Die verfluchte Krankheit: Kulturgeschichte der Medizin im Unterricht [1 ed.] 9783737013543, 9783847113546

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Die verfluchte Krankheit: Kulturgeschichte der Medizin im Unterricht [1 ed.]
 9783737013543, 9783847113546

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Medizin und Kulturwissenschaft Bonner Beiträge zur Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin

Band 12

Herausgegeben von Walter Bruchhausen und Ralf Forsbach

Gabriele Danninger

Die verfluchte Krankheit Kulturgeschichte der Medizin im Unterricht

Mit 18 Abbildungen

V&R unipress Bonn University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Bonn University Press erscheinen bei V&R unipress. © 2021 V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Apothekerzeugnis für Maria Anna v. Eckhl, Ordenskandidatin am Nonnberg. 1762. In: Zeugnisse über die Nonnberger Apotheke. AdBA Nonnberg Salzburg 5, 94. Ga. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-6185 ISBN 978-3-7370-1354-3

Inhalt

Medikale Kultur und Gesundheitspolitik im Salzburger Raum um 1800 (Band 1) Eine Fallstudie: Medikale Räume um 1800 – Erfahrungswelten von Krankheit und Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2 Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen« . . . . . . 2.1 »Politisierung« von Krankheit und Gesundheit: Maßnahmen zur Kontrolle des Heilwesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Wissenschaft von der »medizinischen Polizey« . . . . . . . . . 2.3 Gesundheitsaufklärung im bürgerlichen Selbstverständnis . . . . . 2.4 Diskurs in der »wissenschaftlichen Medizin«: Theorie und Praxis in der »gelehrten Heilkunst« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Das Interesse der Ärzte an der Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . 2.6 »Medicus« Witwen und Töchter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Relevanz der Medizingeschichte für Historisches Lernen 1.2 Thesen / Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Quellenproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Terminologische Herausforderungen . . . . . . . . . . . 1.5 Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Ergebnisse und Ausblick – Konsequenzen für die Geschichtsdidaktik und den Geschichtsunterricht . . . .

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3 Organisation eines kontrollierten Medizinsystems – die Salzburger Medizinalverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Gesundheitsreformen unter Johann Jakob Hartenkeil . . . . . . 3.1.1 Exkurs: Kameralistisches Gesundheitskonzept unter Maria Theresia und Joseph II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.2 Ausrottung des »Pfuscherwesens« . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 »Pfuscherei« – Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Vom »Unfug der Quacksalber/-innen« und was dagegen unternommen wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Exkurs: Verbot von Volkskalendern . . . . . . . . 3.4 Die »neue« Medizinalordnung . . . . . . . . . . . . . . .

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4 Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Bedrohungen und Nöte des Alltags . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Mühe um die nackte Existenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 »Die verfluchte Krankheit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Hilfssysteme magischer und religiöser Art . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Rettung durch Magie – Glaube als Aberglaube . . . . . . . . . 4.2.2 Segen-Zauber-Sympathie: Krankheitsvorstellungen . . . . . . 4.2.3 Exkurs: Klösterliche Heilbräuche wie »Einnemmen« und »Adlassen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 »Alles kurirte und doktorte vormals ungescheut, in- und außerhalb der Hauptstadt« – Das Heilpersonal und seine Bedeutung . . . . . 4.3.1 Der »öffentliche« Gesundheitsmarkt: Vom »Geprüften« zum »Ungeprüften« und wer sich »dazwischen« befand. . . . . . . 4.3.2 Wirksamkeit und Wertschätzung – der medizinische Instanzenweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Narrativistische Geschichtstheorie . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Historisches Denken und Lernen . . . . . . . . . . . 5.2 Geschichtsbewusstsein – Geschichtskultur . . . . . . . . . 5.3 Bildungsziele – Geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle 5.4 Subjektorientierte Geschichtsdidaktik . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Konzept der Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Konzeptuelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht – Unterscheidung von Quellen und Darstellungen . . . . . . 5.6.1 Bilder medikaler Kultur – Kompetenzdiagnostik . .

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Die Rolle der Frau im vormodernen Heilsystem (Band 2) . . . . .

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2 Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch . . . . . . . . 2.1 Allgemein weibliche Positionen in der Volksheilkunde . . . . . . . 2.1.1 Sesshafte Heiltätige in der Dorfgemeinschaft . . . . . . . . . . 2.1.1.1 Wasenmeisterei – ein Terrain für Heilkundige? . . . . 2.1.2 Fahrende Heiltätige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Frauen im Arzneimittelgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Die Apothekerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Ölverlegerinnen als Vorläufer pharmazeutischer Fabriken . . 2.1.6 »Materialistinnen« oder Materialwarenhändlerinnen . . . . . 2.1.7 Ölträgerinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.8 Wurzengraberinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Speziell weibliche Heiltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 »Das ein jeder verstendiger haußwirt sein selbst artzt sey« Selbstmedikation – Gesundheitserhaltung und Krankenpflege in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.1 Exkurs: Verfasserinnen von medizinischer Literatur . 2.2.1.2 Kräuterbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1.3 Kalenderwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Geburtshilfe – eine Frauensache . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik 1.1 Forschungstheoretische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Genderperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 »Die weise Frauen« – eine sozialgeschichtliche Betrachtung . . . . 1.4 Mythos versus Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 »Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«. Vergleichende Studie anhand Heiler/-innenprofilen . . . . . . . . . . 3.1 »Individuelle Motive und Storys« – Weibliche Heiltätige stellen sich vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Zur Persönlichkeit der Heilerin: Name, Alter, Familienstand 3.1.2 Berufstätigkeit versus wirtschaftliche und soziale Lage . . . 3.1.3 Mobilität – Immobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Heiltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Berufszugang – Kenntniserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Heilpraxis – Heilverfahren: Vom »Aderlass« bis zum »Abbeten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Die Beziehung zwischen Heilerin und Patient/-in . . . . . .

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4 Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung . . . 4.1 Wendepunkt für traditionelle weibliche Heilbereiche – Rückzug der »öffentlichen« Heiltätigkeit der Frauen . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Beschränkung und Einflussnahme in den familiären Heilbereich der Frau – die »Herrschaft« über den Körper . . . 4.1.2 Geburtshilfe – Eine Männersache . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Verlust von Wissen: Abtreibungsmittel und Schwangerschaftsverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Die Ablehnung der akademischen Ärztin . . . . . . . . . . . . 4.1.5 »Die geborene Krankenschwester« . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 »Quacksalberey« trotz Medizinalreform – Frauen behaupten ihren medizinischen Wirkungskreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 »Ungehorsam« gegen obrigkeitliche Maßnahmen . . . . . . . 4.2.2 Eine Beinbruchexpertin verteidigt sich . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 »Traditionelle Heilkunde« bis in die Gegenwart? . . . . . . .

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5 Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht 5.1 Reflexive Geschlechtergeschichte und Gleichstellung . . . . 5.2 Didaktische Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Gegenwarts- und Zukunftsbezug . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Lebensweltbezug und Subjektorientierung . . . . . . . 5.2.2.1 Lernausgangsdiagnosen . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Prozessorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Problemorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Exemplarisches Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 Handlungsorientiertes Lernen . . . . . . . . . . . . . . 5.2.7 Multiperspektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.8 Wissenschaftsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800« . . . . .

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3.3 Der Ausgrenzungsprozess – Visitation, Verurteilung, Bestrafung . 3.3.1 Kontrolle des Arzneimittelgeschäftes . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Das Urteil für die angeklagten Heiler/-innen . . . . . . . . . 3.3.2.1 Im Zweifelsfalle gegen die Angeklagte . . . . . . . . . 3.3.2.2 Verwarnung oder Zuchthausstrafe? . . . . . . . . . . 3.3.2.3 »…wenn ich das aufhören muß, so bin ich eine bloße Bettlerin« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenschau der Heilerinnenanalyse . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Medikale Kultur und Gesundheitspolitik im Salzburger Raum um 1800 (Band 1)

Eine Fallstudie: Medikale Räume um 1800 – Erfahrungswelten von Krankheit und Gesundheit

»Samstag vor den Palmsonntag um 7 Uhr früh schickten wir diesen (Anm.: Sohn des Totengräbers) mit 2 Gläschen Urin zu der sogenannten Brunnbeschauerin, welche sich entweders in Dürnberg oder Kuchl befinden solle, dahin ab, gaben ihm 48 Kr. für welche er uns von der gerügten Person eine Medizin bringen sollte, die uns beyde von unsern Aussatze reinigen, die Mutter aber auch noch von andern Krankheitszustande herstellen solle.«1

So lautete die Vernehmungsaussage des Totengräbers von Berchtesgaden anlässlich der Verhaftung seines Sohnes am 23. März 1812. Die Eltern entsandten den Jungen nach Dürnberg zur »alten Mayerhoferin«, um medizinische Hilfe im Krankheitsfall der Mutter einzuholen – Ferndiagnose mittels Urin war zu dieser Zeit eine gebräuchliche Form der Heilmittelverordnung. Dabei wurde er bei dem Versuch, einen Opferstock zu eröffnen, gefasst und zur Rede gestellt. Nach Einholung der Aufschlüsse über den Vorfall nahm der Gerichtsdiener pflichtgemäß sofort eine Anzeige gegen die Heiltätige vor, da sich diese durch die Ausübung medizinischer Tätigkeit aufgrund der eingeführten Medizinalordnung vom 11. Jänner 1788 strafbar gemacht hatte. Dem »Auszug der wichtigsten hochfürstlichen Salzburgischen Landesgesetze« von Thaddäus Zauner (1787)2 ist zu entnehmen, dass 1676, 1689, 16913 Verordnungen erlassen werden, die sich gegen ›Quacksalbereien‹ im medizinischen Bereich richten. Weiters verlautete eine Polizeiverordnung vom 12. Februar 1724: »Den Beamten wird ernstlich anbefohlen, daß sie in ihrem Amtsbezirke alle etwa daselbst befindliche unapprobirte Aerzte und andere dergleichen unbefugte Stümper, sowohl Manns= als Weibspersonen, allenthalben gebührend abstellen, und hierinfalls den inländischen berechtigten Badern und Wundärzten von Obrigkeitswegen an die

1 SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44, 13. April 1812. 2 Zauner, Judas Thaddäus (Hg.) (1787). Auszug der wichtigsten hochfürstl. Salzburgischen Landesgesetze zum gemeinnützigen Gebrauch nach alphabetischer Ordnung. Band. 2, Salzburg, 136ff. 3 Ebd.

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Hand gehen, auch solchergestalt die deshalb zu verschiedenen malen ergangenen Landesverordnungen pflichtschuldigst beobachten sollen.«4

Die als »Mayerhoferin« bekannte Barbara Struberin, geboren 1733 in der Pfarre Werfen am Kradlgut, befindet sich zur Zeit der Anklage bereits im hohen Alter von 79 Jahren, sie hat drei Kinder großgezogen, ist Witwe und Austragsbäuerin.5 Schon »eine lange Reihe von Jahren«6 beschäftigt sie sich mit der Heilkunde, deren Kenntniserwerb nicht genau geklärt werden kann. Laut ihren Angaben erhielt sie Unterricht in der Arzneizubereitung von »französischen Weibern«7 und einem bairischen Feldscheer8, welche einige Zeit auf ihrem Gut einquartiert waren. Auch der Ehemann der Barbara Struberin beschäftigte sich mit der Heilkunde, wobei jedoch keinerlei Hinweis darauf vorliegt, wer von wem das Heilwissen erworben hat. Der Patient/-nnenkreis setzt sich vorwiegend aus der »vermögenslosen Klasse«9 zusammen. Die Bezahlung der medizinischen Behandlung erfolgt zumeist mit einem geringen Betrag, wie etwa »nur 4–5 kr[reuzer]«10, was in etwa den Kosten für einen Laib Brot am Ende des 18. Jahrhunderts entspricht. Die »Brunnbeschauerin« hat bedeutenden Zulauf von nah und fern und die Leute fassen großes Vertrauen zu ihr. Befragt nach ihrer Diagnosemethode, erklärt sie, sich früher mit dem häufig angewandten Verfahren der Urinbeschau11 befasst, dann aber aus Altersschwäche der Augen darauf verzichtet zu haben. »Jetzt, da meine Augen ganz schwach sind, muß ich die Krankheit entweder von den Kranken selbst, die – in mein Hause kommen, oder von jenen die sie an mich abschiken erfahren. Zuvor, da ich noch gute Augen hatte erkannte ich die Krankheit aus Beschauen des Urins.«12 Sie besitzt keine medizinischen beziehungsweise chirurgischen Bücher oder eigene schriftliche 4 Ebd. 5 Austragsbäuerin ist die Bezeichnung für ehemalige Hofbesitzer, die nach der Hofübergabe an die nächste Generation »im Austrag« vertraglich geregelten Anspruch auf Versorgung haben. 6 Untersuchungs-Protokoll Barbara Struberin vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 7 Ebd. 8 Der Feldscherer stellt in der Regel eine vorübergehende Existenzform angehender ziviler Chirurgen dar, welcher in seiner Gesellenzeit zum Militärdienst ausgehoben wird bzw. sich freiwillig meldet, um dort wundärztlich zu arbeiten. Vgl. Sandner, Sabine (1989). Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe. Göttingen, 166. 9 Untersuchungs-Protokoll Barbara Struberin vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 10 Ebd. 11 Die Urinschau besitzt beispielsweise neben der Praxis der Diagnose für die ärztliche Tätigkeit vorwiegend symbolischen Charakter. Vgl. Lachmund, Jens/Stollberg, Gunnar (1995). Patientenwelten. Krankheit und Medizin vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Spiegel von Autobiographien. Opladen, 103. 12 Untersuchungs-Protokoll Barbara Struberin vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44.

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Aufzeichnungen über die Anwendung der Arzneien oder diverser Heilmethoden, behandelt aber »alle Arten von Krankheiten«. Ausgedrückt mit einem zeitgenössischen Begriff, beschäftigt sie sich mit der Heilung »innerer und äußerlicher Schäden«. Die dazu notwendigen Medikamente erwirbt sie einerseits bei einem der führenden Materialisten13 namens Gusseti in der Stadt Salzburg oder bei durchreisenden Arzneiwarenhändlern. Außerdem bereitet sie, wie sie im Verhör erläutert, viele Mittel selbst zu. »Ich brauche die Sempfblätter, wenn die Leute auf den Oberleib ein Brennen klagen, und Wasser in den Leib vermuthen, sodann vermische ich selbe mit Mutterblätter und einen Kreuterthee, welchen ich auch von dem Wölschern gekauft habe, sodann nehme ich ein halb Loth von dieser Mischung und thue nun ein Kreutzer Bokskörndel darin schneiden und lasse es mit einem halben Massel Wasser einsieden sodann durchseihen, und gebe solches früh und abends ein Glasel voll zu trinken. Dies ist zum Wasser treiben, zu weilen nehme ich auch Süßsalz dazu, wenn ich eines habe.«14

Die Mayrhoferin verfügt also über einen reichen Schatz an Arzneien, und dieser findet vielfältige Verwendung bei ihren Angehörigen, bei fremden Personen sowie auch beim Vieh. Die Rezepte sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. »Unserfrauen Milch« für die Kinderfraisen15, »Goldpulver« bei Kinderkrankheiten, »Brandwein mit Gampfer und Miren« bei Kopfschmerzen, »Weinstein« zu einer besseren Verdauung, eine »Zusammensetzung von Sempfblätterpulver, Spitzwegrigkraut und Wurzen und Bluttwurzel« für das Vieh.16 Hinweise und Klagen über einen beschränkten beziehungsweise fehlenden Heilerfolg kann in den Quellen nicht nachgewiesen werden, viele Menschen suchen die Heilerin auch nach der Medikamenteneinnahme und medizinischen Behandlung auf, um ihr über den »glücklichen Gesundheitszustand« zu berichten. Bis weit ins 19. Jahrhundert stehen sich zwei unterschiedliche medikale Kulturräume gegenüber, einerseits gibt es die »Schulmedizin« mit ihren approbierten Vertretern und andererseits existiert eine traditionelle »Volksmedizin«, welche vornehmlich von ungeprüftem Heilpersonal betrieben wird.17 In der Heilpraxis unterscheiden sie sich kaum, es gibt zahlreiche Überschneidungen und Übereinstimmungen, Ungeprüfte wie Geprüfte verwenden die gleichen 13 Materialwarenhändler/-innen verkauften Arzneigrundstoffe im Gegensatz zu Apotheken in größeren Mengen. 14 Untersuchungs-Protokoll Barbara Struberin vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 15 Die Kinderfraisen sind als Nervenkrämpfe bekannt, die häufig in Verbindung mit der Zahnbildung auftreten. 16 Untersuchungs-Protokoll Barbara Struberin vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 17 Danninger, Gabriele (1998). »… dass sie auch vor den Krancken-Betten müssten das Maul halten«. Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit« und »gelehrter Medizin« um 1800 anhand Salzburger Quellen. Kulturgeschichte der namenlosen Mehrheit. Band 2, Wien, 91ff.

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Heilmittel und Heilmethoden. Wie Ute Frevert18 (1986) in Bezug auf Forschungen aus England und Frankreich bestätigt, spielt in dieser Zeit die Volksheilkunde für die Versorgung der Menschen im Vergleich zur professionellen Medizin eine viel größere Rolle als bisher angenommen. Frauen nehmen im »traditionellen Heilsystem« bis zum zum Beginn des 19. Jahrhunderts eine bedeutende Stellung ein. In den Quellen allerdings kommen hauptsächlich die Stimmen der Obrigkeit und des approbierten Medizinpersonals zu Wort; unsere Kenntnisse über den volksmedizinischen Kulturraum beruhen weitgehend auf amtlichen Quellen, die in der Regel aus einer die nicht-akademischen Heiltätigkeiten kriminalisierenden Perspektive auf den Bereich der »Volksmedizin« blicken. Dennoch sind diese Quellen aussagekräftig für die volksmedizinischen Praktiken vor allem auch von Frauen. Im Bereich der Medikalkulturforschung erscheint die sensible Wahrnehmung, Beschreibung und Interpretation von Räumen hilfreich für das kulturelle Konzept von Gesundheit und Krankheit beziehungsweise das Aufdecken von spezifischen Machtstrukturen.19 Der Terminus »medikaler Raum« wird in Anlehnung an das Konzept der »medikalen Kultur« verwendet, welche »Vorstellungen, Bedürfnisse und Praktiken der Bevölkerungen hinsichtlich Gesundheit und Krankheit nicht nur aus der Sicht der professionalisierten Heilkunde, sondern aus der Perspektive der Betroffenen selbst«20 beschreibt. Im Mittelpunkt steht dabei der Ansatz des »medizinischen Systems«, den Jütte für den medizinischen Alltag in der Frühen Neuzeit geprägt hat, der den Blick »auf gesellschaftlich und kulturell geprägte Einstellungen zum Leiden sowie auf die Bewältigung von Kranksein«21 richtet. In Bezug auf raumsoziologische Ansätze von 18 Frevert, Ute (1986). Frauen und Ärzte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert – zur Sozialgeschichte eines Gewaltverhältnisses. In: Frauen in der Geschichte, Band. 2, Hrsg. v. Anette Kuhn/Jörn Rüsen, Düsseldorf, 177–210; Vgl. Opitz, Claudia (2005). Um-Ordnungen der Geschlechter: Einführung in die Geschlechtergeschichte. Tübingen. 19 Hänel, Dagmar/Unterkircher, Alois (2010). Die Verräumlichung des Medikalen. Zur Einführung in den Band. In: Medikale Räume. Zur Interdependenz von Raum, Körper, Krankheit und Gesundheit, Hrsg. v. Nicholas Eschenbruch/Dagmar Hänel/Alois Unterkircher. Bielefeld, 7–20, hier 18. Vgl. auch Schlegelmilch, Sabine (2018). Ärztliche Praxis und sozialer Raum im 17. Jahrhundert. Johannes Magirus (1615–1697). Wien/Köln/Weimar. 20 Alber, Wolfgang/Dornheim, Jutta (1983). »Die Fackel der Natur vorgetragen mit Hintansetzung alles Aberglaubens«. Zum Entstehungsprozess neuzeitlicher Normsysteme im Bereich medikaler Kultur. In: Kultur zwischen Bürgertum und Volk. Hrsg. v. Jutta Held. Berlin, 163– 181, hier 165; Vgl. weitere Ansätze; Lachmund, Jens/Stollberg, Gunnar (1989). Zur medikalen Kultur des Bildungsbürgertums um 1800. Eine soziologische Analyse anhand von Autobiographien. In: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 6 (1989), 163–184, hier 163; Geertz, Clifford (1989). »Aus der Perspektive der Einheimischen«. Zum Problem des ethnologischen Verstehens. In: Dichte Beschreibung. Hrsg. v. dems. Frankfurt a. M., 289–309. 21 Eckart, Wolfgang/Jütte, Robert (2014). Medizingeschichte: Eine Einführung. Köln/Weimar/ Wien, 243. Jütte bezieht sich dabei auf Alber, Wolfgang/Dornheim, Jutta (1983). »Die Fackel

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Löw und Schroer22 wird deutlich, dass »Raum« als »Produkt sozialer Prozesse« gesehen wird und das Erkenntnisinteresse vorrangig in Leitfragen, »wie Räume entstehen und wie diese reproduziert werden«23, dargestellt ist. Der »medikale Raum« wird somit als soziale Konstruktion betrachtet24 und die Erforschung der Praxis der Heiltätigen als »Ort der konstituierenden Handlungen«25 beschrieben. Im Fall der »Mayerhoferin« – der Name leitet sich vom Gut Mayerhofen im Landgericht Hallein ab – repräsentiert das Austragshaus der alten Bäuerin den Ort der Heiltätigkeit. Die Heilbehandlungen werden zum Großteil in ihrem Haus durchgeführt, nur in Ausnahmefällen unternimmt sie Hausbesuche. Im Auftrag des Landgerichts Hallein macht sich der Chirurg Lutz mit einem Kanzleibeamten nach der Anzeige sogleich auf den Weg, um bei der Heilerin eine Hausvisitation vorzunehmen und die vorgefundenen Medikamente, welche »theils unter ihrem Bethe, theils auch in selben«26 aufgefunden werden, zu beschlagnahmen. Nach langem Verhör wird Barbara Struberin, die bisher noch nie wegen ihrer Heiltätigkeit angeklagt war, wegen »unerlaubten Quacksalbereyen« in Folge des »Gesetzbuchs über schwere Polizey=Uebertrettungen zweyter Teil, achtes Hauptstück: Paragraph 98 und 109 mit strengem Arreste von einen bis sechs Monate«27 verurteilt und bestraft. Die DorfbewohnerInnen nehmen die Anklage jedoch nicht widerstandslos hin, das zeigt das daraufhin vom LandesgerichtsPhysikat Hallein beantragte Strafmilderungsgesuch für die Witwe. Folgende Argumente, welche auf die zentrale Position der Heilkundigen im Dorfe schließen lassen, werden dabei für die Entlastung der Verurteilten angeführt: die bisherige Unbescholtenheit, das Fehlen einer Schadensklage wegen ihrer Arzneien und das Ansehen der Verurteilten im Dorf und darüber hinaus. So müsste mit einer großen Aufregung in der Gemeinde gerechnet werden, »wenn diese Person durch lange Arreststrafe an ihrer Gesundheit Schaden leiden oder gar sterben würde«.28

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der Natur vorgetragen mit Hintansetzung alles Aberglaubens« sowie auf das Konzept des amerikanischen Medizinethnologen Kleinman, Arthur (1980). Patients and Healers in the Context of Culture. Berkeley/Los Angeles/London. Löw, Martina (2001). Raumsoziologie. Frankfurt a. M; Schroer, Markus (2006). Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raumes. Frankfurt a. M. Hänel, Dagmar/Unterkircher, Alois (2010). Die Verräumlichung des Medikalen, 18. Rau, Susanne (2013). Räume: Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen. Frankfurt a. M. Brendecke, Arndt (Hg.) (2015). Praktiken der Frühen Neuzeit: Akteure – Handlungen – Artefakte. Köln/Weimar/Wien, 103. Untersuchungs-Protokoll vom königl. Landgerichte Hallein auf Befehl des LGK Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. Schreiben an das Landgericht Hallein, Salzburg am 27. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. Schreiben vom Landgerichts-Physikat – Physiker Dr. Hanselmann – an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6 Hallein 44.

18

Eine Fallstudie: Medikale Räume um 1800

Die »alte Mayerhoferin«, die in ihrem Sozialraum allgemein unter dem Namen »Brunnbeschauerin« bekannt ist – repräsentiert sehr anschaulich den Typus der heilkundigen Frau an der Zeitenwende des 18. zum 19. Jahrhundert. Sie besitzt das Vertrauen der Bevölkerung und der Dorfgemeinschaft in der Auseinandersetzung mit Krankheiten und somit auch mit den Determinanten Leben und Sterben. Ihre Ratschläge sind eingebettet in Vorstellungen über die Verbindung mit der Natur und über Heilkräfte und -praktiken, welche seit Generationen in der Bevölkerung tief verwurzelt sind.29 Gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wird eine im gesamten europäischen Raum zu beobachtende, umfassende Medizinreform eingeleitet, es beginnt ein Medikalisierungsprozess, der zur Auflösung des traditionellen Gesundheitssystems zulasten der »Volksmedizin« führt.30 Der Konflikt zwischen dem traditionellen und dem obrigkeitlichen System zeigt sich am Beispiel der Heilkundigen aus Dürnberg sehr deutlich. Durch die »Medikalisierung« löst sich das traditionelle Gesundheitssystem auf, davon betroffen sind besonders Frauen, die in vielfältigen medizinisch relevanten Berufen, wie beispielsweise als sesshafte Heiltätige, fahrende Operateurinnen, Ölverlegerinnen und -trägerinnen31, Wurzengraberinnen u. ä.m. im ›Gesundheitsmarkt‹ um 1800 eine bedeutende Rolle spielen. Traditionelle heilkundliche Kompetenzbereiche werden beschnitten, Frauen verlieren dadurch für lange Zeit die Legitimation der aktiven Ausübung einer unabhängigen medizinischen Tätigkeit, indem ihnen im neuen medikalen System nur passive Tätigkeiten unter der Autorität des männlichen Arztes erlaubt werden, oder sie werden gar in ein durch Strafen bedrohtes Schattendasein abgedrängt.32 Wichtige Aufgabenbereiche in der Heilkunde sowie im Arzneiwarenhandel, die in erster Linie auf Erfahrungswissen basieren, sowie Bräuche und Rituale auf dem Gebiet der Kräuterheilkunde und der Geburtshilfe gehen verloren.33 Dennoch gelingt es einigen traditionellen Heilkundigen durch die Weitergabe ihres Erfahrungswis29 Grabner, Elfriede (1967) Volksmedizin – Probleme und Forschungsgeschichte. Darmstadt; Hauzenberger, Barbara (1985). Volksmedizin – heute. Ein psychologischer Beitrag zur Verbreitung, Anwendung und Bedeutung volksmedizinischer Heilverfahren. Unveröff. Dissertation, Universität Salzburg, 7. 30 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung. Göttingen. 31 Der Beruf kann mit einem Arzneimittelgroßhändler gleichgesetzt werden; der/die Ölträger beliefern nicht Apotheken, sondern den Konsumenten selbst; Ölträger/-innen verkauften die von den Theriak- und Ölfabrikanten, oder Ölverleger, wie sie hießen, hergestellten Waren. 32 Honegger, Claudia (1989). Frauen und medizinische Deutungsmacht im 19. Jahrhundert. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel. Hrsg. v. Alfons Labisch/Reinhard Spree, Bonn, 181–194; Vgl. Mazohl-Wallnig, Brigitte (Hg.) (1995). Die andere Geschichte 1. Eine Salzburger Frauengeschichte von der ersten Mädchenschule (1695) bis zum Frauenwahlrecht (1918). Salzburg. 33 Danninger, Gabriele (1998). Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit«, 159ff.

Eine Fallstudie: Medikale Räume um 1800

19

sens sich erfolgreich bis ins 20. Jahrhundert einen »Raum des Eigenen«34 zu schaffen und zu erhalten.35

34 Hänel, Dagmar/ Unterkircher, Alois (2010). Die Verräumlichung des Medikalen, 15. 35 Danninger, Gabriele (1998). Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit«, 184ff.

1

Einleitung

1.1

Relevanz der Medizingeschichte für Historisches Lernen

Das Themenfeld »Krankheit und Gesundheit« zählt zu den »epochalen Schlüsselproblemen« und stellt einen komplexen und aktuell hochrelevanten Lerngegenstand in der historischen Bildung dar. Nach Jörn Rüsen (2008) ist historisches Erzählen »Sinnbildung über Zeiterfahrung und gehört damit zu den elementaren und allgemeinen Phänomenen kultureller Daseinsbewältigung«36. Die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann in Geschichten über die Vergangenheit als Antwort auf Fragen der Gegenwart und der Bewältigung der Zukunft, eine Bewusstseinserweiterung ermöglichen. In der Gegenwart wird die Thematik durch die Auseinandersetzung mit dem Coronavirus und der Covid-19 Pandemie verdeutlicht. Medizinische Fragestellungen, politische Faktoren, soziale Aspekte sowie allgemeine Lebensumstände werden debattiert. Beim historischen Lernen geht es in der Konsequenz der narrativistischen Geschichtstheorie darum, zu historischem Denken, also zur eigenständigen und verantwortlichen Orientierung in der Zeit, zu befähigen37. Historisches Denken wird als eine Operation bezeichnet, die von allen Menschen ausgeführt wird, um die individuelle bzw. kollektive Identität und Orientierung des eigenen Handelns in Bezug auf den zeitlichen Aspekt zu betrachten. Die Kompetenzen historischen Denkens sind in unterschiedlichsten Ausprägungen zu finden, womit die Forderung nach Anerkennung und unterschiedlicher Verarbeitung der Ergebnisse in pluralistischen Gesellschaften verbunden ist.38 Traditionell umfasst der Gegenstand der Medizingeschichte die Geschichte der Medizin und die Medizingeschichtsschreibung. Im deutschsprachigen Raum hat sich die Medizingeschichte in den 1980er und 1990er Jahren mit der Sozial36 Rüsen, Jörn (2008). Historisches Lernen: Grundlage und Paradigmen. Schwalbach, 31. 37 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen. Konzeption, Operationalisierung und Befunde des Projekts »Historical Thinking – Competencies in History« (HiTCH). Münster, 24. 38 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik. Göttingen.

22

Einleitung

geschichte der Medizin zu einer anerkannten Disziplin entwickelt. Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts wurde diese durch die unterschiedliche Prioritätensetzung an medizinischen Fakultäten in eine defensive Position verlagert. Eine kulturwissenschaftliche Herangehensweise im Sinne einer »Cultural Turn«39 ermöglicht der Medizingeschichte eine weitere Öffnung und Dynamisierung der theoretischen, methodischen und thematischen Entwicklungsperspektiven und macht sie anschlussfähig für andere Disziplinen. So können medizinhistorische Fragestellungen auch für die Geschichtsdidaktik wertvolle Diskussionen und Debatten anregen. Der Kulturbegriff der Kulturwissenschaften ist als offen zu betrachten, da dieser an das selbstreflexive Verständnis der Wissenschaften von der Kultur gebunden ist. Von den Kulturwissenschaften wird »das Wandelbare, Variable, Formbare und Kontingente« betont; »sie fragen nach Bedeutungen, nach Werten und Symbolen, interessieren sich für Sinnstiftungsleistungen und Deutungsangebote, die sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als wirkungsmächtig erwiesen haben.«40 Jörn Rüsen (2006) versteht in Anlehnung an Max Weber (1904/1968)41 und Alfred Schütz (1932)42 Kultur als eine »Sinnbildungsleistung«, welche Menschen erbringen »um leben zu können« und diese kommt zur Entfaltung, wenn Menschen »sich selbst, ihr Inneres, ihre Subjektivität, in der Bewältigung der äußeren Anforderungen des praktischen Lebens (…) zur Geltung bringen.«43 So beschreibt Jörn Rüsen (2006): »Kultur ist die Antwort, die sich die handelnden und leidenden Menschen im Umgang mit der Natur, mit ihrer eigenen sozialen Welt und mit sich selbst und den anderen

39 Cultural turn (kulturelle Wende) bezeichnet eine Entwicklung in den Geistes- und Sozialwissenschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jhd., welche die Kulturwissenschaft mit einem erweiterten Kulturverständnis in den Mittelpunkt stellt. Vgl. Bonnell, Victoria E/Hunt, Lynn (1999). Introduction. In: Beyond the Cultural Turn: New Directions in the Study of Society and Culture. Hrsg. v. dies. Berkeley, 1–32; Bachmann-Medick, Doris (2006). Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Reinbek; Daniel, Ute (2001). Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter. Frankfurt a. M. 40 Hofer, Hans-Georg/Sauerteig, Lutz (2007). Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin. In: Medizinhistorisches Journal. 42 (2007) 2, 105–141. Stuttgart. (PDF) Perspektiven einer Kul turgeschichte der Medizin/ Perspectives of a cultural history of medicine (researchgate.net). 41 Weber, Max (1904/1968). Die »Objektivität« sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnisse. In: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Hrsg. von Johannes Winckelmann. 3. Aufl. Tübingen, 146–214. 42 Schütz, Alfred (1932). Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie. Wien, zit. nach Hans-Georg Hofer/Lutz Sauerteig (2007). Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin. 111. 43 Ebd.

Relevanz der Medizingeschichte für Historisches Lernen

23

Menschen geben, wenn sie nach dem Sinn ihres Lebens fragen und es sinnhaft organisieren wollen.«44

Für eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Medizingeschichte ist es wesentlich, konstruktivistische Ansätze zu berücksichtigen. So kann dem positivistischen, teleologischen und deterministischen Wissenschaftsverständnis der Medizin entgegengewirkt werden. Denn medizinisches Wissen und Handeln sowie ihre Objektivitäts- und Rationalitätsansprüche sind als integrale Bestandteile immer innerhalb kultureller und sozialer Dimensionen zu verstehen. »Die naturwissenschaftliche Meistererzählung von einer kontextfreien Medizin, die mit immer besseren Techniken und Verfahren ›objektiv‹ die ›Natur‹ von Krankheiten erforscht und sie heilt, ist mit dem Konstruktivismus Illusion geworden.«45 Es geht darum, Übergangsbereiche zwischen Medizin und Gesellschaft sowie lebensweltliche Zusammenhänge in Bezug auf eine Patientengeschichte zu integrieren. Aus konstruktivistischer Sichtweise werden Patient/-innen »nicht als passive Empfänger eines hegemonialen Wissens, das unter Beteiligung wissenschaftlicher Akteure an einem bestimmten privilegierten Ort entsteht, in der Scientific Community stabilisiert wird und ihnen sodann mittels des Expertenstatus von Ärzten/innen auferlegt wird,«46 verstanden. Mitte der 1980er Jahre wurde von Barbara Dudens (1987) im Rahmen einer kulturhistorischen Herangehensweise der Fokus verstärkt auf die Frage gelegt, wie der Körper, Gesundheit, Krankheit und Leiden erfahren wurde.47 »Die Körpererfahrung der Frühen Neuzeit wandelte sich erheblich – von einem stärker als durchlässig empfundenen Körper-Inneren im 16./17. Jahrhundert, das eher einem mit flüssigen und festen Bestandteilen gefüllten Gefäß glich, zu einem gegen Ende des 17. und dann im 18. Jahrhundert zunehmend als solider empfundenen Körper.«48

Im Laufe der Geschichte ist medizinisches Wissen immer wieder von alltagskulturellen Vorstellungen und Deutungsangeboten geprägt worden. Dieses entstand aus der Patienten-Arzt-Kommunikation sowie durch das Eingebun-

44 Rüsen, Jörn (2006): Was heißt und zu welchem Ende studiert man Kulturwissenschaften? In: Kultur macht Sinn. Orientierung zwischen Gestern und Morgen. Hrsg. v. dems. Köln, 145– 155, hier 147. 45 Hagner, Michael (2001). Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. In: Ansichten der Wissenschaftsgeschichte. Hrsg. v. dems. Frankfurt a. M., 7–39, hier 31, zit. nach Hofer, Hans-Georg/ Sauerteig, Lutz (2007). Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin, 114. 46 Hofer, Hans-Georg/Sauerteig, Lutz (2007). Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin, 116. 47 Duden, Barbara (1987). Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730. Stuttgart. 48 Stolberg, Michael (2003). Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit. Köln; zur Bedeutung von Patientenbriefen auch Dinges (2002b), zit. nach Hofer, Hans-Georg/Sauerteig, Lutz (2007). Perspektiven einer Kulturgeschichte der Medizin, 124.

24

Einleitung

densein medizinischer Akteure in ihr jeweiliges kulturelles und gesellschaftliches Umfeld.49

1.2

Thesen / Zielsetzung

In Bezug auf kulturwissenschaftliche Herangehensweisen werden im Folgenden in zwei Bänden die Erfahrungswelt von »Krankheit und Gesundheit«, die medikale Kultur und Gesundheitspolitik mit Fokus auf den ausgewählten Themenbereich »Geschlecht« dargestellt. Darüber hinaus werden geschichtsdidaktische Bausteine und Ansatzpunkte für den Einsatz im Geschichtsunterricht als sozialhistorische Konzepte, in welchen »Medizin« als gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden, in gleicher Weise in den Blick gerückt wie Diskussionen über die Ausgestaltung öffentlicher Gesundheit.50 Im Mittelpunkt stehen dabei nicht die Geschichte der akademischen Medizin und berühmte Persönlichkeiten, sondern die Menschen und ihr alltäglicher Umgang mit »Gesundheit und Krankheit«. Die gegenwärtige Praxis der »Medizin« ist insbesondere vor dem aktuellen kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund zu betrachten. Im Unterschied zu historischen Gegebenheiten bestehen heute Gestaltungsmöglichkeiten in der Art, wie »Medizin« ausgeführt wird.51 Für Kinder und Jugendliche ist es interessant auf historische Spurensuche zu gehen, Geschichte zu erforschen und historische Narrationen zu bilden. In der Bearbeitung der medikalen Kultur und Gesundheitspolitik im Salzburger Raum um 1800 wird für Schüler/-innen Medizingeschichte als Kulturgeschichte erfahrbar. Ziel der Untersuchung ist es, den Veränderungsprozess im Übergang von der herkömmlichen Volksmedizin zu einer »organisierten Gesundheitspolitik« im Zuge der Medizinalreform gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts anhand Salzburger Quellen darzustellen. Als weiteres Ziel gilt, die medizinische Tätigkeit der Frauen, welche bisher noch wenig gewürdigt wurde, zu erhellen und 49 Das wird betont von: Stolberg, Michael (2003). Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit; Dinges, Martin (2002b). Männlichkeitskonstruktionen im medizinischen Diskurs um 1830: Der Körper eines Patienten von Samuel Hahnemann. In: Diskurse und Gewalt: Wege zu einer Geschichte der Todesstrafe im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Jürgen Martschukat, 99–125; Epstein, Steven (1996). Impure Science: AIDS, Activism, and the Politics of Knowledge. Berkeley; Jütte, Robert (1996b). Die Frau, die Kröte und der Spitalmeister. Zur Bedeutung der ethnographischen Methode für eine Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin. Historische Anthropologie, 4, (1996), 193–215; Oosterhuis, Harry (2000). Stepchildren of Nature: Krafft-Ebing, Psychiatry, and the Making of Sexual Identity. Chicago. 50 Woelk, Wolfgang (2010). Medizingeschichte. In: Medizingeschichte. Reihe. Geschichte für heute. Hrsg. v. Verband der Geschichtslehrer Deutschland – VGD, Behne, Frank/Hammer, Wolfgang/Lautzas, Peter/ Schröder, Helge/Woelk, Wolfgang, Schwalbach/Ts. 51 Austrian Society for the social history of medicine; Sozialgeschichte-Medizin (univie.ac.at).

Thesen / Zielsetzung

25

eine Heiler/-innengruppe des vormodernen Medikalsystems ins Bewusstsein zu rufen.52 Zudem soll die Auseinandersetzung über die »Kulturgeschichte der namenlosen Mehrheit« auf Basis historischer Kompetenzmodelle geschichtsdidaktische Lehr- und Lern-Settings anregen. In Bezug auf historische Sinnbildungsprozesse stehen im Geschichtsunterricht dabei insbesondere konzeptionelles Lernen sowie die Subjekt- und Lebensweltorientierung im Mittelpunkt. Die Abhandlung des Themas wird in zwei Schritten, und zwar in einer geschichtswissenschaftlichen und in einer geschichtsdidaktischen Betrachtungsweise, vollzogen. Eine Hauptaufgabe der Geschichtsdidaktik besteht wie Hellmuth (2014) ausführt »in der Analyse der Bedeutung, die das Konstrukt ›Geschichte‹ bzw. historische Narrationen sowohl für die individuelle als auch kollektive Identitätsbildung besitzt«.53 Die Gruppe der Wiener Geschichtsdidaktiker/-innen versteht Geschichtsdidaktik als angewandte historische Kultur- und Sozialwissenschaft in Bezug auf einen politisch bildenden kommunikativen und kritisch reflektiven Bildungsauftrag als Wissenschaft, welche das relevante Wissen über die Vergangenheit erhebt und dieses »historische Wissen« im Sinne einer projektierten Zukunft zu vermitteln versucht, um es für die Schüler/-innen gestaltbar zu machen. In diesem Verständnis übernimmt die Geschichtsdidaktik, wie Ecker (2017) betont, eine gesellschaftskritische Position: »sie bemüht sich, ein Reflexionsangebot bereitzustellen, mit dem die aktuellen gesellschaftlichen Probleme unter dem Aspekt ihres Gewordenseins und ihrer Veränderbarkeit überdacht werden können«.54 Die Arbeit geht von der Beobachtung aus, dass gegen Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts das gesamte Medizinsystem eine tiefgreifende Wende erfuhr. Im Zuge eines allgemeinen Disziplinierungsprozesses begann sich eine »organisierte Gesundheitspolitik« als »historisch neuartiges Phänomen«55 festzusetzen. So änderte sich der Krankheitsbegriff. »Krankheit« wurde isoliert, bekämpft, kontrolliert und streng verwaltet – »Gesundheit« wurde zur bestimmenden Norm. Diese Entwicklung kann unter dem französischen Begriff der »Medikalisierung«56 zusammengefasst werden. »Medikalisierung«

52 Danninger, Gabriele (1998). Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit«. 53 Hellmuth, Thomas (2014). Inhalte, Methoden und Medien in der politischen Bildung. Schwalbach/TS., 145. 54 Ecker, Alois (2017). Prozessorientierte Geschichtsdidaktik. In: ÖGL Österreich Geschichte Literatur Geographie. Fachdidaktik. Institut für Österreichkunde, 1 (2017), 63–75, hier 63. 55 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Soziale Unterschichten in Preussen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung. Göttingen: 1984, 21. 56 Foucault, Michel (1976). »La politique de la santé au XVIIIe siècle«. In: »Les Machines à gueriraders. (é au politique de la santé au XVIIIe siècle«. In: Les Machines à guérir, Aux

26

Einleitung

bedeutet die Ausdehnung des Marktes für medizinische Dienstleistung, so dass es für den »Alltagsmenschen« zunehmend selbstverständlich wurde, im Krankheitsfall den kranken Körper ärztlicher Kontrolle zu unterstellen.57 Der Durchbruch rationalistischer naturwissenschaftlicher Medizin sowie »hygienischer« Normvorschriften brachte die Auflösung des traditionellen Gesundheitssystems mit sich. Medizinisches Volkswissen, wie etwa über Heilpflanzen und deren Anwendung sowie die Heilkultur religiös-magischer Art mit naturnah geprägten Auffassungen von Gesundheit, Krankheit und Tod wurde beachtlich in Frage gestellt. Zahlreiche Heilpraktiker/-innen, welche eine angesehene Stellung im traditionellen Heilsystem innehatten, verloren durch die neue hierarchisch gegliederte Medizinalordnung ihre Bedeutung und wurden von der Obrigkeit und Ärzteschaft als Pfuscher/-innen und Quacksalber/-innen herabqualifiziert. Die Organisation des »traditionellen Heilsystems«, sowie der Verdrängungsprozess durch die neue, streng staatlich kontrollierte »gelehrte Medizin« und die sich daraus ergebende Konsequenz, sollen demnach Gegenstand der Abhandlung sein. Dabei stehen Frauen im Mittelpunkt des Interesses, da sie traditionell mit der Krankenheilung sowohl in der Familie als auch in der Öffentlichkeit mit großer Intensität betraut waren und über reichhaltiges Erfahrungswissen über Bräuche und Rituale verfügten. Zwar sind von diesem Ausgrenzungsprozess beide Geschlechter gleichermaßen betroffen, doch sind Frauen unbestreitbar die Hauptbetroffenen der neuen Kontrollmaßnahmen des Heilwesens bzw. der Gesundheitsaufklärungskampagne. In der neuen Medizinalordnung gab es für Frauen keine Möglichkeit mehr, autonom selbständig, aktiv heilerisch tätig zu sein, während Männern eine Ausbildung als Arzt, Apotheker oder Wundarzt durchaus noch offenstand. Gleichfalls bedeuteten diese Medizinalreformen für eine Patientin, sich im Krankheitsfalle nicht mehr in weiblicher Tradition, sondern von männlichen Ärzten behandeln lassen zu müssen. Diese Entwicklung hatte ferner einen wesentlichen Einfluss auf die geschlechtsspezifische Rollenverteilung. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts – so kann behauptet werden – begann für die Frau im Bereich der Medizin ein »Entmachtungs- und Normzuschreibungsprozess«, welcher bis heute die Beziehung zwischen Medizin und Frauen prägt. In dieser Zeit fanden sowohl die Ausgrenzung weiblicher Heiltätigkeit als auch die Kontrolle reproduktiver Funktionen – Schwangerschaft,

origines de l’hôpital moderne. dossiers et documents. Hrsg. v. dems. Paris, Institut de l’environnement, 11–21. 57 Huerkamp, Claudia (1985). Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert. Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten. Das Beispiel Preußens. Göttingen, 12.

Thesen / Zielsetzung

27

Geburt, Kinderpflege – durch den ärztlichen ›Hausfreund‹ ihre medizinalpolitische Begründung.58 Das Sichtbarwerden des breiten Spektrums der sozial- und kulturmedizinischen Thematik soll mit einer intensiven Auseinandersetzung und Debatte mit dem Lerngegenstand im Unterrichtsgeschehen in Zusammenhang gebracht werden. Im Hinblick darauf werden vier Elemente geschichtsdidaktischer Unterrichtsprinzipien59 entlang des Inhaltsfeldes »Medizin um 1800« beleuchtet. (1) Die Relevanz und Bedeutung des Themas »Medikale Kultur und Gesundheitspolitik« im historischen Unterricht in Hinblick auf eine Problemorientierung, sowie »Gesundheit und Krankheit« als »Schlüsselproblem« mit Gegenwarts- und Zukunftsbezug. (2) Die Konzeptionalisierung und die Definition der Begriffe in Zusammenhang mit Lebensweltbezug und Subjektorientierung sowie exemplarischem Lernen. (3) Lehr- und Lernprozesse, die im Kontext von Medizingeschichte stattfinden, wie Prozessorientierung, historisch-politisches und handlungsorientiertes Lernen in komplexen Lernprozessen. (4) Unterrichtsmethoden und Medien, die bei der Bearbeitung des Themas im Unterricht eingesetzt werden können, insbesondere hinsichtlich Multiperspektivität und Wissenschaftsorientierung. Didaktische Prinzipien »lassen sich als Filter betrachten, mit dem aus der Fülle von historischen und politischen Informationen und Themen jene ausgewählt werden, die für den Unterricht relevant sind«.60 Dadurch werden fachspezifische Kompetenzorientierung und das Lernen mit Konzepten61 sichergestellt. Die Erörterung der Thematik »Gesundheit und Krankheit« im Unterricht erfolgt auf dem aktuellen Forschungsstand der Geschichtsdidaktik, in Reflexion der Medien und Methoden des historischen Lehrens und Lernens. Als theoretischer Forschungshintergrund dient vorwiegend die Narrativitätstheorie62, das

58 Frevert, Ute (1986). Frauen und Ärzte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert – zur Sozialgeschichte eines Gewaltverhältnisses. In: Frauen in der Geschichte II. Hrsg. v. Anette Kuhn/Jörn Rüsen, 2. Aufl. Düsseldorf, 178. 59 Hellmuth, Thomas/Kühberger Christoph (2016). Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung« Wien, Bundesministerium für Bildung, 5–7. 60 Ebd., 5. 61 Günther-Arndt, Hilke (2016). Conceptual Change-Forschung: Eine Aufgabe für die Geschichtsdidaktik?, In: Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen. Hrsg. v. Hilke Günther-Arndt/Michael Sauer, Berlin, 251–277. 62 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik. Göttingen; Rüsen, Jörn (2013). Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln/Weimar/Wien.

28

Einleitung

Geschichtsbewusstsein63, Quellen und Darstellungen64, Perspektivität65 sowie die subjektorientierte Geschichts- und Politikdidaktik66. Die subjektorientierte Geschichtsdidaktik stellt die Rezipient/-innen des Lernens mit den persönlichen Lernvoraussetzungen in den Mittelpunkt und befähigt Lehrende, die Schüler/innen bei der Reflexion ihrer Sinnbildungsprozesse67 anzuleiten, damit diese in der Folge fundierte historische Orientierungsfähigkeit erhalten. Als Theoriehintergrund dienen der Konstruktivismus sowie die Systemtheorie.68 Geschichte wird aus konstruktivistischer Perspektive als Versuch einer Rekonstruktion von Vergangenheit verstanden. Geschichtsbewusstsein der Menschen wird nicht als Konstante, sondern individuell und flexibel betrachtet. Geschichtskultur wird in Beziehung zur Vergangenheit und Zukunft gesetzt. Die Reflexion historischen Erzählens als Aufgabe der Geschichtsdidaktik69 wird am Inhaltsfeld »Gesundheit und Krankheit« in der Gestaltung, Durchführung und Reflexion von Unterricht, unter Berücksichtigung der Kompetenzorientierung, verortet. Als konzeptionelle Bezüge dienen dazu Kompetenzmodelle, wie insbesondere das FUER-

63 von Borries, Bodo (1988). Geschichtslernen und Geschichtsbewußtsein: empirische Erkundungen zu Erwerb und Gebrauch von Historie. Stuttgart; Jeismann, Karl-Ernst (1977). Geschichtswissenschaft: Didaktik, Forschung, Theorie. Göttingen; Jeismann, Karl-Ernst (1988). Die Teilung Deutschlands als Problem des Geschichtsbewusstseins. Eine empirische Untersuchung über Wirkungen von Geschichtsunterricht auf historische Vorstellungen und politische Urteile. 2. Aufl. Paderborn; Pandel, Hans-Jürgen (2005). Geschichtsunterricht nach PISA. Kompetenzen, Bildungsstandards und Kerncurricula. Schwalbach/Ts; Pandel, HansJürgen (2017). Geschichtsdidaktik: Eine Theorie für die Praxis (Forum Historisches Lernen) 2. Aufl. Schwalbach/Ts.; Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik. Göttingen; Rüsen, Jörn (1994). Historische Orientierung: über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden. Göttingen; Rüsen, Jörn (2008). Historisches Lernen: Grundlage und Paradigmen. Schwalbach. 64 Hasberg, Wolfgang (2003). Geschichtsunterricht – Erinnerungs- oder Gedächtnisort? In: Erinnern – Gedenken – Historisches Lernen. Hrsg. v. Wolfgang Hasberg, München, 145–164; Schreiber, Waltraud (2002). Reflektiertes und (selbst-)reflexives Geschichtsbewusstsein durch Geschichtsunterricht fördern – ein vielschichtiges Forschungsfeld der Geschichtsdidaktik. In: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 1. Jg. (Jahresband), 18–43. 65 Kosselleck, Reinhart/Mommsen, Wolfgang J./Rüsen, Jörn (Hg.) (1977). Theorie der Geschichte Band 1: Objektivität und Parteilichkeit in der Geschichtswissenschaft. München. 66 Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (Hg.) (2015). Subjektorientierte Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts. 67 Helmuth, Thomas (2014). Historisch-politische Sinnbildung. Geschichte – Geschichtsdidaktik – Politische Bildung, Schwalbach/Ts. 68 Luhmann, Niklas (1998). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.; Luhmann, Niklas/ Baecker, Dirk (Hg.) (2009). Einführung in die Systemtheorie. 5. Aufl. Heidelberg; Reich, Kersten (2012). Konstruktivistische Didaktik. Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool und CD-ROM. (1. Aufl. 2002) 5. Aufl. Weinheim und Basel. 69 Pandel, Hans-Jürgen (2010). Historisches Erzählen. Narrativität im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts.

Quellenproblematik

29

Modell.70 Geschichtsbewusstsein trägt zur Identitätsbildung und zu einer ständigen Anpassung der kognitiven Struktur an neuen Erfahrungen bei. Von Borries (2015) betont in Bezug auf die Subjektorientierung den Begriff »identitäts-reflektierendes Geschichtslernen« und beschreibt, dass es im Kern auf »›Sinnbildung über Zeit(verlaufs)erfahrung‹, auf ›historische Orientierung nicht in der Geschichte, sondern aus der Geschichte‹, d. h. für Gegenwart und Zukunft, auf ›Botschaften und Schlussfolgerungen für eigene Handlungsdisposition‹, also nicht bloße Vergangenheitsinterpretationen (!)« ankommt.71

1.3

Quellenproblematik

Von der Medizingeschichtsschreibung blieben sozial- und kulturgeschichtliche Phänomene lange weitgehend unberücksichtigt.72 Der inhaltliche Aufbau vieler Medizingeschichten beschränkt sich auf die Untersuchung herausragender Ärztefiguren oder bedeutender technischer Innovationen. Erst seit den 1990er Jahren kann ein zunehmendes Interesse von Seiten der Sozialhistoriker an medizingeschichtlichen Fragen bemerkt werden, welches nicht zuletzt aus aktueller Medizinkritik resultierte.73 Der Themenkreis Frau und Heilkunde in der vormodernen Gesellschaft wurde abgesehen von Einzeluntersuchungen über den Bereich Geburtshilfe, Krankenpflege und Körperkultur, bislang vernachlässigt.74 Setzen sich verschiedene Arbeiten zwar mit der Beschreibung von Ereignissen »von oben«, d. h. mit Disziplinierungs- und Verdrängungsprozessen auseinan-

70 Körber, Andreas/Schreiber Waltraud/Schöner,Alexander (Hg.) (2007). Kompetenzen historischen Denkens. Ein Struktur-Modell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik. Neuried, 866. 71 von Borries, Bodo (2015). »Subjektorientiertes Geschichtslernen ist nur als ›identitätsreflektierende‹ wünschenswert!« In: Subjektorientierte Geschichtsdidaktik. Hrsg. v. Heinrich Ammerer/Thomas Hellmuth/Christoph Kühberger, Schwalbach/Ts., 93–131, hier 93. 72 Heischkel, Edith (1967). Medizingeschichtsschreibung und Volksmedizin. In: Volksmedizin. Probleme und Forschungsschichte. Hrsg. v. Elfriede Grabner. Darmstadt, 278–283; Ilg, Karl (1961). Volkskunde und Medizin im Grenzgebiet zweier Wissenschaften. In ÖZfV 64 (1961) 9, 267–273. 73 Jütte, Robert (1990). Sozialgeschichte der Medizin: Inhalte – Methoden – Ziele. In: Gesellschaft und Geschichte Jb. des Inst. für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 9 (1990), 149–165; Sigerist-Leipzig, Henry (1931). Probleme der medizinischen Historiographie. In: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin, Band 24, 10. Jänner 1931, H.1, 1–18. 74 Saurer, Edith (1993). Frauengeschichte in Österreich. Eine fast kritische Bestandsaufnahme. In: L’Homme 4 (1993) 2, 37–64; Ulbrich, Claudia (1991). Aufbruch ins Ungewisse. Feministische Frühneuzeitforschung. In: Frauengeschichte gesucht – gefunden? Auskünfte zum Stand der histor. Frauenforschung. Hrsg. v. Beate Fieseler/ Birgit Schulze. Köln, Weimar, Wien, 4–22; Frevert, Ute (1988). Bewegung und Disziplin in der Frauengeschichte. Ein Forschungsbericht. In: Geschichte und Gesellschaft 14 (1988) 3, 240–263.

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der, so wird dabei eine Darstellung der Alltags- und Lebenssituation der weiblichen Volksheilerinnen gänzlich übersehen.75 Wollen wir den üblichen Rahmen einer Medizingeschichte überschreiten und eine umfassende Untersuchung des medikalen Systems im gewählten Zeitraum anstreben so gibt es einiges zu beachten. Das Medizinsystem besteht im Wesentlichen aus drei Partizipanten: Heiltätige, Patient/-innen und Öffentlichkeit76, welche, da zum Teil unterschiedliche medizinische Konzepte bzw. Gesundheitsund Krankheitsauffassungen der einzelnen Beteiligten vorliegen, gleichermaßen in die Analyse einbezogen werden müssen. Das heißt, es ist von größter Notwendigkeit, die Sichtweise aller Beteiligten zu beleuchten: die medizinischen Dienstleistungen der Heiltätigen, repräsentiert durch die akademischen Gelehrten sowie die Heilpraktiker/-innen, die der Patient/-innen in Anbetracht ihrer sozialen Situation bzw. dem Erleben von Krankheit und Geheilt werden, sowie die der »Öffentlichkeit« in Form der staatlichen Einflussnahme in das Gesundheitswesen. Bei diesem Anliegen taucht jedoch sofort ein sehr wesentlich beschränkendes Element auf: die Quellenlage! So kommen natürlich hauptsächlich die Stimmen der Obrigkeit und die akademisch gebildeten Ärzte mit ihren gesundheitspolitischen Forderungen zu Wort. Äußerst selten, aber doch, geben nicht approbierte Heiler/-innen ihre Meinung kund, doch fast nie gibt es Äußerungen von Patient/innen. Dabei sind die Menschen, welche nach medizinischer Hilfe suchen und sich aus bestimmten Gründen für eine/n Heiler/-in entscheiden, zu einer Bewertung des Gesundheitssystems obligatorisch. Das Wissen über den volksmedizinischen Kulturraum begründet sich vorwiegend auf amtlichen Quellen. Obwohl in diesen insbesondere aus einer kriminalisierenden Perspektive auf die nichtakademischen Heiltätigkeiten geblickt wird, sind diese Quellen aussagekräftig für die volksmedizinischen Praktiken; dies vor allem auch von Frauen. Bei der Quellenlage handelt sich um staatliche Akten unterschiedlicher Behörden mit Dominanz des Bereiches Sanitätswesen, sowie um Schriften der aufgeklärten Beamten und Ärzte. Eine kritische Prüfung der Authentizität und Objektivität ist gefordert. Es handelt sich um Aussagen von Gegnern volksmedizinischer Praktiken und diese müssen zunächst »quer«, d. h. gegen den Strich gelesen werden, um ein »realitätsnahes« Bild zu erhalten, wobei

75 Wierling, Dorothee (1989). Alltagsgeschichte und Geschichte der Geschlechterbeziehungen. Über histor. und historiograph. Verhältnisse. In: Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion histor. Erfahrungen und Lebensweisen. Hrsg. v. Alf Lüdtke. Frankfurt a. M., New York, 169–190; Ginzburg, Carlo (1993). Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß. In: Histor. Anthropologie 1 (1993), 169–193; Schulze, Winfried. (Hg.). (1994). Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Göttingen. 76 Schaefer, Hans (1983). Medizinische Ethik. Heidelberg, 103.

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darauf geachtet werden muss, nicht eine gegenweltliche, volksmedizinische Idylle zu entwerfen. Als größte Quellengruppe erwies sich archivalisches Material aus dem Salzburger Landesarchiv mit weiteren Recherchen im Konsistorialarchiv, Archiv d. Museums und der Stadt Salzburg, Heimatmuseum, Stift Nonnberg, sowie im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München. Die subjektive Berichterstattung der Reiseschriftsteller, aufklärerische Schriften, Zeitungen, Journale wie die Medizinisch-Chirurgische Zeitung, das Salzburger Intelligenzblatt usw. sowie Kräuter und Arzneibücher dienten weiters als wertvolle Fundorte zur Aufschlüsselung der Thematik. Erschwert wurde die Quellensuche durch die häufigen Regierungswechsel im Salzburger Raum zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Vom Geistlichen Fürstentum bis zum Jahre 1803, der Kurfürstlichen Regierung (1804–1805), der Österreichischen Regierung (1806–1809) mit französischer Verwaltung (1809–1810), der Bayerischen Regierung (1810–1816), bis zur endgültigen Österreichischen Regierung tauchten die Bestände mit unterschiedlicher Ergiebigkeit auf. Als Hauptquelle sind dabei sicherlich die Archivalien der kurfürstl. Salzburgischen und der K.K. österreichischen Regierung zu nennen. Am enttäuschendsten war der K.K. Kreisamtsbestand (1817–1849), da hierin der »Quacksalberey«-Bestand scartiert, d. h. vernichtet wurde und somit eine wertvolle Aussage verlorengegangen ist, welche allerdings mit Ausweichen auf Quellen aus dem oberfränkischen Raum aufgefüllt werden konnte. Es sei an dieser Stelle ausdrücklich darauf verwiesen, dass sämtliche Quellen im Original beibehalten wurden, weshalb durchaus verschiedene Orthographien sichtbar werden. Frauen kommen in den Quellen nur vereinzelt zu Wort: in gerichtlichen Vernehmungsprotokollen, in Bittansuchen, Bittschriften an die Regierung, sowie in selbst verfassten Kräuterbüchern. Bedeutende Aspekte aus dem heilerischen Milieu werden in den Quellen oft nicht angesprochen, und zumeist fehlen die Hinweise zur Erhellung wichtiger sozialer Lebensbereiche.

1.4

Terminologische Herausforderungen

Wesentlich schwieriger als die Quellenlage erwies sich letzten Endes die Abgrenzung bzw. die Bestimmung einzelner Begriffe. Halten wir uns an zeitgenössische Definitionen, so wurden diese kaum einheitlich verwendet und führen somit deutlich zu Verwirrung. Dennoch ist dies wahrscheinlich die einzig legitime Vorgehensweise, um nicht dem traditionellen System unsere heutigen modern geprägten Begriffe überzustülpen. Bei dem Versuch, die Gruppe der Heiler/-innen im traditionellen Heilsystem so klar wie möglich zu definieren, zeigen sich grundsätzlich zwei unterschiedli-

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che Standpunkte zur Begriffsbestimmung: Zum einen die obrigkeitliche Sicht mit dem ihr eigenen spezifischen Sprachgebrauch und zum anderen die objektiven sozialen und ökonomischen Bedingungen, die das Leben im Bereich der Unterschichten insgesamt prägten.77 Begriffe wie »Pfuscherin« und »Quacksalberin« orientieren sich an zeitgenössischen, obrigkeitlich geprägten Ausdrucksweisen. Es wird dadurch abweichendes Verhalten definiert und registriert. Bei der Beschäftigung mit Kurpfuscherei ist auffallend, dass einerseits die Bekämpfungskampagne der Kurpfuscherei relativ gut fassbar ist, während der »Gegenstand«, welcher bekämpft wird, sich einer historisch eindeutigen Definition entzieht. Es kommt dabei oft zur Überschreitung gesellschaftlicher Bereiche, die tabuisiert waren und von magischen Vorstellungen durchsetzt erschienen.78 So können wir auch im Salzburger Raum zwar von Seiten des »Staates« bzw. der Ärzte Definitionen finden, welche als Medizinal-Pfuscherei beschrieben werden, dennoch bleibt in einer Region oft unklar, welche Heilmethoden nun grundsätzlich toleriert oder der Pfuscherei zugeordnet wurden. Diese Begriffsprobleme ließen sich übrigens bis heute nicht zufriedenstellend lösen.79 Wenden wir unseren Blick auf die Begriffe »von unten« bezüglich der Bezeichnung ihrer Heiler und Heilerinnen, so finden wir auf der einen Seite die ganz persönliche Anrede in Form von »Nachnamen«, »Hausnamen«, »Spitznamen«, Berufsbezeichnungen sowie Namen, welche in Verbindung mit der Heiltätigkeit stehen auf der anderen Seite den Titel »Doktor« bzw. »Doktorin« in Anwendung. »Das Volk hängt mit Leib und Seele an seinen einheimischen Viehärzten, alten Weibern und Schindern, die sie unter dem Titel: »Doctor«, zusammenfassen; und selbst bey den zweifelhaftesten Fällen eher consultiren als sie sich an die Chirurgen oder Physiker wenden.«80 Es existierte im Volk also keinesfalls die Differenzierung des Heilpersonals, wie sie von Medizinalreformern angestrebt worden war. Der Begriff »Doktor« oder »Doktorin« wurde von der Bevölkerung für Heilkundige verwendet, unabhängig davon, ob diese/r eine staatlich geprüfte medizinische Ausbildung erhalten hatte oder empirisch tradiertes Heilwissen vorweisen konnte. In dieser Arbeit soll die Beschränkung auf folgender Begrifflichkeit liegen: Laut einem Wörterbuch von 1798 wird Medizin als »die Wissenschaft, die Ge77 Küther, Carsten (1983). Menschen auf der Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der zweiten Hälfte des 18. Jh. Göttingen, 7. 78 Spree, Reinhard (1989). Kurpfuscherei – Bekämpfung und ihre soz. Funktionen während des 19. und zu Beginn des 20. Jh. In: Med. Deutungsmacht im soz. Wandel des 19. und 20. Jh. Hrsg. v. Alfons Labisch/Reinhard Spree, Bonn, 103–121, hier 103. 79 Nicht geprüfte Heilpersonen oder Anwender/-innen unkonventioneller Heilmethoden werden auch heute noch teilweise als Kurpfuscher/-innen bezeichnet. 80 Felner, Josef. (1927). Die polit. und amtl. Verfassung der Pfleggerichte Werfen, Mittersill und Saalfelden am Ende des 18. Jh. In: MGSL LXVII (1927), 73.

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sundheit des menschlichen Körpers wiederherzustellen und zu erhalten«81 bezeichnet. Nach Brockhaus kann »Heilkunde« als »das Bemühen um das Wissen von der Entstehung, Bekämpfung und Heilung von Krankheiten«82 definiert werden. Ich möchte den Begriff »Medizin« ähnlich verstanden wissen wie ersteres Zitat und als »Heiltätige« sehr weitläufig all jene Personen bezeichnen, die direkt oder indirekt in der Krankenheilung im Medizinalsystem entweder legal oder illegal tätig waren. Den Schwerpunkt lege ich allerdings auf die aktive und autonome Ausübung der medizinischen Tätigkeit und möchte somit jede Pflegetätigkeit im engeren Sine ausschließen. Eingeschlossen sind somit autark aktiv ausübenden Heiler/-innen – approbiert bzw. nicht approbiert –, Geburtshelferinnen83, sowie selbständige Vertreter/-innen oder Händler/-innen im Arzneimittelgeschäft. Auf die Begriffsbestimmung »Laienheiltätige«84 in Bezug auf ungeprüftes Heilpersonal soll allerdings verzichtet werden, weil mit der Bezeichnung »Laie« allzu leicht der Begriff »Nichtfachmann« mitschwingt und dies meines Erachtens für die volksmedizinischen Heiler/-innen nicht zulässig ist. Um nun eine Abgrenzung der Begriffe der beiden medikalen Kulturen: »Schulmedizin« – »Volksmedizin«85 zu erreichen, muss zunächst auf die Entstehungsgeschichte dieser Formulierungen eingegangen werden. Die Ausführungen von Eberhard Wolff 86 können dabei als wichtigste Arbeit zum Begriff der »Volksmedizin« angesehen werden.87 In seinem Verständnis wird »Volksmedizin« als Idealtypus, welche abstrakte Orientierungspunkte darstellen, bezeichnet und als gesundheitsbezogene Vorstellungen und Handlungen in der Bevölkerung in einem Kontinuum zwischen zwei Extremen betrachtet. »Volksmedizin« charakterisiert sich demnach nicht als die Benennung eines umreißbaren Feldes, welches mehr oder weniger geschlossen, in engem oder

81 Adelung, Johann Christoph (1798). Grammat.-krit. Wörterbuch der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, bes. aber der Oberdeutschen. 2. Aufl. Leipzig, 132. 82 Spitzy, Karl (1991). Heilkunde und Heilkunst. In: Kunst des Heilens. Aus der Geschichte der Medizin und Pharmazie. Hrsg. v. Amt der Niederösterr.Landesreg. Ausstellungskat. Kartause Gaming, 189. 83 Metz-Becker, Marita (2013). Hebammen und medizinische Geburtshilfe im 18./19. Jahrhundert. In: die hochschule 1 (2013), 33–42. 84 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin v. Marktplatz und Landstraße. Rosenheim. 85 Diepgen, Paul (1967). Volksmedizin und wissenschaftliche Heilkunde. Ihre geschichtl. Beziehungen. In: Volksmedizin. Hrsg. v. Elfriede Grabner. Darmstadt, 200–223. 86 Wolff, Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten. Vom definitorischen zum heuristischen Begriffsverständnis. In: Zeitschrift für Volkskunde 94 (1998), 233–257. 87 Ebd.

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weitem Verständnis angesehen wird.88 Vielmehr kann »Volksmedizin« als heuristischer Relationsbegriff »in Anlehnung an das alte, enge Begriffsverständnis als idealtypischer Terminus verstanden werden, anhand dessen der Standort (volkskundlich)-gesundheitlicher Phänomene in einem tendenziell stufenlosen Kontinuum zwischen den Extremen ›Volksmedizin‹ und einer ebenso idealtypisch verstandenen ›Schulmedizin‹ verortet werden können.«89

Es liegt lange die Vorstellung einer in sich geschlossenen »Volksmedizin« im Sinne einer seit 1973 verfassten Auffassung weiter vor. Die innovative volkskundliche Gesundheitsforschung der 1970 und 1980er Jahre hat sich gezielt mit der historischen Entwicklung des Verhältnisses zwischen akademischer, anerkannter, institutionalisierter Medizin und breiter Bevölkerung beschäftigt. Dabei wurde der Schwerpunkt der Untersuchungen insbesondere auf Fragen nach Devianz und Konflikten zwischen beiden Gruppen gelegt. Es wurde ein Prozess »fortschreitender Entfremdung und Enteignung der Bevölkerung von ihrer angeblich autonomen gesundheitsbezogenen Kultur durch ärztliche, staatliche oder allgemein aufklärerische ›Normierungsversuche‹ seit dem 18. Jahrhundert dargestellt.90 Am Beginn des 19. Jahrhunderts war der Begriff »Schulmedizin« keineswegs gebräuchlich, sondern wurde erst in der zweiten Jahrhunderthälfte im Zuge der Auseinandersetzung zwischen der offiziellen, an den Universitäten gelehrten Medizin und alternativen Medizinsystemen, gemeint war die Homöopathie, von den Gegnern – meist abweichende Ärzte – geprägt.91 Diese Bezeichnung sollte schlagwortartig jene Eigenschaften zusammenfassen, auf welche die Ärzte ihre Sonderstellung gründeten, nämlich die akademische Ausbildung, die wissenschaftliche Fundierung ihrer Theorien, das bestimmte Niveau an medizinischem Können und Wissen sowie die Privilegierung durch die staatliche Gesetzge88 Ebd., 341; Grundsätzlich sind zwei Lager, die als »Expansionisten« und »Eliministen« unterteilt werden zu nennen. Die »Expansionisten« vertreten die Meinung, dass das Themenfeld einer Revision unterzogen werden müsste, aber zur Bezeichnung diese Feldes der gewohnte Begriff beibehalten werden könne; die »Eliministen« vertreten die Ansicht, dass mit der Ausweitung des Themenfelds volkskundlicher Gesundheitsforschung der durch seine Verwendung vorbelastete »Volksmedizin« Begriff ersetzt werden solle. 89 Ebd., 234. 90 Schenda, Rudolf (1973). Volksmedizin – was ist das heute? In: Zeitschrift für Volkskunde 69 (1973), 189–210, hier 209. Dornheim, Jutta/Wolfgang Alber (1982). Ärztliche Fallberichte des 18. Jahrhunderts als volkskundliche Quelle. In: Zeitschrift für Volkskunde 78 (1982), 28–43; Dornheim, Jutta (1986). Zum Zusammenhang zwischen gegenwarts- und vergangenheitsbezogener Medikalkulturforschung. Argumente für einen erweiterten Volksmedizinbegriff: In: Heilen und Pflegen: Internationale Forschungsansätze zur Volksmedizin. Hessische Blätter für Volkskunde und Kulturforschung. Band 19, Marburg, 25–41. 91 Wölfling, Achim (1974). Entstehung und Bedeutung des Begriffes Schulmedizin. Diss. Freiburg.

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bung.92 Da sich diese Charakterisierung auf die ärztliche »offizielle Medizin« zu Beginn des 19. Jahrhunderts übertragen lässt, soll mit der Definition »Schulmedizin«, die akademische, »gelehrte« Medizin mit allen approbierten Vertretern, wie Arzt, Apotheker, Wundarzt und geprüfte Hebamme verstanden werden. Der Begriff »Mediziner« tituliert wissenschaftlich ausgebildete Mitglieder dieser Gruppe. Dennoch muss im Auge behalten werden, dass die Vorstellung einer »wahren«, offiziellen Medizin, welche von der Volksmedizin abzugrenzen wäre, ausschließlich auf ärztlicher Selbstdarstellung beruht, denn es ist zu vereinfacht, beide als zwei gesonderte Bereiche anzusehen. »Volksmedizin« und »Schulmedizin« konnten für die Zeit um 1800 keineswegs auf allen Ebenen deutlich voneinander getrennt werden.93 Es gab beständige Wandlungen, Überschneidungen, sowie einen geistigen Austauschprozess zwischen beiden. Eine Definition des Begriffes der »Volksmedizin« ist äußerst komplex, verstanden als »Gesamtheit aller Vorstellungen und Verhaltensweisen, die mit der Erhaltung von Gesundheit und dem Umgang mit Krankheit zusammenhängen«94, schließt diese im Grunde genommen sowohl die Kultur der Ober- wie der Unterschicht ein, beinhaltet folglich auch die »Schulmedizin« und stellt keine Abgrenzung dar. So ist vorteilhafter, von einer »Heilkultur«95 bzw. »medikalen Kultur«, welche den ganzen Komplex verschiedener Formen von Auseinandersetzungen mit Gesundheit und Krankheit umfasst, zu sprechen. Trotzdem soll auf die Bezeichnung »Volksmedizin« nicht ganz verzichtet werden, denn sie stellt zu Beginn des 19. Jh. tatsächlich im Bewusstsein der Ärzte eine Realität dar. »Volksmedizin« ist also nicht als Wesenheit für sich96 zu verstehen, sondern als Ergebnis eines einseitigen Abgrenzungsversuches der elitären Ärzteschaft gegenüber dem »gemeinen Volke«. Vereinfacht ausgedrückt, kann die wissenschaftliche Medizin als »Medizin von oben«, die Volksmedizin als »Medizin von unten« aufgefasst werden, Überschneidungen inbegriffen. Als leitende Begriffe werden einerseits »traditionelle Heilkultur« für das Heilsystem mit einer freien Auswahl von »illegalen« und »legalen« Heiler/-innen, welches bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das Gesundheitswesen dominierte, andererseits »gelehrte Medizin«, »Schulmedizin« für den staatlich anerkannten, organisierten, »wissenschaftlich geprüften« Gesundheitssektor, welcher ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts federführend wurde, verwendet.

92 Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme med. Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jh. Diss. München, 73. 93 Ebd., 72. 94 Ebd., 73. 95 Dornheim, Jutta (1986). Zum Zusammenhang zwischen gegenwarts- und vergangenheitsbezogener Medikalkulturforschung. 25–41. 96 Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung, 75.

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In dieser Arbeit soll die Begriffsverwendung in der Gegenüberstellung von »Schulmedizin« und »Volksmedizin« in Bezug auf Wolff 97 verortet werden. So soll an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass es sich in der Unterscheidung von »Laienmedizin« und »gelehrter Medizin« nicht um zwei geschlossene Systeme, im Sinne von zwei sich voneinander grundsätzlich unterscheidenden Kulturen der breiten Bevölkerung handelt. »Volksmedizin« wird nicht auf die Sichtweise eines geschlossenen Phänomens auf der Basis von Extremen, wie beispielsweise Wissenschafts- und Professionsfeindlichkeit, Irrationalität, Traditionsverhaftung reduziert. Grundsätzlich wird die Meinung geteilt, dass sich volkskundliche Gesundheitsforschung »aus der weitgehenden Fixierung auf den Vergleich mit der akademischen Medizin lösen«98 sollte. »Volksmedizin« wird als Konstrukt angesehen, welches ebenso wie ihr Gegenüber »Schulmedizin« idealtypische Bezugspunkte abbilden. ›Volksmedizin‹ und ›Schulmedizin‹ werden zu ›Relationsbegriffen‹, an denen sich abmessen lässt, wie ›volksmedizinisch‹ oder ›schulmedizinisch‹ ein Phänomen ist, d. h. wie groß seine Nähe oder Ferne jeweils zu diesen idealtypischen Eigenschaften ist.99 »Gesundheitsbezogene Vorstellungen, Praktiken und Einstellungen ließen sich unter den Fragestellungen ›vermessen‹, wie weit sie auf natürliche oder übernatürlichen Konzepten aufbauen, wie das Verhältnis aus symbolischen und pragmatischen Gehalten und wie groß ihr empirischer, naturwissenschaftlicher oder traditioneller Gehalt ist. Die Handelnden selbst ließe sich unter weiteren Dimensionen ›vermessen‹, z. B. der der sozialen Nähe oder Distanz von handelndem und Behandeltem (von der Selbstbehandlung bis zum anonymen Therapeuten), dem Spezialisierungsgrad des Therapeuten, dem Grad der ›Verberuflichung‹ im ökonomischen Sinne, dem Ausbildungsgrad und dem Grad etwa gesellschaftlicher oder staatlicher Anerkennung.«100

1.5

Fragestellung

Angesichts der Komplexität des Gegenstandes und des bisher unzulänglichen historischen Forschungsstandes möchte ich zunächst, sozusagen in Schlaglichtern, auf wichtige Determinanten des Gegenstandes der Heilkunde am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufmerksam machen. Dabei stehen erstens die medikale Kultur und die Gesundheitspolitik im Salzburger Raum sowie zweitens die Charakterisierung der Situation von heilkundigen Frauen um 97 Wolff, Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten, 233–257. 98 Dornheim, Jutta (1983). Kranksein im dörflichen Alltag. Tübingen. 99 Vgl. Dinges Martin (1993). Ehrenhändel als »Kommunikative Gattungen«. Kultureller Wandel und Volkskulturbegriff. In: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), 359–393, hier 371ff, zit. nach Wolff, Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten, 256. 100 Wolff, Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten, 256.

Fragestellung

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1800 im Zentrum. Die Thematik wird im Dialog von Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik in den Blick genommen. Zur Klärung der Position von Frauen im Zusammenhang zwischen gesundheitsaufklärerischen Machtansprüchen und Ausgrenzung »traditioneller Heiltätigkeit« sollen mehrere Fragen und Thesen untersucht werden: Warum erhielt »Gesundheit« im ausgehenden 18. Jahrhundert die beispielslose Bedeutung, »zu einem bevorzugten Gegenstand öffentlich-publizistischer Diskussion und politisch-staatlichen Handelns«101 zu werden? Welche Bedingungen, Grundlagen waren von Seiten des Staates und der Gesellschaft dafür notwendig? Daran schließt sich die noch maßgeblichere Frage nach den Wirkungen und Konsequenzen dieses Politisierungsprozesses von Krankheit und Gesundheit für das »traditionelle Heilsystem« überhaupt bzw. für die weibliche Heiltätigkeit im Besonderen an. Voraussetzung zur Erforschung des »Verdrängungsprozesses« herkömmlicher Heilbereiche ist die Frage nach dem Erscheinungsbild des zuvor existierenden »traditionellen Medizinsystems« bzw. der heilerischen Aufgabengebiete der Frau. Ferner geht es um die Fragestellung, in welchem Ausmaß und mit welchen Mitteln und Methoden die Inhalte der »medikalen Kultur« in Bezug auf die Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin im Geschichtsunterricht behandelt werden können. Als Erkenntnisziel der Untersuchung gilt, Ableitungen aus den Forschungsergebnissen für Lehr- und Lernprozesse im Kontext des Gegenstandes »Heilkundliche Erfahrungswelten um 1800« für die Akteure Lehrer/-innen und Schüler/-innen im historisch-politischen Unterricht zu erhalten. Insbesondere sind dabei die Themenwahl, der Einsatz von Lehr- und Lernformen, die Diskurskultur sowie die Unterstützung von Medien in Bezug auf eine Reflexion historischen Erzählens als Aufgabe der Geschichtsdidaktik102 von Interesse. So wird der Versuch unternommen, ein plastisches Bild des Alltags heiltätiger Frauen zu zeichnen. Wichtig dabei erscheint, den obrigkeitlich gefärbten Blick zu erweitern und zum einen das Augenmerk auf die Darstellung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gegebenheiten, zum anderen auf die alltägliche Lebenssituation und die Erfahrungen der Heilkundigen zu richten. Wichtiges methodisches Prinzip ist dabei die möglichst starke Konzentration auf den heiltätigen Menschen. Ein weiterer wesentliche Aspekt der Untersuchung ist die Frage nach eventuellen Änderungen in der Lebenssituation, die sich aus ökonomischen, sozialen und administrativen Entwicklungen und dem Wertewandel ergaben. Darüber hinaus sollen die Kontroll- und Disziplinierungsmaßnahmen 101 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem 1770–1880. Göttingen, 22. 102 Pandel, Hans-Jürgen (2010). Historisches Erzählen. Narrativität im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts.

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unter dem Aspekt ihrer »Begrenztheit« Darstellung finden, d. h. die Freiräume und Widerstandsmaßnahmen von Heiler/-innen der traditionellen Kultur sollen aufgespürt und interpretiert werden. Die Quellenbasis der Arbeit umfasst zeitlich das Ende des 18. und den Beginn des 19. Jahrhunderts – der Zeitraum wurde unter dem Aspekt gewählt, dass in dieser Phase wesentliche Änderungen von Seiten der »gelehrten Medizin« eingeleitet wurden und somit der Wandel darstellbar wird – und beschränkt sich als Ort des Geschehens vorwiegend auf den Salzburger Raum. Der erste Band beschäftigt sich mit der Entwicklung der sogenannten »Medikalisierung«, in dem das traditionelle Gesundheitssystem durch Medizinalreformen nach und nach aufgelöst und eine »organisierte Gesundheitspolitik« etabliert wurde. Das erste Kapitel des ersten Bandes erscheint unter dem Aspekt der Reglementierung im Gesundheitssystem und widmet sich den Motiven und Erfahrungsbedingungen der Gesundheitsbewegung am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Analyse beinhaltet im Allgemeinen die Neuorganisation des Gesundheitswesens durch den Staat, die Gesundheitspropaganda durch die »bürgerliche Öffentlichkeit«, sowie das spezielle Interesse der Ärzteschaft an der Einflussnahme im Medizinsystem. Besondere Erwähnung finden in diesem Zusammenhang die Arztwitwen, da deren Lebenssituation die dürftige wirtschaftliche Situation bzw. die Bedürfnisse der gelehrten Mediziner widerspiegeln. Ferner sollen die Konsequenzen dieser Gesundheitsreformen bzw. der Ausgrenzungsprozess der traditionellen Heiltätigkeit mit der Schilderung der Organisation eines kontrollierten Medizinsystems, der Auflistung der neuen Medizinalordnung, sowie der »Ausrottung des Pfuscherwesens« Bearbeitung erfahren. Das zweite Kapitel stellt eine Bestandsaufnahme der traditionellen medikalen Kultur des Volkes dar. Es gibt Einblick in die allgemeine wirtschaftliche Situation um 1800, die Krankheits- und Lebensbedrohungen, sowie deren Bewältigung mittels einer magisch-religiös geprägten Weltsicht und daraus resultierenden Verhaltensweisen. Darüber hinaus wird der öffentliche Gesundheitsmarkt mit seinen Vertretern/-innen vorgestellt, welcher Einblick in das umfassende System der Heilausübung bietet. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die geschichtsdidaktische Umsetzung des Lernfeldes und die Bearbeitung des Themas im Geschichtsunterricht, wobei vor allem die Bildanalyse mit historischen Bildquellen erörtert wird. Im zweiten Band soll aufgezeigt und geprüft werden, welche aktiven Rollen die Frauen in der traditionellen Heilkultur innehatten und wieweit die Auflösung bzw. die maßgebliche Einflussnahme in weibliche Heilbereiche mit Konsequenzen bis in die Gegenwart gelangt ist. Bei der Bearbeitung des Themas soll jedoch weniger der Bereich der Geburtshilfe bzw. der Einschränkung und Kon-

Fragestellung

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trolle der Hebammentätigkeit, dem eine Hauptbedeutung in der »gesundheitlichen Entmachtungsdebatte« zukam, beleuchtet werden. Vielmehr liegt der Schwerpunkt der Analyse in der Untersuchung der Abqualifizierung traditionellen Erfahrungswissens im medizinischen Bereich, wie Gesundheitserhaltung, Krankenheilung, Kinderfürsorge und Kräuterkunde. Es soll dabei auf den Umstand aufmerksam gemacht werden, dass der Medizinalreformprozess durchaus auch Grenzen aufwies und Lücken für eine ›illegale‹ Heilausübung bot. Auf diese Weise konnten nicht wenige Volksheilerinnen in ländlichen Gebieten bis ins 20. Jahrhundert ihre medizinische Tätigkeit erfolgreich ausführen. Auch dürfen die »Ungehorsamkeiten« gegen die Obrigkeiten, in unserem Sinne als Widerstände zu interpretieren, bei einer Heilerinnenanalyse des vormodernen Heilsystems nicht vernachlässigt werden. Das erste Kapitel des zweiten Bandes widmet sich in überwiegendem Maße dem Aufgabengebiet der Frauen im traditionellen Heilsystem. Dabei werden Positionen im Heilbereich angeführt, in denen Frauen gleichwertig neben Männern praktizieren. Als Beispiel genannt werden dabei die speziell ausgeübte sesshafte oder fahrende Heiltätigkeit sowie das Arzneiwarengeschäft – von der Apothekerin und Ölfabrikantin über die Materialwarenhändlerin und Ölträgerin bis zur Beschäftigung mit Wurzengraberei. Weiters wird die speziell weibliche Heiltätigkeit im Bereich der Selbstmedikation mit besonderer Berücksichtigung des Kräuterbuch- und Kalenderwissens und die Geburtshilfe bzw. Frauenheilkunde untersucht. Das zweite Kapitel charakterisiert das Zusammentreffen von »traditioneller Heilkultur« und »organisiertem Medizinsystem« und dessen Auswirkung auf die heilkundige Frau. Es handelt sich dabei um eine vergleichende Studie, welche mit Hilfe einzelner Profile von in der Heilkunde tätigen Frauen durchgeführt wird. Auf diese Weise sollen wesentliche Bausteine der »traditionellen Heilkultur« mit Hilfe von einzelnen Analysekriterien, wie individuellen Daten zur Person erhellt werden: Herkunft, Berufstätigkeit, wirtschaftliche und soziale Lage, Mobilität/Immobilität, Heilpraxis, Beziehung zwischen Heiler/-in und Patient/-in, sowie der Ausgrenzungs- bzw. Bestrafungsprozess. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf zwei parallellaufende Entwicklungsstränge als Konsequenz der Festsetzung des organisierten Gesundheitssystems, welche die Stellung der Frauen in der Heilkunde im 19. Jahrhundert und darüber hinaus bestimmen. So beginnt auf der einen Seite der Disziplinierungs- und Ausgrenzungsprozess der Frau, die Festsetzung der Verteilung der aktiv-passiv-Rollen zwischen Vertreter/-innen sowie die Kontrolle der Reproduktion durch die »gelehrten Mediziner«. Ferner kann ein sogenannter »Widerstandsprozess« bzw. weibliche Volksheilkunde bis weit ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus beobachtet werden. So wird insbesondere der Frage nachgegangen, wie es mit »illegaler« Heiltätigkeit trotz neuer Medizinalordnung – sozusagen wider die Vorschrift – stand. Darauf folgt die Auseinandersetzung

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Einleitung

mit der Frage: Gibt es eine kontinuierliche Entwicklung dieser Traditionen bis in die Gegenwart? Das vierte Kapitel diskutiert Gendertheorien in Geschichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. Zusammenfassend ist an dieser Stelle noch einmal deutlich darauf hinzuweisen, dass das Interesse dieser Arbeit keineswegs in der Analyse wissenschaftlicher Medizin und herausragender Ärztinnen liegt, sondern vielmehr in der Darstellung eines ganz selbstverständlichen, kollektiven und individuellen Gebrauchs alltäglicher Heilformen des Volkes. In einer Zeit des allgegenwärtigen Mangels erhalten diese heilerischen Verfahren eine eigene »Logik« und kommen den menschlichen Bedürfnissen durchaus entgegen. Es soll allerdings in dieser Untersuchung nicht darum gehen, zentrale Figuren und Ereignisse in der Volksmedizin herauszustellen – es existieren ja vereinzelt ethnologische und anthropologische Arbeiten über Hexen, Wunderheilern, Schamanen oder Magiern – hingegen wird der Schwerpunkt auf die Alltagsmedizin des Volkes gelegt. Dass dieses Bild nicht vollständig kreiert sein kann, versteht sich angesichts der Tatsache, dass die Forschung auf diesem Gebiet am Anfang steht, ganz von selbst. Abschließend möchte ich noch auf einen beachtenswerten Punkt hinweisen: infolge dieser Themenbearbeitung ist es besonders wichtig, darauf zu achten, bei dem Versuch, einen negativen Mythos abzubauen, nicht einen neuen aufzubauen, d. h. eine Idyllisierung des »traditionellen Gesundheitswesen« oder eine Verklärung der heilerisch tätigen Frauen vorzunehmen, was ja durchaus naheliegt. Tatsache ist, dass die Medizin heute eine Herrschaft über alle Frauen ausübt – halten wir uns die Gründung der Gynäkologie als wissenschaftliche Medizin Mitte des 19. Jahrhunderts sowie die Intensivierung der Schwangerschaftsvorsorge und -fürsorge der letzten 50 Jahre vor Augen; die Wurzeln dafür liegen in der untersuchten Periode, im ausgehenden 18. sowie beginnenden 19. Jahrhundert.103

1.6

Ergebnisse und Ausblick – Konsequenzen für die Geschichtsdidaktik und den Geschichtsunterricht

»Was kann man in Hinblick auf den medizinischen Pluralismus104 aus der Geschichte lernen?«, diese Frage stellt Robert Jütte in der Festansprache zur Eröffnung des LMHI World Congress in Leipzig 2017.105 Als Antwort darauf stellt er 103 Danninger, Gabriele (1998). Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit«, 184ff. 104 Jütte, Robert (2012). Alter und neuer Pluralismus in der Medizin In: Schweizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin. 24, 169–175. 105 LMHI Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis; Jütte, Robert (2017). Medizinischer Pluralismus – was wir aus der Geschichte lernen können. In: Allgemeine Homöopathische Zeitung (2017) 262(06), 4–9.

Ergebnisse und Ausblick

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die Bedeutung der Medizingeschichte in Bezug auf das Gewordensein des gegenwärtigen Gesundheitssystems und somit auch die prinzipielle Veränderbarkeit dieser in den Mittelpunkt. So merkt er an, dass was uns modern erscheint durch Einsicht in vormoderne Phänomene bestätigt oder auch relativiert werden kann und er argumentiert im Sinne der Geschichtsdidaktik: »Wann immer historische Argumente, Mythen, halbbewußte und unaufgeklärte Erinnerungen und Erinnerungsfetzen bei der Rechtfertigung und Legitimierung bestehender Verhältnisse noch eine Rolle spielen (…) hat die rationale, ideologiekritische Beschäftigung mit der Historie (…) eine unersetzbare Funktion.«106

Die Bedeutung der Forschungsergebnisse liegt in der Ableitung eines Praxis- und Berufsfeldbezuges. Die Analyse komplexer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge und ein vernetztes Denken sind für das historisch-politische Lernen von hoher Relevanz. Dabei ist vor allem die Hervorhebung von Strukturen wesentlich, da viele vergangene und aktuelle Phänomene weitgehend strukturgleich sind. »Damit geht sowohl ein hohes Transferpotenzial als auch die Chance einher, gegenwärtige Herausforderungen vor dem Hintergrund der Erfahrungen früherer ähnlicher Probleme zu bewältigen.«107 In weiterer Folge sollen im Rahmen der Untersuchung Möglichkeiten zur praktischen Umsetzung in Form von komplexen Lehr- und Lernarrangements für kompetenzorientiertes Unterrichten entwickelt werden. Zwei Punkte sind dazu anzumerken: (1) In der didaktischen Reflexion wird die Zielbestimmung historisch-politischen Lernens immer wieder kontrovers diskutiert. In der Gegenwart bündelt sich die Beschreibung des Ziels historischen und politischen Lernens in der Debatte betreffend den Kompetenzbegriff 108. Ziele und Aufgaben der Geschichte sowie der Politischen Bildung werden in der Gegenwart in Form von Kompetenzmodellen definiert.109 Mit folgenden didaktischen Prinzipien, die von Barricelli/Gautschi/Körber (2012) beschrieben werden, lässt sich der Unterricht, der vorwiegend auf innere Entwicklungen von Schüler/-innen abzielt, konkreter erschließen. So wird erstens auf die kognitive und intellektuelle Aktivierung der Schüler/-innen durch unterschiedliche Lerngelegenheiten abgezielt. Zweitens werden als Rückgrat des kompetenzorientierten Unterrichts Aufgaben zur selbständigen Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Geschichte »verstanden als schriftlich abgefasste inhaltbezogene Arbeitsanleitungen mit Mate106 Jütte, Robert (2012). Alter und neuer Pluralismus in der Medizin, 11. 107 Arndt, Holger (2017). Systemisches Denken im Fachunterricht. FAU Lehren und Lernen. Band 2. Erlangen: FAU University Press, 253. 108 Baumgärtner, Ulrich (2015). Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn. 109 Sander, Wolfgang (2009). Kompetenzen in der Poltischen Bildung – eine Zwischenbilanz. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Austrian Journal of Political Science, 38 (2009) 3, 293.

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Einleitung

rialien«110 zur Erfahrung der Selbstwirksamkeit eingesetzt. Diese Aufgaben beinhalten drittens Problemstellungen mit zentralen Fragen der Gegenwart. Ein gesellschaftlich relevanter Inhalt muss von Schüler/-innen in exemplarischer Weise erschlossen werden. Zudem muss sichergesellt werden, dass das Gelernte in Zukunft in Form von Transfer auf neue Situationen angewandt werden kann. Dazu gilt viertens, dass kompetenzorientierter Unterricht auf Diagnose basierter Unterricht ist. Es muss bei den Angaben ein Kompetenzfortschritt bei Schüler/innen gegeben sein. Voraussetzung ist, dass Lehrpersonen wissen, auf welchem Kompetenzstand sich die Lernenden befinden. In Bezug auf die Zielsetzung gilt fünftens ein individualisierter und differenzierter Unterricht als Voraussetzung, um die Bewältigung der Aufgaben zu gewährleisten. Dabei werden insbesondere in Hinblick auf Deutungen und Werturteile unterschiedliche Lösungswege ermöglicht. Im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht gibt es sechstens eine Vielfalt an Materialien, wie Darstellungen und Quellen verschiedenster Gattungen. Siebtens erfolgt im kompetenzorientierten Geschichtsunterricht die Einladung zum historischen Erzählen. In dieser Arbeit rückt das Kompetenzmodell »Historisches Denken« der Forschungsgruppe FUER (2006/2007), welches im deutschen Sprachraum am umfangreichsten beschrieben111, vielfältig diskutiert wird112 und dem österreichischen Lehrplan zugrunde liegt, in den Mittelpunkt. Dieses Kompetenzmodell ist von Rüsens (1983)113 geschichtstheoretischer Konzeption zur Historik abgeleitet und wurde von Hasberg und Körber114 (2003) zu einem Prozessmodell des historischen Denkens in einen Regelkreis ausdifferenziert. Drei für die Orientierungsaufgabe relevante Fähigkeitenkomplexe als prozessuale und ein weiterer Kompetenzbereich, der bei der Reflexion über den Gegenstand bedeutsam ist, sind bei diesem Modell von Bedeutung und dienen als Grundlage für die Un110 Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle. In: Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Band. 1. Hrsg. v. Michele Barricelli/Martin Lücke, Schwalbach/Ts., 207–235, hier 231. 111 Körber, Andreas/Schreiber Waltraud/Schöner, Alexander (Hg.) (2007). Kompetenzen historischen Denkens. Ein Struktur-Modell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik. Neuried; Schreiber, Waltraud/Körber, Andreas/von Borries, Bodo et al. (Hg.) (2006). Historisches Denken. Ein Kompetenz-Strukturmodell. 2. Aufl. Neuried. 112 Barricelli, Michele (2008a). Aufklärung, Bildung, »Histotainment«?: Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft heute. Frankfurt a. M.; Sauer, Michael (2008/2012). Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. aktual. u. erw. 10. Auflage. Seelze-Velber; Schönemann, Bernd (2008). Bildungsstandards und Geschichtsunterricht. Ein Kommentar zu Waltraud Schreiber und Michael Sauer. In: Zeitschrift für Pädagogik 54 (2008) 2, 218–221. 113 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik. Göttingen. 114 Hasberg, Wolfgang/Körber Andreas (2003). Geschichtsbewusstsein dynamisch. In: Körber, Andreas (Hg.). Geschichte – Leben – Lernen. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Andreas Körber, Schwalbach/Ts., 179–202.

Ergebnisse und Ausblick

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terrichtsentwicklung: historische Fragekompetenz, historische Methodenkompetenz, wie De-Konstruktions-Kompetenz und Re-Konstruktions-Kompetenz, historische Orientierungskompetenz sowie historische Sachkompetenz. In Bezug auf das Inhaltsfeld »Gesundheit und Krankheit« ist insbesondere die Förderung der historischen Orientierungskompetenz hervorzuheben. Eine Reflexion über Definitionen und Bedeutungen, sowie die altersgemäße Konkretisierung und Weiterentwicklung von Begrifflichkeit dient zur Aneignung von Fach- und Handlungswissen und ist ferner für den Umgang mit Quellen und Darstellungen von Relevanz. Begriffe und Konzepte dienen im Unterricht der Erfassung von historischen Sachverhalten sowie der Strukturierung von Gedankengängen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass »Begriffe« als geistige Repräsentationen von Gegenständen, Geschehnissen oder auch gedanklichen Vorstellungen verstanden werden, welche sich von gängigen sprachlichen Ausdrücken durch ihren Abstraktionsgrad und ihre systematische Ordnung unterscheiden. Begriffe können durch eine Anzahl von Merkmalen oder durch die Beschreibung eines Prototyps klassifiziert werden. »Die Besonderheit historischer Begriffe besteht darin, dass sie nicht systematisch abgeleitet und in ein stringentes Benennungssystem eingefügt sind, sondern zumeist aus anderen Kontexten adaptiert sind.«115 Begriffe unterliegen dem historischen Wandel und können in unterschiedlichen Kontexten, wie in der Alltagssprache, in anderen Disziplinen und in Quellen, verschiedene Bedeutungen aufweisen. So besteht die Notwendigkeit, »die Anwendbarkeit von Begriffen als kognitive Werkzeuge zu schulen und zu reflektieren.«116 In diesem Zusammenhang nimmt auch das konzeptionelle Lernen, welches als Rahmenwissen bzw. als das »know-why« verstanden werden kann, einen hohen Stellenwert ein. »Durch konzeptionelles Lernen überprüfen wir unser Rahmen-Wissen und verändern es, wenn neue Erfahrungen vorliegen. Konzeptionelles Lernen erfolgt, wenn wir Ereignisse oder Handlungen reflektieren, hieraus Schlüsse ziehen und gewohnte Handlungen verändern.«117 (2) Die pädagogische Bedeutung des Themenfeldes »Gesundheit und Krankheit« sowie des Umgangs mit dem Lerngegenstand als das eigentlich Fachspezifische118 im historischen Unterricht könnte in der Folge in weiteren Forschungsprojekten im Professionswissen der Lehrperson und im Handlungswissen der Schüler/-innen erkundet werden. Dabei könnten Lehrer/-innen115 Baumgärtner, Ulrich (2015). Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn, 50. 116 Ebd., 51. 117 Wahren, Heinz-Kurt (1996). Das lernende Unternehmen. Theorie und Praxis des organisationalen Lernens. Berlin, New York, 88. 118 Gautschi, Peter (2011). Guter Geschichtsunterricht: Grundlagen, Erkenntnisse, Hinweise. Schwalbach/Ts, 96.

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Einleitung

und Schüler/-innenaussagen in Bezug auf die Relevanz für die Auswahl und die Strukturierung des Inhaltes der Thematik in Betracht gezogen werden. Baumgärtner (2018) beschreibt vier Kriterien des Wissenskanons, welche auch in der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand »Gesundheit und Krankheit« maßgeblich sind. Erstens stehen Lernbedürfnisse und Erkenntnisinteressen der Schüler/-innen im Vordergrund. Zweitens ist eine Konfrontation mit Grundfragen der Gegenwart im Sinne von Klafkis »epochaltypischen Schlüsselproblemen« von Bedeutung. Drittens findet die Beschäftigung mit Geschichtswissenschaft und Geschichtsforschung zur Erschließung von historischen Sachverhalten in altersgerechter Form Beachtung und viertens erhält die Geschichtsdidaktik eine wesentliche Rolle »Inhalte mit Lernpotential zu konstruieren. Dabei greift sie etwa auf Kompetenzmodelle zurück und untersucht, ob bestimmte Inhalte besonders kompetenzfördernd sind bzw. ob bestimmte Kompetenzen bestimmte Inhaltsentscheidung erfordern.«119 Zusammenfassend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass im Kontext des Themas »Gesundheit und Krankheit« durch die Covid-19 Krise und die Rückkehr zum Ungewissen aktuell Lernbedürfnisse und Erkenntnisinteressen der Schüler/-innen im Mittelpunkt stehen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Auseinandersetzung und Konfrontation mit Grundfragen der Gesundheitspolitik in der Gegenwart. Schüler/-innen reagieren auf die Thematik oft tief betroffen und bringen ihre Wünsche nach sozialem Engagement und einer Aufmerksamkeitsfokussierung an der Medizingeschichte zum Ausdruck.120 Für ein gelingendes Lernen ist die Bereitschaft der Schüler/-innen, sich ausdauernd und zielstrebig mit einem Gegenstand zu beschäftigen, wesentlich.121 Dabei ist zwischen Lernen aus eigenem Antrieb (intrinsische Motivation) oder Lernen durch Veranlassung auf andere (extrinsische Motivation) zu unterscheiden. Die Frage der Motivation stellt sich beständig in Bezug auf die Schule als Pflichtveranstaltung und die Berücksichtigung persönlicher Interessen der Schüler/-innen. Historische, gesellschaftliche und politische Aspekte der Pandemie sind im Jahr 2021 allgegenwärtig und als unmittelbare Lebenswelt der Schüler/-innen anzusehen. Der historische Unterricht liefert keine unmittelbaren Handlungsanweisungen für die Gegenwart und die Zukunft, doch ermöglicht dieser »einen Erfahrungszuwachs, relativiert die gegenwärtigen Fixierungen und Absolutheitsansprüche an die Zukunft, hält das Fragwürdige, Komplexe, Kontingente 119 Baumgärtner, Ulrich (2018). Was sollen SchülerInnen wissen? Zu Inhalten und Themen im Geschichtsunterricht. In: Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung. Hrsg. v. Thomas Sandkühler/Charlotte Bühl-Gramer/Anke John/Astrid Schwabe/Markus Bernhardt, Göttingen, 113–131. 120 Vgl. Untersuchung Danninger (2021) in Bearbeitung. 121 Mietzel, Gerd (2017). Pädagogische Psychologie des Lernens und Lehrens. Göttingen, 323.

Ergebnisse und Ausblick

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und Ambivalente einer Vergangenheit und damit das Denken in Alternativen bewusst und sensibilisiert für die Handlungsspielräume einer komplexen Gegenwart.«122

122 Bühl-Gramer, Charlotte (2018). Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert – eine Standortbestimmung, 113–130.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«123

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ereignete sich eine entscheidende Wende im Gesundheitssystem. Charakteristisch dafür war eine Wandlung von Krankheit und Gesundheit, die einst Vorgänge persönlichen und häuslichen Erlebens waren und in der Folge zu Gegenständen öffentlicher Politik wurden. Diese Phase des Umbruchs zeigte sich nicht nur auf dem heilkundlichen Sektor des deutschsprachigen Raumes, sondern war zu dieser Zeit im gesamten Europa anzutreffen. Es kann von einem sogenannten »rationalistischem Interesse für die Gesundheit«124 gesprochen werden, welche sich in einer neu aufflammenden Gesundheitspropaganda präsentierte. Neben dem »traditionellen Heilsystem« trat ein von der Medizinalreform geprägtes organisiertes kontrolliertes Medizinalsystem in Erscheinung. Damit verdeutlichte sich die Kontroverse zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen und Philosophien. Die Differenz in den Natur- und Lebensauffassungen und davon beeinflusst das Gesundheits- und Krankheitsbewusstsein der aufgeklärten bzw. traditionellen Welt schuf unweigerlich einen Konflikt. Verbunden mit dem Aufbau des »modernen« hierarchisch aufgebauten Medizinalsystems war die Einleitung eines wesentlichen Disziplinierungsprozesses, welcher – wie auch die Entwicklung in anderen Bereichen eindeutig zeigen – Auswirkungen bis in die Gegenwart hatte. Im »traditionelle Heilsystem« wurden durch diese Maßnahmen Schritt für Schritt Veränderungen in Bezug auf überlieferte Werte- und Normmaßstäbe hinsichtlich des Verhaltens im Krankheitsfall sowie des Umganges mit dem eigenen Körper bzw. ihrer Selbständigkeit in Ausführung der Heilhandlungen vollzogen. In der Betrachtung der weiblichen Rolle in den beiden medikalen Kulturen wird deutlich gemacht, dass im »traditionellen Heilsystem« die Frau nicht nur eine dem Manne gleichgestellte, sondern in speziellen Bereichen dominierende Position im Heilsystem einnahm. 123 Vgl. Danninger, Gabriele (1998). Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit« und »gelehrter Medizin«, 91ff. 124 Wimmer, Johannes (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 30.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

Erst die Einsichtnahme in die Bedeutungsmuster und Funktionsweisen der volksmedizinischen Welt um 1800 ermöglichen es der Leserin und dem Leser des 20. Jahrhunderts, die Entstehung spezifischer Heilmethoden, Heiler/-innenexistenzen sowie den Aufbau des traditionellen Gesundheitsmarktes nachzuvollziehen. Natürlich ist die Entwicklung des medizinischen Systems als ein umfassender Prozess verschiedener sich gegenseitig bedingender Determinanten zu verstehen. »Traditionelle Heilkultur« beinhaltete im Gegensatz zum modern aufgebauten »organisierten Medizinsystem« ein uneinheitlich komplexes System von Anschauungen und Wertemustern, welchem zahlreiche alternative Hilfeleistungsstrategien zur positiven Lebensbewältigung zugrunde lagen. Als Gemeinsamkeit dieser Theorien galt die Verbindung der Heilkünste von drei wesentlichen Aspekten: der Pharmazie, der Körperbehandlung sowie dem Ritual. Die Heilmittel wurden aus der Natur gewonnen. Die Erde stellte nicht nur antiseptische und schmerzlindernde Kräuter und Pflanzen zur Verfügung, sondern verfügte auch über Instrumente für chirurgische Zwecke. Die Erforschung von Ursache und Wirkung der Heilbehandlungen war Grundlage eines empirischen Vorgehens. Durch die genaue Beobachtung der Jahreszeiten, der Gestirne sowie der Beziehungen der Dinge untereinander unter dem Aspekt des Mikrokosmos und Makrokosmos wurden die Erkenntnisse durch Verbindung von Vernunft und Intuition gewonnen. Magische und religiöse Elemente flossen in die Heilhandlungen ein, welche in der Annahme einer Beseeltheit und Belebtheit, das heißt einer Präsenz des Geistes in allen Dingen Begründung fanden. Tausende von Jahren glaubten die Menschen, dass verschiedene organische und anorganische Produkte eine unsichtbare Macht und Kraft besäßen, die den Heiler/-innen bei der Divination, der Diagnose oder beim Heilen halfen. Der pantheistische Aspekt des Weltbildes verlieh heilerischen Hilfsmitteln, wie etwa Steinen, Amuletten, einzelnen Bestandteilen von Tieren usw. eine unsichtbare Macht und Kraft. Eine in unserem gegenwärtigen Verständnis »ganzheitliche Medizin« – die dreifaltige Natur des Menschen, d. h. die Existenz einer wechselseitigen Beziehung zwischen Geist, Körper und Seele fand im »traditionellen Heilsystem« durchaus Berücksichtigung. Im Gegensatz zu unserem gegenwärtigen Medizinsystem wurde auch dem spirituellen Aspekt Rechnung getragen. Die Auseinandersetzung mit den Krankheiten und Nöten der Bevölkerung wirft unweigerlich das Licht auf die von den Menschen aufgebauten Überbrückungs- und Rettungssysteme. Es sei dabei davor gewarnt, die eigenständige Kultur des Volkes mit modernen Maßstäben zu messen. Vielmehr kommt es darauf an, sie in Beziehung der individuellen Lebenszusammenhänge des Volkes in der traditionellen Gesell-

Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

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schaft zu untersuchen.125 Welch schwieriges Unterfangen es darstellt, eine uns fremde kulturelle Welt zu beschreiben, benötigt keinerlei weiterer Erklärung. Es kann also nur insofern gelingen, als das Interesse in einer Annäherung an das konkrete Denken und Handeln des Menschen liegt. So wird diesem Anliegen im Sinne einer Volkskultur126 Rechnung getragen und Einblick in die Heilkultur der sogenannten »kleinen Leute« und »Namenlosen«, vorzüglich der auf dem Land lebenden Menschen, genommen. In dieser Entdeckung von Handlungspraxis und Alltagserfahrungen werden neben dem Austausch- und Beeinflussungsprozess zwischen volks- und schulmedizinischen Vorstellungen und Praktiken auch geschlechtsspezifische Sichtweisen berücksichtigt. Zu betonen gilt es grundsätzlich, dass sich bis ins 19. Jahrhundert idealtypisch zwei unterschiedliche medikale Kulturen, die »Schulmedizin« mit ihren approbierten Vertretern einerseits und die »Volksmedizin«127, welche vornehmlich von ungeprüften Heilpersonal betrieben wurde andererseits gegenüberstanden. Gab es zwar theoretische Gegensätze, so existierten in der jeweiligen praktischen Heilbehandlung zahlreiche Überschneidungen und Übereinstimmungen. Bis weit ins 18. Jahrhundert kann von einem breiten Angebot an medizinischer Hilfe gesprochen werden.128 Sehen wir vom sozialen Status einmal ab, stand den Patient/-innen die Auswahl an medizinsicher Hilfe weitgehend frei. Es gab noch nicht den »monopolisierten Gesundheitsmarkt«, der ausschließlich von approbierten Heilern besetzt war, wenn sich auch unaufhaltsam gewisse Tendenzen dahingehend abzeichneten.129 Bei der Charakterisierung der einzelnen Anbieter/-innen der medizinischen Dienstleistungen ist es wichtig zu betonen, dass für die verschiedenen sozialen Schichten in der Krankenheilung kein wesentlicher Unterschied bestand, denn vielfach verwendete geprüftes und ungeprüftes Personal die gleichen Heilmittel und Heilmethoden. Zu bedenken gibt es, dass die Arzneimitteltherapie auch im 125 Dülmen, Richard van (Hg.) (1983). Die Kultur der kleinen Leute. Bayer. Volksleben v. 16. bis zum 19. Jh. München, 10. 126 Volkskulturforschung in diesem Sinne verstanden, sich Klassen- und Gruppenkulturen zuzuwenden und sich dabei die Betrachtungsweise der Betroffenen und Handelnden zu eigen zu machen. Vgl. Dülmen, Richard van/ Schindler, Norbert (Hg.) (1984). Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.–20. Jh). Frankfurt a. M.; Kaschuba, Wolfgang (1988). Volkskultur zwischen feudaler und bürgerlicher Gesellschaft. Zur Geschichte eines Begriffs und seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit. Frankfurt a. M., New York. 127 Vgl. theoretische Debatte zu den Begriffen: Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten, 233–257. 128 Irsigler, Franz/Lassotta, Arnold (1989). Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker. Außenseiter in einer mittelalterl. Stadt. Köln 1300–1600. München, 110f.; Ridder, Paul (1990). Im Spiegel der Arznei. Sozialgeschichte der Medizin. Stuttgart, 29f.; Schubert, Ernst (1990). Arme Leute Bettler und Gauner in Franken des 18. Jh. Neustadt. 129 Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler und Patienten, 17.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

frühen 19. Jahrhundert noch mangels Kenntnisse äußerst unbefriedigend verlief. Die theoretische Position der »Gelehrten« ging zu dieser Zeit ebenfalls wie die volksmedizinische Anschauung auf die Humoralpathologie der Antike zurück. Dies bedeutete, dass die beiden medikalen Positionen ihre Behandlungsmethoden in Bezug auf die »Säftelehre« abstimmten. Um ein Gleichgewicht im kranken Haushalt wiederherzustellen, schwörten in der alltäglichen Praxis die Heiltätigen und Patient/-innen gewöhnlich auf Brech-, Laxier-, harn- und schweißtreibende Mittel sowie auf verschiedene Formen der Blutentziehung, wie den bereits vorher erwähnten Aderlass und das Schröpfen. Das größte Problem der Arzneimittelverabreichung lag allerdings darin, dass, da noch keine Standardisierung der Arzneimittel gegeben war, nicht vorhersehbare Effekte bei den aus vielerlei Substanzen bestehenden Komposita hervorgerufen werden konnten. Es lässt sich behaupten, dass ganz allgemein große Unkenntnis über die Dosierung bestand und dass therapeutische Erfolge der inneren Medizin durchaus äußerst »ungewiß und zufällig« waren.130 So wiesen Heilmittel und Heilverfahren von erfahrenen ungeprüften Heiler/-innen durchaus höhere Qualität auf, als so manche Medizin eines gelehrten Arztes. Maria Elisabetha Aichingerin, »verwittibte Hofkammer Rechnungs Comissarin«131 gab in einem Schreiben ihren Dank an einen in Leopoldskron ansässigen Ölhändler kund, welcher ihr zu rascher Genesung in einer gefährlichen Krankheit verholfen hatte.132 Ein »ordinario« und vier »medicis« hatten die Leidende in Behandlung genommen, doch mit keinerlei Erfolg, ja, es wurde ihr sogar alle Hoffnung abgesprochen und mit ihren schmerzhaften Zuständen war sie sich selbst überlassen. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an den Huchböck, einen Ölwarenhändler, der sich vermutlich nebenbei mit Heilkunde beschäftigte, mit dem Ergebnis: »so Huchböck aber ganz allein mich in wenigen Tagen aus alle Gefahr, und in Zeit 3 Wochen an meiner vorige Gesundheit vollkommen hergestellt.«133 Ehe der Blick auf detailliertere Fragen, wie den Aufbau des Heilpersonals und seine Bedeutung sowie das Heilverhalten und die Stellung der Medizin in der Gesamtbevölkerung gelenkt wird, sollen vorerst ganz allgemein die Motive und Erfahrungsbedingungen der Gesundheitspolitik sowie die Organisation eines kontrollierten Medizinsystems, der Salzburger Medizinalverfassung, erörtert werden.

130 Sandner, Sabine (1989). Handwerkschirurgen. Sozialgeschichte einer verdrängten Berufsgruppe. Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 85. Göttingen, 42. 131 Schreiben von Maria Elisabetha Aichinger, München 27. März 1770, BayHStA GR 1204 128. 132 Ebd. 133 Ebd.

»Politisierung« von Krankheit und Gesundheit

2.1

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»Politisierung« von Krankheit und Gesundheit: Maßnahmen zur Kontrolle des Heilwesens

Die wesentlichste Entwicklung der Aufklärungsmedizin lag in der Änderung des Krankheits- und Gesundheitsbegriffes134. Es kann zum ersten Mal definitiv von einer sich seit dem Beginn der Neuzeit anbahnenden Trennung zwischen »Volksmedizin« und »gelehrter Medizin«135 gesprochen werden. An die Stelle einer, dem organischen Weltbild verhafteten »Ganzheitsmedizin«, in der seelische Fürsorge und Wiederherstellung der Harmonie des Menschen im Mittelpunkt standen, trat mehr und mehr eine naturwissenschaftlich ausgerichtete »Spezialisierungsmedizin« mit einem mechanistischen Weltbild. So kam es nicht nur zu einer Umbewertung von Krankheit und Schmerz, sondern Gesundheit und Krankheit wurde ganz allgemein zu einer öffentlichen Angelegenheit entrückt.136 Im bürgerlichen Aufklärungsdiskurs wurde Gesundheit zur bestimmenden Norm. Sie wurde als profaner Wert verstanden, d. h. die Gesundheit wurde als der eigentliche Naturzustand des Menschen, als das Produkt einer »richtigen« Lebensführung verstanden und diese war nicht mehr nur dem Belieben des einzelnen überlassen, sondern stellte eine Pflicht der Allgemeinheit dar. Krankheit hingegen bedeutete keinesfalls mehr eine von Gott gesandte Strafe, sondern hatte ergründbare Ursachen, denen entgegengewirkt werden konnte.137 Krankheit wurde zum Störfall, der den natürlichen Ablauf des Lebens verkürzen konnte, der Tod sollte am Ende eines erfüllten Lebens im hohen Alter eintreten. Wichtig ist der grundlegend neue rationale Umgang mit Krankheit und Tod. Es ist der »Wandel des ärztlichen Blickes«, den Michel Foucault (1988) als bleibende Bedeutung für unsere Kultur – als maßgebliche Beeinflussung der Moderne – interpretiert. »Die Krankheit ist nicht mehr das ›Unheil‹ schlechthin, sondern ein endliches, körperliches Netz von Symptomen, das der ärztliche Blick leidenschaftslos freilegt. Der Tod ist nicht mehr metaphysischer Abgrund, sondern eine dem Körper inhärente Möglichkeit. Indem so die Medizin dem Menschen einen Spiegel radikaler Endlichkeit

134 Mann, Gunter (1966). Medizin der Aufklärung: Begriff und Abgrenzung. In: Medizinhistorisches Journal. Band 1, 63–74. 135 Die Problematik der Abgrenzung und Verwendung der Begrifflichkeit wurde in der Einleitung beschrieben, vgl. Wolff, Eberhard (1998). »Volksmedizin« – Abschied auf Raten, 233–257; Diepgen, Paul (1967). Volksmedizin und wissenschaftliche Heilkunde. Ihre geschichtlichen Beziehungen. In: Volksmedizin. Hrsg. v. Elfriede Grabner. Darmstadt, 221. 136 Wöbkemeier, Rita (1990). Erzählte Krankheit: Medizinische.und literarische Phantasien um 1800. Stuttgart, 151. 137 Seidler, Eduard (1978). Abendländische Neuzeit. In: Krankheit, Heilung, Heilkunst. Hrsg. v. Heinrich Schipperges u. a. München, Freiburg, 318.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

andauernd vorhält, rückt sie an einen zentralen Ort im System der Humanwissenschaften.«138

Bestand im traditionellen Heilsystem eine sehr tiefgreifende Beziehung zwischen Leben und Tod bzw. war die tägliche Präsenz des Todes allgemein anerkannt,139 so verschwand nun der Tod zunehmend aus der privaten und öffentlichen Sphäre. Im Bereich des Gesundheitssystems existierten nun, einfach ausgedrückt, zwei Auffassungsformen: ein Normzustand als »natürlicher« Zustand – gesund, schön, kräftig, leistungsfähig, sowie ein abweichender, »unnatürlicher« Zustand – krank, alt, arm, irrsinnig, fremd, elend! Nach Foucault (1976) kennzeichnen fünf wesentliche Tendenzen die »politique de la santé«140 im 18. Jahrhundert: Erstens die sogenannte Vorsorgemedizin, d. h. die Absicht, Krankheiten im voraus zu bekämpfen. Zweitens die Bedeutungserweiterung des Gesundheitsbegriffes, welcher nicht mehr nur als Gegenteil von Krankheit betrachtet wird, sondern als »résultat observable d’un ensemble de données«141 Drittens das Bestreben, biologische Variablen innerhalb einzelner Gruppen oder Gemeinschaften wie Sterblichkeit, Lebenserwartung, epidemische oder endemische Krankheiten zu erfassen. Viertens die Entwicklung verschiedener interventionistischer Maßnahmen, welche strenggenommen weder als therapeutisch noch medizinisch zu bezeichnen sind, da sie Lebensgewohnheiten, Ernährung, Kinderpflege usw. betreffen. Fünftens die partielle Eingliederung der medizinischen Praxis in eine wirtschaftliche und politische Verwaltung mit dem Ziel, die Gesellschaft zu rationalisieren. Als Akteure der Festsetzung eines verbindlich organisierten Medizinalwesens können Staat, bürgerliche Öffentlichkeit und die Ärzteschaft142, die spezifischen Interessen und Ziele damit verbanden143, genannt werden.

138 Foucault, Michel (1988). Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztl. Blicks. Frankfurt a. M., 206. 139 Muchembled, Robert (1982). Kultur des Volks – Kultur der Eliten: Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung. Stuttgart, 67. 140 Foucault, Michel (1976). La politique de la santé au XVIIIe siècle. zit. nach Johannes Wimmer (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 17. 141 Ebd., 17. 142 Barthel, Christian (1989). Medizinische Polizey und medizinische Aufklärung. Aspekte des öffentlichen. Gesundheitsdiskurses im 18. Jh. Frankfurt a. M., New York, 27–70. 143 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem 1770–1880, 21.

Die Wissenschaft von der »medizinischen Polizey«

2.2

53

Die Wissenschaft von der »medizinischen Polizey«

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmten drei große geistig-politische Strömungen – Aufklärung, Naturrecht, Absolutismus – die Rechtsentwicklung des deutschsprachigen Raumes. Eine wesentliche Voraussetzung für gezielte Eingriffe in das Gesundheitswesen war eine staatlich durchorganisierte Verwaltungsbürokratie sowie eine geänderte Gesundheitsauffassung.144 »Gesundheit wurde zu einer Bedingung staatlicher Machtvollkommenheit«145. Die Bedeutung bzw. Machtentfaltung des absolutistischen Staates wurden entscheidend von der Zahl seiner Untertanen beeinflusst: je größer die Bevölkerung, desto mächtiger der Staat. Solche populationistischen Erwägungen wurden im 18. Jahrhundert von der »Polizeiwissenschaft« propagiert und Maßregeln zur Vermehrung der Bevölkerung entworfen. Die »Medizin der Aufklärung« sollte also dem Staat die Verantwortung der Gesundheit der Bevölkerung übertragen, um das »Wohl einer großen Menge« zu garantieren. Denn so lag es im Interesse der absolutistischen Politik, die größtmögliche Zahl gesunder und produktiver, wehrfähiger Untertanen zu haben, da davon der Reichtum des Staates abhing. Deshalb – so lautete der Beschluss – war es unumgänglich, mit Hilfe einer gezielten Politik und entsprechenden Gesetzen, das Gesundheitswesen des Staates zu verbessern. Denn die Population nahm zu »wenn man die Ehen begünstigte, den Unterthanen Gelegenheit des Erwerbs gäbe, den Luxus einschränkte, die Fruchtbarkeit belohnte und schätzte, den jungen Staatsbürger zu erhalten, und gut zu erziehen suchte, keine Ausschweifungen in der Liebe erlaubte, die Rechte der allgemein anerkannten Toleranz zu kränken aufhörte, keine unwissende Hebammen duldete, sie mögen Gebährhauser gesehen oder nicht gesehen haben, alle unvermögende Kranke in öffentliche Pflege nähme, für gute Aerzte. Wundärzte, Apotheker, und Krankenwärter sorgte, die Quacksalber ausrottete, (…) u.s.w.«146

Auch der Begründer der neuen Disziplin »Staatsmedizin«, Medizinprofessor Johann Peter Frank (1745–1821), welcher als führender wissenschaftlicher Theoretiker der öffentlichen Gesundheitspolitik galt, wies auf die Dringlichkeit der Änderung des Gesundheitssystems und die Aufstellung wertvoller Maßregeln hin.147 Sein monumentales Werk »System einer vollständigen medicinischen Polizey« (6 Bände, 1779–1819) war Vorbild für zahlreiche kameralistische Ab144 Schürmayer, J.H. (1856). Handbuch der Medizinischen. Policei. Nach den Grundsätzen des Rechtsstaates, zu academ. Vorlesungen und zum Selbstunterrichte für Ärzte und Juristen. 2. Aufl. Erlangen; Bernt, Joseph (1818). Systematisches Handbuch der gerichtlichen Arzneykunde, zum Gebrauche für Aerzte, Wundärzte, Rechtsgelehrte. Wien, Triest. 145 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem, 23. 146 Med.Chirur. Ztg. Salzburg 3. Jänner 1791, 11. 147 Frank, Johann Peter (1779). System einer vollständigen medizinischen Polizey. Band. 1. Mannheim, 14.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

handlungen dieser Zeit sowie maßgebend für den Aufbau des österreichischen Sanitätswesens. Franks Hauptgedanke manifestierte sich in der Etablierung einer medizinischen »Polizei«, deren Aufgabe es sein sollte, auf alle Bereiche des Lebens der Bevölkerung normierend zu wirken. Bis in kleinste Einzelheiten formulierte er die gesundheitspflegenden Aufgaben der Obrigkeit, welche bis in die intimsten Bereiche der Familie eindrangen. So berichtete er neben Erläuterungen über Stadthygiene, Seuchenpolizei sowie die das Gesundheitswesen betreffenden »Sicherheits=Anstalten«, ebenso »von Speise, Trank und Gefäßen. Von Mäßigkeitsgesetze, ungesunder Kleidertracht, Volksergötzlichkeiten« und »bester Anlage, Bauart und nöthiger Reinlichkeit menschlicher Wohnungen.«148 Eine wesentliche Ursache der hohen Sterblichkeitsziffern sah Frank in der schlechten Bestellung des Arzneiwesens. Doch die Hauptverantwortlichkeit vor allem für den außerordentlich hohen Kinder- und Säuglingstod übertrug er eindeutig auf die Frauen, »welche auf eine erstaunende Art an jener ursprünglich guten Beschaffenheit abnehmen, welche zur gesunden Zeugung erforderlich ist.«149 »Das viele Thee- und CoffeeTrinken, die übertriebene Neigung zum täglichen, und bis in die späte Nacht anhaltenden Spielen, die seltsamen Kleidertrachten, die neuerfundenen Arten, bis zum Schwindel und Niedersinken zu tanzen, das vernachläßigte Stillen eigener Kinder, das viele die Einbildungskraft und das Blut erhitzende Lesen besonderer Bücher, (…) ziehen einer großen Menge von Frauenzimmern fremde Krankheiten zu, welche den schlimmen Einfluß auf das ietzige Gesundheitswohl der Menschen äußern.«150

Mit dieser Auffassung stand der populäre Medizinalprofessor allerdings nicht alleine da. In vielen Aufklärungsschriften wurde das Thema über den Zusammenhang der Säuglingssterblichkeit und dem weiblichen Geschlecht aufgegriffen. Auch in einem Bericht des Salzburger Intelligenzblattes aus dem Jahre 1800 wurde die Frau in Anbetracht der Ursache der geringen Bevölkerung des Landes Salzburg verdächtigt, »die Unwissenheit der Mütter in Ansehung ihrer Pflichten als Mütter« als »größtes Übel« bemängelt.151 »Die Schwangern verrichten ihre gewohnten Arbeiten: schränken sich nicht weiter in Speise und Trank, noch in ihren Leidenschaften ein (…) die Säuglinge werden noch größtentheils unschicklich behandelt, in Unreinigkeit und Unstat liegen gelassen, mit schmutzigen Windeln bedeckt; mit schwer zu verdauenden Speisen gefüttert (…) sich selbst überlassen und verwahrlost.«152 148 Frank, Johann Peter (1783). System einer vollständigen medizinischen. Polizey. Band. 3. Mannheim. 149 Frank, Johann Peter (1779). System einer vollständigen medizinischen. Polizey. Band. 1, 65. 150 Ebd., 66. 151 Vgl. IS 1. Jg. 1800, 804. 152 Ebd., 805.

Die Wissenschaft von der »medizinischen Polizey«

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Hält man sich dagegen die Aussagen Nora Wattecks (1991) über die Erfahrungen eines Bergbauernhofes aus der Mitte des 20. Jahrhunderts vor Augen, so kann behauptet werden, dass versäumte Hygiene und Fürsorge153 oft unterschiedlich bewertet wurde. »Wirklich aller Hygiene hohnsprechend war es, wenn Nani am Samstag den Stubenboden rieb und ruhig zusah, wenn eines ihrer Kleinkinder neben ihr vom Boden die kohlschwarze Brühe aufleckte. Rabenschwarz war das Reibwasser nicht so sehr von der an den Schuhen hereingetragenen Erde, sondern von dem vielen auf den Boden gespuckten Kautabak der hier Kartenspielenden.(…) Warum sollte man sich aber da einmischen, wenn die Kinder gesund waren und nur manchmal ein paar Tage fieberten? Auch starb keines von ihnen, was in jener Zeit durchaus nicht so selbstverständlich war.«154

In den ersten beiden Bänden stellte der berühmte Kameralist strikte Regeln zur Gesundheitsverbesserung auf, wie etwa eine Weiblichkeitserziehung, Heiratsverbote für unfruchtbare oder »mangelhaft ausgestattete« Frauen, Stillvorschriften, Errichtung von Ammenvermittlungsbüros, Empfehlung gesundheitsgemäßer Kleidung usw.155 Ferner plädierte er für eine Reform der Hebammenausbildung, eine Einrichtung klinischer Entbindungsanstalten und eine strenge Kontrolle unehelich schwangerer Frauen. Die Motivation für die Gesundheitsaufklärung vor allem des weiblichen Zielpublikums kann in dem Faktum gesehen werden, dass der Einflussbereich der Frauen im Familiensektor über kurz oder lang gebannt werden sollte. Neben den Einschränkungen im familiären Bereich betraf auch das zweite wesentliche Angriffsfeld im traditionellen System – die ungeprüfte Heiltätigkeit, als »Pfuscherwesen« bzw. »Ungeheuer des abscheulichsten Aberglaubens«156 bezeichnet – in erster Linie das weibliche Geschlecht. Hier waren zwar Frauen und Männer als ungeprüfte Heiler/-innen gleichermaßen betroffen, doch verliefen die Angriffe gegen Frauen strenger und nachdrücklicher. Besonders in seiner Abhandlung über das Hexen- und Zauberwesen, welches nach seiner Behauptung in den Gemütern der Menschen noch weitverbreitet war, wies Frank darauf hin, dass das weibliche Geschlecht immer mehr geschaffen und bereit war, sich mit Dämonen abzugeben bzw. zu verbünden. Mit dem dezitierten Aufruf an die medizinische Polizei: »mit aller Schärfe alle abergläubischen Mittel in Krankheiten verbieten, und ihre Urheber zur Verantwortung ziehen« legte der Schrittmacher in der Gesundheitsbewegung ent153 Frank, Johann Peter (1779). System einer vollständigen medizinischen. Polizey. Band. 1, 262. 154 Watteck, Nora (1991). Alltag ohne Wiederkehr. Bergbauernleben vor einem halben Jahrhundert. Salzburg, 40. 155 Frank, Johann Peter (1779). System einer vollständigen medizinischen. Polizey. Band 1. 156 Frank, Johann Peter (1788). System einer vollständigen medizinischen. Polizey. Band. 4, Mannheim.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

scheidende theoretische Grundsätze für den massiven Eingriff ins traditionelle Heilsystem bzw. ins ganze private Leben vor. Die Gesundheitspolizei hatte also die Aufgabe zu erfüllen, das Leben des Menschen von der Geburt bis ins hohe Alter zu verfolgen und zu erfassen, in Gesundheits- und Krankheitsbelangen zugunsten des Staates Einfluss zu nehmen, sowie die Organisation des Medizinalpersonals bzw. das gesamte Medizinalsystem zu überwachen und zu kontrollieren. Doch konnte die Theorie mit der Praxis der Staatsarzneikunde nicht Schritt halten. In den Zeitungen waren beinahe so viele Kritiken und Vorschläge zur Vermeidung von den »vielen Uebeln, die von vernachläßigter Sanitätspolizey herrühren«157 zu finden, als Lenkungshinweise für die Wissenschaft der »medizinischen Polizey« existierten. Noch in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnte keine wesentliche Verbesserung des Zustandes des Sanitätswesens festgestellt werden, weshalb immer mehr die Klage laut wurde, »daß die medicinische Polizey in den meisten Ländern ein Unding oder ein vorübergehendes Phänomen, nicht selten ein schöner Traum oder ein unausführbares Projekt ist«158. In der konkreten Praxis fehlten in der Verwirklichung der theoretischen Ziele meist die notwendigen Mitteln zur Ausgestaltung einer Gesundheitsordnung. Die wichtigsten Maßnahmen zur Korrektur dieses Phänomens bestanden also weiter in der unaufhörlichen Aufklärung und Belehrung der Bevölkerung. »Die Zahl der Schriften über die Gesundheitspolizey mehrt sich in neuen Zeiten sehr schnell, ohne daß gerade die Mittel, die öffentliche Gesundheit zu befördern, oder zu vervollkommnen, sich so sehr gehäuft hätten. Allein auf der andern Seite ist auch die Ausführung der Lehren der Gesundheitspolizey im wirklichen Leben so sehr zurück, daß wohl ein öfterer Aufruf an die Menschheit nöthig ist.«159

2.3

Gesundheitsaufklärung im bürgerlichen Selbstverständnis

»Wer gesund ist und ein gutes Gewissen hat, der ist der Reichste – darum trachte nach beyden.«160

Nicht zu übersehen ist neben der zunehmenden staatlichen Einflussnahme auf den Gesundheitssektor die Bedeutung der Aufklärungstätigkeit und Normvorgabe der sogenannten »neuen« bürgerlichen Öffentlichkeit der Beamten, Akademiker und »Staatsdiener« bezüglich Krankheit und Gesundheit.

157 158 159 160

Med.Chirurg. Ztg. Salzburg, 23. Feb. 1804, 259. Med.Chirurg. Ztg. Salzburg, 3. Jänner 1791, 10. Med.Chirurg. Ztg. Salzburg, 19. Feb. 1807, 241. Arzneybüchlein für Menschen und Vieh. Weissenburg in Franken 1791, 1.

Gesundheitsaufklärung im bürgerlichen Selbstverständnis

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»In Ergänzung der vom Staat ausgehenden sozialdisziplinierenden Einflüsse (Militär, Bürokratie, Merkantilismus) wirkte der Normendiskurs der bürgerlichen Aufklärung damit ›von unten‹ auf die Vereinheitlichung des ›Staats- und Gesellschaftskörpers‹ (Hintze), auf die Einbindung aller Sozialschichten in die neue ›bürgerliche Gesellschaft‹ hin«.161

Zwei Bereiche, Arbeit und Bildung, standen im bürgerlichen Normensystem bereits an oberster Stelle, welche eine Abgrenzung gegenüber Adel, sowie Bauern und Unterschichten erlaubten und das Selbstbewusstsein des »dritten« Standes als wesentliches Fundament des Staates entscheidend mitprägten. Als weitere Elemente der normativen Orientierung kamen hinzu: Vernunft, Sitte, Sparsamkeit, Arbeitsmoral und, nicht zu vergessen die Gesundheit – Schutz der Gesundheit und Krankheitsvermeidung als Ergebnis eines vernünftigen Lebens, um seine Position in der bürgerlichen Gesellschaft richtig zu erfüllen. Die vernünftige Lebensordnung empfahl daher nach Rousseau, »Rückkehr zur Natürlichkeit«, sowie nach den Lehren der Antike, Regeln der Diätik: Mäßigkeit, Gemütsruhe, sowie Eindämmung aller irrationalen Leidenschaften162 – nur »die mäßige Natur allein kann glücklich machen«163 Die diätischen Anweisungen, welche seit jeher in der »Volksmedizin« unabkömmliche Hilfestellungen anboten, erhielten also im bürgerlichen Aufklärungsdiskurs einen neuen Impuls. Unter »Diätik« verstand man den Teil der hippokratischen Medizin – die Humoralpathologie -, der sich auf die gesamte Lebensführung des Menschen und deren Zusammenhang mit Krankheit und Gesundheit bezog und auf dem Prinzip des »ausgewogenen Gleichmaß« beruhte, wie im Schlafen und Wachen, im Arbeiten und Wohnen, im Essen und Trinken, im Liebesleben und in der Enthaltsamkeit, in der intellektuellen Beanspruchung und in der Muße etc.164 Hand in Hand mit Vorschriften über das Verhalten im täglichen Leben zur Gesundheitserhaltung gingen moralische Regeln und Anweisungen. So erfolgte zum Beispiel die Aufforderung zur Eindämmung der »bösen« Triebe, sowie die vehemente Aufklärung über den Einfluss der Tugenden und Laster auf unsere Gesundheit: »Allein das ist gewiß, daß sich ein Lasterhafter jederzeit in Umständen befindet, die seine Gesundheit zu unterbrechen geschickt sind; und daß

161 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem, 31. 162 Dr. Johann Samuel Carls Armenapotheke, nach allen Grundtheilen und Sätzen der Medizin kürzlich eingerichtet, zum Unterricht und Dienst sowohl der kranken Armen, als auch derer, die sie versorgen, und doch keine Kenntniß der Arzneikunst haben. Frankfurt a. M., 1789, 182. 163 Von Mäßigkeit im Essen. In: IS 11. Juni 1791, 355. 164 Eckart, Wolfgang (1990). Geschichte der Medizin. Berlin u. a., 47.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

bey ihm tausend Gelegenheiten mehr zu Krankheiten Statt finden, als bey dem Tugendhaften.«165 Doch nicht nur körperliche Gewohnheiten, sondern ebenso der Gefühlsbereich, vor allem aber die Sexualität wurden entscheidenden Beschränkungen unterworfen. »Neuverheirathete Gattinnen lernen hier Vorsicht bey dem Genuß der ehelichen Freuden, die Zeit und die Art des Genusses, wie oft er wiederhohlt werden darf, und die dabey zu beobachtende Reinlichkeit!«166 Zu dieser Zeit erschienen zahlreiche Anweisungen und Regeln, »den Beyschlaf so auszuüben, daß der Gesundheit kein Nachtheil zugefügt und die Vermehrung des Geschlechts«167 gesichert sei. Zum Beispiel lautete der Titel des von Gottfried Vollmer verfassten Werkes, welches in der Medizinisch-Chirurgischen Zeitung vorgestellt wird: »Der Beyschlaf, nebst einer vernünftigen Anweisung, wie man sich vor, bey und nach diesem zu verhalten habe, um seine Gesundheit und Kräfte zu erhalten, und (damit) zugleich schöne, starke und gesunde Kinder erzeugt werden (…) In einem anständigen Vortrage, so daß es selbst dem teutschen Ohr des schönen Geschlechts hörbar ist.«168

Die Gesundheit der Brautleute im Falle einer Heirat war von wesentlicher Voraussetzung. Der Gesundheitsapostel Tissot führt als ersten Punkt in seinen Medizinalregeln unter der Rubrik »Vorbauungsmittel gegen Krankheiten« an: »Auf was man bey der Verheirathung der Kinder hauptsächlich zu sehen habe«169 und gibt die Empfehlung, dass nicht nur – wie es üblich ist – auf Geld, sondern auf Gesundheit, Sitten und Tugend, Wert gelegt werden sollte. Das Erziehungsprogramm der Gesundheit war vor allem für Bürgerkinder, insbesondere für Töchter, welche später als Hausmütter für das Wohlergehen der Familie verantwortlich sein sollten, ausgerichtet170. Der Frau wurden also im Falle einer Heirat große Pflichten auferlegt: »Ehe Sie den Entschluß sich zu verheurathen fassen, sollten Sie auf jeden Zufall in diesem Stande vorbereitet seyn: Sie müßen

165 Vom Einfluße der Tugenden und Laster auf unsere Gesundheit. In: IS 29. Okt. 1791, Fortsetzung 5. Nov. 1791, 693. 166 Wohlgemeinter Rath an ehefähige Mädchen, neuverheirathete Gattinnen, Schwangere und Wöchnerinnen. Für Deutschlands Töchter und Weiber, die frohen Gattinnen und gesunde Mütter werden wollen. In: Med. Chirurg. Ztg. 23. Juny 1806/50, 430. 167 Becher, G. W. (1811). Der Rathgeber vor, bei und nach dem Beyschlafe, oder faßliche Anweisung, den Beiyschlaf so auszuüben, daß der Gesundheit kein Nachtheil zugefügt, und die Vermehrung des Geschlechts durch schöne, gesunde und starke Kinder befördert wird, 5. Aufl. Neuthingen. 168 Vollmer, Gottfried. Der Beyschlaf. In: Med. Chirurg. Ztg. 29. Juny 1809, 451. 169 Allg. Regeln, seine Gesundheit lang zu erhalten. Nach der Vorschrift des Herrn D. Tissots. 3. verb. Aufl., Grätz 1798, 71. 170 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem. 34.

Gesundheitsaufklärung im bürgerlichen Selbstverständnis

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sich gefallen lassen, eine Mutter, eine Freundinn, eine Liebhaberinn, eine Krankenwärterinn zu werden.«171 Frühzeitige oder zu späte Verehelichungen oder Verehelichungen mit schwindsüchtigen Männern mussten aus gesundheitlichen Gründen verhindert werden, da es in erster Linie darum ging, gesunde Nachkommen zu zeugen und dies unter gegebenen Umständen nicht sichergestellt war. Der »Unfruchtbarkeit der Ehen«, deren Grund »größthen Theils dem weiblichen Geschlechte«172 zugeschrieben wurde, sollte – wie auch Johann Peter Frank vorschlug – zumindest soweit vorgebeugt werden, dass sich künftige Eheleute vor der Verbindung eine förmliche Versicherung geben, keine Gebrechen oder ansteckenden Krankheiten zu haben. Ferner sollte jede außereheliche Zeugungsweise als ein Verbrechen gegen die Sittlichkeit geahndet werden, da diese die gesunde Fortpflanzung gefährde. Denn angenommen wurde der »gesetzliche Ehestand als die einzige physisch und moralisch gute Fortpflanzungsweise, und als das erste physische Mittel zur Beförderung der Bevölkerung«173. Verantwortlich für die Durchsetzung der neuen Gesundheitsnormen waren die pädagogisch-aufklärerischen Schriften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, welche sich nicht nur an ein bürgerliches Publikum wandten, sondern ebenso die ländliche Bevölkerung belehrten174. Moralische Wochenschriften, pädagogische Romane, Gesundheitsbücher, Gesundheitsalmanache, Gesundheitskatechismen sowie Handbücher über Volksarzneikunst machten die Menschen mit der aufklärerischen Ideologie bekannt. So gab zum Beispiel das »Unterricht= Noth= und Hülfsbüchlein für Bürgers= und Bauersleute«, welches »manche schöne, lehrreiche Geschichte und Erzählung« enthielt, in »fast allen Vorfällen des Lebens Belehrung und Unterricht, und Hülfe in Noth«175 erteilte, in mehreren Bänden erschienen und in ganz Deutschland geschätzt und beliebt war, überzeugend dem Publikum das Versprechen, »an Leib und Seele gesünder, munterer, vernünftiger, reicher, tugendhafter und glücklicher« zu werden, wenn die »unvergleichlichen Vorschriften« in den Lebenshandlungen künftig ausgeübt 171 Nützliches Hausbuch für Frauen und Mädchen in sechs Absätzen. Enthält: Auf Erfahrung gegründete Dinge für jede Haushaltung auf alle Fälle. Ein Gegenstück zum Wienerisch bewährten Kochbuche. Neue umgearb. u. verb. Aufl. Wien. 1797, 215. 172 Thilentius, M. G. Etwas über die Unfruchtbarkeit der Ehen. In: Med. Chirurg. Ztg. 14. Sept. 1802/73, 391. 173 Beitrag zur Kultur der medizinischen und bürgerlichen Bevölkerungspolizei. In: Med. Chirurg. Ztg. 17. März 1806/22, 396. 174 Frankenberg, Siegmund (1848). Das wahre Lebensbuch für den Bürger und Handwerker, für den Landmann und Arbeiter, sowie für deren Frauen und Kinder. Leipzig; Paulizke, Heinrich Felix (1791). Anleitung für Landleute zu einer vernünftigen Gesundheitspflege. Ein Hausbuch für Landgeistliche, Wundärzte und verständige Hauswirthe zumal in Gegenden wo keine Aerzte sind. Frankfurt a. M. 175 Unterricht=Noth= und Hülfsbüchlein für Bürgers= und Bauersleute. Zweytes Bändchen. Verm. u. verb. 2. Aufl. Weissenburg in Franken. 1790, 3.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

würden.176 In erster Linie jedoch bemühten sich die Autoren um die Gunst und Aufmerksamkeit der Frauenzimmer als Fürsorgerin und Beraterin in der Familie. »Sie (Verf. die Frauen) sind es, zumal bey überhäuften Geschäften der Männer, auf welchen größtentheils die Erziehung der Kinder beruhet. (…) Sie sind es, welche die Wirthschaft und das Hauswesen führen sollen.177« Nur die Einflussnahme auf traditionell weibliche Sphären konnte letztendlich eine gültige Normänderung bewirken. So bestritt niemand die Auffassung, »daß es vor das wahre Beste des menschlichen Geschlechts ungemein nützlich und heilsam seyn würde, wenn man sich eine vernünftige Erziehung des weiblichen Geschlechts mehr angelegen seyn ließe«178.

2.4

Diskurs in der »wissenschaftlichen Medizin«: Theorie und Praxis in der »gelehrten Heilkunst«

Die neuen Entwicklungen der wissenschaftlichen Heilkunde vollzogen sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in Frankreich und in den Niederlanden. Die Leitkonzepte der Aufklärungsmedizin waren Empirismus und Rationalismus. Auf Grundlage der neuen Methoden des Beobachtens und Experimentierens erlangten die experimentellen Naturwissenschaften wie Physik, Chemie und Physiologie einen enormen Aufschwung. Aus der Vereinigung von Anatomie und klinischer Beobachtung entstand die neue Pathologie, in der Organsysteme für die Reaktionsweisen des Menschen verantwortlich gemacht wurden. Der Schwerpunkt des lebendigen Geschehens wurde auf das Nervensystem gelegt, dessen Kraft durch Reize gesteigert oder herabgesetzt werden konnte. Dem äußeren und inneren Reiz kam die Hauptbedeutung im Reaktionsgeschehen zu.179 Die Träger des Krankheitsgeschehens war also nicht mehr das Säftesystem, sondern die Krankheit wurde durch das befallene Organ und seine anatomischen Veränderungen bestimmt, der Sitz der Krankheit wurde im veränderten Organ angenommen. Der Blick des Arztes richtete sich auf einen bestimmten Raum. 176 Unterricht=Noth= und Hülfsbüchlein. 6. 177 Justi, Johann, Heinrich, Gottlob (1760). Von moral. und philosoph. Schriften. Band 1. Berlin, Stettin und Leipzig, 193. Bericht über Vorschlag von Errichtung einer Akademie vor das Frauenzimmer; vgl. Justi Johann, Heinrich, Gottlob (1782). Grundsätze der Polizeywissenschaft in einem vernünftigen, auf den Endzweck der Polizey gegründeten Zusammenhange und zum Gebrauch Academ. Vorlesungen abgefasset. Göttingen. 178 Justi, Johann, Heinrich, Gottlob (1760). Von moralischen und philosophischen Schriften. Band. 1, 192. 179 Eckert, Wolfgang (1990). Geschichte der Medizin. Berlin, 169f; Fischer-Homberger, Esther (1975). Geschichte der Medizin. Berlin; Ackerknecht, Erwin H. (1989). Geschichte der Medizin. 6.Aufl. Stuttgart.

Diskurs in der »wissenschaftlichen Medizin«

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»Die Wahrnehmung des Krankhaften ist nur eine ganz bestimmte Wahrnehmung des Körpers«180. Krankheit wurde beobachtet, strukturiert und klassifiziert, sie charakterisierte sich durch den Befund, »der durch sein wiederholtes Auftreten bei verschiedenen Betroffenen statistische Beweiskraft erhielt und damit normgebend wird.181« Doch Krankheiten wurden dadurch auch zunehmend komplexer, sie wurden verändert und vervielfältigt. Die Hospitäler von Paris und Leiden waren federführend für die Bildung des modernen Krankenhauses. Typisch für diese Hospitalkomplexe war, dass in ihnen Chirurgie und Innere Medizin, welche in der Praxis bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts getrennt waren, parallel praktiziert wurden. Im Spital wurde der ärztliche Unterricht sowie die für neue Befunde unerlässliche Leichensektion vorgenommen. Es kam also zu einer Reorganisation des gesamten Spitalbereichs und einer neuen Definition der Stellung des Kranken in der Gesellschaft, die Sprache öffnete sich einem neuen Bereich. So wurde nach Foucault der Mensch dem »natürlichen Ort der Krankheit«, welcher der »natürliche Ort des Lebens« – die Familie – war, entzogen und in einen »künstlichen Ort« – das Spital – verlagert.182 Diese neuen Entwicklungen dürfen allerdings nicht allzu sehr überschätzt werden. Die Aufstellung systematischer, umfassender Konzepte und Theorien, sowie revolutionäre Erfindungen und Errungenschaften im Bereich der Medizin sind im Wesentlichen erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts anzusiedeln. In dieser Epoche wurden zunächst die Voraussetzungen und Weichen dafür gestellt, jedoch kann auch dabei der Prozess nicht überall gleichwertig angenommen werden. Im österreichischen Raum ist zwar als bedeutende Einrichtung die Wiener Medizinische Schule183 zu nennen, doch war ihr Erfolg in der Praxis nicht überaus erwähnenswert. »Die pathologische Anatomie, die den revolutionären Charakter der anatomisch-klinischen Methode ausmachte« führt im deutschsprachigen Raum »im Gegensatz zu Frankreich lange Zeit noch ein Schattendasein.«184 Im Vordergrund standen noch eindeutig humoralpathologische (Säftelehre) oder der »romantischen Naturphilosophie« verpflichtete Anschauungen und Methoden. Es kann also generell gesagt werden, dass für den deutschsprachigen Raum einerseits in dieser Epoche ein Aufflammen einer mechanistisch ausgerichteten 180 Foucault, Michel (1976). Die Geburt der Klinik, 204. 181 Seidler, Eduard (1978). Abendländische Neuzeit. In: Krankheit, Heilung, Heilkunst. Hrsg. v. Heinrich Schipperges u. a. München/Freiburg, 319. 182 Foucault, Michel (1988). Die Geburt der Klinik, 34. 183 Lesky, Erna (1959). Österreichisches Gesundheitswesen im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus. In: Archiv für österreichische Geschichte 122, 1–228. 184 Huerkamp, Claudia (1985). Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert: Vom gelehrten Stand zum professionellen Experten: das Beispiel Preußens. Göttingen, 90.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

Medizin kennzeichnend war, jedoch andererseits auch noch an traditionellen Krankheitsvorstellungen in der »wissenschaftlichen Heilkunde« festgehalten wurde. Wesentlich ist jedoch die Tatsache, dass die »gelehrte Medizin« trotz fortschreitender Erkenntnisse im Bereich der Anatomie, der Physiologie und der Pathologie den meisten Krankheiten hilflos gegenüberstand. Über Diagnose und angemessene Behandlung herrschte allgemeine Unsicherheit. »Zu einem großen Teil konnten die Ärzte die Leiden, die sie behandeln wollten, nicht einmal diagnostizieren. Sie beschränkten sich in der Regel darauf, das körperliche Befinden des Patienten durch Befragen und durch eigene Beobachtung, nicht aber durch physische Untersuchung festzustellen.«185

Als wichtigstes diagnostisches Hilfsmittel wurde die Pulsmessung verwendet und die am häufigsten verabreichten Arzneien waren Aderlässe, Brech- und Abführmittel. Es wurden zwar zu dieser Zeit wirksame pharmazeutische Substanzen entdeckt, wie etwa Jod, Chinin usw., doch war ihre spezifische Wirkungsweise lange unbestimmt. So kam es einerseits zur raschen Abfolge verschiedener Therapieformen, »die für wenige Jahre jeweils zu einer Art und Mode und dann bei fast allen Krankheiten angewendet wurden«186, anderseits zu unterschiedlichsten Kuren bei derselben Krankheit. Dieser eindeutige Mangel an gesichertem Wissen konnte also keine fachliche Überlegenheit der »gelehrten Ärzte« begründen und hatte insofern gewichtige Auswirkungen auf die berufliche Praxis bzw. auf das spezielle Arzt-Patient Verhältnis.

2.5

Das Interesse der Ärzte an der Gesundheit

Die Berufsgruppe der Ärzte sah die Möglichkeit, ihre minderwertige Stellung in der Gesellschaft aufzubessern durch eine gezielte Gesundheitspropaganda sowie durch eine Beratungstätigkeit der staatlichen Gesundheitspolitik. Denn die Situation des Arztes war auch zu Beginn es 19. Jahrhunderts keinesfalls vorteilhaft. »Wenn der Stand des Arztes nicht mehr der geachtete, wie ehedem ist, davon findet er den Grund theils in dem Egoismus des nichtärztlichen Publikums, theils aber auch in dem Handeln der Aerzte selbst.«187 »Kein Stand ist wohl so vielen Kränkungen ausgesetzt als der eines Arztes, keiner wird vom Publikum so oft mißhandelt, als dieser; um so dringender ist daher die Pflicht der Aerzte selbst, sich nicht durch ihr eigenes Benehmen das Leben noch mehr zu verbittern.«188 185 186 187 188

Ebd., 22. Ebd., 23. Med. Chirur. Ztg. 8. Feb. 1808, 194. Med. Chirur. Ztg. 16. Feb. 1801, 22.

Das Interesse der Ärzte an der Gesundheit

63

Eine Ursache für die prekäre soziale Position des Arztes, der nicht selten selber für sein geringes Prestige verantwortlich war, lag erstens in dem niedrigen Stand seines medizinischen Wissens begründet. Das Vertrauen in die Heilmethoden der »Gelehrten« war nicht sonderlich hoch, viel eher waren sie ständigem Misstrauen und beißender Kritik ausgesetzt, welche häufig scharf formuliert wurde. So erzählt Christoph Friedrich Elsner, Professor in Königsberg in seiner Schrift »Über die Verhältnisse zwischen dem Arzt, dem Kranken und dessen Angehörigen« von einer Begebenheit, in welchem ein Arzt herabwürdigend behandelt wurde, »da ihn ein abgeschmaktes Weib nebst ihrem Sohne erniedrigend behandelte, und mit einem wahren Allmosen unter groben Beleidigungen verabschiedete, weil er ihren unheilbaren alten Mann, der nach wenigen Tagen starb, nicht heilen konnte«189. Durch die herkömmliche Sitte der Hausbesuche bzw. der üblichen Versammlung der gesamten Familie und Verwandtschaft um das Krankenbett, konnte der Arzt in seiner Handlungsweise genau kontrolliert werden. Auch machten die Leute durchaus davon Gebrauch, im Krankheitsfalle mehrere Heilkundige heranzuziehen, so dass der Arzt nicht nur andere Kollegen, sondern vor allem auch ungeprüfte Heiler/-innen neben sich tolerieren musste. In diesem Falle war der »gelehrte Heiler« sozusagen der ständigen Gefahr ausgesetzt, von nicht professionellen Heilern »übereilt« zu werden und wurde in vielen Fällen zu therapeutischen Zugeständnissen gezwungen.190 Denn – so wurde in den meisten Schriften ausdrücklich betont – die medizinische Behandlung der Ärzte unterschied sich kaum von den Therapien der Selbstmedikation und der »illegalen Heiler/-innen«, welche in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert innehatten. Außerdem tauchten von Zeit zu Zeit sogenannte »Wunderdoktor/innen« in wohlhabenden Schichten auf, welche mit magischen Heilmethoden, wie zum Beispiel Handauflegen oder »Magnetisieren« arbeiteten und bei Kranken Vertrauen erweckten. Auf diese Weise verlor der Arzt viele Verdienstmöglichkeiten, welche ohnehin eingeschränkt waren. Neben dem unzureichenden Heilwissen und der mangelnden Heilpraxis stellte – wie bereits erwähnt – gewissermaßen die Begrenztheit des Angebotes der medizinischen Leistungen den zweiten großen Problembereich akademisch ausgebildeter Ärzte dar. Da promovierte Ärzte hauptsächlich in Städten praktizierten, waren diese für die Landbevölkerung im Notfall nicht erreichbar. Doch auch in der Stadt war der größte Teil der Menschen, sozusagen die breite Masse, nicht in der Lage, die nötigen Arztkosten für eine Behandlung zu bezahlen. So konnte sich der akademische Arzt nur auf eine kleine Gruppe von Patientient/innen aus der begüterten Oberschicht stützen und sich deren Wünschen und 189 Med. Chirur. Ztg. 15. Jän. 1795, 64. 190 Huerkamp, Claudia (1985). Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert, 25.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

Launen aussetzen. Ferner war die materielle Lage sowie die gesellschaftliche Stellung eines Durchschnittsarztes keineswegs erfreulich.191 Wegen der Unsicherheit ihres Einkommens übten viele Ärzte neben ihrer Privatpraxis noch ein städtisches oder staatliches Amt wie etwa Stadt- oder Kreisphysiker bzw. Kontrollfunktionen über approbierte Heilpersonen aus. So bestanden also durchwegs einige Gründe für ein ausgesprochenes Interesse der Akademiker an der Einflussnahme auf den Gesundheitsbereich. Die zahlreichen Schriften von Medizinern, welche ausdrücklich auf den Arzt als alleinigen Experten am Krankenbett verweisen, können als Belege für den ständigen Einfluss von Laien in der Krankenbehandlung gelesen werden.192 So ist beispielsweise im Salzburger Intelligenzblatt von 1798 zu lesen: »Derjenige Kranke nur, welcher sich einem redlichen und gescheuten Arzte allein anvertrauet, ist am besten daran. Was darüber ist, ist vom Uebel.«193 Es wurden sogar spezielle Abhandlungen für das Verhalten gegenüber Ärzten verfasst. Darin waren nicht nur strenge Gesundheitsmaßregeln und die vehemente Aufforderung zur Einhaltung eingeschlossen, sondern ebenso die Anweisung gegeben, im Krankheitsfalle unweigerlich einen akademisch ausgebildeten Arzt aufzusuchen. »Fühlet ihr also jemahls, daß irgend eine Krankheit gegen die Gesundheit eures Körpers im Anzuge ist: so unterlasset es ja nicht, einen geschickten Arzt zu Rathe zu ziehen, wenn ihr denselbigen erlangen könnet.«194 Ausdrücklich wurden Patient/-innen auch darauf hingewiesen, dem Arzt keine Informationen über den Krankheitszustand zu verschweigen, seine Verordnungen streng einzuhalten und keine anderen Heiler/-innen zu Rate zu ziehen. »Deswegen rathe ich euch, nicht nur die Verordnungen des herbey gerufenen Arztes genau zu befolgen, sondern auch bey einem und eben demselben zu bleiben, wenn nicht ganz besondere Umstände es nothwendig machen, noch einen Arzt zu Rathe zu ziehen, oder der erstere es ausdrücklich verlangt.«195

Nachdrücklich formulierte Gesundheitsmaßregeln traten in dieser Form im ausgehenden 18. Jahrhundert zum ersten Mal auf und stellten somit eine Neuerscheinung dar. Von Ärzten verfasste medizinische Handbücher vertraten die Ansicht, wie der Verfasser der »Kleinen Hausapotheke« zeigt, »daß bey jeder Krankheit nebst dem Gebrauch der Arzneyen dem Kranken auch gewisse Maß-

191 Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit. München, Zürich, 100. 192 Huerkamp, Claudia (1985). Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert., 26. 193 IS 17. März 1798, 169. 194 IS 21. April 1798, 246. 195 IS 21. April 1798, 248.

Das Interesse der Ärzte an der Gesundheit

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regeln«196 vorgeschrieben werden müssten, und auch das »Arzneybüchlein für Menschen und Vieh« verfolgte die Absicht, »einen vernünftig denkenden Arzt«197 zu Rate zu ziehen. Eine weitere Strategie zur Einflussnahme der Mediziner auf das Heilsystem war die Kritik an allen »illegalen Heiltätigen«, die in den Traktaten als »Pfuscher/-innen« bezeichnet werden. »Imgleichen muß man sich auch für den Afterwundärzten, als Schäfern, Abdeckern, Waldhanseln, Scharfrichtern und dergleichen unberufenen Leuten und ihren Kuren in Acht nehmen.«198 Ebenso ist bei Tissot zu lesen: »Es bleibt mir noch eine Geißel zu betrachten übrig, welche eine größere Verwüstung anrichtet, als alle bisher beschriebene Uebel (…); die eine machen die herumschweifende Marktschreyer aus, die andere die falsche Aerzte in den Dörfern, sowohl männlichen als weiblichen Geschlechts.«199

Die zahlreichen Publikationen dieser Zeit, welche sich mit der Aufforderung eines spezifisch angeleiteten Gesundheitsverhaltens zunächst an die Stadtbevölkerung wandten, verdeutlichen die Bemühung der Ärzteschaft als Gesundheitserzieher zu wirken und das Prestige und die Autorität ihrer Berufsgruppe zu steigern.200 In den Schriften wird immer wieder von Seiten der Ärzte auf »die verderbliche Beratungs- und Therapietätigkeit« der Frauen im Bereich der Heilkunde hingewiesen. Der Medizinprofessor Senfft, welcher 1781 einen »Gesundheitskatechismus für das Landvolk und den gemeinen Mann« verfasst hatte, formuliert etwa folgenden Ausspruch: »So lange keine Frau aufs Rathhaus gelassen wird, so lasset sich auch nicht zum Rath am Krankenbett«201 Das Interesse der Ärzte lag auch darin, ihr Prestige zu erhöhen und durch Aneignung neuer Aufgabengebiete ihr eher geringes Lohnniveau aufzubessern. Dass dafür höchste Notwendigkeit bestand, zeigen verschiedene Pensionsansuchen Salzburger Arztfrauen bzw. Arzttöchter, welche Einblick in den Alltag weiblicher »Gefährtinnen« von Vertretern des »höheren« Medizinalpersonals erlauben. 196 Kleine Hausapotheke oder: Sammlung der besten Hausmittel für Kranke in der Stadt und auf dem Lande. Hrsg. von D. G. mit D. Joh. Georg Heinrich Kramers Haus- und Landapotheke vermehret. Augsburg 1790, 5. 197 Arzneybüchlein für Menschen und Vieh, 2. 198 Ebd., 3. 199 Tissot, G.U.D. (1798). Anleitung für das Landvolk in Absicht auf seine Gesundheit, 511. 200 Med. Chirurg. Ztg. 1790–1820; Salzburger Intelligenzblatt 1784–1809 sind zahlreiche Hinweise von Ärzten zur Gesundheitsbelehrung und -aufklärung vorhanden. 201 Senfft, A. A. (1781). Gesundheitskatechismus für das Landvolk und den gemeinen Mann. Berlin, Stettin, 324, zit. nach Frevert, Ute (1986). Frauen und Ärzte im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, 183.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

2.6

»Medicus« Witwen und Töchter

Die »Regierungsrath und Protomedicus« Witwe Anna Hartenkeil, 48 Jahre alt und kinderlos war nach dem Tode ihres Mannes gezwungen, ein kärgliches Leben zu führen. Sie besaß kein eigenes Vermögen, befand sich in einem schlechten Gesundheitszustand, d. h. dass sie »von schwächlicher Leibes- Constitution sey, und ein manchmahl durch Krankheitsanfällen getrübtes Leben führe«202 und verfügte einzig über die – angesichts der Auflage der Aufnahme, Verpflegung und Ausbildungskosten der minderjährigen Enkel des Verstorbenen, welche als Universalerben eingesetzt waren – kaum erwähnenswerte Hinterlassenschaft ihres Ehemannes: »Meiner lieben Frau soll alle Zimmereinrichtung, alle Tisch und Bettwäsch, alle Betten, alles Tafel und Küchengeschirr, alle Speisvorräthe dann an Silber ein Vorleglöfel, sechs Eßlöfl und sechs Kafeelöfferln eigenthümlich verbleiben. Zugleich soll dieselbe die lebenslängliche Nutzniessung von allen meinen Kapitalien und von demjenigen Kapital haben, welches aus dem Verkauf meines brillianten Rings und des Wagens, dann meiner übrig bleibende Baarschaft angelegt wird: doch mit Ausnahme des bey HL Franz Xaver Mengin Kaufmann allhier noch gut habende Kapitals, welches letzterer zur Bestreitung der jährlichen Bildungs- und Erziehungskosten meiner Universalerben verwendet werden.«203

Das hinterlassene Gesamtvermögen betrug 32 474 Fl, 12 Kr204, wobei jedoch bestimmte Vermächtnisse, Beerdigungskosten, Schulden, Bestreitung der Erziehungs- und Studierkosten der zwei Universalerben sowie andere Ausgabeposten das verbleibende Kapital minimal ausfallen ließen und die Witwe gezwungen war, bei der Regierung um »eine hochgnädige Pension«205 zu bitten. Aufgrund hoher Verdienste des Regierungsrates und Protomedikus, welcher dem Lande »etliche zwanzig Jahre« in verschiedenen öffentlichen Ämtern ehrenvolle Aufgaben geleistet hatte, wurde der Witwe Anna Hartenkeil eine lebenslängliche Pension »von jährlich 500 Gulden«206 gnädigst bewilligt.207 Über eine alte Bestimmung bezüglich Regulierung der Witwenrechte der kurfürstlichen Dienerschaft, welche aus der Kommunalkasse bezahlt wurden, 202 203 204 205

Amtliches (ärztliches) Zeugnis vom 24. Juni 1808, SLA Kurfürstl. k.k. Reg. XLV/H 24. Testament des J.J. Hartenkeil, SLA Kurfürstl.k.k. Reg. XLV/H 24. SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV/H 24. Schreiben der Anna Hartenkeil an die k.k. Reg. Salzburg, 8. Juni 1808, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV/H 24. 206 Zum Vergleich: Ein Handwerkseinkommen, z. Bsp. eines Salzburger Faßziehers um 1782 betrug jährlich 300 Gulden. In: Egger, Barbara (1994). Bis daß der Tod euch scheidet. Die kathol Ehescheidungsvariante der Trennung von Tisch und Bett im Spiegel von Salzburger Ehegerichtsakten 1770–1817. Dipl.Arb. Salzburg, 215. 207 Decret an das Kommunal-Zahlamt, Salzburg, 5. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV/H 24.

»Medicus« Witwen und Töchter

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informiert uns der Bericht der Genoveva Winkelhofer, welche mit dem im Jahre 1804 angestellten Physikus zu Zell im Pinzgau zwei Jahre lang verheiratet war und nach dessen Tod auf ihren Pensionsanspruch aufmerksam machte, welcher ihr dann auch genehmigt wurde. Es bestand eine landschaftliche Verfügung, die unter anderem »den kinderlosen Doctorswitwen ausdrücklich eine Pension von jährlich 200 GL zusagt, und durch die kurfürstliche Verordnung vom 9ten Jänner 1805 nicht aufgehoben worden ist«.208 Die »Doktorin zu Zell im Pinzgau« Genoveva Winkelhoferin geb. Lürzer von Zechendthal, selbst kinderlos, war zwar nicht mit einer Versorgung von Minderjährigen betraut, dennoch ließ ihre wirtschaftliche Situation zu wünschen übrig. Sie erhielt von der geringen Verlassenschaft ihres Mannes nur 100 Gulden »hat dermal kein angefallenes Vermögen, und kann zu seiner Zeit nie ein reichliches Erbtheil sich versprechen, in dem der Vater der salzburgs Landmann Kajetan Lürzer von Zechenthal 7 Kinder hat, auf der Erziehung und Unterricht viel verwenden müßte, und ungeachtener 18 Jahre bey dem inländischen Bergwerke als Beamter diente und dabey seine Gesundheit einbüßte, doch keine Pension nicht genoß.«209

Ähnlich ärmliche Bedingungen finden sich bei anderen Arztwitwen, wie zum Beispiel bei Theres Buchmann, Tochter des verstorbenen ehemaligen hochfürstlichen Leibmedikus Anton Buchmanns, welcher es aufgrund völliger Mittellosigkeit unmöglich war, für die Begräbniskosten des Vaters aufzukommen.210 Auch der verstorbene Landschaftsphysikus Anton Hell hinterließ keinerlei Geld für die Familie, da weder Mann noch Frau etwaiges »angefallenes Vermögen« besaßen und »sich bey dem Gehalte von 300 G. und den unbestimmten, zufälligen Medicinal Bezügen kein bedeutendes Vermögen sammeln«211 und ansparen ließ, sondern alle Mittel für den nötigen Unterhalt aufgebraucht wurden. Angesichts der Tatsache, dass Anna Hell für ihre zwei Kinder erhebliche Unterhalts- und Erziehungskosten aufzubringen hatte, da der neunjährige Knabe in den K.K. Erziehungs-Hause des Regiments Neugebauer, und das sechsjährige Mädchen im Frauenstift Nonnberg – also beide in der entfernten Hauptstadt – untergebracht waren, sowie ihrer allgemeinen mißlichen Lage, war sie auf eine angemessene Pension angewiesen. Sie ließ es nicht damit bewenden, dass sie in ihrem ersten Pensionsansuchen keinerlei Zustimmung erhielt, sondern verfasste sogleich ein weiteres Schreiben, in dem sie ausdrücklich auf die langjährigen Dienstjahre ihres Gatten sowie das Los ihrer Kinder hinwies.212 208 Schreiben der Genovefa Winkelhofer an die k.k.Reg. Salzburg 22. Nov. 1808, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV/W 15. 209 Ebd. 210 Pensionsansuchen der Theresia Buchmann, Bericht vom General-Einnahmeamt, SLA Hofkammer-Protokolle 1807/2, 1136. 211 Ebd. 212 Ebd.

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Gesundheitspolitik – »Motive und Erfahrungsbedingungen«

Daraufhin wurde bezüglich der Tatsache, dass im Jahre 1788 der Doktorswitwe von Radstadt, »Antonia Würtenstätterin, samt unversorgter 3 Töchter, 250 G, ao 1803 der Franziska von Helmreich und ao 1805 der Theresia Zandonati jeder von diesen beiden als kinderlosen Witwe 200 G jährlich Pension gnädigst verliehen«213 wurde, der Beschluss gefasst, dass ihr aufgrund der Verdienste des Verstorbenen sowie der zwei unversorgten Kinder nach den landschaftlichen Pensionsnormale die Pension der höchsten Klasse gebührte. Sie erhielt also eine jährliche Pension von 300 Gulden vom Sterbetag ihres Mannes an von der Landschaftskasse bewilligt.214 Auch Antonie Steinhauser musste ihr Pensionsansuchen mehrmals stellen, um Erfolge verbuchen zu können. Die Witwe des Stadt-Physikus Michael Steinhauser,215 welcher am 17. August 1809 nach langjähriger schwerer Krankheit starb, hatte völlig mittellos vier Kinder, drei davon unversorgt, durchzubringen. Waren die Tochter Theres (24), die Söhne Anton (23), »ein Apotheker Subjekt«, und Leopold (22) »bey dem freywilligen Jäger bataillon«216 zwar großjährig, so benötigten sie doch noch die mütterliche Unterstützung. Wegen ihres Alters war es Antonie Steinhauser jedoch nicht mehr möglich, einem Erwerb nachzugehen, und so blieb ihr in der bedrängten Lage nichts anderes übrig, als um Unterstützung anzusuchen. Das Pensionsgesuch wurde zwar bewilligt, doch versagte man ihr die weitere Benützung der Wohnung, welche ihrem Gemahl in der Position des Stadtphysikats zur Verfügung gestanden war.217 Es wurde der Steinhauserin aufgetragen, das städtische Niederleg Gebäude Getreidegasse Nr. 322 – »bestehend aus 4 heitzbaren Zimmern, 1 Kammer, 1 Küche und Detirade (+ Keller, Holzbg. Dachkammer) bis zukünftigen Herbst Ruperti«218 geräumt zu haben. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Situation der Witwen von Ärzten in den höchsten Positionen des Landes nicht gerade rosig war, allesamt waren sie auf »staatliche« Gelder angewiesen, die ebenfalls – bedenken wir die jeweilige Lage, wie etwa die Versorgung von Kindern – nicht überaus hoch erscheinen. Da drängt sich unweigerlich die Frage auf, wie wohl das Leben der 213 Pensionsgesuch der Anna Hell an die Landesreg. Laufen, 19. Febr. 1809, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV/H 25. 214 Landschaftsvortrag. Salzburg 22. Okt. 1808, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XLV H 25; – Vgl. ebenso: Die Spitaldoktorswitwe Zandonatti betreff., Landesreg.-Protokoll Auszug vom 19. Dez. 1806, SLA Hofkammer-Protokolle 1806/30, 2448. 215 Schreiben der Antonia Steinhauser an das königl. Bairische General=Commissariat, Salzburg. 18. Juli 1814, Archiv der Stadt Salzburg. Pezoltakten Nr. 45. 216 Ebd. 217 Königl.General=Commissariats vom 15. Sept. 1814, Archiv der Stadt Salzburg. Pezoltakten Nr. 45. 218 Schreiben d. K.B. Kommunal Administration der Kreishauptstadt Salzburg an die Witwe Steinhauser. Salzburg, 4. Febr. 1815. Archiv der Stadt Salzburg. Pezoltakten Nr. 45.

»Medicus« Witwen und Töchter

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Ehefrauen des – hierarchisch betrachtet – »niederen« Medizinalpersonals ausgesehen hat, welches durch die Quellenlage kaum erhellt werden kann.

3

Organisation eines kontrollierten Medizinsystems – die Salzburger Medizinalverfassung

Die gesetzgeberische Tätigkeit im Gesundheitswesen des Salzburger Erzstifts ist bis in das 16. Jahrhundert zurückzuverfolgen, wobei im Vordergrund der staatlichen Bemühungen »der Entwurf einer Apothekerordnung, die Eindämmung des Wirkens von Quacksalbern und Kurpfuschern sowie eine scharfe Trennung der Kompetenzen von Chirurgen und Badern vom Tätigkeitsfeld approbierter Ärzte«219 standen. Doch trotz des Erlass zahlreicher Verordnungen, vor allem seit Beginn des 17. Jahrhunderts, änderte sich das Gesundheitswesen nicht maßgeblich, da eine Kontrolle der Durchführung von Gesetzen durch Exekutivbehörden unzureichend war. Den Bestrebungen, neben dem Hofrat, welcher ein für alle Belange des Staates zuständiges Beratergremium des Landesherrn darstellte, eine eigene Gesundheitsbehörde zu errichten, kam um 1680 die Gründung des Collegium Medicum,220 welchem der hochfürstliche Leibmedicus vorstand, entgegen. Diese Behörde sollte sich von nun an allen medizinischen Belangen des Staates widmen und ausschließlich mit Medizinern zu besetzen sein. In der Praxis jedoch blieb das Collegium Medicum immer dem Hofrat unterstellt und erzielte kaum Erfolge, wobei die Gründe in Kompetenzstreitigkeiten der beiden Behörden zu finden waren. Auch trotz neuer Instruktionen und erweitertem Tätigkeitsfeld durch Reformen in den Jahren 1773, 1774 und 1776221 besserte sich die Arbeit dieses Gremiums kaum. Ein Neuaufbau des Collegium Medicum wurde erst im Jahre 1800 vollzogen. Bezüglich des öffentlichen Wohlfahrtswesens sind folgende Spitäler, welche bis zum siebzehnten Jahrhundert hauptsächlich Pilgerherbergen waren, dann aber auch die Aufnahme von Armen, Kranken oder anderen Hilfsbedürftigen erlaubten, zu nennen: das Militärspital, das Bürger- und Domkapitelspital, das 219 Sonntag, Cornelia Désirée. Das Salzburger Collegium Medicum und seine Entwicklung bis zur Errichtung des Kurfürstl. Medizinalrats (1680–1804). In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 125/1985, 470. 220 Ebd., 477. 221 Ebd., 478.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

Leprosenhaus. Ende des 17. Jahrhunderts kam es weiters zur Errichtung des St. Johanns-Spitals, des »Irrenhauses« und zweier Waisenhäuser.222 Zur Medikamentenversorgung standen in der Stadt Salzburg zwei Apotheken, die alte Hofapotheke am Markt und die Stadt- und Landschaftsapotheke in der Getreidegasse zur Verfügung.223 Die eigentlichen Reformen224 im Gesundheitswesen des Erzstifts Salzburg wurden erst nach dessen Säkularisation im größeren Umfang verwirklicht, doch war die entscheidende Wende des Medizinsystem in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts mit den Aufklärungstendenzen des Erzbischofs Hieronymus Colloredo, dem letztregierenden geistlichen Landesfürsten (1772–1803), sowie seinem Gesundheitsbeauftragten Dr. Johann Jakob Hartenkeil anzusetzen.

3.1

Die Gesundheitsreformen unter Johann Jakob Hartenkeil

Der letzte Fürsterzbischof Hiernoymus Colloredo, welcher sich mit seiner Reformtätigkeit in vielen Zweigen der Staatsverfassung verdient machte, beabsichtigte unter anderem im Bereich des Gesundheitswesens eine völlige Neuorganisation. Zu beobachten sind auch in Salzburg die absolutistischen aufklärerischen Ideen, mit denen eine gezielte Gesundheitspolitik zur Bevölkerungsvermehrung betrieben werden sollte. Als Vorbild für den Reformansatz des Heilsystems dienten grundsätzlich die sanitätspolitischen Maßnahmen in Wien und erreichten mit den Sanitätsgesetzgebungen anderer Staaten eine gleiche Höhe.225

3.1.1 Exkurs: Kameralistisches Gesundheitskonzept unter Maria Theresia und Joseph II Der führende kameralistische Theoretiker in der Habsburgermonarchie war Joseph von Sonnenfels (1732–1817), welcher als Berater Maria Theresias, Joseph II. und Leopolds II. bedeutenden Einfluss auf die Formung der österreichischen 222 Reisp, Udo (1970). Über die Medizin an der Kurfürst. und Kaiserl. Universität zu Salzburg. Diss. Wien 13. 223 Schuler, Heinz (1987). Nachrichten über Salzburger Ärzte, Bader und Apotheker des 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Heraldisch-Genealog. Gesellschaft. Adler Jg. 1986/877. 3. Folge, Band 13, Wien, 162. 224 Vgl. Weiss, Alfred Stefan (1993). »Providum imperium felix.« Glücklich ist eine voraussehende Reg. Aspekte der Sozialfürsorge im Zeitalter der Aufklärung, dargestellt anhand Salzburger Quellen (ca. 1770–103). Diss. Salzburg. 225 Zillner, F.V (1841). Beitrag zu einer medizinischen Landes-Geschichte des Herzogthumes Salzburg. Wien, 22.

Die Gesundheitsreformen unter Johann Jakob Hartenkeil

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politischen, sozialen und wirtschaftlichen Staatsmacht hatte. Seine Ideen erfuhren große Anerkennung durch sein weitverbreitetes Lehrbuch »Grundsaetze der Polizey, Handlung und Finanzwissenschaft.«226 Sonnenfels sah die Aufgabe eines wohlgeordneten Staatswesens darin, alles zu tun, um das Leben der Bürger vor Krankheiten zu bewahren. Diese Forderung wurde durch die Polizeiwissenschaft ermöglicht, welche er als die Wissenschaft zur Begründung und Erhaltung der inneren Staatsicherheit definierte. Er beschäftigte sich mit Themen unterschiedlichster Art, wie zum Beispiel Armenfürsorge, Krankenpflege, Verhütung von Epidemien, Gewaltverbrechen, Regelung der ärztlichen und chirurgischen Praxis. Als wichtigstes Anliegen betrachtete er die politische Reform, »die Bildung und Ausgestaltung eines modernen, einheitlich geformten, zentralistisch aufgebauten, bürokratisch organisierten und absolutistisch gelenkten Macht- und Wirtschaftsstaates.«227 So wurde neben Gesetzen und Verordnungen eine Gesundheitskommission geschaffen, deren Ziel es war, das Heilwesen zu vereinheitlichen und zu kontrollieren. Neben verschiedenen Vorschlägen war in diesem Zusammenhang die Forderung nach einer »guten« Schulung der Mediziner, Wundärzte, Hebammen und Apotheker sowie folgender Grundsatz Sonnenfels von Bedeutung: »Ungeprüfte Heilkünstler haben als nicht autorisiert zu gelten: ihnen wird jegliche therapeutische Betätigung und jeder Handel mit Arzneien verboten.«228 Der Leibarzt der Kaiserin, Gerard van Swieten, übernahm mit seiner Position des Direktors und Präses der medizinischen Fakultät in Wien die Rolle eines staatlichen Aufsichtsorgans. Erna Lesky (1973) bezeichnet van Swieten als »sanitären Organisator der habsburgischen Monarchie«229, der sich um die Durchsetzung neuer Bedingungen auf dem Gebiet der Gesundheit bemühte. Am 7. Februar 1749 wurde das Patent über seine Reform der Medizinischen Fakultät erlassen. Eine einheitliche Sanitätsgesetzgebung für die gesamte Monarchie wurde mit dem Sanitätsnormativ von 1770 geschaffen, welche eine Gesundheitsverwaltung aller Erbländer umfasste. Doch schien sich dieses Konzept in der täglichen Politik- und Verwaltungspraxis nicht bewährt zu haben. Der Einfluss der Zentral-

226 Rosen, Georg (1977). Kameralismus und der Begriff der Med. Polizei. In: Sozialmedizin. Entwicklung und Selbstverständnis. Hrsg. v. Erna Lesky. Darmstadt, 113. 227 Ogris, Werner (1988). Joseph von Sonnenfels als Rechtsreformer. In: Joseph von Sonnenfels. Hrsg. v. Helmut Reinalter. Wien. 16. 228 Sonnenfels, Josph von. (1777). Grundsätze der Polizey-, Handlungs- und Finanzwissenschaft. Band 1. Wien, 233, zit. nach Wimmer, Johannes (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 32. 229 Lesky, Erna (1973). Gerard van Swieten. Auftrag und Erfüllung. In: Gerard van Swieten und seine Zeit. Hrsg. v. Erna Lesky/Adam Wandruszka. Wien, Köln, Graz, 31.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

behörden und ihrer unteren Glieder erwiesen sich als viel zu schwach, um eine umfassende wirksame Kontrolle aller Heilkünstler zu ermöglichen.230 Im Wesentlichen blieben also die behördlichen Bemühungen im Bereich der allgemeinen Gesundheitspflege vorerst erfolglos, durch mangelnde Finanzierung und Organisation waren sie zum Scheitern verurteilt. Doch wenn sich auch diese gesundheitspolitischen Vorschriften in den habsburgischen Ländern noch lange nicht mit der alltäglichen Heilpraxis deckten, ließ sich doch deutlich die Einleitung einer wirksamen Normsetzung erkennen. Eine beginnende Werteverschiebung ließ sich durch die Neugestaltung des medizinischen Sektors auch in Salzburg beobachten. Anführer und Beauftragter der Reformen war der in Mainz geborene, als Leibarzt des Erzbischofs nach Salzburg berufene Dr. Johann Jakob Hartenkeil (1761–1808). Mit seiner Übernahme des Tätigkeitsbereichs der Gesundheitsorganisation trat das Medizinalwesen in ein völlig neues Stadium der Entwicklung. Als Mitglied des medizinischen Collegiums machte er sich mit der Situation des Sanitätswesens vertraut und entwarf Pläne für eine Verbesserung.231 Besondere Verdienste erwarb er sich in der Ausbildung der Wundärzte und Hebammen. Nach der Auflösung der Säkularisation – Salzburg wurde ein weltliches Kurfürstentum unter Ferdinand von Toskana – kam es im Jahre 1804 auf das Betreiben Hartenkeils zur Errichtung einer medizinisch-chirurgischen Fakultät an der bereits im 17. Jahrhundert gegründeten Salzburger Universität, sowie zur Gründung eines Medizinalrats als selbständige Behörde, welche beide seiner Leitung unterstellt waren, nach dem Wechsel Salzburgs an Österreich jedoch bereits nach kurzer Zeit wieder aufgelöst wurden.232 Seit 1790 gab Hartenkeil die »Medizinisch-chirurgische Zeitung« heraus, welche sich rasch großes Ansehen erwarb und internationaler Verbreitung erfreute. Es handelt sich dabei um »eine periodische Schrift, die bald die Grenzen Deutschlands überschritt und in ihrer Zeit epochemachend dem großen ärztlichen Publikum im besten Sinne des Wortes die Tagesfragen des medizinischen Wissens mittheilte und zur raschen Verbreitung neuer Forschungen und Entdeckungen das ihrige beitrug.«233

230 Wimmer, Johannes (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 65. 231 Weissenbach, Aloys (1808). Biograph. Skizze von J.J. Hartenkeil, Doktor der Arzneywissenschaft und Wundarzneykunst; k.k. Regierungsrathe und gelehrter Gesellschaften Mitgliede. Salzburg, 17. 232 Ganzinger, Kurt (1965). J.J. Hartenkeil und die Begründung einer Medizinischen Fakultät an der Salzburger Universität im Jahr 1804. In: Münchener Medizinischen Wochenschrift. Nr. 15, 107 Jg. 1965, 2. 233 Zur Geschichte der Medizin in Salzburg. Separatabdruck aus der Salzburger Zeitung. Salzburg 1870, 20.

Ausrottung des »Pfuscherwesens«

3.2

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Ausrottung des »Pfuscherwesens«

Neben den gesetzlichen Maßnahmen von Seiten des Staates wandte sich insbesondere die akademische Ärzteschaft gegen die medinischen Pfuscherei. Der ideologische Feldzug gegen die Heiler/-innen des Volkes kann in Zusammenhang mit dem Diskurs um die Zuerkennung eines medizinischen Monopols gesehen werden. Aufgrund der Beweisnot der Akademiker bezüglich Heilerfolge ist es nur allzu verständlich, dass alle nicht geprüften Heiler/-innen als die »großen Feinde der Gesellschaft«234 angeprangert wurden. »Mit inniger Wehmuth muß der MenschenFreund die traurige Bemerkung machen, daß bey dem hohen Grade von Vollkommenheit, den die Heilkunde in unsern Zeiten erreicht hat, und bey der menschenfreundlichen DenkungsArt, die unsere Aerzte auszeichnet, die HYÄNE Pfuscherey dennoch so viele tausend Opfer verschlinge. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß in den meisten Staaten zwey Drittheile Menschen, zumal auf dem Lande, durch Pfuscherey sterben.«235

Es wurde vor allem auf den Schaden hingewiesen, welchen die Quacksalber/innen unter dem gemeinen Volke anrichteten: sie wurden für so manchen Sterbefall verantwortlich gemacht, »rauben das Geld, und verbreiten Unsinn und Aberglauben im Staate«236. »So sehr ich es euch anrathe, und zur Pflicht mache, bey Krankheiten einen geschickten und verständigen Arzt zu Rathe zu ziehen; so sehr warne ich euch vor den unberufenene Aerzten, oder vielmehr vor den Marktschreyern, Quacksalbern, Wunddoktoren und überhaupt vor allen Pfuschern und Pfuscherinnen, welche in die Arzneykunst hineinstümpern, ohne gründliche Kenntnisse von derselben zu haben.«237

Vor allem in sogenannten »moralischen Aufsätzen« wurden lehrhafte Geschichten über die verderbliche Tätigkeit der Quacksalber, bzw. über die Richtigkeit und Sicherheit, sich in die Hände der Ärzte zu begeben, verfasst.238 Vehement wurde in so manchen »diätischen Beyträgen« gegen den Aberglauben vorgegangen.239 Denn – so wird berichtet – »nicht der Pöbel allein, sondern auch 234 Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme medizinischen Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert. Diss. München, 328. 235 Wie kann in den Staaten der medizinischen Pfuscherey am leichtesten gesteuert werden? Mit vorzüglicher Hinsicht auf Baiern. In: PF 1803, 1180. 236 Entwurf zur Ausrottung der Pfuscherey in der Medicin (Ein Sendschreiben eines Arztes an seinen Collegen). In: Med. Chirurg. Ztg. 1790, 366. 237 Warnung vor falschen Aerzten, Quacksalbern, Marktschreyern, Fiebertropfen, allgemeinen Heilmitteln, Wunderessenzen und Selbstkuren. In: IS 29. July 1797, 468. 238 Vgl. IS 4. April 1795; 5. Febr. 1791; 1. Okt. 1791; 2. Jänner 1802; usw. 239 Vgl. Traurige Beispiele des Aberglaubens. In: IS 2. Jänner 1802, 13f; Etwas vom Aberglauben, und dessen schädlichen Einfluße auf die Gesundheit. In: IS 23. July 1791, 450ff; Vom Aberglauben. In: IS 4. Febr. 1792, 74ff.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

solche, die in allen andern Stücken sich weit über den Pöbel hinaus zu seyn dünken, glauben oft an die ungereimtesten und widersprechendsten Dinge«240. Die Verbreitung von Greuelgeschichten, wie zum Beispiel Behauptungen über die Vergiftung und Ermordung Tausender von Menschen,241 welche den Volksheilkundigen zur Last gelegt wurden, verfolgte zweierlei Absichten: zum einen führte diese Vorgehensweise zur Schaffung eines Negativbildes, zum anderen untergrub es weitgehend die Frage nach der Qualität ärztlicher Medizin. Weiters rückte mit dieser Kampagne das Ziel näher, die Behörden zu aktiverem Eingreifen gegen diese wichtigen Konkurrenten der akademischen Mediziner aufzufordern. Wie Stollberg (1986) darstellt, kann dabei angenommen werden, dass es sich bei dieser Art der »Gesundheitsaufklärung« nicht nur um die Darstellung des traditionellen Heilsystems als Missstand, sondern zweifelsohne um bewusste Inszenierungen handelt.242 Denn natürlich waren sich die Akteure darüber im Klaren, dass die »Würgengel der Menschheit«243 die vielfach bevorzugten Heilkundigen der breiten Bevölkerung waren.

3.2.1 »Pfuscherei« – Begriff Bei der Beschäftigung mit Kurpfuscherei müssen wir uns vor Augen halten, dass auf der einen Seite die Diskriminierung, Abwehr und Bekämpfung derselben relativ gut fassbar ist, während sich auf der anderen Seite das, was diskriminiert, abgewehrt oder bekämpft wurde, einer eindeutigen und historisch durchhaltbaren Definition entzieht.244 Es gab zwar in jeder Epoche von Seiten der Obrigkeit oder Ärzte Definitionen dafür, was als Medizinalpfuscherei bezeichnet wurde, diese waren jedoch von Region zu Region unterschiedlich und kaum zu verallgemeinern. Die Pfuschereibekämpfung durch die Obrigkeit bzw. verschiedene Berufsorganisationen hatte eine bis ins Mittelalter zurückreichende Tradition. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert bildete jedoch dafür das Konzept der »Medizinischen Polizei« den gesundheitspolitischen Rahmen. Für den untersuchten Zeitabschnitt waren die Begriffe »Medizinalpfuscher/in« bzw. »Pfusche/-rin«, »Quacksalber/-in« relevant – der Begriff »Kurpfuscher« 240 Etwas vom Aberglauben, und dessen schädlichen Einfluße auf die Gesundheit, 451. 241 Vgl. Kampfschriften gegen Pfuscher in Med. Chirurg. Ztg.; Salzburger Intelligenzblatt; Allg. deutsche Justiz- und PolizeiFama usw., z. Bsp. AdJPF 115, 1. Okt. 1804, 975; AdJPF 126, 28. Okt. 1805, 1009; AdJPF 108, 15. Sept. 1806, 843; PF 1804; Med. Chirurg. Ztg. 1801/3 269; Med. Chirurg. Ztg. 1806/4; Med. Chirurg. Ztg. 1800/1; usw. 242 Vgl. Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung, 330. 243 Wie kann in den Staaten der medizinischen Pfuscherey. AdJPF 126, 1180. 244 Vgl. Spree, Reinhard (1989), Kurpfuscherei – Bekämpfung und ihre sozialen Funktionen während des 19. und zu Beginn des 20. Jh. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Alfons Labisch u. dems. Bonn, 103–123.

Vom »Unfug der Quacksalber/-innen« und was dagegen unternommen wurde

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entstand erst am Ende des 19. Jahrhunderts – worunter zum ersten alle nicht regelrecht ausgebildeten Heiler/-innen, zum zweiten ausgebildete und approbierte Heilpersonen, welche die Grenzen ihres legalen Tätigkeitsbereichs überschritten und drittens approbierte Heilkundige, die durch der offiziellen Schulmedizin nicht entsprechende diagnostische und therapeutische Verfahren, als medizinische Außenseiter in Erscheinung traten,245 verstanden wurden. Mehrere Gründe wurden von den Zeitgenossen für das erfolgreiche Wirken der »Pfuscher/-innen« genannt246: Erstens Ärztemangel, denn »häufig sind viele Ortschaften 3–6 und mehrere Stunden vom Wohnorte des Physicus entfernt, so daß sich der Kranke, bei schleunige Hülfe fordernden Uebel, nicht entschließen kann, 6–12 und mehrer Stunden auf die Entscheidung über Leben und Tod zu warten«247, zweitens schlechter Unterricht der Landgeistlichen, welche ihre aufklärerische Tätigkeit verabsäumten und gegen eingewurzelte Vorurteile nicht ankämpften; drittens »schlechte Beispiele, die selbst gescheute Leute und Personen von Stande, bei denen man billig Aufklärung voraussetzt, dadurch geben, daß sie den rationellen arzt verachten, ihn zu verurtheilen im Stande zu seyn sich dünken (…) und selbst Pfuscher brauchen«;248 viertens die Nachlässigkeit der Justiz in der Behandlung notorisch straffälliger Quacksalber/-innen; sowie fünftens »die allzugroße Kostbarkeit der Arzneimittel«, die Gewinnsucht der Apotheker und Ärzte.

3.3

Vom »Unfug der Quacksalber/-innen« und was dagegen unternommen wurde

Dem »Auszug der wichtigsten hochfürstlichen Salzburgischen Landesgesetze« von Thaddäus Zauner (1787) ist zu entnehmen, dass seit 1676, 1689, 1691249 Verordnungen verfasst wurden, die sich gegen Quacksalbereien im medizinischen Bereich richteten. Weiters gab es eine Polizeiverordnung vom 12. Februar 1724, welche folgendermaßen lautet: »Den Beamten wird ernstlich anbefohlen, daß sie in ihrem Amtsbezirke alle etwa daselbst befindliche unapprobirte Aerzte und andere dergleichen unbefugte Stümper, sowohl Manns= als Weibspersonen, allenthalben gebührend abstellen, und hierinfalls 245 Ebd., 103–123; vgl. Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 49. 246 Auch ein Wort über Quacksalber; zur Beherzigung der Landes-Polizeyen. In: KMW 1803, 126. 247 Ebd., 126. 248 Ebd., 127. 249 Auszug der wichtigsten hochfürstlichen Salzburgischen Landesgesetze zum gemeinnützigen Gebrauch nach alphabetischer Ordnung. Band 2. Hrsg. v. Thaddäus, Judas Zauner, Salzburg, 1787, 136ff.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

den inländischen berechtigten Badern und Wundärzten von Obrigkeitswegen an die Hand gehen, auch solchergestalt die deshalb zu verschiedenen malen ergangenen Landesverordnungen pflichtschuldigst beobachten sollen.«250

Der Verweis auf mehrmalig aufgestellte Landesverordnungen bestätigt, dass die gesetzlichen Maßnahmen gegen das »Pfuschereiwesen« zu dieser Zeit nicht sehr wirksam waren. Die Verordnung gegen »Quacksalbereien« vom 11. Jänner 1788 war ein neuerlicher Versuch, medizinische Pfuschereien zu unterbinden, »da nun seither dieses Verboth verschiedentlich übertreten worden ist, hiedurch aber nicht nur den Gewerben und Nahrungsquellen der berechtigten, approbirten und verpflichteten Wundärzte ein merklicher Abtrag zugeht, sondern auch hautsächlich dergleichen Quacksalbereyen dem unschätzbaren Menschenleben höchst gefährlich und schädlich sind.«251

Unter dem Wirken von Johann Jakob Hartenkeils sollte nun mit aller Schärfe gehandelt werden. Es erfolgte die Aufforderung, massiv gegen nicht approbierte Heiler/-innen vorzugehen, sie zu beobachten, zu kontrollieren und nötigenfalls zur Strafe zu ziehen bzw. bei Übertretungen des Gesetzes dem hochfürstlichen Hofrat darüber genauestens Bericht zu erstatten. Doch halten wir uns vor Augen, dass die von der Obrigkeit bezeichnete medizinische Pfuscherei manchmal »so groß ist, daß die Zahl der Aerzte eines Landes dagegen keine Erwähnung verdient.«252 Die Unterdrückung bzw. Beseitigung der rechtswidrig handelnden Medizinkundigen konnte also nur gelingen, wenn der Staat, »mit seiner Authorität den Pfuschern das Praktiziren in der Kunst«253 unmöglich machte. Dies forderte »1) ein strenges Verboth, 2)wachsame Sorge, und 3) im Falle der Uebertretung – Strafe«.254 Eng im Zusammenhang mit der Eindämmung illegitimer Heiltätigkeit stand die Aufklärung des Volkes in Gesundheitsfragen. Als wichtiger Schritt dazu galt es, den beliebten Volkskalender unter die Lupe zu nehmen und ihn der neuen Medizinalverfassung anzupassen.

250 Ebd., 138. 251 Auszug der wichtigsten hochfürstlichen Salzburgischen Landesgesetze. Band 3. Hrsg. von Thaddäus, Judas Zauner, Salzburg 1790, 104. 252 Oeggl, Dr. Georg. Getreue und mit Belegen versehene Schilderung der noch immer grassierenden Medizinischen Pfuscherey. In: Med. Chirurg. Ztg. 1. Sept. 1803, 299. 253 Beseitigung der entschiedenen Pfuscher in Betreff der Heilkunst. In: PF 1803, 399. 254 Ebd., 399.

Vom »Unfug der Quacksalber/-innen« und was dagegen unternommen wurde

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3.3.1 Exkurs: Verbot von Volkskalendern Eine »Landesherrliche Verordnung« vom 9. Oktober 1802, abgedruckt im Salzburger Intelligenzblatt, richtete sich gegen den mancherorts häufigen Missbrauch mit Volkskalendern. Bereits am 5. März 1775 sah sich die hochfürstliche Regierung veranlasst, »alle auswärtigen, zum gemeinen Gebrauche des Publikums dienenden deutschen Schreib=Sach=Wand= und Bauernkalender« zu verbieten.255 Doch wurde der Zweck dieses Verbotes in der Folge nicht mehr erreicht, da einerseits selbst die in Salzburg verlegten Kalender nicht frei von schädlichen Vorurteilen blieben und andererseits das Verbot der auswärtigen Kalender nach und nach in Vergessenheit geriet. So erfolgte ein neuerlicher ausdrücklicher Hinweis auf die Notwendigkeit, den Inhalt von Volksbüchern, welche wegen ihrer allgemeinen Verbreitung von äußerster Wichtigkeit waren, genau zu kontrollieren. »So sind in Folge höchster Entschließung bereits die nöthigen Verfügungen getroffen worden, damit in Zukunft die in Salzburg verlegten Kalender von allen ungeprüften medizinischen Recepten und andern schädlichen Vorurtheilen gereiniget, und zweckmäßiger eingerichtet werden.«256

Zusätzlich wurde das Verbot vom 5. März 1775 betreffend auswärtiger gemeiner Volkskalender erneuert und allen Obrigkeiten, so wie den hochfürstlichen Mautämtern aufgetragen, »für den genauen Vollzug dieses Gesetzes durch gehörige Aufsicht auf inländische und auswärtige Krämer, Bilderhändler, Hausirer, besonders bey Jahrmärkten und Kirchtagen Sorge zu tragen«257 Nachzuvollziehen sind diese Maßnahmen mit aller Deutlichkeit in dem Salzburger »Neu-ausgefertigten Landt=Hauß= und Würthschaffts=Kalender«258, der von 1722 bis 1918 erschienen ist. So enthielten diese traditionellen Volkskalender bis zum Jahre 1799 neben den beliebten Aderlasstafeln bzw. Informationen über das Aderlassen vor allem auch Rezepte gegen allerlei Krankheiten sowie bestimmte Heilungsanweisungen. Die Exemplare von 1800 und 1801 fehlen insgesamt und ab dem Jahre 1802 scheinen die Aderlasstafeln sowie die Gesundheitsinformationen in den Volkskalendern nicht mehr auf. Im Jahre 1805 tauchen erstaunlicherweise plötzlich wieder Aderlasstafeln auf, verschwinden

255 256 257 258

Landesherrliche Verordnung. In: IS 30. Okt. 1802, 689. Ebd., 691. Ebd., 691. Neu-außgefertigter Land= Hauß= und Würthschaffts=Kalender / Auff das Jahr nach der Gnadenreichen Geburt unseres Erlösers und Seeligmachers Christi. 1722, 1725, 1780, 1782, 1785, 1786, 1790, 1791, 1793, 1794, 1796, 1797, 1798, 1799, 1802, 1803, 1804, 1805, 1806, 1807… 1820…1918.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

jedoch ebenso wie spezielle Rezepte gegen Krankheiten im Jahre 1806 für immer aus den Kalendern.259 Der Kalender war in den Aufklärungsprozessen von staatstragender Wichtigkeit. Informationen wurden didaktisch aufbereitet und zielgerichtet übermittelt, die Themenwahl erfolgte nach aufklärerischen, kameralisitischen und politischen Kriterien.260 So vollzog sich ein allmählicher Wandel vom traditionellen zum aufklärerischen Kalender. Es lässt sich also feststellen, dass neben dem energischen Vorgehen gegen die illegitime Heiltätigkeit das gesamte Gesundheitssystem unter die Kontrolle des Staates und der Ärzte zu bringen von höchster Bedeutung war. Eine verbesserte Medizinal=Verfassung eignete sich somit vorzüglich dafür, das traditionelle Heilsystem aufzulösen.

3.4

Die »neue« Medizinalordnung

Gegen die humanitären Mangelzustände im Salzburger Sanitätswesen versuchte die Regierung mittels Zirkularen, Gesetzen und Verordnungen der medizinischen Polizei einen neuen Auftrieb zu geben bzw. sie zu vervollkommnen. Die Regelung des Gesundheitswesens bestand folgerichtig auch in Salzburg in der Verlagerung von der Person des Leibarztes zu einem Kollegialorgan mehrerer Ärzte.261 Ab 1783 wurde ein Collegium Medicum eingerichtet, welches mit allen relevanten Fragen der Heilkunde betraut war. Statt des hochfürstlichen Leibmedikus übernahm der Landschaftsphysikus den Vorsitz dieser Behörde. Die hiesigen Leib-, Landschafts- und Stadtärzte waren diesem Organ unterstellt. Es kam zur Einteilung der Landbezirke in »Physikate« – in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts Hallein, Tamsweg, Zell am See, Laufen – 262, welche einem universitär ausgebildeten »Physikus« unterstanden. Als weitere wichtige Ereignisse in der Planung der Gesundheitspolitik sind anzuführen: die Reform des Hebammenwesens, die verbesserte Schulung der Chirurgen und Wundärzte, die Vermehrung des Sanitätspersonals (z. B. bekommen Hallein 1780, Lungau und Zell am See 1786, Laufen 1788, Neumarkt und St. Johann 1804 einen Distriktphysikus), die Einführung der Blatternimpfung 1800, sowie »genauere Verordnungen des Medicinalrahtes rücksichtlich der Quacksalber, Bruchschneider,

259 Ebd., 691. 260 Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 371. 261 Barth, Gunda. (1991). Kurzer Abriß der Entwicklung des Hebammenwesens in Salzburg bis zum Ende des Erzstiftes, 159. 262 Ebd., 159.

Die »neue« Medizinalordnung

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Giftverkäufer (1788, 1791, 1796 etc. 1802), über die Rettung Verunglückter, Hundswuth, Todtenbeschau, Frühbeerdigen, Leichenkammern«263 Darüber hinaus gab es die Bemühung, die Aufstellung einer hierarchischen Gliederung der Gesundheitsbeamten zu erreichen. Die »leichte lose« Aufsicht des Medizinalwesens sollte nach einem Bericht des Medizinalreferenten Joseph Fellner durch eine gestaffelte Ordnung der Beamten gestrafft werden.264 Der führende Politiker des Landes, Hofkanzler Graf Bleul, unternahm im Jahre 1800 den neuerlichen Versuch, das Collegium Medicum zu reformieren. Das Gremium konnte sich zwar schon auf eigene Initiative versammeln und Pläne erarbeiten, doch mussten die Vorschläge auch weiterhin der leitenden Behörde, dem Hofrat, zur Billigung vorgelegt werden. Das Collegium sollte nur mehr aus vier akademischen Ärzten und einem Sekretär zusammengesetzt sein und jeder Mediziner war beauftragt, einen von den vier gegründeten Fachreferaten – Arzneikunde, Wundarzneikunde, Geburtshilfe und Veterinärmedizin – zu betreuen. Außerdem galt als Anliegen für die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen dem Collegium Medicum und der vorgesetzten exekutiven Stelle eine Mittelsperson, nach Vorbild der Sanitätsverordnungen für die k.u.k. Erblande 1798, einzuschalten. Diese Person – vorgeschlagen wurde J.J. Hartenkeil – sollte Mitglied des Collegiums sein und vor der Polizeistelle als vorgesetzte Behörde erscheinen, um jederzeit über alle medizinischen Probleme referieren zu können. Ferner war diese mit der Aufgabe betraut, über alle medizinischen Belange zu berichten, die aus den Pfleggerichtsbezirken des Landes und anderen staatlichen Stellen im Erzstift erschienen.265 Das Collegium Medicum erhielt nunmehr alle Monate aus allen Gerichten des Erzstiftes amtliche Berichte über den Gesundheitszustand von Menschen und Tieren sowie über die Mängel der medizinischen Polizei. Schritt für Schritt wurden die Reformpläne des Collegium Medicum verwirklicht, womit man größere Effektivität erzielte. Der Arbeitsbereich umfasste nun die gesamte medizinische Polizei sowie die Arzneikunde. Im Jahre 1804 wurde das Collegium Medicum in den »Kurfürstlichen Medizinalrat« umbenannt. Es kam somit zur Gründung einer selbständigen Gesundheitsbehörde, welche die Reformen im Salzburger Gesundheitswesen zu Beginn des 19. Jahr-

263 Zillner, Franz Valentin (1841). Beiträge zu einer medizinischen Landes-Geschichte des Herzogthumes Salzburg, Wien, 22. 264 Felner, Joseph. Rede bei Eröffnung der ordentlichen Sitzungen im medizinischen Collegio zu Salzburg am 9ten Weinmonat 1802. In: Lit. Ztg. Okt. 1802. 265 SLA Geheime Hofkanzlei. LV 15a. Medizinische Polizei. Collegium medicum 1768–1804; Sonntag, Cornelia Désirée. Das Salzburger Collegium Medicum und seine Entwicklung bis zur Errichtung des Kurfürstlichen Medizinalrats (1680–1804), 483.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

hunderts wesentlich beeinflussten, sowie ebenfalls zu dem Beschluss, eine medizinische Fakultät zu errichten.266 Die Aufgabenbereiche des »Medizinalrates« – die Direktorenstellen nahm J.J.Hartenkeil ein – waren vielfältig und betrafen sämtliche gesundheitliche Belange des Landes. In dieser Abhandlung wird hauptsächlich auf jene Wirkungskreise Bezug genommen, die einen wesentlichen Einfluss auf das »traditionelle Heilsystem« hatten. Der »Medizinalrat« war oberstes staatliches Kontrollorgan des Gesundheitswesen. Unter seiner unmittelbaren Aufsicht standen alle jene öffentlichen Anstalten, welche direkt der Sanitätspflege unterstellt waren. Dabei handelt es sich um »alle öffentlichen Lehranstalten zum Unterrichte und zur Bildung junger Ärzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Thierärzte, Apotheker, Hebammen und Krankenwärter, alle öffentlichen Anstalten für die gute Verfassung der praktischen Arzneykunst, praktischen Chirurgie und praktischen Entbindungskunst, sowie alle Institute für Kranke und Gebährende«.267

Diese Behörde war außerdem für die Prüfung der Medizinalpersonen verantwortlich. Unter Paragraph 43 der »Instruktion für den Kurfürstlich=Salzburgischen Medizinal=Rath« ist zu lesen: »Alle Medizinalpersonen, welche im Kurfürstenthume Salzburg ihre Kunst auszuüben verlangen, als Aerzte, Wundärzte, Geburtshelfer, Augen oder Zahnärzte, Hebammen, oder alle, die mit Verfertigung, Verkauf, oder Einsammlung von Arzneyen, oder bloß von Pflanzen=Körpern umgehen, als Apotheker, Materialisten, Arzneyfabrikanten, Wurzel= oder Kräutersammler, müssen sich vorerst bey dem hiesigen Kurfürstlichen Medizianl=Rathe einer Prüfung unterziehen.«268

Detailliert gegliederte Dienstordnungen – Apotheker-Ordnung vom 16. Juli 1804, Dienstordnung für praktische Ärzte und Landphysiker vom 1. Februar 1805, Hebammenordnung vom 16. Februar 1805, Dienstordnung für Doktoren der Chirurgie, für Medizinal-Chirurgen und Bader vom 18. März 1805269 – sollten die hierarchische Ordnung im Medizinalsystem sicherstellen. »Da auf dem Lande und wohl auch in der Hauptstadt damals alles quacksalberte und pfuschte, sich selten Jemand das Handwerk wollte legen lassen, und nebenbei Wurzelgräber und Zillerthaler=Oelträger großes Vertrauen genossen, die Medicamente in den Apotheken aber sehr theuer und schlecht waren, die Landärzte großtentheils als 266 Ozlberger, Carl. Die med.-chirurg. Lehranstalt zu Salzburg. Zur Entwicklung aus der vormaligen Universität und ihr gegenwärtiger Bestand. Salzburg 1864, 19. 267 Salzburg. Med. Annalen. Der Medizinal=Rath und die medizinisch=chirurgische Fakultät in Salzburg. 1. Stück. Salzburg 1804, 25. 268 Ebd., 42. 269 Dienstordnungen, SLA kurfürstl. k.k. Reg. R XI/G 80.

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Idioten mehr schadeten als nützten, hatte der Medizinalraht vor Allem auch hier in’s Mittel zu treten. Es wurden deshalb nicht nur die Kurpfuschereien bei Zuchthausstrafe untersagt, (…) sondern man suchte auch die die Heilkunde zunftmäßig treibenden Landärzte zu wahrhaft Berufenen zu machen.«270

So waren dem Physiker, welcher als Gesundheitsbeamter der unmittelbaren Dienstbehörde dem kurfürstlichen Medizinalrat sowie den Landesstellen und Behörden verbunden war, alle übrigen Medizinalpersonen in seinem Bezirk untergeordnet. Die weitere Gliederung sah folgendermaßen aus: a) Doktoren der Medizin und Chirurgie b) Medizinal-Chirurgen c) Apotheker d) Bader e) Hebammen.271 Eine wichtige Tätigkeit stellte für den Physiker die Überwachung dieser Heilpersonen dar. So wurde unter § 30 der Dienstordnung bezüglich der Hebammenbetreuung der Physiker dazu verwiesen, zu kontrollieren, »Daß sie sich nicht mit der Behandlung der Krankheiten bei neugebohrnen oder andern Kinder, den Wöchnerinnen, überhaupt den Weibern befassen.«272 Vom Physiker hing die Leitung der Medizinalpolizei in seinem Distrikt ab. Deshalb war es seine oberste Pflicht, alle Einflüsse, durch die das öffentliche Gesundheitswohl gefährdet werden könnte, zu beseitigen.273 Wie aus der Dienstordnung hervorgeht, besaßen für den Physiker alle Aufgaben, die mit der Gesundheitsverwaltung und Gesundheitsreform in Zusammenhang standen, oberste Priorität, danach erfolgten erst seine Pflichten als Arzt! Damit der Medizinalrat jederzeit auf eine perfekte Information und Aufstellung über den Zustand des gesamten Sanitätswesens im Land zurückgreifen konnte, war der Physiker verpflichtet, jedes Vierteljahr Ende März, Juni, September und Dezember, über alle Gegenstände, die das Sanitätswesen betrafen, sowie am Jahresende über seine Tätigkeiten Bericht zu erstatten. Wichtig waren nebenher die Beobachtungen des Physikers über die Bedingungen, welche das öffentliche Gesundheitswohl bestimmten, so die »äußeren Einflüsse« wie Klima, Geographie, »Eigenheiten der Natur« des Landes auf der einen, die »inneren Einflüsse«, wie »physisch moralische Eigenthümlichkeiten« (körperliche Konstitution, geistige Bildung) und Lebensweise (Gewohnheiten, Bräuche, Kleidungsarten, Ernährung, Wohnung) auf der anderen Seite.274 »Ueber Vorurtheile und Mißbräuche, die sich auf Nahrungs-Mittel, Kleidungs-Art u.d.gl. beziehen, und die in jedem Bezirke unter eigenen Modifikationen vorkommen,

270 Pichler, Georg Abdon (1865). Salzburg’s Landes-Geschichte. Allgemeine Geschichte. Salzburg, 790. 271 Dienstordnung für Physiker, SLA Geheime Hofkanzlei LV/15c; Instruktionen für den Landschafts- und Stadtphysikus 1802, SLA kurfürstliche k.k. Reg. XI/A 8. 272 Ebd., SLA Geheime Hofkanzlei LV/15c. 273 Dienstordnung für Physiker, SLA Geheime Hofkanzlei LV/15c. 274 SLA Geheime Hofkanzlei LV/15c.

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Organisation eines kontrollierten Medizinsystems

soll der Physiker besondere Aufsätze, die für die öffentliche Bekanntmachung im salzburgerischen Intelligenzblatt geeignet sind, einschicken.«275

Ein weiteres wesentliches Tätigkeitsfeld des »Medizinalrates« war die »Belehrung des Volkes« in Gesundheitsfragen. So musste er auf die Lage der verschiedenen Gegenden, die Wohnungen der Menschen, öffentliche Reinlichkeit, Nahrungsmittel, Getränke, »Geschirre«, ja eigentlich auf alle Bereiche des privaten Lebens, welche auf das allgemeine Wohl einwirkten, Einfluss nehmen. Dies stellte wahrlich eine schwierige Aufgabe dar, wenn man bedenkt, dass – wie unter Paragraph 15 und Paragraph 16 der »Instruktion für den Kurfürstlich=Salzburgischen Medizinal=Rath« aufgelistet – neben der »Ausrottung des medizinischen Aberglaubens« und der »Beförderung allgemeiner und spezieller diätischer Gesundheitsregeln« alles, »was auf gesunde Ehen, auf Sorge für die Schwangern, Gebährenden und Kindbetterinnen, auf die physische Erziehung der Kinder und Gymnastik Bezug hat«276 unter der Aufsicht des Medizinalrates stand. Beispielhaft für einen Bericht über die Zustände des Sanitätswesens in einem Physikats-Bezirk ist ein »Medizinisch=topographisches Fragment« über Radstadt und Werfen, welches von dem Physiker Oberlechner verfasst, im »Salzburger Intelligenzblatt vom 29. July 1809« abgedruckt war. Neben der Beschäftigung mit Fragen über das Auftreten von akuten oder vorzüglich chronischen Krankheiten bzw. über die Existenz stationärer und endemischer Krankheiten richtete sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den Gesundheitszustand der Kinder. Von größter Bedeutung sei es, die Pflegeverhältnisse der Familien aufs genaueste zu untersuchen, so etwa die Erforschung der physischen Erziehung der Kinder oder das Stillverhalten der Mütter. Die Anwendung moralischer Mittel mit Hilfe von Volksunterricht sollte laut Oberlechner idealerweise bereits bei dem Thema der Zeugung ansetzen. »Die glückliche Zeugung, die solide Erziehung bewahrt vor Krankheit«277 des Kindes. Zum ersten wäre es oberstes Gebot der Polizei, darüber zu wachen, »daß Niemand in den Ehestand trete, der selbst große physische Unvollkommenheiten hat, ein sieches Leben lebt, und folglich matte Ideen einbildet«278 oder in großer Armut lebte. Zweitens »unterrichte der Priester das künftige Ehepaar in Gegenwart des Physikers über die Pflichten des Standes, und bleibe nicht, wie bisher, bey dem bloßen Glaubensbekenntnisse stehen; er sage demselben, daß beyde Personen ganz gesund und wohl seyn müssen, wenn sie einen Akt ausüben wollen, der gesunde Kinder, und keine Cretinen, 275 Ebd. 276 Salzburger Med. Annalen. Der Medizinal=Rath und die medizinisch=chirurgische Fakultät in Salzburg, 31. 277 Med.-topograph. Fragment. In: IS 29. July 1809, 469. 278 Ebd., 470.

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unförmliche Fleischmassen, sieche Wesen zum Zwecke hat, – daß sie das eheliche Werk nach Erschöpfung von Arbeit, bey großen Sorgen u. nicht ausüben.«279

Zur Begutachtung des Aussehens, der Reinlichkeit der Kinder bzw. der Nachlässigkeit oder Armut der Familie, eignet sich – so gibt der Verfasser als dritten Punkt an – am besten die jährliche »Feuerbeschau«, bei der ein Schreiber mit dem Gerichtsdiener in jedes Haus kommt, um die baubehördlichen Sicherheitsmaßnahmen zu kontrollieren, dabei Einsicht in die Familienverhältnisse gewinnt und somit die Informationen zu den Ortsbeamten weiterleiten kann. Die beiden letzten Punkte betrafen das Verhalten im Krankheitsfalle. So sollten die Blattern durch die erzwungene Einimpfung mit Gewalt ausgerottet werden und das Aufsuchen eine approbierten Arztes wurde zum obersten Gebot.280 Zusammenfassend kann der »Politisierungsprozess« von Krankheit und Gesundheit in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts im Salzburger Raum grundsätzlich durch drei wesentliche Merkmale charakterisiert werden. Zum einen begann der Staat, in Form von Verordnungen und Gesetzen in traditionelle Heilbereiche einzugreifen. Ausgangspunkt dieser Maßnahmen waren ebenso wie in anderen deutschsprachigen Gebieten bevölkerungspolitische Erwägungen. Zweitens erschienen eine Vielzahl von gesundheitsaufklärerischen Schriften bzw. Publikationen in Zeitungen, wie die »Medizinisch-Chirurgische Zeitung« oder das Salzburger Intelligenzblatt. Die aufgestellten diätischen Regeln betrafen die intimsten Bereiche des häuslichen Lebens. Weitere Impulse erhielt als dritter Bereich der Entwicklungsprozess dadurch, dass sich die akademisch ausgebildeten Ärzte immer weitere Kompetenzbereiche in der Gesellschaft in Bezug auf spezifische Sphären des privaten Lebens sicherten.

279 Med.topograph. Fragmemt. In: IS 29. July 1809, 470. 280 Ebd., 471.

4

Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

4.1

Bedrohungen und Nöte des Alltags

4.1.1 Mühe um die nackte Existenz Betrachten wir das Alltagsleben der unteren Schichten in Salzburg um 1800, so war dieses geprägt von Hunger, Not und der Bemühung ums tägliche Brot. Die Sicherung der Nahrung stellte das wichtigste Prinzip einer sogenannten Knappheitsgesellschaft281 dar, wurde aber, bedingt durch Witterungsverhältnisse und daraus resultierenden schlechten Ernteergebnissen, zweifelsohne erschwert. Die Preise für Lebensmittel waren außerordentlich gestiegen, »und bey einigen Lebensbedürfnissen z. B. Brod, Mehl um beynahe über ein Drittel angewachsen«282 Die napoleonischen Kriege erhöhten die Not der Bevölkerung. Das Erzstift erlebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen stetigen wirtschaftlichen und politischen Abstieg. Wir müssen uns vor Augen halten, dass das Gesamtbild der Menschen im europäischen Raum vom Phänomen der Massenarmut geprägt war. Eine Stagnation konnte um 1800 nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Bevölkerung beobachtet werden. Das ländliche Alltagsleben war bestimmt durch die Arbeit und die beschränkte Verfügbarkeit von Grund, Boden und materiellen Gütern. Es fehlte der Raum für Individualismus, der einzelne war in die dörfliche Gesellschaft durch den Arbeitsprozess und seinen unmittelbaren Lebensbereich eingebunden.283 Jedes Haus im Dorf bildete zwar eine relativ selbständige Einheit, doch was auf 281 Weiss, Alfred Stefan (1993). »Providum imperium felix.« 282 Hübner, Lorenz (1793). Beschreibung der hochfürstl.-erzbischöfl. Haupt- und Residenzstadt Salzburg und ihrer Gegenden. Band 2, Salzburg, 425. 283 Zehentner, Rainer Georg. Gasselgehen. Zum Verhältnis zwischen ländlichen Untertanen und Obrigkeit im Erzstift Salzburg des ausgehenden 18. Jahrhundert. Dipl. Arb. Salzburg 1993, 56; Hauptmeyer, Carl-Hans (1983). Das abhängige Dorf – eine historische Retrospektive. In: Annäherungen an das Dorf: Geschichte, Veränderung u. Zukunft. Hrsg. v. dems. Hannover.

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Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

einem Hof geschah, konnte jeder Nachbar sehen – es gab sozusagen keine Geheimnisse voreinander.284 Die Enge der Wohnverhältnisse erlaubte dem einzelnen keine Privatsphäre. Die Häuser waren, wie Graf Friedrich Spaur in seinen Briefen beschreibt, klein, mit niedrigen Stuben, unsauber, verraucht – »die feuchten, finstern, und von gesunder Luft entblößten Quartiere vieler Familien«285. Familienleben und vor allem die Kinderaufzucht wurden dem Arbeitsleben weitgehend untergeordnet, für eine adäquate Kinderbetreuung blieb dabei wohl wenig Zeit, ein Verhalten, das nach heutigen Maßstäben beurteilt, wohl zu Recht heftige Kritik und Unverständnis von Seiten der Aufklärer hervorrief, wie das medinisch-topographische Fragment über Radstadt und Werfen zeigt. »Ein großer Theil der Menschen bringt sich hier kümmerlich durch, und haust in Schulden, Armuth und schwere Arbeit machen stumpf, unempfindlich gegen die Leiden Anderer; sie unterdrücken die natürlichsten Gefühle; daher sieht man kleine Kinder halbe Tage allein in die Wiege gebunden; daher liegen sie in aller Unreinigkeit, Koth und Urin; deßwegen haben solchen Kindern schon Schweine die Finger abgebissen, Mäuse und Katzen Nase und Lefzen angegriffen; ihre Köpfe sind vom Ungeziefer durchwühlt, von Geschwüren aufgegraben, der übrige Körper aber ist von Krätze steif.«286

Dem Beitrag der Menschen zur Hauswirtschaft und Familienorganisation galt äußerster Vorrang vor persönlichen Bedürfnissen.287 Ganz allgemein kann behauptet werden, dass aufgrund ländlicher Lebensverhältnisse und wirtschaftlicher Notwendigkeiten auf die Gesundheit nur beschränkt Rücksicht genommen werden konnte bzw. dass im Falle einer Krankheit die Not oft keine Grenzen mehr kannte.

4.1.2 »Die verfluchte Krankheit« Eine ständige Bedrohung der Stadt- und Landbewohner waren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vorzüglich der Mangel an Nahrung sowie Infektionskrankheiten.288 Diese Krisen bedeuteten für Frauen und Männer gleichermaßen eine gegenwärtige Gefahr. Das weibliche Geschlecht war darüber hinaus noch den Ri284 Dülmen, Richard van (1992). Kultur und Alltag in der frühen Neuzeit. Band 2, Dorf und Stadt 16.–18. Jahrhundert. München, 14. 285 Spaur, Friedrich Graf (1804). Nachrichten über das Erzstift Salzburg nach der Säkularisation in vertrauten Briefen. Band 2, Passau, 207. 286 Med.-topograph. Fragment über Radstadt und Werfen. In: IS 29, July 1809, 468. 287 Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme med. Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert. Diss. München 1986, 61. 288 Bruchhausen, Walter (2014). Krankheiten und Krankenversorgung in Bonn, 1818–1918. Teil I und II. In: Die Laterne. Bonner Familienkunde 41 (2014) 31–35 und 61–65.

Bedrohungen und Nöte des Alltags

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siken, welche mit Schwangerschaft, Geburt und Kindbett einhergingen, ausgesetzt. Mit der höchsten Sterblichkeit allerdings waren eindeutig Kinder die Hauptbetroffenen des Leides. Krankheit war zu dieser Zeit meist gleichbedeutend mit Armut, da ein Leiden in den meisten Fällen Arbeitsunfähigkeit bedeutete.289 »Krank sein und vom Gelde entblößt: der das nicht selbst gefühlt hat, kann sich keinen Begriff davon machen.«290 Große Hungersnöte waren um 1800 zwar selten, doch ließen sich generell chronische Unterernährung oder mangelhafte, einseitige Ernährung als Gesundheitsgefährdung feststellen, welche in der Instabilität der landwirtschaftlichen Produktion und Produktivität sowie in anderen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Hindernissen bei der Verteilung und Versorgung der Lebensmittel begründet lagen.291 Die schnellen Witterungsveränderungen, der schnelle Übergang »von kurzer aber drückender Hitze zu der empfindlichsten Kälte«,292 die vielen trüben, regnerischen und kalten Tage wirkten sich auf den Gesundheitszustand der Einwohner/-innen nicht gerade positiv aus293 . Ein vorherrschendes und gefürchtetes Risiko stellte eine Epidemie dar, welche von drei wesentlichen Merkmalen geprägt war: »von der Zahl der Betroffenen, der Ohnmacht ihr gegenüber und vom Ausschluß oder Tod«.294 Die Gefahren der Pest295 und Lepra waren zwar zunehmend verloschen, doch existierten verschiedene Arten von Fiebern (z. Bsp. Nervenfieber), Typhus, Blattern und Pocken.296 Außerdem traten vermehrt Krankheiten wie Wassersucht, Schwindsucht,297 Krätze, Rothlauf, Spulwürmer, zahlreiche Entzündungen, Geschwüre,

289 Dornheim, Jutta (1993). Kranksein im dörflichen Alltag. Zum kulturellen Kontext einer Lebensform. In: SAVk 89 (1993) 1, 23–42; Olmi, Giuseppe (1987). Krankheit und Lebensbedingungen in Tirol. In: Fruchtbarkeit und Geburt in Tirol. Hrsg. v. Otto Dapunt. München, 9–24. 290 Buck, Inge (Hg.) (1994). Ein fahrendes Frauenzimmer. Die Lebenserinnerungen der Komödiantin Karoline Schulze-Kummerfeld 1745–1815. München, 49. 291 Wimmer, Johannes (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 94. 292 Spaur, Friedrich Graf (1805). Reisen durch Oberdeutschland, Bd.2, 226. 293 Med.-topograph. Fragment über Radstadt und Werfen. In: IS 29. Juli 1809, 464; Ueber den Charakter in den herrschenden Volkskrankheiten. KBB 1806, 119ff. 294 Herzlich, Claudine/Pierret, Janine (1991). Kranke gestern, Kranke heute. Die Gesellschaft und das Leiden. München, 17; Schipperges, Heinrich (1985). Homo Patiens. Zur Geschichte des kranken Menschen. München, Zürich. 295 Das letzte Auftreten der Pest lässt sich im Lande Salzburg in Steindorf, Köstendorf und Berndorf in der ersten Hälfte des 18. Jh. nachweisen. Vgl. Watteck, Nora (1983). Die Pest in Salzburg. In: MGSL 123, 205. 296 Volkskrankheiten vgl. Zillner, Franz Valentin (1890). Geschichte der Stadt Salzburg. Zeitgeschichte bis zum Ausgange des 18. Jh., Bd. 2, Salzburg, 355ff. 297 Die Schwindsucht. KMW 4, 1803, 283–285.

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Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

Abszesse und Wunden auf.298 Die Wassersucht, welche sich in den verschiedensten Facetten zeigte, stand bei den chronischen Krankheiten an erster Stelle. »Sie befällt hier größtentheils Menschen von 50 bis 70 Jahren, die in der Jugend viel Branntwein getrunken haben (…) – Männer, die durch übermäßige Arbeit ihre Kräfte erschöpften, und die Gefäße schwächten, – Weiber, welche viele Kinder hatten, Blutflüße erlitten, und sich in Sorgen und Kindergewühl ausgemergelt haben (…)«.299

Der Kretinismus stellt eine spezifische Krankheit dar, deren Entstehung bis heute nicht endgültig geklärt werden konnte. Bekannt ist jedoch, dass Jodmangel damit in ursächlichem Zusammenhang steht, da die Schilddrüse ohne Jod bestimmte Hormone nicht erzeugen kann, die für die Gehirnreifung eines Fötus unabdingbar sind. Ein Mangel kann zu schweren Störungen des Zentralnervensystems, Hörschäden und körperlichen Missbildungen führen.300 »Cretine sind bekanntlich eine Art kleiner blödsinniger Menschen mit dicken Kröpfen, die man vorzüglich im Walliserlande und andern gebirgigen Orten findet.«301 In Salzburg, wo die meisten in Gebirgsgegenden, vorzüglich im Lungau – »kaum ein Winkel im Lungau ist frei von Schwach- und Blödsinnigen«302 – und in St. Johann im Pongau vorkamen, war statt der Bezeichnung »Kretin« der Name »Fex«303 üblich. Hinweise über Frauenkrankheiten wie etwa »Kopfschmerz, Schwindel, Augenschwäche, Ohrenstechen, Zahnschmerzen, Appetitlosigkeit, Magensäure, Magendrücken, Magenkrampf, schlechte Verdauung, Catarrhe, Lungensucht, Anschoppungen in den Eingeweiden des Unterleibs, Unregelmäßigkeit der Periode und ihre Folgeübel, Bleichsucht, Krämpfe, Melancholie und Geisteskrankheiten«304 erhalten wir aus von Ärzten verfassten populärmedizinischen Schriften.

298 Med. Kranken-Tabelle des St.Johanns-Spitales vom 1.sten November 1806 bis 31.sten Oktober 1807. In: IS 20, 14. Mai 1808, 304–310. 299 Med.-topograph. Fragment über Radtstadt und Werfen. In: IS 29. July 1809, 465. 300 Schmitten, Inghwio aus der (1985). Schwachsinnig in Salzburg. Zur Geschichte einer Aussonderung. Salzburg, 9. 301 Ueber den Cretinismus. In: IS 24. Mai 1806, 317. 302 Wallmann, Heinrich/Zillner, Franz Valentin. Kulturhistorische Streifzüge durch Pongau und Lungau. In: MGSL, 3, 1863, 145–1887, zit. nach Watteck, Nora (1978). Lappen, Fexen und Sonderlinge in Salzburg. In: MGSL 118, 1978, 235. 303 Watteck, Nora, ebd. 225–256. 304 Fleckles, Leopold (prakt. Arzt u. Mitgliede d. löbl. med. Facultät in Wien) (1832). Die herrschenden Krankheiten des schönen Geschlechtes in der Blüthe des Lebens in großen Städten; die moralischen und physischen Ursachen derselben, die traurigen Folgen, die sie auf das geistige und körperliche Wohlseyn ausüben, die Mittel ihnen gänzlich vorzubeugen. Wien.

Bedrohungen und Nöte des Alltags

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Die Aufnahme der chirurgischen weiblichen Kranken des St. Johanns-Spitales – Frauenabteilung zeigt laut zeitgenössischen Salzburger Zeitung folgendes Bild:305 Am häufigsten scheint die Krankheitsbezeichnung »Geschwüre«, gefolgt von »Abszeßen« auf, an zweiter Stelle wird die »Lustseuche«, d. h. Syphillis genannt, worauf am dritthäufigsten »Augenentzündungen« und »Rothlaufe« folgen. Von 77 aufgenommenen Kranken wurden 65 als geheilt, zwei als ungeheilt, eine als verstorben und acht als Verbleibende angegeben. Kinder- und Frauenkrankheiten wurden bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts oft in einem Atemzug genannt. Die Abhandlung über Kinderkrankheiten erfolgte in Arzneibüchern oft unter der Rubrik Frauenkrankheiten.306 So waren unter der Rubrik »von weiblichen Kranckheiten« vielversprechende Mittel gegen folgende Beschwerden, welche hauptsächlich Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett betrafen, angeführt: »Für mancherley Gebrechen der Weiber«; »Die Mutter der Weiber reinigen / damit sie schwanger werden können«; »Wann ein Kind hart steck/ die Wehen vergangen sind/ und die Noth groß ist«; »Wann eine Kindbetterin das Rothlauff hat«; »Eine köstliche und gar oft bewährte Salben für die Schmerzen der bösen Brüste / und wenn sie aufgebrochen / daß solche wieder heil werden«; »Wann der Kindbetterin im Angesicht hitzige Blätterlein auffahren« usw.307

Kinder waren von zahlreichen Übeln bedroht.308 Kindsblattern und Keuchhusten wurden als die klassischen Kinderkrankheiten bezeichnet. Zudem traten Ernährungsstörungen wie Durchfall, Krämpfe und Hautkrankheiten sowie Wurmbefall als Hauptbeschwerden der Kinder309 auf. Die in Salzburg heimische »Kinderplage« der »Kuhpocken, Schutzpocken, Milchblattern«310, wie das Leiden mit verschiedenen Namen bezeichnet wurde, betraf jedoch nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Zahlen aus dem frühen 19. Jahrhundert belegen, dass um 1800 »in Deutschland noch 600.000 Menschen jährlich an den Blattern erkranken, wovon ca. 75.000 Personen jeweils dem Tod geweiht waren«311 In den 305 IS 28. Mai 1808, 335ff. 306 Ebd., 111f. 307 Der sorgfältige und getreue Hauß= und Land=Arzt, welcher theils mit bewährten und geringen Hauß=Mitteln dem kranken Nächsten an Handen gehet. Schramm 1756, 102–110. 308 Vernachlässigung der Kinderkrankheiten auf dem Lande. In: DJPF 74, 25. Juni 1802, 609– 611. 309 Loux, Francoise (1991). Das Kind und sein Körper in der Volksmedizin. Eine histor.-ethnograph. Studie. Frankfurt a. M., 217–226. 310 Die Kuhpocken, Schutzpocken, Milchblattern, eine einheimische Krankheit in Salzburg. In: IS, 8. August 1801, 110. 311 Falk, Sabine/Weiss, Alfred Stefan. »Hier sind die Blattern.« Der Kampf von Staat und Kirche für die Durchsetzung der Kinder-Schutzpockenimpfung in Stadt und Land Salzburg. (Ende des 18. Jh. bis ca. 1820). In: MGSL 131, 1991, 168.

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österreichischen Ländern wurden 70.000 Opfer gezählt312, eine Tatsache, welche die Regierung rasch zur Gegenmaßnahme – Einimpfung der Kuhpocken als wirksames Schutzmittel gegen Ansteckung – schreiten ließ. Eine weitere Bedrohung, vor allem für Säuglinge, stellte die Kinderfraisen dar, wobei Krankheitsursache und Heilbehandlung ungewiss waren. Unter »Fraisen« wurde eine Vielheit von Krankheiten bezeichnet, wobei vorwiegend ein Kinderkrampf (Exlampsia infantium), konvulsivische Zuckungen, welche das Kind plötzlich befielen, gemeint war. Als Ursache dieser weitverbreiteten Erscheinung nahm man meistens Schreck oder Kummer der Mutter während der Schwangerschaft oder des Stillens an313 Bei den angewandten Heilmitteln herrschten zumeist Magie und Zauber vor. Der Zeitgenosse Beda Hübner, im Kloster St. Peter ansässig, gab über diese Erkrankung folgende Beschreibung: »Es besteht aus Erschütterung, Zuckungen, Stikken, Würgen, Heraufstossen von Magen, woraus meist ein Erbrechen, Ausspeien, jederzeit aber das Ersticken erfolgt. Diese Kinderfrais wird besser eine Stickfrais, als eine Fraissucht benennt. Nie ist sie epidemisch, erblich oder ansteckend(…)«314

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die verschiedenen Krankheiten, so fällt die Vieldeutigkeit volkssprachlicher medizinischer Ausdrücke auf. Diese verschleierten bzw. definierten unscharf zwar den eigentlichen Krankheitszustand, doch schufen sie für den Laien eine bedeutende Hilfe, die alltäglichen Körpererfahrungen in Worte zu kleiden. In diesen Bezeichnungen spiegelten sich ferner Krankheitsvorstellungen wider. Einen vielfältigen Komplex von Krankheiten schloss die Krankheitsbezeichnung »Rose« oder »Rotlauf« ein, welche bei den Salzburger Einwohner/innen nicht selten vorkam. Unter Rotlauf verstehen wir im volkstümlichen Sinne nicht nur das Wund-Erysipel, d. h. eine rote Haut, sondern auch fieberhafte Zustände ganz allgemein, auch beim Fehlen jeglicher äußerer Verletzung.315 Die »Rose« gehörte zu den deutsch benannten Krankheiten, die am häufigsten in Besegnungs- und Bannformeln auftraten. Sonderbar wirken die Bezeichnungen »Nacht Gespenst, Trudten, Unholte, oder Hexen«,316 doch »solche soll in grund nur ein Nathürliche Krankheit sein, und kheine gespenst, anderen ein anzeigung der künftigen Krankheit, alß ungarische Krankheit, fraiß oder hinfallendten Süchten«317 Als vermutete Gründe für den Ausbruch dieser Krankheit fanden zum

312 313 314 315

Ebd., 168. Grabner, Elfriede (1985). Grundzüge einer ostalpinen Volksmedizin. Wien, 56. SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. XI/D 1/57. Grabner, Elfriede (1963). Das »Heilige Feuer«, »Antoniusfeuer«, Rotlauf und »Rose« als volkstümliche Krankheitsnamen und ihre Behandlung in der Volksmedizin. In: ÖZfV 66,77. 316 Sympathie- und Hausmittel. (2. Hälfte 17.Jh). 317 Ebd.

Hilfssysteme magischer und religiöser Art

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Beispiel »grosse Haubtarbeith, sorg khumer, unkheuschheit, yberfluß in Trinkhen, starckhen Wein, Zwifl und Knoflauch, rohe frücht essen, und was khalten und feuchter Art ist, zulange an heisser Sonnen sizen, yberflissig schlaffen«318 Erwähnung. Krankheiten wurden oft nach der vermuteten Ursache, wie etwa »Hexenschuß«, »Alpdrücken«, häufiger noch als Erscheinungsform und Wirkung auf den Kranken selbst bezeichnet. Aus Schmerzen (Kopfschmerzen, Magenkrampf), Funktionsstörungen (Lungenkrankheit, Harnverhaltung), Farbe und Aussehen (Gelbsucht, Röteln), Eigenschaft (Schwindsucht) und Bewegung (Gicht, Epilepsie) wurden die Krankheitsnamen gefolgert. Auch waren Vergleiche aus dem eigenen Lebensbereich, vor allem Tier- und Pflanzenmetaphern (Herpes, Krebs) beliebte Ableitungen.319 Das Volk war zwar einer Menge von Missständen ausgesetzt, doch gab es scheinbar, wie an Krankheitsvorstellungen und Krankheitsbezeichnungen abzulesen ist, ein gewisses allgemein bekanntes Bezugssystem innerhalb der ländlichen Medizin, welches es dem einzelnen ermöglichte, den Körper und seine Veränderungen wahrzunehmen und sich adäquate Linderung zu verschaffen. Nicht zuletzt waren es magische und religiöse Elemente, welche angesichts der Bedrohungen – wie Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit, Missernten, Menschenund Viehkrankheiten – Unterstützung lieferten und den oft mühsamen Lebensalltag positiv bewältigen ließen.

4.2

Hilfssysteme magischer und religiöser Art

4.2.1 Rettung durch Magie – Glaube als Aberglaube Magische Denk- und Handlungsweisen begleiten das Salzburger Landvolk von der Geburt bis zu seinem Tod und bestimmten seine Gedanken, sein Verhalten, seine Lebenserfahrung und Gefühle sowie die Geschehnisse und Zustände seines alltäglichen Lebens. Von den zeitgenössischen Reiseschriftstellern wurde diese Einstellung der Menschen nicht nur in Gebirgsgegenden als bigott und abergläubisch, mit einer Liebe zu Wallfahrten und dem Glauben an Hexerei und Gespenster bezeichnet.320 »Uebrigens fand ich die Bewohner jener von der Stadt 318 Ebd. 319 Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit. München, Zürich, 121ff. 320 Hübner, Lorenz (1796). Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstenthums Salzburg in Hinsicht auf Topographie und Statistik. Das Salzburger Gebirgsland. Band. 2, Salzburg, 693; Spaur, Friedrich Graf (1800). Reise durch Oberdeutschland. In: Briefen an einen vertrauten Freund. Band. 1, Leipzig, 278.

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Salzburg gegen Ost liegende Gegenden bieder, den Sitten ihrer Vätter treu, fromm, und, ihrer fleißigen Lektüre in der Bibel ohngeachtet, sehr abergläubisch.«321 Im Gegensatz zu Obrigkeit und Kirche empfand die Landbevölkerung in dem Glauben an magische Kräfte und in der Ausübung magischer Rituale keinerlei Strafhandlung oder Sünde, sondern vielmehr »eine legitime, bewährte, wirksame und sogar gottgefällige Möglichkeit zur aktiven und positiven Beeinflussung der eigenen Lebenswelt.«322 Als »ordnungsstiftendes Hilfssystem«323 der Alltagsbeherrschung konnte die Magie des Volkes Entscheidungs- und Orientierungshilfe liefern, Ängste bannen, Hoffnungen verstärken, ja sämtliche Ereignisse erklären, rechtfertigen und ihnen einen logischen Sinn geben. So wurden je nach Gebiet eigene magische Vorstellungen und Praktiken mit verschiedensten Bezeichnungen ausgebildet. Magie, Aberglauben und Zauberei sind Themen, welche seit jeher die Menschen beschäftigten und in unserer aufgeklärt rationalen Gesellschaft nicht immer auf Verständnis stoßen.324 Der gegenwärtige Forschungsstand erlaubt keineswegs übereinstimmende Bezeichnungen für Aberglauben325, Magie bzw. Volksmagie. Im deutschen Sprachgebrauch trat das Wort »Aberglaube« erst im 15. Jahrhundert auf, die Vorsilbe »aber« bedeutete ursprünglich eine Wiederholung (vgl. heutige Begriffe »abermals«, »abertausend«), der Duden berichtet, dass »aber« früher auch die Richtung auf das Verkehrte hin ausdrückt (Bsp. »Aberglaube«, »Aberwitz«).326 So kann die Frage gestellt werden, ob irgendwann einmal alles, was heute als Aberglaube bezeichnet wird, Glaube war. Der Begriff des Aberglaubens existierte im volkstümlichen Verständnis in seiner eigentlichen Bedeutung keineswegs. Einzig war dieser in einer Bedeutung, die einer kirchlich-religiösen Gegenpartei zugehörte, als kirchlicher oder wissenschaftlich verwendeter Begriff interpretierbar, kann daher ohne zusätzliche Bedeutungsdifferenzierung als wissenschaftlicher Sammelterminus für alle magisch-abergläubischen Erscheinungsformen angewandt werden, welche die Kirche als Aberglauben bezeichnete.327 Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert 321 Spaur, Friedrich Graf (1805). Reise durch Oberdeutschland. Band 2, Passau, 86. 322 Ebd., 15. 323 Labouvie, Eva (1992). Verbotene Künste. Volksmagie und ländlicher Aberglaube in den Dorfgemeinden des Saarraumes (16.–19.Jh.). St. Ingbert, 293. 324 Kippenberg, Hans G./Luchesi, Brigitte (1978). Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens. Frankfurt a. M. 325 Auf die Problematik des Begriffs verweist Hartlaub, Gustav Friedrich (1951). Problematik des Begriffs ›Aberglauben‹ In: Glaube im Abseits. Beitrag zur Erforschung des Aberglaubens. Hrsg. v. Dietz-Rüdiger Moser. Darmstadt, 1992, 13–23. 326 Lindner. Dolf (1990). Aberglaube. Wien, 12. 327 Labouvie, Eva (1992). Verbotene Künste. 81; Unternimmt den m. E. ausgezeichneten Versuch – in Form einer Regionalstudie zu Volksmagie und Aberglauben – einer ersten geschlossenen Mikroanalyse auf Dorfebene für den deutschsprachigen Raum mit dem

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existierte auch der Begriff Magie, sozusagen als Oberbegriff für die schwarze bzw. weiße Kunst und beinhaltete zum einen die Glaubensformen, d. h. den Glauben an die Wahrnehmung und Wirkung naturgesetzlicher unerklärlicher Kräfte, zum anderen ein daraus resultierendes Bedeutungs- und Handlungssystem. Volksmagie im Sinne von Eva Labouvie (1992) versteht sich, als die Bezeichnung aller »magisch-abergläubischen« Vorstellungs-, Bedeutungs- und Handlungseinheiten in ihren variablen Ausprägungen, welche »alle im ländlichgemeindlichen Bereich anzutreffenden unspektakulären und spektakulären, alltäglichen und speziellen magischen, aber auch alle von der Kirche als abergläubisch bezeichneten Erscheinungsformen«328 umfasst. Als volksmagische Elemente waren eine Vielzahl unsystematischer, traditionell überlieferter Einzelerscheinungen zu verstehen, deren Voraussetzung darin bestand, dass ein Glaube an die Wirksamkeit gesetzmäßig ablaufender und sich wiederholender Prozesse, d. h. die Kenntnis von Ritualen, Formeln, kollektiven Übereinkünften bestand.329 Glaube, interpretiert als »inneres Wissen«, ein inneres Erkennen der Wahrheit und Wirklichkeit, welches nicht auf Beweise beruht, kann als bestimmender Faktor in der traditionellen Heilkunde angesehen werden. Auch Paracelsus wies darauf hin, dass die Vorstellung die Ursache vieler Krankheiten ist, der Glaube allerdings die Heilung aller Krankheiten bewirke. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unterschiedliche, einem ständigen Wandel unterliegende Magiebereiche existierten: »Alltagsmagie« und »Spezialistenmagie«, Hilfs-, Heil-, Schutzund Abwehrzauber sowie christlich-heidnische Magiepraktiken, individuelle Magiepraktiken und kollektive magische Bräuche und Feste330, Volksmagie und »Magie der Kirche«.331 Sämtliche Formen aus dem Repertoire ländlicher Magie wie Heil-, Hilfs-, Abwehr- und Schadenzauber sowie christlich geprägte Magiepraktiken finden sich in handgeschriebenen Heil- und Zauberspruchbüchern, die höchstwahrscheinlich im »Beschwerdefall« dem alltäglichen Gebrauch gedient haben.332

328 329 330 331 332

Schwerpunkt die Handlungs-, Wahrnehmungs- und Deutungsebene aus der Sicht der frühneuzeitlichen Landbevölkerung. Ebd., 81. Malinowski, Bronislaw (1978). Die Kunst der Magie und die Macht des Glaubens. In: Magie und Religion: Beitrag zu einer Theorie der Magie. Hrsg. v. Leander Petzoldt, Darmstadt, 84– 109. Gelegenheitsreden für das Landvolk. Vom Aberglauben beym Kirchweihfest neunte Predigt. 5. Sammlung. Salzburg 1791. Ebd., 13; Institut für Europäische Ethnologie/Volkskunde der Universität Innsbruck. Magie im Volksleben. Ausstellung v. 28. Nov. 1985–31. Jänner 1986. Sympathie- und Hausmittel (ca. 2. Hälfte 17. Jh., 302 S.); Heil und Zaubersprüche, Hausmittel etc. (Anf. 17. Jh., 37 S); Etliche Hauß Mitl oder Arzteney für unterschiedliche gebrechen. Sehr nuzlich zu gebrauchen. (1.Häflte 18. Jh., 157 S.) Vermerk Bl.1: Maria Barbara Ainhirnin – vermutl auch von ihr geschrieben; usw.

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Beispielhaft für den Inhalt dieser Werke, die sich mehr oder weniger umfangreich gestalten bzw. mehr oder weniger auf einzelne Themenbereiche beschränken, sei hier das 244 umfassende Werk der SYMPATHIE- UND HAUSMITTEL333 aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erwähnt. Charakteristische Merkmale dieser Schrift sind die Beschreibung von Heilmitteln und Heilverfahren für Mensch und Tier (Behandlung von Tierkrankheiten stehen im Vordergrund); allgemeine Ratschläge für eine angemessene Wirtschaftsführung (zum Beispiel Rezepte zum Einkochen und Konservieren, sowie Herstellung von bestimmten Artikeln (wie Tinte, Vertilgungsmittel für Wanzen und »Flech«…); Schutzmittel gegen Gefahren (Feinde, wilde Tiere, verschmutztes Wasser…) und Anleitungen zur Angstbewältigung in gefährlichen Situationen – »Das sich einer bey der nacht und einsamen orth nit fürcht« – es wird ein Gemisch aus Wasser und Menschenblut empfohlen, mit dem das Gesicht beschmiert wird; Glücksmittel für den Arbeitserfolg (guter Handel, genug Ernteertrag, »das ainer gurt glikh zu allen sachen hat«…); Hilfestellung für eine harmonische Kommunikation mit Mitmenschen, insbesondere Werkzeuge für den ehelichen Alltag (»Das man und Weib nicht zwyträchtig werden«; Fruchtbarkeitspraktiken und Potenzmittel (»Die verlohrne Mannhait wieder zubekhommen«, »So ein Mannsbild von einem bößen Weib bezaubert, das er sein Mannheit verlohren, ein gurter Kunst.«) – empfohlen werden dagegen viele Mittel, z. B. bestimmte Kräuter, wie Knabenkraut oder als Handlung z. B. einen Hecht kaufen, ihn unverdorben in ein fließendes Wasser legen und »lasß ihn deinen Urin also fisch maul lauffen und würf ihn in das Wasser«. »Zu erfahren wan ein Weib unfruchtbahr ist, oder der Mangl an Mann oder Weib seye«, sowie allerlei Zaubermittel, vor allem Hexenzauber »Für alle Hexenwerk, und Zauberey der Weiber«, Viehzauber und Abwehrzaubermittel (»So ein Mensch verzaubert ist, und man ihn sonst nit helfen khan«, »Das dein Vieh nit verzaubert wird«, »Das man dich nit bezauber«: »Nimb dein Harmb, würf in 3 mahl ybe dich, und schreih mit bluot und mit harmb bin ich auf die Welt gebohrn, also sey alle zauberey an mir verlohren, im Namen Gott des Vaters, Sohn und H. Geistes, amen.+++.«).

Auffallend ist die Tatsache, dass in den Heil- und Hilfsbüchern alle Lebensbereiche des Menschen gleichwertig dargestellt wurden, die einzelnen Rezepte waren bunt gemischt. So stand ein Zaubermittel, wie beispielsweise Abwehrzauber ganz natürlich neben Rezepten für eine gute Wirtschaftsführung oder Werkzeugen für die Krankenbehandlung. Es existierte nicht die Trennung von Alltag und Magie, beide fließen wechselseitig ineinander ein. Als weiteres Beispiel gilt ein vermutlich Mitte des 18. Jahrhunderts entstandenes Manuskript, das in einer alten Truhe aufgespürt wurde und sich in Pinzgauer Privatbesitz befindet.

333 Sympathie- und Hausmittel. (ca. 2. Hälfte 17. Jh.).

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Die Handschrift beinhaltet ebenfalls hauptsächlich Zauber, um sich oder andere zu helfen, also sogenannte »Weiße Magie«, mit den Schwerpunkten »Schatzheben, Erzfinden und die Edelmetallgewinnung mittels primitiver Scharlatan-Rezepte.«334 Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass Manuskripte dieser Art selten erhalten geblieben sind. Zur Zeit der Niederschrift galt dieses Wissen als verboten, musste vor der Obrigkeit geheim gehalten werden, da dem Verfasser bei Entdeckung ein Gerichtsurteil bzw. die Verbrennung der Schrift drohte. Nora Watteck (1970) berichtet, dass »nicht selten alte, arbeitsunfähige Menschen ihre Geheimnisse an Leichtgläubige verkauften, um als Einleger unterzukommen«335, dabei ihr Wissen aber nur Stück für Stück preisgaben, um die Möglichkeit ihres Aufenthaltes zu verlängern. Betrachten wir nun gesondert den Bereich Magie und Krankenheilung, so standen dem Volk ebenfalls zahlreiche alternative Hilfeleistungssysteme zur Verfügung, zu nennen wäre zum einen der Bereich der Volksfrömmigkeit, das Wallfahrtswesen, die Anrufung von Heiligen und Reliquien, zum anderen die Selbstmedikation oder die Inanspruchnahme von medizinischem Personal. Wesentlich ist, dass die Magie des Volkes in erster Linie eine lebensnahe Handlungslogik darstellte, »deren keineswegs irrationale sondern ›ökonomische‹ Praxis eine lebensweltliche Multifunktionalität erreichte, die nur ausgesprochen langsam ersetzt werde konnte.«336 Die verschiedenen Betrachtungsweisen in Bezug auf Krankheit und Gesundheit sowie die vielen uneinsichtigen bzw. obskuren Heilmittel und Heilmethoden stellen für das gegenwärtige Medizinverständnis oft eine Herausforderung dar.

4.2.2 Segen-Zauber-Sympathie: Krankheitsvorstellungen In der volkstümlichen Vorstellung über Krankheit und Gesundheit waren rationale und irrationale Weltanschauung, empirisches Wissen und mythischer Glaube eng verflochten.337 Es bestand eine deutliche Beziehung zwischen Leben

334 Watteck, Nora (1976). Abergläubisches und Magisches für den Hausgebrauch und zum Erzsuchen. In: MGSL 110 u. 111, 1970 u. 1971, 365; Adler, Margot (1976). Geheimrezepte. In: Kniepass-Schriften 5, 1–12. 335 Ebd., 366. 336 Ebd., 293. 337 Beispielhaft für die ständige Vermischung von Rationalem und Irrationalem für den deutschsprachigen Raum: Aufzeichnungen Fossel, Victor (1886/1983) für die Steiermark; Lammert, Günther (1869/1981) für Bayern Ende 19. Jh.; Hovorka-Kronfeld (1908) Die Vergleichende Volksmedizin.

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und Tod, zwischen Mensch und Natur.338 Das Bild der Krankheiten ergab sich aus den Grundanschauungen des Volksglaubens über das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele. Diese Auffassung kann prinzipiell mit einer gegenwärtigen Anschauung über »Ganzheitsmedizin«, d. h. der Mensch wirkt als Ganzheit im Wechseldialog mit Natur und Kosmos, verglichen werden. Die Beachtung des »natürlichen Lebenskreises«, wie Wärme, Licht, Boden und Umwelt wurde hoch geschätzt. Krankheitsursache war alles, »was außer der Norm« geschah, so zum Beispiel auch Einbildung und Emotion (Liebe, Zorn oder Angst). Die Parallele zur heutigen Lehre der Psychosomatik ist augenfällig. Empfohlen wurde zur Gesundheitserhaltung ein Leben in Maß und Mitte und die Beachtung der diätischen Regeln.339 Doch besaß Gesundheit in der traditionellen Gesellschaft noch nicht den zentralen Stellenwert, der ihr heute beigemessen wird. Krankheit war nicht als natürlicher Schaden oder organischer Ausfall zu sehen, sondern war je nach Weltbild »Strafe der Götter, Rache der Dämonen oder Verlust des Ganzen einer Weltharmonie«.340 So lassen sich zwei spezifische Vorstellungen341 über die Entstehung von Krankheit, welche zum Teil bis heute das Denken der Menschen prägen, unterscheiden: Zum einen existierten »NATÜRLICHE KRANKHEITSVORSTELLUNGEN«. Sie wurden als Störung des Zusammenspiels der Naturkräfte und dem Vorhandensein eines Stoffes im Überfluss interpretiert. Diese Krankheitsauffassung lehnte sich – auf einer Harmonie- und Gleichgewichtslehre beruhend – eng an das antike humoral-pathologische Krankheitskonzept des Hippokrates342 an, welches Teil der zeitgenössischen »gelehrten«, wissenschaftlichen Medizin war und im ausgehenden 18. Jahrhundert im Rahmen der Gesundheitspolitik der Aufklärung an Bedeutung gewann. Das Konzept der Säftelehre charakterisierte sich folgendermaßen: Jeder lebende Körper besteht aus vier Säften: Blut, Schleim, roter und schwarzer Galle, 338 Wörterbuch der Deutschen Volkskunde. Hrsg. v. A. Erich Oswald/Richard Beitl (1973). 3. Aufl. Stuttgart, 901. 339 Pollak, Kurt (1993). Wissen und Weisheit der alten Ärzte. Die Heilkunde der Antike. Düsseldorf, Wien. 340 Hauzenberger, Barbara (1985). Volksmedizin – heute. Ein psychologischer Beitrag zur Verbreitung, Anwendung und Bedeutung volksmedizinischer Heilverfahren. Diss. Salzburg, 24; Vgl. Beitl, Klaus (1978). Volksglaube. Zeugnisse religiöser Volkskunst. Salzburg. Wien 1978; Nemec, Helmut (1976). Zauberzeichen. Magie im volkstümlichen Bereich. Wien, München. 341 Grabner, Elfriede (Hg.) (1967). Volksmedizin. Probleme und Forschungsgeschichte. Darmstadt. 342 Schipperges, Heinrich (1985). Homo patiens. Zur Geschichte des kranken Menschen. München, Zürich, bes. 76–117; Eckert, Wolfgang (1990). Geschichte der Medizin. Berlin, Heidelberg, New York; Ackerknecht, Erwin H. (1989). Geschichte der Medizin. 6. Aufl., Stuttgart.

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welche mit den vier Elementen: Feuer, Wasser, Erde, Luft korrespondieren und die gleichen Qualitäten: Wärme, Trockenheit, Feuchtigkeit, Kälte bilden. Ferner stehen sie in Verbindung mit den Tageszeiten, den Jahreszeiten, den Lebensaltern und den Himmelsrichtungen. Bei jedem Menschen überwiegt – trotz aller Mischung der vier verschiedenen Säfte – von Natur aus ein Saft, welcher seinen Charakter, sein Temperament besonders bestimmt. So entstand aus der Säftelehre die Lehre von den vier Temperamenten: wie Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker.343 Krankheit bedeutet demnach eine gestörte Harmonie, eine ungleichgewichtige schlechte Mischung der Körpersäfte. »Fieber und Entzündung sind dem Volke hier wie anderwärts ein erhitztes Blut, chronische Katarrhe die Verschleimung der Organe, Hautausschläge nur Ablagerungen der Schärfe des Blutes, Gicht und Rheuma wiederum die ›verschossene Galle‹« usw.344 Um Heilung zu erzielen, d. h. eine ausgewogene, harmonische Mischung der Säfte wiederherzustellen, wurde versucht, durch verschiedene Laxiermethoden, wie Blutabnahme und Anwendung von Abführpräparaten auf den Körper reinigend einzuwirken. Besonders hervorzuheben ist die Praktik des Aderlasses, welche für die Menschen von hervorragender Bedeutung war. Spielt der Aderlass in der Gegenwart überhaupt keine Rolle mehr, ja ist dieser aus unserer modernen Medizin völlig verschwunden, wurde die künstliche Öffnung einer Vene durch Venenschnitt und Entnahme einer gewissen Menge Blut bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts geradezu als Allheilmittel angesehen.345 Der Großteil der Bevölkerung schritt »bey allem Wohlbefinden, wenigstens Frühjahrs und Herbsts. Oder auch bey der geringsten Unbäßlichkeit, zu einer Säuberung des Magens und der Gedärme.«346 Der Aderlass wurde folglich nicht nur in jeglichen Krankheitsfalle angewandt, sondern diente auch in Form von regelmäßiger Anwendung propylaktisch der Erhaltung der Gesundheit.

343 Schipperges, Heinrich (1985). Homo patiens, 86f. 344 Fossel, Victor (1983). Volksmedicin und medizinischer Aberglaube in Steiermark. Ein Betrag zur Landeskunde. Unveränderter Nachdruck der Ausgaben von 1886, 2. Aufl. Schaan/ Lichtenstein, 12. 345 Ebd., 446–453. 346 Etwas über den Missbrauch der Brech- und Purgiermittel. In: KMW 1802, 649.

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Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

4.2.3 Exkurs: Klösterliche Heilbräuche wie »Einnemmen« und »Adlassen« Ein Apothekerbuch347 der Benediktiner in Salzburg aus dem 17. Jahrhundert gibt Einblick in die alljährliche Praktik des Frühjahr- und Herbstaderlasses im Kloster Nonnberg. Auch in den Rechnungsbüchern ab 1590 war sehr häufig vom Aderlassen die Rede.348 Ferner ist bis heute ein sogenannter Aderlasssaltar in der Abtei erhalten geblieben. Ein spezieller Ablauf, durchgeführt in der klostereigenen Aderlassstube, charakterisierte die Zeremonie des Frühlingsaderlasses. Es handelte sich wahrscheinlich um Ausführungsbestimmungen der Reformpunkte, welche die Äbtissin Eva Maria Fleisch von Lerchenberg im Zuge der Einführung der Reformen des Trienter Konziles im Jahre 1626 bezüglich Schröpfens und regelmäßigen Aderlasses getroffen hatte. »Kurze Erinnerung, was ain Frau Kranckenmaisterin bey denen gemainen Verordnungen des Einnemmen und Adlassen zu mörckhen, und hervor zu richten hat, als nemblich bey der Frielings Verordnung.«349 Zum ersten wurden sehr ausführliche Vorbereitungen zum Aderlass vorgenommen. Die Apothekerin bestellte den Doktor »zur gemainen Verordnung«350, Arzt und heilkundige Schwestern führten die Heilhandlungen durchaus gemeinsam und in ergänzender Weise aus. Die Krankenmeisterin stellte die Liste der Frauen und Schwestern auf, die in Behandlung kamen. Küche und Apotheke wurden verständigt, wieviel Personen beim »Einnehmen« und beim »Aderlassen« teilnahmen. Angeordnet wurde ferner der allgemeine Einnehmetag und Rasttag. In der Aderlassstube wurden indessen alle Gebrauchsartikel säuberlichst verteilt: ein Becken, Messer, Schwämme, Verbandszeug. Auch der Altar mit liturgischen Büchern, Nachfolge Christi351, Leuchten und Kerzen sowie Weihwasser waren vorhanden. Die Krankenwärterin vollzog die letzten Vorbereitungen: »nachmittag richt sie zum blurdt schneiden also zur, sie yberdeckt den tisch mit einen weissen adlas durch, nur dasjenig orth wo d. herr doctor zusitzen pfleget, legt das hilzerne deller, das aigen dazurgeherig Messer darzur, das zünnerne Pöckhl aus d fr:stube, und einigmassen schwamb von Pad od gsell darein, zum handt abwischen,

347 Archiv der Benediktiner-Abtei Nonnberg in Salzburg. Auszug aus dem Apothekerbuch Nr. 4 VI 138 I f. 348 Ebd., Apothekerrechnungen 1661–1810, 5, 94 Ga. 349 Archiv der Benediktiner-Abtei Nonnberg in Salzburg. Auszug aus dem Apothekerbuch Nr. 4 VI 138 I f. 350 Ebd. 351 Es handelt sich dabei wohl um das Werk Thomas v. Kempten. Imitatio Christi.

Hilfssysteme magischer und religiöser Art

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den zünnern, schreizeig, ain fäder, und die armb Packh mit der Blurdt richt sie alles auf den tisch heraus.«352

Aderlasserinnen durften nicht »einnehmen« und bekamen ein separates Essen, nämlich eine »gesodtne henn und spinat.«353 Für alle Fälle wurde Anis-Branntwein aus der Apotheke bereitgehalten. Für das Einnehmen selbst standen Tigeln, hölzerne Löffel zum Arzneipräparieren, Schüsseln mit Gewürzen und auch Löffel zum Suppenessen zur Verfügung. Am Vortag des allgemeinen Einnehmtages musste die Krankenmeisterin den Frauen die Arzneien, sogenannte »Pillerl«, aus der Klosterapotheke verabreichen. Die vorzüglich ausgestattete Apotheke hatte nicht nur die Versorgung der Frauen und Schwestern, sondern auch die der Zöglinge des Stiftes, seiner zahlreichen Bediensteten, Untertanen und Armen zu vollziehen. Zum Aderlass kamen auch Gäste, und es kann angenommen werden, dass medizinische Behandlungen nicht nur zur Selbstversorgung durchgeführt, sondern durchaus auch dem »gemeinen Volk« zur Verfügung gestellt wurden.354 Drei Schnitten mit Zucker und Zimt erhielten nach erfolgter Arzneiverabreichung am »Einnehmetag« nicht nur die Schwestern, sondern auch Aderlasserinnen und Gäste. Zudem wurde zweimal am Tag ein »Trunk«, vermutlich Purgierwein355 verabreicht, worauf eine Suppe oder Brei folgte. Es galt als allgemeiner Brauch, »das in frieling alzeit, es werde hernach Vor, od nach der löss einbracht, das ayr in schmalz in der frue zu den suppen soll gegeben werden.«356 Auf den allgemeinen Einnehmetag folgen vier Rasttage zur Regeneration. Der Aderlass wurde jedoch nicht nur von einem Arzt vorgenommen, sondern auch von der Krankenmeisterin selbst. Bereits 1626 hatte die Äbtissin Eva Maria Fleisch in zuvor erwähnter Reform genaue Bestimmungen über Tätigkeit und Ausbildung im heilkundlichen Bereich getroffen und verlangt, dass eine Frau aus dem Konvent die Verrichtungen des Schröpfens und den regelmäßigen Aderlass erlerne. Neben einer Funktionsaufteilung der Krankenmeisterin und der Apothekerin kam es aber auch vor, dass beide Ämter von ein und derselben Person ausgeübt wurden. Die Praktik des »Einnehmen« und »Aderlassen« wurde bis zum Verbot durch die Salzburger Medizinalreform zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfolgreich durchgeführt. Neben den rationalen Anschauungen spielten für die Heilung der Menschen die bereits erwähnten »MAGISCHEN KRANKHEITSVORSTELLUGNEN« eine

352 Archiv der Benediktiner-Abtei Nonnberg in Salzburg. Auszug aus dem Apothekerbuch Nr. 4 VI 138 I f. 353 Ebd. 354 Ebd. 355 Es handelt sich dabei um ein Getränk mit verdauungsfördernder, abführender Wirkung 356 Archiv der Benediktiner-Abtei Nonnberg in Salzburg. Auszug aus dem Apothekerbuch Nr. 4 VI 138 I f.

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Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

bedeutende Rolle.357 Die Entstehung einer Krankheit wurde als ein Fügung des göttlichen Willens verstanden oder auf übernatürliche Kräfte (Geister, Dämonen) zurückgeführt. Magische und religiöse Elemente wurden in der Volksmedizin durch den Einfluss des Christentums stark vermischt. Heidnischer Abwehrzauber und christliche Gottesverehrung existierten erstaunlicherweise widerspruchsfrei nebeneinander.358 Der Glaube an Wunderheilungen sowie die Anbetung übernatürlicher Wesen wie Heilige, Engel und Schutzpatrone stellten für den Patienten eine Hilfe dar, die Krankheit zu akzeptieren bzw. zu überwinden. In allen Kulturen ist der Versuch zu finden, sich durch Unterwerfung, Bitte um Gnade, Darbringung von Opfern, durch Austreibung oder Beschwörung von Krankheit fernzuhalten. Dahinter stand der alte Glaube an das Anhexen und Bezaubern von Krankheiten359, sowie die »Vorstellung vom dämonischen Wesen der Krankheit, welche, wie die Gicht, Fallsucht, Wechselfieber geisterartig in den Lüften umherschweben, Menschen und Vieh unversehens anfliegen, anpakken, anfallen.«360 Die Annahme von personifizierter Krankheit und Krankheitsdämon sowie die Vermutung, Krankheit sei eine Art Kraft, die vom Körper des Patienten direkt auf andere Gegenstände der Natur übertragbar wäre361, zeigt sich in der Handlungsweise einer Volksheilerin, dem sogenannten »Kerzelweib«, die »heilige Hausmittel« besonderer Art zur Verfügung hatte, die folgendermaßen aussahen: »Es sind lauter heilige Patronen für alle Gattungen Unglücksfälle und Krankheiten. Für einen jeden Unglücksfall, für eine jede Krankheit, ja für ein jedes Anliegen, und für einen jeden Wunsch, den der Mensch machen kann, habe ich einen heiligen Patron. Von jedem Bilde habe ich auch etwelche Abdrücke, wovon ein Abdruck an der Wand hanget, die anderen Abdrücke aber immer in der Lade aufbewahret sind, damit ich meinem bedrangten Nebenmenschen ein solches Bild auf den schadhaften Theil, oder wenn er sonst ein Anliegen hat, auf das Herz legen kann, damit ihm um das Herz herum leichter wird.«362

357 Burke, Peter (1987). Städtische Kultur in Italien zwischen Hochrenaissance und Barock. Eine historische Anthropologie. Berlin, bes. Kap. Quacksalber, weise Frauen, Scharlatane – Heilrituale, 170–184. 358 Grabner, Elfriede (1987). Magie und Heilglaube in einem oberösterr. Wund-Segen-Büchelein des 18. Jh.: Handschriftliches Wund-Segen-Büchelein aus Oberösterreich. mit einer Mischung von christl. Gebeten und Symbolen mit Heilsegen, mag. Buchstabenreihen und kreisförmigen Siegeln. In: ÖZfV 90, 105–125; Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit. München, Zürich, 48. 359 Busch, Moritz (1877). Deutscher Volksglaube. 2. Aufl. Leipzig. 360 Lammert, Günther (1981). Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken. Neudruck der Ausgabe Würzburg 1869, Regensburg, 82. 361 Grabner, Elfriede (1985). Grundzüge einer ostalpinen Volksmedizin. Wien. 362 Das Kerzelweib. In: Die Heiligen nach den Volksbegriffen, Band. 4, 2. Aufl. Leipzig 1792, 12.

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Zum Charakteristikum bäuerlicher Volksfrömmigkeit gehörte ein bedeutender »Naturglaube«, welcher ebenfalls mit Anrufungen, Beschwörungen, Versprechungen und Opfern verbunden war. Auffallend war ferner die Schicksalsgläubigkeit der Menschen, die so manche Heilbehandlung vernachlässigten, da die Meinung bestand: »Ist meine Sterbstund vorhanden / so werden alle Arzneyen umsonst / und vergeblich angewendet / massen für den Tod kein Kraut gewachsen. Ist die Sterbstund aber noch nicht herzu kommen / so muß / und wird die antringende Kranckhit für sich selbsten hindan weichen / die Gesundheit sich widerumb einstellen.«363

Dieser Fatalismus gegenüber Krankheiten begründete das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber fremden Ärzten und Arzneien und die Neigung, »himmlischen Fürsprechern, ortsbekannten Heilkundigen und bewährten Hausmitteln«364 zu vertrauen. Grundsätzlich waren die philosophischen und medizinischen Anschauungen äußerst komplex und geben nicht nur eine Erklärung für den beinahe unüberschaubaren Bereich des medizinischen Handelns und die Herausbildung spezifischer Heiler/-innenfiguren, sondern liefern auch das Verständnis für den Gesamtaufbau des »traditionellen Heilsystems«.

4.3

»Alles kurirte und doktorte vormals ungescheut, in- und außerhalb der Hauptstadt«365 – Das Heilpersonal und seine Bedeutung

4.3.1 Der »öffentliche« Gesundheitsmarkt: Vom »Geprüften« zum »Ungeprüften« und wer sich »dazwischen« befand. Die Abgeordneten des approbierten Medizinalpersonals setzten sich aus den vier Gruppen Ärzte, Apotheker, Wundärzte und Hebammen zusammen, wobei die beiden letzteren exakter einer Zwischenposition von geprüften und ungeprüften zuzuordnen waren. Das Wesensmerkmal dieser approbierten Schicht war, dass sie sich mit staatlicher Zustimmung heilkundlich betätigten und bestimmten Beschränkungen unterworfen waren. An der Spitze der Heilhierarchie fanden sich – seit dem Übergang der Ausübung der Heilkunde von den Mönchsärzten auf weltliche Heiler im Hochmittelalter – die wissenschaftlich an einer Universität ausgebildeten Ärzte, welche 363 Heylsame Hauß=Apotecken / Bestehend in allerhand sicheren / guten und bewährten / auch hochgelehrten Herren Medicis gutgeheissenen Arzney=Mitteln (…). Ansprugg 1714, 3. 364 Wimmer, Johannes (1991). Gesundheit, Krankheit und Tod im Zeitalter der Aufklärung, 105. 365 Felner, Josef (1802). Rede bei Eröffnung der ordentlichen Sitzungen im medizinischen Colegio zu Salzburg am 9ten Weinmonats. In: Salz. Lit. 3, H 10, 1802, 71.

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Die traditionelle medikale Kultur des »gemeinen Volkes« – Bestandaufnahme

schon früh Aufsichtsfunktionen über andere Heilberufe erlangten.366 Zum Großteil verstanden sich diese Ärzte lange Zeit als Buchgelehrte und betrieben ausschließlich die »unblutige« innerliche Medizin, während sie die chirurgischen Verrichtungen den Badern, Barbieren und Wundärzten überließen. Die Reintegration der Chirurgie in die akademische Medizin wurde erst am Beginn des 19. Jahrhunderts eingeleitet. Um 1800 befassten sich die Ärzte fast ausschließlich mit der inneren Medizin,367 die therapeutische Tätigkeit lag hauptsächlich in der Verschreibung innerlich anzuwendender Arzneimittel, und dies war, wie bereits beschrieben, vielfach ein schwieriges Unterfangen. Die zahlenmäßige Vertretung der Ärzteschaft war auch in Salzburg äußerst gering, vor allem für das Landvolk nahm der akademische Mediziner eine unwesentliche Rolle ein. Er besaß zum einen nicht die soziale Vernetzung im Ort und dadurch den Vertrauensstatus. Zudem war die weite Anreise, wie ein Bericht aus dem Pfleggericht St. Johann zeigt, oft nur erschwert bzw. manchmal gar nicht möglich. »So ganz vernachlässigt scheint doch die innere Verfassung jener Zufluchtsörter der leidenden Menschheit zu seyn. Sie genießen nur der Hülfe sehr schlecht unterrichteter Bader oder Chirurgen, die meistens Pfuscher oder Carlatans sind, und der nächste Arzt muss im Sommer aus dem 10 Stunden davon entfernten Gastein oder im Winter von Radstadt her geholt werden.«368

Zum anderen waren die hohen Honorare der Ärzte für die Durchschnittsbevölkerung, die ihr Leben oft so recht und schlecht fristete, nicht zu bezahlen. Das Beispiel eines Mirakelberichtes aus Maria Kirchental, in dem die Eltern, nachdem sich ein 4jähriges Kind den Augapfel verletzte, Maria in Kirchental anriefen, weil sie die nötigen Mittel, mit Arznei zu helfen, nicht besaßen369, stellt sicher keinen Sonderfall dar. Betrachten wir die Gewichtung der Apotheker für die Landbevölkerung, so hatte auch diese keine allzu große Bedeutung. Folgten die Apotheker zwar vom Status her in der Hierarchieleiter den akademischen Ärzten, war die praktische Situation der Apotheken im Salzburger Gebiet nicht gerade rosig. In der

366 Standardwerke der Medizingeschichte, z. Bsp. Ackerknecht, Erwin H. (1989). Geschichte der Medizin. 6.Aufl. Stuttgart; Fischer-Homberger, Esther (1975). Geschichte der Medizin. Berlin. 367 Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme medizinischer Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert. Diss. München, 158. 368 Spaur, Friedrich Graf (1800). Reise durch Oberdeutschland. In: Briefe an einen vertrauten Freund, Band 1, Salzburg, 127. 369 Vgl. Mirakelberichte von Maria Kirchental, 32.

»Alles kurirte und doktorte vormals ungescheut, in- und außerhalb der Hauptstadt«

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Hauptstadt existierten drei Apotheken.370 Im ländlichen Bereich gab es je eine Apotheke in Mühldorf und in Radstadt. Insgesamt versahen sechs ausgebildete Apotheker ihren Dienst.371 Im Unterschied zu den fahrenden und sonstigen Arzneihändlern, die ihre Berechtigung im empirischen Wissen in der Pflanzenund Arzneikunde begründeten, verfügten Apotheker über eine Lehre, Kenntnisse in der lateinischen Sprache, Prüfungen durch Amtsärzte und oft wissenschaftliche Studien an Universitäten.372 Als Vertreter der sogenannten »Übergangs- bzw. Überlappungspositionen« der gesetzlichen bzw. ungesetzlichen medizinischen Anbieter sind zu nennen: der Wundarzt bzw. Baderchirurg – diese waren zumeist reguläre und für die chirurgische Behandlung legalisierte professionelle Heiler; sozusagen die »eigentliche reguläre Heilerinstanz für den gemeinen Mann«373 –, die Hebamme, sowie die »laienmäßig« und handwerklich ausgebildeten fahrenden Heiler/-innen, welche in beiden medikalen Bereichen, je nachdem ob sie eine obrigkeitliche Bewilligung besaßen oder nicht, beheimatet sein konnten. Unter dem Begriff »Laienheilkundige« bzw. »Heilhilfspersonal« – hier ganz allgemein als »Heiler/-innen« bezeichnet – werden schließlich alle Heiltätigen zusammengefasst, die über keinerlei öffentlich anerkannte Ausbildung verfügten, jedoch großen Einfluss in der Bevölkerung besaßen. Als Differenzierungsmerkmal dieser Gruppe zum akademischen Personal galt jedoch nicht, wie bereits erwähnt, die konkrete medizinische Praxis, sondern die Weltanschauung bzw. Geisteshaltung. War in der Selbsteinschätzung der »Gelehrten Mediziner« das rationale, wissenschaftlich-abstrakte Element entscheidend, so wurden nach der Auffassung der Volksmedizin Einflüsse guter und böser Mächte in die therapeutischen Vorstellungen einbezogen, welche für die Menschen durch die volksnahen konkreten Anschauungsweisen bei der Bewältigung der individuellen Krankheitsbedrohung zumeist zweckdienlich erschienen.374

370 Die Hofapotheke seit 1591, die Landschafts- und Stadtapotheke in der Getreidegasse seit 1608, die Apotheke im St.-Johanns-Spital – auf eine Stiftung Erzbischofs Schrattenbach zurückgehend, 1805 erhielt die Neustadt in der Linzergasse eine eigene Apotheke. In: Ganzinger, Kurt (1950). Zur Geschichte des Apothekenwesens in Stadt und Land Salzburg. Eutin, 22. 371 Weiss, Alfred Stefan (1993). »Providum imperium felix«. Glücklich ist eine voraussehende Regierung: Aspekte der Sozialfürsorge im Zeitalter der Aufklärung dargestellt anhand Salzburger Quellen (ca. 1770–1803). Diss. Salzburg, 291. 372 750 Jahre Apothekerberuf – vom Kräuterkundigen zum Arzneimittelexperten. In: 650 Jahre Kartause Gaming. Vielfalt des Heilens. Ganzheitsmedizin. Hrsg.v. Walter Hildebrand, 349– 353. 373 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 48. 374 Ebd.

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4.3.2 Wirksamkeit und Wertschätzung – der medizinische Instanzenweg Neben den offiziellen Medizinalvertretern gab es also eine medizinische Kultur, der ein hoher Stellenwert eingeräumt werden muss, da sie für sich ein abgeschlossenes, weit gefächertes Gesundheitssystem darstellte. Generell kann davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft in der Zeit der Aufklärung zu fast einem Viertel aus unterbürgerlichen und unterbäuerlichen Existenzen mit einem hohen Armutspotential bestand.375 Wie Christian Probst (1992) aufzeigt, hat sich bis zum 16. und 17. Jahrhundert eine »ständisch gestufte Ordnung des Anbietens und Annehmens heilkundlicher Dienste herausgebildet«.376 Diese Schichtung von Angebot und Annahme heilkundlicher Dienste377 war auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorzufinden. Hofhaltungen, Adel, die hohe Geistlichkeit sowie das wohlhabende Stadtbürgertum, also Kreise, die in irgendeiner Weise an der Herrschaft beteiligt waren, insgesamt jedoch nicht einmal ein Zehntel der Gesamtbevölkerung umfassten, erhielten ihre medizinische Versorgung durch die Physici, die wenigen akademisch gebildeten Hof- und Stadtärzte. Eine medizinische Selbstbildung gab es ferner unter den Frauen aus diesen Kreisen. Gleichfalls nahmen das »mittlere Bürgertum« mit den Handwerksmeistern, der niederen Geistlichkeit und den größeren Bauern akademische Ärzte, vor allem aber handwerkliche Wundärzte und Landbader in Anspruch. Heilkundliche Kenntnisse erwarben sich hier Hausmütter und Hausväter zumeist anhand medizinsicher Literatur. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung zählten zu den Unterschichten, welche im Krankheitsfall, je nach Lage der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel entweder die Handwerkschirurgen und Landbader oder »Heil/-innen«, hauptsächlich jedoch die Ratschläge der in der Familie überlieferten Erfahrungen und Kenntnisse in Anspruch nahmen.378 Natürlich darf dieses Modell nicht zu eng gesehen werden, verständlicherweise gab es im medikalen Verhalten dieser Schichten vielfältige Überschneidungen.379 Betrachten wir also in einer Gegenüberstellung die professionelle Gelehrtenmedizin und die Volksmedizin unter schichtspezifischen Merkmalen, so fällt auf, dass letztere die eigentliche Bedeutung im traditionellen Medizinsystem einnahm. Aus der Sicht der Medizinalreformer wurde diese Tatsache folgendermaßen dargestellt: 375 Asche, Susanne u. a.(1992). Karlsruher Frauen. 1715–1945. Eine Stadtgeschichte. Karlsruhe, 61. 376 Probst, Christian (1992) Fahrende Heiler, 43; Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler, 17–19. 377 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 44. 378 Ebd., 43; Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler, 19–32; Stolberg, Michael. Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung, 87–108. 379 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 44.

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»Es ist eine traurige Wahrheit, die sich durch die beinahe tägliche Erfahrung bestätiget, daß gerade die hilfsbedürftigsten Menschenklassen oft den ungeschicktesten Händen und den unwissendsten und unerfahrensten Quacksalbern und Quacksalberinnen überlassen werden.«380 »In Krankheiten nahm man daher nicht zu natürlichen, sondern zu übernatürlichen Mitteln seine Zuflucht. Man fragte Priester, alte Weiber, Gaukler, Scharfrichter und andere Menschen um Rath, nur Aerzte nicht.«381

Wenden wir nun den Blick auf den sogenannten MEDIZINISCHEN INSTANZENWEG, nach welchem Stolberg (1986) die Heilkundigen unterhalb der Ebene der akademischen Ärzte und Apotheker, welche im ganzen Lande zur Verfügung standen, nach Herkunft, Fertig- und Tätigkeit in Gattungen einteilt; und gehen wir der Frage nach, auf welche Weise sich hilfsbedürftige Kranke aus dem Volk gemäß einem vermuteten Instanzenzug an einzelne Heilkundige wandten,382 so wird die Bedeutung und Wirksamkeit der Frauen im »traditionellen Heilsystem« sichtbar. Denn am Anfang stand die Selbstbehandlung im Kreis der Hausgemeinschaft, wobei die Haupttätigkeit eindeutig dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen war. Auf die Selbstbehandlung folgten »heilkundige Personen« aus der Nachbarschaft oder auch ein/e örtliche/r Heiltätige/r. Die notwendigen Arzneien wurden selbständig zubereitet oder von fahrenden Arzneikrämern bezogen. Zu dieser Kategorie zählten außerdem die Hebammen, welche vorrangig für die Heilung von Kinderkrankheiten und Frauenleiden zuständig waren. Der Übergang von Selbst- und Nachbarschaftshilfe durch »alte Weiber« oder »weise Frauen«, ausgebildeten Geburtshelferinnen oder Winkelhebammen zu den Ortsheilkundigen war fließend.383 Gestatteten es die Vermögensverhältnisse, folgte als dritte Instanz der handwerkliche Bader-Chirurg oder der spezialisierte fahrende Operateur.384 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass, wie Forschungen aus anderen Ländern, wie beispielsweise England und Frankreich, bestätigen, die Volksheilkunde für die Versorgung der Menschen im Vergleich zur professionellen Medizin eine viel größere Rolle gespielt hat, als bisher angenommen.385

380 IS 8, 28. Jänner 1792, 50. 381 Vierthaler, Michael (1799). Reisen durch Salzburg. Salzburg, 170. 382 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 45f; Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. 126–193; Jütte, Robert (1991). Ärzte, Heiler. 383 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 46. 384 Ebd., 46; Stolberg, Michael (1986) Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung, 126–193. 385 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 44; Ramsey, Matthew (1988). Professional and popular medicine in France 1770–1830. The social world of medical practice. Cambridge; Porter, Roy (1989). Health for Sale. Quackery in England 1660–1850. Manchester.

5

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

»Geschichtsdidaktik erhebt die je gegenwärtigen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse nach historischem Wissen, ermöglicht historisches Denken und organisiert die entsprechenden Lern- und Vermittlungsprozesse. (…) Als Wissenschaft ist Geschichtsdidaktik diejenige Disziplin, die historisches Denken und das an geschichtlichen Prinzipien orientierte Handeln als schrittweise erworbene und erwerbbare Kompetenz in ihrer Genese untersucht und die Voraussetzungen und Bedingungen ihrer Erwerbbarkeit angeben kann. Geschichtsdidaktik ist damit als Reflexion auf das historische Denken und das Handeln in Geschichte gerichtet. Sie ist inzwischen eine institutionelle Reflexionsform historischen Denkens.«386

Die Geschichtsdidaktik kann als relativ junge Disziplin, welche sich seit den 1950er und 1960er Jahren der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbewusstsein und dessen Erscheinungsformen, Entwicklung und Förderung sowie dem historischen Lernen widmet, verstanden werden. Als Aufgaben der Geschichtsdidaktik stehen die empirische Erforschung geschichtsdidaktischer Fragestellungen im Bereich Schule, Gesellschaft, Medien, sowie die Vermittlung und Rezeption von Geschichte und Fragen von Erinnerung und Geschichtskultur, im Zentrum. Im Folgenden werden wesentliche Bausteine des historischen Lernens in Grundzügen dargestellt. Dazu werden erstens die narrativistische Geschichtstheorie erörtert sowie zweitens die Begriffe »Geschichtsbewusstsein« und »Geschichtskultur« diskutiert. Zudem erfolgt eine Auseinandersetzung mit historischen Bildungsprozessen und den Kategorien des Geschichtsbewusstseins. Im Fokus stehen drittens zentrale Bildungsziele und geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle. Darüber hinaus werden viertens die Subjektorientierte Geschichtsdidaktik sowie fünftens das Konzeptuelle Lernen erläutert. Abschließend wird die Methode der Bildquellenuntersuchung anhand Quellen und

386 Pandel, Hans-Jürgen (2017). Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis (Forum Historisches Lernen). 2. Aufl. (1. Aufl. 2013), Schwalbach/Ts, 21. Portal: Geschichtsdidaktik – LernWerkstatt Geschichte (uni-hannover.de).

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Darstellungen aus dem Themenbereich »Medikale Kultur« und »Gesundheitspolitik« als Medium der Kompetenzdiagnostik vorgestellt.

5.1

Narrativistische Geschichtstheorie

In den Kulturwissenschaften nehmen Narrative und Erzählungen seit vielen Jahren eine große Bedeutung ein. Die Narration ist nach dem Ende der »großen Erzählungen« zu einer kulturwissenschaftlichen Leitkategorie in unterschiedlichen Bereichen angewachsen.387 Der Begriff Narrativ wird seit den 1990er Jahren als Bezeichnung einer sinnstiftenden Erzählung verstanden, welche Einfluss auf die Art hat, wie die Umwelt in Bezug auf Werte und Emotionen wahrgenommen wird. Grundsätzlich handelt es sich bei Narrativen um etablierte deutende Erzählungen, die mit Legitimität versehen sind.388 Seit den 2000er Jahren werden erzähltheoretische Versuche unternommen, den Begriff des Narrativs zu definieren. Wolfgang Müller-Funk grenzt den Begriff Narrativ von den Begriffen Erzählung und Narration ab. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler versteht unter Narrativ eine »theoretisch strenger gefaßte Kategorie, die auf das Muster abzielt.«389 Bei der Erzählung handelt es sich um einen »vorläufigen Begriff in einem formal unproblematisierten Allerweltssinn«390 und Narration umfasst einen »Terminus, der den Akt und das Prozessuale miteinschließt und exakter ist als jener der Erzählung, die im Deutschen sowohl die Narration wie das Narrativ einschließe«391.

387 Narratologische Ansätze in Überblicken in den Sammelbänden: Herman, David u. a. (Hg.) (2005). Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London/New York; Höcker, Arne/ Moser, Jeannie/Weber, Philippe (Hg.) (2006). Wissen. Erzählen. Narrative der Humanwissenschaften. Bielefeld; Herman, David. (Hg.) (2007). The Cambridge Companion to Narrative. Cambridge; Kindt, Tom/Müller, Hans-Harald (Hg.) (2003). What Is Narratology? Questions and Answers Regarding the Status of a Theory. Berlin/New York; Hühn, Peter/ Pier, John/Schmid, Wolf/Schönert, Jörg (Hg.) (2009). Handbook of Narratology. Berlin/New York; Heinen, Sandra/ Sommer, Roy. (Hg.) (2009). Narratology in the Age of Cross-Disciplinary Narrative Research. Berlin/New York; Strohmaier, Alexandra (Hg.) (2013). Kultur – Wissen – Narration. Perspektiven transdisziplinärer Erzählforschung für die Kulturwissenschaften. Bielefeld. 388 Seibl, Wolfgang (2009). Hegemoniale Semantiken und radikale Gegennarrative. Beitrag zum Arbeitsgespräch des Kulturwissenschaftlichen Kollegs Konstanz. Uni Konstanz, 22. Januar 2009. 389 Müller-Funk, Wolfgang (2007). Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung. 2. Aufl. Wien/New York, 15. 390 Ebd. 391 Ebd.

Narrativistische Geschichtstheorie

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Erzählen, im Verständnis einer grundlegenden Form des Weltzugangs steht auch für die Geschichtswissenschaft im Zentrum.392 In der Konsequenz der narrativistischen Geschichtstheorie, die als Grundlage aktueller Geschichtsdidaktik Gültigkeit hat, fokussiert historisches Lernen darauf, zu historischem Denken, also zur eigenständigen und verantwortlichen Orientierung in der Zeit, zu befähigen. Als narrativistische Geschichtstheorie kann das Ergebnis wissenschaftsphilosophischer und fachdidaktischer Reflexionen und Forschungen zur Funktion von Geschichte für das Leben der Individuen und menschlicher Gesellschaften sowie »zu Bedingungen und Möglichkeiten, Prinzipien und Verfahren historischer Erkenntnis und zu den Formen und Funktionen historischen Wissens, verstanden werden«393. Die erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen wurden dabei von der Analytischen Philosophie der Disziplin Geschichtswissenschaft, »vornehmlich in der Variante von Arthur C. Danto (1965; USA), Paul Ricoeur (1988/1983; Frankreich), Hans-Michael Baumgartner (1975, 1997) und Jörn Rüsen (1982, 1983, 1989, 1994, 2008, 2013; jeweils (Deutschland)«394 herausgearbeitet. Die Funktion von Geschichte für Individuen und Gesellschaften wurde in der zeitlichen Orientierung lebensweltlicher Identitäten und Handlungen identifiziert. Von Danto (1965) werden drei Ebenen der geschehenen Geschichte aufgestellt und die referierte und die dargestellte Geschichte in einer bestimmten Weise zueinander in Beziehung gesetzt. Die Kritik der Historiker/-innen an der Unvollkommenheit und Unvollständigkeit ihrer Quellen, der referierten Geschichte ist Ausgangspunkt der Überlegungen Dantos (1965). Mit dem Gedankenexperiment des »idealen Chronisten« wird die Geschichtsschreibung, »die aus der narrativen Organisation vergangener Ereignisse in temporalen Strukturen besteht«395 als Hauptaufgabe der Historiker/-innen dargestellt. Dabei wird die Quellenarbeit als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Definition der Tätigkeit angeführt. Durch das Spezifikum »Narrativität« ist die Unterscheidung der Geschichtswissenschaft von den systematisierenden Sozialwissenschaften gegeben. »Aus den Quellen, der referierten Geschichte entsteht unter Zuhilfenahme der Basistheorien Geschichtsschreibung, dargestellte Geschichte.«396 Bei den Basistheorien handelt es sich um Grundorientierungen der Beschäftigung mit Geschichte. Im Zuge der Entwicklung der narrativistischen Geschichtstheorie erfolgt die Unterscheidung zwischen Vergangenheit und Geschichte. Der Begriff Vergangenheit wird für die 392 Supe, Achim/Wiedemann, Felix. Narration und Narratologie. Erzähltheorien in der Geschichtswissenschaft Version: 1.0. In: Docupedia-Zeitgeschichte, 28. 1. 2015, URL: http://do cupedia.de/zg/Narration Versionen: 1.0. 393 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 15. 394 Ebd. 395 Pandel, Hans-Jürgen (2013). Geschichtsdidaktik, 96. 396 Ebd.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

»Wirklichkeit früherer Zeiten, die nicht als solche erfassbar ist und Geschichte für diejenige grundsätzlich narrative Form, in welcher Vergangenes, als Ergebnis historischer Denkprozesse, allein dargestellt werden kann«397 verwendet. Dies bedeutet eine Abkehr der traditionellen Vorstellung von Geschichte als festen, bekannten Bestandteil des Wissens. Verbindliche identitätsstiftende Masternarrative, die beispielsweise in der Nationalgeschichtsschreibung im Vordergrund standen, sind zu hinterfragen. Ins Zentrum rückt »die Anerkennung einer prinzipiellen Mehrzahl konkurrierender und dennoch triftiger Narrationen (Jörn Rüsen) über gleiche Gegenstände bei gleichzeitiger Ablehnung einer Theorie und methodenlosen Relativismus«.398 Die gesellschaftlich-kulturelle Gebundenheit und die Funktion des historischen Denkens wird anerkannt und es werden strukturelle Qualitätskriterien für historisch triftige Aussagen abgeleitet.399 Als epistemologische Prinzipien der narrativen Geschichtstheorie können konstitutive Merkmale der »Geschichten«, wie Narrativität, Perspektivität, Retrospektivität, Partikularität, Selektivität und Konstruktivität beschrieben werden. Unter einer Narration oder der Narrativität400 versteht man demnach historisches Erzählen (lat. narratio). Grundsätzlich wird in einer »Narration« von Fragestellungen ausgegangen und es werden mindestens zwei verschiedene, zeitlich differente Gegebenheiten oder Begebenheiten sinnhaft miteinander verknüpft, sodass eine sprachlich vermittelte Verlaufsstruktur entsteht. Narrativität wird dabei in Abgrenzung zu belletristischen, fiktionalen Erzählungen strukturell verstanden.401 Perspektivität umfasst die »Standortgebundenheit sowohl des Geschichtsdenkenden, also auch der Urheberin und des Urhebers von Quellen und der Rezipientin und des Rezipienten historischer Narration sowie die damit verbundene Perspektivierung«.402 Die Qualität historischen Denkens wird durch die Berücksichtigung mehrerer Perspektiven erhöht. Retrospektivität wird als rückblickende Entstehung historischer Narration in einer größeren zeitlichen Distanz von Ereignissen bezeichnet. Die Informiertheit über spätere Entwicklungen wird begründet. Prinzipien der Partikularität, das Fehlen und die Lückenhaftigkeit der Überlieferungen, sowie der Selektivität des historisch Denkenden durch Fragestellung und Vorwissen beschreiben die Schwierigkeit, 397 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 15. 398 Ebd. 399 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik; Rüsen, Jörn (1986). Rekonstruktion der Vergangenheit: Grundzüge einer Historik II. Die Prinzipien der historischen Forschung. Band 2. Göttingen; Rüsen, Jörn (1989). Lebendige Geschichte: Formen und Funktionen des historischen Wissens. Göttingen; Rüsen, Jörn (2013). Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Köln/Weimar/Wien. 400 Pandel, Hans-Jürgen (2004). Erzählen, 408. 401 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik; Rüsen, Jörn (2013). Historik. 402 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 15.

Narrativistische Geschichtstheorie

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eine vergangene Wirklichkeit in eine Geschichte zu fassen. Konstruktivität bedeutet, dass Geschichte immer von jemandem »gemacht« wird. Das bedeutet, dass auf Überlieferung beruhende Einzelheiten der Vergangenheit zu einer stimmigen narrativen Zusammenschau hergestellt werden. Jede historische Narration ist an ihre/n Konstrukteur/-in gebunden und von Fragestelllungen, individuellen, gesellschaftlichen Zusammenhängen, Interessen abhängig. Auf der Basis der narrativistischen Geschichtstheorie finden in der Folge außerwissenschaftliche historische Erzählungen und nichtakademisches historisches Denken als relevante und grundlegende Prozesse der historischen Orientierung Beachtung. Diese führen zu weiteren geschichtsdidaktischen Konsequenzen und der Entwicklung des Konzeptes des Geschichtsbewusstseins. Im Rahmen der narrativistischen Geschichtstheorie wird die bereits bestehende zentrale Unterscheidung von Quelle und Darstellung in Bezug auf den erkenntnistheoretischen Status zweier grundlegender unterschiedlicher Materialgattungen erweitert. Im kompetenzorientierten Unterricht ist es wesentlich, dass Schüler/-innen im Prozess des historischen Denkens verschiedene Gattungen von Quellen und Darstellungen unterscheiden lernen.

5.1.1 Historisches Denken und Lernen Rüsen definiert »historisches Lernen« »als Vorgang des menschlichen Bewusstseins, in dem bestimmte Zeiterfahrungen deutend angeeignet werden und dabei zugleich die Kompetenz zu dieser Deutung entsteht und sich weiterentwickelt«403. Pandel (2006) betont ferner: »Historisches Lernen ist ein Denkstil und nicht das Akkumulieren von Wissen. Es ist wie Philosophieren und mathematisches Denken eine abendländische Kulturerrungenschaft, die 2500 Jahre alt ist und sich durch die Jahrhunderte ausdifferenziert, entmythologisiert und rationalisiert hat.«404 Historisches Denken wird als eine Operation bezeichnet, die von allen Menschen ausgeführt wird, um die individuelle bzw. kollektive Identität und Orientierung des eigenen Handelns in Bezug auf den zeitlichen Aspekt zu betrachten. Historisches Denken (griechisch historie, lat. historicus als Erkundung bzw. die Historie bereffen; ahd. Thenken) ist ein Ausdruck des Geschichtsbewusstseins und umfasst die Fähigkeit des Menschen, die Gegenwart und Zukunft vor dem Hintergrund der Vergangenheit zu verstehen.405 403 Rüsen, Jörn (2008). Historisches Lernen: Grundlage und Paradigmen, 61. 404 Pandel, Hans-Jürgen (2006). Quelleninterpretation. Die schriftliche Quelle im Geschichtsunterricht. 3. Aufl. Schwalbach/Ts., 126. 405 Wiersing, Eduard (2007). Geschichte des historischen Denkens. Paderborn; Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik, 49.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Historisches Denken findet sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch im Alltag und überall in der Gesellschaft statt und dient »im vollen theoretischen Sinne als eine mentale Form authentischer Orientierung von Handeln im zeitlichen Wandel«406 und bestimmt somit unsere Vorstellung von Geschichte.407 Der gegenwärtige Moment wird nicht unabhängig von der Vergangenheit wahrgenommen. Vielmehr prägen die vergangenen Erfahrungen das Verhalten der Gegenwart und der Zukunft. Da der Mensch eine Vorstellung von der Zukunft benötigt, nimmt er sich die Vergangenheit als Beispiel. Rüsen (1983) verwendet den Begriff der »Intentionalität« des Menschen, die »ihn als Wesen definiert«408. »Alles historische Denken in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen, also auch die Geschichtswissenschaft«409 stellt eine Artikulation von Geschichtsbewusstsein dar. Die Kompetenzen historischen Denkens sind in unterschiedlichsten Ausprägungen zu finden, womit die Forderung nach Anerkennung und unterschiedlicher Verarbeitung der Ergebnisse in pluralistischen Gesellschaften verbunden ist. Die theoretischen Konzepte wurden von Rüsen (2001) am Beispiel der wissenschaftlichen Geschichtsforschung entwickelt und in einem zirkulären Modell der disziplinären Matrix dargestellt. Die Matrix wurde in der Folge auch für schulisches Geschichtslernen410 und für das historisches Denken411 adaptiert und ist eine wesentliche Grundlage für die Theorie historischen Denkens. Körber (2012) weist auf die spezifische Natur des historischen Denkens in dem Verständnis hin, »dass historisch Denkende (und somit auch historisch Lernende) es selbst dort, wo sie sich im Bereich der »eigenen« Geschichte bewegen, wo sie die Vergangenheit ihrer eigenen Gruppe, ihrer Nation, ihrer Kultur etc. in den Blick nehmen, mit Fremdheit zu tun haben.«412 Dabei umfasst historisches Fremdverstehen die intellektuelle, moralische und politische Herausforderung, in früheren Zeiten lebende Menschen zu verstehen. Nicht möglich ist dabei ein gegenseitiges Verständigen über das Verstehen sowie der Erhalt von Zustim406 Wiersing, Eduard (2007). Geschichte des historischen Denkens, 22. 407 Günther-Arndt, Hilke/Sauer, Michael (Hg.) (2006). Geschichtsdidaktik empirisch. Untersuchungen zum historischen Denken und Lernen. Münster, 192. 408 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik, 49. 409 Ebd. 410 Rüsen, Jörn (Hg.) (2001). Geschichtsbewußtsein. Psychologische Grundlagen, Entwicklungskonzepte, empirische Befunde. Köln; Seixas, Peter (2016). A history / memory matrix for history education. Public History Weekly, 4, 6. 411 Körber, Andreas/Schreiber Waltraud/Schöner, Alexander (Hg.) (2007). Kompetenzen historischen Denkens; Hasberg, Wolfgang/Körber Andreas (2003). Geschichtsbewusstsein dynamisch. In: Geschichte – Leben – Lernen. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Körber, Andreas Schwalbach/Ts., 179–202. 412 Körber, Andreas (2007). Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik (Kompetenzen Band 2). Hrsg. v. Andreas Körber/Waltraud Schreiber/Alexander Schöner, Neuried, 2.

Narrativistische Geschichtstheorie

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mung für Deutungsversuche. Es gelingen der Geschichte keine kommunikativen Validierungen eigener Deutungen durch Gespräche mit Betroffenen. Es stellt eine intellektuelle Herausforderung dar, gegenwärtige »Andere« zu verstehen. Das hat eine Konsequenz im Hinblick auf die Geschichte hinsichtlich der Orientierungsbedürfnisse, des historischen Sachverständnisses, der Deutungs- und Erklärungsmuster, der Norm- und Wertvorstellungen sowie den Geschichtsbildern, die daraus entstanden sind. Zudem umfasst Historisches Fremdverstehen das Verständnis der sich aus der Kombination der Herausforderung einerseits die historische Identitätskonstruktion der »Anderen« zu verstehen und anzuerkennen und andererseits ein Verständnis gegenüber den zeitlich und kulturell »Anderen« aufzubauen.413 Daraus ist das Prinzip der Multiperspektivität als didaktische Konsequenz hervorgegangen, da dadurch der Gefahr einer Indoktrination oder Überwältigung (Beutelsbacher Konsens) entgegengewirkt und das selbständige Denken gefördert wird. In diesem Sinne können drei Ebenen differenziert werden, in denen Perspektivität vorzufinden ist. Erstens die Perspektivität auf der Ebene der Quellen, zweitens die Perspektivität auf der Ebene der historischen Darstellungen, sowie drittens die Perspektivität auf der Ebene der Rezipient/-innen. Historisches Denken findet sowohl individuell als auch in einem gesellschaftlichen Rahmen statt.414 In der didaktischen Theorienbildung umfasst das Konzept der Geschichtskultur den gesellschaftlich feststellbaren Umgang mit Geschichte, »der die Sinnbildungsprozesse der Individuen rahmt und dem historischen Denken der Einzelnen sowohl Denkräume eröffnet als auch deren Wahrnehmung und Äußerungen beeinflusst.«415 Dabei ist ein Mindestmaß an Übereinstimmung erforderlich und es sind auf den Prozess des historischen Denkens bezogene Fähigkeiten und kategoriale Grundlagen und Begriffe notwendig, um über Deutungen und Sinnbildungen kommunizieren zu können. Idealtypisch betrachtet besteht historisches Denken, »in der Erarbeitung narrativ formulierter Zusammenhänge zwischen Ge- und Begebenheiten unterschiedlicher historischer Zeiten (Re-Konstruktion) und der kritisch-reflektierenden Analyse bereits verbal vorliegender historischer Narrationen oder nonverbal ausgedrückter Kontinuitätsvorstellungen (De-Konstruktion).«416 Da die dekonstruierende Auseinandersetzung mit vorliegenden Narrationen aus einer jeweils gegenwärtigen Perspektive erfolgt, kann diese sehr vielfältig und unterschiedlich sein, weist aber auch immer wiederkehrende Muster auf. Rüsen (2013) hat dazu eine Typologie unterschiedlicher historisch und logisch aufeinander aufbauender Erzähltypen, 413 Körber, Andreas (2007). Kompetenzen historischen Denkens, 6. 414 Röttgers, Kurt (1982). Der kommunikative Text und die Zeitstruktur von Geschichten. Freiburg in Breisgau/München. 415 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 22. 416 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 22.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

sogenannte Sinnbildungsmuster, die zur Orientierung dienen, entwickelt.417 Dabei werden traditionale, exemplarische, genetische und kritische Sinnbildungsmuster unterschieden. Weiters sind neben unterschiedlicher Perspektiven der Geschichtsverfasser/innen auch die Bedeutung von Kategorien, Konzepten und Prinzipen, mit deren Hilfe die unterschiedlichen Perspektiven erfasst und kommuniziert werden, für historische Narrationen von Relevanz. Um Geltungsansprüche der eigenen Geschichten abzusichern bietet Rüsen (2013) mit dem Konzept der Triftigkeiten418 Überlegungen, die den Bedarf an strukturellen Kriterien für die Qualität historischer Aussagen überprüfen und absichern: Die empirische Triftigkeit mit einer transparenten Nachvollziehbarkeit, die normative Triftigkeit als Relevanz-, Auswahl- und Urteilskriterien sowie die narrative Triftigkeit, die narrative Konstruktion und die dahinterstehenden Ideen und wissenschaftlichen Theorien verdeutlicht. Ferner wird unterschieden zwischen einfachen Triftigkeiten, als Narrationen, welche Behauptungen setzen, die zwar nicht belegen, aber trotzdem zustimmungsfähig sind und gesteigerte Triftigkeiten, als Narrationen, die den Zusammenhang von Quellenaussagen und Sinnbildungsbeschreibungen argumentativ begründen.419 Geschichte ist in der Konsequenz der narrativistischen Geschichtstheorie als je perspektivisches Konstrukt zu betrachten und historisches Denken als der Prozess, in dem es entsteht, im Sinne von historischem Lernen als »Historisch-Denken-Lernen.«420

5.2

Geschichtsbewusstsein – Geschichtskultur

Die Begriffe wie »Geschichtsbewusstsein«, »Geschichtskultur« können als Ausdruck des Umgangs einer Gesellschaft mit Vergangenheit und Geschichte421 und historischem Lernen verstanden werden. Von den theoretischen Positionen der gegenwärtigen Geschichtsdidaktiker/-innen werden damit unterschiedliche Vorstellungen vom Umgang mit historischem Wissen vertreten.422 Im deutschen Sprachraum ist die Etablierung des Begriffs »Geschichtskultur« seit den späten 417 Rüsen, Jörn (1982). Die vier Typen des historischen Erzählens. In: Formen der Geschichtsschreibung (Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, 4). Hrsg. v. Reinhard Koselleck/Heinrich Lutz/Jörn Rüsen, München, 514–606; Rüsen, Jörn (2008). Historisches Lernen: Grundlage und Paradigmen; Rüsen, Jörn (2013). Historik. 418 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik; Rüsen, Jörn (2013). Historik. 419 Körber, Andreas (2016). »Translation and its discontents II: A German perspective.« In: Journal of Curriculum Studies 48 (2016) 4, 440–456. 420 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 24. 421 Oswalt, Vadim/Pandel, Hans-Jürgen (2009). Geschichtskultur: Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach/Ts. 422 Rohlfes, Joachim (2005). Geschichte und ihre Didaktik. 3. Aufl. (1. Aufl. 1986). Göttingen, 17.

Geschichtsbewusstsein – Geschichtskultur

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1980er Jahren als Sammelbegriff für vielfältige Erscheinungsformen von Geschichte und dem Umgang im gesellschaftlichen Leben erfolgt. In der deutschen Geschichtsdidaktik kam es in den ausgehenden 1970er Jahren zu einem Wandel von einer primären Schulfachdidaktik hin zu einem Interesse am gesamtgesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit, dem Geschichtsbewusstsein. Der Mannheimer Historikertag 1976 kann dazu als wesentlicher Meilenstein angesehen werden.423 Die damit einhergehenden Debatten und Diskussionen legten den Grundstein für das Konzept der »Geschichtskultur«.424 Rüsen (1994) bezeichnet Geschichtskultur als »das Gemeinsame und Übergreifende« des gesellschaftlichen Umgangs mit der Vergangenheit, sie sei die »praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft«.425 Geschichtskultur umfasst die Institutionen und Organisationsformen, innerhalb derer sich kollektive Sinnstiftung vollzieht. Diese können in unterschiedlicher Weise in Beziehung zum individuellen Geschichtsbewusstsein treten. So ergibt sich die Möglichkeit, dass Denkmäler, Museen oder historische Jubiläen beachtet oder unbeachtet, missverstanden oder zelebriert werden. Dabei werden drei Dimensionen der Geschichtskultur mit unterschiedlicher Strukturierung unterschieden: erstens eine kognitive, die sich nach Wahrheitskriterien, zweitens eine politische, die sich nach Machtkriterien und drittens eine ästhetische, die sich nach Schönheitskriterien organisieren lässt.426 Das Konzept der Erinnerungskultur, welche ebenso den Umgang des Einzelnen und der Gesellschaft mir ihrer Vergangenheit und ihrer Geschichte betont, ist eng mit dem Konzept der Geschichtskultur verbunden, wird aber deutlich voneinander abgegrenzt.427 Erinnerungskulturen werden als historisch und kulturell variable Ausprägungen vom kollektiven Gedächtnis bezeichnet.428 Schönemann (2000) hat das geschichtskulturelle Paradigma maßgeblich weiterentwickelt.429 Im Anschluss an die konstruktivistische Soziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann argumentiert er dafür, Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur als zwei Zugänge zum selben Phänomen, nämlich als in423 Schönemann, Bernd (2006). Geschichtskultur als Wiederholungsstruktur? In: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 34, 182–191, hier 182. 424 Pellens, Karl/Quandt, Siegfried/Süssmuth, Hans (Hg.) (1984). Geschichtskultur – Geschichtsdidaktik. Internationale Bibliographie. Paderborn u.a. (= Studien zur Didaktik, Bd. 3). 425 Jörn Rüsen (1994). Was ist Geschichtskultur? Überlegungen zu einer neuen Art, über Geschichte nachzudenken. In: Historische Faszination. Geschichtskultur heute. Hrsg. v. Jörn Rüsen/Theo Grütter/Klaus Füßmann, Köln u. a., 3–26, hier 5. 426 Jörn Rüsen (1994). Was ist Geschichtskultur?, 5. 427 Cornelißen, Christoph (2003). Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspektiven. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. 54, 548–563, hier 555. 428 Erll, Astrid (2017). Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskultur. Eine Einführung. 3. Aufl., Stuttgart; Assmann, Jan. (1997). Das kulturelle Gedächtnis. 2. Aufl., München, 30. 429 Schönemann, Bernd (2006). Geschichtskultur als Wiederholungsstruktur?, 184.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

dividuelles (Geschichtsbewusstsein) bzw. kollektives (Geschichtskultur) Konstrukt historischer Wirklichkeit zu begreifen und betont zusätzlich zum DreiDimensionen Modell von Rüsen die Rolle der Geschichtskultur als soziale Ordnung.430 Das Konzept des Geschichtsbewusstseins wird in den 1970er Jahren, u. a. von Karl-Ernst Jeismann, Jörn Rüsen, Hans-Jürgen Pandel und Bodo von Borries entwickelt und »als Komplex von Dispositionen, Prozessen und Fähigkeiten im und zum ›Umgang‹ mit Geschichte« verstanden. Auf dem Fundament der narrativistischen Geschichtstheorie werden »zum einen geschichtsdidaktische Prinzipien zur Erforschung des Geschichtsbewusstseins von Individuen und Gruppen in der Gesellschaft, zum anderen Prinzipien eines auf ein entwickeltes, reflektiertes und (selbst-)reflexives Geschichtsbewusstsein zielenden Lernens« formuliert.431 Das Konzept der Historical Consciousness wird auch im angelsächsischen432 und skandinavischen Raum433 u. a. über die Rezeption der englischsprachigen Arbeiten von Rüsen (2005)434 verbreitet. Ebenso erfolgt die Implementierung in Schulcurricula der westlichen Welt. Geschichtsbewusstsein ist geprägt vom lebensweltlichen Zusammenhang zwischen Vergangenheitsdeutung, Gegenwartserfahrung und Zukunftserwartung. Die Definition der Begriffe »Geschichtsbewusstsein« und »Politikbewusstsein« erweisen sich, wie Hellmuth (2014) ausführt, grundsätzlich als schwierig, da der Begriff des »Bewusstseins« erstens relative Abstraktheit aufweist und zweitens mit verschiedenen Implikationen verbunden ist.435 Seit den 1970er Jahren hat der Bewusstseinsbegriff in der Geschichtsdidaktik einen Boom erfahren, der sich auf die Annahme eines »gesellschaftlichen Wissensvorrates« gründet, welches geschichtliche Inhalte darstellt und sich nach Rolf Schörken (1990)436 als »triviales Geschichtsbewusstsein« bezeichnen lässt. Drei Funktionen beim Umgang mit Geschichte, die Prestigefunktion, die Stabilisierungsfunktion und die Rechtfertigungsfunktion, sind dabei zentral. Als Prestigefunktion wird die Ver430 Schönemann, Bernd. (2000). Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur. In: Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik. Hrsg. v. Bernd Schönemann/Bernd Mütter/Uwe Uffelmann, Weingarten (= Schriften zur Geschichtsdidaktik, Bd. 11), 26–58, hier 44ff. 431 Trautwein, Ulrich. u. a. (2017). Kompetenzen historischen Denkens erfassen, 15. 432 Seixas, Peter (Ed.) (2004). Theorizing historical consciousness. Toronto: University of Toronto Press. 433 Jensen, Bernhard Eric (2003). Historie – livsverden og fag (1. udgave, 1. oplag) (Kbh): Gyldendal; Eliasson, P./Alven, F./Axeelsson Yngeus, C./Rosenlund, D. (2015). Historial consciousness and historical thinking reflected in large-scale assessment in Sweden. In: E. Ecikan / P. Sexas (Eds.). New directions in assessing history thinking. New York: Routledge. 434 Rüsen, Jörn (2005). History. Narration – Interpretation – Orientation. New York: Berghahn Books. 435 Hellmuth, Thomas (2014). Inhalte, Methoden und Medien in der politischen Bildung. Schwalbach/Ts., 142. 436 Schörken, Rolf (1990). Jugend 1945: Politisches Denken und Lebensgeschichte. Opladen.

Geschichtsbewusstsein – Geschichtskultur

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wendung historischer Attribute zur Selbstdarstellung und Imagepflege bezeichnet. Die Stabilisierungsfunktion umfasst das Bemühen sozialer Gruppen, den Status Quo bei Wandlungsprozessen durch die Konstruktion von Geschichtsbildern, beispielsweise durch die Pflege kultureller Traditionen, zu bewahren. Die Rechtfertigungsfunktion charakterisiert die Legitimierung politischen Verhaltens und Handelns durch das Zurückgreifen auf die »Geschichte« und die Darstellung von Kontinuitätslinien in die Gegenwart und Zukunft. Geschichtsbewusstsein kann als Kompetenz gedeutet werden, »die der Orientierung in den zeitlichen Veränderungen unseres Lebens und unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit dienlich ist«437. Die Erinnerungen an die Vergangenheit werden gedeutet, um die Lebenspraxis zu perspektivieren. Diese Bewusstseinstätigkeit wird von Rüsen als ›historisches Erzählen‹, welches sich in der Tätigkeit ausdrückt, die Erfahrungen in der Gegenwart so zu deuten, dass Zukunft als Handlungsperspektive erschlossen wird, bezeichnet. Lange (2004) betont dazu: »In diesem Sinn ist das historische Erzählen die das Geschichtsbewusstsein konstituierende Grundoperation. Es ist eine Form des Denkens, die es überhaupt erst rechtfertigt, historisches Bewusstsein als einen Teilbereich des allgemeinen Bewusstseins zu spezifizieren.«438 Historisches Lernen kann nicht als analoge Übernahme von historischem Wissen verstanden werden. Beim historischen Lernen werden in der Auseinandersetzung mit vergangenheitsbezogenen Inhalten, spezifische historische Sinnbildungskompetenzen entwickelt. Von Pandel (1987) werden sieben Dimensionen des Geschichtsbewusstseins unterschieden, dem jeweiligen Geschichtsbewusstsein des einzelnen Individuums liegt eine individuelle mentale Strukturierung aus den jeweiligen Kategorien zugrunde. Politisches Bewusstsein als Strukturelement von Geschichtsbewusstsein wird dabei als »Herrschaftsbewusstsein« und als »Sachverhalt, dass Gesellschaften durch Herrschaft geordnet sind« im Sinne von asymmetrisch verteilten Machtverhältnissen, verstanden. Im politisch-historischen Unterricht soll die Schärfung der Einsicht in Herrschaftsstrukturen und Interessenlagen vollzogen werden.439 Das Konzept »Geschichtsbewusstsein«, insbesondere die Dimensionen des Geschichtsbewusstseins von Pandel, erfordert eine kritische Betrachtung, vertiefte Analyse und Erweiterung, um Politikbewusstsein und Geschichtsbewusstsein gleichgeordnet 437 Bergmann, Klaus (1996). Historisches Lernen in der Grundschule. In: Handbuch zur politischen Bildung in der Grundschule. Hrsg. v. Siegfried George/Ingried Prote, Schwalbach/Ts, 319–342, hier 328. 438 Lange, Dirk (2004). Die historisch-politische Didaktik: Zur Begründung historisch-politischen Lernens. Schwalbach Ts. (Studien zu Politik und Wissenschaft), 205. 439 Pandel, Hans-Jürgen (1987). Dimensionen des Geschichtsbewusstseins. Ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen. In: Geschichtsdidaktik. Probleme, Projekte, Perspektiven, 12 (1987) 2, 130–142.

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darzustellen. Lange (2014) betont, dass es nicht mehr möglich ist, in einer differenzierten pluralen Gesellschaft aus der Geschichte eine homogene Identität zu gewinnen. Verschiedene Geschichtsdeutungen werden konkurrierend von unterschiedlichen interessengeleiteten Fraktionen allgemeinverbindlich durchgesetzt. Geschichtspolitisches Lernen ist essenziell, da mit der Geschichte Politik gemacht wird. »Dabei entwickelt sich die Kompetenz, am politischen Streit, um verbindliche Geschichtsdeutungen zu partizipieren. Es wird erlernt, wie Geschichtsdeutungen allgemein verbindlich gemacht werden.«440

5.3

Bildungsziele – Geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle

Die Ziele und Aufgaben der Geschichte werden in der didaktischen Reflexion in Bezug auf Kompetenzmodellen definiert.441 Der Kompetenzbegriff hat sich in der internationalen bildungswissenschaftlichen Debatte durchgesetzt. Die Kompetenzmodelle umfassen die zentralen Bildungsstandards. In Form der Definition der Kompetenzen, über welche die Schüler/-innen in bestimmten Abschnitten des Schulsystems, beispielsweise am Ende der Volksschule und am Ende der Sekundarstufe I, verfügen sollen, werden die Bestimmungen der Leistungen der Schule strukturiert. Diese Kompetenzen bilden den »Output« (oder »Outcome«) des Schulsystems und sollen evaluiert werden. Die Theoriebildung zum kompetenzorientierten Lernen ist in der Geschichtsdidaktik kompetitiv verlaufen und es sind in der Folge eine Vielzahl von unterschiedlichen Kompetenzmodellen entwickelt worden. Als Beispiele können das Kompetenzmodell des »National Center for History in the Schools« (NCHS 1996), das Kompetenzmodell von Jannet van Drie und Carla van Boxtel (2008), das Kompetenzmodell von Hans-Jürgen Pandel (2005), das Kompetenzmodell des Berliner Rahmenlehrplans für die Sekundarstufe I Geschichte (2006), das Kompetenzmodell der Forschungsgruppe FUER Geschichtsbewusstsein (2006/2007), das Kompetenzmodell von Peter Gautschi (2009) und das Kompetenzmodell von Wolfgang Hasberg (2010) genannt werden.442 Das gemeinsame Ziel der Konzepte kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts liegt darin, dass historisches Lernen auf die Förderung von Kompetenzen orientiert werden soll. »Gemeinsam ist 440 Lange, Dirk/Oeftering, Tonio (Hg.) (2014). Politische Bildung als lebenslanges Lernen. Schwalbach/Ts, 326. 441 Sander, Wolfgang (2009). Kompetenzen in der Poltischen Bildung – eine Zwischenbilanz. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Austrian Journal of Political Science, 38 (2009) 3; https://webapp.uibk.ac.at/ojs/index.php/OEZP/article/view//1305, 293. 442 Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle. In: Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts. Band 1. Hrsg. v. Michele Barricelli/Martin Lücke, Schwalbach/Ts., 207–235, hier 215ff.

Bildungsziele – Geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle

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allen Modellen, dass sie von den geschichtsdidaktischen Grundannahmen von Karl-Ernst Jeismann und Jörn Rüsen ausgehen, also das Geschichtsbewusstsein als mentale Struktur, das den Umgang mit Vergangenheit und Geschichte bestimmt, in den Mittelpunkt stellen.«443 Die narrative Kompetenz wird als übergreifendes Ziel genannt, die inhaltlichen Fragen der Gegenstände, an denen historisch gelernt werden kann, spielen hingegen eine nachrangige Rolle. In der Unterrichtspraxis ist im Umgang mit den vielfältigen Kompetenzmodellen ein eklektischer Umgang zu beobachten. »Man entscheide sich im Unterrichts- und Lehrgeschäft situationsangemessen für die eine oder andere Variante bzw. Teilkompetenz, diesen oder jenen Operator, jenes oder solches Aufgabenformat.«444 Das Kompetenzmodell »Historisches Denken« der Forschungsgruppe FUER das Geschichtsbewusstsein (2006/2007), welches im deutschen Sprachraum am umfangreichsten beschrieben445 und vielfältig diskutiert wird446 liegt dem österreichischen Lehrplan zugrunde. Abgeleitet wurde dieses Kompetenzmodell von Rüsens (1983)447 geschichtstheoretischer Konzeption zur Historik, Hasberg und Körber (2003)448 differenzierten es zu einem Prozessmodell des historischen Denkens in einen Regelkreis aus. Zwei Teilschritte des historischen Denkens werden dabei in einem Kreislauf dargestellt, der Erkenntnisweg folgt dem geistesund kulturwissenschaftlichen hermeneutischen Zirkel und versucht Bedürfnisse nach Orientierung in der Zeit als Ausgangspunkt zu betrachten. Die Verunsicherung in der Gegenwart, wodurch ein zeitliches Orientierungs- bzw. Handlungsproblem auftritt, wird als Ursprung jedes historischen Denkprozesses gesehen.449. Nach Rüsen (1983) können Menschen ihre Gegenwart nur dann er443 Baumgärtner, Ulrich (2015). Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn, 79. 444 Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle, 231. 445 Körber, Andreas/Schreiber Waltraud/Schöner, Alexander (Hg.) (2007). Kompetenzen historischen Denkens; Schreiber, Waltraud/Körber, Andreas/von Borries, Bodo et al. (Hg.) (2006). Historisches Denken. Ein Kompetenz-Strukturmodell. 2. Aufl. Neuried. 446 Barricelli, Michele (2008). Schüler erzählen Geschichte. Narrative Kompetenz im Geschichtsunterricht (= Forum historisches Lernen). Schwalbach/Ts.; Sauer, Michael (2008/ 2012). Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. aktual. u. erw. 10. Aufl. Seelze-Velber; Schönemann, Bernd (2008). Bildungsstandards und Geschichtsunterricht. Ein Kommentar zu Waltraud Schreiber und Michael Sauer. In: Zeitschrift für Pädagogik 54 (2008) 2, 218–221. 447 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik. Göttingen. 448 Hasberg, Wolfgang/Körber Andreas (2003). Geschichtsbewusstsein dynamisch. In: Körber, Andreas (Hg.). Geschichte – Leben – Lernen. Bodo von Borries zum 60. Geburtstag. Schwalbach/Ts., 179–202. 449 Kühberger, Christoph (2009). Kompetenzorientiertes historisches und politisches Lernen. Methodische und didaktische Annäherungen an Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung. Innsbruck, Wien, 17.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

schließen und ihre Zukunft nur dann entwerfen, wenn sie sich der Vergangenheit zuwenden.450 Im Rahmen eines Kreislaufmodells der Orientierung von Lebenspraxis in zeitlicher Dimension werden zwei Operationen unterschieden, nämlich zum einen die Re-Konstruktion, welche auf der Basis von einzelnen Informationen Zusammenhänge der Vergangenheit mit solchen der Gegenwart und Zukunft synthetisch neu (re-) konstruiert, und die De-Konstruktion, bei welchen bereits von anderen erstellte, komplett vorliegende Formulierungen derartiger Zusammenhänge analytisch in ihre Bestandteile (Einzelinformationen, Wertvorstellungen, Erklärungs- und Deutungsmuster etc) »zerlegt«451 werden. Als Grundlage für die Unterrichtsentwicklung dienen in diesem Model drei für die Orientierungsaufgabe relevante Fähigkeitenkomplexe als prozessuale und ein weiterer Kompetenzbereich, der bei der Reflexion über den Gegenstand bedeutsam ist. »Der Bereich ›historische Fragekompetenzen‹ bündelt diejenigen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, die nötig sind, um aus einer noch vagen, weder kategorial erfassten noch methodisch operationalisierten Verunsicherung der Lebenspraxis in zeitlicher Hinsicht eine sowohl kommunizierbare wie bearbeitbare Fragestellung zu machen.«452 Dies hat fachlich heuristische Kompetenzen sowie die Auseinandersetzung mit Orientierungsfragen in Zusammenhang mit historischen Aussagen zum Gegenstand. Die Antwort auf Fragen an die Vergangenheit wird als Geschichte bezeichnet, d. h. Fragen verbinden die Zeitdimensionen Gegenwart und Vergangenheit. Als »historische Methodenkompetenzen« werden Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie beispielsweise eine Quelle auf eine konkrete Fragestellung hin auszuwerten, narrative Aussagen auf normative und erkenntnistheoretische Informationen zu analysieren, verstanden. Diese sind bei der konkreten Bearbeitung der Fragestellung notwendig und beinhalten sowohl den Einsatz als auch die kritische Auseinandersetzung mit Arbeitstechniken. Als fachspezifisch zentrale Kompetenz sind dabei die Basisoperationen des Re- und De-Konstruierens zu vollziehen. »(a) De-Konstruktions-Kompetenz umfasst die analytische Fähigkeit, ›fertige Geschichten‹ nach den ihnen innewohnenden Perspektiven, nach den die Darstellung beeinflussenden Rahmenbedingungen und Intentionen sowie nach den gewählten Erklärungs- und Sinnbildungsmodellen zu befragen. Es geht dabei um Aneignung eines kritischen Instrumentariums, das die Dekonstruktion historischer Narrationen er450 Rüsen, Jörn (1983). Grundzüge einer Historik, 24. 451 Schreiber, Waltraud (2006). Ein Kompetenz-Strukturmodell historischen Denkens, zit. nach Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle. 235, 219. 452 Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle, 219.

Bildungsziele – Geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle

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möglicht: im Spielfilm und historischen Roman ebenso wie in der Fernsehdokumentation oder im Schulbuch. (b) Re-Konstruktions-Kompetenz ermöglicht, selbst aus vorhandenen Quellen die Vergangenheit zu rekonstruieren (etwa in einem oral-historyProjekt). Eigenes Rekonstruieren kann die Schülerinnen in die Probleme des Historikers vermutlich besser einführen und eine kritische Grundhaltung zu den Ergebnissen der Geschichtsproduktion verlässlicher herstellen als eine ausführliche Einführung in die Quellenkritik. Insofern bedingen sie die Fähigkeiten zur Re-Konstruktion und zur De-Konstruktion gegenseitig.«453

Unter »historischen Orientierungskompetenzen« werden Fähigkeiten verstanden, die benötigt werden, um auf der Basis von (eigenen oder adaptierten fremden) Fragen gewonnenen Erkenntnisse über Vergangenes und seine Zusammenhänge aufeinander sowie auf die eigene Zeit und Lebenswelt, die eigene Gruppe und Person zurück zu beziehen. Dazu bedarf es der Fähigkeit und Bereitschaft, das Verständnis des Eigenen und die Sicht auf Fremdes im Lichte der neuen Informationen zu revidieren und die eigenen Begriffe und Konzepte gegebenenfalls neuen Erkenntnissen anzupassen. Der vierte Bereich, der nicht nur im Vollzug der Orientierungsleistung, sondern auch bei Reflexion und Kommunikation über den Gegenstand Geschichte über Verfahren und Ergebnisse des historischen Denkens zum Tragen kommt, ist mit »historische Sachkompetenz(en)« betitelt. »Er umfasst in diesem Modell gerade nicht spezifische Aussagen über Vergangenes (also Ergebnisse historischen Denkens und Lernens), sondern in Form der Fähigkeit und Bereitschaft, fachspezifische wie verwandte Begriffe und Kategorisierungen zu verwenden und zu reflektieren, ebenfalls Voraussetzungen für solches Denken«.454 In Bezug auf Kompetenzüberschneidungen stellt sich für Kühberger455 dabei die historische Orientierungskompetenz auch als ein Aufgabenfeld für politische Bildung dar, aufgrund des Umstandes, dass durch einen verstärkten Gegenwarts- und Zukunftsbezug traditionelle Auswahlmechanismen des Geschichtsunterrichts erweitert werden.456 Gegenwärtig werden in der Geschichtsdidaktik theoretische, empirische und pragmatische Fragen zur Weiterentwicklung der Kompetenzorientierung diskutiert. Die Kompetenzorientierung in der Politischen Bildung hat in den deutschsprachigen Ländern über die Diskussionen der Schulreformen hinaus das 453 Kühberger, Christoph (2009). Kompetenzorientiertes historisches und politisches Lernen. Methodische und didaktische Annäherungen an Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung. Innsbruck, Wien, 19. 454 Barricelli, Michele/Gautschi, Peter/Körber, Andreas (2012). Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle, 219. 455 Kühberger, Christoph (2009). Kompetenzorientiertes historisches und politisches Lernen, 113. 456 Hellmuth, Thomas (2009). Das »selbstreflexive Ich«. Politische Bildung und kognitive Struktur. In: Das »selbstreflexive Ich«. Beiträge zur Theorie und Praxis politischer Bildung. Hrsg. v. Thomas Hellmuth, Innsbruck/Wien/Bozen, 11–20, hier 483.

124

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Fachgebiet durch die offensive Teilnahme an der neuen Entwicklung in eine »Initiativ- und Innovatorenposition« gebracht.457 Das österreichische politische »Kompetenz-Strukturmodell« wird in Anlehnung an das Modell der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE)458 entwickelt. Die politischen Kompetenzen umfassen grundsätzlich die Unterscheidung zwischen politikbezogener Methodenkompetenz, politischer Urteilskompetenz und politischer Handlungskompetenz.459 Das österreichische Kompetenzmodell verfügt ferner über eine sogenannte »politische Sachkompetenz«.460 Im politischen Kompetenz-Strukturmodell werden vier Kompetenzbereiche, die sich teilweise überschneiden, unterschieden. Dabei wird die politische Urteilskompetenz, die politisch Handlungskompetenz und die politikbezogene Methodenkompetenz insbesondere durch Operationen charakterisiert, die Krammer (2008) folgendermaßen erläutert: »Politische Urteilskompetenz beinhaltet die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft zu einer selbstständigen, begründeten und möglichst sach- und/oder wertorientierten Beurteilung politischer Entscheidungen, Probleme und Kontroversen. Jedes politische Urteil basiert auf einer Anzahl von Teilurteilen und kann selbst Teil eines übergeordneten Urteils werden. Urteilskompetenz bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Bereiche, nämlich a) auf den Bereich fertig vorliegender Urteile und b) auf den Bereich selbst zu treffender Urteile (…). Unter politischer Handlungskompetenz versteht man die Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft, eigene Positionen in politischen Fragen zu formulieren und zu artikulieren, politische Positionen anderer zu verstehen und aufzugreifen, sowie an der Lösung von Problemen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unter Rücksichtnahme auf eigene und fremde Bedürfnisse mitzuwirken. Handlungskompetenz schließt Bereitschaft zum Kompromiss, Fähigkeit zur Kommunikation und Toleranz bzw. Akzeptanz ein. Die Handlungskompetenz bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Handlungsbereiche, nämlich a) auf das Artikulieren, Vertreten und Durchsetzen von Interessen, Entscheidungen und Meinungen und b) auf das Nutzen von Angeboten verschiedener Institutionen und politischer Einrichtungen (…). 457 Sander, Wolfgang (2009). Kompetenzen in der Poltischen Bildung – eine Zwischenbilanz. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. Austrian Journal of Political Science, 38 (2009) 3, 303. 458 Detjen, Joachim/Kuhn, Hans-Werner/Massing, Peter/Richter, Dagmar/Sander, Wolfgang/ Weißeno, Georg (2004). Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. 2. Aufl., Schwalbach/Ts. 459 Detjen, Joachim (1999). »Der demokratiekompetente Bürger« – politikwissenschaftliche Anmerkungen zu einer normativen Leitvorstellung der Politischen Bildung. Wolnzach; Weißeno, Georg (2008). Politikkompetenz – neue Aufgaben für Theorie und Praxis. In: Georg Weißeno (Hg.). Politikkompetenz. Was Unterricht zu leisten hat. Wiesbaden, 11–20, hier 11. 460 Krammer, Reinhard/Kühberger, Christoph/Windischbauer, Elfriede et al. (2008). Die durch politische Bildung zu erwerbenden Kompetenzen. Ein Kompetenz–Strukturmodell. In: Informationen zur Politischen Bildung. Band 29. Innsbruck/Bozen/Wien, 11f.

Bildungsziele – Geschichtsdidaktische Kompetenzmodelle

125

Politische Methodenkompetenz umfasst zum einen das Verfügenkönnen über Verfahren und Methoden, die es erlauben, sich mündlich, schriftlich, visuell und/oder in modernen Medien politisch zu artikulieren und so im Idealfall auf reflektierte und (selbst)reflexive Weise eigene Manifestationen zu schaffen (Beschaffung/Beurteilung von Informationen zu relevanten politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten, sach- und medienadäquates Darstellen der Position, Beherrschen verschiedener Formen der Teilnahme am politischen Diskurs etc.). Sie umfasst zum anderen die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften zum Entschlüsseln fertiger Manifestationen des Politischen (in unterschiedlichen Medien, in unterschiedlichen Textsorten, für unterschiedliche Adressaten…). Damit sollen die Lernenden über Verfahrensweisen verfügen lernen, die es ihnen ermöglichen, in einen Diskurs mit anderen zu treten und die Grundlagen von Informationen zu reflektieren. Die Methodenkompetenz bezieht sich daher im Wesentlichen auf zwei Bereiche, die den kritischen Umgang mit fertigen Manifestationen des Politischen anbahnen (a), und zur eigenständigen politischen Artikulation (Willensäußerung) befähigen (b). Beide Bereiche sind ihrem Wesen nach aufeinander bezogen.« (…) »Politische Sachkompetenz umfasst die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, politische Begriffe, Kategorien und Konzepte zu verstehen und über sie verfügen zu können. Sachkompetenz bezieht sich also nicht auf einen bestimmten kognitiven Wissensbestand. Der Kern der Sachkompetenz ist das Verfügen über (Basis-)Konzepte, die als Knotenpunkte im Netzwerk des Politischen fungieren (etwa: realistische und plausible Vorstellungen betreffend ›Herrschaft‹, ›Gesellschaft‹, ›Macht‹, ›System‹, ›Recht‹, ›Öffentlichkeit‹, ›Gemeinwohl‹, ›Knappheit der Ressourcen‹).«461

Das österreichische Kompetenzmodell unterscheidet sich in der Struktur vom deutschen und schweizerischen Modell. Hierbei stehen zwei Aspekte im Mittelpunkt, die sich auf die Definition des Wissens, welche durch die kompetenzorientierte politische Bildung vermittelt wird, beziehen. Es wird die Unterscheidung zwischen »Arbeitswissen« und »Sachkompetenz« in Anlehnung an das Kompetenzmodell der FUER-Gruppe für den Geschichtsunterricht462 angelehnt. Diese Integration der Wissensdimension im österreichischen Kompetenzmodell wird kontrovers diskutiert. Erstens gibt es das »Arbeitswissen«, welches ähnlich wie das konzeptuelle Deutungswissen im GPJE-Modell als Feld hinter die Kompetenzbereiche gelegt wird, allerdings eine andere Bedeutung erhält. Arbeitswissen wird im Sinne von »weniger bedeutsamen Wissen« bezeichnet, welches für die Analyse konkreter Lerngegenstände erforderlich ist, jedoch nicht notwendigerweise ein Ziel des Unterrichts darstellt. Trotz einer Vielzahl an positiven Effekten der Kompetenzorientierung bleiben zahlreiche Fragen und Aufgaben für die Didaktik der Geschichte und Politischen Bildung in Forschung, Theoriebildung und Entwicklung offen. In der Folge 461 Krammer, Reinhard/Kühberger, Christoph/Windischbauer, Elfriede et al. (2008). Die durch politische Bildung zu erwerbenden Kompetenzen, 23ff. 462 Körber, Andreas (2007). Kompetenzen historischen Denkens.

126

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

wurden weitere wissenschaftlich begründete Kompetenzmodelle entwickelt463. Die theoretische Diskussion über politische Bildung und Geschichtsdidaktik wird in Österreich nach der Einführung politischer und historischer Kompetenzmodelle in Bezug auf eine Synthese von Geschichts- und Politikunterricht weitergeführt.

5.4

Subjektorientierte Geschichtsdidaktik

Die Geschichtsdidaktik verlagert in den letzten Jahrzehnten ihren Bezugspunkt von den »genormten Lehrinhalten« und der Inhaltsorientierung zu den »Subjekten des Lernens«. Die subjektorientierte Geschichtsdidaktik bezieht sich konzeptuell auf die zentrale Leitkategorie der Geschichtsdidaktik, das individuelle Geschichtsbewusstsein. In der subjektorientierten Geschichtsdidaktik werden die Rezipient/-innen des Lernens und die Schüler/-innenperspektive mit dem je individuellen historischen Orientierungsbedürfnis sowie den persönlichen Lernvoraussetzungen ins Zentrum gestellt. Den Ausgangspunkt der didaktischen Überlegungen bildet dabei einerseits ein definierter historischer Wissenskanon und seine Vermittlung, andererseits wird versucht »die Perspektive des lernenden Subjekts nachzuvollziehen und den Unterricht am Prinzip der Schüler/-innengerechtigkeit auszurichten.«464 Der Begriff »Subjektorientierung« betont insbesondere eine theoretisch-methodische Basis, in welcher lebensweltliche, systemtheoretische und konstruktivistische Überlegungen verbunden werden. Diese rückt das Individuum in den Fokus, »knüpft dabei an bisherige lebensweltliche Erfahrungen und Konzepte an, die aus Sozialisationsprozessen resultieren, und verbindet dabei fachwissenschaftliche, fachdidaktische und allgemeine didaktische Traditionen und Trends«465 wie die konstruktivistische Geschichtsdidaktik, Individualisierung und die Neue Kulturgeschichte sowie Gedächtnistheorien.466 Konstruktivistische Grundsätze in der 463 Detjen, Joachim/Massing, Peter/Richter, Dagmar/Weißeno, Georg (2012). Politikkompetenz – ein Modell. Wiesbaden. 464 Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph. (Hg.) (2015). Subjektorientierte Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts., 5. 465 Golser, Magdalena/Hellmuth, Thomas/Maresch, Dominik (2015). Meine Geschichte – deine Geschichte – wessen Geschichte? In: Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, Prozessorientierung und konzeptuelles Lernen. Hrsg. v. Heinrich Ammerer/Thomas Hellmuth/ Christoph Kühberger, Schwalbach/Ts., 49–73, hier 49. 466 Assmann, Jan (1988). Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Kultur und Gedächtnis. Hrsg. v. Jan Assmann/Tonio Hölscher, Frankfurt a. M., 9–19; Assmann, Aleida (2006). Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses. (1. Aufl. 1999; 2003) Broschierte Sonderausgabe, München; Halbwachs, Maurice (1967). Das kollektive Gedächtnis. (Neuauflage: Frankfurt a. M., 1985/1991) Stuttgart.

Subjektorientierte Geschichtsdidaktik

127

Geschichtsdidaktik umfassen eine Betrachtung von Geschichte als Versuch einer Rekonstruktion von Vergangenheit und legen den Fokus darauf, den Lernenden den Konstruktionscharakter von Geschichte nahezubringen und Geschichtsbewusstsein »als fluide Variable« in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu entwickeln.467 Jörg van Norden entwirft in seinem Buch »Was machst Du für Geschichten?« die Didaktik eines »narrativen Konstruktivismus«468 und betont die Konsequenzen für die Hermeneutik und die Gestaltung des Geschichtsunterrichts. In Bezug auf Theoriebildung und Methodenauswahl wird sowohl zwischen der sich auf die Sachlogik beziehenden und fachspezifische Inhalte und Themen sowie Fakten, Begriffe, Methoden und Arbeitstechniken zur Informationsbeschaffung umfassenden Objektebene als auch der Subjektebene, in Form der Lernlogik, wie individuelle Lernwege, Interessen und Lebenswelten der Lernenden, andererseits differenziert.469 In der Subjektorientierten Geschichtsdidaktik wird versucht, die Objektebene und Subjektebene verstärkt zu verbinden, wobei die Fokussierung auf die Selbstreflexion als Brücke zwischen Objekt- und Subjektebene betrachtet werden kann. Die Betonung der individuellen Wahrnehmung wird durch die selbstreflexive Betrachtung der eigenen Konstruktion der Wirklichkeit betont. »Auf der Objektebene werden dafür Informationen und Werkzeuge angeboten, um Lernprozesse selbst zu gestalten. Auf der Subjektebene ist es möglich, Erfahrungen zu sammeln, diese subjektiv zu deuten und diese Deutungen durch kommunikatives Handeln immer wieder zu reflektieren«.470 Durch Geschichten aller Art wird »Identität« konstruiert. Durch Geschichtsbewusstsein wird eine Identitätsbildung gefördert. Durch die subjektorientierte Geschichtsdidaktik wird ferner ermöglicht, das Verhältnis zwischen 467 White, Hayden (1994). Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt a. M.; Evans, Richard J. (1998). Fakten und Fiktionen. Über die Grundlagen historischer Erkenntnis. Frankfurt a. M.; Völkel, Bärbel (2002). Wie kann man Geschichte lehren? Die Bedeutung des Konstruktivismus für die Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts; van Norden, Jörg (2011). Was machst du für Geschichten? Didaktik eines narrativen Konstruktivismus. Reihe Geschichtsdidaktik Band 13. Freiburg; Reich, Kersten (2012). Konstruktivistische Didaktik, Lehr- und Studienbuch mit Methodenpool und CD-ROM. (1. Aufl. 2002), 5. Aufl. Weinheim und Basel, 100; Berger, Peter L./Luckmann, Thomas (1969/ 1987/2012). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Übersetzt von Monika Plessner. Frankfurt a. M. 468 van Norden, Jörg (2009). Lob eines narrativen Konstruktivismus. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 12 (2009), 734–741, hier 734; van Norden, Jörg (2011). Was machst du für Geschichten?; van Norden, Jörg (2018). Geschichte ist Bewusstsein: Historie einer geschichtsdidaktischen Fundamentalkategorie. Schwalbach/Ts. 469 Völkel, Bärbel (2008). Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht (Methoden Historischen Lernens). 2. Aufl. Schwalbach/Ts., 22. 470 Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph. (Hg.) (2015). Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, 7.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

dem Individuum und dem kollektiven Gedächtnis471 zu reflektieren. Unter dem Blickwinkel der Subjektorientierung wird der Vorschlag gemacht, Themen im Geschichtsunterricht sowohl identitätspräsentierend als auch identitätskritisch zu behandeln. »Als didaktische Operation dazu wurde die Themenbestimmung vorgeschlagen, die als ›originale Begegnung‹ konzipiert einen derartigen Ausweg begehbar macht«.472 Das ›reflektierte und (selbst)reflexive Geschichtsbewusstsein‹ unterstützt die historisch-analytische Sinnfindung, welche als dynamischer Prozess zu verstehen ist. »Die überlieferten Quellen werden zwar in Form des Konstrukts ›Geschichte‹ auf kohärente und identitätsstiftende Sinnzusammenhänge reduziert, zugleich werden sie aber im Diskurs, in der argumentativen Auseinandersetzung mit den anderen, wieder hinterfragt und gegebenenfalls revidiert«.473 Lehrende sollen befähigt werden, Schüler/-innen bei der Reflexion ihrer Sinnbildungsprozesse anzuleiten, damit sie ein reflektiertes und selbstreflexives Geschichts- und Politikbewusstsein und nachhaltiges historisches Orientierungsvermögen erzielen.

5.4.1 Konzept der Lebenswelt In der subjektorientierten Geschichtsdidaktik wird die Lebenswelt als Wirklichkeitsbereich und die lebensweltliche Relevanz für Lernende in den Fokus gerückt. Der Begriff »Lebenswelt« bezeichnet die »Gesamtheit der uns immer schon umgebenden Sinn- und Handlungszusammenhänge«474 und ist vor allem in Bezug auf das Alltagsleben zu verstehen. Das Konzept der Lebenswelt kann als tragfähiges theoretisches Fundament der Adressatenorientierung betrachtet werden.475 Die Lebenswelt wird nach Alfred Schütz (1971) als »Wirklichkeitsbereich« verstanden, an dem »der Mensch in unausweichlicher, regelmäßiger 471 Assmann, Jan (1988). Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, 9–19; Assmann, Aleida (2006). Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses.; Halbwachs, Maurice (1967). Das kollektive Gedächtnis. 472 Bernhardt, Markus (2015). Subjektorientierung »reloaded«. Die Wurzeln subjektorientierter Geschichtsdidaktik in den 1960er Jahren. In: Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (Hg.), Subjektorientierte Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts., 131–147, hier 146. 473 Hellmuth, Thomas (2010). Wider das »normative Geschichtsbewusstsein«. Geschichtsdidaktik als historisch-analytische Sinnbildung. In: Der forschende Blick. Beiträge zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Reinhard Krammer/Christoph Kühberger/ Franz Schausberger Wien, 481–486, hier 482. 474 Richter, Dagmar (1996). Politikunterricht im Spannungsfeld von Lebenswelt und Politik. Didaktisch-methodische Reflexionen zum Aufklären von Wahrnehmungsschemata. In: Lebenswelt und Politik. Hrsg. v. Gotthard Breit/Peter Masing, Schwalbach/Ts., 17. 475 Golser, Magdalena/Hellmuth, Thomas/Maresch, Dominik (2015). Meine Geschichte – deine Geschichte – wessen Geschichte?, 50.

Konzeptuelles Lernen

129

Wiederkehr teilnimmt. Die alltägliche Lebenswelt ist die Wirklichkeitsregion, in die der Mensch eingreifen und die er verändern kann, indem er in ihr durch die Vermittlung seines Leibes wirkt. Zugleich beschränken die in diesem Bereich vorfindlichen Gegenständlichkeiten und Ereignisse, einschließlich des Handelns und der Handlungsergebnisse anderer Menschen seine freien Handlungsmöglichkeiten. Sie setzen ihm zu überwindende Widerstände wie auch unüberwindliche Schranken entgegen. Ferner kann sich der Mensch nur innerhalb dieses Bereichs mit seinen Mitmenschen verständigen, und nur in ihm kann er mit ihnen zusammenwirken.«476 Durch dieses soziale Handeln werden individuelle Erfahrungs- und Deutungsschemata in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geschaffen. Die Erfahrungen und die Erlebnisse der Einzelnen werden somit strukturiert und verleihen »subjektiven Sinn«.477 Für den didaktischen Nutzen der Lebenswelten der Lernenden sollen diese in ihren konkreten Ausformungen, wie die Anknüpfung an »so genannte Sinnprovinzen«, welche spezielle Interessen organisieren und sich durch soziale Interaktion bilden, erfasst werden. Dabei kann von einem »kodierten Sonderwissen« gesprochen werden.478 Die Subjekttheorie kann in Bezug auf van Norden in Anlehnung an sozialkonstruktivistische Vorstellungen verstanden werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Wirklichkeit in sozialen Kontexten konstruiert wird und die Alltagswelt eine wesentliche Grundlage des Wissens darstellt. Das Hauptinteresse wird auf die Wirklichkeit der Alltagswelt gelegt. Neben theoretisch fundiertem Wissen ist nach Berger/Luckmann zudem auch Alltagswissen zu erfassen und zu untersuchen.479

5.5

Konzeptuelles Lernen

An dieser Stelle kann festgehalten werden, dass »konzeptuelles Lernen«480 und die Auseinandersetzung mit konstruktivistischen Perspektiven des Begriffes »Gesundheit« und »Krankheit« als Theorie der Beobachtung eingesetzt werden kann. 476 Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (2017). Strukturen der Lebenswelt. (2003/1979) Konstanz, 29. 477 Schützeichel, Rainer (2004). Soziologische Kommunikationstheorien. Konstanz, 122. 478 Schütz, Alfred/Luckmann, Thomas (2017). Strukturen der Lebenswelt, 181. 479 Berger, Peter L (2009). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. 22. Auflage, Frankfurt a. M., 21. 480 Günther-Arndt, Hilke (2005). Historisches Lernen und Wissenserwerb. In: Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Hrsg. v. Hilke Günther-Arndt, 2. Aufl., Berlin, 23–47; Günther-Arndt, Hilke (2016). »Also irgendetwas muss schief laufen für eine Veränderung. Schülervorstellungen zur Geschichte und zu Kompetenzen histori-

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Begriffe und Konzepte dienen im Unterricht der Erfassung von historischen Sachverhalten sowie der Strukturierung von Gedankengängen. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass »Begriffe« als geistige Repräsentationen von Gegenständen, Geschehnissen oder auch gedanklichen Vorstellungen verstanden werden, welche sich von gängigen sprachlichen Ausdrücken durch ihren Abstraktionsgrad und ihre systematische Ordnung unterscheiden. Begriffe können durch eine Anzahl von Merkmalen oder durch die Beschreibung eines Prototyps klassifiziert werden. »Die Besonderheit historischer Begriffe besteht darin, dass sie nicht systematisch abgeleitet und in ein stringentes Benennungssystem eingefügt sind, sondern zumeist aus anderen Kontexten adaptiert sind.«481 Begriffe unterliegen dem historischen Wandel und können in unterschiedlichen Kontexten, wie in der Alltagssprache, in anderen Disziplinen und in Quellen, verschiedene Bedeutungen aufweisen. So besteht die Notwendigkeit, »die Anwendbarkeit von Begriffen als kognitive Werkzeuge zu schulen und zu reflektieren«.482 In diesem Zusammenhang nimmt auch das konzeptionelle Lernen, welches als Rahmenwissen bzw. als das »know-why« verstanden werden kann, einen hohen Stellenwert ein. »Durch konzeptionelles Lernen überprüfen wir unser Rahmen-Wissen und verändern es, wenn neue Erfahrungen vorliegen. Konzeptionelles Lernen erfolgt, wenn wir Ereignisse oder Handlungen reflektieren, hieraus Schlüsse ziehen und gewohnte Handlungen verändern«.483 Das didaktische Prinzip des »konzeptuellen Lernens« geht davon aus, dass sich jeder Mensch in Form von sogenannten »Konzepten« eigene Entwürfe von der Welt macht. »Wissen, mit dem Menschen sich die Welt erklären, besteht aus Konzepten, diese können unterschiedlich konkret oder abstrakt sein. Jedes Konzept steht für eine zusammenfassende Einheit ihrer Erfahrung mit der Welt«.484 Konzeptionelles Wissen umfasst erstens subjektive Vorstellungen, mit denen sich Menschen die Welt und ihr Verhältnis und Verständnis zu Politik und Geschichte erklären. Es handelt sich dabei um das Alltagsverständnis von Politik und Geschichte. Zweitens wird darunter eine Wissensform verstanden, die mit Konzepten, Theorien oder Modellen in Verbindung gebracht wird.

481 482 483 484

schen Denkens« In: Aus der Geschichte lernen? Weiße Flecken der Kompetenzdebatte. Hrsg. v. Saskia Handro/ Bernd Schönemann, Berlin, 93–105; Zülsdorf-Kersting, Meik (2007). Sechzig Jahre danach: Jugendliche und Holocaust. Eine Studie zur geschichtskulturellen Sozialisation, Berlin, 23. Baumgärtner, Ulrich (2015). Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule. Paderborn, 50. Ebd., 51. Wahren, Heinz-Kurt (1996). Das lernende Unternehmen. Theorie und Praxis des organisationalen Lernens. Berlin, New York, 88. Zimbardo, Pilipp G./Gerrig, Richard J. (2004). Psychologie. 16. Aufl., München, 326.

Konzeptuelles Lernen

131

»Der Abstraktionsgrad und Theoriegehalt ist hoch und soll die Multiperspektivität, Intersubjektivität, Komplexität und Pluralität dieser Wissensform verdeutlichen. Damit sind auch Basiskonzepte der politischen Bildung wie Macht, Gemeinwohl oder System gemeint, die unterschiedliche Stufen der Konkretisierung von Wissen von Alltagserfahrungen bis zu wissenschaftlichen Konzepten verdeutlichen sollen. Sie können inhaltlich mit unterschiedlichsten Vorstellungen gefüllt sein«.485

Konzepte stellen einen zentralen Bestandteil des fachspezifischen Lernens dar. Im Fachunterricht wird das individuelle Verständnis von einzelnen Lernenden subjektorientiert, d. h. anhand deren Vorstellungsmodi, aufgegriffen. Das konzeptionelle Verständnis von Schüler/-innen über das Historische bzw. Politische rückt dadurch in den Mittelpunkt. »Nicht eine von außen gesetzte wissenschaftliche Begriffsdefinition, die zu reproduzieren ist, bestimmt damit den Unterricht, sondern die in einer Lerngruppe auffindbaren vielfältigen Vorstellungen und Verständnisse.«486 Wesentlich dabei sind Deutungen und Erklärungen, über die Schüler/-innen zu Politik und Geschichte bereits verfügen und die Art und Weise, wie diese Phänomene interpretiert werden.487 Unterschiedliche Methoden, wie Mindmaps, Fragebögen oder Essays können zur Erhebung des Vorwissens in den Stundenverlauf eingebaut werden. Neue Wissensbestände der Schüler/-innen werden in ihre Verständnisstruktur mit Hilfe von Fallbeispielen einbezogen. »Ihr konzeptionelles Verständnis wird auf diese Weise erweitert, umgebaut oder vielleicht auch gegenüber einer bisher bestehenden Alltagstheorie korrigiert. Wird ein derartiger Prozess seitens der Lehrperson zu zentralen Bereichen (Basiskonzepte) systematisch angelegt, kann es gelingen, den Lernenden grundlegende Einblicke in das fachliche Denken bzw. zu fachspezifischen Konzepten zu bieten.«488

Dabei soll über Jahre hinweg historisches und politisches Lernen mit vielfältigen einsetzbaren Konzepten in den Fokus rücken und zu einer schrittweisen Vertiefung des Lernprozesses führen. Die Konzepte werden in Basiskonzepte und Teilkonzepte eingeteilt. Mit Basiskonzepten wird in der Fachdidaktik versucht, »jene grundlegenden Vorstellungsbereiche zu identifizieren, die für das Wissen in einem Fachgebiet prägend und strukturbildend sind. Basiskonzepte Politi485 Germ, Alfred (2015). Konzeptuelles Lernen in der Politischen Bildung. Innsbruck, Wien, Bozen, 52. 486 Kühberger, Christoph (2016). Lernen mit Konzepten, Basiskonzepte in politischen und historischen Lernprozessen. In: Informationen zur Politischen Bildung. 38 (2016), 20–30, hier 20. 487 Sander, Wolfgang (2017). Fächerintegration in den Gesellschaftswissenschaften – neue Ansätze und theoretische Grundlagen. In: Politische Bildung im Fächerverbund. Wiener Beiträge zur politischen Bildung. Band 5. Hrsg. v. Thomas Hellmuth, Schwalbach/Ts., 57. 488 Kühberger, Christoph (2016). Lernen mit Konzepten, Basiskonzepte in politischen und historischen Lernprozessen, 20.

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Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

scher Bildung definieren somit in einer abstrakten Form, um welche Vorstellungen es inhaltlich letzten Endes geht, wenn von politischem Wissen die Rede ist«.489 Basiskonzepte können als »Knotenpunkte in Wissensnetzen« bezeichnet werden. Sie repräsentieren den fachlichen Kern und sind Relevanzfilter für die Auswahl und Strukturierung von Unterrichtsthemen.490 Kühberger (2012) empfiehlt, das historische Wissen nach drei Basiskonzepten zu strukturieren. Erstens werden historische Basiskonzepte, welche die Dimension Zeit berücksichtigen (Zeitpunkte, Zeitverläufe, Zeiteinteilung) und zweitens werden epistemische Basiskonzepte, welche die Dimension historischer Erkenntnismöglichkeiten erfassen (Perspektive, Belegbarkeit, Auswahl, Bauplan), genannt. Zudem existieren drittens gesellschaftliche Basiskonzepte, welche die Dimension menschlichen Zusammenlebens (Struktur, Vielfalt, Lebens-/Naturraum, Verteilung, Kommunikation, Handlungsspielräume, Arbeit, Macht, Normen, Bedürfnisse) berücksichtigen.491 »Basiskonzepte bezeichnen komplexe Vorstellungsräume, die Menschen mit unterschiedlichen, durch die eigene Sozialisation geprägte Vorstellung füllen. Die jeweiligen konzeptuellen Vorstellungen, die der Einzelne besitzt, müssen diesem nicht unbedingt bewusst sein. Oftmals wirken sie als ›implizites Wissen‹ und beeinflussen das individuelle Verständnis von Vergangenheit.«492

Mit dem gesellschaftlichen Basiskonzepten Lebens-/Naturraum, Kommunikation, Macht, Normen können Lernräume geschaffen werden, in denen die Lernenden angeregt werden, ihre konzeptuellen Vorstellungen von »Gesundheit« und »Krankheit« in der Auseinandersetzung mit anderen auf der Basis historischen Wissens weiterzuentwickeln. Dazu stehen die didaktischen Prinzipien »Subjektivität«, »Handlungsorientierung«, »Kontroversität«, »Multiperspektivität«, »Adressaten- und Problemorientierung«, »Exemplarisches Lernen« als Anschlussmöglichkeiten zur Verfügung.493

489 Sander, Wolfgang (2007). Wissen: Basiskonzepte der Politischen Bildung. In: Informationen zur Politischen Bildung 30 (2007), 57–60, hier 58. 490 Ebd. 491 Kühberger, Christoph (2012). Konzeptionelles Lernen als besondere Grundlage für das historische Lernen. In: Christoph Kühberger (Hg.). Historisches Wissen. Geschichtsdidaktische Erkundigungen über Art, Umfang und Tiefe für das historische Lernen. Schwalbach Ts., 33–74, hier 46. 492 Ammerer, Heinrich/Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph. (Hg.) (2015). Subjektorientierte Geschichtsdidaktik, 9. 493 Hellmuth, Thomas/Kühberger. Christoph (2016). Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung« Bundesministerium für Bildung, Wien.

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht

5.6

133

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht – Unterscheidung von Quellen und Darstellungen

Schüler/-innen sollen mit der Problematik der Bilder als Erzählungen über die Vergangenheit vertraut gemacht werden. Um eine visuelle Vorstellung über die Vergangenheit zu erhalten, ist der Einsatz von Bildquellen im Unterricht sehr zielführend. Wesentlich ist, dass Bildquellen nicht nur zur Illustration von Darstellungen und Texten über vergangene Zeiten verwendet werden, sondern ebenso kritisch wie Textquellen in Bezug auf die Rekonstruktion von Vergangenheit zu betrachten sind. Dabei ist insbesondere die Unterscheidung von Quellen und Darstellungen vorzunehmen. Die Bildanalyse stellt eine wichtige Methode im Geschichtsunterricht dar, denn Bilder zeigen immer nur einen Ausschnitt der Vergangenheit aus einer bestimmten Perspektive und werden von den Künstlerinnen mit einer bestimmten Absicht erstellt.494 »Bilder sind unverzichtbarer Teil politisch-kommunikativer Strategien geworden, Wahlkämpfe werden im Bild ausgetragen und die Informationen und Emotionen, die Bilder transportieren, scheinen die Spitzenkandidaten wahlwerbender Parteien verlässlicher an den Wähler/an die Wählerin zu bringen als jedes schriftliche Manifest. In Erinnerung sind noch die Auseinandersetzungen um die Absicht des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Obama, seine Rede anlässlich seines Deutschlandbesuchs symbolträchtig und werbewirksam in Berlin vor dem Brandenburgertor zu halten. Das Bild entfaltet also unter bestimmten Umständen Suggestionskräfte, an denen es Schriftund Wortmedien eher zu mangeln pflegt. Diese Bilder werden in den Köpfen zu der Anschauung, die viele Menschen von bestimmten – auch historischen – Ereignissen und Sachverhalten haben. Bilder setzen sich in den Köpfen fest und treten an die Stelle des originären Ereignisses.«495

Als Ziel der historischen Methode gilt es, Quellen nach den Absichten und Interessen des Auftraggebers zu analysieren. Dazu ist es wesentliche, den Autor/die Autorin, sowie das erkenntnisleitende Motiv miteinzubeziehen und die beabsichtigte und tatsächliche Wirkung auf die Rezipienten zu beachten. Um den kritischen Umgang mit Bildern im Geschichtsunterricht zu unterstützen, kann auf elementare Formen der Analyse wie beispielsweise die aus der Kunstgeschichte bekannte Methode von Erwin Panovsky als Ausgangspunkt einer methodisch kontrollierten Bilderschließung herangezogen werden.496 Die Ikono-

494 Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht; Methode | Bildquellen untersuchen | segu | Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht (segu-geschichte.de). 495 Krammer, Reinhard/Kühberger, Christoph (2008). Bilder im Unterricht – eine geschichtsdidaktische Perspektive. In: Historische Sozialkunde 4 (2008), 38–44, hier 38. 496 Ebd., 12.

134

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

graphie ist laut Panofsky eine »Beschreibung und Klassifizierung von Bildern«.497 Die Ikonologie hingegen macht es sich zum Gegenstand, die symbolischen Werte zu analysieren. Es ist durchaus möglich, dass die Interpretation an diesem Punkt von dem abweicht, was die Künstlerin/der Künstler ursprünglich durch das Bild vermitteln wollte. Bildquellen können demnach im Wesentlichen in drei Schritten untersucht werden.498: Vorikonographische Ikonographische Ikonologische Beschreibung Analyse Interpretation B. Bedeutungssinn C. Dokumentsinn A. Phänomensinn Beurteilung der Beschreibung der BildEinordnung in den historischen quelle Zusammenhang Bildquelle Was sehe ich? Was bedeutet das Dargestellte? Worauf verweist das Was ist dargestellt? Dargestellte? Farben, Formen, Motive, Stimmungen, Besonderheiten 1. Erster Eindruck 2. Bildgattung

3. – Motiv – Entstehungszeitpunkt – Dargestellte Zeit

Motive, Konstellationen als Bedeutungsträger 1. Entstehung der Bildquelle 2. Um das Motiv / die Botschaft / die Perspektive der Bildquelle zu verstehen muss man wissen… 3. Weitere Informationen

Symbolizität, Intertextualität, Kontextualität 1. Eigene Frage an die Bildquelle 2. Beurteilung / Bewertung anhand der Fragestellung 3. Vergleich mit erstem Eindruck

4. – Zeichner – Künstler – Adressat 5. – Beschreibung – Bildelement – Perspektive

497 Panofsky, Erwin (2006). Ikonographie und Ikonologie. Bildinterpretation nach dem Dreistufenmodell. Köln, 41. 498 Panofsky, Erwin (2006). Ikonographie und Ikonologie, 37. Panofsky entwickelte zwischen 1930 und 1955 ein Drei-Stufen-Interpretationsschema zur Deutung von Kunstwerken. Bei den drei Stufen handelt es sich um eine vorikonographische Beschreibung (Phänomensinn: Formen und Motive; Beziehungen – Ereignisse), eine ikonographische Analyse (Bedeutungssinn: Zusammenhänge und Bedeutungen) und eine ikonologische Interpretation (Dokumentsinn: eigentliche Bedeutung oder Gehalt des Bildes).

135

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht

(Fortsetzung) Vorikonographische Beschreibung 6. Absicht (Intention)

Ikonographische Analyse

Ikonologische Interpretation

Abb. 1: Analyse historischer Bilder auf basalem Niveau nach Erwin Panovsky499 – Bildanalyse.

Es ist von Bedeutung, die Schüler/-innen darauf hinzuweisen, dass die Rekonstruktion der Vergangenheit durch das Bildmaterial notwendigerweise nur in Ausschnitten und selektiv erfolgen kann. Die Bildarbeit kann nach unterschiedlichen Kompetenzniveaustufen erfolgen. Auf basalem Niveau wird die einfache Fähigkeit der Bildanalyse, welche in einem »Vormachen« und »Nachmachen« besteht, erlernt. Das mittlere Niveau umfasst die Kenntnis grundlegender konventioneller Methoden, wie zum Beispiel den W-Fragen Laswellls500 (die 5 Ws): »WHO (Autor, Zeichner, Künstler, Auftraggeber) says WHAT (Inhalt) to WHOM (Adressaten, angesprochene Gruppen) in WHICH channel (Medium der Veröffentlichung) with WHAT effect (Wirkung des Bildes, Reaktionen, Zustimmung, Ablehnung).«501 Auf höherem bzw. postkonventionellem Niveau sollen Schüler/-innen spezifische auf den historischen Anlassfall abgestimmte Fragen in Bezug auf die Bildquelle entwickeln, um reflektiertes und selbstreflexives Geschichtsbewusstsein zu fördern.

5.6.1 Bilder medikaler Kultur – Kompetenzdiagnostik Die Methodik der Dekonstruktion von Gemälden kann als Teilkompetenz der Rekonstruktionskompetenz verstanden werden. Schüler/-innen erhalten dabei Schritt für Schritt eine nachvollziehbare Anleitung. Dabei kann für Lehrende ein Diagnoseinstrumentarium abgeleitet werden, welche in Kompetenzen, mögliche Aufgabenformate und Erwartungshorizont gegliedert werden können.502

499 Panovsky, Erwin (2006). Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht; Methode | Bild quellen untersuchen |segu | Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht (segu-geschich te.de). 500 Beck, Klaus. (2013). Lasswell-Formel. In: Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Hrsg. v. Günter Bentele/Hans-Bernd Brosius/Otfried Jarren, 2. Aufl. Wiesbaden. 501 Krammer, Reinhard/Kühberger, Christoph (2008). Bilder im Unterricht – eine geschichtsdidaktische Perspektive. In: Historische Sozialkunde 4 (2008), 38–44, hier 38. 502 Plattner, Irmgard (2011). Gemälde historischer Herrscher und Herrscherinnen als Medien der Kompetenzdiagnostik. In: Kompetenzorientierter Unterricht in Geschichte und Politischer Bildung: Diagnoseaufgaben mit Bildern. Hrsg. v. Heinrich Ammerer/Elfriede Windischbauer. Politik Lernen in der Schule, Wien.

136

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Methoden Kompetenz 1. Die Darstellung beschreiben

2. Die Darstellung analysieren

3. Die Darstellung der Bedeutung erschließen 4. Vergleich mit anderen Darstellungen

Aufgabenformate und Fragestellungen – Wer oder was wird dargestellt? – Welche Personen, Gegenstände sind sichtbar? – Wie gestaltet sich der Aufbau des Bildes? – Welche Szenen stehen im Vordergrund? – Was steht im Zentrum? – Wie ist der Aufbau des Bildes? – Aus welcher Zeit stammt die Darstellung? Wird ein Hinweis auf die Zeit in der Darstellung selbst gegeben? – Wie groß kann der zeitliche Abstand zwischen der Entstehungszeit des Werks und der dargestellten Zeit angesehen werden? – An wen ist das Bild gerichtet? – Wer könnte die Darstellung in Auftrag gegeben haben? – Ist die Darstellung realistisch oder verfälschend?

Erwartungshorizont – Beschreibung der Personen, Gegenstände, Szenen – Differenzierung zwischen Zentrum und Hintergrund

– Zeitliche Einordnung bestimmen – Beachtung des Zeitabstandes zwischen Bildproduktion und dargestellter Person – Wahrnehmung der Auftraggeber/-in und Rezipienten

– Welche Botschaft beinhaltet – Erkennen des Sinngehalts die Darstellung? und Begründungen über die – Welchen Zweck und welche Intention aufstellen Verwendung hat die Darstellung? – Welche Gemeinsamkeiten und – Formulieren und HypotheUnterschiede sind feststellbar? sen aufstellen über Unterschiede und Gemeinsamkei– Worauf liegt die Betonung in ten der Darstellung? Was wird gezeigt nicht gezeigt? – Eigene weitere Fragestellungen entwerfen

Abb. 2: Kompetenzorientierter Unterricht, Diagnoseaufgaben mit Bildern, modifiz. nach Plattner503.

503 Plattner, Irmgard (2011). Gemälde historischer Herrscher und Herrscherinnen als Medien der Kompetenzdiagnostik.

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht

137

Abb. 3: Velpeau dirigiert die Autopsie einer Leiche am Klinikum Charite (auf das RembrandtGemälde, die Anatomiestunde bezogen) https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4 d/ Alfred_Velpeau_02.JPG?uselang=de.

138

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Abb. 4: Wallfahrtskirche Maria Kirchenthal, Votivtafel von 1757; Quelle Franz Fuchs, 14. 8. 2008.

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht

139

Abb. 5: Darstellung eines Schröpfweibes. Brekelenkam. Q.De Kopster. Um 1650. Ölgemälde. Den Haag. In: Vogt, Helmut (1969). Das Bild des Kranken. Die Darstellung äußerer Veränderungen durch innere Leiden und ihrer Heilmaßnahmen von der Renaissance bis in unsere Zeit. München, 118.

140

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Abb. 6: Klistier, 18. Jahrhundert. In: Vogt, Helmut (1969). Das Bild des Kranken. München, 119.

Bildquellenanalyse als Methode für den Unterricht

141

Abb. 7: Aderlaß-Taffel Salzburg 1722. Im neu-außgefertigten Landt=Hauß= und Würthschaffts=Kalender / Auff das Jahr nach der Gnadenreichisten Geburt unseres Erlösers und Seeligmachers Christi. Salzburg 1722.

142

Geschichtsdidaktische Bausteine im Kontext »Gesundheit und Krankheit um 1800«

Abb. 8: Aderlaßmännchen. Konstenzer, Otto (1969/70). Der Aderlaß. In: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift 6 (1969/70), Innsbruck, 448.

Die Rolle der Frau im vormodernen Heilsystem (Band 2)

1

Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

Die vorliegende Arbeit zur Heiltätigkeit von Frauen um 1800 befasst sich mit der geschlechtsspezifischen Frage der Rolle von Frauen im vormodernen Heilsystem. An spezifisch Salzburger Fallbeispielen wird nachgewiesen, dass die weibliche Heiltätigkeit nicht alleine im Bereich der Selbstmedikation und der häuslichen Krankenbehandlung, sondern – weit darüber hinaus – in einem dorf- und regionsöffentlichen Rahmen anerkannt und usuell war. Ferner wird der vieldiskutierte Bereich von Popular- und Hochkultur beleuchtet. Insbesondere wird dabei auf die aufgefundenen ungedruckten Salzburger Kräuterbücher und die Kalenderliteratur, welche als Mischprodukte von Volkstradition und gelehrtem Wissen interpretiert werden können, hingewiesen. Vor allem wird dabei anhand von Originalquellen auch die Position von Frauen in der Arzneimittelherstellung und -verbreitung in den Blick genommen, wobei die große Bedeutung der Zillertaler in diesem Wandergewerbe nachgewiesen wird. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die traditionelle Heiltätigkeit auch regionalspezifische Aspekte aufweist, die mit Spezialisierungen zusammenhängen und auch für die Kommunikationsgeschichte des Alpenraums von Bedeutung sind.

1.1

Forschungstheoretische Aspekte

Die Untersuchung liegt im Grenzbereich mehrerer theoretischer Ansätze. So entstammt die Kenntnis von den Standardisierungs- und Disziplinierungsprozessen, welche in zunehmendem Maße Heilkunde und Heiltätigkeit einer wissenschaftlich verbrämten Staatslogik unterstellt, dem strengen modernisierungstheoretischen Ansatz. Die Diskussion um die Professionalisierung von beruflichen Funktionen und Tätigkeiten wird durch die Herausbildung einer standespolitisch argumentierenden Ärzteschaft erklärt.504 Die anhand von Pen504 Jütte, Robert (1996). Geschichte der Alternativen Medizin. München, 19.

146

Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

sionsansuchen gewonnenen Erkenntnisse über die bescheidene soziale Lage der Ärzte begründen den Wunsch nach Monopolstellung im Heilsystem nur allzu gut um ihr wenig erfreuliches Lebensniveau durch die medikalen (Neben)Tätigkeiten aufzubessern. Dabei kommen auch medizingeschichtliche Fragen zur Sprache, welche ein neues Bild von Krankheit als Nicht-Normalität und die entsprechenden Klassifizierungen und Absonderungen zum Inhalt haben. Ferner erfordert die Auseinandersetzung mit dem traditionellen Heilsystem vielfache Anleihen aus der Volkskultur sowie Frömmigkeitsforschung. Die Problematik der Quellenbasis wurde bereits ausführlich dargestellt, aufgrund des Untersuchungsraumes wird neben der Salzburger Informationsbasis im Bedarfsfall auf süddeutsche Beispiele ausgewichen. In der Darstellung des Heilpersonals in seiner vielfachen Verästelung der Approbierten, Konzessionierten und Nicht-Konzessionierten, sowie unter Einschluss von Produktion und Verbreitung von Heilmittel entsteht ein plastisches Bild einer vormodernen Heilkultur, in welcher Frauen und Männer gleichermaßen Platz und spezielle Funktion innehatten. Beschäftigte sich der erste Band mit der Entwicklung der sogenannten »Medikalisierung«, in dem das traditionelle Gesundheitssystem durch Medizinalreformen nach und nach aufgelöst und eine »organisierte Gesundheitspolitik« etabliert wurde, so werden im zweiten Band charakteristische medikale Räume der Frauen um 1800 in den Mittelpunkt gestellt. Das erste Kapitel des zweiten Bandes widmet sich in überwiegendem Maße dem Aufgabengebiet der Frauen im traditionellen Heilsystem. Dabei werden Positionen im Heilbereich angeführt, in denen Frauen gleichwertig neben Männern praktizieren. Darin spielt die speziell ausgeübte sesshafte oder fahrende Heiltätigkeit sowie das Arzneiwarengeschäft – von der Apothekerin und Ölfabrikantin über die Materialwarenhändlerin und Ölträgerin bis zur Beschäftigung mit Wurzengraberei eine bedeutsame Rolle. Im zweiten Kapitel wird die speziell weibliche Heiltätigkeit, der Bereich der Selbstmedikation mit besonderer Berücksichtigung des Kräuterbuch- und Kalenderwissens und die Geburtshilfe bzw. Frauenheilkunde untersucht. Das dritte Kapitel charakterisiert das Zusammentreffen von »traditioneller Heilkultur« und »organisiertem Medizinsystem« und dessen Auswirkung auf die heilkundige Frau. Es handelt sich dabei um eine vergleichende Studie, welche mit Hilfe einzelner Profile von in der Heilkunde tätigen Frauen durchgeführt wird. Auf diese Weise sollen wesentliche Bausteine der »traditionellen Heilkultur« mit Hilfe von einzelnen Analysekriterien, wie individuellen Daten zur Person erhellt werden: Herkunft, Berufstätigkeit, wirtschaftliche und soziale Lage, Mobilität/Immobilität, Heilpraxis, Beziehung zwischen Heiler/-in und Patient/-in, sowie der Ausgrenzungs- bzw. Bestrafungsprozess.

Genderperspektiven

147

Das vierte Kapitel konzentriert sich auf zwei parallel ablaufende Entwicklungsstränge als Konsequenz der Festsetzung des organisierten Gesundheitssystems, welche die Stellung der Frauen in der Heilkunde im 19. Jahrhundert und darüber hinaus bestimmt. So beginnt auf der einen Seite der Disziplinierungsund Ausgrenzungsprozess der Frau, die Festsetzung der Verteilung der aktivpassiv-Rollen zwischen Vertreter/-innen sowie die Kontrolle der Reproduktion durch die »gelehrten Mediziner«. Ferner kann ein sogenannter »Widerstandsprozess« bzw. der Nachweis volksmedizinischer Handlungsfelder bis weit ins 19. Jahrhundert und darüber hinaus beobachtet werden. In diesem Sinne wird insbesondere der Frage nachgegangen, welche Rolle »illegale« Heiltätigkeit trotz neuer Medizinalordnung – sozusagen wider die Vorschrift – spielte. Darauf folgt die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es eine kontinuierliche Entwicklung dieser Traditionen bis in die Gegenwart gibt. Grundsätzlich ist bekannt, dass der Bereich Geburtshilfe und Säuglingsbetreuung schon immer eine Frauendomäne gewesen ist.505 Die These, dass Frauen im alteuropäischen Heilsystem »gleichberechtigt« mit Männern agierten bzw. in Einzelfällen nicht nur den Männern gleichgestellte, sondern eine dominierende Position im Bereich der Volksmedizin einnahmen, ist in weiterer Folge mit Hilfe von Mikrostudien über Dörfer und Stadtviertel zu untersuchen. Entscheidend ist, dass es sich um einen situationsspezifischen, autonomen Bereich populärer weiblicher Tätigkeit, welcher dem Denksystem der Aufklärung widersprach, handelte. Zusammenfassend kann ausgeführt werden, dass die gegenständliche Arbeit die »Karrieren« von »weisen Frauen« anhand von Akten aufarbeitet, welche eine in der Literatur unbekannte sozialgeschichtliche Facette aufweisen.506

1.2

Genderperspektiven

Für die Forschungsinteressen der Gegenwart ist entscheidend, welche Ereignisse und Aspekte der Vergangenheit als relevant erachtet werden. Die »historische Realität« bildet sich aus beschriebenen Ausschnitten der Vergangenheit. Jedes Ereignis sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart enthält seine konkrete Bedeutung immer erst im Akt der Rezeption. Die Erzählperspektiven von Historiker/-innen sind nicht neutral, sondern von vielfachen Einflussbe505 Bruchhausen, Walter (2013). Geburtshilfliche Versorgung des Bonner Raums im 18. und 19. Jahrhundert. In: Bonner Familienkunde 40 (2013), 37–45. 506 Vgl. Haas, Hans (1995). Gutachten Dissertation Danninger, Gabriele (1995) »…dass sie auch vor den Krancken-Betten müssten das Maul halten«. Frauen zwischen »traditioneller Heiltätigkeit« und »gelehrter Medizin« um 1800 anhand Salzburger Quellen. Universität Salzburg, 13. 1. 1995.

148

Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

reichen und Debatten gekennzeichnet. Die Professionalisierung der Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert war vorwiegend von bürgerlich, konservativen männlichen Personen geprägt. Diese bestimmten, welche Aspekte von der Vergangenheit erforschenswert wären, wie beispielsweise die bürgerliche Geschlechterordnung, der Nationalstaat, die Rechtfertigung von Kriegen. Die Anfänge der Frauengeschichte, welche Frauen als Handelnde fokussieren, sind im deutschsprachigen Raum in den 1960er Jahren angelegt und wurden aus dem Umfeld der Frauenbewegung und den Women’s Studies in den USA angeregt. Erst die Debatten historischer Wissenschaft seit den 1970er Jahren haben die Frauen- und Geschlechtergeschichte, welche eine spezifische Herangehensweise, in der die Kategorie Geschlecht eine zentrale Rolle einnimmt, darstellt und primär von Frauen betrieben wurde, befördert.507 Ende der 1970er und zu Beginn der 1980er Jahre galten als methodische Postulate der historischen Frauenforschung »Frauen sichtbar zu machen« sowie die Betroffenheit und Parteilichkeit.508 Im Zentrum stand das Anliegen, die historischen Ursachen der Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen ausfindig zu machen und verschwiegene Leistungen, wie beispielsweise Frauenbewegung, Hebammen, Mägde, Trümmerfrauen, an die Oberfläche zu bringen. Dazu war es notwendig, Quellen aus unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten.509 In diesem Sinne entstanden mehrere Sammelbände und Werke zur Geschichte der Frauen. Annette Kuhn erhielt den ersten Lehrstuhl mit der Ausrichtung auf Geschichtsdidaktik und Frauengeschichte in Bonn. Am Ende der 1980er Jahre hat sich die Frauengeschichte als Teilgebiet der Geschichtswissenschaft etabliert. Nichtsdestominder fand kein gesamthistorischer Paradigmenwechsel statt. So wurde von den Historikerinnen eine Weiterentwicklung von Frauengeschichte zu einer Geschlechtergeschichte, welche die Kategorie Geschlecht für jedes historische Teilgebiet als zentral erklärt, gefordert.510 Zudem gab es weitere Anstöße aus der englischsprachigen masculinity-Forschung.511

507 Griesebner, Andrea (2012). Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. 2. überarb. Aufl. Wien. 508 Ebd., 91ff. 509 Frevert, Ute (1986). Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit. Frankfurt a. M.; Hausen, Karin (1992). Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte. In: Geschlechtergeschichte. Hrsg. v. Medick Trepp, 17–55; Dies., Wunder, Heide (Hg.) (1992). Frauengeschichte – Geschlechtergeschichte. Frankfurt a. M. 510 Bock, Gisela (1988). Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte. In: Geschichte und Gesellschaft 14, 364–391; Frevert, Ute (1995) Mann und Weib und Weib und Mann. Geschlechterdifferenzen in der Moderne. Beck, München; Lundt, Bea (1998). Frauen- und Geschlechtergeschichte. In: Geschichte. Ein Grundkurs. Hrsg. v. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek. 511 Connell, Raewyn (1995). Masculinities, Cambridge: Polity Press.

Genderperspektiven

149

Als Geschlechtergeschichte wird eine Disziplin der Geschichtswissenschaft verstanden, die sich mit den historischen Veränderungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, sowie des Verhältnisses der Geschlechter zueinander beschäftigt. Die kulturellen Geschlechterrollen, welche das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen geprägt haben, stehen dabei im Mittelpunkt. »Die Geschlechtergeschichte impliziert zusammenfassend eine Betrachtung vergangener Realitäten, Diskurse und Erfahrungen, die Geschlecht als soziale und kulturelle Kategorie mitdenkt. Sie richtet das Augenmerk auf die soziale Praxis der Geschlechterbeziehungen in unterschiedlichen Milieus, auf die diskursive Verortung von Geschlechtlichkeit in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten und auf die subjektive bzw. kollektive Erfahrung von Frau- und Mannsein, sowie auf die Interdependenzen zwischen diesen drei Fragekomplexen.«512

Grundsätzlich wird zwischen dem biologischen Geschlecht (sex), und einem sozialen Geschlecht (gender) unterschieden. Letztere wird als soziale Organisation von Differenz, die alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst und den körperlichen Unterschieden Bedeutung zuschreibt, verstanden.513 Als Aufgabe einer selbstreflexiven historischen Wissenschaft stellt sich »die Dekonstruktion genderbezogener »Geschichtsbilder«, ihre Rückführung auf ungleichheitsbegründende Deutungsinteressen und Darstellungsabsichten»514 »Die Essenz einer gender-sensiblen Geschichtswissenschaft besteht nun in der Feststellung, dass sich »weibliche« und »männliche« Geschichtsschreibung sowohl inhaltlich als auch konzeptionell unterscheiden. In dem schönen – wenn auch wortgeschichtlich natürlich nicht triftigen – Bonmot von der Her-Story, die der His-Story an die Seite zu stellen sei, soll »Her« indessen nicht nur auf das Mehr oder Neue an historischen Gegenständen und Artikulationsformen verweisen, sondern »His« als spezifische anstatt allgemein-menschliche Weltsicht entlarvt werden.«515

Im Praxisfeld Schule ist für die »doppelte Optik«516 des Geschichtslernens zu plädieren, welche die Akteur/-innen des Lernens nicht geschlechtsneutral, sondern in ihrer »Profilierung und Würdigung als Männer und Frauen« ermöglicht. Insbesondere in den »großen« Narrativen der Geschichtsschulbücher existiert 512 Scheide, Carmen/Stegmann, Natali (2003). Themen und Methoden der Frauen- und Geschlechtergeschichte. Das Forschungsportal zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa (http:// www.osmikon.de). Digitales Handbuch zur Geschichte und Kultur Russlands und Osteuropas, Band 5, 4. 513 Scott, Joan W. (1986). Gender, A Useful Category of Historical Analysis. In: American Historical Review, 91 (1986), 1053–1075. 514 Barriceli, Michele (2010). Gendertheorien in Gechichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. Plädoyer für eine »doppelte Optik«. Gendertheorien in Geschichtsdidaktik und Geschichts unterricht|lernen-aus-der-geschichte.de (lernen-aus-der-geschichte.de). 515 Ebd. 516 Dehne, Brigitte (2007). Gender im Geschichtsunterricht. Methoden historischen Lernens. Schwalbach/Ts.

150

Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

allerdings eine »kontraproduktive Routine«, »die immer noch der Vision der einen, für alle gleich erlernbaren und lernwürdigen Geschichte huldigt, welche doch oft nicht mehr ist als die einseitige Interpretation der Überlieferung aus einer männlichen (daneben weißen, westlichen, protestantischen oder säkularen, mittelständischen) Sicht.«517 In der Geschichtsdidaktik als Wissenschaft des historischen Denkens und Lernens ist der Fokus auf die Aufklärung und Information des Genus-Aspekt zu rücken, welcher als Konstruktion, die auf Konventionen beruht sowie einem historischen Wandel unterliegt, zu betrachten ist.518 Dabei ist die Darstellung der »Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung«519 sowie ein Genderbewusstes historisches Lernen, welches darauf abzielt, Schüler/-innen auf ihre eigenen Verhaltensmuster aufmerksam zu machen520 »in einer globalisierten, individualisierten, digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts«.521 von hoher Bedeutung für den Geschichtsunterricht.

1.3

»Die weise Frauen« – eine sozialgeschichtliche Betrachtung

Die Stellung der Frau in der Heilkunde hat eine lange Tradition, dennoch müssen wir uns bei der Betrachtung und Interpretation historischer Quellen vor jeglichen romantisierenden Vorstellungen, welche mit dem Themenkreis »Frau und Heilkunde« oftmals verbunden sind, hüten. Denn wovon hierin gesprochen wird, ist Armut, Not, Hunger und tägliche Lebensbewältigung. Die heiltätigen Frauen waren keine klar begrenzte geschlossene soziale Gruppe. Ferner entgeht uns die Bedeutung, die soziale Rolle und die kulturelle Wertigkeit dieser Heiler/innengruppe, da jene niemals etwas aufgeschrieben haben.522 Die Annäherung der Darstellung des »traditionellen Heilbereichs« macht nicht nur den Aufbau und die Organisation, sondern ebenfalls die Bedeutung der Volksheilkultur als einen für sich abgeschlossenen Bereich neben dem offiziellen Medizinalwesen deutlich. Patient/-innen konnten über den eigenen Körper bzw. über die Krankheit – sieht man vom sozialen und kulturellen Grenzen ab – weitgehend »frei« entscheiden. Die volkstümlichen Vorstellungen über Krank517 Ebd. 518 Lundt, Bea (1998). Frauen- und Geschlechtergeschichte. 519 Hausen, Karin (2012). Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte. In: Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte. Göttingen/Oakville. 520 Dehne, Brigitte (2007). Gender im Geschichtsunterricht, 133. 521 Barriceli, Michele (2010). Gendertheorien in Gechichtsdidaktik und Geschichtsunterricht. 522 Camporesi, Piero (1990). Das Brot der Träume. Hunger und Halluzinationen im vorindustriellen Europa. Aus dem Italienischen. Von Karl F. Hauber. Frankfurt a. M./New York, 204.

»Die weise Frauen« – eine sozialgeschichtliche Betrachtung

151

heit und Gesundheit bestanden in einer engen Verflechtung zwischen rationalen und irrationalen Elementen, zwischen Leben und Tod sowie Mensch und Natur. Neben empirischen genossen vor allem magische Behandlungsmethoden großes Ansehen in der Bevölkerung. Außergewöhnlich fällt im traditionellen Heilsystem das bisher kaum gewürdigte weite Tätigkeitsfeld der Frauen auf, welches von der Gesundheitserhaltung und Krankenpflege in der Familie über die speziell den Frauen zugewiesene Sphäre der Geburtshilfe und Frauenheilkunde bis zum Aufgabengebiet der Arzneikundigen und »öffentlichen« Heilerin reichte. Die Frauen verfügten über ein beachtliches Erfahrungswissen, insbesondere im Bereich der Frauen- und Kinderheilkunde, welches in der Bevölkerung über hohes Prestige und Ansehen verfügte. Die im ersten Band beschriebenen gesundheitspolitischen Maßnahmen können als wirksame Normsetzung im Bereich der Heilkunde bzw. in Bezug auf Körper und Seele gedeutet werden. Daneben bestand allerdings die Tatsache, dass eine »illegale Heiltätigkeit« noch lange weiter wirksam war uns somit auch Frauen vereinzelt medizinisch tätig waren. Allerdings mussten diese Personen im Hintergrund agieren und waren vom öffentlichen Medizinsystem sowie von jeder Forschung und Entwicklung ausgeschlossen. Besonders verdeutlicht wird dieses Phänomen in der Tatsache, dass die Handlungen und Leistungen der hier erwähnten Heiltätigen in keinem medizinischen Geschichtsbuch Erwähnung finden. Wie sehr diese Figur der heilkundigen Frau allerdings für die Menschen in verschlüsselter Form bleibend und einprägsam war und ist, zeigt sich am Bild der »weisen Frau« im Märchen »In einer morschen Hütte am Rand eines Hügels, auf dem allerlei Gestrüpp wucherte und die Käuze in der Nacht unheimlich schrien, hauste ein krummes altes Weiblein, das sich vom Verkauf heilkräftiger Kräuter und Baumrinden ernährte. Es war die Wurzelsophie, die so hieß, weil sie nicht nur jedes Stänglein kannte, sondern auch Wurzeln aus der Erde grub und sie zu viel begehrten Medizinen kochte. Oft dampfte bis spät in die Nacht hinein ihr Kessel, über dem sie allerlei geheimnisvolle Sprüche hinsagte, seltsam beschwörende Zeichen machte, um die Brühe richtig geraten zu lassen. Tagsüber suchte sie, wenn sie nicht bei Kranken weilte, Kräuter. Die Wurzelsophie wußte alles und ging als lebendiges Arzneibuch umher, deren Ratschläge man freilich nur dann zu hören bekam, wenn man dafür ein Stückchen fleischdurchzogenen Speck oder ein Fläschchen Schnaps opferte.Wo es keinen Kranken im Haus gab, suchte die Wurzelsophie keinen Zutritt. Sie war nicht schwatzhaft und fühlte sich allein am wohlsten.«523

523 Riedel, Ingried (1990). Die weise Frau in uralt-neuen Erfahrungen. Der Archetyp der alten Weisen im Märchen und seinem religionsgeschichtlichen Hintergrund. 2. Aufl. Olten und Freiburg im Breisgau, 112.

152

Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

Das Alpenmärchen »Die Wurzelsophie«524 veranschaulicht den Typus der alten Weisen als Kräuterfrau: die Kenntnis und Verwendung von heilkräftigen Wurzeln und Kräutern, ihr Aufgehen im Heilberuf, ihre Arbeit mit dem Kessel, das Brauen der Heilmittel, die Genussfreudigkeit.

1.4

Mythos versus Realität

Das Bild der alten »weisen Frau« kann als Archetypus gesehen werden, welcher in der Mythologie, der Literatur und darstellenden Kunst, aber auch in Märchen, Träumen und Sehnsüchten eine große Rolle spielte. So ist auch die Frage nicht unbedeutend, wie – wenn überhaupt – die heilkundige Weise historisch erfasst werden kann. Die Gestalt der »weisen Frau« wird von verschiedenen Autor/innen in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Volksmedizin ein unterschiedlicher Stellenwert zugewiesen. Sei es zum einen, dass sie als herausragende Figur mit überragenden Fähigkeiten und großem Wissen in der Kräuterkunde beschrieben wird oder ihr insbesondere auf dem Gebiet des Hebammenwesens übermächtige Kenntnisse von Verhütung und Abtreibung angepriesen werden.525 Die Historikerin Larissa Leibrock-Plehn (1992) behauptet andererseits, dass der Begriff der »weisen Frau« bei näherer Betrachtung äußerst fragwürdig erscheint bzw. in der frühneuzeitlichen medizinisch-pharmazeutische Literatur nicht in Erscheinung tritt.526 Die untersuchten staatlichen Salzburger Quellen beinhalten ebenfalls keine Bezeichnung der »weisen Frau«. In Kräuterbüchern, Hausväterliteratur sowie sonstigen Reisebeschreibungen wird allerdings immer wieder darauf verwiesen, dass das Volk unter anderem Rat bei »alten« oder »weisen Frauen« suchte. Wie lässt sich also dieser Mythos von der kräuterkundigen, magiebegabten Frau verstehen? Eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis ist vorerst eine Begriffsdefinition. Zudem ist zu beachten, in welchem Zeitraum der Begriff »weise Frau« untersucht wird. So trägt zum Beispiel die hoch- und spätmittelalterliche Hexe in einigen ihren Namen und Beinamen, etwa als englische witch, von veihan, »weihen«, abstammend, deutliche Spuren der germanischen »weisen Frau«.527 Der Begriff »weise«528 wird gemäß etymologischem Wörterbuch als »wissend, lebenserfahren, klug, kundig, gelehrt« bezeichnet. 524 Ebd., 112. 525 Ehrenreich, Barbara/English, Deirdre (1982). Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. The witches are back! 12. Aufl. München. 526 Leibrock-Plehn, Larissa (1992). Hexenkräuter oder Arznei. Die Abtreibungsmittel im 16. und 17. Jahrhundert. Stuttgart, 172. 527 Danckert, Werner (1979). Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. 2. Auf. Bern, München, 17.

Mythos versus Realität

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Kann in diesem Zusammenhang zwar keine absolute Antwort zu einer Enträtselung der »weisen Frau« geliefert werden, so kann in Erinnerung gerufen werden, dass in allen Kulturen der Welt Erzählungen von Heilerinnen existieren. Sie berichten von einer Zeit, in der nur die Frauen um die Geheimnisse von Leben und Tod wussten und unnachahmbare Fähigkeiten besaßen, die magische Kunst des Heilens auszuüben. Doch wird weiters auch davon gesprochen, dass in Phasen von Krisen und Katastrophen den Frauen diese hochgeachtete Stellung »als Hüterinnen der heiligen Weisheit«529 entzogen bzw. das urtümliche Recht, in Heilberufen tätig zu sein durch sich verändernde Sitten und neue religiöse Dogmen allmählich unterminiert wurde.530 In vorgeschichtlicher Zeit gab es vor allem zahlreiche Göttinnen, welche als Heilerinnen verehrt wurden. So besaß zum Beispiel Isis, die älteste Heilgöttin Ägyptens, einen großen Erfahrungsschatz. »Denen, welche ihre Hülfe anflehen, giebt sie in den Träumen (in den Incubationen und dem clairvoyanten531 Schlaf der Kranken in den Isistempeln) ihre Gegenwart kund, und leistet ihnen durch kundgemachte Heilmittel schnelle Hülfe.«532 Viele Kranke, welche schon von den Ärzten aufgegeben waren, erhielten in diesem Traumschlaf durch die Inspiration der Göttin ihre Rettung. Als heilkundliche Göttinnen Griechenlands bekannt sind weiters Diana, besonders hervorgehoben durch ihren Beistand für Schwangere und Gebärende, Minerva – ein bei den Griechen und Römern als eine mit Heilkräften ausgerüstete und Gesundheit erhaltende wie herstellende Gottheit, Cybele – betraut mit der Heilung kranker Kinder und des Ackerviehs; Pasiphae, Medea, Circe, Angitia und Angerona, Agameda, Polydamna, Helena, Oenone, und viele andere mehr.533 Besondere Bedeutung erhält auch Hygiea – das moderne Wort (Hygienine) verehrt und später als Schützerin gegen Krankheiten und Seuchen genannt. Als Tochter des Äskulaps repräsentierte sie mit ihrer Schwester Panakeia lange die Aspekte der Vorsorge bzw. Genesung. Die Medizin der Gegenwart lässt heute diese Prinzipien der Hygiea wieder aufleben. Setzen wir den Begriff der »weisen Frau« mit dem in dieser Arbeit verwendeten Begriff der Volksheilerin gleich, so übt diese die Heilkunde aktiv aus, verfügt über 528 Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Aufl. Berlin 1993, 1552. 529 Achterberg, Jeanne (1991). Die Frau als Heilerin. Bern, München, Wien, 7. 530 Riedel, Ingrid (1990). Die weise Frau in uralt-neuen Erfahrungen; Göttner-Abendroth, Heide (1988). Die Göttin und ihr Heros. Die matriarchalen Religionen in Mythos, Märchen und Dichtung. 8. Aufl. München; Rinne, Olga (1988). Medea. Das Recht auf Zorn und Eifersucht. Zürich, insbes. 49–56. 531 Clairvoyance = lt. Duden – Hellsehen, d. h. die menschl. Fähigkeit im somnambulen oder Trancezustand die Zukunft vorauszusehen. 532 Harless, Christian Friedrich (1830). Die Verdienste der Frauen um Naturwissenschaft, Gesundheits- und Heilkunde, so wie auch um Länder- Völker- und Menschenkunde, von der ältesten Zeit bis auf die neueste. Göttingen, 17. 533 Ebd., 10–100.

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Geschlechtergeschichte und Genderaspekte in der Geschichtsdidaktik

eine angesehene vertrauensvolle Position im traditionellen Heilsystem und ist einer heilerischen Sache kundig und erfahren. Wie bereits erwähnt, unterscheiden sich heiltägige Frauen in dieser Aufgabenstellung noch keineswegs von den männlichen Laienheilern, die ja ebenso in den Quellen aufscheinen. Warum also existiert nicht der Begriff des »weisen Mannes«? Die Tatsache lässt den Schluss zu, dass es sich bei der sogenannten »weisen Frau« doch um eine erweiterte Perspektive der Wahrnehmung der Heiltätigkeit handelt. Es ist naheliegend zu vermuten, dass die »weise Frau« mit der Hebamme, welche mit der Regulation der Fruchtbarkeit, mit einem Wissen über Leben und Tod ausgestattet war, verglichen werden kann. Vieles deutet darauf hin, das mit dem Begriff »weise« ein großes Wissen verbunden war, ein Wissen über Mensch und Natur, welches eine Kommunikation mit übernatürlichen Kräften beinhaltete. Es scheint also, als schufen die »weisen Frauen« nicht nur Hilfe auf dem medizinischen Sektor, sondern waren für persönliche Probleme aller Art, angefangen vom Verlust bestimmter Gegenstände über Liebeskummer bis zu Vermutungen dämonischer Besessenheit zuständig und hatten dadurch eine dominante Position inne. Medizinalrat Luden schlug im Jahre 1816 eine Perfektionierung des Medizinsystems vor, welche in einer gleichberechtigten Zusammenarbeit der weiblichen und männlichen Perspektive in der Heilkunst liegen würde. »Ueberdieß glauben wir, würde es für die Vervollkommnung der Heilkunde nicht ohne großen Nutzen seyn, wenn Frauen dieselbe übernehmen und pflegen dürften. Ihr zarter, richtiger, auf den vorliegenden Fall gerichteter Sinn möchte vielleicht den zum Generalisiren und zur Abstraction geneigten männlichen Geist etwas zurückhalten; oder vielmehr aus den beyden Bestrebungen des männlichen und weiblichen Geistes möchte eine Heilkunst hervorgehen, die der Mann darum nie finden wird, weil er eine Arzneywissenschaft erstrebt.«534

534 Luden (1811). Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik. Jena, 134.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

Kräutersammlung, Zubereitung von Ölen, Pflastern und Medizin, Handel mit Arzneien, medizinische Fern- und Nahdiagnose, Ausübung von magischen und empirischen Heilmethoden, Erteilung von Ratschlägen im Krankheitsfalle – diese und viele andere mannigfaltigen Beschäftigungsbereiche auf dem Gesundheitsmarkt gehörten zu den Aufgaben der Frauen im Heilbereich im vormodernen Heilsystem – »Sie ist die geboren Arznei- und Heilbeflissene. Denn zweifellos übte die erste Frau zu gleicher Zeit das Amt der Ärztin und Apothekerin aus.«535 Bemerkenswert ist die These Michael Mitterauers, nach der sich in der europäischen Geschichte relativ häufig eine Übernahme von Frauenarbeiten durch Männer nachweisen läßt.536 Übertragen wir dieses Faktum auf die Heilkunde, so wird deutlich, dass beispielsweise ursprünglich zur häuslichen Arbeit von Frauen gehörende Sammlung von Heilkräutern bzw. die Wundbehandlung schon relativ früh in die »Männerhandwerke« Apotheker und Bader übergingen. Betrachten wir die mittelalterliche Heilkunde, so sind heilerisch tätige Frauen in der heilkundlichen Fachprosa vielfach belegt. In der altdeutschen Medizinliteratur zeigt das Bild die Ärztin mit dreierlei Funktionen: als medizinische Schriftstellerin, als Diagnostikerin und als Pharmazeutin537. Die Dienstleistungen im Heilbereich sind vielschichtig, zu nennen sind die Krankenpflege, die ärztliche Versorgung, die Angestelltentätigkeit als Bademagd in einer Badestube, das Tätigsein im Arzneimittelwesen, die Ausübung von Magie und Heilzauber sowie die Arbeit als 535 Schelenz, Hermann (1900). Frauen im Reiche Aeskulaps. Ein Versuch zur Geschichte der Frau in der Medizin und Pharmazie unter Bezugnahme auf die Zukunft der modernen Ärztinnen und Apothekerinnen. Leipzig, 1. 536 Mitterauer, Michael (1993). »›Als Adam grub und Eva spann.‹ Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in vorindustrieller Zeit.« In: Frauen-Arbeitswelten. Zur historischen Genese gegenwärtiger Probleme. Hrsg. von dems./Birgit Bolognese-Leuchtenmüller, Wien, 27. 537 Keil, Gundolf (1986). Die Frau als Ärztin und Patientin in der medizinischen Fachprosa des deutschen Mittelalters. In: Frau und spätmittelalterlichen Alltag. Internationaler Kongreß. Krems an der Donau 2. – 5. Okt. 1984, Wien, 200.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

Geburtshelferin. »Die erfahrene Hebamme war hoch angesehen, verfügte über gynäkologisch-geburtshilfliches Fachwissen und wurde entsprechend als vruot bzw. wise eingestuft«.538 Es gab zahlreiche Ärztinnen, die sich zum Teil auf einzelne Fachbereiche, wie Augenheilkunde, Zahnheilkunde usw. spezialisierten, sowie zünftig organisierte Chirurginnen, die vor allem für Wundmedizin, Operationen, Geschwulste und Hautkrankheiten zuständig waren.539 Bis ins 17. Jahrhundert waren ferner »freie« Apothekerinnen zu finden. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der Anteil der Frauen an der ärztlichen Versorgung hoch war, wenn auch nur wenige dieser Ärztinnen Berühmtheit erlangten. Eine Ausnahmestellung nimmt die große Heilerin und Mystikerin Hildegard von Bingen540 ein, deren Medizin und theoretische Überlegungen bis in der Gegenwart Aktualität besitzen. Doch im Großen und Ganzen blieben bisher die Spuren der Heilerinnen weitgehend im Dunkeln. Bestens bekannt sind uns die berühmten Ärztefiguren – die »gelehrten medici«, deren Biographie und Schöpfungsleistungen von der Medizingeschichtsschreibung ins Rampenlicht gestellt wurden, weniger bekannt sind hingegen männliche Vertreter der Volksmedizin, wie Bader, Wundärzte und sogenannte Laienheiler, doch beinahe unbekannt sind uns die Frauen, welche sehr wohl einen bedeutenden Beitrag in der Heilkunde geleistet haben. Fanden Volksheiler zumindest in den letzten Jahrzehnten Beachtung von der Sozialgeschichtsschreibung, blieben Volksheilerinnen – sehen wir von Einzelerwähnungen einmal ab – ungewürdigt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde stellt es ein Anliegen dar, auf diese Frauengestalten und deren Funktionen und Tätigkeiten im Heilsystem gesondert hinzuweisen. Tatsache ist, dass Frauen und Männer im vormodernen Heilsystem – in untersuchtem Zeitrahmen und Örtlichkeit – abgesehen von sozialen Ungleichheitskriterien und festgesetzten Normierungen relativ gleichwertig, ja, so kann die These aufgestellt werden, in Bezug auf die Bedeutsamkeit, die ihnen vom Volk zugeschrieben wurde, »gleichberechtigt« agierten. Im vormodernen Medizinalsystem boten sich für Heilerinnen und Heiler im Volke viele gleiche Chancen, eine Position im Medizinalbereich auszuführen. Dies galt im Einzelnen für die speziell ausgeübte, sesshafte oder fahrende Heiltätigkeit sowie das Arzneiwarengeschäft. Dennoch existierten darüber hinaus für Frauen gesonderte Bereiche, in welchen sich verbunden mit speziellen Aufgabenbereichen ausschließlich weibliche Heiltätigkeit formierte. Zu nennen sind hierbei insbesondere der Bereich der 538 Ebd., 202. 539 Schmölzer, Hilde (1990). Die verlorene Geschichte der Frau. 100.000 Jahre unterschlagene Vergangenheit. Mattersburg, 169. 540 Bühler, Johannes (1922/1991). Schriften der Hildegard von Bingen. Hildesheim, Zürich, New York. Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1922.

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Selbstmedikation und der Geburtshilfe, welcher eng mit dem Erleben und den Erfahrungen der Frau in Verbindung stand, sowie einzigartigem Verhütungsund Abtreibungswissen bzw. gynäkologischen Kenntnissen. »Ich kenne selber Frauenzimmer auf dem Lande, welche auf die glücklichste Art heilen, und stärkern Zulauf haben, als mancher Arzt; Ich bin Zeuge gewesen, daß verschiedene genesete sich für die erzeigte Hülfe bedankten, welche schon vorher vergebens bey mehrern Aerzten und Feldschers Rath geholt hatten. Ich weiß, daß sie mehrmalen große und geschickte Aerzte durch ihre Erinnerungen auf ganz andere und die rechte Wege gebracht haben, so daß Aerzte nachher wol gar zweifelhafte Fälle mit ihnen überlegten.«541

Von den Zeitgenossen wurde in Beschreibungen und Schilderungen der medizinischen Situation immer wieder auf Erfolg, Vertrauensposition und Wirksamkeit der weiblichen Heilkunde hingewiesen. Im allgemeinen lässt sich bei der Charakterisierung der jeweiligen Heilbereiche der Frauen im Salzburger Raum feststellen, dass es sich hauptsächlich um Positionen innerhalb des unprofessionellen volksmedizinischen Systems bzw. einer Stellung zwischen geprüftem und ungeprüftem Heilpersonal handelte. Als Vertreterinnen des approbierten Heilpersonals schienen nur vereinzelt geprüfte Hebammen auf, Hinweise auf akademische Ärztinnen fehlten zu dieser Zeit gänzlich. Einen Sonderfall stellte die Baderswitwe dar, welche berechtigt war, die Tätigkeit ein Jahr lang mit allen Freiheiten des Handwerks und mit Knechten weiterzuführen542, selbst aber keine Möglichkeit zur Prüfung hatte. Als Beispiel für sich stand ferner die Position der Apothekerin in Frauenklöstern. In Bezug auf den bereits beschriebenen medizinischen Instanzenweg im »Traditionellen Heilsystem« des Volkes sollen im Folgenden die einzelnen Heilbereiche der Frauen nicht nur unter dem Aspekt von Erscheinungsform und Verbreitung, sondern ebenso nach dem Bedeutungs- und Handlungsaspekt beleuchtet werden. Im Mittelpunkt stehen dabei die autonom ausgeübten Heilhandlungen.

2.1

Allgemein weibliche Positionen in der Volksheilkunde

Unter dem Begriff »Heilerin« werden in dieser Arbeit alle jene Frauen zusammengefasst, welche eine nicht staatlich geprüfte, somit rechtswidrige Heiltätigkeit nach außen, d. h. in der Nachbarschaft bzw. im weiteren Raum ausübten. Es handelte sich dabei um eine aktive, selbständig, ohne Vorgesetzen ausgeübte 541 Des Hausvaters Vierten Theils Zweytes Stück. Hannover 1772, 743. 542 Besl, Friedrich (1993). Bader, Wundärzte und Chirurgen in Salzburg. Vom Bader und Wundarzt zum Medizinal-Chirurgen. Dipl.Arb. Salzburg, 85.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

»öffentliche« Handlungsweise. Zum Terminus »öffentliche« Heilerin muss angemerkt werden, dass um 1800 die Teilung zwischen privatem und öffentlichem Raum noch nicht gegeben war. Die Entscheidung für die Verwendung des Begriffes »Heilerin« kommt der Dorfrealität wahrscheinlich am nächsten. Als zeitgenössische Begriffe tauchen zweierlei Formen auf: einerseits die Bezeichnungen aus Sicht der Patient/-innen: »doctorin«, »weise Frau« bzw. Eigennamen, andererseits aus Sicht der Obrigkeit: »Quacksalberinnen« und »Pfuscherinnen«. Wird unter dem »medizinischer Doktorhut«543 nicht die medizinische Universitätsausbildung, sondern ein Privileg, welches der/die Patient/-in einer Heilkundigen ausstellte, verstanden, so erhielt diesen die Frau relativ einfach, denn es bestand eine beträchtliche Nachfrage nach Heilerinnen. Ungeprüfte Heiler/-innen standen den Menschen allerorts zur Verfügung, blieben jedoch zumeist namenlos. Sie waren sozusagen die medizinischen Nahversorger der ländlichen Bevölkerung. Wesentlich ist, dass es sich innerhalb des medizinischen Feldes sehr häufig um Überschneidungen der Kompetenzbereiche gehandelt hat. Die Ausübung einer Position im Heilbereich, wie etwa der Bereich Selbstmedikation, Geburtshilfe, Arzneimittelgeschäft und Krankenpflege in klösterlichen bzw. institutionellen Betrieben fiel nur allzu oft mit einer »öffentlich« ausgeführten Heiltätigkeit zusammen.544 Grundsätzlich konnte bei den Heiltätigen zwischen sesshaften, sich an einem bestimmten Ort befindlichen und fahrenden, von Ort zu Ort ziehenden Heiler/-innen unterschieden werden, wobei auch hier Überlappungen angenommen werden müssen.

2.1.1 Sesshafte Heiltätige in der Dorfgemeinschaft Zur Verteilung der weiblichen und männlichen Heiler ist in Salzburg aufgrund von bearbeiteten »Statistiken«545 festzustellen, dass sich die Zahl der Heiler und Heilerinnen beinahe die Waage hielt. So scheinen in den Berichten der Physiker aus den einzelnen Pfleggerichten an das Protomedikat in den Jahren 1807 und 1808 von insgesamt 95 angeklagten »Pfuschereyen« 46 Frauen und 49 Männer auf.546 In manchen Gegenden, insbesondere auf dem Land, waren Frauen stärker vertreten als Männer. Zum Beispiel gab es im Raum St. Johann zwölf weibliche und neun männliche; in Salzburg laut Landschaftsphysikat Dr. Barisani, eine weibliche und vier männliche Heiltätige. In den Jahren 1801–1816 wurden ins543 PF 1804, 853. 544 SLA Hofkammer 1806, 7a; Liste mit Quacksalbereiakten. SLA kurfürstl. k.k. Reg. 1803–1810, R XI/A; SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. R XI/H 5/110. 545 Mitteilungen der Protomedikate über die Auszüge der Landschaftsphysikatsberichte an die k.k. Regierung in den Jahren 1807 und 1808, SLA kurfürst. k.k. österr. Reg. R XI/H 5/110. 546 Ebd.

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gesamt 68 Fälle weiblicher Heiltätigkeit unabhängig von »Hebammen- und Arzneimittelhandelpfuschereien« aktenkundig.547 Halten wir uns vor Augen, dass sicherlich nicht jede Heilhandlung von Frauen der Obrigkeit bekannt wurde, war der weibliche Anteil an der medizinischen Versorgung des Volkes auf jeden Fall beträchtlich. Das Tätigkeitsfeld bzw. die Charakterisierung dieser Personen ist Gegenstand einer speziellen Analyse in einem weiteren Kapitel. 2.1.1.1 Wasenmeisterei – ein Terrain für Heilkundige? Viele Beispiele aus dem salzburgischen und bayerischen Raum belegen die Heiltätigkeit von Wasenmeisterinnen.548 Die Aufgabe der Wasenmeister, auch als Abdecker oder Schinder bekannt, war die Beseitigung und Verwertung von Tierkörpern, d. h. Einsammlung von Tierkadavern, Untersuchung, Analyse, Behandlung und Tötung von kranken Tieren.549 Die Kenntnisse über Krankheitszustände und Krankheitszeichen wurden über die Behandlung von Tieren hinaus auch auf menschliche Leiden angewandt. Die Abdeckerin aus Abtenau leistete sowohl wundärztliche, als auch medizinische Hilfe, unternahm Aderlässe, Wundheilungen, und gab auch Arzneien ab.550 Durch diesen Beruf war der/die Abdecker/-in allerdings von einem magisch-kultischen Hauch umgeben und gehörte wie Henker, Bader und Schäfer zu den sogenannten »unehrlichen«, d. h. nicht ehrbaren, rechtlosen Leuten.551 Susanne Feichtinger552 war Wasenmeisterin zu Lengau. Eine Verwandtschaft zu Maria Anna Feichtnerin553, Wasenmeisterstochter zu Reith im Gerichtsbezirk Lofer, welche mit einem aus Mondsee stammenden Wasenmeister Anton Ziegler verheiratet war und vier Kinder hatte, konnte nicht nachgewiesen werden. Al547 SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. R XI/H 5/110; SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. R XI/A; SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. XII/15; SLA Kreiskommissariat B.2.6. 548 Ebd. 549 Fischer, Friedrich Johann (1962). Der Abdecker. Seine Bedeutung als Träger magischer Vorstellungen im Zeitalter des Barocks. In: ÖZfV 65 (1962), 71–95. 550 Schreiben vom 14. Jänner 1808 von Hartenkeil an die k.k. Reg. Nr. 127, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. R XI/H 5/110. 551 Danckert, Werner (1979). Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. 2. Aufl. Bern, München; Dülmen, Richard van (1990). Der infame Mensch. Unehrliche Arbeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit. In: Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Studien zur historischen Kulturforschung. Hrsg. v. dems. Frankfurt a. M., 106–141; Matschek, Hans (1992). Der Abdecker – das zwielichtige Wesen. In: Chronik Saalfelden, Band. 1, Innsbruck, 227– 228. 552 Vernehmungsprotokoll des Peter Feichtinger, 19. April 1812, SLA Kreiskommissariat Neumarkt 31, B.2.6. II. 553 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, Pfleggericht Lofer I/4. In: Adler, Margot. Die alte Abdeckerin. Volksmedizinisches aus Lofer aus einem Verhörprotokoll aus dem Jahre 1788. In: Salzburger Volkskultur 14 (1990) 3, 129–133.

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lerdings übte auch die Tochter der Feichtnerin, Maria, zu Audorf in Bayern ebenfalls mit einem Wasenmeister liiert, medizinische Handlungen aus. Zeitweise kam sie auch ihrer Mutter beim Behandeln der Patient/-innen zu Hilfe. Die Familie lebte im Abdeckerhaus in Reith, welches heute noch besichtigt werden kann. Eine Heirat innerhalb der Berufsgruppe mag nicht verwundern. Wasenmeister gehörten zu einer nicht sehr angesehenen Schicht, welche mit dem Stigma »Unehrlichkeit« behaftet war. Eine Vermengung mit Vertretern »ehrbarer« Berufe, sei es in zünftischer, gesellschaftlicher oder freundschaftlicher Hinsicht, blieb Wasenmeistersöhnen und -töchtern verwehrt. So stammten zum Beispiel die Ehepartner aus Abdeckerfamilien von Teisendorf zwischen 1620 und 1775 nur aus dem zugewiesenen Heiratskreis der Abdecker, Gerichtsdiener und Scharfrichter.554 Verfemt und gefürchtet, ebenso als Heiler/-innen und magische Zauberer/-innen verehrt, wurden die Wasenmeister/-innen trotz aller Widersprüchlichkeit von der Bevölkerung sehr häufig aufgesucht. Eine ähnliche zweideutige Position nahm das »fahrende Volk« ein, welches sich bezüglich Inanspruchnahme medizinischer Dienstleistungen gleichfalls hoher Beliebtheit erfreute.

2.1.2 Fahrende Heiltätige Fahrende Heiltätige waren grundsätzlich darauf angewiesen, ihre Kundschaft in weiterer Umgebung des Landes zu suchen – ihre Dienste wurden von Personen verschiedenster Stände in Anspruch genommen.555 Diese kleine Gruppe fahrender Heiler/-innen lässt sich folgendermaßen charakterisieren: Die Herkunft und Ausbildung war meist nicht bekannt. Es handelte sich um geschickte Empiriker und Autodidaktiker, zweifellos gab es auch betrügerische Scharlatane. Sie hatten keinen festen Wohnsitz, zogen von Ort zu Ort, oft ausgestattet mit allerlei Hilfspersonal, »wie Dienern, Hanswursten, Gauklern, Affen und ganzen Theatergruppen«556. Wesentliche Elemente ihrer Wirkungskraft verdankten sie einer regen Werbetätigkeit. Sie verteilten Reklamezettel, worauf sie ihre Künste und Arzneien anpriesen, kamen zu Jahrmärkten, um auf offener Bühne operative 554 Matschek, Hans. (1991). Teisendorfs Abdecker. Wunderl. und Schauriges um ein Gewerbe. In: Das Salzfaß 25 (1991) 1, 24–36. 555 Ebd., 49; Stolberg, Michael (1986). Heilkunde zwischen Staat und Bevölkerung. Angebot und Annahme med. Versorgung in Oberfranken im frühen 19. Jahrhundert. Diss. München, 150– 154; Kröll, Katrin (1992). »Kurier die Leut auf meine Art…«. Jahrmarktskünste und Medizin auf den Messen des 16. und 17. Jh. In: Heilkunde und Krankheitserfahrung in der frühen Neuzeit. Studien am Grenzrain von Literaturgeschichte und Medizingeschichte. Hrsg. v. Udo Benzenhöfer und Wilhelm Kühlmann. Tübingen, 155–187. 556 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin vom Marktplatz und Landstraße. Rosenheim, 49.

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Eingriffe vorzunehmen bzw. Arzneien »auszuschreien«. Weiters behandelten sie ihre Patient/-innen auch in diversen Gasthäusern. Landes- und Ortsobrigkeiten erteilten ihnen Konzessionen für Durchreise, Aufenthalt und Ausübung ihrer Kunst. Auch Frauen waren unter den fahrenden Heiltätigen rege vertreten. Viele Patientinnen scheuten sozusagen »aus Schamhaftigkeit«, sich insbesondere bei Frauenleiden von männlichen Ärzten oder Wundärzten untersuchen zu lassen, weshalb ständig ein dringender Bedarf an weiblichem Heilpersonal bestand. Die Männer bezogen deshalb ihre Frauen, Töchter, Schwestern und andere Frauen als Gehilfinnen und Teilhaberinnen in das Heilgeschäft mit ein.557 Witwen fahrender Volksmediziner führten das Geschäft oft auch selbständig weiter. Beispiele für Familientradition und gemeinsame Beteiligungen stellen die Tochter des fahrenden Operateurs Franz Joseph Elbs, welche »als Begleiterin ihres Vaters auf dessen Reisen vom Fache«558 mit dabei war, sowie die Teilhaberin eines fahrenden Operateurs und Doktor der Chirurgie namens Johann Konrad Hoffmann – Botanicus und Medicinae practicus dar. Letzterer verfügte über eine Truppe, die Komödien aufführte und sich 1792 im Dorf Theilheim, 12 km südlich von Schweinfurt im Hochstift Würzburg aufhielt.559 Die namenlos gebliebene Begleiterin war für die Behandlung von Frauenleiden zuständig. Ihre Tätigkeit geht aus folgendem Absatz des Werbezettels Hoffmanns hervor. »Weil auch das weibliche Geschlecht besonders vielen Krankheiten unterworfen ist und durch ihre Schamhaftigkeit solche lang, ja wohl gar hinterhalten, den an sich habenden Fehler keinen Arzte offerieren und dadurch ihre Gesundheit, ja oft das Leben vor der Zeit aufopfern: so wird jenen Personen bekannt gemacht, welche sich vor mir schämen, können zu meiner Frau Compagnistin kommen oder, so es innerlich ist, ihren s.v. Urin bringen oder schicken, daraus wird sie ihnen sagen, was sie für Umstände an sich haben, und mit möglichster Hülfe und gutem Rath an die Hand gehen, indem sie bey dieser Kunst erzogen worden; und hat auch schon sehr viele Proben unter göttlichem Beystande nicht nur in hiesiger Gegend, sondern auch in weit entfernten Landschaften an Tage gelegt.«560

Es ist anzunehmen, dass Frauen auch autonom und ohne Gehilfinnenstatus diesem Erwerbszweig nachging. Die fahrende Ärztin Elisabeth Steinz561 von unbekannter Herkunft beweist die Existenz des erfolgreichen Wirkens einer selbständigen Heilerin. Sie schlug mit einer Mannschaft von zehn oder zwölf Personen auf einem öffentlichen Platz in Erding ihr Theater auf. Gaukler und Pos557 558 559 560

Ebd, 166. BayHStA GR 1205, 131, zit. nach Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 166. Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 166. Journal von und für Franken, 4, (1792) 3, 728–737, zit. nach Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 163. 561 BayHStA GR 1204, 128, 129.

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senreißer traten auf, um die Leute anzulocken, währenddessen sie mit ihren Mitarbeiter/-innen Arzneien verkaufte und Patient/-innen behandelte. Neben dieser Heiltätigkeit auf öffentlichen Plätzen machte sie auch Hausbesuche und führte medizinische ebenso wie chirurgische Behandlungen durch. Die Legalität dieses Wirkens gründet sich auf ein vom Münchner Polizeirat ausgestelltes Patent. Es war Elisabeth Steinz gestattet, zwei Wochen am Ort zu bleiben. Aber weder sie selbst noch die Ortsbehörde hielt sich an diese Frist. Besonders unangenehm war dies dem Stadtphysicus von Erding. Dr. Severin Lamer, der die Heilerin nur als unangenehme Konkurrenz für sich und die Apotheken empfand. Doch seine Klage beim Protomedicus: »der schönen Arzneywissenschaft müsse Schaden, Schande und Schmach erwachsen, die Menschen aber würden Geld und Gesundheit verlieren«562 und sein Wunsch, die Steinzin des Landes zu verweisen, blieb unerfüllt. Das Zusammenspiel von praktischer Ausübung medizinischer Tätigkeit und Herstellung bzw. Vertrieb von Arzneimitteln ist ein wesentliches Merkmal der »traditionellen Heiltätigkeit«. Das Arzneimittelgeschäft stellte am Ende des 18. Jahrhunderts ein vielschichtiges, undurchschaubar vernetztes System dar.

2.1.3 Frauen im Arzneimittelgeschäft Auch im Bereich des Arzneimittelgeschäftes werden die unterschiedlichen Rollen der Frauen sichtbar. Nicht nur in der Domäne des Handels mit Arzneien, sondern sozusagen in jedem pharmazeutischen Bereich, von der Sammlung einzelner Kräuter bis zur Fabrikation der Heilmittel, war das weibliche Geschlecht neben dem männlichen tatkräftig vertreten.563 Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Tradition, sich im Krankheitsfalle vorerst selbst zu kurieren, so kam den Menschen die Entwicklung des Arzneihausierhandels, welche ermöglichte, die Medikamente vor Ort zu liefern, wohl nur zu gut entgegen.564 Um eine Bedrohung der wirtschaftlichen und sozialen Situation im Falle einer Krankheit vorzeitig abzuwenden, konnte mit Hilfe schnell wirksamer Kuren, welche Arzneihändler/-innen in Form von hitzigen, »geistigen«, heftig wirkenden Arzneien oder sogenannten »Wundermitteln« abgaben, sogleich entgegengewirkt werden. »Was ist daher natürlicher, als daß die guten Leute den Worten des interessierten Verkäufers oder des marktschreyerischen Rezeptes blindlings

562 Ebd. 563 Vgl. BayHStA GR 1204, 129; SLA Kreisamt B IX 5; SLA k.k.Reg. XXXV/M 7; SLA Hofkammer 1806, 71; SLA k.k. Reg. XXXVI B III/6. 564 »Der Königseer ArzneyHandel nach PolizeyRücksichten gewürdiget, als Commentar der aktenmäßigen Ausschlüsse über diesen Gegenstand.« In: PF 128, 1. Nov. 1805, 1027.

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trauend um einen hohen Preis Sachen kaufen«.565 Die Verarbeitung und der Vertrieb von Heilmitteln erfolgten also keineswegs einzig in Apotheken, denn ganz im Gegenteil befanden sich diese eher in einer untergeordneten Position.

2.1.4 Die Apothekerin Die Betreuung einer Apotheke stellte im Arzneimittelgeschäft aufgrund der approbierten Tätigkeit eine eindeutig männliche Domäne dar. Eine Sonderstellung finden wir einzig im Bereich der Frauenklöster, in der auch pharmazeutisch geprüfte Frauen die Apothekerkunst ausübten. Im Salzburger Raum wurde im Nonnberger und Ursulinen Kloster eine Apotheke betrieben. Schon 1626 wurde im Stift Nonnberg unter Erzbischof Paris Lodron und der Äbtisssin Eva Maria Fleisch von Lerchenberg in einer Reform die Apothekertätigkeit und -ausbildung genau bestimmt. Eine Ober- und eine Unterapothekerin versahen mit zwei Laienschwestern den Dienst, der mit folgenden Pflichten ausgestattet war: Verwaltung der Hausapotheke, Reinigung, Überprüfung und Betreuung des Vorrates, Berichterstattung an die Äbtissin über den Medikamentenverbrauch und Versorgung des Kräutergartens des Klosters. Obwohl die klosterinterne Lehre zur Apothekerin existierte, verfügten jedoch die meisten Schwestern schon über eine pharmazeutische Ausbildung vor dem Eintritt in das Stift,566 welche unter anderem im St. Johanns-Spital sowie in der Landschafts- und Stadtapotheke Salzburg absolviert wurde. 1634 ist als erste Pharmazeutin Frau Chunigund Höller, eine gelernte Apothekerin aus Straubing bekannt, 1641 kam die Tochter des Salzburger Apothekers Christoph Till in die Klosterapotheke.567 Arzneimittelherstellung und Arzneiabgabe gingen auch hier miteinander einher. Die medizinische Behandlung erfolgte nicht nur klosterintern, sondern wurde auch dem »gemeinen Volk« im Krankheitsfalle zur Verfügung gestellt. Als berühmte Apothekerin und tätige Wundärztin des 17. Jahrhunderts ist vor allem Frau Constantia Reischnigg zu erwähnen, welche vortreffliche Arcana, ein kostbares Goldpulver, bereitete und hohen Ruhm erlangte, so dass »hoch und niedere Personen bey ihr Rath eingehollet, und Medicamente verlangt haben«.568 Im 18. Jahrhundert ist als gelernte Apothekerin neben Frau Constantia von Heyberg und Frau Maria Salaberga Abundantia von Kammerland vor allen die Frau Maria Franziska Josepha von Eckhl, die Tochter des Salzburger Hof- und 565 Der OelWaarenHandel der ausländischen OelTräger. In: AdJPF 24, 24. Febr. 1804, 210. 566 Ganzinger, Kurt (1950). Die Hausapotheke des Benediktiner-Frauenstiftes Nonnberg in Salzburg. In: Österreichische Apotheker-Zeitung, 460. 567 Zeugnisse über die Nonnberger Apotheke. AdBA Nonn. Szbg. 5, 94 Ga. 568 Rotelsammlung des Stiftes Nonnberg. Zit. nach ebd. 460.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

Landschaftsarztes zu erwähnen.569 Die pharmazeutischen Lehrjahre absolvierte sie in der Landschafts- und Stadtapotheke in Salzburg und erlangte auch ein Apothekerlehrzeugnis. Pharmazeutinnen waren in der Klosterapotheke bis ins 20. Jahrhundert tätig.

2.1.5 Ölverlegerinnen als Vorläufer pharmazeutischer Fabriken Der bedeutendste Bereich der Arzneiwarenproduktion570 im »traditionellen Heilsystem« war hierarchisch gesehen neben den Apotheken die Steinölbrennerei, sowie die Olitäten- und Theriakerzeugung. Im Gegensatz zur »klassischen Pharmazie« waren in diesem Metier auch die Frauen gleichermaßen neben den Männern vertreten. Im Verzeichnis der Ölfabrikanten der Königlichen Landgerichte des Salzachkreises im Jahre 1811 werden fünf weibliche Vertreterinnen angeführt: Das Verhältnis zwischen Frauen und Männern beträgt in dieser Aufstellung 12:5.571 Bei der Betrachtung der Entstehungsgeschichte dieses pharmazeutischen Verlagswesens ist festzustellen, dass sich seit dem 17. Jahrhundert das ursprünglich alleinige Recht der Apotheken zu Bereitung und zum Verkauf von Arzneien änderte. Ursache dafür war das Aufkommen der chymischen oder chemiatrischen Arzneiherstellung neben der herkömmlich galenischen, wodurch unter bestimmten sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen in verschiedenen Gebieten Destillatoren und Arzneimittelindustrien entstanden, die für ihre Produkte eigene Vertriebsverfahren aufbauten »so in Tirol und im Salzburger Zillertal, in Thüringen, Sachsen, Schlesien, der Slowakei, in Halle an der Saale, Augsburg, Regensburg und einigen kleineren Orten Frankens und Bayerns.«572 Ihre Produkte waren Geheim-, Universal- und Spezialmittel,573 die durch Hausierer, Kommissionäre und im Direktversand unter Umgehung der Apotheken unmittelbar an die Verbraucher verkauft wurden. Dieser Medizinhandel

569 Zeugnisse über die Nonnberger Apotheke. AdBA Nonn. Szbg. 5, 94. Ga. 570 Kaiser, Wolfram/Piechocki, Werner (1967). Anfänge einer pharmazeut. Industrie in Halle und ihre Begründer. In: Münchner Med. Wochenschrift 109 (1967), 1742–1749; Sieber, Siegfried (1959). Neues vom erzgebirg. Arzneilaboranten und Olitätenhändlern. In: Beitrag zur Geschichte der Pharmazie und ihrer Nachbargebiete 3 (1959), 58–83. 571 Ebd. 572 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler und Heilmittelhändler. Medizin von Marktplatz und Landstraße, 24. 573 Peikert, Heinz (1933). Geheimmittel im deutschen Arzneiverkehr. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte der Pharmazie und zur Arzneispezialitätenfrage. Diss. Leipzig.

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besaß Qualität und wurde mit obrigkeitlicher Erlaubnis versehen, »weil man diese Waaren oft anderwärts nicht besser und wohlfeiler erhalten konnte.«574 Die Steinölbrennerei wurde hauptsächlich von bäuerlichen Anwesen betrieben. Das Steinöl, ein Verwandter des Erdöls, auch unter den Namen – Dirschenöl – Dirschenblut – Haussegen – Katharinenöl bekannt, wurde von der einheimischen Bevölkerung schon früh in roher oder verarbeiteter Form als Heilmittel verwendet und nach auswärts gehandelt.575 Die Verwendung des Steinöls war vielschichtig, durch äußerliche Anwendung in Form von Einreibungen kam es zu einer Reizung und Erhitzung der Haut, d. h. zur Durchblutungsförderung bei schmerzhaften Zuständen, Rheumatismus, Gicht, Entzündungen oder Erfrierungen; bei innerlicher Verwendung reizte es die Schleimhäute und förderte die Harnausscheidung.576 Im Tiroler Gebiet sind heute noch Pflaster aus Steinöl, Baumöl und ungelöschtem Kalk für die Geschwüre und Wundenbehandlung in der Tierarznei in Verwendung.577 Wichtiger als die Steinölbrennerei allerdings war im 18. Jahrhundert die Olitäten- und Theriakerzeugung, die seit 1685 entstanden ist. Der ehemalige erzstifterische Feldarzt Peter Schragl erhielt vom Erzbischof von Salzburg das Recht, in Kaltenbach im Zillertal Arzneimittel herzustellen. Er beherrschte die chymischen Verfahren des Extrahierens und Destillierens, verarbeitete einheimische Pflanzen zu Arzneiölen, Tinkturen, Salben und Geistern und verkaufte diese mit gutem Gewinn. Dies fand Nachahmer durch Bauern und Handwerker, da es einen notwendigen Zuerwerb für die wirtschaftlich arme Gegend bot. So entstanden mit der Erlernung der Destillierkunst und dem Erwerb der Gerechtsame der Arzneiherstellung weitere Arzneierzeugungsstätten in Form von Familienbetrieben in verschiedenen Orten des Zillertals und in weiterer Folge im Erzstift Salzburg und in Osttirol, »vom Zillertal über Kitzbühel, Zell am See und das Salzachtal bis Golling und Gastein.«578 Sie alle erwarben landesherrliche Lizenzen, waren also ordentlich besteuerte Gewerbebetriebe, bauten ihre Geschäftsfähigkeit aus und hielten zäh an der Berechtigung fest. Bekannt waren diese

574 Aktenmäßige Aufschlüsse über die Versendung angeblich schädlicher Arzneyen durch die sogenannten Königseer Olitäten Händler. In: PF 118, 9. Oktober 1805, 945. 575 Voelckel, Hans Michael (1982). Die Steinölbrenner vom Bächental. Die Geschichte des Tiroler Steinöls und der Steinölbrenner vom Bächental. Pertisau, 9; Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 77. 576 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 77; Kostenzer, Otto. Das Katherinenöl, ein altes Heilmittel. In: Tiroler Heimatblätter 2 (1992) 74, 76–81. 577 Kostenzer, Otto (1974). Die Zillertaler Ölträger. In: Das Fenster 14 (1974), 1451–1457; Mair, Karl (1933). Die Ölträger des Zillertales. In: Tiroler Heimatblatt, 7/8 (1974), 263–265. 578 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 78.

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Fabriken unter dem Sammelnamen »Winkelfabriken« oder auch »Waschküchenbetriebe«.579 Der Arzneischatz dieser Erzeuger bestand aus pflanzlichen, tierischen, mineralisch-chemischen Präparaten, Spezial- und Universalmitteln, vor allem aus geheimnisvollem Theriak. Verarbeitet wurden die in der Natur gesammelten oder in Hausgärten gezogenen Gewächse wie Rosmarin, Lavendel usw., woraus Salbei-, Wacholder-, Tannenzapfen-, Kien- und andere Öle hergestellt wurden. Meist bereiteten die Fabrikanten nur einige wenige Präparate, und es war durchaus üblich, nur nach einem eigenen, geheim gehaltenen Rezept zu arbeiten, was besonders wichtig war bei der Bereitung von Theriak und Mithridat.580 Die Vorschriften einer Pharmakopöe, Dispensatorium oder Arzneibuch fanden dabei kaum Beachtung. Ja, es existierten oft nicht einmal schriftliche Aufzeichnungen der Rezepte. Ein Grund dafür kann wohl darin gesehen werden, dass die Hersteller meist nicht lesen oder schreiben konnten. Auch Katharina Angerin, eine Ölverlegerin aus Kaltenbach, besaß keinen vorgeschriebenen Leitfaden bzw. Dispensatorium, ihre Arzneien zu verfertigen.581 Als Norm zur Ölwarenbereitung dienten ihr einzig die Vorschriften ihres Vaters. Sie hatte, ihren Angaben nach, »kein Buch zur Anleitung sondern habe alles in ihrem Gedächtnisse.«582 Den Großteil der Waren, wie Pulver, Geister, Balsame, Salben und Öle verfertigte Katharina Angerin selbst. Die dazu nötigen Grundstoffe bezog sie zumeist von der Materialienhandlung Miggisch in Salzburg oder Rattenberg. »Lebens Pulver, Nißpulver, Antispatmotisches Pulver vom Miggisch, Kropf Pulver, Zelteln vom Mausfaller in Hinsing, Paulus Zelteln vom Miggisch, Seifen Geist, Lebens Essenz mit Aloe versetzt, Hofmannsche Tropfen von Miggisch in Salzburg, Münzengeist, Spiritus apoputicus, Pomeranzengeist, Wermuthgeist, Wand Geist, Kimler Balsam, Mutter Geist, Hirschhorngeist, Meister Wurzen Geist, Bittern Magen Tropfen mit Aloe versetzt, Kampfer Geist, Schnekender Geist, Vitriol Oel, Kranabett Oel, Skorpion Oel, Kröten Oel, Katherin Oel, Stein Oel, Kim Oel, Schweifelgeist aus Pinzgau von Mühlbach, Schwefelbalsam, Haus Salben, Brand Salben, Augen Salben, Grün Oel, Mandel Oel, Habatuk Oel, Theriak ohne Opial Zusatz Theriak von Salzburg oder Augsburg.«583

579 Ebd. 78; Konstenzer, Otto. (1974). Die Zillertaler Ölträger.; Mair, Karl. Die Ölträger des Zillertales, 263–265. 580 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 78. 581 SLA Schreiben von Barisani an Landesreg, Salzburg d. 15. März 1810, SLA Kreisamt Fasz. 181. 582 Protokoll der Hausvisitation in Kaltenbach, 19. Jänner 1810, BayHStA GR 1204, 129. 583 Ebd.

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Die Gefäße, worin die Öle und Geister gebrannt wurden, waren gut verzinnt und unschädlich, und auch die Materialien entsprachen hochwertiger Qualität.584 In ihrem Depot befand sich allerdings auch ein Vorrat an »Wurm Zelteln, Goldpulver, Magentropfen, Lebens Essenz, Aloe, weissen Lerchen Schwamm«585, welcher von der Medizinalbehörde in die Rubrik der drei Formen von unerlaubten Artikeln eingeordnet wurde: »Einige sind an sich nachtheilig, andere beruhen auf Aberglauben, enthalten gar keine Heilkräfte, und durch derselben Nichts wirken, wird der Gebrauch nützlicher Mittel auf die Seite gesetzt. Die dritte Art ist endlich jene, worunter solche Mittel gehören, welche einige Heilkräfte besitzen.«586 Die Angerin hatte das Gewerbe von ihren Geschwistern nach dem Tod des Vaters, welcher eine behördliche Bewilligung besessen hatte, übernommen. Bei der Verlagsstätte handelte es sich um ein ordentliches bürgerliches Gewerbe.587 Doch die Fabrikation der Katharina Angerin stellt in der Arzneimittelproduktion kein weibliches Einzelbeispiel dar. Eine ähnliche Situation finden wir bei vielen Frauen, so bei der Ölfabrikantin Magdalena Eggerin in Thann in der Nähe von Zell im Zillertal, welche ebenfalls eine steuerbare Ölverlegersgerechtsame besaß und zahlreiche Arzneimittel herstellte.588 Die 70jährige Ölfabrikantin Katharina Wieland aus Golling war eine geborene Zillertalerin und »hat sich mit dem Oehlhandel immer ernährt, mehrere Jahre geht sie nicht mehr dahin, sondern läßt sich die Oehlwaaren bringen, und handelt mit selben.«589 Zählen wir darüber hinaus die Ölschlägerin Ursula Pfeffer aus der Rodlmühle in Mignitz,590 welche »der Oehlbrennerey wohl kundig ist, und diese bisher größtentheils selbst betrieben«591 hat und das Ölfabrikationswesen der Magreth Scharrbergerin592 mit unbekannter Herkunft dazu, so schienen laut Akten im Zeitraum zwischen 1806 und 1811 neun Ölfabrikationsstätten mit weiblichem Oberhaupt auf.593

584 585 586 587 588 589 590 591 592 593

Ebd. Liste der Arzneien, welche Ölwarenverlagsstätten führen. SLA Kreisamt. Fasz. 181. Ebd. Ebd. Schreiben von Magdalena Eggerinn an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises vom 13. Aug. 1811, Nr. 14881, BayHStA GR 1204, 129. Verz. der Ölfabrikanten der Königl. Landgerichte des Salzach Kreises, Jänner 1811, BayHStA GR 1204, 129. Schreiben von Ursula Pfeffer an K.od. k.k.prov. Landesreg., SLA k.k. Reg. XXXVI/ Z.I.21. Ebd. Visitationsprotokoll in Thann, 17. Jänner 1809, BayHStA GR 1204, 129. BayHStA Gr 1204, 129; SLA k.k. Reg. Reg. XXXVI/Z.I.21; SLA Kreisamt. Fasz. 181.

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2.1.6 »Materialistinnen« oder Materialwarenhändlerinnen Unter »Materialisten«594 wurden der Natur ihres Gewerbes nach Großhändler bezeichnet, welche die Materialien, d. h. Arzneigrundstoffe zum Heilgebrauch, im Gegensatz zu den berechtigten Apotheken in größeren Mengen verkauften. Ein »Verzeichniß der Arzney-Materialien«595 gab vor, welche Materialien unter welchen Bedingungen im Kurfürstentum Salzburg verkauft werden durften. Doch Materialist/-innen gab es nicht nur in großen Vertretungen. Susanna Reiterin aus Fügen im Zillerthale war eine Materialwarenhändlerin »kleineren Formats«. Die 50jährige Hausknechtswitwe besaß das Recht der »Verfertigung von Rosmarie- und Melissengeist und Mandelseife auf Verkauf in Art einer Konzession (u. hiezu im Marktpatent) bewilliget.«596 Sie war jedoch nicht seit jeher im Bereich des Arzneiwarenhandels tätig gewesen. Über zwanzig Jahre befand sie sich als Magd in Diensten, »war hienach 10 Jahre lang mit dem Hausknecht des Buchhändler Zaunitt allda verheurathet«597, als Krapfenbäckerin beschäftigt, wozu sie eine Konzession besaß, die sie nach dem Tod ihres Mannes jedoch aus Mangel an Mitteln veräußert hatte. In dieser Situation hatte sie »weder Pension noch Almosengeld, ist zum Dienen zu alt, ohne allen Vermögen, und es mangelt ihr auch an Arbeit, um sich dadurch ihren Unterhalt erwerben zu können.«598 So entstand die Idee, Melissen- und Rosmariegeist selbst zu brauen, Mandelseife herzustellen und diese Artikel samt Bilderwaren im flachen Land und im Gebirge zu verkaufen. Am 4. April 1806 verfasste sie eine Bittschrift an die Regierung und erhielt prompt nach vier Monaten – trotz Bedenken des Gesundheitsreformers Professor Hartenkeil bezüglich den Grundsätzen der Medizinalpolizei599 – eine Konzessionsbewilligung. Wie an diesem Beispiel deutlich wird, war die Tätigkeit im Medizinalwesen keineswegs von einer Berufung oder einer besonderen Eignung bestimmt, sondern es handelte sich gerade im Bereich des Arzneiwarenhandels durchwegs um Beschäftigungsformen, die aufgrund ärmlicher sozialer Lage ausgeübt wurden. Als Paradebeispiel dafür sind hier wohl der klassische Arzneiverkauf – die Öl-

594 Verz. der Arzney= Materialien, SLA kurfürstl.k.k. Reg. XXXV/M 5. 595 Verordnung über Materialwaren und Materialisten. In: IS 28. Sept. 1805, 601. 596 Konzessionsbewilligung für Susanna Reiterin, Salzburg, 18. Juli 1806, SLA k.k. Reg. XXXV/ M 7. 597 Bittschrift der Susanna Reiterin an K.K. Reg., Salzburg, 4. April 1806, SLA k.k. Reg. XXXV/ M 7. 598 Ebd. 599 Auszug aus dem kaiserl. auch K.K. prov. Landesreg.-Protokolle, 28. Juni 1806, von Hartenkeil, SLA k.k. Reg. XXXV/M 7.

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trägerei – zu nennen, deren Vertreter/-innen allgemein zur armen Unterschicht gezählt werden konnten.600

2.1.7 Ölträgerinnen »Und i bin sovill als Docter Medicin Und gehe zu allen Patienten und Kranken selber hin Und trag auf mein Buckel die ganz Apatöcken Unde kann sogar die Todten zum Löbn erwöcken. Darum bin ich bekannt an allen Orten«601

Der »Olitätenhandel« erfreute sich in der traditionellen Gesellschaft bei der Bevölkerung großer Beliebtheit. Die Ölträger/-innen waren »Arzneihausierer, die mit einer Kraxe oder einer Öltruhe auf dem Rücken, einem kofferartigen, rot oder grün angestrichenen Kasten von etwa einem Fuß Tiefe, der an Bändern über den Schultern getragen wurde und in dem die Fläschchen, Büchsen und Päckchen mit den verschiedenen Mitteln in Fächern geordnet waren, oft über weite Strecken dahinzogen.«602

Die Hauptaufgabe der fahrenden Arzneikrämer bzw. fahrenden Arzneikrämerinnen, wie Olitätenträger/-innen, Königseer, Tyroler, Theriakskrämer/-innen lag in der unmittelbaren Versorgung der Menschen mit Heilmitteln. Daran bestand ein hoher Bedarf, bedenken wir das Faktum, dass Apotheken entlegen und teuer waren und zudem meist ärztliche Rezepte verlangten. So belieferten die Arzneihausierer/-innen den Endverbraucher wesentlich günstiger. Abnehmer/innen waren jedoch nicht nur approbierte und nicht approbierte medizinisch tätige Personen, sondern vor allem auch der einzelne Familienhaushalt. Ölträger/-innen verfügten zumeist über ein begrenztes Sortiment, ihr Arzneischatz bestand zum überwiegenden Teil aus Brech- und Abführmitteln, Pulvern, Salben, Pflastern, pflanzlichen, mineralischen, chemischen Einzelsubstanzen, welche zum Teil selbst gesammelt bzw. hergestellt waren, sowie aus fertigen von Fabrikanten bezogenen Universal- und Spezialmitteln.603 Üblicherweise waren diese fahrenden Arzneikrämer/-innen mit einem Betrieb verbunden und vertrieben dessen Waren, doch es gab auch solche, die auf eigenes Risiko von Fabrikanten Präparate kauften und verkauften. 600 Schubert, Ernst (1990). Arme Leute Bettler und Gauner im Franken des 18. Jahrhundert. 2. Aufl. Neustadt, bes. 234–254. 601 Konstenzer, Otto (1974). Die Zillertaler Ölträger, 1454. 602 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 79. 603 Ebd. 80; Kostenzer, Otto (1974). Die Zillertaler Ölträger, 1452; Mair, Karl Die Ölträger des Zillertales, 263; Peickert, Heinz (1932). Geheimmittel im deutschen Arzneiverkehr, 27–93.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

Abhängig von der Größe und dem Umfang der Herstellung verfügte ein Arzneifabrikationsbetrieb im Durchschnitt über einen bis zehn Träger, welche sich zumeist aus Familienmitgliedern, Verwandten oder Dorfgenossen zusammensetzten und am Verkaufserlös beteiligt waren – der größere Teil des Gewinnes ging allerdings an den Fabrikanten. Die Ölwarenfabrikantin Magdalena Eggerin in Thann beschäftigte zum Beispiel sechs aus Zell bzw. nahegelegenen Gebieten stammende Träger/-innen im Alter von 30 bis 58 Jahren, welche sich aus zwei Frauen – der 36jährigen verwitweten Waldburga Hirnerin und der 46jährigen verehelichten Ursula Schösserin604 – sowie zwei Männern ohne Haus- und Grundbesitz, einem Hausbesitzer und einem Bauern zusammensetzten.605 »Unter der großen Menge der hausierenden OelWaarenHändler ist auch ein großer Theil theils verheiratheter, theils lediger WeibsPersonen.«606 Anna Hörhager, ledige Einwohnerin aus Stum in Tirol, war Ölträgerin der konzessionierten Ölverlegerin zu Kaltenbach, Katharina Angerin. Die 49jährige Frau reiste mit ihrem zwölfjährigen Sohn Johann Angerer über Lofer nach Reichhall. Neben einem vom 5. November 1817 ausgestellten Reispass607 besaß sie ein Patent608 mit der Bewilligung, mit ihren Ölwaren im Salzachkreise auf die Dauer eines Jahres handeln und hausieren zu dürfen. Ihr Warensortiment bestand aus »Kranebethoel, Kienoel, Steinoel, Katharinenoel, Kimoel, Schwefeloel, Scorpionoel, Tamariskernoel, Thannenoel, Grünoel, Asnatoel, Sulphurbalsam«.609 Die Anzahl der Hausierer/-innen war beträchtlich. Sie kamen bis in die letzten Winkel des Landes, die Nachfrage bestimmte das Angebot. »Zwischen 1760 und 1790 sollen allein aus dem Zillertal 500 bis 600 regelmäßig auf Verkaufsfahrt gegangen sein, die jährlich für 10 000 fl Waren verkauften.«610 Schon 1689 fertigte das Salzburger Collegium Medicum zur besseren Überwachung Lizenzen aus, im 18. Jahrhundert stellten bayerische Behörden bei der Einreise entsprechende Scheine aus, die den Inhabern gestatteten, ihre Ware direkt an die Endverbraucher oder auch an reguläre und irreguläre Heilpersonen abzugeben und sie auf öffentlichen Märkten anzubieten.611

604 Hausier-Patent, ausgestellt in Salzburg, 18. Nov. 1812, BayHStA GR 1204, 129. 605 Schreiben von Magdalena Eggerin an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises vom 13. Aug. 1811, Nr. 14881, BayHStA GR 1204, 129. 606 ›Der ÖelWaarenhandel der ausländischen OelTräger ist der Gesundheit, den guten Sitten, und dem Staate überhaupt nachtheilig.‹ – Vorschläge zur Beschränkung desselben. In: AdJPF 24, 24. Febr. 1804, 214. 607 Reisepaß für Anna Hörhager, SLA Kreisamt B IX 5. 608 Ebd. Patent für Anna Hörhager vom Kreisamt Salzburg, 30. Sept. 1817. 609 Ebd. 610 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 80. 611 Ebd. 80; Konstenzer, Otto (1974). Die Zillertaler Ölträger, 1452.

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Neben dem Arzneimittelvertrieb beschäftigten sich viele Ölträger/-innen mit Heilkunde. »Besonders hatte eine längere Erfahrung gelehrt, daß der medizinische Unfug hauptsächlich von Wurzelgräbern und Zillerthaler Oelträgern getrieben werde«612, so äußerte sich Hofrat Felner über die Situation des Arzneiwarenhandelns in seiner Darstellung des Medizinalwesens in Salzburg. Repräsentantin für diesen Vorwurf war zum Beispiel die Zillertaler Oelträgerin Katharina Binderin, welche an die Meisterbäuerin in Wartberg »Arzneyen« abgegeben und hierdurch eine zu frühe Niederkunft verursacht hatte.613

2.1.8 Wurzengraberinnen Als wesentliche Voraussetzung für jegliche Arzneimittelherstellung bzw. dem Handel mit Heilmittel galt vorerst einmal das Sammeln, d. h. die Suche und die Bergung der Heilkräuter und Pflanzen. Diese Tätigkeit wurde unter dem Begriff »Wurzelgraberei« zusammengefasst und war ebenfalls ein patentiertes Gewerbe. Die 69 Jahre alte Witwe Katharina Gruberin, gebürtig in Zell im Zillertale sammelte vom Frühjahr bis zum Herbst Kräuter, Blüten und Wurzeln, welche sie an Apotheken und Bader verkaufte. Sie war »beym Zaunerwirthe im Nonntal« ansässig und richtete an die Hofkammer das Ansuchen um »Bewilligung eines Kräuter, Blüthen und Wurzen Sammlungs Patent«.614 Seit dem Tode ihres Ehemannes vor zehn Jahren befand sie sich in einer armseligen Lage. Um ihre minderjährigen Kinder durchzubringen, verdiente sie sich mit der »Gespunst im Winter« in Berchtesgarden und »Kräutersammlung im Sommer«615 ihren Unterhalt. War ihr Fortkommen zwar zum Zeitpunkt, da ihre Kinder ihr Brot selbst erwarben bzw. zum Teil verehelicht oder gestorben waren, leichter, so benötigte sie doch dringend diesen Gelderwerb. Dennoch wurde ihr das Wurzengraben seit einiger Zeit polizeilich untersagt, da sie zur Kräutersammlung kein Patent besaß. »Allein ungeachtet dieser Umstände, und daß ich keinen Menschen vor die Thüre kommen will mich das Polizeyamt nicht für passirlich halten, und nicht schon zweiymal in die Leopoldskrone auf Schub gegeben, weil ich keine Bewilligung hätte Kräuter Lori und Wurzen zu sammeln und zu verkaufen.«616

612 Felner. Rede bey Eröffnung der ordentlichen Sitzungen im med. Collegio zu Salzburg am 9ten Weinmonats 1802. In: Salz. Lit. 10, Okt 1802, 72. 613 Vgl. Liste mit Quacksalbereiakten, SLA k.k. Reg. 1803–1810, 11 A. 614 Schreiben der Katharina Gruberin an die Hofkammer, Salzburg 22. Juli 1803, SLA Hofkammer Salzburg 1806, 7a (Collegium Medicum 70, 1804–1807). 615 Ebd. 616 Ebd.

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Ferner sollte sie in ihren Heimatort nach Zillertal zurückgeschickt werden, wo ihr, nach ihren Aussagen, jedoch die Kenntnisse in der Kräutersammlung nichts nützten, da »ich den Absatz davon zu weit suchen müßte, ich in meinen 69ten Jahren doch wohl nicht mehr geschikt bin zu einer starken Arbeit zu stehen, oder mir einen anderen Erwerb ausfindig zu machen, ich meine Kinder ganz ohne Belastung anderer zu gesunden fürtigen Arbeitern herangezogen, und nie eine Klage gegen mich, oder selbe vorgekommen.«617

Auch Elisabeth Neumayr aus dem Landgericht Gastein richtete aufgrund ihrer ärmlichen Verhältnisse an die Regierung ein Gesuch zum Erhalt eines »Wurzengraber Orts« und »Wurzenbrennerey«. Sie war eine vermögenslose Witwe und mit »6 unmündigen Kindern dem größten Elende Preis gegeben«.618 In einer besseren Lage befand sich im Gegensatz dazu die Wurzengraberstochter Eleonora Binderin. Nach dem Tode des Vaters führte die Mutter das Geschäft der Landwurzengraberei und der Kräuterlieferung in den hochfürstlichen Hofmarstall und Gestüthof weiter. Die Tochter wurde von Jugend auf zur Wurzengrabung angehalten und sammelte somit alle erforderlichen Kenntnisse und Eigenschaften. Nach Ableben der Mutter wurde Eleonora, die von den Eltern betriebene Wurzengrabers Konzession »gegen Eheligung des Badersgesellen Joseph Zauner«619 bewilligt. Abschließend kann also im gesamten Bereich des Arzneimittelhandels zusammengefasst werden, dass Frauen in der frühneuzeitlichen Pharmazie in unterschiedlichen Funktionen tätig waren. Sehen wir von der häuslichen Arzneimittelherstellung und Pflege des Heilmittelgartens einmal ab, finden sich umfangreiche aktive Berufsfelder. Besonders auffällig ist die zahlreich vorkommende Tätigkeit der Frau in führenden Bereich des Materialiengeschäftes. Die Ölfabrikantin ist im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts häufig zu finden. Als zweite vielfach erwähnte Profession kann die »Ölträgerei« genannt werden, doch auch die Kräutersammlung, Wurzelgraberei und der Materialwarenhandel boten Beschäftigung für viele Frauen. Einzigartig ist die Stellung als Apothekerin, welche um 1800 nur in Frauenklöstern zu finden ist. Während es sich bei den ersten Positionen – dem Arzneiwarenhandel und der speziell ausgeführten Heiltätigkeit – um Rollen handelte, die sozusagen von Mann und Frau gleichermaßen im selben Ausmaß vollzogen wurden, handelt es sich bei den nun folgenden Bereichen – der Selbstmedikation sowie der Geburtshilfe – um eindeutig weiblich dominierte Gebiete im »traditionellen Me617 Ebd. 618 Gesuch der Elisabeth Neumayr an die Reg. Hofgastein, 16. Juni 1810, SLA kurfürstl.k.k. Reg. XXXVI B III/6. 619 Ebd.

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dizinsystem«. Während die Ausübung der Krankenbehandlung in der Familie eng in Verbindung mit dem Aufgabengebiet der Hausfrau in der vorbürgerlichen Gesellschaft stand, hing das Beschäftigungsfeld mit Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Kinderpflege eng mit der weiblichen Körpererfahrung zusammen.

2.2

Speziell weibliche Heiltätigkeit

2.2.1 »Das ein jeder verstendiger haußwirt sein selbst artzt sey«620 Selbstmedikation – Gesundheitserhaltung und Krankenpflege in der Familie Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den »medizinischen Instanzenweg«, so stand am Anfang jeder Krankheit oder Verletzung die Selbstbehandlung im Kreis der Hausgemeinschaft. Historiker/-innen ist dieser Bereich schwer erfassbar621, da in diesem Kontext kaum schriftliche Quellen vorhanden sind. Idealtypisch wandte sich der Patient oder die Patientin vorerst an die Mutter, Ehefrau, Tante, Großmutter, Freundin, ehe Heiler/-innen konsultiert wurden. So war, wie ein Zeitgenosse beschreibt, der Gang »selbst in den Städten bey den ersten Beschwerden einer drohenden Krankheit selten geraden Wegs zu dem Arzt; man gebraucht Hausmittel, und Quacksalbereyen, und versäumt sich.«622 Diese Entwicklung der Selbstmedikation war auf dem Lande noch weiter verbreitet als in Ballungszentren, da schnelle Hilfe oft nur mit Anwendung von Hausmitteln möglich war. Als Unterstützung dienten zum Teil selbst verfasste Arznei-, Kräuter- und Hausbücher sowie Volkskalender, woraus wertvolle Behandlungsformen entnommen wurden. »Anno 1679, den 13. November. Hab gottlob noch zehn Kinder am Leben und Gott erhalte sie noch länger. Sie seind aber alle mit Kopfweh und Katarrh krank gewesen, so daß ich mir schier davor krank gefürchtet hab, es möchte mir eins sterben. So wünsch ich ihnen jetzt wohl von Herzen den lieben Gesund, so lange sie leben. Hat unsere

620 Horst, J. Hauspapotheke (1588), Zit. nach Pharmazie und der gemeine Mann. Hausarznei und Apotheke in deutschen Schriften der frühen Neuzeit. Ausstellung. der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1982/1983, 60. 621 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 46. 622 Riederhubers, Ignaz. der Weltweisheit, und Arzneywissenschaft Doktors, Stadt= und Landphysikus zu Erding (1791). Neuer gründlicher Unterricht wie jeder Bewohner des Landes in Mangel eines Arztes bey allen Fällen aufstoßender Krankheiten sich mit Nutzen helfen kann. Band. 1,.2. Aufl., Landshut, 4.

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Hausleut und Arbeiter wohl auch mit Hitz und Kälte angegriffen, aber ich hab ihnen geschwind ein Hitzpulver eingegeben, so daß sie wieder seind besser worden.«623

Das Gedenkbuch der Maria Elisabeth Stampfer aus Ebenau gibt Zeugnis aus dem Leben einer Hausfrau des 17. Jahrhunderts, welche die medizinische Tätigkeit im familiären und nachbarschaftlichen Bereich ausübte, für die verschiedensten Krankheiten allerlei Hilfsmittel zur Verfügung hatte und für eine Heilung oft aufwendige Schritte vornehmen musste, wie das Beispiel der Behandlung einer Mandelentzündung zeigt. »Hab den Kopf alleweil abwärts gestrichen, den Buckl und Hals mit warmen Tüchern eingemacht, meinen guten Kopfbalsam über Gesicht und Kopf geschmiert, purgiert, Zucker und Leinsaatöl geraucht, den Kopf mit Bernsteinöl angeschmiert, Majoran in die Nase gegeben. Auch süßes Mandelöl hab ich allerweil nehmen müssen, hab so etliche Wochen zu tun gehabt, aber dann ist’s gottlob besser worden. Hab den Kopf immer gebeutelt, so ists gemächlich aufgebrochen (…).«624

Bis ins 19. Jahrhundert bestand das Tätigkeitsfeld einer Hausfrau in der Leitung eines komplexen Produktions- und Konsumtionsverbandes, der ihr einerseits eine immense Bedeutung innerhalb der Familienwirtschaft zuschrieb, andererseits auch viele Kontakte nach außen verlangte.625 Es existierte ein breites »ökonomisches« Schrifttum, die sogenannte »Hausväterliteratur«, welche als »Sittenlehre für Hausvätter und Hausmütter, Kinder und Gesinde«626 gesehen werden kann und uns Aufschlüsse gibt über die Verflechtung Hauswirtschaft und Landwirtschaft im Sinne des »ganzen Hauses«627 bzw. der Stellung der Medizin in dieser alteuropäischen Ökonomik. So wurde in Wolf Helmhard von Hohbergs »Georgica curiosa das ist ›Adeliges Land= und Feldleben‹ Bericht und Unterricht auf alle in Deutschland üblichen Land= und Hauswirtschaften«628, 623 Das Tagebuch der Elisabeth Stampfer. Hrsg. v. Johann v. Zahn, 1867, redigierte Ausg. von Gustav Hackl., 1929, zit. nach Katschnig-Fasch, Elisabeth. (1982). Das Tagebuch der Elisabeth Stampfer. In: Ebenau 1182–1982, Hrsg. v. Salzburger Bildungswerk. Salzburg, 51. 624 Ebd., 52. 625 Hochstrasser, Olivia (1992). Hof, Stadt, Dörfle – Karlsruher Frauen in der vorbürgerl. Gesellschaft 1715–1806. In: Karlsruher Frauen 1715–1945. Eine Stadtgeschichte Hrsg. v. Susanne Asche u. a., Karlsruhe, 43. 626 Brunner, Otto (1968). Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte. 2. verm. Aufl. Göttingen, 105. 627 Ebd., 107. 628 Hohberg, Wolf (1984). Helmhard von. 1612–1688. Georgica Curiosa. Ausgewählt und eingeleitet von Heinrich Wehmüller, Wien, bes. 93–113; ebenso Ewald J.L. (1795). Hand= und Hausbuch für Bürger und Landleute welches lehret wie sie alles um sich her kennen lernen, sich gesund erhalten, sich in krankheit helfen, wie sie ihr Land auf die vortheilhafteste Art bauen, ihre Gärten bestellen, sich gutes Obst ziehen, Bienen mit Nutzen halten, und wie Hausfrauen ihre Wirthschaft ordentlich führen sollen, nebst noch vielerley guten Rathschlägen, aus vielen Schriften und Aufsätzen geschickter Landwirthe. Lemgo und Duisburg am Rhein; Florini, Francisci Philippi (1749). Oeconomus prudens et legalis oder allg. kluger

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einem Hauptwerk der Hausväterliteratur, welches in zwölf Bücher gegliedert ist, der Aufgabenkreis der Hausfrau folgendermaßen dargestellt: Erziehung der Kinder, vor allem der Töchter, das Kochen, Brotbacken, Konservierung von Fleisch, Obst und Getränken, eine Anleitung zur Einrichtung einer Hausapotheke, sowie eine ausführliche Darstellung der Humanmedizin. Speziell an weibliche Adressaten wandte sich ein »Nützliches Hausbuch für Frauen und Mädchen in sechs Absätzen«629, welches für jeden Bereich der Haushaltung, Erfahrungswissen bereit hielt. Der fünfte und sechste »Absatz« beschäftigte sich mit der Gesundheit und Krankheit bzw. wie die Frau darauf positiv einwirken konnte. »Von allerley ins Haus genußbarer Sachen, und wie der Gesundheit nützliche Getränke zuzubereiten sind; Vorsichtsregeln, um angebohrnen Krankheiten abzuhelfen, und seine Gestalt zu verschönern; Von sichern Heilungsmitteln, um in äußerlichen Schäden sich und andern Hilfe zu verschaffen; Von bewährten und wohlfeilen Arzneiymitteln, wider innerliche Beschwerden und Krankheiten; von der Kenntniß der Gesundheit, so jedes Frauenzimmer von sich selbst haben soll; Von den Grundsätzen, wie man seine Gesundheit immer in guten Stand erhalten kann (…)«630

Natürlich bestanden für Frauen der verschiedenen Schichten sowie für jedes Lebensalter unterschiedliche Standards, wie Arbeit und Leben in Beziehung gesetzt wurden.631 Was jedoch alle Frauen gleich betraf, war das Betraut sein mit der Kinderfürsorge. Der Einfluss der Frau im Volk war großteils auch eng an ihre Mutterrolle gebunden, da sie die alleinige Verantwortung der Kinderpflege und Erziehung trug. Sie konnte in diesen frühen Jahren das Kind besonders prägen und durch ihre praktischen Tätigkeiten und Erzählungen eine Wissensgrundlage aus nützlichen Beobachtungen und Mitteln gegen allerlei Übel632 vermitteln. Doch war sie nicht nur als Betreuerin und Heilerin der Kinder, sondern auch als Ratgeberin für die ganze Familie unentbehrlich. Maria Elisabeth Stampfer repräsentiert das Leben einer Hausfrau, die, wie damals üblich, Selbstversorgerin war – zum Beispiel stellt sie alle im Haushalt nötigen Artikel wie Wolle und Kleidung, Seife, Kerzen, etc. her – und für das Wohlergehen nicht nur ihres engsten Familienkreises, sondern ebenso der

629 630 631 632

und Rechts=verständiger Hauss=Vatter bestehend in neun Büchern. Nürnberg, Franckfurth, Leipzig. Nützliches Hausbuch für Frauen und Mädchen in sechs Absätzen, Enthält: auf Erfahrung gegründete Dinge für jede Haushaltung auf alle Fälle. Ein Gegenstück zum Wiener. bewährten Kochbuche. Neue umgearb. und verbess. Aufl. Wien 1797. Ebd., 330–429. Wunder, Heide (1992). ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹. Frauen in der Frühen Neuzeit. München, 94. Muchembled, Robert (1982). Kultur des Volks – Kultur der Eliten. Die Geschichte einer erfolgreichen Verdrängung. Stuttgart, 71.

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Hausleute, der Arbeiter und der Alten Zuständigkeit besaß. »Sie war nicht nur Hausfrau, sondern auch Gärtnerin, Pflegerin, Fürsorgerin, ›Ärztin‹, mit einem Wort: die ›Managerin‹ ihres großen Hausstandes.«633 Die Stampferin gebar sechzehn Kinder und nur allzuoft suchten Krankheit, Tod, und erschreckende Ereignisse den Familienalltag heim. Wie in ihrem Gedenbüchl vermerkt, mußte sie immerzu gegen alle möglichen Krankheiten, wie »hitziges Fieber«, »Urschlechten«, Geschwüre, Abszesse und die gefürchteten »Schwarzen Blattern« ankämpfen634 und alle Mitglieder des Haushalts waren angehalten, ihre Medizin einzunehmen. Zu ihren eigenen Arzneien besaß die Stampferin mehr Vertrauen als zu den ärztlichen Medikamenten. »Gott behüt einen vor solchen doctores«635 rief sie nach dem Tod ihrer Tochter Maria Barbara aus, welche nach Angaben der Stampferin von einem Doktor falsch behandelt worden war und nach langem Siechtum starb. Die Arzneimittel – vorwiegend Salben, Wässerchen, Säfte und Pflaster – wurden meist aus Wurzeln und Kräutern, welche entweder im eigenen Kräutergarten oder in nahegelegenen Gebieten vorkamen, selbst hergestellt und verarbeitet. Bei chronischen Leiden sowie akuten Erkrankungen wandte sie nach eingehender Diagnose die verschiedensten Hausmittel an, »(…) so eröffnet man das ›Anbrauchen mit Hausmitteln‹ durch eine gründliche Schwitz- und Abführmethode, schmiert je nach Intensität örtlicher Schmerzen die leidende Stelle mit dem Fette, gewonnen von jeglichem Thiere des Hauses, mässigt den Kopfschmerz mit Einwicklung von allerlei Pflanzenblättern, besänftigt den Durst durch ›gelöschtes‹ Wasser, welchem die Hausfrau gerne lindernde ›Salsen‹ zumengt, und beruft, wenn nicht schon im Hause ein Kräuterkundiger zu Gebote steht, die Frau Nachbarin.«636

Die Heil- und Hausmittelzubereitung kann als Domäne der Frauen angesehen werden, die eng mit der Kochkunst in Verbindung stand. Das Kochen war seit ältesten Zeiten bis weit ins 18. Jahrhundert ein wesentlicher Teil der Medizin, und galt als eigentliche Frauentradition.637 Geläufige Redensarten, wie »die Küche ist der beste Arzt« oder »wer gut genährt ist, braucht weder Arzt noch Apotheke«638 bezeugen diese Tatsache, welche aber in Anbetracht der wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung bzw. Mangelernährung wahrscheinlich schwierig zu 633 634 635 636

Das Tagebuch der Elisabeth Stampfer. Ebd., 52. Ebd., 52. Fossel, Victor (1983). Volksmedicin und medizinischer Aberglaube in Steiermark. Ein Betrag zur Landeskunde. Unveränderter Neudruck der Ausg. von 1886, 2. Aufl., Schaan/ Lichtenstein, 33. 637 Schiebinger, Londa (1993). Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der mod. Wissenschaft. Stuttgart, 167. 638 Ebd., 167.

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befolgen war. Die »Küchenheilkunst« als eine Art von Volksheilkunde diente weniger der Heilung bereits ausgebrochener Krankheiten, sondern in erster Linie der Verhütung von Leiden, und war bei Patient/-innen beliebter als jeglicher Form von Arzneimitteln. Ein begehrtes Informationsmittel stellten daher Kochbücher dar, welche für ein breites Publikum geschrieben waren und wertvolle Hinweise für die Ernährung von Kranken enthielten. Als Autor/-innen dieses Genres traten viele verschiedene Gruppen auf, Meisterköche, Arztfrauen, Frauen aus dem Adel und Mitglieder wissenschaftlicher Akademien. So konnten von den in den Jahren 1701 bis 1800 veröffentlichten Werken achtzehn Frauen und sechs Männer als Verfasser namhaft gemacht werden, sieben erschienen anonym.639 Auch für den Salzburger Raum fanden im 18. Jahrhundert etliche Kochbücher mit Hinweisen auf Krankenkost bzw. Heilmittelzubereitung Verwendung.640 So zum Beispiel das »Wienerische bewährte Kochbuch641«, welches neben allgemeinen Kochrezepten auch »der Gesundheit dienlichen Hausmitteln und Wirthschaftsregeln wie auch andern Geheimnissen« enthält. Auch in der Arznei- und Hausmittelkunde kam den Haus-, Hilfs- und Kräuterbüchern642 hohe Bedeutung zu. Es handelte sich um eine spezielle Gruppe von Frauen, die sich vornehmlich mit der Aufzeichnung medizinischer Schriften befassten.643 Schon im spätmittelalterlichen Deutschland hatte die heilkundlich wirkende Frau mit Fachliteratur zu tun. So im Gebiet der Rheinpfalz um 1500, wo zahlreiche Frauen nicht nur medizinisch praktizierten, »sondern auch über medizinisches Fachschrifttum verfügten, wobei davon auszugehen ist, daß sie nicht anders als männliche Akademiker-, Wund- und Laien-Ärzte sich die Texte selbst beschaffen, abschrieben und in Sammelhandschriften zusammentrugen.«644 Ge-

639 Ebd., 172. 640 Koch-Buech von allerley Fleisch und Fasten Speißen / Pastetten und Dortten / Schmarren / auch anderen Eingemachten Sachen. Maria Barbara Praunwißerin gehörig in Salzburg / Anno 1762 (handgeschrieben 376 S); Nützliches Hausbuch für Frauen und Mädchen in sechs Absätzen. Enthält: auf Erfahrung gegründete Dinge für jede Haushaltung auf alle Fälle. Ein Gegenstück zum Wiener. bewährten Kochbuche. Neue umgearb. u. verbess. Aufl. Wien 1797. 641 Wiener. bewährtes Kochbuch in sechs Absätze vertheilet (…). Nebst einem Anhang einiger der Gesundheit dienlichen Hausmitteln und Wirthschaftsregeln wie auch andern Geheimnissen der allzeit fertig rechnenden Köchin. Band 2, Wien 1785. 642 Telle, Joachim (Hg.) (1988). Pharmazie und der gemeine Mann. Hausarznei und Apotheke in deutschen Schriften der frühen Neuzeit. Weinheim. 643 Schönfeld, Walther (1947). Frauen in der abendländischen Heilkunde vom klassischen Altertum bis zum Ausgang des 19. Jahrhundert. Stuttgart, 88. 644 Keil, Gundolf (1986). Die Frau als Ärztin und Patientin in der medizinischen Fachprosa des deutschen Mittelalters. In: Frau und spätmittelalterlicher Alltag. Internat. Kongress, Krems an der Donau. 2.–5. Okt. 1984, Wien, 206.

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legentlich schienen auch Frauen als Übersetzerinnen, als Herstellerinnen bzw. Illustratorinnen medizinischer Prachthandschriften auf.645 2.2.1.1 Exkurs: Verfasserinnen von medizinischer Literatur Im 18. Jahrhundert traten vor allem im französischen Raum Frauen in Erscheinung, welche sich sozusagen aus »Lust und Liebhaberei« mit wissenschaftlicher Heilkunde, von der Krankenbehandlung bis zur Anatomie, beschäftigten und sich mitunter auch schriftstellerisch betätigten. Dieser Arbeit wurde allerdings nicht aus Erwerbsgründen nachgegangen, da diese Frauen durchwegs einem höheren sozialen Stand angehörten.646 Sie sammelten Arzneivorschriften, Küchenrezepte, schrieben Kräuter- und Kochbücher und beschäftigten sich mit der Erfindung von Toilettenmitteln, wie zum Beispiel Haarfärbung oder Zahnpulver. Oft verfügten sie über kleine Apotheken mit pflanzlichen Produkten und bemühten sich um Heilung in ihren nächsten Kreisen. Für den englischen Raum kann Elisabeth Blackwell angeführt werden, welche im 18. Jahrhundert ein umfangreiches Kräuterbuch in fünf Bänden verfasste. Die Herausgeber der deutschen Ausgabe von 1750 machten darauf aufmerksam, dass dieses Werk eine Sammlung neuen und einzigartigen Inhalts charakterisiert. »Dergleichen Sammlung aber fehlete so lange, bis eine geschikte Frau, des unglüklichen Englischen Medici Dr. Blackwells hinterlassene Witwe, mit Beyhülfe dienstfertiger und geschikter Männer einen glücklichen Anfang dazu »gemachet«.«647 Es handelt sich dabei um »ein auserlesenes Kräuter-Buch, welches enthält 500 Abbildungen der meist nützlichen Gewächse, die heutiges Tages zur Arzney angewandt werden, und nach denen (…) Zeichnungen in Kupfer Bogens-Grosse gestochen sind. Diesen ist beygefüget eine kurze Beschreibung der Gewächse und derselben gemeinen Gebrauchs in der Arzney.«648

Als Repräsentantin des deutschsprachigen Raums ist Eleonora Maria Rosalia, Herzogin von Troppau und Jägerndorf namentlich anzuführen, welche in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts lebte. Sie beschäftigt sich mit Naturgeschichte, insbesondere der Kräuterkunde und ihrer ärztlichen Verwendung und verfasste »einen starken Band von Arznei- und diätischen Vorschriften, mit therapeutischen Grundsätzen und Regeln«,649 der sich hoher Beliebtheit erfreute – 645 Ebd. 646 Schelenz, Hermann. (1900). Frauen im Reiche Aeskulaps. bes. 32–46. 647 Vermehrtes und verbessertes Blackwellisches Kräuter-Buch (.) das ist Elisabeth Blackwell Sammlung. der Gewächse (.) die zum Arzney-Gebrauch in den Apothecken aufbehalten werden (.) deren Beschreibung und Kräfften (.) aus dem Englischen übersetzt. Nürnberg 1757, 7. 648 Ebd., 7. 649 Schönfeld, Walther (1947). Frauen in der abendländischen Heilkunde, 106.

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»sechs Bücher auserlesener Arzneien und Kunststücke für alle des menschlichen Leibes Gebrechen und Krankheiten«650. Herzogin Eleonora schätzte zweifellos die Küche als Krankheitsverhüterin, ihr Verdienst lag unter anderem in den Vorschlägen für Speisen und Getränke für Kranke, welche in dieser Form eine Neuerscheinung darstellte. Das Werk wurde bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder neu aufgelegt.651 Eleonora Maria Rosalia bearbeitete ausführlich Umgang, Gebrauch und Anleitung zur Herstellung von Salben, Pflastern, Wässerchen, Pulvern, Rauch, Purgierungen, »Zäpffel« und berichtete über die verschiedenen Krankheitszustände: Augen-Zustände, Krebs-Zustände, Milz-Zustände, Magen-Zustände, Krampf-Zustände usw. Ferner wurden Vorschläge zur Behandlung einer unzähligen Vielfalt von Krankheiten und Beschwerden aufgezählt.652 Philippine Welser, als Kaufmannstochter in Augsburg geboren und mit Erzherzog Ferdinand II. von Tirol verehelicht, trat im 16. Jahrhundert mit ihrer Heilkunst in Erscheinung. Von Jugend auf beschäftigte sie sich mit der Wirkungsweise pflanzlicher Substanzen, sammelte Rezepte und stellte selbst Arzneien her. »Sie studierte die Ratschläge bekannter Ärzte und Botaniker ihrer Zeit, hörte aber auch auf heilkundige Frauen«653, und legte ein zum größten Teil von ihr selbst niedergeschriebenes umfangreiches Arzneimittelbuch vor, welches heute noch in Schloss Ambras aufbewahrt wird. Seit einigen Jahren existiert eine Transkription der Originalhandschrift.654 Im Salzburger Raum treffen wir zwar auf keine berühmte Verfasserin medizinischer Literatur, doch kann so manche weibliche Autorenschaft von Arzneibüchern655 und Kräuterbüchern, welche in ungedruckter Form vorliegen, festgestellt werden.

650 Schelenz, Hermann. (1900). Frauen im Reiche Aeskulaps, 40. 651 Soll an die 12 Auflagen erlebt haben, vgl. Marzell, Heinrich (1934). Die Volksmedizin. In: Die Deutsche Volkskunde. Hrsg. v. A. Spanner, Band. 1, Berlin und Leipzig, 169; 1600 in Troppau Ersterscheinung; 1613 in Zerbst; 1618 und 1709 in Leipzig; 1697 in Graz; 1713 in Nürnberg neue Aufl. des Buches herausgegeben; 1863 letztmals als Neudruck in Stuttgart aufgelegt. 652 Eleonora, Maria, Rosalia. Freywillig=aufgesprungener Grant=Apffel, Des Christlichen Samaritans, Oder: Aus Christlicher Lieb des Nächsten eröffnete Geheimnuß, Vieler vortrefflichen, sonders=bewährten Mittel, und Wunder=heylsamen Arzneyen, wider unterschiedliche Zustände und Übel des Menschlichen Leibs, und Lebens (…) Wien, 1741. 653 Schelenz, Hermann (1900). Frauen im Reiche Aeskulaps, 33. 654 Größing, Sigrid-Maria (1992). Kaufmannstochter im Kaiserhaus. Wien. 655 Es wären z. Bsp. noch von Frauen verfasste ungedruckte Arzneibücher; welche im MCA Museum Carolina Augusteum aufliegen, zu erwähnen, z. Bsp Sibilla Francisca Friderica Reichsgräfin und Frau von Wellenstein, gebohren Freyin von Gommingen mp. 1741 geschriebenes Arzney=Buch, 1741.

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2.2.1.2 Kräuterbücher Laut Definition des Brockhaus wurde unter einem Kräuterbuch656 ein »Schriftwerk über Pflanzen und deren heilkundliche Anwendung, mit und ohne Bild«657 verstanden. Prinzipiell lassen sich Kräuterbücher in zwei große Gruppen unterteilen: einerseits gibt es die gedruckten – zumeist von medizinkundigen Personen wie Dilettanten, Chirurgen, Ärzten geschrieben – und zum anderen die ungedruckten, handschriftlich privat verfassten Arznei- und Kräuterbücher, welche vermutlich entweder nur für den Eigengebrauch oder auch für eine in der Öffentlichkeit ausübende Heiltätigkeit verwendet wurden. Die Entstehungsgründe der Kräuterbücher waren sicherlich vielfältiger Natur: das Erwachen der »neuen Welt« und deren unbekannte Pflanzen sowie die durch Renaissance, Reformation und Humanismus bestimmte Geisteshaltung.658 Dazu sei auch noch die Entdeckung des Buchdrucks erwähnenswert. Eine wichtige Absicht, auf die in den Werken immer wieder hingewiesen wird, kann sicher darin gesehen werden, dass es gerade durch volkstümliche Ausgaben einer breiten Bevölkerungsschicht möglich werden sollte, sich medizinisch-botanisches Wissen anzueignen, nicht zuletzt um sich bei Krankheiten selbst zu schützen. Gedruckte Kräuterbücher waren meist systematisch und klar aufgebaut und erfreuten sich als Nachschlagewerke großer Beliebtheit, da sie praktische Tipps zur Herstellung von Heilmitteln sowie besondere Vorschläge zur Behandlung von bestimmten Krankheiten (Husten, Zahn-, Hals-, Kopfschmerzen usw.) lieferten. Auf diese Weise wurden »zu einem bequemen Gebrauch« allerlei Arzneimittel, neben »geringen Haus=Mitteln« auch »kostbare Arzneyen«659, dargeboten. Typisch für viele Kräuterbücher bis zum beginnenden 19. Jahrhundert war der ausdrückliche Hinweis auf den Vorteil der Eigenbehandlung im Krankheitsfalle bzw. häufig eine massive Kritik an akademisch gebildeten Ärzten. So wurde in der »Erinnerung an Leser und Leserinnen« in einem Wiener Kochbuch von 1785 folgender Ratschlag erteilt: »Nun will ich sie die Mittel kennen lehren, welche zu Erhaltung ihrer Gesundheit und Schönheit, wie auch in anderen häuslichen Angelegenheiten sich bestmöglichsten Nutzen zu schaffen (…) Zur Verfertigung dieser Mittel brauchen Sie weder Apotheker 656 Schreiber, W.L. (1928). Die Kräuterbücher des XV. und XVI. Jahhundert. Sonderdruck. München. 657 Brockhaus 3, 1958, 213. 658 Tillmann, Regine (1988). Neue Erkenntnisse zur Kräuterbuchliteratur des 16. Jahrhunderts. Diss. Marburg/Lahn, 21. 659 Brands, Jacob Hieronymus. M. D. (1753). Sorgfältiger und gewissenhafter Land= und Bauren=Doctor, welcher Gott zu Ehren, dem armen dürftigen Nächsten zu Nutz und denen nothleidenden Kranken mit guten Arzneyen und mehrentheils geringen Haus=Mitteln, in allen verfallenden Krankheiten getreulich an Handen gehet. Franckfurt und Leipzig, 4.

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noch Arzt; Sie können sie selbst zu Hause mit leichter Mühe verfertigen, und werden auch mehr damit ausrichten, als ein ungeschickter Arzt mit seinem aus elenden und nichts bedeutenden Ingredenzien zusammen geschmierten Recept.«660

Zu dieser Zeit waren jedoch in den Werken noch keinerlei vehement formulierte Gesundheitsmaßregeln bzw. Verhaltensvorschriften sowie spezielle Anweisungen, im Krankheitsfalle einen Arzt heranzuziehen – wie sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts massenhaft in den von der Aufklärung beeinflussten Haus- und Kräuterbüchern auftauchen – zu finden. Ein Beispiel dieser Art gibt das in der Bibliothek des Museum Carolino Augusteum befindliche handschriftlich verfasste Arzneibuch der Theresia Triendlin, geborene Hartmanin, verehelichte Schallnkamer, Residenz Verwalterin. Dieses gut gegliederte »Büchl mit Haus Mitteln« umfasst 205 Seiten und ist mit dem Jahr 1809 datiert. Theresia Triendlin hat das Buch vermutlich ab der Seite 150 auch selbst geschrieben. Durch das ausführliche Register am Ende des Werkes ist zu sehen, wie die 202 heilkundlichen Rezepte durchorganisiert und strukturiert waren. Allerdings gibt dies auch davon Zeugnis, dass die Anwenderin mit der Materie der Heilkunde durchaus gut vertraut gewesen sein muss. Während bei den gedruckten Kräuterbüchern im Salzburger Raum keine Frauen als Verfasserinnen aufscheinen, ist der überwiegende Teil der handschriftlich verfassten Arznei- und Kräuterbücher weiblicher Herkunft. Gibt es bezüglich der Besitzer dieser Kräuterbücher zwar eindeutige Hinweise, so fehlen gesicherte Daten über die Autorenschaft. Doch deutet viel darauf hin, dass so mancher heilkundliche Wissensschatz von den Frauen selbst gesammelt, erprobt und aufgeschrieben wurde. Es begegnen uns Beschwerden aller Art und die »trefflichsten« Heilbehandlungsweisen. Der Großteil der Anweisungen besteht aus Heilrezepten, vereinzelt sind auch Herstellungstipps für Reinigungs- und Insektenvertilgungsmittel vorzufinden. Speziell für Kinderkrankheiten sind 29, für Frauenkrankheiten 14 Heilverfahren angegeben, welche einerseits den Einsatz von Heilpflanzen und Kräutern, andererseits die Anwendung sympathetisch magischer Elemente beinhalten. Als Mittel für Zahnschmerzen bei Kindern wurde empfohlen, das Zahnfleisch mit »Hasenschmalz, Hasenhirn oder Habergucköhl« einzureiben, oder aber »mit zerflossenem WeinsteinÖhl des Tags 2 mal das zahnt fleisch bestreichen und wann sie verstopft 5 Bis 6 auch Bis 12 tropfen Rabarbara oder Manna Saft mit Kamillen Wasser vermischt und eingeben.«661 Als Vorbeugemittel, um das Kind ein Leben lang vor Fraisen zu schützen, galt als Anleitung: »wenn das Kind zu Welt kommt einen Frisch aufgemachten Höchten die löber 660 Wienerisches bewährtes Kochbuch in sechs Absätze vertheilet, 2. Band, Wien 1785, 2. 661 Büchl mit Haus Mitteln Samt Register den 6ten July 1809. Der Theresia Triendlin gebohrne Hartmanin zugehörig.jetz verehelichte Schallnkamer Residenz Verwalterin, 145.

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Heraus genohmen und klein zerrührt dem Kind auf einen Wasser eingeben, so ist es Befreut auf leben lang von der Fraiß.«662 Vielerlei Hilfsstrategien sind für die Kinderkrankheit der Fraisen angegeben. »Ein Mittel vor die Darm Fraiß. Wer es haben Kann Sticht Hendl ab eins nach dem anderen, machs geschwind auf, lög dem Kind die Darm warm auf den Bauch Bloßer ein Türchel darauf und faschen etliche mall Bis es gut ist.«663

Ebenso wurden als Hilfsmittel für Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Salben und Geister – zum Beispiel »Muttergeist« und »Muttersalben« genannt – oder spezielle Sympathiemittel angeraten: »Mutterrauch vor Frauen wann es schon zu Entbindung ist und nichts weither gehet Zwiefel Schöllen, Eyer Schalln, Schwarze Brod Brose, Kihm, Wildfedern, Ringl Blumen, Blauer Ritterspron, gwirz Nägl, alles klein schneiden und gut unter einander vermischen, macht Beförderung, zur guter Geburt.«664 »Haßen Sprung für glückliche Geburth Von dem vordern lauf 2 Hasensprung, ein Jeger weis es schon was das für beinel sein, diese werden gediert, klein gestoßen und wenn eine in die Kindsnöthen komt gibt man ihr einen meßerspitz voll ein auf einen Eßlöffel mit wein verriert.«665

Wesentlich erkennbar ist auch in diesem Arzneibuch die enge Verbindung zwischen Heilmitteln und Kochrezepten. So preist man zum Beispiel die gute Wirkung von Kräutersuppen, Kraftbrühen, Kraftmilch oder »Anfeuchtungssuppen«. »Pflanzl Suppen vor ein Kindbetherinn Minzen und Melißen, Gaispapeln, Graßwürzln und Eywisch, Von ein jeden Theil gleich viel zu nehemn Dieses alles Klein geschnitten, auf ein Pflanzl Nim von dem geschniedenen so Viel als ein Eßlöffel Voll, zu dem nim ein Eyer schlags auf riehre es Untereinander und in Schmalz Herausgebacken, aus dem schneide 4 Theil und allzeit ein Strizl in der fleisch Brühe sieden lassen und in der Fruh und auf die Nacht eine Kafeeschalle Voll zu Trünken, als 14 Tägige Kindbetherin anzufangen. Das Schmalz aus dem es gebacken würd ist gut zum Unterleib schmirben acht Tag zu Trinken ist recht gesund.«666

Bei der Untersuchung dieser Werke kann nicht immer behauptet werden, dass die Rezepte volksmedizinisches Eigenwissen darstellen bzw. einer durch eigenes Wissen weitergegebene Heiltradition entstammen. Eine kritische Betrachtungsweise dieser handschriftlichen Arzneibücher ist unabdingbar, denn es ist durch662 663 664 665 666

Ebd., 100. Ebd., 142. Ebd., 134. Ebd., 167. Ebd., 148.

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aus denkbar, dass es sich um Abschriften von bestimmten Vorlagen, wie zum Beispiel gedruckter Kräuterbücher, handelt.667 Im Falle des Arzneibuches der Theresia Triendlin deutet jedoch alles darauf hin, dass einzelne Rezepte entweder aus Eigenerfahrung stammen oder von verschiedenen Personen oder Lektüre aufgenommen worden sind, wie etwa »die Schwarze Salbe von der Frau Muraltin« oder »das Weisse Kopfwasser von der Frau Traunerin«.668 Ebenfalls aber scheint eine Anweisung ganz allgemeiner Art, wahrscheinlich aus einer Zeitung entnommen, auf »Die Pariser Medizinalzeitung räth für die Brandschaden folgende mitl.«669 Das von Sibilla Francisca Friderica Reichsgräffin und Frau von Wellenstein, geboren Freyin von Gommingen verfasste, 76 Seiten umfassende Arzneibuch, datiert mit dem Jahre 1741, wies neben verschiedenen Rezepten gegen allerlei Krankheiten eindeutig auf ein von ihr entwickeltes umfangreiches Rezept hin: »Mein gelbes Pflaster, so zu viele Wunden Geschwähr und bößer Brust das beste Mittel damit zu haillen.«670 Von insgesamt 80 Rezepten sind in dieser Schrift vier der Kinderheilkunde und dreißig der Frauenkrankheiten bzw. Beschwerden in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett gewidmet. Auffallend sind die Angaben über Klistiere, Laxiere, die Verfertigung verschiedener Pulver, – zum Beispiel das Markgrafenpulver oder das Edelsteinpulver – Wässerchen, insbesondere das Mutterwasser, sowie verschiedenen »Rauch zu machen«.671 Kopf-, Zahn, Augen-, Ohren-, Magen-, Halsschmerzen, Fieber, Geschwulste, Wassersucht, Gelbsucht, »Törsucht«, Schwindsucht, Schlagwasser, geschwollene Mandeln, Handzittern (ungarische Krankheit) usw. – 297 Rezepte widmeten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts in dem Buch über »Etliche HaußMitl oder Arzteney für unterschiedliche gebrechen. Sehr nützlich zu gebrauchen«672, verfasst von Maria Barbara Ainhirnin, den vielfältigen Beschwerden des Volkes und boten zur Hilfestellung verschiedene Pflaster, Öle, Salben, sowie Universalmittel an. Dazu zählte begonnen von der Anweisung »wie Billen gemacht und gebraucht werden« bis zu »Ein gesundten Brandtwein einzumachen für alle Krankheiten des leibs«. Für die Fraisen »oder das vergicht« wurden geistliche Mittel geboten: »So 667 Grabner, Elfriede (1975). Volksmedizinsches Erbe oder übernommene Rezeptbuchweisheit? Bemerkungen zu einem handschriftlichen Arzneibuch der Oststeiermark aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. In: ÖZfV 78, (1975), 260–282. 668 Büchl mit Haus Mitteln, 4. u. 70. 669 Ebd., 102. 670 Sibilla Francisca Friderica Reichsgräfin und Frau von Wellenstein, gebohren Freyin von Gommingen mp. 1741 geschriebenes Arzney=Buch. Nr. 35. 671 Ebd. 672 Etliche Hauß Mitl oder Arzeney für unterschiedliche gebrechen. Sehr nuzlich zu gebrauchen. 1. Hälfte 18. Jh. Vermerk, Band. 1 Maria Barbara Ainhirnin, vermutlich auch von ihr geschrieben.

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begehe an einem Pfahrer das er dir erlaubt an unser lieben frauen cron 3 schalen in nahmen Gotes vaters und des Sohn und des Heilig. Geistes, und gibs dem Krankhen ein, in einem Krug schnabl wasser, es ist bewerth und kombt nimber«673 Gesondert dargestellt »volgen mehrerley mitl für die Weibs Persohnen, in niderkünften und andern weiblichen Mengl« – insgesamt 30 – worin wir vor allem Rezepte finden »die rechte Muater Salbe wie sye zu machen, und für wemb sye zu gebrauchen« bzw. »etliche Mitl wan ein frau zu kündt geht, auch für die Kindter mitl«.674 Wie bereits erwähnt, waren in Kräuterbücher Kinder- und Frauenheilmittel gemeinsam angegeben. Ähnlich gestaltet erschienen drei weitere, handschriftlich verfasste Arzneibücher, wobei sich jedoch der Umfang von Frauen- und Kinderheilmitteln sehr begrenzt hält. So die Arzneibücher der Maria Anna von Schnedizeni,675 Juliana von Hausperg676 und der Maria Agnes Georgin677. Bemerkenswert, da einmalig, ist das Arzneibuch für Frauen und Wöchnerinnen aus dem 18. Jahrhundert, welches insgesamt 49 Seiten umfasst.678 Persönliche Eintragungen von Geburten und biographischen Ereignissen am Buchende weisen deutlich darauf hin, dass es sich um eine weibliche Autorin handeln muss. Der Großteil dieser Rezepte (51 von insgesamt 82 Anweisungen) war »Frauenproblemen« gewidmet, ein kleinerer Teil beschäftigte sich mit Kinderkrankheiten (15). Ein Schwerpunkt der Rezepte lag sicherlich in den Verhaltensanweisungen in sogenannten »Kindsnöthen«, welchen ja oft die Frauen, Hebammen und Ärzte hilflos gegenüberstanden. Wenn also eine Frau in »Chinds netten ligt und gar nichts helfen will So gib Ihr ain Löffl voll Hundsmilch ein, wo es Miglich ist, das etwas hilft so hilft das.«679 Prophylaktische Methoden sollten helfen, schon während der Schwangerschaft eine positive Situation für die Geburt zu schaffen. »Das eine Frau leichtlich niderkhombt gib Ihr eine andere Frauen Milch zu trinkhen doch das sie es nit wisse.«680

673 Ebd., 99. 674 Ebd. 675 Arzneibuch. Am Umschlag: Freylein Maria Anna v. Schnedizeni angehörig Ao 1729, 106 Seiten insges. 169 Rezepte, 5 Frauenheilmittel, 10 Anweisungen für Kinder. 676 Arzney buech mir Juliana von Hausperg zugehörig – 17. Jh. von mehreren hdn. geschrieben, blatt 23; Vermörchet was ich khatterina von thurn Wittib ain geborne von kharling zu mein Rauchkhörzen nimb, 104 S, insges. 117 Rezepte, 3 Mittel für Frauen, keine Kinderheilkunde. 677 Warislechner, Anna. Dises Arzeney Puech gehört der Ehrn-Tugentreichen Frau Maria Agnes Georgin. Verweser in dem Hochfürstlich. Preyhaus in March deisendorf A. 1696 J. Blatt 63: durch mich geschriben Anna Warislechnerin am Parmpichl in March Deisendorf den 19 Januarius Anno 1697 Jahr. Anschl fortges. von 2 Hden des 18. Jh. insges. 312 Rezepte, keine Frauen- und Kinderheilkunde gesondert erwähnt. 678 Ebd., 2. 679 Ebd., 19. 680 Ebd., 19.

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Zusammenfassend lassen sich also von manuell verfassten Arzneibüchern einige Wesensmerkmale feststellen. Unterschiedlich gestaltet sich die Gliederung und Form der einzelnen Rezepte. So ist das eine mehr, das andere weniger strukturiert, mit oder ohne Inhaltsverzeichnis. Bei den jeweiligen Krankheiten und Behandlungsmethoden wurden verschieden Schwerpunkte gesetzt. Gemeinsam ist ihnen ein unsystematischer Aufbau, die Beschreibung und Heilanleitung verschiedener Krankheiten und Rezepte, vor allem die Mischung aus allgemeinen Krankheiten, Frauen- und Kinderkrankheiten, Bereichen der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, wie die Ausschließlichkeit der Heilanweisungen im Arznei- und Kräuterbuch, d. h. es wurde keine persönliche Stellungnahme erwähnt. Einzig die erfolgreiche, erprobte Anwendung eines Rezeptes wurde gesondert kommentiert. Grundsätzlich dominierten bei den jeweiligen Behandlungsanweisungen handgeschriebene Arzneimittel aus dem Natur- und Pflanzenreich, wobei sehr deutlich die Verbundenheit der Menschen mit dem Wesen der Pflanzen verdeutlicht wird. Ferner existierten darüber hinaus »Sympathiemittel« und »geistige Mittel«, welche die volksmedizinisch magisch-religiöse sowie naturnahe Krankheitsauffassung widerspiegeln. Die Häufigkeit der Arznei- und Kräuterbücher verdeutlicht die Beliebtheit und den Wert dieses Genres. 2.2.1.3 Kalenderwissen Neben diesen zahlreichen Hilfsbüchern spielte in der familiären Krankenbehandlung der Volkskalender eine bedeutende Rolle. Kalender und Almanache repräsentierten neben religiösen und medizinischen Werken die frühesten Erzeugnisse des Buchdrucks. Der Inhalt umfasste hauptsächlich astromedizinisches Gedankengut, welches die Abhängigkeit des Menschen, seiner Krankheiten und deren Heilmittel von den sieben Planeten, den zwölf Tierkreiszeichen und deren Konstellationen dokumentierte. Iatromathematische Lehren waren dem abendländischen Kulturkreis zwar schon lange vertraut, fanden jedoch seit der Mitte des 15. Jahrhunderts im Zuge der Aufarbeitung antiken Schrifttums und mit dem Aufkommen des Buchdrucks Verbreitung.681 Im 15. und 16. Jahrhundert waren die Verfasser dieser Kalender hauptsächlich Ärzte, die diätische und astromedizinische Anweisungen erteilten. Das astrologische Weltbild beeinflusst nicht nur die Religion, sondern auch die Naturwissenschaften und somit die Medizin. Zu dieser Zeit setzte sich der »Wandkalender« durch, mit fortlaufendem Jahreskalendarium auf zwei Bögen gedruckt und aneinandergeklebt, wor681 Müller-Jahncke, Wolf-Dieter (1983). Medizin und Pharmazie in Almanachen und Kalendern der frühen Neuzeit. In: Pharmazie und der gemeine Mann. Hrsg. v. denselb. Weinheim, New York 35–42.

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aus, in der Mitte des 16. Jahrhunderts durch Falten der Bögen der »Schreibkalender« in Quarto entstand. So befanden sich seither die Monatskalendarien auf den Versoseiten, die zunächst leer bleibenden Rectoseiten wurden bald mit »Jahresprognostik und astromedizinischem Gedankengut, später auch mit geographischen und historischen Fortsetzungsgeschichten«682 gefüllt. Diese Struktur blieb bis ins 18. Jahrhundert, bis zum Beginn der von obrigkeitlicher, aufklärerischer Seite vorangetriebenen Kalenderreform, von dem bereits im ersten Band berichtet wurde, unverändert.683 Der Volkskundler W. H. Riehl (1852) teilt die Kalender des 18. Jahrhunderts in zwei Kategorien ein »Die neuen zeigen, was die gebildete Welt aus dem Volk machen möchte, die alten, was das Volk wirklich war.«684 Liegen über die Verbreitung des Kalenders im deutschsprachigen Raum zwar keine vollständigen Daten vor, so lässt sich doch seine Aktualität im Volk erahnen, berücksichtigen wir die Tatsache, dass dieser dem bäuerlichen Publikum oft die einzige »aktuelle« Information der Zeit lieferte.685 Faktum ist, dass der Kalender als Massenkommunikationsmittel des 18. und 19. Jahrhunderts das Gesundheitsverhalten weiter Bevölkerungskreise beeinflusst hat. Frauen waren in der Rezeption dieses Mediums wesentlich mitbeteiligt. Betrachten wir den Aufbau des Salzburger »Neu außgefertigten Land=Hauß= und Würthschaffts=Calender«, der vom Jahre 1722–1918 erschienen war, so zeigen sich bis zum Jahre 1799 charakteristische Standardelemente, welche Jahr für Jahr praktisch unverändert abgedruckt wurden. Erstens erschien das Titelblatt, sowie eine Erklärung der Zeichen dieses Kalenders. Zweitens folgten Monatskalendarien, drittens »Astrologische Practica«, Beschreibungen »Von Eigenschafft / Natur / Beschaffenheit und Qualität dieses Jahrs«686 insbesondere der Witterung der vier Jahreszeiten, von Erdfrüchten, den Finsternissen, Krieg und Frieden, »von Gesund und Kranckheiten«, von Fruchtund Unfruchtbarkeit und »von schwangern Frauen«. »Was das heigliche Frauen=Volk betrifft / seynd ihnen nachfolgende Tag zur Geburts=Stund die nachtheiligste Zeichen / im Martio der 6. 15. 27. Im Mayo der 14. Im Julio der 25. Im Augusto der 3. 12. Im Octobri der 23. Zu welcher Zeit die Thür deß Todts

682 Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung. Das Beispiel Lippe 1750–1830. Frankfurt a. M., New York, 349. 683 Ebd., 349; Müller-Jahncke, Wolf-Dieter (1988). Medizin und Pharmazie in Almanachen und Kalendern der frühen Neuzeit, 41. 684 Riehl, W. H. (1903). Volkskalender im 18. Jahrhundert. (1852). In: Kulturstudien aus drei Jahrhunderten. Hrsg. v. dems., 6.Aufl., Stuttgart, 40–60. Zit. nach Wischhöfer, Bettina. Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 349. 685 Ebd., 349. 686 Neu-außgefertigter Landt= Hauß= und Würthschaffts=Kalender / Auff das Jahr nach der Gnadenreichisten Geburt unseres Erlösers und Seeligmachers Christi. Salzburg, 1722.

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mancher in die Ewigkeit zu gehen eröffnet wird werden, welche selbe vest verschlossen zu seyn vermeint hätte; Gott verleyhe ihnen nur ein glückliches Ende.«687

Als vierter Punkt waren Abhandlungen und Aufsätze verschiedenen Inhalts zu finden, worauf fünftens landwirtschaftliche Regeln über Säen und Pflanzen für Gärtner, Ackersleute, über das Fällen von Bau- und Brennholz für die »Forstner« und Waldleute und für Jäger und Fischer angereiht waren. Sechstens wurde der Kalender mit einem Horoskop fortgesetzt, mit der Bezeichnung »von den 12 Himmlischen Zeichen / was Gutes zu thun oder Böses zu lassen seye. Und unter welchem Zeichen sich unterschiedliche Länder und Städt befinden.«688 Verstanden wurden unter diesen 12 Himmelszeichen die 12 Gestirne des Tierkreises, für welchen der Kalender pro Tag im Jahr ein Zeichen ansetzte. Dieser Einfluss war je nach Verschiedenheit der Zeichen auch sehr individuell, einige besaßen einen günstigen, andere einen ungünstigen. So wurde der Skorpion für eines der schädlichsten – Geschäfte und auch die Saat konnten an diesem Tag nicht gut ausfallen – die Jungfrau, die Zwillinge für glückliche Zeichen gehalten. Von der »Unterrichtspolizei« für puren Aberglauben gehalten, wurden solche »alberne Meinungen« dennoch in großer Zahl angetroffen.689 Von großer Bedeutung in den Bereichen Landwirtschaft und Gesundheit waren ebenso Mondrhythmen; denn vom Mondzyklus abhängig waren die Zeit des Säens und Erntens, das Abstillen der Kinder, das Pflanzen von Heilkräutern und die Vorstellungen über Fruchtbarkeit und Empfängnisfähigkeit.690 Die Wirksamkeit der Betrachtung von astrologischen Einflüssen einmal dahingestellt, ist es grundlegend, dass diese überlieferten Kenntnisse in der Gegenwart immer wieder Geltung erlangen.691 Als siebtes Element, der Auflistung von Gesundheitsregeln fallen Rezepte für Hausmittel, Abhandlungen und Hinweise für die Einnahme von Brech-, Abführmitteln und Arzneien, sowie nützliche Grundsätze »vom Schwitzen, Schrepffen und Purgieren«. Überdies waren darin die günstigsten Termine zum »Aderlaß«692, wie bereits erwähnt, zu den beliebtesten Gesundheitsritualen des 687 Ebd. 688 Ebd. 689 Ueber den Einfluß der 12 Himmels Zeichen – Ein Beytrag zur Kalender Verbesserung. In: AdJPF 17, 8. Febr. 1804, 149. 690 Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Hrsg. v. Hoffmann-Krayer. Band 6 Berlin und Leipzig 1934/1935, 477–538; Frevert, Ute. Krankheit als politisches Problem, 51. 691 Vgl. die populären Bücher: Paunegger, Johanna/Poppe, Thomas (1992). Vom richtigen Zeitpunkt. Die Anwendung des Mondkalenders im täglichen Leben. 2. Aufl., München; Dies. (1992). Aus eigener Kraft. Gesundsein und Gesundwerden in Harmonie mit Natur- und Mondrhythmen. München. 692 Jondot, Philibert. Chirurgi zu Autun in Burgund. (1710) Vollständige Nachricht vom Aderlassen. Worinnen alles / so zu dieser Wissenschafft nöthig und dienlich / klärlich und

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18. Jahrhunderts zu zählen ist, angegeben. Es war üblich, zweimal im Jahr (am besten im Frühjahr und Herbst) zur Ader zu lassen, um sich von altem, verbrauchtem Blut zu reinigen. Auch hier war die Stellung des Mondes nicht unwichtig. So enthält der Kalender einen kurzen »Unterricht vom Aderlassen«, ebenso wie eine »Aderlaß=Tafel / an welchem Tag durchs ganze Jahr gut oder nicht gut Aderlassen seye.«693 Als achter und letzter Punkt war noch das Verzeichnis der Jahrmärkte angeführt. Ziehen wir zur Charakterisierung des Volkskalenders einen Vergleich mit einem anderen Land heran, was nicht ganz einfach ist, da sich in der Literatur kaum neuere Untersuchungen zum Kalender des 18. Jahrhunderts finden, so lässt sich in der Gegenüberstellung mit dem lippischen Kalender von 1704– 1835694 für den Salzburger Kalender feststellen, dass der Aufbau sowie teilweise das Themenspektrum der Abhandlungen beinahe deckungsgleich sind. Der traditionelle Volkskalender war also mit vielerlei astrologischen und magischen Elementen ausgestattet. So ist es nur verständlich, wenn das obrigkeitliche Urteil bezüglich der Salzburger Almanache schlecht ausfiel: »Sie enthalten ja noch so vieles, was das Volk gar nicht verstehen kann; so vieles, was ihm wenigstens ganz unnütz und überflüßig ist; ja noch so manches, was ihm sogar schädlich ist und es nur im Vorurtheil und Aberglauben bestärkt.«695 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich bei der Betrachtung der Bedeutung und Verbreitung von Kalender, der Volkskalender als konkurrenzlos darstellt. »Nächst der Bibel und dem Gesangbuch wird der Calender von den Landleuten gewis am häufigsten gelesen, und es sind wohl nur wenig Familien, welche selbigen nicht anschaffen (…) für den grosen Haufen, ist der Calender das Haupt-Buch.«696 Angesichts des bäuerlichen Leseverhaltens und der Lesefähigkeit des Landvolkes bemerkt der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann, dass es in der bäuerlichen Bevölkerung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ca. 70 % Analphabeten gab, zu welcher Gruppe er jedoch auch die Halbanalphabeten, die ihren Namen schreiben und einen vertrauten Kalendertext sto-

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deutlich gezeiget wird. Insbesonderheit / zu welchen Kranckheiten das Aderlassen nützlich oder schädlich. Regenspurg. Neu-außgefertigter Landt= Hauß= und Würthschaffts=Kalender. 1722. Weiters: Bde. 1722– 1799. Aderlaßtafeln vorhanden. Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 347– 374. Ueber Volkskalender; was sie noch vielfältig sind, und was sie seyn können, und sollten. In: KMW 1803, 62. Amt Horn StA Detmold. Zit. nach Wischhöfer. Bettina. (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 366.

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ckend entziffern konnten697, zählt. Es ist davon auszugehen, »daß ein Großteil dieser Menschen über rudimentäre Lesefähigkeiten verfügte, die es erlaubten, wenn nicht längere Artikel, dann wahrscheinlich aber kurze Texte«698 zu entziffern. Zudem wurden Texte auch vorgelesen. Die Menschen im traditionellen System hatten eigene Regeln und Handlungsformen bezüglich Gesundheitserhaltung und Krankenbetreuung inne, wobei den Kräuter-, Arznei- und Hausbüchern sowie den Volkskalendern eine ergänzende Stellung zukommt. Die Frau verfügte ferner aufgrund ihrer traditionell starken Position im Familienhaushalt über ein beträchtliches Erfahrungswissen.699 So gestand sogar der berühmte medizinische Gelehrte G.U.D. Tissot bezüglich der Heiltätigkeit »dem Frauenzimmer« – wenn auch mit einer gesundheitsaufklärerischen Absicht – mehr Scharfsinnigkeit, Beobachtungsgabe und Vertrauenswürdigkeit als so manchem guten Arzt zu: »eine lebhaftere Menschenliebe, eine standhaftere Geduld, ein mehrerer Aufenthalt zu Hause, eine Scharfsinnigkeit, die ich bey vielen in der Stadt und auf dem Lande bewundert, und welche machet, daß sie mit einer Genauheit beobachten, und die verborgenen Ursachen der Zufälle mit einer Leichtigkeit entwickeln, die den besten ausübenden Ärzten Ehre machen würden; endlich eine ganz besondere Eigenschaft, sich das Zutrauen der Kranken zu erwerben, sind so viele Kennzeichen, die ihren Beruf erweisen, und es giebt eine große Anzahl, welche denselbigen mit einem Eifer erfüllen, der des größten Lobes werth, und zu einem Muster zur Nachfolge dienen sollte.«700

Erweitert wurden diese Fähigkeiten und Kenntnisse der Medizin durch die Erfahrung der Frau mit Geburt, Schwangerschaft und Wochenbett, welche sowohl idealisiert als auch kritisiert wurde.

2.2.2 Geburtshilfe – eine Frauensache »Mit Freuden ging sie der Stunde entgegen, in welcher ein zarter Sprößling sich ihrem Schoße entwinden würde (…). Der entscheidende Augenblick erscheint (…). Die Schmerzen werden stärker; sie schreyt nach Hülfe. Man eilt ihr zu helfen. Aber wer? Ein altes ungeschicktes Weib. Diese betastet sie mit ihren groben Fäusten, macht Handgriffe, die den Schmerz unglaublich vermehren; schüttelt bedenklich den Kopf, fängt an 697 Wittmann, Reinhard (1982). Der lesende Landmann. Zur Rezeption aufklärerischer Bemühungen durch die Bevölkerung im 18. Jh. In: Buchmarkt und Lektüre im 18. und 19. Jh. Hrsg. v. dems., Tübingen, 1–45, insbes. 33. 698 Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 368. 699 Frevert, Ute (1986). Frauen und Ärzte im späten 18. und frühen 19. Jh., 185. 700 Tissot, D. der Arzneikunst Doktor, und öffentlichen Lehrers in Lausanne, dann Mitglied verschiedener Gesellschaften und Akademien (1789). Anleitung für das Landvolk in Absicht auf seine Gesundheit oder gemeinnütziges und sehr bewährtes Haus=Arzney=Buch. Aus dem Franz. übersetzt dr. H.C. Hirzel. Neueste Auflage. Köln am Rheine, 16.

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StoßGebethe zu thun, als könnte ein Vaterunser den Mund öffnen, oder ein Gebeth aus dem Kubach das enge Becken erweitern, und die widernatürliche Lage des Kindes in eine natürliche verwandeln (..) Durch die verzögerte Hilfe stirbt das Kind im Mutterleibe.«701

Dreierlei wird durch dieses Zitat über den Entbindungsvorgang deutlich, zum einen der alleinige akzeptierte Zuständigkeitsbereich der Frauen für die Geburtshilfe, zum anderen die Kritik der Obrigkeit und Ärzte an den alten Wehemüttern bzw. ihr Bestreben, durch massive Aufklärungsmaßnahmen der Geburtshelferin jeglichen aktiven Tätigkeitsbereich zu entziehen. Zum dritten wird die für uns Menschen in der Gegenwart wohl kaum vorstellbare reale Gefahr einer Geburt in der traditionellen Gesellschaft für Mutter und Kind, der letztendlich Hebammen und Ärzte hilflos gegenüberstanden, da bei Problemgeburten künstliche Eingriffe, wie zum Beispiel Kaiserschnitt, nicht möglich waren. Verwunderlich ist angesichts dieser Situation wohl kaum, »daß man meistens in den GeburtsSchmerzen zu heiligen Bildern, Amuletten, FidelisKäpchen, geweihten AdlerSteinen u. die Zuflucht nimmt«.702 Die Geburtshilfe703 stand zweifellos seit jeher unter dem Dominanzbereich der Frau, die sich als »Meisterin der Gynaekologie«704 auszeichnet. Hebammen, Bademütter, Wehemütter, Bademuhmen, um einige Namen der Geburtshelferinnen zu nennen, waren alleinige Beauftragte der Entbindungskunst, deren Hauptaufgabe darin lag, der Mutter bei der Entbindung Beistand zu leisten bzw. in der Versorgung des Neugeborenen. Zumeist verfügten sie auch über Kenntnisse verschiedener Probleme, die mit Schwangerschaft und Entbindung im Zusammenhang standen, sowie gynäkologischer Beschwerden, wie Menstruationsstörungen, Gebärmuttertumore, Infektionen usw. und ein detailliertes Wissen über Kinderheilkunde.705 Doch wurden im Laufe der Jahrhunderte die Befugnisse der Hebammen beschnitten und zurückgedrängt. Im Mittelalter fanden wir die Stellung der freien 701 Zustand des Hebammenwesens. In: PF 1806, 470. 702 Blicke auf die GeburtsHülfe. In: AdJPF 114, 30. Sept. 1803, 1108. 703 Der Bereich der Geburtshilfe soll in diesem Zusammenhang nicht so auführlich behandelt werden – detaill. Studie für den Salzburger Raum liegt vor von Barth-Scalmani, Gunda (1994). Die Reform des Hebammenwesens in Salzburg zwischen 1760 und 1815. In: MGSL. 134 (1994), 365–398; siehe ebenso Weiss, Alfred Stefan (1993). »Providum imperium felix.«, 272–281. 704 Fossel, Victor (1983). Volksmedicin und medizinischer Aberglaube in Steiermark. Ein Beitr. zur Landeskunde. Unveränd. Nachdruck der Ausg. von 1886, 2. Aufl. Schaan/Lichtenstein, 12. 705 Achterberg, Jeanne (1991). Die Frau als Heilerin. Bern/München/Wien, 167; Schiebinger, Londa. (1993). Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart, 157; Gubalke, Wolfgang (1964). Die Hebamme im Wandel der Zeiten. Ein Beitrag zur Geschichte des Hebammenwesens. Hannover.

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Hebamme als Geburtshelferin und Gynäkologin zugleich. Der städtische Hebammendienst wurde seit Mitte des 15. Jahrhunderts einer ständigen Kontrolle und Reglementierung unterzogen. Es gab die Geburtshelferinnen als »geschworene«, d. h. vereidigte städtische Angestellte mit festem Gehalt und zunftähnlicher Organisation, kontrolliert von den »ehrbaren Frauen« der Stadt – es bestand eine Hierarchie aus Oberhebammen, Hebammen und Lehrmädchen.706 In der Hebammenordnung von Regensburg aus dem Jahre 1452, der ältesten überlieferten Hebammenordnung des deutschsprachigen Raumes, war bei komplizierten Geburten oder langen Geburtsvorgängen die Verpflichtung gegeben, »mindestens eine zweite Hebamme hinzuziehen, sofern keine auffindbar ist, die ehrbaren Frauen zu benachrichtigen«.707 Der Berufsstand wurde jedoch seit dem 17. und vor allem seit dem 18. Jahrhundert zum Angriffsziel für Mediziner, Pharmazeuten, Kirchenbehörden und weltliche Instanzen.708 Für den Salzburger Raum ist festzustellen, dass zwar um 1760 von Seiten des Staates begonnen wurde, die Qualifikation der Wehemütter zu kontrollieren, doch die Voraussetzung einer »ordentlichen Hebamme« noch keinesfalls eine Prüfung darstellte und »daß es neben diesen den nicht bloß von den Frauen, sondern auch vom Staate noch akzeptierten, informellen Geburtsbeistand von Frauen gab«.709 Die Anzahl der praktizierenden Hebammen bzw. die geographische Verteilung von geprüften und ungeprüften Hebammen – laut erster Erhebung im Jahre 1760/61 – sah folgendermaßen aus: von insgesamt 202 im Erzstift erfassten Hebammen praktizierte »der überwiegende Teil (60 %) ›außer Gebirg‹, nördlich des Paß Lueg (…) Je weiter entfernt von der Hauptstadt, desto geringer die Anzahl der geprüften Hebammen«.710 Ganz allgemein kann gesagt werden, dass Geburtshelferinnen zumeist ältere, ungelernte, oft ärmeren Schichten angehörende Frauen waren. Zum Teil handelte es sich dabei um Witwen, deren Tätigkeit als Hebamme dem Zuerwerb diente.711 Obwohl sie für ihre Leistungen ein Entgelt erhielten, konnten sie nicht als besonders wohlhabend gelten.712 Bezüglich der Ausübung der Hebammentätigkeit war die einzige vorgegebene Bedingung die Unterrichtung des zuständigen Priesters über die Durchführung der Nottaufe. Die Ausbildung erfolgte 706 Labouvie, Eva (1992). Selbstverwaltete Geburt. Landhebammen zwischen Macht und Reglementierung 17.–19. Jh. In: Geschichte und Gesellschaft 18 (1992), 478. 707 Ebd., 477. 708 Ebd., 478. 709 Barth, Gunda (1990). Kurzer Abriß der Entwicklung des Hebammenwesens in Salzburg bis zum Ende des Erzstiftes. In: Frau sein in Salzburg. XI. Landes-Symposion am 17. Nov. 1990. Hrsg. v. Roland Floirmair. Salzburger Diskussionen, 158. 710 Ebd. 711 Shorter, Edward (1987). Der weibliche Körper als Schicksal. Zur Sozialgeschichte der Frau. München, Zürich, 63. 712 Schiebinger, Londa (1993). Schöne Geister.

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offensichtlich primär durch die Frauen untereinander. Häufig fungierten erfahrene Hebammen als Lehrhebammen, indem Kolleginnen zu Gebärenden mitgenommen wurden, doch war es nicht unüblich, dass die eigene Geburtserfahrung den einzigen Unterricht darstellte. Bei Geburten ohne irgendwelche Komplikationen schien dieses Wissen durchaus ausreichend, zudem den Wehemüttern von Seiten der Gebärenden Vertrauen entgegengebracht wurde. »Weiber leisteten bey den Geburten Hülfe, die, weil sie selbst viele Kinder gehabt hatten, deßhalb das Zutrauen der Gebährenden auf sich gezogen; andere, von denen man glaubte, daß sie die zum Entbinden nöthigen Handgriffe von ihren Vorfahrerinnen durch mündlichen Unterricht erlernt hätten, und mehrere standen in vollem Vertrauen, welches der Ruf einer großen Praxis durch eine lange Reihe von Jahren ihnen erworben hatte. Auf dem Lande verrichteten gewöhnlich die Nachbarinnen die Dienste der Hebammen; selbst Bauern standen den Gebährenden zur Entbindung bey.«713

An diesem Zitat wird die Selbstorganisation der Geburtshilfe als eine von Frauen dominierte Sphäre deutlich, die jedoch unterschiedlich bewertet wurde. Idealisierungen auf der einen, ebenso wie harte Kritik auf der anderen Seite charakterisieren das Bild der Hebammentätigkeit um 1800. »Rohe, unwissende Frauen, welche oft zu den abergläubischsten Mitteln griffen, standen in der Regel den armen Müttern zur Seite, und fanden diese in der Mahnung zur Geduld und im Vertrauen auf die Selbsthilfe der Natur oft den einzigen Trost; kein Wunder, wenn diese mit ihren Früchten zu Opfer fielen.«714 »Als Stiefkind der Facultät und unentbehrlich, wo Menschen in Frieden und in – Liebe bei einander wohnen, weiss sie trotz Doctor und Bader immer noch den besten Rath und das beste Tränklein aus heilsamen Kräutern zu brauen. Sie weiss Salben, Schmieren, Geister, Pflaster, Köchlein, Wasser, Bäder, Riechtropfen, Labemittel, Klystiere, Zäpfchen und Rauch zu bereiten, die in keinem Buche verzeichnet sind und den Neid des Apothekers entfachen.«715

Die Berechtigung bzw. Richtigkeit dieser Aussagen kann in diesem Zusammenhang nicht geklärt werden. Es können zwar durchaus Aberglauben, »Mängel« und Fehlgriffe von praktizierenden Hebammen angenommen werden, doch dürfen die Kenntnisse der Wehemütter, insbesondere das Kräuterwissen, »für die Vorbereitung, Einleitung und Durchführung von Geburten, für das Wochenbett und die Stillzeit«716 nicht unterschätzt werden.

713 IS 12. Febr. 1803, 96. 714 Lammert, Günther (1869/1981). Volksmedizin und medizinischer Aberglaube in Bayern und den angrenzenden Bezirken. Neudruck der Ausg. Würzburg, 1869, Regensburg, 12. 715 Fossel, Victor (1886/1983). Volksmedicin und medizinischer Aberglaube, 38. 716 Beckmann, Barbara/Beckmann Dieter (1990). Alraun, Beifuss und andere Hexenkräuter: Alltagswissen vergangener Zeiten. Frankfurt a. M./New York, 33.

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Die Hebamme hatte in der Dorfgemeinschaft eine zwiespältige, ja widersprüchliche Position inne, welche nicht ganz leicht aufzuschlüsseln ist. Vielerorts bewegte sie sich in einem Rahmen zwischen hoher sozialer Anerkennung und Missachtung.717 Anders als in der Stadt gehörte es zur Verpflichtung der Landhebammen, neben der Gewährleistung einer bestmöglichen Geburt, durch Leistung der Nottaufe, Begutachtung und Bad des Neugeborenen, die Taufe selbst und vor allem Handlungen mit rituellem Charakter auszuführen.718 Verstanden wurden darunter Zuständigkeiten aus dem traditionellen Brauchtum des Dorfes, wie Geburtsmagie zum Schutz von Mutter und Kind,719 die spezielle Taufzeremonie, Weiterführung des Haushalts mit Kochen und Waschen, aber auch das Waschen und Ankleiden verstorbener Kinder oder Mütter vor ihrer Bestattung. Manchmal waren sie sogar für die Leichenwäsche des Ortes zuständig. Nicht als Beruf im modernen Sinne wurde die Geburtshilfe auf dem Land gesehen, sondern demnach in erster Linie als eine Tat der Nächstenliebe, als eine christliche Pflicht gegenüber den Mitmenschen.720 Die Niederkunft auf dem Land war Frauensache, jedoch keine Familienangelegenheit, sondern ein öffentliches Ereignis, an dem neben der Hebamme auch weibliche Verwandte, Nachbarinnen und Freundinnen teilnahmen. Männer sind in diesem Zusammenhang einzig als Ausübende von bestimmten Hilfeleistungen in den Quellen belegt, wie zum Beispiel das Festhalten der Gebärenden. So gibt Anton Nindl, der Schmidermeister zu Stuhlfelden bezüglich der Gebärsituation seiner Frau zu Protokoll, dass er und »des Binders Eheweib« auf Befehl der Hebamme zur Beförderung der Geburt folgendes vollziehen mussten: der Kreißenden »auf den Bauch mit Händen drükken, was wir in unseren Kräften hatten.«721 Es kann von einer gewissen Solidarität der Frauen gesprochen werden, die während und nach der Geburt sozusagen eine Hilfsgemeinschaft darstellten. Nachbarschaftlicher Rat und Vertrauen spielten schon bei der Auswahl der Geburtshelferin eine wesentliche Rolle. So wählte eine 34 Jahre alte erstgebärende Bauersfrau die ungeprüfte Hebamme Mesnerin zu Stuhlfeldern, obwohl eine approbierte Hebamme in Uttendorf und Mittersill aufgestellt war, aus folgenden Gründen »weil die Mesnerin zu sehr vielen Weibern, als Geburtshelferin beruffen

717 Bitter, Bettina (1990). Hebammen – Geburtshelferinnen und Verfolgungsopfer. In: Randgruppen der spätmittelalterl. Gesellschaft. Ein Hand- und Studienbuch. Hrsg. v. BerndUlrich Hergemöller, Warendorf, 134–167. 718 Labouvie, Eva (1992). Selbstverwaltete Geburt, 480. 719 Loux, Francoise (1991). Das Kind und sein Körper in der Volksmedizin. Frankfurt a. M. 720 Labouvie, Eva (1992). Selbstverwaltete Geburt, 484. 721 Gerichtl. Vernehmung des Anton Nindl vom 25. Februar 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15.

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wird, so hatte auch ich mein Vertrauen zu ihr.«722 Erstaunlicherweise wurden bezüglich der Hebamme auch von drei ins Verhör genommenen Frauen mit Totgeburten keinerlei Anschuldigungen und Anklagen laut. Ganz im Gegenteil gab es zwei eindeutige Stimmen, die verlautbaren: »Ich kann ihr keine Schuld geben«.723 Existierte im Dorf zwar ein strenges Netz an Beurteilungskriterien einer Geburtshelferin – grobe Verfehlungen bedeuteten den Ausschluss, d. h. in Misskredit gefallene Hebammen wurden bei Geburten nicht mehr konsultiert – so wurde in Hinblick auf eine obrigkeitliche Strafe dieser Person überraschenderweise unter dem Motto »gerichtet wird im Dorf selbst« doch um Milde gebeten. »Da dieses Unglück bereits geschehen ist, und heute mein Kind ausgelitten hat, so bitte ich um so mehr, die Hebamme mit einer schweren Ahndung zu verschonen als sie gegenwärtig theilst selbst gesegneten leibes ist, und anderen Theils ich gewis versichert bin, daß sie niemand in die Zukunft verunglücken könne, weil sie nie mehr wird gesucht werden.«724

Das Verhältnis der Dorfgemeinschaft zur Hebemutter war nicht immer harmonisch, ein Faktum, das wahrscheinlich in der sozialen Stellung dieses Amtes begründet lag. Die Hebammentätigkeit war einerseits in der Identifikation der »Fachfrau« auf dem Gebiet der Geburtshilfe von Vertrauen und Achtung der Gemeinschaft charakterisiert, welche auch eine monopolisierte Aufgabe mit Vorteilen beinhaltete, andererseits aber wurde ganz allgemein die Entbindung als etwas Unreines angesehen, es handelte sich um eine negative Einstellung gegenüber der Geburt nicht nur im Gedankengut der Kirche. Laut volkstümlicher Vorstellung wurde das bei der Entbindung abfließende Blut als giftig, unrein und unheilvoll angesehen, und diese Unreinheit übertrug sich nach diese Annahme durch Berührung auf die Hebamme.725 Trotz alledem waren viele von der Kirche diskriminierte und verbotene traditionelle Rituale um Geburt, Wochenbett und Kind gemeinsam ausgeübte Gebräuche aller bei der Geburt anwesenden Frauen, so Segnungen, Sprüche, Zauberformeln für Amulette, Rezepte und magische Anweisungen, und es ist nur zu gut vorstellbar, – in Kräuterbüchern auch belegt – dass im Falle von Fieber, Scherzen, Krämpfen, Ausbleiben von Wehen oder Nachgeburten von der Hebamme Heilhandlungen vorgenommen und Arzneien verabreicht wurden. So beschrieb ein »gelehrter Mediziner« der Zeit:

722 Gerichtl. Vernehmung zweier Weibspersonen, welche tote Kinder zur Welt gebracht haben vom 9. März 1803, SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 723 Ebd. 724 Vernehmungsprotokoll der Anna Maria Amhauserin, 29 Jahre, vom 15. Dezember 1801, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 725 Labouvie, Eva (1992). Selbstverwaltete Geburt, 503.

Speziell weibliche Heiltätigkeit

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»Wenn Gebährende an einem zu starken Blutflusse leiden, und ich zu denselben gerufen werde, so bermerke ich oft keine Anstalten von der Hebamme, die Gefährlichkeit desselben zu vermindern. Die Hebamme giebt der Gebährenden lieber einen sogenannten Blutstein in die Hand, und ist übrigens um sie wenig mehr bekümert (…). Der Unfug, welcher mit diesem wunderthätigen Talismanne, gegründeter Ahndungen ungeachtet, in manchem Lande getrieben wird, ist zu arg.«

In den Verhörprotokollen von Hebammen allerdings wurden diese Tatsachen gemeinschaftlich abgeschwächt oder verschwiegen. Auf die Frage, ob die Wehemutter bei der Geburt Medizin verabreicht hätte, antwortete bezüglich der Angeklagten der Hebamme Maria Scharlerin als medizinische Pfuscherin die zum Verhör gebrachte totgebärende 22-jährige, ledige Frau aus Stuhlfelden, sie könne über eine Medizineinnahme nichts berichten, eine Bauersfrau erteilte folgende Information: »Sie gab mir einigemal zu einer Herz-Stärke ein kleines Stük von einer gedörrten Datl ein und auch andere Herzstarkende Sachen, als (…) Zeltln: auch gab sie mir einen warmen Wein, und erweilen eine Hennen Suppe«726 Neben der geburtshilflichen Tätigkeit lag im Aufgabenbereich der Hebamme gleichfalls oft die Ausübung der Frauen- und Kinderheilkunde. Eine große Zahl an Geburtshelferinnen übte insbesondere auf dem Lande eine öffentliche Heiltätigkeit aus. Die Verabreichung von »bluttreibenden Mitteln«, Medikamenten und Arzneien wurde den Hebammen laut Hebammenordnung strengstens verboten. Zur Rettung von Mutter und Kind sahen sich die Wehemütter jedoch oft gezwungen, ihre alten traditionellen Kenntnisse auf dem Gebiet der Heilkunde bzw. der volkstümlichen Magie gegen obrigkeitliche Verbote einzusetzen. Ferner ist es offensichtlich, dass sich die Menschen, seien es Familienmitglieder oder Nachbarn einer Gebärenden ganz selbstverständlich auch in medizinischen Fragen an die Hebamme wandten. Inwieweit diese Form von Heiltätigkeit der Obrigkeit bekannt war, sei dahingestellt. Laut »Medizinalstatistikberichten« aus dem Jahre 1808 beschäftigten sich von insgesamt 46 Heiltätigen nur acht ungeprüfte und zwei examinierte Hebammen mit Medizin, wobei die Arzneimittelabgabe vorrangig angeklagt wurde. Im Jahre 1803 wurden jeweils zwei, im Jahre 1804 eine Geburtshelferin mit Beschäftigung nicht genauer definierter heilerischer Tätigkeit aktenkundig.727 Blicken wir zusammenfassend noch einmal der Position der Hebamme ins Visier, so war ihre Aufgabe eine ganzheitliche: verfügte sie ja über Einblick in die Familiengeschichte bzw. Familiensituation ihrer Kreißenden, musste sie sicherlich nicht nur für alltägliche und körperliche Beschwerden da sein, sondern 726 Gelis, Jacques (1989). Das Geheimnis der Geburt. Rituale, Volksglauben, Überlieferung. München. 727 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin vom K. prov. Pfleggericht Neuhaus 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15.

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Vormodernes Heilsystem und Frau – kein Widerspruch

auch für so mancherlei seelische Probleme Verständnis zeigen und Rat erteilen. Es bleibt allerdings ungeklärt, ob beispielsweise die Charakteristik der »Schindler-Muatter« idealtypisch für eine Dorfhebamme um 1800 angewendet werden kann: »Großmutter wurde von den Leuten die ›Schindler-Muatter‹ genannt. Sie war eine gütige Frau, nicht nur zu mir, sondern zu allen, die mit Anliegen und Sorgen kamen. Sie war nicht nur bei jeder Geburt dabei, auch wenn einer in unserem Dorf von 500 Seelen am Sterbebett lag, auch bei allen Krankheiten von Kindern und Erwachsenen, sogar bei Blessuren, die in den Landwirtschaften vorkamen, wurde sie geholt. Sie betätigte sich ja auch als Heilpraktikerin und hatte großen Zuspruch der Leute von naher und weiterer Umgebung.«728

728 Horner, Maria (1985). Aus dem Leben einer Hebamme. Hrsg. bearb. mit einem Vorw. vers. v. Christa Hämmerle. Wien/Köln/Graz, 21.

3

»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«. Vergleichende Studie anhand Heiler/-innenprofilen

Anhand einer vergleichenden Studie einzelner Salzburger Volksheilerinnen wird der medizinischen Alltag der Frauen nachgezeichnet und wesentliche Komponenten der Heilkultur ins Visier genommen. Spezielle Analysekriterien dienen auf diese Weise zur Gliederung und Analyse sämtlicher erwähnenswerter Komponenten aus der Lebenssituation der im Bereich der Medizin tätigen Frauen. So sollen zum ersten die Persönlichkeit der Heilerin, insbesondere das Alter und der Familienstand, die Berufstätigkeit, die wirtschaftliche und soziale Lage, sowie Mobilität/Immobilität, zum zweiten die Heiltätigkeit mit den Schwerpunkten Kenntniserwerb, Heilpraxis und Heilerin-Patient/-in Beziehung, zum dritten der »Ausgrenzungsprozess«, vor allem die Anklage, die Bestrafung bzw. die daraus resultierenden Konsequenzen, betrachtet werden. Es werden insgesamt ca. 70 weibliche Heiltätige in die Untersuchung einbezogen, wobei ca. 50 Frauen als Heiltätige in Physikatsberichten vom Jahre 1808 mit zum Teil nur spärlichen Informationen aufscheinen, von den restlichen 20 allerdings liegen ausführlichere Quellenberichte vor. Diese 20 Frauen sollen somit genauer analysiert werden und können grundsätzlich in zwei größere Gruppen eingeteilt werden. Zum einen handelt es sich um 10 »Doktorinnen«, die eindeutig eine Heiltätigkeit im klassischen Sinne ausübten, zum anderen werden 10 Arzneihändlerinnen vorgestellt, deren medizinische Handlungsweise nicht immer konkret beweisbar, allerdings auch nicht ausgeschlossen werden kann. Ganz allgemein muss hierbei im traditionellen Heilsystem stets die Verbindung und Verschmelzung der Dimensionen: Heilkunde – Arzneiherstellung – Ölwarenhandel – Wurzengraberei usw. mitgedacht werden. Die Organisation der Medizinalverfassung erzeugte einen vehementen Bruch mit dem bisher relevanten Volksheilystem. Wie charakterisierte sich nun die Begegnung zwischen den zwei gegensätzlichen Medizinalsystemen in der konkreten Handlungspraxis? Inwieweit kennzeichnete sich dieser Umstand im Lebensalltag der einzelnen weiblichen Heiltätigen? Welche langfristigen Auswirkungen hatte die Einflussnahme des »organisierten Medizinalsystems« auf die »traditionelle Heilkultur«, und nahmen

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

die Vertreter/-innen des in den Hintergrund gedrängten Heilsystems diesen Übergriff widerstandslos hin? All diese Fragen sollen in den folgenden Kapitel erörtert werden. Anhand von Beispielen einzelner Heilerinnenprofile wird die volksmedizinische Tätigkeit der Frauen, die Ausgrenzungsversuche von Seiten des obrigkeitlichen Medizinsystems sowie der Konflikt zwischen beiden Positionen zum Vortrag kommen. Ein solches Unterfangen beinhaltet mehrere Herausforderungen, so war eine der größten Schwierigkeiten die Tatsache, dass sich jeder einzelne Fall der Heilperson individuell darstellte und deren Einzigartigkeit eigentlich gesonderte Betrachtung gebührt. Weitere Hindernisse bei der Aufgabe, ein umfassendes und authentisches Bild einer Lebensrealität zu zeichnen, ergaben sich aus dem Quellenbestand. Biographische Angaben über heilkundige Frauen blieben in der Regel äußerst fragmentarisch. Von vielen gibt es nur eine einzige Information, zum Beispiel den Namen, die Art der Heiltätigkeit oder den Wohnort. Ihre Stellungnahmen wurden zu Protokoll gegeben, wenn ihre Handlungen und ihr Verhalten aufsehenerregend bzw. auffällig waren, doch viele haben sehr wahrscheinlich ihre Aufgabe im verborgenen, geschützten Raum ausgeführt. Es handelt sich um Quellen »von oben« – in einzelnen Vernehmungsberichten wurden die Lebensläufe der Heiltätigen nur in groben Umrissen, soweit diese für das Gericht und die staatliche Autorität Relevanz besaßen, beschrieben. So ist zum Beispiel offenkundig, dass die Frauen nur spärlich Informationen über die Anwendung magischer Praktiken preisgaben. Entweder wurde dies aufgrund von Angst vor Strafe absichtlich verschwiegen oder ganz selbstverständlich als alltägliches Handlungsmuster zur Bewältigung und Hilfe erachtet, dass es nicht ausdrückliche Erwähnung fand. Es können in diesem Fall nur Spekulationen vorgenommen werden, Tatsache ist allerdings, dass – wie bereits im ersten Band dargestellt – im Bereich der Selbstmedikation sowie im Lebensalltag der Menschen Magie und Religiosität eine große Rolle spielten. Allgemein wird bei der Untersuchung von Heilerinnen deutlich, dass zum einen die Spannung zwischen »oben« und »unten«, sich manifestierend in einem Konflikt zwischen traditioneller Welt des gemeinen Volkes und der aufgeklärten Welt, vorzüglich der Stadtbevölkerung (auch Stadt-Land Konflikt beinhaltend), bestand, zum zweiten allerdings die Spannung zwischen weiblichen und männlichen Positionen manifest wurde, welche im passiven Rollendefinitionsversuch weiblicher Heiltätiger nachzuvollziehen ist.

»Individuelle Motive und Storys« – Weibliche Heiltätige stellen sich vor

3.1

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»Individuelle Motive und Storys« – Weibliche Heiltätige stellen sich vor

3.1.1 Zur Persönlichkeit der Heilerin: Name, Alter, Familienstand Maria Scharlerin729, gebürtige Bäckerstochter, hatte einen Sohn großgezogen und befand sich im Alter von »etliche 40 Jahre«730 im Witwenstand. Sie war in Klausen ansässig, wo sie auch ihren Betätigungen nachging: zum einen der Ausübung des Amtes einer Mesnerin, zum anderen der Hebammen- und Heiltätigkeit. Die Aufgabe einer Geburtshelferin nahm auch die 1737 geborene Maria Eva Blümlin731 aus der unteren Gniegl ungeprüft wahr. Die verehelichte Zimmermeisterin, Witwe, mit zwei Kindern war zum Zeitpunkt der Anklage 66 Jahre alt. Als Vertreterinnen geprüfter und gerichtlich aufgestellter Hebammen sind die Maria Lederin732, verehelichte Hutterin aus dem Pfleg- und Landgericht Taxenbach, geboren 1754, und die Nothburga Reiberin733 aus St. Michael, geboren 1763, zu nennen. Nothburga Reiberin war eine gebürtige Landwirtstochter, kinderlos und verheiratet mit dem hiesigen Tischlermeister, zum Zeitpunkt der Anklage 45 Jahre alt. Als 30jährige, also im Jahre 1793 hatte sie laut ihren Aussagen den Hebammenunterricht in Salzburg erhalten. 18 Jahre älter war Maria Lederin, als sie 1802 als Hebamme zu Bruck aufgestellt wurde. Die zum Zeitpunkt der Erhebung 54jährige Frau war Bäuerin zu Wibm und hatte fünf Kinder. Weitere heilkundliche Tätigkeit wurde von zwei bereits erwähnten Wasenmeisterinnen ausgeübt. Susanna Feichtingerin734, geboren 1746, bei der Anklage 66 Jahre alt, übte das Abdeckerhandwerk in Lengau aus. Fast zehn Jahre jünger war Maria Anna Feichtnerin,735 Wasenmeisterstochter zu Reith im Gerichtsbezirk Lofer, geboren um 1731, zum Vernehmungszeitpunkt 57 Jahre alt, verheiratet und hatte vier Kinder. Barbara Struberin,736 geboren im Jahre 1733 in der Pfarre Werfen am Kradlgut war zur Zeit der Anklage 79 Jahre alt. Sie hatte drei Kinder großgezogen und 729 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 730 Ebd. 731 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin, 1803, ebd. 732 Vernehmungsprotokoll der Maria Lederin, 9. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XI H. 5/110. 733 Vernehmungsprotokoll der Nothburga Reiberin, 6. Juli 1808, ebd. 734 Vernehmungsprotokoll des Peter Feichtinger, 19. April 1812, SLA Kreiskommissariat Neumarkt 31, B 2.6. II. 735 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, Pfleggericht Lofer I/4; In: Adler, Margot (1990). Die alte Abdeckerin, 129–133. 736 Untersuchungsprotokoll vom königl. Landgerichte Hallein auf Befehl des LGK Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

wohnte verwitwet als Austragsbäuerin am Gut Maierhofen im Landgericht Hallein. Ebenso handelte es sich bei der 50 Jahre alten Agnes Millauer,737 geboren im Jahre 1755, um eine Landwirtin. Ehemalig 15 Jahre lang in Oberteisendorf mit einem verwitweten, mit einer Vaterschaft von sechs erwachsenen Kindern versehenen Herberge-Mann verheiratet, lebte sie nach dessen Tod mit ihrem 30jährigen zweiten Ehegatten Johann Georg Armstorfer seit 4 ½ Jahren als Bäuerin am Laimergut in Morzg. Eigene Kinder hatte die Millauerin nicht, »allein sie habe vom ersten Manne 6, und von dem 2ten eben 6 Kinder erheurathet.«738 Auch Magdalena Neureiterin739 kam aus landwirtschaftlichen Verhältnissen, sie war eine ledige Bauerstochter vom Goldegger-Gut zu Golling, geboren 1757, bei der Vernehmung war sie 50 Jahre alt. Zuguterletzt ist noch Magdalena Pichler,740 vulgo Hofmanin, wohnhaft in Salzburg Stadt, in der Linzergasse bei St. Sebastian im »Todtengraber=Hause«, zu erwähnen. Sie war alleinstehend, hatte vier unversorgte Kinder und ging dem Beruf der Baumwollhändlerin nach. Es handelt sich bei diesen zehn Frauen um Heilerinnen, welche definitiv eine medizinische Tätigkeit ausübten. Betrachten wir zunächst die Namen der Heiltätigen, so waren sie im Volk unter vielen verschiedenen Bezeichnungen bekannt, wie etwa Zipferweib, Herbergweib, Fischerweib, Schuster »Lisei« usw.741 Insgesamt werden drei Kategorien beobachtet. So kann die Austragsbäuerin Barbara Struberin in dreifacher Weise namhaft gemacht werden unter ihrem eigenen Familiennamen – »Struberin«, dem Hausnamen – »die alte Mayerhoferin« und dem sogenannten »Künstlernamen« nach Art der Tätigkeit – »die Brunnbeschauerin«.742 Als weitere »Künstlernamen« waren zum Beispiel »die Anwenderin« oder »die Gesundbeterin« zu nennen. Im Gegensatz zu den Heilerinnen scheinen im Arzneimittelgeschäft keine speziellen Bezeichnungen auf. Als Vertreterinnen der Pharmazie begegnen uns mehrere Ölfabrikantinnen. Anna Linnbacher,743 20 Jahre alt, unverheiratet und kinderlos, hatte die Fabrikation von ihrem Vater Kolomann Linnbacher übernommen und lebte in Jardorf. Der Betrieb in Ridl der Katharina Wieland,744 einer 737 Verhör-Protokoll der Agnes Armstoferin, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 738 Ebd. 739 Untersuchungsprotokoll vom königl. Landgerichte Hallein auf Befehl des LGK Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 740 Bitte der Magdalena Pichler um Strafmilderung an Königl. General=Commissariat vom 6. März 1816, SLA Kreiskommissariat. B.2.6. Salzburg Stadt. 741 Mitteilungen der Protomedikate. SLA kurfürstl.k.k. Reg. XI R, 5/110. 742 Vernehmungsprotokoll der Barbara Struberin, SLA kurfürstl. k.k. Reg. XI R 5/110. 743 Verzeichnis der Ölfabrikanten der Königl Landgerichte des Salzachkreises, Jänner 1811, BayH-StA GR 1204 129. 744 Ebd.

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70jährigen Witwe, welche zwei Söhne und drei Töchter großgezogen hatte, befand sich ebenso im Landgericht Golling. Eine weitere Witwe, Elisabeth Rehrbichler,745 kinderlos, 50 Jahre alt, wohnte im Landgericht Kitzbühel. Ebenso im Witwenstande mit unversorgten Kindern befand sich die Madalena Eggerin746 aus Thann in der Nähe von Zell im Zillertal, welche eine steuerbare Gerechtsame für die Ölfabrikation besaß, und die »Ölschlägerin« Ursula Pfeffer747 – mit vier kleinen Kindern – in der Rodlmühle in Mignitz, Landgericht Tamsweg. Im Landgericht Mittersill gab es die Ölfabrikationen der Ursula Winklerin748 in Stuhlfelden und der Elisabeth Voithofer749 aus Bramberg. Sie waren beide verheiratet, erstere war 46 Jahre alt und hatte drei Söhne, zweitere befand sich ebenfalls in mittleren Jahren – 40 Jahre – und hatte einen Sohn und zwei Töchter. Der hohe Frauenanteil in der Ölfabrikation erklärt sich wohl auch in der Gewohnheit, dass die Tochter bzw. die Ehefrau, den Betrieb nach Ableben des Gatten weiterführte. Eine Patentverleihung zur Verfertigung von Arzneien war allerdings durchaus auch für Frauen üblich, deren Ehemänner noch lebten.750 Witwen, verheiratete und ledige Frauen waren auch buntgemischt im Metier der Ölträgerei zu finden. So waren zum Beispiel die Trägerinnen der Ölfabrikantin Magdalena Egger entweder verwitwet – die 36jährige Waldburga Hirnerin751, Einwohnerin zu Hart im Landgericht Rattenberg im Innkreise oder verheiratet – Ursula Schösserin752, 46 Jahre alt, aus Zell im Innkreise. Die 49jährige, bereits erwähnte Ölträgerin der Katharina Angerin, Anna Hörhager753 war ledig und hatte einen Sohn. In der Verbindung der Informationen mit weiblichen Tätigkeitsfeldern des Arzneimittelgeschäftes wie Wurzengraberei Materialienhandel und allgemeiner Hausiertätigkeit754, sowie den Daten über Heiltätigkeit aus den Physikatsberichten, können bezüglich Familienstand der Heiltätigen folgende Ergebnisse

745 Ebd. 746 Schreiben von Magdalena Eggerin an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises vom 13. Aug. 1811. Nr. 14881, BayHStA GR 1204 129. 747 Schreiben von Ursula Pfeffer, 30. Aug. 1806 an kurfürst..k.k. prov. Landesreg., SLA k.k. Reg. XXXVI/Z.I. 21. 748 Verzeichnis der Ölfabrikanten, SLA k.k.Reg. XXXVI/Z.I. 21. 749 Ebd. 750 Ebd. 751 Hausier-Patent für Waldburga Hirnerin, ausgestellt in Salzburg, 18. Nov. 1812, BayHStA GR 1204, 129. 752 Hausier-Patent für Ursula Schösserinn, ausgestellt in Salzburg, 18. Nov. 1812, ebd. 753 Patent für Anna Hörhager vom Kreisamt Salzburg, 30. Sept. 1817, SLA Kreisamt B IX 5. 754 SLA Hofkammer Salzburg 1806 7a, Collegium Medicum 70, 1804–1807; SLA kurfürstl. k.k. Reg. XXXVI BIII/6; SLA Kreisamt B IX 9; SLA k.k. Reg. XXX5/M.7.

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zusammengefasst werden: Es ist ein hoher Witwenanteil755 zu beobachten, wobei allerdings auch die Zahl der Verheirateten durchwegs beachtlich war, am geringsten fiel der Ledigenanteil aus. Das Alter756 der im Heilsystem tätigen Frauen variierte in der Regel zwischen 40 und 50 Jahren, einige wenige Fälle lagen darunter, mehrere Frauen hatten ein Alter von 60 bis 70 Jahren.757 Bis auf drei Ausnahmen hatten alle heiltätigen Frauen mehrere Kinder, diese differierten in der Anzahl zwischen eins und fünf, waren jedoch wahrscheinlich in Anbetracht des fortgeschrittenen Alters der Mütter oft nicht mehr minderjährig bzw. im gemeinsamen Haushalt zu versorgen. So erzählte die heilkundlich tätige Wurzengraberin Katharina Angerin: »Weil meine Kinder nun alle ihr Brod gewinnen können, zum Theil auch schon verehelichet, das kleinste aber gestorben, mich über hin etwas leichter fortbringe.«758 Kinder kamen auch in dem Bereich des Arzneimittelgeschäftes häufig vor. Drei bis vier Kinder waren im Bereich der Ölfabrikation der Regelfall, im Ölhandel allerdings wurden weniger Kinder angegeben. Bedenken wir die Situation des vagierenden Lebens – mit viel Gefahren und hohen Strapazen verbunden759 – ist diese Tatsache nur allzu verständlich. Während anzunehmen ist, dass die Vorstehende einer Fabrik die Bereiche Haushalt, Kinderversorgung und Betriebsführung vereinbaren konnten, in dem sie sich im Hause sesshaft befand, war es für eine Arzneiwarenhändlerin schwierig, Mutterschaft und Gelderwerb in mobiler Lebensweise zu vereinen. So geht aus dem Reisepass der Ölträgerin Anna Hörhager hervor, dass sie ihren Sohn Johann Angerer nicht immer auf Wanderschaft mitnehmen konnte. Unter wessen Obhut die Arzneihändlerin bei ihrer Reise nach Oberndorf den 12jährigen in ihrem Heimatort Stum zurückließ760, konnte allerdings nicht geklärt werden. Während die Heiltätigkeit von allen Frauen nebenerwerblich ausgeübt wurde, gab es im Arzneimittelhandel keinerlei Hinweise über zusätzliche Berufe.

755 Vgl. Opitz, Claudia (1991). Emanzipiert oder marginalisiert? Witwen in der Gesellschaft des späten Mittelalters. In: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Hrsg. v. Bea Lundt, München, 25–48. 756 Mitterauer, Michael/Helmut, Konrad (1987). »…und i sitz’ jetzt allein«. Geschichte mit und von alten Menschen. Wien/Graz/Köln. 757 Bezüglich des Alters der oben angeführten zehn Heilerinnen wurde im untersuchten Zeitraum ein Durchschnittsalter von 56,3 Jahren errechnet, bei den Frauen im Arzneimittelgeschäft bewegt sich das Durchschnittsalter um 45 Jahre. 758 Schreiben der Katharina Gruberin an die Hofkammer, Salzburg den 22. July 1803, SLA Hofkammer Salzburg 1806, 7a (Collegium Medicum 70, 1804–1807). 759 Kienitz, Sabine (1991). Frauen zwischen Not und Normen. Zur Lebensweise vagierender Frauen um 1800 in Württemberg. In: ÖZG 2 (1991), 34–58. 760 Reisepass der Anna Hörhager vom 5. Nov. 1817, SLA Kreisamt B IX 5.

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3.1.2 Berufstätigkeit versus wirtschaftliche und soziale Lage Bezüglich Berufstätigkeit bzw. Stand der Salzburger Heilerinnen standen an der Spitze die Hebammen, darauf folgten die Bäuerinnen, Krämerinnen, sowie Wasenmeisterinnen und Frauen aus verschiedensten Professionen, vorzüglich aus dem Handwerksbereich.761 Die Heilerinnen stammten also einerseits aus Berufen, welche in irgendeiner Form mit medizinischer Kenntnis zu tun hatten, Hebammen und Wasenmeisterinnen übernahmen dabei eine zentrale Rolle. Es gab auch mehrere Fälle von Bader- oder Chirurgenfrauen – die Chirurgenfrauen zu Fügen und Zell »Nothart’s und Steiner’s« dispensierten in der Abwesenheit ihrer Männer Medizinen.762 Das Witwenrecht galt ebenso wie in zünftigen, auch in unzünftigen, sogenannten unehrenhaften Gewerben wie Scharfrichter, Schinder, Bader und Abdecker – zum Beispiel waren in Karlsruhe einige Scharfrichterinnen und Totengräberinnen bekannt: im Jahre 1771 wurde die Rechnung über die Hinrichtung einer Kindsmörderin von einer Frau unterschrieben.763 Die vielfach existierenden Witwen durften den Betrieb ihres verstorbenen Gatten ein Jahr lang mit allen Freiheiten des Handwerks und mit Knechten weiterführen. Untersagt war ihnen lediglich die weitere Lehrlingsausbildung. Nach diesem Jahr musste die Witwe entweder einen Mann aus dem Handwerk heiraten, der Meister war oder werden konnte oder den Betrieb aufgeben.764 Im Fall einer Wurzengraberfamilie führte zuerst die Mutter, dann die Tochter Eleonora Binderin den Betrieb weiter. Ihr wurde gegen Ehelichung des Badergesellen Joseph Zauner die Wurzengraberkonzession erteilt. Neben diesen artverwandten Berufen spielten allerdings auch – sehen wir ebenfalls von Krämern und Händlern, welche wahrscheinlich in Form ihrer Verkaufs- und Handelstätigkeit mit Arzneien und Heilkunde in Berührung gekommen waren, ab – Professionen aller möglichen Art eine Rolle. Im Großteil der Fälle wurde die Heiltätigkeit nebenberuflich ausgeübt. Angesichts der massiven wirtschaftlichen Probleme im 18. und auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts schien das Zuverdienen allerdings eine übliche Form gewesen zu sein, das Haushaltsgeld soweit aufzubessern, dass ein Überleben möglich wurde. Es zeigt 761 Im Vergleich dazu zeigt sich auch bei der Betrachtung der zehn eingangs erwähnten Heilerinnen kein differenziertes Bild. Es dominierten auch hier die Hebammen, darauf folgten die Wasenmeisterinnen und Bäuerinnen, wobei noch eine Bauerstochter mit unbestimmter Tätigkeit dazu gezählt werden konnte. Einen Sonderfall stellte die Baumwollhändlerin dar. Diese war auch als einzige in der Stadt Salzburg ansässig, während alle anderen Heilerinnen in ländlichen Gebieten tätig waren. 762 Arzneibericht von Fügen an Med. Rath Salzburg, 15. Jänner 1808, SLA k.k. Reg. XI/ H 5/110. 763 Hochstrasser, Olivia (1992). Hof, Stadt, Dörfle – Karlsruher Frauen in der vorbürgerlichen Gesellschaft (1715–1806), 19–101, hier 49. 764 Besl, Friedrich (1993). Bader, Wundärzte und Chirurgen in Salzburg. Vom Bader und Wundarzt zum Medizinal-Chirurgen. Dipl.Arb. Salzburg, 85.

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auch, dass das Brotverdienen in dieser Zeit zumindest für den Großteil der Bevölkerung – der vermögenslosen Klasse – nicht nur allein Sache der Männer war. Ein Auskommen ohne Erwerbstätigkeit beider Eheleute konnte im Durchschnitt sonst nicht gewährt werden.765 Die Ehe war allem voran ein materielles Geschäft, Unterschichteneinkommen waren kümmerlich, unregelmäßig und sie kamen aus verschiedenen Quellen. Ganz allgemein kann die Verbreitung von vielfältigen Formen des Mischerwerbs festgestellt werden. Oft übten die Menschen mehrere verschiedenartige Tätigkeiten zur selben Zeit bzw. an verschiedenen Orten aus und wechselten diese auch häufig.766 Das galt sowohl für die Arbeit der Männer als auch für die der Frauen.767 Nothburga Reiberin768 stellt mit ihrer Ausübung von verschiedensten Berufen bzw. Tätigkeiten keinen Einzelfall dar. Da sie die Ehefrau eines Tischlers war, kann angenommen werden, dass sie im Handwerksbetrieb mitarbeitete, sicherlich jedoch den Haushalt führte. Die Kinderversorgung fiel zwar nach dem Tod des halbjährigen Säuglings weg, dennoch übte sie ja nebenbei noch zusätzlich das Amt einer geprüften Hebamme aus und beschäftigte sich mit der Heilkunde. Diese Arbeiten waren jedoch allesamt für das Überleben notwendig. Aufgrund ihrer misslichen wirtschaftlichen Lage war sie gezwungen Berufung gegen ihre Strafe einzulegen, wegen »begangenen Fehler in der Geburtshilfe«,769 welche in einem Verbot der Ausübung der Gerichtshebammentätigkeit, in der Bezahlung sämtlicher Gerichtskosten, sowie in der Übernahme der Verbindlichkeit, auf ihre Unkosten eine Schülerin zum Hebammen-Unterricht nach Salzburg abzuordern, bestand. »Diese Strafe würde ihre häuslichen Umstände /: die ohnehin nicht die gesegnesten sind :/ bey diesen sehr harten, und theuren Zeiten gänzlich zerritten.«770 Besonders prekär wurde also die soziale Situation, wenn neben allgemeinen Krisen wie Ertragsschwankungen der Landwirtschaft, Missernten, Epidemien und Kriege persönliche Probleme in der Familie, zum Beispiel Alter, Krankheit, Arbeitsverlust und Tod eines Ehepartners oder zu viele Kinder dazukamen und ein Absinken unter das Existenzminimum ausgelöst wurde. So suchte zum Beispiel die Wurzengraberin Elisabeth Neumayr771 aus dem Landgericht Gastein 765 Schreiben der Eleonora Binderin 1797, SLA Hofkammer Salzburg 1806, 7a (Collegium Medicum 70, 1804–1807). 766 Kocka, Jürgen (1990). Weder Stand noch Klasse. Unterschichten um 1800. Bonn, 92. 767 Mitterauer, Michael (1992). Familie und Arbeitsteilung. Historisch vergleichende Studien. Wien/Köln/Weimar. 768 Hoher Befehl an das Pfleggericht St. Michael, 18. Jänner 1802, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII. 769 Ebd. 770 Bitte um Strafnachsicht der Nothburga Reiberin an den Hofrath, 26. März 1802, ebd. 771 Gesuch der Elisabeth Neumayr an die Reg. 16. Juni 1810, SLA kurfürstl. k.k.Reg. XXXVI B III/ 6.

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um eine Wurzengrabererlaubnis und ein Branntweinbrennrecht bei der hohen Regierung an, da es ihr als armer Witwe nach der Verunglückung ihres Ehemannes nicht mehr möglich war, ihre Familie zu ernähren. In ihrem Bittschreiben verkündete sie. »Ich bin nun mit 6 unmündigen Kindern dem größten Elende Preis gegeben«.772 War die Existenzsicherung in wirtschaftlich guten Zeiten noch möglich, wurde die Situation im Krankheits- oder Todesfalle eines erwerbstätigen Ehepartners problematisch Der Ausfall einer Person hinterließ eine große Lücke in der Familienwirtschaft.773 In den Quellen tauchen viele alleinstehende Frauen mit noch zu versorgenden Kindern auf. Das Armutsproblem war bei den Frauen weit verbreitet, bedenken wir, dass sie im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zahlreiche Erwerbsmöglichkeiten verloren und somit gezwungen waren, sich von einem Armeninstitut abhängig zu machen.774 Der hohe Frauenanteil an den zahlreichen Bittgesuchen, Patentansuchen für bestimmte Tätigkeiten im Arzneiwarenhandel zum Verdienst ihres Unterhaltes, sowie Almosengesuche lassen den Schluss zu, dass der tägliche Existenzkampf für alleinstehende Frauen schwieriger gestaltet war als für Männer oder vollständige Familien.775 Dennoch blieb die Familie oft von der gänzlichen Armut beim Tod des Mannes verschont, weil die Frau für den Unterhalt sorgte. Einen Kreuzer nebenbei verdiente sich Eva Blümlin mit der Heilkunde, hauptsächlich ernährte sie sich ihren Aussagen nach »mit Nähen und sodan den Weibern in der Geburt beistehen.«776 Das Ausübungsverbot der Heilkunde und der Hebammentätigkeit brachte sie allerdings nach ihren eigenen Worten in den Ruin. Ebenso wurde die Baumwollhändlerin Magdalena Pichler, in der Stadt Salzburg ansässig, zur medizinischen Tätigkeit durch »Mangel an Lebensmitteln und Vorrath«777 verleitet. Sie war dazu genötigt, allein vier unmündige Kinder zu versorgen. Ein spezifisches Problem für sich stellte sicherlich auch das Alter bzw. die Altersversorgung dar. Die 50jährige Susanne Reiter aus Fügen im Zillertal suchte um ein Patent zum Materialhandel an, denn sie hatte, »weder Pension noch Almosengeld, ist zum Dienen zu alt, ohne allen Vermögen, und es mangelt ihr auch an Arbeit, um sich dadurch ihren Unterhalt erwerben zu können.«778

772 Ebd. 773 Hochstrasser, Olivia (1992). Hof, Stadt, Dörfle – Karlsruher Frauen in der vorbürgerl. Gesellschaft (1715–1806), 49. 774 Meyer-Renschhausen, Elisabeth (1989). Weibliche Kultur und soziale Arbeit. Köln/Wien, 59. 775 Hochstrasser, Olivia. (1992). Hof, Stadt, Dörfle – Karlsruher Frauen in der vorbürgerl. Gesellschaft (1715–1806), 68. 776 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin, 1803, SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII 15. 777 Bitte der Magdalena Pichler um Strafmilderung an Königl. General=Commissariat, 6. März 1816, SLA Kreiskomm. B.2.6. Salzburg Stadt. 778 Bittschrift der Susanna Reiterin an k.k.Reg., 4. April 1806, SLA k.k. Reg. XXX5/M 7.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

Da sich die meisten heiltätigen Frauen in einer Armutsposition befanden, kann angenommen werden, dass der Ertrag in der medizinischen Tätigkeit nicht allzu hoch war. Doch dass diese Generalisierungen nicht überall Gültigkeit besaßen, beweist das Beispiel der Agnes Millauer, welche durch den von ihr bezeichnetem »einträglichen Gewerb«779 in besten Verhältnissen leben konnte. Ihr erster Ehemann ernährte sich hauptsächlich mit »Doctern«, was ihm jede Woche 25 Gulden einbrachte.780 »Beyde wußten sich in ihrer Lage nicht wohl zu schicken. Sie hatten einen guten Tisch, tranken Wein und Kafe, besuchten Wirtshäuser, hatten überall vollauf, und lebten übehaupt in besten Wohlseyn und auf einem glänzenden Fuße. Die 15 Jahre, in denen sie mit ihm verehelicht war, waren mehr als hinreichend, um ihr diese Lebensart zum Bedürfniße zu machen (…).«781

Nach dem Tode ihres Gatten setzte Agnes Millauer die Heiltätigkeit fort und behielt die damit verbundenen Erträge für sich allein, so dass sie obgleich ihrer hohen Ausgaben »ein Vermögen von – nach ihren Angaben – 200 G«782 besaß und eine wünschenswerte Partie auf dem Heiratsmarkt darstellte.

3.1.3 Mobilität – Immobilität Ganz allgemein kann gesagt werden, dass die ländlichen Unterschichten aufgrund der spezifischen Formen der Erwerbstätigkeit »eine stark fluktuierende Bevölkerungsgruppe«783 darstellten. Frauen hatten im traditionellen Heilsystem mobile wie auch immobile Tätigkeiten inne. Der Arzneiwarenhandel stellte ein typisches Gewerbe dar, welches Mobilität erforderte, die Vertreter/-innen gingen mitunter mit der ganzen Familie auf Wanderschaft. Nicht selten kam es vor, dass ein Handelspatent auf ein anderes Familienmitglied übertragbar war. Zum Beispiel enthielt das am 18. November 1812 in Salzburg ausgestellte Hausier-Patent der Ursula Schösserin, Einwohnerin von Zell, einen Vermerk, dass die Bewilligung, mit Ölwaren und Vieharzneien von dem berechtigten Niklas Eggerischen Verlage zu Zell im Innkreise auf ein halbes Jahr im Salzachkreise handeln und hausieren zu dürfen, auch »in ihrem Erkrankungsfalle für ihren Ehemann Joseph Kreidl giltig«784 wäre. Es war also auch Vorsorge im Falle einer Krankheit getroffen, um keinen Geschäfts- bzw. Einkommensverlust zu erleiden. 779 780 781 782 783 784

KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. Ebd. Ebd. Ebd. Mitterauer, Michael (1992). Familie und Arbeitsteilung, 55. Hausier-Patent der Ursula Schösserin, Salzburg, 18. Nov. 1812, Bay HStA GR 1204, 129.

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Keine sehr weite und vermutlich immer wieder dieselbe Route legte die 50jährige Ölträgerin Anna Hörhager zurück, um ihre Waren abzusetzen. Von Stum in Tirol gebürtig, reiste sie über Lofer nach Reichenhall, Oberndorf und Salzburg, wobei sie – wie bereits erwähnt – ihren Sohn entweder mitnahm oder im Heimatort zurückließ. Ein ausgedehnterer Geltungsbereich war bei älteren Frauen ganz allgemein zu beobachten, was mitunter »mit der geringeren sittlichen Gefährdung in der Phase nach der Menopause zu tun haben«785 konnte. Bei der Untersuchung von traditionellen Frauenräumen muss also neben der schichtspezifischen Differenzierung eine lebenszyklische einsetzen. Anders zeigt sich das Bild der Ölfabrikation und der aktiven Heilkundeausübung, hier überwog die Sesshaftigkeit bzw. ist anzunehmen, dass die Organisation im Sinne des »ganzen Hauses« ablief. Das Haus- und Wirtschaftswesen der vorindustriellen »Familie« in der sogenannten Form war strikt organisiert: Es bestand in einer genauen Aufgabenteilung zwischen Frau und Mann. Der Mann als Oberhaupt der Familie war für die Sorge des Unterhalts verpflichtet, die Frau musste den Haushalt führen und das Geld verwalten. Beide Teile allerdings waren zu einem Gelingen einer guten ökonomischen Führung unentbehrlich. Dies beweist die Scheidungsklage des Georg Armstorfer, Bauer am Laimergute zu Morzg, welcher gegen die Heilkundige Agnes Milllauerin in vielerlei Bereichen Beschwerde einlegte: Schlechte und ungenügende Betreuung der Kinder – »es habe die Kinder mit Schlägen vorzüglich anfangs schon hart mitgenommen,«786 – Verschwendungssucht und Eitelkeit – »das Geld für die Vergnügungen habe sie zum Theil von Milch und Buttergeld dazu verwendet, zum Teil von dem ihm versprochenen Heurathsgute abgezogen«787, Unfähigkeit der Haushaltsführung – »alle gegenwärtigen Dienstbothen wollten bis Lichtmesse den Dienst verlassen, in dem sie zu schlecht koche, und gegen sie zu übbig betrage (…) alle seine Nachbarn rathen es ihm ein über das anderemal, daß er die Trennung suchen solle«.788 Weibliche Aufgabenbereiche wurden in traditionellen Agrargesellschaften im Haus bzw. im hausnahen Bereich ausgeübt, während sich Männeraktivitäten auf die äußersten Randzonen des wirtschaftlich genutzten Raumes bezogen.789 Dem weiblichen Bereich zugeordnet waren zum einen die Versorgung, Beaufsichtigung und die Erziehung der Kinder als zentrale Aufgabe, welche entweder von der verheirateten Frau und Mutter oder von den sogenannten Kindsdirnen übernommen wurde. Parallel mit der Kinderbetreuung lief die Krankenbe785 Mitterauer, Michael. (1992). Familie und Arbeitsteilung, 80. 786 Verhörprotokoll des Johann Georg Armstorfer vor dem Konsistorium bezügl. der gegenseitigen Beschwerden, 4. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 787 Ebd. 788 Ebd. 789 Mitterauer, Michael. (1992). Familie und Arbeitsteilung, 80.

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handlung der Kinder. Ganz allgemein bedeuteten Kinder – bestand kein Gesindedienst – eine räumliche Bindung an das Haus und erlaubten keine Erwerbstätigkeit außerhalb. Im Falle der Arzneimittelhändlerin mussten Kinder entweder in Pflege gegeben werden, oder sie wurden mitgenommen. Dabei stellt sich die Frage, ob dies angesichts der beschwerdevollen Reise zu jeder Jahreszeit überhaupt möglich war. Ebenso wie die Kinderbetreuung stellte das Kochen bzw. die Nahrungszubereitung als zweite wichtige traditionelle Tätigkeit der Frau790 in Agrargesellschaften eine Einschränkung des Aktionsradius der Frau bzw. die Bindung an das Haus dar. Es ist anzunehmen, dass beispielsweise im Arzneiwarenhandel tätige Frauen aufgrund des intensiven Arbeitseinsatzes nicht selbst kochen konnten und es wäre denkbar, dass Ölträgerinnen mit ihren Kindern zeitweise am Tisch des Ölfabrikationshaushaltes, bei dem sie angestellt waren, gegessen haben, ähnlich der im Taglohn arbeitenden Frauen aus ländlichen Unterschichten, welche am Tisch des Bauern, für den sie arbeiten, auch aßen. Können daneben noch viele andere weibliche Aufgabenbereiche genannt werden, wie zum Beispiel das Wäschewaschen, Säubern und Reinigen, Betten machen, Beherbergung von Gästen und so weiter, ist in unserem Zusammenhang der Bereich der Versorgung, der Nahrungszubereitung und der Vorratswirtschaft von grundlegender Bedeutung, da damit der Aufgabenbereich der Heiltätigkeit und der Krankenpflege verbunden war. Auf die Rolle der Frau als Versorgerin, Pflegerin und Heilerin wurde bereits im vorangegangenen Kapitel hingewiesen. Auch die Krankenversorgung stellte ihrem Wesen nach eine hausgebundene Aktivität dar. Dass allerdings Heiltätigkeit und gute Haushaltsführung nicht immer im Einklang stehen mussten, beweist Agnes Millauer, welche sich zwar mit der Medizin beschäftigt, die Führung der bäuerlichen Wirtschaft samt Kinderbetreuung jedoch völlig vernachlässigte. Der Witwer Armstorfer erlebte eine herbe Enttäuschung, da er glaubte, »dass für die Hauswirtschaft sowohl, als für seine und seiner Kinder Gesundheit nicht besser gesorgt werden könnte, als wenn es ihm gelingen sollte, die Doktorin von Teisendorf in sein Haus einzuführen«.791 Anstatt ihrem Aufgabenbereich nachzugehen, zog die Bäuerin es vor, sich außerhalb des Gutes und vor allem in Weinwirtshäusern aufzuhalten. So könnte auch vermutet werden, dass sie ihre Heiltätigkeit »unterwegs« bzw. auch in Gasthäusern ausgeführt hat.792 Ihr Ehemann überschüttete sie mit dem Vorwurf, dass sie sich auch an Werktagen oft unvermutet und ohne sein Wissen vom 790 Wunder, Heide (1992). ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹. 791 Verhörprotokoll des Johann Georg Armstorfer vor dem Konsistorium bezügl. der gegenseitigen Beschwerden, 4. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 792 Verhörprotokoll der Agnes Armstorferin, 4. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792– 1805 – Causa divortii 1805–1810.

Die Heiltätigkeit

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Hause entfernte, »einige mal des Medicinierens wegen, meistentheils aber, um ihren Vergnügungen nachzugehen.«793

3.2

Die Heiltätigkeit

3.2.1 Berufszugang – Kenntniserwerb Maria Scharlerin lernte ihre medizinische »Wissenschaft«, ebenso wie die »Wissenschaft einer Geburtshelferin«, von ihrer Mutter Christina Bäuerin, einer Hebamme, »die stark gesucht worden ist«.794 Die Mesnerin bei dem Pfarrgotteshaus zu Stuhlfelden betrieb das medizinische Handwerk seit etwa drei oder vier Jahren, das auslösende Moment dafür war der Tod der Mutter. Es handelt sich in diesem Falle also eindeutig um eine Heiltradition, welche in weiblicher Linie von der Mutter auf die Tochter weitergegeben wurde. Doch in der Tradierung von volksmedizinischen Kenntnissen, welche oft viele Generationen überliefert waren, spielten nicht nur die Frauen eine Rolle. Immer wieder tauchen in den Quellen Hinweise auf, welche eindeutig dem Mann das Heilwissen zuschrieben. Die Lehrmeister/-innen der Wasenmeisterstochter Maria Anna Feichtnerin waren ihre »Voreltern«,795 wo sie die empirischen Kenntnisse durch Beobachtung erlernt hatte. Auf die Frage, warum sie verschiedene Heilhandlungen auf diese oder jene bestimmte Art ausübe, antwortete sie jedes Mal: »Ihre Voreltern haben es so gehabt, und sie halte es und so vor ihrer.«796 So band sie zum Beispiel bei einer Fußverletzung ein Schwindbändl unter einem fruchtbaren Baum um, da ihr Vater »auf solche Weis wohl viel hundert umgebunden, und dann ist es um so ehend besser geworden.«797 Auch die Ölverlegerin Katharina Angerin798 aus Kaltenbach verfertigte ihre Ölwaren selbst nach der Anleitung, die sie von ihrem Vater Jakob Angerer erhalten hat – das Wissen darüber wurde streng geheim gehalten. Agnes Millauer erhielt ihr volksmedizinisches Wissen von ihrem Ehemann, der sehr erfolgreich die Heiltätigkeit ausübte. 15 Jahre Ehe waren mehr als genug, »um auch von der Heilkunde, der hiezu nöthigen Beredsamkeit und aller Kur zu 793 Verhörprotokoll des Johann Georg Armstorfer vor dem Konsistorium bezügl. der gegenseitigen Beschwerden, 4. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 794 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 795 Vernehmungsprotokoll der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, Pfleggericht Lofer I/4, In: Adler, Margot. (1990). Die alte Abdeckerin, 129–133. 796 Ebd. 797 Ebd. 798 Visitationsprotokoll, Kaltenbach, 19. Jänner 1810, BayHStA GR 1204 129.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

imponieren einzuweihen, und ihr jenes Selbstgefühl einzuflößen, daß sie später daraus genug machte, um sich vor dem Collegio medico zum Examen zu stellen«.799 Ob es zu der besagten Prüfung vor dem »Collegio medico« kam, bleibt ungeklärt. Interessant ist die Äußerung vor allem deshalb, da dadurch angenommen werden kann, dass es auch vielleicht für manche Frauen möglich gewesen war, sich einer Prüfung der Medizin zu unterziehen. Die Tatsache allerdings, dass die Millauerin zweimal mit Zuchthausstrafe behaftet wurde, stellt diese Aussage sehr in Frage. Neben der familiären Übermittlung von Heilwissen war auch der Kenntniserwerb von »fremden« Personen üblich. Die Feichnterin800 erhielt das Wissen über eine bestimmte Methode des Urinbeschauens von dem Berchtesgadner Freymann, welcher zu Lebzeiten als Wasenmeister arbeitete, jedoch auch Hinrichtungen vorgenommen hat. Die Hebamme Maria Eva Blümlin gab bezüglich ihres Kenntniserwerbes verschiedene Frauen, so eine sogenannte »Braun Nautl«801 an. Neben den unterschiedlichen Kenntniserwerb gab es auch die verschiedensten Heilbehandlungsarten.

3.2.2 Heilpraxis – Heilverfahren: Vom »Aderlass« bis zum »Abbeten« Abracadabra abracadabr abracadab abracada abracad abraca abrac abr ab a »Hängt man nun ein solches Zettelchen, nach Belieben offen, oder worin eingepackt, einem Fieberkranken an den Hals, und es hat nach 3 Tagen geholfen, so wirft man es in fließenden Wasser.«802

799 Schreiben des Domstadtkaplans Aloys Werndl, der die Geschichte dieser Ehe berichtet, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 800 Vernehmungsprotokoll der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, Pfleggericht Lofer I/4. In: Adler, Margot. (1990). Die alte Abdeckerin, 129–133. 801 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin, 1803, SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/ 15. 802 Etwas von Amuleten. Bayerische Wochenschrift 1 (1800), 310.

Die Heiltätigkeit

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Den volksmedizinischen Ansichten von der übernatürlichen Herkunft der Krankheit entsprachen die verschiedenen Heilmethoden. Neben empirischen waren es vor allem magische Behandlungsmethoden, welche sich großer Beliebtheit erfreuten. Der Glaube an eine »Sympathie des Alls« kann als eine Grundlage des traditionell heilerischen Denkens und Handelns bezeichnet werden. Ganz selbstverständlich wurde angenommen, dass die Natur, belebt wie unbelebt, in jeder Faser in einem geheimnisvollen Zusammenhang stehen würde.803 Es bestand ein alter Glaube an den Einfluss der Gestirne, insbesondere der weitverbreitete Glaube an die Kräfte des Mondes,804 welche Krankheiten entstehen und vergehen lassen könnten sowie die Bedeutung der Astrologie für das Leben der Menschen.805 Als Heilschatz konnten somit vornehmlich Mittel aus dem Pflanzen-, Tier- und Mineralienreich Verwendung finden.806 Der empirische Heilbereich hatte seinen Ursprung in der »naiven« Naturbeobachtung, und es existierte zumeist ein detailliertes Wissen über Heilpflanzen, welches in der Praxis gezielt eingesetzt wurde. Die Arzneimittelabgabe und Krankenbehandlung geprüfter Hebammen kam vielfach vor. Nothburga Reiberin verwendete vorwiegend Brechmittel, jedoch auch andere Arzneien, darunter auch Arsenik und abführendes Lebenspulver807, welches zudem den Magen stärkte, Blähungen vertrieb und gegen Husten wirkte. Die Heilmittel der Eva Blümlin – Pulver und Geister wie Melissengeist, Karmelitergeist, Halspulver, Markgrafenpulver, Kinderbalsam – wurden ihrer Angabe nach in kleinen Dosen »ein Eiche, als um 3–6 Kreutzer Werthe«808 gekauft. Auch die Wasenmeisterin Susanna Feichtingerin aus Lengau verfertigte »Salben für Krätzen, Wunden, Brüche und das Schwinden des Fleisches«809, welche aber nach Angaben ihres Ehemannes unschädlich waren und nur im Ausnahmefall abgegeben wurden. Die seit 1802 gerichtlich aufgestellte Hebamme und Bäuerin Maria Lederin in Bruck befasste sich hauptsächlich mit der »Heilung äußerer Schäden und Geschwulsten«.810 803 Marzell, Heinrich (1967). Die Volksmedizin. In: Volksmedizin. Probleme und Forschungsgeschichte. Hrsg. v. Elfriede Grabner. Darmstadt, 102. 804 Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens. Band 6. Hrsg. v. Hoffmann-Krayer. Berlin und Leipzig 1934/1935, 477–538. 805 Matscher, Hans.(1983).Volksmedizin. An der Etsch und im Gebirge. Brixen (um 1900), 49– 134. 806 Ebd. 807 Ebd. 808 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin vom K.prov. Pfleggericht Neuhaus, 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 809 Vernehmungsprotokoll des Peter Feichtinger, 19. April 1812, SLA Kreiskommissariat Neumarkt 31, B 2.6.II. 810 Vernehmungsprotokoll der Maria Lederin, 9. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XI/H. 5/110.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

»Ich muß es bekennen, daß ich manch einen Kranken auf Zudringlichkeit einen guten Rath ertheilt, oder ein Heilmittel verordnet habe, wenn sie mich widerwillens besucht und zudringlich geworden waren. Da ich auch als Hebamme geprüft und aufgestellt bin, konnte ich es nicht vermeiden auch manchen Weibern in solchen Angelegenheiten an die Hand zu gehen, obwohlen ich würde lieber von der Hebammenstelle entlassen zu werden wünschte.«811

Ebenfalls die Behandlung äußerer Wunden nahm Maria Scharlerin vor, erteilte darüber hinaus jedoch auch Ratschläge bei Krankheiten aller Art, so zum Beispiel »in Mutterzuständen, in Windsuchten, in Brandschäden«812 etc. Sie verfügte über eine Apotheke, welche aus »Oelwerken und Medizinen«813 bestand: verschiedene Öle (Chimöl, Kranwetöl, Terpentinöl), Geister (Minzengeist, Hirschhorngeist), Pulver (Markgrafenpulver, Goldpulver), Wässerchen (Lavendelwasser, Rosenwasser) und Balsame, wie etwa der Wunderbalsam oder Kräuterbalsam814 und vieles mehr. Darunter befand sich auch das Skorpionöl, welches bis in das 20. Jahrhundert als Volksheilmittel bezeichnet wurde. Die dazu notwendigen Skorpione mussten aus Italien, Südtirol und Krain eingeführt und in Oliven- oder Mandelöl eingelegt werden. Es wird angenommen, dass sie beim Verenden ihr Gift ausspritzten. Sie blieben einige Wochen in einem Glasgefäß in der Sonne stehen oder wurden destilliert. Die Verwendung erfolgte äußerlich und innerlich gegen alle möglichen Gifte, äußerlich durch Bestreichen von Entzündungen und Geschwülsten, innerlich gegen Bauchschmerzen, bei Herzschwäche wurde die Brust über dem Herzen eingerieben.815 Maria Scharlerin erzählte, dass viele dieser Arzneien nicht in ihrem Besitze standen, sondern ihr die Ware von einem jungen Zillertaler Ölträger zur Aufbewahrung gegeben wurde.816 Es kann angenommen werden, dass eine Zusammenarbeit zwischen beiden bestanden hatte. Es war durchaus üblich, dass nach Verbot des Arzneihandels von Ölträgern die Arzneien bei gewissen Bauern bis zu ihrer Ankunft deponiert und dann bei Gebrauch abgeholt wurden.817

811 Ebd. 812 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 813 Ebd. 814 Vgl. einzelne Begriffserklärungen der Arzneimittel. In: Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 85–88. 815 Kostenzer, Otto (1963). Skorpionenöl. Ein altes Volksheilmittel und seine wirtschaftliche Bedeutung für das Zillertal im 18. Jh. In: Tiroler Heimatblätter 38 (1963), 11–13; Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 86. 816 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 817 Landgericht an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises vom 14. Nov. 1812, BayHStA GR 1204 128.

Die Heiltätigkeit

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Weiters erfahren wir, dass die als Hebamme und Heilerin tätige Mesnerin zwei oder drei medizinische Bücher besaß, welche ihr nach dem Tod ihrer Mutter für die medizinische Behandlung zur Verfügung standen. Die Titelangabe war der Scharlerin allerdings nicht möglich, und bezüglich der Verwendung des Werkes wirkten die zwei aufeinanderfolgenden Aussagen widersprüchlich: »Aus diesen Büchern ertheilte ich Rath und gab auch Medikamente aus.«818 »Es sind nur geschriebene, und altväterische Bücher, die ich selbst nicht einmal lesen kann, ich muß mir öfters daraus vorlesen lassen.«819 Dabei stellt sich augenfällig die Frage, wer denn aus diesen Büchern vorgelesen haben könnte, als Möglichkeit käme hierbei durchaus der Pfarrer in Betracht, der, wie anzunehmen ist, die Heiltätigkeit der Mesnerin akzeptiert zu haben schien. Vergleichen wir ganz allgemein die Heilmethoden der Salzburger Heilerinnen, so wird am häufigsten die »Abgabe von Arzneien und Medizinen« genannt, darauf folgte die »Arzneiherstellung«, sowie der Aderlass und die äußere Wundbehandlung. Einzelbeispiele stellten die Angaben über Heilung »innerlicher Krankheiten«, »venerischer Krankheiten«, »Beinbrüche und Verwundungen«, »Augenkrankheiten« und »die Anwendung der gewöhnlichen Abdeckerpraxis auf die Menschen« dar. Der Großteil der medizinischen Hilfestellung allerdings war nicht angeführt.820 Sicherlich dürfen wir uns die Ausübung einzelner Behandlungsarten bzw. -methoden nicht so streng vorstellen, es handelte sich dabei vielfach um Vermischungen. Mit der Kinderheilkunde beschäftigten sich zum Beispiel zwei Frauen, welche nebenher auch Geschwüre behandelten, Arzneien verschreiben und sich mit »Abbeten« beschäftigten, so die Heldenbergerin aus Radstadt »untersucht kranke Kinder und verschreibt in ihrer Apotheke, als wäre sie dazu aufgestellt, sie prahlt sich darüberhin mit Ankennen und rühmt sich großer Kuren.«821 Als gebräuchliche Diagnosemethode wurde von den Heilerinnen durchwegs die Urinbeschau angewendet. So gestand die in der Hauptstadt lebende Magdalena Hoffmann ein, »daß sie seyt fünf Jahren verschiedene Medizinen gegeben, die Krankheiten selbst vielfältig aus den Urin beurtheilet, die Kunst von einem oesterreichischen Feldscherer gelernt, und sie sich die Medizinen auch habe bezahlen lassen.«822 818 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 819 Ebd. 820 Mitteilungen der Protomedikate. SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 821 Schreiben vom 7. Jänner 1808 von Hartenkeil an die k.k. Regierung, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. XI/R, 5/110. 822 Berathschlagungs=Protokoll des K. Polizeykommissariat am 26. Jänner 1816, SLA Kreiskommiss. B.2.6. Salzburg Stadt.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

Die Beurteilung des Harns war eine der ältesten diagnostischen Maßnahmen in der Medizin und hat bis heute in der Volksmedizin Bestand. Bis zur Einführung von chemischen und physikalischen Methoden in die medizinische Diagnostik konnte der/die Heiler/-in nur visuell die äußere Beschaffenheit des Harns erkennen. Diese »Harnschau« – angewendet von der akademischen wie volkskundlichen Medizin konnte nur durch Erfahrung erlernt werden.823 Auffällig ist allerdings, dass in obrigkeitlichen Medizinalberichten rein magische Behandlungsmethoden selten und oft nur versteckt auftauchten. Angesichts des in der Bevölkerung vorhandenen magisch-religiösen Weltbildes, welche das tägliche Leben und auch das Verhalten im Krankheitsfalle bestimmte, kann daher durchaus vermutet werden, dass diese Methoden in der Öffentlichkeit geheim gehalten wurden. Denn auch bei der Anwendung empirischer Methoden sowie beim Einsatz natürlicher Heilmittel wurde gewöhnlich nicht auf magische Gebärden verzichtet.824 Die Begründung darin liegt einerseits in einer Kanalisierungsmöglichkeit der irrationalen Seite im Menschen durch bestimmte Zeremonien und Rituale, andererseits in der Vorstellung und dem Wissen über die mächtige Wirkung bedeutungsvoller verbaler Äußerungen.825 Auch in der Bibel wurde bereits auf die große Kraft des Wortes hingewiesen. Folgende Heilformel wird zum Beispiel zur Blutstillung von Wunden angewandt. »Plurt steh in weh + als goc stundt in senh + Plurt ste in wen + als goca stundt in stein leite + Plurt steh starkh + Jesus Christus wor er goa + Fest stundt in stein, tot + bet darauf drey bater Unser 3 afuy Maria, glaumb.«826

In der »WORTMAGIE« kam den Gebeten und Segenssprüchen besonderes Gewicht zu, wobei es sich hauptsächlich um alte Heilformeln handelte, die oft in gereimtem Wortlaut ausgesprochen wurden. Ferner kamen Besprechungen, welche aus Überresten heidnischer Zaubersprüche und Vermengungen kirchlicher Rituale bestanden und sich gegen die Schadenmacht wehrten, zur Anwendung. So waren »wenden«, »abbeten«, »besegnen« gebräuchliche Methoden827 der Volksmedizin, welche auch noch im 20. Jahrhundert zu finden sind. Der Begriff »wenden« bedeutet vereinfacht ausgedrückt, die Krankheit abwehren.828 Es ist der hier volkstümliche Ausdruck für die Fähigkeit, Krankheiten durch 823 Bleker, Johanna (1970). Die Kunst des Harnsehens – ein vornehm und nötig Gliedmaß der schönen Artzeney. In: Hippokrates 41 (1970), 385–395. 824 Wörterbuch der Deutschen Volkskunde, 1996, 902. 825 Lammert, Günther (1869/1981).Volksmedizin und medizinischer Aberglaube, 27–34. 826 Grabner, Elfriede (1985). Grundzüge einer ostalpinen Volksmedizin, 234. 827 Steininger, Hermann (1965). Über das Abbeten oder Wenden in der nordöstlichen Steiermark. Ein Beitrag zur Volksmedizin. In: ÖZfV 68 (1965), 1–36. 828 Hauzenberger, Barbara. (1985). Volksmedizin – heute, 36 (1985).

Die Heiltätigkeit

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Besprechen oder Maßnahmen mystischen Charakters beeinflussen und heilen zu können.829 Bezüglich Zauberformeln830, welche gewöhnlich geheim gehalten wurden, können zwei Gruppen unterschieden werden. Entweder es wurde ersucht, einen Vorteil, Gewinn zu erzielen oder Unheil auf eine feindlich gesinnte Person hervorzurufen.831 Letzteres ist unter der Gruppe des »Schadenzaubers« zusammenzufassen. Häufig anzutreffen war ferner der Gebrauch »sympathetischer Heilmittel«.832 Dazu gehört das Übertragen einer Krankheit vom menschlichen Organismus auf einen anderen lebenden oder toten Körper – auf Tiere, Pflanzen und Steine. In der Praxis wurde dieser Köper mit dem leidenden Teil in Berührung gebracht, »(…) weil man annimmt, dass die unsichtbaren und unwägbaren Krankheitspotenzen, welche für den Organismus als etwas Fremdes angesehen werden, auf diese Art abgeleitet und von einem anderen gesunden Körper dagegen heilende Kräfte eingesogen werden können.«833

In der Steiermark war es bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts üblich, einem Lungenkranken eine lebende Forelle, Blindschleiche oder Kröte auf die Brust zu binden. Die Krankheit sollte verschwinden, bis das Tier zum Skelett abgefault war.834 Ebenso kann dem Bericht der Nora Watteck von einer »Warzenvertreiberin« im salzburgischen Raum (Gemeinde Adnet) die sympathetische Methode entnommen werden. »Die Wenderin nimmt einen selbstgesponnen Wollfaden und macht damit über jeder Warze, ob groß oder klein, einen ›Knipf‹ (geknüpfter Knoten). Keine einzige Warze darf dabei übersehen werden, und der Hilfesuchende hat absolutes Schweigen zu halten. Die große Willensanstrengung der Wenderin bindet offenbar das kranke Wachstum ab.«835

Überdies gab es zahlreiche sinnbildliche Handlungen, wie das Auf- und Abbeten,836 das Rückwärtswerfen, Rückwärtszählen, Abkehren, Abstreifen, Abbinden, Umfahren und vieles mehr. Auch ist der Gebrauch von nicht-christlichen Amuletten, welche, wie in der zeitgenössischen Bayrischen Wochenschrift be829 Hovorka, O. v. Kronfeld, U. (1909). Vergleichende Volksmedizin. Band. 2, Stuttgart, 448. 830 Schwarzbach, Josef. (1897). Zaubersprüche und Sympathiemittel von der salzburgischoberösterreichischen Grenze. In: ZfÖV 3 (1897). 831 Watteck, Nora (1990). Zauberformeln aus Salzburg. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde 130 (1990), 501. 832 Grabner, Elfriede (1967). Die Transplantatio morborum als Heilmethode in der Volksmedizin. In: ÖZfV 70 (1967), 178–195. 833 Lammert, Günther (1869/1981). Volksmedizin und medizinischer Aberglaube, 31. 834 Grabner, Elfriede (1985). Grundzüge einer ostalpinen Volksmedizin, 234. 835 Watteck, Nora (1991). Alltag ohne Wiederkehr. Bergbauernleben vor einem halben Jh. Salzburg, 81. 836 Steininger, Hermann (1963). Mitteilungen über Abbeten, Wenden und Sympathiemittel in Steiermark und Oberösterreich. In: ÖZfV 66 (1963), 96–100.

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zeichnet, schon zahlreiche Wunder bewirkt haben837, belegt. Auch christliche Schutz- und Heilmittel dürfen nicht unterschätzt werden.838 Ebenfalls mit der Urinbeschau, allerdings in Verbindung mit »geistlichen«, d. h. magischen Mitteln und anderen Verfahren, befasste sich die alte Abdeckerin aus Lofer, Maria Anna Feichtnerin. Auf die Frage »was sie sich denn wegen der Doktorey«839 schuldig wisse, antwortete sie: »Daß sie halt dann und wann krumme Leut zum Kuriren gehabt, und es der Bader nicht gelten lassen wolle.«840 Die Heilung von Füßen und Beinen dürfte einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht haben. Ein Beispiel aus der Heilpraxis, nämlich die »FußgesparrBehandlung« des Sebastian Höck, Dienstknecht aus Leogang, der sich acht Tage bei ihr in Kur befand, gibt Einblick in ihre Heilmethoden. Vorerst bat der Vater Höck für seinen Sohn um Hilfe bei der Abdeckerin, worauf sie ihm eine »Schmierb« und ein »Schwindtbändl«841 verabreicht hat. Das Schindtbändl war ein rotes Band, welches an der kranken Stelle des Körpers, auf bloßer Haut, solange getragen werden sollte, bis die Zauberkraft des Bandes die Krankheit zum Verschwinden brachte.842 Da sich die Schmerzen des Knechtes allerdings darauf nicht besserten, kam er selbst zur Behandlung. Die Tochter der Wasenmeisterin wandte daraufhin auf Anweisung der Mutter »geistliche Mittel« an, da es sich beim Fußgesparr – wie aus dem Urin festgestellt wurde: der Harn warf Perlen auf – um eine übernatürliche Erscheinung handelte. »Es ziecht halt denen Leuten die Füsse zusammen, und kommet her, wenn man denen Leuten etwas übernatürliches leget, od. etwas letztes wünschet.«843 Somit wurde ihm ein Stupp, »so das Damsweger Pulver mit Wurzeln und Kräuter vermischt«844, eingegeben und eine Räucherung des Fußes damit vorgenommen. Das Tamsweger Pulver wurde im Kapuzinerkloster in Tamsweg nach einem geheimen vielfältigen Bestandteile enthaltendem Rezept hergestellt und war weit verbreitet.845 Ferner wurde dem Patienten ein Laxir Jelappa, d. h. ein 837 Etwas von Amuletten. Bayerische Wochenschrift 1 (1800), 310–313. 838 Hutter, Ernestine (1985). Abwehrzauber und Gottvertrauen – Kleinodien Salzburger Volksfrömmigkeit. In: Die Krippensammlung des Salzburger Museums und Abwehrzauber und Gottvertrauen – Kleinodien. Salzburger Volksfrömmigkeit. Katalog zur Weihnachtsausstellung 1985/86. Salzburg, 198–358. 839 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 840 Ebd. 841 Ebd. 842 Adler, Margot (1990). Die alte Abdeckerin, 130. 843 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 844 Ebd. 845 Nähere Informationen zum Tamsweger Pulver. In: Brettenthaler, Josef. (1989). Die Sache mit der Brevimasse – Ein Lungauer Wunderheilmittel. In: Mitteilungen der Salzburger Heimatpflege. H. 3 (1989), 117–128.

Die Heiltätigkeit

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starkes Abführmittel sowie die heute unbekannte »Petro Cordial Kugl« mit rotem Wein verabreicht. Das Umbinden des »Schwindbändl« hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem bestimmten Ort mit bestimmten Heilgebärden zu geschehen: »daß er es vor dem umbinden unter einem fruchtbaren Baum, wenn es auch nur ein Dachsbaum ist, um das wehtuende Ort herumwirbeln, und frey Kreuze, mit Namen Gott des Vaters, Sohnes, und des Heil. Geistes machen solle, weil nur die Heiligste Dreyfaltigkeit helfen könne.«846

Dem fruchtbaren Baum847 kam dabei die sympathetische Bedeutung zu, die Annahme, dass die Fruchtbarkeit die Zunahme des »ziehmlich abgedorrten Fußes«848 um so schneller bewirken konnte. Als weitere Methode wurde das Feststellen einer Krankheit durch Messen849 angewendet, eine Diagnosemethode, welche schon zu Plinius’ Zeiten, um ca. 70 n. Chr. angewendet wurde. Die Länge des Menschen vom Scheitel bis zum Fuß musste übereinstimmen mit der Breite, gemessen mit ausgebreiteten Armen über die Brust von Hand zu Hand. Stimmten die Maße nicht überein, so hatte der Mensch »sein Maß verloren«, er war krank.850 Der Messfaden diente jedoch nicht nur dazu, die verschiedensten Krankheiten festzustellen, sondern sie auch zu bannen. So wurde der kranke Fuß des Patienten in ein Wasserschaff gestellt, sodann der halbe Faden, mit welchem der Fuß abgemessen wurde, in das Wasser fallen gelassen, damit das Fußgesparr mit dem Wasser wegrinnen würde. Der andere halbe Faden aber wurde verbrannt und »das Stupp hiervon auf einen vermischt geweihten Steffl und Hl. Drey Königen Wasser dem Patienten eingegeben, in der Maynung, daß er auch wiederum um so geschwinder solle besser werden.«851 Dabei wurden bestimmte, wie von der Mutter verordnete Heilgebärden vollzogen: »Sie habe ihrer Tochter angeschafft, daß sie des Patienten Hand 3mal in das Wasser ausund einführen solle, und Patient werend dem nichts reden dürfe, ferners, daß patient zu

846 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 847 Preuschoff, Gisela (1994). Die heilende Kraft der Bäume. Mythologie, Geschichte und Heilwirkung. München. 848 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 849 Grabner, Elfriede (1967). Verlorenes Maß und heilkräftiges Messen. Krankheitserforschung und Heilhandlung in der Volksmedizin. In: Volksmedizin. Probleme und Forschungsgeschichte. Hrsg. v. ders. Darmstadt, 538–554. 850 Adler, Margot. (1990). Die alte Abdeckerin, 132. 851 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4.

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Ehren d. 7 Fußfäller unseres hl. Jesu Christi 7 Vater unser unter heitern Himl fleissig bethen solle.«852

Entscheidend dabei war, dass diese Handlungen unter heiterem Himmel und an drei Losnächten unter völliger Geheimhaltung geschehen mußten.853 Diese Behandlung wurde bereits nach elterlicher Tradition erfolgreich angewandt. Ein besonderer Stellenwert kam bei vielen Heilhandlungen dem fließenden Wasser zu, wobei die Verbindung zu Reinigung und Erneuerung augenfällig wird. Weiters waren zu den Gebärden gewisse Orte854 (Kreuzweg, Dachterasse) oder gewisse Zeiten (Mitternacht, zunehmender – abnehmender Mond, Freitag) von Bedeutung.855 Eine nicht unwesentliche Rolle bei den magisch-religösen Bemühungen spielte ferner die Zahlensymbolik. In Sprüchen, Krankheitsvorstellungen und Heilhandlungen waren es vor allem die »›heiligen Rundzahlen‹ 3,7,9,12«,856 welche besondere Verehrung fanden. Die Magie des Volkes beinhaltete ein tradiertes und sozialisiertes Wissen um magische Mittel und Gegenstände, deren Wirksamkeit und Anwendungsweisen genau festgelegt waren. Es handelte sich um logische Bezugsgrößen zwischen magischen Gesten, Handlungen, und komplizierten Ritualen, die eine genaue Kenntnis voraussetzten.857 Wesentlich war die Annahme einer geheimen Verwandtschaft und Wechselwirkung von Mensch und Natur, die Theorie, dass sich der Makrokosmos im Mikrokosmos spiegelt.

3.2.3 Die Beziehung zwischen Heilerin und Patient/-in Der heilerische Wirkungskreis der Frauen war durchwegs das Haus. Krankenbesuche wurden meist nur auf ausdrücklichen Wunsch und in Ausnahmefällen vollzogen.858 So erzählte die alte Mayerhoferin: »Ausser mein Haus komme ich nicht, nur bey dem Mühlthallerwirth machte ich vor 2 Jahren einen Besuch, weil er durch ein Wagenrad verunglückt wurde.«859 Unterschiedlich ist der Aktionsra852 853 854 855 856 857 858 859

Ebd. Ebd. Rohr, Wulfing v. (1991). Orte der Kraft – Kräfte des Lebens. Münsingen-Bonn. Wirleitner, Franz (1956). Vom Wasenstechen, Kettenbinden und anderen altertümlichen Heilkünsten. In: Salzburger Bauernkalender (1956), 214. Hauzenberger, Barbara (1985). Volksmedizin – heute, 36. Honko, Lauri (1967). Über die tatsächliche Wirkung der Volksmedizin. In: Volksmedizin. Probleme und Forschungsgeschichte. Darmstadt, 497–509; Zaunick, Rudolph (1906). Vom Sinn und Unsinn volksmed. Glaubens und Brauches. In: Volksmedizin, 72–84. Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl.k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. Untersuchungs-Protokoll vom königl. Langerichte Hallein auf Befehl des L.G.K. Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44.

Die Heiltätigkeit

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dius bei Hebammen, welche auch Heiltätigkeit ausführen, da diese wahrscheinlich im Zuge der Geburtshilfe auch Krankenbehandlungen im jeweiligen Haushalt vornahmen.860 Das Klientel beinhaltete hauptsächlich Menschen der ärmeren Klasse, die Behandlungskosten waren niedriger als beim approbierten Medizinalpersonal.861 Entlohnung durch einen geringen Betrag, 4–5 Kronen oder mittels Gebet verlangte Barbara Struberin für ihre medizinischen Hilfsmaßnahmen. Maria Anna Feichtnerin bekam für die Behandlung des Knechtes, welcher 8 Tage bei ihr in Kur stand, 2 Gulden.862 Die Veranlassung dafür, eine Heiltätige im Dorf aufzusuchen, war allerdings vor allem im Vertrauensstatus der einzelnen Heilerin in Bezug auf ihr Klientel zu sehen. So lesen wir in einem Schreiben vom Landgerichts-Physikat Laufen, dass die in der Linzergasse ansässige Magdalena Pichler ein großes Zutrauen der Landleute besaß, »obwohl in Salzburg die größte und beste Wahl ärztlicher Hilfe statt hat.«863 »Ich kann nicht dafür dass die Leute zu mir Zutrauen haben und mich überlaufen,«864 beschrieb die Struberin ihre Vertrauensposition in der Gemeinde. Auch die geprüfte Hebamme Maria Lederin gab an, dass sie »manch einen Kranken auf Zudringlichkeit einen guten Rath ertheilt und Heilmittel verordnet.«865 Die Leute suchten die Heilerinnen oft wider deren Willen auf, sie konnten sich – wie häufig erwähnt wird – gegen diesen Zulauf und die Aufdringlichkeit kaum wehren. Doch auch das Gegenteil hatte Bestand. Denn hegte die Dorfgemeinschaft gegen eine Heiltätige Misstrauen, wurde sie von den Leuten nicht mehr aufgesucht. Die geprüfte Hebamme Nothburga Reiberin zum Beispiel war laut Aussagen der Dorfleute als grob »verschrien«866 und somit ignoriert. Mit gewisser Vorsicht wurden von der Dorfgemeinschaft auch Vertreter/-innen sogenannter »unehrlicher« Berufe begegnet. So berichtete der Dienstknecht Sebastian Höck nach der magischen Heilbehandlung der Wasenmeisterin Anna Maria Feichtnerin: »er habe auch Gott gebethen, daß es nicht

860 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin vom K. prov. Pfleggericht Neuhaus, 1803, SLA, Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 861 Untersuchungs-Protokoll vom königl. Landgerichte Hallein auf Befehl des L.G.K. Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 862 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 863 Schreiben vom Landgerichts-Physikat Laufen an das Königl. General-Creiskommissariat am 11. Juli 1815, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Salzburg Stadt. 864 Untersuchungs-Protokoll vom königl. Landgerichte Hallein auf Befehl des L.G.K. Kommissariats vom 23. Juni 1812, SLA, Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 865 Vernehmungsprotokoll der Maria Lederin, 9. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XI H 5/110. 866 Vernehmungsprotokoll des Joachim Lang, hochfürstl. Oberschreiber, 14. Dez. 1801, SLA k.k. Reg. XII/15.

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helfen soll, wenn es nicht natürlich sey.«867 Hierin spiegelt sich eindeutig die Angst vor Zauberei und Hexerei, andererseits gab die Hoffnung auf Heilung den Mut, sich dieser magischen Gebärden und Handlungsweisen auszusetzen. Dass es sich bei den aus der Kerngruppe der alten verfemten Gewerbe nicht immer nur um von der Dorfgemeinschaft ausgegrenzte Menschen handelte, beweist das Beispiel einer Salzburger Abdeckerstochter. Magdalena Mandlin868 war 39 Jahre alt, ledig und in der Taugl – Golling beheimatet. Sie ersuchte in Form einer Bittschrift an die Regierung um die Verleihung des von ihrem, im 32. Lebensjahr verstorbenen Bruder Conny Mandl betriebene Abdeckershandwerk. Bezüglich ihrer dürftigen Lebenssituation machte sie auf folgenden Umstand aufmerksam: Es ist »eine alte schwächliche Mutter von etlich und 60 Jahren hinterlaßen, die mir anjetz zu Last wird, und da sich selbe nicht mehr zu gedienen vermag, von mir unterhalten werden muß«.869 Das Pfleggericht hatte dagegen keine Bedenken anzumerken und so wurde der Magdalena Mandlin die Befugnis erteilt, da sie erstens keinen Bruder mehr besaß, der diese Dienste versehen konnte, zweitens sich erbot, einen tauglichen Abdeckers-Knecht einzustellen, um den sie sich zum Betreiben ihres Gewerbes bereits bewarb, drittens »in dieser zwischen zeit sich um einen passenden, der Sache kundigen Handwerksehestand umzusehen erklärt«870 und schließlich viertens »eine ordentliche Person ist, die von der Nachbarschaft alle Lob hat.«871 In diesem Zusammenhang sollte vielleicht erneut ein Hinweis auf das Leben bzw. die Gesetze im Dorf erfolgen. Die Dorfgemeinschaft872 war gekennzeichnet durch ein gemeinsames Eingebundensein. Auf die Enge der Häuslichkeit und den damit verbundenen Verzicht der Privatheit873 wurde bereits hingewiesen. Das Dorf war nach außen weitgehend autonom, d. h. es war eine relative ökonomische Unabhängigkeit bezüglich Reproduktion, Nahrung, Trinkwasser, Arbeitskräfte usw. von der Stadt gegeben. Das Dorf bildete den Bezugsrahmen des einzelnen. Es hatte seine eigenen Regeln, sein eigenes Informationssystem.874 Es existierte keine Trennung von Arbeit, Freizeit, Krankheit, Gesundheit, Geburt und Tod – 867 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4. 868 Bittschrift der Magdalena Mandlin an k.k. Reg. Taugl. 1807, SLA kurfürstl. k.k. Reg. LXVI 11. 869 Ebd. 870 Ebd. 871 Ebd. 872 Wunder, Heide (1986). Die bäuerliche Gemeinde in Deutschland. Göttingen; Weber-Kellermann, Ingeborg (1987). Landleben im 19. Jh. München. 873 Sandgruber, Roman (1979). Gesindestuben, Kleinhäuser und Arbeiterkasernen. Ländliche Wohnverhältnisse im 18. und 19. Jh. in Österreich. In: Wohnen im Wandel. Beitrag zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft. Hrsg. v. Lutz Niethammer, Wuppertal, 107–132. 874 Zehentner, Rainer Georg (1993). Gasselgehen. Zum Verhältnis zwischen ländlichen Untertanen und Obrigkeit im Erzstift Salzburg des ausgehenden 18. Jh. Dipl.Arb. Salzburg 58.

Die Heiltätigkeit

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alle Determinanten waren Angelegenheiten der Gruppe. Es galt eine eigene Ordnung, welche gegen obrigkeitliche Politik verteidigt werden musste, ein Regelsystem, das streng eingehalten wurde, im Falle des Verstoßes erfolgte der Ausschluss.875 Auch die Mesnerin Maria Scharlerin besaß das Vertrauen der Menge. Über Klientenmangel konnte sie keineswegs klagen, die Leute bestürmten sie geradezu. Befragt über die Kenntnis der gesetzlichen Lage der Ausübung der Heiltätigkeit, antwortete sie, dass sie nur allzu gut darüber Bescheid wußte, »allein was will man thun, wenn die Leute zu bitten nicht nachlassen«.876 »Der Sage nach verlautet es, daß sie in verschiedenen Krankheits Umständen von dem Volke vielfältig zu Rath gezogen, und von euch Hilfsmittel gesucht werden? Da kann ich nicht widersprechen. Wie, und auf was Art habt ihr so starkes Zutrauen erworben? Das weis ich nicht, ich glaube halt, meine gegebenen Räthe müssen diesen Leuten nicht übel getaugt haben.«877

Bezüglich des Erfolges der Krankenbehandlung äußerte sich die alte Wasenmeisterin aus Lofer auf die Frage, ob der Patient Sebastian Höck von seiner Krankheit geheilt wurde: »Besser ist er schon geworden, ob er aber ganze Gesundheit erlangt, wisse sie nicht, denn er seye seitdeme nicht mehr hergekommen.«878 Der 29jährige Mathias Steinfellner, mit einer schweren Krankheit belastet, zog sich am 8. November 1803 »durch zu schnellen Wechsel von Kälte in Wärme, ein allgemein rheumatisches Fieber zu, daß ihn zu Bette nöthige.«879 Da ihm die ungeprüfte Hebamme Maria Eva Blümlin aus der unteren Gniegl schon mehrmals beim Auftreten solcher Beschwerden beigestanden hatte, wurde sie auch diesmal gerufen. Sie gab dem Mann sogleich Schweißpulver,880 da hierauf allerdings keine Besserung erfolgte, verabreichte sie auch Magentropfen, das war ein sogenanntes Antispasmodisches Pulver, welches z. Bsp. in Tirol aus Salpeter, vitriolisiertem Weinstein, Zinnober oder Mennige, also hochgiftigen Metallver875 Ebd.; Simon, Christian (1981). Untertanenverhalten und obrigkeitliche Moralpolitik. Studien zum Verhältnis zwischen Stadt und Land im ausgehenden 18. Jh. am Bsp. Basels. Basel/ Frankfurt a. M., 90; Hauptmeyer, Carl-Hans. Das abhängige Dorf – eine historische Retrospektive. In: Annäherung an das Dorf. Geschichte, Veränderung und Zukunft. Hrsg. v. dems. u. a. Hannover, 26–58, hier 45. 876 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl..k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 877 Ebd. 878 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 879 Schreiben des Mathias Eberl an Pfleggericht, 6. Dez. 1803, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 880 Ebd.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

bindungen hergestellt wurde, es löste Krämpfe aus und kühlte überhitztes Blut.881 Weiters empfahl sie schwarzen Kaffee und Bier. Diese Behandlung wurde zwei Tage durchgeführt., Blümlin machte die Krankenvisiten. Da sich die Anfälle verschlimmerten, wurde der Wundarzt Mathias Eberl gerufen, welcher den Patienten außer sich vor Schmerzen, mit einer schweren Leberentzündung vorfand. Die angewandten Hilfsmittel schufen zwar Linderung, doch als sich darauf die Krankheit wieder verschlimmerte, wurde der Medizinalrat zum Kranken gerufen. Grundsätzlich bestanden laut untersuchten Quellen jedoch keine direkten »Schadensmeldungen« oder gar Todesfälle von Personen infolge der Heilbehandlungen. Die Austragbäuerin Barbara Struberin erwähnte, dass ihr viele Leute nach Einnahme der Medizin über den »glücklichen Gesundheitszustand« berichteten.882

3.3

Der Ausgrenzungsprozess – Visitation, Verurteilung, Bestrafung

Es kann behauptet werden, dass durch die Medizinalreform in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts die Heiler/-innen konsequenter geahndet wurden. Nicht umsonst finden wir vor 1800 nur vereinzelt Fälle von medizinischer Pfuscherei, die ab dieser Zeit im Verhältnis gesehen gehäuft auftraten. Dies betrifft im Wesentlichen sowohl den Bereich des Arzneimittelgeschäftes wie der speziell ausgeführten Heiltätigkeit.

3.3.1 Kontrolle des Arzneimittelgeschäftes Von Seiten der Medizinalbehörde wurde wiederholt versucht gegen den unbefugten Arzneiwarenhandel von Zillertaler Ölträger/-innen883, Wurzelgraber/-innen, Materialist/-innen und Arzneihausierer/-innen vehement vorzugehen. Trotz Verordnungen und Gesetze »treiben sie dem sichern Vernehmen gemäß, dieses ihnen verbothene Handwerk im Geheimen noch immer fort.«884 Unter dem Vorwande, mit Teppichen oder Mausefallen zu handeln, wozu die Händler/innen Berechtigung besaßen, verkauften sie sozusagen unter der Hand verschiedene Öle, Geister und Pillen. 881 Probst, Christian (1992). Fahrende Heiler, 85. 882 Untersuchungs-Protokoll der Barbara Struberin, 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein. 883 BayHStA Gr 1204, 129. 884 Schreiben des Landgerichtes, 14. Nov. 1812, BAyHStA GR 1204, 128.

Der Ausgrenzungsprozess – Visitation, Verurteilung, Bestrafung

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Katharina Gruberin wurde die Bewilligung einer Kräutersammlungskonzession im Jahre 1803 einerseits mit Verweis auf das Arzneihausierhandelsverbotes mit der Begründung des Polizeidirektors verwehrt, »wie dabei oft wieder selbst dem Leben des Menschen gefährlicher Unfug unterläuft, Leute betrogen werden, und zu dem sollen herumziehende Händler und Händlerinnen sich des heimlichen Kurierens und Pfuschens zum Nachtheil der Gesundheit nur äußert selten enthalten.«885

Eine weitere Begründung gegen die Kräutersammlung der Gruberin lag in der Betonung der Konkurrenz, denn es war ohnehin ein eigener Wurzengraber konzessioniert, der sich sein Brot kümmerlich erwarb und sich gekränkt fühlte, wenn ein zweites Patent verliehen würde. Maßgeblich aber von alledem war der dritte angeführte Punkt, der die Sittlichkeit der alten Frau betraf: »Ist die bittende Gruberinn eine auf ihre Jahre äusserst liederliche Weibsperson, die sich Tag täglich so voll säuft, das sie nicht selten vom Platze getragen werden müsse. Sie wurde aus diesem Grunde, und weil sie auf keine andere Art wegzubringen war, schon öfters ins Zillerthal, wohin sie gehört, verschoben, aber jedesmal kommt sie früher oder später wieder hierher zurück.«886

Aus der »Verordnungen über Materialisten, ihre Träger oder Hausierer«887 ging hervor, dass die Bereitung und der offene Handel mit pharmazeutischen Arzneimitteln einzig den Apotheken zustand. So wurde erstens die Verordnung vom 29. Dezember 1691 erneuert, indem keinen ausländischen Materialist/innen der Aufenthalt im Erzstifte genehmigt wurde, sowie zweitens nur bestimmten – sechs – Materialist/-innen gestattet, eigene Träger/-innen oder Hausierer/-innen zum Betriebe ihres Gewerbes im Lande herumzuschicken, welche »auf ihre Person selbst lautende Patente«888, sowie ein Verzeichnis jener Waren, zu deren Führung der patentisierte Materialist berechtigt, mitzuführen hatten. In den Jahren 1804 und 1805 befasste sich der kurfürstliche Medizinalrat mit den »herumwandernden Zillerthalern und Zillerthalerinnen«889 sowie Krämern, Materialist/-innen, welche uneingeschränkt Arzneimittel verkauften. Entgegen der Meinung der Medizinalpolizei, jeglichen Handel zu verbieten, äußerte sich Stimmen von Pfleggerichten gemäßigter: Nicht die Beschränkung des Handels, 885 Abschrift eines von dem kurfürstl. prov. Polizeiamt an die kurf. Prov. Hofkammer erlassenen Berichts vom 11. Aug. 1803, SLA Hofkammer Salzburg 1806, 7a (Collegium Medicum 70, 1804–1807). 886 Ebd. 887 Auszug der wichtigsten hochfürstl. Salzburgischen Landesgesetze zum gemeinnützigen Gebrauch. Hrsg. v. Zauner, Judas, Thaddäus. Salzburg 1787, 297. 888 Ebd. 889 Auszüge aus den kurfürstl. Medizinal-Raths-Protokollen, SLA k.k. Reg. 1803–1810, 11 H I/ 106.

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sondern die Prüfung und Aufsicht der Materialist/-innen hätte Effizienz. Zu bedenken seien einerseits die wirtschaftlichen Verluste dieser Berufsgruppe, zum anderen auch die »vielfältigen Beschwerden von Seite des Publikums und der Haushaltungen, deren Bequemlichkeit darunter leiden dürfte.«890 Nach den Grundsätzen der medizinischen Polizei wurden auch auf dem Gebiete der Arzneifabrikation verschiedene Maßnahmen getroffen, um das »Publikum« vor Schaden zu bewahren. Laut Bericht des Physikers Barisani war es traurig genug, »daß man den sowohl in pharmazeutischer als therapeutische Hinsicht unkundigen Menschen die Fabrizirung verschiedener Arzneymittel ohne Unterschied, und die ungehinderte Behandlung der Thiere und Menschen erlaubte, welche Erlaubniß sich von den uralten Zeiten herschreibt.«891

Es wurde beschlossen, die Ölfabrikationsstätten einer vehementen Prüfung zu unterziehen und sodann mehrmals unvermutete Visitationen durchzuführen. Würden diese Prüfungen »gut überstanden«, könnte die Übergabe eines Leitfadens der erlaubten Arzneimittel vom Landesphysikat erfolgen. Alle vorgefundenen Arzneiformeln und medizinische Bücher jeglicher Art sollten den Fabrikanten dabei allerdings abgenommen werden.892 Im Jahre 1811 wurden alle bestehenden Arznei- und Ölfabrikationen und der öffentliche Verkauf im Zillertal sowie weiteren Gegenden des Salzachkreises genauer ins Visier genommen. Es handelte sich um einen Spezialauftrag des Staatsministers Graf von Montgelas »auf Befehl Seiner Mayestät des Königs« an das Königliche Generalkommissariat des Salzachkreises mit dem Auftrag detaillierte Berichte über die Verlagsstätten einzubringen. Vor allem wurde die Anzahl, der Wohnort, der Zustand der Fabrikant/-innen im Ziller- und im Brixentale sowie im Landgericht Kitzbühel in Form eines Verzeichnisses mit Angaben der Namen, des Alters, der übrigen Erwerbsfähigkeit, der ökonomischen und familiären Verhältnisse sowie der fabrizierten Waren ermittelt, wonach weitere Ermittlungen angeschlossen waren. So wurde die Obrigkeit auch auf Magdalena Thalhamerinn893 aufmerksam, welche nach dem Tod ihres Ehemannes Niklas Egger »gewesener Besitzer eines gräflich Lodronischen Guts und einer steuerbaren Midridatmachers und Oelwaaren-Verlegers Concession«,894 die steuerbare Gerechtsame für Ölfabrikation

890 891 892 893

Schreiben an den Medizinalrath, 9. Sept. 1804, SLA k.k. Reg. 1803–1810, XI/H 1/106. Bericht von Barisani, 19. Mai 1810, SLA Kreisamt, Fasz. 181. Ebd. Schreiben von Magdalena Eggerin an Königl General=Commissariat des Salzachkreises vom 13. Aug. 1811, Nr. 14881, BayHStA GR 1204, 129. 894 Zeugnis vom Königl. Baierl. Landgericht Zell im Innkreise, 13. Aug. 1811, BayHStA GR 1204, 129.

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verwaltete, aufmerksam. Die Witwe war mit der Versorgung mehrerer Kinder betraut, wohnte in Thann in der Nähe von Zell im Zillertal und befand sich seit einiger Zeit in einer wirtschaftlich bedrängten Lage. Schon im Jänner 1810895 wurde die Ölwarenverlagstätte im Zillertal auf Auftrag der hohen Landesregierung und des Protomedikates, welcher allgemein an die Pfleggerichte und Landphysikate erteilt wurde, untersucht. Besitzer zu dieser Zeit war Martin Egger, die Wirtschaftsführung allerdings war aufgrund dessen Minderjährigkeit dem Bruder Andrä Egger übertragen. Die Fabrikation der eigenen Produkte wurde nach Anweisung des Vaters Niklas Egger vorgenommen. Anders als im Falle der Ölfabrikantin Katharina Angerin existierte in diesem Betrieb ein pharmazeutischer Leitfaden. Es handelte sich um die österreichische Provinzial Pharmakopöe vom Jahre 1790, daneben lagen keinerlei Rezepte vor. Produziert wurden verschiedene Öle, Destillate, Geister, Salben und Pflaster, welche zum Großteil von der Visitation unbeanstandet blieben. Neben dem Auftrag, einige Verbesserungen der Materialien und Geschirre, worin die Geister gebrannt wurden, vorzunehmen, wurde der Verkauf von »Goldpulver, Zuckerlaxiere, Wurmzelteln, Lebens Essenz, Magentropfen und SchwindBeuteln«896 bis auf weiteres verboten und einer medizinischen Untersuchung unterzogen. Das medizinische Gutachten des Landesphysikates in Fügen ergab, dass es sich bei diesen sechs Artikeln um zusammengesetzte, heftig wirkende und daher verbotene Arzneimittel handelte, welche aufs strengste untersagt wurden. Die Schädlichkeit des Goldpulvers lag darin, dass zur Bereitung nicht gutes Gold, sondern Metallblättchen genommen wurden, woraus etwaiger Schaden vor allem bei der Anwendung des Arzneimittels vorwiegend bei Kindern entstehen konnte. Bezüglich des Zuckerlaxiers wurde beschlossen, dass Laxiermittel nur in Apotheken und nach Vorschrift eines Arztes erhältlich sein sollten. Die Heilkräfte der Wurmzelteln waren dem Landesphysikat nicht bekannt bzw. wurden die den Zelteln gewöhnlich beigegebenen purgierenden Mittel beanstandet. Die Lebensessenz sowie die bitteren Magentropfen wurden aufgrund des Aloegehaltes untersagt, Aloe897 besaß viele Heilkräfte, »welche nur der sachverständige und geübte Arzt wissen und benutzen soll«898. Bei den »SchwindBeuteln zum Anhängen«899 wurde sofort das Verbot erteilt, da es sich um eine Mixtur unbe-

895 Visitationsprotokoll, 17. Jänner 1810, BayHStA Gr 1204, 129. 896 Ebd. 897 Schloss, Lothar (1985). Comfrey. Wiedergeburt einer Heilpflanze. Aloe Vera. Die biblische Pflanze. Bergen. 898 Med. Gutachten vom 27. Jänner 1810 an das Pfleg- und Landgericht Kopfsberg über die Untersuchungen der befugten Oelwaren-Verlagsstätte bei Niklas Egger, BayHStA GR 1204, 129. 899 Visitationsprotokoll, 17. Jänner 1810, BayHStA Gr 1204, 129.

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deutender Ingredienzen in einem Sack handelte, welche einzig »der Ausrottung des Aberglaubens entgegenarbeitet.«900 Der Beschluss der Visitation lautete, dass der Ölwarenhandel zwar in der Folge weitergeführt werden konnte, jedoch gewisse Beschränkungen unverzüglich vorgenommen werden müssten. Ferner wurde den Besitzern angeordnet, sämtliche ihnen bekannten Pfuscher/-innen im Ölwarenfabrikationswesen anzugeben, und scharfe Kontrollen der Ölträger/-innen, welche Hausierpatente erhielten, angekündigt.901 So war es auch für die Ölfabrikantin Magdalena Egger schwierig, die nötigen Hausierpatente und Reisepässe für ihre angestellten Arzneihändler/-innen zu erhalten. Die Witwe richtete am 13. August 1811 die Bitte an die Obrigkeit, »für ihre berechtigte Ölwarenverlagsstätte auf einige vertraute und rechtschaffene Träger die nöthigen Handelsbefugnisse für den Salzachkreis gnädigst zu bewilligen«.902 Folgende Begründungen legte sie dazu vor: Erstens wies sie sich durch einen beiliegenden Steuerbuchauszug über ihre Gerechtsame aus. Zweitens bewies die Eggerin durch ein Zeugnis des Landgerichtes sowie des hiesigen Landgerichtsphysikats, dass sich ihre Verlagsstätte schon seit jeher durch Fabrikation der »ächtesten und erlaubten«903 Artikel von anderen Verlagsstätten stets ausgezeichnet hatte. Drittens gab sie an, dass es sich bei diesen Personen, für welche die Bittstellerin die Handelsbefugnisse verlangt, um »ihre rechtschaffensten Träger«904 handelte, welche zudem dem hiesigen Königlichen Landesgerichte bekannt waren. Viertens wurde erwähnt, dass diese Verlagsstätte – hatte bereits seit 40 Jahren ihr verstorbener Ehemann in dieser Gegend die Untertanen zur besonderen Zufriedenheit versehen – ihren meisten Verkehr und Absatz im Gebirge und flachen Lande Salzburg gehabt hatte, weshalb um die fernere Befugnis, in diesem geographischen Raum handeln zu dürfen, gebeten wurde. Denn so würde – so formulierte Magdalena Egger im fünften Punkt – die Nichtgewährung dieser Bitte »einen unerträglichen Schaden und die gänzliche Darniederlegung ihres steuerbaren Gewerbes nach sich ziehen, und sie außer Stand setzen, ihre zahlreiche Familien erhalten zu können.«905 Ferner würden sechstens dadurch die Träger und ihre Familien dem nötigen Nahrungserwerbe entzogen und schließlich siebtens: »Dürfte Bittstellerin als eine mit noch unversorgten Kindern versehene Witwe, welche gleich nach dem Tode ihres Ehemanns die Kriegsunfälle mit einem Schaden von mehr

900 901 902 903 904 905

Ebd. Ebd. Med. Gutachten vom 27. Jänner 1810, Bay HStA GR 1204, 129. Ebd. Ebd. Ebd.

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als 1000 G erlitten hat, wohl auch so manchen gnädigen Rücksicht vorzüglich in dem vorliegenden Falle, würdig seyn.«906

Am 23. August desselben Jahres wurden der Eggerin sechs Hausierpatente bewilligt, allerdings nicht ausgefertigt, weshalb die Ölfabrikantin am 20. September 1811 ein neuerliches Schreiben an die Obrigkeit verfasste. In diesem Ansuchen um Pässe und Patente für ihre Träger wies die Witwe auch darauf hin, dass sie »die Anzahl ihrer Träger ohnehin auf die in ihrer Einlage bezeichneten 10 Individuen zum Beweise beschränkte, dass Bittstellerin der allerhöchsten und hohen Gesetze mit dem strengsten Unterthans gehorsam mit grosser Aufopferung sich zu unterziehen für Pflicht hält.«907

Doch Magdalena Egger erhielt auch darauf keine positive Bestätigung. Weder zwei kostspielige Reisen nach Salzburg, noch fünf weitere Bittgesuche der Witwe brachten Erfolg. Es waren inzwischen fast zwei Jahre vergangen. Die Ölfabrikantin gab die Hoffnung allerdings nicht auf, sie verfasste am 18. Mai 1813 ihre siebte Bittschrift um Patentserneuerung, der sie wiederum ein amtliches Zeugnis des Landgerichtes beilegt. Nochmals wies sie ausdrücklich darauf hin, dass die in ihrem Verlage fabrizierten Öl- und Vieharzneiwaren als »ächt erkannt, und nichts unerlaubtes vorgefunden, so wie auch in Hinsicht des moralischen Betragens ihrer betheiligten mit Familien versehenen und sich lediglich durch diesen Erwerb erhaltenden 6 Träger nicht die mindeste Beschwerde, sondern vielmehr die allseitige Zufriedenheit dahier bekannt wurde.«908

Am 5. Juni 1813 wurden die Hausierpatente erneuert. Aus dem Brief der Magdalena Egger an die Regierung vom 8. Februar 1814 erfahren wir allerdings, dass ihr das königliche Landgericht in einem Schreiben vom 15. Jänner 1814 mitteilte, dass ihrem neuerlichen Patentansuchen nicht stattgegeben werden kann.909 Die Wirkung bzw. der Einfluss dieser beschränkenden Maßnahmen auf die wirtschaftliche und soziale Situation der Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer/innen dieser Verlagsstätte waren existenzbedrohend. Die allgemeine wirtschaftliche Situation der Zillertaler Bewohner war angesichts der Bearbeitung des »beschwerlichen Tales« als keinesfalls positiv anzusehen. Halten wir uns vor Augen, dass mit dem Verlust der Ölfabrikationsstätte eine Kettenreaktion eintrat. Jede Hemmung des kleinsten Handelzweiges hemmte den Geldfluss im

906 Ebd. 907 Schreiben der Magdalena Eggerin an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises, Zell im Innkreis, 20. Sept. 1811, BayHStA GR 1204, 129. 908 Schreiben der Magdalena Eggerin an Königl. Bairisch General=Commissariat des Salzachkreises, Zell im Innkreis, 18. Mai 1813, BayHStA GR 1204, 129. 909 Schreiben der Magdalena Eggerin an Königl. Bairisch General=Commissariat des Salzachkreises, Zell im Innkreis, 8. Febr. 1814, BayHStA GR 1204, 129.

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Allgemeinen und führte somit zur gänzlichen Verarmung vieler Familien, welche keinen Nahrungszweig finden konnten. »Die 6 Träger der gehorsamsten Bittstellerin sind nun seit der Sistierung der unterthänigst nachgesuchten Patentsertheilung mit ihren Familien ganz ohne Verdienst und die Bittstellerin selbst bey längeren Hemmung des Absatzes ihrer Waarenartikel dem Verderben ausgesetzt, und die Einbringung ihrer Handlungs=Guthabungen /: so nicht ganz dem Verlust ausgesetzt :/doch wenigstens erschwert und sehr verzögert wird.«910

Doch auch die Darlegung der Notwendigkeit der von der Verlagsstätte abgegebenen geprüften Arzneien für die Bevölkerung sowie die negativen Auswirkungen auf die soziale Situation der Beschäftigten, änderten nichts an dem obrigkeitlichen Beschluss.911

3.3.2 Das Urteil für die angeklagten Heiler/-innen Der Ablauf einer behördlichen Überprüfung bzw. Einschränkung weiblicher Heilkundigen erfolgte durchwegs nach einem gewissen Schema: Anklage – Hausvisitation – Verhör – Strafvollzug. 3.3.2.1 Im Zweifelsfalle gegen die Angeklagte Maria Scharlerin wurde am 25. Februar 1803 wegen der unerlaubten Beistandsleistung der Geburtshilfe und anderer vorgenommener Pfuschereien angeklagt.912 Ausgangspunkt der Anklage war die Anzeige des Chirurgischen Provisors zu Mittersill, Johann Bauer, welcher die »traurige Geburtsgeschichte«913, d. h. eine Totgeburt der Schmidermeisterin zu Wilhelmsdorf, bei der die ungeprüfte Hebamme die Beziehung einer approbierten Hebamme verhindert hatte, bekannt machte. Wegen Quacksalberei stand die Witwe allerdings nicht zum ersten Mal vor Gericht. Das Pfleggericht Mittersill berief sich auf die hohe Verordnung vom 26. Juni 1801 bezüglich der Abschaffung der »Bruchschneider und Quacksalber«,914 als sie am 9. Oktober 1801 Maria Scharlerin vorrief und ihr bekundete, »dass sie sich bey Zuchthaus Straffe nicht mehr unterstehen solle, sich in der 910 Ebd. 911 Schreiben vom Landgericht an Königl. General=Commissariat des Salzachkreises, Zell im Innkreis, 9. Febr. 1814, BayHStA GR 1204, 129. 912 Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin vom 25. Februar 1803, SLA kurfürstl. k.k. Reg. 1803–1810 XII/15. 913 Schreiben vom Pfleggericht Mittersill an das Collegium medicum, Hofrathskanzlei vom 12. März 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 914 Ebd.

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Chirurgisch, und Medizinischen Sache mit Pfuscherey, und Quacksalberey abzugeben: ungeachtet dessen trieb sie ihren eigenen Geständnis nach ihr verbothenes Handwerk fort.«915 Auf Befehl des Pfleggerichtes Mittersill nahm am 24. Februar 1803 der »Mitterschreiber« Joseph Baumgartner unter Beiziehung des ordentlich examinierten und approbierten Chirurgen bei der Mesnerin, »welche wegen unberechtigten Kurieren in allerhand Krankheiten, Führung verschiedener Medikamente sich sehr verdächtigt gemacht hat«,916 eine Hausdurchsuchung vor. Es wurden alle Kästen und »Stollen« inspiziert und ihr der dabei beträchtlich vorgefundene Arzneimittelvorrat abgenommen und zu Gericht gebracht. Die Visitation ging ohne allen Widerstand vor sich. Die Untersuchung vor Gericht beschäftigte sich zum einen mit der unerlaubten medizinischen Tätigkeit der Scharlerin, zum anderen mit der Prüfung des Geburtsfalles der Anna Schmiedin, wo sich die Hebamme dem Vorwurf gegenüber zu verantworten hatte, das Kind mit Gewalt aus dem Leibe der Mutter gedrückt zu haben. Insgesamt wurden fünf Vernehmungen durchgeführt: der Maria Scharlerin, der Anna Schmiederin und deren Ehemann, sowie zweier weiterer Frauen, welche im Beisein dieser Hebamme tote Kinder zur Welt gebracht hatten. Auf die Frage, ob die Witwe wusste, warum sie zu Gericht berufen wurde, antwortet sie: »Ich glaube, weil ich denen Leuten in Krankheits Umständen zu weilen einen Rath ertheile, oder kleinweis ein Oelwerk oder Pflaster abgebe und weil ich denen Gebährenden als Geburtshelferin beyzustehen gepflege.«917 Auch die Hebamme Nothburga Reiberin war wegen Quacksalbereien schon mehrmals aktenkundig geworden. So lag neben dem 1802 stammenden, ausführlichen Fall über Bestrafung aufgrund »begangene Fehler in der Geburtshilfe,«918 ein Akt bezüglich Quacksalbereien des Mathias Schlik und der Nothburga Reiberin um 1807919 auf. Ebenso wie Maria Scharlerin machte sie aufgrund der Geburtshilfe zweier Totgeburten auf sich aufmerksam Auch hier vollzog der zuständige Medizinalchirurg die Anzeige, allerdings erst nachdem der Physikus Dr. Bacher ihn deutlich auf seine Pflicht verwiesen hatte, »wenn einer Pfuscherin hierüber was zur Schuld fällt«,920 musste gemäß Paragraph 9 der Dienstordnung für Chirurgen dem Pfleggericht unverzüglich Bericht erstattet werden. So wurde unvermutet am 21. Dezember 1808 eine Hausdurchsuchung vorgenommen. 915 Ebd. 916 Visitations-Protokoll vom 24. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 917 Gerichtl. Vernehmung der Maria Scharlerin, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/ 15. 918 Befehl an das Pfleggericht St.Michael, 18. Jänner 1802, SLA kurfürstl. k.k.österr. Reg. 1803– 1810 XII/15. 919 Liste mit Quacksalbereyen betreffend, SLA k.k. Reg. 1803–1810, XI/A. 920 Abschrift des an den Medizinalchirurgen gemachten Auftrages von Dr. Bacher, 27. März 1808, SLA kurfürstl.k.k. österr. Reg. 1803–1810 XI/H 5/110.

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Hingegen der in ehemaligen Visitationen vorgefundenen reichlichen Anzahl an Material- und Medizinwaren, worunter sogar Brechmittel und Arsenikum waren, wurde diesmal ausschließlich »ein Schächterl abführendes Lebenspulver und ein Stück Lerchenschwamm entdeckt.«921 Das Pfleggericht Neuhaus berichtete im Schreiben an die Regierung, dass schon seit langem im Stillen Stimmen laut wurden, »daß sich Eva Blümlin mit Geburtshelfen und Medizin reichen abgebe«922 und dies nun durch den Wundarzt Mathias Eberl, welcher darüber eine Anzeige eingeleitet hatte, bestätigt wurde. Nach abgehaltener Hausuntersuchung wurden ihre Arzneien beschlagnahmt. Der Wundarzt äußerte sich bezüglich der Blümlin folgendermaßen: »Sie hat ein hohes Alter, ist daher kraftlos und zudem einer außerordentlichen Gehörlosigkeit unterworfen. Ferner unterhält sie alle Vorurtheile, und ist daher jeder mitnehmenden guten Sache hinderlich.«923 Außerdem gab sie, seinen Aussagen nach, den schwangeren Frauen Anweisungen, Aderlass vorzunehmen bzw. führte diesen selbst durch. Die Vernehmung der geprüften Hebamme Maria Lederin wurde zu Folge des hohen Landesregierungsbefehls vom 22. August 1808 aufgrund der vom Protomedikate gemachten Anzeige »wegen Heilung der Kranken, von äusseren Schäden und Geschwusten.«924 durchgeführt. Bei vorgenommener Hausvisitation fanden sich allerdings außer einigen »zur Hebammenkunst nöthigen Apparamenten und einigen Gamilen Kräutern«925 keine Medikamente. Ganz anders zeigte sich die Anklage der Wasenmeisterin Anna Maria Feichtnerin.926 Der Patient Höck klagte sie in der Beichte beim Hf. Kooperator des Aberglaubens an, worauf ihm aufgetragen wurde, die Sache dem Dechanten Franz Sales Hofer in Saalfelden zu berichten. Da die alte Abdeckerin zum wiederholten Male zur Krankenheilung abergläubische Mittel angewandt und der Dechant sie schon vor Jahren deswegen ernstlich ermahnt hatte, wurde sie von ihm angezeigt, und dieser nahm darauf auch das Verhör von Mutter und Tochter vor. Die Feichtnerin verstand ihre Heilhandlungen allerdings nicht betrügerisch als Aberglauben, sondern als religiöse Gebärden, welche sie in der Tradition von ihren Eltern übernommen und dann auf ihre Tochter weitergetragen hatte. »Zum Betrügen habe sie dieses nicht gethan, übrigens habe sie dieses so von ihrem Eltern gehört, und halt auch so gethan, sie will es aber in der Zukunft schon beyseite

921 Schreiben an die Landesreg. 21. Dez. 1808, ebd. 922 Schreiben des Pfleggericht Neuhaus an die Reg. 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803– 1810 XII/15. 923 Schreiben von Mathias Eberl an das Pfleggericht, 6. Dez. 1803, ebd. 924 Vernehmungsprotokoll der Maria Lederin am 9. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XI/H 5/110. 925 Ebd. 926 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, ebd.

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lassen. Sie habe es soweit für keinen Aberglauben gehalten, sondern geglaubt es sey nichts Unrechtes, was man mit Gott thut.«927

Ebenfalls einzigartig war die Anzeige des Landgerichtsarztes Dr. Bacher, welcher sich für verpflichtet hielt, »mittels gehorsamster Vorlegung beygeschlossener Todtenliste unterthänigst anzuzeigen, daß laut dieser eine gewiße Pfuscherinn N: Hofmannin zu Salzburg«,928 heilerisch tätig war, die großes Vertrauen der Landleute besaß und mehrere Kranke pflegte. Sie hatte die verstorbene Übermeisterin zu Eham in ihrer Krankheit behandelt und sich mehrerer medizinischer Handlungen schuldig gemacht – ihre Heilkenntnisse verdankte sie einem österreichischen Feldscher. Am 22. Juli 1815 wurde die polizeiliche Untersuchung eingeleitet und in der Hausvisitation fanden sich eine »Menge Medizinen und medizinische Körper.«929 3.3.2.2 Verwarnung oder Zuchthausstrafe? Wegen »unerlaubten Mediciniren«930 wurde die »Doktorin von Teisendorf«, Agnes Millauerin, in den letzten zwei Jahren »das erstemal auf 6 und das 2temal auf 8 Wochen in das Arbeitshaus verurtheilt«.931 In der ersten Strafzeit wurde sie auf die Fürbitte des Ehemannes nach drei Wochen entlassen. Dem Regierungsvortrag vom 21. Mai 1802 ist zu entnehmen, dass Georg Armstorfer um baldigste Entlassung seines wegen Quacksalberei verurteilten Eheweibes bat, »sie in Rücksicht ihres Mannes und ihrem Kinde zu entlassen, da sie schon beinah die Hälfte der Strafzeit ausstand«.932 Beim zweiten Strafaufenthalt wollte der Mann für die Millauerin allerdings keine Fürbitte mehr einlegen. Gesuche um Entlassung aus dem Arbeitshaus kamen sehr häufig vor.933 Auch Peter Feichtinger aus Lengau verfasste eine Bittschrift an das Königliche Generalkommissariat des Salzachkreises.934 Seine Ehefrau, die Wasenmeisterin, war vom Bestandchirurgen zu Lochen – »aus Rachsucht«935 – am 6. Februar 1812 beim Landgericht Neumarkt wegen medizinischer Pfuscherei angeklagt und vor jeg927 Ebd. 928 Schreiben vom Landgerichts-Physikat Laufen an Königl. General-Kreiskommissariat, 11. Juli 1815, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Salzburg Stadt. 929 Ebd. 930 Verhörprotokoll des Johann Georg Armstorfer vor dem Konsistorium bezügl. der gegenseitigen Beschwerden vom 4. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810. 931 Ebd. 932 Gesuche um Entlassung aus dem Arbeitshaus, SLA Geheime Hofkanzlei XXI/22 h. 933 Ebd. 934 Bittschrift des Peter Feichtinger in Lengau an d. Königl. Generalkommissariat d. Salzachkreises, N. 777b, vom 6. Febr. 1812, SLA Kreiskommissariat Neumarkt 31, B.2.6.II. 935 Ebd.

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licher Vernehmung zu einem achttägigen Arrest ins Amtshause verurteilt worden. Im Falle der Susanne Feichtinger war »weder unter kaißerl.österr., noch unter königl.bayr. Regierung jemals eine Klage gegen Pfuschereyen vorgekommen«936, sie war nicht einmal persönlich gewarnt worden. Zur Bestrafung des Tatbestandes beschloss der Hofrat am 26. März 1803: zwei Monate Zuchthausstrafe für Maria Scharlerin. Die Medikamente sollten verkauft und das erlöste Geld der Almosenkasse zugewendet werden, die Inquisitionskosten hatte Scharlerin selbst zu tragen, da sie mit einem Vermögen von 1200 Gulden nicht unvermögend war. Nothburga Reiberin wurde erstaunlicherweise – wahrscheinlich aufgrund fehlender Beweisstücke – keine Zuchthausstrafe auferlegt. Obwohl ihr erst eineinhalb Jahre zuvor wegen Pfuscherei das Handwerk gelegt und ihr viele Arzneimittel abgenommen worden waren, hielt im Jahre 1808 das Pfleggericht zu St. Michael sie einzig »unter der Androhung einer unausbleiblichen Strafe«937 an, sich in Zukunft jeglicher Kurpfuscherei zu enthalten. Obwohl Eva Blümlin nicht im mindesten berechtigt war, Geburtshilfe oder Heilkunde auszuüben, fiel ihr Urteil ebenso »milde« aus. Laut obrigkeitlichen Befehl war ihr »ernstlich aufzutragen, daß sie sich allen geburtshilflichen und anderen Kurierens enthalten, widrigenfalls sie beym ersten Betrettungsfalle eine strenge Züchtigung zu erwarten habe, das Pfleggericht wird übrigens über das Betragen dieser Blümlin die nöthige Wachsamkeit beobachten.«938

Bei Maria Lederin erfolgte aus Mangel an Beweisen keine Bestrafung. Nach Angaben der Bevölkerung sollte die geprüfte Hebamme nicht »mit Medizinen befaßt sein, sondern den Kranken, die sie mit Zudringlichkeit überlaufen, nur mit Rath an die Hand zu gehen pflegen, sich aber von Abreichung der Heilmittel jetzt mehr, als ehemals sorgfältig enthalten.«939 Da jedoch kein Gesetz bestand, welches die Erteilung eines Rates bei einzelnen Personen verbot, konnte keine Verurteilung erfolgen. Es gab also durchaus auch Lücken im neuen Medizinalsystem, wo Heiltätigkeit ungeprüft, sozusagen unter einem gewissen Deckmantel ausgeübt werden konnte. Ein Beispiel für die gesetzliche Vorgehensweise im Arzneimittelhausierhandel gab die Untersuchung der Anna Hörhager, welche in Stum in Tirol ansässig war. Die 49jährige Frau wurde durch das K.K. Mautoberamt Lofer wegen bei sich führender Ölwaren am 2. Juni 1818 festgenommen und dem Landgericht über936 Ebd. 937 Schreiben an Landesreg. vom 21. Dez. 1808, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 938 Mitteilung an Pfleggericht Neuhaus, 6. Febr. 1804, SLA kurfürstl .k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 939 Schreiben an K.K. Reg. 26. Okt.1808, SLA kurfürstl.k.k.österr.Reg. 1803–1810 XII/15.

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geben, wo ihre Ware untersucht und sogleich die Strafe für Anna Hörhager ausgesprochen wurde.940 »Mit Umgehung aller weiteren Untersuchung von zeitraubender Dauer wird Hörhager nach den Gesetzen angesehen, in dieser Hinsicht da sie auch Artefakten für Menschen bey sich führt als Polizeyübertretterin behandelt, sohin der Paß das Patent und die ganze Ware confiziert, sie selbst mit dreytägigen Civilarrest bestraft und so schüblich in ihre Heimath geliefert.«941

Aus dem Schreiben der Regierung an das Landgericht Lofer allerdings ging hervor, dass die hohe Stelle mit dieser Vorgehensweise nicht unbedingt übereinstimmte. Ihr Vorschlag wäre ein strafloser Abschub in die Heimat gewesen. Angesichts des Umstandes, dass Anna Hörhager mit einem »frühen diesseitigem Passe zum Handel mit Vieharzneyen versehen war so hätte dieselbe bey dem wenigen noch bey sich gehabten Menschenarzneyen ohne Strafe nach Tyrol zurückgeschoben werden sollen.«942 Aus dem Schreiben des Dechanten Hofer an das Hohe Konsistorium in Salzburg wurde die Bitte formuliert, eine »Buße« in der Pfarrkirche St. Marin für die abergläubischen Heilhandlungen der Maria Anna Feichtnerin zu bestimmen. Sein Vorschlag war, die Abdeckerin wegen ihrer schweren Leibgebrechlichkeit – sie wurde vor etlichen Jahren durch einen Schlagfluss an Händen und Füßen ganz »krump und lahm« gemacht, schien jedoch gesund – mit einem »Gestuet«, wahrscheinlich einem Pferdewagen, von Reith nach St. Marin zu transportieren, damit sie dort ihre Buße ableisten könne.943 Magdalena Pichler wurde nach Paragraph 98 und 109 des gültigen österreichischen Gesetzbuches II. Teil »der schweren Polizey Uebertrettung der medizinischen Pfuscherey und des unberechtigten Verkaufes von Medizinen schuldig gemacht.«944 Mit Anwendung des Paragraph 23 wurde sie zu einem »zweimonatlichen strengen Arrest – verschärft mit wöchentlichen zwei Fasttagen«945 verurteilt. Die Abänderung der Strafe von dreimonatigem zu zweimonatigem Arrest geschah aufgrund der Umstände, da durch ihre medizinischen Handlungen kein direkter Schaden gestiftet worden war. Für die Kinder der Heilerin hatte inzwischen die hiesige Armenkommission zu sorgen.946 Aufgrund der in einer Bittschrift verfassten Umstände, – Mittellosigkeit und Verdienstverlust sowie unversorgte Kinder – wurde am 13. März 1816 für Mag940 941 942 943 944

Protokoll des Falles Anna Hörhager, Lofer, 2. Juni 1818, SLA Kreisamt B IX 5. Ebd. Schreiben d. Reg. An K.K. Landgericht Lofer, 11. Juni 1818, SLA Kreisamt B IX 5. Ebda; Vgl. Adler, Margot. (1990). Die alte Abdeckerin, 133. Beratschlagungs-Protokoll des Königl. bairischen Polizeykommissariat Salzburg, 26. Jänner 1816, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Salzburg Stadt. 945 Ebd. 946 Ebd.

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dalena Pichler eine Strafmilderung »von zwey Monaten für diesmal auf eine Woche / jedoch in Polizeyarreste«947 vorgenommen. Auch Maria Scharlerin erhielt aufgrund ihrer Bittschrift sowie des Zeugnisses des Ortspfarrers am 9. Mai 1803 vom Hofrat eine Strafmilderung: statt der zweimonatigen Zuchthausstrafe erfolgte ein »Keuchenarrest« von 14 Tagen.948 Die Festsetzung der Strafe fiel also zumeist milder aus als zunächst angedroht. Statt einer fälligen Zuchthausstrafe wurde entweder eine Geldstrafe oder überhaupt nur eine Strafandrohung vollzogen. Aufgrund verschiedener persönlicher Situationen, wie hohen Alters oder wirtschaftlicher Not, welche in Bittschriften dargelegt wurden, kam es ferner zu Strafverkürzungen. 3.3.2.3 »…wenn ich das aufhören muß, so bin ich eine bloße Bettlerin«949 Die Auswirkungen des Verbotes der Heiltätigkeit auf die wirtschaftliche, soziale und persönliche Situation der Heilerin sowie die Folgen einer Verurteilung und Bestrafung waren vielerlei Art. So konnte einerseits durch einen Gefängnisaufenthalt Prestigeverlust die Folge sein,950 andererseits die Gesundheit951 gefährdet werden. Peter Feichtinger richtete die dringendste Bitte, »daß seine Ehewirthin des Arrestes ohne Verzug entlassen werden möchte«.952 »Ist Susanna Feichtingerinn schon 66 jahre alt, und wie es allgemein bekannt ist, mit der Mutterfraiß behaftet, es ist sohin die höchste Gefahr vorhanden, daß der Schmerz über ihre Einkerkerung, da sie ihren Leben nie zu Arrest gesessen ist, und die Kälte des Orts ihren Zustand aufregen und da sie in ihrem Bußorte sich selbst überlassen, und ohne allen Beystande ist wo nicht ihren plötzlichen Tod verursachen, doch eine langwierige Krankheit herbeyführen kann.«953

Ferner bedeutet eine Arreststrafe bzw. ein Ausübungsverbot der Heilkunde für viele Frauen den »Ruin«.954 Die in der Stadt Salzburg ansässige Magdalena Pichlerin bat in einem Schreiben an das königliche Generalkommissariat vom 6. März 1816 um Strafmilderung.

947 Schreiben von Barisani, Polizeikommissariat Salzburg, 13. März 1816, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Salzburg Stadt. 948 Schreiben vom k.k. Hofrath an das Pfleggericht Mittersill, 9. Mai 1803, SLA kurfürstl. k.k. Reg. 1803–1810 XII/15. 949 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin, 1803, ebd. 950 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin, 1803, ebd. 951 Bittschrift der Maria Scharlerin an den k.k. Hofrath, 24. April 1803, ebd. 952 Bittschrift des Peter Feichtinger in Lengau an d. Königl. Generalkommissariat d. Salzachkreises, N. 777b, vom 6. Febr. 1812, SLA Kreiskommissariat Neumarkt 31, B.2.6.II. 953 Ebd. 954 Vernehmungsprotolkoll der Eva Blümlin, 1803, SLA kurfürstl.k.k. Reg. 1803–1810 XII/15.

Zusammenschau der Heilerinnenanalyse

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»Da ich meine Gesetzwidrige und verbothene Handlungen allerding erkenne, folglich auch niemals einen ordentl. Rekurs dagegen zu ergreifen gesonnen bin; sondern nur in Wege der Gnade nach Paragraph 428 des Öesterreichisch. Strafgesetzbuches um Strafmilderung oder nur höchsten Großmuth und Mitleidens rüksichtlich meiner schuldlosen erbarmungswürdigen unversorgten und unmündigen Kindern um Nachlassung derselben unterthänigst zu bitten.«955

Als Gründe für ihre Bittschrift gab sie an: Erstens hätte durch die Anwendung ihrer Arzneimittel niemand Schaden erlitten, sondern es wurde vielen Menschen wahre Hilfe geleistet, da sie ausschließlich völlig unschädliche Hausmittel mit dem besten Erfolg austeilte. Zweitens waren die ursprünglichen Motive für die Ausübung der Heilkunde Lebensmittelmangel und ärmliche Verhältnisse, »wobei ich wahrlich nicht die geringste bloße Absicht hatte, vielmehr meinen Nebenmenschen Hilfe zu leisten glaubte.«956 Drittens träfe eine zweimonatige Strafzeit ihre unschuldigen Kinder, welche dabei ebenso wie die Mutter leiden müssten. Viertens bringe die Urteilsvollstreckung Arbeits- und Kundschaftsverlust für die als Baumwollhändlerin tätige Frau, d. h. in der Folge völlige Verarmung. Es träte der Fall ein, »daß sich durch die Strafzeit von 2 Monate mein Erwerb mit dem Baumwollhandel als meine und meine Kinder einziger Nahrungszweig nicht nur allein, gänzlich auflöset, sondern auch für die Zukunft in unmittelbaren Verfall gerathen mußte.«957

3.4

Zusammenschau der Heilerinnenanalyse

Folgende Ergebnisse der Analyse Salzburger Heilerinnen um 1800 können zusammengefasst werden: Es gab eine unübersehbar große Zahl an weiblichen Heiltätigen, welche im Volk oft durch spezielle Namen bekannt waren. Die Frauen befanden sich allesamt in einem höheren Alter, das heißt, es variierte in der Regel zwischen 40 und 50 Jahren. Dabei ist ein hoher Witwenanteil zu beobachten, wobei allerdings auch die Zahl der Verheirateten durchwegs beachtlich ist. Fast alle Frauen hatten drei oder mehrere Kinder zu versorgen. Weibliche Positionen im Arzneimittelgeschäft wie Ölfabrikantinnen, Ölträgerinnen, Wurzelgraberinnen, Materialwarenhändlerinnen wurden weitgehend hauptberuflich ausgeübt, während die Heilerinnentätigkeit vorwiegen nebenberuflich – in der Mehrzahl von Hebammen, Bäuerinnen, Wasenmeisterinnen und Handwerksfrauen – praktiziert wurde. Beiden gemeinsam war, dass sie aus 955 Bittschrift der Magdalena Pichler an Königl General=Commissariat, 6. März 1816, SLA Kreiskommissariat. B.2.6. Salzburg Stadt. 956 Ebd. 957 Ebd.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

Mangel am materiellen Mitteln bzw. zur täglichen Existenzsicherung eine Tätigkeit im Heilsystem ausübten, sei es in Form von medizinischer Handlungsweise oder in der Art eines Arzneimittelhandels. Im überwiegenden Teil der untersuchten Fälle begründeten schlechte wirtschaftliche Bedingungen die Entscheidung, im »Heilgeschäft« aktiv zu werden. Diese Entwicklung korrespondierte auch mit der Tatsache, dass Heiltätigkeit bzw. Rollen im Arzneimittelhandel oft erst im höheren Alter bzw. nach Ableben des Ehemannes begonnen wurden,958 also zu einem Zeitpunkt, an welchem der Höhepunkt der Armut eintrat. Dies könnte eine Erklärung ganz banaler Art für das häufige Vorkommen der Witwen im Heilsystem sein. Dennoch existieren auch durchwegs Beispiele, welche auf einer Heiltätigkeit »aus Liebe zur Medizin« bzw. auf bestimmten Eignungen, Kenntnissen oder Glaubenssätzen beruhten, welche unabhängig von der wirtschaftlichen Situation gesehen werden müssen. Der Großteil der im Heilsystem tätigen Frauen lebte in Armut und konnte zur Unterschicht gezählt werden, Einzelbeispiele belegen allerdings auch ein wohlhabendes Leben der Heilerinnen. Die Heiltätigkeit, vor allem die Selbstmedikation stand also im Regelfall in Verbindung mit traditionellen weiblichen Aufgabenbereichen der Nahrungsversorgung und Reproduktion. Daneben existierten allerdings Einzelfälle, wo diese Bereiche völlig getrennt voneinander ausgeübt wurden. Ebenso können im Arzneiwarengeschäft mobile, in Form von Wandertätigkeit und immobile, d. h. sesshaft ausgeübte Handlungsbereiche ausgewiesen werden. Volksmedizinisches Wissen wird einerseits im familiären Bereich tradiert. Üblicherweise erfolgte die Weitergabe seit Generationen und kam sowohl in weiblicher wie auch männlicher Linie vor. Andererseits existierte daneben jedoch ein reger Austausch von Heilwissen zwischen verschiedenen medizinkundigen Personen, in diesem Falle von Feldschern, Wasenmeistern, Henkern, sowie bestimmten aus dem Dorfe stammenden, im Einzelfall wohl auch auswärtigen Frauen. Das Heilwissen wurde fremden Personen gegenüber oft sehr streng geheimgehalten. Bezüglich angewandter Heilmethoden und der Arzneimittelbereitung der Frauen kann festgestellt werden, dass erstens die Arzneimittel entweder selbst hergestellt oder von Materialwarenhandlungen, sowie Arzneimittelhändler/innen und Ölträger/-innen bezogen wurden. Es handelte sich vorwiegend um Geister und Öle, d. h. Destillate und Siederprodukte aus verschiedenen pflanzlichen und mineralischen Wirkstoffen, aber auch um Salben und Balsame aus Heilpflanzen, denen eine vielfältige Wirkung zugesprochen wurde. Als Diagnosemethode wurde zumeist die Harnschau verwendet. Es wurden Krankheiten aller Art, innere und äußerer Natur auf vielfache Weise behandelt, 958 Ebd.

Zusammenschau der Heilerinnenanalyse

237

wobei in den Behandlungsarten hauptsächlich empirische Methoden überwogen. Ausschließlich magischen Behandlungsformen begegnen wir in den Quellen nur in Einzelfällen, was allerdings auch als Zeichen dahingehend angesehen werden kann, dass diese Methoden – von der Obrigkeit verboten – bewusst und gekonnt verschwiegen wurden. Dennoch kann festgestellt werden, dass Heilpraktikerinnen auch bei der Anwendung natürlicher Heilmittel bzw. handfester Praktiken magische Gebärden integrierten. Die Heiltätigkeit wurde vorwiegend im Hause ausgeübt, in Einzelfällen allerdings wurden auch Krankenbesuche vorgenommen. Das Klientel der Heilerinnen waren zumeist Menschen aus unteren Schichten, wobei allerdings angenommen werden kann, dass es sich auch teilweise um begüterte Patient/-innen handelte. Sozusagen das wichtigste Element in der Heilerin Patient/-in Beziehung stellte die Vertrauensbasis dar. In fast allen Fällen wurde der Heilerin eine Vertrauensstellung zugebilligt. Nur Einzelfälle belegten die Tatsache, dass Heiltätige im Dorfe in Misskredit fallen konnten und von der Bevölkerung nicht mehr aufgesucht wurden. Die Untersuchung des Erfolges der Krankenbehandlung hatte allgemein ergeben, dass es im Großteil der Fälle weder von Seiten der Dorfgemeinschaft, noch von Seiten der Obrigkeit Klagen über eine Fehlbehandlung gab – Todesfälle durch eine falsche Heilkur bzw. ungeeignete Arzneimittel schienen in den Quellen nicht auf. Im Zuge der Medizinalreform wurden diese Heilerinnen namhaft gemacht und vor Gericht gestellt. Eine Erhebung der Anklage ging in fast allen Fällen vom örtlich zuständigen Chirurgen bzw. Wundarzt aus. Dies kann einerseits in den obrigkeitlichen gesetzlichen Vorschriften begründet sein – die Dienstordnung wies ausdrücklich auf die Anzeige von pfuschenden Personen hin, andererseits muss jedoch in der Bekanntmachung illegaler Heiltätiger vielleicht auch das Motiv des Konkurrenzneides und die Hoffnung auf zunehmenden Patientenzustrom gesehen werden. Üblich war es ferner, Informationen über Heiler/-innen anhand von Protomedikatsberichten zu ermitteln. Einzelfälle stellten eine Anklage der Heilerin durch eine geistliche Person oder einen Landgerichtsarzt, welcher die erforderlichen Daten aus der zu führenden Totenliste, in der ein/e letztbehandelnde/r Heiltätige/r des Verstorbenen angeführt wurde, dar. Der Ablauf einer Untersuchung verlief immer nach demselben Schema. Nach bestehender Anzeige an das Pfleg- oder Landgericht wurde von diesem eine Hausuntersuchung sowie die gerichtliche Vernehmung vorgenommen, sodann die Ergebnisse an die hohe Regierung weitergesandt, worauf der Urteilsbeschluss folgte.

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»Traditionelle Heilkultur« versus »organisiertes Medizinsystem«

Die Analyse der Strafpraxis zeigt, dass insgesamt eher zurückhaltend verurteilt wurde.959 Geld- oder Gefängnisstrafen wurden in der Regel mehrfach angedroht, ehe sie tatsächlich ausgesprochen wurden. Sehr oft wurden die Strafen zurückgenommen oder gemildert. Kurze Zuchthausstrafen hielten die Heilerinnen nicht unbedingt davon ab, weiter illegal zu praktizieren. Dennoch dürfen die Auswirkungen der Heilkundebeschränkungen auf die konkrete wirtschaftliche und soziale Situation der Heilerinnen angesichts der allgemein ärmlichen Verhältnisse des Landvolkes nicht übersehen werden. Wurde der Erwerbszweig zwar noch weiter fortgesetzt, so erschwerten doch die scharfen Kontrollen und Strafen der Obrigkeit entscheidend das tägliche Leben der »Doktorinnen«.

959 Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 102.

4

Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

Mit dem Ende des 18. Jahrhundert und dem Beginn des 19. Jahrhunderts kann, wie bereits erwähnt, die einschneidende Phase der Änderungen des alten Medikalsystems angesetzt und periodisiert werden. Bereits mit dem Aufstieg der Medizin zur akademischen Disziplin, der Gründung der Universitäten im 13. Jahrhundert, begann ein jahrhundertelanger Standeskampf zwischen »legitimen« und »illegitimen« Heiltätigen. Staatliche und kirchliche Obrigkeiten setzen bereits einleitende Maßnahmen zum Ausschluss der Frauen aus der »gelehrten Medizin«, zur Einschränkung der Klostermedizin sowie zur Verdrängung der praktizierenden Ärztinnen und Hebammen in den Städten mit Hilfe von Kontrollmaßnahmen und Approbationsordnungen.960 Als wesentlichste Entwicklung zur Auflösung weiblicher Heiltätigkeit ist jedoch die Hexenverfolgung961 (14. bis 18. Jahrhundert), welche sich in bedrohlichem Maße gegen Frauen wandte, zu betrachten. Hierzu sei einzig auf einen der größten Hexenprozesse Europas im 17. Jahrhundert, den Zauberer-Jackl-Prozess, »der größte und blutigste auf dem Boden des heutigen Österreichs überhaupt«962, im Erzstift Salzburg, dem auch viele Frauen zum Opfer gefallen sind, hingeweisen. Dazu ist auch auf die letzten Zaubereiprozesse im Salzburger Raum aufmerksam zu machen, welche von 1751 bis 1760 von Mühldorf ausgehend in Landshut und Neumarkt durchgeführt wurden: der Prozess gegen das »sech960 Bischoff, Claudia (1984). Frauen in der Krankenpflege: Zur Entwicklung von Frauenrolle und Frauenberufstätigkeit im 19. u. 20. Jh. Frankfurt a. M., New York, 27–34. 961 Behringer, Wolfgang (1987). ›Erhob sich das ganze Land zu ihrer Ausrottung…‹ Hexenprozesse und Hexenverfolgungen in Europa. In: Hexenwelten. Magie und Imagination vom 16.–20.Jh. Hrsg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt a. M., 131–170. Pintschovius. Joska (1991). Zur Hölle mit den Hexen. Abschied von den weisen Frauen. Berlin; Klaniczay, Gabor (1990). Heilige, Hexen, Vampire. Vom Nutzen des Übernatürlichen. Berlin; Dienst, Heide (1986). Magische Vorstellungen und Hexenverfolgungen in den österreichischen Ländern (15. bis 18. Jh.). In: Wellen der Verfolgung in der österreichischen Geschichte. Hrsg. v. Erich Zöllner. Wien, 70–94. 962 Nagl, Heinz (1973). Der Zauberer-Jackl-Prozess, Hexenprozesse im Erzstift Salzburg 1675– 1690. Teil 1. In MGSL 112 u. 113 (1972) u. (1973), 393.

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Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

zehnjährige Kindsmädel Maria Pauerin«963 wegen unerklärlicher Spukerscheinungen zuerst in Mühldorf, dann in Salzburg angeklagt, sowie Verurteilungen darin verwickelter Personen, wie Maria Anna Zötlin, Elisabeth Goglerin und eines zehnjährigen Mädchens.964 Auf die folgenschweren Gegebenheiten dieser Ereignisse muss allerdings in diesem Rahmen verzichtet werden. »Mit Urteil vom 10. September 1750 hat der Salzburger Hofrat die Pauerin schuldig erkannt und zur Strafe des Schwertes mit nachgehender Verbrennung der Leiche verurteilt. Da der Erzbischof Andreas Jakob Graf v. Dietrichstein die Begnadigung ablehnte, ist dieses Urteil am 6. Oktober 1750 auf der öffentlichen Richtstätte vollzogen worden, als das letzte bekannte Salzburger Urteil gegen eine Hexe.«965

Es war ein langer Weg, der letztendlich zur Dominanz der akademischen und wissenschaftlichen Medizin mit seinen ärztlichen Vertretern führte. Diese Pfad wurde allerdings von Seiten der medizinischen Vertreter/-innen des traditionellen Heilsystems bzw. von der Landbevölkerung in der Tat nicht nur widerstandslos betreten. Zwei parallel verlaufende Entwicklungsstränge sind als Konsequenz der Festsetzung des organisierten Gesundheitssystems zu beobachten, welche im Großen und Ganzen die Situation der Frau in der Heilkunde im 19. Jahrhundert und darüber hinaus bestimmten. Es handelte sich dabei um zwei komplexe, in sich verwobene und differierende Prozesse. Zum einen beginnt in dieser Phase ein Disziplinierungs- und Normzuschreibungsprozess für die Frauen in der Heilkunde. Der Ausgrenzungsprozess der traditionellen Heilkunde kann in den sogenannten allgemeinen Prozess der Sozialdisziplinierung eingeordnet werden. Charakteristisch dafür ist die langsame Veränderung menschlichen Verhaltens, des Lebens- und Wirtschaftsstils durch »sozio- oder psychogenetische Vorgänge wie Selbstdisziplin und Affektkontrolle«, sowie die Auswirkung obrigkeitlicher Maßnahmen. Von dieser konträren Entwicklung waren männliche und weibliche Heiltätige gleichermaßen betroffen. Für traditionelle, männliche Heilkundigen bestand allerdings in der Folge die Chance, sich eine aktive Rolle im professionellen Medizinsystem zu sichern. Zum anderen kann festgestellt werden, dass der festgesetzten Medizinalpolitik und Gesundheitspropaganda von Seiten der Heiler/-innen sowie des Landvolkes erheblicher Widerstand entgegengesetzt wurde. Wie im Bezug allgemeiner Sitten und Normen verteidigte das Dorf auch im Bereich der Heilkunde das alte tra963 Byloff, Fritz (1934). Hexenglaube.und Hexenverfolgung in den österreichischen Alpenländern. Quellen zur deutschen Volkskunde. Berlin. Leipzig, 155. 964 Byloff, Fritz (1938). Die letzten Zaubereiprozesse in Mühldorf und Landshut. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte. Hrsg. v. Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Sonderdruck. München, 489. 965 Ebd., 443.

Wendepunkt für traditionelle weibliche Heilbereiche

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ditionelle Regelsystem gegen das »moderne« Normenmaß. Dies konnte dabei um so leichter gelingen, da die obrigkeitliche Strategie in vielen Situationen »halbherzig« war bzw. sich eine strenge Kontrolle und Beschränkung des Heilsystems »von oben« aus organisatorischen Gründen kaum durchsetzen ließ. So konnten also für viele Heilerinnen auch in diesem Übergangsphänomen des traditionellen zum modernen Heilsystem dennoch zahlreiche Freiräume für die Ausübung von medizinischer Tätigkeit bzw. Beschäftigung im Arzneimittelgeschäft festgestellt werden. Diese Heilaktivitäten wurden zwar rechtswidrig durchgeführt, waren aber, zumindest in ländlichen Gebieten, von der Obrigkeit angesichts der allgemein problematischen ärztlichen Versorgungslage mehr oder weniger geduldet.

4.1

Wendepunkt für traditionelle weibliche Heilbereiche – Rückzug der »öffentlichen« Heiltätigkeit der Frauen

In Bezug auf die einzelnen Heilbereiche der Frauen bedeutete die Beschränkung und Einflussnahme auf das traditionelle Heilsystem wesentliche Änderungen sowie den vehementen Eingriff in den von Frauen ausgeführten Bereich aktiv ausgeübter Heilkunde und des Arzneimittelgeschäftes. Der Beruf der freien, sesshaften oder fahrenden Heilerin verschwand durch die generellen Verbote der Medizinalverfassung fast zur Gänze. Die Pharmazie und der Handel mit Materialwaren wurde aufs schärfste eingeschränkt, dies zog somit die Auflösung sämtlicher Positionen, wie etwa Wurzelgraberin, Materialwarenhändlerin und Ölterägerin nach sich. Auch der Anwendung medizinischen Fachwissens bzw. spezieller Kenntnisse der Pharmazie durch Klöster, welche eine wichtige Stätte für die Ausübung traditioneller Heilkunde waren, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Riegel vorgeschoben. So wurde im Rahmen der allgemeinen Medizinalreform in der kurfürstlichen Zeit auch die Nonnberger Apotheke einer strengen behördlichen Visitation unterzogen. Jegliche »Laienheiltätigkeit« und Verdacht auf Arzneimittelabgabe sollten kontrolliert, verboten und bestraft werden. So wurde im Stift nicht nur eine Menge von Medikamenten vertilgt und verschiedene Gerätschaften und Utensilien wegbefördert, sondern vor allem auch das Verbot für das bereits ausführlich beschriebenen »Einnehmen« und »Aderlassen« ausgesprochen. Insbesondere wurde untersagt, dass die Apothekerin Frau Ignatia Pruwalter, welche in Brixen bei ihrem Vater vier Jahre die Pharmazie erlernt hatte, die Blutentziehung vornahm. Neben den allgemeinen Heilbereichen der Frauen war als wesentlicher Sektor die spezielle, weibliche Heiltätigkeit betroffen. Die Dominanzposition der Frauen im privaten Wohn- und Lebensbereich – die Selbstmedikation – wurde reduziert, indem nach und nach die Propagandamaßnahmen der Medizinalaufklärer im

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Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

Volk wirksam wurden und dadurch die Werte- und Normmaßstäbe Veränderung erfuhren. Darüber hinaus erfuhren Frauen mit gynäkologischen Kenntnissen bzw. eigenem Wissen über Abtreibung bzw. Schwangerschaftsverhütung Einschränkungen ihres Tätigkeitsfeldes. Für die Geburtshilfe galt es ab dieser Zeit unter der Autorität des Arztes zu arbeiten. Es wurde einerseits ein Monopolanspruch der Ärzte über die Geburtshilfe und Frauenheilkunde erhoben und andererseits der Bereich der Säuglings- und Kinderbehandlung neuen Maßregeln unterstellt. Vor allem lag die Ironie dieser Entwicklung darin, dass weibliche Ärzte aufgrund ihrer »Unqualifiziertheit« nicht im akademischen Medizinalsystem Heilhandlungen ausüben dürften, sich aber scheinbar vorzüglich als Krankenpflegerinnen eigneten. Als Legitimation dafür galt unter anderem die »neu« entdeckte Vorstellung eines »Geschlechtscharakters«, d. h einer normierten Zuweisung von geschlechtsspezifischen Eigenschaften, welche die Frau als besonderes Wesen der Natur – geeignet ausschließlich für passive Rollen – bezeichnete.966 Die Aufklärungsmedizin hatte einen wesentlichen Einfluss auf die geschlechtsspezifischen Rollendefinitionen, welche sich im Laufe des 19. Jahrhunderts im deutschen Raum mehr oder weniger vollständig durchsetzten und sich unter gewissen Modifikationen bis in die Gegenwart erhalten haben.967 Der Medikalisierungsprozess wurde vor allem durch politische Maßnahmen, wie den Ausbau der städtischen Armenkrankenpflege zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Zunahme der städtischen Hospitäler sowie die allgemeine Einführung der Pockenschutzimpfung aktiv vorangetrieben. Betrafen diese Aktivitäten vorerst zwar nur eine kleine marginalisierte Gruppe der Bevölkerung, so kann als wesentliches Moment zur Erreichung »medizinischer« Grundeinstellungen der gesamten Bevölkerung die Entstehung der Krankenkasse bezeichnet werden.968 Verbunden mit der »okzidentalen Medikalisierung« waren sehr unterschiedliche Strukturebenen: die Verdrängung der Volksheilkunde, normierende Verkündung einer staatlichen Gesundheitspolitik und deren institutionelle Verankerung, Herausbildung eines medizinischen Spezialwissens und Professionalisie-

966 Hausen, Karin (1976). Die Polarisierung der Geschlechtscharakter. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Hrsg. v. Werner Conze. Stuttgart, 363. 967 Honegger, Claudia (1989). Frauen und medizinische Deutungsmacht im 19. Jahrhundert. In: Medizinische Deutunsmacht im sozialen Wandel des 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Alfons Labisch/Reinhard Spres. Bonn, 181–193, 181. 968 Huerkamp, Claudia (1989). Ärzte und Patienten. Zum strukturellen Wandel der Arzt-Patient-Beziehungen vom ausgehenden 18. bis zum frühen 20. Jh. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, 57–73, hier 63.

Wendepunkt für traditionelle weibliche Heilbereiche

243

rung der Ärzteschaft sowie die faktische Hygienisierung des öffentlichen und privaten Sektors.969

4.1.1 Beschränkung und Einflussnahme in den familiären Heilbereich der Frau – die »Herrschaft« über den Körper »Besonders glauben die Mütter viele Routine in der Beurtheilung der Krankheiten ihrer Kinder und in der Behandlung derselben zu haben.«970

Im Rahmen der medizinschen Volksaufklärung wurde den Frauen mittels allgemeinen Diätiken, ärztlichen Bemühungen um die psychische Erziehung der Kinder sowie ersten Ansätzen zu einer »Moralisierung« der Mutterschaft971 eine veränderte Einstellung zu Gesundheit und Krankheit nahegebracht. Die allgemeine Gesundheitsbelehrung betraf neben den Handlungsanweisungen im Krankheitsfalle vortrefflich Verhaltensmaßregeln auf verschiedenen Gebieten des Privatlebens, welche in Form von populärmedizinischen Ratgebern972 vermittelt wurden. Damit verbunden war nicht nur eine Einschränkung der Kontrolle über den eigenen Körper, sondern ebenfalls in zunehmenden Maße eine sexuelle Unterdrückung und Diffamierung. Die Reduzierung des Aufgabenbereiches der Frau für die Gesundheit in der Familie durch den vermehrten Eingriff des akademischen Arztes zeigte Auswirkungen im Bereich der Selbstmedikation. Denn suchten die Menschen im traditionellen Heilsystem als erste Heilerinstanz Rat in der Familie, d. h. bei weiblichen Angehörigen, wie Mutter, Großmutter, Tante oder Nachbarin, so wurde im modernen Gesundheitssystem der Arzt als oberste Autorität im Krankheitsfalle aufgesucht. »Die Sanktionierungen in Kalendern bzw. Volksbüchern verhinderten bzw. hemmten das traditionelle System der Selbsthilfe. Der größte Part der diätischen Belehrungen betraf Schwangere

969 Honegger, Claudia (1983). Überlegungen zur Medikalisierung des weiblichen Körpers. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, 203–213; Labisch, Alfons (1992). Homo Hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit. Frankfurt a. M./New York; Barthel, Christian (1989). Medizinische Polizey und medizinische Aufklärung. Aspekte des öffentlichen Gesundheitsdiskurses im 18. Jahrhundert. Frankfurt a. M./New York; Brügelmann, Jan. (1983). Medikalisierung von Säuglings- und Erwachsenenalter in Deutschland zu Beginn des 19. Jh. Aufgrund von med. Topographien. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, 177–192. 970 Zit. nach: Pagel, Marianne (1992). Gesundheit und Hygiene: Zur Sozialgeschichte Lüneburgs im 19. Jh. Hannover 1992, 276. 971 Honegger, Claudia (1989). Frauen und medizinische Deutungsmacht im 19. Jahrhundert, 181. 972 Fritz, Kathrin (1993). Gesundheit als Lebens-Aufgabe. Sozialisation und Disziplinierung der bürgerlichen Frau durch populärmedizinische Ratgeber des 19. Jahrhundert. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 89 (1993) 1, 51–68.

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Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

und Gebärende, doch rückte auch als neues Element das Interesse am Kind in den Mittelpunkt.«973 Die Konsequenz war eine Flut von pädagogischen Schriften, welche Frauen vorschrieben, wie die Erziehung des Sprößlings vorgenommen werden sollte, um »aus Kindern gesunde und brauchbare Menschen zu bilden«.974 Für das Wohl der Kinder angemessen zu sorgen und sie tugendhaft zu erziehen, war die größte und verdienstvollste Aufgabe der Mütter. »Aber entsetzlich, und unaussprechlich groß ist auch die Schuld der Mütter, wenn sie die Erziehung ihrer Kinder verwahrlosen. Sie sind die vornehmste Ursache davon, daß es so viele böse Menschen in der Welt giebt und daß durch dieselben so viel Gutes gehindert und unterlassen, und so viel Böses gethan wird; wenn sie nicht nur es aus Trägheit oder Eitelkeit versäumen, für die Erziehung ihrer Kinder gehörig zu sorgen; sondern auch wohl gar ihnen in vielen Stücken ein sehr böses Beyspiel geben.«975

Bei der Aufstellung der diätischen Belehrungen der Bevölkerung wurde das Augenmerk insbesondere auf die Erziehung der »gebildeten Schichten« des Volkes gelegt. Doch begnügten sich die Mehrzahl der Autoren damit, ein Programm des guten und gesunden Lebens aufzustellen, ohne auf die Bedürfnisse und Möglichkeiten, welche den Adressaten entsprachen, Rücksicht zu nehmen.976 Wurden Frauen vom Lande bzw. aus den unteren Schichten nur sehr langsam von Medikalisierungsmaßnahmen erfasst und bewahrten auf diese Weise noch lange Zeit eine gewisse Robustheit und Eigenverantwortung, so überließen sich bürgerliche Frauen immer häufiger dem Ratschlag des männlichen Arztes und Beraters. Claudia Honegger äußert sich dazu folgendermaßen: »Sie scheinen die medizinische Vorgabe von der ›Krankheit Frau‹ (FischerHomberger) internalisiert, ja perfektioniert und in der Art einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung reagiert zu haben. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden weibliche Körper anfälliger, fragiler und frigider.«977 Am Ende des 19. Jahrhunderts fehlten bereits die zuvor massenhaft auftretenden Klagen der Ärzte über den Widerstand und mangelnden Respekt der Frauen bezüglich Krankenwissen und Gesundheitsbelehrung.

973 Morel, Marie-France (1989). Die Konzeption des Kindes in der Medizin des 18. Jahrhundert. In: Medizinische Deutungsmacht im sozialen Wandel, 195–206. 974 Hufeland, Christoph Wilhelm (1798). Bemerkungen über die natürlichen und inoculirten Blattern, verschiedene Kinderkrankheiten und sowohl medizinische als diätetische Behandlung der Kinder. 3. Aufl., Berlin, 375. 975 Verdienst und Schuld der Mütter. In: IS 29. July 1797, 486. 976 Frevert, Ute (1984). Krankheit als politisches Problem, 59. 977 Honegger, Claudia. (1989). Überlegungen zur Medikalisierung des weibl. Körpers, 210; Fischer-Homberger, Esther (1983). Krankheit Frau. In: Leib und Leben in der Geschichte der Neuzeit. Hrsg. v. Arthur E. Imhof, Berlin, 215–229.

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4.1.2 Geburtshilfe – Eine Männersache »Es war einmal eine Zeit, da hat es sich bei Frauen unter dem Herzen geregt. Und wenn das geschah, dann wußte die Frau, daß sie wirklich mit einem Kind schwanger ging.«978 »Schwangerschaft ist heute der Name für einen beobachtbaren evolutionären Entwicklungsprozeß, der von Professionellen überwacht und angeleitet wird.«979

Ebenso wie der Bereich der Gesundheitsversorgung in der Familie wurde der Frau das Gebiet der Geburtshilfe, welches bereits Darstellung fand, abgegolten.980 Die Tätigkeit der Hebammen wurde reduziert und von den akademischen Ärzten, welche unbedingte Entscheidungsgewalt verlangten, genau kontrolliert. Die Ärzte versuchten den Erfahrungsvorsprung der Hebammen, der zweifellos gegenüber den unroutinierten Medizinern bestand, da diese bis ins 19. Jahrhundert diese »unsauberen, niederen Handlungen lieber den Wundärzten und Chirurgen überließen«981 und somit über keinerlei praktische Kenntnisse verfügten, aufzuholen. Um auf dem neuen Gebiet Erfahrungen zu sammeln, übertraten sie ungehindert gängige Moralvorstellungen, insbesondere das weibliche Schamgefühl. Über die Kompetenz der männlichen Geburtshelfer ließ sich allerdings streiten, denn »(…) scheint es in höchstem Maße fraglich, ob die männlichen Geburtshelfer besser über die inneren Organe der Frau Bescheid wußten. Solange ein anatomischer Unterricht so gut wie unbekannt war und eine Geburt, sofern sie von einem Accoucheur geleitet wurde, BLIND durchgeführt werden mußte, ist es kaum anzunehmen, daß die Geburtshelfer wirklich kompetenter waren als die Hebammen.«982

Ferner darf nicht übersehen werden, dass mit der Professionalisierung der Geburtshilfe – im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Gynäkologie als selbständiges wissenschaftliches Fach – viele traditionelle Bräuche und Rituale der Frauen untereinander, welche den Gebärenden Schutz und Hilfe in der allgemein bedrohenden Situation der Geburt und des Wochenbetts983 boten, an Bedeutung 978 Duden, Barbara (1992). Die Geheimnisse der Schwangeren und das Öffentlichkeitsinteresse der Medizin. Zur sozialen Bedeutung der Kindsregung. In: Frauengeschichte. Geschlechtergeschichte. Hrsg. v. Karin Hausen/ Heide Wunder. Frankfurt a. M./New York 117–128, hier 117. 979 Ebd., 127. 980 Dieses Kap. ist in verkürzter Fassung abgedruckt. In: Sieberer, Gabriele (1992). Verlust der traditionellen Heiltätigkeit oder: Auftakt der organisierten Gesundheitspolitik und gelehrten Medizin – Abgang der heilkundigen Frau. Dipl. Arb. Salzburg, 90–95. 981 Boetcher, Ruth-Ellen/Kuhn Annette u. a.(1986). Frauen in der Geschichte. Band 2, 2. Aufl., Düsseldorf, 191. 982 Ebd., 196. 983 Töngi, Claudia (1993). Im Zeichen der Geburt. Der Ort des weiblichen Körpers in Gefährdungsvorstellungen am Beispiel eines Urner Bergdorfes. In: Historische Anthropologie. 1. Jg. (1993) H. 2, 250–272.

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verloren. Magische Gegenstände wie Amulette und Talismane984 wurden verboten, beliebt waren dabei z. B. Fraisketten – dies war zumeist ein Seidenband oder eine rote Schnur, worauf oft eine ungerade Anzahl von Anhängseln aufgefädelt waren, welche vor der gefürchteten Krankheit der Fraisen beschützen sollten985 – und Breverl – dies hatte den Charakter eines Schutzbriefes, enthielt bis zu 30 Einzelamulette und war stets von einer Hülle aus Papier, Stoff oder Metall umgeben.986 Doch der magische Gegenstand bzw. magische Gebärden und Rituale schafften Sicherheit und beruhigten.987 So standen z. B. Gebildbrote bei Geburt, Wochenbett- und Tauffeiern seit jeher in dem Glauben, dass diese Opferspeise den Fruchtbarkeitssegen erhöhte.988 Wie bereits ausführlich beschrieben, war es in Salzburg Johann Jakob Hartenkeil, der sich intensiv für eine Hebammenreform einsetzte. Er folgte damit einem Trend, der im gesamteuropäischen Bereich längst eingesetzt hatte. Die Forderung lag auf einer grundlegenden Ausbildung der Geburtshelferinnen in der Anatomie, der pathologischen Anatomie sowie in der Hygiene. Hartenkeil beabsichtigte in Salzburg – ähnlich der Wiener Gebär- und Findelanstalt – die Errichtung einer Hebammenlehranstalt mit angeschlossener Gebärklinik, wo die auszubildenden Hebammen auch praktizieren konnten.989 Diese Pläne wurden zwar aus finanziellen Gründen in dieser Form nicht verwirklicht, es kam jedoch zur Festsetzung einer »günstigen« Variante eines Hebammenlehrkurses in Salzburg. 1787 wurden zwei Hebammen nach Wien geschickt, welche sich nach einer halbjährigen Ausbildungszeit als Lehrhebammen in Salzburg zur Verfügung stellen sollten.990 Die Mindestdauer des Lehrkurses betrug vier Monate und wurde mit einer Prüfung sowie einer Eidleistung, welche vor dem »Collegium medicum« stattfand, abgeschlossen. Der Tätigkeitsbereich bzw. die Pflichten der Geburtshelferinnen wurden in der Hebammenordnung von 1805 aufs genaueste geregelt.991 So musste die Hebamme zum Beispiel einen monatlichen Bericht über ihr Handlungsfeld abfassen und wurde bei einer jährlichen Versammlung in der Stadt über ihren 984 Loux, Françoise (1991). Das Kind und sein Körper in der Volksmedizin. Frankfurt a. M. 985 Hutter, Ernestine (1985). Abwehrzauber und Gottvertrauen – Kleinodien Salzburger Volksfrömmigkeit. In: Katalog zur Weihnachtsausstellung 1985/86. Salzburg 1985, 198–358, 241. 986 Ebd., 241. 987 Gelis, Jacques (1909). Das Geheimnis der Geburt. Rituale, Volksglauben, Überlieferung. Freiburg/Basel/Wien. 988 Höfler, Max (1909). Gebildbrote bei der Geburts-, Wochenbett- und Tauffeier (Geburts- und Namenstag). In: ZfÖV (1909), 106. 989 Weissenbach, Aloys (1808). Biographische Skizze von J. J. Hartenkeil. Salzburg, 25. 990 Barth, Gunda (1991). Kurzer Abriß der Entwicklung des Hebammenwesens in Salzburg bis zum Ende des Erzstiftes, 163. 991 Hebammenordnung von 1805, SLA Geheime Hofkanzlei LV/ 15c.

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Kenntnisstand geprüft. Bei größeren Wissenslücken bzw. sonstigem Fehlverhalten wurde sie an der weiteren Ausübung ihres Amtes gehindert. Da es jedoch weiterhin an Frauen, welche sich für eine Hebammenausbildung eigneten, aufgrund der meist für die einfache Landbevölkerung unerfüllbare Anforderungen, wie zum Beispiel die Fähigkeit des Lesens und Schreibens kundig zu sein oder der röm.-kath. Konfession anzugehören, mangelte, gab es in der Praxis viele »geburtshilfliche Pfuscherinnen«.992 So zum Beispiel Maria Schallerin, welche 1804 auf Verlangen der Gemeinde nach Salzburg zur Prüfung aus der Hebammenkunst geschickt wurde. Da sie weder schreiben noch lesen konnte, wurde sie von den Zuständigen sofort als untauglich erklärt.993 Im Pfleggericht St. Michael – so ging aus einem Bericht vom 28. August 1808 von Dr. Josef Barisani hervor – hatten von insgesamt 361 Geburten die geprüften Hebammen nur 53 zu verrichten, für die übrigen 308 waren die »Pfuscherinnen« zuständig.994 Der Tätigkeitsbereich der unterrichteten, berechtigten, und öffentlich aufgestellten Hebammen wurde von den »pfuschenden Weibern«, wie sie verächtlich von der Obrigkeit genannt wurden, nicht widerstandslos geduldet.995 Auf dem Land wurden ausgebildete ortsfremde Hebammen häufig von der Bevölkerung attackiert und abgelehnt. Obwohl vor allem Priester und Ärzte, aber auch andere Beamte sich bis ins Kleinste um Aufklärung bemühten, wurden neue Hebammen oft verspottet und verachtet.996 Dies bestätigt folgender angezeigter Fall in Wagrain, in dem ein »altes, dummes, unedles und abergläubisches Weib« Unheil stiftete und die Arbeit einer ausgebildeten Hebamme verhinderte.997 Interessant ist hier die gemeinsame Zusammenarbeit der Frauen gegen die neue Ordnung. »Diese alte Hebamme würde für sich lange nicht das Gewerbe bekommen haben, welche es jetzt hat, und worauf sie so stolz tut, wenn sich nicht andere Weiber verbunden hätten, sie empor zu bringen, sie anderen anzuschwätzen, und aufzudringen und die neue herabzusetzen und zu verdrängen. Besonders zeigen sich hierin die alte und junge Schullehrerin sehr geschäftig. Manches schwangere Weib haben sie abgehalten, die gelernte Hebamme zu nehmen oder haben darüber gespottet, wenn es eine wagt ihren Einlispelungen Folge zu leisten.«998

992 993 994 995 996

Mitteilungen der Protomedikate, SLA kurfürstl. k.k.-Reg. XI/R 5/110. Ebd., 137. Ebd., 621. Mitteilungen der Protomedikate, SLA kurfürstl. k.k.-Reg. XI/R 5/110. Simon, Christian (1981). Untertanenverhalten und obrigkeitliche Moralpolitik; Saurer, Edith (1990). Frauen und Priester. Beichtgespräche im frühen 19. Jahrhundert. In: Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Hrsg. v. Richard van Dülmen. Frankfurt a. M., 141–170. 997 Schreiben vom 30. März 1802 von Raul-Schmidt in Wagrain, SLA Geheime Hofkanzlei LV/ 15c. 998 Ebd.

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Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

»Die alte Hebamm maßt sich nun Dingen an, die sie unmöglich versteht. Sie treibt das Uebel manchmal auf das äußerste und weiset dann die Leute wieder an Pfuscher, hält sie von ordentlichen Aerzten ab, weil sie von solchen mit Grund Ahndung und Verweise befürchtet.«999

Das Hauptargument der Medizinalbeamten bezüglich ungeprüfter Hebammen richtete sich hauptsächlich gegen die magisch-religiösen Praktiken und Anschauungsweisen, sowie den Umstand, keine Kontrolle über die Geburten im Bezirk zu haben, da keinerlei Informationen darüber zum Physikus gelangten. Die Aufstellung mehrerer approbierter Hebammen beeinflusste positiv diese ungeordneten spirituellen Handlungen vor-, bei- und nach der Geburt. So forcierte man die Verteilung von Aufklärungsschriften, welche speziell darauf ausgerichtet waren, der geburtshilflichen Pfuscherei entgegenzuwirken. Für sich spricht der Titel einer Salzburger Schrift: »Freundschaftlicher Zuruf eines Arztes an das salzburgische Landvolk über den allein nüzlichen Gebrauch der neu aufgestellten und geprüften Landhebammen, und den schädlichen Einfluß der ungelernten Geburtshelferinnen auf die notwendige Bevölkerung und die häusliche Verfassung des Landvolkes.«1000 Der Hebamme wurde also laut gesetzlichen Bestimmungen jeglicher selbständiger Verantwortungsbereich entzogen, ihre Aufgabenbereiche wurden beschnitten, und sie musste sich völlig dem zuständigen Arzt oder Chirurgen unterwerfen. »Wird eine Hebamme zu einer kranken Schwangern gerufen, so soll sie sich in die Behandlung der Krankheit nicht einmischen, sondern auf die Herbeyrufung eines Arztes oder Wundarztes bringen, die das Nöthige verordnen werden. Auch soll die Hebamme mitsorgen, daß bey einer gefährlich kranken Schwangern der Geburtshelfer oder Wundarzt zugegen sey.«1001

Jegliche Heiltätigkeit, welche traditionsgemäß ausgeübt wurde, war wie in Paragraph 30 ausdrücklich vermerkt – strengstens verboten. »Keine Hebamme soll sich unterstehen, außer den in dem Unterrichte für die Hebammen des Kurfürstenthums Salzburg bestimmten Fällen äußerliche oder innerliche Arzneymittel weder in Weiber= noch Kinderkrankheiten anzurathen oder herzugeben, sondern jedes Mahl die Kranken an den Arzt oder Wundarzt anweisen; eben so ist es ihr verbothen, irgend eine Aderlaß anzurathen.«1002

Wie mehrere Fälle von Verurteilungen quacksalbernder Hebammen beweisen, wurde dieser Grundsatz nicht immer eingehalten. 999 Ebd. 1000 Freundschaftlicher Zuruf eines Arztes an das salzburgische Landvolk. Salzburg Franz Xaver Duph, 1793. 1001 Hebammenordnung von 1805, SLA Geheime Hofkanzlei LV/15c. 1002 Hebammenordnung von 1805, ebd.

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4.1.3 Verlust von Wissen: Abtreibungsmittel und Schwangerschaftsverhütung Die Frage der Abtreibung kann als zentrales Problem von Frauenleben angesehen werden, wo heilkundliche Kompetenz gefordert ist. Der Umgang mit Abtreibung im »aufgeklärten Medizinalsystem« ließ folgende Tendenz erkennen: Es wurde nicht mehr nur die begangene oder versuchte Abtreibung bestraft, sondern schon ein Schritt früher angesetzt, in der Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Personengruppen, welche bei einem solchen Versuch behilflich hätten sein können.1003 Weiters fällt auf, dass der Begriff »Kindsmord« eine entscheidende Erweiterung durch die Schwangerschaftsverhütung erfuhr und auf diese Weise das weibliche Sexualleben einer weiteren Sanktion unterworfen wurde. »Wenn eine Kindsmörderinn ihr Leben verwirkt hat, so hat es auch das Mädchen verwirkt, das sich die Frucht, die erst zur Hälfte ist, abtreibt (…) Wenn das Mädchen Tode zu verdammen ist, das eine Frucht abtreibt, die kaum zu erkennen ist, so muß auch das Mädchen zum Tode verdammet werden, das die Empfängnis, durch Kunst und List, verhindert; ja, so haben die Weiber auch das Schwert verdient, welche sich öffentlich rühmen, daß sie sich vor vielen Kindern wohl zu hüten wüßten.«1004

Das Wissen um Abtreibung war in erster Linie Frauensache, wenn die Initiative dazu auch oft von Männern bzw. Liebhabern ausgegangen sein mag.1005 Nur die zu Rate gezogenen »Engelmacherinnen« wussten über die Kräuter, Mittel, Verfahren und deren Anwendungen Bescheid. Erstaunlicherweise handelte es sich bei den kundigen Frauen nicht nur um Hebammen, wenn diese zwar wohl in der Mehrzahl waren. Eine Magd der Hofwirtsleute suchte im Jahre 1807 eine bekannte Frau auf, welche sich mit Medizin beschäftigte, berichtete »daß ihr schon seit 18 Wochen die monatl. ausgeblieben«1006 und verlangte »wegen Unreinigkeit« eine Medizin. Die Heiltätige verabreichte ihr ein Arzneimittel, bestehend aus »1/2 Loth1007 Rebarbr, ½ Viertey Mana, ½ Vierty Tamarinte und ein bißl etwas Cordical Kugl«1008, worauf die Patientin viel Schwitzen und Brechen musste.

1003 Jütte, Robert (1993). Geschichte der Abtreibung, 92. 1004 Wie ist es anzufangen, daß es gar keine Kindermörderinnen mehr gebe? In: KBB 1.Jg. MDCCC, 345. 1005 Jütte, Robert (1989). Die Persistenz des Verhütungswissens in der Volkskultur, 225. 1006 Anklage der Magdalena Neureiterin, wegen Quacksalbereyen und Fruchtabtreibung bei schwangeren Personen, SLA Hofrats-Kriminalakten 1756–1870, Nr. 1679, XIV Fasz. 23, 1807, zit. nach Sieberer, Gabriele (1992). Verlust der Trad. Heiltätigkeit, 96. 1007 Lot ist die Bezeichnung für ein altes kleines Gewicht = 1/30 oder 1/32 Pfund. In: DBGLexikon. Wien 1953, 508. 1008 Rhabarberstengel werden auch heute zu einer starken Darmentleerung verwendet; Vgl. Weidinger, Hermann-Josef (1988). Mit dem Kräuterpfarrer durchs ganze Jahr. Wien, 192.

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Handelt es sich bei dieser Medizin um ein Abtreibungsmittel? Viel deutet darauf hin, wenn wir uns vor Augen halten, daß ein Wissen über fruchtaustreibende Kräuter und Arzneimittel bei Hebammen und Heiltätigen1009 auch im 17. und 18. Jahrhundert durchaus vorhanden war.1010 Die seit dem 16. Jahrhundert zunehmende Verbreitung gedruckter Kräuterbücher, in welchen überlieferte Abortivmittel ganz selbstverständlich erwähnt wurden, ermöglichte es auch einem größeren Leserkreis, sich Wissen über Pflanzen mit abtreibender Wirkung anzueignen.1011 Doch es wurde auch zu einem vorsichtigen Umgang mit vielen, heute als pharmakologisch wirksam eingestuften, Abortiva ermahnt – ein gewisses Risiko für die Frau blieb also immer bestehen, schließlich war auch um 1800 mit einer Geburt erhebliche Gefahr verbunden. Dies schienen auch die betroffenen Frauen gewusst zu haben. »Den wenigen vorliegenden Akten nach zu schließen, dürften die Abtreibungen im 18. Jahrhundert eine große Dunkelziffer, aber auch ein hohe Quote an fehlgeschlagenen Versuchen aufgewiesen haben.«1012 Medizinalordnungen verboten das Verabreichen von Abtreibungsmitteln, dass diese allerdings oft leicht zu umgehen waren, beweist die Handlungsweise der Magdalena Neureiterin. Detailliert mit diesem Verdacht beschäftigte sich die Behörde 1807, welche die Anklage der Magdalena Neureiterin »wegen Pfuscherei und Abtreibung der Lei-

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1011 1012

Die Bezeichnung Mana weist auf die Fraxinus Ornus L. Mannaesche hin. Es handelt sich um durch Einschnitte in Ast- und Stammrinde erzeugten Saft, der nach dem Ausfließen an der Luft getrocknet wurde. Es ist vorerst eine bräunlich bittere Flüssigkeit, welche nach einigen Stunden weißkristallin wird und die Bitterkeit verliert. Manna wird als mildes von Nebenwirkung freies Abführmittel gepriesen. Vgl. HAGA – 4. Neuausg., Band. 4, 1052. Tamarindus indica L. ist ein im trop. Afrika beheimateter 12–25 m hoher immergrüner Baum. Als Heilmittel wurden der Samen, die Früchte (Fiebermittel, Abführmittel) und Blätter (gegen Rheuma, Tumore) verwendet. Vgl. HAGA – 4. Neuausg., Bd. 6, 8. Die Bezeichnung Cordical Kugl ist heute unbekannt. Entgegen der Heinsohn-Steiger’schen These, nach welcher jegliches durch die Vernichtung der weisen Frauen aus bevölkerungspolit. Erwägungen auch jegliches Abtreibungswissen verloren gegangen sein sollte. Heinsohn, Gunnar/Steiger, Otto (1986). Die Vernichtung der weisen Frauen. Herbstein. Anhand von Kölner Gerichtsakten des 17. und 18. Jahrhundert hat dies nachgewiesen: Jütte, Robert (1993). Geschichte der Abtreibung: Von der Antike bis zur Gegenwart. München; Jütte, Robert. Die Persistenz des Verhütungswissens in der Volkskultur. Sozialund medizinhistorische Anmerkungen zur These von der Vernichtung der weisen Frauen. In: Medizinhistorisches Journal 24 (1989), 214–231. Leibrock-Plehn, Larissa (1992). Hexenkräuter oder Arznei. Die Abtreibungsmittel im 16. und 17. Jahrhundert. Ammerer, Gerhard (1990/91) »›…dem Kinde den Himmel abgestohlen…‹ Zum Problem von Abtreibung, Kindsmord und Kindsweglegung in der Spätaufklärung. Das Beispiel Salzburg.« In: Das achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichische Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhundert, 6 (1990/91), 77–98, hier 77.

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besfrucht«1013 erhob. Magdalena Neureiterin, Bauerstochter vom Goldegger-Gut zu Golling, 50 Jahre alt und ledig, besaß kein Vermögen. Ihrer Aussage nach wurde sie bereits vier Mal »wegen Doktern auf eine Nacht oder einen Tag beim Stadt-Gericht zu Arrest gebracht«1014, doch ohne Bestrafung wieder entlassen und immer »mit Schub« nach Golling transportiert. Der Behörde gestand Magdalena Neureiterin zu, dass sie bei ihrem letzten Aufenthalt im Primogenitur-Palaste vor Pfingsten des Jahres 1807 der Familie Preiner Arzneien verabreichte. Die Einnahme der Medizin bewirkte bei der schwangeren Frau jedoch nach kurzer Zeit einen Blutsturz. Daraufhin wurde der Heilkundigen der Vorwurf gemacht, Informationen über die Schädlichkeit besagter Arzneien in der Schwangerschaft besessen zu haben. Ferner bestätigte Magdalena Neureiterin bei Gericht, dass sie während des Aufenthaltes bei den Palliersleuten sowohl der Magd der Hofwirtsleute, als auch dem Hofwirt selbst Medizin gab. Auch im Falle der Magd kam die Obrigkeit zum Verdacht auf Fruchtabtreibung. Von den Inquisitoren konnte jedoch nicht mit Gewissheit festgestellt werden, ob bei der Magd eine Schwangerschaft vorlag. Hingegen konnte durch eidliche Vernehmungen verschiedenster Personen sicher erforscht werden, dass sich der Zustand des Preiners sowie seiner Frau nach Einnahme der verschriebenen Medikamente besserte. Die Beschuldigung, Beihilfe zu einer Abtreibung der Leibesfrucht gegeben zu haben, konnte somit nicht aufrechterhalten werden. Da es ja noch nicht die moderne Ultraschalluntersuchung gab, erhielten Frauen der traditionellen Gesellschaft über eine Schwangerschaft erst ab dem vierten Monat Klarheit, wenn der Bauch sichtbar wurde und sich die Frucht spürbar zu regen begann. Es war also für die Betroffene leicht, »gegebenenfalls dem Diskurs über eine vermutete Schwangerschaft mit dem Hinweis auf eine Frauenkrankheit auszuweichen.«1015 Wie es dem Denken der damaligen Zeit entsprach, konnte das Ausbleiben der monatlichen Regel »sowohl auf eine Empfängnis als auch auf die gefürchtete ›Blutstockung‹ hindeuten«.1016 Die Begutachtung der Angelegenheit »Magdalena Neureiterin« wurde also mit den Worten abgeschlossen, dass gemäß der Untersuchung wider Magdalena Neureiterin kein Verbrechen »bewiesenermaßen« vorliege und sich die »geeigneten polizeilichen Behörden« an diese Erledigung zu halten hätten.1017 Doch auch im Laufe des 19. Jahrhunderts standen immer wieder »ungeprüfte« Heilerinnen – so neben Hebammen zum Beispiel Bäuerinnen, Wasenmeiste-

1013 Anklage der Magdalena Neureiterin, SLA Hofrats-Kriminalakten 1756–1870, XIV Kriminalakten; Krt. II 1807, Nr. 1679. 1014 Ebd. 1015 Jütte, Robert (1989). Die Persistenz des Verhütungswissens in der Volkskultur, 230. 1016 Ebd., 230. 1017 Anklage der Magdalena Neureiterin. SLA Hofrats-Kriminalakten1756–1870, XIV Kriminalakten; Krt. II 1807, Nr. 1679.

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rinnen und Krämerinnen – in Verdacht, sich mit Kindsabtreibung befasst zu haben.1018

4.1.4 Die Ablehnung der akademischen Ärztin Das wertvolle heilkundliche Wissen von Frauen fand nur beschränkt Einzug in die Wissenschaft. Als allgemeine Annahme gilt zwar, dass die Aristoteles, Hippokrates, Galen und anderen zugeschriebenen umfangreichen medizinischen Werken Sammelarbeiten vieler Autoren waren, wobei Frauen ein wesentlicher Beitrag zukam, doch wird diese weibliche Autorenschaft in der Geschichte der Medizin bis heute nicht deutlich erwähnt. Von der an den Universitäten gelehrten Heilkunde war das weibliche Geschlecht bis ins späte 19. Jahrhundert ausgeschlossen. Das Medizinstudium für Frauen wurde in Österreich erst um 1900 eröffnet. Bis dahin gab es lange Debatten und Erörterungen pro und contra der weiblichen Kompetenz in der »gelehrten Medizin«: »Es ist wirklich sonderbar, daß man nicht längst auf weibliche Aerzte gekommen ist; die Notwendigkeit derselben drängt sich doch so sichtbar auf!«1019 Betrachtung wir die Tradition von Ärztinnen im heutigen medizinischen Verständnis, so gab es bis ins 18. Jahrhundert mehrere Beispiele,1020 insbesondere im Bereich der Chirurgie. Eine wissenschaftliche Auszeichnung war bis dahin allerdings noch nicht bekannt. Erst im 18. Jahrhundert erhielten einige wenige Frauen eine universitäre Anerkennung, doch war ihr Bildungsweg sehr verschieden. In Italien, welches als klassisches Land der Ärztinnen seit dem Altertum bekannt war, gelangten Frauen meist durch Vorbildung an einer Hochschule zum ausübenden Beruf. In Bologna gab es neben den weiblichen Studenten ebenfalls weibliche Professoren. In Salzburg war ab 1877 die Augenspezialistin Rosa Kerschbaumer als erste öffentlich praktizierende Ärztin der Monarchie tätig.1021 Die erste Frau, welche im deutschsprachigen Raum im Halle-Wittenberg zum Doktor der Medizin promoviert wurde, war Dorothea Christiane Erxeben, geborene Leporin (1715–1762). Ihr Wunsch, ein Medizinstudium zu absolvieren, 1018 Reg. von Oberbayern an das Staats Ministerium des Inneren; 1. März 1889 in Betreff der Ausübung der Heilkunde durch nicht approbirte Personen. N. 315, BayHStA MInn 61358. 1019 Luden, Heinrich (1811). Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik. Jena, zit. nach Dr. Johann Heinrich Kopp. Jahrbuch der Staatsarzneykunde für das Jahr 1816. In: Med. Chirurg. Ztg. 29. Jänner 1816/9, 133. 1020 Schönfeld, Walther (1947). Frauen in der abendländischen Heilkunde vom klassischen Altertum bis zum Ausgang des 19. Jahrhundert, 85ff. 1021 Mazohl-Wallnig, Brigitte (1995). Die andere Geschichte 1. Eine Salzburger Frauengeschichte von der ersten Mädchenschule (1695) bis zum Frauenwahlrecht (1918). Salzburg/ München 1995, 238.

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stieß auf beträchtliche Widerstände. Sie beschäftigt sich mit wissenschaftlichen Werken und sammelte Erfahrungen in der praktischen Medizin in der Praxis ihres Vaters. Trotz Heirat und Geburt von vier Kindern vollendete sie ihre Dissertation mit dem Titel »Akademische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen unsicheren Heilung der Krankheiten,«1022 woraus sich durchaus ein heute aktuelles Gedankengut ablesen lässt. Sie machte darauf aufmerksam, dass schnelles und angenehmes Heilen mittels Medikamenten häufig den Patienten schädigte. Ihre Thesen sind zum Beginn des 21. Jahrhunderts also noch hochaktuell. Sie wies auf die Gefahr einer reinen Symptom-Behandlung hin, die es unterließe, die Ursache einer Krankheit zu erforschen. Ferner warnte sie vor dem Missbrauch von Arzneimitteln, besonders vor Schlafmitteln.1023 Als 23jährige verfasste Christiane Erxleben eine Schrift, in der sie reflektierte, warum den Frauen die Gleichstellung mit den Männern verwehrt wurde, mit dem Titel: »Gründliche Untersuchungen der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten, darin deren Unerheblichkeit gezeiget und, wie möglich nöthig und nützlich es sey, daß dieses Geschlecht sich befleiße umständlich dargelegt wird.«1024 Ihre Promotion erregte viel Aufsehen und Empörung. Denn ihre Zeitgenossen vertraten die Ansicht, dass besonders die medizinische Praxis, sofern sie von einer Frau ausgeübt wurde, »mit den Gesetzen der Ehrbarkeit und Schamhaftigkeit nicht in Einklang zu bringen sei«1025 Auch eine weitere Vorreiterin in der professionalisierten Medizin für den deutschsprachigen Raum Franziska Tiburtius hatte sich gegen eine medizinische Männerwelt zur Wehr zu setzen. 1871 begann sie ihr Studium der Medizin an der Universität Zürich und promovierte »als 12. Medizinstudentin, die in Zürich ihre Doktorwürde erhielt.«1026 Ihre Ausbildung wurde in Berlin jedoch nicht anerkannt, weshalb sie gezwungen war, illegal zu praktizieren. Um 1800 gab es nur wenige Stimmen, welche für eine aktive weibliche Heiltätigkeit im öffentlichen Medizinsystem plädierten. Die Kontroverse zwischen zwei Medizinalräten über die Zulassung akademischer Ärztinnen verrät zu diesem Thema den Tenor der Zeit.1027 So machte Luden, welcher die positive Parteinahme für die Frauen übernahm, in seinem »Handbuch für Staatsweisheit 1022 Freundlich, Elisabeth (1981). Sie wußten, was sie wollten. Lebensbilder bedeutender Frauen aus drei Jahrhunderten. Freiburg/Basel/Wien, 39. 1023 Ebd., 39. 1024 Ebd., 42. 1025 Schönfeld, Walther (1947). Frauen in der abendländischen Heilkunde, 120. 1026 Lange-Mehnert, Christa (1986). ›Ein Sprung ins absolute Dunkle.‹ Zum Selbstverständnis der ersten Ärztinnen: Maria Heim-Vögtlin und Franziska Tiburtius. In: Frauenkörper. Medizin. Sexualität. Hrsg. v. Geyer-Kordesch/Kuhn, Düsseldorf, 294. 1027 Medicinalrath Stoll zu Arnsberg. Ueber weibl. Aerzte im Staate im Jahrbuch der Staatsarzneykunde für das Jahr 1816 abgedruckt in der Med. Chirurg. Ztg.

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oder Politik« darauf aufmerksam, »daß das Verhältnis der Geschlechter, Zucht und Sitte weibliche Aerzte für das weibliche Geschlecht, wenn nicht absolut nöthig, doch gewiß wünschenswürdig mache.«1028 Das größte Problem bei der Beschränkung männlicher Frauenärzte sah er nämlich in der Verletzung der Schamhaftigkeit bzw. Sittsamkeit der Frau, so dass die Gefahr bestünde, dass Frauen dem Mediziner ihre Krankheiten nicht nannten bzw. die erkrankten Körperteile nicht zeigten.1029 Aus diesen Gründen befand er es als unweigerlich nötig, dass auch Frauen zum Medizinstudium zugelassen werden müssten. »Warum sollen also keine Frauen Aerzte seyn? Glaubt man, es fehle ihnen an Kraft? – An Geistiger? Frauen haben mit Weisheit Länder regiert; andere sind gelehrt gewesen. – An körperlicher? Sind sie denn nicht Hebammen? Wo ist mehr Kraft nöthig, mehr Entschlossenheit und Gewandheit? Ihr vertrauet den Frauen das Leben des jungen Bürgers, und scheuet euch, ihnen die Behandlung des Seitenstechens oder eines Geschwürs zu übergeben?«1030

Ganz im Gegenteil dazu vertrat Medizinalrat Stoll die Meinung, dass sich durch das ärztliche Studium das Gefühl der Frau zurückbilden und dadurch die weibliche Natur in ihren Eigentümlichkeiten untergraben würde. Durch den Tod des Gefühles und durch die Aufhebung der Scham sinke das Weib »zu nichts« herab, »es werde zum Halbmanne, zum geistigen Zwitter, zu einem unafusstehlichen Mittelding.«1031 Die Medizinerin könne »keinen Mann als Lebensgefährtinn beglücken, weil sie vielleicht die Aphorismen des Hyppokrates übersetzen, aber kein Kochbuch verstehen kann, keine Supppe zubereiten weiß, Kinder nicht zu erziehen vermag.«1032 »Weibliche Arzte« lagen nach der Meinung Stolls tief unter den ärztlichen Handwerksmännern, weshalb er sie in seinem Werke unter die »schädliche Aftermedicin« oder »Quacksalberey« zählte. Die Verhältnisse machten es unausführbar, Ärztinnen im Staate zu dulden, »da ehevor eine Generalumkehrung der bestehenden Staatsorganisationen sonst nothwendig vorausgehen müsse.«1033 Diese ablehnende Haltung, Frauen nicht an medizinischen Ausbildungen teilnehmen bzw. mitwirken zu lassen, diente sozusagen als kleiner Vorgeschmack zu den in der Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts aufflammenden großen Debatten über das Medizinstudiumverbot der Frauen. Hierzu sei nur auf eine kennzeichnende Meinung dieser Zeit verwiesen, so auf das Beispiel 1028 1029 1030 1031

Luden, Heinrich. (1811). Handbuch der Staatsweisheit oder der Politik. Jena, 133. Ebd., 133. Ebd., 134. Jahrbuch der Staatsarzneykunde für das Jahr 1816. In: Med. Chirurg, Ztg. 29. Jänner 1816/9, 135. 1032 Ebd., 135. 1033 Ebd., 136.

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des »gelehrten Mediziners« Theodor L.W. von Bischof, welcher, um die Frauen vom Medizinstudium abzuschrecken, fünf Gründe, wie »l. Erregung von Ekel, 2. Verletzung der Schamhaftigkeit, 3. Kränklichkeit der Frau, 4. Rohheit der Studenten, 5. Autoritätslosigkeit der Frau«1034 aufzeigte bzw. das Studienverbot mit physiologischen und psychologischen Mängeln der Frau gegenüber des Mannes erklärte. Denn »die weibliche Natur und der weibliche Geist sind nicht befähigt, die Ideale ärztlicher Bildung und Praxis zu erreichen.«1035 (…) »Die Überladung des ärztlichen Standes mit unbefähigten halbgebildeten weiblichen Handwerkern, wie sie allein von dem weiblichen Geschlechte zu erziehen sind, hemmt und stört die Fortbildung der ärztlichen Wissenschaft und Kunst auf das schädlichste.«1036

Widersprüchlich dabei ist jedoch die Tatsache, dass Frauen nicht als Ärztinnen im Medizinsystem tätig sein dürften, doch von den Wissenschaftlern ermuntert wurden, in der Krankenpflege zu dienen, da dies ihrer »Sittsamkeit« und ihrem »Zartgefühl« mehr entsprach.

4.1.5 »Die geborene Krankenschwester«1037 »Seine Sittsamkeit, Demut, Geduld, Gutmütigkeit, Aufopferungsfähigkeit, teilnehmende Lebensstimmung, Frömmigkeit sind so viel größer als bei dem männlichen Geschlechte, daß, wo es auf diese ankommt, die Frauen ebenso den Vorzug verdienen als die Männer da, wo Kraft, geistige Produktivität, moralischer Ernst, Mut, Ausdauer, Ehrgeiz erforderlich sind. Es ist also in medizinischer Hinsicht das Gebiet der Krankenpflege, in welchem die Frauen jedenfalls vor den Männern sich auszeichnen können, wenn sie sich dazu hinreichend ausbilden.«1038

Die gleichen Mediziner, welche ein Medizinstudium der Frauen ablehnten, bemühten sich, den Beruf der Krankenpflegerin, für den die Frau aufgrund ihrer natürlichen, emotionalen Veranlagung geradezu geschaffen schien, anzupreisen. Wie Claudia Bischoff beschreibt, sollte »einer der körperlich und seelisch anstrengendsten Berufe, der zudem noch oft schmutzig und ekelhaft war, für die

1034 Dohm, Hedwig (1874). Die wissenschaftliche Emancipation der Frau. Berlin, 116. 1035 Bischoff, Theodor L. W. von (1872). Das Studium und die Ausübung der Medizin durch Frauen. München, 32, zit. nach Margit Twellmann (1972). Die Deutsche Frauenbewegung. Ihre Anfänge und erste Entwicklung (Quellen) 1843–1889. Band 2, Meisenheim an Glan, 394. 1036 Ebd., 32. 1037 Ebd., 46. 1038 Ebd., 32.

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zarte und »schamhafte« Frau geeignet sein.«1039 Beginnend mit der Herausbildung der männlichen Dominanz über die weibliche Geburtshilfe, galt nach und nach für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im gesamten Bereich des organisierten Medizinsystems: »die untergeordneten Personaldienste als traditionell weibliche, die medizinisch/ärztliche Kontrolle als traditionell männliche Domäne.«1040 Die Krankenpflege war in der frühen Neuzeit kein spezifisch weibliches Tätigkeitsgebiet, Frauen hatten allerdings andererseits eine besondere eigene Rolle im Pflegebereich inne, die durch Männer nicht ersetzt werden konnte, wie das Beispiel der »Aufwärterinnen, Narrenmägde und Siechenmütter«, welche führende Positionen im Pflegedienst übernahmen, zeigt.1041 Die Rollenzuweisung entstammte aber nicht der »natürlichen« Neigung, sondern den allgemeinen Lehren der Haushaltsführung. Krankenpflege bedeutete in dieser Epoche des Spitales, sozusagen im Sinne des ganzen Hauses eine allgemeine Versorgungsstätte für Alte, Arme, Behinderte und Sieche. Der Begriff war wesentlich weiter gefasst, als die Krankenversorgung im heutigen engerem Sinne. Mit der Aufgabenzuweisung der Frau als »Gehilfin des Arztes« entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zuge der »Geburt des modernen Krankenhauses« die Krankenpflege zu einem weltlichen Beruf für die bürgerliche Frau. »Wenn die Krankenschwester das ideale Bild der Frau verkörperte, so verkörperte der Arzt das ideale Bild des Mannes.«1042 So wurden die Weichen für die künftige medizinische Rollenverteilung von Frau und Mann gestellt. Bis in die Gegenwart überwiegen Frauen im Pflegebereich, welcher erst seit kurzer Zeit in die Wissenschaft einbezogen wurde. Doch ist zu bedenken, dass sich Frauen auch allzu leicht mit dieser Rolle abgefunden haben, trugen sie doch »ihrerseits nicht nur zur Stabilisierung geschlechtsspezifischer Rollenaufteilungen bei, sondern sie verhinderten und verzögerten darüber hinaus die ›öffentliche‹, d. h. staatliche (männliche) Mit-Verpflichtung an all den (nunmehr in weibliche Zuständigkeit

1039 Bischoff, Claudia (1990). Frauen in der Krankenpflege: zur Entwicklung von Frauenrolle u. Frauenberufstätigkeit im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt a. M., New York, 127. 1040 Mazohl-Wallnig, Brigitte (1991). Weibliche Lebenswelten vom Ende des Erzstifts bis zur zweiten Republik. In: Frau sein in Salzburg. Hrsg. v. Roland Floimair, 17. 1041 Vanja, Christina (1992). Aufwärterinnen, Narrenmägde und Siechenmütter – Frauen in der Krankenpflege der Frühen Neuzeit. In: MedGG 11(1992), 9–24; Vanja, Christina (1992). Amtsfrauen in Hospitälern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Vergessene Frauen an der Ruhr: Von Herrscherinnen und Hörigen, Hausfrauen und Hexen – 800–1800. Hrsg. v. Bea Lundt. Köln/Weimar/Wien, 195–209; Hummel, Eva (1989). Zur Prägung der sozialen Rolle der weiblichen Krankenpflege bis zum Ersten Weltkrieg in Deutschland. In: Medizinischen Deutungsmacht im sozialen Wandel, 141–155. 1042 Ehrenreich, Barbara/English, Deirdre. (1975). Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. The witches are back! 12. Aufl., München, 49.

»Quacksalberey« trotz Medizinalreform

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abgedrängten) Bereichen, mit denen sehr wenig gesellschaftliches Ansehen, Ruhm, Ehre, dafür umso mehr mühsame Arbeitsleistung verbunden war.«1043

4.2

»Quacksalberey« trotz Medizinalreform – Frauen behaupten ihren medizinischen Wirkungskreis

J. J. Hartenkeil wies in einem Schreiben an die k.k. Regierung darauf hin, dass ungeachtet bestehender Gesetze und Verordnungen, in denen nichtberechtigten Personen die Krankenbehandlung aufs schärfste verboten war, sich eine große Zahl »roher und unverständiger Leute mit Verfertigung und Verkauf allerley Arzneymittel oder mit Kuriren in verschiedenen Krankheits-Formen.«1044 beschäftigte. Trotz eines streng organisierten Medizinalsystems fanden und nützten die traditionellen Volksheilkundigen vor allem auf dem Lande, wo es im Gegensatz zum städtischen Bereich noch lange unkontrollierbare Freiräume gab, Wege, ihre medizinische Hilfe auszuführen. Wurden sie zwar immer wieder verfolgt, verurteilt oder sogar eingesperrt, war es für sie nicht Grund genug, um sich von eigenen Zielsetzungen zur Ausübung der Heilkunde abbringen zu lassen. Neben ideologischen Momenten lag eine Begründung dieser Verhaltensweise sicherlich in den materiellen Bedürfnissen. In einer wirtschaftlich schlechten und ärmlichen Situation blieb natürlich jeglichen gesundheitspolitischen Maßnahmen zum Trotz der Bedarf an kostengünstigen vertrauensvollen Heiler/-innen lange weiter bestehen und wurde auch verteidigt.

4.2.1 »Ungehorsam« gegen obrigkeitliche Maßnahmen »Wenn die Kinder sehen, wie ihr gegen eure höchsten Obrigkeiten so ungehorsam seyd, wie ihr euch darauf noch dazu viel einbildet, euch einander des Ungehorsames wegen lobet, und aufmuntert; wenn sie das an euch sehen und hören, werden sie sich dann etwas daraus machen, auch euch ungehorsam zu seyn, sich auch euern Befehlen zu widersetzen, so bald sie nur Kräfte dazu haben? (…)«.1045

1043 Mazohl-Wallnig, Brigitte (1991). Weibl. Lebenswelten vom Ende des Erzstifts bis zur zweiten Republik, 17. 1044 Schreiben vom 16. Dez. 1807 von J. J. Hartenkeil an die k.k. Reg., SLA kurfürstl. k.k.-Reg.XI R. 1045 Predigt über die schlechte Befolgung der landesherrlichen Verordnung betreffend die abgewürdigten Feyertage, gehalten am Feste Mariä Reinigung von Jakob Obermayer. Burghausen 1773.

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Predigten, Aufklärungs- und Moralschriften geben genügend Zeugnis davon, in welcher Weise das Volk »Ungehorsam« bewies bzw. sich obrigkeitlichen Befehlen widersetzte oder Widerstand leistete. Sprechen wir von Widerstand, so sei darunter der Umstand verstanden, dass die Dorfgemeinschaft bzw. einzelne Vertreter des Dorfes das alte traditionelle »Regelsystem« gegen das neue »System« verteidigte. Denn Zielsetzungen »von oben« wurden »von unten« als alarmierende Grenzüberschreitung aufgefasst.1046 Eine selbstverständliche Mithilfe bei der Durchsetzung der neuen Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen kann keinesfalls so einfach angenommen werden. Anhand der Heilerinnenanalyse wurde eine Weigerung gegen obrigkeitliche Verordnungen und Urteilssprüche von Seiten der einzelnen Heiltätigen, sowie der Bevölkerung, bereits sichtbar. In der »Kultur des Widerstandes« der Heilerinnen – vergleichen wir die Vernehmungsprotokolle – zeigte sich Methode. Fast in allen Fällen begegneten wir den Vorwänden »Nichtwissen« »sich nicht erinnern können«, »nichts verstehen«, oder »sich dumm stellen«, also im Großen und Ganzen passive und naive Verhaltensweisen. Eva Blümlin, in der Gniegl ansässig, stritt zu Beginn der Vernehmung völlig ab, heilerisch tätig zu sein. »Zu was gäbe es denn dann die Doktoren in der Stadt,«1047, gab sie ganz im Sinne der medizinischen Polizei kund. Die medizinische Behandlung wurde erst zugegeben, als sie auf einen »ganz zuverläßig«1048 bekannten Fall aufmerksam gemacht wurde. Weiter verschwieg sie aber die Heilmittel, welche sie verabreicht hatte und legte diese erst nach deutlichem Verweis dar. Doch stellte Eva Blümlin mit ihren beschwichtigenden, verharmlosenden Antworten bezüglich Arzneien und Heilhandlungen keinen Einzelfall, sondern ganz im Gegenteil ein allgemeines Verhalten dar. Maria Anna Feichtnerin1049 wäre als weiteres Paradebeispiel für das Verschweigen und Verleugnen ihrer Heilmethoden zu nennen. Sie hielt bei der Vernehmung immer wieder Antworten zurück, erst als sie konkret auf eine bestimmte Tätigkeit angesprochen wurde, ließ sie nähere Details verlauten. Viele Proteste und Verleugnungen der alten Abdeckerin gingen voraus, ehe sie Aussagen über ihre magisch-abergläubischen Heilgesten preisgab, wie zum Beispiel: »Sie hatte noch einige Zelte von Jesuiten, ein Teufelsgaisl und ein Damsweger Pulver, welches alles sie mit Wurzeln und Kräutern in ein Baischl gebunden, und dem Patienten

1046 Simon, Christian (1981). Untertanenverhalten und obrigkeitliche Moralpolitik, 90; Herzig, Arno (1988). Unterschichtenprotest in Deutschland 1790–1870. Göttingen. 1047 Vernehmungsprotokoll der Eva Blümlin vom K. prov. Pfleggericht Neuhaus, 1803, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XII/15. 1048 Ebd. 1049 Vernehmungsprotokoll über das Verhör der Maria Anna Feichtnerin, 16. Mai 1788, SLA Pfleggericht Lofer I/4.

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in das Skapulier genähet, damit ihm das böse Maul von denen Leuten nicht mehr schaden solle.«1050

Viele Heilerinnen führten ihre medizinische Tätigkeit trotz Bestrafungen fort. Agnes Millauer beharrte auf ihrer Lebensweise, in keinem Punkt wollte sie sich davon abhalten lassen, so zu leben, wie sie es gewohnt war.1051 Die Reaktion des Domstadtkaplans darauf war folgende: »Es läßt sich vermuthen, daß sie Wort halten, daß selbst strengere Maßregeln bey einer Person wenig fruchten dürften, die eine zweymahlige Zuchthausstrafe nicht beugen konnte.«1052 Die Heilerinnen besaßen neben dem Protest in vielen Fällen die Unterstützung in Form der Solidarität der Dorfgemeinschaft. So bestimmte im Falle der Brunnbeschauerin letztendlich die Gemeinde, dass die alte Frau keine Gefängnisstrafe erhielt.1053 Maria Scharlerin besaß nicht nur Rückhalt in der Bevölkerung, sondern genoss hohes Prestige und Vertrauen in »angesehenen« Kreisen der Bauernschaft sowie die Freundschaft des Pfarrers, der ihr ein tadelloses Zeugnis ausstellte. Bei der gerichtlichen Vernehmung wurde die Hebamme Maria Scharlerin von sechs angesehenen Bauern der Kreuztracht Stuhlfelden begleitet, welche sich bereiterklärten, der Witwe Beistand zu leisten. »Die 6 Bauern haben sich angetragen, mit mir zu gehen, denn sie versprachen mir, mich nicht stehen zu lassen. Ich habe sie nicht ersuchet, herauf zu gehen.«1054 Nach Urteilserstreckung verfasste Maria Scharlerin eine Bittschrift um Strafmilderung bzw. Strafänderung. Zur Durchsetzung einer Milderung der Strafe, d. h. Geldstrafe, stellte dazu auch der Stuhlfeldner Ortspfarrer ein Zeugnis aus, indem er ausdrücklich auf die wichtige vertrauenswürdige Position der Mesnerin in der Gemeinde hinwies. Im Falle der Abwesenheit müsste sie »alle Kirchen Wäsche, und deren Putz, alle Paramenten, und Kirchen Silber auch ihre ganze Oekonomie fremden Leuten übergeben, und anvertrauen.«1055 Da sie darüber aber eine Kaution ausgestellt hatte und für alles haften musste, bestand ein hohes Risiko im Falle einer Veruntreuung. Maria Scharlerin gab in ihrem Schreiben an den Hofrat vom 24. April 1803 bezüglich des Strafnachlasses neben diesem Argument des Pfarrers noch weitere Motive an: Da sie als Mesnerin in einem öffentlichen Kirchenamte stand, war »eine entehrende Zuchthaus-Strafe 1050 Ebd. 1051 Schreiben des Domstadtkaplans Aloys Werndl, der die Geschichte der Ehe der Agnes Millauer berichtet, 17. Jänner 1805, KAS 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divorii 1805–1810. 1052 Ebd. 1053 siehe Vorspann – Vgl. Schreiben vom Landgerichts-Physikat, 23. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6. Hallein 44. 1054 Gerichtl. Vernehmung der Maria Scharlerin, 25. Febr. 1803, SLA kurfürstl. k.k. Reg. 1803– 1810 XLV/W 15. 1055 Zeugnis des Stuhlfeldner Ortspfarrer, 20. April 1803, ebd.

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vor den Augen der Gemeinde nicht anders als von äußerst nachtheiliger Wirkung.«1056 Ferner erzählte sie, dass von der Pfarrgemeinde selbst der Wunsch bestand, sie als approbierte und examinierte Hebamme angestellt zu sehen, worüber sie bereits an hoher Stelle vorgesprochen hatte und wozu sie auch schon das benötigte Zeugnis des »District Physikus« von Zell erhoben hatte.1057 Ungewöhnlich erscheint es, dass die Gemeinde sich entschloss, die Scharlerin nach Salzburg zur Ausbildung in der Geburtshilfe zu schicken. Die Ursache für diese Willensbekundung wurde vom Pfleggericht Mittersill also gleich erkannt, dem jedoch keinesfalls zugestimmt.«Dabey glaubt diese Gemeinde den Zweck zu erreichen, die alte Pfuscherin beybehalten, und sich derselben in ihren Krankheiten bedienen zu können.»1058 Die Gemeinde setzte sich also dafür gekonnt ein, dass Maria Scharlerin als Hebamme geprüft wurde und so vielleicht »heimlich« weiter ihre medizinische Tätigkeit ausüben konnte. Der Obrigkeit waren in vielen Fällen die Hände gebunden. Auch das Programm der staatlichen Durchdringung einzelner Lebensbereiche stieß allein durch den Zentralismus immer wieder an Grenzen. »Je kleiner und unbedeutender das Dorf, je weiter seine Entfernung zur Stadt, desto unberührter bleiben in der Regel die Untertanen vor dem Zugriff von oben.«1059 Die Gebirgsgegenden im Salzburger Gebiet waren dafür geradezu ein Paradebeispiel. Mangelnde Organisation, vor allem aber Versorgungsprobleme mit ausschließlich approbierten und geprüften medizinischen Personal, brachten so manche Ideen der medizinischen Polizei zum Scheitern. Kriegerische Auseinandersetzungen und verschiedenste Regierungswechsel – Ende des Geistlichen Fürstentums (1803) / Kurfürstliche Regierung (1804–1805) / Österreichische Regierung (1806–1809) mit französischer Verwaltung (1809–1810) / Bayerische Regierung (1810–1816) / Österreichische Regierung – verhinderten mitunter die einheitliche und erfolgreiche Durchsetzung des Staates. Ein Beispiel für die beschränkten Möglichkeiten der Einflussnahme lieferten die Verordnungen und Gesetze bezüglich Abschaffung von Quacksalberei bzw. Verbot des illegalen Arzneimittelgeschäftes, welche immer wieder erneuert werden mussten. »Daß irgend jemand irgendwo etwas sagte oder gebot«1060 war noch längst kein triftiger Grund, die gewohnte Lebensweise zu ändern. Bei 1056 1057 1058 1059

Bittschrift der Maria Scharlerin an den k.k. Hofrath vom 24. April 1803, ebd. Ebd. Schreiben vom Pfleggericht Mittersill an das Collegium medicum, ebd. Zehentner, Rainer Georg (1993). Gasselgehen. Zum Verhältnis zwischen ländlichen Untertanen und Obrigkeit im Erzstift Salzburg des ausgehenden 18. Jahrhundert. Dipl. Arb. Salzburg, 51. 1060 Schindler, Norbert (1984). Spuren in die Geschichte der anderen Zivilisation. Probleme und Perspektive einer historischen Volkskulturforschung. In: Volkskultur. Zur Wiederentdeckung des vergessenen Alltags (16.–20. Jh.). Hrsg v. Richard van Dülmen u. dems. Frankfurt a. M., 15.

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konkreten Verhaftungen und gesetzlichen Einschreitungen der Obrigkeit gegen die Heiltätigen gerieten die anzeigenden Amtsphysici und Amtschirurgen nicht selten in Beweisnot.1061 Bemerkenswert erschienen die Aussagen der Leute, dass die geprüfte Hebamme Maria Lederin, welche bezüglich ihrer Anschuldigung der medizinischen Pfuscherei am 9. September 1808 vor Gericht stand, vom Salzburger ärztlichen Oberhaupt Dr. Hartenkeil – die Erlaubnis zur Ausübung der medizinischen Tätigkeit erhalten habe. Befragt auf dieses Gerede, antwortete die Lederin: »Ich habe dieser niemals behauptet – muß aber auch zugleich meinen, daß mir Herr Dr. Hartenkeil während meiner Lehrzeit in Salzburg aufgetragen habe, daß ich etwas lernen solle, damit ich nicht alleine den Weibern bestehen, sondern auch dem mänlichen Geschlechte Hilfe verschafen könne, worauf ich sogleich die nächsten Jahren manchmals eine Pflaster gemacht, aber auf dießfällige Ahndung schon seit längerer Zeit unterlassen habe.«1062

Das Protomedikat nahm diese Aussage, nicht zur Kenntnis. Es »bedarf keiner Beweise, wer Hartenkeils solide Kenntnisse und Grundsätze als Arzt, Professor der Geburtshilfe und der Medizinischen Polizei kannte. Hier fällt also alle Wahrscheinlichkeit weg, wohl aber sieht man daraus, daß Hutterin mit dieser lügenhaften Angabe ihre Pfuschereien beschönigen und bemänteln wollte.«1063

Maria Lederin – Hutterin gab an, dass sie am liebsten ihre Hebammenstelle loswerden möchte, um sich von »dieser Plage« solchen Kurierens zu befreien. Die Formen des Widerstandes und »Ungehorsames« im Bereich des alten traditionellen Heilsystems waren vielfältig. Die Durchsetzung obrigkeitlicher Zivilisationsformen gelang auch im Bereich der Krankheit und Gesundheit denkbar langsam und beschwerlich. Es ist also wichtig, dass Lücken in den normativen Systemen aufgespürt und die durch diese Freiräume geschaffenen Handlungsweisen berücksichtigt werden.1064 Dass die verborgene Ausübung traditioneller Heilkunde häufig weiter vorgekommen ist, beweisen zahlreiche Beispiele, so auch das Wirken einer Radstädter Beinbruchheilerin.

1061 Wischhöfer, Bettina (1991). Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung, 99. 1062 Vernehmungsprotokoll der Maria Lederin, 9. Sept. 1808, SLA kurfürstl. k.k. österr. Reg. 1803–1810 XI/H. 5/110. 1063 Schreiben des Protomedikats an die Reg., 26. Okt. 1808, ebd. 1064 Jütte, Robert. (1991). Disziplin zu predigen, 101.

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4.2.2 Eine Beinbruchexpertin verteidigt sich Beinbruchheilung stellt eine Kunst dar, welche in der Regel von Generation zu Generation weitergegeben wurde und wesentliche Bedeutung in der Volksmedizin hatte.1065 Helene Moser, geboren am Mühlbauergut zu St. Martin, war um 1850 als geprüfte Hebamme tätig.1066 Ferner beschäftigte sie sich nebenbei mit der chirurgischen Behandlung von Beinen – Heilung innerer Beinbrüche und Verrenkungen, von deren gründlicher Kenntnis sie so vollkommen überzeugt war, dass sie sich darüber jederzeit einer strengen Prüfung unterziehen wollte. Mit dieser Bruchheilkunst stand Helene Moser keinesfalls als Einzelbeispiel da, so befand sich etwa auch in Acharting im Jahre 1844 eine Austragsbäuerin mit dem Namen Rosina Lebling, verheiratete Kühleitner, welche sich ebenfalls mit dieser Heilart an Menschen und Tieren einen großen Namen machte.1067 Seit frühester Jugend an hatte sich Helene Moser mit der Behandlung kranker Füße gegen Bezahlung befasst, diese Tradition übernahm sie von ihrem Vater und ihrem Großvater, welche mit dieser Kunst Berühmtheit erlangt hatten.1068 Nach Aussagen der Strafanwaltschaft war Helene Moser bereits viermal wegen Kurpfuscherei und unbefugten Verkaufes von Heilmitteln bestraft worden, andere Stimmen sprachen sogar von einer achtmaligen Anklage.1069 Die Beinbruchheilerin allerdings behauptete, nur ein einziges Mal vor Gericht gestanden zu sein. Die vorletzte Anklage verlief im Jahre 1847, wobei sie allerdings ohne nennenswerte Strafe verblieb.1070 Am 8. Mai 1852 wurde Helene Moser abermals wegen unerlaubter chirurgischer Behandlung an einer gewissen Katharina Kendlbacher angeklagt und zu einer »sechswöchentlichen mit zwei Fasttagen in jeder Woche verschärften strengen Arreststrafe«1071 verurteilt. Am 5. Juni 1852 stellte die Gemeinde St. Martin ein von der Bezirkshauptmannschaft Werfen unterstütztes Gesuch für Helene Moser, dass diese ihre Strafe in kurzfristigen Terminen abbüßen dürfe. Dahinter stand die Absicht, für einen gesicherten Beistand bei Entbindungen zu sorgen.1072 Doch die Staatsanwaltschaft ließ sich dadurch nicht beirren, es wurde dem Gemeindevorstand der Auftrag erteilt, 1065 Schreiben der Helena Moser, Bezirk Radstadt, 22. Juli 1852 an d. k.k. Ministerium des Inneren, Nr. 8901, SLA Landesregierungsakten 1850–1860, VII B/9. 1066 Vgl. ebd. 1067 Aigner, Frieda (1990). Gesundheitsdienst einst und heute. In: Heimat Anthering. Aus der Geschichte einer Flachgauer Landgemeinde. (1990), 391–398, hier 392. 1068 Vgl. ebd. 1069 Schreiben vom k.k. Staatsanwalt an den Statthalter Stellvertreter, N. 988, 12. Juni 1852, SLA Landesregierungsakten1850–1860, VII B/9. 1070 Schreiben der Helena Moser, ebd. 1071 Schreiben vom k.k. Staatsanwalt, ebd. 1072 Ebd.

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»dieser unverbesserlichen Kurpfuscherin nicht nur ihre Anstellung als Gemeindehebamme sogleich zu entziehen und derselben auch ihr Diplom abzunehmen, sondern sie überdies aus der Gegend, wo sie schon durch so lange Zeit ihr gesetzwidriges Treiben fortsetzt, abzuschaffen.«1073

Aufgrund dieses Beschlusses verfasste Helene Moser am 22. Juli 1852 eine Bittschrift, in der sie gegen das Urteil, Berufung einlegte. Die Frist zur Einspruchnahme der Bestrafung wegen Kurpfuscherei hatte sie zu diesem Zeitpunkt bereits wie sie vorgab aus Mangel an Kenntnis des Gesetzes versäumt.1074 »Gewiss ist es, dass mir die Strafe hart und ungerecht vorkam ich fügte mich aber in die bittere Notwendigkeit und tröstete mich, es werde wieder alles recht werden, aber leider ziehet dieses geduldig Ertragen, der harten Strafe nur noch bittere Folgen nach sich und ich werde so in die Enge gedrängt, daß ich mir meine Lebensbedürfnisse zu bestreiten in große Verlegenheit gebracht werde.«1075

Schließlich stand die Existenz der Frau auf dem Spiel, denn verlor Helene Moser ihre Tätigkeitsbereiche der Geburtshilfe und Heilkunde, verfiel sie mitsamt ihrer Familie in Armut. So versuchte sie, ihre Arbeit als Beinbruchheilerin zu verteidigen und ihre Schuldlosigkeit zu beweisen: »Ich habe mich gewiß der Beinbruchheilung nicht darum angenommen, um mich zu bereichern, ich habe aus der Behandlung dieser Kranken kein Gewerbe gemacht, ich habe sie nur auf ihre dringende Bitte in die Behandlung genommen.«1076

Die Geldeinnahmen der Krankenbehandlungen waren mäßig, in der Regel ließ sie sich nur die baren Auslagen vergüten, hatte sie diese nicht, kurierte sie gratis. In ihrer medizinischen Praxis ließ sie sich keine Fehlbehandlung eines Kranken zu Schulden kommen. Der Bezirksarzt duldete ihre Heilhandlungen, er staunte über die gründlichen Kenntnisse und gab ihr beizeiten selbst Unterricht. Das Beinbruchheilen, eigentlich eine mechanische Tätigkeit, brauchte eine bestimmte Fertigkeit, vielleicht auch Begabung, welche die Hebamme durchaus besaß. Zur Abrundung ihrer manuellen Tätigkeit verfertigte sie ein »vortreffliches« Pflaster, welches nach wenigen Stunden den Schmerz löste und den Patienten durch den darauf eintretenden Schlummer neue Kräfte sammeln ließ.1077 Von der Bevölkerung wurde Helene Moser viel Vertrauen entgegengebracht. Sie berief sich auf vorzüglich behandelte Beinbrüche und Verrenkungen zahlreicher Menschen aus dem Volke, vor allem aber auch angesehener hoher Beamter und Priester. Sie hatte bei vielen Leuten erfolgreiche Heilungen durch1073 1074 1075 1076 1077

Ebd. Vgl. Schreiben der Helena Moser, SLA Landesregierungsakten 1850–1860, VII B/9. Ebd. Ebd. Ebd.

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geführt, wo eine frühere ärztliche Behandlung fruchtlos war. So gelang z. B. die Heilung des Ledermeister zu Radstadt so gut, dass bei Besichtigung im Jahre 1847 der Bezirksphysikus zu Radstadt gar nicht glauben wollte, dass dessen Arm gebrochen gewesen war. Die Radstädterin hatte also allen Grund, auf ihre besonderen Kenntnisse stolz zu sein: »Richtig ist es, daß auch das Sanitäts-Personal zur Heilung der Beinbrüche berufen ist, ich kann aber mit offener Aufrichtigkeit sagen, daß ich weit glücklicher in dieser Behandlung bin.«1078 Besonders gekränkt durch ihre Verurteilung fühlte sich Helene Moser in ihrer »bürgerlichen Achtung und Ehre.«1079 »Geistliche und weltliche Herren haben mir die Versicherung gegeben, ich handle recht und gerecht, wenn ich in christlicher Nächstenliebe meinen Mitmenschen helfe.«1080 Sie hielt es angesichts der christlichen Religion und des Umstandes, dass Gott ihr die besonderen Fähigkeiten verliehen hatte, für ein Unrecht, leidende Menschen abzuweisen. Außerdem hatte sie von der geistlichen Obrigkeit, dem Dekan von Altenmarkt, den Auftrag erhalten, ihre Kenntnisse zum Heile der Mitmenschen anzuwenden. So befand sie sich also in einem unauflösbaren Konflikt: »Was sollte ich tun – befolge ich nicht die Aufforderung der geistlichen Obrigkeit so erleide ich Schaden an meiner Seele – weil ich aber der Belehrung nachgekommen bin soll ich jetzt meine bürgerliche Achtung und mein Brot verlieren?«1081 Die Reaktion der Obrigkeit auf die Bittschrift der Helene Moser war jedoch in der Tat negativ. Es wurde darauf hingewiesen, »daß diese Lizenz ihr auf keinen Fall zugetan werden könne, da sie, wie aus ihrem anmaßenden Benehmen aus dem Rekurse hervorgeht, in der Überzeugung lebt, zu derlei Kuren befähigt und berechtigt zu sein und daher nicht aufhören wird, Kurpfuschereien ferner zu treiben, weshalb das Zugeständnis der Hebammenpraxis für die Zukunft aus ihrer fernen Kurpfuscherei weiteren Vorschub geben würde.«1082

4.2.3 »Traditionelle Heilkunde« bis in die Gegenwart? Das Beispiel der Helene Moser erweckt den Anschein, dass sich im ländlichen Heilsystem auch um 1850 die Situation der Heilkunde noch keinesfalls im Sinne der medizinischen Aufklärung vollzogen hat. Nahtlos könnte die wegen Quacksalberei verfolgte Radstädter Hebamme an die beschriebenen Beispiele in der Heilerinnenanalyse, sei es in Bezug auf die Persönlichkeit, die wirtschaftliche

1078 1079 1080 1081 1082

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Situation, die Heilerin-PatientIn-Beziehung, die Heiltätigkeit selbst oder den Ausgrenzungsprozess anschließen. Am Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts treten auch im bayerischen Raum unzählige ungeprüfte weibliche Volksheilerinnen auf.1083 Betrachten wir die gegenwärtige Situation der Heilkunde, so kann festgestellt werden, dass parallel zur Schulmedizin dazu auch die Volksmedizin bedingt durch Einflüsse und Anregungen anderer Kulturen und Besinnen auf überliefertes Wissen aus der eigenen Tradition immer noch Aktualität besitzt. Durch »Schlüsselerlebnisse«, indem zum Beispiel eine schwere Erkrankung, von der »Schulmedizin« bereits als hoffnungslos aufgegeben, durch natürliche oder auch magische Heilmethoden gelöst wird, findet die Bevölkerung oft wieder den Weg zu den Natur- und Geistheiler/-innen. Hildegardmedizin, Edelsteintherapie, Heilkräuterbehandlungen, Heilmassagen, Handauflegen, Pendeln, Heilen mit universeller Lebenskraftenergie und dergleichen finden heute oft begeisterte Anhänger. Selbst Schulmediziner öffnen sich dem Erfahrungsschatz der Naturheilkunde, wie zum Beispiel der Homöopathie und Akupunktur. Exemplarisch für eine volksmedizinische Tätigkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts können die zwei heilerisch tätigen »Ostermayerinnen« aus Ebenau angeführt werden. »Wie die Wallfahrer zum heiligen Florian, so kamen auch viele Patientinnen aus der Stadt und dem Salzkammergut, aus dem Rupertiwinkel und dem Flachgau zu den heilkundlichen Ostermayerinnen in die Ebenau.«1084 Fast ein Jahrhundert von 1875 bis 1970 übernahmen die beiden Frauen die medizinische Versorgung der Ebenauer Gemeinde. Ein approbierter Arzt war zu jener Zeit in diesem Gebiet nur in Faistenau tätig, welcher allerdings die Heiltätigkeit der Ebenauerinnen durchaus anerkannte und würdigte.1085 Maria Ostermayer stammte aus dem bäuerlichen Bereich und war geprüfte Hebamme. Sie gab ihre Kenntnisse sowohl im Bereich der Geburtshilfe wie auf dem Sektor der Heilkunde an ihre Tochter Maria weiter. Sie behielt jedoch den Namen »Ostermayer« auch nach der Heirat sozusagen als Berufstitel, welcher das Ansehen aus der Heiltätigkeit der Mutter schöpfte. Die beiden Frauen waren vor allem als ausgezeichnete Diagnostikerinnen bekannt, eine Krankheitsursache erkannten sie rasch durch einen genauen Blick auf den Leidenden ohne jegliche medizinische Behelfe.1086 Sie besaßen einen geheimnisvollen Kasten, welcher verschiedene Medizinen, Tees, Pflaster und 1083 Schreiben der Bezirkshauptmannschaft an k.k. Statthalterei Rathes und Statthalters Stellvertreter, 10. Aug. 1852, SLA Landesregierungsakten 1850–1860, VII B/9. 1084 Zenker, Ottheinrich (1982). Ebenauer Geschichten und Anekdoten. In: Ebenau 1182–1982. Hrsg. v. Salzburger Bildungswerk. Salzburg, 161. 1085 Ebd. 1086 Ebd.

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Salben enthielt. Ihre besonderen Fähigkeiten lagen im Auflegen von Wickeln und Umschlägen und im Anlegen von Verbänden. Gegen das Wundliegen bei langem Krankenlager wurde zum Beispiel »mit Puder bestreutes Rehleder«1087 empfohlen. Ferner wurden auch Schröpfbehandlungen durchgeführt, die Schröpfköpfe dazu sind heute noch im Ebenauer Heimatmuseum zu besichtigen. Die jüngere Heilkundige Maria Mayr (1880–1969) wurde als sehr energische Frau dargestellt – von den Kindern ehemalig »Kirchenpolizei« genannt, da sie während des Gottesdienstes für Ruhe sorgte und den täglichen Kirchenbesuch nie verabsäumte. Ferner hatte sie eine wichtige gesellschaftliche Position im Dorf inne und verfügte über politische Mitsprache. So war sie auch nicht bei allen beliebt, doch die Leute waren ja sozusagen auf sie angewiesen. Die Patienten suchten vorwiegend am Wochenende bei der »Ostermayerin« Rat, obwohl sie jeden Tag sozusagen ihre Praxis hatte. Hausbesuche wurden eher selten durchgeführt. Ihre Heilbehandlung übte sie in ihrem Haus, welches im Dorfmittelpunkt angesiedelt war, zumeist in der Küche aus. In einer kleinen Nische lagerte sie ihre Arzneien. So fanden sich am Sonntag Vormittag in der Stube die Hilfesuchenden ein, wobei in diesem Falle die männlichen Patienten in der Überzahl standen. Einer nach dem anderen wurde versorgt, nebenbei kochte Maria Mayr das Mittagsmahl, im Raum waren die Familienmitglieder und fremde Leute anwesend. Laut ihren Aussagen besaß sie ein altes »Doktorbuch«, welches allerdings heute nicht mehr auffindbar ist. Die Arzneistoffe für ihre Mittel bezog die Ebenauerin aus der Biberapotheke in der Getreidegasse, eine Beziehung, die sie aufgrund freundschaftlicher Verknüpfung ihrer Mutter mit einem Professor aufrecht erhielt. Sie war zwar hauptsächlich Empirikerin, wandte aber auch magische Behandlungsmethoden, wie zum Beispiel »Wenden«, – d. h. im Sinne von Beschwörung und Abwenden, eine Krankheit abwehren – welches sie scheinbar mit einer Hahnenfeder vollzogen hatte, an. Diese Behandlungsart führte sie heimlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch.1088 Bevorzugt hat sie die Krankheiten durch Urinschau diagnostiziert, dieser wurde in Vertretung auch von gesunden Familienmitgliedern für die Kranken in ihre Praxis gebracht. Einmal hat sie einen Mann mit Verbrennungen am ganzen Leibe, welcher jedoch den Krankenhausbesuch abgelehnt hatte, mit selbst bereiteten Salben behandelt. Nach drei Monaten war dieser vollständig genesen. Maria Mayr wird als eine sehr weise Frau beschrieben, die ihre Grenzen genau gekannt hat und ihre Ratschläge wurden sehr hilfreich erlebt. Auch sie hat ihr Heilwissen einem ihrer fünf Kinder weitergegeben. Doch diese Tochter hat die Kenntnisse zum Bedauern der Mutter nur für den Hausgebrauch angewandt. Die 1087 Ebd. 1088 Gespräch mit Marianne und Alexander Mattineck – Enkelin der Maria Mayr. 10. Aug. 1993 in Salzburg.

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Leute haben einen langen Fußmarsch oft nicht gescheut um die gegen Ende ihres Lebens schon kranke und blinde Frau aufzusuchen. So sind die Patient/-innen auch noch zum Hause der Ebenauerin gekommen, als diese schon längst verstorben war.1089 Auch im 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart existieren mehrere Beispiele, welche auf eine traditionelle volksmedizinische Tätigkeit von Frauen verweisen. So kann die Großmutter der Hebamme Maria Horner genannt werden, welche in einem kleinen ländlichen Dorf in Kärnten Geburtshelferin war und sich erfolgreich mit Heilkunde beschäftigt hat:1090 »Sie war nicht nur bei jeder Geburt dabei, auch wenn einer in unserem Dorf von 500 Seelen am Sterbebett lag, auch bei allen Krankheiten von Kindern und Erwachsenen, sogar bei Blessuren, die in den Landwirtschaften vorkamen, wurde sie geholt.«1091

Liegen von den »Ostermayerinnen« keinerlei Anklagen vor, wird von der »Schindler-Muatter«, wie die Hornerin im Volksmund genannt wurde, allerdings berichtet, dass sie einmal wegen Kurpfuscherei angeklagt wurde und vierzehn Tage Arrest verordnet bekam.1092 Ein weiterer Fall von Verurteilung heilkundlicher Frauen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ist Justine M., welche wegen Kurpfuscherei durch ein »unkörperliches (mystisches) Heilverfahren (Wenden)«1093 angeklagt wurde. Das Urteil des Kreisgerichtes in Ried vom 5. Juni 1915 lautete zwar auf Freispruch, doch wurde die Sache zur neuerlichen Verhandlung an das Bezirksgericht in Wildshut verwiesen.1094 Trotz Verweise setzten die Volksheilerinnen ihre Tätigkeit bis ins hohe Alter fort.1095 Im Raum Kleinarl wohnte die alte »Ployermutter«, die sich noch mit ihren 93 Jahren mit Naturkräutern und Heilkunde befasst.1096 Zahlreiche Namen wären noch zu nennen und spannend wäre eine weitere Einsichtnahme in bestimmte Heilverfahren und Rezepte. Doch das Bemühen, Interviews durchzuführen bzw. Informationen über die Behandlungsart bestimmter Heilerinnen in der Gegenwart aufzuspüren, wurde zurückgewiesen. Den Heiltätigen ist es wichtig, ihr Wissen nicht an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Volksheilerinnen im ländlichen Bereich haben vom

1089 Ebd. 1090 Vgl. Horner, Maria (1985). Aus dem Leben einer Hebamme. Hrsg. u. u. bearb. v. Christa Hämmerle, Wien/Köln/Graz. 1091 Ebd., 21. 1092 Horner, Maria (1985). Aus dem Leben einer Hebamme, 22. 1093 Kurpfuscherei nach Paragraph 343 StG durch ein unkörperl. (myst.) Heilverfahren (Wenden). Zum Tatbestande genügt abstrakte Gefährdung. In: Das österr. Sanitätswesen: Organ für die Publikation des Sanitätsdepartements des Kaiserl.-Königl. Ministerium des Inneren. Dr. J. Daimer. Wien. 28/1916/2/27-30 1590. 1094 Ebd. 1095 Horner, Maria (1985). Aus dem Leben einer Hebamme. ebd., 22. 1096 Steinbacher, Gottfried (1992). Chronik der Gemeinde Kleinarl. Salzburg, 182.

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Konsequenzen der Geschlechterdebatte in der Medizinalordnung

Beginn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, ja sogar bis in die Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts in ihrem eigenen Wirkungskreis wenig Veränderung erfahren. Sie werden immer noch von vielen Menschen aufgesucht und genießen Vertrauen. Auch der äußerliche Rahmen weist Ähnlichkeiten auf. Fast immer wirken sie im Verborgenen und werden fallweise von den gesetzlichen Behörden als PfuscherInnen bezeichnet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die neuen aufklärerischen Normen des beginnenden 19. Jahrhunderts aufgrund wechselseitiger Bedingungen langsam durchsetzen konnten, wenn auch die Verhältnisse, zum einen das an seinen Traditionen festhaltende Landvolk, die Unterversorgung mit approbierten Ärzten sowie deren hohe Behandlungskosten und die allgemein ärmliche wirtschaftliche Lage vorerst diesen Prozess entgegenwirkten. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Heilerinnen in Bezug auf das männliche Heilpersonal um eine Minderheit handelt. Grundsätzlich ist anzunehmen, dass sich wesentliche Heiltraditionen und Heilhandlungen im Laufe des Jahrhunderts mit akademisch-medizinischen Methoden vermischt bzw. einzelne Einflussnahmen erfahren haben. Der Umstand allerdings bleibt bestehen, dass um 1800 eine Entwicklung einsetzte, welche Frauen Schritt für Schritt in ihren traditionellen heilkundlichen Kompetenzbereichen einschränkte und lange Zeit in passive Rollen des Medizinsystems abdrängte. Wirtschaftlich und politisch bedingte äußere Umstände allerdings ließen es zu, dass sich eine kleine Gruppe von Heilerinnen bis nach dem Zweiten Weltkrieg im ländlichen Bereich durchsetzen konnte bzw. bis in die Gegenwart erhalten hat.

5

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

»Schulen sind im Zuge von ›Gender Mainstreaming‹ und Gleichstellung der Geschlechter angehalten sich mit der Relevanz der Kategorie Geschlecht auf allen Ebenen des Lehrens und Lernens auseinanderzusetzen.«1097 Das Thema »Frauenbilder und Geschlechterbeziehungen« ist in Deutschland in den Lehrplänen aller Bundesländer beinhaltet. Ebenso sind allgemeine didaktische Grundsätze und allgemeine Bildungsziele im österreichischen Lehrplan zum Thema »Sensibilisierung für Geschlechterrollen« von der Primarstufe zur Sekundarstufe vorgesehen. Im Fachbereich Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung gilt es als Ziel, Gender als ein Erkenntnismittel zu verstehen, mit welchem alle historischen Sachverhalte betrachtet werden können. Die Genderperspektive soll sich nicht reduzieren »auf hier und da eingestreute Stunden zum Thema ›Frauen in der Geschichte‹ oder ›Männer in der Geschichte‹«, sondern »integraler Bestandteil aller Unterrichtsinhalte« sein.1098 Als Fokussierung gilt es, mehr Genderbewusstsein im Geschichtsunterricht als eine Dimension des Geschichtsbewusstseins bei den Lernenden zu fördern.1099

5.1

Reflexive Geschlechtergeschichte und Gleichstellung

Im Rahmen der Geschlechtergeschichte wird der gesellschaftliche Wandel von Weiblichkeit und Männlichkeit sowie der Geschlechterbeziehungen untersucht. Ferner wird die Verknüpfung mit politischen und ideologischen Systemen sowie historischen Ereignissen und Prozessen in den Blick genommen. Mit der Einführung der Kategorie »Gender« werden Fragen nach sozialer Gerechtigkeit in historischen sowie gegenwärtigen Kulturen erschlossen. Die geschlechterge1097 Österreichischer Lehrplan der Volkschule, NMS. 1098 Dehne, Brigitte (2018). Unterrichtsentwicklung. Gender. Ein Lese- und Arbeitsbuch für den historisch-politischen Unterricht in der Sekundarstufe I. Hrsg. v. Landesinstitut für Schule und Medien. Bildungsregion Berlin-Brandenburg, 5. 1099 Ebd., 5.

270

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

rechte Perspektive bedeutet, sich mit den Wirkungen und Einflüssen eines spezifischen Themas auf verschiedene Geschlechter auseinanderzusetzen. Mit dem Ende des 20. Jahrhunderts wird mit dem »cultural turn« in der Geschichtswissenschaft ein grundlegender Perspektivenwechsel vollzogen. Der Fokus richtet sich von anonymen makrohistorischen Strukturen und Prozessen hin zu mikrohistorischen Vorgängen, also dem alltäglichen Leben. Dies bringt als Konsequenz eine Infragestellung der traditionellen Trennung zwischen öffentlicher (»männlicher«) und privater (»weiblicher«) Sphäre mit sich. Konkrete Lebenswirklichkeiten von Frauen werden untersucht und es erfolgt eine Neubewertung ihrer wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leistungen im Laufe der Geschichte. Um Geschlechtergleichstellung zu erreichen, stellt die Arbeit an diversen Geschlechterbildern und deren Veränderung im Lauf der Jahrhunderte ein wesentliches Erfordernis dar. Dabei geht es um die Veranschaulichung, wie das Geschlecht kulturell geformt wurde. In gleicher Weise von Relevanz ist es, den Weg aufzuzeigen, wie weitere Veränderungen in Richtung Geschlechtergleichstellung initiiert werden können. Der Begriff der Gleichstellung wird weiter gefasst und geht über den Begriff der Gleichbehandlung hinaus. »Gleichbehandlung meint die Vermeidung von direkter oder indirekter Diskriminierung. Gleichstellung der Geschlechter ist der Prozess tatsächlicher Gleichstellung in rechtlicher Hinsicht und im Hinblick auf das persönliche und berufliche Entfaltungspotential in einer Gesellschaft. Gleichstellung ist Ausdruck sozialer Gerechtigkeit und führt zur Teilhabe und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Damit schafft Gleichstellung der Geschlechter auch die Freiheit und den gesellschaftlichen Raum, individuelle Lebenswürfe zu realisieren.«1100

Geschlechtergleichstellung ist als Prozess zu betrachten, der gerade in Bezug auf aktuelle Entwicklungen der Re-Traditionalisierung als Zielvorgabe intensiv weitergeführt werden soll.1101 Mit dem Begriff der Re-Traditionalisierung wird »das Wiederaufleben und Erstarken traditioneller dualisitischer Geschlechterrollenvorstellungen und die Ablehnung geschlechteregalitäter Konzepte«1102 verstanden. In den österreichischen Lehrplänen aller Schularten wird beginnend 1100 Vgl. BMB Bundesministerium für Bildung Zentrum Polis Politik lernen in der Schule. 1 (2017). Re-Traditionalisierung in der Geschlechterfrage? Facetten und Herausforderungen. Wien, 3. 1101 Ebd. 1102 Vgl. BMB Bundesministerium für Bildung Zentrum Polis Politik lernen in der Schule. 1 (2017). Re-Traditionalisierung in der Geschlechterfrage? Facetten und Herausforderungen, 11; eigene Definition Bildungsministerium, Abteilung I/10, Gender Mainstreaming – Gleichstellung und Schule. Beispiele dazu sind: Angriffe gegen aktuelle geschlechtertheoretische Konzepte, gegen die geschlechtergerechte Sprache, religiös begründete Trennung, frühe Sexualisierung und Festschreibung der Geschlechter, Geschlechterzuschreibungen in der Spielzeugindustrie und beim Kinderartikelmarketing.

Reflexive Geschlechtergeschichte und Gleichstellung

271

mit 1995 vom Bildungsministerium das Unterrichtsprinzip »Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern« in den Lehrplänen aller Schularten verankert. Folgende inhaltliche Anliegen werden darin formuliert: »Bewusstmachung von geschlechtsspezifischer Sozialisation; Wahrnehmung von Ursachen und Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, Erkennen möglicher Beiträge zur Tradierung und Verfestigung von Rollenklischees; Reflexion des eigenen Verhaltens, der Interaktionen im Unterricht, des täglichen Umgangs miteinander, der eigenen Geschlechtsrollenvorstellungen; Bewusstmachen von alltäglichen Formen von Gewalt und Sexismus sowie Förderung der Bereitschaft zum Abbau von geschlechtsspezifischen Vorurteilen.«1103

Mit dem Unterrichtsprinzip »Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung« gilt es »die Dimension des Geschlechts im schulischen Lehren und Lernen zu reflektieren«1104. Dies mit dem Ziel, individuelle Handlungsspielräume zu erweitern und geschlechterstereotype Zuweisungen und Festschreibungen zu überwinden. Geschlechtergerechtigkeit im Unterricht kann durch eine Ermutigung der Schüler/-innen erfolgen »zu analysieren, kritisch zu denken und schlicht politische Zusammenhänge im sozialen, gesellschaftlichen kulturellen, wirtschaftlichen, religiösen und ideologischen Sinne immer auch aus geschlechtssensibler und daher auch aus geschlechtergerechter Sicht zu erkennen.«1105 Im Lehrplan zu »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung« wird dazu das Lehrziel, wonach »Schülerinnen und Schüler (…) erkennen können, dass Geschlechterrollen und Geschlechterverhältnisse im Laufe der Geschichte unterschiedlich definiert waren und demnach veränderbar und gestaltbar sind«1106 angegeben.

1103 Grundsatzerlass zum Unterrichtsprinzip »Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern«; (bmbwf.gv.at); wurde mit dem Erlass 9/2018 aufgehoben; Unterrichtsprinzip: Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung (bmbwf.gv.at) Abteilung Präs/1, Gleichstellung und Diversitätsmanagement. 1104 Reflexive Geschlechterpädagogik und Gleichstellung; bmbwf.gv.at. 1105 Leeb, Philipp/Tanzberger, Renate/Traunsteiner, Bärbel (2014). Gender Gleichstellung Geschlechtergerechtigkeit. Hrsg. v. Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule. Wien, 3. 1106 Lehrplan zu »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung« für die AHS-Oberstufe. Lehr plan – schule.at.

272

5.2

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

Didaktische Prinzipien

Um eine langfristige Perspektive der Entwicklung der Gender-Rolle sowie des Frauenbildes in der Medizin darzustellen, ist es erforderlich, den Lernenden Unterrichtsentwürfe mit vielfältigem Material anzubieten. Folgende didaktischen Prinzipen unterstützen die Auswahl der Lerngegenstände, die Lehr-LernMethoden sowie die fachspezifischen Arbeitstechniken, welche im Unterricht eingesetzt werden.1107 Wie im Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung« (2016) beschrieben, lassen sich didaktische Prinzipien »als Filter betrachten, mit dem aus der Fülle von historischen und politischen Informationen und Themen jene Aspekte ausgewählt werden, die für den Unterricht relevant sind.« Dabei wird sowohl die fachspezifische Kompetenzorientierung als auch das Lernen mit Konzepten gesichert.1108

5.2.1 Gegenwarts- und Zukunftsbezug Das Ziel des Gegenwarts- und Zukunftsbezuges ist es, »die Vergangenheit als bedeutsam für die Gegenwart und die Zukunft«1109 zu betrachten und dies den Lernenden bewusst zu machen. Das Herstellen einer Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist dabei zentral. Insbesondere wird dabei auch auf die so genannten »Schlüsselprobleme«, wie Ökologie, Ressourcenverteilung, Krieg und Frieden u. a., welche durch eine Dauerhaftigkeit geprägt sind, aufmerksam gemacht.1110 Die Gleichberechtigung der Geschlechter stellt ebenso eine Kernproblematik dar. Im Unterricht soll auf den Wandel und die Veränderbarkeit durch individuelles und kollektives Handeln aufmerksam gemacht und die Frage nach dem Ursachenzusammenhang geklärt werden. In diesem Sinne geht es beim Thema Geschlechtergleichstellung im Wesentlichen um die Fragen nach den historischen Ursachen und Begründungen gegenwärtiger gesellschaftlicher Phänomene.

1107 Hellmuth, Thomas (2016). Historisch-politische Sinnbildung. Geschichte – Geschichtsdidaktik – Politische Bildung; Kühberger, Christoph (2009). Kompetenzorientiertes historisches und politisches Lernen. Methodische und didaktische Annäherungen für Geschichte, Sozialkunde und politische Bildung. Innsbruck/Wien/Bozen. 1108 Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (2016). Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung«, 6. 1109 Ebd., 6. 1110 Bergmann, Klaus (2002). Der Gegenwartsbezug im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts.

Didaktische Prinzipien

273

Grundsätzlich sind die Interessen der Schüler/-innen als sehr individuell anzusehen. Dennoch können geschlechtsspezifische Tendenzen und Differenzen des Geschichtsunterrichts festgemacht werden, wie Bodo von Borries (1991) in einer Befragung in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen ermittelt hat und in weiteren Untersuchungen bestätigt wurden.1111 So interessieren sich beispielsweise Mädchen deutlich mehr für »Alltagsgeschichte«, während Jungen mehr die »Herrschaftsgeschichte« bevorzugen.1112

5.2.2 Lebensweltbezug und Subjektorientierung Durch den Lebensweltbezug und die Subjektorientierung wird die Relevanz eines historischen Themas für die Lernenden dargestellt. »Als Lebenswelt ist jener soziale Raum zu bezeichnen, der dem Menschen Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten (Stichwort »Normen«) vorgibt, die er aber auch – in Kommunikation mit seinem Mitmenschen – verändern kann.«1113 Es ist für Lehrpersonen wesentlich, Einblick in so genannte »Sinnprovinzen« zu haben. Das bedeutet eine gewisse Einsichtnahme in spezifisches Wissen, welches Schüler/-innen beispielsweise über Musik, Filme, Bücher besitzen. Ferner sind bestimmte Werte und Normen, welche identitätsstiftend und gruppenbildend wirken, wie Kleidung und Musikrichtungen, zu berücksichtigen. Durch das Wissen über diese sozialen Bedeutungen kann beispielsweise in Form von »Lernen mit Konzepten« und eine Hinwendung zum »Subjekt« angeknüpft werden. In der Folge können Lernprozesse weiterentwickelt werden. Dazu eignen sich zum Einstieg in ein Unterrichtsthema Lernausgangsdiagnosen und Begriffsklärungen. Das »Lernen mit Konzepten«, wie bereits erwähnt, »basiert auf der Überlegung, dass jeder Mensch bestimmte Konzepte, d. h. Vorstellungen von der Welt besitzt. Diese sind von individuellen Erfahrungen, durch Erziehung und Sozialisation geprägt. Es müssen daher fachspezifische Lernräume geschaffen werden, in denen ein Konzeptwechsel (»conceptual change«) bzw. die Weiterentwicklung von Vorkonzepten ermöglicht wird.«1114 Ziel der historischen und politischen Kompetenzmodelle1115 ist es, dass Lernende über eigene Konzepte von Geschichte und Politik reflektieren. Lernende 1111 Borries, Bodo v. (1993). Frauengeschichte in der Schule – Chancen und Erfahrungen. In: Frauen in der Geschichte. Grundlagen – Anregungen – Materialien für den Unterricht. Hrsg. v. Brigitte Löhr et al. Band 1. Tübingen, 16f. 1112 Dehne, Brigitte (2018). Unterrichtsentwicklung, 21. 1113 Ebd., 6. 1114 Ebd., 5. 1115 Der österreichische Lehrplan greift für den Geschichtsunterricht auf ein Kompetenzmodell zurück, das die internationale Projektgruppe »Förderung und Entwicklung von reflek-

274

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

sollen sich auch mit den Konzepten anderer auseinandersetzen, um ein »›selbstreflexives Ich‹1116, das in der Lage ist, Abhängigkeit von Erziehung und Sozialisationsprozessen zu erkennen« zu entwickeln.1117 5.2.2.1 Lernausgangsdiagnosen LERNAUSGANGSDIAGNOSE Der Unterricht soll für dich spannend und interessant sein, deshalb ist es wichtig, deine Meinungen, Interessen und dein Wissen zum Thema zu erfahren. Es geht darum, die Lernvoraussetzungen herauszufinden, um diese im Unterricht zu berücksichtigen. Krankheit und Gesundheit heißt für mich… Welche Aufgaben stellen sich für die Medizin in der Gegenwart? Welche medizinischen Herausforderungen kennst Du aus der Geschichte? Wie hat der Staat und die Gesellschaft zu früheren Zeiten Pandemien bewältigt? Wie wird die Eindämmung der Pandemie heute bewerkstelligt? Waren Frauen und Männer in der Medizin gleichermaßen tätig? Nenne Pionierinnen und Pioniere in der Medizin, die Dir bekannt sind. Welche Krankheiten waren am Ende des 18. und mit dem beginnenden 19. Jahrhundert vorherrschend? Wie sah die medizinische Versorgung in der Stadt und auf dem Land aus? Sind dir frühneuzeitliche Körper- und Krankheitsvorstellungen (z. Bsp. Säftelehre,..) bekannt? Welche therapeutischen Ansätze ließen sich davon ableiten? Lege kurz Krankheitsvorstellungen und Therapien der Gegenwart dar.

tiertem Geschichtsbewusstsein«, »FUER Geschichtsbewusstsein«, entwickelt hat. Zudem wurde auf Initiative des Unterrichtsministeriums von einer ExpertInnengruppe ein eigenes österreichisches Kompetenzmodell für Politische Bildung entworfen, das sich zum Teil am Modell von FUER orientiert. Körber, Andreas (2007). Kompetenzen historischen Denkens; Krammer, Reinhard/Kühberger, Christoph/Windischbauer, Elfriede et al. (2008). Die durch politische Bildung zu erwerbenden Kompetenzen. Ein Kompetenz- Strukturmodell. 1116 Hellmuth, Thomas (2009). Das »selbstreflexive Ich«. Politische Bildung und kognitive Struktur, 11–20. 1117 Ebd., 5.

Didaktische Prinzipien

275

Frauenmedizin / Männermedizin – gibt es deiner Meinung nach Unterschiede? Was ich noch mitteilen möchte….. Abb. 1: Lernausgangsdiagnose.

5.2.3 Prozessorientierung Historisches Lernen wird in langfristigen komplexen und dynamischen Lernprozessen zeitlich aufgebaut. Ferner sind dabei auch die »sozialen Systeme«, welche aus unterschiedlichen Kommunikationen der jeweiligen Schulklasse entstehen, zu berücksichtigen. Dies umfasst eine abgestimmte bewusste Planung, Steuerung und Evaluierung der langfristigen Lehr- und Lernprozesse mit dem Einsatz von Reflexion über eingesetzte Methoden und Materialien sowie die Strukturierung der Unterrichtsstunde. Darüber hinaus soll »eine Rückkopplung (Feedback) mit den Lernenden sowie eine Stärkung der Selbstorganisation der konkreten Lerngruppe (z. B. mit Hilfe von Portfolio-Aufgaben) erfolgen.«1118

5.2.4 Problemorientierung Mit dem didaktischen Prinzip der Problemorientierung erfolgt eine Anknüpfung an Problemstellungen der Lebenswelt der Schüler/-innen an konkreten Fällen. Dabei kann es sich um subjektive Probleme handeln, welche mit den »Schlüsselproblemen« in Verbindung stehen und in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. So ist die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen als Beitrag zu gesellschaftlichem Wandel wesentlich für den Unterricht.1119 In Bezug auf die Medizingeschichte und Frauen kann dabei auch das Thema »Ausgrenzung« thematisiert werden. Bis heute bestehen aufgrund unterschiedlicher Ursachen und Hintergründe noch Geschlechtersegregationen und Ungleichheitsverhältnisse, dies beispielsweise im Pflegebereich. Die wechselvolle Geschichte der Frauen zwischen Ausgrenzung und Teilhabe in der Medizin um 1800 gibt Einblick in grundlegende Fragestellungen der Geschlechterpolitik. Dies kann zudem an konkreten Fällen der rechtlichen Gleichstellung von Frauen in Österreich vollzogen werden. 1118 Ebd. 6. 1119 Die Broschüre will Anregungen für diese Unterrichtsthemen geben; Diendorfer, Gertraud/ Usaty, Simon (Hg.) (2018). Geschlechtergeschichte und Geschlechterpolitik. Alte und neue Herausforderungen. Demokratiezentrum, Wien.

276

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

»Die 1970er Jahre kennzeichnen wesentliche Entwicklungen wie die Entkriminalisierung der Abtreibung (die sogenannte »Fristenlösung« von 1973); die Familienrechtsreform beseitigte 1975 die privilegierte Stellung des Mannes in der Ehe, die väterliche Gewalt gegenüber Kindern wurde 1977 durch die elterliche Gewalt ersetzt. Das Gleichbehandlungsgesetz von 1979 verbot erstmals die Einkommensdiskriminierung von Frauen«.1120

Ferner kann darauf verwiesen werden, dass eine umfassende Gleichstellung noch keinesfalls vollzogen ist und auch Tendenzen in Richtung Re-Traditionalisierung in der Geschlechterfrage beobachtbar ist.

5.2.5 Exemplarisches Lernen Das vertiefende Lernen an konkreten Fällen ermöglicht es, implizit auf Allgemeines zu schließen. »Exemplarisches Lernen hat nicht die Aneignung des Besonderen zu ermöglichen, sondern vielmehr Einsichten in Prinzipien, Strukturen und Regelmäßigkeiten zu vermitteln. Daher erfordert es immer auch die Überleitung vom Konkreten zum Allgemeinen und Abstrakten.«1121 Der Erwerbsarbeitsmarkt ist im deutschsprachigen Raum und in vielen anderen Ländern noch immer nach den Geschlechtern unterteilt. Welche Beschäftigungsfelder in medizinischen Berufen werden den jeweiligen Geschlechtern traditionellerweise zugestanden? Als Zielsetzung gilt, dass sich die Schüler/-innen der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitszuteilung auf dem Arbeitsmarkt am Beispiel Medizin in der Vergangenheit und der Gegenwart bewusst werden. Durch die Reflektion soll sowohl für Jungen, als auch für Mädchen, die Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit in Bezug auf überkommene Rollenzuschreibungen erhöht und das allgemeine Berufsspektrum erweitert werden.1122 Dazu sollen Impulstexte und Impulsfragen zur Verfügung gestellt werden. Medizin: Wo sind die Tätigkeitsfelder von Männern, wo arbeiten Frauen? Frauen 1800

Männer 1800

Frauen 1900

Männer 1900

Frauen 2020

Männer 2020

Arzt/Ärztin Apotheke

1120 Diendorfer, Gertraud/Usaty, Simon (Hg.) (2018). Geschlechtergeschichte und Geschlechterpolitik, 2. 1121 Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (2016). Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung«, 7. 1122 Leeb, Philipp/Tanzberger, Renate/Traunsteiner, Bärbel (2014). Gender Gleichstellung Geschlechtergerechtigkeit.

277

Didaktische Prinzipien

(Fortsetzung) Frauen 1800

Männer 1800

Frauen 1900

Männer 1900

Frauen 2020

Männer 2020

Arzneimittelhandel Krankenpflege Geburtshilfe Abb. 2: Beschäftigungsstruktur in der Medizin im Vergleich.

5.2.6 Handlungsorientiertes Lernen Durch handlungsorientiertes Lernen werden die selbstständige Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Lerngegenstand sowie die Selbststeuerung gefördert. In einem ersten Schritt erfolgen Erlebnisse, welche in einem weiteren Schritt in einem Transfer zu Erfahrungen verarbeitet werden. Durch die Erfahrungen sollen historische Erkenntnisse durch eine Reflexion und durch die Verbindung von affektiven und kognitiven Lernvorgängen unterstützt werden. Für die Thematik »Heilkunde und Frauen« bieten sich dazu zahlreiche Beispiele an.1123 In diesem Zusammenhang können der handlungsorientierte Umgang mit Texten, das Schreiben aus einer anderen Perspektive genannt werden. Als Beispiel wäre dabei anzuführen: »Beschreibe in einem Brief an eine Freundin, welche Tätigkeitsfelder die Frauen um 1800 im Bereich der Medizin inne gehabt haben. Welche Aufgabengebiete interessieren dich davon am meisten? Begründe deine Aussage.« Weiters würde sich für die unterschiedlichen Akteur/innen des Gesundheitssystems eine Konfliktanalyse bzw. in Folge eine Podiumsdiskussion zur Einsichtnahme in die Verteilung der Interessens- und Machtposition anbieten: 1. Beantwortet die Fragen stichwortartig aus Sicht einer Konfliktpartei mit Hilfe von Textmaterialien. 2. Im Plenum wird eine Debatte und Problemorientierung durchgeführt. Diese Debatte könnte auf Grundlage möglicher Leitfragen verschiedene inhaltliche Ausrichtungen haben. Mögliche Leitfragen sind in der Tabelle jeweils aufgelistet.

1123 Völkel, Bärbel (2012). Handlungsorientierung im Geschichtsunterricht. Schwalbach/Ts.; vgl. Praxisteil 51–163.

278

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

Du kannst weitere Leifragen formulieren. Die Positionierung in dieser Debatte hängt auch von den beteiligten Akteuren ab (Ärzte, Patient/-innen, Heilerinnen, Obrigkeit, Gemeindebewohner). Akteure (zum Eintragen) Wer sind die Konfliktparteien? Welche Interessen und Ziele werden vertreten? Wie ist der Konflikt entstanden? Mit welchen Mitteln werden die Interessen durchgesetzt? Welche Kompromisse sind möglich? Welche Lösungen werden gefunden? Abb. 3: Konfliktanalyse unterschiedlicher Akteur/-innen im Medizinalsystem.

5.2.7 Multiperspektivität Der Konstruktionscharakter von Geschichte kann den Schüler/-innen in einer multiperspektivischen Gestaltung des Geschichtsunterrichts bewusst gemacht werden. Multiperspektivität bedeutet das Einnehmen von verschiedenen Perspektiven auf historische und politische Sachverhalte und Probleme.1124 Als Ziel des fachdidaktischen Prinzips der Multiperspektivität gilt, einen historischen Gegenstand aus verschiedenen Sichtweisen zu betrachten und sie miteinander zu vergleichen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass am Ende eines Lernprozesses immer ein Konsens oder die gemeinsame Entscheidung für eine Perspektive steht. In Form von Quellen und Darstellungen, welche aus verschiedenen Blickwinkeln beschrieben werden, können begründete Sach- und Werturteile formuliert und weiterführende Fragen gestellt werden. Dabei werden die Lernenden mit den Normen einer demokratisch-pluralistischen Gesellschaft vertraut gemacht.1125 Außerdem werden geschichtskulturelle Kontroversen und die Vielfalt unterschiedlicher wissenschaftlicher Blickwinkel deutlich gemacht. »Es geht daher vor allem um das Bewusstmachen, dass es nicht immer nur ›eine Wahrheit‹ gibt, wobei dies an einzelnen Themen beispielhaft gezeigt werden kann. Mit 1124 Bergmann, Klaus (2000). Multiperspektivität. Geschichte selber denken. Schwalbach/Ts. 1125 Multiperspektivität – Geschichte kompakt; geschichte-abitur.de.

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

279

der Multiperspektivität ist daher das Kontroversitätsprinzip verbunden, das unter anderem die Darstellung der Vergangenheit oder eines gesellschaftlichen Problems aus unterschiedlichen konkurrierenden Perspektiven vorschreibt und die Überwältigung und Indoktrination der Lernenden mit einer einzelnen Meinung verbietet.«1126

Am Beispiel Frauen und Medizingeschichte ist es für die Lehrkraft erforderlich, Lernräume zu schaffen, um Pro- und Kontrapositionen deutlich zu machen, sodass nach rationalen Kriterien eine begründbare Meinung gebildet werden kann.

5.2.8 Wissenschaftsorientierung Die Vielfalt wissenschaftlich vertretbare Perspektiven auf ein Thema zu richten, steht auch beim Prinzip der Wissenschaftsorientierung im Mittelpunkt. Die fachlichen Methoden sind »bei der Erarbeitung von historischen Quellen oder Darstellungen der Vergangenheit entlang des fachwissenschaftlichen Standards bzw. der aktuellen fachdidaktischen Erkenntnisse umzusetzen.«1127

5.3

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

Die Quellenarbeit ist für historisches Denken und Lernen konstitutiv.1128 Quellen bilden die Basis des historischen Erkenntnisprozesses. Anhand von Quellen werden Fragen an die Vergangenheit gestellt und finden dadurch Beantwortung.1129 Im Geschichtsunterricht ist es erforderlich, dass die Schüler/-innen in der Unterscheidung von Quellen und Darstellungen eine Schulung erfahren. Laut Pandel (2016) sind Quellen »Objektivationen und Materialisierungen vergangenen menschlichen Handelns und Leidens. Sie sind in der Vergangenheit entstanden und liegen einer ihr nachfolgenden Gegenwart vor«1130 Die aus den Quellen gewonnen Erkenntnisse werden in Form von historischen Erzählens, der Geschichtsschreibung, in einen Sinnzusammenhang gestellt und erfahren somit eine Veränderung in historische Darstellungen. Dabei werden immer auch Interessensfelder der Gegenwart und der Zukunft in die Informationsgewinnung 1126 Hellmuth, Thomas/Kühberger, Christoph (2016). Kommentar zum Lehrplan der Neuen Mittelschule und der AHS-Unterstufe »Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung«, 7. 1127 Ebd., 7. 1128 Pandel, Hans-Jürgen (2012). Quelleninterpretation. Schwalbach.Ts. 1129 Sauer, Michael (2018). Textquellen im Geschichtsunterricht. Konzepte – Gattungen – Methoden. Seelze. 1130 Pandel, Hans-Jürgen (2016) Quelleninterpretation. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Hrsg. v. U. Mayer, Schwalbach/Ts., 152–172, hier 154.

280

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

einbezogen.1131 Durch historische Fragen werden zwei Zeitpunkte miteinander in Verbindung gebracht. Wie Rüsen (1997) konstatiert, werden Zeitverläufe in der Vergangenheit auf Basis eines gegenwärtigen Orientierungsbedürfnisses erklärbar gemacht.1132 Geschichtsbewusstsein wird in dieser Weise durch historisches Erzählen gebildet. Als Heuristik wird »jener Teil der historischen Methode, der Überlegungen anstellt und praktische Handlungen durchführt, um das jeweilige Forschungsproblem zu lösen«1133 verstanden. Im Unterricht wird der heuristische Prozess in überwiegendem Maße von den Lehrpersonen übernommen. Es wird eine Auswahl an Quellen, welche auf das Erkenntnisinteresse abgestimmt sind, als Arbeitsmaterial im Unterricht zur Verfügung gestellt. Gerade mit dem beginnenden 21. Jahrhundert ist es angesichts von »fake news« wesentlich, Quellen umfassend zu analysieren und zu interpretieren sowie deren Aussagewert korrekt einschätzen zu können. Quellenkritik umfasst den Umstand, dass »historische Daten über tatsächliches vergangenes Geschehen überprüfbar erhoben«1134 werden. Informationsgehalt der Quellen, Plausibilität der Quellen, wie Herkunft, Authentizität, Verfasser/-in, Intention, Aussagewert, u. a. werden dabei erschlossen. Pandel unterscheidet in Bezug auf die Interpretation von Quellen vier Interpretationsrichtungen, welche in der Quellenarbeit zentral sind. Quellenkritik beinhaltet Fragen, wie »Wo findet man Quellen?« »Wer ist der Autor/die Autorin?« und »Welche Absichten hat der Autor/die Autorin?«

1131 Oberndorfer, Beatrix. (2018). Re-Konstruktionskompetenz – historisches Erzählen im Geschichtsunterricht der Oberstufe. In: Historische Sozialkunde. Geschichte – Fachdidaktik –Politische Bildung. 3/2018. Verein für Geschichte und Sozialkunde 48. Jg. Wien, 12– 25, hier: 12. 1132 Rüsen, Jörn (1997).Historisches Erzählen. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Hrsg. v. Klaus Bergmann u. a., Seelze-Velber, 57–64, hier 58. 1133 Pandel, Hans-Jürgen (2017). Geschichtstheorie. Eine Historik für Schülerinnen und Schüler – aber auch für ihre Lehrer. Schwalbach/Ts., zit. n. Beatrix Oberndorfer (2018). ReKonstruktionskompetenz – historisches Erzählen im Geschichtsunterricht der Oberstufe, 13. 1134 Rüsen, Jörn (1997). Historische Methode. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik, 14–144, 141.

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

281

1. Autor/-in verstehen Den subjektiv gemeinten Sinn verstehen – Was will uns der Schreiber/die Schreiberin mitteilen? (Motive, Einstellungen, Werthaltung…) – Aus welchem Umfeld kommt der Autor? (sozial, politisch…) 2. Den Text verstehen Den semantischen Sinn verstehen – Quellengattung (Brief, Zeitung, Urkunde…) – Begriffsgeschichte – Symbolgehalt – Schlüsselbegriffe – Historizität des Textes – Wann ist die Quelle entstanden? 3. Die vergangene Wirklichkeit verstehen Den Handlungssinn verstehen, Ereignisse und Sachverhalte auf die die Quelle Bezug nimmt 4. Die Wirkungsgeschichte verstehen Der pragmatische Sinn – Wirkungsgeschichte (Nah- und Fernwirkung) – Wer ist der Adressat? – Wird das Ziel des Autors/ der Autorin erreicht? Abb. 4: Methodenkompetenz – Quelleninterpretation1135.

1135 Pandel, Hans-Jürgen. Quellenarbeit im Geschichtsunterricht heute (nglv.de), 7; vgl. Pandel., Hans-Jürgen (2016). Quelleninterpretation. In: Handbuch Methoden im Geschichtsunterricht. Hrsg. v. Ulrich Mayer u. a., Schwalbach/Ts.

282

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

Abb. 5: Untersuchungsprotokoll vom Königl. Landgerichte Hallein, 20. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6, Hallein 44.

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

283

Abb. 6: Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin vom 25. Februar 1803, SLA kurfürstl., k.k. Reg. 1803–1810 XII/15.

284

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

Abb. 7: Bittschrift der Susanna Reiterin an die k.k. Regierung, Salzburg, den 4. April 1806, SLA k.k. Reg. XXXV/M 7.

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

285

Abb. 8: Die Hebamme übergibt das Wickelkind der Mutter. Kupferstich. Paris im 18. Jahrhundert. In: Lieburg, M. J. van. (1992). Frau und Depression. Impressionen aus der Geschichte einer Wechselbeziehung. Rotterdam, 86.

286

Gender und Geschlechtergerechtigkeit im Geschichtsunterricht

Abb. 9: Kräuterbuch Elisabeth Blackwell 1757. Vermehrtes und verbessertes Blackwellisches Kräuter-Buch (.) das ist Elisabeth Blackwell Sammlung der Gewächse (.) die zum Arzney-Gebrauch in den Apothecken aufbehalten werden (.) deren Beschreibung und Kräfften (.) aus dem Englischen übersetzt. Nürnberg 1757.

Quellen im Kontext »Frau und Heilkunde um 1800«

287

Abb. 10: Apothekerzeugnis für Maria Anna v. Eckhl, Ordenskandidatin am Nonnberg. 1762. In: Zeugnisse über die Nonnberger Apotheke. AdBA Nonnberg Salzburg 5, 94. Ga.

Literaturverzeichnis

1

Ungedruckte Quellen

1.1

Landesarchiv Salzburg (SLA)

Geheime Hofkanzlei (GH): XXI/22 h; LV/15 a, b, c. Hofkammer: 1806, 7a (Collegium Medicum 70, 1804–1807); 1806, 71; Hofkammer-Protokolle 1807 / 2 / 1136; SLA Hofkammer-Protokolle 1806 / 30 / 2448. Hofrats-Kriminalakten 1756–1870: XIV Kriminalakten; Krt. II 1798–1810, Nr. 1679. Kreisamt: Fasz. 181, B IX 5, B IX 9. Kreiskommissariat: B.2.6. Hallein 44, B.2.6 Neumarkt 31, B.2.6. Salzburg Stadt. Kurfürstliche Regierung 1803–1810 (kurfürstl. k.k.-Reg.): R XI/A, XI/A 8, XI/D 1/57, XI/G 80, XI/H 5/110, XI/H 1/106, XI/R 5/110, XII/15, XXXV/M 5, XXXV/M 7, XXXVI B III/6, XXXVI/Z.I. 21, XLV/H 24, XLV H 25, XLV/W 15, LXIII, LXVI 11. Landesregierungsakten 1850–1860: VII B/9. Pfleggericht: Taxenbach: Krt. XII Polizei-Sachen 1802–1805, Lofer I/4.

1.2

Konsistorialarchiv Salzburg (KAS)

Bestand: 22/44 Ehescheidungen 1792–1805 – Causa divortii 1805–1810.

1.3

Archiv der Benediktinerinnen Abtei Nonnberg in Salzburg

Bestand: 5, 94 Ga. Auszug aus dem Apothekerbuch Nr. 4, VI 138 I f.

290 1.4

Literaturverzeichnis

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München

Bestand: GR 1204 129; GR 1204 128. MInn 61358, 43993, 44081, 44090, 44093, 44061, 44077, 44013, 61355, 61358.

1.5

Archiv der Stadt Salzburg

Pezoltakten: 45. Arzneibücher – ungedruckt: Arzney buech mir Juliana von Hausperg zugehörig – 17. Jh. von mehreren hdn. geschrieben, blatt 23; Vermörchet was ich khatterina von thurn Wittib ain geborne von kharling zu mein Rauchkhörzen nimb, 104 S, insges. 117 Rezepte. Arzneibuch für Frauen und Wöchnerinnen. 18/1.Jh. Arzneibuch (1729). Am Umschlag: Freylein Maria Anna v. Schnedizeni angehörig Ao 1729. 106 Seiten insges. 169 Rezepte. Arzney=Buch (1741). Francisca Friderica Reichsgräfin und Frau von Wellenstein, gebohren Freyin von Gommingen mp. 1741 geschrieben. Arzneybüchlein für Menschen und Vieh (1791). Weissenburg in Franken. Büchl mit Haus Mitteln Samt Register den 6ten July 1809. Der Theresia Triendlin gebohrne Hartmanin zugehörig. jetz verehelichte Schallnkamer Residenz Verwalterin. Etliche Hauß Mitl oder Arzeney für unterschiedliche gebrechen. Sehr nuzlich zu gebrauchen. 1. Hälfte 18. Jh. Vermerk, Band 1 Maria Barbara Ainhirnin, vermutlich auch von ihr geschrieben. Heil- und Zaubersprüche, Hausmittel etc. Anf. 17. Jh., 37 S. Sympathie- und Hausmittel ca. 17/2 Jh., S. 1–302.

2

Gedruckte Quellen

2.1

Zeitungen

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Abbildungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 1 Abbildung 1: Analyse historischer Bilder auf basalem Niveau nach E. Panovsky, Bildanalyse nach Erwin Panovsky (2006); Lernplattform für offenen Geschichtsunterricht; segu-geschichte.de. Abbildung 2: Kompetenzorientierter Unterricht, Diagnoseaufgaben mit Bildern, modifiz. nach Plattner (2011). Abbildung 3: Velpeau dirigiert die Autopsie einer Leiche am Klinikum Charite (auf das Rembrandt-Gemälde, die Anatomiestunde bezogen) https://upload.wikimedia.org/wi kipedia/commons/4/4d/Alfred_Velpeau_02.JPG?uselang=de. Abbildung 4: Wallfahrtskirche Maria Kirchenthal, Votivtafel von 1757; Quelle Franz Fuchs, 14. 8. 2008. Abbildung 5: Darstellung eines Schröpfweibes. Brekelenkam. Q.De Kopster. Um 1650. Ölgemälde. Den Haag. In: Vogt, Helmut (1969). Das Bild des Kranken. Die Darstellung äußerer Veränderungen durch innere Leiden und ihrer Heilmaßnahmen von der Renaissance bis in unsere Zeit. München, 118. Abbildung 6: Klistier, 18. Jahrhundert. In: Vogt, Helmut (1969). Das Bild des Kranken. München, 119. Abbildung 7: Aderlaß-Taffel Salzburg 1722. Im neu-außgefertigten Landt=Hauß= und Würthschaffts=Kalender / Auff das Jahr nach der Gnadenreichisten Geburt unseres Erlösers und Seeligmachers Christi. Salzburg 1722. Abbildung 8: Aderlassmännchen. Konstenzer, Otto (1969/70). Der Aderlaß. In: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift 6 (1969/70), Innsbruck, 448.

Abbildungsverzeichnis 2 Abbildung 1: Lernausgangsdiagnose. Abbildung 2: Beschäftigungsstruktur in der Medizin im Vergleich. Abbildung 3: Konfliktanalyse unterschiedlicher Akteur/-innen im Medizinalsystem. Abbildung 4: Methodenkompetenz – Quelleninterpretation.

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 5: Untersuchungsprotokoll vom Königl. Landgerichte Hallein, 20. Juni 1812, SLA Kreiskommissariat B.2.6, Hallein 44. Abbildung 6: Vernehmungsprotokoll der Maria Scharlerin vom 25. Februar 1803, SLA kurfürstl. k.k. Reg. 1803–1810 XII/15. Abbildung 7: Bittschrift der Susanna Reiterin an die k.k. Regierung, Salzburg, den 4. April 1806, SLA k.k. Reg. XXXV/M 7. Abbildung 8: Die Hebamme übergibt das Wickelkind der Mutter. Kupferstich. Paris im 18. Jahrhundert. In: Lieburg, M. J. van. (1992). Frau und Depression. Impressionen aus der Geschichte einer Wechselbeziehung. Rotterdam, 86. Abbildung 9: Kräuterbuch Elisabeth Blackwell 1757. Vermehrtes und verbessertes Blackwellisches Kräuter-Buch (.) das ist Elisabeth Blackwell Sammlung der Gewächse (.) die zum Arzney-Gebrauch in den Apothecken aufbehalten werden (.) deren Beschreibung und Kräfften (.) aus dem Englischen übersetzt. Nürnberg 1757. Abbildung 10: Apothekerzeugnis für Maria Anna v. Eckhl, Ordenskandidatin am Nonnberg. 1762. In: Zeugnisse über die Nonnberger Apotheke. AdBA Nonnberg Salzburg 5, 94. Ga.

Abkürzungsverzeichnis

AdBA Nonn.Szbg. AdJPF BayHStA DJPF Fl IS KAS KBB KMW kr Med.-Chirurg. Ztg. MGSL ÖZfV ÖZG PF Salz.Lit. SAVk SLA ZdHVSt ZfBL ZfÖV

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