der Autor seinen kurzen Essay, der in seiner Intention zwischen nostalgischer Erinnerung und dem Appell an den Weg nach draußen

1

Zitiert nach: Vinzenz Hediger, Rituale des Wiedersehens. Der Kinofilm im Zeitalter seiner Verfügbarkeit auf Video. In: Ralf Adelmann/Hilde Hoffmann/Rolf F. Nohr (Hrsg.), REC – Video als mediales Phänomen, Weimar 2002, S. 71-93, hier: S. 71.

2

Tillmann Prüfer, Verleihnix. In: Zeitmagazin 47/2010, S. 41.

3

Ebd.

10 | D IE V IDEOTHEK

anzusiedeln ist, als Hommage bezeichnet, so evoziert er doch eher den Eindruck einer Elegie, die dem nachtrauert, was einst war und wie es heute nicht mehr anzutreffen ist. Das Ende der Videotheken, so Prüfer, scheint „absehbar“4. Dies droht nicht nur den Verdacht zu erwecken, dass Prüfer mehr wüsste als der durchschnittliche Mediennutzer, der auch zwei Jahre nach Prüfers Hommage immer noch in die Videothek geht, sondern zudem, als schiene die Geschichte des Films – und dazu gehört die Institution der Videothek – einer Teleologie zu folgen, die nur im Innern der eigenen vier Wände enden kann und das Außen vollends negiert, wenn es um den Konsum von Filmen geht. Verharrt der Leser von Prüfers Text beim Namen des Ortes, den der Autor beinah wehleidig verabschiedet, so stimmen seine Ausführungen. Das namensgebende Video findet der Mediennutzer meist nicht mehr, wenn er sich für den Gang in die Videothek entscheidet. Schon vier Jahre vor Prüfer schreibt daher der Medienwissenschaftler Rolf F. Nohr in einem Aufsatz über das Medium Video zu Recht: „[…] Über Video und Videorecorder zu schreiben, meint vordergründig über Mediengeschichte zu schreiben. Das ‚Phänomen Video‘ […] scheint zunächst ein ‚Unzeitgemäßes‘ zu sein.“5 Und schon weit vor Prüfer und Nohr bezeichnete Kay Hoffmann bereits Anfang der 1990er Jahre Video – oder genauer gesagt die Ausformung des Mediums in der Form der Videokassette6 – als ein Übergangsmedium, welches schnell an sein sprichwörtliches Ende kommen würde.7 Wurde Video in den 1980er Jahren noch als neues Medium gehandelt, schien Anfang der 1990er Jahre in manchen Überlegungen das Adjektiv obsolet besser zu ihm zu passen und sein Abgesang bereits besungen, als ein zweiter Videoboom – der der Kaufkassette – Anfang der 1990er Jahre allmählich Form annahm. Waren solche Vorhersagen, auch wenn sie durch ähnliche Beobachtungen und Entwicklungen der Mediengeschichte gestützt wurden, in ihrer

4

Ebd.

5

Rolf F. Nohr, Video. In: Jens Schröter/Gregor Schwering/Urs Stäheli (Hrsg.), Media Marx. Ein Handbuch, Bielefeld 2006, S. 279-295, hier: S. 279.

6

Zur Problematik der Verortung und Eingrenzung des Mediums Video vgl. Kapitel I.1.

7

Vgl. Kay Hoffmann, Am Ende Video – Video am Ende? Aspekte der Elektronisierung der Spielfilmproduktion, Berlin 1990, S. 269 ff. sowie ders., Video – ein Übergangsmedium? Der Videomarkt in Deutschland 1991. In: Media Perspektiven 12/1991, S. 810-818.

E INLEITUNG | 11

Zeit nicht zwingend kontingente Aussagen, erweisen sie sich vom heutigen Standpunkt aus gesehen zumindest für das Medium Video als richtig, obgleich dies nicht in jedweder Konsequenz. Das Einlegen der bespielten Kassette in den Recorder, das Flackern des Standbildes und das (Zurück-) Spulen des Bandes zur (Re-)Lektüre des Programms scheinen nur noch als Teil einer nostalgischen Medienarchäologie zu funktionieren, die – ähnlich dem Knistern der Schallplatte auf den Tellern der Sammler – wie eine längst vergangene Kulturtechnik wirkt. Die Kassette wechselt in dieser Hinsicht vom Modus eines Erinnerungsmediums zu einem erinnerten Medium, welches das Vergangene allein durch die Handhabung seiner Technik zu aktualisieren vermag. Der neue Ort des einst gefeierten Mediums ist daher der Trödelmarkt, der Ramschtisch und die Grabbelkiste als sichtbare Ausformung des Versuchs, genau dieses Medium von sich zu stoßen und abzusondern. Hier paart sich das Unzeitgemäße mit dem Nicht-Wertvollen, das nicht einmal mehr lohnt, in einer ansprechenden Ästhetik dem interessierten Kunden präsentiert zu werden. Dass die Videokassette in der Kiste, meist eben jene Kaufkassetten in einer angeschlagenen Hülle und mit einem von der Sonne gebleichten Cover, einen ähnlichen Reiz auf den Sammler ausübt wie die Schallplatte, die immer noch auf Börsen für Audiophile gehandelt wird, vermag unter diesen Umständen kaum denkbar zu sein. Die Videokassette scheint keine Liebhaber mehr zu finden, das „hässliche Entlein“8 der Medienwissenschaft hier realiter seine spezifische Bestimmung gefunden zu haben. Schon 1984 schreibt der Bibliothekar Klaus-G. Loest in seinem Buch Die Videokassette: ein neues Medium etabliert sich9, dass es keine Monografie zum Phänomen und der kulturellen Institution der Videothek gebe. Konstatierte Loest dies noch zur Zeit des sogenannten Videobooms, hat sich an diesem Umstand bis heute nichts geändert. Diesem medien- wie filmgeschichtlichen Desiderat möchte diese Arbeit entgegenwirken. In drei großen Kapiteln nähert sie sich dem Ort der Videothek historisch, kultur- und filmtheoretisch an. Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auf der Videothek in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1978 und 1992, doch soll gerade bezüglich der an den Ort gekoppelten Fragen der Medien- und Filmtheorie 8

Ralf Adelmann/Hilde Hoffmann/Rolf F. Nohr, Phänomen Video. In: dies. (Hrsg.), REC – Video als mediales Phänomen, Weimar 2002, S. 5-13, hier: S. 5.

9

Klaus-G. Loest, Die Videokassette: ein neues Medium etabliert sich. Videotheken aus bibliothekarischer Perspektive, Wiesbaden 1984, S. 1.

12 | D IE V IDEOTHEK

immer wieder über diese nationale und zeitliche Begrenzung hinausgedacht werden. Denn wenngleich die Videothek durchaus als ein Medium der Amerikanisierung gedacht werden kann, wird nur an wenigen Stellen ein direkter Vergleich zur wesentlich besser erforschten Geschichte der Videothek in den USA herangezogen.10 Vornehmlich gilt der Befund, dass die Videothek stets in einen Teil der nationalen Filmgeschichte wie -politik eingebettet ist. Nach einem historischen Überblick über die Entwicklungen des Mediums Video, seine Ausformungen zwischen den Polen von Spezifik/Technik und Gebrauch/Nutzer, wird aufgezeigt, wie sich die einst als Gegenmedium konzipierte Technik in den 1970er Jahren zu einem elementaren Bestandteil der Unterhaltungsindustrie wandelte, die erstmalig dem Begriff des Heimvideomarktes zur vollen Geltung verhalf (Kapitel I.1.1).11 Forciert wurde dieser Umbau des Dispositivs Video durch die Marktreife und Verbreitung des Videorecorders. In Rekurs auf die Arbeiten von Siegfried Zielinski12 wird somit dargelegt, wie zwar auch der Videorecorder als audiovisuelle Zeitmaschine13 als Mittel der Gegenöffentlichkeit genutzt werden konnte, bald allerdings das Bild des Durchlauferhitzers14 diese Möglichkeiten ablöste. Erst mit der Durchsetzung des Recorders in den bundesdeutschen Haushalten emanzipierte sich der Mediennutzer von den Vorgaben des Kinos wie auch des Fernsehens, wenn er nun in einer neu gefundenen Form der Kreativität sein eigenes Viertes Programm erstellen konnte. Statt Film und Fernsehen rezipierte der Nutzer nun Video (Kapitel I.1.2).

10 Vgl. Joshua M. Greenberg, From Betamax to Blockbuster. Video stores and the invention of Movies on Video, Cambridge/London 2008 sowie Mark Jancovich/Lucy Faire with Sarah Stubbings, The Place of the Audience, London 2003, S. 185 ff. 11 Zu den Möglichkeiten von Video und seinen verschiedenen Ausformungen vgl. Torsten Hahn/Isabell Otto/Nicolas Pethes, Emanzipation oder Kontrolle? – Der Diskurs über „Kassetten-Fernsehen“, Video und Überwachungstechnologie. In: Albert Kümmel/Leander Scholz/Eckhard Schumacher (Hrsg.), Einführung in die Geschichte der Medien, Paderborn 2004, S. 225-253. 12 Besonders auf: Siegfried Zielinski, Zur Geschichte des Videorecorders, Berlin 1986. 13 Vgl. Siegfried Zielinski, Audiovisuelle Zeitmaschine. Thesen zur Kulturtechnik des Videorecorders. In: ders. (Hrsg.), Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader, Frankfurt am Main u. a. 1992, S. 91-114. 14 Vgl. Siegfried Zielinski, Der Videorecorder als Durchlauferhitzer. Anregungen zum öffentlichen Nachdenken über Videoexzesse. In: Medium 4/1984, S. 9-13.

E INLEITUNG | 13

Mit dem Jahr 1980 war das Jahr Null der Videoindustrie erreicht.15 Als eine durch die Eigenaussagen der Industrie und durch die Meldungen der Presse verbreitete neue Zeitrechnung wird auch in dieser Arbeit das Jahr 1980 als das Geburtsjahr der Videotheken und des Beginns des sogenannten Videobooms in Deutschland gesetzt. Obwohl 1980 erst langsam der Neologismus Videothek16, in Anlehnung an die etablierte Institution der Bibliothek, für die neuen Spezialgeschäfte ohne Namen17 Eingang in die Alltagssprache fand, so hat sich dieser umso nachhaltiger und resistenter erwiesen. Ein Blick auf die Zeit vor 1980 zeigt anhand der Geschichte der Videokassette in den USA und in der Bundesrepublik auf, wie sich nicht nur moderne Mythen der Videothekengeschichte konstituierten, sondern zudem die Videokassette durch ein Zusammenspiel von Überproduktion, Preispolitik und Erwartungen des Nutzers einer nicht geplanten Verwertung zugeführt wurde. Statt eines Kaufkassettenmarktes begründete die Videokassette einen Videoverleihmarkt, an dessen Realisierung wie auch Nutzen durch den Kunden in den 1970er Jahre nicht geglaubt wurde (Kapitel I.2.1). Gegenstand der Untersuchung wird sein, auf welche Strukturen diese Ausformungen einer nicht geplanten Verwertung sowie das Medium Video und die nun neu hinzukommende kulturelle Institution der Videotheken im Medienensemble der Bundesrepublik Deutschland trafen. In diesem Kontext wird dargestellt, wie sich die Videokassette in den Leihmarkt der öffentlichstädtischen Bibliotheken integrieren ließ und mit welchen Ansätzen das theoretische und praktische Gegeneinander zweier vermeintlich konträrer Medien für den Raum der Bibliothek gelöst wurde (Kapitel I.2.2). Trifft dies vor allem das konkrete Video, bleibt zu fragen, wie sich die neue Branche18 in der Verwertung des Mediums zwischen den bereits etablierten Medien Kino/Film, aber auch hinsichtlich des Fernsehens positionieren konnte. In einem Exkurs zur Medienkultur der 1980er Jahre wird herausgearbeitet, mit

15 Vgl. o. A., „Dies ist für uns das Jahr Null“. In: Der Spiegel 48/1980, S. 36-58. 16 Loest weist darauf hin, dass der Begriff der Videothek vor allem im Bereich der Videokunst eine Rolle spielte und dort die angelegten Archive der eigenen wie auch der fremden Produktion bezeichnete. Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 5. Der Aspekt der Videokunst spielt in dieser Arbeit jedoch keine weitere Rolle. Vgl. dazu: Yvonne Spielmann, Video. Das reflexive Medium, Frankfurt am Main 2005. 17 O. A., „Dies ist für uns das Jahr Null“, S. 37. 18 Zum Stand der Branche in den 1980er Jahren vgl. Günter Poll (Hrsg.), Videorecht, Videowirtschaft, München 1986.

14 | D IE V IDEOTHEK

welchen Problemen sich der Film und das Fernsehen des Jahrzehnts auseinandersetzen mussten, insbesondere vor dem Hintergrund eines neuen teilnehmenden Konkurrenten auf dem Markt der 1980er Jahre. Wichtige Merkmale dieses bereits bestehenden Medienensembles sollen vorweggenommen werden, um später zu verdeutlichen, wo und inwiefern sich die Geschichte der Videothek sowie die Bemühungen der Videothekare mit den zeitgenössischen Entwicklungen dieser Medien kreuzten (Kapitel I.2.3). Die Geschichte der Videothek selbst wird im Folgenden anhand zweier Zugänge chronologisch nachgezeichnet: Durch die Recherche in den Archiven des Interessenverbandes des Video- und Medienfachhandels Deutschland e. V.19, der seit 1983 die Interessen der Videothekare vertritt, konnten nicht nur wertvolle Einsichten in die Arbeit dieses Vereins und seiner Mitglieder gewonnen werden, sondern zugleich Material erstmalig als Quelle herangezogen werden. Die Auswertung der verbandseigenen Zeitschrift Der Ikarus20, die monatlich zwischen 1985 und 1990 erschien, soll sowohl die Geschichte des Mediums Videokassette aus Sicht der Videothekare schildern, als es zudem ermöglichen, Aushandlungsprozesse zwischen Anbieter, Nutzer und Gesellschaft hinsichtlich der Institution Videothek in den 1980ern nachzuzeichnen. Im Mittelpunkt stehen folglich markante externe Stationen dieser Geschichte wie die Gründung des IVD 1983, die Verschärfung des Jugendschutzes sowie die Novellierung des § 131 StGB im Jahr 1985. Aber auch die Öffnung der innerdeutschen Grenze und der Fall der Mauer sind Teil dieser Geschichtsschreibung, führten diese Ereignisse nicht zuletzt dazu, dass sich zwischen 1990 und 1992 in nur zwei Jahren die zehn Jahre bundesdeutscher Videothekengeschichte innerhalb kürzester Zeit wiederholten. Ziel der historischen Kontextualisierung ist es, anhand dieser gesellschaftli-

19 1992 wurde der IVD umbenannt. Statt Interessengemeinschaft der Videothekare wurde aus ihm der Interessenverband des Videofachhandels. Um nun im Folgenden nicht stetig auf die Wahl des zutreffenden Artikels zu achten, wird in dieser Arbeit möglichst durchgehend vom Interessenverband gesprochen. Zur Umbenennung vgl. Bernd Ruof, Nach Kräftemessen folgt der Umschwung. In: Videowoche 24/1992, S. 16. 20 Da der Ikarus seine Artikel nicht mit den jeweiligen Verfassern versehen hat, werden diese jeweils nur mit dem Titel zitiert und im Literaturverzeichnis gesondert aufgeführt. Wenngleich oft davon auszugehen ist, dass Heinrich Otto, Pressesprecher des IVD, diese verfasst hat, soll so verhindert werden, falsche Zitationen einzufügen.

E INLEITUNG | 15

chen Umbruchsituationen21 zu verdeutlichen, welche Anfragen die Gesellschaft an das neue Medium Videokassette und deren Vertreiber, die Videothekare, stellte und wie beide Seiten mit diesen realiter umgingen (Kapitel I.3.1 & 3.2). In einem zweiten, nicht immer klar von den kontextuell-historischen Fragestellungen abzusetzenden Schritt wird die Frage nach den internen Aushandlungsprozessen gestellt, die die Videothek zu einem festen Bestandteil des Medienensembles22 transformierten. Diese beziehen sich vor allem auf die juristischen und technischen Aspekte des Videoverleihs, auf Fragen nach einem funktionierenden Kopierschutz und dem Aufkommen eines Kassettenberges durch Überproduktion zahlreicher billiger Filme auf dem neuen Trägermedium. Hinzu kommen die Gesuche der Filmförderungsanstalten und der GEMA, die das Ziel hatten, die Videothekare – oft zu deren Leidwesen – in ihre Strukturen zu inkludieren (Kapitel I.3.4 & 3.6). Ein Narrativ in diesen branchenexternen und -internen Abläufen stellte insbesondere die Frage des Jugendschutzes dar, die schon 1983 als wichtigste Agenda des IVD bestimmt wurde. Obgleich es gerade darum ging, wie man Kinder und Jugendliche von den durch die Videotheken nun erstmals angebotenen alternativen und oft als deviant23 angesehenen Filmprogrammen fernhalten konnte – eine Frage, die sich meist in der Häuslichkeit der eigenen vier Wände entschied –, kristallisierte sich diese Frage an den Orten des neuen Videoverleihs. Die Vorwürfe vonseiten der Medienpädagogik sowie der Politik, letztere maßgeblich vertreten durch die CSU, kehrten so in regelmäßigen Abständen wieder und markierten 1985, 1987 und 1989 Auseinandersetzungen zwischen der Branche, der Politik und der Gesellschaft, 21 Die Situation der 1970er und 1980er Jahre soll hier jedoch nicht als Medienumbruch gekennzeichnet werden. Vgl. dazu Kapitel I.1.1 sowie zur Theorie des Medienumbruchs Nicola Glaubitz u. a., Eine Theorie der Medienumbrüche 1900/2000. MuK 185/186, Siegen 2011. 22 Der eher formal genutzte Begriff des Medienensembles ist hier nicht gleichzusetzen mit dem durch Niklas Luhmann geprägten Begriff des Mediensystems, sondern zielt ab auf das zusammenhängende und doch einzelne Operieren von Medien innerhalb einer spezifischen Gesellschaft einer bestimmten Zeit. 23 Der Begriff des devianten Filmprogramms soll stellvertretend und als Sammelbezeichnung für die im später noch darzustellenden Diskurs beanstandeten GewaltVideos der Videotheken einstehen. Er ist somit nicht normativ zu verstehen. Vgl. Johannes-Helge Herrmann, Videokonsum als gesellschaftlich-kulturelles Phänomen. Eine empirische Studie über das Mietverhalten in deutschen Videotheken, BergischGladbach 2002, S. 3.

16 | D IE V IDEOTHEK

die sich erst langsam beruhigen ließen, trotz scharfer Einhaltung der schon 1985 verabschiedeten neuen Jugendschutzbestimmungen. Die Anbindung des Programms der Videotheken an die Strukturen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) wie der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), jenen „[…] Institutionen, die kurz vorher oft mit drastischen und teilweise lebensbedrohenden Etatkürzungen bedacht wurden […]“24, ist ein Ergebnis dieser Prozesse, die räumlich nachzuweisende Ausdifferenzierung der Videotheken in Erwachsenen- und Familienvideotheken ein anderes (Kapitel I.3.5 & 3.7). In einem das historische Kapitel abschließenden Ausblick soll des Weiteren nach der Geschichte der Videothek im zweiten Jahrzehnt ihrer Existenz gefragt werden. Der Beginn der 1990er Jahre zeichnet sich besonders durch die Möglichkeiten eines neuen Marktes aus, der sich durch die Öffnung der Grenze und die sich anschließende deutsche Wiedervereinigung auftat. Hier ging es vordergründig um den Versuch, die Fehler der 1980er Jahre nicht zu wiederholen und das Image der Videothekare, um welches es aus zahlreichen Gründen nicht zum Besten bestellt war, maßgeblich und nachhaltig zu verbessern. Die Geschichte der bundesdeutschen Videothek hingegen sah sich zu Beginn des neuen Jahrzehnts nicht nur neuen externen Konkurrenten ausgesetzt, wie dem Start des neuen Pay-TV-Senders Premiere, sondern außerdem einem internen Konkurrenten in Form der Kaufkassette. Mit den Fragen, die sich die Videothekare mit dem Aufkommen der Kaufkassette stellen mussten, wird die chronologische Entwicklung der Geschichte der Videothek hier enden. Spätestens 1992 war die Videothek als Institution nicht nur vollends in das Medienensemble der Zeit integriert, sondern zugleich durch die hinter ihr stehenden und operierenden Verbände in der Lage, Lösungen zu den dringendsten Problemen der Branche zu erarbeiten und diese im Interesse aller umzusetzen. Video und Videothek waren keine neuen Institutionen im alltäglichen Gefüge des kulturellen Alltags der Bundesrepublik mehr (Kapitel I.3.8 & 3.9). Die sich anschließenden Ausführungen des zweiten Teils dieser Arbeit wenden sich aus einer anderen Perspektive dem Phänomen Videothek zu: Durch den Perspektivwechsel werden die medien- wie kulturtheoretischen Überlegungen, die in einer Auseinandersetzung mit dem Raum der Videothek auftreten, auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft und verallgemeinert.

24 Loest, Die Videokassette, S. XII.

E INLEITUNG | 17

Hierfür müssen die Erkenntnisse des ersten Teils von den Entwicklungen der 1980er Jahre entkoppelt werden. Dies gelingt jedoch nur unter bestimmten Gesichtspunkten: Erschwert wird ein solcher Zugang vor allem durch den Wechsel des Trägermediums von der VHS zur DVD und Blu-ray wie auch durch die Veränderungen in der Medienlandschaft der 1990er und 2000er Jahre, maßgeblich bestimmt durch das Internet und die mit ihm einhergehende Eröffnung völlig neuer Möglichkeiten des Filmkonsums. Der zweite Teil beginnt mit einer ausführlichen Beschreibung der Videothek als Erfahrungsraum, der jenseits aller Spezifika des Ortes allgemeingültige Aussagen über diesen formulieren wird (Kapitel II.1.1). Erst durch die Auseinandersetzung mit dem konkreten Ort der Videothek kann im Folgenden der Schritt unternommen werden, die in ihr vorzufindende mediale Praxis genauer zu untersuchen. Die Bezeichnung der medialen Praxis bezieht sich auf die Frage, was der Nutzer eigentlich macht, wenn er davon spricht, in die Videothek zu gehen (Kapitel II.1.2). Wichtig ist hierbei, festzuhalten, dass der transitorische Raum25 der Videothek streng genommen quer zu den Fragen einer Mediennutzung steht. Zwar nimmt der Kunde die Hüllen26 der Filme in die Hand, liest, betrachtet und informiert sich über das, was er möglicherweise sehen möchte, doch ein Zusammentreffen mit den eigentlichen Medien, dem Video, der DVD oder der Blu-ray27 findet erst statt, wenn der (Auswahl-)Prozess abgeschlossen ist und der Ort wieder verlassen wird. Die Videothek ist daher kein Raum, der sich durch eine Präsentation von Medien auszeichnet, sondern ein Raum der Paratexte des Films, die sonst in keiner anderen Form so zahlreich und dicht an dicht dem Kunden zur Verfügung stehen (Kapitel II.1.3). Die Frage nach den Paratexten des Films soll somit anhand des Raumes der Videothek und als Teil einer räumlich-medialen Praxis dargestellt werden. Wenngleich sich viele der den Raum der Videothek betreffenden Aussagen auch auf die heutigen Geschäfte beziehen lassen, soll doch primär die 25 Der Moment der Transitorität bezieht sich hierbei nicht nur auf den Kunden im Raum der Videothek, sondern gleichwohl auf die in ihr ausgestellte Technik sowie die zu leihenden Filme. 26 Wenn in dieser Arbeit von den Hüllen oder auch Covern der Filme die Rede ist, bezieht sich das sowohl auf die verpackungstechnischen Plastikboxen wie auch das werbende Inlay in ihnen. 27 Wie außerdem der CD bis zum Inkrafttreten des neuen Vermietrechts im Juli 1995 und unterschiedlichen Computerspielen. Auch Hardware kann seit jeher in der Videothek entliehen werden.

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Umbruchphase des Films am Ende der Kinematographie28 zwischen Kino, Fernsehen und Videorecorder ernst genommen werden, die erstmals in den 1980er Jahren einen Ort filmischen Wissens29 schuf, der in solch einer Form vorher nicht existiert hatte. Dieser Umbruch überführte den Film nicht nur in ein völlig neues Zeitalter seiner eigenen Reproduzierbarkeit, sondern darüber hinaus in eine Form der Besitzbarkeit, die nun erst im großen Stil die Figuration des Filmsammlers möglich machte. Obgleich der Sammler nicht an den genuinen Ort der Videothek gebunden ist, ist sein Aufkommen dennoch, wie die Ausführungen aufzeigen werden, eng mit diesem Ort verbunden (Kapitel II.2.1). Da von nun an der Sammler durch den Recorder, die Angebote der Videothek und der Warenhäuser in die Lage versetzt wurde, sein eigenes privates Archiv anzulegen, ist festzuhalten, inwiefern der Raum der Videothek ebenfalls unter der Kategorie des Archivs zu fassen ist (Kapitel II.2.2). Durch ihre Spezifik als ein Ort der Mediendistribution im Übergang, die vor allem unter ökonomischen Gesichtspunkten jene Filme aussortiert, die keinen wirtschaftlichen Ertrag (mehr) versprechen, scheint die Videothek klassischen Definitionen eines unveränderlichen und statischen Archivs entgegenzustehen. Auch findet das Arbeiten mit den Exponaten der Videothek nicht direkt in ihren eigenen Räumen statt. Dennoch kann aufgezeigt werden, wie die Eigenheiten der Videothek den Ort zu einem flexiblen Archiv transformieren, welches seine Bestände nicht nur stetig neu organisiert, sondern diese Rekreation darüber hinaus in einem fortwährenden Austauschprozess mit dem Mediennutzer vollzieht, der durch sein eigenes filmisches Wissen – das sich nicht nur am und durch den Ort der Videothek konstituiert – dieses Archiv stetig über die eigenen Grenzen hinaus weiterdenkt. In einem letzten Schritt ist schließlich zu klären, inwiefern die Bestände der Videothek – sind sie einmal ihrer inhärenten Ordnung entzogen – zu einer unkontrollierbaren Überforderung für den Mediennutzer werden und somit verhindern, die Ausformungen des Films kontrollier- und beherrsch-

28 Vgl. Joachim Paech, Film am Ende der Kinematographie. In: Ralf Schnell (Hrsg.), MedienRevolutionen. Beiträge zur Mediengeschichte der Wahrnehmung, Bielefeld 2006, S. 85-99. 29 Zum Konzept des Ortes filmischen Wissens vgl. Gudrun Sommer/Vinzenz Hediger/Oliver Fahle (Hrsg.), Orte filmischen Wissens. Filmkultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke, Marburg 2011. Die Videothek spielt jedoch in keinem der Aufsätze eine gesonderte Rolle.

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bar zu halten (Kapitel II.2.3). Die konkrete und historische Erscheinung des Kassettenberges soll vor diesem Hintergrund nicht nur auf ihre symbolische Bedeutung hin befragt werden, sondern zugleich darauf, ob sich aus diesem Bild Mechanismen ableiten lassen, die es auch nach den Ordnungskategorien der Videothek gestatten, mit den einst in ihr befindlichen und nun aussortierten Angeboten umgehen zu können. Zentral ist, dass sowohl im zweiten wie auch im dritten Teil dieser Arbeit von den Möglichkeiten der Videothek her gedacht wird, die dem Nutzer zur Verfügung stehen, unabhängig davon, ob der Nutzer sich tatsächlich demgemäß im Raum der Videothek verhält. Eine empirisch-soziologische Untersuchung30, die die Nutzer in Gruppen einteilt und ihr Leihverhalten kategorisiert, wurde nicht unternommen und liegt gleichfalls nicht im Erkenntnisinteresse dieser Arbeit.31 Die zweite Prämisse, die den Überlegungen vorangehen muss, ist jene, dass in den möglichen Antworten auf die gestellten Fragen stets vom Raum der Videothek selbst auszugehen ist, nicht von den bereits etablierten Konzepten der Medien- und Filmwissenschaft. Ziel der Ausführungen ist es also nicht, bekannte Konzepte auf ihre Eignung für eine Beschreibung des Raumes der Videothek zu prüfen, noch sie derart zu reformulieren, dass sie geeignet erscheinen, sondern vom realen Ort der Videothek auf diese Fragen und Begriffe rückschließen zu können, um aufzuzeigen, wie sie sich in situ bilden und transformieren können. Hierbei ist es vor allem Ziel des dritten Teils, explorativ an die Fragen bezüglich der Ausformungen eines filmischen Wissens heranzugehen, wie sie sich durch die und im Raum der Videothek generieren, konkretisieren und transformieren. Die hier ausgewählten Bezugspunkte sind abgeleitet aus den vorherigen Betrachtungen der Geschichte dieser Orte wie auch aus den zu ihnen getätigten kultur- und medientheoretischen Überlegungen. Daher wird zunächst nach möglichen Vorläufern innerhalb der Kino- und Rezeptionsgeschichte des Films gefragt, die der Videothek vorausgegangen sind. In

30 Wie zuletzt Herrmann, Videokonsum als gesellschaftlich-kulturelles Phänomen. 31 Gleichwohl kann der Verfasser auf eine siebenjährige Arbeit in einer Erwachsenenvideothek in Odenkirchen/Mönchengladbach (NRW) zurückblicken. Die dort gemachten Erfahrungen sollen ebenfalls in die Auseinandersetzung mit den hier skizzierten Fragen einfließen. Ebenso wurden während dieser Arbeit zahlreiche Videotheken in Deutschland aufgesucht, um Besonderheiten und Gemeinsamkeiten besser wiedergeben zu können.

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diesem Zusammenhang sollen keine nicht gegebenen Genealogien und Teleologien konstruiert, sondern Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, die den Diskursen und den Ausformungen der medialen Praktiken der Videotheken in den 1980er Jahren (und darüber hinaus) ähneln. Die Kultur des Autokinos der 1950er, der Bahnhofkinos der 1970er Jahre sowie die mediale Praxis der Midnight Movies in den USA im selben Jahrzehnt nehmen Ausformungen der Videothek vorweg, die es gilt, als solche zu erkennen und in Beziehung zu setzen. Alle drei gleichen sich nicht nur in ihrem Rekurs auf ein explizites Genrefilmprogramm, sondern vor allem in ihrem Bezug auf ein deviantes und offen kritisiertes Programm, welches noch durch die Zugangsbeschränkungen und -kontrollen des Kinos zurückgehalten wurde (Kapitel III.1.1-1.3). Eben jene kritisierten Programme respektive die stetig im Mittelpunkt der Kritik stehenden Genres des pornografischen Films, des Horror- und Actionfilms, die nicht nur den Reiz der Videothek ausmachten, sondern gleichsam ihren Ruf schädigten, sollen im Anschluss daran auf einen möglichen Umbruch in den 1980er Jahren hinterfragt werden. Das Ziel dieser Ausführungen ist es, darzulegen, wie sich die Geschichte dieser Genres mit der Geschichte und den technischen Möglichkeiten der Videothek und der Videokassette verbunden hat. Ein Rekurs auf diese Genres ist demzufolge nach 1980 nicht mehr möglich, wenn er die Mittel der Distribution durch die Videokassette auslässt, die sich in diesen Jahren konstituierten und die besonders mit den angesprochenen Genres in eine starke Wechselwirkung traten. Dieses Wechselspiel hatte nicht nur Auswirkungen auf die Ikonografie32 der Genres, sondern gleichsam auf die Fragen der Bildzirkulation, die durch Ausstellung und Rezeption beschleunigt wurde (Kapitel III.2.1-2.2). In einem zweiten Exkurs soll nach der den Film begleitenden Literatur gefragt werden, die ihrerseits Anteil hatte an der Generierung von Ikonografien und mehr war als werbende Vorlust auf die Bilder des Films (Kapitel III.2.3). Da die Videothek durch die ihr gegebenen Möglichkeiten der Distribution eine neue Form der Filmrezeption und damit verbunden eine andere

32 Ikonografie wird hier als eine Ausformung eines filmischen Motivs verstanden, welches besonders durch ein spezifisches Genre geprägt wurde und durch seine stetige Wiederholung und mediale Verbreitung dem Zuschauer vertraut ist sowie sein filmisches Wissen figuriert, dem filmischen Stereotyp und Klischee diesbezüglich oft nicht unähnlich.

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Ausformung der Filmsozialisation schuf, soll anschließend diskutiert werden, inwiefern dies Auswirkungen auf das Filmemachen selbst hatte. So werden die vermeintlichen Auswirkungen und Anzeichen der Postmoderne im Spielfilm, die sich vor allem im Diskursfeld der Filmwissenschaft auf ein Spiel mit den Zitaten anderer filmischer Werke beziehen, auf die technischen Neuerungen des Jahrzehnts zurückgeführt werden. Der Griff in das Archiv der Filmgeschichte erschien aus dem Grund immer häufiger auf der Leinwand, weil dieses Archiv nun überhaupt erst zur Verfügung stand und es erlaubte, Querverweise zu erkennen. Der Rekurs auf das eigene KinoGedächtnis wurde somit durch die Speicherfunktion der Kassette ersetzt. Der Bezug, den Regisseure wie Quentin Tarantino, Roger Avary, Joss Whedon und viele andere durch ihre eigenen Aussagen immer wieder zum Raum der Videothek herstellen, soll hierbei, abseits moderner und durch sie selbst in Gang gesetzter Legendenbildung, hinterfragt werden und gegebenenfalls neue Überlegungen aufwerfen, von denen aus im Anschluss an diese Arbeit weitergedacht werden kann (Kapitel III.2.4). Zentral sind bei einem Ineinandergreifen von Raum und den Formen filmischen Wissens die Überlegungen, wie die Ausformungen von Filmgeschichte am Ort der Videothek konkret erfahrbar werden. Da die Videothek immer nur ein Jetzt, eine Stauchung und ein Nebeneinander statt eines Nacheinanders von Filmgeschichte präsentieren kann, ist hierbei von besonderem Interesse, wie es im ästhetischen Erfahrungsraum der Videothek dennoch zum Einbruch eines historischen Narrativs kommen kann. Ausgehend vom Mediennutzer und seinem schon vorher geprägten Wissen vom Film und seiner Geschichte wird dafür plädiert, dass erst der individuelle Kunde seine private Filmgeschichte mit in die Videothek einbringt, die ihn als eigenes Narrativ durch die Regale des Ortes führt. Das Narrativ der Videothek ist demzufolge nicht auf einer Metaebene zu fassen, sondern konkretisiert sich immer erst in der Anwesenheit des einzelnen Kunden vor Ort, der ihre Bestände wahrnimmt, erfasst und einteilt, um aus ihnen zu selektieren, oder der sich einfach nur an das erinnert, was er schon einmal gesehen hat. Der Gang in die Videothek ist demnach stets eine Konfrontation mit filmischen Erinnerungen, die erst durch die Präsenz in diesem Raum wieder reaktualisiert und erneut in Bezug gesetzt werden (Kapitel III.3.1). In einem letzten Schritt wird erörtert, ob sich die Kategorien eines bestimmten Redens über den Film, wie es sich im Kanon, Star und Autor wiederfinden lässt, im Raum der Videothek konkret erfahren lassen, oder ob ei-

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ne Kategorienbildung nur als Verlängerung von bereits durch den Erfahrungsraum Kino präfigurierten Konzepten zu verstehen ist. Auch hier wird, ausgehend vom Raum der Videothek, seinen Auslagen und Ordnungssystemen gefragt werden, ob diese Kategorien durch das sichtbar werden, was den Mediennutzer bei seinem Gang in die Videothek erwartet, oder ob es nicht den Eigenheiten des Ortes obliegt, diese Kategorien abseits der schon vorgegebenen Mechanismen des Kinos zu erweitern respektive in einem neuen Zusammenhang erfahrbar werden zu lassen (Kapitel III.3.2-3.4). Die häufig gestellte Frage nach dem Ende der Videothek soll im abschließenden Kapitel dieser Arbeit kritisch hinterfragt werden. So wird auf der einen Seite aufgezeigt, inwiefern die aktuellen Konkurrenzsysteme, die von einem Niedergang dieser Kultur sprechen, immer schon Teil der Geschichte dieser Institutionen waren. Konkurrenten durch Automatenvideotheken und Video-on-Demand-Systeme hat es schon vor der Konkurrenz durch das Internet gegeben. Genau mit diesen Möglichkeiten sogenannter Internetvideotheken wird durch einen kurzen Vergleich gezeigt, wie sich die Praxis der Videothek nicht nur maßgeblich von Mechanismen der Selektion im Internet unterscheidet, sondern die virtuelle Auswahl eines Films zu einem Prozess degradiert, der viele der im physischen Raum der Videothek erfahrbaren und beschriebenen Mechanismen als Teil ihrer medialen Praxis ersatzlos hinter sich lässt. Obwohl dieser Blick nicht immer frei sein kann von einer prägenden Form der Mediennostalgie, könnte aus dieser Auseinandersetzung zwischen realem und virtuellem Raum eine Ausgangsbasis gefunden werden, die es erlaubt, die vorher noch am konkreten Raum sichtbar gewordenen und beschriebenen Praktiken auf die Möglichkeiten des Internets zu übertragen (Kapitel IV.1.-2.). Dem jedoch zu viel Bedeutung zukommen zu lassen zu einem Zeitpunkt, an welchem der reale Ort der Videothek noch existiert und sich als Raum filmischen Wissens erfahren lässt, wäre allen Bedenken und Einsprüchen gegen das Fortbestehen der Videotheken zum Trotz nicht nur verfrüht, sondern käme einer teleologischen Wandlung eines nicht kontingenten Vorgangs ins Faktische gleich. Das in regelmäßigen Abständen beschworene Ende33 eines älteren Mediums zeigt lediglich an, dass sich die Videothek in guter Gesellschaft befindet. 33 Vgl. dazu Thomas Elsaesser, Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino, Berlin 2009, S. 11 sowie Jan Distelmeyer, Das flexible Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD und Blu-ray, Berlin 2012.

I. Geschichtliche Entwicklung einer neuen Institution 1. D IE V IDEOKASSETTE –

EIN NEUES

M EDIUM

ETABLIERT SICH 1.1 Die Möglichkeiten des Mediums Schon im Namen des Mediums steckt ein Hinweis auf seine individuelle Nutzung, der es im Spannungsfeld zwischen den Polen Spezifik und Gebrauch1 zu charakterisieren scheint: Seinen Ursprung im Lateinischen nehmend, ist es die erste Person Singular, die hier in Aktion tritt; ein einzelner Mediennutzer, der seinen Erfahrungshorizont, seine Erlebniswelt und zugleich auch seine politischen und künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten mittels Video steigern und erweitern kann.2 Zwar kann dies auch alles im Kollektiv und in der Gemeinschaft geschehen und somit aus dem Singular ein Plural oder gar Kollektivsingular werden, doch schienen Video schon von Beginn an starke Parallelen zur Nutzung des Mediums Buch innezuwohnen, welche durch die Techniken des privat eingesetzten Videorecorders

1

Zum Gegeneinander dieser Positionen und den Überlegungen zu einem möglichen Weg aus diesem Dilemma in der Medienwissenschaft vgl. Hartmut Winkler, Die prekäre Rolle der Technik. In: Claus Pias (Hrsg.), Medien I. Dreizehn Vorträge zur Medienkultur, Weimar 1999, S. 221-238 sowie Madeleine Akrich, Die De-Skription technischer Objekte. In: Andréa Belliger/David J. Krieger (Hrsg.), ANThology, Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2006, S. 407-428.

2

Zur Spezifik des Mediums Video vgl. David Antin, Video: The distinctive features of the medium. In: John G. Hanhardt (Hrsg.), Video Culture. A critical investigation, Layton/Utah 1986, S. 147-166 sowie Wolfgang Ernst, Gibt es eine spezifische Videozität? In: Adelmann/Hoffmann/Nohr, REC - Video als mediales Phänomen, S. 14-29.

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nur verstärkt wurden. Unabhängig von späteren Diversifikationen der Funktionen, der technischen Fortentwicklung und den möglichen Einsatzbereichen meint Video in den 1970er und 1980er Jahren in einem engeren Sinne ein elektronisches Verfahren zur Aufzeichnung, Speicherung und sofortigen oder zeitversetzten Wiedergabe von Film- und Fernsehbildern mitsamt Ton auf einem Magnetband.3 Während die ersten Forschungen und Entwicklungen des Mediums4 sich aus dem Sektor des Militärischen heraus extrapolierten und dabei die von Paul Virilio5 und Friedrich Kittler6 so oft dargestellte Verbindung von Medienentwicklung und Kriegstechnologie aufweisen, wird Video im öffentlichen Diskurs auf den ersten Blick gemeinhin oft der Status eines eigenen Mediums verwehrt. Video, so liest man, wird entweder dem Fernsehen als bloßes Supplement oder dem Film beziehungsweise der Kinematografie „nach ihrem Ende“7 zugerechnet, auch wenn schon deutlich wird, dass es sich hierbei um zwei unterschiedliche, wenn auch ähnliche Nutzungsweisen handelt, die in einer Differenz zu den Vergleichsmedien deutlicher zu Tage treten. Gerade die Verbindung und Genealogie zwischen Fernsehen und Video sind in den frühen Diskursen zum Thema Kassetten-Fernsehen, wie die neue Videotechnik in den 1970er Jahren meist noch genannt wurde und sich als eigenständiges Medium etablieren konnte, immer wieder zu finden, bestand doch die Idee darin, durch sie völlig neue Typen von Fernsehzuschauern entwerfen zu können.8 Die Industrie sah daher in den 1960er/ 1970er Jahren auch noch keine Schaffung einer drohenden Konkurrenzsituation, sollte doch das „neue Medium […] das alte ergänzen und nicht ersetzen“9. Dass somit noch nicht abzusehen war, in welche Richtungen sich das neue Medium entwickeln würde, ja noch nicht einmal die Bezeichnung Vi-

3

Vgl. Walter Uka, Video. In: Werner Faulstich (Hrsg.), Grundwissen Medien. Vierte Auflage, München 2000, S. 392-412.

4

Vgl. Albert Abramson, Video Recording: 1922 to 1959. In: Siegfried Zielinski (Hrsg.), Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader, Frankfurt u. a. 1992, S. 35-58, hier: S. 36.

5

Vgl. Paul Virilio, Krieg und Kino. Logistik der Wahrnehmung, Wien 1986.

6

Vgl. exemplarisch: Friedrich A. Kittler, Aufschreibesysteme 1800 1900. Dritte, überarbeitete Auflage, München 1995.

7

Vgl. Paech, Film am Ende.

8

Vgl. Hahn/Otto/Pethes, Emanzipation oder Kontrolle?, S. 226.

9

Ebd., S. 228.

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deo respektive Videokassette aktuell war, wird alleine durch das Kompositum Kassetten-Fernsehen deutlich.10 Durch diese Bezeichnung, die das etablierte Fernsehen und die Neuerung der Speicherung, die Kassette, zu einem neuen Zwittermedium zusammensetzte, schuf die Industrie ein Abhängigkeitsverhältnis von Fernsehen und Video, welches nicht sui generis in der Technik des Mediums, sondern in seinem Gebrauch begründet liegt. An einen Einstieg der Filmindustrie ins Videogeschäft respektive die Verbreitung von Kinofilmen auf dem neuen Medium war noch nicht zu denken. Auf die Verbindung von Videokassette und Fernsehen, gerade in Zusammenhang mit der Möglichkeit der Aufzeichnung über die neue Technik des Videorecorders, wird noch zurückzukommen sein, schien sich auch diese zuerst in eine Genealogie der televisuellen Medien einzuordnen. Interessanter ist aber in Bezug auf die Mediengeschichte des Videos das Zusammenspiel von Utopien und Hoffnungen, die man, wie so oft mit dem Aufkommen einer neuen Technik, in das neue Medium gesetzt hatte und der eigentliche Gebrauch und vorläufige Endpunkt, den die Nutzung de facto erreichte, als seine Etablierungsphase abgeschlossen war. Die Phase dieser Formierung konnte auch erst dann beginnen, als der Mediendiskurs sich signifikant änderte und es zu einer Abkoppelung des Mediums vom alten Bezugspunkt Fernsehen kam, durch die es sich selbst als neues und eigenständiges Medium etablierte. Nicht zuletzt durch diesen Trennungsprozess und durch den Beginn des Videozeitalters 1980 verlor es seine vorher noch durchweg positive Konnotation.11 Im Folgenden soll es nun darum gehen, aufzuzeigen, wie sich das Medium Video diversifiziert hat und zu völlig verschiedenen Gebrauchssituationen gelangte. Wichtig ist besonders der Wechsel von einem unabhängigen und aktiven Alternativmedium zu einem passiven Konsumgegenstand, den es hier gilt, nachzuzeichnen. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit hätte nicht größer sein können. An der Entwicklung des Mediums Videokassette, die man auf die späten 1970er und frühen 1980er Jahre datieren kann, vollzieht sich das, was mit Irmela Schneider und Cornelia Epping-Jäger als Umbau dispositiver Ordnungen bezeichnet werden kann:

10 Vgl. Klaus von Bismarck u. a., Zum Thema Kassettenfernsehen, Köln 1971. 11 Ebd., S. 229.

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„Mit der Bezeichnung des Umbaus soll angezeigt werden, dass es nicht unbedingt um Zeiten eines grundlegenden Medienumbruchs geht, sondern dass wir uns auch für solche Veränderungen interessieren, die eher unscheinbar sind, sich nebenbei ergeben, die aber in ihren Effekten nicht minder nachhaltig sein können als der offenkundige und weithin sichtbare Wandel.“12

Damit nehmen sie auch den Gegensatz von Spezifik und Gebrauch eines Mediums auf und suchen – im Rekurs auf die Ergebnisse der AkteurNetzwerk-Theorie – einen Mittelweg zwischen den scheinbar unvereinbaren Positionen, da auch hier gilt, dass „weder ein technisches Apriori noch die Nutzungsweisen, die Nutzer erproben, […] je für sich ein mediales Dispositiv“13 konstituieren. Unter diesen Gesichtspunkten untersucht Christina Bartz die Umbauten, die das Dispositiv Video zwischen 1970 und 1980 erfahren hat und die letzten Endes zum Aufkommen der ersten Videotheken führen sollten.14 In Rekurs auf die Arbeiten Zielinskis sowie ihre kurze Diskursanalyse der Zeitschrift Medium untersucht sie jene „Umstellung von Video als Medium der interaktiven Kommunikation und dezentralen Partizipation zu einer Distributionsapparatur“15. Zurückgreifend auf ältere Medientheorien der Partizipation, wie sie früh von Berthold Brecht16 und später von Hans Magnus Enzensberger17 formuliert wurden, sahen euphorische Mediennutzer nun in der Videotechnologie ebenfalls den schon für den Rundfunk geforderten Wechsel vom Kommunikationsapparat zum Distributionsapparat. Die Unmittelbarkeit der Bilder, die nicht erst durch einen chemischen Prozess sichtbar gemacht werden mussten, die einfache Handhabung der immer kompakter 12 Irmela Schneider/Cornelia Epping-Jäger, Einleitung. In: dies. (Hrsg.), Formationen der Mediennutzung III. Dispositive Ordnungen im Umbau, Bielefeld 2008, S. 7-13, hier: S. 7. 13 Ebd., S. 8. 14 Vgl. Christina Bartz, Video. Vom Alternativfernsehen zum Massenmedium. In: Irmela Schneider/Cornelia Epping-Jäger, Formationen der Mediennutzung III, S. 133146. 15 Ebd., S. 135. 16 Vgl. Bertolt Brecht, Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. Aus einem Referat [1932]. In: ders., Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Band 21, Frankfurt am Main 1992, S. 552-557. 17 Vgl. Hans Magnus Enzensberger, Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20/1970, S. 159-186.

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werdenden Kamera18, deren Bedienung von jedem leicht zu erlernen war, sollten nun die Möglichkeiten ausbilden, die nötig waren, dem zur Passivität verdammenden Einfluss des Leitmediums Fernsehen zu entgehen. Die emanzipatorische Kraft der Medien und deren Möglichkeiten19 sollten freigesetzt werden: „Unser Fernsehen“ sollte die neue Parole für ein audiovisuelles Medium „von unten“20 sein. Dass es dabei, wie so oft in Bezug auf Medien und deren Gebrauch, um die Zirkulation und die Veränderung von Machtstrukturen ging, ist offensichtlich.21 Mittels des Videobandes, dessen großer Vorteil eben auch in der Löschung des Inhaltes und erneuten Bespielbarkeit des Materials bestand, sollte eine neue Form der Teilnahme an den Medien, der Wirklichkeitsgestaltung und in letzter Konsequenz auch der Demokratie22 herbeigeführt werden, die von ihrer Seite aus Rückkopplungseffekte auf die aktuelle Politik zuließ. In einer Art Gegenöffentlichkeit, die „prozeß- und nicht primär produktorientiert“23 sein wollte oder in einer Form des Gegenfernsehens agierte, sollten die Mediennutzer dank der Mobilität des Mediums und der leicht transportablen Geräte vor Ort und in situ für Aufklärung von Missständen agieren.24 Das verwackelte und oft unscharfe Bild der Vi-

18 Die nebenbei auch ein Grund für die schnelle Durchsetzung der neuen Technik in der Videokunst war; vgl. dazu Spielmann, Video, S. 136-139. 19 Vgl. Enzensberger, Baukasten, S. 160 und 171. 20 Christiane Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium? Kommunikationsfreiheit oder Kommerz?. In: Michael Wolf Thomas (Hrsg.), Die lokale Betäubung oder der Bürger und seine Medien, Bonn 1981, S. 96-110, hier: S. 97. 21 Besondere Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang der Fall Rodney King im März 1991 in Kalifornien/USA. Polizisten wurden dabei gefilmt, wie sie äußerst brutale und scheinbar willkürliche Gewalt gegen den Farbigen einsetzten. Der Mediennutzer dreht mit der Beobachtung der eigentlichen Beobachter die etablierte Machtsituation um und scheint seinerseits nun gewünschtes Verhalten der Gesetzeshüter evozieren zu können, wenn diese nun jederzeit latent beobachtet werden könnten und ihr Verhalten anhand der Aufzeichnung rechtfertigen müssten; vgl. John Fiske, Videotech. In: Ralf Adelmann/Jan O. Hesse/Judith Keilbach u. a. (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse, Konstanz 2001, S. 484-502. 22 Vgl. Richard S. Hollander, Video Democracy. The Vote-from-Home Revolution, Mount Airy/Maryland 1985. 23 Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium?, S. 98. 24 Meist bezogen sich diese neuen Entwicklungen auf den US-amerikanischen und europäischen Raum (mit Ausnahme mancher Entwicklungen in China und Japan), sodass eine ähnliche Medien-Revolution zurzeit erneut virulent ist und in den sogenannten Entwicklungsländern heute mittels besserer Technologie stattfindet.

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deokamera wurde innerhalb dieser Entwicklung zum Merkmal von Authentizität und unmanipulierter Wahrheitswiedergabe, das unabhängig von den Sendeanstalten operierte und ebenso wie die Fotografie zu einem neuen Diskurs der Bilder und um deren innewohnende Kraft führte.25 Der Videofilmer sollte zum „Journalisten in eigener Sache werden“26, dessen Aufnahmen den Auslöseeffekt für weitere Öffentlichkeitsaktionen und – soweit nötig – den Beginn einer Problemlösungssuche ausmachten. Im Zentrum dieser Aktionen standen oftmals die Nachbarschaft und die lokale Gemeinschaft, die mit ihren Anliegen in den großen Sendeanstalten keinen Platz im Programm fanden. Video wurde so zum neuen „Stadtteilmedium“27, dessen kurze Reichweite nicht als Problem, sondern als Möglichkeit gesehen wurde, gerade die Leute zu adressieren, die es im Umfeld konkret betraf. Die Folgen dieser Vorhaben waren Gründungen von Videoclubs und Interessengemeinschaften, die in Video die neuen Möglichkeiten einer dezentralen Informationsquelle sahen. Diese Einrichtungen standen oft in einer engen Verbindung zu den neuen Jugendbewegungen Anfang der 1980er Jahre, wie den AntiAtomkraft- und Umweltinitiativen oder aber engagierten Einzelprojekten zur Jugendarbeit, Ausländerintegration, Lehrerfortbildung, Drogenhilfe und Seniorenarbeit.28 Besser organisiert als der einzelne Videofilmer, bündelten sie die gemeinsamen Aktionen und führten sie der öffentlichen Diskussion Vgl. dazu Peter Zimmermann, Camcorder Revolution – Videoaktivisten und internationale Öffentlichkeit. In: Harro Segeberg (Hrsg.), Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien, Marburg 2009, S. 256-261. 25 Inzwischen sind diese Bilder – heute natürlich unter digitalen Vorzeichen – ins kulturelle Gedächtnis eingegangen. Angefangen bei den oben erwähnten Bildern des Rodney-King-Falls bis hin zu den verwackelten Aufnahmen des 11. September 2001, über die Tsunami-Katastrophe 2004 hin zu den Aufständen im Iran nach der Präsidentschaftswahl 2009. Es sind hier nicht nur die Medien und die Presse, die diese Bilder brauchen und nutzen (vgl. in Bezug auf die Tsunami-Katastrophe: Marcus Krause, Vom „Weltbeben“ zur „Spendenflut“. Die Tsunami-Katastrophe des 26. Dezember 2004. In: Irmela Schneider/Christina Bartz (Hrsg.), Formationen der Mediennutzung I. Medienereignisse, Bielefeld 2007, S. 119-137, hier: S. 128 ff.), sondern auch die Nutzer selbst, die diese Bilder zirkulieren lassen und über Onlineplattformen wie YouTube einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen. Der Mediennutzer wird damit zum Not-Reporter vor Ort oder aber zu einer Gruppe Ersatzpaparazzi der populären Presse, die unter dem Kompositum des Leserreporters Bilder von Prominenten und denen, die sich dafür halten, schießen. 26 Vgl. Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium?, S. 98. 27 Ebd., S. 100. 28 Vgl. ebd., S. 101.

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zu. Da man kaum über eigene Sendeanstalten oder Kabelnetze verfügte, sollte das neue Wissen durch die Zirkulation der Videokassette erreicht werden, die durch direkten und persönlichen Tausch auf der Straße oder durch die Versendung per Post29 in Umlauf gebracht werden sollte. Angetrieben werden sollten diese Form der Zirkulation durch die Fähigkeit zum Respons des Adressaten, der sich mittels der eigenen Videotechnik zum Gesehenen verhalten konnte, Stellung bezog und so zunehmend autonom wurde von den Vorgaben der anderen Medien. Der hier vorliegende Unterschied zur massenmedialen Distribution durch den Rundfunk wandelte „die ,push‘-Dienste des Fernsehens in ,pull‘-Angebote von Video“30. Die in das neue Medium gesetzten Hoffnungen schienen sich auch dann zu bestätigen, als die Videokassette zunehmend in Bildungsanstalten, in VHS-Kursen und im Schulunterricht ihren Einsatz fand und das Vorhaben unterstützte, Wissen und Informationen an die breite Masse weiterzugeben. Als audiovisuelle Ergänzung zum Schul- und Lehrbuch – oder vielleicht besser: als audiovisuelle Umsetzung desselbigen – stellte sie damit eine neue alternative und vielleicht auch einfachere Form der Wissensvermittlung dar, die sich den Wünschen und Vorgaben der Lehrenden anpasst. Schon die Form der Kassette, mit oder ohne schützende Plastikhülle im eigenen Regal, stellt sie im wahrsten Sinne des Wortes neben das Buch und diesem womöglich gleich.31 Hahn, Otto und Pethes weisen in ihrem Aufsatz zur Medienentwicklung des Videos darauf hin, dass der Diskurs um Video, in welchem sich die emanzipatorische Dimension des Mediums meistens abspielte, auf zwei Ebenen verlief.32 Dies umfasst auf der einen Seite einen gesellschaftspolitischen Aspekt, auf der anderen Seite einen ästhetischen. Hierbei erhielt der gesellschaftspolitische Aspekt, der vor allem mit der Idee des Gegenfernsehens einherging, die dominantere Rolle, die trotz scheiternder Durchsetzung eine Genealogie vorzeichnet, die sich Mitte der 1980er Jahre bis hin zu den ers-

29 Der Weg über den Postverkehr ist dabei eine Form der Distribution, der sich seit wenigen Jahren auch die Online- und Bestellvideotheken anschließen, um gerade mittels der leichteren und gut zu transportierenden DVD dem Kunden den Film direkt nach Hause liefern zu können. 30 Bartz, Video, S. 141. Oder, mit Antin gesprochen, änderte sich hier „the most basic […] relation between ‚sending‘ and ‚receiving‘“; Antin, Video, S. 149. 31 Vgl. dazu Kapitel I.2.2 dieser Arbeit. 32 Hahn/Otto/Pethes, Emanzipation oder Kontrolle?, S. 226 ff.

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ten Öffentlichen Kanälen und deren Alternativprogramm ziehen lässt. Schien eine Form des Gegenfernsehens mittels des Austausches von Videokassetten wenig erfolgversprechend, machte man demnach einfach richtiges Fernsehen und bediente sich der Sendetechniken, die meist durch die großen Sender vorhanden waren.33 Die enttäuschten Utopien des Radios, die sich vor allem noch im Amateurbereich wiederfanden, schienen sich damit durch die Medien Fernsehen und Video zu reaktualisieren und zu konkretisieren. Ein anderer gesellschaftspolitscher Aspekt des Mediums Video, der hier nur am Rande erwähnt werden soll, ist die Verwendung der Technik als ein Instrument der Überwachung34 und damit der sozialen Kontrolle: Die direkte und zeitgleiche Übertragung des elektronischen Bildes erlaubte den Einsatz von Überwachungskameras an vielen Orten des öffentlichen Lebens, wie Einkaufszentren und deren einzelnen Geschäften, in öffentlichen Gebäuden und auf Plätzen. Sollten sie auf der einen Seite Sicherheit erzeugen, sodass der Bürger und Kunde nicht allein gelassen wird, erzeugten sie doch auf der anderen Seite gerade bei ihrer Einführung und den sich anschließenden rechtlichen und ethischen Diskursen eine Form der Überwachung, die nur allzu deutlich an Michel Foucaults in Anlehnung an Jeremy Bentham entwickeltes Modell des Panoptikums35 erinnerten und diesem eine neue Dimension hinzufügten. Literarische Schreckensvisionen einer technisierten, den Menschen degradierenden oder gar vergessenden Zukunft, wie man sie aus Aldous Huxleys Brave New World (1932) und George Orwells 1984 (1949)36 kannte, drohten hier eine neue Aktualität zu gewinnen. Gerade das Schlag33 Die Offenen Kanäle sind vor allem in ihrer frühen Gestalt im Jahr 1984 eine Form von Gegenfernsehen, die in ihrer Radikalität nur von Alexander Kluges Antifernsehen noch übertroffen wurden; vgl. dazu Christian Schulte/Winfried Siebers (Hrsg.), Kluges Fernsehen. Alexander Kluges Kulturmagazine, Frankfurt am Main 2002 sowie Matthias Uecker, Anti-Fernsehen? Alexander Kluges Fernsehproduktionen, Marburg 2000. 34 Vgl. dazu unter anderen Leon Hempel/Jörg Metelmann (Hrsg.), Bild – Raum – Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt am Main 2005 sowie Dietmar Kammerer, Bilder der Überwachung, Frankfurt am Main 2008. 35 Vgl. Michel Foucault, Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Aus dem Französischen übersetzt von Walter Seibel, Frankfurt am Main 1994, S. 251. 36 Vgl. Aldous Huxley, Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft, Frankfurt am Main 2011 sowie George Orwell, 1984. Mit einem Vorwort von Thomas M. Disch, München 2010.

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wort des Orwellschen Big Brother wurde zu einem die Diskussionen bestimmenden und zugleich emotional aufladenden Topos, der die Debatte über Überwachungskameras und Bildschirmherrschaft zu bestimmen schien. Darüber hinaus ließ sich gerade im vergangenen Jahrzehnt eine eigentümliche Umkehr der Erfahrungen mit der befürchteten totalen Überwachung erkennen. Wurde die geheime Überwachung immer schon für die Unterhaltung eingesetzt – man denke hierbei nur an Samstagabendformate wie VERSTEHEN SIE SPAß?37 (seit 1980 im deutschen Fernsehen) –, erreichte diese Verbindung mit dem Start der ersten BIG BROTHER-Staffel 2000 ihren Höhepunkt. Begleitet wurde die Sendung zwar erneut von ethischen, juristischen und kulturtheoretischen Diskussionen38, dennoch schienen diese Fragestellungen schnell mit dem und in Bezug auf den Attraktionsgehalt und Unterhaltungswert der Sendung zu verblassen. Doch gerade in jenen Zeiten, in denen die Videoüberwachung nur noch einen geringen Teil der Instrumente einer sozialen Kontrolle darstellt, die zunehmend auch von Privatpersonen genutzt werden und sich nicht nur mehr auf öffentliche Einrichtungen (und ebenso deren Kontrollmechanismen) beschränken, scheint hierbei eine gewisse Normalisierung bezüglich des öffentlichen Diskurses eingetreten zu sein.39 Neue Instrumente wie Geotracking, die Ortung über das Mobiltelefon und andere GPS-Systeme werden, so scheint es, weit weniger emotional diskutiert als die Einführung der sehenden Überwachung durch die Videotechnologie im öffentlichen Raum. Primat der Diskussion um die Auswirkungen der sozialen Kontrolle waren eher die Versuche der Bundesregierung, Online- und Computerdaten verdächtiger Personen einzusehen und zu überwachen, die Furcht also vor der Überwachung durch den Staat, als durch den

37 Die Idee war dabei nicht neu, basierte die Sendung doch auf der 1960 durch den NDR ins deutsche Fernsehen gekommenen Show VORSICHT KAMERA! (1961-1992) mit Chris Howland. 38 Vgl. dazu Friedrich Balke/Gregor Schwering/Urs Stäheli (Hrsg.), Big Brother. Beobachtungen, Bielefeld 2000 sowie Lutz Ellrich, Gefangen im Bild? „Big Brother“ und die gesellschaftliche Wahrnehmung der Überwachung. In: Leo Hempel/Jörg Metelmann (Hrsg.), Bild – Raum – Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels, Frankfurt am Main 2005, S. 35-50. 39 Ein erneute – fast möchte man sagen kurzweilige – Aktualisierung erfuhr die Debatte nach den Terroranschlägen des 11. Septembers und den folgenden auf europäischem Boden, indem die Möglichkeiten der Technik verbessert und vermehrt eingesetzt werden sollten.

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anderen Mitmenschen.40 Serien wie VERONICA MARS41 machen daraus ein Spiel mit den Möglichkeiten der Ortung und Überprüfung von Menschen, wenn diese Mittel als Instrumente der Arbeit einer noch die Highschool besuchenden Privatdetektivin eingesetzt werden. So zeigt das Fernsehen auf, was möglich ist, ohne jedoch einen kritischen Standpunkt zu diesen Möglichkeiten zu formulieren. Die Überwachung durch Video und die anderen Mittel, die durch neue Medien zur Verfügung gestellt wurden, dienen weiterhin der Unterhaltung, nicht jedoch der Erzeugung von Furcht.42 Der ästhetische Diskurs um das neue Medium Video und die ihm inhärenten Möglichkeiten spielte sich hingegen auf der Ebene der inszenatorischen Arbeit ab. Gerade die Umwandlungen in Bezug auf die Arbeit mit Video als der neuen Formation des Mediums Film, das kurzerhand unter dem vielversprechenden Neologismus Vilm zusammengefasst wurde, spielt hier eine tragende Rolle; Vilm machte es nun nicht nur möglich, ein eigenes alternatives Fernsehprogramm zu gestalten, sondern ebenso, selber Filme zu machen, die einem Narrativ folgten und in den Bereich der fiktionalen Produktionen gehörten. Die Einsatzmöglichkeiten, die der Mediennutzer durch die Handhabung des Super-8-Systems kannte, sollten so erhöht und verbessert werden. Der Superversion, so Zielinski, war damit die Möglichkeit gegeben, zur Subversion zu werden.43 Dies umfasste eine Reihe von Filmkünstlern aus den Bereichen des Autorenkinos, so besonders Jean-Luc Godard und Niklaus Schilling. Godard ging in seiner frenetischen Elegie auf das Medium sogar so weit, seiner Abkehr vom Medium Film (also Produkt der Kinematografie) in seinem Werk WEEKEND (F, 1967) im letzten Bild des Films Ausdruck zu verleihen, wird doch das abschließende „Fin“ durch ein „du cinéma“ ergänzt. Damit wird nicht nur der Eindruck evoziert, dass eine Ge-

40 Sowie auch die Frage, ob das Abhören unter Verdacht stehender Bürger auch in den heimischen vier Wänden gestattet sei. Die reaktualisierte Diskussion erhielt vor allem 2004/2005 unter dem Schlagwort des Großen Lauschangriffes Eingang in die zeitgenössische Presse. 41 Die US-amerikanische Serie von Serienschöpfer Rob Thomas lief von 2004 bis 2007 im Fernsehen und wurde danach abgesetzt. 42 Eine der einfachsten Formen einer medialen Kontrolle ist die Nutzung sogenannter Payback-Karten, die sichtbar werden lassen, was der betreffende Kunde zu welcher Zeit in welchen Mengen wo eingekauft hat. Die Rückerstattung kleiner Prämien durch ein Punktesystem könnte hier die Bedenken gegen diese Form der Einkaufskontrolle auslösen. 43 Zitiert nach Hahn/Otto/Pethes, Emanzipation oder Kontrolle?, S. 231.

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schichte zu Ende erzählt wurde, die nun neu begonnen und anders erzählt werden kann, sondern auch, als sei hiermit eine Evolution abgeschlossen, die nur diesen teleologischen Verlauf hätte nehmen können. Auch die Fortführungen des New American Cinema, vertreten durch Regisseure wie Stan Brakhage und später Richard Kern im Zuge des cinema of transgression44, nutzten die neue Technologie für ihre zuweilen eigensinnigen experimentellen Projekte.45 Diesbezüglich kam es mit dem Einzug der Videobilder in die Filme mehr und mehr zu einer Diffusion zwischen Filmund expliziter Videoästhetik.46 Eine Eigentümlichkeit, die sich vor allem in den letzten Jahren seit der Etablierung des digitalen Films und der Verbreitung der DVD als neuem Trägermedium abzeichnet, ist eine Rückkehr der typischen Videobilder der 1980er Jahre in aktuellen Filmen, die aus einer Verquickung von Narration und sich erinnernder Bildästhetik resultiert.47 Gerade das Genre des Horrorfilms hat seit dem Achtungserfolg des Independentfilms THE BLAIR WITCH PROJECT48 die verwackelten Bilder der Videokamera wieder für sich entdeckt. So geht es auf der einen Seite um die Wiedergabe des Authentischen der Bilder – nicht umsonst spielen viele Horrorfilme vor der Titelsequenz mit der Einblende, dass Folgendes auf einer wahren Begebenheit basiere –, sondern auch um die direkte Erfahrung des Inszenierten. Der Widerspruch des Realen im fiktiven Film soll damit entkräftet werden. Nun wird diese Evidenz des Bildes, wie sie schon beim Rodney-King-Fall betont wurde, in einen Modus der fiktiven Zeugenschaft erhoben, die gerade aus diesem Merkmal des Authentischen Angst und Ekel erzeugen will. Die Bilder sind nicht mehr nur verwackelt und weisen genuine Störungen eines hektisch aufgenommenen Bildes auf, sondern setzen de-

44 Zum Cinema of transgression vgl. Jack Sargeant, Deathtripping. The Cinema of Transgression, London/San Francisco 1999. 45 Brakhage nutzte für seine Filme nicht ausschließlich Video, sondern wechselte zwischen den Medien, um viele seiner Filme dennoch direkt und im wahrsten Sinne mit dem Zelluloid selbst zu gestalten. 46 Vgl. Kay Hoffmann, Videoästhetik und Film vor 1990. In: Harro Segeberg (Hrsg.), Film im Zeitalter Neuer Medien I: Fernsehen und Video. Mediengeschichte des Films. Band 7, München 2011, S. 99-109. 47 Vgl. dazu: Tobias Haupts, Mind the Tape. Der Horror in/der Echtzeit. In: ders./Isabell Otto (Hrsg.), Bilder in Echtzeit. Medialität und Ästhetik des digitalen Bewegtbildes. AugenBlick. Marburger Hefte zur Medienwissenschaft 51/2012, S. 5062. 48 THE BLAIR WITCH PROJECT; R: Daniel Myrick/Eduardo Sánchez, USA 1999.

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monstrativ auf das eingeblendete REC-Zeichen49 wie auch den Ladezustand des Kamera-Akkus und die Datums- und Tageszeit, die suggerieren, dem Ablauf in Echtzeit zu folgen.50 Dass es sich in dieser Hinsicht nicht um einen VEffekt im Brechtschen Sinne handelt, scheint evident, selbst wenn das Bild damit zeigt, dass es sich um eine Aufnahme handelt. Diese Filme sorgen somit nicht nur für eine Rückkehr des Videobildes im Horrorfilm, sondern zeigen auch gleichzeitig erneut die oft in den Vordergrund der Medienkritik gestellten Verbindungen von Video(-Kassette) und Horrorfilm auf.51 Fast schon, so könnte man meinen, erhalten heute im Zeitalter der DVD und Bluray die Erinnerungen an die Diskurse des Horrorfilms ihre Rückkehr in einem vermeintlichen Videobild, wie es Authentizität und Realismus anderer Form in das Genre hineintragen möchten. Während all diese Ausformungen des Mediums Video nicht den von Schneider und Epping-Jäger aufzeichneten Modus eines Umbaus formulieren, sondern lediglich weiter die Differenz von Spezifik und Gebrauch anhand eines Mediums aufzeigen, ist der Umbruch vom Gegenmedium hin zu einem Unterhaltungsmedium, wie er von Bartz dargestellt wurde, entscheidend. Während auf diesen Umbruch zwischen dem Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre noch zurückzukommen sein wird, soll hier kurz noch eine andere Möglichkeit dieses Wechsels dargestellt werden, der die produktive Kraft des Mediums zwar aktualisiert, die Utopien und Hoffnungen der 1970er Jahre jedoch ähnlich pervertiert wie der Umschwung des Mediums auf den Sektor der Heimunterhaltung. Im Mittelpunkt der Umschreibung der Geschichte des Mediums in seiner Fortentwicklung der Videobewegungen der 1970er Jahre steht ebenso wie dort der Laie als Figuration des Mediennutzers.52 Dass der Laie ein ernstzunehmender Faktor im

49 So dauerte es auch nicht lange bis der erste Film dieser Machart die invasive Evidenz des aufgenommenen Bildes im Titel trug: vgl. REC; R: Jaume Balagueró/ Paco Plaza, E 2007. 50 Vgl. Haupts, Mind the Tape, S. 53 ff. 51 Vgl. Christina Bartz, „They are infected – with Rage“. Mediengewalt in „28 days later“. In: Marcus Krause/Nicolas Pethes (Hrsg.), Mr. Münsterberg und Dr. Hyde. Zur Filmgeschichte des Menschenexperimentes, Bielefeld 2007, S. 277-294. 52 Die Kultur und Figuration des Laien ist dabei eine höchst interessante und ambivalente Erscheinung im medienwissenschaftlichen Diskurs, die besonders heute im Zeitalter der Blogs, YouTube und Myspace einer neuen Betrachtung bedarf. Vgl. dazu exemplarisch Ramón Reichert, Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, Bielefeld 2008.

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Reden über Medien und deren jeweils ausstaffierte mediale Praxis ist, ist mehr als evident. Spätestens seit der Etablierung der Fotografie als Medium der Masse hat er der Medienentwicklung und -produktion wichtige Anstöße gegeben, die durch neue Impulse der Videokamera und -kassette nun aktualisiert wurden. Dies führte auf dem Markt auf der einen Seite zu einer Fülle von Handbüchern53 und Zeitschriftenneugründungen, die sich mit der Technik, dem Preisvergleich und dem bestmöglichen Einsatz des Mediums beschäftigten und seinen Gebrauch und seine Handhabung von allen Seiten beleuchten wollten.54 Auf der anderen Seite liegt hier aber auch der Beginn einer expliziten Kultur des Privaten auf Video, welche in der Zusammenstellung riesiger Archive von Heimvideos Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre seinen Anfang nahm und mit der Durchsetzung des Camcorders Mitte der 1990er Jahre seinen Höhepunkt fand. Dabei waren es nicht nur Urlaube und Familienfeste, die von den – meist männlichen – Kamerabesitzern auf Video aufgenommen wurden. Die Kamera wurde zum ständigen Begleiter der Freizeit und somit zum Chronisten der eigenen Lebenszeit.55 Das Anlegen solcher bewegter Fotoalben und deren anschließende Sichtung schienen den quälenden Stillstand des Diaabends im Kreis der Familie abzulösen.56 Eine spezielle Ästhetik gab es anfänglich nicht, wurde die Videokamera doch meist noch ähnlich einer Fotokamera benutzt, ging es doch oft um das sprichwörtliche Draufhalten auf die Szenerie von Welt und

53 Als Beispiele seien hier nur genannt: Peter Lanzendorf, Das Knapp Video-Buch. Alles Wissenswerte über Geräte, Technik, Cassetten, Videothek, Düsseldorf 1982 sowie Helmut-Maria Glogger, Video-Handbuch. Video-Systeme. Video-Recorder. VideoKameras. Video-Kassetten. Video-Spiele. In Zusammenarbeit mit Peter Gabler, München 1983. Erst das Aufkommen der Computer und die Durchsetzung des Personal Computers im Heimbereich haben eine erneute Welle an Ratgebern im Umgang mit dem neuen Medium evoziert, die sich quantitativ nicht mit den Ratgebern zum Medium Video vergleichen und deren Restbestände heute die Antiquariate überborden lassen. 54 Diese Zeitschriftenkultur sollte sich im Bereich des Heimvideomarktes weiter fortsetzen. Vgl. dazu Kapitel I.2.3 dieser Arbeit. 55 Nicht umsonst spricht Krauss von einem narzisstischen Medium. Vgl. Rosalind Krauss, Video: The Aesthetics of Narcissism. In: October 1/1976, S. 50-64. 56 Vgl. dazu und zum Bereich des professionellen wie kommerziellen Ereignisvideos: Ralf Adelmann, Kommerzielle Hochzeitsvideos oder das „Menschenrecht“ gefilmt zu werden. In: ders./Hoffmann/Nohr, REC – Video als mediales Phänomen, S. 229238 sowie Hilde Hoffmann, On the road. Erfahrung Urlaubsvideo. In: ebd., S. 239246.

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Wirklichkeit. Gestalterische Mittel schien es, bis auf den Zoom, kaum zu geben. Ein Schnitt erfolgte nur, wenn die Kamera ausgeschaltet wurde und das Aufnehmen an späterer Stelle oder einem anderen Ort weiterging. Hierbei kam es zu einem merkwürdigen Umgang mit Zeit in diesen Videos, da der Urlaub meist in Echtzeit präsentiert wurde und die Aufnahmen vordergründig keinem Ziel zu folgen schienen, außer reiner Selbstzweck zu sein, die verbrachte Zeit möglichst genau zu konservieren. Erst mit der Ausformung des neuen Mediums in den Händen des filmenden Laien wandelte sich dieser Umgang mit den Möglichkeiten, die verbrachte Zeit äußerst genau zu konservieren. Nun ging es nicht mehr um das bloße Abfilmen dessen, was man selbst gesehen hatte, sondern um die Form einer kreativen Gestaltung der Umgebung. Dass das Video innewohnende Fähigkeit zur wirklichkeitsnahen Abbildung des Alltags und der Realität besitzen sollte, wie es die Hoffnung an das Medium war, wurde gerade an den Urlaubsvideos des Laien und deren Handhabung schnell widerlegt, da an der kritischen Abbildung der Wirklichkeit kaum Interesse bestand. In der Form dieser mediatisierten Privatheit wird kaum eine Einstellung dem Zufall überlassen. Das Video sollte den Urlaub wiedergeben, den man gerne erlebt und dem man gerne beigewohnt hätte, nicht unbedingt den, den man wirklich erlebt hatte. Es handelt sich diesbezüglich um eine mediale Praxis der Selbstdarstellung, die darauf angewiesen ist, zu intensivieren und zu inszenieren, was vergangen ist.57 Anders als beim erlösenden Klicken der Fotokamera, bei dem das aufgesetzte Lächeln verschwinden darf, bleibt die Videokamera aktiv und tauscht den Moment des Loslassendürfens ein gegen „eine Kette unvorhergesehener Kontingenzen und Kontinuitäten […], die erst beim Wiedersehen oder beim Schnitt der Bänder als Kette von Ereignissen entdeckt wird“58. Würde man in diesen Momenten aus seiner Rolle des zufriedenen Urlaubers oder Festbesuchers fallen, würde der sprichwörtliche Vorführeffekt der gemachten Videos dahin sein. Anders als bei den frühen Nutzern von Video spielte das Speichern sehr wohl eine Rolle und sie führten die Figuration des Kassettenberges59 der 1980er Jahre, auf den noch zurückzukommen sein wird, auch jenseits von kommerziellen und bespielten Videokassetten im Privaten fort. Der Blick durch die Linse, ähnlich der Nut-

57 Vgl. Hoffmann, On the road, S. 240. 58 Adelmann/Hoffmann/Nohr, Phänomen Video, S. 7. 59 Vgl. dazu Kapitel I.3.4 sowie II.2.3 dieser Arbeit.

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zung des Fotoapparats, transformierte das Gewöhnliche zum Außergewöhnlichen. Parallel und unabhängig vom Niedergang der Gegenkultur auf Video, rückte das Medium auch an diesem Punkt schon ins Private ab, galt und gilt die Veröffentlichung derartiger Homevideos doch bis heute als Skandal, der auch juristisch geahndet werden kann. Einzige Ausnahmen stellen bis heute die sogenannten und bereits erwähnten Pannenshows im Fernsehen dar, in denen der Wechsel des privaten Videos zum öffentlichen Unterhaltungsgegenstand nicht nur gern gesehen, sondern ebenso finanziell entlohnt wird.60 Wurde diese Nutzung vor allem im Privaten vollzogen und erreichte sie erst Ende der 1980er Jahre wie auch Anfang der 1990er Jahre ihren Höhepunkt, gab es Ende der 1970er Jahre immer noch jene politisch aktiven Gruppierungen, die mittels Video eine Änderung im Konsumverhalten von Medien beim Nutzer erreichen wollten.61 Der Niedergang dieser Gruppen, die das Medium als Alternative zum staatlichen Rundfunk ansahen, ergab sich jedoch noch aus einer anderen Tendenz im Umgang mit Video. Angewiesen war diese sprichwörtliche Avantgarde der Videonutzer – und eine Avantgardebewegung blieb es trotz des medialen Interesses – auf die massenhafte und damit billige Produktion der Technik und vor allem des Trägermediums, der Kassette. Wie noch zu zeigen sein wird, war der Aspekt der Speicherung der Programme hier nur die sekundäre Option im Rückgriff auf die Spezifik des Mediums; um möglichst aktuell zu bleiben, musste das Material oft direkt wieder gelöscht und erneut bespielt werden. Nicht nur, dass die Technik zu teuer war, um sich einen großen Vorrat an Kassetten zulegen zu können. So lag es auch nicht im Sinne des Vorgehens, dass die Dokumentationen gespeichert werden sollten. Oft erfolgte der Respons auf demselben Band wie die vorher versendete Anfrage. Da die sogenannten Video-Clubs oft aber auf eine eigene Finanzierung angewiesen waren und zwischen „Selbstfinanzierung und Selbstausnutzung“62 oszillierten, wurde es 60 Auch im Bereich des Erotikmarktes hat sich zu Beginn der 1980er Jahre ein großer Absatzmarkt für Amateurpornos entwickelt, der nicht nur Platz in den Videotheken gefunden hatte, sondern heute in ähnlicher Form auch über das Internet vertrieben wird. Dass somit im Vergleich zu den industriell gefertigten Erotikfilmen eine neue Form des Körperbildes wie auch der Körperästhetik aufkommt, ist ein markanter und verfolgenswerter Befund. 61 Vgl. Margret Köhler (Hrsg.), Alternative Medienarbeit. Videogruppen in der Bundesrepublik, Opladen 1980. 62 Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium?, S. 100.

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zunehmend schwerer, ihre Arbeit aufrechtzuerhalten. Hinzu kam jedoch auch die Gefahr, durch öffentliche Gelder in eine Form der politischen Abhängigkeit zu geraten, was der genuinen Idee hinter dem Gedanken des Alternativmediums diametral zu widersprechen schien. Um den etablierten Medien eine neuartige Form der Partizipation entgegenzusetzen, brauchte es Langfristigkeit und Kontinuität, um Medienarbeit auf die Beine zu stellen, die den Bürger zum Mitmachen bewegen und neben der „Einwegkommunikation der Massenmedien kommunikative Seitenkanäle errichten“63 wollte. Schnell rieb sich so das Bürgermedium Video64 zwischen Grundsatzdiskussionen der einzelnen Videogruppen, fehlender politischer (und finanzieller) Unterstützung und einem nur marginal vorhandenen öffentlichen Interesse auf. Die neue Technik, so schien es, wandelte sich erneut, wie man es in ähnlicher Weise schon mit dem Medium Radio erlebt hatte, von einem Medium der Öffentlichkeit in ein „auf den privaten Gebrauch fixiertes Konsummedium“65. Die Marktformel von Video, „Jeder kann sehen, was er will und so viel er will“66, wurde nicht ergänzt durch eine Medienmitwirkung, die mehr Kommunikationsfreiheit versprach, sondern lediglich mehr Programm-Konsumfreiheit.67 Durch die billigen Bänder standen auch dem Heimvideomarkt keine größeren Hürden mehr im Weg. Der entscheidende Wegbereiter dieser Entwicklung aber war der Videorecorder und dessen Einzug in die bundesdeutschen Haushalte. Als die Industrie tatsächlich auf die Nachfrage der Videofilmer reagierte und die Preise für Technik, Kassetten und Hardware kontinuierlich sanken, fand damit jedoch jener Umbau statt, der die Nutzung des Mediums Videokassette in eine andere und vielleicht auch nicht intendierte Richtung formierte. Mittels des Videorecorders und des Preisverfalls der Kassetten wurde den ersten an das Medium Video geknüpften Hoffnungen und Utopien ein vorläufiges Ende gesetzt.

63 Ebd. 64 Vgl. Garleff Zacharias-Langhans, Bürgermedium Video. Ein Bericht über alternative Medienarbeit, Berlin 1977. 65 Ebd., S. 104. 66 Ebd., S. 96. 67 Ebd., S. 110.

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1.2 Audiovisuelle Zeitmaschine und Durchlauferhitzer: der Videorecorder „Die Herausgeber danken dem Wissenschaftsministerium des Landes NordrheinWestfalen, das zur Ermöglichung dieses Bandes Videorecorder und Bänder zur Aufzeichnung von Sendungen zur Verfügung gestellt hat.“68 „Video rein – Alltag raus“69

Siegfried Zielinski kommt dem Wesen des Videorecorders am nächsten, wenn er diesen als eine „audiovisuelle Zeitmaschine“70 betrachtet und dies in einem doppelte Sinne versteht. Technisch gesehen speichert der Recorder den „Bewegungsfluß von Fernsehsignalen, macht ihn beliebig wiederholbar und damit auch in seiner Zeitstruktur veränderbar“71. Und in der Tat fungierte der erste Einsatz der neuen Technologie in einem institutionellen Rahmen der Sendeanstalten durch die Inbetriebnahme der QuadruplexAnlagen – also rotierende Videoköpfe und ein sich bewegendes Magnetband – von Ampex ab 1956 als Time-Shift-Maschine für den riesigen Subkontinent der Vereinigten Staaten von Amerika. Erst durch die neue Technologie der nordamerikanischen Networks konnte dort ein einheitlicher und identischer Fernseh- und Erfahrungsraum geschaffen werden, der so die Einbettung der medialen Praxis des Fernsehens in den Alltag der Menschen überhaupt erst

68 Helmut Kreuzer/Karl Prümm, Vorwort. In: dies. (Hrsg.), Fernsehsendungen und ihre Formen. Typologie, Geschichte und Kritik des Programms in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1979, S. 7. 69 Kampagne der Videobranche, um das Verleihgeschäft der Videotheken durch Endverbraucherwerbung gezielt zu fördern. 70 Durch die Bezeichnung als audiovisuelle Zeitmaschine umgeht Zielinski die Problematik, dass die Bezeichnung Videorecorder unzureichend ist und es sich bei dem Apparat gleichzeitig um ein Tonband- und Bildaufzeichnungsgerät handelt. Vgl. Siegfried Zielinski, Artikel Videorecorder. In: Hans-Otto Hügel (Hrsg.), Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussion, Stuttgart/Weimar 2003, S. 482484, hier: S. 482. 71 Zielinski, Zur Geschichte des Videorecorders, S. 318.

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ermöglichte.72 Diese Technik wurde schon ab 1958 auch in Deutschland benutzt; die Problematik des time-gap73 stellte sich hierzulande jedoch nicht. Und dennoch bedeutete der Einsatz von Video einen Umbruch in der Spezifik des Fernsehens, der auch im deutschen Programm ersichtlich wurde. Das Fernsehen war nun nicht mehr auf Livesendungen angewiesen, sondern produzierte vor, um diese Aufnahmen, im technischen Sprachgebrauch MAZ genannt und schnell umgangssprachlich als Konserven bezeichnet, später zu senden. Die Programmplanung erreichte damit ein hohes Maß an Flexibilität. Gerade das Fehlen des Livecharakters74 des Fernsehens, welches aufs Heftigste kritisiert75 und als Angriff auf die Spezifizität des Mediums gesehen wurde, erlaubte es, ein besseres Programm zu generieren: Fehler, die aus Livesendungen nicht mehr zu entfernen waren, konnten nun in der Postproduction verhindert werden. Sendungen unterlagen nun nicht nur einer größeren, weil nachträglichen Qualitätskontrolle, sondern konnten auch auf ihre Bildschirmwirksamkeit überprüft werden. Das berühmte beep in Talkshows und ähnlichen Formaten, welches Namen von Privatpersonen und Schimpfworte jedweder Art ausblenden sollte, ist dafür eines der auditiv evidentesten Zeichen. Doch nicht nur in Bezug auf eine neue Form der medialen Kontrolle führte das neue Medium zu maßgeblichen Veränderungen des Fernsehalltags, auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Programms und des Sendebetriebs: Mittels Video und der Unabhängigkeit vom Kinescope-Recording, also der Abnahme von TV-Bildern durch Filmkameras, waren die Sendeanstalten in der Lage, ihre eigenen Archivbestände aufzubauen. Nachprüfbare Fernsehgeschichte und die damit verbundene Aufbauarbeit zahlreicher Rundfunkarchive der Sender nehmen somit ebenso erst durch die Möglichkeiten der Videotechnologie einen neuen Anfang. Und genau aus den Beständen dieser Archive konnten die Sendeanstalten nun ihr Programm flexibler ausstaffieren, stand doch durch diese Möglichkeit das 72 Erst innerhalb eines solchen Bezugsrahmens erscheint unter anderem die Theorie von Tania Modleski stärker nachvollziehbar zu sein, demnach Frauen in den USA Fernsehen und Hausarbeit aneinander anpassen. Vgl. Tania Modleski, Die Rhythmen der Rezeption: Daytime-Fernsehen und Hausarbeit. In: Frauen und Film 42/1987, S. 4-11. 73 Vgl. Zielinski, Zur Geschichte des Videorecorders, S. 103 ff. 74 Vgl. dazu Lothar Mikos, Kitzel des Unvorhergesehenen. Zum Live-Charakter des Fernsehens. In: Knut Hickethier (Hrsg.), Fernsehen. Wahrnehmungswelt, Programminstitution und Marktkonkurrenz, Frankfurt am Main u. a. 1992, S. 181-191. 75 Vgl. Bartz, Video, S. 137.

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einst Gesendete erneut zur Verfügung. Der Modus der Wiederholung, wie ihn der Mediennutzer schon aus der Praxis des Radios kannte, wurde auf diese Weise auch für das Fernsehen übernommen. Damit entstand ein deutlicher Wechsel in der Spezifik des Mediums: Formulierte doch schon der frühe Fernsehpionier und Erfinder der nach ihm benannten Nipkowscheibe, Paul Nipkow, dass Fernsehen es möglich machen sollte, einen aktuell am Ort A befindlichen Gegenstand synchron an einem Ort B sichtbar werden zu lassen, wurde dieser Umstand nun aufgehoben beziehungsweise deutlich modifiziert, da man nicht mehr teilnahm an einem aktuellen Geschehen, sondern lediglich an der Ausstrahlung des Programms von Videokassette. Eine bedeutende Eigenheit des Mediums Fernsehen, sein vorher zu seiner Spezifik zählender Livecharakter, wurde damit ummodelliert. War die Livesendung zuvor gängige Praxis des Fernsehalltags für den Sender und die Zuschauer, so erhielten die Livesendungen im Zeitalter der Videotechnologie mehr und mehr den Status des Besonderen. Live waren und sind bis heute meist die Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender und später der privaten Konkurrenz, die zu besonderen Zeiten ein möglichst großes Publikum attraktieren sollen und somit meist dem Samstagabend vorbehalten sind. Die Konjunkturen interaktiver Sendungen sowie die später aufkommenden Call-In-Formate sollten den Modus des Besonderen noch weiter verstärken.76 Wurde auf diese Weise die Spezifik des Fernsehens vonseiten der Sendeanstalten maßgeblich verändert, so führten die Möglichkeiten des Videorecorders das Gerät selbst einer völlig neuen Verwendung im Privatraum des Mediennutzers zu. Selbst der Name des Gerätes, auf dem der Fernsehzuschauer das aufgenommene Programm abspielte, wurde damit in mancherlei Gebrauchsarten obsolet. Das sprichwörtliche In-die-Ferne-sehen wurde partiell aufgehoben, kamen die Sendungen doch nun, sobald sie einmal aufgenommen worden waren, nicht einmal mehr von außerhalb des eigenen Zimmers, sondern lagerten im eigenen Privatraum. Im Zeitalter des Videorecorders schien Fernsehen auf Video somit kein Fernsehen mehr zu sein.77 76 So war der Livecharakter dieser Formate zwar ein Zeichen für ihren besonderen Status innerhalb des regulären Fernsehprogramms, doch konnten sie nur schwerlich in die Form der Wiederholung rückübersetzt werden; was nicht heißt, dass die Sender dies nicht dennoch praktizierten. 77 Diese Verquickung der drei Medien ineinander im Zuge der Durchsetzung der Videotechnologie führte unter anderem dazu, dass sich ihre Spezifika wie auch ihr Gebrauch untereinander auflösten. Unter anderem führte dies zu solch grotesken

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Folgt man den von Zielinski aufgestellten Phasen der Entwicklung und Verbreitung78 des Videorecorders, so ist vor allem die dritte Phase der Verbreitung des Mediums ab 1977 von Bedeutung für die Geschichte der Videotheken, deren Entstehungsbeginn sie parallel begleiten. Nach der Erfindung im engeren Sinne79 zwischen 1949 und 1956 und der Phase der Innovation (1956-1958) reihten sich drei Phasen der Verbreitung80 des Gerätes aneinander. Die erste Phase der Verbreitung (1958-1961/62) bezeichnet den Einsatz und die Etablierung des Gerätes innerhalb der US-amerikanischen und bundesdeutschen Networks respektive Rundfunkanstalten. Erst in der zweiten Phase (ab 1962) kommt es dann zur Diversifikation des Videorecorders für Praxisfelder von Fernsehkommunikation außerhalb der Rundfunkanstalten. Für den Einzug der Technik in die bundesdeutschen Haushalte ist die bereits erwähnte dritte Phase die wichtigste. Erst mit ihr begann sich der Videorecorder auf dem Massenmarkt der Unterhaltungselektronik durchzusetzen. Der Videorecorder, in einer handlichen Größe und mit einer verstärkten und verbesserten Kapazität von Aufnahme- und Spielzeit, setzte sich in dieser dritten Phase als Medium der Masse zu Beginn zwar zögerlich, dann aber umso entscheidender durch. Ein wichtiger Punkt, der diesen Schritt erst ermöglichte, war die Kassettierung der Bänder, die ihr Vorbild in der 1963 von Philips eingeführten Kompaktkassette für Musikaufnahmen fand. Diese nun gab dem Medium Video eine neue Erscheinung, wenn man so will, eine neue unempfindliche Hülle, die den Transport sowie die Lagerung und Nutzung deutlich erleichterte und es so für den häuslichen Gebrauch überhaupt erst handhabbar machte. Ebenfalls spielten der geringere Bandverbrauch wie auch die Einführung eines Longplaysystems eine deutliche Rolle dabei, den Recorder beim Endverbraucher immer beliebter werden zu lassen.81 Erschwert wurde indes die Durchsetzung des Recorders durch den Debatten darüber, ob Aufnahmen von Fernsehprogramm auf Video auch von Leuten konsumiert werden dürfen, die nachweislich keine GEZ-Gebühren bezahlen. 78 Vgl. dazu auch Gerald P. McGinty, Videocassette Recorders. Theory and Servicing, New York u. a. 1979. 79 Wie bei fast jeder medientechnischen Erfindung kann man die Idee, die dahinter steckt, auch beim Videorecorder viel weiter zurückverfolgen, als die hier beschriebene Phase der Erfindung zwischen 1949 und 1956. Vgl. Albert Abramson, Video Recording 1922 to 1959. 80 Vgl. Zielinski, Zur Geschichte des Videorecorders, S. 50. 81 Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 201.

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hohen Preis, den man zu Beginn der 1980er Jahre noch für die neue Technologie zu zahlen hatte. Erst ein Preisverfall von 2.900 DM im Jahr 1978 auf 2.000 DM 198482 ermöglichte den Einzug der Geräte in die privaten Haushalte. Gravierender als der Preis war aber das Gegeneinander dreier unterschiedlicher Videosysteme, die untereinander nicht kompatibel waren.83 Es gehört zu einer Ironie der Mediengeschichte und -entwicklung, dass sich in dem von Ralf Stockmann martialisch als Videokrieg bezeichneten Gegeneinander der aus Japan stammenden Systeme VHS (JVC), Betamax (Sony) und dem in einer deutsch-niederländischen Produktion entworfene Video 2000 (Philips/Grundig)84 schließlich VHS aufgrund einer liberaleren und breit gestreuten Lizenzpartnerpolitik wie auch einer erhöhten Bandlaufzeit durchsetzte.85 Der Erfolg des VHS-Systems war daher ein Erfolg des Marketings, nicht der Technik. Der Ruf des Betamax-Systems, qualitativ hochwertiger zu sein als das sich durchsetzende VHS-System, hielt sich bis in die 1990er Jahre hinein aktuell.86 Mit dem Scheitern von Video 2000, welches als jüngstes der drei Systeme erst 1980 auf den Markt kam, wurde unter anderem die kurze Innovation der Wende-Kassette aufgegeben, eine technische Entwicklung, die der Mediennutzer nicht nur vom Umgang mit der Musikkassette her kannte, sondern die einen frühen Versuch darstellte, bei gleichbleibender Qualität und in Konkurrenz zur VHS die Bandkosten zu senken. Ein entscheidender Faktor, der zur Verbreitung des Videorecorders in den 1970er und 1980er Jahren beigetragen hat, war seine Positionierung im Medienensemble der Zeit. So weist Loest in seiner Studie darauf hin, dass

82 Vgl. ebd., S. 205. 83 Ein Umstand, der sich ein Jahrzehnt später im Gegeneinander der Systeme im Computersoftwarebereich zu wiederholen scheint. 84 Ergänzt wurden diese Systeme durch CVC (Compact-Video-Cassette) und durch das 8-Millimeter-Videosystem. Hierbei handelte es sich um kleine Kassetten, die vor allem die Mobilität des Mediums stützen sollten; so versuchte Sony Ende der 1980er Jahre ebenfalls, Kinofilme auf Video-8 zu veröffentlichen, konnte sich damit aber kaum gegen das schon etablierte VHS-System durchsetzen. Technikgeschichtlich bildet das Video-8-System jedoch ein starkes Bindeglied zwischen Kino und dem Heimvideobereich. 85 Vgl. Sven Stockmann, Der Videoboom der achtziger Jahre. In: Werner Faulstich (Hrsg.), Die Kultur der 80er Jahre, München 2005, S. 123-135, hier: S. 124. 86 Eine ähnliche Diskussion, wie sie sich in den 1990er Jahren in Bezug auf Laserdisc und DVD wiederholt hat.

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die erfolgreiche und stetig steigende Verbreitung des Videorecorders in Deutschland vor allem deshalb eine so starke Durchschlagskraft hatte, da Anfang der 1980er Jahre die Bundesrepublik noch bei Weitem nicht an das neu eingeführte Kabelnetz angeschlossen war, wie andere Länder zu dieser Zeit. So fand in Italien Video kaum eine größere Verbreitung, da hier ein Programm gesendet wurde, bei welchem der Rezipient zwischen dreißig bis vierzig Sendern auswählen konnte.87 Video füllte diese Lücke der fehlenden Programmvielfalt bis zur Einführung des Dualen Systems 1984, welches für Video stärkere Einbußen und einen weiteren ernstzunehmenden Konkurrenten neben Kino und dem regulären Fernsehen ausformierte. So wurden die Debatten um das Medium Video daran gekoppelt, wie es sich mit einem mehr und mehr Alternativen anbietenden Fernsehprogramm verhalten sollte. Voraussetzung für die Verbreitung des Videorecorders war also nicht nur der bisherige Mangel an Alternativen in der Bundesrepublik, sondern auch die Ankoppelung an schon gegebene Medienstrukturen wie der größtenteils abgeschlossenen Etablierung von Farbfernsehgeräten Ende der 1970er Jahre.88 Stellte die Videotechnologie in den 1970er Jahren neue Möglichkeiten für die aktive Arbeit der Videogruppen dar, setzte die Industrie Anfang der 1980er Jahre gezielt auf die Neuerungen, die der Mediennutzer mittels des Videorecorders nutzen konnte, um so den Umgang mit dem Fernsehen maßgeblich und nachhaltig verändern zu können. Nahm er die Option der Technik wahr, das Programm des Fernsehens durch die Eingreifmaschine Videorecorder aufzuzeichnen, so standen ihm das vorher flüchtige Fernsehbild (und damit auch die ebenso flüchtige Zeit des Mediums) frei zur Verfügung. Das über Magnetband gespeicherte Bild konnte demnach nicht mehr nur in seiner rudimentären Form manipuliert werden, wie es vorher mittels der Fernbedienung der Fall gewesen war, wenn man den Ton lauter, leiser und ausstellen sowie Farbe und Helligkeit des Bildes beeinflussen konnte. Das Bild respektive die Sendung konnte nun beschleunigt oder verlangsamt, gänzlich gestoppt oder in Form einer Endlosschleife stetig wiederholt werden. Das, was die Sendeanstalten durch die MAZ möglich machten, schuf der Mediennutzer durch die Hilfe des Videorecorders neu, sodass damit selbst die Wiederholung des Programms seinen Wünschen entsprechen

87 Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 17. 88 Vgl. ebd., S. 16.

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konnte. Der Zugriff auf das Programm wurde damit zum Eingriff in selbiges, seine Struktur war für den Besitzer des Videorecorders nicht länger bindend.89 Der Zuschauer selbst wurde folglich zu einer Art Fernsehregisseur, der sein Nutzungsverhalten auf einer weiteren und entscheidenden Ebene individualisierte, wenn er nicht nur auswählte, welches Programm er in der sich stetig weiter ausbauenden Senderlandschaft konsumieren wollte, sondern auch entschied, wann und wie oft er es nutzte.90 Die bekannte Strukturierung des Fernsehprogramms, schon früh von Raymond Williams so treffend als flow91 beschrieben, wurde damit außer Kraft gesetzt. Der Nutzer schuf sich einen eigenen flow aus Programmen, die von den eigentlichen genuinen Stilmitteln des flows, wie der fortan kontinuierlich zunehmenden Werbung, Trailer und Anmoderationen92, befreit und durch das einfache Rückspulen einer stetigen Aktualisierung ausgesetzt waren. Das vorher unwiderruflich Vergangene wurde so im wahrsten Sinne des Wortes wiedergeholt, die Aneignung zu einem Akt des Behaltens. Als Mittel der privaten Programmplanung vonseiten der Sender und deren Werbepartnern unerwünscht, führte die eigene Wiederholung des Programms wie auch die erneute Sichtung der eigenen Lieblingssendung dazu, dass man sich nicht nur dem aktuellen Programm entzog und es wiederum neu gestaltete, sondern durch die Kassette die Macht über dieses behielt; sich somit aneignete, was andere produzierten. Die Eingriffsmöglichkeiten der Fernbedienung, umoder abzuschalten, wurden durch die nunmehr zweite Fernbedienung, nämlich die des Videorecorders, erweitert. Der Gefahr, dass der Zuschauer beim Hin- und Herwechseln zwischen den Kanälen auf einem anderen Sender Interessanteres fand, wurde durch die Möglichkeit, jederzeit selbst Interessanteres zu gestalten, maßgeblich verschärft.

89 Vgl. Siegfried Zielinski, Der Videorecorder als Eingreif-Maschine. Vorschläge zur besseren Verwendung des Apparates. In: Klaus Modick/Matthias-J. Fischer (Hrsg.), Kabelhafte Perspektiven. Wer hat Angst vor neuen Medien? Eine Anthologie, Hamburg 1984, S. 98-105, hier: S. 100. 90 Vgl. dazu: Uwe Hasebrink/Friedrich Krotz (Hrsg.), Die Zuschauer als Fernsehregisseure? Zum Verständnis individueller Nutzungs- und Rezeptionsmuster, BadenBaden/Hamburg 1996. 91 Vgl. Raymond Williams, Programmstruktur als Sequenz oder flow. In: Adelmann/Hesse/Keilbach u. a. (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft, S. 3343. 92 Vgl. Knut Hickethier (Hrsg.), Trailer, Teaser, Appetizer. Zu Ästhetik und Design der Programmverbindungen im Fernsehen, Hamburg 1997.

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So ging es hier nicht nur um die Chance, das Programm des Fernsehens einem genaueren und kritischeren Blick zu unterziehen, sondern auch darum, dass der Film, der selbst aufgenommen oder entliehen wurde, für ähnliche detaillierte Sichtungen zur Verfügung stand. Der Eingriff des Mediennutzers kann das Medium Film zum Beispiel so weit verändern, dass es für ihn deutlich in seinen einzelnen Teilen sichtbar wird: Das durch die Stopptaste des Videorecorders generierte Bild verweist somit, solange es sich um ein sauberes Bild handelt, als einzelnes Bild und kleinstes Element des Films auf seine Gemachtheit und Zusammensetzung; in dieser Hinsicht ähnelt es mehr dem Foto, wenn es, am Bildschirm des Fernsehens betrachtet, die bewegten Bilder des Films und damit das Medium als solches hinter sich lässt. Auch hier wird der flow der Bilder unterbrochen, der den Film für den Zuschauer überhaupt erst als solchen sichtbar werden lässt. Erst das einzelne Bild und die Zerlegung des Films in seine Bestandteile macht es nicht nur möglich, sich derart mit dem Produkt auseinanderzusetzen, auch wurden die Mittel der Filmkritik wie auch der Filmwissenschaft hier im wahrsten Sinne des Wortes durch die Zugänge in Form einer Bildkritik und Bildwissenschaft ergänzt.93 Somit war eine neue Form der Relektüre einer Produktion möglich, deren genaue Analyse und wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht mehr an die aus dem Kinosaal mitgebrachte Erinnerung94 gebunden war, sondern an das vor sich befindliche Bild, welches auf den eigenen Knopfdruck vor- oder zurücklief, bis man selbst verstanden hatte, was eigentlich zu sehen war. Erst das Anhalten des Bildes macht den Film über die Angaben eines Timecodes zitier- und überprüfbar, das gesehene Argument so spezifisch adressier- und somit schneller nachvollziehbar. Der genaue Blick auf die Gemachtheit des Films führte letzten Endes auch

93 Selbiges gilt hier ebenso für die sich mehr und mehr etablierende Fernsehforschung. Vgl. die Geschichte und das Programm des Sonderforschungsbereichs 240 „Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien“ an der Universität, der am 2. Januar 1986 seine Arbeit aufnahm. http://www.sfb240.uni-siegen.de/ german/ (Zugriff 01.04.2014). 94 Gebunden war eine solche Praxis auch an das Moment der Wiederaufführung im Kino. Wenngleich in der Kassette 1985 keine Konkurrenz für das Kino gesehen wurde, so doch für die Praxis der Wiederaufführung, nahm man diese nun durch den eigenen Recorder und das Angebot der Videotheken vor. Vgl. Alf Mayer, Die bundesdeutsche Kinokrise. In: Media Perspektiven 11/1985, S. 791-803, hier: S. 799.

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dazu, besser zu verstehen, was der spezifische Film für eine Wirkung entfalten konnte, setzte sich der Mediennutzer seinen Bildern aus. Zielinski95 weist zurecht darauf hin, dass diese Möglichkeit prinzipiell schon für den Kinofilm galt, doch trennt hier noch das Expertenwissen um die Funktion eines Filmprojektors sowie die Kosten und Größe der Technik das schnell zur allgemeinen Technik ausgeprägte Handhaben des Videobildes. Dieses war durch ein einfaches trial and error-Verfahren über die Fernbedienung wesentlich einfacher zu erlernen als die erstmalige Programmierung des Videorecorders zur selbstständig ablaufenden Aufzeichnung eines später zu rezipierenden Programms. Ein Umstand, der dennoch – und vielleicht erstmalig – eine Verschiebung des Wissens um Technik deutlich werden ließ, da es nun vornehmlich die Kinder und Jugendlichen waren, die sich besser mit der Technik zu helfen wussten als die Elterngeneration. Schaffte die Videotechnik durch ihren Einsatz im Bereich der Sendeanstalten nun einen einheitlichen und damit integrativen Fernsehraum, der zum Beispiel in den USA alle potenziellen Mediennutzer umfassen sollte, so wurde er durch die Technik des Videorecorders erneut negiert und um ein Vielfaches an Möglichkeiten erweitert. Diese Vervielfachung der elektronischen Medien führte zu einer „Aufsplitterung des Publikums“96 und begünstigte, nun unter anderen Vorzeichen als bei den Teilnehmern der Videoavantgarde der 1970er Jahre, die Bildung von Teil- und Gegenöffentlichkeiten innerhalb der Gesellschaft. Denn wie das Fernsehprogramm eine einheitliche Erlebniswelt produzierte, über die sich die Mediennutzer gemeinschaftlich austauschen konnten, setzte der Videorecorder einen Auflösungsprozess dieser Gemeinschaft in Gang, der sich seitdem stetig steigerte.97 So stellt Zielinski des Weiteren dar, dass gerade der Besitz eines Videorecorders erneut eine Machtverschiebung der „kulturellen Privilegien gegenüber den Nichtbesitzenden“98 bedeutete, hatte doch gerade der Besitzer eines Recorders die Möglichkeit, das zu sehen, was die anderen nicht sehen

95 Zielinski, Artikel Videorecorder, S. 482. 96 Hoffmann, Am Ende Video, S. 265. 97 Vgl. Peter Buchka, Video – die neue Dimension. Spekulationen über die Veränderungen der Filmkultur. In: Jahrbuch Film 1980/1981, S. 92-100, hier: S. 92. Trotz der gewählten Überschrift des Artikels geht es Buchka mehr um den Vergleich von Film im Fernsehen und Film auf Video als um die bloßen Veränderungen vom Film im Kino und Film auf Video. 98 Zielinski, Der Videorecorder als Eingreif-Maschine, S. 98.

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würden. Privater Medienkonsum wurde somit um eine weitere Nuance privater. Was dem Mediennutzer die Handhabe der Geräte erleichterte und damit zu Verbreitung und Akzeptanz der neuen Technik beitrug, war der Umstand, dass er beim Gebrauch der Videobänder auf die mediale Praxis und das von ihr ausgehende Wissen zurückgreifen konnte, welches er sich bei dem Umgang mit Musikkassetten bei Hi-Fi-Geräten, Musikkassettenrecordern oder beim Walkman99 angeeignet und zumeist vollkommen internalisiert hatte. Die Erfahrung, Einfluss zu nehmen auf ein laufendes Programm, hatte der Mediennutzer bezüglich des Radios schon gemacht. Auch hier konnte er Produktionen aus dem flow des stetigen Radioprogramms herausgreifen und seine eigenen Aufnahmen, seine eigenen tapes, erstellen, die Musik in völlig anderer und neuer Weise aneinanderreihen und kombinieren und sie damit ebenfalls von nichtmusikalischen Elementen befreien. Über die Möglichkeiten einer auditiven Eingriffs- und Zeitmaschine verfügte der Mediennutzer also schon. Auf das Bekannte zurückzugreifen, um das Neue zu bewerben, mag hier weiterhin von Vorteil gewesen sein, nicht nur die Technikbegeisterten vom neuen Medium zu überzeugen. Bedeuteten der Preisverfall der Technik wie auch das Vorhandensein eines Videorecorders in immer mehr Haushalten der Bundesrepublik zwar einen Schritt hin zum Ende der an das Medium Video geknüpften Utopie einer neuen Form von Gegenöffentlichkeit, wurden ähnliche Ideen jedoch auf den Videorecorder selbst projiziert und nicht mehr nur auf die Videokassette. Die Implikationen des Gebrauchs des Gerätes bestand eben nicht nur darin, das Nur-jetzt des extrem flüchtigen Mediums Fernsehen (wie auch des Kinos), dessen Erleben in dem Moment beendet war, als die Bilder den Nutzer erreichten, zu entkräften, sondern auch darin, den Recorder als mögliches Machtinstrument zu verstehen. Die Hoffnung auf eine „Alphabetisierung im Gebrauch der Medien“100, die in Bezug auf Video gehegt wurde, wurde nun unabhängig von der Kassette auf den Videorecorder übertragen und damit aktualisiert. „Was beim ersten Mal noch faszinierend erschien, kann beim zweiten Mal schon zur Banalität werden […]“101 formulierte Zie-

99

Vgl. Heike Weber, Das Versprechen mobiler Freiheit. Zur Kultur- und Technikgeschichte von Kofferradio, Walkman und Handy, Bielefeld 2008.

100

Vgl. Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium?, S. 102.

101

Zielinski, Der Videorecorder als Eingreif-Maschine, S. 100.

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linski, um damit auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, die Sendungen des Fernsehens buchstäblich zu entzaubern. Dem Zuschauer wird, durch das repetitive Moment der Sichtung, der Blick frei von vormals evozierten Emotionen102 auf die Produktionen der Sender, die er so einer genaueren Analyse unterziehen kann, um anschließend kritisch zu hinterfragen.103 Zielinski wehrt sich in seinen Ausführungen gerade gegen jene Umformung des Dispositivs Video, die Bartz so treffend als Wechsel vom Gegen- zum Unterhaltungsmedium beschreibt: Die Nutzung des neuen Mediums würde zu einer Nutzung zur „[…] Urlaubsgymnastik, als Mittel zum elektronischen Nachvollzug von Warenästhetischem oder als erweitertes und bewegtes Familienalbum“104 transformiert, die vorhandende Möglichkeiten so durch alltägliche Banalitäten ersetze. So fordert Zielinski auch an diesem Punkt die Gemeinschaft und die Ko-Operation, die die „kollektiv[e] Aneignung von Video-Wirklichkeiten“105 realisiere. Der Videorecorder sollte also nicht auf die zu kritisierenden Verhältnisse in der Gesellschaft aufmerksam machen, sondern den Blick schärfen für die Missstände in den „fertig angelieferten elektronischen Bildern“106 des Fernsehens wie auch des Films. Die aktive Nutzung des Videorecorders werde somit zu einer neuen Art von Gegenfernsehen, die mit dem vorhandenen Material arbeite, es seziere, selbstständig neu akzentuiere und schließlich reformuliere. Die Kritik sollte aus den Mitteln des Kritisierten heraus Wirklichkeit werden. Dass Zielinski damit eine zweite Utopie aufstellt, die die letztliche Nutzung der neuen Videotechnologie enttäuschen sollte, überrascht kaum noch.107 Die Forderungen Zielinskis bezogen sich jedoch nicht nur auf die Nutzung von aufgenommenen Fernsehprogrammen, sondern ebenso auf die kri102

So gilt unter anderem die ungeschriebene Maxime der Filmanalyse, dass ein Film mindestens ein zweites Mal rezipiert werden muss, um von seinen anfänglichen Emotionen befreit, die gesehenen Bilder einer genauen und wertfreien Analyse zu unterziehen.

103

Zielinskis Ausführungen sind eine nahezu harsche Form der Kapitalismuskritik mit einem auffälligen Argwohn gegen die Produkte des Medienverbundes, die seinen Texten sonst nicht zu eigen ist. Vgl. Zielinski, Der Videorecorder als Eingreif-Maschine.

104

Ebd., S. 104.

105

Ebd., S. 105.

106

Ebd.

107

Vgl. dazu ebenfalls: Jörg Stadler, Der Videorekorder als Emanzipationsmaschine. In: Medien + Erziehung 6/1991, S. 341-345, hier: S. 344.

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tische Auseinandersetzung mit bespielten Videoprogrammen, die der Mediennutzer zu hohen Preisen kaufen oder mit weniger finanziellem Aufwand entleihen konnte. Wenngleich auch das Filmerlebnis in einen Modus der Wiederholbarkeit überführt wurde, schienen sich Zielinskis Anweisungen für den Nutzer des Recorders gerade im Bereich des Filmkonsums durch die neue Technologie nicht einmal im Ansatz verwirklichen zu lassen. Richtig ist zwar, dass auch das Filmerlebnis den flüchtigen Moment des Kinos hinter sich ließ und eine genauere Lesart des Produkts Film möglich war, doch führte die nun mögliche Form von Film-Lektüre nicht zu einer Auseinandersetzung mit den ideologischen Strukturen, die dem Medium inhärent zu sein schienen. Interessant blieb somit lediglich die Bezeichnung der Filmlektüre, die den Film und seine Betrachtung so in eine vorher kaum als solche zu bezeichnende Verwandtschaft zur Literaturwissenschaft stellte. Die wissenschaftliche und konzise Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Text sollte demnach auch am Film erprobt werden. Das Blättern im Buch transformierte sich zum Spulen des Bandes, das Stoppbild zum Akt einer genauen Lektüre, der Stil des Textes zur Bildsprache des Films. Und auch das Folgen einer Zeile schien sich im linear ablaufenden Band widerzuspiegeln, selbst wenn der Mediennutzer dieser Linearität nicht zu folgen hatte. Erst die DVD änderte diese Verwandtschaft, wurde der Text nun kaum mehr linear vom Trägermedium gelesen. Es mag daher schon fast als Entschädigung anmuten, dass die Durchsetzung der DVD den Film in Kapitel unterteilt, die so vorher dem spezifischen Narrativ des auf die Silberscheibe gepressten Films zwar nicht inhärent waren, aber dennoch nicht als ein großer Akt der Nachträglichkeit erschienen. Vor allem in Bezug auf die Entwicklungen der 1980er Jahre scheint eine gewisse Ironie durch, dass die Handhabung des Films, die Zähmung und das Verstehen qua Analyse seiner seduktiven wie gestalterischen Mittel durch eine Technologie ermöglicht wurde, die gerade durch die Verbindung von Videohorror, Gewalt und Pornografie in die Kritik von Jugendschützern und Kulturpessimisten geriet; denn wenn der Videorecorder es möglich machte, jeden Film einer genauen Lektüre zuzuführen, so galt dies auch für die Produkte eines devianten Filmkonsums, die oftmals die ersten Kassetten füllten, die der Mediennutzer Anfang der 1980er Jahre entleihen und kaufen konnte. Vielleicht trug gerade dieser Aspekt dazu bei, den Videorecorder als Durchlauferhitzer zu bezeichnen, der – so auch hier das Schreckgespenst der Pädagogen – Tag und Nacht in Betrieb war, um Bilderwelten abzuspielen,

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die nicht nur einen leichtfertigen Eskapismus bedienen sollten, sondern auch das Verlangen nach Bildern, die der Mediennutzer nicht im Kino oder Fernsehen zu sehen bekam, befriedigen musste. Konzentrierten sich die vorherigen Ausführungen vor allem auf die Verbreitung des Videorecorders wie auch der Videokassette, soll im Folgenden noch auf ein anderes Medium rekurriert werden, welches nicht nur ebenfalls Anteil an der Verbreitung des Films in den 1980er Jahre trug, sondern als eine Form der negativen Mediengeschichte dem Erfolg der Videokassette als Kontrastfolie an die Seite gestellt werden kann. Die Laserdisc, die als Nachfolgemedium der Bildplatte 1980 auf dem Markt kam, markierte noch nicht den Umbruch des Films von einem analogen zu einem digitalen Medium, wie er später durch die Video-CD und schließlich die DVD stattfinden sollte. Zweifelsfrei erreichte die Laserdisc dennoch die bestmögliche Bildqualität im analogen Bereich und stand damit über der oft kritisierten Bildqualität der Videokassette. Der größere Nachteil dieser Technik bestand jedoch nicht in Bezug auf die Trägermedien, sondern auf deren Abspielstätte. Deren Manko bestand darin, hierbei den Möglichkeiten des DVD-Players lange Zeit nicht unähnlich, dass die Geräte lediglich die Trägermedien abspielen konnten, selbst aber keine Aufnahmen des Fernsehprogramms möglich waren. Auch der Anschluss zweier Geräte aneinander, wie es beim Videorecorder möglich war, um schon bespielte Kassetten zu duplizieren, war nicht realisierbar. Im Streit um die Zugehörigkeit der neuen Medien zu ihren Vorgängern scheint die Laserdisc eindeutig der Genealogie des Kinos zugehörend zu sein, wurde sie doch größtenteils zum Filmkonsum eingesetzt und qua Technik nicht zur Aufnahme und Wiedergabe des Fernsehprogramms, auf welches sie keinerlei Einfluss hatte. Auch konnte man das Programm der Bildplatte nicht löschen und neu bespielen; eine Wiederverwendbarkeit, wie sie bei der Videokassette gängige Praxis war, gab es hier nicht.108 Franz Nettar wies daher in einem Artikel zu den Möglichkeiten der Bildplatte darauf hin, dass die Programme, die auf den Trägermedien veröffentlicht werden sollten, per se Wiederholungswert besitzen müssen. Nur so hätte das Medium eine Chance, Verkaufsgegenstand auf dem Sektor der Unterhaltungsmedien zu werden, da sonst der Kunde die Platte eher leihen

108

Eine ähnliche Konkurrenzsituation wie im schon im Namen erkennbaren Gegeneinander von Videorecorder und DVD-Player.

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als sie kaufen würde.109 Auch hier lässt sich also, wie in Bezug auf die Videokassette noch aufzuzeigen sein wird, von einer nicht geplanten Verwertungskette sprechen, waren doch die Laserdiscs, ähnlich wie die Videokassetten, zu teuer, um sich als freizeitgestaltender Gebrauchsgegenstand Anfang der 1980er Jahre durchzusetzen.110 Wenngleich diese Parallelen darauf hinweisen, dass es eine ähnliche Entwicklung im Bereich der Laserdisc und der Videokassette gab, blockierte erstere gerade durch die fehlenden Möglichkeiten einer flexiblen Technik die weitere Verbreitung der Bildplatte und ließ sie vorerst zu einem nicht beendeten Zwischenspiel der Mediengeschichte erstarren. Die ersten Geräte, die schon Mitte der 1970er Jahre präsentiert wurden und noch mit TED-Platten (Television Disc) liefen, waren klobige Apparate, die mit einem Gewicht von 14 Kilogramm schnell den Ruf eines Flachtresors innehatten. Ebenfalls verhinderten zu Beginn der hohe Anschaffungspreis und die Empfindlichkeit der Platten eine Durchsetzung der Technik auf dem deutschen Markt. Erst 1980 wurden die TED-Platten, die Bilder meist lediglich in Schwarz-Weiß wiedergeben konnten, durch einen Vorstoß der Firma Philips durch LaserVision111 abgelöst, deren Platten 1982 in den Handel kamen. Die Abspielgeräte arbeiteten nun nicht mehr mit einer Diamantnadel, sondern – wie der Name nahelegt – mittels einer Laserabtastung. Ebenfalls wurden die Platten nun deutlich robuster und nahmen so durch ihre Nutzung weit weniger Schaden, als es noch vor wenigen Jahren der Fall war. Die Parallelen zur Entwicklung der Videokassette werden immer auffälliger: Nutzer der Technik lobten vor allem die der VHS-Kassette überlegene Bildqualität und die Möglichkeit, das heute von der DVD bekannte Zusatzmaterial mit auf die Träger zu kopieren.112 Da die Laserdiscs sich letzt109

Vgl. Franz Nettar, Die Bildplatte – ein Medium zum Lehren und Lernen. In: Johannes Horstmann (Hrsg.), Video. Der Bildplatten- und Videorekordermarkt. Seine kommerziellen und sozialen Auswirkungen, Schwerte 1982, S. 39.

110

Vgl. Gert Cremer, Die Bildplatte – zum Verkauf an Private vermutlich zu teuer. In: Horstmann, Video, S. 39.

111

Vgl. Horst W. Gehrmann, Die Philips LaserVision-Bildplatte startet im Herbst mit anspruchsvollem Programm. In: Horstmann, Video, S. 35 f.

112

Dabei ist die Annahme falsch, dass es im Bereich der Videokassette kein Zusatzmaterial gab. Wenngleich selten eingesetzt, wurde es meist hinter den Hauptfilm auf das Band kopiert. Es war folglich nicht anwählbar, jedoch nach dem Film bequem zu sichten.

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lich in Europa nicht durchzusetzen vermochten, waren die Nutzer meist auf Importe über die USA oder Japan angewiesen. Auf diese Weise gelangten sie nicht nur an neue Filme, sondern vor allem an solche, die in Europa noch keine Veröffentlichung erfahren hatten. Damit erhielten die Besitzer eines Players möglicherweise zwar einen Vorsprung gegenüber den in den Videotheken zu entleihenden Filmen, doch war dieser meist recht teuer erkauft. So war auch die Laserdisc zwar in manchen Videotheken zu finden, doch wollte sich eine dem Video ähnliche Konjunktur im Bereich der Laserdisc hierzulande nicht einstellen. Und ähnlich wie im Kampf VHS gegen Betamax und Video 2000 unterlag die hochwertigere Laserdisc schließlich nahezu 18 Jahre später der billiger produzierten DVD. Die Laserdisc bleibt daher bis heute ein begehrtes Sammlerstück unter Mediennutzern und bringt auf Film- und Videobörsen hohe Summen ein. Darin hat sie heute mehr mit der Schallplatte gemeinsam als mit dem direkten Konkurrenzmedium der 1980er Jahre. Eine weitere Verbindung zur Geschichte der Videokassette in Bezug auf die Laserdisc ist hier noch zu nennen: Denn wenngleich die Geräte nicht das Fernsehprogramm aufzeichnen konnten, gab es dennoch eine breite Auswahl an Programmen, die sich nicht nur in Spielfilmen erschöpfte. Hier wurde Nettars Vorschlag berücksichtigt, dass die Durchsetzung der Bildplatte sehr mit den auf ihr angebotenen Programmen zusammenhängen würde, suchte die Industrie doch eine Positionierung im „optimalen Freiraum“113 zwischen den Medien Videokassette, Audioplatte und Buch. Schon die TEDPlatten umfassten die Sparten Populäres Wissen, Unterhaltung, Kinder- und Jugendprogramme wie auch Schule und Fortbildung. Die Utopie des selbstständig lernenden Mediennutzers, wie sie durch die Möglichkeiten der Videokassette genährt wurde, wurde auch durch das Potenzial der Bildplatte aktualisiert. Wichtig war in diesem Zusammenhang, dass die Laserdisc mittels einer interaktiven Steuerung auf die Einzelbilder des Programms zugreifen konnte, was mittels eines angeschlossenen Computers oder einer Datenbank geschah, auch wenn nicht jedes Gerät direkt auf diese Weise dialogfähig war. So fand die Laserdisc ihren Einsatz gerade bei Schulungen und Fortbildungen im Bereich der Berufsausbildung und der Erwachsenenlernprogramme.114 Der Gebrauch von Einzel- und Standbildern wurde hoch geschätzt, er-

113

Ebd., S. 36.

114

Vgl. Nettar, Die Bildplatte – ein Medium zum Lehren und Lernen, S. 39.

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laubten sie doch dem Nutzer, das Einzelbild so lange anzuhalten, bis eine Diskussion oder die Analyse vor dem Publikum, dem Kurs oder der Klasse erfolgt war. Das Standbild der Kassetten hingegen war zu Beginn der 1980er Jahre noch nicht vollkommen ausgereift. Nicht nur, dass das Bild nur eine begrenzte Zeit stillstand und der Recorder dann das Band nach einer von Gerät zu Gerät sich unterscheidenden Zeitspanne weiterlaufen ließ oder die Kassette auswarf, die Nutzung der Standbildfunktion konnte auch das Band auf Dauer beschädigen.115 Doch selbst diese klaren Nachteile der Techniken in Bezug zueinander verhinderten den Siegeszug der VHS-Kassette in den Schulen, Biblio- und Videotheken nicht. Dies führte ebenfalls dazu, dass nicht nur der Begriff der Bildplatte heute so gut wie vergessen zu sein scheint, sondern auch die Laserdisc zum größten Teil aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt wurde. Den meisten Mediennutzern war die 1998 aufgenommene Genealogie der Bildplatte und Laserdisc, nun unter dem Namen DVD, nicht geläufig. Dennoch legte sie, zusammen mit Video sowie dem institutionell und privat genutzten Videorecorder, ebenfalls einen wichtigen Grundstein für die Handhabung des Films als zu analysierendem Gegenstand einer Fachdisziplin und einer sich erweiternden Filmkritik.116 Die Möglichkeiten, über den Film als haptischen Gegenstand zu verfügen, bedienten die Vorteile von Video und Laserdisc, die Figuration des Filmsammlers bekam durch sie ernste Konturen.117 Nun erst rückte der Film in das Zeitalter seiner (privaten) Verfüg- und Besitzbarkeit.118 Das eigens angelegte Archiv bestehend aus ei-

115

Ebd.

116

Vgl. dazu vor allem die Aufsätze zur Problematik der heutigen Filmkritik in: Irmbert Schenk (Hrsg.) Filmkritik. Bestandsaufnahmen und Perspektiven, Marburg 1998. In Zeiten des Internets und der großen Nutzung von Filmblogs sieht sich die Filmkritik neuerdings massiven Problemen ausgesetzt, die sich oft gar um die Frage der eigenen Existenzberechtigung drehen. Dabei schien sich in den 1980er Jahren ein neues Feld für sie zu eröffnen, kam neben der Filmkritik nun auch die Videokritik, die Filme nicht nur noch einmal aus aktuellem Anlass rezensieren konnte, sondern auch der Bereich der Videopremieren und Direct-toVideo-Vermarktungen, die es erlaubten, ein völlig neues Teilsegment des Filmmarktes in Angriff zu nehmen.

117

Vgl. dazu Kapitel II.2.1 dieser Arbeit.

118

Vgl. dazu David Thomas Boehm, „Pleasures and treasures“ – Das Film(kunst)werk im Zeitalter seiner privaten Besitzbarkeit. In: Siegfried Zielinski (Hrsg.), Tele-Visionen. Medienzeiten. Projekt, Technik und Massenmedien, Berlin 1983, S. 29-34 sowie Hediger, Rituale des Wiedersehens.

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genen Aufnahmen oder durch das Überspielen einer gekauften oder geliehenen Kassette für den eigenen Bedarf – denn nur dieser Vorgang war legal119 –, wurde mit und durch den Preisverfall der Leerkassetten120 möglich, deren Preise ebenso wie jene der Hardware Anfang der 1980er Jahre langsam sanken. Das Videogeschäft schien zu boomen. Und je höher die Verbreitungsdichte des Videorecorders war, umso mehr Programme schienen die neuen Nutzer zu brauchen. Dass für die optimale Auslastung des Gerätes bald das eigene Archiv, welches 1980 immer noch stark im Aufbau begriffen war, nicht mehr ausreichte, machte den Zugriff auf ein anderes, größeres Archiv nötig. Diese neuen Archive sollten unter dem Neologismus Videothek den weiteren Siegeszug des Videorecorders parallel begleiten.

119

Vgl. Eberhard Heyse, Was man mit dem Video-Rekorder (nicht) darf. In: Video oder Vidiotie? Sonderdruck Helfende Hände. Mitteilungen aus der Arbeit des Diakonischen Werkes Westfalen, 3/1983, S. 33.

120

1980 standen nur 950.000 Vermietvorgängen noch 4 Millionen verkaufte Leerkassetten gegenüber, der kreative Umgang mit dem Medium stand somit noch im Vordergrund. Vgl. Thomas Radevagen/Siegfried Zielinski, Video-Software – Annäherungsversuche an einen neuen Markt. In: Media Perspektiven 3/1982, S. 153-165, hier: S. 153.

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2. D IE A NFÄNGE

DER

V IDEODISTRIBUTION

2.1 Gründungsmythen einer nicht geplanten Verwertungskette „Videocassettes are the new opiate of the people.“ G.D. and O.H. Ganley, Global Political Fallout: The VCR’s first Decade121

Die Entwicklung und Marktreife der Leihkassetten führte weder teleologisch noch exklusiv zur ersten Gründungswelle von Videotheken, sowohl in den USA122 als auch in Deutschland. Wenn sich auf der einen Seite der Videoboom der 1980er Jahre durch eine starke Unübersichtlichkeit des Marktes auszeichnete, so lassen sich dennoch Ursprünge ausmachen, die sich fast schon zu einer Form der modernen Legendenbildung kultureller Medienpraxis zählen lassen. Während in Deutschland die Ursprünge der Videothek zunächst diffus erscheinen, verfügt die Geschichte der Videothek in den USA über zwei Gründerfiguren, die hier nicht aufgrund ihres anekdotischen Wertes vorgestellt werden sollen, sondern weil sich aus ihren Tätigkeiten Problemlagen herausstellen lassen, die nahezu alle neuen Videothekare gleichermaßen getroffen haben, in den USA wie auch in Deutschland. Wenngleich Aushandlungsprozesse wie die, die zur Videothekengründung geführt haben, nie auf einzelne Personen reduziert werden können, ist es doch erstaunlich, welche Anerkennung die Gründer der Videothek in den USA erlangten. Auf der einen Seite mag dies sicherlich in den Gründungsmythen der US-amerikanischen Gesellschaft verwurzelt sein, dass hier das Handeln der einzelnen Person, die auf ihrem Gebiet Großes schuf, in den Vordergrund gerückt wird, auf der anderen Seite lässt sich tatsächlich durch diese Gründer für eine Darstellung der amerikanischen Videothekengeschichte ein Einstieg wählen, der von der Berücksichtigung des Kleinen auf das große Ganze rück-

121

Zitiert nach Janet Wasko, Hollywood in the Information age. Beyond the silver screen, Cambridge 2004, S. 113.

122

Zu Entwicklung des Videomarktes in den USA vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 185 ff.

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schließen lässt.123 Ähnlich wie Mediengeschichte oft als Chronologie großer technischer Innovationen und deren Erfinder geschrieben wird, so scheint auch die Geschichte der Verkaufs- und Leihkassette in den Personen Arthur Morowitz und George Atkinson zu kulminieren. Wenngleich auch beide in der Form eines primus inter pares zu verstehen sind, die hier emblematisch für die allgemeine Entwicklung des US-Videomarktes der 1970er Jahre stehen, so lassen sich doch aus ihren Biografien Aussagen treffen, die fast schon allgemeingültig für den Einstieg ins Videothekengeschäft waren. Die Geschichte der Videotheken in den USA beginnt daher mit dem in China geborenen Stuntman und Laienschauspieler George Atkinson (19352005), dem durch seine Tätigkeit auf dem Gebiet des Videoverleihs dort der Status eines „father, if not the patron saint, of video rental“124 zugesprochen wird. Atkinson steht hier programmatisch für die Unternehmer, die Ende der 1970er Jahre in den USA und Anfang der 1980er Jahre in Deutschland Anteil haben wollten an dem Boom des neuen Mediums; und dies trotz der Tatsache, dass sie vorher sowohl mit dem Rundfunk als auch mit der Videoindustrie kaum in Berührung gekommen waren. Doch während Atkinson auf den Verleih von Filmen setzte, schuf Arthur Morowitz in New York die ersten Geschäfte, die die Videokassette zum Verkauf an die Kunden anboten und sich unabhängig von der Präsentation der Hardware nur auf die Software konzentrierten. Markant ist, wie sich mit den Orten New York und Los Angeles, wo Atkinson seine ersten Videotheken eröffnen sollte, die Gründungsmythen Hollywoods wiederholten, wo die Filmindustrie einst von Osten nach Westen zog. Während sich nun in den USA ein langsamer Wandel vollzog, durch welchen die Rundfunkhändler den neuen Kassetten immer mehr Platz in ihren Geschäften einräumten, verzichtete Morowitz im Mai 1978 vollkommen auf die Technik, um sich nur auf den Verkauf von Videokassetten zu spezialisieren. Der Videorecorder geriet so mehr und mehr in den Hintergrund seines Unternehmens. Zu Beginn hatte Morowitz circa 600 verschiedene Ti-

123

Zur Entwicklung der Geschichte der Videokassette und der Videothek in den USA, die dort weitaus besser erforscht wurde als hierzulande vgl. Greenberg, From Betamax to Blockbuster.

124

Ebd., S. 65.

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tel im Programm, von denen die meisten aus dem sogenannten X-rated125Bereich kamen, sodass also davon auszugehen ist, dass es sich um Horrorund Actionfilme sowie vornehmlich auch um pornografische Filme handelte.126 Schon die Gestaltung seines Ladengeschäfts sollte optisch die Verbindung von Kino und Video für den Kunden sichtbar werden lassen. Indem er in seinen Geschäftsräumen Filmplakate und Merchandising nutzte, um die Filme zu bewerben, die Kassetten selbst aber, ähnlich wie wertvolle Juwelen, unter Glas und fluoreszierendem Licht ausstellte, sollte hier die Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln in den Vordergrund gerückt werden, die den Glanz der alten Kinopaläste der 1930er Jahre wieder heraufbeschwor. An einen pejorativen Umgang mit dem billigen Medium Video war in diesem Fall nicht zu denken. Die Verbindung von Film und Schmuck, die durch die Gestaltung seines Geschäftes evoziert wurde, war bei den damaligen Preisen für eine bespielte Kassette naheliegend. Um das neue Medium gewinnbringend zu verkaufen, lag Morowitz sehr daran, in seinem Geschäft nur gelerntes Personal zu beschäftigen, welches nicht nur mit den Regeln des Marktes und des Verkaufs vertraut war, sondern auch eine Vorstellung hatte von der Eigenheit und Spezifik der angebotenen Ware, die dort verkauft wurde. Morowitz schien hier explizit einen Fehler vermeiden zu wollen, der, wie noch zu zeigen sein wird, in der Geschichte der Videothek sowohl in den USA als auch in der Bundesrepublik oft übersehen wurde und immer wieder mitverantwortlich für Krisen innerhalb der Branche war. Während Morowitz auf den Verkauf der Filme setzte, schuf Atkinson die ersten Verleihstellen für das neue Medium in den USA. Atkinson, der vorher schon Kinofilme auf Super-8 an Hotels und ähnliche Einrichtungen verlieh127, erkannte, dass Liebhaber des Mediums nicht bereit wären, den hohen Preis für die bespielten und im Handel erhältlichen Kassetten zu zahlen. So eröffnete er im Herbst 1977 am Wilshire Boulevard in Los Angeles seine erste Videothek mit dem Namen Video Station. Wie sehr auch hier die Positionierung der neuen Institution noch nicht ausdifferenziert war, zeigt die Benennung der Geschäfte. Denn wie bereits die als Eingangszitat gewählte Äußerung Atkinsons zeigt, sprach der noch von videotheque nicht 125

Auch wenn die Nutzung des Zertifikates X-rated nicht durchgängig einheitlich war, wäre es doch am ehesten mit der deutschen Warnung Für Jugendliche nicht geeignet gleichzusetzen.

126

Ebd., S. 64.

127

Ebd., S. 65.

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vom video store oder video shop. Beworben wurde die neue Geschäftsidee in der Los Angeles Times. Der Anzeige lag ein Coupon bei, den Kunden an Atkinson zurücksenden konnten, um so ihr Interesse an seinem Vorhaben zu bekunden. Nach eigenen Aussagen hatte er innerhalb von nur einer Woche „about a thousand coupons“128 zurückerhalten. Sein Programm bestand aus den damals 50 ersten auf dem Markt erhältlichen Spielfilmen, die er vom Anbieter Magnetic Video, der seine Kassetten per Post verschickten, erwarb. Mit zu den ersten Filmen auf Videokassette gehörte der US-Film FRENCH CONNECTION129. Dabei bildeten die Filme aus den Produktionsstätten Hollywoods noch eher die Ausnahme als die Regel in den Regalen der Videotheken. Auf einer Ladenfläche von 56 Quadratmetern präsentierte er sowohl Filme auf VHS als auch auf Betamax. So schaffte er nicht nur die Verbindung zwischen dem Kunden und seinem Vermietgegenstand, der hier Film erstmals haptisch erfahren konnte, sondern definierte damit auch die Videothek als kulturelle Institution in den USA.130 Um sein Angebot nun stetig weiter ausbauen zu können, führte er eine Clubmitgliedschaft ein, die dazu berechtigte, einen Film für 10 Dollar pro Tag auszuleihen. Eine jährliche Mitgliedschaft kostete 50 Dollar, eine Mitgliedschaft auf Lebenszeit hingegen 100 Dollar. Gerade in der Anfangszeit der Videotheken war es sowohl in den USA wie auch in Deutschland üblich, dass mit Mitgliedsausweisen operiert wurde, die der Kunde nicht nur bezahlen musste, sondern die ihn zudem für eine bestimmte Zeitspanne an das spezifische Geschäft banden. Praktiken, wie sie bei Filmclubs vorher üblich waren, wurden somit auf die Institution Videothek übertragen. Anders als die meisten seiner Nachfolger hatte Atkinson Erfolg mit seinem Geschäftsmodell, auch wenn er von den großen Filmfirmen schnell verklagt und sein Leihmodell als nicht legal angesehen wurde. Eine Lücke im US-amerikanischen Urheberrecht und das Urteil über die First-sale doctrine131 1976 gab ihm jedoch die Möglichkeit, an seiner neuen Geschäftsidee festzuhalten. Sein Anwalt drückte diesen Sachverhalt wie folgt aus: „You can´t copy it, you can´t publicly exhibit it – that´s violation of the copyright. But yes, you can rent it, you can eat it, you can destroy it.

128

Ebd.

129

THE FRENCH CONNECTION [dt. BRENNPUNKT BROOKLYN]; R: William Friedkin, USA/F 1971.

130

Ebd.; vgl. dazu ebenfalls Kapitel II.1.2 dieser Arbeit.

131

Vgl. dazu: Wasko, Hollywood in the Information Age, S. 132.

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You bought it. It´s your property.“132 Dieser Umstand erlaubte es ihm, eine stets wachsende Anzahl von bis zu 600 Filialen zu eröffnen, bis er schließlich in der Mitte der 1980er Jahre aus dem Geschäft ausstieg. Atkinson zeichnete sich somit nicht nur für die erste Gründung einer Videothek in den USA aus, sondern auch für die erste Videothekenkette. Sein Konflikt mit dem Gesetz führte weiterhin zur Gründung der Video Software Dealers Association im Jahre 1981, die sich fortan bemühte, die Vorhaben auf dem neuen Markt zu bündeln und zu organisieren. Lagen die Anfänge der Videothekenentwicklung in den USA recht früh vor dem eigentlichen Beginn des Videobooms in der Bundesrepublik, so dauerte es nach Atkinson dennoch Jahre, bis die Videothek als stabile und funktionierende Einrichtung in den USA überdauern konnte und nicht nur als kurzes Zwischenspiel in der Ökonomie des Stadtbildes die kulturelle Landschaft bereicherte.133 In der Bundesrepublik Deutschland hingegen erscheinen die Anfänge der Videothekenentwicklung auf den ersten Blick weitaus diffuser und schwerer zu greifen. Während Hoffmann angibt, dass die erste Videothek 1979 in Nordrhein-Westfalen134 eröffnet wurde, gibt Loest an, dass das Hamburger Radiohaus Mellek135 diesen Titel für sich in Anspruch nimmt und schon 1977 – also im selben Jahr wie Atkinson – das neue Phänomen des Medienmarktes in Deutschland begründet hat. Hierbei scheint es sich jedoch um zwei unterschiedliche Phänomene zu handeln: Während Hoffmann sich mit aller Wahrscheinlichkeit – den genauen Ort und Namen der Videothek sowie eine Belegangabe zu dieser Aussage nennt er nicht – auf eine Videothek als eigenständig für den Filmverleih eröffnetes Geschäft bezieht, scheint Loest einen jener Läden zu meinen, die ursprünglich für eine andere Geschäftsidee gegründet wurden und erst nachträglich in das Videogeschäft einstiegen. Symptomatisch war somit für die Bundesrepublik, dass neben den Videotheken vor allem die Fachhändler für Radio- und Fernsehen in das

132

Ebd. In der Bundesrepublik wurde diese Problematik in den 1980er Jahren vor einem neuen Vermietrecht mittels des Erschöpfungsgrundsatzes reguliert. So setzte sich 1982 durch, dass die gekauften und später zu verleihenden Filme Eigentum des Videothekars wurden. Vgl. Kay Hoffmann, Videomarkt Bundesrepublik. Strukturelle Probleme werden immer offensichtlicher. In: Media Perspektiven 5/1989, S. 277-287, hier: S. 281.

133

Greenberg, From Betamax to Blockbuster, S. 66.

134

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 206.

135

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 62.

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neue Geschäft einstiegen und die Filme verliehen, wenngleich auch aus einer Verlegenheitslösung heraus, wie noch aufzuzeigen sein wird. Tatsächlich aber gab es auch in Deutschland eine mythische, wenngleich weniger bekannte Gründerfigur, die schon 1975, also zwei Jahre vor Atkinson in den USA, in Deutschland eine Videothek eröffnete: Eckhard Baum, der mit seiner Videothek ins Guinnessbuch der Rekorde eingetragen ist, rühmt sich mit seinem Video-Film-Shop in Kassel/Hessen, nicht nur die älteste, sondern auch die erste Videothek Deutschlands zu betreiben. Begonnen hatte Baum im Stadtteil Wolfsanger in Kassel, wo er ein 20 Quadratmeter großes Ladengeschäft eröffnete (vgl. Abb. 1-4). Zu seinen ersten angebotenen Medien gehörten nicht nur eine Reihe von Super 8-Filmen, die er zum Tausch und Verkauf anbot, sondern auch aus dem Fernsehen aufgenommene Programme. Erst als die Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens darauf aufmerksam machten, dass es sich bei dem Verleih dieser Filme um Urheberrechtsverletzungen handelte, begann Baum bespielte Kassetten einzukaufen.136 Auf die Anfrage bei den wenigen schon operierenden Anbietern, ob er diese verleihen könnte, bekam er lediglich die Gegenfrage als Antwort, wer denn überhaupt ein Interesse daran haben möge, Filme leihen zu wollen. Dankbar darüber, dass Baum die Programme kaufte, erhielt er schließlich die Zusage, die erworbenen Programme zu verleihen, ohne weitere Ansprüche der anbietenden Firmen befürchten zu müssen.137 Baum war mit seinem Vorgehen sicherlich eine Ausnahme und gehörte zu einem Teil einer unternehmerischen Avantgarde an. Schon Anfang der 1970er Jahre war in Deutschland deutlich zu erkennen, dass sich der durchschnittliche Mediennutzer die bespielte Videokassette kaum leisten konnte.138 Die Preise für eine bespielte Videokassette lagen 1981 immer noch bei 150 DM139, ein Preisverfall bei den Kaufkassetten hatte, anders als bei der Hardware, noch nicht eingesetzt. Dennoch reagierte die Industrie zu schnell und enthusiastisch auf das neue Medium und den erwarteten Boom, auch

136

Vgl. ECKIS WELT. DIE TC 00:24:59h ff.

137

Den Video-Film-Shop von Eckhard Baum gibt es bis heute noch in Kassel. Die Geschichte dieser ersten Videothek Deutschlands findet sich in der Dokumentation ECKIS WELT. Trotz seiner Tätigkeit seit 1975 genießt Baum hierzulande nicht den Ruf, den Atkinson in den USA aufbaute.

138

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 61.

139

Vgl. ebd., S. 67.

ÄLTESTE

VIDEOTHEK

DER

WELT; R: Olaf Saumer, BRD 2007,

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durch die Entwicklungen auf dem US-amerikanischen und japanischen Markt, und produzierte so in deutlichem Übermaß Kassetten, die darauf warteten, gekauft zu werden. Um der Gefahr zu entgehen, dass sich diese Kassetten zu Ladenhütern entwickeln würden, wurden von den Händlern Verleihstationen eingerichtet, die die Kassette einer „nicht geplanten Verwertung“140 zuführten. Geplant war die Übernahme von Kassetten hier ursprünglich nur, um den Verkauf der Hardware für den Kunden attraktiver zu gestalten, damit dieser sich, auch ohne schon eine Kassette selbst bespielt zu haben, von der Abspielqualität des Gerätes würde überzeugen können. Der Boom konzentrierte sich in Deutschland noch stärker auf den Videorecorder, zu dem die Kassette erst einmal nur Mittel zum Zweck war, dachte die Industrie doch noch vor allem an die Möglichkeiten des zeitversetzten Fernsehens und erst dann an die Abspielmöglichkeiten eines eigens gekauften Programms. Der erste Kassettenberg141 des Videomarktes, dem noch viele weitere folgen würden, führte dann, dies ist das Paradoxe, zur Einführung der Videotheken.

Abb. 1: Kultvideothek

140

Ebd.

141

Vgl. dazu Kapitel I.3.4 wie II.2.3 dieser Arbeit.

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Diese Dualität blieb für die Anfangszeit des Videoverleihs bestimmend, da es eben nicht nur die Videotheken waren, in denen der Kunde Filme leihen konnte, sondern sich neben den Rundfunkfachgeschäften ebenso in Buchclubs, Fotohandelsketten, Kiosken, Supermärkten und Tankstellen die Möglichkeit fand, Zugriff auf das neue Medium zu haben. Loest beschreibt diese Entwicklung Anfang der 1980er Jahre nicht als Genese eines neuen Systems, sondern aufgrund der rapide stattfindenden Neugründungen der Videotheken und der Verleihstellen in anderen Geschäften als eine abrupte und „explosionsartige Entwicklung“142, die sich bis Mitte 1982 zog. Der Videoboom der 1980er Jahre und die Euphorie um das Medium setzten sich nun im Verleihbereich durch und in der Gründung der ersten Videotheken. Allein Ende 1980 wird die Zahl der neu gegründeten regulären Videotheken auf 1.000 geschätzt.143 Deren Erstarken führte ab 1983144 dazu, dass die Zahl der anderen Verleihstellen deutlich abnahm und viele der videoverleihenden Rundfunkgeschäfte sich aus dem Verleihgeschäft zurückzogen, um sich wieder primär dem Verkauf der Technik zu widmen. Von einer Monopolstellung der Videothek kann an dieser Stelle jedoch keine Rede sein.

Abb. 2: Videoarchiv I

142

Ebd., S. 61.

143

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 206.

144

Zur Einschätzung dieser Entwicklung vgl. o. A., „Die Deutschen sind voll auf Video abgefahren“. In: Der Spiegel 19/1983, S. 32-49.

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Abb. 3 & 4: Videoarchiv II & III

Es bleibt zu erwähnen, dass die Ausleihen in Tankstellen und Kiosken eine durchweg andere Erfahrung des Mediengebrauchs darstellten als der Besuch einer genuinen Videothek. Meist ohnehin schon auf engem Raum operierend, wurden kleine Nischen frei geschlagen, um die Hüllen respektive Kassetten dem interessierten Kunden vorzuführen. Viele Kioske oder Supermärkte kamen meist über ein kleines Regal von Videofilmen nicht hinaus. Von Vorteil war jedoch, dass es sich bei den angehenden Vermietern meist um erfahrene Geschäftsleute handelte, die ihr Wissen aus Wirtschaft und die Routine ihres Berufes auf das neue Geschäft übertragen konnten. Das unerfahrene Personal der regulären Videotheken, dem sowohl das Wissen um Markt und Marktwirtschaft als auch um das neue Medium fehlten, war ein ebenso großes wie spezifisches Manko der Branche. So stand bei einigen Videothekaren auch nicht das Interesse an der Videokassette im Vordergrund, sondern die Möglichkeiten, in einer wirtschaftlichen Krisenzeit, wie sie Ende der 1970er und Anfang der 1980er andere Branchen erfasste, durch das neue Verleihmodell schnellen Profit zu machen. Hans-Peter Dumke145 brachte es diesbezüglich auf den Punkt: „[…] Relative Kapitalschwäche und einzelhändlerische Unerfahrenheit, ganz gewiß auch Unerfahrenheit mit dem

145

Auch hier zeigt sich wieder die Unsicherheit, was als Videothek zu bezeichnen war. Da auch Baum zuerst Super-8-Filme und aufgenommene Programme zum Verleih anbot, ordnet er sich chronologisch hinter die Gründerfiguren der USamerikanischen Videothekengeschichte ein, die einen weitaus größeren Wirkungsradius erzielten als Baum seinerzeit. Baum rühmt sich allerdings auch, den Namen Videothek erfunden zu haben. Wenngleich er sein Geschäft noch als Video-Theke bezeichnete, bedauerte er es doch sehr, dass er sich diesen Namen nicht hat patentieren lassen. Vgl. ECKIS WELT, TC 00:42:24h.

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Medium Film“146, schien den Typus des Videothekars der ersten Stunde zu kennzeichnen. Harsch kritisiert Dumke weiter, dass diese Glücksritter auf dem Medienmarkt „bis auf die Buchstabierung des Wortes Video […] nichts vom Geschäft“147 verstehen. Dumke sieht in dieser Konstellation auch mit einen Grund für das schlechte Image, welches den Videothekaren aus verschiedensten Gründen seit 1980 anzuhaften schien. Überbestände aus Filmen mit einer „B-, C- und D-Qualität“148, die das nötige Kapitel verbrauchten, um qualitativ hochwertige A-Filme einzukaufen, zweifelhafte Videofilme, die Programme enthielten, die vorher zum Spielplan der Bahnhofskinos gehörten, wie auch die angesprochenen Mängel an technischem und marktpolitischem Wissen schienen der Branche keine lange Überlebensfähigkeit zu bescheinigen. Dennoch markierte genau der Umschwung zu einer nicht geplanten Verwertung der in hohem Maße produzierten Videokassette den Beginn einer Videothekengeschichte in Deutschland, wie sie im Folgenden nachzuzeichnen sein wird.

2.2 Neues Medium in alter Institution: die Videokassette in der Bibliothek „Ich glaube, daß Bücher und Filme gut zusammenpassen, daß sie etwas Gemeinsames ausdrücken.“149 François Truffaut

Während die verschiedensten Geschäftsbranchen Anteil haben wollten an den finanziellen Versprechungen des neuen Leihkassettenmarktes, blieb vor allem eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Eigenheiten des Mediums, mit seiner Vermarktung und Präsentation abseits der regulären Videotheken aus. Dies änderte sich maßgeblich, als die öffentlich-städtischen 146

Hans Peter Dumke, Video-Geschäft hängt von der Entwicklung des FernsehAngebots ab. Referat zum Thema „Vertriebswege für Videokassetten und Videoplatten“. In: Funk-Korrespondenz, 37/1982, S. 42-45, hier: S. 42. Zitiert nach Hoffmann, Am Ende Video, S. 207.

147

Loest, Die Videokassette, S. 68.

148

Hoffmann, Am Ende Video, S. 207.

149

Zitiert nach Loest, Die Videokassette, Vorwort.

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Bibliotheken in der ersten Hälfte der 1980er Jahre begannen, sich für die Videokassette zu interessieren und sich der Frage zu stellen, inwiefern sie Teil ihres Angebotes werden könnte, ohne die Probleme der Videotheken zu imitieren und gleichzeitig die Skepsis der Bürger gegenüber dem neuen Medium verhindern zu können. Ziel dieser Bemühungen war daher nicht die Erschließung eines lukrativen Marktes, sondern die explizite Beschäftigung mit dem Medium Video und den Möglichkeiten, wie den Vor- und Nachteilen seiner Distribution. Führend im Bereich der Bibliothekswissenschaft und -fortbildungen war ein Projekt, welches 1984150 unter der Leitung von Klaus-G. Loest und Annegret Glang-Süberkrüb startete und in dem Ergebnisbericht Video in der öffentlichen Bibliothek. Ein Handbuch für Praktiker151 zusammengefasst wurde. Dieses Projekt beinhaltete nicht nur die theoretischen Grundlagen des Aufbaus eines Videoverleihs in den Bibliotheken, sondern gab auch die bisher gesammelten praktischen Erfahrungen im Aufbau eines funktionierenden Bestandes weiter.152 Die Notwendigkeit, sich mit den Möglichkeiten der Videokassette auseinanderzusetzen, lag nicht nur im kulturellen Auftrag der Bibliotheken begründet, sondern auch in den neu geschaffenen Konkurrenzsituationen: Denn so, wie das Video zu einer Konkurrenz des Kino- und Fernsehprogramms avancierte, traten die aufkommenden Videotheken auch in eine direkte Konkurrenz zu den Bibliotheken, an deren etablierten Namen die Videoverleiher sich orientiert hatten. Dabei verweist Klaus-G. Loest in seinen Ausführungen darauf, dass sich die städtischen Bibliotheken einst in einer ähnlichen Konkurrenzsituation befunden hätten, die dem veränderten Gegeneinander der Institutionen Bibliothek und Videothek der 1980er Jahre in vielen Punkten erstaunlich glich.

150

Die erste Phase des Projektes begann am 15.06.1984 und sollte bis Ende Februar 1986 dauern. Bis dahin sollten in drei Städten – Bielefeld, Celle und Duisburg – je eine funktionierende Videoabteilung mit je 600 bis 1.000 Kassetten den Bestand der Bibliotheken ergänzen, um so dort die Komplikationen bei der Integration des neuen Mediums wie auch den erbrachten Praxisbezug zusammentragen zu können; vgl. Loest, Die Videokassette, S. 102 f. Klaus-G. Loest ist bis heute Mitarbeiter der Stadtbibliothek Bielefeld und nun schon seit mehreren Jahren deren stellvertretender Leiter.

151

Vgl. Klaus-G. Loest/Annegret Glang-Süberkrüb, Video in der öffentlichen Bibliothek. Ein Handbuch für Praktiker, Berlin 1986.

152

Die Zeit vor 1986 wurde in dem schon mehrfach erwähnten Buch von Klaus-G. Loest, Die Videokassette: ein neues Medium etabliert sich einbezogen.

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Hierbei bezieht Loest sich auf das Aufkommen und die Durchsetzung kommerzieller Leihbibliotheken153, wie sie im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland entstanden sind und gerade ab den 1930er Jahren in einer deutlichen Konkurrenzsituation zu den neu gegründeten städtischen Bibliotheken standen, die bis auf wenige Ausnahmen eine Erscheinung des 20. Jahrhunderts waren.154 Die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen der Leihbücherei und der neuen Institution Videothek, der „Fortsetzung der Leihbücherei mit anderen Mitteln“155, seien so stark, dass Loest ob dieses Befundes von einer Isomorphie spricht. Gleich der Anfangszeit der Videothekengeschichte konzentrierten sich auch die Leihbibliotheken, von denen es 1953 noch 10.000 in der Bundesrepublik gab, auf die großen Städte Deutschlands. Diese Einrichtungen waren oft Ein-Mann-Betriebe, die von nicht ausgebildetem Personal der verschiedensten Berufssparten neu eröffnet und übernommen wurden.156 Ähnlich wie in den frühen Videotheken gab es auch hier kaum Kataloge zur Orientierung über den zu leihenden Bestand, der fast ausnahmslos Romane und kaum Sachbücher bereithielt. Auch in der Leihbibliothek bestimmte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beziehungsweise der erwirtschaftete Ertrag, ob ein Buch im Bestand blieb oder nicht; und auch die damalige Kulturkritik an Lesesucht, Trivialliteratur und Kolportageromanen157, welche die Leihbibliothek begleitete, ähnelte der Debatte um die Videothek in den 1980er Jahren. Die Leihbibliothek bildete einen Nexus, um den sich die Diskurse einer frühen Form der Medienwirkungsforschung – oder zumindest eines Wirkungsverdachts – kristallisieren konnten. Loest zeigt in einer Gegenüberstellung evident auf, dass die Titel der am häufigsten geliehenen Werke in der Leihbücherei und später der Videothek sich auf frappierende (oder eben doch auf natürliche) Weise ähnelten. Was auf der einen Seite noch durch bloße Worte der Imagination des 153

Zur Geschichte der Leihbibliothek vgl. Richard Schmidt, Theorie der Leihbücherei: Ihr Wesen, ihre Geschichte, ihre Gestalt, Dortmund 1954.

154

Loest, Die Videokassette, S. 87.

155

Ebd.

156

Vgl. ebd., S. 88.

157

Dass es überhaupt dazu kommen konnte, liegt ebenso im Wandel der Produktion neu erfundener Papiermaschinen begründet, die den neuen Lesestoff billig drucken konnten, wie auch in der 1717 in Preußen eingeführten allgemeinen Schulpflicht, die, so Loest, breite Schichten des Volkes alphabetisierte; vgl. ebd., S. 87 sowie exemplarisch zum Begriff der Trivialliteratur: Peter Nusser, Trivialliteratur, Stuttgart/Weimar 1993.

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Lesers überantwortet war, wurde durch die Möglichkeiten des Films in seiner Drastik und Plastizität der Darstellung sichtbar gemacht, der geliehene Film war – folgt man der Gegenüberstellung von Loest – die Bebilderung ähnlicher, schon gelesener Trivialstoffe.158 Während man vor circa hundert Jahren noch Romane las wie die Geschichten des Räuberhauptmanns Rinaldo Rinaldini159, Das Mädchen in der Löwenhöhle160, Carrier, das blutrünstige Ungeheuer161 oder Anna oder Der Fallstrick der Ehre162, wurden in den Videotheken Filme geliehen wie EISKALTE TYPEN163, MÄDCHEN ZWISCHEN SCHULBANK UND BAHNHOF ZOO164, IN DER GEWALT DER ZOMBIES165 oder EMANUELA, ALLE LÜSTE DIESER

WELT166.167 Die Frage nach der Gattung respektive dem Genre dieser

Bücher und Filme wurde somit meist schon durch den Titel beantwortet. Um die Vorwürfe zu entkräften, man würde durch die Institution der Leihbibliothek Schmutz und Schund verleihen, der dem Mediennutzer schade, schufen die Verleiher in den 1930er Jahren selbst eine Form der freiwilligen Selbstkontrolle, um so über ihren in die Kritik geratenen Bestand Einfluss nehmen zu können. Diese Form der Selbstkontrolle war der 1949 von

158

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 88 f. Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Leihbibliotheken zwar nicht gegen Raubkopierer vorzugehen hatten, jedoch im Phänomen des Weiterborgens von Büchern ein strukturell ähnliches Problem zu benennen hatten.

159

Vollständig wahrscheinlich: Christian August Vulpius, Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, o.O. 1799.

160

Vollständig wahrscheinlich: Josef Alois Gleich, Marno der Schreckenvolle und das Mädchen in der Löwenhöhle, o. O. 1803.

161

Die Ausgabe, auf welche sich Loest hier bezieht, war leider nicht zu ermitteln.

162

Vollständig wahrscheinlich: Johann Gottfried Daniel Schmiedtgen, Anna, oder der Fallstrick der Ehre und des Reichthums: Ein Volksbuch, besonders für den Bürger und Landmann; für Herrendiener und Dienerinnen, o.O. 1796.

163

UOMINI SI NASCE POLIZIOTTI SI R: Ruggero Deodato, I 1976.

MUORE

[dt. EISKALTE TYPEN

AUF HEIßEN

ÖFEN];

164

DIE SCHULMÄDCHEN VOM TREFFPUNKT ZOO; R: Walter Boos, BRD 1979.

165

LE NOTTI EROTICHE D´Amato, I 1980.

166

EMANUELLE – PERCHÉ VIOLENZA ALLE DONNE? [dt. EMANUELA – ALLE LÜSTE DIESER WELT]; R: Joe D’Amato, I 1977. Sowohl Ruggero Deodato wie auch Joe D’Amato zählen heute zu den Großmeistern des Horrorgenres, und dies obwohl (oder gerade weil) viele ihrer Filme bis heute indiziert respektive beschlagnahmt sind.

167

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 88 f. Loest stellt dabei die jeweiligen Titel zur besseren Anschaulichkeit direkt gegenüber.

DEI MORTI VIVENTI

[dt. IN

DER

GEWALT

DER

ZOMBIES]; R: Joe

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der SPIO eingesetzten FSK nicht unähnlich und sollte sich auch in Bezug auf die Bemühungen der Videothekare wiederholen, die durch ihre Verbände ähnliche Formen der Selbstkontrolle einführen und aktiv gestalten wollten. Erst mit der fortschreitenden Verstaatlichung der edukativen und kulturellen Aufgaben durch die öffentlichen Bibliotheken in den 1970er Jahren verschwanden die Leihbibliotheken mehr und mehr aus dem Bild des städtischen Lebens. Diese Entwicklung wurde vor allem durch die neue Konkurrenzsituation vorangetrieben, die durch das Fernsehen und die weitere Forcierung des Taschenbuches entstanden war, welches es den Mediennutzern nun erlaubte, die Bücher weitaus billiger zu kaufen, statt diese nur zu leihen.168 Diese Bestände der Leihbibliotheken formierten sich sodann zu einer Form des Bücherberges, der auf lange Jahre den Bestand zahlreicher Buchhändler und Antiquare mit trivialer Literatur vergrößerte. Während dieser historische Vergleich vor allem aufzeigt, wie die städtischen Bibliotheken schon einmal einer institutionellen Konkurrenzsituation ausgesetzt waren, galt es zu Beginn der 1980er Jahre, die interne Konkurrenzsituation der Medien untereinander zu beheben. Die Frage, der sich die Bibliothekare zu stellen hatten, war daher nicht nur, wie man selbst mit dem neuen Medium umgehen wollte, sondern auch wie dieses zu den anderen Medien in Beziehung zu setzen war. Die Umstände der Einführung der Videokassette waren daher ähnlich gelagert wie bei der Einführung der auditiven Medien wie Schallplatten169, Sprach- und Tonkassette.170 Als erster größerer Bereich der Non-Book-Medien gliederte sich deren Bestand nur

168

Ebd., S. 89.

169

Dabei hatte aber unter anderem die Schallplatte nicht zu eigenständigen Verleihgeschäften geführt, die in direkter Konkurrenz zu den Bibliotheken standen, wie es in Bezug auf die Videotheken der Fall war. Zudem durften Schallplatten, anders als die nachfolgenden audiovisuellen Medien, nur vor Ort genutzt und nicht entliehen werden.

170

Wenngleich die Einführung dieser Medien in den Bestand der städtischen Bibliotheken nur langsam vollzogen wurde, erfreuen sie sich bis heute, wenn auch in der Form der Nachfolgemedien, großer Beliebtheit. So standen dem Mediennutzer schon früh die sogenannten – und heute immens erfolgreichen – Hörbücher, also vorgelesene Romane, Sachbücher oder (Kurz-)Geschichten auf Audiokassetten, zur Verfügung, die heute zum festen Bestandteil jedes Bibliothekenprogramms zählen; vgl. Loest, Die Videokassette, S. 92.

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schleppend in die Strukturen der Bibliotheken ein.171 Dennoch konnten sowohl der Bibliothekar als auch der Mediennutzer auf diese Weise schon vor der Videokassette in der Auseinandersetzung mit anderen Medien einen neuen Umgang mit ihnen und den Gegebenheiten des Ortes Bibliothek erlernen. In Bezug auf die Videokassette standen die Bibliotheken nun vor der Frage, ob es hier zu einer Abwehrhaltung gegen das neue Medium kommen sollte oder aber, ob man es in den eigenen Bestand integrieren könnte. Die Möglichkeit, mittels Video die Attraktion der Bibliothek zu steigern, war ein Argument der Debatte, hatte man doch erkannt, wie stark zu Beginn der 1980er Jahre die Video-Euphorie war. Dass in dieser Diskussion auch kulturpessimistische Stimmen laut wurden, scheint offensichtlich: Ein nicht von der Hand zu weisendes Argument gegen die Aufrüstung der Bibliotheken war der ohnehin schon knappe Etat, der es den Institutionen unter den vorher gegebenen Umständen nahezu unmöglich machen würde, auch noch einen gänzlich neuen Mediensektor aufzubauen. Denn dieser bedurfte nicht nur der Anlernung und Ausbildung neuer Experten, sondern auch eines völlig neuen Präsentationssystems172 und der damit verbundenen Infrastruktur, die der Aktualität und Attraktivität des Mediums gerecht werden sollte. So rechneten manche Kostenkalkulationen mit Ausgaben von 80.000 DM für den Auf- und Ausbau des Bestandes, welcher Technik, Software (Filme und Bücher), Ausbau der Räumlichkeiten173 und geschultes Personal umfassen

171

Vgl. dazu Bernhard Bendig, Die Öffentliche Videothek als Teil der Öffentlichen Bibliothek. Versuch eines Konzeptes. In: Buch und Bibliothek, 36/9/1984, S. 660673, hier: S. 660.

172

Welches die Bibliotheken von den Videothekaren übernahmen und die neuen Kassetten mit dem Cover, nicht mit dem Kassettenrücken zum Kunden hin präsentierten.

173

Gerade in der Anfangszeit der Verbreitung der Videokassette durch die Bibliotheken schuf man eigens dafür geeignete Abteilungen, die das neue Medium nicht zwischen den Büchern verschwinden ließen. Hier präsentierten sich die Videohüllen ähnlich wie in den Videotheken frontal dem Kunden zugewandt und über ein Stellvertreterkärtchen operierend. Anders als bei den entliehenen Büchern konnte so der Kunde sehen, was die betreffende Bibliothek anzubieten hatte. Dies hat sich im Laufe der Jahre maßgeblich verändert. Nicht nur, dass kaum eine Bibliothek noch auf Stellvertreterkärtchen zurückgreift, oft werden nun auch thematisch anderen Sparten ankoppelbare audiovisuelle Medien in den betreffenden Sparten selbst eingeräumt.

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sollte und dabei lediglich die Kosten für die ersten zwei Jahre aufstellte.174 Folglich wurden den Bibliotheken durch die Länderregierungen zweckgebundene Gelder für den Ankauf von Videokassetten zur Verfügung gestellt, die, so Loest, zum Teil nicht angefordert wurden und zum Teil von manchen Einrichtungen überhaupt nicht gewollt waren, mit denen sich aber zwangsläufig jede größere Bibliothek früher oder später auseinanderzusetzen hatte.175 Doch ebenso wurden vereinzelt Argumente vorgebracht, die sich im Fahrwasser der stärker werdenden Kritik gegen das Medium Video selbst richteten, es als minderwertig abtaten und in ihm und im aufkommenden „bibliothekarischen Medienkult“ den Niedergang der Lesekultur festzustellen glaubten – die alten und gleichen Einwürfe und Sorgen wiederholend, die mit der Einführung eines jeden neuen Mediums einhergingen und zum gängigen Topos der Mediengeschichtsschreibung geworden sind.176 Letzten Endes aber, so der sich anschließende Konsens der Initiatoren des Projektes wie auch zahlreicher anderer Bibliothekare, ginge es in der Bibliothek um die Vermittlung von Wissen und Informationen, unabhängig von der Form der medialen Präsentation. Zudem mache man sich unglaubwürdig, würde man auf andere Medien zurückgreifen, in Bezug auf die Videokassette jedoch eine Ausnahme machen. Um jedoch die Nachteile einer internen Medienkonkurrenz zu umgehen, wurde die Einführung der Videokassette mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen begleitet. In fachinternen Kreisen wurde ohnehin nicht von einer Konkurrenzsituation der Medien untereinander gesprochen. Ziel war es daher, eine Form der Medienergänzung177 zu formieren, die die unterschiedlichen Medien auf ihre jeweils spezifische Art und Weise miteinander verbinden sollte.178 Die Bibliothekare

174

Vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 671 ff.

175

Loest, Die Videokassette, S. 98. Ein Teil des Geldes kam vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, dem ebenfalls sehr daran gelegen war, mittels Alternativen und nicht Restriktion dem jugendgefährdenden Videokonsum zu begegnen.

176

Vgl. Loest/Glang-Süberkrüb, Video in der Öffentlichen Bibliothek, S. 28.

177

Vgl. ebd., S. 27 ff.

178

In der Tat ist es inzwischen so, dass Dokumentar- und Sachfilme, vorher auf Video, dann auf DVD, heute in den öffentlichen Bibliotheken nicht mehr gesondert in einer separierten Medienabteilung zu finden sind, sondern zwischen den Büchern des jeweiligen Fachgebietes aufgestellt werden. Eine Idee, die schon

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sahen die Einführung der Videokassette als Chance, die verschiedenen „Kulturen der Wahrnehmung“, das Sehen, Hören und Lesen (wieder) zusammenzuführen und eine angestrebte „Alphabetisierung“179 im Umgang mit den Medien einen Schritt weiter voran zu führen. Die Bibliothek sollte dabei den Ort darstellen, der in einer immer diffuser werdenden Medienlandschaft nicht nur den Überblick behält, sondern diesen auch an den Nutzer weitergibt, um so eine Schneise in die Unübersichtlichkeit des Medienmarktes der 1980er Jahre zu schlagen.180 Dass es nicht nur um die Aufnahme von Videokassetten mit pädagogisch-edukativen Inhalten in das Programm der Bibliotheken gehen dürfte, sondern auch um die neuen Spielfilmveröffentlichungen, scheint offensichtlich, galt es doch die Gewährleistung von Informationen und Kultur durch das Angebot der Institution aufrechtzuerhalten. Gerade die Durchdringung der Strukturmerkmale des neuen Marktes und das ehrliche Interesse am Medium vonseiten vieler Bibliothekare unterschieden den Einzug der Videokassette in die Bibliotheken von dem in anderen Geschäften, die Video und den Videoverleih lediglich aus finanziellen Gründen in ihre Produktpalette aufnahmen. Dass für die Bibliotheken natürlich auch ein anderes Kalkül aufgehen sollte, ist verständlich, wollte man doch mittels eines größer werdenden Angebots von Filmen nun auch jene potenziellen Kunden in die Bibliotheken locken, die diese sonst nicht aufsuchten. Es ging bei diesem Vorhaben darum, zugleich der Bibliothek die ihr oft eigene Aura des Elitären und der hohen Kultur181 zu nehmen, um sie somit für die Gesamtbevölkerung offener zu gestalten.182 Ein weiterer maßgeblicher Punkt, der die Bibliotheken zum Einstieg in den Verleih von Videokassetten drängte, wurde unter dem Konzept des akti-

1984 von der Stadtbibliothek Gütersloh angedacht wurde, jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht zu realisieren war. Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 101. 179

Vgl. Schlötzer, Video: Alternativ- oder Konsummedium?, S. 102.

180

Vgl. Loest/Glang-Süberkrüb, Video in der öffentlichen Bibliothek, S. 28.

181

Tatsächlich reagierte, so Loest in einem im August 2010 geführten Interview, eine konservative Öffentlichkeit zumindest irritiert auf die neuen Angebote der Bibliotheken. Diese Irritation speiste sich nicht nur aus der Angst, dass das neue Medium das Buch verdrängen könnte, sondern vielmehr aus der Stellung, die das Medium Video durch die öffentlichen Debatten um deviante Videoprogramme gesellschaftlich eingenommen hatte.

182

Ebd.

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ven Jugendschutzes zusammengefasst.183 Dieser erfolgte nicht erst aus Eigeninitiative der Bibliotheken heraus, sondern durch die Erwartungen vonseiten der Länder an die Institutionen. Diese Bemühungen sind bis heute in den städtischen Bibliotheken erkennbar. So gibt es einen deutlichen Unterschied im Programm der kommerziellen Videotheken und dem der öffentlichen Bibliothek. Spezifische Genres wie Horror-, Action- und erst recht Pornofilme finden sich nicht in den städtischen Bibliotheken; auch führten die meisten keine oder nur in wenigen Ausnahmefällen FSK-18-bewertete Filme, unabhängig davon, ob sie indiziert waren oder nicht, was sie für die Bibliotheken unattraktiv gemacht hätte. Generell kann man festhalten, dass der besondere Film in der Bibliothek eine weitaus größere Verbreitung erfahren hat und immer noch erfährt als dies in den meisten Videotheken der Fall war.184 Die Bereitstellung wichtiger Werke der Filmgeschichte hatte daher unter anderem zur Folge, dass die Bibliotheken auch den Sachbuchsektor zum Thema Filmtheorie, -geschichte und -analyse ausbauten, sodass sich der Nutzer über das Gesehene tiefergehend informieren konnte und durch die ausgewählte Literatur auf das sprichwörtliche Sehen der Filme vorbereitet war. Besaß der Mediennutzer also durch den Videorecorder die Möglichkeit, sich intensiv mit dem Film und seiner Gemachtheit auseinanderzusetzen, bot die Bibliothek neben der Videokassette auch die nötige theoretische Fundierung, um das Gesehene besser zu verstehen. Im Verbund erlangten Film und Buch somit, sofern sie denn vom Nutzer zusammengeführt wurden, den Charakter einer Einführung in die Filmanalyse, die den Konsumenten nicht mit dem neuen Medium und seiner Verfügbarkeit alleine ließ.185 Hinzu kam eine größere Informationsmöglichkeit über Handbücher zur Technik des Recorders und der Kassetten wie eine Aufrüstung im Bereich der Zeitschriften, die den Kunden über die Entwicklung auf dem Markt un183

Vgl. Martha Höhl, Video in der Bibliothek. Können Bibliotheken Gefahren entgegenwirken? In: Buch und Bibliothek 36/1984, S. 112-119.

184

So wurden die vor wenigen Jahren von den großen Nachrichtenmagazinen Der Spiegel und Focus herausgebrachten Editionen von filmästhetisch hochwertigen Klassikern der Kinogeschichte von Videotheken kaum beachtet, von Bibliotheken aber fast durchgängig in den Bestand aufgenommen, was nicht zuletzt auch an den niedrigen Preisen dieser DVD-Veröffentlichungen lag.

185

War dies zwar nicht direkt in allen Bibliotheken der Fall, wurde die Forderung nach dieser Verbindung schon sehr früh formuliert; vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 666.

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terrichten und zusätzliche Kritiken zu den Spielfilmen bieten sollten, die unabhängig vom Werbeimpetus der Industrie waren, wie man ihn in der kommerziellen Videothek vorfand. Die Bibliotheken setzten hierbei auf Zeitschriften wie die epd Film oder den Filmdienst, die, da in kirchlicher Trägerschaft, kaum Verknüpfungen mit der Industrie aufzuweisen hatten.186 Angedacht waren ebenso, neben der Ausbildung der beratenden Fachkräfte, die den Kunden zu allen Fragen des Mediums zur Verfügung stehen sollten, Veranstaltungsreihen der einzelnen Bibliotheken, die zusammen mit den Nutzern Einführungen in die Technik des Mediums und in die Analyse der Produkte bereithalten sollten, um so eine begleitende, medienpädagogische Betreuung zur Verfügung zu stellen. Gerade an diesem Punkt wird deutlich, wie sehr die Bibliotheken die Aufforderung des aktiven Jugendschutzes ausführten, um präventiv auf die möglichen Gefahren des Videokonsums Einfluss zu nehmen.187 Aufklärung über das neue Medium hatte oberste Priorität; wenngleich auch der Videothekar ähnlich beratend fungieren konnte, so verfügte er meist weder über das nötige Wissen, noch über die finanziellen Möglichkeiten und ergänzenden Medien, um in diesem Punkt mit den städtischen Bibliotheken zu konkurrieren. Aufgrund ihrer Breitenwirkung erschienen die Bibliotheken durch ein bundesweit operierendes Bibliotheksnetz bestens für die Form des positiven Jugendschutzes geeignet, wenngleich auch der Einstieg in den Verleih 1984/1985 eine Form der reagierenden Jugend- und Medienpolitik darstellte und nicht Resultat einer aktiven Kulturpolitik war.188 Daher ist anzumerken, dass sich die Einführung der Videokassette in der Bundesrepublik erst zu einer Zeit ereignete als die Koppelung von Buch und Video in den Räumen der Bibliothek in den USA, England und Italien schon durchaus gängige Praxis war.189 Durch diesen verspäteten Einstieg standen die Bibliotheken einem in der Bundesrepublik dichten Netz von kommerziellen Videotheken

186

Anders als die zur damaligen Zeit schon erfolgreiche und seit 1975 erscheinende Zeitschrift Cinema; vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 668.

187

Ebd., S. 670; Bendig nennt dabei sein für sich sprechendes Unterkapitel „Jugendliche nicht alleine lassen“.

188

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 100. Auch hier sieht Loest eindeutig Parallelen zur Geschichte der Leihbibliotheken, da auch dort gegen die Schmutz- und Schundliteratur ebenfalls nur reagiert werden konnte, um zur Verhinderung eines unmoralischen Schrifttums beizutragen.

189

Vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 660.

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gegenüber, welches bis in kleinere ländliche Gemeinden hineinreichte, in denen größeren Bibliotheken keine wirtschaftlichen Überlebenschancen beschieden waren.190 Deren Erfahrungsvorsprung mit dem neuen Medium galt es dennoch einzuholen. Dabei wurden frühe Erfahrungen mit dem Medium vor allem im Bereich des Einsatzes von Videorecordern in den Kinderabteilungen der Institutionen gemacht respektive durch die Aufnahme und Bereitstellung von Selbstlernprogrammen. Hier ist das auf den zweiten Bildungsweg ausgerichtete TELEKOLLEG (seit 1967) zu nennen, das besonders durch die Dritten Programme in der Bundesrepublik verbreitet wurde, oder how-to-Videos191, wie sie vor allem durch die Erfolgssendung HOBBYTHEK (von 1974 bis 2004 vom WDR produziert) bekannt wurden. Zielten die bisherigen Ausführungen auf die Debatte, ob und wie die Videokassette Einzug in die städtischen Bibliotheken erhalten würde, sollen im Folgenden historische Ursprünge nachgezeichnet werden: Das erste für Nutzer attraktive Videoangebot fand in der Stadtbibliothek Gütersloh statt. Da jedoch die Verbreitungsdichte der Videorecorder 1983 erst bei 9 %192 (1986 dann bei 23 %) lag und die Rechtslage um die Möglichkeiten des Verleihs noch kaum bindend reguliert war193, handelte es sich meist um eine reine Präsensnutzung.194 Der Kunde konnte somit an einem eigens eingerichteten Sichtungsplatz vor Videorecorder und Bildschirm Platz nehmen und dem Programm seiner Wahl folgen.195 Dieses Zögern, schon vor 1984 Anteil

190

Vgl. ebd., S. 661.

191

Dies konnten auch für heutige Tage noch nützliche Filme sein wie „Wie finde ich eine Lehrstelle?“, bis hin zu obskur klingenden Titeln wie „Wie äußere ich meine Gefühle?“; vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 666 ff. Auch diese sollten im besten Fall mit zusätzlicher Literatur, die über das Medium Video und seinen Gebrauch hinausging, verliehen werden.

192

In der Regel legen die Bibliotheken eine Verbreitung von 10 % als Mindestmaßstab an, um die Software für eine sich neu durchsetzende Hardware einzukaufen und im Verleih zur Verfügung zu stellen.

193

Solange die Rechtslage Anfang der 1980er Jahre nicht eindeutig geklärt und die Regelung des Erschöpfungsgrundsatzes noch nicht allgemein anerkannt war, ging vor allem der Bundesverband Video mittels einstweiliger Verfügung und Beschlagnahmungen gegen den Verleih von Kaufkassetten vor; vgl. Loest, Die Videokassette, S. 82.

194

Vgl. Loest/Glang-Süberkrüb, Video in der öffentlichen Bibliothek, S. 9.

195

Dabei dürfte dieser Sichtungsplatz nur von einer Person genutzt werden. Schon ein zweiter Kunde, der über den Rücken des ersten Nutzers hinweg den gesichteten Film mit rezipierte, hätte aus dem Arrangement eine öffentliche Vorfüh-

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am Videoboom zu nehmen, wurde auch durch die Tatsache verstärkt, dass 1983 der Konkurrenzkampf der drei Videosysteme in der Bundesrepublik noch nicht entschieden war, wenngleich sich auch mit einer Verbreitungsrate von 55 % schon eine Mehrheit der Nutzer für VHS entschied.196 Dass sich VHS auch für die Bibliotheken durchsetzte, lag ebenfalls an der vorherigen und nun weiter zu vertiefenden Zusammenarbeit der Institutionen mit den Landesbildstellen (den heutigen Landesmedienzentren), die die Bibliotheken, Universitäten, Schulen und andere Fortbildungseinrichtungen schon seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit Lehrfilmen auf 16 mm und Diafotoreihen für die Lehre ausstatteten. Da die Bildstellen sich 1984 ausschließlich für die Verwendung von VHS aussprachen, war dies neben der hohen Verbreitung des Systems in der Bevölkerung mit ein Grund dafür, auch in den öffentlichen Bibliotheken auf das führende System zu setzen.197 Wie das Jahr 1980 das „Jahr Null“198 für die Videobranche bedeutete, wurde 1984 das „Jahr Null“ für die öffentlichen Video-Bibliotheken. Festzuhalten ist, dass es sich nicht um Bibliotheken in großen Städten handelte, sondern diese Pilotprojekte erst in kleinen Orten für Erfahrungen mit dem neuen Medium sorgen sollten, um von dort ausgehend die Projekte weiter anzupassen. Viele Bibliothekare misstrauten weiterhin dem neuen Medium gerade durch seine öffentliche Rezeption, die vor allem mit dem negativen Image der Videotheken in eine bedeutsame Wechselwirkung trat. In einem kleinen Ort bei Stuttgart konnte der Besucher nun erstmals aus 35 Kassetten auswählen; wenig später verfügten sieben weitere, in ländlicheren Gegenden gelegene Büchereien im Kreis Aachen ebenfalls über die ersten Videokassetten. In Kontakt kam der Mediennutzer hier aber mit dem Medium selbst erst einmal nicht, musste er doch den gewünschten Titel, bei dem es sich meist noch nicht um Spielfilme handelte, sondern um Publikationen der Landeszentrale für politische Bildung, per Katalog aussuchen und den Leihwunsch in Auftrag geben. Dann wurde durch die Bibliothek der Kurierdienst der Bildstelle informiert, sodass der Kunde nach einer Woche das Band vor Ort abholen konnte. In der Bibliothek war das neue Medium also im wörtlirung werden lassen, die gesondert hätte beantragt werden müssen. Gerade aus diesem Grund verfügen sowohl Biblio- wie Videotheken über keine Sichtungsplätze. 196

Ebd., S. 27.

197

Vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 661.

198

Vgl. Hahn/Otto/Pethes, Emanzipation oder Kontrolle?, S. 225.

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chen Sinne nicht anzutreffen, meist nicht einmal durch einen Platzhalter vertreten, sondern lediglich durch eine Liste auszusuchen.199 Um nun ein effektiveres Konkurrenzangebot gegenüber den Videotheken aufzubauen, musste der Anteil an zu leihenden Spielfilmproduktionen maßgeblich erhöht werden.200 So legte die Landesregierung zum Beispiel in Aachen durch die Finanzzuweisung eine Spielfilm-Quote von 80 % im aufzubauenden Bestand fest, mit der die Bibliothekare zu operieren hatten. Zwar blieb den dortigen Referenten offen, welche Videokassetten sie einkauften und dem Nutzer anbieten würden, aber anders als die Videothekare mussten Bibliothekare ihre Auswahlkriterien – und dies gilt bis heute – der Öffentlichkeit gegenüber legitimieren, was nebenbei aufgrund der sozialen und kulturellen Funktion der Bibliotheken schon immer für alle Medientypen, also auch den Buchbestand, galt.201 Wahrscheinlich spielt genau diese Form der Legitimation eine Rolle dabei, dass sich die Bibliothekare oft nicht in einer direkten Konkurrenzsituation mit den Videotheken sahen, sondern eher eine Ergänzung des Medienangebotes beabsichtigten; vielleicht auch, um die drohenden Bedenken eines letzten Endes ungleichen Wettkampfes zu entschärfen. Alternative Programme hatten in den Bibliotheken die Aufgabe, ohne den berüchtigten „Zeigefinger“202 ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Daher setzte man verstärkt auf die vernachlässigten Seiten des Videoangebotes203, auf Kinder- und Sachfilme, Literaturverfilmungen und besonders auf Filme für ausländische Nutzer. Die Bibliotheken begannen recht früh damit, zum Beispiel Videokassetten für türkische Mitbürger in das Sortiment mit aufzunehmen. Wichtig war jedoch, dass diese Filme in einen schon aufgebauten deutschsprachigen Videobestand integriert wurden, damit der Gefahr einer „Ghettoisierung“ türkischsprachiger Filme entgegengewirkt werden und es

199

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 98.

200

Vgl. Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 664.

201

Loest, Die Videokassette, S. 101.

202

Bendig, Die Öffentliche Videothek, S. 666.

203

Fragwürdig ist dabei jedoch, inwiefern die Bibliotheken dann mit anspruchsvollen Filmen in Konkurrenz zum Angebot der Videotheken treten konnten oder dies überhaupt wollten. Zur Sicht der Branche auf die Videos in den Bibliotheken vgl. Jörg Rumbucher, Video in öffentlichen Bibliotheken. Staatliche Konkurrenz für Videotheken? In: Videowoche 45/1992, S. 12-13.

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so nicht zu einer möglichen „medialen Isolation“204 kommen konnte. Hierbei handelte es sich nicht um Filme mit einer türkischsprachigen Tonspur oder Untertitel, sondern zumeist um genuine Medienprodukte aus der Türkei selbst, die auf der einen Seite eine Form der Heimatverbundenheit schafften, auf der anderen Seite aber zudem eine Inklusion der Bürger in heimische, kulturelle Medienpraxen erlaubten.205 Die öffentlichen Bibliotheken stellten sich somit der Herausforderung durch das neue Medium Videokassette, indem sie seine Beschaffenheit, Spezifik und nicht zuletzt ökonomische Verwertbarkeit untersuchten und bestmöglich einsetzten. Die Bibliotheken und deren Projekt der öffentlichen Videothek wurden, trotz manch gegenteiliger Beteuerung des sich gegenseitig ergänzenden Medienprogramms, zwar nicht in ihrem Selbstverständnis, jedoch in der Wahrnehmung der Videothekare zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten der kommerziellen Videotheken. Eine Konkurrenzsituation, die sich nicht nur im Laufe der 1980er Jahre verschärfen sollte, sondern vor allem bis heute anhält. Zum einen durch die jahrelange Erfahrung im Umgang mit dem Medienverleih, zum anderen auch durch die Rückendeckung durch die Kommunen und Länder und deren Gelder konnten es sich die Bibliotheken leisten, das neue Medium in ihren Bestand zu integrieren, ohne Gefahr zu laufen, dass Ansehen und Reputation der Institution der Bibliothek einen erheblichen Schaden nehmen würden. Im Gegenteil kam es eher zur Aufwertung der Videokassette in dem Moment, als sie mit dem Buch und jeglichen Ausformungen der hochwertigen Literatur einen neuen Ort innerhalb der Räume der städtischen Bibliotheken erlangte.206

204

Dietrich Klitzke, Video – das Freizeitmedium Nr. 1 für die türkische Bevölkerung. In: Siegfried Zielinski (Hrsg.), Tele-Visionen. Medienzeiten. Beiträge zur Diskussion um die Zukunft der Kommunikation, Berlin 1983, S. 41-46, hier: S. 46. Hier revidiert Klitzke ein wenig die Möglichkeiten des neuen Mediums Video für ausländische Mitbürger, die er ein Jahr vorher noch deutlich negativer bewertete. Vgl. dazu Dietrich Klitzke, Türkisches Video hierzulande: Tendenziell ein Integrationshemmnis. In: Horstmann, Video, S. 50-56.

205

Loest/Glang-Süberkrüb, Video in der öffentlichen Bibliothek, S. 239 ff.

206

Zur Praxis des Videos in der öffentlichen Bibliothek Bielefeld vgl. Abb. 5-8.

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Abb. 5-7: Einzug eines neuen Mediums

Abb. 8: Video-Bibliotheken

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2.3 Exkurs: Rückkehr des Biedermeier – Die Medienlandschaft der 1980er Jahre Um das Phänomen der Videothek besser greifen zu können, ist wichtig zu verstehen, wie sie sich in das Medienensemble der 1980er Jahre eingefügt hat und welche Medien in direkter oder indirekter Konkurrenz zur ihr standen. Maßgeblich dominiert wurde die Debatte des medientechnischen Konkurrenzkampfes vor allem von Meinungen, die mal das eine, mal das andere Medium auf verlorenem Posten sahen und dessen Niedergang proklamierten. Da die Positionierung von Video als Medium und der Videothek als Ort dieses Mediums stets auf eine Position des Dazwischen hinweist, ist es notwendig, diese beiden Pole in ihrer historischen Parallelentwicklung der Dekade genauer in den Blick zu nehmen. Nach einem kurzen Überblick über die maßgeblichen Entwicklungen auf dem Gebiet der Unterhaltungsmedien, die den Weg ebneten zur „totalen Mediengesellschaft“207, soll der Schwerpunkt auf die Entwicklung des Kinos respektive des Films und des Fernsehens in der Bundesrepublik gelegt werden, war doch die Videotechnik je nach Stand der Technik mal der einen, mal der anderen Seite näher zuzuordnen oder wurde von Vertretern des jeweiligen Mediums in Beschlag genommen; erst mit Beginn der 1980er Jahre wurde Video, wie es unter anderem Bartz208 aufzeigt, eindeutig in die Verwertungskette des Mediums Film überführt. Im Hinblick darauf kann es hier nicht um einen umfassenden Überblick über die komplizierte und von politischen Debatten209 begleitete Frage nach dem Kino und dem Film wie auch dem Fernsehen der 1980er Jahre gehen, sondern nur um einen kursorischen Einblick in größere Entwicklungen, zu denen die Videothek in Wechselwirkung stand. Gerade in Bezug auf die Geschichte der Videothek ist es wichtig zu verstehen, wie die beiden älteren Medien auf die neue Konkurrenz reagierten und wie umge-

207

Werner Faulstich, Auf dem Weg zur totalen Mediengesellschaft. Kleiner Überblick über Daten, Zahlen, Trends der 80er Jahre. Mit Exkursen zu Delta der Venus, Blue Velvet und Alf. In: Christian W. Thompson (Hrsg.), Aufbruch in die Neunziger. Ideen, Entwicklungen, Perspektiven der achtziger Jahre, Köln 1991, S. 97-141.

208

Vgl. Bartz, Video.

209

Zu den medienpolitischen Debatten der 1980er Jahre vgl. Alfred-Joachim Hermanni, Medienpolitik in den 80er Jahren: Machtpolitische Strategien der Parteien im Zuge der Einführung des Dualen Rundfunksystems, Wiesbaden 2008.

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kehrt die Videothek sich die Lage auf dem nationalen Markt zu Nutze machen konnte. Dass die 1980er Jahre als Zeitalter einer neuen Emergenz und Sichtbarkeit der Medien gelten, scheint auf den ersten Blick evident zu sein. Umso erstaunlicher ist es, dass weiterhin viele Ausprägungen dieser neuen Kultur- und Technikformationen Desiderate einer (medien-)historischen Forschung sind. Nicht nur die zentrale Stellung und Rolle des Mediums Video wie auch die Veränderungen auf dem Musikmarkt210 durch die Markteinführung der Compact Disc 1983 und der Siegeszug des Musikfernsehens211 sowie der in ihr ausgestellten Videoclip-Ästhetik212 sind hier zu nennen, sondern gleichfalls die wirtschaftlichen und ökonomischen Veränderungen auf dem Markt der Telekommunikation.213 Das Musikfernsehen, welches Musik in eine neue Form der Visualisierung wandelte und das Musikhören zu einem Musiksehen transformierte, führte so zu einem „Niedergang der Rockkultur“214, wie sie für die 1970er Jahre noch prägend gewesen war. Genuin

210

Vgl. Werner Faulstich, Die Rockmusik der 80er Jahre, Bardowick 1994.

211

Die Geburtsstunde des Musiksenders MTV und dessen Einspeisung in das USamerikanische Kabelnetz am 1. August 1981 sind in dieser Hinsicht symptomatisch für die Musik- und Videoclipkultur der 1980er Jahre. Ab 1983 wurde die Sendung FORMEL 1 (1983-1990) in das Programm der öffentlich-rechtlichen Sender aufgenommen, wohingegen MTV Europe 1988 den Sendebetrieb aufnahm. Gerade die Musikkultur sah sich, ähnlich wie der Film, einer starken Form der Amerikanisierung ausgesetzt, die hier lediglich konstatiert, nicht bewertet werden soll.

212

Interessant ist die Beobachtung, dass Ende der 1980er Jahre nicht mehr die Gefahr von Video im Vordergrund stand, sondern die Frage nach den möglichen Auswirkungen der Videoclips und deren Ästhetik der zerstückelten Wahrnehmung. Vgl. Reinhold Rauh, Videoclips, Bilderflut und audiovisuelle Geschichten. In: Medien + Erziehung 4/1985, S. 210-216; Bernd Schorb, Videoclips kommen gewaltig. Von den mannigfachen Gewaltaspekten in Videoclips. In: Medien + Erziehung 3/1988, S. 132-136; Erich Mohn, Videoclips – eine Bedrohung für die Medienpädagogik? In: Medien + Erziehung 3/1988, S. 137-138; Roland Nachtigäller, Wenn die Bilder zerfallen. Der Videoclip als neues Drehbuch für die Massenkommunikation. In: Medien + Erziehung 2/1989, S. 68-74; Karl Stocker, Eine pädagogische Herausforderung: Videoclips. Thesen zur Rezeption. In: Medien + Erziehung 2/1989, S. 85-90.

213

Auch die ersten Bildtelefone, eine Praxis, die sich bis heute nicht durchgesetzt hat, erreichten in den 1980er Jahren den Markt und versprachen eine Revolution des Telefonierens, die bis heute ausgeblieben ist.

214

Werner Faulstich, Der Niedergang der Rockkultur und die Umbrüche auf dem Tonträgermarkt. In: ders. (Hrsg.), Kultur der 80er Jahre, S. 181-190, hier: S. 181.

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lässt sich jedoch in den Formen des neuen Musikkonsums und durch die Erfindung des Walkmans215, der Ende der 1970er Jahre marktfähig wurde, ein adäquates Bild des zurückgezogenen und verinnerlichten Medienkonsums ableiten, wie es für das Jahrzehnt symptomatisch zu sein scheint. Nah am Körper getragen und von der Außenwelt abgeschnitten, dabei aktiv und passiv zugleich, prägt gerade dieser Typ des tragbaren Kassettenrecorders das Bild des zurückgezogenen und nicht mehr zu kontrollierenden Medienkonsums, der zum Markenzeichen einer ganzen Jugendgeneration werden sollte. Der Rückzug ins Private, wie ihn die Medien der 1980er Jahre vorzugeben schienen, wurde durch die Kultur des Walkmans selbst – und dies ist das Paradoxe – in der Öffentlichkeit vollzogen. Gleichzeitig stand auch diese Form des Konsums im Verdacht der Passivität, dem durch die Kulturtechnik des Kompilierens, des Zusammenstellens eigener Kassetten, in Ansätzen widersprochen wird, wenngleich es sich in den meisten Fällen um einen spielerischen Umgang mit dem Trägermedium Kassette und den Liedern des Radios (oder, wenn es die Technik zuließ, mit den Liedern aus dem neuen Musikfernsehen) handelte, statt eines politisch motivierten. Eine vergleichbare Medientechnik wie sie beim Videorecorder verwandt wurde, der, wie bereits erwähnt, einen ähnlich aktiven Umgang mit dem als passiv markierten Medium Fernsehen und später auch dem Film erlaubte. Wenn mit der Markteinführung der Compact Disc, die mit dem Siegeszug der CD-Single 1988 ihren Höhepunkt erreichte, die 1980er Jahre schon den Beinamen einer digitalen Dekade216 erhalten haben, so gilt dies besonders für die Entwicklungen auf dem Heimcomputermarkt. Diesbezüglich ist hier insbesondere zwischen den Tele- und Videospielgeräten217 und den Heimcomputern zu unterscheiden. Während erstere schon in den 1970er Jahren produziert wurden und durch Preisverfall Produkte der Firmen Atari oder Amiga in die bundesdeutschen Haushalte einzogen, bot der 1982 marktfertige C64 die ersten Möglichkeiten, neben dem Spielen auch zu ar215

Vgl. zur Geschichte des Walkmans: Weber, Das Versprechen mobiler Freiheit, S. 161 ff.

216

Vgl. Werner Faulstich, Die Anfänge einer neuen Kulturperiode. Der Computer und die digitalen Medien. In: ders. (Hrsg.), Kultur der 80er Jahre, S. 231-245, hier: S. 231 ff.

217

Eine Kultur, die sich unter anderem auch in dem Aufbau von Spielhallen wiederfand und in der Praxis, Spielautomaten in Imbissbuden, Lokalen und Kneipen zu integrieren. Vgl. Dirk Rohwedder, Das Automatenspiel. Moderne Freizeitgestaltung, Vaduz 1987.

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beiten sowie selbst zu programmieren. Ähnlich jedoch, wie es sich beim Medium Fernsehen schon gezeigt hatte und in Bezug auf das Medium Video noch zeigen sollte, wuchs besonders bei Pädagogen und Soziologen das Interesse am neuen Medium Computer, die vor allem vor dem negativen Einfluss auf Kinder und Jugendliche warnen wollten.218 Standen diese drei Medien abwechselnd im Fokus der Diskussion, so lässt sich an diesem Interesse von Erziehern, Eltern und Politikern eine Affinität zu einer Medienwirkungsforschung beschreiben, die durch ihre Erkenntnisse eine sich neu etablierende Medienwissenschaft auf der einen Seite mit antrieb, gleichwohl auf der anderen Seite die Diskurse und Thesen um die wirklichen Einflüsse des Mediums, so sie denn sicher bestimmt werden konnten219, oft von Hysterie und nahezu blauäugiger Naivität gekennzeichnet waren. Gerade in Bezug auf die Videokassette und das Programm der Videotheken wird auf diese Verzahnung von Videothekengeschichte, Medienpädagogik und der Debatte um die öffentliche Zensur noch zurückzukommen sein. Wichtig ist hierbei vor allem, dass ähnliche Diskurse sowohl aufseiten des Jugendschutzes wie auch in der Frage des Mediengebrauchs durch Jugendliche eine Vielzahl der Medien in den 1980er Jahren begleiteten und nicht nur exklusiv, obgleich in stark verschärfter Form, auf die Videokassette und die Videotheken zutrafen. Bezeichnend hingegen ist, dass die sich neu entwickelnde Computerund Videokultur, und dies meint Video in der Funktion und im Zusammenspiel mit dem Aufnahme- und Abspielgerät Videorecorder, eine immense Hochkonjunktur im Bereich der Zeitschriften- und Handbuchkultur verursachten. Das Interesse des Mediennutzers lag daher nicht nur im Bereich der Technik der neuen Geräte und Medien, die verstanden werden wollten, son-

218

Besonders markant für die 1980er Jahre und in ihrer Breite öffentlichkeitswirksam sind die Publikationen von Jan Uwe Rogge, dessen berühmtestes Buch als Standardwerk für die öffentliche und an die Eltern gerichtete Auseinandersetzung der Pädagogik mit den neuen Medien gelten darf. Auf deren Einbettung in den Diskurs um die Videothek wird noch zurückzukommen sein; vgl. Jan Uwe Rogge, Heidi, PacMan und die Video-Zombies. Die Medienfreunde der Kinder und das Unbehagen der Eltern, Reinbek bei Hamburg 1985.

219

Zu einem großen Manko der Medienwirkungsforschung gehört bis heute, dass sich bejahende und negierende Aussagen zur Wirkkraft von Medien oft die Waage halten. Medienhistorisch ist daher hier nur die Diskursgeschichte dieser Frage relevant. Vgl. Isabell Otto, Aggressive Medien. Zur Geschichte des Wissens über Mediengewalt, Bielefeld 2008.

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dern darüber hinaus in den Möglichkeiten und Raffinessen, wie diese einzusetzen waren.220 Der Pressemarkt bediente das Bedürfnis der Mediennutzer, sich sowohl aktiv wie auch kritisch mit den neuen Medien auseinanderzusetzen. Der Absatz des Zeitschriftenmarktes widersprach hier den Befürchtungen einer allgemeinen passiven Mediennutzung, die lediglich einen Zustand der Dauerberieselung herbeiführen würde. Wenngleich diese Diversifikation innerhalb des Medienensembles der 1980er Jahre in ihrem Ineinandergreifen noch zu untersuchen wäre, wird im Folgenden ein kurzer Blick auf die medienhistorischen Untersuchungen der Dekade geworfen: Während zeitgenössische Beobachtungen zu Beginn des Jahrzehnts vor allem die Frage nach der Position des Bürgers (Michael Wolf Thomas221) und den sich anbahnenden Veränderungen stellten, nicht ohne sich oft in einer an die 1970er Jahre gemahnenden Ideologiekritik222 zu verlaufen, wagte Christian W. Thompson223 am Ende des Jahrzehnts eine mehr künstlerisch-kulturell angelegte Rückschau in die vergangene Dekade, die zugleich den Blick nach vorn richtete. Einen generellen Überblick über die kulturell-gesellschaftliche Entwicklung der Medien findet zwar auch bei Schildt und Siegfried224, Glaser225 und Wirsching226 statt, jedoch lassen diese

220

Ein genauer medienhistorischer Blick auf diese Zeitschriften- und Handbuchkultur der 1980er Jahre wäre hier in ihrer Gänze eine interessante Untersuchungsperspektive, die nicht nur weiter den Aspekt der passiven Mediennutzung unterminieren würde, sondern zugleich aufzeigt, welche Genealogien im erklärenden Umgang mit Medien vor und nach den 1980er Jahren stattfanden. Ein ähnlicher Zugriff auf diese Beratungskultur findet sich bei Jasmin Meerhoff, Read me! Eine Kultur- und Mediengeschichte der Bedienungsanleitung, Bielefeld 2011.

221

Michael Wolf Thomas (Hrsg.), Die lokale Betäubung oder der Bürger und seine Medien, Berlin/Bonn 1981.

222

Vgl. Klaus Betz/Hort Holzer (Hrsg.), Totale Bildschirmherrschaft? Staat, Kapital und „Neue Medien“, Köln 1983 sowie Klaus Modick/Matthias-Johannes Fischer (Hrsg.), Kabelhafte Perspektiven. Wer hat Angst vor neuen Medien? Eine Anthologie, Hamburg 1984.

223

Thompson, Aufbruch in die Neunziger.

224

Axel Schildt/Detlef Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, München 2009, S. 418.

225

Hermann Glaser, Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Band 3. Zwischen Protest und Anpassung 1968-1989, Frankfurt am Main 1991.

226

Andreas Wirsching, Abschied vom Provisorium 1982-1990, München 2006, S. 436.

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Darstellungen entweder durch den beobachteten Zeitrahmen der Kulturgeschichte der Bundesrepublik ab 1949 oder durch die Schwerpunktsetzung auf die historisch-politischen Ereignisse mehr als einen oberflächlichen Blick auf die Entwicklungen kaum zu. Video als neues Medium findet zwar bei Schildt und Siegfried wie auch bei Wirsching Erwähnung, geht allerdings in der Reihe der Aufzählungen unter.227 Auch eine genuin mediengeschichtliche Aufarbeitung fand abseits der genannten Überblicksdarstellungen bisher nicht in angemessenem Umfang statt. Irmela Schneiders228 bislang dreibändige Untersuchung der Medienkultur der Bundesrepublik Deutschland endet in den 1970er Jahren und auch Werner Faulstichs nun vollständig vorliegende Überblicksreihe über die Kultur des 20. Jahrhunderts kann wegen ihrer scharf gezogenen Dekadengrenzen nicht vollends überzeugen, fehlt hier doch der Blick für Kontinuitäten zwischen den einzelnen Jahrzehnten, die aufgrund des gewählten Formats nicht ausreichend berücksichtigt werden können.229 Einen aktuelleren Blick auf die „neuen Medien der 1980er Jahre“230 und die Auswirkungen des Videorecorders231 auf die Gesellschaft der Dekade wirft hingegen Hendrik Pletz in seinen Aufsätzen, die in ihrer Verquickung von medienwissenschaftlichen und (kultur-)historischen Ansätzen und Fragestellungen einen relevanten Ausgangspunkt bieten für die Schnittstelle von Medien- und Ge-

227

Ein am 29. und 30. November 2010 abgehaltener Autorenworkshop für das Archiv der Sozialgeschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung, der sich mit dem Wandel des Politischen in den 1980er Jahren auseinandersetzte, präsentierte lediglich drei spezifisch medienbezogene Vorträge. Die Fragen nach dem Film und dem Kino, dem Fernsehen und dem Computer wurden (nahezu) gänzlich ausgeklammert. Vgl. den dazu veröffentlichten Band: Archiv für Sozialgeschichte. Band 52/2012. Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 2012.

228

Zuletzt erschienen: Irmela Schneider/Christina Bartz/Isabell Otto (Hrsg.), Medienkultur der 70er Jahre. Diskursgeschichte der Medien nach 1945. Band 3, Wiesbaden 2004.

229

Trotz dieses Kritikpunktes bleibt Faulstichs Untersuchung in ihrer Breite bislang einzigartig. Vgl. Faulstich (Hrsg.), Kultur der 80er Jahre.

230

Hendrik Pletz, Die Materialisierung des Imaginären. Die neuen Medien der 1980er Jahre. In: Elisabeth Tietmeyer u. a. (Hrsg.), Die Sprache der Dinge – kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur, Münster u. a. 2010, S. 203-213, hier: S. 203 ff.

231

Vgl. Hendrik Pletz, Diskursiver Wandel und technische Praxis. Differenzierende Wiederholung im medialen Dispositiv des Videorekorders. In: Achim Landwehr (Hrsg.), Diskursiver Wandel, Wiesbaden 2010, S. 311-333.

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schichtswissenschaft, wie sie für einen Großteil der Medien der 1980er noch zu leisten wäre. Um zu verstehen, inwiefern sich Video in der Verwertungskette von Film und Fernsehen positionierte und gleichzeitig eine eigene Genese durchlief, sei im Folgenden ein Abriss über die Entwicklung dieser beiden Medien eingeschoben. Filmhistorisch wird der Beginn der 1980er Jahre meist in eins gesetzt mit dem Ende des Neuen deutschen Films, der mit dem Oberhausener Manifest am 28. Februar 1962 seinen Anfang genommen hatte. In diesem Manifest forderten 28 Filmemacher nicht nur eine Abkehr von Papas Kino232, sondern auch eine grundlegende Reform der Filmfinanzierung in der Bundesrepublik Deutschland, die es möglich machen sollte, künstlerisch wertvolle Filme zu produzieren. Während dieser Kritikpunkt auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Filmemachens zielte, sollte durch die Abgrenzung von der Vätergeneration ein neuer Film geschaffen werden, der sich mit der Vergangenheit Deutschlands kritisch auseinandersetzte. Nicht nur, dass immer noch die Verantwortlichen vor und hinter der Kamera in ihren Positionen saßen, die sie vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches innehatten und den Ufa-Stil der Goebbels’schen Traumfabrik auf den Leinwänden Nachkriegsdeutschlands weiterführten, sondern auch das Unterhaltungsangebot an den Zuschauer, sich in den bunten Bilderwelten der Heimat- und Revuefilme „ein paar schöne Stunden mit der unbewältigten Vergangenheit“233 zu machen, griffen die Oberhausener damit an. Die Ansprüche eines frühen Trümmerfilms, wie er prototypisch in Wolfgang Staudtes DIE MÖRDER SIND UNTER UNS (D 1946) zu finden war, gingen den Oberhausenern wie Alexander Kluge, Edgar Reitz, Haro Senft und Laurens Straub nicht weit genug und wurden durch die Produktionen der zweiten Welle der Bewegung noch verschärft. Wim Wenders, Volker Schlöndorff, Werner Herzog und vor allen Dingen der umtriebige Rainer Werner Fassbinder wurden da-

232

Papas Kino meinte hiermit die Tradition der Filmindustrie, wie sie sich vor allem im Ufa-Stil gegen Ende der Weimarer Republik entwickelte und dann im Dritten Reich zur Perfektion gebracht wurde. Da es (auch) für das deutsche Kino keine Stunde Null gegeben hatte, blieben nicht nur die schon im Dritten Reich aktiven Filmschaffenden meist in ihren erworbenen Machtpositionen, sondern zudem der Stil der Ufa im deutschen Film sichtbar; und dies selbst nach den Bestrebungen der Besatzer, den Konzern zu zerschlagen.

233

Joe Hembus, Der deutsche Film kann gar nicht besser sein. Ein Pamphlet von gestern. Eine Abrechnung von heute. Mit einem Beitrag von Laurens Straub, München 1981, S. 133 ff.

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mit zu Chronisten der Bilder eines Deutschlands, wie man sie vorher in dieser Weise auf der Leinwand noch nicht gesehen hatte, wie viele sie so auch nicht sehen wollten und die dennoch gerade im Ausland frenetisch gefeiert wurden. Filmhistorisch, so die oft zu lesende, nahezu monokausale Begründung, endete diese Epoche des Jungen respektive Neuen deutschen Films 1982 mit dem Tode Rainer Werner Fassbinders am 10. Juni und dem Aufbruch anderer Regisseure in die Produktionsstätten Hollywoods. Tatsächlich aber waren starke Änderungen im Filmförderungsgesetz mit dafür verantwortlich, dass sich der deutsche Film der 1980er Jahre in einer neuen Krise befand234, die es zumindest nicht ermöglichte, künstlerische und ästhetisch hochwertige Filme zu produzieren. Der „konservative Angriff auf das Kunstkino“235 der Regierung Kohl seit 1982, die den Film als „reine Unterhaltung ansah“236 traf den Neuen deutschen Film hart.237 Öffentliche Gelder wurden weiterhin gekürzt, bereits bewilligte Darlehen nicht ausgezahlt.238 Vorrangigstes Ziel der Filmförderung war es nun, vorausplanend Filme in die Förderungsprogramme der Länder und des Bundes aufzunehmen, die gewinnversprechend waren und sich dem sogenannten Publikumsgeschmack annähern sollten. Die Folge war eine Welle von mit Fördermitteln produzierten Klamauk- und Komödienfilme mit den Schauspielern Otto Waalkes, Mike Krüger, Thomas Gottschalk und Didi Hallervorden, die, so die einhellige Meinung der Filmkritik, den deutschen Film qualitativ „[…] zurück […] fördert[en] in die 50er Jahre.“239 Spricht diese Abkehr des Films von politisch und gesellschaftlich wichtigen Fragestellungen, die zuletzt im Kommentar des Neuen deutschen Films zu den Wirrnissen des

234

Vgl. Walter Uka, Der deutsche Film schiebt den Blues. Kino und Film in der Bundesrepublik in den achtziger Jahren. In: Faulstich (Hrsg.), Die Kultur der 80er Jahre, S. 105-121.

235

Sabine Hake, Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Reinbek bei Hamburg 2004, S. 291.

236

Ebd.

237

Vgl. o. A., Rückkehr zum Schnulzenkartell? In: Der Spiegel 43/1983, S. 225-231.

238

Das bekannteste Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Haltung des Innenministers Friedrich Zimmermann (CSU), Herbert Achternbuschs Film DAS GESPENST (BRD 1982) einen Teil der zugesagten Fördersumme von 300.000 DM vorzuenthalten.

239

Zitiert nach: ASPEKTE: DIE ZUKUNFT TC 00:10:00h.

DES DEUTSCHEN

FILMS, BRD 28.10.1983,

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Herbstes 1977 einen tagesaktuellen Bezug240 genommen hatten, für eine Abkehr des Films von der öffentlich-politischen Bühne, so tauchte auch in Deutschland ein neuer Begriff in den Feuilletons und Filmkritiken auf, der seinen originären Ursprung in Hollywood hatte241: Das Aufkommen des Blockbusters, geprägt durch die Filme Steven Spielbergs und George Lucas’ als Überwinder des New Hollywood-Kinos, wurde durch die Projekte des Produzenten Bernd Eichinger auf die neuesten Filme aus den Bavaria Studios am Geiselgasteig angewandt. Waren also auf der einen Seite die deutschen Komödien gar unpolitische Filme, die ähnliche Genrestrukturen und -poetiken aufwiesen wie das Unterhaltungskino der 1950er und 1960er Jahre242, so standen auch jene Großproduktionen, die oftmals als internationale Koproduktionen angelegt waren, vollkommen im Zeichen des Kommerz einer, so die Kritik, auf Berieselung geschalteten Kulturindustrie. Kriegsfilme wie Wolfgang Petersens DAS BOOT (BRD 1981), Fantasyfilme wie DIE UNENDLICHE

GESCHICHTE (BRD/USA 1984) oder Historienkrimis wie DER NAME DER

ROSE (BRD/F/I 1986) verschafften dem deutschen Film Exportschlager, wie sie seit vielen Jahren kaum noch möglich gewesen waren und werteten zugleich deren Produktionsstätten weiter auf. Wenngleich Filme aus Deutschland wieder exportfähig wurden, schien sich in den Meinungen der Kritiker zu bestätigen, dass der deutsche Film der 1980er Jahre da aufhörte, wo er in den 1950er Jahren geendet zu haben schien. Konstatiert man einen Wandel des Mediums Film bezüglich seiner Förderung und Ästhetik innerhalb der 1980er Jahre, so bleibt für den Film anzumerken, dass er sich zu einem scheinbar völlig apolitischen Unterhaltungsmedium formen ließ und dies bis weit in die 1990er Jahre hinein 240

Wie ihn unter anderem die Filme DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM ODER: WIE GEWALT ENTSTEHT UND WOHIN SIE FÜHREN KANN (R: Volker Schlöndorff/Margarethe von Trotta, BRD 1975), DEUTSCHLAND IM HERBST (R: Alexander Kluge u. a., BRD 1978), MESSER IM KOPF (R: Reinhard Hauff, BRD 1979), DIE DRITTE GENERATION (R: Rainer Werner Fassbinder, BRD 1979) und DIE BLEIERNE ZEIT (R: Margarethe von Trotta, BRD 1981) herstellten.

241

Diesbezüglich ist festzuhalten, dass der Begriff des Blockbusters zwar benutzt wurde, um diesen als Vorlage für kommende deutsche Filmproduktionen zu nutzen, als historische Figuration der US-amerikanischen Filmgeschichte jedoch kaum mit den hierzulande produzierten Filmen zu vergleichen ist.

242

Auch diese Aussagen beziehen sich auf die Wahrnehmung der Zuschauer und der Filmkritik. Eine tatsächliche, stark fundierte Filmanalyse des Unterhaltungskinos der 1980er im Vergleich zu den Genrefilmen der 1950er Jahre verspricht eine weitere spannende Forschungsfrage.

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blieb. Wichtig ist demzufolge festzuhalten, dass die Hinwendung zum Blockbusterkino eine Reaktion auf die Bedrängung durch das USamerikanische Kino bedeutete243, wie es neben Deutschland zudem andere, vornehmlich europäische Länder traf. Und ebenso, so gleichgültig wie mannigfaltig die Ursachen auch sein mögen, bedeutete die Krise des Films in den 1980er Jahren primär eine Krise des Kinos244, gerade deshalb, weil Film nun Teil einer neuen und größeren Verwertungskette war und bis heute bleibt, die zwischen den Polen Kino, Fernsehen und Videokassette oszillierte.245 Die Diskussion um das Kino und den Film der 1980er Jahre konzentrierte sich daher auf die Fragen nach den Möglichkeiten des Orts des Kinos in diesem veränderten Medienensemble wie auch auf die Frage nach den Chancen nationaler Produktionen auf diesem durch die Videotechnik erweiterten Markt.246 Stand beim Film jener Dekade also die Unterhaltung im Mittelpunkt, so traf dies auf das Fernsehen in ähnlicher Weise zu. Beherrscht247 wurde die Diskussion um das Medium vor allem durch das Hinzukommen neuer Sender 1984 wie RTL Plus und Sat 1, die die Monopolstellung der öffentlichrechtlichen Sender brechen wollten und mit ihrem Erscheinen das Duale System formierten.248 Wenngleich es richtig ist, dass beide Sender erst zu 243

Welche sich in den Programmen der Videotheken fortsetzen. Denn wenngleich die Videothek stets eingebunden ist in eine nationale Filmkultur, so sind deren Erzeugnisse meist nicht übermäßiger Bestandteil der Videotheken. Vgl. o. A., Rückkehr zum Schnulzenkartell?, S. 231.

244

Vgl. dazu Kapitel III.1.3 dieser Arbeit.

245

Vgl. Eric Rentschler, Film der achtziger Jahre. In: Wolfgang Jacobsen u. a. (Hrsg.), Geschichte des deutschen Films. Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2004, S. 281-318, hier: S. 281. Zu dieser Verwertungskette traten Anfang der 1990er Jahre noch die Modelle eines neuen Bezahlfernsehens. Vgl. dazu Kapitel I.3.8 dieser Arbeit.

246

Vgl. dazu die Diskussion zwischen Fachvertretern der Film-, Kino- und Videobranche in: VILME ODER FILME – FÜHRT DIE VIDEOKASSETTE ZUM UNTERGANG DES KINOS?; R: Bodo Fründt/Rolf Thissen, BRD 28.03.1983, ab TC 00:16:19h.

247

Neben der Frage der Auswirkung des Dualen Systems stand besonders die Konkurrenz von Video und Fernsehen im Mittelpunkt des Interesses. Vgl. Wolfgang Neumann-Bechstein, Fernsehen und Video. Überholte Konkurrenz oder unterschätzter Konflikt? In: Rundfunk und Fernsehen 3-4/1985, S. 456-468.

248

Obgleich dieses rein juristisch erst 1987 mit dem Rundfunkstaatsvertrag der Ministerpräsidenten vollends abgeschlossen war. Vgl. Knut Hickethier, Geschichte des deutschen Fernsehens. Unter Mitarbeit von Peter Hoff, Stuttgart/Weimar 1998, S. 417.

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Beginn der 1990er Jahre ihr volles Potenzial und gefestigte Sende- und Programmprofile aufgebaut hatten249, so konzentrierte sich doch der Diskurs über das Fernsehen genau auf jene Gefahren, die die Zulassung von privaten Sendern mit sich bringen könnte. Zweifelsfrei erreichte die Verbreitung des Mediums Anfang bis Mitte der 1980er Jahre einen neuen Höhepunkt durch den Ausbau der Kabelnetze sowie durch den Einsatz neuer Satellitentechnologien, die den Fernsehempfang durch Antenne und Receiver nahezu überall möglich machten. Sie transformierten Fernsehen zu einem „allzeit verfügbaren Alltagsbegleiter“250, der ab 1986 erstmals rund um die Uhr ausstrahlte. Auch der Einsatz des Teletextes zu Beginn des Jahrzehnts als Informationsportal der Sender hinter dem regulären Programm schien weiterhin für die durchschlagende Medialisierung des Alltags zu sprechen. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass das Fernsehen der 1980er Jahre geprägt war von den Bemühungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, innovatives Programm für eine möglichst breite Zuschauerschicht zur Verfügung zu stellen. Obwohl also die privaten Sender, deren Phase der Konsolidierung und des Kampfes um „Präsenz und Akzeptanz“251 1988 beendet war und RTL erst 1990 gewinnbringend senden konnte, hatte doch der drohende Konkurrenzdruck Auswirkungen auf die Programmentscheidungen von ARD und ZDF, die von nun an gezwungen waren, sich an der Resonanz der Zuschauer zu orientieren. In dieser Hinsicht setzte man in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit Beginn der 1980er Jahre vor allem auf das Format der Fernsehserie. Während importierte und synchronisierte, wöchentlich ausgestrahlte Serien wie DALLAS (1978-1991) und DER DENVER-CLAN (DYNASTY; 1981-1989), aber auch MAGNUM (1980-1988) und MIAMI VICE (1984-1989) in der ersten Hälfte des Jahrzehnts ins Programm aufgenommen wurden, konzentrierten sich die ARD und das ZDF ab 1985 verstärkt auf Eigenproduktionen und schufen mit der im selben Jahr gestarteten Serie LINDENSTRAßE

die erste deutsche Fernsehsoap, die sich produktionstechnisch an ihren

US-amerikanischen und britischen Vorbildern orientierte, inhaltlich aber den genuin deutschen Alltag den Zuschauern präsentierte. Weitere Beispiele für diese neue Form der Eigenproduktion von Serien waren die SCHWARZ249

Vgl. Jutta Röser/Corinna Peil, Fernsehen als populäres Alltagsmedium. Das duale Rundfunksystem und seine kulturellen Folgen. In: Faulstich (Hrsg.), Die Kultur der 80er Jahre, S. 155-168, hier: S. 155.

250

Ebd.

251

Hickethier, Geschichte des deutschen Fernsehens, S. 415.

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WALDKLINIK

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(1984-1988), KIR ROYAL (1985) und LIEBLING KREUZBERG (1986-

1998). Interessant ist, dass gerade durch das Angebot von Serien die Fernsehanstalten den Videotheken ein Angebot entgegensetzten, welches sie (vorerst) nicht bedienen konnten. Neben dem Aspekt des Livefernsehens baute das Fernsehen damit ein Angebot aus, das erstmals konkurrenzlos blieb. Ob Film und Fernsehen durch die Umstrukturierungen des Jahrzehnts das Gefühl einer neuen Unübersichtlichkeit noch verstärkten, ist in diesem Kontext zweitrangig. Wichtig war hierbei aufzuzeigen, wie sich die etablierten Medien zur Zeit des beginnenden Videothekenbooms zueinander verhielten und wie sie im Laufe der 1980er Jahre maßgeblichen strukturellen Veränderungen unterworfen waren, die nicht nur in direkter Konkurrenz zu den anderen Medien entstanden, sondern auch auf eine sich verändernde Gesellschaft reagieren mussten. Video allerdings war mit Beginn der 1980er Jahre technisch gesehen zwar immer noch das bloße Supplement eines der schon etablierten Medien, doch marktpolitisch, ökonomisch, wie auch in der medialen und kulturellen Praxis hatte man es mit einem neuen Faktor zu tun, der in Form der Videotheken das Medienensemble der Zeit nachhaltig verändern sollte.

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3.1 Familienbetriebe und die Videothek an der Ecke „Heute wird jeder Würstchenbuden-Besitzer Videothekar.“252

„Taxifahrer, Kellner, Fernlastfahrer, Kioskbesitzer“253. Aus diesem „bunten Völkchen“254 setzte sich Anfang der 1980er Jahre das Personal der neu gegründeten Videotheken zusammen. Der Videoboom schien eine „Goldgrä-

252

Fritz Fiedebold, Das freie Spiel der Kräftigeren. Recherchen auf dem Videomarkt. In: Medium 11/1982, S. 4-12, hier: S. 11.

253

Loest, Die Videokassette, S. 68.

254

Ebd.

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bermanie“255 unter den Existenzneugründern auszulösen, die sich bis in die 1990er Jahre stetig aktualisierte, lockte die Branche doch mit dem falschen Versprechen, „ohne viel Arbeit eine schnelle Mark zu machen“256. „Zahlreiche Kindergärtnerinnen, Heizungsmonteure, Gastwirte, Masseure und Anwaltssekretärinnen haben in den letzten beiden Jahren ihren Job gekündigt, eine goldene Zukunft als Videothekar vor Augen.“257 Kaum verwunderlich, dass immer wieder Zyklen von Neueröffnungen und Ladenschließungen, verursacht durch die Probleme und die Unkenntnis des Marktes, neue Gesetzesregelungen und die harte Konkurrenz, die Videothekenbranche in kleinere Krisen führte. Krisen, gegen die sich der einzelne Videothekar wie auch die Branche als Ganzes zu wappnen hatte, wollte man verhindern, dass durch diese, im Eilverfahren aufgebauten Geschäfte jede Welle von Neueröffnungen in eine weitere Welle von Schließungen mündete. Die strukturellen Schwächen und Merkmale, die zu diesem Wechsel führten, schienen schon Anfang der 1980er Jahre vielen dieser neuen Geschäfte eigen zu sein, die sich nur dem Verleih von Videokassetten verschrieben hatten. Ähnlich unorganisiert, wie die Videothekenbesitzer in eine neue Existenz strebten, ist auch die historische Nachzeichnung der ersten Jahre zu betrachten, die nach den modernen Gründungsmythen der Branche eintrat. Zwei Dinge sind im Folgenden herauszustellen: Auf der einen Seite die Frage, welche Probleme von Beginn an intern die Videothekare begleiteten und eine Vielzahl von ihnen daran hinderten, ein erfolgreiches Ladengeschäft zu eröffnen und auch zu halten. Auf der anderen Seite soll danach gefragt werden, was den schlechten Ruf der Videotheken bereits in den frühen Jahren ihrer Existenz ausmachte, wie er sich festigte und wie er vielleicht zu erklären ist. Dass ökonomische Gründe hinter den beanstandeten Filmen in den Auslagen der neuen Geschäfte eine große Rolle gespielt haben, soll ebenfalls im Folgenden ausgeführt werden. Die strukturellen Probleme, die die Branche erfassten und weit über einem Dasein als Kinderkrankheit eines neuen Geschäftszweiges zu werten sind, sind schnell erkannt: So zeichneten sich viele Videotheken dadurch aus, dass es in ihnen kaum Angestellte gab. Entweder arbeitete der Besitzer 255

Ebd.

256

Wenngleich der Vorwurf aus dem Jahr 1988 stammt, galt er sicherlich auch für das Jahr 1980. Siehe: Die Neue Presse schreibt: Videotheken sind nach Pleitephase wieder im Kommen. In: Der Ikarus 10/1988, S. 50.

257

Fiedebold, Das freie Spiel der Kräftigeren, S. 11.

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alleine, oder es handelte sich um Familienbetriebe und -unternehmen, in denen jeder auf seine Art und Weise mithalf, um in den neuen geschäftlichen Alltag integriert zu werden.258 Doch die Probleme, die sich aus einer solchen Form der Geschäftsführung ergaben, lösten die erste Krise der Videotheken nicht allein aus, die schon 1982 zur Schließung vieler erst vor Kurzem geöffneter Läden führte. Auf der einen Seite spielt diesbezüglich das schon erwähnte fehlende Wissen um das Medium und seine Einbettung in die Geschichte und Strukturformen des Films eine Rolle. Das Bild des Videotheken betreibenden Cineasten und Cinephilen259 bildet hierzu eine interessante Kontrastfolie. Hans-Peter Lackhoff verwies in einem Interview darauf, dass es in kaum einer anderen Branche eine solch enge Beziehung zwischen dem Anbieter und seiner Ware gebe wie in der Videothek. Tatsächlich führten Filmfreunde, die sich schon vorher mit dem Medium Film auf anderen Trägermedien, wie insbesondere dem Super-8-Film und dessen Marktchancen, auseinandergesetzt hatten, dazu, das Bild des cinephilen Videothekars zu untermauern. Doch schien dieser letzten Endes eher die Ausnahme zu sein, die mit dem geschäftlichen Alltag der Videothekare meist wenig gemein hatte. Auch wenn es stimmen mag, dass der Cineast hinter der Video-Theke schnell zu einem durch Film und Fernsehen kolportierten Bild einer medialen Legendenbildung wurde.260 Die Tatsache, dass sich viele Betreiber und Inhaber der Videotheken vor ihrer Tätigkeit im eigenen Geschäft gerne Filme angesehen haben, war kein Garant dafür, eine funktionierende Videothek aufbauen zu können. Erschwert wurde der Zugang zu diesem Wissen um das Medium Video (und auch um das Medium Film) vor allem durch den Umstand, dass es Anfang der 1980er Jahre noch in ständiger Bewegung war und wichtige Aushandlungsprozesse, die den Markt beruhigt hätten, noch nicht vollendet waren. Allein der Konkurrenzkampf der drei Systeme untereinander sorgte da258

Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 68.

259

Zu dieser Figuration des Filmliebhabers im Videozeitalter vgl. Marijke de Valck/Malte Hagener, Down with Cinephilia? Long live Cinephilia? And other videosyncratic pleasures. In: dies. (Hrsg.), Cinephilias. Movies, love and memory, Amsterdam 2005, S. 11-24.

260

Eckhard Baum ist dabei wohl der Prototyp des filmbegeisterten Videothekars. Auch die Vita Quentin Tarantinos produziert eine starke und doch mit Vorsicht zu behandelnde Evidenz. Vgl. zu Baum weiterhin: ECKIS WELT, zu Tarantino dagegen das Kapitel III.2.4 dieser Arbeit.

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für, dass zumindest die technische Entwicklung auf dem Videomarkt in einer ständigen Unruhe verharrte, die es erschwerte, die Geschäfte auf die neuesten Entwicklungen reagieren zu lassen. So konnte sich ein Videothekar für alle drei Systeme entscheiden und bespielte Programme auf Beta, Video 2000 und VHS anbieten, zugleich jedoch in Kauf nehmend, weniger Platz für mehr Filme ein und desselben Typs zur Verfügung zu haben. Konzentrierte er sich hingegen nur auf ein System, schloss er damit die Besitzer anderer Systeme aus seiner potenziellen Kundschaft schon im Vorfeld aus. Doch selbst wenn genügend Wissen um die Medien Film und Video vorhanden und meist autodidaktisch erlernt wurde, so reichte dies meist nicht aus, um eine Videothek erfolgreich aufzubauen und sie im Konkurrenzkampf mit den anderen Videotheken, aber auch den anderen Medien, hier vor allem Kino und Fernsehen, bestehen zu lassen. Oftmals ging das fehlende Wissen um kaufmännische Regelungen mit geringem Startkapital oder fehlendem Eigenkapital Hand in Hand, das es ermöglichen sollte, angemessene Räume anzumieten und zu gestalten sowie diese letzten Endes mit einem ansprechenden Angebot zu füllen. Zu den Kosten für die Räume und die zu vermietende Ware kamen außerdem die Kosten für Büromaterial und, wenn nötig, für angestellte Mitarbeiter, die meist, griff man nicht auf Familienmitglieder zurück, auf Aushilfsbasis in den Geschäften arbeiteten. Überlebensfähig waren daher meist nur jene Geschäfte, die durch Tätigkeiten in anderen Bereichen mitfinanziert wurden oder aus diesen hervorgingen. Dies waren einerseits die vorher schon im elektronischen Unterhaltungssektor tätigen Videothekenbetreiber, andererseits Geschäftsleute aus der Unterhaltungs- und Erotikbranche261, denen es möglich war, prestigeträchtige Geschäfte mit einer Vielzahl von Leihkassetten für den Kunden anzubieten. Ebenso besaßen Inhaber und Betreiber anderer Geschäfte gute Startmöglichkeiten, die über kaufmännisches Wissen verfügten, um generell nahezu jedwede Art von Geschäft erfolgreich starten zu lassen. Gerade die Vermischung dieser strukturellen Probleme in Kombination mit dem lockenden Versprechen, mittels der Videokassette reich zu werden, führte zu den beschriebenen verschiedenen Orten des Videoverleihs. Durch den Umstand, dass Kioske, Tankstellen und Supermärkte sich nicht auf den Videoverleih konzentrierten und durch andere Einnahmen gesichert waren,

261

Vgl. o. A., Nahe beim Hauptbahnhof. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 423.

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bevorteilten diese Konkurrenten die regulären Videotheken enorm, zumindest noch in den Jahren, in denen nur ein kleines Angebot an Spielfilmen auf Videokassette zu erhalten war. Das improvisierte Regal des Kiosks konnte mit dem immer größer werdenden Angebot an Filmen schließlich nicht mehr mithalten.262 Wenngleich auch nur ein Bruchteil der neu gegründeten Videotheken tatsächlich in irgendeiner Form mit der Pornoindustrie verbunden war, so führten diese wenigen Geschäfte doch dazu, dass der Ruf der neuen Institution schon von Beginn an mancherorts arg in Mitleidenschaft gezogen wurde, noch bevor die Debatten um den fehlenden Jugendschutz einen ersten Höhepunkt erreichen konnten. Denn ein weiterer maßgeblicher Grund, der das Image der Videotheken zunehmend verschlechterte und deren Geschichte bis weit in die 1990er Jahre bestimmen sollte, waren die zu Beginn des Jahrzehnts in ihnen zu findenden Anhäufungen von pornografischen Filmen sowie von Horror- und Actionvideos. Wenngleich diese Genres die Videotheken berüchtigt wie berühmt werden ließen und an ihnen eindeutig zu erkennen war, was das Gegenprogramm zum Kino und Fernsehen sein wollte – und sein musste –, so ist wichtig zu betonen, dass diese Konzentration von gesellschaftlich beanstandeten Filmen in den neuen Geschäften einen historischen Hintergrund hatte, der letzten Endes in einfachen ökonomischen Interdependenzen zu finden und aus diesen zu erklären ist. Dies ändert auf der einen Seite zwar nichts an den Fragen und Anforderungen, denen sich die Videothekare vonseiten der Gesellschaft und des Jugendschutzes stellen mussten, wohl aber an dem häufig aufkommenden Vorwurf, die Videotheken würden aus reiner Profitgier deviante Videoprogramme zum Leihen anbieten. Tatsächlich hatte die Anhäufung von Porno- und Horrorfilmen eine Ursache in den angesprochenen Finanzierungsproblemen, denen sich die Videothekare Anfang der 1980er Jahre ausgesetzt sahen. Der Einkauf von bespielten Programmkassetten, die schließlich auch verliehen werden durften, war einer der kostenintensivsten Faktoren, für die der Videothekar Startkapital bereithalten musste. Um möglichst große Kundenschichten auf die

262

Als ernst zu nehmende Konkurrenz spielten diese Leihstellen spätestens ab der Mitte der 1980er Jahre kaum noch eine Rolle. 1989 verliehen nur ein Anteil von 7,5 % des Radio- und Fernsehfachhandels sowie 17,5 % der Kioske und Tankstellen Videokassetten. Vgl. Kay Hoffmann, Videomarkt Bundesrepublik, S. 280.

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neuen Geschäfte aufmerksam zu machen und diese dann ebenso an eine spezifische Videothek zu binden, war der Betreiber darauf angewiesen, für die drei unterschiedlichen und nicht kompatiblen Formate und Geräte Kassetten bereitzustellen – und dies in ausreichender Menge. Einen Film nur einmal im Angebot zu haben, bedeutete nicht nur, seine Einnahmen zu beschränken, sondern gleichfalls dem Kunden das Gefühl zu geben, keine Möglichkeit der Auswahl besitzen zu können. Die Emanzipation des Kunden von den Bedingungen des Kinos wie auch des Fernsehens sollte durch das Programm der Videotheken aufgefangen werden. Oberste Priorität hatte daher (und hat bis heute) das Zusammenspiel von Kopientiefe, also die ausreichend zur Verfügung gestellten Exemplare eines bestimmten Films, und der Programmtiefe, die eine große Auswahl an unterschiedlichen Filmprogrammen bezeichnet. Die meisten Videotheken setzten folglich, um mit dem niedrigen Budget zu operieren, auf die Kategorie des C-Films. Hierbei ist anzumerken, dass der Kategorie des C-Films in der Videothek und ihrer Geschichte eine besondere Bedeutung zukommt. Die Kategorie C-Film kann zunächst – und auch dies bis heute – in ihrer basalen Bedeutung die Preiskategorie eines Films bezeichnen. In heutigen Videotheken ist ein Film der Preiskategorie C ein Film, der pro Verleihtag weniger kostet und schon länger im Verleih zu finden ist als die Filme der übergeordneten Kategorien A und B.263 Dies heißt auf der einen Seite, dass der Film meist Teil des Back-Programms der Videothek ist, zu deren Ausgestaltung es keine verbindlichen Regelungen gibt, an welche sich die Videothekare halten müssen. Was in der einen Videothek Teil des BackProgramms ist, kann in der anderen noch in einer höheren Kategorie verliehen werden. Auf der anderen Seite heißt dies aber in Bezug auf den C-Film auch, dass die Kassette schon einer gewissen Abnutzung unterliegt. Ging man Anfang der 1980er Jahre noch von 50 Verleihvorgängen pro Film aus, bis sich erste Mängelerscheinungen, wie das Verblassen der Farbstärke oder Schäden am Band feststellen ließen, so waren es nach wenigen Jahren und der Festlegung auf das VHS-Format 50 bis 100, wenig später dann 200 Verleihvorgänge. Zahlen, die gerade bei Top-Titeln schnell erreicht wurden.264 263

Die meisten Videotheken verfügen in ihren basalen Ausleihstaffelungen über zwei bis drei Preiskategorien.

264

Der Videothekar hat meist lediglich die Kontrolle über die Ausleihvorgänge, weiß aber durch diese nicht, wie oft ein Film abgespielt wurde. Von den Ver-

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Der C-Film im frühen Diskurs der Videothekengeschichte meint jedoch meistens nicht die an preisliche Verleihkategorien gebundenen Vermietgegenstände, sondern bezieht sich auf die filmische, narrative und inszenatorische Qualität des Films sowie auf seinen damit zusammenhängenden niedrigen Einkaufspreis. Gemeint waren damit meist Horror- und Actionfilme, Pornos sowie Eastern, wodurch dem Label C-Film zeitgleich eine besonders starke Gefährdung für Kinder und Jugendliche unterstellt wurde. Als gefährlich galt hierbei nicht nur das zu Sehende, sondern in gleichem Maße die bloße Masse, aus der der Kunde wählen konnte. Die Gleichung schien hier auszusagen, dass billig in eins zu setzen war mit gefährlich. Abzugrenzen bleibt schließlich noch die Kategorie des C-Films von den durch die Filmindustrie bekannten B-Filmproduktionen265 der Hollywoodproduktionsstätten der 1940er und 1950er Jahre. B-Film bezeichnet in diesem Kontext Filme, die als Exerzierfeld galten, um neue Stars, Genres und Narrative auszuprobieren, bevor diese in den Prestigeproduktionen eingesetzt wurden. Die dem B-Film ähnliche Kategorie ist daher nicht der C-Film der Videothek, sondern die Videopremieren und Direct-to-Video-Vermarktungen, auf die noch zurückzukommen sein wird. Die in Bezug auf die Videotheken genutzte Kategorie des C-Films blieb somit eine (Vor-)Verurteilung, die en gros und kaum differenzierend vonstattenging. C-Filme waren billig produzierte Filme aus dem Ausland, die meist neu oder schlecht nachsynchronisiert die Genres Action, Horror, Krieg und Eastern bedienten. Obgleich es sich ebenso um Filme handeln konnte, die in Deutschland eine Kinoauswertung erhielten, ohne dass diese Prostest vonseiten der Pädagogen, Politiker und besorgter Eltern evozierten, bildeten sie doch das zukünftige Gefahrenpotenzial der Auslagen der Videotheken. Eine besondere Stellung nahm und nimmt hier die Pornografie ein, die nicht als C-Film gekennzeichnet wurde, sondern sui generis aus jeglicher hierarchischer Bewertung herausfiel. Der C-Film der Videothek war nicht nur mitverantwortlich für den schlechten Ruf und das Image der Geschäfte, sondern ebenso für ihr Auf-

schleißerscheinungen des Materials sind heute besonders die DVD und ihre Nachfolgemedien betroffen, die alleine durch ihre sichtbare Oberfläche anzeigen, dass die DVD nach mehreren Leihvorgängen stark genutzt wurde. 265

Zum filmhistorischen Begriff des B-Films vgl. Andreas Rauscher, Artikel B-Film. In: Thomas Koebner (Hrsg.), Reclams Sachlexikon des Films. Mit 148 Abbildungen. Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2007, S. 71-73.

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kommen; denn nur durch die billigen Einkaufspreise war es einer Vielzahl von Unternehmern möglich, Geschäfte hochzuziehen und diese mit einem ausreichenden Verleihangebot auszustatten. Dies lag primär daran, dass die großen Verleihfirmen der US-amerikanischen Filmstudios dem neuen Medium skeptisch gegenüberstanden und ein Misstrauen der Medien untereinander wiederholten, wie es in Deutschland zwischen Film und Fernsehen erst wenige Jahre zuvor überwunden wurde.266 Wenngleich sich die Öffnung der Filmarchive der großen Studios für die Fernsehanstalten des Marktes im In- und Ausland als lukrative neue Einnahmequelle erwiesen hatte267, befürchtete man durch das neue Medium Video und die ebenfalls neue Haptik des Mediums die Kontrolle über das filmische Eigentum zu verlieren.268 Nur zögerlich stiegen so Anfang der 1980er Jahre die US-amerikanischen Firmen ins Videogeschäft ein, doch schienen sie innerhalb kürzester Zeit den deutschen Videomarkt zu großen Teilen zu beherrschen. Ähnlich der big five, die in Hollywood der Studioära den Filmmarkt kontrollierten, wurde auch der Videomarkt in Deutschland der 1980er Jahre von fünf Firmen dominiert269: Warner, CBS/Fox, CIC, Eurovideo und RCA/Columbia setzten den US-amerikanischen Einfluss auf den Film nun auf Video fort.270 Obwohl sie erst zögerlich die im Kino ausgewerteten Erfolge auf Videokassette herausbrachten, verursachten sie durch ih-

266

Schlagworte wie das 1955 formulierte Statement des Filmproduzenten Walter Koppel „kein Meter Film fürs Fernsehen“ zeugen vom einstigen Konkurrenzkampf, der sich erst in den 1970er Jahren zu lösen begann.

267

So kaufte die ARD 1984 für 300 Dollar ein Filmpaket aus Hollywood, um damit das eigene Programm zu bespielen. Vgl. o. A., Lachende Hühner. In: Der Spiegel 8/1984, S. 105 f. sowie o. A., Traumfabriken erstrahlen in neuem Glanz. In: Der Spiegel 48/1980, S. 48.

268

Diese Aushandlungsprozesse das Fernsehen betreffend kulminierten 1984 im Urteil des sogenannten Betamax Case, der es Nutzern unter anderen erlaubte, über das aus dem Fernsehen aufgenommene Programm zu verfügen. Vgl dazu: Kay Hoffmann, Videoboom in den USA. Veränderungen auf dem Film- und Fernsehmarkt. In: Media Perspektiven 10/1984, S. 767-772, hier: S. 772.

269

Vgl. Siegfried Zielinski, Der Heimvideomarkt im zehnten Jahr. Bestandsaufnahme und neuere Tendenzen – besonders im Hinblick auf die Software. In: Media Perspektiven 8/1987, S. 507-516, hier: S. 514.

270

Auf deutscher Seite setzten sich insbesondere Constantin Video, Atlas, PolyGram und Taurus durch. Vgl. Thomas Radevagen/Siegfried Zielinski, Video-Software 1984 – Strukturen des Marktes und Tendenzen des Angebotes. In: Media Perspektiven 4/1984, S. 372-387, hier: S. 385.

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ren Einstieg ins Verleihgeschäft eine der ersten Videothekenkrisen der 1980erJahre. Während die erste Phase des Verleihmarktes 1979 durch Angebote aus dem Bereich der Aus- und Weiterbildung sowie von einem Großteil pornografischer Filme dominiert wurde, griff man in der zweiten Phase bis Ende 1981 vor allem auf das aus dem Bahnhofskino abgeführte Genrekino zurück. Der Einstieg der Majors markierte in Anschluss daran die dritte Phase des Softwareangebotes des deutschen Videomarktes.271 Da der Einkaufspreis einer Kassette bei rund 200 DM liegen konnte und die Videotheken darauf angewiesen waren, die nun in die Regale drängenden Blockbuster in angemessener Stückzahl zu präsentieren, konnten kleinere und kapitalschwache Geschäfte nicht aufrüsten. Das Einhalten des Gleichgewichts zwischen Kopien- und Programmtiefe schien für die meisten Videothekare nicht mehr möglich zu sein. Das Ausbleiben dieser Balance, die steigenden Einkaufspreise, das fehlende Angebot und das Erstarken einer Konkurrenz, die diese Filme ins Programm aufnehmen konnte, drängten viele kleine Videotheken vom Markt, obwohl manche noch einige Jahre durch das Ausfüllen einer Nische auf dem Videomarkt überdauern konnten. Der Schritt der Major Studios auf den Filmmarkt, der als eigentlicher Beginn der Videothekengeschichte in der Bundesrepublik angesehen werden kann, führte in Deutschland zu einer Organisation der Filmindustrie, um die Interessen der Videoanbieter zu vertreten. So wurde 1982 der Bundesverband Video e. V.272 (BVV) gegründet, um sich für die Anliegen der Anbieter stark zu machen und deren Interessen zu vertreten. Während besonders die Industrie versuchte, organisiert auf den deutschen Markt Einfluss zu nehmen, sollte der Verbraucher ebenfalls über die Möglichkeiten des neuen Mediums Video über seine Vor- und Nachteile informiert werden. Zu diesem Zweck wurde schon vor dem BVV am 7. Mai 1980 das Deutsche Video Institut (DVI) auf die Initiative von sechs Fachhändlern respektive deren Repräsentanten sowie eines „unabhängigen Branchenkenners“273 gegründet. Vermittlung innerhalb des Marktes zwischen Anbietern und Händlern, aber auch die Bera-

271

Ebd., S. 379.

272

Heute Bundesverband Audiovisuelle Medien e. V. Vgl. http://www.bvv-medien.de/ index.php?content_id=37 (Zugriff am 01.04.2014). Zur Geschichte des BVV vgl. o. A., Der Bundesverband Video. Vor zehn Jahren aus der Taufe gehoben. In: Videowoche 39/1992, S. 14-15.

273

Vgl. o. A., Medien-Beratung: Das Deutsche Video Institut. In: Videografie 4/1982, S. 240-241.

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tung und das Informieren des Endverbrauchers, um ihm die Angst vor dem neuen Medium zu nehmen und den Umgang mit diesem zu erlernen, bildeten die Agenda des DVI in den 1980er Jahren.274 Während der BVV vor allem Vertreter der Filmindustrie umfasste und das branchenfinanzierte DVI Informationspolitik leistete, gehörten in der Regel die Videothekare selbst weder der einen noch der anderen Organisation an. Trotzdem dienten ihnen diese Organisationen als Informationsplattformen über die Entwicklungen des Marktes. Da die Videothekare jedoch nicht erst seit der ersten Videothekenkrise 1982 einer Vielzahl von steigenden Problemen gegenüberstanden, zu denen es sich zu positionieren galt, wurde versucht, sich zumindest auf Landesebene zu organisieren. 1983 kam es so schließlich zur Gründung des IVD e. V., der Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands. Obgleich es Anfang der 1980er Jahre nicht nur den IVD gab und bereits ein älterer Verband der Anbieter275 zeitweise parallel existierte, so soll doch im Folgenden anhand der Geschichte der IVD ein Bild der deutschen Videothekengeschichte der Bundesrepublik Deutschland nachgezeichnet werden. In diesem Zusammenhang geht es in dieser geschichtlichen Darstellung um zwei wichtige Aspekte: Auf der einen Seite soll das angesprochene Desiderat in der medienhistorischen Forschung ein Stück weit bearbeitet werden, um aufzuzeigen, wie sich die Institution Videothek in den 1980er Jahren etablierte und festigte sowie mit welchen Problemen diese neuen Geschäftsformationen über die Grenzen der Dekade hinaus konfrontiert waren. Daher soll zweitens mittels der Geschichte der Videothek die andere Seite der Mediengeschichte der 1980er Jahre beschrieben werden, die, gerade wenn es um die Herausforderungen des neuen Mediums Video geht, recht einseitig verfährt und den Blickwinkel der Videothekare kaum beleuchtet. Diesbezüglich ist zu beachten, dass die Geschichte der Videothek nicht vollends deckungsgleich ist mit der Geschichte des IVD der Bundesrepublik, der als Verband zwar eine große Anzahl an Videotheken 274

Maßgeblich prägte Dr. Klaus Müller-Neuhof als Geschäftsführer die Aktivitäten des DVI in den 1980er Jahren. Vgl. seine Aussage zu den Zielen des DVI in: VILME ODER FILME, TC 00:17:44h. Unter anderem gab das DVI das Videokursbuch heraus, welches die wichtigsten Entwicklungen des Marktes, der Wirtschaft, der Technik und Anbieter zusammenfasste. Auch hier jedoch, ohne den Markt der indizierten Filme in diese Übersichten mit einzubeziehen.

275

Gemeint ist der Verband der Deutschen Videofilm-Verleiher, der sich aufgrund des erfolgreichen Starts des IVD 1985 auflöste. Vgl. dazu auch Kapitel I.3.2 dieser Arbeit.

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zusammenfasste, es aber nicht zwingend notwendig war, als Videothek diesem beizutreten. Dennoch lassen sich durch ihn und seine Funktion als Sprachrohr der Branche strukturelle Probleme der Videotheken wie auch gesellschaftliche und juristische Herausforderungen extrapolieren und darstellen. Um ein konzises Bild der Geschichte der neuen Institution Videothek zu gewährleisten, wurden zwei Wege beschritten: Auf der einen Seite fand eine Recherche in den gängigen Fachzeitschriften der 1980er Jahre statt. Ausgewertet wurden die Jahrgänge 1978 bis 1992 der Zeitschriften Media Perspektiven, Medien + Erziehung, Medium und Rundfunk und Fernsehen. Ergänzt wurde diese Form der Diskursanalyse durch relevante Artikel aus dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.276 Andererseits wurde zudem der Versuch unternommen, die genuinen Publikationen des IVD in die Recherche und das Nachzeichnen der Geschichte der Videotheken in den 1980er Jahren mit einzubeziehen. Hinsichtlich dessen taten sich zwei Schwierigkeiten auf, die dieses Vorhaben nicht zwingend erleichtert haben; denn obwohl es mit dem Aufkommen der Videokassette einen enormen Boom der kommerziellen Zeitschriftenliteratur gab, die sich vor allem an den Besitzer und Freund des Videorecorders und der Videokassette wandte, so sind diese heute kaum noch einzusehen respektive in ihrer Bandbreite zu erfassen (vgl. Abb. 9).277 Das zweite Problem sind die Zeitschriften der Branche selbst: Wie bereits angedeutet, haben selbst die großen Videothekenketten kaum bis gar kein Interesse daran, Auskunft über ihre Firmengeschichte zu geben, geschweige denn diese selbst zu schreiben. Versuche, mehr über diese Entwicklungen herauszufinden, blieben erfolglos. Auch der IVD verfügt nur über ein unvollständiges Archiv seiner eigenen Publikationen. Ausgewertet wurde daher vor allem – und dies hier zum ersten Mal in dieser Breite – die Zeitschrift

276

Auffallend war bei dieser Recherche, wie sehr Video in seiner Ausformung als Videokassette auch in den 1980er Jahren schon losgelöst wurde vom Ort der Videothek. Kaum ein Artikel setzte sich explizit mit den neuen Geschäften auseinander.

277

Vgl. dazu die Ausführungen zur Situation des Zeitschriftenmarktes in: Radevagen/Zielinski, Video-Software, S. 162. Diese zeichneten sich durch eine „sehr üppige und bunte Aufmachung“ aus, böten „keine Orientierungshilfefunktionen“ und seien dennoch mehr als bloße Werbung; ebd., S. 163 sowie Stefan Jakob, Jubel auf Hochglanz. Video Zeitschriften. Ein Überblick. In: Medium 11/1982, S. 17-20.

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Ikarus, auf deren Entstehen und Besonderheiten noch einzugehen sein wird. Wenngleich diese vom IVD selbst nicht vollständig archiviert wurde, gelang es doch, die Zeitschrift ab Dezember 1985 bis Dezember 1989 auszuwerten, um sich so ein Bild über die Geschichte des IVD und der Videotheken in der Bundesrepublik zu verschaffen. Ergänzt wurde diese Recherche durch die Auswertung der Jahrgänge 1990 bis 1992 der Zeitschrift Videowoche, die als eigenständiges Magazin ab 1987 eine Schnittstelle zwischen den Videothekaren und dem Handel darstellte und sich selbst als offiziellen Partner der IVD bezeichnete. Die Videowoche berichtet bis heute über die Entwicklungen auf dem Video- und Heimmedienmarkt sowie über die Aktivitäten der Branche. Zusätzlich stellt sie die Neuheiten der kommenden Wochen kurz vor, sodass der Videothekar auswählen kann, welchen Film er für seine Geschäfte erwerben möchte. Ein wöchentlicher Einkaufsplaner, der die Filme auf Qualität und Rentabilität testet, die Preise und Vertreiber auflistet, hilft dem Videothekar, möglichst effizient die kommenden Neuheiten zu überblicken und zu bestellen. Da der Ikarus 1990 eingestellt wurde und durch die kleineren Formate der IVD-Infopost ersetzt wurde, die nicht eingesehen werden konnten, soll durch die Auswertung der Videowoche sichergestellt werden, dass weiterhin ein präziser Blick auf die Videothekengeschichte bis 1992 gewährleistet ist, der es erlaubt, die Geschichte der Institution Videothek anhand der Aktivitäten des größten und langlebigsten Fachverbandes nachzuzeichnen.278

278

Die Auswertung der Videowoche war vor allem durch die Spende von Herrn Dr. Erhard Kranz möglich, der mir seine Sammlung des Magazins zur Verfügung stellte.

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Abb. 9: Der Video-Zeitschriftenmarkt der 1980er Jahre

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3.2 Die Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands e. V. (IVD) Zehn Jahre nach der Gründung der Interessengemeinschaft der Videothekare Deutschlands e. V. (IVD) fasste der seit November 1984 amtierende Vorsitzende Hans-Peter Lackhoff279 auf der Jubiläumsfeier in Düsseldorf am 18. September 1993 die Geschichte des IVD und damit auch die Geschichte der Videotheken in Westdeutschland in folgenden Stichworten zusammen: „Zehn Jahre IVD. Zehn Jahre Wegstrecke. Begonnen von einem Dutzend rheinischer Videothekare im Widerstand gegen überzogene Maßnahmen der Staatsanwaltschaft. Zehn Jahre Wegstrecke hin zu einem bundesweiten Berufsverband. Diesen Weg über zehn Jahre haben uns begleitet: Schlagworte wie Videothekenrazzia, „Mama, Papa, Zombie“, Dampfwalzenaktion, Vermietverbot, Messen in Wiesbaden, Kassettenberg, Leasing-, Rückkaufkonzepte, Anbietervisionsvideotheken, Filmförderungsabgabe, Ostpartnerschaften und viele andere mehr. Aktuelle Schlagworte sind Runder Tisch, finanzierbare Kopientiefe, Gemeinschaftswerbung.“280

Fassen diese Schlagworte, die Teil der Eröffnungsrede der Feierlichkeiten des IVD waren, markante Punkte in der Geschichte des Verbandes zusammen, so stehen sie doch ebenfalls für eine Geschichte der Videothek in der Bundesrepublik als solche ein. Aus dem Zusammenschluss von verschiedenen Videotheken des Ruhrgebiets, aus den Städten Düsseldorf, Wuppertal und Mönchengladbach kommend, entstanden, bietet der IVD seit 1983 eine Anlaufstelle für einzelne Videotheken oder ganze Ketten, für die Betreiber von Internet- und Automatenvideotheken. Auf Initiative von Dieter Richter aus Mönchengladbach kam es am 25. September 1983 zu einem ersten Treffen von circa 40 Videothekaren im Bonner Hotel Bristol, um sich gemeinsam zu organisieren.281 Tatsächlich existierte zu diesem Zeitpunkt schon der Verband deut-

279

Gründungsmitglied und Videothekar Hans-Peter Lackhoff wurde am 25.11.1984 als Nachfolger von Dieter Richter zum Vorsitzenden des IVD gewählt und wurde 1986 hauptamtlicher Geschäftsführer des Verbandes.

280

Zitiert nach: 10 JAHRE IVD. EIN GRUND 1993, TC 00:03:50-00:04:49h.

281

Vgl. Hans-Peter Lackhoff, Geschichte der IVD... Teil 1. In: Der Ikarus 5/1988, S. 12-15, hier: S. 12.

ZUM

FEIERN; R: Karsten Kilthau, BRD

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scher Videofilm-Verleiher unter der Leitung von Gerd Cremer282, der sich aber, so die Aussage des Vorsitzenden, in einem desolaten Zustand befand und dringend um Unterstützung bat.283 So formierte sich aus der „Arbeitsgruppe rheinischer Videothekare“284, bestehend aus Videothekaren aus Düsseldorf, Essen, Neuss, Bonn, Wuppertal, Duisburg, Mönchengladbach und Jülich mit dem IVD ein eigener Verband, der schon im Oktober 1983 seine Zielsetzungen formulierte, die aus den folgenden Punkten bestanden: „1. Wir sind für die Einhaltung des Jugendschutzes – aber wir sind gegen Übergriffe und Beamtenwillkür. Wir sind gegen einseitige Medienberichterstattung.285 2. Wir sind gegen ungleiche Behandlung von Presse – Kinos – und Videotheken. 3. Anbieter. Wir sind gegen unseriöse Praktiken der Anbieter, wir sind gegen gleiche Filme unter anderen Titeln. Heute teuer auf Video – morgen billig im Fernsehen. Bessere Reklamationsbearbeitung. Transportrisiko zu Lasten des Anbieters. Faire Lieferungs- und Zahlungsbedingungen. Filmmaterial. Rabatte für Mitglieder des Verbandes. Verbandsinformationsschrift. Hilfestellung bei Problemen mit Vertretern und Lieferanten.“286

Gegen eine jährliche Mitgliedschaftsgebühr und geringe Unkosten unterstützt der IVD seitdem den Aufbau der Ladengeschäfte vom optimalen Verleihangebot und dessen Repräsentation bis hin zu den kaufmännischen Fragen der Videothekenneugründung.287 Neben den praktischen Ratschlägen 282

Vgl. o. A., Gemeinsam sind wir stark. In: Das Video-Jahrbuch 83, S. 11 wie auch: o. A., Gerd Cremer weiter im Amt. In: ebd., S. 39.

283

Tatsächlich bat Gerd Cremer immer wieder um Mithilfe respektive um geschlossenes Eintreten in den schon bestehenden Verband, was aber am 13.11.1983 auf der 1. Mitgliederversammlung des IVD erneut abgelehnt wurde. Für den weiteren Verlauf einer deutschen Videothekengeschichte spielt er keine Rolle. Vgl. Lackhoff, Geschichte der IVD… Teil 1, S. 13.

284

Ebd.

285

Diese Forderung, 1983 gestellt, zeigt auf, dass schon vor dem Höhepunkt der medialen Berichterstattung über jugendgefährdende Videoprogramme die Fragen des Jugendschutzes auf der Tagesordnung der Branche standen. Zu groß waren die Unsicherheiten, was erlaubt war und was nicht, zu groß die Reaktionen von Staatsanwaltschaft und Polizei.

286

Lackhoff, Geschichte der IVD... Teil 1, S. 13.

287

Vgl. „Merkblatt Videothekenneugründung“ auf der Homepage des IVD sowie die bestellbaren Broschüren „IVD-Neugründermaterialien: Video- und Mediatheken. Unterlagen für Existenzgründer“; vgl. www.ivd-online.de (Zugriff am 01.04.2014).

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zum Einstieg in das eigene Geschäft plant und vollzieht der IVD seit seiner Gründung in den 1980er Jahren bis heute Aktionen, welche die Stellung der Videothek fördern und stärken sollen, um damit dem Punkt der „Verbandsinformationsschrift“ im Besonderen und jenen der generellen Forderungen im Allgemeinen nachzukommen. Die Anerkennung der Videothek als kultureller Ort und Institution288, die Problematik der Öffnungszeiten an Sonnund Feiertagen, wie die Frage nach einem internen Umgang mit der zyklisch wiederkehrenden Debatte um Gewalt- und Horrorvideos in den Leihgeschäften bilden nur die größten Kampagnen in den nunmehr letzten 29 Jahren, deren Entwicklung es für die ersten zehn im Folgenden nachzuzeichnen gilt. In dieser Hinsicht standen besonders das Vorgehen gegen ein mögliches Vermietverbot und die damit zusammenhängenden Fragen des Jugendschutzes beim ersten Treffen im September 1983 in Bonn auf der Agenda der Videothekare und wurden dort mittels einer Unterschriftenaktion forciert, welche auf der 1. Mitgliederversammlung im November schon 25.000 Unterschriften zusammengetragen hatte.289 Der Wortlaut des Textes, unter den möglichst viele Kunden ihre Unterschrift setzen sollten, lautete: „Ich möchte in dieser Videothek auch weiterhin als mündiger Bürger behandelt werden und möchte weiterhin das Erwachsenen-Programm sowie nach Lust und Laune indizierte oder pornographische Videofilme ausleihen dürfen. Ich protestiere mit meiner Unterschrift gegen das geplante Ausleihverbot in Videotheken und halte eine Gesetzesänderung, die meine persönliche Freizügigkeit einschränkt, für unvereinbar mit dem Grundgesetz.“290

288

Vgl. Hans-Peter Lackhoff/Reinhold Eischot, Die Videothek: ein kultureller Ort? Gespräch mit Hans-Peter Lackhoff, IVD. In: Weiterbildung und Medien 10/2/1987, S. 8-10.

289

Die Unterschriftenaktion des IVD gegen das Vermietverbot hatte bis zum 15.12.1987 164.753 Unterschriften zusammengetragen. Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 225.

290

Zitiert nach: o. A., Wo kämen wir denn hin? In: Das Video-Jahrbuch 83, S. 15 f. Dabei sieht der Artikel die Forderungen des IVD (dort noch die Arbeitsgemeinschaft der Videothekare) eher skeptisch und zu hoch angesetzt. Gerade der Rekurs auf das Grundgesetz, der in vielen Argumentationen der Videothekare offizieller wie inoffizieller Natur zu finden ist, löst bei den Autoren Befremden aus.

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Der IVD, der zu diesem Zeitpunkt 42 Mitglieder291 hatte und sich durch Spenden und Darlehen selbst finanzierte, bildete zwei Arbeitsgruppen, die sich mit den Thematiken Industrie und Selbstkontrolle auseinandersetzen sollten.292 Ab Dezember agierte der IVD nicht nur als eingetragener Verein, sondern bezog in den Räumen der Videothek von Dieter Richter in Mönchengladbach ein Büro, von dem aus das weitere Vorgehen des Vereins organisiert werden konnte.293 Am 12. Januar 1984 wurde der 1. Landesverband (NRW) des IVD gegründet, dem am 27. Februar der Landesverband Berlin, am 23. März der Landesverband Bayern und am 16. April der Landesverband Baden-Württemberg folgten.294

Abb. 10: Mitgliederentwicklung IVD 1983-2002

Ab Januar 1984 veröffentlichte der IVD Fach-Informationen, die an die Mitglieder versandt wurden. Der IVD operiert bis heute nicht nur mit Newslet-

291

Mitglieder konnten nicht nur Videothekenbesitzer einer oder mehrerer Videotheken sein, sondern ebenfalls Vertreter anderer mit der Videobranche in Berührung kommender Industrien. Zur Mitgliederentwicklung vgl. Abb. 10.

292

Vgl. Lackhoff, Geschichte der IVD... Teil 1, S. 13.

293

Zu den Gründungsmitgliedern des IVD zählen Manfred Büschges (Düsseldorf), Ernst Heumann (Düsseldorf), Rolf Härtig (Essen), Dieter Königshausen (Neuss), Hans-Peter Lackhoff (Wuppertal), Dieter Richter (Mönchengladbach) und Friedel Tümmers (Düsseldorf); vgl. Lackhoff, Geschichte der IVD…Teil 1, S. 14.

294

Vgl. ebd., S. 14 f.

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tern, die den Mitgliedern per Post, Faxabruf und aktuell per Mail zugehen, sondern auch seit Mitte bis Ende der 1980er Jahre mit einem eigenen Magazin, dem Ikarus. Wenngleich der IVD, ähnlich den schon in den 1980er Jahren operierenden Videothekenketten, eigene Magazine, Informationsbroschüren und Newsletter veröffentlichte, so verfügte er allerdings nicht über eine eigene Vereinsgeschichte, in welcher sich lückenlos die Diskurse und Reaktionen auf die Problematiken des Videofachhandels nachzeichnen lassen.295 Nicht einmal der Ikarus konnte in vollständiger Weise erfasst und recherchiert werden. Dennoch soll in den folgenden Ausführungen der Ikarus, soweit vorliegend, als Gegenbeispiel und Perspektivwechsel fungieren, um aus der internen Sicht der Videothekare und des Videothekenfachhandels aufzuzeigen, wie sie durch den Verband auf die Probleme, Anforderungen und den gesellschaftlichen Druck reagierten, dieser dort intern diskutiert wurde und schließlich zu Ergebnissen führte, die den einzelnen Mitgliedern als Empfehlungen weitergeleitet wurden. Durch die Auswertung des Ikarus können somit außerdem die Stufen der Professionalisierung des Verbandes nachgezeichnet werden. Begann doch die hauseigene Zeitschrift als mittels Schreibmaschine getipptes Heft, welches als Blattsammlung nur durch Tackernadeln und die recht opulente Werbung zusammengehalten wurde296 und wandelte sich zu einem nahezu hochglanzartigen Magazin, welches die Balance finden musste zwischen der Werbung in eigener Sache, der Informierung der einzelnen Mitglieder und den Anzeigen der Industrie, über deren Beilage sich der Ikarus, der von der Pressestelle des IVD herausgegeben wurde, maßgeblich mitfinanzierte. Tatsächlich dauerte es ein wenig, bis sich im Ikarus selbst feste Rubriken etablierten, auf welche die Mitglieder des IVD reagieren und diese selbst mitgestalten konnten. So wurden beispielsweise nicht nur eigene Arbeiten des IVD vorgestellt und der Fortschritt laufender Kampagnen aktualisiert, sondern zudem über technische, preisliche und sogar personelle Entwicklungen auf dem Videomarkt berichtet. Zugleich sollte der Ikarus jedoch weiter über das Medium Video als Teil der 295

Gerade die Schriften zu den jeweiligen Jubiläen des Verbandes waren neben dem Ikarus eine große Hilfe, die Geschichte des IVD nachzuzeichnen.

296

Dies führte vor allem in der Anfangsphase des Magazins dazu, dass die bunten Einlagen der Werbung der Video- und Filmindustrie in einem nahezu unüberbrückbaren Widerspruch zu den inhaltlichen Seiten standen, die in Qualität und Papierdicke hinter den Hochglanzanzeigen zurückstanden. Ein Vorteil war diesbezüglich allerdings, dass Inhalt und Werbung so meist deutlich voneinander zu trennen waren.

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filmischen Verwertungskette informieren: So wurde über Entwicklungen Hollywoods ebenso berichtet, wie über den Geburtstag und den Todesfall berühmter Schauspieler. Während auf die großen Diskursfelder der Videothekengeschichte noch zurückzukommen sein wird, die sich auch im Ikarus niederschlugen, fielen bei der Auswertung des Magazins vor allem zwei Funde ins Auge, auf die im Folgenden aufmerksam gemacht werden soll: Auf der einen Seite versuchte der Verband mittels des Ikarus immer wieder, die Agenda des Jugendschutzes zu stärken. Filmtitel, die seit Neuestem indiziert oder beschlagnahmt waren, fanden sich als Beilage in den jeweils aktuellen Ausgaben. Die Videothekare konnten auf diese Weise schnell reagieren und die betreffenden Filme neu einsortieren oder eben, wie es im Falle einer Beschlagnahmung geschehen muss, gänzlich aus dem Programm nehmen. Aktiv gestalteten so die Geschäftsbetreiber Jugendschutz in ihren Läden und waren zugleich vor Prüfungen sicher. Auf der anderen Seite informierte der Ikarus über die schwarzen Schafe unter den Kunden. Öffentlich wurde hier, mal als Beilage des Heftes, mal als Teil einer gestalteten Seite, mit Namen, Adressen und gegebenenfalls auch Personalausweisnummer vor Kunden gewarnt, die in den ebenfalls genannten Videotheken Filme oder gar Videorecorder ausgeliehen hatten, ohne diese zurückzubringen. Die Warnung vor diesen Kunden sollte daher an andere Videotheken ergehen, nicht auf ähnliche Tricks hereinzufallen, wie das unter anderem durch das Angeben einer falschen Adresse geschehen konnte. Die Namen der Betroffenen wurden dabei klar kommuniziert, innerhalb des IVD weitergegeben und an den verbandsinternen Pranger gestellt.297 Tatsächlich fiel die Gründung des IVD in eine Zeit, in welcher Presse und Rundfunk mehr und mehr über das neue Medium Video berichteten. Die anfängliche Euphorie, wie sie zu Beginn des Jahrzehnts vorherrschte, nahm rapide ab, das bespielte Programm der Videotheken formierte sich zu einer Bedrohung, die für immer weitere gesellschaftliche Vorkommnisse als mögliche Erklärung herangezogen wurde. Gerade in Bezug auf die Geschichte der Videokassette, der Videothek und des IVD bildeten so die Debatten

297

Große Ketten wie der Deutsche Videoring oder auch World of Video fragen daher bei der Aufnahme eines Neukunden zunächst die firmeneigenen Datenbanken ab, ob der betreffende Neukunde nicht schon in einer anderen Filiale der Ketten negativ aufgefallen ist, um so eine Aufnahme und eventuell erneut entstehenden Schaden zu verhindern.

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um den Jugendschutz und die Fragen nach seiner Durchsetzbarkeit in den Räumen der Videothek ein Kernstück jedweder historischen Skizze ihres Verlaufes, welcher 1985 einen vorläufigen Höhepunkt erreichen sollte.

3.3 Hetzkampagnen: die Verschärfung des Jugendschutzes 1985 „Eine Mutter sagte mir einmal, was sind das für Gesetze, die mich zwingen, mein Kind wie einen Hund auf der Straße anzubinden, damit ich mir einen Film mieten kann.“298

Der Verschärfung des Jugendschutzes, die mit der Novellierung desselbigen und einer Neuformulierung des § 131 StGB einherging, ging eine große Debatte voraus, die sich zwischen den Polen der Politik, Pädagogik und den öffentlichen Medien entwickelte. Die Verbreitung der Videokassette verlief Anfang der 1980er Jahre ohne weitreichende Regulierungen vonseiten des Staates und ließ auch die neu gegründeten Videotheken zu einem zunächst rechtsfreien Raum werden. Zwar begannen schon 1981 Pädagogen auf die möglichen Auswirkungen des Videokonsums hinzuweisen und auch die Politik setzte sich langsam mit dem Medium Video auseinander, doch erst die mediale Berichterstattung ab 1983/1984 traf die Videotheken vollends und führte zu den erwähnten gesetzlichen Änderungen und zu einem schlechten Ansehen. Ein Imageverlust, den die Videotheken bis zum Ende des Jahrzehnts nahezu vergeblich versuchten, wieder auszugleichen.299 Dass das Aufkommen der neuen Welle an Horrorfilmen, wenngleich auch in der Form der Videokassette, so neu nicht war, wurde selten betont; schon seit Mitte der 1960er Jahre hatte der Horrorfilm zu einem neuen Realismus gefunden, der statt Angst und Schrecken Ekel und ähnliche somati-

298

Offener Brief an die Familienministerin Frau Dr. Lehr. In: Der Ikarus 10/1989, S. 34-35, hier: S. 35.

299

Vgl. Jürgen Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘ Filmzensur in Westdeutschland 19491989, Göttingen 2010, S. 289 f.

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sche Reaktionen evozieren und forcieren wollte.300 Dass die meisten dieser Filme, die 1983/1984 für die mediale Aufmerksamkeit sorgten, schon Jahre vorher überwiegend unbeanstandet in den Kinos liefen, zumal dort ebenso oft ungekürzt, schien in den geführten Debatten meist weniger zu interessieren. Jedoch hatte sich Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre nicht nur die Qualität der Filme gemindert, sondern sich auch deren Quantität verschärft. Diese Verschärfung der Masse von bespielten Videokassetten mit fragwürdigem Inhalt lag auf der einen Seite in der Verbreitung des einzelnen Films auf Leih- und Kaufkassette, auf der anderen Seite in den illegalen Kopien der neuen Produktionen begründet. Wichtig zu betonen ist hierbei, dass die Direct-to-Video-Produktionen, die den Kassettenberg weiter anwachsen und die Angst vor jugendgefährdenden Medien schüren sollten, hier noch nicht ins Gewicht fielen. Beanstandet wurden, um dies erneut deutlich zu betonen, vorher schon im Kino gezeigte und beworbene Spielfilme. Die Verschärfung des Jugendschutzes traf die meisten Videothekare, deren Geschäfte bis dahin für Personen unter 18 Jahren zugänglich waren, besonders hart. Wenngleich es schon vorher eine konzeptuelle Einteilung in Familien- und Erwachsenenvideothek gab, ohne diese Geschäfte schon derart zu bezeichnen, so wurde diese Differenz erst mit der Novellierung des Gesetzes und dessen Inkrafttreten am 1. April 1985 in besonderem Maße virulent. Die vorausgegangene, nahezu monatelang geführte Diskussion zwischen Politik, Soziologie und Pädagogik nahm nicht nur die sozialen Auswirkungen des Videokonsums von Kindern und Jugendlichen in den Blick, sondern plädierte gleichzeitig dafür, den Einfluss von Video generell einzuschränken, um somit auch den Konsum der Erwachsenen auf diese Weise zu regulieren. Während dem Videokonsum per se die schädliche Tendenz zur Vereinsamung attestiert wurde, der den Mediennutzer, anders als im Kino, von einer Gruppe ausschloss, so stand vor allem die Frage nach einem schlechten Einfluss von Horror- und Actionvideos im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Hierbei fällt auf, dass sich Muster der Etablierungsphase eines neuen Mediums wiederholten, wurden ähnliche Vorwürfe einer Ver-

300

Zum Wechsel innerhalb des Horrorgenres vgl. Georg Seeßlen, Aus rettungsloser Welt. Wie sich ein Genre verändert – Zum neuen Horror-Film. In: Medium 10/1981, S. 4-11.

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einsamungstendenz doch auch dem Medium Fernsehen attestiert.301 Die Diskussion zwischen Politik, Pädagogik und Branche wurde in einer Weise geführt, die nicht nur die Hilflosigkeit der staatlichen Stellen deutlich machte, sondern auch offensichtlich werden ließ, wie schwer es fiel, zu artikulieren, was genau die Ängste vor dem neuen Medium ausmachten und wie diese rational handhabbar gemacht werden könnten. Dem Staat stand Anfang der 1980er Jahre einzig die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn/Bad Godesberg zur Verfügung, mit deren Hilfe und mittels des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften302 (GjS) man sich erhoffte, die durch Video aufkommende Gefahr eindämmen zu können. Gewahr werden konnte man durch diese Mittel meist jedoch nur den einzelnen spezifischen Film. Dazu musste ein Antrag gestellt werden, der erst nach der Veröffentlichung eines Films auf Videokassette eingereicht werden konnte, um diesen zu indizieren und ihn anschließend in einem weiteren Schritt beschlagnahmen zu können. Wurden 1979 noch 222 Anträge bei der BPjS eingereicht, waren es 1982 schon 1.336.303 Wichtig ist festzuhalten, dass nahezu jeder einen Film oder ein anderes Medium vermeintlich schädlichen Inhalts zwecks Prüfung beanstanden konnte. Neben den Mitarbeitern der Prüfstelle selbst, die aktiv die Orte des Medienkonsums, wie die Videothek oder den Zeitschriftenhandel, aufsuchten, um diese Fälle ausfindig zu machen, traten vor allem Lehrer, Jugendämter, Soziologen, Rechtsanwälte und besorgte Eltern auf, welche die

301

Tatsächlich trifft die These einer Vereinsamung durch das Fernsehen nicht die Frühzeit des Mediums. Während in den 1930er Jahren durch die Fernsehstuben der Deutschen Post noch eine Annäherung an die Kinosituation gegeben war, fanden in den 1950er Jahren noch vermehrt der Gemeinschaftsempfang in Kneipen und das Abhalten sogenannter Fernsehpartys statt. Erst später kam hier der Verweis auf die Vereinsamungstendenzen des Fernsehkonsums hinzu, welcher durch den durch Günther Anders geprägten Begriff des negativen Familientisches noch verschärft wurde und aufzeigte, wie das Fernsehen auch im gemeinschaftlichen Konsum die Vereinsamung des Individuums voranzutreiben drohte. Vgl. Monika Elsner/Thomas Müller/Peter M. Spangenberg, Zur Entstehungsgeschichte des Dispositivs Fernsehen in der Bundesrepublik Deutschland der fünfziger Jahre. In: Knut Hickethier (Hrsg.), Geschichte des Fernsehens in der Bundesrepublik Deutschland. Band 1. Institution, Technik und Programm. Rahmenaspekte der Programmgeschichte des Fernsehens, München 1993, S. 31-66, hier: S. 39.

302

Am 01.04.2003 ergänzt durch die Erweiterung der jugendgefährdenden Medien.

303

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 225.

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Aufmerksamkeit der Prüfstelle auf die jeweiligen besorgniserregenden Medien lenkten. Tatsächlich kamen jedoch auch einzelne Videothekare hinzu, die „[...] sich geradezu hündisch gegenüber den Sittenwächtern verhalten“.304 Die Branche wies daher schon im Januar 1983 darauf hin, dass es „[b]edenklich ist [...], wenn Videothekare oder Rundfunk- und Fernsehfachhändler gewissermaßen als Vorzensur für das Jugendamt tätig sind. Wie zu erfahren ist, bieten sich solche Einzelhändler als Hinweisgeber auf Filme an, von denen sie glauben, sie könnten indiziert werden.“305 Freiwillig, so schien es, wurde hier der eigene Bestand vorauseilend nach Filmen durchsucht, die womöglich in Gefahr geraten könnten, in den kommenden Monaten beschlagnahmt zu werden. Den hier anonym angeprangerten Videothekaren ging es, so der Tenor des Artikels, nicht um den Jugendschutz an sich, sondern darum, als einzelnes Ladengeschäft ein „bequemes und unbehelligtes Geschäft“306 zu führen. So riefen die schon etablierten Vereinigungen der Branche dazu auf, sich gemeinsam mit dem Problem des Jugendschutzes auseinanderzusetzen, um möglichst auch produktive Vorschläge unterbreiten zu können, sollte es zum Dialog zwischen Verbänden und Politik bezüglich der Fragen der Umsetzung neuer Regularien kommen. Ähnlich wie die Branche selbst war auch der Staat bemüht, ein einheitliches Vorgehen gegen die von Video ausgehende Gefahr zu institutionalisieren, das über die Möglichkeiten einer nachträglichen Indizierung und Beschlagnahmung hinaus präventiv wirken könnte. So konnte der Staat zwar durch die Reaktivierung und Umstrukturierung der Freiwilligen Selbstkontrolle und die jeweiligen Bundesprüfstellen Einfluss nehmen auf das, was sich in den Regalen der Videotheken befand, doch nicht darüber, wie mit den einzelnen Medien letzten Endes umgegangen werden sollte, wem sie zur Verfügung gestellt wurden oder ob Kinder und Jugendliche sich ohne das Wissen anderer dieser bemächtigten könnten. Der große Bruder307, der die 304

O. A., Mit Schaum vor dem Mund. In: Das Video-Jahrbuch 83, S. 343.

305

Ebd.

306

Ebd.

307

Vgl. Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 306. Tatsächlich wiesen viele der zum Medium Video veröffentlichten Arbeiten der Pädagogen auf die Gefahr des achtlosen Umgangs mit den Medien hin, doch wurde diese Gefahr aus der Familie selbst selten in den Mittelpunkt der Berichterstattungen gerückt und blieb daher oft Fußnoten beschränkt. Selten wurde dabei erkannt, dass die Forderungen nach einem emanzipierten Umgang mit dem Medium Video (und generell mit allen Medien) auch von den Erwachsenen hinterfragt und (neu) erlernt werden

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geliehene Horrorkassette achtlos im abspielbereiten Videorecorder zurücklässt, wurde hier zum Schreckgespenst der Pädagogen und Soziologen, die darauf hinwiesen, dass trotz aller Bemühungen der „Jugendschutz [immer, TH] an der Haustür endet“308. Die Angst vor der Videokassette und mit ihr auch die Angst vor der Videothek als Hort der neuen medialen Bedrohung wurde mit einer Vielzahl von Metaphern begleitet, die repetitiv im öffentlichen Diskurs genutzt wurden: Videokonsum war nicht nur eine Droge309, die süchtig310 machte, sondern zugleich auch ein Umweltgift und unsichtbarer Virus311, das die Kinder und Jugendlichen krank machte und verdarb.312 Wenngleich die Gefahr groß ist, diese Ängste aus heutiger Perspektive voreilig zu bewerten, so kann man doch den Widerstand der Branche verstehen, die sich gegen den nach und nach schlechter werdenden Ruf ihres Mediums wie auch ihres Berufsstandes wehren wollte. Doch trotz der Neuartigkeit der Videogefahr wiederholten sich auch hier diskursive Muster im Umgang mit neuen Medien, wie man sie schon bei der massenhaften Verbreitung von Literatur im 18. und 19. Jahrhundert kritisierte und ähnlich bei der Durchsetzung von Film und Fernsehen oder auch in der Comicdebatte der 1950er Jahre313 beobachten konnte. Jürgen Kniep spricht diesbezüglich von der „Renaissance modernekritischer Topoi“314, die den Diskurs beherrschten und sich nicht nur im bemühten mussten; diese Ziele einer aktiven Medienpädagogik, die sich den gesellschaftlichen Tatsachen der medialen Durchdringung des Alltags der 1980er Jahre stellten, kamen vor allem in der zweiten Hälfte der Dekade zum Tragen. 308

MAMA, PAPA, ZOMBIE; R: Claus Bienfait, BRD 13.09.1984, TC 00:28:23h.

309

Vgl. o. A., Droge Video. In: Der Spiegel 42/1983, S. 90-96. Der Artikel, der sich mit dem Videokonsum türkischer Einwanderer beschäftigt, zeigt auf, wie übergreifend die Gefahr von Video zu sein scheint.

310

Schon 1983 wurde diese Metapher für das Aufkommen der Computerspiele genutzt. Vgl. o. A., „Computer – Das ist wie eine Sucht!“ In: Der Spiegel 50/1983, S. 172-183.

311

Vgl. Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 306.

312

Laut Kniep verglich Wilhelm Ebert, Vorsitzender des bayrischen Lehrerverbandes, die Frage der Videogefahr in ihrer Dringlichkeit gar mit der „Frage der friedlichen oder kriegerischen Nutzung von Atomkraft.“ Zitiert nach Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 307.

313

Zum Opium der Kinderstube vgl. Volkhard App, Mythen des 20. Jahrhunderts. Comics in der Bundesrepublik. In: Medium 4/1988, S. 72-75.

314

Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 338.

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Schlagwort des Videoschmutzes und Videoschunds wiederfanden, sondern oft in der einfachen Gleichung mündeten, dass schlechte Filme schlechte Menschen hervorbringen würden. Waren es in der medienkritischen Debatte des 19. Jahrhunderts, wie auch bei der Einführung des Mediums Film, die Frauen, die besonders gefährdet waren durch die Überproduktion schlechter und trivialer Literatur, so schien sich im mehr als nur Unkontrollierbaren des neuen Medienkonsums diese Auswirkung auf die geistig Schwachen zu wiederholen. Durch die neu forcierten Kulturtechniken des Medienkonsums liegen die Einführung und der Siegeszug der Videokassette den Debatten um die Lesesucht näher als die um das Medium Film und Fernsehen geführten Diskurse, wenngleich sich die Argumente und Genealogien in allen vier Fällen verblüffend ähneln und die Argumente für ein Verbot und gegen das Medium meist nur leicht abgewandelt erscheinen. Denn gleich dem Buch konnte auch das Video zu jeder Zeit mittels des angeschlossenen Videorecorders rezipiert werden. Das Blättern wurde zum Spulen, das Verweilen und Innehalten im Stopp- und Standbild des Filmes visuell konkret. Gerade diese Beschäftigung mit dem Medium Video hatte zur Folge, dass die 1980er Jahre schon vor 1984 einen enormen Ausstoß an medienpädagogischen Veröffentlichungen vorweisen konnten, die die Besorgnis der Medien vorwegnahmen respektive später teilten und sich somit gegen das Medium Video wandten. Ein Großteil dieser Veröffentlichungen beschäftigte sich nicht nur mit den Bedingungen und Möglichkeiten eines adäquaten Medienkonsums, sondern wollte eindringlich vor dem neuen Medium warnen. Und dies nicht im Modus einer Prophylaxe, die zur Vorsicht gemahnt, sondern aus einem Ist-Zustand heraus, den es nun galt, zu überwinden. Dabei geschah dieses Vorgehen gegen das Medium Video in einer Geschwindigkeit, die auch für den Laien deutlich werden ließ, dass sich die Medienwirkungsforschung hier nicht auf die Ergebnisse von Langzeitstudien stützen konnte. Zu schnell nach dem Beginn des Videobooms Anfang der 1980er Jahre wurden Kritiken ins Feld geführt, die sich mehr auf Theorie statt auf Empirie zu stützen drohten. Obwohl die Medienwirkungsforschung, mit der es „nicht weit her“315 sei, dies erkannte und der Verband der Videothekare diese einseitige Berichterstattung anmahnte, wurden andere Aussagen in Bezug auf das Medium Video schlichtweg vernachlässigt oder zugunsten der eigenen Aussage umformuliert. Demnach wurde darauf hingewiesen, dass zwar jedes

315

MAMA, PAPA, ZOMBIE, TC 00:32:49h.

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Kind Brutalität auf dem Bildschirm anders erlebe, diese aber dennoch dem einen mehr schade als dem anderen und der Konsum gewaltvoller Videoprogramme so zu einem psychologischen Vabanquespiel für die Eltern werde.316 Programmatisch, und kaum zufällig 1985 erschienen, ist hierbei unter anderem das bereits erwähnte Buch des Soziologen Jan-Uwe Rogge Heidi, PacMan und die Video-Zombies317. Wenngleich Rogges Buch auch nicht zu den bekanntesten Büchern der Medienpädagogik zählt, die sich mit dem Medium Video auseinandersetzen, so wird dennoch versucht, hier maßvoll vor allem die Befürchtungen der Eltern zu zerstreuen und für einen achtsamen Umgang mit den neuen Medien zu werben. Umso bedeutsamer in diesem Zusammenhang ist sein Titel, inkludiert er doch schon durch seine Aufzählung die Medien, um die es der Kritik im Folgenden gehen soll: nämlich Fernsehen, Computer und Video. Rogges Titel nimmt damit, insbesondere in Bezug auf den Video-Zombie, Rekurs auf einen Höhepunkt der öffentlichen und intermedialen Kritik am Medium Video, die den Zombie als neues Monster des Horrorfilms seit den späten 1960er Jahren als emblematische Figur in den Mittelpunkt der Kritik rückte und die Debatte über weite Teile begleiten sollte.318 So auch im März 1984: Mit der Ausstrahlung der ZDF-Dokumentation MAMA, PAPA, ZOMBIE (vgl. Abb. 11) aus der Sendereihe Klartext am 1. März 1984 begann nun vollends eine größere Auseinandersetzung mit dem Medium Video, die einen derartigen Eindruck hinterließ, dass IVD-Vorsitzender Hans-Peter Lackhoff sie 1993 gar als Markierung auf der Wegstrecke der Geschichte des IVD benannte.319 Wenngleich Lackhoff den Titel der Dokumentation hier als bestes Beispiel der einseitigen Berichterstattung gegen das neue Medium Video anführt, so darf deren Wirkung nicht unterschätzt werden, steht sie doch stellvertretend für eine Reihe von journalistischen Bei-

316

Vgl. ebd., TC 00:31:37h.

317

Vgl. Rogge, Heidi, PacMan und die Video-Zombies. Im März 1985 erschienen, geht die Publikation damit den Änderungen des Jugendschutzes um nur einen Monat voraus.

318

Dabei ist es erstaunlich, wie sich die Filmfigur des Zombies in den 1980er Jahren zur emblematischen Leitikone des Videoschunds herausbildete. Vgl. zum kurzen Versuch, eine Antwort auf die Frage zu finden, warum ausgerechnet der Zombie diese Rolle einnahm: Tobias Haupts, Ein Zombie am Glockenseil zum Frühstück. In: Schnitt 3/2012, S. 37-38.

319

Vgl. 10 JAHRE IVD. EIN GRUND ZUM FEIERN, TC 00:03:50h.

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trägen in Presse und Rundfunk, die symptomatisch waren für die Zeit ab 1983/1984.

Abb. 11: MAMA, PAPA, ZOMBIE

Diese wohl bekannteste Dokumentation zur Problematik des Videokonsums von Claus Bienfait320 wirkt nicht nur auf den heutigen Zuschauer im besten Fall befremdlich. Tatsächlich wird hier, wenn auch nur in Ansätzen, von Beginn an versucht, ein reales Bild der Problematik durch die Videobedrohung aufzuzeigen, vor den „Bomben im Regal“321 zu warnen. Dazu werden Lehrer, Pädagogen und Politiker befragt und die kommenden Gesetzesmaßnahmen zum Jugendschutz vorgestellt. Obwohl die Dokumentation sich hütet, monokausalen Erklärungsmustern zu folgen, wird doch ein eigentümliches Bild von der Videobranche und den Videothekaren gezeichnet. Die Videothekare selbst, die sich „in Ermangelung sonstiger Qualifikationen […] eine anspruchsvolle Berufsbezeichnung zugelegt haben“322, kommen in der

320

Die durch einen ähnlichen Beitrag des Jugendmagazin Klons begleitet wurde.

321

O. A., Bomben im Regal. In: Der Spiegel 34/1982, S. 173-175.

322

MAMA, PAPA, ZOMBIE, TC 00:10:17h.

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Dokumentation kaum vor. Lediglich die Video-Verkäuferin Sabine Krug darf eine Anekdote aus ihrem Alltag im Videoladen berichten.323 Sie erzählt dem Zuschauer, wie eine besorgte Kollegin das Jugendamt über eine unachtsame Mutter informierte, die ihren Kindern Horrorfilme auslieh und zur Verfügung stellte. Beim Besuch des Jugendamtes bei der betreffenden Familie, so Frau Krug weiter, fanden die Mitarbeiter eine verstörte Dreijährige vor, die außer den Worten „Mama, Papa, Zombie“ zu keiner sonstigen verbalen Kommunikation in der Lage zu sein schien. Geschichten aus zweiter Hand und Momente eines Hörensagens scheinen die fehlenden Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung zu ersetzen. So befragt Bienfait unter anderem auch Jugendliche in einem Jugendheim in Langenfeld, ob diese den Film MOTHER´S DAY324 kennen würden und Teile seiner Handlung wiedergeben könnten. Unschwer ist zu erkennen, dass diese Befragungen regelrecht inszeniert zu sein scheinen. Zu auswendig gelernt wirken die Antworten der Kinder und Jugendlichen, zu wenig spontan die Reaktionen der Gruppe untereinander. Über das Alter des ersten Antwortenden wird keine Auskunft gegeben, könnte es sich doch um einen 18-Jährigen handeln, der legal an die beanstandeten Horrorvideos gelangen würde. Auch fragt die Dokumentation hier lediglich nach der Bekanntheit des Films, nicht woher die Jugendlichen das Wissen um Plot und Narrativ besitzen. Bienfaits Film gibt selbst der Tatsache recht, dass diese Filme auch im Kino liefen und dort, anders als in den Videotheken, legal beworben werden konnten und auch zum Zeitpunkt der Ausstrahlung weiterhin beworben wurden. Den Videotheka-

323

Die Bezeichnung, die die Dokumentation vorgibt, ist dabei irrig. Mit aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich um eine Mitarbeiterin in einer Videothek. Vgl. MAMA, PAPA, ZOMBIE, TC 00:27:46h.

324

Der Film zeigt hierbei Ausschnitte aus den indizierten Filmen MOTHER´S DAY [dt. MUTTERTAG]; R: Charles Kaufman, USA 1980, MANGIATI VIVI! [dt. LEBENDIG GEFRESSEN]; R: Umberto Lenzi, I 1980, FRIDAY THE 13TH [dt. FREITAG DER 13.]; R: Sean Cunningham, USA 1980 und Lucio Fulcis oft bemühten PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI [dt. EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL]; R: Lucio Fulci, I 1980. Bezeichnenderweise wird die Kenntnis des Filmes im Jugendheim durch die wiedergegebenen Szenen gestützt, die der Zuschauer der Dokumentation vorher in der Einspielung alle gesehen hat. Wer daher Bienfaits Dokumentation rezipiert, kennt auch diese Szenen. Die Warnung der Moderation vor dem Beginn der um 22:05 Uhr ausgestrahlten Dokumentation, dass die folgenden Bilder nicht für Kinder und Jugendliche geeignet seien, ändert daran wenig. Durch die Möglichkeiten des Videorecorders wäre diese auch ohne das Wissen der Eltern nur allzu leicht aufzuzeichnen gewesen.

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ren jedoch, die aus dem pornografischen „Milieu“ der „Vergnügungsviertel“ kommen, ginge es dabei nur um das Geschäft. Den Höhepunkt des Films bietet der gefilmte Selbstversuch eines Elternabends einer Hamburger Grundschule, den Film PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI von Lucio Fulci gemeinsam zu sichten325, um die Gefahr, die den Kindern droht, selbst gesehen und erkannt zu haben.326 Ergebnis dieses Selbstversuches sind verstörte Eltern, die nahezu alle beteuern, die folgende Nacht nicht schlafen zu können. Bis auf die wenigen Texttafeln (vgl. Abb. 12 & 13), die versuchen, das Gesagte und Gezeigte in handhabbare Ratschläge umzuformen, hierbei dennoch vage bleiben und oft dem davor Gezeigten diametral entgegenstehen, bleibt die Aussage des Films offen. Ein Bündel Probleme wurde benannt, ohne diese konsequent zu Ende zu denken. Dies wird vor allem deutlich, wenn am Ende des Films zwar zu einem sorgsamen Umgang mit der neuen Medientechnik aufgerufen wird, dieser aber in den eigenen Videoproduktionen einer Kölner Jugendgruppe gesehen wird. Die aktive Videoarbeit soll also dem passiven Konsum gegenübergestellt werden. Dass jedoch zwei völlig unterschiedliche Momente des Mediums miteinander verglichen werden, scheint nicht aufzugehen. Ziel wäre es doch gerade gewesen, den aktiven Umgang mit dem Programm der Videokassetten zu erlernen, nicht aber diesen Aspekt auszublenden.

Abb. 12 & 13: Didaktik 325

Zuvor hatte die Lehrerin Erika Everling ein Gespräch mit den Kindern geführt und anhand der Videokassette gefragt, wer denn einen Zombiefilm kenne. Dass dabei vom Wissen der Kinder über die mythologische Figur des Zombies auf die stattgefundene Rezeption von Zombiefilmen rückgefolgert wird, ist kritisch zu hinterfragen.

326

Markant ist dabei, dass die benutzte Kopie des Films aus einem Kopierwerk in Bayern stammt, also jenem Bundesland, welches vor und nach der Verschärfung des Jugendschutzes auf ein Vermietverbot indizierter Filme pochte.

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Eingerahmt und medial begleitet wurde die Ausstrahlung der Dokumentation unter anderem von Leitartikeln in der BILD-Zeitung327 sowie den Wochenzeitungen respektive Wochenmagazinen Zeit328 und Spiegel329. Hierbei ging es gerade den Artikeln in der BILD und in der Zeit gar nicht so sehr um eine Form der Aufmerksamkeitslenkung auf die Gefahren des Videokonsums per se, sondern um die Präsentation eines schon gefundenen Konnexes zwischen dem Medium und seinen soziokulturellen Auswirkungen. In zwei Mordfällen, so schien es, war die Handlung eines zuvor gesichteten Videofilms Vorbild gewesen, während im anderen Fall zwar nicht der konkrete Film identifiziert werden konnte330, aber der allgemeine Konsum indizierter und gewaltverherrlichender Videoprogramme in den Augen der ermittelnden Beamten zweifelsfrei vorlag.331 Zwar klagt die BILD für ihre Verhältnisse recht zaghaft an, dass das „Video schuld!“332 sei, doch schien hier lediglich eine zuvor produzierte Evidenz offengelegt zu werden. Auch wiederholten sich Muster in den Berichterstattungen, die schon zu Beginn der Thematisierung des Mediums Film und seines primären Rezeptionsortes, dem Kino, eine Rolle gespielt haben und die heute bezüglich neuerer Computerspiele reaktualisiert werden. Schuld seien eben nicht die Menschen, die den Mord begangen haben, sondern die Filmproduzenten und die Videothekare, die die Filme zur Verfügung gestellt hätten. In einer leichten Form der pressegesteuerten Hysterie wurde hier das komplexe und bis heute stark heterogene Feld der Medienwirkungsforschung auf eine simple Form von Reiz- und 327

Vgl. o. A., Video schuld! In: BILD, 03.03.1984, S. 1.

328

Vgl. Michael Sontheimer, Das Blut auf der Kachel. Was Kinder an Brutal-Videos so faszinierend finden. In: Die Zeit, Nummer 12 vom 16.03.1984.

329

Vgl. o. A., ‚Zum Frühstück ein Zombie am Glockenseil‘. In: Der Spiegel 11/1984, S. 34-55.

330

Tatsächlich wurde von einem Fall in Mönchengladbach berichtet – der Stadt, in welcher die Frühform des IVD seine Arbeit aufnahm –, bei welchem Leichenteile in einer Plastiktüte einer Videothek gefunden wurden. So soll jedoch neben den Leichenteilen auch eine beachtliche Videokollektion mit den einschlägigen Filmen gefunden worden sein. Vgl. Sontheimer, Das Blut auf der Kachel.

331

Eine Argumentationsfigur, die auch über die 1980er Jahre hinaus immer wieder herangezogen wird. So soll 1993 der Film CHILD´S PLAY 3 [dt. CHUCKY 3]; R: Jack Bender, USA 1991, in Großbritannien zum Mord an dem dreijährigen James Bulgar geführt haben. Die Täter gaben an, den Film vor dem Mord rezipiert zu haben. Vgl. David Buckingham, Moving Images. Understanding Children’s Emotional Responses to Television, Manchester/New York 1996, S. 19-55.

332

O. A., Video schuld!, S. 1.

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Reaktionsabläufen reduziert. Diesbezüglich wurde ausgeklammert, dass viele der Thesen aus dem Bereich der Medienwirkungsforschung vor dem Aufkommen des neuen Mediums Video aufgestellt wurden und nicht eins zu eins auf die neuen Herausforderungen des Kassettenkonsums übertragen werden konnten.333 Die bereits angesprochenen Langzeitstudien, die nötig gewesen wären, um dem bloßen Verdacht Evidenz zuzuführen, wurden vonseiten der Medienpädagogik und -psychologie, wenngleich aus verständlichen Gründen, aus ethischen Überlegungen hinterfragt und zum Teil sogar abgelehnt.334 Der IVD, um nun aufzeigen zu können, wie die Videotheken konkret betroffen waren, reagierte schon vor der öffentlichen Debatte um die Horrorvideos 1984 auf die Anfragen aus der Politik und dem Bereich des Jugendschutzes. Bereits in den ersten Sitzungen des Verbandes stand die Frage des Vermietverbotes und der Suche nach Möglichkeiten, wie dieses verhindert werden konnte, auf den Tagesordnungen. Dass es den Videothekaren ebenfalls um den Jugendschutz und dessen Bestimmungen ging, ist wichtig anzumerken, versuchte man doch nun gemeinsam Regularien aufzustellen, die sowohl die Jugend schützen als auch das Programm sauber halten sollten. Die angestrebte Gleichung war, dass gerade durch die Aufbesserung des Images der Videotheken neue Kunden attraktiert werden sollten. Erschwert wurde das Vorhaben des IVD durch die ständige Bedrohung eines Mietverbotes für indizierte Kassetten, welches vonseiten der CSU angestrebt wurde. Zwar hätte dieses – zumindest in den Erwartungen der Union – sichergestellt, dass die betreffenden Filme nicht mehr in die Hände von Kindern und Jugendlichen fallen konnten, doch hätte man damit zugleich auch den Filmkonsum der Erwachsenen erheblich eingeschränkt, die fortan nur noch auf Kaufkassetten hätten zurückgreifen müssen, wollten sie sich einen indizierten Film auf Video anschauen.335 Um der in Presse und Rundfunk geführten Diskussion gegen das Medium Video sowohl plakativ wie argumentativ etwas entgegensetzen zu können, wurde ab Mai 1984 über die sogenannte Dampfwalzenaktion debattiert, die einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen und ins Bewusstsein rufen sollte, dass die Durchsetzung des Mietverbotes nicht nur Horror-

333

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 227.

334

Vgl. MAMA, PAPA, ZOMBIE, TC 00:28:50h.

335

Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel I.3.5 dieser Arbeit.

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filme betreffen würde. Betroffen wären somit auch andere Genres, vornehmlich aus dem Bereich des Action- wie auch des Kriegsfilms sowie – und dies wurde in der öffentlichen Debatte weit weniger erhitzt diskutiert – die Pornografie als Ganzes.336 Sollte vornehmlich gegen den Videoschund vorgegangen werden, so die Argumentation, so richteten sich die weiteren Forderungen auch gegen Filme, die vormals erfolgreich in den Kinos gelaufen waren.337 Als die Unstimmigkeiten innerhalb des IVD-Vorstandes ausgeräumt waren, wurde eine Demonstration für den 16. Juni 1984 angesetzt. Ernst Heumann, Dieter Richter und Hans-Peter Lackhoff fuhren am Vormittag des 16. Juni mit einem Manila-Taxi durch die Innenstadt von Düsseldorf, um die um 16 Uhr stattfindende Kundgebung auf dem Carlsplatz zu bewerben. Um weitere Teilnehmer für die geplante Aktion zu gewinnen, wurden Handzettel in den Fußgängerzonen Düsseldorfs verteilt. Um den Standpunkt des IVD deutlich zu machen, wurden zu Beginn der Protestaktion und auf das Startkommando Dieter Richters hin mit einer Dampfwalze 5000 Videokassetten vernichtet. Die Dampfwalze selbst, die hier ebenfalls sinnbildlich für das langsame, aber doch befürchtete harte Vorgehen der Politik stehen sollte, schmückte ein Plakat des Actionfilmstars Jean Paul Belmondo und der Spruch „Killt mich nicht auf Video“. Wenngleich Presse und Fernsehen von der Protestaktion des IVD berichteten, blieben sowohl die Resonanz vonseiten der Politik wie auch eine nachhaltige Wirkung des Protestes aus.338 Dennoch war eines der Hauptargumente des IVD, die Verbannung zahlreicher anderer Filme aus den Programmen der Videothek nach der Protestaktion nicht mehr zu ignorieren. Doch weder diese noch juristische Bemühungen verhinderten die Gesetzesnovelle im Frühjahr 1985. In dieser Hinsicht darf jedoch nicht vergessen werden, dass es die Videothekare schon an dieser Stelle weitaus stärker hätte treffen können, wäre es zu dem von der CSU ge-

336

Beate Uhse, Anbieter für pornografische Videos, machte den Videothekaren in einem Brief über den IVD das Angebot, dass falls das allgemeine Vermietverbot durch Änderungen an den § 131 und – die Pornografie betreffend – §184 StGB eingeführt werden sollte, der Vertreiber die in den sechs Monaten vor Inkrafttreten des Mietverbotes gekauften Videokassetten zurückgeben könne und der volle Kaufpreis erstattet werde. Vgl. Von Beate Uhse-Video erreicht uns folgender Brief. In: Der Ikarus 12/1985, S. 5. Dennoch wirkte ein solches Entgegenkommen der Branche nicht immer beruhigend auf die Videothekare.

337

Vgl. Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 316.

338

Zur Dampfwalzenaktion vgl. Lackhoff, Geschichte des IVD... Teil 1, S. 15.

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forderten Vermietverbot gekommen, welches das sprichwörtliche Ende für die noch junge Branche bedeutet hätte. Wurden schon vor der Verschärfung des Jugendschutzes 1985 Videothekenrazzien339 durchgeführt, so fanden diese nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vermehrt statt. Wurde doch nun auch der Polizei wie der Staatsanwaltschaft durch den Wortlaut des Gesetzes die Möglichkeit gegeben, stringenter gegen die Videotheken respektive gegen das beanstandete Programm vorzugehen. Dennoch brachte die Änderung des Gesetzes auch für die Videothekare einen zentralen Vorteil: Die vorher noch recht diffusen Maßnahmen des Jugendschutzes wurden nun durch konkrete Anweisungen ersetzt, nach denen der Videothekar sein Geschäft und sein Programm ausrichten konnte. Wenngleich dies mehr dem Anspruch als der Wirklichkeit des Alltags eines Videothekars im Jahr 1985 entsprach, kam es doch in den folgenden Jahren mehrmals zu Aushandlungsprozessen, die aufzeigten, dass nicht jedes Gericht die Auflagen des Jugendschutzes auf die gleiche Art und Weise erfüllt sah. Denn so oder so führte die veränderte gesetzliche Situation in neue finanzielle Notlagen und zur Schließung vieler Läden. Da es weiterhin zu Durchsuchungen kam, blieben die Geschäfte für die Zeit einer Razzia geschlossen respektive in ihrer Nutzung beschränkt. Diese Maßnahmen vonseiten des Staates konnten zwischen einigen Stunden oder aber bis zu zwei Tagen in Anspruch nehmen, an welchen die Videothek gar nicht oder nur eingeschränkt dem Kunden zur Verfügung stand. Wurde nicht gezielt nach Kassetten gesucht, die über die Informationsbriefe der Bundesprüfstelle auch der Polizei bekannt waren, so wurden meist durch Titel und Cover verdächtig anmutende Kassetten zur genaueren Prüfung in größeren Mengen beschlagnahmt. Diese Kassetten fehlten somit im Bestand der Videotheken und bildeten für die Videothekare ein nicht zu unterschätzendes Verlustgeschäft, dauerte es schließlich, bis die beschlagnahmten Kassetten ausgewertet werden konnten.340 Eine Rückgabe war nicht immer garantiert oder konnte sich über Monate hinweg ziehen. Umsatzeinbußen waren für

339

Vgl. o. A., Dornröschen geht. In: Der Spiegel 48/1983, S. 94-99.

340

So wurde Anfang der 1980er Jahre der Versuch unternommen, bei plötzlicher Indizierung eines Films Anteile des Einkaufspreises gerichtlich zurückzuerhalten, da die Filme durch ihren Status als indizierte Filme nicht mehr beworben werden durften und unter Verschluss zu halten waren. Vgl. zu diesem Versuch, das Risiko der Indizierung zu teilen: o. A., Ein Vergleich. In: Das Video-Jahrbuch 83, S. 344.

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die Videothekare die Folge. Die teuer gekauften Kassetten mussten durch andere ersetzt werden. So entstanden Neukosten, die im Etat der jeweiligen Geschäfte nicht vorgesehen waren und genaue Kalkulationen unmöglich machten. Ebenso erforderte die Umstellung der Geschäfte, die manchmal eher einem Umbau gleichkam, selbst neues Kapital, um die sprichwörtliche Einsicht von außen auf die Regale zu verhindern und somit die Auflagen des Jugendschutzes erfüllen zu können.341 Der Blick auf die ausgestellte Ware sollte auf diese Weise verhindert, die Cover Minderjährigen nicht zugänglich gemacht werden. Angesichts dessen wurde nicht nur der Begriff des Schaufensters in Bezug auf die Erwachsenenvideothek ad absurdum geführt, sondern auch die Warenästhetik der in ihr ausgestellten Artikel. Während einige Videothekare ihre Geschäftsräume und Eingangstüren schlichtweg mit Werbematerial zuklebten, gestalteten andere mittels desselben Materials anspruchsvolle Schaufenster, die dennoch den Blick in die Ladengeschäfte weiterhin verhinderten oder ihn ausreichend einschränkten. Für viele Videothekare war der Umbau zu einer Familienvideothek, die zumeist über zwei separate Eingänge und oft auch zwei separate Schalter verfügen musste, schlicht nicht finanzierbar, zumal dieser Umbau entweder während der Öffnungszeiten hätte stattfinden müssen oder das Geschäft vorübergehend hätte geschlossen werden müsste. Gerade die Maßnahmen der Branche, die eigenen Geschäfte für den Jugendschutz tauglich zu ge-stalten, zeigt an, wie das in ihnen ausgestellte und beworbene Medium die räumliche Anordnung verändert und hier zu einer neuen Form der Situierung führte. Die den Diskurs beherrschenden Genres wurden so hinter Türen verbannt, um derart einer weiteren Auseinandersetzung mit ihnen zu entgehen. Folgt man jedoch der Logik dieser Maßnahmen, so muss konstatiert werden, dass die eigentliche Gefahr in der Videothek vom Cover des Horror-, Action und Pornofilms – der in der Debatte um den Jugendschutz meist nur eine geringere Rolle gespielt hat und im Diskurs der 1980er Jahre an anderer Stelle wieder auftauchte – ausgeht, dem ausgestellten Werbebild der Filme und ihrer

341

Ernst Heumann gab dabei noch 1989 zu bedenken, dass das Jugendschutzgesetz die Einsicht zwar verhindern solle, das Arbeitsschutzgesetz aber vorschreibe, „daß Angestellte freie Sicht nach außen haben müssen.“ So findet man heute noch in älteren Videotheken, die als Erwachsenenvideothek operiert haben, kleine extra eingebaute Fenster, die diese Forderung des Arbeitsschutzes erfüllen. Siehe: Offener Brief an die Familienministerin, S. 35.

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schieren Masse. Denn selbst wenn die Bemühungen des Jugendschutzes ein anderes Bild suggerierten, die Verbreitung der Filme an sich wurde durch die Kontrolle des Personalausweises verhindert, der bei der Anmeldung vorgelegt werden musste Die Kassette wurde nur denjenigen zugänglich gemacht, die auch die geforderte Altersstufe erreicht hatten. Lakonisch stellten die Videothekare fest, dass es wohl kaum besser für die Kinder und Jugendlichen sei, bei jeder Witterung ohne ihre Eltern vor den Videotheken auszuharren, während diese einen Film leihen oder zurückgeben wollten. Tatsächlich gab es sodann in der Videobranche die Diskursfigur des einsamen Kinderwagens342 vor der Tür der jeweiligen Geschäfte (vgl. Abb. 14), der den Irrsinn des Jugendschutzes aufzeigen sollte.343 Infolgedessen gingen die Umsetzungen der neuen Bestimmungen in den ersten Jahren nach der Novellierung des Jugendschutzes so weit, dass die Gerichte sich mit den Vorräumen der Videothek auseinandersetzten, um diesen, die von vielen Videothekaren für die wartenden Kinder und Jugendlichen eingerichtet und gestaltet wurden, auf die Gefahren des Jugendschutzes hin zu überprüfen. Um keine Risiken einzugehen, empfahl der IVD, auf Poster und Werbematerial zu Filmen zu verzichten, die erneut Jugendamt und Kritiker auf den Plan hätten rufen können. Dass jedoch gerade auf diese Weise der Reiz des Verbotenen eine neue Stufe erreichte, dürfte auch den Pädagogen und Soziologen klar geworden sein. Der nun stattfindende Anreiz, sich über das Verbot hinwegzusetzen und eine Videothek zu betreten, kam einer neuen Form der Mutprobe

342

Vgl. Reichlich weltfremd. In: Der Ikarus 5/1986, S. 3 sowie Seltene Solidarität. In: Der Ikarus 5/1986, S. 5.

343

Das verlassene Kind, wartend auf der Straße, ist dabei eine Argumentationsfigur, die nicht so häufig anzutreffen ist wie der alleingelassene Kinderwagen. Vgl. Eine Branche baut um… Große und kleine Lösungen. In: Der Ikarus 11/1986, S. 22-24. Dort heißt es auf Seite 23: „Die Kinder standen jetzt draußen im Regen an einer stark befahrenen Straße, während die Eltern vorher oft noch auf eine Tasse Kaffee und ein Gespräch geblieben waren.“ Vgl. dazu auch: Vorsichtige Videothekare und uneinsichtige Eltern. In: Der Ikarus 11/1986, S. 24 f.: Dort geben die Videothekare auf Seite 24 an „[…] daß doch Kinder durch die Verbannung aus den Ladengeschäften viel mehr gefährdet seien dadurch, daß sie nun bei schlechter Witterung an belebten Straßen auf ihre Eltern warten müssen, während diese ihr Programm auswählen.“ Allerdings kommt auch eine Videothekarin zu Wort, die das gesetzliche Aufenthaltsverbot begrüßt, waren die Kinder im Geschäft „ohnehin immer zu laut […]“. Ebd., S. 24.

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gleich, wie schon die Rezeption von verbotenen Filmen344 eine Form der rite de passage darstellte und einem Ausbruch aus der alltäglichen Medienwelt gleichkam.345 Oft ging es nicht nur um die Mutprobe, mit der Karte des Bruders oder der Eltern einen Film zu leihen, ohne dem Videothekar aufzufallen, sondern auch um die Rezeption des Films in der Gruppe. Verloren hatte derjenige, der als erster vor den Bildern der Filme kapitulierte, wegschaute, oder – so suggeriert es jedenfalls die Berichterstattung – als erster erbrechen musste.346 So hatte gerade die starke Präsenz der Horrorfilme in den Medien das Interesse der Jugendlichen und auch anderer Mediennutzer an diesen Filmen geweckt, die durch die gesehenen Bilder Lust auf mehr bekommen hatten. Das Programm gegen das Horrorvideo schien sich somit zum besten Trailer zu formieren.

Abb. 14: Diskursfigur Kinderwagen

344

Als Regelüberschreitung dem Einschleichen in Erwachsenenfilme des Kinos ebenfalls nicht unähnlich.

345

Vgl. Marcus Stiglegger, Passageriten. Die Bedeutung des Horrorfilms für Jugendliche. In: Jörg Herrmann/Jörg Metelmann/Hans-Gerd Schwandt (Hrsg.), Wissen sie, was sie tun? Zur filmischen Inszenierung jugendlicher Gewalt, Marburg 2012, S. 100-116. Derartige Texte von Filmwissenschaftlern zur Thematik der Jugendgewalt fehlten meist in der Diskurskultur der 1980er Jahre.

346

Vgl. Gigantische Hetzkampagne in der Stadt Hagen. In: Der Ikarus 12/1985, S. 7-8, hier: S. 8; sowie Dietmar Orwaldi, „Ich sehe sie mir gern an, obwohl mir dabei schlecht wird.“ Zum Gebrauch von Videofilmen durch Kinder und Jugendliche. In: Medium 4/1984, S. 31-34.

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Dieses Interesse am Horrorfilm wurde durch einen Teil der Branche explizit aufgenommen: So sahen es manche Videothekenhändler als „einfacher an, ein Schild an den Laden zu hängen ‚freigegeben ab 18 Jahren‘“ um somit als „Vollsortimentler zu arbeiten, [statt] jeden Monat teuer gekaufte Ware auszusortieren, weil sie zwischenzeitlich auf dem Index“347 stand. Der Rückgriff auf ein der Familienvideothek ähnliches Format, deren flächendeckende Einführung der IVD begrüßt hatte, rückte somit zunächst in weite Ferne. Dennoch nahm der IVD selbst Abstand von der Behauptung einiger Videothekare, die Werbung und mediale Aufmerksamkeit hätten den Horrorfilm zu einem rentablen Genre werden lassen, welches hohe Vermieteinnahmen verspreche. Neben dem recht geringen Anteil an Horrorfilmen im Verleihprogramm der gängigen Videotheken entwickelte gerade dieses Genre wie kein zweites eine Vielzahl an Schundproduktionen, die auch den Fans nicht zur Unterhaltung dienten. Die Rezeption der Klassiker des Genres, wie sie sich schon in den 1980er Jahren ausbildeten und zugleich den Nexus formierten um die Fragen des Jugendschutzes wie THE EVIL DEAD348 oder der immer wieder in den Debatten auftauchende PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI,

waren schon lange offiziell nicht mehr in den Videotheken zu fin-

den.349 Dies vor allem, da sie entweder beschlagnahmt wurden oder aber be347

Gefahr im Verzug. In: Der Ikarus 6/1986, S. 2.

348

THE EVIL DEAD [dt. TANZ DER TEUFEL]; R: Sam Raimi, USA 1981. Neben Raimis Film ist darüber hinaus vor allem die Zensurgeschichte des Tobe Hooper-Films THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE [dt. BLUTGERICHT IN TEXAS], USA 1974 in Deutschland gut dokumentiert. Erst 2012 wurde dieser Klassiker des Genres von der Liste der beschlagnahmten Filme gestrichen und auf DVD und Blu-ray veröffentlicht. Vgl. Eine Zensur findet nicht statt… Tanz der Teufel vor Gericht. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 27-37 sowie Manfred Riepe, Maßnahmen gegen die Gewalt. Der Tanz der Teufel und die Würde des Menschen. Aspekte der Gewaltdebatte im Zusammenhang mit Sam Raimis The Evil Dead. In: Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Meteling (Hrsg.), Splatter Movies. Essays zum modernen Horrorfilm, Berlin 2005, S. 167-186.

349

Offiziell meint hier, dass die Filme durchaus unter einem anderen Namen erneut in den Videotheken angeboten werden konnten, wenngleich sich vor allem seriöse Videotheken und Mitglieder des IVD von solchen Praktiken distanzierten. So wurde unter anderem Fulcis Film unter vier verschiedenen Titeln in Deutschland auf den Markt gebracht, während die imdb ganze 22 Titel für den Film aufzählt. Vgl. http://www.imdb.de/title/tt0081318/releaseinfo#akas (Zugriff 01.04.2014). Heute wird mit jeder Indizierung und Beschlagnahme auch die Wiederveröffentlichung eines beanstandeten Titels direkt und automatisch mitindiziert respektive beschlagnahmt.

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reits gesichtet und daher nicht mehr gefragt waren. Der IVD wies darauf hin, dass sich so oder so die Kunden von Videotheken abwenden würden, die vermehrt auf Horrorfilme setzten, galt doch das Hauptinteresse der Videothekengänger schon seit Ende der ersten Hälfte der 1980er Jahre den großen Hollywoodproduktionen und Blockbustern, die auch auf den heimischen Geräten genossen werden wollten. Die Argumentation war daher eher ein Symptom dafür, dass es den Videothekaren weiterhin aus finanziellen, aber auch juristischen Gründen in vielen Fällen nicht gelang, auf das Konzept der Familienvideothek zu setzen, da unter anderem die nötigen Mittel fehlten, die erforderlichen Umbaumaßnahmen bei laufendem Geschäftsbetrieb zu realisieren. So zeigt sich auch, dass das Thema Jugendschutz für die Videotheken nach 1985 seine Brisanz und Virulenz nicht verlor und weiterhin die Diskussion innerhalb der Branche wenn schon nicht dominierte, so doch in vielen Punkten stark beeinflusste und in gewissen Abständen zyklisch wiederzukehren schien. Die Gesetzesänderung, der die Branche retrospektiv den Namen lex video350 verlieh, bildete allerdings den Endpunkt der öffentlichen Debatte. BVV und IVD verpflichteten nun ihre Mitglieder, dass angebotene Filme von der FSK geprüft werden mussten. Dem ging nicht nur eine Nachprüfung aller vor 1985 ungeprüften Veröffentlichungen voraus, sondern auch eine Preissenkung der Prüfungskosten, die an die FSK zu entrichten waren.351 Doch der öffentliche Druck schien 1985 nicht das Ende der noch jungen Branche zu bedeuten, die vorsichtshalber den Betreibern empfahl, ihre Angestellten zu entlassen. Tatsächlich wurde der Versuch, ein absolutes Vermietverbot für indizierte Filme durchzusetzen, 1984 durch die in der Koalition mit der Union regierende FDP verhindert. Doch selbst nach der Verabschiedung der Novellierung des Jugendschutzes und der Gesetzesänderung am § 131 StGB blieb das Thema weiterhin virulent und Teil der Debatte um das Medium Video. 1987 und 1989 sollte es erneut von der CSU diskutiert werden, der weiterhin an einem totalen Vermietverbot indizierter Filme gelegen war.

350

Vgl. IVD, 20 Jahre IVD. Verbandsarbeit für den Videofachhandel 1983-2003, Düsseldorf 2003, S. 13.

351

Vgl. Rainer Bücken, Video – Die Systemvielfalt bleibt auch längerfristig erhalten. In: Media Perspektiven 5/1985, S. 317-331, hier: S. 317.

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3.4 Kassettenberg und Discountpreise: Videotheken (in der) Krise „Ich gehe nicht an einen Ort, um dort ein paar Videothekare hinzurichten.“352 Karl-Dieter Kneupper, Gründer der Billigvideotheken in Westdeutschland

Neben den Problematiken des Jugendschutzes, von welchen die Videothekare sich auch bis Ende der 1980er Jahre kaum distanzieren konnten353, zählte die Ausformung des sogenannten Kassettenberges zu den Problemen, mit denen sich die Branche auseinandersetzen musste. Mit dem zeitgenössischen Begriff des Kassettenberges354 sind jene Videokassetten gemeint, die durch die Videotheken ausgesondert sowie dem Markt und damit den Mediennutzern zum Verkauf angeboten wurden. Wichtig ist in Anbetracht dessen festzuhalten, dass sich der Kassettenberg schon in den Regalen der Videotheken manifestierte: Die Masse an schlechten Filmen, die in den Videotheken häufig zu finden war, verschärfte das ohnehin schlechte Image der Videotheken maßgeblich. Da unterschiedlichste Bemühungen, nicht zuletzt auch des IVD, fehlschlugen, neue Leasing- oder Rückkaufkonzepte zu entwickeln, die von Verleihern und Betreibern angenommen werden konnten, blieben dem Videothekar, der die Kassette weiterhin kaufen musste, um diese verleihen zu können, nur wenige Alternativen: Auf der einen Seite konnte er diese in seinen Lagerbestand überführen. So blieb die Möglichkeit offen, einen Film, der hinter den durch ihn erhofften Einnahmen zurückblieb, im Lager vorrätig zu haben, sollte doch ein Kunde gezielt nach ihm fragen. Auf der anderen Seite war jedoch Platz genau das, was den Videothekaren fehlte. Zwar konnte der Videothekar den jeweiligen Film, den er im Bestand meist auf ein Exemplar reduzierte, im Lager halten, in den Verleihregalen allerdings war er somit nicht mehr zu finden. Außer dem Verkauf der gebrauchten Leihkassette an den Kunden und Sammler konnte der Videothekar den Versuch unternehmen, mit den alten

352

Kay Hoffmann, Videomarkt Bundesrepublik, S. 287.

353

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 212.

354

Zu den kulturtheoretischen wie mediengeschichtlichen Implikationen dieser Figuration vgl. das Kapitel II.2.3 dieser Arbeit.

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Kassetten eine neue Videothek aufzumachen. Beides, sowohl der Verkauf wie auch das Integrieren in einen neuen Bestand, blieb nichtsdestotrotz problematisch, hatte die Kassette doch schon einige Verleihvorgänge mitgemacht, wodurch sie in ihrer Qualität gemindert wurde, was sie somit für eine Vielzahl von Kunden, die mit dem Kauf auf Dauer und Haltbarkeit eines Filmes setzten, unattraktiv machte. Ähnlich gestaltete sich die Problemlage, mit diesen Kassetten neue Videotheken zu eröffnen. Zwar lag hier die Hoffnung der Videothekare darin begründet, auf schnellstmöglichem Wege neues Kapital zu akkumulieren, um somit neue und hochwertige Filme einzukaufen, doch stand das Angebot selbst der durch Kassettenberge aufgebauten Videotheken diesem Vorhaben meist im Weg. Hinzu kam, dass es sich meist um billige B- und C-Filme handelte, die in den Videotheken nicht gefragt waren und somit schnell aussortiert wurden. Mittels dieser Filme ein tragfähiges Back-Programm für eine neue Filiale aufzubauen, blieb daher, solange man keiner bereits etablierten Kette angehörte und über ein größeres Lager verfügte, äußerst diffizil.355 Neben der Branche versuchte sich vor allem der Handel damit auseinanderzusetzen, wie mit den alten Kassetten umgegangen werden sollte. Mit großer Skepsis sahen die Videothekare dem Vorhaben entgegen, nicht mehr gebrauchte Kassetten eines Toptitels, die zu Beginn einer Veröffentlichung in großen Mengen bestellt wurden, wieder an den Anbieter zurückzusenden. Grund für diese Bedenken war die Angst, dass diese nun noch einmal weiterverkauft werden könnten, statt wie in den meisten Fällen kommuniziert, vernichtet zu werden. Eine Strategie der Branche war in diesem Kontext die Entwicklung der sogenannten CAZ.356 Die Cassette mit Abschaltzählwerk sollte nicht nur die Problematiken des Kassettenberges lösen, sondern zugleich den Videothekaren größere Einnahmen sichern. Jedes Mal, wenn die Kassette nach dem Abspielen aus dem Recorder genommen wurde, stellte sich das Zählwerk einen weiteren Punkt nach vorne. Dieses Weiterzählen galt dann als nochmaliges Abspielen des Films, was eine zusätzliche Gebühr bedeutet hätte. Wenn auf der einen Seite das Ziel war, die Kassetten mit einer einmal erreichten Abspielzeit durch das Zählwerk unbrauchbar zu machen – sodass die zurückgeschickte Kassette so auch vom Handel nicht weiterverwendet

355

Vgl. Am Cassettenberg scheiden sich die Geister. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 1114 sowie Kassetten-Berg und Imageproblem. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 20.

356

Alles für die CAZ? In: Der Ikarus 2/1989, S. 2.

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werden könnte –, war der andere auf den ersten Blick positive Effekt, dass dem Weiterverleihen der Kassetten im Familien- und Bekanntenkreis entgegengewirkt werden konnte. Der mitsehende Nachbar, der ebenfalls die entliehene Kassette abspielte und in den Augen der Videothekare zu einer Form des Schwarzsehers wurde, musste nun für das weitergelaufene Zählwerk und damit eine theoretisch stattgefundene Mitbenutzung bezahlen. Was allerdings in der Theorie durchaus schlüssig klang, wies in der alltäglichen Praxis des Videokonsums eine Reihe entscheidender Nachteile auf: Einerseits vor allem die Verärgerung des Kunden über das Zählwerk und seine Funktion, zu kontrollieren, was eigentlich mit der entliehenen Kassette geschieht, wenn der Nutzer diese in seinen Privatraum mitgenommen hatte. Andererseits und schwerwiegender war jedoch ein nicht lösbares Problem der Technik: Da das Zählwerk vor allem dann weiterzählte, wenn die Kassette aus dem Recorder genommen wurde, waren so Pausen, in denen der Videorecorder anderweitig genutzt wurde, nicht mehr möglich. Ebenso würde ein plötzliches Auswerfen der Kassette durch den Recorder erneut eine Einheit abzählen, sodass für den Kunden mehr Kosten entstehen würden, selbst wenn er den Film nur einmal gesehen hätte.357 Auch der Videothekar konnte auf diese Weise nicht mehr in die Filme hineinschauen, um sie durch die Kenntnis der Handlung besser bewerben oder positionieren zu können, ohne eine Zähleinheit des Films zu verbrauchen. Tatsächlich führte der Kassettenberg, der laut Hoffmann schon 1979 aus 20 Millionen bespielten Kassetten bestand und jährlich weitere 4 Millionen hinzuzählte, schließlich zu einer neuen Geschäftsidee innerhalb der Videothekenbranche.358 Die Discounter- oder 1-DM-Videotheken speisten sich gerade aus den Überresten anderer Videotheken und den Erträgen des Kassettenberges, um so niedrige Vermietpreise für den Mediennutzer möglich zu machen. Der IVD reagierte alarmiert auf das Aufkommen dieser neuen Videothekenpraxis, die im Dezember 1986 im Saarland ihren Anfang nahm. Deren Konzept war denkbar einfach: „große Ladenlokale, große Cassettenbestände und alle Filme für 1,-- oder 2,-- DM pro Kalendertag“359 sollten die Kunden in die Geschäfte locken. Der Landesverband des IVD Saarland be-

357

Ebd.

358

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 214.

359

Der Landesverband IVD Saarland informiert. In: Der Ikarus 3/1987, S. 27f., hier: S. 28.

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richtete über die Unruhe, die das Erscheinen dieser neuen Videotheken auf dem Markt des Bundeslandes verursacht hatte. Ausgehend von dem Gerücht, der Markt würde aufgekauft, fielen in nahezu allen Videotheken des Bundeslandes die Mietpreise für die Kassetten. Lag im November der Preis noch bei 9 DM pro Film für Neuheiten und 5 DM für Titel des BackProgramms, so gingen manche Videothekare auf 2 DM für die Top-Titel und bis zu 10 Pfennig für die älteren Filme herunter. Dies führte in erster Linie dazu, dass Bestände verkauft wurden, was zur Konsequenz hatte, dass genau aus diesen Verkäufen neue Discount-Videotheken eröffnet werden konnten. Das vernünftige Niveau der Vermietpreise, welches sich seit 1984 etabliert hatte, wurde innerhalb von acht Wochen „zum ruinösen Kleingeldgeschäft“360 degradiert. Eine Arbeitsgruppe des IVD Saarland361 wurde infolgedessen eingesetzt, um gemeinsam Bestimmungen zu erarbeiten, wie man der Bedrohung durch diese neue Form von Videothek begegnen konnte, ohne am Verfall der Vermietpreise teilzuhaben. Anfang 1988 war Karl-Dieter Kneupper zusammen mit seinen fünf Partnern der bekannteste Vertreter dieser, in der Branche verrufenen, Geschäftsidee. Zusammen kontrollierten sie über 200 Video-Aktuell-Geschäfte, denen 1989 weitere 300 Filialen folgen sollten.362 Wenngleich die 1-DMVideotheken billiger als viele andere Konkurrenzläden in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre sein mochten, so war doch ihr Name eine bloße Werbestrategie und dies bis heute: Abgerechnet wurde auf der einen Seite pro Kalendertag. Eine Ausleihe eines Films von einem auf den anderen Tag würde daher schon mit 2 DM berechnet. Auf der anderen Seite wurde meist nur das Back-Programm zu diesen Preisen angeboten, die Topverleihtitel der großen Videoverleiher waren unter 2 bis 3 DM nicht im Verleih erhältlich. Tatsächlich gab es im Mai 1987 Überlegungen, Billigvideotheken aus dem IVD auszuschließen, die vom Ikarus gewohnt drastisch als „Totengräber der Branche“363 betitelt wurden.364 So sollte sogar durch den rechtlichen Bei-

360

Ebd.

361

Im Mai 1987 berichtet auch der IVD Nord von neuen Problemen mit Billigvideotheken. Vgl. Probleme mit Billigvideotheken. In: Der Ikarus 5/1987, S. 10-12.

362

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 214.

363

Vgl. Billigvideotheken. In: Der Ikarus 5/1987, S. 13.

364

Dabei spricht das Auftreten dieser Ketten, respektive deren Vertreter, für sich: Eckhard Baum berichtet unter anderem in der Dokumentation ECKIS WELT darüber, wie ein Vertreter solcher Ketten Anfang der 1990er Jahre mit einem Koffer

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stand des Verbandes geklärt werden, inwiefern durch eine Änderung der Satzung den Betreibern der Discount-Videotheken der Zugang zum Verband verwehrt werden könnte.365 Obgleich das Aufkommen der Billigvideotheken viele kleine Videotheken an den Rand des Ruins brachte und manche Betreiber zur Aufgabe ihres Geschäftes zwang, liegt dennoch in ihren Bestrebungen ein enormer Schub zur Kettenbildung der Videotheken in der Bundesrepublik. Aus diesen Versuchen der 1-DM-Videotheken entwickelte sich nicht nur der Deutsche Videoring, sondern auch die Kette World of Video366, die bis heute das Bild der Videothekenlandschaft der Bundesrepublik prägen.367 Ein Versuch, dieser und anderer Konkurrenz entgegenzuwirken, war ein weiterer Ausbau des Angebotes an Spielfilmen. Nicht erst durch den Einstieg der großen Filmfirmen und deren Archiven, die es auf Video zu veröffentlichen galt, war dies als Trend abzusehen, sondern zudem durch die Leihgewohnheiten der Kundschaft. Zwar wurde stetig der Versuch unternommen, eine breite Palette von Special-Interest-Produktionen wie Sprachund Reisevideos in den Videotheken zu verleihen, doch setzten sich diese Angebote meist nur schleppend durch. So gab es vereinzelt Videotheken, die sich nur auf ein alternatives Angebot abseits des Spielfilms konzentrierten,

voller Geld zu ihm kam und anbot, ihm sein Geschäft abzukaufen, da er in wenigen Monaten ohnehin den Laden würde aufgeben müssen. Für 10 DM pro Kassette sollte Baum mit seiner Videothek vor der neuen Konkurrenz weichen. Vgl. ECKIS WELT, TC 00:43:46h ff. Eine ähnliche Episode hatte sich, laut Lackhoff, auch im Saarland zugetragen. 365

Die Auseinandersetzung ging sogar so weit, dass Branchenmitglieder, die mit dem „Mogul“ der Discount-Videotheken in Verbindung gebracht wurden, im Ikarus um Richtigstellung baten, dass derartige Geschäftsverbindungen nicht existieren würden. Vgl. Der A+V Video-Markt aus Kassel teil mit. In: Der Ikarus 6/1987, S. 12.

366

Einer der größeren Betreiber, der im Mai 2012 verstorbene Heinz Straßburg, war nicht nur lange Zeit Teil des Deutschen Videorings – seine ersten Kassetten bekam Straßburg laut eigener Aussage 1987 von Karl-Dieter Kneupper –, sondern forcierte auch den Austritt seiner Geschäfte aus dem Verband, um so World of Video mitgestalten zu können. Straßburgs erste Geschäfte eröffnete er in den Städten Krefeld, Mönchengladbach und Moers. Zuletzt verfügte seine GmbH über 49 aktive Ladengeschäfte. Vgl. hierzu das Interview: Heinz Straßburg feiert 80. Geburtstag. http://www.mediabiz.de/video/news/heinz-strass burg-feiert80-geburtstag/141284 (Zugriff am 01.04.2014).

367

Zur Geschichte des Deutschen Video Rings in den 1990er Jahren vgl. Gunther Latsch, Gewalt, Lügen und Videos. In: Der Spiegel 21/2000, S. 48-52.

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doch wurde dieses Programm meist eher von den öffentlichen Bibliotheken bedient als von den herkömmlichen Videotheken. Der damit stetig wachsende Trend zum Spielfilm, der das negative Image der Videotheken abschwächen sollte, geriet jedoch erneut in die Kritik durch das Aufkommen der sogenannten und bereits erwähnten Videopremieren. Wenngleich die Videotheken also nicht mehr nur Horror-, Erotik- und Actionfilme anboten, führte doch das Aufkommen der Videopremieren zu einem weiteren Faktor, der nicht nur das negative Image der Branche aufrechterhielt respektive reaktualisierte, sondern gleichzeitig den Kassettenberg der 1980er Jahre weiter wachsen ließ. Videopremieren waren nicht immer gleichzusetzen mit den direkt und lediglich für die Videoauswertung produzierten Filmen, deren Produktion in den 1980er Jahren erst langsam anlief, sondern bezeichneten Filme, die vorher in Deutschland keine Kinoauswertung erhalten hatten. Galt es als Erfolgsrezept innerhalb der Branche, dass eine erfolgreiche Kinoauswertung auch eine erfolgreiche Videoauswertung368 mit sich brachte, entfiel dieser Umstand bei den Videopremieren. Weder brachten die Filme große Einnahmen für die Videotheken, noch schafften sie es in die Listen der meistgefragten Videofilme, den Videotheken eigenen Verleihcharts, aufgenommen zu werden. Dass sie weiterhin das schlechte Image der Videotheken aufrechterhielten, hatte primär damit zu tun, dass es sich oft um minderwertige Filme handelte, denen zu Recht keine Kinoauswertung in Deutschland zugedacht war. Erst langsam wurde im Verlauf der 1980er Jahre der Ruf der Videopremieren besser, sodass einige dieser Filme nicht nur eine verspätete Premiere im Kino erhielten, sondern darüber hinaus in den gängigen zeitgenössischen Filmzeitschriften rezensiert wurden. Dennoch kamen durch die Videopremieren jährlich zwischen 300 bis 350 Titel hinzu, die den Leihmarkt weiter überbordeten und den Kassettenberg der Videotheken stetig wachsen ließen.369 Führte die Branche gerade durch ihre Konzentration auf den Spielfilm, zu dem auch die Videopremieren gehörten, weiterhin einen harten Konkurrenzkampf, so wurde die Konkurrenz von anderer Seite noch verschärft. Denn während sie das Leihvideoprogramm der Videotheken und Bibliotheken eher ergänzten denn als wirkliche Konkurrenz auftraten, starteten die 368

Die laut Ikarus durch die Prämierung des Films durch den Oscar noch verstärkt wird: „Oscar“ ist nicht nur Auszeichnung, sondern auch Verkaufshelfer. In: Der Ikarus 3/1988, S. 45-46.

369

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 222.

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Büchergeschäfte Mitte der 1980er Jahre eine Offensive, um – wenngleich ein wenig verspätet – ebenfalls vom Videoboom profitieren zu können. Vor allem der Buchhandel reagierte ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auf den Preisverfall der Kaufkassette. So war es dem Mediennutzer erneut möglich, nicht nur im Buchladen, sondern auch – ähnlich wie den Leihstationen Ende der 1970er- und Anfang der 1980er Jahre – in einer Vielzahl anderer Geschäfte Filme auf Videokassette kaufen zu können. Spielfilme auf Kassette wurden so wieder zu einer Ware, wie sie in Kiosken, an Tankstellen und Supermärkten zu finden war, obgleich in einem wesentlich kleineren Sortiment als dem der Hi-Fi-Geschäfte, Buchläden und Videotheken. Vorteil der Videotheken blieb es, zumindest in der Theorie, sowohl billigere Gebrauchtware als auch hochwertige Neuware anbieten zu können, diesbezüglich immer den Gang in die Videothek voraussetzend und den Filmkauf nicht wie im Supermarkt en passant zulassend. Obwohl es sich hierbei um eine neu geschaffene Konkurrenzsituation handelte, zeichneten sich durch sie schon die ersten Symptome eines Kaufkassettenbooms ab, der Anfang der 1990er Jahre zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten für die Videotheken werden sollte und die Branche in starke Unruhe versetzte. Die Situation der Videothekare wurde in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre durch eine Vielzahl von Abgaben erschwert, die die ohnehin mit wenig Kapital und Gewinn operierenden Geschäfte in große finanzielle Bedrängnis brachten. So mussten sich zum 1. Januar 1987 die Videothekare an der deutschen Filmförderung beteiligen, die vor allem die Betreiber von größeren Videotheken hart traf. Der Ikarus stellte gar in seinem Vorwort im Dezember 1986 die Frage, ob die geplante Filmförderungsabgabe370 den endgültigen „Nagel zum Video-Sarg“371 darstellte. Der Gesetzgeber erhoffte sich so durch die Videotheken einen Zugewinn von jährlich acht Millionen Mark.372 Auch die noch festzulegenden Abgaben der neuen Privatsender sollten die finanziellen Möglichkeiten der Filmförderung weiter aufstocken. Gleich Film und Fernsehen sollten nun auch die Videotheken einen Beitrag

370

Zur juristischen Frage der Filmförderungsabgabe der Videothekare vgl. Reinhard Ricker, Filmabgabe und Medienfreiheit. Zur Verfassungsmäßigkeit der Abgabe von Videothekaren nach dem Filmförderungsgesetz, München 1988.

371

Filmförderungsabgabe, Nagel zum Video-Sarg? In: Der Ikarus 12/1986, S. 1.

372

Vgl. Videotheken werden ins Visier genommen. In: Kölner Stadtanzeiger 27.02.1986. Zitiert nach: Fundsachen im deutschen Blätterwald. In: Der Ikarus 3/1986, S. 18.

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zur Filmförderung des deutschen Films leisten. Doch was damit auf den ersten Blick nach einer Gleichstellung innerhalb des Medienensembles aussieht, wurde schnell als eine weitere Ungleichbehandlung der Videotheken erkannt, die anders als das Kino und das Fernsehen zwar Filmförderungsabgaben leisten sollten, nicht aber von den Geldern der Filmförderung profitieren konnten. In einem Rundschreiben des IVD, welches vom Deutschen Rundfunk-Fernsehverband und vom Deutschen Videoinstitut mitgetragen wurde, machte man die Mitglieder des deutschen Bundestages auf die Ungleichheit in dieser „Solidargemeinschaft Kino/Video/Fernsehen“373 aufmerksam.374 Statt hier tatsächlich die Gelegenheit zu nutzen, die Videotheken und den Videomarkt mit den anderen Medien gleichzustellen, wurden die Unterschiede nur noch verschärft. Nicht nur, dass Videotheken anders als Kinos den normalen Mehrwertsteuersatz von 14 % abführen mussten375, sondern auch die Ungleichbehandlungen in Fragen des Jugendschutzes und der Öffnungszeiten standen zur Debatte; denn entgegen der Möglichkeit der Filmtheater, Filme auch an Sonn- und Feiertagen zu zeigen, galt für die Videotheken bis weit in die 2000er Jahre hinein das Ruhegebot an diesen Tagen. Erneut brachen an der Diskussion um die Filmförderung auch die Fragen des Jugendschutzes wieder auf, die die Videothekare nicht bereit waren, mitzutragen. Die Tatsache, dass zum Beispiel ein Film, der durch die Mittel der Filmförderungsabgaben finanziert worden war, später indiziert wurde, führte schließlich dazu, dass der Videothekar nicht ausstellen kann, was er mit seinen eigenen Abgaben mitfinanziert hatte, was vorher im Kino und im Fernsehen jedoch Gewinn erzielen konnte. Gerade an diesem Punkt wird sehr deutlich, wie sehr weiterhin die Bestimmungen des Jugendschutzes sich von Medium zu Medium unterschieden und in andere Formen und Fragen der Gesetzgebung mit hineinspielten.376

373

Vgl. Ein Rundschreiben an alle Mitglieder des Bundestages. In: Der Ikarus 11/1986, S. 27 f.

374

Besonders die Vertreter der Filmtheater und -produzenten schienen sich gegen eine Gleichstellung der Videotheken auszusprechen, als die Thematik in den Sitzungen der Filmförderungsanstalten von Hans-Peter Lackhoff angesprochen und diskutiert wurde. Vgl. Ebenso wie die Kinos. In: Der Ikarus 6/1987, S. 47 f.

375

Kinos führten den verminderten Satz von 7 % ab.

376

Vgl. Einer Branche droht die Aushöhlung. Video-Kinnhaken von Vater Staat. Medium leidet an Diskriminierung. In: Der Ikarus 12/1986, S. 8 f., hier: S. 9.

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Diese Novellierung des Filmförderungsgesetzes, gegen das die Videotheken in Bezug auf ihre Branche vehement unter der Führung des IVD gekämpft hatten, traf zunächst solche Videotheken, die mit einem Jahresumsatz von 80.000 DM aufwarten konnten. War diese Summe erreicht, hatte man 1 % des Jahresumsatzes an die Filmförderungsanstalten abzugeben. Die Staffelung sah vor, dass diese Abgabe bei einem Jahresumsatz zwischen 150.000 und 250.000 DM auf 1,5 %, bei einem Umsatz von über 250.000 DM auf 2 % anstieg.377 Diesbezüglich lagen diese Sätze noch unter den ersten Forderungen des Staates an die Videotheken, die in ersten Entwürfen der Novellierung des Gesetzes mit 2,25 % des Umsatzes aus Verleih und Verkauf Abgaben leisten sollten.378 Dass im ersten Jahr der Einführung dieser neuen Abgaben nur 30 % der Videotheken abgabepflichtig wurden, deutete man als Anzeichen für die generell schlechte finanzielle Situation der Videotheken, die durch die Konkurrenz inner- und außerhalb der Branche mit hohen Verlusten wirtschafteten.379 Die Gleichstellung der Videobranche mit den anderen Medien war daher oberstes Ziel bei einer erneuten Diskussion um das Filmförderungsgesetz von 1987, welches 1992 auslaufen und neu verhandelt werden sollte. Im Mittelpunkt stand vor allem die Frage, wie die Videothekare, die zwar Filmförderung zahlten, nicht aber von ihr profitierten, auch Anteil an diesen Geldern haben konnten380, damit das Medium nicht weiterhin als „Zahlmeister für den deutschen Film“381 erschiene. Wichtig war darüber hinaus nicht nur die Frage nach gleichen Abgaben für die anderen Medien, hier vor allem in Bezug auf das Fernsehen, sondern auch die Diskussion, wie mit indizierten Filmen umgegangen werden sollte, die die Videotheken nicht mehr im vollem Maße bewerben konnten und deswegen mit Umsatzeinbußen zu rechnen hatten. Hinsichtlich dessen war die Problematik der Filmförderungsabgaben nicht die einzige Abgabe, die die Videothekare traf und gegen die der IVD 377

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 220.

378

Vgl. Auch Videotheken sollen eine Filmabgabe zahlen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung 27.02.1986. Zitiert nach: Fundsachen, S. 18.

379

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 220.

380

Vgl. Sibylle Alverdes, FFG-Novellierung. Was wird aus der Filmförderung? In: Videowoche 37/1991, S. 22.

381

Joachim Birr, Video – Zahlmeister für den deutschen Film. In: Videowoche 43/1991, S. 10.

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vorzugehen gedachte. Eine andere Problemstellung war die Abgabe, die die Videothekare gegenüber der GEMA machen mussten. Bis 1989 forderte die GEMA 3,5 % von den Videothekaren, die nach dem Auslaufen des alten Tarifvertrages 1989 auf 4 % erhöht werden sollte. Dem IVD war insbesondere daran gelegen, dass es zu gesonderten Konditionen komme, mit denen die Videothekare weit besser umgehen konnten. Nicht nur, was das Aufstellen eigener Rechnungen betraf, die über die zu leistenden Abgaben informieren sollten, sondern auch, um auf diese Weise besser haushalten zu können. Durch Gespräche und Verhandlungen zwischen IVD und GEMA konnte letztlich erreicht werden, dass Mitglieder des IVD einen Rabatt von 20 % auf die zu entrichtenden Abgaben erhielten, was 1991 schließlich gesetzlich in Kraft trat.382 Auf der einen Seite lassen sich durch diese Aushandlungsprozesse Ungleichheiten vor dem Gesetz aufzeigen, die den Umgang mit den einzelnen Medien kennzeichnen und sich nicht nur allein auf die Fragen der zu leistenden Abgaben beziehen. Viele dieser neuen Bestimmungen sowie die Verschiebungen hin zu einer stärker werdenden Konkurrenz durch externe und interne Faktoren der Branche zwangen so in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre viele Betreiber zur Aufgabe des eigenen Geschäfts. Dennoch lässt sich aber auf der anderen Seite konstatieren, dass der Videomarkt wie auch die Videotheken durch die Einbindung in die Systeme von GEMA und Filmförderung nicht nur als Einnahmequellen (an-)erkannt, sondern gleichfalls als fester Bestandteil des Medienensembles der Bundesrepublik betrachtet wurden, welche zumindest in einigen Punkten den anderen Medien gleichgestellt waren. Gerade diese Punkte führten dazu, dass sich die Akzeptanz der Videokassette als integraler Bestandteil des medienkulturellen Alltags Anfang der 1990er Jahre verstärkte und das Adjektiv neu als Beschreibung für das Medium vollends obsolet erschien.

382

Die Abgaben galten 1991 für Ost und West gleichermaßen, war die GEMA doch seit dem 3. Oktober 1990 für ganz Deutschland zuständig. Nach den neuen Regelungen war einfach zu errechnen, was ein Videothekar an Abgaben zu leisten hatte: Bei 1.000 Kassetten kam eine Gebühr von 200 DM zustande, von welcher 10 % Rabatt bei Pauschalvertrag, 20 % Rabatt bei Mitgliedschaft in der IVD abgezogen wurden. 144 DM hatte der Videothekar somit noch zu entrichten. Vgl. Sibylle Alverdes, Einigung perfekt. In: Videowoche 15/1991, S. 14.

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3.5 Der Kampf um den indizierten Film I „Wer das Abenteuer im Beruf sucht, wird am besten Videothekar, denn: Wenn Sie morgens in den Laden treten, wissen Sie nicht ob Sie abends schon in der Kiste sitzen.“383 „Videotheken sind oft Läden, die von außen schon so aussehen, daß man sie von innen erst gar nicht kennenlernen will […].“384

Die Weihnachtswünsche von Heinrich Otto385, Pressesprecher des IVD in den Jahren 1984 bis 1990, zum Jahreswechsel 1985/86 enthielten düstere Prognosen für das neue Jahr. Trotz der Verschärfung des Jugendschutzes ging Otto davon aus „[…] daß die weitere Einführung des Kabelfernsehens für das Jahr 1986 mit einer Fortsetzung der Diskriminierungskampagne aus 83 und 84 einhergehen wird.“386 Markant erscheint nicht nur, dass Otto, und mit ihm der IVD, nicht daran glaubt, dass die neuen Gesetze helfen würden, die gesellschaftliche Stellung und das Image der Videotheken zu verbessern, sondern dass er Gründe nennt, die er kausal mit den Hetzkampagnen gegen die Institution der Videothek verbindet. Otto verweist in seinen Ausführungen nicht auf Jugendschützer oder Pädagogen, die weiter gegen die Videotheken vorgehen, sondern die „[…] kabelinteressierte Presse387 sowie deren politische Geburtshelfer […], [die] sicherlich keine Gelegenheit auslassen, am schlechten Image der Videobranche weiterzuarbeiten.“388 Es scheint somit nicht nur die normale Konkurrenzsituation zu sein, die Otto Sorgen be383

Einer Branche droht die Aushöhlung, S. 9.

384

Top-Videotheken mit Presseresonanz. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 17.

385

Heinrich Otto trat 1990 von seinem Amt zurück. Seine Nachfolgerin wurde Gerda Ollmann. Vgl. Ulrike Goreßen, Vereinigung. Die IVD ist tot, es lebe die IVD. In: Videowoche 37/1990, S. 18 sowie dies., Gerda Ollmann: Neue Pressesprecherin der IVD. In: Videowoche 38/1990, S. 14.

386

Ein frohes neues Jahr. In: Der Ikarus 12/1985, S. 2.

387

Tatsächlich berichtet auch der Spiegel unter Berufung auf die Zeitschrift Media Perspektiven von „[…] organisierter Starthilfe der schreibenden Zunft“, welche mit „ihrer Begeisterung […] häufig die Grundregeln journalistischen Handwerks [verletzte].“ Zitiert nach: Im Spiegel gelesen. In: Der Ikarus 12/1985, S. 6 f.

388

Ebd.

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reitet, sondern eine Konkurrenzsituation, die von politischer Seite aus gesteuert sei.389 Was zuvorderst den Eindruck einer bestimmten Form vom Markt induzierter Paranoia evoziert, wird im Laufe der zweiten Hälfte der 1980er Jahre mit einer gewissen Evidenz untermauert; denn immer wieder ist es Bayern respektive die dort regierende CSU, welche über den Bundesrat das absolute Vermietverbot für indizierte Filme unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes durchsetzen will. Dieses absolute Vermietverbot, welches den Verleih von pornografischen Filmen als Ganzes und große Teile der Genres Horror und Action treffen würde, wurde damit zu einer Form des politischen Damoklesschwertes, welches stetig drohte, die Existenz der Videothek und damit auch der Videothekare zu treffen. Der Diskurs um das bedrohliche Vierte Programm, welches die Kassette dem Mediennutzer eröffnete, wurde damit zwar nicht mehr so folgenschwer in der Öffentlichkeit diskutiert, wie es noch vor 1985 der Fall war, verschwunden war er allerdings nicht.390 So finden sich auch im Ikarus immer wieder aus der Presse zusammengeführte Artikel, die aufzeigen, wie undifferenziert auch nach 1985 über das Medium Video und die mit ihm verbundenen Gefahren berichtet wurde, „[…] wenn einige Schundjournalisten nach Hugenbergmanier den Rufmord einer Branche betreiben“391. Die Einschätzung, die sich 389

Was unter anderem noch verschärft wurde durch die Werbung des Kabelfernsehens, die durch die Möglichkeiten der neuen Technologie die eigene „private Kabel-Videothek“ in Aussicht stellte. Vgl. Indexprogramm bald exklusiv für Privat-TV? In: Der Ikarus 11/1988, S. 8-9, hier: S. 8.

390

Das Präsidium des Landesfrauenausschusses in Bayern spricht in einem Schreiben zum Thema Jugendmedienschutz im Videobereich von einem „beinah schlagartigen“ Verschwinden der Thematik aus der öffentlichen Diskussion. Vgl. Vom Präsidium des Landesfrauenausschusses Bayern. In: Der Ikarus 12/1985, S. 14-17, hier: S. 14. Das Interesse war dabei jedoch eher, genau diese Diskussion weiter aufrechtzuerhalten.

391

Gigantische Hetzkampagne in der Stadt Hagen, S. 7-8. Wenn auch der Vorwurf des IVD hier drastisch ausfallen mochte, so mangelte es dem kritisierten Artikel nicht minder an harten Worten und groben Vergleichen. So wird in den Artikeln der Westfälischen Rundschau nicht nur der Videothekar, der diese „brutale[n], abartige[n] und perverse[n] Filme […]“ verbreitet, als „gewissenloser Geschäftemacher“ bezeichnet, sondern in Anzeigenkampagnen die Videosucht mit der Drogenabhängigkeit verglichen. Eine große Spritze warnt vor der Sucht, die bekämpft werden muss „[…] wie ein Rauschgift.“ Ebd., S. 8. Dieses Motiv fand 1990 eine weitere Aktualisierung, als durch einen Runderlass in NRW „Videotheken neben Gaststätten und Spielhallen als mögliche Stätten für illegalen Drogenkonsum hin[ge]stellt“ wurden. Ulrike Goreßen, Runderlass in NRW. Drugstore oder Videothek? In: Videowoche 39/1990, S. 14.

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so unter anderem bei Jürgen Kniep392 findet, dass die Debatte um das Medium aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden sei, ist damit zumindest zu korrigieren, wie nicht nur die fortgesetzten Maßnahmen der CSU zeigen, sondern auch die Presseschau des Ikarus. Die Branche selbst hatte bereits im März 1986 die Angriffe des bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß kommentiert, der als ein Befürworter des Kabelfernsehens, „[…] den Mut hat, aktiv die Zerstörung der Videobranche voranzutreiben“393. Die Befürchtungen, Straußʼ Ansinnen, indizierte Filme vollständig vom Verleih auszuschließen, könnte „aus moralischen und ethischen Erwägungen heraus“394 Befürworter finden, beunruhigten den IVD. Der Verband sah in Straußʼ Handeln, wenngleich noch mit Fragezeichen versehen, vielmehr einen neuerlichen Protektionsskandal395 anstehen, war doch der Sohn des Ministerpräsidenten finanziell an einer Kabelfernsehgesellschaft beteiligt.396 „Pro-Kabel-Lobbyisten-Denken“, so der IVD weiter, stehe hier in den Überlegungen der CSU an erster Stelle.397 Und erneut machte der IVD, wie auch schon in der Dampfwalzenaktion vor wenigen Jahren, auf die Unstimmigkeiten der Logik des totalen Vermietverbotes aufmerksam. Dieses würde, so das oft wiederholte Argument, auch Filme treffen, die Monate zuvor regulär im Kino ausgewertet und teilweise mit Fördermitteln des Freistaates Bayern produziert wurden.398 Um jedoch weiterhin aktiv gegen das mögliche Vermietverbot von indizierten Filmen vorzugehen, griff der IVD auch aktiv in stattfindende Wahlkämpfe ein.399 In dieser Hinsicht ging es ihm auf der einen Seite vor allem um die Aufklärung des Videothekenkunden, auf der anderen Seite um mögliche Wahlempfehlungen an die Mitglieder des Verbandes. Der IVD, der sich als „Meinungsmultiplikator von höchst imposantem Ausmaß“400 ver392

Vgl. Kniep, ‚Keine Jugendfreigabe!‘, S. 341.

393

Steht Strauß ein neuer Protektionsskandal ins Haus? In: Der Ikarus 3/1986, S. 2.

394

Ebd.

395

Hier rekurriert der Ikarus wahrscheinlich auf die Fibag-Affäre 1961/1962.

396

Vgl. ebd.

397

Die Überlegungen der CSU. In: Der Ikarus 2/1987, S. 10.

398

Vgl. ebd.

399

Vgl. Zur Landtagswahl in Niedersachsen. In: Der Ikarus 3/1986, S. 3. Ähnlich auch zur Landtagswahl in Baden-Württemberg 1988: IVD im Landtagswahlkampf aktiv. In: Der Ikarus 3/1988, S. 5-10.

400

Ebd.

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stand, stellte für diese Formen der „politische[n] Notwehraktion“ Werbematerial zur Verfügung, um den Kunden in der Videothek, abseits der weiterhin forcierten Unterschriftenaktionen, aufzuzeigen, welche Parteien das Angebot der Videotheken und damit letzten Endes auch das Auswahlrepertoire des Mediennutzers einschränken wollten. Neben Argumentationsmaterial und Broschüren für die Videothekare vor Ort sollten auch gezielte Gespräche mit den Kandidaten der jeweiligen Parteien stattfinden. Indes tat sich der IVD mit einer Wahlempfehlung für seine Mitglieder schwer. Zwar wurde die Union eindeutig als nicht wählbar dargestellt, eine eindeutige Positionierung zu einer anderen Partei blieb aber aus. Positiv wurde vor allem die FDP bewertet, welche als „liberales Rückgrat dieser Koalition“401 in Bonn ein Verleihverbot ablehnte. Da der IVD aber in Fragen der Filmförderung402 nicht konform ging mit den Liberalen, sah man auch hier von einer eindeutigen Wahlempfehlung ab. Die FDP selbst indes wurde aufgrund ihrer Absage an ein totales Vermietverbot vonseiten der CSU aufs Heftigste kritisiert403; erneut appellierte Ministerpräsident Strauß „dem Schutz von Kinder[n] und Jugendlichen einen höheren Stellenwert einzuräumen als dem Geschäft mit dem Videoschund“404. Angeheizt wurde die Debatte immer wieder von Zeitungsberichten über reale Straftaten, die die irrealen Bilder der Videofilme als kausalen Grund für das anormale Verhalten der Täter heranzogen. Die Berichterstattungen über solche von Video induzierten Gewalttaten entfachten die Diskussion nicht neu, sondern heizten sie lediglich weiter an, um konsequent zu den stetig wiederholten Forderungen zu führen „[…] alle Horror-Videos grundsätzlich zu verbieten“405. Dass aber nicht alleine die Horrorvideos au-

401

Ebd.

402

Vgl. dazu Kapitel I.3.4 dieser Arbeit.

403

So auch im Münchner Merkur. Vgl. „Horrorartikel im Münchner Merkur“. FDP dient sich dem Horrorvideoverleih an. In: Der Ikarus 10/1987, S. 30.

404

Zum Thema Verleihverbot. In: Der Ikarus 3/1986, S. 18 f., hier: S. 19.

405

So die Forderung nach einem Mord an einem Mädchen aus Warstein/NRW: Horrorfilme unbedingt verbieten! Mädchenmord entfacht neue Diskussion. In: Der Ikarus 12/1986, S. 5 f., hier: S. 5. Die Täter gaben an, durch Horrorvideos auf die Idee für die Tat gebracht worden zu sein. Tatsächlich aber firmiert sich hier schon eine Diskursfigur, wie sie später von Wes Craven in SCREAM parodiert wurde: Während in Scream die beiden Mörder noch der Meinung sind, dass Horrorfilme nicht zu Bluttaten verleiten, sondern lediglich kreativ machen (vgl. SCREAM [dt. SCREAM! – SCHREI!]; R. Wes Craven, USA 1996, TC 01:32:17h), stützt

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genscheinlich die Schuld traf an der Ausübung realer Gewalt, zeigte exemplarisch der Fall auf, bei welchem Jugendliche nach der Sichtung des Bud Spencer-Films …CONTINUAVANO A CHIAMARLO TRINITÀ406 einen 47-Jährigen zu Tode trampelten.407 Dass die Täter ebenfalls von einem allgemeinen Frust sprachen, den sie zur Tatzeit verspürten, und bei dem gemeinsamen Filmabend wahrscheinlich Alkohol mit im Spiel war, übergeht die im Ikarus wiedergegebene Berichterstattung weitestgehend. Die Konzentration auf den Film, auf seinen Titel und seine stetige Betonung in der Presse scheint nicht nur aus heutiger Sicht im besten Fall befremdlich zu sein, handelte es sich doch bei dem Film weder um einen Horror- noch um einen Actionfilm, sondern eine schon 1971 in den Kinos gezeigte Westernparodie. Wahrscheinlich ging daher keiner der im Ikarus vollständig wiedergegebenen Artikel so weit, von diesem Fall ausgehend erneut die Forderungen nach einem Verleihverbot indizierter Filme zu aktualisieren.408 Latent ist dieser Vorwurf allerdings in jedem dieser Artikel mehr als deutlich herauszulesen. 1987 setzte die CSU schließlich erneut bei ihrem Vorhaben an, bundesweit ein totales Verleihverbot zu erwirken. Dass dieses Anliegen mittlerweile ein Kernstück schwarzer Politik darstellte, wird durch den Wortlaut einer Anzeige der CSU in der Süddeutschen Zeitung deutlich: „Zur Freiheit gehört die konsequente Bekämpfung von Terror und Verbrechen. Für die CSU ist deshalb unabdingbare Voraussetzung, das Verleihverbot für jugendgefährdende Videofilme.“409 Waren diese Aussagen noch Teil des Wahlkampfes 1987, so wurde das Anliegen auch in die Koalitionsverhandlungen getragen. Hier kritisierte der IVD erneut den Sprachduktus der Politik, die in

einer der Mörder aus SCREAM 2 seine Verteidigung auf seinen Horrorfilmkonsum. Nicht er, sondern die Industrie habe Schuld an den Taten. Es ist daher auch schon in den 1980er Jahren nicht auszuschließen, dass die Anschuldigungen gegen das verwerfliche Horrorvideo in Aussicht stellten, mit mildernden Umständen rechnen zu dürfen. Vgl. SCREAM 2; R: Wes Craven, USA 1997, TC 01:34:24h. 406

…CONTINUAVANO A CHIAMARLO TRINITÀ [dt. VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA]; R: Enzo Barboni, I 1971. Der Film besaß eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren. Durch das Alter des Films ist es ebenso wahrscheinlich, dass dieser auch schon vor 1986 im Fernsehen ausgestrahlt wurde.

407

Vgl. Vier Fäuste für ein Halleluja. In: Der Ikarus 9/1986, S. 3-6.

408

Vgl. zu einem ähnlichen Fall Anfang der 1990er Jahre: Ulrike Goreßen, „Batman“ als Gewaltvideo verunglimpft. In: Videowoche 24/1992, S. 12.

409

Zitiert nach: Ein permanenter Wandel. In: Der Ikarus 2/1987, S. 1 f., hier: S. 2.

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ihren Forderungen nicht mehr von indizierten Filmen sprach, sondern lediglich allgemein von Gewaltvideos, ohne jedoch eine gültige Definition dessen zu formulieren, was damit eigentlich bezeichnet werden sollte. Der juristisch fest gefasste und leicht zu handhabende Fachterminus des indizierten Films wurde damit nicht nur gegen eine pauschal verallgemeinernde Bezeichnung eingetauscht, sondern gegen eine ebenso populistische. Die Intention hinter der Wahl dieses Begriffes war möglicherweise der Hinweis auf die zwei Formen der Gewalt, die das Videoprogramm miteinander verband: auf der einen Seite die zu sehende, auf der anderen Seite die daraufhin ausgeführte Gewalt, die beide auf dieselbe Quelle zurückzuführen seien. Dass über diese Benennungen pejorative Urteile gefällt und verbreitet wurden, wird an einem anderen Beispiel deutlich: Um zu Ergebnissen zu kommen, bildete sich aus den Koalitionsverhandlungen heraus eine Arbeitsgruppe, die sich eingehender (und wiederholt) mit den Fragen des absoluten Vermietverbotes und den Gefahren des Mediums auseinandersetzen sollte. Infolgedessen firmierte diese Arbeitsgruppe mit der Vorsitzenden Bundesministerin Rita Süssmuth (CDU) unter dem Namen „Verleihverbot für Gewaltvideos und Kindesmisshandlung“410. Die Diskussion um die erneute Novellierung des Jugendschutzes blieb somit weiterhin akut; vor allem dann, als der Kulturausschuss des Bundesrates bei der Enthaltung von Berlin und Hamburg beschloss, den Gesetzentwurf zum Verbot indizierter Videofilme in den Bundestag einzubringen.411 Lakonisch bezeichnete der IVD den Entwurf als Gesetz „des Bundesrates zur Videothekeneliminierung“412. Während somit erneut, wie erst wenige Jahre zuvor, über die Möglichkeiten diskutiert wurde, die Videogefahr kontrollieren zu können, schien sich die Skepsis der Branche zu bestätigen: So sah unter anderem der Rundfunkstaatsvertrag, der die Rahmenbedingungen des neuen Privatfernsehens regelte, vor, dass zwischen 23 und sechs Uhr morgens indizierte Spielfilme ausgestrahlt werden dürften.413 So markierte gerade dieser Umstand nicht

410

Und wieder ist nicht Freitag der 13. In: Der Ikarus 3/1987, S. 3.

411

Vgl. Abseits aller Lebenswirklichkeit. In: Der Ikarus 5/1987, S. 1 f., hier: S. 2.

412

Der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Videothekeneliminierung. In: Der Ikarus 6/1987, S. 13-20. Erneut gibt der Ikarus den gesamten Text des Entwurfes an seine Mitglieder weiter.

413

Vgl. Indizierte Filme exclusiv für Kabel-TV? In: Der Ikarus 6/1987, S. 1-3.

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nur ein deutliches Zeichen der Ungleichheit414 zwischen den Medien Fernsehen und Video, sondern wurde gleichzeitig zu einem der aussagekräftigsten Argumente gegen die geplante Politik des totalen Vermietverbotes. Hierbei brachten die Videothekare vor allem die durchgesetzten Veränderungen ins Feld, die sich die Branche seit der Verschärfung des Jugendschutzes selbst auferlegt, oder durch den Zwang der neuen Bestimmungen umgesetzt hatte. Die „optimale Vergabesicherheit“415, die in den Videotheken praktiziert wurde, zum Beispiel durch die Kontrolle des Personalausweises, aber auch durch die verhinderte Einsicht und den eingeschränkten Zugang zu den Geschäften, sah man durch die Bestimmungen des Rundfunkstaatsvertrages konterkariert. Was die eine Seite nicht mehr verleihen dürfte, konnte die andere Seite frei ins Haus senden. Dieser Umstand bereitete den Boden für ein anderes Argument gegen das Vermietverbot der indizierten Filme: Wenn nun derartige Filme nicht mehr ausgeliehen, sondern nur noch verkauft werden könnten, so würden die dann gekauften Filme permanent in den Haushalten zur Verfügung stehen. Die Kassetten, auf denen gewaltvolles oder pornografisches Material zu sehen war, würden so nicht nach wenigen Tagen wieder in die Geschäfte zurückgebracht werden, sondern zum stetigen Gebrauch bereitstehen.416 Für die Politik schien dies kein schlagendes Argument zu sein, war man doch der Annahme, dass die noch recht hohen Preise der Kaufkassetten eine Ansammlung jugendgefährdender Videokollektionen verhindern würden. Dabei wurde die Beobachtung außen vor gelassen, dass ein Markt, der nur noch auf Verkauf statt auf Verleih setzen würde, einen Preisverfall beschleunigen könnte; Kaufkassetten wären dann 414

Dabei waren die Fragen des Jugendschutzes in Bezug auf das Medium Fernsehen an vielen Punkten höchst kompliziert. Nicht nur die Frage, wie dieser bei den neuen privaten Sendern umzusetzen sei, sondern auch, wie man mit Programmen verfahren sollte, die Kinder über Satellit sehen konnten. Da es sich dabei oft um ausländische Programme handelte, schien es offensichtlich zu sein, dass hier an globalere Gesetze gedacht werden musste. Auch die Gefahr, die vom Fernsehen ausging, war in den 1980er Jahren immer wieder Bestandteil der Diskussion, um die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch die Medien eindämmen zu können.

415

Indizierte Filme exclusiv für Kabel-TV?, S. 1.

416

Die FDP gab ebenfalls zu bedenken, dass die häuslichen Sammlungen an jugendgefährdenden Videofilmen durch eine erhebliche Zunahme von Videopiraterie ausgebaut werden konnten, die der Wirtschaft so auf andere Weise enormen Schaden zufügen würde. Vgl. Aus dem Pressedienst der FDP. In: Der Ikarus 7/1987, S. 10 f., hier: S. 10.

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zu einem wesentlich günstigeren Preis zu erstehen als es Ende der 1980er Jahre tatsächlich der Fall war. Hinzu kam außerdem noch, dass durch die mögliche Ausstrahlung indizierter Programme durch das Fernsehen Kinder und Jugendliche in der Lage waren, diese Programme nahezu unkontrolliert zu konsumieren. Hierbei ging es nicht einmal um die Frage, ob diese zu den gegebenen Zeiten noch wach waren und die ausgestrahlten Filme und Programme somit live sehen konnten, sondern mehr um die Frage nach den Möglichkeiten des Videorecorders. Lag die technische Finesse in Bezug auf die gemeinsamen Recorder meist bei den jüngeren Mitgliedern einer Familie, so waren diese zweifelsfrei auch in der Lage, Filme aus dem Spät- und Nachtprogramm der Sender aufzunehmen, um sie dann später zu konsumieren. Durch die Ausstrahlung indizierter Filme und die Aufnahmefähigkeiten der Jugendlichen wären sie in der Lage gewesen, ganze Archive mit jugendgefährdenden Filmen anzulegen, ohne dass die Eltern dies zur Kenntnis nehmen würden. Innerhalb eines Jahres würden sich, so die Befürchtungen, „in privaten Haushalten Lagerbestände an Indexfilmen in 3-stelliger Millionenzahl ansammeln.“417 Anders bei der entliehenen Videokassette, um deren Vorhandensein im Haushalt die Eltern und selbst die großen Geschwister wissen, um sie dem Zugang und Zugriff der zu schützenden Kinder und Jugendlichen vollends zu entziehen. Dass viele dieser Argumente von beiden Seiten in argumentative Pattsituationen führten, scheint offensichtlich. Der IVD bemühte sich jedoch, die für ihn wirksamsten Argumente418 in einem Musterbrief zusammenzutragen, der den Kunden in den Videotheken ausgehändigt wurde mit der Bitte, diesen unterschrieben an den jeweiligen Bundestagsabgeordneten zu senden. Neben den hier aufgeführten Argumenten gegen die Wirksamkeit eines Verleihverbots stand vor allem die Frage des Gleichheitsgrundsatzes im Vordergrund; die Frage also, inwiefern der Mediennutzer, der nicht mehr das Kino aufsuchen wollte, gegenüber dem regulä-

417

Jugendschutz seriös gestalten. In: Der Ikarus 10/1987, S. 1.

418

Eine weitere Stellungnahme des IVD, die diese Argumente noch einmal strukturiert, findet sich bei: IVD-Stellungnahme zum Gesetzesentwurf „Verleihverbot“. In: Der Ikarus 10/1987, S. 3 f. Im Anschluss an diese Stellungnahme druckte der Ikarus das Protokoll der ersten Lesung im Bonner Bundestag nahezu komplett ab. Deutlich zeichnet sich auch hier ab, dass auf der einen Seite allen Parteien bewusst war, dass Jugendschutz erste Priorität hatte, nicht klar auf der anderen Seite schien das Wissen um die Tatsache, dass der Weg des totalen Vermietverbotes nicht die Lösung dieses Problems sein konnte. Vgl. Bonn: Erste Lesung wg. Verleihverbot. In: Der Ikarus 10/1987, S. 5-23.

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ren Kinogänger benachteiligt wurde, wenn er nicht mehr durch die Programme der Videothek diese Filme nachholen konnte.419 Ironischerweise dankte vor allem die Pornobranche am 17. Mai 1987 in einem extra organisierten Festball dem bayrischen Ministerpräsidenten für seinen Kampf gegen die indizierten Filme, rechnete man doch in der Branche mit enormen Einnahmen, wenn der Pornokonsum nur noch durch den Kaufkassettenmarkt befriedigt werden konnte.420 Verständlicherweise reagierte der IVD eher zwiespältig auf das Verhalten der Pornobranche, hatte man sich doch erhofft, von dort Unterstützung für die eigenen Kampagnen zu erhalten.421 Doch anders als noch 1985 vor dem Inkrafttreten des lex video hatte die CSU und ihr neuerlicher Vorstoß, indizierte Filme vollständig zu verbieten, die öffentliche Meinung nicht vollends auf ihrer Seite. Nicht nur die FDP sprach sich gegen das Verleihverbot aus. So verwies auch der Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) Rudolf Stefen darauf, dass die Politiker mit Gewalt verdrängen würden, „daß 98 Prozent der Video-Filme Kinospielfilme“422 seien. „Die Videothekare, ‚die armen Schweine‘, seien schließlich nicht Schuld an den Entgleisungen auf der Kinoleinwand.“423 Stefen424, der den Vorsitz der BPjS von 1969 bis 1991 innehatte, sah die Schuld vielmehr bei der Arbeit der FSK, die weiterhin beim Jugendschutz „viel zu lasch“425 vorgehen würde. Die Regularien des Jugendschutzes hätten so deutlich früher in der Verwertungskette des Films zu wirken. Während der FDP-Bundestagsabgeordnete Nobert Eimer den

419

Vgl. ebd., S. 2.

420

Vgl. Die deutschen Porno-Video-Anbieter danken Franz-Josef Strauß mit einer Super-Party. In: Der Ikarus 7/1987, S. 6 f.

421

Vgl. Bei Round-Table-Gesprächen mit den Hardcore-Anbietern. In: Der Ikarus 6/1987, S. 3.

422

Video im Spiegel. In: Der Ikarus 8/1987, S. 27-31, hier: S. 31.

423

Ebd., S. 31.

424

Die Äußerungen Stefens brachten ihm dafür eine Rüge Edmund Stoibers ein, der neben den Aussagen im Spiegel vor allem ein Foto Stefens kritisierte, welches Stefen auf dem Sommernachtsball des IVD 1987 lächelnd neben dem Star der Pornobranche Theresa Orlowski zeigte. Stoiber appellierte dabei an Stefens Dienstherrin, Rita Süssmuth, und deren Verständnis von Liberalität. Vgl. Stoiber rügt Stefen. In: Der Ikarus 9/1987, S. 15.

425

Video im Spiegel, S. 31.

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bayerischen Gesetzesentwurf als „absoluten Schmarren“426 abtat, bezeichnete ein Vertreter des Börsenvereins des deutschen Buchhandels den erneuten Vorstoß als „völlig idiotisch“427. Auch die Gesellschaft zur Übernahme und Wahrnehmung von Filmaufführungsrechten mbH (GÜFA) zeigte in einem juristischen Gutachten auf, dass „der Bundesratsbeschluss zum Verleihverbot einer umfassenden rechtlichen Analyse nicht standhält“428. Wenn sich somit der Rückhalt der Videothekare in Politik und Gesellschaft als größer erwies, als es noch vor 1985 der Fall gewesen war, so bedeutete dies nicht, dass nicht weiterhin in den Zeitungen über die Gefahr des Videokonsums berichtet wurde. Neben den bereits erwähnten Artikeln, die weiterhin und oft nahezu unbeirrt einen Konnex zwischen realen Gewalttaten und Videokonsum herstellten, veröffentlicht der Ikarus immer wieder Zeitungsartikel, die ihre eigenen Rückschlüsse zogen über die Gefahr, die von den Videotheken ausgehen würde. So wurde in manchen Zeitungen nicht nur auf die Verwandtschaft von Spielhallen und Videotheken hingewiesen, sondern in der gleichen Überschrift auch vor der Vermehrung rechtsradikalen Gedankengutes an deutschen Schulen gewarnt. Dass der Titel des Artikels „Gewaltvideos verrohen Schüleralltag. Spielhallen und Videotheken sprießen. Stichproben des Jugendamtes. Mehr Neonazis“429 eine Verbindung aufstellt, die im Artikel gar nicht gegeben ist, ist kein Einzelfall. Neben diesen Berichten häuften sich zudem die Meldungen, dass Journalisten, aber auch Angehörige parteigebundener Ortsverbände430 versteckte Testläufe in Videotheken durchführten, um Videotheken als Institutionen eines nicht funktionierenden Jugendschutzes bloßstellen zu können.431

426

„Horrorartikel im Münchner Merkur“, S. 30.

427

Ebd., S. 31. So hätte der geplante Gesetzesentwurf zur Folge gehabt, dass auch indizierte Bücher, die vorher noch unter der Ladentheke gehandelt wurden, in die Pornoshops hätten verschwinden müssen.

428

GÜFA-Gutachten gegen Verleihverbot. In: Der Ikarus 8/1987, S. 40-47, hier: S. 40. Dabei ist jedoch anzumerken, dass sich die der 1976 gegründeten GÜFA angeschlossenen Filmproduzenten und Rechteinhaber vorwiegend mit pornografischen Filmen auseinandersetzten.

429

80 Prozent Jugendkriminalität wegen Video? In: Der Ikarus 9/1987, S. 25.

430

Vgl. Heckenschützen in der Jungen Union Saar. In: Der Ikarus 6/1986, S. 10.

431

Diese sogenannten „Agent-Provocateurs“, die auch in anderen Geschäften durchgeführt wurden, um zu prüfen, ob unter anderem Alkohol an Jugendliche ausgeschenkt wird, wurden 1987 für illegal erklärt. Vgl. „Agent-Provocateur“ in Videotheken illegal. In: Der Ikarus 9/1987, S. 30 f.

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Als sich Anfang 1988 die Diskussionen um das totale Vermietverbot indizierter Filme erneut zu beruhigen schienen, wohl wissend, dass die Diskussion erneut beginnen würde432, stellte der IVD ein Zehn-Punkte-Programm zur Selbstverpflichtung auf, welches nicht nur dazu aufrief, den Jugendschutz weiterhin ernst zu nehmen, sondern sich ebenfalls zum Ziel gesetzt hatte, die Stellung des Mediums Video weiterhin zu stärken und auszubauen. So richtete sich das Programm nicht nur an die Mitglieder des IVD und die Videothekare, sondern auch an alle mit dem Medium Video agierenden Interessengruppen gleichermaßen. Die wichtigsten Punkte markierten sowohl die Verpflichtung, nur noch FSK-geprüfte Filme einzukaufen sowie ebenfalls geprüftes Werbematerial zu verwenden, als auch nur noch Hardcore-Filme einzukaufen, die ein „verhaltenes“ Frontcover aufweisen und über einen „unverfängliche[n]“433 Titel verfügten. Neben weiteren Forderungen bezüglich eines breiteren Kopierschutzes und gemeinsamen Positionspapieren in Bezug auf den Jugendschutz wurde der Vorschlag gemacht, neuen Videothekaren den Besuch eines Kurses für Jugendschutz und Urheberrecht anzubieten. Ob und inwiefern dieser wie auch die anderen Punkte des Programms für die Mitglieder des IVD verpflichtend gemacht werden konnten, ist nicht bekannt. Dennoch wurde das Programm auch außerhalb der Grenzen des Verbandes akzeptiert und zu großen Teilen von der Branche umgesetzt. Wie bereits aufgezeigt, wurden die Berichterstattungen gegen das neue Medium Video und das Programm der Horror-, Action- und Pornovideos mittels eigenwilliger Metaphern geführt. Die Rede vom Schmutz und Schund, dem Gift und der Droge auf Video434, die Gefahr der Ansteckung mit dem Virus der Gewaltverherrlichung sind nahezu Topoi, die viele Medien bei deren Etablierung oder aber an entscheidenden Punkten ihrer Historiografie begleitet haben. Klaus Bartels fragte so 1984 in der Zeitschrift Rundfunk und Fernsehen nicht nur nach den möglichen Gründen für die Gleichsetzung des Videokonsums mit ansteckenden Krankheiten, sondern verwies auch auf die lange Kulturgeschichte, die derartige Vergleiche aufzuweisen hatte.435 Inte432

Vgl. Am Ziel beginnt die Zukunft. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 1 f., hier: S. 2.

433

Zehn Punkte-Selbstverpflichtung. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 9.

434

Vgl. Pressemitteilung des Caritas-Verbandes. In: Der Ikarus 5/1988, S. 38.

435

Vgl. Klaus Bartels, Die elektronische Pest? Kultur, Ansteckungsgefahr und Video. In: Rundfunk und Fernsehen 4/1984, S. 491-506. Bartels Artikel und vor allem seinen medienhistorischen Vergleichen wurden dabei in einer der folgenden

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ressant ist bezüglich Bartels Artikel vor allem der Rekurs auf die mediale Aufbereitung der Gefahr durch Video in den öffentlich-rechtlichen Fernsehprogrammen; diesen wurde eine Doppelmoral unterstellt, die zwar im Falle der Ausstrahlung von MAMA, PAPA, ZOMBIE unbeanstandet blieb, bei einer ähnlich argumentierenden Ausstrahlung jedoch vonseiten der CSU, hier erneut vom Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Edmund Stoiber, stark kritisiert wurde.436 Markant bleibt, dass auch Bartels in seinen Ausführungen auf die Figur des Zombies zurückkommt. Die durch die Idee des Zombies verbreitete Seuche scheint sich im Diskurs um das Kassettenfernsehen von seinem mythologischen Ursprungsort losgelöst zu haben, um als Angst auf die Kassetten selbst übertragen zu werden. An dieser Stelle könnte somit ebenfalls eine Teilantwort gegeben sein, warum der Zombie für das beanstandete Videoprogramm eine emblematische Figur wurde.437 Interessant hingegen ist ebenfalls, dass die Sprache der Videothekare ähnlich geprägt war durch eine Form der sprachlichen Übertreibung und der fragwürdigen und historisch schiefen Vergleiche. Im Mittelpunkt standen vor allem die Rekurse auf Schlagwörter, die an den Holocaust und die Verfolgung ethnischer und religiöser Gruppen zur Zeit des Dritten Reiches erinnerten. So wurde in den Artikeln des Ikarus nicht nur immer wieder auf die Bezeichnung Pogrom438 zurückgegriffen, sondern auch analog zum Versuch der Durchsetzung neuer Zensurbestimmungen an die Zeit der unfreien Kunst zwischen 1933 und 1945 erinnert. Einen Höhepunkt erreichte der Rückgriff auf diese einer anderen Zeit entlehnte Rhetorik durch die Karikatur, die das Titelblatt der November/Dezember-Ausgabe des Ikarus schmückte (vgl. Abb. 15).439 Darauf zu sehen ist eine Videothek, deren Fens-

Ausgabe der Zeitschrift stark widersprochen. Vgl. Ingo Hermann, Elektronische Pest oder elektronische Post? Fragen an Klaus Bartels. In: Rundfunk und Fernsehen 2/1985, S. 202-203 sowie Stefan Aufenanger, Die Stimme der „elektronischen“ Pest. In: ebd., S. 204-206. 436

So soll tatsächlich nach der Ausstrahlung dieser Sendungen ein „junger Mann zum Krummschwert“ gegriffen haben. Was als Warnung gedacht war, regte unter anderem vielmehr zur Nachahmung an. Vgl. Bartels, Die elektronische Pest?, S. 492.

437

Ebd., S. 502.

438

Vgl. Gedanken zum geplanten Verleihverbot. In: Der Ikarus 7/1987, S. 1. Dort wird das Wort im Begriff der „quasi Progromstimmung“ [sic!] zwar in Anführungszeichen gesetzt, ist aber nicht als eindeutiges Zitat erkennbar.

439

Vgl. Titelblatt des Ikarus 11-12/1987.

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ter von einem Jugendlichen mit dem Wort Kindermörder zugesprüht werden. Auf dem Boden vor der Videothek liegen vereinzelte Zettel, auf denen die Aufforderung zu lesen ist, nicht bei Videothekaren einzukaufen. Aus der offenen Tür der Videothek tritt im Hintergrund der in einen Anzug gekleidete Videothekar, der hilflos mitansehen muss, wie seine Schaufenster verunstaltet werden. Wehren kann er sich gegen diesen Übergriff anscheinend nicht.

Abb. 15: Die Selbstsicht der Branche

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Im Vordergrund des Bildes ist eine ältere Frau zu sehen, die nicht nur mit gesenktem Blick oder geschlossenen Augen an den Taten im Hintergrund vorbei geht, sondern mit dem Finger auf die Videothek und den Videothekar zeigt, fast so, als würde sie ihn, obwohl er in der Opferrolle zu identifizieren ist, zusätzlich anklagen. Bei der Frau könnte es sich um die von 1986 bis 1993 amtierende bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner (CSU) handeln, die als Gallionsfigur der Antivideobewegung den CDU-Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit Heiner Geißler (1982-1985) abgelöst hatte. So zumindest in den Augen der Videothekare, die in ihren Publikationen den bekannten Beinamen der CSU-Politikerin „schwarze Hilde“440 nur zu gern aufnahmen. Demnach zeigt die Version der bayerischen Politikerin in der abgebildeten Karikatur nicht nur auf das Geschäft der Videothek, sondern auch auf den heraustretenden Videothekar. An der Person des Videothekars wird die dritte Analogie zur Rassenpolitik der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands deutlich, trägt er doch eine Armbinde, auf der ein Stern zu sehen ist. Rekurriert dies historisch auf die Kennzeichnung der jüdischen Menschen in Deutschland, die damit ihre Religion auf dem Arm trugen und von Außenstehenden jederzeit identifiziert werden konnten, so war die Armbinde zeitgenössisch ein Verweis auf einen kurz zuvor erschienen Artikel des Magazins Stern, dessen Logo auf der Armbinde des Videothekars nachempfunden war. Als Aufmacher für diesen Artikel, der erneut über einige der Forderungen nach einem totalen Verleihverbot für indizierte Filme sowie über neue medienpsychologische Untersuchungen in Bezug auf die Gefahr durch die Videokassette berichtete, diente die (angebliche) Schlagzeile „Video killt unsere Kinder“441. Erst durch dieses Hintergrundwissen wird sowohl die Armbinde als auch der auf die Fenster des Ladens gesprühte Vorwurf des

440

Exemplarisch dazu: Mit Videozensur gewinnt man keine Wahlen. In: Der Ikarus 6/1989, S. 1.

441

Tatsächlich lässt mich diese Diskussion ein wenig ratlos zurück. Der Ikarus benennt den Artikel und gibt auch einen Briefwechsel mit dem Chefredakteur des Stern wieder, doch findet sich in dem benannten Artikel kein Satz, der auch nur der Aussage nach als „Video killt unsere Kinder“ zu interpretieren ist. In Bezug auf die historische Genauigkeit ein mehr als befremdlicher Moment, als Bestandteil des gesellschaftlichen Diskurses im Detail jedoch nebensächlich. Vgl. Thomas Osterkorn, Verroht die Jugend durch Gewaltfilme? Horror als Freizeitspaß. In: Der Stern 43/1987, S. 46-46G sowie Traum und Wirklichkeit. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 1.

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Kindermörders deutlich, gegen den sich der Ikarus vergeblich zur Wehr setzte. Auf eine Beschwerde beim Nachrichtenmagazin Stern wurde der Vorwurf der Kindermörder zwar anders formuliert, aber keineswegs relativiert: „Die [Videos, TH] killen in der Tat die Seelen unserer Kinder, und wer solche Filme vertreibt und daran Geld verdient, muss mit harter Kritik leben.“442 In dem vorher an den Stern gesendeten Schreiben warnt der IVD vor einer Wiederholung der Pogromstimmung gegen die Videotheken, wie sie sich 1983/84 ereignet hatte und dort zu „brennenden Videotheken“443 geführt haben soll. Wenngleich diese Karikatur zwar eingebunden war in die Kritik an der Berichterstattung über das Medium Video, so zeigt sie dennoch auf, wie stark sich die Videothekare angegriffen fühlten, um derartige Vergleiche zu bemühen. Diese Vergleiche blieben vor allem branchenintern und wurden keiner größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die so von den Videothekaren oft bemängelte Übertreibung und das plakative Benutzen von im besten Falle schiefen Metaphern und unkorrekter historischer Vergleiche durch die Presse und die Medien fiel somit auf die Branche selbst zurück. Tatsächlich zeigt jedoch der Einsatz derartig drastischer Motive, dass die Branche nicht gewillt war, in einem passiven Moment zu verharren und sich in der Rolle eines gesellschaftlichen Sündenbocks einzurichten. Wurde die Frage nach der Medienwirkungsforschung wie auch der Ruf nach einem totalen Verleihverbot vor allem gegen die Action- und Horrorfilme geführt, die immer wieder unter dem Label der Gewaltvideos zusammengefasst wurden, so kam dem pornografischen Film innerhalb dieser Debatte eine eigenwillige Stellung zu.444 Dies in zweierlei Hinsicht: Auf der einen Seite bezieht sich diese Feststellung auf die Beobachtung, wie die Branche selbst mit dieser Sparte ihres Programms umzugehen pflegte, auf der anderen Seite meint sie auch den öffentlichen Diskurs um den Pornofilm. So hatte es mit der Verschärfung des Jugendschutzes keine Änderung am § 184 StGB gegeben, der den Umgang mit der erst seit 1975 in der Bundesrepublik legalisierten Pornografie neu regelte. Dieser Paragraf teilt bis heute die Pornografie in Kategorien der weichen und harten Pornografie ein. Die harte Pornografie ist seit jeher in der Bundesrepublik verboten und umfasst die 442

Stern-Schnuppen. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 15.

443

Ebd. Die Verifizierung dieser Aussage steht dabei aus und konnte durch die Auswertung des Materials nicht gegeben werden.

444

Vgl. zeitgenössisch zur Videopornografie: Dietrich Klitzke, Video-Pornographie. In: Zielinski, Tele-Visionen. Medienzeiten, S. 35-40.

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sexuelle Interaktion mit Kindern und mit Tieren sowie die Darstellung harter sexueller Gewalt. Während in den ersten beiden Fällen deutlich ist, welche Filme hier durch dieses Gesetz verboten sind, ist vor allem die Frage nach der Gewaltdarstellung im Bereich des Pornofilms, insbesondere in Bezug auf die sadomasochistische Videopornografie, schwerer zu greifen. Gerade diese Trennung nach Gesetz zeigt an, wie irreführend in diesem Zusammenhang der Begriff der Hardcore-Pornografie erscheint, ist damit eben nicht die harte Form der Pornografie gemeint, wie sie das Gesetz verbietet. Die Freigabe der Pornografie 1975 führte somit nicht nur zu einer wahren Schwemme von pornografischen Bildern in Erotik- und Sexshops, sondern auch im alltäglichen Leben der Konsumkultur. So wurden in den 1980er Jahren sowohl die Videotheken für die Verbreitung pornografischer Filme kritisiert, aber vor allem auch die „93000 Zeitungs- und Zeitschriftenverkaufsstellen“, die durch „einschlägig[e] Zeitungen und Zeitschriften“445, aber auch Taschenbücher446 an der Verbreitung der Pornografie beteiligt waren. Daher entzündete sich die Debatte um die Pornografie 1987 auch nicht an der angebotenen Ware in den Videotheken, sondern an der Verbreitung erotischer Bilder in der Presse. Tatsächlich drängten Kritiker, die auch nach 1985 weiterhin ein totales Verleihverbot indizierter Filme anzielten – und indiziert waren und sind pornografische Filme per se, ohne vorher einer weiteren Prüfung unterzogen zu werden – auf eine Verschärfung des § 184 StGB analog zur Verschärfung des § 131 StGB447, doch wurde der mögliche Einfluss pornografischer Bilder und Filme auf Kinder und Jugendliche nie so stark diskutiert wie im Falle der Gewaltvideos. Bekannt wurde die Offensive gegen den Pornofilm primär durch die Zeitschrift Emma und ihre Chefredakteurin Alice Schwarzer. Entzündet hatte sich die sogenannte PorNo!Kampagne an einem Cover des Magazins Stern. Die seit den 1970er Jahren auch in Deutschland erstarkte feministische Bewegung nahm Anstoß an einer halbbekleideten und in Ketten geschlagenen Grace Jones, die das Cover

445

Sachlich kritische AJS-Stellungnahme zum Thema „Pornographie“. In: Der Ikarus 1/1989, S. 12-16, hier: S. 12.

446

Vgl. Faulstich, Auf dem Weg zur totalen Mediengesellschaft, S. 109.

447

Ähnlich wie im Falle des § 131 StGB keine ausreichende Definition von gewaltverherrlichenden Darstellungen formuliert wurde, ließ in den Überlegungen der Kritiker auch der § 184 StGB offen, was nun im genaueren Sinne unter dem Begriff der Pornografie zu subsumieren war. Vgl. Sachlich kritische AJSStellungnahme zum Thema „Pornographie“, S. 13.

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des Magazins zierte.448 Die Kampagne der Emma, die sich in die ohnehin starke Protestkultur der 1980er Jahre samt dazugehörigem Protestbutton einreihte, wollte so nicht nur gegen die Ausbeutung der Frau durch ihre Darstellung in pornografischen Kontexten kämpfen, sondern auch für eine neue Definition dessen, was Pornografie überhaupt bedeutete; und dies jenseits jeglicher als subjektiv-männlich empfundener Definitionsversuche durch schon gegebene Gesetze. Mittels dieser neuen Definition sollte es nicht nur ermöglicht werden, die Produktion und Verbreitung derartiger medialer Erzeugnisse zu unterbinden, sondern zugleich auch jeder Frau die Möglichkeit gegeben werden, gegen diese Darstellungen zu klagen. Trotz des kontroversen Gehaltes der Kampagne und den Forderungen eines neuen Rechtsschutzes vor der Pornografie fiel die sich daran entzündende Debatte wenig bis gar nicht auf die Videotheken zurück, deren Rolle in der möglichen Verbreitung von Pornografie eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat. Wenngleich stets zu betonen ist, dass mit der Legalisierung der Pornografie vor allem auch der Zeitschriftenmarkt mit erotischen Bildbänden, Magazinen und Heftchen überschwemmt wurde, die ebenfalls die Jugendschützer und damit die Bundesprüfstelle vor neue Aufgaben stellten. Diese scheinbare, obgleich auch nur oberflächliche Trennung zwischen Gewaltvideos und Pornos auf gesellschaftlicher Ebene schien sich auf der Ebene der Branche in einer anderen Formation fortzusetzen: Die Branche selbst – und damit sind die Videothekare, nicht die Videoanbieter gemeint – schien der Pornografie keine besondere Bedeutung in dem Maße zuzugestehen, dass über die Problematiken der Sparte in der Zeitschrift des Verbandes in ähnlicher Weise diskutiert wurde, wie es die Anfragen bezüglich der Gewaltvideos betraf. Tatsächlich schien das Segment weithin ignoriert zu werden, was zum Beispiel im Ikarus zu der seltsamen Aporie führte, dass von Porno keine Rede war, die Industrie selbst aber immer wieder Anzeigen schaltete, die schon ohne den Inhalt der Bilder nackter Haut durch ihre Farbe und den Hochglanzdruck wie Fremdkörper in der monatlichen Infozeitschrift des IVD wirkten. Tatsächlich könnte man diesen Umstand so deuten, dass auch die Branche kein großes Aufsehen um das Genre des pornografischen Films macht, das Segment lediglich als eine Sparte unter anderen verstand. Dennoch wurde diese Form der internen Ignoranz gegenüber der 448

Die Problematik der Grenzziehung zwischen Pornografie und Kunst wird bezüglich dieses Bildes besonders evident, handelte es sich doch hierbei um eine Arbeit des Fotografen Helmut Newton. Vgl. Cover des Stern 16/1978.

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Pornografie auf anderer Ebene fortgesetzt: Valide Zahlen über die Verbreitung des pornografischen Films in den Videotheken in den 1980er Jahren zu erhalten449, wurde in zweifacher Hinsicht schwierig: Denn wenn vonseiten der Videothekare Angaben über die Anzahl pornografischer Videokassetten in den eigenen Videotheken gemacht wurden, so schienen sie mit einem Beispielsatz von 10 bis 13 % nicht sonderlich hoch zu liegen.450 Auch hier ist es notwendig, diese Angaben zu deuten. Auf der einen Seite sagt die bloße Aussage über das leihbare Kontingent der Geschäfte nichts über die tatsächliche Frequenz aus, mit der die Filme geliehen und geschaut wurden. Auf der anderen Seite war die Prozentzahl immer in Relation zum eigentlichen Gesamtbestand der Geschäfte zu setzen; denn wenn die Pornografie hier als Genre verstanden wurde, welches unter dieser Ordnungskategorie dem Kunden angeboten wurde, so musste gefragt werden, wie viele andere Genres die jeweilige Videothek bereithielt. Wenn sich also der Gesamtbestand der Kassetten noch auf die Genres Action, Horror, Komödie, Krieg, Science Fiction, Special Interest, Thriller und womöglich, je nach Geschäftssituation, auf Kinder- und Jugendfilme verteilte, so waren diese 10 bis 13 % in einer anderen Relation zu sehen. Wurde aber durch solche Angaben in einer verdeckten Offenheit mit der Sparte hantiert, so fiel sie aus anderen Beobachtungen heraus. Folglich konnte man zwar in den 1980er Jahren durch das Deutsche Videoinstitut (DVI) Kataloge anfordern, die den Handel und den interessierten Laien informierten, wie viele und welche Kassetten auf dem Markt der Bundesrepublik erschienen waren, doch wurde immer wieder der Verdacht laut, dass diese Listen bei Weitem nicht so komplett waren wie sie den Anspruch zu erheben schienen. Dies lag vor allem daran, dass nicht nur zahlreiche indizierte Titel fehlten, sondern auch die auf dem Markt erhältlichen Pornokassetten nicht in diese Liste aufgenommen wurden. Ein Verzeichnis über diese Produktionen wurde, wenn überhaupt, nur von der Branche selbst erstellt und meist auch nur in Bezug auf die eigene Produktpalette. Fast schien es so, als hätte man die Pornografie durch ihre räumliche Separierung in den Videotheken nach 1985 auch aus dem öffentlichen Diskurs verdrängt. Innerhalb der Kritik an den Möglichkeiten des 449

Vgl. Radevagen/Zielinski, Video-Software, S. 155 sowie Hoffmann, Videomarkt Bundesrepublik, S. 278.

450

Vor allem dann, wenn man bedenkt, dass die Branche mit einem Anteil von 35 bis 50 % an Pornografie 1980 gestartet war, so Hans-Peter Lackhoff im Interview.

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Leihmarktes schien sie stets durch die Gefahr, die von den Horrorvideos ausging, überdeckt zu werden. In einer allgemeinen Debatte zur Pornografie als gesamtgesellschaftlichem Phänomen drohte die Kassettenpornografie neben den anderen Medien und ihrem Anteil an der durch die Emma beanstandeten Problematik unterzugehen. Der Pornofilm blieb zumeist ein Anhängsel der Debatte um den devianten Filmkonsum, dem weder von der Branche, noch von den Kritikern in besonderem Maße Aufmerksamkeit zuteilwurde.451 Tatsächlich zeichnete sich schon 1987 ein neues Problem im Bereich des Jugendschutzes ab, welches erst zu Beginn der 1990er Jahre in seiner ganzen Breite erkannt wurde. Nun waren es nicht mehr nur die Videokassetten und die Videotheken, die gefährliche Bilder zirkulieren ließen, sondern auch die Programme der seit 1984 sendenden privaten Anbieter. Durch Einbettung von indizierten Filmen, Softsexfilmen und zweifelhaften Eigenproduktionen wie zum Beispiel der Unterhaltungssendung TUTTI FRUTTI (D 1990-1993) in das tägliche Sendeschema wurden die beanstandeten und pikant offenherzigen Bilder direkt nach Hause gesendet. Schnell wurde klar, inwiefern sich das Programm der neuen Privatsender von den Möglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten abzugrenzen suchte und vor allem die Landesmedienanstalten vor neue Probleme stellte. Trotz der Tatsache, dass die Verbreitung der Gewaltvideos wie auch der Videopornografie weitaus besser zu kontrollieren war als die Bilder, die durch den Siegeszug des Fernsehens in heimischen Kinderzimmern verbreitet wurden, war auch 1987/88 die Debatte und der Kampf um den indizierten Film auf Video nicht beendet. Ironischerweise sollte dieser, um zumindest dies vorwegzunehmen, in seinem Kern das Medium Video um wenige Jahre überleben.

451

Ein sehr interessanter Aspekt, der mit dem Aufkommen der Pornografie in den Videotheken zusammenfällt, ist die Zirkulation von Bildern homosexuellen Sexes. Während Ruppelt noch kritisch anmerkt, dass Videotheken die „Umschlagplätze von Vorurteilen“ sind, äußern sich in der Dokumentation FABULOS! THE STORY OF QUEER CINEMA zahlreiche homosexuelle Schauspieler dazu, wie sie durch den Bilderhaushalt der Videotheken zum ersten Mal mit Bildern ihrer eigenen Sexualität in Kontakt gerieten. Vgl. dazu Ulrike Ruppelt, Lesbische Sexualität auf Video. Aus dem Angebot von Videotheken. In: Medien + Erziehung 3/1991, S. 152-155, hier: S. 152 sowie FABULOUS! THE STORY OF QUEER CINEMA; R: Lisa Ades/Lesli Klainberg, USA 2006, TC 00:01:15h sowie 00:18:20h.

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3.6 Coverbetrug, Videopiraten und Kopierschutz „Filmplakate sind grafische Abstraktionen, die einen abendfüllenden Spielfilm auf eine künstlerisch überhöhte Formel zu bringen versuchen.“452 Mario Angelo (aka Anbieter Mike Hunter) bei dem Versuch, zu erklären, warum auf einem Cover Hubschrauber, Düsenjäger und Panzer zu sehen sind, obwohl diese im Film gar nicht vorkommen.

Nicht erst seit 1987 hatte die Videothek mit einem Bündel interner Probleme zu kämpfen, die den Alltag in den Geschäften bestimmten und gegen die es galt, unter der Führung des IVD vorzugehen, wollte die Videothek weiterhin im Medienensemble bestehen, ausbau- und letzten Endes überlebensfähig bleiben. Die folgenden Überlegungen stellen nicht nur Schwierigkeiten innerhalb der Räume der Leihstellen vor, sondern zudem diffizile Handhabungen, die vor allem in Form der konkret im Regal zu findenden Videokassette respektive deren Cover kulminierten. Schon im Bereich des Jugendschutzes und der in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre dort immer noch stattfindenden Aushandlungsprozesse schien das Cover der Kassette, die leere Hülle im Regal, die den Film bewerben sollte, der Faktor zu sein, vor dem es Kinder und Jugendliche zu schützen galt. Denn nichts anderes verhinderten die Regularien des Jugendschutzes, die dem Blick auf das Cover des indizierten Films vorbeugen sollten. Der jugendgefährdende Film und die Ausformungen seiner Paratexte schienen zumindest in der Logik der Juristen zu einem pars pro toto zu werden, die Gefährlichkeit des einen im anderen zu erkennen. Unabhängig von den Bestrebungen des Jugendschutzes, den Blick auf das Cover durch Minderjährige zu verhindern, wurde der leere Plastikdummy Ursache für ein weiteres Problem, welches Kunden und Videothekare gleichermaßen traf und unter dem Schlagwort des Coverbetrugs zusammenzufassen ist. Vereinfacht formuliert bezeichnet dies eine Diskrepanz zwischen dem, was auf dem Cover zu sehen ist und dem, was sich tatsächlich im zu sichtenden Film wiederfinden lässt. So versprachen manche Cover nicht nur Motive und Elemente einer filmischen Narration, die später im

452

Zitiert nach: IVD, 20 Jahre IVD, S. 18.

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Film nicht zu sehen waren, sondern konnten durch diese Form der irreführenden Werbung den Film auch einem völlig neuen Genre zuschlagen. Dem Videothekar blieben hier wenige Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken, lediglich eine Sichtung aller Filme, die neu in das eigene Programm aufgenommen werden, würde sicherstellen, Diskrepanzen zwischen Bild und Inhalt zu erkennen und den Film so auf andere und angemessenere Weise zu bewerben. Erschwert wurde dies jedoch durch den Umstand, dass die Zuordnung eines Genres und damit sein Platz im zutreffenden Regal meist schon vor der Lieferung des eigentlichen Produktes erfolgen sollte. Hintergrund waren hier vor allem arbeitsökonomische Gründe: Der Videothekar musste nach Prüfung der Einnahmen feststellen, welcher Film aus dem Programm genommen werden sollte, um Platz für einen neuen zu machen. Diese Form des Umdisponierens beinhaltete nicht nur eine Prüfung des in Frage kommenden Genres, sondern, je nach bestellter Menge, auch das Umstellen einer kompletten Regalwand. Die Zuteilung eines Films zu einem spezifischen Genre wird zwar meist von den Anbietern festgelegt, kann aber vom Videothekar verändert werden, wenn er den Film zum Beispiel schon durch seine Auswertung im Kino kennt oder vorher die Möglichkeit hatte, den Film auf einer Pressekopie zu sichten. Anders war dies meist bei Videotheken, die Teil größerer Ketten waren. Hier wurde zentral eine Einteilung des spezifischen Films zu einem bestimmten Genre vorgenommen, der von den Betreibern Folge zu leisten war. Bekam der Videothekar jedoch keine Informationen und kannte auch den betreffenden Film nicht, was besonders bei Videopremieren und Direct-to-Video-Vermarktungen453 durchaus der Fall sein konnte, war er auf die Angaben des Verleihers angewiesen. Wenn diese Problematiken konkret den Betreiber und seine Möglichkeiten betreffen, den Bestand seiner Videothek sorgfältig zu organisieren, so lassen sich durch diese Art der irreführenden Werbung interessante Aspekte zur Frage der Bildzirkulation der Videotheken aufzeigen, die hier nicht von den Filmen, sondern von ihren Covern forciert wird. Da es diesbezüglich nicht um das bewegte Bild der Videokassette, sondern um das Still der mitgelieferten Hülle geht, ist hier eher von Ausformungen einer bestimmten Ikonografie zu sprechen, die durch ihre Verwendung auf einer Vielzahl von 453

Tatsächlich standen die meisten Fälle des Coverbetrugs mit diesen Videoveröffentlichungen in Zusammenhang, waren die meisten anderen Filme ja durch ihre Auswertung im Kino und durch die Werbung in Rundfunk und Presse den meisten Kunden bekannt.

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Covern des gleichen Genres transportiert wird. Da es mir an dieser Stelle noch nicht um die Fragen der Paratexte454 geht, soll verstärkt darauf rekurriert werden, wie sich diese Formen der Ausbildung einer genregebundenen Ikonografie zu der Problematik des Coverbetrugs verhalten und wie sie ihrerseits dazu beitrugen, auf ihre eigene Art und Weise den Bemühungen der Videothekare, das Image der eigenen Geschäfte zu verbessern, entgegenzuwirken. Auffällig und programmatisch war dabei, dass die Verleiher vor allem Anleihen machten bei den Covern und der Ikonografie von Filmen, die bereits erfolgreich in den Videotheken ausgewertet wurden. In besonderem Maße trifft dies auf das Genre des Actionfilms455 zu, der sich in den 1980er Jahren einer starken Beliebtheit bei den Kunden der Videothek erfreute. So schien sich in dieser Dekade jener Bilderfundus zu stabilisieren und zu reproduzieren, der das Genre nachhaltig prägen sollte. Die Reproduktion dieser Bilder auf den Covern der Filme musste nicht zwangsläufig dazu führen, dass die Bilder auch in dem jeweiligen Film zu finden waren. Bilder von Militärhubschraubern, von gewaltigen Explosionen, muskulösen Männer und anreizenden Frauen waren somit auf zahlreichen Covern. Und dies auch immer in mehrfacher Ausführung, waren die meisten Filme doch mehr als einmal in den Regalen der Videotheken zu finden. Viele dieser Bilder rekurrierten auf Cover und Motive, wie sie unter anderem durch die Filmreihen um Sylvester Stallone456 und Chuck Norris457 oder anderen Stars des Jahrzehnts geprägt wurden, die einen neuen Männertypus schufen, der erst in den 1990er Jahren durch neue Imaginationen der Männlichkeit abgelöst werden sollte. Ähnlich verhielt es sich im Bereich des Horrorfilms.458 Gerade der WesCraven-Film A NIGHTMARE ON ELM STREET459 und die mit dem Beginn der Reihe geschaffene Kultfigur des Horrors Freddy Krueger schienen sich hier zu einem doppelten Problemfall zu entwickeln. Grund war eine neu auf Video 454

Vgl. dazu Kapitel II.1.3 dieser Arbeit.

455

Vgl. dazu Kapitel III.2.2 dieser Arbeit.

456

Vgl. FIRST BLOOD [dt. RAMBO]; R: Ted Kotcheff, USA 1982.

457

Vgl. MISSING IN ACTION; R: Joseph Zito, USA 1984.

458

Das opulente Versprechen der Horrorfilme wurde dabei nach 1985 maßgeblich durch die vorher getätigten oder später auferlegten Schnitte konterkariert.

459

A NIGHTMARE ON ELM STREET [dt. NIGHTMARE – MÖRDERISCHE TRÄUME]; R: Wes Craven, USA 1984.

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veröffentlichte Serie460, die ähnlich wie die TALES FROM THE CRYPT461 mehrere kleine Horrorgeschichten präsentierte. Krueger fungierte bei dieser jedoch lediglich als Rahmung für die einzelnen Episoden, war somit nicht Bestandteil derselbigen. Dennoch wurde die Serie über die Cover so vermarktet, als sei sie genuine Komponente der Reihe. Und ähnlich den Ikonografien des Actionfilmgenres wurde der Klingenhandschuh Freddy Kruegers zu einem oft benutzten Symbol auf Videofilmcovern von Filmen, die in keinster berechtigter Weise mit dem von Craven begonnenen Franchise in Verbindung gebracht werden konnten.462 Beinahe resignierend nahmen die Videothekare es hin, dass es erneut Action- und Horrorfilme waren, die ihnen neben negativer Presse nun auch die Kritik der Kunden einbrachten.463 Um das Problem pragmatisch angehen und lösen zu können, prüfte der IVD die ihm bekannten, von den Kunden reklamierten Filme, um den Gehalt des Films mit den Versprechen der Cover abgleichen zu können.464 Hierbei zeigte sich, dass im Vergleich von Titelbild und Filmhandlung genau in jenen beanstandeten Fällen nahezu keinerlei Übereinstimmungen vorzufinden waren. In manchen Fällen kam noch ein weiterer Problemfaktor hinzu: So beschwerten sich Kunden über Filme, die dem Anschein nach US-amerikanische Produktionen waren, sich bei der Rezeption allerdings als asiatische Spielfilme erwiesen. Durch die Anlehnung an die erfolgreichen US-amerikanischen Produktionen, die man durch das Cover imitierte, erhofften sich manche Verleiher, auf bisher unbekannte Filme aufmerksam zu machen.

460

Vgl. FREDDY’S NIGHTMARES, USA 1988-1990.

461

TALES FROM THE CRYPT [dt. GESCHICHTEN AUS DER GRUFT], USA 1989-1996.

462

Vgl. Kübelweise Blut als Werbeträger. Reißerische Videohüllen wecken falsche Erwartungen. In: Der Ikarus 2/1987, S. 12-15 sowie Etikettenschwindel?! Thema „Freddy“ in der Publikumspresse. In: Der Ikarus 11/1989, S. 6. Die Problematik der reißerischen Videohüllen galt laut Loest ebenfalls für die öffentlichen Bibliotheken und deren Videoprogramm, lässt sich also nicht vollends auf die kritisierten Genres rückbeziehen.

463

Jedoch hatte nicht nur die Videoindustrie mit jugendgefährdenden Covern zu kämpfen: vgl. Georg Hartwagner, Warenästhetik als wahre Ästhetik. Anmerkungen zu gewalttätigen Bildern auf Schallplattenhüllen. In: Medien + Erziehung 5/1984, S. 270-280. Auffällig waren hier vor allem die Cover aus dem Bereich des Hard Rock, des Heavy sowie des Black Metal (ebd., S. 270).

464

Vgl. Zum Thema Coverbetrug. In: Der Ikarus 2-3/1988, S. 24-25 sowie Offener Brief. Betr.: Coverbetrug bei Ihrem Film C.A.T. 2. In: Der Ikarus 10/1989, S. 38.

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Besonders diese Fälle zeigen auf, wie sehr der Kunde im Raum der Videothek dazu neigt, nach den Covern auszuleihen und nicht nach dem, was er an Informationen über einen spezifischen Film den Angaben auf der Rückseite entnehmen kann. Eine Lektüre der Credits und gegebenenfalls des Inhaltstextes, der auf der Rückseite der Cover zu finden ist, hätte dieses durch das Coverbild forcierte Missverständnis verhindert. Während somit einige Anbieter auf den Erfolg spezifischer Action- und Horrorfilme durch die Gestaltung der Cover rekurrierten, war vor allem der Einsatz nackter Haut ein Problem in den Augen der Videothekare und dies nicht nur in Bezug auf die Frage nach dem eigentlichen Inhalt des Films. Eines der bekannteren Beispiele ist in diesem Kontext der polnische Science-Fiction-Film SEKSMISJA465, der nicht nur aufgrund seines Titels (im polnischen Original, wie auch in deutscher Übersetzung) in die Irre führte, sondern vor allem durch sein Cover. Statt eines Films mit freizügiger Erotik handelte es sich bei dem Film um eine Satire, die im Gewand der Science Fiction Kritik an der Stereotypie der Geschlechter übt und nicht das hält, was der Kunde durch den Blick auf das Cover hoffte, sehen zu können. Während sich an dem polnischen Film sehr deutlich aufzeigen lässt, inwiefern die Darstellung nackter Haut und abgebildeter Sexualität einen Leihanreiz bieten sollte, war sie auf den meisten Covern gleich offensiver eingesetzt. Horror, Action, aber auch der Thriller machten besonders Gebrauch von Bildern, die in ihrer anregenden Weise nicht in den Filmen zu finden waren, wenngleich dies auch nur selten zu Beschwerden vonseiten der Kunden führte. Auch andere Paratexte des Covers, wie die Namen berühmter und aus anderen Filmen bekannter Schauspieler, die auf dem Cover angepriesen wurden und selbst nur wenige Minuten in den jeweiligen Filmen zu sehen waren, bildeten einen weiteren Grund der Beschwerde über die Irreführungen des Covers vonseiten der Kunden. Der IVD mahnte daher vor allem die Anbieter an, nicht nur die Cover auf die Inhalte der jeweiligen Filme abzustimmen, sondern ebenfalls den Faktor einer überbetonten Geschlechtlichkeit bei Mann und Frau zu reduzieren. Das Cover der Filme sollte in den Regalen der Videotheken nicht dazu beitragen, dass die Vorurteile gegen die Geschäfte optisch wie haptisch nachzuweisen waren, standen diese Maßnahmen doch auch im Zusammenhang mit dem vom IVD verabschiedeten Zehn-Punkte-Programm, welches die Videothekare und Anbieter verpflichten

465

SEKSMISJA [dt. SEXMISSION]; R: Juliuzs Machulski, PL 1984.

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sollte, auch das Werbematerial eines Films der FSK vorzulegen. Die Einhaltung der Bestimmungen des Jugendschutzes wie auch die Prävention eines übermäßig aufkommenden Coverbetrugs, sollten so miteinander verbunden werden, um das schlechte Image der Videotheken weiterhin abzubauen und zu regulieren. Ein weiteres Problem, mit dem nahezu jede Form der Mediendistribution zu kämpfen hatte, war und ist das Auftauchen der sogenannten Produkt- respektive Videopiraterie.466 Während schon die Bibliotheken jene Leser fürchteten, die die ausgeliehenen Bücher an andere Interessenten weiterverliehen, kämpften vor allem Kino und Videotheken gegen professionelles Vorgehen vonseiten der Kopierer.467 Kay Hoffmann unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Arten von Piraterie, mit denen sich die Branche auseinandersetzen musste.468 Auf der einen Seite war dies die Ausformung der Kinofilmpiraterie, die ganz am Anfang der Verwertungskette des Mediums Film ansetzte. Die Filmrollen wurden von einem Kinovorführer oder Filmauslieferungsfahrer für eine kurze Zeit und gegen ein Entgelt zwischen 1.000 und 2.000 DM den Kinofilmpiraten überlassen, die mittels professioneller Abtaster den Film auf U-Matic-Kassetten überspielten, die dann als Mutterband für die eigentlichen Kopien dienten, von dem schließlich die konkreten Kopien gezogen werden konnten.469 Auf der anderen Seite kämpften die Kinobetreiber gegen das Abfilmen der Kinoleinwand durch Super-8, später dann durch Videokameras. Wenig verwunderlich jedoch, dass diese Kopien kaum an die qualitativen Standards des ersten Verfahrens heranreichten. Mittels Taschenkontrollen vor dem Betreten des Kinosaales und spontanen Kontrollen im Saal selbst sollte dem entgegengewirkt werden. Ebenso sicherten die Kinoverleiher schon 1981 nicht nur die Transportwege der Kopien besser ab, sondern versuchten, durch die Kodierung von Einzelbildern jene Betreiber ausfindig zu machen, die ihre Kopien zwecks Kino-

466

Vgl. dazu: Manfred Göller, Die Video-Zukunft hat schon begonnen. Piraterie, legale und illegale Auswertung. In: Jahrbuch Film 1982/1983, S. 110-121.

467

Vgl. zu einer knappen Darstellung kopierter Medientexte: o. A., Schnelle Mark. In: Der Spiegel 47/1981, S. 87-92.

468

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 215.

469

Bekannt wurde diese Form der Piraterie vor allem durch den Kinofilm DAS BOOT (BRD 1981), der schon vor seiner Uraufführung im Kino als Kopie auf dem Schwarzmarkt erhältlich war. Vgl. Fiedebold, Das freie Spiel der Kräftigeren, S. 10.

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filmpiraterie weitergaben.470 Dass Hoffmann – und mit ihm auch die Branche – damit die Kinofilmpiraterie quasi als erledigt ansah, erscheint vom zeitgenössischen Stand Ende der 1980er Jahre als verständlich, war doch kaum abzusehen, wie sehr sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung und des Internets die Zirkulation von Filmen, Musik und Texten verändern würde. Die Form der Produktpiraterie, mit denen vor allem die Videotheken zu kämpfen hatte, war durch das Überspielen von Programmkassetten gegeben. Dennoch sei es ein Leichtes, so Hoffmann, diese durch ihre billige Ausstattung zu identifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen. Meist handelte es sich um Kopien ohne Hülle oder Cover, die nur durch einen maschinell getippten Aufkleber erkennen ließen, was auf ihnen zu finden war. Hier jedoch muss gegen Hoffmanns Feststellung eingewandt werden, dass erst durch die Prüfung des auf der Kassette zu findenden Materials sichergestellt werden konnte, ob es sich um eine bespielte Kassette aus der Videothek handelte, oder aber ob sich der Mediennutzer mittels des Fernsehprogramms ein eigenes Archiv aufbauen wollte. Unter solchen Voraussetzungen erschien jede im Regal stehende Kassette schon im Vorfeld unter Verdacht zu stehen, Produkt einer heimlich operierenden Videopiraterie zu sein. Erst die auf der Kassette zu findenden Trailer, Werbung und Warnhinweise identifizierten das Programm auf der Kassette schnell als Raubkopie der ansässigen Videotheken. Hiermit wird noch einmal deutlich, wie sich das Medium weiter einfügen musste in das bestehende Medienensemble seiner Zeit und wie Regularien geschaffen wurden, die sicherstellten, wie mit den neuen Modi der Verfügbarkeit von Medientexten angemessen umzugehen sei. Um den Schaden durch Raubkopien einzudämmen, wurde 1984 die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e. V. (GVU) gegründet, die in ihren ersten Schätzungen den Schaden durch kriminell angefertigte Raubkopien im Jahr 1985 mit 500 Millionen DM veranschlagte. Unterstützung fand die GVU vor allem in der Urheberrechtsnovelle vom 1. Juli 1985, die das Vergehen Videopiraterie zu einem Offizialdelikt werden ließ, das nicht mehr nur mit Geld-, sondern auch mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet werden konnte.471 Die GVU ging besonders gegen die sogenannte Ident-

470

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 215.

471

Vgl. ebd., S. 216.

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Fälschung vor, also gegen die Raubkopie eines Filmprogramms, die auf professionelle Weise der echten Kassette so nah wie möglich kommen wollte. Durch Einsatz von guten Coverkopien und täuschender Nachahmung des Kassettenäußeren waren diese Fälschungen meist nur noch von Kennern als solche zu identifizieren.472

Abb. 16: Wohnzimmervideothek I

472

Vgl. exemplarisch zur Arbeit der GVU gegen Videopiraterie: Ulrike Goreßen, GVU schlägt zu. Videopiratenring ausgehoben. In: Videowoche 28/1991, S. 1415.

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Abb. 17: Wohnzimmervideothek II

Die Programmanbieter versuchten, der Ident-Fälschung mit spezifischen Gestaltungen der Kassetten entgegenzuwirken. Dabei griffen manche Firmen auf Hologramme zurück, die sie auf die Seiten der Kassetten drucken ließen, um dann auf und durch das Programm der Kassette selbst den Kunden durch einen Werbeclip darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Hologramm für Qualitätssicherung und Echtheit stehe und somit als Zertifikat fungiere. Der Kunde konnte auf diese Weise folglich selbst überprüfen, ob er es mit einer Originalkassette oder einer gelungenen Kopie zu tun hatte.473 Diese wie auch weitere Ausformungen der Videopiraterie wurden unter dem Schlagwort der Wohnzimmerpiraterie zusammengefasst, die sowohl die professionellen Kopierer bezeichnen konnte als auch das Kopieren für den eigenen Bedarf. Dass jedoch gerade diese Form von Piraterie der Branche am meisten schadete, scheint offensichtlich, entwickelten sich so mehr und mehr Wohnzimmer zu professionellen Kopierwerken (vgl. Abb. 16-17). Diese privaten Kopierstätten wurden in den Wohnzimmern der Bundesrepublik 473

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 215. Was jedoch nicht bedeutete, dass die Raubkopierer nicht auch versuchten, diese Hologramme zu kopieren. Vgl. Sibylle Alverdes, Raubkopien. Original oder Fälschung? In: Videowoche 24/1991, S. 21.

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„als Bücher-Wände getarnt, lager[te]n versteckt in Kleiderschränken, [und] w[u]rden auf Knopfdruck hinter geheimen Wänden sichtbar“474 gemacht. So war es zwar erlaubt, sich von einer geliehenen Kassette eine eigene Kopie anzufertigen, um damit das häusliche Archiv, die eigene Videothek und den Grundstock an Filmen weiter aufzubauen, doch endeten hiermit auch schon die Möglichkeiten eines vom Gesetz her erlaubten Kopiervorganges. Rechtlich prekär wurde die Lage für den normalen Videothekengänger erst dann, wenn diese Kopien vermietet, verkauft oder verschenkt wurden, was nicht mehr unter die Kategorie des eigenen Gebrauchs fiel und so möglicherweise zu rechtlichen Schritten führte. Die professionelle Seite dieser Wohnzimmervideotheken, die Ende der 1980er Jahre auf 20.000 geschätzt wurden, umfasste meist mit mehreren Videorecordern ausgestattete Zimmer, die Tag und Nacht Kopien anfertigten, um diese gewinnbringend zu verkaufen.475 Die Bezeichnung des Videorecorders als Durchlauferhitzer476 wurde an dieser Stelle nicht nur pervertiert, sondern nahm somit nahezu industrielle Züge an. Oft ging diese Form der Wohnzimmerpiraterie einher mit den Ausformungen der Ident-Fälschungen.477 Ein großes Problem, welches das Aufkommen der Videopiraterie mitverschuldete, waren die Zeitfenster zwischen der Auswertung eines Films im Kino und seinem Erscheinen auf Videokassette. In den 1980er Jahren lagen meist noch sechs Monate zwischen dem Ende einer Auswertung im Kino und dem Verleihstart eines Films auf dem Videomarkt. Wenngleich dies zwischen Verleih und Videotheken geregelt zu sein schien, um dann doch wieder von dem einen oder anderen Anbieter gebrochen zu werden, schuf gera-

474

Polizei und GVU schlagen Alarm: In Deutschlands Wohnzimmern blüht die Videopiraterie. In: Der Ikarus 10/1989, S. 39-40, hier: S. 39.

475

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 216.

476

Vgl. Zielinski, Der Videorecorder als Durchlauferhitzer.

477

Vgl. zum Vorgehen der GVU gegen die Wohnzimmerpiraterie und der Berichterstattung des IVD: Zahlreiche Video-Piraten auf frischer Tat ertappt. In: Der Ikarus 4/1988, S. 14-16. Das Problem blieb dabei auch weit über die 1980er Jahre hinaus bestehen: Vgl. dazu: Ulrike Goreßen, Kampf gegen Wohnzimmerpiraten. Selbstschutz statt Kopierschutz. In: Videowoche 18/1992, S. 18-19, o. A., Ermittlungsleiter Jochen Tielke: „Die Formen haben sich gewandelt“. In: Videowoche 26/1992, S. 16-17, Bernd Ruof, Videopiraterie auf neuen Wegen. Kassettendiebstahl im großen Stil. In: Videowoche 50/1992, S. 12. Gerade Anfang der 1990er Jahre verstärkten sich erneut die kriminalistischen Strukturen organisierter Videopiraterie.

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de die Diskrepanz zwischen dem Film im Kino und seinem Erwerb auf Videokassette eine Möglichkeit für Raubkopierer. Überlegungen, diese Zeitspanne zugunsten des Kinos auszudehnen, damit die Lichtspielhäuser weiterhin eine exklusive Erstnutzung praktizieren konnten, scheiterte an den Einwänden, dass dies nur eine vermehrte Form der Raubkopien des jeweiligen Films zur Folge hätte, die sich ohnehin maßgeblich auf die jeweiligen Toptitel der Saison konzentrieren würden.478 Besonders aggressiv gingen jene Raubkopierer vor, die das Originalband der Kassette gegen eine von ihnen gemachte Kopie austauschten. Dazu öffneten die Kopierer entweder die ganze Kassette, oder aber sie schnitten das Band einfach in die jeweilige Kassette hinein, indem sie die wenigen Millimeter des Anfangs und des Endes des Bandes nutzten. Diese vormals unsichtbare Gefahr führte daher in den Videotheken zu einer neuen Sicherung der Leihware durch ein stärkeres Siegel am Rand der Kassette, wie zu einer neuen Praktik der Rücknahme des entliehenen Programms. So wurden die Mitarbeiter der Videotheken nicht nur dazu angehalten, die Kassette äußerlich auf Schäden zu kontrollieren und sicherzugehen, dass das Band zurückgespult war, sondern auch Siegel und Band selbst zu überprüfen. Das manuelle Öffnen der Klappe zum Band hin hatte nicht nur den Zweck, auf diese Form der Videopiraterie aufmerksam zu werden – was trotz aller Mühen nicht immer gelang –, sondern auch, das Band selbst auf mögliche Schäden zu kontrollieren, die durch den Kunden oder durch dessen Videorecorder entstanden sein konnten.479 Um gegen die hohen Verluste vorzugehen, die Videopiraterie innerhalb der Branche verursachte und gegen die die Videothekare selbst nahezu machtlos waren480, führten die Anbieter Kopierschutzsysteme ein. Das be-

478

So 1988 vor allem der Film DIRTY DANCING; R: Emile Ardolino, USA 1987, der als Raubkopie für 50 DM gehandelt wurde, wohingegen die Originalkassette 350 DM kostete. Vgl. Mönchengladbach ein Raubkopierereldorado? In: Der Ikarus 11/1988, S. 22. Die starke Ausbreitung der Videotheken in Mönchengladbach führte damit ebenfalls zu derartigen Befunden, wie sie der Titel noch als Frage formuliert.

479

Zum juristischen Stand des Kampfes gegen die Raubkopie 1992 vgl. Dietrich Oehler u. a., Wesen und Bekämpfung der Videopiraterie, München 1993.

480

Nicht nur der Jugendschutz endete an der Haustür, sondern auch die Möglichkeiten des Videothekars, Einfluss darauf zu nehmen, was der Kunde mit seinen Kassetten realiter tat. Dabei konnten die Betreiber höchstens Verdachtsmomente äußern, die mehr als schwer zu beweisen waren.

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kannteste unter ihnen, Macrovision481, sollte sich schnell als ineffektiv gegen professionelle Videokopierer erweisen. Hierbei wurde bei Macrovision ein elektronisches Störsignal aufkopiert, welches beim Kopiervorgang aktiviert wurde und so zu Bildstörungen auf der Kopie führte.482 Diesbezüglich stellte sich nicht nur heraus, dass diese Programme mittels sogenannter Kopierschutzkiller umgangen werden konnten, sondern auch auf vielen Systemen und Geräten schlichtweg nicht funktionierten. Diese Kopierschutzsysteme, die für das PAL-System modifiziert und 1987 auf den Markt gebracht wurden, verärgerten Verleih und Kunden gleichermaßen: den Verleih, weil die Kassetten, die mit dem neuen Kopierschutzsystem ausgestattet waren, im Einkaufspreis deutlich teurer waren483, die Kunden, weil gerade bei ihnen, die sich durch eine Kopie ihre eigene Videothek weiter aufbauen wollten, der Kopierschutz durchaus funktionierte und somit eine qualitative hochwertige Kopie für das Archiv unmöglich machte.484 Die Firma Taurus brachte daher mit Copyguard485 ein eigenes Kopierschutzsystem auf den Markt. Ziel war es auch hier, den kopierten Film eindeutig als solchen zu erkennen und zurückverfolgen zu können, um damit die Quelle und den Ursprung der aktiven Videopiraterie zu ermitteln. Wenn natürlich auch in den Augen der IVD die Rückverfolgung der Kassetten ein Teil der Lösung des Problems war, war der Industrie und dem Handel vor allem daran gelegen, einen wirksamen präventiven Kopierschutz zu installieren, der das Kopieren von vornherein unmöglich machen würde; eben jener Zustand sollte mit Macrovision erreicht werden, sodass die von Taurus angestrebte Lösung hinter das Problem zurückfallen würde. Wenngleich die Verluste, die der Videomarkt durch die Wohnzimmerpiraterie erleben musste, alle Bereiche der Branche trafen, hatten erneut konkret die einzelnen Videotheken mit einer anderen Begleiterscheinung

481

Vgl. Viele Hoffnungen konzentrieren sich auf Macrovision. In: Der Ikarus 9/1987, S. 16 f.

482

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 217.

483

So dass zu den steigenden Preisen noch die Preise für den Kopierschutz hinzukamen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war mit dem Film CROCODILE DUNDEE [CROCODILE DUNDEE – EIN KROKODIL ZUM KÜSSEN]; R: Peter Faiman, AUS 1986, der CBS/Fox erreicht, der den Videothekar 349 DM im Einkauf kostete. Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 217.

484

Vgl. ebd.

485

Vgl. Programmanbieter melden. In: Der Ikarus 8/1987, S. 15.

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des Kopierwahns zu kämpfen: mit dem Diebstahl von Covern.486 Während die Kassetten selbst in den meisten Videotheken hinter der Ladentheke aufbewahrt wurden und erst durch die Hülle selbst, einen Chip oder eine Nummernplakette entliehen werden konnten, befanden sich die Cover selbst zumeist ungeschützt und unkontrolliert in den Regalen. Zwar versuchten einige der Videotheken mittels Sicherungen an den Covern und alarmgebenden Systemen an den Ausgängen, gegen diesen Diebstahl vorzugehen, doch war der Einbau dieser neuen Sicherungsvorkehrungen mit immensem finanziellem Aufwand verbunden. Auch schreckten einige Videothekare davor zurück durch den Einbau solcher Sicherungen die Cover zu beschädigen, wollte man die Kassette später weiterverkaufen oder in anderen Videotheken erneut für den Leihmarkt einsetzen. So wurden die Cover nicht nur geklaut, um dem einzelnen Videosammler eine attraktive Möglichkeit zu geben, seine gemachte Kopie als Beinah-Original ins heimische Regal zu stellen, sondern auch, um die Einleger zu kopieren, um so den Film professionell weiterverkaufen zu können. Ein Problem im Übrigen, mit dem die Videotheken bis heute zu kämpfen haben. Gerade dadurch, dass die Cover der DVD und Blu-ray kleiner und leichter zu verstecken sind als die doch recht klobigen Cover487 der Videokassette in den 1980er und 1990er Jahren, besteht diese Gefahr vielleicht sogar mehr denn je. Anhand dieser Aufzählungen interner Problembündel innerhalb der Videotheken der 1980er Jahre werden zwei Befunde deutlich: Zum einen wurden hier Probleme extrapoliert, die ihren Ursprung zwar in den 1980er Jahren fanden, jedoch die Videotheken bis heute kennzeichnen. Raubkopierer, Coverdiebstahl und die Fragen eines funktionierenden Kopierschutzes wurden nicht nur immer wieder innerhalb der Branche diskutiert, sondern vor allem beim Medienwechsel von VHS auf DVD wieder besonders akut. Zum anderen sind die Fragen über den Umgang mit diesen Problemen genuine Erscheinungsformen eines jeden neuen Mediensystems und dessen Eingliederung in die schon bestehenden Strukturen des Medienmarktes. Wenngleich also diese Probleme die erste Dekade der Geschichte der Institu-

486

Vgl. Geklaute Covers. In: Der Ikarus 4/1989, S. 30.

487

Die Cover der Kassetten in den Videotheken unterschieden sich in der Größe von denen des Kaufmarktes, was auf der einen Seite mit dem Effekt der Werbefläche des Covers, auf der anderen Seite mit deren Unterscheidungsmerkmal zu tun hatte. Ehemalige Videothekenkassetten konnten auf diese Weise leicht als solche identifiziert werden.

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tion der Videothek in der Bundesrepublik überdauert haben, so scheinen sie doch symptomatisch zu sein für deren Anfangsjahre und die damit verbundene Frage, wie ihnen dauerhaft beizukommen ist.

3.7 Der Kampf um den indizierten Film II 1989 schien die Debatte um das absolute Vermietverbot indizierter Spielfilme auf Videokassette einen erneuten und vorläufig auch letzten Höhepunkt zu erreichen. Wichtig zu betonen ist in diesem Kontext, dass sich die Jahre 1983/1984, 1987 und nun 1989 zwar als besonders markante Stationen in der Geschichte dieser Diskussion erweisen, das öffentliche Interesse an der vermeintlichen Gefahr jugendgefährdender Videoprogramme jedoch nie gänzlich aus dem Diskurs verschwand. Die Auswahl der oben genannten Jahre wurde durch zwei Bewegungen deutlich: auf der einen Seite ein wieder erstarktes Interesse von Rundfunk und Presse an der Thematik des devianten Filmkonsums, welches sich in den Artikeln des Ikarus niederschlug, auf der anderen Seite neuerliche Vorstöße vonseiten der Politik. Im Bereich der Politik wurde die Debatte auch 1989 erneut maßgeblich durch die CSU initiiert und geleitet. In diesem Zusammenhang fällt vor allem auf, wie sehr der IVD mittlerweile die Thematik des Jugendschutzes aufbereitet hatte und die gesetzlichen Auflagen durch eigene Initiativen und Vorkehrungen unterstützte. Gesetzesentwürfe, Petitionen, aber auch die neuesten Ergebnisse einer nun mehr an Konturen gewinnenden Wirkungsforschung wurden dabei im Ikarus besprochen und kritisch hinterfragt, um sie dann gegebenenfalls argumentativ zu beantworten oder vonseiten des Verbandes möglicherweise zu unterstützen.488 Diesbezüglich fanden besonders die Ende der 1980er Jahre stark in Erscheinung tretenden Untersuchungen aus dem Bereich der Medienpädagogik Eingang in die Berichterstattung des verbandseigenen Magazins.

488

Wenngleich der IVD den Ergebnissen Lukeschs kritisch gegenüberstand, veröffentlichte der Ikarus große Teile der Studie im Wortlaut, damit der Handel sich mit den Thesen der Medienwirkungsforschung auseinandersetzen konnte. Vgl. Die Lukesch-Studie. In: Der Ikarus 5/1989, S. 12-19.

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Explizit wurden Ende der 1980er Jahre mit der sogenannten LukeschStudie489 des österreichischen Professors für Medienpsychologie an der Universität Regensburg, Helmut Lukesch, erneut Untersuchungsergebnisse veröffentlicht, welche als wissenschaftliche Aufarbeitung des Problems des Videokonsums zwar weitaus differenzierter die Ergebnisse und Sichtweisen in Bezug auf die Frage der möglichen Gefahr durch das Medium präsentierten, hinsichtlich dessen aber – zumindest innerhalb des IVD – Reaktionen hervorriefen, wie sie einige Jahre vorher ähnlich vonstattengingen. Lukesch war innerhalb der Diskussion um das Medium Video wie auch für den IVD kein Unbekannter, stützten sich doch schon vor 1989 die CSU und Gegner des Videofilms maßgeblich auf die Untersuchungsergebnisse des Regensburger Professors. Der schon 1987 fortgesetzte Kampf um den indizierten Film schien daher durch diese Veröffentlichung 1989 auf einem erneuten Höhepunkt angelangt zu sein. Zwar wurde auch den Videothekaren im Allgemeinen, wie auch dem IVD im Besonderen, vorgeworfen, fortan überall Angriffe auf ihren Berufsstand und das Medium Video zu vermuten, doch kann die Auseinandersetzung der Branche mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der Fragen nach möglichen Gefahren des devianten Videokonsums nur positiv bewertet werden. Allzu deutlich zeigte diese stetig wiederholte Auseinandersetzung mit den Fragen und Anliegen des Jugendschutzes aufseiten des IVD, dass es den Videothekaren ernst war, die einmal gefassten Entschlüsse umzusetzen; und dies nicht nur aus ökonomischen Gründen, sondern als eine an sie gestellte Aufgabe, das Medium Video weiter in der Gesellschaft zu festigen und zu einem Alltagsgegenstand zu transformieren, der ohne pejorativen Beigeschmack als Bestandteil des Medienensembles funktionieren konnte. Dennoch bezeichnete der IVD die Studien und Arbeiten von Helmut Lukesch als „Bluff mit alten Zahlen“490, die lediglich das wiederholten, was

489

Helmut Lukesch, Video im Alltag der Jugend. Quantitative und qualitative Aspekte des Videokonsums, des Videospielens und der Nutzung anderer Medien bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, Regensburg 1989. Vgl. ebenfalls von Lukesch zur Debatte: Helmut Lukesch (Hrsg.), Wenn Gewalt zur Unterhaltung wird... Beiträge zur Nutzung und Wirkung von Gewaltdarstellungen in audiovisuellen Medien, Regensburg 1990.

490

Prof. Lukesch: Bluff mit alten Zahlen. In: Der Ikarus 5/1988, S. 1.

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schon vor 1985 argumentativ gegen das Medium Video vorgebracht wurde.491 Markant ist in dieser Auseinandersetzung der Branche mit den Studien aus dem Bereich der Medienpsychologie vor allem, dass die ihnen entgegengebrachte Skepsis und Rückfragen nicht nur vonseiten des IVD oder des BVV herangetragen wurden, sondern auch von Mitarbeitern und Vertretern der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. So kritisiert schon 1987 Rudolf Stefen, Vorsitzender der BPjS, in einer Podiumsdiskussion, dass unter anderem Werner Glogauer492, neben Lukesch einer der am meisten zitierten Medienpädagogen in der Debatte, Filme in seiner Aufzählung und Untersuchung inkludieren würde, die eben nicht durch die Arbeiten der FSK oder seiner Behörde indiziert seien und somit auch nicht das eigentliche Ziel der Kampagne der CSU sein könnten, die sich ihrerseits maßgeblich auf die Arbeiten Lukeschs stützte.493 Stefens lehnte zudem über den Antritt seines Ruhestandes 1991 hinaus das Ansinnen ab, indizierte Filme unter ein totales Vermietverbot zu stellen. Einer der Hauptkritikpunkte an den psychologischen und pädagogischen Untersuchungen war stets das Argument, dass nicht nach den Orten gefragt wurde, an denen die beanstandeten Filme gesichtet wurden. Diesbezüglich war nicht nur wichtig, ob dies im Kino, im Fernsehen oder auf Video geschehen war, sondern auch, ob zum Beispiel der Konsum einer Videokassette zu Hause oder in der Wohnung anderer stattfand. Wenn es auch den Videothekaren hierbei nicht darum ging, die Aufmerksamkeit der Diskussion auf die Verantwortlichen der anderen Medien zu lenken, was in Fragen der Gleichberechtigung der drei Medien zueinander schon zur Agenda des IVD gehörte, war dennoch verwunderlich, wie bei einem vorliegenden devianten Filmkonsum stets auf die Videothek rückgeschlossen wurde. Auch die Frage nach der Bekanntheit eines jeweiligen Films, an dem die mediale Berichterstattung seit 1984 nicht unbeteiligt war, sagte meist

491

Ähnliches war von Lukesch 1987 veröffentlich worden: Helmut Lukesch, Videorecorder und Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen. In: Rundfunk und Fernsehen 1/1987, S. 92-98, wie auch: Hans-Bernd Brosius, Auswirkungen der Rezeption von Horror-Videos auf die Legitimation von aggressiven Handlungen. In: Rundfunk und Fernsehen 1/1987, S. 71-91.

492

Vgl. Werner Glogauer, Videofilm-Konsum der Kinder und Jugendlichen. Erkenntnisstand und Wirkungen. Zweite Auflage, Bad Heilbrunn/Oberbayern 1989.

493

Vgl. Medientage München. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 21-45, hier: S. 28.

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wenig darüber aus, ob diese Filme wirklich auch auf Video konsumiert wurden. Zudem verifizierten die Untersuchungen nicht, ob die jeweiligen Filme wirklich gesehen wurden, oder hier lediglich eine Form jugendlichen Gebahrens stattfand. Schon in den 1980er Jahren schien sich der jeweilige Status innerhalb der jugendlichen Clique dadurch zu steigern, je mehr verbotene Programme man gesehen und ausgehalten hatte, oder zumindest behauptete, dies getan zu haben. Lukeschs „alte[n] umstrittenen Zahlen“494 wurde daher mit der gleichen Rhetorik begegnet, wie sie schon vor der Novellierung des Jugendschutzes 1985 angeführt wurde und sich insbesondere in ähnlichen Auseinandersetzungen niederschlug, wie der Kritik an der Fernsehsendung MAMA, PAPA, ZOMBIE.495 Doch während auf der einen Seite der IVD Argumente wiederholte, die er schon vor 1989 bemühte, schien andererseits die Presse ähnlich unkritisch das zu übernehmen, was Lukesch und Glogauer, oft auch unter starker medialer Aufmerksamkeit stehend, veröffentlichten. So geschehen unter anderem auf einer Pressekonferenz des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes im Frühjahr 1989, bei welcher Lukesch zusammen mit den Vorsitzenden der Organisation seine neuesten Publikationen und Ergebnisse vorstellte. Der Ikarus hatte in diesem Zusammenhang nahezu alle Berichte aus bundesdeutschen und regionalen Zeitschriften zusammengefasst und abgedruckt, die aufzeigten, wie wenig vom einmal gefassten Wortlaut Lukeschs respektive der herausgegebenen Pressemitteilung abgewichen wurde und alte Vorwürfe gegen das Medium reaktualisiert wurden.496 Erneut ist die Rede von „den schwarzen Schafen unter den Videothekaren“ und dem Unvermögen der Lehrer, am Montagmorgen die Bilder des videogeprägten Wochenendes aus den Köpfen der Kinder zu entfernen.497 Einzig die Süddeutsche Zeitung formulierte Lukeschs angebliche Aussage über die „schwarzen Schafe“498 unter den Videothekaren anders: „Die ,schwarzen Schafe‘, die den Kindern solche Kassetten in die Hand geben,

494

Bluff mit alten Zahlen, S. 1.

495

Vgl. dazu Kapitel I.3.3 dieser Arbeit.

496

Vgl. Pressespiegel. In: Der Ikarus 5/1989, S. 4-12.

497

So wurde erneut mit dem Zombie am Glockenseil argumentiert, der als Film, wie bereits erwähnt, nicht mehr in den Videotheken zu erhalten war. Vgl. ebd., S. 4.

498

Ebd.

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sind aber am wenigsten die Videothekare, betonte Lukesch, sondern viel häufiger Freunde und Familienangehörige.“499 Der Eindruck, den die Berichterstattung im Ikarus erweckt, ist ein wenig irreführend und soll in zwei wesentlichen Punkten korrigiert werden; wenngleich die Gefahr des totalen Vermietverbotes für indizierte Videoprogramme weiterhin bestand, waren die öffentlichen Debatten nicht mehr von den Diskussionen um das Ende der 1980er Jahre nunmehr kaum neu zu nennende Medium gekennzeichnet, wie es noch 1983/1984 der Fall gewesen war und dies mancher Berichterstattung zum Trotz. Wenn so unter anderem die Hessische Allgemeine Zeitung Spielhallen und Videotheken für die Unruhen zum 1. Mai 1989500 in Berlin verantwortlich machte, so wird damit ein Konnex bestimmt, der mit aller Wahrscheinlichkeit schon 1989 dem Leser als monokausale Erklärung im besten Fall befremdlich erschien und kaum überzeugen konnte, trotz des Tenors des Faktischen dieser Berichte. Des Weiteren ist es erstaunlich, wie stark die Thesen von Lukesch und auch Glogauer auf die Frage des Videokonsums reduziert wurden, untersuchten doch beide nicht nur exklusiv die Auswirkungen des einen Mediums auf Kinder und Jugendliche, sondern die neuen Ausformungen des Medienensembles, wie sie in den 1980er Jahren zur Verfügung standen. Aus dem Bündel Video und Kino, Comic und Zeitschriften, Computer und Fernsehen war letzten Endes oft nur noch das Video in der titelgebenden Überschrift des betreffenden Artikels wiederzufinden.501 Doch trotz dieses erneuten Höhepunktes um die Frage nach den Angeboten der Videotheken schien der

499

Ebd., S. 6.

500

Vgl. Ebd., S 11.

501

Vgl. o. A., Jugendkriminalität. Popstars in der Tiefkühltruhe. In: Der Spiegel 17/1991, S. 101-105. Auch dort heißt es in der Titelunterschrift: „Die Studie eines Pädagogik-Professors belegt: Horrorvideos können aus Kindern Mörder machen.“, ebd., S. 101. Dass die Studie hier, die sich im Titel explizit auf die Medien bezieht, nicht nur verkürzt dargestellt wird, sondern auch in ihrem Aufbau grotesk wiedergegeben wird, ist offensichtlich, da wohl kein Pädagogikprofessor Kinder der Gefahr aussetzen würde, zu Mördern zu werden, um die Thesen der Medienwirkungsforschung zu belegen. Vgl. Werner Glogauer, Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen durch Medien. Wirkungen gewalttätiger, sexueller, pornographischer und satanischer Darstellungen, Baden-Baden 1991.

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Kampf um den indizierten Film 1989 tatsächlich langsam zu einem Ende zu kommen.502 Mit Beginn der 1990er Jahre vollzog sich vollends ein Wandel in Bezug auf das nun mehr etablierte und zugleich auch an wichtigen Punkten rehabilitierte Medium Video, das „Schmuddelkind [schien endlich, TH] gesellschaftsfähig“503 zu sein. So fällt unter anderem in der Auswertung der Fachzeitschriften, die sich nicht explizit mit dem Medium Video und dem Markt der Branche beschäftigen, auf, dass diese nach der Öffnung der Grenze zur DDR, dem Fall der Mauer und der sich vollziehenden Bestrebungen einer deutschen Wiedervereinigung die Frage nach der Mediennutzung im Osten Deutschlands in den Mittelpunkt des Interesses stellten. Nur vereinzelt wird noch die Frage nach den schädlichen Auswirkungen des Kassettenkonsums gestellt und gewürdigt.504 Video war somit kein neues Medium mehr, welches im Mittelpunkt und Interesse der Untersuchungen stand. Wie noch aufzuzeigen sein wird, gerieten neue Medien mit Beginn des neuen Jahrzehnts stärker in die Aufmerksamkeit der Jugendschützer und Medienwirkungsforscher, wenngleich die CSU dennoch weiterhin daran festhielt, den Videoschmutz der Videotheken zu verbieten.505

502

Was jedoch nicht hieß, dass nicht auch weiterhin Videothekenrazzien durchgeführt wurden. Vgl. Polizei überfällt Traditionsbetrieb. In: Der Ikarus 7/1989, S. 40-41.

503

Videokongress 1987 kommentiert von der FAZ. In: Der Ikarus 9/1987, S. 10-12, hier: S. 11.

504

Vgl. etwa Hans-Bernd Brosius/Iris Schmitt, Horrorvideos im Kinderzimmer: Wer sieht sie und warum? In: Rundfunk und Fernsehen 4/1990, S. 536-549.

505

Vgl. Anne Müller, Thema Vermietverbot. Berghofer-Weichner: ,Verbote müssen sein‘. In: Videowoche 12/1991, S. 3.

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3.8 Die Videothek in den neuen Bundesländern „Der ganze alte Osten will auf einmal nur noch Wichse-Filme sehen.[…] Wichse and Violence isnʼt it weird? Am besten beides auf einmal.“506

Der historische Umbruch Ende der 1980er Jahre, der innerhalb weniger Monate zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten führen sollte, brachte auch im Bereich der Medienkultur und speziell in Bezug auf die Verbreitung von Video neue Chancen mit sich. Dies lag zum einen daran, dass es – zumindest offiziell – lange Zeit in der Deutschen Demokratischen Republik nicht möglich gewesen war, legal in den Besitz eines Videorecorders zu gelangen.507 Zwar hatte sich nicht zuletzt durch die Filmclubs eine starke Untergrundbewegung des Films organisiert, die gegen die Bilderhoheit des DDR-Fernsehens und die Produktionen der DEFA anstand, doch zu einer Verbreitung der Technik führte dies nicht.508 Dies bedeutet zugleich, dass – obwohl die Technologie offiziell nicht zugelassen war – der Videorecorder einen Platz im Verborgenen hatte und dort durchaus genutzt wurde, wenngleich unter deutlich anderen Vorzeichen als dies im Westen der Fall war.509 Die Gegenöffentlichkeit, die durch die Nutzung von Videokamera und Kassette in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik entstand, fand sich in der DDR im Gebrauch von Video als Rezeptionsmedium verbotener Bilder wieder; hier jedoch nicht im öffentlichen, sondern im opaken 506

So der Kriminelle Tony Baker (gespielt von Horst Buchholz), der eine illegale Raubkopierstraße führt, um den Osten zu bedienen in IN WEITER FERNE, SO NAH!; R: Wim Wenders, BRD 1993, TC 01:29:37h.

507

Tatsächlich markiert die Frage nach der Möglichkeit, einen Videorecorder zu besitzen, eine Grauzone, konnten die Geräte doch auch in den Intershops der DDR erworben werden.

508

Zur Geschichte des DDR-Films, seiner politischen Verstrickungen und Problematiken zur Zeit der 1980er Jahre und kurz vor der Öffnung der innerdeutschen Grenze vgl. Peter Glaß, Kino ist mehr als Film. Die Jahre 1976-1990, Berlin 1999.

509

Zur Videoarbeit in der DDR vgl. allgemein: Thomas Beutelschmidt, Sozialistische Audiovisionen. Zur Geschichte der Medienkultur in der DDR, Potsdam 1995, S. 233 ff. sowie 312 ff.; zur Filmclubbewegung und den Möglichkeiten der filmischen Subversion vgl. Karin Fritzsche/Claus Löser (Hrsg.), Gegenbilder. Filmische Subversion in der DDR 1976-1989. Texte, Bilder, Daten, Berlin 1996 sowie Wieland Becker/Volker Petzold, Tarkowski trifft King Kong. Geschichte der Filmklubbewegung der DDR, Berlin 2001.

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Raum der Filmclubbewegungen, um in den Genuss nichtkonformer Bilderwelten zu gelangen. Aber auch die privaten Haushalte wollten auf die Videotechnologie zur Aufzeichnung und zum Abspielen eines eigenen Programms nicht verzichten. Bis zu 10.000 Ostmark wurden auf dem Schwarzmarkt der DDR für einen Videorecorder gezahlt.510 Trotz der Abschottung des Marktes konnte sich die DDR-Regierung dem Medienboom der 1980er Jahre511 nicht vollends entziehen, verfügte doch ein Großteil der Bevölkerung der anderen Ostblockstaaten nicht nur über die Videotechnologie zwecks privaten Gebrauchs, sondern ebenso über die kulturelle Institution der Videothek, die die nötige Software zur Verfügung stellte.512 Zwar wurde beschlossen, auch Videotechnologie und Recorder im großen Stil in die DDR zu importieren und im Inland zu produzieren, doch führten die Ereignisse Ende der 1980er Jahre dazu, dass diese Vorhaben obsolet erschienen. So kam es jedoch zum Ende des Jahrzehnts zu einer „einmaligen und durch außenpolitische Kontakte mühsam vorbereiteten Importaktion mit 50.000 Videogeräten“513. Für 7.300 Ostmark sollten diese dem Mediennutzer zur Verfügung gestellt werden.514 Fraglich blieb, was der neue Besitzer eines Videorecorders auf diesem abspielen sollte, bildeten die Recorder doch lediglich „Hardware ohne Software“515. Tatsächlich kamen dieser Leerstelle im Mediengefüge die Lockerungen der Bestimmungen zum Reise- und Paketverkehr im November 1987 entgegen. Von nun an konnten nicht nur Schallplatten sowie Magnet510

Vgl. Beutelschmidt, Sozialistische Audiovisionen, S. 138.

511

Zur Mediensituation der DDR Anfang der 1980er Jahre vgl.: Wolfgang Schmidt, Die neuen Medien in der DDR. Verbreitung und Perspektive. In: Media Perspektiven 10/1982, S. 668-674.

512

Zur Debatte um den Videorecorder vgl. Beutelschmidt, Sozialistische Audiovisionen, S. 138 ff.

513

Ebd., S. 143.

514

Vgl. ebd.

515

Uta Becher, So schön kann Video sein. DDR-Bürger entdecken einen neuen Medienmarkt. In: Medien der Ex-DDR in der Wende. Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft. Band 40, Berlin 1991, S. 100-113, hier: S. 106. Becher weist darauf hin, dass bis zum November 1989 die Videorecorder nur zu Aufzeichnungszwecken und kaum zum Abspielen von gekauften oder geliehenen Programmen benutzt wurden. Vgl. ebenfalls: Uta Becher, Video-Boom. Neue Medien im Vormarsch. In: Bernd Schorb/Hans-Jörg Stiehler (Hrsg.), Neue Lebenswelt – neue Medienwelt? Jugendliche aus der Ex- und Post-DDR im Transfer zu einer vereinten Medienkultur, Opladen 1991, S. 117-127.

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tonbänder und Tonbandkassetten in die DDR versandt, sondern durften auch von DDR-Bürgern bei der Einreise eingeführt werden. Zwar galt dies nicht für Videorecorder und Videokassetten, doch konnten diese als Leihgabe importiert, allerdings nicht als Geschenk dauerhaft zurückgelassen werden.516 Erst mit der Öffnung der Grenze im November 1989 wurde nicht nur die Nutzung des Videorecorders durch die normative Kraft des Faktischen legalisiert, sondern ebenso die für ihn benötigte Software. Aus Sicht der Warte der westdeutschen Videothekare war die Öffnung der Grenze zur DDR und den späteren neuen Bundesländern vor allem eines: die Erschließung eines gänzlich neuen Marktes, den es einzunehmen und zu beherrschen galt. Gerade der IVD sah sich hier in der Verantwortung, diesen Markt von Beginn an zu begleiten und den Aufbau neuer Videotheken in der ehemaligen DDR logistisch, fachmännisch und im Interesse des Verbandes zu unterstützen. Diesbezüglich fiel nicht zuletzt der Versuch stark ins Gewicht, durch eine Art Neuanfang auf deutschem Boden das negative Image der Videotheken, wie es sich in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik gefestigt hatte, hier gar nicht erst aufkommen zu lassen. Von Beginn an sollte die Videothek gleichgestellt sein mit den anderen bewährten und nun neu hinzukommenden kulturellen Institutionen der DDR beziehungsweise des vereinigten Deutschlands. Zwar war, wie bereits erwähnt, der Großteil des medialen und öffentlichen Diskurses in der Bundesrepublik mittlerweile über die allgemeine Kritik an der Videokassette hinweggegangen, doch kämpften die Videotheken immer noch mit Fragen des Jugendschutzes und einem negativen Bild in der Öffentlichkeit, welches trotz zahlreicher Initiativen des IVD nicht so leicht überwunden werden konnte. Dennoch begrüßte der Ikarus optimistisch und mit kleinen Angeboten lockend die neuen Kollegen im Osten Deutschlands, um so nicht nur die neuen Videothekare zum Eintritt in den Verband zu bewegen, sondern gleichfalls, um dadurch möglichst schnell einen eigenen Landesverband in den neuen Bundesländern gründen und etablieren zu können. Schon im Januar 1990 konnte daher die Interessengemeinschaft der Videothekare der DDR ins Leben gerufen werden.517 516

Vgl. Beutelschmidt, Sozialistische Audiovisionen, S. 145.

517

Vgl. Becher, So schön kann Video sein, S. 111. Diese operierte bis in den August 1990 als eigenständige Vereinigung, trat dann jedoch dem Bundesvorstand der IVD bei und wurde in den IVD Nord Ost umbenannt. Vgl. Goreßen, Vereinigung. Die IVD ist tot, S. 18. Mit der Gründung des IVD Mecklenburg wurde der IVD Nord Ost schließlich zum IVD-Berlin-Brandenburg. Vgl. o. A., Neuer IVDLandesverband gegründet. In: Videowoche 27/1991, S. 3.

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Fraglich war allerdings, wie man die nun neu aufzubauenden Videotheken innerhalb kürzester Zeit, nicht zuletzt durch den großen Druck der auf den neu zu erschließenden Markt vorrückenden Konkurrenz, mit Programmkassetten füllen könnte. Ähnlich wie zur Zeit der ersten Welle von Videothekenöffnungen in den frühen 1980er Jahren der Bundesrepublik, war auch hier das Startkapital knapp; vor allem dann, wenn die Geschäfte keiner Kette oder einem schon im Westen erfolgreich operierenden Franchise angehörten. Entgegen kam den Videotheken jedoch, dass der Markt der Leihkassetten durch die mittlerweile etablierte Position der großen Filmverleiher der Branche durchaus mehr Angebot zu bieten hatte, als es noch vor knapp zehn Jahren der Fall gewesen war. Der Preisverfall, der bei den Leihkassetten eingesetzt hatte, kam ebenfalls den Videotheken im Osten, wie auch jenen im Westen, zugute. Tatsächlich sah man aber – und dies stand weniger im Interesse des IVD – im neuen Markt die Chance, den in den 1980er Jahren angehäuften und in den Lagern der Videothek nicht genutzten Kassettenberg518 gewinnbringend abzutragen. Zeitgenössische Beobachter sprechen diesbezüglich von sprichwörtlichen Lastwagenladungen voller Videokassetten, die aus dem Westen in den Osten überführt wurden, maßgeblich von jenen Unternehmen organisiert, die auch schon in der Bundesrepublik als schwarze Schafe der Branche galten und von denen sich der IVD versuchte zu distanzieren.519 Die Lagerbestände der Videotheken, die in der Bundesrepublik keinen Gewinn mehr einfuhren, wurden somit wieder einer neuen Aktualität zugeführt. Es stand nun ein Publikum zur Verfügung, das die Filme weder auf Video noch vorher im Kino oder Fernsehen der DDR gesehen hatte. Das Angebot der Videotheken in der DDR bzw. den späteren neuen Bundeslän-

518

Da dem Kunden aber hier ebenso minderwertiges Programm in Form von alten und gebrauchten Kassetten vorgeführt wurde, bemühten sich die Videoanbieter, diesem Vorgehen durch stärkeren Einsatz auf dem Markt der DDR respektive der neuen Bundesländer Einhalt zu gebieten. Vgl. o. A., DDR/Warner-HomeVideo. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? In: Videowoche 25/1990, S. 6. Tatsächlich zögerten 1989 manche Anbieter, sich auf dem Markt einzubringen, was auf der einen Seite an den anstehenden Wahlen, auf der anderen Seite an der noch ausstehenden, aber angekündigten Währungsreform lag. Vgl. Michael Jonke/Ulrike Goreßen, Osthandel. Einigkeit und Recht und D-Mark. In: Videowoche 30/1990, S. 8-9, hier: S. 9.

519

Sowohl Erhard Kranz als auch Hans-Peter Lackhoff berichteten von diesen Beobachtungen in den mit ihnen geführten Interviews.

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dern konnte daher für den dortigen Kunden nur neu und aktuell zugleich sein, jeder Film wäre somit unter der Rubrik Neuheit einzuordnen gewesen. Die Goldrauschmentalität520, die zu Beginn des vorherigen Jahrzehnts die Branche erfasst hatte, wurde so im Kleinen Ende 1989 und Anfang der 1990er Jahre wiederholt, wenngleich die Umsätze schon 1991 stark einbrachen und die ersten Videotheken wieder schließen mussten (vgl. Abb. 18). Zehn Jahre Videothekengeschichte schienen sich hier zwischen 1990 und 1992 im „Zeitraffer nochmals ab[zuspielen]“521. Und dies trotz gegenläufiger Bemühungen des IVD, auch mit ähnlichen Fehlern und Versäumnissen. Dies hat auf der einen Seite seine Gründe in der Hektik, mit welcher der neue Markt erschlossen werden wollte, auf der anderen Seite jedoch auch im unberechenbaren Moment des Kunden, der schließlich das Programm und das Angebot der Videothek durch seine Nachfragen regulierte und mitgestaltete.

Abb. 18: Entwicklung Videotheken BRD West & Ost

Des Weiteren schienen sich aber nicht nur die strukturellen Prozesse im Aufbau der Videotheken innerhalb der Grenzen eines neuen Marktes zu wiederholen, sondern auch die Gründungsmythen der Ursprungszeit. So gründete Jürgen Linsenbarth schon am 5. März 1990 in der thüringischen Stadt Artern die erste Videothek der DDR-Stadt522, zu einem Zeitpunkt also,

520

Vgl. Michael Jonke, Das Rennen hat begonnen. Wird die DDR zum Video-ElDorado? In: Videowoche 14/1990, S. 22-25.

521

Dietmar Koschmieder, Ostdeutscher Videohandel: Angst vor der Konkurrenz. In: Videowoche 12/1991, S. 12-14, hier: S. 14.

522

Ob sie auch die erste Videothek der DDR war, ließ sich aus dem Material nicht verifizieren. Hinzu kommt, dass dabei unterschieden werden müsste zwischen

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als der andere deutsche Teilstaat noch existierte.523 Linsenbarth, der schon vor dem 9. November 1989 über einen Videorecorder verfügte, fuhr kurz nach der Öffnung der Grenze in die Bundesrepublik, um sich im bayerischen Schweinfurt in einer Videothek zu erkundigen, wie er selbst einen solchen Laden eröffnen könne. Thomas Bühl, der Leiter dieser „ers[t] beste[n] Videothek“524, die Linsenbarth finden konnte, half somit nicht nur bei dem nötigen Wissen zur Eröffnung einer Leihstelle in Artern, sondern wurde gleichzeitig auch Partner von Linsenbarth in dessen neuem Geschäft. Diese Möglichkeit des Joint Ventures wurde oft angewandt, um mittels der Hilfe westdeutscher Videotheken ostdeutsche Geschäfte zu eröffnen und möglichst fest vor Ort zu etablieren.525 Interessant war diesbezüglich vor allem der Umstand, dass Linsenbarth sich nicht sicher war, inwiefern er eine größere Menge von Videokassetten über die Grenze transportieren konnte. Daher erkundigte sich Linsenbarth vor dem Import der Kassetten beim Innenministerium der DDR, welches mit der Frage zunächst überfordert zu sein schien, um ihn schließlich mit den ersten Beständen passieren und gewähren zu lassen. Da jedoch seine Kunden in ihrem Ausleihverhalten526 wenig wählerisch waren und nahezu alles konsumierten, was der Markt und die Regale der thüringischen Videothek zu bieten hatten, kam Linsenbarth mit den Neueinkäufen kaum nach. Der weitere Einkauf von Leihkassetten blieb daher unvermeidlich. Erst wenig später wurde es verpflichtend, eine „urheberrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung“527 vorzuweisen, um Videokassetten in die

Neugründungen westdeutscher oder ostdeutscher Unternehmer. Wichtig bleibt allerdings, wie sehr die Fallgeschichte den Umbruch in der Videothekengeschichte zeigt, dem sich Jürgen Linsenbarth hier gegenübergestellt sah. 523

Vgl. hier und im Folgenden: Klaus Henze, Erste und wieder einzige Videothek in Artern. http://artern.thueringer-allgemeine.de/web/lokal/wirtschaft/detail//specific/Erste-und-wieder-einzige-Videothek-in-Artern-1500484055 (Zugriff am 01.04.2014).

524

Ebd.

525

Vgl. Becher, So schön kann Video sein, S. 108.

526

Zur empirischen Ausformung des Videothekenkunden in Ostdeutschland vgl. Hoffmann, Video – ein Übergangsmedium?, S. 813.

527

Michael Jonke, Kaufkassette in die DDR. Wer hat die Rechte für den Vertrieb? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 17. Wenngleich sich der Artikel auf die Kaufkassette bezieht, galten diese Bestimmungen auch für die Auswertung im Bereich des Leihgeschäftes.

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DDR importieren zu können, war doch für viele Filme nicht bekannt, wer über die jeweiligen Rechte des spezifischen Films auf dem Gebiet der DDR verfügte. Ansprechpartner blieben die bundesdeutschen Anbieter, die stellenweise selber noch keine Verwertungsrechte für ihre Filme innerhalb der DDR besaßen. Wichtigste Voraussetzung neben der Frage der Filmbeschaffung war die Raumsituation in der DDR. Durch mangelnde Geschäftsräume zogen in der Anfangszeit der Videothek viele Betreiber sogenannte Wohnzimmervideotheken528 hoch. Der eigene Wohnzimmerschrank, die Garage oder die ehemalige Abstellkammer wurden demnach umfunktioniert und zu Videoverleihstellen transformiert, die schon 1991 ein Ärgernis in den Augen der Verbände waren, da man auch im Bereich der Erscheinungsform des Ladengeschäftes Videothek weiter am Image der Branche arbeiten wollte. Der Weg aus „der improvisierten Garagenvideothek, rein in das professionelle Geschäft“529 hatte oberste Priorität. In dieser Hinsicht drangen schon kurz nach der Wende die ersten Ketten nach Ostdeutschland. Andreas Zachrau530, Betreiber der bis heute in Berlin operierenden Videothekenkette Video World, plante, alle drei Wochen eine neue Videothek seiner Kette im Osten zu eröffnen. Zachraus Videotheken, die vorher vor allem in Westberlin zu finden waren, sind nur ein Beispiel dafür, wie der Markt der DDR innerhalb weniger Jahre ebenfalls von großen Ketten in Angriff genommen und dominiert wurde.531 Die Verbreitung der Ketten hatte zugleich den negativen Aspekt, dass der Preiskampf, der in der Bundesrepublik durch die Billigvideotheken geführt wurde, zwischen Ost und West nahezu absurde Formen annahm: Während ein Toptitel im Osten für 2 Mark auszuleihen war, nahm die Westberliner Filiale hingegen 7 Mark an Verleihgebühren ein. Die Asymmetrie ist mehr als auffällig.532

528

Diese Erscheinung der Wohnzimmervideothek ist hier nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Wohnzimmervideotheken der Raubkopierer. Vgl. dazu Kapitel I.3.6 dieser Arbeit.

529

Koschmieder, Ostdeutscher Videohandel, S. 12.

530

Zum Konzept der Kette vgl. Bernd Ruof, Andreas Zachrau. Neue Wege ausprobieren. In: Videowoche 15/1992, S. 11.

531

Ebd., S. 14.

532

Dietmar Koschmieder, Wachsende Konkurrenz und soziale Not. Reicht Geld für Brot und Video? In: Videowoche 13/1991, S. 12-13, hier: S. 13.

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Dass dabei die Partnerschaften zwischen Westvideothekaren und Ostneugründern nicht immer ideal vonstattengingen, liegt ebenfalls auf der Hand. Auch hier strebten vor allem ungelernte Kräfte den Weg in die Selbstständigkeit an, die nicht nur keine Ahnung von den Möglichkeiten des Mediums und den Regeln des Marktes hatten, sondern statt einer Standortanalyse die Videothek dort eröffneten, wo gerade Raum zur Verfügung stand. Viele Ostdeutsche befürchteten, nicht mehr als billige Angestellte für die Westvideotheken zu sein, die ihre Filialen im Osten etablieren wollten, um die Filialen im Westen weiter finanziell aufrüsten zu können. Ohne Kenntnis bezüglich des Aufbaus eines Geschäftes unterschrieben manche angehenden Ostvideothekare Verträge, die sie verpflichteten, 75-80 % des erwirtschafteten Erwerbs an den Partner im Westen abzuführen. Die Unkenntnis der neuen Videothekare wurde gerade dann ausgenutzt, wenn indizierte Filme ohne Warnung bezüglich der Fragen ihrer Ausstellbarkeit weitergegeben oder etwa Poster für 20 DM weiterverkauft wurden, die der Westvideothekar von den Anbietern gratis zur Verfügung gestellt bekommen hatte.533 Wenngleich die kurze Schilderung einer Videothekengründung in der DDR hier anekdotisch erscheinen mag, so steht sie doch prototypisch für die Entwicklung im Allgemeinen wie für den Neuanfang des Mediums Video in der DDR und den neuen Bundesländern, wie er sich aus den Bestrebungen und Wünschen der Bevölkerung entwickelt hatte. In Anbetracht dessen war es auch im Sinne des IVD, dass die westdeutschen Unternehmer nicht nur am Imagewechsel der Branche Interesse zeigten und diesen umsetzten, sondern darüber hinaus bereit waren, die ostdeutschen Videothekenbetreiber anzuleiten und in den neuen Berufsstand534 einzuweisen. Es zeigte sich hier, dass auf die erste Welle der Neueröffnungen eine Welle der Schließungen folgte, ähnlich wie zur Zeit der ersten kleineren Krisen der bundesdeutschen Branche Anfang der 1980er Jahre.535 So entstand in den ersten Monaten

533

Vgl. Ulrike Goreßen, DDR-Videothekare. Bar-Kauf sehr beliebt. In: Videowoche 41/1990, S. 11.

534

Dies aktualisierte vor allem alte Forderungen des IVD, den Beruf des Videothekars als erlernbaren Beruf zu gestalten. Kurzzeitige Erfolge wie unter anderem auch die Zeitschrift Arbeitsplatz Videothek Anfang der 1990er Jahre konnten jedoch nicht zu einer dauerhaften Institutionalisierung des Berufsbildes führen.

535

Ebd. Interessant ist im Fall von Artern die Tatsache, dass Linsenbarths Videothek 2010 die einzige von vormals vier noch bestehenden Leihgeschäften war.

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nach der Öffnung der Grenze ein Miteinander von verschiedensten Formen von Videotheken, wie sie ebenfalls typisch für die Etablierung der Institution in Westdeutschland gewesen waren.536 Bis Mitte Juni 1990 sollten in Ostberlin offiziell 15 Ausleihstellen eröffnet werden. Becher verweist darauf, dass durch die Bezeichnung der Ausleihstelle eine Differenz deutlich gemacht werden sollte. So handelte es sich bei den Ausleihstellen meist um Verleihformen wie einem Kunden-Hausdienstservice oder um Praktiken des Verleihs von Videokassetten, der direkt in den Wohnungen des interessierten Filmfreundes stattfand.537 Über eine Integrierung bespielter Videoprogramme in den Bestand der öffentlichen Bibliotheken hingegen finden sich bei Becher keine Informationen. Gleichzeitig trafen sich die Bemühungen des IVD Ende der 1980er Jahre tatsächlich mit den Befürchtungen der DDR-Regierung zu Beginn des neuen Jahrzehnts. Hatte diese zuvor die Legalisierung von Videorecordern und Kassetten vor allem aufgrund ihrer Unkontrollierbarkeit verboten, war zudem die Angst vor einer Verbreitung von Horror- und Pornofilmen mit ein Grund dafür, der Verbreitung der Technologie weiterhin skeptisch gegenüberzustehen538 – gerade auch, weil die öffentlichen Debatten in der Bundesrepublik über das Medium Mitte der 1980er Jahre den ostdeutschen Politikern und Medienwissenschaftlern bekannt waren. Wenngleich das von Zielinski proklamierte, dem Videorecorder inhärente und gefürchtete Potenzial eines Gegenmediums in der Zeit der Wende keine Rolle mehr spielte, schien sich die zweite Befürchtung zu bewahrheiten, „überschwemmte [doch] das

Das seit einigen Jahren angemahnte Sterben der Videotheken als physische Räume wird hierbei am konkreten Fall besonders deutlich. 536

Vgl. dazu Kapitel I.2.1 dieser Arbeit.

537

Vgl. Becher, So schön kann Video sein, S. 107.

538

Neben den devianten Filmgenres erfreuten sich vor allem Kinderfilme großer Beliebtheit beim neu gefundenen Kundenpotenzial. Die Branche führte dies primär auf die Tatsache zurück, dass Kinder noch zusammen mit ihren Eltern in die Videothek kommen konnten, um einen Film auszuleihen, da die Regelungen des Jugendschutzes auch hier zu Beginn der Videothekenöffnungen noch nicht griffen. Vgl. Koschmieder, Ostdeutscher Videohandel, S. 14 sowie Koschmieder, Wachsende Konkurrenz und soziale Not, S. 13. Dort fasst es ein Videothekar treffend zusammen: „Die Videotheken machen mit Porno und Kinderfilmen das Geschäft“.

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komplette Programmangebot der westlichen Unterhaltungsindustrie einen gänzlich unvorbereiteten DDR-Markt“539. Wie sich dieser Markt entfaltete und wie sich die ersten Videotheken auf dem Boden der DDR entwickelten, zeigt Uta Becher in ihrem Aufsatz So schön kann Video sein, der aus der Binnenperspektive die Entwicklung im Interimsjahr 1989/1990 darstellt. Mit den wenigen Ergebnissen, die zu dieser Zeit schon vorlagen, versucht sie, ein Nutzerprofil des DDR-Videothekengängers abzuleiten, welches weitere Ideen bei der Ausgestaltung der neuen Videotheken ermöglichen soll. In diesem Kontext geht sie sehr wohl schon auf das Problem der unkontrollierbaren Kassettenflut ein, die sich in ihrer Heterogenität meist als eine Ansammlung von Genrefilmen zweifelhaften Charakters erwies. Allerdings finden sich bei Becher kaum die Polemiken, wie sie in der Debatte um die Videotheken Mitte der 1980er Jahre in der Bundesrepublik auszumachen waren. Auf der einen Seite, gleichwohl sie selbst dem kein allzu großes argumentatives Gewicht zugestehen will, spielte der Aspekt des Nachholens dessen, von dem man vorher ausgeschlossen war, eine immanent wichtige Rolle. Das, was vorher verboten war, sollte nun selbst erkundet werden. Auf der anderen Seite bemüht sich Becher um das Aufgreifen eines medienwissenschaftlichen Diskurses, indem diese Filme helfen würden, eine „zeitweilige geistige Entpflichtung vom Alltag“540 bereitzustellen, die in den Zeiten des Umbruchs besonders vonnöten sei. Damit wird in Ansätzen die Katharsistheorie der Medienwirkungsforschung reaktiviert, die allerdings von den meisten Psychologen und Pädagogen als nicht beweisfähig verworfen wurde. Bieten diese beiden theoretischen Überlegungen Ansätze, die Nachfragen nach Horror- und Pornofilmen541 in der DDR zu erklären, so sollte nach Bechers Meinung dieses Problem anderweitig gelöst werden, nämlich indem „[d]ie Verantwortung für die Wahrung der menschlichen Würde in der nun 539

Vgl. Beutelschmidt, Sozialistische Audiovisionen, S. 146. Auch an dieser Stelle wiederholt sich die Problematik der 1980er Jahre, denn wenngleich die Bundesrepublik nun schon länger über die Problematiken des Videokonsums diskutierte, so waren die Bürger auch dort unvorbereitet auf diese neue Medientechnologie.

540

Becher, So schön kann Video sein, S. 112.

541

Wiedemann bezeichnete die neue deutsche Sexwelle im Osten als eine Welle nach Osten, ausgehend von den Beständen der Bundesrepublik. Vgl. Dieter Wiedemann, Sex und Medien – Die Veränderung in den neuen Bundesländern. In: Medien + Erziehung 3/1991, S. 156-160, hier: S. 156.

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freien Marktwirtschaft von den Videothekaren mitgetragen werden [muss]“542. Diese sollten „[...] bewusst darauf verzichten, gewaltverherrlichende und sexuell perverse Videos anzubieten“543. Diesbezüglich bleibt Becher jedoch die Definitionen schuldig, die diese Videos identifizieren würden; denn ebenso wie die Videothek in ihren ersten Jahren ein rechtsfreier Raum blieb, so fehlten auch in der DDR ausreichende Rechtsbestimmungen in Bezug auf die neuen Ladengeschäfte und die dortige Wahrung des Jugendschutzes.544 Erschwert wurde dies vor allem durch eine Änderung im Kinogesetz, welches es Kindern erlaubte, in der Begleitung ihrer Eltern auch nicht für ihr Alter freigegebene Filme zu rezipieren. Gerade aufgrund dieser Änderung taten sich viele Videothekare schwer damit, als mit dem Inkrafttreten der Gesetze der Bundesrepublik diese Praxis nicht mehr galt und von nun an auch in den neuen Bundesländern Kinder vor den Geschäften auf ihre Eltern zu warten hatten. Vollends wurde die Frage nach den Auswirkungen jugendgefährdender Videos Anfang 1992 gestellt, die mittels der gleichen Studien gestützt werden sollte, die bereits zuvor in der Bundesrepublik zur Anwendung kamen. Nicht nur, dass sich erneut Presse und Rundfunk auf die Studien von Helmut Lukesch und ähnlichen beriefen, sie erwiesen sich gleichsam als ähnlich „unsachlich“, boten eine „verzerrende Darstellung“ der Umstände und seien in ihrer „sensationslüsternen Aufmachung“ „schlampig im Umgang mit Fakten“545. Die einsetzende Berichterstattung schien den Plänen der IVD Recht zu geben in ihren Überlegungen, genau an diesem Punkt weiter am Image der Videotheken zu arbeiten, nicht zuletzt da vor allem in Sachsen Polizei und Jugendämter massiv begonnen hatten, die nun geltenden Bestimmungen umzusetzen.546 Ziel war es hierbei, die Fragen des Jugendschutzes und den Umgang des Videothekars mit den als problematisch angesehenen Videos einzuüben und durch aktive Ver-

542

Becher, So schön kann Video sein, S. 111.

543

Ebd.

544

Ebd.; ab 1992 begannen auch die Jugendämter in den neuen Bundesländern, Videotheken auf die Einhaltung der für ganz Deutschland geltenden Bestimmungen zu überprüfen. Vgl. o. A., Erfahrungsbericht aus Leipzig. Jetzt werden wir Verstöße ahnden. In: Videowoche 20/1992, S. 18.

545

Ulrich Krüger, Studie über neue Bundesländer. Jugend gefährdet durch Gewaltvideos? In: Videowoche 5/1992, S. 16-17, hier: S. 16.

546

So Erhard Kranz im Interview August 2009.

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bandsarbeit in Ostdeutschland der Presse ein informationspolitisches Gegengewicht zu bieten. Unterstützung bekam das Vorhaben des IVD durch den ehemaligen Mitarbeiter im Ministerium für Kultur der DDR, Dr. Erhard Kranz547, der vorher für den Einkauf von Filmen verantwortlich war und nach dem Zusammenbruch der DDR aus diesem Amt ausschied. Kranz wurde somit vom IVD beauftragt, in Namen des Verbandes den Aufbau der Videotheken in den neuen Bundesländern voranzutreiben und dabei nicht nur die schon bewährten Konzepte der Branche zu etablieren, sondern ihr auch bei einem sauberen Neustart behilflich zu sein. Mit und durch Kranzʼ Engagement schuf der IVD sogenannte Sprechstunden für die Kollegen in den neuen Bundesländern, in welchen die neuen Videothekare die Möglichkeit hatten, sich mit Kollegen aus dem Westen, Vertretern der Industrie548 und Mitgliedern des IVD auszutauschen.549 Kranz, der sich fortan bemühte, die Videothek als kulturellen Ort weiter zu etablieren, fungierte so nicht nur als Schnittstelle zwischen den Behörden in Form von Jugend- und Gewerbeamt und den Videothekaren, sondern setzte sich maßgeblich in Kontakt zu den einzelnen Landtagen für die Sonntagsöffnungszeiten der Geschäfte in der Bundesrepublik ein. Ein Vorhaben, welches erst im neuen Jahrtausend zuerst in Hamburg, dann in Berlin Erfolg hatte. Wichtig war für Kranz, einen Dialog zwischen den Videothekaren und den offiziellen Stellen aktiv auszugestalten, Beratung für die angehenden Unternehmer einzurichten sowie Einblicke in die Problemlage der Branche für die verantwortlichen Ämter ermöglichen zu können.

547

Erhard Kranz promovierte in der DDR mit einer Arbeit über die Situation der westdeutschen Filmwirtschaft in den 1960er Jahren. Vgl. Erhard Kranz, Filmkunst in der Agonie. Eine Untersuchung zu den staatsmonopolistischen Machtverhältnissen in der westdeutschen Filmwirtschaft, Berlin/Ost 1964.

548

Vgl. das Informationsbüro der RCA/Columbia, welches dem IVD die Räume zur Verfügung stellte. Hierzu Ulrike Goreßen/Sibylle Alverdes, Drei Monate Informationsbüro. Alle Wege führen nach Köpenick. In: Videowoche 14/1992, S. 1415.

549

Vgl. Ulrike Goreßen, IVD-Vorstand tagte. „Sprechstunde“ für Ost-Kollegen geplant. In: Videowoche 6/1992, S. 16, dies., IVD Sprechstunde in Ostberlin. Der Erfolg spricht eindeutig für sich. In: Videowoche 15/1992, S. 10.

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Kranzʼ Ratschlag, mit den Videotheken „Kultur zu machen“550, fand vor allem darin Berücksichtigung, dass sich die Shop-in-Shop-Variante respektive die Familienvideothek nach den anfänglichen Startschwierigkeiten der Branche gerade in den neuen Bundesländern verstärkt durchsetzte. Zwar konnten durch das Engagement des IVD nicht jede negativ zu bewertende Ausformung des Videomarktes sowie vereinzelte Verstöße gegen den Jugendschutz und die Übervorteilung des einzelnen Ost-Videothekars verhindert werden, doch führte die Entwicklung in der ehemaligen DDR respektive den neuen Bundesländern mit dazu, dass Anfang der 1990er Jahre das negative Image der Videotheken weiter abgebaut werden konnte und die bespielte und entliehene Videokassette auch für die ehemaligen Bürger der DDR zu einem Alltagsmedium wurde, welches Anteil hatte an einer neuen Form der Freizeitgestaltung. 1992 hatten schließlich die westdeutschen Probleme der Branche die Videotheken im Osten erreicht, gegen die BVV und IVD nun bundesweit vorzugehen hatten. Der sich anschließende Trend zur Filial-Bildung, der die noch existierenden Kleinvideotheken mehr und mehr verdrängte, beschleunigte die Entwicklung eines nahezu homogenen Bildes der deutschen Videothekenlandschaft.

3.9 Ausblick auf die 1990er Jahre: Kaufkassette und andere Konkurrenten Die Entwicklung der Videotheken innerhalb des neuen Jahrzehnts kann hier nicht in ihrer Gänze nachgezeichnet werden. Dennoch sollen in Form eines Ausblicks die Problematiken angerissen werden, mit denen sich die Branche zu Beginn der 1990er Jahre auseinanderzusetzen hatte. Denn schon zu Beginn des neuen Jahrzehnts eröffneten sich mehrere Felder, auf die der IVD (re-)agieren und die Videotheken Stellung beziehen mussten, um ihre Positionierung im Medienensemble der Bundesrepublik nicht zu gefährden und weiter auszubauen. Auf der einen Seite war dies, wie im vorherigen Kapitel

550

So Kranz in einem im August 2009 geführten Interview. Kranz betonte gleichzeitig, dass er persönlich Probleme mit der Definition der Videothek als Ladengeschäft habe, würde diese doch dem Anspruch einer kulturellen Institution entgegenstehen, wollte man unter anderem mit Bibliotheken oder gar dem Kino und Theater nicht nur in Fragen der Sonntagsöffnungszeiten gleichziehen.

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dargelegt wurde, die Öffnung der innerdeutschen Grenzen und die Erschließung eines neuen Marktes, der gebot, die Fehler der ersten Stunde nicht zu wiederholen. Auf der anderen Seite zeichneten sich bereits veränderte Konstellationen auf dem Markt der Unterhaltungsmedien ab, die die Videotheken in neue Konkurrenzsituationen bringen sollten. Neben den Problematiken der endgültigen Durchsetzung des Privatfernsehens und der Etablierung neuer Programmanbieter spielte vor allem die Aufnahme des Sendebetriebs des neuen Pay-TV-Senders Premiere am 28. Februar 1991 eine große Rolle, der für die Branche zu einer neuen externen Bedrohung wurde.551 Waren die Versuche, ein funktionierendes und vom Mediennutzer akzeptiertes Bezahlfernsehen zu etablieren, zwar nicht neu und führten unter anderem in den USA schon in den 1980er Jahren zu starkem Konkurrenzdruck im Mediengefüge, so schaltete sich mit Premiere ein neuer Faktor der Verwertungskette des Mediums Film dazwischen. Der Zeitraum der exklusiven Verwertung eines Films durch die Videotheken nach seiner Laufzeit im Kino und vor der Ausstrahlung im regulären Fernsehprogramm wurde durch den neuen Sender weiter beschnitten. Mit gezielten Werbeaktionen ging die Branche gegen das neue Bezahlfernsehen vor. Die geschaltete Endverbraucherwerbung war dabei denkbar einfach und ebenso klar formuliert: „Fernsehen war gestern. Heute ist Premiere. Doch vorher ist Video. Video bringt Kino zuerst auf den Bildschirm. Wann Sie wollen und so oft Sie wollen.“552 In dieser Hinsicht nahm die Branche nicht nur Bezug auf die regulären Verwertungsketten553 551

Eine Bedrohung, die in den USA schon so ernst genommen wurde, dass mit Blick auf die US-amerikanische Pay-TV-Entwicklung erneut nach dem Ende der Branche gefragt wurde. Vgl. Monika Manoutschehri, USA. Videotheken bald Vergangenheit? In: Videowoche 15/1991, S. 17. Wenige Wochen später kommt die Videowoche jedoch zu dem Schluss, dass der Pay-TV-Sender in Deutschland vorerst keine starke Bedrohung für die Videotheken darstellt. Grund zu dieser Annahme ist die Prüfung des Filmprogramms des Senders, welches im Vergleich mit dem Angebot der Videotheken weit weniger aktuell ist als zunächst befürchtet. Vgl. Ulrike Goreßen, Auswertungsfenster. (Noch) Keine Gefahr durch Premiere. In: Videowoche 25/1991, S. 11.

552

Sibylle Alverdes, Plakataktion. Video ist schneller. In: Videowoche 14/1991, S. 18.

553

Dass diese Verwertungsketten sehr ernst genommen wurden, zeigt ein Fall auf, in welchem der IVD die Werbung des Pay-TV-Senders gerichtlich stoppen ließ. Eine beanstandete Annonce erweckte nicht nur den Eindruck einer besonderen Form von Aktualität, sondern bewarb die Filme zugleich als Programme, die „vor kurzem noch im Kino zu sehen waren“. Dabei wurde die dazwischen lie-

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des Mediums Film, die Video vor dem Angebot des Pay-TV-Senders positionierten, sondern hob gleichzeitig die Spezifika der Videokassette hervor. Die Emanzipation vom vorgegebenen Programm, dem man trotz allem auch bei Premiere ausgesetzt war, sollte im Hype um den neuen Sender deutlich betont werden, um aufzuzeigen, was die Unterschiede in der Nutzung beider Möglichkeiten waren.554 Das Sofortige des Videoprogramms blieb trotz aktueller Filme durch den neuen Sender weiterhin bestehen und sollte so als stärkstes Argument gegen diesen dienen. Eine andere interne Problematik der Videobranche, mit der sich die Videothekare ab 1990 verschärft auseinandersetzen mussten, zeichnete sich in Form der Kaufkassette ab.555 Wenngleich die Kaufkassette seit Beginn des Videobooms Teilsegment des Marktes war, so stand sie doch in ihrer Wichtigkeit nie an vorderster Stelle. Dies hatte vor allem damit zu tun, dass ein Preisverfall, wie er zuvor die Durchsetzung der Hardware möglich machte, den Markt der Kaufkassetten noch nicht erreicht hatte. Zudem war in vielen Haushalten der Videorecorder weiterhin in erster Linie Mittel für die Möglichkeiten des zeitversetzten Fernsehens, das Abspielen von geliehenen oder gar gekauften Produkten stand oftmals erst an zweiter Stelle. Dies änderte sich Anfang 1990 grundlegend. Schon die zweite Ausgabe der VideowocheSonderausgabe kaufkassettenmarkt stellte die Frage, ob der Preisverfall bei

gende Auswertung auf Video, die die beworbene Aktualität Premieres ein Stück weit herabsetzte, ignoriert; vgl. o. A., IVD stoppt Premiere-Werbung. In: Videowoche 7/1992, S. 38. 554

Um auf das Angebot von Premiere zu reagieren, wurde in der Videowoche das Programm des Senders zusammengefasst. Neben der Aufzählung der Filme, die im Laufe eines Monats ausgestrahlt wurden, wurden Informationen abgedruckt, von welchem Anbieter der jeweilige Film zu erhalten war. Die Videotheken konnten so, wenn sie flexibel waren, sichergehen, die ausgestrahlten Toptitel im Verleih zu haben und den Konkurrenzdruck weiter zu minimieren. Vgl. o. A., Premiere-Programm im Mai 1991. In: Videowoche 18/1991, S. 35.

555

Weniger problematisch war die vermehrte Integration von Computerspielen in die Verleihstrukturen der Videothek. Neben der Musik-CD waren diese nun das zweite Medium, welches mit der Videokassette entliehen werden konnte. Vgl. Anne Müller, Videospiele. ,Eine gigantische Umsatzentwicklung‘. In: Videowoche 24/1991, S. 16-17; Patrick Niemeyer, Videospiele im Verleih. Aller Anfang ist leicht. In: Videowoche 12/1992, S. 10 sowie Jörg Rumbucher, Die meisten Videothekare optimistisch. „Video-Spiele als zweites wirtschaftliches Standbein“. In: Videowoche 22/1992, S. 21-22.

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Kaufkassetten „Fluch oder Segen“556 für die Branche bedeute. Die Branche befürchtete durch den Verkauf von Kassetten zu je 9,95 DM eine Überschwemmung des Kaufkassettenmarktes. Obgleich es sich bei den zu diesen Preisen angebotenen Kassetten meist um Kindervideos und Zeichentrickfilme handelte, wurde die Debatte darüber geführt, ob mit dem niedrigen Preis nicht auch die Qualität der Ware in Frage gestellt werden würde. Stellte immer noch das Programm der Billigvideotheken eine große Bedrohung für die Preispolitik vieler Videothekare im Bereich des Verleihs dar, so befürchtete man, dass nun im Bereich der Kaufkassette ein „Verramschen“557 des Films auf Video heraufbeschworen wurde (vgl. Abb. 19), was dem Image der Branche mehr schaden als nützen würde. Der Kassettenberg, den die Branche erst durch die Mühen des vorherigen Jahrzehnts und die Eröffnung eines neuen Marktes im Osten Deutschlands in den Griff bekommen hatte, schien sich auf diese neuartige Weise zu wiederholen. Nicht zuletzt galt die Sorge der Videothekare außerdem den Vorhersagen aus den USA, die andeuteten, dass der Kaufkassettenmarkt dem Verleih den Rang ablaufen könnte, selbst wenn es sich hierbei auf dem US-amerikanischen Markt noch um Prognosen und nicht die tatsächliche Gegenwart der dortigen Videothekenbranche handelte.558

Abb. 19: Die Angst vor dem Ramschtisch 556

Christina Radzwill, Preisverfall bei Kaufkassetten. Fluch oder Segen? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 4-7, hier: S. 4.

557

Ebd., S. 4.

558

Vgl. Eckhard Vollmer, US-Videomarkt. Überholt der Verkauf den Verleih? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 25.

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Die Videotheken taten sich schwer, die Kaufkassette als Teil ihres Zusatzsortimentes zu integrieren und diese in ansprechender Form zu präsentieren.559 Der neu einsetzende Kaufkassettenboom560 der 1990er Jahre, der über eine Vielzahl von stark beworbenen Toptiteln forciert werden sollte, schien sich somit an den Videotheken vorbeizuentwickeln und ohne sie stattzufinden.561 Wenngleich sowohl Handel als auch Verleih verstärkt auf Endverbraucherwerbung setzten, die für die Videotheken und gleichzeitig für die in ihnen zu erhaltende Kaufkassette warb562, konnte dies die Skepsis einiger Videothekare sowie Kunden nicht vollends auflösen. Manche Videothekare sahen in den in ihren Geschäften angebotenen Kaufkassetten eine Konkurrenz gegenüber den gebrauchten Kassetten, die sie den Kunden zu niedrigen Preisen anboten.563 Auch wenn der Kassettenberg des vorherigen Jahrzehnts die Branche nicht mehr vor dieselben Probleme stellte wie wenige Jahre zuvor, nutzten doch viele Betreiber die Möglichkeiten des Weiterverkaufs, um ihre eigenen Bestände im Lager und im Sortiment zu verringern und so Platz für neue Titel zu schaffen. Der Kunde verband mit der Videothek weiterhin das Leihen von Videokassetten. Um sich eine Kassette zu kaufen, suchte er dafür nicht die Videothek auf, sondern die sich mehr und mehr auf den Verkauf bespielter Programme spezialisierenden Hi-Fi- und

559

Vgl. Dietmar Koschmieder, Vertriebsschiene Videothek. Wer hat Angst vor der Kaufkassette? In: Videowoche 34/1991, S. 28-30.

560

Wie schon zu Beginn der 1980er Jahre standen auch die Anfänge der 1990er Jahre im Zeichen des Videobooms. 300 Millionen DM wurden alleine 1990 über dieses Teilsegment erwirtschaftet. Vgl. Judith Huss, Gehört die Kaufkassette in die Videothek? In: Videowoche 46/1991, S. 16-17. Vgl. ebenfalls: Sibylle Alverdes, Kaufkassette ja, aber… In: Videowoche 50/1991, S. 6-7.

561

Ähnlich wurde dies schon Ende der Dekade für den Leerkassettenmarkt konstatiert, der „völlig in der Hand großer Kaufhausketten und anderer branchenfremden Verkaufsstellen“ lag. Die Service GmbH. In: Der Ikarus 9/1989, S. 1.

562

Die Videotheken versuchten sich dabei auf ihre Möglichkeiten zu besinnen und vor allem Videos anzubieten, die indizierte Programme enthielten und somit meist exklusiv in den Erwachsenenvideotheken zu erwerben waren. Erneut ein Punkt, der den Bemühungen entgegenzustehen schien, weiter an einem sauberen Image des Produktes Video in den Räumen der Videothek zu arbeiten. Vgl. Ulrich Krüger, Kaufkassetten-Aktion. Nur für Videotheken. In: Videowoche 15/1992, S. 8.

563

Vgl. Patrick Niemeyer, Fox steigt aus. Gerät das Zentrallager ins Wanken? In: Videowoche 25/1991, S. 16.

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Buchgeschäfte.564 Auch der Versuch der Videothekare, durch einen besonderen Service nahezu jeden lieferbaren Film auf Kundenwunsch zu bestellen, schuf kein Vertrauen der Videothekenkunden in die dort zu erwerbende Kaufkassette. Dies lag vor allem daran, dass es lange Zeit kein zentrales Lager gab, über welches die Kassetten bestellt und innerhalb weniger Stunden an die Videotheken geliefert werden konnten, wie es beispielsweise im Buchhandel schon lange Zeit gängige Praxis war. Zwar gab es zu Beginn der 1990er Jahre Versuche, ein solches Zentrallager zu etablieren, doch musste dies schon nach wenigen Jahren wieder eingestellt werden.565 Obwohl weiterhin der Versuch unternommen wurde, diese logistischen Probleme in Angriff zu nehmen, blieb die Videothek nicht die erste Anlaufstelle für den Verkauf von neuwertigen bespielten Programmen auf Videokassette. Groß angelegte Werbekampagnen und neuwertige Toptitel zu niedrigen Preisen konnten erst Ende des Jahrzehnts in vollem Umfang angeboten werden und setzten sich ab 2005/2006 mehr und mehr in den großen Ketten durch, die monatlich die Kunden mit neuen Angeboten locken sollten, Filme auch in der Videothek zu kaufen statt nur zu leihen. „Lange Bestellwege, geringe Handelsmargen und mangelnde Nachfrage“566 blieben die skeptischen Bedenken, die die Videothekare gegen die Kaufkassette vorbrachten, trotz der Bemühungen von IVD und BVV, über geschickt lancierte Endverbraucherwerbung die Etablierung der Kaufkassette als festen Bestandteil der Videothek zu forcieren. Die Skepsis der Videothekare wurde letztlich von allen Parteien des Videomarktes zwiespältig aufgenommen, erhoffte sich doch nicht nur die Seite der Anbieter einen großen Markt, der neue Einnahmen versprach – auch Teile der Videothekare erwarteten, durch das Geschäft mit den Kaufkassetten endlich wieder größere Gewinne erzielen zu können. Dabei spitzte sich die Lage der als notorisch pleite geltenden Geschäfte in der Tat Anfang der 1990er Jahre zu. Dies wurde insbesondere anhand der Problematik der Preispolitiken von Handel und Branche deutlich, denen sich die Videotheka-

564

Dies ging sogar so weit, dass manche Anbieter von Kaufkassetten gezielt ihre Ware an den Videotheken vorbeilancierten, verfügten einige der genannten Geschäfte doch über deutlich mehr Kundschaft. Vgl. Radzwill, Preisverfall bei Kaufkassetten, S. 5.

565

Vgl. Niemeyer, Fox steigt aus, S. 16.

566

Judith Huss, Die Kaufkassette: Pro und Contra. Umsatzretter oder Verleihkiller? In: Videowoche 46/1991, S. 3.

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re vonseiten der Anbieter ausgesetzt sahen. Hier gab es mit den Vertretern der großen Videofirmen angestrengte Verhandlungen darüber, ob man das deutsche Preisniveau an europäischen Maßstäben messen solle, um es den Videothekaren weiterhin zu erlauben, in ausreichenden Stückzahlen einzukaufen. Wichtig war es in dieser Hinsicht, dass die Preisgrenze von 200 DM567 für eine einzelne Kassette nicht überschritten werden sollte, um durch die eigene Finanzierung die Balance zwischen Kopier- und Programmtiefe in den jeweiligen Videotheken halten und auf Toptitel zurückgreifen zu können. Tatsächlich sah die Branche eine weitere Senkung des Preises als notwendig an, zeichnete sich mit Beginn des neuen Jahrzehnts doch ab, dass „der Handel mit 200 Millionen verschuldet sei“568 und den Anbietern so keine andere Wahl bleiben würde, als die Einkaufspreise auf 150 DM zu senken, sollte der Leihmarkt weiterhin funktionieren. Als die Anbieter jedoch trotz der Preissenkung die Absatzzahlen nicht steigern konnten, verhärteten sich erneut die Fronten zwischen Handel und Anbietern; mehrere Hochpreisanbieter kamen daher vorerst den Forderungen des IVD nicht nach, ihre Preise zum Wohl der Branche zu senken.569 Demzufolge waren diese Verhandlungen Teil einer größeren Problemlage, die es den Videotheken auch Anfang der 1990er Jahre nicht erlaubte, in großem Umfang Gewinn zu erzielen.570 Trotz mancher Ernüchterung im Bereich des Videohandels hatte nach wie vor kaum eine andere Branche eine derartige Anziehungskraft auf Geschäftsleute, die mit einem eigenen Laden in die Selbstständigkeit wechseln wollten, wie die Videothekenbranche. Und weiterhin wurden zu oft jene Fehler wiederholt, die schon 1980 zu den ersten Videothekenschließungen führten, die der Welle der Neueröffnungen gefolgt waren.571

567

Vgl. Jörg Hackeschmidt, Industrie lenkt ein. Preise kommen ins Rutschen. In: Videowoche 12/1990, S. 18-19, hier: S. 19.

568

Ohne Autor, Noch nie war die Lage so ernst. Preissenkung – Zustimmung auf breiter Front. In: Videowoche 14/1990, S. 6.

569

Vgl. Michael Jonke, Preisdiskussion geht in die zweite Runde. Langsam verhärten sich die Fronten. In: Videowoche 24/1990, S. 10.

570

Der IVD versuchte diesen Problemen mit der Einrichtung einer Einkaufsgemeinschaft beizukommen, die es ermöglichte, dass durch die Menge an Bestellern auch die Betreiber kleinerer Geschäfte die Möglichkeit erhielten, von Ermäßigungen im Einkauf zu profitieren. Vgl. Bernd Ruof, IVD mit eigener Einkaufsgemeinschaft. In: Videowoche 51/1992, S. 13.

571

Vgl. Reinhold Scheu, Risikobranche Video. Der Stoff, aus dem die Pleiten sind. In: Videowoche 9/1992, S. 16-17. Vgl. ebenfalls: Gottfried Moeckel, Verleih-

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Wichtig waren diese Aushandlungsprozesse letztendlich deshalb, weil die Videotheken Gefahr liefen, in eine Problemlage zurückgeworfen zu werden, wie es sie zu Beginn der 1980er Jahre gegeben hatte: Auch damals war man durch die hohen Preise lediglich in der Lage gewesen, billige Ware anzukaufen, die dem Ruf der Geschäfte schadete und diesen auf lange Zeit prägte. Dieser Rückfall in eine alte und schon bekannte Problemsituation sollte folglich verhindert werden. Wenn auch die internen und externen Probleme der Branche zusetzten, war insbesondere ein Thema in seiner Virulenz nicht mehr Grund der größten Gefahr für die Videotheken: Die Frage nach einem totalen Vermietverbot für indizierte Videos war spätestens 1992 „vom Tisch“572. Zwar war die Thematik weiterhin, wenngleich marginal, Thema in Presse und Rundfunk, doch schien die Debatte politisch vorerst an einem Endpunkt angelangt zu sein. Und auch die Debatte um die Filmförderung hatte eine entscheidende Wende genommen, mussten doch ab 1992 die Anbieter Filmabgaben zahlen, während die Vertreter des IVD nicht nur über die Vergabe der eingenommenen Gelder mitentscheiden konnten, sondern seit 1999 von den Förderungen beim Aufbau und der Einrichtung von Familienvideotheken selbst profitierten. Tatsächlich hatte die Videothek zwölf Jahre nach Beginn des Videobooms nicht nur einen Status als etablierter Teilnehmer des Medienensembles der Bundesrepublik aufgebaut, sondern hatte die dringlichsten Anfragen aus Politik und Gesellschaft aufgenommen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Lösungsansätze in den Geschäften realisiert. Der Gang in die Videothek besaß demzufolge nichts Anrüchiges mehr, sondern hatte sich als Teil des kulturellen Angebotes in Deutschland gefestigt und das Image der 1980er Jahre, wenngleich auch nicht vollständig, so doch maßgeblich hinter sich gelassen.

markt in der Krise (I). Gibt es zu viele Videotheken? In: Videowoche 43/1992, S. 14-15 sowie Sibylle Alverdes, Geschäftsaufgaben. Nicht nur Videobranche leidet unter Rezession. In: Videowoche 27/1992, S. 18-21. Alverdes betont, dass vor allem die Geschäfte in den neuen Bundesländern wie auch Neueröffnungen generell überdurchschnittlich hoch betroffen waren. 572

Vgl. Ulrike Goreßen, Anhörung in Magdeburg. Vermietverbot vom Tisch? In: Videowoche 8/1992, S. 21.

II. Die mediale Praxis der Videothek 1. V OM G ANG

IN DIE

V IDEOTHEK „Sie [die Videotheken, TH] saugen einen ein und lassen einen so schnell nicht mehr los, indem sie einen beständig mit Steinen des Anstoßes beschmeißen, Steinen des Gedankenanstoßes.“1

Im folgenden Teil der Arbeit sollen die in der historischen Darstellung herausgearbeiteten Stationen einer deutschen Mediengeschichte der Videothek der 1980er Jahre mittels medien- und kulturtheoretischen Konzepten hinterfragt und weiter ausgearbeitet werden. Ziel ist es hier nicht, Konzepte in solch einem Maße zu modifizieren und Theorien zu instrumentalisieren, dass sie auf das Phänomen Videothek übertragbar sind und sich nahtlos an dieses anfügen. Die Konzepte, die im Folgenden bemüht werden, sind die Komplexe der Medienpraxis, der Paratexte, des Sammelns, des Archivs sowie die Figuration des Kassettenberges, losgelöst von seiner historischen Einbettung in die Diskurse der 1980er Jahre. Gerade diese genannten Schlagworte bilden einen Fluchtpunkt, der aus der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Videothek auf der einen und bei der Betrachtung des Raumes auf der anderen Seite generiert wird. Diese Überlegungen sollen dabei die Verbindung aufzeigen, die zwischen dem historischen Ort und seinen Auswirkungen auf das Wissen vom Film sowie den damit verbundenen Konzepten und Ansätzen besteht, die ein zentrales Thema des dritten Kapitels dieser Arbeit sein werden.

1

Lars Weisbrod, Oh, wie schön ist Parkhaus 4. Reisen um die Ecke, München 2008, S. 214.

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Zentraler Ausgangspunkt auf einer phänomenologischen Ebene ist stets die Frage, was der Mediennutzer eigentlich macht, wenn er als Teil seiner Freizeitgestaltung die Videothek aufsucht, um sich einen Film zu leihen; ebenso aber auch, inwiefern er in den 1980er Jahren einer neuen Situation gegenüberstand, die es zu erlernen und zu verstehen galt, bevor sie Gegenstand des Alltags werden konnte. Ähnlich wie es Nikolaus Wegmann für die Praxis in und der Bibliothek2, vom Suchen und Finden im Raum der Bücher, herausstellte, soll hier der Blick und Akzent auf den Gang in die Videothek gelegt werden, um aufzuzeigen, was den Nutzer in diesen räumlichen Anordnungen erwartet und sein Handeln begleitet, dieses formt und kennzeichnet. Dass es sich bei der Videothek nicht nur in Bezug auf das Medium Film und die bekannten Verwertungsketten um eine Neuerung handelte, erweist sich als offensichtlich. Die bereits im Exkurs zu den Medien der 1980er Jahre angesprochene Vielfalt an technischen Neuerungen der Dekade wurde durch die Videothek mit in das Bild des städtischen Gefüges übertragen. Teil dieser neuen Mediennutzungen, die man unter anderem auch in Form des tragbaren Radios und des Walkmans außerhalb des Privatraumes vorfinden konnte, waren somit Räume, die nur dazu dienten, das neue Medium Video aus- und zur Verfügung zu stellen. Erst durch die Videothek wurde eine Entwicklung mitbegründet, die nicht nur das Bild der Stadt als einem Ort der Mediennutzung prägte, sondern auch das neue Medium im konkreten und alltäglichen Bild der Stadt deutlich sichtbar werden ließ. Denn während das Fernsehen im urbanen Bild höchstens durch Satellitenschüsseln und Antennen auffiel – und dieses, so die Meinung der Kulturkritiker, zugleich verunstaltete – und das Kino sich in große Multiplexe zurückzog, bildete die Videothek neben dem Buch- und Musikladen einen Ort der Mediennutzung, der mehr noch als das Kino eine Schnittstelle bildete zwischen dem häuslichen, privaten und meist singulären Konsum von Medien und dessen öffentlicher Exponiertheit. Die Sichtbarkeit der Medien nahm demnach im Bild des großstädtischen Gefüges um so mehr zu, je mehr sich der eigentliche Mediengebrauch aus der Öffentlichkeit zurückzog.3 Und auch bezüglich des 2

Vgl. Nikolaus Wegmann, Bücherlabyrinthe. Suchen und Finden im alexandrinischen Zeitalter, Köln u. a. 2000, S. 275 ff.

3

Dabei handelt es sich stark um eine zeitgenössische Beobachtung der 1980er Jahre, hat doch im vergangenen Jahrzehnt der öffentliche Mediengebrauch durch die Fortschritte im Bereich der Medientechnik verstärkt zugenommen.

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Raumes der Videothek wird noch aufzuzeigen sein, dass es sich nur auf den ersten Blick um einen Raum handelt, der den Nutzer mit Medien zusammenführt. Dass die Videothek nur eine Ausformung des Mediums Video im städtischen Bild war und diese Exponiertheit des Mediums noch weitere Auswirkungen auf die Orte neuer Formen der Mediennutzung hatte, zeigt neben den Bildern städtischer Überwachung die Verwendung sogenannter Videowände. Waren diese schon seit den 1960er Jahren fester Bestandteil der Videokunst und bildeten in Performances Beiwerk sowie zentralen Aspekt, so wurden sie in den 1980er Jahren verstärkt als Werbeträger in den großen Einkaufszentren der Städte eingesetzt und zugleich beliebter Bestandteil der Musik- und Discoszene, da sie nicht nur eine neue Form der Raumteilung schufen, sondern auch eine Form der Blick- und Aufmerksamkeitslenkung, die erst langsam architektonische und somit raumgestaltende Normalität wurde.4 Video in seiner Vielfalt – nicht nur in der Ausformung der kommerziellen Videotheken – veränderte daher maßgeblich das öffentliche Bild der Städte und durch die Formen der medialen Überwachung zugleich auch die Bilder der Stadt. Nicht nur ein historischer Bezug auf die Medien in der Stadt – wie auch die Medien der Stadt –, der über das Medium Video hinausgedacht werden kann, zeigt auf, inwiefern Medien in ihrer Situiertheit an ihrem konkreten Platz und Ort erforscht werden können.5 Während situierte Medien daher auf der einen Seite darauf verweisen, mittels ihrer Hilfe den Mediennutzer zu identifizieren, ihn zu orten und adressierbar zu machen, zeichnet sich der andere Aspekt der situierten Medien dahingehend aus, dass sie nicht nur an einem konkreten Ort zu finden sind, sondern gleichsam durch ihr Vorhandensein an diesem Ort ihn gestalten, formieren und auf eine spezifische Art und Weise prägen. Dabei ist wichtig zu betonen, dass dieser Ansatz der Raumforschung stets auf die Untersuchung von virtuellen und imaginären Räumen und deren Interaktion in diesen anwendbar bleiben soll.

4

Tatsächlich wurden die Videowände in manchen Einkaufszentren genutzt, um weiterhin die Möglichkeiten von Video als Alternativmedium zu präsentieren. Vgl. MAMA, PAPA, ZOMBIE, TC 00:42:47h.

5

Zu diesem Ansatz vergleiche das Forschungsprogramm der DFG-Graduiertenschule Locating Media/Situierte Medien der Universität Siegen. http://www.uni-sie gen.de/locatingmedia/forschungsprogramm/?lang=de (Zugriff am 01.04.2014).

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Der Raum der Diskothek6 oder des Internetcafés ist unter diesem Aspekt ebenso beschreib- und erforschbar wie die Ausgestaltungen von Google Earth7 oder das virtuelle Schlachtfeld in einem MMOPRG wie der WORLD OF WARCRAFT8, historische Untersuchungen sind ebenso wie zeitgenössische Gegenwartsforschung möglich. Die Konzentration auf den Raum und zugleich dessen Wiederentdeckung innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaft in den letzten Jahren, die in der Sprache und Theorie vom spatial turn9 kulminierten, haben eine Vielzahl von theoretischen Überlegungen in Bezug auf das Wechselverhältnis von Medien und Raum10 hervorgebracht. Diese führten zu einer neuen Fülle an spezifischen kulturhistorischen Untersuchungen, die sich im Spannungsfeld von architektonischen11, medien-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Ansätzen und Zugriffen12 bewegen und interdisziplinär zwischen ihnen oszillieren. Der Ort der Videothek in Anbetracht der Zugriffsmöglichkeiten situationistisch geprägter medienwis-

6

Vgl. Thomas Wilke, Schallplattenunterhalter und Diskothek in der DDR. Analyse und Modellierung einer spezifischen Unterhaltungsform, Leipzig 2009. Wenngleich Wilke nicht explizit dem in Siegen verfolgten Ansatz folgt, ließen sich aus seiner spezifischen Auseinandersetzung mit dem Raum der Diskothek viele Parallelen ziehen zu der Frage des Raumes der Videothek wie auch bezüglich der Frage situierter Medien.

7

Vgl. Pablo Abend, Google Earth und Co. – Nutzungspraktiken einer digitalen Erde, Bielefeld 2013.

8

So geschehen auf dem Workshop „Zwischen Sturmwind und Orgrimmar – Partizipative Erkundungen der World of Warcraft“ an der Graduiertenschule „Locating Media/Situierte Medien“ am 13.01.2011 an der Universität Siegen.

9

Zur Theorie und Geschichte des spatial turns vgl. Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Zweite Auflage, Reinbek bei Hamburg 2007, S. 284 ff.

10 Vgl. dazu Stephan Günzel (Hrsg.), Raumwissenschaften, Frankfurt am Main 2009 sowie Stephan Günzel (Hrsg.), Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006; wichtig in diesem Kontext ebenfalls: Rudolf Maresch/Niels Werber (Hrsg.) Raum – Wissen – Macht, Frankfurt am Main 2002. 11 Vgl. dazu exemplarisch Jürgen Hasse, Übersehene Räume. Zur Kulturgeschichte und Heterotopologie des Parkhauses, Bielefeld 2007. 12 Vgl. Jörg Döring/Tristan Thielmann (Hrsg.), Mediengeographie. Theorie – Analyse – Diskussionen, Bielefeld 2009.

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senschaftlicher Forschung erscheint somit fast schon als klassischer Raum situierter Mediennutzung.13 Neben dem Kino und der Bibliothek in all ihren Variationen zählen auch das Museum und die Ausstellung zum Ort situierter Mediennutzung im regulären großstädtischen Gefüge. Während auf die Gemeinsamkeiten zwischen Biblio- und Videothek schon eingegangen wurde und das Kino als Vergleichsgegenstand vor allem bei der Frage nach der Formation filmischen Wissens eine Rolle spielt, soll kurz auf den Aspekt der Ausstellung rekurriert werden, der in seinem Aufbau und in seiner Zielsetzung an einigen wichtigen Punkten mit der Videothek gleichzieht. Hier wie dort bilden die einzelnen Medien – das Bild und Kunstobjekt in der Ausstellung, die Videokassette respektive deren Cover in der Videothek – erst durch ihr Zusammenkommen den Metakomplex der Ausstellung oder der Videothek als solcher, obgleich sie doch stets mehr sind als die bloße Summe ihrer Teile. Dennoch prägen diese einzelnen Medien den Ort, der sie ausstellen soll, bis hin zu architektonischen Veränderungen, die durch das Objekt vorgegeben und gefordert werden. Je nach Beschaffenheit ihrer Materialität brauchen die Objekte der Ausstellung ein spezifisches Maß an Licht oder einen speziellen, hier sprichwörtlich verstandenen Blickwinkel, der ihre Beschaffenheit erst richtig zur Geltung bringt. Prägt folglich die nötige Sichtbarkeit eine neue räumliche Anordnung, die den Blick forciert auf das, was gesehen werden soll, so fordert die Erwachsenenvideothek das genaue Gegenteil. Das in ihr präsentierte Medium darf nicht von allen gesehen werden, zumindest nicht, solange es sich um die Hülle eines indizierten Filmes handelt. Anders als in der Ausstellung wechseln sich in der Videothek die Forderungen nach Sicht- und Nichtsichtbarkeit ab, die durch das konkrete Medium in situ und die mit ihm verbundenden Aushandlungsprozesse der 1980er Jahre gestellt werden. Ein weiteres gemeinsames Moment zwischen der Videothek und der Ausstellung im Museum ist die Erzählung, das Narrativ14, das sowohl der eine wie auch der andere Ort präsentieren möchte; vorerst belanglos, ob das

13 Vgl. Regine Buschauer/Katharine S. Willis (Hrsg.), Locative Medien. Medialität und Räumlichkeit – Multidisziplinäre Perspektiven zur Verortung der Medien, Bielefeld 2013. 14 Vgl. dazu den Vortrag von Albert Kümmel-Schnur, Sinn und Sinnlichkeit. Museales Erzählen. Gehalten auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft „Welche Sinne machen Medien?“ am 02.10.2009 an der Universität Wien.

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eine im Auftrag der Kunst und der Kultur geschieht, das andere hingegen aus ökonomischen Gründen. Beiden ist gleich, dass sie erfolgreich erzählen wollen über das Objekt, das der Mediennutzer in ihren Räumen vorfindet. Wie die Bilder und Stücke einer Ausstellung durch ihre Kontextualisierung, Berücksichtigung der Entstehungszeit oder die Zugehörigkeit zu spezifischen Epochen und Stilen eine Form des Narrativs des Museums bilden, so führt auch die Videothek durch die Erzeugnisse der Filmgeschichte. Die Videothek bleibt nicht nur stets umfassender, was die Filmgeschichte als Geschichte von spezifischen Filmen betrifft, sondern forciert auch das Berühren dieser Produkte. Die Intention dieses kurzen und heuristischen Vergleiches zwischen dem Ort situierter Medien in Form des Museums und in Form der Videothek lag nicht darin, aufzuzeigen, dass das eine oder das andere besser oder schlechter funktioniert, sondern in der Frage begründet, inwiefern diesen, auf den ersten Blick disparaten, Orten etwas gemein sein kann.15 Markant ist daher, dass an beiden Orten der Mediennutzer Objekte betrachtet, die er in letzter Konsequenz nicht wirklich nutzt. Beide Institutionen bleiben Räume, die zum Sehen – im Fall der Videothek vielleicht zum Anfassen – anregen, nicht aber dazu, das Ausgestellte vor Ort zu nutzen.16 Ein dritter städtischer Raum, der vielleicht ein Bindeglied zwischen dem Museum und der Videothek darstellt, ist das Kauf- und Warenhaus. Wenngleich es hier weitaus problematischer ist, den Medienbegriff auf die Ware der Regale zu übertragen, ohne ihn somit zu zerdehnen, bleibt festzuhalten, dass die Warenästhetik, also das Präsentieren und Feilbieten des Gegenstandes unter spezifischen, den Ort berücksichtigenden Maßnahmen, hier eine ebenso große Rolle spielt wie in den bereits erwähnten kulturellen Einrichtungen, zu denen die Videothek trotz ihres Status als popkulturelles Phänomen hinzuzuzählen ist. Die gleichen Regularien, die der Videothek ihre Nichtsichtbarkeit auferlegen, gelten auch für das Warenhaus, welches für den Verkauf indizierter Produkte den treffenden weil ortsbezogenen Begriff unter der Ladentheke kennt, der als Praktik zwar nicht wörtlich zu nehmen ist, als Bild jedoch die Optionen von Sichtbarkeit und Nichtsichtbarkeit

15 So wird noch aufzuzeigen sein, inwiefern sich das Narrativ der Videothek stark vom Narrativ des Museums unterscheidet. Vgl. dazu Kapitel III.3.1 dieser Arbeit. 16 Ohne sich hier nun die Frage zu stellen, ob der Moment der Kontemplation vor einem Kunstwerk, das Betrachten und das später Sich-erinnern nicht genau den Nutzen im Museum ausmachen. Ziel dieses Vergleiches war daher die Beschränkung des Nutzenaspektes unter konkret haptischen Gesichtspunkten.

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pointiert akzentuiert. Allen drei Orten ist gemein, die Aufmerksamkeit des Besuchers, des Nutzers und Käufers zu binden und zu halten; so sehr, dass er schließlich wiederkommt, leiht und kauft. Die Prinzipien der Warenästhetik17 gelten somit für alle genannten städtischen Einrichtungen. Ein wichtiger Aspekt, der nicht nur den Fokus zurück zur Videothek, sondern auch zur Frage der Situiertheit von Medien lenken soll, bezieht sich auf das Mit- und Gegeneinander von Spezifik und Gebrauch aufseiten des Mediums und wie dieses durch den Ort latent verändert werden kann.18 Tatsächlich beginnen diese Änderungen beim Gang aus der Videothek mit dem geliehenen Video und enden bei der Rückgabe. Neben der bekannten und mittlerweile obsoleten Aufforderung19, die Kassette nur zurückgespult abzugeben, da sonst eine Bearbeitungsgebühr zu entrichten war, betrifft dies vor allem den Umgang mit der Kassette zu Hause. Während die aktiven Videogruppen vor allem auf die Löschbarkeit20 und somit erneute Einsetzbarkeit des Mediums rekurrierten, schien gerade in der Anfangsphase der neuen Heimtechnologie der Vorteil der Kassetten darin zu bestehen, ein eigenes Archiv anzulegen, welches im permanenten Wandel begriffen war – und sich somit nicht wesentlich vom sich stetig verändernden Ort der Videothek unterschied. Doch selbst wenn diese Möglichkeiten genutzt wurden, die gekauften Leerkassetten also für eine gewisse Zeit mit selbst aufgenommenen Fernsehausstrahlungen oder überspielten geliehenen Programmen aufzubewahren, stand vor allem die Löschbarkeit und die damit verbundende Flexibilität der Kassetten im Vordergrund, die als Formation der Technik den Gebrauch vorzugeben schienen. Ein Ergebnis dieser Praxis war ein heute in 17 Vgl. zu diesem Begriff: Heinz Drügh/Christian Metz/Björn Weyand (Hrsg.), Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst, Berlin 2011. 18 Vgl. dazu Tobias Haupts/Jens Schröter, Die Videothek – Situation und Filmspeicher. In: Segeberg, Film im Zeitalter Neuer Medien I, S. 111-136, hier: S. 123 f. sowie Kapitel I.1.1 dieser Arbeit. 19 Die Umstellung der Medientechnik von VHS auf DVD führte im geschäftlichen Alltag der Videotheken dazu, dass in der Anfangszeit der DVD viele Kunden ihre geliehene Disc zurückgaben mit dem scherzhaften Kommentar, dass diese aber nicht zurückgespult sei. Ebenso oft wurde auch die Bemerkung gemacht, man habe die besten Stellen auf der DVD markiert. Ein Witz, der schon zur Zeit der Schallplatte alt war. 20 Vgl. dazu Jens Schröter, Notizen zu einer Geschichte des Löschens. Am Beispiel von Video und Robert Rauschenbergs Erased de Kooning-Drawing. In: Doris Schumacher-Chilla (Hrsg.), Im Banne der Ungewissheit. Bilder zwischen Medien, Kunst und Menschen, Oberhausen 2004, S. 171-194.

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doppelter Weise nicht mehr bekannter Prozess im Erscheinungsbild dieser Medien: Auf vielen Kassetten waren nicht nur Unmengen an halben Programmen zu finden, die da begannen, wo das soeben neu aufgenommene endete, sie waren auch meist durch kurzes Rauschen und den aus dem Fernsehen bekannten Schnee getrennt. So schienen zumindest die Eigenheiten von Materialität und Medialität das einmal komplett aufgenommene Programm voneinander zu unterscheiden, einen nahtlosen Übergang ließ die frühe Form des Mediums nicht zu. Die Videokassette des Ortes Videothek schloss diesen flexiblen und gleichsam kreativen Umgang mit dem Medium kategorisch aus. Die Kassetten, die entliehen wurden, waren so wieder zu bringen, wie man sie vormals erhalten hatte. Der flexible Umgang mit dem Medium, wie ihn unter anderem die aktiven Videogruppen hoch bewerteten, wurde damit negiert. Zwar war dieser Umgang mit dem Medium auch durch das Anlegen eines eigenen Archivs erlernbar, doch forcierten gerade die Videotheken diese Seite des Gebrauchs des Mediums Video enorm, indem sie der anderen Möglichkeit der Spezifik den Vorzug gaben. Anteil am Untergang der politisch aktiven Videogruppen hatte also nicht nur der Preisverfall von Technik und Kassetten, die, wie beschrieben, das Medium als Teil der Unterhaltungskultur etablierten, sondern auch der entscheidende Wechsel bezüglich der vom Mediennutzer präferierten Art des Gebrauchs, die das Konservieren dem Löschen vorzog. Um sich im Folgenden mit der Frage auseinanderzusetzen, was den Besuch des Ortes und das in ihm situierte Medium Video ausmacht, soll der Raum der Videothek zunächst detailliert beschrieben werden. Wenngleich der Versuch unternommen wird, diese Beschreibung so allgemein wie möglich zu halten und sie den historischen Bedingungen zu entheben, ist es doch nötig, an markanten Punkten auf die Umbrüche zu sprechen zu kommen, die die Geschichte des Ortes in den 1980er Jahre kennzeichneten und somit Auswirkungen auf das Verhalten des Mediennutzers und den Ort der Videothek hatten.

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1.1 Der Aufbau des Ortes: Familien- und Erwachsenenvideotheken Um zu einer Beschreibung des Raumes der Videothek zu gelangen, müssen Prämissen formuliert werden, die bezüglich dieses Vorhabens unerlässlich scheinen. Wie es in der Medienwissenschaft trotz gegenläufiger bemühter Tendenzen nicht gelingt, von dem Medium an sich zu sprechen, welches nicht nur ein Füllwort, sondern ein kohärentes und konkretes Moment der Alltagswirklichkeit bezeichnet21 und auch die Rede von dem Kino oder dem Film22 stets zu hinterfragen ist, so erhebt ebenfalls der Rekurs auf die Videothek nicht den Anspruch, das Phänomen und die Institution in all ihren Facetten fassen zu können. Die Videothek bleibt hier ein Sammelbegriff, der versucht, die Erscheinungsformen dieses Ortes auf den besten gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Dass im Alltag jedes Mediennutzers andere Beispiele herangezogen werden können, die in Nuancen die Praxis des Video- respektive Filmverleihs anders ausstaffieren, ist nicht zu vermeiden. Die Beschreibung der Metaebene des Phänomens ist vor allem klar zu benennen, wenn hier auf der einen Seite der historische Rekurs verlassen wird und die Überlegungen auf der anderen Seite dennoch nicht zu sehr ins Besondere und Exzeptionelle abrutschen dürfen. Die Beschreibung des Raumes der Videothek gilt daher, bis auf wenige historische Zäsuren, sowohl für die Geschäfte der ersten Dekade ihrer Geschichte als auch für die aktuellen Video- und Mediatheken sowie in spezifischen Ausformungen auch für die Figuration der Institution Videothek in anderen Ländern. So soll des Weiteren der Raum der Videothek, wie er sich dem Mediennutzer im Allgemeinen eröffnet, nachgezeichnet werden. Wenngleich hier die historische Entwicklung nicht im Vordergrund stehen soll, ist doch zu beachten, dass die räumlichen Ausstaffierungen, die uns heute als Raum der Videothek bekannt sind, auf historische Veränderungen, Einschnitte und Maßnahmen zurückzuführen sind, die durch diese Aushandlungsprozesse den Ort figurierten, wie der Mediennutzer ihn heute kennt. Maßgeblich ist dabei vor allem die räumliche Unterscheidung zwischen den Erwachsenen-

21 Vgl. Stefan Münker (Hrsg.), Was ist ein Medium?, Frankfurt am Main 2008. 22 André Bazin, Was ist Film? Herausgegeben von Robert Fischer. Aus dem Französischen von Robert Fischer und Anna Düpee. Mit einem Vorwort von Tom Tykwer und einer Einleitung von François Truffaut, Berlin 2008.

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und Familienvideotheken. Zwar gab es dieses Konzept schon vor dem beschriebenen Umbruch Mitte der 1980er Jahre, dennoch kam es erst Anfang der 1990er Jahre vollends zum Tragen. Andere Bezeichnungen, wie sie in der Branche, aber auch beim Sprechen über die Videothek üblich sind für die Differenz zwischen Erwachsenen- und Familienvideothek, sind Kombivideothek und Shop-in-Shop-Variante. Diesbezüglich kann insbesondere die Shop-in-Shop-Variante ebenfalls auf eine Erwachsenenvideothek hinweisen, die in ein anderes Geschäft integriert ist, wie eine Videothek in einem Supermarkt oder als Teil einer Einkaufspassage. So muss stets auf den Kontext geachtet werden, in welchem die Bezeichnungen genutzt werden. Wenngleich die Unterscheidung der Erwachsenen- und Familienvideothek an den Innenräumen der Videotheken abzusehen und zu erkennen ist, soll kurz auf das Äußere, die Fassaden der Videotheken, Bezug genommen werden. War der Branche über Jahre daran gelegen, das von Beginn an schlechte Image der Videotheken abzubauen, fanden diese Bemühungen vor allem konkret am Äußeren der Geschäfte eine erste Möglichkeit, dieses Vorhaben umzusetzen und die Problemlage konkret sichtbar werden zu lassen. Bis heute gilt daher: Verfügen die Videotheken über Schaufenster, die den Blick ins Innere freigeben, ist hier vor allem wichtig, ob es sich bei dem betreffenden Geschäft um eine Familienvideothek handelt; denn sollte dies nicht der Fall sein und es sich um eine Erwachsenenvideothek handeln, so muss der Blick in das Geschäft verhindert werden, unabhängig davon, ob dadurch der Blick auf die Hüllen der indizierten Filme freigegeben würde oder nicht. Erneut wird deutlich, wie die Gefahr des Covers beziehungsweise dessen bloße Präsenz unterstrichen wird, die nie gleichzusetzen ist mit dem eigentlichen Zugang zum Film selbst. Der Zwang, das eigene Schaufenster so zu dekorieren und am Äußeren des Ladens gestalterisch tätig zu sein, dass keine Einsicht in das Geschäft möglich ist, hat dazu geführt, dass gerade viele Videotheken, die großen Ketten angehören, trotz ihres Status als Familienvideothek über keine Schaufenster mehr verfügen, die ein Dekorieren möglich machen würden. Gewöhnlich nehmen dort heute Werbeplakate der zu verleihenden Neuheiten den Platz ein, der in den 1980er Jahren noch in mühevoller Arbeit genutzt wurde, um das Image des eigenen Ladens und zugleich das der Branche zu verbessern. Dass die ersten Videotheken in den sogenannten Amüsiervierteln der Städte eröffnet wurden und auch nach den 1980er Jahren lange Zeit dort am häufigsten vorzufinden waren, ist heute kaum noch valide zu überprü-

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fen. Gemeint sind damit insbesondere die genuin eigenständigen Videotheken und nicht die in andere Geschäfte integrierten Verleihstellen, wie sie in Kiosken, Supermärkten und Tankstellen zu finden waren. So ermittelt IVD bis heute nicht, wo die Geschäfte der in ihm registrierten Videothekare vorzufinden waren und sind, wenn auch die Ratschläge des Verbandes über den zu wählenden Standort bei Videothekenneueröffnungen bis heute starke Priorität haben, wie bei jedem anderen Geschäft auch.23 Dennoch sprechen mehrere Gründe für eine Verbreitung der Geschäfte in eben diesen Vierteln, die oft zudem in der Nähe zum Bahnhof24 oder anderen Verkehrsknotenpunkten der Städte lagen. Zum einen ist dies die Nähe zur Pornoindustrie: Als die Sexshops auf die Bewegung der 1980er Jahre aufsprangen, um Anteil am Videoboom des Jahrzehnts zu nehmen, so wandelten diese ihre zum Teil schon bestehenden Geschäfte um, um fortan als Videothek eröffnen und verleihen zu können.25 Diese Geschäfte hatten daher meist schon eine Verortung an der Peripherie des städtischen Gefüges und blieben auch nach ihrem Umbau zur Videothek oft am selben Ort bestehen. Zwei andere Gründe, die die These stützen, sind ebenso schnell benannt: Auf der einen Seite waren die neuen Videothekare auf niedrige Mieten angewiesen, die in der Regel nur in diesen Vierteln zu erhalten waren, erwies sich doch meist das eigene Startkapital als zu knapp, um schon hier mit größeren Summen operieren und rechnen zu können. Auf der anderen Seite durften Videotheken außerdem nicht ohne Weiteres in reinen Wohngebieten eröffnen, da sie keine Produkte zur Versorgung des täglichen Lebens anboten. Zwar gilt diese Bestimmung nicht nur für Videotheken, doch ist zudem die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass im Zuge der Jugendschutzdebatte der 1980er

23 Und wie bei jedem anderen Geschäft, spielt ein zur Verfügung stehender Parkraum für den Kunden eine entscheidende Rolle, die über Erfolg oder Misserfolg entscheiden kann. 24 Eine typische Beobachtung ließ sich dabei in Mönchengladbach machen, welches in den 1980er Jahren als eines der Zentren der ursprünglichen Videothekenentwicklung galt. Bis heute führt der Weg vom Bahnhof an einer Reihe von Wettbüros, Sexshops und Spielhallen vorbei, um dann – man ist versucht zu sagen, teleologisch einer Genealogie folgend – zu einem Wendekreis zu gelangen, der bei einer Videothek der Kette World of Video endet. Interessant wäre zu überprüfen, ob sich diese Beobachtung in anderen Städten wiederholen ließe. 25 Vgl. Wolfgang Würker, Es lebe der Film, das Kino ist tot. Von pompösen Aufführungen zum „Vierten“ Programm. In: Jahrbuch Film 1983/1984, S. 187-199, hier: S. 198.

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Jahre ebenso gegen die Neueröffnung von Videotheken in bestimmten Stadtteilen vorgegangen wurde, wie es bis heute noch in Bezug auf die Eröffnung von Spielhallen, Wettbüros und Sexshops der Fall ist. Obgleich es aus historischer Perspektive schwierig zu verifizieren ist, ob die Videotheken, wie diskurshistorisch nachgewiesen, in den Amüsiervierteln der Städte, in der Nähe zu Pornokinos und Spielhallen ihren Ursprung hatten, so wurde die Fassade der Geschäfte, wie bereits erwähnt, deutlich in diese Nähe gerückt. Obwohl es – nicht nur auf Initiative des IVD – Möglichkeiten gab, eine vorhandene Fensterfront mit Werbematerial ansprechend zu gestalten, haftete den Erwachsenenvideotheken bis ins neue Jahrtausend hinein immer noch zumindest der Anreiz des Verbotenen und oft auch des Anrüchigen an. Die Jugendschutzbestimmungen machen die Vorgabe, dass nicht einmal durch die Eingangstür der Blick in die Geschäfte ermöglicht werden darf.26 Dies war und ist jedoch nicht nur auf die Tür selbst bezogen, sondern auch auf deren Öffnung sowie Offenstehen und gilt ebenso für die sogenannte Schleusentür in den Familienvideotheken. Oft griffen die Videothekare auf diese Lösung zurück, um auf diese Weise den Raum der indizierten Medien durch zwei Türen vom familienfreundlichen Verleihraum zu trennen. Während vor allem die per se indizierten Produkte der Pornoindustrie in diesem separaten Raum zu finden sind, werden gleichermaßen die indizierten Filme der Genres Horror und Action sowie auf dem Index stehende Computerspiele in diesem Bereich untergebracht.27 Eine Ausrichtung des Geschäftes als Familienvideothek bedeutet nicht, dass hier im offenen Bereich die Genres Horror und Action nicht zu finden sind. Trotz des Zugangs für Kinder und Jugendliche finden sich hier FSK-18-Titel im Verleih und den Regalen der Geschäfte.28 Für die Schleusentür respektive den separaten, von der Straße

26 Zur Problematik der fehlenden Tür in den 1980er Jahren und den Aushandlungsprozessen, die zu anderen Lösungen geführt haben vgl. unter anderem: Videothekarin vor Gericht. Ohne Tür auch kein Geschäft. In: Der Ikarus 9/1989, S. 16. 27 Anzumerken ist, dass jeder Film indiziert und beschlagnahmt werden kann, unabhängig davon, welchem Genre er zuzurechnen ist. Dennoch finden sich kaum Vertreter anderer Genres hinter den geschlossenen Türen des FSK-18-Bereiches. 28 Tatsächlich gibt es auch Läden, die eine besondere Form der Familienfreundlichkeit anbieten. Hier ist nicht nur der Raum der indizierten Filme getrennt von dem familientauglichen Programm der Videothek, es werden auch die FSK-18-Titel separat angeboten. Dabei gab es zwar Versuche, das Programm der Videotheken sowohl nach Genres als auch nach Altersgruppe zu sortieren, doch konnte sich diese Form der Angebotspräsentation im Allgemeinen nicht durchsetzen.

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her hereinführenden Eingang in den Bereich der indizierten Filme gilt dasselbe wie für die Eingangsbereiche der Erwachsenenvideotheken: Auch durch diese darf keine Sicht in den Raum der indizierten Filme ermöglicht werden. Der Anreiz, den dieser verbotene Raum im Gefüge der Videothek selbst hat, ist mehr als ersichtlich, handelt es sich doch nicht um einen Raum, der in seiner Unauffälligkeit zunächst droht, übersehen zu werden, sondern durch seine Absonderung vom Eingangsbereich der Videothek, durch seine Warnhinweise wie geschlossenen Türen erst zu etwas Besonderem und zugleich Obskurem transformiert wird; gleichgültig, ob das Dahinterliegende diesen durch seine Beschaffenheit evozierten Reizen wirklich entspricht. Die Warnung Zugang nur ab 18 Jahren weist darauf hin, dass mit dem erreichten Alter nicht nur theoretisch, sondern in der Videothek ganz konkret – und räumlich – eine Schwelle überschritten werden darf, die so den Zugang zu neuen Bilderwelten freigibt. So fungiert der Hinweis vor den Türen der Erwachsenenvideothek in doppelter Weise und nahezu synonym: auf der einen Seite inhaltlich bezogen auf die Beschaffenheit des Medientextes der Genres Horror, Action und Erotik, auf der anderen Seite juristisch für die indizierten und damit gesondert aufzubewahrenden Filme. Durch diese Form des Schwellenübergangs, hier physisch und visuell erfahrbar, wird die Videothek, so sie denn den Zutritt erst mit Volljährigkeit gewährt, tatsächlich mit Erotikshops, Spielhallen und Wettbüros gleichgesetzt, die alle erst mit dem Überschreiten der Altersschwelle zu betreten sind. Der Eintritt in ein neues Alter wird hier, wenngleich auch nur in Bezug auf die Möglichkeiten einer zumindest in einigen Fällen fragwürdigen Freizeitgestaltung, konkret erfahrbar.29 Die Gestaltung des Ein- und Zugangs der Videothek hängt damit sehr von ihrer Beschaffenheit ab und setzt sich im Inneren der Läden fort: dies insofern, als dass in den Erwachsenenvideotheken die Kasse und der Ausleihtresen gewöhnlich schon im Bereich der Eingangstür zu finden sind, damit der Videothekar und sein Personal schon hier sichergehen können, dass keine minderjährigen Jugendlichen die Geschäfte betreten. Zugleich fungiert diese Form der Aufteilung auch als Sicherung gegen Diebstahl, gerade dann, wenn die Videothek über kein Sicherungssystem verfügt, welches vor

29 Eine Form des rituellen Erwachsenwerdens, die durch die Möglichkeiten des Internets vollends bedeutungslos geworden ist.

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Entwendung der Cover schützen soll.30 Zwischengeschaltet zwischen Eingangstür und Kassenbereich sind dabei meist noch kleine Vorräume, in denen Kinder und Jugendliche auf ihre Eltern warten können. Diese Zwischenräume waren, wie aufgezeigt wurde, stetigen Aushandlungsprozessen unterworfen und schienen sich erst Ende der 1980er Jahre als fester Bestandteil von Erwachsenenvideotheken zu etablieren. Der innere Aufbau einer Videothek ist sich in vielen Fällen ähnlich. Während an den Wänden große Regale angebracht sind, findet man im offenen Raum der Videothek überwiegend niedrigere Regale. Dies dient der Übersicht über das eigene Geschäft und der Möglichkeit, zu sehen, was vor den Regalen passiert. Verfügt ebenfalls der Mittelraum der Videothek über hohe Regale, so sind diese meist dergestalt angeordnet, dass sie von der Warte des Kassentresens dennoch den Blick auf den Raum des eigenen Ladenlokals offen lassen. Berücksichtigt werden sollte, dass diese Übersichtlichkeit oft zu Lasten von Ausstellfläche geht; ist daher die Sicht zwischen die Regale und in den Raum der Videothek als Ganzem nicht gegeben, setzen viele Betreiber auf Videoüberwachung, die es ermöglicht, hinter der Theke das Geschehen im ganzen Raum verfolgen zu können. Auch die Theken, an denen Rückgabe und Ausleihe stattfindet, unterscheiden sich nach Art des Geschäftes: So ist es in Kombivideotheken oft üblich, dass die Theke in den Ab-18-Raum hinein verlängert und nur durch eine Wand und Tür – die dabei nicht unbedingt verschlossen sein muss – unterbrochen ist. Die meisten Videotheken dieser Art verfügen insbesondere in den Stoßzeiten31 der Geschäfte über Personal für beide Bereiche. Zudem ist es den Kunden nicht erlaubt, Filmcover aus dem Bereich der indizierten Filme in die Räume der Familienvideothek mitzunehmen. Ebenso müssen die Filme am dortigen 30 Dabei unterscheidet die Videotheken nichts von anderen Geschäften. Gestohlen wird auch hier gewöhnlich alles, was auch nur ansatzweise in irgendeiner Form den Anschein erweckt, sich finanziell auswerten zu lassen. Dies betrifft Coverhüllen ebenso wie Pappaufsteller, die der Werbung eines spezifischen Films dienen sollen. Oft werden die Cover von Raubkopierern entwendet, die durch angefertigte Kopien des Covers selbst Id-Piraterie betreiben. Vgl. dazu Kapitel I.3.6 dieser Arbeit. 31 Die Hauptauslastungszeit einer Videothek variiert je nach Jahreszeit immens. Oft ist jedoch werktags zwischen 16 und 22 Uhr, am Wochenende zwischen 12 und 14 Uhr, wenn viele Familien vom Einkaufen zurückkommen, und ebenfalls zwischen 16 und 22 Uhr mit dem größten Kundenverkehr zu rechnen. Gerade in den Sommermonaten können diese Angaben stark schwanken, denn einer der größten Konkurrenten der Videotheken war und bleibt immer das gute Wetter.

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Schalter entliehen und wieder zurückgegeben werden. Gekaufte Filme sind in Plastiktüten aus den Räumen der Videotheken zu tragen, wenn das Geschäft nicht über eine Außentür verlassen werden kann. Klingen diese Beschreibungen sehr nach der Theorie des Raumes und des Aufbaus der Videothek, so sind den Ausformungen in den Räumen selbst keine Grenzen gesetzt, solange sie konform gehen mit den gesetzlichen Bestimmungen des Jugendschutzes. Daher können ebenso Regalreihen als Ersatz für Wände dienen, um die Abteilungen voneinander zu trennen, wenn aus bautechnischen oder finanziellen Gründen keine neuen Wände eingezogen werden können. Die Regale innerhalb der Videothek haben sich in den letzten Jahren kaum verändert, da wichtiger ist, was und wie in ihnen präsentiert wird; denn wenngleich die Videothek mit ähnlichen Mitteln operiert wie jedes warenanbietende Geschäft, so verfügt sie doch über eine gravierende Besonderheit gegenüber den Inhalten der Regale der städtischen Warenhäuser: Sie präsentiert meist nur eine Warengruppe, nämlich Filme auf Videokassette. Klassisch sind nun in der Aufstellung der Kassetten die Möglichkeiten, die Ware mit dem Cover nach vorne, frontal dem Kunden zugewandt, zu präsentieren oder aber eben die Hüllen, ähnlich den Büchern in Ordnungssystemen der Bibliotheken, nebeneinander zu stellen. Zentral ist somit, dass das Geschäft und die Aufstellung der Regale einer erkennbaren Logik folgen. Die Ordnung im Geschäft, so kommuniziert es nicht nur die Videobranche, ist der wichtigste umzusetzende Punkt, um Kunden an das Geschäft zu binden und Umsatz zu erwirtschaften.32 Diese beiden Formen der Aufbewahrung und Präsentation machen somit zugleich die Trennung zwischen Neuheiten und Back-Programm deutlich. In dieser Hinsicht hat sich in den meisten Videotheken das Format des regulären Regals durchgesetzt, welches die Hüllen der Filme mit den Covern frontal zum Nutzer gewandt präsentiert. Wenn es auch diese Regale in allen Größen gibt, so liegen gerade in diesem Bereich die Möglichkeiten, die einzelne Videothek individuell zu gestalten, um sich von anderen Konkurrenten abzusetzen. Regale in Pyramidenform, kleine Drehregale und ähnliche Konstrukte helfen dabei, einzelne Filme besonders hervorzuheben. Die Architektur der Regale wird damit schon zum Werbeträger des in ihnen befindlichen Films. In der Mitte der 1980er Jahre

32 Vgl. Sibylle Alverdes, Attraktive Ladengestaltung. Ordnung sorgt für guten Umsatz. In: Videowoche 13/1992, S. 10-11, hier: S. 10.

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gab es in einigen Videotheken den Versuch, das eigene Angebot über Klappwände dem Kunden zu präsentieren. Ähnlich wie heute noch Poster und Muster von Stoffen betrachtet werden können und aus ihnen ausgewählt werden kann, handelte es sich um recht dicke Wände, die einfach zur Seite umgeklappt werden mussten, um die nächste Klappwand anschauen zu können. Diese Form der Präsentation findet sich jedoch heute kaum noch in einer Videothek. Bei den üblichen Regalen handelt es sich vor allem um Konstrukte, die über einen kleinen Steg verfügen, auf dem die Hülle abgestellt wird. Hierbei erwiesen sich gerade diese Regale als äußerst zuverlässig, konnten sie doch nach dem Wechsel der Formate von VHS auf DVD beibehalten werden. Hatte der Steg schließlich die Maße, um eine Kassettenhülle aufzunehmen, so hatte nun ebenso die Hülle der DVD dort ausreichend Platz. Dieser Umstand erlaubte es den Videotheken 1998/1999, vorerst keine neuen Regale einzukaufen und anfertigen zu lassen, war doch der Einkauf und die Umstellung auf das neue Trägermedium als solches schon eine kostenintensive Investition. Erst nach und nach bauten viele Videotheken neue Regale ein, die sich den Maßen der neuen Hüllen anpassten. Sowohl zur Zeit der VHS als auch heute ist der Videothekar darauf bedacht, so viele Filme in ein Regal zu sortieren, wie es der Platz zulässt, bedeutet doch jeder ausgestellte Film potenzielle Vermieteinnahmen. Dabei wurde und wird oft vergessen, dass die Filme für den Kunden leicht aus dem Regal zu nehmen sind und dies nicht nur in Videotheken, die fordern, den Film über das Cover und nicht über eine Plakette oder ähnliches auszuleihen. Zu dicht aneinandergereihte Filme führen dazu, beim Griff zur Hülle die anderen Cover ebenfalls aus dem Regal zu hebeln. Genügend Griffraum zwischen den einzelnen Filmen sollte daher als Komfort für den Kunden in der Videothek gegeben sein, die Haptik des Mediums also auch durch diese Form der Warenästhetik forciert werden. Typisch für die Videotheken, die über ein Plakettensystem arbeiten, ist daher der Schlitz in den Regalen vor den Covern selbst, die es dem Videothekar33 ermöglichen, die Plakette genau vor dem zu ihm gehörenden Film zu platzieren. Über den Regalen selbst ist gewöhnlich das Schild mit dem in ihnen präsentierten Genres angebracht, der am häufigsten und, trotz all der inhä33 Ein beliebtes Spiel in der Videothek ist es daher, die Plaketten des einen Films mit denen eines anderen zu vertauschen. Achtet der Kunde nicht darauf, dass die Nummer auf der Plakette mit der Nummer auf dem ausgestellten Film gleich ist, so erwartet ihn an der Ausgabetheke ein anderer, oft nicht gewünschter Film.

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renten Probleme, bewährtesten Systematik innerhalb der Videothek. Klassisch sind die Standardkategorien Action, Drama, Horror, Komödie, Krimi/ Thriller, Fantasy, Horror, Kinderfilm, Erotik (vulgo Porno) und Western. Jeder einzelne Videothekar ist somit angehalten, neue Unterkategorien zu finden, die Kommunizierbarkeit dieser Subgenres jedoch im Auge zu behalten. Von dem Vorgehen einer Filiale der Kette Empire Video in Neu England, die circa 204 solcher Kategorien anbot, wurde schon 1992 abgeraten.34 Hinzu kommt neben den zu leihenden Filmen eine meist in der Nähe der Kasse befindliche Abteilung, die innerhalb der Branche als Zusatzsortiment bezeichnet wird.35 Dies meint auf der einen Seite die Kaufkassetten (früher auch ein großes Angebot an Leerkassetten) und ebenso Merchandising zum aktuellen Verleihprogramm, welches von der Tasse zum Film bis hin zu Filmbüchern jegliche vom Videothekar georderte Form haben kann. Wichtiger und weitaus typischer ist der große Bestand an Nahrungsmitteln und Getränken, die viele Videotheken anbieten.36 Wenngleich die Preise in den meisten Videotheken über den Preisen der Supermärkte liegen, so verfügen viele Geschäfte über eine höchst ausgefeilte Auswahl an Süßigkeiten und Getränken, die die Bandbreite der Supermärkte oft übertrifft, werden hier doch Waren angeboten, die die meisten regulären Supermärkte nicht

34 Vgl. Alverdes, Attraktive Ladengestaltung, S. 11. Hier scheint sich ein Problem der Rede von Filmgenres auf die Videotheken zu übertragen. Die Unterteilung in immer ausdifferenziertere Subgenres macht diese zwar adressier-, jedoch nicht kommunizierbarer. So operiert unter anderem das Neue Lexikon des Fantasy Films herausgegeben von Ronald M. Hahn und Rolf Giesen mit den Labeln Heroic Fantasy, Neoromantische Fantasy, Allegorien sowie Himmel und Erde, ohne dass sich diese Bezeichnungen etabliert und somit die Rede von und über (Fantasy-)Film erleichtert hätten. Vgl. ebd., Berlin 2001, S. 6. 35 Streng genommen bezeichnet dies alle anderen Produkte neben den Leihkassetten, also auch Kaufkassetten, leihbare Laserdics und Computerspiele bis hin zu Zigaretten und Merchandising. Vgl. Sibylle Alverdes, So wichtig ist das Zusatzsortiment. Videospiele und Kaufvideos sind die Renner. In: Videowoche: 44/1992, S. 16-17; wie auch: dies., Wie wichtig ist das Zusatzsortiment? In: Videowoche 40/1992, S. 14-15. Dabei startete der Verkauf von Merchandising Anfang der 1990er Jahre nur zögerlich in den Videotheken. Vgl. Sibylle Alverdes, Merchandising. Ein Trend setzt sich fort. In: Videowoche 12/1991, S. 20. 36 Neben diversen alkoholischen Getränken bieten viele Videotheken auch Tabakprodukte an.

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bedienen können.37 Die Auswahl der angebotenen Süßwaren und Knabbereien zeigt deutlich auf, dass die Videothek nicht die Lücke schließen will, die durch die Schließung der Supermärkte38 zu einer bestimmten Zeit entsteht, sondern das Heimkinoerlebnis unterstützen will; denn viele der Produkte, die hier angeboten werden, unter anderem – wenngleich auch abgepacktes – Popcorn, sind ebenso in den Foyers der Kinos zu erhalten und integrativer Bestandteil des dortigen Erlebnisraumes.39 Die Imitation des Kinoerlebnisses, die der Kunde im eigenen Privatraum durch den Fortschritt der Technik immer weiter forciert, wird hier durch die angebotenen Verköstigungen fortgesetzt. Denn wie das Verzehrangebot des Kinos etwas Besonderes sein will, was den Besuch vor Ort auszeichnet, so will das Angebot der Videotheken diesen Umstand imitieren, selbst wenn dieses besondere Essen nur im heimischen Wohnzimmer konsumiert wird.40 Von Eis über Schokolade, Chips und limonadenhaltige Getränke bietet die Videothek in Kassennähe das an, was der Kunde vielleicht noch mitnehmen möchte, die Imitation der ausgefallenen Kinoverköstigung soll die Videothek weiter in genau diese Tradition rücken (vgl. Abb. 20-21). Der Kauf dieser Süßigkeiten geht sodann einher mit der Aushändigung des gewünschten Programms am Ausgabeschalter der Videothek, die eigentliche Mediennutzung kann somit beginnen. Unter Berücksichtigung der Beschreibung des möglichen Raumes und der historischen Entwicklung des Ortes ist es durchaus legitim, die Videothek als Dispositiv41 zu bezeichnen. In Anlehnung an die theoretischen Ausführungen Michel Foucaults soll der Begriff des Dispositivs inhaltlich ver-

37 Viele Videotheken bieten daher vor allem eine Vielzahl von Produkten an, die importiert zu sein scheinen und daher nicht in regulären Supermärkten erhältlich sind. 38 Tatsächlich tat sie es insbesondere in einer Zeit, in welcher der Ladenschluss der meisten Geschäfte noch um 20 Uhr begann. Videotheken wurden damit zu einer Art Spätkauf, ähnlich wie Kioske und Tankstellen vor ihr, wenn auch nur für ein spezielles Angebot an Genussmitteln. 39 Vgl. zum Popcornessen: Vinzenz Hediger, Das Popcorn-Essen als Vervollständigungshandlung der synästhetischen Erfahrung des Kinos. Anmerkungen zu einem Defizit der Filmtheorie. In: montage/AV 10/2/2001, S. 67-75. 40 Vgl. Jancovich/Faire, The Place of the Audience, S. 192. 41 Zum Begriff des Dispositivs vgl. Michael Lommel, Artikel Dispositiv. In: Helmut Schanze (Hrsg.), Metzler Lexikon Medientheorie/Medienwissenschaft. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart/Weimar 2002, S. 65 f.

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standen werden als ein Zusammenkommen architektonischer, juristischer und gesellschaftlicher Konventionen, die sich im Ort der Videothek, wie auch in der in ihr in situ stattfindenden und erfahrbaren Praxis verdichten. Dies wird vor allem darin deutlich, wie sehr die gesellschaftlichen Diskurse neue Gesetze hervorgebracht haben, die sich im Aus- und Umbau der Videotheken konkret ablesen lassen und ebenso sicht-, wie erfahrbar werden. Als eigenständiges Dispositiv ist der Ort der Videothek nur in geringem Maße ein Bestandteil des Dispositivs Kino und ebenso wenig eine Fortsetzung des Dispositivs Video, wie man es aus den Ausführungen von Bartz schließen könnte.42 Wenn somit durch die Bezeichnung des Dispositivs der konkrete Ort der Videothek stets mehr ist als seine bloßen räumlichen Anordnungen, führt dies zu der Frage, wie die Gestaltung des Ortes auf den Mediennutzer zurückwirkt und was dieser Mediennutzer praktiziert, wenn er in die Videothek geht.

Abb. 20 & 21: Zusatzsortiment

42 Vgl. Bartz, Video.

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1.2 Die mediale Praxis des Gangs in die Videothek „Die Produkte haben eine Einheitsgröße, sie sind nicht auf den ersten Blick unterscheidbar. Nur ein kleiner Teil der Produkte ist dem Kunden auf Anhieb bekannt, er muss nähertreten, sichten, anfassen, lesen, beurteilen, entscheiden – und das vielfach.“43

In Nancy Meyers 2006 veröffentlichter romantischer Komödie THE HOLIDAY

44

gibt es eine für den weiteren Verlauf der Handlung scheinbar neben-

sächliche Szene. Iris Simpkins, gespielt von Kate Winslet, hat eine Verabredung mit dem Komponisten für Filmmusik Miles, dargestellt von Jack Black. Beide treffen sich in einer Videothek, wo sie sich einen Film für den Abend aussuchen wollen. Der Film spielt in der Gegenwart des Jahres 2006, sodass die Videothek ihre Filme nur auf DVD anbietet und nicht mehr auf dem Medium, welches ihr ursprünglich den Namen gegeben hat. Wenn auch die Videothek im weiteren Verlauf des Films keine Rolle mehr spielt, so lässt sich doch an der Inszenierung dieser Szene, die im Folgenden vorgestellt werden soll, aufzeigen, was das typische Verhalten des Mediennutzers innerhalb der Räume der Videothek ausmacht und charakterisiert. Diese Momente der Inszenierung sollen dann in einem zweiten Schritt losgelöst von ihrer filmischen Repräsentation betrachtet und zur Beschreibung einer medialen Praxis der Videothek zusammengefügt werden. Die Szene45 selbst ist auch mit Rücksicht auf die Rahmungen des Genres recht konventionell inszeniert. Im klassischen Schuss-Gegenschussverfahren und mit Einstellungen über die Schultern des jeweiligen Gegenübers gefilmt, setzt sie vollends auf das Dazwischen der beiden Figuren und deren Näherkommen bei einer Verabredung, die sich erst durch die weiteren Ereignisse des Films retrospektiv zu einer Verabredung romantischer Art gestaltet.

43 Das Produkt Video-Cassette: Produkt-Präsentation: Appetit machen mit den Augen! In: Der Ikarus 11/1988, S. 49-53, hier: S. 50. 44 THE HOLIDAY [dt. LIEBE BRAUCHT KEINE FERIEN]; R: Nancy Meyers, USA 2006. 45 Ebd., TC 01:30:04-01:32:29h.

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Abb. 22: Rezeption der Paratexte

Abb. 23: Die Evidenz des Covers

So beginnt die Szene mitten in den Regalräumen der Videothek, vielleicht nicht zufällig vor den Regalen der Dramaabteilung (vgl. Abb. 22). Einen riesigen Shake verzehrend, schlendern beide an den Auslagen des Geschäftes vorbei. Es handelt sich bei der Videothek um eine helle, große Verleihstelle, die wahrscheinlich Teil einer Kette ist, wie die einheitliche Farbgebung der Regale und des Bodens vermuten lässt, was auf eine Form des Corporate Designs hindeutet. Ein großes Fenster ermöglicht den Blick auf die Straße und schafft eine größere räumliche Dimension für die filmische Handlung. Miles

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beginnt nun, die ihn interessierenden Cover aus den Regalen herauszunehmen und sie einhändig Iris zu zeigen. Markant ist die typische Geste, die er benutzt, die wohl jedem Videothekenbesucher bekannt sein dürfte: Nicht den Titel des Films – es handelt sich dabei um den britischen Film CHARIOTS OF

FIRE46 – nennend, sondern die Frage stellend, ob sie diesen Film gesehen

habe, hält er ihr das Cover des Films entgegen, sodass Iris Bild und Titel des Films sehen kann, um zu antworten (vgl. Abb. 23). Interessant ist, dass Miles danach fragt, ob sie diesen Film schon gesehen habe und nicht, ob sie diesen Film noch nicht kenne, suchen die beiden doch nach einem Film, den sie sich gemeinsam anschauen wollen. In der Szene findet beim Gang durch die Regalreihen ein Dialog statt, der aufzeigt, welche Kommunikation der Ort der Videothek scheinbar evoziert. Dies markiert einen der gravierendsten Unterschiede zum Gang in die Bibliothek, nebensächlich, ob es sich um eine universitäre Einrichtung handelt oder um die bekannten öffentlichen Stadtbibliotheken; denn selbst wenn sich nicht jeder Nutzer an diese Regel der Benutzerordnung hält, fordert der Ort der Bibliothek ein Schweigen vor den Regalen der Bücher. Anders in der Videothek, wo der Dialog vor dem Regal Teil des eigentlichen Besuches ist und das Gespräch der Kunden untereinander gleichermaßen von den Videothekaren gewollt ist.

Abb. 24: Gesehen?

46 CHARIOTS OF FIRE [dt. DIE STUNDE DES SIEGERS]; R: Hugh Hudson, UK 1981.

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Zufälliges Mithören, einfaches Miteinanderreden über den Film, den der eine kennt, der dem anderen aber noch unbekannt ist, fördert so die Werbemaßnahmen, die der Videothekar zwar nicht erzwingen, dennoch aber forcieren kann. Miles, von seiner Profession her Filmmusikkomponist, beginnt direkt nach Irisʼ Antwort, dass sie den betreffenden Film bereits gesehen habe, die Titelmelodie, den wichtigsten Score des Films anzustimmen und zu imitieren (vgl. Abb. 24-25); sogar so laut, dass Iris, wenngleich auch lachend, durch die für die Bibliothek typische Geste des vor dem Mund erhobenen Zeigefingers Ruhe anmahnt, worauf Miles es auf den Punkt bringt: „Okay. Itʼs not a library. I can go loud.“47

Abb. 25: Filmerinnerungen I

Neben der Geste des Zeigens und dem Gespräch vor den Regalen über den einstigen und zukünftigen Sehgenuss gehört die Erinnerung an den eigenen Filmkonsum zu dem typischen und hier dargestellten Gang durch die Videothek, der nicht nur in der Abgabe eines Werturteils kulminiert, wenn die Frage nach bekannt oder unbekannt in Bezug auf den spezifischen Film gestellt wird. Miles beginnt bei ihrem Besuch daraufhin ein Spiel zu spielen: Noch bevor Iris das Cover sehen respektive auf dieses reagieren kann, imitiert Miles verbal das bekannteste Stück aus dem Soundtrack des jeweiligen Films. Viel Zeit lässt Miles Iris jedoch nicht, auf seine Imitationen zu reagieren, geht es ihm doch mehr darum, mit seinem Filmwissen aufzutrumpfen,

47 THE HOLIDAY, TC 01:31:12h ff.

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statt ernsthaft ein Spiel zu spielen. Interessant ist an diesem Spiel vor allem, dass kaum einer der gezeigten Filme von Miles mit seinem Titel genannt wird.48 Auch für den Zuschauer wird hier nicht der Titel des Films offenbar, da die Cover der Filme nicht in Nahaufnahme gezeigt werden. Nur über die Frontbilder der Hüllen und durch die von Miles angesungenen Melodien der Filmmusik kann der Zuschauer mitraten, ob er den Film erkennt und dadurch sein eigenes Filmwissen testen. Die Sicht auf den Titel des jeweiligen Films ist oftmals nicht zwingend notwendig und erfolgt häufig erst dann, wenn der bewusste Titel dem Zuschauer schon bekannt sein dürfte (vgl. Abb. 26-29).

Abb. 26: Common ground to start from

48 So zeigt Miles nacheinander die Filme DRIVING MISS DAISY [dt. MISS DAISY UND IHR CHAUFFEUR]; R: Bruce Beresford, USA 1989, GONE WITH THE WIND [dt. VOM WINDE VERWEHT]; R: Victor Flemming u. a., USA 1939, JAWS [dt. DER WEIßE HAI]; R: Steven Spielberg, USA 1975, THE GRADUATE [dt. DIE REIFEPRÜFUNG]; R: Mike Nichols, USA 1967 und THE MISSION [dt. DIE MISSION]; R: Roland Joffé, UK 1986, welcher als einziger von Miles mit seinem Titel genannt wird, geht es bei diesem Film schließlich nicht mehr darum, dessen Filmmusik zu imitieren, sondern eine ernsthafte Leihempfehlung auszusprechen.

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Abb. 27: Überzeugungsarbeit

Abb. 28: Filmerinnerungen II

Abb. 29: Filmempfehlung

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Abstrahiert man das Vorgehen von Miles nun, um eine allgemeinere Aussage über die Praxis des Ortes Videothek zu formulieren, so kann hierbei heuristisch festgehalten werden, dass beim Gang durch die Videothek die Hüllen zu Erinnerungshilfen werden, die weit über die Frage nach dem schon rezipierten Film hinausgehen. Der Blick auf die Paratexte des Films, die hier in der Szene lediglich in Form des Frontcovers auftauchen – Inhaltstexte werden von den beiden nicht gelesen –, markieren eine dem Raum eigene Form der Mnemotechnik, mit der das Wissen über den Film abgerufen werden kann. Der Gang in die Videothek wird damit häufig zu einem Gang in die eigene Filmsozialisation, wie auch hier die fiktive Figur Miles, mittels der wenigen Filme, die er aus den Regalen nimmt, um sie demonstrativ Iris zu zeigen, seine Begeisterung für das Medium und für seinen eigenen Beruf kund- tun kann. So kristallisiert sich deutlich heraus, dass, obwohl die Szene im Rahmen des Films kaum eine größere Bedeutung hat, sie in Bezug auf die Frage, was der Mediennutzer eigentlich macht, wenn er in die Videothek geht, zahlreiche Antworten gibt, denen es im Folgenden nachzugehen gilt. Neben dem Einsatz und dem Umgang mit den Paratexten, dem Abrufen von filmischem Wissen über die Auslagen der Videothek, der dadurch zum Gang durch das Narrativ des eigenen Filmerlebens werden kann, stehen vorerst die Fragen nach den Techniken dieses Umgangs mit dem Filmspeicher im Vordergrund, die angewandt werden, um diesen Raum sinnvoll zu nutzen und zu beherrschen. Um zu beschreiben, was der Mediennutzer letzten Endes macht, wenn er den Raum der Videothek aufsucht, ist zu fragen, ob sich der Aufenthalt im Dispositiv Videothek in seine einzelnen Schritte zerlegen lässt. Es scheint evident, dass der Aufenthalt in der Videothek sich hier als eine visuelle Praxis verstehen lässt, die zwischen den Akten des Lesens von Texten und kurzen Informationen sowie des Schauens und Betrachtens von Bildern oszilliert. Gemeinhin kann man daher, was an dieser Stelle lediglich heuristisch formuliert werden soll, von dem Raum der Videothek als ästhetischem Erfahrungsraum sprechen, der zu einer Generierung von Bildern und Wissen um das Medium Film beiträgt und maßgeblich an der Zirkulation von beiden beteiligt ist. Will man sich nun dem Mediennutzer im Raum der Videothek annähern, ohne dabei auf soziologische Untersuchungen zurückzugreifen, die den Kunden einteilen in spezifische gesellschaftliche Gruppen, so soll mehr von einer theoretischen Position ausgegangen werden, die zu ergründen versucht, wie der Kunde in der Videothek auf deren Angebote rea-

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giert und mit diesen interagiert. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist also die Frage, was der Mediennutzer im Idealfall in der Videothek vorfindet und wie er mit ihr und ihren Auslagen interagieren kann. Bei dem Versuch, das Verhalten des Videothekengängers auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen, gelangt man schnell zu den Techniken des Lesens und des Betrachtens von Medienprodukten. Neben dem Begriff des Archivs49, auf den noch zurückzukommen sein wird und der ebenfalls in die Überlegungen zum Raum der Videothek einfließen soll, hat vor allem der Begriff der Kulturtechnik50 in den letzten Jahren eine umfassende Bedeutungsgenerierung und Umdeutung innerhalb der Kultur- und Medienwissenschaft erfahren. Versuche, dem Begriff eine nötige Schärfung und theoretische Tiefe zu verleihen, die ihn für die Fragestellungen der Medienwissenschaft fruchtbar machen, scheinen nicht immer geglückt zu sein. Da diese Diskussion in ihrem Verlauf und ihrer Einbettung in andere konkrete Fragen der Disziplin hier nicht wiedergegeben werden kann, soll lediglich in Ansätzen der Versuch unternommen werden, das Konzept der Kulturtechnik für den Aufenthalt des Mediennutzers innerhalb der Videothek heranzuziehen. Obwohl dieser Frage nur am spezifischen Raum der Videothek nachgegangen werden soll, lassen sich nicht ausschließlich Parallelen zur Bibliothek ziehen, sondern ebenso zu anderen Räumen und der in ihnen stattfindenden Ausstellung von Medien sowie deren sich anschließender Gebrauch in situ. Erörtert werden soll in diesem Kontext der Begriff der Kulturtechnik insbesondere in Bezug auf die Frage, inwiefern der Raum der Videothek und die Bewegung des Mediennutzers innerhalb dieser Räume eine Form der Aneignung von Filmwissen produzieren, die dem spezifischen Ort der Videothek genuin eigen ist. Dass der Mediennutzer durch die Theorie der Kulturtechnik als handelndes Individuum ernst genommen wird, liegt allein schon in der Ableitung der Kulturtechniken aus den Körpertechniken des Ethnologen Marcel Mauss51 begründet. Ging es in den an ihn anschließenden Aus-

49 Vgl. dazu Kapitel II.2.2 dieser Arbeit. 50 Vgl. dazu die Forschungen im Umfeld des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung Medienphilosophie. http://www.ikkm-weimar.de/ (Zugriff am 01.04.2014). 51 Vgl. Marcel Mauss, Die Techniken des Körpers. In: ders., Soziologie und Anthropologie. Band 2, München 1974, S. 197-220 sowie Erhard Schüttpelz, Körpertechniken. In: ZKM 1/2010, S. 101-120.

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führungen meist noch um Formen von Ritualen und religiösen Zeremonien sowie um Akte des bloßen Zusammen- und Überlebens, so wurden diese Körpertechniken als Kulturtechniken in Verbindung gebracht mit den klassischen Momenten der Aneignung von Kultur respektive dem, was gemeinhin unter dieser subsumiert wurde, also den Techniken des Rechnens, Lesens und Schreibens.52 Dass die Frage der Kulturtechniken nahezu radikal die Basistheorien der Medienwissenschaft tangiert, liegt ebenfalls auf der Hand, geht es schließlich nicht nur um die Erzeugnisse der Kultur selbst, die inkorporiert werden sollen, sondern ebenso um die Mittel, die dazu dienen, diese aufzunehmen. Die Frage der Kulturtechniken, so Harun Maye in seinen Betrachtungen, berührt daher durch ihre Anfragen die alte Dichotomie von technikorientierten und anthropologischen Medientheorien und somit zugleich die Frage nach einem Apriori auf einer der beiden Seiten.53 Gerade aber diese Problematik scheint für die Beschreibung des Nutzers in der Videothek nicht gravierend zu sein, handelt es sich doch bei der Videothek nicht um einen Raum der Medien, sondern lediglich um einen Raum ihrer sprichwörtlichen Vertreter und Platzhalter. Die Frage, in welchem Verhältnis sich die Technik zum Nutzer setzt, wird also ebenso buchstäblich ins Private verlagert und ist deshalb nicht mehr Bestandteil der vorliegenden Fragestellung. Wichtiger noch ist daher die Prämisse, ob der Vorgang des Videoleihens, des Suchens in den Regalen, an dieser Stelle generell unter dem Aspekt der Mediennutzung gefasst werden kann. Bisher wurde diese Prämisse in den Ausführungen weitestgehend als gegeben vorausgesetzt. Bei einem näheren Blick zeigt sich allerdings, dass es zunächst befremdlich erscheinen mag, den Nutzer der Videothek als Mediennutzer zu fassen, stellt der Gang in die Videothek doch einen Aspekt einer Handlung dar, die sich erst im Zusammenhang mit der eigentlichen Technik vor dem heimischen Bildschirm und Recorder zu erfüllen scheint. Als basale Überlegung gilt folglich, dass die Medien der Videothek nicht die Videokassetten sind, sondern die Hüllen, die Texte und Bilder, die Ausschnitte und Auslagen, die als Produkte der Werbeindustrie Informationen über das zu leihende Medium vermitteln wollen. In diesem Sinne geht es stärker um den As52 Vgl. Harun Maye, Was ist eine Kulturtechnik? In: ZKM 1/2010, S. 121-135, hier: S. 121. 53 Vgl. dazu Wolfram Nitsch, Anthropologische und technikzentrierte Medientheorien. In: Claudia Liebrand u. a. (Hrsg.), Einführung in die Medienkulturwissenschaft, Münster 2005, S. 81-98.

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pekt des durch die Medien transportierten Inhalts, der meist in einer auf die Metaebene des Medienbegriffs ausgerichteten Medienwissenschaft ignoriert wird und somit kaum eine Rolle spielt.54 Gleichwohl handelt es sich hierbei um einen Inhalt, nach dem nicht spezifisch gefragt werden soll, sondern lediglich nach den Möglichkeiten seiner Vermittlung durch den Raum der Videothek. Der Gang in die Videothek ist immer nur ein Teil des Unternehmens, sich mit der Kultur des Mediums Film vertraut zu machen; die mediale Präsentation des Films sowie seine Aufbereitung und Rezeption auf verschiedenen Trägermedien sind zwei Zugänge, wie der Mediennutzer dieses Wissen operationalisieren und sich aneignen kann. Im Raum der Videothek geht es, wie schon das eingangs benutzte Zitat deutlich macht, um ein Schauen und Lesen, Betrachten und Erfahren. Diese Prozesse sollen letzten Endes zu einer Selektion führen, um festzulegen, welches der ausgestellten Produkte in seiner Gänze erfahren werden möchte. Dabei greift der Mediennutzer, hier als Nutzer von Schrift und Bild, zurück auf ein Wissen, wie er es schon im Umgang mit ähnlichen Orten der Mediennutzung erlernt hat. Das Kaufhaus und die Städtische Bibliothek bereiten die Grundlage dafür, wie er sich im Raum der Videothek zu verhalten hat. Wichtig ist jedoch, dass es sich hier um mehr handelt als einen bloßen Wechsel des ausgestellten und angebotenen Mediums. Wenngleich sich in der Videothek Aspekte einer Kulturtechnik der Medien wiederfinden, so erfasst der Begriff nicht vollends das, was in den Räumen der Leihgeschäfte zwischen Kunden und medialem Paratext vonstattengeht. Sinnvoller ist es meines Erachtens, zu berücksichtigen, dass, gleichwohl der Akt des Schauens, Betrachtens und Lesens ernst genommen wird, es immer ein Mehr gibt, das den Besuch und den Gang in die Videothek ausmacht. Dies gründet sich auf der einen Seite in der Haptik, die dem Ort inhärent ist, auf der anderen Seite in der Bewegung des Mediennutzers im Raum selbst. Der Mediennutzer flaniert geradezu an den Ausstellungen der Videotheken entlang, langsam schauend, an- und innehaltend. Hier nimmt er die ausgestellten Hüllen in die Hand, wägt ab, erinnert sich, stellt sie zurück, stets begleitet von einer Kommunikation mit einem möglichen Gegenüber oder unter Rückgriff auf sein eigenes filmisches Vorwissen in den

54 Wie es unter anderem in der technikorientierten Medientheorie Friedrich Kittlers und seiner Nachfolger zu beobachten ist.

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eigenen Gedanken versunken.55 Dem Blick auf das Cover folgt meist ein kurzer Moment des Schweigens, bevor dem Begleiter die Frage nach der angeschauten Filmhülle gestellt werden kann. Wichtig ist diesbezüglich zu betonen, dass dieses filmische Wissen als gegeben vorausgesetzt wird und in seinem Da- und Sosein als Prämisse akzeptiert wird, hierbei ist gar ohne Bedeutung, ob dieses Wissen richtig oder falsch ist, wenn es nicht nur um das bloße Abfragen eines Geschmacksurteils geht. Wie und unter welchen Umständen dieses kognitiv vom Nutzer selbst organisiert und operationalisierbar gemacht wird, liegt im Nutzer selbst und nicht im Raum der Videothek.56 Für die These, dass die Videothek den Mediennutzer mit einer Vielzahl von ästhetischen Figurationen konfrontiert, die Anteil an einer spezifischen Form der Bildzirkulation haben, ist demzufolge wichtig zu unterstreichen, dass diese Form von Wissens- und Bilderzirkulation stets mehr bedeutet als der einzelne in der Videothek ausgestellte Film und das einzelne betrachtete Regal. Durch das Wissen, wie sich der Mediennutzer innerhalb der Videothek zu verhalten und zu bewegen hat, kann das ihn umgebende Wissen aufgenommen und für ihn neu strukturiert werden. Dies muss es auch, hat sich doch der Raum der Videothek zwischen zwei Besuchen oftmals verändert, wenngleich manchmal nur in Nuancen. Hinsichtlich dessen erscheint es evident, obgleich auf diesen Aspekt noch zurückzukommen sein wird, dass es sich um eine bestimmte Formation von Wissen handelt, welches unter dem Aspekt des populären Wissens57 vom und um den Film zusammengefasst werden soll. Dieses populäre Wissen kann wahlweise als eine Forma55 Dem virtuellen Flanieren durch die Erzeugnisse der Filmgeschichte, welches durch den Videorecorder möglich wurde, ging somit das reale Flanieren durch die Videothek voraus. Zum virtuellen Flanieren als Praxis der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Videorecorders vgl. Anne Friedberg, Cinema and the postmodern Condition. In: Linda Williams (Hrsg.), Viewing Positions. Ways of seeing Film, New Brunswick/New Jersey 1997, S. 59-83, hier: 73 ff. sowie dies., Window Shopping. Cinema and the postmodern, Oxford 1993, S. 37 ff. 56 Untersuchungen unter dieser Perspektive würden so sicherlich den Bereich der Medienpsychologie tangieren. Vgl. dazu Peter Wuss, Filmische Wahrnehmung und Vorwissen des Zuschauers. Zur Nutzung eines Modells kognitiver Invariantenbildung bei der Filmanalyse. In: Knut Hickethier/Hartmut Winkler (Hrsg.), Filmwahrnehmung. Dokumentation der GFF-Tagung 1989, Berlin 1990, S. 67-81. 57 Zum Begriff des Populären vgl. Hedwig Pompe, Popularisierung/Popularität: Eine Projektbeschreibung. In: Gereon Blaseio/dies./Jens Ruchatz (Hrsg.), Popularisierung und Popularität, Köln 2005, S. 13-20.

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tion eines Gegenkonzepts zu einem als offiziell anerkannten Wissen betrachtet werden, oder als (notwendige) Ergänzung eines offiziellen Filmwissens, wie auch immer sich dieses gestaltet. Schreiben über den Ort der Videothek aus der Position der Filmwissenschaft heraus drängt immer wieder dazu, das dort Gelernte zurückzustellen. Die Debatten und Diskurse, wie sie die Wissenschaft führt, betreffen den Prozess zwischen dem Mediennutzer und dem Ort der Videothek meist nicht. Von den möglichen Ausformungen eines Wissens vom Film interessiert daher nicht das Wissen der Kunst und der Wissenschaft vom Medium, sondern das alltägliche Wissen. Obwohl es Schnittmengen zwischen diesen Formationen von Wissen geben kann, konzentrieren sich die Ausführungen weiterhin auf die Frage, was der Mediennutzer vom Film wissen muss, um sich im Raum der Videothek zurecht zu finden und eine Entscheidung über das zu treffen, was er selbst konsumieren möchte. Der Begriff des populären Wissens birgt zwar mehr als eine weitere Bedeutungsdimension, die sich nicht immer auf die Videothek übertragen lässt, scheint aber als operationalisierbarer Begriff, gerade auch in Abgrenzung von den hier aufgezeigten Formationen des filmischen Wissens, durchaus zu greifen. Ein wichtiger Bestandteil, der dieses Wissen formt und das Erlebnis Videothek figuriert, sind die Paratexte des Films, die den Raum der Videothek füllen und das angesprochene Wissen vom Film, zusammen mit dem Vorwissen des Mediennutzers, somit erst produzieren. Durch die Auseinandersetzung mit den Paratexten im Raum der Videothek beginnt die Rezeption eines Films immer schon vor dem Film selbst, wenn Rezeption an dieser Stelle derart verstanden werden kann, dass Informationen, Bilder und Ikonografien eines Films aufgenommen werden und für den Nutzer abrufbar sind, ohne den spezifischen Film gesehen zu haben.58

58 Das Spiel mit Zitaten in der Popkultur würde nicht funktionieren, wenn Anspielungen nur dann erkannt werden, wenn der Film tatsächlich rezipiert wurde. Vgl. dazu die noch recht grundlegenden Überlegungen bei: Tobias Haupts, Der Kinosessel im Wohnzimmer. Filmrezeption auf Video. In: Annemone Ligensa/Daniel Müller (Hrsg.), Re:zeption. Die andere Seite der Medienumbrüche, Bielefeld 2014 (im Erscheinen).

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1.3 Paratextuelle Attraktionen des Leihmarktes In François Truffauts Film LA NUIT AMÉRICAINE59 wird Truffauts Alter ego, der Regisseur Ferrand, jede Nacht von ein und demselben Traum heimgesucht: Ein kleiner Junge schreitet im Dämmerlicht der hereinbrechenden Nacht eine menschenleere Straße hinab. In seiner Hand hält er einen großen Spazierstock, der am Ende gebogen ist, um so Komfort für die auf ihm ruhende Hand zu bieten. Jedoch ist nicht nur der Stock viel zu groß für den kleinen Jungen, sondern dieser ihm beim Gehen auch sonst wenig nützlich. Mit lautem Klackern auf den Pflastersteinen hindert er ihn eher beim Weiterkommen, als dass er ihm hilft. Erst am Ende des Films wird gezeigt, was das Ziel des Weges und die Botschaft des Traumes ist. Ziel des Jungen – der Film lässt seine Identität im Unklaren, sodass man nur vermuten kann, es handele sich um Truffauts Figur – ist ein Kino. Die heruntergelassenen Gitter vor dem immer noch hell beleuchteten Eingang weisen darauf hin, dass es geschlossen hat. Doch ist dies ganz im Sinne des ankommenden Besuchers. Mittels des Stocks greift er durch die Gitterstäbe und rückt einen Drehständer des Lichtspielhauses an das Gitter und somit zu sich heran. Nur so ist er in der Lage, die Aushangfotos des Kinos zu entfernen und mitzunehmen. Einzig darin lag der Sinn des klobigen Spazierstocks und des Ganges durch die Nacht zu einem geschlossenen Kino: Antrieb war der Drang, das Haptische des Films in seinen Besitz zu bringen. Weist diese Anekdote in Truffauts Film auf die Liebe des Regisseurs – und mit ihm, so wollen es zumindest die modernen Mythen des Kinos, eines jeden autheurs – zum Medium Film hin, auf den Drang des Haptischen und des Besitzenwollens, so liegt dem ebenfalls die Beschreibung einer medienhistorischen Figur respektive einer medienhistorischen Bruchstelle zugrunde. Somit zeugt die Entwendung des Aushangbildes nicht nur vom Versuch, des flüchtigen Mediums selbst habhaft zu werden, sondern beschreibt zugleich, dass es keinen anderen Weg gab, Film zu besitzen als ihn über die Frühformen des Merchandisings und andere Variationen der Filmwerbung in seinen Besitz zu bringen. Hier kommt, wie später noch aufzuzeigen sein wird, die Figuration des Sammlers ins Spiel, den es in seiner ausgeprägten und verbreitetsten Form erst mit dem Umbruch des Films zwischen Leinwand, Videothek und heimischem Fernsehen geben konnte. Frühere Figura-

59 LA NUIT AMÉRICAINE [dt. DIE AMERIKANISCHE NACHT]; R: François Truffaut, F/I 1973.

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tionen des Filmsammlers und Filmliebhabers, die zweifelsfrei existierten, setzten allerdings voraus, dass hier Projektor, Leinwand und Filmrollen erworben werden mussten, die Räumlichkeiten erforderten, die es erlaubten, das Gesammelte, wenn schon nicht zu benutzen, so doch zumindest auszustellen. Wenngleich das Sammeln von Filmen (wie jede Figuration des Sammelns) an mögliche finanzielle Mittel rückgekoppelt ist, so wurde bis in die 1970er Jahre hinein das Sammeln von Filmen nicht nur als ein Maßstab besonderer Exzentrik betrachtet, sondern obendrein in die Nähe des Kunstsammlers gerückt, der sich ebenfalls dem Exzeptionellen und Erlesenen widmete.60 Das gestohlene Aushangbild beinhaltet nicht nur den Aspekt der Haptik des Sammelns, sondern deutet zugleich auf seine Funktion als Teil des Films selbst hin, ohne zu einem pars pro toto zu werden. Denn nur innerhalb eines größeren Ensembles von Bildern, Clips und Informationen verweist das Aushangfoto als Figuration eines Paratextes auf den Film selbst. Wenn sich demnach mit der Videokassette und der Videothek die Besitzbarkeit des Film im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit geändert hat, so ebenfalls die ihn umgebenden Paratexte. Zwar sind die Formen des Merchandisings als Figurationen filmischer Paratexte keine neue Entwicklung der späten 1970er und frühen 1980er Jahre61, doch stehen sie dort nicht nur in einem völlig neuen Kontext ihrer Präsentation wie auch ihrer bloßen Masse. Sie bilden auf diese Weise eine Matrix, vor der sich die mediale Praxis der Rezeption des Films vor dem eigentlichen Film erst erklären lässt, wenn sie die Kommunikation von Filmen überhaupt zunächst organisieren.62 Der Gang in die Videothek zeichnet sich daher nicht durch einen Aufenthalt in einem Raum voller Medien aus, sondern als Gang in einen Raum der medialen und filmischen Paratexte, die diesen gestalten.

60 Vgl. dazu: Barbara Klinger, The Contemporary Cinephile: Film Collecting in the Post-Video Era. In: Melvyn Stokes/Richard Maltby (Hrsg.), Hollywood Spectatorship. Changing Perceptions of Cinema Audiences, London 2001, S. 132-151, hier: S. 134. 61 Tatsächlich hat sich über die Etablierung des US-amerikanischen Blockbusterkinos Ende der 1970er Jahre und der Filme von Steven Spielberg und George Lucas eine neue Form des Merchandisings etabliert, die die vorherigen Strategien der Filmwerbung dabei weit hinter sich ließ. 62 Klaus Kreimeier/Georg Stanizek, Vorwort. In: dies. (Hrsg.), Paratexte in Literatur, Film, Fernsehen, Berlin 2004, S. VII-VIII, hier: S. VII.

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Wie sehr die Paratexte in diesem Raum ihrer Funktion als Werbeträger nachkommen, wird konkret im Kontakt mit der Videokassette deutlich, die der Kunde mit nach Hause nehmen darf. In einer neutralen Hülle, die entweder für die Videothek als Geschäft selbst wirbt, oder aber Werbeträger für Partnergeschäfte ist, weist nichts mehr auf den Film in der Hülle hin. Nur die Form verrät, um welches Medium es sich konkret handelt. Und auch auf den geliehenen Kassetten selbst, die – meistens schwarz63 – nur auf der Oberfläche und am Seitenrand Platz für Etiketten bieten, die darüber informieren, um welchen Film es sich handelt, was seine Laufzeit und Altersfreigabe ist, finden sich keine Paratexte mehr, die den Film in der Hülle für den Laien adressier- und identifizierbar machen.64 Fast scheint es, als sei die Wichtigkeit der Paratexte in dem Moment beendet, in welchem der Videothekenkunde sich tatsächlich zum Mediennutzer formiert, der endlich mit dem eigentlichen Medium der Videokassette in Berührung kommt. Die Paratexte des Films bleiben im Raum der Videothek zurück. Um im Folgenden die filmischen Paratexte genauer zu kategorisieren, die den Gang in die Videothek ausmachen, ist eine kurze Begriffsklärung vonnöten. Der post-strukturalistische Begriff der Paratexte wurde ursprünglich von Gérard Genette entwickelt, um mit ihm Texte zu beschreiben, die im eigentlichen Sinne nicht zum literarischen Werk, also zum Buch selbst, gehören. Es handelt sich also um einen genuin literaturwissenschaftlichen Begriff, der erst für das Medium Film und seine Ausformungen der spezifisch an das Medium gekoppelten Paratexte frucht- und nutzbar gemacht werden muss. Dieses „Beiwerk des Buches“65, welches Klappentexte, Wid63 Tatsächlich konnte diese Farbe von Anbieter zu Anbieter variieren, wobei in der Regel zwischen schwarz und blau gewählt wurde. Nicht so bei den Kassetten der Pornoanbieter: Diese waren meist daran zu erkennen, dass eine rote Klappe am oberen Rand das Magnetband schützte. Obwohl die Kassetten neutral zu sein schienen und Diskretion bei Ausleihe und Rückgabe versprachen, waren sie durch die rote Klappe durchaus leicht auszumachen, wenn sie an der Theke in die Verleihhüllen umsortiert wurden. 64 Dies ist in Bezug auf die DVD und Blu-ray heute anders: Zwar werden auch diese in Hüllen verliehen, die keine Rückschlüsse auf das entliehene Medium mehr zulassen, doch verfügt die Oberseite der Disc über eine bedruckbare Fläche, die nicht nur Raum für Paratexte lässt, sondern zugleich den Film – meistens jedenfalls – eindeutig identifizierbar macht, ohne den Titel zu lesen. 65 Gérard Genette, Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Mit einem Vorwort von Harald Weinrich. Aus dem Französischen von Dieter Horning, Frankfurt am Main 2001.

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mungen, Mottos, Titel und Vorwort, aber ebenso den bloßen Namen des Autors bezeichnen kann66, hat somit Auswirkung auf die Rezeption des Buches, ohne dass sich der Leser dieser Beeinflussung in einem ersten Schritt bewusst wäre und dies oft schon, bevor nur eine Seite gelesen wurde. Übertragen auf den Film lassen sich Paratexte in verschiedenen Bereichen ausmachen: Auf der einen Seite sind dies die Mittel des Films selbst, also das „Casting, Schauspiel, ‚mise-en-scène‘, Kamera, Filmmaterial, Schnitt, Spezialeffekte, Ton, Musik, Drehbuch etc.“67, welche Lutz Nitsche unter dem Komplex des filmischen Textes zusammenfasst.68 Während sich Alexander Böhnke69 hauptsächlich weiter mit diesen und den filmischen Peritexten von Credits, Titel, Motto, Widmung, Zwischentitel und ähnlichen auseinandersetzt, wie sie auch Nitsche bestimmt, kommen bei letzterem noch die Epitexte des Films hinzu. Diese Unterscheidung der Paratexte in Peri- und Epitexte70 wurde dabei von Genettes Literaturbegriff auf das Medium Film übertragen. Diesbezüglich ähneln sich die Epitexte des Buches und des Films, bezeichnen sie doch in Bezug auf das Buch (Auto-)Biografien, Briefwechsel, Interviews, Tagebücher und Ähnliches, wie sie ebenfalls für den Film Bedeutung haben können.71 Nitsche allerdings nimmt zu diesen, wenngleich nicht als Hauptbestandteil seiner Untersuchung, die Ausformungen des Marketings auf, der Public Relations, wie sie den Film im Kino, im Fernsehen und nicht zuletzt auch in der Videothek bewerben und verkaufen wollen. Nitsches Überlegungen, die sich stark am Autorenkonzept des Films orientieren, formulieren zudem die Fragen nach dem Zusammenspiel von Marketing und Paratext stark auf diese zentrale Figur der Filmtheorie.72 Immanent wichtig ist so für ihn die Bedeutung des Interviews, die nicht nur im Fall von Tarantino starke Auswirkungen auf die Vermarktung seiner Filme

66 Vgl. Genette, Paratexte, S. 41 ff. 67 Lutz Nitsche, Hitchcock – Greenaway – Tarantino. Paratextuelle Attraktionen des Autorenkinos, Stuttgart/Weimar 2002, S. 63. 68 Ebd. 69 Vgl. Alexander Böhnke, Paratexte des Films. Über die Grenzen des filmischen Universums, Bielefeld 2007. 70 Vgl. Genette, Paratexte, S. 13. 71 Vgl. Böhnke, Paratexte des Films, S. 8 ff. 72 Zur Genese des Begriffes in der Filmwissenschaft vgl. Jürgen Felix, Autorenkino. In: ders. (Hrsg.), Moderne Film Theorie, Mainz 2002, S. 13-57 sowie Nitsche, Paratextuelle Attraktionen des Autorenkinos, S. 13 ff.

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hat.73 Fraglich bleibt jedoch, inwiefern sich diese Überlegungen auf den Raum der Videothek übertragen lassen, da der Regisseur häufig kaum bis gar keine Kontrolle über die Werbestrategien des jeweiligen Filmes besitzt; obwohl sich diese dennoch in ein Autorenkonzept des Films einordnen lassen.74 Neben der allgemeinen Behandlung der Frage der Paratexte des Films und der Aufarbeitung der theoretischen Prämissen, die mit dem Medienwechsel zwischen Buch und Film einhergehen, sind vor allem der Vorspann75 und der Trailer76 historisch wie filmtheoretisch ausführlich erforscht worden. Weiterhin sind die DVD und ihre Möglichkeiten, Paratexte zu ordnen und zu gestalten, in den letzten Jahren verstärkt in das Interesse der Filmwissenschaft gerückt, markiert sie doch ein Medium, welches durch seine ihm zur Verfügung stehenden Mittel nahezu alle audiovisuellen Paratexte vereinen kann.77 Dass sich gerade das Interesse an diesen neuen Ausformungen von Paratexten kristallisiert, erscheint befremdlich vor der Tatsache, dass die Fragen nach den Veränderungen dieser Entwicklung in den 1980er Jahren wenig erforscht sind. DVD und Nachfolgemedien konnten schon auf eine Entwicklung und Erfahrung zurückgreifen, die der Mediennutzer seit den 1980er Jahren mit der neuen Verfügbarkeit des Mediums Film erlernt hatte. Nur am Rande soll es daher im Folgenden um die audiovisuellen Paratexte gehen, vielmehr um haptische und konkret am Regal der Videothek abzulesende Ausformungen des von Genette entwickelten Konzeptes. Demnach ist an dieser Stelle eine Erweiterung des Begriffs der Paratexte von zentraler Bedeutung, die sich in die von Nitsche aufgestellte Unterscheidung einklinken möchte. Folgt man dieser, so stellt die Videothek als Raum der filmischen und medialen Paratexte vor allem die Epitexte des Films aus. 73 Vgl. Nitsche, Paratextuelle Attraktionen des Autorenkinos, S. 115 ff. 74 Vgl. ebd., S. 163 ff. 75 Vgl. Alexander Böhnke (Hrsg.), Das Buch zum Vorspann. „The title is a shot“, Berlin 2006. 76 Vgl. Vinzenz Hediger, Verführung zum Film. Der amerikanische Kinotrailer seit 1912, Marburg 2001. 77 Vgl. dazu Thorsten Kaufmann, Make me (not) believe: Illusionsverändernde Mechanismen des Making-Of, Berlin 2011; Alexander Böhnke, Mehrwert DVD. In: Jens Schröter/Gregor Schwering (Hrsg.), Fragment und Schnipsel. Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaft 1-2/2005, S. 209-219 sowie Distelmeyer, Das flexible Kino.

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Fraglich bleibt ohnehin, ob diese strikte Trennung der Paratexte in Epi- und Peritexte sinnvoll ist, wenn es darum geht, den Einfluss eben dieser im Raum der Videothek zu beschreiben. Die Paratexte des Films im Raum der Videothek sollen daher in zwei Ausrichtungen beschrieben werden: Auf der einen Seite soll die Aufmerksamkeit auf die Anordnung des Raumes, der Regale und der Platzierung der einzelnen Kassette und des einzelnen Films innerhalb dieses Gefüges gelenkt werden. Auf der anderen Seite geht es ebenso um die kleinste Forme des filmischen Paratextes, um das Cover. Die auf dem Cover befindlichen Informationen sollen befragt werden hinsichtlich der sich bietenden Möglichkeiten, durch sie Filmwissen zu generieren und eine andere Form von Rezeption zu starten, die dieses generierte Wissen strukturiert und organisiert. Erst das Zusammenspiel dieser Formierungen von filmischen Paratexten im Raum der Videothek generiert eine Art der Filmrezeption, wie sie konkret nur im Raum der Videothek stattfinden kann. Wenn es somit im Folgenden um die haptischen und nicht-technischen Ausformungen des Paratextbegriffs in Form des Covers, des Filmplakats und der ausliegenden Werbebroschüren gehen soll, so sei hier kurz auf eine Ausnahme verwiesen, die sich erst in den letzten Jahren zu einem weiteren Paratext im Raum der Videothek entwickelte. Damit soll Bezug genommen werden auf den Computer in der Videothek. Zwar gab es schon Anfang der 1990er Jahre Versuche, dem Videothekenbesucher über spezielle Kundenterminals im Bestand des Geschäftes die Suche zu erleichtern oder aber bestellbare Kaufkassetten zu recherchieren. Doch was als Formation eines einfachen Kataloges78 begonnen hat, um das Wissen des Videothekars über sein eigenes Angebot zu unterstützen, ähnelt heute verschlagworteten Internetdatenbanken, die es dem Kunden nicht nur ermöglichen, Filmografien von Schauspielern und Regisseuren abzurufen, sondern auch, sich Trailer der Filme anzuschauen, die neu ins Programm aufgenommen wurden. Da der Zugriff auf diese Terminals (noch) nicht personalisiert ist, ist es demnach nicht möglich, über diese Datenbanken Filmempfehlungen zu erhalten, die aufgrund des vorherigen Leihverhaltens erstellt wurden.79 Der Rat eines seine Kunden wie auch sein Programm kennenden Videothekars wurde da78 Dabei ist wichtig, festzuhalten, dass nicht alle Videotheken über ein Katalogsystem in Form von Hard- oder Softwareoptionen verfügten und auch heute der Computer nicht in jeder Videothek zu finden ist. 79 Ein Vorgehen, wie es zum Beispiel beim Internetwarenhaus amazon praktiziert wird.

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mit noch nicht obsolet gemacht. Wichtiger ist damit jedoch, dass die Videotheken durch die Inklusion eines audiovisuellen Paratextes in die eigenen Räume auf eine Technik zurückgreifen, die zum Beispiel bei Internetvideotheken allein durch die Möglichkeiten des Netzes regulärer Standard ist. Der Trailer, der nun auf dem Bildschirm eines Computerterminals gesichtet werden kann, ersetzt auf diese Weise die von den Anbietern zusammengestellte Trailerkassette, die in einer Endlosschleife auf das kommende Programm hinweisen sollte. Die individuelle Nutzung des Ortes Videothek wird nun durch den Rekurs auf die Spezifik des Netzes, selbst wenn diese Datenbanken nur in Form eines Intranets operieren, erweitert. Der Kunde kann sich vor Ort den Trailer ansehen, der sich ihm auf den ersten Blick als vielversprechend erweist. Durch diese Technik wird ihm folglich ermöglicht, in situ sein Wissen über einen spezifischen Film zu vertiefen und in Rekurs auf seine eigene Filmerfahrung abzuschätzen, ob der jeweilige Film seinem Geschmack entsprechen kann. Zugleich hätte eine derartige Funktion in den 1980er Jahren Probleme wie Coverbetrug nahezu im Vorfeld verhindert, wenn der Kunde nun überprüfen kann, auf welchen Bilderhaushalt er zurückgreift, wenn er den spezifischen Film ausleiht. Und auch die Kategorie des Genres kann durch einen Blick in die Vorschau des Films besser bestimmt werden, als nur durch seine Einordnung in ein spezielles Regal der Videotheken. Während dieser kurze Exkurs zu den Möglichkeiten des Computers im Raum der Videothek und seine Auswirkung auf die Frage nach den vorzufindenden Paratexten vor allem auf die gegenwärtigen Videotheken rekurrierte, ist zu fragen, welche Ausformungen filmischer Paratexte die Gestaltung der Videothek seit den 1980er Jahren kennzeichneten. Eine These soll daher sein, dass die räumliche Anordnung der Cover in den Regalen der Videothek selbst, der Zusammenschluss von Genres als Ordnungskategorien bis hin zu ihrem Platz im Regal eine Ausformung von Paratexten des Films konstituiert, die Einfluss nehmen auf die filmische Rezeption und das Bild, das sich der Mediennutzer vom jeweils spezifischen Film macht. Während die Zuordnung eines Films unter die Kategorie eines Genres als Information über den Film deutlich macht, auf welchen Referenzhorizont rekurriert wird, muss die Aussage der Platzierung eines Films im Regal näher erläutert werden. Durch den Blick auf das Regal entnimmt der Kunde Informationen über den Film allein schon anhand der Kopientiefe. Ist ein Film mehrmals im Regal vorhanden, so weist dies nicht nur – getreu dem McLuhanschen

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Diktum, dass das Medium die Botschaft ist – darauf hin, dass es sich um einen neuen Film handelt, sondern stützt sich gleichzeitig auf den Erfolg des Films, den dieser im Kino erwirtschaftet hat. Die ungeschriebene Regel der Videobranche, dass eine gute Kinoauswertung oft mit einer gewinnbringenden Auswertung im Verleihgeschäft einhergeht, ist hier optisch wie haptisch zu erfassen. Der Blick auf die Kassettenhüllen zeugt nicht nur von einem neuen Film, sondern von einem erfolgreichen noch dazu und ändert durch diesen Umstand gegebenenfalls die Einstellung sowie die Erwartungshaltung des Kunden dem spezifischen Film gegenüber. Der appellative Charakter der Regalwand, die nur aus einem Cover zu bestehen scheint80, formuliert demnach nicht nur durch die Mittel der Werbung, dass das, was viele gesehen haben, auch von einem selbst gesehen werden muss, sondern leitet zugleich daraus ab, dass der Videothekar den Film als wertvoll einschätzt und ihn deshalb so oft in den Verleih genommen hat. Dass sich aus diesen Umständen ein Zirkel bildet, scheint offensichtlich. Doch verweist nicht nur die Häufigkeit des Films in doppelter Weise auf sein Erfolgsversprechen und die Idee, dass dieser Film ein guter Film sein muss, sondern auch sein tatsächliches Entliehensein. Der wirkungsmächtige Blick auf ein und dasselbe Filmcover als Manifestation der technischen Reproduzierbarkeit des Mediums wird dadurch noch verstärkt, dass keiner dieser Filme zur spezifischen Zeit ausleihbar ist, weil sie schon alle verliehen sind.81 Der sich selbst aktuell haltende Zirkelschluss beim Blick auf das Neuheitenregal evoziert somit den zweiten Zusatz, dass, wenn alle anderen Nutzer den Film rezipieren, man ihn selbst nicht verpassen darf. Über den Aspekt der Masse wird zugleich auf den Wert des jeweiligen Films geschlossen. Während der Videothekar des Weiteren die Chance hat, Filme mittels ihrer Positionierung in höher- oder tieferliegende Regalreihen auf- oder abzuwerten, kann er durch die Regale filmische und meist an ein Genre gebundene Reihen zusammenführen und damit stärker auf sie aufmerksam 80 Zum Verleihstart des VHS-Films THE MATRIX [dt. MATRIX]; R: Andy Wachowski/ Larry resp. Lana Wachowski, USA 1999, legten viele Filialen ganze Regalwände mit nur diesem einen Film an. Allerdings operierten viele dieser Ketten, die so praktizierten, auch mit keinem exklusiven Neuheitenregal, sondern sortierten die neuen Filme in die bestehenden Genrekategorien ein. 81 Zwar freut sich jeder Videothekar, wenn alle Versionen eines Films entliehen sind, doch führt dies in die Aporie, dass ein Großteil seiner Kunden den gewünschten Film nicht erhält und somit gegebenenfalls eine andere Videothek aufsucht. Hier kann der Betreiber entgegenwirken, indem er die Kopientiefe eines Films erhöht.

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machen. Da der Blick auf das Regal als Ganzes wie auch auf die einzelnen Reihen optisch Wissen über den jeweiligen Film vermittelt, wird dies durch die Möglichkeiten des Filmcovers in einen Modus des Haptischen überführt. Mit Filmcover soll hier nicht nur das in der Regel frontal dem Kunden zugewandte Titelbild bezeichnet werden, sondern ebenso die Rückseite und der Videorücken des jeweiligen Films. Wenngleich sich das Cover filmhistorisch in die Geschichte des Filmplakats eingliedert, fallen doch markante Unterschiede auf; denn im Gegensatz zu dem recht gut erforschten Moment des Filmplakats, scheint das Videocover die Berührungsängste der 1980er Jahre mit dem Medium an sich zu reaktualisieren. Finden sich nicht nur umfangreiche Kataloge zu den Filmplakaten der Geschichte des Kinos und des Films und sind sie akzeptierter Bestandteil von filmhistorischen Museen und Ausstellungen, so gilt dies nicht für das Videocover. Dazu ist wichtig anzumerken, dass das Plakat eines Films, mit welchem bei seiner Kinoauswertung geworben wurde und sein späteres Videocover meist nicht miteinander identisch sind. Und nicht einmal das Cover der später auf den Markt gelangenden Kaufkassette ist identisch mit dem vorher in der Videothek eingesetzten Motiv. Tatsächlich birgt ein solcher Wechsel die Gefahr, den Wiedererkennungswert eines Films zwischen Kino und Videothek, zwischen Videothek und Kaufhaus zu unterminieren, fällt schließlich bei der Suche nach einem spezifischen Film der Blick stets zuerst auf das Bild und dann auf den Titel. Hintergrund dieser Änderungen sind häufig Werbestrategien, die den spezifischen Film auf anderem Wege vermarkten wollen. Als Beispiel sei in diesem Kontext der Film IRRÉVERSIBLE82 des französischen Regisseurs Gaspar Noé aufgeführt, der als Vertreter für ähnliche Strategien stehen soll, die Filme unter anderen und neuen Covern auf den Markt bringen: Während das Cover der Videotheken- und Leihversion das Bild der Vergewaltigung Monica Belluccis durch ihren Peiniger auf der Frontseite der Filmhülle präsentierten, verzichtete man bei der Verkaufsversion auf das gewaltvolle Motiv. Dies mag hier aus zweifachem Grund geschehen sein: Auf der einen Seite prüft die FSK auch die Werbeträger eines Films, vom Plakat über die Aushangfotos bis hin zum Cover und den auf diesen abgebildeten Motiven. So macht es einen Unterschied, ob das Bild in einer Videothek zu finden ist, die oft erst ab 18 Jahren zu betreten ist oder in einem regulären Kaufhaus, unabhängig davon, dass es sich in diesem Fall nicht um

82 IRRÉVERSIBLE [dt. IRREVERSIBEL]; R: Gaspar Noé, F 2002.

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einen indizierten Film handelt. Auf der anderen Seite scheint die Industrie, und dies nicht nur im Falle des Skandalfilms Noés, in der Videothek ein anderes Publikum zu adressieren, welches nicht nur durch die FSK-18Freigabe, sondern darüber hinaus durch das Cover attraktiert werden soll. Der Vorwurf der Videothekare in den 1980er Jahren an die Anbieter, den Attraktionsgehalt der Cover in Form der Darstellungen von Gewalt und nackter Haut zu reduzieren, schien in Bezug auf spezifische Filme wiederholt werden zu müssen. Diese Differenz zwischen Verleihversion und Kaufkassette respektive deren Nachfolgemedien kann einer auf ihr Image bedachten Branche weiterhin nachhaltig schaden. Interessant ist an dieser Beobachtung jedoch der Umstand, dass sich an den Covern der Status des Zwischenraumes der Videothek, zwischen dem öffentlichen Raum des Kinos und dem privaten Raum des eigentlichen Filmkonsums, an den eigenständigen Covern wiederholt und den Status eines festen Dazwischens einnimmt, durch eine der Branche eigene Coverpolitik.83 Tatsächlich scheinen in Bezug auf eine Historiografie des Videocovers vor allem aus den Bereichen des Horror- und Pornofilms Bemühungen zu entstehen, diese Cover zu sammeln und ähnlichen Publikationen im Bereich des Filmplakates an die Seite zu stellen, um so eine Art des Gegenkanons zum klassischen Entwurf der Filmgeschichte zu etablieren. Obwohl sich diese Publikationen im Bereich des Horrorfilms insbesondere aus zahlreichen Fanaktivitäten84 speisen und statt einer ausgewogenen Systematik die Beliebtheit des spezifischen Films oder des Covers als Maßstab nehmen, genau dieses Cover ansprechend zu präsentieren, ist damit ein erster Ansatz gefunden, die Geschichte des Videocovers visuell aufzubereiten und nach Ikonografien des Genres zu fragen, die zu einer bestimmten Zeit den Entwurf dieses Genres mitprägten. Die schon in der Einleitung aufgestellte These, dass die Videokassette keine Liebhaber zu finden scheint, muss daher zumindest in Bezug auf die Kultur des Horrorfilmcovers leicht reformuliert 83 Ähnliches gilt auch für die Filmposter der Videothek. Da diese häufig mit den neuen Filmen geliefert werden, ähneln sie den Abbildungen der Cover, nicht denen der Filmplakate. Dies ist nur konsequent, liegt deren Ziel doch darin, das beworbene Video mühelos in den Regalen der Videothek wiederzufinden. Die Filmposter der Videothek, die viele Geschäfte auch zum Verkauf anbieten, erkennt der Mediennutzer daran, dass sie gefaltet wurden und darin älteren Filmplakaten des Kinos nicht unähnlich sind. 84 Vgl. für den Horrorfilm: Andreas Bethmann, 20 Jahre phantastische Videocover. Die schönsten und seltensten Videocover von 1980 bis heute, Wechmar 1998.

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werden. Nicht nur, dass diese Cover als Teil der Videogeschichte des Mediums Films positiv konnotiert, sondern durch die Möglichkeiten des Internets zu Formen virtueller Film- beziehungsweise Videomuseen transformiert werden.85 Markant ist, dass neben dem Horrorfilm auch der Pornofilm Publikationen vorzuweisen hat, die versuchen, Cover aus der Heimvideogeschichte des Genres ansprechend zu präsentieren.86 In Coversammlungen, wie sie unter anderem unter dem sprechenden Namen Cumshots veröffentlicht wurden, werden ebenfalls keine möglichen Klassiker des Genres versammelt, sondern der Unterhaltungswert der abgebildeten Cover betont. Teil der Aufzählung wird daher, was skurril und unfreiwillig komisch auf die Videocover der Pornofilme gelangte. Interessant ist dabei, dass das Auswahlkriterium nicht das eigentliche Bild darstelle, sondern der Titel des Films, der die visuelle Unterstützung nicht einmal gebraucht hätte, um hier als humoristisches Element zu wirken. Die zwei schon erschienenen und mit Videocovern gefüllten Kataloge, die gleichzeitig auch in einer Videohülle auf den Markt gekommen sind, um den Retrocharme der Videokassette und deren einstiger Aufbewahrung87 zu betonen, bieten somit einen zweiten Ansatz, das Genre des Pornofilms auf seine ihn bestimmenden Bildpolitiken zu hinterfragen.88 Sowohl die Cover des Horror- als auch des Pornofilms wurden nicht nach den eigentlichen Attraktionen des Genres, der Evozierung von Angst und Ekel sowie von sexueller Erregung, ausgesucht, sondern nach anderen Kategorien. Dennoch führt der Blick auf diese Cover ebenso zum Modus der Erinnerung an einstigen Filmkonsum oder zu der Frage, ob der spezifische Film bekannt ist, wie es das Cover im Regal der Videothek aktiviert. 85 Vgl. das Videomuseum unter: http://video-museum.net/ (Zugriff am 01.04.2014). 86 Vgl. Manuel Grebing/Stephen Scheler, Cumshots. Höhepunkte der deutschen Pornofilme, Kronberg/Taunus 2007. 87 Obwohl gerade bei diesem Vorhaben der Verweis auf das Programm der Videotheken in seiner Genauigkeit falsch liegt, da beide Teile von Cumshot in einer E300-Hülle auf den Markt kamen. Gemeint sind die kleineren Kassettenhüllen, wie sie bei Kaufkassetten im Handel, nicht aber von den Videotheken genutzt wurden, die ihre Filme durch E400-Hüllen bewarben. Dieses Mittel der äußeren Unterscheidung einer Videothekenkassette von regulären Kaufkassetten wurde mit der Einführung der DVDs obsolet, die nur durch den Aufdruck auf der Oberseite der Discs als Leihversionen zu erkennen sind. 88 Diese Verbindung von Pornofilm und dem gemeinsamen Lachen über das Genre wird in den Räumen der Videothek häufig beobachtet; gerade dann, wenn Jugendliche in größeren Gruppen diese Abteilung gemeinsam aufsuchen.

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Während diese kurzen Ausführungen aufzeigen sollen, wie durch die Möglichkeiten des Videocovers gegebenenfalls Fragen nach der Bildzirkulation spezifischer Genres beantwortet werden können, geht es des Weiteren um die Frage, wie das einzelne Cover im Raum der Videothek Aussagen zur Verfügung stellt, die sich nicht nur als weiterer Paratext fassen lassen, sondern das Wissen um das Medium weiter konstituieren. Tatsächlich bildet das Cover der jeweiligen Filme die Fortsetzung des Kinoaushangs mit anderen Mitteln. Bedeutet Video die Konservierung des flüchtigen Mediums Film, so wurde das Cover zum Mittel der Konservierung der Flüchtigkeit der Filmstandbilder, die als Werbung für den Film dienen sollten. So weist Winfried Pauleit darauf hin, dass den Filmstandbildern eine gewisse räumliche Grenzziehung inhärent ist, markieren sie doch die „[…] Schwelle zwischen Stadtraum und Kinosaal“89. Zugleich werden diese lediglich als Medium des Übergangs eingesetzt, da Aushangbilder, so Pauleit weiter, „[…] in Schaukästen mit Nadeln oder Reisnägeln angesteckt […] ein Provisorium [bilden], solange wie der Film im Kino gezeigt wird. Danach verschwinden sie im Archiv oder im Abfall“90. So ist durchaus zu beobachten, wie die Bilder eines Films, die von den Werbefirmen an Presse und Kinos weitergegeben werden, eben auch jene Bilder sind, die ihren Weg auf die Rückseite des Covers finden. Die Bandbreite, mit der ein Film im Schaukasten eines Kino beworben wird, verdichtet sich demnach auf der Rückseite der jeweiligen Filmhülle, wenngleich meist mit einem anderen Coverbild. Daraus folgend bildet das Cover die größte Ansammlung von Paratexten des Films, obgleich es in seiner spezifischen Gestaltung alles andere als homogen erscheint. Auf dem Cover der Videokassette ist nicht nur der Titel des Films zu finden, der ihn adressier- und identifizierbar macht, sondern auch die Namen der beteiligten Schauspieler und Castmitglieder. Vor allem in den letzten Jahrzehnten ließ sich eine Entwicklung auf Filmplakaten wie Filmcovern ausmachen, die den Namen des Regisseurs wieder verstärkt in den Mittelpunkt der Informationen über den Film rückte. Zumeist zentral in der oberen Hälfte des Covers zu finden, wirbt der Name des Regisseurs für

89 Winfried Pauleit, Die Filmanalyse und ihr Gegenstand. Paratextuelle Zugänge zum Film als offenem Diskursfeld. In: Andrzej Gwóźdź (Hrsg.), Film als Baustelle. Das Kino und seine Paratexte, Marburg 2009, S. 37-57, hier: S. 43. 90 Ebd. Dass jedoch diese Bilder auch das Interesse des Sammlers wecken, zeigt sowohl Truffauts Film als auch die Tatsache, dass die Aushangfotos der Kinos auf Filmbörsen großen Absatz finden.

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den eigentlichen Film. Wahlweise wird dort ebenfalls mit dem Namen des Drehbuchautors oder des Produzenten geworben, obwohl, anders als beim Namen des Regisseurs, diese nicht namentlich genannt werden, sondern unter dem Kürzel die Macher von subsumiert werden. Hier greift die Filmindustrie auf einen Modus der Dichotomie einer anonymen Bekanntheit zurück, wenn sie nicht den Namen des jeweiligen Regisseurs, Produzenten oder Drehbuchautors nennt, sondern lediglich auf seine vorherigen Filme und Erfolge verweist. Rekurriert wird auf einen wichtigen Bestandteil der Kommunikation über das Medium Film, wie sie sich vor den Regalen der Videothek und in der alltäglichen Rede vom Film beobachten lässt. Die nicht bekannten Namen werden durch den Verweis auf den anderen Film zwar nicht wirklich bekannter, doch kann der Mediennutzer auf diese Weise einschätzen, ob der spezifische Film seinen Sehgewohnheiten entspricht, vorausgesetzt er kennt diesen. Der Name des Regisseurs, des Produzenten und des Drehbuchautors – sowie der in der Regel bekanntere Name des Schauspielers – verlinken somit die Filme innerhalb des Raumes der Videothek miteinander und wirken dabei als Leihempfehlung. Dieser Verweis auf andere Filmprogramme wird nicht nur durch den Rekurs auf die Macher eines jeweils anderen Films forciert, sondern meistens außerdem durch die Nennung von zwei oder drei weiteren Filmtiteln der jeweiligen Person. Die Komplexitätsreduktion des Covers und seiner Querverweisen auf andere Filme bildet somit ein bewährtes Mittel beim Gang in die Videothek, die Verbindungen der Filme untereinander zu erkennen und diese Verstrebungen für den eigenen Filmkonsum nutzbar zu machen. Ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Paratext findet sich in der Form der FSK-Freigabe eines jeden Films. Gerade die neuen Bestimmungen in Bezug auf die Sichtbarkeit des FSK-Logos und dessen Freigabe für den geprüften Titel haben in den letzten Jahren für erheblichen Unmut sowohl auf Seiten der Anbieter als auch bei den Endverbrauchern gesorgt.91 Die Freigabe der FSK muss nun sichtbar auf der Vorderseite der Cover zu sehen sein und dies in einer größeren Version, als es vorher auf der Rückseite von Kassetten- und DVD-Covern regulär der Fall gewesen war. Wenngleich ihre

91 Dies hat vor allem dazu geführt, dass viele zum Verkauf angebotene Filme über einen doppelseitig bedruckten Einleger verfügen, der es erlaubt, nach dem Kauf die andere Seite nach vorne zu wenden, die keinen FSK-Aufdruck enthält. Bibliowie Videotheken hingegen sind verpflichtet, diese Angaben frontal auf den Covern zu präsentieren.

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Sichtbarkeit eine neue Form angenommen hat, bleibt die Funktion der Freigabe als filmischer Paratext gleich. Durch ihr Vorhandensein schafft diese Information der FSK ein Wissen vom jeweiligen Film jenseits der pädagogischen Eignung oder Nichteignung des Programms für einen durch sie adressierten oder exkludierten Rezipienten. Das Wissen, welches durch die Information zur Freigabe eines jeweiligen Programms abgerufen werden kann, ist unter anderem die Information, ob es sich bei dem jeweiligen Film um eine geschnittene oder ungeschnittene Version des gewünschten Programms handelt. Dies hat insbesondere dann eine Bedeutung, wenn Filme, um größere Publikumsschichten zu erreichen, in unterschiedlichen Versionen und in voneinander abweichenden Schnittfassungen auf den Markt gebracht werden.92 Oft ist die höchste Freigabestufe, die FSK-18, letztlich die vom Kunden gesuchte Version, wenn es sich um Produkte aus dem Bereich Horror oder Action handelt. Neben dieser gesicherteren Form von Wissen über die Vollständig- oder Unvollständigkeit eines Films, die meistens auf eine Quelle außerhalb der Videothek rekurriert, formt die sichtbare FSK-Freigabe sowohl in ihrer alten als auch in ihrer neuen Version eine Form der Erwartung, die durch sie an den Film herangetragen wird. Die Kennzeichnung eines Films mit der Freigabe FSK-18 beinhaltet auf der einen Seite die Möglichkeiten des Schutzes vor, auf der anderen Seite das mögliche Versprechen von brutalen und freizügigen Bildern. Die Freigabe wird damit für die eine Seite der Nutzer zu einem Gütesiegel, für die andere jedoch zum Hinweis auf jene Bilder, vor denen der pädagogische Imperativ der FSK93 warnen will. Gerade im genannten Bereich des Horror- und Actionfilms übernimmt die Signalfarbe des Roten Quadrats die Filmempfehlung für das Sichten des jeweiligen Programms, vor allem dann, wenn es sich um einen für den Kunden noch unbekannten Film handelt.94 Die Freigabe der FSK kann somit in

92 Da dies oft Mehrkosten verursacht, die gewöhnlich durch den Film in seiner spezifischen Version nicht eingebracht werden, wird mehr und mehr auf diese Praxis verzichtet. Gerade im Bereich der Kaufkassette war dieses Vorgehen lange Zeit zu beobachten, da so auch in regulären Kaufhäusern Versionen von eigentlich indizierten Filmen angeboten werden konnten. Die Verkäufe dieser speziellen Versionen für eine breitere Öffentlichkeit waren dabei jedoch erwartungsgemäß gering. 93 Wenngleich wichtig ist zu betonen, dass es sich bei den Freigaben der FSK eben nicht nur um pädagogische Empfehlungen handelt. 94 Diese Aussage will nicht als Zustimmung zur Kritik am möglichen Konsum von Horror- und Actionfilmen verstanden werden. Dennoch geht die Empfehlungs-

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einem engen Verhältnis zum Genre des jeweiligen Films stehen oder aber lediglich das sein, was sie sein möchte: eine zu berücksichtigende und den Jugendschutz fördernde Maßnahme. Gerade der Aspekt der FSK-Freigabe sowie die Information über die jeweilige Version eines Films machen deutlich, dass Videotheken nicht nur ein Ort der filmischen Paratexte sind, sondern darüber hinaus ein Ort, der Filme in verschiedenster Weise dupliziert. Damit ist nicht nur gemeint, dass ein Film mehrmals in der Videothek zu finden ist, sondern zugleich in verschiedenen Versionen vorhanden sein kann. Auf der einen Seite durch die Veröffentlichungen unterschiedlicher Schnitte vonseiten der Produzenten, die in späteren Versionen geschnittenenes Material wieder in den Film integrieren, auf der anderen Seite durch die Schnittvorlagen der FSK. Für die Praxis der Videothek hat dies zwei maßgebliche Folgen: Einerseits bezeichnet das Auffinden des jeweiligen Films im Bestand der Videothek nicht direkt die gewünschte Rezeptionserfahrung des entliehenen Programms; dies eben, weil es sich hier um eine geschnittene Filmfassung oder kürzere Version handeln kann. Auf der anderen Seite heißt dies ebenso, dass es zu unterschiedlichen Rezeptionserfahrungen kommen kann, die die Kommunikation über den Film erneut beeinflussen. Entleiht zum Beispiel ein Kunde die FSK-16-Version eines Films und verfügte hingegen die Videothek des anderen Kunden lediglich über die FSK-18-Version, so mögen die Schnitte und Unterschiede zwischen den beiden Versionen zwar minimal sein, dennoch beeinflussen sie die abschließende Bewertung des Films und das sich einstellende Rezeptionserlebnis, solange die betreffenden Versionen nicht bewusst ausgesucht und entliehen wurden. Der letzte Paratext95, der daher eine immense Bedeutung auf dem Cover des Films hat, ist die Information zu seiner Version und Schnittfassung. Dies betrifft nicht nur, wie bereits angedeutet, die Frage danach, ob ein Film geschnitten wurde oder nicht, sondern auch, ob es sich um eine Originalkinoversion handelt oder eine für den Verleih überarbeitete Ausgabe. Die

funktion der FSK-Freigabe hin bis zu der Aussage von Horrorfans, dass sie keine Filme des Genres rezipieren, die eine FSK-Freigabe unter 18 vorzuweisen haben. 95 Nicht erwähnt wurde unter anderem die Möglichkeit, auf Auszeichnungen und Preise auf den Covern der jeweiligen Filme hinzuweisen. Da jedoch außer dem Oscar die meisten Auszeichnungen dem einfachen Videothekengänger nicht geläufig sind, stehen sie in ihrer Wichtigkeit nach der Frage, wie die Paratexte des Films den Raum der Videothek strukturieren, an hinterster Stelle.

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Verwertung eines Films unter dem Label und Paratext des Director’s Cut96 scheint die Problematik und Wichtigkeit der Angabe nur um einen weiteren Punkt zu ergänzen.97 Sollten die vorherigen Paratexte vom Regal bis hin zur Information auf dem Cover nicht nur das eigene Filmwissen aktualisieren und Neues generieren, scheint der Paratext der Versionen diesen Bemühungen diametral entgegenzuwirken, Orientierungshilfe im Raum der Videothek auszubilden. Zwar erscheinen sie jenem Mediennutzer hilfreich, der nach den spezifischen Versionen im Bestand der Videothek sucht, nicht jedoch dem Videothekengänger, der nicht nur von ihnen nichts weiß, sondern auch zu den einer eigenen Editionswissenschaft ähnelnden Bezeichnungen keine Verbindungen herstellen kann. So lassen sich zwar durch sie Informationen bereitstellen über den jeweiligen Produktionsprozess des Films sowie Abweichungen der spezifischen Version, sie verhindern jedoch in ihrer Ausdifferenziertheit, wie angedeutet, nicht nur die Kommunikation über den gesehenen Film, weil man nicht sicher ist, welche Version das Gegenüber gesehen hat, sondern drohen ebenfalls, den Bestand der Videothek mit anderen Versionen ein- und desselben Films zu belasten.98 Gerade die Wiederverwertung von Filmen, sei es durch ihre Premiere auf einem neuen Trägermedium oder durch die Veröffentlichung einer anderen Version, hat dem Aspekt des Filmesammelns eine weitere Dimension hinzugefügt, die über die Möglichkeiten des Raumes der Videothek hinausgeht. Inwiefern der Aspekt des Sammelns somit innerhalb und außerhalb der Grenzen der Institution Videothek eine Rolle spielt, soll im Folgenden leitende Fragestellung sein.

96 Gerade die sogenannten Director’s Cut-Versionen sind eine Manifestation der Autorentheorie des Films in den Räumen der Videothek, indem sie den Eindruck evozieren, dass sie als Version des Films auf den Markt kommen, die im besonderem Maße vom Regisseur gewünscht wird oder seinen künstlerischen Vorstellungen am ehesten entspricht. Dass mit der Veröffentlichung solcher Versionen oft performativ eine Abwertung der vorherigen Version einhergeht, scheint plausibel. 97 Vgl. Gereon Blaseio, Die Aporie des Director’s Cut und das Verschwinden des Autors im Zeitalter der DVD. In: Tina-Karen Pusse (Hrsg.), Rhetorik des Verschwindens, Köln 2008, S. 91-104. 98 So sind teilweise Anbieter dazu übergegangen, verschiedene Versionen eines Films auf einer DVD herauszubringen, die genau dies verhindern will. Der Mediennutzer hat daher zu Hause die Möglichkeit, zu entscheiden, welche Version er rezipieren will und muss diese Auswahl nicht vor Ort treffen.

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2. S CHAUEN

UND LEIHEN , SCHAUEN UND BESITZEN

2.1 „Vom mickrigen Bordellbesucher zum Eigner eines Harems“: der Sammler Die generellen Möglichkeiten, Film abseits seines ursprünglichen und genuinen Ortes, dem Kino, zu sammeln, sind so alt wie das Medium selbst und dabei keineswegs exklusiv an den Umbruch der 1980er Jahre gebunden. Doch bedeutete das Sammeln von Film und Filmen vor den Möglichkeiten des kassettierten Magnetbandes nicht nur, über das nötige Kapital zu verfügen, sondern auch über ausreichenden Raum. Technikbegeisterte und Kunstliebhaber, die schon früh das Potenzial des neuen Mediums erkannt hatten, installierten sich eigene Kinosäle, die in den heimischen Räumen die Situation des Kinos perfekt imitieren sollten. Das Hoftheater der ehemals Mächtigen wurde so zum Privatkino der Neureichen. Eine solche Inszenierung des Erfahrungsraums Kino erforderte neben den Filmen, die bis dahin nur auf großen Zelluloidrollen zu erwerben waren, die Möglichkeit der Projektion und einer ausreichenden Leinwand. War diese Form der privaten Medienausstattung somit lange Zeit nur spezifischen Schichten vorbehalten, die es sich schlichtweg leisten konnten, über das Medium zu verfügen, schien sich dies mit der Videokassette grundlegend zu ändern, die spätestens nach dem Preisverfall der Recorder und wenig später der Kassetten nahezu allen Schichten offenstand.99 Wenngleich sich auch hier, wie bei der Durchsetzung jeder neuen Form von Technik, die Verbreitung erst in den besser situierten Schichten beobachten ließ und zu Beginn des Videobooms Videorecorder den Rang eines Statussymbols genos-

99 Eine andere Möglichkeit, vor diesem Umbruch das Medium Film zu besitzen, war der Erwerb sogenannter Schmalfilmprojektoren, die vor allem in den 1970er Jahren einen regelrechten Boom erlebten. Während sich der Schmalfilm besonders im Amateurbereich für private Aufnahmen, aber auch für erste Drehversuche angehender Regisseure großer Beliebtheit erfreute, waren Filme auf Schmalfilm nicht nur recht teuer, sondern in der Regel zudem gekürzt. Boehm bezeichnet den so etablierten Heimfilmmarkt als „eine Scherbenwelt“. Um sich die Filme leisten zu können, wurden meist Abstriche bei der „Vollständigkeit, Farbe oder gar [beim] Ton gemacht“. Boehm, „Pleasures and treasures“, S. 30. J. J. Abrams hat dem Kult um die Möglichkeiten des Schmalfilms mit dem Film SUPER 8 (USA 2011) ein filmisches Denkmal gesetzt.

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sen, schien Ende des Jahrzehnts ein Großteil der bundesdeutschen Haushalte an der Besitzbarkeit des Mediums Film partizipieren zu können. Diese Entwicklung, die in den 1980er Jahren ihren Anfang nahm, hat insbesondere in den letzten Jahren dahin geführt, dass sich die Situation der frühen Filmsammler heute zu wiederholen scheint, wenn immer mehr Mediennutzer Beamer und Leinwand für den heimischen Filmkonsum verwenden, um das Kinoerlebnis zu Hause in perfekter Weise imitieren zu können. Die Möglichkeiten einer technischen Nutzung des Mediums Film waren und sind die Voraussetzungen, die notwendig erscheinen, um selbst zum Filmsammler zu werden. Heute wie damals konstituiert sich der Sammler vor allem dadurch, dass er in der Lage ist, seine eigene Sammlung zu nutzen. Gerade in diesem Punkt unterscheidet sich der Filmsammler von Anhängern anderer Sammelleidenschaften, scheint es doch ein genuines Merkmal einer jeden Passion zu sein, die eigene Sammlung zwar stetig zu vergrößern, nicht aber diese auch zu benutzen. Die Gegenstände einer Sammlung werden auf diese Weise ihrer eigentlichen Spezifik enthoben und einem anderen Modus des Gebrauchs unterstellt. So nutzt der Briefmarkensammler seine Marken nicht, um mittels ihres ursprünglichen Wertes postalisch zu kommunizieren; und auch der Figurensammler spielt nicht mit seinen gesammelten Objekten, bleiben diese doch zumeist in ihren originalen Verpackungen. Realer und ideeller Wert zugleich transformieren das zu sammelnde Objekt in einen Zustand permanenter Inaktivität, die es gestattet, es zu betrachten und sich über die Position zu erfreuen, die es als Bestandteil der Sammlung einnimmt. Der Filmsammler jedoch konsumiert die Teile seiner Sammlung, wiederholt die Lektüre, setzt sie neu an und konsumiert sie erneut. Gerade auch, weil das Medium Film in seiner haptischen Form zu keinem Ende zu kommen scheint und der Filmsammler mit ihm exakt jenen Umgang pflegt, der sich zugleich beim Nichtsammler des Mediums Film findet. Hier hat die Sammlung nicht nur den Sinn und Zweck zu existieren, sondern gleichzeitig jenen, genutzt zu werden. Die Ausformungen eines Sammlers als ästhetischem oder ökonomischem Vertreter seiner Profession, wie sie unter anderem Manfred Sommer in seinem philosophischen Versuch über das Sammeln voneinander differenziert, finden beide im Filmsammler Konkretisierung.100 Während der ästhetische Sammler das Sehenswerte präsent haben will, um

100

Vgl. Manfred Sommer, Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt am Main 2002.

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es jederzeit betrachten zu können, sammelt der ökonomische Sammler, um den Konsum des Gesammelten hinauszuzögern.101 Dem Filmsammler gelingt beides. Drei solcher Figurationen des Filmsammelns lassen sich daher ausmachen, die sich durch die Verbreitung der Videokassette etabliert haben und deutlich machen, wie der zeitgenössische Ausspruch „vom mickrigen Bordellbesucher zum Eigner eines Harems“102 zu verstehen ist. Denn wie schon die Anekdote aus François Truffauts Film LA NUIT AMÉRICAINE im vorherigen Kapitel gezeigt hat, gab es vor der neuen Technologie kaum Möglichkeiten, des Films habhaft zu werden, als auf seine Paratexte in der Form von Merchandising jedweder Couleur zurückzugreifen.103 Der Film war in dieser Hinsicht auf die Erinnerung des einzelnen Zuschauers angewiesen, sollte er auch nach der besuchten Kinovorstellung zur Verfügung stehen. Jedoch fehlte diesem Moment der Aneignung des Films, auf den noch zurückzukommen sein wird, jegliche Ausformung eines haptischen Moments, welches oft den Umgang mit Medien ausmacht. Die fehlende Haptik des Kinoerlebnisses, welchem höchstens, wenn überhaupt, in Form der gekauften Karte entgegengewirkt wurde, wird somit nur zu einem weiteren Kritikpunkt, der die Passivität des Mediennutzers im Kino in den Blick nehmen will. Rein äußerlich schien das Erlebnis im Kino den Zuschauer tatsächlich auf eine passive Situation zu reduzieren, für die er bezahlt hatte, ohne etwas Dauerhaftes zurückzubekommen.104 Während das Buch das Blättern erforderte, der Fernseher mittels der Fernbedienung beherrscht werden konnte und selbst der Computer, wenngleich zeitlich erst nach der Durchsetzung der Videokassette, die sich über die Tastatur bewegenden Finger erforderte, saß der Zuschauer im Kino still in seinem Sessel und schien jegliche Bewegung bis auf die Aktivitäten der Augen für Stunden einzustellen. Die Konventionen des Ortes Kino, die diesen Zustand forcierten, verhinderten somit das Reden 101

Ebd., S. 33 ff.

102

Boehm, „Pleasures and treasures“, S. 31. Boehms Argumentation ist stark ideologiekritisch gefärbt.

103

Eine ähnliche Anekdote aus der deutschen Kinolandschaft der 1950er Jahre findet sich ebenfalls bei Boehm, „Pleasures and treasures“, S. 29. Boehm gibt dort an, wie manche Kinos nach dem Tod von James Dean im September 1955 keine Aushangfotos mehr präsentierten, da diese bereits nach kurzer Zeit gestohlen wurden.

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Boehm findet dazu die passende Umschreibung der „gemieteten Zeit des Genießens“, „Pleasures and treasures“, S. 29.

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über das, was man sah, fühlte und dachte, während man den Film konsumierte, während der familiäre Fernsehabend eine genau gegenteilige Rezeptionssituation auszubilden schien. Dass der Vorwurf der Passivität des Kinozuschauers schon lange nicht mehr zu halten ist und der Zuschauer nie wirklich passiv in seinem Sein vor der Kinoleinwand war, ist nahezu zu einem weiteren kolportierten Mythos der modernen Mediengeschichte geworden. Dennoch ist festzuhalten, dass sich durch das Medium Video und die bereits beschriebenen emanzipatorischen Möglichkeiten des Videorecorders diese Rezeptionshaltung maßgeblich änderte und somit auch Aus- und Rückwirkungen auf den Kinobesuch hatte. Die Gewohnheit, bei einem Film miteinander zu reden, über das Gesehene zu kommunizieren, stellt auf der einen Seite eine weitere Emanzipation von den ungeschriebenen Gesetzen des Kinos dar, ließ sich aber auf der anderen Seite auch im Kino zum Leidwesen der anderen Besucher nicht mehr (oder nie?) vollends verhindern. Wenn aber wirkliche und vollständige Passivität nie Teil des Kinobesuches war, so ist hier mehr auf eine Diskursfigur zu rekurrieren, die den Unterschied zwischen Kinobesuch und Videoabend verdeutlichen soll. Die Möglichkeiten und die Rede vom Begriff der Relektüre, die etymologisch nicht nur die Wiederholung und das Zurückgehen, sondern zudem das genaue Lesen des Mediums andeuten, ohne damit auf die Semiotik zurückzugreifen, zeigen an, wie die Dichotomie von aktiv und passiv, von Kino und Video zu deuten ist. Diese neuen Formen der Verfügbarkeit situieren und figurieren jedoch noch keinen Sammler. Das entliehene und danach zurückgebrachte Video bleibt weiterhin nur eine „gemietete Zeit des Genusses“105, trotz der Möglichkeiten des Eingreifens in das Material durch Fernbedienung und Videorecorder. Erst wenn der einzelne Film gekauft respektive kopiert sowie archiviert wurde, entstanden Sammlungen des Mediums, welche es vor 1980 so noch nicht gegeben hatte und die nicht nur die bloße Verfügbarkeit, sondern vor allem auch die Besitzbarkeit des Mediums grundlegend änderten. Der Griff ins eigene Regal ersetzte den Spielplan des Kinos und die Ankündigungen der Programmzeitschrift. Das Draußen des Kinos wurde zum (Dr-)Innen der eigenen Sammlung, zu welcher die Videothek meist als ein Mittel zum Zweck beitragen konnte.

105

Ebd.

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Tatsächlich führt die Verfügbarkeit des Films, den sich der Sammler ins eigene Regal stellt, in eine Aporie, die jedes Sammeln zu kennzeichnen scheint und die hier eine Schnittmenge zu einem klassisch genutzten Archivbegriff aufweist, der später den Ausgangspunkt bilden soll für die Überlegungen, inwiefern sich der Begriff des Archivs selbst auf die Räume der Videothek übertragen lässt. So charakterisieren sich Sammlungen, unerheblich, ob damit eine Kunstsammlung oder die eigene Videokollektion gemeint ist, ähnlich wie das Archiv durch ein Innen und Außen; durch das, was in der Sammlung ist und in dieser noch fehlt, oder es schlichtweg nicht wert ist, in diese aufgenommen zu werden. Zentral ist somit, dass der Sammler nie an den Punkt gelangen sollte, an welchem seine Sammlung den Zustand der Vollständigkeit erreicht. Denn wird das Sammeln hier als aktiver Begriff verstanden, so wird diese Aktivität mit dem letzten zu ergatternden Stück obsolet und beendet damit das Suchen nach weiteren Teilen der und für die Sammlung. Die Exponate der Sammlung haben nur das einzige Ziel: zu sein und Bestandteil der Sammlung zu werden, um diese zu konstituieren, zu vergrößern und auszumachen.106 Markant bleibt daher, wie angedeutet, dass dies auf den Filmsammler nicht zutrifft. Zwar dient auch die Filmsammlung in erster Linie dem eigentlichen Sammler, doch wird sich ebenso aus dieser bedient, um die eigenen Filme zu rezipieren.107 Letzten Endes, unabhängig davon, wie der Sammler mit den Gegenständen seiner Sammlung verfährt, führt die Videokassette nun zwei Möglichkeiten auf, Sammler und Besitzer des Mediums Film zu werden, die sich als Neuheit in den 1980er Jahren konstituierten und damit einen Unterschied bewirkten zum Modus des Filmsammelns vor dem technischen Umbruch. Dieser Wechsel wurde auf der einen Seite forciert durch die Möglichkeiten der Kaufkassette, die es fortan erlaubte, den Film in anspruchsvoller Hülle ins eigene Regal zu stellen. Die Figuration der Videokassette durch Hülle und Cover, den Titel des Films dabei dem Buchrücken ähnlich auf der 106

Wenngleich der Begriff sich aufdrängt, soll hier bewusst auf die Bezeichnung des Fetischs verzichtet werden, da seine Konnotationen und inhärenten Theorieapplikationen für diese Argumentation nicht hilfreich sind.

107

Tatsächlich wiesen nicht nur Untersuchungen in den 1980er Jahren wie auch eigene persönliche Erfahrungen darauf hin, dass gerade die Mediennutzer, die selbst über einen großen Fundus von Filmen verfügen, häufiger neue Filme kaufen und doch zugleich in den Videotheken weitere Filme entleihen. Einen ähnlichen Befund gibt es meist analog beim Verhältnis von eigenen Büchern und dem Besuch der öffentlichen Bibliothek.

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Seite präsentierend, scheint sich in mehrfacher Hinsicht und in erstaunlicher Weise dem Buch anzunähern und anzupassen. Nebeneinander im Regal stehend versprechen beide die Möglichkeiten, andere Welten zu erkunden und neues Wissen zu akkumulieren, welches durch ein simples Öffnen der Hülle oder Aufklappen des Buches erreicht werden kann. Nicht nur das Programm auf den Kassetten gab den Wert einer Kassette vor, sondern auch die Hüllen selbst; ein Umstand, der zudem den Wechsel zur DVD überlebt hat. Während somit vor allem im Bereich des Horrorfilms Filme gesammelt wurden, die ungeschnitten oder in anderen Versionen, wie zum Beispiel dem Director’s Cut, auf Video erschienen, war der Ausrichtung einer Sammelleidenschaft in Bezug auf die Hüllen der Kassetten kaum eine Grenze gesetzt. Videokassetten in der kleinen Verkaufs- oder der größeren Videothekenbox, in Pappe oder Hartplastik verkaufte Kassetten bis hin zu Sondereditionen, die das Motiv des Covers als Hologramm präsentieren, lassen sich auch heute noch in Bezug auf die DVD finden. Hier spielen vor allen Dingen die große und ausklappbare Pappbox wie auch das Metal Case respektive die Steel Box eine besondere Rolle. Wichtig war und ist es daher, nicht immer nur den jeweiligen Film in seiner Sammlung zu situieren, sondern ihn zudem in einer spezifischen Version dieser hinzuzufügen. Die Neuerungen und Innovationen der Branche sorgen auf ihre Art und Weise dafür, dass zumindest in Bezug auf die eigentlich als Verpackung geltenden Paratexte manche Sammlung realiter nie an ein Ende kommen wird. Kritisiert wird so zwar der Kommerz, gekauft wird aber trotzdem in Warenhäusern, über den Versand oder auf den zahlreichen Filmbörsen in Deutschland. War es in den 1980er Jahren überhaupt erst der Zugang zum Medium Film, der diesen Wechsel so zentral erscheinen ließ, ist es heute eine schier unbegrenzte Masse an Filmen aus allen Ländern, die zur Verfügung stehen. Neben der Kaufkassette gab es durch die Möglichkeiten der Leerkassette ebenso die Gelegenheit, sich seine eigene Videothek zusammenzustellen, ohne dass das bespielte Programm sofort zu erkennen oder zu identifizieren war. Aufgenommen und zum Teil in eine Sammlung umgewandelt werden konnten sowohl das Fernsehprogramm als auch eigene Aufnahmen mittels der Kamera oder legale, für den eigenen Gebrauch angefertigte Kopien des ausgeliehenen Videothekenprogramms. Der Handel reagierte auf die Vorlieben der Videonutzer mit neuen Hüllen für die schwarzen Kassetten, die die oft mitgelieferten buntbedruckten Pappschuber, in denen die Kassetten in den Supermärkten und Hi-Fi-Geschäften verkauft wurden, ersetzen sollten.

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Auf diese Weise wurde der Videokassette im Regal eine neue Form von Dignität zugerechnet, mittels derer sich die prachtvollen Hüllen neben Buchreihen oder gar Enzyklopädien in gelungener Mimikry in die eigene Schrankwand integrieren ließen. Über den Inhalt sagte dieser Modus der Zusatzausstattung, wie bereits angedeutet, nichts. Sie erschwerten hingegen den Umgang mit der Sammlung eher noch, konnte so doch meist nicht auf den ersten Blick erkannt werden, welches Programm hier Teil der hauseigenen Videothek war und wie auf dieses zugegriffen werden sollte. Die Branche allerdings ging auf diesen Trend vollends ein: Demnach leiteten nicht nur die zahlreichen zum Medium Videokassette erschienenen Berater den Mediennutzer an, wie er am besten seine eigene Videothek aufbauen könne, sondern wurde dieser zusätzlich von den Kino- und Videomagazinen mit Aufklebern versorgt, die Informationen zu Filmen und Schauspielern bereithielten, welche direkt auf die freien Flächen der Kassette geklebt werden konnten.108 Der seitliche längliche Aufkleber erlaubte, den Film im Regal zu identifizieren, das kleinere, auf die Oberfläche der Kassette zu klebende Etikett beim Einlegen und Entnehmen der Kassetten aus dem Recorder. Oft orientierten sich die Magazine am aktuellen Fernsehprogramm und schienen damit vorzugeben, welches Programm es wert war, aufgenommen und schließlich als Teil einer Sammlung archiviert zu werden. Das Sammeln von Filmen, welches somit in den 1980er Jahren im großen Umfang seinen Anfang genommen hat, scheint dem großen Problem der Technik zu unterliegen. Der Filmliebhaber, der mit dem Umbruch zur Videokassette begonnen hatte, seine cineastischen Vorlieben auf Magnetband zu archivieren, sah dem Moment des Archivs sowie dem Moment der Sammlung zwei wichtige Umstände entgegengesetzt, die durch die Technik unterminiert wurden. Auf der einen Seite betrifft dies nicht nur die sprichwörtliche Haltbarkeit des Mediums Videokassette, die in Bezug auf die Nachfolgemedien nicht minder virulent ist. Selbst wenn die eigene Samm108

Exemplarisch zum Aufbau der eigenen Videothek vgl. Werner Ahlschwedt, Gut, besser, perfekt: die Kassettenaufbewahrung. In: Video aktiv 3/1983, S. 82-84 sowie Rüdiger Thomass, Videofilme richtig archiviert. Ordnung gefällig? In: Video aktiv 4/1983, S. 68-70. Bei der Zeitschrift Video aktiv handelte es sich um eine sehr interessante Publikation, die sich auf die aktive Seite von Video spezialisierte. Empfehlungen neuer Filme auf VHS hatten nur den Sinn, zum Selbermachen anzuregen und nicht zur Passivität zu verführen. Das VHS-Programm wurde somit zur privaten und für jedermann zugänglichen Filmschule.

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lung recht selten im Gebrauch war, war es dem technikinteressierten Filmsammler stets bewusst, dass die VHS-Kassette nicht über Jahrzehnte hinweg haltbar sein würde. Ein Umstand, der in den letzten Jahren immense Unkosten für die Digitalisierung von Archivbeständen und privaten Homevideos produzierte. Die Umstellung von VHS auf DVD und nun Blu-ray auf der anderen Seite pervertiert den Gedanken der Sammlung in einem weiteren Schritt. Mindestens zweimal hätte nun schon jede in den 1980er Jahren begonnene Sammlung umgestellt werden müssen. Das, was schon auf VHS gekauft, kopiert und archiviert wurde, musste nun in einem zweiten Durchgang erneut gekauft, kopiert und archiviert werden. Dies hatte und hat zur Folge, dass manche Sammlungen, die parallel fortgeführt wurden, immer wieder auf VHS-Kassetten zurückgriffen, die mit Filmen bespielt waren, die noch nicht auf den neuen Silberscheiben veröffentlicht wurden. Ähnlich der Schallplatte oszillierte damit der Nutzen der VHS-Kassette zwischen Notwendigkeit und gelebter Erinnerungskultur. Nicht nur, dass sich langsam ein ähnliches Gefühl der Nostalgie um die technischen Merkmale der VHS etabliert wie um das Geräusch des spulenden Bandes oder der aus dem Recorder kommenden Kassette, sondern auch die Schwierigkeiten in Bezug auf die Abspielmöglichkeiten des alten Mediums spielten eine Rolle. Plattenspieler wie Videorecorder sind heute meist nur noch für wesentlich höhere Preise zu erstehen als die aktuellen Geräte des Technikmarktes; viele Firmen haben die Produktion von Videorecordern mittlerweile gänzlich eingestellt. Die Sammlung wie auch das Archiv des Filmliebhabers ist daher schon durch externe, hier zumeist technische, Gegebenheiten und Abhängigkeiten in ständiger Bewegung; dem Raum der Videothek nicht unähnlich. Die Videothek war und ist hierbei immer nur ein Ort gewesen, der diese weiter vergrößern kann, durch das Anlegen von privaten Kopien und den Kauf von gebrauchten oder neuwertigen Kassetten, oder aber Anreiz bietet für das, was später woanders gekauft wird, um Teil der eigenen Sammlung zu werden. Das Sammeln von Filmen spielt sich somit zwar nicht gänzlich ohne die Videotheken ab, ist allerdings auch nicht zentraler Bestandteil ihrer Möglichkeiten. Ging es in den Betrachtungen primär um die Fragen der privaten Sammlung und danach, wie der Mediennutzer unabhängig vom Ort der Videothek den Umgang mit seinen Filmen weiterhin gestaltete, so führt dies des Weiteren zu der Frage, inwiefern nun der Raum der Videothek als Archiv fungieren kann, welches sich spezifisch und konkret durch den Ort vom

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eigenen privaten Archiv unterscheidet. Es dient damit als ein Archiv für Filme auf der einen, für das Wissen um den Film auf der anderen Seite. Eine dritte Figuration des Sammlers, neben der Möglichkeit des Kaufens und Aufnehmens von Filmen, wurde also bisher außen vor gelassen: Denn obgleich der Konsum eines Filmes einen flüchtigen Moment darstellt, der nichts zurücklässt als die Erinnerung an das Erlebnis in der Dunkelheit des Kinosaals oder vor dem eigenen Fernseher, so ist dies genau jener Moment, über den der Besucher des Kinos und der Rezipient des Films weiterhin verfügt. Das Akkumulieren von Filmwissen durch den Konsum von Filmen ist somit die dritte Möglichkeit, Filme zu sammeln, die nicht an das Haptische und materiell Besitzbare gekoppelt ist. Doch genau jener Moment wurde durch die Bestände der Videotheken ebenso verschärft und erweitert wie die anderen Konstitutionen des Sammlers vor und mit ihm. Das Anhäufen von Wissen setzt auf einen Ort, an welchem es aufbewahrt und zugreifbar gemacht werden kann, ohne es selbst in materieller Form zu besitzen. Einen solchen Ort kann man mitunter als Figuration eines Archivs identifizieren.

2.2 Die Videothek als Archiv Das Zusammendenken von Medien und Archiv beinhaltet stets den Zusatz, dass Medien selbst sowohl „Träger wie Gegenstand des Archivs“109 sein können. Somit kommt es zu einer Form der Doppelung, die das Archiv in jedem Gegenstand selbst noch einmal sichtbar werden lässt und das in ihm verwahrte und benutzte Medium zu einem pars pro toto transformiert; wie das Buch eine Komponente der Bibliothek und das Video integraler Bestandteil der Videothek, das dem Ort seinen Namen leiht, spiegeln die einzelnen Medien die Bedeutung des ihnen zur Verfügung stehenden Raumes wider. Die Videothek nun als Archiv zu begreifen, scheint auf den ersten Blick konträr zu stehen zu allgemeinen Definitionen des Archivbegriffs, wie er in den letzten vierzig Jahren innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften (re-)formuliert und geprägt wurde110 und innerhalb der letzten Jahre eine 109

Jürgen Fohrmann, „Archivprozesse“ oder über den Umgang mit der Erforschung von „Archiv“. Einleitung. In: Hedwig Pompe/Leander Scholz (Hrsg.), Archivprozesse: Die Kommunikation der Aufbewahrung, Köln 2002, S. 19-23.

110

Maßgeblich in Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1988.

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starke Renaissance erfahren hat.111 Die Wiederkehr der Debatte um den Begriff und die Möglichkeiten des Archivs liegt sicherlich mitbegründet in den neuen Mitteln der Technik des Wiederherstellens von einmal vernichteten oder unbrauchbar gewordenem Material auf der einen und der Speicherung enormer Mengen an Daten auf der anderen Seite. Beides ermöglicht durch den Fortschritt der computergestützten Digitalisierung, die schon – so Hoffmann112 – 1990 das Ende des Trägermediums Video eingeläutet hat, nicht nur eine Reformulierung des Archivbegriffs, sondern auch der Kategorien der Wahrnehmung, der Ästhetik und der Rezeption innerhalb des Archivs, die damit vor völlig neue Herausforderungen gestellt werden. Der scheinbar inhärente Widerstand, die Videothek als Archiv zu begreifen, liegt durchaus begründet in ihrem Eingebundensein in die ökonomischen Mechanismen des Marktes, den Auswirkungen und dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage, wie dem sich stetig verändernden Bestand der Geschäfte selbst. Ist es Bestandteil einer allgemeinen und ebenso logischen Definition von Archiv, dass es sich um eine statische Sammlung von Materialien handelt, mit denen durchaus aktiv gearbeitet werden kann, so bildete die Videothek immer schon eine Form der Mediendistribution im Übergang, die dieser Definition zunächst konträr gegenüberzustehen scheint. Dies hat auf der einen Seite, wie bereits erwähnt wurde, mit den Medien selbst zu tun, die aus den Auslagen der Geschäfte entfernt, eingelagert oder verkauft werden, sobald sie keinen Gewinn mehr einbringen, der es rechtfertigt, den jeweiligen Platz mit dem spezifischen Film zu besetzen; auf der anderen Seite aber auch mit den Trägermedien selbst, an welchen sich der Stand der Technik und ebenso die jeweilige Verbreitungsdichte in der Bevölkerung ablesen lassen. Die DVD ersetzte die VHS und die Blu-ray drängt nun nach und nach die DVD aus den Beständen der Verleihstellen. Diese Bewegungen in den Beständen des Archivs Videothek scheinen sich jedoch nur bedingt zu einem klassischen Archivbegriff113 zu verhalten; denn auch das Archiv ist auf einen

111

Vgl. dazu exemplarisch Wolfgang Ernst, Das Rumoren der Archive. Ordnung aus Unordnung, Berlin 2002; Pompe/Scholz, Archivprozesse sowie die Debatten der letzten Jahrzehnte zusammenfassend Knut Ebeling/Stephan Günzel (Hrsg.), Archivologie. Theorien des Archivs in Wissenschaft, Medien und Künsten, Berlin 2009.

112

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video.

113

Vgl. dazu Nikolaus Wegmann, Artikel Archiv. In: Nicolas Pethes/Jens Ruchatz (Hrsg.), Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Unter Mitarbeit

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Wechsel seiner Trägermedien angewiesen, will es seinen Bestand – und dies ist seine zentrale Aufgabe – über einen möglichst großen Zeitraum konservieren und zur Nutzung zur Verfügung stellen. Der bereits thematisierte Umbruch, private VHS-Sammlungen professionell digitalisieren zu lassen, betrifft sowohl die großen film- und fernsehwissenschaftlichen Archive als auch den cinephilen Sammler des Mediums und ist auf andere Medien ebenfalls übertragbar. Das Bemühen, das Arbeiten der Zeit von den Räumen des Archivs fernzuhalten, ist ihnen somit allen gemeinsam. Allein die Videothek geht diesen Schritt der Umstellung der in ihr ausgestellten Medien früher; und dies aus verschiedenen Gründen. Somit rekurriert die Umstellung des Programms auf ein anderes Trägermedium vor allem auf den Moment der Nutzbarkeit. Das, was der Mediennutzer in ihren Räumen leihen kann, sollte durch die ihm zur Verfügung stehenden Mittel auch benutz- und abspielbar sein. Eine Erinnerung an die Techniken obsoleten Medienkonsums ist durch den Raum der Videothek meist nicht möglich. Diese am Nutzer orientierte Form der Medienaufbereitung macht einen anderen auffallenden Unterschied der Videothek zum klassischen Archiv deutlich: Das Archiv präsentiert seine Bestände nicht. Der Nutzer kann zwar mittels Liste, Katalogen und Datenbanken erfahren, was das Archiv für ihn und seine spezielle Anfrage bereithalten mag, kommt jedoch nicht mit dem in Kontakt, was für ihn unbrauchbar erscheint. Wichtig ist hier zu betonen, dass das, was die an das Archiv gerichtete Anfrage exkludiert, immer nur als nicht brauchbar erscheinen kann. Der Nutzer verlässt sich in diesen Aussagen auf die Archivare, die Schreiber der Kataloge und Programmierer der Datenbanken, die durch ihre Schlagwörter und Verbindungen schon Entscheidungen getroffen haben, noch bevor die Anfrage des Nutzers an das konkrete Archiv gerichtet werden konnte. Der Verdacht, Wichtiges zu übersehen und nicht zu entdecken, ist damit jeder Arbeit mit dem Archiv inhärent und doch stets nur ein Gedanke, der verhindert, die Bestände des Archivs sinnvoll und ökonomisch zu benutzen. Die Videothek hingegen präsentiert meist alles, was sie anzubieten hat, in den eigenen Regalreihen. Ein arkanes Wissen in Form versteckter wie nicht auffindbarer Medien findet sich in ihr meist nicht; höchstens vielleicht für den Nutzer, der die Schwelle zum Raum der indizierten Filme noch nicht

von Martin Korte und Jürgen Straub, Reinbek bei Hamburg 2001, S. 53-55, hier: S. 53 f.

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übertreten darf und die ihm vorenthaltenen Bilderwelten demnach nicht kennt. Selbst wenn die Videothek ebenfalls mittels eines Kataloges oder einer Datenbank arbeitet, sind die Formen der Präsentation stets darauf ausgerichtet, dass der Mediennutzer potenziell in der Lage ist, alles selbst zu entdecken, was gefunden werden kann. Diesen Gedanken haben vor allem jene Videotheken in die eigene mediale Praxis integriert, die die Filmhüllen aus den Regalen entfernen, wenn der betreffende Film verliehen ist. Erneut ist auch das Medium die Botschaft, das durch sein bloßes Vorhandensein signalisiert, dass der betreffende Film präsent und somit auszuleihen ist. Zwar wird dies auch durch die vorhandene oder fehlende Verleihplakette deutlich, doch ist der Blick auf die kleinen Plastikschildchen meist der zweite Blick, der auf die Auslagen des Regals gerichtet ist; der erste hingegen galt den Covern selbst. Wenn also diese Überlegungen auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Videothek zur Ausformung eines klassischen Archivbegriffs rekurrieren, birgt die Frage nach dem Archiv Videothek noch ein weiteres Problem, welches sich nicht durch ökonomische Abhängigkeiten allein erklären lässt. Obgleich es für den Film als Ganzes zwar nicht mehr der Fall sein mag, dass er lediglich Teil der Populärkultur ist, so trifft dies wiederum auf die Bestände der Videotheken zu, oft sogar auch auf die sogenannten Programmund Arthouse-Videotheken, die die Grenzen von U- und E-Kultur unterlaufen wollen, nur um sie nahezu performativ erneut zu bestätigen.114 Offen bleiben muss hierbei die mögliche Frage, inwiefern der Begriff des Archivs mit dem Begriff des Populären zusammengedacht werden kann, oder aber, ob sich dieser Begriff nicht per se den Definitionen von Archiv zu widersetzen droht.115 Ziel dieser Überlegungen ist es folglich, hier einen Archivbegriff zu finden, der diese Widersprüche ausbalancieren kann und den Nutzen darin aufzeigt, den Ort der Videothek als Filmspeicher und -archiv zu definieren. Anders als in klassischen Archivdefinitionen, die durch die Unterscheidung von Innen und Außen Mechanismen der Inklusion und Exklusion aufzeigen, hat die Videothek und das in ihr befindliche Material eine gesonderte Stellung zum Außen: Ihre Bestände sind so lange inaktiv, bis der Kunde einen Film entleiht, um ihn zu Hause zu rezipieren. Ein Benutzen der Medi-

114

Vgl. dazu das Kapitel III.3.4 dieser Arbeit.

115

Vgl. zur Problematik: Urs Stäheli, Die Wiederholbarkeit des Populären: Archivierung und das Populäre. In: Pompe/Scholz, Archivprozesse, S. 73-83.

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en vor Ort, das Anschauen des Bandes, bevor man es mit nach Hause nimmt, analog zum Blättern in den Büchern der Bibliotheken, findet (meist) nicht statt.116 Vordergründig ist es also auch hier der Fall, dass die eigentliche Arbeit mit den Beständen der Videothek nicht in ihren Räumen stattfindet, sondern an einem gänzlich anderen Ort, der sich seit jeher in hohem Maße den Fragen der Rezeptionsforschung zu entziehen scheint. Die Frage nach der Mediendistribution im Übergang trifft daher nicht nur auf die Trägermedien und Einzelmedien zu, sondern auch auf den Kunden, der die Videothek als einen Raum des Dazwischen begreifen kann; der Mediennutzer sucht nicht den Ort der Videothek auf, um sich lange in diesem aufzuhalten. Er bleibt somit in vielfacher Hinsicht stets ein Raum der Transitorität: ökonomisch zwischen den Auswertungen im Kino und Fernsehen, rezeptionstechnisch als Raum vor dem eigentlichen Gebrauch des Mediums im Privatraum des eigenen Zuhauses. Dennoch bleibt, wie in den vorherigen Kapiteln aufgezeigt wurde, stets evident, dass der Aufenthalt in der Videothek und seine Funktion als ein Raum, der eine genuine Medienpraxis evoziert, eine neue Form der Rezeption von Film anstößt, die Wissen generieren und zirkulieren lässt, noch bevor der heimische Fernseher und die an ihm angeschlossenen Medien überhaupt eingeschaltet werden. Zu fragen ist also, ob der Raum der Videothek nicht eine Form des populären Archivs für das Wissen von und über den Film darstellt, der seine eigenen Spezifika ausprägt und damit, auch im Hinblick auf die Fragestellungen des dritten Kapitels dieser Arbeit, das Wissen über das Medium Film verändert, beeinflusst oder gar erst konstituieren kann. Der stetige Wandel, dem die Videothek unterworfen ist in Bezug auf Technik und die in ihr präsentierten Filme, wird durch den Aspekt der Zugänglichkeit noch weiter verschärft. Zugänglichkeit meint an dieser Stelle nicht nur den realen Zutritt zu den Räumen der Videothek, der gegebenenfalls erst ab einem bestimmten Alter zu erhalten ist, sondern auch die Zugänglichkeit zu den Beständen des Filmwissens per se. Diesbezüglich fällt ins Gewicht, wie sehr hier zu berücksichtigen ist, dass es sich in Bezug auf die Videothek um ein Konstrukt handelt, was das Sprechen über den Ort er-

116

Zwar verfügen viele Videotheken über aufgestellte Bildschirme, diese dienen jedoch meistens dem Abspielen sogenannter Trailerkassetten respektive DVDs. Diese Form der Werbung hielt Anfang der 1990er Jahre Einzug in die Videotheken, dort noch unter der Bezeichnung der Videodisco. Vgl. Huss, Judith, Werbeort Videothek. Videoclips von Videohits. In: Videowoche 23/1991, S. 6.

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leichtern soll. Denn wie jede Videothek in ihrem Aufbau divergent sein kann, so ist auch jeder Bestand verschieden aufgebaut; der Film, der in der einen Videothek zu finden ist, fehlt dafür in der anderen, völlig unabhängig davon, wie der Status des spezifischen Films innerhalb der Grenzen und Hierarchien der Filmgeschichte und -kritik zu verorten ist. Das Wissen über den Film und über die Erträge der Filmgeschichte hängt somit stark davon ab, welchen Raum man zur Verfügung hat, um auf dieses Wissen rekurrieren zu können. Wie eine gut sortierte Bibliothek es ermöglicht, sich einen umfassenderen Blick über spezifische Themen zu erarbeiten, so bricht sich diese Frage auch an den Beständen der Videothek. Der Moment der Zugänglichkeit ist daher jener Faktor, der nur minimal von den Videotheken selbst reguliert werden kann – und dies aus zwei Gründen: Um ihre Regale mit Filmen zu füllen, ist sie darauf angewiesen, dass die Industrie die Filme auf den jeweils aktuellen Trägermedien veröffentlicht. Dass ein Film existiert, in die Kinos kam und dort ausgewertet wurde, reicht für die Bestände der Videothek nicht aus. Allein seine Existenz und sein Vorhandensein auf VHS, DVD und nun auf Blu-ray stellen sicher, dass der spezifische Film zum jeweils aktuellen Anlass in den Bestand der Videotheken integriert werden kann. Diese Problematik fand schon im Gegeneinander der drei unterschiedlichen Systeme VHS, Beta und Video 2000 zu Beginn der 1980er Jahre statt, dauerte aber im Vergleich zur Konkurrenz zwischen Video und DVD, respektive dem nahezu unheimlich kurzen Gegeneinander von HD-DVD und Bluray117, wesentlich länger. Der andere Grund, der die Frage der Zugänglichkeit problematisch macht, liegt in der Vorgehensweise der großen Ketten, die den Markt spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends fast vollständig kontrollieren. Denn nicht jeder Film, der auf dem aktuellen Trägermedium veröffentlicht wird, wird auch von den Videotheken in den eigenen Bestand integriert. Zwar hat der Betreiber einer jeweiligen Videothek die Möglichkeit, Filme auszuwählen, die sodann eingekauft werden, doch ist schon diese Auswahl durch die Vorgaben der jeweiligen Besitzer oftmals begrenzt. Hinzu kommt, dass Videotheken sogar manche Anbieter boykottieren können und auf deren Programme bewusst verzichten; so geschehen unter anderem mit dem Label Astro, dessen Filme Anfang des neuen Jahrtausends aus Gründen des Ju117

Vgl. dazu: William Boddy, The Last Format War: Launching the High-Definition DVD. In: James Bennett/Tom Brown (Hrsg.), Film and Television after DVD, New York 2008, S. 172-194.

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gendschutzes aus den Videotheken entfernt wurden, oder aber 2011/2012 mit den Titeln des Anbieters Twentieth Century Fox Home Entertainment. Dabei wurde der alte Streit zwischen Anbietern und Betreibern aktualisiert, der immer wieder um die Fragen des Auswertungsfensters geführt wurde, welches 1990 noch bei zwölf Monaten lag.118 Da Fox Toptitel in den Verkauf gab, bevor die Videotheken die Filme im Verleih auswerten konnten, boykottierten die großen Ketten wie World of Video oder Video World Neuheiten und Kinoerfolge wie BLACK SWAN119 oder THE CHRONICLES OF NARNIA: THE VOYAGE OF THE DAWN TREADER120, die infolgedessen nicht im Bestand der Videotheken zu finden und auszuleihen waren.121 Trotz all dieser Spezifika, die einer Rede vom Archiv der Videothek diametral entgegenzustehen scheinen, soll im Folgenden versucht werden, den Begriff des Archivs auf der einen und die Besonderheiten des Raumes der Videothek auf der andere Seite miteinander in einer kohärenten Idee zu vereinen. Hierbei soll die Begrifflichkeit und Figuration des Archivs unter ähnlichen Prämissen betrachtet werden, wie sie Michel Foucault insbesondere in der Archäologie des Wissens122 formulierte. Foucault wendet sich in seinen Ausführungen von einem Archiv als statischem Speicher ab und setzt stattdessen stark auf eine Form der Dynamik, die in seinen Überlegungen dem Archivbegriff wie auch dem Ort inhärent sein sollte. Für Foucault ist das Archiv daher nicht „die Summe aller Texte, die eine Kultur als Dokumente ihrer eigenen Vergangenheit oder als Zeugnis ihrer beibehaltenen Identität bewahrt hat“, sondern eher „ein Spiel von Beziehungen“, wie es sich zwischen den „gesagten Dingen“ und den „Aussagemöglichkeiten und -unmöglichkeiten“123 ausstaffiert. Uwe Wirth weist, ebenfalls in Anlehnung an Foucaults Ausführungen, darauf hin, dass unter diesen Voraussetzungen das Archiv nicht mehr als

118

Heute ist der Verleihstart zumeist oft auch der Verkaufsstart, sehr zum Ärger der Branche.

119

BLACK SWAN; R: Darren Aronofsky, USA 2010.

120

THE CHRONICLES OF NARNIA: THE VOYAGE OF THE DAWN TREADER [dt. DIE CHRONIKEN R: Michael Apted, USA 2010.

VON NARNIA – DIE REISE AUF DER MORGENRÖTE];

121

Vgl. DVD-Verleih: Tanz aus der Reihe. http://www.tagesspiegel.de/medien/ dvd-verleih-tanz- aus-der-reihe-/4317746.html (Zugriff 01.04.2014).

122

Vgl. Michel Foucault, Archäologie des Wissens.

123

Ebd., S. 187.

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konservierender, sondern als transformierender Speicher fungieren kann.124 In diesem System von Formation und Transformation, die den Inhalten des Archivs „gestattet, fortzubestehen und zugleich sich regelmäßig zu modifizieren“125, geht es Foucault bei der Frage nach den historischen Gegenständen des Archivs vor allem um ihre „wiederholbare Materialität“126. Diese Umstände und Beschreibungen scheinen sich im Raum der Videothek in besonderem Maße auszuprägen und zu konkretisieren: auf der einen Seite durch den stetigen Wandel in den Beständen, auf der anderen Seite durch die Eigenschaften der Videokassette und ihrer Folgemedien, die sich als eben jenes „wiederholbare Material“ erwiesen haben. Begleitet werden die Träger des Archivs Videothek zudem durch die historischen Diskurse, die nicht nur zu maßgeblichen architektonischen und praktischen Veränderungen geführt haben, sondern auch als Erinnerung den Ort und die in ihm präsentierten Datenträger begleiten.127 Das angesprochene fluktuierende Moment, die „dynamische Reorganisation von Daten“128, die der Rede vom Archiv hier innewohnt, ist somit auf die Videothek übertragbar und demzufolge auch auf das Wissen um den Film. Diesem Wissen, welches vorher nur durch das Kino und das Fernsehen samt ihrer Paratexte figuriert wurde, wurde dementsprechend die neue Institution Videothek an die Seite gestellt, die in jedem Moment ihres Soseins dieses Wissen verschieden präsentieren und damit zugleich auch spezifisch prägen kann. Wichtig ist aber, diesen Umstand besonders stark auf die Situation der 1980er Jahre zu beziehen. Durch das Aufkommen des Internets und einen immer größeren und weniger zeitintensiven Zugriff auf die Bestände des Wissens um das Medium Film, marginalisiert sich der besondere Status mit seinen Auswirkungen auf das filmische Wissen, den die Videothek im Jahrzehnt ihrer Gründung innehatte, mehr und mehr. 124

Vgl. Uwe Wirth, Archiv. In: Alexander Roesler/Bernd Stiegler (Hrsg.), Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005, S. 17-27, hier: S. 19.

125

Foucault, Archäologie des Wissens, S. 188.

126

Ebd., S. 149.

127

Im Zusammenhang mit den Fragen des Jugendschutzes in den 1980er Jahren kann man daher von einem monströsen Archiv sprechen, welches die Furcht vor den in der Videothek ausgestellten Filmen auf den Ort, die Angst vor seinen Auswirkungen auf jeden potenziellen Nutzer übertragen hat.

128

Aleida Assmann, Das Archiv und die neuen Medien des kulturellen Gedächtnisses. In: Georg Stanitzek/Wilhelm Voßkamp (Hrsg.), Schnittstelle. Medien und kulturelle Kommunikation, Köln 2001, S. 268-281, hier: S. 277.

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Ein derart flexibel organisierter Archivbegriff ist somit auch auf den Ort der Videothek und die Beschreibung seiner Bestände anwendbar und überwindet den scheinbaren Widerspruch zwischen dem Populären und den Funktionen des Archivs. Ein wichtiger Kritikpunkt bleibt jedoch vor allem dann weiterhin bestehen – darauf verweist auch Wirth –, wenn zu fragen ist, inwiefern ein solcher Archivbegriff, der auf die stetige Modifikation der im Archiv bewahrten Medien pocht, trägt und belastbar ist. Zu fragen wäre also, ob der Raum der Videothek nicht doch auf das verweisen kann, was nicht mehr Teil des Archivs und vielleicht auch in Bezug auf die spezifische Videothek nie Teil dieses Archivs gewesen ist. Ein wichtiger Aspekt, der infolgedessen den Raum der Videothek ebenfalls charakterisiert, sind die in ihm ausgelegten Spuren, die durch ihr Vorhandensein auf das verweisen, was nicht mehr Teil des eigenen Bestands ist. Und nur weil die Videothek ihre Bestände sichtbar offenlegt, sind diese Spuren und Verweise auf das Außen und das Andere des Archivraums, anders als in klassischen Archiven, zu sichten und wahrzunehmen. Damit sollen die Momente innerhalb des aktuellen Angebotes bezeichnet werden, die auf Filme verweisen, die nicht mehr in den Räumen der Videothek präsent sind. Durch diese Spuren werden gleichzeitig die Grenzen des eigenen Bestandes transzendiert, indem auf das verwiesen wird, was schon einmal Teil des Archivs Videothek war oder Bestand hat in einem Netzwerk filmischen Wissens. Inhaltlich wie konkret ablesbar an den Regalen der Leihgeschäfte sind damit vor allem die Fortsetzungen und Filmreihen – vorerst nebensächlich, ob es sich um Kinofilme oder Videopremieren handelt, die hier als Fortsetzung positioniert werden; solange diese durch Nummern im Titel und auf dem Cover als solche zu erkennen sind, weiß der Kunde, dass sie Teile einer Reihe darstellen. Das Auffinden des zweiten Teils einer Reihe beim Gang in die Videothek deutet performativ darauf hin, dass es zumindest noch einen anderen, also den vorherigen Teil, geben muss. Die eine Videokassette als Bestandteil des Angebotes verweist somit auf die Existenz des anderen Filmes, selbst wenn dieser nicht vor Ort ausgeliehen werden kann. Ähnlich, wenngleich komplizierter, verhält es sich in diesem Kontext mit dem Remake. Dieses muss jedoch meist erst durch das eigene Filmwissen, welches nicht per se durch die Videothek geprägt werden kann, als solches erkannt werden. Verfügt der Mediennutzer indes über dieses Wissen, so wird der Rahmen des Archivs Videothek über die Grenzen des jeweiligen Raumes hinweg erweitert.

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Dies mag zunächst trivial erscheinen, in Bezug auf die Frage nach der Videothek als Archiv kommt diesem Umstand aber eine gewisse Bedeutung zu. In besonderem Maße tritt hier das Außen in eine Beziehung zu dem Innen des Archivs, was es nötig macht, den Archivbegriff gegebenenfalls ein zweites Mal zu erweitern. Funktioniert die Videothek als Filmspeicher als ein Archiv, welches modelliert und transformiert werden kann, so greift sein Modus als erinnerungsgenerierender und -abrufender Ort in ein enges Zusammenspiel zwischen dem Wissen des Mediennutzers und dem zu Verfügung gestellten Wissen des Ortes. Die Grenzen des Archivs Videothek, der Austausch, den das hier gesammelte Filmwissen mit dem Wissen des Kunden eingeht, lassen es zu, dass Aussagen über die Filme getroffen werden können, die auch außerhalb der Videothek als Teil der Filmkultur und des Filmwissens von Bedeutung sind. Die Folgerung, dass das, was nicht im Archiv ist, nicht existent ist, wird damit zwar nicht widerlegt, zumindest aber ausgehöhlt. Der singuläre Film der Videothek steht nicht nur durch seine Paratexte wie durch seine Positionierung in situ innerhalb des Geflechts und der Bezugsrahmen des Ortes als Archiv zur Verfügung, sondern ist durch das Wissen des Kunden inkludiert in ein zweites Archiv, welches sich aus dem eigenen filmischen Wissen konstituiert. Wenngleich sich dieses als nicht materiell und nicht haptisch erweist, so interagiert es doch mit den Beständen der Videothek, die durch ihre Auslagen dieses Wissen aktivieren und aktualisieren kann; ebenso wie es auch jeden Gang ins Archiv kennzeichnet. Letzten Endes schafft die Videothek auf diese Weise nicht nur (neues) Wissen über den Film und dies, wie aufgezeigt wurde, vor seiner eigentlichen Rezeption, sondern reaktualisiert dieses Wissen auch kontinuierlich. Gehört es mitunter zu den fundamentalen Aufgaben des Archivs, das externalisierte Wissen greifbar zu halten, so wird dieser Umstand vor den Regalen der Videothek fast sichtbar durch die mediale Praxis des Gangs in ihre Räume. Die Erinnerungen an den Filmkonsum werden durch die Bestände der Videothek wieder abgerufen und kommuniziert, dabei in die Aporie führend, über das zu reden, was man eigentlich schon gesehen hat und oft erst sekundär über das, was der Mediennutzer noch rezipieren möchte. In dieser Hinsicht bleibt die Videothek – und dies darf an dieser Stelle nicht vergessen werden – das einzige Filmarchiv, welches nicht nur nahezu jedem Interessierten offensteht, sondern ebenso einfach ist im Umgang mit den ausgestellten Produkten. Die Politik des Archivs, also die Frage nach dem Zugang zu seinen Beständen, wird lediglich durch das ausgewiesene Alter einge-

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schränkt. Und dies nicht einmal in Gänze, denn handelt es sich bei der spezifischen Videothek um eine Familienvideothek, so darf auch der Minderjährige in ihre Räume und in Beständen stöbern, die nicht unbedingt seiner Altersfreigabe entsprechen. Lediglich entleihen darf er diese nicht.129 Ein fast schon nebensächlicher Faktor, der dem Archivbegriff innewohnt, ist daneben der der Ordnung, also die Regularien des Archivs, die den Beständen und somit auch den einzelnen Medien auferlegt werden. Wenn im vorherigen Kapitel die Figuration des Sammlers vor allem in Bezug auf den Mediennutzer nach seinem Gang in die Videothek gedacht wurde, so ist die Frage auf die Medien der Videothek zu erweitern. Leitende Überlegung ist demnach, was mit den Medien passiert, wenn sie aus den Beständen aussortiert und exkludiert werden. Damit soll nicht die Formation der Spur adressiert werden, sondern die Frage nach der konkret aussortierten Kassette. Hierbei handelt es sich um Prozesse, die nicht nur jedem Archiv gemein sind, sondern auf nahezu alle Gebiete der Kultur übertragbar sind. Das, was die eine Generation als bewahrenswert erachtet, kann so in den Augen der nach ihr Kommenden als Kitsch abgetan, als uninteressant empfunden oder aber als sprichwörtlicher Müll aussortiert werden. Gehören diese Prozesse zu jeder Form des Archivs, finden sie in der Videothek meist schneller statt, dies nicht nur aus Gründen der Ökonomie, das Nicht-mehrGewinnbringende durch das Versprechen neuer Einnahmen auszutauschen, sondern auch durch das Nachrücken neuer Veröffentlichungen.130 Anders als es bei Archiven der Fall sein kann, kann der Videothekar stets nur mit dem Raum arbeiten, den er von Beginn an zur Verfügung hat. Zwar ist es mög-

129

Dies führt in ein juristisches Paradox: Der eingeschränkte Zugang zu den Räumen der Erwachsenenvideothek schützt das nicht volljährige Kind in erster Linie vor den Covern, da es durch die Kontrolle des Ausweises in keinem Fall Zugriff auf die Filme selbst erhalten würde. Hingegen darf jedoch beispielsweise ein sechsjähriges Kind die Hüllen eines Filmes mit der FSK-16 straffrei betrachten. Die Frage an die Medienpädagogik wäre hier, ob dies nicht ein größeres Problem bedeuten könnte als der 17-Jährige, der vor dem indizierten FSK-18Cover geschützt werden muss, als umgekehrt.

130

So werden Filme wieder ins Programm aufgenommen, wenn die Betreiber sich durch sie neuen Gewinn erhoffen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn es zu einem spezifischen Film eine Fortsetzung oder ein Remake gibt, das aktuell im Kino gezeigt oder in der Videothek verliehen wird. Tatsächlich operieren manche Videotheken mit dem extra dafür bereitgestellten Regal, welches den Titel Wieder im Programm trägt; so zum Beispiel in den Filialen der Kette Video World in Berlin.

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lich, die spezifische Videothek auf raumökonomische Fragen untersuchen zu lassen und neue, bessere Regale einzubauen, doch die Außenwand als Trennung zum Anderen des Archivs bleibt auch im Falle der Videothek stets gleich. Um diese Problematik kontrollieren zu können, entlässt der Videothekar Teile seines Bestandes aus den realen wie ideellen Ordnungssystemen der Videothek, den Regalen und Kategorien, um sie zu lagern, zu verkaufen oder zu vernichten. Dem nun nicht mehr Geordneten haftet daher nicht nur etwas Überwältigendes an durch seine schiere Masse, sondern gleichsam auch etwas Unheimliches, scheint es sich doch nun jeglichem hierarchisierenden Zugriff zu entziehen. Zeitgenössisch formierte sich diese Masse an Medien, mit denen Videothekare, Anbieter wie auch Mediennutzer umzugehen hatten, unter dem Schlagwort des Kassettenbergs, der Negation jeglicher Form von Archiv.

2.3 Der Kassettenberg „Die meisten Videotheken verwirren durch ein Überangebot, das zudem unübersichtlich geordnet in den Regalen dahindümpelt. Durch diesen bunten Kassettendschungel muß sich der Kunde seinen Weg allein bahnen. Kompetente Beratung findet nicht statt.“131

Ein nachhaltiger Moment, der den Begriff und die Funktion eines jeden Archivs, trotz möglicher Reformulierungen und Anpassungen, stets vor eine Herausforderung stellt, ist die Figuration der Masse. Diese Masse soll im Folgenden wörtlich verstanden werden als eine Vielzahl und Überproduktion von medialen Erzeugnissen, der es gilt, mittels der ordnenden, strukturierenden und handhabbar machenden Mechanismen des Archivs beizukommen. Prüft sich gerade an diesem Moment, ob die Organisation eines Archivs im nahezu wörtlichen Sinne trägt, bleibt dennoch zu fragen, wie überhaupt Archive derartige Massen bewältigen können. Selbst Mechanis-

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Szene Hamburg macht einen Videotheken-Test. In: Der Ikarus 1/1989, S. 3-4, hier: S. 4.

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men von Inklusion und Exklusion, die den architektonischen Entwürfen eines jedweden Archivs als ideologische Überlegung vorausgehen müssen, sind keine Garantie für eine Überbordung des Archivs mit dem, was in ihm aufbewahrt werden soll. Damit wird hier eine Problematik beschrieben, wie sie sich weder auf ein Medium exklusiv übertragen lässt, noch nur auf Medien, die sich sui generis schon dem Moment der Nachhaltigkeit verschrieben haben. Die Masse an Büchern, die in einem Jahr geschrieben und veröffentlicht werden, sind in dem Moment den Erzeugnissen der Presse, den Tagesund Wochenzeitungen gleich. Sie beide bilden Stapel, Ansammlungen, Berge, die deutlich werden lassen, dass nur eine bestimmte Fragestellung und Anforderung an sie und an die Bedürfnisse der Nachwelt es ermöglicht, sie zu kontrollieren und nicht in ihnen unterzugehen. Konkret bildete sich diese Figuration bezüglich einer Mediengeschichte der Videothek in den 1980er Jahren aus, wenngleich der Grundstein für diese Entwicklung bereits Ende der 1970er Jahre gelegt wurde. Doch nicht nur dort. Der Kassettenberg, der wenige Jahre zuvor schon die Musikindustrie erfasste und das kleine Vorbild dessen ausmachte132, was sich durch die Videokassette im größeren Stil wiederholen sollte, erhielt durch unterschiedliche Interessengruppen stetig weiter Zuwachs. Die Industrie, die in Erwartung eines großen Geschäftes überproduzierte und somit erstmalig überhaupt den Aufbau eines Leihmarktes begründete, die Videothekare selbst, die riesige Mengen billig produzierter und zu niedrigen Verkaufspreisen zu erwerbende C-Filme einkauften, wie auch die Hochkonjunktur auf dem Heimvideomarkt und die Möglichkeiten, sich mittels einer einfachen Leerkassette eigene Bilderwelten gestalten zu können, nahmen Anteil am kontinuierlich wachsenden Kassettenberg. Obwohl es sich hierbei durchaus um einen haptischen Moment handelt, auf den noch zurückzukommen sein wird, fungiert die Rede vom Kassettenberg gleichzeitig als doppelt zu deutende Metapher: Auf der einen Seite bezeichnet sie eine Anhäufung von Medien, um die es kein Herumkommen zu geben scheint, die den Weg versperrt und den Mediennutzer an einem wie auch immer gelagerten Weiterkommen hindert. Durch diese sprichwörtliche Behinderung durch die Anhäufung von Medien wird nicht 132

Vgl. Weber, Das Versprechen mobiler Freiheit, S. 215 ff. Auch wenn Weber die Figuration der Kassettenschwemme auf dem Musikmarkt nicht unter dem Topos des Kassettenberges zusammenfasst, sind die strukturell ähnlichen Problematiken offensichtlich.

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nur der Blick auf das Dahinterliegende versperrt, sondern auch die Sicht auf das Wichtige und Essenzielle. Ähnliche Intention steckte auch in der Sprache der Videobranche wie der Videothekare, die mit Sorge mit ansahen, wie die nicht mehr gebrauchten Kassetten den Markt verstopften.133 Auch durch diesen Vergleich schien ausgedrückt zu werden, wie durch die Problematik des Kassettenbergs an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken war, das Geschäft des Marktes nicht mehr floss, sondern stillstand. Das zweite Moment, das der Metapher vom Kassettenberg innezuwohnen scheint, konzentriert sich auf etwas Unheimliches, gleichsam Monströses. Denn wenn diese Ausformung den Weg versperrt und die Sicht auf das Wesentliche verhindert, ist zu fragen, wie dem beizukommen ist. Da ein bloßes Ignorieren dieser medialen wie konkret greifbaren Konstellation im bildlichen wie auch im realen Sinne nicht zu realisieren war, galt es, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen, den Berg abzutragen. Beide Deutungen dieses Bildes verweisen jedoch auf den Umstand, dass das, was einmal Teil des Archivs Videothek war, nun nicht mehr durch seine Ordnungskategorien zurückgehalten werden konnte. Richtig ist zwar, dass dem Blick auf die Reihe von Akten, auf die Regale voller Bücher sowie auf die mit Filmcovern gefüllte Wand stets ein Moment der Überwältigung innewohnt, welches überwunden werden muss, will der Mediennutzer den Ort konkret wie korrekt nutzen. Doch hat er den Umgang mit den Regeln und Feinheiten eines jeden Archivs erst gelernt, wird ihm somit auch die oft nicht nur bildlich zu verstehende Angst vor dem Ort und dem Potenzial seiner Masse genommen. Bezüglich des Kassettenberges fielen diese Mechanismen weg. Beizukommen gewesen wäre diesen ohne Formen der Einteilung nur noch als bloße Anhäufung existierenden Kassetten vielleicht durch den Akt des Stöberns, der hier als zielloses Suchen in Medientexten und Beständen verstanden werden will. Doch da auch das Stöbern oft in dem Moment beendet zu sein scheint, in dem Interessantes gefunden wird, bleiben die meisten Kassetten zurück, wurde der Berg damit kaum abgebaut. Die Lösungsvorschläge, die vonseiten der Industrie kamen, ähneln zumeist den Plänen, die auch schon andere nicht mehr zu kontrollierende Anhäufungen von Medien bewältigen sollten. In seiner Untersuchung zur Institution der Bibliothek geht Nikolaus Wegmann auf ein ähnliches Problem der

133

Vgl. dazu die zeitgenössischen Aussagen in Kapitel I.3.4 dieser Arbeit.

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Anhäufung von haptischen Medien, insbesondere in den Büchereien, ein.134 Plakativ betitelt Wegmann dieses Kapitel nicht nur mit dem Begriff des Mülls135, sondern erweitertet die Polemik um die Bezeichnung der Bibliothek als Mülldeponie. Gerade in Wegmanns Ausführungen konkretisiert sich der medienhistorische Topos, dass die Lagerung und die Frage der Aufbewahrung von vorher massenhaft produzierten Medien stets in eine grundsätzliche Debatte führt, die nach der Wertigkeit der Medien fragt. Die Schmutz-und-Schund-Debatte, der zweite Topos jeglicher neuen Form massenmedialer Verbreitung, wird hier haptisch erfahrbar, denn – und dies ist der Unterschied dieser Debatte in den frühen Jahren des Mediums Film – dieser Schmutz blieb, nachdem er konsumiert wurde und erlosch nicht mit dem Ausschalten des Projektors. Sowohl die Haptik wie auch das Moment des Überdauerns zeigen damit den Unterschied auf, der die Frage der Schmutz-und-Schund-Debatte in Bezug auf Film und Fernsehen von denen um Literatur, Comic und Videokassette differenziert. Die Aura des Minderwertigen und Schlechten umgab infolgedessen nicht nur das konkrete Medium, sondern auch den Nutzer und konnte sich gleich einer Infektion vom einen auf das andere übertragen und so jegliche Gegenmaßnahme überdauern. Demnach ist es kaum verwunderlich, dass auch in den 1980er Jahren die Sprache der Videogegner Metaphern wie Krankheit, Virus und Ansteckung durch Video benutzte, die Jahrhunderte zuvor noch für die Problematiken der Lesesucht gebraucht wurden.136 Das moralisch Schlechte der Kolportageliteratur und ästhetisch Minderwertige des geliehenen C-Films drang durch die Augen in den Körper und entzog so dem Individuum die Urteilsfähigkeit, das wirklich Wahre, Gute und Schöne erkennen zu können. Doch ging es den Pädagogen, Soziologen und Politikern nicht nur um den Inhalt, vor dem gewarnt werden sollte, sondern auch, sehr zu ihrem eigenen Leidwesen, um die Masse dieser Produkte und deren Rezeption. Nicht die einmalig schlechte Lektüre wurde hier gefürchtet, sondern die wiederholte, stetig neu und gleich zur Verfügung stehende Dauerberieselung durch Groschenromane und billige Filmproduktionen, die sich, trotz des Medien134

Vgl. Wegmann, Bücherlabyrinthe, S. 78.

135

Vgl. zum Begriff des trash: Georg Seeßlen, Notizen zur Ästhetik von materiellem, filmischem und kritischem Müll. Eine Grenzüberschreitung. In: Medium 2-3/1983, S. 9-14.

136

Vgl. dazu Kapitel I.3.5 dieser Arbeit.

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wechsels und der Jahrzehnte zwischen ihnen, so sehr gar nicht voneinander unterschieden. Dabei greift, wie schon angedeutet, ein Topos der Mediengeschichte, der Medien im Zeitalter ihrer Emergenz immer zu begleiten scheint und sich als Genealogie nachzeichnen lässt. Dem Unkontrollierbaren der Masse wurde das Singuläre entgegengesetzt, das Kunstwerk, welches sich vielleicht seine Aura auch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit bewahrt hatte.137 Exemplifiziert sich Walter Benjamins Gedankenspiel häufig am Gegenstand des Kinos, so scheint das Auftauchen der Videokassette dem Film tatsächlich retrospektiv eine Aura zuzugestehen. Das Besondere des Erlebnisortes Kino wurde nun mehr als positiv konnotiertes Gegenbeispiel genutzt, um den Konsum der Kassette kritisch zu hinterfragen und abzuwerten. Dem Genuss eines speziellen Films am Abend stehen damit der Recorder als Durchlauferhitzer und die Möglichkeiten des Kassettenberges gegenüber. Die möglichen Lösungen für das Dilemma der Industrie in den 1980er Jahren, die zwar marktökonomische Abhilfe schufen, nicht aber der gesellschaftlichen Diskussion entgegengesetzt werden konnten, rekurrierten tatsächlich auf die Metapher des Mülls: Denn war es nicht möglich, die Kassetten zu verkaufen oder mit ihnen, wie aufgezeigt wurde, andere Filialen zu eröffnen sowie sich auch keines der von der Industrie angebotenen Rückkaufkonzepte als wirklich tragfähig erwiesen hatte, so stand deren Zerstörung als einzige Option dem Handel und der Industrie offen. Zwar hatte man auf diese Weise das Platzproblem gelöst und den Markt bereinigt wie auch die Geschäfte wieder in den richtigen Fluss gebracht, doch gaben Anbieter und Videothekare zugleich in letzter Konsequenz performativ den Kritikern Recht, die die in den Videotheken ausgestellte Ware von Anfang an unter der Bezeichnung des Mülls zusammenfassten. Wenngleich sich Anfang der 1990er Jahre erneut ein Kassettenberg zu formieren drohte, nun bestehend aus einer Flut von Kaufkassetten, so hatte der letzte Kassettenberg zu Beginn des neuen Jahrtausends, der die Abstoßung der VHS aus den Beständen der Videothek signalisierte, die Problema137

Vgl. Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: ders., Medienästhetische Schriften. Auswahl und Nachwort von Detlev Schöttker, Frankfurt am Main 2002, S. 351-383. Vgl. zur (Nicht-)Reproduzierbarkeit der Medien aus heutiger Perspektive: Jens Schröter, Das Zeitalter der technischen Nicht-Reproduzierbarkeit. In: ders. u. a. (Hrsg.), Kulturen des Kopierschutzes I. Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, 1/2010, S. 9-36.

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tik in Bezug auf das Medium Film verschoben. Denn nun, wo unter anderem die Festplatte des eigenen Computers zur Sammelstelle für digitalisierte Filme wird, scheint sich zwar kein neuer Kassettenberg zu produzieren, die Problematik ist jedoch ähnlich evident.138 Auf den ersten Blick reaktualisiert sich durch die Möglichkeiten der Festplatte ein klassischer Archivbegriff; die Filme werden digital gespeichert139, auf der Festplatte abgelegt und dort meist vergessen. Die Menge an Daten, die neue Speicherorte fassen können, erfordert fast, das eigene Archiv der Festplatte besser zu verwalten und zu katalogisieren, transformiert somit gleichsam den Filmrezipienten in seinen eigenen Archivar. Die Zwischenfiguration des nun nur noch auf digitalisierte Filme zurückgreifenden Rezipienten verfügt auch nicht mehr über das eigene Filmregal, sondern über Spindeln. Kulturkritiker wie Fortschrittsgläubige sehen in genau diesen Spindeln vielleicht das letzte Moment der Haptik des Mediums Film, bevor diese sich gänzlich zwischen Einsen und Nullen aufzulösen droht. Positiv gesehen wäre so jedoch der Platzmangel, der jeder Medienanhäufung ein Ende bereitet, überwunden, wenn alles nur noch eine Frage der Speicherkapazität ist. An eine Figuration wie die des Kassettenbergs würden somit nur noch Skulpturen erinnern, wie jene in der Berliner Filmgalerie 451 (vgl. Abb. 30). Sie erinnert hier, wohlweislich in der Horrorabteilung platziert, nicht nur an die Vergangenheit der Institution Videothek wie auch des Mediums Videokassette, sondern wirkt durch ihre denkmalähnliche Gestaltung, als wolle hier auf eine Hürde verwiesen werden, die erfolgreich genommen wurde.

138

So verschwindet zwar der Blick auf die Masse an Filmen, die stetig den stillen Imperativ ausstrahlen, endlich konsumiert zu werden; an dem nicht wertfreien Begriff des Datenmülls, unter dem auch die eigene, meist volle Festplatte zu fassen ist, lässt sich jedoch ablesen, wie sich alte Diskurse erneut wiederholen.

139

Zur Möglichkeit des digitalen Archivs vgl. Martin Warnke, Digitale Archive. In: Pompe/Scholz, Archivprozesse, S. 269-281.

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Abb. 30: Kassettenberg

3. M EDIENDISTRIBUTION

IM

Ü BERGANG

Ziel dieses Kapitels war es, die historischen Entwicklungen einer Videothekengeschichte, wie sie für die Bundesrepublik geschildert wurden, auf ihren theoretischen Hintergrund zu befragen und Begriffe einer medientheoretischen Auseinandersetzung mit Räumen der Mediennutzung an diesem konkreten Beispiel operabel zu machen. Hierbei ging es nicht darum, kulturund medienwissenschaftliche Theorie so zu reformulieren, dass sie auf das Phänomen und die Institution der Videothek zutreffen konnten. Zu unterschiedlich ist dafür jene mediale Praxis, die sich im Raum der Videothek konstituiert und durch den Mediennutzer gestaltet wird. Vielmehr zeichneten sich spezifische Begriffe heraus, die durch die Diskursfelder der 1980er

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Jahre die Videothek bestimmten und sie bis heute kennzeichnen, wenngleich unter einem Rückgriff auf andere Medien, die die VHS-Kassette seit dem Ende der 1990er Jahre langsam ablösten. Vor allem die Frage nach dem Archiv ähnlichen Aufgaben und Funktionsweisen stand im Vordergrund der Überlegungen. Eng damit verbunden ist das Interesse an den Möglichkeiten, die es der Videothek gestatten, durch ihre räumliche Anordnung, die Ausgestaltung der in ihr präsentierten Filme und das aktive Handeln des Mediennutzers Wissen um den Film zu generieren, um sich als Ort des filmischen Wissens neben dem Kino zu etablieren und zur Geltung zu kommen. Obwohl insbesondere die Frage nach dem Ort und dem Nutzer gestellt wurde, so sollten die Ausführungen in den vorherigen Kapiteln eine Ausgangsbasis bilden für die sich anschließenden Überlegungen, welche die Videothek als einen essenziellen und gestaltenden Faktor der Filmgeschichte anerkennen. Folgt man der Prämisse, die Geschichte der Videothek als Teil der Mediengeschichte des Films zu begreifen, so ist nach den Spuren zu fragen, die die Videothek möglicherweise seit ihrer Etablierung in genau dieser Geschichte hinterlassen hat. Dass es somit um ein Mehr geht als die bloße Verfügbarkeit des einst flüchtigen Mediums Film, scheint offensichtlich. Die von der Videothek ausgehenden Umbrüche im Bereich des Filmsammelns, der Ausformungen filmischer Paratexte sowie in der Frage nach einem möglichen Archiv des Mediums, welches für alle Nutzer gleich offen zugänglich und erfahrbar ist, belegen dies eindrücklich. Zu erörtern bleibt jedoch, ob diese theoretischen Figuren ausreichen, um die Veränderungen nachzuweisen, die die Videothek in der Geschichte des Films hinterlassen hat. Konkret meint dies nicht nur die Frage nach veränderten Rezeptionserfahrungen inner- und außerhalb des Ortes Videothek im Umgang mit Film, sondern auch nach dem Film als solchem, der sich unter den neuen Gegebenheiten, welche die Videothek zur Verfügung stellte, mit veränderte. Während daher die hier vorgestellten und befragten Begrifflichkeiten wie das Archiv, das Sammeln und der Paratext eine Folie bildeten, unter der die mediale Praxis der Videothek und mit ihr der Mediennutzer in ihren Räumen erfasst werden sollte, muss, um die skizzierten Fragen zu beantworten, der Fokus gewechselt werden, um, obgleich noch explorativ, in Ansätzen Antworten zu finden auf das, was mit dem Film selbst passiert ist, seit der Raum der Videothek Teil seiner eigenen Geschichte wurde. Zwar ist es nicht das Ziel, innerhalb eines solchen Blickwechsels

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den Mediennutzer in der Videothek gänzlich auszuschließen, doch ist hierbei nach anderen Kategorien zu fragen, die sich auf die Geschichte und Begrifflichkeiten des Films beziehen und somit nicht erst in der Interaktion zwischen Videothekengänger und dem Film im Regal ausgehandelt werden können. Wenn daher nun stärker nach dem Medium Film gefragt werden soll, rücken hier zwei Fragen in den Vordergrund, die die Grundüberlegungen des folgenden Kapitels bilden werden. Auf der einen Seite soll nach möglichen historischen Vorläufern der kulturellen Institution gefragt werden. Ziel ist es gleichzeitig, nicht Genealogien aufzuzeigen, die nur allzu schnell als zu gewollt und konstruiert erscheinen, sondern lediglich strukturelle Eigenheiten des Ortes vorwegzunehmen. Nicht Stationen einer wie auch immer gearteten Teleologie stehen im Vordergrund, sondern Diskurse um den Ort des Films, die sich in der Institution der Videothek wiederfinden und reaktualisieren lassen. Auf der anderen Seite rücken zugleich Begrifflichkeiten in den Blickpunkt der Betrachtungen, die Teil einer filmwissenschaftlichen Diskussion sind. Die Frage nach dem Genre und seiner Historizität, dem Autor und dem Kanon, dem Star und den Ausformungen der Filmgeschichte sind zunächst in ihrem diskurshistorischen Eingebundensein ernst zu nehmen, dennoch aber stets auf den Raum der Videothek zuzuspitzen. Dem Ort der Videothek, wie auch dem Mediennutzer in ihren Räumen, sind die akademisch geführten Debatten nicht nur unbekannt, sie leiten zudem nicht sein Handeln bei der Auswahl eines Films. Die Frage nach diesen Begriffen, welche das Reden von und über den Film erleichtern sollen, sind somit einen Schritt von den Fragestellungen zu lösen, denen sie in einem akademischen Rahmen zugeführt werden. Dies bedeutet nicht, sie vollends außer Acht zu lassen und sich an mit ihnen verbundenen Ergebnissen stets zu orientieren und rückzuversichern, doch verlassen sie hierbei nie den Rahmen, den der Ort vorgibt. Zwei wichtige Prämissen sind dafür unabdingbar und galten so auch für die Ausführungen dieses Kapitels. Sie sollen in ihrer Dringlichkeit an dieser Stelle erneut bedacht werden: Wenn nach dem Mediennutzer im Raum der Videothek gefragt wird, wird hier ein idealer Nutzer konstruiert. Die Frage, ob der Kunde tagtäglich wirklich das in der Videothek macht, was er tun könnte, spielt demzufolge keine Rolle. Gefragt werden soll nach den optimalen Möglichkeiten, die dem Nutzer im Raum der Videothek durch ihre Beschaffenheit zur Verfügung stehen. Die Frage nach dem, was

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der Mediennutzer in situ macht, müsste daher geschärft werden durch den Zusatz, was er machen könnte. Die zweite Prämisse ist die Frage nach dem zeitlichen wie geografischen Rahmen. Die Überlegungen dieses wie auch des folgenden Kapitels nehmen zumeist den Raum der Videothek als Schablone für mögliche Thesen, wie er sich in den 1980er Jahren konstituiert hat. Viele dieser Überlegungen scheinen zwar nahezu zeitlos zu sein, dennoch haben sich nicht nur mit dem Wechsel auf das Trägermedium DVD, sondern auch mit den neuen Mitteln sofortigen und ortsenthobenen Filmkonsums die exklusiven Möglichkeiten des Raumes der Videothek stärker als noch vor wenigen Jahren verringert. Durch diesen Fortschritt der Technik werden die Fähigkeiten des Mediennutzers sowie des Raumes der Videothek selbst zwar nicht obsolet, sind aber nicht mehr an diesen Ort allein gebunden.140 Die Rede von einer Mediendistribution im Übergang141 wird damit um eine weitere Bedeutung aktualisiert. Doch um die neuen Auswirkungen zu definieren, die sich in den letzten Jahren am täglichen Filmkonsum aufspüren lassen, soll weiterhin auf jene Bruchstelle rekurriert werden, die durch das Aufkommen der Videotheken in den 1980er Jahren sichtbar wurde. Denn genau jene prägen bis heute nachhaltig diese Formationen des täglichen Filmkonsums, sodass es erstaunlich erscheinen mag, dass nach diesen Änderungen kaum noch gefragt zu werden droht, die durch den wohl markantesten Ort filmischen Wissens neben dem großen Saal des Kinos generiert wurden.

140

Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel IV.1.1 dieser Arbeit.

141

So zu Beginn der Überlegungen zum Thema der Videothek der Arbeitstitel dieser Dissertation.

III. Die Videothek und das Wissen vom Film 1. V ORLÄUFER

EINER NEUEN

G ENRE -E TABLIERUNG

„Man hat sich kaum Gedanken darüber gemacht, was Video für unser kollektives visuelles Gedächtnis bedeutet.“1

Dass die Videothek auch in Deutschland in einen spezifisch nationalen Diskurs eingebettet ist, bedarf keiner Erklärung. Dennoch verbreitet die Videothek im Allgemeinen keine ausschließlich nationalen Filmprogramme. Fraglich ist daher, welche Rolle der genuin deutsche Film, sowohl geschichtlich wie auch zeitgenössisch, in der Videothek eingenommen hat und welche Bedeutung ihm dort zugestanden werden kann. Eine Konzentration auf die eigenen heimischen Produktionen, wie sie unter anderem vom Neuen deutschen Film gefordert wurden, konnte weder durch die Videotechnik noch durch die Videothek erreicht werden. Durch den Einfluss der großen Filmstudios, die durch ihre Niederlassungen in der Bundesrepublik auch die Videobranche bestimmten, wurden vor allem US-amerikanische Produktionen auf dem Verleihmarkt veröffentlicht. Aufgrund dieser Konzentration auf eine breite Angebotspalette amerikanischer Produktionen muss stets berücksichtigt werden, dass es sich bei der Videothek maßgeblich um eine Institution der US-amerikanischen Populärkultur handelt, die durch ihren dortigen Ursprung und massenhafte Verbreitung als ein Medium der Amerikanisie-

1

Christian Bauer, Matsch von der Mattscheibe? Die ungeliebte Videotechnik und ihre Praxis. In: Jahrbuch Film 1984/1985, S. 129-140, hier: S. 139.

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rung2 gedacht werden kann. Die dem Filmmarkt inhärente ökonomische Struktur, nationale Grenzen zu überschreiten, um das angebotene Produkt weltweit verkaufen zu können, wird durch die Mittel der Videothek maßgeblich verstärkt. Mehr noch als ein Medium der Amerikanisierung kann daher der Ort der Videothek ebenfalls als ein funktionales Medium der Globalisierung gedacht werden. Schon Ende der 1970er Jahre waren es vor allem asiatische Karatefilme, meist unter dem Oberbegriff des Easterns zusammengefasst, wie auch italienische Zombie- oder Kannibalenfilme, die als negative Beispiele herangezogen wurden, um offensichtliche Vertreter für die potenzielle Gefahr des Mediums Video aufzuzeigen – unabhängig davon, welcher Kritik diese Filme in ihren ursprünglichen Produktionsländern ausgesetzt waren. Die Debatten der 1980er Jahre konnten sich also nicht gegen jene richten, die diese Filme produzierten und inszenierten, sondern lediglich gegen jene, die sie in der Bundesrepublik verbreiteten. Blieb der eigentliche Anbieter innerhalb dieser Diskussion zumeist eine anonyme Größe, richteten sich diese Anfragen, wie im ersten Teil dargelegt wurde, gegen die Videothekare und ihre Geschäfte. Während eine Antwort auf die mögliche Frage, warum diese Filme dort produziert wurden, somit nicht gegeben werden konnte, scheute man sich auch in Deutschland, die Frage zu berücksichtigen, warum diese Filme hier rezipiert wurden. Angebot und Nachfrage waren demzufolge in den 1980er Jahren die bestimmenden Faktoren des Videomarktes. Bezieht sich dieser Aspekt einer Verbreitung nationaler Filmprogramme auf die negativen Auswirkungen der Möglichkeiten der Videothek, hat vor allem die Verbreitung der DVD dazu geführt, dass dem Videothekenkunden nun Filme aus einer Vielzahl verschiedener Länder zur Verfügung stehen, die keine Auswertung durch das Kino und Fernsehen erfahren haben; Filme, die durch ihr meist erstmaliges Erscheinen auch die Ordnungskategorien der Videothek vor neue Herausforderungen stellten. Dass diese nationalen Filmkulturen, unabhängig davon, wie fremd oder doch bekannt sie dem Zuschauer erschienen, nicht ohne Weiteres in die bestehenden Genres der Videotheken integriert werden konnten, zeigt die Emergenz neuer Regalkategorien. Während zum Beispiel das neu hinzugekommene Regal un2

Für einen kurzen Überblick vgl.: Julia Angster, Die Amerikanisierung der Bundesrepublik. In: Edgar Wolfrum (Hrsg.), Die Deutschen im 20. Jahrhundert, Darmstadt 2004, S. 77-88.

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ter der Überschrift Bollywood sich auf die Produktionsstätte der unter ihr zusammengefassten Filme bezieht, rekurriert die Kategorie Asien auf ein Konglomerat verschiedenster Länder, die ihre DVDs auf dem europäischen Markt veröffentlichen. Erstmals fungieren diese neuen Einschübe in die bestehende Ordnung als Fremdkörper, sortierten die Videotheken vorher doch in der Regel nicht nach Orten und Herkunftskategorien. Die in ihnen präsentierten Filme offerieren dem Kunden so nicht nur meist unbekannte Filme, sondern eine oft gänzlich fremde Ikonografie, die als Erweiterung der bisherigen Bildzirkulation verstanden werden kann. Statt die Filme in ihren jeweiligen Veröffentlichungen über den Handel direkt zu kaufen, kann der Kunde diese für ihn neuen Welten erst einmal erkunden und sich in ihnen zurechtfinden, die eigenen Sehgewohnheiten trainieren und erweitern. Wenngleich diese Kategorien sich zunächst gegen die Einteilung der Filme durch die ordnungsstiftende Natur des Genres querstellen, bildet dennoch das Genre eine Form der Unterkategorie der neuen Regale. Die Anpassungsfähigkeit der in der Videothek funktionierenden Ordnung bleibt so zwar erhalten, macht jedoch erneut auf die begrenzten Möglichkeiten aufmerksam, den eigenen Bestand beliebig zu erweitern. Mehr Filme bedeuten demnach die Suche nach mehr Platz und einen stärkeren Austausch des Programms gegen neue Titel, der die Funktion des Back-Programms mehr und mehr beschneidet. Unabhängig davon, ob die Videothek nun genuin deutsche, amerikanische oder anderweitige internationale Produktionen anbietet, konzentriert sich das Angebot zumeist auf den Genrefilm.3 Wird nun im Folgenden danach gefragt werden, wie die distributionellen Mechanismen und die Fähigkeit zur Reorganisation filmischen Wissens auf diese Kategorie wirken, sollen insbesondere jene Genres im Fokus der Ausführungen stehen, die in den 1980er Jahren im Mittelpunkt der Debatten standen und zentrales Anliegen der gegen die Videotheken gerichteten Kritiken waren. Gerade der Horrorfilm wie auch die Kategorie des Pornos – und unter gewissen Aspekten der Actionfilm – lassen sich in eine Genregeschichte einbetten, die sich hier maßgeblich als Distributionsgeschichte verstehen will. Die Betrachtung dieser Genres, ohne Bezug zu nehmen auf die Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre, schafft eine Lücke, die mit der bloßen Auseinandersetzung des spezifischen Films nicht mehr geschlossen werden kann. 3

Vgl. Siegfried Zielinski, Bildschirm-Schlachten. Befunde zum Video-Konsum. In: Medium 2-3/1983, S. 29-32, hier: S. 30.

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Bevor jedoch nach diesen eng mit der Geschichte der Videothek verwobenen Genres gefragt werden kann, sollen die Orte des Filmkonsums beleuchtet werden, die vor den Möglichkeiten der Videothek eine genuine Figuration eines wie auch immer gearteten Genrefilmkonsums vorwegnahmen und ähnliche Diskurse schufen wie die Kritik am devianten Filmprogramm der neuen Leihstellen. Hierbei soll und kann es im folgenden Kapitel nicht darum gehen, eine teleologische Genealogie zwischen diesen Orten und dem Raum der Videothek aufzuzeichnen. Obwohl es durchaus richtig ist, dass der starke Konsum von Genrefilmen zweifelhafter Natur schon vor der Videothek einen Ort hatte, so müssten diese Orte in ihrer Gänze unter anderen Gesichtspunkten und Fragestellungen eruiert und ausgewertet werden. Wenn dennoch ein kurzer Blick auf die behaupteten strukturellen Ähnlichkeiten zwischen dem Autokino, dem Bahnhofskino sowie zur medialen Praxis der Midnight Movies zur Emergenz der Videothek in den 1980er Jahren unternommen werden soll, so geschieht dies mit der nötigen Vorsicht. Nicht nur berücksichtigend, dass die Genese dieser Orte und Praxen in den USA eine deutlich andere Entwicklung genommen haben, als es in der Bundesrepublik der Fall war und somit in eine, wenngleich auch in manchen Punkten ähnliche nationale Filmkultur integriert waren, sondern auch nicht sui generis im Mittelpunkt einer öffentlichen Kritik standen. Stärker noch als in den vorherigen Kapiteln werden sich im Folgenden die Entwicklungen auf der Seite der US-amerikanischen Filmproduktion und dem Alltag der bundesdeutschen Videothek miteinander vermischen, was sich zunächst an den konkreten Orten des Filmkonsums realisieren soll. Wenngleich die Kulturgeschichte dieser Orte und ihre genuinen Auswirkungen auf die Filmgeschichte in vielen Fällen in ihrer ausgiebigen Erforschung noch Desiderate einer vom bloßen Film, seinem Narrativ und seinen Bildern abrückenden Filmwissenschaft und -historiografie sind, so lassen sie sich doch mit Blick auf die Kinogeschichte als Orte des Filmkonsums benennen, die durch die ihnen eigene Ausformung des Raums nicht nur in Verbindung zu bringen sind mit dem Ansatz einer am Topos orientierten Medienkulturwissenschaft und den Spezifika situierter Medien, sondern in Hinsicht auf Kritik und gar Verklärung der Geschichte der Videothek an die Seite gestellt werden können. Dies bezieht sich nicht nur auf die Anordnung einer spezifischen Form von Filmrezeption, sondern auch auf die Verbreitung von Genrefilmen durch ihre Distributionsmechanismen. Obgleich die Entwicklung des Bahnhofskinos nicht in den Räumen der Videothek münde-

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te, so endete doch das in ihnen gezeigte und mitunter scharf kritisierte Programm genau dort.

1.1 Das Autokino Obwohl keine direkte Genealogie zu ziehen ist zwischen dem Ort des Autokinos4 und dem Raum der Videothek, so ist dennoch zu konstatieren, dass auch das Autokino nicht nur Verwertungsort sogenannter B- und C-Filme war, sondern ebenfalls durch eben diese Genres als Ort minderwertigen Kulturkonsums etabliert wurde. Der Koppelung eines Ortes mit dem Konsum expliziter Genrefilme im offenen Raum des Autokinos wurde nicht zuletzt durch das Musical und dem Film THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW5 ein musikalisches wie filmisches Denkmal gesetzt. Das Science Fiction/Double Feature, welches die ROCKY HORROR PICTURE SHOW eröffnet, bezieht sich somit explizit auf die kulturelle Praktik des Autokinos; zwar operierten auch andere Kinos mit diesen doppelten Filmvorführungen, doch werden diese heute im Allgemeinen mit dem Ort des Autokinos verbunden. Die Auseinandersetzung mit dem Raum des Kinos zeigt hierbei eine Veränderung auf, die eine mögliche wie nötige Konsequenz des spatial turn der letzten Jahre kennzeichnet. Karl Sierek6 weist in seinen Ausführungen zum Zusammendenken von Film- und Raumwissenschaft darauf hin, dass besonders in den frühen Jahren des Mediums vor allem der Raum der Rezeption im Mittelpunkt der kulturtheoretischen und soziologischen Betrachtungen stand. Während mit der Etablierung einer filmischen Sprache und den Möglichkeiten, stetig wachsende Narrative zu bilden, mehr und mehr der plane Raum des Films auf der Leinwand in den Mittelpunkt des Interesses rückte, nahm der Zugriff auf den Ort der Rezeption weiter ab. Lediglich als Bestandteil einer sich explizit als Kinowissenschaft verstehenden Ausrichtung innerhalb der Filmwissenschaft rückte man den Raum, seine Aus4

Vgl. zur Geschichte des Autokinos: Kerry Segrave, Drive-in Theaters. A history from their inception in 1933, Jefferson/North Carolina 1992 sowie Elizabeth McKeon/Linda Everett, Cinema under the Stars. America’s Love with Drive-In Movie Theaters, Nashville/Tennessee 1998.

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THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW; R: Jim Sharman, USA 1975.

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Vgl. Karl Sierek, Filmwissenschaft. In: Günzel, Raumwissenschaften, S. 125-141, hier: S. 125 f.

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wirkungen auf den Zuschauer und die Rezeption weiterhin ins Zentrum der Betrachtungen. Auffällig ist vor allen Dingen, dass erst wieder nach dem Raum der Rezeption gefragt wird, wenn dieser Störungen generiert. Störungen und Irritationen, die von den möglichen Auswirkungen des Films und den ihm scheinbar inhärenten potenziellen Gefahren ausgeht. Der in die Kritik geratene Film, wie möglicherweise auch das in seiner Gänze kritisierte Genre, wirkt damit auf den Raum zurück, der gleichzeitig ebenfalls einer negativen Bewertung unterzogen wird. Dies betrifft nicht nur die hier kurz präsentierten Formen des Erlebnisraums Kino, sondern außerdem die mediale Praxis des Orts der Videothek. Dass die Autokinos schon vorher ähnlich kritisch bewertet wurden wie es später, wenngleich immens verstärkt, den Videotheken widerfuhr, hat stark mit der Einbindung dieser Form des Erlebnisraums Kino in die zeitgenössische Jugendkultur zu tun. Als Zufluchtsort der Halbstarken und der Anhänger des Rock ’n’ Roll boten die Autokinos stärker noch als der normale abgedunkelte Raum des städtischen Kinos die Möglichkeit, ungestörte Zweisamkeit zu praktizieren.7 Die Bezeichnung der lovers’ lane8 für die letzte Reihe der Parkmöglichkeiten des Autokinos ist nur ein Beispiel der Aufladung dieses Ortes mit kulturellen und oft pejorativen Vorurteilen der Gesellschaft und den durch die Bilder des Kinos selbst geschaffenen Ikonografien. Jene Bilder, die dank des immer noch starken Einflusses des Production Codes in den 1950er und 1960er Jahren im US-amerikanischen Kino fehlten, sollten, so evoziert es den Anschein, im eigenen Auto nachgeholt werden. Der Film selbst, und dies galt in den Augen der Heranwachsenden nicht nur für den im Autokino rezipierten, wurde dabei meist als zweitrangig empfunden. Hierbei ist es unwichtig, inwiefern diese Bilder der Realität dieser Kinoform entsprechen, diese bestätigen oder sich als unwahr erweisen. Denn wenn diese Zusammenhänge durch die Formierungen der kulturellen Erinnerungen geprägt wurden, ist auch nach ihrem eigentlichen Diskurswert und den damit verbundenen Aussagen zu fragen, als lediglich nach einem Abgleich dieser Bilder mit den historischen Gegebenheiten. 7

Vgl. Don Sanders/Susan Sanders, Drive-In Movie Memories: Popcorn and Romance under the stars, Middleton/New Hampshire 2000, S. 68 ff.

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Die Bezeichnung der loversʼ lane ist nicht exklusiv auf die Praktiken des Autokinos bezogen, sondern bezeichnet auch andere Orte im spezifischen Gefüge der Städte und die sie prägende Automobilkultur.

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Dabei wurde durch den Konsum des Films innerhalb eines Fahrzeuges – ohne dieses gleich, wie es unter anderem in Rekurs auf Marshall McLuhan möglich wäre, als Medium zu bezeichnen – eine Rezeptionssituation konstruiert, die allein durch ihre physische Ausgestaltung die Situierung des Fernseh- und Videokonsums spiegelte, respektive vorwegnahm9: Eingeschlossen in den sprichwörtlichen vier Wänden des eigenen Autos schaute man durch die Glasscheibe dieses Fahrzeugs auf den eigentlichen Film. Durch die Übertragung des Tons durch das eigene Radio, respektive die Anlage des Kinos, wurde ebenfalls eine Situation vorweggenommen, die es in solch einer Form vorher in Bezug auf die Rezeption eines Kinofilms noch nicht gegeben hatte. Tatsächlich hatte der Nutzer durch die Option des Anund Ausschaltens des Radios die Möglichkeit, den Ton des Films wenn nicht zu eliminieren, so ihm doch ein Stück weit zu entgehen.10 Das, was später erst die Fernbedienung bei der Rezeption eines Films im Fernsehen konnte, wurde durch die Möglichkeiten des Autokinos zwar nicht in vollem Umfang praktiziert, jedoch angedacht.

Abb. 31: Fernsehen im Autokino 9

Tatsächlich gab es Versuche, die Filmrezeption des Autokinos so zu gestalten, dass man eine eigene kleine Leinwand direkt vor jedem Auto vorfinden würde. Durch komplizierte Projektionsmechanismen näherte der Ort sich in einem weiteren Schritt der Rezeption dem Fernsehen an (vgl. Abb. 31). Vgl. dazu: DRIVE-IN MOVIE MEMORIES; R: Kurt Kuenne, USA 2001, TC 00:14:34h.

10 Die Qualität des Tons war nicht nur stetig ein Problem für die Technik und die Betreiber des Kinos, sondern hatte ebenso immense Auswirkungen auf das Rezeptionserlebnis des jeweiligen Films.

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Wichtiger noch als diese Fragen nach den Techniken des Ortes erweisen sich die Fragen der Diskurse, die in der Formation des Autokinos kulminieren. Stand in den 1950er und 1960er Jahren auch das reguläre Kino11 immer wieder unter dem latenten Verdacht, negative Auswirkungen auf die Jugend zu haben, so schien sich dieser Verdacht in Rekurs auf das Autokino von einem latenten zu einem manifesten Zustand zu wandeln. Auf der einen Seite hatte dies sicherlich mit der Einbindung des Kinos in die herrschende Jugendkultur zu tun, die sich darin konkretisierte, dass sich Jugendliche nicht nur gegen die Generation der Eltern auflehnen wollten, sondern gerade im Kino die Vorbilder zu dieser Rebellion fanden.12 Auf der anderen Seite bezogen sich diese Formen gesellschaftlicher Kritik auch auf das Programm des Kinos selbst. Waren Autokinos meist nie Erstaufführungskinos, konnte hier per se nur auf das zurückgegriffen werden, was schon durch die Auswertung der regulären Kinos bekannt war. Gerade die Mischung aus expliziten Genreproduktionen aus dem Bereich des ScienceFiction- und Horrorfilms13, die die Kategorie des B-Films bedienten, stand stellvertretend für eine zwar geduldete, aber nicht weithin akzeptierte Form der Freizeitgestaltung. Wichtig erscheint somit in der Auseinandersetzung mit dem Autokino nicht nur der Wechsel der Frage nach dem Raum des Films von dem in ihm erzählten Welten auf den Ort der Rezeption, sondern zudem seine Etablierung als ein Ort des genuinen Konsums von Genrefilmen. Obgleich das Autokino, auf welches heute mit einer wehmütigen Nostalgie zurückgeblickt wird, nie derartig scharf kritisiert und angegriffen wurde wie die Auslagen 11 Die Bezeichnung des regulären Kinos meint hier wie im Weiteren das normale städtische und fest situierte Kino. 12 Diese manifestierte sich vor allem in Filmen wie REBEL WITHOUT A CAUSE [dt. …DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN]; R: Nicholas Ray, USA 1955, die das Aufbegehren der Jugend nicht nur zeigten, sondern es gleichzeitig bestraften. Fraglich ist, ob sich diese Vermischung von Kino-, Musik- und Jugendkultur in ähnlicher Form auf die Situation der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre beziehen lässt. Für einen ähnlichen Einfluss spricht nicht nur der Erfolg der Autokinos in Deutschland, sondern auch die Anlehnung eines ähnlichen Bilderfundus in Filmen wie DIE HALBSTARKEN; R: Georg Tressler, BRD 1956. Auch der Rock ’n’ Roll hatte durch Stars wie Peter Krauss, wenngleich in einer eher nationalen Form, starke Auswirkungen auf die bundesdeutsche Jugendkultur. 13 Zum Einfluss dieser genuinen Autokinoklassiker auf die Genregeschichte des Horrorfilms vgl. Gary D. Rhodes (Hrsg.), Horror at the Drive-In. Essays in popular Americana, Jefferson/North Carolina 2008.

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und Praktiken der Videotheken, so zeigt sich jedoch, wie das Programm auf den sie präsentierenden Ort und sein Ansehen in der Öffentlichkeit zurückwirken kann. Ein Umstand, der in besonderer Evidenz am Umbruch der bundesdeutschen Bahnhofskinos der 1970er Jahre aufgezeigt werden kann.

1.2 Das Bahnhofskino Ähnlich, wie Anfang der 1980er Jahre das Programm der Videotheken eine starke öffentliche Kritik erfuhr, standen Ende der 1970er Jahre die in den Bahnhofskinos gezeigten Filme im Zentrum eines medienkritischen Diskurses.14 Hierbei ist verblüffend, wie sehr sich jenes Programm der spezifischen Kinos und die in den Videotheken angebotenen Kassetten ähnelten. Der Wechsel des öffentlichen Bildes, welches die Gesellschaft von den Bahnhofskinos besaß, lässt sich tatsächlich an einem Umbruch festmachen, der als strukturelles Problem mit den Anfangsjahren der Videotheken zu vergleichen ist. Die Figuration des Bahnhofskinos entwickelte sich aus dem sogenannten Aktualitätenkino (AKI), welches seit Ende der 1920er Jahre die Kinokultur Deutschlands mitprägte. Das Programm der AKIs15 setzte sich nicht nur aus Zusammenschnitten verschiedener Wochenschauen aus dem Reich zusammen, sondern auch aus einer breiten Palette von Kulturfilmen. Wichtige Kennzeichen dieser Formation von Kino waren somit nicht nur die Unterschiede im Programm, sondern auch die Praktiken des täglichen Programmablaufs. Fast ohne jedwede Unterbrechung bot das Kino durch seine Nähe zu wichtigen Verkehrsknotenpunkten und Bahnhöfen vor allem Reisenden die Gelegenheit, während die Weiterfahrt sich verzögerte, im Kinosaal unterhalten zu werden. Ein stetiges Kommen und Gehen, wie auch eine inhärente Unruhe waren daher genuine Bestandteile des Erfahrungsraums Kino,

14 Vgl. zur Geschichte und Begriff des Bahnhofskinos: Christian Tünnemann, Bahnhofskino. Programm und Publikum an einem Durchgangsort. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Tübingen 2003. Eine Zusammenfassung der zentralen Thesen dieser Arbeit findet sich unter: Christian Tünnemann, Das Bahnhofskino. http://www.filmmuseum-hamburg.de/642.html (Zugriff am 01.04.2014). 15 Die Bezeichnungen Bahnhofskino und Aktualitätenkino werden häufig synonym gebraucht. Inwiefern eine Unterscheidung sinnvoll ist, ist am jeweils spezifisch adressierten Kino zu verifizieren.

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die kaum mit dem Rezeptionserleben der regulären Kinos zu vergleichen waren. Ähnlich wie auch die Videothek ein Raum der Transitorität ist, bildete sich diese Kultur des Durchgangs schon an der Praktik des Bahnhofskinos aus.16 Während in den 1950er Jahren, auf dem Höhepunkt bundesdeutscher Kinokultur, sich auch die Aktualitätenkinos großer Beliebtheit erfreuten, begann deren Niedergang bereits zwei Jahrzehnte später. Anders als das reguläre Kino gegen die neue hegemoniale Stellung des Fernsehens im Medienensemble der Zeit, wenngleich auch mit gewissen Einbußen, bestehen konnte, wurde vor allem die Verbreitung von Nachrichten und Informationen, die genuiner Bestandteil des AKI-Programms waren, durch das Fernsehen übernommen. Ziel der Betreiber war es daher, zwischen dem neuen Konkurrenten und dem Programm der herkömmlich bespielten Kinos ein Alternativprogramm zu präsentieren, welches das Überleben dieser Kinoform auch für die kommenden Jahre sichern sollte. Vorerst wurden von nun an insbesondere Spielfilme wie Western und Krimis im zweitägigen Wechsel in das Programm mit aufgenommen, die den Zuschauer wieder in die Räume des Kinos locken sollten. Auch der Sexfilm hatte Ende der 1960er Jahre einen festen Platz in den Spielplänen der AKIs. Begann die Bedienung dieses Segmentes auf dem Spielplan noch mit den vermeintlichen Aufklärungsfilmen Oswalt Kolles wie das WUNDER DER LIEBE17, wurden diese Ende der 1970er Jahre ersetzt durch offensive Softcore-Pornografie.18 Doch als sich auch nach diesem Wechsel im Programm kein größerer Erfolg einstellen wollte, versuchten die Betreiber, vollends ein Alternativprogramm zu starten, welches durch die Möglichkeiten des Kinos wie auch des Fernsehens nicht bedient werden konnte. So erfolgte nicht nur eine Konzentration auf eine Vielzahl von Horror- und Actionfilmen, vor allem Produktionen aus Asien19, sondern in großem Maße eine Hinwendung zur Pornografie.20 Christian Tünnemann geht in seinen Ausführungen davon

16 Vgl. Tünnemann, Das Bahnhofskino. 17 DAS WUNDER DER LIEBE – SEXUALITÄT IN DER EHE; R: Franz Josef Gottlieb, BRD 1968. 18 Vgl. Joachim Biemann u. a., In 50 Minuten um die Welt. http://www.eisenbahnim-film.de/info/aki1.htm (Zugriff am 01.04.2014) sowie Hans-Jürgen Tast, Kinos in den 1980ern. Beispiel: Berlin/West, Schellerten 2008, S. 6 f. 19 Vgl. Biemann, In 50 Minuten um die Welt. 20 Die juristischen Fragen an die Pornografie führten Ende der 1970er Jahre zu den sogenannten PAM-Kinos, die Pornofilme nur in Kombination mit Getränken anbo-

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aus, dass in der Mitte der 1980er Jahre nahezu alle Bahnhofskinos auf Hardcorepornografie umgestellt hatten. Tatsächlich wäre der Wechsel auf ein Programm, welches die anderen Akteure des Medienensembles der 1970er und 1980er Jahre nicht bedienen konnten, beinahe gelungen, hätte der neue Konkurrent Video nicht von Beginn an über einen ähnlichen Sektor verfügt. Wenngleich sich einige wenige Bahnhofskinos nach einem Wechsel in der Ausrichtung des Programms als reguläre Kinos abseits des devianten Filmangebotes halten konnten und bis in die Gegenwart hinein als Kinos bespielt werden, so bedeuteten die Umstellungen des Programms und die damit verbundene Skepsis der öffentlichen Meinung den Niedergang für diese Form des Lichtspieltheaters. Besonders der Deutschen Bahn, die für die meisten dieser Kinos als Vermieter in Erscheinung trat, waren die Pornokinos ein Ärgernis, welches nicht nur Reisenden unangenehm auffiel, sondern auch Auswirkungen auf das gewünschte Selbstbild der Deutschen Bahn hatte, die schon in den 1970er Jahren begann, zentrale Bahnhöfe zu neuen Erlebnis- und Konsumorten zu transformieren. Der beanstandete und kritisierte Raum des Films wurde damit, ähnlich wie zu Beginn der Filmgeschichte, erneut zum Raum des Kinosaals, der Ort der Rezeption stärker kritisiert als das bloße in ihm gespielte Programm. Fehlendes Kapital und somit auch fehlende Nachinvestitionen förderten das schlechte Bild der AKIs weiter, waren die Betreiber nunmehr kaum mehr in der Lage, Innenräume und Fassade zu renovieren, die durch jahrelange Nutzung und den belebten und stark frequentierten Standort deutlich heruntergekommen waren. Durch ihr mehr und mehr baufälliges Äußeres wurde der durch das beworbene Programm erhaltene dubiose Ruf regelrecht verschärft, der Kreislauf ihres Niedergangs damit beschleunigt. Wie es sich auch bei der medialen Praxis der Midnight Movies zeigen wird, stehen bei der Auseinandersetzung mit der Figuration des Bahnhofskinos zwei Momente im Vordergrund, welche die Problematik der Videotheken noch am Ort einer spezifischen Ausformung des Kinos vorwegzunehmen schienen. Durch den Umgang mit diesen Programmen, die die Fragen des

ten, um geltende Gesetze zu umgehen. Werben durfte jedoch keines der Kinos mit den Titeln der per se indizierten Filme. Vgl. o. A., Porno mit Verzehr. In: Der Spiegel 25/1975, S. 117-118.

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Jugendschutzes21 und die Verbreitung problematischer Filme betrafen, hätten gesellschaftliche Mechanismen abgeleitet werden können, die dem Umgang mit dieser Art von beanstandeten Filmen in den Räumen der Videothek hätten entgegengehalten werden können. Gerade an den Programmen der AKIs zeigt sich somit, dass das Programm der Videothek nicht neu war, sondern lediglich deren mediale Praxis und Form der Distribution sich geändert hatte. In Anlehnung an Klaus-G. Loests Aussage, die Videothek sei die Fortsetzung der Leihbücherei mit anderen Mitteln22, wäre hier die Formulierung treffender, dass das Angebot der Videotheken das Programm der Bahnhofskinos fortführte und dieses erst durch die Möglichkeiten des neuen Mediums Video in eine Form der Unkontrollierbarkeit geführt wurde.23 Doch nicht nur das Programm der Bahnhofskinos schien die Diskussionen um die problematischen Angebote der Videotheken ein Jahrzehnt später vorwegzunehmen; die stetige Wiederholung und die Präsentation von Genrefilmen in nahezu Non-Stop-artigen Schleifen zeigen ebenso auf, wie das repetitive Moment dieser Programme vor der Möglichkeit der Rückspultaste des Videorecorders mit verantwortlich war für die Gefahren, die von dieser Form des Kinos auszugehen schienen. Handelte es sich bei der Videothek also wirklich um die Fortsetzung des Bahnhofskinos mit anderen Mitteln, so lief der Aufstieg der neuen Institution der alten den Rang ab. Insbesondere die Frage nach dem Pornofilm, der nun in der Videothek weitaus diskreter zu leihen war, als es die Rahmenbedingungen für die Rezeption in einem meist von außen schon als Pornokino erkennbaren Etablissement zugelassen hätten, mochte verantwortlich sein für die große Umwälzung in der Geschichte des Bahnhofskinos. Denn ähnlich wie nun die Gefahr drohte, dass sich das Kino als Privatvorführung in die heimischen vier Wände zurückziehen würde, rüsteten auch die Erotik- und Pornokinos um. Die Einrichtung sogenannter Videokabinen, die den Nominativ Singular des lateinischen 21 Obgleich die Frage der Zugänglichkeit eine andere Problematik aufwarf als die Kassettenbestände der Videotheken, so konnten die AKIs allein durch ihre lockende Präsenz im Bild der Städte kritische Anfragen des Jugendschutzes evozieren. Die Kontrolle des Ausweises vor dem Betreten eines Kinos ist dem Zugang zum Raum der Videothek ähnlich. 22 Vgl. Loest, Die Videokassette, S. 87. 23 Dass hiermit auf das anfängliche Programm der Videotheken rekurriert wird, welches sich schon in den ersten Jahren ihres Entstehens fundamental wandeln sollte, wurde im historischen Überblick über die Geschichte der Institution in der Bundesrepublik aufgezeigt.

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Wortes für sehen wieder ernst nahmen, zeugte davon, dass auch die Erotikbranche auf eine möglichst singuläre Rezeption im öffentlichen Raum zurückgriff. Die Rezeption eines pornografischen Films im ungeschützten Raum eines Kinosaals gehörte damit, ebenso wie auch die Hochzeit der Institution Bahnhofskino, durch die Möglichkeiten der Videokassette und der Videothek der Vergangenheit an.

1.3 Die Midnight Movies Ebenso wie das Autokino ist das Phänomen der Midnight Movies eine USamerikanische Entwicklung, die zwar in ihren Ausläufern auch die deutsche Kinolandschaft erreichte und bis heute prägt, als konkretes medien- und filmgeschichtliches Phänomen allerdings zunächst auf die USA beschränkt blieb.24 Diesbezüglich muss hinzugefügt werden, dass es sich auf der einen Seite um ein durchaus heterogenes, auf der anderen Seite um ein zeitlich begrenztes Phänomen handelt. Heterogen deshalb, weil sich die Filme dieser Art von Vorführung nicht einheitlich einem Genre zuordnen lassen und sich erst durch ihre sprichwörtliche Aufführung um Mitternacht in den Kinos der US-amerikanischen Großstädte unter diesem Label zusammenfassen lassen. Wenngleich die Filme alle Genres bedienen, zeichnen sie sich doch gerade durch ein hohes Maß an Hybridität aus. Zwar ist diese nahezu jedem Genrefilm inhärent, doch verstehen sich gerade die Midnight Movies darauf, Genres zu koppeln, die in diesen Konstellationen vorher nicht auftauchten. Das gleichsam als Name und Werbeträger fungierende Label dieser Filme wurde geprägt durch die Praktiken der Rezeption und den Ort, an dem diese stattfinden konnten. Dabei transzendierten die Filme nicht nur die einfache Vorstellung eines Films um Mitternacht, sondern fügten gleichsam den dort zu rezipierenden Filmen eine neue Bedeutung hinzu, die sie ohne den Wechsel in das Nachtprogramm spezifischer Kinos mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erreicht hätten. Solch unterschiedliche Filme wie George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (USA 1968), Alejandro 24 Zur Geschichte dieser kinohistorischen medialen Praxis vgl. James Hoberman/Jonathan Rosenbaum, Mitternachtskino. Kultfilme der 60er und 70er Jahre. Aus dem Amerikanischen von Olaf Möller, St. Andrä-Wörden 1998, wie auch die Dokumentation MIDNIGHT MOVIES: FROM THE MARGIN TO THE MAINSTREAM; R: Stuart Samuels, CAN/USA 2005.

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Jodorowskys EL TOPO (MEX 1970), John Watersʼ MULTIPLE MANIACS (USA 1970) und PINK FLAMINGOS (USA 1972), Perry Henzells THE HARDER THEY COME

(JAM 1972), Jim Sharmans THE ROCKY HORROR PICTURE SHOW (USA

1975) und David Lynchs ERASERHEAD (USA 1977) bilden den Kern der Filme, die das Phänomen in den 1970er Jahren auszeichneten; vollkommen unerheblich, ob diese Filme neu produziert oder schon vorher in Lichtspielhäusern gezeigt wurden.25 Tatsächlich handelte es sich bei den Filmen oft um Werke, die in ihrer Erstauswertung im regulären Betrieb der Kinos keinen Gewinn einbrachten, oder aber vorher in den USA völlig unbekannt waren. Nicht nur, dass hier Filme rezipiert wurden, die aus anderen nationalen Filmkulturen wie Jamaika oder Mexiko stammten (wie im Falle von THE HARDER THEY COME und EL TOPO), sondern die auch die Sehgewohnheiten des Publikums vor neue Herausforderungen stellten. Der Einsatz von Musik, Experimente mit Ton, Bild und Narration sowie die Transgression über visuelle Tabus hinweg waren Kernstück vieler dieser Filme.26 Die Filmvorführung der Midnight Movies entwickelte den Kinobesuch zu einer kulturellen Praxis27, die stets mehr bedeutet als das bloße und stille Rezipieren des Films im Kino. Der erste wichtige Faktor, der eine Differenz aufzeigt zum regulären Besuch des Kinos, war die Repetition des Gesehenen, die sich nicht nur am evidentesten Beispiel dieser Praxis ablesen lässt, der ROCKY HORROR PICTURE SHOW. Bis heute hat das Screening des Films jene feststehende Praxis beibehalten, die er in den 1970er Jahren in situ entwickelte. Dazu gehörten neben dem Mitsprechen der Dialoge und der Vorwegnahme dessen, was als nächstes gesagt wird, das Verkleiden als Teil des 25 So erfreute sich zum Beispiel auch der 1932 produzierte Film FREAKS [dt. FREAKS – MISSGESTALTETE]; R: Tod Browning (USA 1932), großer Beliebtheit in den nächtlichen Vorstellungen der Kinos. 26 Amos Vogels Buch Film als subversive Kunst erschien dabei zu früh, um die Filme dieser Bewegung in seine geschichtliche Auseinandersetzung mit dem Kino wider die Tabus einbeziehen zu können. Kennt man jedoch Vogels Auswahl, so trifft diese nahezu auf jeden Film der Midnight Movies ebenso zu. Vgl. Amos Vogel, Film als subversive Kunst. Kino wider die Tabus – von Eisenstein bis Kubrick, Reinbek bei Hamburg 2000. 27 Eine ähnliche mediale Praxis findet sich im Besuch der sogenannten Road showFilme. Hier ist es jedoch nicht die kulturelle Praxis des Mediennutzers, sondern die technische Praxis des Vorführungsraumes, die diese Form des Kinoerlebnisses maßgeblich bestimmt hat. Vgl. David Gaertner, Roadshow aesthetics: die moviegoing experience der Roadshow-Präsentation. In: Thomas Morsch (Hrsg.), Genre und Serie, München 2014 (im Erscheinen).

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Casts sowie das Mitbringen von Requisiten. Gerade diese Momente sorgten dafür, dass die Leinwand in den Raum des Publikums und des Zuschauers verlängert wurde, der Funktion der Rampe im Theater nicht unähnlich.28 Demnach kam es zu einer Interaktion zwischen dem Film und seinem Zuschauer, die man dem Medium Film in dieser Form so nicht (mehr) zugetraut hätte. Dabei ist das Phänomen der Midnight Movies gleich an mehreren Stellen mit der Institution Videothek verbunden, ohne hier Ähnlichkeiten überzustrapazieren oder eine Teleologie zu beanspruchen. Auf der einen Seite wird diese Verbundenheit deutlich durch ihr Sein als mediale und kulturelle Praxis innerhalb des Erlebnisraums Kino. In diesem Sinne entwickelten die Filme und der Kinobesuch eine Form des Kultcharakters, wie er für das Medium davor und danach relativ selten zu konstatieren war.29 Auf der anderen Seite jedoch nehmen die Formen der Wiederholung und der Aneignung des filmischen Textes Praxen vorweg, wie sie ein Jahrzehnt später durch die Mechanismen des Videorecorders und die damit verbundenen Möglichkeiten kultureller und medienpraktischer Alltag wurden. Die wiederholte Sichtung des immer gleichen Films führte den Film trotz seines Seins auf einer scheinbar unüberwindbar vom Zuschauer getrennten Leinwand stark in eine Form der Besitzbarkeit, wie es für das flüchtige Medium bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre nicht denkbar gewesen wäre. Besitz- und beherrschbar blieb der Film daher nicht nur durch das Wissen um ihn und um das, was jede nächste Szene für den Zuschauer bereithielt, sondern stärker noch durch das Verändern der Handlung mittels der mitgebrachten Requisiten und des Auslebens einer vom Bild bestimmten karnevalesken Travestie. Der Film gehörte demzufolge nicht mehr dem Produzenten oder dem Kino, sondern dem Zuschauer und Fan. Ein weiterer wichtiger Aspekt, den die kulturelle Praxis der Midnight Movies mit Auto- und Bahnhofskinos und später mit den Regalen der Videothek gemein hat, ist die Präsentation von Genrefilmen, die sich gleichzeitig 28 Gerade im Fall der ROCKY HORROR PICTURE SHOW holte man sich durch die Praxis der Sichtung jene ins Publikum reichende Rampe zurück, die Teil der Requisite des regulären Musicals vor der Kinoauswertung war. 29 Am ehesten ließe sich daher diese Praxis mit dem Phänomen des Starkultes vergleichen, der zu ähnlichen Praktiken führte, dabei aber meist nicht den ganzen Kinosaal erfasste. Auch in Bezug auf die Tradition des Genrefilms, der hier für die drei beschriebenen filmgeschichtlichen Stationen eine Rolle spielt, fällt dabei kaum merklich ins Gewicht.

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als eine Form des devianten Genrekonsums konkretisieren. Indem sie Sex und Gewalt, das Monströse und vorher nicht Gezeigte in einer Form sichtbar machten, die neu war und sich durch ihre eigenwillige Ästhetik nur schwer an die seit 1968 bekannten Formen der Transgression im Bereich des Horror- und Pornofilms ankoppeln ließ, stellten sie, wie bereits angemerkt, die gewohnten Bilder des Kinos vor neue Herausforderungen, die es zu inkorporieren galt; vom Zuschauer auf der einen, vom Bilderhaushalt des Mediums selbst auf der anderen Seite. Gleichzeitig präsentierte jedoch alleine die ROCKY HORROR PICTURE SHOW schon in ihren ersten Minuten eine Form der Reflexibilität, die darüber Auskunft gab, an welche Tradition der Film anknüpfen wollte. Wenngleich dies für die meisten der US-amerikanischen Produktionen innerhalb des Zyklus der Midnight Movies galt, so schien dies beim genannten Beispiel besonders evident zu sein. Das Science Fiction/Double Feature besang hierbei nicht nur die Helden des B-Films, sondern verwies in den 1970er Jahren konkret auf die Praxis der Präsentation dieser Filme, wie sie unter anderem in den Autokinos zum Alltag der USamerikanischen Filmkultur gehörten.30 Eingebettet in diese Geschichte des Kinos bildeten die Filme ein Pastiche von Genreelementen, die vielleicht gerade aus diesem Grund vorerst erfolglos in den regulären Kinoauswertungen geblieben waren. Ein interner und zwei externe Momente bereiteten der Bewegung der Midnight Movies ab 1978 ein Ende. Intern gesehen wandten sich die Regisseure mehr und mehr dem Mainstreamkino zu. John Waters, David Lynch – dessen ERASERHEAD auch innerhalb der Ausnahmefilme der Midnight Movies eine Sonderrolle einnahm – wie auch George A. Romero hatten selbst Anteil daran, dass ihre Bilder common sense des kinematografischen Alltags wurden.31 Nicht nur passten sie ihre Filme trotz aller Extravaganzen mehr und mehr dem Publikumsgeschmack an, wie auch andere Regisseure jene Ästhetik und Ikonografien aufgriffen, die in den 1970er Jahren noch als camp, Tabu und Avantgarde galten. Auf der einen Seite bedeutete das Aufkommen eines neuen Blockbusterkinos, wie es aus den Ausläufern des New Hollywood hervorgegangen war, 30 Im Kino ein Stück über B-Filme sehen, fasst der Schauspieler Richard OʼBrian die Agenda der ROCKY HORROR PICTURE SHOW zusammen. Vgl. MIDNIGHT MOVIES, TC 00:54:09h. 31 Diese Entwicklung gibt schon Titel und Buch zur Bewegung der Midnight Movies vor, heißt es doch dort „from Margin to Mainstream“.

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einen externen Grund für den Niedergang der hier beschriebenen Kinopraxis. George Lucas schaffte so unter anderem mit dem Beginn seiner STAR WARS-Trilogie 1977 einen Film, der die Mechanismen der Midnight Movies nicht nur kopierte, sondern sie, verbunden mit einem nahezu gigantischen Merchandisingapparat, ins Extreme steigerte. Repetition, Einverleibung und Inbesitznahme erfassten das Phänomen STAR WARS genauso, wie es vorher kulturelle Praxis der Midnight Movies gewesen war. Auf der anderen Seite setzten Video und die Verbreitung der Videotheken diesem Teil der Kinogeschichte ein ebenso plötzliches wie fortwährendes Ende. Gerade das Aufkommen der Videotheken ließ diese Form des Kinokonsums obsolet erscheinen.32 Nicht nur, weil die Mechanismen von Wiederholung und Habhaftbarwerden nun in einer völlig neuen Form erlebt (und vorher erlernt) werden konnten, sondern die Auswahl an obskuren Filmen und dem Übersehenen der Filmgeschichte durch die Regale der Videothek eine völlig neue Form annahm. Gerade der inflationär gebrauchte Begriff des Kultfilms, der durch das Phänomen der Midnight Movies auf seine eigentliche Bedeutung zurückgeführt wurde, wurde durch die Videotheken transformiert. Das, was in den Regalen der Videotheken aus den Archiven der großen und kleinen Filmstudios und anderer Anbieter darauf wartete, entdeckt zu werden, glich dabei weniger dem unter dem Label des Kultfilms gefassten Film, sondern ähnelte durch seine Positionierung im Raum der Videothek eher einer Form des sprichwörtlichen okkulten Films, der erst entdeckt und stetig neu gesichtet werden musste, um sich seines zweideutigen Präfixes zu entledigen. Allerdings blieb Anfang der 1980er Jahre fraglich, ob mit dem Aufkommen der Videotheken und der Rezeption des Films innerhalb der eigenen vier Wände tatsächlich dem Label des Kultfilms und seiner implizit religiösen Konnotation noch Bedeutung zukommen konnte.33 Nicht umsonst formulierte der Filmkritiker Roger Ebert daher zu Recht, dass es wohl kaum etwas Uninteressanteres im Leben geben würde, als einen Film wie die ROCKY HORROR PICTURE SHOW alleine zu rezipieren.34 Entscheidend bleibt bei diesem kurzen Einblick in die US-amerikanische und deutsche Kinogeschichte, wie die hier beschriebenen Praxen und Orte Praktiken und Diskurse der Videotheken vorwegnahmen, um in ihrer

32 Vgl. die Aussage des Regisseurs John Waters in: MIDNIGHT MOVIES, TC 01:22:48h. 33 Wenn überhaupt, so trifft dies ohne Zweifel auf das STAR WARS-Franchise zu. 34 Vgl. Roger Ebert in: MIDNIGHT MOVIES, TC 01:22:29h.

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vollen Virulenz sich erst innerhalb dieser neuen Institution niederzuschlagen. Die Aneignung eines Films durch Repetition, Reenactment und die Umformung des filmischen Wissens durch die mediale Praxis des spezifischen Kinobesuches auf der einen, der Konsum expliziter Genrefilme, die sich vor allem aus den B-Genres der Kinokultur speisten, auf der anderen Seite nehmen Diskurse vorweg, wie sie in den 1980er Jahren, den medientechnischen Gegebenheiten angepasst, akut wurden. Der wichtigste Unterschied bleibt jedoch, dass trotz des devianten Filmkonsums die Zuschauer und der Raum des Films kontrollierbar blieben, oder zumindest den Anschein erweckten. Die Vorstellung konnte beendet, die Kopie beschlagnahmt, das Kino geschlossen werden. Das Private, in das sich der Mediennutzer mit der Kassette zurückzog, verschloss sich diesem Zugriff. Wenn gleichwohl gerade in den Kulturen des Auto- und Bahnhofskinos wie auch in der Epoche der Midnight Movies das Genre eine entscheidende Rolle gespielt hat, ist zu fragen, wie sich die schon vor der Videothek beanstandeten Genres durch ihr Aufkommen verändert haben. Nach diesen Einschreibungen der Institution Videothek in die Genregeschichte von Action, Horror und Porno soll somit im Folgenden gefragt werden.

2. (N EUE ) G ENRES

DER

1980 ER J AHRE

2.1 Video killed the Pornstar: der Pornofilm „2002: 467 Hollywood Films released 11.303 Adult Films released“35

Die folgenden Überlegungen, die sich dem Gebiet der Genregeschichte zuwenden wollen, stellen nicht die These auf, dass die 1980er Jahre die Genres des Porno- und Horrorfilms hervorgebracht hätten, noch dass es gerade in dieser Dekade in ihren Poetiken zu Veränderungen gekommen sei, denen

35 INSIDE DEEP THROAT; R: Fenton Baily/Randy Barbato, USA 2005, TC 01:13:23h. Die ungeheure Menge an Pornoproduktionen hat, wie die Zahlen belegen, seit den 1980er Jahren eher zu- statt abgenommen.

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es am filmischen Bild und Material nachzuspüren gelte.36 Vielmehr stellt sich die Frage, inwiefern die technische Verbreitung und mediale Präsentation der 1980er Jahre durch das Medium Video die Genres selbst, aber auch die Gesellschaft, die auf sie reagieren musste, vor neue Probleme stellte und damit maßgeblichen Einfluss im Bereich der spezifischen Geschichte eben dieser Genres genommen hat. Zwar gelingt der Versuch einer Antwort auf diese Fragen nicht gänzlich ohne den Rückgriff auf spezielle Filme und markante Punkte in deren Geschichte, doch soll hier das Augenmerk auf mehr gerichtet sein als den einzelnen Film.37 Leitende These ist, dass die Veränderungen der Medientechnik, aber auch die Diskurse um die Fragen des Jugendschutzes am und im Raum der Videothek das Sprechen über die genannten Genres stark verändert haben. So ist nicht nur der Horrorfilm vollends zu einem Genre geworden, welches – nun nahezu gänzlich dem Pornofilm gleich – an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurde, sondern auch die Geschichte des Action- und Pornofilms verfügt über neue, starke Emergenzen in den 1980er Jahren.38 Einfach formuliert bedeutet dies, dass alle drei Genres eine starke Verbreitung fanden, die es derart zuvor nicht gegeben hatte, da die Filme nur in randständigen Kinos liefen und im Fernsehen meist nicht oder lediglich in gekürzten Versionen zu sehen waren. Dies führte vor allem dazu, dass nun neue Bilder zirkulieren konnten, die vorher, wenn auch nicht unter Verschluss gehalten, so doch weit schwieriger für das öffentliche Auge zugänglich waren. Die Thesen, die die Geschichte der Midnight Movies39 begleiten und deren Genese vom Rand hin zum Mainstream nachzeichnen, kann für die genannten Genres ähnlich formuliert werden, führte doch die Entwicklung die Genres zwar nicht in den Mainstream, aber in eine Massenproduktion und neue Form der Verfügbarkeit. Diese Vorgänge, die noch stark an die technische Entwicklung der 1980er Jahre gebunden waren, kulminieren in der These, dass das ordnende Sprechen von Film- und Genregeschichte in Bezug auf den Porno-

36 Tatsächlich wäre dies für den Horrorfilm Ende der 1960er Jahre der Fall, für den Pornofilm Anfang der 1970er. 37 Auch kann der Rekurs auf einzelne Filme hier nicht Teil einer wissenschaftlichen fundierten Filmanalyse sein. Das Bilderpotenzial der 1980er Jahre bleibt daher außen vor. 38 Bis hin zu der Frage, ob es das Genre des Actionfilms als eigenständiges Genre vor den 1980er Jahren überhaupt gegeben hat. 39 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel III.1.3 dieser Arbeit.

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film nun nahezu völlig negiert werden muss. Kategorien wie der Star, der Autor und der Kanon, die jedes Sprechen von Genre und Genregeschichte konzeptionalisier- und kommunizierbar machen, scheinen beim Pornofilm zu versagen. Der Grund dafür liegt nicht (oder nicht allein) in seiner seit jeher feststehenden Ästhetik oder der ihm eigenen Umsetzung des Aspekts der Narration, sondern einzig in seiner technischen Verbreitung, die im Zeitalter der Videokassette enormen Veränderungen unterworfen war. Hierbei ist noch ein weiterer wichtiger Unterschied hervorzuheben: Tatsächlich scheint die Pornobranche seit jeher in einer Art Mimikry die Filmindustrie Hollywoods zu imitieren.40 Nicht nur, dass der Sitz der Pornoindustrie im San Fernando Valley im Nordwesten von Los Angeles die geografische Nähe zur Filmmetropole sucht, sondern auch ähnliche Muster anstrengt, die aufzeigen, wie sehr hier eine Industrie die andere imitiert. Die Vergabe des AVN-Awards41 seit 1984 in Las Vegas wird nicht umsonst mit der Verleihung des Oscar verglichen und auch das Star-Wesen des USamerikanischen Pornofilms funktioniert weitaus besser, als es in Deutschland der Fall ist. Wenngleich hier also auf den ersten Blick doch die Kategorien des Films zu tragen scheinen, handelt es sich nicht nur um eine Scheinstabilität dieser Kategorien, sondern vor allem um bloße Imitation, die meist nur den Anschein erweckt, die Kommunikation über den Pornofilm zu erleichtern. Gerade für die deutschen Verhältnisse wird dies noch einmal deutlicher: Auf der einen Seite drängten schon in den 1980er Jahren die USamerikanischen Produktionen auf den deutschen Markt, auf der anderen Seite aber wurden enorme Mühen aufgebracht, eine eigene Pornobranche aufzubauen. Hinzu kam Anfang der 1980er Jahre ein Amateurmarkt, der es fast jedem gestattete, eigene Filme herzustellen und an die Videotheken zu verkaufen.42 Fraglich ist daher, ob die Videokassette und die mit ihr verbundenen Veränderungen den Pornofilm nicht wieder einer Nichtsichtbar40 Beobachten lässt sich dies unter anderem in der Dokumentation 9TO5 – DAYS PORN; R: Jens Hoffmann, BRD 2008.

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41 Die Abkürzung steht für Adult Video News-Award. Dabei bedient der Award mittlerweile rund 180 Kategorien und wird unter anderem auch für Marketing und DVD-Ausstattung vergeben. 42 Das Segment der Amateurpornos wird so nicht nur heute durch das Internet stark gefördert, sondern transformierte sich seit den 1980er Jahren zu einem eigenen Genre, welches zwischen richtigen Amateuraufnahmen und der inszenierten Arbeit von Amateuren oszilliert. Dieses Spiel mit dargestellter Authentizität hat ganze Reihen innerhalb der Pornofilmabteilung begründet.

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keit im Raum der Öffentlichkeit zugeführt haben, die er zuvor hinter sich gelassen hatte. Dass die Videobranche und die Videokassette den Pornofilm verändert haben, zeigt Paul Thomas Andersons Film BOOGIE NIGHTS43 aus dem Jahre 1997 nur allzu deutlich in einer romantisch und nostalgisch anmutenden Elegie auf das Genre Ende der 1970er Jahre. Pornofilme zu drehen, das ist in den Augen des Regisseurs Jack Horner (gespielt von Burt Reynolds) eine Kunst – der Film, respektive der Pornofilm, ist demnach ebenfalls mit einer Kunstform gleichzusetzen. Nicht umsonst stellt sich Horner nicht als Pornoregisseur, sondern als Filmemacher vor.44 Der Pornofilm in der USamerikanischen Kultur, und genau diese beeinflusste in den frühen 1980er Jahren nicht nur das Angebot in den Videotheken, sondern auch die deutsche Pornobranche enorm, ist stark eingewoben in ein intermediales Gefüge von Kunst- und Kulturschaffen, welches sich zusammen mit Trends und Lebensgefühl zu einer eigenen Subkultur vereinte. Dies ist nicht nur in Andersons Film sehr deutlich zu erkennen, der dem golden age of porn der 1970er Jahre in den USA ein filmisches Denkmal gesetzt hat, sondern ebenfalls im Film STUDIO 5445, der aufzeigt, wie stark die Verquickung von Musik, Kunst46, Literatur, Lebensgefühl und Sexualität Ende der 1970er Jahre war und wie schnell dies zu Beginn der 1980er Jahre, nicht nur durch die konservative Wende der amerikanischen Politik unter Ronald Reagan seit 1981, zu einem jähen Ende kam. Auch die Kultur und mediale Praxis der Midnight Movies zeigt diese Verbindung im Publikum und auf der Leinwand der Kinos nur allzu deutlich auf. Wichtig war hierbei jedoch, dass diese Verquickung den Pornofilm für eine kurze Zeit nicht nur als festen Bestandteil der Kinokultur etablierte, sondern ihn einer neuartigen, wenngleich auch instabilen, Normalisierung zuführte.47 Gerade die Filme Gerard Damianos wie THE DEVIL IN MISS JONES48 43 BOOGIE NIGHTS; R: Paul Thomas Anderson, USA 1997. 44 Vgl. BOOGIE NIGHTS, TC 00:06:25h. 45 54 [dt. STUDIO 54]; R: Mark Christopher, USA 1998. 46 Zur wechselseitigen Beeinflussung von Avantgarde, Kunst und Pornografie vgl. das fünfte Kapitel Pornography and/as Avantgarde. In: Linda Williams (Hrsg.), Porn Studies, Durham/London 2004, S. 431 ff. 47 Vielleicht tat hier der Pornofilm den Schritt vom Marginalen zum Mainstream hin, obgleich auch nur für kurze Zeit. 48 THE DEVIL IN MISS JONES; R: Gerard Damiano, USA 1973.

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oder der wohl berühmtere Film DEEP THROAT49 führten nicht nur zu Pornovorstellungen in den Kinos abseits des Verborgenen, sondern transformierten diese Filme zu Kinoereignissen, wie sie sich eben ähnlich bei den Vorführungen der Midnight Movies wiederholen sollten. Der Kinobesuch wurde hier zu einer medialen Praxis transformiert, die den Ereignischarakter des Erlebnisraums Kino wieder aktualisierte. Obwohl damit der Pornofilm in seiner Formation als porn chic50 nicht vollends gesellschaftlich akzeptiert wurde und große Teile der amerikanischen Gesellschaft ebenso schockierte wie faszinierte, so durchbrach er doch sein Nischendasein im Schatten eines kulturellen Abseits.51 In Andersons Film markiert die Silvesternacht 1979/1980 das Auftauchen der Videobranche durch einen fremden Geschäftsmann, den Jack Horners Produzent zur jährlichen Party in Horners Haus mitbringt. Das Videogeschäft sei, so das vollmundige Versprechen, die Zukunft, die Ende des Jahrzehnts ihre Schatten vorauswirft und die jene zu belohnen trachtet, die es schaffen, von Beginn an dabei zu sein.52 Horner jedoch lehnt das Angebot, welches er als Unverschämtheit empfindet, ab, nur um am Ende zu erkennen, dass die Abkehr von Video nicht nur ihn selbst, sondern auch das Ensemble seiner Filme, welches zeitgleich als eine Figuration der Ersatzfamilie fungiert, an den Rand des Ruins treibt. Erst als der Endpunkt dieser Entwicklung erreicht ist, die Protagonisten nicht mehr tiefer fallen können und Filmgeschichte nur noch auf Video geschrieben werden kann, scheint es für die Familie und für das Filmschaffen einen Neuanfang zu geben. In einer zentralen Szene des Films, die ähnlich wie große Teile der Erzählung in einer Plansequenz gedreht wurde, erfährt der Zuschauer, dass Horner umgestiegen ist auf die Produktion mit dem neuen Medium. Ein neuer Raum scheint in seinem Haus hinzugekommen zu sein: Ein Lagerraum, in dem sich nun in den Regalen die Videokassetten stapeln, die darauf

49 DEEP THROAT; R: Gerard Damiano, USA 1972. Vgl. dazu auch die Dokumentation über den Film und zugleich das golden age of porn in den USA der 1970er Jahre: INSIDE DEEP THROAT. 50 Vgl. dazu Richard Corliss, That old Feeling: When Porno was chic. http://www.time.com/time/arts/article/0,8599,1043267,00.html (Zugriff am 01.04.2014). 51 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Staat und Pornobranche in den 1970er Jahren vgl. INSIDE DEEP THROAT. 52 Vgl. BOOGIE NIGHTS, TC 01:12:32h ff.

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warten, versandt zu werden. Wo vorher Räume zu finden waren, in denen Filme gedreht wurden, wartet nun der Kommerz in den Regalen auf seinen Einsatz. Ob Horner sich somit immer noch als Künstler sieht, der auf Zelluloid angewiesen ist, um seine Version von erotischer Kunst umzusetzen, oder auch mit den Herausforderungen des heimischen Kassettenbergs umzugehen weiß, bleibt offen. Die Branche, deren Mikrokosmos hier Horners Haus ist, scheint wieder, wie auch das Leben der Protagonisten, zu funktionieren, wenngleich auf Video. Die ruhige und leicht melancholische Musik der Szene, die Horner beim Gang durch den eigenen Vertrieb begleitet, unterstreicht das Empfinden des Zuschauers, dass hier etwas verabschiedet wurde, dessen zukünftiges Fehlen letzten Endes nicht zu vermeiden war. Verändert haben sich hierbei, so ein leiser und doch wichtiger Subtext des Films, lediglich die Brüste der Frauen, die nun Anfang der 1980er Jahre erstmals auch für den im Porno ungeübten Zuschauer deutlich erkennbar als künstliche Brüste zu identifizieren sind. Die gewünschte Kunst des Pornofilms scheint zur Künstlichkeit seiner Darstellerinnen geworden zu sein. Um diesen Umbruch zu verstehen, der hier stattgefunden hat, ist ein kursorischer und kurzer Blick auf das Genre selbst hilfreich.53 Die Pornografie begleitete das Medium Film und seine vormals konstituierende Situierung, das Kino, seit ihren Anfängen. Lakonisch setzt Georg Seeßlen in der von ihm verfassten Geschichte des pornografischen Films54 seine Ursprünge mit dem Moment gleich, in dem die erste Linse einer Kamera nach einem geeigneten Motiv suchte und es scheinbar im Körper einer nackten Frau fand.55 Trotz seiner langen Geschichte stellt der Pornofilm ein Problem dar, welches in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist und sich nicht erst, wenngleich auch in besonderer Schärfe, im Umbruch zwischen Kino und Videokassette manifestiert. Damit sind vorerst nicht die moralischen und juristi-

53 Zur Geschichte des Pornofilms, die nach den 1980er Jahren erschienen ist vgl. Georg Seeßlen, Der pornografische Film. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1993 sowie für einen umfassenderen Blick Enrico Wolf, Bewegte Körper – bewegte Bilder. Der pornografische Film. Genrediskussion, Geschichte, Narrativik, München 2006. Für eine breite theoretische wie filmwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Aspekt des pornografischen Films vgl. Linda Williams, Hard Core. Macht, Lust und die Tradition des pornographischen Films. Aus dem amerikanischen Englisch von Beate Thill, Basel u. a. 1995. 54 Seeßlen, Der pornografische Film. 55 Dabei wiederholt das Kino vielleicht nur den Vorgang, der sich bei der Durchsetzung der Fotografie schon ereignete. Vgl. ebd., S. 80.

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schen Diskurse gemeint, die stets mit der Geschichte des pornografischen Films verbunden waren, sondern das Problem einer angemessenen und treffenden Sprache und der Möglichkeit, über das Genre zu sprechen. Diesbezüglich ist ebenso zu hinterfragen, ob die Begrifflichkeit des Genres auf den Pornofilm überhaupt zutrifft, oder aber der filmwissenschaftliche Begriff, nicht jedoch das Ordnungssystem der Videothek, hier an seine Grenzen stößt. Werner Faulstich hat in der von ihm verfassten Kultur der Pornografie56 den Versuch unternommen, den Pornofilm, den er nahezu problemlos als Genre versteht, in einzelne Unterkategorien und Subgenres zu zergliedern. Dass er dies vor allem anhand von Filmen der letzten Jahre macht, liegt in der Zugänglichkeit dieser Filme begründet. Kaum ein Genre kann so wenig in seiner Geschichte in den Räumen der Videothek nachgezeichnet werden wie der Pornofilm. Das ständige Jetzt, wie es die Rede von Filmgeschichte in den Räumen der Videothek auszeichnet und auf das später noch zurückzukommen sein wird, wird hier materiell explizit; denn Pornofilme erwecken den Eindruck immer aktuell zu sein, lange bleibt keine Produktion in den Regalen der Videotheken. So erinnert die Einteilung Faulstichs sehr an die Kategorien der Videothek, wenn er das Motiv der gezeigten Philie, der Vorliebe und sexuellen Präferenz des Betrachters, in den Mittelpunkt seiner Kategorien stellt. Auch die Videotheken, die um einer euphemistischen Diskretion Willen die Abteilung der Pornofilme mit dem Label der Erotik versehen, ordnen meist die Filme dieses Genres nach Körperteilen und Praktiken ein, die mit dem jeweiligen Film befriedigt werden sollen.57 Der Körperteil, welchem in fetischähnlicher Form bei der filmischen Inszenierung der Vorzug gegeben wurde, bildet nach Faulstich das eigene Subgenre.58 Hinsichtlich dessen fällt auf, wie schnell diese Einteilung nicht nur an ihre Grenzen stößt, sondern wie sie zum Teil und aus gutem Grund kaum tragbar erscheint, ja nahezu ins Humoreske abgleitet. Dies liegt auf der einen Seite an der stets dünnen Linie zwischen Pornografie und Lachen (oder

56 Werner Faulstich, Die Kultur der Pornografie. Kleine Einführung in Geschichte, Medien, Ästhetik, Markt und Bedeutung, Bardowick 1994. 57 Eine andere Form der Einteilung des Genres in den Videotheken wird durch das Label respektive den Anbieter praktiziert. Dabei fällt es oft in eins mit der alternativen Ordnungskategorie der sexuellen Praktik, da manche Anbieter sich auf bestimmte Arten von Pornofilmen spezialisiert haben. 58 Vgl. Faulstich, Die Kultur der Pornografie, S. 125 ff.

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Lächerlichkeit), die in Faulstichs Aufzählung vor allem durch die Titel zustande kommt, die er prototypisch aufzählt59, auf der anderen Seite aber in einem größeren Problem begründet liegt. Gemeint ist damit das vermutete Versagen traditioneller Kategorien, wie sie das Sprechen von und über Filme erleichtern sollen. Die Einteilung des Genres Horrorfilm in einzelne Subgenres zum Beispiel kann meist gelingen, da mindestens mehrere Vertreter des einzuteilenden Subgenres bekannt sind und als Prototypen für diese Eingliederung herangezogen werden können. Das Genre muss Klassiker etabliert haben, die durch ihre Auswertung im Kino oder im Fernsehen bekannt sind, über die in Zeitungen berichtet oder die von Kritikern rezensiert wurden.60 In Bezug auf den Pornofilm ist dies so kaum möglich. Dies liegt einerseits an den Verboten, die der Pornografie seit der Entstehung des Films durch Zensur und Gesetz auferlegt wurden61; doch selbst wenn diese wegfielen, unterliegt der pornografische Film durch seine explizite Darstellung menschlicher Sexualität einem unausgesprochenen Tabugebot; über das, was man im Verborgenen gesehen hat – und lange Zeit war der Konsum von Pornofilmen nur im Verborgenen möglich – wurde und wird nicht gesprochen.62 Wo der Horrorfilm mit Klassikern der eigenen Genregeschichte operiert, fehlen diese dem Pornofilm schlichtweg. Mit den Maßstäben der Filmgeschichte an den Pornofilm heranzutreten, birgt daher das Problem, dass genau diese Ansätze, die die Kommunikation ermöglichen sollen, ins Leere laufen. „[E]ine Chronologie dieses Genres [ist] von vornherein zum Scheitern verurteilt. Der pornographische Film ist eine Gattung von Filmen, die außerhalb der offiziellen Filmgeschichtsschreibung, außerhalb einer ‚Sprache‘ des Films, die verstanden und erlernt werden will, steht […]“63, konstatiert auch Seeßlen in seiner Untersuchung des Genres.64 59 Ebd., S. 194 ff. 60 Tatsächlich wurden im golden age of porn Pornofilme rezensiert und das Wissen über diese Filme somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 61 Eine offene Form der Geschichte des Pornofilms ist so genuin erst seit den 1970er Jahren möglich. 62 Auch heute noch, wo der Zugang zur Pornografie leichter ist als jemals zuvor, wird über deren Konsum nicht zwangsläufig gesprochen, trotz dass er weiterhin unbeirrt stattfindet. 63 Seeßlen, Der pornographische Film, S. 9. 64 Die Möglichkeit, Klassiker des Genres unter dem Aspekt der Ökonomie, also der Verleiheinnahmen zu ermitteln, scheitert meist an fehlenden Zahlen aus diesem Sektor.

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Tatsächlich scheint die Negierung dieser Möglichkeiten mit dem Beginn der 1970er Jahre für kurze Zeit aufgehoben worden zu sein, als die Filme in den Kinos der Großstädte zu sehen waren. Doch ist in Bezug auf diese kurze Form der Normalisierung eher zu fragen, ob gerade diese Rezeptionsform und das sogenannten golden age of porn nicht die Ausnahme bildeten, die den Pornofilm für kurze Zeit in einen anderen Verwertungszusammenhang stellte und dessen Geschichte veränderte. Durchaus kann man hier den Beginn eines liberaleren Umgangs mit dem Pornofilm erkennen, der zwar zu konstatieren, nicht jedoch zu überschätzen ist. Mit dem Umbruch in den 1980er Jahren war es für den Mediennutzer möglich, sich die begehrten Filme nach Hause kommen zu lassen, wenn er sie im Versandhandel oder im Erotikgeschäft einkaufte, oder aber in der Videothek auslieh. Obwohl es auch hier, wie aufgezeigt, zu erheblichen öffentlichen Debatten darüber kam, wie gut und richtig diese neue Möglichkeit sein mochte, so ist dennoch festzuhalten, dass diese neue Form der Präsentation des erotischen Films nicht nur einen weiteren Schritt einer sexuellen Befreiung darstellte, sondern auch den Umgang mit dieser Form von Sexualität, wenn auch im Kleinen und im nicht öffentlichen Raum, stärker normalisierte, als es durch die Hochzeit des Pornofilms im Kino der Fall war. Denn der Ort des Pornofilms war, nach seinem kurzen Zwischenspiel in den Bahnhofs- und Sexkinos, der Ort der Videothek. Die Öffentlichkeit, die der Pornofilm in den 1970er Jahren erlangte, schien in den Räumen der Videothek wieder marginalisiert zu werden, bis sie letzten Endes 1985 auch dort hinter verschlossenen Türen verschwand. Der Raum des Pornofilms blieb also (erneut) durch die Entwicklungen der 1980er Jahre ein opaker und vielleicht erst daher so interessanter Raum. Festzuhalten sind vor allem zwei Befunde: Zum einen drängten die Entwicklung des Heimvideos und die Programme der Videotheken die Pornografie aus einem Status der Sichtbarkeit zurück in ein kulturelles Abseits; zwar war sie damit nahezu jedem, der das nötige Alter erreicht hatte, zugänglich, doch entfiel ihre vorherige Exponiertheit, wie sie sie durch Kinoauswertung und Teil der Populärkultur in den USA und zu Teilen auch in Deutschland erreicht hatte. Bedeutsamer aber ist, dass durch die Umstellung auf Video die Erotikbranche einen enormen Anteil an der Schaffung des Kassettenbergs der 1980er Jahre besaß, wie auch am schlechten Ruf der neuen Institution Videothek. Während dies im historischen Teil dargelegt wurde, stellte die massenhafte Verbreitung auf der einen und die schiere

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Anzahl von neuen Filmen auf der anderen Seite die bewährten Kategorien der Rede vom Film vor neue Herausforderungen. Während zwar die Industrie versucht, sich dem großen Bruder in Hollywood anzupassen, sind die Erzeugnisse in den Geschäften und Videotheken nicht mehr mit den regulären Kategorien beschreibbar. Die ständige Aktualität des Genres, welches wie kaum ein anderes eine Mediendistribution im Übergang kennzeichnet, erschwert es, die Geschichte des Genres nachzuzeichnen. Veränderungen in der Genregeschichte sind so unter anderen Parametern zu erkunden, als es bei den üblichen Genres der Fall ist. Der Pornofilm im Zeitalter der Videokassette transformiert das Genre zu einer unübersichtlichen Gemengelage, die nur noch auf das Neueste schaut und die eigene Geschichte zu vergessen scheint. Über den Pornofilm zu reden, muss daher immer den Hintergrund seiner technischen und distributionellen Voraussetzungen beachten65, ehe dieser auf andere Momente untersucht werden kann. Eine Genregeschichte des Pornofilms ist daher auch immer die Geschichte seiner eigenen Distribution.66 Während die Masse des Pornofilms und seine technische Verbreitung gerade für dieses Genre einen wichtigen Einschnitt bezeichnen, so teilt er sich vor allem mit dem modernen Horrorfilm den Aspekt der Nummernrevue, der im folgenden Kapitel vorgestellt werden soll. Dort sind es nicht mehr nur die Wege der Distribution und der Massenproduktion, sondern die technisch-spezifischen Eigenheiten der Videotechnik, wie sie Kassette und Recorder zur Verfügung stellen, die zurückwirken auf die Produktionen und Erzeugnisse einer der bis heute ertragreichsten Industrien der Film- und Medienbranche.

65 Zu Ansätzen einer Untersuchung zum Wechsel zwischen Kino- und Videopornografie vgl. Chuck Kleinhans, The Change from Film to Video Pornography – Implications for Analysis. In: Peter Lehman (Hrsg.), Pornography. Film and Culture. London 2006, S. 154-167 sowie Franklin Melendez, Video Pornography, visual Pleasure, and the return of the Sublime. In: Williams, Porn Studies, S. 401-427. 66 Ein erster Ansatz, sich dem Phänomen der Pornografie unter dieser Prämisse zuzuwenden, findet sich bei Jakob Pastötter, Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozess. Analyse des postindustriellen Phänomens Hardcore-Pornographie, Wiesbaden 2003. Pastötter widmet sich dem Phänomen in einer Breite, die nicht nur den deutschen Markt, sondern auch den Anteil der Videotheken nur am Rande erfasst.

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2.2 Splatter und Action „Wir haben in der Vergangenheit von den Freaks gelebt – und das wirklich nicht schlecht.“67 Hans-Peter Lackhoff, Vorsitzender des IVD

Dass es das Ziel des Horrorfilms68 ist, Angst zu evozieren, liegt in seiner generischen Struktur begründet. Dass aber auch die Horrorkassette insbesondere bei Eltern, Pädagogen und Soziologen Angst hervorruft, scheinbar losgelöst von dem, was auf ihr zu sehen ist, hat die historische Rekonstruktion des Diskursfeldes Jugendschutz und Videothek aufgezeigt.69 Die Bemühungen des IVD machten deutlich, dass vonseiten der Videothekare der Jugendschutz nicht nur ernst genommen, sondern auch größtenteils von der Branche umgesetzt wurde. Dennoch scheint es ebenso offensichtlich zu sein, dass die Videotheken nicht nur das Horrorgenre als Faktor filmischen Wissens veränderten, sondern auch den Horrorfan. Hierbei ist diese Figuration des Vielsehers, der in der britischen Diskussion um den Horrorfilm auf Video als video nasty70 bezeichnet wird, zu unterscheiden von den Kindern und Jugendlichen, die es galt durch die Bemühungen der 1980er Jahre vom devianten Filmprogramm der Kassettenkultur fernzuhalten. Der Horrorfan selbst schien zumeist schon rettungslos verloren. Erneut ist im Rekurs auf das Programm der Videotheken festzuhalten, dass ein Großteil der Horrorfilme vor ihrem Erscheinen auf Videokassette im Kino ausgewertet wurde und somit bereits Teil einer Bild- und Wissenszirkulation des Genres war. So wurde schon Ende der 1980er Jahre die Horrorfigur Freddy Krueger, gespielt von Robert Englund, aus Wes Cravens Film A NIGHTMARE ON ELM STREET als moderne Ikone des Genres an die Seite von Frankensteins Monster und Norman Bates, dem schizophrenen Mörder aus

67 Zitiert nach: IVD, 20 Jahre IVD, S. 14. 68 Im Folgenden werden die Begriffe des Horrorfilms synonym gedacht zum Subgenre des Splatterfilms, welches den modernen Horrorfilm seit 1968 kennzeichnete. Zur Geschichte des modernen Horrorfilms vgl. Köhne/Kuschke/ Meteling, Splatter Movies sowie Arno Meteling, Monster. Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm, Bielefeld 2006. 69 Vgl. dazu Kapitel I.3.5 dieser Arbeit. 70 Zum Begriff des video nasty vgl. Kate Egan, Trash or treasure? Censorship and the Changing Meanings of the Video Nasties, Manchester 2008.

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Hitchcocks PSYCHO71, gestellt.72 Die Verbreitung, die diese neuen Helden des Horrorfilms erfuhren, wurde durch die Möglichkeiten von Video und Videothek lediglich meist verstärkt, nicht erst begonnen. Die Angst, die durch die Filme evoziert wurde, wurde daher nicht nur durch den Ort ihrer Ausstellung geschürt, sondern durch das, was geschah, wenn man diesen Ort verließ. Die Kassette im Recorder, die jederzeit und immer wieder von vorne abgespielt werden konnte, war in den Augen vieler das genuine Problem des Jugendschutzes. Die Möglichkeiten zum genauen Bild, zur Lektüre des Films mit Stopp- und Rückspultaste, schienen sich im Horrorfan zu pervertieren, der sich das anschaute, was andere zum Wegsehen anregte. Tatsächlich schien vor allem die Medienkritik im Horrorfilmkonsum nicht nur eine Sucht zu entdecken, die die Grenzen der Transgression und damit des guten Geschmacks weiter ausloten sowie stets weiter verschieben wollte, sondern auch eine Nähe zum Pornofilm und dem Konsum dieses Genres. Wenngleich diese Nähe begründet lag in der Tatsache, dass erstmals in größerem Umfang bewegte Bilder konsumiert wurden, die allgemein gültige gesellschaftliche Tabus hinterfragten, die – polemisch gesagt – nichts anderes waren als Bilder vom Anfang und Ende des Lebens, war es vor allem die Unsicherheit über die Auswirkungen dieser Bilder auf Geist und Verfassung, auf Sexualität und Alltag der Kinder und Jugendlichen, die Kritiker gegen diese Programme agieren ließ. Die Nähe des Horrorfilms in seiner Ausformung als Splatter73 zum Genre des Pornofilms liegt nicht nur in der Nicht-Akzeptanz ihrer Bilder und der sich an ihnen orientierenden Medienkritik zugrunde, sondern auch in ihren genuinen generischen Strukturen begründet. Beide Genres sind in doppelter Weise den body genres (Körpergenres)74 zuzuordnen. Dies meint auf der einen Seite Genres, die den Körper in den Mittelpunkt der Inszenierung und Betrachtung rücken, auf der anderen Seite

71 PSYCHO; R: Alfred Hitchcock, USA 1960. 72 Vgl. Kübelweise Blut sowie Etikettenschwindel?!. 73 Zum onomatopoetischen Begriff des Splatters vgl. John McCarthy, Splatter Movies. Breaking the last taboo of the screen, New York 1984. 74 Unter die hier gemeinte Ausformung des Begriffs des body genre wäre unter anderem auch der US-amerikanische Kriegsfilm seit Mitte der 1990er Jahre zu zählen, vgl. dazu Michael Wedel, Körper, Tod und Technik. Der postklassische Hollywood-Kriegsfilm als reflexives Body Genre. In: Dagmar Hoffmann (Hrsg.), Körperästhetiken. Filmische Inszenierung von Körperlichkeit, Bielefeld 2010, S. 77-97.

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jedoch außerdem Filme, die durch ihren Bilderhaushalt und dessen affektdramaturgisches Potenzial Gefühle im Zuschauer evozieren sollen. So setzt der Horror oft auf Angst und Ekel, der Pornofilm auf Lust und Erregung. In ihrer Untersuchung zum Begriff der body genres hat Linda Williams75 darauf verwiesen, dass es gerade zwischen Horrorfilm und dem pornografischen Film eine enge Verbindung gibt, was die Abfolge der Bilder zueinander wie auch den Aufbau der Narration betrifft. So ist festzuhalten, dass hierbei in erster Linie der moderne Horrorfilm gemeint ist, wie er seit Ende der 1960er Jahre die Kinos erreichte und dessen Geschichte mit George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD ihren Anfang nahm. Horrorfilme, und hier treffen sich Williamsʼ Ausführungen mit denen Carol Clovers76 zum Genre, bestehen aus einer Abfolge von Nummern und Höhepunkten, die das dazwischen Liegende beliebig und austauschbar machen. In Bezug auf den Horrorfilm sind dies die Morde und ins Bild gesetzten Tötungen, in Bezug auf den Pornofilm die einzelnen sexuellen Akte. Wenngleich sich sowohl Williams als auch Clover in dieser Beschreibung der Nummernrevuen der Genres, zu dem sich ironischerweise, obgleich auch eher abseits vom Konzept der Körpergenres, das Musical zählen lässt, von Formeln der Standardisierung leiten lassen, so sind beide in ihren Ausführungen eher deskriptiv statt pejorativ. Der Vorwurf der stetigen Wiederholung, die jedem Genrefilm in seiner Abwandlung von Gleichheit und Differenz zu eigen ist, veränderte sich durch die Videotechnologie dahingehend, dass der Nutzer nun auf seine eigene Wiederholung zurückgreifen konnte. Gerade in Bezug auf den Pornofilm schien die Videothek nun vollends das Genre zu sich selbst zu bringen. Während das Dazwischen der einzelnen Nummern durch die Möglichkeiten des Videorecorders ausgeschaltet werden konnte, gingen mehr und mehr Pornoproduzenten daran, nur noch die einzelnen Nummern hintereinander auf die Kassetten zu spielen, was es erübrigte, dass der Nutzer zum nächsten Akt spulen musste. Stärker noch hat sich dieses Ineinandergreifen von Porno und Medientechnik in Bezug auf das Internet erwiesen: Die kurzen Clips auf Plattformen wie youporn dauern nicht lange und kennen den Zustand des Davor wie Danach nicht mehr. Er-

75 Vgl. Linda Williams, Film Bodies: Gender, Genre and Excess. In: Barry Keith Grant (Hrsg.), Film Genre Reader II, Austin/Texas 1999, S. 140-158. 76 Vgl. Carol J. Clover, Men, Women, and Chainsaws. Gender in the modern Horror Film, Princeton/New Jersey 1992.

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neut scheint hier das Medium die Botschaft zu sein, dass nach dem Gebrauch des einzelnen Clips der Nutzer keinen weiteren braucht. Gerade aber durch diese These im Bezugsrahmen der Theorie der Körpergenres, dass das, was zwischen den eigentlichen Höhepunkten liegt, austauschbar ist, wird deutlich, wie sehr sich hier die Struktur des Genres mit den Medientechniken der Videokassette und den Möglichkeiten des Videorecorders trifft. Ein oft bemühter Vorwurf der Kritiker des Horrorfilms war demzufolge, falls sie sich die Mühe machten, differenzierter zu argumentieren, dass der Horrorfilmkonsument mehr als bei jedem anderen Film mit der Fernbedienung operieren würde, um eine eigentümliche Art der Medienrezeption zu kultivieren, die sich in der Bezeichnung der Stellenlektüre konkretisiert. Die mediale Praxis der Stellenlektüre markiert in diesem Kontext einen Umgang mit Medien, der sich zwar durch den Videorecorder in besonderer Form ausdifferenziert hat, als Beschreibungsmodalität über den Umgang mit Medien selbst allerdings bereits früher bemüht wurde. So ist es Teil der inhärenten Kritik der Stellenlektüre, dass Medientexte nicht mehr als Ganzes wahrgenommen werden, sondern sich in ihren Entitäten durch den Eingriff des Nutzers auflösen. Sind die vorher festgelegten Strukturen durch diesen vom Nutzer ausgehenden Akt erst einmal aufgebrochen, so stellt er die aus ihrem Zusammenhang losgelösten Kontexte in einen anderen Bezugsrahmen, der es ihm sui generis meist nicht mehr erlaubt, der eigentlichen Intention und Aussage hinter dem genutzten Medientext zu folgen, respektive dies zu übernehmen. Auf der einen Seite bezeichnet das Moment der Stellenlektüre also einen kreativen Umgang mit den vorgefertigten Produkten des Medienensembles seiner Zeit, auf der anderen Seite aber auch einen Schritt in der Fragmentierung von Wahrnehmung. Wenngleich der Begriff des Medientextes hier nicht in einer semiotischen Funktion zu verstehen ist, soll durch diesen Bezug darauf hingewiesen werden, dass am Text selbst, etwa in der Form eines Buches, deutlich wird, was Stellenlektüre sein kann. Das Blättern in einem Buch, das Verweilen auf bestimmten Seiten, das Querlesen von Kapiteln ist somit eine Form der medialen Stellenlektüre, die dem Eintauchen in ein Buch, dem Darinversinken diametral entgegengestellt wird, braucht es dafür doch Zeit, Ruhe und Struktur. Die mediale Praxis der Stellenlektüre scheint somit ein Moment der Zerstreuung zu bedienen. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn man die Fortsetzung des Blätterns mit den Mitteln der Fernbedienung betrachtet,

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welche sich in der Figuration des Zappings konkretisiert.77 Gerade diese Form der Stellenlektüre birgt eine seltsame Aporie: Sinn des Fernsehprogramms ist es, durch die Schaffung eines flows78 des einzelnen Programms dem flow der anderen Programme entgegenzuwirken. Der Zuschauer soll auf diese Weise an ein bestimmtes Programm gebunden werden, sodass er durch die Mittel der Immersion den Gedanken an die Fernbedienung völlig beiseiteschiebt. Dass der Mediennutzer mit den Mitteln der Fernbedienung seinen eigenen flow kreierte, entledigte ihn zum Teil der ihm durch das Fernsehen auferlegten Passivität. Im Zuschauer daher schon in den 1980er Jahren den für das eigene Programm verantwortlichen Programmdirektor zu erkennen, ist eine leicht überzogene Emphase der doch weiterhin beschränkten Möglichkeiten. Die Fähigkeiten der Stellenlektüre durch die Funktionen des Videorecorders, wie sie von Zielinski beschrieben und bereits dargelegt wurden, ermöglichten eine Form der genauen Medienrezeption, die das gesendete Programm und den geliehenen Film kritisch hinterfragen konnte. Allein der Videorecorder schuf somit weit mehr Freiraum für den Nutzer, als es mit den bloßen Mitteln des Fernsehens und der Fernbedienung möglich gewesen wäre. Doch genau diese Möglichkeiten und Form der Stellenlektüre, die durch den Videorecorder geschaffen wurden, wurden zum kritischen Merkmal des Horrorfans und zugleich auch des Konsumenten pornografischer Videos.79 Der Horrorfan der 1980er Jahre, der durch den Konsum zahlreicher Filme im Kino und auf Video das Genre, seine Regeln und inhärenten Versprechen kannte, wusste um die Beschaffenheit der Dramaturgie der Filme und operierte mit diesem Wissen, noch bevor Williams oder Clover diese Form der Sichtung filmwissenschaftlich und genretheoretisch untermauerten. Die Kritik an dieser konkreten Figuration des Zuschauers wurde nun dahingehend ausgedehnt, dass der Konsument sich nicht mehr für die Filme als solche interessiere, sondern nur noch für die Szenen, die mit explizit dargestellter Gewalt die Attraktion des Genres ausmachten. Durch die Mittel des Videorecorders wurde nicht nur das Davor beschleunigt, sondern 77 Zur medialen Praxis des Zappings vgl. Hartmut Winkler, Switching, Zapping. Ein Text zum Thema und ein parallellaufendes Unterhaltungsprogramm, Darmstadt 1991. 78 Vgl. Williams, Programmstruktur als Sequenz oder flow. 79 Zur Stellenlektüre im Horrorfilm vgl. Arno Meteling, Wundfabrikationen. Pornografische Techniken des Splatterfilms. In: F.LM 1/2003, S. 4-14.

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die Bluttat als solche verlangsamt und gestoppt, um so einen besseren Blick auf das zu haben, was meist durch schnelle Schnitte verdeckt wurde. Eine Technik, die in ähnlicher Weise auch beim Pornofilm Anwendung fand und es dem Nutzer erlaubte, von einer Sexszene zur nächsten zu spulen.80 Tatsächlich wurden in Bezug auf den Horrorfilm diese Thesen der Stellenlektüre dahingehend verschärft, dass die stetig wiederholten und stillgestellten Bilder der Gewalttaten und der illegitimen Körperöffnungen81 eine Form der Lust auf das Innere des Anderen82 förderten und Erregung wie Stimulation verschaffen würden. Die Kritik an den Genres wie auch ihre strukturelle Ähnlichkeit wurde also durch den Vorwurf zugespitzt, dass ihre Bilder den gleichen Zweck erfüllen sollten, die Bilder des Pornos wie auch des Horrorfilms der sexuellen Erregung dienlich wären.83 Eine Diskursfigur, wie sie sich unter anderem in der Dokumentation SCIENCE OF HORROR – IF THE

CHAINSAW IS A PENIS84 wiederfindet. Wenngleich comichaft verfremdet,

so zeigt deren Einsatz doch auf, dass der generelle Verdacht gegenüber dem Horrorfan auch nach den 1980er Jahren in manchen Kritiken durchaus virulent geblieben ist. Scheint dies eine Pervertierung der Möglichkeiten des Videorecorders zu sein, wie sie Zielinksi vorschwebten, so trifft sich das Eigenverständnis des Horrorfans tatsächlich mit den Forderungen, die Produkte von Film und Fernsehen mittels des technisch-konservierenden Blicks des Recorders regelrecht zu sezieren. Das Stoppbild des Horrorfilms diente daher nicht dem Erreichen einer obskuren Erregung, sondern eröffnete die Möglichkeit, das Bild genauer zu betrachten und zu studieren. Das Interesse vieler Jugendli-

80 Unwahrscheinlich jedoch, dass dabei die Stopptaste eine ähnliche Rolle gespielt hat, wie im Rahmen der Rezeption eines Horrorfilms, wandelte die Stopptaste das nun zum Standbild geronnene des pornografischen Films zu einer Form des Bildes, die auch auf anderen Wegen zu erhalten war. Die Attraktion des Pornos lag darin, die bewegten Bilder manipulieren und konsumieren zu können. 81 Vgl. Stefan Höltgen, Take a closer Look. Filmische Strategien der Annäherung des Blicks an die Wunde. In: Köhne/Kuschke/Meteling, Splatter Movies, S. 20-28. 82 Vgl. Marcus Stiglegger, Einblicke. Neugier auf das „Innere des Anderen“. In: Köhne/Kuschke/Meteling, Splatter Movies, S. 127-138. 83 Umgekehrt wäre es ebenfalls denkbar, dass der Ekel des Horrorfilms auch durch die Bilder des Pornos evoziert würde. 84 SCIENCE OF HORROR – IF THE CHAINSAW IS A PENIS [dt. SCIENCE OF HORROR – WENN DIE KETTENSÄGE ZUM PENIS WIRD]; R: Katharina Klewinghaus, BRD u. a. 2008, TC 00:41:10h ff.

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cher, aber auch erwachsener Filmliebhaber wuchs an den Spezialeffekten der Filme, die meist in den ausgearbeiteten Tötungsszenen ihren Höhepunkt fanden.85 Gleich dem beobachteten Zauberer, dessen Trick man durch genaues Hinschauen zu verstehen trachtete, suchte man im Stoppbild und im langsamen Vorlauf die Bruchstelle, die die Illusion und den Effekt als solchen ausstellen sollte. Das hohe Maß an Realität in den Bildern des Horrorfilms führte in die Aporie, dass mehr denn je Technik, Maske und Make-Up notwendig wurden, um diesen realitätsimitierenden Effekt herbeizuführen.86 Die Frage nach den Produktionsgeheimnissen und Hintergründen wollte in einer Zeit, in welcher das Standardangebot eines Making-Of diese noch nicht erklärte, selbst entdeckt werden. Dass der Horrorfan jedoch kein Interesse am Film, sondern nur an den ausgestellten Tötungsszenen habe, ging stark mit der den Filmen auferlegten Zensur einher. So war nicht nur der Horrorfilm in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre im Raum der Videothek durch die gesetzlichen Änderungen des Jugendschutzes betroffen und musste in eigene, separate und geschlossene Räume ausweichen, sondern auch die Filme auf der Kassette selbst. Schnittauflagen, durch die FSK gefordert oder durch die Schere im Kopf schon auf Seiten der Anbieter vorgenommen, führten weiterhin dazu, dass der Fan des Genres sich nur für die Höhepunkte der Nummernrevue Horrorfilm interessierte. Hierbei war die Enttäuschung oft groß, wenn die Cover der Filme eine Opulenz versprachen, die der Inhalt nicht mehr einholen konnte.87 Enttäuscht erkannten die Fans, dass ihre Filme meist verstümmelter erschienen, als die Opfer der in ihm präsentierten Narration; so zumindest eine häufige Metapher für die geforderten Einschnitte der Behörden und deren Umsetzung durch die Industrie. 85 Das Interesse an den Spezial-Effekten, die in den 1980er Jahren stetig neue Höhepunkte erlebten, und deren Ausstellung im Film, verbindet das Genre des Horrorfilms mit dem des Actionfilms. Beide Genres – so könnte man meinen – schufen damit ein neues Kino der Attraktionen, welches in den Augen der Kritik oft nicht mehr zu bieten hatte als den einfachen Schauwert neuer Bilderwelten. Zum filmgeschichtlichen Begriff des cinema of attractions vgl. Tom Gunning, The Cinema of Attractions. Early Film, its Spectator and the Avant-Garde. In: Thomas Elsaesser (Hrsg.), Early Cinema: space – frame – narrative, London 1990, S. 56-62. 86 Vgl. Thomas Klein, Fleisch und Haut, Maske und Special Effects. Zur filmischen Ikonographie des versehrten Körpers. In: Thomas Koebner/Thomas Meder (Hrsg.), Bildtheorie und Film. In Verbindung mit Fabienne Liptay, München 2006, S. 526543. 87 Zur Thematik des Coverbetrugs vgl. Kapitel I.3.6 dieser Arbeit.

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Doch hatte dieses Vorgehen zur Folge, dass genau hier das Interesse des Fans an dem Geschnittenen und Nichtsichtbaren wuchs. Im Zuge dieses durchaus aktiven und kreativen Umgangs mit den filmischen Tatsachen schufen Filmmagazine wie Splatting Image oder X-Rated88 Anlaufstellen für Fans, um in den Magazinen sogenannte Schnittberichte präsentieren zu können. Die Splatting Image, die sich seit 1989 mit dem „unterschlagenen Film“89 auseinandersetzt, legte nicht nur ihr Hauptaugenmerk auf den Bereich und das Genre des Horrorfilms, sondern zudem auf die großen Aspekte des Underground- und des Pornofilms. Die Schnittberichte, die zumeist zu Horrorfilmen angefertigt wurden, zeigten nicht nur über Timecode-Angaben auf, wo ein Film geschnitten wurde, sondern auch, wie viel Material entfernt wurde. Das große Extra dieser Rubriken waren jedoch die Bilder, die darstellten, was den Weg auf die Kinoleinwand oder die Videokassette nicht gefunden hatte. Das, was durch das Eingreifen von Jugendschützern und Industrie aus der Bildzirkulation herausgenommen wurde, wurde durch den Vergleich mit ausländischen Fassungen, die meist ungeschnitten im Handel erschienen waren, wieder in diesen Kreislauf hineingegeben. Denn obgleich die Reichweite des einzelnen Magazins vielleicht beschränkt war, ist doch zu beachten, dass es ähnliche Magazine auch auf internationaler Ebene gab, die in Deutschland erhältlich waren. Zugleich wurden das Wissen um diese Bilder, die Bilder selbst und damit indirekt auch die ungeschnittenen Versionen der in Deutschland beanstandeten und nicht erhältlichen Filme weitergereicht und in Umlauf gebracht, die weder nachzuprüfen waren noch

88 Die X-Rated, welche 1993 vom Underground-Horrorregisseur Andreas Bethmann unter dem Namen The Art of Horror gegründet wurde, widmet sich auch heute noch dem Genre Horrorfilm. Die Splatting Image jedoch stellte 2013 die gedruckte Version ein und wird den Lesern nun nur noch als pdf-Dokument zugänglich gemacht. 89 Lange Jahre lautete so der Leitspruch des Magazins. Als man Ende der 1990er Jahre und mehr noch zu Beginn des neuen Jahrtausends jedoch erkannte, dass neue Distributionswege und die Fortentwicklung der Medien, vor allem der DVD, Filme auf eine neue Art zugänglich machten, wurde deutlich, dass der unterschlagene Film nicht mehr wirklich unterschlagen war. Filmbörsen ersetzten die illegale Metapher des unter der Ladentheke hindurchgereichten Films und Internetplattformen wie www.filmundo.de und ähnliche erleichterten den Horrorfilmkonsum immens. Wenngleich auch dies nicht bedeutet, dass es nicht weiterhin Filme gibt, die in Deutschland beschlagnahmt und nur auf anderen Wegen zu erhalten sind als über den offiziellen Einkauf im Medienfachhandel.

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eingedämmt werden konnten und durch einen großen Markt der Raubkopien verschärft wurden. Wenngleich der Fan nur seinem Wunsch nachging, den Film in seiner vollständigen Version zu rezipieren, so bestätigte er damit gleichzeitig das Vorurteil der Jugendschützer, dass das Interesse an Horrorfilmen genau in diesen Szenen begründet lag. Das Herauslösen der Szenen aus dem Kontext, das Standbild, welches für sich allein genommen meist mehr Grauen und Ekel evozieren konnte als durch seine Verwobenheit in die narrativen Strukturen der Bildgestaltung und des Schnitts, wurde hier eindeutig als Evidenz angesehen, mit der Kritiker dem Horrorfan das Vergehen aufzeigen konnten. Dass nebenbei die Arbeiten der FSK ebenfalls nichts anderes taten, als die Gewalttaten aus dem Kontext zu lösen und so zwecks Beanstandung auszustellen, sei hier nur am Rande erwähnt. Allzu deutlich wird durch diese Problematik die Aussage Johannes Gawerts, dass „der Gegenstand der Diskussion über die Horrorvideos meist Szenen, nicht Filme“90 betraf. Oder um es anders zu formulieren, sich am einzelnen Bild und nicht am ganzen Film abzuarbeiten schien. Tatsächlich formierten sich die Informationsschriften der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften wie auch der FSK zu einem ersten Anhaltspunkt bezüglich der Frage nach neuen und vor allem sehenswerten Horrorfilmen. Die Filme, die in den 1980er Jahren in der Berichterstattung über die Gefährlichkeit des Genres immer wieder als Negativbeispiel herangezogen wurden, wurden so zu Klassikern der Horrorfilmgeschichte transformiert. Dies mag auf der einen Seite tatsächlich an den Filmen selbst liegen, an der düsteren und nihilistischen Mise-en-scène in Sam Raimis THE EVIL DEAD oder an der stark an spezifischen Epochen der Kunstgeschichte orientierten Farbgebung in Lucio Fulcis PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI; doch lässt sich ihr Bekanntheitsgrad und ihr Platz in der Filmgeschichte nicht mehr lösen von jenen Diskursen, die um das Genre als Ganzes und diese Filme im Besonderen geführt wurden. Gerade im Bereich des Horrorfilms bedeutet das Nachspüren der Filmgeschichte, wie aufgezeigt wurde, zumeist auch eine Form des Nachspürens der Zensurgeschichte. Das, was in den Augen der Jugendschützer gefährlich wurde und vor dem somit zu warnen 90 Johannes Gawert, Blaubarts verbotene Tür. Bilder des Todes im Kino und auf Video. In: epd Film 8/1984, S. 14-16, hier: S. 15. Gawert sieht jedoch diese Form der Diskussion in der Struktur der Filme begründet und schließt damit indirekt an die spätere Theorie Linda Williamsʼ an.

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war, wurde dergestalt zum Kanon für den Rezipienten und Fan des Genres. Die Berichte der Bundesprüfstellen und die monatlichen Listen über neue Indizierungen und Beschlagnahmungen, die über Umwege erst in die Hände der Horrorfilmnutzer gelangten, wurden gleichzeitig zur Sichtungsliste des Genres und zu den monatlichen Pflichtlektüren, die es zu kennen galt. So ist zu konstatieren, dass eine Form des Anti-Kanons bezüglich des Angebots der Videothek zum ersten Mal deutlich zum Tragen kommt, welcher ein Wissen abseits des Kinos über das Medium Film generierte. Nur diese Verbindung des kulturellen und technisch möglichen Umgangs mit den Horrorfilmen, welcher von Industrie sowie Justiz formiert wurde, wie auch die Interaktion mit dem Rezipienten lassen erkennen, wie sehr sich das Genre in den 1980er Jahren transformierte. Wie der Pornofilm nicht mehr ohne die Wege seiner Distribution zu denken ist, muss die Geschichte des Horrorfilms in den 1980er Jahren stetig zurückgebunden werden an den Ort und die Technik, die die beschriebenen Prozesse in Gang gesetzt hat; unabhängig davon, ob die Technik wirklich das Narrativ der Filme ab 1980 bestimmt hat oder sich zwei Entwicklungen trafen, die erst in einer nachträglichen Analyse passend zusammengeführt wurden. Neben dem Horrorfilm offerierte besonders der Actionfilm in den 1980er Jahren neue Bilderwelten, die in vorher nicht gesehener Weise den Körper und seine Zerstörung in den Vordergrund stellten und so ebenfalls in die Kritik der Jugendschützer und Pädagogen gerieten.91 Filmtheoretisch wie filmgeschichtlich scheint dieses Genre schwer zu fassen zu sein, macht doch schon die Bezeichnung deutlich, dass ein Erkennungsmerkmal gewählt wurde, welches jedem Filmdreh durch den berühmten Einsatz der Klappe vorangeht: die Action. Dies wörtlich verstanden, vergrößert weiterhin die Problematik einer Eingrenzung des Genres, kann doch jede Filmhandlung gemeinhin unter diesem Begriff subsumiert werden. Hinzu kommt, dass gerade der Actionfilm die vielbeschworene Hybridität des Genrebegriffes deutlich werden lässt, wurden häufig auch Kriegs- und Polizeifilme unter diesem Label in die Regale der Videotheken sortiert. Artverwandt ist somit auch die Kategorie des Easterns, der in den 1980er Jahren schon zur Kultur der Bahnhofskinos unter dem Etikett des Karatefilms adressiert wurde. Hier wa91 Zur Geschichte und der Frage einer möglichen Definition des Genres vgl. Yvonne Tasker, Spectacular Bodies. Gender, genre and the action cinema, London u. a. 1993 sowie Eric Lichtenfeld, Action speaks louder: Violence, Spectacle, and the American Action Movie, Middletown/Connecticut 2007.

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ren vor allem die Filme um und mit Bruce Lee gemeint, die dem USamerikanischen Körperbild eine fernöstliche Variation entgegensetzten. Wenngleich die Filmwissenschaft dieses Genre noch einmal differenziert und auf sein eigenes Bildpotenzial untersucht und aufdeckt, welche inhärente Struktur in ihm präsentiert wird, so ist dies in den Regalen und Ordnungssystemen der Videothek meist nicht der Fall. Die hier angesprochenen Genres, die als Kategorie für sich alleine stehen oder als Subgenre anderen Adressierungen des Films zugerechnet werden, werden in den Regalen der Videothek meist in der einen Kategorie Action zusammengefasst. Neben der öffentlichen Kritik am Gewaltpotenzial dieser Bilder hat der Actionfilm noch weitere Gemeinsamkeiten mit der Geschichte des Horrorfilms inner- und außerhalb der medialen Praxis der Videothek. Wie aufgezeigt wurde, geriet auch der Actionfilm vor allem negativ in den Fokus der Branche, da ebenfalls etablierte Ikonografien genutzt wurden, um kleinere Produktionen besser bewerben und vermarkten zu können. Die bunten Cover des Genres trugen demzufolge nicht nur dazu bei, dass sie die Bilder dieser Filme stabilisierten wie tradierten, sondern schienen die stetige Wiederholung des Genres selbst durch das optisch wie haptisch erfahrbare Cover zu manifestieren. Action- und Horrorvideo teilten somit nicht nur die Problematiken des Jugendschutzes, sondern außerdem eine Verantwortlichkeit für das schlechte Ansehen der Videotheken im Medienensemble der 1980er Jahre, waren sie doch zu ähnlich niedrigen Preisen einzukaufen wie die Produkte der Pornobranche, was letztlich dazu beitrug, den problematischen Kassettenberg mehr und mehr anschwellen zu lassen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Action- und Horrorfilm auf narrativer wie auch auf inszenatorischer Ebene sind hier ähnlich evident. Dies meint nicht nur die Ausstellung der Special Effects, sondern auch neuartige, in ihnen präsentierte Körperpolitiken. Ein Großteil der Filme, die heute als Klassiker des Genres gelten, stellen eine neue Form von Körpern aus, die fast schon dazu neigt, ins Comichafte zu verfallen. Hierbei ist es meist der männliche Körper, der eben jene Attribute seiner Männlichkeit, seine Muskeln, den stoischen Blick, der einhergeht mit einer prominenten Wortkargheit, in den Mittelpunkt von Bild und Narration rückt. Wenngleich diese Konzentration auf den (männlichen) Körper viel über das Körperbild und die Wahrnehmung der Geschlechter in der US-amerikanischen Gesellschaft jener Zeit aussagt, so liegt die Gemeinsamkeit mit dem Horrorfilm in einem anderen Umgang mit dem Körper begründet, die das Genre, will man den Actionfilm

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denn als solches fassen, ebenfalls zu einem Körpergenre transformiert. So stellen die Filme eine Gewalt aus, die sich meist nicht mehr gegen das Individuum richtet, wie es vermehrt im Horrorfilm der Fall ist, sondern gegen Gruppen und die anonyme Masse. Dieses Gegeneinander des Individuums gegen eine feindliche Gruppe, eine terroristische Vereinigung, feindliche Soldaten oder organisierte Verbrecher wird in den Filmen der 1980er Jahre in eine neue Form der Gewaltanwendung und -darstellung überführt. Filmhistorisch lässt sich somit eine Genealogie zum Kino des New Hollywood ziehen und seinem radikalen Bruch mit der Filmpolitik der vorhergegangenen Dekaden: Die platzende Wunde nach dem Einschuss der Gewehrkugel in Sam Peckinpahs 1969 gedrehtem Film THE WILD BUNCH92 mag dafür prototypisch stehen. In den 1980er Jahren verbindet sich diese Ästhetik mit den Mechanismen des Splatterfilms zu einer neuen Genresituation, die nicht nur deutlich macht, dass Splatter kein Subgenre des Horrorfilms mehr bezeichnet, sondern zu einer eigen- und alleinstehenden Ästhetik geworden ist, die sich zumindest in den 1980er Jahren noch auf die B-Filme, respektive auf BGenres, beschränken lässt, Ende der 1990er Jahre jedoch in den Mainstream und das Blockbusterkino wechselt.93 Dass nun jedoch Splatter als Ästhetik in die Actionfilme der 1980er Jahre diffundierte, stellt die Filme auf eine Ebene mit dem als Videoschund bezeichneten Angeboten der Horrorabteilung. Das Entweiden des wehrlosen Opfers einerseits wird andererseits zur Explosion und zum sichtbaren Verbrennen des Gegners. Die Trias der Genres Action, Horror und Pornografie, die die Videothek berühmt machte und ihren schlechten Ruf mitbegründete, operiert folglich mit Körpergenres, die durch die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel genau diesen Körper in das Zentrum des Bildes rücken, um ihn zu stählen, zu foltern oder zu benutzen. Somit wurden Bilder produziert, vertrieben und konsumiert, die nicht nur in der Gesellschaft der Bundesrepublik Tabus des Darstellbaren brachen und nach den Möglichkeiten einer kinematografischen Transgression fragten, sondern zugleich in dieser Weise noch nicht vorgekommen waren. Die Schwierigkeiten, die Videokassette

92 THE WILD BUNCH [dt. THE WILD BUNCH – SIE KANNTEN pah, USA 1969.

KEIN

GESETZ]; R: Sam Peckin-

93 Ein prägnantes Beispiel in diesem Zusammenhang wäre die Körperpolitik in Mel Gibsons THE PASSION OF THE CHRIST [dt. DIE PASSION CHRISTI]; R: Mel Gibson, USA 2004. Vgl. dazu Julia Köhne/Ralph Kuschke/Arno Meteling, Der Splatterkanon. 50 wichtige Splatterfilme. In: dies. (Hrsg.), Splatter Movies, S. 223 f.

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und die angebotene Software in die Gesellschaft zu integrieren, liegen diesbezüglich ebenso stark in der Filmgeschichte begründet wie in den neuen Formen der Distribution. Während die Möglichkeiten der Videonutzung, die Unkontrollierbarkeit, aber auch die stetige Verfügbarkeit in diesem Umfang tatsächlich neu waren – obwohl sie durch ähnliche Schübe der Technisierung und Medialisierung zu erklären waren –, so rührt das Problem der neuen Bilderwelten der Filme und deren Nichtintegrierbarkeit auf einen anderen Umstand: Anders als die USA verfügte Deutschland bis in die 1980er Jahre filmgeschichtlich über keine Kultur des Erwachsenenfilms94; und dies in zweierlei Hinsicht: Erstens konnten die beanstandeten Filme vorher nicht derart konsumiert werden, wie es durch die neue Videotechnologie nun der Fall war. Zweitens verfügt die deutsche Filmgeschichte selbst nicht über derartige Bilderwelten, wie sie teilweise durch das Kino, immens stark aber durch die Videokassette in die Bildzirkulation eingingen. Zwar gab es die Kultur des Bahnhofkinos, welche, wie aufgezeigt, ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre verstärkt dazu überging, B- und C-Filme ins eigene Programm zu integrieren, die oft den Genres des Action- und Horrorfilms angehörten, doch wurden auch diese Kinos allein schon durch ihre topografische Lage ebenfalls gesellschaftlich geächtet und deren Auswirkungen marginalisiert. Ähnliches gilt für den Bereich des Pornofilms, dessen Existenz zwar bekannt war, aber in ein vergleichbares kulturelles Abseits verschoben wurde. Wird jedoch nach der bloßen Präsenz und der Zirkulation dieser Bilder im öffentlichen Raum gefragt, so ist die Emergenz dieser neuen Ikonografien auf deutschen Leinwänden und mehr noch auf den Bildschirmen ein anderer Punkt. Richtig ist die Feststellung, dass es durch die neuen Medienwirklichkeiten zu einer Vermischung von spezifischer Filmkultur und -tradition kam. Die bereits erwähnte Idee, die Videothek als Medium der Amerikanisierung zu verstehen, scheint in dieser Hinsicht besonders evident zu sein, wenn die neuartigen Bilder nicht nur Zeichen eines befürchteten Übergriffs einer Filmkultur auf die andere ausmachen, sondern auch die Angst einer medialen Kolonisierung schüren. Wenngleich es ebenfalls richtig ist, dass ein Gros der Filme aus dem Bereich des Horror- und Actionfilms aus den USA kam, muss dennoch festgehalten werden, dass ein nicht zu unterschätzender Teil

94 Vgl. zu diesem Befund die Aussagen des deutschen Produzenten Bernd Eichinger und die sich anschließenden Reaktionen in: VILME ODER FILME, TC 00:28:11h.

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der Filme auch aus anderen Ländern, hier vor allem Italien, respektive aus dem asiatischen Raum, innerhalb des deutschen Marktes angeboten wurden. Ob diese frühen Formen der Globalisierung, die ebenfalls im Raum der Videothek sichtbar werden kann, so in eine Formation des world cinema mündet, bedarf eingehender Untersuchungen wie auch eines anderen Fokus der Fragestellung.95 Dennoch ist zu konstatieren, dass es durch die Angebote der Videothek zu einer deutlichen Vermischung in der Wahrnehmung von Filmkulturen kam, die vorher in diesem Ausmaß nicht existiert hatte. Diesem neuen Bilderfundus, aus dem sich Horror- und Actionfilm bedienten, hatte die deutsche Filmgeschichte wenig entgegenzusetzen; trotz eines expliziten Genrekinos in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, welches sich durch Heimat- und Schlagerfilme, Edgar Wallace- und Karl MayVerfilmungen konstituierte und großer Beliebtheit erfreute. Eine Tradition des Horrorfilms indes gab es in Deutschland seit dem Kino der Weimarer Republik nicht mehr.96 Wenngleich das Genre im deutschen Expressionismus und auch schon in der Phantastik der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zwar seinen Ursprung genommen hatte, so wurde es nicht fortgesetzt. Zwar fanden sich einzelne Versatzstücke aus dem Bilderfundus früher deutscher Horrorfilme gerade in den genannten Edgar Wallace-Filmen der 1960erJahre wieder, doch waren diese meist eher der literarischen Vorlage, dem Setting und der Genrepoetik des Thrillers und Kriminalfilms verhaftet als einer genuin deutschen Tradition des Horrorfilms. Und auch aufseiten des deutschen Autorenfilms gab es, bis auf Werner Herzogs Remake des Friedrich W. Murnau Klassikers NOSFERATU97 und Hans W. Geißendörfers JONATHAN98 nur wenige Versuche, sich dem Genre zu nähern. 95 Zum Begriff des world cinema vgl. John Hill (Hrsg.), World Cinema. Critical Approaches, Oxford u. a. 2000. 96 Zur Zeit der Weimarer Republik oder gar vor dem Ersten Weltkrieg vom Genre des Horrorfilms zu sprechen, führt meines Erachtens nicht weit; vielmehr war der Horrorfilm hier noch Teil der Trias des phantastischen Films, der sich ebenso aus den Genres Science Fiction und Fantasy zu speisen schien und dabei eine Gemengelage bildete, die schwer auseinanderzuhalten war. Erst in den 1930er Jahren und mit den Produktionen der Universal Studios in Hollywood schien das Genre des Horrorfilms seine eigene ihn von nun an bestimmende Poetik zu entfalten. Wenn also hier vor 1930 vom Horrorfilm gesprochen wird, so doch immer mit diesem Wissen im Hintergrund. Vor 1930 nicht vom Horrorfilm zu sprechen, stützt damit indes nur weiter die These, dass es in Deutschland eine Tradition des Genres nicht gab. 97 NOSFERATU – PHANTOM DER NACHT; R: Werner Herzog, BRD 1979.

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Zwar erfolgte auch in den USA der Umbruch zu den neuen Bilderwelten des Horrorfilms erst Ende der 1960er Jahre, doch konnte man auf eine Tradition des Horrorfilms zurückschauen, die man als Vergleichsgegenstand heranziehen und befragen konnte. Obgleich es im US-amerikanischen Kino zu einem starken Umbruch innerhalb des Horrorfilmgenres kam, konnte die dem Genre inhärente Poetik dennoch an die neuen Produkte angekoppelt werden. Um nun jedoch den Actionfilm in die Frage eines Zusammentreffens von nationalen Filmkulturen zu integrieren, ist es notwendig, die Problematik des Horrorfilms im Modus der Kritik an den neuen Formen der Gewaltdarstellung zu erörtern. Auch an dieser Stelle kommt man mit Blick auf die Filmgeschichte zu dem Schluss, dass diese in den USA ebenfalls durch den eben beschriebenen Wandel des New Hollywood-Kinos in eine andere Tradition eingewoben ist als die Darstellungen von Gewalt innerhalb des Filmkorpus des deutschen Kinos. Auch die Verbreitung des Bilderfundus des Actionfilms wurde im Kino, wie auch auf Video, maßgeblich durch die Verbreitung US-amerikanischer Produktionen auf dem deutschen Markt forciert und definiert. Die fehlenden Erfahrungen im Umgang mit den Bilderwelten des Erwachsenenfilms beziehen sich somit mitunter auf die Problematik des pornografischen Films. Ähnlich wie in Bezug auf den Horror- und Actionfilm scheint die Geschichte des Pornofilms in Deutschland diese These zu stärken. Nicht nur, dass es in Deutschland kein golden age of porn gab, welches den Pornofilm, wenngleich auch nur für kurze Zeit, in ein Form des porno chic transformierte, zudem hätte die gesetzliche Lage eine ähnlich frühe Entwicklung verhindert, allein durch den Umstand, dass in Deutschland erst 1975 die Pornografie für legal erklärt wurde. Die Präsenz von Porno, die nun in den 1980er Jahren durch die Videotheken und die zuvor schon eröffneten Sexshops und -kinos deutlich zugenommen hatte, schuf eine neue Situation. Zwar gab es in Deutschland eine Form der Sexfilmkultur, die sich in den SCHULMÄDCHENREPORT- und Oswalt Kolle-Filmen auf der einen, und in den sich aus dem Bilderfundus des Heimatfilms speisenden Almsexfilmen auf der anderen Seite niederschlug, doch war deren Verknüpfung von dargestellter Sexualität mit der Offenheit und der absoluten Sichtbarkeit des Pornofilms nicht zu vergleichen. Zu stark war die Differenz zwischen beiden Bilderwelten, als dass man aus dem Umgang mit dem einen Erkenntnisse

98 JONATHAN; R: Hans W. Geißendörfer, BRD 1970.

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und Anleitungen für den Umgang mit dem ausmachen konnte, was der Kunde seit 1980 in den Räumen der Videothek leihen konnte. Porno-, Horror- und Actionfilm stellten somit nicht nur die Gesellschaft vor Probleme durch die neuen in ihnen präsentierten Bilderwelten, die vor allem in Deutschland auf keine eigene genuine Tradition zurückblicken konnten, sondern auch durch ihre Verbreitung über die Distributionswege der Videokassette. Die inhaltliche Kritik an diesen devianten Filmprogrammen wurde gestützt durch die Möglichkeiten, die die Technik des Videorecorders dem Mediennutzer eröffnete, Filme nicht mehr als Ganzes wahrzunehmen, sondern als eine Aneinanderreihung von gewaltvollen oder obszönen Bildern, die den menschlichen Körper in seinen Facetten in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellten. Wenn auch die Produktion dieser Bilder nicht in den 1980er Jahren begann, so ist es doch durch die Mittel ihrer Verbreitung auffallend, wie sehr die öffentlichen Diskurse zwischen den Filmen, ihrem Ort der Distribution und dem Nutzer und Rezipienten oszillierten. Der Korpus dieser Genres wurde somit nicht nur um eine Vielzahl von Produktionen erweitert, sondern blieb über die 1980er Jahre hinaus eng mit dem Ort der Videothek und den sich an ihr kristallisierenden Diskursen verbunden. Bestimmend blieb demzufolge, nicht nur den Raum der Videothek und die mit ihm verbundenen Möglichkeiten in das Medienensemble der Zeit wie auch in den alltäglichen Mediengebrauch zu integrieren, sondern außerdem die neuen Bilderwelten und Ikonografien der hier benannten Genres in die reguläre Bilderzirkulation einzubauen und sie nicht mehr als Störung wahrzunehmen. Ob gerade Letzteres wirklich funktioniert hat, wäre eine Frage, der anderweitig nachzugehen wäre.

2.3 Exkurs: die Bilder zum Film – Filmliteratur Dass die Videotechnik und die Möglichkeiten der Videokassette die Nutzung und die Lektüre des Films vor eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten gestellt haben, ist offensichtlich. Dennoch bleibt zu fragen, wie eine institutionell gebundene Filmwissenschaft, aber auch der am Film interessierte Mediennutzer mit dem plötzlichen Boom der Verfügbarkeit von Filmen, und speziell von Genrefilmen, umgegangen ist. Hierbei lassen sich zwei Beobachtungen machen, die im Folgenden Erwähnung finden sollen.

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Wie schon im historischen Überblick angedeutet, wurde vor allem in den öffentlich-städtischen Bibliotheken die Einführung von bespielten Videokassetten begleitet von einer Vielzahl von Büchern und Magazinen, die nicht nur den technischen Umgang mit dem Videorecorder und den Angeboten der Videokassetten dem Mediennutzer näherbringen sollten, sondern die auch den zur Ausleihe zur Verfügung stehenden Film mit Informationen flankierten.99 Bücher aus dem Bereich der Filmtheorie, der Filmgeschichte und der Filmanalyse wurden von den Bibliotheken eingekauft und dort bereitgestellt. Und dies nicht nur, um den Mediennutzer nicht mit dem neuen Medium allein zu lassen, sondern auch, um aufzuzeigen, in welche Geschichte es sich, hier deutlich verstanden als Folgemedium des Kinofilms, eingliederte. Dabei kam den Bibliotheken ein regelrechter Boom auf dem Markt der Filmliteratur zugute, der sich in verschiedenen Reihen und Projekten großer deutscher Verlage aufzeigen lässt.100 So wurde 1974 von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek die Blaue Reihe des Hanser Verlags gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ansprechende Biografien berühmter Regisseure zu veröffentlichen. Diese Biografien zeichneten sich nicht nur durch eine detaillierte Besprechung der jeweiligen Filme des gewählten Autors aus, sondern auch durch umfassende Biblio- und Filmografien sowie Interviews, die entweder extra zu diesem Anlass geführt wurden, oder aber schon geführt waren und mittlerweile innerhalb der Feuilletongeschichte einen Klassikerstatus erreicht hatten. Den Arbeiten an diesen Bänden ging die Sichtung der Filme des zu verhandelnden Regisseurs voraus, die von Retrospektiven im Berliner Kino Arsenal begleitet wurden. Zwischen 1974 und 1992 wurden so 45 Bände veröffentlicht, die sich neben den großen und zumeist zum Autorenfilm zählenden Regisseuren außerdem nationalen Kinokulturen zuwandten, wie dem Schweizer Film101 oder dem Kino der DDR102, gleichzeitig aber auch Stars und Vertreter des kommerziellen Hollywoodkinos Ausgaben widme-

99

Vgl. hierzu Kapitel I.2.2 dieser Arbeit.

100

Ein Boom der laut Buchka nötig war, konstatierte er doch, dass Filmliteratur noch 1980 in Deutschland schwer zu erhalten war. Vgl. Buchka, Video – Die neue Dimension, S. 94.

101

Vgl. Bernhard Giger u. a., Film in der Schweiz, München 1978.

102

Vgl. Heiko R. Blum u. a., Film in der DDR, München 1977.

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ten.103 Die Beiträge der Blauen Reihe kamen in den meisten Fällen aus der Filmkritik und -publizistik. Autoren wie Frieda Grafe, Enno Patalas und Peter W. Jansen hatten zu diesem Zeitpunkt schon zahlreiche Publikationen zum Medium Film und seiner Geschichte veröffentlicht und waren international anerkannte Experten auf ihren Gebieten. Konkurrenz bekam die Blaue Reihe 1979 aus dem Hause des Heyne Verlags. Der Münchner Verlag publizierte in den ersten Jahren seiner Reihe vor allem Übersetzungen von US-amerikanischen Filmbüchern104, was zum Teil daran deutlich wird, dass die ersten Bände der Reihe sich mit den Stars des klassischen Hollywoodkinos der 1930er bis 1950er Jahre auseinandersetzten. Im Mittelpunkt standen Schauspieler wie Humphrey Bogart105, Elizabeth Taylor106 oder Spencer Tracy107. Erst mit dem einsetzenden Erfolg im Verkauf und im Verleih der Bücher wurden eigens für den deutschen Markt Autoren verpflichtet, über deutsche Stars zu schreiben. So legte Uwe-Jens Schumann 1980 den Band zu Hans Albers108 vor, dem unter anderem Bände zu Heinz Rühmann109, Hans Moser110 und Gert Fröbe111 folgten.112 Der Fokus lag vorerst auf den Stars des Kinos, zu denen erst im Laufe der Reihe Arbeiten zu einzelnen Genres und großen Regisseuren erfolgten. Wenngleich sich 103

Die ersten Ausgaben, die sich explizit mit dem Hollywoodkino auseinandersetzten, waren den Schauspielern Buster Keaton und Humphrey Bogart gewidmet. Vgl. Wolfram Tichy u. a., Buster Keaton, München 1975 sowie Hans C. Blumenberg, Humphrey Bogart. Dritte, ergänzte Auflage, München 1985.

104

Aus der Reihe Pyramid illustrated History of the Movies.

105

Erneut bildete auch im Heyne-Verlag der Schauspieler eine erste Auseinandersetzung mit dem Kino Hollywoods. Vgl. Alan G. Barbour, Humphrey Bogart. Seine Filme – sein Leben, München 1979. Dabei handelt es sich noch um eine Übersetzung eines bereits im englischen Original vorliegenden Buches.

106

Vgl. Foster Hirsch, Elizabeth Taylor. Ihre Filme – ihr Leben, München 1979.

107

Vgl. Romano Tozzi, Spencer Tracy. Seine Filme – sein Leben, München 1979.

108

Vgl. Uwe-Jens Schumann, Hans Albers. Seine Filme – sein Leben, München 1980.

109

Vgl. Gregor Ball, Heinz Rühmann. Seine Filme – sein Leben, München 1981.

110

Vgl. Karin Wichmann, Hans Moser. Seine Filme – sein Leben, München 1980.

111

Vgl. Gregor Ball, Gert Fröbe. Seine Filme – sein Leben, München 1982.

112

Und die in Bezug auf das Erbe des deutschen Films nicht unproblematisch waren, besonders in den Fällen, in denen Schauspieler im Mittelpunkt standen, die ihre Dienste der Filmpolitik Joseph Goebbelsʼ mehr oder weniger freiwillig angeboten hatten. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Filmbiografien und den Jahren zwischen 1933 und 1945 fand innerhalb der einzelnen Bücher und somit auch innerhalb der Reihe selbst nicht statt.

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einige Überschneidungen in den Arbeiten der Blauen Reihe und der Heyne Filmbibliothek ausmachen lassen, so finden sich doch auf beiden Seiten Arbeiten über Regisseure, Stars und Genres, die in der anderen nicht vertreten waren. Ergänzungen fanden beide Reihen durch die von Georg Seeßlen und Claudius Weil herausgegebene und ebenfalls 1979 begonnene Reihe des Rowohlt-Verlages Grundlagen des populären Films, die sich explizit mit dem Genrefilm und dessen Geschichte auseinandersetzte. Populäre Genres wurden somit nach Motiven und sich wiederholenden Mustern aufgeschlüsselt, die zu erwähnenden Klassiker ausführlich besprochen, um schon bestehende Kanons zu bestätigen oder zu hinterfragen.113 Alle Reihen zeichneten sich vor allem durch einen großen Bilderteil aus, der – wenngleich auch in Schwarz-Weiß – den Lesern das Beschriebene näherbringen und veranschaulichen sollte. Ebenfalls waren die umfangreichen Filmografien, die über den Cast und die Crew Auskunft gaben, in einer Zeit vor den Möglichkeiten der International Movie Database kaum zu unterschätzen, bildeten sie doch für den Liebhaber des Films Nachschlagewerk, Kanon und Sichtungsliste in einem. Dennoch ist wichtig festzuhalten, dass es sich sowohl bei Hansers Blauer Reihe und den Grundlagen des populären Films als auch bei der Heyne Filmbibliothek nicht um filmwissenschaftliche Literatur im eigentlichen Sinne handelt. Die Bücher sind keine Dissertationen oder wissenschaftliche Abhandlungen einer wie auch immer gelagerten Autorentheorie des Films oder filmhistorischen Betrachtung, die den Film als Dispositiv oder in seinem Eingewobensein innerhalb eines größeren Medienverbundes untersuchen. Zur sehr waren die einzelnen Autoren der Subjektivität der Beschreibung und der Aufzählung des Faktischen verhaftet und behielten den Tenor einer feuilletonistischen Filmkritik bei. Ungeachtet dessen bilden die Bücher eine Grundlage, die in kompakter Form vor dem Einstieg in die wissenschaftlich fundierte und theoriegeleitete Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Regisseur, Genre oder Star Hintergrundinformationen geben, die Blick und Fokus dieser Betrachtung in eine bestimmte Richtung lenken können. Und bis

113

Anders als die Reihe im Hanser- und Heyne-Verlag wird diese von Seeßlen und Weil Anfang der 1980er Jahre herausgegebene Reihe bis heute neu aufgelegt. Zuletzt unter dem Label Filmwissen – Grundlagen des populären Films im Marburger Schüren-Verlag. Auch der Fischer-Verlag veröffentlichte Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre eine Reihe filmbezogener Taschenbücher.

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heute bilden sie, anders als die Videokassetten, die zeitgleich auf den Markt gelangten, ein beliebtes Sammlerobjekt auf Film- und Buchbörsen, die oft das Doppelte ihres ursprünglichen Preises kosten. Diese Entwicklung hin zu eigenständigen Reihen zum Medium Film innerhalb des deutschen Buchmarktes wird unter anderem von Sabine Hake auf die Errungenschaften des Autorenfilms zurückgeführt, wie er in Deutschland maßgeblich durch den Neuen deutschen Film geprägt wurde.114 Durch das Interesse an der Person des Autors wurde zudem die Nachfrage nach Bio- und Filmografien geschaffen, die der Zeitschriftenmarkt durch den Zwang der Aktualität meist nicht erfüllen konnte. Die fachliche und persönliche Nähe Peter W. Jansens zum Neuen deutschen Film und einzelnen seiner Vertreter sowie das Begleiten des Wandels der heterogenen Gruppe scheinen ein Indiz dafür zu sein. Wenngleich die Bemühungen des deutschen Autorenfilms sicherlich eine Rolle gespielten haben, dergestalt die Publikationen filmbezogener Bücher und Reihen zu fördern, so ist dennoch ebenso wichtig, den Einfluss der neuen Technologien damit in Bezug zu setzen. Die Möglichkeiten, sich nicht nur die Filme eines einzelnen Regisseurs nach Hause zu holen und en bloc zu rezipieren, können mindestens ebenso verantwortlich gemacht werden für den Wunsch des Mediennutzers, mehr über Film, Regisseur und Produktionshintergrund zu erfahren, wie das Erstarken einer nationalen Filmkultur, deren Zugang zum Großteil des Publikums im besten Fall fraglich war. Stärker als zuvor tritt der Film damit nicht nur in eine neue Form der Sichtungsmöglichkeit, sondern gleichzeitig in eine neue Interdependenz eines medialen Bezugssystems. Hierbei waren diese Mechanismen, die ebenso Mechanismen des Marktes sind, auch für das Medium Film nicht neu, begleitete doch schon die frühesten Filme Merchandising in der Form von Buchpublikationen, wie dem berühmten Roman zum Film; doch sind es erneut die Masse und Fülle der Möglichkeiten, die sich durch den Umbruch zur Videokassette zusammenfügten und ein stärkeres Gesamtbild der Mediensituation der 1980er Jahre aufzeigten. Somit treten diese Bücher und Veröffentlichungen in das Ensemble der Paratexte des Films ein, wenngleich ihr Ort weiterhin die Bibliothek blieb, wo sie neben den Videokassetten zur Ausleihe bereitstanden. Zwar konnte die einzelne 114

Vgl. Hake, Film in Deutschland, S. 281. Hake verweist diesbezüglich auch auf das filmgeschichtliche Großprojekt der CineGraph-Gruppe, unter der Leitung von Hans-Michael Bock, welches ab 1984 als bio- und filmografisches LoseblattLexikon konzipiert wurde.

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Videothek Bücher verkaufen, doch war dies eher die Ausnahme als die Regel. Demzufolge schufen diese Filmbücher damit einen eigenen Anteil an der Verbreitung filmischer Bilder, der in diesem Ausmaß eine Neuheit darstellte. Die in den Büchern aufbereiteten Bilder gingen oft weit über das Wiederabdrucken schon bekannter Kinoaushangfotos und Filmstills hinaus und hatten somit erheblichen Anteil an der Bildzirkulation neuer Ikonografien und der Verbreitung des Wissens um den Film vor seiner eigentlichen Sichtung. Diese Verbreitungen filmischen Wissens waren ebenso neu wie die Möglichkeit, das im Buch gesehene Bild mit den Mitteln der Videothek in bewegte Bilder umzusetzen, um es durch die Möglichkeiten des Videorecorders wieder in ein Standbild zu transformieren. Damit soll nicht die These entwickelt werden, dass diese Form der neu entstehenden Filmbibliotheken ohne die Videokassette nicht möglich gewesen wäre, sondern eher, dass das Medium und die Möglichkeit, Filmgeschichte neu zu entdecken, maßgeblich am Erfolg und am Erhalt dieser Bücher beteiligt gewesen war und deren Ausbau forcierte. Nicht zufällig starteten die Heyne Filmbibliothek wie auch die Grundlagen des populären Films115 des Rowohlt-Verlags 1979 kurz vor dem sogenannten Jahr Null der Videoindustrie. So sollten diese Bücher nicht nur bis dahin unbekannte Hintergrundinformationen bedienen, sondern zugleich eine Anleitung geben über das, was als nächstes geliehen und gesichtet werden könnte, egal ob dies in der Biblio- oder der Videothek geschieht. Es sei an dieser Stelle noch auf einen Fund verwiesen116: Als Teil der Heyne Filmbibliothek erschien 1987 das von Norbert Stresau verfasste Buch Der Horror-Film. Von Dracula zum Zombie-Schocker.117 Neben den Merkmalen des Genres legt Stresau vor allem eine Geschichte des Horrorfilms vor, die aufzeigt, wie sehr der Horrorfilm in der Lage ist, Befindlichkeiten gesell115

Die sowohl den Begriff des Kinos als auch des Films in nahezu jedem Titel der Reihe einbrachten.

116

Zwar gab es innerhalb des IVD keine regelmäßige Berichterstattung über neu erschienene Filmbücher, doch wurde vor allem auf neue Lexika hingewiesen, die den Videothekaren zum Erwerb empfohlen wurden. Vgl. Neues Filmlexikon von Rowohlt. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 15.

117

Norbert Stresau, Der Horror-Film. Von Dracula zum Zombie-Schocker, München 1987. Roland Weinicke stellt 1988 ebenfalls die Heyne Filmbibliothek vor, ohne jedoch Stresaus Buch negativ hervorzuheben. Vgl. Roland Weinicke, Die HeyneFilmbibliothek. In: Medien + Erziehung 4/1988, S. 170-172.

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schaftlichen Ursprungs in seinen Bilderfundus aufzunehmen, respektive diesen Bilderfundus neuen Gegebenheiten anzupassen. In einem theoretischen Zugriff versucht er, insbesondere die Befunde der psychoanalytischen Filmanalyse für eine Auseinandersetzung mit dem Genre fruchtbar zu machen. Doch statt das Buch in der renommierten Reihe des Heyne-Verlages dazu zu nutzen, deutlich zu machen, dass auch der Horrorfilm Teil der Filmkunst und -kultur sein kann, schlägt dem Verfasser im IVD-Organ Ikarus harsche Kritik entgegen. „[M]it einer für Videothekare unverständlichen Sorglosigkeit [geht Stresau, TH] an ein Genre heran, das auch heute noch als Vehicle [sic!] dazu dient unseren Berufsstand zu diskriminieren.“118 Dabei würde der Autor „aus der Warte eines Horrorfans in entwaffnender Offenheit über seine Gelüste“ schreiben. Empfohlen wird das Buch trotzdem jedem Videothekar, „um die Psyche jener zu entdecken, die immer mehr vergeblich in unseren Betrieben nach Horrorfilmen fragen.“119 Erstaunlich ist es, wie hier der IVD nicht nur den Autor angreift, sondern gleichzeitig auch die Kunden, die in den Videotheken nach Horrorfilmen fragen. So kann man zwar verstehen, dass gerade 1987 auf dem Höhepunkt des erneuten Vorstoßes der CSU für das totale Vermietverbot indizierter Filme die Versuchung groß war, sich möglichst weit vom Genre des Horrorfilms und seinen Rezipienten zu distanzieren, auf der anderen Seite aber eindeutig eine Chance verpasst wurde. Zu sehr greift der IVD den Tenor jener Berichterstattung auf, die seit 1983 gegen das Angebot der Videotheken argumentierte. Statt sich bei Stresau zu bedienen, um aufzuzeigen, welche Funktion dem Genre des Horrorfilms zukommt, wie es sich gesellschaftlich verändert und wie es als integrativer Bestandteil der Filmgeschichte fungiert, wodurch das Genre sicherlich ein Stück weit hätte nobilitiert werden können, attestiert man dem Autor eine „pseudowissenschaftliche Fanposition“120. Zu sehr schienen die Videothekare, so auch im fast schon bedauernden Schlusswort des Artikels, das Schlagwort der „skrupellosen Geschäftemacher“121 verinnerlicht zu haben, welches ihnen von Presse und Politik im Kampf um den indizierten Film angedacht wurde. Doch schien sich ebenso der den Angreifern gemachte Vor-

118

Horrorfilm – Schicksal der Videobranche oder Cineastendelikatesse? In: Der Ikarus 10/1987, S. 61-64, hier: S. 61.

119

Ebd.

120

Ebd., S. 64.

121

Ebd.

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wurf der Verallgemeinerung mit umgekehrtem Vorzeichen zu wiederholen; denn ähnlich wie auch die Videotheken nur zu einem Bruchteil ihr Geschäft auf indizierten Horrorfilmen aufbauten, so nimmt auch der Teil über den modernen Horrorfilm – zu dem nun einmal die Zombieschocker zu zählen sind – nur einen Teil des Buches ein, welches bei den Klassikern des Genres, den Dracula- und Frankenstein-Verfilmungen der Universal-Studios, also des Hollywoodkinos der 1930er Jahre, beginnt. Die Heyne Filmbibliothek schien daher 1987 schon einen Schritt weiter zu sein als die Videothekare, die darauf warteten, aufgrund neuer Horrorfilme auf Video „erneut Prügel zu beziehen“122. Dass auch der Horrorfilmrezipient vor diesem Hintergrund nur in der Figuration des video nasty aufgegriffen wird, steht für eine seltsame Sicht auf den Kunden, der sich dieses Genres bedienen möchte; die im Titel des Artikels genannte Cineastendelikatesse findet keine weitere Berücksichtigung. Durch die Möglichkeiten des Buches und der Veröffentlichungen auf dem Buchmarkt scheint es evident zu sein, wie Filmgeschichte, die in der Videothek erleb- und begehbar gemacht wurde, auch in Buchform reaktualisiert wurde, Klassiker neu formte oder bekannte Filme erst zu Klassikern transformierte. Der expandierende Buchmarkt filmischer Literatur schuf damit einen eigenen Anteil an der Formierung eines Kanons, wie gleichfalls die Videoveröffentlichungen und das Programm der Videotheken. Stars, Genres und Regisseure standen im Mittelpunkt der Bücher, an denen versucht wurde, das Narrativ der Filmgeschichte erzähl- und zeigbar zu machen. Dass vor allem die Regisseure im Mittelpunkt standen, führt zu der Frage, inwiefern die Möglichkeiten der Videothek nicht nur das Bild des Regisseurs veränderten, sondern auch, welche Auswirkungen diese neue Form der Filmsozialisation auf eine neue Generation von Regisseuren nach der Etablierung der Institution Videothek gehabt hat.

122

Ebd., S. 61.

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2.4 Zur Filmsozialisation angehender Regisseure: Lernen aus der Videothek Sucht man die Verbindung zwischen der Institution Videothek und der Bedeutung des Regisseurs für das Medium Film, so führt kaum ein Weg an dem US-amerikanischen Regisseur Quentin Tarantino vorbei. Tarantino, der wie kaum ein anderer die Funktionalität des Interviews123 als Baustein einer Regisseursvita und des Aufbaus eines modernen Mythos erkannt hat, wird in zahlreichen Interviews nicht überdrüssig zu betonen, dass er viele Jahre lang im Video Archive124 in Los Angeles gearbeitet hat und diese Arbeit wie auch der Konsum der dort zu leihenden Filme Auswirkungen auf seine Tätigkeit als angehender Filmemacher hatten. Seine Interviews sind stets gespickt mit kleinen Anekdoten aus der Zeit in der Videothek, die schon im Kern aufzeigen, wie der Ort des Videoleihens Momente der Filmgeschichte ineinanderfaltet. Die am häufigsten kolportierte Geschichte Tarantinos erzählt daher, wie sein Erstlingswerk RESERVOIR DOGS125 zu seinem Titel gekommen ist: Ein Kunde, der den Film AU REVOIR, LES ENFANTS126 des französischen Nouvelle Vague-Regisseurs Louis Malle leihen wollte, sprach diesen Wunsch derart undeutlich aus, dass Tarantino lediglich die Worte Reservoir Dogs verstand; ein Film, den es zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch nicht in den Beständen der Videotheken geben sollte. Bezüglich dieser Anekdote über die Arbeit eines zukünftigen Regisseurs am Ort der Videothek kann es nicht darum gehen, diese auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, sondern sie, ähnlich der Legende des einfahrenden Zuges im Winter 1895, auf ihre Aussage im Diskurs zu interpretieren. Auf der einen Seite, um so Aussagen über ein neues Verständnis von Filmgeschichte zu extrapolieren, auf der anderen Seite, um neue Filmgeschichte, die nun eindeutig um den Faktor der Videogeschichte ergänzt wurde, entstehen zu lassen. Die spezifische Videothek, auf die Tarantino rekurriert, die sich historisch wie auch topografisch verorten lässt, wird retro123

Vgl. Nitsche, Paratextuelle Attraktionen des Autorenkinos, S. 115 ff.

124

Vgl. Alan Barnes/Marcus Hearn, Tarantino from A to Zed. The Films of Quentin Tarantino, London 1996, S. 150 ff.

125

RESERVOIR DOGS [dt. RESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE]; R: Quentin Tarantino, USA 1992.

126

AU REVOIR, 1987.

LES ENFANTS

[dt. AUF WIEDERSEHEN, KINDER]; R: Louis Malle, BRD/F/I

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spektiv zur Kaderschmiede neuer Filmschaffender umfunktioniert; was vorher die Redaktion der Cahiers du Cinéma war, ist nun in einem existenziellen Bestandteil der Popkultur zu verorten. So stimmt es, dass das Video Archive nicht nur Tarantino beschäftigte, sondern zugleich auch Roger Avery, der ebenfalls ein bekannter, wenngleich weniger erfolgreicher Regisseur als Tarantino wurde.127 Gemein ist ihnen jedoch – und hier stehen sie vielleicht in einer Reihe mit Regisseuren und Filmschaffenden wie Kevin Smith, Sam Raimi, Peter Jackson, Joss Whedon128, Kevin Williamson und Guillermo del Toro –, dass ihre Filme einem Raubzug durch die Filmgeschichte gleichen und die oft beschworene Hybridität des Genrekinos, die ihm seit jeher inhärent war, auf eine völlig neue Stufe heben.129 Die Filmwissenschaft hat diesen Rekurs auf die bisherige Filmgeschichte, das gehäufte Spiel mit Zitaten und Anspielungen130 auf andere Filme im Bild, Dialog und der Besetzung spezieller Schauspieler in spezifischen Rollen131 zusammengefasst unter dem philosophisch und kulturtheoretisch schwer zu füllenden Begriff der Postmoderne. Dabei lässt sich der Begriff, den nahezu jede Profession von der Mathematik bis zur Theologie für sich beansprucht und mit anderen, wenngleich ähnlichen, Paradigmen gefüllt hat, schwer mit einem allgemeingültigen, transdisziplinären Inhalt versehen. Dass das als postmodern gekennzeichnete Merkmal des Spiels der Zitate im filmwissenschaftlichen Diskursfeld allenfalls ein Hinweis auf eine Verände-

127

Roger Avarys erster Film KILLING ZOE, F 1993, gilt dabei als maßgeblich von Tarantino beeinflusst, oder aber eben von denselben Filmen aus den Regalen des Video Archive in Manhattan Beach, Kalifornien.

128

Auch der Erfinder der äußerst populären Fernsehserie BUFFY THE VAMPIRE SLAYER [dt. BUFFY – IM BANN DER DÄMONEN], USA 1997-2003, hat vor seiner Tätigkeit in Film und Fernsehen in einer Videothek gearbeitet.

129

Georg Seeßlen spricht bezüglich Tarantinos Film INGLOURIOUS BASTERDS, USA/BRD 2009, gar von Bastardkino. Gemeint ist ein Kino, welches Genres nicht mehr weich ineinanderlaufen lässt, sondern hart aufzeigt, wie dieser Genrewechsel vollzogen wird. Ein Beispiel, welches er dafür anführt, ist der 1968er Vietnamkriegsfilm THE GREEN BERETS [dt. DIE GRÜNEN TEUFEL]; R: Ray Kellogg/John Wayne, USA 1968. Vgl. Georg Seeßlen, Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über Inglourious Basterds, Berlin 2009, S. 13, 19.

130

Vgl. Jürgen Felix, Die Postmoderne im Kino (revisited). In: ders. (Hrsg.), Die Postmoderne im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 7-10, hier: S. 9.

131

Prototypisch erscheint hier zum Beispiel John Travoltas Besetzung in Quentin Tarantinos Film PULP FICTION, USA 1994, die sein durch die Tanzfilme der 1970er Jahre geprägtes Image persifliert.

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rung eines wie auch immer gelagerten Status quo zu sein scheint, führt lediglich in die Irre, darin den Kern dieser Veränderung erfasst zu haben. Ein informierter Blick auf die Filmgeschichte macht daher deutlich, dass Filme nie in einem Vakuum entstehen, sondern immer schon eingebunden sind in ein Geflecht intertextueller und intermedialer Bezugssysteme, die auf der Leinwand mal mehr, mal weniger deutlich zum Tragen kommen. Die Anspielung auf einen anderen Film findet sich somit ebenso schon im Unterhaltungskino der Weimarer Republik der 1920er Jahre wie auch in den Filmen der Nouvelle Vague, obgleich sie heute für den zeitgenössischen und uninformierten Zuschauer nicht mehr zu erkennen und wertzuschätzen sein mögen.132 Bezeichnender ist daher bezüglich der Bruchstellen der 1980er Jahre, dass die Suche nach dem zeitlichen Beginn der Postmoderne, die für andere Disziplinen zum Beispiel schon mit den Werken Friedrich Nietzsches eingeläutet wird, für die Filmgeschichte in den 1980er Jahren verortet zu werden scheint. Ähnlich wie in den Philologien wird auch in der Filmgeschichte nach dem Werk gesucht, welches als erstes mit dem Adjektiv postmodern versehen werden kann und somit den Weg ebnet für eine neue Entwicklung im Kino hinsichtlich der Produktion, aber auch in Bezug auf die Rezeption von Filmen. Verwunderlich ist dies vor allem dann, wenn weiterhin davon auszugehen ist, dass die Postmoderne nicht als greifbare und exakt zu setzende Epoche verstanden werden kann, sondern als eine Reaktion auf die Herausforderungen und Problemlagen der Moderne definiert wird, die sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher und ursprünglicher Motive heraus ableiten lassen.133 Ziel soll es daher im Folgenden nicht sein, diese Debatte zu rekapitulieren, sondern danach zu fragen, ob sich die Phänomene, die das vornehmlich US-amerikanische Kino seit den 1980er Jahren zu bestimmen scheinen, auf eine andere Ursache zurückführen lassen. Die primäre These ist, dass die filmwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Postmoderne, auf welche hier als wissenschaftliches Diskursfeld reagiert werden soll, einen entscheidenden Faktor übersieht, der erst in zweiter Instanz mit den Filmen selbst zu tun hat. So sollen die neuen Formationen der Medien 132

Wichtig bleibt immer, dass diese Filme auch funktionieren, wenn das Erkennen jener Verweise auf andere mediale Produkte nicht gelingt.

133

Vgl. Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe (Hrsg.), Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels, Reinbek bei Hamburg 1986.

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in den Vordergrund gerückt werden, die nicht nur eine technisch induzierte Veränderung der Filmproduktion der 1980er Jahre bewirkten, sondern gleichzeitig zu einer anderen Form der Filmsozialisation führten, die sich in einer neuen Generation angehender Regisseure niederschlug. Zwar wird auch innerhalb des Diskurses um die Spuren der Postmoderne bezüglich der Filme der 1980er Jahre auf die „durch MTV, Videorecorder und Computer veränderte Medienkultur“134 rekurriert, doch werden diese meist als eine Folgeerscheinung und nicht als Ursache und veränderndes Primat des Phänomens identifiziert.135 Anteil daran, dass diese Bezugssysteme nicht ausreichend gewürdigt werden, hat meist der Versuch, die Muster einer philosophischen Annäherung an die Herausforderungen der Moderne auf das Gebiet der Filmwissenschaft zu übertragen, ohne hierbei beantworten zu können, was Ziel und Ertrag ist, diese Überlegungen als Kontrastfolie über die Dichotomie zwischen dem Medium Film als Ganzes und dem spezifischen Werk zu nutzen. So ist vor allem die Auswahl der Texte, die als Instrumentarien und Handwerksmittel dienen sollen, den Kern des Neuen in diesen Filmen zu entdecken, zumindest fraglich. Oft wurden (und werden) in der Filmwissenschaft die klassischen kanonisierten Texte der Postmoderne wie Susan Sontags Notes on Camp136 oder Ihab Hassans Eine Annäherung an den Begriff des Postmodernismus137 als Bestimmungskataloge instrumentalisiert, die mittels philosophischer Argumentationsstrukturen die Spuren der Postmoderne in den Filmen der Zeit sichtbar machen sollen und aus naheliegenden Gründen nur bedingt Erfolg haben. Polemisch gesprochen müsste daher ebenso gefragt werden, welche Erkenntnis der Mediennutzer gewinnt, nutzt er die von JeanFrançois Lyotard begründete Rede vom Ende der Großen Erzählungen138 als Analysehilfe zum Verstehen der konsumierten Filme jener Dekade. Einzig 134

Jürgen Felix, Die Postmoderne im Kino (revisited), S. 9.

135

Ein Ansatz, der diese Veränderungen ernst nimmt, findet sich bei: Fredric Jameson, The geopolitical Aesthetic. Cinema and Space in the World System, London 1995.

136

Susan Sontag, Anmerkungen zu „Camp“. In: Utz Riese (Hrsg.), Falsche Dokumente. Postmoderne Texte aus den USA, Leipzig 1993, S. 109-130.

137

Ihab Hassan, Eine Annäherung an den Begriff des Postmodernismus. In: Utz Riese (Hrsg.), Falsche Dokumente. Postmoderne Texte aus den USA, Leipzig 1993, S. 26-44.

138

Vgl. Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Vollständig überarbeitete Fassung des Übersetzers, Graz u. a. 1986.

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mit Blick auf die Fragen der Filmgeschichtsschreibung wird deutlich, von welchem Nutzen diese Herangehensweisen sein können. Auch der Hang zu einer gestalterischen Beliebigkeit, der oft unter dem Schlagwort einer neuen anything goes-Mentalität139 zusammengefasst wird, kann durch die Umstrukturierungen des Medienensembles erklärt werden. Veränderungen in der Inszenierung wie auch die Risikobereitschaft, neue Narrative zu präsentieren, weisen auf die veränderten Möglichkeiten filmischer Bilder zwischen den Medien Film, Fernsehen und Video hin, welche für sich einzeln und zugleich in ihrem Zusammenspiel neue Ästhetiken schaffen, die nicht nur die Sehgewohnheiten stets aufs Neue herausfordern, sondern durch ihre Mischformen nicht mehr eindeutig einem spezifischen Medium zuordbar sind. Eine attestierte Form medialer Unübersichtlichkeit kann daher nur dem Wunsch entspringen, die einzelnen Medien separiert zu halten, was schon Ende der 1970er Jahre durch Video in seiner Ausformung zur Kassette nicht mehr möglich zu sein schien, als Film zum Video, Video zum Heimkino und Heimkino zum Fernsehen wurde, welches die vorher bekannten Formen des Gebrauchs stetig wechseln und die Frage der Spezifik eines Mediums nicht mehr eindeutig beantworten ließ. Aus diesem Wechsel zwischen den Formen und Formaten wie auch aus den Möglichkeiten der Videokassette formierte sich das Schlagwort der Videoclipästhetik, welche sich nicht nur aus den neuen Eigenheiten der Werbung und des Musikfernsehens erklären ließ, sondern auch durch die mit ihnen in Wechselbeziehung stehenden Formen des Spielfilms, die sich vielleicht erst zu Beginn der 1990er Jahre vollends etablierten, in den 1980er Jahren dennoch stark genug waren, die Diskussion um die neuen Medien und die mit ihr verbundene Kritik zu charakterisieren.140 Mitunter waren diese sichtbaren Zeichen einer Auflösung mit ein Grund dafür, warum sich keine eigenständige Videoästhetik herausbilden konnte und die Rede von einer Videoclipästhetik meist nicht dem gerecht wurde, was mit ihr adressiert werden sollte, darin dem Label der Postmoderne nicht unwesentlich ähnlich, hat doch beides der feuilletonistischen Filmkritik als Füllwort gute Dienste geleistet.

139

Vgl. Jürgen Felix, Die Postmoderne im Kino (revisited), S. 7.

140

Nicht selten führte so die Vita eines Regisseurs Anfang der 1990er Jahre vom Werbe- und Musikfernsehen zur Inszenierung des ersten eigenen Kinofilms. David Fincher mag hier prototypisch für diese Entwicklung stehen.

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Mit diesem kurzen heuristischen und zuweilen auch polemischen Blick auf das Diskursfeld der Postmoderne soll keineswegs der Durchwirkung der Alltagswelt durch die Herausforderungen der Moderne im Allgemeinen widersprochen werden. Lediglich ihre vermeintlichen Auswirkungen auf die Disziplin der Filmwissenschaft, auf das Schreiben über den Film und die damit einhergehende Sicht auf die Werke der 1980er und 1990er Jahre stehen hier zur Debatte; und ebenso, um den Bogen zur Ausgangsfrage des Kapitels zu leiten, die Sicht auf die Figuration eines neuen Typs des Regisseurs. Es versteht sich von selbst, dass die US-amerikanischen und westeuropäischen Filme jener Zeit auf die Veränderungen in Politik und Gesellschaft reagierten und sich unter den neuen Gegebenheiten von Technik und Kultur veränderten; doch ist dies ebenfalls seit der Etablierung des Mediums zu beobachten und spätestens seit den soziologischen Schriften Siegfried Kracauers141 in den späten 1940er Jahren Bestandteil einer theoretisch möglichen Herangehensweise an das Medium. Wichtiger ist es daher zu fragen, ob nicht die technischen Neuerungen, die Transformationen der Medien Kino und Film hin zur Videokassette, wie auch der Ort der Videothek als begehbare Filmgeschichte diese Veränderungen, die gemeinhin als postmodern bezeichnet werden, wenn doch nicht gänzlich hervorgerufen, so doch maßgeblich beeinflusst haben. Der vorschnell als postmodern bezeichnete Anspielungsreichtum eines Regisseurs wie Quentin Tarantino, der hier nur stellvertretend stehen kann und immer wieder zu bedenken gibt, dass kritisch durch die Form der Anekdoten und Selbstinszenierung zu schauen ist, kann als Gang und filmischer Ausflug in die Filmgeschichte verstanden werden, wie er vorher in den Räumen der Videothek möglich war und erst erlernt wurde. Dies jedoch nur, weil Filmgeschichte hier zum ersten Mal überhaupt, wenngleich nicht in ihrer Gänze, so doch in Ansätzen haptisch erfahr- und wortwörtlich sichtsowie beherrschbar geworden ist. Folglich wird gerade an dem durch Tarantino vertretenen neuen Typus eines Regisseurs deutlich, wie sehr Filmwissen und Filmgeschichte neu konstituiert wurden und sich dieses Wissen vor allem im Genrefilm und seiner Bildzirkulation wiederfindet. Nachzuweisen, inwiefern die Filme durch die Arbeit in der Videothek oder deren Besuch tatsächlich beeinflusst wurden, führt hingegen in ein na141

Ausformuliert in: Siegfried Kracauer, Von Caligari zu Hitler. Eine psychologische Geschichte des Deutschen Films. Mit 64 Abbildungen. Übersetzt von Ruth Baumgarten und Karsten Witte. Vierte Auflage, Frankfurt am Main 1999.

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hezu unmögliches Unterfangen. So kann man sich auf die Aussagen des Regisseurs verlassen, ihm zuhören, welche Filme er geliehen und gesehen und was ihn nachhaltig begeistert hat. Doch steht die Aussage eines Regisseurs meist allein im Raum und ist als solche nicht nur kritisch zu hinterfragen, sondern ebenfalls zu ignorieren. Außerdem hat man hierbei mit der bloßen Erkenntnis nichts gewonnen, wenn diese Einflüsse benannt werden, stehen sie doch als solche weiterhin isoliert im Diskurs. Auch die Autorentheorie des Films, will sie sich als kritisches Werkzeug einer Annäherung an das Medium verstehen, warnt vor der Deutungshoheit des Regisseurs über sein Werk. Hinsichtlich dessen waren Einflüsse auf Regisseure immer schon ein mehr als beliebter Untersuchungsgegenstand innerhalb der Filmgeschichte, nur zu oft die Antwort schuldig bleibend, welcher Mehrwert daraus gewonnen ist, den Einfluss eines Regisseurs in der Arbeit des nächsten wiederzuentdecken, abseits der Vorwürfe von Plagiat oder dem Erkennen einer Hommage. Doch handelt es sich in dem einen Fall vielleicht um bewusst gesetzte Nachahmung einer Technik oder eines Verfahrens, geht es nun um das Wiedererkennen von Bildern anderer Filme, die durch die neuen Formen der Bildzirkulation auf ein verstärktes Niveau gehoben wurden. Denn was der Anspielungsreichtum der Filme auf der Seite der Produktion ist, ist das Erkennen und Entdecken dieser Anspielungen auf der Seite der Rezeption, die vorschnell die Gefahr birgt, den Film nicht mehr als eigenständiges Werk zu erkennen, sondern nur noch nach den Anspielungen und Verweisen zu fragen und dem, was es vorher schon einmal gegeben hat. Die Aussage hinter dieser These kann nicht bedeuten, dass diese Mechanismen im Zuge der technischen Neuerungen der 1980er Jahre völlig aus dem Nichts entstanden sind, doch soll dafür argumentiert werden, dass, wie es schon im Bereich des Pornofilms dargelegt wurde, die Technik und die Neuformierung des Mediums Film starken Einfluss auf die Filme hatten, die in den nachfolgenden Jahren produziert wurden. Wenn diese Tatsachen dazu führen, dass Filmgeschichte verstärkt, erneuert und recycelt wieder in neue Filme einfließen kann, um auf diese Weise wiederum performativ zu neuen Ausformungen von Filmgeschichte zu werden, so gilt dies zugleich für den Teil der Filmgeschichte, der außerhalb des Kinos stattfindet. Tatsächlich führt der Rekurs auf die Videothek und deren Besuch zu einer Umdeutung ähnlicher Geschichten von Regisseuren vor den 1980er Jahren und den durch die neuen Technologien hervor-

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gerufenen Umbrüchen: Gerade innerhalb der Gruppe der sogenannten Autorenfilmer, seien es die Vertreter der französischen Nouvelle Vague oder die deutschen Unterzeichner des Oberhausener Manifestes im Februar 1962, wird fast allzu verklärend auf den stetigen Besuch des Kinos Rekurs genommen, auf den Konsum von Filmen und deren Einverleibung in das eigene Leben und das eigene Schaffen.142 Dieser Ort des mystischen Eintauchens in die Welt des Films in den Räumen des Kinos wechselte in den 1980er Jahren hin zur Videothek, wenngleich – und auch dies ist interessant zu berücksichtigen – sich lange Zeit kaum einer der Regisseure wirklich zu ihr und damit zu einem Teil seiner filmischen Sozialisation bekannte. War zum Beispiel der kulturelle Eindruck der Nouvelle Vague geprägt vom Bild ihrer Vertreter in den Reihen des Kinos, so wird dieses Bild durch ein neues ergänzt: Nun ist es die Vorstellung des hinter der Theke der Videothek stehenden Regisseurs avant la lettre143 und dem Filmemacher, der durch einen Koffer voller Filme am Set des neuen Films den Kassettenberg und die Bestände der Videotheken virtuos beherrscht.144 Demnach wechselte nicht nur der Ort der filmischen Sozialisation, sondern es wurden auch die Filme ausgetauscht, die diese ausmachten. Zu den Regisseuren, die schon vor 1980 Teil eines filmischen Kanons waren, gesellten sich neue Filmemacher, die nun erst (wieder-)entdeckt wurden und neu in den Status eines Klassikers erhoben werden mussten. Zu den Filmen Fritz Langs, Alfred Hitchcocks und Alain Resnaisʼ kamen die Filme (auf Video) von Roger Corman, George A. Romero und Sergio Leone. Der Durchbruch eines Regisseurs war nicht mehr nur an den Einspielergebnissen der Lichtspielhäuser zu messen. Hierbei ging es jedoch nicht um eine Wiederholung des scheinbaren Gegeneinanders von Autoren- und Genrefilm, sondern um eine schlichte Ergänzung und Erweiterung des Repertoires. Die Videothek ermöglichte es nicht nur, die Filmklassiker zu rezipieren, die diesen Status schon erhalten hatten, sondern ebenso jene, die ihn noch erhalten

142

Manifest in Publikationen wie François Truffauts, Die Filme meines Lebens. Aufsätze und Kritiken. Herausgegeben von Robert Fischer. Aus dem Französischen übersetzt von Frieda Grafe und Enno Patalas, Frankfurt am Main 1997.

143

So erzählt es unter anderem die Coming-of-age-Serie DAWSON’S CREEK, USA 1997-2003.

144

So zumindest das Gerücht um die Gewohnheiten del Toros. Vgl. Arno Meteling, Melancholie und Groteske. Vaterlose Gesellschaft in den Filmen Guillermo del Toros. In: Splatting Image 58/2004, S. 7-14.

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sollten. In Anbetracht dessen waren die angehenden Regisseure erstmals in der Lage, nicht nur auf die Filme der großen und bereits kanonisierten Filmemacher zurückzugreifen, sondern ebenso auf ganze Reihen von internationalen Genrefilmen, die vorher kaum oder nur in speziellen Kinos zu sehen waren, die oft nicht weniger verrucht waren als die Abspielstätten des Pornofilms. Berücksichtigung finden muss bei diesem Gedanken ebenfalls, dass ein großer Bestandteil der Filmsozialisation der 1980er und 1990er Jahre nicht nur darin lag, über die Erzeugnisse der Filmgeschichte überhaupt erst zu verfügen, sondern zudem einen anderen Umgang mit dem einzelnen Film zu pflegen, der eine völlig neue Form der Auseinandersetzung dieser „Rituale des Wiedersehens“145 kennzeichnete. Das Spiel mit dem filmischen Zitat wurde daher nicht nur plausibler, weil der Fundus an Quellen größer wurde, sondern auch, weil das, was dort zitiert wurde, nun erstmals als zitierbare Quelle überhaupt genutzt werden konnte. Dies meint nicht nur den Regisseur, der durch die Betrachtung des angehaltenen Bildes Aufbau und Gestaltung, Finessen, aber auch Fehler eben dieses besser studieren kann, sondern zugleich den Filmkritiker und -wissenschaftler, der, nicht mehr an das Mitschreiben in dunklen Sälen gebunden, klar aufzeigen kann, was Bestandteil und Kern seiner eigenen Argumentation ist. Die Evidenz des Bildes wurde erst durch Videokassette und Videorecorder zum Fundus, aus dem Theorie und Praxis schöpfen konnten. Hauptsächlich durch das Standbild konnte der aktiv arbeitende Regisseur, wie alle am Film beteiligten Mitarbeiter, verstehen, sehen und imitieren, was andere Regisseure vor ihnen erarbeitet hatten. Somit wird der Archivgedanke, der durch die Videothek geschaffen wurde, erneut aufgegriffen, wenn nun angehende Filmemacher auf das Bekannte (und zugleich das Neue) zurückgreifen konnten, um mit dem Material der Videotheken zu arbeiten, deren Bestände aufzunehmen, um dann erst das Gesehene bewusst oder unbewusst zu transformieren und es dem neuen Film einzuverleiben. Daher ist es wichtig, dem Spiel der Zitate der späten 1980er und 1990er Jahre, welches sich aus den technischen Möglichkeiten der Zeit speist, keine oder nur eine geringe Form der Intentionalität zu unterstellen. Ziel ist es nicht, aufzuzeigen, was die Bestände der Videotheken beherbergen – und mit ihnen die Archive der Filmgeschichte –, sondern

145

Vgl. Hediger, Rituale des Wiedersehens.

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welche Versatzstücke man aufnimmt, um selbst einen guten Film und damit eine gute Geschichte zu erzählen. Hier fügen sich vor allem zwei Möglichkeiten des Mediums Video zusammen: So liefert die geliehene Videokassette auf der einen Seite Anschauungsmaterial, konserviert und zeigt auf, was es schon gab, um sich selbst als Filmemacher einer bestimmten Tradition zugehörig zu fühlen. Auf der anderen Seite veränderten die Möglichkeiten der Videotechnologie die Art des Filmemachens selbst. Die sofortige Kontrolle über das Bild wie auch die simultane Überprüfung des zu filmenden Raumes waren Erleichterungen innerhalb der Branche, die dankend aufgenommen wurden. Der Produktion des Films auf Video und dem damit einhergehenden Abschied vom Zelluloid146 hingegen widersetzten sich zahlreiche Regisseure der 1980er Jahre. Den Bemühungen Jean-Luc Godards und Francis Ford Coppolas, Filmgeschichte auf Video fortzuschreiben, standen zahlreiche andere Vertreter ihres Faches entgegen, die den Kern des Kinos nur auf der Leinwand und nicht auf der Kassette, nur im Zelluloid und nicht im Videobild sahen.147 Diese Beobachtung mag vor allem für die 1980er Jahre Geltung besitzen. Video unter den Prämissen der Digitalisierung hingegen wurde weitaus eher als legitimes Mittel der Filmgestaltung erachtet, als seine noch stärker an die Formen der Hardware gebundenen Vorläufer. Dennoch bleibt weiterhin fraglich, wie eine derartige Beobachtung systematisch ausgewertet werden könnte, geht es doch um mehr als die bloße Zirkulation von bestimmten Bildern und Ikonografien: Es geht um die Frage von Bildzirkulation schlechthin, die dabei immer über den einzelnen Film und das einzelne Motiv hinaus gedacht werden muss. Letztendlich gibt diesbezüglich die Fragestellung die Vorgabe, die eine derartige Untersuchung fokussieren und zugleich sinnvoll eingrenzen kann. Denn es kann nicht der dahinter liegende Sinn dieser Fragestellungen sein, die Bilder und Ikonografien eines Films, Regisseurs oder bestimmten Genres in anderen Produkten wiederzuerkennen, den Film als das Repetitorium oder Archiv des anderen zu betrachten. So ist es unerheblich, ob der Regisseur auf das Zitat setzte, oder die Bildgestaltung, der Schnitt oder das Licht durch das Wirken der anderen beteiligten Mitglieds der Crew bewusst oder unbewusst schon be-

146

Vgl. Andreas Kirchner/Karl Prümm/Martin Richling (Hrsg.), Abschied vom Zelluloid? Beiträge zur Geschichte und Ästhetik des Videobildes, Marburg 2007.

147

Vgl. Hoffmann, Am Ende Video, S. 123 ff.

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kannte Bilder im Zusammenspiel mit dem Filmwissen des Zuschauers aktiviert haben. Tatsächlich finden sich unter den Frühwerken der meisten der hier genannten Regisseure Arbeiten, die sich nicht nur explizit als Genrefilme identifizieren lassen, sondern diese Geschichte der jeweiligen Genres scheinbar logisch fortsetzen. Aus dem Fan und Filmbegeisterten wird der Regisseur, der wiederum neues Material bereitstellt, um Film- und Genregeschichte fortschreiben zu können. Ahmten diese Regisseure in den 1980er Jahren damit noch die klassischen Genres der Videotheken nach, wie in Sam Raimis THE EVIL DEAD oder Peter Jacksons BAD TASTE148 und BRAIN DEAD149, so modifizierten diese Regisseure den Status der Genres in den letzten zwanzig Jahren enorm. Die ehemaligen C-Genres der Videotheken etablierten sich auf diese Weise zu neuen A-Filmen des Kinos, die ein Millionenpublikum in die Lichtspielhäuser lockten.150 Comicverfilmungen wie Raimis SPIDERMAN151 oder Jacksons LORD OF THE RINGS-Trilogie152, beide gleichzeitig auch Teil eines großen Franchise, waren nur die bekanntesten Filme, die diese Entwicklung vorantrieben. Die einst scharf kritisierten Genres wurden infolgedessen zu einer neuen Form des Blockbusterkinos umgestaltet. Und auch die neuen Spielformen des Horrorfilms wurden durch Produktionen wie der SAW-153 oder der HOSTEL-Reihe154 zu Kassenschlagern, die nicht nur das Genre wieder auf der großen Leinwand attraktiv machten, was Kevin Williamson155 – 148

BAD TASTE; R: Peter Jackson, NZ 1987.

149

BRAIN DEAD [dt. BRAINDEAD – DER ZOMBIE-RASENMÄHERMANN]; R: Peter Jackson, NZ 1992.

150

Vgl. Elsaesser, Hollywood heute, S. 129.

151

Vgl. SPIDERMAN; R: Sam Raimi, USA 2002, SPIDERMAN 2; R: Sam Raimi, USA 2004 sowie SPIDERMAN 3; R: Sam Raimi, USA 2007.

152

Vgl. THE LORD OF THE RINGS: THE FELLOWSHIP OF THE RING [dt. DER HERR DER RINGE: DIE GEFÄHRTEN]; R: Peter Jackson, USA/NZ 2001, THE LORD OF THE RINGS: THE TWO TOWERS [dt. DER HERR DER RINGE: DIE ZWEI TÜRME]; R: Peter Jackson, USA/NZ 2002 sowie THE LORD OF THE RINGS: THE RETURN OF THE KING [dt. DER HERR DER RINGE: DIE RÜCKKEHR DES KÖNIGS]; R: Peter Jackson, USA/NZ 2003.

153

Hierbei bringt es das SAW-Franchise, welches 2004 begonnen hat, mittlerweile auf sechs Fortsetzungen.

154

Vgl. HOSTEL; R: Eli Roth, USA 2005, HOSTEL: PART II [dt. HOSTEL 2]; R: Eli Roth, USA 2007 sowie die Direct-to-DVD-Vermarktung HOSTEL 3; R: Scott Spiegel, USA 2011.

155

Nebenbei arbeiten beide Hauptfiguren in Kevin Williamsons Fernsehserie DAWUSA, ebenfalls in einer Videothek.

SON’S CREEK,

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wenngleich auch in Zusammenarbeit mit dem Horrorveteran Wes Craven – schon Mitte der 1990er Jahre mit SCREAM gelang, sondern außerdem die Frage nach Gewaltdarstellung und deren Wirkung wieder am Ort des Kinos festmachten und diskutierten. Die unverantwortliche Verbreitung von Gewaltfilmen lag nun bei den Betreibern der Kinos, nicht mehr beim Videothekar, hatte sich jedoch genau aus den Beständen der Videothek gespeist, um wieder auf der Leinwand virulent zu werden. Tatsächlich hat man es mit einer Beobachtung zu tun, die sich in ihrer Evidenz und Deutlichkeit wesentlich stärker am US-amerikanischen Kino festmachen lässt als an den Regisseuren der Bundesrepublik der 1980er und 1990er Jahre. Dies hat vor allen Dingen zwei Gründe: Wenngleich es in den USA ähnliche Debatten gab um das Angebot der Videotheken, so wurden sie nicht in einer solchen Heftigkeit geführt wie es in Großbritannien und in Deutschland der Fall war.156 Eine Normalisierung in Bezug auf die Eingliederung der Videotheken innerhalb des regulären Medienensembles fand daher in den USA wesentlich früher statt, als es in der Bundesrepublik möglich schien. Zum anderen rekurriert diese Beobachtung auf die Thesen, die bereits zur Tradition des Genrekinos eingebracht wurden.157 Ein deutsches Genrekino, dass sich am Horrorfilm, an seinen Motiven und seinen Traditionen abarbeitet und die Filme zugleich zu Erfolgen an den Kinokassen führt, scheint sich erst in den letzten fünf Jahren zu etablieren, obgleich auch weiterhin nicht an die Dimensionen der US-amerikanischen Entwicklung innerhalb dieses Bereiches zu denken ist. Dennoch kann in Bezug auf den deutschen Film und die Regisseure der Bundesrepublik stark davon ausgegangen werden, dass spätestens zu Beginn der 1990er Jahre auch für sie das Lernen aus den Regalen der Videothek zu einer dem Kino gleichgestellten Pflicht wurde, um selber Filme eigenen Stils zu produzieren und sich selbst in der Geschichte des Mediums verorten zu können. Eine nachträgliche Anmerkung zu den Formen der Filmsozialisation in den 1980er Jahren in und durch die Videothek: Diese scheint nicht nur Einfluss genommen zu haben auf die Arbeit und das Selbstverständnis einer Vielzahl heute erfolgreicher Regisseure, sondern ebenso auf eine neue Generation von Filmwissenschaftlern innerhalb des deutschen universitären For-

156

Vgl. Immanuel Fick, Filmzombies und Kinokannibalen. Die Zensur gewalthaltiger Videofilme in Großbritannien und Deutschland seit 1980, Marburg 2010.

157

Vgl. dazu Kapitel III.2.2 dieser Arbeit.

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schungsbetriebes. Film- und Medienwissenschaftler wie Marcus Stiglegger158, Stefan Höltgen und Arno Meteling159 griffen in ihren ersten Forschungen genau jene Genres auf, denen sich nicht nur die angesprochenen Filmemacher zu Beginn ihrer Karrieren verpflichtet fühlten, sondern die zudem stark durch die Angebote der Videotheken verbreitet wurden. Und so wie auch jene Regisseure die C-Genres zu A-Filmen transformierten, trugen die genannten dazu bei, sich in einer stärkeren Ernsthaftigkeit mit den Genres eines Korpus auseinanderzusetzen, der einst als deviant gekennzeichnet war. Ein Vergleich, der nicht verwundert, stand doch beiden Seiten dasselbe in den 1980er Jahren begründete Archiv der Videothek zur Verfügung.

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IM

S PIEGEL

DER

K ONZEPTE

3.1 Das Narrativ der (privaten) Filmgeschichte In Michel Gondrys Komödie BE KIND REWIND160 kommt es zu einer medienhistorischen Ungleichzeitigkeit, die sich in ihrer eigentlichen Bedeutung erst auf den zweiten Blick erschließen mag. Wenngleich das Coverbild des Films, welches die beiden Hauptdarsteller auf einer Videokassette surfend darstellt, suggeriert, dass es dem Film um eine Hommage an das Medium der Videokassette geht, handelt Gondrys Film ebenso von einer Form der Videothekengeschichte, wie sie vorher noch nicht Bestandteil eines kinematografischen Narrativs war.161 Der Videothek im Film scheint zu oft ein eigentümlicher Gegensatz innezuwohnen, verweist sie doch am Ort des Kinos gleichzeitig auf die Überwindung seiner Bedingungen durch die Möglichkeiten der Videotechnik. Ist die Videothek als räumliche Anordnung tatsächlich auf der 158

Stiglegger arbeitete selbst auch während seines Studiums der Filmwissenschaft in einer Mainzer Videothek. Vgl. hier exemplarisch: Marcus Stiglegger, Terrorkino. Angst, Lust und Körperhorror. Dritte, durchgesehene Auflage, Berlin 2010.

159

Vgl. hier exemplarisch: Stefan Höltgen, Schnittstellen. Serienmord im Film, Marburg 2010 sowie Meteling, Monster.

160

BE KIND REWIND [dt. ABGEDREHT]; R: Michel Gondry, UK/USA 2008.

161

Vgl. zu einer eingehenderen Analyse der Bilder des Films: Tobias Haupts, Die Videothek als Schnittstelle zur Filmgeschichte. Ein Nachruf in Michel Gondrys BE KIND REWIND. In: Annika Richterich/Gabriele Schabacher (Hrsg.), Raum als Interface. MuK 187/188, Siegen 2011, S. 55-68.

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Leinwand zu finden, oszilliert diese Darstellung zwischen zwei alternativen Modi der Inszenierung: Zum einen ist die Videothek lediglich Teil des Hintergrundgeschehens und somit ein Ort in der Handlung des Films, der keinerlei Bedeutung hat und oft durch jeden anderen Ort des öffentlichen Zusammentreffens ersetzt werden könnte.162 Zum anderen jedoch bedient die Videothek im Film gleichfalls das Bild wie auch Klischee des meist männlichen Video-Nerds, der in seiner Ausprägung zwischen dem gefährlich anmutenden video nasty und dem durchschnittlichen Filmfan anzusiedeln ist, der zwar mit der Welt des Films, nicht aber mit dem ihn real Umgebenden vertraut ist. Elementar erscheint hierbei, dass dieser Nerd selbst in der Videothek arbeitet und sich dieser Ort somit als sein eigentliches Schicksal erweist; der Weg des Filmfans im Film selbst kann, so suggerieren es diese Filme, nur im Raum der Videothek enden.163 In der Videothek zu arbeiten heißt daher164, am Ende der gesellschaftlichen Hierarchie angelangt zu sein. In Gondrys Film, der stark mit der Zirkulation filmischen Wissens argumentiert, werden zahlreiche dieser Klischees bemüht. Im Mittelpunkt der Erzählung und als Ort der Handlung stehen sich zwei Formen von Videotheken konträr und asynchron gegenüber: Auf der einen Seite die Videothek des Protagonisten und seines Arbeitgebers, die in einem kleinen beschaulichen Altbau ihre Videokassetten für die Kunden bereithält. Sie verweist nicht nur durch ihren alten Kassettenbestand, sondern gleichfalls durch ihren Status als Ein-Mann-Betrieb auf Tradition und Verlässlichkeit. Und so zugleich nicht minder auf die Anfangszeit der Videothekengeschichte, in welcher Ein-Mann- und Familienbetriebe das Bild der Videotheken bestimmten.165 Auf der anderen Seite steht die übergroße Konkurrenz, die nicht nur mittlerweile über keine Videokassetten im Leihangebot mehr verfügt, sondern die neuen Trägermedien des Films in einem großen, hellen und gläser162

Tatsächlich wird die Videothek mehr und mehr als Teil filmischer Handlung eingesetzt, um durch sie ein spezifisches Zeitkolorit zu evozieren, welches durch den Einsatz von Video und Videothek auf das Mediengefüge der 1980er Jahre rekurrieren soll. Vgl. dazu unter anderem: TAKE ME HOME TONIGHT; R: Michael Dowse, USA 2011.

163

Besonders evident in SCREAM und CLERKS [dt. CLERKS – DIE LADENHÜTER]; R: Kevin Smith, USA 1994, in deutscher Produktion bei VIDEO KINGS; R: Daniel Acht/Ali Eckert, BRD 2007.

164

Und wohl auch in der Literatur: vgl. Christoph Straßer, Warum, Frankenfish?, Norderstedt 2007.

165

Vgl. dazu Kapitel I.3.1 dieser Arbeit.

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nen Prachtbau dem Mediennutzer bereitstellt. West Coast Video, so der Name der Kette, steht für das Franchise166, welches die Heimvideounterhaltung zur Perfektion gebracht hat (vgl. Abb. 32-33).167 Videothekengeschichte und der Ort der Videothek, wie man ihn sich 1980 und 2012 vorstellen könnte, fallen in dem Film in eins und bilden hier noch eine Konkurrenz, die die offizielle Mediengeschichte längst beendet hat. Verweist Gondrys Film auf ein Nebeneinander von Videothekengeschichte, so lässt sich genau diese Form der Gleichzeitigkeit auf die Modi der Repräsentation von Filmgeschichte in den Räumen der Videothek selbst übertragen, wie sie durch ihre Auslagen und Räume, durch ihre Regale und Medienpräsentation bestimmt wird. Fraglich bleibt, wie allein durch das Nebeneinanderstehen der Filme in ihren Räumen die bloße Ansammlung der Kassetten zu einer Form von Filmgeschichte transformiert werden kann, die dem Besucher offeriert wird. Setzte Zielinski den Videorecorder mit einer audiovisuellen Zeitmaschine168 gleich, da er es ermöglichte, sich den zeitlichen Vorgaben des Fernsehens zu entziehen, wird bezüglich des Raums der Videothek ebenfalls deutlich, wie passend Zielinskis Beschreibung war. So fungiert der Videorecorder durch die Möglichkeiten der Videothek und deren Programm als Zeitmaschine, die den Zuschauer durch die Filmgeschichte wandeln lässt, um einen Film nach dem anderen zu erkunden. Die Form des Flanierens durch den Raum der Videothek, welches deren mediale Praxis kennzeichnet, wird durch das Zusammenspiel von Programm und Videorecorder zu einer Formation der virtuellen Filmgeschichte, die im Raum des Nutzers den Ort der Ausstellung des Films ergänzt und erst vervollständigt.

166

West Coast Video war lange Zeit die zweitgrößte Videothekenkette der USA nach Blockbuster Video. Vgl. Wasko, Hollywood in the Information Age, S. 153 f.

167

Dass die Sachlage in diesem Film nicht ganz so einfach ist, sei dabei am Rande erwähnt. So zeichnet sich der Besitzer der großen Videothek als starker Filmfreund ab, der nicht nur inmitten seines Geschäftes mit einem Videobeamer experimentiert, sondern in seinem Aussehen eher einem Kinobetreiber der 1930er Jahre ähnelt. Vgl. dazu: Haupts, Die Videothek als Schnittstelle zur Filmgeschichte, S. 63 ff.

168

Vgl. Zielinski, Audiovisuelle Zeitmaschine.

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Abb. 32 & 33: Das Ineinanderfallen der Videothekengeschichte

Losgelöst jedoch von dem, was nach dem Gang in die Videothek passiert, ist zu fragen, inwiefern schon durch den Ort selbst Filmgeschichte organisiert werden kann und für den Nutzer erfahrbar wird. Denn auffällig ist, dass die Filme in den Regalen der Videothek scheinbar kein Nach-, sondern nur ein Nebeneinander kennen. Eine der grundlegendsten Beschreibungsformen bezüglich des einfachsten Narrativs jedweder Form von Geschichte, das auf den zeitlichen Abstand zwischen zwei Ereignissen rekurrierende Und dann, kann durch die Videothek nicht erfüllt werden. Um dennoch erreichen zu können, dass durch ihre Bestände nicht nur Filmgeschichte, sondern ebenfalls ein ihr inhärentes Narrativ erfahrbar gemacht werden kann, operiert sie über die Eigenschaften eines flexiblen Archivs und dem Auftreten von über ihren eigenen Bestand hinaus verweisenden Spuren, wie die Ausführungen hinsichtlich eines für die Videothek konsistenten Archivbegriffs aufgezeigt haben.169 Um nun diese Mechanismen, die Filmgeschichte in ihren Räumen erfahrbar machen, stärker fokussieren zu können, muss primär da-

169

Vgl. dazu Kapitel II.2.2 dieser Arbeit.

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nach gefragt werden, welche Form von Filmgeschichte die Videothek dem Mediennutzer auf welche Weise überhaupt eröffnen kann. Offensichtlich ist zunächst vor allem, dass die Videothek die Geschichte des Mediums in ihrer einfachsten und basalen Form, in und durch die Geschichte großer Filme, Stars und Regisseure verhandelt und ausstellt. Das, was die Auswertung und Werbung des Kinos vorgegeben hat, findet sich auf den ersten Blick innerhalb gleicher Bezugssysteme in den Regalen der Videotheken wieder. Diese Auswirkungen der Kino- und Filmindustrie, die sich auch in ihren Regalen fortführt, stellen dem einzelnen Betreiber wenige Möglichkeiten zur Verfügung, auf alternative Gestaltungsmittel zurückzugreifen.170 Dass die Videothek Filmgeschichte nicht als Technik- oder Sozialgeschichte aufzeigen kann, wie es die Ausstellung eines Filmmuseums oder die tiefer gehende Analyse einer genauen Filmlektüre vermag, ist offensichtlich. Die Funktion des Sich-Erinnerns gilt den bespielten Programmen, nicht der Technik in ihren Räumen, die stets dem Imperativ der Nutzbarkeit dient. Geliehen werden kann nur das, was der Kunde auch nutzen kann. Ein langsames Verschwinden der Technik aus dem Alltag des Nutzers ist demnach auch an und in den Räumen der Videothek ablesbar. Die Technik des Trägermediums innerhalb der Videothek bleibt, wie viele andere Aspekte in ihr, zunächst dem Imperativ des Präsens verhaftet, der die Erinnerungen an die vorherigen Medien ausschaltet. Allein durch den Namen des Ortes wird dieses Negieren von Mediengeschichte nostalgisch und beständig verneint. Wenn jedoch davon auszugehen ist, dass die Videothek selbst, wenngleich nicht durch die Technik, sondern durch die in ihr präsentieren Programme, Filmgeschichte in den 1980er Jahren überhaupt erst erfahrbar, (an-)fassbar und durch die Situierung der Medien im Raum der Videothek begehbar gemacht hat, muss nach einer weiteren Schärfung des Geschichtsverständnisses der Institution gefragt werden, die sich abseits gängiger Beschreibungen des Historischen konstituiert. So ist erneut auf den Aspekt des Nebeneinanders von Geschichte zurückzugreifen, der in seiner Gleichzeitigkeit, die dem eigentlichen Nacheinander ihres Ablaufes, dem Folgen nach und auf Vorhergegangenes diamet-

170

Eine Möglichkeit sind eventuell die Videopremieren und Direct-to-VideoVermarktungen wie auch die kulturelle Praxis der Programmvideotheken. Zwar können auch diese sich nicht loslösen von einem marktbedingten Eingebundensein des Films, doch setzen viele Betreiber auf ein größeres Alternativprogramm. Vgl. dazu Kapitel III.3.4 dieser Arbeit.

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ral entgegensteht. Das stetige Jetzt, in dem auch die Filmgeschichte im Raum der Videothek verhaftet ist, welches den Begriff der Zeitlichkeit und somit auch der Geschichtlichkeit aufzuheben droht, wird geradezu verschärft durch die Eigenheiten eines sich im permanenten Wandel befindlichen Archivs. Denn das, was das Archiv durch die simple und normative Kraft der Jahreszahl, dem Erscheinungs- oder Produktionsjahr des betreffenden Objektes ordnen kann, lässt nicht nur ein Nacheinander, sondern auch eine Steigerung, ein wie auch immer gelagertes Sich-verbessern zu erkennen, zu. Dies gelingt der Videothek nicht. Wichtig ist hierbei zu erkennen, dass sie dies auch gar nicht muss, um dennoch ein in sich konsistentes Bild von Filmgeschichte zu kreieren. Der Einwand, dass durchaus Formen eines Nacheinanders in der Videothek zu finden sind, erweist sich schnell als vermeintlich falscher Rückschluss, welcher sich alleine an den Inhalten der Regale vor Ort deutlich erkennen lässt Zwar kann ein neu hinzugekommener Film durch eine größere Stückzahl als Neuheit erkannt und somit auch zu einer Form von Zeitlichkeit in Bezug gesetzt werden, doch gilt diese Erkenntnis dann nicht nur für den spezifischen Film, sondern gleichfalls auch nur für eine bestimmte Zeitspanne. Nach dieser werden die weiteren Exemplare aussortiert, verkauft, eingelagert und der vormals als neu zu identifizierende Film wird als einzelne Kassette in das Back-Programm des Geschäfts integriert. Nur für eine kurze Dauer repräsentiert das Neuheitenregal der Videotheken eine Bruchstelle, durch welche die Zeitlichkeit in ihren Räumen zu erkennen ist (vgl. Abb. 34).171 Wenn, wie vermutet, die Praktiken der meist von den USA bestimmten Kinoauswertungen sich auch in den Regalen der Videotheken wiederfinden lassen, so endet dieser Einfluss stets im Neuheitenregal. Denn sind diese Filme erst einmal in den Back-Bestand der Videotheken integriert, so lässt sich auch hier keine Differenz mehr ausmachen, die sie von den anderen in ihr zu findenden Angeboten unterscheidet.

171

Allerdings kann dies täuschen, denn bei neuen Filmen, die nach ihrer Kinoauswertung in die Videotheken gelangen, kann es sein, dass von ihnen jeweils nur eine Kopie zum Verleih angeboten wird.

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Abb. 34: Wiederkehr des Ewiggleichen

Ebenso kann es sich als trügerisch erweisen, unter den Neuheiten der Bestände tatsächlich lediglich Neues zu vermuten. Zwar sind diese Filme offensichtlich neu im Raum der spezifischen Videothek, doch sagt dies weder etwas darüber aus, wie lange eine mögliche Kinoauswertung zurückliegt, noch ob diese überhaupt stattgefunden hat. Gerade dieser Umstand verweist auf einen starken Bruch der Präsentation von Filmgeschichte in der Videothek ab 1998. Bedingt war dieser Bruch durch den nun langsam beginnenden Siegeszug der DVD-Technologie als Nachfolgemedium der VHS-Kassette, deren von Kay Hoffmann prognostiziertes Ende somit tatsächlich eintrat. Ähnlich wie bereits zu Beginn der Videothekengeschichte und dem Aufkommen der bespielten Videokassette mussten die Videothekare mit dem arbeiten, was die Branche auf dem silbernen Trägermedium veröffentlichte. Tatsächlich setzten die Anbieter in der Anfangszeit des Mediums vor allem auf aktuelle Titel, die es dem Kunden erlaubten, sich durch die aktuellen Möglichkeiten des Films von den Vorteilen der DVD überzeugen zu können. Filmtechnik und Distribution sollten aufzeigen, was in ihren Mitteln stand. Doch gerade diese Umstellung hatte zur Folge, dass die Klassiker der Filmgeschichte wie auch die Filme, die den Grundbestand der Videotheken begründeten, aussortiert wurden. Das sich stetig reaktualisierende Archiv kommt nie deutlicher zum Tragen als bei der Umstellung der Technik. Infolgedessen kam es außerdem zur letzten Formation eines Kassettenberges, den die Betreiber schnell und preiswert durch das letztmalige Verkaufen der Kassetten an die Kunden abtrugen. Genau in dieser Umbruchphase würde sich tatsächlich ein Teil der Mediengeschichte des Films in den Räumen der

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Videothek sichtbar konkretisieren. Das Gegeneinander der beiden Trägermedien, ähnlich dem Konkurrenzkampf der drei Videosysteme in den 1980er Jahren, bildet somit nur einen kleinen Einblick in die Technikgeschichte des Films, der nach kurzer Zeit aus den Räumen der Videothek verschwunden ist. Doch selbst wenn diese Umbruchphasen nur von kurzer Dauer waren, zeigten sie an, wie sich durch die Technik nicht nur die präsente Filmgeschichte in den Videotheken verändert hat und somit eine recht stabile Ausdifferenzierung vor Ort aufhob, sondern darüber hinaus, wie sich Filmgeschichte lediglich als eine Ausformung von Veröffentlichungspolitiken und deren Geschichte lesen lässt. Die Präsenz des expliziten Neuheitenregals wie auch die Umstellung auf ein neues Trägermedium bleiben trotz allem Ausnahmen, die der Aufhebung eines Nacheinanders sowie der fehlenden Möglichkeiten, Prozesse im Raum der Videothek deutlich zu machen, nicht diametral entgegenstehen. Konkret lässt sich dies auch hier an den Regalen der Videothek ablesen. Kaum eine Videothek kategorisiert ihre Bestände nach Produktions- oder Veröffentlichungsjahr172 und auch die Sortierung nach Genres, wie es die meisten Videotheken praktizieren, scheint sich einer für den Videofreund geschichts- wie zeitlosen Kategorie zu bedienen. Dass sich ein spezifisches Genre stets nur in seiner Formierung als Genregeschichte fassen und beschreiben lässt oder sich gar erst in dieser konstituiert und festigt, ist für den Videothekar wie auch den Kunden in der Videothek ohne Bedeutung, allein die Kommunizierbarkeit des Genrebegriffs sowie seine inhärent ordnende Kraft stehen hier im Vordergrund. Sind die Bestände der Videothek also zeitlos und lassen keine Entwicklung erkennen, lässt sich über einen anderen Faktor im Raum der Videothek der Versuch eines Narrativs und daraus auch einer Geschichte ableiten. Anzusetzen wäre in diesem Kontext beim Videothekenkunden, der in seinem Gang durch den Ort des Films ernst zu nehmen ist. Wichtig ist es daher, noch einmal zu rekapitulieren, was dem Mediennutzer in den 1980er Jahren mit dem Raum der Videothek eröffnet wurde. Nicht nur, dass mit der Durchsetzung der Videotechnologie Filmgeschichte in dieser Form überhaupt erst zu einer erfahrbaren Größe wurde, die haptisch erlebbar wurde, sondern auch die Tatsache, dass der Nutzer nun erstmals mit ihr in Berüh172

Rein organisatorisch ist dies einfach erklärt: Durch die permanenten Neuveröffentlichungen alter Filme würden diese Regale ständig reorganisiert werden müssen, um die Lücken zu suchen, die die Neuveröffentlichung geschaffen hat.

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rung gebracht werden konnte, scheint die Wichtigkeit des Umbruchs deutlich werden zu lassen, der durch die Festigung der Institution Videothek hervorgerufen wurde. Denn trotz des Fehlens eines explizit historischen Bezuges in ihren Räumen war es lange Zeit die Videothek und nicht das Filmmuseum, die -ausstellung oder -retrospektive, die als Schnittstelle zur Filmgeschichte fungierte, wenngleich auch diese Filmgeschichte den geschilderten spezifischen Merkmalen der Videotheken unterlag. Hierbei geht es nicht darum, pejorativ über den Nutzer der Videothek zu urteilen, der diese anderen Orte filmischen Wissens nicht aufsuchen kann, sondern allein um die Frage nach der Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und Integration in den Alltag der Mediennutzung der 1980er Jahre. Anders als die Videothek, die sich spätestens in den 1990er Jahren als fester Bestandteil der bundesdeutschen Alltagskultur etabliert hatte, bleibt dem Museum, der Ausstellung und auch dem Filmarchiv stets der Status des Exzeptionellen vorbehalten, der allein durch ihre Verbreitung wie auch Verfügbarkeit evident wird. Auch der Umgang mit den Möglichkeiten dieser Institutionen – und in diesem Kontext besonders im Falle des Filmarchivs – spielt eine wichtige Rolle, muss dieser doch erst erlernt wie erprobt werden und steht doch weiterhin stets unter dem Aspekt eines Zieles, welches mit der Arbeit in ihm erreicht werden möchte. Nicht nur dadurch unterscheidet sich das Flanieren durch die Räume der Videothek vom gezielten Suchen und Arbeiten mit und in den Archiven. Und auch die Ausstellungen und Museen unterliegen einer spezifischen und zeitgebundenen Fragestellung, die dabei stark auf die Mechanismen von Inklusion und Exklusion zurückgreift. Wenngleich diese Beobachtungen trivial erscheinen mögen, die altehrwürdige Institution des Museums mit dem populärkulturellen Phänomen der Videothek zu vergleichen, so ist es umso erstaunlicher, dass der Ort der Videothek bisher nicht als etwas erkannt wurde, was er in den 1980er Jahren darzustellen vermochte: die vorerst einzige Schnittstelle zur sichtbaren (und eben nicht nur lesbaren) Filmgeschichte, die aus der Hand des Kinos in die Hand des einzelnen Mediennutzers gelegt wurde. Dass die Filme somit direkt verfügbar wurden, mit nach Hause genommen werden konnten, um sich diese dort anzueignen, erscheint vor dem Hintergrund dieser Beobachtung so, als wären hier zwei Schritte auf einmal getätigt worden; denn nicht nur stand Film nun überhaupt neben dem Kino und dem Fernsehen für den Kunden zu Verfügung, er konnte auch über ihn bestimmten. Tatsächlich könnte dies mit ein Grund dafür sein, dass nicht nur die Angebote der Vide-

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othek starke Kritik evozierten, sondern auch der Nutzer beim ersten Besuch überfordert war, den Raum und dessen Angebot von Beginn an zu beherrschen. Doch erst durch diesen Nutzer kreiert der Raum der Videothek einen elementaren Bestandteil von Geschichte, nämlich das Narrativ, die Erzählung des Raumes und seiner Bestände, der – und dies ist hier die intendierte These – sich am Ort des filmischen Wissens immer nur in der dem Nutzer eigenen Erzählung konkretisiert. Der Aufenthalt des Kunden in der Videothek ist stets gekoppelt an den Aspekt des Wissens um das Medium Film selbst, welches er in die Räume der Videothek einbringt und durch seinen Aufenthalt dort aktualisiert, transformiert und vollständig neu generiert.173 Das Filmwissen, welches in den Raum der Videothek eingebracht wird, formiert sich so nicht nur durch diesen Raum selbst, sondern durch eine Vielzahl von Begegnungen mit dem Medium. Im Raum des Kinos, im Rundfunk und in der Presse, durch die Paratexte der Medien und die alltägliche Kommunikation über sie setzt sich ein Fundus zusammen, der nicht nur hilft, sich im Raum der Videothek zurechtzufinden, sondern auch in situ dieses Wissen zu prüfen, anzuwenden und zu verstärken. Dass es hierbei um mehr geht als die bloße Frage, ob der Nutzer einen spezifischen Film gesehen hat oder nicht, ist evident und ebenso geht es um mehr als die Fragen des bloßen filmischen Geschmacks, der sich in der Auswahl eines Filmes konkretisiert. Im Mittelpunkt steht das Wissen, das den Nutzer überhaupt erst dazu befähigt, im Raum der Videothek eine Entscheidung zu treffen, zu wissen, was ihm gefällt und warum und vor allem, wie er das, was er sucht, im Raum des Mediums findet. Im und am Ort der Videothek verbindet der Mediennutzer dieses Wissen um den Film mit den Angeboten des Raumes, um dieses zu hinterfragen, zu korrigieren oder zu bestätigen. Und erst durch dieses Wissen um den Film, welches oft stark verbunden ist mit der eigenen Film- und Mediensozialisation, bringt der Kunde die Geschichtlichkeit in die Geschäfte hinein. Fast schon, so könnte man vermuten, legt der Ort der Videothek es darauf

173

Die Deutung von Geschichte, die jeder neuen Generation eigen ist, gilt auch für die Filmgeschichte, wie Lorenz Engell im passenden Wortspiel der bewegten Geschichtsschreibung, der Kinematografie, nachgewiesen hat. Die Geschichte des Films in der Videothek kann so tatsächlich unter diesem Gesichtspunkt gefasst werden. Vgl. Lorenz Engell, Sinn und Industrie. Einführung in die Filmgeschichte, Frankfurt am Main/New York 1992, S. 12.

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an, geschichtslos zu bleiben, um den Kunden damit den Weg zur eigenen Geschichte zu eröffnen. Das Versprechen der Emanzipation von den Bedingungen des Kinos wie auch des Fernsehens wird in die Regale der Geschäfte weitergetragen, die nicht vorgeben, wie der Kunde auf diese zu reagieren hat, sondern dies vollkommen ihm überlassen. Was klingt wie die Erfüllung einer naiven Utopie befreiter Mediennutzung, kann tatsächlich im Zusammenspiel der medialen Praxis in den Videotheken beobachtet werden. Der Blick bei der Auswahl eines Filmes fällt nicht nur auf das, was man noch nicht rezipiert hat, sondern ebenso auf das schon Bekannte und Erlebte. Die bereits beschriebene Praxis des Fragens, ob der Nutzer einen bestimmten Film schon gesehen hat, führt nicht nur auf der einen Seite zur Kommunikation über den Film und zur Generierung neuen Wissens sowie zum Austausch von Informationen, sondern zugleich auch zum eigenen und individuellen Narrativ des Präsentationsortes der Videothek. Der Kunde selbst staffiert das Narrativ des Ortes aus und erzählt seine – hier bewusst doppeldeutig – Geschichte(n). Spätestens an dieser Stelle würde jegliche Form offizieller Filmgeschichte durch die Praxis des Kunden aufgelöst, indem er sie zu seiner eigenen macht, zu einer Form der Medienbiografie, die nicht nur einzigartig ist, sondern zudem ohne den Urheber nicht mehr nachvollzogen werden kann. Erst in der Kommunikation vor dem Regal konkretisiert sich die historische Dimension des eigentlichen Angebotes in den Videotheken, die den Gang in die Videothek nicht nur zu einem Erlebnis machen, sondern ihm gleichsam Ritualcharakter verleihen. Die Ansammlung von Paratexten, die Bilder auf den Hüllen, die Frage des eigenen Begleiters oder eines anderen Kunden, die hier Steine des Anstoßes bilden, sortieren das Wissen des Nutzers von und über den Film bei jedem Besuch neu. Die hergestellten Bezüge zu anderen Filmen, die sich aus seinen Erinnerungen speisen und nicht einmal zwangsläufig hörbar kommuniziert werden müssen, ziehen ein eigenes Narrativ in die Räume der Videothek, welches die physische Bewegung im Raum der Videothek zu bestimmen scheint. Eine vorgefertigte Linie und Wegstrecke, der der Kunde durch den Raum folgt, gibt es nicht, das eigene Narrativ und die eigenen Erinnerungen sowie Wünsche präfigurieren seine physische Bewegung im Raum. Die Anweisungen und Empfehlungen der Branche an neue Videothekare, zu überdenken, wie sie den Kunden durch ihre Läden führen können, scheint somit vergebens zu sein, wenn es darauf ankommt, durch interessante und vielsei-

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tige Filme den Kunden seine eigenen Linien entdecken zu lassen, die das Sortiment in seinen Augen ordnen. Demzufolge wird das, woran sich der Mediennutzer erinnert, zu einem Raster, das es erleichtert, sich durch die Videothek zu bewegen, um die überwältigende Masse an Filmen – und überwältigend bleiben sie meist, trotz der eingesetzten Ordnungskategorien – beherrschbar zu machen, um so die Möglichkeiten der Videothek vollends auszunutzen. Wichtig bleibt, festzuhalten, dass durch den Status der Videothek als popkulturelles Phänomen auch das in sie getragene und in ihr generierte Wissen dem Diktat des Populären zu unterliegen scheint. Es geht in der Videothek weder um das Letztgültige der Wissenschaft, noch um das Gute, Wahre und Schöne der Kunst, sondern um das, was den Nutzer als Teil seiner Freizeitgestaltung unmittelbar betrifft und sein Interesse am Film kennzeichnet. Erst dieses Zusammenspiel transformiert das Wissen um den Film zu einer Figuration des persönlichen Wissens über das Medium, welches kaum vergleichbar ist mit dem Wissen, das von Institutionen oder Einrichtungen als verbindlich angesehen werden muss. In der konkreten Situation der medialen Praxis der Videothek würde dieses Wissen ohnehin eher behindern als nützen.

3.2 Die Möglichkeiten eines Kanons Eng verbunden mit den Fragen nach Geschichte und Geschichtlichkeit des Mediums sind die Fragen nach der Kanonisierung von Medientexten, die sicherstellen, dass diese Medientexte über ihre eigene Zeit hinaus erhalten bleiben und rezipiert werden. Das ist zumindest der theoretische Anspruch des Begriffs. Ein Kanon galt lange Zeit als Begriff der Machtausübung der herrschenden Klasse, oder jener, die sich selbst in dieser Position behaupten wollte, die durch den Kanon aufzeigten und aufzeichneten, was erhaltensund wissenswert sein sollte und als Anweisung für alle jene galt, die diesen Kanon einzuhalten hatten. Ähnlich dem Archiv operiert auch der Kanon durch seine Mechanismen der In- und Exklusion in einer ihm eigenen Performativität; das, was nicht Eingang in den Kanon gefunden hat, kann sich sowohl als Rest formieren, den es zu ignorieren gilt, oder aber als Antikanon, dem jede Form von Kanonisierung gleichsam inhärent ist. Nicht jede Auflistung von Medientexten wird somit zum Kanon, aber jede dieser Auflistungen kann zur Formierung eines solchen Kanons genutzt werden.

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Daher gehen mit diesem Begriff die Figurationen der Liste sowie des Indexes einher, die aufzeigen, dass auch der Kanon sowie die Formierung eines Antikanons stets begleitet werden von Mechanismen der Bewertung174 wie auch der Zensur175. Bildet der Kanon das Ergebnis des Zusammenspiels von Inklusion und Exklusion, so legt die Zensur Mittel fest, die zu diesen führen sollen. Ein Ziel dieser negativen Ausformung eines Kanons ist es, jene Werke, die sich in ihm wiederfinden, dem Vergessen zu übergeben, um auf diese Weise Verbote aufzustellen und Wissensbestände von der Zirkulation auszuschließen. Dass durch diese Zusammenstellung gerade deren Gegenteil erwirkt wird, ist offensichtlich. Die Bücher, die zum Beispiel die christlichkatholische Kirche auf den Index setzte, erfreuten sich Jahrhunderte lang großer Beliebtheit beim Leser. Dies gilt gleichfalls für die Listen der durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften und der mittels der FSK indizierten und beschlagnahmten Filme. Diese kamen Sichtungslisten gleich, die dem Horrorfilmrezipienten erlaubten, gezielt nach dem zu suchen, was die momentanen Höhepunkte des Genres darstellten, wenn man nach Bildern visueller Transgression suchte. Die Aufmerksamkeitslenkung des Kanons funktioniert somit in beide Richtungen und schließt das Nicht-Intendierte immer mit ein. Gerade die Evidenz der Liste176 scheint den Vorwurf der Machtausübung zu aktualisieren. Auf der einen Seite geht es um die Möglichkeiten, mittels des Gesetzes oder anderer hier greifenden Mechanismen überhaupt erst derartige Listen aufzustellen, die stets über die bloße Aneinanderreihung der Titel hinausgehen. Denn das, was auf dem Index, auf der Liste und in einem Kanon steht, wird durch den mit ihm verbundenen Auftrag, der mit dieser Nennung und Aufreihung einhergeht, eingesammelt, gehortet und im schlimmsten Fall zerstört. Zugang und Nicht-Zugang, Aufbewahrung und Zerstörung gehen folglich mit denselben Mechanismen der Aufmerksamkeitslenkung und Machtausübung einher. Die Liste ist Mittel der Identifikation und Anweisung, was durch die eine Liste zerstört werden soll, soll durch die andere gesichtet und begriffen werden. Auf der anderen Seite wird allerdings noch ein 174

Vgl. dazu. Jochen Schulte-Sasse, Literarische Wertung, Stuttgart 1971.

175

Vgl. dazu Heiko Christians/Nikolaus Wegmann, Artikel Zensur. In: Pethes/ Ruchatz, Gedächtnis und Erinnerung, S. 667 f. sowie Aleida Assmann/Jan Assmann (Hrsg.), Kanon und Zensur, München 1987.

176

Vgl. Irmela Schneider, Die Liste siegt. In: Michael Cuntz u. a. (Hrsg.), Die Listen der Evidenz, Köln 2006, S. 53-64.

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anderer Aspekt der Macht des Kanons deutlich, der denen zukommt, die den Kanon beherrschen. Hier steht ein weiteres Moment der kulturtheoretischen Formation des Begriffes im Mittelpunkt, nämlich die Möglichkeiten einer Komplexitätsreduktion, die erst durch den Kanon durchführbar ist. Abseits der Fragen nach Ge- und Verboten ordnet der Kanon, vorerst unerheblich, wer der Autor desselbigen ist, Texte, die aus der Menge aller vorhandenen Texte entnommen werden. Auch diesem Aspekt des Kanons wohnt der Anspruch inne, die aufgeführten Texte zu kennen, sie zu rezipieren, zu lesen oder, in Bezug auf das Medium Film, sie zu sichten. Stehen also die Komplexitätsreduzierung und die Fragen der Selektion auf der einen Seite des Kanons, so schafft er auf der anderen Seite durch seine Ausformierung eine Gesprächsgrundlage. Einen Kanon zu erstellen und seine Durchsetzung zu behaupten, schafft gemeinsame Kommunikation und setzt auf die Möglichkeit der Zirkulation von Wissen. Die Beherrschung des Kanons soll in eine gelingende Arbeit mit diesen Texten transformiert werden, denn das, was als bekannt vorausgesetzt wird, konkretisiert sich nur noch im Modus der Wiederholung. Gerade im schulischen oder universitären Bereich werden mit der Hilfe eines Kanons Texte aufgezählt, die ein Student der Philologie bis zu einer gewissen Stufe seiner akademischen Ausbildung gelesen haben sollte. Nicht zuletzt hier wird die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eines Kanons evident. Die Aporie, in die jedwede Rede von Kanon jedoch führen kann, findet sich in der Tatsache, dass meist nicht ein, sondern mehrere Kanons sich gegenüberstehen und auf ihrer Gültigkeit beharren.177 Gleichgültig, ob als Mittel der Machtausübung oder als Form der Komplexitätsreduktion: Die Möglichkeiten mehrerer Kanons scheinen im besten Fall zu irritieren. Ist es bezogen auf inhaltlich relevante mediale Erzeugnisse heute „unstrittig“178, dass es eine Form des Minimalkanons der Literatur gibt, so erscheint dieser Begriff angesichts des Mediums Film durch viele verschiedene Einflüsse schwieriger durchzusetzen zu sein. Festzuhalten ist dabei, dass es zu jedwedem kulturellen Erzeugnis, von der Literatur und dem Theater über

177

Der eigentliche und korrekte Plural von Kanon, Kanones, zeigt an, wie falsch sich das Wort in der deutschen Sprache liest und wie die angesprochene Aporie der Begrifflichkeit durch diesen Plural aufgezeigt wird.

178

So zumindest laut Heiko Christians, Artikel Kanon. In: Pethes/Ruchatz (Hrsg.), Gedächtnis und Erinnerung, S. 295-298, hier: S. 295 in Bezug auf einen „Minimalkanon der Weltliteratur“.

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den Comic hin zur Fernsehserie und dem Computerspiel, einen Kanon geben kann, der sich noch in die einzelnen Unterkategorien der jeweiligen Medien – Gattung, Genre wie auch Formate – auffächern kann. Zentral ist vor allem, dass, und dies führt zum Plural des Begriffs, der Kanon von anderen akzeptiert und als verbindlich angesehen wird. Dies bezieht sich nicht nur auf seine einzelnen Bestandteile und Rangordnungen, sondern auch auf die Notwendigkeit eines Kanons überhaupt, der in seinem Dasein als brauchund nutzbar angenommen werden muss. Denn selbst das Hinterfragen eines Kanons setzt voraus, dass es zu einer produktiven Auseinandersetzung mit seinen Inhalten und Aussagen kommt. Diese Kanonkritik, die nicht nur den Machtanspruch des Begriffs, sondern gleichsam seine Nützlichkeit hinterfragt, stellt sicher, dass der Kanon, dem Archiv hier nicht unähnlich, fähig bleibt, sich zu wandeln und dem geschichtlichen Verlauf anzupassen. Im besten Fall bleibt demzufolge ein Kanon nicht geschlossen, sondern kann jederzeit reformuliert werden, um alte Teile auszutauschen und neue aufzunehmen. Die stetige Neubewertung von kulturellen Texten in den Philologien, aber auch in der Filmwissenschaft, die sich mit dem Flüchtigen und stets Neuauszuhandelnden der Geschichtswissenschaft treffen, führt genau zu diesem Umstand, dass alte mediale Erzeugnisse neu in einen Kanon aufgenommen werden können, die wiederentdeckt oder neu analysiert wurden. Obwohl diese Mechanismen und Einwände gleichsam für einen Kanon des Mediums Film gelten mögen, soll dennoch zur der Frage zurückgekehrt werden, warum diese Kanonbildung für das Medium eben nicht unstrittig ist, sondern scheinbar immer neu ausgehandelt werden muss.179 Dies mag unter anderem damit zusammenhängen, dass es dem Film in den ersten dreißig Jahren seiner Existenz schwer fiel, sich als eigenständige Kunstform, vor allem im Ensemble der anderen Künste, zu etablieren. Die Versuche, dies durchzusetzen, reichen von den Ausformungen eines frühen Autorenfilms, der das neue Medium in die Nähe der schon etablierten Formen von Literatur und Theater heranrücken sollte, bis hin zu den Versuchen der Avantgarde der 1920er Jahre, die auf der eigenen Sprache des Mediums bestand,

179

Wenngleich der Autorenfilm durchaus Teil eines filmischen Kanons ist, wäre zu fragen, ob es greift, will man dem Medium Film gerecht werden, sich nur auf diesen Aspekt zu beziehen. Vgl. Heinz-B. Heller, Kanonbildung und Filmgeschichtsschreibung. In: Knut Hickethier (Hrsg.), Filmgeschichte schreiben. Ansätze, Entwürfe, Methoden. Dokumentation der Tagung der GFF 1988, Berlin 1989, S. 125-133.

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die sich von den Bedingungen und den Einschränkungen der alten Medien emanzipieren sollte. Gerade in Deutschland mag ebenso die Erfahrung mit den Bildpolitiken des Nationalsozialismus sowie die breit rezipierte Theorie der Kulturindustrie der Frankfurter Schule durch Horkheimer und Adorno180 eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben, einen Filmkanon zu erstellen, der gleichfalls das Adjektiv unstrittig verdient. Denn wie jeder Kanon würde auch ein filmischer Kanon bemüht sein, eine Antwort auf die Frage zu finden, was der Mediennutzer grundsätzlich vom Film wissen muss. Zweifelsfrei hatte es schon vor den 1980er Jahren Versuche der Formierung eines Kanons bezüglich des Mediums Film gegeben, doch stand hierbei ein Aspekt, der seine Aufstellung erst konstituiert, weniger im Vordergrund, als es mit dem Aufkommen der Videotechnik der Fall gewesen war. Gemeint ist die Frage nach der als zweifelsfrei erachteten Notwendigkeit, die gegeben sein muss, um einen solchen Kanon in Angriff zu nehmen. Ein zentrales Moment mag sicherlich die Masse an Filmen gewesen sein, die dem Nutzer durch die Angebote der Videotechnik wie auch der Videothek Anfang der 1980er Jahre zur Verfügung stand und die die Notwendigkeit einer Form von Komplexitätsreduktion einer deutlichen Virulenz zuführte. Bevor jedoch dieser Frage nachgegangen werden soll, die in den Raum der Videothek zurückführt, soll darüber hinaus ein anderer Aspekt berücksichtigt werden, der eng mit der Ausstaffierung eines Kanons zusammengeht und zugleich ein gewisses Misstrauen gegen die Aufstellung eines filmischen Kanons evoziert. Zu oft wurde und wird Kanon gleichgesetzt mit sogenannten Besten-Listen.181 Solche Listen von Filmen beziehen ihre Evidenz meist aus ökonomischen oder künstlerischen Aspekten der Kino- und Filmindustrie. Häufig führen jene Filme diese Listen an, die an den Kinokassen den größten Gewinn einspielten und sich perfekt vermarkten ließen.182 Obgleich auch dies eine Form des Kanons und der Komplexitätsreduktion sein kann, entsteht hier doch die Problematik einer inhärenten und durch diese Listen 180

Vgl. Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt am Main 2006, S. 128 ff.

181

Zur Kritik und Geschichte dieser Listen vgl. Thomas Koebner, Artikel Kanon/Wertung. In: ders., Reclams Sachlexikon des Films, S. 336-339.

182

Ein anderer, vielleicht von der Ökonomie nicht in solch starkem Maße wie gewünscht zu trennender Aspekt wären die Preise, die einem Film zugestanden werden, allen voran hier der US-amerikanische Oscar, der trotz aller gegenläufigen Bemühungen nicht nur durch den europäischen Autorenfilm immer noch von vielen Filmfreunden als Qualitätsmerkmal anerkannt ist.

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gefestigten Hierarchisierung; der Film, der am erfolgreichsten war, führt nicht nur diese Form der Liste an, sondern wird zusätzlich durch den eigenen Imperativ verschärft, dass es sich gleichzeitig um einen guten Film handeln soll. Ein Kanon hingegen gliedert seine interne Organisation eher durch die Ausformungen einer Chronologie oder den simplen Aspekt des Alphabets. Doch gerade in Bezug auf das Medium Film wurden diese Besten-Listen von Zeitungen und Magazinen als ein beliebtes Mittel angesehen, Filme zu ordnen und zu sortieren, um sich durch den eigens aufgestellten Kanon von ähnlichen Versuchen abzugrenzen183; sowohl der internationale wie auch nationale Zeitschriftenmarkt setzt nahezu jährlich diese Listen als Zeichen dafür an, die in ihnen gebündelte Kompetenz für das Erstellen derartiger Aufzählungen zu versammeln, um möglichst große Zustimmung bei den und durch die Leser zu erhalten. Zwei Gründe zeugen jedoch vor allem mit Beginn der 1980er Jahre davon, dass es zumindest nötig gewesen wäre, eine Form des Kanons zu erstellen, die dem Mediennutzer in der sich verändernden Medienwelt Orientierung hätte bieten können. Doch gerade in Bezug auf die mediale Praxis der Videothek wird deutlich, wie sehr der Begriff des Kanons eingenommen ist von seinem stillen Imperativ, der aufzeigen will, was der Nutzer sehen soll, statt selbst zu entscheiden, was er sehen möchte. Der Moment des eigenen filmischen Geschmacks, des Gefallenfindens an bestimmten Filmen, Regisseuren und Genres muss in der Videothek ernst genommen werden. Beworben werden durch den jeweiligen Betreiber der Videothek zwar die Neuheiten, die eben durch ihren Status als Neuheit Einnahmen versprechen, der eigentliche Bestand jedoch nicht. Wenn der Kunde sein eigenes Narrativ in die Videothek einbringt und durch ihre Bestände deren Geschichtlichkeit aus der eigenen Medienbiografie ableitet, so stellt er selbst seinen eigenen Kanon auf, der als Filmempfehlung oder wiederholte Lektüre sich konstituiert und festigt. Gleich dem spezifischen Narrativ anderer Kunden, das keine Bedeutung für den einen Nutzer haben mag, erweist sich deren privater Kanon ebenfalls als nebensächlich und nicht verfolgenswert.184 183

Die Ausformung dieser Versuche hat sich in den von großen Zeitungen und Zeitschriften herausgegebenen DVD-Reihen haptisch manifestiert.

184

Tatsächlich findet sich in Onlinevideotheken wie auch in Internetversandhäusern ein unglaubliches Interesse, die eigenen Besten-Listen für andere Kunden sichtbar zu veröffentlichen. Was allerdings der Sinn dahinter sein mag, vor dem eigenen Kauf oder der Rezeption eines Films auf diese Listen zurückzugreifen, erschließt sich nicht vollends.

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Trotz dieser Begrenzung der Möglichkeiten eines Kanons im Raum der Videothek lassen sich zwei Momente fassen, die diesen nicht nur 1980 nötig erscheinen ließen. Der erste Grund für einen benötigten Kanon lässt sich im Nebeneinander von Filmgeschichte wiederfinden, wie sie den Ort der Videothek ausmacht. Das zeitlose Nebeneinander aller Produkte der Filmgeschichte – genauer gesagt, aller bis dahin auf Video veröffentlichten und eingekauften Produkte der Filmgeschichte – fordert eine Orientierung im Raum. Zwar kreiert der Mediennutzer sich diese durch einen regelmäßigen Gang in die Videothek sowie durch seine Beschäftigung mit dem Medium Film, doch braucht es den Moment, an einer Stelle in dieses geschaffene Narrativ einzusteigen. Dies kann einerseits durch den Einbruch der Neuheiten in das Archiv der Videothek, andererseits durch die Empfehlung des Videothekars oder eines anderen Kunden, der für sich schon eine Form der Komplexitätsreduktion geschaffen hat, die der neue Kunde für sich erst finden muss, gelingen. Gerade diese Neuheiten führen in den Räumen der Videotheken zu Besten-Listen, die sich ähnlich wie Charts und Bestsellerlisten aus den addierten Verleihvorgängen innerhalb der Branche ergeben und sich somit gänzlich dem Primat der wirtschaftlichen Ertragskraft unterordnen. Sie bieten die einzige Möglichkeit, das Programm der Videothek allein über temporale Kategorien zu ordnen und zu beherrschen. Eine weitere Hilfe, die neben der Beratung durch den Raum der Videothek selbst offeriert wird, ist das sogenannte Regal mit Klassikern.185 Wenngleich dieser Begriff zu hinterfragen ist, bietet er doch in der Videothek die einzige Formierung eines Kanons, wie er im herkömmlichen Sinne zu verstehen ist. Die Autorität, der sich der Kunde hierbei unterordnet, wenn er sich aus diesem Regal bedient, ist die des Videothekars selbst, dessen Entscheidungen bei der Gestaltung dieser Kategorie durch den Blick des Kunden auf das Regal nicht direkt offenbar werden. Das Regal der Klassiker unterscheidet sich daher in der Regel von Videothek zu Videothek.186 185

In Buchform findet dieses Regal der Klassiker vielleicht einen Gegenpart in den von der Mainzer Filmwissenschaft herausgegebenen Bänden der Filmklassiker. Vgl. Thomas Koebner (Hrsg.), Filmklassiker. Band 1-4, Stuttgart 1995 und Folgeauflagen.

186

Das Regal der sogenannten Klassiker kann sich auch als Regal des anspruchsvollen oder des besonderen Films konkretisieren; wenngleich es auch vorkommt, dass alle drei Kategorien genutzt werden, ohne dem Kunden deutlich zu machen, welches Kategorisierungsmerkmal hier vom spezifischen Videothekar herangezogen wurde.

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Tatsächlich wird am Sonderfall eines Klassikerregals ein anderes Problem evident, welches auf das Back-Programm der Videotheken rekurriert. Demzufolge gibt es keine verbindlichen Regelungen, die festlegen, was eine Videothek bereitstellen muss und was nicht. Meist wird dies tatsächlich durch die möglichen Einnahmen, die ein spezifischer Film erwirtschaftet, bestimmt. Allein aus diesem Grund wird deutlich, warum die Videothek keinen übergreifenden Kanon erstellen kann, der über ihren eigenen Bestand hinausgeht. Was zuvor eine Freiheit des Kunden war, diesen selbst zu kreieren, wird unter diesem Aspekt zu einem Zwang, der dem Nutzer keine andere Wahl zu lassen scheint, als genau das zu tun. Dient in der eben beschriebenen Hinsicht der Begriff des Kanons eindeutig als Komplexitätsreduzierung, die dem Kunden hilft, den Kassettenbestand der Videothek für sich selbst zu ordnen, so scheint ein zweiter Aspekt den Begriff des Kanons in den 1980er Jahren und ebenso darüber hinaus notwendig gemacht zu haben. Diese Notwendigkeit bezieht sich stark auf die Frage nach dem pädagogischen Impetus eines Kanons, also nicht nur auf die Frage, was durch ihn vermittelt werden soll, sondern für welche Gruppen er überhaupt geeignet ist. Die Nachfrage des Kunden nach guten, wichtigen und sprichwörtlich sehenswerten Filmen, die sich individuell gestaltet, wird nicht mehr ausgehandelt unter dem Aspekt der Ästhetik, der Narration und des persönlichen Gefallens, sondern anhand der Frage, ob der Film für den spezifischen Mediennutzer geeignet ist. Obwohl hier ein starker Bezug zu den Debatten des Jugendschutzes der 1980er Jahre hergestellt werden soll, lässt sich diese Forderung auch auf die heutige Diskussion beziehen, was spezifische Nutzer rezipieren sollten und was nicht.187 Wenn auf der einen Seite durch die Berichterstattung der 1980er Jahre in Presse und Rundfunk und die Arbeit der BPjS und FSK eindeutig war, was sich nicht zur Sichtung eignete, hätte gleichsam ein Gegenprogramm entwickelt werden können. Ein derartiger Kanon empfehlenswerter Filme hätte es Kindern und Jugendlichen erlaubt, einen positiv konnotierten Umgang mit dem Medium Video zu erlernen. Bezeichnenderweise allerdings fehlen genau diese Schritte in den Schriften der Medienpädagogik der 1980er Jahre, der es bevorzugt darum ging, auf das hinzuweisen, was nicht konsumiert werden durfte statt 187

So ist es kaum verwunderlich, dass der 2005 veröffentlichte Filmkanon aus einer Zusammenarbeit zwischen Filmwissenschaftlern und der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden ist. Vgl. Alfred Holighaus u. a. (Hrsg.), Der Filmkanon. 35 Filme, die Sie kennen müssen, Berlin 2005.

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Gegenbeispiele aufzuzeigen. Dadurch wurde der Eindruck evoziert, dass das Medium Video so oder so keinen Teil der Freizeitgestaltung von Kindern und Jugendlichen darstellen sollte. Verstärkt wurde dies durch den Umstand, dass Kindern und Jugendlichen der Zugang zu den Geschäften verwehrt wurde. Damit wurde diese Nutzergruppe in einem weiteren Schritt von einem kreativen und selbstentdeckenden Umgang mit dem Medium ausgeschlossen. Zwar konnten die Kinder weiterhin ihre Wünsche äußern, was die Eltern für sie leihen sollten, doch die Erfahrung, selbst an den Regalen der Videothek aussuchen zu können, Selektion zu lernen und das Narrativ und den Kanon der Videothek schon früh als Teil der eigenen Medienbiografie zu entdecken, blieb verwehrt.188 Erst mit einer stärkeren Verbreitung von Familienvideotheken Anfang der 1990er Jahre schien diese Möglichkeit auch für jüngere Menschen zu bestehen. Gerade vor diesem Hintergrund wäre ein positiv gewendeter Kanon von großem Nutzen gewesen. Mögliche Spielarten eines solchen blieben infolgedessen weiterhin im wahrsten Sinne des Wortes Privatsache.189

188

Obgleich es Überlegungen gab, den Umgang mit der Videothek aufzuzeigen: vgl. Wolfgang Zeller, Wie funktioniert eine Videothek? Lernzuwachs durch verantworteten Medieneinsatz. In: Pädagogische Welt. Zeitschrift für Unterricht und Erziehung 7/1985, S. 308-309.

189

Tatsächlich wurde ein derartiger Kanon durch die Bibliotheken erstellt: Vgl. Klaus-G. Loest, Gute Filme? Gute Filme! 1000 Videos der Stadtbibliothek. Bestandsverzeichnis der in der Stadtbibliothek Bielefeld angebotenen Videokassetten mit Besprechungen, Inhaltsangaben und Alterskennzeichnungen, Berlin 1986. Auch die Medienarbeit der katholische Kirche bemühte sich, Gegenangebote zu erstellen: vgl. Zentralstelle Medien der Deutschen Bischofskonferenz, Das VideoVerleih-Modell der Katholischen Kirche „Videogalerie“. Abschlußbericht, Bonn 1987.

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3.3 Der Star zum Anfassen: das Starsystem der Videothek „I’m gonna swing by the video store. I was thinkin’ Tom Cruise in ,All the Right Movesʻ. You know, if you pause it just right, you can see his penis.”190

Wie schon das Kino, so konzentriert sich die Vermarktung des Films im Raum der Videothek auf das Image des Stars, um durch und mit ihm in den Besuchern ein Interesse an einem Film zu evozieren. Was durch seine Anwesenheit im Film Erfolg an den Kinokassen verspricht, setzt sich in der Videothek fort. Der Star ist immanenter Bestandteil der brancheninternen Regel, dass einer ertragreichen Kinoauswertung meist eine ähnlich gewinnbringende Auswertung in den Videotheken folgt. Wenngleich es den Anschein erwecken mag, dass sich hier die Videothek gerade mit und durch den Star mehr denn je als Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln verstehen lässt, sind zwei Beobachtungen in Bezug auf den Star und den Nutzen des Starsystems in und für den Ort der Videothek festzuhalten. Auf der einen Seite formiert der Star ein Ordnungssystem innerhalb schon bestehender Kategorien. Demnach bilden zum Beispiel die Filme Arnold Schwarzeneggers, Sylvester Stallones oder Bruce Willisʼ unter der Kategorie des Actionfilms eine Einheit, während die Filme Jim Carreys auf der Komödienwand zusammenrücken. Die denkbar einfache Intention dahinter ist, dass bei der Suche nach einem spezifischen Film, der sich durch die Präsenz eines Stars auszeichnet, andere Filme mit demselben Schauspieler in greifbarer Nähe zu positionieren sind. Der Star im Regal der Videothek wirbt damit für sich selbst und zugleich für die anderen Produkte, die seinen Namen tragen. Der Videothekar hat die Möglichkeit, innerhalb des Regals eine Werkschau eines Schauspielers wie auch eines Regisseurs zu präsentieren; meist jedoch an die Voraussetzung gebunden, dass der jeweilige Star einem einmal gewählten Genre erhalten bleibt. Schauspieler, wie den bereits erwähnten Arnold Schwarzenegger oder Jim Carrey gegen einen etablierten Rollentypus zu besetzen, birgt somit nicht nur eine Gefahr für das Filmstudio, welches die Erwartungen der Zuschauer an die Rolle des

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SCREAM, TC 00:24:27h. Bei ALL THE RIGHT MOVES [dt. DER RICHTIGE DREH]; R: Michael Chapman, USA 1983, handelt es sich um ein US-amerikanisches Sportlerdrama, in welchem Tom Cruise die Hauptrolle spielt.

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Schauspielers zu enttäuschen droht, sondern auch für die Möglichkeiten der Videotheken, die Anordnungen des einzelnen Genres durch die Person des Schauspielers weiter ordnen zu können und so für den Kunden beherrschbarer zu gestalten.191 Der Schauspieler als Star und Werbeträger par excellence erfordert vom Videothekar ein großes Maß an Flexibilität, ist er doch aufgefordert, seine Ordnungen durch den Star stetig zu verändern. Der neue Film eines Schauspielers, aber ebenso sein Geburts- wie Todestag können genutzt werden, um alte Filme wieder einer neuen Aktualität zuzuführen, die vom Videothekar nicht nur die Fähigkeit verlangt, seine Bestände neu zu ordnen, sondern zugleich aus einem ausreichend differenzierten Back-Programm wählen zu können. Wenngleich ein Großteil der Videofachzeitschriften sowie der Ikarus des IVD seit Beginn des Heimvideomarktes über alle Stars des Filmgeschäftes berichteten, um den Videothekar über die Entwicklungen in der Filmindustrie zu informieren, so konzentriert sich die Videothek bis heute maßgeblich auf den in Hollywood aufgebauten und etablierten Star.192 Diese Form der Konzentration wird nicht nur durch die Videothekare betrieben, sondern außerdem durch die Verleiher und die hinter ihnen stehenden Anbieter aus den USA selbst. Je größer eine Produktion war und ihr Status als Blockbuster an den Kinokassen Geltung fand, um so mehr wird der nachträgliche Verleihstart mit Merchandising und Werbung ausgestaltet, die dem Videothekar zur Verfügung gestellt werden. Vom regulären Filmposter über den metergroßen Pappaufsteller bis hin zu kleinen Geschenken an die Leihkundschaft193 wird weiterhin meist jener Film beworben, der durch seinen öffentlichen Erfolg eigentlich keiner Werbung mehr bedürfte. 191

Dabei finden sich sowohl in der Filmografie Arnold Schwarzeneggers als auch in der Jim Carreys Beispiele, bei denen die Besetzung gegen das etablierte Bild des Schauspielers in der Öffentlichkeit durchaus funktioniert hat. Bei Schwarzenegger in TWINS [dt. TWINS – ZWILLINGE]; R: Ivan Reitman, USA 1988, KINDERGARTEN COP; R: Ivan Reitman, USA 1990 und JUNIOR; R: Ivan Reitman, USA 1994, bei Jim Carrey in THE TRUMAN SHOW [dt. DIE TRUMAN SHOW]; R: Peter Weir, USA 1998, MAN ON THE MOON [dt. DER MONDMANN]; R: Milos Forman, USA u. a. 1999 und ETERNAL SUNSHINE OF THE SPOTLESS MIND [dt. VERGIß MEIN NICHT]; R: Michel Gondry, USA 2004.

192

Anders in den Programmvideotheken, auf die im folgenden Kapitel näher einzugehen sein wird.

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Obwohl es sich wahrlich um keine Hollywoodblockbuster handelte, wurde beispielsweise der Alexander Payne-Film SIDEWAYS (USA 2004) in den Filialen der World of Video-Videotheken damit beworben, dass jeder (erwachsene) Kunde

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Gerade bezüglich der Werbung für und mit einem Star im Raum der Videothek ist ihr bereits erwähnter Charakter als Fortsetzung des Kinos mit anderen Mitteln am deutlichsten zu erkennen. Hinsichtlich dessen spielt die Kopientiefe eines Films eine immanent wichtige Rolle: Eine Regalwand der Videothek, die vom obersten bis zum untersten Regal ein und denselben Film wieder und wieder nebeneinanderstellt, schafft eine Form von Werbung, die weder das Fernsehen noch das Internet erreichen kann, die bloß nacheinander und nicht nebeneinander auf Wiederholung zu setzen vermögen. Wie bereits erwähnt, zeugt die Anzahl eines Films im Raum der Videothek von seinem Erfolg an den Kinokassen, von dem hinter der Produktion stehenden Etat und dem erhofften Gewinn, den der Film durch die Videothek erwirtschaften soll. Eine ganze Regalwand, die immer wieder durch das Cover ein und desselben Films den Kunden adressiert, setzt den Star in den Mittelpunkt eben jener Cover und damit ins Bild der videothekseigenen Regalwand. Der Star wird zur omnipräsenten Werbeikone des Films, der sich der Kunde kaum zu entziehen vermag. Obschon diese Beschreibung auf den Raum der Videothek selbst rekurriert, wurde dem Nutzer durch das Zusammenspiel von Videokassette und -recorder die Möglichkeit eröffnet, nicht nur über den einzelnen Film, sondern gleichzeitig über den Star konkret zu verfügen. Endete der Film mit dem Abspann im Kino, war auch der Blick auf den Star beendet, der ähnlich wie die Erinnerung an den Film einzig über seine Paratexte handhabbar wurde. Der allzeitige Aufschwung von Reportage- und Klatschmagazinen, welche live aus dem Leben des Stars berichten sollen und im Zeitalter von Fernsehen und Internet eine neue Spezifik wie auch Bedrohung für den Star erhalten haben, sind eine Begleiterscheinung, die nach dem möglichen Besitz des Stars auf der Videokassette im heimischen Regal fortgesetzt wurde. Das Verfügen über den Star, der durch die Videothek beworben, immer und immer wieder angesehen werden kann, ohne an die Spielpläne und Programme von Kino und Fernsehen gebunden zu sein, wird durch das Stoppbild, die Rück- und Vorspultaste noch erweitert und in eine nahezu völlige

eine 0,2 Literflasche Rotwein erhielt. Ein kleines Töpfchen Marmelade erhielten die Kunden hingegen bei einem Verleihvorgang des Films LES CHORISTES [dt. DIE KINDER DES MONSIEUR MATHIEU]; R: Christophe Barratier, BRD/CH/F 2004. Vgl. WoV mit „köstlichem“ Bonus zu „Monsieur Mathieu“. http://www.media biz.de/video/news/wov-mit-koestlichem-bonus-zu-monsieur-mathieu/172958? Status=RS (Zugriff 01.04.2014).

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Verfügbarkeit umgeleitet.194 Nicht umsonst setzten die Videotheken lange Zeit auf Werbung, die aufzeigte, wie man durch sie die Stars nach Hause holen konnte, um so ein Teil der Traumfabrik besitzen zu können. Nicht immer muss diese Form der Verfügbarkeit in eine pathologisch bedenkliche Form der parasozialen Interaktion führen. Wenn die Videothek somit das Starsystem Hollywoods in ihrem Sinne reproduziert wie fortsetzt, bleibt eine weitere Fragestellung bezüglich der Funktion des Stars im Rahmen der Möglichkeiten der Videothek offen: Wenn die Videothek lediglich auf die Stars zurückgreift, die ihren Status durch das Kino erworben haben, ist fraglich, ob die Videothek durch ihre mediale Praxis in der Lage ist, durch das Zusammenspiel von Angebot und rezipierendem Kunden einen eigenen Star zu produzieren. Dass diese Frage für die Videothek der 1980er Jahre vielleicht anders zu beantworten ist als für die zeitgenössischen Leihgeschäfte im Zeitalter des Internets, welches durch die Kurzlebigkeit des schnellen Klicks jede Woche neue Stars produziert, scheint offensichtlich. Versuchte die Videothek das Verständnis vom Star fortzusetzen, welches das System Hollywoods und das Kino etabliert hatten, so ist die fortdauernde Währung des Internet-Stars – die Aufmerksamkeit195 – häufig nur noch von kurzer Dauer. Infolgedessen ist zu fragen, ob die Videothek Bekanntheit und Aufmerksamkeit auf eine spezifisch andere Form evozieren und binden kann, als es die anderen Medien vermögen. Gerade die Debatten um die Verschärfungen des Jugendschutzes in den 1980er Jahren haben gezeigt, dass im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Diskurs Aufmerksamkeit auf bestimmte Filme gezogen wurde, die ohne diese Werbung gegebenenfalls schnell(er) wieder vergessen worden wären. Allerdings handelte es sich in diesem Fall meist um Filme, die bereits vorher im Kino konsumiert werden konnten und nach dem Einschreiten des Jugendschutzes eben nicht mehr in der Videothek zu entleihen waren. Einem Schauspieler jedoch zu einem nationalen oder gar internationalen Durchbruch zu verhelfen, ihn allein durch den Heimvideomarkt bekannt zu machen, liegt nicht in den Möglichkeiten der

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Vgl. dazu das einführende Zitat in diesem Kapitel.

195

Denn anders als der Kino-, Film- und Fernsehstar verfügt der Star des Internets meist nur über die Währung der Aufmerksamkeit und nicht über finanzielle Einnahmen durch seinen Auftritt im öffentlichen Leben. Vgl. zur Frage der Aufmerksamkeit: Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf, München u. a. 2002.

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Videothek. Voraussetzung eines solchen Stars wäre, dass dieser vorher nicht durch Kinofilme und auch nicht durch das Fernsehen einer Vielzahl von Zuschauern bereits bekannt sein dürfte. Allein durch die Direct-to-VideoVeröffentlichungen und Videopremieren wäre ein solcher Fall gegeben; doch wurden diese meistens nicht nur in geringerer Stückzahl von den Videotheken erworben, sondern überwiegend mit wenig werbewirksamen Mitteln in Szene gesetzt, über den Status eines Geheimtipps kommen viele bis heute nicht hinaus. Tatsächlich gab es in den 1980er Jahren Versuche, erfolgreiche Videopremieren nachträglich im Kino auszuwerten, dennoch reichte diese umgekehrte Form der Verwertungskette nicht aus, um aus den Reihen der Schauspieler dieser Filme neue Stars zu rekrutieren. Richtig bleibt somit, dass die Videothek einen Star zwar bekannter, nicht aber bekannt machen kann. Wenn hingegen die Videothek keinen Star produzieren kann, die Aufmerksamkeit des Zuschauers, die schon das Kino weckte, höchstens reproduziert, so existiert eine Ausnahme, die der Videothek eine eigenständige Möglichkeit eröffnet, einen Star zu kreieren. Diese Ausnahme betrifft das Genre, welches gemeinhin am wenigsten mit dem Begriff des Stars in Verbindung gebracht werden mag: den Pornofilm. Hier muss eine Unterscheidung getroffen werden zwischen dem US-amerikanischen und dem bundesdeutschen Starensemble, auf welches der Pornofilm zurückgreifen kann. Obwohl sicherlich der deutsche Pornofilmmarkt stark beeinflusst war und ist von US-amerikanischen Firmen und Produktionen, so gelingt es bis heute kaum, die Stars der Branche, die auch weiterhin nach dem golden age of porn vorhanden sind, zu importieren. Der Titel des Kapitels zum Pornofilm Video killed the Pornostar ist dabei doppeldeutig und bedarf in Bezug auf die eben gestellte These einer gesonderten Erklärung. Einerseits rekurrierte der Titel vor allem auf das Ende einer Pornografie, die sich stark als Teil der Populärkultur verstand und partiell darum kämpfte, als Kunst anerkannt zu werden. Andererseits bedeutete Video nicht das Ende des Pornostars, sondern eine Transformation desselbigen. Der Star des Pornokinos wurde zum Star des Heimvideomarktes. Angesichts dieses historischen Befundes kann es unter Umständen tatsächlich funktionieren, dass es zu einer Form der Starbildung kommt, die nicht über das Kino gestaltet wird, sondern hauptsächlich über die Form der Videokassette und DVD. Zwar gab es sowohl in den USA als auch in Deutschland nach dem Ende der 1970er Jahre Pornokinos, doch nahm ihre Zahl in der Konkurrenz

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zum Heimvideomarkt deutlich und stetig weiter ab, stärker besucht als die Videotheken wurden sie ohnehin nicht. Allerdings setzten beide in erster Linie nicht auf die Vermarktung eines Stars, der die jeweiligen Filme bewerben sollte, sondern auf das Sujet der Pornografie schlechthin. Ein Star des Genres kann sich so meist bloß durch das Entleihen und den Konsum der jeweiligen Filme etablieren und war infolgedessen schwerer gezielt zu fördern als die Stars der anderen Genres. Noch deutlicher als in Rekurs auf den Star des Kinos trifft es in Bezug auf den Star des Pornomarktes zu, dass der Rückgriff auf die Veröffentlichung des Darstellers196 sich durch individuelle Vorlieben ausgestaltet. Schien sich jedoch ein solcher Star langsam zu etablieren und seine Beliebtheit zuzunehmen, wurde dieser ebenfalls von der Pornoindustrie weitervermarktet, um hier wie dort von seiner Bekanntheit zu profitieren. Von Sondereditionen der Filme bis hin zu Pappaufstellern und Signierstunden in den Videotheken wurden die fast ausschließlich weiblichen Stars der Branche und des Genres in den USA wie in der Bundesrepublik vermarktet, den Stars der anderen Genres somit keineswegs mehr unähnlich. In der Vita der bekanntesten deutschen Pornodarstellerinnen, die gewöhnlich alle unter einem Pseudonym arbeiteten, findet sich daher oftmals ein Wechsel vom Genre hin in eine breitere Öffentlichkeit der Medien. Begleitet wird dieser Wechsel von kleineren Rollen in Spielfilm- oder Fernsehproduktionen, die den Versuch markieren, Genre und Branche des Pornofilms hinter sich zu lassen.197 Sowohl Dolly Buster als auch die noch heute bekannteren ehemaligen Pornostars wie Gina Wild (Michaela Schaffrath)

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Auch erweisen sich die Vokabeln, die dazu genutzt werden, um über den Pornofilm zu sprechen, als heikel. Passender als der Begriff des Schauspielers erscheint hier der Begriff des Darstellers, um die Akteure der Produktionen zu beschreiben.

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Was zeitgleich zu einer Vielzahl von Biografien der jeweiligen Stars führte. Vgl. exemplarisch für den US-amerikanischen Bereich die deutschen Ausgaben von: Jenna Jameson, Pornostar. Die Autobiographie. Zusammen mit Neil Strauss. Aus dem Amerikanischen von Conny Lösch, München 2005; Ron Jeremy, Ein Mann und viertausend Frauen. Die Autobiographie des größten Pornostars aller Zeiten. Aus dem Amerikanischen von Thorsten Wortmann, Berlin 2007. Zu deutschen Pornostars: Michaela Schaffrath, Ich, Gina Wild. Enthüllung, München 2004; Kelly Trump, Porno. Ein Star packt aus. Zusammen mit Werner Schlegel, Herten 2005. Mit dem Buch von Christoph Straßer, Harry S. Morgan. Der Meister der Pornografie, Diedorf 2010, erschien auch eine Monografie über einen deutschen Pornoregisseur und -produzenten.

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oder Kelly Trump (Nicole Heyka) schafften es, ihre durch den Pornofilm erlangte Bekanntheit in andere Bahnen zu lenken, um diese Bekanntheit in eine Form der Berühmtheit zu verwandeln.198 Tatsächlich aber wurden sie erst durch den Raum der Videothek und durch das Leihverhalten der Kunden zu Stars des Genres, deren Karrieren zwar nicht an diese Grenzen gebunden waren, dennoch nicht immer über diese Grenzen hinaus aufrechterhalten werden konnten. Dass sich der Begriff des Stars nicht nur auf Schauspieler und Darsteller der spezifischen Genres beziehen lässt, zeigt die Bedeutung des Regisseurs auf. Die Mechanismen, die für den Filmstar gelten, lassen sich demzufolge ebenso auf seine Person übertragen. Auf seine Rolle innerhalb des Erfahrungsraumes Videothek soll im anschließenden Kapitel zurückzukommen sein.

3.4 Autorenfilm und Genrekino: Wiederholung alter Dichotomien Die Frage, wie und wo der Regisseur eines Films im Raum der Videothek zu finden und mit ihm in Verbindung zu bringen ist, lässt sich aus zwei Perspektiven beschreiben. Auf der einen Seite formiert sich der Regisseur ebenfalls unter den Gesichtspunkten des Stars, die im vorherigen Kapitel aufzeigt wurden. Hier ist er Werbeträger, ordnende Instanz und Verlinkung zu anderen Filmen in den Beständen der Videothek. Eng verwoben mit der Figuration des Regisseurs als Star ist gleichfalls sein Status als Autor. Ziel dieser Verknüpfung ist es nicht, die Theorie des Autorenfilms im Einzelnen wiederzugeben, noch auf ihre Tragfähigkeit hin zu untersuchen. Sie soll lediglich dazu dienen, hinterfragen zu können, ob diese eigentlich obsolete und trotzdem stetig erneut bemühte Dichotomie zwischen Genre- und Autorenfilm auch im Raum der Videothek zu finden ist. Es geht hierbei somit um Zuschreibungen und Etiketten, mit denen die spezifischen Filme im Diskurs versehen wurden, nicht jedoch um eine letztliche Bewertung dieses Konzeptes.

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Die in den 1980er Jahren tätige Ikone des deutschen Pornofilms, Theresa Orlowksi, blieb hingegen der Branche bis 2005 treu. Den beschriebenen Wechsel zu anderen Genres und Formaten schloss sie aus.

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Eine neue Generation von Regisseuren rekurriert immer wieder auf den Ort der Videothek, der nicht nur Mittel der eigenen Filmsozialisation war, sondern zugleich das Archiv bildete, aus dem sie in Vorbereitung ihrer eigenen Karrieren als Filmemacher nahezu endlos schöpfen konnten. Diese Form einer retrospektiven Überhöhung des Ortes der Videothek kam ihnen vor allem daher zugute, wurden sie doch nun in logischer Fortsetzung alter Modi der Filmsozialisation betrachtet, um allen voran dem Erlebnisraum Kino an die Seite gestellt zu werden oder diesen gar abzulösen. Durch Selbstaussagen in Interviews schreiben sich jene Regisseure nachträglich in den Raum und die Geschichte der Videotheken hinein, losgelöst von den Tatsachen, die vielleicht hinter diesen Aussagen stecken. Der Raum der Videothek selbst scheint durch seine Ordnungssysteme und -kategorien wie auch durch seine medienhistorische Genese wenig geeignet zu sein, dem Regisseur als Autor einen passenden Ort zu präsentieren, um ihn im Nebeneinander der einzelnen Filme in besonderer Weise zu betonen. Hierbei ist das Konzept des Regisseurs/Autors innerhalb der Möglichkeiten der Videothek mit den Aussagen zum Star zu vergleichen; auch einen Regisseur kann die Videothek nicht einer vorher fehlenden Aufmerksamkeit zuführen. Eine Zusammenstellung der Arbeiten des spezifischen Regisseurs, die die einzelnen Filme zueinander wie chronologisch ordnet, monolithisch ausstellt und so als Werk eines einzelnen Regisseurs erst sichtbar werden lässt, gibt es zumeist nicht; zu sehr ist diese Form der Anordnung genuiner Filme in den Regalen der Videothek weiterhin dem Star und Schauspieler der jeweiligen Filme vorbehalten, nicht aber deren Regisseuren. Obwohl die Filmkritik die Filme sogenannter Autoren oft in eine Gegenüberstellung zum Ordnungssystem des Genres positioniert, von dem es sich scheinbar abzugrenzen gilt, um den alten Gegensatz von Kunst und Unterhaltung performativ zu wiederholen, wird diese Dichotomie in den Räumen der Videothek aufgehoben. Zwar ist evident, dass sich auch außerhalb der Videothek eine derartige Aufteilung nicht aufrechterhalten lässt, die zwischen Kunstkino und Kommerz, Europa und Hollywood, Höhenkammkultur und Kulturindustrie unterscheidet, doch werden diese Zuschreibungen dennoch stetig als Kategorien und Ordnungssysteme herangezogen, um über den Film und seine spezifischen Erzeugnisse in einem festgelegten Rahmen argumentieren zu können. Diesbezüglich erscheint es nebensächlich, dass das Konzept des Autorenfilms in seiner historischen Genese, seiner

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Koppelung an spezifische nationale Bewegungen wie der Nouvelle Vague und dem Neuen deutschen Film auf der einen, seine Aufladung mit kulturtheoretischen Denkschulen wie dem Strukturalismus und dem Poststrukturalismus auf der anderen Seite, kaum als einheitliche Theorie zu fassen ist, sondern bis heute aufs Heftigste ob seiner Valenz diskutiert wird. Die Aporie, in welche der Autorenbegriff diese Beobachtung führt, ist ebenso historisch nachgewiesen und zu verorten. So entwickelten die Regisseure und Filmkritiker der Nouvelle Vague unter anderem den Begriff des Autors/auteurs an Hollywood-Regisseuren, die über die Grenzen der USA für ihre Arbeit an und mit Genres bekannt waren. Howard Hawks, John Huston und Alfred Hitchcock wurden zu den nachahmenswerten Idolen einer neueren Generation von Regisseuren, die sich später rühmen sollten, ihre Vorbilder erst wirklich berühmt gemacht zu haben. Filmkritik und Feuilleton hingegen interessieren sich meist wenig für diese Herleitungen, obwohl die Konzepte, selbst ohne sie beim Namen zu nennen, auf diesen Feldern weiterhin Verwendung finden. Dass der Sparte des Autors somit eine ähnliche kommunikative wie werbeträchtige Dimension innewohnt wie jedweder Rede von Genre, erklärt vielleicht den Rückgriff auf die Kategorie, die so jeden erfolgreichen Regisseur zu seinem eigenen Genre transformiert. Trotz dieser Erklärung bleibt das Konzept der Autorenschaft im Film und der Apotheose des Regisseurs in die Riege anerkannter Autorenfilmer weiterhin eine schwer zu fassende und mit einer Vielzahl inhärenter Spannungen und Widersprüche aufgeladene Kategorie. Wichtiger als sich dem Versuch hinzugeben, diese Spannungen lösen zu können, ist jedoch, dass trotz der Kritik die alte Dichotomie abseits akademischer Diskussionen weiterhin mit Bedeutung angereichert wird und den alltäglichen Umgang mit dem Medium Film weiterhin bestimmt; und dies bis in die Haptik des Mediums. Sie konkretisiert sich so unter anderem in den bereits angesprochenen Beiträgen der internationalen Filmkritik, die versucht ist, den neu ins Kino gekommenen Film auf die vorherigen Werke des Regisseurs zu beziehen, um aus dem Werk und der Person Rückschlüsse auf den Film und seine mögliche inhärente Bedeutung zu haben. Hier zeigt sich vor allem, wie der ursprünglich der Literaturwissenschaft entlehnte Begriff die Filmkritik – und zuweilen auch die Filmanalyse – zu einer Form der Literaturkritik transfor-

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miert, die über die Figur des Schöpfers, sein Leben und seine Biografie, die den Bildern innewohnenden Botschaften entschlüsseln will.199 Und gleichfalls reicht sie bis in die Warenästhetik der Medienfachhändler, die eigene Regale für in ihren Augen etablierte Autorenfilme bereithalten. So fallen diese Ordnungssysteme häufig und doch exemplarisch in eins mit den Angeboten des Labels Arthaus, welches es sich zur Aufgabe gemacht hat, anspruchsvolle Filme einem breiteren Publikum zur Verfügung zu stellen. Bezeichnend und nicht zufällig gewählt ist der Name des Labels, der nicht allein auf eine explizite Kinokultur des Autorenfilms Bezug nimmt, sondern gleichzeitig auf die Praxis des Avantgardefilms rekurriert. Arthaus zeigt damit als Werbeträger an, dass Kunst hier einen genuinen Vermarktungsort gefunden hat und dort rezipiert werden kann, während die Labelbezeichnung als Epitext des Films schon auf seinen Status als Autorenfilm hinweist und dem Regisseur somit eine besondere Rolle und Status in der Vermarktung und Gestaltung des Films zukommen lässt. Was sich in den Regalen der Heimvideohändler wiederfindet, hat in der kulturellen Praxis des Kinos schon vorher eine starke Konkretisierung erfahren. Sogenannte Programm- oder eben Arthouse-Kinos, deren Genese bis in die 1920er Jahre zurückreicht und die damit weit vor den Versuchen lagen, eine Autorentheorie des Films zu begründen, verstanden und verstehen sich als Gegenprogramm zu den Kinopalästen, die – polemisch und in der Logik des Gegensatzes formuliert – die Ware Film nicht nur zum Massenmedium formten, sondern generell erst der Masse zuführten. Bereits hier schien sich die Gegensätzlichkeit des künstlerisch wertvollen Films und der Fließbandware der Genreproduktion in architektonischen Manifestationen beobachten zu lassen, die durch ihre Materialität den aufgestellten Gegensatz erst verschärften und zugleich reproduzierten, und dies bis heute. Das Gigantische gegen das Kleine, das Anonyme gegen das Heimelige und der Kommerz gegen die Kunst scheinen sich im Gegeneinander von Programmkino und zeitgenössischem Multiplex zu bestätigen. Hatte der Autorenfilm demnach einen genuinen Ort gefunden, setzt sich dieser Gegensatz tatsächlich in der Videothek fort. Gerade heute stellt

199

Dieser Zugriff auf das Medium Film lässt so nicht nur außer Acht, dass Film, anders als das neu veröffentlichte Buch immer schon Produkt einer Gemeinschaft ist, sondern auch, dass die Versuche, die Biografie des Autors zwischen den Bildern zu suchen, meist in einer Form von unbeholfener Küchenpsychologie enden.

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die Großvideothek, die Teil eines Franchise ist, durch ihre Einteilung in Genrekategorien den letzten Sieg des Genres über den Autorenfilm dar. Meistens findet er sich in den Räumen dieser Ketten unter dem Label des besonderen Films oder im Regal der Firma Arthaus, die an dieser Stelle stellvertretend für die erste Kategorie zu stehen scheint. Zwar kann der Videothekar in den Regalen der Genres den Autorenfilmer zusammenrücken und so zum Beispiel die Filme Rainer Werner Fassbinders unter der Kategorie des Dramas200 zusammenfassen, doch bildet dabei der Autor nur die Unterkategorie zum Ordnungssystem des Genres. Diese dem Genreregal immanente Werkschau sowie das Regal des besonderen Films oder des filmischen Klassikers – seit den 1980er Jahren ist es jedem Videothekar freigestellt, was er unter dieser Kategorie versteht – bilden jedoch lediglich Fremdkörper, die durch diese Andersartigkeit und zugleich Fremdheit auffallen. Der Autorenfilm in der Videothek muss gesucht werden, eine offensive Ausstellung, die dem theoretischen oder feuilletonistischen Konstrukt Rechnung trägt, findet sich nicht. Während, wie bereits beschrieben, der Medienwechsel von der Videokassette auf die DVD die Präsentation von Filmgeschichte innerhalb der Videothek verändert hat, wird damit darüber hinaus evident, dass sich zugleich die Formierung des Autorenfilms – wenn auch nur als Fremdkörper – innerhalb der Videothek ähnlichen Schwankungen unterworfen sah wie der Blick auf die ganze begehbare Filmgeschichte. Wichtig ist in dieser Hinsicht, dass – unabhängig von diesen Umstellungen – auch der Ort der Videothek durch seine Ausstaffierung diese Dichotomie weitergetragen hat. Denn ähnlich, wie beim Kino als Ort des Films vor dem Medienumbruch zur Videokassette die Dichotomie der Konzepte sich in unterschiedlichen Kinovariationen und -gebäuden niederschlug, wurde dieser Gegensatz fortgesetzt in der sogenannten Programmvideothek, die eine Alternative bilden sollte zur Massenware der B- und C-Filmkultur der Konkurrenz. Diesbezüglich ist es schwierig auszumachen, wann sich der Höhepunkt dieser Entwicklung datieren lässt. Oft fanden und finden sich solche Videotheken in größeren Ballungszentren und Städten, die schon über eine große Dichte an Videotheken verfügten.

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Interessant ist in diesem Kontext, dass die Videotheken meist mit der Genrekategorie des Dramas operieren, nicht jedoch mit der Bezeichnung Melodram.

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Die heutige Form der Programmvideothek, die sich in den 1980er Jahren noch nicht durchsetzte201, findet sich insbesondere in Berlin oder in den Städten des Ruhrgebiets, wo die Videothekenentwicklung ihren Anfang nahm. Bekannte Videotheken dieser Art, wie das in Berlin ansässige Videodrom, das Berliner Negativeland, die Traumathek in Köln oder die Filmgalerie 451 in Stuttgart und Berlin, haben sich durch ihre Geschichte nicht nur den Status der Kultvideothek verdient, sondern sich außerdem über die Grenzen der eigenen Stadt hinaus bekannt gemacht.202 Sie zeigen nicht nur auf, wie die obsolete Dichotomie eine neue Aktualität erfährt, sondern stehen in vielen Punkten den in dieser Arbeit getätigten Befunden gegenüber. Durch eine Konzentration auf den Autor203, der in ihnen durch sein Werk präsent ist, wird nicht nur Filmgeschichte konkret sicht- und fassbar, sondern auch das Narrativ dieser vorgegeben und Bezüge durch die normative Kraft des Historischen aufgezeigt. Sie präsentieren damit gleichfalls Teleologien, die darauf verweisen, wie sehr sich die Arbeit eines Regisseurs über die Jahre verändert, vielleicht sogar verbessert hat. Die Bezüge und Rückschlüsse, die sonst entdeckt werden müssen, obliegen somit nicht dem Kunden, sondern stärker denn je dem einzelnen Betreiber. Der Kunde folgt so nicht primär den eigenen Gedanken und Präfigurationen des filmischen Wissens, sondern den Erzählungen vom Kino, wie es sich als Geschichte großer Regisseure fassen lässt. Tatsächlich geschieht dies nur auf den ersten Blick. Es liegt hierbei am Mediennutzer, im Raum der Programmvideothek zu erkennen, dass das Ordnungssystem des Autorenfilms Vorgaben gibt, die er nur augen-

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So ist es erstaunlich, dass in den ausgewerteten Zeitschriften der Branche die Bezeichnung Programmvideothek nicht vorkommt. Dies muss nicht heißen, dass diese Form der Videothek keinerlei Bedeutung hatte, sondern eher, dass unter anderem der IVD keine Unterscheidung zwischen dieser Formation der Videothek und Geschäften, die zu einer Kette gehörten, machte. Erst in den 1990er Jahren schien sich dabei die Programmvideothek stärker zu verbreiten und in stille Opposition zu den anderen Geschäften zu gehen.

202

So veröffentlicht die Filmgalerie 451 unter einem eigenen Label eigenständig Filme auf VHS respektive heute auf DVD. Die Filme des deutschen Theater- und vormaligen Undergroundregisseurs Christoph Schlingensief wurden so über die Filmgalerie 451 vertrieben.

203

Natürlich verfügt auch jede Programmvideothek über einen enormen Fundus an Genrefilmen; dennoch wurde ihr ursprüngliches Gegenprogramm maßgeblich vom Autorenfilm dominiert. Und auch die in den Programmvideotheken zu findenden Genrefilme unterscheiden sich häufig von den Angeboten der Ketten und Franchisemitglieder des Marktes.

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scheinlich nicht überwinden kann. Letzten Endes ist auch der Autorenfilm nur ein weiteres Genre, welches ihm im Raum der Videothek als Ordnungskategorie Orientierung bieten kann.

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IV. Schlussbetrachtungen oder: Be kind rewind! 1. A UTOMATEN , DAS N ETZ UND V IDEO - ON -D EMAND : DIE A UFLÖSUNG DES O RTES ? Nicht erst seit der Digitalisierung des Films steht das Medium Video erneut vor einem Umbruch. Was in den 1980er Jahren mit der Videothek und der invention of movies on video1 seinen Anfang genommen hatte, wurde durch die sich wandelnden Techniken der Trägermedien DVD und Blu-ray nur weiter verschärft. Und auch das Kino selbst, welches sich in den Augen vieler Kritiker – darin den Videotheken nicht unähnlich – permanent in einer Krise zu befinden scheint, nebensächlich ob diese ökonomischer oder künstlerischer Natur ist, war in den letzten Jahren in einem permanenten Wandel begriffen. Die wiederentdeckten Möglichkeiten des 3-D-Kinos, die neue Räume schaffen sollen, wo lange Zeit nur der Blick auf die plane Leinwand blieb sowie die immer größer werdenden Möglichkeiten einer PostProduktion, die Räume realisieren kann, die nie ein Schauspieler betreten hat, leisteten ebenfalls ihren Anteil am Wandel des Mediums und den Erfahrungen, die dieses am und durch den Erlebnisort Kino bereitstellt. Erneut stehen somit die immer wieder zu reaktualisierenden Fragen im Raum, was das Kino und was der Film eigentlich ist. Fragen also, die das Medium seit der Einfahrt des Lumierschen Zuges im Winter 1895 begleitet haben und auch vorerst nicht an ein Ende kommen werden. Die Orte filmischen Wissens werden von diesem Wandel nicht ausgenommen. Mehr denn je wird die Frage, wo und wann ein Film konsumiert wird, mit mehr und mehr Möglichkeiten beantwortet, als es noch vor weni-

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Vgl. Greenberg, From Betamax to Blockbuster.

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gen Jahren der Fall war. Der Gang ins Kino oder in den Raum der Videothek ist nicht mehr notwendig, um das Medium zu rezipieren. Auf der einen Seite kann dies durchaus bedeuten, dass der Film das Besondere verloren hat und nun ähnlich dem Radio und Fernsehen vor ihm zu einem Medium des Alltags und des Hintergrundes transformiert wird, welches nebenher konsumiert werden kann, ohne den Blick und die Aufmerksamkeit wirklich zu fesseln. Auf der anderen Seite hat der Film nun vollends ein Moment der Flexibilität erreicht, das sich den täglichen Strukturen des individuellen Mediennutzers anpasst und damit nicht nur Versprechungen einlöst, die schon das Fernsehen und vor allem das Buch vor ihm gaben. Physisch aufzusuchen sind diese Räume nicht mehr, wenn der Filmkonsum überall jederzeit stattfinden kann, jeder Ort wird somit zu einem Ort des filmischen Wissens. Die einst genuinen Orte, die dieses Wissen um den Film präsentierten, werden mehr und mehr ersetzt durch das Trägermedium selbst, die Beschaffenheit dieses Mediums umso stärker ins Virtuelle und Imaginäre verlagert. Die DVD und Blu-ray werden zum Archiv dieses Wissens, die eigene Festplatte zu den neuen Ausformungen der Videothek. Der Rückzug des Films ins Private ist somit längst nicht mehr an die sprichwörtlichen eigenen vier Wände gebunden. Das Interface zur Rezeption des Mediums ist nicht mehr nur der Bildschirm des eigenen Fernsehers als erster Vertreter einer genuin anderen Form des Medienkonsums2, sondern ebenso der eigene Computer, der Laptop wie auch das Display des stets am Körper getragenen Handys. Aus diesen Beobachtungen und Befunden aktueller Gegenwartsforschungen den Rückschluss zu ziehen, dass zwar das Kino tot sei, der Film aber lebe, ist nicht nur verfrüht, sondern in jeglicher Hinsicht kontraproduktiv. Nicht nur, dass die Befunde der Mediengeschichte gezeigt haben, dass keine technische Entwicklung kontingent einer strengen Genealogie folgt, es wäre auch nicht der erste schon vollmundig verkündete und ausgerufene Tod, den das Kino als Ort und Institution überleben würde. Die Rede von ihrem eigenen Ende hat die Videothek, so wurde es mehrfach aufgezeigt, seit Beginn des Videobooms in den 1980er Jahren stetig begleitet. Das angebliche Sterben der Kinos wird verbunden mit dem Tod

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Das zweite Mal, als der Fernsehbildschirm zweckentfremdet wurde, rekurriert auf dessen Nutzung als Abspielinterface neuer Computerspiele in den 1980er Jahren, die das Wohnzimmer zur Formation einer privaten Spielhalle werden ließen. Auch hier konnte zum ersten Mal ein öffentlich erlebtes Medium im Privatraum genutzt werden.

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der Videothek, selbst wenn die Zahlen bei Weitem nicht so dramatisch gegen beide Institutionen ausfallen, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Wenngleich es den Anschein von Kultur- und Fortschrittspessimismus in sich birgt, so spielt die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, die durch die neuen Medien gefördert wird, eine bedeutende Rolle in Bezug darauf, den Videotheken ihr eigenes Ende vorherzusagen. Sie bleiben weiterhin der Ort, den der Mediennutzer aufsuchen muss, um später einen Film konsumieren zu können. Doch gerade der Moment des Später soll durch die neuen Möglichkeiten der Technik ausgehebelt werden. Der Vorteil der Videothek, welcher ihren Erfolg in den 1980er Jahren mitbegründet hatte, wurde von den technischen Entwicklungen eingeholt. In Abgrenzung vom Programm des Kinos wie auch des Fernsehens bekam der Mediennutzer durch sie zu sehen, was er wollte, wann er es wollte und so oft er es wollte. Dieser entscheidende Vorzug des Raumes hat sich in den Forderungen und den Bedürfnissen des Nutzers gewandelt: Die Frage nach dem Wann wird nun vollends mit einem Jetzt und Sofort beantwortet. Verfügbarkeit und Zugriff auf einen spezifischen Film, auf einen speziellen Song oder ein gewünschtes Buch haben das Moment des Wartens vollends hinter sich gelassen und den Mediengebrauch und deren Rezeption in eine Form der ständigen Gegenwart transformiert, die selbst die Regale der Videothek nicht erreichen konnten. Dabei ist die Modulation der Gegenwart hier wörtlich zu nehmen, denn nur der Klick und der Ladebalken trennen den Mediennutzer von der Gegenwärtigkeit des gewünschten Objektes, selbst wenn er nicht mehr in der Lage ist, dieses zu berühren. All diesen Veränderungen zum Trotz, die auch hier nicht gänzlich frei sind von einem in Nostalgie gewandten Blick auf das Vergangene, sind solche Umwandlungsprozesse und Prognosen mit Vorsicht zu betrachten. Oftmals wird bei deren Bewertung der Blick in die Geschichte der Medien vergessen, der offenbaren könnte, dass vieles von dem, was heute als neu gehandelt wird und das Alte ersetzen soll, nicht wirklich derart neu ist, wie es der Glaube an einen steten Fortschritt suggeriert. Die vermeintliche Hochkonjunktur des 3-D-Kinos, welche mehr eine Rückkehr denn einen Neuversuch darstellt als eine neue Revolution des alten Kinos, ist hier vielleicht eines der markantesten Beispiele. Im Folgenden soll daher im ersten Teil der Schlussbetrachtung noch einmal ein Blick in die Geschichte der Institution Videothek gewagt werden, um zu fragen, ob diese Erscheinung einer räumlichen Auflösung des Ortes

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Videothek einen Einschnitt in ihre historische Geschichte bedeutet oder auch hier lediglich eine Wiederholung dessen zu konstatieren ist, was schon einmal versucht wurde. So sind vielleicht Konkurrenzerscheinungen in ihrem heutigen Dasein als neu zu bezeichnen, in ihrer eigenen Emergenz sind sie es jedoch meist nicht. In diesem Kontext existierten seit der ersten Hochphase der Videotheken in den 1980er Jahren unter anderem Überlegungen und praktische Umsetzungen der Idee, Filme an Automaten ziehen zu können, analog zu Geld oder gar Getränken3. Auch diese Automaten griffen das Versprechen der Videotheken auf, sich von den Sendezeiten der Fernsehanstalten zu emanzipieren. Um dieses jedoch in einem Konkurrenzkampf überbieten zu können, stand nun eine Emanzipation von den Öffnungszeiten der Videotheken im Vordergrund: dem Kunden sollte es möglich sein, Filme rund um die Uhr leihen und zurückgeben zu können.4 Doch ähnlich der regulären Videothek der 1980er Jahre standen auch die Automatenvideotheken stark im Fokus der Behörden bezüglich der Fragen des Jugendschutzes.5 Zwar musste der Mediennutzer sich, um diese Automaten benutzen zu können, an einem über wenige Stunden am Tag besetzten Schalter mittels seines Personalausweises anmelden, doch waren die Bedenken groß, dass Kinder und Jugendliche schnell in den Besitz der Benutzerkarten kommen könnten, um so an die verbotenen und doch begehrten Filme gelangen zu können. Trotz der Inkaufnahme dieses Risikos6 wurden in den 1980er Jahren zuerst in den USA, dann auch in Deutschland Automatenvideotheken installiert. Um die Gefahr, die von diesen Videotheken ausging, zu minimieren, verzichteten die Betreiber darauf, indizierte Filme zum Verleih anzubieten. So wäre es durchaus plausibel zu konstatieren, dass die eigene Selbstbeschränkung dieser Ge-

3

So bauten gar dieselben Hersteller, die für die Produktion und Wartung von Coca Cola-Getränkeautomaten verantwortlichen waren, erste Modelle sogenannter Automatenvideotheken. Vgl. hier Abb. 35 sowie Ronald Riegel, Das TschiboSyndrom. Video-Hardware: immer noch Schrott von morgen. In: Medium 11/1982, S. 13-14.

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Viele Videotheken operieren aufgrund dieses Problems mit sogenannten Videoklappen, die ähnlich einem Briefkasten erlauben, die entliehenen Filme zu jeder Zeit durch diese zurückgeben zu können.

5

Vgl. Neue Entwicklungen, neue Strategien. In: Der Ikarus 4/1987, S. 10 f., hier: S. 11.

6

Gegen welches noch 2006 in Deutschland argumentiert wurde: vgl. Sigmar Roll, Dokumentation. In: Kind, Jugend und Gesellschaft 2/2006, S. 60-63.

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schäfte mit dazu führte, dass sich die Automatenvideothek nicht durchsetzte und lediglich ein weiterer Versuch blieb, vom neuen Medium Video zu profitieren.7 Die zeitgenössischen Bestrebungen, diese Form der Kleinstvideothek zu revitalisieren, scheinen auch fast zwanzig Jahre nach den ersten Versuchen erneut zu scheitern.8 Gerade die Möglichkeit, die DVD platzsparender zu lagern als es die recht klobigen Videokassetten zuließen, schien den Einsatz von Filmautomaten zu begünstigen und für den Versuch verantwortlich zu sein, erneut auf Automaten zu setzen.

Abb. 35: Videoautomat 7

In den USA erfreut sich allerdings die sogenannte Redbox großer Beliebtheit. Vgl. http://www.redbox.com/ (Zugriff 01.04.2014).

8

So konnte sich in Köln in den letzten fünf Jahren kaum eine der neuinstallierten Automatenvideotheken fest etablieren. Zwar schien auch in der Großstadt Köln eine Form des Videothekensterbens eingesetzt zu haben, doch handelte es sich bei den nun schließenden Videotheken meist um Geschäfte, die schon längere Zeit vor Ort tätig waren. Die Öffnung und Schließung der Automatenvideotheken hingegen konnte man innerhalb weniger Monate beobachten.

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Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei den Automatenvideotheken meist nicht um Automaten handelte, die ähnlich Bankautomaten offen zur Straße hin lagen und für sich isoliert dem Kunden zur Verfügung standen. Meist musste der Kunde ein kleines Geschäft betreten, welches über eine Anmeldestelle, zwei Automaten und eine Regalwand mit Filmcovern verfügte. Auf kleinstem Raum sollte auf diese Weise tatsächlich die reguläre Videothek imitiert werden. Die meist einzige Regalwand ist hier als Neuheitenregal zu verstehen, welches unsortiert jene Filme präsentierte, die in den letzten Wochen und Tagen neu ins Programm aufgenommen wurden. Der übrige Bestand dieser Videotheken konnte nur über den Terminal sowie wahlweise über ausliegende Kataloge abgefragt werden.9 Anders beim Besuch der regulären Videothek, muss in diesem Fall der Kunde wissen, was er bei seiner Suche durch die Tasten der Automaten abfragt und ausleiht. War schon die mangelhafte Beratung durch die Mitarbeiter innerhalb der regulären Videotheken oft ein Manko in den Augen der Kunden und der Branche selbst, so entfällt sie in den Automatenvideotheken vollends. Wenn auch keine nennenswerten Studien über das Nutzerverhalten der Kunden in Automatenvideotheken vorliegen, so können doch – ausgehend von den Ergebnissen dieser Arbeit – Vermutungen darüber unternommen werden, was verhinderte, dass sich diese Form der Videothek dauerhaft halten konnte. Der wohl auffälligste Punkt ist das Wegfallen der Cover und der Regale, die der Mediennutzer besichtigen kann, um hier etwas Mitnehmenswertes zu suchen und zu finden. Die haptischen Eindrücke der Videothek, die den Gang und die Medienpraxis des Ortes charakterisieren, fallen somit vollends weg. Doch nicht nur das Flanieren durch die Bestände der Videothek, auch die mögliche Kommunikation über die Filme vor den Regalen mit Mitarbeitern und anderen Kunden sind so nicht möglich. Und auch das sich entfaltende Narrativ der eigenen Filmgeschichte und -sozialisation, die den Weg durch den Raum der Videothek kennzeichnet, kommt demnach nicht zustande. Aufgrund der Beschaffenheit der Räume kann der Mediennutzer nicht einmal das Cover in die Hand nehmen. Denn damit in den unbeaufsichtigten Räumen nicht gestohlen werden kann, sind die Cover der Filme meist fest in das Regal integriert. In Berührung kommt der Videothekenkunde mit ihnen nicht. Ein letzter und nahezu banaler Grund, der gegen 9

Dabei mussten Ausgabeautomaten und Katalogterminals getrennt sein, riskierte man doch ansonsten eine Warteschlange an diesen Automaten durch die weniger entscheidungsfreudigen Kunden.

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die Automatenvideotheken sprach, ist die schlichte Frage nach der Funktionsfähigkeit der Computer, die durch keinen anwesenden Mitarbeiter geprüft und garantiert werden konnte. So schließt eine Automatenvideothek zwar nicht im Falle einer Funktionsstörung, wird aber dennoch im wahrsten Sinne nutzlos. Eine ähnliche Entwicklung dieser Konkurrenzsituation verbarg sich hinter dem Vorhaben, Videotheken und deren Bestand über die Post abzuwickeln. War es in den 1980er10 und 1990er Jahren11 möglich, über einen Katalog ausgewählte Filmtitel telefonisch, schriftlich sowie später auch per Fax zu bestellen, wird dies heute über die Funktionen des Internets unkompliziert abgewickelt. Auch diese Option, Filme zu entleihen, ist keine neue Möglichkeit, die erst in den letzten zehn Jahren versuchte, als Konkurrenz zu den ortsgebundenen Videotheken den Markt einzunehmen. Gerade der Buchhandel wie auch private Videoclubs verschickten ihre Videokassetten mit der Post, um sie auf diesem Weg zu verleihen oder untereinander zu tauschen. Diese Methode wurde von den Videobewegungen der 1970er Jahre übernommen, die sich ebenfalls ihre Kassetten untereinander mit der Post zusandten, um so Bilder und Informationen zirkulieren zu lassen und Diskussionen untereinander aufrechtzuerhalten. Die Nachteile, denen dieser Service vor dem Internet unterlag, sind dabei ersichtlich, fielen hier doch die Gegebenheiten der räumlichen Videothek vollends weg, wenn der Kunde darauf angewiesen war, seine Wunschfilme mittels eines Kataloges auszuwählen. Allein durch diese Begrenztheit standen nicht immer alle Informationen zur Verfügung, die dem Mediennutzer normalerweise über das Cover in den Regalen übermittelt werden konnten; von den dazugehörigen Bildern in ansprechender Qualität ganz zu schweigen.12 Dieses Manko haben heutige Internetvideotheken vollends ausgeschaltet, können sie nun durch die Hilfe der Hyperlinkstruktur des Netzes nicht nur Filme mittels großangelegter Bildstrecken präsentieren, sondern ebenso Trailer einstellen, die den Film durch die Kraft der bewegten Bilder vorstel-

10 Vgl. VILME ODER FILME, TC 00:02:31h f. 11 In den 1990er Jahren dann maßgeblich unter dem Titel Video on Demand. Vgl. o. A., Bei Anruf Video! In: Videowoche 47/1992, S. 4. 12 So galt schon in den 1980er Jahren die werbewirksame Devise, dass auch diese Kataloge und Filmlisten, je mehr Bilder sie präsentierten und je besser damit auch ihre Qualität wurde, im Preis anstiegen, der Kunde also schon vor der Wahl eines Films im ungünstigsten Fall zahlen musste, um überhaupt erst wählen zu können.

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len. Die Verlinkung einzelner Filme untereinander wie auch die Namen der Schauspieler und Regisseure sind Mechanismen der Selektion, die zwar wie bereits angesprochen durch den Computer Einzug in die situierten Videotheken gehalten haben, dort aber dennoch hinter den Möglichkeiten des Netzes zurückbleiben. Meist sind diese Kundenterminals nur mit einem Intranet verbunden, das es dem Nutzer nicht erlaubt, andere Seiten heranzuziehen, um nach Filmtiteln zu suchen, die sich ihm über den Katalog vor Ort nicht erschließen. Eine Schlagwortsuche wird bisher weder von der einen noch der anderen Formation der Videothek unterstützt. So setzt auch der Computer und die in ihm präsentierten Datenbanken in der virtuellen Videothek die Eigenheit der Läden fort, dass oberflächlich betrachtet das, was durch die einfache Suche nicht zu finden ist, auch nicht existiert. Ein weiteres Manko, welches vor allem die Internetvideotheken der letzten Jahre aufwiesen und das nun doch schon zum Teil behoben wurde, war der Verzicht auf FSK-18-Titel sowie einen Anteil an pornografischen Filmen im Verleih. So traten die neuen über die Post und das Internet operierenden Videotheken hinter ihre Vorgänger aus den 1980er Jahren zurück, indem sie auf das Segment der Pornografie verzichteten, hingegen verschickten bereits früh Erotikanbieter pornografische Leih- und Kaufkassetten mit der Post. Neben dem fehlenden Umgang mit dem Medium, der sich durch diese Form der Videothek vollends ins Virtuelle verlagert hat, treten somit die Beschränkung des Programms und die Unkontrollierbarkeiten des Marktes in den Fokus. In den vergangenen Jahren mussten nicht nur zahlreiche Internetvideotheken ihre Seiten und Angebote aus dem Netz nehmen, sondern wechselten diese zusätzlich sehr oft Besitzer wie Betreiber. Auch die im Test der Stiftung Warentest mit einer Gesamtnote von 2,313 am besten abschneidende Internetvideothek lovefilm, die als Untergruppe des Internetwarenhauses amazon operiert, wurde nach eigenen Gehversuchen wieder zurückgekauft und nun erneut über das ursprüngliche Unternehmen abgewickelt. Die Nutzung der Oberfläche der Seite ist recht einfach: Durch Markierungen kann der Kunde seine Filme auf eine Leihliste setzen, die über Prioritäten arbeitet. Grün markiert so einen Film, der in nächster Zeit rezipiert werden möchte, Rot hingegen Titel, die erst nach einiger Zeit konsumiert werden wollen. Vorteil des Systems, welches über verschiedene Paketausleihen ope-

13 Vgl. dazu die Ergebnisse der Stiftung Warentest 2/2009.

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riert, ist, dass der Kunde selbst darüber verfügen kann, wie lange er einen spezifischen Film behält. Mahnungen und Nachgebühren gibt es in diesen Systemen nicht. Doch selbst wenn die Markierungen und Prioritäten der Leihliste dem Kunden helfen, festzulegen, was er sehen will, richtet sich das automatisierte System des Anbieters nicht immer nach dessen Wünschen und Präferenzen, sondern versendet statt des obersten Sehwunsches einen gelb markierten Film an den wartenden Kunden. So wird der Kunde zwar regelrecht überrascht – je nachdem wie umfangreich seine Leihliste ist, welchen Film er zugeschickt bekommt, doch kann es dazu führen, dass ihm nicht der mit rot markierte gewünschte Titel geliefert wird. Das Versprechen, zu sehen, was der Kunde will, wird damit zumindest unterminiert. Und auch die Forderung nach der möglichen Rezeption, wann der Kunde sie will, wird durch die strukturbedingten Einschränkungen der Internetvideotheken nicht immer erfüllt. Hier spielt der Transportweg der Medien eine nicht unwesentliche Rolle; zwar sind die Internetvideotheken bemüht, dass die versendeten Filme schon am nächsten Tag dem Kunden zur Verfügung stehen, doch kann dies nicht garantiert werden. Fluktuationen bei der Deutschen Post wie auch Sonn- und Feiertage lassen es möglich erscheinen, dass der gewünschte Film erst später ankommt und zu rezipieren ist. Gerade im Bereich der Verfügbarkeit haben die Internetvideotheken weitere Schritte unternommen, sich den Angeboten der situierten Videotheken anzupassen: Durch die Möglichkeit des Kunden, sich mittels eines PostIdent-Verfahrens auszuweisen, hat unter anderem lovefilm auch FSK-18-Titel in den Verleih aufgenommen und so das eigene Angebot erweitert. Durch diesen Schritt ist die Auswahl an leihbaren Filmen in keinster Weise mehr mit den Möglichkeiten der regulären Videotheken zu vergleichen. Einziger Unterschied bleibt weiterhin der Sektor der Pornografie, der durch die Möglichkeiten des Internets in einen enormen Wandel begriffen ist und welcher in seinen möglichen Auswirkungen auf die Branche mit jenem Umbruch 1979/1980 verglichen werden kann und heute bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Doch während sich diese Formen der virtuellen Videotheken noch mit der Optimierung und Beseitigung struktureller Probleme auseinandersetzen müssen, scheint der Ausbau eines stärkeren und besseren Video-on-DemandSystems einer der größten Konkurrenten zur kulturellen Institution der Videothek zu sein. Auch dieses Verfahren ist in seinen grundlegenden Strukturen nicht wirklich neu, operierten doch schon die ersten Pay-TV-Sender in

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den USA und in Deutschland mit Verfahren, die es erforderten, neue Filme via Telefon freischalten zu lassen, um sie konsumieren zu können. Zweifelsfrei wurde der Zugriff durch die Möglichkeiten der Technik weiter vereinfacht und die Bequemlichkeit des Kunden als Maßstab für die Ausarbeitung der Angebote genutzt; dennoch haben sich die Möglichkeiten der Verfügbarkeit nicht wesentlich geändert. Denn so wie der freigeschaltete Film im Pay-TV zu einer bestimmten Zeit konsumiert werden musste, operieren viele Anbieter des Video-on-Demand-Systems mit Zeitfenstern, in denen der Film geladen und gesichtet werden muss. Zwar ist es richtig, dass heute, anders als in den 1980er Jahren, mehr Filme zur Verfügung stehen, die rund um die Uhr abgerufen werden können, das Versprechen des hier und jetzt scheinbar vollends erfüllt wurde, doch gehen diese Überlegungen von einem Möglichkeitszustand aus, der dem Mediennutzer eine Freiheit verspricht, die er letzten Endes nicht realisieren kann; denn konsumieren kann der Kunde, wie auch schon in den 1980er Jahren, immer nur einen Film nach dem anderen.

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NACH IHREM

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„[…] denn die Distribution von Filmen über das Internet hat das Ende der Videothek eingeläutet, die demnächst ganz verschwunden sein und in den Annalen nur mehr als Kuriosität erscheinen wird.“14

Über den Raum und die kulturelle Institution der Videothek zu schreiben, fordert stets eine Rhetorik ihres eigenen Endes heraus. Auf der einen Seite ist diese motiviert durch die historischen Stationen, die in ihrer Geschichte nachgewiesen werden konnten: Die Veränderungen auf juristischer und politischer Ebene, die Versuche auch nach der Verschärfung des Jugendschutzes und der Novellierung des § 131 StGB im Jahr 1985 am totalen Vermietverbot für indizierte Videoprogramme festzuhalten, wie die stetig neu auf14 Alexandra Schneider/Vinzenz Hediger, Vom Kanon zum Netzwerk. Hindi-Filme und Gebrauchsfilme als Gegenstände des Wissens einer post-kinematografischen Filmkultur. In: Gudrun Sommer/ders./Oliver Fahle (Hrsg.), Orte filmischen Wissens. Filmkultur und Filmvermittlung im Zeitalter digitaler Netzwerke, Marburg 2011, S. 141-158, hier: S. 149.

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kommenden Abgaben an die GEMA und die Filmförderungsanstalten schlugen sich nicht nur in den Publikationen des IVD als Warnungen vor einem drohenden Aus der Branche nieder. Auf der anderen Seite ist die Rede von einem Ende der Videothek begründet durch und bezogen auf die heutigen technischen Möglichkeiten, die nicht nur das dem Nutzer zur Verfügung stehende Medienensemble völlig neu zusammensetzen, sondern ebenfalls das Medium Film nicht mehr an einen spezifischen Ort binden. Die Ortlosigkeit des Films, die mit dem Aufkommen der Videotechnologie ihren Anfang nahm, hat sich in den letzten Jahren nicht nur verschärft, sondern wurde konkreter denn je sicht- und erfahrbar. Vor diesem Hintergrund war es ein Ziel dieser Arbeit, durch diese Rhetorik des eigenen Endes hindurchzusehen und die verbandspolitische und soziokulturelle Situation der Videotheken seit dem Jahr Null der Videoindustrie ernst zu nehmen. Im historischen Überblick ging es infolgedessen um die Frage, wie sich die Videothek in das schon bestehende Medienensemble der 1980er Jahre eingliedern konnte. Die Geschichte des IVD diente in diesem Kontext als Anknüpfungspunkt, um erstmalig die Chronologie der Ereignisse nachzuzeichnen. Hierbei wurde vor allem aufgezeigt, wie sich nicht nur das Medium Video zwischen Spezifik und Gebrauch maßgeblich veränderte, sondern wie zudem die Zuschreibungen an das Medium selbst einem Wandel unterworfen waren, der es von einem Medium der Gegenöffentlichkeit zu einem Moment der Unterhaltungskultur werden ließ. Das neue politische Protestmedium wandelte sich durch einen Preisverfall und die Durchsetzung des Videorecorders zu einem elementaren Bestandteil des sogenannten Heimvideomarktes, der die Strukturen des Fernsehens und des Kinofilms nachhaltig transformierte und deren Programme in einen Zustand der privaten Besitzbarkeit überführte. Erst durch das Zusammentreffen eines sukzessiv eintretenden Preisverfalls der Hardwarefigurationen des Videorecorders sowie der Leerkassette wurde eine Möglichkeit zur Emanzipation des Zuschauers von den Vorgaben der etablierten Medien geschaffen, die in ihrem Umgang erlernt und in ihren Auswirkungen erkannt werden musste. Die Gestaltung des auf diese Weise entstandenen Vierten Programms lag ganz in der Kreativität des Nutzers wie in dessen Wünschen begründet, die er an die angebotene Unterhaltung stellte. Die Videothek, die diese Wünsche des Mediennutzers mittels angebotener Programme erst implementieren musste, konzentrierte sich auf den Aspekt des Mediums Videokassette, der es in eine Genealogie des Kinos und

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des Films stellte. Die Stauchung in ein permanentes Jetzt, die die Filmgeschichte durch das Aufkommen und den Raum der Videotheken erfahren hatte, sie begeh- und besitzbar machte sowie haptisch konkretisierte, löste im Ort der Videothek Anfang der 1980er Jahre eine Hochphase der Heimvideounterhaltung aus, die bis 1983 durchweg positiv bewertet wurde. Die technischen Möglichkeiten, den Film nun über die Kinovorstellung und das Programm des Fernsehens hinaus verlängern zu können, ihn zu manipulieren und einer stetigen Relektüre auszusetzen, verdeckten die soziologischen, juristischen und pädagogischen Anfragen, die die Gesellschaft an das neue Medium stellte. Die Folgen, die schließlich nicht nur zur den unterschiedlichen Konzepten von Familien- und Erwachsenenvideothek führen sollten und gerade das Aussehen sowie den Raum letzterer maßgeblich veränderten, wurden ausführlich beschrieben. Wichtig ist in dieser Hinsicht insbesondere die Feststellung, dass diese Auseinandersetzungen zwischen Videothekenbranche und der Politik eben nicht 1985 beendet waren, sondern sich in ihren Ausläufern bis 1992, im Fall der Bemühungen der CSU gar bis 2002, hinzogen. Sowohl diese Änderungen im Bereich des Jugendschutzes wie auch die Einbindung der Videothekare in die Gremien der Filmförderungsanstalten und die Abgaben an die GEMA dienten nicht dazu, die Kraft der stetig wachsenden Branche im Konkurrenzkampf der anderen Medien, zu denen innerhalb des Jahrzehnts primär das aufkommende Privatfernsehen zählte, als ernstzunehmenden Faktor zu unterminieren. Vielmehr zeugten diese vom IVD ausgetragenen Auseinandersetzungen davon, dass im Mittelpunkt stand, die Videothek stärker in das schon bestehende Medienensemble zu integrieren, da die Gesellschaft wie auch die Politik erkannt hatten, dass es sich um einen mehr und mehr etablierten Zweig der Unterhaltungsindustrie und des kulturellen Lebens in der Bundesrepublik handelte. Dass die Videothekare zuvor ebenso für ihre Rechte eintreten mussten, stets gewahr, keiner starken Benachteiligung ausgesetzt zu sein, ist nur die andere Seite dieses durchaus nachvollziehbaren Prozesses. Darüber hinaus offenbart sich durch die Darlegung der aufgezeigten internen Probleme der Videothekenbranche, wie diese Aushandlungsprozesse, die im öffentlichen Bereich zwischen IVD und Politik stattfanden, zwischen Branche und Anbietern fortgesetzt wurden. Der Umgang mit den Fragen des Kopierschutzes, der Videopiraterie, des Coverbetrugs, wie auch des Kassettenberges konkretisierten sich zwar in den Praktiken der 1980er Jah-

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re, beschäftigen die Branche jedoch bis heute. Wenngleich dies allerdings in den Jahren nach 1992 unter anderen Vorzeichnen geschieht; trotz des Rückgriffs auf bereits bewährte Strategien, die erforderten, dass die alten und doch neuen Probleme stetig rekontextualisiert und auf ihre zeitgenössische Spezifik hin befragt werden mussten, lassen sich ähnliche Problemfelder bezüglich der Fragen des Kopierschutzes, der Covergestaltung und Ähnlichem besonders am Wechsel der Trägermedien von VHS zu DVD und Bluray aufzeigen. Tatsächlich hat sich an dem, was der Mediennutzer im Raum der Videothek macht, und der medialen Praxis des Ortes seit den 1980er Jahren nicht viel verändert. Immer noch trägt er sein Filmwissen an einen Ort, den er nicht nur durch die Erfahrung seiner eigenen Filmsozialisation, sondern gleichsam durch sein mitgebrachtes Filmwissen zu beherrschen lernt. Immer noch führt das eigene Erleben und der erworbene Umgang mit dem Medium Film ihn durch den Raum der Videothek, dem er seine Geschichte und sein Narrativ zugleich entlockt, um es mit jedem Besuch nicht nur individuell neu zu gestalten, sondern ebenso zu erfahren. Gleichfalls im Zeitalter des Downloads, der das stetige Jetzt der Filmgeschichte am Ort der Videothek in das permanente Präsens des Internets transformiert, bleibt die Videothek das flexible Archiv, welches sich im Wechselspiel von Aktualität, Ökonomie und dem Wünschen und Wissen des Nutzers stets neu konstituieren muss. Trotz der Möglichkeiten des Internets, Filmkonsum vollends als eine raumlose Erfahrung zu generieren, stellt sie weiterhin eine Ansammlung von Paratexten des Films dar, die keiner haptischen und konkret begehbaren Konkurrenz ausgesetzt ist. Verändert haben sich seit den 1980er Jahren neben den Trägermedien und den Fragen des Zugangs zum Medium Film selbst die Genres, deren Geschichte zur Hochzeit der Videothek eng mit deren eigener Historiografie verbunden war. Der Horrorfilm ist somit längst nicht mehr eine Ausformung des unterschlagenen Films, die nur unter der Ladentheke erworben werden konnte. Sowohl wurden die Filme der Genres durch neue Produktionen des Kinos der 2000er Jahre in einen neuen Status erhoben, als auch zahlreiche Filme, die die Diskussion der 1980er Jahre bestimmten, mittlerweile vom Index gestrichen. Ihre Auswertung auf DVD und Blu-ray erfolgte entweder schon, oder steht mittlerweile kurz bevor. Und auch die Möglichkeiten des Zugriffs auf den Pornofilm haben sich durch die Distributionswege und veränderten Rezeptionsbedingungen des Internets maßgeblich verändert. Das,

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was man sich durch das Erotikangebot der Videotheken erstmals ins eigene Haus holen konnte, um es im Privatraum zu konsumieren, ist nun immer schon im Raum des Privaten selbst vorhanden und befindet sich nur den einen sprichwörtlichen Klick entfernt. Was gratis auf Plattformen wie youporn angesehen und heruntergeladen werden kann, wird nicht mehr in der Videothek geliehen.15 Erneut scheint die Pornobranche vor einem Umbruch zu stehen, der ähnlich einschneidend wirken mag wie der Wechsel vom Kinofilm auf die einst neuen Möglichkeiten des Magnetfilms. Wie bereits in den 1980er Jahren reizt die Industrie nicht nur die Möglichkeiten der Trägermedien, sondern auch jene der zukünftigen Technologien vollends aus, obwohl viele dieser Einsatzmöglichkeiten eher noch einem Exerzierfeld gleichen und deren Akzeptanz durch den Nutzer fraglich bleibt.16 Noch kann die Videothek auf diese neuen Herausforderungen reagieren. Einerseits setzen viele Ketten auf ein paralleles Angebot, welches es dem Nutzer zusätzlich erlaubt, vor Ort Filme zu entleihen und zugleich auf die Möglichkeiten des Downloads zurückgreifen zu können. Andererseits kommt es zu einer stetigen Erweiterung des Programms. Gerade durch die Expansion des Serienmarktes auf dem Trägermedien DVD kann sich die Videothek auf Produkte stützen, die nicht genuin mit dem Medium Film in Verbindung stehen, sondern in eine Konkurrenzsituation mit dem Fernsehen treten. Die Konzentration auf den Ausbau der Serie als televisuelles Format, wie es in den 1980er Jahren zur Strategie der öffentlich-rechtlichen Sender gehörte, um sich von den neuen Konkurrenten im Medienensemble des Jahrzehnts abzusetzen, wird durch die Videotheken reaktualisiert. Zwar konnte der Mediennutzer schon immer einen geringen Anteil an auf VHS veröffentlichten Serien entleihen und konsumieren, oft sogar noch vor der Ausstrahlung durch das deutsche Fernsehen17, doch erst die platzsparenden

15 Vgl. zum Aspekt der Internetpornografie: Feona Attwood (Hrsg.), Porn.com. Making sense of Online Pornography, New York u. a. 2010. 16 So hat gerade der Pornomarkt starke Anpassungsschwierigkeiten in Bezug auf die neue HD-Qualität der Produktionen. Vgl. Jörg von Brincken, Scharfe Bilder. Zur intimen Beziehung von Porno und HD-Technologie. In: Jens Schröter/Marcus Stiglegger (Hrsg.), High Definition Cinema. Navigationen. Zeitschrift für Medien und Kulturwissenschaft 1/2011, S. 71-82. 17 Gerade im Bereich der Science-Fiction kamen oft vor der deutschen Erstausstrahlung Folgen mit einzelnen Kassetten in die Videotheken, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Erst heute stellen mehr und mehr Videotheken auf einen Serienverleih im großen Stil um, der es ermöglicht, nicht nur einzelne Discs, sondern ganze

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Veröffentlichungen in einer Box durch die DVD erlauben es den Videotheken, dem Kunden ganze Archive an Serien anzubieten.18 In gewisser Form hat die Videothek heute schon ihr eigenes Ende überlebt, obgleich lediglich nominell. So erhält in Michel Gondrys Komödie BE KIND REWIND die Hauptfigur auf die Frage, ob die besuchte Videothek den Film GHOSTBUSTERS19 auf VHS hätte, die einzig richtige Antwort: „There´s no VHS here, Buddy.“20 Im Namen erinnert sie somit an ein Medium, welches vor Ort wie auch im Alltag des Mediennutzers mehr und mehr obsolet erscheint.21 Die Versuche der Branche, auf die Bezeichnung der Mediathek22 zu setzen, werden zwar von der Industrie konsequent beachtet, nicht aber vom Kunden selbst, der weiterhin in die Videothek geht, um dort nun allerdings andere Medien zu entleihen. Die hypothetische Frage zu beantworten, ob es die Videothek auch nach weiteren zehn Jahren noch geben wird, kann nicht Ziel einer wissenschaftlichen Arbeit sein. Umso mehr erstaunt es, dass sie anderenorts – wie das eingangs gewählte Zitat zeigt – schon beantwortet zu sein scheint. Wichtig ist es jedoch, den Ort des filmischen Wissens, wie er sich seit 1980 in Form der Videothek konkretisiert hat, weiterhin bezüglich der Frage nach den Möglichkeiten genau dieses filmischen Wissens zu befragen. Ausgehend von den Veränderungen, die die Videothek auf die Zirkulation von Bildern und Ikonografien des Films hatte, erhielte man so gegebenenfalls einen stärkeren Fokus, der einen Zugang eröffnet zu einer Form des Filmkonsums, die,

Boxen zu entleihen – ein Vorgang, den die öffentlichen Bibliotheken schon seit einigen Jahren praktizieren. 18 Vgl. zu dieser veränderten Rezeption der Serie: Christian Junklewitz/Tanja Weber, Unterhaltung aus der Box – Serienrezeption auf DVD. In: Ligensa/Müller, Re:zeption (im Erscheinen). 19 GHOSTBUSTERS [dt. GHOSTBUSTERS – DIE GEISTERJÄGER]; R: Ivan Reitman, USA 1984. 20 BE KIND REWIND, TC 00:26:46h. 21 Neben der VHS hat die Videothek auch das mediengeschichtliche Zwischenspiel der Laserdisc sowie diverser heute kaum mehr im Gebrauch befindlicher Computersysteme wie des N64 und ähnlichem überlebt. 22 Die so neu nicht ist: Schon in den 1980er Jahren kannten medienwissenschaftliche Lexika den Begriff der Mediotheken und auch die Branche sah in der Mediathek die Zukunft der Videothek. Vgl. Klaus Brepohl, Lexikon der neuen Medien. Vierte, aktualisierte Auflage, Köln 1985, S. 134 f. sowie Sibylle Alverdes, Videothek mit neuem Konzept. Mit Medienthek in die Zukunft. In: Videowoche 41/1992, S. 13.

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wie angedeutet, mehr und mehr ortlos zu werden droht. Dass dies bis heute noch nicht der Fall ist, zeigt sich daran, dass trotz aller Bedenken gegen das Fortbestehen der Videothek dieser Ort noch immer in der Verwertungskette des Mediums Film wie auch im kulturellen Gefüge der Städte zu finden ist und daher die eingangs gewählten Worte des US-amerikanischen Videothekenpioniers George Atkinson aus dem Jahr 1985 Geltung haben mögen: „It’s a ritual and fun thing to go into a videotheque.“23 Ob es sich hierbei tatsächlich nur um den nostalgischen Rückblick auf die eigene Medienbiografie und die Erfahrung der genuin persönlichen Filmsozialisation handelt, bleibt schlichtweg abzuwarten.

23 Hediger, Rituale des Wiedersehens, S. 71.

V. Anhang L ITERATURVERZEICHNIS I. Zeitschriftenartikel a) Videofachzeitschriften O.A., Bei Anruf Video! In: Videowoche 47/1992, S. 4. O.A., DDR/Warner-Home-Video. Wer hat noch nicht, wer will noch mal? In: Videowoche 25/1990, S. 6. O.A., Der Bundesverband Video. Vor zehn Jahren aus der Taufe gehoben. In: Videowoche 39/1992, S. 14-15. O.A., Ein Vergleich. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 344. O.A., Erfahrungsbericht aus Leipzig. Jetzt werden wir Verstöße ahnden. In: Videowoche 20/1992, S. 18. O.A., Ermittlungsleiter Jochen Tielke: „Die Formen haben sich gewandelt“. In: Videowoche 26/1992, S. 16-17. O.A., Gemeinsam sind wir stark. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 11. O.A., Gerd Cremer weiter im Amt. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 39. O.A., IVD stoppt Premiere-Werbung. In: Video Woche 7/1992, S. 38. O.A., Medien-Beratung: Das Deutsche Video Institut. In: Videografie 4/1982, S. 240-241. O.A., Mit Schaum vor dem Mund. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 343. O.A., Nahe beim Hauptbahnhof. In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 423. O.A., Neuer IVD-Landesverband gegründet. In: Videowoche 27/1991, S. 3.

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O.A., Noch nie war die Lage so ernst. Preissenkung – Zustimmung auf breiter Front. In: Videowoche 14/1990, S. 6. O.A., Premiere-Programm im Mai 1991. In: Videowoche 18/1991, S. 35. O.A., Wo kämen wir denn hin? In: Das Video-Jahrbuch 83. Mit dem Besten aus dem Dittmar-Heck, Reutlingen 1984, S. 15-16. Ahlschwedt, Werner, Gut, besser, perfekt: die Kassettenaufbewahrung. In: Video aktiv 3/1983, S. 82-84. Alverdes, Sibylle, Attraktive Ladengestaltung. Ordnung sorgt für guten Umsatz. In: Videowoche 13/1992, S. 10-11. Alverdes, Sibylle, Einigung perfekt. In: Videowoche 15/1991, S. 14. Alverdes, Sibylle, FFG-Novellierung. Was wird aus der Filmförderung? In: Videowoche 37/1991, S. 22. Alverdes, Sibylle, Geschäftsaufgaben. Nicht nur Videobranche leidet unter Rezession. In: Videowoche 27/1992, S. 18-21. Alverdes, Sibylle, Kaufkassette ja, aber… In: Videowoche 50/1991, S. 6-7. Alverdes, Sibylle, Merchandising. Ein Trend setzt sich fort. In: Videowoche 12/1991, S. 20. Alverdes, Sibylle, Plakataktion. Video ist schneller. In: Videowoche 14/1991, S. 18. Alverdes, Sibylle, Raubkopien. Original oder Fälschung? In: Videowoche 24/1991, S. 21. Alverdes, Sibylle, So wichtig ist das Zusatzsortiment. Videospiele und Kaufvideos sind die Renner. In: Videowoche: 44/1992, S. 16-17. Alverdes, Sibylle, Videothek mit neuem Konzept. Mit Medienthek in die Zukunft. In: Videowoche 41/1992, S. 13. Alverdes, Sibylle, Wie wichtig ist das Zusatzsortiment? In: Videowoche 40/1992, S. 14-15. Birr, Joachim, Video – Zahlmeister für den deutschen Film. In: Videowoche 43/1991, S. 10. Goreßen, Ulrike, Anhörung in Magdeburg. Vermietverbot vom Tisch? In: Videowoche 8/1992, S. 21. Goreßen, Ulrike, Auswertungsfenster. (Noch) Keine Gefahr durch Premiere. In: Videowoche 25/1991, S. 11. Goreßen, Ulrike, „Batman“ als Gewaltvideo verunglimpft. In: Videowoche 24/1992, S. 12. Goreßen, Ulrike, DDR-Videothekare. Bar-Kauf sehr beliebt. In: Videowoche 41/1990, S. 11.

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Goreßen, Ulrike/Alverdes, Sibylle, Drei Monate Informationsbüro. Alle Wege führen nach Köpenick. In: Videowoche 14/1992, S. 14-15. Goreßen, Ulrike, Gerda Ollmann: Neue Pressesprecherin der IVD. In: Videowoche 38/1990, S. 14. Goreßen, Ulrike, GVU schlägt zu. Videopiratenring ausgehoben. In: Videowoche 28/1991, S. 14-15. Goreßen, Ulrike, IVD Sprechstunde in Ostberlin. Der Erfolg spricht eindeutig für sich. In: Videowoche 15/1992, S. 10. Goreßen, Ulrike, IVD-Vorstand tagte. „Sprechstunde“ für Ost-Kollegen geplant. In: Videowoche 6/1992, S. 16. Goreßen, Ulrike, Kampf gegen Wohnzimmerpiraten. Selbstschutz statt Kopierschutz. In: Videowoche 18/1992, S. 18-19. Goreßen, Ulrike, Runderlass in NRW. Drugstore oder Videothek? In: Videowoche 39/1990, S. 14. Goreßen, Ulrike, Vereinigung. Die IVD ist tot, es lebe die IVD. In: Videowoche 37/1990, S. 18. Hackeschmidt, Jörg, Industrie lenkt ein. Preise kommen ins Rutschen. In: Videowoche 12/1990, S. 18-19. Huss, Judith, Die Kaufkassette: Pro und Contra. Umsatzretter oder Verleihkiller? In: Videowoche 46/1991, S. 3. Huss, Judith, Gehört die Kaufkassette in die Videothek? In: Videowoche 46/1991, S. 16-17. Huss, Judith, Werbeort Videothek. Videoclips von Videohits. In: Videowoche 23/1991, S. 6. Jonke, Michael, Das Rennen hat begonnen. Wird die DDR zum Video-ElDorado? In: Videowoche 14/1990, S. 22-25. Jonke, Michael, Kaufkassette in die DDR. Wer hat die Rechte für den Vertrieb? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 17. Jonke, Michael/Goreßen, Ulrike, Osthandel. Einigkeit und Recht und D-Mark. In: Videowoche 30/1990, S. 8-9. Jonke, Michael, Preisdiskussion geht in die zweite Runde. Langsam verhärten sich die Fronten. In: Videowoche 24/1990, S. 10. Koschmieder, Dietmar, Ostdeutscher Videohandel: Angst vor der Konkurrenz. In: Videowoche 12/1991, S. 12-14. Koschmieder, Dietmar, Vertriebsschiene Videothek. Wer hat Angst vor der Kaufkassette? In: Videowoche 34/1991, S. 28-30.

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Koschmieder, Dietmar, Wachsende Konkurrenz und soziale Not. Reicht Geld für Brot und Video? In: Videowoche 13/1991, S. 12-13. Krüger, Ulrich, Kaufkassetten-Aktion. Nur für Videotheken. In: Videowoche 15/1992, S. 8. Krüger, Ulrich, Studie über neue Bundesländer. Jugend gefährdet durch Gewaltvideos? In: Videowoche 5/1992, S. 16-17. Manoutschehri, Monika, USA. Videotheken bald Vergangenheit? In: Videowoche 15/1991, S. 17. Moeckel, Gottfried, Verleihmarkt in der Krise (I). Gibt es zu viele Videotheken? In: Videowoche 43/1992, S. 14-15. Müller, Anne, Thema Vermietverbot. Berghofer-Weichner: ,Verbote müssen sein‘. In: Videowoche 12/1991, S. 3. Müller, Anne, Videospiele. ,Eine gigantische Umsatzentwicklung‘. In: Videowoche 24/1991, S. 16-17. Niemeyer, Patrick, Fox steigt aus. Gerät das Zentrallager ins Wanken? In: Videowoche 25/1991, S. 16. Niemeyer, Patrick, Videospiele im Verleih. Aller Anfang ist leicht. In: Videowoche 12/1992, S. 10. Radzwill, Christina, Preisverfall bei Kaufkassetten. Fluch oder Segen? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 4-7. Rumbucher, Jörg, Die meisten Videothekare optimistisch. „Video-Spiele als zweites wirtschaftliches Standbein“. In: Videowoche 22/1992, S. 21-22. Rumbucher, Jörg, Video in öffentlichen Bibliotheken. Staatliche Konkurrenz für Videotheken? In: Videowoche 45/1992, S. 12-13. Ruof, Bernd, Andreas Zachrau. Neue Wege ausprobieren. In: Videowoche 15/1992, S. 11. Ruof, Bernd, IVD mit eigener Einkaufsgemeinschaft. In: Videowoche 51/1992, S. 13. Ruof, Bernd, Nach Kräftemessen folgt der Umschwung. In: Videowoche 24/1992, S. 16. Ruof, Bernd, Videopiraterie auf neuen Wegen. Kassettendiebstahl im großen Stil. In: Videowoche 50/1992, S. 12. Scheu, Reinhold, Risikobranche Video. Der Stoff, aus dem die Pleiten sind. In: Videowoche 9/1992, S. 16-17. Thomass, Rüdiger, Videofilme richtig archiviert. Ordnung gefällig? In: Video aktiv 4/1983, S. 68-70.

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Vollmer, Eckhard, US-Videomarkt. Überholt der Verkauf den Verleih? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 25. b) Der Ikarus IVD, 20 Jahre IVD. Verbandsarbeit für den Videofachhandel 1983-2003, Düsseldorf 2003. 80 Prozent Jugendkriminalität wegen Video? In: Der Ikarus 9/1987, S. 25. Abseits aller Lebenswirklichkeit. In: Der Ikarus 5/1987, S. 1-2. „Agent-Provocateur“ in Videotheken illegal. In: Der Ikarus 9/1987, S. 30-31. Alles für die CAZ? In: Der Ikarus 2/1989, S. 2. Am Cassettenberg scheiden sich die Geister. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 11-14. Am Ziel beginnt die Zukunft. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 1-2. Aus dem Pressedienst der FDP. In: Der Ikarus 7/1987, S. 10-11. Bei Round-Table-Gesprächen mit den Hardcore-Anbietern. In: Der Ikarus 6/1987, S. 3. Billigvideotheken. In: Der Ikarus 5/1987, S. 13. Bonn: Erste Lesung wg. Verleihverbot. In: Der Ikarus 10/1987, S. 5-23. Das Produkt Video-Cassette: Produkt-Präsentation: Appetit machen mit den Augen! In: Der Ikarus 11/1988, S. 49-53. Der A+V Video-Markt aus Kassel teil mit. In: Der Ikarus 6/1987, S. 12. Der Gesetzesentwurf des Bundesrates zur Videothekeneliminierung. In: Der Ikarus 6/1987, S. 13-20. Der Landesverband IVD Saarland informiert. In: Der Ikarus 3/1987, S. 27-28. Die deutschen Porno-Video-Anbieter danken Franz-Josef Strauß mit einer Super-Party. In: Der Ikarus 7/1987, S. 6-7. Die Lukesch-Studie. In: Der Ikarus 5/1989, S. 12-19. Die Neue Presse schreibt: Videotheken sind nach Pleitephase wieder im Kommen. In: Der Ikarus 10/1988, S. 50. Die Service GmbH. In: Der Ikarus 9/1989, S. 1. Die Überlegungen der CSU. In: Der Ikarus 2/1987, S. 10. Ebenso wie die Kinos. In: Der Ikarus 6/1987, S. 47-48. Ein frohes neues Jahr. In: Der Ikarus 12/1985, S. 2. Ein permanenter Wandel. In: Der Ikarus 2/1987, S. 1-2. Ein Rundschreiben an alle Mitglieder des Bundestages. In: Der Ikarus 11/1986, S. 27-28.

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Eine Branche baut um… Große und kleine Lösungen. In: Der Ikarus 11/1986, S. 22-24. Eine Zensur findet nicht statt… Tanz der Teufel vor Gericht. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 27-37. Einer Branche droht die Aushöhlung. Video-Kinnhaken von Vater Staat. Medium leidet an Diskriminierung. In: Der Ikarus 12/1986, S. 8-9. Etikettenschwindel?! Thema „Freddy“ in der Publikumspresse. In: Der Ikarus 11/1989, S. 6. Filmförderungsabgabe, Nagel zum Video-Sarg? In: Der Ikarus 12/1986, S. 1. Fundsachen im deutschen Blätterwald. In: Der Ikarus 3/1986, S. 18. Gedanken zum geplanten Verleihverbot. In: Der Ikarus 7/1987, S. 1. Gefahr im Verzug. In: Der Ikarus 6/1986, S. 2. Geklaute Covers. In: Der Ikarus 4/1989, S. 30. Gigantische Hetzkampagne in der Stadt Hagen. In: Der Ikarus 12/1985, S. 78. GÜFA-Gutachten gegen Verleihverbot. In: Der Ikarus 8/1987, S. 40-47. Heckenschützen in der Jungen Union Saar. In: Der Ikarus 6/1986, S. 10. „Horrorartikel im Münchner Merkur“. FDP dient sich dem Horrorvideoverleih an. In: Der Ikarus 10/1987, S. 30. Horrorfilm – Schicksal der Videobranche oder Cineastendelikatesse? In: Der Ikarus 10/1987, S. 61-64. Horrorfilme unbedingt verbieten! Mädchenmord entfacht neue Diskussion. In: Der Ikarus 12/1986, S. 5-6. Im Spiegel gelesen. In: Der Ikarus 12/1985, S. 6-7. Indexprogramm bald exklusiv für Privat-TV? In: Der Ikarus 11/1988, S. 8-9. Indizierte Filme exclusiv für Kabel-TV? In: Der Ikarus 6/1987, S. 1-3. IVD im Landtagswahlkampf aktiv. In: Der Ikarus 3/1988, S. 5-10. IVD-Stellungnahme zum Gesetzesentwurf „Verleihverbot“. In: Der Ikarus 10/1987, S. 3-4. Jugendschutz seriös gestalten. In: Der Ikarus 10/1987, S. 1. Kassetten-Berg und Imageproblem. In: Der Ikarus 8-9/1988, S. 20. Kübelweise Blut als Werbeträger. Reißerische Videohüllen wecken falsche Erwartungen. In: Der Ikarus 2/1987, S. 12-15. Lackhoff, Hans-Peter, Geschichte der IVD... Teil 1. In: Der Ikarus 5/1988, S. 12-15. Medientage München. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 21-45. Mit Videozensur gewinnt man keine Wahlen. In: Der Ikarus 6/1989, S. 1.

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Mönchengladbach ein Raubkopierereldorado? In: Der Ikarus 11/1988, S. 22. Neue Entwicklungen, neue Strategien. In: Der Ikarus 4/1987, S. 10-11. Neues Filmlexikon von Rowohlt. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 15. Offener Brief an die Familienministerin Frau Dr. Lehr. In: Der Ikarus 10/1989, S. 34-35. Offener Brief. Betr.: Coverbetrug bei Ihrem Film C.A.T. 2. In: Der Ikarus 10/1989, S. 38. „Oscar“ ist nicht nur Auszeichnung, sondern auch Verkaufshelfer. In: Der Ikarus 3/1988, S. 45-46. Polizei überfällt Traditionsbetrieb. In: Der Ikarus 7/1989, S. 40-41. Polizei und GVU schlagen Alarm: In Deutschlands Wohnzimmern blüht die Videopiraterie. In: Der Ikarus 10/1989, S. 39-40. Pressemitteilung des Caritas-Verbandes. In: Der Ikarus 5/1988, S. 38. Pressespiegel. In: Der Ikarus 5/1989, S. 4-12. Probleme mit Billigvideotheken. In: Der Ikarus 5/1987, S. 10-12. Prof. Lukesch: Bluff mit alten Zahlen. In: Der Ikarus 5/1988, S. 1. Programmanbieter melden. In: Der Ikarus 8/1987, S. 15. Reichlich weltfremd. In: Der Ikarus 5/1986, S. 3. Sachlich kritische AJS-Stellungnahme zum Thema „Pornographie“. In: Der Ikarus 1/1989, S. 12-16. Seltene Solidarität. In: Der Ikarus 5/1986, S. 5. Steht Strauß ein neuer Protektionsskandal ins Haus? In: Der Ikarus 3/1986, S. 2. Stern-Schnuppen. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 15. Stoiber rügt Stefen. In: Der Ikarus 9/1987, S. 15. Szene Hamburg macht einen Videotheken-Test. In: Der Ikarus 1/1989, S. 3-4. Top-Videotheken mit Presseresonanz. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 17. Traum und Wirklichkeit. In: Der Ikarus 11-12/1987, S. 1. Und wieder ist nicht Freitag der 13. In: Der Ikarus 3/1987, S. 3. Video im Spiegel. In: Der Ikarus 8/1987, S. 27-31. Videokongress 1987 kommentiert von der FAZ. In: Der Ikarus 9/1987, S. 10-12. Videothekarin vor Gericht. Ohne Tür auch kein Geschäft. In: Der Ikarus 9/1989, S. 16. Viele Hoffnungen konzentrieren sich auf Macrovision. In: Der Ikarus 9/1987, S. 16-17.

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Vier Fäuste für ein Halleluja. In: Der Ikarus 9/1986, S. 3-6. Vom Präsidium des Landesfrauenausschusses Bayern. In: Der Ikarus 12/1985, S. 14-17. Von Beate Uhse-Video erreicht uns folgender Brief. In: Der Ikarus 12/1985, S. 5. Vorsichtige Videothekare und uneinsichtige Eltern. In: Der Ikarus 11/1986, S. 24-25. Zahlreiche Video-Piraten auf frischer Tat ertappt. In: Der Ikarus 4/1988, S. 14-16. Zehn Punkte-Selbstverpflichtung. In: Der Ikarus 1-2/1988, S. 9. Zum Thema Coverbetrug. In: Der Ikarus 2-3/1988, S. 24-25. Zum Thema Verleihverbot. In: Der Ikarus 3/1986, S. 18-19. Zur Landtagswahl in Niedersachsen. In: Der Ikarus 3/1986, S. 3. c) Zeitungs- und Zeitschriftenartikel O.A., Bomben im Regal. In: Der Spiegel 34/1982, S. 173-175. O.A., „Computer – Das ist wie eine Sucht!“ In: Der Spiegel 50/1983, S. 172183. O.A., „Die Deutschen sind voll auf Video abgefahren“. In: Der Spiegel 19/1983, S. 32-49. O.A., „Dies ist für uns das Jahr Null“. In: Der Spiegel 48/1980, S. 36-58. O.A., Dornröschen geht. In: Der Spiegel 48/1983, S. 94-99. O.A., Droge Video. In: Der Spiegel 42/1983, S. 90-96. O.A., Jugendkriminalität. Popstars in der Tiefkühltruhe. In: Der Spiegel 17/1991, S. 101-105. O.A., Lachende Hühner. In: Der Spiegel 8/1984, S. 105-106. O.A., Porno mit Verzehr. In: Der Spiegel 25/1975, S. 117-118. O.A., Rückkehr zum Schnulzenkartell? In: Der Spiegel 43/1983, S. 225-231. O.A., Schnelle Mark. In: Der Spiegel 47/1981, S. 87-92. O.A., Traumfabriken erstrahlen in neuem Glanz. In: Der Spiegel 48/1980, S. 48. O.A., Video schuld! In: BILD, 03.03.1984, S. 1. O.A., ‚Zum Frühstück ein Zombie am Glockenseil‘. In: Der Spiegel 11/1984, S. 34-55. App, Volkhard, Mythen des 20. Jahrhunderts. Comics in der Bundesrepublik. In: Medium 4/1988, S. 72-75.

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AugenBlick.

Marburger

Hefte

zur

Medienwissenschaft

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Meteling,

Arno,

Wundfabrikationen.

Pornografische

Techniken

des

Splatterfilms. In: F.LM 1/2003, S. 4-14. Modleski, Tania, Die Rhythmen der Rezeption: Daytime-Fernsehen und Hausarbeit. In: Frauen und Film 42/1987, S. 4-11. Schröter, Jens, Das Zeitalter der technischen Nicht-Reproduzierbarkeit. In: ders. u. a. (Hrsg.), Kulturen des Kopierschutzes I. Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, 1/2010, S. 9-36. Schüttpelz, Erhard, Körpertechniken. In: ZKM 1/2010, S. 101-120.

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A BBILDUNGSVERZEICHNIS I. Geschichtliche Entwicklung einer neuen Institution 2.1 Abb. 1: Eckis Welt. Die älteste Videothek der Welt; R: Olaf Saumer, BRD 2007, TC 00:00:14h. 2.1 Abb. 2: Ebd., TC 00:00:56h. 2.1 Abb. 3: Ebd., TC 00:06:30h. 2.1 Abb. 4: Ebd., TC 00:06:38h. 2.2 Abb. 5: Loest, Klaus-G./Glang-Süberkrüb, Annegret, Video in der öffentlichen Bibliothek. Ein Handbuch für Praktiker, Berlin 1986, S. 298. 2.2 Abb. 6: Ebd., S. 296. 2.2 Abb. 7: Ebd., S. 297. 2.2 Abb. 8: Ebd. 3.1 Abb. 9: Stefan Jakob, Jubel auf Hochglanz. Video Zeitschriften. Ein Überblick. In: Medium 11/1982, S. 18. 3.2 Abb. 10: IVD, 20 Jahre IVD. Verbandsarbeit für den Videofachhandel 19832003, Düsseldorf 2003, S. 8. 3.3 Abb. 11: MAMA, PAPA, ZOMBIE; R: Claus Bienfait, BRD 1984, TC 00:02:58h. 3.3 Abb. 12: Ebd., TC 00:28:23h. 3.3 Abb. 13: Ebd., TC 00:32:49h. 3.3 Abb. 14: O. A., Erfahrungsbericht aus Leipzig. Jetzt werden wir Verstöße ahnden. In: Videowoche 20/1992, S. 18. 3.5 Abb. 15: Cover des Ikarus 11-12/1987. 3.6 Abb. 16: Ulrike Goreßen, GVU schlägt zu. Videopiratenring ausgehoben. In: Videowoche 28/1991, S. 14. 3.6 Abb. 17: Bernd Ruof, Videopiraterie auf neuen Wegen. Kassettendiebstahl im großen Stil. In: Videowoche 50/1992, S. 12. 3.8 Abb. 18: IVD, Geschäftsbericht 1993, Düsseldorf 1994, S. 5. 3.9 Abb. 19: Christina Radzwill, Preisverfall bei Kaufkassetten. Fluch oder Segen? In: Videowoche kaufkassettenmarkt 2/1990, S. 4. II. Die mediale Praxis der Videothek 1.1 Abb. 20: Zusatzsortiment World of Video-Filiale Odenkirchen/Mönchengladbach, Privatbesitz. 1.1 Abb. 21: Zusatzsortiment World of Video-Filiale Odenkirchen/Mönchengladbach, Privatbesitz.

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1.2 Abb. 22: THE HOLIDAY [dt. LIEBE BRAUCHT KEINE FERIEN]; R: Nancy Meyers, USA 2006, TC 01:30:04h. 1.2 Abb. 23: Ebd., TC 01:30:37h. 1.2 Abb. 24: Ebd., TC 01:30:55h. 1.2 Abb. 25: Ebd., TC 01:31:12h. 1.2 Abb. 26: Ebd., TC 01:31:16h. 1.2 Abb. 27: Ebd., TC 01:31:33h. 1.2 Abb. 28: Ebd., TC 01:31:37h. 1.2 Abb. 29: Ebd., TC 01:31:49h. 2.3 Abb. 30: Kassettenberg in der Filmgalerie 451/Berlin, Privatbesitz. III. Die Videothek und das Wissen vom Film 1.1 Abb. 31: DRIVE-IN MOVIE MEMORIES; R: Kurt Kuenne, USA 2001, TC 00:14:34h. 3.1 Abb. 32: BE KIND REWIND [dt. ABGEDREHT]; R: Michel Gondry, UK/USA 2008, TC 00:26:33h. 3.1 Abb. 33: Ebd., TC 00:17:47h. 3.1 Abb. 34: http://www.ps.tv/ladenbau/entertainment-stores/empire (Zugriff am 01.09.2012 – Quelle nicht mehr abrufbar). VI. Schlussbetrachtungen oder: Be kind rewind! 1.1 Abb. 35: Riegel, Ronald, Das Tschibo-Syndrom. Video-Hardware: immer noch Schrott von morgen. In: Medium 11/1982, S. 14.

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D ANKSAGUNG Mein großer Dank gilt all jenen, die diese Arbeit in ideeller wie auch materieller Form unterstützt haben. So möchte ich als erstes meinen beiden Betreuern Prof. Dr. Jens Schröter, Universität Siegen, und Prof. Dr. Hermann Kappelhoff, Freie Universität Berlin, für ihre Hilfe, das stets offene Ohr für Fragen wie auch ihre begleitenden und ermutigenden Worte danken. Mein Dank gilt ebenso PD Dr. Marcus Stiglegger, Prof. Dr. Niels Werber und Prof. Dr. Erhard Schüttpelz, die das Projekt gleichfalls ein Stück des Weges begleiteten respektive die Promotion in der Disputation im April 2013 mit zu einem guten Ende führten. Danken möchte ich ebenso der Graduiertenschule „Locating Media/Situierte Medien“ der Universität Siegen, die es mir ermöglichte, durch ein Stipendium dieses Projekt in Angriff zu nehmen und gleichfalls großen Anteil daran hat, dass diese Publikation verwirklicht werden konnte. Neben den Teilnehmern des Forschungskolloquiums der Graduiertenschule gilt mein besonderer Dank Annika Richterich und Pablo Abend, die neben Landkarten und Google Earth stets Zeit hatten für einen gedanklichen Gang in den Raum der Videothek. Besondere Unterstützung wurde mir vor allem durch Dr. Gabriele Schabacher zuteil, die als Koordinatorin der Graduiertenschule für die Forschung der Stipendiaten in mehr als einer Hinsicht eine große Hilfe war. Danken möchte ich weiterhin den Leitern und Teilnehmern des Forschungskolloquiums von Prof. Dr. Irmela Schneider, Universität zu Köln, wie auch des Forschungskolloquiums von Prof. Dr. Hermann Kappelhoff, FU Berlin, für die Möglichkeit, manchmal auch noch unfertige Gedanken zur Diskussion zu stellen. Ich danke den Teilnehmern meines Seminars „Video und Videothek“, welches ich im Sommersemester 2010 am Institut für Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft der Universität zu Köln gehalten habe, für die dort erhaltene Inspiration, die Gespräche, aber auch gerade für jene Fragen, auf die ich dort noch keine Antwort hatte. Eine große materielle wie ideelle Unterstützung fand ich im IVD. Nicht nur, dass HansPeter Lackhoff und Jörg Weinrich mir auf zahlreiche Fragen spannende Antworten geben konnten, sie ermöglichten mir auch die Auswertung des Ikarus, der mir umfassende Einblicke in die Tätigkeit der Videothekare in den 1980er Jahren vermittelte. Auch Herrn Dr. Erhard Kranz gilt mein Dank, der mir nicht nur durch seine großzügige Spende die Auswertung der Videowoche möglich machte, sondern die Umbruchsituation 1989/1990 aus Sicht des Vereins besonders eindrucksvoll schilderte. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Klaus-G. Loest, stellvertretender Bibliotheksleiter der Stadtbibliothek Bielefeld, der sich nicht nur bereitwillig an die Zeit erinnerte, als das neue Medium seinen Einzug in die buchbesetzen Räume hielt, sondern mit mir den Gang in die Katakomben wagte, wo diese ersten VHS-Kassetten immer noch den örtlichen Bestand

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ergänzten. Den letzten Umzug der Stadtbibliothek Bielefeld werden allerdings auch diese nicht mehr mitgemacht haben. Wenngleich diese Form der Hilfe schon ein wenig zurückliegt, so möchte ich doch vor allem den Kolleginnen und Kollegen danken, mit denen ich selbst zwischen 2000 und 2007 (mit kurzer Unterbrechung) in der Filiale des Deutschen Videorings (heute World of Video) in Odenkirchen/Mönchengladbach arbeiten durfte. So gilt mein Dank hier insbesondere Christiane Arndt und Niels Eckers, Ingrid Andree wie auch Birgit Hermanns. Durchaus konkreter gilt mein Dank all jenen, die bei der Fertigstellung dieses Projektes auf die eine oder andere Art und Weise Hand angelegt haben. Namentlich sind dies Hanno Berger, Danny Gronmaier, Louisa Manz wie auch Sinan Ertugrul und Janine Schleicher. Ganz besonders möchte ich mich bedanken bei Sabrina Klante, von der das wunderbare Covermotiv stammt, welches ich mir schon früh als zierendes Bild dort gewünscht habe, wo es nun zu finden ist. Ein ebenso großer Dank geht an Rosemarie Klein, die mit außerordentlicher Professionalität und Geschwindigkeit das Lektorat des Manuskriptes übernommen hat und immer noch eine Spur mehr gesehen hat als ich selbst. Der letzte, wenngleich auch vielleicht mit der größte Dank, geht an jene, die alleine durch ihr Dasein dieses Projekt möglich gemacht haben. Ich danke daher Thorsten Hohgräwe für die gebackene Ente am Telefon, Eileen Rositzka für das Schlangestehen in der Pharmazeutenmensa ohne Kittel, Christian Pischel für den Kaffee samt Brötchen jeden zweiten Werktag und Daniel Illger für die rabenschwarze Fantasy. Ich danke Dominik Haupts für sein Sosein und Ingeborg Haupts dafür, dass sie meiner VHS-Sammlung immer noch ein Zuhause gibt. Und ich danke meinem Vater Erich Haupts, der nun schon so lange nicht mehr da ist, dafür, dass er mir schon früh zeigte, wie man eine Kassette zurückspult, auch wenn ich bei der ersten eigenen Aufnahme und dem Versuch, die Werbung herauszuschneiden, den Film ruiniert habe. Ganz besonders und in jeder Hinsicht gehört mehr als nur mein bloßer Dank Annika Schaefer. Ich denke, da sind noch eine Menge guter Filme drin auf unserem gemeinsamen Weg – und wenn die Videothek wirklich an ihr Ende kommen sollte, holen wir sie uns eben woanders.